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Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
300
51
Ausstand; Anwaltskommission
Die blosse Vertretung einer Gegenpartei in einem Verfahren, in welchem
ein Anwalt als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt ist, begründet
für sich alleine keinen Anschein der Befangenheit eines Mitglieds der An-
waltskommission.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. August 2014 in Sachen
A. gegen Anwaltskommission (WBE.2014.95).
Aus den Erwägungen
1.3.
§ 16 VRPG regelt den Ausstand. Erfasst werden teilweise gene-
ralklauselartig Umstände, die geeignet sind, das Misstrauen (von aus-
sen) in die Unparteilichkeit eines Behördemitglieds zu erwecken;
solche Umstände können im persönlichen Verhalten oder auch in
funktionellen oder organisatorischen Begebenheiten begründet sein
(Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an der Grossen
Rat vom 14. Februar 2007, 07.27, S. 26). Gemäss § 16 Abs. 1 VRPG
darf am Erlass von Entscheiden unter anderem nicht mitwirken, wer
in der Sache ein persönliches Interesse hat (lit. a); wer eine Partei
vertritt oder für eine Partei in der gleichen Sache tätig war (lit. c);
wer aus andern als in lit. a bis d genannten Gründen in der Sache be-
fangen sein könnte (lit. e).
Zur Konkretisierung der Ausstandsgründe kann die bundesge-
richtliche Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 1 BV herangezogen wer-
2014
Verwaltungsrechtspflege
301
den (vgl. VGE IV/43 vom 27. Juni 2012 [WBE.2012.166], Erw. II).
Danach hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von
einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen
Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird.
Voreingenommenheit und Befangenheit werden nach der Rechtspre-
chung angenommen, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver
Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des
Richters zu erwecken. Solche Umstände können entweder in einem
bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen
äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur
begründet sein (BGE 136 I 207, Erw. 3.1; 134 I 238, Erw. 2.1). Es
genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung
den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken.
Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich
befangen ist (BGE 136 I 207, Erw. 3.1; 135 I 14, Erw. 2; 131 I 113,
Erw. 3.4).
1.4.
Die Anwaltskommission setzt sich zusammen aus zwei
Oberrichterinnen oder Oberrichtern, zwei in einem kantonalen An-
waltsregister eingetragenen Anwältinnen oder Anwälten und einer
weiteren Person mit Fähigkeitsausweis als Anwältin oder Anwalt so-
wie einer gleichen Zahl von Ersatzmitgliedern mit entsprechender
beruflicher Tätigkeit beziehungsweise Fähigkeitsausweis (§ 6 Abs. 2
EG BGFA).
B. ist Mitglied der Anwaltskommission und als selbständige
Anwältin mit Büro in C. tätig. Nach dem Willen des kantonalen Ge-
setzgebers sollen frei praktizierende Anwälte in der Anwaltskommis-
sion Einsitz nehmen. Verwiesen wurde unter anderem darauf, dass
diese Mitglieder regelmässig wichtige Hinweise auf die Praxis und
den Rechtsalltag geben und so, wie etwa die Fachrichter am Verwal-
tungsgericht, für praxisnahe Entscheide sorgen. Im Gesetzge-
bungsverfahren wurden Bedenken, dass diese Regelung zu wenig
Gewähr für unabhängige und wettbewerbsrechtlich unbedenkliche
Entscheide biete, explizit verworfen (vgl. Botschaft des Regierungs-
rats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 12. November
2003, 03.310, S. 11). Diesem Umstand ist in Bezug auf den Anschein
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
302
von Befangenheit Rechnung zu tragen, wenn wie vorliegend ein Mit-
glied der Anwaltskommission in einem Verfahren, in welchem ein
Beanzeigter eine Vertretung innehat, eine Gegenpartei vertritt.
Die Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbands kön-
nen beschränkt als Auslegungshilfe der Sorgfaltspflichten herangezo-
gen werden (vgl. AGVE 2008, S. 277; BGE 130 II 270, Erw. 3.1.3).
Insoweit sie allgemein anerkannte Prinzipien zum Ausdruck bringen
(vgl. AGVE 2012, S. 214 mit Hinweisen), können sie auch für die
Bewertung von kollegialen Beziehungen als Massstab beigezogen
werden. Sie sehen in Art. 24 für das Verhalten unter Kollegen ein Ge-
bot der Fairness und Kollegialität vor. Danach greifen Rechtsanwäl-
tinnen und Rechtsanwälte Kolleginnen und Kollegen bei ihrer
Berufsausübung nicht persönlich an. Eine diesbezügliche Verfehlung
von Rechtsanwältin B. behauptet der Beschwerdeführer nicht. Viel-
mehr leitet er ihre Befangenheit als Mitglied der Aufsichtskommis-
sion aus dem blossen Umstand der Vertretung einer Gegenpartei in
einem Prozess ab, in welchem er als unentgeltlicher Rechtsvertreter
eingesetzt ist. Dass dieser Prozess möglicherweise mit tatsächlichen
oder rechtlichen Herausforderungen verbunden ist, kann keinen An-
schein der Voreingenommenheit begründen. Es überzeugt auch nicht,
das Scheitern von Vergleichsverhandlungen (ausschliesslich) auf den
Willen einer Gegenanwältin zurückzuführen. Ohnehin wirkt der Vor-
wurf der fehlenden Objektivität konstruiert, da zwischen dem Auf-
sichtsverfahren und den Prozessvertretungen keinerlei Zusammen-
hang besteht. Es ist geradezu lebensfremd, einem Mitglied der Auf-
sichtskommission, welches als Anwältin in einem (parallelen) Schei-
dungsverfahren tätig ist, gleichsam "unbedingten Siegeswillen"
vorzuhalten und aus dieser Einstellung eine relevante Befangenheit
zu konstruieren. Es ist nicht ersichtlich, dass B. ein persönliches Inte-
resse am Ausgang des Aufsichtsverfahrens haben oder aus
irgendwelchen Gründen befangen sein könnte. Dieses Vorbringen er-
weist sich als unbegründet.
Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob der Beschwer-
deführer bereits vor dem Entscheid der Anwaltskommission ein Aus-
standsbegehren zu stellen hatte. Die ordentliche Besetzung der An-
2014
Verwaltungsrechtspflege
303
waltskommission ist aus dem Staatskalender und dem Internet
ersichtlich. | 1,317 | 1,052 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-51_2014-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-51.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-51.pdf | AGVE_2014_51 | null | nan |
d4dfcebc-d923-5975-aa10-27445ed1f034 | 1 | 412 | 870,728 | 1,362,182,400,000 | 2,013 | de | 2013
Migrationsrecht
121
[...]
24 Ausschaffungshaft; Haftentlassungsgesuch; Haftverlängerung gestützt
auf neuen Haftgrund
Es ist nicht zu beanstanden, wenn das MIKA anlässlich einer Verhand-
lung betreffend Haftentlassung auf einen neuen Haftgrund abstellt und
bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine Haftverlänge-
rung beantragt (Erw. 3.3.).
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 20. März 2013 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integration
(WPR.2013.45). | 126 | 95 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-24_2013-03-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-24.pdf | AGVE_2013_24 | null | nan |
d576b695-dd51-5ab2-bd9a-100203935174 | 1 | 412 | 870,090 | 1,362,268,800,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
300
[...]
48
Interkantonale Vereinbarung für Soziale Einrichtungen (IVSE): Kosten
der Fremdplatzierung im Kinderheim
-
Die Leistungsabgeltung hat im Unterschied zu materieller Hilfe für
nicht geleistete Elternbeiträge Subventionscharakter, weshalb das
Zuständigkeitsgesetz nicht anwendbar ist.
-
Schuldner der Leistungsabgeltung sind mit Ausnahme der Elternbei-
träge die zahlungspflichtigen Stellen und Personen des Kantons, in
welchem die Leistung beanspruchende Person zivilrechtlichen
Wohnsitz hat.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. März 2013 in Sachen A.
gegen Stadtrat B. und Bezirksamt B. (WBE.2012.332).
Aus den Erwägungen
2013
Sozialhilfe
301
1.
1.1.
Strittig ist unter den Parteien, welches Gemeinwesen für die
Fremdplatzierungskosten der Beschwerdeführerin aufzukommen hat
bzw. in welchem Umfang. Unterschiedliche Auffassungen bestehen
bereits bezüglich der massgebenden Rechtsgrundlage.
1.2.-1.4. (...)
2.
Das ZUG bestimmt, welcher Kanton für die Unterstützung ei-
nes Bedürftigen, der sich in der Schweiz aufhält, zuständig ist (Art. 1
Abs. 1 ZUG). Es ist ein blosses Zuständigkeitsgesetz und bestimmt
den Kanton, in dem sich die zuständige Fürsorgebehörde befinden
muss, ohne in die interne Zuständigkeitsordnung der Kantone ein-
zugreifen (W
ERNER
T
HOMET
, Kommentar zum ZUG, Zürich 1994,
Rz. 55). Nicht als Unterstützungen im Sinne des Gesetzes gelten un-
ter anderem Beiträge mit Subventionscharakter (Art. 3 Abs. 2 lit. a
ZUG). Als Unterstützungen gelten somit nur solche Leistungen des
Gemeinwesens, die im Einzelfall nach den individuellen Bedürfnis-
sen des Empfängers von der Fürsorgebehörde bemessen werden und
jederzeit angepasst werden können. Wesentliches Merkmal der Un-
terstützung ist, dass die Fürsorgebehörde nach pflichtgemässem Er-
messen entscheidet, ob und wie Bedürfnisse des Empfängers abge-
deckt werden müssen, damit sein Lebensunterhalt im Sinne von
Art. 2 ZUG gesichert ist (T
HOMET
, a.a.O., Rz. 75).
3.
3.1.
Die Interkantonale Vereinbarung für Soziale Einrichtungen
(IVSE) vom 13. Dezember 2002 (SAR 428.030) ist die Nachfolge-
vereinbarung der Interkantonalen Vereinbarung über Vergütungen an
Betriebsdefizite und die Zusammenarbeit zugunsten von Kinder- und
Jugendheimen sowie von Behinderteneinrichtungen (Interkantonale
Heimvereinbarung, IHV). Die IHV unterschied zwischen dem sog.
Kostgeld, dessen Kostenträger sich aufgrund des ZUG bestimmte,
und dem sog. Betriebsdefizit, welches keine Sozialhilfeleistung
darstellte und für welches der Unterbringerkanton aufzukommen
hatte. In der Praxis wurde für die Bestimmung des Unterbringer-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
302
kantons der zivilrechtliche Wohnsitz herangezogen (Entscheide der
Gerichts- und Verwaltungsbehörden des Kantons Schwyz [EGV-SZ]
2002, B. 13.1, S. 124 ff.; St. Gallische Gerichts- und Verwaltungs-
praxis [SGGVP] 1999, Nr. 88, S. 210, Erw. 2e). Das Kostgeld (resp.
der Versorger- oder der Elternbeitrag) wurde, soweit nicht durch den
Inhaber der elterlichen Sorge bezahlt, der Fürsorgerechnung zuge-
führt, wobei das ZUG zur Anwendung gelangte. Gestützt auf die
IHV vergüteten die Kantone einander die Betriebsdefizite für in
einem Heim oder in einer Einrichtung ausserhalb des Kantons Un-
tergebrachte anteilsmässig nach den Bestimmungen der Vereinba-
rung. Heimdefizitbeiträge galten dabei nicht als Unterstützungen im
Sinne des ZUG (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 11. März 1999
[1P.481/1998] = Zeitschrift für Sozialhilfe [ZESO] 11/2000, S. 177;
EGV-SZ 2002, B. 13.1, S. 124 ff.). Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung hatten entsprechende Beiträge Subventionscharakter
(Art. 3 Abs. 2 lit. a ZUG; Urteil des Bundesgerichts vom 29. Juni
2006 [2A.134/2006], Erw. 3.1; vgl. auch Botschaft zur Änderung des
ZUG vom 22. November 1989, 89.077, BBl 1990 57). Art. 3 Abs. 3
IHV sah vor, dass die Vereinbarungskantone im Rahmen der
Anwendbarkeit des Konkordats darauf verzichteten, die bei der
Unterbringung von Kantonseinwohnern in einer ausserkantonalen
Institution zu vergütenden Heimdefizite zurückzufordern (vgl. Urteil
des Bundesgerichts vom 29. Juni 2006 [2A.134/2006], Erw. 3.1).
3.2.
3.2.1.
Die IVSE bezweckt, die Aufnahme von Personen mit besonde-
ren Betreuungs- und Förderungsbedürfnissen in geeigneten Einrich-
tungen ausserhalb ihres Wohnkantons ohne Erschwernisse zu ermög-
lichen (Art. 1 Abs. 1 IVSE). Die IVSE regelt das Aussenverhältnis
zwischen den Kantonen; die interne Organisation wird nicht tangiert
(vgl. Kommentar zur IVSE der Konferenz der kantonalen Sozialdi-
rektoren [SODK], abrufbar unter: http://sodk-cdas-cdos.ch, Art. 1
Abs. 1). Der Bereich A des Konkordats (Kinder- und Jugendheime),
welchem die Kantone Aargau und Zürich beigetreten sind, betrifft
stationäre Einrichtungen, die gestützt auf eidgenössisches oder kan-
tonales Recht Personen bis zum vollendeten 20. Altersjahr, längstens
2013
Sozialhilfe
303
jedoch bis nach Abschluss der Erstausbildung beherbergen, sofern
sie vor Erreichen der Volljährigkeit in eine Einrichtung eingetreten
oder dort untergebracht worden sind (Art. 2 Abs. 1 IVSE; IVSE i.f.).
Nach Art. 19 Abs. 1 IVSE sichert der Wohnkanton der Einrich-
tung des Standortkantons mittels Kostenübernahmegarantie (KÜG)
die Leistungsabgeltung zu Gunsten der Person für die zu garantieren-
de Periode zu. Schuldner der Leistung ist aber nicht der Wohnkanton
selber, sondern sind dessen zahlungspflichtige Stellen (vgl. K
ARIN
A
NDERER
, Die Interkantonale Vereinbarung für soziale Einrich-
tungen [IVSE] und Das Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die
Unterstützung Bedürftiger [ZUG], in: C
HRISTOPH
H
ÄFELI
et al.
[Hrsg.], Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 207).
Der Wohnkanton ist derjenige Kanton, in dem die Person, welche die
Leistungen beansprucht, ihren zivilrechtlichen Wohnsitz hat (Art. 4
lit. d IVSE). Standortkanton ist der Kanton, in dem die Einrichtung
ihren Standort hat. Wird die unternehmerische und finanzielle
Herrschaft über die Einrichtung in einem anderen Kanton ausgeübt,
so kann dieser als Standortkanton vereinbart werden (lit. e).
3.2.2.
Die Unterscheidung zwischen Kostgeld und Betriebsdefizit, wie
sie in der IHV vorgesehen war, findet die ihr entsprechende Rege-
lung in Art. 20 ff. IVSE (Leistungsabgeltung).
Die Leistungsabgeltung berechnet sich aus dem anrechenbaren
Nettoaufwand abzüglich der Bau- und Betriebsbeiträge des Bundes.
Der verbleibende Betrag wird auf die Person pro Verrechnungsein-
heit umgerechnet (Art. 20 Abs. 1 IVSE). Der anrechenbare Nettoauf-
wand ergibt sich aus dem anrechenbaren Aufwand abzüglich des an-
rechenbaren Ertrages (Abs. 2). Als anrechenbarer Aufwand gelten die
für die Leistung erforderlichen Personal- und Sach- inkl. Kapitalkos-
ten und Abschreibungen (Art. 21 Abs. 1 IVSE; vgl. hierzu: Kommen-
tar zur IVSE, a.a.O., Art. 20 und 21). Als anrechenbarer Ertrag gelten
Einnahmen aus dem Leistungsbereich inkl. Kapitalerträge sowie frei-
willige Zuwendungen, soweit diese für den Betrieb bestimmt sind
(Abs. 2; vgl. hierzu die IVSE-Richtlinie zur Leistungsabgeltung und
zur Kostenrechnung der SODK vom 1. Dezember 2005 [IVSE-
Richtlinie AKORE]).
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
304
3.3.
Die Bestimmungen des Betreuungsgesetzes zur Finanzierung
und Kostenverteilung gelten für alle Leistungen, die anerkannte und
kantonale Einrichtungen im Rahmen ihres Leistungsauftrags für
Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen mit zivilrechtli-
chem Wohnsitz beziehungsweise bei Ambulatorien und Tagessonder-
schulen mit Aufenthalt im Kanton erbringen (§ 23 Abs. 1 des Ge-
setzes über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen
Betreuungsbedürfnissen [Betreuungsgesetz; SAR 428.500]). Diese
Bestimmungen finden auch Anwendung für die vom zuständigen
Departement bewilligten Leistungen ausserkantonaler Einrichtungen.
Der Regierungsrat regelt die Bewilligungsvoraussetzungen und das
Verfahren (§ 23 Abs. 2 Betreuungsgesetz). Die Bewilligungsvoraus-
setzungen für Leistungen ausserkantonaler Einrichtungen sind in
§§ 49 ff. der Verordnung über die Einrichtungen für Menschen mit
besonderen Betreuungsbedürfnissen vom 8. November 2006 (Betreu-
ungsverordnung; SAR 428.511) geregelt.
Nach § 25 Abs. 2 des Betreuungsgesetzes leisten die Wohnsitz-
gemeinden der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in
stationären Einrichtungen gemäss § 2 Abs. 1 lit. b und c diesen Ein-
richtungen eine vom Regierungsrat auf maximal Fr. 1'600.00 pro
Person und Monat festgesetzte Pauschale. Die Gemeindepauschalen
betragen gemäss § 53 Abs. 1 der Betreuungsverordnung (in der bis
31. Dezember 2012 geltenden Fassung) für Tagessonderschulen
Fr. 600.00, für stationäre Sonderschulen und für stationäre Kinder-
und Jugendeinrichtungen Fr. 1'200.00 pro Person und Kalendermo-
nat.
4.
4.1.
Der Leistungsabgeltung nach Art. 19 ff. IVSE kommt grund-
sätzlich Subventionscharakter nach Art. 3 Abs. 2 lit. a ZUG zu. Sie
setzt sich aus dem anrechenbaren Nettoaufwand abzüglich der Bau-
und Betriebsbeiträge des Bundes zusammen und wird pro Verrech-
nungseinheit (i.d.R. pro Kalendertag) verrechnet. Es handelt sich um
keine Sozialhilfeleistung und sie kann im Unterschied zu den Bei-
trägen der Unterhaltspflichtigen, welche nicht geleistet werden
2013
Sozialhilfe
305
(Art. 22 Abs. 2 IVSE), nicht bei der Sozialhilfebehörde geltend ge-
macht werden. Damit gelangen die Bestimmungen des ZUG auf die
Leistungsabgeltung grundsätzlich nicht zur Anwendung. Für die
Übernahme der Beiträge der Unterhaltspflichtigen ist hingegen die
Zuständigkeitsregelung des ZUG massgebend (vgl. A
NDERER
, a.a.O.,
S. 207; Kommentar zur IVSE, a.a.O., Art. 22; vgl. zur Zürcher Pra-
xis: Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom
14. Juli 2010 [VB.2010.00165], Erw. 3.3.1.2; Sozialhilfe-Behörden-
handbuch 1993-2010 des Kantonalen Sozialamtes Zürich, 2010,
S. 309, abrufbar unter: www.sozialamt.zh.ch).
4.2.
Als Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass der
zivilrechtliche Wohnkanton der Leistung beanspruchenden Person
bzw. dessen zahlungspflichtige Stellen und Personen Leistungs-
schuldner der Leistungsabgeltung nach Art. 19 ff. IVSE sind (vgl.
Art. 4 lit. d IVSE; A
NDERER
, a.a.O., S. 207 f.).
Hiervon ausgenommen sind die Elternbeiträge nach Art. 22
IVSE. Diese sind indessen nicht Gegenstand des verwaltungsgericht-
lichen Verfahrens (§ 48 Abs. 2 VRPG). | 2,552 | 1,932 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-48_2013-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-48.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-48.pdf | AGVE_2013_48 | null | nan |
d5a44408-f4e4-59d1-91e9-4d05834f42d1 | 1 | 412 | 870,477 | 1,356,998,400,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
56
[...]
11
Krisenintervention bei (längerfristiger) familiengerichtlicher fürsorgeri-
scher Unterbringung
Die familiengerichtliche fürsorgerische Unterbringung zur Betreuung in
einer Wohn- und Pflegeeinrichtung bleibt bestehen, auch wenn zwischen-
durch kurzfristige ärztliche fürsorgerische Unterbringungen zur Behand-
lung (Krisenintervention) in einer psychiatrischen Klinik stattfinden.
Beschluss des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 25. Januar 2013 in Sa-
chen M.Z. gegen den Entscheid des Amtsarztes X. (WBE.2013.21).
2013
Fürsorgerische Unterbringung
57
Aus den Erwägungen
7.
7.1.
Es stellt sich sodann die Frage des Verhältnisses der Unter-
bringung des Beschwerdeführers in der Stiftung Satis zu derjenigen
in der Klinik Königsfelden. Mit Verfügung des Bezirksamts Z. vom
12. Oktober 2006 wurde der Beschwerdeführer per fürsorgerischer
Freiheitsentziehung (neu: fürsorgerische Unterbringung) in die Stif-
tung Satis eingewiesen. Diese Verfügung wurde bis heute nicht
aufgehoben. Mit amtsärztlicher Verfügung vom 18. Januar 2013
wurde der Beschwerdeführer per fürsorgerischer Unterbringung zur
Behandlung und Medikamenteneinstellung in die Klinik Königsfel-
den eingewiesen.
7.2.
Grundsätzlich wird eine fürsorgerische Unterbringung durch
eine neue Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung in eine
andere Einrichtung aufgehoben. Es stellt sich nun aber die Frage, ob
dies auch gilt, wenn eine längerfristige Unterbringung zur Betreuung
in einer Wohn- bzw. Pflegeeinrichtung durch die Kindes- und Er-
wachsenenschutzbehörde angeordnet worden ist, und es zwischen-
durch zu Kriseninterventionen durch ärztliche Einweisungen zur Be-
handlung in einer psychiatrischen Klinik kommt. Gemäss Art. 426
Abs. 1 ZGB darf eine Person, die an einer psychischen Störung lei-
det, in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die
nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann. Dabei
ist der Sinn einer Einweisung zur psychiatrischen Behandlung einer-
seits und einer Einweisung zur Betreuung andererseits zu unterschei-
den. Da ärztliche Einweisungen maximal für sechs Wochen Gültig-
keit haben (Art. 429 Abs. 1 ZGB i.V.m. § 67c Abs. 1 EG ZGB), han-
delt es sich dabei regelmässig um Unterbringungen in einer psy-
chiatrischen Klinik zur Behandlung der psychischen Störung. Dem-
gegenüber sind Unterbringungen zur Betreuung längerfristige Mass-
nahmen im Sinne von Platzierungen, welche durch die Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörden bzw. im Kanton Aargau durch die Fa-
miliengerichte angeordnet werden (§ 59 Abs. 1 EG ZGB). Damit soll
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
58
eine längerfristige stationäre Betreuung des Betroffenen sicherge-
stellt werden. Zur Aufhebung dieser Massnahme ist nur das Fami-
liengericht, nicht aber ein Amtsarzt befugt (Art. 428 Abs. 1 i.V.m.
Art. 429 Abs. 2 und 3 ZGB). Somit ergibt sich, dass familiengericht-
liche Unterbringungen zur Betreuung weiterhin Gültigkeit haben,
auch wenn sie zwischendurch faktisch durch amtsärztliche Unter-
bringungen zur psychiatrischen Behandlung unterbrochen werden.
Sobald die Voraussetzungen der fürsorgerischen Unterbringung zur
Behandlung weggefallen sind, ist die betroffene Person in die Wohn-
oder Pflegeeinrichtung zurückzubringen.
Dieselben Schlussfolgerungen ergeben sich im Übrigen auch
dann, wenn durch ein Familiengericht eine fürsorgerische Unter-
bringung zur Betreuung und Behandlung in einer Institution für
Langzeittherapie (z.B. REHA-Haus Effingerhort) angeordnet wurde
und zusätzlich zwischenzeitlich eine ärztliche Einweisung in eine
psychiatrische Klinik erfolgt.
7.3.
Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer im Jahr 2006
zur Betreuung in das Wohnheim der Stiftung Satis eingewiesen. Die
Verfügung des Bezirksamts Z. vom 12. Oktober 2006 hat somit nach
wie vor Gültigkeit, wobei die Zuständigkeit durch die Gesetzesrevi-
sion auf das Familiengericht Z. übertragen worden ist (Art. 14a
Schlusstitel ZGB i.V.m. § 59 Abs. 1 EG ZGB). Diese Unterbringung
wurde durch die Verfügung des Amtsarztes X. vom 18. Januar 2013
nicht tangiert, da es sich dabei lediglich um eine (mehr oder weniger
kurzfristige) psychiatrische Behandlung im Sinne einer Kriseninter-
vention handelt.
7.4.
Der Beschwerdeführer erklärte anlässlich der Verhandlung,
nach Abschluss der Behandlung in der Klinik Königsfelden freiwillig
in die Stiftung Satis zurückzukehren. Aus dem Gesagten folgt, dass
er andernfalls nach Massgabe der durch das Bezirksamt Z. ausge-
sprochenen fürsorgerischen Freiheitsentziehung verpflichtet wäre,
wieder in die Stiftung Satis einzutreten. Das Familiengericht Z. wird
gestützt auf Art. 431 ZGB in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Schluss-
titel ZGB spätestens bis zum 30. Juni 2013 überprüfen müssen, ob
2013
Fürsorgerische Unterbringung
59
die Voraussetzungen für eine fürsorgerische Unterbringung in der
Stiftung Satis weiterhin erfüllt sind. | 1,051 | 836 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-11_2013-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-11.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-11.pdf | AGVE_2013_11 | null | nan |
d611af71-ead3-5564-97a5-65a5e852c010 | 1 | 412 | 871,577 | 1,083,456,000,000 | 2,004 | de | 2004
Sozialhilfe
253
[...]
61 Materielle
Hilfe.
- Wer eine zu teure Wohnung mietet, obwohl er weiss oder wissen muss,
dass er umgehend materielle Hilfe wird beanspruchen müssen, hat
von Anfang an keinen Anspruch auf Übernahme der gesamten Wohn-
kosten.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. Mai 2004 in Sa-
chen F.W. gegen Entscheid des Bezirksamtes Z.
Aus den Erwägungen
3. a) Bei der Berechnung der Wohnkosten für die Sozialhilfe
können hilfesuchende Personen keine höheren Ansprüche stellen als
Familien oder Personen, die sich in knappen finanziellen Verhältnis-
sen selber durchbringen und entsprechende Einschränkungen hin-
2004
Verwaltungsgericht
254
nehmen müssen (vgl. VGE II/23 vom 31. März 2004
[BE.2003.00359] in Sachen E.G., S. 12; SKOS-Richtlinien, Ziff. A.4
"Angemessenheit der Hilfe"). Die Beschwerdeführerin geht von
einem falschen Massstab aus, wenn sie auf die "mittleren Bedürf-
nisse unserer Gesellschaft" Bezug nimmt.
Dass die Beschwerdeführerin mit ihrem 15-jährigen Sohn eine
3-Zimmer-Wohnung beanspruchen kann, wird vom Gemeinderat gar
nicht bestritten. Vielmehr geht es um die angemessenen Mietkosten
für eine Wohnung dieser Grösse. Der Gemeinderat hat dargelegt,
dass in A. dauernd ein gewisser Leerwohnungsbestand vorhanden ist,
und verfügbare 3- und 4-Zimmer-Wohnungen mit Mietzinsen, inkl.
Nebenkosten, zwischen Fr. 800.-- und Fr. 1'000.-- aufgelistet. Diese
Ausführungen sind glaubhaft und wurden denn auch gar nicht in
Zweifel gezogen. Damit steht fest, dass zumutbare, billigere Woh-
nungen als die von der Beschwerdeführerin gemietete vorhanden
sind.
b) aa) Weigert sich eine unterstützte Person, in eine effektiv ver-
fügbare und zumutbare günstigere Wohnung umzuziehen, dann kön-
nen die anrechenbaren Wohnkosten auf jenen Betrag reduziert wer-
den, der durch die günstigere Wohnung entstanden wäre (SKOS-
Richtlinien, Ziff. B.3). Diese Formulierung bezieht sich auf die Si-
tuation, in der jemand in einer Mietwohnung lebt und neu materielle
Hilfe beantragen muss. Sind die effektiven Wohnkosten höher, als es
angemessen wäre, ist also die unterstützte Person zunächst mittels
Weisung dazu anzuhalten, eine zumutbare günstigere Wohnung zu
beziehen, andernfalls die Wohnkosten nur noch im angemessenen
Betrag übernommen werden (§ 13 Abs. 2 SPG). Bis eine zumutbare
günstigere Lösung zur Verfügung steht - unter Berücksichtigung
üblicher Kündigungsfristen -, sind die überhöhten Wohnkosten durch
die Sozialhilfe zu übernehmen (SKOS-Richtlinien, Ziff. B.3). Nur
bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten der unterstützten Person
(vgl. dazu § 15 Abs. 3 SPV) bzw. Verstössen gegen Treu und Glau-
ben kann die Kürzung bereits früher erfolgen (erwähnter VGE vom
31. März 2004, S. 13 f.).
Streitpunkt ist, ob der Gemeinderat das beschriebene Verfahren
mit Weisung zum Umzug hätte durchführen müssen oder ob er zu
2004
Sozialhilfe
255
Recht von allem Anfang an nur Fr. 900.-- Mietkosten anrechnete,
weil die Beschwerdeführerin gegen Treu und Glauben handelte, als
sie bei ihrer Rückkehr nach A. auf den 1. Juni 2003 eine Wohnung
für Fr. 1'360.--/Monat, inkl. Nebenkosten, mietete.
bb) Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin schon im Okto-
ber 2002 in A. ein Gesuch um materielle Hilfe einreichte und dass
damals die Höhe der akzeptablen Mietkosten diskutiert wurde und zu
Streit führte... Der Beschwerdeführerin war somit bei ihrer Rückkehr
nach A. bekannt, dass die Sozialhilfe die Mietkosten nur bis zu ei-
nem Höchstbetrag übernehmen würde.
cc) Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe infolge der
zeitlichen Dringlichkeit keine andere Wohnung gefunden. Sie be-
hauptet aber selber nicht, sie habe sich damals um Unterstützung an
die Sozialen Dienste gewandt, sondern bestreitet dies sogar aus-
drücklich. Wer sich gar nicht auf adäquate Weise umsieht, kann sich
nicht darauf berufen, keine günstigere Wohnung gefunden zu haben.
dd) Weiter bringt die Beschwerdeführerin vor, sie habe bei der
Rückkehr nach A. damit gerechnet, eine Arbeitsstelle zu finden und
demzufolge keine materielle Hilfe zu benötigen. Deshalb habe sie
sich nicht veranlasst gesehen, eine billigere Wohnung zu suchen.
Leider habe sie aber damals keine Stelle gefunden. Für diese Version
mag der Umstand sprechen, dass die Beschwerdeführerin nicht schon
im Juni, sondern erst am 28. August 2003 das Gesuch um materielle
Hilfe stellte. Indessen ist sie seit längerer Zeit arbeitslos (schon beim
ersten Gesuch vom Oktober 2002 bezog sie Taggelder der Arbeitslo-
senversicherung) und brachte im vorinstanzlichen Verfahren selber
vor, sie habe sich zu einer Weiterbildung entschlossen, weil es sehr
schwierig sei, ohne Zusatzausbildung eine Anstellung im Verkauf zu
finden. Unter diesen Umständen konnte sie nicht im Ernst darauf
vertrauen, keine materielle Hilfe zu benötigen, sondern musste viel-
mehr damit rechnen, umgehend wieder von Sozialhilfe abhängig zu
sein.
ee) Zusammenfassend steht fest, dass die Beschwerdeführerin
per 1. Juni 2003 eine Wohnung zu Fr. 1'360.-- Mietzins mietete, ob-
wohl sie damit rechnen musste, umgehend wieder Sozialhilfe bean-
spruchen zu müssen, obwohl ihr bekannt war, dass bei der Berech-
2004
Verwaltungsgericht
256
nung der materiellen Hilfe ein tieferer Ansatz für Mietkosten zur
Anwendung kommt, und obwohl es objektiv möglich gewesen wäre,
eine günstigere Wohnung im Bereich dieses Ansatzes zu finden. Ein
solch unkorrektes, gegen Treu und Glauben verstossendes Vorgehen
verdient keinen Schutz.
Es trifft zu, dass damit der Rechtsschutz gegenüber dem Vorge-
hen mit Weisung zum Umzug (vorne Erw. b/aa) verschlechtert wird,
indem es der Beschwerdeführerin nicht möglich ist, gegen diese
Weisung Rechtsmittel zu ergreifen mit der Begründung, sie sei un-
verhältnismässig, und von der Dauer der Rechtsmittelverfahren zu
profitieren, indem die Sozialhilfe für so lange noch die ganze - zu
hohe - Miete übernehmen muss (die Beschwerdeführung und-be-
gründung, schon im vorinstanzlichen Verfahren, lässt darauf schlies-
sen, dass es um genau diese Wirkung geht). Doch ist diese Folge dem
Verhalten der Beschwerdeführerin angemessen.
c) Wer vorgeht wie die Beschwerdeführerin, muss in Kauf
nehmen, die Differenz zwischen dem effektiven Mietzins und den
bekannten tieferen Mietkosten, die bei der Bedarfsberechnung zur
Anwendung gelangen, selber tragen und sich deshalb bei anderen
Posten der materiellen Hilfe umso mehr einschränken zu müssen.
Einer hilfsbedürftigen Person, die im Rahmen ihrer Eigenverant-
wortung (vgl. § 1 Abs. 2 SPG) wirklich so leben will, soll es nicht
verwehrt bleiben. Es ist deshalb von Bedeutung, welche Limiten ihr
bekannt gegeben wurden, und geht nicht an, bei sofortiger Anwen-
dung des Mietkostenansatzes (d.h. ohne vorheriges Weisungsverfah-
ren) einen tieferen als den bekannt gegebenen Ansatz zur Anwen-
dung zu bringen. Eine derartige, gleichsam zusätzliche Sanktion lässt
sich auch mit dem unkorrekten Verhalten der Beschwerdeführerin
nicht begründen. | 1,535 | 1,292 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-61_2004-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-61.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-61.pdf | AGVE_2004_61 | null | nan |
d65ee93d-07bc-5f8b-b851-0cbdb1ef72db | 1 | 412 | 871,772 | 1,291,248,000,000 | 2,010 | de | 2010
Einbürgerungen
239
X. Einbürgerungen
45
Keine Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK; Anforderungen hinsichtlich der
für die Einbürgerung erforderlichen Sprachkenntnisse.
-
Art. 6 EMRK ist auf Einbürgerungsverfahren nicht anwendbar
(Erw. I./4.2).
-
Auslegung des Integrations- und Vertrautheitserfordernisses
(Erw. II./5).
-
Überprüfung der Sprachkenntnisse: verfahrensmässige und inhalt-
liche Anforderungen (Erw.II./6).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 6. Dezember 2010, in Sa-
chen M. (WBE.2010.254).
Aus den Erwägungen
I.
1.-2. (...)
3. (...)
4.
4.1.
Dem Antrag auf Durchführung einer Verhandlung mit Partei-
befragung und Zeugeneinvernahme ist nicht zu entsprechen. Ob und
was der Gemeindeammann der Einwohnergemeinde der Beschwer-
deführerin 1 und/oder ihrem Ehemann im Verlauf des Einbürge-
rungsverfahrens mündlich mitgeteilt und/oder zugesichert hat, spielt
für den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine Rol-
le. Selbst wenn der Gemeindeammann irgendwelche Zusicherungen
abgegeben haben sollte, musste der (vertretenen) Beschwerdefüh-
rerin 1, insbesondere nachdem sie bereits einmal erfolglos ein Ein-
bürgerungsverfahren durchlaufen hatte, klar sein, dass allein die Ein-
2010
Verwaltungsgericht
240
wohnergemeindeversammlung für die Zusicherung des Bürgerrechts
zuständig ist.
4.2.
Ein Anspruch auf Durchführung einer Verhandlung lässt sich
entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer auch nicht aus Art. 6
EMRK ableiten. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der in
Art. 6 EMRK verankerten Verfahrensgarantien ist ein materieller
Rechtsanspruch nach innerstaatlichem Recht (C
HRISTOPH
G
RABEN
-
WARTER
, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl., München
2009, S. 330 mit Hinweis). Bei der ordentlichen Einbürgerung be-
steht kein Anspruch auf Erteilung des Bürgerrechts. Dazu kommt,
dass Verfahren über die Verleihung und die Aberkennung der
Staatsbürgerschaft nicht vom Begriff der "civil rights" erfasst sind
und damit nicht zu den zivilrechtlichen Verfahren im Sinne von
Art. 6 EMRK gehören (G
RABENWARTER
, a.a.O,
S. 335).
II.
1.-3.(...)
4.
4.1.
In der Sache wenden sich die Beschwerdeführer in erster Linie
dagegen, dass die Gemeindebehörden mit Bezug auf die Beschwer-
deführerin 1 von ungenügenden Deutschkenntnissen und einer unzu-
reichenden Integration ausgegangen sind.
4.2.
Vor Erteilung der Einbürgerungsbewilligung ist bei der ordent-
lichen Einbürgerung gemäss Art. 14 BüG zu prüfen, ob der Bewerber
zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er (a) in die schwei-
zerischen Verhältnisse eingegliedert ist, (b) mit den schweizerischen
Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist, (c) die
schweizerische Rechtsordnung beachtet, und (d) die innere oder äus-
sere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (Art. 14 lit. a - d BüG).
Auf Kantonsebene ist gemäss § 6 KV allein der kantonale Ge-
setzgeber zum Erlass von Normen betreffend das Kantons- und Ge-
meindebürgerrecht zuständig; eine Zuständigkeit der Gemeinden
besteht insoweit nicht (vgl.
K
URT
E
ICHENBERGER
, Verfassung des
Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, § 6 N 1).
2010
Einbürgerungen
241
Gemäss § 5 Abs. 1 KBüG können Ausländer, welche die Vorausset-
zungen für die Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewil-
ligung erfüllen, um Aufnahme in das Kantons- und Gemeindebürger-
recht nachsuchen, wenn sie bei der Einreichung des Gesuchs seit
mindestens drei Jahren ohne Unterbruch in derselben Gemeinde
wohnen und gesamthaft fünf Jahre im Kanton wohnhaft gewesen
sind (§ 5 Abs. 1 KBüG). Das kantonale Recht knüpft, abgesehen von
einer Zusatzregelung des Wohnsitzerfordernisses (Art. 15 BüG), für
die materiellen Voraussetzungen der Einbürgerung allein an die bun-
desrechtlichen Anforderungen an und stellt keine zusätzlichen Er-
fordernisse auf. Ob die Voraussetzungen für eine Aufnahme ins Ge-
meinde- bzw. Kantonsbürgerrecht erfüllt sind, bestimmt sich dem-
nach allein nach den Kriterien gemäss Art. 14 lit. a - d BüG.
5.
5.1.
Inhaltlich zeichnet sich das Schweizerbürgerrecht dadurch aus,
dass es kein blosses Statusrecht ist (siehe dazu U
LRICH
H
ÄFELIN
/
W
ALTER
H
ALLER
/H
ELEN
K
ELLER
, Schweizerisches Bundesstaats-
recht, 7. Aufl., Zürich 2008, Rz. 1306). Wer Schweizer Bürger wird,
wird damit nicht bloss Staatsangehöriger, d.h. gehört zum Schweize-
rischen Staatsverband. Wie schon der Wortbildung Schweizerbürger-
recht zu entnehmen ist, erfasst der Begriff darüber hinaus auch die
"citoyenneté", d.h. die mit der Rechtsstellung verbundenen staats-
bürgerlichen Rechte und Pflichten, insbesondere die erst durch die
Erteilung des Schweizerbürgerrechts mögliche politische Partizipa-
tion (F
ELIX
H
AFNER
/D
ENISE
B
USER
, in: B
ERNHARD
E
HRENZEL
-
LER
/P
HILIPPE
M
ASTRONARDI
/R
AINER
J.
S
CHWEIZER
/
K
LAUS
A. V
AL
-
LENDER
, Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar,
2. Aufl., Zürich 2008, Art. 37 N 6; R
EGULA
A
RGAST
, Staatsbürger-
schaft und Nation, Ausschliessung und Integration in der Schweiz
1848 - 1933, Göttingen 2007, S. 33 f.; ebenso Y
VO
H
ANGARTNER
,
Grundsätzliche Fragen des Einbürgerungsrechts, AJP 2001, S. 951).
Aus historischer Sicht überlagerten sich von der Entstehung des Bun-
desstaates bis heute in realpolitischen Entscheiden republikanische
und liberale Elemente der Staatsbürgerschaft (A
RGAST
, a.a.O.,
S. 44 f.). Der Begriff des Schweizerbürgerrechts umfasst daher heute
2010
Verwaltungsgericht
242
sowohl die liberale Deutung als Trägerschaft freiheitlicher (Grund-)-
Rechte als auch den republikanischen Gehalt als Teilnahmerecht an
den politischen Prozessen, welche erst ein demokratisches Staatswe-
sen konstituieren.
5.2.
Diesem umfassenden Verständnis von Staatsbürgerschaft ent-
spricht, dass der Bundesgesetzgeber zwischen verschiedenen Formen
von Einbürgerungen unterscheidet und dafür auch unterschiedlich
hohe Hürden aufstellt: Die erleichterte Einbürgerung greift bei Vor-
liegen bestimmter Tatbestände mit Blick auf eine bereits bestehende
Sonderbeziehung zur Schweiz Platz - so insbesondere bei der er-
leichterten Einbürgerung des Ehegatten eines Schweizerbürgers und
eines Auslandschweizers (zur Durchsetzung des Prinzips der Einheit
des Bürgerrechts; vgl. dazu H
ÄFELIN
/H
ALLER
/K
ELLER
, a.a.O.,
Rz. 1318 sowie 1328 ff.). Liegen keine Sondertatbestände vor, recht-
fertigt die Doppelnatur des Schweizerbürgerrechts als Staatsange-
hörigkeit einer-, andererseits aber auch als Basisrecht für die
Möglichkeit politischer Beteiligung keine Herabsetzung der Erfor-
dernisse für den Erwerb des Schweizerbürgerrechts.
5.2.1.
Für die ordentliche und die erleichterte Einbürgerung wird ne-
ben der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung (Art. 14 lit. c
und Art. 26 lit. b BüG) sowie dem negativen Erfordernis der Nicht-
gefährdung der inneren und/oder äusseren Sicherheit der Schweiz
(Art. 14 lit. d und Art. 26 lit. c BüG) insbesondere eine erfolgreiche
Integration des Bewerbers (Art. 14 lit. a BüG sowie der inhalts-
gleiche Art. 26 Abs. 1 lit. a BüG) verlangt.
5.2.2.
Im Gegensatz zur erleichterten Einbürgerung verlangt Art. 14
lit. b BüG bei der ordentlichen Einbürgerung neben der Integration
zusätzlich, dass die gesuchstellende Person mit den schweizerischen
Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ("accoutumé",
"familiarizzato") ist.
Insbesondere das Erfordernis der Vertrautheit mit den schweize-
rischen Verhältnissen erschliesst sich nur auf dem Hintergrund des
republikanischen Deutungsmusters des Schweizerbürgerrechts: Erst
2010
Einbürgerungen
243
ein gesteigertes Verständnis für die schweizerischen Verhältnisse und
insbesondere die rechtlichen und politischen Gegebenheiten recht-
fertigt die Verleihung politischer Teilhaberechte. Dementsprechend
ist vom Bewerber zu verlangen, dass er sich über einen Grad an
Vertrautheit mit den schweizerischen Verhältnissen ausweist, welcher
namentlich eine Zulassung zur Teilnahme an politischen Prozessen
als gerechtfertigt erscheinen lässt. Das Erfordernis der Vertrautheit
ist damit zwar vergleichbar mit jenem der Integration, indem es kein
besonderes Einzelerfordernis darstellt, sondern ein Querschnittkrite-
rium darstellt, welches grundsätzlich alle Lebensbereiche erfasst
(Familie, Freundeskreis, Schule, Arbeitsplatz, Vereine, politische
Institutionen auf den Stufen Gemeinde, Kanton und Bund). Vertraut-
heit bedeutet indessen in jeder Beziehung gegenüber Integration ein
graduelles Mehr. Sie entspricht einer höheren Stufe der Übernahme
schweizerischer Lebensart und setzt gewisse Kenntnisse über das
Land und insbesondere die Sprache voraus (vgl. C
ÉLINE
G
UTZ
-
WILLER
, Droit de la nationalité et fédéralisme en Suisse, Genf/Zü-
rich/Basel 2008, Rz. 557). Dazu gehören zum einen Kenntnisse einer
der Landessprachen, aber auch ein entsprechendes Wissen über das
Land und seine Bewohner. Um als Bürgerin bzw. Bürger im poli-
tischen System der Schweiz mitwirken zu können, sind insbesondere
auch Kenntnisse über die Grundlagen der politischen und sozialen
Ordnung notwendig. Sprachkenntnisse, Kenntnisse des Landes und
seines politischen Systems und die Einbindung in die Lebensver-
hältnisse müssen so weit gehen, dass anzunehmen ist, dass der
Bewerber nach Verleihung des Staatsbürgerrechts angemessen von
seiner Rechtsstellung und insbesondere auch von den damit ver-
liehenen Teilnahmerechten am politischen Prozess Gebrauch machen
kann. In den bundesrechtlichen Bestimmungen dürfen von einer ein-
bürgerungswilligen Ausländerin oder einem einbürgerungswilligen
Ausländer dabei indessen nicht mehr Kenntnisse der Geschichte und
der Staatskunde verlangt werden als von einem schweizerischen
Durchschnitt (vgl. BBl 2002 1943).
5.2.3.
Die dargelegte Auslegung des Integrations- und Vertrautheits-
erfordernisses gibt noch keinen Aufschluss darüber, wie jeder ein-
2010
Verwaltungsgericht
244
zelne zu berücksichtigende Teilgehalt (Sprachkenntnisse, Kenntnisse
über Land und Leute sowie über das politische System, Verhalten am
Arbeitsplatz, in der Schule, in der Nachbarschaft, Teilnahme am
dörflichen Leben, etc.) bei der Ermittlung, ob ausreichende Integra-
tion bzw. Vertrautheit besteht, zu gewichten ist. Insbesondere ist da-
mit noch nichts darüber gesagt, wie weit der den zuständigen Behör-
den zustehende Beurteilungsspielraum reicht. Immerhin liefert die
dargelegte Auslegung den zentralen Anhaltspunkt für die Beantwor-
tung der Frage, ob sich die Behörde im Rahmen des ihr zustehenden
Beurteilungsspielraums gehalten oder diesen überschritten hat. Ent-
scheidend dafür muss unter Berücksichtigung des dargelegten staats-
bürgerlichen Verständnisses des Schweizerbürgerrechts sein, ob es -
unter Zugrundelegung des Massstabs eines durchschnittlichen
Stimmbürgers - als vertretbar erscheint, die betroffene Bewerberin
bzw. den Bewerber von den qua Schweizerbürgerrecht zustehenden
Rechtspositionen, insbesondere von den Rechten auf Teilnahme am
politischen Prozess auszuschliessen.
6.
6.1.
Hier ist der Sache nach allein das Erfordernis der ausreichenden
Integration bzw. als gesteigerte Form davon der Vertrautheit mit den
schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen um-
stritten. Konkret wendet sich die Beschwerdeführerin 1 vor allem
gegen die Feststellung, sie verfüge für den Erwerb des Schweizerbür-
gerrechts nicht über ausreichende Sprachkenntnisse.
6.2.
Den Sprachkenntnissen kommt für die Beurteilung der Integ-
ration Einbürgerungswilliger die Funktion einer eigentlichen Schlüs-
selkompetenz zu. Nur entsprechende Kenntnisse setzen nämlich eine
Person überhaupt in die Lage, am wirtschaftlichen und sozialen
Leben des Gastlandes aktiv teilzunehmen und sich auf diese Weise
zu integrieren (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
24. Juni 2008 [C-1212/2006], Erw. 4.3 mit Hinweis). Das Erlernen
einer Landessprache stellt daher ein wichtiges Element der Integra-
tion dar und fehlende Kenntnisse der vor Ort gesprochenen Landes-
2010
Einbürgerungen
245
sprache können als Indiz für eine mangelnde Integration verstanden
werden (vgl. BGE 134 I 56, Erw. 3, S. 59).
Entsprechend der dargelegten Stufenfolge von Integration und
Vertrautheit gemäss Art. 14 lit. a und b BüG gehen die Anforde-
rungen an die Sprachkenntnisse bei der ordentlichen Einbürgerung
über diejenigen bei einer erleichterten Einbürgerung hinaus. Das bei
einer ordentlichen Einbürgerung zu verlangende Niveau an Kennt-
nissen der Landessprache, im Kanton Aargau der deutschen Stand-
ardsprache und/oder des Dialekts, lässt sich dabei funktionell wie
folgt festlegen: Die Sprachkenntnisse müssen so umfassend sein,
dass die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, insbesondere politi-
scher Rechte wie des Stimm- und Wahlrechts auf einem durch-
schnittlichen Niveau gewährleistet ist (vgl. auch E
IDG
.
A
USLÄNDER
-
KOMMISSION
[EKA], Einbürgerung und Sprachnachweis, Empfeh-
lungen der EKA an die Gemeinden, die Kantone und den Bund,
Bern 2006, S. 5).
6.3.
In praktischer Hinsicht stellen sich im Hinblick auf die Hand-
habung des Sprachkriteriums weitere Fragen, nämlich zum einen die
Frage nach dem erforderlichen Niveau an Sprachkenntnissen und
zum andern die Frage nach den für die Eruierung der beim Bewerber
vorhandenen Sprachkenntnisse zu verwendenden Methoden. Auch
wenn die zuständigen (Gemeinde-)Behörden insoweit über einen
grossen Beurteilungsspielraum verfügen, kommt das Verwaltungs-
gericht - mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben - im Hinblick auf
eine willkürfreie und rechtsgleiche Handhabung des Spracherfor-
dernisses nicht darum herum, gewisse Leitplanken zu setzen.
6.3.1.
Als Referenzsystem für die Ermittlung der zu verlangenden
Kenntnisse der deutschen Standardsprache und/oder des Dialekts
bietet sich der gemeinsame europäische Referenzrahmen für Spra-
chen des Europarats (GER bzw. [englische Abkürzung] CEFR) an,
welcher auch bereits im Bundesrecht Verwendung findet (vgl. etwa
Art. 62 Abs. 1 lit. c VZAE, der für die vorzeitige Erteilung der Nie-
derlassungsbewilligung Kenntnisse in der am Wohnort gesprochenen
Landessprache mindestens des Niveaus A2 des GER verlangt; siehe
2010
Verwaltungsgericht
246
auch Art. 7 VIntA, wo für die Betreuungs- und Lehrtätigkeit [z.B.
religiöse Betreuungspersonen oder Lehrkräfte für heimatliche Spra-
che und Kultur] Kenntnisse der am Arbeitsort gesprochenen
Landessprache auf dem Sprachniveau B1 des GER verlangt werden).
Der GER (Internetadresse in VZAE, SR 142.201, FN 19) weist
sechs Niveaus aus: Die beiden Eingangsniveaus A1 und A2 umfassen
die elementare Sprachverwendung, die Niveaus B1 und B2 die
selbstständige Sprachverwendung, und die beiden höchsten Niveaus
C1 und C2 umschreiben die kompetente Sprachverwendung (vgl.
dazu auch die zugehörige Globalskala sowie den Raster zur Selbst-
beurteilung [Anhang E zu G
ÜNTHER
S
CHNEIDER
/S
TEFANIE
N
EUNER
-
A
NFINDSEN
/P
ETER
S
AUTER
/T
HOMAS
S
TUDER
/L
UKAS
W
ERTEN
-
SCHLAG
/C
ORINNE
W
IDMER
, Rahmenkonzept für den Nachweis der
sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Hinblick auf die Einbür-
gerung, Kurzbericht erstellt im Auftrag der EKA, Bern 2006], wel-
cher zwischen verschiedenen sprachrelevanten Fertigkeiten unter-
scheidet: Verstehen [Hören, Lesen], Sprechen [an Gesprächen teil-
nehmen, zusammenhängend sprechen] und Schreiben).
Gerade in einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz würde
es zu weit führen, wenn für eine Einbürgerung bei den in erster Linie
kommunikationsrelevanten Fertigkeiten Verstehen und Sprechen ein
sehr hohes Sprachniveau (C1 und C2) verlangt würde. Dann be-
stünde die Gefahr, dass Sprache als (vorgeschobenes) Kriterium
missbraucht wird, d.h. dass negative Einbürgerungsentscheide mit
mangelnder Sprachkenntnis begründet werden, obwohl in Wirklich-
keit andere Motive hinter der Verweigerung der Einbürgerung stehen
(vgl. dazu G
ÜNTHER
S
CHNEIDER ET AL
, a.a.O., S. 7). Hinsichtlich der
weniger kommunikationsrelevanten und stark vom jeweiligen
Bildungsniveau abhängigen Sprachkompetenz Schreiben würde es
sogar zu weit führen, eine Sprachbeherrschung oberhalb des Niveaus
A2 zu verlangen. Dies würde nämlich im Ergebnis auf dem Umweg
über das Spracherfordernis zur Errichtung zusätzlicher Hürden
insbesondere für bildungsferne Bürgerrechtsbewerber führen (vgl.
EKA, a.a.O., S. 7; vgl. auch Bericht der Staatspolitischen Kommis-
sion des Nationalrats betreffend die von der Schweizerischen Volks-
partei eingereichte parlamentarische Initiative "Keine Einbürgerung
2010
Einbürgerungen
247
ohne gute mündliche und schriftliche Sprachkenntnisse", Curia Vista
08.468n, S. 2). Als Ergebnis lässt sich somit festhalten: Kommu-
nikative Fähigkeiten (Verstehen, Sprechen) von B1 bis B2 (insbe-
sondere soweit es um Begriffe und Themen aus dem Bereich der
Staats- und Landeskunde geht) können jedenfalls im Regelfall vom
Bürgerrechtsbewerber verlangt werden, ohne dass die zuständige Be-
hörde dadurch den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum verletzt.
Mit Bezug auf die schriftliche Sprachbeherrschung (Schreiben) dür-
fen die Anforderungen gemäss Niveau A2 nicht überschritten wer-
den.
6.3.2.
Das Spracherfordernis muss zudem rechtsgleich gehandhabt
werden. Ausserdem muss das Verfahren, in dem die erforderlichen
Sprachkenntnisse ermittelt werden, fair, d.h. in erster Linie transpa-
rent und zuverlässig sein (vgl. dazu G
ÜNTHER
S
CHNEIDER ET AL
.,
a.a.O., S. 20f.).
Diesen Anforderungen genügt das heute in vielen Gemeinden
übliche Gespräch, welches mit dem Bewerber geführt wird, in der
Regel nicht (vgl. wiederum G
ÜNTHER
S
CHNEIDER ET AL
.,
a.a.O.,
S. 6). Zum einen ist nicht sichergestellt, dass die Gemeindebehörden
- abgesehen vom Fall offensichtlich fehlender Sprachkenntnisse des
Bewerbers - über die erforderliche Fachkompetenz verfügen (bzw.
dass sie entsprechend ausgebildet wurden), um zuverlässige Aussa-
gen über das Sprachniveau des Bewerbers machen zu können. Hinzu
kommt, dass ein Gespräch, das weder von seinem Inhalt noch vom
verwendeten Wortmaterial her im Hinblick auf die zu evaluierenden
Sprachkenntnisse fachlich vorbereitet und durchgeführt wird, kaum
zuverlässige Aussagen über den Stand der Sprachkenntnisse des
Bewerbers zulassen dürfte. Im Bewusstsein dieser Mängel hat die
EKA bereits im Jahr 2006 Empfehlungen für die Erhebung der
Sprachkenntnisse im Hinblick auf eine Einbürgerung abgegeben
(vgl. EKA, a.a.O., S. 7 ff.). Darin wird erhebliches Gewicht auf die
Qualitätssicherung bei der Feststellung der Sprachkenntnisse gelegt.
Insbesondere sollen die Bewerber schon im Vorfeld darüber in
Kenntnis gesetzt werden, welches Sprachniveau von ihnen verlangt
wird. Ausserdem muss das Evaluationsverfahren inhaltlich so aus-
2010
Verwaltungsgericht
248
gestaltet sein, dass es zuverlässige Aussagen über das Sprachniveau
erlaubt; zudem müssen fachlich qualifizierte bzw. entsprechend ge-
schulte Personen am Verfahren teilnehmen.
Zur Evaluation der erforderlichen Sprachkenntnis sind ver-
schiedene Verfahren denkbar (vgl. dazu ausführlich die bereits mehr-
fach angeführte Studie von G
ÜNTHER
S
CHNEIDER ET
.
AL
.,
a.a.O.,
S. 9, wo drei Modelle vorgeschlagen werden: [a] Kommissions-
modell, d.h. Befragung durch die zuständige Kommission unter Ein-
bezug einer Fachperson; [b] Sachbearbeitermodell, d.h. Befragung
durch geschulte Sachbearbeiter anhand einer Checkliste; [c] Test
bzw. Sprachprüfungsmodell, d.h. externe Durchführung einer eigent-
lichen Sprachprüfung). Dabei kann und darf das Verwaltungsgericht
den zuständigen Behörden kein bestimmtes Verfahren vorschreiben.
Damit würde es die ihm zustehende Kognition überschreiten und in
unzulässiger Weise in die Kompetenzen der Gemeinden eingreifen.
Im Hinblick auf die rechtsgleiche Handhabung des Spracherforder-
nisses und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ist indessen
immerhin zu verlangen,
·
dass der Bürgerrechtsbewerberin bzw. dem -bewerber vor
Einleitung des Einbürgerungsverfahrens bzw. mindestens
zu einem frühen Zeitpunkt in diesem Verfahren mitgeteilt
wird, Kenntnisse welchen Sprachniveaus bei den verschie-
denen sprachlichen Fertigkeiten (Verstehen: Hören und Le-
sen; Sprechen: an Gesprächen teilnehmen, zusammenhän-
gendes Sprechen; Schreiben) von ihr bzw. ihm erwartet
werden;
·
dass die zuständige Behörde die ausreichende Qualität des
Evaluationsverfahrens sicherstellt (im Hinblick auf das Ziel
"Feststellung der Sprachkenntnisse" geeigneter Test bzw.
geeignetes Gespräch; namentlich für Zweifelsfälle: Teilnah-
me einer fachlich qualifizierten Person [Fachperson bzw.
entsprechend geschulter Sachbearbeiter] am Verfahren);
·
dass die Evaluation ausreichend dokumentiert wird (z.B.
Wortprotokoll; Video- oder Audioaufzeichnung mit Einver-
ständnis des Bewerbers; aussagekräftige schriftliche Auf-
zeichnungen über Verlauf und Ergebnis der Evaluation);
2010
Einbürgerungen
249
erst damit wird eine spätere Überprüfung durch die Rechts-
mittelinstanzen, ob das verlangte Niveau erreicht wurde,
möglich;
·
dass die Evaluation in Bezug auf den selbstständigen Ge-
suchsteller bzw. die selbstständige Gesuchstellerin indivi-
duell durchgeführt wird, sodass die einbezogenen weiteren
Personen (insbesondere Kinder des Bürgerrechtsbewerbers)
nicht als Dolmetscher fungieren können.
Werden diese Mindesterfordernisse verletzt, liegt in der Regel
eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (häufig damit verbun-
den des Anspruchs auf rechtliches Gehör) vor, welche zur Rückwei-
sung der Angelegenheit an die zuständige Behörde führt.
6.4.
6.4.1.
Hier ist zunächst den Akten nicht zu entnehmen, welches gene-
relle, d.h. bei allen Bewerberinnen und Bewerbern anwendbare,
Sprachniveau die zuständigen Gemeindebehörden verlangen. Die
Aussage, die Sprachkenntnisse seien ungenügend, ist indessen ohne
eine vorherige Definition des geforderten Niveaus, inhaltsleer. Weiter
fehlen Angaben darüber, dass die Beschwerdeführerin 1 vor dem Ge-
spräch vom 17. April 2009 über das in der Einwohnergemeinde von
Bürgerrechtsbewerberinnen und -bewerbern generell mindestens
erwartete Niveau an Beherrschung des Dialekts bzw. der deutschen
Standardsprache aufgeklärt worden wäre.
6.4.2.
Schliesslich liegen hier mit Bezug auf das zur Evaluierung der
Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 mit dem Gemeindeam-
mann und einem Gemeinderat geführte Gespräch mehrere gravieren-
de Verfahrensmängel vor:
·
Es fehlen jegliche Hinweise darauf, dass das mit der Be-
schwerdeführerin 1 geführte Gespräch sich von seinem
Inhalt und Wortmaterial her eignete, um das Niveau ihrer
Sprachkenntnisse auch nur halbwegs zuverlässig zu eva-
luieren. Es wurde auch nicht etwa geltend gemacht, dass die
Gesprächsteilnehmer seitens der Einwohnergemeinde (oder
zumindest einer von ihnen) im Hinblick auf die Aufgabe
2010
Verwaltungsgericht
250
der Evaluierung des Niveaus der Sprachkenntnisse eine
besondere Schulung durchlaufen hätten.
·
Das Gespräch wurde mit Bezug auf das entscheidende
Thema des Niveaus der Deutschkenntnisse der Beschwer-
deführerin 1 nicht dokumentiert (Die als Protokoll bezeich-
nete Aufzeichnung vom 17. April 2009 enthält keinerlei
Angaben, die diesbezügliche Rückschlüsse erlauben). Es
lässt sich daher auch nicht feststellen, ob die Beschwerde-
führerin 1 allenfalls über derart schlechte Deutschkennt-
nisse verfügt, dass auch für ein nur aus Laien zusammenge-
setztes Gremium das Ungenügen der Sprachkenntnisse klar
erkennbar war.
·
Das Gespräch wurde als Gruppengespräch mit der Be-
schwerdeführerin 1 und ihren Kindern bzw. in deren An-
wesenheit geführt ohne individuelle "Prüfung" der Be-
schwerdeführerin 1. Es eignete sich auch aus diesem Grund
nicht, ausreichenden Aufschluss über das Niveau der
Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 zu liefern.
6.4.3.
Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Entscheid lassen
auch die schriftlichen Äusserungen der Beschwerdeführerin 1 in der
von ihr bestandenen Staatskundeprüfung keine zuverlässigen
Schlüsse auf ihr Niveau in der Beherrschung der deutschen Sprache
zu; dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass an die schriftlichen
Sprachkenntnisse eines Bürgerrechtsbewerbers wie dargelegt (Erw.
6.3.1.) nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen.
6.4.4.
Zusammenfassend erweisen sich die Abklärungen der Gemein-
de über die Sprachkenntnisse der Beschwerdeführerin 1 sowohl in-
haltlich (fehlende Definition des erwarteten Sprachniveaus) als auch
im Hinblick auf das Verfahren (keine vorgängige Mitteilung an die
Bewerberin über das erwartete Sprachniveau, kein definiertes
brauchbares Testverfahren, keine Beteiligung einer Fachperson bzw.
eines entsprechend geschulten Sachbearbeiters, fehlende Aufzeich-
nungen über den Sprachtest, kein individueller Test) als ungenügend.
7. (...)
2010
Einbürgerungen
251
8.
Diese Erwägungen führen zur Gutheissung der Beschwerde und
zur Rückweisung der Angelegenheit zur weiteren Untersuchung an
die Einwohnergemeinde. Sie wird insbesondere die Sprachkenntnisse
der Beschwerdeführerin 1 unter Beachtung der vom Verwaltungs-
gericht aufgestellten materiellen und verfahrensmässigen Anforde-
rungen (Erw. 6.3.) zu evaluieren haben. (...)
(Hinweis: Eine gegen dieses Urteil wegen Verletzung der Ge-
meindeautonomie erhobene Beschwerde hat das Bundesgericht mit
Urteil vom 13. April 2011 [10_1/2011; zur Publikation vorgesehen]
abgewiesen, soweit es darauf eintrat.) | 5,606 | 4,547 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-45_2010-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-45.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-45.pdf | AGVE_2010_45 | null | nan |
d69989af-5ed4-56f1-9892-ac34fe231454 | 1 | 412 | 871,031 | 1,562,025,600,000 | 2,019 | de | 2019
Steuern und Abgaben
79
9
Steuerrecht
Keine Verwirkung des Besteuerungsanspruchs betreffend zu Unrecht
erfolgte Kapitalzahlung aus 2. Säule, wenn Veranlagung betreffend
Kapitalzahlung vor Einreichen der Steuererklärung (in welcher
Auszahlungsgrund behauptet wurde, der nicht vorliegt) vorgenommen
wurde.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 4. Juli 2019,
in Sachen KStA und Gemeinderat X. gegen G. (WBE.2019.112).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Das Bundesgericht hat die Möglichkeit einer Revision der
Veranlagung, mit welcher eine Jahressteuer auf einer Kapitalleistung
festgesetzt wird, in einem Fall verneint, in dem der Steuerpflichtige
von einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit bei seinem bisherigen
Arbeitgeber zu einer Anstellung bei einer von ihm beherrschten
GmbH gewechselt und der Steuerbehörde gegenüber nie erklärt
hatte, er nehme eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf. Bei dem
vom Bundesgericht beurteilten Sachverhalt war der Steuerbehörde
bei Vornahme der Veranlagung betreffend die Kapitalleistung
bekannt, dass der Steuerpflichtige keine selbstständige
Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte. Damit beruhte die Veranlagung
der Jahressteuer nicht auf der Unkenntnis der Steuerbehörde von der
Nichtverwirklichung des Auszahlungsgrunds (Aufnahme einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG),
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
80
sondern auf einem Subsumtionsirrtum bzw. auf einem rechtlichen
Irrtum der Steuerbehörde (Urteil des Bundesgerichts 2C_200/2014
vom 4. Juni 2015 E. 2.4.4.2 und 2.4.5.3). Auch wenn die Möglichkeit
einer Revision der Veranlagung einer Jahressteuer von Amtes wegen
bei Bekanntwerden der fehlenden Voraussetzungen für den Bezug
des Vorsorgeguthabens bejaht wird, fällt damit eine Revision stets
ausser Betracht, wenn der Steuerbehörde dieser Umstand bei
Vornahme der Jahressteuerveranlagung bekannt war oder hätte
bekannt sein müssen (vgl. Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StHG und
§ 201 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StG).
2.2.
Ein solcher Fall liegt hier indessen offensichtlich nicht vor. Der
vorliegende Fall, bei dem der Kapitalbezug am 7. November 2013
gemeldet wurde, die Veranlagung der Kapitalleistung am
20. November 2014 erfolgte und die Steuererklärung 2013 erst am
5. Januar 2015 eingereicht wurde, ist vielmehr in tatsächlicher
Hinsicht weithin mit dem vom Bundesgericht im Urteil 2C_156/2010
vom 7. Juni 2011 beurteilten Sachverhalt vergleichbar, bei dem die
Auszahlung der Kapitalleistung am 30. November 2003 erfolgte, die
Jahressteuer am 18. Februar 2004 veranlagt wurde und die
Steuerpflichtigen die Steuererklärung am 4. März 2004 einreichten.
In dieser Situation erklärte das Bundesgericht den Einwand des Be-
schwerdeführers, wonach die Jahressteuerveranlagung rechtskräftig
sei und der Besteuerung der Freizügigkeitsleistung zusammen mit
dem übrigen Einkommen im Rahmen der ordentlichen Veranlagung
entgegenstehe, ausdrücklich als unbehelflich, weil die
Veranlagungsbehörde wegen Entdeckung einer erheblichen Tatsache
revisionsweise auf die Veranlagung der Jahressteuer zurückkommen
könne (Urteil 2C_156/2010 vom 7. Juni 2011 E. 3.2).
Auch hier wusste die Veranlagungsbehörde um das Fehlen einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit zumindest bis zur Einreichung der
Steuererklärung 2013 am 5. Januar 2015, d.h. einem Zeitpunkt, wo
die Veranlagung der Jahressteuer vom 20. November 2014 bereits in
Rechtskraft erwachsen gewesen sein dürfte bzw. deren Rechtskraft
unmittelbar bevorstand, nichts. Einer Revision dieser Veranlagung
im Anschluss an das mit der ordentlichen Veranlagung definitiv (und
2019
Steuern und Abgaben
81
damit auch erst definitiv bekannt) werdende Fehlen eines
Barauszahlungsgrunds gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG steht damit
nichts entgegen. Damit steht die Jahressteuerveranlagung aber auch
der Vornahme der ordentlichen Veranlagung unter Hinzurechnung
des zu Unrecht erfolgten Bezugs des Vorsorgeguthabens nicht
entgegen.
Es geht zu weit, wenn die Vorinstanz in den fehlenden
Nachforschungen der Steuerkommission über das allfällige Fehlen
des mit der Meldung über Kapitalleistungen deklarierten
Auszahlungsgrunds der Aufnahme einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit eine Verletzung der Untersuchungspflicht der
Steuerbehörde erblicken will. Solange für die Steuerbehörde nicht
offensichtlich erkennbar ist, dass es an einem Auszahlungsgrund
fehlt, darf sie sich vielmehr auf die Steuermeldung verlassen und
ohne weitere Untersuchungen eine Jahressteuerveranlagung
vornehmen. Dies ergibt sich bereits aus der angeführten bundes-
gerichtlichen Rechtsprechung und bedarf keiner weiteren
Begründung. Der angefochtene Entscheid steht nicht im Einklang
mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Das führt zur
teilweisen Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des
angefochtenen Entscheids. Die Angelegenheit ist zur weiteren Be-
handlung im Sinn der Erwägungen - insbesondere zur Untersuchung,
ob der Auszahlungsgrund von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG verwirklicht
ist - ans Spezialverwaltungsgericht zurückzuweisen. | 1,049 | 841 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-9_2019-07-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-9.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-9.pdf | AGVE_2019_9 | null | nan |
d6fb272e-e282-5216-8e38-d619cbd3ebc4 | 1 | 412 | 870,140 | 1,125,792,000,000 | 2,005 | de | 2005
Verwaltungsgericht
288
[..]
