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Der EHC befindet sich im Aufwärtstrend - vor allem, weil die Münchner defensiv stabil sind.
Vor nicht allzu langer Zeit stand Don Jackson mit nachdenklicher Miene im Pressekonferenzraum der Münchner Olympia-Eishalle. Der Trainer des EHC München hatte wieder einmal eine Niederlage seiner Mannschaft zu kommentieren und sagte ganz am Ende seiner Einordnung: "Wir sind eine bessere Mannschaft, als wir es momentan zeigen." Am Freitagabend kam Jackson in denselben Raum, dieses Mal schien der 191 Zentimeter große Hüne aber ein anderer Mann zu sein. Grinsend blickte er in die Runde und fragte: "Alles okay?", sein Lächeln wurde dabei noch größer. Jacksons gute Laune war nicht nur auf den 3:2-Erfolg seiner Mannschaft gegen den ERC Ingolstadt zurückzuführen. Sie stand repräsentativ für die vergangenen Spiele des EHC. Dreimal in Serie hatte er innerhalb einer Woche gewonnen und dabei den Tabellenzweiten Eisbären Berlin (2:1), Tabellenführer Adler Mannheim (1:0) sowie Ingolstadt bezwungen. Sieg Nummer vier in Serie in der Deutschen Eishockey- Liga (DEL) gab es am Sonntag beim 3:2 nach Verlängerung bei den Iserlohn Roosters. Pünktlich zur ersten heißen Saisonphase - in den kommenden 18 Tagen stehen acht Partien auf dem Programm - scheint sich der EHC gefangen zu haben. Was hat sich bei den Münchnern zum Guten verändert? "Der größte Unterschied ist die Defensive", erklärt Jackson, das zeige sich an den zugelassenen Torchancen und Schüssen. Und auch bei den Ergebnissen: Gegen Berlin, Mannheim und Ingolstadt kassierten die Münchner insgesamt nur drei Gegentore. Die neue defensive Stabilität, an der Torhüter Danny aus den Birken, der gegen Berlin, Mannheim und Ingolstadt mehrere gute Chancen der Gegner vereitelte, großen Anteil hat, verleiht der Mannschaft offensiv zusätzliches Selbstvertrauen, denn: "Wir müssen uns keine Gedanken über unsere Tore machen", sagt Jackson, "die kommen früher oder später." Zudem verfügt der EHC-Trainer nach zahlreichen Wochen mit vielen Verletzten seit dem Berlin-Spiel wieder über vier komplette Angriffsreihen, ein Faktor, der bei seinem laufintensiven Spielsystem nicht zu unterschätzen ist. "Das ist wichtig", erklärt der Trainer, "speziell in dieser Phase des Jahres, wo wir so viele Spiele in kurzer Zeit haben." Selbst die Defensivausfälle von Jeremy Dehner (Kieferbruch) und Florian Kettemer (Gehirnerschütterung) wurden gut aufgefangen, da erst Uli Maurer und dann Yannic Seidenberg als Verteidiger aushalfen. Seidenberg, der nach seiner langen Beinverletzungspause erst gegen Berlin sein Liga-Saisondebüt gefeiert hatte, verursachte am Freitag gegen Ingolstadt zwar einen Penalty, bereitete Keith Aucoins Siegtreffer in der Verlängerung aber sehenswert vor. Am Sonntag, beim Sieg in Iserlohn, brachte Jason Jaffray den EHC München mit seinem 15. Saisontor 1:0 in Führung (30.), doch die Roosters drehten die Partie dank der Überzahltreffer von Zach Hamill (32.) und Nick Petersen (37.). Das zweite Iserlohner Tor fiel in einer fünfminütigen Münchner Unterzahl, da Daryl Boyle für einen Check von hinten eine Spieldauerdisziplinarstrafe kassiert hatte. Wie schon gegen Ingolstadt glich Dominik Kahun zum 2:2 aus (44.), in der Verlängerung sorgte dann erneut Aucoin für die Entscheidung.
https://www.sueddeutsche.de/sport/eishockey-alles-okay-1.2791261
mlsum-de-9601
Die saarländische Karlsberg-Brauerei wählt für seine alkoholarmen Wellness-Biersorten einen ungewöhnlichen Vertriebsweg, um sich einen neuen Kundenkreis zu erschließen.
Der Wellness-Trend geht auch an der Bierbranche nicht spurlos vorüber. Das wachsende Gesundheitsbewusstsein der Deutschen schlägt sich in sinkenden Absatzzahlen der Brauereien nieder. Dies lässt die Hersteller auf der Suche nach neuen Verdienstmöglichkeiten erfinderisch werden. Mit neuen Produkten wie alkoholarmen Bieren oder Biermixgetränken gelingt es ihnen, den Absatzrückgang bei herkömmlichem Bier teilweise wieder wettzumachen. Detailansicht öffnen "Karla" soll besonders Frauen ansprechen. (Foto: Foto: Karlsberg) Dem Chef der saarländischen Karlsberg-Brauerei GmbH, Richard Weber, ging dies allein aber noch nicht weit genug. Das neueste Produkt aus dem Haus Karlsberg, ein Frucht-Mischgetränk auf Bierbasis namens "Karla", wird ausschließlich in Apotheken verkauft, ein Absatzkanal, den vorher noch kein Bierproduzent wählte. Testmarkt Saarland "Der Vertriebsweg für ein solches Produkt ist entscheidend für den Erfolg", betont Weber im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Die Apotheken haben die größte Beratungskompetenz im Umgang mit Alkohol, und wir können so Kunden ansprechen, die wir sonst nicht erreichen". Im Auge hat er dabei unter anderem Frauen ab 40 Jahren aufwärts, die normal wenig Bier oder andere alkoholische Getränke konsumieren. Studien hätten gezeigt, dass 75 Prozent der Frauen über vierzig immerhin zwei Mal pro Woche in die Apotheke gingen, ergänzt er. Seit Mai läuft die Testphase in 22 saarländischen Apotheken. Bislang laufe alles wunschgemäß, sagt Weber, "das Produkt kommt gut an, vor allem bei Kunden, die sonst nicht als klassische Biertrinker gelten". Läuft alles nach Plan, dann könnte das Getränk schon zu Beginn nächsten Jahres bundesweit auf diesem Weg vertrieben werden. Das Produkt, das zu 70 Prozent aus Bier und zu 30 Prozent aus Melisse, Vitaminen, Sojaextrakt, Folsäure und Lecithin besteht, gibt es in zwei Geschmacksvarianten. Der Alkoholanteil ist dabei mit 1,0 Volumenprozent deutlich niedriger als bei einem normalen Bier mit einem Anteil von etwa 5,5 Prozent. Gesundes Bier "In Maßen getrunken, ist Bier ein sehr gesundes Produkt und damit bestens geeignet als Basis für ein Gesundheitsprodukt", sagt Weber, der zugleich auch Präsident des Deutschen Brauer-Bundes ist. Das Potential des neuen Trunks hält er für groß, räumt aber ein, "dass es kein Massengeschäft werden wird". Er beziffert den allgemeinen Absatz von Getränken über das Apotheken-Vertriebsnetz auf insgesamt 100 000 Hektoliter. Im Vergleich zu einem jährlichen Bierabsatz von 105 Millionen Hektoliter in Deutschland ist das nur ein sehr geringer Anteil. Weber will die neue Kundschaft vor allem von den gesundheitsförderlichen Eigenschaften des Hopfens überzeugen, der unter anderem den Wirkstoff Xanthohumol - ein so genanntes Antioxidans - enthält. Diese Substanz soll unter anderem helfen, Krebs und Herzerkrankungen zu vermeiden. Außerdem wurde im Hopfen Tanin nachgewiesen, das auch in Rotwein vorkommt und ebenfalls dazu beiträgt, Herzkrankheiten vorzubeugen. Diese Hopfen-Idee ist allerdings nicht ganz neu. Die Brauerei Weihenstephan brachte mehr als ein Jahr vor Karlsberg zwei ähnliche Biermischgetränke auf den Markt, das abgeleitet von Xanthohumol "Xan" heißt und auf die gesunde Wirkung des Hopfens setzt. Das Getränk gibt es in zwei Varianten, einmal als Xan Hefeweißbier mit einem Alkoholgehalt von 5,4 Prozent und als Xan-Wellness, zusammengesetzt aus alkoholfreiem Weißbier und 60 Prozent Mehrfruchtgetränk. Image pflegen Mit alkoholfreiem Bier als Produkt für Gesundheitsbewusste werben inzwischen bereits zahlreiche Hersteller, wie etwa die Erdinger Brauerei, die auf die isotonische Wirkung des Produkts verweist, es als "ideales Getränk für die ausgewogene Sportlerernährung" vermarktet und damit großen Erfolg hat. Karlsberg-Chef Weber sieht in der Einführung des neuen Apothekenbiers auch eine Chance, das Image des Konzerns zu fördern. Die 1878 gegründete Karlsberg-Gruppe erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 650 Millionen Euro und schreibt positive Zahlen. Nähere Angaben veröffentlicht das Unternehmen, das mehrheitlich der Familie Weber gehört, nicht. Eine Minderheitsbeteiligung von 22 Prozent hält der niederländische Heineken-Konzern. Zur Karlsberg-Gruppe gehören unter anderem der Mineralbrunnen Überkinger, die Fruchtsaft-Hersteller Merziger, Vaihinger und Dietz. Gut zwei Drittel des Umsatzes werden mit alkoholfreien Getränken erzielt.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zum-wohl-bier-aus-der-apotheke-1.900154
mlsum-de-9602
Gefangen in alten Mustern: Im Trainingslager erkennt Hannovers neuer Trainer Thomas Schaaf schnell die Defizite seiner Mannschaft.
Die Gastgeber sind nicht nur freundlich, sondern auch außerordentlich improvisationsfreudig, um ihren deutschen Gästen ein Trainingslager an der Mittelmeerküste so angenehm wie möglich zu machen. Kann doch nicht sein, dass Hannovers neuer Trainer Thomas Schaaf und seine Assistenten Wolfgang Rolff und Matthias Hönerbach auf der weitläufigen Anlage des Hotels Cornelia Diamond völlig durchweichen, nur weil in diesen Tagen das Wetter nicht mitspielt. Also haben die Bediensteten zum Testkick zwischen Hannover 96 und Hertha BSC (0:1) nicht nur die tiefen braunen Stühle, auf denen sich im Sommer die Touristen auf die Terrasse fläzen, an den hoteleigenen Fußballplatz geschleppt, sondern auch zwei beigefarbene Sonnenschirme. Als Regenschutz. Genützt hat es irgendwie trotzdem nicht viel: Vor allem Schaaf stand in diesem Spiel mehr als er saß. Und im penetranten Nieselregen rief er seine Kommandos ins Spielfeld: "Rückt nach!", "Zeigt euch!", "Wirf ein!" Und auch: "Nicht aufhören, Leute!" Am Ende war seine schwarze Kappe patschnass. Aber gestört hatte den 54-Jährigen etwas ganz anderes. Die Zeit drängt: Nur zweieinhalb Wochen sind es noch bis zum Heimspiel gegen Darmstadt 98 "Wir waren zu sehr in unserer Passivität gefangen", sagte Schaaf nach dem Spiel, "und wir gestehen dem Gegner zu viel zu." Wenn es nicht gelingt, in einer Vorbereitungspartie mehr als eine einzige ordentliche Torchance herauszuspielen, dann ist wohl Gefahr im Verzug. Zumal sich zuvor eine Hannoveraner Reservisten-Elf gerade mal so zu einem 2:1 gegen den Drittligisten Wehen Wiesbaden gequält hatte. 180 Minuten haben Thomas Schaaf ausgereicht, um zu erahnen, welch schwierige Mission er beim Liga-Vorletzten angetreten hat. Und indirekt räumte er erstmals ein, dass sich seine Profis noch zu sehr in den Verhaltensmustern seines Vorgängers Michael Frontzeck bewegen. Schaaf dagegen vertritt die Haltung, dass auch ein Abstiegskandidat agieren und nicht nur reagieren sollte, was der Überzeugungstäter in diese Umschreibung verpackte: "Wo ist das Klavier? Wo trage ich es hin?" Es werden bei den Roten also robuste Klavierträger gesucht, doch diese Suche könnte schwierig werden. Kapitän Christian Schulz und Antreiber Leon Andreasen, mit Schaaf aus gemeinsamen Bremer Tagen noch gut bekannt, sind vom Trainer eigentlich als seine persönliche Hilfstruppe auf dem Spielfeld vorgesehen, doch der eine (Schulz) wirkt seit Monaten verunsichert, der andere (Andreasen) patzte vor dem Gegentor gewaltig und schied später mit lädiertem Sprunggelenk aus. Gut möglich, dass beide wegen ihres angeschlagenen Gemüts bzw. Körpers erst mal gar nicht als Anführer in Frage kommen. Von den vier Winter-Zugängen hatte nur Sturm-Leihgabe Adam Szalai (Hoffenheim) seinen Platz in der A-Elf abbekommen, aber außer Eifer hatte der Ungar nicht viel anzubieten. Die anderen - der Norweger Iver Fossum, der Japaner Hotara Yamaguchi und der deutsche U21-Nationalspieler Marius Wolf - gelten vorerst als Ergänzungsspieler, um die Konkurrenzsituation im Kader zu erhöhen. Also geht Schaaf beim Anpacken erst mal selbst voran. Und das so wortreich, dass Manager Martin Bader ihn als "sehr kommunikativen" Trainer-Typen lobt, "der innerhalb kürzester Zeit hier angekommen ist". Dass Schaaf zuletzt bei Eintracht Frankfurt speziell die Kommunikationsdefizite zum Verhängnis geworden sind, kann Bader "aus allen geführten Gesprächen nicht bestätigen". Schon bei den Trainingseinheiten im türkischen Pinienwald fragen sich die mitgereisten 96-Anhänger, wie lange Schaafs Stimmbänder das wohl noch aushalten. "Ich kann doch nicht ruhig sein. Wir müssen Hilfestellung geben", sagt er. Und wenn Schaaf mal nicht ruft, dann springen sofort seine aus Bremer und Frankfurter Zeiten vertrauten Assistenten Rolff und Hönerbach ein, die sich in Gestik und Mimik über die Jahre angeglichen haben. Vor allem dieses Triumvirat ist es, dass den neuen Geist bei den Niedersachsen wecken soll. Schaaf wünscht sich schnell "Selbstbewusstsein und Selbstverständnis". Aber die Zeit drängt. Nur eineinhalb Wochen sind es bis zum ersten Heimspiel gegen Darmstadt. Der Auftakt am 23. Januar dient als wichtiger Wegweiser, denn sollte der widerspenstige, auswärtsstarke Aufsteiger aus Hannover drei Punkte mitnehmen, dann wäre er schon sieben Zähler enteilt. "Das ist noch kein Endspiel", beteuert Schaaf, wohlwissend, "dass wir nicht von heute auf morgen alle Schalter umlegen können". Aber ein Zeichen sollte Hannover 96 schon setzen. Ansonsten könnte das Dauergrau über Belek durchaus schon ein Vorbote dessen sein, was Schaaf und Co. in der Rückrunde erwartet.
https://www.sueddeutsche.de/sport/hannover-96-wer-traegt-das-klavier-1.2815219
mlsum-de-9603
Im Trainingsareal und Spielerbereich des All England Lawn Tennis and Croquet Club verhandeln Wimbledons Protagonisten ihre Macht.
Boris Becker ist früh aus der Kabine gekommen, er setzt sich auf ein Mäuerchen und wirkt gelöst, während er laufend gegrüßt wird. Ein guter Moment für einen Plausch, und tatsächlich antwortet Deutschlands berühmtester Ex-Tennisspieler zuvorkommend, als er nach den schönsten Regenerlebnissen aus seiner Zeit gefragt wird. Dieser Freitag war ja wieder so ein Tag, an dem die 130. Championships von Wimbledon nicht richtig vorankamen, auf den Außenplätzen wurde stundenlang pausiert. "1991 mussten wir auch viel warten, es hatte ja so viel geschüttet, dass erstmals am mittleren spielfreien Sonntag gespielt wurde", erinnert sich Becker, der seit Ende 2013 Novak Djokovic trainiert und zu sechs Grand-Slam-Titeln geführt hat. Gleich wird er mit dem Serben auf den Trainingsplatz gehen, auf einen der abgeschotteten Competitors Practice Courts. "Wir haben die Zeit mit Schach und Backgammon verbracht", er lächelt, "heute gucken die meisten ins Handy." Beckers Blick schweift zum vorderen Platz. "Sehr ungewöhnlich, sehen Sie: Die zwei Franzosen spielen heute gegeneinander in der dritten Runde und trainieren miteinander." Er zeigt auf Pierre-Hugues Herbert und Nicolas Mahut. "Die sind ja auch das beste Doppel und wollen wohl ihre Routine nicht durchbrechen." Becker hat jetzt diesen für ihn typischen Blick, wenn es in ihm arbeitet. Selbst wenn er entspannt ist, seziert er genau seine Umwelt. "Da kommt er", sagt er, von links eilt Novak Djokovic heran, und weg sind sie. Sogar Ivan Lendl ist herrlich entspannt und erzählt begeistert von seinen Schäferhunden Wimbledon ist in so vielen Bereichen ausgeleuchtet wie ein Museum, zwei der spannendsten Areale indes sind nicht zugänglich für die täglich rund 40 000 Zuschauer, die an die Church Road pilgern. Auf dem Trainingsgelände im sogenannten Aorangi Park und im Spielerbereich, der eine schöne Terrasse und ein Restaurant mit Poster-Ausblick über die Anlage bietet, finden die Protagonisten ihre Rückzugsorte, die auch benötigt werden. Sobald um Punkt 10.30 Uhr über Lautsprecher die Aufforderung kommt, die Gates sollten bitte geöffnet werden, fluten Massen die Wege, die sich wie Adern durch den All England Lawn Tennis and Croquet Club ziehen. Stellt man sich vor den Eingang zur Spielerterrasse, kann es passieren, dass binnen einer halben Stunde 20 aktuelle und frühere Grand-Slam-Sieger und Spitzenspieler, die werbewirksam "Legends" genannt werden, vorbeischreiten. Mary Pierce, Goran Ivanisevic, Jim Courier, Ion Tiriac (mit Schlaghose und Slippern), Tim Henman - es scheint so zu sein, als hätten alle, die je anständig den Schläger schwangen, sich einen Posten gesichert, als Coach, TV-Experte oder notfalls als reisende "Legend"; bei den vier Grand Slams bestreiten die Altstars ja in der zweiten Woche ein eigenes Turnier. Aber bei keiner Veranstaltung ist die Promidichte größer, das Raumschiff Wimbledon ist die Schaltzentrale des globalen Tennis. Wer ein Faible für die Kunst des Strippenziehens hat, ist an der Adresse SW 19, London am richtigen Ort, insbesondere Manager, Berater, PR-Kräfte, Vertreter von Schläger- und Sponsorenfirmen lassen sich die Chance nicht entgehen, in den zwei Wochen Kontakte zu knüpfen. Natürlich sind nicht alle gleich wichtig, manche müssen rein gar nichts machen und werden dauernd angesprochen, weil sie wie Patricio Apey einen der am höchsten gehandelten Spieler vermarkten. Der Chilene ist von morgens bis abends zugange, oft umgeben ihn Schlipsträger. Apey ist smart, eloquent, gerissen, er weiß, dass es auch um Präsenz geht. Er betreut den deutschen Aufsteiger Sascha Zverev, 19, den viele als kommenden Grand-Slam-Sieger sehen. "Mich würde es schwer wundern, wenn es einen Manager gäbe, der nicht gerne Sascha hätte", sagt Apey, der so diskret ist, dass er nicht mal verrät, wie lange sein Vertrag mit Zverev läuft. Während unten in Sichtweite die Besucher dicht an dicht ihre Runden drehen, wirkt es, als träfe sich oberhalb die große Tennisfamilie, und mancher, der in der Öffentlichkeit als Eisblock gilt, gibt sich hinter dem Theatervorhang tatsächlich locker wie auf einer Gartenparty. Ivan Lendl grummelt zwar erst, über seine Rückkehr zu Andy Murray als Coach spreche er ungern. Jedes Wort werde so wichtig genommen. Aber dann fängt der 56-Jährige, gebürtig in der damaligen Tschechoslowakei, längst in den USA zu Hause und in den Duellen mit John McEnroe und Becker in der Rolle des KGB-Bösewichts, von sich aus an, über Golf und Schäferhunde zu reden, seine zwei großen Leidenschaften. Minutenlang zeigt Lendl Filmchen und Fotos, auf einem Bild ist ein Schäferhundkopf vor amerikanerischer Flagge, "wunderschön", sagt Lendl und erzählt dann herrliche Anekdoten, etwa wie mal der frühere Profikollege Carl-Uwe Steeb mit ihm trainierte, einen Ball in der Hosentasche versteckte und so lange den Schäferhund mit dem Ball triezte, bis der in Steebs Hose biss und diese zerfetzte. "Wenn der Hund Charly an die Gurgel gegangen wäre, hätten wir vor Lachen nicht mal Stopp schreien können", sagt Lendl - und lacht fast wie damals.
https://www.sueddeutsche.de/sport/rasenturnier-in-wimbledon-ort-der-strippenzieher-1.3059231
mlsum-de-9604
Deutschland hat im Februar erneut weniger Waren exportiert als im Vormonat. Dabei schlägt sich der von US-Präsident Trump angedrohte Handelskrieg noch nicht voll in der Statistik nieder.
Ökonomen hatten mit einem Plus gerechnet. Nachdem im Januar etwas weniger Waren ins Ausland verkauft wurden als im Dezember, sollten die Zahlen danach wieder steigen. Doch es kam ganz anders: Im Februar schrumpften die Exporte nochmals, und gleich um 3,2 Prozent. So einen Dämpfer gab es zuletzt vor drei Jahren. Neben dem starken Euro machen Beobachter dafür vor allem den zunehmenden Protektionismus verantwortlich: "Die Anzeichen für schlechtere Geschäfte mehren sich", sagt Volker Treier vom Wirtschaftsverband DIHK. Nun weisen Experten darauf hin, dass eine Monatszahl noch kein Trend ist. Und im Jahresvergleich sind die Daten in Ordnung: Im Februar wurde immer noch mehr exportiert als zwölf Monate zuvor. Doch im Jahresvergleich zeigt sich auch, dass vor allem das Geschäft mit EU-Staaten brummt, nicht das mit China oder den USA. Zusammen mit schwachen Aufträgen und weniger Produktion summiert der Exportrückgang sich zu einem schlechten Konjunkturstart ins Jahr. So schlecht wie seit Anfang 2009 nicht mehr, als Deutschland im Horror der Finanzkrise steckte. Wie es weitergeht, hängt jetzt wesentlich vom Fortgang des Handelskriegs ab, den US-Präsident Donald Trump gestartet hat. Die weltweiten Exporte waren davon im Februar allenfalls stimmungsmäßig beeinflusst. Von konkreten Strafzöllen gegen China und zahlreiche andere Länder auf Stahl und Aluminium war erstmals Mitte Februar die Rede. In Kraft gesetzt wurden sie erst Ende März. Schotten sich die USA und China weiter ab, droht eine "Protektionsmusspirale" Die Europäer sind vorerst ausgenommen, wofür die USA Zugeständnisse erwarten. Derzeit beschießen sich nach Trumps erstem Aufschlag vor allem Amerika und China mit immer neuen Ankündigungen für Strafzölle. "Schotten die USA und China sich weiter gegeneinander ab, droht eine weltweite Protektionsmusspirale", warnt Joachim Lang vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). "Diese würde die Weltkonjunktur als Ganzes empfindlich abschwächen." Werden alle diese Strafzölle umgesetzt, hat niemand etwas zu gewinnen, zeigen Berechnungen von Gabriel Felbermayr vom Münchner Ifo-Institut. So werde das Bruttoinlandsprodukt der USA und China allein 2018 um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte schrumpfen. Europäische Firmen sind zwar so etwas wie die lachenden Dritten: Sie erhalten gegenüber chinesischen Firmen auf dem US-Markt und US-Firmen auf dem chinesischen Markt einen Vorteil, solange sie von den Strafzöllen ausgenommen sind. Aber: Die USA und China kaufen insgesamt weniger Waren, wenn ihre Volkswirtschaften schrumpfen, also auch weniger in Europa. "Für Europa heben sich die Effekte weitgehend auf", urteilt Felbermayr. Nur der Exportnation Deutschland bleibt bis zu einer halben Milliarde Euro mehr Wirtschaftsleistung im Jahr. Und das ist bei weitem das optimistischste Szenario. Denn falls die USA ab 1. Mai auch bisher ausgenommene Länder in Europa und Südamerika mit Strafzöllen belegen und alle Betroffenen entsprechend Vergeltung üben, leidet die Konjunktur in Europa stärker. Umso stärker, falls Trump Autos ins Visier nimmt und Europäer und andere Staaten entsprechend mit Strafzöllen antworten. In diesem Fall erwartet der Münchner Forscher für Deutschland vier Milliarden Euro und für die Welt fast 70 Milliarden Euro weniger Wirtschaftsleistung. Wobei die Ankündigungen für zusätzliche US-chinesische Strafzölle von vergangener Woche noch gar nicht eingerechnet sind. Und alle diese Effekte sind noch nicht einmal das, was Gabriel Felbermayr am stärksten besorgt. "Wenn der Handelskrieg von Zöllen ausgeweitet wird auf Diskriminierung durch bürokratische Schikanen für Exporte, ist der Schaden schnell weit größer." Solche Diskriminierung kann zum Beispiel darin bestehen, Lebensmittel aus vorgetäuschten hygienischen Gründen oder andere Produkte wegen angeblicher Qualitätsmängel oder Umweltgefahren an der Grenze zu stoppen. Oder ausländische Waren generell durch Regeln auszubremsen, die heimische Produkte bevorzugen (wie "Buy American" nach der Finanzkrise). "Ich halte für sehr wahrscheinlich, dass es zu solchen Diskriminierungen kommt", sagt Felbermayr. "Das Bruttoinlandsprodukt kann dann sofort in den USA und in China um einen halben Prozentpunkt schrumpfen." Das würde die Welt beben lassen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aussenhandel-deutsche-exporte-schwaecheln-1.3937290
mlsum-de-9605
Auf der ganzen Welt wollen Tausende Menschen am Samstag, 22. April für die freie Wissenschaft demonstrieren. Der Autor und Regisseur Claus Martin hat den "March for Science" nach Deutschland geholt.
Angefangen hat alles mit der Wahl Donald Trumps, doch der "March for Science" soll weit mehr sein als ein Protest gegen den neuen US-Präsidenten. Es soll eine weltweite Demonstration werden für die Freiheit der Wissenschaft, ein globaler Aufstand gegen "alternative Fakten". In mehr als 500 Städten wollen am kommenden Samstag, den 22. April, Tausende Menschen auf die Straße gehen, auch in Deutschland. In zahlreichen Städten, darunter Berlin, München, Hamburg, Leipzig, Dresden, Frankfurt, Stuttgart und Göttingen, sind Demonstrationen angemeldet. Namhafte deutsche Wissenschaftsorganisationen unterstützen die Proteste, ebenso wie zahlreiche Nobelpreisträger. Mitinitiator ist der Bochumer Autor und Regisseur Claus Martin. Als er hörte, dass es nach dem "Women's March" für die Rechte der Frauen in Washington auch eine Demonstration für die Freiheit der Wissenschaft geben wird, machte er sich an die Arbeit, um die Aktion auch nach Deutschland zu holen. Er richtete einen Twitter-Account ein, gründete eine Facebook-Gruppe, brachte Interessierte zusammen, sammelte Geld über eine Crowdfunding-Kampagne. 20 Märsche für die Wissenschaft sind mittlerweile angemeldet, sogar auf Helgoland wird es einen geben. Martin erwartet insgesamt bis zu 30 000 Teilnehmer, wenngleich in Deutschland auf der Wissenschaft kein Druck wie etwa in der Türkei, in Polen oder Ungarn laste. Auch Trump, der praktisch täglich neu definiert, was wahr ist oder sein soll, ist weit weg. "Aber es geht uns darum, dass es so bleibt", sagt Martin. "Wir wollen ein starkes Signal senden, dass populistische Kräfte auch in Deutschland nicht noch stärker werden dürfen. Ich fürchte, sie sind schon stark genug." Martin hofft, dass in großer Zahl auch Menschen auf die Straße gehen werden, die wie er selbst keine Forscher sind. Es handle sich bewusst um einen Marsch für die Wissenschaft, nicht für Wissenschaftler. Es gebe unterschiedliche Meinungen in der Gesellschaft, sagt Martin, und über die müsse man streiten. Davon lebe die Demokratie. Doch es gebe auch Fakten, über die man nicht streiten dürfe: dass zwei und zwei vier ergibt, zum Beispiel. Oder dass der Klimawandel existiert und eine Bedrohung für die Zukunft der Menschheit darstelle. Die verbreiteten Zweifel am Klimawandel in der Trump-Administration, verbunden mit gekürzten Forschungsgeldern, sind der Hauptgrund, warum der "March for Science" in den USA ins Leben gerufen wurde. "Wir leben in einer Zeit, in der wissenschaftliche Fakten anscheinend keine Rolle mehr spielen", heißt es in einem kurzen Film, den Martin für die Facebook-Seite des deutschen "March for Science"-Ablegers produziert hat. "Wenn einem wissenschaftlich erwiesene Tatsachen nicht gefallen, kann man sie neuerdings einfach leugnen oder alternative Fakten erfinden." Ans Ende des Videos hat Martin einen Satz aus George Orwells Roman "1984" gestellt: "Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei und zwei vier ergibt". Martin ist überzeugt, dass es diese Freiheit heute wieder zu verteidigen gilt.
https://www.sueddeutsche.de/bildung/march-for-science-von-washington-bis-helgoland-1.3465113
mlsum-de-9606
Das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein stärkt die Christdemokraten. Während die SPD wankt, blicken sie zuversichtlicher auf die Bundestagswahl im Herbst.
Partystimmung bei der Union: Nach der Wahl ist in Schleswig-Holstein vom Günther-Effekt die Rede (CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther im Bild mit Kanzlerin Angela Merkel). Es gab durchaus bedeutende Menschen in der CDU, die fassten sich Anfang der vergangenen Woche an den Kopf. Alles war bereitet für die letzten Tage des Wahlkampfs in Schleswig-Holstein: Die Umfragewerte der CDU stiegen in überraschende Höhen, und die christdemokratische Prominenz wollte mit der Warnung vor einer rot-rot-grünen Regierung in Kiel noch die letzten Sympathisanten mobilisieren. Dann aber, so berichtete es jüngst ein irritierter Bundespolitiker, sei er plötzlich nur noch nach Leitkultur und Bundeswehr gefragt worden, nach Thomas de Maizière und Ursula von der Leyen. Das hätte die wahlkämpfende CDU aus seiner Sicht nicht gebraucht. Am frühen Sonntagabend, als die ersten Zahlen aus Schleswig-Holstein kamen, sah es so aus, als habe die Nord-CDU die Hilfe aus Berlin nicht mehr gebraucht: Ein deutlicher Sieg für die Christdemokraten zeichnete sich ab. "Das ist Rückenwind für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und die Bundestagswahl im September", sagte Generalsekretär Peter Tauber. Die Lehre aus dem Wahlergebnis laute, dass die CDU erfolgreich sei, wenn sie geschlossen auftrete und ihre Kräfte konzentriere, fügte Tauber noch hinzu auf die Frage, ob CDU-Chefin Angela Merkel nun auch innerparteilich gestärkt werde. Die Aussagekraft des Ergebnisses für andere Wahlkämpfe sei gering Eine mittlere Katastrophe hingegen erlebte die SPD, die sich nur Wochen nach der Euphorie um die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz auf dem Boden äußerst unerfreulicher Tatsachen wiederfindet: Von drei Landtagswahlen hat sie zwei verloren. Und zwar deutlich. Die gute Stimmung ist erst mal dahin. "Das ist etwas, was unter die Haut geht und was uns traurig macht", sagte ein sichtlich deprimierter und hörbar angefasster Martin Schulz. "Wir hatten alle mit einem besseren Ergebnis gerechnet." Die Aufgabe von Generalsekretärin Katarina Barley war es, die Niederlage so weit wie möglich von Schulz wegzuhalten: In Schleswig-Holstein hätten zuletzt die Äußerungen von Ministerpräsiden Torsten Albig über sein Privatleben im Mittelpunkt gestanden und weniger die politischen Inhalte, sagte Barley. Die Aussagekraft der Wahlen in Schleswig-Holstein für andere Wahlkämpfe sei deshalb "denkbar gering". Albig verantwortet die Niederlage, doch Verlierer ist auch Schulz Bis zur wichtigsten aller Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen bleibt der SPD nun nur noch eine Woche, um den Dämpfer vergessen zu machen. Doch so wenig man in den ersten Wochen nach der Nominierung von Martin Schulz richtig verstanden hat, woran in der Bevölkerung die explosionsartige Begeisterung für den in Deutschland relativ unbekannten Europapolitiker gelegen haben könnte, so wenig ist nun zu verstehen, warum dieser Hype so implosionsartig in sich zusammenbricht. Und auch wenn Torsten Albig einen gelinde gesagt suboptimalen Wahlkampf geführt hat und die Niederlage vor allem auf seine Kappe geht, hat der im Nord-Wahlkampf stark engagierte Schulz doch ohne Zweifel mit verloren. Die CDU steht auch nach diesem Wahlsonntag bedeutend besser da als noch vor wenigen Wochen. Die drei Landtagswahlen im Frühjahr 2017 waren als schwere Prüfungen für die Christdemokraten und für ihre Parteivorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, beunkt worden.
https://www.sueddeutsche.de/politik/cdu-ein-hoch-fuer-die-union-1.3494062
mlsum-de-9607
Nutzer von Facebook können ihren Freunden mitteilen, wie sie sich fühlen. Nach Protesten gibt es nun eine Option weniger.
Keine "Fühle mich fett"-Statusmeldung mehr Wer auf dem sozialen Netzwerk Facebook mitteilen will, wie er sich fühlt, hat diverse Möglichkeiten. Eine Option, angesiedelt unter dem Statusfeld, sind verschiedene Emoticons: Man kann sich amüsiert geben, aufgeregt oder aber fröhlich. Außerdem stand ein gelbes Gesicht mit dicken Backen und Doppelkinn zur Auswahl. Wer dieses Symbol anklickte, teilte seiner Gefolgschaft mit, dass er oder sie sich fett fühle. Diese Funktion wurde nun eingestellt. Auf der Aktivisten-Plattform Change.org hat das Unternehmen die Veränderung mitgeteilt. So begründet Facebook das Entfernen der Funktion "Wir haben von unserer Community gesagt bekommen, dass die "Fühle mich dick"-Funktion für Statusmitteilungen für ein negatives Selbstbild bei den Nutzern sorgen könnte, insbesondere bei jenen, die Essstörungen haben." Aus diesem Grund werde die Funktion nicht länger verfügbar sein. Kampagne unter dem Hashtag #Fatisnotafeeling Anfang März hatte die Gruppe "Endangered bodies" Facebook dazu aufgerufen, diese Funktion zu entfernen. Die Gruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, die "toxische Kultur zu bekämpfen, in der negative Körperwahrnehmungen gefördert" werden. In dem Beitrag hieß es: "Fett ist ein Adjektiv - und beschreibt als solches den Körper. So wie groß, klein, schwarz oder weiß, sollte es nicht missbraucht werden, um sich selbst anzuprangern." Am Ende des Beitrags wurden Links zu passenden Petitionen geteilt. Nach Informationen von The Verge wurden 16 000 Unterschriften eingesammelt.
https://www.sueddeutsche.de/digital/status-updates-facebook-entfernt-fuehle-mich-fett-emoticon-1.2388225
mlsum-de-9608
Moos, Algen und Vogelkot können ein Dach stark verschmutzen. Die Funktion und Lebensdauer von Ziegeln beeinträchtigt das aber eher selten. Wann die Reinigung sinnvoll ist und was Hausbesitzer beachten sollten.
Auf Steildächern siedeln sich im Lauf der Jahre Algen, Flechten und Moose an. Diese Patina empfinden manche Hausbesitzer nicht nur als unschön, sie befürchten auch Schäden am Dach. Deshalb wollen sie es mit Dampf- oder Wasserstrahlgeräten reinigen lassen. Ein anschließender Anstrich soll die Dachziegel versiegeln, sodass weder Schmutz noch Wasser eindringen kann, versprechen zumindest Anbieter. Die Beschichtung der Ziegel mit Farbe könne so ein teures Neueindecken mit Dachsteinen und -ziegeln hinauszögern. Fachleute sehen das aber anders: Solche Reinigungsarbeiten könnten mehr schaden als Moos, Algen und Vogelkot. Der Nutzen einer Dachreinigung und anschließenden Beschichtung wird in Fachkreisen denn auch kontrovers diskutiert. "Steildächer benötigen in der Regel keine Reinigung", betont Josef Rühle, Geschäftsführer Technik beim Zentralverband Deutsches Dachdeckerhandwerk in Köln. "Weder Algen, Flechten noch Vogelkot oder andere Schmutzablagerungen beeinträchtigen die Schutzfunktion des Daches. Das sind lediglich optische Beeinträchtigungen." Kritisch ist auch Tristan Jorde, Umweltreferent bei der Verbraucherzentrale: "Flechten und Moos beeinträchtigen die Funktion und Lebensdauer der Dachdeckung nicht." Erst wenn der Bewuchs zu dick geworden sei, könne er mit Abschaben entfernt werden. "Reinigungsmittel, die Biozide enthalten, sollten nicht verwendet werden", rät Jode. Auf die hohe Lebensdauer von Dächern verweist die Architektin Eva Reinhold-Postina. "Dachziegel aus Ton können 100 Jahre und noch älter werden", sagt die Expertin des Verbandes privater Bauherren in Berlin. Dies zeigten eindrucksvoll denkmalgeschützte Häuser. Üppiger Moos- und Algenbefall schade dem Dach nur, wenn Regenwasser nicht mehr richtig abfließe. Sei dies der Fall, speichere sich in den bewachsenen Stellen Wasser. Im schlimmsten Fall dringe das Wasser im Laufe der Zeit unter die Dachschindeln. Entfernt werden sollten Moose und Flechten auch dann, wenn sie in die Dachpfannen hineinwachsen. Bei Frost könne sonst das Wasser im Moos gefrieren und die Dachziegel oder -steine sprengen. Wie stark der Bewuchs auf einem Dach sei, hänge auch vom Standort ab: Auf der Nordseite und unter großen Bäumen wachsen Flechten und Moose besser als auf Süddächern. "Wer sich am Bewuchs stört, kann ihn beseitigen lassen", rät Rühle. Diese Arbeit sollte der Hausbesitzer aber lieber an Dachdecker-Innungsbetriebe vergeben. In Kehlen, hinter Kaminen und Fenstern seien in der Regel besonders viele Pflanzenreste zu finden, die den Wasserfluss beeinträchtigen. Am besten sei es, die Schmutzschicht mit einer Zungen- oder Firstkelle vorsichtig herauszuhebeln. "Nicht vergessen werden sollte nach einer Dachreinigung, die Regenrinne zu reinigen", ergänzt Reinhold-Postina. Auf keinen Fall sollten Heimwerker selbst aufs Dach steigen, warnt Rühle. "Ganz gefährlich ist der Einsatz von Hochdruckreinigern." Dächer, auf denen Solarmodule montiert sind, brauchen besondere Pflege. Hier muss regelmäßig überprüft werden, ob diese Module verschmutzt sind, denn die Verschmutzungen reduzieren die Leistung der Solaranlage. Auch hier sollte der Hausherr nicht selbst aufs Dach steigen: "Die Gefahr, sich zu verletzen oder durch Unachtsamkeit die Module und angrenzende Dachbereiche zu beschädigen, ist einfach zu groß." Nicht alle Dächer dürfen beschichtet werden: Grundsätzlich beschichtet werden dürften Dachpfannen aus Ziegel und Beton sowie Dachplatten aus Faserzement, heißt es etwa bei der Firma Rathscheck Schiefer- und Dachsysteme in Mayen-Katzenberg (Rheinland-Pfalz). Dagegen eignen sich Schieferdächer für eine Beschichtung nicht. Sie dürfen nur gereinigt werden. Asbesthaltige Eindeckungen dürften aufgrund ihrer Schadstoffbelastung nicht gereinigt und nur von lizenzierten Betrieben behandelt werden. "Ganz gefährlich ist der Einsatz von Hochdruckreinigern", betont Rühle. "Je nach Deckwerkstoff können gesundheitsschädliche Fasern freigesetzt werden. Durch den starken Wasserstrahl kann in die Überdeckungen Wasser eindringen, sodass die darunterliegende Wärmedämmschicht durchfeuchtet oder gar zerstört wird." Auch der Dachpfannenhersteller Braas aus Oberursel (Hessen) warnt ausdrücklich vor einer Hochdruckreinigung und Beschichtung. Denn oft entstünden durch eine unsachgemäße Ausführung Schäden und nachträgliche Kosten für den Hausbesitzer. Werde Schmutz mit hohem Druck zwischen die Pfannen gedrückt, könne das Dach Schaden nehmen und sogar undicht werden. Außerdem könnten Dachpfannen bei unsachgemäßer Begehung kaputt gehen. Eine vollständige Reinigung des Daches mit Hochdruck ist nach Angaben der Bremer Umweltberatung ohnehin nicht möglich, weil sich die Dachziegel überlappen. In diesem Bereich bleibe dadurch immer ein Schmutzrest. Nach der Reinigung erfolge eine Grundierung, damit die Acrylschicht haften könne. Den Grundierungen seien oft Algen- und Pilzgifte zugesetzt. Nach einer Untersuchung des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen werden diese Biozide ausgewaschen und gelangten in die Umwelt. Im nächsten Schritt werde die Farbe aufgetragen. Ob neben den relativ unkritischen Acrylteilchen auch Konservierungsmittel oder schädliche Farbpigmente in den Farben enthalten seien, werde nicht auf jedem Etikett deklariert. Reinigung und Beschichtung werden oft von reisenden Betrieben als Haustürgeschäft angeboten. Manche stellten leichte Alterungsspuren an den Dächern übertrieben dar und empfählen einen Anstrich - angeblich zu einem besonders günstigen Preis, berichtet Reinhold-Postina. "Treten später Schäden durch die Beschichtung am Dach auf, sind solche reisenden Firmen aber oft nicht mehr auffindbar und können nicht haftbar gemacht werden", warnt Reinhold-Postina. "Fachbetriebe am Ort sind schon wegen der Nähe und der durchzusetzenden Gewährleistungsansprüche immer die bessere Wahl", rät die Architektin. Und noch ein Tipp: Die Handwerksleistungen können in der Steuererklärung als haushaltsnahe Dienstleistung geltend gemacht werden. Aber nur, wenn die Rechnung überwiesen worden sei. Die von reisenden Handwerkern oft verlangte Barzahlung werde vom Finanzamt dagegen nicht anerkannt. Statt einer Reinigung und einer neuen Beschichtung kann im Einzelfall eine Dachdeckung die bessere Lösung sein. Hausbesitzer sollten sich dafür von mehreren Dachdeckermeisterbetrieben beraten lassen, rät Reinhold-Postina. Und: "Viel wichtiger als eine Reinigung ist die Reparatur von Schäden, die im Herbst und Winter entstanden sind", fügt Rühle hinzu. Denn Dächer seien immer wieder heftigen Natureinflüssen wie Starkregen, Hagel oder Stürmen ausgesetzt.
https://www.sueddeutsche.de/geld/dachreinigung-schaden-oder-nutzen-1.4013753
mlsum-de-9609
Zweitligisten starten Aktion gegen Schwulenfeindlichkeit im Fußball. Otto Rehhagel wird vom DFB für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der Deutsche Tennisbund braucht einen neuen Präsidenten.
Fußball, Homophobie: Die Fußballprofis des 1. FC Köln und von Arminia Bielefeld starten vor ihrem Zweitligaspiel an diesem Samstag (13.00 Uhr) eine gemeinsame Aktion gegen Homophobie. Beide Teams werden sich in speziellen T-Shirts fit machen und beim Einlaufen ein Banner mit der Aufschrift "queer gewinnt - schwule Pässe gibt es nicht!" ausrollen. Initiiert wurde die Aktion gemeinsam von beiden Städten und Vereinen zusammen mit ihren schwul-lesbischen FanClubs. DFB, Ehrung: Der frühere Bundesliga-Trainer und ehemalige griechische Nationalcoach Otto Rehhagel ist vom Deutschen Fußball-Bund für sein Lebenswerk geehrt worden. Der 75-Jährige erhielt die Auszeichnung am Donnerstagabend bei einem Festakt in Bonn aus den Händen von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. "Otto Rehhagel hat den deutschen Fußball durch seine unvergleichliche Art und seine Erfolge entscheidend mitgeprägt", sagte Niersbach laut einer vorab verschickter Pressemitteilung des Verbandes. Rehhagel habe mit seinen Titeln für Werder Bremen, der "sensationellen deutschen Meisterschaft 1998 mit dem damaligen Aufsteiger Kaiserslautern oder dem EM-Titel 2004 mit Außenseiter Griechenland Fußball-Geschichte geschrieben. Otto ist eine große Persönlichkeit und ein absolutes Vorbild", erklärte Niersbach. Der gebürtige Essener ist nach Dettmar Cramer, Udo Lattek und Gero Bisanz der vierte Trainer, der für sein Lebenswerk geehrt wird. Tennis, Präsidium: Karl-Georg Altenburg wird im November als Präsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) zurücktreten. Nach drei Jahren im Amt werde er bei der anstehenden Wahl nicht mehr antreten, sagte der DTB-Chef im Interview mit der Welt (Freitagsausgabe). Altenburg war im November 2011 als Nachfolger von Georg Freiherr von Waldenfels an die Spitze des mit 1,3 Millionen Mitgliedern weltgrößten Tennisverbandes gewählt worden. "Das wäre nicht seriös und fair, denn meine neue berufliche Herausforderung und meine Familie lassen das zeitlich nicht mehr zu" sagte Altenburg. Am Mittwoch hatte der promovierte Unternehmensberater eine neue Aufgabe bei der Deutschen Bank angetreten. Als Teil des Präsidiums bleibt Altenburg dem DTB aber möglicherweise erhalten. "Wenn die Mitgliederversammlung ein Präsidium wählt, welches den eingeschlagenen Kurs fortsetzen will, wäre ich aber bereit - wenn das gewünscht ist - in den Beirat zu gehen, um den Weg weiter zu begleiten. Mein Herz hängt sehr an dieser Sache", sagte Altenburg. Ein Nachfolger habe sich noch nicht ins Gespräch gebracht. Fußball, Verletzung: Belgien muss bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien (12. Juni bis 13. Juli) auf die Dienste von Christian Benteke verzichten. Nach Angaben seines englischen Vereins Aston Villa zog sich der 23 Jahre alte Stürmer einen Riss der Achillessehne zu und muss voraussichtlich sechs Monate pausieren. In der laufenden Saison der Premier League hat Benteke für den Klub aus Birmingham zehn Treffer erzielt. In der Gruppe H treffen die Belgier auf Russland, Südkorea und Algerien. Benteke hat bislang 18 Länderspiele bestritten und dabei sechs Treffer erzielt. Für Belgiens Trainer Marc Wilmots war der Angreifer für das WM-Turnier gesetzt. Schwimmen, Doping: Kurzbahn-Europameister Witali Melnikow aus Russland ist nach einer positiven Doping-Probe vom Schwimm-Weltverband Fina vorläufig gesperrt worden. Der 22-Jährige wurde im Rahmen der EM 2013 im dänischen Herning mehrfach positiv auf Epo getestet. Das gab die Fina auf ihrer Homepage bekannt. Die Proben seien am 12. und 13. Dezember 2013 abgegeben worden, hieß es. Melnikow war Teil der 4x50-Meter-Lagen-Staffel, die in Dänemark Gold gewonnen hatte. Das deutsche Quartett hatte Bronze geholt und würde im Falle einer Disqualifikation auf den zweiten Rang vorrücken. Gegen Melnikow wurde zum 1. April 2014 eine vorläufige Sperre ausgesprochen, eine Anhörung vor dem Anti-Doping-Ausschuss der Fina soll folgen. Fußball, Strafe: Fußball-Drittligist RasenBallsport Leipzig hat erstmals ein bundesweites Stadionverbot gegen einen eigenen Anhänger verhängt. Der Verein teilte am Donnerstag mit, dass eine Person identifiziert werden konnte, die beim Spitzenspiel gegen den 1. FC Heidenheim (1:1) vor einer Woche bei einer Ecke in der 76. Spielminute einen Becher auf Heidenheims Marc Schnatterer geworfen hatte. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ermittelt in dieser Angelegenheit. Ringen, EM: Die Krefelderin Aline Focken hat den Kampf um Bronze bei den Ringer-Europameisterschaften im finnischen Vantaa verloren. In der Kategorie bis 69 Kilogramm unterlag sie am Donnerstagabend der ukrainischen Weltmeisterin Alina Stadnik nach Punkten. "Ein härteres Los mit Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen kann man gar nicht ziehen. Sie hat dennoch ordentlich mitgekämpft", meinte Frauen-Bundestrainer Patrick Loes zum fünften Platz seines Schützlings. Fußball, Bundesliga: Eintracht Frankfurt hat einen Nachfolger für Mittelfeldstratege Sebastian Rode gefunden. Die Hessen, die den derzeit verletzten Rode an Meister Bayern München verlieren, haben am Donnerstag wie erwartet den serbische Nationalspieler Aleksandar Ignjovski vom Ligarivalen Werder Bremen verpflichtet. Der 23 Jahre alte defensive Mittelfeldspieler absolvierte in der laufenden Spielzeit lediglich zwölf Spiele für Werder und hatte den Bremer Verantwortlichen erst kürzlich mitgeteilt, dass er den Verein zum Saisonende verlassen werde. Ignjovski kostet keine Ablöse und hat einen Dreijahresvertrag bei der Eintracht unterschrieben. "Aleksandar hat mit seinen 23 Jahren schon reichlich Erfahrung gesammelt und ist variabel einsetzbar. Er kann im defensiven Mittelfeld, aber auch auf den Außenverteidigerpositionen spielen", sagte Sportdirektor Bruno Hübner. Fußball, DFL: Die DFL hat die Relegationsspiele terminiert. Der Tabellen-16. der Bundesliga empfängt am 15. Mai den Dritten der zweiten Liga, Anstoß ist um 20:30 Uhr. Das Rückspiel findet drei Tage später am 18.Mai um 17:00 Uhr statt. Beide Partien werden live von der ARD und von Sky übertragen. Die Partien der Zweitliga-Relegation werden am 16.Mai, zunächst beim Zweitligisten, und am 19. Mai jeweils um 20:30 Uhr angepfiffen. Die ARD überträgt live mit ihren Dritten Programmen. 2. Liga, TSV 1860 München: Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat den Zweitligisten 1860 München wegen des unsportlichen Verhaltens seiner Fans zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro verurteilt. Zudem muss der Klub 10.000 Euro für Projekte und Maßnahmen zur Gewaltprävention investieren. Die Partie zwischen dem FC Ingolstadt und 1860 München (14. Februar) war von Schiedsrichter Christian Fischer zweimal unterbrochen worden, nachdem kurz nach der Halbzeit im Münchner Zuschauerblock Bengalische Feuer und Rauchbomben gezündet und ein Bengalo auf das Spielfeld geworfen worden waren. In der 69. Spielminute musste der Unparteiische das Spiel dann sogar zwölf Minuten unterbrechen, weil die 1860-Anhänger unzählige Gegenständen wie Feuerzeuge und Münzen in Richtung Gästespieler und Fischer geworfen hatten. Der Verein hat dem Urteil zugestimmt, das Urteil ist damit rechtskräftig.
https://www.sueddeutsche.de/sport/gemeinsame-aktion-koeln-und-bielefeld-stemmen-sich-gegen-homophobie-1.1929103
mlsum-de-9610
In Melbourne gilt der Schweizer als aussichtsreichster Kandidat für den Titel - er selbst wundert sich darüber und sagt: "Ich denke nicht, dass ein 36-Jähriger Favorit sein sollte."
Dong! Der Schlag war nicht zu überhören. Sofort zuckten alle zusammen, Mitleid kam auf. Auch Roger Federer schaute besorgt in die Richtung, wo ein Journalist beim Verlassen des Raumes mit dem Kopf gegen einen Projektor geknallt war, der ungünstig hängt im Main Interview Room des Australian-Open-Headquarters im vierten Stock. "Are you okay?", rief der Schweizer. Als Entwarnung folgte, scherzte Federer sogleich: "Jetzt frag ich mal euch, wie geht ihr mit Verletzungen um?" Er lachte verschmitzt in sich hinein, ehe er sich im zweiten Teil der Pressekonferenz in seiner Heimatsprache erklärte. Lässig in sich ruhend, wie immer. "Ich komme gerne als Titelverteidiger zurück", sagte Federer, "das gibt mir ein gutes Gefühl, es wieder schaffen zu können." So wie vor zwölf Monaten, als er nach sechs Monaten Verletzungspause bei den Australian Open zurückgekehrt war auf die Tour und sofort, zur eigenen größten Verblüffung, seinen 18. Grand-Slam-Titel errungen hatte; in Wimbledon gewann er danach auch noch. Es versteht sich von selbst, dass nun alle Welt erneut dem Schweizer alles zutraut, doch er gönnte sich einen süffisanten Blick auf dieses Thema. "Ich denke nicht, dass ein 36-Jähriger Favorit sein sollte", sagte er. Nur hat da auch Federer einmal Pech gehabt: Er ist es. Federer selbst nimmt das freilich in der ihm eigenen Art zur Kenntnis. "Ich sehe die Dinge in der späteren Phase meiner Karriere gelassener." Angesichts seiner trophäen- und ruhmreichen Karriere mag diese Rolle nicht überraschen, zu viel Glanz und Respekt strahlt sein Name schon für sich genommen aus. Doch als er dann begann, erzählerisch eine kleine Zeitreise durch seine Laufbahn zu machen, wurde klar: Federer staunt kaum weniger als die Öffentlichkeit über 2017, dieses "besondere Jahr", wie er es nannte. Anfang 2016 hatte er sich im Bad unglücklich das Knie verletzt, ein Eingriff folgte und nach Wimbledon eine lange Auszeit. Ohne Erwartungen sei er in Melbourne im Januar 2017 angetreten, was er schön fand nach all den Jahren voller Erwartungen. "Mal schauen, was passiert", das war seine Geisteshaltung gewesen, das furiose Ende ist bekannt, ein Fünfsatz-Sieg gegen Rafael Nadal im Finale machte aus dem Comeback-Turnier "das Turnier des Jahres überhaupt für mich, kein Zweifel". Nun, zwölf Monate später? Hat ein Rollentausch unter Alpha-Profis stattgefunden. Vieles ist anders. Und Federer, der am Dienstag auf den Slowenen Aljaž Bedene trifft, der einsame Favorit.
https://www.sueddeutsche.de/sport/australian-open-nur-fliegen-kann-federer-noch-nicht-1.3824830
mlsum-de-9611
Die libanesische Armee kämpft gegen sunnitische Extremisten, das Land droht abermals auseinanderzubrechen. Heute soll das Parlament erneut versuchen, das vakante Präsidentenamt zu besetzen.