59
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bei ausstehenden KVG-Prämien.
- Bei den Leistungen der Gemeinden infolge von Mitteilungen der Ver-
sicherer gemäss Art. 90 Abs. 3 KVV handelt es sich um materielle
Hilfe im Sinne des SPG (Erw. 1.4.2.3).
- Entscheide der Gemeinden über Verweigerung oder Kürzung von
materieller Hilfe im Zusammenhang mit den Prämien der obligatori-
schen Krankenversicherung sind nach § 58 SPG letztinstanzlich beim
Verwaltungsgericht anfechtbar (Erw. 1.4.2.3).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 1. September 2005 in Sa-
chen Kanton A gegen das Bezirksamt Muri.
Aus den Erwägungen
1.1. Die Vorinstanz hat mit Entscheid vom 26. Oktober 2004
den Entscheid des Gemeinderats B vom 13. September 2004 aufge-
hoben und festgestellt, dass der Gemeinderat B weder gestützt auf
das Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Be-
dürftiger vom 24. Juni 1977 (ZUG; SR 851.1) noch gestützt auf das
SPG für das Begehren um Bezahlung der Prämienrückstände für die
Krankenversicherung oder für die Behandlungskosten im Spital X
(Eventualbegehren) zuständig ist.
2005
Sozialhilfe
289
1.2. Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist
von Amtes wegen abzuklären (§ 6 VRPG; Michael Merker, Rechts-
mittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen
Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38
- 72 VRPG], Diss. Zürich 1998, Vorbemerkungen zu § 38 N 3) und
bestimmt sich nach den Begehren und dem der angefochtenen Verfü-
gung zu Grunde liegenden Sachverhalt.
1.3. Das Verwaltungsgericht ist zur Beurteilung von Beschwer-
den in denjenigen Fällen zuständig, die im enumerativen Katalog in
§ 52 Ziff. 1 ff. VRPG aufgeführt sind oder in Fällen, da ein anderer
Erlass seine Zuständigkeit begründet (§ 51 Abs. 1 und 2 VRPG). Die
rechtliche Subsumption des Streitgegenstandes erfolgt selbständig
durch das Verwaltungsgericht.
1.4. Der Beschwerdeführer beruft sich ausdrücklich nicht auf
die Zuständigkeit nach SPG. Zu prüfen ist daher, ob die Nichtbezah-
lung der Krankenkassenprämien von September 2002 bis 31. Dezem-
ber 2002 oder die Forderung auf Bezahlung der Spitalkosten (Even-
tualbegehren) einen Sachverhalt betreffen, der eine Zuständigkeit des
Verwaltungsgerichts gemäss § 51 Abs. 1 und 2 VRPG oder § 52
Ziff. 1 ff. VRPG begründen kann.
1.4.1. (Feststellung, dass keine Zuständigkeit des Verwaltungs-
gerichts nach § 52 Ziff. 2 und 4 VRPG gegeben ist)
1.4.2. Zu prüfen ist daher im Folgenden, ob auf Grund einer
speziellen gesetzlichen Regelung eine Zuständigkeit des Verwal-
tungsgerichts gegeben ist.
1.4.2.1. Für die Einhaltung des Versicherungsobligatoriums
(Art. 3 Abs. 1 KVG) haben gemäss Art. 6 KVG die Kantone zu
sorgen. Ausdrücklich geregelt ist im KVG die Zwangszuweisung von
Personen, die ihrer Versicherungspflicht nicht rechtzeitig nachkom-
men (Art. 6 Abs. 2 KVG) und die Bezeichnung der innerkantonal zu-
ständigen Behörde. Eine Verpflichtung des Kantons oder der zustän-
digen Behörde zur Übernahme von ausstehenden Prämien ist im
Bundesgesetz nicht vorgesehen (Gebhard Eugster, Krankenversi-
cherung, in: Heinrich Koller / Georg Müller/ René Rhinow / Ulrich
Zimmerli (Hrsg.), Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Basel /
Genf / München 1998, Rz. 339 FN 824). Gemäss Art. 90 Abs. 3
2005
Verwaltungsgericht
290
KVV (bzw. Art. 9 Abs. 3 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gülti-
gen Fassung) hat der Versicherer bei Prämienausständen das Voll-
streckungsverfahren einzuleiten und kann einen Leistungsaufschub
verfügen, sofern ein Verlustschein ausgestellt und Meldung an die
Sozialhilfebehörde erstattet wurde. Wird eine Verlustscheinsforde-
rung von der Sozialhilfebehörde nicht übernommen, bleibt die
Leistungssperre bis zur Bezahlung der ausstehenden Prämie aufrecht;
mit Bezahlung des Ausstandes hat der Versicherer für die Leistungen
während der Zeit des Aufschubes aufzukommen (Art. 90 Abs. 4
KVV [bzw. Art. 9 Abs. 2 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gülti-
gen Fassung]). Diese Regelung gilt auch im System des Tiers payant,
d.h. dort, wo Versicherer und Leistungserbringer vereinbaren, dass
der Versicherer die Vergütung schuldet. Eine Verweigerung der Kos-
tengutsprache gemäss Tarifvertrag ist erst nach Durchführung des
Vollstreckungsverfahrens zulässig (vgl. Eugster, a.a.O., Rz. 339;
BGE 129 V 455). Bei Art. 90 Abs. 4 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 2 KVV
in der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung) handelt es sich um
eine Kann-Vorschrift. Die zuständige Sozialhilfebehörde kann, muss
aber nicht ausstehende Prämien oder Kostenbeteiligungen überneh-
men. Massgebend ist dafür das kantonale Recht.
1.4.2.2. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass dem
EG KVG keine ausdrücklichen Bestimmungen über das Verfahren
und die Folgen einer Mitteilung der Versicherer nach Art. 90 Abs. 4
KVV (bzw. Art. 9 Abs. 2 in der bis 31. Dezember 2002 gültigen
Fassung) zu entnehmen sind. Die §§ 13 Abs. 4 und 21 Abs. 4 sowie
22 Abs. 1 und 2 EG KVG koordinieren die Prämienverbilligung mit
den Leistungen der Sozialhilfe. § 30 und 31 EG KVG regeln den
Rechtsschutz und die Zuständigkeit bei der Prämienverbilligung und
bei der Zwangszuweisung. Eine gesetzliche Bestimmung, welche die
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für die Entscheide betreffend
die Übernahme von Krankenversicherungsprämien begründet, be-
steht daher im EG KVG nicht.
1.4.2.3. Dies bedeutet aber nicht, dass im Kanton Aargau keine
gesetzlichen Grundlagen zur Verwirklichung des Versicherungsobli-
gatoriums und des daraus folgenden Versicherungsschutzes gemäss
Art. 3 Abs. 1 KVG bestehen. So regeln § 1 Abs. 1 und 2 EG KVG
2005
Sozialhilfe
291
die Aufsicht über die Einhaltung der Versicherungspflicht und die
Zuweisung von Personen, die ihrer Versicherungspflicht nicht recht-
zeitig nachkommen. Im Fall, da eine bereits versicherte Person fälli-
ge Prämien nicht bezahlt, hat kein Zuweisungsverfahren mehr zu
erfolgen, da die obligatorische Versicherung - ungeachtet der Prä-
mienausstände - bereits besteht. Vielmehr hat der Versicherer dies-
falls das Vollstreckungsverfahren gemäss Art. 90 Abs. 3 KVV (bzw.
Art. 9 Abs. 1 KVV in der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung)
einzuleiten. Im kantonalen Recht sind auch die Folgen einer Mittei-
lung gemäss Art. 90 Abs. 3 KVV geregelt. Nach § 3 Abs. 1 SPV sind
die Prämien der obligatorischen Krankenversicherung im Rahmen
der materiellen Hilfe von der Gemeinde zu übernehmen. Diese Be-
stimmung stützt sich auf § 10 SPG, der den Regierungsrat ermäch-
tigt, die Art und Höhe der materiellen Hilfe in einer Verordnung zu
regeln. Nach dem kantonalen Sozialhilferecht handelt es sich deshalb
bei den Leistungen der Gemeinden in der Folge von Mitteilungen der
Versicherer gemäss Art. 90 Abs. 3 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 1 KVV in
der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung) um materielle Hilfe im
Sinne des SPG, weshalb sie den entsprechenden Anspruchsvoraus-
setzungen, insbesondere der Bedürftigkeit (§ 5 SPG), unterstehen.
Die Übernahme von ausstehenden Prämien der Krankenversicherung
ist, neben der Übernahme von Behandlungskosten und der Kosten-
gutsprachen für medizinische Leistungserbringer (§ 9 Abs. 1 SPV),
eine Möglichkeit der materiellen Hilfe an unterstützungsbedürftige
Personen. Der Gemeinde steht bei der Auswahl dieser Massnahmen
und Mittel zur Wahrung der Existenzsicherung und des Anspruchs
auf Sozialhilfe der hilfsbedürftigen Person das Wahlrecht zu. Voraus-
setzung ist aber immer, dass eine Notlage im Sinne des SPG vorliegt.
Entscheide der Gemeinden über Verweigerung oder Kürzung von
materieller Hilfe um die Prämien der obligatorischen Krankenversi-
cherung sind daher nach § 58 SPG letztinstanzlich beim Verwal-
tungsgericht anfechtbar. Hingegen besteht eine (allgemeine) Ausfall-
garantie der Gemeinden für rückständige Prämien eines Krankenver-
sicherten weder nach Massgabe des kantonalen Rechts noch nach
den bundesrechtlichen Vorschriften (siehe vorne Erw. 1.4.2.1).
1.4.3. (...)
2005
Verwaltungsgericht
292
1.5.-1.7. (...)
2.1. Die Koordination von Sozialhilfeleistungen der Kantone ist
im ZUG geregelt. Nach § 42 Abs. 1 lit. b SPG ist der Kantonale
Sozialdienst für den Verkehr mit andern Kantonen zuständig. Er er-
lässt die Verfügungen und Einspracheentscheide, für welche Art. 33
und 34 ZUG den Rechtsmittelweg an das Eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement bzw. an das Bundesgericht regeln. Unbestritte-
nermassen geht es bei den geforderten Prämienausständen nicht um
Sozialhilfeleistungen, weshalb eine Zuständigkeit des Verwaltungs-
gerichts nach dem ZUG nicht gegeben ist.
2.2. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass weder das Bun-
desrecht noch das kantonale Recht Bestimmungen über die inter-
kantonale Koordination von Leistungen der zuständigen Behörden
nach Art. 6 KVG i.V.m. Art. 90 Abs. 3 KVV (bzw. Art. 9 Abs. 1
KVV in der bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung) enthält. Das
Bundesgesetz und die kantonale Gesetzgebung weisen bei Zahlungs-
verzug der Versicherten Lücken und verschiedene Schwachstellen
auf (vgl. Eugster, a.a.O., Rz. 393, FN 829). Dies bedeutet allerdings
nicht, dass eine voraussetzungslose Leistungspflicht der Gemeinden
(oder Kantone) zur Übernahme von Prämien der obligatorischen
Krankenversicherung, wie dies der Beschwerdeführer geltend macht,
ohne gesetzliche Grundlage erfolgen kann. Die vom Beschwerdefüh-
rer geforderte voraussetzungslose Übernahme der Prämienausstände
für die Zeit, da X ihren Wohnsitz noch in B hatte, findet ihre Stütze
weder im KVG noch im KVV. Eine Übernahme dieser Prämien
durch die ehemalige Wohngemeinde von X ist - ausserhalb einer
Unterstützungsbedürftigkeit gemäss Sozialhilferecht - nicht gesetz-
lich vorgesehen und wurde von der Gemeinde B zu Recht abgelehnt. | 2,298 | 1,796 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-59_2005-09-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-59.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-59.pdf | AGVE_2005_59 | null | nan |
d7284c91-e8b4-5419-9866-988939d86b4d | 1 | 412 | 871,650 | 1,433,289,600,000 | 2,015 | de | 2015
Submissionen
187
VII. Submissionen
27
Zuschlagskriterien; Preisgewichtung, Qualität
-
Grundsätze zur Preisgewichtung; eine Gewichtung des Preises mit
22 % für eine durchschnittlich komplexe Beschaffung ist zu tief
(Erw. 3.2 und 3.3).
-
Unzulässige Besserbewertung von Angeboten, die lokale Subunter-
nehmer berücksichtigen, beim Zuschlagskriterium "Qualität"
(Erw. 4.3.).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 11. Juni 2015 in Sachen A.
AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2015.70).
Aus den Erwägungen
3.2.
Dem Zuschlagskriterium "Preis" kommt zwar nicht grundsätz-
lich ein höheres Gewicht zu als den übrigen Kriterien (P
ETER
G
ALLI
/A
NDRÉ
M
OSER
/E
LISABETH
L
ANG
/M
ARC
S
TEINER
, Praxis des
öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf
2013, Rz. 879). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darf
die Gewichtung des Preises allerdings auch bei komplexen
Beschaffungen 20 % nicht unterschreiten, ansonsten der Grundsatz,
dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhalten
soll, seines Gehalts entleert werde (BGE 129 II 313 ff., 327). Das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hat in einem Urteil
vom 14. März 2014 festgehalten, dem Preis komme bei der Mehrzahl
der öffentlichen Arbeitsvergaben "in markanter Weise das Haupt-
gewicht zu". Es könne dabei als allgemeine Faustregel gesagt
werden, dass dem Preis umso höheres Gewicht zuzuerkennen sei, je
einfacher der Schwierigkeitsgrad der Auftragserfüllung sei. Bei
Aufgaben mittlerer Komplexität solle die Gewichtung des Preises in
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
188
der Regel nicht weniger als 50 % betragen (Urteil des Verwal-
tungsgerichts des Kantons Graubünden vom 18. März 2014 [U 14 9],
Erw. 2 mit Hinweis). Auch das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich hat erklärt, der Preis dürfe bei einer Vergabe, deren
Gegenstand nicht als überdurchschnittlich komplex bezeichnet wer-
den könne, nicht nur mit 20 % gewichtet werden (Urteil des Verwal-
tungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Januar 2011
[VB.2010.00568], Erw. 5.5; vgl. auch Urteil des Verwaltungsgerichts
des Kantons Zürich vom 8. September 2010 [VB.2009.00393],
Erw. 4.2).
3.3.
Vorliegend geht es um die Vergabe eines Generalunternehmer-
auftrags für die Erstellung eines neuen Schulhauses. Vorgesehen ist
ein zweigeschossiger Neubau. In den Rahmenbedingungen ist unter
Ziff. 1.3 folgender zusammenfassender Projektbeschrieb enthalten:
"Ein exakt gesetzter neuer zweigeschossiger Neubau ersetzt das beste-
hende Schulhaus aus den 60-er Jahren.
Das einfach organisierte Unterstufenschulhaus mit 4 Klassenzimmern
und Gruppenräumen wird durch eine zweigeschossige Halle erschlos-
sen, welche auch für kleine Veranstaltungen und als Aula dienen.
An das bestehende Untergeschoss von Gebäude 377 wird seitlich ein
neuer UG-Bereich angefügt. Rohbau im Untergeschoss in Stahlbeton.
Innenwände im UG in Kalksandstein. Der zweigeschossige Neubau
wird auf die bestehende/neue UG-Decke bzw. Fundamentplatte in
einer Holzelementbauweise erstellt."
In Ziff. 1.4 der Rahmenbedingungen wird unter dem Titel "Ziel-
setzungen und Aufgabenstellung" festgehalten, dass das Gebäude als
neues und zeitgemässes Schulhaus ab Oktober 2015 genutzt werden
soll und mit moderner, effizienter Infrastruktur und Haustechnik
ausgerüstet sein werde. Das Bauwerk sei als Minergiegebäude ge-
plant. Das Bauwerk werde "innert kurzer Bauzeit und unter Kosten-
druck" erstellt. Trotzdem müsse es die funktionalen und ästhetischen
Ansprüche des Bauherrn vollauf befriedigen. Die Innovation bestehe
darin, durch geschickte Konzepte, Detaillierung und Materialisierung
diese Ziele zu erreichen. Gemäss Ziff. 1.5 der Rahmenbedingungen
haben die Angebote die komplette bezugsbereite und mängelfreie
2015
Submissionen
189
Anlage zu beinhalten sowie die Kostenvorgaben und Termine zu be-
stätigen.
Der detaillierte Projektbeschrieb ergibt sich aus Teil 02 ("Pro-
jekt") der Ausschreibungsunterlagen.
Aufgrund der Ausschreibungsunterlagen ist beim vorliegenden
Generalunternehmerauftrag von einer durchschnittlich komplexen
Beschaffung auszugehen. Aus den zur Verfügung stehenden Unterla-
gen ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Erstellung
des Schulhausneubaus in Holzelementbauweise für den General-
unternehmer mit ausserordentlichen Schwierigkeiten (z.B. unge-
wöhnlich problematische Baugrundverhältnisse) verbunden wäre.
Auch von Seiten der Vergabestelle wird nichts Derartiges vorge-
bracht. Für eine gewisse Komplexität der Aufgabe sprechen
höchstens der bestehende Termin- und Kostendruck, wobei sich ge-
rade letzterer aber nicht als Argument für eine tiefe Preisgewichtung
anführen lässt. Im Gegenteil. Vor diesem Hintergrund ist die Gewich-
tung des bereinigten Angebotspreises mit lediglich 22 % als mit dem
Grundsatz, dass der Zuschlag dem wirtschaftlich günstigsten Ange-
bot zu erteilen ist, nicht zu vereinbaren. Dem bereinigten Angebots-
preis hätte im vorliegenden Fall vielmehr ein Gewicht von min-
destens 50 % zukommen müssen, zumal gemäss Vergabestelle die
kostengünstige Realisierung des Vorhabens ein wesentliches Ziel der
Vergabe des GU-Auftrags ist.
3.4.-3.5. (...)
4.
4.1.-4.2. (...)
4.3.
Gemäss § 11 Abs. 1 SubmD muss bei der Vergabe eines Auf-
trags an ein General- oder Totalunternehmen jedes an der Ausfüh-
rung beteiligte Subunternehmen die Bedingungen gemäss den §§ 3
und 10 SubmD erfüllen. Vergaben an General- oder Totalunterneh-
men können mit der Auflage verbunden werden, sich bei der Weiter-
vergabe an die Vorschriften des SubmD zu halten. Die Vergabestelle
kann "die Bekanntgabe der Namen und den Sitz aller an der Ausfüh-
rung des Auftrags beteiligten Subunternehmen verlangen" (§ 11
Abs. 2 SubmD).
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
190
Im vorliegenden Fall hat die Vergabestelle in den Ausschrei-
bungsunterlagen der Generalunternehmer-Submission das Teilkrite-
rium "Aussage Subunternehmer & vorgeschlagene Unternehmer" als
Bestandteil des Zuschlagskriteriums "Qualität" definiert. Der Verga-
bestelle ging es hier darum, "ortsansässige Unternehmen und Per-
sonen (Steuerzahler, Gewerbe, Angestellte usw.) aus dem Dorf oder
der näheren Umgebung im Vergabeprozess" mitberücksichtigen zu
können. Die Ausschreibungsunterlagen enthielten entsprechend eine
umfangreiche Liste von möglichen Subunternehmern für die ein-
zelnen Arbeitsgattungen. Dabei handelt es sich vorwiegend um lo-
kale bzw. regionale Unternehmungen. In der Beilage 7 zum Eingabe-
formular hatten die Anbieter die Subunternehmer aufzulisten.
Grundsätzlich muss es zulässig sein, dass die Auftraggeberin im
(sachlich) begründeten Einzelfall einen vom Anbieter genannten
Subunternehmer zurückweisen kann. Sodann kann die Vergabestelle
auch bestimmte Leistungen explizit vom Angebot für den Gesamt-
auftrag ausnehmen und den Anbietenden diesbezüglich einen von ihr
selbst bestimmten bzw. durch eine korrekte "Vorsubmission" er-
mittelten Subunternehmer (und dessen Offerte) vorgeben. Dies ist
möglich, wenn der betreffende Subunternehmerauftrag entweder
direkt (freihändig) vergeben werden kann oder der vorgegebene Sub-
unternehmer bereits vorgängig in einem ordentlichen Submis-
sionsverfahren (z.B. Einladungsverfahren) ermittelt worden ist. In
diesem engen Rahmen besteht die Möglichkeit, in der General-
unternehmer-Submission lokale Subunternehmer vorzugeben.
Vorliegend hat die Vergabestelle in der Ausschreibung weder
klar verlangt, dass die Subunternehmer in der Offerte zu benennen
sind, noch hat sie einzelne - aufgrund einer rechtmässigen Vorsub-
mission bestimmte - Subunternehmer verbindlich vorgegeben. Sie
hat sich vielmehr darauf beschränkt, den Anbietern in den Aus-
schreibungsunterlagen eine Reihe möglicher (bzw. von ihr ge-
wünschter) Subunternehmer zu benennen. Diejenigen GU-Angebote,
welche diese Auswahl möglichst umfassend berücksichtigt haben,
wurden beim Teilkriterium "Aussage Subunternehmer & vorgeschla-
gene Unternehmer" dann besser bewertet. Die Bewertung der As-
pekte "benachbarte Subunternehmer" und der "Bausumme benach-
2015
Submissionen
191
barter Subunterunternehmer" beim Teilkriterium "Aussage Subunter-
nehmer & vorg. Unternehmer" ist klarerweise unzulässig. Zum einen
ist ein sachlicher Zusammenhang mit dem Zuschlagskriterium
"Qualität" nicht ersichtlich; zum anderen ist der Einbezug solcher
Aspekte, die ausschliesslich der Förderung bzw. Bevorzugung des
lokalen und regionalen Gewerbes dienen, in die Bewertung
klarerweise binnenmarktgesetzwidrig. Fragwürdig erscheint es aber
auch, unter dem Zuschlagskriterium "Qualität" zu bewerten, ob und
in welchem Umfang im Angebot für die Arbeitsgattungen bereits
Subunternehmer benannt (definiert) wurden. Eine solche Bewertung
würde nur dann Sinn machen, wenn die von den vorgeschlagenen
Subunternehmern zu erwartende Qualität (z.B. aufgrund deren Erfah-
rung, Referenzen) auch näher geprüft und beurteilt worden wäre.
Dies war vorliegend nicht der Fall. Bewertet wurde lediglich, ob und
in welchem Umfang die Subunternehmer für die einzelnen Ar-
beitsgattungen bereits bestimmt worden waren. Es scheint damit
gerechtfertigt, das Teilkriterium "Aussage Subunternehmer & vor-
geschlagene Unternehmer" für die Bewertung ausser Acht zu lassen.
Bei der Beschwerdeführerin sind damit 4 Punkte und bei der Zu-
schlagsempfängerin 7.5 Punkte aus der Bewertung zu streichen. | 2,026 | 1,640 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2015-27_2015-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-27.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-27.pdf | AGVE_2015_27 | null | nan |
d74a0ea2-852e-5cf1-b8e8-5edf9aa903c5 | 1 | 412 | 871,870 | 1,328,227,200,000 | 2,012 | de | 2012
Submissionen
167
IV. Submissionen
24 Ausstand eines Gemeinderats, der Arbeitnehmer der Zuschlagsemp-
fängerin ist.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. Februar 2012 in Sa-
chen in Sachen A. AG und B. AG gegen Einwohnergemeinde C.
(WBE.2011.271).
Aus den Erwägungen
5.
Zu prüfen bleibt die Frage, ob in Bezug auf den Gemeindeam-
mann D. eine Verletzung der Ausstandspflicht vorliegt.
5.1.
Gemäss § 4 Abs. 1 SubmD richtet sich der Ausstand von Mit-
gliedern der Vergabestelle nach den Vorschriften des Verwaltungs-
rechtspflegegesetzes. Dieses bestimmt unter anderem, dass am Erlass
von Entscheiden nicht mitwirken darf, wer in der Sache ein
persönliches Interesse hat (§ 16 Abs. 1 lit. a VRPG) oder aus anderen
Gründen in der Sache befangen sein könnte (§ 16 Abs. 1 lit. e
VRPG). Die Ausstandsregeln sind im Grundsatz streng auszulegen,
da nur so ein faires, transparentes und für alle Beteiligten leicht
überprüfbares Auswahlverfahren bei Submissionen garantiert werden
kann, was sowohl unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit als
auch der Rechtsgleichheit aller Wettbewerbsteilnehmer und wirt-
schaftlichen Mitkonkurrenten stets von elementarer und zentraler Be-
deutung ist (Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 30. Juni 2006 [U 06 65], Erw. 2.b). Der Ausstandspflicht von als
Mitbewerber auftretenden und mithin persönlich interessierten
Behördenmitgliedern kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu.
Wer in einem Vergabeverfahren als Anbieter auftritt oder auftreten
2012
Verwaltungsgericht
168
will, darf nicht auf Seiten der Behörde bei der Durchführung des
Verfahrens mitwirken, weil er sich dadurch ungerechtfertigte Vorteile
und Kenntnisse bezüglich der Ausgestaltung seiner Offerte verschaf-
fen kann und ihm im Übrigen auch die Möglichkeit offen steht, in
unzulässiger Weise auf den Zuschlagsentscheid einzuwirken (vgl.
Urteil des Bundesgerichts vom 12. Dezember 2002 [2P.152/2002],
Erw. 2; Peter Galli/André Moser/Elisabeth Lang/ Evelyne Clerc,
Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 1. Band: Landesrecht,
2.
Auflage, Zürich/Basel/Genf 2007, Rz.
699). Ein persönliches
Interesse am Ausgang des Vergabeverfahrens ist auch dann zu
bejahen, wenn das betreffende Behördenmitglied zwar nicht selber
als Anbieter in Erscheinung tritt, aber zu einem Unternehmen, das als
Anbieter auftritt, in einem Arbeitsverhältnis steht. Gemeindeammann
D. ist Arbeitnehmer der Zuschlagsempfängerin. Damit ist seine
persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit zur betreffenden
Anbieterin nicht gegeben und eine Pflicht zum Ausstand beim
streitigen Submissionsverfahren ohne Weiteres zu bejahen (vgl. auch
AGVE 2006, S. 207 f.). Nicht relevant ist der Umstand, dass D. nach
Darstellung der Vergabestelle bei seiner Arbeitgeberin eine rein
interne Funktion bekleidet und weder mit der Abwicklung noch mit
der Akquisition von Aufträgen zu tun hat.
5.2.
Das Bestehen einer Ausstandspflicht des Gemeindeammanns
wird denn auch von der Vergabestelle anerkannt. Sie verneint jegli-
che unzulässige Einflussnahme auf den Vergabeentscheid und hält
diesbezüglich fest, D. habe sich von Anfang an aus sämtlichen das
fragliche Submissionsverfahren betreffenden Fragen herausgehalten.
Die gesamte Auswertung der Angebote sei extern durch das Inge-
nieurbüro E. AG in F. erfolgt. An der Gemeinderatssitzung vom
25. Juli 2011, an der der Vergabeentscheid getroffen worden sei
(Diskussion und Abstimmung), habe er nicht teilgenommen. D. habe
somit - selbst wenn er dies gewollt hätte - gar keine Möglichkeit
gehabt, Einfluss auf den Entscheid hinsichtlich des Zuschlags zu
nehmen. Er sei in keiner Weise materiell in das Geschäft involviert
gewesen. Ansprechpartner für die Bauverwaltung sei während des
gesamten Verfahrens der zuständige Ressortchef und Vizeammann G.
2012
Submissionen
169
gewesen. Hinzu komme, dass der "Bewertungsschlüssel zum Offert-
vergleich" der Vergabestelle vom Ingenieurbüro E. AG erst zusam-
men mit der Vergabeempfehlung zugestellt worden sei. Damit sei
auch ausgeschlossen, dass D. seiner Arbeitgeberin nützliche Infor-
mationen hinsichtlich der Bewertung habe zukommen lassen können.
Der Umstand, dass D. routinemässig die an die nicht berück-
sichtigten Anbieter adressierten Verfügungen unterzeichnet habe,
beruhe auf einem Versehen und sei lediglich ein "Schönheitsfehler".
Entscheidend sei, dass er an der relevanten Sitzung nicht teilgenom-
men habe.
Die Beschwerdeführerinnen bestreiten, dass sich der Gemein-
deammann im Ausstand befunden habe. Ein solcher sei nirgends
erwähnt oder protokolliert. Seine Abwesenheit bei der Gemeinde-
ratssitzung vom 25. Juli 2011 möge ein Zufall gewesen sein, da er
offensichtlich nicht im Ausstand gewesen sei. Hingegen habe er den
Vergabeentscheid unterzeichnet; dass dies versehentlich geschehen
sei, sei nicht glaubwürdig. Falsch sei die Behauptung, dass das Inge-
nieurbüro alleine die Bewertung und die Vergabe vorgenommen
habe; die Vergabestelle habe sich am Vergabeverfahren massgebend
beteiligt, indem z. B. der Bauverwalter Referenzauskünfte über die
Beschwerdeführerin 1 eingeholt habe. Auch wenn D. offiziell nicht
am Vergabeverfahren teilgenommen haben sollte, was bestritten
werde, sei es ihm ohne weiteres möglich gewesen, die Zuschlags-
empfängerin mit Insider-Wissen zu versorgen.
5.3.
Aus dem Protokoll der Sitzung des Gemeinderats C. vom
25. Juli 2011 geht hervor, dass der Gemeindeammann D. und der
Gemeinderat H. abwesend waren. Bei der Rubrik "Ausstand" befin-
det sich ein Strich. Richtigerweise hätte, um jegliche diesbezügliche
Unklarheit zu vermeiden, der Name des Gemeindeammanns jedoch
sowohl bei der Rubrik "Abwesend" als auch bei der Rubrik
"Ausstand" eingetragen werden müssen. Andere Unterlagen, in
denen der Ausstand des Gemeindeammanns im vorliegenden Ver-
gabeverfahren eindeutig dokumentiert ist, hat die Vergabestelle nicht
vorgelegt. Auch wenn somit der Vorwurf der Beschwerdeführerinnen
zutrifft, dass in den vorliegenden Verfahrensakten der Ausstand von
2012
Verwaltungsgericht
170
D. nirgends schriftlich vermerkt ist, würde sich allein aus dieser
Unterlassung wohl noch nicht auf eine Verletzung der Aus-
standspflicht schliessen lassen. Hinzu kommt jedoch Folgendes:
Nach Darstellung der Vergabestelle ist D. am Mittag des fragli-
chen 25. Juli 2011 in seine Ferien abgereist, das heisst
vor
der Ge-
meinderatssitzung, welche von 13.30 bis 15.40 Uhr dauerte. Gemäss
Ziffer 2 des Gemeinderatsbeschlusses war den nicht berücksichtigten
Offertstellern das Ergebnis mittels Verfügung mitzuteilen, und die
Bauverwaltung wurde beauftragt, die entsprechenden Absageschrei-
ben vorzubereiten. Die abschlägigen Verfügungen tragen das Datum
vom 25. Juli 2011 und wurden noch am gleichen Tag versandt. Un-
terzeichnet sind die Verfügungen vom Gemeindeammann D. und
vom Gemeindeschreiber. Daraus folgt, dass die Verfügungen bereits
vor dem massgeblichen Vergabebeschluss erstellt und vom Gemein-
deammann unterschrieben worden sind. Die Vergabestelle begründet
dies damit, dass der Gemeindeammann routinemässig die bei einer
vorhersehbaren Entscheidung erforderlichen Dokumente unter-
zeichnet habe. Er sei demnach davon ausgegangen, dass der Ge-
meinderat einen Entscheid entsprechend der Empfehlung des Inge-
nieurbüros E. AG treffen würde. Dieses Vorgehen erscheint in mehr-
facher Hinsicht befremdlich. Zunächst hätte der Gemeindeammann
die Verfügungen aufgrund seines Ausstandes klarerweise nicht un-
terzeichnen dürfen. Sodann folgt aus der Darstellung der Vergabe-
stelle, dass der Gemeindeammann von der Auswertung und insbe-
sondere vom beabsichtigten Zuschlag, mithin vom entsprechenden
Dossier, Kenntnis gehabt haben muss,
bevor
der Vergabebeschluss
des Gemeinderats am Nachmittag des 25. Juli 2011 getroffen wurde.
Er hat die entsprechenden Verfügungen ganz bewusst und in Kennt-
nis ihres Inhaltes mitunterzeichnet. Auch dies ist mit der Aus-
standspflicht nicht zu vereinbaren. Ein weiteres Fragezeichen ist
dahingehend anzubringen, dass die Vergabeverfügungen bereits -
jedenfalls teilweise, nämlich vom Gemeindeammann - unterzeichnet
waren, bevor die zuständige Behörde, das heisst der Gemeinderat,
über die Vergabe überhaupt beschlossen hatte. Der Protokollauszug
enthält zwar richtigerweise den Auftrag an die Bauverwaltung, die
entsprechenden Absageschreiben vorzubereiten. Im vorliegenden
2012
Submissionen
171
Fall lagen diese Verfügungen aber bereits vor der Sitzung vor und
waren zumindest vom Gemeindeammann bereits unterschrieben
worden.
5.4.
Es steht somit fest, dass D. zwar nicht an der Sitzung teilge-
nommen hat, an welcher der Beschluss über die Zuschlagserteilung
an seine Arbeitgeberin gefasst worden ist. Indessen hat er im fragli-
chen Submissionsverfahren mit dem Mitunterzeichnen der Vergabe-
verfügungen Handlungen vorgenommen, die mit seiner Ausstands-
pflicht nicht vereinbar sind. Zudem ist sein Ausstand im fraglichen
Vergabeverfahren nirgends schriftlich festgehalten worden. Der Aus-
standspflicht von selber als Anbieter auftretenden oder bei Mitbewer-
bern angestellten Behördenmitgliedern kommt - wie ausgeführt
(Erw. 5.1. oben) - im Hinblick auf die Grundsätze von Rechtssicher-
heit, Rechtsgleichheit und Transparenz eine zentrale Bedeutung zu.
Deshalb sind an die formellen Voraussetzungen strenge Anforderun-
gen zu stellen. Angesichts der mit dem Arbeitsverhältnis zu einer
Anbieterin gegebenen heiklen Konstellation im vorliegenden Sub-
missionsverfahren wäre es dringend geboten gewesen, den Ausstand
des Gemeindeammanns auch in formaler Hinsicht sicherzustellen
und aktenmässig zu dokumentieren, sobald feststand, dass sich die I.
AG an der Submission beteiligte. Auf diese Weise hätte sich auch das
Unterzeichnen der Vergabeverfügungen durch den Gemeindeam-
mann vermeiden lassen. Eine Verletzung der Ausstandspflicht ist
vorliegend zu bejahen.
Festzuhalten ist im Übrigen, dass auch die Vergabeverfügungen
im Submissionsverfahren "Erschliessung J.", in dem ebenfalls am
25. Juli 2011 über den Zuschlag beschlossen wurde, vom Gemeinde-
ammann unterzeichnet waren. Auch in diesem Fall war die I. AG als
Anbieterin am Vergabeverfahren beteiligt, erhielt den Zuschlag aller-
dings nicht. | 2,143 | 1,760 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-24_2012-02-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-24.pdf | AGVE_2012_24 | null | nan |
d7788af1-7a75-5490-898d-08a1e525cf4e | 1 | 412 | 870,598 | 1,030,924,800,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
414
[...]
99
Rechtliches Gehör. Beweiserhebung. Aktenführung.
-
Wesentliche Beweise dürfen nicht bloss telefonisch eingeholt werden
(Erw. II/1/a,c).
-
Pflicht der Behörde, alles Wesentliche in den Akten festzuhalten
(Erw. II/1/b).
-
Rückweisung bei klarer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör; Ausnahmen (Erw. II/1/d).
2002
Verwaltungsrechtspflege
415
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 4. September 2002 in
Sachen R.Z. gegen Entscheid des Regierungsrats.
Aus den Erwägungen
I/2. Der durch die erstinstanzliche Verfügung bestimmte Verfah-
rensgegenstand ist die Anweisung, die Beschwerdeführerin müsse
sich zum Bezug von IV-Leistungen anmelden oder eine ärztliche
Bestätigung vorlegen, dass eine IV-Anmeldung nicht sinnvoll sei,
weil keine Aussicht auf Zusprechung von IV-Leistungen bestehe, an-
dernfalls die Sozialhilfeleistungen gekürzt würden.
II/1. Im vorinstanzlichen Verfahren hat das Gesundheitsdeparte-
ment als instruierende Behörde beim Rechtsdienst der SVA eine tele-
fonische Auskunft darüber eingeholt, ob der Beschwerdeführerin ein
Anspruch auf IV-Leistungen zustehen könnte, und darüber eine Ak-
tennotiz angefertigt. Bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der
streitigen Weisung stützte sich die Vorinstanz ausschliesslich auf
diese Auskunft.
a) Aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs ergibt sich der
Anspruch der Verfahrensbeteiligten, an der Erhebung wesentlicher
Beweise mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu
äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen.
Mündlich oder telefonisch eingeholte Auskünfte sind nur unter ein-
schränkenden Bedingungen zulässig und beweistauglich. Jedenfalls
müssen sie schriftlich in einer Aktennotiz festgehalten werden. Weil
sie auch so einer Überprüfung durch die Betroffenen nur beschränkt
zugänglich sind, sind sie nach der bundesgerichtlichen Rechtspre-
chung nur insoweit zulässig, als damit blosse Nebenpunkte, nament-
lich Indizien und Hilfstatsachen, festgestellt werden. Beziehen sich
die Auskünfte demgegenüber auf wesentliche Punkte des rechtser-
heblichen Sachverhalts, ist grundsätzlich die Form einer schriftlichen
Anfrage und Auskunft oder einer protokollierten mündlichen Einver-
nahme zu wählen (zum Ganzen ausführlich: BGE 117 V 283 ff.;
124 V 375; Pra 88/1999, Nr. 109, Erw. 4/a; Michele Albertini, Der
2002
Verwaltungsgericht
416
verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwal-
tungsverfahren des modernen Staates, Diss. Bern 2000, S. 355 f.).
b) Ebenfalls aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör und aus
dem Beweisführungsrecht ergibt sich die Aktenführungspflicht der
Behörde, also die Pflicht, alles in den Akten festzuhalten, was zur
Sache gehört und wesentlich ist (BGE 124 V 375 f.; Albertini, a.a.O.,
S. 255 f.; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über
die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 23
N 10), und die grundsätzliche Pflicht zur Kenntnisgabe beim Beizug
neuer Akten (vgl. BGE 118 Ia 19 f.; Merkli/Aeschlimann/Herzog,
a.a.O., Art. 23 N 11).
c) Dass sich das Gesundheitsdepartement zunächst telefonisch
beim Rechtsdienst der SVA über die Aussichten einer IV-Anmeldung
erkundigte, um sich ein vorläufiges Bild machen zu können, ist nicht
zu beanstanden. Da die Auskunft auf eine inhaltliche Stellungnahme
zu einem wichtigen Beschwerdepunkt hinauslief, auf die sich der
Regierungsrat in seinem Entscheid abstützen sollte, hätte nach dem
zuvor Ausgeführten im Instruktionsverfahren dann zunächst unter
Angabe des massgeblichen Sachverhalts eine schriftliche Auskunft
eingeholt werden und diese dem Vertreter der Beschwerdeführerin
zur Stellungnahme unterbreitet werden müssen. Auch so war es je-
denfalls unerlässlich, die erstellte Aktennotiz zu den Akten zu neh-
men und dies der Beschwerdeführerin zur Kenntnis zu bringen. Das
unzulässige Vorgehen verunmöglichte es der Beschwerdeführerin
bzw. ihrem Vertreter, zur Ansicht der SVA Stellung zu nehmen und
zu versuchen, diese mit zusätzlichen Argumenten zu widerlegen.
d) aa) Die klare Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
führt grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides
und zur Rückweisung an die Vorinstanz (§ 58 VRPG; AGVE 1987,
S. 323). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es indes-
sen möglich, aus Gründen der Prozessökonomie auf die Aufhebung
zu verzichten, wenn dies einzig zur Folge hätte, das Verfahren unnö-
tig in die Länge zu ziehen. Vorausgesetzt ist, dass der festgestellte
Mangel nicht zu schwerwiegend ist, dass die Beschwerdebehörde
über eine ausgedehnte Kognition verfügt und dass die Parteien von
den wesentlichen Tatsachen Kenntnis erhielten und dazu Stellung
2002
Verwaltungsrechtspflege
417
nehmen konnten (Pra 88/1999, Nr. 109, Erw. 4/d mit Hinweisen). Zu
beachten ist auch das Interesse des Betroffenen, dem an einem baldi-
gen definitiven Entscheid gelegen sein kann (vgl. AGVE 1974,
S. 361 f.; 1982, S. 215 f.; 1985, S. 326; Michael Merker, Rechtsmit-
tel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen
Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-
72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 58 N 31, allerdings mit einseitiger
Betonung des Aspekts der Verfahrensdauer).
bb) Die Verfahrensmängel, die dazu führten, dass die Beschwer-
deführerin bzw. ihr Anwalt von der Beweiserhebung zu einem we-
sentlichen Punkt ausgeschlossen wurde, sind gravierend. Dem Ver-
waltungsgericht steht keine Ermessensüberprüfung zu. Ein konkretes
Interesse der Beschwerdeführerin an der Beschleunigung des Verfah-
rens ist nicht erkennbar. Somit kann von der Rückweisung nicht ab-
gesehen werden. | 1,261 | 1,051 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-99_2002-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-99.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-99.pdf | AGVE_2002_99 | null | nan |
d797ed1d-ee6d-53a0-bf23-c7e25d925411 | 1 | 412 | 871,488 | 1,038,873,600,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
344
[...]
81
Ausstandspflicht.
-
Verletzung der Ausstandspflicht.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. Dezember 2002 in
Sachen ARGE E. und Mitb. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
5. g) bb) ccc) Bezüglich der von den Anbietern eingesetzten
Materialien hat die Vergabestelle in den Ausschreibungsunterlagen
festgehalten, dass sie sich vorbehalte, im Laufe der Bereinigung des
Angebots zusätzliche Unterlagen und Bemusterungen zu verlangen;
diesem Begehren sei innerhalb von 14 Tagen nachzukommen. In
diesem Sinne ordnete die Vergabestelle eine Bemusterung der von
den Zuschlagsempfängerinnen vorgeschlagenen Materialien an. Die
Bemusterung fand am 29. Mai 2002 im Beisein von G. (Chefelektri-
ker des Baudepartements), H. (Projektingenieur und Montageleiter)
sowie E. und G. (als Vertretern der Zuschlagsempfängerinnen) statt.
Die Beschwerdeführerinnen beanstanden dabei zu Recht, dass G.,
Chefelektriker im Elektrowerkhof N., also zuständig für den
Bareggtunnel, als Vater eines zur Bemusterung eingeladenen Be-
triebsinhabers an der Bemusterung teilnahm. Nach § 4 SubmD in
Verbindung mit § 5 Abs. 1 VRPG dürfen Behördenmitglieder und
Sachbearbeiter nicht beim Erlass von Verfügungen und Entscheiden
mitwirken, wenn ein Ausstandsgrund im Sinne der Zivilprozessord-
2002
Submissionen
345
nung vorliegt. Sie haben sich insbesondere dann in Ausstand zu be-
geben, wenn sie selbst oder ihnen nahe verbundene Personen an der
Verfügung oder dem Entscheid persönlich interessiert sind (Abs. 2).
Ausstandspflichtig ist nicht nur, wer selber verfügt oder (mit-)ent-
scheidet, sondern das Mitwirkungsverbot bezieht sich auf alle Perso-
nen, die auf das Zustandekommen des Verwaltungsakts Einfluss
nehmen können; dazu gehören namentlich auch Sachbearbeiter oder
Protokollführer mit beratender Funktion (vgl. AGVE 1998, S. 362;
VGE III/25 vom 25. September 2001 [BE.2001.00173] in Sachen
Team T., S. 21; Peter Hänni / Marco Scruzzi, Zur Ausstandspflicht
im Rahmen von Submissionsverfahren, in BR 1999, S. 131 ff., insb.
S. 134 f.; Thomas Merkli / Arthur Aeschlimann / Ruth Herzog,
Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kan-
tons Bern, Bern 1997, Art. 9 N 7; vgl. ferner Daniel Bircher / Stefan
Scherler, Missbräuche bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge,
Bern/Stuttgart/Wien 2001). Da die Ergebnisse der Bemusterung als
Grundlage für die Beurteilung des Teilkriteriums "Qualität und Eig-
nung der eingesetzten Komponenten" dienten, hat G. bei der Bewer-
tung der Angebote mitgewirkt und damit die Zuschlagserteilung
mitbeeinflusst. Er hätte somit nach Massgabe der erwähnten Vor-
schrift in den Ausstand treten müssen. Auch dieser klare Verstoss
gegen die Ausstandsregeln führt zur Aufhebung des Zuschlags. Es
liesse sich sogar fragen, ob nicht das Submissionsverfahren als Gan-
zes aufgehoben werden müsste. Indessen kann davon Umgang ge-
nommen werden, weil der Wortlaut des Protokolls der Bemusterung
keine Anhaltspunkte dafür enthält, dass anlässlich der Bemusterung
Vorgänge stattfanden, welche den tragenden Prinzipien des Submis-
sionsrechts
(Gleichbehandlungsgebot,
Diskriminierungsverbot,
Transparenzgebot etc.) widersprechen. | 762 | 583 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-81_2002-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-81.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-81.pdf | AGVE_2002_81 | null | nan |
d808e397-0d94-5f6c-9eb3-abc45350b5be | 1 | 412 | 871,732 | 1,548,979,200,000 | 2,019 | de | 2019
Fürsorgerische Unterbringung
47
I. Fürsorgerische Unterbringung
3
Art. 380 ZGB
Art. 380 ZGB betrifft die Behandlung einer psychischen Störung in einer
psychiatrischen Klinik (E. 2.2). Diese Bestimmung setzt neben Urteilsun-
fähigkeit (E. 3.1) eine psychische Störung voraus (E. 4.1), damit die Be-
stimmungen über die fürsorgerische Unterbringung zur Anwendung
gelangen (E. 4.4).
Von der Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung kann im
Anwendungsbereich von Art. 380 ZGB nicht bereits abgesehen werden,
weil die vertretungsberechtigte Person der Behandlung in der
psychiatrischen Klinik zustimmt oder die betroffene Person mit der
Behandlung einverstanden ist. Erweist sich die Klinikeinweisung als
notwendig, ist bezüglich der Behandlung der psychischen Störung im
Rahmen des Klinikaufenthalts nach Art. 433 ff. ZGB vorzugehen (E. 5.3).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 19. Februar
2019, in Sachen A. gegen den Entscheid von Dr. med. B. in Sachen C.
(WBE.2019.59).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Der Beschwerdeführer bringt vor, (für C.) liege eine umfas-
sende Beistandschaft vor. Der Aufenthalt von C. in der Psychiat-
rischen Klinik Königsfelden zwecks Medikamenteneinstellung sei in
Absprache mit ihm als Beistand und der Stiftung D. (Wohneinrich-
tung von C.) schon länger geplant gewesen. C. habe sich nicht dage-
gen gewehrt, sondern sogar darauf gefreut. Entsprechend sei der Ein-
tritt ohne Widerstände erfolgt. (...)
2.2.
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
48
Im zweiten Abschnitt des zehnten Titels des Zivilgesetzbuches,
welcher den Erwachsenenschutz betrifft, werden die Massnahmen
von Gesetzes wegen für urteilsunfähige Personen geregelt. Dessen
zweiter Unterabschnitt betrifft die Vertretung bei medizinischen
Massnahmen. Die zu diesem Unterabschnitt gehörenden Art. 377 und
Art. 378 ZGB legen fest, wer eine urteilsunfähige Person bei medizi-
nischen Massnahmen vertreten darf und wie vorzugehen ist. Nach
Art. 378 Abs. 1 ZGB kann die vertretungsberechtigte Person auch
der Einweisung in ein Spital zustimmen. Ist indessen für die Behand-
lung einer psychischen Störung eine Einweisung in eine psychiat-
rische Klinik erforderlich, so sind gemäss Art. 380 ZGB die Bestim-
mungen über die fürsorgerische Unterbringung anwendbar
(Art. 426 ff. ZGB). Diese Regelung dient dem Schutz betroffener
Personen. Unabhängig davon, ob die urteilsunfähige Person Wider-
stand leistet oder nicht, sollen die gleichen Verfahrensgarantien gel-
ten (vgl. Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetz-
buches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] vom
28. Juni 2006, BBl 2006 [nachfolgend: Botschaft Erwachsenen-
schutzrecht], S. 7036 f.).
3.
3.1.
Dem Wortlaut von Art. 380 ZGB entsprechend, muss die be-
troffene Person als erste Voraussetzung für die Anwendbarkeit der
Bestimmungen über die fürsorgerische Unterbringung zunächst
urteilsunfähig sein. (...)
3.2.-3.3. (...)
3.4.
(...) C. fehlt es somit in Bezug auf den Entscheid über den
Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden an Urteils-
fähigkeit. Dies gilt umso mehr in Bezug auf die medikamentöse Be-
handlung.
4.
4.1.
Gemäss Art. 378 Abs. 1 ZGB kann die vertretungsberechtigte
Person über die ambulante oder stationäre medizinische Behandlung
eines urteilsunfähigen Patienten entscheiden. Sie kann auch ent-
2019
Fürsorgerische Unterbringung
49
scheiden, ihn zur somatischen Behandlung zu hospitalisieren oder in
einem Wohn- und Pflegeheim unterzubringen (OLIVIER
GUILLOD/AGNÈS HERTIG PEA in: ANDREA BÜCHLER/CHRISTOPH
HÄFELI/AUDREY LEUBA/MARTIN STETTLER [Hrsg.], FamKommen-
tar Erwachsenenschutzrecht, Bern 2013, Art. 380 ZGB N 1).
Art. 380 ZGB bezieht sich dagegen auf die Behandlung einer psy-
chischen Störung in einer psychiatrischen Klinik. Somit ist zu
prüfen, ob eine psychische Störung vorliegt.
4.2.-4.3. (...)
4.4.
(...) Mit Blick auf die vorbestehende und im Rahmen des
aktuellen Klinikaufenthalts bestätigte Diagnose, die Akten, sowie
den an der Verhandlung vom 19. Februar 2019 gewonnen persön-
lichen Eindruck besteht für das Verwaltungsgericht kein Zweifel,
dass C. an einer psychischen Störung leidet. Somit kommen gemäss
Art. 380 ZGB aufgrund der bestehenden Urteilsunfähigkeit für die
Einweisung in die Psychiatrische Klinik Königsfelden die Bestim-
mungen über die fürsorgerische Unterbringung zur Anwendung.
5.
5.1.-5.2. (...)
5.3.
Ein Absehen von der Anordnung einer fürsorgerischen Unter-
bringung kann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers im
Anwendungsbereich von Art. 380 ZGB nicht bereits angezeigt sein,
weil die vertretungsberechtigte Person der Behandlung in der
psychiatrischen Klinik zustimmt. Die Anwendbarkeit der Bestim-
mungen über die fürsorgerische Unterbringung dient in solchen
Fällen gerade dazu, die urteilsunfähige Person davor zu schützen,
dass sie von nahestehenden Personen möglicherweise missbräuchlich
in die psychiatrische Klinik eingewiesen wird (GUILLOD/HERTIG
PEA, a.a.O., Art. 388 ZGB N 1). Auch eine Einwilligung der be-
troffenen Person kann die Notwendigkeit einer fürsorgerischen Un-
terbringung nicht entfallen lassen, wollte der Gesetzgeber doch gera-
de unabhängig davon, ob die betroffene Person Widerstand leistet,
die gleichen Verfahrensgarantien wie bei der fürsorgerischen Unter-
bringung gelten lassen (vgl. Botschaft Erwachsenenschutzrecht,
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
50
S. 7037). Zu prüfen ist vielmehr, ob die Behandlung der psychischen
Störung eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik notwendig
machte oder ob die Behandlung, als mildere Massnahme, beispiels-
weise etwa auch im ambulanten Rahmen im angestammten Woh-
numfeld hätte durchgeführt werden können.
Erweist sich die Klinikeinweisung als notwendig, ist bezüglich
der Behandlung der psychischen Störung im Rahmen des Klinik-
aufenthalts nach Art. 433 ff. ZGB vorzugehen (PATRICK FASSBIND,
Erwachsenenschutz, Zürich 2012, S. 213; JÜRG GASSMANN in:
DANIEL ROSCH/ANDREA BÜCHLER/DOMINIQUE JAKOB [Hrsg.], Er-
wachsenenschutzrecht, 2. Aufl., Basel 2015, Art. 379/380 Rz. 3).
Damit die für die fürsorgerischen Unterbringung geltenden Verfah-
rensgarantien auch bei den im Rahmen eines Klinikaufenthalts ge-
mäss Art. 380 ZGB erforderlichen medizinischen Massnahmen zur
Anwendung gelangen, sollten diese unabhängig von der Zustimmung
der urteilsunfähigen Person und auch unabhängig von der Zustim-
mung der vertretungsberechtigten Person mittels schriftlicher Anord-
nung einer Behandlung ohne Zustimmung gemäss Art. 434 ZGB er-
folgen. | 1,587 | 1,196 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-3_2019-02-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-3.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-3.pdf | AGVE_2019_3 | null | nan |
d83f66d0-bc40-5a88-a06a-3eac05e9bfd0 | 1 | 412 | 870,069 | 1,475,452,800,000 | 2,016 | de | 2016
Sozialhilfe
233
[...]
38
Sozialhilfe; Zuständigkeit
Bei vorbestehender Unterstützungsbedürftigkeit bleibt die Zuständigkeit
der früheren Wohnsitzgemeinde für ausstehende, dort angefallene und
erst nach dem Wegzug in Rechnung gestellte Wohnnebenkosten bestehen.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
234
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. Oktober 2016 in
Sachen Einwohnergemeinde A. gegen B. und Departement Gesundheit und
Soziales (WBE.2016.325).
Aus den Erwägungen
1.
Der Gemeinderat A. beantragt die Aufhebung des angefochte-
nen Entscheids. Entgegen der Auffassung der Beschwerdestelle SPG
bestehe für Ausstände der jährlichen Heiz- und Nebenkostenabrech-
nung, welche sich auf den Zeitraum vor dem Zuzug beziehen, keine
Zuständigkeit. Die Wohnkosten umfassten neben dem Mietzins auch
die Nebenkosten. Sofern eine Person nicht in der Lage sei, dafür auf-
zukommen, sei die jeweilige Unterstützungsgemeinde dafür zustän-
dig. Die frühere Unterstützungsgemeinde habe mit der Übernahme
der Wohnkosten eine Kostengutsprache für allenfalls später anfal-
lende, nicht pauschal abgegoltene Nebenkosten geleistet und sei von
der Zahlungspflicht nur insoweit befreit, als die unterstützte Person
nicht aus eigener Kraft leisten könne. Komme hinzu, dass
Privatschulden nur ausnahmsweise zu übernehmen seien, sofern da-
mit eine bestehende oder drohende Notlage vermieden werde. Dar-
über wäre aufgrund einer Abwägung im Einzelfall zu entscheiden,
wobei Schulden nur zugunsten der unterstützten Person, nicht aber
im überwiegenden Interesse der Gläubiger übernommen werden
dürften.
2.
Die Vorinstanz bejahte die Zuständigkeit der neuen Wohnsitzge-
meinde zur Prüfung des Gesuchs. Dieses betraf ausstehende Neben-
kosten der Wohnung in der früheren Gemeinde, wo die Beschwerde-
gegnerin bereits unterstützt worden war. Die unterstützungspflichtige
Gemeinde habe in Anwendung der SKOS-Richtlinien (B.3-1) zwar
über die Wohnkosten unter Einbezug der Nebenkosten entschieden
und darauf habe die neue Gemeinde keinen Einfluss. Indessen habe
die bisherige Sozialhilfe gemäss Kapitel C.8 der SKOS-Richtlinien
beim Wegzug gewisse Kosten zu übernehmen; zu im Zeitpunkt des
2016
Sozialhilfe
235
Umzugs nicht fälligen Forderungen habe sich die SKOS nicht geäus-
sert. Deren Kommission Rechtsfragen habe am 24. April 2008 die
Meinung geäussert, aus Praktikabilitätsgründen sei zur Bestimmung
des unterstützungspflichtigen Gemeinwesens auf den Zeitpunkt der
Fälligkeit der Forderung und nicht der Leistungserbringung abzustel-
len. Über diese Meinung wolle sich die Beschwerdestelle SPG nicht
ohne Not hinwegsetzen. Es sei aber nicht zu verkennen, dass die
Übernahme von Privatschulden Fragen aufwerfe und auch von einer
subsidiären Kostengutsprache der bisherigen Gemeinde für später
anfallende Nebenkosten ausgegangen werden könnte. Bezüglich
offener Krankenkassenprämien habe die Kommission Rechtsfragen
der SKOS die Meinung vertreten, dass die bisherige Wohnsitzge-
meinde alle Prämien entsprechend der Wohnsitzdauer zu überneh-
men habe.
3.
3.1.
Bis zum 30. April 2015 wohnte die Beschwerdegegnerin mit
ihrem Partner in einer 3,5-Zimmerwohnung an der C.-Strasse in D..
Der monatliche Netto-Mietzins betrug Fr. 1'450.00 (einschliesslich
Garage). Als Nebenkosten wurden Fr. 150.00 vereinbart, wobei
Heiz-, Warmwasser- und Betriebskosten auf Abrechnung erfolgen.
Dies ergab einen Brutto-Mietzins von Fr. 1'600.00.
Die Beschwerdegegnerin wurde von D. vom 1. März 2013 bis
31. Mai 2015 materiell unterstützt. Ihr Partner bezog keine Sozialhil-
feleistungen. Im Beschluss vom 23. September 2013 hat der Gemein-
derat erwogen, der maximale Wohnkostenbeitrag für einen 2-Per-
sonenhaushalt von Fr. 1'250.00 werde überschritten. Am
23. September 2013 erteilte er der Beschwerdegegnerin unter Kür-
zungsandrohung die Weisung, sich um eine kostengünstigere Woh-
nung zu bemühen. Im Beschluss vom 17. März 2014 kürzte der Ge-
meinderat den anteilmässigen Wohnkostenbeitrag auf Fr. 625.00. Mit
Entscheid vom 1. Juni 2015 wurde die materielle Hilfe infolge Weg-
zugs eingestellt.
3.2.
Seit dem 1. Mai 2015 wohnt die Beschwerdegegnerin zusam-
men mit ihrem Partner in einer 4,5-Zimmerwohnung in A.. Seit dem
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
236
1. Juni 2015 wird sie von dieser Gemeinde unterstützt. Ihr Partner
bezieht nach wie vor keine Sozialhilfeleistungen. Im Beschluss vom
29. Juni 2015 übernahm der Gemeinderat A. entsprechend den örtli-
chen Mietzinsrichtlinien einen anteilmässigen Wohnkostenbeitrag
von Fr. 600.00.
3.3.
Nach der jährlichen Nebenkostenabrechnung vom 18. Novem-
ber 2015 waren für die Wohnung in D. vom 1. Juli 2014 bis 30. April
2015 Heiz- und Betriebskosten von Fr. 2'462.20 angefallen. Davon
wurden Akontozahlungen von Fr. 1'500.00 in Abzug gebracht, was
ein Guthaben des Vermieters von Fr. 962.20 ergab.
4.
Nach Art. 257a Abs. 2 OR dürfen Nebenkosten dem Mieter nur
dann gesondert belastet werden und sind sie nicht im Nettozins inbe-
griffen, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben. Eine
entsprechende Vereinbarung kann vorsehen, dass die ausdrücklich
bezeichneten Nebenkosten mit einer Pauschale abgegolten werden
oder dass sie mindestens einmal jährlich abgerechnet werden, wobei
der Mieter in der Regel Akontozahlungen leistet (BGE 132 III 24,
Erw. 3.1; 121 III 460, Erw. 2a/aa; P
ETER
H
IGI
, in: Zürcher Kommen-
tar, 1994, Art. 257a-257b N 19 f.). Erhebt der Vermieter die Neben-
kosten aufgrund einer Abrechnung, muss er diese jährlich mindestens
einmal erstellen und dem Mieter vorlegen (Art. 4 Abs. 1 der Verord-
nung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen
vom 9. Mai 1990 [VMWG; SR 221.213.11]). Erhebt er sie pauschal,
muss er auf die Durchschnittswerte dreier Jahre abstellen (Art. 4
Abs. 2 VMWG). Leistet der Mieter entsprechend der ordnungsge-
mäss erstellten jährlichen Abrechnung Nachzahlung, erfüllt er damit
seine ursprüngliche Pflicht zur Übernahme von Nebenkosten. Eine
Vertragsänderung ist damit nicht verbunden (BGE 132 III 24,
Erw. 3.2; vgl. auch BGE 126 III 119). Es ist üblich, dem Mieter eine
Zahlungsfrist von 30 Tagen einzuräumen (vgl. Urteil des Bundesge-
richts vom 24. Juni 1998 [4C.479/1997], Erw. 3a, in: mp 2/99,
S. 83 ff.; R
OGER
W
EBER
, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I,
Art. 1-529 OR, 6. Auflage, 2015, Art. 257a N 8).
2016
Sozialhilfe
237
5.
5.1.
Im vorliegenden Verfahren ist lediglich über die Zuständigkeit
des Gemeinderats A. zur Prüfung des Gesuchs um Nachzahlung von
Mietnebenkosten zu entscheiden.
5.2.
Eine Zuständigkeit der neuen Wohnsitzgemeinde zur Über-
nahme von Ausständen entsprechend der jährlichen Nebenkostenab-
rechnung (d.h. vor dem Zuzug) würde bei neu eingetretener Unter-
stützungsbedürftigkeit bestehen: Materielle Hilfe wird in der Regel
auf Gesuch hin gewährt (vgl. § 9 SPG), wobei die Forderung im
beendeten Mietverhältnis begründet wäre. Aufgrund des Wegzugs
(Art. 9 Abs. 1 ZUG) könnte keine Zuständigkeit der früheren Wohn-
gemeinde bestehen. Gegenüber der neuen Wohnsitzgemeinde läge
ein Gesuch um Übernahme ausstehender Privatschulden vor. Diese
Konstellation liegt indessen nicht vor.
Es mag Praktikabilitätsüberlegungen entsprechen und im
Einzelfall angezeigt sein, dass die neue Wohngemeinde auch bei vor-
bestehender Unterstützungsbedürftigkeit für ausstehende frühere Ne-
benkosten aufkommt. Insbesondere erlaubt dieses Vorgehen, dass
eine betreffende Nachzahlung im aktuellen Sozialhilfebudget als
Ausgabe berücksichtigt bzw. ein ausbezahltes Guthaben als Einnah-
men angerechnet wird. Rechtlich überzeugt dieses Vorgehen aller-
dings nicht: Bei dieser Nachzahlung ist nicht von (Privat-)Schulden
auszugehen, sondern von Nebenkosten als Bestandteil der Wohn-
kosten (vgl. SKOS-Richtlinien, B.3-1; C
LAUDIA
H
ÄNZI
, Die Richt-
linien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011,
S. 375 f.). Kapitel C.8 der SKOS-Richtlinien betrifft den Wegzug aus
der Gemeinde und empfiehlt, dass das bisherige Sozialhilfeorgan
insbesondere den Lebensunterhalt für einen Monat, den ersten Woh-
nungsmietzins sowie Umzugskosten übernimmt. Hierbei handelt es
sich um keine Zuständigkeitsbestimmungen und die Annahme von
situationsbedingten Leistungen wäre bei ausstehenden Wohnneben-
kosten nicht ohne Weiteres angezeigt. Gemäss Art. 257b OR ist der
Vermieter nur berechtigt, die tatsächlichen Aufwendungen, d.h. die
ihm effektiv entstehenden Kosten, zu überwälzen (W
EBER
, a.a.O.,
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
238
Art. 257b N 2; H
IGI
, a.a.O., Art. 257a-257b N 26). Bei der
Akontovereinbarung entsteht eine auf Abrechnung gestellte Forde-
rung (W
EBER
, a.a.O., Art. 257a N 8). Die Nachzahlungsverpflich-
tung ist im Mietverhältnis begründet und bedeutet Vertragserfüllung.
Üblicherweise leistet der Mieter mit dem Mietzins Akontozahlungen,
welche nach dem Vorliegen der Nebenkostenabrechnung angerechnet
werden. Abweichungen von mehr als 15 % braucht der Mieter
praxisgemäss nicht zu tragen (vgl. W
EBER
, a.a.O., Art. 257b N 2).
Indem die frühere Wohnsitzgemeinde materielle Hilfe einschliesslich
Wohnkostenbeitrag gewährte, hat sie damit über ihre Zuständigkeit
auch hinsichtlich der vertraglich geschuldeten Nebenkosten entschie-
den. Dies trifft unabhängig von der Fälligkeit der Nachzahlungs-
forderung sowie davon zu, dass diese erst nach dem Vorliegen der
Abrechnung bestimmt und erfüllbar war (vgl. H
IGI
, a.a.O., Art. 257a-
257b N 23). Unerheblich ist weiter, dass der Vermieter erst nach dem
Wegzug Rechnung stellte. Mit dem Gesuch um Übernahme durch die
Sozialhilfe wurde mithin kein neuer Leistungsanspruch geltend
gemacht. Das sozialhilferechtliche Bedarfdeckungsprinzip bleibt
aufgrund der übernommenen Vorleistungen, welche die Nebenkosten
nur teilweise deckten, grundsätzlich unberührt.
5.3.
Somit ist der Gemeinderat A. für die Prüfung des Gesuchs um
Nachzahlung von Nebenkosten nicht zuständig. | 2,316 | 1,796 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-38_2016-10-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-38.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-38.pdf | AGVE_2016_38 | null | nan |
d85c8a6f-584f-53f0-82a9-6db1c49aeb0b | 1 | 412 | 869,673 | 1,031,097,600,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
408
[...]
95
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts.
-
Die Rückforderungsklage nach Art. 86 Abs. 1 SchKG für Gebühren
nach dem SpBG bzw. GGG ist eine vermögensrechtliche Streitigkeit
öffentlichrechtlicher Natur.
-
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im Klageverfahren, nicht der
Zivilgerichte.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 20. September 2002 in
Sachen K. gegen den Kanton Aargau.
Aus den Erwägungen
1. Gemäss § 60 Ziff. 3 VRPG beurteilt das Verwaltungsgericht
als einzige Instanz vermögensrechtliche Streitigkeiten an denen u.a.
der Kanton beteiligt ist, sofern nicht die Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde gegeben oder das Zivil- oder ein Spezialverwaltungsge-
richt zuständig ist.
2. Die Klägerin macht eine Rückforderungsklage gemäss
Art. 86 SchKG geltend. Nach dieser Bestimmung kann derjenige,
welcher durch Unterlassen des Rechtsvorschlages oder nach Beseiti-
gung des Rechtsvorschlages durch Rechtsöffnung eine Nichtschuld
bezahlt hat, innerhalb eines Jahres nach der Zahlung auf dem ordent-
2002
Verwaltungsrechtspflege
409
lichen Prozessweg den bezahlten Betrag zurückfordern (Art. 86
Abs. 1 SchKG). Die Rückforderungsklage kann nach Wahl entweder
beim Gericht des Betreibungsortes oder dort angehoben werden, wo
der Beklagte seinen ordentlichen Gerichtsstand hat. Das Rückforde-
rungsrecht ist von keiner andern Voraussetzung als dem Nachweis
der Nichtschuld abhängig (Art. 86 Abs. 2 und 3 SchKG). Für die
Zuständigkeit gelten im Übrigen die Vorschriften des kantonalen
Rechts. Das Zivilrechtspflegegesetz macht in § 301 Abs. 2 hinsicht-
lich des Verfahrens einen Vorbehalt bezüglich der besonderen Vor-
schriften des SchKG und des AGSchKG. Für die Rückforderungs-
klage gemäss Art. 86 SchKG sieht das AGSchKG keine Zuständig-
keit der Zivilgerichte vor, sondern verweist in § 19 Abs. 3 AGSchKG
für
zivilrechtliche
Streitigkeiten
aus
dem
Betreibungs-
und
Konkursrecht auf die Zivilprozessordnung.
Gemäss § 9 ZPO entscheiden die Zivilgerichte unter dem Vor-
behalt abweichender gesetzlicher Bestimmungen die privatrechtli-
chen Streitsachen. Offensichtlich handelt es sich bei der Rückforde-
rung von Gebühren nach dem Gesetz über den Betrieb von Geschick-
lichkeitsspielautomaten und die Kursaalabgabe (Spielbetriebsgesetz,
SpBG; SAR 958.100) vom 20. Juni 2000 (in Kraft seit dem
1. Januar 2001) bzw. dem Gesetz über das Gastgewerbe und den
Kleinhandel mit alkoholhaltigen Getränken (Gastgewerbegesetz,
GGG; SAR 970.100) vom 25. November 1997 um vermögensrechtli-
che Streitigkeiten öffentlichrechtlicher Natur im Sinne von § 60
Ziff. 3 VRPG. Eine ausdrückliche Regelung der Zuständigkeit für die
Rückforderung von bezahlten Gebühren enthalten weder das SpBG
bzw. das GGG, noch findet sich eine entsprechende Norm in den
kantonalen Prozessgesetzen. Die Zuständigkeit des Zivilgerichts ist
daher nicht gegeben (Bernhard Bodmer, in: Adrian Staehelin/Thomas
Bauer/Daniel Staehelin [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Art. 1-87, Basel/Genf/
München 1998, Art. 86 N 13). Auf Grund der öffentlichrechtlichen
Natur des Anspruches ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts
gemäss § 60 Ziff. 3 VRPG gegeben, weshalb auf die Klage einzu-
treten ist. | 746 | 585 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-95_2002-09-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-95.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-95.pdf | AGVE_2002_95 | null | nan |
d8a05320-be4e-5f47-b962-a41d40b7e219 | 1 | 412 | 870,693 | 949,536,000,000 | 2,000 | de | 2000
Submissionen
279
67
Akteneinsicht in Referenzauskünfte.