Es war eine erbitterte Schlacht zwischen der Armee und extremistischen sunnitischen Kämpfern. Sie währte mehr als zwei Tage. 42 Menschen verloren dabei ihr Leben, 150 wurden verletzt. Das Militär schickte Panzer und Hubschrauber, die Angreifer kidnappten Soldaten. Die Bewohner mussten aus ihren Häusern fliehen. Schauplatz dieser Kämpfe war nicht etwa ein Ort in Syrien, die Auseinandersetzungen erschütterten das Wochenende über und auch noch am Montag die Stadt Tripoli - im Norden Libanons. Es sind solche Zwischenfälle, die Premierminister Tammam Salam meint, wenn er auf der Syrien-Konferenz in Berlin auf die "destabilisierenden Effekte" hinweist, die der Zustrom von Flüchtlingen aus dem Nachbarland mit sich bringe. Sie lassen die Spannungen in dem kleinen Staat am Mittelmeer mit seinen vielen Volksgruppen steigen. Und sie befeuern die Angst neu, dass der Bürgerkrieg auch Libanon verzehren könnte. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wie dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR berichten zudem, dass die Auseinandersetzungen die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen aus Syrien zunehmend kippen lassen. Die Kämpfe verschärfen die Gegensätze zwischen den verschiedenen Religionsgruppen weiter und haben mehrmals dazu geführt, dass Libanon die Grenzen für Neuankömmlinge aus Syrien schloss. Das Land leidet unter einem politischen Vakuum In Tripoli, einst vor allem bekannt für seinen malerischen Suk, haben sich seit Ausbruch des Syrienkonflikts immer wieder verfeindete Anhänger der syrischen Kriegsparteien Straßenkämpfe geliefert; sunnitische Extremisten und Alawiten, die dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nahe stehen. Im Sommer vergangenen Jahres explodierten Bomben vor zwei sunnitischen Moscheen und rissen mehr als 40 Menschen in den Tod. Doch die Gefechte zwischen der Armee und den Militanten am Wochenende waren die schlimmsten, seit Anfang August Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat und der vom UN-Sicherheitsrat ebenfalls als terroristisch eingestuften Nusra-Front die libanesische Grenzstadt Arsal angegriffen hatten. Sie waren von Syrien aus über die Grenze vorgerückt, nachdem die libanesische Armee einen Nusra-Kommandeur festgesetzt hatte. Mehr als 150 Menschen starben damals. Die sunnitischen Kämpfer beschuldigen die libanesische Armee, mit der schiitischen Hisbollah-Miliz im Bunde zu stehen, die das Assad-Regime unterstützt. Um die Lage zu beruhigen, erklärte am Dienstag nun der einflussreichste sunnitische Politiker in Libanon, Ex-Premier Saad al-Hariri, er verurteile alle "Aufrufe, aus der Armee zu desertieren und vor allem die sunnitische Jugend anzustacheln, sich bewaffneten Organisationen anzuschließen", wie ihn der englischsprachige Daily Star zitierte. Er sieht sich lauter werdenden Rufen nach einer "sunnitischen Revolution" in Libanon ausgesetzt, dem Versuch, eigene Milizen zu bilden und die Macht zu übernehmen. Das würde das Land unweigerlich in einen Bürgerkrieg stürzen, denn die Milizionäre der Hisbollah haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie militärisch die stärkste Kraft sind und nicht nur den Süden des Landes und die Bekaa-Ebene kontrollieren, sondern binnen Stunden alle strategisch wichtigen Punkte in Beirut besetzen können. Libanon leidet seit Monaten an einem politischen Vakuum: Das gemäß der Verfassung einem maronitischen Christen zustehende Präsidentenamt ist unbesetzt, da sich im Parlament nicht die nötige Mehrheit für einen Kandidaten finden lässt. Für diesen Mittwoch ist eine weiterer Wahlgang angesetzt.
https://www.sueddeutsche.de/politik/gewalt-im-nachbarland-syriens-buergerkriegsangst-in-libanon-waechst-1.2194963
mlsum-de-9612
Die Borussia schlägt Leverkusen nach einer ereignisreichen Schlussphase 2:1. Ein Treffer von Frankfurts Alex Meier frustriert Schalke. In Köln kommt es zu einer Unterbrechung. Der Spieltag im Überblick.
Nach dem Einzug in die Champions League ist Mönchengladbach mit dem Sieg im Top-Duell ein perfekter Start in die Fußball-Bundesliga gelungen. Die Borussia gewann das West-Derby mit 2:1 (1:0) gegen Bayer Leverkusen und feierte damit bereits den vierten Pflichtspielsieg in Serie in der neuen Sasion. Im Vorjahr hatten die Gladbacher die ersten fünf Bundesligaspiele verloren. Vor 52 183 Zuschauern im Borussia-Park erzielten André Hahn (45.+1 Minute) und Lars Stindl (85.) die Treffer für die Gladbacher, die saisonübergreifend seit sechs Bundesligaspielen unbesiegt sind. Die Leverkusener kamen durch Joel Pohjanpalo zum 1:1 (80.). Stindl lässt Leverkusener Hoffnungen platzen Zunächst stand Christoph Kramer im Blickpunkt, der im Vorjahr noch für Leverkusen gespielt hatte und von seinen ehemaligen Kameraden herzlich begrüßt wurde. Die Leverkusener zogen von Beginn an ihr bekanntes Spiel in der 4-4-2-Formation mit hoch verteidigenden Reihen durch und kamen in der 6. Minute durch Jonathan Tah, der nur knapp verpasste, zur ersten guten Möglichkeit. Gladbach hatte in der 21. Minute die erste Doppel-Chance: Erst scheiterte Raffael aus kurzer Distanz an Torhüter Bernd Leno, danach Wendt. Die beste Gelegenheit für Bayer vergab erneut Tah, der mit einem Kopfball nur die Querlatte traf (41.). Zuvor scheiterte Karim Bellarabi (33.) mit einem Rechtsschuss an Gladbachs Keeper Yann Sommer. Kurz darauf hatte dann Hahn den Führungstreffer für die Gastgeber auf dem Fuß, doch Leno war auf dem Posten. In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit gelang Hahn nach einem langen von Tah abgefälschten Pass dann das 1:0 für die Gladbacher. Es war der 1000. Auswärts-Gegentreffer in der Leverkusener Bundesligageschichte. In einer sehenswerten und abwechslungsreichen Partie erhöhten die Gäste den Druck und kamen durch Kevin Kampl und Bellarabi zu weiteren guten Möglichkeiten. Auf der anderen Seite scheiterte Raffael mit einem Freistoß am starken Bayer-Schlussmann Leno. In der hektischen Schlussphase gelang dem eingewechelten Pohjanpalo per Kopf der Ausgleich, ehe Stindl kurz darauf zum Sieg traf.
https://www.sueddeutsche.de/sport/1-spieltag-der-bundesliga-gladbach-triumphiert-schalke-vergeigt-den-start-1.3138575
mlsum-de-9613
RB Leipzig gewinnt gegen Sankt Petersburg, muss aber um den Viertelfinal-Einzug in der Europa League bangen. Einen wichtigen Auswärtssieg feiert der FC Arsenal.
RB Leipzig hat die unangenehme Abwehr des FC Zenit Sankt Peterburg geknackt, doch ein spätes Gegentor trübt die Chancen auf die Fortsetzung der Europa-Mission. Der deutsche Fußball-Vizemeister gewann am Donnerstagabend das Achtelfinal-Hinspiel der Europa League daheim mit 2:1 (0:0). Vor der internationalen RB-Minuskulisse von nur 19 877 Zuschauern in der Red Bull Arena erzielten Bruma (56. Minute) und Timo Werner (77.) die Treffer für die Leipziger, die damit auch ihren ersten Sieg nach vier Pflichtspielen feierten. Doch das späte Freistoßtor von Domenico Criscito (86.) tat weh. Dem Tabellensechsten der Fußball-Bundesliga reicht im Rückspiel am kommenden Donnerstag im WM-Stadion der russischen Ostsee-Hafenstadt ein Unentschieden für das Erreichen des Viertelfinales. Zenit hat allerdings mit vier Siegen in vier Spielen die beste Heimbilanz aller Teams in der Europa League. Arsenal siegt in Mailand Der FC Arsenal hat seine Niederlagenserie beendet und die letzte Titelchance gewahrt. Nach vier Pflichtspielpleiten in Serie siegten die Londoner im Achtelfinalhinspiel beim AC Mailand 2:0 (2:0). Der Tabellensechste der englischen Premier League schuf sich damit eine hervorragende Ausgangsposition für das Rückspiel am kommenden Donnerstag. Der Ex-Dortmunder Henrich Mchitarjan brachte Arsenal mit einer sehenswerten Einzelaktion früh in Führung (15.). Nach einem genialen Pass von Özil erhöhte Aaron Ramsey Sekunden vor dem Halbzeitpfiff auf 2:0 (45.+4). Auf dem Weg ins Viertelfinale ist auch der dreimalige Europapokalsieger Atletico Madrid. Nach dem 3:0 (1:0) im Hinspiel gegen Lokomotive Moskau kann der zehnmalige spanische Meister bereits für die Runde der letzten Acht planen. Auch Olympique Lyon steht nach dem 1:0 (0:0) beim russischen Vizemeister ZSKA Moskau mit einem Bein in der nächsten Runde. Einen Sieg legten auch Olympique Marseille mit 3:1 (2:1) gegen Athletic Bilbao und Sporting Lissabon mit 2:0 (1:0) gegen Viktoria Pilsen vor. Lazio Rom kam nicht über ein 2:2 (0:0) gegen Dynamo Kiew hinaus.
https://www.sueddeutsche.de/sport/europa-league-leipzig-siegt-knapp-arsenal-ueberrascht-milan-1.3898866
mlsum-de-9614
Die zersetzende Kraft von Donald Trumps Kommunikation besteht darin, dass Inhalte für ihn beim Sprechen überhaupt keine Rolle mehr zu spielen scheinen.
Umberto Eco, der italienische Autor, hatte 2011 in seinem Essay über Zensur und Stille geschrieben: "Der Faschismus hatte verstanden (wie Diktatoren im Allgemeinen), dass abweichendes Verhalten durch die Tatsache ermutigt wird, dass Medien darüber berichten." Es ist ein unheilvolles Perpetuum mobile, das heute noch funktioniert - angetrieben durch das Verletzen moralischer und politischer Standards und der begeistert-entgeisterten Reaktion der Fernsehanstalten, die mit ihrer Aufmerksamkeit jene Normbrüche entlohnen. Dazu ist aber eine genau abgestimmte Routine nötig: Auf den einen Normbruch muss eine ausreichend lange Pause bis zum nächsten folgen, damit die Journalistinnen und Journalisten Zeit haben, sich den Äußerungen oder Entscheidungen im Einzelnen zu widmen. Wie sich aus den ersten Wochen der Präsidentschaft von Donald Trump lernen lässt, führt exzessive Beschleunigung der Tabubrüche dagegen zu einem Kollaps jedes sinnhaften politischen Diskurses. Mit Trump ergeht es der amerikanischen Öffentlichkeit wie mit einem Flipperautomaten, dem der Plunger ununterbrochen neue Stahlkugeln einschießt, sodass alles Geschick und alle Hebel nicht reichen, um am Ende auch nur eine einzige Kugel im Spiel zu halten. Die rastlosen Executive Orders der ersten Wochen, die manischen Tweets, in denen Trump sich und seine Politik selbst kommentiert, seine eingebildeten oder echten Kritiker denunziert oder bedroht - sie treiben die Medien nicht nur vor sich her. Trump verhindert vielmehr Aufmerksamkeit, indem er sie ununterbrochen einfordert. Zensur findet durch die entgrenzte Überproduktion von Informationen statt "Lärm wird zur Tarnung", heißt es bei Umberto Eco in demselben Text. Nicht mehr das Unterdrücken von Informationen, nicht das Verschweigen von Absichten, nicht das Verbot von Berichterstattung zeichnet staatliche Zensur aus, sondern die entgrenzte Überproduktion von Informationen. Trump verhält sich wie ein Kommunikations-Guerillero. Paradoxerweise funktioniert der Krieg nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten. Die Subversion richtet sich nicht gegen mächtige Instanzen; sie kommt aus dem Weißen Haus und trifft alle Institutionen, alle Strukturen, alle Regeln, welche die präsidiale Macht rechtsstaatlich und demokratisch einhegen können. Dabei liegt die zersetzende Kraft von Donald Trump nicht bloß in den Inhalten seiner Aussagen, sondern darin, dass Inhalte für ihn beim Sprechen gar keine Rolle zu spielen scheinen. Kein Tag vergeht, keine Pressekonferenz, da dieser Präsident sich nicht selbst widerspricht, eine frühere Position räumt oder leugnet. Öffentliche Worte, Sätze, Überzeugungen sind bei Trump immer nur im Augenblick des Aussprechens gültig. Kaum jemals darüber hinaus. Nicht etwa, weil Trump dazugelernt hätte oder selbstkritisch wäre. Sondern weil für ihn kaum etwas stabil zu gelten scheint. Seine frühere Unterstützung für den Irak-Krieg? Vergessen. Seine falsche Behauptung, mehr Amerikanerinnen und Amerikaner hätten für ihn gestimmt als für Obama? Unwichtig, die Zahlen habe ihm jemand so vorgelegt. Ein-Staaten-Lösung oder Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten? Einerlei. Jede Kritik an einer einmal getätigten Aussage wird umgehend entschärft, weil Aussagen ohnehin eine minimale Halbwertszeit haben. Diese Figur kann kaum als kindisch kritisiert werden, weil ihm Mündigkeit gar keine Kategorie ist. Und so versteht Trump sein notorisches Lügen auch nicht als Lügen. Sondern einfach nur als eine fluide, temporäre Behauptung, die ihn nicht bindet und zu nichts verpflichtet. Diese permanente Gegenwart, die komplette Abwesenheit von Gedächtnis und Geschichte, flößt vielleicht am meisten Furcht ein. Denn natürlich zählt jedes Wort und jeder Satz dieses Präsidenten für diejenigen, die davon betroffen sind, die durch Begriffe oder Gesetze stigmatisiert und entwertet werden. Ganz gleich, ob Trump ein Dekret oder einen Satz später widerruft oder leugnet, für muslimische Geflüchtete aus Syrien, für die undocumented, also ausweislose Migranten, die seit Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten leben und arbeiten, für mexikanische Familien diesseits und jenseits der Grenze, für Kinder, deren Eltern sich den Zugang zu privaten Schulen nicht leisten können, für all jene, die nicht wissen, wie sie ihre Arztrechnung begleichen sollen - für sie alle bedeuten diese Aussagen etwas. Sie verbreiten - gerade in ihrer absichtsvollen Unschärfe - Angst und Schrecken. Die amerikanischen Redaktionen mit ihren Investigativ-Reportern mühen sich täglich und redlich, jedes einzelne Dekret sorgsam zu analysieren, jede einzelne Lüge präzise zu enttarnen. Aber während sie sich noch feiern für jeden Scoop, in dem sie Trump einen Fehler oder ein Vergehen nachweisen konnten, überrumpelt der sie schon mit der nächsten Aktion, die alle medialen Reflexe längst eingepreist hat. Dieser Präsident will mit seinen wüsten Beschimpfungen gegen die New York Times oder die Washington Post nicht freie Berichterstattung kritisieren - das wäre schon schlimm genug. Nein, er will sie manipulativ überwältigen. Trump erschwert nachhaltige Kritik, gerade indem er sie ununterbrochen herausfordert. Wie damit umgehen? Das ist nicht leicht zu beantworten. Es kann ja auch keine Lösung sein, diesen Präsidenten mit seiner Missachtung von Fakten und Menschen zu schonen. Aber sich durch Trumps tägliche Tabubrüche Agenda und Tempo diktieren zu lassen, das schwächt die journalistische Autonomie und schadet der demokratischen Selbstverständigung. Langfristig wird es existenziell sein, Gegenöffentlichkeiten zu schaffen, in denen anders gesprochen und gedacht werden kann - und in der jene Menschen gehört werden, über deren Leben gestritten und gelogen wird. Auch dort beginnt der aufklärerische Widerstand gegen Trump: ihn gelegentlich dadurch zu entmutigen, dass seinem abweichendem Verhalten eben keine Aufmerksamkeit zuteil wird.
https://www.sueddeutsche.de/politik/kolumne-laerm-1.3383629
mlsum-de-9615
Der FC Ingolstadt braucht beim 3:0-Erfolg gegen Aue lange Zeit um ins Spiel zu finden. Heidenheim gewinnt in Nürnberg. Der VfL Bochum sichert sich einen Punkt in Düsseldorf.
Ingolstadt beendet Negativserie Tabellenführer FC Ingolstadt hat seine Negativserie in der 2. Fußball-Bundesliga beendet. Das Team von Trainer Ralph Hasenhüttl gewann nach zuvor drei Spielen hintereinander ohne Sieg zum Auftakt des 24. Spieltages bei Erzgebirge Aue 3:0 (0:0) und baute damit den Vorsprung auf seine ärgsten Verfolger SV Darmstadt und 1. FC Kaiserslautern (beide 41 Punkte) zunächst auf sieben Punkte aus. Die Treffer für Ingolstadt erzielten Stefan Lex (65.), Alfredo Morales (77.) und Moritz Hartmann (90.+3). Derweil verspielten die früheren Bundesligisten Fortuna Düsseldorf und 1. FC Nürnberg ihre wohl letzte Chance, noch einmal in das Aufstiegsrennen einzugreifen. Rückschlag für Nürnberg Fußball-Zweitligist 1. FC Nürnberg droht den Anschluss an die oberen Tabellenplätze zu verlieren. Das Team von Trainer René Weiler verlor trotz engagierter Leistung gegen den 1. FC Heidenheim mit 0:1 (0:1). Den entscheidenden Treffer für die Gäste erzielte Mathias Wittek nach einem Freistoß per Kopf (28. Minute). Die Heidenheimer stoppten eine Serie von drei Niederlagen und rückten in der Tabelle bis auf drei Punkte an den Bundesliga-Absteiger heran. In einem flotten Zweitligaspiel erwischten die Franken den besseren Start. Jakub Sylvestr zielte in der 4. Minute knapp am Pfosten vorbei. Das Tor erzielten dann aber die Gäste. Wittek köpfte nach einem Freistoß von Marc Schnatterer ein, Nürnbergs Torwart Patrick Rakovsky irrte dabei durch den Strafraum. Nach dem Rückstand blieb Nürnberg die bessere Mannschaft, agierte vor dem Tor aber zu hektisch. Auch nach der Pause verteidigte Heidenheim diszipliniert. Dem "Club" fehlten die Ideen gegen den auf Konter lauernden Aufsteiger. Bochums Torhüter Sestak rettet Punkt Das Offensivspektakel zwischen Fortuna Düsseldorf und dem VfL Bochum blieb dagegen ohne Sieger. Die beiden Mannschaften trennten sich in einer temporeichen Partie der 2. Fußball-Bundesliga mit 2:2 (2:2). Nach der frühen Führung für die Gäste durch Stanislaw Sestak (9. Minute) erzielten Charlie Benschop (12.) und wenig später Michael Liendl per Foulelfmeter (24.) die Tore für die Gastgeber. Doch noch vor der Pause rettete Sestak (45.) den Gästen mit seinem zweiten Treffer einen Punkt. Beide Teams setzten 90 Minuten lang vor 33 481 Zuschauern konsequent auf ihr Offensivspiel, vernachlässigten dabei aber sträflich ihre Abwehr. So fielen in der ersten Halbzeit alle vier Treffer. Nach dem Seitenwechsel ging es mit einigen spektakulären Torraumszenen auf beiden Seiten weiter. Dabei hatten die Gäste spielerisch mehr zuzusetzen. Aber zu mehr als einem Punkt reichte es für die seit über fünf Monaten auswärts sieglosen Bochumer nicht.
https://www.sueddeutsche.de/sport/24-spieltag-in-der-zweiten-bundesliga-ingolstadt-fliegt-in-die-erfolgspur-zurueck-1.2381857
mlsum-de-9616
Türkische Bar- und Lokalbesitzer sind empört: Sie sollen sämtliche Bier-Logos und Hinweise auf Alkoholmarken von Theken und Türen, Sonnenschirmen und Schaufenstern entfernen. So verlangt es ein neues Gesetz.
Die Lichter der Nacht machen Istanbul gewöhnlich schöner, sie überstrahlen gnädig den Verfall und die Schmutzecken. Und nun hofft man, dass sie auch als Notbehelf taugen, das Bier in Szene zu setzen. Ein Kneipenbesitzer aus dem Bar-Bezirk Beyoğlu, nennen wir ihn Mehmet, weil er seinen Namen nicht verrät, kennt sich aus mit der Nacht. "Licht macht auch transparent", sagt er. Darauf setzt Mehmet. Schließlich muss er, so verlangt es das sittenstrenge türkische Alkoholgesetz, ab sofort alle Bier-Logos an seiner Bar überkleben. Kein Efes-Pilsen-Schild darf sichtbar sein, kein Yeni-Rakı-Schriftzug. "Mit etwas Scheinwerferlicht auf der Fassade" würden die Logos wohl noch durchscheinen, hofft Mehmet. Irgendwie muss man sich zu helfen wissen, wenn die Regierung das Geschäft verdirbt. "Die Kontrolleure kommen doch immer am Tag." Schon vor einem Jahr trat das Anti-Alkohol-Gesetz in Kraft, als im Gezi-Park in Istanbul gerade Tausende protestierten. Seitdem darf Alkoholisches in Geschäften nicht mehr nach 22 Uhr verkauft werden. Bars und Lokale haben diese Beschränkung zwar nicht. Aber dafür gilt auch dort ein strenges Werbeverbot, für das es allerdings zwölf Monate Aufschub gab. Seit dieser Woche nun müssen alle Hinweise auf alkoholische Getränke an und in Läden und Lokalen, von Theken und Türen, Schaufenstern und Sonnenschirmen verschwinden. In der gesamten Türkei seien davon 250 000 Geschäfte betroffen, berichtet Hürriyet. In der Touristenhochburg Antalya mahnte die Vereinigung der Ladeninhaber ihre Mitglieder, die Regelung umzusetzen, andernfalls drohten herbe Strafen von umgerechnet 1800 bis 70 000 Euro. "Ich kann das gar nicht glauben" Die Warnungen sind aber noch nicht bis zu jedem Kiosk durchgedrungen. "Davon weiß ich nichts, ich kann das gar nicht glauben", sagt der Besitzer eines Lädchens in einer Gasse in Beyoğlu. "Wurde das wirklich beschlossen?", fragt zwei Straßen weiter ein anderer Kioskinhaber. Ein Dritter ist besser informiert. "Ich darf auch keine Bierkästen vor die Tür stellen." Der Mann findet es absurd, dass auf Flaschen weiter ein Firmenlogo zu sehen sein darf, nicht aber auf dem Kühlschrank mit Glastür, in dem das Bier steht. Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan, ein strenggläubiger Muslim, hat seinen Landsleuten das Joghurt-Getränk Ayran als Alternative empfohlen. Gelegentliche Konsumenten des Nationalgetränks Rakı hat er indes als "Säufer" beschimpft und damit Empörung bei seinen Gegnern ausgelöst. Die Webseite von Efes Pilsen sieht nun aus, als hätte jemand Nebel darübergeblasen. Lesen kann man nur noch den Hinweis auf das umstrittene Gesetz Nummer 6487 und den Satz: "Aber wir erkennen uns, ohne uns zu sehen." Efes Pilsen, größter Bierproduzent des Landes, hat Anfang April ein Werk in Westanatolien geschlossen, weil der Bierkonsum seit der Gesetzesnovelle um zwölf Prozent zurückging. Der Weinproduzent Selim Ellialtı beklagte sich, dass Erdoğan Alkohol gern im Zusammenhang mit Terror und Drogen nenne. "Diebstahl ist bei uns keine Sünde", schimpft auch ein Kioskbesitzer in Beyoğlu in Anspielung auf die Korruptionsvorwürfe gegen die islamisch-konservative Regierungspartei. "Aber Trinken soll Sünde sein?" Der Mann hofft, dass ein so widersprüchliches Werbeverbot keinen Bestand haben wird. "Wenn es aufgehoben wird", sagt er, "spendiere ich eine große Runde."
https://www.sueddeutsche.de/panorama/werbeverbot-fuer-alkohol-in-der-tuerkei-trinken-soll-suende-sein-1.1994927
mlsum-de-9617
Der Europäische Gerichtshof hat jetzt die Rechte von Verbrauchern bei Verspätungen gestärkt. Auch bei Pannen müssen die Unternehmen Fluggäste entschädigen.
Flugpassagiere haben auch dann einen Anspruch auf Entschädigung wegen eines verspäteten Flugs, wenn die Verzögerung durch eine unerwartete technische Panne verursacht worden ist. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg kann die Fluggesellschaft sich nicht damit entlasten, dass sie die vorgesehenen Checks vorgenommen und die Maschine ordnungsgemäß gewartet habe. Auch der Umstand, dass die durchschnittliche Lebensdauer der defekten Teile noch nicht überschritten war, ändert nichts an ihrer Haftung. Damit gab der EuGH einer Frau recht, deren für den 13. August 2009 geplanter Flug von Quito nach Amsterdam erst am Tag darauf startete - mit 29 Stunden Verspätung. Die Fluggesellschaft KLM hatte sich darauf berufen, dass zwei Teile, nämlich die Kraftstoffpumpe und die hydromechanische Einheit, defekt gewesen seien und zunächst per Flugzeug aus Amsterdam hätten geliefert werden müssen. Aus Sicht des Gerichts ist dies indes kein "außergewöhnlicher Umstand", der zu einer Befreiung von Entschädigungsansprüchen führt. Vielmehr gehörten zum Flugbetrieb unausweichlich technische Probleme, und diese seien letztlich nur von der Fluggesellschaft zu beherrschen. Von "außergewöhnliche Umständen" kann man laut Gericht nur dann sprechen, wenn die Ursache nicht in der Sphäre des Unternehmens liegt, etwa, wenn die Maschinen mit einem verdeckten Fabrikationsfehler ausgeliefert worden sind. Auch bei Schäden, die auf Sabotage oder Terrorakte zurückgehen, kann die Fluggesellschaft nicht haftbar gemacht werden. (Az: C-257/14) Der EuGH hat damit seine verbraucherfreundliche Rechtsprechung zu den Ansprüchen der Flugpassagiere bekräftigt. Nach einer Verordnung von 2004 steht Fluggästen bei einer Verspätung von mindestens drei Stunden ein finanzieller Ausgleich zu: 250 Euro bei Entfernungen bis zu 1500 Kilometern, 400 Euro entweder bei EU-internen Flügen oder bei Entfernungen von maximal 3500 Kilometern, 600 Euro, wenn die Distanz mehr als 3500 Kilometer beträgt. Der EuGH hat immer wieder bestätigt, dass Passagiere grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch haben; Ausnahmen von diesem Grundsatz seien eng auszulegen. So hat das Gericht beispielsweise entschieden, dass bei Umsteigeflügen für die Berechnung der Verspätung die Ankunft am Zielflughafen maßgeblich ist. Airlines versuchen immer wieder, sich aus der Haftung herauszuwinden, wegen der hohen Kosten: Pro Flug werden schnell sechsstellige Beträge erreicht. Der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) warf den Airlines laut Spiegel "vorsätzlichen Rechtsbruch" vor und plant eine Bundesratsinitiative, um die Verbraucherrechte zu stärken. Derweil treibt die EU-Kommission Pläne voran, nach denen die Ansprüche der Passagiere stark eingeschränkt würden. Statt der dreistündigen Verspätung sollen - je nach Entfernung - erst Verzögerungen von fünf, neun oder zwölf Stunden einen Ausgleichsanspruch auslösen. Das EU-Parlament war diesen Plänen allerdings im vergangenen Jahr entgegen getreten. Nach Auskunft von Otmar Lell, Luftverkehrsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, will die Kommission zudem den Begriff der "außergewöhnlichen Umstände" neu definieren. "Sollte das umgesetzt werden, dann wären so gut wie alle technischen Defekte außergewöhnliche Umstände." Nach seiner Einschätzung ist aber noch nicht abzusehen, ob und wann die Pläne umgesetzt werden; die Verhandlungen seien vorerst unterbrochen worden.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/flugreisen-technik-versagt-zahlen-bitte-1.2652919
mlsum-de-9618
Während Volkswirte für die Euro-Zone ein Wachstum von 0,5 Prozent erwarten, stieg das BIP im Königreich um lediglich 0,3 Prozent.
Die Wirtschaft in Großbritannien wächst, aber deutlich langsamer als auf dem Festland. Im zweiten Jahresviertel, von April bis Juni, nahm das Bruttoinlandsprodukt im Königreich um 0,3 Prozent zu, wie das Statistikamt am Mittwoch berichtete. Im ersten Quartal hatte das Plus bei 0,2 Prozent gelegen, die Konjunktur hat also leicht an Fahrt gewonnen. Doch im Vergleich zu den Staaten der Euro-Zone ist das wenig. Für diese Länder erwarten Volkswirte einen Zuwachs von 0,5 Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) senkte nun seine Wachstumsprognose für Großbritannien für das Gesamtjahr und rechnet lediglich mit einem Plus von 1,7 Prozent - etwas weniger als die 1,8 Prozent im Jahr 2016. Für die Euro-Staaten sagen die Washingtoner Fachleute 1,9 Prozent Wachstum im laufenden Jahr voraus. Während es also in der lange kriselnden Euro-Zone vorwärts geht, verliert die Konjunktur im wachstumsverwöhnten Großbritannien nach dem Brexit-Referendum an Schwung. Insgesamt nahm die Wirtschaftsleistung im Königreich im ersten Halbjahr um 0,7 Prozent zu: der niedrigste Wert seit 2012. "Die Wirtschaft hat in der ersten Jahreshälfte eine beträchtliche Verlangsamung durchlebt", sagte Statistikamt-Fachmann Darren Morgan. Britische Unternehmer wissen nicht, welchen Bedingungen Geschäfte mit dem wichtigsten Handelspartner, der EU, nach dem Brexit 2019 unterliegen werden. Diese Unsicherheit belastet bereits die Investitionspläne vieler Firmen, wie eine Umfrage des Wirtschaftsverbands CBI ergeben hat. Und weniger Investitionen heißt wiederum weniger Wirtschaftswachstum. Eine Stütze der Konjunktur waren lange die Verbraucher, denen die Ungewissheit nicht die Lust am Shoppen raubte. Doch weil das Pfund seit dem Referendum stark an Wert verloren hat, werden Importe teurer. Das schlägt sich inzwischen in höheren Preisen an den Supermarkt-Regalen nieder. Manche Briten schieben deswegen größere Anschaffungen auf. Auch das belastet die Wirtschaft im Lande.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bruttoinlandsprodukt-euro-staaten-haengen-grossbritannien-ab-1.3605207
mlsum-de-9619
In Brandenburg waren viele Soldaten stationiert. Fast alle früheren Militärflächen wurden verkauft. Dort entstanden Wohnungen und Gewerbeparks. Das gesamte Investitionsvolumen beträgt etwa 1,1 Milliarden Euro.
In Wachstumsregionen wie München sind ehemalige Kasernenflächen schon fast überall umgewidmet. Dort werden vor allem Wohnungen gebaut - das Interesse von Projektentwicklern in den Städten ist enorm. Doch auch in Brandenburg, wo viele Gemeinden schrumpfen, haben viele Areale eine neue Nutzung gefunden. Einst streng abgeschottete Kasernen und andere militärische Sperrgebiete der ehemaligen Sowjetarmee sind inzwischen attraktive Wohngebiete, Gewerbeparks oder werden anderweitig zivil genutzt. In Brandenburg sind fast alle Liegenschaften verkauft. Käufer von ehemaligen Kasernen der sowjetischen Armee in Brandenburg haben sich zu Investitionen von insgesamt 1,1 Milliarden Euro verpflichtet. Bisher seien 1300 Kaufverträge geschlossen worden, in denen unter anderem diese Investitionsverpflichtungen vereinbart wurden, sagte Finanzminister Christian Görke (Linke) in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Brandenburg hatte 1994 Liegenschaften der Sowjettruppen auf 100 000 Hektar übernommen. 90 Prozent der Flächen werden heute laut Görke zivil genutzt. Das Land habe mit dem Verkauf der Flächen insgesamt etwa 300 Millionen Euro eingenommen. Zu den ehemaligen militärisch genutzten Arealen zählen den Angaben zufolge 83 Kasernenkomplexe, 89 Wohngebiete, 19 Flugplätze und 45 Truppenübungs- und Schießplätze. Heute stehen dort Technologie- und Gründerzentren wie in Luckenwalde (Teltow-Fläming) oder Wohnungen wie etwa in Frankfurt (Oder). Auch Studentenwohnheime sind heute auf den vormaligen Militärflächen zu finden, beispielsweise in Frankfurt (Oder), Cottbus und Eberswalde (Barnim). In Eberswalde entstand zudem ein Behördenzentrum, bei Jüterbog (Teltow-Fläming) ein Windpark.
https://www.sueddeutsche.de/geld/kasernen-sowjetisches-erbe-1.2786792
mlsum-de-9620
Die DFB-Auswahl verliert in Irland 0:1 - und muss am Sonntag gegen Georgien punkten, um sich für die Europameisterschaft zu qualifizieren. Mario Götze wird fehlen.
Und dann war es wieder ein langer Ball, der Mats Hummels so schwer zusetzte. Diesmal kam er - anders als beim 1:5 der Dortmunder beim FC Bayern - nicht von Jérôme Boateng; der Abwehrspieler stand ja nun an Hummels Seite in der DFB-Verteidigung, als Irlands Torwart Randolph den Ball nach vorne drosch. Hummels, Boateng und der Kölner Hector sahen nicht gut aus, wie aus dem Nichts stand Shane Long da und traf zur Führung für die Iren, deren Fans das 1:0 (70.) gegen den Weltmeister feierten, als hätten die Boys in Green gerade selbst einen Titel gewonnen. Immerhin haben sie die vorzeitige Qualifikation der deutschen Auswahl für die EM 2016 verhindert und selbst wieder Chancen auf die direkte Teilnahme. Dabei waren noch eine Viertelstunde vor Anpfiff weite Teile der Haupttribüne im Stadion an der Lansdowne Road unbesetzt - ob's damit zu tun hatte, dass das Stadion direkt in einem Wohngebiet liegt und viele Iren noch im Pub waren? Die meisten schafften es so gerade bis zum Anpfiff auf ihre Plätze und fragten sich zunächst einmal, ob sie einem anderen Spiel beiwohnten: Bei den Iren stand ein Spieler mit einem Turbanverband auf dem Feld, wie man ihn vom Rugby kennt; der Innenverteidiger Keogh hatte sich kämpferisch eingeschworen auf das Duell. Bastian Schweinsteiger in der Zuschauerrolle In der Zuschauerrolle fand sich Bastian Schweinsteiger wieder, er saß direkt hinter Bundestrainer Joachim Löw. Der deutsche Kapitän hatte sich im Abschlusstraining eine Verhärtung im Adduktorenmuskel zugezogen, teilte der DFB eine Stunde vor Beginn der Partie mit, aber irgendwie hat man bei Schweinsteiger ja ohnehin den Eindruck, dass es in dieser Saison, im Klub wie bei der Nationalmannschaft, zuvorderst darum geht, irgendwie Herbst, Winter und Frühjahr zu überstehen, um dann im Sommer bei der Europameisterschaft die Mannschaft anführen zu können. Sein Ausfall in Dublin sollte zu verschmerzen sein, dachte man, schließlich ging es für den Tabellenersten der Gruppe D doch vor allem um die Frage, ob die Qualifikation für die EM schon in diesem Spiel glücken sollte, wofür ein Unentschieden gereicht hätte, oder erst am Sonntag bei der letzten Partie in Leipzig. So kommt es nun: Nach dem 0:1 in Irland sollte sich die deutsche Auswahl gegen Georgien keine weitere Niederlage leisten, will sie sich direkt qualifizieren. Ein Punkt allerdings reicht aus. Trotzdem: Es droht eine Zitterpartie. "Es war eine unerwartete und auch völlig unnötige Niederlage", sagte Joachim Löw, denn: "Wir haben aus der Überlegenheit nichts gemacht, die letzte Konsequenz hat gefehlt. Und wir machen einen einzigen Fehler und verlieren dann." Dabei hatte der Bundestrainer "immer wieder gesagt, dass die Iren lange Bälle spielen". Die deutschen Verteidiger aber hatten nicht gut hingehört. Hummels, offenbar eingeschüchtert von der Kritik auf seinen Motzki-Auftritt nach dem 1:5 von München, als er die Mitspieler attackierte, nahm die Schuld auf sich: "Ich schalte da zu spät." Löw widersprach: "Es betrifft alle!" Für Schweinsteiger, der wohl auch am Sonntag fehlen wird, spielte Marco Reus im Mittelfeld. Und auch von der zweiten Umstellung, die Löw im Vergleich zum 3:2 in Schottland vornahm, profitierte ein Dortmunder: Matthias Ginter übernahm den Platz von Emre Can. Das DFB-Team übte von Beginn an mächtig Druck aus, lag aber schnell hinten - im Fernduell um den ersten Gruppenplatz ging Polen in Schottland schon in der dritten Minute in Führung, natürlich durch den Münchner Dauertorschützen Robert Lewandowski.
https://www.sueddeutsche.de/sport/em-qualifikation-der-letzte-schritt-ist-der-schwerste-1.2684385
mlsum-de-9621
Wegen G8 machen viele junge Leute schon mit 17 Jahren Abitur. An einigen Freiwilligen-Projekten in anderen Ländern kann man bereits teilnehmen, für andere kann man sich immerhin schon mal bewerben.
Derzeit steht Tanja öfters auf einem Feld in Jindřichovice pod Smrkem, zu deutsch Heinersdorf an der Tafelfichte, und schneidet Weiden. Es ist Frühjahr, und da braucht das Freilichtmuseum in Tschechien, in dem Tanja im Rahmen des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes (IJFD) arbeitet, besonders viele Weiden. Die jungen Zweige wird Tanja zu einer Art Rute zusammenbinden. Das soll an einen alten Brauch erinnern, der in Osteuropa verbreitet ist: Sanftes Schlagen mit den Ruten bewirkt angeblich, dass die Lebenskraft der Zweige auf die berührte Person übergeht. Möglichkeiten, nach dem Abi ins Ausland zu gehen, bieten sich fast zahllose: als Au-Pair, bei Freiwilligen-Projekten auf der ganzen Welt, mit Work-and-Travel-Angeboten, Sprachkursen, Praktika, Studium, Jugendbegegnungen, bei Entwicklungsdiensten oder auf Farmen weit weg von zu Hause. Der Haken: Die meisten Angebote sind für nur für Volljährige. Das gilt vor allem für Au-Pair-Programme und für Work-and-Travel-Angebote. In der Regel leben die jungen Leute in einer Gastfamilie und haben einen Mentor am Ort "Wir haben tatsächlich keine Angebote für unter 18-Jährige", sagt Peter Martin vom Freiwilligendienst Kulturweit, einem Projekt der Deutschen Unesco-Kommission, das durch das Auswärtige Amt gefördert wird. Verlockende Möglichkeiten gibt es da, etwa beim DAAD in Kenia oder in China an der Berufsakademie Nanjing - aber volljährig muss man sein. "Wir setzen auch eine bestimmte persönliche Reife voraus", erklärt Peter Martin. Allerdings darf man sich mit 17 schon bewerben - sofern man vor Antritt der großen Reise 18 wird. Durch die verkürzte Gymnasialzeit haben immer mehr Abiturienten schon mit 17 Jahren das Abitur geschafft. Verständlich, dass sie die Zeit zwischen Schulende und Studium oder Ausbildungsbeginn sinnvoll nutzen wollen. "Nach der Schule den Kopf durchlüften, mal weg von zu Hause", so beschreibt Tanja, warum es sie nach dem Abi ins Ausland zog. Der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD) der Paritätischen Freiwilligendienste Sachsen gGmbH, vermittelt jungen Menschen, die noch nicht volljährig sind, Aufenthalte in den an Deutschland angrenzenden Ländern Polen und Tschechien. "Für die unter 18-Jährigen muss es eine enge Anbindung zum Beispiel zur Gastfamilie oder einer Vertrauensperson am Ort geben", sagte Gernot Mosig, Referent für Internationale Freiwilligendienste bei den Paritätern. "Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass manche Angebote für Minderjährige nicht ganz so gut passen: Zum Beispiel in einer Großstadt in einer WG zu leben und problematische Jugendliche in einem Jugendclub zu betreuen." Wer noch nicht volljährig ist, wohnt deshalb in einer Gastfamilie. Ein Mentor am Ort ist die ganze Zeit Ansprechpartner, die Referenten aus Deutschland schauen während des Einsatzes mindestens einmal vorbei. Wenngleich Felix Jäger aus Leverkusen bei seinem Abi erst 16 war, verbrachte er gleich nach der Schule elf Monate in Ecuador. Möglich war das über die Organisation Experiment. In Mindo, einem kleinen Dorf im Nebelwald, lebte er bei einer Gastfamilie, bastelte mit den Kindern im Kindergarten und brachte den Teilnehmern eines Senioren-Freizeitclubs Memory bei. Etwa 6000 Euro kostete das Auslandsjahr. "Ich wollte nicht gleich nach der Schule studieren", sagt Felix. "Außerdem zog es mich nach Südamerika. Das Land kannte ich schon durch einen Schüleraustausch in Uruguay." Wichtig war ihm, bei einem gemeinnützigen Projekt mitzumachen: "Ich will auch etwas geben, nicht nur selbst Erfahrungen machen." Der Verein Experiment hat für die "Zielgruppe 16 plus" eigene Programme in Ecuador, Mexiko oder Indien erarbeitet. 3760 Euro muss man etwa für ein halbes Jahr Freiwilligendienst in Mexiko zahlen, dazu kommen noch die Flugkosten. Allerdings kann man sich bei dem Verein auch um Stipendien bewerben. Zudem haben eine Menge kommerzieller Anbieter die unter 18-Jährigen als potenzielle Kunden entdeckt. Klingt erstmal toll, was man da alles machen kann: Löwenschutz in Sambia. Geburtshilfe-Praktika in Ghana. Kinderhilfsprogramm in Panama. Doch Regina Schmieg, Projektkoordinatorin von Eurodesk, einem europäischen Jugendinformationsnetzwerk, das von der Europäischen Kommission und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird, warnt vor sogenannten Voluntourismus-Programmen, die eine Menge Geld kosten und auf Laufzeiten von wenigen Wochen angelegt sind. "Natürlich haben die Jugendlichen ehrenwerte Motivationen", sagt sie, "aber gerade im sozialen Bereich schadet das den Menschen am jeweiligen Ort mehr als dass es ihnen nutzt." Wenn sich die Kinder im Waisenhaus alle zwei Wochen an einen neuen Freiwilligen gewöhnen müssen. Oder wenn es für die Teilnehmer keine Vorbereitung und keine pädagogische Begleitung am Ort gibt. "Doch direkt nach dem Abi ist ja nicht der einzige Zeitpunkt, zu dem man ins Ausland gehen kann", betont Regina Schmieg von Eurodesk. "Ein guter Zeitpunkt für einen Auslandsaufenthalt ist während des Studiums oder zwischen Bachelor und Master."
https://www.sueddeutsche.de/karriere/soziales-engagement-aufbruchstimmung-1.2940759
mlsum-de-9622
Von ganz früh bis sehr spät: Vier Tage lang bieten die Munich Indoors ein Programm mit vielen Facetten. Auch die Weltmeisterinnen Simone Blum und Jessica von Bredow-Werndl sind in der Olympiahalle.
Am Samstagabend in der Münchner Olympiahalle sitzen zwei bayerische Weltmeisterinnen strahlend und winkend auf zwei Pferden, auf denen man sie nie zuvor hat sitzen sehen; hübsch anzusehen (sowohl die Pferde als auch die Reiterinnen), jeweils in einem Dirndl (nur die Reiterinnen), auf zwei Kaltblütern vom Landgestüt Schwaiganger, auf denen - ohne den Tieren zu nahe zu treten - Simone Blum ihren Titel im Springreiten im September wahrscheinlich eher nicht geholt hätte, und auch Jessica von Bredow-Werndl in der Dressur wohl etwas Mühe gehabt hätte. Jedenfalls werden die beiden am Rande der Munich Indoors mit einer eigenen Gala geehrt. Sportlich nutzt Blum die Großveranstaltung, um ihre jungen Pferde Erfahrung sammeln zu lassen, und Bredow-Werndl coacht in München ihren Bruder zum Gewinn im Grand Prix Special. Und sonst? Die Deutsche Victoria Michalke gewinnt eine besondere Dressurserie, und vier vollgepackte Wettbewerbstage werfen einige Fragen auf, etwa: Bekommen Turnierpferde eigentlich genügend Schlaf? Und wer sorgt für verletzte Tiere? Fünf Episoden aus vier Tagen Reitsport. Detailansicht öffnen Ungewohntes Bild: Am Samstag lassen sich die Weltmeisterinnen Simone Blum und Jessica von Bredow-Werndl auf zwei Kaltblütern feiern. (Foto: Stefan Lafrentz/imago) Tierschutz vor Sport Routiniert nimmt Rüdiger Brems dem verschwitzten Pferd die Bandagen ab und tastet die empfindlichen Fesseln des Tieres nach Schwellungen und Druckschmerzen ab. "Vor und nach jedem Wettbewerb überprüfen wir den Zustand der Tiere", sagt der Tierarzt. Der Gesamteindruck muss stimmen. Ohne Brems und neun seiner Kollegen von der Pferdeklinik Wolfesing in Zorneding findet bei den Munich Indoors kein Wettbewerb statt. Der Tierarzt arbeitet seit 21 Jahren im Auftrag des Weltverbandes im Reitsport (FEI) bei der Veranstaltung in München. Sein Team steht ständig auf Abruf. So wie am Freitag, als ein Pferd samt Reiter vor einem Hindernis stürzt. Beide sind zum Glück wohlauf. Oder bei Verdachtsmomenten. Ein Reiter spürt, dass sich sein Pferd beim Springen nicht wohl fühlt und kontaktiert Brems. Die Untersuchung ergibt, dass sich das Tier einen Muskel im Rücken gezerrt hat. Der Reiter entscheidet sofort, aus dem Wettbewerb auszusteigen. "Das wäre vor 20 Jahren anders abgelaufen", sagt Brems. Heute stehe der Tierschutz vor dem Sport. Der Wert der Tiere ist mittlerweile sehr hoch. Ein Pferd auf Turnierlevel kostet 50 000 Euro aufwärts. Daher werden schon zu Beginn des Turniers alle Pferde untersucht, später führt eine externe Ärztin dann auch Dopingkontrollen durch. Erfolge seien schon sichtbar, sagt Brems: "Bei der Weltmeisterschaft in Tryon gab es keinen positiven Test bei den Sportpferden." Der goldene Glanz Beim Reiten wird Simone Blum den neuen Goldhelm bestimmt nicht aufsetzen, einen Platz dafür wird sie aber finden. Sie und ihre Dressur-Kollegin Jessica von Bredow-Werndl bekommen am Samstagabend eine ganze Palette solcher Präsente, neben dem Goldhelm gibt es Ehrenpreise und ganz profane T-Shirts für das Team. "Es war schon toll, damit habe ich nicht gerechnet", sagt Blum. Der Helm steht symbolisch für ihr Jahr 2018. Alles was Blum anfasste, wurde zu Gold. "Ein tolles Ereignis jagt das andere", weiß Blum. Die Zollingerin hat sich mit ihrer Stute Alice in die absolute Weltspitze des Springreitens geritten. Der Nationenpreis beim CHIO in Aachen, der Weltmeistertitel in den USA, die Auszeichnung des Weltreiterverbandes als "Best Athlete" - Blum ist das neue Gesicht des deutschen Springreitens. Die Veranstalter hatten die Munich Indoors entsprechend massiv mit Blum beworben, die gestiegenen Ticketverkäufe machen sie nicht zuletzt an der 29-Jährigen aus dem Landkreis Freising fest. Als neue Weltmeisterin wird mehr gezogen und gezerrt an ihr als früher: "Das ist auf jeden Fall extrem anstrengend", sagt Blum. "Aber ich denke, das wird auch wieder ein bisschen ruhiger werden." Bei den Munich Indoors reitet Blum dann nicht mit Alice auf Sieg, sie setzt andere Pferde ein, um auch diese allmählich an das neue Niveau heranzuführen. In zwei Wochen wird sie noch ein Turnier in der Schweiz mitmachen, dann ist das Gold-Jahr für sie vorbei. Die Indoors sind als Heimturnier aber "auf jeden Fall" auch für die Zukunft gesetzt. Detailansicht öffnen Christian Ahlmann muss sich als Rider of the Year nassspritzen lassen. (Foto: Sven Simon/imago) 13 Jahre Harmonie Dance On sieht noch oft Gespenster. Das Dressurpferd ist umweltorientiert, vieles ist ihm unheimlich. "Wir reisen deswegen immer einen Tag früher bei Turnieren an, damit er sich an die neue Umgebung gewöhnen kann", erklärt Victoria Michalke. Andere Pferde brauchten den Turniertrubel, um gute Leistungen zu erbringen. "Pferde haben schon echt einen Charakter", weiß die 29-Jährige. Als guter Reiter sollte man die Eigenheiten seines Pferdes kennen. Ihr Wallach Dance On ist 16 Jahre alt, Michalke trainiert ihn seit 13 Jahren. Und ihr Trainingskonzept ist aufgegangen: Michalke wird bei den Indoors zum Champion of Honour gekürt, sie ist Gesamtsiegerin der Serie. Die Auszeichnung erhalten Reiter, die mit ihrem Pferd harmonieren, mit anderen Reitern kollegial umgehen und deren Pferde Zufriedenheit ausstrahlen. Es ist ein Preis, der gezielt nicht Leistungen bewertet, sondern die Partnerschaft zwischen Pferd und Reiter. Das seien die richtigen Signale, findet Michalke. Einfach tanzen lassen Detailansicht öffnen Jessica von Bredow-Werndl feiert dann auch noch den Sieg ihres Bruders Benjamin Werndl. (Foto: Stefan Lafrentz/imago) Famoso, der neunjährige Wallach, beschert Benjamin Werndl einen Rekord nach dem anderen. Den Grand Prix Special am Sonntag gewinnt das Duo mit starken 76,7 Prozent. Das ist das beste Ergebnis, dass der 34-Jährige bisher in einer Dressurprüfung auf diesem Niveau erzielt hat. Von der Leistung seines Pferdes sei er "überwältigt", sagt Werndl. Mitte Dezember steht in Frankfurt das Finale für die bedeutendsten Nachwuchspferde im Grand Prix an - Famoso hat die anspruchsvolle Generalprobe in München bestanden. Die Aufgabe des Special ist sehr lang. Schwierige Lektionen wie die Piaffe-Passage, ein Wechsel aus trabartiger Bewegung auf der Stelle und Trab in Slowmotion, sowie der Einerwechsel, der Galoppwechsel von Sprung zu Sprung, kommen gleich mehrfach vor. "Das Special ist aber auch gleichzeitig die schönste Aufgabe der Welt", findet Werndl, der gerne in Superlativen spricht. Es sei der fließende Ablauf, der ihn fasziniere. Anders als bei der Kür ist beim Special die Abfolge der Lektionen vorgegeben. Das Training in seinem Reitstall in Aubenhausen, den er gemeinsam mit seiner Schwester Jessica von Bredow-Werndl, der Mannschaftsweltmeisterin in der Dressur, betreibt, sei so angelegt, dass die Pferde Eigeninitiative zeigten und Spaß daran hätten, ihre Leistungen im Viereck zu präsentieren. "Wir sitzen nur da, halten uns möglichst ruhig und lassen die Pferde tanzen", sagt Werndl. Am Sonntag beobachtet die 32-Jährige von Bredow-Werndl ihren Bruder im Viereck. Danach erwartet sie ihn auf dem Weg zum Abreiteplatz. Ihr Lob mutet eher technisch-nüchtern an: Ihr Bruder hätte das richtige Maß fürs Tempo in der kompletten Trabtour gehabt. Werndl klingt euphorischer: "Die Piaffe-Passage-Touren waren der Hammer!" Drei Stunden Schlaf Abends spät ins Bett, morgens früh raus, wenig Schlaf, ungewohnte Umgebung, viel Trubel - für einen Menschen wären das keine guten Voraussetzungen, um Leistungssport zu betreiben. Bei den Munich Indoors ist das Programm dicht, es beginnt schon morgens halb acht in einer ziemlich leeren Halle und geht bis abends. Für die Pferde ist das kein Problem, sagt Veranstalter Volker Wulff: "Pferde führen ein anderes Leben als Menschen." Mit drei bis vier Stunden Schlaf kämen sie aus, sagt er. Neben den physischen Grundvoraussetzungen spiele auch die Gewöhnung eine große Rolle. "Routine gehört dazu", sagt Wulff. Internationale Klassepferde würden seit dem Alter von fünf, sechs Jahren an das Turnierleben gewöhnt. Und auch die Menschen sind diese Abläufe gewohnt. Die vielen Wettbewerbe gäben ihnen auch die Möglichkeit, jüngere Pferde heranzuführen. "Deswegen sind die Reiter bereit, morgens und abends zu reiten. Es sind lange Tage, aber das ist auch der Job der Reiter." Die meisten Zuschauer kommen trotzdem etwas später.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/munich-indoors-simone-blum-muenchen-1.4225756
mlsum-de-9623
Zwischen Schlagbaum und Spa-Komplex: Das deutsche Nationalteam residiert während der WM in Watutinki, einst Rückzugsort der Partei-Elite - richtig romantisch ist es dort nicht.
Jede Epoche hat ihren eigenen Luxus. Der französische Absolutismus brachte Versailles hervor. Der amerikanische Kapitalismus Las Vegas. Und die Sowjetunion Watutinki. Der Ort, an dem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr Quartier bezieht, wurde einst als exklusiver Rückzugsort für die Partei-Elite geplant. Fertig wurde die Anlage erst, als es die Sowjetunion schon nicht mehr gab. Heute ist das "Erholungsheim der Präsidialverwaltung des russischen Präsidenten" eine von Dutzenden solcher Anlagen im ganzen Land, in denen die Regeln und der Stil einer vergangenen Zeit weiterleben. Vielleicht wird es zu den größten mentalen Herausforderungen für das deutsche Team bei dieser WM gehören, nicht ständig an Sotschi zu denken. An die Palmen, den Strand, das Meer - nur einen Steinwurf weit entfernt der Rasen für das Training. So hat die DFB-Auswahl vor einem Jahr beim Confed Cup gelebt, so hätten sie es wieder haben können. Stattdessen fährt der Mannschaftsbus jetzt durch farblose Betongebirge am Rande der russischen Hauptstadt, bis er an einem Schlagbaum mit Wachposten stoppt: Ein Mann in Flecktarnuniform bewacht das Tor ins Grüne. Ein drei Meter hoher Zaun aus grünem Blech trennt Wohnsilos und Kurort. Draußen Hochhausschluchten und staubige Straßen, drinnen verschlungene Spazierwege zwischen Birken und Fichten. Logistik schlägt Romantik Man glaubt dem Team-Manager Oliver Bierhoff, dass diese Wahl keine Herzensentscheidung war. Dass am Ende die Vernunft dafür gesprochen hat, ein Quartier zu wählen, das eine halbe Stunde Fahrt vom Luschniki-Stadion entfernt liegt, wo die Deutschen am Sonntag ihr Auftaktspiel gegen Mexiko bestreiten werden (und wo sie natürlich auch gern am 15. Juli im Finale spielen würden). Der Moskauer Flughafen Wnukowo liegt auch nur eine halbe Stunde entfernt in entgegengesetzter Richtung. Was helfen Strand und Palmen, wenn die Spielstätten in diesem riesigen Land über vier Zeitzonen verteilt liegen? Wenn man fast einen Tag lang reisen muss, um ins Stadion zu kommen? Logistik schlägt Romantik. Also Watutinki, das Trainingsgelände des russischen Erstligisten ZSKA Moskau, das gleich nebenan liegt. Im Sozialismus, als der Staat das ganze Leben durchdrang, die Wirtschaft, die Kultur und den Sport, da waren auch die meisten Fußballklubs irgendwo beim Staat angedockt: Dynamo war seit Zeiten des Ministeriums NKWD der Verein des Geheimdienstes. Und ZSKA der Klub des Militärs, dechiffriert: Zentraler Sportklub der Armee. Weil diese Tradition bis heute ungebrochen ist, trainiert das DFB-Team während der WM also beim russischen Verteidigungsministerium. Alles in allem dürfen Spieler und Trainer bei diesem Turnier wirklich davon ausgehen, dass sie gut bewacht sind und keiner verloren geht. Übernachtet wird im Gästehaus des Präsidenten. Trainiert wird beim Verteidigungsministerium. Und die Nachbarn sind Spione: In der Siedlung Watutinki befindet sich die zentrale Funkaufklärung des russischen Militärgeheimdienstes. Einfach mal ein bisschen umsehen auf dem Gelände, in dem in den vergangenen Monaten das Basislager für die Deutschen errichtet wurde, das ging deshalb auch nicht so ohne Weiteres. Anfragen wies die Hotelleitung zurück: "Wenden Sie sich direkt an den Kreml." Der teilte dann telefonisch mit, an welche Adresse man seinen Antrag auf offiziellem Briefpapier und mit rundem Stempel versehen schicken durfte - um sich nie wieder zu melden.
https://www.sueddeutsche.de/sport/deutsches-quartier-fuer-fussball-wm-die-nachbarn-sind-spione-1.4011281
mlsum-de-9624
Drei Mitglieder des Kardinalsrates scheiden aus. Unter ihnen ist auch George Pell, einst mächtiger Mann im Vatikan, aktuell vor Gericht wegen des Vorwurfs sexueller Übergriffe.