- Das Akteneinsichtsrecht ist im SubmD abschliessend geregelt
(Erw. 2/a).
- Im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens be-
steht bezüglich Referenzangaben grundsätzlich ein umfassendes Aus-
kunfts- und Akteneinsichtsrecht (Erw. 2/b).
- Im Normalfall ist das Interesse des nicht berücksichtigten Anbieten-
den an der Offenlegung belastender Referenzauskünfte erheblich
grösser und gewichtiger als die Interessen der Vergabestelle und des
Referenzgebers an der Geheimhaltung (Erw. 2/b/cc/ddd).
Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 16. Februar
2000 in Sachen ARGE E. AG/M. AG gegen den Beschluss / die Verfügung
des Abwasserverbands O.
Aus den Erwägungen
1. a) Die Vergabestelle hat zusammen mit der Vernehmlassung
insgesamt elf Beilagen eingereicht. Die Beilagen 9 und 11 hat sie
ausdrücklich als ,,vertrauliches Dokument ausschliesslich zu Handen
des Verwaltungsgerichts" deklariert. Es handelt sich hierbei einer-
seits um Telefonnotizen betreffend Referenzauskünfte über die M.
AG und die E. AG aufgrund der von den Beschwerdeführerinnen
eingereichten Referenzliste und anderseits um den mit ,,Grundlagen
für die Vergabe" bezeichneten Bericht der T. AG vom 10. Dezember
1999 zuhanden der Vergabestelle.
b) Der Abwasserverband O. begründet die Vertraulichkeit dieser
beiden Beilagen damit, dass den Auskunftspersonen seitens der
Vergabestelle Diskretion zugesichert worden sei. Falls Auskünfte von
Referenzpersonen offen gelegt werden müssten, sei es in Zukunft
wohl unmöglich, offene und kritische Auskünfte zu erhalten, und zur
Einschätzung der Qualität blieben nur ,,objektive" Kriterien, wie
namentlich die ISO-Zertifizierungen.
Die Beschwerdeführerinnen sind demgegenüber der Auffas-
sung, ihnen sei Einblick auch in diese beiden Beweisbeilagen zu
2000
Verwaltungsgericht
280
gewähren, denn sie müssten Gelegenheit erhalten, zu allen entscheid-
relevanten Behauptungen Stellung nehmen zu können. Nicht offen
gelegte Auskünfte von angeblichen Referenzpersonen dürften beim
Entscheid über die Beschwerde nicht berücksichtigt werden. Das
Argument, Referenzauskünfte könnten nicht mehr erhältlich gemacht
werden, wenn sowohl Referenzperson als auch Inhalt der Referenz
bekannt gemacht werden müssten, sei rechtlich nicht stichhaltig. Wer
wettbewerbsrelevante Äusserungen über die Qualität eines Unter-
nehmens abgebe, müsse sich genau gleich überlegen, ob die Behaup-
tung gegebenenfalls belegt werden könne, wie jemand der über einen
Dritten ehrenrührige Äusserungen abgebe.
c) Die Beschwerdeführerinnen vertreten sodann die Auffassung,
der Umstand, dass ihnen vom Verwaltungsgericht keine Einsicht in
die Offerte der B. AG, namentlich in die Referenzliste, gewährt
werde, stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Einen
ausdrücklichen Antrag auf Einsicht in diese Beilage haben sie indes-
sen nicht gestellt.
2. a) Das Verwaltungsgericht hat sich bereits in einem früheren
Fall in grundsätzlicher Weise mit dem Anspruch auf Akteneinsicht
im Submissionsverfahren auseinandergesetzt (vgl. Beschluss vom
7. Mai 1998 in Sachen ARGE A., publiziert in: ZBl 99/1998,
S. 527 ff.). Es ist auf dem Wege der Auslegung zum Ergebnis ge-
kommen, dass die spezialgesetzlichen Vorschriften der §§ 2 und 20
Abs. 2 und 3 SubmD aufgrund der wesensmässigen Besonderheiten
des Submissionsverfahrens das Akteneinsichtsrecht sowohl im erst-
instanzlichen Submissionsverfahren als auch im Submissionsbe-
schwerdeverfahren abschliessend regelten, weshalb für die Anwen-
dung der allgemeinen die Akteneinsicht betreffenden Bestimmungen
des VRPG, namentlich § 16 VRPG, kein Raum bleibe (ZBl 99/1998,
S. 530 ff.). In Bezug auf das Rechtsmittelverfahren im Besonderen
wurde festgehalten: ,,Die Verpflichtung der Rechtsmittelinstanz auf
den Untersuchungsgrundsatz (§ 20 VRPG) und eine eher grosszügige
Handhabung von § 20 Abs. 2 SubmD bieten im besonderen Kontext
2000
Submissionen
281
des Submissionsverfahrens genügend Gewähr für eine rechtsstaatlich
korrekte Rechtsfindung" (ZBl 99/1998, S. 33). Ein Anspruch des
unterlegenen Anbieters auf Einsichtnahme in Konkurrenzofferten sei
wegen der damit verbundenen Gefahr der Verletzung von Geschäfts-
oder Fabrikationsgeheimnissen bereits auf generell-abstrakter Ebene
ausgeschlossen worden, indem der Dekretsgeber den
Geheimhaltungsinteressen grösseres Gewicht eingeräumt habe (ZBl
99/1998, S. 535).
b) Die vorliegendenfalls hauptsächlich streitige Frage, ob und
wieweit einem nicht berücksichtigten Anbietenden von der Verga-
bestelle eingeholte Referenzauskünfte offen zu legen sind, beurteilt
sich somit ausschliesslich nach den §§ 2 und 20 Abs. 2 und 3
SubmD.
aa) Nach § 2 Satz 1 SubmD behandelt die Vergabestelle die
Angaben und Unterlagen der Anbietenden vertraulich. Vorbehalten
bleiben die nach dem Zuschlag zu veröffentlichenden Mitteilungen
und die den nicht berücksichtigten Anbietenden zwingend zu er-
teilenden Auskünfte. Gemäss § 20 Abs. 2 SubmD gewährt die Verga-
bestelle den nicht berücksichtigten Anbietenden nach erfolgtem Zu-
schlag Einsicht in das Öffnungsprotokoll und das Verzeichnis der be-
reinigten Schlusssummen und erteilt ihnen auf Gesuch hin umgehend
Auskünfte (vgl. § 20 Abs. 2 lit. a - e SubmD) über das angewandte
Vergabeverfahren, den Namen der berücksichtigten Anbietenden, den
Preis des berücksichtigten Angebots, die wesentlichen Gründe für die
Nichtberücksichtigung und die Eigenschaften und Vorteile des
berücksichtigten Angebots. Diese Einsichts- und Auskunftsrechte
stehen dem nicht berücksichtigten Teilnehmer an einer Submission
unabhängig von einem Beschwerdeverfahren zu. Sie sollen ihn
zusammen mit der Begründung des Vergabeentscheids in die Lage
versetzen, sachgerecht über eine allfällige Beschwerdeerhebung zu
entscheiden und eine allfällige Beschwerde in Kenntnis der
Entscheidgründe substanziert einreichen zu können (AGVE 1998,
S. 426 ff.). Im Beschwerdeverfahren richtet sich die Akteneinsicht
2000
Verwaltungsgericht
282
ebenfalls nach § 20 Abs. 2 SubmD, geht aber insofern weiter, als
grundsätzlich Einsicht in alle entscheidrelevanten und vom Gericht
nicht als vertraulich im Sinne von § 2 Satz 1 SubmD qualifizierten
Aktenstücke - wie generell die Offerten sowie im Einzelfall Unterla-
gen der Vergabestelle, die vertraulich zu behandelnde Angaben über
die Anbietenden enthalten - zu gewähren ist.
bb) aaa) Von der Vergabestelle von Dritten eingeholte, negativ
ausgefallene Referenzauskünfte können beim erfolglosen Anbieten-
den ein wesentlicher Grund für die Nichtberücksichtigung im Sinne
von § 20 Abs. 2 lit. d SubmD sein. Beim Zuschlagsempfänger kön-
nen sich Referenzauskünfte zu seinen Gunsten ausgewirkt haben und
insofern - im weiteren Sinn - unter die Eigenschaften und Vorteile
des berücksichtigten Angebots gemäss § 20 Abs. 2 lit. e SubmD
fallen. Mithin ist das Auskunftsrecht in Bezug auf Referenzaus-
künfte, die die Vergabestelle von Dritten erhalten hat, im Grundsatz
zu bejahen.
bbb) Soweit Auskünfte zu erteilen sind, ist grundsätzlich auch
Einblick in die einschlägigen Akten zu geben. Die Vergabestelle
kann sich bei ihren Unterlagen, seien es von ihr selbst erstellte Te-
lefonnotizen über Referenzauskünfte oder von Dritten erhaltene
schriftliche Referenzangaben, nicht darauf berufen, es handle sich
hierbei um verwaltungsinterne Akten, dies jedenfalls dann nicht,
wenn die im betreffenden Papier enthaltenen Informationen beim
Vergabeentscheid Berücksichtigung gefunden haben. In diesen Fäl-
len kommt dem Aktenstück Bedeutung für die verfügungswesentli-
che Sachverhaltsfeststellung zu; es hat Beweischarakter (vgl. ZBl
99/1998, S. 528 f.; BGE 115 V 303; Alfred Kölz / Jürg Bosshart /
Martin Röhl, VRG, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz
des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, § 8 N 66 ff., mit weite-
ren Hinweisen).
ccc) § 20 Abs. 2 SubmD gebietet der Vergabestelle aber weder
die Herausgabe von Unterlagen an die Anbietenden noch schreibt er
vor, dass die zusätzlichen Auskünfte zwingend schriftlich zu erteilen
2000
Submissionen
283
sind. Anlässlich der Beratung von § 20 SubmD im Grossen Rat
wurde ein Antrag, der die Vergabestelle verpflichten wollte, den nicht
berücksichtigten Bewerbern nicht nur Einsicht in das Öff-
nungsprotokoll und das Verzeichnis der bereinigten Schlusssummen
zu gewähren, sondern diese Unterlagen den Submissionsteilnehmern
gleich auch (zusammen mit dem Vergabeentscheid) zuzustellen,
abgelehnt (vgl. Protokoll der 184. Sitzung des Grossen Rates vom
26. November 1996, S. 621). Ein weitergehender Anspruch lässt sich
grundsätzlich auch aus dem in Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 4 Abs. 1
aBV gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör und dem sich
daraus ergebenden Recht auf Akteneinsicht nicht ableiten. Dieses
Recht umfasst den Anspruch, die Akten, in die Einsicht gewährt
werden muss, am Sitz der Behörde einzusehen und davon Notizen zu
machen, nicht aber den Anspruch auf Aushändigung der Akten (BGE
122 I 112; Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 8 N 72). Aus dem Recht auf
rechtliches Gehör ergibt sich immerhin der Anspruch, auf einem
Kopiergerät der Verwaltung Fotokopien gegen Gebühren selbst
herzustellen, soweit es für die Verwaltung zu keinem
unverhältnismässigen Aufwand führt (BGE 116 Ia 327 f. mit
Hinweisen; AGVE 1995, S. 363 f.). Beim anwaltlich vertretenen
Gesuchsteller werden die Akten allerdings in der Regel dem Rechts-
vertreter zum Studium ausgehändigt (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 8
N 72). Der Anbietende hat somit Anspruch darauf, dass die ihm
gemäss § 20 Abs. 2 SubmD zwingend zustehenden Informationen
von der Vergabebehörde zumindest mündlich erteilt werden, und er
ist berechtigt, in dem Umfang, in dem die Auskunftspflicht besteht,
Einsicht in die entsprechenden Akten der Vergabestelle zu nehmen.
cc) aaa) Der Anspruch auf Auskunft bzw. Akteneinsicht besteht
nicht unbeschränkt. Die Auskunft und damit auch die entsprechende
Akteneinsicht können nach § 20 Abs. 3 SubmD verweigert werden,
wenn öffentliche Interessen verletzt würden (lit. a) oder wenn be-
rechtigte wirtschaftliche Interessen der Anbietenden beeinträchtigt
oder der lautere Wettbewerb zwischen ihnen verletzt würde (lit. b).
2000
Verwaltungsgericht
284
Die um Auskünfte bzw. Akteneinsicht angegangene Behörde hat
somit eine Abwägung zwischen den Interessen des unberücksichtigt
gebliebenen Anbietenden an der Auskunftserteilung und allenfalls
entgegenstehenden öffentlichen Interessen sowie den privaten Inte-
ressen von Mitanbietenden und - insbesondere im hier zu beurtei-
lenden Fall von Referenzauskünften - allfälligen Drittpersonen vor-
zunehmen.
bbb) Der von einer nachteiligen Referenzauskunft, die mit zu
seiner Nichtberücksichtigung beim Zuschlag geführt hat, betroffene
Anbietende hat zweifellos ein sehr erhebliches Interesse, zu erfahren,
welches der genaue Inhalt dieser Auskunft war und wer sie erteilt
hat. Damit er sich gegen die im Rahmen eines Submissionsverfahren
erteilten, seiner Ansicht nach ungerechtfertigt schlechten oder sogar
falschen Referenzauskünfte wehren kann, muss er zunächst wissen,
was ihm vorgeworfen wird. Hinzu kommt, dass eine negative
Referenzauskunft nicht nur im konkreten Submissionsverfahren eine
Rolle spielt, sondern unter Umständen auch eine wettbewerbsrele-
vante Handlung im Sinne des UWG sein kann (vgl. Peter Galli /
Daniel Lehmann / Peter Rechsteiner, Das öffentliche Beschaffungs-
wesen in der Schweiz, Zürich 1996, Rz. 716).
ccc) Dem Interesse des Anbietenden, über Referenzgeber und
Inhalt der Referenzauskunft informiert zu werden, steht das (öffent-
liche) Interesse der Vergabestelle gegenüber, die jeweiligen Refe-
renzgeber nicht offen legen zu müssen. Referenzauskünfte sind in
der Vergabepraxis für die Beurteilung eines Anbieters bzw. eines An-
gebots von erheblicher Bedeutung. Die Vergabestellen sind auf ob-
jektive und wahrheitsgemässe Auskünfte angewiesen. Die vom Ab-
wasserverband geäusserte Befürchtung, falls Informationen von Re-
ferenzpersonen offen gelegt werden müssten, sei es in Zukunft un-
möglich, offene und kritische Auskünfte zu erhalten, lässt sich nicht
von vornherein als unbegründet abtun. Die Möglichkeit, dass im
Wissen um die spätere Bekanntgabe keine oder nur noch nichtssa-
2000
Submissionen
285
gende Referenzauskünfte erteilt werden, ist nicht gänzlich zu ver-
neinen.
Zum öffentlichen Interesse der Vergabestelle an der Geheim-
haltung gesellt sich das private Interesse des Referenzgebers, unge-
nannt zu bleiben. Ihm können aus dem Umstand, dass Auskünfte, die
er der Vergabestelle auf deren Anfrage hin über einen bestimmten
Anbieter erteilt hat, diesem später offen gelegt werden, gewisse Un-
annehmlichkeiten erwachsen. Negative Reaktionen lassen sich
jedenfalls nicht ausschliessen. Anderseits darf diese Gefahr auch
nicht überbewertet werden. Wenn der Referenzgeber die Auskünfte,
um die er nachgefragt worden ist, nach bestem Wissen und Gewissen
erteilt und nicht einfach unbewiesene Behauptungen zu Lasten eines
Anbietenden in den Raum stellt, sondern gemachte negative Äusse-
rungen auch zu belegen vermag, dürfte er in der Regel nachteilige
Reaktionen nicht ernsthaft zu befürchten haben, auch wenn in Ein-
zelfällen solche natürlich nicht ausgeschlossen werden können. Auch
der Vergabestelle nützen im Übrigen nur wahrheitsgemässe, in der
Sache zutreffende Referenzangaben.
ddd) Wägt man die beteiligten Interessen gegeneinander ab,
gelangt man zum Schluss, dass im Normalfall das Interesse des nicht
berücksichtigten Anbietenden an der Offenlegung belastender Refe-
renzauskünfte erheblich grösser und gewichtiger ist als die Interessen
der Vergabestelle und des Referenzgebers an der Geheimhaltung. Die
blosse Gefahr von Unannehmlichkeiten im Besonderen vermag die
Geheimhaltung des Informanten nicht zu rechtfertigen. Allfällige
Kritik, Widerspruch oder Richtigstellung seitens des Betroffenen hat
der Informant hinzunehmen (Alexander Dubach, Das Recht auf
Akteneinsicht, Berner Diss., Zürich 1990, S. 124 ff. mit Hinweisen;
ders., in: Kommentar zum schweizerischen Datenschutzgesetz, hrsg.
von Urs Maurer / Nedim Peter Vogt, Basel 1995, Art. 9 N 17). Eine
vergleichbare Situation besteht im Übrigen im Arbeitsrecht, wo der
Arbeitnehmer als Stellenbewerber gestützt auf Art. 8 des Bundesge-
setzes über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) vom 19. Juni
2000
Verwaltungsgericht
286
1992 grundsätzlich Anspruch auf Einsicht in das Personaldossier und
auch auf vollständige und richtige Auskunft über eingeholte
Referenzauskünfte hat. Falls über die eingeholte Referenzauskunft
keine schriftliche Aktennotiz erstellt wird, hat der Bewerber An-
spruch auf wahrheitsgemäss und vollständige mündliche Information
(Hans Ueli Schürer, Datenschutz im Arbeitsverhältnis, Rechte und
Pflichten nach neuem Datenschutzgesetz, Zürich 1996, S. 126; vgl.
auch Manfred Rehbinder, Berner Kommentar VI 2/2/1, Der Arbeits-
vertrag, Einleitung und Kommentar zu den Art. 319-330 a OR, Bern
1985, Art. 330a N 27). Überwiegen könnten die privaten Interessen
des Referenzgebers an der Geheimhaltung ausnahmsweise dann,
wenn im konkreten Fall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihm
seitens des betroffenen Anbietenden nicht bloss Unannehmlichkei-
ten, sondern eigentliche Nachstellungen, Anfeindungen oder rechts-
widrige Beeinträchtigungen drohen (Dubach, Akteneinsicht, S. 129
mit Hinweisen). Die Gefahr solch massiver Konsequenzen für den
Referenzgeber dürfte im Bereich des öffentlichen Vergabewesens
indessen selten gegeben sein.
eee) Verlangt der unberücksichtigt gebliebene Anbieter, auch
über die den Zuschlagsempfänger betreffenden Referenzen bzw.
Referenzauskünfte informiert zu werden, kann ihm ein schützens-
wertes Interesse grundsätzlich ebenfalls nicht abgesprochen werden.
Die Referenzen können - wie erwähnt (Erw. bb/aaa hievor) - auch
Vorteile des berücksichtigten Angebots (bzw. Anbieters) sein, über
die grundsätzlich genauso Auskunft zu erteilen ist. Der unterlegene
Anbieter kann beispielsweise geltend machen, sein erfolgreicher
Konkurrent sei aufgrund falscher Referenzauskünfte viel zu gut be-
urteilt worden und habe den Zuschlag zu Unrecht erhalten. Bei Aus-
künften über Mitanbietende gilt § 2 Satz 1 SubmD, wonach Angaben
und Unterlagen der Anbietenden vertraulich zu behandeln sind. Von
Dritten erteilte Referenzauskünfte über den Zuschlagsempfänger
fallen - zwar nicht als Angaben der Anbietenden selbst, aber als An-
gaben
über
die Anbietenden, was im vorliegenden Zusammenhang
2000
Submissionen
287
gleich zu werten ist - ebenfalls unter § 2 Satz 1 SubmD; indessen
dürfte hier der Anspruch des nicht berücksichtigten Anbietenden auf
Auskunft gemäss § 20 Abs. 2 lit. e SubmD regelmässig vorgehen
(vgl. auch § 2 Satz 2 SubmD). In der Regel lauten die Referenzanga-
ben über den Zuschlagsempfänger ohnehin positiv und können schon
deshalb ohne Weiteres offen gelegt werden, und im Normalfall sind
in solchen Auskünften auch keine Geschäfts- oder Fabrikationsge-
heimnisse usw. enthalten. Von den Anbietenden selbst zusammen mit
der Offerte eingereichte Referenzauskünfte Dritter, Referenzlisten
sowie Listen über Referenzobjekte sind grundsätzlich Bestandteile
des Angebots. Als solche wären sie an sich generell, das heisst ohne
Interessenabwägung im Einzelfall, vom Akteneinsichtsrecht ausge-
nommen (Erw. a hievor). Die generelle Verweigerung der Akten-
einsicht in solche selbst eingereichten Referenzen würde nun aller-
dings zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbe-
handlung mit den von Dritten eingeholten Referenzauskünften füh-
ren; das Geheimhaltungsinteresse im Sinne der Wahrung von Ge-
schäfts- oder Fabrikationsgeheimnissen oder Kalkulationsgrundla-
gen, das die Hauptmotivation für den Ausschluss der Konkurrenz-
offerten von der Akteneinsicht bildet, dürfte auch in jenen Fällen
regelmässig bedeutungslos sein. In Präzisierung der bisherigen
Rechtsprechung ist daher festzuhalten, dass in Bezug auf von den
Anbietenden selbst als Bestandteil ihres Angebots eingereichte Refe-
renzen, Referenzlisten oder Listen von Referenzobjekten grundsätz-
lich - vorbehältlich der Wahrung der erwähnten Geheimhaltungsin-
teressen - ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht.
dd) Es stellt sich die weitere Frage, in welchem Umfang im Zu-
sammenhang mit Referenzauskünften Auskunft bzw. Akteneinsicht
zu gewähren ist (vgl. auch Erw. bb/bbb und ccc hievor). Die kurze
Begründung des Vergabeentscheids gemäss § 20 Abs. 1 SubmD zu-
sammen mit den gemäss § 20 Abs. 2 SubmD von der Vergabebe-
hörde zu erteilenden zusätzlichen Auskünften muss den Anbietenden
über die wesentlichen Gründe für seine Nichtberücksichtigung ins
2000
Verwaltungsgericht
288
Bild setzen und es ihm ermöglichen, sachgerecht über eine Be-
schwerdeerhebung zu entscheiden. In Bezug auf Referenzauskünfte
genügt es hiefür im Regelfall, wenn der Betroffene von der Vergabe-
stelle Auskunft darüber erhält, auf welche frühere Arbeitsleistung
sich die belastende Referenzangabe bezieht und was im Einzelnen
bemängelt wurde. In entsprechendem Umfang ist ihm auch Einsicht
in vorhandene Unterlagen zu gewähren. Die Vergabestelle darf sich
also nicht darauf beschränken, dem betreffenden Anbieter mitzutei-
len, gemäss Referenzauskünften sei ihr bekannt, dass er verschie-
dentlich Termine nicht eingehalten habe (eine solche Mitteilung mag
für die Kurzbegründung der Zuschlagsverfügung nach § 20 Abs. 1
SubmD noch genügen), sondern sie muss ihm konkret sagen, wann
und wo - z. B. auf welchen Baustellen - es seinetwegen zu Termin-
verzögerungen gekommen ist. Nur so kann er sich gegebenenfalls
gegen die Vorwürfe wehren und beispielsweise geltend machen, dass
zwar tatsächlich Terminverzögerungen aufgetreten, diese jedoch
nicht von ihm, sondern von einem anderen Unternehmer oder vom
Bauherrn selbst verursacht worden seien. Nicht erforderlich ist hin-
gegen in der Regel, dass auf der Stufe der Vergabe dem Anbieter
auch der Name der Referenzperson bekannt gegeben wird (vielfach
wird ein Rückschluss auf die Person allerdings ohnehin nicht zu
vermeiden sein). Entscheidet sich der betroffene Anbieter anschlies-
send zur Beschwerdeerhebung, weil er die erteilten Referenzaus-
künfte als unrichtig erachtet, ist ihm dagegen im Rahmen des Be-
schwerdeverfahrens grundsätzlich vollumfänglich Auskunft über die
Referenzauskünfte, einschliesslich der Person des Referenzgebers, zu
erteilen und auch entsprechend Akteneinsicht zu gewähren. Nur so
kann der Beschwerdeführer seine Möglichkeiten und Rechte im
Beschwerdeverfahren richtig wahrnehmen. Eine Beschränkung
rechtfertigt sich in diesem Verfahrensstadium nur noch ausnahms-
weise, sei es, im Fall von Referenzen betreffend den Zuschlagsemp-
fänger, weil die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen usw. auf dem
Spiele steht, oder sei es, weil Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der
2000
Submissionen
289
Referenzgeber bei namentlicher Bekanntgabe mit rechtswidrigen
Beeinträchtigungen durch den Beschwerdeführer zu rechnen hätte.
3. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall
ergibt was folgt:
a) Bei der Beschwerdebeilage 9 handelt es sich um die von den
Beschwerdeführerinnen eingereichte Referenzliste der M. AG. Die
beiden Listen sind von der Vergabestelle mit handschriftlichen An-
merkungen versehen worden, bei denen es sich im Wesentlichen um
stichwortartige Notizen über drei telefonisch eingeholte Refe-
renzauskünfte betreffend die M. handelt. Der Vergabeentscheid
zugunsten der B. AG wird unter anderem damit begründet, dass sich
bei der Firma M. AG Referenzpersonen in Bezug auf die Qualität als
auch in Bezug auf die Abwicklung der Bauvorhaben unterschiedlich
geäussert hätten. Schwachpunkte (teilweise Mühe mit Terminen,
Regiewesen und Ähnlichem) seien vor allem bei der Abwicklung der
Bauaufträge erwähnt worden. Die Beschwerdeführerinnen stellen in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde diese Aussagen in Abrede; sie
bestreiten, Mühe mit Terminen und mit dem Regiewesen zu haben
oder gehabt zu haben. Ihr Interesse, Einsicht in die sie belastenden
Telefonnotizen zu nehmen, um sich konkret gegen die erhobenen
Vorwürfe wehren und diese substanziert widerlegen zu können, ist
bei diesem Sachverhalt erheblich und offensichtlich, während die ge-
genläufigen Interessen der Vergabestelle und der Referenzgeber sich
im üblichen Rahmen bewegen und somit von eher untergeordneter
Bedeutung sind (vgl. Erw. 2/b/cc/ccc hievor). Anhaltspunkte dafür,
dass die Referenzgeber mit rechtswidrigen Nachstellungen oder Be-
einträchtigungen seitens der Beschwerdeführerinnen zu rechnen
hätten, bestehen keine. Die Beschwerdebeilage 11 wird gebildet aus
dem Bericht und dem Vergabeantrag der T. AG zuhanden des Ab-
wasserverbands. Der Bericht enthält unter anderem eine Zusammen-
fassung betreffend die Referenzauskünfte der E. AG, der M. AG und
der B. AG und - im vorliegenden Zusammenhang der wesentlichste
und heikelste Teil - ,,Auskünfte über Offertsteller". Die Akteneinsicht
2000
Verwaltungsgericht
290
erweist sich bezüglich der die E. AG und B. AG betreffenden
Angaben als unbedenklich, da alle eingeholten Auskünfte durchwegs
positiv sind und auch keine geschäftlichen oder betrieblichen Details
genannt werden. In Bezug auf die M. AG sind - mit Ausnahme der
Feststellung bei den Hochbau-Referenzen ,,Auskunftsperson gibt
keinen Kommentar!" - keine Angaben enthalten, die über die in
Beilage 9 enthaltenen Informationen hinausgehen würden. Die übri-
gen Feststellungen des Berichts, soweit sie die vorliegendenfalls
relevanten Baumeisterarbeiten betreffen, sind allgemeiner Natur und
enthalten nichts, das einer Einsichtnahme entgegenstehen würde.
Dasselbe gilt grundsätzlich für die Beilagen bzw. Anhänge 1 - 7 zur
Beilage 11, mit Ausnahme von Beilage 5 (Bestätigung Bonitätsnach-
weis der B. AG). | 5,027 | 4,139 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-67_2000-02-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-67.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-67.pdf | AGVE_2000_67 | null | nan |
d93570e7-b2a4-51d5-bb59-bd9241341b9e | 1 | 412 | 871,866 | 983,577,600,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
284
64 Baubewilligungspflicht.
- Bei der Beurteilung der Bewilligungspflicht ist die Frage der Recht-
mässigkeit unerheblich (Erw. 1/b).
- Ein Wand-Klimagerät hat als Baute im Sinne von § 6 Abs. 1 lit. a
BauG zu gelten und untersteht deshalb der Baubewilligungspflicht
gemäss § 59 Abs. 1 BauG (Erw. 1/b).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. März 2001
in Sachen M. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. Umstritten ist, ob die Installation eines vom Beschwerdegeg-
ner an der südwestlichen Aussenfassade seines - am Wohnhaus an-
gebauten - zahntechnischen Labors montierten Wand-Klimageräts
des Modells ,,Toshiba RAS-09 EK/EA" mit einer Breite von 77 cm,
einer Höhe von 53 cm und einer Tiefe von 20 cm der Baubewilli-
gungspflicht unterliegt.
a) (Darlegung der Praxis [vgl. AGVE 2001 65 286])
In Ergänzung zu § 59 BauG hat der Regierungsrat in § 30
ABauV festgehalten, welche baulichen Änderungen - unter Vorbehalt
abweichender Nutzungsvorschriften für bestimmte Schutzzonen -
keiner Baubewilligung im ganzen Gemeindegebiet (Abs. 1) oder in
den Bauzonen (Abs. 2) bedürfen. Klimaanlagen sind in diesen Be-
stimmungen nicht enthalten. Die Beurteilung hat somit ausschliess-
lich nach Massgabe von Art. 22 Abs. 1 RPG bzw. § 59 Abs. 1 BauG
zu erfolgen.
b) Das Baudepartement hat die Baubewilligungspflicht im We-
sentlichen mit folgender Begründung verneint: Das Aussengerät der
fraglichen Klimaanlage erzeuge einen maximalen Geräuschpegel von
46 dB, und zwar gemessen in einem Meter Entfernung vom Kom-
pressor. In der Dorfkernzone, in welcher die beiden Grundstücke
gelegen seien, gelte die Empfindlichkeitsstufe III, und die entspre-
chenden Planungswerte betrügen 60 dB(A) am Tag und 50 dB(A) in
der Nacht. Die Lärmemissionen des Kompressors lägen somit unter
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
285
den Planungswerten. Am Ort der Einwirkung sei die Unterschreitung
noch deutlicher. Dies zeige, dass die von der Klimaanlage verursach-
ten Immissionen kein Ausmass annähmen, das als ,,erheblich" im
Sinne von § 6 Abs. 1 lit. h BauG bezeichnet werden könne. Dazu
komme, dass die Klimaanlage nur tagsüber zwischen drei bis fünf
Stunden in Funktion sei, und dies auch nur in den Sommermonaten
Juli und August.
Diese Argumentation krankt vor allem daran, dass das Baude-
partement zirkelschlussartig die Prüfung der Bewilligungsfähigkeit
vorwegnimmt, indem es feststellt, dass beim fraglichen Gerätetyp die
Planungswerte gemäss LSV nicht erreicht seien, und aus dem Ergeb-
nis folgert, die Baubewilligungspflicht sei nicht gegeben. Dieses
Vorgehen ist schon im Ansatz nicht richtig. Das Gesetz knüpft die
Baubewilligungspflicht bewusst ausschliesslich an das Vorhanden-
sein einer ,,Baute" an, unbesehen von deren Rechtmässigkeit. Es geht
ja namentlich auch darum, das Spektrum der baubewilligungspflich-
tigen Vorkehren derart weit zu öffnen, dass Drittbetroffene Gelegen-
heit erhalten, ihre Interessen in das Verfahren einzubringen. Werden
bereits in dieser Vorstufe Fragen der Rechtmässigkeit mitbeurteilt,
sind die nachbarlichen Rechtsschutzansprüche nicht mehr gewährlei-
stet. Eine strikte Trennung zwischen Bewilligungs
pflicht
und Bewil-
ligungs
fähigkeit
ist daher unumgänglich.
Für das Verwaltungsgericht ist nicht zweifelhaft, dass Wand-
Klimageräte ganz allgemein, d. h. unabhängig vom Gerätetyp, unter
den Bautenbegriff fallen. Bauten sind u.a. ,,alle weiteren, künstlich
hergestellten und mit dem Boden fest verbundenen Objekte" (§ 6
Abs. 1 lit. a BauG). Unter diese Begriffsumschreibung kann ein Kli-
magerät, wie es hier in Frage steht, zwangslos subsumiert werden
(der vom Baudepartement angeführte § 6 Abs. 1 lit. h BauG ist hier
kaum anwendbar, da damit primär Anlagen wie Sportplätze oder
Motocross-Pisten gemeint sind [vgl. die regierungsrätliche Botschaft
vom 21. Mai 1990 zur Totalrevision des Baugesetzes vom 2. Februar
1971, S. 11 zu § 3]). Damit steht nach Art. 22 Abs. 1 RPG bzw. § 59
Abs. 1 BauG fest, dass die Baubewilligungspflicht für das Klimage-
rät zu bejahen ist. Dies erscheint auch unter dem Gesichtspunkt der
Immissionsträchtigkeit derartiger Geräte gerechtfertigt. Ein starkes
2001
Verwaltungsgericht
286
Indiz bildet in dieser Beziehung der Umstand, dass Klimaanlagen in
den Katalog derjenigen Bauten und Anlagen aufgenommen worden
sind, für welche in der LSV Belastungsgrenzwerte festgelegt sind
(vgl. deren Anhang 6 Ziff. 1 Abs. 1 lit. e). Die erwähnten Prospekt-
unterlagen zeigen denn auch, dass bei den Aussengeräten Ge-
räuschpegel bis zu 60 dB möglich sind. Dass Bauten und Anlagen,
welche in den Anhängen der LSV aufgeführt sind, generell einer
vorgängigen Kontrolle im Baubewilligungsverfahren sollen unterzo-
gen werden können, ist als Umkehrschluss auch aus § 30 ABauV
ableitbar. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass Bauten und Anla-
gen, welche Immissionen erzeugen, auch dem Vorsorgeprinzip ge-
mäss Art. 11 Abs. 2 USG genügen müssen (Robert Wolf, Umstritte-
nes Lärmschutzrecht: Alltagslärm - kantonale Lärmschutzvorschrif-
ten - Bestimmungen von Empfindlichkeitsstufen im Einzelfall, in:
URP 1994, S. 99); unter diesem Titel ist etwa denkbar ein Gerät wie
das hier in Frage stehende auf dem Dach oder an einer sonst weniger
exponierten Lage anzubringen. Auch für derartige Beurteilungen ist
ein vorgängiges Baubewilligungsverfahren erforderlich. Die Vorin-
stanzen haben daher die Baubewilligungspflicht zu Unrecht verneint. | 1,313 | 1,026 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-64_2001-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-64.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-64.pdf | AGVE_2001_64 | null | nan |
d9e3f7ac-89ad-52d6-b1da-bb606c9fab2b | 1 | 412 | 870,479 | 988,848,000,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
286
[...]
65 Baubewilligungspflicht.
- Gesetzliche Vorgaben und allgemeine Grundsätze (Erw. 1/a).
- Die Durchführung des einmal jährlich stattfindenden Flugwettbe-
werbs "Die schrägen Vögel des Hallwilersee" bedarf keiner Baube-
willigung (Erw. 1/b und c).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 10. Mai 2001
in Sachen S. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. Zu prüfen ist ausschliesslich die Frage, ob die 1997 und 1998
unter der Bezeichnung ,,Die schrägen Vögel des Hallwilersee" ein-
mal jährlich in Meisterschwanden durchgeführte und für 1999 ge-
plante Veranstaltung der Baubewilligungspflicht unterliegt.
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
287
a) Bauten und Anlagen dürfen nur mit behördlicher Bewilligung
errichtet oder geändert werden (Art. 22 Abs. 1 RPG). Alle Bauten
und ihre im Hinblick auf die Anliegen der Raumplanung, des
Umweltschutzes oder der Baupolizei wesentliche Umgestaltung,
Erweiterung oder Zweckänderung bedürfen der Bewilligung durch
den Gemeinderat (§ 59 Abs. 1 BauG). Nach § 6 Abs. 1 BauG gehö-
ren zu den Bauten im Sinne des Gesetzes:
,,a) alle Gebäude und gebäudeähnlichen sowie alle weiteren, künstlich
hergestellten und mit dem Boden fest verbundenen Objekte;
b) Tiefbauten;
c) Hütten, Buden, Baracken, Kioske, Waren- und andere Automaten,
Schaukästen und dergleichen;
d) Wohnwagen, die länger als zwei Monate auf dem gleichen Grund-
stück abgestellt werden;
e) Steinbrüche, Kies- und andere Gruben;
f) Terrainveränderungen von mehr als 80 cm Höhe oder von grosser
flächenhafter Ausdehnung;
g) Ablagerungen und Deponien;
h) Freizeit- und andere Anlagen mit erheblichen Auswirkungen auf
Umwelt und Umgebung."
Nach der in Rechtsprechung und Lehre üblichen Umschreibung
gelten als ,,Bauten und Anlagen" jedenfalls jene künstlich geschaffe-
nen und auf Dauer angelegten Einrichtungen, die in bestimmter
fester Beziehung zum Erdboden stehen und die Nutzungsordnung zu
beeinflussen vermögen, weil sie entweder den Raum äusserlich er-
heblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt be-
einträchtigen (BGE 113 I 315; vgl. ferner BGE 123 II 259; 120 Ib
379; 119 Ib 226 mit weiteren Hinweisen; Alexander Ruch, in: Kom-
mentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, hrsg. von Heinz
Aemisegger/Alfred Kuttler/Pierre Moor/Alexander Ruch, Zürich
1999, Art. 22 N 24 ff.; Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-,
Bau- und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 514;
Christophe Fritzsche/Peter Bösch, Zürcher Planungs- und Baurecht,
2. Auflage, Zürich 2000, S. 449 f.). Dazu gehören auch Fahrnisbau-
ten, welche über nicht unerhebliche Zeiträume ortsfest verwendet
werden (BGE 123 II 259; 119 Ib 226 mit Hinweisen). Weil Bauten
2001
Verwaltungsgericht
288
und Anlagen grundsätzlich zonenkonform sein müssen, fallen sodann
auch nicht mit baulichen Massnahmen oder Geländeveränderungen
verbundene, äusserlich nicht in Erscheinung tretende Nutzungs- bzw.
Zweckänderungen unter die Baubewilligungspflicht (BGE 113 Ib
223; 119 Ib 227; VGE III/50 vom 28. April 2000 [BE.2000.00033] in
Sachen A., S. 7).
Die Praxis fasst die Baubewilligungspflicht eher weit und lässt
jedenfalls die blosse Möglichkeit, dass ein baurechtlich erheblicher
Tatbestand vorliegt, genügen, weil es erfahrungsgemäss schwer hält,
eine einmal vollzogene Änderung, selbst wenn sie widerrechtlich ist,
beseitigen oder anpassen zu lassen. Ein Abbruch, eine Beseitigung
oder eine Betriebseinstellung sind in der Regel auch wirtschaftlich
nicht unproblematisch (BGE 114 Ib 313 f.; AGVE 1994, S. 362 f.
und 1990, S. 244 ff., je mit Hinweisen; VGE III/141 vom 16. Okto-
ber 1998 [BE.98.00246] in Sachen L., S. 4 f.). Das Bundesgericht hat
festgehalten, bei der Frage der Bewilligungspflicht komme es auf die
räumliche Bedeutung eines Vorhabens insgesamt an (vgl. dazu und
zum Folgenden BGE 119 Ib 226 f., ferner auch BGE 123 II 259 f.;
Fritzsche/Bösch, a.a.O., S. 447). Die Baubewilligungspflicht soll der
Behörde die Möglichkeit verschaffen, das Bauprojekt vor seiner
Ausführung auf die Übereinstimmung mit der raumplanerischen Nut-
zungsordnung und der übrigen einschlägigen Gesetzgebung zu über-
prüfen. Massstab dafür, ob eine Massnahme erheblich genug ist, um
sie dem Baubewilligungsverfahren zu unterwerfen, ist daher, ob da-
mit im Allgemeinen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, so
wichtige räumliche Folgen verbunden sind, dass ein Interesse der Öf-
fentlichkeit oder der Nachbarn an einer vorgängigen Kontrolle be-
steht. In diesem Sinne hat das Bundesgericht die Erstellung einer
Wasserski-Anlage (BGE 114 Ib 87 f.), die Nutzung eines Grund-
stücks als Lagerplatz für Altmaterial (BGE 112 Ib 277 ff.) oder als
Motocrosstrainingsgelände (n.p. Urteil vom 22. April 1988 in Sachen
M.) für baubewilligungspflichtig erklärt. Ebenfalls bejaht hat es in
jüngerer Zeit die Baubewilligungspflicht für einen Hängegleiterlan-
deplatz (BGE 119 Ib 222 ff.). Zur Begründung führte das Bundesge-
richt aus, die als Hängegleiterlandeplatz benutzte Wiese sei zwar
weder künstlich geschaffen worden, noch würden sich darauf irgend-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
289
welche auf Dauer angelegte Einrichtungen befinden, die mit dem
Erdboden in fester Verbindung stünden. Die vorhandenen Hilfsmittel
(lose eingesteckte Fähnchen zur Markierung des Landekreises,
Stange mit Windsack) für sich allein würden keine Baubewilli-
gungspflicht rechtfertigen. Indessen stehe nicht die Baubewilligungs-
pflicht für die Landemarkierungen und die Stange mit dem Wind-
sack, sondern für den ganzen Landeplatz als solchen zur Diskussion.
Die regelmässige Benützung einer bisher hauptsächlich landwirt-
schaftlich genutzten Wiese für gewerbliche Zwecke oder für inten-
sive Freizeitaktivitäten habe häufig erhebliche Auswirkungen auf das
sie umgebende Gebiet und die vorhandene Infrastruktur, so dass eine
vorgängige Kontrolle durch die zuständigen Behörden nötig sei.
Besonders ins Gewicht falle im konkreten Fall, dass die Landungen
in unmittelbarer Nähe eines bedeutenden Flachmoors stattfänden und
allenfalls dessen Vegetation und Tierwelt beeinträchtigen könnten.
Überdies führe der Landeplatz zu zusätzlichem Verkehr auf den
heranführenden Strassen, und es werde eine angemessene Anzahl
von Parkplätzen in der Umgebung benötigt. Der Flugschulbetrieb er-
folge nicht nur sporadisch, sondern mit einer - zwar vom Wetter ab-
hängigen - Regelmässigkeit, und die Nutzung des fraglichen Landes
als Hängegleiterlandeplatz sei auf Dauer ausgerichtet. Die gesamten
Umstände zeigten, dass das fragliche Landstück durch die Verwen-
dung als Hängegleiterlandeplatz einer neuen, organisierten und auf
Dauer ausgerichteten Nutzung zugeführt werde, welche im Blick auf
die bedeutenden Auswirkungen auf die Umgebung - insbesondere
das benachbarte Flachmoor - und die Infrastruktur nach Art. 22 bzw.
24 RPG einer Baubewilligung bedürfe (BGE 119 Ib 227 f.). Auch
das Luzerner Verwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 25. Juni
1998 festgehalten, bei der Beurteilung der Baubewilligungspflicht
für einen Modellflugplatz würden weniger die baulichen Einrich-
tungen als vielmehr der Betrieb des Modellflugplatzes als solcher
und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Umgebung ins
Gewicht fallen (ZBl 101/2000, S. 416). Bewilligungstatbestand bil-
det in derartigen Fällen somit weniger die konstruktive Anlage als
die organisierte Nutzung (Ruch, a.a.O., Art. 22 N 28).
2001
Verwaltungsgericht
290
b) Bei der hier unter dem Gesichtspunkt der Baubewilligungs-
pflicht zu beurteilenden Veranstaltung unternehmen die Teilnehmer
ihre Flugversuche von einem Passagierschiff der Hallwilerseeflotte
aus, auf dem dafür ein Sprungturm bzw. eine Rampe befestigt wird.
Während sich der eigentliche Wettbewerb somit auf dem See ab-
spielt, befindet sich der grosse Teil der Zuschauer - 1997 handelt es
sich um ca. 2'500 Personen und 1998 um rund 5'000 Personen, und
mit rund 5'000 Zuschauern wurde auch für 1999 gerechnet - im
Strandbad Meisterschwanden auf den Parzellen Nrn. 1090 und 1408.
Es ist auch seitens des Beschwerdeführers unbestritten, dass für die
Durchführung der Veranstaltung keine auf Dauer angelegten bauli-
chen Massnahmen im Sinne der Erstellung von zusätzlichen Bauten
und Anlagen erforderlich sind. Immerhin rechnet der Beschwerde-
führer angesichts der künftig zu erwartenden Zuschauerzahlen mit
zusätzlichen provisorischen Bauten bei der vom Anlass benötigten
Infrastruktur (Verpflegung, WC-Anlagen). Die Baubewilligungs-
pflicht begründet der Beschwerdeführer indessen hauptsächlich mit
den erheblichen Aus- bzw. Einwirkungen auf Raum und Umwelt, die
nach seiner Auffassung mit dem Anlass verbunden sind. Bei der
Veranstaltung ,,Die schrägen Vögel des Hallwilersee" handle es sich
zweifellos um eine relativ regelmässige, organisierte, auf eine be-
stimmte Dauer angelegte, intensive und örtlich konzentrierte Nut-
zung mit gravierenden Auswirkungen auf den betroffenen Raum.
Namentlich die bestehende Infrastruktur (Parkierungsanlagen) werde
massiv überlastet und die normale Nutzung des als Erholungsgebiets
für die Bevölkerung vorgesehenen und auch dienenden Sees bzw.
Seeufers durch den zonenwidrigen ,,Grossanlass" praktisch ausge-
schlossen.
c) Es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass der streitige Flug-
wettbewerb vor allem auch wegen des mit ihm verbundenen grossen
Besucheraufmarsches bzw. Verkehrsaufkommens kurzfristig mit er-
heblichen, teilweise sogar massiven (negativen) Auswirkungen auf
das Gebiet des Strandbads Meisterschwanden und die umliegende
Gegend verbunden ist. Insofern findet mit dem Grossanlass in der Tat
örtlich konzentriert eine organisierte Nutzung eines bestimmten
Gebiets mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Umgebung
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
291
bzw. auf die Umwelt statt. Dies allein genügt nun aber nicht, um die
Baubewilligungspflicht zu bejahen. Eine solche setzt nach der Recht-
sprechung u.a. voraus, dass die bauliche Einrichtung oder die Nut-
zung auf Dauer oder zumindest für einen nicht unerheblichen Zeit-
raum angelegt ist. Die zeitliche Erheblichkeit wurde beispielsweise
bejaht bei auf einem Grundstück jährlich während mehreren Wochen
oder Monaten installierten Einrichtungen, die einer Person als Be-
hausung dienten (Urteil des Verwaltungsgericht Zürich vom 28. Juni
1996, in: Rechenschaftsbericht [RB] 1996 Nr. 83). Verneint wurde
die zeitliche Erheblichkeit demgegenüber für das Aufstellen eines
Pneukrans, der während einer Woche als Bungy-Jumping-Einrich-
tung genutzt werden sollte. Die rechtsanwendende Behörde wies in
diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Element der Dauerhaf-
tigkeit über einen nicht unerheblichen Zeitraum konstitutiv dafür sei,
um eine Einrichtung oder Nutzung eines Grundstücks als Anlage im
baurechtlichen Sinne bezeichnen zu können. Das Aufstellen des
Pneukrans und die damit verbundene Nutzung als Bungy-Jumping-
Einrichtung sei von derart kurzer Dauer, dass nicht gesagt werden
könne, dass damit wichtige räumliche Folgen verbunden seien. Der
Kran verschwinde nach wenigen Tagen wieder, so dass sich keine
Auswirkungen auf die Nutzungsordnung ergeben könnten. Auch
umweltrechtlich sei die kurzfristige Nutzung nicht relevant (Urteil
des Verwaltungsgerichts Graubünden vom 24. November 1993, in:
Praxis des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden [PVG]
1993 Nr. 20). Als planungs- und baurechtlich in aller Regel nicht
relevant werden auch das einmalige Aufstellen eines Wohnzeltes für
wenige Tage oder der Aufbau von Festhütten, Tribünen, Bühnen und
dergleichen für befristete Anlässe wie Sportveranstaltungen, Kon-
zerte und dergleichen angesehen (Christian Mäder, Das Baubewilli-
gungsverfahren, Diss. Zürich 1991, S. 95; Fritzsche/Bösch, a.a.O.,
S. 450; Verwaltungsgericht Zürich, in: RB 1996, Nr. 83, S. 161).
Auch das Bundesgericht setzt in seiner Rechtsprechung voraus, dass
die der Baubewilligungspflicht unterliegende Nutzung bzw. Einrich-
tung auf eine gewisse Dauer und Regelmässigkeit ausgerichtet ist
(BGE 119 Ib 228; 123 II 260).
2001
Verwaltungsgericht
292
Der Anlass ,,Die schrägen Vögel des Hallwilersee" findet nur
einmal jährlich an einem Samstag(abend) statt. Das heisst, die ge-
samte Veranstaltung (einschliesslich Beach-Party bis 1.00 oder
2.00 Uhr morgens) dauert höchstens 24 Stunden, der Flugwettbewerb
als eigentlicher Kernanlass sogar noch wesentlich weniger lang. Die
Besucher der Veranstaltung halten sich somit nur kurze Zeit in
Meisterschwanden auf. Damit fehlt klarerweise die für eine Baube-
willigungspflicht erforderliche Dauerhaftigkeit der Nutzung. Zusätz-
lich bauliche Einrichtungen (z.B. Tribünen) sind - wie erwähnt - für
die Durchführung des Wettbewerbs ohnehin nicht vorgesehen. So-
weit der Beschwerdeführer auf die wegen der Zuschauerzahlen mög-
licherweise erforderlich werdenden zusätzlichen Bauten für die In-
frastruktur (Verpflegungsstände, WC-Anlagen) verweist, ist festzu-
halten, dass es sich hierbei lediglich um provisorische Bauten han-
deln kann, die nach Beendigung des Anlasses (dafür) nicht mehr
benötigt und innert weniger Tage wieder entfernt werden. Auch
ihnen fehlt damit klarerweise das Element der Dauer. Sollten indes-
sen solche provisorische Bauten und Anlagen nach dem Flugwettbe-
werb für längere Zeit bestehen bleiben und in anderem Zusammen-
hang (weitere Veranstaltungen, Badebetrieb usw.) genutzt werden, so
stellt sich die Frage der Baubewilligungspflicht für die einzelnen
Einrichtungen losgelöst vom hier zu beurteilenden Anlass. Dasselbe
gilt für die als Parkierungsanlagen beanspruchten Wiesengrundstücke
in Seeufernähe. Werden diese während der Bade- und Schiff-
fahrtsaison z.B. an den Wochenenden regelmässig als zusätzliche
Abstellflächen für Fahrzeuge benützt, kann sich die Frage der Bau-
bewilligungspflicht für eine derartige Nutzung, der dann wohl auch
die erforderliche zeitliche Erheblichkeit zukommt, durchaus stellen.
Hierbei handelt es sich indessen um eine vom vorliegenden Fall, bei
dem es ausschliesslich um die Baubewilligungspflicht der eintägigen
Flugveranstaltung selbst geht - auch wenn der Beschwerdeführer die
Baubewilligungspflicht insbesondere mit den Verkehrs- und Parkie-
rungsfolgen des Anlasses und der Inanspruchnahme von Abstellflä-
che ausserhalb des Baugebiets begründet -, unabhängige Fragestel-
lung. | 3,163 | 2,566 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-65_2001-05-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-65.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-65.pdf | AGVE_2001_65 | null | nan |
da32fbed-0a5a-55f5-87c7-c376c81bc7a5 | 1 | 412 | 870,433 | 1,380,672,000,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht,AbteilungVerwaltungsgericht
142
[...]
29
Anwendbarkeit des Freizügigkeitsabkommens bei Doppelbürgerschaft
Verfügt eine Person sowohl über die Staatsangehörigkeit der Schweiz als
auch diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft,
kommt das FZA zur Anwendung. Das AuG gilt nur insoweit, als das FZA
keine abweichenden Bestimmungen enthält oder das AuG eine vorteilhaf-
tere Rechtsstellung vorsieht (Erw. 2.1.).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 22. Oktober
2013 in Sachen A. und B. gegen das Amt für Migration und Integration
(WBE.2012.1060). | 142 | 109 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-29_2013-10-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-29.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-29.pdf | AGVE_2013_29 | null | nan |
da81164e-5208-5343-8361-a18e7800eb02 | 1 | 412 | 870,995 | 962,582,400,000 | 2,000 | de | 2000
Submissionen
315
[...]
72
Ausschluss eines Anbieters gemäss § 28 SubmD.
- Voraussetzungen für einen Durchgriff verneint, da rechtsmiss-
bräuchliche Verwendung der betroffenen AG nicht nachgewiesen
(Erw. 2/d).
- Bei der Beschäftigung von Schwarzarbeitern ist davon auszugehen,
dass sowohl gegen § 3 Abs. 1 lit. a SubmD verstossen wird als auch
der Ausschluss- bzw. Widerrufsgrund von § 28 Abs. 1 lit. c SubmD
erfüllt ist (Erw. 3).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 14. Juli 2000 in
Sachen S. gegen Verfügung des Gemeinderats Aarburg.
Aus den Erwägungen
2. a) Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die Vergabestelle
Anbietende, die Steuern oder Sozialabgaben nicht bezahlt haben
(lit. c) oder die sich in einem Konkursverfahren befinden (lit. f), vom
Verfahren aus oder widerruft den Zuschlag. Der Ausschluss eines
fehlbaren Anbieters ist zwingend (Protokoll des Grossen Rates [Prot.
GR] vom 26. November 1996, Art. 1995, S. 622 [Votum Küng]).
b) Im vorliegenden Verfahren ein Angebot eingereicht und dafür
den Zuschlag erhalten hat die G. AG. Dabei handelt es sich um eine
am 24. Dezember 1996 gegründete (Statutendatum) und ins
Handelsregister eingetragene (Tagebucheintrag) Aktiengesellschaft.
Bei der Gründung übernommen wurden die ,,Aktiven und Passiven
(ohne Immobilien und Hypotheken) der B. AG, gemäss Bilanz per
30.6.1996 und Vertrag vom 24.12.1996, wonach die Aktiven
2000
Verwaltungsgericht
316
Fr. '688'618.74 und die Passiven Fr. 1'318'435.85 betragen, zum Preis
von Fr. 370'182.89, wofür 100 Namenaktien zu Fr. 1'000.-- ausgege-
ben und Fr. 270'182.89 als Forderung gutgeschrieben werden" (vgl.
Handelsregisterauszug). Einziges Mitglied des Verwaltungsrates ist
gemäss Handelregisterauszug H.
c) aa) Fest steht zunächst, dass sich die Zuschlagsempfängerin
nicht in einem Konkursverfahren befindet. Dies wird auch vom Be-
schwerdeführer nicht behauptet, hingegen macht er jedenfalls sinn-
gemäss geltend, die Zuschlagsempfängerin sei Teil eines Firmen-
konglomerats, das von H. beherrscht werde, und welchem betrügeri-
scher Konkurs vorgeworfen werde.
bb) Aufgrund der Akten ist hierbei im Wesentlichen von der
folgenden Vorgeschichte auszugehen: Der A. AG waren vier Ge-
schäftseinheiten angeschlossen, die als Profitcenters geführt wurden.
Die Profitcenters wurden in einer einzigen Rechnungslegung der A.
AG geführt. Im Jahr 1996 wurden die vier Geschäftseinheiten in vier
neugegründete Aktiengesellschaften ausgelagert. Gegründet wurden
die D. AG, E. AG, F. AG und G. AG. H. ist in allen vier Gesellschaf-
ten (einziges) Verwaltungsratsmitglied mit Einzelunterschrift. In
diesen vier Aktiengesellschaften wurde das operative Geschäft zu-
sammengefasst. In der Folge wurde die A. AG durch Statutenände-
rung vom 20. November 1996 zur Immobilien- und Holdinggesell-
schaft unter der neuen Firmenbezeichnung B. AG. Sie war zunächst
Eigentümerin der neu gegründeten Gesellschaften; diese wurden
dann auf die C. AG übertragen. Einziger zeichnungsberechtigter
Verwaltungsrat der C. AG war bzw. ist H. Dabei wurde der B. AG
mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Haftungssubstrat entzogen. Über
die B. AG wurde Anfang 1998 der Konkurs eröffnet. Das Oberge-
richt des Kantons Solothurn kam in diesem Zusammenhang zum
Schluss, durch die Ausgliederung der operativen Gesellschaften und
die Übertragung dieser Gesellschaften an die C. AG habe eine Ver-
mögensminderung zulasten der B. AG stattgefunden; die Rede ist
auch von betrügerischem Konkurs.
2000
Submissionen
317
cc) Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat vor diesem
Hintergrund einen der Firma G. AG am 18. August 1998 erteilten
Zuschlag für Gärtnerarbeiten (Bepflanzung) im Betrag von
Fr. 389'329.25 auf Beschwerde hin gestützt auf § 11 des Gesetzes
über öffentliche Beschaffungen (Submissionsgesetz [SubmG]) vom
22. September 1996 widerrufen. Begründet wurde der Widerruf,
damit dass sich die Firma durch Ausgliederung von vier operativen
Gesellschaften und nachfolgende Übertragung dieser Gesellschaften
auf eine Aktiengesellschaft ihrer Pflichten nach § 11 lit. c SubmG
(Bezahlung von Steuern und Sozialabgaben) entzogen und auch § 11
lit. b SubmG (Erteilen von falschen Auskünften) verletzt habe.
d) aa) Die G. AG befindet sich - wie schon festgestellt (Erw.
c/aa hievor) - unbestrittenermassen nicht in einem Konkursverfah-
ren. Ein sich direkt bzw. unmittelbar auf § 28 Abs. 1 lit. g SubmD
stützender Ausschluss vom Verfahren bzw. ein Widerruf des Zu-
schlags kommt daher nicht in Betracht. Es stellt sich aber die Frage,
ob die Tatsache, dass der alleinige Verwaltungsrat der G. AG, H., der
beim Konkurs der B. AG (vormals A. AG) massgeblich und mögli-
cherweise sogar in strafrechtlich relevanter Weise beteiligt war, einen
Ausschluss rechtfertigen könnte. H. kommt im Rahmen des Firmen-
konglomerats zweifellos die beherrschende Rolle zu. Bei der G. AG,
der B. AG und H. handelt es sich indessen klarerweise um verschie-
dene und rechtlich von einander unabhängige Rechtssubjekte. Das
heisst, die G. AG wird rechtlich grundsätzlich weder durch den Kon-
kurs der B. AG noch durch damit im Zusammenhang stehende all-
fällige strafbare Handlungen von H. tangiert. Nur ausnahmsweise -
als sogenannter Durchgriff - wird die Eigenschaft der Gesellschaft
als eigenes Rechtssubjekt rechtlich nicht beachtet. Das ist aber nur
der Fall, wenn die Gesellschaft von einem alleinigen oder beherr-
schenden Aktionär als Instrument benützt wird, um bestimmte
Rechtsvorschriften zu umgehen, wenn somit
Rechtsmissbrauch
oder
ein Verletzung von
Treu und Glauben
vorliegt (BGE 113 II 36 mit
weiteren Hinweisen; Theo Guhl, Das Schweizerische Obligationen-
2000
Verwaltungsgericht
318
recht, 9. Auflage, bearbeitet von Alfred Koller / Anton K. Schnyder /
Jean Nicolas Druey, Zürich 2000, § 65 Rz. 18, S. 705; Peter Böckli,
Schweizer Aktienrecht, 2. Auflage, Zürich 1996, Rz. 1181a f.; Peter
Forstmoser / Arthur Meier-Hayoz / Peter Nobel, Schweizerisches
Aktienrecht, Bern 1996, § 62 N 47 ff.). Möglich ist diesfalls nicht
nur der
direkte
Durchgriff (Erfassung des Allein- oder Grossaktionärs
von den Pflichten der Gesellschaft), sondern auch der sogenannte
umgekehrte
(Erfassung der Gesellschaft von den Pflichten des
Aktionärs) und der
Quer-
Durchgriff (Erfassung von Gesellschaften,
die vom selben Aktionär abhängig sind).
bb) Vorliegendenfalls werden die verschiedenen, rechtlich als
Aktiengesellschaften verselbständigten Gartenbauunternehmen of-
fensichtlich durch die C. AG beherrscht, deren Gesellschaftszweck
u.a. auch ,,Beteiligungen" sind (Erw. c/bb hievor). Insofern liegt ein
Konzern oder zumindest ein konzernähnliches Gebilde vor (Guhl,
a.a.O., § 59 Rz. 40, S. 661). Beim Konzern gilt grundsätzlich die
formelle Betrachtungsweise, d. h. das Trennungsprinzip; die einzel-
nen Gesellschaften werden juristisch als separate Einheiten be-
trachtet. Dies bedeutet nicht, dass die Zugehörigkeit zu einem Kon-
zern irrelevant wäre. Die Praxis versucht, den wesentlichen Unzu-
kömmlichkeiten mit dem Durchgriff (vgl. Erw. aa hievor) zu begeg-
nen. Dabei erfolgt indessen vielfach nicht eine Beschränkung auf
offensichtlichen Rechtsmissbrauch, sondern es erscheint schon der
blosse Umstand der engen und dauernden Verbindung als solcher
geeignet, die Konzerngesellschaften unter bestimmten Aspekten als
rechtliche Einheit zu behandeln. Es findet in diesem Sinne je nach
anzuwendender Norm eine Zurechnung bestimmter Fakten zusätzlich
an andere Konzerngesellschaften statt; dabei können einer
Tochtergesellschaft auch bei der Muttergesellschaft eingetretene
Umstände zugeordnet werden (Guhl, a.a.O., § 59 Rz. 47 mit Bei-
spielen aus der bundesgerichtlichen Praxis).
Diese gesellschaftsrechtlichen Überlegungen liegen offen-
sichtlich auch dem erwähnten Widerrufsentscheid des Regierungsrats
2000
Submissionen
319
des Kantons Solothurn zugrunde, wenn dort festgestellt wird, durch
die Ausgliederung von vier operativen Gesellschaften und
nachfolgende Übertragung dieser Gesellschaften auf eine Aktienge-
sellschaft sei gegen § 11 lit. c SubmG verstossen worden, weshalb
der erteilte Zuschlag an die G. AG, also an eine der vier ausgeglie-
derten operativen Gesellschaften, zu widerrufen sei (vgl. auch
Erw. c/cc hievor).
cc) Im vorliegenden Fall wurde mit der dargestellten Gründung
der verschiedenen Aktiengesellschaften wahrscheinlich der B. AG in
rechtlich unzulässiger Weise Vermögenssubstrat entzogen (vgl. Erw.
c/bb hievor). Indessen lässt sich nicht sagen, die Gründung der G. AG
sei erwiesenermassen ausschliesslich zu diesem rechtsmiss-
bräuchlichen Zweck erfolgt. Die 1996 gegründete G. AG betreibt mit
einer Belegschaft von rund 20 Personen ein Gartenbauunternehmen,
das unter anderem seit mehreren Jahren auch in der Gemeinde Aar-
burg ohne Beanstandungen Gärtnerarbeiten ausführt. Zur G. AG in
Olten gehört auch das Garten-Center H. in A. Gemäss dem Schreiben
des Verbands Schweizerischer Gärtnermeister VSG an das Hochbau-
amt des Kantons Solothurn vom 2. Oktober 1998 wird die G. AG
,,zur Zeit als Vorzeigefirma schuldenlos präsentiert". Es bestehen
auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die G. AG zivil- oder kon-
kursrechtlich für die bei der B. AG eingetretene Vermögensvermin-
derung einstehen müsste. Vor diesem Hintergrund erscheint es trotz
der offensichtlichen wirtschaftlichen Verflechtungen nicht sachge-
recht, das Fehlverhalten des H. im Zusammenhang mit dem Konkurs
der B. AG und damit verbundenen Vermögenstransaktionen auch der
G. AG als juristisch eigenständiger Gesellschaft anzulasten und sie
deswegen von allen öffentlichen Vergabeverfahren auszuschliessen.
Auch wenn die Vergabestelle im vorliegenden Fall somit um das
Konkursverfahren der B. AG gewusst hat, bestand für sie deswegen
keine Verpflichtung zum Ausschluss der G. AG von der Vergabe.
e) Nach Angaben des Gemeinderats Aarburg waren ihm zum
Zeitpunkt des Entscheids über den Zuschlag keine Gründe bekannt,
2000
Verwaltungsgericht
320
die gegen eine Vergabe gegen die G. AG gesprochen hätten. Bei der
G. AG handelt es sich, wie ausgeführt, um ein Unternehmen, das der
Gemeinde bereits bekannt war, da es nebst diversen Gräbern von
privaten Auftraggebern auch die Gemeindegräber (Gräberfonds) auf
dem Friedhof in Aarburg besorgt. (...) Wenn die Vergabestelle daher
mangels konkreter Anhaltspunkte
keine Veranlassung sah, in Bezug
auf mögliche Ausschlussgründe nähere Abklärungen zu treffen, lässt
sich dies nicht beanstanden. Solche Abklärungen wurden auch bei
den übrigen Anbietern nicht gemacht. Allein die Tatsache, dass über
die B. AG ein Konkursverfahren eröffnet worden war, stellt jeden-
falls keinen konkreten Anhaltspunkt dar, der zwingend zusätzliche
Nachforschungen erfordert hätte. Beim von der Vergabestelle zu
betreibenden Aufwand zu berücksichtigen ist auch, dass es sich
umfangmässig um einen verhältnismässig kleinen Auftrag handelt.
Damit steht fest, dass der Gemeinderat Aarburg jedenfalls
zum
Zeitpunkt des Vergabeentscheids
keine Veranlassung hatte, die G. AG
vom Submissionsverfahren auszuschliessen, weshalb sich der Verga-
beentscheid, namentlich soweit er das Vorliegen eines Ausschluss-
grundes gemäss § 28 Abs. 1 SubmD verneint, nicht beanstanden
lässt. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde.
3. a) Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerdeergän-
zung geltend, bei der Firma G. AG sei eine Kontrolle betreffend
Schwarzarbeit durchgeführt worden, welche verschiedene nicht ge-
meldete Arbeitnehmer zu Tage gefördert habe. Dem Gemeinderat
war auch davon bei seinem Vergabeentscheid nichts bekannt.
b) Unter dem Begriff ,,Schwarzarbeit" ist im hier relevanten
Zusammenhang einerseits die illegale Beschäftigung von ausländi-
schen Arbeitskräften ohne Aufenthaltsbewilligung und anderseits die
Erzielung von (zusätzlichen) Arbeitseinkommen, auf die weder
Sozialversicherungen noch Steuern bezahlt werden, zu verstehen.
Die Vergabestelle vergibt nach § 3 Abs. 1 lit. a SubmD den
Auftrag nur an Anbietende, welche die am Ort der Leistung mass-
geblichen Bestimmungen über Arbeitsschutz und Arbeitsbedingun-
2000
Submissionen
321
gen einhalten. Die Vergabestelle ist berechtigt, die Einhaltung dieser
Bestimmungen zu kontrollieren oder kontrollieren zu lassen. Auf
Verlangen haben die Anbietenden deren Einhaltung zu bestätigen
oder nachzuweisen (§ 3 Abs. 2 SubmD).
Bei der Beschäftigung von Schwarzarbeitern ist davon auszu-
gehen, dass damit in aller Regel sowohl gegen § 3 Abs. 1 lit. a
SubmD verstossen wird als insbesondere auch der Ausschluss- bzw.
Widerrufsgrund von § 28 Abs. 1 lit. c SubmD (Nichtbezahlen von
Steuern und Sozialabgaben) erfüllt ist. Handelt es sich bei den be-
schäftigten Personen um Ausländer ohne Aufenthalts- oder Nieder-
lassungsbewilligung, wird auch den Vorschriften des Bundesgesetzes
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) vom
26. März 1931 zuwidergehandelt (vgl. Art. 3 Abs. 3, Art. 23 Abs. 4
ANAG). Ist die Beschäftigung von Schwarzarbeitern erwiesen, wird
ein erteilter Zuschlag in aller Regel allein schon wegen des Nichtbe-
zahlens der Sozialabgaben gestützt auf § 28 Abs. 1 lit. c SubmD zu
widerrufen sein. Der Gemeinderat Aarburg ist daher aufgrund des
Submissionsdekrets verpflichtet, den vom Beschwerdeführer in die-
sem Zusammenhang gegenüber der G. AG erhobenen Vorwürfen
(Beschäftigung von Schwarzarbeitern, Aus- bzw. Rückstände bei der
AHV-Ausgleichskasse) nachzugehen - allerdings nur soweit sie
konkret die Zuschlagsempfängerin, also die G. AG und das Garten-
Center, das ebenfalls zur G. AG gehört, betreffen - und zu prüfen, ob
ein Grund für einen Widerruf gemäss § 28 Abs. 1 SubmD des an die
G. AG erteilten Zuschlags vorliegt. Gegebenenfalls wäre der Zu-
schlag zu widerrufen. | 3,051 | 2,499 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-72_2000-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-72.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-72.pdf | AGVE_2000_72 | null | nan |
da83eaff-3770-5a16-b660-81d114a2b4e4 | 1 | 412 | 871,638 | 1,065,139,200,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsgericht
316
[...]
82
Zuständigkeit (öffentlicher Fussweg).
- Feststellungen, die sich auf einen im Grundbuch angemerkten öffent-
lichen Fussweg beziehen, haben auf dem Verwaltungsweg zu erfolgen
(Erw. 1/b).
- Sachzuständigkeit des Verwaltungsgerichts gestützt auf § 52 Ziff. 20
VRPG i.V.m. Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Erw. 1/c).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. Oktober 2003 in
Sachen G. und Mitb. gegen Baudepartement.
2003
Verwaltungsrechtspflege
317
Aus den Erwägungen
1. a) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein öffentli-
cher Fussweg entlang der Wyna. Der Fussweg wurde am 16. Mai
1937 als Anmerkung auf der Parzelle Nr. 125 (später Parzellen Nrn.
125 und 1906) in das Grundbuch eingetragen. Sein Verlauf ist aus
dem Situationsplan, der dem Grundbuchamt Kulm seinerzeit im Be-
reinigungsverfahren als Teil des Sammelbelegs u.a. zur Anmerkung
"Öffentlicher Fussweg laut Plan (östlich)" eingereicht worden ist,
ersichtlich. Unbestritten ist, dass der Fussweg so, wie er im erwähn-
ten Situationsplan sowie in sämtlichen neueren Situationsplänen
gestrichelt eingezeichnet ist, heute nur noch teilweise besteht, weil
sich der Lauf der Wyna seit der Begründung des öffentlichen Fuss-
wegrechts im Bereich der beiden erwähnten Grundstücke schritt-
weise in Richtung seiner linksufrigen Aussenkurve verschoben hat.
Der Streit dreht sich nun um die Frage, ob dem Fussweg, wie er
von der Öffentlichkeit derzeit auf den Parzellen Nrn. 125 und 1906
ersatzweise benutzt wird, auch ein entsprechendes Recht zu Grunde
liegt. Die Beschwerdeführer verneinen dies und stellen gestützt dar-
auf das Feststellungsbegehren, dass das öffentliche Fusswegrecht auf
ihren Grundstücken "solange nicht ausgeübt werden kann, bis die
laut Grundbuch gültige ursprüngliche Wegrechtsfläche wieder herge-
stellt ist".
b) Feststellungen, die sich in dieser Weise auf einen als öffent-
lich behaupteten Fussweg beziehen, haben auf dem Verwaltungsweg
und nicht durch das Zivilgericht zu erfolgen, wenn wie im vorliegen-
den Falle die Rechtsbegründung nicht dienstbarkeitsvertraglich (in
Form einer Gemeindedienstbarkeit) und mit entsprechendem
konstitutiv wirkendem Eintrag im Grundbuch (Peter Liver, Die
Dienstbarkeiten und Grundlasten, Kommentar zum ZGB, Zürich
1968, Art. 731 N 2), sondern auf der Basis einer verwaltungsrechtli-
chen Vereinbarung erfolgt ist, deren Anmerkung im Grundbuch über
eine Hinweisfunktion nicht hinausgeht (BGE 124 III 213 mit Hin-
weisen; AGVE 1992, S. 27 ff.). Das Baudepartement hat seine sach-
liche Zuständigkeit daher zu Recht bejaht. Ein Fragezeichen ist le-
diglich zur funktionellen Zuständigkeit zu setzen, sind doch Streitig-
2003
Verwaltungsgericht
318
keiten um öffentliche Fusswege im Kompetenzkatalog von § 2
Abs. 1 lit. d der Delegationsverordnung vom 8. November 1982
(SAR 153.111) nicht enthalten (die Annahme des Baudepartements,
der angefochtene Beschluss des Gemeinderats Oberkulm vom
16. September 2002 sei "in Anwendung der Baugesetzgebung, ein-
schliesslich der Gemeindebauvorschriften" ergangen, trifft offen-
sichtlich ebenfalls nicht zu). Die Frage kann aber offen bleiben, weil
die Nichtbeachtung der funktionellen Zuständigkeit keinen schweren
Verfahrensmangel darstellt, der die Nichtigkeit indizieren würde und
deshalb von Amtes wegen zu korrigieren wäre (VGE III/113 vom
21. Juli 2000 [BE.1998.00100] in Sachen K., S. 7), und eine entspre-
chende Rüge nicht erhoben worden ist.
c) Das Verwaltungsgericht beurteilt Beschwerden gegen letztin-
stanzliche Verfügungen und Entscheide der Verwaltungsbehörden
über Anordnungen im Einzelfall, bei denen Art. 6 Ziff. 1 EMRK
einen Anspruch auf richterliche Überprüfung gewährt und weder im
Kanton noch im Bund eine konventionsgemässe richterliche Prüfung
besteht (§ 52 Ziff. 20 VRPG). Beim Streit, ob ein öffentliches Fuss-
wegrecht besteht, haben die Eigentümer der davon betroffenen
Grundstücke gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK Anspruch auf Beur-
teilung durch ein Gericht, wobei das staatsrechtliche Beschwerdever-
fahren wegen der Überprüfungsbeschränkungen nicht genügt
(VGE III/65 vom 18. Juli 1995 [BE.1994.00144] in Sachen Einwoh-
nergemeinde H. u. Mitb., S. 5 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf die
einschlägige Rechtsprechung und Lehre; VGE III/10 vom 9. Februar
1999 [BE.1996.00030] in Sachen H., S. 5; siehe auch Michael Mer-
ker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem
aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar
zu den §§ 38-72 VRPG], Zürich 1998, § 52 N 9, 160). Die Sachzu-
ständigkeit des Verwaltungsgerichts ist somit ebenfalls gegeben. | 1,066 | 872 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-82_2003-10-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-82.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-82.pdf | AGVE_2003_82 | null | nan |
daa67250-f567-5554-9adb-f984ba62a9dc | 1 | 412 | 869,823 | 1,464,912,000,000 | 2,016 | de | 2016
Übriges Verwaltungsrecht
309
XII. Übriges Verwaltungsrecht
49
Zugang zu amtlichen Dokumenten
§ 5 IDAG stellt in Fällen, in denen um Zugang zu amtlichen Dokumenten
mit nicht anonymisierbaren Personendaten Dritter ersucht wird, keine
gesetzliche Grundlage im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. a IDAG da.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. Juni
2016 in Sachen Beauftragte für Öffentlichkeit und Datenschutz gegen Regie-
rungsrat (WBE.2015.190).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Das dem Verfahren zugrundeliegende Einsichtsgesuch stützt
sich auf § 5 IDAG. Demnach hat jede Person Zugang zu amtlichen
Dokumenten, unabhängig davon, welche Interessen sie mit diesem
Zugang verfolgt.
Ein amtliches Dokument liegt vor, wenn ein öffentliches Organ
Verfügungsmacht über das Dokument hat, sich das Dokument auf die
Erfüllung öffentlicher Aufgaben bezieht und sich die Informationen
auf einem beliebigen Informationsträger befinden (§ 3 Abs. 1 lit. a
IDAG).
1.2.
Der Gesuchsteller beantragte vorliegend Einsicht in den zwi-
schen dem KSD und der Vermieterschaft geschlossenen Mietvertrag.
Dieser Mietvertrag für eine als Asylunterkunft genutzte Liegenschaft
bezieht sich auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben und befindet
sich bei der kantonalen Verwaltung als Mieterin. Der Vertrag stellt
somit ein amtliches Dokument dar und untersteht grundsätzlich dem
Öffentlichkeitsprinzip.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
310
1.3. (...)
1.4.
Abgesehen von der allgemeinen Regelung der Zugangs-
beschränkung enthält § 6 Abs. 1 IDAG für amtliche Dokumente mit
Personendaten Dritter die Spezialregelung, wonach diese
Personendaten auszusondern oder zu anonymisieren sind.
Personendaten sind nach § 3 Abs. 1 lit. d IDAG alle Daten, die sich
auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen. Eine
Anonymisierung liegt erst vor, wenn die betroffene Person vernünf-
tigerweise nicht identifizierbar ist (J
ENNIFER
E
HRENSPERGER
, in:
U
RS
M
AURER
-L
AMBROU
/G
ABOR
P.
B
LECHTA
[Hrsg.], Basler Kom-
mentar zum Datenschutzgesetz/Öffentlichkeitsgesetz, 3. Aufl., Basel
2014, Art. 19 N 35 DSG). Ist dies nicht oder nur mit
unverhältnismässigem Aufwand möglich, ist für den Zugang zu den
Dokumenten § 15 IDAG zu beachten. Demnach geben öffentliche
Organe Privaten Personendaten nur bekannt, wenn
a) sie dazu gesetzlich verpflichtet sind, oder
b) die Bekanntgabe nötig ist, um eine gesetzliche Aufgabe
erfüllen zu können, oder
c) die um Auskunft ersuchende Person glaubhaft macht, dass
sie ohne die Bekanntgabe an der Durchsetzung von
Rechtsansprüchen gehindert wird, oder
d) die betroffene Person eingewilligt hat.
Ausserdem sind Personendaten weder zu anonymisieren bzw.
auszusondern noch ist der Zugang zu beschränken, wenn der Be-
troffene selber die Daten öffentlich zugänglich gemacht hat bzw.
wenn der öffentliche Zugang offensichtlich im Interesse des
Betroffenen liegt (§ 6 Abs. 3 IDAG).
1.5.
Der vorliegend zur Diskussion stehende Mietvertrag enthält
Personendaten im Sinn von § 6 IDAG, da sich der Vertragsinhalt
auch auf die Vermieterschaft bezieht. Zwar lassen sich im Vertrag
Name und Adresse der Vermieterschaft schwärzen. Aufgrund der
Öffentlichkeit des Grundbuchs einerseits sowie der bereits breit er-
folgten öffentlichen Berichterstattung andererseits ist aber der Name
der Vermieterschaft kein Geheimnis mehr bzw. lässt sich in jedem
2016
Übriges Verwaltungsrecht
311
Fall leicht eruieren. Sämtliche übrigen Personendaten im Vertrag las-
sen sich demzufolge, auch bei Schwärzung der Personalien, ohne
weiteres direkt der Vermieterschaft zuordnen. Während also die Ano-
nymisierung in Bezug auf Name und Adresse nichts bringt, würde
die Schwärzung der übrigen Daten, insbesondere der detaillierten
Mietkonditionen, keinen Sinn ergeben, weil gerade diese Angaben
die Öffentlichkeit und insbesondere den Gesuchsteller interessieren.
Damit liegt ein Dokument mit nicht anonymisierbaren Personendaten
vor.
2.
Zu klären ist vorliegend die Frage, ob gestützt auf § 6 Abs. 2 in
Verbindung mit § 15 IDAG der Mietvertrag als amtliches Dokument
mit darin enthaltenen, nicht anonymisierbaren Personendaten öffent-
lich zugänglich zu machen ist.
2.1.
2.1.1.
Der Kanton Aargau regelt in einem einzigen Gesetz sowohl das
Öffentlichkeitsprinzip (§§ 4-7 IDAG) wie auch den Datenschutz
(§§ 8-29 IDAG) und das Archivwesen (§§ 43-48 IDAG), mit allge-
meinen Bestimmungen für alle drei Bereiche (§§ 1-3 IDAG) und ge-
meinsamen Bestimmungen für Öffentlichkeitsprinzip und Daten-
schutz (§§ 30-42 IDAG). Die gemeinsamen Bestimmungen betreffen
dabei die beauftragte Person für Öffentlichkeit und Datenschutz so-
wie das Verfahren zur Überprüfung und Durchsetzung der sich aus
dem Gesetz ergebenden Ansprüche.
Während sich Einsichtsgesuche allgemein auf § 5 IDAG abstüt-
zen können, gelangt, sofern im Dokument Personendaten enthalten
sind, § 6 IDAG zur Anwendung. Demnach sind die Personendaten zu
anonymisieren. Falls dies nicht möglich ist, wird auf § 15 IDAG und
andere Erlasse verwiesen, welche den Zugang in solchen Fällen re-
geln.
Spezialgesetzliche Bestimmungen, welche einen Zugang zum
nicht anonymisierbaren Mietvertrag vorsehen, sind nicht ersichtlich.
2.1.2.
Die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 lit. c IDAG (Bekannt-
gabe erforderlich zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen) sowie
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
312
lit. d (Einwilligung der betroffenen Person) sind nicht erfüllt. Auch
§ 15 Abs. 1 lit. b IDAG (Notwendigkeit der Bekanntgabe zur Erfül-
lung einer gesetzlichen Aufgabe) ist nicht anwendbar. Diese Bestim-
mung entspricht derjenigen von Art. 19 Abs. 1 lit. a des Bundesgeset-
zes über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG; SR 235.1), wo-
bei die Formulierung dort etwas präziser lautet: "[...] die Daten für
den Empfänger im Einzelfall zur Erfüllung seiner gesetzlichen Auf-
gabe unentbehrlich sind".
Somit stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen nach § 15
Abs. 1 lit. a IDAG (gesetzliche Verpflichtung zur Bekanntgabe)
gegeben sind.
2.2.
2.2.1.
Ausgangspunkt der Auslegung eines Gesetzes bildet der Wort-
laut der Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist der Wortlaut
klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, darf davon nur abgewi-
chen werden, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, der
Wortlaut ziele am "wahren Sinn" der Regelung vorbei. Anlass für
eine solche Annahme können die Entstehungsgeschichte der Bestim-
mung (historisch), ihr Zweck (teleologisch) oder der Zusammenhang
mit andern Vorschriften (systematisch) geben. Ist der Text unklar
bzw. nicht restlos klar und bleiben verschiedene Interpretationen
möglich, muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht
werden. Dabei sind alle anerkannten Auslegungselemente zu berück-
sichtigen (Methodenpluralismus). Von Bedeutung sind insbesondere
der Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertun-
gen sowie der Sinnzusammenhang, in dem die Norm steht. Bleiben
bei nicht klarem Wortlaut letztlich mehrere Auslegungen möglich, ist
jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht. Auch eine
verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen aber am klaren
Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung (BGE 140 II 495,
Erw. 2.3 mit Hinweisen).
2.2.1.1.
Allein gestützt auf den Wortlaut lässt sich die vorliegende Frage
nicht beantworten. Von wesentlicher Bedeutung ist demgegenüber im
konkreten Fall das Zusammenspiel der §§ 5, 6 und 15 IDAG.
2016
Übriges Verwaltungsrecht
313
Systematisch enthält § 5 IDAG den Grundsatz der Öffentlichkeit
amtlicher Dokumente, wobei zur Beantwortung der Frage, ob Zu-
gangsbeschränkungen nötig sind, regelmässig eine Interessenabwä-
gung vorzunehmen ist (§ 5 Abs. 3 IDAG). § 6 IDAG enthält die
spezielle Regelung, sofern die Dokumente Personendaten enthalten.
In diesen Fällen ist grundsätzlich eine Aussonderung oder
Anonymisierung der Dokumente vorzunehmen. Ist dies nicht mög-
lich, besteht kein Zugangsrecht (Ausschluss der Öffentlichkeit), es
sei denn, der Zugang sei gestützt auf § 15 IDAG zu gewähren.
Aus systematischer Sicht erschiene es unlogisch, wenn auch das
in § 5 Abs. 1 IDAG verankerte Öffentlichkeitsprinzip als gesetzliche
Grundlage im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. a IDAG zu verstehen wäre.
Die spezielle Regelung in § 6 IDAG würde dadurch insoweit obsolet,
als alle amtlichen Dokumente mit nicht anonymisierbaren Personen-
daten mit dem "Umweg" über § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 15
Abs. 1 lit. a und § 5 Abs. 1 IDAG doch wieder zugänglich würden
(unter Vorbehalt der allgemeinen Zugangsbeschränkung nach § 5
Abs. 3 IDAG). Diese Lösung hätte, falls sie tatsächlich so gewollt
wäre, gesetzestechnisch deutlich einfacher geregelt werden können.
Entsprechend lässt sich aufgrund der Systematik darauf schliessen,
dass in § 15 Abs. 1 IDAG lediglich spezialgesetzliche Regelungen
ausserhalb des IDAG selber gemeint sind. Dies gilt umso mehr, als
andernfalls die Dokumente mit anonymisierbaren Personendaten
restriktiver gehandhabt würden als diejenigen mit nicht
anonymisierbaren Personendaten.
2.2.1.2.
Gemäss Botschaft hat das IDAG den Zweck, einerseits die
Transparenz der Verwaltung zu fördern, andererseits aber auch Per-
sönlichkeit und Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu
schützen und in diesem Zusammenhang den Missbrauch von Perso-
nendaten zu verhindern (Botschaft des Regierungsrats des Kantons
Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 24). Zwar
statuiert das Öffentlichkeitsprinzip ein allgemeines und jederzeitiges
Zugangsrecht zu amtlichen Dokumenten, für bestimmte Fälle sind je-
doch Einschränkungen vorgesehen (Botschaft des Regierungsrats des
Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180,
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
314
S. 30). In Bezug auf Personendaten wird zu § 6 IDAG in der Bot-
schaft ausgeführt, es sei hinsichtlich der Einschränkungen das
Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten. Vorenthalten werden dürfe
nur, was zur Wahrung überwiegender öffentlicher oder privater Inte-
ressen unbedingt notwendig sei. Unter Umständen sei den betroffe-
nen Interessen mit Auflagen, Bedingungen oder Fristen Rechnung zu
tragen oder je nachdem nur ein Teil der Akten zugänglich zu machen
(Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen
Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 31). Zu § 15 IDAG wird allerdings
ausgeführt, Privaten würden grundsätzlich keine Personendaten be-
kannt gegeben, weshalb ihnen konsequenterweise auch im Rahmen
des Öffentlichkeitsprinzips keine Einsicht in amtliche Dokumente zu
gewähren sei, wenn diese nicht anonymisierbare Personendaten ent-
halten (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den
Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 39).
Die Ausführungen in der Botschaft zu § 6 IDAG einerseits und
§ 15 IDAG widersprechen sich zwar teilweise. Die zitierte Aussage
zu § 15 IDAG betrifft allerdings genau die vorliegend zu beurtei-
lende Frage, weshalb ihr im Rahmen der Auslegung nach dem Willen
des Gesetzgebers ein erhöhtes Gewicht beizumessen ist.
2.2.1.3.
Sinn und Zweck des IDAG liegen zur Hauptsache darin, die
Interessen des Anspruchs auf umfassenden Zugang zu amtlichen Do-
kumenten einerseits und auf umfassenden Schutz der die
Privatsphäre betreffenden Personendaten andererseits aufeinander
abzustimmen. Zur Auflösung des dadurch entstehenden Zielkonflikts
enthält das IDAG in § 6 Abs. 2 eine Kollisionsnorm, wonach bei
amtlichen Dokumenten mit nicht anonymisierbaren Personendaten
Dritter ein grundsätzlicher Vorrang zugunsten des Datenschutzes be-
steht. Auch wenn bei Einführung des IDAG von einem richtungswei-
senden Wechsel vom Geheimhaltungsprinzip mit Öffentlichkeitsvor-
behalt hin zum Öffentlichkeitsprinzip mit Geheimhaltungsvorbehalt
die Rede war (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an
den Grossen Rat vom 6. Juli 2005, 05.180, S. 5) und mit diesem
Richtungswechsel dem Öffentlichkeitsprinzip ein hoher Stellenwert
eingeräumt wurde, kann somit nicht auf einen höheren Stellenwert
2016
Übriges Verwaltungsrecht
315
des Öffentlichkeitsprinzips im Vergleich zum Datenschutz geschlos-
sen werden.
2.2.1.4.
Gemäss Art. 13 Abs. 2 BV hat jede Person Anspruch auf Schutz
vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten. Gemäss Rechtsprechung
beinhaltet das verfassungsmässig geschützte Recht auf informatio-
nelle Selbstbestimmung, dass grundsätzlich ohne Rücksicht darauf,
wie sensibel die fraglichen Informationen tatsächlich sind, dem
Einzelnen die Herrschaft über seine personenbezogenen Daten zu-
steht (BGE 138 II 346, Erw. 8.2). Demnach muss jede Person gegen-
über fremder, staatlicher oder privater Bearbeitung und Speicherung
von sie betreffenden Informationen bestimmen können, ob und zu
welchem Zwecke diese Informationen über sie bearbeitet und gespei-
chert werden (BGE 140 I 2, Erw. 9.1). Der sachliche Anwendungsbe-
reich von Art. 13 Abs. 2 BV setzt somit voraus, dass Personendaten
bearbeitet werden. Als persönlich gelten alle Daten, die sich auf die
betroffene Person beziehen, also etwa auch Informationen über die
wirtschaftlichen Verhältnisse (E
VA
M
ARIA
B
ELSER
, in: E
VA
M
ARIA
B
ELSER
/A
STRID
E
PINEY
/B
ERNHARD
W
ALDMANN
, Datenschutz,
Grundlagen und öffentliches Recht, Bern 2011, § 6 N 31). Bearbeiten
stellt jeden Umgang mit personenbezogenen Angaben dar, insbeson-
dere auch die Weitergabe (B
ELSER
, a.a.O., § 6 N 95). Somit fällt die
Offenlegung des nicht anonymisierbaren Mietvertrags in den sachli-
chen Anwendungsbereich des Grundrechts auf informationelle
Selbstbestimmung. Im Gegensatz etwa zum Kanton Bern, wo ein
Grundrecht auf Zugang zu amtlichen Dokumenten statuiert ist (vgl.
Art. 17 Abs. 3 der Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993
[KV; BSG 101.1]), stellt der Zugang zu amtlichen Dokumenten im
Kanton Aargau lediglich ein Prinzip dar, auf das kein
verfassungsmässiger Anspruch besteht (vgl. die Einordnung von § 72
KV ausserhalb des Grundrechtskatalogs sowie Botschaft des Regie-
rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 6. Juli 2005,
05.180, S. 23), wohingegen sich das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung unter anderem aus internationalen Konventionen
(Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom
16. Dezember 1966 [SR 0.103.2] und EMRK) sowie der BV ergibt.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
316
Deshalb ist gestützt auf eine verfassungskonforme Auslegung für
einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-
mung eine klare gesetzliche Grundlage erforderlich. Eine solche ist
indessen im vorliegenden Kontext nicht erkennbar.
2.2.1.5.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass alle Auslegungs-
elemente den Schluss nahe legen, dass in Fällen, in denen um Zu-
gang zu amtlichen Dokumenten ersucht wird, die nicht anonymisier-
bare Personendaten Dritter enthalten, § 5 IDAG keine gesetzliche
Grundlage im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. a IDAG darstellt. Auch
wenn sich Gesuche um Zugang zu amtlichen Dokumenten in vielen
Fällen auf Dokumente beziehen, die nicht anonymisierbare
Personendaten enthalten, sind aufgrund des IDAG in der geltenden
Fassung solche Gesuche abzuweisen. Sollte es dem Willen des
Gesetzgebers entsprechen, dass auch nicht anonymisierbare Doku-
mente zugänglich zu machen sind, so hätte er dies - beispielsweise
wie der Bundesgesetzgeber mit Art. 19 Abs. 1
bis
DSG - entsprechend
zu legiferieren.
(...)
2.2.2.
Vorliegend wäre für einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen
Dokumenten mit nicht anonymisierbaren Personendaten Dritter eine
gesetzliche Grundlage Voraussetzung. Da eine solche jedoch nicht
vorhanden ist, stellt sich zusätzlich die Frage, ob der Mietvertrag auf-
grund des Verhältnismässigkeitsprinzips teilweise zugänglich ge-
macht werden soll. Ein solches Vorgehen ergibt jedoch keinen Sinn,
da Leistung und Gegenleistung in einem Austauschverhältnis
zueinander stehen, weshalb es wenig aussagekräftig wäre, nur ein-
zelne Verpflichtungen - beispielsweise ausschliesslich den Mietzins
- offen zu legen. Nachdem somit auch eine teilweise Zugänglichma-
chung nicht zielführend ist, ist die Beschwerde vollumfänglich abzu-
weisen. | 3,470 | 2,965 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-49_2016-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-49.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-49.pdf | AGVE_2016_49 | null | nan |
dac96da1-bd2b-5e70-a483-9577bbb51baf | 1 | 412 | 869,735 | 1,393,804,800,000 | 2,014 | de | 2014
Submissionen
187
VI. Submissionen
31
Ausstand; Verwirkung
-
Ausstandspflicht/Befangenheit
-
Ausstandsgründe sind beim Bekanntwerden sofort geltend zu ma-
chen. Ein Untätigbleiben oder eine Einlassung in ein Verfahren im
Wissen um das Vorliegen von Ausstandsgründen gilt als Verzicht und
führt zur Verwirkung des Anspruchs.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 13. März 2014 in Sachen
A. AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2013.362).
Aus den Erwägungen
6.
6.1. (...)
6.2.
Die Anbietenden haben im Vergabeverfahren Anspruch auf Be-
urteilung ihrer Offerten und Durchführung des gesamten Vergabever-
fahrens inkl. Zuschlagserteilung durch eine unabhängige und unvor-
eingenommene Vergabebehörde (vgl. Peter G
ALLI
/A
NDREAS
M
OSER
/E
LISABETH
L
ANG
/M
ARC
S
TEINER
, Praxis des öffentlichen
Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 1071
mit Hinweis). Gemäss § 4 Abs. 1 SubmD richtet sich der Ausstand
von Mitgliedern der Vergabestelle nach den Vorschriften des Verwal-
tungsrechtspflegegesetzes. Dieses bestimmt unter anderem, dass am
Erlass von Entscheiden nicht mitwirken darf, wer in der Sache ein
persönliches Interesse hat (§ 16 Abs. 1 lit. a VRPG) oder aus anderen
Gründen in der Sache befangen sein könnte (§ 16 Abs. 1 lit. e
VRPG).
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
188
Ausstandspflichtig ist nicht nur, wer selber verfügt oder
(mit-)entscheidet, sondern das Mitwirkungsverbot bezieht sich auf
alle Personen, die auf das Zustandekommen des Verwaltungsaktes
Einfluss nehmen können; dazu gehören namentlich auch Sach-
bearbeiter oder Protokollführer mit beratender Funktion. Insofern
kann in einem Submissionsverfahren auch eine aufgrund eines Auf-
tragsverhältnisses beigezogene und die Vergabebehörde beratende
externe Stelle (Ingenieur, Architekt etc.) eine Ausstandspflicht im
Sinne von § 16 VRPG treffen, insbesondere wenn er bezüglich der
Vergabe auch Antrag stellt. Die Ausstandspflicht betrifft im Übrigen
nur einzelne Personen und nicht ganze Behörden oder juristische
Personen (vgl. VGE III/95 vom 16. Juli 1998 [BE.98.00060], S. 17 f.
mit Hinweisen).
Die Ausstandsregeln sind im Grundsatz streng auszulegen, da
nur so ein faires, transparentes und für alle Beteiligten leicht
überprüfbares Auswahlverfahren bei Submissionen garantiert werden
kann, was sowohl unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit als
auch der Rechtsgleichheit aller Wettbewerbsteilnehmer und wirt-
schaftlichen Mitkonkurrenten stets von elementarer und zentraler Be-
deutung ist (AGVE 2012, S. 167; Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 30. Juni 2006 [U 06 65], Erw. 2.b). Zur
Annahme einer rechtlich unzulässigen Befangenheit genügt es, wenn
die gegebenen Umstände den Anschein derselben entstehen lassen;
ob eine solche tatsächlich besteht, muss nicht nachgewiesen werden.
Die Ausstandsgründe sind beim Bekanntwerden sofort geltend
zu machen. Ein Untätigbleiben oder eine Einlassung in ein Verfahren
im Wissen um das Vorliegen von Ausstandsgründen gilt als Verzicht
und führt grundsätzlich zur Verwirkung des Anspruchs (vgl. BGE
132 II 485, 496 f.; G
ALLI
/M
OSER
/L
ANG
/S
TEINER
, a.a.O., Rz. 1086
mit Hinweisen). Auch die Rüge der Befangenheit ist somit umgehend
anzubringen, d.h. zu dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene Kenntnis
von der für eine Befangenheit sprechenden Tatsache erhält. Es geht
nicht an, im Wissen um die Befangenheit zunächst das Ergebnis des
Vergabeverfahrens abzuwarten, um anschliessend - je nach Ergebnis
des Verfahrens - den Einwand der Befangenheit zu erheben. Ein sol-
ches Vorgehen verstösst gegen Treu und Glauben.
2014
Submissionen
189
6.3.
Im vorliegenden Fall ergeben sich aufgrund der vorliegenden
Verfahrensakten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die von der Be-
schwerdeführerin genannten C. und D. in irgendeiner Weise unmit-
telbar am vorliegenden Verfahren beteiligt waren oder darauf Ein-
fluss genommen hätten. Insofern erweist sich die gegen diese beiden
Personen gerichtete Befangenheitsrüge der Beschwerdeführerin als
unbegründet.
Hingegen ist offensichtlich, dass die E. AG bzw. deren
Mitarbeiter F. und G. in sehr erheblicher Weise an der Durchführung
des Vergabeverfahrens und an der Entscheidfindung mitgewirkt ha-
ben, auch wenn verantwortliche Vergabestelle letztlich der Gemein-
derat B. ist. Ob davon gesprochen werden kann, die E. AG habe als
neutrale Fachstelle die Vergabestelle "im vorliegenden Verfahren in
rein zudienender Weise unterstützt", erscheint fraglich. Die Tatsache,
dass die E. AG im vorliegenden Vergabeverfahren mitwirken würde,
war der Beschwerdeführerin bereits mit der Publikation der Aus-
schreibung bekannt, wird in Ziff. 1.1. der öffentlichen Ausschreibung
die E. AG doch ausdrücklich als Beschaffungsstelle/Organisator ge-
nannt. Dort namentlich erwähnt ist auch G.. Im von der E. AG
erstellten Pflichtenheft kommt deren Mitwirkung ebenfalls unmiss-
verständlich zum Ausdruck. Die Beschwerdeführerin begründet die
Voreingenommenheit bzw. Befangenheit der E. AG bzw. deren
Mitarbeiter ihr gegenüber mit Umständen, die sich bereits in den Jah-
ren 2011 und 2012 ereignet haben. Dies gilt für den Rechtsstreit der
Beschwerdeführerin gegen die H., in dem letztere von D. bzw. des-
sen Büropartner vertreten war, das sich in Bezug auf die
Beschwerdeführerin negativ äussernde Schreiben der E. AG (...) oder
die unterbliebene Einladung zur Submission der Gemeinde I. (...).
Die enge Verflechtung der E. AG mit der J. GmbH war ihr ohnehin
längst bekannt.
Die Beschwerdeführerin hatte somit bereits im Zeitpunkt der
öffentlichen Ausschreibung Kenntnis von den für eine Befangenheit
der E. AG bzw. deren Mitarbeiter sprechenden Tatsachen, weshalb
die entsprechende Rüge bereits im Rahmen der Anfechtung der
öffentlichen Ausschreibung hätte vorgebracht werden können und
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
190
müssen. Dies hat die Beschwerdeführerin indessen unterlassen und
ohne jeglichen Vorbehalt gegen die Mitwirkung der E. AG am Verga-
beverfahren ein Angebot eingereicht. Mithin ist von einer Verwir-
kung des Anspruchs auf die Geltendmachung des betreffenden Aus-
standsgrunds auszugehen. | 1,383 | 1,125 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-31_2014-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-31.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-31.pdf | AGVE_2014_31 | null | nan |
dad9f6fe-30ff-58c2-a65a-ea63223d45f2 | 1 | 412 | 871,668 | 1,527,897,600,000 | 2,018 | de | 2018
Wahlen und Abstimmungen
273
26
Ausstand
Tragweite der Ausstandspflicht bei Sachgeschäften in einer Gemeindever-
sammlung
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. Juni
2018, in Sachen B. gegen Gemeinde X. und DVI (WBE.2018.52).
Aus den Erwägungen
5.
5.1.
Selbst wenn sich die Teilnahme von Gemeinderätin C. und
ihren beiden Kindern an den fraglichen Abstimmungen auf deren Er-
gebnisse tatsächlich ausgewirkt hätte oder möglicherweise hätte aus-
wirken können, wäre der vorliegenden Beschwerde aus den nachfol-
gend dargelegten Gründen kein Erfolg beschieden.
5.2.
Da Ausstandsvorschriften wie § 25 GG immer eine Einschrän-
kung der demokratischen Mitwirkungsrechte der betroffenen
Stimmberechtigten bedeuten, sind sie restriktiv auszulegen. Das
heisst, dass nur die im Gesetzeswortlaut klar umschriebenen Perso-
nen in den Ausstand zu treten haben. Die Ausstandspflicht bezieht
sich sodann nur auf den Vorgang, vor der Abstimmung das Lokal
verlassen zu müssen; während der Beratung und Diskussion des Ver-
handlungsgegenstands bestehen die vollen Mitwirkungsrechte
(AGVE 2013, S. 526; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom
19. April 2018 [1C_596/2017]) Erw. 5.2).
5.3.
5.3.1.
Wie bereits erwähnt, ging es an der Einwohnergemeindever-
sammlung vom 22. Juni 2017 unter Traktandum 4 um einen Ver-
pflichtungskredit von Fr. 281'000.00 für die Sanierung der A.Strasse
yy-zz samt Werkleitungen und unter Traktandum 5 um einen Ver-
pflichtungskredit von Fr. 372'000.00 für die Sanierung des ge-
meindeeigenen Teilstücks der D.Strasse samt Werkleitungen. Gemäss
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
274
den Ausführungen in der Einladung zur Einwohnergemeindever-
sammlung vom 22. Juni 2017 dienen diese Projekte, welche auf der
Strassenzustandserfassung, der Werterhaltungsplanung sowie der
generellen Entwässerungsplanung basieren, der Instandstellung von
Teilabschnitten bestehender Strassen und der darin liegenden
Werkleitungen. Auf den fraglichen Abschnitten der A.Strasse und der
D.Strasse befinden sich die Wasser- und Kanalisationsleitungen in
einem schlechten Zustand, weshalb sie mitsamt den dazugehörigen
Schiebern bzw. Schächten ersetzt werden müssen. Ausserdem
müssen die gesamte Fundation, die Randabschlüsse und der Belag
der Strassen zustandsbedingt erneuert werden. Im technischen
Bericht betreffend die Erneuerung der A.Strasse yy-zz wurde
festgehalten, dass die A.Strasse Unebenheiten, Absenkungen, Risse
und Belagsschäden aufweist. Gleiches wurde im technischen Bericht
betreffend die Erneuerung der D.Strasse ausgeführt. Damit geht es
bei beiden Projekten lediglich um die Wiederherstellung des
ursprünglichen Zustands der Erschliessung.
5.3.2.
§ 25 Abs. 1 GG führt nicht bei jedem Geschäft mit finanziellen
Konsequenzen für einzelne Stimmberechtigte dazu, dass diese und
ihre Ehegatten bzw. eingetragenen Partner, ihre Eltern und ihre Kin-
der mit deren Ehegatten bzw. eingetragenen Partnern in den Ausstand
treten müssen. Vielmehr gibt es in den Zuständigkeitsbereich der Ge-
meindeversammlung fallende Gegenstände, bei denen § 25 GG nicht
zur Anwendung kommt, obwohl sie in mannigfacher Weise private
Interessen berühren (AGVE 1994, S. 546 f.). Nicht anwendbar ist
§ 25 GG insbesondere bei Traktanden betreffend Erschliessungs-
projekte der Gemeinde und deren Finanzierung (AGVE 1980,
S. 500). Dasselbe hat für Geschäfte zu gelten, bei denen es - wie im
vorliegenden Fall - nicht um die erstmalige Erschliessung von
Grundstücken, sondern um die Erneuerung bestehender Erschlies-
sungsanlagen, wie z.B. Strassen, Wasser- oder Abwasserleitungen,
geht. Diese Praxis steht im Einklang mit dem Grundsatz, dass Aus-
standsregeln bei Gemeindeversammlungen von der Natur der politi-
schen Rechte her nur zurückhaltend anzuwenden sind (Urteil des
Bundesgerichts vom 19. April 2018 [1C_596/2017]) Erw. 5.2).
2018
Wahlen und Abstimmungen
275
Selbst wenn die unter den Traktanden 4 und 5 vorgelegten Ge-
schäfte für Gemeinderätin C. direkte und genau bestimmte, insbeson-
dere finanzielle Folgen hätten, hätten sie und ihre beiden Kinder des-
halb nicht aufgrund von § 25 Abs. 1 GG in den Ausstand treten müs-
sen. Daran ändert nichts, dass Gemeinderätin C., deren Liegenschaft
A.Strasse yy (Parzelle yyy) auf der Ostseite an die D.Strasse grenzt,
über einen über die D.Strasse erreichbaren Autoabstellplatz mit
Rasengittersteinen verfügt und dort einen Autounterstand erstellen
sowie zusätzliche Rasengittersteine legen will.
5.4.
Aus dem Umstand, dass in den Unterlagen zur Einwohner-
gemeindeversammlung vom 7. Dezember 2017 unter dem Titel All-
gemeine Rechte des Stimmbürgers auf die Ausstandspflicht gemäss
§ 25 Abs. 1 GG hingewiesen wurde, kann entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers nicht geschlossen werden, dass Gemeinde-
rätin C. und ihre beiden Kinder an der Einwohnergemeindeversamm-
lung vom 22. Juni 2017 das Versammlungslokal vor den Abstimmun-
gen unter den Traktanden 4 und 5 jeweils hätten verlassen müssen.
Der Beschwerdeführer kann daraus nichts für sich ableiten. Die Ge-
meinden sind nicht verpflichtet, vor jeder Gemeindeversammlung in
allgemeiner Weise auf die Ausstandspflicht von § 25 GG hinzuwei-
sen. Es genügt, wenn dies vor den Abstimmungen geschieht, bei de-
nen die Ausstandspflicht in Frage steht.
5.5.
Demnach ist festzuhalten, dass Gemeinderätin C. und ihre bei-
den Kinder nicht verpflichtet waren, vor den Abstimmungen unter
den Traktanden 4 und 5 in den Ausstand zu treten. Die Beschwerde
wäre daher auch aus diesem Grund abzuweisen. | 1,272 | 971 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-26_2018-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-26.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-26.pdf | AGVE_2018_26 | null | nan |
db129835-69f6-5e11-8fc9-d70bf515101e | 1 | 412 | 871,775 | 1,212,537,600,000 | 2,008 | de | 2008
Verwaltungsgericht
242
40
Einstellung der materiellen Hilfe wegen Rechtsmissbrauchs.
-
Systematische Verletzung der Auflage / Weisung betreffend Stellen-
suche.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 12. Juni 2008 in Sachen
W.H. gegen das Bezirksamt Bremgarten (WBE.2008.77).
Aus den Erwägungen
1.
Angefochten ist die am 13. November 2007 von der Sozialkom-
mission X. beschlossene Einstellung der materiellen Hilfe per
30. November 2007. Zur Begründung führte die Sozialbehörde an,
der Beschwerdeführer habe im HEKS Lernwerk die Arbeit grundlos
verweigert, worauf ihm die Arbeitsstelle per 15. Oktober 2007 frist-
los gekündigt worden sei. Zudem habe er für die Zeit ab 22. Oktober
2007 einen Einsatzvertrag mit der Firma A. unterzeichnet und sei
nach zwei Tagen ohne stichhaltige Begründung nicht mehr zur Arbeit
erschienen. Im Weiteren habe der Beschwerdeführer dem Sozial-
dienst teilweise unwahre Arbeitsbemühungen dokumentiert.
2.
Die Gewährung materieller Hilfe kann mit Auflagen und Wei-
sungen verbunden werden, welche die richtige Verwendung sichern
oder die Lage der Hilfe suchenden Person und ihrer Angehörigen
verbessern, wie Bestimmungen über die zweckmässige Verwendung
der materiellen Hilfe, die Aufnahme zumutbarer Arbeit oder andere
Verhaltensregeln, die nach den Umständen angebracht erscheinen
(§ 13 Abs. 1 SPG; § 14 lit. d-f SPV). Werden Auflagen oder Weisun-
gen, die unter Androhung der Folgen der Missachtung erlassen wur-
den, nicht befolgt, kann die materielle Hilfe gekürzt werden (§ 13
Abs. 2 SPG). Bei der Kürzung der materiellen Hilfe ist die Existenz-
sicherung zu beachten (§ 15 Abs. 1 SPV), welche bei 65 % des
Grundbedarfs I gemäss den SKOS-Richtlinien liegt (§ 15 Abs. 2
SPV). Verhält sich die unterstützte Person rechtsmissbräuchlich,
kann eine Kürzung der materiellen Hilfe auch unter die Existenzsi-
2008
Sozialhilfe
243
cherung erfolgen oder die materielle Hilfe ganz eingestellt werden.
Rechtsmissbrauch liegt unter anderem dann vor, wenn das Verhalten
der unterstützten Person einzig darauf gerichtet ist, in den Genuss
von materieller Hilfe zu gelangen (§ 15 Abs. 3 SPV). Auch die syste-
matische Weigerung, Weisungen und Auflagen zu erfüllen, kann als
rechtsmissbräuchliches Verhalten qualifiziert werden (VGE IV/25
vom 29. März 2007 [WBE.2006.319], S. 15; VGE IV/45 vom
22. Dezember 2005 [WBE.2005.215], S. 8).
3.
3.1.
Mit Beschluss vom 14. Dezember 2004 gewährte die Sozial-
kommission X. dem Beschwerdeführer Sozialhilfe und erteilte ihm
die Auflage / Weisung, jeweils Ende Monat seine Arbeitsbemühun-
gen schriftlich vorzulegen. Nachdem der Nachweis der Arbeitsbe-
mühungen während der Monate zuvor sehr bescheiden gewesen war,
erteilte die Sozialkommission X. dem Beschwerdeführer mit Be-
schluss vom 11. September 2007 die Auflage / Weisung, monatlich
mindestens acht Stellenbemühungen bis am 5. des Folgemonats beim
Sozialdienst und beim RAV abzugeben. Für den Fall der Wider-
handlung drohte ihm die Sozialkommission die Kürzung des Grund-
bedarfs I um 15 % an. Im September 2007 reichte der Beschwerde-
führer eine Liste mit sieben Arbeitsbemühungen ein, wobei er einige
davon bereits Mitte August 2007 ausgewiesen hatte. Nachdem eine
stichprobenweise Rückfrage der Sozialkommission bei zwei Firmen
ergeben hatte, dass die schriftlichen Bewerbungen gar nie eingetrof-
fen waren, gab der Beschwerdeführer zu, dass er an keine der Firmen
Unterlagen geschickt hatte. Gestützt darauf kürzte die Sozialkom-
mission X. dem Beschwerdeführer mit Beschluss vom 16. Oktober
2007 den Grundbedarf I ab 1. November 2007 für sechs Monate um
30 % und den Grundbedarf II vollständig. Gleichzeitig erteilte sie
ihm erneut die Auflage / Weisung gemäss Beschluss vom 11. Sep-
tember 2007 und drohte ihm für den Fall des Verstosses die
Einstellung der Sozialhilfe an. Am 13. November 2007 stellte die
Sozialkommission X. die Sozialhilfe des Beschwerdeführers per
30. November 2007 ein.
2008
Verwaltungsgericht
244
Auch im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind
die fehlenden Arbeitsbemühungen des Beschwerdeführers unbestrit-
ten.
3.2.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Sozial-
behörde dem Beschwerdeführer mehrfach die Auflage / Weisung er-
teilt hat, monatlich mindestens acht Stellenbemühungen abzugeben,
widrigenfalls die Sozialhilfe gekürzt bzw. eingestellt werde. Indem
der Beschwerdeführer seit Mitte 2007 unbestrittenermassen entweder
ungenügende oder gar keine Arbeitsbemühungen eingereicht bzw.
eine Liste mit Firmen vorgelegt hat, bei welchen sich im Nachhinein
herausgestellt hat, dass sich der Beschwerdeführer gar nicht bewor-
ben hatte, hat er mehrfach gegen die genannte Auflage / Weisung
verstossen. Auch nachdem die Sozialbehörde am 13. November 2007
die Kürzung der Sozialhilfe verfügt hatte, änderte der Beschwerde-
führer sein Verhalten nicht. Gestützt auf die Verfügung des Verwal-
tungsgerichts vom 31. März 2008 legte er eine Liste mit lediglich
zwei Arbeitsbemühungen für den Oktober und fünf Bemühungen für
den November 2007 ein. Arbeitsbemühungen ab Dezember 2007
fehlen. Auch damit vermag er die erwähnte Auflage / Weisung nicht
zu erfüllen, zumal er auch kein aktuelles Arztzeugnis eingereicht hat,
welches ihm eine Arbeitsunfähigkeit attestiert. Selbst wenn die An-
gaben des Beschwerdeführers zu seinem Rückenleiden zutreffen
- ein entsprechendes Arztzeugnis hat er trotz Aufforderung nicht ein-
gereicht -, vermag sein Leiden das Verhalten nicht zu rechtfertigen.
Der Beschwerdeführer ist während mehrerer Tage seinem Arbeits-
platz bei M., der ihm vom HEKS Lernwerk vermittelt worden war,
unentschuldigt ferngeblieben. Damit hat er sich den Massnahmen zu
seiner Wiedereingliederung in die Arbeitswelt entzogen. Zur Be-
gründung führte er an, er habe für Fr. 13.30 pro Stunde arbeiten müs-
sen. Die besser entlöhnte Arbeit bei der P. legte der Beschwerdefüh-
rer bereits nach zwei Tagen mit der Begründung nieder, die Arbeit sei
ein wenig streng und er habe Rückenschmerzen. Der Beschwer-
deführer hat indessen kein aktuelles Arztzeugnis vorgelegt, sondern
sich in der Beschwerde an das Bezirksamt auf sein Alter berufen.
2008
Sozialhilfe
245
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Sozial-
kommission X. und das Bezirksamt Bremgarten zu Recht den
Schluss gezogen haben, dass das Verhalten des Beschwerdeführers
einzig darauf gerichtet war, Sozialhilfe zu erhalten. Der Beschwerde-
führer hat sich systematisch den Auflagen und Eingliederungsmass-
nahmen widersetzt bzw. entzogen und sich folglich rechtsmiss-
bräuchlich verhalten. Die Einstellung der Sozialhilfe gestützt auf
§ 15 Abs. 3 SPV war damit zulässig, weshalb die Beschwerde abzu-
weisen ist.
3.3.
Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass die von der Sozial-
kommission beschlossene Einstellung der Sozialhilfe nicht unabän-
derlich ist. Liegen veränderte Verhältnisse vor, indem der Beschwer-
deführer beispielsweise die verfügte Auflage / Weisung erfüllt, so
steht es ihm offen, bei der Sozialbehörde erneut ein Gesuch um ma-
terielle Hilfe zu stellen. | 1,503 | 1,255 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-40_2008-06-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-40.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-40.pdf | AGVE_2008_40 | null | nan |
dbabbd3c-c390-5fb9-a6c3-009c143c4b55 | 1 | 412 | 869,831 | 1,136,073,600,000 | 2,006 | de | 2006
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
213
VII. Fürsorgerische Freiheitsentziehung
41
Verhältnismässigkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bei einem
Patienten mit schwerer chronischer Schizophrenie, trotz begrenzter Be-
handlungsfähigkeit und ohne Selbst- und Fremdgefährdung, zur Sicher-
stellung der persönlichen Fürsorge, der regelmässigen Medikation sowie
zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins.
-
Wenn mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung die Wiedererlan-
gung der Selbstständigkeit einer Person nicht erreicht werden kann,
ist die Zurückbehaltung in der Anstalt zur Erbringung der notwendi-
gen persönlichen Betreuung und zur Sicherung eines menschenwür-
digen Daseins trotz fehlender Behandelbarkeit zulässig (Erw. 4.1 und
4.2; Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. AGVE 2005, S. 259).
-
Stationärer Aufenthalt zur Sicherstellung der regelmässigen Medika-
tion, zur Vermeidung einer Verwahrlosung und zur Sicherung eines
menschenwürdigen Daseins, unabhängig davon, ob und in welchem
Ausmass sich das Zustandsbild noch verbessern wird (Erw. 4.2.3).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 17. Januar 2006 in Sa-
chen W.B. gegen Verfügung des Bezirksamtes X.
Aus den Erwägungen
4.
4.1. Die betroffene Person muss entlassen werden, sobald ihr
Zustand es erlaubt (Art. 397a Abs. 3 ZGB; § 67 f EG ZGB). Es ist
demnach zu prüfen, ob der Beschwerdeführer im heutigen Zeitpunkt
entlassen werden kann (AGVE 1992, S. 276, 285; 1990, S. 224;
Gottlieb Iberg, Aus der Praxis der fürsorgerischen Freiheitsentzie-
hung, in: SJZ 79/1983, S. 297). Kann einer Person die nötige Für-
sorge anders erwiesen werden, d.h. mit weniger schwerwiegenden
Eingriffen als mit einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung, so muss
2006
Verwaltungsgericht
214
die mildere Massnahme angeordnet werden (AGVE 1997, S. 241;
1992, S. 276, 285; 1990, S. 224; Thomas Geiser, in: Basler Kom-
mentar, ZGB I, 2. Aufl., Basel/Genf/München 2002, Art. 397a N 12
f.; Eugen Spirig, in: Zürcher Kommentar, Art. 397a-397f ZGB, Zü-
rich 1995, Art. 397a N 259 f. [je mit Hinweisen]).
In der Regel soll der Klinikaufenthalt eine (meist medikamen-
töse) Behandlung ermöglichen, die notwendig erscheint und wegen
des Zustands und Verhaltens der betroffenen Person nicht ambulant
erfolgen kann. Das Verwaltungsgericht hat in seiner bisherigen
Rechtsprechung daher festgehalten, die fürsorgerische Freiheitsent-
ziehung sei unverhältnismässig, wenn nur vage Aussichten auf einen
Behandlungserfolg bestünden und der Betroffene nicht in hohem
Masse selbst- oder fremdgefährlich sei (AGVE 1993, S. 310 ff.). Bei
Gefahr eines sofortigen Rückfalls könne jedoch keine Entlassung er-
folgen (AGVE 1994, S. 352 ff.). Es sei - namentlich in schweren
Fällen - zu prüfen, ob die Behandlungsfähigkeit der betroffenen Per-
son gegeben sei. Der mit dem Freiheitsentzug verbundene Eingriff in
die persönliche Freiheit sei in der Regel unverhältnismässig, wenn
der Freiheitsentzug weitgehend den Charakter einer blossen Verwah-
rung annähme (AGVE 1988, S. 265). Diese Rechtsprechung ist zuge-
schnitten auf die Vielzahl der Fälle fürsorgerischer Freiheitsentzie-
hungen von psychisch kranken Menschen, die in einem akuten Zu-
stand (z.B. wegen Exazerbation einer paranoiden Schizophrenie) in
eine Psychiatrische Klinik zur stationären Behandlung eingewiesen
werden. Das Ziel ist in diesen Fällen eine Verbesserung des Zustands
und eine Stabilisierung durch medikamentöse Behandlung, um da-
nach die Patienten wieder aus der Klinik zu entlassen und in einem
ambulanten Rahmen weiter zu behandeln.
Daneben umfasst Art. 397a ZGB aber auch andere Situationen,
in denen einer psychisch kranken (bzw. süchtigen oder verwahrlos-
ten) Person die notwendige persönliche Fürsorge nur noch durch eine
stationäre Betreuung und Pflege erwiesen werden kann, ansonsten
ihr ein menschenwürdiges Leben verunmöglicht wird. Diese Voraus-
setzung kann unabhängig vom Vorliegen einer Behandlungsfähigkeit
erfüllt sein. Zu denken ist beispielsweise an Personen mit einem
chronifizierten Krankheitsbild oder mit einer Demenzerkrankung,
2006
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
215
welchen aufgrund dieser Geistesschwäche bzw. Geisteskrankheit ein
selbstständiges Wohnen verunmöglicht ist (z.B. wegen Vergesslich-
keit, Orientierungslosigkeit, körperlicher Pflegebedürftigkeit, Ver-
wahrlosungsgefahr, Selbstgefährdung) und welche an einer Krank-
heit leiden, die im heutigen Zeitpunkt weder durch Therapie noch
durch medikamentöse Behandlung geheilt werden kann. Das Fürsor-
gebedürfnis solcher Patienten, welche z.B. aufgrund einer Alzhei-
mer-Demenz oder einer schweren chronischen Schizophrenie an ei-
ner Geisteskrankheit im juristischen Sinne leiden, kann in einer eng-
maschigen Betreuung, Pflege und Kontrolle bestehen, die unter Um-
ständen nur noch in einem professionellen stationären Rahmen er-
wiesen werden kann, weil eine 1:1-Betreuung im privaten Umfeld
aufgrund der Belastung der Umgebung einerseits und der Schutzbe-
dürftigkeit des Betroffenen andererseits oft nicht mehr möglich ist.
Fehlt es somit an einer eigentlichen Behandlungsfähigkeit, so ist im
Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung abzuklären, ob das kon-
krete Fürsorgebedürfnis eine fürsorgerische Freiheitsentziehung
rechtfertige, d.h. ob dieses in einem ambulanten Rahmen nicht mehr
abgedeckt werden könne.
Diese konstante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts ent-
spricht der neueren Lehre. So führt Elisabeth Scherwey aus: "Die
Freiheitsentziehung muss die persönliche Fürsorge sicherstellen und
hat die Anstaltsentlassung innert nützlicher Frist herbeizuführen.
Eine Relativierung erfährt diese Aussage bei unheilbaren Zuständen,
wenn Ziel und Zweck der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, näm-
lich die Wiedererlangung der Selbstständigkeit und Eigenverant-
wortung einer Person, nicht erreicht werden kann, die Anordnung ei-
ner fürsorgerischen Freiheitsentziehung sich aber gleichwohl auf-
drängt und rechtfertigt. Dies kann beispielsweise auf Personen mit
altersbedingter Verwirrtheit zutreffen. Hier ist die Anstaltsunterbrin-
gung zur Erbringung der notwendigen persönlichen Betreuung und
zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins trotz fehlender Be-
handelbarkeit zulässig. In solchen Einzelfällen steht nicht mehr die
Entlassung im Vordergrund, sondern die Sicherung eines menschen-
würdigen Daseins (unter Umständen mit ständigem Aufenthalt in der
hiefür geeigneten Anstalt). Welcher Art die persönliche Fürsorge zu
2006
Verwaltungsgericht
216
sein hat und in welchem Umfang sie zu gewähren ist, hängt von den
Umständen und Bedürfnissen des Einzelfalles ab" (Elisabeth Scher-
wey, Das Verfahren bei der vorsorglichen fürsorgerischen Freiheits-
entziehung, Diss. Lachen 2004, S. 15 f.; vgl. auch dazu Geiser, a.a.O,
Vor Art. 397a-f, N 9).
4.2.
4.2.1. Der Beschwerdeführer erklärte anlässlich der verwal-
tungsgerichtlichen Verhandlung, er wolle, spätestens wenn er eine
neue Wohnung habe, aus der Klinik entlassen werden. Er nehme in
Y. ein Zimmer, da gebe es ein günstiges Restaurant. Ins Wohnheim
X. wolle er nicht mehr zurück.
4.2.2. Nach Aussagen des zuständigen Oberarztes habe sich der
Zustand des Beschwerdeführers seit dem Eintritt etwas gebessert, er
sei weniger angetrieben und der Abstammungswahn sei in den Hin-
tergrund getreten. Weil der Beschwerdeführer früher Probleme mit
extrapyramidalen Nebenwirkungen gehabt habe, werde nun das neue
Medikament Abilify eingesetzt. Der Beschwerdeführer reagiere gut
darauf und zeige keinerlei Nebenwirkungen. Der zuständige Oberarzt
erhofft sich durch eine Weiterbehandlung eine weitere Verbesserung,
wobei keine vollständige Remission zu erwarten sei. Der Beschwer-
deführer habe im ambulanten Rahmen die Behandlung stets abge-
setzt, einzig das Medikament Marcoumar (Blutverdünnungsmittel)
habe er regelmässig eingenommen. Bei einer sofortigen Entlassung
aus der Klinik sei damit zu rechnen, dass der Beschwerdeführer die
Medikamente nicht wie verordnet einnehmen würde, dadurch würde
sich der psychische Zustand verschlechtern und es käme schnell
wieder zur Verwahrlosung, sowohl betreffend Wohnraum als auch
betreffend Körperpflege.
4.2.3. Für das Verwaltungsgericht steht aufgrund der Kranken-
geschichte, der ärztlichen Aussagen und des an der Verhandlung ge-
wonnenen Eindrucks fest, dass der Beschwerdeführer immer noch
behandlungsbedürftig ist. Nach dem Verlassen des Wohnheims X.
setzte er die neuroleptische Medikation ab, worauf sich sein Zustand
verschlechtert hat. In der Klinik konnte mit konsequenter Behand-
lung bereits eine gewisse Verbesserung erzielt werden. Anlässlich der
verwaltungsgerichtlichen Verhandlung war erkennbar, dass die
2006
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
217
Wahnhaftigkeit des Beschwerdeführers noch stark im Vordergrund
steht. Bei Fortsetzung der Behandlung ist mit dem zuständigen Ober-
arzt und dem Fachrichter eine weitere Beruhigung des Beschwerde-
führers und eine gewisse Stabilisierung des Zustandsbilds zu erwar-
ten. Somit kann zumindest noch für eine gewisse Zeit auch die Be-
handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers bejaht werden.
Unabhängig davon, ob und in welchem Ausmass sich das Zu-
standsbild des Beschwerdeführers noch verbessert, steht fest, dass
der Beschwerdeführer zur Sicherstellung der regelmässigen Medika-
tion und zur Vermeidung einer Verwahrlosung eine betreute Wohn-
situation braucht. Auch wenn der optimal erreichbare Behandlungs-
erfolg eingetreten sein wird, kann dem Beschwerdeführer ein men-
schenwürdiges Dasein einzig im stationären Rahmen gesichert wer-
den. So ist es jeweils bei den langen Klinikaufenthalten wie auch im
Wohnheim X. recht gut gegangen und der Beschwerdeführer konnte
erhebliche Freiheiten geniessen und einer Beschäftigung nachgehen.
Sobald er wieder in eine eigene Wohnung gezogen und auf sich al-
leine gestellt war, setzte er die Medikamente ab, sein Zustandsbild
verschlechterte sich, die Wahngebäude traten in den Vordergrund,
eine Verwahrlosung setzte ein und in sämtlichen sozialen Beziehun-
gen bekam er Probleme. So kam es auch zur Wohnungskündigung
per Ende Januar 2006. Demgegenüber ging es auch gemäss Aussagen
seiner Beiständin anlässlich der verwaltungsgerichtlichen Ver-
handlung im Wohnheim X. sehr gut, der Beschwerdeführer arbeitete
gut, war sehr aktiv und konnte vieles unternehmen. Sowohl der zu-
ständige Oberarzt als auch die Beiständin erachten eine betreute
Wohn- und Arbeitsform für den Beschwerdeführer als angezeigt.
Eine Entlassung im jetzigen Zeitpunkt wäre in Anbetracht der
bisherigen Krankengeschichte unverantwortlich und würde unwei-
gerlich zu einer schnellen Verschlechterung des Zustands und zu ei-
ner baldigen Eskalation der Situation führen sowie eine Verwahrlo-
sungsgefahr mit sich bringen. Die nötige persönliche Fürsorge kann
dem Beschwerdeführer im Verhandlungszeitpunkt nur mit einer Fort-
führung der stationären psychiatrischen Behandlung erwiesen wer-
den. | 2,375 | 1,854 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2006-41_2006-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-41.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-41.pdf | AGVE_2006_41 | null | nan |
dbf0bf5b-6500-5086-ad1a-6eeefbf46a1f | 1 | 412 | 870,761 | 1,246,492,800,000 | 2,009 | de | 2009
Verwaltungsrechtspflege
275
XII. Verwaltungsrechtspflege
50 Begründungspflicht
-
Nichteintreten auf eine Beschwerde, die keine Begründung enthält.
Ein blosser Hinweis auf den Umstand, dass die Vorinstanz lediglich
einen Mehrheits-/Minderheitsentscheid gefällt habe, stellt keine den
minimalen Begründungsanforderungen entsprechende Begründung
dar.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 15. Juli 2009 in Sachen M.
(WBE.2008.339).
Aus den Erwägungen
3.
3.1
Gemäss § 39 Abs. 2 aVRPG muss die Beschwerdeschrift einen
Antrag und eine Begründung enthalten (ebenso: § 151 Abs. 2 aStG
i.V.m. § 149 Abs. 2 aStG). Auch nach der ständigen Rechtsprechung
des Verwaltungsgerichts ist die Begründung Gültigkeitsvoraus-
setzung. Sind Antrag oder Begründung auch nicht ansatzweise vor-
handen, so wird, ohne dass eine Nachfrist anzusetzen wäre, auf die
Beschwerde nicht eingetreten; Voraussetzung ist, dass die angefoch-
tene Verfügung mit einer umfassenden Rechtsmittelbelehrung
versehen war, die auf diese Folge hinweist (vgl. AGVE 1975, S. 288
ff.; 1984, S. 447 f.; 1998, S. 597 ff.). Das Bundesgericht hat diese
Praxis geschützt und darin keinen überspitzten Formalismus erblickt
(AGVE 1996, S. 389 ff.).
Mit der Begründung ist darzulegen, in welchen Punkten nach
Auffassung der Beschwerdeführer der angefochtene Entscheid
Mängel aufweist. Eine stereotype Wiederholung der bereits gegen
die vorvorinstanzliche Verfügung vorgebrachten Rügen ohne Bezug-
2009
Verwaltungsgericht
276
nahme auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid reicht nicht
aus; in derartigen Fällen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Dasselbe gilt, wenn pauschal auf vorangegangene Rechtsschriften
verwiesen wird (vgl. AGVE
2001, S.
375, Erw.
2.a.; M
ICHAEL
M
ERKER
, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach
dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kom-
mentar zu den §§ 38-72 aVRPG], Zürich 1998, § 39 N 39, m.w.H.).
Sind Antrag oder Begründung unklar oder widersprüchlich, ist dem
Beschwerdeführer eine angemessene Nachfrist zur Verdeutlichung
anzusetzen (§ 39 Abs. 3 aVRPG). Bei Laienbeschwerden werden an
die Begründung keine allzu hohen Anforderungen gestellt; wobei
immerhin verlangt werden darf, dass der Beschwerdeführer darlegt,
weshalb er mit dem vorinstanzlichen Entscheid nicht einverstanden
ist und welche Erwägungen des angefochtenen Entscheids aus
welchen Gründen nicht zutreffen sollen.
An dieser Rechtsprechung zum Begründungserfordernis ist
festzuhalten.
3.2
Im vorinstanzlichen Entscheid wurden die Beschwerdeführer in
der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht,
dass die fristgerecht einzureichende Beschwerdeschrift neben einem
Antrag auch eine Begründung enthalten muss, d.h. dass sie
darzulegen haben, aus welchen Gründen sie eine andere Entschei-
dung verlangen. Zudem wurden sie darin ausdrücklich auf die Folge
des Nichteintretens hingewiesen, sofern die Beschwerde diesen
Anforderungen nicht entspricht.
3.3
3.3.1
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2008 (Postaufgabe) und somit
am letzten Tag der Beschwerdefrist erhob der Beschwerdeführer 1
persönlich Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Darin setzt er sich mit
keinem Wort mit der Argumentation im angefochtenen Entscheid
auseinander, sondern er verweist lediglich auf die bisher ins Recht
gelegten Rechtsschriften seines Vertreters und darauf, dass die Vorin-
stanz lediglich einen Mehrheitsentscheid gefällt habe, was belege,
dass sich die Vorinstanz in seiner Argumentation nicht sicher gewe-
2009
Verwaltungsrechtspflege
277
sen sei. Der Verweis auf die bisher ins Recht gelegten Rechtsschrif-
ten genügt den Begründungsanforderungen offensichtlich nicht.
3.3.2.
Zu prüfen ist, ob im blossen Hinweis, dass die Vorinstanz le-
diglich einen Mehrheitsentscheid fällte, eine den minimalen Begrün-
dungsanforderungen entsprechende Begründung zu entdecken ist.
Die Mehrheit des Verwaltungsgerichts vermag auch im Hinweis
auf den vorinstanzlichen Mehrheitsentscheid keinerlei Begründung
zu erkennen. Die Beschwerdeführer machen damit lediglich eine
Tatsachenfeststellung und legen diesbezüglich nicht einmal an-
satzweise dar, dass und weshalb die Minderheitsmeinung zutreffend
bzw. die Mehrheitsmeinung falsch sein soll (vgl. zur Minder-
heitsmeinung: § 276 lit. e ZPO).
3.3.3.
Mit diesem Hinweis ist daher nicht ansatzweise begründet,
weshalb der angefochtene Entscheid materiell falsch sein soll. Selbst
die Beschwerdeführer sehen darin nur eine Unsicherheit der
Vorinstanz. Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht einmal kurz
mit dem angefochtenen Entscheid auseinander, weshalb sie auch
nicht als unklar bezeichnet werden kann und eine Nachfristansetzung
zur Verbesserung kann nicht in Frage kommen (siehe vorne Erw.
3.1).
Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführer im Rekursver-
fahren anwaltlich vertreten waren. So erhob der Rechtsvertreter für
die Rekurrenten innert der Rekursfrist einen begründeten Rekurs.
Der abweisende Entscheid der Vorinstanz wurde dem Vertreter der
Rekurrenten zudem unbestrittenermassen am 25. September 2008
korrekt eröffnet. Der Beschwerdeführer 1 verweist schliesslich in der
Beschwerdeschrift vom 27. Oktober 2008 auf die Eingaben seines
Vertreters Dr._ und ersucht darum, es sei ihm oder seinem
Rechtsvertreter gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, die vorlie-
gende Beschwerde zu ergänzen. Damit zeigt er unmissverständlich
an, dass die Beschwerdeführer weiterhin durch den bereits im
Rekursverfahren mandatierten Rechtsvertreter vertreten sind. Ihnen
musste unter diesen Umständen klar sein, dass sie bzw. ihr Vertreter
innert der Beschwerdefrist eine begründete Beschwerde einreichen
2009
Verwaltungsgericht
278
müssen, damit überhaupt auf die Beschwerde eingetreten werden
kann. Im Übrigen bringen die Beschwerdeführer keinerlei Argu-
mente vor, weshalb es ihnen bzw. ihrem Rechtsvertreter nicht
möglich gewesen sei, innert Frist eine begründete Beschwerde ein-
zureichen.
Auf die Beschwerde ist damit mangels Begründung nicht ein-
zutreten. | 1,274 | 1,040 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-50_2009-07-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-50.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-50.pdf | AGVE_2009_50 | null | nan |
dc02a285-d1da-54bc-a058-e8fcc297e66c | 1 | 412 | 870,321 | 1,527,984,000,000 | 2,018 | de | 2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
221
18
Ästhetische Generalklausel; Beeinträchtigungsverbot (§ 42 Abs. 2 BauG)
Eine nach § 42 Abs. 2 BauG relevante Beeinträchtigung bestimmt sich
einerseits an der Sensibilität eines Orts- oder Quartierbildes gegenüber
Eingriffen durch andersartige Bauten und Anlagen, andererseits an deren
Störungswirkung. Auf einem belebten Stadtplatz, der von Gebäuden ge-
säumt wird, die keine homogene Struktur aufweisen und deshalb weniger
empfindlich auf bauliche Veränderungen reagieren, und wo bestehende
Fassadenelemente (Leuchtbeschriftungen, Schaufenster etc.) und Waren-
auslagen im Freien bereits eine gewisse Unruhe erzeugen, stellen Stelen
mit integrierten Bildschirmen für die Ausstrahlung von Werbung im öf-
fentlichen Raum (sog. digitale Stelen) kein erheblich störendes Element
dar. Somit kann die Baubewilligung für solche Anlagen nicht aus ästheti-
schen Gründen verweigert werden.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 12. Juni
2018, in Sachen A. AG gegen Stadtrat B. und Departement Bau, Verkehr und
Umwelt (WBE.2017.46).
Aus den Erwägungen
1.
Die streitbetroffenen Parzellen Nrn. XXX und YYY liegen in
der Zone Cityzone (C) der Stadt B., die für innenstädtische und pu-
blikumsorientierte Nutzungen wie Einkaufszentren, Fachmärkte, La-
dengeschäfte, Gaststätten, Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe so-
wie Wohnen reserviert ist (§ 17 Abs. 1 BNO). (...) Für die Zone C
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
222
gelten keine besonderen ästhetische Schutzvorschriften oder gestalte-
rische Anforderungen.
Die von der Beschwerdeführerin zur Bewilligung beantragten
vier digitalen Stelen (aus beschichtetem Metall in einem dunklen,
matten Grauton) sind rund 2,1 m (Modell Indoor) bis 2,35 m (Modell
Outdoor) hoch, 90 cm breit und 12,3 cm (Modell Indoor) bis 20 cm
(Modell Outdoor) tief. Der integrierte Bildschirm (aus entspiegeltem
Verbundsicherheitsglas) ist rund 1,2 m hoch und 68 cm breit bzw. -
in der Diagonale - 55 Zoll gross. Die Stelen sind wie folgt positio-
niert: Stele 1 direkt neben dem Eingang des Gebäudes Nr. VVV am
C.-Markt 2 (D.-Center), Stele 2 beim Ein-/Ausgang an der nordwest-
lichen Ecke des Gebäudes Nr. WWW (E.-Laden), Stele 3 beim Ein-
gang C.-Markt 1 an der südöstlichen Ecke des Gebäudes Nr. WWW
und Stele 4 in einer Unterführung im Gebäude Nr. WWW, beim
Durchgang vom Parkhaus zur Rolltreppe beim F.-Laden. Die beiden
Gebäude Nrn. VVV und WWW stehen nicht unter (Denkmal-)
Schutz.
2.
Der Stadtrat B. verweigerte der Beschwerdeführerin die nachge-
suchte Baubewilligung für die oben beschriebenen digitalen Stelen
aus ästhetischen Gründen, unter Berufung auf § 42 Abs. 2 BauG. Da-
zu führte er im Beschluss vom 22. März 2016 aus, dass die Stelen
mit den bewegten Bildern unruhig wirkten und auch noch auf eine
grosse Entfernung eine entsprechend weiträumige Aufmerksamkeit
auf sich zögen. Das Publikum wäre der dauerhaften Reklameberiese-
lung schutzlos ausgesetzt. Das Orts-, Quartier- und Strassenbild wer-
de durch den punktuellen, von den Stelen ausgehenden Einfluss emp-
findlich gestört. Beim Standort im Untergeschoss des Gebäudes am
C.-Markt 1 könne es vor der Reklamestele (Stele 4) zu Menschenan-
sammlungen kommen, die weiter zur bereits vorhandenen Behinde-
rung des Personendurchgangsverkehrs beitragen würden.