Papst Franziskus hat drei Mitglieder seines engsten Beraterkreises entpflichtet. Die Kardinäle George Pell, 77, Laurent Monsengwo Pasinya, 79, und Francisco Javier Errazuriz Ossa, 85, gehören nicht mehr dem sogenannten "Consiglio di Cardinali" ("K9-Rat") an, teilte das vatikanische Presseamt mit. Die drei waren seit 2013 Teil der Gruppe von anfangs acht, dann neun Kardinälen, die den Papst bei Leitungsaufgaben und einer Kurienreform unterstützen sollten. Der Rat tagte von Montag bis Mittwoch in Rom und sollte "dem Heiligen Vater bei der Regierung der Weltkirche behilflich" sein "und mit ihm ein Revisionsprojekt für die Apostolische Konstitution Pastor Bonus über die Römische Kurie" ausarbeiten, hieß es damals vom Vatikan. Vatikansprecher Greg Burke sagte, Papst Franziskus habe dem Wunsch der drei Kardinäle nach Entpflichtung bereits Ende Oktober entsprochen und ihnen für ihren Einsatz über die vergangenen fünf Jahre gedankt. Als Grund für die Verabschiedung aus dem Beratergremium verwies der Papst demzufolge auf das fortgeschrittene Alter der drei. Nachnominierungen seien vorerst nicht vorgesehen. Die Kardinäle des Gremiums selbst können keine Entscheidungen fällen. Sie haben keinerlei Befugnisse gegenüber der Kurie und den Behörden des Vatikan. Papst Franziskus, der den Rat ins Leben gerufen hat, kann sich die Kardinäle zusammensuchen, die ihn bei seinen Anliegen beraten und unterstützen. Sie sind zur Diskretion aufgerufen, was die Inhalte ihrer Beratungen angeht. Auch Erzbischof Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, ist Mitglied im K9-Rat. George Pell bleibt trotz seiner Entpflichtung Leiter des vatikanischen Wirtschaftssekretariats, einer der einflussreichsten Einrichtungen der römischen Kurie. Er galt als die Nummer Drei im Vatikan. Derzeit verteidigt sich der Australier vor Gericht gegen den Vorwurf, in den neunziger Jahren in Melbourne sexuell übergriffig gegen männliche Jugendliche geworden zu sein. In diesem Zusammenhang ist er seit Juni 2017 von seinen Aufgaben im Vatikan beurlaubt. Errazuriz hatte bereits früher angekündigt, seinen Posten im Kardinalsrat aufgeben zu wollen. Gegen ihn liegen in Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal in Chile Anzeigen wegen Meineids und Falschaussage vor. Missbrauchsopfer werfen Errazuriz vor, als Erzbischof von Santiago von 1998 bis 2010 die Strafverfolgung eines später wegen Missbrauchs verurteilten Geistlichen jahrelang verhindert zu haben. Er selbst weist die Anschuldigungen zurück. Der Kongolese Monsengwo, einziger afrikanischer Kardinal im Beraterkreis, hatte zuletzt nur unregelmäßig an den Treffen teilgenommen. Anfang November nahm der Papst seinen altersbedingten Rücktritt vom Amt als Erzbischof von Kinshasa an. Vatikansprecher Burke hatte im Juni erklärt, die Mitgliedschaften im Kardinalsrat sollten voraussichtlich auch über die übliche vatikanische Ämterfrist von fünf Jahren hinaus bestehen bleiben. Franziskus kündigte hingegen wenig später einige personelle Erneuerungen an
https://www.sueddeutsche.de/panorama/vatikan-papst-franziskus-kardinalsrat-entpflichtungen-1.4250416
mlsum-de-9625
Gäste, die keinen Alkohol trinken, dürfen in einem guten Restaurant durchaus etwas erwarten: kunstvolle Saftkreationen zum Beispiel.
Neben den Teller mit den Thunfischpflanzerln, Apfel-Sellerie-Salat und Linsen hat Michael Wendlinger-Iwan ein Weißweinglas mit einer blass-rosafarbenen Flüssigkeit gestellt, in der ein Limetten-Achtel und Fenchelsamen schwimmen. "Viel Vergnügen", sagt er. Wie man das sagt, wenn man nicht nur "Guten Appetit" wünschen will. Der Mann aber meint es ernst. Im Glas ist kein Wein, aber auch nichts, was ihn missen lässt, sondern ein Mix aus Rhabarbersaft, Ingwerbier, Fenchel und Limette. Michael Wendlinger-Iwan kreiert im Broeding seit fünf Jahren die alkoholfreie Begleitung zum Essen, mit der das Münchner Restaurant einer der Vorreiter in Deutschland ist. Davor hat er als Barkeeper gearbeitet und mit seinem Mann bis 2004 die legendäre Iwan's Bar in München geführt. 500 Cocktails mixte er teils pro Nacht, 600 Rezepte hat er im Kopf. Wissen, das ihm nun hilft, da Gäste zunehmend nach Alternativen zum Wein fragen. Und so bieten Restaurants verstärkt korrespondierende Säfte, Schorlen, Tees oder Smoothies an. Manche Gäste wollen keinen Alkohol zum Essen, aus religiösen und gesundheitlichen Gründen, weil sie Auto fahren - oder keinen Wein mögen. Für Restaurants ist es ein kreativer Ansporn: Perfekte Weine zum Menü mögen ein Lokal auszeichnen, mit individuellen alkoholfreien Getränken kann es überraschen. "Ein Zweigelt bleibt ein Zweigelt, ein Pinot Noir ein Pinot Noir", sagt Wendlinger-Iwan. "Die Gäste wollen ein Erlebnis." Oft kreieren Köche selbst die Getränke, wie die Zwei-Sterne-Köchin Tanja Grandits im Baseler Stucki oder der Zwei-Sterne-Koch Sebastian Frank im Horváth in Berlin. Frank hat die Saftbegleitung eingeführt, als seine Frau, mit der er das Restaurant leitet, schwanger war. "In Skandinavien sind alkoholfreie Begleitungen weit verbreitet, das schwappt langsam zu uns herüber", sagt er. Tim Raue eröffnete in Dubai, wo Alkoholkonsum nur in Hotels und Lokalen mit spezieller Lizenz erlaubt ist, unlängst das Restaurant Dragonfly, in dem nur alkoholfreie Getränke serviert werden. Seine "Jines" (Wortmix aus juice und wine) bestehen aus Säften, Essenzen, Kräutern und Gewürzen und lagern in verkorkten Weinflaschen. Im Broeding gibt es jeden Abend ein anderes Sechs-Gang-Menü, auf Wunsch mit sechs alkoholfreien Getränken. Und auch in anderen Restaurants fragen die Gäste vermehrt nach Alternativen zu Wein und Bier. Im Frühjahr erscheinen mehrere Bücher zum Thema, unter anderem "Die neue Trinkkultur - Speisen perfekt begleiten ohne Alkohol" von Nicole Klauß. Der Getränkeproduzent Rabenhorst bietet eine Ausbildung als Saftsommelier an, Obstkeltereien offerieren alkoholfreie Fruchtseccos und Traubensäfte von Sorten wie Scheurebe, Riesling oder Zweigelt an, aus denen sonst Wein gemacht wird. Detailansicht öffnen Saftbegleitung zur Suppe: Maggi-Kraut (Liebstöckel), Apfelsaft, Muskatnuss (Foto: André Muehling) "Es wird ganz normal werden, dass wir die Gäste fragen, ob sie mit oder ohne Alkohol begleitet werden möchten", sagt Wendlinger-Iwan. Kurz bevor das Gericht serviert wird, beginnt er, das passende Getränk zuzubereiten. Er mörsert etwa Fenchelsamen in der Gewürzmühle, gibt sie mit Rhabarber- und etwas Limettensaft in ein Glas und gießt es mit Ingwerbier auf. Abmessen muss er nichts. Barkeeper-Augenmaß. Wie das leicht scharfe Ginger Beer den Ingwer aus der Thunfischkruste herauskitzelt und Schärfe in Linsen und Apfel-Sellerie-Salat bringt, ist wirklich ein Vergnügen. Der Restaurantfachmann bereitet seine Getränke an der Bar zu. Auch damit die Leute sehen, dass er für einen Drink teilweise 20 Minuten braucht, und nicht fragen, warum der Saft genauso viel kostet wie der Wein. In Restaurants, die mehr als nur Schorlen anbieten, werden korrespondierende Säfte meistens zum Preis der Weinbegleitung oder unwesentlich günstiger angeboten. "Die Vorbereitung für alkoholfreie Getränke ist komplexer als die Arbeit des Sommeliers, da fällt mindestens eine zusätzliche Arbeitsstunde an", sagt Restaurantchef Gottfried Wallisch. Michael Wendlinger-Iwan arbeitet mit Gewürzen wie Nelke, Piment, Sternanis und Zimtblüten, mit Sesam, Selleriesaat und frischen Kräutern. Mandarinenschalen trocknet er selbst, von der Tahiti-Vanille und der Cedro-Frucht kocht er Sirups.
https://www.sueddeutsche.de/stil/essen-und-trinken-mehr-als-apfelschorle-1.3381319
mlsum-de-9626
Unter Lebensgefahr haben syrische Ermittler Hunderttausende offizielle Dokumente aus dem Land geschafft. Dem "Guardian" zufolge liegen jetzt ausreichend Beweise vor, um Machthaber Assad wegen Kriegsverbrechen zu belangen.
Anklageschriften gegen Assad-Regime fertiggestellt Drei Jahre lang haben Aktivisten offizielle Dokumente aus Syrien herausgeschmuggelt, jetzt haben sie genug Beweise zusammen, um Machthaber Baschar al-Assad und 24 weitere hochrangige Regimemitglieder anzuklagen. Das berichtet der britische Guardian. Zusammengetragen wurden die Unterlagen im Auftrag der international tätigen Commission for International Justice and Accountability (CIJA), die von mehreren westlichen Staaten finanziert wird - darunter die USA, Großbritannien, Deutschland, Norwegen, Kanada und Dänemark. 50 syrische Ermittler sollen, so der Guardian, die brisanten Dokumente aus dem Land gebracht haben. Eine hochgefährliche Aufgabe. Einer von ihnen sei getötet, ein weiterer verletzt worden. Fokus auf Niederschlagung der Proteste 2011 Ermittler und Rechtsexperten, die bereits mit den Kriegsverbrechertribunalen für das frühere Jugoslawien und Ruanda befasst waren, werten die Millionen Dokument-Seiten aus und bereiten Anklageschriften vor. Drei Anklagen sind den Angaben zufolge bereits fertiggestellt. Eine davon konzentriert sich auf die Führungsspitze, die "Central Crisis Management Cell", zu der neben Assad selbst auch Innenminister Mohammad al-Shaar gehört. Die Vorwürfe konzentrieren sich auf deren Rolle bei der Niederschlagung der Proteste zwischen März und September 2011, die zum Ausbruch des Bürgerkriegs geführt hatten. Zehntausende Dissidenten waren damals verhaftet worden, viele von ihnen wurden später im Gefängnis gefoltert oder getötet. Prozess derzeit nicht absehbar Dass Mitglieder des Assad-Regimes tatsächlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof oder einem Syrien-Tribunal für Kriegsverbrechen belangt werden, ist dennoch aktuell nicht absehbar. Bislang sperrt sich die Veto-Macht Russland im UN-Sicherheitsrat gegen eine Strafverfolgung des mit Moskau verbündeten Machthabers. Man habe die Akten für mögliche zukünftige Prozesse zusammengetragen, so der Chef der CIJA, Bill Wiley im Guardian. Da ein Stimmungswandel im UN-Sicherheitsrat derzeit nicht absehbar ist, gibt es nur eine Möglichkeit für einen Prozess gegen Assad und sein Gefolge: einen Machtwechsel. Angesichts verschiedener militärischer Rückschläge und interner Streitigkeiten in der oberen Führungsriege des Regimes ist dieses Szenario durchaus denkbar.
https://www.sueddeutsche.de/politik/kriegsverbrechen-in-syrien-geschmuggelte-dokumente-sollen-verbrechen-des-assad-regimes-belegen-1.2477639
mlsum-de-9627
Der Discounter eröffnet die ersten Läden in den USA. Die Amerikaner haben ein Problem damit - die einen mit dem Wort, die anderen mit der neuen Konkurrenz.
Eine der ersten Herausforderungen ist der Name. Amerikaner haben keine Ahnung, wie man dieses komische Wort ausspricht: Lidl? Die Zeitung Washington Post rät zu "lee-duhl", die Nachrichtenseite Business Insider schlägt "LEE-dil" vor. USA Today weist als Eselsbrücke darauf hin, dass sich das Wort mit "beetle" reimt, Käfer. Der Name ist jedenfalls eindeutig deutsch und die Supermarktkette versteckt nicht, dass sie aus Deutschland kommt: "time to say hallo!", wirbt sie auf ihrer Website, auf der ein Countdown bis zur Eröffnung der ersten Läden in den Vereinigten Staaten läuft. Auf Amerikanisch müsste es "hello!" heißen - oder "hi!". An diesem Donnerstag eröffnet Lidl die ersten neun Filialen in den USA. Sie liegen alle im Südosten des Landes, in Virginia, North Carolina und South Carolina. Es wird eine große Feier geben in jedem der Geschäfte, samt Band-Durchschneiden, Gutschein-Verlosung und Sonderangeboten, die Menschen in die Läden locken sollen, die von Lidl vorher noch nie gehört haben - also Sonderangebote zusätzlich zu den ohnehin schon günstigen Lidl-Waren. "Wir können es gar nicht abwarten, unsere ersten US-Geschäfte zu eröffnen", sagt Brendan Proctor, der Chef von Lidls neuer Amerikatochter. "Es ist unsere Mission, den Kunden weniger Komplexität, niedrigere Preise, bessere Auswahl und größeres Vertrauen zu bringen." Bis zu 50 Prozent billiger als bei der US-Konkurrenz sollen die Produkte bei "lee-duhl" sein. Walmart will den Billigheimer-Titel zurück Die amerikanischen Handelsketten fürchten sich vor dem Einstieg des deutschen Discounters in einer ohnehin schwierigen Zeit. Die Supermarkt-Preise fallen immer weiter, im Schnitt lagen sie im April laut Daten des Landwirtschaftsministeriums USDA 0,8 Prozent unter dem Vorjahr. Das klingt zuerst nach wenig, ist aber viel in einer Branche, die eine Gewinnmarge von zwei Prozent schon für großartig hält und in der die alten Rivalen einander Marktanteile abjagen wollen und mit neuen Rivalen kämpfen müssen. Die größte Supermarktkette der USA, Kroger, hat im ersten Quartal zum ersten Mal sinkende Umsätze gemeldet, wenn man Neueröffnungen herausrechnet und nur die bestehenden Läden vergleicht. Immer mehr neue Konkurrenten mischen mit, vor allem Lebensmittel-Lieferdienste, bei denen man im Internet bestellen kann. Amazon drängt in den Markt und ein Start-up nach dem anderen versucht, den Markt aufzumischen. Einen Preiskampf mit Lidl kann die Branche nicht gebrauchen. Die Nachrichtenagentur Reuters, die für übertriebene Zuspitzungen eigentlich nicht bekannt ist, spricht vom "Krieg der Supermärkte".
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/discounter-wie-spricht-man-denn-lidl-aus-1.3542829
mlsum-de-9628
Yahya Jammeh gilt als paranoider Gewaltherrscher. Seit 22 Jahren ist er im afrikanischen Gambia an der Macht - nun hat er die Präsidentschaftswahl wohl verloren.
Eigentlich waren die Erwartungen an die Präsidentenwahlen nicht besonders hoch, hatten sie in den vergangenen Jahren ja nur dazu gedient, Diktator Yahya Jammeh im Amt zu bestätigen. Jammeh werden Korruption und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Er gilt als paranoider Gewaltherrscher. Am Wahltag hatte er noch groß getönt, es sei ein Erdrutschsieg zu erwarten. Jetzt steht ein politischer Wandel bevor. Nach 22 Jahren an der Macht hat Jammeh die Wahl nicht nur verloren, er ist offenbar sogar bereit, seine Niederlage zu akzeptieren. Dem Landeswahlleiter zufolge will der Diktator noch am Freitag eine entsprechende Erklärung abgeben. Jammeh kam 1994 durch einen Staatsstreich an die Macht und ließ sich 1996 und 2001 durch Wahlen bestätigen. Die Beschränkung der Amtszeiten ließ er 2002 aus der Verfassung streichen und gewann auch die folgenden Wahlen, die nach Ansicht von Kritikern aber weder frei noch fair waren. Tausende Gambier sind geflohen Sollte Jammeh wirklich widerstandlos abtreten, hieße der neue Präsident Adama Barrow, Medienberichten zufolge erreichte er 54 Prozent der Stimmen. Gleich mehrere Oppositionsparteien hatten ihn als Gegenkandidaten aufgestellt. In den vergangenen Monaten war der Unternehmer im Land unterwegs, um für sich zu werben. Große Chancen wurden ihm nicht eingeräumt, vor allem weil die bestehende Regierung alles tat, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Oppositionsanhänger und regierungskritische Journalisten wurden festgenommen. Nach der Wahl ließ die Regierung den Zugang zum Internet komplett sperren, auch das Schreiben von SMS war nicht mehr möglich. Zugleich galt ein Demonstrationsverbot. Als vermutlich neuer Präsident steht Barrow vor einer Mammutaufgabe. Gambia gilt als eines der ärmsten Länder der Erde und lebt vor allem vom Erdnussexport sowie vom Tourismus. Barrow muss das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückgewinnen. Bisher kontrolliert ein gewaltiger Überwachungsapparat die Bevölkerung, Regierungskritiker landen regelmäßig im Gefängnis, nicht selten sterben sie dort auch. Jammeh lässt Homosexuelle verfolgen und einsperren, genau wie Menschen, die sich angeblich der "Hexerei" verdächtig machen. Aus Angst sind Tausende Gambier über das Mittelmeer nach Europa geflohen. Unter den Herkunftsländern von Flüchtlingen belegt das Land den dritten Platz.
https://www.sueddeutsche.de/politik/gambia-ein-weiterer-langzeitdiktator-droht-zu-stuerzen-1.3277509
mlsum-de-9629
Angeklagt war er für mehr als 220 Taten, die ihren Anfang in der Regionalbahn nahmen. Nun muss der vorbestrafte Zugbegleiter siebeneinhalb Jahre ins Gefängnis.
Im Zug soll er Kinder angesprochen und später bei sich zuhause missbraucht haben: Vor dem Amtsgericht Freiburg ist am Montag ein Schaffner zu einer Gesamtstrafe von siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Mann hatte zuvor ein umfassendes Geständnis abgelegt und seinen minderjährigen Opfern damit eine Aussage vor Gericht erspart. Angeklagt war er für mehr als 220 Taten, die zwischen 2013 und 2017 ihren Anfang in der Regionalbahn nahmen. Dort soll der Zugbegleiter seine ausschließlich männlichen Opfer angesprochen und zu sich nach Hause eingeladen haben. Das jüngste Kind war zum Tatzeitpunkt erst zwölf Jahre alt, auch ein 17-jähriger Flüchtling soll laut einem Bericht der Badischen Zeitung unter den Opfern gewesen sein. Laut Anklage soll der 48-Jährige aus dem Hochschwarzwald die Jungen schwer missbraucht und ihnen dafür Geld gegeben haben. Bis zu dreimal pro Woche seien manche der Opfer in seine Wohnung gekommen. Sie bekamen dafür zwischen zehn und 90 Euro. Außerdem ließ sich der Mann Schulden, die die Jungen bei ihm zwischenzeitlich gemacht hatten, durch sexuelle Handlungen bezahlen. Der Mann ist einschlägig vorbestraft. Wegen ähnlicher Sexualstraftaten wurde er 2016 bereits zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Das nun verhängte Strafmaß setzte sich aus zwei separaten Freiheitsstrafen zusammen: Zum einen für die vor der Verurteilung zur Bewährungsstrafe begangenen Taten und zum anderen für die danach begangenen. Mit dem Strafmaß folgten die Richter dem Antrag von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Die Verteidigung hatte eine mildere Strafe gefordert, ohne diese genau zu beziffern. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/freiburg-kinder-im-zug-gekoedert-und-missbraucht-schaffner-verurteilt-1.4028656
mlsum-de-9630
Schwarzmarkthändler verkaufen im Internet teure Karten für begehrte Konzerte und Fußballspiele. Wer hier zugreift, hat oft nichts als Ärger.
Der Sänger Ed Sheeran ist auf Tournee in Deutschland, aber Tausende Fans durften in den vergangenen Wochen nicht zum Konzert - und das, obwohl sie bezahlt hatten, manchmal sogar bis zu 500 Euro. Im Kampf gegen Schwarzmarkthändler hatte der Veranstalter für die Deutschland-Tournee des britischen Musikers ausschließlich personalisierte Tickets verkauft. Rein darf damit nur, wer namentlich darauf vermerkt ist und sich ausweisen kann. Wer über Zweitmarktbörsen im Internet wie Viagogo gekauft hatte, hielt jedoch die Eintrittskarte eines anderen in der Hand. Was den frustrierten Ed-Sheeran-Fans passiert ist, ist fast schon typisch für diesen Festival-Sommer. Horrende Preise, schlechtere Plätze, wertlose Eintrittskarten: Die Beschwerden über den boomenden Schwarzmarkt häufen sich. "Verbraucher werden gezielt getäuscht", warnt Johannes Ulbricht, Justiziar des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft (BDV). Ein Überblick, worauf man als Konzertgänger achten sollte. Überteuerte Angebote Wer unbedingt einen Musiker oder ein bestimmtes Fußballspiel sehen will oder ein Festival besuchen, lässt oft nichts unversucht, an Eintrittskarten zu kommen. Sind die Veranstaltungen am Ticketkiosk oder auf lizenzierten Verkaufsseiten wie Eventim oder Ticketmaster ausverkauft, schlägt die Stunde der Zweitmarktplattformen im Internet. Was heiß begehrt ist, wird im Netz häufig zum doppelten, dreifachen oder auch fünffachen Preis angeboten. Etwa 20 Zweitmarkt-Plattformen gibt es laut Jurist Ulbricht inzwischen auf dem Schwarzmarkt. Portale wie Viagogo oder die Ebay-Marke Stubhub seien den meisten Künstlern, Veranstaltern und Festivalbetreibern ein Dorn im Auge, kritisiert der Fachmann. Wer dort kauft, handle sich in der Regel nichts als Probleme ein. "Finger weg von Zwischenhändlern", mahnt Ulbricht zur Vorsicht. Fragwürdige Tricks Ein Grund, warum der Schwarzmarkthandel mit überteuerten Karten so boomt, liege an der Aufmachung, erklärt Christian Gollner, Jurist der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz: Viagogo & Co. vermitteln den Eindruck, sie seien offizielle Ticketverkaufsstellen. Die Seiten sehen aus wie echte Ticketshops - mit Stadionplänen, Sitzreihen und noch verfügbaren Plätzen. Dass man von privat kauft, wird nicht erwähnt. Der echte Verkäufer bleibt im Dunkeln. Die Verbraucherzentrale Bayern hat den Schweizer Anbieter Viagogo vor Kurzem wegen des intransparenten Geschäftsmodells und der Verbrauchertäuschung vor dem Landgericht München verklagt. Personalisierte Karten Wer bei inoffiziellen Händlern kauft, hat keinerlei Sicherheit, dass er für das Geld tatsächlich einen schönen Abend erleben wird. Mal werden die teuren Karten erst auf den letzten Drücker versendet, mal wird eine schlechtere Platzkategorie als bestellt geliefert oder personalisierte Tickets, die wertlos sind, wenn sie beim Veranstalter nicht auf den neuen Besitzer umgeschrieben wurden. "Es gibt immer mehr Festivals und Konzerte, bei denen auf personalisierte Eintrittskarten gesetzt wird, um den Schwarzmarkt einzudämmen", sagt Ulbricht. Grundsätzlich sollte das Umschreiben personalisierter Eintrittskarten möglich sein. Einen Anspruch darauf gibt es aber nicht. Wer inoffiziell gekauft hat, kommt oft nicht weiter. Reinfallen können Fans zudem mit gefälschten Karten oder solchen, die mehrfach verkauft werden, aber gar nicht existieren. Oder es wird gar nichts versendet. Reklamieren bringt oft nichts, weil die Ticketbörsen nicht reagieren. Vom Internet-Kauf zurücktreten ist unmöglich, weil Veranstaltungen vom Widerrufsrecht ausgenommen sind. Fällt das Event aus, geht der Käufer von Schwarzmarktkarten leer aus. Rechtliche Grauzone Geprellte Verbraucher können sich rechtlich kaum wehren. Grundsätzlich ist es Privatleuten erlaubt, Tickets zu kaufen und sie weiterzuverkaufen. Selbst Aufschläge im moderaten Rahmen sind nicht verboten. Erst wenn sie die Zweitmarktbörsen zum gewerblichen Handel nutzen, wird ihr Tun illegal. Von den Plattformen, die mit dem Weiterverkauf beste Geschäfte machen, ist keine Unterstützung zu erwarten. Sie arbeiten in einer rechtlichen Grauzone, die endlich geregelt gehört, fordert Ulbricht: "Wir brauchen ein gesetzliches Verbot des Ticket-Zweitmarkts wie es in Frankreich, Belgien oder den Niederlanden längst der Fall ist." Hilfreiche Tipps Tickets sollten nur von autorisierten Quellen gekauft werden, empfiehlt Gollner von der Verbraucherzentrale. Zuerst informieren, dann kaufen: Bewertungen anderer Verbraucher im Netz könnten helfen, die Seriosität einer Verkaufsstelle einzuschätzen. Stars aus Rock, Pop und Klassik geben auf ihren Internetseiten bevorstehende Tourneen und Konzerte bekannt und verweisen oft auf lizenzierte Ticketanbieter. Wer den nächsten Auftritt eines Stars nicht verpassen will, kann einen "Google Alert" anlegen, rät Stiftung Warentest. Wird zum Beispiel "Adele Deutschland" eingegeben, bekommen User eine E-Mail, wenn Neues von der Musikerin bekannt wird. Für Last-Minute-Angebote gibt es eigene Websites. Tickets für große Sportveranstaltungen werden meist über eigene Internetseiten angeboten.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eintrittskarten-in-der-ticket-falle-1.4074284
mlsum-de-9631
Wie Ingenieure versuchen, störende Geräusche mit einem Gegensignal zu unterdrücken - beispielsweise mit einem Spezial-Kopfhörer. Menschen nehmen Lärm aber auch anders wahr.
Finde den Fehler: Im gleißenden Schein einer fernen Sonne schwebt das auf Hochglanz polierte Raumschiff durchs Bild, das Geräusch seines Antriebs erinnert an das Heulen eines Formel-1-Boliden. Die Physik der Star-Wars-Filme darf man ja ohnehin nicht besonders ernst nehmen, aber dass man Fluggeräte im luftleeren All hören könnte, ist wirklich nichts als ein Zugeständnis ans Kinopublikum. Schall braucht einen Stoff - ein Gas, einen Feststoff, eine Flüssigkeit - um sich in Wellen auszubreiten, ähnlich wie die Wellen in einem Gewässer, in das ein Stein geworfen wird. Die Industrialisierung hat die Welt mit Lärm förmlich überzogen, besonders Großstädte sind eine Kakofonie aus meist auch noch recht hässlichen Geräuschen, von der Kreissäge bis zum bremsenden Nahverkehrszug. Nicht nur am Tag des Lärms, der an diesem Mittwoch die Aufmerksamkeit auf die laute Umwelt richtet, sehnen sich viele Lärmgeplagte nach Ruhe wie im All. Manche tragen auch Kopfhörer und beschallen sich mit einem für sie angenehmeren Lärm. Ein Sonderfall sind dabei die Kopfhörer, die versprechen, den Lärm der Außenwelt nicht bloß abzuschirmen, etwa mit gut gedämmten, ohrumschließenden Hörmuscheln. Sie bekämpfen Lärm vielmehr aktiv, und das geht so: Ein Ton wie etwa der nervtötende Pfeifton beim Fernseh-Testbild besteht aus regelmäßigen Wellenbergen und -tälern. Schickt man nun ein zweites Signal los, das genau versetzt dazu liegt, also dann ein Tal aufweist, wenn beim Original-Ton ein Berg ist, neutralisieren sich beide nahezu völlig. In den Kopfhörern sind dazu Mikrofone eingebaut, die den Schall der Außenwelt aufnehmen und mit digitalen Signalprozessoren analysieren. Dann versuchen sie, auf den Lautsprechern der Hörer elektronisch Schall zu erzeugen, der den Lärm von draußen möglichst neutralisiert. Verständlicher wird die Prozedur, wenn man sich einen Lautsprecher vorstellt. Der erzeugt Schall bekanntlich so: Die Membran wird durch elektrische Impulse in Schwingungen versetzt, die über die Luft weitergegeben werden. Für den Ton schwingt die Membran 440 Mal pro Sekunde vor und wieder zurück. Was aber, wenn der Lautsprecher bei jeder Bewegung nach vorne gleichzeitig den Impuls erhielte, im gleichen Maß nach hinten zu fahren? Nun, das Ergebnis wäre, die Membran würde sich einfach gar nicht bewegen. Keine Bewegung, kein Schall. Menschen nehmen Lärm auch über die Schädelknochen auf Schön wäre es, wenn das nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis vollständig gelänge. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Einen Teil des Schalls nehmen Menschen auch über die Schädelknochen auf - dagegen hilft auch der beste Gegenschall-Kopfhörer nichts. Tiefe Töne lassen sich zudem leichter herausfiltern als hohe, und regelmäßige Geräusche eignen sich besser für Gegenschall als kurze Impulse. Das erklärt, warum man die Kopfhörer mit aktiver Geräuschreduzierung besonders häufig in Flugzeugen sieht. Das sonore Brummen der Motoren in der Flugzeugkabine lässt sich ziemlich gut wegfiltern. Es bleibt nur noch ein wesentlich leichter erträgliches Rauschen übrig. Rauschen lässt sich bei Kopfhörern mit aktiver Geräuschunterdrückung übrigens nie ganz vermeiden, es ist ein Kompromiss, den man bei dieser Technik eingehen muss. Manche rauschen so stark, dass es das Musikhören durchaus stören kann. Ihr Klang, da digital bearbeitet, ist daher oft nicht so ausgewogen wie bei guten Hifi-Kopfhörern für zu Hause. Die Technik des Gegenschalls ist aber nicht bloß für Kopfhörer interessant. Auch die Hersteller von Autoelektronik experimentieren damit, um die Motor- und Windgeräusche im Inneren des Fahrzeugs zu reduzieren. Das Gute daran: das Hupen des Hintermanns oder das Martinshorn eines Rettungswagens wäre dennoch zu hören. Das Brummen des Motors oder die Geräusche des Fahrtwindes und das Rollgeräusch der Reifen dagegen ließe sich stark reduzieren. Auch bei Flugzeugen wird schon seit längerem mit Gegenschall experimentiert und zwar im Hinblick auf die lärmgeplagten Menschen am Boden. Außer dem Strahl, der Düsenflugzeuge antreibt und einen donnernden Lärm erzeugt, produziert auch der Rotor in diesen Triebwerken viel Lärm. Letzterem rücken Ingenieure des Deutschen Zentrums für Luft- und Raufahrt (DLR) mit Druckluftdüsen zu Leibe, die Gegenschall produzieren. Ein ganzer Verbund von Sensoren nimmt dabei den produzierten Lärm auf und steuert die Druckluftdüsen so, dass sich die beiden Geräusche so weit wie nur möglich aufheben. Der Lärm lässt sich damit um etwa zehn Dezibel verringern - für menschliche Ohren wirkt er dadurch nur noch halb so laut. Druckluft wird eingesetzt, weil herkömmliche Lautsprecher den hohen physischen Belastungen in den Triebwerken nicht gewachsen wären. Außerdem haben die Flugzeuge ohnehin schon ein Druckluftsystem. Dieses müsste für die neue Anwendung lediglich angepasst werden.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gegensignale-keine-bewegung-kein-schall-1.2456429
mlsum-de-9632
Erneuerbare Energien würden immer billiger, lobt die Kanzlerin. Nun will sie auch bei US-Präsident Trump für Klimaschutz werben.
Vor dem Gebäude verlangen Umweltschützer den Ausstieg aus dem Kohlestrom, drinnen lobt die Kanzlerin die Alternativen. "Die Energiewende zeigt: Ist der Anfang geschafft, dann gehen die Kosten zurück", sagt Angela Merkel. "Weltweit ist der Preis für erneuerbare Energien enorm gesunken." Selbst die Stromversorgung sei trotz des "rasanten Ausbaus" sicher. Im Publikum: Vertreter aus 35 Staaten beim Petersberger Klimadialog. Aus Entwicklungsländern und Industriestaaten, von Pazifik-Inseln und aus aufstrebenden Schwellenländern. Die deutsche Energiewende beweise, "dass Wohlstand und Nachhaltigkeit durchaus Hand in Hand gehen können", sagt die Kanzlerin. Zuvor hatte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, OECD, eine Studie mit ganz ähnlichen Ergebnissen vorgelegt. "Die Botschaft ist sehr klar", sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría, "Klimaschutz und Wachstum sind vollkommen kompatibel." Stattdessen werde aber oftmals unterschätzt, welche Kosten sich durch einen energischen Kampf gegen die Erhitzung der Erde einsparen ließen. Dafür allerdings brauche es einen gehörigen Aufpreis für klimaschädliche Emissionen. Das findet Merkel auch. "Das beste wäre, wenn der Ausstoß schädlicher Emissionen weltweit seinen Preis hätte", sagt sie. Die OECD-Studie war schließlich auf Betreiben der Bundesregierung entstanden - mit Blick auf die deutsche Präsidentschaft im Industrie- und Schwellenländerforum G 20. Und ganz offensichtlich auch mit Blick auf konkrete Teilnehmer beim Gipfeltreffen in Hamburg. "Ich versuche, auch Zweifler zu überzeugen", sagt Merkel. Wer das sein könnte, sagt sie nicht - wohl aber der Premier der Fidschi-Inseln, formal Gastgeber des nächsten Klimagipfels im November in Bonn. Es gebe einen "elephant in the room", sagt Frank Bainimarama. "Und das ist die Herausforderung, die die neue Administration in den USA darstellt." Ein "Elefant im Raum" ist im Englischen ein Hindernis, das alle sehen, über das aber keiner spricht. Die Kanzlerin bleibt diplomatisch, wenige Tage vor dem G-7-Treffen in Sizilien, bei dem sie auf US-Präsident Donald Trump treffen wird. Er hadert mit dem Klimavertrag. Was den Elefanten im Raum angehe, sagt sie: "Da kümmern wir uns auch drum." Nur müsse man da "klug und zurückhaltend" herangehen. Sonst erreiche man das Gegenteil.
https://www.sueddeutsche.de/politik/petersberger-klimadialog-der-zweifler-und-die-energiewende-1.3518649
mlsum-de-9633
Scharfe Kritik von Bundestrainer Joachim Löw an den Nazi-Parolen deutscher Hooligans beim Länderspiel gegen Tschechien - er fordert "absolute harte Sanktionen".
Die Tagesordnung wäre es gewesen, nur über das Länderspiel an diesem Montagabend in Stuttgart gegen Norwegen zu sprechen, über Fußball, über die Aufstellung. Aber deswegen war Joachim Löw nicht gekommen. "Ich will nicht einfach nur zur Tagesordnung übergehen", sagte er im Stuttgart. Es ging jetzt nicht nur um ein Länderspiel, um Fußball. Es ging jetzt um mehr. Um Haltung. Beim Länderspiel am Freitag in Prag hatten Zuschauer im deutschen Fanblock wiederholt Schmähgesänge angestimmt, sie hatten Timo Werner beschimpft, sie hatten eine Schweigeminute für verstorbene tschechische Funktionäre durch Rufe und Pfiffe gestört, sie hatten vereinzelt sogar Nazi-Parolen skandiert. Die Mannschaft hatte unmittelbar darauf reagiert und noch auf dem Platz besprochen, dass sie nicht zu den Fans in die Kurve gehen würde, um sich zu bedanken, wie das sonst üblich ist. Löw selbst hatte am Freitag noch gesagt, dass er davon nichts mitbekommen habe, er sei bereits in der Kabine gewesen. Doch nun, zwei Tage später, fand er für die Geschehnisse deutliche Worte. "Ich bin nicht bestürzt oder traurig, ich bin voller Wut und sehr, sehr angefressen", sagte der Bundestrainer. Die "sogenannten Fans" hätten "die Bühne des Fußballs und eines Länderspiels benutzt und mit ihrem oberpeinlichen Auftreten viel Schande über unser Land" gebracht. Bei jedem Länderspiel im Ausland sei es wichtig, "dass wir unser Land würdig vertreten. Dass wir für ein tolerantes und weltoffenes Deutschland stehen. Diese Chaoten beschädigen unser Land". Was die knapp 200 Zuschauer große Gruppe auf der Tribüne veranstaltet habe, sei "zutiefst verachtenswert", weswegen Löw auch die maximale Distanz zu ihnen suchte: "Diese Chaoten wollen wir nicht, und wir sind nicht deren Nationalmannschaft." Am Freitag, als Löw sich noch nicht zu den Vorfällen geäußert hatte, hatten sich die Spieler bereits klar positioniert, allen voran Mats Hummels. Der Innenverteidiger bekleidet in der Nationalelf ein gehobenes Amt, er ist seit vielen Jahren dabei, er ist Weltmeister, sozusagen einer der Klassensprecher der deutschen Mannschaft. In Prag wirkte es nun so, als ob er nur angepiekst werden musste, im Gespräch mit den Reportern wartete er geradezu auf die erste Frage zu den Fans. "Das war eine Katastrophe", schimpfte er dann. In scharfem Ton fuhr er fort: "Davon distanzieren wir uns komplett." Er wollte und konnte nicht darüber hinwegsehen. Auch die Mitspieler bestärkten Hummels, Julian Brandt sagte: "Wenn Gesänge mit nationalsozialistischem Hintergrund kommen, gibt es keinen Grund, das noch zu unterstützen und in die Kurve zu gehen." Die Rufe seien "so weit daneben" gewesen, "dass es nicht mehr zur Diskussion stand, ob wir uns noch verabschieden", sagte Hummels. Er wirkte ernsthaft getroffen vom Ende dieser Dienstreise. Hummels beschäftigte am Freitag auch bereits die Frage, wie jene Zuschauer überhaupt ins Stadion gekommen waren. Die ätzenden Rufe kamen zwar teilweise aus dem offiziellen DFB-Fanblock, also von Leuten, die über den Verband ihre Karten bestellt haben, vor allem aber von 100 bis 200 Krakeelern direkt daneben, die sich offenbar auf dem Schwarzmarkt versorgt haben - auch von sogenannten Fans der "Kategorie C", die bei Heimspielen längst nicht mehr ins Stadion dürfen. Hummels stellte klar: "Das sind Krawallmacher, Hooligans, die nichts mit Fußball zu tun haben." In Prag, mutmaßte er, hätten es, "diese Leute" offenbar leicht gehabt, an Karten zu kommen: "In Deutschland haben sie es schwerer, was sehr gut ist." Löw verlangte am Sonntag "absolut harte Sanktionen", er sagte: "Jeder, der von denen nicht ins Stadion darf, ist ein Gewinn." Er verzichtete nun auf Diplomatie, und gerade dadurch vertrat er sein Land durchaus würdig. "Jeder, der von denen nicht ins Stadion darf, ist ein Gewinn." Als Erster aus der Führungsebene des Deutschen Fußball-Bundes hatte Präsident Reinhard Grindel das Verhalten der Zuschauer am Samstagmorgen verurteilt - verbunden mit einem Lob für die Entscheidung der Mannschaft, nicht zur Tribüne zu gehen. Sie habe ein feines Gespür gezeigt und sich vom Verhalten eines Teils der deutschen Zuschauer distanziert, schrieb Grindel auf Facebook. Das sei ein "klares Signal" gewesen. Im ARD-Hörfunk sprach er von Hooligans und Rechtsextremisten. Allerdings habe es sich nur um eine ganz kleine Gruppe gehandelt, die zum Teil "auch durch einen Sturm ohne Karten" ins Stadion gelangt sei. Man wisse die Unterstützung der friedlichen Zuschauer, bei denen es auch Empörung gegeben habe, zu schätzen. "Aber wir werden niemals faschistische, rassistische, beleidigende oder homophobe Schlachtrufe dulden. Gemeinsam - als Mannschaft, Fans und DFB - müssen wir uns diesen Krawallmachern entgegenstellen", schrieb Grindel weiter. Schon an diesem Montag in Stuttgart gegen Norwegen soll eine andere Stimmung herrschen, geprägt durch weniger Hass auf den Rängen, durch mehr Freude am Fußball. So wünscht sich das Joachim Löw, so wünscht sich das Mats Hummels. Als der Innenverteidiger am Freitagabend ging, wirkte er immer noch geladen und aufgekratzt. Aber er hatte gesagt, was gesagt werden musste.
https://www.sueddeutsche.de/sport/dfb-ich-bin-voller-wut-1.3651498
mlsum-de-9634
Die Meisterschaft der Weitspringer auf dem Nürnberger Marktplatz ist spektakulär, wird aber überlagert von der Debatte um Markus Rehm und seine Karbonprothese.
Markus Rehm tritt jetzt vor die Kameras, er strahlt eine tiefe Zufriedenheit aus über das, was er gerade erlebt hat. Über die Weitsprung-Wettbewerbe, die der Deutsche Leichtathletik-Verband im Vorfeld seiner deutschen Meisterschaften am Freitagabend auf den Nürnberger Hauptmarkt ausgelagert hat, über die 4000 Zuschauer, die sich auf die Stahlrohtribünen zwängten. Rehm ist auch ganz zufrieden mit seinen 8,11 Metern - die Tagesbestweite, die in eine getrennte Wertung einfließt, weil noch immer nicht geklärt ist, ob Rehms Sprünge mit seiner Karbonprothese vergleichbar sind mit denen der nichtbehinderten Konkurrenz. Deshalb ist jetzt halt der Tübinger Fabian Heinle mit 8,03 Metern deutscher Meister, aber das ist Rehm nicht so wichtig. Sagt er. "Wir hatten alle viel Spaß hier. Wir wollten die Leichtathletik hier repräsentieren. Ich glaube, der Fokus lag auf dem Sport, nicht so sehr auf mir." Das stimmte, und das stimmte auch wieder nicht. Models in Spikes auf dem Catwalk Es war schon interessant, wie die Weitspringer sich am Freitagabend bei ihren ersten deutschen Marktplatz-Meisterschaften inszenierten. Sie liefen über einen Holzsteg, hinter ihnen blitzten Scheinwerferlichter auf, als würden Models in Spikes auf einem Catwalk auftreten. Manchmal geriet dabei fast in Vergessenheit, dass es sich um eine deutsche Meisterschaft handelt, bei der WM-Tickets verteilt werden, nicht alle Teilnehmer waren glücklich mit dieser Kombination. Es war, andererseits, eine bunte und doch bodenständige Vorstellung, die Leichtathletik ist ja immer dann am stärksten, wenn sie sich selbst greifbar macht. Wenn die Schritte der Athleten bis auf die Tribünen hinauf vibrieren, wenn man hört, wie der Balken beim Absprung ächzt. Die Zuschauer sahen alles wie von einer Lupe vergrößert. Die Freude von Heinle, von Rehm, von Lena Malkus, die bei den Frauen mit 6,74 Metern gewann, sie sahen die Tränen von Malaika Mihambo, die als Favoritin angereist war, im Vorkampf hängenblieb und jetzt vielleicht die WM in Peking verpasst. Und dann war da eben noch diese Sache mit Markus Rehm. Die Weitspringer haben in Nürnberg am Freitag eine Art Jubiläum zelebriert, unfreiwillig. Vor etwa einem Jahr durfte der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm in Ulm zum ersten Mal bei den Meisterschaften der Nicht-Behinderten mitmachen. Es war ein Experiment, das am Ende mehr Fragen hinterließ als Antworten: Darf Rehm den ersten Platz, den er sich mit 8,24 Metern sicherte, behalten? Verleiht ihm seine Unterschenkelprothese einen Vorteil? Wird er gar zur EM in Zürich mitgenommen? Der DLV nahm ihn nicht mit, ein erstes Gutachten ergab nicht genügend eineutige Befunde. Studie für 300 000 Euro Rehm darf seitdem bei den Nicht-Behinderten antreten, auf nationaler Ebene in einer gesonderten Wertung. DLV und Deutscher Behindertensport-Verband sammeln gerade Geld für eine Studie, die Vor- und Nachteile von Prothesen umfassend ausleuchten soll, bis zu 300 000 Euro könnte sie kosten. Bis dahin ist die Debatte inhaltlich festgefahren, wie bei einem Jeep, der im Schlamm steckt und bei dem beide Räder durchdrehen. Die FAZ berichtete zuletzt über einen pikanten Sachverhalt: Sechs Konkurrenten, die 2014 in Ulm gegen Rehm verloren, hatten November 2014 beim Rechtsausschuss des DLV Beschwerde eingelegt (die der Ausschuss mittlerweile abgeschmettert hat). "Es wäre schöner gewesen", sagt Rehm am Freitag, "wenn wir uns an einen Tisch gesetzt hätten." Was bleibt, ist ein Schwebezustand, mit dem sich niemand so recht anfreunden kann. Er sei schon zufrieden mit seinem Sonderstartrecht, sagte Rehm, "ich hoffe aber auch, dass die Sachlage geklärt wird." Andere sagten lieber gar nichts, wie Julian Howard, der am Freitag Dritter wurde und die Beschwerde gegen Rehm mitgetragen hatte. "Ich gratuliere ihm herzlich", sagte Howard, bevor er dann nichts mehr sagte. "Ist Inklusion eine Einbahnstraße?" Wenige sprechen so offen wie Alyn Camara, DM-Zweiter vom Freitag: "Ich finde, wir sind ein bisschen alleine gelassen", sagte er zunächst, "wir sind Athleten, die springen, das sollte im Fokus stehen." Dann gab er doch seine Gedanken frei. Er verteidigte Sebastian Bayer, jenen Weitspringer, der im Vorjahr die Andersartigkeit von Rehms Prothese betont hatte und mit Kritik überzogen worden war. "Jede Meinung wird sofort zerpflückt", klagte Camara. "Ich nehme diese Worte nicht gerne in den Mund", ergänzte er, "aber ist Inklusion eine Einbahnstraße? Warum darf ein Oscar Pistorius bei uns laufen, warum dürfen wir nicht bei denen laufen, bei denen springen?" Vielleicht deshalb, und damit kommt man dem Kern der Debatte schon ziemlich nahe, weil es vermutlich zwei unterschiedliche Bewegungsmuster sind, zwei Sportarten, verwandt und doch verschieden? Manche Behindertensportler wollen wohl auch deshalb nicht mit den Nicht-Behinderten die gleiche Bühne teilen. Heinrich Popow, Paralympics-Sieger in London über die 100 Meter, erklärte zuletzt im Tagesspiegel, er fürchte, der direkte Vergleich könnte die Leistung vieler Behindertensportler entwerten, weil viele Leistungen nicht zu denen der Nicht-Behinderten passen. Rehm? Sei eben eine Ausnahme. Der 26-Jährige war in Nürnberg dann auch sichtlich bemüht, die Autonomie und Werte seines Sports zu betonen. "Ich sehe das als Aufgabe, hier zu zeigen, dass auch bei unseren Wettkämpfen die Post abgeht", sagte er. Rehm war in Nürnberg ein gefragter Mann, er schrieb mehr Autogramme, ließ sich häufiger mit Fans fotografieren als die meisten Konkurrenten zusammen, und nicht immer war klar, wofür sie ihn hochleben ließen. Für seine Bemühungen um Inklusion? Für seinen Trotz? Für seine Sprünge? "Markus, ein Autogramm", sagte ein Mann. "Klar", sagte Rehm. "Klasse Leistung", sagte der Mann.
https://www.sueddeutsche.de/sport/prothesen-weitspringer-markus-rehm-deutscher-meister-ausser-konkurrenz-1.2582334
mlsum-de-9635
Eine Zusammenarbeit der Geheimdienste sei notwendig, sagt Kanzlerin Merkel. Doch Streit mit der SPD will sie vermeiden - obwohl der Ärger über den Angriff von SPD-Chef Gabriel in der Union groß ist.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat trotz der BND-NSA-Affäre die Arbeit der Geheimdienste am Dienstag vehement verteidigt. Die CDU-Chefin sagte Teilnehmerangaben zufolge in der Sitzung der Unionsfraktion, Deutschland sei auf die internationale Kooperation der Geheimdienste angewiesen. Sie erinnerte an den Ursprung der Zusammenarbeit zwischen Bundesnachrichtendienst und NSA. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 habe man festgestellt, dass einige Attentäter aus der Bundesrepublik kamen. Die deutschen Sicherheitsbehörden alleine könnten den Schutz der Bürger nicht so sicherstellen, wie es wünschenswert sei, sagte Merkel. Die Geheimdienste bräuchten zudem die nötige politische Rückendeckung für ihre Arbeit. Damit rede sie aber keinen Regelverstößen der Dienste das Wort. Diesen müsse man natürlich nachgehen. Auf den Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel vom Montag ging die Kanzlerin vor der Fraktion nicht ein. Gabriel hatte in der Diskussion um die Rolle des BND den Blick gezielt auf die Kanzlerin gelenkt - und damit das Klima in der Koalition deutlich verschlechtert. Der SPD-Chef machte öffentlich, dass Merkel ihm gegenüber zweimal Fragen nach BND-Beteiligung an Wirtschaftsspionage gegen deutsche und europäische Firmen verneint habe. Merkel behauptet, das Koalitionsklima sei trotzdem "sehr sehr gut" Gabriel sagte zwar, er habe keine Zweifel an der Richtigkeit von Merkels Antworten. Sollte es aber doch Bespitzelungen europäischer Firmen gegeben haben, wäre das "eine schwere Belastung des Vertrauens in staatliches Handeln". Damit nahm Gabriel demonstrativ Merkel in die Verantwortung. Aus Unionssicht beging er mit seinem Bericht aus dem Gespräch auch einen Vertrauensbruch gegenüber der CDU-Chefin. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warf der SPD "schlechten Stil" vor. "Die linke Tour" Gabriels sei "ein peinliches Manöver" und Folge "der SPD-Umfragedepression". Der SPD-Chef verteidigte sein Vorgehen am Dienstag. In der Bundestagsfraktion sagte Gabriel, er wolle so auch verhindern, dass die SPD in diesen "Sumpf hineingezogen" werde. Es seien jetzt die bei der Aufklärung gefragt, die "seit zehn Jahren verantwortlich" für die Arbeit der Geheimdienste sind, so Gabriel mit Blick auf bald zehn Jahre, in denen die CDU Kanzlerin und Kanzleramtsminister stellt. Gabriel sagte am Abend im ZDF, die Regierung solle dem Bundestag Einsicht in die Suchbegriffe der NSA gewähren: "Das Parlament muss wissen, ob es bei der Kooperation mit der NSA einen Rechtsverstoß beim BND gegeben hat. Die Öffentlichkeit muss das auch wissen." Die Union bemühte sich, den Streit mit der SPD nicht zu befeuern. Angriffe wie der Scheuers blieben die Ausnahme. Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte: "Je aufgeregter die anderen sind, desto ruhiger sollten wir sein." Merkel sagte zu Radio Bremen sogar, SPD und Union würden "sehr, sehr gut zusammenarbeiten". Die Union glaubt, ihr würde die Eskalation des Streits mit der SPD nicht helfen. Scharfe Reaktionen auf Gabriels Vorstoß würden die Debatte um den BND nur verlängern. Daran habe die Union kein Interesse. Zudem würde andauernder Koalitionsstreit die Verständigung bei Themen erschweren, die der Union wichtig seien.
https://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienstaffaere-merkel-verteidigt-kooperation-mit-der-nsa-1.2466019
mlsum-de-9636
Volk und Königshaus in Saudi-Arabien hatten lange einen Deal: Petrodollars gegen Loyalität. Das Modell gerät nun ins Wanken.
Wenige Wendungen sind so abgedroschen wie die von den unermesslich reichen Ölscheichs mit ihren Petrodollars. Möglicherweise wird die Welt von dieser Vorstellung bald erlöst - die Saudis, die weltgrößten Erdölexporteure haben Geldprobleme. Weil der Ölpreis immer weiter fällt, hat das Königreich 2015 ein Haushaltsdefizit von 90 Milliarden Euro erlitten. Schon im Vorjahr hatten die Verwalter des Monarchen tiefrote Zahlen geschrieben, die Tendenz für das Jahr 2016 ist ebenfalls negativ. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat das Herrscherhaus in Riad bereits gewarnt, dass ihr Wohlfahrtsstaat bei einer gleichbleibend verschwenderischen Ausgabenpolitik in fünf Jahren pleitegehen könnte. Nun wollen König Salman bin Abdulaziz Al-Saud und sein für die Wirtschaft zuständiger Sohn und Vize-Kronprinz Mohamed Bin Salman drastisch sparen. Der Benzinpreis steigt ab sofort um bis zu 50 Prozent, die Subventionen für Wasser und Strom werden gekürzt. Zudem wollen die Herrscher Steuern und Abgaben erhöhen und Teile der ausufernden Staatswirtschaft privatisieren. Auch der Bau zahlreicher Großprojekte wie einer neuen Wirtschaftsstadt oder eines Finanzzentrums in der Hauptstadt Riad soll zeitlich zumindest gestreckt werden. Die vom Öl-Rentiersmodell über viele Jahrzehnte verwöhnten Saudis wird das mehr als nur ärgern: Grundlage der Herrschaft des Königs ist Wohlfahrtspolitik der Herrscher gegen Loyalität der Untertanen. König Salman bleibt dennoch optimistisch: "Unsere Wirtschaft hat das Potenzial, die Herausforderung zu bestehen." Ein weiterer Preisverfall ist möglich Ursache der Haushaltskrise - der Staat nahm in 2015 knapp 150 Milliarden Euro ein - ist der drastische Verfall des Ölpreises. Seit Mitte 2014 ist der Preis für das 159-Liter-Fass Rohöl um gut 60 Prozent gefallen. Derzeit kostet ein Barrel unter 40 Dollar. Ein weiterer Preisverfall ist möglich. Einzelne Fachleute halten einen Fasspreis von 20 Dollar für denkbar, moderatere Analytiker sagen einen Anstieg auf knapp 60 Dollar in den nächsten Jahren voraus. Reichen würde den Saudis auch das positive Szenario nicht. Der Ausgabenpolitik ihres Wohlfahrtsstaats und dazu noch der in den vergangenen Jahren sehr hohen Verteidigungsausgaben legten die Planer ursprünglich einen Preis von 100 Dollar pro Barrel Rohöl zugrunde. An solche Zahlen ist derzeit nicht zu denken. Riad ist selbst mitverantwortlich für die Misere seines wichtigsten und einzigen wirklichen Wirtschaftsguts: Der Erdölverkauf finanziert etwa 80 Prozent der Staatsausgaben. Seit die USA im großen Stil Schieferöl mittels der umstrittenen "Fracking-Methode" fördern, führt die Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) aber einen verheerenden Preiskrieg. Durch eine anhaltend starke Förderrate - und damit dank eines Überangebots immer billigeren Öls - soll das relativ teure Fracking auf Dauer unrentabel und dem US-Öl die Kundschaft streitig gemacht werden. "Es liegt nicht im Interesse der Opec-Produzenten, ihren Ausstoß zurückzufahren, egal wo der Preis steht", hatte vor einem Jahr Riads Ölminister Ali Al-Naimi gesagt: "Es spielt keine Rolle, ob der Preis auf 20, 40 oder 60 Dollar sinkt." Irans Rückkehr auf den Weltölmarkt verhindern Riad verfolgt mit dem Preiskrieg noch ein zweites, ein politisches Ziel. Die Saudis wollen Irans Rückkehr auf den Weltölmarkt verhindern. Nach dem internationalen Atomabkommen und der Aufhebung erster Sanktionen gegen die Islamische Republik könnten die Perser als ebenfalls sehr großer Rohölproduzent ihre heruntergewirtschafteten Förderanlagen nun modernisieren und so den Saudis auf dem Weltmarkt Konkurrenz machen. Da die beiden Nachbarstaaten politisch tief verfeindet sind, geben die Saudis im Ölpreiskrieg derzeit trotz wirtschaftlicher Nachteile nicht nach. Das geht auf Kosten der Staatsfinanzen und dürfte Folgen haben. Der ungeschriebene Staatsvertrag zwischen Herrscher und Bürger im bis heute gänzlich undemokratisch regierten Königreich besteht darin, dass die Bürger rundherum alimentiert werden. Subventionen für Energie, Benzin und Wohnraum belasten das Budget ebenso wie die zu hohen Gehälter für Staatsangestellte, die nur um den Preis politischen Unmuts gekürzt werden können. Das nur noch dem Hörensagen nach unendlich reiche Land hat zudem schon heute soziale Probleme. Gut zwei Drittel der Saudis sind unter 30 Jahren alt, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent. Es gibt längst zu viele arbeitslose Akademiker, Wohnraum ist knapp und zu teuer, die Zahl der Armen steigt in einem Land, in dem gleichzeitig geschätzt etwa 7000 Prinzen öffentlich einem aberwitzig luxuriösen Lebensstil frönen. All dies macht die nun angekündigten Sparmaßnahmen politisch riskant. Zumal Wirtschaftsreformen bisher oft genug angekündigt, aber nie wirklich umgesetzt wurden. Alle Versuche der Herrscher, ihr Land von der reinen Erdölproduktion zu einer stärker an Industrie und Dienstleistung orientierten Wirtschaft umzusteuern, trugen wenig Früchte. Abgesehen vom Mekka-Wallfahrtsgeschäft ist an Massentourismus nicht zu denken, auch dank der religiösen Vorschriften wie dem fünfmaligen Gebet, zu dem die Geschäfte selbst in Großstadt-Malls schließen müssen. Viel Arbeit wird bis heute von ausländischen Billigarbeitskräften aus Niedriglohnstaaten wie Pakistan gemacht. Auch gehobene Jobs werden an qualifizierte Ausländer vergeben. Die "Saudisierung" der Wirtschaft, also der Versuch, eigene Bürger auf anspruchsvollere Jobs zu setzten, kommt schleppend voran. Oft sind solche Stellen doppelt besetzt: Von einem Saudi für die Honneurs nach außen und einem Ausländer, der im Hintergrund die Arbeit macht.
https://www.sueddeutsche.de/politik/saudi-arabien-der-sprit-geht-aus-1.2800115
mlsum-de-9637
Deutschland hat es versäumt, aus früheren Flüchtlingsströmen zu lernen. In den USA gab es dagegen Feldexperimente, wie Kinder integriert werden können.