Die Vorinstanz erwog, die östlich und westlich an den C.-
Marktplatz angrenzende C.-Markt-Überbauung sei eine auffällige
Überbauung von einheitlichem Erscheinungsbild. Der öffentliche
Platz zwischen den genannten Gebäuden sei ein bedeutender Durch-
gang zwischen dem Bahnhof und weiteren Teilen der Stadt bzw. der
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
223
Altstadt und bilde für viele Personen, die mit dem Zug anreisten, das
Eingangstor, die Visitenkarte der Stadt. Er werde von vielen Men-
schen begangen und sei dementsprechend von grosser Bedeutung,
auch aus ortsbildschützerischer Sicht. Die Unterführung, in welcher
die vierte Stele stehe, sei ebenfalls stark frequentiert. Alle Stelen
stünden in unmittelbarer Nähe zu diesen wichtigen öffentlichen Räu-
men. Die Monitore an den Stelen bzw. deren wechselnde Bilder seien
in ihrem Umkreis gut sichtbar und auf die Passantenströme als Ziel-
gruppe ausgerichtet. Demzufolge sei davon auszugehen, dass die Ste-
len einen gewichtigen Einfluss auf den auch aus ortsbildschützeri-
scher Sicht bedeutenden öffentlichen Raum ausübten. Die Bildschir-
me seien gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung als grossfor-
matig einzustufen und wirkten entsprechend stark auf ihre Umge-
bung. Diese Wirkung werde durch die gezielte Ausrichtung auf den
öffentlichen Raum zu Reklame- und Informationszwecken, die Ani-
mation der Bilder, die Leuchtkraft der Bildschirme und deren Aus-
stattung mit Lautsprechern für akustische Signale noch verstärkt. Die
Bildschirme würden die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und bräch-
ten Unruhe in die Umgebung, weshalb sie als erheblich störend zu
beurteilen seien. Daran ändere nichts, dass der öffentliche Platz von
Bewegungen geprägt sei, die von Menschen und realen Objekten
ausgingen, und dass die nicht auf Passantenströme ausgerichteten
Bildschirme in weit geringeren Dimensionen von Laptops, Smart-
phones und dergleichen heute zum Alltag gehörten. Auch der Fach-
berater Ortsbild, Siedlung und Städtebau (OSS) erachte die Stelen
(mit Ausnahme der Stele am Standort 1) als nicht gut in die architek-
tonische und städtebauliche Umgebung eingepasst und beantrage die
Abweisung der Beschwerde. Unter den gegebenen Umständen ver-
möge sich der Bauabschlag des Stadtrats auf vertretbare Gründe zu
stützen. Mit Rücksicht auf die Gemeindeautonomie bestehe für die
Rechtsmittelinstanz kein Anlass, korrigierend in die Würdigung des
Stadtrats einzugreifen. Dabei falle auch ins Gewicht, dass das Verbot
von Stelen mit Bildschirmen nicht als schwerwiegender Eingriff in
die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie zu qualifizieren
sei. Auf die Durchführung eines Augenscheins könne in Anbetracht
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
224
des aktenkundigen Bildmaterials in antizipierter Beweiswürdigung
verzichtet werden.
3. (...)
4.
4.1.
4.1.1.
Gemäss § 42 Abs. 2 BauG dürfen Bauten und Anlagen, An-
schriften, Bemalungen, Antennen und Reklamen insbesondere Land-
schaften sowie Orts-, Quartier- und Strassenbilder nicht beeinträchti-
gen.
Die Begriffe Ortsbild , Quartierbild und Strassenbild be-
zeichnen den Gesamteindruck, der sich aus dem Zusammenwirken
der verschiedenen Gebäude unter sich oder mit der Umgebung er-
gibt; die räumliche Struktur des Ganzen macht das Bild aus. Dazu
gehört, was von einem durchschnittlichen Betrachter gleichzeitig
überblickt und erlebt werden kann. Schutzziel ist dabei die Erhaltung
des Charakteristischen und des Typischen (AGVE 2010, S. 443).
§ 42 Abs. 2 BauG beinhaltet ein Beeinträchtigungsverbot, das in
die Kategorie der sog. negativen ästhetischen Generalklauseln fällt.
Im Gegensatz zur positiven ästhetischen Generalklausel - wie sie in
§ 42 Abs. 1 BauG (nur für Gebäude) vorgesehen ist - verlangt § 42
Abs. 2 BauG keine (architektonische) Gestaltung, die sicherstellt,
dass sowohl für die Baute oder Anlage selbst als auch für die bauli-
che und landschaftliche Umgebung eine gute oder befriedigende Ge-
samtwirkung entsteht. Die Anforderungen einer positiven ästheti-
schen Generalklausel gehen weiter als blosse Beeinträchtigungs-
oder Verunstaltungsverbote, bei deren Anwendung in einem Quartier
mit fehlender Einheitlichkeit und den verschiedensten Bauformen
kein allzu strenger Massstab angelegt werden darf. Wegen Verunstal-
tung darf eine Gestaltung nur abgelehnt werden, wenn sie nach
Massstäben, die in Anschauungen von einer gewissen Verbreitung
und Allgemeingültigkeit gefunden werden, als erheblich störend zu
bezeichnen ist (BGE 114 Ia 343, Erw. 4b; Urteile des Bundesgerichts
vom 28. Juli 2011 [1C_148/2011], Erw. 4.2, und vom 28. Oktober
2002 [1P.280/2002], Erw. 3.3).
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
225
Wenngleich der unbestimmte Rechtsbegriff der Beeinträchti-
gung wiederum weniger weit geht als derjenige der Verunstaltung
und nicht erst bei besonders schweren Einwirkungen gegeben ist,
setzt er doch einen Gegensatz zum Bestehenden voraus, der so er-
heblich stört, dass sich ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit rechtfer-
tigt (ERICH ZIMMERLIN, Kommentar zum aargauischen Baugesetz,
2. Auflage, Aarau 1985, § 159 N 5; ERICA HÄUPTLI-SCHWALLER, in:
Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 42
N 26). Das Beeinträchtigungsverbot im Sinne von § 42 Abs. 2 BauG
verbietet nicht jede Veränderung, die als ungewohnt erscheint. Der
Gegensatz zum Bestehenden muss erheblich störend sein (AGVE
2010, S. 442). Die Beeinträchtigung ist immer am Wert des zu schüt-
zenden Objekts zu messen. Je höher also der Wert des Ortsbildes ist,
umso höher ist seine Empfindlichkeit gegenüber Einwirkungen. Im
Einzelfall hat daher eine Interessenabwägung zwischen dem öffentli-
chen Interesse an der Erhaltung des Ortsbildes und dem Nutzungsin-
teresse des Grundeigentümers stattzufinden (ZIMMERLIN, a.a.O.,
§ 159 N 5; HÄUPTLI-SCHWALLER, a.a.O., § 42 N 26).
4.1.2.
Bei der Anwendung von Ästhetikvorschriften, insbesondere von
§ 42 Abs. 2 BauG, steht dem Gemeinderat ein erheblicher Ermes-
sensspielraum zu; die Gemeinde darf den verfassungsrechtlichen
Schutz beanspruchen, der ihr gestützt auf die Gemeindeautonomie
(§ 106 Abs. 1 KV) zusteht. Es obliegt in erster Linie den örtlichen
Behörden, über den architektonischen Aspekt zu wachen, weshalb sie
diesbezüglich über einen breiten Ermessensspielraum verfügen. Die
Rechtsmittelinstanzen haben sich daher bei der Überprüfung ein-
schlägiger gemeinderätlicher Entscheide zurückzuhalten. Wo eine
Regelung unbestimmt ist und verschiedene Auslegungsergebnisse
rechtlich vertretbar erscheinen, sind die kantonalen Rechtsmittelin-
stanzen gehalten, das Ergebnis der gemeinderätlichen Rechtsausle-
gung zu respektieren und nicht ohne Not ihre eigene Rechtsauffas-
sung an die Stelle der gemeinderätlichen zu setzen
(BGE 115 Ia 118 f. = Pra 78/1989, S. 796 f.; Urteile des
Bundesgerichts vom 11. Juli 2017 [1C_572/2016], Erw. 2.1, vom
22. April 2015 [1C_265/2014], Erw. 5.3, vom 28. Juli 2011
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
226
[1C_148/2011], Erw. 4.3, vom 5. Mai 2008 [1C_42/2008], Erw. 4.1,
vom 28. Oktober 2002 [1P.280/2002], Erw. 2; AGVE 2010, S. 441;
2008, S. 163 ff.). Die Grenze zwischen erlaubter
Zweckmässigkeitsprüfung und autonomieverletzendem eigenem
Ermessensentscheid der Rechtsmittelinstanz ist nicht leicht zu
ziehen. Die Praxis zieht die Grenze dort, wo sich eine Auslegung mit
dem Wortlaut sowie mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr
vereinbaren lässt (AGVE 2010, S. 441; 2006, S. 188; 2005, S. 152).
Eine Beschränkung der Kognition des kantonalen Gerichts auf eine
Willkürprüfung wäre hingegen mit der Rechtsweggarantie in Art. 29a
BV nicht vereinbar (Urteil des Bundesgerichts vom 4. Mai 2018
[1C_296/2017], Erw. 2.1).
4.2.
4.2.1.
Zunächst stellt sich die Frage, wie schützenswert das Orts- und
Strassenbild am C.-Marktplatz in B. ist.
Im Bericht vom 3. November 2016 spricht die Fachperson OSS
von einem markanten architektonischen Ensemble aus den 70er-Jah-
ren. Aus den 70er-Jahren stammt allerdings nur das Gebäude C.-
Markt 1 (Nr. WWW). Das gegenüberliegende Gebäude C.-Markt 2
(Nr. VVV) ist ein 80er-Jahre-Bau mit einer teils auffällig roten Fas-
sade, die zwar schon ein wenig ruhiger gestaltet wurde, aber nach
wie vor relativ unruhig wirkt, und sich deutlich vom Baustil des Ge-
bäudes C.-Markt 1 abhebt, das mit seinen massiven, aber klar struk-
turierten, eher schwerfällig wirkenden Betonstützen dem momentan
in Fachkreisen stark diskutierten Brutalismus, einem Architekturstil
der Moderne, zugeordnet wird. Insofern ist die von der Vorinstanz
für die Gebäude am C.-Marktplatz hervorgehobene Einheitlichkeit
und Homogenität zu relativieren. Obschon das Gebäude C.-Markt 1
durchaus sehr markant ist, fehlt es der baulichen Umgebung am C.-
Marktplatz an charakteristischen oder typischen Elementen, die sich
zu einem (harmonischen) Ensemble zusammenfügen und den
Aussenraum dermassen stark prägen, dass sie jedwede andersartigen,
einer anderen Zeitepoche entstammenden Bauten oder Anlagen von
vornherein als erheblich störenden Eingriff oder Fremdkörper er-
scheinen liessen.
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
227
Hinzu kommt, dass der C.-Marktplatz - wie schon im Fachbe-
richt vom 3. November 2016 und von der Vorinstanz übereinstim-
mend festgestellt und an der Augenscheinsverhandlung vor dem Ver-
waltungsgericht verifiziert - aufgrund seiner zentralen Lage zwi-
schen dem Bahnhof und dem Stadtzentrum respektive der Altstadt
ein sehr belebter Ort mit vielen Passanten ist. Im gesamten Bereich
sind mehrere Verkaufsgeschäfte untergebracht, die mit ihren Leucht-
beschriftungen, Schaufenstern, hinter denen sich zum Teil grossfor-
matige Bildschirme befinden, auf denen Videosequenzen gezeigt
werden, und Warenauslagen im Freien bereits eine gewisse Unruhe
erzeugen, was jedoch sehr gut zu der auf dem Platz herrschenden all-
gemeinen geschäftigen Umtriebigkeit passt. Entsprechend dem Zo-
nenzweck (§ 17 Abs. 1 BNO) stehen denn auch publikumsorientierte
Nutzungen im Vordergrund. Der Ort ist geradezu auf eine kommer-
zielle Nutzung und Modernität getrimmt. Er ist in keiner Weise mit
einer beschaulichen Dorf- oder Altstadtzone vergleichbar. Speziell in
den Arkaden der Gebäude C.-Markt 1 und 2 hat es sodann verschie-
denste Elemente (herkömmliche Reklametafeln, Warenauslagen, In-
formationskästen etc.), welche die baulichen Strukturen und angeb-
lich klaren Linien verwischen. Die Einschätzung im Fachbericht vom
3. November 2016, es bestehe an diesem Ort ein hohes öffentliches
Interesse an einer ruhigen Gestaltung, kann daher nicht geteilt wer-
den.
Von einer qualitativ hochstehenden (architektonischen) Gestal-
tung oder gar einer Visitenkarte für die ganze Stadt kann im Zusam-
menhang mit dem C.-Marktplatz und den Gebäuden Nrn. TTT, VVV,
WWW und UUU aus Sicht des Verwaltungsgerichts, dem als Fach-
richter ein erfahrener diplomierter Architekt ETH angehört, ohnehin
nicht gesprochen werden. Der mit roten Verbundsteinen belegte Platz
fügt sich wenig harmonisch zwischen die erwähnten Gebäude ein.
Ansprechend oder zum längeren Verweilen einladend ist dieser Ort
primär aufgrund seiner verkehrstechnisch günstigen Lage und der
vielen Verkaufsgeschäfte auf engem Raum sowie den dadurch
bedingten Publikumsverkehr. Man geht in erster Linie dorthin, um
einzukaufen, oder weil man Hektik und Betriebsamkeit sucht, nicht,
um dieser zu entfliehen und seine Ruhe zu finden. Die beim Augen-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
228
schein vom 12. Juni 2018 thematisierten geplanten Massnahmen zur
architektonischen Aufwertung des C.-Marktplatzes sind zu wenig
konkret und aktuell, um beurteilen zu können, ob und inwiefern sie
den vom C.-Marktplatz gewonnen Eindruck zu beeinflussen vermö-
gen.
Insgesamt konnte sich das Verwaltungsgericht an der Augen-
scheinsverhandlung davon überzeugen, dass der C.-Marktplatz und
die östlich und westlich daran angrenzenden Bauten (insbesondere
die Gebäude Nrn. VVV und WWW) unabhängig davon, welchen
ästhetischen Wert man den erwähnten Gebäuden zugesteht, kein
Orts- und Strassenbild abgeben, das gegenüber Veränderungen des
Bestehenden besonders sensibel reagieren würde.
Die Unterführung im Gebäude Nr. WWW, wo Stele 4 platziert
ist, verdient unter keinem Titel das Prädikat als schützenswertes
Ortsbild, soweit man bei einer solchen gebäudeinternen, aber rund
um die Uhr öffentlich zugänglichen Unterführung überhaupt von
einem Ortsbild sprechen kann. Es ist eine gewöhnliche, wenn auch
gut beleuchtete Unterführung ohne jede architektonische Finessen
oder Höhepunkte. Der Umstand, dass die Unterführung - wie der C.-
Marktplatz, der u.a. darüber erschlossen wird - gut frequentiert ist,
bewirkt nicht per se ein schützenswertes Ortsbild. Die Unterführung
besticht allein durch ihre Funktionalität, nicht durch gestalterische
Elemente. Auch die beim Augenschein anwesende Fachberaterin
Siedlungsentwicklung und Ortsbild äusserte sich kritisch zur Frage,
ob man einer solchen Unterführung Ortsbildschutz zuteilwerden
lassen kann.
Vor diesem Hintergrund können weder der C.-Marktplatz mit
den östlich und westlich daran angrenzenden Bauten noch die Unter-
führung im Gebäude Nr. WWW als Orte mit erhöhter Empfindlich-
keit gegenüber Einwirkungen durch neuartige Elemente qualifiziert
werden. Im Unterschied zum Sachverhalt, den das Bundesgericht im
Urteil vom 8. Januar 2008 (1C_12/2007) zu beurteilen hatte, zeich-
nen sich die für die Werbemonitoren ausgewählten Standorte nicht
durch das Vorhandensein historisch schutzwürdiger Gebäude, klein-
räumige Verhältnisse (Stichwort: Altstadtgässchen) oder ein denk-
malpflegerisch sensibles Umfeld aus. Entsprechend moderat ist im
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
229
vorliegenden Fall das Interesse an der Erhaltung eines kaum (Unter-
führung) oder zumindest nicht ausgeprägt (C.-Marktplatz) schützens-
werten Ortsbildes. Nur eine einigermassen schwerwiegende Beein-
trächtigung des Ortsbildes darf daher zur Verweigerung der von der
Beschwerdeführerin nachgesuchten Baubewilligung führen.
4.2.2.
4.2.2.1.
Vorab ist sicherzustellen, dass bei der Beurteilung der Störungs-
wirkung der einzelnen Stelen wirklich gestalterische Fragen im Vor-
dergrund stehen und die Verweigerung der Baubewilligung nicht auf
einer (sachfremden) generellen Ablehnung dieser Art kommerzieller
Tätigkeit (Ausstrahlung von Werbebotschaften im öffentlichen Raum
via bewegte Bilder auf einem selbstleuchtenden Bildschirm) beruht
(vgl. dazu das Urteil des Bundesgerichts vom 28. Oktober 2002
[1P.280/2002], Erw. 3.5.2). Der vom Stadtrat B. angeführte Schutz
des Publikums vor dauerhafter Reklameberieselung ist insofern kein
taugliches Argument, um einer Reklameanlage die Bewilligung aus
ästhetischen Gründen zu versagen. Unerheblich ist ferner der nicht
gestalterisch motivierte Einwand im Fachbericht vom 3. November
2016, wonach der Spickel zwischen den Stelen 2 und 3 und den da-
nebenstehenden Betonsäulen als Abfallecke (für Zigarettenkippen)
missbraucht werde. Allfällige Sicherheitsbedenken des Stadtrats B.,
der offenbar befürchtet, vor der Stele 4 könnten sich grössere Men-
schenansammlungen bilden, die den Durchgang behindern, die Stele
1 könnte in einem gefährlichen Masse von der automatisch bedienten
Glasschiebetüre beim Eingang zum D.-Center ablenken, oder aber
die oberirdischen Stelen könnten generell Radfahrer und Mütter mit
Kinderwagen ablenken und dadurch den Fussgänger- und Fahrrad-
verkehr gefährden, wären offen als sicherheitstechnischer Mangel
des Bauvorhabens zu deklarieren, der gegebenenfalls - die im vorlie-
genden Fall angeführten Sicherheitsbedenken erscheinen allerdings
unbegründet - als Grundlage für die Verweigerung einer Baubewillli-
gung herangezogen werden kann. Mit einem ästhetischen Hindernis
hat das Ganze jedoch nichts zu tun.
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
230
4.2.2.2.
Der Stadtrat B. und die Vorinstanz messen den Stelen offenbar
ein enormes Störungspotenzial bei. Der Stadtrat lässt in den Rechts-
schriften ans Verwaltungsgericht ausführen, die grossformatigen
Bildschirme zeigten pauschale Abläufe bewegter, künstlicher Bilder,
was in keiner Zone, also auch nicht in der Cityzone, wesenskonform
sei. Mit Hilfe bewegter Bilder oder Filmsequenzen werde beabsich-
tigt, zu Werbezwecken auf eine möglichst grosse Entfernung eine
entsprechend weiträumige visuelle Aufmerksamkeit auf die Bild-
schirme zu lenken. Damit gehe eine Beeinträchtigung des Orts-,
Quartier- und Strassenbildes einher. Ein ausreichender Bezug zur Ar-
chitektur der C.-Marktüberbauung könne unter diesen Umständen a
priori nicht hergestellt werden, unabhängig von der Positionierung
der einzelnen Stelen. Die selbstleuchtenden und animierten Bild-
schirme bildeten ein völlig neues Element in der Umgebung und ver-
ursachten durch die Aufmerksamkeit, die sie auf sich zögen, Unruhe.
Deshalb seien die Stelen als störender Fremdkörper zu qualifizieren.
Dabei gehe es nicht primär um die Wirkung auf die umliegenden Ge-
bäude und deren Architektur, sondern auf den öffentlichen Raum. In
der Dämmerung und Dunkelheit, die im Winterhalbjahr vor den La-
denschliessungszeiten einsetze, werde diese Wirkung noch verstärkt.
Ein Vergleich mit viel weniger aufdringlich positionierten Bildschir-
men (von TV-Geräten und Computern) in Schaufenstern sei nicht zu-
lässig.
Im Bericht vom 3. November 2016 hielt der Fachberater OSS
fest, dass die Anzahl Reklameanlagen in realisierter Grösse im Be-
reich des C.-Markts grundsätzlich denkbar sei. Bei der Positionie-
rung müsse aber eine sorgfältige Einpassung in den Kontext gewähr-
leistet sein, damit die Elemente nicht störend wirkten. Es sei davon
auszugehen, dass der Betrieb der Stelen (Ausstrahlung von animier-
ten Bildern) den öffentlichen Raum deutlich mehr beeinflusse als die
schiere Grösse der Objekte. Die Stele 1, die neben dem Hauptzugang
zum Gebäude am C.-Markt 2 direkt und parallel zur Fassade ange-
ordnet sei, sei zweckmässig positioniert und auf die Architektur des
Gebäudes abgestimmt. Hingegen werde die Position der schräg zur
Gebäudestruktur und direkt auf den Passantenstrom ausgerichteten
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
231
Stelen 2 und 3 als störend beurteilt. Der Bezug zur Architektur des
Gebäudes sei zu wenig gegeben. Die direkte Ausrichtung auf die
Fussgänger wirke aufdringlich. Aufdringlich wirke auch die Stele 4,
die im Zugangsbereich zu den Rolltreppen vor einer grossen runden
Säule frontal in Bewegungsrichtung positioniert sei. Die Formen der
Stele und der Säule konkurrenzierten sich gegenseitig.
An der Augenscheinsverhandlung vom 12. Juni 2018 ergänzte
die Fachberaterin Siedlungsentwicklung und Ortsbild, aus ihrer Sicht
sei der Standort der Stelen 2 und 3 vor allem deshalb kritisch, weil
die Betonstützen als wichtiges gestalterisches Element des Gebäudes
C.-Markt 1 dadurch marginalisiert würden. Daran würde sich auch
dann nichts ändern, wenn man die Stelen parallel zu den Stützen an-
ordne. Sie gehörten dort ganz einfach nicht hin. Das Ziel seien mög-
lichst nackte und unberührte Stützen. Selbst Papierplakate wären an
der fraglichen Stelle nicht optimal. Schliesslich sei es auch die Men-
ge, die problematisch sei. Es habe in der Nähe der Stützen schon ver-
schiedene störende Elemente. Hingegen wirke die Positionierung der
Stele 1 für sich genommen nicht störend. Sie sei parallel zur dahin-
terliegenden Fassade angeordnet. Doch auch dort werde der öffentli-
che Raum durch die bewegten Bilder beeinträchtigt. Die Stele 4 in
der Unterführung wirke in diesem engen Raum massiv, störe sie aber
wesentlich weniger als die Stelen an den übrigen Standorten, vor
allem diejenigen an den Positionen 2 und 3.
4.2.2.3.
Die zitierten Ausführungen des Stadtrats und der kantonalen
Fachpersonen vermögen das Verwaltungsgericht nicht zu überzeugen
und sind auch nicht in allen Teilen nachvollziehbar. Mit Blick darauf,
dass nur
erheblich
störende Elemente zur Verweigerung einer Baube-
willigung gestützt auf § 42 Abs. 2 BauG führen dürfen, gilt es Fol-
gendes in Betracht zu ziehen:
Die Fernwirkung der Bildschirme respektive der darauf einge-
spielten (nur teilweise bewegten) Bilder wird namentlich vom Stadt-
rat beträchtlich überschätzt. Ihre Wirkung ist insbesondere nicht in-
tensiver als diejenige eines grossformatigen TV-Bildschirms hinter
einem Schaufenster, von denen es am C.-Marktplatz einige gibt. Weil
der C.-Marktplatz insgesamt sehr geschäftig und eher unruhig wirkt
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
232
(vgl. Erw. 4.2.1 vorne), kann auch nicht gesagt werden, dass die be-
wegten Bilder auf den Bildschirmen der Stelen automatisch die Auf-
merksamkeit der Passanten auf sich ziehen und Unruhe in einen an-
sonsten ruhigen öffentlichen Raum bringen würden. Für Standbilder
gilt das ohnehin nicht. Effektiv werden die Stelen, die aufgrund ihrer
Positionierung nicht alle von einem Ort aus gleichzeitig einsehbar
sind, wenn überhaupt, erst auf relativ kurze Distanz wahrgenommen.
Die meisten Passanten schenken ihnen nach den am Augenschein ge-
machten Erfahrungen keine grössere Beachtung. Dass die Bildschir-
me in der Dämmerung und Dunkelheit auffälliger sind als bei (hel-
lem) Tageslicht, liegt in der Natur der Sache. Doch auch in diesen
Phasen dürften sie inmitten der beleuchteten Schaufenster mit ande-
ren Bildschirmen mit bewegten Bildern und vergleichbarer Leucht-
kraft entlang des C.-Marktplatzes keine besondere Aufmerksamkeit
erregen. Ganz abgesehen davon könnten die Betriebszeiten mittels
Auflage in der Baubewilligung (z.B. auf die Ladenöffnungszeiten)
eingeschränkt werden. Auch mit Bezug auf die Animationstiefe der
bewegten Bilder könnten der Betreiberin Vorgaben gemacht werden.
Dass die mehrere Meter hohen, alles andere als filigranen Be-
tonstützten des Gebäudes C.-Markt 1 durch die um ein Vielfaches ge-
ringer dimensionierten Metallstelen marginalisiert werden könnten,
ist schwer vorstellbar. Der Sichtweise der Fachberaterin Siedlungs-
entwicklung und Ortsbild, die sich im Sinne eines Idealzustands
möglichst unverstellte Säulen wünscht, mag man in fachlicher Hin-
sicht zustimmen. Das heisst aber noch lange nicht, dass die Stelen
das ästhetische Empfinden des Durchschnittsbetrachters erheblich
stören würden. Sie treten gegenüber den Säulen eher in den Hinter-
grund und fügen sich, vor allem an der Position 2, in die dahinterlie-
gende Fassade des Einkaufszentrums und die weiteren sich an und
vor der Fassade befindlichen Kleinanlagen (Leuchtbeschriftungen,
Informationstafeln, Briefkästen, Warenauslagen etc.) ein. Es besteht
möglicherweise kein Bezug zwischen den Stelen und der Architektur
des Gebäudes, aber sehr wohl zwischen dem Zweck der Stele als
Werbe- und Informationsplattform und der Nutzung des Gebäudes
als Einkaufszentrum. Andererseits büssen die Stützen durch die
Stelen nichts von ihrer Prominenz ein.
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
233
Schliesslich wirken die Stelen an keinem der gewählten Stand-
orte besonders aufdringlich, auch wenn sie so ausgerichtet sind, dass
sie von den Passanten wahrgenommen werden, was als Werbe- und
Informationsplattform letztlich ihr Daseinszweck ist. Sie stehen aber
nicht in der Mitte des belebten Platzes, gewissermassen in Solitär-
stellung, sondern eher peripher unter Arkaden bzw. in einer Unter-
führung, jeweils neben anderen Fassaden- oder Stützelementen. In-
wiefern die in der Unterführung positionierte Stele 4 mit der weissen
Säule, vor der sie steht, in Konkurrenz treten soll, ist nicht ersicht-
lich. Die weisse Säule hat eine statische Funktion und ist mit Sicher-
heit kein Bauteil, das die Aufmerksamkeit des Publikums in irgendei-
ner Art und Weise erheischt oder auf sich ziehen will. Sie kann ganz
oder teilweise verdeckt werden, ohne negative Implikationen auf das
Erscheinungsbild der Unterführung. Die Enge des Raums mag für
Passanten ein Ärgernis sein, was aber nichts mit der Stele oder deren
ästhetischer Wirkung zu tun hat.
Im gesamten Kontext muss man sich noch einmal vor Augen
halten, dass sich die Stelen nicht im Sinne der positiven ästhetischen
Generalklausel (§ 42 Abs. 1 BauG) gut oder sogar optimal in die
bauliche Umgebung einordnen müssen. Eine Abstimmung auf die
umliegenden Bauten und Bauteile dergestalt, dass eine positiv zu
würdigende Bezugnahme hergestellt wird, ist nicht erforderlich. Es
genügt, wenn eine erhebliche negative Beeinflussung ausbleibt. Eine
solche ist aus den oben dargelegten Gründen klar zu verneinen. We-
der in Bezug auf die Gebäude C.-Markt 1 und 2 noch auf den öffent-
lichen Raum (auf dem C.-Marktplatz) findet eine erhebliche Beein-
trächtigung statt. Die gegenteilige Auslegung des Stadtrats B. ist vom
Wortlaut und vom Sinn und Zweck von § 42 Abs. 2 BauG nicht mehr
gedeckt und stellt eine Rechtsverletzung dar. Aufgrund dessen darf
das Verwaltungsgericht auch mit Rücksicht auf die Gemeindeautono-
mie und den dadurch bedingten grossen Ermessensspielraum der
Stadt B. in ästhetischen Fragen korrigierend eingreifen. § 42 Abs. 2
BauG bietet der Baubewilligungsbehörde keine Handhabe, der Be-
schwerdeführerin die für die streitgegenständlichen Stelen nachge-
suchte Baubewilligung aus ästhetischen Gründen zu verweigern. | 6,408 | 5,045 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-18_2018-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-18.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-18.pdf | AGVE_2018_18 | null | nan |
dc051fb3-adc0-5560-8fc4-f60eb0bfe2ae | 1 | 412 | 869,805 | 1,359,763,200,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
116
[...]
22 Eingrenzung;
Verhältnismässigkeit
Die Anordnung einer Eingrenzung auf einen Bezirk muss aufgrund der
potentiellen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ver-
hältnismässig sein. Ein sehr geringfügiges Vermögensdelikt reicht hierfür
nicht.
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 19. Februar 2013 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integra-
tion (WPR.2013.7).
Aus den Erwägungen
3.2.
Der Beschwerdeführer wurde mit Verfügung der Vorinstanz
vom 11. Dezember 2012 auf das Gebiet des Bezirks Brugg einge-
grenzt. Zur Begründung führt die Vorinstanz lediglich aus, die Ein-
schränkung der Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers diene der
Verbesserung von Sicherheit und Ordnung.
2013
Migrationsrecht
117
Soweit sich die Eingrenzungsverfügung auf den Vorhalt des
Diebstahls in Windisch bezieht, ist Folgendes festzuhalten:
Zwar ist grundsätzlich denkbar, dass die Anordnung einer Ein-
grenzung geeignet sein kann, die öffentliche Sicherheit und Ordnung
zu erhöhen, wenn ein Betroffener zuvor wegen Diebstahls verurteilt
wurde. Dies allerdings nur dann, wenn der Betroffene durch die Ein-
grenzung daran gehindert werden soll, sich potentiellen Deliktsorten
zu nähern oder wenn die Eingrenzung dazu führt, dass der Wirkungs-
kreis des Betroffenen massgeblich eingeschränkt wird. Diese Voraus-
setzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Weder wird der Be-
schwerdeführer durch die Eingrenzung auf das Gebiet des Bezirks
Brugg gehindert, erneut in Windisch Ladendiebstähle zu begehen,
noch wird in der dürftig begründeten Verfügung dargelegt, dass der
Beschwerdeführer daran gehindert werden müsste, Delikte ausser-
halb des Bezirks Brugg zu begehen. Den Akten ist jedenfalls nicht zu
entnehmen, dass der Beschwerdeführer, über den angeblich begange-
nen geringfügigen Diebstahl in der Coop-Filiale Aarau hinaus, wei-
tere Delikte ausserhalb des Bezirks Brugg begangen hat.
In Bezug auf den Vorhalt des Diebstahls in Windisch ist die Ein-
grenzung auf den Bezirk Brugg damit ungeeignet, den angestrebten
Zweck zu erreichen.
Betreffend des Vorhalts des Ladendiebstahls in der Coop-Filiale
Aarau über einen Warenwert von CHF 6.85 ist festzuhalten, dass die
Eingrenzungsverfügung vom 12. Dezember 2012 zwar geeignet ist,
das von der Vorinstanz angestrebte Ziel der "Verbesserung von Si-
cherheit und Ordnung" zu erreichen. Fraglich ist hier jedoch, ob
nicht mit einer milderen Massnahme (Ausgrenzung aus der Stadt
oder dem Bezirk Aarau) der angestrebte Zweck auch erreicht werden
könnte. Die Vorinstanz äussert sich weder in ihrer abermals äusserst
dürftig begründeten Verfügung noch in ihrer Vernehmlassung dazu,
weshalb nur mit einer Eingrenzung auf den Bezirk Brugg, der ange-
strebte Zweck erreicht werden kann. Wie nachfolgend zu zeigen sein
wird, kann diese Frage jedoch vorliegend offen gelassen werden.
Wie bereits ausgeführt, muss die angeordnete Massnahme ver-
hältnismässig im engeren Sinne sein, d.h. es muss ein überwiegendes
öffentliches Interesse an der Massnahme bestehen. Dabei ist ent-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
118
scheidend, ob der Betroffene die öffentliche Sicherheit und Ordnung
bereits gestört hat und wie gravierend die Störung zu qualifizieren ist
bzw. worauf sich eine allfällige Gefährdung der öffentlichen Si-
cherheit und Ordnung stützt. In casu steht für die Bemessung des
öffentlichen Interesses nur noch der vorgehaltene Ladendiebstahl in
Aarau zur Diskussion, da die Eingrenzung auf den Bezirk Brugg, wie
bereits ausgeführt, von vornherein nicht geeignet ist, weitere Delikte
in Windisch zu verhindern.
Gründet die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ord-
nung wie im vorliegenden Fall einzig auf einem geringfügigen Dieb-
stahl über CHF 6.85, besteht zwar grundsätzlich ein öffentliches
Interesse an einer Gebietsbeschränkung. Dieses ist jedoch als relativ
klein einzustufen. Wird der geringfügige Diebstahl vom Betroffenen
bestritten und ein ausgefällter Strafbefehl angefochten und ist auf-
grund der Aktenlage nicht von einer klaren Beweislage auszugehen,
steht die Eingrenzung auf einen Bezirk in einem klaren Missverhält-
nis zum angestrebten Zweck. Mit anderen Worten ist im vorliegen-
den Fall mit Blick auf die potentielle Gefährdung der öffentlichen Si-
cherheit und Ordnung aufgrund des vorgehaltenen geringfügigen
Diebstahls nicht von einem überwiegenden öffentlichen Interesse an
einer Eingrenzung auf einen Bezirk auszugehen.
4.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die am 12. Dezember 2012
angeordnete Eingrenzung auf den Bezirk Brugg in Bezug auf den
Vorhalt des Diebstahls in Windisch nicht geeignet ist den angestreb-
ten Zweck zu erreichen. In Bezug auf den Vorhalt des geringfügigen
Diebstahls in Aarau ist fraglich, ob nicht auch ein milderes Mittel ge-
nügen würde; auf jeden Fall besteht aber kein überwiegendes
öffentliches Interesse an der Eingrenzung auf den Bezirk Brugg.
Nach dem Gesagten ist die verfügte Eingrenzung unverhältnismäs-
sig, weshalb die Verfügung der Vorinstanz vom 12. Dezember 2012
in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben ist. | 1,075 | 891 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-22_2013-02-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-22.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-22.pdf | AGVE_2013_22 | null | nan |
dc20452e-6703-5d50-9dfe-61e480c80a64 | 1 | 412 | 869,759 | 1,254,614,400,000 | 2,009 | de | 2010
Sozialhilfe
205
VII. Sozialhilfe
37 Wohnkosten.
Angemessene Wohnungsgrösse eines sorgeberechtigten Elternteils, dessen
Kind fremd platziert ist.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 23. Oktober 2009 in Sa-
chen B.D. gegen Gemeinderat W. und Bezirksamt B. (WBE.2009.174).
Aus den Erwägungen
3.
Bei der Zusprechung materieller Hilfe und deren Umfang, sind
die tatsächlichen Umstände und die individuellen Verhältnisse der
Betroffenen zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 2 SPG).
3.1. (...)
3.2.
Die Beschwerdeführerin hat als Inhaberin der elterlichen Sorge
Anspruch darauf, ihre elterlichen Rechte und Pflichten tatsächlich
wahrnehmen zu können, auch wenn ihr Sohn fremdplatziert ist. Zu
diesen Rechten gehört auch das Kontaktrecht zum Sohn mit der
Möglichkeit, den Sohn in der eigenen Wohnung aufzunehmen
(Art. 273 ZGB). Nicht ausschlaggebend ist, ob das Besuchs- und
Ferienrecht vom Sohn und der Beschwerdeführerin tatsächlich wahr-
genommen wird. Die Häufigkeit der Besuche und die Art und Weise,
wie die Besuche konkret ausgestaltet sind (Anzahl effektiver Über-
nachtungen), ist ebenfalls nicht relevant. Keinen Einfluss können
auch die Aufenthalte der Beschwerdeführerin in der Psychiatrischen
Klinik Königsfelden haben, da diese nur vorübergehend waren.
Mit der Sozialhilfe ist den bedürftigen Personen u.a. auch die
Teilhabe am Sozialleben zu gewährleisten (§ 3 Abs. 2 SPV) und ih-
ren individuellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (§ 5 Abs. 2
2010
Verwaltungsgericht
206
SPG). Im Zusammenhang mit der Wohnungsgrösse sind auch die
Rechte von R. und seine persönliche Situation zu berücksichtigen.
Auch nach dem Obhutwechsel gehört der minderjährige Sohn R.
zum "Haushalt" der Beschwerdeführerin (§ 32 Abs. 1 SPV) und sie
bilden insofern sozialhilferechtlich eine beschränkte Unterstützungs-
einheit. Mit dem Aufenthalt im Kinderheim "K." wird die Existenz-
sicherung von R. nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Ein-
richtung für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen vom
2. Mai 2006 (Betreuungsgesetz; SAR 428.500) geregelt und er ist
auch bei der Mietzinsberechnung nicht mit dem Faktor 1 einzubezie-
hen (§ 10 Abs. 5 lit. e SPV). Sein Anspruch auf eine Wohnmög-
lichkeit an seinem Wohnsitz und bei der sorgeberechtigten Be-
schwerdeführerin kann indessen nicht einfach übergangen werden.
Eine behelfsmässig eingerichtete Schlafmöglichkeit in einer 1-Zim-
merwohnung vermag diesem Anspruch kaum zu genügen (siehe
VGE IV/22 vom 6. April 2009 [WBE.2008.257], S. 8). R. hat "sein"
Zimmer in der Wohnung der Beschwerdeführerin. Unabhängig da-
von, ob R. von seinem (Aufenthalts-) Recht tatsächlich Gebrauch
macht, muss ihm die Möglichkeit zum Besuch und Aufenthalt wei-
terhin gegeben werden und angesichts seines Alters und Geschlechts
ein Zimmer zur Verfügung stehen. | 641 | 523 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-37_2009-10-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-37.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-37.pdf | AGVE_2010_37 | null | nan |
dc2852fd-cc05-5a04-aacf-72354fa92529 | 1 | 412 | 872,033 | 1,009,929,600,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
428
[...]
106
Überprüfung von Erlassen (prinzipale oder abstrakte Normenkontrolle).
-
Das Gesuch um Überprüfung von Erlassen kann nicht mit einer Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde (oder einer verwaltungsgerichtlichen
Klage) in einer einzigen Rechtsschrift verbunden werden (Änderung
der Rechtsprechung).
2002
Verwaltungsrechtspflege
429
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Januar 2002 in Sa-
chen C.J.M. gegen Verfügung des Departements des Innern.
Aus den Erwägungen
2. Ziff. 3 der Beschwerdeanträge ist als Begehren um "Überprü-
fung von Erlassen" (sog. abstrakte Normenkontrolle) in Sinne von
§ 68 ff. VRPG formuliert. Nach der früheren Praxis des Verwal-
tungsgerichts (AGVE 1987, S. 88 f.; 1979, S. 111) wurde es zugelas-
sen, ein Normenkontrollbegehren mit einer Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde oder einer verwaltungsgerichtlichen Klage in einer einzi-
gen Rechtsschrift zu verbinden. Doch hat sich inzwischen gezeigt,
dass dies je nach Konstellation zu erheblichen Unzukömmlichkeiten
im Verfahren führen kann. Bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
(oder Klage) und der abstrakten Normenkontrolle handelt es sich um
völlig verschiedene Verfahren. Sobald dabei unterschiedliche Perso-
nen und Behörden beteiligt sind, müsste derjenige Teil der Begrün-
dung, der sich nur auf das Beschwerdeverfahren bezieht, in der Regel
umfangreicher ist und eher Geheimhaltungsinteressen berühren wird,
für das Normenkontrollverfahren entfernt werden. Es kann nicht
Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, eine Rechtsschrift derart auf-
zuteilen. In Abänderung der publizierten Rechtsprechung wird daher
seit längerer Zeit verlangt, dass ein Normenkontrollgesuch mit einer
eigenen Eingabe (deren Begründung sich einzig mit der Verfassungs-
bzw. Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Norm zu befassen hat)
einzuleiten ist.
Wie andere vor ihm, hat der Beschwerdeführer auf den entspre-
chenden Hinweis ohne weiteres ein separates Normenkontrollgesuch
eingereicht. Im vorliegenden Verfahren ist auf das Beschwerdebe-
gehren Ziff. 3 nicht einzutreten. Dies schliesst selbstverständlich die
vorfrageweise Prüfung der vom Beschwerdeführer erhobenen Ein-
wendungen (sog. inzidente Normenkontrolle) nicht aus (vgl. AGVE
1986, S. 242; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normen-
kontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwal-
2002
Verwaltungsgericht
430
tungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich
1998, § 56 N 5 f.). | 550 | 440 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-106_2002-01-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-106.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-106.pdf | AGVE_2002_106 | null | nan |
dccfab1e-a2f5-53d3-8b72-113bbc2875c2 | 1 | 412 | 871,045 | 973,123,200,000 | 2,000 | de | 2000
Verwaltungsgericht
348
[...]
81
Beschwerde nach § 53 VRPG.
- "Rechtsverweigerung" im Sinne von § 53 VRPG meint ausschliesslich
das Nichthandeln der Behörde (Bestätigung der Rechtsprechung).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 16. November 2000 in
Sachen B.J. gegen Entscheid des Regierungsrats.
Aus den Erwägungen
1. (Keine Sachzuständigkeit des Verwaltungsgerichts, so dass
nur die Beschwerdegründe gemäss § 53 VRPG in Betracht fallen.)
2. b) aa) Bei der Schaffung des VRPG war von allem Anfang an
vorgesehen: "Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung
können sämtliche letztinstanzlichen Verwaltungsentscheide an das
Verwaltungsgericht weitergezogen werden, auch wenn dessen Zu-
ständigkeit in der Sache selbst nicht gegeben ist." (Zwischenbericht
der Justizdirektion vom 15. Februar 1965, S. 17). Darunter wurde
von den Beteiligten, auch von allen Sachverständigen, - und zwar
völlig selbstverständlich! - durchwegs nur das Nichthandeln/Nicht-
entscheiden (oder das nicht rechtzeitige Handeln) der Behörde ver-
standen; dies zeigt sich in den Hinweisen, dass hier gar kein weiter-
ziehbarer Entscheid vorliege und dass es sich eigentlich nur um
Feststellungsbefunde (des Verwaltungsgerichts) handeln könne (vgl.
2000
Verwaltungsrechtspflege
349
Entwurf Welti vom 26. Juli 1965 für die Vernehmlassung des Ober-
gerichts, S. 15; Protokolle der Arbeitsgruppe für Verwaltungsreform
vom 16. Juli 1965, S. 5 f. [Voten Eichenberger, Roos, Fischli], und
vom 31. August 1965, S. 11 [Votum Gesetzesredaktor Brunschwi-
ler]). Diese Auffassung wurde nie in Frage gestellt.
Der Vorentwurf der Justizdirektion vom Juni 1966, wo die heu-
tige Fassung des § 53 VRPG (damals § 37) vorgeschlagen wurde,
enthält keine Erläuterungen. Dass anstelle von letztinstanzlichen Ver-
waltungs
entscheiden
nun die Beschwerde "gegen letztinstanzliche
Verwaltungs
behörden
" vorgesehen wurde, geht offenbar auf die Hin-
weise zurück, dass bei Rechtsverweigerung und -verzögerung eben
gar kein Entscheid vorliege. Warum neu auch die Verletzung der Vor-
schriften über die Zuständigkeit, den Ausstand, das rechtliche Gehör
und die Akteneinsicht als Beschwerdegründe genannt wurden (und
warum diese, obwohl hier in aller Regel anfechtbare Entscheide vor-
liegen, der gleichen Regelung wie die Rechtsverweigerung und
-verzögerung unterworfen wurden), ist aus den Materialien nicht er-
sichtlich. Selbst nach dieser Änderung wurde in der Expertenkom-
mission davon gesprochen, dass bei dieser Bestimmung eine Exe-
kution des richterlichen Erkenntnisses nicht möglich sei (Protokoll
vom 13.-15. September 1966, S. 19 f.), was nur auf die Rechtsver-
weigerung im Sinne des Nichthandelns zutrifft. In gleicher Weise
wurde offenbar in den Beratungen der grossrätlichen Kommission
überlegt, als diese den Abs. 2 von § 54 VRPG neu schuf (vgl. Proto-
koll vom 1. Juli 1968, S. 8 f.) und dabei die "jederzeitige" Beschwer-
demöglichkeit vorsah, obwohl diese nur bei der Rechtsverweigerung
- im Sinne des Nichthandelns - und -verzögerung sachgerecht ist.
bb) Gestützt auf den in den Gesetzesmaterialien klar zum Aus-
druck kommenden Willen des Gesetzgebers hat das Verwaltungs-
gericht den in § 53 VRPG verwendeten Begriff der Rechtsverweige-
rung in ständiger Rechtsprechung auf die formelle Rechtsverweige-
rung beschränkt und die Ausdehnung auf die sog. "materielle Rechts-
verweigerung" im Sinne von Willkür abgelehnt (AGVE 1971,
2000
Verwaltungsgericht
350
S. 340 f., 349; 1979, S. 272; 1981, S. 284; 1989, S. 315; Merker,
a.a.O., § 53 N 7); eine "kleine Staatsrechtliche Beschwerde" habe der
Gesetzgeber nicht gewollt (AGVE 1971, S. 349).
Dass das Verwaltungsgericht unter den Begriff der Rechtsver-
weigerung nicht einmal alle Teilbereiche der formellen Rechtsver-
weigerung, wie sie in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ge-
staltet wurden, subsumiert, sondern darunter nur das Nichthandeln
versteht (VGE II/37 vom 6. März 1995 in Sachen S.D.M., S. 7 ff.,
gestützt auf einen Beschluss des Gesamtverwaltungsgerichts vom
28. Februar 1995; vgl. dazu Merker, a.a.O., § 53 N 33), wird kriti-
siert (Merker, a.a.O., § 53 N 34). Diese Kritik überzeugt nicht. Wenn
der Gesetzgeber unter "Rechtsverweigerung" die formelle Rechts-
verweigerung, wie sie sich damals nach der bundesgerichtlichen Pra-
xis gestaltete, insgesamt verstanden hätte, wäre es überflüssig und
widersprüchlich gewesen, zusätzlich die Verletzung der Vorschriften
über die Zuständigkeit, den Ausstand, das rechtliche Gehör und die
Akteneinsicht aufzuführen, wurden doch diese schon damals in der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung allesamt dem Bereich der
formellen Rechtsverweigerung zugerechnet (vgl. die BGE-General-
register zu Bd. 81-90 und 91-100). Entsprechend wurde in der Bot-
schaft des Regierungsrats zum VRPG vom 3. Mai 1967, auf die sich
Merker zu Unrecht beruft, ausgeführt (S. 42): "Mit dieser General-
klausel wird für sämtliche Fälle der Rechtsverweigerung, Rechts-
verzögerung
oder anderer
Verletzungen wesentlicher Verfahrensvor-
schriften ..." (Hervorhebung beigefügt).
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Der Wille des Ge-
setzgebers, wie weit er dem Verwaltungsgericht dort Kompetenzen
zuerkennen wollte, wo er ihm keine sachliche Zuständigkeit zuwies,
erscheint klar. Es wäre Sache des Gesetzgebers, nicht des Verwal-
tungsgerichts, diese Kompetenzen auszudehnen. Dies gilt umso
mehr, als es dafür keiner Änderung auf Gesetzesstufe bedarf, sondern
die entsprechende Rechtsetzung ausdrücklich erleichtert wurde und
mittels Dekret erfolgen kann (§ 51 Abs. 2 VRPG).
2000
Verwaltungsrechtspflege
351
c) In der Beschwerde wird geltend gemacht, der Regierungsrat
habe in verschiedener Beziehung willkürlich entschieden. Hierauf
darf nicht eingetreten werden, da - wie dargelegt - die gemäss § 53
VRPG zulässigen Beschwerdegründe die materielle Rechtsverweige-
rung (= Willkür) nicht umfassen. Weiter beanstandet der Beschwer-
deführer ..., und behauptet damit sinngemäss überspitzten Formalis-
mus. Nun ist überspitzter Formalismus zwar ein Teilbereich der for-
mellen Rechtsverweigerung in der bundesgerichtlichen Rechtspre-
chung; doch wird dieser Teilbereich durch § 53 VRPG nicht erfasst
(vorne Erw. 2/b/bb).
3. Da der Beschwerdeführer keine der in § 53 VRPG aufge-
führten Beschwerdegründe vorbringt, ist auf die Beschwerde man-
gels Zuständigkeit nicht einzutreten. | 1,499 | 1,194 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-81_2000-11-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-81.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-81.pdf | AGVE_2000_81 | null | nan |
dce91f75-5655-5553-9973-9dcc4cdb0301 | 1 | 412 | 869,794 | 973,296,000,000 | 2,000 | de | 2000
Verwaltungsrechtspflege
341
IX. Verwaltungsrechtspflege
76
Akteneinsichtsrecht
- Pflicht zur Erstellung eines Augenscheinprotokolls bevor die zustän-
dige Instanz den Entscheid fällt.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 7. November 2000 in
Sachen R.F. und Mitbeteiligte gegen Entscheid des Regierungsrats und Ent-
scheid des Grossen Rats.
Aus den Erwägungen
II. 1. a) Die Beschwerdeführer bemängeln eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs, da ihnen das Protokoll der von der Rechtsabtei-
lung des Baudepartements durchgeführten Augenscheinsverhandlung
nicht zugestellt worden sei. Die Beschwerdeführer verzichten darauf,
eine Rückweisung wegen Gehörsverletzung zu beantragen und be-
gnügen sich mit dem Vorbehalt einer ergänzenden Stellungnahme
nach Vorliegen des Protokolls.
b) Das Baudepartement hat am 19. August 1997 in Anwesenheit
der Verfahrensbeteiligten eine Augenscheinsverhandlung durch-
geführt. Nach Erhalt des regierungsrätlichen Entscheids verlangte der
Rechtsvertreter der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 2. März
1998 "im Rahmen des Akteneinsichtsrechts sämtliche Unterlagen",
und wies darauf hin, dass er insbesondere das Protokoll der Augen-
scheinsverhandlung vom 19. August 1997 benötige. Nach seinen An-
gaben wurde ihm dies verweigert mit der Begründung, das Protokoll
werde praxisgemäss erst nach Bekanntgabe der Einreichung einer
Verwaltungsgerichtsbeschwerde diktiert und ins Reine geschrieben.
Es ist unbestritten, dass das Protokoll nicht zugestellt wurde. Die Be-
schwerdeführer erhielten das Protokoll vom 19. August 1997 erst mit
2000
Verwaltungsgericht
342
der Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2000. Das
Baudepartement vertritt die Auffassung, unter der - hier gegebenen -
Voraussetzung, dass alle Parteien am Augenschein anwesend seien,
komme der Aktennotiz bezüglich dem genauen Inhalt der Diskus-
sionen nicht mehr als die Bedeutung eines "internen Aktenstückes"
zu. Der Augenschein diene als Untersuchungsmittel der Instruk-
tionsbehörde auch in casu einzig und allein der Überprüfung und der
Visualisierung der in der Beschwerdeschrift erhobenen Anträge und
Begründungen sowie all jener Punkte, die von Amtes wegen vorzu-
nehmen seien. Weiter wird auch geltend gemacht, es bestehe keine
Pflicht, ein wörtliches Protokoll oder ein kürzeres sinngemässes
Protokoll zu führen; eine zusammenfassende Aktennotiz, welche
über Zeit, Ort und besprochenen zusammenfassenden Inhalt in Stich-
worten Auskunft gebe, genüge im Verwaltungsverfahren; auch gebe
es keine rechtliche Pflicht, diese in Maschinenschrift auszufertigen.
Für die Akteneinsicht reiche es, wenn die Handnotizen eingesehen
werden könnten und der Führer der Aktennotiz bei allfälligen Fragen
bezüglich des Inhaltes zur Verfügung stehe.
c) aa) Wenn sich eine Behörde des Beweismittels des Augen-
scheins bedient, muss sie es in den vorgeschriebenen Formen tun und
die Grundsätze des rechtlichen Gehörs beachten (BGE 104 Ib 122).
Unter dem Titel "Beweiserhebung" ist in § 22 Abs. 1 VRPG vorge-
sehen, dass die Verwaltungsbehörde oder deren Beauftragte zur Er-
mittlung des Sachverhalts u. a. auch Beteiligte und Auskunftsperso-
nen befragen und Augenscheine vornehmen können. In welcher
Form dies zu geschehen hat, wird, anders als im für das Verwal-
tungsgericht geltenden § 22 Abs. 3 VRPG, wo für die Beweisab-
nahme auf die Regeln der Zivilprozessordnung verwiesen wird (für
den Augenschein vgl. § 249 ZPO), nicht näher bestimmt. § 22 Abs. 1
VRPG enthält somit weder spezifische Vorschriften über die Art der
Protokollführung, noch ergibt sich daraus auch nur eine unmittelbare
Verpflichtung der Verwaltungsbehörden zur Protokollierung von
Augenscheinen. Vom Gesetzgeber war klarerweise beabsichtigt, den
2000
Verwaltungsrechtspflege
343
Verwaltungsinstanzen allgemein ein weniger förmliches Vorgehen zu
ermöglichen als den Justizbehörden. Die Verwaltungsbehörden soll-
ten bei der "Verfahrensleitung möglichst frei sein", namentlich auch
bei der Beweiserhebung "möglichst grosse Freiheit und Beweglich-
keit geniessen" (AGVE 1986, S. 336 f. mit Hinweis auf die Materia-
lien; AGVE 1986, S. 112). Anderseits gelten die allgemeinen Verfah-
rensvorschriften des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (§ 15 ff.)
grundsätzlich uneingeschränkt auch für die Verwaltungsbehörden
(§ 1 Abs. 1 VRPG). Insbesondere die Bestimmungen über das recht-
liche Gehör sind auch für die Beweiserhebung durch Verwaltungsin-
stanzen von grösster Bedeutung (AGVE 1986, S. 337). Wo sich die
kantonalen Verfahrensvorschriften als unzureichend erweisen, grei-
fen zudem die unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV (früher Art. 4 aBV)
folgenden bundesrechtlichen Minimalgarantien Platz (BGE 116 Ia
98; ferner AGVE 1980, S. 305 f.; Kurt Eichenberger, Kommentar zur
Verfassung der Kantons Aargau, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg
1986, § 22 N 14 ff.).
bb) Die Frage des rechtlichen Gehörs ist in den §§ 15 VRPG
(Anhörung) und 16 VRPG (Akteneinsicht) geregelt. In Bezug auf die
hier vor allem interessierende Frage der Akteneinsicht bestimmt § 16
Abs. 1 VRPG, wer von einer Verfügung oder von einem Entscheid
betroffen werde, habe grundsätzlich das Recht, in die Akten Einsicht
zu nehmen. Die Einsichtnahme könne u. a. in "nur dem verwal-
tungsinternen Gebrauch dienende Akten" verweigert werden. Das
Verwaltungsgericht hat in seiner unveröffentlichten Rechtsprechung
festgestellt, das Protokoll einer Augenscheinsverhandlung bilde in
erster Linie ein Arbeitsinstrument der entscheidenden Behörde, wes-
halb es vor der Entscheidfällung nicht zur Stellungnahme an die
Parteien zugestellt werden müsse (VGE III/86 vom 23. Dezember
1983 in Sachen M., S. 6 f.). Hingegen stehe den Parteien, die den
Entscheid anfechten wollten, aufgrund von § 16 VRPG das Recht auf
Einsichtnahme auch in ein Augenscheinsprotokoll zu (VGE II/66
vom 3. Mai 1994 in Sachen L., S. 6). Das Recht auf Akteneinsicht
2000
Verwaltungsgericht
344
setzt voraus, dass überhaupt Akten vorhanden sind, in die eingesehen
werden kann, d. h. es begründet eine
Aktenerstellungspflicht
(BGE
115 Ia 99; Thomas Cottier, Der Anspruch auf rechtliches Gehör
[Art. 4 BV], recht 1984, S. 123; Jörg Paul Müller, Grundrechte in der
Schweiz, 3. Auflage, Bern 1999, S. 531 f.; Alexander Dubach, Das
Recht auf Akteneinsicht, Berner Diss., Zürich 1990, S. 92 f.). Sämt-
liche Verfahrenselemente, wie Sachverhalt, Beweiserhebungen und
Protokolle, sind durch Aktenführung ausreichend zu dokumentieren
(Alexander Dubach, a.a.O., S. 92 unten; Jörg Paul Müller, a.a.O.,
S. 531; BGE 115 Ia 99).
cc) Nach der sich auf Art. 4 aBV stützenden Rechtsprechung
des Bundesgerichts genügt es grundsätzlich, die wesentlichen Ergeb-
nisse des Augenscheins in einem Protokoll oder Aktenvermerk fest-
zuhalten oder zumindest - soweit sie für die Entscheidungen erheb-
lich sind - im Entscheid klar zum Ausdruck zu bringen (BGE 106 Ia
75; 104 Ia 212, 322). In der Literatur wird aber zu Recht die Auffas-
sung vertreten, es sei im Hinblick auf die spätere Gewährung des
Akteneinsichtsrechts sowie zwecks Schaffung einwandfreier Ent-
scheidgrundlagen unumgänglich, dass die anlässlich des Augen-
scheins gemachten Feststellungen in einem Protokoll schriftlich fest-
gehalten werden. Die mit der Instruktion betraute Behörde habe da-
her über die wesentlichen Ergebnisse des Augenscheins immer ein
Protokoll zu erstellen, das den Parteien nach dem Grundsatz des
rechtlichen Gehörs auch jederzeit zur Einsichtnahme offen stehen
müsse (Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin Röhl, Kommentar zum
Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zü-
rich 1999, § 7 N 49; Thomas Merkli/Arthur Aeschlimann/Ruth Her-
zog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im
Kanton Bern, Bern 1997, Art. 19 N 33; Attilio R. Gadola, Das ver-
waltungsinterne Beschwerdeverfahren, Diss. Zürich 1991, S. 409;
Georg Müller, in Kommentar BV, Art. 4 N 111; Cottier, a.a.O.,
S. 23).
2000
Verwaltungsrechtspflege
345
dd) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die entscheidende
Instanz der Regierungsrat ist, die Augenscheinsverhandlung dagegen
von einer Dreierdelegation des Baudepartements durchgeführt
wurde. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt keine Ver-
letzung von Art. 4 aBV bzw. Art. 29 Abs. 2 BV vor, wenn an einem
Augenschein in einem kantonalen Beschwerdeverfahren, in dem der
Regierungsrat entscheidet, kein Mitglied dieser Behörde persönlich
anwesend ist. Dies gilt laut Bundesgericht umso mehr, wenn sich der
Regierungsrat bei seinem Entscheid unter anderem auch auf ein aus-
führliches Augenscheinsprotokoll stützen und sich so ein klares Bild
über die tatsächlichen Verhältnisse machen kann (BGE 110 Ia 82;
vgl. auch BGE 100 Ib 400; 109 Ia 2 f.; Merkli/Aeschlimann/Herzog,
a.a.O., Art. 19 N 33). Wesentlich erscheint jedenfalls, dass der ent-
scheidenden Instanz alle für einen Entscheid erforderlichen Grundla-
gen zur Verfügung stehen; d.h. sie muss über die vollständigen Akten
verfügen. Hat die instruierende Behörde einen Augenschein durchge-
führt und/oder Beteiligte und Auskunftspersonen befragt, so gehören
die vor Ort gemachten Feststellungen und die Aussagen der Betei-
ligten ebenfalls zu den Entscheidgrundlagen. Sie müssen an Ort und
Stelle daher jedenfalls soweit protokolliert werden, als sie für den
Entscheid erheblich sein können. Dies setzt in Bezug auf die Proto-
kollführung aber auch voraus, dass ein für Dritte leserliches und
inhaltlich nachvollziehbares Protokoll oder eine Aktennotiz ausge-
fertigt wird, das die wesentlichen Punkte vollständig wiedergibt;
nicht erforderlich ist in aller Regel ein Wortprotokoll. Stichwortartige
handschriftliche Aufzeichnungen, die einzig für ihren Verfasser les-
bar und verständlich sind, genügen nicht. Ein den umschriebenen
Anforderungen entsprechendes Protokoll muss erstellt bzw. ausge-
fertigt werden,
bevor
die zuständige Instanz den Entscheid fällt. Nur
so ist sichergestellt, dass sämtliche am Entscheid Mitwirkenden trotz
fehlender Teilnahme am Augenschein über einwandfreie Entscheid-
grundlagen, insbesondere ausreichende Kenntnis des entscheidrele-
vanten Sachverhalts, verfügen. Überdies setzt auch die sorgfältige
2000
Verwaltungsgericht
346
Entscheidvorbereitung und Antragstellung der instruierende Behörde
zuhanden der entscheidbefugten Instanz in Regel ein brauchbares
Protokoll voraus. Insofern geht der verfassungsrechtlich gewähr-
leistete Grundsatz des rechtlichen Gehörs den durchaus berechtigten
Anliegen der wirkungsorientierten Verwaltung vor. Auf die Ausferti-
gung des Protokolls kann dann verzichtet werden, wenn kein Sach-
entscheid gefällt werden muss. | 2,352 | 1,917 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-76_2000-11-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-76.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-76.pdf | AGVE_2000_76 | null | nan |
dd133afa-0860-56e3-8b03-c39d41476e29 | 1 | 412 | 871,853 | 1,139,875,200,000 | 2,006 | de | 2006
Verwaltungsgericht
218
42
Verhältnismässigkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung und der
Zwangsmedikation bei schleichendem Beginn einer Schizophrenieerkran-
kung eines jungen Patienten, obwohl keine Selbst- oder Fremdgefähr-
dung vorliegt.
-
Bei Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis bei jüngeren
Patienten ist zu berücksichtigen, dass bei frühzeitiger Behandlung
gute Heilungschancen bestehen, während sich die Krankheit bei zu
langem Hinauszögern chronifizieren kann (Entscheid vom 14. Fe-
bruar 2006, Erw. 4.2.3).
-
Mit zwangsweise vorgenommener medikamentöser Behandlung
kann einem Patienten auf längere Sicht eine bessere Lebensqualität
gewährleistet werden, als wenn die Krankheit unbehandelt bliebe
(Entscheid vom 28. Februar 2006, Erw. 4.3).
-
Eine indizierte Zwangsmedikation ist durchzuführen, wenn wegen
weiterer Verzögerung der notwendigen Behandlung die Freiheitsent-
ziehung verlängert würde (Entscheid vom 28. Februar 2006,
Erw. 4.2)
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 14. Februar 2006 in
Sachen S.W. gegen Verfügungen des Bezirksarzt-Stellvertreters X. und des
Bezirksarztes Y. (Anstaltseinweisung) sowie Entscheid des Verwaltungsge-
richts, 1. Kammer, vom 28. Februar 2006 in Sachen S.W. gegen Entscheid der
Klinik Königsfelden (Zwangsmedikation).
Aus den Erwägungen des Entscheids vom 14. Februar 2006
3.
3.1. Allein die Tatsache, dass eine Person an einer Geistes-
krankheit im Sinne des ZGB leidet, genügt nicht zur Anordnung ei-
ner fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Diese einschneidende
Massnahme ist nur dann zulässig, wenn das Fürsorgebedürfnis des
Betroffenen unter Berücksichtigung seiner eigenen Schutzbedürftig-
keit und der Belastung der Umgebung sie erfordert und andere, we-
niger weitgehende Vorkehren nicht genügen (Art. 397a Abs. 1 und 2
ZGB; AGVE 1997, S. 240; 1992, S. 276; 1990, S. 223; Thomas Gei-
2006
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
219
ser, in: Basler Kommentar, ZGB I, 2. Auflage, Basel/Genf/München
2002, Art. 397a N 12 f.; Eugen Spirig, in: Zürcher Kommentar,
Art. 397a-397f ZGB, Zürich 1995, Art. 397a N 259 f.).
3.2. (...)
4.
4.1.
4.1.1. Eine Verwaltungsmassnahme muss geeignet sein, das im
öffentlichen Interesse angestrebte Ziel zu erreichen (Ulrich Häfe-
lin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zü-
rich/Basel/Genf 2002, Rz. 581). Sie muss im Hinblick auf das im öf-
fentlichen Interesse angestrebte Ziel erforderlich sein und darf in
sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Beziehung nicht
über das Notwendige hinausgehen (Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 591,
594) und sie muss durch ein das private überwiegendes öffentliches
Interesse gerechtfertigt sein (Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 615). Dies
gilt auch im Falle einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Dass
dabei die Verhältnismässigkeit gewahrt werden muss, drückt
Art. 397a ZGB mit den Worten aus: "...wenn ihr die nötige persönli-
che Fürsorge nicht anders erwiesen werden kann". Die fürsorgerische
Freiheitsentziehung muss also ultima ratio bleiben (Eugen Spirig,
a.a.O., Art. 397a N 258 f.).
4.1.2. In der Regel soll der Klinikaufenthalt eine (meist medi-
kamentöse) Behandlung ermöglichen, die notwendig erscheint und
wegen des Zustands und Verhaltens der betroffenen Person nicht
ambulant erfolgen kann. Das Verwaltungsgericht hat in seiner bishe-
rigen Rechtsprechung daher festgehalten, die fürsorgerische Frei-
heitsentziehung sei unverhältnismässig, wenn nur vage Aussichten
auf einen Behandlungserfolg bestünden und die betroffene Person
nicht gleichzeitig in hohem Masse selbst- oder fremdgefährlich sei
(AGVE 1993, S. 310 ff.). Gemäss verwaltungsgerichtlicher Recht-
sprechung kann eine fürsorgerische Freiheitsentziehung gerechtfer-
tigt sein, wenn durch frühzeitige, intensive Behandlung bessere Hei-
lungsaussichten bestehen (AGVE 1990, S. 221 [Regeste]). Bei Ge-
fahr eines sofortigen Rückfalls ist die Entlassung nicht angezeigt
(AGVE 1994, S. 352 ff.).
4.2. (...)
2006
Verwaltungsgericht
220
4.2.1. (...)
4.2.2. Der zuständige Oberarzt erklärte anlässlich der verwal-
tungsgerichtlichen Verhandlung, dass der Beschwerdeführer einer
medikamentösen Behandlung über 10 bis 14 Tage mit Antipsycho-
tika bedürfe. Anschliessend sei ein Übertritt in die ambulante Be-
handlung mit psychiatrischer Begleitung zu empfehlen, um auch die
soziale und berufliche Situation des Beschwerdeführers zu ändern.
Im Falle einer jetzigen Behandlung bestünde die Chance für einen
Wiedereintritt in die Gesellschaft. Andernfalls würde sich die Pro-
gnose verschlechtern. Die Folgen wären ein weiterer sozialer Rück-
zug und das Auftreten von Verwahrlosungstendenzen, so dass ir-
gendwann das Bezirksamt beigezogen werden müsste. Der Be-
schwerdeführer entferne sich immer mehr von der realen Welt, habe
auch Mühe, sich zu verständigen. Er werde immer mehr zu einem
Autisten. Ohne Behandlung würde sich der Zustand des Beschwerde-
führers mit der Zeit so sehr verschlechtern, dass eine Behandlung nur
noch mit um einiges drastischeren Behandlungsmethoden möglich
und die Erfolgsaussichten kleiner wären. Der Beschwerdeführer sei
aus medizinisch-psychiatrischer Sicht behandlungsbedürftig und -fä-
hig. Auch der Fachrichter bestätigte, dass die Heilungschancen er-
heblich besser seien bei sofortiger Behandlung im Vergleich zu einer
Behandlung in einigen Monaten. In dieser Zeit würde sich das Zu-
standsbild mit grösster Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern.