...ist Jeffrey-Cheah-Professorin und Co-Direktorin der Forschungsgruppe Evidence for Policy Design an der Harvard University. Die verbesserte Bereitstellung von Sozialleistungen ist Themenschwerpunkt ihrer Forschung. Sie arbeitet eng mit Regierungen verschiedener Länder zusammen, um durch innovative und handlungsorientierte Forschung die politische Entscheidungsfindung voranzutreiben. (Fotos: privat) ...ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der ESMT Berlin und Inhaberin des Karl-Heinz-Kipp-Lehrstuhls. Sie absolvierte ihre Promotion an der Cornell University und kam selbst als Auswanderin nach Deutschland. Ihr Forschungsgebiet liegt im Bereich der Entwicklungsökonomie. ...ist Professorin für Angewandte Mikroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin, mit dem Schwerpunkt Arbeitsmarktforschung. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich damit, wie Veränderungen am Arbeitsmarkt zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beitragen, insbesondere vor dem Hintergrund des technologischen Wandels und der Globalisierung. Deutschland hat sich für Menschen geöffnet, die vor Krieg oder Unruhen in ihren Heimatländern geflohen sind; das Land hat Menschlichkeit und Mut bewiesen. Nun gilt es, die daraus entstehenden Herausforderungen anzugehen: Wie können wir die Flüchtlinge erfolgreich in die Gesellschaft integrieren und ihnen schnell und unbürokratisch Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten bieten? Und wie kann Deutschland - ein Land, das sich mit den immer dringender werdenden Problemen des demografischen Wandels auseinandersetzen muss - vom Zuwachs junger, motivierter Arbeitskräfte profitieren? Das sollten wir eigentlich bereits wissen. Schließlich handelt es sich nicht um den ersten Flüchtlingsstrom, mit dem Deutschland konfrontiert wird. Systematische Untersuchungen darüber, welche Maßnahmen optimal für eine gelungene Integration sind, hätten schon lange durchgeführt werden können. Sie könnten nun als Basis dienen, um Integrationsstrategien zu diskutieren und Lösungskonzepte zur aktuellen Krise zu erarbeiten. Kurz: Sie würden eine evidenzbasierte Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ermöglichen. Eine Fokussierung auf wirksame Maßnahmen ist geboten - dies nicht nur vor dem Hintergrund knapper Ressourcen, sondern auch, weil es um die Lebenssituation und Zukunftschancen von Menschen geht. Wie wird etwa den etwa 300 000 Kindern im schulpflichtigen Alter, die 2015 in Deutschland eingetroffen sind, für eine Integration in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt notwendige Bildung garantiert? Es gibt viele Schulen, die für Flüchtlingskinder sogenannte "Willkommensklassen" eingerichtet haben, mit dem Ziel, diese Kinder in die regulären Klassen zu überführen, sobald sie über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Angesichts der hohen Zahl der Flüchtlinge und der beschränkten Aufnahmekapazitäten öffentlicher Schulen im Umkreis der Flüchtlingsunterkünfte stehen zunehmend aber auch Überlegungen zur Debatte, für Flüchtlingskinder gesonderte Schulen einzurichten. Der politische Diskurs wird dabei von Fragen der Finanzierung und der Kohärenz der zeitlichen Umsetzungspläne bestimmt. Bildungspolitische oder integrationspolitische Überlegungen hingegen stehen eher im Hintergrund. Mittel- bis langfristig ist jedoch die entscheidende Frage, welches Umfeld und welche schulischen Erfahrungen die Integration der Kinder am ehesten fördern: segregierte Beschulung oder Beschulung integriert mit den Kindern der einheimischen Bevölkerung. Allerdings kennen wir die Antwort darauf nicht beziehungsweise können nur auf vereinzelte retrospektive Untersuchungen zurückgreifen, deren Aussagekraft begrenzt ist. Es gilt, bei der Beantwortung der Frage eine Reihe von Aspekten zu beachten. So würde Flüchtlingskindern die Integration in das bestehende, laufende Schulsystem die Aufnahme in den Kreis von einheimischen Kindern und damit die soziale Integration erleichtern; Freundschaften und gegenseitiges Verständnis würden so gefördert. Möglich ist aber auch, dass Kinder aus geflüchteten Familien sich in einem solchen Umfeld als Außenseiter und somit unsicher oder sogar überfordert fühlen. Ebenso könnte es sein, dass ihre besonderen Bedürfnisse, beispielsweise in Bezug auf Sprachkenntnisse oder psychologische Betreuung, in segregierten Schulen gezielter aufgearbeitet werden können als in integrierten. Mit anderen Worten: Es fehlt uns in Deutschland für Antworten auf diese Fragen eine Evaluation der in der Vergangenheit getroffenen Maßnahmen im Hinblick auf die heutigen Herausforderungen. In den USA gab es ein Feldexperiment zur Integration von Kindern in die Gesellschaft Andere Länder sind weiter. In den USA wurde Mitte der 1990er-Jahre ein Experiment zur Integration von Kindern ethnischer Minderheiten durchgeführt. In Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus fünf amerikanischer Städte konnten die Bewohner an Lotterien teilnehmen und Gutscheine für Wohnungen in besseren Wohngegenden gewinnen. Das Experiment hieß "Moving to Opportunity", kurz MTO. Raj Chetty, Nathaniel Hendren und Lawrence Katz von der Harvard University haben die Lebensläufe der am MTO-Experiment beteiligten Kinder rund fünfzehn Jahre nach der Lotterie untersucht und festgestellt, dass der Umzug in die bessere Umgebung die Situation der Kinder hinsichtlich College-Ausbildung und Arbeitseinkommen stark verbessert hat. Ihr Jahresgehalt lag etwa dreißig Prozent über dem der Vergleichspersonen, die weiterhin in den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus wohnten. Der über die Lebenszeit aufsummierte geschätzte Effekt beträgt mehr als 300 000 Dollar pro Person. Dabei übersteigen die Steuerzahlungen der "Lotterie-Gewinner" die Kosten der Maßnahme, das heißt, die Maßnahme war mit einem gesellschaftlichen Gewinn verbunden. Doch die MTO-Umsiedelungen verbesserten nicht nur die ökonomischen, sondern auch die sozialen Bedingungen der betroffenen Kinder. Jeffrey Kling (National Bureau of Economic Research), Jens Ludwig (University of Chicago) und Lawrence Katz führten eine weitere Studie durch und wiesen nach, dass insbesondere die MTO-Mädchen weniger zu Gewaltverbrechen neigen als die Mädchen der Vergleichsgruppe. Natürlich sind die Rahmenbedingungen in Deutschland anders als in den USA, und auch die konkrete Situation ist eine andere. Die Studie soll als Beispiel dafür dienen, wie man mit sogenannten Feldexperimenten in den Sozialwissenschaften die Wirksamkeit von politischen Maßnahmen untersuchen kann, um damit sozialpolitische Probleme besser angehen zu können. In den kommenden Monaten und Jahren werden zahlreiche politische Entscheidungen getroffen werden müssen mit dem Ziel, die Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren. Diese Entscheidungen müssen gewährleisten, dass ihnen eine möglichst gute Perspektive gewährt wird, und dass Deutschland letztlich von ihrer Zuwanderung wirtschaftlich profitiert. Wo also sollen Flüchtlinge wohnen? Wie kann man sie in puncto Ausbildung und Arbeit unterstützen? Wo sollen die Kinder zur Schule gehen? Für die Mehrzahl der Fragen kennen wir nicht die optimale Antwort und die Erfolg versprechende Vorgehensweise. Gute Absichten allein genügen aber nicht, um sie zu beantworten; um politische Strategien zu entwickeln, brauchen wir Evidenz. Das setzt voraus, Datengewinnungsstrategien zu erproben und Maßnahmen so zu konzipieren, dass sie schnell und rigoros evaluiert werden können. Die so gewonnenen Erkenntnisse können dann von Anfang an bindend in die politischen Strategien und in die Förderung von Integration einbezogen werden. Nur auf diese Weise können wir lernen, wie sich die derzeit ankommenden und künftigen Flüchtlinge erfolgreich in die deutsche Wirtschaft und schließlich in die deutsche Gesellschaft integrieren lassen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/forum-forschungsluecke-1.3060739
mlsum-de-9638
Die einen nervt das Chaos, viele andere sind Fans: Wenige Themen bewegen die Berliner so sehr wie ihr alter Flughafen Tegel. Wie soll es mit ihm weitergehen, wenn irgendwann der Betrieb eingestellt wird? Vielleicht ja mit Start-ups, Sonnenenergie und eigenem Campus.
Als die riesige Halle bis auf den letzten Platz gefüllt ist, stellt der Moderator erst mal eine Frage ans Publikum. Wie viele Leute aus beruflichen Gründen auf dieser Konferenz seien, die sich mit der Zukunft des Flughafens Tegel beschäftigt. Zehn, fünfzehn Hände werden gehoben. "Und wer ist hier, weil er Bürger ist und sich einfach für Tegel interessiert?" Jetzt gehen fast alle Hände in die Höhe. Wenige Themen bewegen die Berliner Bevölkerung so sehr wie ihr alter Flughafen. Wobei Tegel vor allem Fans hat. Wegen seiner markanten sechseckigen Architektur, den kurzen Wegen und weil der Flughafen so nahe am Zentrum liegt. Dagegen, dass Tegel eines Tages geschlossen werden muss, hat sich im vergangenen Jahr eine Bürgerbewegung gebildet, die schließlich sogar einen Volksentscheid erzwungen hat. Bei der Abstimmung im vergangenen September sprachen sich dann 56 Prozent der Wählerinnen und Wähler dafür aus, dass Tegel bleibt, was es immer war: ein Flughafen. Folgen hatte das allerdings keine, das Ende des Flughafens ist seit Jahren besiegelt. So sieht das Planfeststellungsverfahren vor, dass der Airport spätestens sechs Monate nach der Inbetriebnahme des Hauptstadtflughafen BER still gelegt wird. Daran ist Gutachten zufolge juristisch nicht zu rütteln, politisch gewollt ist es auch nicht. Dazu kommt, dass Tegel schon seit 2004 keine Betriebsgenehmigung mehr hat, sondern nur noch eine Art Gnadenfrist. Umso glorioser soll nun die Zukunft sein, zumindest, wenn es nach den Plänen des Berliner Senats geht, die am Dienstagabend vorgestellt wurden Das merkt jeder Berliner spätestens, wenn er in Tegel starten oder landen muss. Der Airport platzt zwar schon seit Jahren aus allen Nähten, so schlimm wie in den vergangenen Wochen und Monaten war es allerdings noch nie. Die Gepäckförderanlage ist veraltet, weswegen immer wieder ein Kofferchaos ausbricht. Es fehlt an Bodenpersonal und Infrastruktur, was dazu führt, dass man als Fluggast schon mal vor dem Start oder nach der Landung eine Stunde im Flieger sitzt, weil kein Schleppfahrzeug kommt, die Fahrgasttreppe fehlt oder auf dem Flughafen schlicht niemand ans Telefon geht, wenn sich die Piloten aus dem Cockpit melden. Unter denen gilt Tegel längst als einer der nervigsten Flughäfen der Welt. Dazu kommt der Fluglärm. 300 000 Berliner sind nach Angaben der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz davon betroffen, mehr als in jeder anderen deutschen Stadt. Umso glorioser soll nun die Zukunft sein, zumindest, wenn es nach den Plänen des Berliner Senats geht, die am Dienstagabend vorgestellt wurden. Eine alte Industriehalle, in der sonst die Technische Universität Experimente vornimmt, wurde dazu in eine Mischung aus Messezentrum und Partylocation verwandelt. Stände sind aufgebaut, an den Wänden hängen Pläne, dazwischen kann man zwischen grünen Netzen Drohnen steigen lassen. Rosa Beleuchtung und Technomusik, während auf einer riesigen Leinwand Filme abgespielt werden. Auf denen ist visualisiert, was Tegel demnächst sein soll: eine Mischung aus Stadtquartier, Technologie-Park und Grünanlage nämlich. Man sieht, wie in die Hallen die Beuth-Hochschule für Technik mit eigenem Campus einzieht, dazu sollen sich Start-ups und Technologie-Unternehmen unter dem Titel "Urban Tech Republic" ansiedeln. Es soll Büros und Gewerbe geben, in einem Hangar hätte die Berliner Feuerwehr gerne eine Ausbildungsstätte. Und da ist noch das Schumacher-Quartier: ein Areal mit 5000 Wohnungen, in dem klimafreundlich gelebt werden soll, mit Sonnenenergie, begrünten Fassaden, einem riesigen Park, Radwegen und Ladestationen für die Elektroautos. "Im Jahr 2020 werden die Bagger kommen", sagt Philipp Bouteiller, der Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH. Das Publikum hört sich alles an, geht von Stand zu Stand, diskutiert mit den Berliner Politikerinnen, die auf den Podium sitzen. Denn nicht alle Tegel-Fans sind mit diesen Ideen einverstanden. Die einen finden, es würden viel zu wenige Wohnungen gebaut, zudem soll der Senatorin für Stadtentwicklung zufolge auch nur ein Teil davon gefördert sein. Andere hätten lieber mehr Platz für die Unis oder generell mehr Freiraum. Die Leute von der Berliner Clubcommission, einer Art Lobbyvereinigung des Berliner Partyvolks, fürchten wiederum, dass hier "nach Feierabend alles tot sein" könnte und fordern, dass auch Clubs in die Quartiere einziehen. Den ganzen Abend schwirren Worte wie "Smart City", "Internet der Dinge", "Blockchain" oder "autonomes Fahren" durch den Raum, Begriffe aus der Welt des Hightech, die in großem Kontrast zu dem stehen, was beim Thema Flughafen in Berlin der Ist-Zustand ist. Denn da ist schließlicher dieser riesige Elefant im Raum: All dies ist nur möglich ist, wenn der Hauptstadtflughafen BER tatsächlich im Jahr 2020 eröffnet wird, wofür manches spricht, aber das dachte man ja auch schon 2012, 2013, 2016 und 2018. Gesprochen wird darüber nur wenig, das B-Wort wird tunlichst vermieden.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/berliner-flughafen-unser-taeglich-tegel-1.4201660
mlsum-de-9639
Die kaum an der Börse gehandelte Stammaktie von VW machte am Freitag einen kräftigen Satz nach oben. Kauft da etwa die Porsche Holding?
Es geht wieder aufwärts bei Volkswagen, zumindest an der Börse. Um die 105 Euro pendelte am Freitag die VW-Vorzugsaktie, kein Vergleich zwar zu den gut 160 Euro, die sie unmittelbar vor dem Diesel-Skandal wert war, aber doch deutlich über dem Tief von 86 Euro, die am Freitag vor einer Woche erreicht war. "Die Anleger sind offensichtlich zuversichtlicher geworden, dass VW diese Krise durchsteht", sagt Analyst Frank Biller von der Landesbank Baden-Württemberg. Und, bemerkenswert, sie sind zuversichtlich, obwohl die Kernmarke von Volkswagen, die Automarke VW, in diesem Geschäftsjahr wohl in die roten Zahlen rutschen wird. Ein Gewinn dürfte "natürlich schwierig werden" angesichts der Rückstellung von 6,5 Milliarden Euro, heißt es aus Konzernkreisen. Zumal diese 6,5 Milliarden Euro wohl nicht reichen werden; Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen und möglichen Kfz-Steuer-Nachzahlungen dürften sich insgesamt auf eine deutlich zweistellige Milliardensumme belaufen. Der Sportsponsoring wird wohl gekürzt. Allerdings nicht für den VfL Wolfsburg Auf den absehbaren Gewinneinbruch haben die Kommunen in Werksstandorten bereits reagiert und angesichts der damit verbundenen Steuerausfälle Haushaltssperren verhängt, allen voran Wolfsburg. Zudem verdichten sich die Hinweise, dass das großzügige Sportsponsoring zurückgeschraubt wird. "Wir schauen uns in dieser schwierigen Zeit natürlich alle Themen an", heißt es aus dem Konzern. Es geht dabei wohl nicht so sehr um die 100-prozentigen Konzerntochter VfL Wolfsburg, die dem Vernehmen nach etwa 90 Millionen Euro jährlich erhält , sondern um "die 15, 20 anderen Vereine", die derzeit umfangreich gesponsort werden. Angezogen haben von VW indes die VW-Stammaktien, die Anteile also, die mit einem Stimmrecht am weltweit größten Autobauer verbunden sind. Über diese Aktien wird Macht ausgeübt - und die Mehrheit liegt bei der Porsche SE: 52,2 Prozent der VW-Stammaktien hält diese Finanzholding, die von den Familien Porsche und Piëch dominiert wird und die vor wenigen Tagen 1,5 Prozent der Aktien dazu kaufte, als "Bekenntnis" zu Volkswagen. Ob der Kurssprung der Stammaktien am Freitag - um zwischenzeitlich 15 Prozent ging es nach oben- an Zukäufen durch die Porsche Holding lag oder gar an Zukäufen durch die Familien Porsche oder Piëch, das war unklar. Die kalifornische Umweltbehörde hat unterdessen ein Ultimatum für eine technische Lösung gesetzt. Bis zum 20. November habe VW Zeit, einen Plan vorzulegen, wie die betroffenen Diesel-Fahrzeuge nachgerüstet werden können, sagte ein Sprecher der kalifornischen Behörde gegen Luftverschmutzung CARB am Freitag. Angeblich könnte auch die Stilllegung der Autos drohen, wenn es keine technische Lösung gibt. In den USA geht es um insgesamt 500 000 manipulierte Fahrzeuge.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vw-an-der-boerse-mysterioeser-kurssprung-bei-der-volkswagen-aktie-1.2685133
mlsum-de-9640
Thailand trauert um seinen gottgleich verehrten König Bhumibol. Für die Bewohner beginnt eine ungewisse Zukunft. Die Junta regiert das Land, und die Demokratie liegt in Trümmern.
Schon immer haben diese knapp gehaltenen Nachrichten für Panik im Land gesorgt. Voller Furcht schauten die Thailänder in den vergangenen Tagen auf die Bulletins, die aus dem Bangkoker Siriraj-Krankenhaus kamen, immer kurz gehalten, nüchtern in Form und Sprache. Eine Nation hielt den Atem an, das Land fürchtete sich vor dem Moment, in dem "wir alleine sein könnten", wie es ein Bewohner Bangkoks ausgedrückt hat. Nun ist dieser Moment gekommen, nun gibt es nur noch ein Thema in dem südostasiatischen Land: Bhumibol Adulyadej, der am längsten regierende Monarch der Welt, ist tot. Er sei am Donnerstag "friedlich entschlafen", teilte der Palast mit, er wurde 88 Jahre alt. Überall versammelten sich die Menschen, weinend und wie unter Schock; allein vor dem Krankenhaus hatten Hunderte Tag und Nacht betend ausgeharrt. Der Gesundheitszustand des Monarchen allerdings war schon seit Jahren immer wieder mal kritisch gewesen. Es ist noch nicht abzusehen, wann sich Thailand nun die alles entscheidende Frage stellen wird: Wie geht es weiter nach dem übermächtigen Bhumibol? Das alte System, in dem königstreue Eliten und das Bangkoker Establishment den Ton angeben und die Demokratie sich nicht weiterentwickelte, gerät ins Wanken. Im Alter von 18 Jahren bestieg Bhumibol den Thron Am 9. Juni 1946 bestieg Bhumibol Adulyadej den thailändischen Thron. Eigentlich sollte sein in Heidelberg geborener älterer Bruder, König Ananda Mahidol, die Chakri-Dynastie fortführen. Doch der wurde eines Morgens mit einem Einschussloch in der Stirn aufgefunden. Ein Pathologe, der den Fall untersuchen sollte, kam zu dem Schluss, es habe sich um einen Mord gehandelt. Zwei Pagen und ein Sekretär aus dem Palast wurden der Tat bezichtigt und hingerichtet. Aber dies habe einen der "tragischsten Momente" in der Geschichte des Landes nicht abschließend klären können, heißt es in einer Biografie über das Leben Bhumibol Adulyadejs. Bis heute ist das die offizielle Lesart. Nach dem Tod des Bruders bestieg Bhumibol Adulyadej im Alter von 18 Jahren den Thron und begann einen sagenhaften Aufstieg. Der König wurde in Thailand wie ein Halbgott verehrt, als Monarch geliebt, der die Nation einte. Niemand im selbsternannten "Land des Lächelns" genoss mehr Autorität als der in Boston geborene und in der Schweiz aufgewachsene Bhumibol. Thailands politische Landschaft ist extrem polarisiert, dieser Konflikt hat sich zu Lebzeiten Bhumibols mehrmals in gewaltsamen Straßenschlachten entladen. Vertreter des alten Establishments aus dem Militär, hochmögende Vertraute des Königshauses und steinreiche Familien stehen auf der einen Seite - und sozial Benachteiligte, die sich um den 2006 aus dem Amt geputschten, zwielichtigen Premierminister Thaksin Shinawatra scharten, auf der anderen Seite. Früher hat sich der König in die Konflikte noch eingemischt. Etwa im Jahr 1992, als das Militär auf Demonstranten in Bangkok schoss. Der Monarch ließ die Vertreter der verfeindeten Parteien zu sich in den Palast kommen. Fernsehaufnahmen zeigen den denkwürdigen Moment: Die beiden Anführer knien voller Ehrfurcht wie zwei Schuljungen vor ihrem König, der sie zur Mäßigung aufruft. Bald danach waren die Proteste beendet.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/tod-von-koenig-bhumibol-das-ende-einer-liebe-1.3203854
mlsum-de-9641
Viele Kunden in Deutschland zahlen für ihr Girokonto mehr als nötig. Dabei genügt oft das günstigere Angebot der Hausbank.
Detailansicht öffnen Früher füllte man Überweisungszettel aus, heute regeln viele Menschen ihre Bankgeschäfte über mobile Geräte. (Foto: Stefan Wermuth/Reuters) Wenn es um ihr Girokonto geht, sind Bankkunden treue Seelen. Nicht selten regen sie sich über neue Gebühren, geschlossene Filialen oder die miese Beratung auf - bei einem anderen Institut fremdzugehen, kommt für die meisten trotzdem nicht infrage. Vielen Girokonto-Nutzern ist das zu kompliziert und zu zeitaufwendig, obwohl Banken schon seit zwei Jahren verpflichtet sind, bei so einem Wechsel zu helfen, und dafür auch neue junge Firmen wie Kontowechsel 24 ihre Dienste anbieten. Dabei geht es auch einfacher. Man kann auch bei seiner Hausbank bleiben und trotzdem eine Menge Gebühren sparen, wenn man ein günstigeres Kontomodell wählt. Das zeigt jetzt eine neue Studie des Düsseldorfer Finanzexperten Udo Keßler für die Süddeutsche Zeitung. Keßler, der einst für die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen tätig war, verglich dafür die Konditionen von fünf überregional präsenten Geldhäusern, drei Direktbanken sowie 15 Sparkassen und Genossenschaftsbanken, unter anderem in Berlin, Frankfurt am Main, München, Nürnberg und Augsburg. Das Ergebnis: Wer bislang ein klassisches Girokonto mit vollem Filialservice gewählt hat und stattdessen zum reinen Online-Angebot seiner Hausbank wechselt, zahlt im Durchschnitt nicht mehr 110 Euro pro Jahr, sondern 56 Euro. Keßlers Umfrage bei den Geldhäusern zeigt: Man könnte Bankkunden mit Autofahrern vergleichen, die bei höherer Geschwindigkeit aus Bequemlichkeit im fünften Gang fahren, obwohl sie im sechsten weniger Sprit verbrauchen würden. So haben laut der Umfrage im Durchschnitt knapp zwei Drittel der privaten Kunden einer Filialbank ihr Girokonto für das Online-Banking freischalten lassen. Sie erledigen also ihre Bankgeschäfte von unterwegs aus mit Smartphone oder Laptop oder von zu Hause aus mit dem Computer. Doch fast jeder Zweite von ihnen bleibt auch im digitalen Zeitalter dem teureren klassischen Modell des Girokontos treu, in dem sich zum Beispiel Daueraufträge noch persönlich in der Bank problemlos ändern lassen. Viele Kunden von Sparkassen und Genossenschaftsbanken halten am teureren Kontoklassiker fest Vor allem die Kunden der Sparkassen und Genossenschaftsbanken halten an dem Kontoklassiker fest. Bei diesen Regionalbanken haben sich im Durchschnitt 60 Prozent fürs Online-Banking angemeldet. Aber etwa die Hälfte zahlt weiter für das klassische, teurere Kontenmodell. Nicht ganz so groß ist die Kluft bei den überregional tätigen Banken: Dort haben sich der Umfrage zufolge bereits zwei von drei fürs Online-Banking angemeldete Kunden für das günstigere, reine Online-Konto entschieden. Nun könnte man argumentieren, die Kunden melden sich fürs Online-Banking an - und nutzen es dann doch nicht, etwa weil sie keine Lust haben, am heimischen PC Rechnungen zu überweisen und dafür mit Tan-Nummern zu hantieren. Dem ist aber nicht so: Übereinstimmend berichten etliche Institute in ihren Antworten, dass die Zahl derjenigen, die ihr Konto erst freischalten lassen und danach ihre Bankgeschäfte gar nicht online abwickeln, zu vernachlässigen sei. Ein hausinterner Kontentausch wäre also gut möglich. Was aber ließe sich damit genau sparen? Finanzexperte Keßler hat bei Geldhäusern mit mehr als einer Girokonto-Variante das günstigste klassische Filialmodell mit Girocard (früher EC-Karte) und einer Standard-Kreditkarte ausgewählt. In der monatlichen Pauschale fürs Girokonto müssen dabei auch die Gebühren für beleghafte Überweisungen und in der Filiale erteilte Daueraufträge enthalten sein. Auch bei den Online-Konten pickte sich der Autor der Analyse die preiswerteste Variante mit dem Karten-Duo des jeweiligen Instituts heraus. Der Paketpreis muss dabei sämtliche Online-Buchungen enthalten, inklusive des kostenlosen Abhebens von Bargeld an Automaten der Bank sowie digitaler Kontoauszüge im elektronischen Postfach. Demnach kostete ein klassisches Filialkonto mit beiden Karten bei den untersuchten 20 Filialbanken Mitte September 2018 zwischen 63,80 und 145,88 Euro im Jahr (Tabelle), durchschnittlich sind es 110 Euro. Bei denselben Filialbanken gibt es aber fast immer auch die abgespeckten Online-Konten mit beiden Karten für im Durchschnitt etwa die Hälfte. "Über mehrere Jahre kann da schon einiges zusammenkommen", sagt Keßler. Knapp 88 Euro jährlich können Kunden der Stadtsparkasse München zum Beispiel sparen, wenn sie das klassische Privatgirokonto Komfort gegen das Online-Konto tauschen. Bei der Santander Bank sind es sogar fast 146 Euro Ersparnis. Manche Geldhäuser verlangen schon ,,Strafgebühren" für beleghafte Überweisungen Wer den unbequemeren Weg geht und zu einem anderen Geldhaus wechselt, kann jedoch oft mehr herausholen als durch einen hausinternen Tausch. Nach Angaben des Ratgeberportals Biallo.de bieten derzeit 29 Institute ein komplett kostenloses Girokonto an. Sie verlangen also weder eine monatliche Grundgebühr noch Geld für Girocard und Überweisungen, ohne dafür auf einen Geldeingang in bestimmter Höhe zu bestehen. Das gilt auch für die von Keßler untersuchten Direktbanken Comdirect, Deutsche Kreditbank (DKB) und die ING-Diba. "Wer dorthin wechselt, spart auf einen Schlag sämtliche Pauschalgebühren, vorausgesetzt, der Kunde hält sich an die Spielregeln des Online-Banking", sagt der Studienautor. Wechselwillige, die vom Girokonto mit Filialbankservice zum reinen Online-Konto übergehen wollen, sollten dessen Bedingungen gut kennen. Das raten auch Verbraucherschützer. Sonst kann es sehr teuer werden. Denn wer trotzdem sich etwa Bargeld am Schalter beschafft, Überweisungen auf Papier abgibt oder Kontoauszüge am bankeigenen Drucker herauslässt, wird extra abkassiert. Die meisten Filialbanken berechnen zum Beispiel für eine Überweisung auf Papier zwischen 1,50 und 2,50 Euro - und das jedes Mal. Seit Kurzem verlangt auch die ING-Diba für einen telefonisch oder schriftlich eingereichten Dauerauftrag 2,50 Euro. Die Comdirect nimmt gar 4,90 Euro für jeden beleghaften Auftrag. Solche Extra-Aufschläge würden die Banken in Zukunft wohl noch häufiger erheben, vermutet Keßler. Er spricht von "Strafgebühren zur Abschreckung".
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bankkonto-ein-kleiner-schritt-reicht-1.4147230
mlsum-de-9642
Ammoniumnitrat und eine unbekannte Substanz: Ermittler finden bei einem radikalen Islamisten hochgefährliche Stoffe. Spezialisten führten eine kontrollierte Sprengung durch.
Bei einem der in Nordrhein-Westfalen verhafteten mutmaßlichen Salafisten haben die Fahnder hochgefährliche Substanzen gefunden. Das berichteten Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Experten des Landeskriminalamtes fanden einen unbekannten Stoff in der Bonner Wohnung des Verdächtigen und ließen ihn kontrolliert explodieren. Ein Spezialist war hinzugezogen worden, weil bereits am Vortag in derselben Wohnung Ammoniumnitrat entdeckt worden war. Diese Chemikalie gilt als sehr explosiv, allerdings wurde kein Zünder gefunden. Um welchen Stoff es sich bei dem zweiten Fund handelt, wird noch untersucht. Der Verdächtige ist einer von vier den radikalen Islamisten zugerechneten Männern, die den Ermittlern zufolge Anschläge auf Mitglieder der rechtsextremen Splitterpartei Pro NRW geplant haben sollen. Auch die Wohnungen der anderen Verdächtigen wurden weiter durchsucht. Alle vier sitzen in Haft und schweigen. In der Bonner Wohnung war am Donnerstag auch eine funktionsfähige Pistole gefunden worden. Die vier Salafisten im Alter zwischen 23 und 43 Jahren, die in der Nacht zum Mittwoch festgenommen worden waren, sitzen in verschiedenen Haftanstalten. Sie sollen Anschläge auf Mitglieder der rechtsextremen Partei Pro NRW geplant haben. Zwei von ihnen waren in der Nähe des Hauses des Pro-NRW-Vorsitzenden Markus Beisicht in Leverkusen beobachtet worden. Sie waren unbewaffnet. Pro NRW hat Muslime in der Vergangenheit gezielt provoziert, etwa durch das Zeigen von Mohammed-Karikaturen vor Moscheen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/nach-razzien-in-nordrhein-westfalen-noch-mehr-sprengsubstanzen-bei-salafisten-gefunden-1.1626072
mlsum-de-9643
Ein Preis für Doktoranden, ein Masterstudiengang zum Thema Arbeitsgesundheit, ein Seminar über Zeitmanagement - Veranstaltungen rund um Ausbildung und Arbeitswelt.
Preis für Doktorarbeiten. Wer im Jahr 2016 mit einem exzellenten Ergebnis promoviert hat, kann sich bis zum 1. März 2017 um den Deutschen Studienpreis bewerben. Für Forschungsbeiträge von herausragender gesellschaftlicher Bedeutung vergibt die Körber-Stiftung jedes Jahr Gesamtpreise im Wert von mehr als 100 000 Euro, darunter drei Spitzenpreise à 25 000 Euro. Die Ausschreibung richtet sich an junge Forscher aller wissenschaftlichen Disziplinen, die mit magna cum laude oder summa cum laude promoviert haben. Es gibt keine Altersbeschränkung. Einzureichen ist ein verständlicher Text von bis zu 40 000 Zeichen. Tel. 040- 808 19 21 43, www.koerber-stiftung.de Master zu Arbeitsgesundheit. Die Hochschule für Gesundheit in Bochum startet zum nächsten Wintersemester den Masterstudiengang "Gesundheit und Diversity in der Arbeit". Er wird zunächst als Teilzeitangebot aufgelegt und dauert sechs Semester. Ein Jahr später folgt die Vollzeit-Variante. Die Studenten sollen sich damit auseinandersetzen, wie die Interessen von Mitarbeitern verschiedenen Alters und mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund in Einklang gebracht werden können. Die Absolventen sollen in Betrieben und öffentlichen Institutionen als Berater arbeiten können. Tel. 0234-77 72 73 79, www.hs-gesundheit.de Seminar zu Zeitmanagement. Auf dem Schreibtisch und in der Mailbox häufen sich die unerledigten Aufgaben, der Berg an Arbeit scheint ins Unermessliche zu wachsen. Jeder Berufstätige lernt im Laufe seines Berufslebens mehr oder weniger gut in der vorgesehenen Zeit die anfallenden Arbeiten zu erledigen. Welche Methoden dabei helfen, Termine einzuhalten, ist Thema des Seminars "Zeitmanagement - Kurzlehrgang für den schnellen Erfolg", das die Ebam-Akademie am 13. Januar 2017 in München anbietet. Tel. 089-54 88 47 91, www.ebam.de
https://www.sueddeutsche.de/karriere/terminkalender-weiterkommen-1.3295936
mlsum-de-9644
Während des Grand-Slam-Turniers in Melbourne in diesem Jahr wurde eine mittlerweile verbotene Substanz im Körper der 28-Jährigen gefunden. Sie ist vorläufig suspendiert.
Tennis-Superstar Maria Scharapowa ist bei den Australian Open im Januar positiv auf die verbotene Substanz Meldonium getestet worden. Das gab die 28 Jahre alte Russin am Montag in Los Angeles auf einer extra einberufenen Pressekonferenz bekannt. Scharapowa erklärte, eine Änderung in den Doping-Regularien der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA sei für den Verstoß verantwortlich. Die WADA hatte die Substanz zum 1. Januar dieses Jahres auf die Verbotsliste gesetzt. Scharapowa wird nach Angaben ihres Anwalts auf die Öffnung der B-Probe verzichten. Das sagte John Haggerty New York Times. Der Tennis-Weltverband ITF teilte mit, dass die 28 Jahre alte Russin vom 12. März an vorläufig suspendiert werde. Über die Dauer der Sperre ist noch nichts bekannt. "Ich will meine Karriere so nicht beenden" "Ich habe einen Fehler gemacht und meine Fans und meinen Sport im Stich gelassen", sagte Scharapowa: "Ich will meine Karriere so nicht beenden, ich hoffe, ich bekomme noch eine weitere Chance." Sie könne niemand anderes als sich selbst für den positiven Test verantwortlich machen, sie habe die neue Liste der WADA nicht gelesen. Nach der Ankündigung der Pressekonferenz wenige Tage vor dem Start des Turniers in Indian Wells hatten zahlreiche Medien über Scharapowas Rücktritt spekuliert. Die frühere Weltranglistenerste war in ihrer Karriere oft vom Verletzungspech verfolgt und spielte in den letzten acht Monaten nur drei Turniere. "Wenn ich einmal meine Karriere beende, dann nicht in solch einem Hotel in Down Town Los Angeles mit so einem hässlichen Teppich", sagte Scharapowa mit einem Anflug von Galgenhumor.
https://www.sueddeutsche.de/sport/maria-scharapowa-bei-australian-open-positiv-getestet-1.2896906
mlsum-de-9645
Matthias Rath und Totilas starten in Aachen nicht in der Kür. Franz Reindl ist neuer Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes. Der spanische Stürmer Alvaro Morata wechselt von Real zu Juve.
Reitsport, Aachen: Totilas wird am Sonntag beim CHIO in Aachen nicht in der Kür starten. Nach acht Starts seit dem Comeback vor zwei Monaten soll das Dressurpferd eine Pause erhalten. "Nach Absprache mit dem Trainer und der Familie wird er nicht antreten", sagte Bundestrainerin Monica Theodorescu am Samstag. Matthias Rath hatte bei acht Starts seit der Rückkehr in den Turniersport acht Siege gefeiert. Zuvor hatte das Paar zwei Jahre lang pausiert. Durch den Verzicht kann Kristina Sprehe mit Desperados die Kür reiten. Weitere deutsche Starter sind Helen Langehanenberg aus Billerbeck mit Damon Hill und Isabell Werth aus Rheinberg mit Bella Rose. Tennis, Bastad: Fed-Cup-Spielerin Mona Barthel (Bad Segeberg) hat im schwedischen Bastad mit einem Kraftakt erstmals in diesem Jahr das Finale eines WTA-Turniers erreicht. Gegen die Spanierin Silvia Soler-Espinosa gewann die 24-Jährige nach 2:24 Stunden mit 6:2, 4:6, 7:5. Am Sonntag kämpft Barthel gegen Chanelle Scheepers (Südafrika) um ihren dritten Titel auf der Tour. Nach einer starken Vorstellung im ersten Satz hatte die Weltranglisten-61. im zweiten Durchgang einige Probleme mit ihrer zwei Jahre älteren Gegnerin. Im entscheidenden dritten Satz kassierte Barthel ein Break zum 2:4, kämpfte sich aber zurück und hatte am Ende die größeren Kraftreserven. Durch den Einzug in ihr ingesamt viertes Finale auf der WTA-Tour hat Barthel ein Preisgeld von 21.400 Dollar (15.825 Euro) sicher. Titel hat die Rechtshänderin bisher im australischen Hobart (2012) und in Paris (2013) gewonnen. In Bastad waren zuvor Julia Görges (Bad Oldesloe), Annika Beck (Bonn), Laura Siegemund (Filderstadt) und Dinah Pfizenmaier (Bochum) ausgeschieden. Eishockey, DEB: Franz Reindl ist neuer Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). Die Mitglieder wählten den 59 Jahre alten Ex-Nationalspieler am Samstag in Frankfurt/Main mit 73,5 Prozent der Mitgliederstimmen zum Nachfolger des umstrittenen Uwe Harnos. Der 53 Jahre alte Harnos hatte zuvor überraschend seine Kandidatur zurückgezogen. Einen Gegenkandidaten für Reindl gab es danach nicht mehr. Reindl nahm das Amt vor der Wahl der Vize-Präsidenten an. Fußball, Transfer: Der spanische Fußball-Stürmer Alvaro Morata wechselt von Real Madrid zum italienischen Meister Meister Juventus Turin. Der 21-Jährige unterschrieb bei Juve einen Fünfjahresvertrag, wie der Club aus der Serie A am Samstag mitteilte. Juventus zahlt an den spanischen Traditionsclub eine Ablösesumme von 20 Millionen Euro. Real besitzt jedoch die Option, den Youngster nach einem oder zwei Jahren für rund 30 Millionen Euro zurückzukaufen. Dabei kommt es darauf an, wie viele Spiele der Angreifer absolviert. Morata könnte bei Juventus eine Alternative zu Carlos Tevez und Fernando Llorente im Sturm sein. Der neue Juve-Trainer Massimiliano Allegri soll auch Interesse am argentinischen Mittelfeldspieler Roberto Pereyra von Udinese haben. Volleyball, Europaliga: Die deutschen Volleyballerinnen haben die erfolgreiche Titelverteidigung in der Europaliga verpasst. Das Team von Bundestrainer Giovanni Guidetti unterlag am Samstag in Rüsselsheim der Türkei mit 1:3 Sätzen (19:25, 23:25, 25:20, 20:25). Bereits im Hinspiel hatte sich das Team vom Bosporus mit 3:1 durchgesetzt. Das Finale war bereits nach den ersten beiden Sätzen entschieden. Das junge Team des Deutschen Volleyball-Verbandes hätte mit 3:0 oder 3:1 gewinnen müssen, um die Titelverteidigung im sogenannten "golden set" noch möglich zu machen. 2. Bundesliga, Testspiel: Fußball-Zweitligist RasenBallsport Leipzig hat am Freitag ein internationales Testspiel gegen Paris Saint-Germain gewonnen. Der Aufsteiger siegte gegen den stark ersatzgeschwächten französischen Meister 4:2 (1:2). Vor 35 796 Zuschauern trafen Terrence Boyd (25.), Yussuf Poulsen (50.), Denis Thomalla (64.) und Stefan Hierländer (76.) für Leipzig. Hervon Ongenda (10.) und Jean-Christophe Bahebeck (27.) hatten die Gäste zweimal in Führung gebracht. PSG-Trainer Laurent Blanc musste auf 13 Nationalspieler, darunter elf WM-Fahrer verzichten. Superstar Zlatan Ibrahimovic spielte eine Halbzeit. Bei RB Leipzig stand zwei Wochen vor dem Saisonstart gegen den VfR Aalen mit dem US-Amerikaner Boyd ein Neuzugang in der Startformation. In der zweiten Halbzeit wechselte Trainer Alexander Zorniger komplett durch. Trotzdem konnte Leipzig, das schon in der ersten Halbzeit mehr Chancen und Spielanteile hatte, die Partie noch drehen. Bei Paris schwanden dagegen bei hohen Temperaturen spürbar die Kräfte. Fechten, WM: Florett-Ass Peter Joppich hat eine bittere Niederlage hinnehmen müssen. Der viermalige Einzel-Weltmeister aus Koblenz unterlag bei der WM in Kasan/Russland dem international nahezu unbekannten Russen Timur Safin unter den besten 32 mit 6:15. Sebastian Bachmann überraschte positiv: Der Vorjahressiebte aus Tauberbischofsheim schaltete in Runde zwei Titelverteidiger Miles Chamley-Watson (USA) mit 15:7 aus und steht im Achtelfinale. Beim Weltchampionat 2013 in Budapest hatte sich Bachmann dem späteren Gesamtsieger Chamley-Watson nach umstrittenen Entscheidungen im Viertelfinale noch mit 14:15 beugen müssen. Der deutsche Meister Moritz Kröplin aus Bonn scheiterte in Kasan in Runde eins mit 3:15 an dem Franzosen Erwann le Pechoux. Mit klaren Achtelfinalniederlagen beendeten Katja Wächter und Anne Sauer ihre Auftritte. Wächter, Olympia-Achte von 2008, war gegen Italiens EM-Zweite Martina Batini beim 3:15 chancenlos. Die EM-Siebte Sauer unterlag der Olympia-Fünften Lee Kiefer aus den USA 9:15. Die Wege des Tauberbischofsheimer Quartetts hatten sich früh getrennt. Die Vorjahreszweite Carolin Golubytskyi verlor unter den besten 64 gegen Kelleigh Ryan (Kanada) 11:15. Sandra Bingenheimer schied trotz hoher Führung mit 14:15 nach Verlängerung gegen Gabriella Varga (Ungarn) gleichfalls in Runde eins aus. Golf, British Open: US-Open-Sieger Martin Kaymer ist auch am dritten Tag der 143. British Open im Royal Liverpool Golf Club hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Bei wechselhaften Wetterbedingungen spielte der 29-Jährige aus Mettmann auf dem Par-72-Kurs wie am Freitag eine Runde auf Platzstandard und konnte mit insgesamt 217 Schlägen nicht nennenswert zum vorderen Mittelfeld aufschließen. Dabei begann der Tag für den früheren Weltranglistenersten mit einem Birdie an seinem ersten Loch verheißungsvoll. Angesichts von vier Bogeys waren aber auch zwei Birdies zum Abschluss nicht mehr als Ergebniskosmetik. Vor dem Schlusstag hat Kaymer damit keine Chance mehr, sein bestes Open-Ergebnis aus dem Jahr 2010 zu toppen. Damals wurde er im schottischen St. Andrews Achter. An der Spitze musste der Nordire Rory McIlroy nach zwei 66er-Runden zuvor um seine Führung bangen. Der zweimalige Major-Sieger spielte auf seinen ersten elf Löchern einen Schlag unter Par, während sein ärgster Verfolger Rickie Fowler (England) zum gleichen Zeitpunkt sechs Schläge unter Platzstandard lag und sich McIlroy immer weiter annäherte. Wie Kaymer trat auch US-Superstar Tiger Woods auf der Stelle. Durch ein Doppel-Bogey an Loch elf machte der langjährige Branchenprimus nicht nennenswert Boden gut. Wegen einer Schlechtwetterwarnung mit Gewittern wurde erstmals in der Open-Geschichte von zwei Tees gespielt, sodass alle Starter bereits am späten Nachmittag das Klubhaus erreichen sollten. Fußball, Transfer: Der Wechsel des senegalesischen Stürmer Demba Ba vom FC Chelsea zum türkischen Erstligisten Besiktas Istanbul ist perfekt. Der frühere Bundesliga-Profi der TSG 1899 Hoffenheim erhält beim türkischen Traditionsclub einen Vierjahresvertrag und soll pro Saison 2,5 Millionen Euro plus einer 10 000 Euro-Prämie für jedes absolvierte Spiel verdienen. Besiktas gab am Freitag bekannt, dass es sechs Millionen Euro an den englischen Premier-League-Club zahlen wird. Bereits am Mittwoch hatte sich der 29-Jährige einem Medizin-Check unterzogen. Derzeit befindet sich Ba mit der Mannschaft in einem Trainingslager im englischen Leeds. Ba sagte: "Besiktas ist ein großartiger Verein und ich will ein Teil davon sein." Der Stürmer hat es in der vergangenen Saison nicht geschafft, sich bei Chelsea zu etablieren, nachdem er unter anderem bei Hoffenheim und Newcastle United starke Saisons gespielt hatte. Leichtathletik, Monte Carlo: Der US-Amerikaner Justin Gatlin hat beim Diamond-League-Meeting der Leichtathleten in Monte Carlo auch über 200 Meter ein Ausrufezeichen gesetzt. In 19,98 Sekunden lief er am Freitag eine Weltjahresbestzeit. Gatlin ist in 9,80 Sekunden auch der aktuell schnellste Sprinter über 100 Meter. Im ersten 200-Meter-Rennen nach Ablauf seiner Doping-Sperre wurde sein Landsmann Tyson Gay in 20,22 Sekunden nur Fünfter. Basketball, NBA: Die Dallas Mavericks aus der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA haben Small Forward Eric Griffin verpflichtet. Der 24-Jährige hat in der NBA Summer League zuletzt vier Spiele für das Team von Superstar Dirk Nowitzki gemacht und dabei im Schnitt 9,8 Punkte verbucht. Über die Vertragslaufzeit machten die Texaner keine Angaben. Griffin ist in der besten Liga der Welt ein unbeschriebenes Blatt. Vor der abgelaufenen Saison hatte der US-Amerikaner sieben Testspiele für Miami Heat absolviert, doch der damalige Meister setzte ihn schnell wieder vor die Tür. Danach spielte Griffin für Gauros de Lara in Venezuela und Leones de Ponce in Puerto Rico.
https://www.sueddeutsche.de/sport/chio-in-aachen-achter-ritt-achter-sieg-1.2054414
mlsum-de-9646
Dustin Brown aus Winsen an der Aller bezwingt Rafael Nadal überraschend in der zweiten Wimbledon-Runde.
Roger Federer saß lässig auf der Mauer, die Sonne schien ihm ins Gesicht, der Schweizer sah entspannt aus, als er zum TV-Interview gebeten wurde. Das durfte er auch sein, er hatte seine Pflichtaufgabe ja erfüllt, mit einem Dreisatz-Sieg gegen den Amerikaner Sam Querrey. Zur selben Zeit, gute hundert Schritte entfernt, schlug ein Mann aus Winsen an der Aller einen Tennisball, und binnen Zehntelsekunden drang der Lärm aus dem größten Stadion im All England Lawn Tennis and Croquet Club über die Anlage. Auch zu Federer. Es war eine bemerkenswerte Konstellation in diesem Augenblick. 19.42 Uhr, 7:5, 3:6, 6:4, 6:4, diese Zahlen wird Dustin Brown, jener Mann aus Winsen, in seinem Leben nicht mehr vergessen. Der Außenseiter, der frühe Campingbus-Journeyman auf der Profitour, der aufgrund seiner Rasta-Mähne als Bob Marley des Tennissports betitelte 30-jährige Deutsche, hatte Rafael Nadal, Federers ewigen Widersacher, besiegt. In der zweiten Runde von Wimbledon. Diesen ersten Erfolg von ihm einer Grand-Slam-Runde als Sensation zu beschreiben, wäre etwas zu hoch gegriffen, Nadal hat ja auch eine erstaunlich negative Serie fortgesetzt. Aber eine zünftige Überraschung ist es allemal. Das Angebot, den Centre Court vorher anzuschauen, lehnte er ab: "Ich wollte nicht ausflippen" Der 29-jährige Spanier hat nämlich nun zum vierten Mal hintereinander in Wimbledon gegen einen Gegner außerhalb der Top 100 verloren (2012 Lukas Rosol, 2013 Steve Darcis, 2014 Nick Kyrgios). Auf welch unterschiedlicher Augenhöhe sich der 14-malige Grand-Slam-Champion und Brown begegneten, offenbarte der Sieger nach dem 2:33 Stunden langen Match: "Ich bin ja noch nie auf dem Centre Court hier gewesen, und sie haben mich gefragt, ob ich ihn vorher mal sehen will. Da habe ich gesagt, nein, ich wollte nicht ausflippen." Das ist er dann allerdings doch, aber eben nur einmal. Da zeigte die Uhr 19.42 an, und 15 000 Menschen im Centre Court erhoben sich für diesen speziellen Moment. "Das Match meines Lebens", genau so hatte Brown schon mal einen Sieg von sich bezeichnet, 2014 in Halle, 6:4, 6:1 hatte er, in Celle geboren, der Vater Jamaikaner, die Mutter Deutsche, den müden Nadal überrollt. Der Spanier war damals schlapp von seinem French-Open-Sieg eingetroffen. Umso bedeutsamer ist jetzt Browns Triumph, Nadal hatte in Stuttgart das erstmals dort auf Rasen ausgespielte Turnier gewonnen und in der ersten Runde in Wimbledon gegen den Brasilianer Thomaz Bellucci keine Blöße gezeigt. Aber Halle 2014 hat Brown geholfen, um Nadal 2015 auf der größtmöglichen Bühne zu schlagen. Brown, der sich mit drei glatten Siegen in der Qualifikation ins Hauptfeld gespielt hatte, der Weltranglisten-102., wusste seitdem: "Ich muss die Ballwechsel kurz halten." Den Rhythmus, der Nadal Stärke verleiht, galt es zu stören, mit zackigen Aufschlägen, Stopps, Attacken in Endlosschleife. Nadal sollte nicht atmen können. "Ich hatte ja nichts zu verlieren, für mich war es einfach", sagte Brown hinterher, der Schweiß perlte von der Stirn. Ihm war klar: "Verliere ich hier 6:1, 6:2, 6:3, sagen alle: Bravo, Rafa", und weiter geht's. Anfangs war Brown dennoch nervös, er kassierte das erste Break, konterte, der Satz steuerte auf den Tie-Break zu, da glückten Brown Zauberschläge, der Satzgewinn. Nadal steigerte sich, er schien der alte zu sein, doch schon ab dem Moment, als Brown im dritten Satz Nadals Aufschlag zum 3:2 abnahm, spürten die Zuschauer, es könnte plötzlich der Mallorquiner sehr viel zu verlieren haben, als Favorit. Nadal wirkte verkrampft, nur acht Winner von der Grundlinie waren dürftig für ihn. Brown ballte oft die Faust, blickte aufgeladen zur Box, wo Coach Scott Wittenberg saß. Es war beeindruckend, wie er auch zwei ungenutzte Matchbälle bei 5:3 im vierten Satz verkraftete, er servierte zum Sieg genau so entschlossen wie zuvor. Brown blieb erstaunlich cool, "ich hatte Glück, zweimal gegen ihn auf Rasen spielen zu können", sagte er, "es ist jener Belag, auf dem ich die größte Chance habe", das hatte er vorher gesagt. Jetzt wissen alle, wie er das meinte.
https://www.sueddeutsche.de/sport/maenner-tennis-vom-campingbus-auf-den-center-court-1.2549168
mlsum-de-9647
Facebook ist ein Klischee: Ob Online-Witzbold, Chef oder die gutvernetzte Klette - die Selbstdarsteller im Netz lassen sich recht einfach kategorisieren. Eine Nutzer-Typologie
Der Angeber Daran erkennt man ihn Meistens ist der Angeber ein Bekannter, den man seit Ewigkeiten aus den Augen verloren hat. Komischerweise hat das, was er auf Facebook mittlerweile präsentiert, ziemlich wenig mit dem harmlosen Durchschnittstypen zu tun, als den man ihn in Erinnerung hat. Gut, offenbar scheint sich seitdem einiges für ihn aufgetan zu haben. Die Damenwelt zum Beispiel - oder auch der Zugang zur Lufthansa Business Class. Vor allem aus dieser Destination postet der Angeber mit Vorliebe eine Menge Fotos zu ausgesucht exotischen Uhrzeiten. Manchmal ist er aber sehr in Zeitnot und extrem beschäftigt, dann vermeldet er nur akribisch die aktuellen Aufenthaltsorte - und wo er heute Abend erwartet wird. Versehen übrigens mit ein paar abfälligen Bemerkungen zum neuen Fünfer von BMW und sorgfältig gestreuten Einblicken in sein offenbar sehr aufregendes Privatleben. Typische Statuszeile Brauche eure Hilfe: Drei Vernissage-Einladungen an einem Abend!!!! Auf welche geht man da? Vor allem, wenn man morgen am Nachmittag schon wieder in Boston sein muss ... grins. Im Fotoalbum Eine Auswahl gut bearbeiteter Fotos, die ihn stets mit Sonnenbrille in unterschiedlichen Vegetationszonen zeigen und bei denen er einen ausgesucht-desinteressierten Gesichtsausdruck macht. Gerne auch mit Gleitschirmausrüstung oder am Steuerrad einer Yacht. Dann noch zwei Alibi-Bilder in GQ-Optik, auf denen er als Mittelpunkt einer großen Männerumarmung posiert. Das soll deutlich machen, dass er mit den "Jungs" auch mal so richtig einen draufmachen und locker sein kann. Wer sind die Freunde? Andere Alphamännchen mit gebräunten Glatzen und Frauen, die auf ihrem Profilbild einen Cocktail in die Kamera halten.
https://www.sueddeutsche.de/digital/soziale-netzwerke-die-galerie-der-facebook-typen-1.1007147
mlsum-de-9648
Das Wahrzeichen, das kürzlich in Flammen aufging, war weit mehr als ein Ausflugsziel. Ob der Turm originalgetreu wieder errichtet werden kann, ist fraglich. Die Vorschriften.
Ortsfremde verstehen nur schwer, welchen Verlust die Frankfurter erlitten haben. Der Goetheturm im Stadtwald, der vor Wochenfrist in Flammen aufging, war weit mehr als ein Ausflugsziel. Es war eine Art Familienerbstück, Treffpunkt der Generationen, Ort schönster Kindheitserinnerungen. Wer in München lebt oder auf Rügen, müsste sich vorstellen, der Chinesische Turm im Englischen Garten oder die Seebrücke von Sellin hätten sich über Nacht in einen Haufen Asche verwandelt. Dann bekäme er einen Eindruck von der Stimmung am Main. Wie man es von Frankfurt mit seiner in vieler Hinsicht engagierten Bürgerschaft erwarten darf, schlägt die Trauer in trotzige Tatkraft um. Der Turm, da sind sich die Bewohner mit ihren örtlichen Politikern und Wirtschaftsleuten einig, soll wieder aufgebaut werden. Und zwar so schnell wie möglich. Oberbürgermeister Peter Feldmann von der SPD hatte dies bereits angekündigt, als die letzten Feuernester rund um den einst gut 43 Meter hohen Aussichtsturm noch glühten. Am Geld, so viel steht fest, wird eine Rekonstruktion nicht scheitern. Die Stadt wird sich beteiligen, es gibt höchstwahrscheinlich Geld von der Versicherung. Und viele private Spender stehen parat. Auf zwei Sonderkonten sind schon fast 40 000 Euro eingegangen. Eine Gruppe Privatleute, vornehmlich Juristen, gründete einen Förderverein für den Wiederaufbau, ein sechsstelliger Betrag soll schon zugesagt worden sein. Hinzu kommen kleinere Initiativen und Benefiz-Aktionen. Die allermeisten Frankfurter wollen ihren alten Turm zurück Noch vermag niemand zu sagen, was ein Wiederaufbau kosten wird. Dafür ist aber ziemlich sicher, dass es auf dem Weg dorthin einige Enttäuschungen geben wird, kleinere, aber womöglich auch große. Denn natürlich wollen die allermeisten Frankfurter ihren alten Turm zurück. 1931 wurde er gebaut, rechtzeitig zum 100. Todesjahr von Johann Wolfgang von Goethe. 196 Stufen, zwölf Podeste, alles aus heimischem Kiefern-, Buchen- und Eichenholz, ein altmodischer und graziler, wenngleich stabiler Bau. Solche Bauwerke konnte man vor 86 Jahren problemlos errichten - heutzutage ist das schwieriger. Es gibt deutsche und internationale Vorschriften. Fluchtwege sind vorgeschrieben, der Brandschutz wird weitaus strenger reguliert als in der Weimarer Republik. Oberbürgermeister Feldmann sagt, er wünsche sich eine "möglichst originalgetreue" Replik. Das war eine recht kluge Äußerung. Denn sie spricht den Frankfurtern in ihrer Trauer aus dem Herzen. Ein festes Versprechen ist sie aber nicht. Aus dem vom CDU-Mann Jan Schneider geführten städtischen Baudezernat klingen die Aufbauprognosen etwas prosaischer. Ob der Turm entsprechend den historischen Plänen auferstehen kann, sei fraglich. Womöglich werde - Stichwort Barrierefreiheit - sogar ein Aufzug nötig sein. Nun prüfen Experten, wie groß der Spielraum ist. Das wird dauern, wahrscheinlich bis ins nächste Jahr. Die Frankfurter dürfen in einem von der Stadt organisierten Votum darüber abstimmen, welches Bauwerk sie in Zukunft gern hätten. Gut möglich, dass sich die Sehnsucht nach einem neuen alten Turm nicht erfüllt und im Stadtwald dann ein Mischkonstrukt steht, aus Beton, Stahl und deutlich weniger Holz.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/baurecht-goethe-barrierefrei-1.3713645
mlsum-de-9649
Mitten im blockierten Land basteln sie an palästinensischer IT. Von Bedingungen wie im nahen Tel Aviv können sie nur träumen.
Was wichtig ist, steht an der Wand: "Unterschätze nicht meinen Willen und mein Können", heißt es über dem Eingang in bunten Lettern. Gegenüber ist der Spruch "Arbeite wie der Boss" überpinselt - "Sei der Boss" heißt es nun. Gestrichen ist auch "Denke wie ein Mann", geblieben ist nur: "Denke". Graffiti mit frohen Sinn- und Unsinnssprüchen zieren das gesamte Büro, junge Leute sitzen locker vor ihren Laptops, und wer will, kann auf dem Sofa in der Ecke in Schräglage der neuesten Idee nachhängen. Treffpunkt für alle ist natürlich die Kaffeeküche mit dem Schrank voller Süßigkeiten. Ganz klar, hier brütet die Start-up-Szene am nächsten großen Ding, so cool und kreativ wie überall auf der Welt. Der Unterschied zum Rest der Welt ist allerdings, dass hier draußen die Eselskarren vorüberziehen und ringsherum noch die Trümmer vom jüngsten Krieg liegen. Das ist der Stand der Dinge bei den "Gaza Sky Geeks", wo die nerdigen Himmelsstürmer von ganz weit unten starten und sicher auch die Not erfinderisch macht. Luftlinie sind es von diesem Büro aus gerade einmal 60 Kilometer bis nach Tel Aviv, wo die Hightech-Industrie längst schon eine Heimstatt gefunden hat. Zwischen der Szene in Israel und der im Gazastreifen aber steht eine Betonmauer, die radikal die erste Welt von der dritten oder vielleicht sogar vierten trennt. Der durch Israel und Ägypten komplett abgeriegelte palästinensische Küstenstreifen mit knapp zwei Millionen Einwohnern zählt zu den ärmsten und rückständigsten Gebieten auf dem gesamten Globus. Doch auch hier gibt es große Träume und schlaue Ideen. Und es gibt die Gaza Sky Geeks als "Bastion der Hoffnung und Normalität". "IT ist das einzige, was nicht von Grenzen abhängt." Ryan Sturgill sagt das so, der bei den Sky Geeks als Programmdirektor amtiert und ein verglastes Büro bewohnt. Er kommt aus den USA, den Job in Gaza hat er vor neun Monaten übernommen, "einzigartig" nennt er das Projekt. "Durch die Blockade des Gazastreifens ist es sehr schwer, hier ein Geschäft aufzuziehen, es kommt ja nichts rein und nichts raus an Gütern", sagt er. "IT ist das einzige, was nicht von Grenzen abhängt." Über das Internet also lässt sich jede noch so hohe Mauer überwinden, Ideen können importiert und Lösungen exportiert werden. Dies ist die Geschäftsgrundlage für die Sky Geeks. Die Organisation wurde von der amerikanischen Hilfsorganisation Mercy Corps ins Leben gerufen und von Google mit einem Startkapital von 900 000 Dollar ausgestattet. Damit hilft sie jungen Firmen - indem sie Kontakte vermittelt, Workshops und Arbeitsräume bietet. Zu den Partnern zählt inzwischen auch das Auslandsbüro der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. Die Resonanz ist riesig, und ein Wunder ist das nicht. Denn der Gazastreifen verfügt bei aller Armut und einer Arbeitslosenquote von offiziell 45 Prozent über viele gut ausgebildete junge Leute. Jedes Jahr verlassen allein 2000 Technik-Studenten die hiesigen Universitäten - mit Diplom und fast ohne Chance auf einen Job. Bei den Sky Geeks werden für sie Wege in die Welt bereitet. Hier gibt es Schreibtische mit Internet-Anschlüssen, die allen offenstehen. 50 bis 60 junge Leute - Männer wie Frauen - nutzen das jeden Tag und loggen sich in die verschiedenen Wlan-Netze ein, die "Inspiration" heißen, "Leidenschaft" oder "Innovation".
https://www.sueddeutsche.de/digital/start-ups-im-gaza-streifen-traeume-groesser-als-mauern-1.3038584
mlsum-de-9650
Mit einfachen Mitteln hat Ingolstadts neuer Trainer Kurt Kleinendorst die Defensive des Vorjahreszweiten stabilisiert. Der Lohn: Zwei Siege in Serie, darunter ein Derby-Erfolg gegen München.
Alexander Bartas Einfluss auf die aktuelle Saison der Deutschen Eishockey Liga (DEL) hat sich bisher stark in Grenzen gehalten. Die Leistungen des 32-jährigen Angreifers waren größtenteils so wie die seines Arbeitgebers ERC Ingolstadt: schwach. Nur drei Tore und neun Scorerpunkte hatte der technisch versierte Barta in den ersten 23 Saisonspielen verbucht, womit er zu einem Gesicht der Ingolstädter Krise wurde. Der Vorjahreszweite dümpelt ja immer noch im Tabellenkeller herum, kürzlich hat er sich von seinem Trainer Emanuel Viveiros getrennt. Doch es scheint aufwärts zu gehen - mit Barta und dem ERC. Am Freitagabend gab es in Spiel 24 der Saison einen 4:2-Derby-Heimsieg gegen den EHC München, an dem Barta mit einer sehenswerten Torvorlage und einem Treffer erheblichen Anteil hatte. "Wir haben um jeden Zentimeter gekämpft", erklärte der Profi hinterher, "es ist schön, endlich dafür belohnt zu werden." Ingolstadts neuer Cheftrainer Kurt Kleinendorst lobte die "herausragende" kämpferische Einstellung seines Teams. Für den ERC war es im dritten Spiel unter Kleinendorst der zweite Sieg in Serie, bei beiden verbuchte Barta zwei Scorerpunkte. Jeder wisse, "dass ich mit meiner Leistung bisher auch noch nicht zufrieden bin und noch nicht da bin, wo ich hinwollte", sagte Barta, der sich unter Kleinendorst auf einem guten Weg sieht. "Der Trainerwechsel hat mir persönlich auch gut getan", erklärte er. Kleinendorst habe es geschafft, "der Mannschaft ein Gesicht zu geben". Das betrifft besonders die Defensivarbeit. Kleinendorst hat in seiner kurzen Amtszeit merklich die Abwehr stabilisiert. Der ERC hat zwar immer noch die zweitmeisten Gegentore der Liga auf seinem Konto, in den drei Spielen unter dem neuen Trainer waren es aber nur sechs und damit im Schnitt mehr als 1,5 weniger pro Spiel als zuvor. Es sei "sehr wichtig, dass wir hinten kompakt stehen und die Scheibe simpel rauskriegen", sagte Torhüter Timo Pielmeier, das habe die Mannschaft in den vergangenen drei Spielen ziemlich gut gemacht. Zu viele Pässe, zu wenige Schüsse Die Ingolstädter hatten den Gästen aus München größtenteils die Spielkontrolle überlassen, standen defensiv aber sicher und gaben dem EHC "kaum Platz und Zeit" (Barta). Aus dieser defensiven Stabilität konterte der Meister von 2014 immer wieder schnell und gefährlich, was die Münchner vor große Probleme stellte. Ingolstadt habe einen "guten Job" gemacht, befand EHC-Trainer Don Jackson. Offensiv tat der ERC das, was München erst im Schlussdrittel schaffte: Er hielt das Spiel simpel und brachte die Scheiben zum Tor. "Das ist der Unterschied zu den letzten Wochen: Jetzt schießen wir einfach aufs Tor, statt noch einen schönen Pass zu probieren. Das geht meistens sowieso in die Hose", unterstrich Ingolstadts Co-Trainer Peppi Heiß. Jackson und sein Kapitän Michael Wolf, der mit seinem Unterzahltreffer zum 2:3 zu Beginn des Schlussdrittels für eine enge Schlussphase gesorgt hatte, die erst mit Bartas Überzahltor zum 4:2-Endstand 84 Sekunden vor der Sirene ein Ende fand, beklagten unisono, dass der EHC es nicht schaffte, die Scheibe regelmäßig dorthin zu bringen, wo sie am gefährlichsten ist: aufs Tor. Manchmal habe seine Mannschaft gepasst und gepasst, statt zu schießen, grummelte Jackson. Dadurch scheiterte der EHC erneut beim Versuch, zwei Siege aneinanderzureihen. Die Ingolstadt-Partie war die elfte in Serie, in der sich Sieg und Niederlage abwechselten, zudem setzte es die sechste Freitags-Niederlage in Serie: Die Münchner haben es anscheinend verlernt, mit einem Erfolgserlebnis in das Spieltags-Wochenende zu starten. Auf der anderen Seite haben sie in der laufenden Spielzeit noch nie beide Wochenendpartien verloren - ein gutes Omen also für das Spiel am Sonntag gegen die Schwenninger Wild Wings, die vom ehemaligen Münchner Co-Trainer Helmut de Raaf trainiert werden und die in Will Acton (32 Scorerpunkte) und Damien Fleury (15 Tore) den punktbesten und den torgefährlichsten Spieler der Liga in ihren Reihen haben.
https://www.sueddeutsche.de/sport/eishockey-der-simple-puck-1.2767527
mlsum-de-9651
Mieter müssen Zahlungsrückstände ausgleichen, sonst kann das eine Kündigung zur Folge haben. Das gilt auch bei Schadenersatzansprüchen.
Mietrückstände. Mieter müssen Zahlungsrückstände ausgleichen. Tun sie das nicht, ist das eine Pflichtverletzung, die im schlimmsten Fall eine Kündigung nach sich zieht. Ob es sich bei den Rückständen um zu wenig gezahlte Miete oder um Schadenersatzansprüche des Vermieters handelt, ist dabei unerheblich, befand das Landgericht Berlin, über dessen Entscheidung die Arbeitsgemeinschaft Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltverein (DAV) informiert. In dem verhandelten Fall hatte ein Vermieter das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Als Grund nannte er Rückstände, die aus einem bereits abgeschlossenen Verfahren noch vom Mieter zu zahlen seien. In dem zuvor geführten Rechtsstreit wurde der Mieter vom Vermieter auf Schadenersatz in Anspruch genommen, da dieser Feuchtigkeit und Schimmel in der Wohnung durch sein Verhalten verursacht hatte. Die Kosten für die Beseitigung des Schimmels waren nach dem durchgeführten Verfahren von dem Mieter zu ersetzen. Da er das nicht tat, kündigte der Vermieter. Allerdings in diesem Fall erfolglos: Zwar verletzt ein Mieter eine Pflicht, wenn er gerichtlich festgesetzte Kosten nicht ausgleicht. Und diese Pflichtverletzung kann nach Ansicht des Richters einen Grund darstellen, der zumindest zur ordentlichen Kündigung berechtigt. Erforderlich ist aber zugleich ein Verschulden des Mieters. Das lag im vorliegenden Fall aber nicht vor: Der Mieter hatte durch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung belegt, dass ihm keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um die Schuld zu tilgen. Es machte in diesem Zusammenhang nach der Auffassung des Gerichts also einen maßgeblichen Unterschied, ob der Mieter seine Rückstände nicht zahlen kann oder nicht zahlen will. (Az.: 63 S 230/14) Mietminderung. Baustellenlärm vom Nachbargrundstück rechtfertigt nicht in jedem Fall eine Mietminderung. Das geht aus einem Urteil des Landgerichts Berlin (Az.: 63 S 177/15) hervor, über das die Zeitschrift Das Grundeigentum (Heft 5/2016) berichtet. Insbesondere gilt dies, wenn schon vor Abschluss des Mietvertrages erkennbar war, dass dort in absehbarer Zeit gebaut werden kann. In dem verhandelten Fall wollte ein Mieter seine Miete wegen des Baulärms vom Nachbargrundstück mindern. Der Vermieter akzeptierte das aber nicht und zog erfolgreich vor Gericht. Denn schon bei Abschluss des Mietvertrages habe ein Bauschild auf dem Nachbargrundstück darauf hingedeutet, dass dort Arbeiten geplant sind. Mieteranspruch. Mieter haben bei ihrem Haus keinen Anspruch auf eine Zufahrtsfläche ohne Unebenheiten. Vielmehr müssen sie sich, wie alle Verkehrsteilnehmer, grundsätzlich den Straßenverhältnissen anpassen. Verletzen sie sich bei einem Sturz auf der unebenen Fläche, können sie den Vermieter nicht haftbar machen. Das geht aus einem Urteil des Amtsgerichts Coesfeld hervor (Az.: 11 C 169/15), über das die Zeitschrift Deutsche Wohnungswirtschaft (Ausgabe 3/2016) berichtet.
https://www.sueddeutsche.de/geld/recht-so-es-muss-gezahlt-werden-1.2920135
mlsum-de-9652
Kaum ist der französische Präsident aus den Ferien zurück, holt er zum großen außenpolitischen Wurf aus. Die Opposition unterstellt ihm, sich Deutschland unterzuordnen.
Nach drei eher stillen Wochen am Mittelmeer meldete sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aus dem Urlaub zurück, und man kann sagen: Er ist ganz der Alte. Am Sonntag hatte er es seinem Premierminister Édouard Philippe überlassen, die unbequeme Nachricht weiterer Kürzungen der Sozialausgaben zu überbringen. Die Inflation steigt, Rente, Kinder- und Wohngeld aber nicht. Und während am Montag im Frühstücksfernsehen zornige Senioren eingeblendet wurden, holte Macron zum großen außenpolitischen Wurf aus. Es ist genau die Arbeitsteilung, die der Präsident von Anfang an zum Grundsatz seiner Politik erklärt hatte: Die Regierung kümmert sich um die konkrete Umsetzung seines Programms, er hält sich aus dem Alltagsgeschäft heraus und gibt die großen Linien vor. In seiner Rede auf dem Jahrestreffen der französischen Botschafter in Paris gab sich Macron als Kämpfer für ein starkes Europa, Frieden in Syrien und globale Richtlinien zum Umweltschutz. Also genau die Themen, mit denen Macron bislang im In- und Ausland zuverlässig auf Zustimmung stößt. Frankreichs Präsident bekannte sich in seiner Rede zum Prinzip des Multilateralismus und zu einer weiteren Vertiefung der Europäischen Union. Zugleich stellte er fest, dass genau diese Ideen zunehmend unpopulär werden. "Der Multilateralismus wird von zentralen Akteuren infrage gestellt. Müssen wir deshalb die Waffen strecken? Nein." Er ließ keinen Zweifel daran, dass es sich bei diesen "zentralen Akteuren" um den US-Präsidenten Donald Trump handelt. Macron betont die Notwendigkeit einer starken EU Angesichts der Krise im Verhältnis zu den USA betonte Frankreichs Präsident die Notwendigkeit einer starken EU: "Glauben China und die USA, dass Europa ebenso mächtig ist wie sie? Das ist nicht der Fall. Um uns dieser Herausforderung zu stellen, müssen wir innerhalb der Globalisierung ein humanistisches Europa neu gründen." Als eines der Ideale, für die Europa und Frankreich stünden, nannte der Präsident die Gleichheit zwischen den Geschlechtern, für die weiter gekämpft werden müsse. Verteidigungspolitische Fragen betreffend sagte Macron, dass Europa in der Lage sein müsse, seine Sicherheit zu verteidigen. Man könne diese Aufgabe nicht länger den USA überlassen. Mit Blick auf Syrien warnte der Präsident vor einer "alarmierenden Situation". Das Regime von Baschar al-Assad stehe kurz davor, eine neue humanitäre Krise in der Region Idlib auszulösen. "Das bedeutet, dass wir den Druck auf das Regime und seine Alliierten erhöhen müssen." Frankreich erwarte dabei Unterstützung von Russland und der Türkei, um eine politische Lösung des Konfliktes zu erreichen. Macron nannte Daesh, also die Terrormiliz Islamischer Staat, seinen "ersten Feind"; dies bedeute jedoch nicht, dass das geplante Vorgehen Assads gegen die teils islamistischen Rebellen in Idlib nicht trotzdem ein "verhängnisvoller Fehler" sei. Eineinhalb Stunden lang sprach Macron vor den versammelten Botschaftern, und ließ dabei keinen Zweifel daran, dass er als ein Präsident gelten will, der Frankreich auf internationaler Bühne noch mehr Gewicht verleihen will als bisher: "Wir müssen Frankreichs Einfluss weiter verstärken." Und so erklärte er globale Herausforderungen wie den Kampf gegen den Nationalismus und sogar den ökologischen "Kampf für den Planeten" zu den zentralen Themen seiner Amtszeit. Die Opposition bringt sich in Stellung So kämpferisch sich Macron am Montag gab, so entschlossen hatte sich die Opposition am Wochenende gezeigt. Zum Ende der Sommerferien bringen sich Frankreichs Parteien für die Wiederaufnahme des politischen Betriebs in Position. Besonders lautstark machte in diesem Jahr Jean-Luc Mélenchon mit seiner linken France Insoumise, dem Unbeugsamen Frankreich, auf sich aufmerksam. Während eines viertägigen Parteitreffens in Marseille hatte Mélenchon nicht nur linke Kräfte um sich gesammelt, sondern auch konservative Redner eingeladen, um Front gegen den gemeinsamen Feind zu machen: Präsident Macron. In einer Rede vor seinen Anhängern sagte Mélenchon, dass er aus den Europawahlen im Mai 2019 ein "Anti-Macron-Referendum" machen werde. "Wir laden die Franzosen dazu ein, ihm eine Abreibung zu verpassen." Mélenchon sprach lange über den Umweltschutz und sagte, man könne keine ökologischen Überzeugungen haben und "für die europäische Sparpolitik und für die Nato und für den Krieg" sein. Mélenchon wirft Macron vor, sich in europapolitischen Fragen Deutschland unterzuordnen. Vergangene Woche sagte er, Macron verteidige ein "Europa à la sauce Merkel". Auch die Republikaner setzten am Sonntag auf einen Anti-Macron-Kurs. In einer Rede am Sonntag sagte der Parteivorsitzende Laurent Wauquiez, dass man sich keinen "Illusionen über den Macronismus" mehr machen müsse, die Politik des Präsidenten sei "ungerecht". Wauquiez erklärte sich selbst zum "Verteidiger der Rentner". Ansonsten blieb er seiner Linie des vergangenen Jahres treu: Er wählte Worte, die auch die rechtsradikale Marine le Pen verwenden könnte. "Die Massenimmigration ist eine kulturelle Bedrohung für die europäische Zivilisation geworden." Anders als Mélenchon verfügt Wauquiez in seiner Partei über keinen sicheren Rückhalt. Der polternde, manchmal vulgäre Ton ihres Vorsitzenden ist unter Republikanern umstritten. Viele wünschen sich eine gemäßigtere, bürgerlichere Politik.
https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-politik-macron-fordert-eine-starke-eu-und-greift-trump-an-1.4106875
mlsum-de-9653
Asafa Powell reiht sich mit seinen 9,84 Sekunden über 100 Meter in die Reihe der Sprinter ein, die nach einer Doping-Sperre aufblühen.
Diese Aufregung, die um sich gegriffen hat im Nationalstadion von Kingston, ist kaum noch einzufangen, und plötzlich ist es so, als handle es sich bei diesem internationalen Leichtathletik-Meeting in Jamaikas Hauptstadt um eine wirklich wichtige Angelegenheit. Die Menge will nicht still werden, sie trötet und tönt und schreit. Drei, vier, fünf Mal sagt der Stadionsprecher, dass jetzt mal Ruhe herrschen müsse vor dem Startschuss des 100-Meter-Laufs. Aber die Menge beruhigt sich nur langsam. Sie ist voll mit Liebe und Zorn, weil unten, auf der Bahn, Asafa Powell steht, Kingstons heimgekehrter Sohn, und daneben der Amerikaner Ryan Bailey, der eine Woche zuvor den Sieg der US-Staffel über Jamaika beim Staffel-Weltcup in Nassau ins Ziel gebracht hat. Pssst, pssst. Endlich wird es leiser. Die Menschen haben sich erhoben wie beim Gebet in der Kirche. Dann rennen die Männer los, wieder brüllt die Menge wie ein wildes Tier, und brüllt noch mehr, als Powell mit festen Schritten vor Bailey ins Ziel eilt. 9,84 zu 9,93 Sekunden. Jamaikas Welt ist schön und Powell der Held der Nacht. Die Jamaikaner hängen an den Zügeln ihrer Gefühle, was im Alltag der vernachlässigten, leicht chaotischen Hauptstadt Kingston nicht immer gut ausgeht. Aber bei einem Sportfest entsteht daraus eine flirrende Atmosphäre, die sich gerade ein Profi aus der eher reservierten US-Leichtathletik häufiger wünscht. Ryan Bailey ist jedenfalls ganz begeistert gewesen von der Hingabe, mit welcher die Jamaikaner ihn ausbuhten. Er lächelte, er heizte mit Gesten die Stimmung an. Später sagte er: "Das hat Spaß gemacht." Und seine Niederlage konnte er leicht nehmen, weil er ja eine Woche zuvor seinen Beitrag zu einem viel wichtigeren Sieg geleistet hatte. In der Sprintszene scheinen sich die Kräfteverhältnisse gerade wieder ein bisschen zu verschieben. Seit 2008 hat Jamaika fast nach Belieben dominiert, vor allem dank Usain Bolt, dem Olympiasieger, Weltmeister und Weltrekordler, der in Kingston nicht am Start war, um sich zu schonen. Die stolze Sprintnation USA sah wie ein Zwerg aus neben der kleinen karibischen Insel. Aber der Riese erhebt sich wieder: Der Sieg der 4x100-Meter-Staffel auf den Bahamas mit Mike Rodgers, Justin Gatlin, Tyson Gay und Ryan Bailey über Jamaika war deutlich. Nicht einmal Bolt als Schlussläufer konnte sie abwenden. Das hat Jamaika weh getan, das hat man spüren können in Kingston. In ihrer Ansprache vor dem Meeting rief Sportministerin Natalie Neita Headley trotzig: "Wir sind und wir bleiben die Sprinthauptstadt der Welt." Die Buhs gegen Bailey kamen von Herzen, weil der nach dem US-Sieg Bolts Sterndeutergeste gezeigt und dann den Zeigefinger um den Hals geführt hatte; Bailey nannte die Meuchel-Pantomime "ein Missverständnis", es half nichts. Und der Jubel um Powell war wohl auch deshalb so groß, weil dessen Sieg bei straffem Rückenwind als Zeichen für Jamaikas ungebrochenes Tempo gelten konnte. Asafa Powell fühlt sich gerade sehr gut. Er glaubt: "Meine beste Zeit kommt noch." Ob das was Gutes für die Sprintszene verheißt, ist allerdings eine andere Frage. Irgendwie schafft sie es nicht, sich zu erneuern. Die alten Hasen sind nicht wegzukriegen, Powell, 32, ergänzt die Reihe der Ü30-Athleten, die nach Doping-Sperren ihren zweiten Frühling erleben. Für die USA stürmt Justin Gatlin, 33, Olympiasieger von 2004, längst wieder die Siegerpodeste, seit 2010 seine Vierjahressperre wegen Testosteron-Missbrauchs ausgelaufen ist. Für Tyson Gay, 32, den Dreifach-Weltmeister von 2007, bedeutete der Staffel-Sieg in Nassau das erste Gold nach seiner Ein-Jahres-Sperre wegen Steroid-Dopings. Und nun ist also auch Powell wieder zurück, der im Sommer 2013 auf das Stimulanzmittel Oxilofrin positiv getestet worden war. Stephen Francis, seinerzeit Powells Coach in Kingston, war damals ziemlich sauer: Powell schlage sich zunehmend auf die Seite seines amerikanischen Managers Paul Doyle und komme deshalb mit falschen Leuten in Kontakt. Genauer gesagt mit dem kanadischen Physiotherapeuten Chris Xuereb, der mal ein Mitarbeiter in der Klinik des verurteilten Dopingmittel-Schmugglers Anthony Galea war und Powell ein verseuchtes Nahrungsergänzungsmittel gegeben haben soll (was Xuereb bestreitet). Mittlerweile hat Doyle verkündet, seine Agentur verklage den Hersteller des Mittels. Die ganze Geschichte ist verworren, vorerst ist nur klar, dass Francis Powell aus seiner Trainingsgruppe komplimentiert hat, weil der sich nicht von Doyle trennen wollte. Dass Powells Sperre am Ende sechs Monate betrug. Und dass Powell jetzt in Austin/Texas bei seinem Bruder Donovan, 43, trainiert, der selbst Sprinter war und wegen eines Ephedrin-Tests eine Drei-Monats-Sperre absaß. Asafa Powell lächelte, als die Landsleute ihn mit ihrer Zuneigung überschütteten. Er wirkte schlanker als früher, und er trug trotz der Schwüle einen langen Rennanzug. Seinen Sieg nahm er mit großer Ruhe auf, routiniert gab er seine Statements, ehe er zur Siegerehrung eilte und in der Nacht verschwand. Er fühlt sich gerade sehr gut, er sagt: "Meine beste Zeit kommt noch." Es erscheint fast so, als habe ihm die Doping-Affäre gut getan.
https://www.sueddeutsche.de/sport/leichtathletik-ungebrochenes-tempo-1.2473726
mlsum-de-9654
Nur weil zwei Wunschkandidaten absagen, landet Heiko Herrlich auf dem Trainerstuhl in Leverkusen. Sportchef Völler verspricht trotzdem: "Die Post geht ab."
Zur Begrüßung hatte Rudi Völler schlechte Nachrichten. "Jetzt machen wir erst mal Urlaub", sagte Leverkusens Sportdirektor zu seinem neuen Trainer Heiko Herrlich, dem der Elan aus jeder Pore drang. "Aber nach dem Urlaub", tröstete Völler, "da geht hier die Post ab." Es ist knapp acht Jahre her, dass Herrlich, 45, seinen ersten und bis dato einzigen Trainerjob in der Bundesliga antrat. Als er im Oktober 2009 beim VfL Bochum vorgestellt wurde, sagte er: "Im Fußball fressen die Starken die Schwachen - aber ich werde nicht gerne gebissen, wir beißen zurück." Im April 2010 wurde er entlassen. Zwei Wochen später verabschiedete sich Bochum bis heute aus der Bundesliga. Herrlich war Neuling, Spieler hatten sich mit ihm angelegt. Angeblich schoss er vor Wut einen Eimer durch die Kabine. Eine Mischung aus Schmidt und Korkut? "Wir brauchen einen Trainer mit einer direkten Ansprache", sagte Völler am Freitag. Der Trainer müsse moderieren können, wenn Spieler mal nicht spielten. Völler suggerierte damit, dass Bayers vormaliger Coach Roger Schmidt da womöglich Defizite besaß. Fußballerisch hat Völler auf Schmidt aber nie etwas kommen lassen. Insofern wünscht er sich vom Trainer Herrlich den "aktiven und attraktiven Fußball" eines Roger Schmidt mit der Einfühlsamkeit eines Tayfun Korkut. Im Idealfall ist Herrlich also ein Hybrid aus jenen beiden Trainern, mit denen Leverkusen jüngst die schlechteste Saison der jüngeren Klubgeschichte abschloss. Zwei anderen Trainern hätte Völler diese Aufgabe wohl noch eher anvertraut als Herrlich. "Aber mit beiden hat es nicht geklappt", gestand er. Dabei dürfte es sich um Thomas Tuchel und Peter Bosz handeln. Der Ex-Dortmunder Tuchel wollte nicht nach Leverkusen, und Bosz wechselte von Ajax Amsterdam nach Dortmund. Auch Lucien Favre (Nizza) und David Wagner (Huddersfield) wurden als Kandidaten gehandelt. "Kein Problem", sagt Völler über Absagen. Auch Herrlich ficht das nicht an: "Es ist nicht verkehrt, wenn sich ein Verein erst mal um Trainer mit großen Namen bemüht." Auch für Herrlich zählte beim Abschied aus Regensburg ja der Klang von Bayer und der Bundesliga. "Ich habe es in Regensburg geliebt", sagte er, "aber dann kam die Anfrage aus Leverkusen - und das wollte ich machen." Völler weiß, dass die Personalie Skepsis hervorruft. Bayer 04 hat viele Talente und hohe Ziele, man will international spielen. Herrlich hat seine Trainerqualitäten in DFB-Juniorenteams sowie in Regensburg nachgewiesen. "Unsere Entscheidung kommt für einige überraschend", sagt Völler. "Viele Trainer hätten gern bei uns gearbeitet." Freitagmorgen habe er Kandidaten noch telefonisch absagen und erklären müssen, warum man sich für Herrlich entschied. Bundestrainer Joachim Löw findet die Entscheidung nachvollziehbar: "Heiko Herrlich hat im DFB-Nachwuchsbereich sehr gute Arbeit geleistet - das könnte also passen." Herrlich: "Nach oben setzen wir uns keine Grenzen" Völler mag Herrlichs aggressiven Angriffsfußball. Den Beweis dafür hat er in der Relegation gegen 1860 München gefunden. Herrlich stieg mit Regensburg zwei Mal nacheinander auf, von der Regionalliga bis in die zweite Liga. Nun soll er Bayers junge Auswahl wieder nach Europa führen. Herrlich sagt: "Nach oben setzen wir uns keine Grenzen." Es ist 24 Jahre her, dass Herrlich Leverkusen verließ. Bei Bayer feierte er 1989 sein Bundesliga-Debüt. "Als 17-Jähriger bin ich aus dem Schwarzwald hergekommen" - in 258 Ligaspielen für Leverkusen, Gladbach und Dortmund erzielte der fünfmalige Nationalspieler 75 Tore. Sein größter Erfolg: der Champions- League-Sieg mit dem BVB 1997. Herrlich weiß also, was auf der internationalen Bühne erwartet wird.
https://www.sueddeutsche.de/sport/heiko-herrlich-in-leverkusen-eine-personalie-die-skepsis-hervorruft-1.3540221
mlsum-de-9655
Es dauert schon ein bisschen, bis man genug Vertrauen in die Smartphonehalterung entwickelt hat - aber sie hält.
Hält es? Oder wird die Spannung doch zu groß? Es dauert schon ein bisschen, bis man so viel Vertrauen in die Smartphonehalterung Finn des österreichischen Herstellers Bike Citizens entwickelt hat, dass man das teure Smartphone auch in die Silikon-Halterung gibt, ohne ständig zu fürchten, die arg dünn wirkenden Streben könnten bei der einen oder anderen Unebenheit doch nachgeben - mit fatalen Folgen für das teure Handy. Doch das Ding hält. Und so funktioniert es: Man legt das etwa Bleistift-lange und zwei Finger breite Silikon-Teil auf den Fahrradlenker und führt die zum Sattel zeigende Lasche nach vorne unter der Lenkstange durch. Dort zieht man sie durch einen Schlitz in der Silikonhalterung. Nun gilt es nur noch, das Handy an seinen vier Ecken in die Silikon-Streben einzuspannen. Beim ersten Mal sind tatsächlich die Zweifel groß, ob das überhaupt funktionieren kann. Das tut es aber, und das Handy liegt mit seiner Rückseite auf dem dicksten Teil des Silikons auf, wodurch es wenigstens ein bisschen gefedert wird. Trotzdem wird es durch die beim Radeln entstehenden Erschütterungen ganz schön durchgeschüttelt. Ob das auf die Dauer gut ist, mag man bezweifeln. Doch das ist bei den meisten anderen Fahrradhalterungen auch nicht anders. Die aber kosten in aller Regel weit mehr als die Finn - an der ist aber eigentlich auch nichts dran. Das gilt natürlich auch für den Schutz gegen die Unbilden des Wetters. Wer sein Smartphone gegen Regen schützen will, muss dafür eine wasserdichte Hülle verwenden. Wenn die nicht zu sehr aufträgt, dürfte die Silikonhalterung trotzdem noch passen. Die Vorteile der Finn liegen auf der Hand: weil sie so einfach ist, dürften so gut wie alle derzeit verfügbaren Handys damit funktionieren. Auf Extras wie einen Zusatzakku - bei längeren Touren sicher eine sinnvolle Sache - muss man allerdings verzichten. Und noch einen Nachteil gibt es: Die Finn hält nur, wenn sich auch ein Smartphone in ihr befindet. Nimmt man dieses ab, muss man auch die Halterung mitnehmen, weil die sonst lose am Fahrrad herumbaumeln würde. Muss das Handy danach wieder befestigt werden, geht die Fummelei des Einhängens von vorne los. Der Hersteller liefert zum Kaufpreis von rund zehn Euro einen Code für die App Bike Citizens mit. Damit kann man für seine wichtigsten Städte das Kartenmaterial kostenlos laden. Fazit: Eher nichts für Profis, aber gut für Gelegenheitstourer.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/braucht-man-das-smartphone-halterung-fuers-fahrrad-1.3663274
mlsum-de-9656
Viele Industrie- und Handelskammern haben Millionenbeträge angehäuft. Doch nun erschüttert ein brisantes Urteil das System.
Die 80 Industrie- und Handelskammern gehören zu Deutschland wie das Brandenburger Tor zu Berlin, so fest sind sie im Wirtschaftsleben verankert. Immer mehr vor allem kleinere Firmeninhaber fragen sich aber, ob die Kammern so sein müssen, wie sie sind. Dabei geht es nicht zuletzt um die ungeliebten Pflichtbeiträge, die für jede IHK eine immer fließende Geldquelle sind. "Viele Kammern schwimmen deshalb wie Dagobert Duck regelrecht im Geld", sagt Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des kammerkritischen Bundesverbands für freie Kammern (BffK). Doch mit den prall gefüllten Geldspeichern könnte es bald vorbei sein. Seit Jahren klagen Unternehmen gegen die Pflichtbeiträge dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die vom Staat bestimmte Aufgaben, wie etwa die Abnahme von Prüfungen in der Ausbildung, übertragen bekommen haben, und dafür im Gegenzug das Recht haben, Beiträge einzuziehen. Nun hat die in dieser Frage höchste Instanz, das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), ein Grundsatzurteil gefällt, das das Kammerwesen und seine Finanzierung in seinen Grundfesten erschüttern dürfte. Dabei geht es am Beispiel der IHK Koblenz um die Frage, ob die gebildeten Rücklagen zu hoch sind - und damit indirekt auch die Beiträge von mehr als drei Millionen Firmen, die Mitglied einer IHK sind. Schon 1990 hatte das BVerwG festgestellt, dass die finanziellen Reserven der Kammern nicht "der Bildung von Vermögen" dienen dürfen. Die Kammern machten es sich jedoch leicht: Sie bildeten in der Regel, wie in ihren Finanzstatuten vorgesehen, pauschal Rücklagen von bis zu 50 Prozent der Aufwendungen. Dagegen zog die Speditionsfirma ITC Logistic Group vor den Kadi und fand nun vor dem BVerwG Gehör. In der schriftlichen Begründung des Urteils, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, heißt es: Rücklagen zu bilden, um mögliche Einnahmeausfälle oder -verzögerungen zu überbrücken, seien erlaubt. Das Maß der Rücklage müsse aber "von diesem sachlichen Zweck gedeckt sein". Ist dies nicht der Fall, wäre die Rücklage "nicht mehr angemessen und würde einer unzulässigen Vermögensbildung gleichkommen". Die Kammer müsse dann "eine überhöhte Rücklage baldmöglichst wieder auf ein zulässiges Maß zurückführen". Außerdem seien Kammern haushaltsrechtlich verpflichtet, sparsam zu wirtschaften und mit den Beiträgen der Mitglieder pfleglich umzugehen. Für Prognosen über notwendige Rücklagen müsse daher "das Gebot der Schätzgenauigkeit" gelten. Fehlten diese schätzgenauen Prognosen, sind Rücklagen von bis zu 50 Prozent der Aufwendungen wie im Fall der IHK Koblenz "deutlich überhöht".
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/industrie-und-handelskammern-angriff-auf-die-industrie-und-handelskammern-1.2848829
mlsum-de-9657
Ein führender VW-Mitarbeiter schildert ausführlich, wie der ehemalige Vorstandschef über die Abgasmanipulationen informiert worden sei. Eine Anklage wird immer wahrscheinlicher.
Für seine Verhältnisse soll Martin Winterkorn sehr ruhig geblieben sein. Was denn die "Antriebsfritzen" nun wieder angestellt hätten, soll der damalige VW-Chef gefragt haben, so schildert es ein Beteiligter. Winterkorn war wegen seiner Zornesausbrüche gefürchtet, aber an diesem Tag, als er angeblich führende Ingenieure und Maschinenbauer in sein Büro in der Wolfsburger Konzernzentrale einbestellt hatte, da habe er nur "ein bisschen losgepoltert". Es sei ein seltsamer Termin gewesen, Winterkorns Büro hatte ihn ganz plötzlich per Telefon anberaumt, ohne Kalendereintrag, ohne Folien, ohne Protokoll. Ein Termin, der offenbar keine Spuren hinterlassen sollte. Die herbeizitierten Motorenentwickler hätten "Wiko", so hieß der Chef intern, dann offen gesagt, was Sache sei: dass VW bei Dieselfahrzeugen in den USA den Abgasausstoß manipuliere. So hat Friedrich E., einer der führenden Techniker des Autokonzerns, nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR das angebliche Treffen der Staatsanwaltschaft Braunschweig geschildert. E. hat Winterkorn damit schwer belastet, schwerer noch, als das andere VW-Manager vor ihm getan haben. Der Vorstandschef hätte demnach bereits im Frühjahr 2015 im Detail von den Abgasmanipulationen gewusst. E. hat den Ermittlern in seiner öffentlich bislang nicht bekannten Aussage erzählt, er glaube, das Treffen sei im Mai 2015 gewesen. Winterkorn hat bereits wiederholt beteuert, er habe von den Dieselmanipulationen bis zu deren Auffliegen im September 2015 nichts gewusst: Er verstehe nicht, sagte er einmal, warum er "nicht frühzeitiger und eindeutig informiert" worden sei. Die Aussage über den mutmaßlichen Geheimtermin im Frühjahr 2015 ist bedeutsam und rätselhaft zugleich. Bedeutsam, weil die Aussage zur etablierten Firmenkultur von VW passt: Heikle Dinge würden bei VW nie schriftlich geklärt, hat der legendäre Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch als Zeuge bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt. Bedeutsam ist die Aussage des Spitzenmanagers ferner, weil sie VW und Winterkorn in der Abgasaffäre noch mehr in Bedrängnis bringt. Der frühere Vorstandschef muss nun erst recht mit einer Anklage rechnen, weil er die Aktionäre im Unklaren gelassen habe. Und den Konzern könnten die Manipulationen noch mehr Geld kosten, zusätzlich zu den bisherigen Milliardenzahlungen in den USA. Zahlreiche Aktionäre klagen beim Oberlandesgericht Braunschweig auf insgesamt neun Milliarden Euro Schadenersatz, weil sie von VW zu spät über die Verstöße in den USA informiert worden seien. Volkswagen bestreitet das. Die Rechnung ist ganz einfach: Je früher Wiko Bescheid wusste, desto teurer kann es für das Unternehmen werden. Rätselhaft ist die Aussage von E. hingegen, weil VW auf Anfrage dazu mitteilt, nach eigenen Erkenntnissen habe dieses Treffen "so nicht stattgefunden". Es handele sich "um eine einzelne Aussage von Herrn E., die weder von den Aussagen anderer angeblicher Teilnehmer noch durch andere Indizien belegt ist". Die Aussage ermöglicht tiefe Einblicke in den Konzern Winterkorn und sein Anwalt wollten sich auf Anfrage nicht zu E.s Angaben bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig äußern. Auch der Anwalt von E. nahm nicht Stellung. Die Aussage stammt vom 16. und 17. November 2017, sie ist fast 160 Seiten lang und ermöglicht ungewöhnlich tiefe Einblicke in das Innenleben des Konzerns und in dessen Abgasaffäre. Der Maschinenbauer E. hat in der Autoindustrie Karriere gemacht: Von VW ging es über Audi, Porsche und Daimler wieder zurück nach Wolfsburg, immer weiter die Treppe hinauf. Als Chef der Motorenentwicklung bei VW erfuhr E. laut eigener Darstellung im Ende 2014 durch einen Kollegen von den Abgasmanipulationen. Man betrüge in den USA, soll der Kollege gesagt haben. Was dann geschehen sein soll, hat der Motorenspezialist, der noch immer bei VW tätig ist, den Ermittlern im Detail geschildert. Er redet da über Winterkorn und auch über dessen Nachfolger Matthias Müller und Herbert Diess; über Verwerfungen zwischen VW und der Tochter Audi; über mutmaßliche Tricksereien und Betrügereien; über interne Ermahnungen zu Beginn der Affäre, den Ball flach zu halten. Und darüber, wie er im Auftrag von Müller und Diess und mit einer Mannschaft von bis zu 250 Ingenieuren in allen möglichen Dieselmodellen nach jener Software namens "Defeat Device" gesucht habe, die dem Konzern erst hohe Entwicklungskosten erspart und später noch viel mehr gekostet hat. Weil die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand der Behörden richtig funktionierte und im Straßenverkehr abgeschaltet wurde. Prüfstandserkennung und Umschaltlogik hieß das. Diese Missstände zu beseitigen, war für E. aufreibend. Von sieben bis 23 Uhr war er laut eigener Aussage im Büro, 16 Mal flog er in die USA, am Wochenende dann Jetlag zu Hause.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/abgasskandal-zeuge-belastet-winterkorn-schwer-1.4070421
mlsum-de-9658
Ökonomen versprachen eine bessere Welt, wenn die Menschen nicht mehr in der Fabrik und auf dem Feld schuften müssen. Aber die Wirklichkeit von Paketboten, Altenpflegern oder Verkäuferinnen sieht anders aus.
Wie oft in der menschlichen Geschichte steht auch am Anfang dieser Vision ein Mangel. In diesem Fall: ein Mangel an Jobs. Das 20. Jahrhundert ist zur Hälfte vorbei, da registriert Jean Fourastié, dass Maschinen in den Fabriken und auf den Feldern immer mehr Arbeit übernehmen. In Industrie und Landwirtschaft, die lange dominierten, wird der Mensch weniger gebraucht, schreibt der Ökonom 1949. Er findet diesen Mangel gar nicht schlimm. Im Gegenteil: Die anbrechende "Dienstleistungsgesellschaft" beschere den Menschen weniger schmutzige und besser bezahlte Jobs, häufig mit dem Kopf statt mit den Händen wie in Fabrik und Feld. Konstruieren statt malochen. Plus Dienste für den individualisierten Konsum, den sich die Masse künftig leisten könne. Der Franzose schwärmt vom Ende "der knechtischen Arbeit" und tauft sein Werk über die Dienstleistungs-Ära "Die Chance des 20. Jahrhunderts". 70 Jahre später zeigt sich, wie präzise manche Prognose den Lauf der Geschichte trifft. Unmittelbar nach Fourastiés Veröffentlichung begann ja erst mal die goldene Zeit der Industriejobs. Von einer Servicegesellschaft konnte im Wirtschaftswunder keine Rede sein. Heute aber findet tatsächlich nur noch jeder vierte Deutsche in der Industrie Beschäftigung. Drei Viertel dagegen sind Dienstleister. Und jene besser bezahlten Kopfarbeiter, die er vorausahnte, sind überall anzutreffen. Ob Werber, Anwälte oder Psychologen, Unternehmensberater, ITler oder Youtuber: ihre Zahl stieg entweder sprunghaft - oder der Beruf entstand überhaupt erst. Allerdings profitieren längst nicht alle von dieser Dienstleistungsgesellschaft. Bei vielen Service-Jobs bleiben die Menschen beruflich zurück. Von wegen Kopfarbeit: Was Paketboten oder Altenpfleger, Kellner oder Verkäuferinnen überwiegend mit ihren Händen leisten, ist häufig unsicher und schlecht bezahlt. "Trotz Konjunkturbooms verdienen sieben Millionen Deutsche weniger als 9,60 Euro die Stunde", sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann, "die meisten sind Dienstleister." Auch außerhalb des Niedriglohnsektors bekommen viele Servicekräfte deutlich weniger als in der guten alten Industrie. Selbst für vergleichbare Tätigkeiten. Die größte Kluft meldet die Statistik sogar zwischen zwei Servicebranchen: Banken und Versicherer zahlen im Schnitt 50 Euro Lohn plus Sozialleistungen pro Stunde - drei Mal so viel wie das Gastgewerbe. Verkäuferinnen, Paketboten und Pfleger sind ähnlich weit unten. Ihr Verdienst reicht im teuren Deutschland häufig nur zu einem Leben in Knappheit, mit der Aussicht auf eine magere Rente. Fourastiés Vision, sie reichte nur für einen halben Himmel. Es lohnt sich, gerade jetzt nachzudenken, warum das so ist - und was sich ändern lässt. Zum einen dürfte die Ära der Digitalisierung die Unterschiede verschärfen. Zum anderen sind sie in Deutschland besonders stark: Private Dienstleister zahlen 22 Prozent niedrigere Löhne und Sozialleistungen als die Industrie. EU-weit dagegen beträgt der Abstand nur drei Prozent. Deutschland ist eine Service-Wüste, jedenfalls für die Service-Ersteller. Wie aus Fourastiés Vorteil ein Nachteil wurde Warum lieferte Fourastié nur einen halben Himmel? Eine Ursache ist, dass sich für viele Arbeitnehmer jedenfalls bei der Bezahlung als Nachteil erweist, was er für einen Vorteil hielt. Wer an Köche oder Pfleger denkt, versteht sein Argument: Anders als die Produktion sind Dienstleistungen personengebunden, also schlechter durch Maschinen zu ersetzen. Die Jobs sind relativ sicher. Soweit der Vorteil. Ohne Maschinen aber lässt sich auch ihre Produktivität schwerer verbessern, ihre Leistung pro Person. Ein wesentlicher Treiber für Lohnsteigerungen wie in der Industrie fällt damit aus. Denn wenn Fabrikwerker jedes Jahr dank technischer Hilfe mehr Autos herstellen, kann die Firma ihren Lohn erhöhen, ohne dass ihre Kosten steigen. Wenn dagegen Köche nicht mehr Mahlzeiten kochen und Altenpfleger nicht mehr Alte pflegen als zuvor, steigert mehr Lohn die Kosten. Das Restaurant oder Altenheim muss die Preise erhöhen. Der Ökonom William Baumol diagnostizierte in den 60er-Jahren eine "Kostenkrankheit" der Dienstleistungen. Die vergangenen Dekaden zeigen, wie Firmen sie bekämpfen: Statt mit höheren Preisen den Verlust von Kunden zu riskieren, halten sie einfach die Löhne niedriger als in der Industrie. Aus Fourastiés Vorteil wurde ein Lohnnachteil. Dabei gäbe es Möglichkeiten, die Bezahlung analog zur Industrie zu verbessern. Der Koch kann zwar nicht viel mehr Mahlzeiten kochen als im Jahr zuvor, ohne die Qualität zu reduzieren. Er kann aber produktiver sein, indem er leckerer oder gesünder kocht, also die Qualität steigert - wofür der Kunde womöglich mehr zahlt. Hier aber zeigen sich Differenzen zur Industrie. Während Kunden ständig mehr für Neuwagen zahlen, die ihnen Hersteller als Premium suggerieren, zögern sie im Restaurant oder beim Friseur. Geiz ist geil - und zerstört Fourastiés Hoffnung, Konsumenten würden bereitwillig für individualisierten Konsum von Diensten zahlen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/dienstleistungsgesellschaft-geiz-macht-arm-1.3764236
mlsum-de-9659
Mehr als eine halbe Milliarde Euro werden die Länder 2016 an die Kirchen überweisen. Obwohl ein Gesetz von 1919 die Ablösung dieser Zahlungen fordert.
Die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland werden 2016 mehr als eine halbe Milliarde Euro an Staatsleistungen erhalten, so viel wie noch nie. Einer Auflistung der "Humanistischen Union" (HU) zufolge addieren sich die Zahlungen der Bundesländer mit Ausnahme der Stadtstaaten Bremen und Hamburg an die Kirchen auf gut 510 Millionen Euro. Die evangelische Kirche erhielt davon fast 298 Millionen, die katholische gut 212 Millionen. Baden-Württemberg zahlte mit insgesamt 114 Millionen Euro die größte Summe, gefolgt von Bayern (93 Millionen) und Rheinland-Pfalz (55 Millionen). Die Leistungen sind Ersatzzahlungen des Staates für Vermögensverluste der Kirchen, vor allem zur Zeit der Reformation und des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803, bei dem viele Klöster und kirchliche Ländereien verstaatlicht wurden. Seit 1919 gebietet Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung die Ablösung der Staatsleistungen. Das aber ist bis auf Ausnahmen nicht geschehen, auch, weil die Länder hohe Einmalzahlungen an die Kirchen fürchten. Die HU fordert, die Staatsleistungen zu streichen: "Seit 1919 ist genug gezahlt", sagt Johann-Albrecht Haupt, der für die HU die Zahlen recherchiert hat. Die meisten Staatskirchenrechts-Experten bezweifeln jedoch, dass dies so einfach möglich ist. Für die Länder wie die Kirchen geht es um vergleichsweise geringe Summen: Die Staatsleistungen entsprechen etwa fünf Prozent der Kirchensteuereinnahmen. Und im Schnitt zahlt ein Bundesland pro Bürger und Jahr 6,28 Euro an Staatsleistungen - in Nordrhein-Westfalen 1,27, in Bayern 7,35, in Sachsen-Anhalt dagegen 14,53 Euro pro Bürger.
https://www.sueddeutsche.de/politik/vermoegensausgleich-kirchen-erhalten-so-viel-geld-vom-staat-wie-nie-1.2844485
mlsum-de-9660
Die EU-Innenminister einigen sich darauf, 120 000 Flüchtlingen in Europa gemäß einer Quote zu verteilen. Damit wurden Ungarn und drei andere osteuropäische Staaten überstimmt.
Kein Konsens der EU-Mitglieder wie üblich Die EU-Innenminister haben bei ihrem Sondertreffen per Mehrheitsbeschluss die Umverteilung von 120 000 Flüchtlingen in Europa beschlossen. Die Entscheidung sei "durch eine große Mehrheit von Mitgliedstaaten" gefasst worden, teilte die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft via Twitter mit. Damit haben die Ressortchefs überraschend eine Entscheidung getroffen, die nicht wie üblich im Konsens aller Staaten zustande kam, sondern lediglich mit qualifizierter Mehrheit. Gegen die Umverteilung von Flüchtlingen aus stark belasteten Ankunftsländern wie Italien und Griechenland hatte sich bis zuletzt eine Reihe osteuropäischer Staaten gewehrt. Dem tschechischen Innenminister Milan Chovanec zufolge stimmten nun sein Land, Rumänien, die Slowakei und Ungarn dagegen. Finnland habe sich enthalten, schrieb er auf Twitter. Diplomaten bestätigten, dass die EU-Innenminister einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit fassten. Details zu der Einigung blieben zunächst offen. Die Verteilung der 120 000 Flüchtlinge hatte zu schwerem Streit unter den EU-Ländern geführt. Thema blockiert seit Monaten abgestimmtes Vorgehen Die Uneinigkeit blockiert seit Monaten ein abgestimmtes Vorgehen der Europäer in der Flüchtlingskrise. Nach einem gescheiterten Innenministertreffen in der vergangenen Woche hatte unter anderem Deutschland für diese Sitzung mit einem Mehrheitsbeschluss gedroht. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, in den kommenden beiden Jahren 120 000 Flüchtlinge aus den stark belasteten Ländern Italien, Griechenland und Ungarn über verbindliche Quoten auf die anderen EU-Staaten zu verteilen. Ungarn als Quotengegner lehnte es für sich aber ab, entlastet zu werden.
https://www.sueddeutsche.de/politik/mehrheitsbeschluss-eu-innenminister-beschliessen-umverteilung-von-120-000-fluechtlingen-1.2660373
mlsum-de-9661
Der FC Bayern berauscht sich am Supercup-Erfolg gegen den BVB. Doch vom gewünschten Selbstverständnis ist das Team noch weit entfernt.