4.2.3. Für das Verwaltungsgericht steht aufgrund der Kranken-
geschichte, der ärztlichen Aussagen und des an der Verhandlung ge-
wonnenen Eindrucks fest, dass der Beschwerdeführer an einer be-
handlungsbedürftigen und grundsätzlich medikamentös behandelba-
ren psychischen Krankheit aus dem schizophrenen Formenkreis lei-
det. Der Beschwerdeführer ist relativ jung und die Krankheit befindet
sich noch im Anfangsstadium. Bis anhin wurde er noch nie medika-
mentös behandelt. Aus medizinisch-psychiatrischer Sicht ist zu be-
rücksichtigen, dass nach der heutigen Erkenntnis bei Erkrankungen
aus dem schizophrenen Formenkreis bei jüngeren Menschen relativ
gute Heilungschancen bestehen, wenn die Behandlung frühzeitig er-
folgt, während sich die Krankheit bei einem zu langen Hinauszögern
der Behandlung chronifizieren kann. Durch eine erfolgreiche Be-
2006
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
221
handlung verringert sich im vorliegenden Fall auch die Belastung der
Umgebung, da sich die Eltern verständlicherweise seit mehreren
Monaten grosse Sorgen machen und auch eine Suizidalität nicht aus-
schliessen. Da beim Beschwerdeführer weder Krankheits- noch Be-
handlungseinsicht besteht, muss davon ausgegangen werden, dass er,
auf sich alleine gestellt, die benötigten Medikamente nicht einneh-
men würde, wodurch sich sein Zustand und damit auch die Hei-
lungsaussichten verschlechtern würden. Aufgrund seines seit mehre-
ren Monaten ständig schlechteren Zustandsbilds mit vermehrt feh-
lendem Realitätsbezug und unberechenbaren Verhaltensweisen kann
sodann eine Selbst- und Fremdgefährdung nicht ausgeschlossen wer-
den. Die Aufrechterhaltung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung
ist daher gerechtfertigt und verhältnismässig. Die nötige persönliche
Fürsorge kann dem Beschwerdeführer nur mit einer stationären kon-
trollierten Medikation erwiesen werden.
Aus den Erwägungen des Entscheids vom 28. Februar 2006
1.
1.1. Grundsätzlich dürfen Untersuchungen, Behandlungen, me-
dizinische Eingriffe und Pflege nur mit Zustimmung des Patienten
erfolgen. In Notfällen darf die Zustimmung vermutet werden (§ 15
Abs. 1 und 3 PD). Gemäss § 67e
bis
EG ZGB dürfen jedoch im
Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung in der Klinik Kö-
nigsfelden Behandlungen und andere Vorkehrungen auch
gegen
den
Willen der betroffenen Person vorgenommen werden. Solche
Zwangsmassnahmen sind nicht nur auf eigentliche Notfälle und
Akutsituationen zu beschränken. Vielmehr darf auch ohne oder ge-
gen den Willen der betroffenen Person eine längerdauernde Behand-
lung vorgenommen werden (AGVE 2000, S. 174 f.).
1.2. Ziel und Zweck jeder Zwangsmassnahme ist der Schutz der
betroffenen Person und deren Mitmenschen vor körperlichen und
seelischen Schäden. In Anwendung des Verhältnismässigkeitsprin-
zips muss sie "ultima ratio" sein, indem der betroffenen Person die
notwendige Fürsorge nicht auf andere Weise gewährleistet werden
2006
Verwaltungsgericht
222
kann (AGVE 2000, S. 168 mit Hinweis). Eine Zwangsmassnahme ist
namentlich dann unverhältnismässig, wenn eine ebenso geeignete
mildere Anordnung für den angestrebten Erfolg ausreicht.
(...)
3.
3.1. Als Ziel der Zwangsmedikation wird im angefochtenen
Zwangsmassnahmen-Entscheid die antipsychotische Behandlung des
Beschwerdeführers genannt. Der Entscheid wurde bis zum 3. März
2006 befristet. Die aufschiebende Wirkung wurde dem Entscheid
entzogen mit der Begründung, die Behandlungsnotwendigkeit sei
lange genug erörtert worden und es seien dem Beschwerdeführer
lange genug Alternativen angeboten worden. Aus den beigezogenen
Akten geht hervor, dass der Beschwerdeführer die Medikamente un-
ter der Androhung von Zwangsinjektion seit dem 23. Februar 2006 in
flüssiger Form eingenommen hat. Der Beschwerdeführer macht im
Wesentlichen geltend, die Zwangsmedikation sei sofort abzubrechen,
da er gesund sei. Eine Fremd- oder Selbstgefährdung sei nicht
gegeben. Sollte sein Antrag abgelehnt werden, sei dem Zwangs-
massnahmen-Entscheid die aufschiebende Wirkung zu erteilen, so-
lange bis die Urteile betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung
und Zwangsmedikation rechtskräftig seien.
3.2. Gemäss Praxis des Verwaltungsgerichts betreffend die Ab-
grenzung von sinnvoller Überzeugungsarbeit der Ärzte und Zwang-
smedikation im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung,
liegt eine Zwangsmedikation im Sinne von § 67e
bis
Abs. 1 EG ZGB
auch dann vor, wenn der Patient in die Medikation einwilligt, weil
ihm andernfalls eine Zwangsinjektion - nötigenfalls unter Anwen-
dung von körperlicher Gewalt - angedroht wurde (AGVE 2002, S.
198). Die aktuelle orale Medikation ist somit zweifellos eine
Zwangsmedikation im Sinne des Gesetzes.
3.3. Im Folgenden gilt zu prüfen, ob die angefochtene Zwangs-
medikation im sachlichen Zusammenhang mit der Krankheit des Be-
schwerdeführers steht, medizinisch indiziert und verhältnismässig ist.
4.
4.1. (...)
2006
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
223
4.2. (...) Angesichts der Konsequenzen einer Nichtbehandlung
auf das Zustandsbild des Beschwerdeführers und der schlechteren
Heilungsaussichten, erscheint es gerechtfertigt und verhältnismässig,
dem Beschwerdeführer die nötigen Medikamente auch gegen seinen
Willen zu verabreichen. Würde man den Beschwerdeführer ohne Be-
handlung entlassen, käme es mit grösster Wahrscheinlichkeit früher
oder später erneut zu einer Klinikeinweisung mittels fürsorgerischer
Freiheitsentziehung, wobei die Prognose dann viel schlechter wäre
als bei der aktuellen Hospitalisation.
Der Beschwerdeführer befand sich zum Zeitpunkt der Anord-
nung der Zwangsmedikation bereits seit einem Monat in der Klinik
Königsfelden, ohne dass er behandelt wurde. Eine weitere Verzöge-
rung der notwendigen Behandlung hätte zur Folge, dass dem Be-
schwerdeführer weiterhin die Freiheit entzogen würde, ohne dass
ihm die notwendige persönliche Fürsorge gewährt werden könnte.
Angesichts dieser Sachlage wurde dem Zwangsmassnahmen-Ent-
scheid die aufschiebende Wirkung zu Recht nicht erteilt.
4.3. Zusammenfassend kann dem Beschwerdeführer mit einer
zwangsweise vorgenommenen medikamentösen Behandlung auf
längere Sicht eine bessere Lebensqualität gewährleistet werden, als
wenn man die Krankheit unbehandelt liesse. Die Zwangsmassnahme
steht in einem sachlichen Zusammenhang mit der Geisteskrankheit
des Beschwerdeführers, ist medizinisch indiziert und verhältnismäs-
sig. Die zwangsweise medikamentöse Behandlung des Beschwerde-
führers erweist sich in seinem eigenen Interesse als dringend not-
wendig und verhältnismässig, auch in zeitlicher Hinsicht. | 2,676 | 2,058 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2006-42_2006-02-14 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-42.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-42.pdf | AGVE_2006_42 | null | nan |
dd3f18f7-c83e-59f5-b2c6-c345887b0424 | 1 | 412 | 871,846 | 1,478,131,200,000 | 2,016 | de | 2016
Submissionen
189
[...]
30
Ausschluss eines Anbieters vom Verfahren; Eignungskriterien
-
Es ist zulässig, zum Nachweis der finanziellen Eignung die Einrei-
chung der Geschäftsberichte, Bilanzen und Erfolgsrechnungen der
letzten drei Jahre zu verlangen.
-
Im Anwendungsfall war die Vergabestelle nicht verpflichtet, der be-
troffenen Anbieterin zu ermöglichen, die geforderten Unterlagen
nachzureichen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 7. November 2016 in Sa-
chen A. AG gegen Kanton Aargau (WBE.2016.412).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die Vergabestelle bei Vor-
liegen genügender Gründe Anbietende vom Verfahren aus. Dies gilt
insbesondere in den in § 28 Abs. 1 lit. a - h SubmD genannten Fäl-
len. Auszuschliessen sind somit Anbietende, welche die geforderten
Eignungskriterien nicht mehr erfüllen (§ 28 Abs. 1 lit. a SubmD),
oder deren Angebote wesentliche Formvorschriften verletzt haben,
u.a. durch Unvollständigkeit des Angebots oder Änderung der Aus-
schreibungsunterlagen (§ 28 Abs. 1 lit. g SubmD; vgl. auch § 27
lit. h der Vergaberichtlinien [VRöB] zur IVöB). Wie schon aus dem
Wortlaut der Bestimmung hervorgeht, hat die Aufzählung der Aus-
schlussgründe keinen abschliessenden Charakter.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
190
2.2.
Das Nichterfüllen oder das nur teilweise Erfüllen von Eig-
nungskriterien führt nach Lehre und Rechtsprechung in der Regel
zum Ausschluss vom weiteren Vergabeverfahren. Auszuschliessen
sind auch Anbieter, welche die verlangten Eignungsnachweise nicht
oder nicht vollständig erbringen (vgl. P
ETER
G
ALLI
/A
NDRÉ
M
OSER
/E
LISABETH
L
ANG
/M
ARC
S
TEINER
, Praxis des öffentlichen
Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 580,
603 ff., 617 mit zahlreichen Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts
vom 26. Januar 2016 [2C_665/2015], Erw. 1.3.3 mit Hinweisen; Ur-
teil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2016 [B-998/2014],
Erw. 2.1). Gemäss § 14 Abs. 1 SubmD müssen die Anbietenden ihre
Anträge auf Teilnahme oder ihr Angebot schriftlich, vollständig und
innert der angegebenen Frist einreichen. Unvollständige Anträge auf
Teilnahme führen in einem selektiven Verfahren ebenfalls zum Aus-
schluss und haben zur Folge, dass der betreffende Anbieter für die
2. Stufe des Submissionsverfahrens nicht zugelassen wird.
3.
3.1.
Im Rahmen eines Submissionsverfahrens ist die Befähigung je-
des einzelnen Bewerbers zur Ausführung des Auftrags zu prüfen. Die
Eignung ist gegeben, wenn sichergestellt ist, dass der konkrete
Anbietende den Auftrag in finanzieller, wirtschaftlicher und techni-
scher Hinsicht erfüllen kann. Gemäss § 10 Abs. 1 SubmD kann die
Vergabestelle in der Ausschreibung beziehungsweise in den Aus-
schreibungsunterlagen festlegen, welche für die Ausführung des
betreffenden Auftrags wesentlichen Eignungskriterien die Anbieten-
den erfüllen und welche unerlässlichen Nachweise, insbesondere be-
züglich der finanziellen, wirtschaftlichen und fachlichen Leistungs-
fähigkeit, sie erbringen müssen. Die Leistungsfähigkeit muss in der
Ausschreibung mit objektiven und überprüfbaren Eignungskriterien
umschrieben werden (vgl. G
ALLI
/M
OSER
/L
ANG
/S
TEINER
, a.a.O.,
Rz. 588 ff.); diese müssen sich auf die ausgeschriebene Leistung be-
ziehen. Es dürfen deshalb nur solche Eignungsnachweise verlangt
werden, die im Hinblick auf die nachgefragte Leistung erforderlich
sind. Soweit die gestellten Anforderungen durch die Bedürfnisse der
2016
Submissionen
191
vorgesehenen Beschaffung begründet sind, ist ihre Verwendung
zulässig (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich
vom 4. August 2016 [VB.2016.00180], Erw. 3.1). Die Vergabestelle
ist an die ausgeschriebenen Eignungskriterien gebunden
(G
ALLI
/M
OSER
/L
ANG
/S
TEINER
, a.a.O. Rz. 628). Sowohl bei der Aus-
wahl der Eignungskriterien und der Eignungsnachweise als auch bei
der Beurteilung der Anbieter anhand der ausgewählten Eig-
nungskriterien kommt der Vergabestelle ein weiter Ermessenspiel-
raum zu (AGVE 2013, S. 220; VGE III/19 vom 26. Februar 2016
[WBE.2015.513], S. 4 f.; G
ALLI
/M
OSER
/L
ANG
/S
TEINER
, a.a.O.,
Rz. 564, 608 und 611 mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht hat
nur dann einzugreifen, wenn die Vergabestelle ihr Ermessen über-
schritten oder missbraucht hat.
3.2.
Im Pflichtenheft 1/Präqualifikation für die Unterhaltsreinigung
Teil 2 vom 30. Juni 2016 werden in Ziff. 6.1 die folgenden Eignungs-
kriterien genannt:
Eign-1a und 1b Fachliche und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit:
Referenzen
[...]
Eign-2Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit: Umsatzzahlen
Eign-3 Finanzielle Leistungsfähigkeit: Betreibungsregisterauszug
Eign-4 Finanzielle Leistungsfähigkeit: Versicherungen
Eign-5 Finanzielle Leistungsfähigkeit: Handelsregisterauszug
Eign-6 Finanzielle Leistungsfähigkeit: Geschäftsbericht, Erfolgsrech-
nung und Bilanz
Eign-7 Selbstdeklaration
Eign-8 Bestätigungen
Im
Anhang 2
zum
Pflichtenheft
wurden
die
Eignungskriterien und die geforderten Nachweise näher
präzisiert. Das umstrittene Eignungskriterium 6 lautet
folgendermassen:
Eign-6
Der Anbieter verfügt über eine
Geschäftsberichte, Er-
ausgewiesene finanzielle Leis-
folgsrechnungen und
tungsfähigkeit
Bilanzen der letzten
3 Jahre
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
192
3.3.
Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die geforderten
Erfolgsrechnungen und Bilanzen der letzten drei Jahre ihrem
Teilnahmeantrag bzw. ihren Präqualifikationsunterlagen nicht beige-
legt hat. In ihren Präqualifikationsunterlagen hält sie ausdrücklich
fest: "Gerne haben wir Ihnen unsere Geschäftsberichte der letzten
drei Jahre beigelegt (2013 - 2015). Unsere Erfolgsrechnungen und
Bilanzen möchten wir Ihnen nicht beilegen. Bei Auftragserteilung
gewähren wir Ihnen gerne Einblick in die gewünschten Dokumente.
Besten Dank für Ihr Verständnis." Demzufolge steht ohne weiteres
fest, dass ihre Präqualifikationsunterlagen bzw. ihr Teilnahmeantrag
unvollständig ist, da von der Vergabestelle ausdrücklich geforderte
Eignungsnachweise fehlen. Die Beschwerdeführerin vertritt den
Standpunkt, dass es sich hierbei höchstens um einen untergeordneten
Mangel handeln könne, der einen Verfahrensausschluss nicht zu
rechtfertigen vermöge. Ihre finanzielle Eignung ergebe sich klarer-
weise aus den übrigen von ihr eingereichten Unterlagen, insbeson-
dere den abgegebenen Geschäftsberichten 2013 - 2015, welche die
Umsatzentwicklung seit 1997 aufzeigten, über die wesentlichen
Kennzahlen und über die Bonität Auskunft gäben sowie den Bericht
der Revisionsstelle zur Jahresrechnung enthielten.
3.4.
Aus § 10 Abs. 1 SubmD folgt, dass die Vergabestelle im Hin-
blick auf den zu vergebenden Auftrag festzulegen hat, welche Nach-
weise sie für die Prüfung u.a. der finanziellen Eignung als unerläss-
lich erachtet. Das Submissionsdekret macht dabei keine näheren
Angaben zu den zu erhebenden und zu prüfenden Unterlagen. Im
Gegensatz dazu enthält etwa Anhang 3 Ziff. 1 - 17 der Verordnung
über das öffentliche Beschaffungswesen vom 11. Dezember 1995
(VöB; SR 172.056.11) eine umfangreiche Liste von zulässigen Nach-
weisen, die zur Überprüfung der Eignung erhoben und eingesehen
werden. Dazu gehören gemäss Ziff. 11 auch "Bilanzen oder
Bilanzauszüge des Unternehmens für die letzten drei Geschäftsjahre
vor der Ausschreibung". Im Bundesvergaberecht ist das Einverlangen
der Bilanzen als zulässiger Nachweis der finanziellen Eignung somit
ausdrücklich vorgesehen. Die Vergabestelle weist völlig zu Recht
2016
Submissionen
193
darauf hin, dass sich den Bilanzen und Erfolgsrechnungen wesentlich
weitergehende und detailliertere Informationen entnehmen liessen als
dies beim Geschäftsbericht der Fall sei. Insbesondere könnten - im
Sinne einer Gesamtsicht - auch Zusammenhänge erkannt und nach-
vollzogen werden, was bei den "nackten" Zahlen des Geschäftsbe-
richts nicht der Fall sei. Zu beachten ist weiter, dass es vorliegend
um die Vergabe eines umfangreichen Dienstleistungsauftrags für die
Dauer von drei Jahren (mit der Option auf zwei weitere Jahre) geht.
Auch insofern ist das Interesse der Vergabestelle an einer vertieften
Prüfung der wirtschaftlichen Situation der Anbieter aufgrund verläss-
licher Unterlagen ohne weiteres nachvollziehbar. Inwiefern die
Vergabestelle durch die Anforderung, zum Nachweis der finanziellen
Eignung seien Geschäftsberichte, Bilanzen und Erfolgsrechnungen
der letzten drei Jahre einzureichen, vorliegend ihr Ermessen über-
schritten oder gar missbraucht hat, ist nicht ersichtlich. Von über-
spitztem Formalismus kann nicht die Rede sein.
3.5.
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, es wäre der
Vergabestelle ohne weiteres möglich gewesen, die Bilanzen und Er-
folgsrechnungen noch anzufordern, ist festzuhalten, dass das Einrei-
chen der ausdrücklich geforderten Unterlagen nicht etwa versehent-
lich unterblieben ist, sondern dass die Beschwerdeführerin ganz be-
wusst davon abgesehen hat. Genau in diesem Punkt unterscheidet
sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von demjenigen, der dem
von der Beschwerdeführerin herangezogenen Entscheid vom
25. Oktober 2005 (AGVE 2005, S. 252 ff., 256) zugrunde lag. Schon
insofern erscheint es mehr als fraglich, ob die Vergabestelle über-
haupt berechtigt gewesen wäre, der Beschwerdeführerin die
Möglichkeit einzuräumen, die verlangten Unterlagen noch nachzu-
reichen, um so ihre Bewerbung nachträglich zu vervollständigen
(vgl. AGVE 1999, S. 345 ff.; 1998, S. 399 f.; ferner AGVE 2005,
S. 254). Eine Verpflichtung, der Beschwerdeführerin eine solche
Nachbesserung zu ermöglichen, bestand jedenfalls nicht (vgl. auch
G
ALLI
/M
OSER
/L
ANG
/S
TEINER
, a.a.O., Rz. 453). Auch insofern hat
die Vergabestelle das ihr zukommende Ermessen nicht überschritten
und nicht überspitzt formalistisch gehandelt. | 2,199 | 1,784 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-30_2016-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-30.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-30.pdf | AGVE_2016_30 | null | nan |
dd43e609-e7ec-5147-b4a6-fe3440cf5680 | 1 | 412 | 871,539 | 1,375,488,000,000 | 2,013 | de | 2013
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
173
[...]
34
Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS)
-
Die Planungspflicht des Gemeinwesens und die Behördenverbind-
lichkeit des Richtplans erfordern, dass die Erhaltungsziele des ISOS
in der allgemeinen Nutzungsplanung berücksichtigt und in die In-
teressenabwägung einbezogen werden.
-
Im konkreten Fall erfordert das hohe Erhaltungsziel der Umge-
bungsrichtung eine umfassende Interessenabwägung, was die voll-
ständige Feststellung der relevanten Interessen des Ortsbildschutzes
voraussetzt.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. August 2013 in Sachen
A., B. und C. gegen Gemeinderat Klingnau und Regierungsrat
(WBE.2012.402).
Aus den Erwägungen
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
174
3.2.
Klingnau ist als Kleinstadt von nationaler Bedeutung im Bun-
desinventar der schützenswerten Ortsbilder aufgeführt (vgl. Verord-
nung über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der
Schweiz vom 9. September 1981 (VISOS; SR 451.12), Anhang). Das
Gebiet "Mülihof" ist gemäss Inventar der schützenswerten Ortsbilder
der Schweiz (ISOS) in der Umgebungsrichtung (U-Ri) II in unmittel-
barer Nähe zur Altstadt. Die U-Ri II wird als weitgehend unverbautes
Aufschüttungsgelände gegen die Aare beschrieben. Gemäss Inventar
gehört die U-Ri II zur Aufnahmekategorie "a" ("unerlässlicher Teil
des Ortsbildes, unverbaut oder mit Bauten, die der ursprünglichen
Beschaffenheit der Umgebung entsprechen") und das Erhaltungsziel
wird ebenfalls mit "a" ("Erhalten der Beschaffenheit als Kulturland
oder Freifläche") angegeben. Das Gebiet U-Ri II ist daher von beson-
derer Bedeutung für das Ortsbild von Klingnau (vgl. ISOS Kanton
Aargau I, S. 381 ff., L-Blatt).
Zum Ortsbild wird festgehalten, es handle sich um eine mittel-
alterliche Kleinstadt auf einer langgezogenen Hügelkuppe (Umlauf-
berg) am rechtseitigen Aareufer, einst mit direktem Anstoss an den
Wasserlauf, heute durch das breite mehrheitlich unverbaute Vorge-
lände (Aarekorrektion) davon abgetrennt. Trotz ausgedehnten allsei-
tigen Überbauungen des 20. Jahrhunderts bestünden partiell intakte
Stadtansichten von der Aare her und im nordseitigen Nahbereich. Mit
Bezug auf das Wachstum der Gemeinde wird ausgeführt, als grössere
zusammenhängende Freiflächen seien einzig noch das Aufschüt-
tungsgelände gegen die Aare hin sowie der nördliche Umgebungsbe-
reich beim Klosterbezirk übrig geblieben. Neben den kategorisierten
Erhaltungszielen sei ein absolutes Bauverbot in der Nahumgebung
zwischen Altstadt und Bahnlinie sowie im aareseitigen Vorgelände zu
beachten (ISOS, a.a.O., O-Blatt).
3.3.
Gemäss dem Bauzonenplan der Stadt Klingnau (beschlossen
von der Gemeindeversammlung am 9. Juni 2011, genehmigt vom
Regierungsrat im angefochtenen Beschluss vom 5. September 2012)
sind die Parzellen 1155 und 1156 wie das gesamte Gebiet "Mülihof"
der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (öBA) zugewiesen
2013
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
175
(§ 15 Abs. 2 lit. a BauG). Diese Zonierung galt seit der Zonenpla-
nung 1972.
Gemäss § 19 Abs. 3 BNO hat das im Bauzonenplan bezeichnete
Gebiet "Mülihof" die Funktion eines Schutzgürtels um die Altstadt.
Alle Bauten sollen durch Stellung, Gestaltung und Bauvolumen auf
die benachbarte Altstadt Rücksicht nehmen.
(...)
4.
4.1.
Durch die Aufnahme eines Objektes von nationaler Bedeutung
in ein Inventar des Bundes wird dargetan, dass es in besonderem
Masse die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls unter Einbezug von
Wiederherstellungs- oder angemessenen Ersatzmassnahmen die
grösstmögliche Schonung verdient (Art. 6 Abs. 1 NHG). Ein Abwei-
chen von der ungeschmälerten Erhaltung im Sinne der Inventare darf
bei Erfüllung einer Bundesaufgabe nur in Erwägung gezogen wer-
den, wenn ihr bestimmte gleich- oder höherwertige Interessen von
ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen (Art. 6 Abs. 2 NHG).
Der von den Inventaren ausgehende Schutz ist damit im Grundsatz
an eine Interessenabwägung geknüpft; diese fällt umso strenger aus,
als Eingriffe in Schutzobjekte von nationaler Bedeutung einer quali-
fizierten Rechtfertigung im Sinne von gleich- oder höherwertigen
Interessen von nationaler Bedeutung bedürfen (BGE 135 II 209,
Erw. 2.1; A
RNOLD
M
ARTI
, Das Schutzkonzept des Natur- und Hei-
matschutzgesetzes auf dem Prüfstand, in: SJZ 104/2008, S. 85). Die-
se Schutzbestimmung gilt indes, wie Art. 6 Abs. 2 NHG festhält,
lediglich bei der Erfüllung von Bundesaufgaben (Art. 2 und 3 NHG)
in unmittelbarer Weise. Bei der Erfüllung von kantonalen (und kom-
munalen) Aufgaben - wozu im Grundsatz die Nutzungsplanung zählt
- wird der Schutz von Ortsbildern durch kantonales (und kommu-
nales) Recht gewährleistet. Dies ergibt sich verfassungsrechtlich aus
Art. 78 Abs. 1 BV, wonach die Kantone für den Natur- und
Heimatschutz zuständig sind (BGE 135 II 209, Erw. 2.1; Urteil des
Bundesgerichts vom 10. Dezember 2004 [1A.142/2004], Erw. 4.2,
in: ZBl 106/2005, S. 602; A
RNOLD
M
ARTI
, in: St. Galler Kommentar
zur BV, 2. Aufl., 2008, Art. 78 N 4 f.).
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
176
Auch bei der Erfüllung von kantonalen (und kommunalen) Auf-
gaben sind Bundesinventare wie das ISOS von Bedeutung. Im Rah-
men der allgemeinen Planungspflicht der Kantone (Art. 2 RPG) le-
gen diese die Planungsgrundlagen in ihrer Richtplanung fest (Art. 6
RPG; § 8 BauG) und berücksichtigen die Bundesinventare (Art. 4a
VISOS). Nach der Lehre und der bundesgerichtlichen Recht-
sprechung kommen die Inventare ihrer Natur nach Sachplänen und
Konzepten im Sinne von Art. 13 RPG gleich (vgl. dazu BGE 135 II
209, Erw. 2.1; A
RNOLD
M
ARTI
, Bundesinventare - eigenständige
Schutz- und Planungsinstrumente des Natur- und Heimatschutz-
rechts, in: URP 2005, S. 619; J
ÖRG
L
EIMBACHER
, in: Schweizerische
Vereinigung für Landesplanung [VLP; Hrsg.], Bundesinventare, Die
Bedeutung der Natur- und Landschaftsschutzinventare des Bundes
und ihre Umsetzung in der Raumplanung, Bern 2000, S. 68 ff.;
Empfehlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Berücksich-
tigung der Bundesinventare nach Artikel 5 NHG in der Richt- und
Nutzungsplanung vom 15. November 2012, S. 6; dazu kritisch: N
INA
D
AJCAR
, Natur- und Heimatschutz-Inventare des Bundes, Schriften-
reihe zum Umweltrecht, Band 23, Zürich 2011, S. 197 f.).
4.2.
Nach § 36 Abs. 2 KV sorgt der Kanton für die Erhaltung der
Kulturgüter. Er schützt insbesondere erhaltenswerte Ortsbilder sowie
historische Stätten und Baudenkmäler (vgl. hierzu: K
URT
E
ICHENBERGER
, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit
Kommentar, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1986, § 36 N 4). Nach
§ 40 Abs.1 BauG sind die Erhaltung, die Pflege und die Gestaltung
von Landschaften, von Gebieten und Objekten des Natur- und Hei-
matschutzes sowie von Ortsbildern und Aussichtspunkten Sache des
Kantons und der Gemeinden. Für diese Schutzobjekte treffen sie
insbesondere Massnahmen, um Ortsbilder entsprechend ihrer Bedeu-
tung zu bewahren und Siedlungen so zu gestalten, dass eine gute Ge-
samtwirkung entsteht (lit. f). Zu diesen Massnahmen gehören auch
die Nutzungsplanungen der Gemeinden.
Der Richtplan 2011 des Kantons Aargau nimmt in Kap. S 1.5
(Ortsbilder, Kulturgüter und historische Verkehrswege) ausdrücklich
auf das ISOS und die gesetzliche Grundlage in Art. 5 f. NHG Bezug.
2013
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
177
Dem Schutz und der Erhaltung bedeutender Ortsbilder dienen als
Vorgaben die Planungsgrundsätze A und B und die Planungsanwei-
sungen und örtlichen Festlegungen gemäss den Beschlüssen 1.1 bis
1.3 (vgl. Richtplantext S 1.5, S. 5). Ziffer 3 des Grossratsbeschlusses
über den kantonalen Richtplan vom 20. September 2011 (Richtplan-
beschluss; SAR 713.140) enthält für die Genehmigung von kommu-
nalen Nutzungsplanungen eine Übergangsbestimmung. Da die ange-
fochtene Nutzungsplanung am 2. September 2009 abschliessend vor-
geprüft wurde, der Richtplanbeschluss am 26. Dezember 2011 in
Kraft getreten ist (Richtplanbeschluss Ziff. 6; AGS 2011/6-13), ist
für die Beurteilung der Richtplankonformität hier der Richtplan 1996
(Beschluss des Grossen Rates über den kantonalen Richtplan vom
17. Dezember 1996 [Richtplanbeschluss 1996; SAR 713.130]) weg-
leitend. Gemäss den Richtplanbeschlüssen 1996 zu Kap. S 3.2 (Orts-
bilder und historische Verkehrswege; Richtplantext 1996 [Stand 31.
März 2001], S. 28) werden die Ortsbilder von nationaler Bedeutung
in ihrer Einstufung nach ISOS anerkannt und festgesetzt (Beschluss
1.1 Satz 2). Die Gemeinden mit einem Ortsbild von nationaler
Bedeutung "sorgen - soweit dies noch nicht erfolgt ist - mit planeri-
schen Instrumenten für die Umsetzung der Ziele des ISOS" (Be-
schluss 1.2) und das ISOS ist eine Grundlage bei der Interessenabwä-
gung, Planung und Projektierung (Beschluss 1.3).
Das Ortsbild von nationaler Bedeutung der Stadt Klingnau ist in
der Gesamtkarte des Richtplans 1996 eingetragen. Mit der Gesamt-
revision wurden der Bauzonenplan und die Bauordnung 1988 sowie
die Teiländerungen Bauzonenplan und Bauordnung vom 25. Juni
1993 aufgehoben (§ 60 BNO). Sie alle datieren vor dem Inkrafttreten
des Richtplanes 1996 (17. Februar 1997; AGS 1997, S. 48). Nach-
dem auch die Bestimmung in § 19 Abs. 3 BNO praktisch mit
unverändertem Wortlaut von § 46 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 der Bau-
ordnung vom 26. April 1988 (genehmigt am 5. März 1991) übernom-
men wurde, fand im Rahmen der Gesamtrevision keine, jedenfalls
keine vertiefte Beurteilung der Umsetzung der Ziele des ISOS statt
(vgl. dazu hinten Erw. 4.4). Dies wird durch den Gemeinderat auch
indirekt bestätigt, als festgehalten wird, dass die Gemeinde dem
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
178
Ortsbildschutz hohes Gewicht schon vor dem Inkrafttreten des ISOS
(am 1. Juni 1988) beigemessen habe.
4.3.
Der Richtplan 1996 zeigt auf, wie die raumwirksamen Tätigkei-
ten im Hinblick auf die anzustrebende Entwicklung aufeinander
abzustimmen sind (Art. 8 Abs. 1 lit. a RPG). Er enthält die Ergeb-
nisse der kantonalen Planung, Anweisungen für die weitere Planung
und insbesondere auch Vorgaben für die Zuweisung der Boden-
nutzungen (Art. 5 Abs. 1 RPV). Der kantonale Richtplan hält jedoch
nicht abschliessend fest, wie die Raumordnung auszusehen hat
(P
IERRE
T
SCHANNEN
, in: H
EINZ
A
EMISEGGER
/A
LFRED
K
UTTLER
/
P
IERRE
M
OOR
/A
LEXANDER
R
UCH
[Hrsg.], Kommentar zum Bundes-
gesetz über die Raumplanung [RPG-Kommentar], Zürich 1999, Vor-
bemerkungen zu Art. 6-12 N 20), sondern er legt behördenverbind-
lich die erwünschte Raumordnung fest (Art. 9 Abs. 1 RPG). Er setzt
mithin nicht Zustände als solche, sondern Grundsätze und Vorkehren
im Hinblick auf angestrebte Zustände fest. Der Richtplan bedarf der
wertenden Umsetzung in der kommunalen Nutzungsplanung. Diese
Aufgaben werden vom Richtplan zwar mitgesteuert; primär folgen
sie aber ihrer eigenen Rechtsgrundlage, also den Art. 14 ff. RPG für
den Nutzungsplan und den einschlägigen Sachgesetzen für alle
weiteren raumwirksamen Aufgaben (AGVE 1999, S. 112).
Die Planungsträger sind im Allgemeinen und beim Schutz von
Ortsbildern von nationaler Bedeutung im Besonderen verpflichtet,
bei der Umsetzung der Richtplanvorgaben eine Interessenabwägung
vorzunehmen (Art. 3 Abs. 1 RPV; § 27 Abs. 2 BauG; Richtplan
1996, Kapitel S 3.2, Beschlüsse 1.2 und 1.3; vgl. AGVE 1997,
S. 252; M
ARTIN
G
OSSWEILER
, Kommentar zum Baugesetz des Kan-
tons Aargau, Bern 2013, Vorbem. zu §§ 8 f. N 139 ff. mit Hinwei-
sen). Die Aufnahme im Eidgenössischen Inventar der schützenswer-
ten Ortsbilder der Schweiz beinhaltet die räumliche Umschreibung
des Gebiets mit Interesse an der Erhaltung des Ortsbildes (Art. 1 lit. a
NHG; Richtplantext 1996, Stand 31.
März 2001 [Richtplantext
1996], Kapitel S 4.3) und sie dient der Vorbereitung von Schutzmass-
nahmen in der Nutzungsplanung (§ 40 Abs. 1 BauG). Das Inventar
2013
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
179
bildet aber nicht Bestandteil des Richtplanbeschlusses (Botschaft des
Regierungsrats vom 19. Juni 1996, S. 4; Richtplantext 1996, S. 2).
Art. 2 RPG und § 13 BauG verpflichten die Gemeinden unter
Beachtung der Behördenverbindlichkeit des Richtplans (Art. 9 Abs. 1
RPG) zur Planung nach Massgabe von § 15 Abs. 1 BauG. Das
Schutzkonzept für die Bundesinventarobjekte und die Richtplanvor-
gaben im Kapitel S 4.3 verlangen den Einbezug und die Berücksich-
tigung der Erhaltungsziele des ISOS im Planfestsetzungsverfahren.
Im vorliegenden Fall erfordert daher die Zonierung des Gebiets
"Mülihof" eine umfassende Interessenabwägung gemäss Art. 3 RPV
mit den Erhaltungszielen der U-Ri II, wie sie im Listen - Blatt (L)
des ISOS dargestellt sind. Dabei sind auch die Erläuterungen und
Hinweise im Ortsblatt (O-Blatt) zu berücksichtigen. Diese Vorgaben
sind insbesondere bei einer Gesamtrevision zu beachten.
4.4.-4.5. (...)
4.6.
Für die Umgebungsrichtung "Mülihof" ist im Inventar das Er-
haltungsziel a (höchste Einstufung) und ein "absolutes Bauverbot"
im Aufschüttungsgelände gegen die Aare bzw. das aareseitige Vorge-
lände formuliert. Eine Umgebungsrichtung ist gemäss den Erläute-
rungen zum ISOS ein "Bereich von ein- und mehrseitig unbegrenzter
Ausdehnung, meist von Bedeutung für den weiträumigen Bezug zwi-
schen Bebauung und Landschaft, z.B. Vorder-/Hintergrund, angren-
zendes Kulturland, Talhänge, Uferpartien, Flussraum, Neuquartiere."
Für das Erhaltungsziel "a" werden als geeignete Massnahmen ange-
führt: Bedeutung der Beschaffenheit im Detail abklären, geeignete
Nutzungszuweisungen suchen, Auszonen und als Freihaltegebiet be-
zeichnen, spezielle, an die Umgebung angepasste Vorschriften erlas-
sen, Gestaltungsplanobligatorium einführen, Einzelbäume oder
Baumgruppen und Hecken unter Schutz stellen (vgl. dazu Erläu-
terungen zum ISOS und die Anmerkungen 15 bis 20). Die Umge-
bungsrichtung (U-Ri) dient der Berücksichtigung der optischen
Wahrnehmung von offenen, nicht abgrenzbaren Umgebungszonen.
Die von der Gemeinde gewählte Zonierung betrifft weder die
Altstadt, die Vorstädte noch schützenswerte Bauten in ihrer Substanz,
sie tangiert aber die Umgebungsrichtung mit dem hohen Erhaltungs-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
180
ziel. Das ISOS macht diesbezüglich klare Zielvorgaben und betont
die Bedeutung der noch unbebauten Fläche im Gebiet "Mülihof" für
die Sichtbarkeit des Ortsbilds. Die Formulierung des Schutzzieles im
ISOS führt nicht dazu, dass seine Beeinträchtigung absolut ausge-
schlossen wäre (vgl. J
ÖRG
L
EIMBACHER
, in: P
ETER
M.
K
ELLER
/
J
EAN
-B
APTISTE
Z
UFFEREY
/K
ARL
L
UDWIG
F
AHRLÄNDER
[Hrsg.]
Kommentar NHG, Zürich 1997, Art. 6 N 16). Vielmehr ist von den
Behörden im Verfahren der Nutzungsplanung eine umfassende Inte-
ressenabwägung vorzunehmen (L
EIMBACHER
, Bundesinventare,
a.a.O., S. 35 f.). Diese Interessenabwägung verlangt vorab eine Er-
mittlung und Feststellung der relevanten Interessen des Ortsbild-
schutzes im Gebiet "Mülihof".
Ausgewiesen ist ein Interesse an der Erhaltung der Sicht auf die
Silhouette der Altstadt. Zum konkreten Inhalt und zur Ausgestaltung
des Schutzes mit Bezug auf die schutzwürdige Ortsansicht, hinsicht-
lich der Standorte, von denen aus eine solche Sicht zu gewährleisten
ist, bestehen keine Planungsunterlagen und auch die (Ziel-) Vor-
stellungen der Gemeinde, der kantonalen Fachbehörden und der Be-
schwerdeführer sind wenig konkret, nicht klar und sehr verschieden.
So blieben wesentliche Fragen, ob für die "einzige, unverbaute oder
nicht partiell verbaute" Ansicht (Frontalansicht vom Aare-Damm) die
unterste Häuserzeile zum Schutzbereich gehöre, eingeschossige Ge-
bäude gänzlich ausgeschlossen sind oder letztlich das "heutige Ge-
samtbild" mit den Bäumen das Schutzziele bilde, offen. Auch die Be-
deutung des landwirtschaftlichen Hofes des Beschwerdeführers 3 im
Verhältnis zum Freihalteziel des ISOS ist nicht geklärt. Aus der
Blickrichtung des Pontonier-Hauses liessen sich nach Auffassung der
kantonalen Fachstelle verschiedene Umsetzungen des Schutzzieles
differenzieren. Letzteres ist insofern bemerkenswert, als nach dem
Lageplan die Richtung Nord-Nordwest die Hauptrichtung für den
weiträumigen Bezug darstellen sollte.
Aus den fehlenden Planungsgrundlagen zur Umsetzung der
Schutzziele des ISOS in der angefochtenen Gesamtrevision, den va-
gen Vorstellungen der Planungsbehörden und der kantonalen Fach-
stellen zum Inhalt und Ziel des Ortbildschutzes in der U-Ri II ist zu
schliessen, dass die Erhebung der relevanten Interessen des Ortsbild-
2013
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
181
schutzes jedenfalls unvollständig war. Die unzureichende Interessen-
feststellung im Gebiet "Mülihof" führte zu einer ungenügenden und
mangelhaften Beurteilung und Abwägung der relevanten Interessen.
Ein solche Planung und ein solches Planergebnis verletzen Art. 3
Abs. 1 und 2 RPV.
5.
5.1.
Die Beibehaltung der seit der Zonenplanrevision 1972 beste-
henden Zonierung bringt an sich keine Änderung des Ortsbilds mit
sich. Zum vornherein unzulässig wäre die angefochtene Zonierung
nur, wenn aufgrund der Vorgaben des übergeordneten Rechts eine
Bebauung der Parzellen 1155 und 1156 zum vornherein ausgeschlos-
sen wäre. Dies ist aus mehreren Gründen nicht der Fall. Einerseits ist
die Parzelle 1156 mit mehreren Gebäuden des landwirtschaftlichen
Hofs des Beschwerdeführers 3 bereits überbaut. Der Ortsbildschutz
in der U-Ri II verbietet nicht zum vornherein jede Bautätigkeit. Die
Schutzobjekte des ISOS sind nicht durch generelle (abstrakte) Verän-
derungsverbote oder Nutzungseinschränkungen geschützt (vgl. vorne
Erw. 4.1). Die Umsetzung des Erhaltungsziels ist durch verschiedene
planerische Instrumente, zum Beispiel Bestimmung von Freiflächen,
Baufeldern, Bauhöhen oder eine Gestaltungsplanungsvorschrift, Nut-
zungsvorschriften, welche eine Abstimmung und fachkundige Inte-
ressenabwägung vorschreiben, möglich (vgl. dazu Praktische An-
wendung des ISOS; ISOS Kanton Aargau II, S. 739 ff.; Richtplan
2011, Kap. S 1.5, Planungsgrundsatz B [Richtplantext Kap. S 1.5,
S. 5]; Empfehlung 2012, S. 9); BGE 135 II 209, Erw. 5.1; Urteil des
Bundesgerichts vom 6. Oktober 2003 [1A.73/2002], Erw. 5.2).
Im vorliegenden Fall drängt sich aufgrund der zahlreichen
Veränderungen in der U-Ri II auch die Frage auf, ob und wie das Er-
haltungsziel (noch) verwirklicht werden kann. Die freie Sicht vom
aareseitigen Vorgelände auf die Silhouette der Altstadt war bei der
Inventarisierung "partiell intakt" (O-Blatt; Bewertung). Die nationale
Bedeutung des Ortbildes von Klingnau gemäss ISOS bedeutet nicht,
dass am bestehenden Zustand, der hier ohnehin schwierig festzustel-
len ist (vgl. vorne Erw. 4.5), nichts mehr verändert werden kann. All-
gemeines Ziel unter dem Ortsbildschutzaspekt für die U-Ri II ist
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
182
vielmehr, dass an der erkennbaren und einsehbaren Altstadt-Silhou-
ette - gesamthaft betrachtet - keine Verschlechterung eintritt. Ge-
ringfügige Nachteile müssten durch anderweitige Vorteile mindes-
tens ausgeglichen werden (BGE 127 II 273, Erw. 4c mit Hinweisen). | 4,692 | 3,658 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-34_2013-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-34.pdf | AGVE_2013_34 | null | nan |
dd6e2ff1-0557-55fa-903d-de0273628840 | 1 | 412 | 869,758 | 1,009,929,600,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
178
47
Einkommen. Alimente in Form von Naturalleistung (§ 22 Abs. 1 lit. h
StG).
-
Überlassung, anlässlich der Trennung, der im Eigentum des Ehe-
manns stehenden Wohnung an die Ehefrau; diese hat den Eigenmiet-
wert als Alimentenleistung zu versteuern (Erw. 1, 2/a,b, 3/a).
-
Die Ehefrau kann nur Liegenschaftsunterhaltskosten abziehen, die sie
effektiv tragen muss (Erw. 2/c).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Januar 2002 in Sa-
chen F.M. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Publiziert in StE 2003, B
26.22 Nr. 3. | 156 | 133 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-47_2002-01-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-47.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-47.pdf | AGVE_2002_47 | null | nan |
ddb00d00-5ab1-5040-a9de-cc1015c2debb | 1 | 412 | 871,667 | 1,070,323,200,000 | 2,003 | de | 2003
Kantonale Steuern
121
37 Liegenschaftsertrag,
Liegenschaftsunterhaltskosten.
- Der Käufer einer Liegenschaft ist ab Übergang von Nutzen und Scha-
den für den Ertrag steuerpflichtig und gleichzeitig zum Abzug der
Liegenschaftsunterhaltskosten berechtigt. Ein Vorverlegen des Über-
gangs von Nutzen und Schaden vor den Vertragsschluss ist nichtig
und steuerlich unbeachtlich.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 5. Dezember 2003 in
Sachen E.F. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Zur Publikation vorge-
sehen in StE 2004.
Sachverhalt
E. und B.F. bewohnen das Dreifamilienhaus seit dessen Erstel-
lung anfangs der 70er Jahre. Mit öffentlich beurkundetem Kaufver-
trag vom 24. September 1993 erwarb E.F. dieses von seinem Vater
zum Steuerwert, wobei Nutzen und Gefahr gemäss Vertrag rück-
wirkend per 1. Januar 1993 auf den Käufer übergingen. In den Be-
messungsjahren 1993 und 1994 nahmen E. und B.F. grössere Bauar-
beiten an der Liegenschaft vor, namentlich zur Verbesserung des
Schallschutzes. Insgesamt wurden für die baulichen Massnahmen
rund Fr. ... ausgegeben und als Liegenschaftsunterhaltskosten zum
Abzug geltend gemacht mit der Begründung, die Massnahmen stell-
ten Unterhalt dar und hätten keine Wertsteigerung der Liegenschaft
bewirkt. Die Steuerkommission anerkannte die geltend gemachten
Liegenschaftsunterhaltskosten nur teilweise als abzugsfähig.
Das Steuerrekursgericht hob den Einspracheentscheid auf und
wies das Verfahren an die Steuerkommission zurück, u.a. weil zu
Unrecht Liegenschaftsunterhaltskosten vor dem Eigentumsübergang
zum Abzug zugelassen worden seien. In seiner Vernehmlassung zur
Beschwerde der Steuerpflichtigen beantragte das KStA die Gutheis-
sung der Beschwerde mit Bezug auf die Abzugsfähigkeit von Lie-
genschaftsunterhaltskosten ab Übergang von Nutzen und Schaden.
2003
Verwaltungsgericht
122
Aus den Erwägungen
3. a) Wer für den Ertrag steuerpflichtig ist, ist auch berechtigt,
die entsprechenden Gewinnungskosten zum Abzug zu bringen (Peter
Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel 2001, Art. 32 N
2). Das Gesetz besagt, dass das gesamte Einkommen jeder Art
steuerbar ist, insbesondere Einkünfte aus Liegenschaften wie Miet-
und Pachtzinse (§ 22 Abs. 1 lit. e aStG) ebenso wie die Eigennutzung
von Liegenschaften (§ 22 Abs. 2 aStG) und Einkünfte aus der Verlei-
hung oder Nutzung von Rechten wie Nutzniessung (§ 22 Abs. 1 lit. e
aStG; § 9 aStGV), ohne den Steuerpflichtigen ausdrücklich zu nen-
nen. Steuerpflichtig für Liegenschaftsertrag ist, wem die Einkünfte
oder die Eigennutzung zugute kommen, somit der Eigentümer (je-
denfalls wenn ihm zusammen mit dem Eigentum auch die Nutzung
zusteht, was in aller Regel der Fall ist), der Nutzniesser sowie der
Wohnrechtsberechtigte. Wer für den Liegenschaftsertrag nicht steu-
erpflichtig ist, kann keine Liegenschaftsunterhaltskosten geltend ma-
chen, selbst wenn er sie selber getragen hat (Walter Koch, in: Kom-
mentar zum Aargauer Steuergesetz, Muri/BE 1991, § 24 N 241; vgl.
auch Merkblatt Liegenschaftsunterhalt des KStA, Stand 1. Januar
1995, S. 8).
Bei der rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung fallen der
Übergang des Eigentums einerseits und derjenige von Nutzen und
Schaden andererseits zeitlich mehr oder weniger auseinander. Vorbe-
hältlich abweichender Vereinbarung gehen Nutzen und Gefahr mit
Abschluss des Kaufvertrags auf den Erwerber über (Art. 185 OR).
Das Eigentum wird demgegenüber erst mit dem entsprechenden Ein-
trag im Grundbuch erworben (Art. 656 Abs. 1 ZGB). Der Eigentums-
erwerb folgt deshalb dem Vertragsschluss nach, je nach dem Zeit-
punkt der Grundbuchanmeldung mit kleinerer oder grösserer
Verzögerung. Ist die zeitliche Differenz gering (im vorliegenden Fall
erfolgte die Grundbuchanmeldung noch am Tag des Vertragsschlus-
ses) und in einem konkreten Fall ohne Relevanz, kommt es leicht
vor, dass unexakt formuliert und zwischen dem Vertragsschluss (bzw.
dem Übergang von Nutzen und Gefahr) und dem Eigentumserwerb
2003
Kantonale Steuern
123
nicht bewusst unterschieden wird, obwohl der Vertragsschluss erst
den Anspruch auf die Eigentumsübertragung begründet.
b) aa) Abweichend vom Erwerbsdatum gingen gemäss Vertrag
vom 24. September 1993 Nutzen und Schaden am Kaufobjekt bereits
am 1. Januar 1993 auf den Beschwerdeführer E.F. über. Während die
Steuerkommission auf dieses Datum abstellte, entschied das Steuer-
rekursgericht auf Massgeblichkeit des Eigentumsübergangs. Vor dem
Eigentumserwerb getätigte Aufwendungen qualifizierte es deshalb
nicht als Liegenschaftsunterhaltskosten, sondern vollumfänglich als
Anlagekosten. Es verneinte die Möglichkeit, vor dem Eigentumser-
werb freiwillig den Eigenmietwert als Einkommen zu versteuern und
kompensationsweise die Liegenschaftsaufwendungen zum Abzug zu
bringen.
Das KStA hält, in Übereinstimmung mit der Steuerkommission,
für die Anknüpfung der Besteuerung des Liegenschaftsertrags und
der Abzugsfähigkeit der Liegenschaftsunterhaltskosten den Zeitpunkt
des Übergangs von Nutzen und Schaden für sachgerecht. Eine
eigentliche gesetzliche Grundlage vermag es dazu nicht zu benennen.
§ 22 Abs. 2 und 24 lit. c Ziff. 3 aStG würden diese Praxis aber auch
nicht ausschliessen.
bb) Die Frage, wann die Steuerpflicht für den Liegenschaftser-
trag beginnt oder endet, wird in den einkommenssteuerrechtlichen
Bestimmungen sowohl des aStG als auch der aStGV offen gelassen
(AGVE 1995, S. 448). Von der Lehre wird, soweit sie sich dazu
überhaupt äussert, verschiedentlich der Übergang von Nutzen und
Schaden als massgebend betrachtet (ASA 57/1988-89, S. 396, mit
Hinweisen). In der Rechtsprechung findet sich keine klare Antwort,
ob für den Beginn der Steuerpflicht auf das Datum der öffentlichen
Beurkundung, den Übergang von Nutzen und Schaden oder den Ein-
trag im Grundbuch abzustellen ist. Die Frage konnte zumeist offen
gelassen werden (BGE 95 I 32). Angesichts der zahlreichen Mög-
lichkeiten, die den Parteien bei der vertraglichen Ausgestaltung eines
Liegenschaftskaufs offen stehen, hat es das Bundesgericht abgelehnt,
den Zeitpunkt des Überganges von Nutzen und Gefahr generell als
massgebend zu bezeichnen (ASA 57/1988-89, S. 396). Immerhin
liegt es wirtschaftlich nahe, dass die Besteuerung des Liegenschafts-
2003
Verwaltungsgericht
124
ertrags (und als Pendant dazu der Abzug der Liegenschaftsunterhalts-
kosten) mit der privatrechtlichen Berechtigung am Nutzen (und
Schaden) übereinstimmen sollen (vorne Erw. a). Das KStA macht
denn auch geltend, nur das Abstellen auf den Übergang von Nutzen
und Schaden vermöge den steuerlichen, wirtschaftlichen und voll-
zugspraktischen Begebenheiten Rechnung zu tragen.
c) Es ist zulässig, durch vertragliche Vereinbarung von der
Regelung des Art. 185 OR (vorne Erw. a) abzuweichen; diese bedarf
bei Liegenschaften zur Verbindlichkeit der öffentlichen Beurkundung
(Art. 216 Abs. 1 OR). Möglich ist insbesondere ein Hinausschieben
der Gefahrtragung vom Vertragsabschluss bis zur späteren Übergabe
der Sache (Art. 220 OR; ASA 57/1988-89, S. 391 ff.; StE 1991,
B 25.6 Nr. 23, mit Hinweisen). Ausgeschlossen ist dagegen der rück-
wirkende Übergang von Nutzen und Gefahr, selbst wenn der Erwer-
ber bereits im Besitz des Kaufgegenstands ist, weil sich die Frage der
Gefahrtragung nur noch für die Zeit zwischen Vertragsschluss und
Vollzug des Kaufes stellen kann. Gemäss eindeutiger bundesgericht-
licher Rechtsprechung ist die rückwirkende Übertragung von Nutzen
und Gefahr als Vereinbarung mit unmöglichem Inhalt zu qualifizie-
ren, nichtig (Art. 20 Abs. 1 und 2 OR; ASA 57/1988-89, S. 396 f.)
und daher auch für die Steuerbehörden unbeachtlich. Wenn sich die
Rechtsverhältnisse zivilrechtlich nicht rückwirkend abändern lassen,
ist es ebenso unzulässig, die sich daraus für die Vergangenheit erge-
bende Steuerlast durch Parteivereinbarung in steuerlich verbindlicher
Weise umzudeuten oder abzuändern (ASA 57/1988-89, S. 397; Lo-
cher, a.a.O., Art. 32 N 4).
Das KStA unterlässt es, zwischen dem Hinausschieben des
Übergangs von Nutzen und Schaden durch vertragliche Vereinbarung
und dem Vorverschieben vor den Vertragszeitpunkt genügend zu
unterscheiden (im Übrigen liegt auch keinem der vom KStA benann-
ten Beispiele ein Vorverschieben vor den Vertragszeitpunkt zu
Grunde). Dementsprechend fehlt es an einer Begründung, warum das
letztere Vorgehen steuerlich anzuerkennen sei, selbst wenn es sich
zivilrechtlich als unzulässig erweist.
d) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine An-
knüpfung an den Zeitpunkt des Übergangs von Nutzen und Schaden
2003
Kantonale Steuern
125
dann gesetzeskonform und sachgerecht ist, wenn dieser mit dem
Datum des öffentlich beurkundeten Kaufvertrags übereinstimmt oder
auf Grund einer gültigen Vereinbarung diesem nachfolgt. Dagegen
kann die Zurechnung von Mietwert und Tragung der Liegenschafts-
unterhaltskosten nicht vor den Vertragsschluss (bzw. vor den Erwerb
durch Erbgang oder Urteil) vorverschoben werden; vorher lassen
sich Nutzen und Schaden somit nur durch Eingehung eines Nutznies-
sungsvertrages oder einer Wohnrechtsvereinbarung übertragen, wel-
che der gleichen qualifizierten Form wie der Liegenschaftskauf be-
dürfen (Art. 746 Abs. 2, Art. 776 Abs. 3 ZGB). Dies entspricht of-
fenbar im Wesentlichen auch der Meinung der Vorinstanz, wenn-
gleich diese, wohl beeinflusst durch die geringe Relevanz bei zeitli-
cher Nähe von Nutzen- und Eigentumsübergang (vorne Erw. a), den
Letzteren als massgeblich bezeichnet hat.
e) Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen erweist sich die
Zurechnung des Eigenmietwerts und die Berücksichtigung der Lie-
genschaftsunterhaltskosten vor dem Erwerb der Liegenschaft am
24. September 1993 als unzulässig. Für den Mietwert bleibt bis dahin
der bisherige Eigentümer steuerpflichtig (Koch, a.a.O., § 22 N 435).
Die vom Beschwerdeführer bereits vor dem Erwerb getätigten Lie-
genschaftsaufwendungen, ausgenommen die Verwaltungs- und Be-
triebskosten, gelten vollumfänglich als Anlagekosten (Koch, a.a.O.,
§ 24 N 281). Grundlage der Steuerbemessung für die Veranlagung
1995/96 bilden demnach nur der nach der öffentlichen Beurkundung
des Kaufvertrags gezogene Nutzen bzw. der ab diesem Zeitpunkt
aufgewendete Liegenschaftsunterhalt. | 2,256 | 1,835 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-37_2003-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-37.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-37.pdf | AGVE_2003_37 | null | nan |
de194d37-7b3a-5b74-a8c3-6b102ef2ba0b | 1 | 412 | 871,716 | 1,309,651,200,000 | 2,011 | de | 2011
Submissionen
151
[...]
41 Ausschluss
eines
Anbieters
vom
Verfahren
Ein spekulatives Angebot, in welchem unter Verletzung entsprechender
Preisbildungsregeln mehrere Einheitspreispositionen kombiniert auf- und
abgepreist werden, stellt einen Ausschlussgrund dar.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. Juli 2011 in Sachen A.
AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2011.97).
2011
Verwaltungsgericht
152
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die Vergabestelle bei Vor-
liegen genügender Gründe Anbietende vom Verfahren aus. Dies gilt
insbesondere in den in § 28 Abs. 1 lit. a - h genannten Fällen. Auszu-
schliessen sind u.a. Anbietende, deren Angebote wesentliche Form-
vorschriften verletzt haben, z.B. durch Unvollständigkeit des Ange-
bots oder Änderung der Ausschreibungsunterlagen (§ 28 Abs. 1 lit. g
SubmD; vgl. auch § 27 lit. h der Vergaberichtlinien vom 15. April
2009 [VRöB] zur IVöB), oder die der Vergabestelle falsche Aus-
künfte erteilt haben (§ 28 Abs. 1 lit. b SubmD; § 27 lit. b VRöB). Be-
reits dem Ausdruck "insbesondere" lässt sich entnehmen, dass der
Aufzählung der Ausschlussgründe in § 28 SubmD kein abschliessen-
der Charakter zukommt. So können beispielsweise sogenannte Un-
terangebote unter bestimmten Voraussetzungen vom Verfahren aus-
geschlossen werden, obwohl weder das SubmD noch die IVöB ihren
Ausschluss ausdrücklich vorsehen (AGVE 1997, S. 368). Ein Aus-
schluss von ungewöhnlich niedrigen Angeboten fällt nach Lehre und
Rechtsprechung dann in Betracht, wenn - gegebenenfalls auch nach
Einholung zusätzlicher Erkundungen - Anlass besteht, an den Fähig-
keiten des Anbieters zur Erfüllung des ausgeschriebenen Auftrages
zu den angebotenen Konditionen und damit im Ergebnis an der
Seriosität des Angebots zu zweifeln (vgl. Urteil des Bundesgerichts
vom 23. Februar 2011 [2D_34/2010], Erw. 2.4; Urteil des Bundesge-
richts vom 23. Februar 2007 [2P.70/2006], Erw. 4.3; Peter Galli/
André Moser/Elisabeth Lang/Evelyne Clerc, Praxis des öffentlichen
Beschaffungsrechts, 1. Band: Landesrecht, 2. Auflage, Zürich 2007,
Rz. 714 ff., mit weiteren Hinweisen). Auszuschliessen sind aber auch
Angebote, die keine vernünftige Beurteilung des Preis-Leistungsver-
hältnisses zulassen und die deshalb mit den übrigen Angeboten nicht
oder kaum vergleichbar sind, sowie spekulative Angebote, die gegen
explizite oder implizite Preisbildungsregeln des Auftragsgebers ver-
stossen.
2011
Submissionen
153
2.2.
Das Bundesgericht hat erst kürzlich festgehalten, von einem
Anbieter im öffentlichen Vergabeverfahren dürfe und müsse verlangt
werden, dass sein Angebot vollständig sei, wozu nebst der Einrei-
chung der erforderlichen Unterlagen und Beilagen auch gehöre, dass
Offertformulare in allen entscheidwesentlichen Einzelpositionen
komplett ausgefüllt würden. Fehlten Angaben, die sich direkt auf die
Beurteilung des Preis-Leistungsverhältnisses auswirkten, seien die
betreffenden Angebote grundsätzlich auszuschliessen. Wenn die
Mängel der Offerte wesentliche Punkte betreffen würden (und nicht
bloss technische Einzelheiten), sei eine nachträgliche Vervollstän-
digung im Rahmen der Offertbereinigung in aller Regel ausgeschlos-
sen. Im Interesse der Vergleichbarkeit der Angebote und in Nach-
achtung des Gleichbehandlungsgebots dürfe diesbezüglich eine
strenge Haltung eingenommen werden. Nicht grundsätzlich anders
verhalte es sich, wenn ein Angebot zwar vollständig sei, jedoch er-
hebliche inhaltliche Mängel aufweise, indem beispielsweise einzel-
nen Positionen Leistungsparameter zugrunde gelegt würden, welche
offensichtlich nicht realistisch seien. Auch eine solchermassen be-
gründete kantonale Ausschlusspraxis erscheine jedenfalls nicht
schlechterdings unhaltbar (Urteil des Bundesgerichts vom 23. Feb-
ruar 2011 [2D_34/2010], Erw. 2.4; vgl. Urteil des Bundesgerichts
vom 27.
November 2002 [2P.164/2002]; vgl. Baurecht
2/2011,
S. 121 ff. S35). Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
schützte den Ausschluss eines Anbieters aus dem Vergabeverfahren,
den die Vergabestelle damit begründete, das Angebot sei in mehreren
Hauptpositionen nicht mit den anderen Angeboten vergleichbar. Sie
gelangte aufgrund ihrer Prüfung der Offertunterlagen zum Schluss,
dass bei verschiedenen Einzelpositionen unrealistisch tiefe Einheits-
preise offeriert und artfremde Leistungspositionen unzulässigerweise
in die (Installations-)pauschale eingerechnet worden seien. Das Ver-
waltungsgericht erachtete die Argumente, welche die betreffende,
sich mit Beschwerde gegen den Ausschluss zur Wehr setzende An-
bieterin zur Stützung ihrer Kalkulation vorbrachte, als nicht nach-
vollziehbar und den verfügten Ausschluss als rechtens. Der Schluss,
dass eine solche Kalkulation die submissionsrechtlich relevanten
2011
Verwaltungsgericht
154
Gebote der Transparenz und der Kostenwahrheit verletzten, liege
nahe. Hinzu komme, dass die äusserst tief offerierten Einzelpreise
auch für die Auftraggeberin unerwünschte Folgen zeitigten. Dies z.B.
dann, wenn geringere Mengen verbaut würden. Diesfalls würde sie
nämlich beim Angebot der Beschwerdeführerin von einer weit
geringeren Preisreduktion profitieren als bei jenen der Mitofferenten.
Ob solches der Grund für die eigenartige Kalkulation der Beschwer-
deführerin gewesen sei, nämlich die Spekulation darauf, dass bei der
Realisierung des Auftrages geringere Mengen verbaut werden
müssten mit der Folge, dass sich die zu gewährende Preisreduktion
in Grenzen halte und die betrieblichen Einnahmen sicherer bud-
getieren liessen, könne offen gelassen werden (Urteil des Verwal-
tungsgerichts des Kantons Graubünden vom 25. Mai 2010 [U 10 40],
Erw. 3; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom
23. Juni 2005 [U 05 47], Erw. 1c, in welchem das Gericht die ele-
mentaren Gebote der Kostenwahrheit und Transparenz sowie das
Verbot der Wettbewerbsverfälschung durch eine überhöht offerierte
Installationspauschale einerseits und absolut unrealistisch tiefe Ein-
heitspreise andererseits "als in allerhöchstem Masse verletzt"
bezeichnete).
2.3.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat in einem Ent-
scheid aus dem Jahr 2007 ausgeführt, bei einer Preisvereinbarung
nach Einheitspreisen habe der Unternehmer auch dann, wenn er eine
grössere oder geringere Anzahl Einheiten erwarte, denjenigen Preis
anzugeben, den er bei der Ausführung der vorgegebenen Menge ver-
langen würde. Nur so könne die Vergleichbarkeit der Angebote ge-
währleistet werden. Dies gelte auch dann, wenn er aufgrund der von
ihm gewählten Bauweise davon ausgehe, dass bestimmte Positionen
des Leistungsverzeichnisses nicht nötig sein würden. Diesfalls müsse
er diese besondere Bauweise - mit den entsprechenden Änderungen
bei der Zahl der Einheiten - als Variante anbieten (Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. September 2007
[VB.2007.00123], Erw. 3.4.3; vgl. Entscheid des Verwaltungsge-
richts des Kantons Zürich vom 3. Dezember 2003 [VB.2003.00256];
kritisch: Martin Beyeler, Umgelagert, gemischt und offeriert - The-
2011
Submissionen
155
sen zur Preisspekulation, in: Baurechtstagung 2011, hrsg. vom Insti-
tut für Schweizerisches und Internationales Baurecht, S. 154 ff.). Die
Baudirektion des Kantons Zürich hat in einem Rundschreiben vom
7. April 2010 festgehalten, dass durch spekulative Preisangaben
(Null-Franken-Beträge, Minusfrankenbeträge oder unrealistisch tiefe
Preise) die Vergleichbarkeit der Angebote verunmöglicht werde und
unter Bezugnahme auf den erwähnten Entscheid vom 12. September
2007 (VB.2007.00123) des Verwaltungsgerichts die Unternehmer
aufgefordert, auf Null-Franken-Positionen, Minuspositionen und un-
realistisch tiefe Preise im Grundangebot zu verzichten, da diese das
Angebot verfälschten und faktisch die Umwandlung einer Einheits-
preisofferte in eine Pauschalpreisofferte bewirkten. Ein Ausschluss
solcher Angebote werde vorbehalten.
In einem Entscheid vom 10. März 2010 hat das Zürcher Verwal-
tungsgericht den Ausschluss einer Offerte geschützt, die bei rund 20
Positionen statt der ausgeschriebenen Einheitspreise den Vermerk
"inklusive" angebracht hatte und die Kosten stattdessen offensicht-
lich in den ungewöhnlich hohen Festpreis für die Baustelleneinrich-
tung eingerechnet hatte. Ein so gestaltetes Angebot widerspreche
dem Prinzip einer Preisvereinbarung nach Einheitspreisen, bei wel-
chem davon ausgegangen werde, dass sich Mengenänderungen in
entsprechenden Preisänderungen niederschlagen würden. Zudem
werde durch die beträchtlichen Verschiebungen die korrekte Analyse
der offerierten Preise verunmöglicht und der direkte Vergleich mit
anderen Angeboten erschwert (Entscheid des Verwaltungsgerichts
des Kantons Zürich vom 10. März 2010 [VB.2009.00480], Erw. 3.4).
3.
Aus der dargestellten Rechtsprechung folgt, dass namentlich
grössere Verschiebungen von mengenabhängigen Einheitspreisen in
eine Festpreisposition wegen erschwerter oder verunmöglichter
Vergleichbarkeit zum Ausschluss des betreffenden Angebots vom
Verfahren führen können (vgl. Entscheide des Verwaltungsgerichts
des Kantons Zürich vom 10.
März 2010 [VB.2009.00480],
Erw.
3.4.4, und vom 15.
Dezember 2010 [VB.2010.00402],
Erw. 2.2.2; Andreas Bass, Verschieben von Einheitspreisen in eine
Pauschalpreisposition, in: Sonderheft Vergaberecht 2004, S. 23 f.).
2011
Verwaltungsgericht
156
Neben diesen Umsatzverschiebungen in Pauschalpositionen werden
in der Literatur weitere Formen von spekulativen Offerten unter-
schieden, welche unter Umständen ebenfalls zum Ausschluss führen
können. Bei der Vergabespekulation offeriert der Anbieter unge-
wöhnlich tiefe Einzelpreise, die zum Zuschlag verhelfen sollen, bei
denen er aber hofft, dass sie nicht oder jedenfalls nur in viel geringe-
rem Umfang zur Anwendung kommen als in der Ausschreibung
vorgesehen. Bei der Margenspekulation hingegen werden sehr hohe
Einheitspreise angeboten, vornehmlich auf nicht in die Angebots-
summe einfliessende Reservepositionen oder bei Per-Preisen, in der
Hoffnung, dass diese Leistungen später zur Anwendung kommen.
Schliesslich ist auch eine Spekulation durch kombiniertes Auf- und
Abpreisen mehrerer Einheitspreispositionen möglich. Der Anbieter
wird in diesen Einheitspreispositionen, von denen er erwartet oder
hofft, dass sie ganz oder jedenfalls teilweise entfallen, stark abprei-
sen, um damit die Überhöhung der Preise anderer Einheitspositionen,
von denen er erwartet, dass sie sich zumindest in der ausgeschrie-
benen Menge realisieren, im Hinblick auf die offerierte (proviso-
rische) Gesamtvergütung zu neutralisieren, um sich die Chancen auf
den Zuschlag zu wahren (vgl. Beyeler, a.a.O., S. 132 ff., insbes.
S. 136 ff.). Ein Ausschluss solcher spekulativer Offerten rechtfertigt
sich dann, wenn gegen Preisbildungsvorschriften des Auftraggebers
verstossen wird (Beyeler, a.a.O., S. 147 ff. und 161).
4.
4.1.-4.2. (...)
4.3.
Grundlage der Offerten war das von der Beschwerdegegnerin
mit den Ausschreibungsunterlagen abgegebene Leistungsverzeichnis.
Aufgrund desselben waren die zu vergebenden Baumeisterarbeiten -
mit Ausnahme der als global anzubietenden Baustelleneinrichtung -
nach Einheitspreisen anzubieten, das heisst als Preise für Leistungs-
einheiten, die in den Positionen des Verzeichnisses aufgeführt sind.
Bei dieser Vergütung ergibt sich die geschuldete Vergütung aus der
Abrechnung über die aufgeführten Mengen an Einheiten, multipli-
ziert mit dem für die Einheiten offerierten Preis (Art. 39 Abs. 1 der
SIA-Norm 118). Das Leistungsverzeichnis gibt lediglich die voraus-
2011
Submissionen
157
sichtlichen Mengen an, die zur Ausführung kommen sollen. Das
heisst, es werden Mengenannahmen getroffen (Mengengerüst, Vor-
ausmass). Die erwartete Menge der Einheiten gemäss Leistungsver-
zeichnis ist nicht verbindlich. Änderungen nach unten und nach oben
sind möglich. Abgerechnet wird später nach den tatsächlich erbrach-
ten Mengen. Beim aufgrund eines Leistungsverzeichnisses mit Ein-
heitspreispositionen erstellten Angebotspreis, der im Submissions-
verfahren mit den anderen Preisangeboten verglichen wird, handelt
es sich somit um eine provisorische Gesamtvergütung. Die effektiv
geschuldete Vergütung ergibt sich erst aus der Abrechnung über die
ausgeführte Menge. In den Ausschreibungsunterlagen wird ausdrück-
lich festgehalten, die im Leistungsverzeichnis aufgeführten Ausmas-
se seien approximativ. Mehr- oder Minderleistungen berechtigten
den Unternehmer nicht zur Änderung der festgesetzten Einheitsprei-
se.