Thomas Müller lief zu Späßen aufgelegt durch die Interviewzone. Mit einem Mitarbeiter des FC Bayern scherzte der Kapitän herum, und als sie einem Gespräch auf Italienisch lauschten, sagte Müller launig: "Italienisch kann ich nicht, nur ein paar Schimpfwörter." Er lachte wieder vergnügt und gab damit ein Bild ab, das man von ihm und den anderen Münchnern zuletzt eher selten zu sehen bekommen hatte. Nun wirkten sie sehr gelöst, der Gewinn des Supercups bei Borussia Dortmund hatte etwas Befreiendes nach zuletzt fünf teils heftigen Niederlagen in den vergangenen sechs Tests. Dass der knappe Erfolg des Meisters beim Pokalsieger nach dem 2:2 nach 90 Minuten erst durch das 5:4 im Elfmeterschießen herbeigeführt werden konnte? Nebensache. Schimpfwörter waren nun sehr fern, egal ob in der Muttersprache von Trainer Carlo Ancelotti oder auf Bayerisch. "Es war wichtig, dass wir die Niederlagen aus der Vorbereitung etwas abstreifen", sagte Müller, "es war eine Wohltat zu gewinnen." Viele gute Chancen in der ersten Halbzeit Wie groß die Anspannung beim FC Bayern gewesen war nach der missratenen Vorbereitung, war beim Jubel nach dem entscheidenden zwölften Elfmeter zu erkennen gewesen. Manuel Neuers Vertreter im Tor, Sven Ulreich, wehrte Marc Bartras Versuch ab, wie schon jenen zuvor von Sebastian Rode. Nach der letzten Parade sprang die Bayern-Bank auf, die Kollegen auf dem Platz rannten auf Ulreich zu. Es waren für Bayern-Verhältnisse beinahe schon ekstatische Szenen, die eher an den Meistertitel von 2001 erinnerten, als die Münchner dem FC Schalke am letzten Spieltag in der Nachspielzeit die Schale noch entrissen hatten. Diesmal fühlten sich die Bayern beinahe ein bisschen ertappt durch ihren Gefühlsausbruch. "Ich glaube, da gibt es viele Gründe, sich zu freuen", sagte Ulreich dazu und verwies auf den ersten offiziellen Titel der Saison, zumal gegen den größten nationalen Rivalen, und dann auch noch auswärts. Dann sagte er: "Und es hat natürlich auch gut getan nach der nicht so guten Vorbereitung." Unabhängig vom Ergebnis hatte auch das Spiel zuvor einige Gründe zur Freude für die Münchner bereitgehalten. Vor allem in der ersten Halbzeit, als sie Dortmund nicht nur überwiegend im Griff hatten, sondern mit einem funktionierenden Zusammenspiel auch viel Tordrang entwickelten und zu mehreren guten Chancen kamen. Zwar erst nach einem Ballverlust des später angeschlagen ausgeschiedenen Innenverteidigers Javi Martínez, der Christian Pulisic die Dortmunder Führung ungewollt aufgelegt hatte (11.). Doch danach zogen die Münchner die Schlinge um den BVB zunehmend zu, erzielten nach einer hübschen Kombination über Sebastian Rudy und Joshua Kimmich durch Robert Lewandowski den Ausgleich (18.) und kamen der Führung bis zur Pause sehr nahe.
https://www.sueddeutsche.de/sport/supercup-gegen-den-bvb-die-bayern-scherzen-wieder-1.3617849
mlsum-de-9662
Die Zeiten sind hart für Simulanten. Besonders zur Urlaubszeit reagieren die Unternehmen auf Krankmeldungen empfindlich. In Seminaren können Vorgesetzte den Umgang mit Mitarbeitern lernen, die chronisch "krankfeiern".
Bevor es losgeht, versucht der Mann im schwarzen Anzug noch schnell einen Witz. "Sie wollen sich doch sicher alle Tipps holen, wie Sie am besten krankfeiern können, oder?" Er zwinkert. Kleiner Scherz, "provokant formuliert". Nein, natürlich wollen sie hier niemandem Tipps geben, wie man als Arbeitnehmer seinen Urlaub mit einer Krankmeldung verlängert, sagt er. Es geht an diesem Morgen um die andere Seite: um die, die für die Krankfeierei zahlen müssen - oder das, was sie dafür halten. Berlin-Mitte, 8:15 Uhr, ein Konferenzsaal in einem schmucken Hotel, fast alle Tische sind besetzt. Die internationale Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt hat ihre Kunden zu einem kostenlosen Seminar geladen. In gemütlicher Atmosphäre will man über ein ungemütliches Thema sprechen. "Krankfeiern zur Urlaubszeit - Wie können Unternehmen reagieren?", es ist eine Art juristische Kurzfortbildung für Personaler, Sachbearbeiter und Chefs. Im Kleinen geht es um arbeitsrechtliche Kniffe, im Großen um die Frage, wie Unternehmen Mitarbeiter, die sich ständig krankmelden, loswerden. Zahlreiche Anwaltskanzleien in Deutschland bieten inzwischen solche juristischen Fortbildungsseminare an. Der Gedanke dahinter: Nur ein Unternehmen mit leistungsstarken Mitarbeitern kann auch erfolgreich sein. Die Zeiten sind hart für chronisch Kranke. Oder solche, die vorgeben, es zu sein. "Nehmen wir mal an", sagt eine Frau in Nadelstreifenkostüm, "eine gewisse Kollegin wird im Urlaub krank und reicht mir ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aber erst am Ende ein. Kann ich sie dann abmahnen?" Sie spricht in einem Ton, der verrät, dass sie die Kollegin schon lange kennt. Dann wird sie konkreter: Die Kollegin sei wieder in ihr Lieblingsland Türkei gereist. Sonne, Meer, Strand - hier wollte sie ihren restlichen Jahresurlaub abbauen, sechs Wochen waren zusammengekommen. Auch, weil sie sich schon öfter während ihres Urlaubs krank gemeldet hatte. Nun war die Frau also wieder im Urlaub, wieder Türkei. Und wieder: krank. Wiederholungstäter riskieren eine Kündigung Roman Parafianowicz, ein junger Rechtsanwalt mit roter Krawatte, der das Seminar leitet, steckt seine Hände in die Anzugtaschen, für solche Fälle hat er immer eine Antwort: "Abmahnen, natürlich", sagt er, Verstoß gegen die Nachweispflicht. Dauert eine Krankheit länger als drei Tage, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, seinem Arbeitsgeber spätestens am darauffolgenden Arbeitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Tut er das nicht, verstößt er gegen das Gesetz. Selbst wenn so etwas nur einmal im Jahr vorkommt, "im Wiederholungsfall reicht das für eine Kündigung", sagt Parafianowicz. Besagte Kollegin habe ihrem Arbeitgeber auch ihre Adresse in der Türkei nicht mitgeteilt, als sie krank wurde, erzählt die Frau im Kostüm. Also, noch ein Verstoß - diesmal gegen die Anzeigenpflicht. Damit kann sie die Angestellte auf jeden Fall abmahnen. "Die kriegt dann die volle Breitseite", sagt die Personalerin und lacht. Viele im Saal lachen mit. Das Thema des Seminars trifft auf Interesse. Besonders zur Urlaubszeit steigt in vielen Unternehmen der Krankenstand an. Ob ein Angestellter nur "krankfeiert" oder tatsächlich krank ist, ist für das Unternehmen allerdings schwer nachzuweisen. Wirtschaftlich ärgerlich ist es in jedem Fall: Laut Gesetz muss der Arbeitgeber dem Mitarbeiter maximal sechs Wochen lang Gehalt und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Manch einer, so lautet zumindest der Tenor im Seminar, nutzt das aus: "Was das Krankfeiern angeht, haben wir wirklich sehr kreative Mitarbeiter", raunzt eine Frau. Aber kann ein Unternehmen wirklich beweisen, dass ein Mitarbeiter nur vortäuscht, krank zu sein? Wer krank wird, hat die Pflicht, seinen Arbeitgeber - am besten seinen Vorgesetzten oder die Personalabteilung - unverzüglich darüber zu informieren. Ob per SMS, E-Mail oder Telefon bleibt ihm überlassen, das Gesetz schreibt keine konkrete Form vor. Hat ein Arzt dem Mitarbeiter eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt und zweifelt der Arbeitsgeber diese an, ist es seine Aufgabe, nachzuweisen, dass sie als Beweis keinen Wert hat. Einfach ist das nicht, besonders in Deutschland gilt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als valider Beweis. Anwalt Parafianowicz sagt: "Ein deutscher Arzt lügt nicht." Ganz unklug: sich in sozialen Netzwerken verplappern Für das Unternehmen geht es in solchen Fällen darum, einzelne Hinweise zu sammeln. Tritt die Arbeitsunfähigkeit häufig und oft am Beginn der Woche auf? Lässt sich der Arbeitnehmer nach Aufforderung vom medizinischen Dienst untersuchen? Oder hat er vielleicht sogar angekündigt, demnächst krank zu sein? All diese Dinge können, sollte es zu einem Prozess kommen, vor Gericht eine Rolle spielen. Um aufzuklären, was wirklich hinter einer Arbeitsunfähigkeit steckt, könne die Personalabteilung zum Beispiel Krankenbesuche machen, Kollegen befragen oder auch - sollte der Mitarbeiter im Urlaub krank geworden sein - Flugtickets, Hotel- und Bahnrechnungen verlangen, rät Parafianowicz. Seine Gäste kritzeln emsig in ihre Blöcke, zwischendurch gibt es noch ein Lachsbrötchen zur Stärkung. Am Ende wirft Rechtsanwalt Parafianowicz ein Bild an die Wand. Ein Eintrag auf Facebook ist zu sehen, gepostet von einer Anna A., die schreibt: "Ab zum Arzt und dann Koffer packen!" "So sollte man es nicht machen", sagt Parafianowicz. Für einen Moment stehen die Stifte der Personaler still - soziale Netzwerke, ein weiteres Beweismittel. Vielleicht denken sie in diesem Moment aber auch an ihre eigene Position: als Angestellte. Anna A., eine angehende Friseurin, hatte sich jedenfalls öffentlich auf ihrem Profil geäußert, auch ihr Chef las die Nachricht. Kurze Zeit später befasste sich das Arbeitsgericht Düsseldorf mit ihrem Fall. Ihren Ausbildungsplatz ist sie inzwischen los.
https://www.sueddeutsche.de/karriere/seminar-fuer-chefs-und-personaler-auf-der-jagd-nach-den-blaumachern-1.2214942
mlsum-de-9663
Die Presseschau "indirekter freistoss" befasst sich heute mit Frankreichs blamablem Aus, der bevorstehenden Prüfung für Joachim Löws Spielidee und der Kritik an den Schiedsrichtern.
"Schiffbruch: ein Unentschieden, zwei Niederlagen und nur ein mickriges Tor. Frankreich verabschiedet sich mit einer unterirdischen Darbietung von dieser WM", jammert Betrand Métayer (leparisien.fr). "Die Meuterei vom Sonntag hatte zwar Konsequenzen nach sich gezogen - beim Anstoß befanden sich lediglich fünf Überlebende aus dem Mexiko-Spiel auf dem Rasen - doch nicht ein einziger von ihnen zeigte die richtige Einstellung. Eine trotz ihrer begrenzten Fähigkeiten frech aufspielende südafrikanische Mannschaft traf auf eine Équipe Tricolore, die ohne Lust, ohne Ideen, ohne Gegenwehr auftrat." (...) Laurent Blanc, designierter Nachfolger von Raymond Domenech, werde in wenigen Tagen einen Haufen Trümmer übernehmen. "Eine wahrhafte Verschwendung." Detailansicht öffnen Raymond Domenech bei seinem letzten Auftritt als französischer Nationaltrainer. (Foto: rtr) Martin Beils (rp-online) beobachtet, wie sehr die französische Politik darum bemüht ist, den in den vergangenen Tagen entstandenen Schaden in Grenzen zu halten: "Sarkozy erteilte Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot-Narquin den Auftrag, die Hauptdarsteller der Schmierenkomödie zu einem Krisengipfel einzubestellen. In den vergangenen Tagen war Bachelot einige Male im Quartier in Knysnia zu Gast, saß bei den Spielen der Blauen auf der Tribüne und schoss fleißig mit der Handykamera Erinnerungsfotos. Die Anhängerin im rosa Pullover verwandelt sich damit in die Chefaufpasserin für Trainer Raymond Domenech, Franck Ribéry und die anderen schwierigen Charaktere." Man denke auch bereits über Konsequenzen nach dem Turnier nach: "'Wir werden nach der WM eine Untersuchung einleiten über alles, was hier passiert ist.' Eigentlich sei eine WM Angelegenheit des Fußball-Verbandes, 'aber die Regierung muss eingreifen, wenn der Ruf Frankreichs auf dem Spiel steht, das ist hier der Fall.'" Auch Sascha Lehnartz (Welt) beobachtet, wie sich die Staatsmänner in Frankreich um das Ansehen ihres Landes sorgen: "Kaum waren Anelkas Worte in der Welt, meldete sich Präsident Sarkozy aus Moskau: Sollten diese Worte so gefallen seien, seien sie 'vollkommen inakzeptabel'. Der Präsident des französischen Fußballverbandes, Jean-Pierre Escalettes, bestellte Anelka ein und forderte ihn auf, sich zu entschuldigen. Dies lehnte dieser ab - mit der Begründung, er habe die in der Presse erschienenen Worte so nicht gesagt. Daraufhin suspendierte der Verband Anelka, teilte aber irritierenderweise zugleich mit, der Verbalrüpel habe die Nachricht von seinem Ausschluss 'sehr würdevoll' aufgenommen. Die Bildungsministerin Valérie Pecresse warf im Laufe des Tages die Frage auf, wie man eigentlich von jungen Leuten noch erwarten wolle, ihre Lehrer zu respektieren, wenn sie Anelka sähen, der seinen Trainer beleidigt. Der sozialistische Politiker Jérôme Cahuzac bot derweil eine gewagte politische Interpretation des Werteverfalls im Fußballermilieu: der Präsident sei schuld, denn das Klima, das in der Nationalmannschaft herrsche, sei jenes, das Nicolas Sarkozy im ganzen Land hervorgerufen habe: 'Es ist der Individualismus, der Egoismus, das Jeder-für-sich, und der einzige Maßstab des menschlichen Erfolges ist der Scheck, den jeder am Ende des Monats kassiert.'" Nur die Neue Zürcher Zeitung weiß etwas Gutes am Ausscheiden der streikfreudigen Franzosen zu finden: "Auch Sponsoren haben gelernt, dass sie in den Ausstand treten dürfen. So hat die Schnellimbisskette Quick ihre TV-Werbung mit dem nach Hause geschickten Anelka eingestellt. Auch Crédit Agricole hat Konsequenzen gezogen und stellt die Werbesendungen mit den Buhmännern der Nation ein. Bloss die Detailhandelskette Carrefour lässt sich nicht beirren und hält am Engagement zur Unterstützung der Nationalmannschaft fest; negative Publizität ist für das Unternehmen ohnehin nichts Neues." "Wenn die deutsche Nationalelf an diesem Mittwoch an Ghana scheitert, dann bitte nicht auf französisch. Der Nachbar gibt in Südafrika ein Bild ab, das an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten ist", schreibt Peter Hess (FAZ).
https://www.sueddeutsche.de/sport/wm-2010-presseschau-ein-haufen-truemmer-1.964047
mlsum-de-9664
Ein Bericht belegt Folter, Vergewaltigungen und tausendfachen Mord an Zivilisten in syrischen Gefängnissen. Die Verbrechen sind laut Amnesty International von höchster Ebene autorisiert.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat dem syrischen Regime von Präsident Baschar al-Assad schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. In einem am Dienstag veröffentlichten Bericht dokumentiert sie nach einjährigen Untersuchungen die "außergesetzliche Exekution durch Massen-Erhängungen" von Tausenden Menschen im Militärgefängnis Saydnaya, 20 Kilometer nördlich von Damaskus. Basierend auf den Aussagen von 84 Personen - unter ihnen 31 ehemalige Häftlinge, vier frühere Wärter, Militärrichter und Ärzte des Militärkrankenhauses Tischrin in Damaskus - schätzen die Menschenrechtler, dass von September 2011 bis Dezember 2015 allein in Saydnaya zwischen 5000 und 13 000 Häftlingen hingerichtet wurden. Die Getöteten seien in Tischrin registriert worden, wo fingierte Totenscheine ausgestellt wurden. Dann seien sie in Massengräbern verscharrt worden - auf Grundstücken, die dem Militär gehörten. Laut ehemaligen Insassen werden Häftlinge gezwungen, Mitgefangene zu vergewaltigen Die Opfer seien "in der überwältigenden Mehrheit normale Zivilisten", die dem Regime als Opponenten galten. Viele andere seien nach wiederholter Folter gestorben oder weil ihnen systematisch Nahrung, Wasser, Medikamente und ärztliche Betreuung vorenthalten wurden. Es sei "nicht vorstellbar, dass diese groß angelegten und systematischen Praktiken nicht von den höchsten Ebenen der syrischen Regierung autorisiert worden sind", heißt es in dem Bericht weiter. Amnesty International sieht den Tatbestand der Ausrottung nach Artikel 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) als erfüllt an. Dieser setzt einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung voraus. Detailansicht öffnen Das Regime von Syriens Machthaber Baschar al-Assad wird durch den Amnesty-Bericht schwer belastet. (Foto: Shutterstock) Das Gefängnis Saydnaya steht unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums und wird von der Militärpolizei betrieben. Für die meisten Verhaftungen seien aber die vier konkurrierenden Geheimdienste des Regimes verantwortlich, der Luftwaffen- und der Militärgeheimdienst, sowie die Direktion für politische Sicherheit und die Staatssicherheit. Sie alle werden von engen Vertrauten Assads geleitet. Amnesty schätzt, dass 10 000 bis 20 000 Häftlinge in Saydnaya unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten und regelmäßig und systematisch gefoltert werden. Zugleich erfülle ihre Behandlung den Tatbestand des Verschwindenlassens: In den allermeisten Fällen wüssten die Familien nicht, wo ihre Angehörigen festgehalten werden oder was mit ihnen geschehe. Zu den regelmäßig angewendeten Folterpraktiken gehörten Schläge mit Kabeln, Plastikrohren und Metallstangen sowie sexuelle Misshandlungen. Nach Aussagen von ehemaligen Insassen werden Häftlinge gezwungen, Mitgefangene vor den Augen der anderen zu vergewaltigen. Folter werde dabei nicht vorrangig als Mittel eingesetzt, um Geständnisse zu erpressen, sondern als Bestrafung; die Häftlinge kämen erst nach der Befragung durch die Geheimdienste in das Gefängnis, die ebenfalls regelmäßig mit Folter einhergehen. Detailansicht öffnen SZ-Karte Die hingerichteten Häftlinge würden standrechtlich von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Die Verfahren dauerten eine bis drei Minuten; den Häftlingen seien die Augen verbunden. Sie hätten keinen Zugang zu einem Anwalt und würden auch nicht über ihr Urteil informiert. Ihr Schicksal werde ihnen erst klar, wenn sie in den Hinrichtungsraum geführt würden und ihnen das Urteil mitgeteilt werde. Auch hierbei seien ihnen die Augen verbunden. Dass sie gehenkt werden, verstünden sie erst in dem Moment, in dem ihnen die Schlinge um den Hals gelegt werde. Die früheren Häftlinge, die Amnesty interviewen konnte, waren in der Regel durch Amnestien des Präsidenten freigekommen. In vielen Fällen hätten die Familien dafür erhebliche Summen an Schmiergeld gezahlt. Es ist bekannt, dass Syriens Regime ein ausgedehntes Netzwerk von Gefängnissen im ganzen Land unterhält, in denen Gegner ohne Prozess festgehalten und systematisch misshandelt werden. Schon 2012 hat Human Rights Watch 27 Haftanstalten identifiziert. Laut syrischen Menschenrechtlern sind in ihnen mindestens 75 000, vielleicht aber sogar mehr als 115 000 Menschen verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Bis Ende 2015 wurden mehr als 12 000 Todesopfer dokumentiert, tatsächlich dürfte ihre Zahl weit höher liegen. 2013 schmuggelte ein unter dem Codenamen Caesar bekannter Fotograf mehr als 50 000 Aufnahmen von getöteten Häftlingen außer Landes, die er in Tischrin und einem weiteren Militärkrankenhaus aufgenommen hatte. Human Rights Watch verifizierte mehr als 6000 Opfer. Der Amnesty-Bericht liefert nun weitere Details und belastet das Regime schwer. Die Organisation forderte die UN-Generalversammlung auf, schwerste Kriegsverbrechen in Syrien zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Einen solchen Mechanismus hatte das Organ erst im Dezember mit einer Mehrheit von 105 Staaten beschlossen, gegen den Widerstand Syriens und seiner Verbündeten Russland und Iran. Die Freilassung politischer Gefangener sowie der Zugang des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zu den syrischen Haftanstalten gehörten immer wieder zu den teils in UN-Resolutionen verbrieften Forderungen der internationalen Gemeinschaft, wurden aber wie der freie Zugang für humanitäre Helfer nie durchgesetzt. Syrien ließ Anfragen von Amnesty unbeantwortet, bestreitet aber regelmäßig, dass es politische Häftlinge in dem Land gibt und dass es in seinen Gefängnissen zu systematischen Menschenrechtsverletzungen kommt.
https://www.sueddeutsche.de/politik/syrien-tatort-saydnaya-1.3368051
mlsum-de-9665
Der zweite Angeklagte im Staufener Missbrauchsfall ist jetzt verurteilt worden. Der 50-Jährige hat einen Jungen zweimal vergewaltigt, die Taten gefilmt und das kinderpornografische Material anschließend im Internet verbreitet.
Knut S. muss für acht Jahre ins Gefängnis, das hat das Landgericht Freiburg entschieden. Es fällte an diesem Mittwoch das zweite Urteil im Missbrauchsfall von Staufen. Auf Sicherungsverwahrung, wie Staatsanwaltschaft und Nebenklage gefordert hatten, verzichtete das Gericht aber. Dafür fehle die rechtliche Grundlage, sagte der Vorsitzende Richter. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der 50-jährige S. einen heute neunjährigen Jungen zweimal vergewaltigt, die Taten gefilmt und das kinderpornografische Material anschließend verbreitet hat. Seinem Opfer muss S. 12 500 Euro Schmerzensgeld zahlen. Die Staatsanwaltschaft hatte zwölf Jahre Haft und anschließende Sicherungsverwahrung gefordert, die Verteidigung vier Jahre Haft ohne Sicherungsverwahrung. Der psychiatrische Gutachter Hartmut Pleines hatte dem Angeklagten im Prozess eine "abnorme Sexualität" attestiert. Er müsse dauerhaft betreut werden. Allerdings sprach sich der Gutachter gegen eine Sicherungsverwahrung aus. Es bestehe zwar ein Rückfallrisiko, das sei aber nicht so gravierend, dass eine derart harte Maßnahme gerechtfertigt sei. Der Angeklagte habe von der Justiz 2007 zwar einen Strafbefehl wegen des Besitzes von Kinderpornografie erhalten. An Kindern vergangen habe er sich aber vor den Taten in Staufen nicht. Für solche Ersttäter sei Sicherungsverwahrung nicht gedacht, sagte Pleines. Eine psychische Erkrankung gebe es aber nicht, der Mann sei voll schuldfähig. Das Kind wurde gefesselt und auf besonders brutale Weise missbraucht Die Staatsanwaltschaft hatte zu Prozessbeginn von "besonders grausamen und menschenverachtenden Taten" gesprochen. Das Kind habe keine Chance gehabt, sich zu wehren. Es sei erniedrigt, gefesselt und auf besonders brutale Weise missbraucht worden. Eine Polizistin sagte vor Gericht aus, bei dem Angeklagten seien große Mengen kinderpornografischen Materials gefunden worden. Dabei gehe es auch um sexuellen Missbrauch von Babys, um Fesselungs- und Tötungsfantasien. Außerdem gebe es Hinweise, dass der Mann möglicherweise bereits früher Kinder missbraucht habe. Der Angeklagte, ein Bundeswehrsoldat, der nach seiner Festnahme vorläufig des Dienstes enthoben wurde, hatte die Taten an dem Neunjährigen im Laufe des Prozesses gestanden. Er habe der Mutter und ihrem Lebensgefährten Geld für den Missbrauch bezahlt. Sexuelle Gewalt an anderen Kindern bestritt Knut S. jedoch. Die Verbrechen gegen das Kind haben selbst erfahrene Ermittler schockiert. Der Staatsanwältin versagte die Stimme, als sie die Anklage verlas und die Taten im Detail beschreiben musste. Für Teile des Prozesses war die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Als Grund nannte das Gericht Persönlichkeitsrechte des Angeklagten. Im Zentrum des Staufener Missbrauchsfalles stehen die 48-jährige Mutter des Kindes und ihr 39-jähriger Lebensgefährte. Mehr als zwei Jahre lang sollen sie das Kind fremden Männern zum Missbrauch angeboten haben. Die Kontakte wurden über das Darknet, den verborgenen Teil des Internets, angebahnt. Während der Lebensgefährte die Taten organisierte und den Jungen auch selbst etliche Male missbrauchte, soll die Mutter das Kind zu den Tatorten gebracht und ruhiggestellt haben. Insgesamt gibt es in den Fall acht Verdächtige: Neben der Mutter und ihrem Lebensgefährten, die sich vom 11. Juni an vor Gericht verantworten müssen, gibt es sechs Männer, die auf das Angebot im Darknet eingegangen sind. Zwei von ihnen sind nun verurteilt, vier weitere Prozesse stehen in den kommenden Monaten an. Die Staatsanwaltschaft hat sich entschieden, jeden der Männer einzeln anzuklagen.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozess-acht-jahre-haft-1.3982534
mlsum-de-9666
Durchbruch nach Mitternacht in Genf: Wenn die Waffen eine Woche lang schweigen, wird Washington mit Moskaus Militär kooperieren, sagt Außenminister Kerry.
USA und Russland einigen sich: Von Montag an Waffenruhe in Syrien Russlands Außenminister Sergej Lawrow (l.), UN-Sondergesandter Staffan de Mistura und US-Außenminister John Kerry auf dem Weg zur Pressekonferenz in Berlin. Die USA und Russland haben sich auf einen Plan zur Reduzierung der Gewalt in Syrien und für eine politische Lösung des Konflikts geeinigt. Das gaben die Außenminister beider Länder, John Kerry und Sergej Lawrow, in der Nacht zum Samstag in Genf nach mehr als zwölfstündigen Verhandlungen bekannt. Die Waffenruhe solle am Montag beginnen, sagte Kerry. Sollten die Waffen eine Woche lang schweigen, würden die USA mit dem russischen Militär kooperieren, kündigte Kerry an. Lawrow sagte, man habe sich auf Gebiete geeinigt, in denen beide Länder gegen Terroristen und die Dschihadisten der IS-Miliz vorgehen. Zugleich zeigte sich der US-Außenminister zuversichtlich, dass der Plan für die Waffenruhe zu Gesprächen führen könne, die den "Konflikt beenden". Er sprach von einem Wendepunkt. Russland ist ebenso wie Iran ein enger Verbündeter des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, die USA unterstützen hingegen verschiedene bewaffnete Gruppen von Assad-Gegnern. Kerry und Lawrow hatten ihre Beratungen über einen Ausweg aus dem syrischen Bürgerkrieg am Freitag fortgesetzt, nachdem Beratungen am Rande des G20-Gipfels in China am Montag ohne greifbares Ergebnis geblieben waren. Humanitäre Hilfe für Bevölkerung könnte bald möglich sein Bei den Verhandlungen ging es um eine Waffenruhe, die humanitäre Hilfe für die syrische Bevölkerung sowie die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen. Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Staffan de Mistura, begrüßte die Einigung. Den USA und Russland sei es gelungen, einen klaren Plan für eine Waffenruhe auszuarbeiten. UN-Organisationen stünden bereit, sofort Hilfsgüter für Hunderttausende Syrer in belagerten Regionen zu liefern, sobald die Waffenruhe beginne.
https://www.sueddeutsche.de/politik/buergerkrieg-usa-und-russland-einigen-sich-von-montag-an-waffenruhe-in-syrien-1.3156157
mlsum-de-9667
1860-Präsident Schneider gibt bekannt, dass Sportchef Poschner nur noch drei Monate auf Bewährung arbeitet. Die Nachricht lenkt davon ab, dass sich sonst kaum etwas geändert hat.
Gerhard Poschner war nicht anwesend, er weilte ja im schönen Tirol im Trainingslager; im Mittelpunkt der achtstündigen Mitgliederversammlung des Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München stand er dennoch, der Sport-Geschäftsführer, der zwei Tage vor der Veranstaltung zum Sportdirektor herabgestuft worden war. Übergangspräsident Siegfried Schneider startete den Sonntag mit scharfer Kritik an Poschner, den die Vereinsseite entlassen hätte, der aber Unterstützung von Investor Hasan Ismaik genoss. Schneider bezichtigte Poschner erneut der Lüge: Mit der Aussage, das Präsidium habe die Verpflichtung neuer Spieler blockiert, habe Poschner "versucht, Politik zu machen", sagte er: "Das ist nicht loyal, nicht professionell und seinem Angestelltenvertrag nach nicht akzeptabel." Etwa 1,5 Millionen Euro stünden gemäß dem bei der Lizenzierung eingereichten Budget für Transfers zur Verfügung. "Das ist nicht die Welt", sagte Schneider, "aber andere Zweitligisten schaffen es auch, Spieler ohne Ablöse zu bekommen." Poschner habe "versucht, von seinen eigenen Fehlern abzulenken und sie anderen in die Schuhe zu schieben". Karl-Christian Bay, Schneiders Kollege im Übergangspräsidium, nannte darauf sogar eine Summe von zwei Millionen Euro, die Poschner zur Verfügung stünden für Ablöse und Gehalt aller neuen Profis. Wer gedacht hatte, dass es Schneider nach der umstrittenen Beförderung des Investoren-Vertreters Noor Basha zum Sport-Geschäftsführer nötig haben würde, ein weißes Kaninchen aus dem Hut zu ziehen, um die Mitglieder in der schwülheißen Tonhalle auf seine Seite zu ziehen, der sah sich aber getäuscht. Schneider ist kein Zauberer. Er ist Politiker. Also sagte er einfach das, was zu sagen war. Und eine deutliche Kritik an Poschner und eine weitere Einschränkung genügte nach den Wochen des Durcheinanders. "Jetzt ergänze ich, was Sie noch nicht wissen", sprach Schneider feierlich: "Poschner ist Sportdirektor für die kommenden drei Monate. Das ist das Ergebnis aus Abu Dhabi." Auf diesen Kompromiss also hätten sich die Vereinsvertreter mit Ismaik geeinigt. Die meisten Mitglieder waren begeistert, einer rief euphorisch: "Was in den letzten Tagen bewegt wurde, ist in den letzten zehn Jahren nicht passiert." Und was passiert dann nach drei Monaten mit Poschner, an dem doch ausgerechnet Basha in Treue festhielt? "Wir werden seine Arbeit beobachten, bewerten und die notwendigen Konsequenzen ziehen", versprach Schneider. Poschner werde danach nur weiterbeschäftigt, wenn dies sowohl der Verein als auch der Investor wollen: "Ich warne davor, an dieser Person die Kraftprobe zu machen. Diese Frage, wer den Stecker ziehen kann, muss raus bei 1860." Lacher für Schneider Andererseits entsprach ja die Frage nach einem Steckerzug bei Poschner der Sehnsucht so vieler Mitglieder. Doch er wird bleiben, Bewährungsfrist hin oder her. Schneider mag kein Magier sein, aber das Hütchenspiel beherrscht er dann schon. Er hat die Protagonisten der KGaA einfach so lange durcheinander gewirbelt, bis der Eindruck entstanden war, da wehe ein ordentlich frischer Wind. Am Ende sind dann die Vertrauten Poschner und Basha an fast denselben Stellen wieder gelandet. Einer kleinen Revolution entsprach immerhin der Fakt, dass der kaufmännische Geschäftsführer Markus Rejek fortan der Vorgesetzte von Poschner ist. Die beiden, die sich dem Vernehmen nach längst überworfen haben, waren zuvor gleichgestellt. Dass er als Marketingexperte zuständig sein soll für die Kaderzusammenstellung, verwundert Rejek offenbar. "Ich bin per se nicht derjenige, der hier mit sportlicher Kompetenz angetreten ist", sagte er. "Ich weiß, viele von Ihnen hätten lieber eine sofortige Trennung von Poschner gehabt", sagte Schneider unter tosendem Applaus. Als er ergänzte, sein Vizepräsident Bay habe aber "den Umständen entsprechend ein außergewöhnlich gutes Ergebnis erzielt", hatte er die Lacher auf seiner Seite. Dass Basha künftig gemeinsam mit Rejek die Geschäftsführung im Bereich Sport übernehmen soll, wurde von den Mitgliedern mit lautstarken Buhrufen quittiert. Schneider erklärte den Hintergedanken der Beförderung Bashas: "Mir ist es schon lieber, dass er eingebunden und in Verantwortung ist. Und nicht über Facebook, Twitter oder sonst was kommuniziert." Riesenlacher.
https://www.sueddeutsche.de/sport/mitgliederversammlung-von-1860-muenchen-huetchenspieler-in-der-hitze-1.2563111
mlsum-de-9668
Unterhachings Fußballer holen gegen Ahlen ihren ersten Punkt - ihr erstes Saisontor will ihnen jedoch nicht gelingen.
Lange hatten sich die Akteure Zeit gelassen, ehe sie endlich Vollzug melden konnte. Auch wenn Klaus Augenthaler und Sportdirektor Francisco Copado im Nachhinein steif und fest behaupten, die Vertragsverlängerung des Trainers im Frühsommer sei nur Formsache gewesen, so darf nach dem verkorksten Start der SpVgg Unterhaching in die neue Drittligasaison doch angenommen werden, dass Augenthaler seine Zweifel hatte, ob die ihm gestellte Aufgabe wirklich zu lösen sei. Detailansicht öffnen SpVgg Unterhaching gegen RW Ahlen: Sieg für die Hachinge - wenn auch ohne Tor (v.l.: Alder, Kanca) (Foto: Claus Schunk) Mit einer runderneuerten Mannschaft sollte er um den Aufstieg mitspielen. Gestern Abend fand nun das dritte Spiel statt - vor trister Kulisse gegen den nicht eben schillernden Zweitligaabsteiger Rot-Weiß Ahlen. Und es war wieder nicht das, was man gemeinhin unter dem Begriff Fußballfest versteht. Am Ende stand wenigstens der ersten Punktgewinn für die SpVgg - doch das 0:0 dürfte den Glauben Augenthalers in die Stärke seines Teams nicht wesentlich vergrößert haben. Dass es dem Hachinger Kader in der Breite an Qualität fehlt, hatte man schon zuletzt beim 0:3 in Regensburg gesehen. Auch gegen Ahlen fehlten die Routiniers Hoffmann und Tyce, Mittelfeldspieler Fioretto, sowie Stürmer Gunnlaugsson allesamt verletzt und dazu auch noch der gesperrte Rechtsverteidiger Thorsten Schulz. Diesen ersetzte Augenthaler mit Markus Schwabl und brachte zudem eine zweite Spitze, Ömer Kanca spielte für Mitterhuber. Doch nicht nur die Auf-, auch die Einstellung der Rot-Blauen war zumindest anfangs eine andere als zuletzt. Sie versuchten, den nach zwei Unentschieden ebenfalls nicht mit Selbstvertrauen im Übermaß ausgestatteten Gegner zu dominieren. Dennoch hatte Ahlen die erste Chance, Hilles Aufsetzer stellte SpVgg-Torwart Kampa vor keine großen Probleme (8.). Dann erhöhten die Gastgeber die Schlagzahl, Hain jagte den Ball nach einer Ecke über den Kasten, Villar wurde im letzten Moment geblockt (16.) und scheiterte fünf Minuten später nach sehenswerter Kombination über Stegmayer und Kanca kläglich an RW-Schlussmann Maczkowiak, Kanca schließlich schlenzte den Ball aus spitzem Winkel aufs Dach des leeren Tores. Die Regel, wonach ein derart fahrlässiger Umgang mit Torchancen bestraft wird, entkräftete Ahlens Janis Kraus, der es freistehend nicht schaffte, Kampa zu überwinden (32.). Die Zuschauer im Sportpark beschlich mehr und mehr das Gefühl, dass hier mitnichten zwei Torfabriken aufeinandertrafen. Dabei hätte schon ein Blick auf die bisherigen Ergebnisse Klarheit gebracht: Nur die Westfalen hatten in den ersten beiden Saisonspielen getroffen - einmal. Folgerichtig ging es torlos in die Pause und Klaus Augenthaler machte einen leidlich verzweifelten Eindruck, als er Schwabl mit deutlichen Worten zu größerer Konzentration aufforderte. Doch auch nach dem Wechsel blieb die Fehlerquote hoch, schön anzusehen war das Gebotene nicht. Augenthaler saß nicht lange still, immer wieder forderten missglückte Aktionen seiner Spieler lautstarke Ermahnungen hervor. Und er musste den nächsten Ausfall hinnehmen: Leandro Grech, einer der Aktivposten, hatte nach einem Zusammenprall mit Schwindel zu kämpfen, musste raus (69.) und später zu einer Untersuchung ins Krankenhaus. So tröpfelte das mittlerweile gähnend langweilige Spiel seinem Ende entgegen. Hille hätte Ahlen den ersten Sieg bescheren können, doch er scheiterte an Kampa (84.), auf der Gegenseite war Tunjic knapp dran, zum Helden des Tages zu avancieren - sein Kopfball flog vorbei (86.). Es passte zu diesem Spiel und der Situation in Haching, dass sich Orkan Balkan kurz vor Schluss zu einer Tätlichkeit hinreißen ließ und vom Platz flog.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/spvgg-unterhaching-ahlen-gefuehlte-niederlage-1.983767
mlsum-de-9669
Wer seine Produkte um zehn Prozent verbilligt, soll mit einem Logo belohnt werden. Doch reicht das, wenn die Inflation so stark steigt, dass die Menschen sich das Leben kaum leisten können?
Immer wenn die Satire in der Türkei Konjunktur hat, ist die Lage ernst. Die Karikaturenzeitschrift Leman setzte jüngst auf ihre Titelseite einen Höhlenmenschen, der auf Steinwände malt, weil Zeitungsdruck zu teuer geworden ist. Auf Twitter gibt es einen Hashtag, der sich nur mit den hohen Preisen von Toilettenpapier beschäftigt, ein anderer Hashtag lautet schlicht: "Teures Leben" (#hayatpahalı). Kein Witz war es, als jüngst im Istanbuler Einkaufszentrum Metrocity die Rolltreppen abgebaut wurden, wegen unbezahlter Stromrechnungen. Die Verbraucherpreise sind im September um 6,3 Prozent gestiegen, im Vergleich zum Vorjahr beträgt das Plus 24,5 Prozent. Am Dienstag forderte Finanzminister Berat Albayrak türkische Firmen dazu auf, die Preise für ihre Produkte freiwillig um zehn Prozent zu senken. Sehr viele Unternehmen hätten sich dazu schon bereit erklärt. Firmen, die bei dieser "Anti-Inflations-Kampagne" mitmachen, sollen mit einem Logo belohnt werden. Albayrak versprach zudem, die Preise für Gas und Strom würden bis Jahresende nicht erhöht. Sie waren zuletzt stark gestiegen. Die Rolltreppen in der Metrocity laufen inzwischen wieder, drei Tage lang aber mussten die Kunden "die Feuertreppen benutzen", erzählt ein Händler. "Die wollten auch den Strom abschalten", sagt der Mann, aber da hätten sich die Ladenbesitzer gewehrt. Fünf Stockwerke hat die Metrocity, auf allen gibt es mehrere geschlossene Geschäfte. "Wegen der hohen Mieten", sagt ein Verkäufer. Ladenmieten mussten bislang oft in Dollar bezahlt werden. Dies hat die Regierung nun verboten, die Mieten müssen auf Lira umgestellt werden. Alle Einkaufszentren zusammen haben, so die Zeitung Hürriyet vom Dienstag, 15 Milliarden Dollar Schulden. Christiane Şenol ist froh, dass sie beim Umzug ihrer Textilfabrik vor vier Jahren keine Dollarmiete mehr akzeptiert hat. Wirtschaftlich zu überleben ist auch so schwer genug. "Fast der ganze Textilmarkt wird auf Dollarbasis abgerechnet", sagt sie. "Die Stoffe, die ich kaufe, die Maschinen, mit denen sie verarbeitet werden, die Farben, alles muss in Dollar bezahlt werden." Der Dollarkurs hat gegenüber der Lira seit Jahresbeginn um 40 Prozent zugelegt. "Ich müsste eine Hose, die bislang für 200 Lira verkauft wurde, jetzt für 260 Lira verkaufen, aber dann kauft sie keiner", sagt Şenol. Sie hat sich für einen Preis von 220 Lira entschieden, und musste 35 000 Etiketten ändern. Şenols Unternehmen liegt in einem Istanbuler Textildistrikt, in der Türkei lassen auch viele berühmte italienische Marken nähen. "Made in Turkey", sagt Şenol, sei in der Branche generell gut angesehen. Aber der Markt ist schwierig geworden, die Löhne steigen, auch wegen der Inflation. Şenol ist seit Langem im Geschäft und hat viel Auf und Ab erlebt. Die Wirtschaftskrise 2001, als die Inflation 80 Prozent betrug. Danach der Boom zu Beginn der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan: "Da war alles super, die Wirtschaft brummte, es gab viele Freiheiten, viel Kreativität, fast wie in der Hippie-Zeit in Europa in den 70er- und 80er-Jahren." Dann kam Gezi, der Aufstand gegen Erdoğans konservative Gesellschaftspolitik. Dann der Putschversuch, Anschläge, das Ende der Freiheit. Ein Problem der türkischen Wirtschaft: Sie ist wenig innovativ Markus Slevogt ist Präsident der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer, 900 Unternehmer sind dort Mitglied, die Zahl ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Slevogt trifft man auch in einem Einkaufscenter, es gibt viele in Istanbul. In einem Café dort hatte er gerade einen Termin mit dem Vertreter eines Investmentfonds. Slevogt sagt, "die Türkei hat einen hohen Kapitalbedarf, die Finanzierungslücken müssen gedeckt werden". Er glaubt, die jetzige türkische Krise sei der letzte Ausläufer der globalen Finanzkrise von 2008 und 2009. Danach gab es billiges Geld, und die Türkei deckte sich damit ein. "Das hat das Wachstum in bestimmten Sektoren stark angetrieben, in der Bauwirtschaft etwa. Da gab es Geschäftsmodelle, die liefen wie geschnitten Brot." Seit die US-Notenbank vor zweieinhalb Jahren damit begann, die Zinsen langsam anzuheben, werden Kredite teurer, "ein Problem für alle Schwellenländer". Slevogt war jüngst dabei, als Erdoğan sich in Berlin Sorgen und Ratschläge von Wirtschaftsleuten anhörte. Drei Minuten durfte er sprechen. Er sagte, Putschversuch und Ausnahmezustand hätten auch deutsche Unternehmer erschreckt, Investitionspläne gestoppt. Erst langsam würden sie wieder aus den Schubladen gezogen. Um "letzte Zweifel" zu beseitigen, schlug Slevogt eine engere Kommunikation zwischen türkischer Regierung und Wirtschaft vor. Zuletzt wurden auch die Unternehmer von Entscheidungen aus Ankara meist überrascht. Ein Problem der türkischen Wirtschaft: Sie ist wenig innovativ, "sie absorbiert Technologie", sagt Slevogt. Erdoğan hat angekündigt, das solle sich ändern. Aber dazu muss das Bildungssystem reformiert werden, der Weg dürfte lang werden. Gleich neben der Metrocity, die tagelang keine Rolltreppen hatte, gibt es Kanyon, noch eine Shopping Mall, elegant, teuer, voll internationaler Kettenläden. Das Publikum hier kann sich etwas leisten. Die Krise macht die sozialen Unterschiede größer. Es kommt aber auch darauf an, wie man alles betrachtet. Der neueste türkische Youtube-Hit: Ein Fischhändler klagt im regierungskritischen Halk TV: Das Geschäft sei wegen der Krise sehr schlecht. Dann tritt der Mann im Erdoğan-nahen Sender A Haber auf und sagt: "Wir haben keine Krise."
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lira-krise-tuerkischer-finanzminister-fordert-firmen-auf-preise-zu-senken-1.4162604
mlsum-de-9670
Sollte er wiedergewählt werden, will der britische Premier Cameron Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verbieten. Nachrichtendienste wie Whatsapp und iMessage wären plötzlich illegal.
Verschlüsselung soll nicht länger erlaubt sein Der Premierminister von Großbritannien, David Cameron, will die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verbieten. Bei einer Rede in Nottingham sagte er, dass es für die Arbeit von Polizisten und Geheimdiensten unabdingbar sei, sich Zugang zu Nachrichteninhalten zu verschaffen. "Die Attacken der Terroristen in Paris haben demonstriert, welche Ausmaße die Anschläge der Terroristen annehmen können", sagte Cameron. Sollte er 2015 wiedergewählt werden, kündigte er an, ein entsprechendes Gesetz in die Wege zu leiten. Whatsapp und Apple wären betroffen Mit einer solchen Regelung wären diverse Nachrichtenapps illegal - darunter jene von Whatsapp und Apple. Whatsapp hat 700 Millionen Nutzer weltweit und erst kürzlich seine Nachrichten verschlüsselt. Bisher gilt das zwar nur für die Android-Version, doch auch das Betriebssystem von Apple dürfte dieses Update bekommen. Wird eine Nachricht Ende-zu-Ende verschlüsselt, ist ihr Inhalt nicht zu lesen, wenn sie abgefangen wird. Auch Apple nutzt diese Form der Verschlüsselung, sowohl für den Nachrichtendienst iMessage als auch für die Videotelefonie Facetime. Sollte das angedachte Gesetz tatsächlich kommen, wäre es ebenfalls illegal, E-Mails über das sogenannte PGP-Verfahren zu verschlüsseln. Apple und Whatsapp müssten dann ihre Verschlüsselung abschwächen oder aufheben, damit sie in Großbritannien weiterhin legal bleiben. Ausweg "Hintertür" Cameron sieht eine weitere Möglichkeit: Die Unternehmen könnten "Hintertüren" in ihre Produkte einbauen. Ähnlich argumentierte die US-Regierung Mitte der 1990er Jahre im Falle des sogenannten "Clipper-Chips": Dabei handelte es sich um ein Verschlüsselungssystem, das von der NSA entwickelt worden war, um den Behörden Zugriff auf Daten zu geben. Nutzer hätten zwar verschlüsselt kommunizieren können, aber die Regierung wäre in der Lage gewesen, mitzulesen. Das System wurde nicht eingesetzt, da sich die Öffentlichkeit in Umfragen dagegen aussprach. Hinzu kam, dass der IT-Sicherheitsforscher Matt Blaze eine Sicherheitslücke in dem angewendeten Verfahren entdeckt hatte. Damit wurde laut Gegnern ein Grundproblem deutlich: Wenn Hintertüren eingebaut werden, können diese von allen ausgenutzt werden - nicht nur von der Regierung. "Absolut richtig für eine liberale Demokratie" Cameron gibt zu, dass diese Möglichkeit, Nachrichten mitzulesen, durchaus umstritten sei. Aber er kenne kein System, das besser für die Sicherheit der Daten sorgen könne. Der Zugriff auf die konkreten Inhalte könne nur dann erfolgen, wenn es eine entsprechende behördliche Anordnung gebe. Er befolge ein "simples Prinzip": "Wollen wir eine Form der Kommunikation zwischen Menschen ermöglichen, ohne dass wir mitlesen können?" Camerons Antwort: Nein, das dürfe nicht passieren. Großbritannien hat die Vorratsdatenspeicherung - als Notstandsgesetz Großbritannien hat bereits ein Notstandsgesetz erlassen, mit dem Telekommunikationsanbieter dazu verpflichtet werden, die Daten ihrer Kunden für zwölf Monate zu speichern. Es wurde eingeführt, nachdem der Europäische Gerichtshof die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt hatte. Das Gesetz wurde innerhalb von drei Monaten erlassen. GCHQ knackt Verschlüsselungs-Standards Geheimdienste wie die amerikanische NSA und der britischer Gegenpart GCHQ verwenden bereits viel Zeit darauf, gängige Methoden der Verschlüsselung zu knacken. Das gelingt ihnen jedoch nicht in allen Fällen. Die klassische Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gilt weiterhin als unknackbar.
https://www.sueddeutsche.de/digital/grossbritannien-im-kampf-gegen-den-terror-cameron-will-verschluesselung-bei-chat-apps-verbieten-1.2301781
mlsum-de-9671
Ryan Lochte und drei Kollegen haben einen Raubüberfall erfunden. Brasilien empfindet ihre Schmierenkomödie als Affront. Nun reagiert das US-Olympiakomitee.
Es war alles Lüge: Ein Beweisvideo und weitere Zeugenaussagen haben Licht ins Dunkel von "Water-Gate" gebracht, der merkwürdigen Affäre um vier US-Schwimmer in Rio de Janeiro. Ryan Lochte und ein paar Kollegen, die mit ihren Erzählungen über einen bewaffneten Raubüberfall Rio in Aufruhr versetzt hatten, haben gelogen - weil sie massiv über die Stränge geschlagen hatten und ihre spätpubertären Ausfälle vertuschen wollten. Die Polizei von Rio gab nun eine Pressekonferenz im Stadtteil Leblon, die wegen des großen Medienandrangs in einem Theater abgehalten wurde. "Es gab keinen Raubüberfall", sagte der leitende Ermittler Fernando Veloso. Die Schwimmer hätten "Vandalismus-Handlungen begangen", ergänzte er. Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio Dann sagte er noch einen Satz, den das komplette US-Team beschämen dürfte und den Bewohnern Rios aus der Seele sprach: "Die Bürger von Rio mussten erleben, wie der Name ihrer Stadt durch eine Lügengeschichte beschmutzt wurde. Es wäre angemessen, um Entschuldigung zu bitten. Das ist bis jetzt nicht passiert." Erst am späten Abend reagierte das US-Olympiakomitee (Usoc), bestätigte den Vorfall und bat die Gastgeberstadt Rio "und die Menschen in Brasilien" um Verzeihung. Der Vorfall führte fast zu diplomatischen Verwerfungen zwischen den USA und Gastgeber Brasilien: Die brasilianischen Justizbehörden hatten am Mittwochabend die Schwimmer Jack Conger, 21, und Gunnar Bentz, 20, am Flughafen an der Ausreise gehindert. Kollege Jimmy Feigen, 26, den die Polizei ebenfalls am Flughafen erwartet hatte, nahm von sich aus Kontakt mit den Behörden auf. Der sechsmalige Olympiasieger Ryan Lochte hatte das Land bereits zuvor verlassen. Was war passiert? Lochte, 32, hatte behauptet, eine Party im Club France am Sonntag um vier Uhr morgens angetrunken verlassen zu haben. Er und seine Kollegen seien im Taxi zurück ins olympische Dorf gefahren. Auf dem Weg seien sie von falschen Polizisten gestoppt und ausgeraubt worden, einer der Räuber habe Lochte eine Pistole an die Schläfe gedrückt. Er sei traumatisiert, sagte er öffentlich, der Vorfall warf kein gutes Licht auf den Gastgeber, es wurde weltweit über die Sicherheit in Rio debattiert. Dann zeigten Videoaufnahmen eine andere Version: Lochte und seine Kollegen verließen den Club erst um kurz vor sechs Uhr morgens, sie baten den Taxifahrer auf dem Heimweg, an einer Tankstelle anzuhalten. Dabei demolierte einer der Schwimmer die Tür und das Interieur der Toilette, sie debattierten danach mit einem Tankstellen-Mitarbeiter und einem Wachmann, es kam auch zu einer Rangelei. Der Wachmann wollte die Schwimmer mit gezogener Waffe zum Verbleib zwingen - die bezahlten jedoch den Schaden und verließen die Tankstelle, bevor die vom Besitzer herbeigerufene Polizei eintraf. Ein Video aus dem olympischen Dorf zeigt Lochte und seine Kollegen, wie sie lachend durch die Sicherheitskontrolle gehen. Traumatisiert schien keiner zu sein.
https://www.sueddeutsche.de/sport/olympia-polizei-klagt-an-us-schwimmer-beschmutzen-rio-1.3127687
mlsum-de-9672
Klare Worte zum Abschied: Klare Worte zum Abschied: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch über seine Fehler, seinen Rücktritt und warum er von Joschka Fischer profitiert hat.
Roland Koch, 52, begann seine politische Karriere schon mit 14 Jahren. Da gründete er eine Ortsgruppe der Jungen Union in seiner Heimatstadt Eschborn. Von 1998 bis 2010 war der Jurist Landesvorsitzender der CDU in Hessen, seit 1999 ist er hessischer Ministerpräsident. Am 25. Mai gab Koch ("Politik ist nicht mein Leben") überraschend seinen Rückzug aus der Politik bekannt. Er wolle künftig in der Wirtschaft tätig werden. Am 31. August legt er nun sein Ministerpräsidentenamt nieder. Mit der Süddeutschen Zeitung sprach der Politiker über sein Leben in der Politik. Detailansicht öffnen Roland Koch tritt zurück: "Wer mit 14 anfängt ist kein Weichei, wenn er nicht bis 75 durchhält." (Foto: ddp) Roland Koch über... ... seinen Rückzug und welche Rolle die Frage, was als Nächstes kommt, dabei gespielt hat. "Man kann bei so einer Überlegung keine Facette ausblenden. Ich frage mich aber: Muss man in der Politik wirklich den Anspruch haben, richtig gut ist man nur, wenn man sehr früh anfängt und bis ganz spät bleibt? Meine amerikanischen Freunde verstehen diese ganze Diskussion nicht. Weil sie den Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft selbstverständlich finden. Wir sollten nicht jeden zum Weichei erklären, wenn er nicht wie ich mit 14 angefangen hat und nicht durchhält bis zum 75. Geburtstag." ...die "Hassfigur" Roland Koch. "Nach meinem Verständnis von Demokratie muss es die Debatte über kontroverse Themen gerade da geben, wo die Menschen emotional sind. In der Diskussion um Zuwanderung oder Staatsbürgerschaft habe ich häufig die These gehört, solche Themen müsse man aus Wahlkämpfen heraushalten. Das habe ich immer für Unsinn gehalten, für tendenziell demokratiefeindlich. Denn die Diskussionen müssen in der Politik geführt und auch ausgehalten werden. Sonst suchen Meinungen sich neue politische Kräfte, womöglich sogar extreme." ...sein Verhältnis zu den Medien. "Ich habe einmal in einer Zeitung, die in meinem Heimatgebiet produziert wird, morgens ein Ausschnittspiel mit einem Kopf gefunden. Das Spiel bestand darin, mir den Hals umzudrehen, jeder Leser konnte das mal probieren. Diese Zeitung würde heute ohne meine später getroffene Entscheidung, ihr eine Bürgschaft zu geben, nicht mehr existieren. Aber ich habe keinen Grund, prinzipiell über die Presse zu lamentieren, nach dem Motto: Die sind alle unfair zu mir." ...die Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU. "Ich würde jegliche Äußerung vermeiden in einer Zeit, in der ich gerade einen Tatbestand aufkläre und deshalb öffentlich nicht alles sagen kann, was ich weiß. Meine öffentliche Erklärung, aus meiner Sicht sei in den Büchern alles in Ordnung, war ein schwerer Fehler. Alles andere ist kaum vermeidbar gewesen, weil ich in die Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes hineingefallen bin und zu meiner Überraschung ein schlimmes Erbe angetreten hatte. Ich hatte keine Chance, irgendeine Vorgeschichte zu kennen, Zusammenhänge zu kombinieren. Das, was ich später entdeckt habe, war aus meiner Sicht alles unvorstellbar."
https://www.sueddeutsche.de/politik/roland-koch-im-gespraech-nur-wer-den-pranger-aushaelt-ueberlebt-die-politik-1.989795
mlsum-de-9673
Der Sohn hatte ihr vorgeworfen, sie als Kind mehrmals sexuell missbraucht zu haben. Der vorsitzende Richter spricht von einem "außergewöhnlichen Fall". Nach der Urteilsverkündung bricht die 42-Jährige zusammen.