4.4.
Beim Angebot der Beschwerdeführerin fällt auf, dass bestimmte
Einheitspreise (z.B. Kieslieferungen, Spriessung Gräben > 1,5 m,
Transportkosten und Deponiegebühren Aushubmaterial, Hüllbeton)
drei bis zehn Mal so tief offeriert sind wie die durchschnittlichen
Preise der Mitanbieter. Die Beschwerdeführerin hat diese Preisunter-
schiede im Unternehmergespräch zum Teil damit erklärt, dass sie
gewisse Kontingente durch Gegengeschäfte habe, sowie - in Bezug
auf den Hüllbeton - über ein eigenes Betonwerk verfüge. Der Auf-
forderung der Beschwerdegegnerin, diese Kontingente zu belegen,
ist sie jedoch nicht nachgekommen. Soweit die Beschwerdeführerin
die tiefen Preise in der Beschwerdeschrift damit begründet, dass sie
derzeit im Tiefbaubereich mit einer sehr schwierigen wirtschaftlichen
Phase kämpfe und hier klar zu tief ausgelastet sei, weswegen wert-
volle Arbeitskräfte zu Hause bleiben müssten, was für die Ar-
beitsmoral und die Treue zur Firma fatal sein könne, sodass die
mangelnde Auslastung entsprechend einer firmeninternen Strategie-
entscheidung über preislich besonders attraktive Angebote möglichst
rasch ausgeglichen werden sollte, wäre dies für die verschiedenen
Tiefpreispositionen eine durchaus nachvollziehbare Begründung. Im
Zusammenhang mit der von der Beschwerdegegnerin bemängelten
2011
Verwaltungsgericht
158
Leistungsposition NPK 151.321.101 (Grabenspriessung < 1,50 m)
führt die Beschwerdeführerin aus, sie vermöge durchaus einzuschät-
zen, wie viel Aufwand und Kosten ihr die fragliche Leistung verur-
sachen werde. Der fragliche Preis und die dazugehörige Analyse
bedeuteten nur, dass die Beschwerdeführerin allfällige Verluste unter
der fraglichen Position aus allgemeinen Unternehmensreserven
decken werde, weil sie zur Einsicht gelangt sei, dass ihre derzeitige
Auslastung derart gering sei, dass dem Unternehmen mehr Schaden
zugefügt würde, wenn es keine Aufträge akquiriere, als wenn es
Aufträge hereinhole, ohne dass dabei allen Kosten gänzlich gedeckt
seien. Mit dieser Argumentation liesse sich auch ein eigentliches
Unterangebot zulässigerweise begründen (vgl. Galli/ Moser/Lang/
Clerc, a.a.O., Rz. 714, mit weiteren Hinweisen). Davon kann hier
allerdings nicht ausgegangen werden. Die Tatsache, dass die Be-
schwerdeführerin zahlreiche ins Gewicht fallende Leistungspositio-
nen zu Preisen offeriert hat, die sehr deutlich, d.h. um das Mehr-
fache, über den Konkurrenzpreisen liegen, steht damit in eklatantem
Widerspruch.
4.5.
Diese, in erheblichem Umfang vorhandene, auffällige Kombi-
nation von teilweise äusserst tiefen Einheitspreisen einerseits und
sehr hohen Einheitspreisen andererseits lässt auf ein spekulatives
Angebot schliessen. Die Annahme, dass die Beschwerdeführerin ihre
Offerte bewusst so ausgestaltet hat, um sich durch Tiefpreise in
Positionen, die mutmasslich entweder gar nicht (z.B. die Spriessung
der Gräben mit 1,5 m Tiefe, die in der Praxis sehr häufig nicht ge-
spriesst werden [vgl. den erwähnten Entscheid des Zürcher Verwal-
tungsgerichts [VB.2007.00123], Erw. 3.4.3]) oder jedenfalls in we-
sentlich geringerem Ausmass als ausgeschrieben ausgeführt werden
müssten, einerseits die Chancen auf den Zuschlag, und andererseits
durch die sehr hohen Preise auf Positionen, die mutmasslich zumin-
dest in vollem Umfang realisiert werden müssen (z.B. die Rohre), die
Chancen auf eine ausreichende Rentabilität des Auftrags zu wahren,
ist angesichts der gegebenen Preisgestaltung naheliegend.
Margenspekulationen, die auf einem kombinierten Auf- und
Abpreisen verschiedener (in die Bewertung einfliessender) Einheits-
2011
Submissionen
159
preispositionen beruhen, verletzen in aller Regel implizite oder ex-
plizite Preisbildungsregeln des Auftraggebers. Dies, weil sie darauf
beruhen, dass Aufwendungen, die im unmittelbaren Zusammenhang
mit der Leistung gemäss einer bestimmten Position anfallen, nicht in
dieser Leistungsposition, sondern unter einer anderen Position in den
Einheitspreis eingerechnet werden. Das widerspricht der sich aus der
Ausschreibung mehrerer Einheitspreise regelmässig zumindest im-
plizit ergebenden Regel, wonach alle Aufwendungen im Zusammen-
hang mit bestimmten Leistungen in jener Position einzurechnen sind,
welche die Leistung beschreibt, zu der die Aufwendungen gehören
und mit der sie am engsten zusammenhängen. Wer beispielsweise
Aufwand, der sich beim Betonieren ergibt, in der Position für den
Aushub einer Baugrube einrechnet (und mithin die Betonposition
künstlich abpreist und die Aushubposition künstlich aufpreist), ver-
letzt die in der Ausschreibung der beiden betroffenen Positionen
implizit enthaltene Regel, wonach der Aufwand für das Betonieren in
der Betonier-Position einzurechnen ist, und nicht in Positionen, die
andere Leistungen beschreiben, mit denen der fragliche Aufwand
nichts zu tun hat. Eine Offerte, in der mehrere Einheitspreise in Ver-
letzung der entsprechenden Preisbildungsregeln kombiniert auf- und
abgepreist worden sind, kann, letztlich unabhängig davon, ob der An-
bieter damit Spekulation treiben wollte, ausgeschlossen werden,
wenn ein nicht unerhebliches Risiko für den Eintritt von nicht uner-
heblichen, für den Auftraggeber negativen Wirkungen (jenseits seiner
gewöhnlichen Geschäftsrisiken) besteht (Beyeler, a.a.O., S. 159).
Die vorliegend teilweise massiv überhöhten Einheitspreise las-
sen keinen anderen Schluss zu, als dass die Beschwerdeführerin Auf-
wand im Zusammenhang mit unterpreisigen Positionen in diese Posi-
tionen verschoben und mithin gegen die Preisbildungsregeln verstos-
sen hat. In den Ausschreibungsunterlagen wird zudem festgehalten,
die eingesetzten Preise verstünden sich für eine fixfertig erstellte Ar-
beit, inkl. allen dazugehörenden Arbeiten, Lieferungen, Maschinen,
Nebenleistungen und Zuschlägen. Dies lässt sich nur so verstehen,
dass sämtliche Leistungen in die jeweilige Position einzurechnen
sind. Das Angebot der Beschwerdeführerin ist somit schon wegen
des Verstosses gegen die in den Ausschreibungsunterlagen zumindest
2011
Verwaltungsgericht
160
implizit enthaltenen Preisbildungsregeln vom Verfahren auszu-
schliessen.
4.6.
Seitens der Vergabestelle wird geltend gemacht, das mit dem
Angebot der Beschwerdeführerin für sie verbundene Vergaberisiko
sei nicht mehr kalkulierbar.
Die Beschwerdeführerin weist - an sich zu Recht - darauf hin,
dass jedem Einheitspreisvertrag sowohl für den Auftraggeber als
auch für den Unternehmer ein Vergütungsrisiko und eine Vergütungs-
chance immanent seien. Seien die Mengen zu tief eingeschätzt wor-
den, falle die effektive Vergütung höher aus, als zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses. Seien die Mengen zu hoch eingeschätzt worden,
sei die Vergütung tatsächlich tiefer als ursprünglich angenommen.
Dies führe zum Vergaberisiko. Da jeder Unternehmer ein anderes
Preisgefüge aufweise, könne sich, je nach den tatsächlichen Verhält-
nissen zwischen den geschätzten (und für den Preisvergleich mass-
geblichen) und den tatsächlichen Mengen, ergeben, dass bei retro-
spektiver Betrachtung nicht der berücksichtigte, sondern ein anderer
Anbieter das preislich oder wirtschaftlich günstigste Angebot ein-
gereicht habe. Dieses Vergaberisiko gehe mit jeder in Konkurrenz
stattfindenden Vergabe eines Einheitspreisvertrages zwingend einher
und sei vom Auftraggeber hinzunehmen bzw. habe er es in der Hand,
dieses Risiko durch eine möglichst genaue Bestimmung des Voraus-
masses in engen Grenzen zu halten.
Das ohnehin, auch bei sorgfältiger Ermittlung der Vorausmasse,
bestehende Vergaberisiko für den Auftraggeber erhöht sich bei An-
geboten, die für die einzelnen Leistungspositionen einerseits sehr tie-
fe und andererseits sehr hohe Preise offerieren jedoch massiv. Die
von der Beschwerdeführerin vorgenommenen Auf- und Abpreisun-
gen betreffen auch nicht nur wenige und untergeordnete Positionen.
Sie können sich im Gegenteil erheblich auf die Gesamtkosten aus-
wirken. Die Argumentation der Beschwerdegegnerin, aufgrund der
ungewöhnlichen Angebotspreise der Beschwerdeführerin bzw. der
damit verbundenen Preisdifferenzen zu den übrigen Angeboten seien
für sie die dem Einheitspreisangebot immanenten Risiken nicht mehr
kalkulierbar, erscheint deshalb ohne Weiteres nachvollziehbar und
2011
Submissionen
161
lässt den verfügten Ausschluss als gerechtfertigt erscheinen. Es ist
angesichts des ihr zustehenden Ermessensspielraums und der ihr
zukommenden Verantwortung für die Bauausführung auch nicht zu
beanstanden, wenn die Vergabestelle nicht bereit ist, das mit dem An-
gebot der Beschwerdeführerin unbestreitbar verbundene Kostenrisi-
ko in Kauf zu nehmen. Ob mit dem Angebot zusätzlich auch ein all-
fälliges Sicherheitsrisiko (aufgrund der zu einem Tiefstpreis offerier-
ten Grabenspriessung) oder generell Risiken im Hinblick auf die
Qualität der auszuführenden Arbeiten verbunden ist, wie die Be-
schwerdegegnerin vorbringt, kann dabei offen bleiben.
5.
Zusammenfassend ist hinsichtlich des Ausschlusses der Be-
schwerdeführerin durch die Vergabestelle vor dem Hintergrund des
Transparenzgebots und der Preisbildungsregeln keine Rechtsverlet-
zung ersichtlich und dieser erweist sich damit als haltbar. Demge-
mäss ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. | 4,578 | 3,667 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-41_2011-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-41.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-41.pdf | AGVE_2011_41 | null | nan |
de89e2b0-dbf1-5e3f-9120-4213c9531b02 | 1 | 412 | 870,957 | 1,025,568,000,000 | 2,002 | de | 2002
Opferhilfe
351
X. Opferhilfe
83
Genugtuung (Art. 12 Abs. 2 OHG).
-
Schwere Betroffenheit und besondere Umstände als kumulative Vor-
aussetzungen. Anlehnung an die Grundsätze des zivilrechtlichen Ge-
nugtuungsanspruchs nach Art. 47 und 49 OR (Erw. 3/a, b).
-
Anspruch der Geschwister eines getöteten Kindes? (Erw. 3/c).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 16. Juli 2002 in Sa-
chen S.R.S. und Mitb. gegen Verfügung des Kantonalen Sozialdienstes.
Sachverhalt
I.S. lebte mit ihren 6 Kindern während mehrerer Jahre in Brasi-
lien. Im August 1998 kehrte sie mit den 5 jüngeren Kindern in die
Schweiz zurück. Die damals 16-jährige älteste Tochter R. sollte noch
die Schule abschliessen und im Dezember nachkommen, sie wurde
aber behördlich an der alleinigen Reise gehindert. Am 20. Januar
1999, noch bevor ihr Adoptivvater sie hatte abholen können, wurde
sie auf grausame Weise ermordet. Der Täter wurde in der Folge zu
17 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Kantonale Sozialdienst
(KSD) hiess das Gesuch der Mutter um Ausrichtung einer Genugtu-
ungsentschädigung gut. Die entsprechenden Gesuche von 4 Ge-
schwistern des ermordeten Mädchens wies er ab; das Verfahren der
einen Schwester wurde sistiert, um zu klären, ob die aufgenommene
psychiatrische Behandlung als Folge des Verbrechens notwendig
geworden war.
2002
Verwaltungsgericht
352
Aus den Erwägungen
3. a) Gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG setzt die Ausrichtung einer
Genugtuung an das (direkte oder indirekte) Opfer einer Straftat vor-
aus, dass es
schwer betroffen
ist und
besondere Umstände
die Zu-
sprechung rechtfertigen. Die beiden Voraussetzungen müssen ku-
mulativ erfüllt sein (Gomm/Stein/Zehntner, Kommentar zum Opfer-
hilfegesetz, Bern 1995, Art. 12 N 17).
b) aa) Die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 OHG sollen
insbesondere klarstellen, dass nicht bereits die Opfereigenschaft an
sich den Anspruch auf eine Genugtuung begründet, sondern hierfür
gewisse
qualifizierte Bedingungen
bezüglich der objektiven und
subjektiven Schwere der erlittenen Persönlichkeitsverletzung (zu
denken ist bei Tötungen an Schmerz, seelisches Leiden und andere
Beeinträchtigungen der Lebensfreude der Angehörigen) vorliegen
müssen. Dies gilt analog zum Zivilrecht, wo auch nicht jede Persön-
lichkeitsverletzung zu einem Genugtuungsanspruch führt. Wenn aber
die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 12 Abs. 2 OHG erfüllt sind,
hat das Opfer trotz der "Kann-Formulierung" einen Rechtsanspruch
gegenüber dem Staat auf die Ausrichtung einer Genugtuungssumme;
insoweit räumt diese Bestimmung der rechtsanwendenden Behörde
kein Rechtsfolgeermessen ein (BGE 121 II 373; AGVE 1996,
S. 192).
bb) Die gerichtliche Zusprechung einer (zivilrechtlichen) Ge-
nugtuung nach Art. 47 bzw. Art. 49 OR ist keine Voraussetzung für
die Ausrichtung einer Genugtuung gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG, doch
müssen die Anspruchsvoraussetzungen einer zivilrechtlichen Ge-
nugtuung bejaht werden können, damit die Beschwerdeführer als
Hinterbliebene bei der Geltendmachung von Genugtuung einem di-
rekten Opfer gleichzustellen sind (Art. 2 Abs. 2 lit. c OHG). Es
drängt sich ohnehin auf - im Sinne der Einheit der Rechtsordnung -,
für die Auslegung der Begriffe "schwer betroffen" und "besondere
Umstände" in Art. 12 Abs. 2 OHG die von Rechtsprechung und
Doktrin herausgearbeiteten Grundsätze über den zivilrechtlichen
Genugtuungsanspruch
heranzuziehen
(Gomm/Stein/Zehntner,
a.a.O., Art. 12 N 28; vgl. BGE 121 II 373).
2002
Opferhilfe
353
c) Die Gerichtspraxis bejaht die Genugtuungsvoraussetzungen
(vorne Erw. a: schwere Betroffenheit, besondere Umstände) bei den
Geschwistern eines getöteten Kindes in der Regel nur, wenn der
Anspruchsteller mit dem Opfer zur Zeit des Todes im gemeinsamen
Haushalt lebte (siehe Klaus Hütte/Petra Ducksch, Die Genugtuung,
3. Auflage, Zürich 1996 [mit Aktualisierung 1999], I/28, I/36). Als
Basisrahmen geben Hütte/Ducksch für die Zeit nach 1995 Fr. 6'000.-
bis 7'000.-- an, wobei die Streuung aber erheblich ist (a.a.O., I/36).
Ihre Behauptung, nach der geltenden Praxis werde Geschwis-
tern eines getöteten Opfers nur sehr zurückhaltend eine Genugtuung
ausgerichtet, vermochte die Vorinstanz nicht zu belegen. Gewiss ent-
halten die Tabellen V/1 bei Hütte/Ducksch relativ wenige Fälle, aber
sie lassen doch den auch von den Autoren gezogenen Schluss zu,
dass die Zusprechung von Genugtuung die Regel ist, wenn
Geschwister zuvor in engem Kontakt zueinander lebten. Es wäre
denn auch lebensfremd anzunehmen, dass Kinder den plötzlichen
Verlust eines Geschwisters, mit dem sie vorher dauernd zusammen
waren, ohne grösseren Schmerz verkraften und deshalb keine Ge-
nugtuung beanspruchen können. Eine speziell zurückhaltende Sicht-
weise, soweit es um Leistungen der Opferhilfe geht, wäre hier unbe-
gründet.
d) aa) Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Be-
schwerdeführer im gemeinsamen Haushalt mit der getöteten Schwes-
ter lebten. Der Unterbruch, weil R. noch in Brasilien blieb, um den
Schulabschluss zu machen, als die Mutter mit den Beschwerdefüh-
rern im August 1998 in die Schweiz zurückkehrte, war zum vornher-
ein nur vorübergehend und für eine kurze Zeit geplant. Entscheidend
ist die Zeit vor der Straftat und allenfalls die damals bestehenden
konkreten Pläne der Familie.
bb) Als I.S. nach Brasilien auswanderte, betrieb sie dort ein
kleines Motel. Auch wenn sie offenbar bald einen Partner fand, blieb
sie alleine für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich. In dieser
Situation liegt es nahe, dass sich in der Familie ein starkes Zusam-
mengehörigkeitsgefühl entwickelte. Es ist auch durchaus wahr-
scheinlich und glaubwürdig, dass R. als Älteste bei der Erziehung der
Geschwister eingebunden wurde und gegenüber den jüngsten unter
2002
Verwaltungsgericht
354
ihnen auch in gewissem Ausmass die Rolle einer Ersatzmutter über-
nehmen musste. Die konkreten Umstände legen somit eine enge
Verbindung der Beschwerdeführer zu ihrer Schwester nahe.
cc) Als genugtuungserhöhend bezeichnen die Beschwerdeführer
die brutale Tat und den Umstand, dass es bei "normalem" Ablauf gar
nicht zur Ermordung von R. hätte kommen können, weil sie in die-
sem Zeitpunkt gar nicht mehr in Brasilien hätte sein sollen. Die Um-
stände des Todes von Angehörigen können dann genugtuungserhö-
hend wirken, wenn sie die Erinnerung der Hinterbliebenen belasten.
Während dies bei der Mutter durchaus zutreffen dürfte (namentlich
dann, wenn sie sich selber Vorwürfe wegen der verzögerten Heim-
reise machen sollte), fällt dieser Aspekt bei den Beschwerdeführern
doch viel weniger ins Gewicht. Sie waren weitab vom Tatort und
wurden nicht durch eigene Wahrnehmung mit dem Tod der Schwes-
ter konfrontiert; vielmehr konnte die Mutter versuchen, ihnen das
tragische Ereignis altersgerecht beizubringen. Im Übrigen hat das
Verwaltungsgericht auch schon festgehalten, soweit der Berücksich-
tigung des Verschuldens ein pönales Moment anhafte, sei dann Zu-
rückhaltung angezeigt, wenn gar nicht der Schädiger selber die Ge-
nugtuung zu bezahlen habe (VGE II/53 vom 11. Juni 1999 in Sachen
O.M., S. 10; vgl. auch Hütte/Ducksch, a.a.O., I/40).
dd) Ohne den Verlust für die Beschwerdeführer dadurch ver-
niedlichen zu wollen, darf auch berücksichtigt werden, dass nach
dem Tod von R. immer noch 5 Geschwister verbleiben (vgl. die
Rechtsprechung, wonach der Verlust eines Einzelkindes schwerer
wiegt als der Verlust eines von mehreren Kindern [Hütte/Ducksch,
a.a.O., I/26 f., mit Hinweisen]).
ee) Anders als bei ihrer Schwester T. (sofern bei ihr die Not-
wendigkeit einer Psychotherapie auf den Tod von R. zurückzuführen
ist) war bei den Beschwerdeführern keine ärztliche Therapie not-
wendig, um das Geschehene verarbeiten zu können.
ff) Zusammenfassend steht es für das Verwaltungsgericht ausser
Zweifel, dass auf Grund des konkreten Sachverhalts die Beeinträchti-
gung der Beschwerdeführer durch den Tod ihrer Schwester erheblich
genug war, um einen Anspruch auf Genugtuung entstehen zu lassen.
Die Höhe der Genugtuung ist im Bereich des "Basisrahmens" fest-
2002
Opferhilfe
355
zulegen, da die zu berücksichtigenden Umstände wohl bewirken,
dass überhaupt ein Anspruch entsteht (was ja bereits eine schwere
Betroffenheit voraussetzt), aber nicht derart gravierend sind, dass sie
bei den Beschwerdeführern - anders verhält es sich bei T. - die Be-
einträchtigung als noch klar darüber hinausgehend erscheinen lies-
sen. Eine Genugtuung von Fr. 8'000.-- pro Kind erscheint deshalb als
angemessen.
Eine Unterscheidung nach dem Alter der Beschwerdeführer ist,
in Übereinstimmung mit der Vorinstanz, nicht angezeigt. Auch die
jüngsten waren beim Tod ihrer Schwester bereits 4 und 6 Jahre alt,
also nicht mehr Kleinkinder; zudem wirkte sich die Rolle von R. als
"Ersatzmutter" (was eine verstärkte Bindung bewirken konnte) am
ehesten bei ihnen aus.
e) Die zugesprochenen Genugtuungssummen sind ab dem
20. Januar 1999 zu verzinsen (Hütte/Ducksch, a.a.O., I/30). | 2,076 | 1,734 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-83_2002-07-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-83.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-83.pdf | AGVE_2002_83 | null | nan |
de9270f1-374a-5c6a-b6ba-207cf5c7cfa8 | 1 | 412 | 870,272 | 1,165,017,600,000 | 2,006 | de | 2006
Verwaltungsgericht
278
56
Folgen der falschen Besetzung der Veranlagungsbehörde. Rücknahme/
Aufhebung der Veranlagung.
-
Falsche Besetzung der Veranlagungsbehörde führt in der Regel nicht
zur Nichtigkeit der Veranlagung, sondern nur zu deren Anfechtbar-
keit (Erw. 3).
-
Vor Eintritt der Rechtskraft kann die Behörde ihre formell fehler-
hafte Verfügung zurücknehmen, ohne dass die Voraussetzungen für
den Widerruf von Verfügungen erfüllt sein müssen (Erw. 4).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. Dezember 2006 in
Sachen M.B. gegen Steuerrekursgericht.
Sachverhalt
Die Steuerkommission Z. veranlagte M.B. mit Verfügung vom
30. Juni 2004 für das Steuerjahr 2001 zu einem steuerbaren Einkom-
men von Fr. 82'000.--. Mit Schreiben vom 13. Juli 2004 teilte der
Vorsteher des Steueramtes Z. dem Steuerpflichtigen mit, die Veranla-
gungsverfügung vom 30. Juni 2004 sei fälschlicherweise eröffnet
worden und werde daher innerhalb der Rechtsmittelfrist aufgehoben.
Danach wurde M.B. mit ("Korrektur-")Verfügung der Steuerkom-
mission Z. vom 20. Januar 2005 für das Jahr 2001 zu einem steuerba-
ren Einkommen von Fr. 181'500.-- veranlagt (im Folgenden werden
die Bezeichnungen Verfügung 04 bzw. Verfügung 05 verwendet).
Aus den Erwägungen
1. Veranlagungsbehörde der Gemeinde ist die Steuerkommis-
sion. Diese besteht aus einem kantonalen Steuerkommissär, dem
Vorsteher des Gemeindesteueramtes sowie drei von der Einwohner-
gemeinde gewählten Mitgliedern. Die Veranlagung wird in der Regel
im Namen der Steuerkommission durch eine Delegation, bestehend
aus dem kantonalen Steuerkommissär und dem Vorsteher des Ge-
meindesteueramtes, vorgenommen (§ 164 StG). Dem Gemeinde-
2006
Verwaltungsrechtspflege
279
steueramt als solchem kommt im Verhältnis zur Steuerkommission
zudienende und ausführende Funktion zu (vgl. § 163 Abs. 3 StG;
AGVE 2000, S. 160; siehe auch AGVE 2001, S. 380).
2./2.1. Der massgebliche Sachverhalt ist nicht streitig. A., der
ordentliche kantonale Steuerkommissär für die Gemeinde Z., trat in
den Ausstand, da er Revisionsstelle bei einer dem Beschwerdeführer
gehörenden Gesellschaft war. Das KStA setzte D. als ausserordentli-
chen Steuerkommissär ein und teilte dies dem Beschwerdeführer am
1. Dezember 2003 schriftlich mit. Die Delegation zur Veranlagung
des Beschwerdeführers setzte sich danach aus D. (ausserordentlicher
Steuerkommissär) und C. (Vorsteher des Steueramtes Z.) zusammen.
Die materielle Stellungnahme von D. zur vorzunehmenden Veranla-
gung datiert vom 18. Oktober 2004, also mehrere Monate nach der
Verfügung 04.
2.2. Als A. - versehentlich - bei der Veranlagung des Beschwer-
deführers mitwirkte (indem er die Veranlagung "zur Eröffnung frei-
gab"), gehörte er der Delegation nicht mehr an. Es handelt sich so-
mit, entgegen dem angefochtenen Entscheid, rechtlich nicht um eine
Verletzung der Ausstandspflicht (eine zur Behörde gehörende Person,
gegen die ein Ausstandsbegehren hängig ist oder die von sich aus in
den Ausstand treten müsste, nimmt trotzdem teil), sondern um die
Veranlagung durch eine personell unrichtig zusammengesetzte
Behörde.
3./3.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des
Verwaltungsgerichts ist die normale Folge der Fehlerhaftigkeit von
Verfügungen deren Anfechtbarkeit. Nur ausnahmsweise ist auf
Nichtigkeit zu schliessen, so, wenn der Mangel besonders schwer
wiegt, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und
wenn die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht
ernsthaft gefährdet wird. Als Nichtigkeitsgründe fallen hauptsächlich
schwere Verfahrensmängel sowie die Unzuständigkeit der verfügen-
den Behörde in Betracht; dagegen haben inhaltliche Mängel nur in
seltenen Ausnahmefällen die Nichtigkeit einer Verfügung zur Folge.
Die Grenzziehung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit ist nach
Massgabe einer teleologischen Rechtsauslegung und einer Interes-
senabwägung vorzunehmen. Nichtigkeit tritt erst dann ein, wenn die
2006
Verwaltungsgericht
280
Verletzung der in Frage stehenden Vorschrift schwerer wiegt als die
sich aus der Unwirksamkeit der Anordnung ergebende Beeinträchti-
gung der Rechtssicherheit und des verfahrensökonomischen staatli-
chen Interesses (AGVE 2000, S. 159 f. mit Hinweisen; siehe auch
BGE 129 I 363 f.; AGVE 2001, S. 381).
3.2./3.2.1. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Ver-
fügungen einer unrichtig zusammengesetzten Behörde in der Regel
nicht nichtig, sondern nur anfechtbar (Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 15. März 2004 [I 688/03], Erw. 3 mit
Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts vom 27. Januar 2004
[1P.487/2003], in BGE 130 I 106 ff. nicht publizierte Erw. 4.2; BGE
98 Ia 474), jedenfalls soweit die Mitglieder nicht in eigener Sache
handeln (André Grisel, Traité de droit administratif, Bd. I, Neuchâtel
1984, S. 425).
Demgegenüber sind nach ständiger Rechtsprechung des Steuer-
rekursgerichts Veranlagungen und Entscheide, welche von einer
nicht gesetzmässig zusammengesetzten Steuerkommission gefällt
werden, nichtig (Entscheid des Steuerrekursgerichts [RGE] vom
9. August 2001 in Sachen P.M., S. 4; Conrad Walther, in: Kommentar
zum Aargauer Steuergesetz, Bd. 2, 2. Aufl., Muri/Bern 2004, § 164 N
20 mit Hinweisen; Plüss/Schade/Walther, ebenda, Vorbemerkungen
zu §§ 172-200 N 53; Jürg Baur, in: Kommentar zum Aargauer
Steuergesetz, 1. Aufl., Muri/Bern 1991, § 127 aStG N 27).
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, die Steuerbehörden
könnten sich nicht darauf berufen, dass eine dem äusseren Anschein
nach von der Steuerkommission erlassene Veranlagung tatsächlich
nicht auf einem Beschluss der Steuerkommission beruhe, sondern
vom Gemeindesteueramt eigenmächtig verschickt worden sei. Dem
Rechtssicherheits- und Rechtsschutzinteresse der Steuerpflichtigen,
für welche derartige Mängel nicht erkennbar seien, gebühre der Vor-
rang vor der richtigen Rechtsanwendung, sofern diese nur über die
Nichtigerklärung der Veranlagung durchgesetzt werden könnte
(AGVE 2001, S. 382; anders wohl die Rechtsprechung des Steuerre-
kursgerichts, das eine Veranlagung, die wohl durch die Steuerkom-
mission erlassen, aber vor der Eröffnung durch das Gemeindesteuer-
2006
Verwaltungsrechtspflege
281
amt abgeändert wurde, als nichtig bezeichnete [RGE vom 18. Januar
1974 in Sachen O.G.; Baur, a.a.O., § 127 aStG N 27]).
3.2.2. Der sachliche Unterschied zwischen einer funktionell
oder sachlich unzuständigen Behörde, deren Verfügungen anerkann-
termassen nichtig sind (BGE 129 I 364), und einer Behörde, die nicht
gesetzmässig zusammengesetzt ist, ist letztlich nur graduell. Dies
zeigt sich gerade hier, wo ausser dem Vorsteher des Gemeindesteuer-
amtes kein (berechtigtes) Mitglied der Steuerkommission mitwirkte.
Im Ergebnis verhält es sich nicht anders, als hätte der Vorsteher des
Gemeindesteuramtes allein und damit das Gemeindesteueramt - als
funktionell unzuständige Behörde - anstelle der zuständigen Steuer-
kommission veranlagt. Gerade in diesem Fall ist es jedoch den Steu-
erbehörden nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung trotz
des gravierenden Mangels versagt, sich auf die (von ihnen verur-
sachten und nur ihnen bekannten) Unregelmässigkeiten im Verfahren
zu berufen, um auf diese Weise zur Nichtigkeit der anscheinend
rechtskräftigen Veranlagung zu gelangen (AGVE 2001, S. 382 f.;
siehe vorne Erw. 3.2.1). Dasselbe muss konsequenterweise auch
beim vorliegenden Sachverhalt gelten: Es geht ebenfalls um die
Frage, ob der den Steuerbehörden anzulastende Fehler die Veranla-
gung nichtig macht, was noch nach Jahr und Tag ermöglichen würde,
sie zu Lasten des Beschwerdeführers abzuändern. Dies ist zu vernei-
nen.
4. Demzufolge bleibt zu prüfen, ob die Verfügung 04 mit dem
Schreiben des Vorstehers des Steueramtes Z. vom 13. Juli 2004 auf-
gehoben wurde (was das Steuerrekursgericht im angefochtenen Ur-
teil bejahte).
4.1. Gemäss § 26 Abs. 1 VRPG (mit der Marginalie "Widerruf")
können Verfügungen und Entscheide, die der Rechtslage oder den
sachlichen Erfordernissen nicht entsprechen, durch die erlassende
Behörde oder die Aufsichtsbehörde abgeändert oder aufgehoben
werden, wenn wichtige öffentliche Interessen es erfordern. Vor-
behalten bleiben Verfügungen, die nach besonderen Vorschriften oder
der Natur der Sache nicht oder nur unter ganz bestimmten Vor-
aussetzungen zurückgenommen werden können (vgl. dazu AGVE
1998, S. 202 ff.). Das StG kennt keine entsprechende Vorschrift,
2006
Verwaltungsgericht
282
doch hat die Rechtsprechung erkannt, dass die Veranlagungsbehörde
befugt sei, eine Verfügung nach deren Eröffnung, aber noch vor Ab-
lauf der Rechtsmittelfrist (insofern liegt eine starke Einschränkung
gegenüber dem Widerruf vor, da dieser auch bei rechtskräftigen Ver-
fügungen möglich ist), von sich aus zurückzunehmen (ASA 64/1995-
96, S. 578 ff.; Martin Plüss, in: Kommentar zum Aargauer Steuerge-
setz, Bd. 2, 2. Aufl., § 191 N 6). Soweit es um eine gültig erlassene
Verfügung geht, ist zur Rücknahme nur die erlassende Behörde zu-
ständig (Plüss, a.a.O.); insoweit besteht Übereinstimmung mit der
Widerrufsregelung. Dies erscheint denn auch gleichsam selbstver-
ständlich, da es nicht angeht, dass irgend eine andere Behörde der
Steuerkommission in ihre Angelegenheiten "pfuscht" (ein Eingreifen
des KStA als Aufsichtsbehörde erscheint zwar möglich [siehe § 161
Abs. 2 und 3 StG], wird aber für eine derartige Rücknahme der Ver-
fügung kaum aktuell, da das KStA stattdessen Einsprache erheben
kann [§ 192 Abs. 1 lit. a StG]).
4.2. Die dargestellte Rechtsprechung bezieht sich auf die Rück-
nahme formell korrekt erlassener Veranlagungsverfügungen. Vorlie-
gend geht es jedoch nicht darum, sondern um eine Veranlagung, die -
je nach Blickwinkel - statt von einer aus zwei Mitgliedern bestehen-
den Delegation der Steuerkommission durch ein einziges Delegati-
onsmitglied oder aber statt von der Delegation der Steuerkommission
durch das Gemeindesteueramt vorgenommen wurde. Wenn nach der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung eine solche formell nicht
gültig zustande gekommene Veranlagung trotzdem wirksam ist, dann
einzig wegen der hohen Bedeutung des Rechtssicherheits- und
Rechtsschutzinteresses der Steuerpflichtigen. Aufgrund dieser sind
die Steuerbehörden gehindert, den von ihnen erweckten Anschein, es
handle sich um eine formell korrekt vorgenommene Veranlagung, im
Nachhinein (nach Ablauf der Rechtsmittelfrist) zu widerlegen
(AGVE 2001, S. 382 f.; siehe vorne Erw. 3.2). Diese Erwägungen
entfallen, wenn der falsche Anschein noch
vor Ablauf
der Rechts-
mittelfrist zerstört wird (siehe dazu auch ASA 64/1995-96, S. 580:
"Solange das Schicksal einer Veranlagungsverfügung aber derart in
der Schwebe ist, kann er [der Steuerpflichtige] sich nicht auf die
Rechtssicherheit berufen."). Es geht mithin um die Offenlegung des
2006
Verwaltungsrechtspflege
283
formellen Fehlers, zu der gerade diejenige Person (bzw. diejenigen
Personen) prädestiniert ist, die fälschlich im Namen der Steuerkom-
mission handelte. Demzufolge genügte im vorliegenden Fall das
Schreiben des Steueramtsvorstehers vom 13. Juli 2004, um die Wirk-
samkeit der von der nicht korrekt besetzten Steuerkommission erlas-
senen Veranlagung zu hindern bzw. sie "zurückzunehmen" und den
späteren, formell einwandfreien Erlass einer Veranlagungsverfügung
zu ermöglichen.
4.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verfügung 05
trage den expliziten Vermerk "Korrektur"; eine Korrekturveranla-
gung sei ein logischer Widerspruch, wenn die ursprüngliche Veranla-
gung nichtig gewesen oder aufgehoben worden sei. Dem ist von der
Logik her beizupflichten; doch auch eine unzutreffende Bezeichnung
der "Folge-Verfügung" vermag die Unwirksamkeit der Verfügung 04
nicht zu beeinflussen. Einer "Auflösung" des Widerspruchs bedarf es
nicht. Dem Beschwerdeführer war ungeachtet der Bezeichnung klar,
dass es sich bei der Verfügung 05 um die neue Veranlagung handelte,
die an die Stelle der früheren trat.
(Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen diesen
Entscheid abgewiesen.) | 2,787 | 2,184 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2006-56_2006-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-56.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-56.pdf | AGVE_2006_56 | null | nan |
df026aa8-9225-5673-bbcb-0370fbbcf841 | 1 | 412 | 870,374 | 1,356,998,400,000 | 2,013 | de | 2013
Fürsorgerische Unterbringung
53
II. Fürsorgerische Unterbringung
10 Behandlungsplan
Ein Behandlungsplan als solcher ist kein gültiges Anfechtungsobjekt und
demnach nicht mit Beschwerde anfechtbar.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 15. Januar 2013 in Sachen
J.F. gegen den Behandlungsplan der Klinik Königsfelden (WBE.2013.10;
publiziert in: CAN - Zeitschrift für kantonale Rechtsprechung 2013 Nr. 56
S. 140).
Aus den Erwägungen
1.
Des Weiteren erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen
den am 1. Januar 2013 vom zuständigen Kaderarzt X. erstellten Be-
handlungsplan. Zu prüfen ist, ob gegen den Behandlungsplan als sol-
chen Beschwerde erhoben werden kann, mithin ob dieser einen gülti-
gen Anfechtungsgegenstand darstellt.
2.
Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB sieht vor, dass eine betroffene Per-
son bei Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung in-
nert 10 Tagen seit Mitteilung des Entscheids schriftlich das zustän-
dige Gericht anrufen kann. Das Verwaltungsgericht beurteilt Be-
schwerden gegen die Behandlung einer psychischen Störung ohne
Zustimmung (§ 67q Abs. 1 lit. e EG ZGB). Fraglich ist, ob gestützt
auf diese Bestimmung ein Behandlungsplan als solcher beim Verwal-
tungsgericht angefochten werden kann.
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
54
3.
3.1.
In der Botschaft zum neuen Erwachsenenschutzrecht wird zu
Art. 439 Abs. 1 Ziffer 4 ZGB Folgendes ausgeführt (Botschaft Er-
wachsenenschutz, BBl 2006 7072):
"Unter Behandlung ist zum einen die Behandlung in einer Not-
fallsituation (Art. 435) zu verstehen. Diesfalls kann etwa geltend ge-
macht werden, es liege kein Notfall vor oder die angeordnete medi-
zinische Massnahme sei nicht verhältnismässig. Zum anderen kann
sich die betroffene Person oder eine ihr nahe stehende Person auch
gegen den Behandlungsplan als solchen (Art. 433) und die darauf
abgestützte Behandlung ohne Zustimmung (Art. 434 Abs. 2) zur
Wehr setzen."
Aufgrund des Wortlauts dieses Abschnitts könnte davon ausge-
gangen werden, dass der Behandlungsplan als solcher anfechtbar ist.
Wie nachfolgend aufgezeigt wird, sprechen sich in der Lehre einige
Autoren jedoch gegen diese Möglichkeit aus.
3.2.
SCHMID führt hierzu Folgendes aus (HERMANN SCHMID,
Kommentar Erwachsenenschutz, Zürich 2010, Art. 439 N 14):
"Das Gericht kann bei "Behandlung" angerufen werden, wäh-
rend der Behandlungsplan bloss ein Dokument betreffend eine "in
Aussicht genommene" (nArt. 433 Abs. 2), "vorgesehene" (nArt. 434
Abs. 1 Einleitungssatz) medizinische Massnahme darstellt. Der Be-
handlungsplan als solcher (nArt. 433) ist somit nicht anfechtbar
(Art. 433 N 4; a.M. Botsch. BBl 2006, S. 7072), zumal die Behand-
lung einer psychischen Störung ohne Zustimmung (nArt. 434) erst
angeordnet wird, wenn die zusätzlichen Voraussetzungen nach
nArt. 434 Abs. 1 Ziff. 1-3 erfüllt sind."
GEISER/ETZENSBERGER entscheiden sich auch gegen die
Anfechtung des Behandlungsplans. Sie betonen, dass dieser weder
einen hoheitlichen Akt (THOMAS GEISER/MARIO
ETZENSBERGER, in: Geiser/Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar,
Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 439 N 15) noch eine Zwangs-
massnahme darstellt (THOMAS GEISER/MARIO
ETZENSBERGER, in: a.a.O., Art. 433 N 21).
2013
Fürsorgerische Unterbringung
55
Die Konferenz der Kantone für Kindes und Erwachsenenschutz
(KOKES) teilt diese Meinung. Die Beschwerdemöglichkeit gestützt
auf Art. 439 Ziff. 4 ZGB beziehe sich auf die bei fehlender Zustim-
mung der betroffenen Person angeordneten medizinischen Massnah-
men (Art. 434 ZGB) oder die medizinischen Massnahmen, welche
im Rahmen einer Notfallsituation (Art. 435 ZGB) ergriffen würden.
Nicht anfechtbar sei hingegen der Behandlungsplan als solcher, weil
dieser lediglich eine Grundlage für eine in Aussicht genommene,
vorgesehene medizinische Massnahme darstelle, das Gericht aber ge-
mäss Wortlaut nur "bei Behandlung" angerufen werden könne
(KOKES, Praxisanleitung Erwachsenenschutz, Zürich/St. Gallen
2012, Ziff. 12.15 und 10.40).
4.
4.1.
Art. 433 ZGB sieht vor, dass der behandelnde Arzt einen Be-
handlungsplan erstellen muss, wenn eine Person zur Behandlung
einer psychischen Störung in einer Einrichtung untergebracht wird.
Dieser Behandlungsplan soll Auskunft über die geplanten Abklärun-
gen und Untersuchungen geben, eine erste oder eine bereits gesicher-
te Diagnose enthalten, die dazu passende Therapie umschreiben,
Ausführungen über Risiken und Nebenwirkungen der Therapie ma-
chen und eine mögliche Prognose stellen. Zudem sind andere mögli-
che Behandlungswege und die Gefahren einer unterlassenen Thera-
pie aufzuzeigen (Art. 433 Abs. 2 ZGB; Botschaft Erwachsenen-
schutz, BBl 2006 7068). Der Behandlungsplan wird der betroffenen
Person zur Zustimmung unterbreitet (Art. 433 Abs. 3 ZGB). Wenn
eine Zustimmung zur Behandlung nicht vorliegt, ist die Ergreifung
von medizinischen Massnahmen nur unter den engen Voraussetzun-
gen von Art. 434 ZGB erlaubt (Botschaft Erwachsenenschutz,
BBl 2006 7068; KOKES, a.a.O., Ziff. 10.39). Gemäss Art. 434 ZGB
kann eine im Behandlungsplan vorgesehene medizinische Massnah-
me ohne Zustimmung der betroffenen Person durch den Chefarzt
oder die Chefärztin der Abteilung schriftlich angeordnet werden,
sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
56
4.2.
Mit Erstellen des Behandlungsplans wird somit nicht über eine
bestimmte Behandlung entschieden, sondern, wie auch in der Bot-
schaft ausgeführt, lediglich Auskunft über die geplanten Therapien
oder über alternative Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Stimmt
eine Person dem Behandlungsplan zu, können die darin erwähnten
Behandlungen durchgeführt werden. Stimmt sie dem Behandlungs-
plan nicht zu, kann eine medizinische Massnahme auf der Grundlage
von Art. 434 ZGB durchgesetzt werden. Hierzu bedarf es aber ge-
mäss Wortlaut des Gesetzes eines schriftlichen Entscheids, welcher
gestützt auf Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB anfechtbar ist. Vorbehalten
bleibt natürlich auch die Anordnung medizinischer Massnahmen,
welche sofort aufgrund einer Notfallsituation umgesetzt werden müs-
sen (Art. 435 ZGB). Diese sind ebenfalls gestützt auf dieselbe Be-
stimmung anfechtbar (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006
7072). Da somit mit dem Behandlungsplan keine konkrete medizini-
sche Massnahme angeordnet wird, sondern lediglich gewisse Absich-
ten aufgezeigt werden, ist der Behandlungsplan nicht als möglicher
Anfechtungsgegenstand einer Beschwerde anzusehen. Gegen die ein-
zelnen Massnahmen kann sich eine betroffene Person wehren, wenn
die Einrichtung einen Entscheid gestützt auf Art. 434 ZGB fällt, mit-
hin "die im Behandlungsplan vorgesehene medizinische Mass-
nahme" schriftlich und ohne Zustimmung der betroffenen Person an-
ordnet. Folglich ist auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin ge-
gen ihren Behandlungsplan als solchen nicht einzutreten. | 1,552 | 1,284 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-10_2013-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-10.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-10.pdf | AGVE_2013_10 | null | nan |
e05ca15a-34e6-5604-8f66-c31399d4e829 | 1 | 412 | 871,039 | 1,333,497,600,000 | 2,012 | de | 2012
Anwaltsrecht
213
VIII. Anwaltsrecht
31
Interessenkonflikt nach Art. 12 lit. c BGFA im Falle der Mehrfachver-
teidigung
-
Eine Verletzung der Berufspflichten des Anwalts setzt voraus, dass
konkrete Hinweise auf einen möglichen Interessenkonflikt bestehen,
die bloss abstrakte Möglichkeit genügt nicht.
-
Ist eine Mehrfachverteidigung ausnahmsweise zulässig, so kann für
die Annahme eines Interessenkonflikts beim amtlichen Verteidiger
nicht ausreichen, wenn sich im Laufe der Einvernahmen einzelne
Aussagen der Angeschuldigten als nicht identisch und widerspruchs-
frei herausstellen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 30. April 2012 in Sachen
A. gegen Anwaltskommission des Kantons Aargau (WBE.2011.407).
Aus den Erwägungen
3.2.
3.2.1.
Die Sorgfaltspflichten gemäss BGFA schliessen auch eine Ver-
teidigung verschiedener Angeklagter im Strafverfahren nicht von
vornherein aus. Im Interesse der Verfahrenseffizienz kann eine Mehr-
fachvertretung ausnahmsweise erlaubt sein. Als Ausnahme sind die
Voraussetzungen restriktiv anzuwenden. Unabdingbar ist, dass die
(Mit-)Angeschuldigten durchwegs identische und widerspruchsfreie
Darstellungen zum Sachverhalt und zur Tatbeteiligung geben und
ihre Prozessinteressen nach den jeweiligen konkreten Umständen
nicht divergieren (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 16. März 2009
[1B
_
7/2009], Erw. 5.8; Walter Fellmann, in: Kommentar zum An-
waltsgesetz, 2. Aufl., Zürich 2011, Art. 12 N 54 ff., Art. 12 N 107).
Vertritt ein Strafverteidiger zwei angeklagte Personen, befindet er
2012
Verwaltungsgericht
214
sich in einem Interessenkonflikt, sobald er die Interessen und Vertei-
digungsrechte des einen Mandanten nicht wahrnehmen kann, ohne
die Interessen und Verteidigungsrechte des anderen Mandanten zu
gefährden oder gar zu verletzen. Sind die Verteidigungsinteressen
zweier Angeklagter hingegen nicht gegenläufig, ist es zulässig, deren
Verteidigung ein und demselben Rechtsvertreter zu übertragen (vgl.
Urteil des Bundesgerichts vom 28. Oktober 2002 [6P.108/2002],
Erw. 2.2.1).
Der Berufsregel von Art. 12 lit. c BGFA entspricht auch der
Grundsatz der Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbandes
vom 10. Juni 2005, wonach Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Mandanten, den eige-
nen und den Interessen von anderen Personen, mit denen sie ge-
schäftlich oder privat in Beziehung stehen, vermeiden (Art. 11 der
Standesregeln). Art. 12 präzisiert unter dem Titel "Mehrere Mandan-
ten", dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht mehr als
einen Mandanten in der gleichen Sache beraten, vertreten oder ver-
teidigen, wenn ein Interessenkonflikt zwischen den Mandanten be-
steht oder droht (Abs. 1). Sie legen das Mandat gegenüber allen be-
troffenen Mandanten nieder, wenn es zu einem Interessenkonflikt
kommt, wenn die Gefahr der Verletzung des Berufsgeheimnisses be-
steht oder die Unabhängigkeit beeinträchtigt zu werden droht
(Art. 12 Abs. 2). Diese Regeln können insoweit zur Auslegung der
Sorgfaltspflichten gemäss BGFA beigezogen werden, als sie allge-
mein anerkannte Prinzipien zum Ausdruck bringen (vgl. hierzu Fell-
mann, a.a.O., Art. 12 N 5a; BGE 130 II 270, Erw. 3.1.1; VGE II/81
vom 21. Dezember 2005 [WBE.2005.227], Erw. 2.3).
3.2.2.
Art. 128 StPO verpflichtet die Verteidigung in den Schranken
von Gesetz und Standesregeln allein der beschuldigten Person ge-
genüber. Die Strafprozessordnung schliesst indessen nicht aus, dass
innerhalb dieser Schranken ein Rechtsbeistand im gleichen Verfahren
die Interessen mehrerer Verfahrensbeteiligter wahren kann (Art. 127
Abs. 3 StPO).
2012
Anwaltsrecht
215
Diese Normen finden auch für die notwendige und die amtliche
Verteidigung Anwendung, welche je nach Verfahrensstadium von der
Verfahrensleitung einzusetzen ist (Art. 131 ff. StPO).
4.
4.1.
Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers stellte sich
die Frage einer Interessenkollision anlässlich der Einvernahme von
B. am 24. Februar 2011. Aufgrund der Identifikation von C. anläss-
lich der Fotokonfrontation durch seinen Mandanten, der mehrfachen
Namensnennung sowie der inhaltlichen Bezugnahme auf die Einver-
nahme von C. vom 31. Mai 2010, an welcher der Beschwerdeführer
als Verteidiger anwesend war, konnte bezüglich der Identität der
betroffenen Person keine Unsicherheit mehr bestehen. Ebenso war
erkennbar bzw. musste für den Beschwerdeführer am 24. Februar
2011 erkennbar sein, dass die Aussagen von B. und C. divergierten.
Er war daher verpflichtet, sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen, ob
die Gefahr einer Interessenkollision zwischen den beiden Mandats-
verhältnissen besteht (Fellmann, a.a.O., Art. 12 N 87; BGE 134 II
108, Erw. 4.2.2).
4.2.
Unterschiede in den Aussagen der beiden Mandanten des Be-
schwerdeführers führten aber nicht gleichsam automatisch zu einer
verbotenen Interessenkollision gemäss Art. 12 lit. c BGFA. Eine
Sorgfaltspflichtverletzung des Anwalts liegt erst vor, wenn Differen-
zen in den Aussagen bestehen oder zumindest absehbar sind, welche
nach den konkreten Umständen auf gegensätzlichen Prozessinteres-
sen beruhen (Urteil des Bundesgerichts vom 16. März 2009
[1B
_
7/2009], Erw. 5.9; vgl. Fellmann, a.a.O., Art. 12 N 107). Die
bloss abstrakte Möglichkeit eines Interessenkonflikts vermag dabei
eine Verletzung von Art. 12 lit. c BGFA nicht zu begründen; verlangt
wird vielmehr, dass konkrete Hinweise auf einen möglichen
Interessenkonflikt bestehen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom
17. Juni 2011 [2C
_
900/2010], Erw. 1.3 mit Hinweisen; BGE 134 II
108, Erw. 4.2.2; Urteil des Bundesgerichts vom 28. Januar 2009
[2C
_
504/2008 und 2C
_
505/2008], Erw. 9.1; Fellmann, a.a.O.,
Art. 12 N 84b). Mit anderen Worten genügt die Möglichkeit, ein
2012
Verwaltungsgericht
216
Risiko oder der blosse Anschein eines Interessenkonflikts nicht, um
eine nach Art. 12 lit. c BGFA relevante Sorgfaltspflichtverletzung zu
begründen (vgl. Ernst Staehelin, Interessenkollision: theoretische und
reale Aspekte, Anwaltsrevue 4/2010, S. 189 mit Hinweisen; Kaspar
Schiller, Schweizerisches Anwaltsrecht, Zürich 2009, N 823 f.). Es
ist daher bei Mehrfachvertretungen im Einzelfall zu prüfen, ob die
Mandatsinhalte und die Verteidigungsstrategie parallel laufen oder
divergieren. Erst bei konkreten Umständen, welche die vorbehaltlose
Interessenwahrung für jeden Mandanten beeinträchtigen oder kon-
kret gefährden können, ist der Anwalt verpflichtet, die Mandate nie-
derzulegen. Massgebend ist, ob der Anwalt jedes Mandat unabhängig
vom andern und im uneingeschränkten Interesse seiner Mandanten
führen kann.
Im vorliegenden Fall bezogen sich die Differenzen in den (an-
fänglichen) Aussagen von B. auf die Anzahl der Geldübergaben, die
Höhe der Geldbeträge und die Häufigkeit der Übergabe von Mobil-
telefonen. B. bestätigte mehrfach diese Vorhalte erst nach Konfron-
tation mit den jeweiligen Aussagen von C..
Eine anfängliche Bestreitung von Vorhalten und die versuchte
Schilderung eines in Einzelpunkten zu Zahlenangaben eines Mittä-
ters abweichenden Sachverhalts lassen nicht auf einen konkreten, mit
den Sorgfaltspflichten unvereinbaren Interessenkonflikt schliessen.
B. hat teilweise noch an derselben Befragung seine Darstellung auf-
gegeben. Die Anzahl von Drogen- und Geldwäschereigeschäften
können sich zwar - wie die Anwaltskommission zu Recht festgehal-
ten hat - im Falle einer Verurteilung nach Art. 19 Ziff. 2 BetmG oder
nach Art. 305
bis
StGB auf die Strafzumessung auswirken. Das In-
teresse der Klienten des Beschwerdeführers an einer - auch im Ver-
gleich zum Mitangeklagten - geringfügigen Strafe und wohlwollen-
den Strafzumessung begründet indessen keinen aufsichtsrechtlich
relevanten Interessenkonflikt des Anwalts. Divergierende Aussagen
solcher Art schlossen eine unabhängige Mandatsführung nicht aus.
Standesrechtlich relevante Interessenkonflikte bei divergierenden
Aussagen in einer Strafuntersuchung liegen erst vor, wenn der An-
walt einen seiner Mandanten nicht oder nicht mehr verteidigen kann,
ohne die Interessen des andern Mandanten zu gefährden, z.B. wenn
2012
Anwaltsrecht
217
sich die Mandanten gegenseitig der Falschaussage bezichtigen, (zu-
sätzlicher) strafbarer Handlungen beschuldigen oder die Angaben zu
den jeweiligen Tatbeteiligungen so divergieren, dass sich eine Ge-
genüberstellung (Art. 146 Abs. 2 StPO) aufdrängt. Die Aussagen von
B. und C. entsprachen sich im Kern und die Widersprüche betrafen,
was die Straftatbestände anbelangt, untergeordnete Punkte. Solche
Abweichungen in den Aussagen zum Sachverhalt sind zu geringfügig
und begründen - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - keine rele-
vante Konfliktsituation des Anwalts (vgl. dazu Urteil des Bundes-
gerichts vom 21. Juni 2011 [6B
_
1076/2010], Erw. 2.3.2 f.). Kein
relevanter Interessenkonflikt besteht bei einer Mehrfachvertretung
schliesslich, wenn die Mandanten von ihrem Aussageverweigerungs-
recht (Art. 113 Abs. 1 StPO) Gebrauch machen. Der Anwalt findet
sich daher auch nicht in einer konkreten Konfliktsituation, wenn bei
einer Mehrfachvertretung seine Mandanten versuchen, sich nicht
gegenseitig zu belasten. Der blosse Umstand, dass das Aussagever-
halten eines angeschuldigten Mandanten aus der Sicht der Strafunter-
suchungsbehörden "keinen guten Eindruck hinterlässt" oder dessen
Glaubwürdigkeit in Frage stellt, kann keinen relevanten Interessen-
konflikt begründen. Art. 12 BGFA dient vorab dem umfassenden
öffentlich-rechtlichen Schutz der anwaltlichen Treuepflicht, dem
Schutz des rechtsuchenden Publikums und der Wahrung des Anse-
hens der Anwaltschaft (vgl. BGE 128 I 346, Erw. 2.2 mit Hinwei-
sen). Es ist aber nicht Aufgabe der Verteidigung, den Fortgang des
Verfahrens zu befördern (Wolfgang Wohlers, Die Pflicht der Vertei-
digung zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person, in:
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht [ZStrR] 130/2012, S. 57 mit
Hinweisen).
4.3.
Die Entscheidung der Oberstaatsanwaltschaft, mit welcher die
amtliche Verteidigung widerrufen wurde, ist ohne präjudizielle Be-
deutung für das Disziplinarverfahren. Auch mit Blick auf die An-
zeige der Staatsanwaltschaft D. sind die unterschiedlichen Aufgaben
der Verfahrensleitung in der Strafuntersuchung und des Verteidigers
zu beachten. Gemäss Art. 62 Abs. 1 StPO obliegt der Verfahrenslei-
tung die Sicherstellung eines gesetzmässigen und ordnungsgemässen
2012
Verwaltungsgericht
218
Strafverfahrens, wozu auch die Sicherstellung einer notwendigen
oder amtlichen Verteidigung gehört (Art. 131 ff. StPO). Der Widerruf
der amtlichen Verteidigung setzt nach Art. 134 Abs. 2 StPO u.a. vor-
aus, dass eine wirksame Verteidigung nicht mehr gewährleistet ist.
Eine Doppelvertretung kann die Verteidigungsrechte tangieren und
die Verfahrensleitung ist grundsätzlich zur Bestellung einer neuen
amtlichen Verteidigung berechtigt, wenn ein Interessenkonflikt mög-
lich ist und geeignet erscheint, die Verteidigungsrechte des Betroffe-
nen zu verletzen. Die Beurteilung der Staatsanwaltschaft ist damit
präventiv und beruht im Hinblick auf den ordnungsgemässen Verfah-
rensgang auf einem Anschein und der Möglichkeit einer Interessen-
kollision. Auch wenn Mehrfachvertretungen im Strafprozess immer
und grundsätzlich problematisch sind, bedeutet eine andere Beurtei-
lung durch den betroffenen Anwalt, die sich objektiv auf die kon-
krete Interessenlage seiner Mandanten stützen kann, noch keine
Verletzung der Standespflichten.
4.4.
Im Übrigen ist im vorliegenden Fall, wo die Anzeichen einer
möglichen Interessenkollision bei der ersten Einvernahme auftraten,
zu beachten, dass die Mandatspflichten dem Beschwerdeführer
grundsätzlich untersagten, den Abbruch der Einvernahme wegen
möglicher Doppelvertretung zu provozieren. Eine Mandatsniederle-
gung während der Einvernahme verbieten die Interessen beider
Mandanten und seine Sorgfaltspflicht gemäss Art. 12 lit. a BGFA.
Ein solches Verhalten könnte zudem das Berufsgeheimnis zumindest
gegenüber einem Mandanten verletzen, da aufgrund einer solchen
Mandatsniederlegung die Untersuchungsbehörden einen bisher nicht
bekannten Zusammenhang zwischen zwei Angeschuldigten erkennen
könnten. Die Sorgfaltspflichten gebieten vielmehr, dass der Be-
schwerdeführer nach der Einvernahme eine Interessenkollision ge-
wissenhaft prüfte und eine allfällige Mandatsniederlegung mit den
betroffenen Mandanten besprach. Hätten sich allfällige divergierende
Interessen nicht beseitigen lassen oder hätte der Beschwerdeführer in
Zukunft mit Interessenkonflikten rechnen müssen, wäre eine Man-
datsniederlegung unausweichlich gewesen.
2012
Anwaltsrecht
219
Im vorliegenden Fall fand die Besprechung mit den Mandanten
am 3. März 2011 statt und der Beschwerdeführer kam zum Ergebnis,
dass keine tatsächlichen Interessenkonflikte bestanden. Diese rechtli-
che Beurteilung lag nicht ausserhalb einer korrekten rechtlichen In-
terpretation der Mandanteninteressen (vgl. vorne Erw. 4.2). Es kann
dem Beschwerdeführer daher nicht angelastet werden, dass er eine
unzulässige Doppelvertretung bis zum Widerruf der amtlichen Ver-
teidigung weitergeführt hätte. Voraussetzung einer Disziplinierung ist
immer, dass der Anwalt die Pflichtwidrigkeit erkannte oder bei
durchschnittlicher Sorgfalt hätte erkennen müssen. Dabei reicht die
abstrakte Möglichkeit eines Konflikts (BGE 134 II 108, Erw. 4.2.2;
AGVE 2008, S. 285) oder das allgemeine Risiko, dass ein solcher im
Verlaufe des Mandats auftreten kann, für eine Verletzung der anwalt-
lichen Berufspflichten gemäss BGFA nicht aus.
Der Beschwerdeführer hätte schliesslich auch in der Lage sein
müssen, sich pflichtgemäss zu verhalten. Nachdem die Staatsanwalt-
schaft D. seine Abberufung bereits am 2. März 2011 der Oberstaats-
anwaltschaft beantragt hatte, durfte für eine Disziplinierung die
Frage nach dem pflichtgemässen Alternativverhalten nicht offen
bleiben.
4.5.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Aussagediffe-
renzen der beiden Mandanten des Beschwerdeführers keine konkre-
ten tatsächlichen Interessenkonflikte erkennen lassen. Die Rechtspo-
sitionen der Mandanten waren einheitlich und schlossen eine pa-
rallele, unabhängige und unbeeinflusste Interessenwahrung durch
den Beschwerdeführer nicht aus. Nur weil der Mitangeschuldigte B.
die Aussagen der an der strafbaren Handlung Mitbeteiligten nicht
ohne Weiteres bestätigte und einzelne seiner Aussagen nicht iden-
tisch und widerspruchsfrei waren, liegt noch kein tatsächlicher In-
teressenkonflikt vor (vgl. Schiller, a.a.O., N 805 ff.). Insbesondere
abweichende Mengenangaben mehrerer Angeschuldigter bei Dro-
gendelikten begründen allein keine relevanten Interessenkollisionen.
Der Beschwerdeführer hat seine anwaltlichen Sorgfaltspflichten
bei und nach der Einvernahme vom 24. Februar 2011 gemäss BGFA
2012
Verwaltungsgericht
220
nicht verletzt. Sein Beschwerdeantrag ist daher gutzuheissen und der
Entscheid der Anwaltskommission ist aufzuheben. | 3,291 | 2,612 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-31_2012-04-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-31.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-31.pdf | AGVE_2012_31 | null | nan |
e0911385-77dc-523c-bf22-8f0a60511391 | 1 | 412 | 871,191 | 1,041,379,200,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsrechtspflege
303
X. Verwaltungsrechtspflege
73 Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 52 Ziff. 11 VRPG
(Zulassung zu einer Prüfung).
- Bei der gerichtlichen Überprüfung der Zulassung zu einer Prüfung
gemäss § 52 Ziff. 11 VRPG geht es um die Beurteilung von Prüfungs-
voraussetzungen, welche rein formaler Natur sind und keine Bewer-
tungskomponenten beinhalten (Erw. 2/c/bb).
- Der Begriff der Prüfung in § 52 Ziff. 11 VRPG beschränkt sich nach
heutigem Verständnis nicht auf einen einheitlichen, zeitlich eng be-
grenzten Prüfungsakt, sondern kann in verschiedene Teilelemente, wie
Testate, Vordiplomprüfungen, Diplomprüfungen aufgeteilt sein, die
sich auf die ganze Länge des Studiums verteilen (Erw. 2/c/cc).
- Die Erteilung eines Testats als Ausdruck für genügende Leistungen
kann nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung
gemäss § 52 Ziff. 11 VRPG sein (Erw. 2/d).
- Ist das Testat Voraussetzung zur Zulassung zur Diplomarbeit und
wurde es nicht erteilt, ist die Überprüfung der Frage, ob jemand zur
Diplomarbeit zuzulassen sei, ebensowenig Sache des Verwaltungsge-
richts wie die Frage, ob das Testat zu Recht nicht erteilt wurde
(Erw. 3).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 22. Januar 2003 in Sa-
chen R.P. gegen Entscheid des Regierungsrates.
Aus den Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer stützt seine Beschwerde formell auf
§ 52 Ziff. 11 VRPG. Die Vorinstanz bejaht eine Zuständigkeit des
Verwaltungsgerichts gestützt auf § 52 Ziff. 11 VRPG, allerdings unter
Vorbehalt (siehe hinten, Erw. 2/a). Das Verwaltungsgericht prüft
seine Zuständigkeit indessen von Amtes wegen (§ 6 VRPG). Es darf
2003
Verwaltungsgericht
304
Beschwerden nur in Fällen beurteilen, welche das VRPG oder ein
anderes Gesetz bestimmt (§ 51 Abs. 1 VRPG).
2. a) Gemäss § 52 Ziff. 11 VRPG urteilt das Verwaltungsgericht
über die Zulassung zu einer Prüfung, soweit sie nicht von der Be-
wertung der Schulleistungen abhängt, und unter Ausschluss der
Frage, ob die Prüfung bestanden wurde, auch wenn davon die Ertei-
lung einer Bewilligung gemäss Ziffer 8 abhängt.
Die Vorinstanz führt in ihrem Entscheid aus, es sei unklar, in-
wiefern eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestützt auf § 52
Ziff. 11 VRPG zulässig sei. Im vorliegenden Fall gehe es um die
Nichterteilung des Testats, welches zur Erlangung des Fachhoch-
schuldiploms vorausgesetzt werde. Eine Bewertung einer Schulleis-
tung stehe dabei nicht zur Diskussion. Dieser Sachverhalt sei zumin-
dest mit der Zulassung zu einer Prüfung gemäss § 52 Ziff. 11 VRPG
vergleichbar, weshalb dem Entscheid eine entsprechende Rechtsmit-
telbelehrung angefügt worden sei, allerdings mit dem ausdrücklichen
Vorbehalt, dass einzig das Verwaltungsgericht verbindlich darüber
entscheiden könne, ob diese Rechtsmittelmöglichkeit auch tatsäch-
lich bestehe.
Auch nach Ansicht des Beschwerdeführers ist im vorliegenden
Fall keine Bewertung von Schulleistungen zu überprüfen; es gehe
auch nicht darum zu entscheiden, ob eine Prüfung bestanden sei oder
nicht. Effektiv streitig sei, ob dem Beschwerdeführer das für die
Erteilung des Diploms noch fehlende Testat "Labor Systempro-
grammierung" wegen angeblich nicht fristgerechter Abgabe der
Übung "CORBA" zu Recht verweigert worden sei. Dabei handle es
sich nicht um Bewertungen, die sich für die gerichtliche Überprüfung
nicht eignen. Inwiefern es sich um eine "Zulassung zu einer Prüfung"
im Sinne von § 52 Ziff. 11 VRPG handelt, führt der Beschwerdefüh-
rer nicht weiter aus.
b) Die beiden Rechtsbegehren des Beschwerdeführers und die
damit im Zusammenhang stehende Nichterteilung des Diploms fallen
zeitlich auf das Jahr 2001. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Studien-
gang im Bereich Informatik durch die Verordnung über die Fach-
hochschule Technik, Wirtschaft und Gestaltung vom 29. Oktober
1997 (Fachhochschulverordnung I, AFHV I) geregelt. Neu wird der
2003
Verwaltungsrechtspflege
305
Studiengang in der Verordnung über die Diplomstudiengänge Elek-
tro- und Informationstechnik, Informatik sowie Maschinenbau
(AFHV Elektro- und Informationstechnik, Informatik, Maschinen-
bau; SAR 426.715) vom 10. Juli 2002, in Kraft seit 1. Oktober 2002
geregelt. Dieser neuen Verordnung sind keine Übergangsbestimmun-
gen zu entnehmen, weshalb nach den allgemeinen intertemporal-
rechtlichen Regeln im vorliegenden Fall die AFHV I zur Anwendung
kommt (vgl. Ulrich Häfelin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungs-
recht, 4. Auflage, Zürich 2002, Rz. 325 ff.).
c) aa) In seiner Botschaft vom 3. Mai 1967 führt der Regie-
rungsrat zu § 52 Ziff. 11 VRPG (§ 46 Ziff. 11 Entwurf) aus, dass die
Frage der Zulassung zu einer Prüfung bei gewissen Berufsprüfungen
eine Rolle spiele, wo zum Akzess bestimmte Voraussetzungen ver-
langt würden. So würden z.B. an die Zulassung zum Notariatsex-
amen Voraussetzungen betreffend Schulbildung, Art der Berufslehre
und Praktika geknüpft. Soweit die Zulassung von der Bewertung
schulischer Leistungen abhänge, werde die Zuständigkeit des Ver-
waltungsgerichts ausgeschlossen. Das Gleiche gelte für die Frage, ob
eine Prüfung bestanden worden sei. Es handle sich hier um Bewer-
tungen, die sich einer gerichtlichen Überprüfung entzögen (Botschaft
des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossrat vom 3. Mai
1967, S.