Es ist ein "außergewöhnlicher Fall", der vor dem Amtsgericht Aalen in Baden-Württemberg zu Ende gegangen ist. So formulierte es der vorsitzende Richter Martin Reuff. Ein Sohn hat seiner Mutter vorgeworfen, ihn mehr als zehn Mal sexuell missbraucht zu haben. Die 42-Jährige hatte die Vorwürfe stets bestritten, Aussage gegen Aussage. Am diesem Donnerstagvormittag fällte das Gericht sein Urteil: Freispruch. Nach der Verkündung erlitt die Mutter einen Schwächeanfall und kollabierte. Ihr Blutzucker sei wohl plötzlich stark gefallen, sagte sie. Nach einer kurzen Pause konnte Richter Reuff mit seinen Ausführungen fortfahren. Der heute 18-jährige Sohn hatte sich im Laufe des Prozesses nicht vor Gericht äußern wollen. Stattdessen wurden Videoaufzeichnungen herangezogen, welche die Polizei von seiner Aussage vor zwei Jahren gemacht hatte. Damals berichtete der Sohn, der Missbrauch durch seine Mutter habe bereits im Alter von drei Jahren begonnen. Zuletzt sei er im Alter von zwölf Jahren missbraucht worden. Die Mutter habe ihn unter anderem gefesselt und sich auf ihn gesetzt. Vor drei Jahren soll der Sohn sich seinem Pflegevater anvertraut haben, daraufhin kam es zur Anklage gegen die Mutter. Die 42-Jährige hat die Vorwürfe stets von sich gewiesen. Bei der Polizei hatte sie zu Protokoll gegeben, die Anzeige gegen sie sei ein "Racheakt" des Pflegevaters. Sie sei lesbisch und habe kein Interesse an Sex mit männlichen Personen. Mit dem Freispruch orientiert sich das Gericht an der Forderung der Anklage und der Verteidigung. Der Anwalt der Mutter warf dem Sohn in seinem Plädoyer vor, er habe bei seiner Aussage gelogen. Er habe damit erreichen wollen, dass die ungeliebte Mutter keinen Kontakt mehr zu ihm haben darf. Auch Staatsanwalt Uwe Karst räumte in seinem Schlusswort ein, die der Mutter vorgeworfenen sexuellen Handlungen seien nicht zweifelsfrei nachweisbar. Im Prozess hat es Kritik an den Videoaufzeichnungen gegeben. Viele Antworten des Jugendlichen auf Fragen des Ermittlungsrichters sind aufgrund technischer Mängel kaum verständlich. Gutachten bescheinigten sowohl der Mutter als auch dem Sohn eine leichte Intelligenzminderung.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozess-in-aalen-mutter-in-missbrauchsprozess-freigesprochen-1.4175547
mlsum-de-9674
Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem zweifelt am Kommissionspräsidenten: Er wirft Juncker vor, bei der Auslegung des Stabilitätspakts zu lax zu sein.
Der Präsident der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für seine laxe Auslegung des europäischen Stabilitätspakts deutlich kritisiert. "Wenn der Kommissionspräsident sagt, die Dinge gelten für Frankreich anders, dann beschädigt das wirklich die Glaubwürdigkeit der Kommission als Hüterin des Pakts - und das ist meine Sorge", sagte Dijsselbloem in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung und sechs weiteren europäischen Blättern. "Es wäre weise, wenn die Kommission ein bisschen mehr auf ihre Glaubwürdigkeit achten würde", erklärte Dijsselbloem. "Wir Mitgliedstaaten brauchen einen objektiven Schiedsrichter, der den Pakt wahrt." Es sei richtig, dass die Kommission politische Linien vorgebe. Allerdings dürfe das nicht zu einer Politisierung des gesamten Haushaltsverfahrens führen. Juncker hatte in dieser Woche bei einer Veranstaltung in Paris seinen Umgang mit Frankreichs Defizit auf ungewöhnliche Weise begründet. Der Kommissionspräsident erklärte, dass er seit Jahren nichts anderes tue, als der Regierung in Paris Ausnahmen von den Regeln des Paktes zu gewähren. Im Jahr 2017 müsse das Haushaltsdefizit wieder den Kriterien entsprechen und unter drei Prozent liegen. Auf die Frage, warum er überhaupt Ausnahmen gewähre, antwortete Juncker: "Weil es Frankreich ist." Er selbst kenne das Land gut, mit seiner speziellen Mentalität, seinen politischen Reflexen, darauf müsse man Rücksicht nehmen. Die jüngsten Streiks gegen die geplanten Wirtschaftsreformen seien eben auch Frankreich. Und deshalb könne man den Stabilitätspakt nicht "blind" anwenden. "Am Ende drücken wir überall ein Auge zu und haben eine blinde Währungsunion" Dijsselbloem sieht Junckers Haltung äußerst kritisch. Man müsse, so der Euro-Gruppen-Präsident, ein bisschen vorsichtig sein, wenn die Kommission ein Auge zudrücke. "Das nächste Mal wird die Kommission auch ein Auge bei anderen zudrücken. Und am Ende drücken wir überall ein Auge zu und haben eine blinde Währungsunion." Er forderte die EU-Kommission auf, sich an die Regeln zu halten und diese zu schützen. Und zwar unabhängig von der Größe eines Mitgliedslandes oder der Tatsache, ob Wahlen stattfinden. Im Fall Spaniens hatte die Kommission zuletzt eine Entscheidung über die Verschärfung des Defizitverfahrens wegen der Ende Juni stattfindenden Parlamentswahlen verschoben. Die damalige Begründung lautete, dies sei "wirtschaftlich und politisch nicht der geeignete Augenblick", um eine Verschärfung zu beschließen. Die Brüsseler Behörde will sich mit dieser Frage abermals Anfang Juli befassen. Spanien drohen ebenso wie Portugal Bußgelder oder der Entzug von EU-Haushaltsmitteln. Nach den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts wäre dieser Schritt naheliegend, weil beide Länder die Vorgaben seit Jahren deutlich verfehlen. Dijsselbloem sagte, er könne als niederländischer Finanzminister von seinem Parlament schwer verlangen, den Pakt ernst zu nehmen, wenn dies andere nicht täten. "Das ist die Gefahr, in der wir uns befinden."
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eu-dijsselbloem-wirft-juncker-nachgiebigkeit-vor-1.3016666
mlsum-de-9675
Lewis Hamilton gewinnt auf dem Hungaroring - und vergrößert seinen Vorsprung in der Formel 1 auf Sebastian Vettel. Der Ferrari-Pilot wird beim Boxenstopp ausgebremst.
Auf den letzten Rennmetern vor den verdienten Sommerferien dürften Sebastian Vettel noch einmal die Momente in den Sinn gestiegen sein, die dazu geführt hatten, dass er nun sehr nachdenklich in den Urlaub reisen darf. Und warum er überhaupt 24 Punkte hinter Lewis Hamilton liegt. Vettel könnte etwa an seinen Fehler in Hockenheim gedacht haben, als er, in Führung liegend, den Wagen in eine Streckenbegrenzung gebohrt hatte. Oder an das Rennen in Österreich, als er trotz der Ausfälle beider Silberpfeile nur Dritter geworden war. Über das soeben beendete Rennen auf dem Hungaroring wird Vettel jedenfalls nicht allzu viel grübeln müssen. Diesmal hatte er keinen Fehler gemacht. Er hatte sogar vieles richtig gemacht und fünf Runden vor der Zielflagge auch noch ein knallhartes Überholmanöver gezeigt, als er mit flachgestelltem Heckflügel an Valtteri Bottas vorbei gerollt war. Vorwürfe musste sich allenfalls sein für den linken Vorderreifen zuständiger Mechaniker machen, der bei Vettels Boxenstopp zwei Sekunden zu lang die Hände am Schrauber gehabt hatte. Hamilton jedenfalls rollte am Sonntag als Erster über die Ziellinie in Budapest, gefolgt von Vettel und Kimi Räikkönen im zweiten Ferrari. Das war ein bemerkenswert gutes Ergebnis für Mercedes angesichts dessen, dass Ferrari auf der Strecke als hoher Favorit gestartet war. In einem Rennen, das seine Spannung lange Zeit aus der Frage zog, wie viel Runden Vettels härtere Reifen länger halten würden als die von Hamilton. Nun, die Gummis des Briten hielten gut genug, um einen ungefährdeten Start- und Zielsieg zu feiern, den er sich schon am Samstag verdient hatte. "Was für ein wundervoller Tag", sagte Hamilton. "Wir wussten, dass Ferrari das schnellere Auto hat." Eigentlich schien die erste Startreihe in Ungarn für Ferrari reserviert gewesen zu sein Am Samstag hatte es geregnet im Qualifying von Budapest. Und der Regen hatte Hamilton gerettet. Schon wieder. Der Regen ist neuerdings so etwas wie Hamiltons bester Freund in der Formel 1. Vor einer Woche am Hockenheimring hatte ein Unwetter den in Führung liegenden Rivalen Vettel in der Sachskurve von der Strecke gespült. Auch in Ungarn war Vettel bei trockenen Bedingungen bis zum Renntag der Schnellste in den Trainingsläufen. Bis zum Qualifying hatte es so ausgesehen, als würde Ferrari mit der Konkurrenz nur spielen. Am Samstag dann herrschten wechselhafte Bedingungen. Und als es regnete, war Hamilton wieder der Schnellste. In Hockenheim hatte Hamilton den Regen als "biblischen Sturm" bezeichnet. Nun sagte er: "Der Regen war ein Segen." Eigentlich schien die erste Startreihe in Ungarn für Ferrari reserviert gewesen zu sein, nun aber parkten zwei Silberpfeile vorne. Vettel hatte sogar nur die viertbeste Zeit gefahren, auch Räikkönen stand vor ihm. Das war insofern ärgerlich, als der Hungaroring nicht berühmt ist als Strecke der mannigfaltigen Überholgelegenheiten. "Es kommt auf den Start und die erste Runde an", ahnte Vettel. Beides brachte keine riesigen Vorteile. Räikkönen probierte die Vorbeifahrt an Bottas, es blieb bei einem Versuch. Vettel wehrte sich zunächst gegen Carlos Sainz, dann blieb er in einer Kurve hartnäckig auf der Außenlinie, schob sich vorbei an Räikkönen. Vettel lag nun auf Position drei und rollte im Gegensatz zu Hamilton, Bottas und Räikkönen, die sich Ultrasoft-Reifen hatten aufziehen lassen, auf den zwar etwas langsameren, dafür aber haltbareren Soft-Gummis.
https://www.sueddeutsche.de/sport/formel-1-nachdenklich-in-den-urlaub-1.4074299
mlsum-de-9676
Viele Jahre nach dem sogenannten Ehrenmord an Hatun Sürücü ist der einzige je verurteilte Täter wieder frei. Die älteren Brüder des Opfers sind immer noch auf freiem Fuß. Nun will die Türkei den Fall überprüfen.
Eine Tafel erinnert an sie: an Hatun Sürücü, die junge Frau, die als Elektroinstallateurin arbeiten, ein Kind großziehen und selbstbestimmt leben wollte. Die Tafel befindet sich im Berliner Stadtteil Tempelhof, in der Nähe der Bushaltestelle, an der Hatun Sürücüs Leben am 7. Februar 2005 endete. Sie wurde auf offener Straße ermordet, von ihrem kleinen Bruder. Er schoss ihr dreimal in den Kopf. "Weil sie sich Zwang und Unterdrückung ihrer Familie nicht unterwarf", so steht es auf dieser Gedenktafel, die man hier angebracht hat. Hatun Sürücü wurde 23 Jahre alt. Zehn Jahre ist es her, dass Hatun Sürücüs Tod als sogenannter Ehrenmord über Deutschland hinaus Schlagzeilen machte. Wie in den Jahren zuvor werden in den kommenden Tagen Gedenkveranstaltungen stattfinden, Blumen an der Tafel niedergelegt werden, als Rednerin hat sich unter anderem Dilek Kolat, die Senatorin für Integration, angekündigt. Und 2016 soll eine Brücke nach Hatun Sürücü benannt werden, ihr Schicksal bewegt Berlin bis heute. Freigesprochen aus Mangel an Beweisen Doch ein Jahrzehnt nach den Schüssen an der Bushaltestelle ist die Tat noch immer nicht gesühnt. Zwei mutmaßliche Täter sind nach wie vor auf freiem Fuß: die beiden älteren Brüder Mutlu und Alpaslan, wie Hatun in Berlin geboren und aufgewachsen, ihre Eltern waren in den Siebzigerjahren aus Ostanatolien nach Deutschland gekommen. Die beiden jungen Männer sollen gemeinsam mit Ayhan Sürücü, dem damals 18-jährigen Bruder, den Mord geplant haben, weil ihnen Hatuns Lebensstil missfiel. Hatun Sürücü widersetzte sich der strenggläubigen Familie, die sie mit 16 in der Türkei mit einem Cousin verheiratet hatte. Sie kehrte mit ihrem kleinen Sohn zurück nach Berlin, machte eine Lehre zur Elektroinstallateurin und hatte einen deutschen Freund. Wer genau hinter dem Mord steckt, ist bis heute unklar. Ob die Familie die Tat absegnete oder gar ein radikaler Imam dahinterstand. Zwischen den Brüdern gingen vor der Tat jedenfalls eindeutige SMS hin und her. Die Freundin Ayhans, die mit den dreien nach dem Mord in der U-Bahn saß, erzählte später, die Brüder seien wie im Rausch gewesen, und einer habe zu Ayhan gesagt: "Ich habe dir doch gesagt, schieß nur einmal auf den Kopf." Doch in dem langen Prozess erhielt 2006 nur Ayhan Sürücü eine Jugendstrafe, seine angeklagten Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Freisprüche wurden vom Bundesgerichtshof aufgehoben, der Fall muss noch einmal verhandelt werden. Doch Alpaslan und Mutlu Sürücü setzten sich in die Türkei ab, wo sie bis heute sind. "Besessen" davon, seine Schwester zu töten Und auch Ayhan Sürücü, der einzige der Brüder, der in Haft war, ist seit einigen Monaten frei. Er wurde im Sommer aus dem Gefängnis entlassen und in die Türkei abgeschoben. Dort arbeitet er jetzt wohl in einem Imbiss und hat wieder mit seinen Brüdern Kontakt. Reue gezeigt hat er bis heute nicht. Zwei RBB-Journalisten, die den Fall in dem Film "Verlorene Ehre - Der Irrweg der Familie Sürücü" rekonstruierten, erzählte Ayhan, er sei "regelrecht besessen" gewesen, seine Schwester zu töten. So sehr, dass er die junge Frau nachts von ihrem schlafenden kleinen Sohn weglockte, zu jener Bushaltestelle in Tempelhof. Der Junge lebt jetzt in einer Pflegefamilie. Immerhin kam vor einiger Zeit Bewegung in den Fall. Und zwar durch ein anderes Verbrechen in Berlin, den gewaltsamen Tod des Jugendlichen Johnny K. auf dem Alexanderplatz. Gegen einen Täter, der sich in die Türkei abgesetzt hatte, begann die türkische Justiz 2013 zu ermitteln, worauf sich dieser in Deutschland stellte. Im Nachgang hätten die türkischen Behörden auch die Akte Sürücü aus Deutschland angefordert, für eigene Ermittlungen, wie es in der Berliner Senatsverwaltung für Justiz heißt. Die Akte sei nach Ankara geschickt worden, wo jetzt die Hauptstaatsanwaltschaft am Zug ist.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/zehn-jahre-nach-sogenanntem-ehrenmord-noch-immer-ungesuehnt-1.2336153
mlsum-de-9677
In immer mehr Städten gibt es Pfandsysteme für Coffee-to-go-Becher. Besonders erfolgreich ist das Start-up Recup - doch es funktioniert nur, wenn viele mitmachen.
Sie kannten sich nicht, wussten nicht, dass der andere existiert, aber hatten dieselbe Idee zum selben Zeitpunkt. Florian Pachaly studierte BWL in der Nähe von Freiburg, Fabian Eckert studierte Nachhaltigkeitsmanagement in Schweden. Wie viele Studenten tranken sie gern Kaffee, phasenweise auch sehr viel davon. Was sie daran nervte, waren die vielen Kaffeebecher, die so in den Mülleimern landeten, tonnenweise, auch an ihren Unis. Das muss aufhören, dachten sie, zum Beispiel mit einem Pfandsystem für Coffee-to-go-Becher. Eine ziemlich deutsche Idee, nirgendwo sonst ist Pfand so verbreitet. Aber auch Einwegkaffeebecher sind in Deutschland sehr verbreitet. Die Deutsche Umwelthilfe hat berechnet, dass in Deutschland jedes Jahr 2,8 Milliarden Becher weggeworfen werden. Das sind 7,6 Millionen am Tag. Um all diese Becher und ihre Deckel herzustellen, werden 22 000 Tonnen Rohöl benötigt, 29 000 Tonnen Papier (oder 43 000 Bäume) und 1,5 Milliarden Liter Wasser (der Jahresverbrauch von 32 000 Bürgern). Nach durchschnittlich 15 Minuten landet der Becher im Müll. Er sieht zwar aus wie Pappe, ist aber in der Regel mit Plastik beschichtet. Er kann also nicht mal recycelt werden. All das für einen Cappuccino. Völlig absurd!, fanden Florian Pachaly, 22, und Fabian Eckert, 28. Sie schrieben der Münchnerin Julia Post, die andere Münchner davon überzeugen wollte, eigene Becher für den Coffee-to-go mitzubringen. Sie riet ihnen, sich zusammenzutun. Im August 2016 trafen sich die beiden in München. Einen Namen für das Projekt hatte Fabian Eckert schon: Recup. Im Dezember gründeten sie das gleichnamige Start-up. Es fing an mit Mehrwegbechern in Rosenheim, mittlerweile gibt es sie in vielen deutschen Orten, in mehr als 800 Cafés und Bäckereien, und jeden Tag kommen neue dazu. Florian Pachaly, blond, Jeanshemd, ist stolz, wenn er das erzählt. Er sitzt in ihrem Konferenzraum in Sendling, neben ihm Fabian Eckert, roter Bart, Naketano-Kapuzenpullover. Es gibt ein Großraumbüro und einen Konferenzraum, in einer Ecke des Büros steht ein Hochbett. Ein Mitarbeiter macht gerade Kopfstand zur Entspannung. Auf einem Brett stehen die Bechereditionen, eine Stadt, ein Becher, Sylt ist gerade fertig geworden. Eine Robbe, ein Strich für den Strand, ein Leuchtturm. "Relativ aufgeräumt", sagt Pachaly. In Deutschland gibt es 47 000 Bäckerläden und 11 500 Cafés, natürlich sind sie noch am Anfang. Aber die Gründer sind optimistisch. Es muss nur einer den Anfang machen, dann folgen die anderen. Ihr Konzept: Wer ein Café oder eine Bäckerei betreibt und statt oder zusätzlich zu Einwegbechern die Mehrwegbecher des Start-ups anbieten will, meldet sich auf der Internetseite von Recup an. Recup verleiht die Becher gegen einen Pfand und verlangt zusätzlich eine Gebühr von einem Euro pro Tag, also etwa 30 Euro im Monat. "Für diese Gebühr tauschen wir alte und kaputte Becher aus, kümmern uns um die Logistik und stellen Werbematerial zur Verfügung", sagt Pachaly. Die Becher sind aus recyclebarem Kunststoff. Die Kunden bezahlen den Pfand von einem Euro pro Becher und können ihn bei jedem teilnehmenden Café oder Bäcker wieder abgeben. In der Recup-App sieht man, wo das möglich ist. Die Betreiber verpflichten sich, den Kunden eine Form von Rabatt auf das Getränk im Mehrwegbecher anzubieten, damit sie auf Einwegbecher verzichten. Für die Anbieter lohne es sich, mitzumachen, sagt Pachaly, und rechnet vor: Ein Pappbecher koste im Schnitt acht Cent, würden 15 Becher am Tag an fünf Tagen die Woche gespart, habe man die Recup-Gebühr fast schon wieder drin. Außerdem kommen neue Leute, die Becher abgeben wollen. Und wenn sie vor Croissants und Kuchen stehen, kaufen sie vielleicht noch etwas. Recup würde gerne ein bundesweit einheitliches Pfandsystem etablieren An der Wand im Konferenzraum hängt eine Deutschlandkarte mit Stecknadeln. Eine Stecknadel ist ein Wettbewerber. Die Recup-Gründer sind nicht die einzigen, die sich ein Pfandsystem für Kaffeebecher ausgedacht haben. Auf der Karte sieht man aber, dass sie es im Vergleich zu ihren Mitbewerbern geschafft haben, nicht nur in einzelnen Städten, sondern in ganz Deutschland aktiv zu sein. Der Unterschied ist auch, dass die anderen ihre Becher verkaufen und nicht gegen Pfand verleihen. Recup nimmt die Becher zurück und zahlt den Pfand aus. Pachaly sagt: "Wir können den größten ökologischen Nutzen ja nur erzielen, wenn wir ein stabiles Pfandsystem mit möglichst wenig Bechern haben." Das Problem an diesem Modell ist, dass es nur funktioniert, wenn sehr viele mitmachen. Kann man den Becher in einer Stadt nirgends abgeben, kauft ihn keiner. Und auch finanziell gesehen funktioniert es nur so: 800 Cafés, das sind derzeit gerade mal 800 Euro am Tag, für 15 Angestellte. Gehälter zahlen können die Gründer nur, weil sie private Investoren haben. Detailansicht öffnen Prominenter Unterstützer: Bei einer Aktion gegen die massenhafte Verwendung von Einweg-Kaffeebechern warb Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (re.) für die Mehrweg-Alternative von Recup. (Foto: Stephan Rumpf) Mit Blick auf die Deutschlandkarte sagt Eckert, dass es eigentlich sinnlos sei, in dieser Sache zu konkurrieren, man verfolge ja dasselbe Ziel. Sinnvoll sei ein bundesweit einheitliches Pfandsystem. In den nächsten Wochen startet Recup in Hamburg, Rostock, Augsburg, Ulm, Schwäbisch-Hall, am Starnberger See und auf Sylt. Natürlich wären sie gerne das bundesweit einheitliche Pfandsystem. Es gibt größere Probleme auf der Welt als Kaffeebecher, sagen die Gründer, aber sie seien ein Beispiel für unsere Wegwerfkultur. Mit ihrem Start-up wollen sie zeigen, dass es einfach ist, den eigenen Konsum nachhaltiger zu gestalten. Und wer anfängt, nachhaltiger Kaffee zu trinken, lebt vielleicht auch sonst nachhaltiger. Und darum geht es ja am Ende.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nachhaltigkeit-nieder-mit-dem-einweg-kaffeebecher-1.3925247
mlsum-de-9678
Technisch sind enorme Fortschritte zu verzeichnen. Fast die Hälfte der Tests entfällt auf Flugkörper mit langer Reichweite. Das ist ein klares Signal.
Kein anderer Teil des nordkoreanischen Sicherheitsapparats bekommt so viel Aufmerksamkeit, Fürsorge und Mittel wie die Nuklearstreitmacht. Während Luftwaffe, Heer und Marine ein Kümmerdasein führen und über keine nennenswerte Einsatzbereitschaft verfügen, fließen alle Ressourcen des Staates in die Entwicklung eines Nuklearsprengkopfs und von Raketen. Geheimdienste, Sicherheitsexperten und die Schar der Nordkorea-Fachleute besonders in Japan und Südkorea beobachten den Trend schon seit Jahren. Die Konzentration auf die Raketenstreitmacht ist überall im Alltagsleben auszumachen. Propagandaposter, Parolen an Hauswänden, die Bilderdichte mit Diktator Kim Jong-un vor den Lieblingsspielzeugen und selbst die Briefmarken des Landes: Die Raketen sind Nordkoreas Staatsmittelpunkt. Nach Experten-Informationen verfügt das Land über etwa 300 Kurzstreckenraketen und dieselbe Zahl von Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 1500 Kilometern. Etwa 25 Raketen vom Typ Musudan mit einer Reichweite von 4500 Kilometern sollen im Arsenal stecken. Alle Aufmerksamkeit aber gilt den Interkontinentalraketen, die unter dem Namen Hwasong in verschiedenen Ausfertigungen getestet wurden. Der Typ mit der größten Reichweite, die Hwasong 15, wurde Mittwochnacht in eine bemerkenwerte Höhe geschossen. Legte man die Flugbahn flacher, könnte die Rakete Ziele in einer Distanz von 13 000 Kilometern treffen, also quasi das gesamte Festland der USA, aber auch Europa. Raketenexperten verwenden viel Aufwand mit der Analyse von Flugbahn und anderen Daten, die Militär und Geheimdienste sammeln. So wie man davon ausgehen muss, dass Nordkorea einen gewaltigen Datenstrom aus den abgefeuerten Raketen auffängt (mutmaßlich mithilfe eines Forschungsschiffs), so sind auch Militär und Geheimdienste der Nachbarn fleißige Datensammler. Dabei kommt es den Experten nicht nur auf die Flughöhe und damit die potenzielle Reichweite an, sondern sie messen auch Flugstabilität, Hitzeentwicklung und Treffergenauigkeit - entscheidende Faktoren, um die Frage aller Fragen zu beantworten: Kann die Rakete einen nuklearen Sprengkopf transportieren und unbeschadet zu seinem Ziel bringen? Bemerkenswert beim jüngsten Start war die Reichweite. Nach nordkoreanischen Angaben erreichte der Flugkörper eine Höhe von 4475 Kilometern während seines steilen Parabelflugs. Das ist eine deutliche Verbesserung verglichen mit dem letzten Interkontinental-Test vom Juli. Unklar ist aber, ob diese Reichweite erzielt werden kann, wenn die Rakete einen schweren, nuklearen Gefechtskopf trägt. Nach herrschender Meinung kann ein Gefechtskopf nur von einer dreistufigen Rakete transportiert werden, wenn er so weit fliegen soll - eine Technologie, über die Nordkorea aber nicht verfügt. Möglicherweise lässt sich durch Flugdaten auswerten, welche Last die Hwasong 15 trug. Unklar ist auch, wie stabil der Sprengkopf beim Wiedereintritt in die Erdatomsphäre blieb. Hier hatten Experten die bisher größten Entwicklungsschwierigkeiten ausgemacht. Allerdings haben die Nordkoreaner auch andere Fortschritte erzielt: Die Raketen werden leichter, weil sie aus Faserverbundstoffen gefertigt werden. Die Treibstofftechnologie scheint sich auch zu verbessern. Immer mehr Raketen auch kürzerer Reichweite wurden mit Festtreibstoff getestet, was den Abschuss unberechenbarer macht: Die Rakete kann schnell transportiert und kurzfristig abgefeuert werden. Die gefährliche und per Satellit zu beobachtende Befüllung mit Flüssigtreibstoff macht einen Präventivschlag wahrscheinlicher. Am Mittwoch wurde die Rakete in der Dunkelheit gestartet und offenbar horizontal befüllt, also nicht in der aufrechten Startposition. Auch das lässt sich besser vor Satellitenaugen verbergen. 22 unterschiedliche Raketentypen hat Nordkorea entwickelt, manche wurden nicht getestet, andere werden demonstrativ der Weltöffentlichkeit vorgeführt, ohne dass klar ist, wie weit die Entwicklung gediehen ist. So war auf der Militärparade zum 105. Geburtstag des Staatsgründers Kim Il-sung am 15. März der Prototyp einer Interkontinentalrakete zu sehen, die in einem Startrohr steckte. Dieser Raketentyp wird mit einem festen Treibstoff betrieben. Auch wenn Nordkorea diese Technologie noch nicht getestet zu haben scheint, so wird damit klar, wohin die Entwicklung gehen soll. Zu sehen war auch eine Interkontinentalrakete mit einem steuerbaren Gefechtskopf - ein Hinweis auf den Stand der technologischen Entwicklung Nordkoreas. 20 Raketentests und ein Nukleartest wurden 2017 gezählt, damit könnte das Regime die Testzahl aus dem Vorjahr (21) zumindest bei den Raketen noch erreichen. Fast die Hälfte der Tests entfällt auf Raketen mit langer Reichweite, auch das ein Signal über die Prioritäten.
https://www.sueddeutsche.de/politik/nordkoreas-atomraketen-warum-nordkoreas-diktator-alle-ressourcen-in-raketen-steckt-1.3770826
mlsum-de-9679
Einerseits ist jetzt Schluss mit den Wonnen - jetzt treten die Gegensätze hervor. Andererseits: Woran sollte das Bündnis aus Union und SPD denn scheitern?
Sechs Stunden haben die Spitzen der Koalition zusammengesessen - und das wichtigste Ergebnis lautet, dass es kein Ergebnis gibt. Dieses Muster kennt man doch? Richtig, so war es immer, als Union und FDP noch regierten. Die Krise als Kontinuum. Die große Koalition hingegen überwand am Anfang einen Rumpelstart mitsamt Ministerrücktritt, die Edathy-Affäre. Seither aber regiert sie recht harmonisch. Ein Sonntagabend in mieser Stimmung macht da nicht gleich eine Krise. Trotzdem tritt diese Koalition in eine neue Phase. Das Runterregieren des Koalitionsvertrags ist vorbei. Dessen Vollzug verlief weitgehend reibungslos, weil die Union erstens die SPD für die Beihilfe zum Machterhalt mit politischen Konzessionen fürstlich entlohnte. Zweitens, weil mit der bisherigen Politik praktisch keine Zumutungen verbunden waren; von den Kosten, die in die Zukunft verlagert wurden, einmal abgesehen. Und drittens, weil dank guter Konjunktur und hohen Steuereinnahmen alles bezahlbar erscheint. Jedenfalls für den Moment. An Mindestlohn oder Euro wird dieses Bündnis kaum scheitern Nun ist Schluss mit all den Wonnen. Allein der Blick auf das jüngste Wochenende mit den Demonstrationen für und wider die Kohlepolitik genügt, um zu sehen, dass es jetzt mehr und mehr um harte Interessengegensätze geht. Das gilt nicht nur für die Kohle, sondern für die Energiewende insgesamt. Und die Neuregelung der föderalen Finanzbeziehungen ist quasi die Mutter aller Verteilungskämpfe. Außerdem gilt: Ein Konflikt ist immer dann bedeutsam, schwierig oder beides, wenn die Kanzlerin nichts dazu sagt. Angela Merkel schweigt viel in letzter Zeit. Es gibt Gründe, warum hie und da zwar eifrig Geld verteilt wurde, aber einige der großen Themen nicht erledigt sind. Der wichtigste Grund ist, dass es unter Merkel noch nie anders war. Die Geschwindigkeit ihres ausschließlich reaktiven Regierungsstils wird stets von der Dringlichkeit der Probleme bestimmt. Wie manche Krise gezeigt hat, ist die Kanzlerin durchaus zur Beschleunigung fähig. In innenpolitischen Fragen aber schaltet sie gerne einen Gang runter - oder gleich in den Leerlauf. Ein wenig ketzerisch könnte man sagen, dass es zuletzt am besten lief, wenn Merkel nicht direkt beteiligt war. Die Fraktionsführungen von Union und SPD legten nach ihrer Klausur vor einigen Tagen eine ganze Reihe von konkreten Ergebnissen vor. Kurz zuvor war sogar die Blockade bei der Vorratsdatenspeicherung von den zuständigen Ministern aufgelöst worden - ohne Vermittlung des Kanzleramts, wohl aber unter maßgeblicher Beteiligung des Vizekanzlers von der SPD. Natürlich nimmt die außenpolitische Lage die Zeit der Kanzlerin in Anspruch. Umgekehrt wird sich Merkel dafür auch stets die notwendige Zeit nehmen, weil der Eindruck von außenpolitischer Bedeutung und Besonnenheit ganz nebenbei auch das Fundament ihrer Popularität ist. Innenpolitisch aber fehlt es Merkel nicht nur an Muße, sondern an erkennbaren Ambitionen. Manches scheint ihr mittlerweile fast schon egal zu sein. Den Soli zum Beispiel erklärte sie erst für unverzichtbar, kurz darauf für abschmelzbar. Einer der wenigen innenpolitischen Auftritte, an denen sie zuletzt sichtbar Freude hatte, war die Eröffnung des Bürgerdialogs - vielleicht, weil hier nicht ihre Ideen gefragt sind, sondern die der Bürger. Der vergleichsweise ordentliche Zustand der Koalition und die Schwäche der Opposition sind Merkels dickste Ruhekissen: Sie wird zu Hause nicht gefordert. Auch wenn CDU, CSU und SPD darüber offenkundig stundenlang streiten können, wird diese Koalition nicht zerbrechen an Dokumentationspflichten und der Abgrenzung von Ehrenämtern beim Mindestlohn. Diese Regierung wird aber auch nicht auseinanderfallen wegen großer außenpolitischer Fragen wie der Euro-Zukunft oder der Ukraine. Zu viel haben Union und SPD dort politisch investiert, zum Teil schon, als sie noch gar nicht miteinander regierten. Und zu viel haben Union und SPD gemeinsam unterlassen in Krisen wie dem Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer. Auch das verbindet. Deshalb kommen einer in der Regierung verlässlichen, in den Umfragen aber stagnierenden SPD die jüngsten Enthüllungen über den BND und die Widersprüche, in die sich das Kanzleramt dabei verwickelt hat, durchaus gelegen. Für nichts davon ist, Stand jetzt, die SPD in die Verantwortung zu nehmen. Dafür ist mit dem Kanzleramt endlich einmal Merkels Machtzentrale betroffen. Die Art, wie die Sozialdemokraten manches Urteil schon sprechen, bevor alle Fakten bekannt sind, sagt freilich auch etwas darüber aus, wie sehr sie darauf aus sind, die große Raushalterin auch mal erfolgreich in etwas reinzuziehen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/koalition-merkels-sanfte-ruhekissen-1.2454345
mlsum-de-9680
Im Fall um das verbotene Medikament bei den deutschen Vielseitigkeitsreitern gibt es viele Ungereimtheiten. Die EM-Medaille ist weg, der Ruf der Reiterin geschädigt, doch Sabotagevorwürfe machen die Runde.
Was wirklich passiert ist, wird man wohl nie erfahren. Wie die verbotene Substanz Firocoxib während der Vielseitigkeits-EM in Strzegom/Polen im September in den Körper des Wallachs Samourai du Thot gelangte, bleibt offen. Die Mannschafts-Silbermedaille hat die deutsche Vielseitigkeits-Equipe zurückgeben müssen, doch der Medikationsfall ihrer Reiterin Julia Krajewski wird ungelöst zu den Akten gelegt. Allerdings, so viel ist inzwischen klar, ist in dieser unübersichtlichen Geschichte einiges anders gelaufen, als von den Beteiligten zunächst in den Medien erzählt wurde. Das Firocoxib-haltige Medikament Equioxx, das wohl zum positiven Befund bei Samourai de Thot geführt hatte, befand sich sehr wohl im Arzneikoffer des Mannschaftstierarztes Carsten Rohde. Das bezeugen mehrere mit dem Fall vertraute Personen. Rohde hatte zunächst ausgesagt, dass er es gar nicht mit nach Strzegom genommen habe. Das entsprach offenbar nicht den Tatsachen. Das Mittel sei, so wurde es dem Exekutiv-Ausschuss des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR) mitgeteilt, wohl versehentlich durch eine Assistentin mit in die Medikamententasche gepackt worden, in Form einer Injektionslösung. Die Flasche sei aber versiegelt gewesen und habe Polen genau so wieder verlassen. Falsche Angaben gemacht Fragt sich nur: Warum hat der Tierarzt das nicht gleich gesagt? Wie sich außerdem herausstellte, stand Equioxx auch bei den Olympischen Spielen in Rio schon auf seiner Medikamentenliste. Und beim Vielseitigkeitsturnier in Badminton soll es fast zu einer fatalen Verwechslung gekommen sein: Statt des harmlosen Magenmittels Gastrogard habe Rohde dem Pferd von Andreas Dibowski um ein Haar Equioxx verabreicht, der Pfleger habe im letzten Moment die Verwechslung bemerkt. Rohde zog jetzt die Konsequenzen und trat nach zehn Jahren als Mannschaftstierarzt zurück. Beim ihm sei der Eindruck entstanden, "dass nicht mehr alle Personen im Verband hinter mir stehen", begründete er seine Entscheidung. Wen wundert's? Trotz lobender Dankesworte von FN-Sportchef Dennis Peiler bleibt der dringende Verdacht, dass der Rücktritt so freiwillig nicht war. Mit seiner fragwürdigen Kommunikationsstrategie in dem Fall hat Carsten Rohde der 29-jährigen Krajewski jedenfalls einen Bärendienst erwiesen. Die in Equioxx enthaltene Substanz Firocoxib - schmerzlindernd, fiebersenkend, entzündungshemmend und 30 Tage nachweisbar - ist zwar im Training erlaubt, aber im Wettkampf verboten. Es handelt sich mithin nicht um Doping, sondern um eine minderschwere "verbotene Medikation". Diese Unterscheidung gibt es nur im Pferdesport. Nachdem die Reiterin keine plausible Erklärung für den Fund hatte geben können, akzeptierte sie die "administrative Strafe" des Weltreiterverbandes FEI. Sie muss 2500 Schweizer Franken zahlen. Damit vermied sie eine Sperre. Da Julia Krajewski auch Bundestrainerin der Junioren ist, beschäftigte sich der Exekutiv-Ausschuss des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei ebenfalls mit dem Fall. Die Sanktion klingt milder als sie ist: Ausschluss aus dem Kader bis 30. Juni 2018. Krajewski darf zwar weiter an Turnieren teilnehmen, aber die Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe ruht. Auch Vergünstigungen im Bundesleistungszentrum, etwa verbilligte Einstellgebühren, die nur Kaderreiter genießen, entfallen für diesen Zeitraum. Am Ende geht es da um einen fünfstelligen Betrag. Das Vertrauen als Bundestrainerin wurde Krajewski ausdrücklich ausgesprochen. Fragt sich, warum man sie bestraft hat, über den automatischen Verlust der Medaille hinaus, wenn der Verband überzeugt ist, dass Krajewski die Wahrheit sagt. "Wegen der Bedeutung des Falles", sagt der Sportchef Peiler. Also fürs Schaufenster.
https://www.sueddeutsche.de/sport/reistport-ein-tierarztkoffer-voller-raetsel-1.3801721
mlsum-de-9681
Andere Hersteller können aber noch mehr Wagen absetzen. Dabei dürfte der Abgas-Skandal erst demnächst auf die VW-Verkaufszahlen durchschlagen.
VW-Absatz in der EU steigt Die Absatzzahlen von VW in der Europäischen Union sind im September gestiegen. Der Branchenverband Acea teilte mit, die Marke VW habe 6,6 Prozent mehr Fahrzeuge abgesetzt als im Vorjahresmonat, der gesamte Konzern mit den anderen Marken wie Škoda, Audi oder Bugatti sogar 8,4 Prozent. Insgesamt wurden in der EU fast zehn Prozent Autos mehr zugelassen, das waren 1,35 Millionen. Der Abgas-Skandal VW spürt damit noch keine drastischen Auswirkungen der gewaltigen Manipulations-Affäre. Mitte September hatten US-Behörden einen Abgas-Skandal aufgedeckt. Sie waren auf den Einbau spezieller Software in Dieselfahrzeugen gestoßen. Dadurch konnten die Abgaswerte von rund elf Millionen Dieselfahrzeugen geschönt werden. Der deutsche Autokonzern steht deswegen weltweit am Pranger. Allein in der EU sind 8,5 Millionen Fahrzeuge betroffen. Folgen der Affäre Auswirkungen des Abgas-Skandals werde es aufgrund teils langer Lieferzeiten bei Neuwagen erst mit einer Verzögerung von mehreren Wochen oder gar Monaten geben, erklärte Branchenbeobachter Peter Fuß von der Unternehmensberatung Ernst & Young. Der Autoexperte rechnet zwar nicht mit einer nachlassenden Nachfrage, dafür aber mit Folgen für die Preisgestaltung der Händler: Angesichts der aktuellen Verunsicherung vieler potenzieller Käufer könnten einige Hersteller "ihre Chance wittern, den eigenen Marktanteil zu steigern und noch aggressiver auf Rabatte zu setzen, was den Preiskrieg weiter anfachen könnte". BMW spürt keinen Knick bei Diesel-Verkäufen Der Autohersteller BMW bleibt bei den Diesel-Verkäufen bislang von einem möglichen Abwärtssog durch den VW-Abgas-Skandal verschont. "Bislang verzeichnen wir bei der Nachfrage nach Dieselfahrzeugen keine Auswirkungen", sagte ein BMW-Sprecher. Einige Beobachter befürchten, dass Kunden nach dem Bekanntwerden der Manipulationen bei Volkswagen auch Dieselautos anderer Hersteller meiden. 73 Prozent der verkauften BMW in Deutschland waren dem Sprecher zufolge im vergangenen Jahr Diesel. Weltweit liegt der Dieselanteil des Herstellers bei 38 Prozent.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/volkswagen-vw-verkauft-trotz-abgas-affaere-mehr-autos-1.2695072
mlsum-de-9682
War der Küchenhersteller Alno schon viel früher pleite als bekannt? Diesem Verdacht geht die Staatsanwaltschaft bei einer Razzia nach.
Ein halbes Jahr nach der Pleite des Küchenherstellers Alno hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart am Dienstag eine Razzia in sechs Bundesländern initiiert. Die Anklagebehörde ermittelt nach eigenen Angaben wegen des Verdachts auf Insolvenzverschleppung und Betrug gegen zwölf ehemalige Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer der Alno AG und ihrer sechs Tochterunternehmen. Vier Staatsanwälte und mehr als 100 Einsatzkräfte durchsuchten Geschäftsräume und Privatwohnungen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Die Aktiengesellschaft aus dem baden-württembergischen Pfullendorf hatte nach vielen Krisenjahren mit großen Verlusten im Juli 2017 Insolvenz angemeldet. Im Jahr zuvor war noch die bosnische Investorenfamilie Hastor eingestiegen und hatte versucht, das Unternehmen zu retten. Nach eigenen Angaben steckten die Hastors eine zwei- bis dreistellige Millionensumme in die Firma - vergeblich. Zwischendrin trennte sich der Clan vom Vorstandsvorsitzenden Max Müller, der die Hastors zuvor als Retter ins Boot geholt hatte. Ihm werfen die Hastors vor, er habe sie "getäuscht". Müller selbst weist als Vorwürfe zurück. Auch die Gewerkschaft IG Metall sprach von "haarsträubenden Fehlern" des ehemaligen Managements. Das Vertrauen der Kunden ist beschädigt Insolvenzverwalter Martin Hörmann hatte bereits im Januar am Rande einer Gläubigerversammlung in Hechingen angedeutet, dass die Alno AG wohl schon viel früher zahlungsunfähig gewesen sein könnte. Er nannte sogar zwei mögliche Daten: Ende 2016, oder sogar schon 2013 - das hänge von der Rechtsprechung ab. Hörmann hatte die Alno-Tochter Pino im Oktober an den Küchenhersteller Nobilia veräußert. Kurz vor Weihnachten kaufte dann die britische Investment-Gesellschaft Riverrock die Alno-Reste für etwa 20 Millionen Euro auf. Hinter Riverrock steht unter anderen der Münchner Unternehmensberater Roland Berger. Sein Plan: Er will die Traditionsmarke als Herstellerin von Luxusküchen neu am Markt platzieren. Die Nachfolgefirma Neue Alno GmbH hat bereits den Betrieb aufgenommen und die ersten Küchen produziert. Ihr Geschäftsführer Andreas Sandmann hat eine überaus schwierige Aufgabe, denn in den vergangenen Jahren haben mangelhafte Lieferungen das Vertrauen der Kunden arg beschädigt.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kuechenhersteller-verdacht-auf-insolvenzverschleppung-nach-alno-pleite-1.3913846
mlsum-de-9683
Der Mittelfeldspieler könnte den FC Arsenal verlassen, berichtet die "Times". Gregor Schlierenzauer verzichtet auf einen Start bei der Vierschanzentournee. Handball-Meister Flensburg holt den 18. Sieg im 18. Spiel.
Premier League, Özil: Die Spekulationen um einen vorzeitigen Abschied von Mesut Özil beim FC Arsenal reißen nicht ab. Einem Bericht der Times vom Freitag zufolge zieht der Londoner Club eine Ausleihe des Fußball-Weltmeisters 2014 im Januar in Erwägung. Özil habe das Vertrauen des neuen Arsenal-Trainers Unai Emery bislang nicht gewinnen können, hieß es weiter. Die Gunners seien daher bereit, den Mittelfeldspieler gehen zu lassen. Erst zu Beginn des Jahres hatte Özil seinen Vertrag bei Arsenal bis Ende Juni 2021 verlängert, er gehört zu den Spitzenverdienern des Teams. In dieser Saison stand der 30-Jährige in 26 Pflichtspielen nur elfmal in der Startelf. Angeblich passt Özil nicht ins taktische System von Emery, dem Nachfolger des langjährigen Arsenal-Trainers Arsène Wenger. Daher wolle der Club den früheren deutschen Nationalspieler bei einem passenden Angebot verkaufen. Um Gehaltskosten zu reduzieren und Platz für Neuzugänge zu schaffen, sei Arsenal im Januar aber auch schon bereit, Özil zu verleihen, berichtete die Times. Handball, HBL: Die Siegesserie der SG Flensburg-Handewitt in der Handball-Bundesliga hält an. Dank einer Leistungssteigerung im zweiten Durchgang setzte sich der deutsche Meister am Donnerstagabend mit 35:28 (14:16) gegen GWD Minden durch. Beste Werfer Flensburgs waren Marius Steinhauser und Rasmus Lauge mit je sieben Toren. Für Minden war Christoffer Rambo sechsmal erfolgreich. Nach dem 18. Sieg im 18. Spiel bleibt die Mannschaft von Trainer Maik Machulla auf Titelkurs. Saisonübergreifend war es bereits der 26. Bundesliga-Sieg Flensburgs in Serie. Erster Verfolger sind nun vorerst die Rhein-Neckar Löwen. Die Mannschaft von Trainer Nikolaj Jacobsen holte beim 34:29 (17:14) gegen den TVB Stuttgart den sechsten Bundesliga-Sieg in Serie und zog in der Tabelle an Rekordmeister THW Kiel vorbei. Allerdings haben die Kieler ein Spiel weniger absolviert und könnten mit einem Sieg am Samstag in Bietigheim wieder den zweiten Platz übernehmen. Bester Werfer der Partie war Stuttgarts Manuel Späth mit neun Toren. Für die Löwen war Nationalspieler Jannik Kohlbacher mit sieben Toren am erfolgreichsten. Spanien, Barcelona: Der spanische Fußball-Meister FC Barcelona hat den kolumbianischen Innenverteidiger Jeison Murillo (26) vom FC Valencia zum 1. Januar ausgeliehen. Dies bestätigten beide Klubs am Donnerstagabend. Nach Medienberichten soll die Leihgebühr für den Südamerikaner zwei Millionen Euro betragen. Die Katalanen sicherten sich außerdem eine Kaufoption für 25 Millionen Euro. Barcelona reagierte damit auf die verletzungsbedingten Ausfälle von Thomas Vermaelen und Weltmeister Samuel Umtiti im Abwehrzentrum. Wintersport, Skispringen: Der sechsmalige Skisprung-Weltmeister Gregor Schlierenzauer verzichtet auf einen Start bei der Vierschanzentournee. Der formschwache Österreicher, der zuletzt bereits eine Weltcuppause eingelegt hatte, will sich stattdessen ganz auf die Heim-WM Ende Februar in Seefeld konzentrieren. Der 28-Jährige hatte die Tournee 2011/12 und 2012/13 gewonnen. Schlierenzauer hat in dieser Saison nur bei einem seiner fünf Wettkämpfe den zweiten Durchgang erreicht. Mit 53 Weltcup-Siegen ist der Team-Olympiasieger von 2010 noch immer Rekordhalter, sein letzter Erfolg stammt allerdings von Dezember 2014. Die Tournee hatte er in den vergangenen zwölf Jahren nur 2016/17 als Folge eines Kreuzbandrisses verpasst. Das Tournee-Ticket sicher haben in Österreich bislang nur Doppelweltmeister Stefan Kraft, Daniel Huber und Michael Hayböck. Um die drei noch freien Startplätze werden Manuel Fettner, Clemens Aigner, Philipp Aschenwald, Markus Schiffner, Ulrich Wohlgenannt, Thomas Hofer und Stefan Rainer beim zweitklassigen Continental Cup in Engelberg am 27./28. Dezember kämpfen. Die Vierschanzentournee beginnt am 29. Dezember mit der Qualifikation in Oberstdorf. Basketball, NBA: Dirk Nowitzki hat mit den Dallas Mavericks in der nordamerikanischen NBA die vierte Niederlage in Serie kassiert. Die Mavs verloren am Donnerstag (Ortszeit) bei den Los Angeles Clippers 121:125 (54:65). Der 40 Jahre alte Würzburger wartet damit weiter auf das erste Erfolgserlebnis nach seiner langen Verletzungspause. In etwas mehr als fünf Spielminuten blieb der Routinier ohne Punkte. Landsmann Maxi Kleber kam auf vier Zähler. Die Mavs haben nach 30 Saisonspielen eine ausgeglichene Bilanz von 15 Siegen und 15 Niederlagen. Die Houston Rockets unterlagen nach zuletzt fünf Siegen in Serie gegen die Miami Heat knapp 99:101 (58:53). Superstar James Harden war mit 35 Punkten und 12 Assists der Topscorer bei der Auswärtspleite. Der deutsche Nachwuchscenter Isaiah Hartenstein stand nicht im Aufgebot der Texaner. Mit 16 Siegen und 15 Niederlagen belegt Houston aktuell den dritten Platz in der Southwest Division.
https://www.sueddeutsche.de/sport/fc-arsenal-oezil-ausleihe-schon-im-januar-1.4262350
mlsum-de-9684
Dank eines 91:79-Heimerfolges geht Bamberg 2:1 gegen den FC Bayern in Führung - dem Titelverteidiger droht am Mittwoch die Entthronung in der eigenen Halle.
Dennis Schröder war auch am Sonntagabend wieder in der Halle. Der Basketballprofi des NBA-Klubs Atlanta Hawks hat zwar Ferien nach fast 100 Spielen in dieser Saison, aber wenn sein Freund Daniel Theis von den Brose Baskets Bamberg ruft, dann kommt er halt und schaut sich noch eine weitere Partie an. Schröder und Theis kennen sich aus gemeinsamen Tagen beim Bundesligisten Braunschweig, und nachdem Schröder schon am vergangenen Mittwoch den 80:78-Erfolg der Bamberger beim Titel- verteidiger FC Bayern München in der Arena miterlebt hatte, bat Theis seinen Kumpel, doch von nun an bitte jedes Mal zuzuschauen, solange die Finalserie um die deutsche Meisterschaft läuft. "Er hat uns anscheinend Glück gebracht", erklärte Theis. Anscheinend tut Schröder das, denn auch am Sonntagabend sah er einen Bamberger Sieg, wesentlich weniger dramatisch allerdings als vier Tage vorher. In eigener Halle setzten sich die Bamberger 91:79 (44:44) durch; nach der Auftakt- Niederlage (73:84) und dem Erfolg in buchstäblich letzter Zehntelsekunden, führen die Oberfranken in der Best-of-five-Serie nun 2:1 und können bereits am Mittwoch in München (20 Uhr/Sport 1) ihren siebten Meistertitel gewinnen. Aber ihr Flügelspieler Elias Harris warnte bereits: "Der FC Bayern ist eine sehr gute Mannschaft, die wird sich nicht aufgeben." Notfalls gibt es am kommenden Sonntag ein fünftes und dann aber letztes Wiedersehen. Harris hatte am vergangenen Mittwoch im zweiten Spiel eine Steißbeinprellung erlitten, war am Sonntag aber wieder von Anfang an dabei. Beim FC Bayern hingegen fehlte Anton Gavel, der sich im gleichen Spiel eine Hüftverletzung zugezogen hatte - eine entscheidende Schwächung des Meisters, denn der frühere Bamberger fiel für die Bewachung von Baskets-Spielmacher Brad Wanamaker aus. "Auch deshalb haben wir etwas den Rhythmus verloren", fand FC-Bayern-Chefcoach Svetislav Pesic. Er erinnerte aber daran, dass seine Mannschaft zuletzt schon Heiko Schaffartziks Ausfall bei zwei Spielen der Halbfinalserie gegen Alba Berlin (3:2) kompensiert habe: "Wir haben schon häufiger solche Erlebnisse weggesteckt." Die Abwehrleistung fand Bayern-Coach Pesic "die schlechteste der Saison" Diesmal allerdings vermisste Pesic seinen abwehrstarken Guard. "Ich weiß nicht, ob wir gewonnen hätten, wenn er mitgespielt hätte", bilanzierte der 65-Jährige, "aber ich bin sicher, dass wir eine bessere Defense gespielt hätten." Die Abwehr- leistung seiner Profis fand Pesic nämlich "katastrophal, die schlechteste der gesamten Saison". Nach einer ausgeglichenen ersten Halbzeit hatte Bamberg mit einem 14:0-Lauf im dritten Viertel - von 48:49 (24. Minute) auf 62:49 (28.) - die Basis für den Erfolg gelegt. "In dieser Phase haben wir kein einzige Foul gemacht", haderte Pesic und erinnerte seine Akteure: "Fouls sind ein Teil des Spiels." Die Bamberger hatten ihrerseits die Intensität in der Abwehr erhöht und beispielsweise dem in der ersten Halbzeit mit 18 Punkten herausragenden FC-Bayern-Center John Bryant nur noch zwei weitere Zähler zugestanden. "Wir haben nichts besonderes gemacht", sagte Bambergs Coach Andrea Trinchieri, "jeder hat ein wenig mehr Verantwortung übernommen, um Bryant zu stoppen. Wir haben uns als Mannschaft besser bewegt gegen ihn." Sein erneut beeindruckender Spielmacher Brad Wanamaker (14 Punkte, sechs Assists) sagte: "John hatte es zu einfach. Wir haben es ihm in der zweiten Halbzeit schwerer gemacht." Bamberg, bis dato das treffsicherste Team aus der Distanz in dieser Bundesliga-Saison, hatte in der ersten Partie nur acht von 25 Drei-Punkte-Würfen verwandelt (32 Prozent), in der zweiten sogar nur drei von 14 (21 Prozent). Aber diesmal fanden sie zu ihrer Wurfstärke zurück: 13 von 22 Drei-Punkte-Würfe fielen durch den Korb (59 Prozent), vor allem Janis Strelnieks (16 Punkte), Ryan Thompson (15) und Darius Miller (9) trafen hochprozentig. Das war statistisch gesehen der wesentliche Unterschied in diesem Vergleich. Nur eines lässt Bambergs Trainer Trinchieri zürnen: "Wir kriegen zu schnell Foulprobleme" Auf dem Feld offenbarte sich, dass die Münchner wohl immer noch unter der kräftezehrenden Halbfinalserie gegen Alba Berlin leiden. Pesic wechselte jedenfalls schon früh die in den bisherigen Playoffs wenig bis gar nicht eingesetzten Robin Benzing, Vasilije Micic und Lucca Staiger ein; aber abgesehen von Benzing (12 Punkte) brachten die kaum Entlastung. Die ansonsten so offensiv-gefährlichen Bryce Taylor und Heiko Schaffartzik waren mit der Bewachung von Wanamaker ausgelastet - Taylor erzielte seinen einzigen Korb aus dem Spiel heraus, als die Partie längst entschieden war. Und mit zunehmender Spieldauer setzte sich auch Bambergs Center Trevor Mbakwe immer mehr gegen seine Münchner Kontrahenten Bryant und Vladimir Stimac durch. Am Ende kam der 2,08-Meter-Mann auf 13 Punkte, neun Rebounds, vier Ballgewinne und drei Assists - und zur Auszeichnung als bester Spieler der Partie. Bambergs Coach Trinchieri war übrigens trotz des Erfolges nicht ganz zufrieden mit seiner Mannschaft: "Wir kriegen immer zu schnell Foulprobleme. Da müssen wir smarter sein." Diese Foulprobleme hätte sein Gegenüber Pesic an diesem Sonntag gern in Kauf genommen.
https://www.sueddeutsche.de/sport/basketball-finalserie-ein-lauf-im-dritten-viertel-1.2520637
mlsum-de-9685
Jahrelang soll der deutsche Staat mit dubiosen Aktiendeals um Milliarden betrogen worden sein. Jetzt schildern Insider den Behörden, wie das System funktionierte.
Großbanken wie die frühere WestLB sollen in die Geschäfte verwickelt gewesen sein. Im Bild die Zentrale der WestLB-Nachfolgerin Portigon in Düsseldorf. Nordrhein-westfälischen Behörden ist nach jahrelangen Ermittlungen gegen einen offenbar kriminellen Ring von Banken und Börsenhändlern, die den deutschen Fiskus um mehr als zehn Milliarden Euro betrogen haben sollen, der Durchbruch gelungen. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR sagen mehrere Insider bei der Staatsanwaltschaft Köln und dem Landeskriminalamt aus, was sie über dubiose Aktiengeschäfte wissen. Einer der größten Erfolge bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Deutschland zeichnet sich ab. Die Behörden ermitteln wegen Steuerhinterziehung in zahlreichen besonders schweren Fällen und wollen lange Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren erwirken. Die Insider, die sich von ihren Aussagen einen Strafnachlass oder gar Straffreiheit versprechen, schildern den Behörden die mutmaßlichen Gesetzesverstöße bis ins Detail. Die beteiligten Banken und Börsenhändler haben demnach mit Unterstützung von Anwaltskanzleien riesige Aktiengeschäfte dazu genutzt, sich von Finanzämtern Kapitalertragsteuern erstatten zu lassen, die zuvor gar nicht an den Fiskus gezahlt worden waren. Diese Steuererstattung, also der Griff in die Staatskasse, ist nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden der einzige Sinn und Zweck dieser Geschäfte gewesen. Zahlreiche deutsche Institute und internationale Großbanken wie die frühere WestLB oder UBS sollen mitgemacht haben. Durch die Aussagen der Insider geraten noch mehr Banken und Börsenhändler als bisher unter Verdacht, an dem System beteiligt gewesen zu sein. Bei den Deals wurden Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende im Wert von Hunderten Milliarden Euro trickreich im Kreis gehandelt, um die Steuererstattungen zu kassieren. Die Insider nennen in ihren Aussagen auch zahlreiche Namen Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages hat in den vergangenen Monaten die Cum-Ex-Deals durchleuchtet und viele Anhaltspunkte für ein kriminelles System gefunden. Die neuesten Erkenntnisse der Ermittler in Nordrhein-Westfalen gehen weit über die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses hinaus und könnten dazu führen, dass der Staat sich vor allem von den Banken einen großen Teil des Geldes zurückholen kann. Bislang haben lediglich vier Finanzinstitute etwas mehr als eine halbe Milliarde Euro zurückgezahlt. Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) sagt, "die Cum-Ex-Betrüger müssen spätestens jetzt erkennen: Für Täter und Helfer, die immer noch mauern, wird es eng." Im Zentrum des Geschehens stehen neben den Banken etwa zehn bis 15 internationale Börsenhändler. Sie sollen sich auf Kosten des Fiskus mit jeweils mehreren Hundert Millionen Euro an den Cum-Ex-Deals bereichert haben. Die Insider nennen in ihren Aussagen die Namen vieler Cum-Ex-Akteure unter den Banken und Börsenhändlern und belasten diese schwer. Bei dem Kölner Verfahren, in dessen Verlauf es bereits zahlreiche Razzien gab, ist nun mit weiteren Durchsuchungen und sogar Haftbefehlen zu rechnen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/cum-ex-geschaefte-mitwisser-packen-aus-ring-von-bankern-und-boersenhaendlern-aufgeflogen-1.3468112
mlsum-de-9686
Ein solches Vorhaben "wäre mit unserer Verfassung wohl kaum vereinbar", sagt der Innenminister. Er will Hasspredigten auf andere Weise unterbinden.
Die Forderung von CDU-Politikern nach einem eigenen Gesetz über Regeln für Muslime in Deutschland stößt auf breiten Widerspruch. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erteilt einem solchen Islamgesetz eine Absage. "Es wäre mit unserer Verfassung wohl kaum vereinbar", sagte der Minister. Es sei wichtig, dass in Moscheen kein Hass gepredigt werde und bestimmte Moscheen auch vom Verfassungsschutz beobachtet würden - diese Ziele der Befürworter eines Islamgesetzes teile er. Er halte ein Gesetz aber für den falschen Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Schon am Montag hatte Regierungssprecher Steffen Seibert erklärt, ein Islamgesetz sei "jetzt kein Thema für unser Regierungshandeln". Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz wurde deutlicher: Das Islamgesetz sei eine "populistische Schnapsidee", sagte er. In einem Rechtsstaat dürfe man "die vier Millionen Muslime und über 2500 Moscheen nicht unter Generalverdacht stellen". Eine Reihe von Innenexperten der CDU beharrt allerdings darauf, dass die Forderung nach einem Islamgesetz Teil des Wahlprogramms der Christdemokraten wird. Dies hatten zuerst die Präsidiumsmitglieder Jens Spahn und Julia Klöckner gefordert. Günter Krings, Staatssekretär in Thomas de Maizières Innenministerium und Chef der nordrhein-westfälischen CDU-Landesgruppe im Bundestag, sagte der Rheinischen Post, wegen der "nicht zu leugnenden radikalen Tendenzen in Teilen des Islams" erwarteten die Menschen zu Recht, "dass die Union im Wahlprogramm deutlich macht, wo im Bund und in den Ländern Bedarf ist für klare und konsequente staatliche Regelungen im Verhältnis zum Islam." Es gehe dabei unter anderem um die "volle Transparenz der ausländischen Finanzquellen deutscher Moscheen" und um den "prinzipiellen Vorrang des deutschen Familienrechts". Spahn selbst verteidigte seinen Vorschlag am Dienstag. Er sagte der Süddeutschen Zeitung: "Es reicht nicht, wenn in Moscheen einfach nur kein Hass gepredigt wird. Es geht darum, dass dort aktiv Integration und Ankommen in der deutschen Gesellschaft gelebt wird." Spahn hatte ein Islamgesetz vorgeschlagen, das unter anderem den Vorrang deutscher Gesetze vor islamischen Glaubensvorschriften festschreibt, den rechtlichen Status der muslimischen Organisationen und Moschee-Vereine klärt und ihre Finanzierung aus dem Ausland verbietet. Zugleich sollen der Anspruch auf muslimische Seelsorger in Gefängnissen, Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie Regeln für die Ausbildung von Imamen festgeschrieben werden. Skeptisch reagierten die Vertreter der Kirchen. Der Repräsentant der katholischen Bischöfe bei der Bundesregierung, Karl Jüsten, sagte, die bestehenden rechtlichen Regelungen seien "nach kirchlicher Auffassung ausreichend, um die Integration des Islams in Deutschland zu bewerkstelligen". Auch der evangelische Kirchenrechtler Hans Michael Heinig zeigte sich skeptisch. Man solle nicht "voreilig und ohne Not" vom bisherigen Staatskirchenrecht abweichen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/union-de-maiziere-erteilt-islamgesetz-eine-absage-1.3451180
mlsum-de-9687
Der abgesetzte Regionalpräsident zeigt sich bereit, den Ministerpräsidenten außerhalb Spaniens zu treffen. Rajoy reagiert mit einer halben Absage.
Nach der Regionalwahl in Katalonien hat sich der abgesetzte Regierungschef Carles Puigdemont offen für Gespräche mit Madrid gezeigt. Er sei bereit, sich außerhalb Spaniens mit Ministerpräsident Mariano Rajoy zu treffen, sagte der 54-Jährige am Freitag bei einer Pressekonferenz in seinem Exil in Brüssel. Bei der Wahl am Donnerstag hat das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter seine Mehrheit behauptet. Diesem gehören drei Parteien an, die zusammen 70 der 135 Sitze erhalten haben. Die größte Fraktion im Parlament von Barcelona wird künftig aber eine Partei stellen, die für den Verbleib im spanischen Staatsverbund eintritt: Die liberale Partei Ciutadans mit ihrer charismatischen Spitzenkandidatin Inés Arrimadas gewann 37 Sitze. Puigdemont forderte Rajoy auf, den Wahlsieg der Unabhängigkeitsbefürworter anzuerkennen. Mehr als zwei Millionen Stimmen für die Separatisten seien "kein Hologramm" und der Staat könne nicht verhindern, dass das Resultat im Parlament umgesetzt werde. Rajoy relativierte jedoch den überraschenden Erfolg der Separatisten: "Die Unabhängigkeits-Befürworter haben an Unterstützung eingebüßt. Weniger, als wir uns gewünscht hatten, aber sie haben eingebüßt", sagte der Regierungschef nach Beratungen seiner konservativen Volkspartei. Nach wenigen Stunden Bedenkzeit reagierte Rajoy mit einer halben Absage auf Puigdemonts Gesprächsangebot. Solange sich die neue Führung in Barcelona an die spanische Verfassung und die Gesetze halte, sei er bereit für einen Dialog, sagte Rajoy am Freitag auf einer Pressekonferenz. Auf die Rückfrage, ob er Puigdemonts Angebot annehme, antwortete Rajoy, er werde mit der Wahlsiegerin sprechen und das sei ja wohl Arrimadas von Ciutadans. Mehr als zwei Millionen Stimmen seien "kein Hologramm" Die Separatisten hatten im Oktober trotz eines Verbots aus Madrid ein Unabhängigkeitsreferendum abgehalten und die Abspaltung von Spanien beschlossen. Regionalpräsident Puigdemont wurde des Amtes enthoben und setzte sich nach Belgien ab, um einer Festnahme zu entgehen. Wie ehemalige Mitstreiter riskiert Puigdemont wegen der Vorwürfe der Rebellion, des Aufruhrs und der Veruntreuung öffentlicher Mittel bei einer Rückkehr nach Spanien eine lange Haftstrafe. Bei einer Wahl zum Regionalpräsidenten will er dennoch zurück in die Heimat. Der EU gegenüber sagte Puigdemont in Brüssel: "Ich bitte die Europäische Kommission nicht, ihre Haltung zu ändern. Ich bitte sie nur darum, uns alle anzuhören, weil wir das Recht gewonnen haben, gehört zu werden." Die EU hat sich während der Krise der letzten Monate gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens positioniert. Die Bundesregierung hat zum Dialog aufgerufen. "Nun wird es an den Abgeordneten sein, eine Regierung zu bilden. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass es gelingt, die gegenwärtige Spaltung der katalanischen Gesellschaft zu überwinden und mit allen politischen Kräften Spaniens eine gemeinsame Zukunft zu gestalten", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin. "Jede Regierung wird sich dabei auf dem Boden des Rechtsstaats und der spanischen Verfassung bewegen müssen", betonte Demmer.
https://www.sueddeutsche.de/politik/nach-wahl-puigdemont-bietet-rajoy-nach-katalonien-wahl-gespraech-an-1.3803149
mlsum-de-9688
Vor dem entscheidenden Spiel in der EM-Qualifikation beklagt der Bundestrainer die mangelnde Effizienz im Torabschluss. Kann Bastian Schweinsteiger gegen Georgien spielen?
Joachim Löw: "Die Spieler müssen begreifen, dass eine Chance vielleicht die allerletzte im Spiel ist." Schweinsteiger wieder im Lauftraining Joachim Löw will den Spielern, die in Dublin verloren haben, im wichtigen EM-Qualifikationsspiel gegen Georgien eine neue Chance geben. "Es gibt nicht viele Veränderungen", kündigte der Bundestrainer einen Tag vor der Partie der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Georgien an. Der Weltmeister braucht in Leipzig noch einen Punkt, um das Direktticket für die EM 2016 zu lösen. Der angeschlagene Bastian Schweinsteiger hat wieder mit dem Lauftraining begonnen. "Es hat sich zumindest so gebessert, dass eine Hoffnung besteht", sagte Löw. Wer den verletzten Mario Götze im Angriffszentrum ersetzt, ließ der Bundestrainer offen. Der Leverkusener Karim Bellarabi könnte in der Startelf eine Flügelposition besetzen. Thomas Müller, Marco Reus und Mesut Özil sollen mit vielen Positionswechseln Torchancen kreieren. "Ich denke, es ist nichts Dramatisches passiert. Wir sind Tabellenführer und haben es selbst in der Hand gegen einen Gegner, der nicht zu den Topteams in Europa gehört", betonte Löw. Erstmals in seiner Ära als Bundestrainer muss die DFB-Auswahl bis zum letzten Gruppenspiel um die Qualifikation für ein großes Turnier kämpfen. Ein Punkt reicht dem DFB-Team Für das Frankreich-Ticket reicht vor 43 630 Zuschauern in der ausverkauften Leipziger Arena in jedem Fall ein Remis. Bei einer Niederlage könnten die Konkurrenten aus Polen und Irland (je 18 Punkte), die im direkten Duell in Warschau aufeinandertreffen, noch am aktuellen Tabellenführer Deutschland (19) vorbeiziehen. Bei Punktgleichheit von zwei oder mehr Teams entscheidet der direkte Vergleich. Hier hat die DFB-Auswahl gegenüber Polen und Irland das Nachsehen. "Jeder kennt die Lage, jeder kennt die Tabelle und kann rechnen. Was zählt, ist, dass wir gegen Georgien gewinnen wollen und werden", verkündete Torwart Manuel Neuer: "Natürlich sind wir zuversichtlich. Wir haben uns hoffentlich die Tore ein bisschen aufgehoben." Beim 0:1 in Irland hatten viele vergebene Möglichkeiten und der "Lucky Punch" der Boys in Green für großen Frust im Lager des Weltmeisters gesorgt. Den Vorwurf, in Dublin sei auch ein Schuss Arroganz und Überheblichkeit dabei gewesen, wies Löw klar zurück: "Generell kann man bei unserer Mannschaft wirklich nicht behaupten, dass Spieler abgehoben, arrogant oder völlig weggedriftet sind." Als Hauptdefizit hat Löw mangelnde Effizienz im Spiel seines Team ausgemacht: "Wir sind zur Zeit nicht mehr so tödlich für den Gegner wie wir es schon mal waren."
https://www.sueddeutsche.de/sport/loew-vor-georgien-spiel-wir-sind-nicht-mehr-so-toedlich-1.2686389
mlsum-de-9689
Zur Silvesterparty möchte jede Frau gut aussehen, und doch passieren immer wieder dieselben Make-up-Fehler. Die häufigsten Missgeschicke vor dem Spiegel - und wie sie sich vermeiden lassen.
Der falsche Concealer Als Concealer bezeichnet man hautfarbene Abdeckcreme mit einem besonders hohen Anteil an Farbpigmenten. Er ist der Liebling aller Visagisten, und kein Model, Schauspieler oder Politiker tritt vor eine Kamera, ohne das Wunderpräparat vorher benutzt zu haben. Richtig eingesetzt, deckt der Concealer dunkle Schatten unter den Augen ab, kleine Rötungen und Unebenheiten der Haut scheint er geradezu auszulöschen wie früher Tipp-Ex die Fehler auf einer Schreibmaschinenseite. Und wie bei Tipp-Ex gilt: sparsam verwenden. Greift man zu tief in den Tiegel, setzt sich die Creme in den feinen Linien der Haut ab. Wichtig ist auch, den Concealer richtig einzuarbeiten - sonst reflektieren die Farbpigmente im Foto-Blitzlicht. Und statt zu strahlen, erinnert man später auf den Bildern an einen Koalabären. Am besten zuerst eine Augencreme auftragen und wenig Concealer mit dem Finger sanft in die Haut einklopfen. Die Konsistenz muss auf den Hauttyp abgestimmt sein: Bei trockener Haut, die schon ein paar Fältchen zeigt, lässt man am besten die Finger von pudrigen Produkten, sie verstärken die Falten nur noch. Stattdessen leichte Concealer verwenden, die auch Feuchtigkeit spenden. Soll die Deckkraft stark ausfallen, aber das Ergebnis trotzdem natürlich aussehen, sind Produkte auf Creme-Basis ideal. Und wenn die Falten nun einmal da sind, empfiehlt sich ein Concealer, der das Licht reflektiert und wie ein Weichzeichner wirkt. Sorgfältig eingeklopft, vermeidet man damit auch das Koalaproblem.
https://www.sueddeutsche.de/stil/make-up-fehler-apfelbaeckchen-und-koalabaer-blick-1.2281720
mlsum-de-9690
Verschwurbelt, unbedeutend, zu viele Studenten - die Germanistik kaut an immer denselben Vorwürfen. Die Disziplin muss endlich ihre Probleme analysieren.
Um die Aktualität Friedrich Schillers, hier eine Inszenierung seines Dramas "Maria Stuart", muss man sich wohl keine Sorgen machen. Die Wissenschaft, die sich um ihn und seinesgleichen dreht, steht jedoch in der Kritik. Es sollte um "Europa im Übergang" gehen, um Flüchtlingsromane und transnationales Theater, 180 Germanisten aus der ganzen Welt waren nach Flensburg gekommen. Tagung der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG). Dann ging es doch auch um die Krise, in der das Fach angeblich gerade steckt. Beziehungsweise um das, was von dem Krisengerede zu halten ist. Die Diskussion hatte Anfang des Jahres der Spiegel-Autor Martin Doerry mit seinem Artikel "Schiller war Komponist" angestoßen. Seine Kritik: Die Germanistik könne keine relevanten Intellektuellen mehr vorweisen, ihre Forschung zerfasere, ihre Lehre leide unter einer Überzahl von Studenten. Nach wie vor gelte, "wer nicht so recht weiß, was er mal werden soll, studiert eben gern mal Germanistik". Doerry, das nur am Rande, hat selbst Germanistik studiert. Es ist also auch eine Kritik an seinem Fach. Die Widerrede kam reflexhaft. Germanisten meldeten sich zu Wort, um zu sagen, dass sie sich sehr wohl zu Wort melden. Dass sie wissenschaftliche Texte nicht verschwurbelt schreiben würden, sondern in einer Wissenschaftssprache - wie auch Juristen, Mediziner, Physiker. Und dass die Germanistik natürlich einen Wert für die Gesellschaft habe. Wieso solle sich ein Fach, bei dem der Mensch im Zentrum steht, wenn auch als literarische Figur, überhaupt rechtfertigen? Dieter Heimböckel, 56, ist stellvertretender Vorsitzender der GiG, er hat in Flensburg den Vortrag gehalten, der im Programmheft auffiel: "Krisenrhetorik und Legitimationsritual", er redet auch ein paar Tage später noch darüber. Er redet über die "sogenannte Krise" und seine Wortwahl zeigt, was er davon hält. Die Germanistik löste im 19. Jahrhundert Latein ab als Fach, an dem die Nation sich bildete. Sie wurde ideologisiert in den 1930er Jahren, in den 1960er Jahren arbeitete sie sich an dieser Ideologisierung ab. Im April 1971 titelte die Zeit "Das Fach in Dauerkrise". Auch als Heimböckel sich an der Universität Duisburg einschrieb, gab es Kritik: Die FAZ klagte im März 1987 über "Das Elend des Krisengeredes". Zum Verstummen kam das Gerede nicht. "Sind Germanistik und Krise nicht ein und dasselbe?" fragte im März 1997 die Zeit. Das Fach ist damit beschäftigt, sich selbst zu legitimieren Heimböckel wurde mit einer Arbeit über Walter Rathenau promoviert, habilitierte sich zur Sprachkritik bei Heinrich von Kleist, lehrte in Duisburg und Regensburg. Derzeit unterrichtet er Literatur und Interkulturalität an der Universität in Luxemburg. Die Kritik an seinem Fach hört Heimböckel noch immer. "Die Germanistik steckt in einer Legitimationsspirale", sagt er, "die wirklich wichtigen Themen werden dabei nicht angesprochen." Nicht von außen. Aber auch nicht von innen. Das Fach ist damit beschäftigt, sich selbst zu legitimieren. Dabei gebe es Redebedarf.
https://www.sueddeutsche.de/bildung/germanistik-raus-aus-der-misere-1.3667721
mlsum-de-9691
Der Tag des Putschversuches habe "das Tor zur Aussöhnung" geöffnet, sagt der Anführer der größten Oppositionspartei. Noch vor wenigen Wochen hatten sich die Parteiführer von AKP und CHP gegenseitig mit Beleidigungsklagen überzogen.
Der Putschversuch vom 15. Juli führt in der Türkei zur ersten Annäherung zwischen Regierung und Opposition seit Jahren. Zwei der drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien nahmen am Sonntagabend an einer vom Präsidentenpalast initiierten Großkundgebung in Istanbul teil. Etwa eine Million Menschen versammelte sich. Die Türkei wolle den abgewehrten Militärputsch feiern und ein überparteiliches Zeichen für die Demokratie setzen, sagte Premier Binali Yıldırım. Das Land werde in "einer Stimme, einem Atem und einem Herzen" vereint sein. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte, der 15. Juli habe einen "Geist der Einheit und Gemeinsamkeit" geschaffen, man solle ihn jetzt bestens nutzen. Neben Erdoğan sprachen Kemal Kılıcdaroğlu, Vorsitzender der größten Oppositionspartei, der säkularen CHP, und der Chef der ultranationalistischen Partei MHP, Devlet Bahçeli. Kılıcdaroğlu sagte, der Tag des Putschversuches habe "das Tor zur Aussöhnung" geöffnet. MHP-Chef Bahçeli erklärte, man müsse aufhören, "virtuellen" Streit zu führen. Die prokurdische Partei HDP, war nicht zur Kundgebung eingeladen. Die Regierung wirft ihr eine Nähe zur kurdischen Terrororganisation PKK vor. Der Auftritt zeigt das Bemühen der Parteien, Spannungen abzubauen. Zuletzt gab es kaum mehr Anliegen, über die zwischen Regierung und Opposition noch ein Konsens erzielt werden konnte. Die Parteiführer hatte sich mit Beleidigungsklagen überzogen, die nun aber teilweise zurückgenommen werden sollen. CDU-Politiker Elmar Brok warnt vor Kurzschlussreaktionen Zahlreiche Politiker stellten sich der österreichischen Forderung entgegen, die Beitrittsgespräche mit der Türkei abzubrechen. Das Vorgehen der Regierung gegen mutmaßliche Putschisten und ihre angeblichen Unterstützer hatte den Westen schockiert. Zehntausende Beamte waren suspendiert worden, es kam zu Tausenden Verhaftungen. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte im ARD-Sommerinterview: "In der Lage, in der wir jetzt sind, müssen wir eigentlich jeden Gesprächskanal zur Türkei suchen". Er glaube aber nicht, "dass die Türkei in absehbarer Zeit" die Chance habe, der EU beizutreten. Er rede dabei von "zehn, 20 Jahren". Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, sagte der Welt am Sonntag, es sei "verantwortungslos, wenn wir in dieser akuten Situation die bisherigen Beziehungen zur Türkei komplett aufgeben würden". Auch der CDU-Politiker Elmar Brok warnte vor Kurzschlussreaktionen. Im Streit um die Visumsfreiheit will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der Türkei nicht entgegenkommen. Zugleich bekräftigte er die Notwendigkeit, an der Flüchtlingsvereinbarung mit Ankara festzuhalten. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sagte dem Magazin Focus mit Blick auf ein mögliches Platzen des Flüchtlingsdeals, wenn die EU über einen starken Grenzschutz verfüge, erübrige sich ein solches Abkommen. Die Türkei nimmt seit April auf den griechischen Inseln ankommende Flüchtlinge zurück. Die Flüchtlingszahlen in Europa sind gesunken.
https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-ein-land-demonstriert-einigkeit-1.3111139
mlsum-de-9692
Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge verteidigt im SZ-Interview Pep Guardiola gegen aufkommende Kritik und würde den Vertrag mit dem Trainer gerne verlängern. Zudem gibt er Einblicke in die Kaderplanung.
Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hat seinen Trainer Pep Guardiola offensiv gegen aufkommende Kritik verteidigt. Er registriere in der Öffentlichkeit "im Moment einen gewissen Anti-Guardiola-Trend, mit der Stimmung in unserem Verein hat das aber rein gar nichts zu tun", sagt Rummenigge im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (Wochenend-Ausgabe). Nach dem Ausscheiden in der Champions League gegen den FC Barcelona versucht der Klub, die Deutungshoheit über die Saison und den Trainer zurückzugewinnen. "Ich bin mit dem Verlauf der Saison sehr zufrieden", sagt Rummenigge und wehrt sich dagegen, dass das Umfeld den Klub "neuerdings nur noch am Triple von 2013 misst. Das haben wir in 115 Jahren erst ein einziges Mal gewonnen, das vergessen einige". Seinem Trainer signalisiert der Vorstandschef, dass er ihn gerne über das Vertragsende im Juni 2016 hinaus behalten würde. Man habe im Januar vereinbart, "dass wir in der zweiten Jahreshälfte 2015 über Peps Zukunft sprechen", sagt Rummenigge, "und meine Meinung kennt er: Ich wünsche mir, dass er bleibt". Guardiola erfülle "alle Kriterien, die wir an einen guten Trainer richten", so Rummenigge, "auch die Mannschaft ist sehr glücklich mit ihm". Dass Guardiolas taktische Winkelzüge in der Öffentlichkeit mitunter auf Unverständnis stoßen, schiebt Bayerns Vereinschef auf einen kulturellen Unterschied zwischen den Ländern. In Deutschland werde das Coaching "oft etwas eindimensional gesehen", sagt Rummenigge, "in anderen Ländern wird das Spiel vielleicht etwas strategischer betrachtet. Da begreift man es als Stärke, wenn ein Trainer mit einem Eingriff das Spiel verändert". Im sogenannten Ärztestreit mit dem ehemaligen Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ergreift der Vereinschef erneut Partei für den Trainer. "Wenn Sie die Details unserer Verletztenakten kennen würden, dann würden Sie auch die Gedanken- und Emotionswelt des Trainers besser verstehen. Er musste gegen Barcelona einen hohen Preis bezahlen." In die Planung des neuen Kaders sei Guardiola "natürlich eingebunden", sagt Rummenigge, denn "eine seriöse Kaderplanung macht man für eine Saison, nicht für drei und nicht für fünf Spielzeiten". Er könne aber "alle beruhigen, die meinen, dass der Verein den Hausschlüssel aus der Hand gibt und sich nur nach den Ideen von Guardiola richtet". Im Übrigen deutet der Vereinschef an, dass Gespräche mit einigen Ü30-Spielern wie Dante, Xabi Alonso oder auch Bastian Schweinsteiger bevorstehen könnten. Jeder wisse, "was die genannten Spieler für Bayern geleistet haben", sagt Rummenigge, "trotzdem machen wir uns Gedanken". Auf die Frage, ob man den vertraglich noch gebundenen Spieler vielleicht beibringen müsse, dass sie künftig etwas weniger spielen, sagt Rummenigge, man werde "mit der notwendigen Sensibilität Entscheidungen treffen". Außerdem fordert Rummenigge den deutschen Fußball und indirekt die Deutsche Fußball Liga (DFL) auf, die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga weiter zu erhöhen. Die Bundesliga müsse "aufpassen, dass sie nicht unter die Transferräder Englands gerät", meint Rummenigge und sagt ein "großes internationales Comeback" der Engländer voraus. Der Pay-TV-Markt in Deutschland werde "de facto von einem Monopol beherrscht", so Rummenigge, "und meine Sorge ist: Wenn es uns allen nicht gelingt, dieses Monopol aufzulösen, werden wir uns weiterhin unter Wert verkaufen." Rummenigge fordert neue Anbieter neben dem bisherigen Partner Sky: "Nur der Konkurrenzkampf treibt den Preis", sagt der Münchner Vereinschef, "deshalb wäre ich sehr dafür, unterschiedliche Pakete für unterschiedliche Anbieter zu schnüren." Man dürfe sich "nicht dauerhaft von einem Monopolisten abhängig machen".
https://www.sueddeutsche.de/sport/interview-mit-karl-heinz-rummenigge-ich-wuensche-mir-dass-pep-bleibt-1.2481231
mlsum-de-9693
Nach harscher Kritik an Mays Plänen gibt sich der US-Präsident beim gemeinsamen Auftritt handzahm: Der Brexit gehe ihn nichts an. Die britische Premierministerin kündigt ein Handelsabkommen an.
Zuerst teilt er in einem Presseinterview aus, nach einem Gespräch auf dem Landsitz Chequers bei London hingegen gibt sich der US-Präsident wieder zahm. Donald Trump bedankt sich bei der britischen Premierministerin Theresa May für die Gastfreundschaft. Die Bande zwischen Großbritannien und den USA seien besonders eng, die gemeinsamen Werte würden für immer verbinden, so Trump. In der Sun hatte der US-Präsident ein Handelsabkommen der beiden Länder in Zweifel gezogen. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Die USA und Großbritannien streben nach den Worten Mays weiterhin ein "ambitioniertes" Handelsabkommen an. "Donald und ich haben uns auf einen anspruchsvollen Vertrag geeinigt." Der Brexit sei nicht seine Sache, betont Trump. Er sei "einverstanden" mit Mays Strategie. Zuvor hatte er sie deutlich für ihre Brexit-Pläne kritisiert - was er beim gemeinsamen Auftritt nun verneint. "Ich habe die Premierministerin nicht kritisiert", sagt Trump. Das Interview sei "Fake News" gewesen. In dem am Donnerstagabend veröffentlichten Gespräch mit der Sun drohte er der angeschlagenen Premierministerin mit dem Scheitern eines möglichen Handelsabkommens, sollte Großbritannien nach dem Brexit zu enge Anbindungen an die EU behalten. Außerdem lobte er ihren Rivalen Boris Johnson. Davon hat die Boulevardzeitung auch Audiomaterial veröffentlicht. Nun betont Trump hingegen in Richtung May: "Was auch immer Sie machen, ist für mich in Ordnung. Stellen Sie nur sicher, dass wir zusammen Handel treiben können." Trump lobt Großbritannien außerdem dafür, zu der "Handvoll" Länder zu gehören, die das Nato-Ziel bei den Militärausgaben erreichen. Trump nennt als Ziel "ein Minimum von zwei Prozent" der Wirtschaftsleistung. Auch in Sicherheitsfragen wollen beide ihre Kooperation vertiefen. Trump: Deutschland stark von Merkel geprägt Der US-Präsident nennt die Einwanderung in Europa zudem "sehr negativ". "Die Einwanderung ändert die Kultur Europas." Der Kontinent solle besser auf sich aufpassen. "Schaut euch an, was mit den Ländern passiert." Er habe eine großartige Beziehung zu Kanzlerin Angela Merkel, aber das aktuelle Deutschland sei sehr stark von ihr geprägt, sagt Trump.
https://www.sueddeutsche.de/politik/trump-brexit-interview-fake-news-1.4054008
mlsum-de-9694
Der Parteitag beschließt die Vermögensteuer. Er befriedigt damit die Sehnsucht nach einer lauten Botschaft - und nach Selbstvergewisserung.
Nein, knapp ist da nichts mehr geworden. Vermögensteuer, wir kommen! - diese Botschaft wollten die meisten Delegierten in Münster auf keinen Fall gefährden. Zu attraktiv ist die Idee, endlich die Reichen, nein, die Superreichen zur Kasse zu bitten. Deshalb haben alle Versuche, den Beschluss noch zu verhindern, in Münster keine Chance mehr. Es klingt ja auch zu verlockend, mit einer Vermögensteuer endlich mehr Gerechtigkeit zu erzielen. Viele Umfragen bestätigen, dass diese Steuer bei den Menschen sehr beliebt ist. Wer wären die Grünen, wenn sie das nicht als Basis für den Beschluss genutzt hätten? Zwei kleine Haken gibt es freilich: Wo Kompromiss draufsteht, ist gar kein Kompromiss drin. Außerdem ist vollkommen unsicher, ob die Steuer je Gesetz wird. Stören mag sich daran aber niemand, erst recht nicht bei den Siegern. Sie wollten endlich den Konflikt beenden, der sich seit Jahren mit dieser Frage verbindet. Also haben sie über ihren Vorschlag Kompromiss geschrieben, auch wenn das in Wahrheit gar kein Kompromiss ist. Dass die Steuer etwas kleiner ausfallen könnte, weil nur noch die ,,Superreichen'' zur Kasse gebeten werden sollen, ist kein Mittelweg zwischen den beiden Fronten. ,,Wir Grünen beschließen eine Vermögensteuer'' - das bleibt die Botschaft. Für Winfried Kretschmann ist das eine schwere Niederlage. Der Ministerpräsident kämpfte dagegen; er argumentierte mit der Unsicherheit und den Belastungen für den Mittelstand; er verwies auf die Gefahren, die sich durch den aufkeimenden Nationalismus für die Wirtschaft ergeben. Geholfen hat das nichts. Wie vor der letzten Bundestagswahl hat er in einer zentralen Frage verloren. Ob er das einfach hinnehmen wird? Oder doch als Ministerpräsident weiter dagegen kämpfen wird? Niemand sollte glauben, dass die Debatte wirklich auf Dauer vorbei ist. Trösten kann er sich allenfalls mit der Vorhersage, dass keiner sagen kann, ob tatsächlich eine Vermögensteuer kommen wird. Das liegt nicht nur daran, dass die Grünen Koalitionspartner für ihre Idee brauchen werden. Noch wichtiger und für alle, die ehrlich sind, auch problematischer ist die Frage, ob die Steuer aus technischen und verfassungsrechtlichen Gründen je umgesetzt werden kann. Darauf nämlich hat niemand der Verfechter eine abschließende Antwort. Im Gegenteil: Sie alle wissen, dass das Verfassungsgericht diese Steuer einst kippte. Doch statt auf die Entscheidung der Richter eine überzeugende Antwort zu geben, heißt es nur, man werde eine "verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögensteuer für Superreiche" entwickeln. Die Botschaft lautet: Alles, was später kommt, kommt später. Und das passt zur allgemeinen Stimmung von Münster. Spätestens seit der Wahl von Donald Trump wächst auch bei den Grünen die Verunsicherung - und die Sehnsucht nach Selbstvergewisserung. Das gelingt mit besonders entschlossenen Botschaften fürs Erste besser als mit der Frage, ob mit Trumps Erfolg auch die Grünen ihre eigenen Gewissheiten, ihre Rhetorik, ihr Auftreten überprüfen müssten. Ein paar wenige haben das versucht; sie wollten fragen, ob auch die Grünen Verantwortung tragen. Die große Mehrheit aber wollte sich darauf nicht wirklich einlassen. Ihr war es lieber, frische Zuversicht in einer alten Idee zu suchen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/bundesparteitag-der-gruenen-gruene-fluechten-in-die-steuer-nostalgie-1.3246850
mlsum-de-9695
Wenig verbindet den General John Kelly mit dem narzisstischen US-Präsidenten Donald Trump. Trotzdem arbeitet er für ihn - und macht aus dem Weißen Haus erstmals eine halbwegs funktionierende Regierungszentrale.
Vor einigen Jahren hielt John Kelly eine Trauerrede. Das war 2010, und Kelly war damals noch Soldat, General der Marineinfanterie. In der Rede gedachte er zweier Marines, die im Irak gefallen waren. Sie hatten eine Straßensperre bewacht und waren bei der Explosion eines mit Sprengstoff beladenen Lasters getötet worden. Eine Videokamera hatte den Vorfall aufgezeichnet. Kelly erzählte in seiner Rede von den letzten sechs Sekunden im Leben dieser Soldaten. Wie der Laster auf sie zuraste. Wie sie zu schießen begannen. Wie sie feuerten und feuerten und der Laster trotzdem weiterfuhr. Wie sie in einem Feuerball starben. "Sechs Sekunden - genug Zeit für zwei mutige junge Männer, ihre Pflicht zu tun", sagte Kelly damals. Man hört die Geschichte von dieser Rede zuweilen in Washington, wenn darüber gerätselt wird, warum ein Mann wie John Kelly eigentlich für einen Mann wie Donald Trump arbeitet. Kelly - seit Juli Stabschef im Weißen Haus - hat den größten Teil seines Lebens in der Marineinfanterie verbracht. Er hat im Golf- und im Irakkrieg gekämpft, sein eigener Sohn ist 2010 in Afghanistan gefallen. Begriffe wie Ehre, Dienst, Pflicht und Opferbereitschaft sind für ihn keine leere Phrasen. Trump hingegen hat es vor allem dadurch zu Ruhm gebracht, dass er Frauen und Geld hintergejagt ist. Er hat sich um den Wehrdienst in Vietnam gedrückt, weil es daheim mehr Bier und Mädchen gab. Im Wahlkampf hat er einmal behauptet, er habe auch viel geopfert, weil er ja so reich geworden sei. Was ihr bisheriges Leben angeht und vor allem die Werte, an die sie glauben, gibt es kaum etwas, was den narzisstischen Hallodri Trump und den hoch dekorierten Offizier Kelly verbindet. Kelly wacht eisern darüber, was der Präsident zu sehen oder zu hören bekommt Trotzdem ist Kelly in den vergangenen Monaten zu Trumps wohl wichtigstem Mitarbeiter geworden. Bevor der frühere General sein Amt antrat, war das Weiße Haus chaotisch, voller Intrigen und Machtkämpfe. Jeder misstraute jedem, jeder machte seine eigene Politik, aber niemand war verantwortlich, wenn etwas schief ging. "Man sagt hier nicht ,Yes, Sir', sondern ,Fuck you'", beschrieb ein Regierungsbeamter damals die Stimmung. Kelly hat das Präsidialamt seitdem zu einer einigermaßen funktionierenden Regierungszentrale umgebaut. Er weiß, dass er den Präsidenten selbst nicht wirklich zügeln kann, weder dessen maßlosen Fernsehkonsum noch dessen Twitterei. Und er versucht auch gar nicht, Trump persönlich zu kontrollieren. Aber er wacht eisern darüber, was der leicht beeinflussbare Trump zu lesen bekommt und mit wem er spricht. Die Zeiten, in denen Mitarbeiter dem Präsidenten heimlich ungeprüfte Artikel von rechten Internetseiten auf den Tisch legen konnten, sind vorbei; ebenso die Zeiten, in denen alte Kumpels den Präsidenten einfach anrufen oder besuchen konnten. Inzwischen müssen Gesprächswünsche angemeldet werden, sie werden geprüft, oft lehnt Kelly ab, oder er hört zumindest mit. Der republikanische Außenpolitiker John Bolton zum Beispiel, ein bedingungsloser Hardliner und Unilateralist, beschwerte sich jüngst, dass er wegen Kelly keinen Termin mehr bei Trump bekomme. "Trump unter Hausarrest", plärrte daraufhin das rechtslastige Internet. Unter Trumps einflussreichsten Beratern sind nun bizarrerweise etliche liberale Demokraten Auch die seltsame Praxis, dass Mitarbeiter im Weißen Haus ohne Termin ins Oval Office marschieren oder uneingeladen an Sitzungen teilnehmen konnten, hat Kelly beendet. Eine Frau, die das mit Vorliebe tat, war der Fernsehstar Omarosa Manigault, die Trump trotz mangelnder Qualifikation für seine Öffentlichkeitsarbeit angeheuert hatte. Berichten zufolge hat Kelly inzwischen befohlen, dass Manigault bei "wichtigen" Treffen draußen bleiben muss. Die fest geplante Anstellung des kaum weniger schillernden Sheriffs David Clarke im Weißen Haus verhinderte Kelly. Selbst Ivanka Trump, die älteste Tochter des Präsidenten, die als Beraterin im Weißen Haus arbeitet, darf angeblich nur noch dann unangemeldet ins Büro ihres Vaters, wenn es Privates zu besprechen gibt. Zudem hat Kelly einige weitere Personalentscheidungen getroffen, welche die Arbeit im Weißen Haus deutlich professioneller gemacht haben. Die wichtigste: Chefstratege Stephen Bannon, der selbsternannte Revolutionär und Bürokratiezerstörer, musste gehen. Bannon war der Fackelträger der harten, populistischen Rechten im Weißen Haus, er wachte über ihre Dogmen und lieferte sich bei Themen wie Klimaschutz, Handel, Einwanderung oder dem Antiterrorkrieg ständig Gefechte mit den "Globalisten", also jenen Beratern, die Trump zu einer gemäßigteren, internationaleren, traditionelleren Politik überreden wollen. Zusammen mit Bannon wurde einigen weiteren "Nationalisten" gekündigt, die Kelly und seine Verbündeten - darunter Sicherheitsberater H.R. McMaster, ein General des Heeres - für zu verschwörerisch und engstirnig hielten. Das führte zu der bizarren Situation, dass unter den einflussreichsten Mitarbeitern des republikanischen US-Präsidenten Trump nun etliche liberale Demokraten sind, allen voran Wirtschaftsberater Gary Cohn und Schwiegersohn Jared Kushner. Diese Personalien haben Folgen für den politischen Kurs - vielleicht nicht immer oder grundsätzlich, aber doch im Detail. Trump gilt als Mensch, der nicht selten die Meinung vertritt, die er zuletzt gehört hat. Als er zum Beispiel vor einigen Tagen das Programm beendete, das jene illegalen Einwanderer vor Abschiebung schützte, die als Kinder in die USA gekommen waren, gab er dem Kongress sechs Monate Zeit, diesen Schutz per Gesetz wieder einzuführen. Für die "Nationalisten" war das ein sentimentales Zugeständnis an die Linken. Aber als die Entscheidung im Weißen Haus fiel, fehlte eben Stephen Bannon in der Runde. Stattdessen saß da John Kelly, der dafür war, den jungen Migranten eine Gnadenfrist und dem Parlament eine Chance zu geben, ein Bleiberecht zu beschließen. Die Frage, warum sich Kelly für Trump abmüht, ist damit freilich noch nicht beantwortet. Manche Leute sagen, es habe vor allem mit jenem Wort zu tun, das Kelly vor sieben Jahren am Ende seiner Trauerrede für die toten Marines erwähnte: Pflicht. Kelly sei ein Patriot und ein Soldat, sagt ein Beobachter, der ganz gut weiß, was im Weißen Haus passiert. "Und wenn er für einen unfähigen Oberbefehlshaber den Laden schmeißen muss, dann macht er das."
https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-fuers-vaterland-1.3663234
mlsum-de-9696
Nahles will Asylbewerbern mit guter Bleibeperspektive schneller helfen - mit Deutschkursen und Hilfen bei der Jobsuche.
Asylsuchende aus Afghanistan, die noch auf ihren Asylbescheid warten, können von sofort an berufsbezogene Sprachkurse belegen, sich bei der Jobsuche fördern lassen oder Hilfen für eine künftige Ausbildung bekommen. Das hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nach Informationen der Süddeutschen Zeitung entschieden. Vorausgegangen war ein Streit mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über die Frage, von wann an für die afghanischen Asylbewerber Integrationskurse und Hilfen von der Bundesagentur für Arbeit (BA) offenstehen sollen. Eigentlich war sich die Bundesregierung einig: Von Maßnahmen zur Integration sollen auch Asylsuchende profitieren, bei denen "ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist". Diese sogenannte gute Bleibeperspektive wird aber erst zugebilligt, wenn bereits mehr als 50 Prozent der Asylentscheide für Geflüchtete aus dem Herkunftsland positiv ausgefallen sind. Für Afghanistan traf dies im maßgebenden zweiten Halbjahr 2016 zu; die Schutzquote lag bei 57 Prozent. Dennoch wollte das Innenministerium afghanischen Asylbewerbern keine gute Bleibeperspektive attestieren. Der Grund: Die Quote sei nur so positiv, weil darin viele Altverfahren mit einer besonders hohen Schutzquote enthalten seien. Diese bildeten nicht den Querschnitt der Antragsteller ab. Im Arbeitsministerium wird darauf verwiesen, dass es nicht nur für Asylsuchende, sondern auch für die Bürger problematisch sei, wenn Menschen hier leben, "ohne sich richtig verständigen zu können und soziale Teilhabe zu genießen". Ohne Angebote zum Spracherwerb, zur Integration, zur täglichen Arbeit und einer Perspektive, für sich selbst sorgen zu können, bestehe die Gefahr, dass sich "Parallelstrukturen bilden und die Betroffenen im schlimmsten Fall in die Kriminalität abgleiten". Im Übrigen sei davon auszugehen, dass die Afghanen wegen des Abschiebestopps ohnehin länger in Deutschland bleiben. Es geht dabei um derzeit 30 000 Asylsuchende aus Afghanistan. In einem Schreiben an de Maizière hat Nahles nun angekündigt, "nicht länger wertvolle Zeit ungenutzt" verstreichen lassen zu wollen. Die Ministerin hat deshalb veranlasst, dass zumindest in ihrem Zuständigkeitsbereich afghanische Asylbewerber im zweiten Halbjahr 2017 von Integrationsmaßnahmen profitieren können.
https://www.sueddeutsche.de/politik/asylbewerber-schulungen-fuer-afghanen-1.3573145
mlsum-de-9697
Vor allem die Qualität der Betreuung der Kinder soll steigen, aber die Eltern sollen auch finanziell entlastet werden.
Es ist eine Einigung auf den allerletzten Drücker: In dieser Woche tagt der Bundestag zum letzten Mal in diesem Jahr, auch der Bundesrat kommt am Freitag zu seiner letzten Sitzung des Jahres zusammen - und es sieht ganz danach aus, als hätte es das Gute-Kita-Gesetz von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) doch noch auf die Tagesordnungen geschafft. Am Dienstag war zu hören, der Bundestag werde das Gesetz wohl am Freitag verabschieden, der Bundesrat soll sich dann direkt im Anschluss damit befassen. Das Gesetz sieht vor, dass der Bund den Ländern in den kommenden Jahren insgesamt 5,5 Milliarden Euro zukommen lässt - für bessere Kitas und zur finanziellen Entlastung der Eltern bei den Gebühren. Zuletzt hatte es noch schlecht gestanden um das erste Gesetz, das Giffey als Ministerin auf den Weg gebracht hat. In der Expertenanhörung lehnten beinahe alle Fachleute ihren Entwurf ab, auch aus der Unionsfraktion und aus den Ländern kam Kritik. Die Union wollte verhindern, dass die Länder im Zweifelsfall das gesamte Geld in die Abschaffung der Kita-Gebühren stecken dürfen. Im Mittelpunkt sollte ihrer Meinung nach stattdessen die Qualitätsverbesserung stehen. Ein Beispiel für den Qualitätsaspekt ist die Zahl der Kinder, für die eine Erzieherin zuständig ist. In allen Bundesländern ist diese derzeit nach Meinung von Fachleuten zu hoch, auch wenn die Unterschiede groß sind. Gebühren werden künftig gestaffelt, wobei die Länder die Kriterien wählen können Den Ländern wiederum ging es vor allem darum, eine langfristige Finanzierung für den geplanten Qualitätsausbau zu bekommen. Außerdem fanden sie, der Bund mache ihnen zu detailreiche Vorschriften, wie das Geld zu verwenden sei. Nun aber haben sich zumindest schon mal Union und SPD auf Änderungen geeinigt, so dass der Weg frei ist für einen Bundestagsbeschluss. In der veränderten Version des Entwurfs wird deutlicher als zuvor, dass die Entlastung der Eltern bei den Gebühren "zusätzlich" zu den aufgelisteten Qualitätskriterien förderfähig ist. Auch die zwingende Staffelung der Gebühren nach dem Einkommen der Eltern, die Giffey geplant hat und die den Ländern zu weit ging, wurde abgeschwächt. Es bleibt zwar bei einer bundesweiten Pflicht, die Elternbeiträge zu staffeln. Anders als im ursprünglichen Gesetzentwurf aber müssen die Länder nun nicht mehr alle drei Kriterien - Elterneinkommen, Zahl der betreuten Kinder und Betreuungszeit - berücksichtigen, sondern können wählen. Giffey zeigte sich angesichts der Entwicklungen erleichtert. Auf ihrer Facebook-Seite nannte sie die Fortschritte eine gute Entwicklung und schrieb: "Ich hoffe sehr, dass es in dieser Woche gelingt, das Gesetz im Bundestag und im Bundesrat zu verabschieden."
https://www.sueddeutsche.de/politik/gesetz-auf-dem-weg-milliarden-fuer-bessere-kitas-1.4248729
mlsum-de-9698
Das Kartellamt hält die Verträge zwischen Bauern und Molkereien für unfair. Oft werden die Preise erst nach der Auslieferung festgelegt.
Detailansicht öffnen Milchkühe in Thüringen: Bauern haben im Wettbewerb wenig zu sagen. (Foto: dpa) Das Urteil des Bundeskartellamts ist ein harter Schlag für die Molkereien. In ihrer Branchenanalyse kommt die Behörde zu dem Schluss, dass der Wettbewerb in der Milchbranche nicht richtig funktioniert. Schuld daran seien auch die restriktiven Verträge, die Molkereien mit Landwirten abschließen. Obwohl sich das Kartellamt nicht ausdrücklich zur jüngsten Milchkrise äußert, die Botschaft ist klar: Die unfairen Lieferbeziehungen dürften zur prekären Lage beigetragen, in der viele Tierhalter bis heute stecken. Seit den Tiefständen der vergangenen zwei Jahren sind die Milchpreise zwar leicht gestiegen, doch vielen Erzeugern reicht das nach wie vor nicht, um ihre Kosten zu decken oder gar Gewinne zu erzielen. Die Reaktion des Milchindustrie-Verbands auf die Einschätzung fällt entsprechend harsch aus: "Der Vorstoß des Bundeskartellamts ist weltfremd und demonstriert, dass die Behörde nicht erfasst, wie der Milchmarkt funktioniert." Ganz so einfach ist es aber nicht. Die Analyse ist umfassend. Seit April 2016 hat das Amt 89 private und genossenschaftliche Molkereien befragt und so deren Beziehungen zu den Lieferanten durchleuchtet. Insgesamt verarbeiten die Betriebe fast 100 Prozent der Milchmenge in Deutschland. Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts formuliert das grundlegende Problem so: "Es gibt so gut wie keine Wechsel der Molkerei." Milchbauern sind also in der Regel auf ihre Abnehmer festgelegt. Ursache dafür seien Verträge mit langen Kündigungsfristen und Laufzeiten. Auch bei der Preisbildung sieht die Behörde Defizite. Oft werden die Preise für Milch erst nach der Auslieferung festgelegt, heißt es. Für die Bauern bedeutet das wenig Planungssicherheit. Konkrete Folgen hat das sogenannte Sachstandspapier des Kartellamts erst einmal nicht. Nun sollen Gespräche folgen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sieht die Befunde als "Diskussionsgrundlage", sagt eine Sprecherin. Ende März will er einen "Branchendialog" mit den Wirtschaftsbeteiligten führen: "Gesetzliche Änderungen sind derzeit nicht geplant." Auch das Kartellamt will Gespräche "intensivieren", sagt Mundt. Der Milchindustrie-Verband befürchtet bereits schwerwiegende Nachteile durch ein mögliches Eingreifen der Behörde. Die seit Jahrzehnten gelebte marktwirtschaftliche Vertragsfreiheit solle "durch ein restriktives System und Verbote ersetzt werden", glaubt Verbandsgeschäftsführer Eckhard Heuser. Mundt will sein Papier dagegen "als Anregung" verstanden wissen. Erste entscheidende Signale könnten jedoch ein derzeit laufendes Musterverfahren liefern, in dem das Bundeskartellamt das Geschäftsmodell des Deutschen Milchkontors - das ist die größte inländische Molkerei - genau prüft. Dieses Verfahren könnte auf weitere Molkereien ausgeweitet werden, heißt es beim Kartellamt. Eine Aussage, die einige Molkereien durchaus als Kampfansage verstehen könnten.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/milchwirtschaft-wettbewerb-gestoert-1.3417217
mlsum-de-9699
Nach dem Pokalsieg bricht für die Basketballer des FCB die entscheidende Phase in Liga und Eurocup an. Ludwigsburg dürfte ein echter Härtetest für ihre Belastungsfähigkeit werden.
Nachdem Vladimir Lucic den Schülern fast jeden Wurf, jedes Dribbling und jede Finte näher gebracht hatte, folgte am Ende noch die Königsdisziplin: das Pokal-in-die-Höhe-Recken. Mit dieser Übung könne man nicht früh genug beginnen, merkte der Profi-Basketballer vom FC Bayern mit einem Lächeln an. Also zeigte er auch das, mit einer echten Trophäe sogar. Die Kinder waren mit großem Enthusiasmus dabei. Die Schüler der Grundschule im Münchner Stadtteil Haidhausen durften am Mittwoch die silberne Auszeichnung stemmen, die Lucic, 28, mit seinen Mitspielern vor zwei Wochen mit einem Finalsieg gegen Alba Berlin errungen hatte. "Der Pokal war sicher der schwerste Titel für uns", sagte Lucic, "die Mannschaft hat einen enormen Druck gehabt, weil wir diesen Wettbewerb eigentlich gewinnen mussten." Die Bayern waren favorisiert, alle anderen hatten nichts zu verlieren, auch die Spieler selbst erwarteten den Titel von sich. "Dass wir das geschafft haben, kann uns weit bringen", glaubt Lucic. Von Druck erzählte der Serbe bei seinem Besuch in der Grundschule an der Flurstraße nichts. Der Spaß und das Spielerische steht bei dem Schulprogramm des FC Bayern im Vordergrund, 30 Arbeitsgemeinschaften fördert der Klub an Grundschulen in München und Erding. Lucic war nicht der einzige, der den Schülern seinen Sport nahe brachte. "Das Spiel kommt für uns zu keinem guten Zeitpunkt nach der langen Pause." Für die Profis war das Training mit Kindern eine willkommene Abwechslung vor den viel beachteten Spielen an diesem Samstag beim Tabellendritten Riesen Ludwigsburg und am Dienstag im Eurocup in eigener Halle gegen Unics Kazan. National und international beginnen nun die entscheidenden Wochen für den FC Bayern. Cheftrainer Aleksandar Djordjevic hätte sich nach der Länderspielpause und vor dem ersten von maximal drei Viertelfinalduellen gegen den russischen Spitzenklub einen leichteren Gegner in der Bundesliga gewünscht. "Das Spiel kommt für uns zu keinem guten Zeitpunkt nach der langen Pause", sagte Djordjevic am Donnerstag, Ludwigsburg hat erst am Mittwoch Ulm mühelos geschlagen. "Das ist natürlich ein Vorteil", sagte der Serbe. Aber auch seine Basketballer dürften in ansprechender Form sein. Danilo Barthel und Maik Zirbes waren nach dem Pokalsieg mit der Nationalmannschaft unterwegs. Und Djordjevic konnte sich mit eigenen Augen überzeugen, dass sie ganz gut drauf sind. Sie fügten ihrem Trainer eine empfindliche Niederlage in der Qualifikation für die WM 2019 in China zu. Djordjevic betreut im Nebenberuf die serbische Auswahl, und der Olympia-Zweite hatte gegen Deutschland überraschend mit 74:79 das Nachsehen. Niederlagen mit dem FC Bayern musste der ehemalige Spielmacher schon länger nicht mehr moderieren, in der Bundesliga sind die Münchner seit 17 Spielen unbesiegt. Das soll so bleiben, auch wenn Djordjevic vor der Mannschaft aus Württemberg warnt: "Ludwigsburg spielt einen typischen John-Patrick-Basketball." Der Stil des Ludwigsburger Cheftrainers kann für Teams mitunter sehr anstrengend sein, weil er die Kontrahenten permanent stresst, sie solange piesackt, bis sie Fehler machen. "Auf diese Intensität müssen wir uns einstellen", findet Djordjevic: "Im ersten Spiel ist uns das gut gelungen, auch wenn wir nicht gut begonnen haben." Bis auf den Langzeitverletzten Milan Macvan (Kreuzbandriss) kann er alle Spieler aufbieten, einzig Point Guard Stefan Jovic plagte sich mit einer im Pokalfinale erlittenen Fußverletzung herum und war deswegen ein paar Tage vom Sport befreit. Obwohl sein Landsmann schon des Öfteren wegen körperlicher Beschwerden pausieren musste, gehört er zu den rentablen Zugängen, die in dieser Saison ein Spiel prägen können und es auf ein höheres Niveau gehoben haben - vor allem in der Crunchtime, jener Phase, in der sich Spiele entscheiden. Djordjevic zählt noch Braydon Hobbs dazu, natürlich auch Jared Cunningham, der in der Verteidigung immer besser werde. "Wir haben gerade bei den Guards mehr Zentimeter, das macht enorm viel aus", sagt Djordjevic. Auffällig ist vor allem, dass seine Spieler in kritischen Phasen in dieser Saison immer noch zulegen, Rückstände wie gegen Berlin im Pokalfinale aufholen können, um am Ende als Sieger das Parkett zu verlassen. "Wir haben die passenden Spieler dazu geholt und sind im Kern zusammengeblieben, das sind alles Dinge, die wir vorher nicht hatten." Die Absenz des Flügelspielers Macvan gleicht der formstarke Barthel aus. Auch Lucic mag die Position vier unter dem Korb, wo sich die großen, schweren Jungs gegenseitig auf den Füßen stehen. Eigentlich ist seine Position die drei, also weiter weg vom Korb. "Aber ich habe das bei Partizan schon gemacht. Ich fühle mich da wohl und spiele es gerne", sagte Lucic bei seinem Schulbesuch am Mittwoch. Mit 2,04 Metern war er da auch mit Abstand der Längste.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/fc-bayern-muenchen-crunchtime-kompetenz-1.3889664
mlsum-de-9700