36). Die Grossratskommission Verwaltungsrechtspflege
genehmigte § 52 Ziff. 11 (§ 46 Ziff. 11 Entwurf) diskussionslos
(Protokoll der Grossratskommission Verwaltungsrechtspflege vom
14. bis 16. September 1967, S. 13). Die übrigen Materialien enthal-
ten keine weiteren Hinweise.
bb) Das Beispiel der Notariatsprüfung belegt, dass der Gesetz-
geber unter der "Zulassung zu einer Prüfung" nur jene Prüfungsvor-
aussetzungen verstanden wissen wollte, welche im strengen Sinne
rein formaler Natur sind und jedenfalls keine Bewertungskompo-
nenten beinhalten. Es geht also (lediglich) darum, ob ein Bewerber
bestimmte Schulen oder Kurse besucht, Praktika von vorgegebener
Länge absolviert hat usw. Es leuchtet auch durchaus ein, dass in die-
sem Bereich Justiziabilität besteht. Auf die Bewertung von Leistun-
gen im Rahmen einer Prüfung dagegen ist eine richterliche Überprü-
fung nicht zugeschnitten. Ähnliche Beispiele wie die Notariatsprü-
2003
Verwaltungsgericht
306
fung sind etwa das Anwaltsexamen, die Wirtefachprüfung oder die
Jägerprüfung.
cc) Nach heutigem Verständnis muss nun der angestammte Be-
griff der Prüfung, welche wie die vorhin genannten Beispiele in
Form eines einheitlichen, zeitlich eng begrenzten Prüfungsakts
durchgeführt wird, allerdings ausgeweitet werden. Gerade im Fach-
hochschulbereich sind die Prüfungen aufgeteilt in verschiedene Teil-
elemente, die sich auf die ganze Länge des Studiums verteilen. So
müssen sich die Studierenden Leistungsbeurteilungen unterziehen,
wobei die genügenden Leistungen mittels Testaten bezeugt werden
(vgl. § 9a Abs. 2 AFHV I bzw. neu § 9 AFHV Elektro- und Informa-
tionstechnik, Informatik, Maschinenbau), sie müssen weiter Vordi-
plomprüfungen und Diplomprüfungen absolvieren (siehe Informa-
tionsbroschüre der Fachhochschule Aargau Nordwestschweiz "Stu-
diengang Informatik"). Den Abschluss des Studiums bildet das Di-
plom; es wird erteilt, wenn alle erforderlichen Testate vorliegen, der
vorgegebene Durchschnitt aller Prüfungsnoten erreicht ist und auch
die Diplomarbeit genügend ist (vgl. § 15 AFHV I bzw. neu § 21
AFHV Elektro- und Informationstechnik, Informatik, Maschinen-
bau). Diese Prüfungselemente sind alle mit Bewertungen verbunden.
Dies gilt auch für die Testate, welche wie erwähnt Ausdruck für die
Leistungsbeurteilungen sind. Es handelt sich also um eine andere Art
von Testaten als jene, welche an den Universitäten erteilt werden und
nur die Tatsache des Vorlesungsbesuchs bestätigen. Im Unterschied
zu den Prüfungen (in einem moderneren Sinne) gibt es auch an der
Fachhochschule eigentliche Zulassungsvoraussetzungen bzw. Anfor-
derungen, welche den prüfungsfreien Übertritt regeln (§ 4 AFHV I
bzw. neu § 2 AFHV Elektro- und Informationstechnik, Informatik,
Maschinenbau); deren Einhaltung ist aufgrund von § 52 Ziff. 11
VRPG durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
d) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Erteilung
bzw. Nichterteilung des Testats "Labor Systemprogrammierung".
Nach dem Gesagten kann die Erteilung dieses Testats nicht Gegen-
stand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung sein, weil hier kla-
rerweise eine Bewertungskomponente hineinspielt. In diesem Zu-
sammenhang ist speziell darauf hinzuweisen, dass eine schriftliche
2003
Verwaltungsrechtspflege
307
Arbeit nicht nur inhaltlichen Anforderungen genügen, sondern auch
zeitgerecht abgeliefert werden muss; auch dies gehört zur - zu be-
wertenden - schulischen Leistung. Auf die Beschwerde darf deshalb
mangels rechtlicher Zuständigkeit nicht eingetreten werden.
3. Der Beschwerdeführer verlangt auch, dass ihm das Ergebnis
seiner Diplomarbeit bekanntgegeben werde. Die Zulassung zur Di-
plomarbeit setzt voraus, dass der Studierende am Ende des
6. Semesters alle erforderlichen Testate vorweist und die Diplom-
prüfung bestanden hat. Der Beschwerdeführer durfte die Diplomar-
beit nur unter Vorbehalt einreichen, weil die Frage des Vorliegens des
Testats und seine Zulassung nicht rechtsgültig geklärt war.
Die Zulassung zur Diplomarbeit und deren Korrektur stand un-
ter der Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer die Zulassungs-
voraussetzungen erfüllt. Da das Testat "Labor Systemprogrammie-
rung" fehlt, bestand keine Verpflichtung zur Korrektur der Diplom-
arbeit. Die Überprüfung der Frage, ob der Beschwerdeführer zur
Diplomarbeit zuzulassen bzw. die vorsorglich eingereichte Diplom-
arbeit zu korrigieren ist, kann ebensowenig Sache des Verwaltungs-
gerichts sein wie die Frage, ob dem Beschwerdeführer das Testat zu
Recht nicht erteilt wurde.
4. Zusammenfassend ergibt sich, dass auf die vorliegenden Be-
schwerdeanträge gestützt auf § 52 Ziff. 11 VRPG nicht eingetreten
werden darf. Der Fall kann auch nicht unter eines der anderen Sach-
gebiete in § 52 VRPG subsumiert werden. Da keine Beschwerde-
gründe gemäss § 53 VRPG geltend gemacht wurden, ist auch eine
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gestützt auf diese Bestim-
mung zu verneinen.
Redaktionelle Anmerkung
Das Bundesgericht, II. Öffentlichrechtliche Abteilung, hat eine
gegen den Entscheid vom 22. Januar 2003 erhobene staatsrechtliche
Beschwerde mit Urteil vom 6.
Juni 2003 abgewiesen (BGE
2P.148/2003). | 2,274 | 1,891 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-73_2003-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-73.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-73.pdf | AGVE_2003_73 | null | nan |
e0bcd793-4cfc-5610-84f0-153534c6199a | 1 | 412 | 870,461 | 1,401,667,200,000 | 2,014 | de | 2014
Kantonale Steuern
83
10
§ 177 Abs. 3 lit. b StG
Einreichen einer Steuererklärung als verjährungsunterbrechende Hand-
lung
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 26. Juni 2014 in Sachen
KStA gegen A.X. und B.X. (WBE.2014.14).
Aus den Erwägungen
1.
Materiell ist umstritten, ob die Veranlagungsverjährung betref-
fend die Kantons- und Gemeindesteuern 2005 gemäss § 177 StG ein-
getreten ist. Die fünfjährige Verjährungsfrist für die Veranlagung der
Kantons- und Gemeindesteuern 2005 begann am 1. Januar 2006 zu
laufen und wäre ohne Unterbrechung am 31. Dezember 2010 abge-
laufen. Die Veranlagung im vorliegenden Fall erfolgte erst am
20. November 2012 und ist daher nur rechtzeitig, wenn zuvor die
Verjährung unterbrochen wurde.
1.1.
Die Beschwerdeführerin sieht im vorbehaltlosen Einreichen der
Steuererklärung eine die Verjährung unterbrechende Handlung, da so
die Steuerforderung im Sinne von § 177 Abs. 3 lit. b StG ausdrück-
lich anerkannt werde. Der von der Vorinstanz zitierte Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 17. März 2010 (WBE.2009.198) betreffe
einen mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbaren Sachver-
halt.
Die Beschwerdegegner bestreiten die Unterbrechungswirkung
der Einreichung einer Steuererklärung, da mit dem Einreichen der-
selben keine betraglich fixierte Steuerforderung entstehe und somit
auch nicht anerkannt werden könne. Das Einreichen an sich stelle
keine ausdrückliche, sondern, wenn überhaupt, eine konkludente
Anerkennung dar.
1.2.
Die Vorinstanz ist unter Berufung auf ein Urteil des Verwal-
tungsgerichts vom 17. März 2010 (WBE.2009.198) zur Auffassung
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
84
gelangt, in diesem Entscheid habe das Verwaltungsgericht die Einrei-
chung einer Steuererklärung nicht als Anerkennungshandlung im
Sinne von Art. 120 Abs. 3 lit. b DBG genügen lassen. Dementspre-
chend sei auch hier im Rahmen der Anwendung von § 177 Abs. 3
lit. b StG gleich zu entscheiden.
1.2.1.
Wie die Beschwerdeführerin zu Recht erkannt hat, wurde im
angeführten Entscheid beurteilt, ob mit dem Einreichen der einmali-
gen Übergangssteuererklärung 2001 für die ordentlich und perio-
disch erhobene Einkommenssteuer zugleich eine Anerkennung für
eine ausnahmsweise und nur unter besonderen Voraussetzungen ge-
schuldete Sondersteuer einherging. Speziell war insbesondere, dass
dazumal das Steuersystem von der zweijährigen Vergangenheitsbe-
messung auf die einjährige Gegenwartsbemessung umgestellt wurde,
wobei ordentliche Einkünfte in eine Bemessungslücke fielen und
steuerfrei blieben. Das Verfahren war in dieser Periode darauf ausge-
richtet, im Normalfall keine Steuerforderung entstehen zu lassen,
was zur Folge hatte, dass auch keine Steuerforderung hätte anerkannt
werden können. Nur die Deklaration von ausserordentlichen
Einkünften hätte eine Sondersteuer auslösen können und eine Steuer-
forderung nach sich gezogen, welche einer Anerkennung zugänglich
gewesen wäre.
Damit konnte das Einreichen einer Steuererklärung in dieser
speziellen Ausnahmesituation lediglich für den Fall, dass ausseror-
dentliche Einkünfte deklariert wurden, zu einer Anerkennung einer
Steuerforderung führen. Die Deklaration von ordentlichen Einkünf-
ten in der Übergangssteuererklärung war nicht geeignet, eine Steuer-
forderung entstehen zu lassen. Aus diesem Grund geht auch der Ein-
wand der Beschwerdegegner fehl, wonach eine unterschiedliche
Qualifikation einer Erklärung Steuerpflichtiger nach der Natur des
Steuerobjekts nicht gerechtfertigt sei. In der besonderen Konstella-
tion des zitierten Entscheids musste zwingend eine unterschiedliche
Qualifikation vorgenommen werden, da dort ausnahmsweise ordent-
liche Einkünfte zu keiner Steuerforderung führen konnten. Im vorlie-
genden Fall führen jedoch ordentliche Einkünfte zu einer Steuer-
forderung. Die unterschiedliche Qualifikation wird denn auch nicht
2014
Kantonale Steuern
85
aufgrund einer unterschiedlichen Natur des Steuerobjekts vorgenom-
men, sondern ausschliesslich aufgrund der unterschiedlichen Folgen
des Deklarationsverhaltens im Falle einer Bemessungslücke.
Der aktuelle Fall und der von der Vorinstanz zitierte Entscheid
unterscheiden sich somit erheblich. Wie die Beschwerdeführerin zu
Recht geltend macht, kann daher der zitierte Entscheid nicht ohne
weiteres für die Entscheidfindung des vorliegenden Falls herangezo-
gen werden.
1.2.2.
Genau betrachtet, ist für den vorliegenden Fall nur Erwägung
3.2. des zitierten Entscheids relevant, wo das Gericht allgemein fest-
hält, dass unter früherem Recht neben ausdrücklichen auch konklu-
dente Handlungen, wie das Einreichen der Steuererklärung, als Aner-
kennung in Betracht gekommen seien, während gemäss heutiger Re-
gelung ausschliesslich eine ausdrückliche Handlung die Verjährung
unterbrechen könne. Demnach hätte damals das Verwaltungsgericht
es im zitierten Entscheid jedoch bei der Feststellung belassen kön-
nen, wonach das Einreichen der Steuererklärung den Lauf der Ver-
jährung nicht unterbreche und die Beschwerde gutheissen können. Es
prüfte dennoch, ob die von den Beschwerdeführern in der Steuer-
erklärung aufgeführten Bemerkungen eine ausdrückliche Anerken-
nung darstellten. Daraus wird ersichtlich, dass das Gericht nicht von
vornherein ausschliessen wollte, dass dem Einreichen einer Steuer-
erklärung unter gewissen Umständen verjährungsunterbrechende
Wirkung zukommen kann.
2.
Zu prüfen ist daher, ob die Beschwerdeführerin bei richtiger
Auslegung von Art. 177 Abs. 3 lit. b StG etwas für ihren Standpunkt
ableiten kann.
2.1.
Das Recht, eine Steuer zu veranlagen, verjährt - abgesehen von
hier nicht zutreffenden Ausnahmen - fünf Jahre nach Ablauf der
Steuerperiode (Veranlagungsverjährung, § 177 Abs. 1 StG). Die Ver-
jährung beginnt nicht oder steht still insbesondere während eines
Einsprache-, Rekurs-, Beschwerde- oder Revisionsverfahrens (§ 177
Abs. 2 lit. a StG). Der Lauf der Verjährungsfrist kann unterbrochen
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
86
werden und die Verjährung beginnt neu u.a. mit jeder auf Feststel-
lung oder Geltendmachung der Steuerforderung gerichteten Amts-
handlung, die einer steuerpflichtigen oder einer mithaftenden Person
zur Kenntnis gebracht wird (§ 177 Abs. 3 lit. a StG) sowie mit der
ausdrücklichen Anerkennung der Steuerforderung durch die steuer-
pflichtige Person (§ 177 Abs. 3 lit. b StG). Die absolute Verjährung
beträgt 15 Jahre (§ 177 Abs. 4 StG).
2.2.
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestim-
mung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegun-
gen möglich, so muss nach der wahren Tragweite gesucht werden
unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustellen ist
namentlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren
Zweck sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit ande-
ren Bestimmungen zukommt. Das Bundesgericht hat sich bei der
Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten
lassen und hat nur dann allein auf den Wortlaut abgestellt, wenn sich
daraus zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung ergibt. Sind mehrere
Interpretationen denkbar, soll jene gewählt werden, welche die
verfassungsrechtlichen Vorgaben am besten berücksichtigt (BGE 135
II 416 Erw. 2.2 mit weiteren Hinweisen).
2.2.1.
Gemäss § 177 Abs. 3 lit. b StG beginnt die Verjährung mit jeder
ausdrücklichen Anerkennung der Steuerforderung durch den Steuer-
pflichtigen neu. Der Begriff der Anerkennung findet sich in Art. 135
Ziff. 1 OR). Die Anerkennung ist eine Erklärung oder Handlung des
Schuldners bzw. des von ihm ermächtigten Vertreters, mit der gegen-
über dem Gläubiger das Bewusstsein zum Ausdruck gebracht wird,
dass gegenüber dem Gläubiger eine bestimmte rechtliche Leistungs-
pflicht besteht. Eine wirksame Anerkennung setzt u.a. das Verpflich-
tungsbewusstsein des Schuldners, Bestimmtheit und Kenntnisnahme
der Anerkennung voraus. Unter Anerkennung kann nur ein solches
Verhalten verstanden werden, das klar und unzweideutig in einer er-
kennbaren Weise das Bewusstsein von der Existenz der Schuld be-
zeugt (vgl. zum Ganzen: S
TEPHEN
V.
B
ERTI
, in: Zürcher Kommentar,
Obligationenrecht, Teilband V1h: Das Erlöschen der Obligationen,
2014
Kantonale Steuern
87
Art. 127 - 142 OR, 3. Aufl., Zürich 2002, Art. 135 Rz. 11 ff. mit Hin-
weisen; vgl. auch BGE 134 III 591 Erw. 5.2.1). Eine Anerkennungs-
handlung nach Art. 135 Ziff. 1 OR setzt keinen auf Unterbrechung
der Verjährung gerichteten Willen voraus. Als Anerkennung mit Un-
terbrechungswirkung gilt jedes Verhalten des Schuldners, das vom
Gläubiger nach Treu und Glauben im Verkehr als Bestätigung seiner
rechtlichen Verpflichtung aufgefasst werden darf
(BGE 119 II 368
Erw. 7b; BGE
110 II 176
Erw. 3).
2.2.2.
Im Unterschied zu Art. 135 OR, der generell von der "Anerken-
nung der Forderung von seiten des Schuldners" spricht, verlangt
§ 177 Abs. 3 lit. b StG, der von Art. 120 Abs. 3 lit. b DBG inspiriert
ist (vgl. Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den
Grossen Rat vom 21. Mai 1997 zur Totalrevision des aargauischen
Steuergesetzes, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, S. 115) und
sich im Wortlaut weitgehend an diese Vorschrift anlehnt, für die Un-
terbrechung der Verjährung eine "ausdrückliche Anerkennung der
Steuerforderung". Daraus wird in der Lehre zum Teil geschlossen,
konkludente Anerkennungshandlungen zeitigten bei der Kantons-
und Gemeindesteuer sowie bei der direkten Bundessteuer keine
Unterbrechungswirkung (so M
ARKUS
B
INDER
, Die Verjährung im
schweizerischen Steuerrecht, Dissertation Zürich 1985, § 11 VI.B.3.
S. 283; ebenso für § 177 Abs. 3 lit. b StG - mit unzutreffender Beru-
fung auf einen Entscheid des Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 1970
[AGVE 1970, 209, wo das Verwaltungsgericht auf einen Entscheid
des Bundesgerichts Bezug nimmt, in dem dieses ausdrücklich die
Möglichkeit einer konkludenten Anerkennung anerkennt] - D
IETER
E
GLOFF
, in: M
ARIANNE
K
LÖTI
-W
EBER
/D
AVE
S
IEGRIST
/D
IETER
W
EBER
, Kommentar zum Aargauischen Steuergesetz, 3. Aufl., Muri
2009, [Kommentar StG] § 177 N 38).
2.2.3.
Dieser Auffassung kann mit Blick auf die weiteren Auslegungs-
methoden (systematische, teleologische und historische Auslegung)
nicht gefolgt werden: Zum einen enthalten verschiedene andere Bun-
desgesetze Bestimmungen, wonach die Verjährung durch Anerken-
nungshandlungen unterbrochen wird (vgl. die Zusammenstellung bei
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
88
T
HOMAS
M
EIER
, Verjährung und Verwirkung öffentlich-rechtlicher
Forderungen, Fribourg 2013, S. 215, der neben der Regel des DBG
Normen aus weiteren sechs Bundesgesetzen auflistet). Alle diese
Bestimmungen machen die Unterbrechungswirkung nicht von einer
ausdrücklichen Anerkennung abhängig. Ebenso wird in der allgemei-
nen Bestimmung des kantonalen Rechts zur Verjährung öffentlich-
rechtlicher Forderungen (§ 5 Abs. 3 lit. c VRPG) für die Unterbre-
chung der Verjährung lediglich die Anerkennung, nicht hingegen
eine ausdrückliche Anerkennung verlangt. Angesichts dessen be-
dürfte es starker Indizien dafür, dass und warum der Gesetzgeber
beim Erlass von Art. 120 Abs. 3 lit. b DGB sowie § 177 Abs. 3 lit. b
StG nur die ausdrückliche Anerkennung hätte genügen und damit
konkludente Anerkennungshandlungen als verjährungsunterbre-
chende Tatbestände ausschliessen wollen. Hinweise auf einen ent-
sprechenden Willen des Gesetzgebers und allfällige unterliegende
Motive sind indessen den Materialien zum DBG (vgl. Botschaft des
Bundesrats zu Bundesgesetzen über die Harmonisierung der direkten
Steuern der Kantone und Gemeinden sowie über die direkte Bundes-
steuer, BBl 1983 III 1 ff, 207) nicht zu entnehmen und auch in den
Materialien zum StG fehlen entsprechende Anhaltspunkte (vgl. Bot-
schaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat
vom 21. Mai 1997 zur Totalrevision des aargauischen Steuergesetzes,
Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, S. 115). Unter diesen Umstän-
den müssen auch konkludente Anerkennungshandlungen, d.h. jedes
Verhalten, das nach Treu und Glauben als Bestätigung der rechtli-
chen schuldnerischen Verpflichtung aufgefasst werden kann, unter
den Begriff der ausdrücklichen Anerkennung gemäss § 177 Abs. 3
lit. b StG subsumiert werden (so auch die generelle Aussage für das
Steuerrecht bei M
ICHAEL
B
EUSCH
, Der Untergang der Steuerforde-
rung, Zürich, 2012, S. 298 mit Hinweisen [FN 2454]).
Das Einreichen der Steuererklärung ist, wie die Beschwerde-
gegner selber ausführen, eine konkludente Anerkennungshandlung
und nach dem Gesagten geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.
2.2.4.
Die Beschwerdeführerin wirft zu Recht die Frage auf, welche
Handlungen der Steuerpflichtigen denn noch als ausdrückliche Aner-
2014
Kantonale Steuern
89
kennung einer Steuerforderung zu qualifizieren seien, wenn das
vorbehaltlose Einreichen der Steuererklärung dazu nicht ausreiche.
Übrig blieben wohl ausschliesslich schriftliche oder mündliche
Äusserungen von Steuerpflichtigen gegenüber der Steuerbehörde mit
dem Wortlaut, sie würden "die Steuerforderung anerkennen". Der
Anwendungsbereich von § 177 Abs. 3 lit. b StG wäre damit aber im
Wesentlichen auf theoretische Fälle beschränkt, macht es doch für ei-
nen Steuerpflichtigen keinen Sinn, die Steuerforderung ausdrücklich
anzuerkennen, wenn das Einreichen der Steuererklärung bereits eine
(mindestens konkludente) Anerkennungshandlung darstellt. Mit der
Abgabe der Steuererklärung hat der Steuerpflichtige seine Verfah-
renspflichten vorläufig erfüllt und der Steuerbehörde einen Antrag
auf Veranlagung gestellt. Er muss daher erst wieder reagieren, wenn
die Steuerbehörde ihn dazu auffordert, beispielsweise wenn er ver-
gessen hat, die Steuererklärung zu unterzeichnen. Die entsprechende
Aufforderung der Steuerbehörde ist im Übrigen verjährungsunter-
brechend (D
IETER
E
GLOFF
, Kommentar StG, § 177 Rz. 32). Es be-
steht somit für die steuerpflichtige Person keine Veranlassung, die
Steuerforderung, nachdem sie diese bereits mittels Einreichung der
Steuererklärung (mindestens konkludent) anerkannt hat, zusätzlich
separat nochmals anzuerkennen. Anders verhält es sich lediglich hin-
sichtlich der Bezugsverjährung: So ist im Einreichen eines Erlassge-
suchs (auch) eine Anerkennung der bereits rechtskräftig veranlagten
Steuer zu erblicken (vgl. dazu M
ARTIN
Z
WEIFEL
/H
UGO
C
ASANOVA
,
Schweizerische Steuerverfahrensrecht Direkte Steuern, Zürich 2008,
S. 250 FN 855). Neben dem Einreichen der Steuererklärung ist kein
vernünftiger Anwendungsfall ersichtlich, welcher als ausdrückliche,
verjährungsunterbrechende Forderungsanerkennung gemäss § 177
Abs. 3 lit. b StG zu qualifizieren wäre. Der in der Steuererklärung
enthaltene Antrag auf Veranlagung gemäss den deklarierten Faktoren
stellt somit eine Anerkennung der auf Selbstdeklaration fussenden
und bereits im Einreichungszeitpunkt umrissenen Steuerforderung
dar.
2.2.5.
Für die Qualifizierung der Steuererklärung als ausdrückliche
Anerkennung der Steuerforderung spricht auch die rechtliche Bedeu-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
90
tung der Steuererklärung und ihrer Einreichung, welche zweifacher
Natur ist. Sie ist Wissens- und Willenserklärung und stellt einen
integrierenden Bestandteil des Veranlagungsverfahrens dar. Die
Steuererklärung bildet eine Form der persönlichen Teilnahme am
Veranlagungsverfahren (E
RNST
B
LUMENSTEIN
/P
ETER
L
OCHER
, Sys-
tem des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., Zürich 2002, S. 413).
Mit der Steuererklärung beantragt die steuerpflichtige Person die
Steuerfaktoren entsprechend der Selbstdeklaration festzusetzen
(M
ARTIN
S
CHADE
, Kommentar StG, § 180 Rz. 13).
2.2.6.
Die Beschwerdegegner reichten ihre Steuererklärung ohne Vor-
behalt ein und beantragten damit, gestützt auf die von ihnen dekla-
rierten Steuerfaktoren veranlagt zu werden (Wissens- und Willens-
erklärung). Mit dem Einreichen der unterzeichneten Steuererklärung
wird gegenüber der Steuerverwaltung das Bewusstsein zum Aus-
druck gebracht, dass eine bestimmte rechtliche Leistungspflicht be-
steht. Durch das eigenhändige Unterzeichnen bezeugt der Steuer-
pflichtige, die Steuererklärung wahrheitsgemäss und vollständig
ausgefüllt zu haben und stellt gleichzeitig den Antrag, gemäss diesen
Angaben veranlagt zu werden. Das Erfordernis der Schriftlichkeit
unterstreicht einerseits die Bedeutung des Deklarationsverfahrens
und andererseits liegt damit eine explizite Erklärung des Steuer-
pflichtigen vor. Diese ausdrückliche Erklärung erstreckt sich auf die
Angaben in der Steuererklärung sowie auf die bereits mit der Einrei-
chung der Steuererklärung konkretisierte Steuerforderung. Damit ist
das Einreichen der Steuererklärung als verjährungsunterbrechende
ausdrückliche Anerkennung einer Steuerforderung im Sinne von
§ 177 Abs. 3 lit. b StG zu qualifizieren.
2.2.7.
Entgegen den Ausführungen der Beschwerdegegner ist es für
eine verjährungsunterbrechende Anerkennung durch den Steuer-
pflichtigen nicht notwendig, dass der Steuerbetrag, respektive die
Steuerforderung bereits feststehen. Der steuerbegründende Tatbe-
stand muss bloss im Wesentlichen umrissen sein - der Steuerpflich-
tige muss wissen, worum es geht - und die Steuer braucht noch nicht
einmal ziffernmässig festgelegt zu sein (M
ICHAEL
B
EUSCH
, in:
2014
Kantonale Steuern
91
M
ARTIN
Z
WEIFEL
,
P
ETER
A
THANAS
[Hrsg], Kommentar zum
Schweizerischen Steuerrecht, I/2b, 2. Auflage, Basel 2008, Art. 120
DBG N 47, mit Hinweis auf BGE 126 II 1). Der mit dem Einreichen
der Steuererklärung einhergehende Antrag der Beschwerdegegner
auf Veranlagung gemäss den deklarierten Faktoren bestimmt nun
aber bereits den mutmasslich zu bezahlenden Steuerbetrag, zumal
das Steueramt im Internet einen Steuerrechner anbietet und in der
Wegleitung zur Steuererklärung Auszüge aus dem Steuertarif ab-
druckt, wodurch der Steuerpflichtige in der Lage ist, die zu bezah-
lende Steuer zu berechnen. Ausserdem ist sich die Lehre einig, dass
das Einreichen der Steuererklärung zumindest eine konkludente
Anerkennung der Steuerforderung beinhaltet (M
ARKUS
B
INDER
,
a.a.O., § 11 VI.B.2, S. 282 f.; D
IETER
E
GLOFF
, Kommentar StG,
§ 177 Rz. 38). Damit ist auch der Einwand der Beschwerdeführer, es
entstehe mit dem Einreichen der Steuererklärung gar keine Steuerfor-
derung, nicht stichhaltig.
2.2.8.
Im Ergebnis unterbrachen die Beschwerdegegner wie dargelegt
mit dem Einreichen der Steuererklärung am 20. Februar 2007 die
Veranlagungsverjährung ein erstes Mal, wodurch der Ablauf der Ver-
jährung auf den 20. Februar 2012 zu liegen kam. Das Gemein-
desteueramt unterbrach sodann die laufende Verjährung mit Schrei-
ben vom 8. Dezember 2011 an die Beschwerdegegner, respektive de-
ren Vertreterin, womit die relative Verjährungsfrist von fünf Jahren
wiederum neu zu laufen begann. Dieses Schreiben ist, wie die Be-
schwerdegegner selber ausführen, zur Unterbrechung der Verjährung
geeignet, sodass sich weitere Ausführungen dazu erübrigen. Die Be-
schwerde ist demnach gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben. | 4,211 | 3,397 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-10_2014-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-10.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-10.pdf | AGVE_2014_10 | null | nan |
e0c48fc4-63d9-5a45-9c51-41596677e37a | 1 | 412 | 870,164 | 1,067,817,600,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsgericht
258
[...]
61 Preisbewertung;
Vorbehalte
mit
Kostenauswirkungen.
- Vorbehalte bezüglich Mehrkosten, die nicht ohnehin zusätzlich vergü-
tet werden müssen (wie beispielsweise Mehrkosten wegen ausseror-
dentlicher Umstände im Sinne von Art. 373 Abs. 2 OR, schuldhaften
Verhaltens des Bestellers, Annahmeverzugs oder Bestellungsänderun-
gen) können einen Abzug bei der Preisbewertung rechtfertigen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 25. November 2003 in
Sachen K. AG gegen Gemeinderat Windisch.
Aus den Erwägungen
3. a) Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Offerte u.a. die fol-
genden "Ergänzungen und Bemerkungen zum Angebot" angebracht:
2003
Submissionen
259
- Allfällige Behandlungskosten für schadstoffhaltiges Material ist in
unseren Preisen nicht enthalten. Ebenso die möglichen Erschwer-
nisse wegen archäologischen Funden.
- Die Einheitspreise verstehen sich ohne Mehrwertsteuer.
- Das Freilegen der Grenzsteine und das Abstecken der Hauptachse
ist Sache der Bauleitung.
- Die Transportpreise basieren auf vollen Ladungen des jeweiligen
Transportfahrzeuges.
- Unserer Kalkulation liegt zu Grunde, dass die öffentlichen Strassen
ohne Behinderungen befahren werden können.
Die Beschwerdeführerin verneint, dass es sich dabei um kosten-
relevante Vorbehalte handle. Vielmehr sei damit ausschliesslich
darauf hingewiesen worden, dass Bestellungsänderungen mit Kos-
tenfolgen verbunden seien. Das allfällige Vorfinden von ver-
schmutztem Material oder das Vorhandensein archäologischer Funde
habe Bestellungsänderungen zur Folge, die alle Anbieter zu Mehrfor-
derungen berechtigen und zur Anpassung der Werkpreise führen
würden. Es handle sich somit lediglich - im Sinne einer Dienstleis-
tung - um einen Hinweis auf allfällige Kostenrisiken, welche aus-
schliesslich in der Sphäre der Vergabestelle liegen würden.
b) aa) Grundlage der Offerte bildeten im vorliegenden Fall zu-
nächst die Besonderen Bestimmungen der I., sodann u.a. die SIA-
Norm 118 und einschlägigen Bestimmungen des OR.
bb) Gemäss den Besonderen Bestimmungen verpflichteten sich
die Anbieter mit ihrer Offerte "in rechtsverbindlicher Weise, sämtli-
che genannte Arbeiten zu den eingesetzten Einheitspreisen zu über-
nehmen und vertragsgemäss in allen Teilen sach- und fachgemäss
fertig zu stellen". Auch ein Unter- oder Überschreiten der (approxi-
mativen) Ausmasse berechtigte den Unternehmer nicht zur Ände-
rung. Mithin waren die eingesetzten Einheitspreise fest vereinbart,
d.h. es liegt eine feste Übernahme der Werkausführung zu genau
bestimmten Einheitspreisen vor (Peter Gauch, Der Werkvertrag,
4. Auflage, Zürich 1996, S. 258 Rz. 915). Der Unternehmer hat An-
spruch auf Bezahlung des zum Voraus genau bestimmten Preises je
geleisteter (erforderlicher) Einheit, nicht mehr und nicht weniger
(Art. 373 Abs. 1 und 3 OR; SIA-Norm 118, Art. 38 Abs. 2 und 58
2003
Verwaltungsgericht
260
Abs. 1; Gauch, a.a.O., S. 262 Rz. 929). Der vereinbarte Einheitspreis
ist unabhängig von den tatsächlichen Erstellungskosten und unabän-
derlich, mögen dem Ersteller auch grössere oder geringere Kosten
erwachsen als vorgesehen war. Der umschriebene Festpreischarakter
des Einheitspreises ist allerdings nicht ein absoluter. Zur Mehrver-
gütung führen können u.a. das Vorliegen ausserordentlicher Um-
stände im Sinne von Art. 373 Abs. 2 OR, schuldhaftes Verhalten des
Bestellers, Annahmeverzug oder Bestellungsänderungen (Gauch,
a.a.O., S. 262, Rz. 930, S. 291, Rz. 1045). Gemäss Art. 372 Abs. 2
OR kann das Gericht nach seinem Ermessen eine Erhöhung des Prei-
ses (oder sogar die Auflösung des Vertrages) bewilligen, falls ausser-
ordentliche Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten oder
die nach den von beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzun-
gen ausgeschlossen waren, die Fertigstellung hindern oder übermäs-
sig erschweren. Eine ähnliche Regelung enthält Art. 59 Abs. 1 SIA-
Norm 118. Danach gehören zu den ausserordentlichen Umständen
z.B. Wassereinbrüche, Erdbeben, Sturm, Gasaustritte, hohe unterirdi-
sche Temperatur, Radioaktivität, einschneidende behördliche Mass-
nahmen, Störung des Arbeitsfriedens. Zu den ausserordentlichen
Umständen nach Art. 373 Abs. 2 OR können auch Schwierigkeiten
des Baugrundes gehören, wie z.B. Kontamination von Abbruch- oder
Aushubmaterialien (Gauch, a.a.O., S. 297, Rz. 1071; vgl. auch Peter
Gauch, in Kommentar zur SIA-Norm 118, Art. 38 - 156, hrsg. von
Peter Gauch, Zürich 1992, Art. 58 N 12 und N 17). Dies kann z.B.
dann der Fall sein, wenn der Unternehmer das Aushub- und Ab-
bruchmaterial zu Eigentum erwirbt und auf einen selbstgewählten
Deponieplatz wegzuschaffen hat. In diesem Fall obliegen die erfor-
derlichen Entsorgungsmassnahmen von vornherein dem Unterneh-
mer, der sich bei gegebenen Voraussetzungen auf Art. 372 Abs. 2 OR
berufen und eine Mehrvergütung geltend machen kann. Ist der Un-
ternehmer hingegen nur zur Ablagerung des Materials auf dem Bau-
platz oder zum Abtransport auf eine Deponie des Bauherrn ver-
pflichtet, so liegt eine Bestellungsänderung vor, wenn der Bauherr
eine zusätzliche Entsorgungsmassnahme (z.B. Abtransport auf eine
Sonderdeponie) verlangt (Gauch, a.a.O., S. 319, Rz. 1150).
2003
Submissionen
261
cc) Mit der Einreichung der Offerte erklärten die Unternehmer
ausdrücklich, über den Inhalt derselben orientiert zu sein und die
allgemeinen und speziellen Bedingungen, den Arbeitsbeschrieb so-
wie alle Zeichnungen und evtl. Muster eingesehen zu haben. Der
Unternehmer hatte sich auch über die Lage des Bauplatzes, die Zu-
fahrt und Depotmöglichkeiten, die Verhältnisse bezüglich eventuell
nötiger Werkanschlüsse sowie über die Transportverhältnisse an Ort
und Stelle und nach den vorliegenden Unterlagen zu orientieren. Die
Ausschreibungsunterlagen enthalten keinerlei Hinweise auf ein mög-
liches Vorhandensein schadstoffhaltigen Materials (vgl. Gauch, SIA-
Norm 118, Art. 58 N 12). Es ist davon auszugehen, dass das Vorhan-
densein von schadstoffbelastetem Material von der Vergabebehörde
ausgeschlossen wurde, worauf sich die Anbieter bei der Kalkulation
der Einheitspreise verlassen durften. Eine Veranlassung oder gar eine
Verpflichtung der Anbieter, den Baugrund vorgängig der Offert-
stellung selbst auf solches Material hin untersuchen zu lassen, be-
stand im vorliegenden Fall (Erneuerung der Werkleitungen und Sa-
nierung des Strassenbelags) nicht; die Bauherrschaft bzw. die örtliche
Bauleitung muss diesbezüglich als (ausreichend) sachverständig
qualifiziert werden (vgl. Art. 25 Abs. 3 SIA-Norm 118; ferner Gauch,
SIA-Norm 118, Art. 58 N 17). Sollte daher im Verlaufe der
Arbeitsausführung wider Erwarten doch schadstoffbelastetes Mate-
rial aufgefunden werden, das einer speziellen Behandlung oder Ent-
sorgung bedarf, so führt dies entweder zu einer Bestellungsänderung
mit entsprechenden Kostenfolgen oder aber - soweit dieses Material
ins Eigentum des Unternehmers übergeht - zur Mehrvergütung we-
gen ausserordentlicher Umstände im Sinne von Art. 373 Abs. 2 OR
zu Gunsten des Unternehmers. Gleiches muss für die erwähnten
allfälligen Erschwernisse wegen archäologischer Funde geltend.
Obwohl im Gemeindegebiet von Windisch solche Funde keineswegs
unüblich sind, muss im vorliegenden Fall, in dem es um Erneue-
rungs- und Sanierungsarbeiten und nicht um Neubauten geht, nicht
damit gerechnet werden. Der Beschwerdeführerin ist darin beizu-
pflichten, dass die unvorhergesehene Anpassung der Leitungsfüh-
rung wegen solcher Funde einer Bestellungsänderung gleichkommen
würde, die den ausführenden Unternehmer zu einer Mehrforderung
2003
Verwaltungsgericht
262
berechtigen würde. Der Umstand, dass die übrigen Unternehmer in
ihren Angeboten keine entsprechenden Vorbehalte anbrachten, ändert
nichts daran, dass sie im Falle des Eintretens solcher unvorhersehba-
rer Ereignisse bzw. Erschwernisse ebenfalls berechtigt wären, ent-
sprechende Mehrforderungen auf Grund ausserordentlicher Verhält-
nisse oder Bestellungsänderungen geltend zu machen.
dd) Die Ausschreibungsunterlagen enthalten keine Hinweise auf
Einschränkungen in Bezug auf die Beladbarkeit der einzusetzenden
Transportfahrzeuge oder die Benutzung der Zufahrtswege. Sie
äussern sich zu den (einschränkenden) Verkehrsmassnahmen im
Baustellenbereich und halten allgemein fest, dass der Werkverkehr
des Unternehmers ohne spezielle Bewilligung die Verkehrsvorschrif-
ten einzuhalten habe. Im Leistungsverzeichnis wird festgehalten, als
Transportdistanz gelte die kürzeste
benutzbare
Verbindung der Mas-
senschwerpunkte. Denkbar sind für den Unternehmer entstehende
Mehrkosten, falls sich im Verlaufe der Auftragsausführung zeigen
sollte, dass die Zufahrtsstrassen der Belastung durch den (zusätzli-
chen) Lastwagenverkehr nicht gewachsen sind oder wenn gewisse
öffentliche Strasse dem Werkverkehr - aus Gründen der Verkehrssi-
cherheit oder des Immissionsschutzes bzw. auf Grund von Be-
schwerden der Anwohner - nicht (mehr) zugänglich sind und Um-
wege gefahren werden müssen. In diesem Sinne sind offenbar auch
die Hinweise der Beschwerdeführerin zu verstehen. Indessen waren
die Unternehmer verpflichtet, sich über die Lage des Bauplatzes, die
Zufahrt und Depotmöglichkeiten, die Verhältnisse bezüglich even-
tuell nötiger Werkanschlüsse sowie über die Transportverhältnisse an
Ort und Stelle zu orientieren. Ebenso hatten sie die Möglichkeit, bei
der Vergabebehörde entsprechende Auskünfte einzuholen. Die Be-
schwerdeführerin kam auf Grund ihrer Abklärungen offensichtlich
zur Überzeugung, dass ein Befahren der Zufahrtswege mit voll bela-
denen Fahrzeugen möglich sei und kalkulierte die Einheitspreise für
die Transporte dementsprechend, sie brachte aber einen entsprechen-
den Hinweis bzw. Vorbehalt an. Wenn ein Unternehmer auf Grund
der Besichtigung der Baustelle mit der Möglichkeit, dass solche Er-
schwernisse eintreten könnten, rechnet, liegt es indessen nahe, dass
er sich diesbezüglich bei der Auftraggeberin erkundigt und nähere
2003
Submissionen
263
Abklärungen macht. Tut er dies nicht, und kommt es später zu be-
hördlichen Beschränkungen, sei dies in Bezug auf die Zufahrtswege
oder in Bezug auf die Höchstbeladung der Fahrzeuge, so rechtfertigt
sich eine Mehrvergütung nicht, sondern der Anbieter hat die damit
verbundenen Mehrkosten selber zu tragen. Wird ihm jedoch seitens
der Vergabebehörde ausdrücklich versichert, dass er nicht mit sol-
chen Einschränkungen zu rechnen hat, muss er berechtigt sein, sich
die Mehrkosten vergüten zu lassen, falls es in der Folge wider Er-
warten trotzdem zu Einschränkungen kommt.
Die Beschwerdeführerin hat im vorliegenden Fall darauf ver-
zichtet, sich bei der Vergabebehörde nach möglichen Beschränkun-
gen zu erkundigen. Insofern wäre sie nicht berechtigt, Mehrkosten
geltend zu machen, falls es zur Anordnung von Beschränkungen
kommen sollte. Die beiden Vorbehalte bezüglich Beladbarkeit der
Fahrzeuge und Befahrbarkeit der öffentlichen Strassen müssen des-
halb als kostenwirksam qualifiziert werden und berechtigen die Ver-
gabebehörde zu einem entsprechenden Abzug bei der Bewertung.
ee) Einen weiteren Hinweis hat die Beschwerdeführerin dahin-
gehend gemacht, dass das Freilegen der Grenzsteine und das Ab-
stecken der Hauptachse Sache der Bauleitung sei. Den Ausschrei-
bungsunterlagen ist zu entnehmen, dass die für die Bauausführung
nötige Absteckung der Hauptachsen und die Bezeichnung von Hö-
henbezugspunkten durch die Bauleitung erfolgt, der Unternehmer
aber für diese Arbeiten das nötige Hilfspersonal und Material unent-
geltlich zur Verfügung stellt. Insofern stellt der von der Beschwerde-
führerin gemachte Vorbehalt eine kostenrelevante Einschränkung der
Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen dar.
ff) Nicht kostenrelevant ist hingegen der Hinweis, die Ein-
heitspreise verstünden sich ohne Mehrwertsteuer. Er stimmt mit den
Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen überein.
gg) Als im Hinblick auf den offerierten Preis möglicherweise
kostenwirksam erweisen sich somit die Hinweise bezüglich der
Transportkosten (volle Beladbarkeit der Fahrzeuge; uneinge-
schränkte Befahrbarkeit der öffentlichen Strassen) sowie der Vorbe-
halt in Bezug auf das Abstecken der Hauptachsen und das Freilegen
der Freilegen der Grenzsteine, nicht aber die restlichen Hinweise und
2003
Verwaltungsgericht
264
Bemerkungen. Das heisst, die Vergabebehörde hätte lediglich bei den
Transportkosten, die (zusammen mit den Einfüllungen) höchstens
einen Drittel der gesamten Offertsumme ausmachen, mit allfälligen
Mehrkosten zu rechnen. Die Bewertung des Angebots der Be-
schwerdeführerin mit der Note 1 erscheint unter diesen Umständen
nicht lediglich unangemessen, sondern stellt eine Ermessenüber-
schreitung dar. Richtigerweise hätte hier die Bewertung mit der Note
2 ("befriedigend mit geringfügigen Abstrichen") erfolgen müssen.
Dies führt dazu, dass die Beschwerdeführerin beim Zuschlags-
kriterium "Preis" 300 Punkte (statt 290) hätte erhalten sollen. | 2,806 | 2,234 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-61_2003-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-61.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-61.pdf | AGVE_2003_61 | null | nan |
e0cb7341-0952-560f-9ec5-1ed1aba45842 | 1 | 412 | 869,666 | 1,146,528,000,000 | 2,006 | de | 2006
Opferhilfe
243
IX. Opferhilfe
48
Opferhilfe, Genugtuung (Art. 12 Abs. 2 OHG).
-
Grundsätzliche Verbindlichkeit des Zivil- oder Strafurteils hinsicht-
lich der Frage, wer als indirektes Opfer Anspruch auf Genugtuung
hat, ebenso hinsichtlich der Höhe der Genugtuung, sofern diese vom
Zivil- oder Strafrichter in einem streitigen Verfahren festgesetzt
wurde.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Mai 2006 in Sa-
chen C.B. gegen Kantonalen Sozialdienst.
Sachverhalt
Der Vater der damals 16-jährigen Beschwerdeführerin versuchte
seine Ehefrau (Mutter der Beschwerdeführerin) zu töten und ver-
letzte sie schwer. Im Strafverfahren wurde der Täter verurteilt, der
Beschwerdeführerin eine Genugtuungssumme von Fr. 7'500.-- zu
zahlen, doch war das Geld bei ihm nicht eintreibbar.
Aus den Erwägungen
1./1.1. Gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG kann dem Opfer einer
Straftat unabhängig von seinem Einkommen eine Genugtuung ausge-
richtet werden, wenn es (kumulativ) schwer betroffen ist und beson-
dere Umstände es rechtfertigen. Dem direkten Opfer (Art. 2 Abs. 1
OHG) werden sein Ehegatte, seine Kinder und Eltern sowie andere
Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahe stehen, bezüglich der
Geltendmachung von Entschädigung und Genugtuung gleichgestellt,
soweit ihnen Zivilansprüche gegenüber dem Täter zustehen (Art. 2
Abs. 2 lit. c OHG). Dazu hat das Bundesgericht festgehalten, dass -
2006
Verwaltungsgericht
244
entsprechend dem Zweck der Opferhilfe - dem direkten Opfer nahe
stehende Personen Entschädigung und Genugtuung gemäss Art. 11
ff. OHG nur geltend machen können, soweit ihnen ein entsprechen-
der Zivilanspruch zusteht. Ein opferhilferechtlicher Genugtuungsan-
spruch darf nicht von weniger strengen Voraussetzungen abhängig
gemacht werden als ein zivilrechtlicher. Das bedeutet, dass als indi-
rektes Opfer nur Genugtuung nach Art. 12 Abs. 2 OHG geltend ma-
chen kann, wer nach Art. 47 oder allenfalls 49 OR Anspruch auf eine
Genugtuung hat (BGE vom 8. Juni 2005, 1A.69/2005, Erw. 2.2; BGE
vom 7. Dezember 2000, 1A.196/2000, Erw. 2b, in ZBl 102/2001,
S. 494 f.).
1.2./1.2.1. Zu beurteilen, ob einer Person, die dem direkten Op-
fer nahe steht, ein Zivilanspruch gegenüber dem Täter zusteht (Art. 2
Abs. 2 lit. c OHG), fällt in die Kompetenz des Zivilrichters (oder des
Strafrichters, wenn dieser gleichzeitig über Zivilansprüche entschei-
det; diese Konstellation ist im Folgenden mitgemeint, wenn einfach
vom Zivilrichter oder Zivilprozess die Rede ist). Für die Opferhilfe-
behörde handelt es sich um eine Vorfrage ausserhalb ihres Sachkom-
petenzbereichs. Nach einem allgemein geltenden Grundsatz ist sie
berechtigt, über eine solche Vorfrage selbstständig zu entscheiden
(und insbesondere bei Verfahren, die eine speditive Erledigung er-
fordern und daher eine Sistierung nur ausnahmsweise zulassen, ist
sie dazu sogar verpflichtet), wenn die sachkompetente Behörde dar-
über noch nicht entschieden hat; an einen bereits ergangenen Ent-
scheid der sachkompetenten Behörde ist sie dagegen grundsätzlich
gebunden (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungs-
recht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2002, Rz. 58 ff. m.H.). Diese
Grundsätze müssen auch im Bereich von Art. 2 Abs. 2 lit. c OHG
gelten, zumal dort ausdrücklich auf das Zivilrecht verwiesen wird
("
Zivilanspruch
gegenüber dem Täter"). Das Bundesgericht hat denn
auch festgehalten, dass hier das OHG "fait toutefois clairement réfé-
rence aux notions de droit civile" (BGE vom 8.
Juni 2005,
1A.69/2005, Erw. 2.2), und demgemäss die Bindung an den Ent-
scheid des Zivilrichters betont, jedenfalls insoweit, als gestützt auf
das OHG keine Genugtuung zugesprochen werden darf an Personen,
deren Anspruch vom Zivilrichter verneint wurde (erwähnter BGE
2006
Opferhilfe
245
vom 8. Juni 2005, Erw. 2.2; vgl. auch BGE vom 12. Juni 2003,
1A.208/2002, Erw. 3.2, sowie erwähnter BGE vom 7. Dezember
2000, Erw. 2b, in ZBl 102/2001, S. 494 f.). Angesichts des in Art. 2
Abs. 2 lit. c OHG statuierten direkten Zusammenhangs mit der Re-
gelung im Zivilrecht kann dies nicht nur einseitig zu Lasten der Op-
fer gelten, sondern bedeutet konsequenterweise ebenfalls, dass die
Genugtuung nach OHG bei Personen, deren Anspruch vom Zivil-
richter rechtskräftig bejaht wurde, grundsätzlich nicht verweigert
werden darf (VGE II/10 vom 24. Februar 2005 [BE 2005.00256],
S. 6).
1.2.2. Der KSD lehnt diesen Schluss ab mit der Begründung,
nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung bestehe in reinen Rechts-
fragen keine Bindung (BGE 129 II 312 ff.; erwähnter BGE vom
12. Juni 2003, Erw. 2.2). Die Präjudizien beschlagen indessen nicht
den vorliegend streitigen Sachverhalt und lassen sich auf diesen nicht
übertragen. Das Bundesgericht hat erkannt, dass die vom Zivilrichter
festgesetzte
Höhe der Entschädigung für das direkte Opfer
für den
OHG-Bereich nicht verbindlich sei (BGE 129 II 315 ff.), was ange-
sichts der unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen (siehe Art. 13
Abs. 1 OHG; BGE 129 II 315; 125 II 173 f.) nichts als selbstver-
ständlich ist. Ebenso leuchtet es ohne weiteres ein, dass eine Bin-
dungswirkung nur besteht, soweit der Zivilrichter über eine
strittige
Frage
entschieden hat, nicht aber wo sein Urteil auf einem gericht-
lich nicht überprüften Vergleich oder einer Vereinbarung der Parteien
beruht (BGE 124 II 11 ff.; erwähnter VGE vom 24. Februar 2005,
S. 6).
Bezüglich der
Höhe der Genugtuung für das direkte Opfer
hat
das Bundesgericht gleich entschieden und dies ebenfalls damit be-
gründet, dass die Entschädigungssysteme unterschiedlich seien. Es
ist aber nicht zu verkennen, dass - anders als bei der Entschädigung -
die rechtlichen Grundlagen bei der Genugtuung denjenigen im Zivil-
recht weitgehend entsprechen. Deshalb hat das Bundesgericht hier zu
Recht festgehalten, dass die Anwendung der zivilrechtlichen Krite-
rien "grundsätzlich gerechtfertigt" bzw. dass davon "nicht zu weit"
abzuweichen sei (erwähnter BGE vom 12. Juni 2003, Erw. 2.4; 128
II 53 ff.; 125 II 173; 123 II 216). Bei der Frage, wer als dem direkten
2006
Verwaltungsgericht
246
Opfer
nahe stehende Person einen eigenen Anspruch auf Genugtu-
ung
habe, ist der Konnex zum Zivilrecht, wie bereits ausgeführt,
noch enger.
1.2.3. Damit ist noch nicht gesagt, von der Regel, dass der vom
Zivilrichter in einem streitigen Verfahren anerkannte Anspruch eines
Opferangehörigen auf Genugtuung für den Bereich der Opferhilfe
verbindlich ist, dürfe überhaupt nie abgewichen werden. Die Frage,
unter welchen Voraussetzungen ein Abweichen zulässig erscheint,
muss hier nicht näher erörtert werden. Spezielle Umstände, die den
vorliegenden Fall zu einem solchen Ausnahmefall stempeln könnten,
werden nicht angeführt und sind denn auch nicht ersichtlich.
1.3. Im Berufungsverfahren vor Obergericht beantragte der Tä-
ter, die Genugtuungsforderung der Beschwerdeführerin sei vollum-
fänglich abzuweisen. Dieser Antrag wurde abgewiesen mit der - nä-
her ausgeführten - Begründung, die Beeinträchtigungen, welche die
Beschwerdeführerin durch die Taten erlitten habe, erreichten die In-
tensität, welche für die Zusprechung einer Genugtuung gemäss
Art. 49 OR gefordert werde. Dem ist aufgrund der bejahten Bin-
dungswirkung zu folgen. Im Übrigen würde sich diese Beurteilung
ohnehin auch bei materieller Überprüfung als zutreffend erweisen.
Die Ungewissheit, ob die schwer verletzte Mutter ihre Verletzungen
überleben würde, der spätere Suizidversuch der Mutter aus Angst vor
einer Folgetat, dazu auch die eigene Angst wegen der anhaltenden
massiven Drohungen des Vaters waren geeignet, bei der im Zeitpunkt
der Tat 16-jährigen Beschwerdeführerin eine tiefe und länger dau-
ernde existenzielle Verunsicherung auszulösen und sie in ihrer Ent-
wicklung nachhaltig zu beeinträchtigen; sie musste sich denn auch in
psychotherapeutische Behandlung begeben ... Derartige Existenz-
ängste von Unmündigen beim drohenden Verlust der Eltern oder ei-
nes Elternteils rücken den Sachverhalt in die Nähe des tatsächlichen
Verlusts, wie dies von der Rechtsprechung zu Art. 49 OR und Art. 12
Abs. 2 OHG als Voraussetzung einer Genugtuung für Personen, die
einem körperlich geschädigten Opfer nahe stehen, verlangt wird (er-
wähnter BGE vom 12. Juni 2003, Erw. 3.2; 125 III 417 und insbe-
sondere 419 ff.). Sie stellen einen entscheidenden Unterschied zu
denjenigen Fällen dar, auf die sich der KSD beruft (erwähnte BGE
2006
Opferhilfe
247
vom 8. Juni 2005 und 12. Juni 2003), wo
Eltern
wegen der Verlet-
zung ihres Kindes Genugtuung verlangten.
Die angefochtene Verfügung ist demzufolge aufzuheben.
2. Die Beschwerdeführerin fordert eine Genugtuung in der
Höhe, wie sie im Straf- bzw. Adhäsionsverfahren zugesprochen
wurde. Der KSD hat sich dazu nicht, auch nicht eventualiter, geäus-
sert.
Wurde in einem streitigen Zivilverfahren eine Genugtuungs-
summe festgesetzt, so ist grundsätzlich von dieser auszugehen. Wohl
trifft es zu, dass der Rechtsgrund der Leistungen nach OR und nach
OHG nicht identisch ist und dass in einem Fall der Täter, im anderen
der Staat leistungspflichtig ist; doch rechtfertigt dies nicht, die Ge-
nugtuung nach OHG generell tiefer festzusetzen (vorne Erw. 1.2.2).
Ein allgemeiner Vorbehalt ist nach der Rechtsprechung des Verwal-
tungsgerichts lediglich dort angebracht, wo der Genugtuung wegen
des schweren Täterverschuldens (auch) eine pönale Funktion zu-
kommen soll, da diese nur möglich ist, wenn der Täter selber die Ge-
nugtuung bezahlen muss (VGE II/53 vom 11. Juni 1999
[BE 98.00399], S. 10).
Im Urteil des Bezirksgerichts wurde das schwere Verschulden
des Täters bejaht. Soweit dieses auch als genugtuungserhöhend ge-
würdigt wurde, standen keine pönalen Überlegungen dahinter. Die
Beurteilung bezog sich auf das Erleben und die Beeinträchtigung der
Opfer, besonders deutlich bei der Beschwerdeführerin. Das Gleiche
gilt für das Obergerichtsurteil. Dem Sachrichter steht bei der Bemes-
sung der Genugtuungssumme in Würdigung der massgebenden Um-
stände ein weiter Beurteilungsspielraum zu, und direkte Vergleiche
zu anderen Fällen von Persönlichkeitsverletzungen infolge Tötung
oder Verletzung der körperlichen Integrität eines nahen Angehörigen
sind nur beschränkt möglich (vgl. BGE 125 III 421). In Anbetracht
der erlittenen Beeinträchtigungen (vorne Erw. 1.3) erscheint die der
Beschwerdeführerin zugesprochene Summe angemessen. Es ist kein
Grund ersichtlich, sie herabzusetzen, gerade im Vergleich mit den
höheren Summen beim Verlust eines Elternteils (vgl. Peter Gomm,
in: Kommentar zum Opferhilfegesetz, 2. Auflage, Bern 2005, Art. 12
N 38) und den im Fall BGE 125 III 412 zugesprochenen Fr. 20'000.-.
2006
Verwaltungsgericht
248
Somit ist die Beschwerde vollumfänglich gutzuheissen (zur Verzin-
sung siehe BGE 131 II 227 f.; 129 IV 152 f.; Gomm, a.a.O., Art. 12
N 36). | 2,578 | 2,087 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2006-48_2006-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-48.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-48.pdf | AGVE_2006_48 | null | nan |
e143fea3-aa54-5f5a-87d2-4c2c96619a25 | 1 | 412 | 869,688 | 1,165,017,600,000 | 2,006 | de | 2006
Kantonale Steuern
99
IV. Kantonale Steuern
22 Feststellungsverfügung. Intertemporales Recht. Auswirkung früherer
Ersatzbeschaffungen auf die nach neuem Recht erfolgende Besteuerung
von Gewinnen aus der Veräusserung von landwirtschaftlichen
Grundstücken des Geschäftsvermögens (§ 27 Abs. 4; § 106 Abs. 1 StG).
-
Ausreichendes Interesse, um beim Übergang zum neuen Recht die
Buchwerte und kumulierten Abschreibungen der landwirtschaftli-
chen Grundstücke mittels Feststellungsverfügung verbindlich fest-
zulegen (Erw. 1).
-
Kapitalgewinne, die noch unter altem Recht veranlagt wurden, deren
Besteuerung aber zufolge Ersatzbeschaffung (mit Sofortabschrei-
bung auf dem Ersatzgut) hinausgeschoben wurde, unterliegen bei
der Veräusserung des ersatzbeschafften Grundstücks als wieder ein-
gebrachte Abschreibungen der Einkommenssteuer (Erw. 2-4).
-
Die Rückwirkung des neuen Rechts (auch die zulässige "unechte")
muss sich klar aus dem Gesetz ergeben (Erw. 4.4).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. Dezember 2006 in
Sachen A.H. gegen Steuerrekursgericht.
Aus den Erwägungen
1. Zu Recht bestreiten die Beschwerdeführer nicht mehr, dass
eine Feststellungsverfügung hinsichtlich der Anlagekosten, Ab-
schreibungen und Buchwerte per 1. Januar 2002 zulässig war. Wie
im angefochtenen Entscheid zutreffend ausgeführt, liegt zwar kein
Anwendungsfall von § 266 Abs. 2 StG (eine Regelung im Zusam-
menhang mit dem Übergang von der Wertzerlegungs- zur Präpon-
deranzmethode) vor, da alle Grundstücke der Beschwerdeführer
gleich wie zuvor vollumfänglich Geschäftsvermögen darstellen. In-
dessen reicht es aus (vgl., ausserhalb des Steuerrechts, AGVE 2001,
2006
Verwaltungsgericht
100
S. 385 f., 388), dass sich das Interesse an der Aktualisierung der An-
lagekosten und der kumulierten Abschreibungen im Zusammenhang
mit dem im StG statuierten Wechsel der Besteuerung (siehe hinten
Erw. 2) mit guten Gründen bejahen lässt.
Natürliche Personen mit Einkommen aus selbstständiger Er-
werbstätigkeit und juristische Personen müssen der Steuererklärung
die unterzeichneten Jahresrechnungen der Steuerperiode oder, wenn
sie nach dem Obligationenrecht nicht zur Führung von Geschäftsbü-
chern verpflichtet sind, Aufstellungen über Aktiven und Passiven,
Einnahmen und Ausgaben sowie Privatentnahmen und Privateinla-
gen beilegen (§ 181 Abs. 2 StG, praktisch übereinstimmend mit
Art. 42 Abs. 3 StHG). Unter früherem kantonalem Recht hat das
Verwaltungsgericht die den Steuerpflichtigen bis und mit Jahrgang
1932, welche eine selbstständige landwirtschaftliche Erwerbstätig-
keit ausüben und einen auslaufenden Betrieb bewirtschaften, zuge-
standene Ausnahme von der Aufzeichnungspflicht (siehe Richtlinien
Aufzeichnungspflicht Landwirte des KStA vom 20. August 1992) als
mit § 128 Abs. 4 lit. b 2. Satzteil aStG vereinbar erklärt (VGE II/38
vom 1. Juni 2005 [BE.2004.00132], S. 5 f.). Ob dies auch nach
neuem, StHG-konformem Recht zutrifft, ist zweifelhaft. Umso eher
ist es gerechtfertigt, die Anlagekosten, Abschreibungen und Buch-
werte auf eine gesicherte Grundlage zu stellen, wenn anlässlich des
Übergangs zum neuen Recht nicht mit der Buchführung oder mit
Aufzeichnungen begonnen wird.
2./2.1. Nach dem bis Ende 2000 geltenden aStG wurde bei der
Veräusserung von landwirtschaftlichen Grundstücken die Differenz
zwischen dem Erlös und dem Buchwert (bzw., beim Fehlen einer
Buchhaltung, dem [Rest-] Anlagewert oder Einkommenssteuerwert)
als Kapitalgewinn der Einkommenssteuer unterworfen, sei es als
Teilveräusserungsgewinn zusammen mit dem übrigen Einkommen
(§ 22 Abs. 1 lit. b aStG; Walter Koch, in: Kommentar zum Aargauer
Steuergesetz, 1. Aufl., Muri/Bern 1991, § 22 aStG N 221, 238 ff.,
§ 40 aStG N 1 ff.), sei es als Liquidationsgewinn mit einer Jahres-
steuer (§ 34 Abs. 1 lit. c aStG).
Durch Ersatzbeschaffung von Geschäftsvermögen (§ 24
bis
aStG) wurde die Besteuerung des Kapitalgewinns hinausgeschoben
2006
Kantonale Steuern
101
(siehe dazu AGVE 1985, S. 182 ff., 187 ff.). Die bei der Veräusse-
rung zutage getretenen stillen Reserven wurden auf das Ersatzgut
übertragen und führten dort zu einer Sofortabschreibung (§ 24
bis
Abs. 1 Satz 2 aStG; AGVE 1985, S. 182; Koch, a.a.O., § 24
bis
aStG
N 4, 21).
2.2. Neu wird, aufgrund der Vorgaben in Art. 8 Abs. 1 i.V.m.
Art. 12 Abs. 1 StHG, bei Gewinnen aus der Veräusserung von land-
und forstwirtschaftlichen Grundstücken des Geschäftsvermögens nur
die Differenz zwischen den Anlagekosten und dem steuerlich mass-
gebenden Buchwert den Einkünften aus selbstständiger Erwerbstä-
tigkeit zugerechnet (§ 27 Abs. 4 StG), während der restliche Gewinn
unter die Grundstückgewinnsteuer fällt, indem sich dort die mass-
geblichen Anlagekosten aus "dem Buchwert zuzüglich der bisher
vorgenommenen Abschreibungen nach § 27 Abs. 4" zusammensetzen
(§ 106 Abs. 1 StG). Anders ausgedrückt werden nur die wieder
eingebrachten Abschreibungen der Einkommenssteuer unterworfen
(Jürg Altorfer/Julia von Ah, in: Kommentar zum Aargauer Steuerge-
setz, 2. Aufl., Muri/Bern 2004, § 27 N 160; Markus Reich, in: Kom-
mentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/1 [StHG], 2. Aufl.,
Basel/Genf/ München 2002, Art. 8 N 45), also der Betrag, um den
die buchhalterisch vorgenommenen oder die bei der Veranlagung
nach dem volkswirtschaftlichen Einkommen (nach aStG) eingerech-
neten Abschreibungen (siehe dazu AGVE 1987, S. 167 ff.; 1981,
S. 165 ff.; 1975, S. 334 ff.; Koch, a.a.O., § 22 N 120 f.) das steuer-
bare Einkommen reduzierten.
3. Bei der Frage, wie sich die früher unter altem Recht vorge-
nommenen Ersatzbeschaffungen auf die Besteuerung, d.h. auf die
Abgrenzung der Gewinnerfassung nach § 27 Abs. 4 und § 106 StG
auswirken, werden zwei entgegengesetzte Meinungen vertreten:
Die Beschwerdeführer stützen sich auf die von Marianne Klöti-
Weber (Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, [2. Aufl.] § 106 N 5,
7 f.) vertretene Ansicht, das neue Grundstückgewinnsteuerrecht, im
Speziellen § 106 StG, sei nach § 272 StG auf Veräusserungen ab
2001 integral anzuwenden. Obwohl bei der Kommentierung zu § 106
Abs. 3
StG aufgeführt, basiert das Beispiel 2 offenkundig auf der
Umschreibung der massgeblichen Anlagekosten in § 106
Abs. 1
StG,
2006
Verwaltungsgericht
102
die sämtliche Wertzuwachsgewinne auf land- und forstwirtschaftli-
chen Grundstücken - sowohl auf dem veräusserten als auch auf frü-
heren, mittels Ersatzbeschaffung ersetzten Grundstücken - der
Grundstückgewinnsteuer zuweise und damit die Unterwerfung unter
die Einkommenssteuer ausschliesse.
Demgegenüber halten die Steuerbehörden dafür, dass mit der
noch unter altem Recht erfolgten Festlegung des Kapitalgewinns und
der erfolgten Ersatzbeschaffung (verbunden mit entsprechender So-
fortabschreibung) die rechtliche Qualifikation als der Einkommens-
steuer unterworfener Kapitalgewinn unabänderlich feststehe, selbst
wenn dessen Besteuerung als Folge der Ersatzbeschaffung aufge-
schoben worden sei. Andernfalls komme es zu einer Rückwirkung
des StG. Als Konsequenz hieraus sei nicht mehr zu prüfen, wie sich
der seinerzeit erzielte und zur Ersatzbeschaffung verwendete Kapi-
talgewinn zusammensetzte (Wertzuwachs einerseits, wieder einge-
brachte Abschreibungen andererseits).
4./4.1./4.1.1. § 272 Abs. 1 StG als formelle Übergangsbestim-
mung erklärt das Datum der öffentlichen Beurkundung als intertem-
poralrechtlich massgeblich. Damit steht zwar fest (was auch gar nicht
streitig ist), dass bei einer Veräusserung von Grundstücken das StG
zum Zuge kommt, doch besagt dies mangels einer konkreteren Re-
gelung nichts darüber aus, ob bestimmte steuerlich bedeutungsvolle
Eigenschaften (ein "steuerlicher Status"), die sich aus dem bisherigen
Recht ergaben und den Grundstücken bzw. Grundstückwerten des-
halb beim Inkrafttreten des neuen Rechts zukamen, durch den
Rechtswechsel eine Änderung erfahren.
4.1.2. Die Folgen bei früherer Ersatzbeschaffung werden in
§ 106 Abs. 3 StG explizit nur für "Ersatzbeschaffungen nach Grund-
stückgewinnsteuerrecht" (§ 99 StG) geregelt. Dies bezieht sich auf
Ersatzbeschaffungen nach neuem Recht; denn im früheren Recht
fielen sie nur für selbst bewohntes Grundeigentum im Privatvermö-
gen - und damit grundsätzlich nicht für land- oder forstwirtschaftli-
che Grundstücke - in Betracht (§§ 67 und 70 aStG). Über die Folgen
von Ersatzbeschaffungen nach (altem) Einkommenssteuerrecht
(§ 24
bis
aStG) lässt sich daraus nichts ableiten.
2006
Kantonale Steuern
103
Der bei der Veräusserung eines Grundstücks erzielte Gewinn
entspricht der Differenz zwischen den Anlagekosten und dem höhe-
ren Erlös (§ 101 StG). Bei land- und forstwirtschaftlichen Grund-
stücken setzen sich die Anlagekosten gemäss § 106 Abs. 1 StG aus
dem "Buchwert zuzüglich der bisher vorgenommenen Abschreibun-
gen nach § 27 Abs. 4" zusammen. Vom reinen Wortlaut her könnte
dies bedeuten, dass lediglich die ab 2001 unter der Herrschaft des
StG vorgenommenen Abschreibungen (indirekt) der Einkommens-
steuer unterworfen werden und der gesamte restliche Gewinn mit der
Grundstückgewinnsteuer erfasst wird. Dies kann aber nicht der Sinn
der Norm sein; aus Art. 8 Abs. 1 Satz 1 StHG und § 27 Abs. 4 StG
geht klar hervor, dass die gesamten wieder eingebrachten Abschrei-
bungen der Einkommenssteuer unterstehen, also auch die vor dem
Rechtswechsel vorgenommenen. Die Formulierung des § 106 Abs. 1
StG bedeutet demnach einfach, dass sich die Definition der dort er-
wähnten Abschreibungen nach § 27 Abs. 4 StG richtet, also als Dif-
ferenz zwischen den Anlagekosten und dem steuerlich massgebenden
Buchwert (Klöti-Weber, a.a.O., § 106 N 1). Einen intertemporalen
Bezug weist die Bestimmung nicht auf.
§ 106 StG regelt somit insgesamt keine intertemporalrechtli-
chen Sachverhalte.
4.1.3. Hieraus folgt, dass sich dem StG keine konkrete Antwort
auf die hier gestellte Frage entnehmen lässt.
4.2. In der Botschaft des Regierungsrats vom 21. Mai 1997 zur
Totalrevision der aargauischen Steuergesetze ist zu § 103 des Ent-
wurfs (mit Ausnahme einer geringfügigen stilistischen Änderung
wörtlich dem jetzigen § 106 StG entsprechend) ausgeführt (S. 95):
"Fand unter dem bisherigen Recht eine steueraufschiebende Er-
satzbeschaffung statt, ist das Steuersubstrat der Einkommenssteuer tan-
giert. Deshalb hat die Besteuerung der bisher vorgenommenen Ab-
schreibungen systemkonform mit der Einkommenssteuer zu erfolgen.
Hingegen ist bei den nach neuem Recht erfolgten Ersatzbeschaffungen
zu berücksichtigen, dass der Wertzuwachs mit der Grundstückgewinn-
steuer zu erfassen ist und somit bei Ersatzbeschaffungen auch dem
Grundstückgewinnsteuersubstrat erhalten bleibt. Das stellt Abs. 3 si-
cher ..."
2006
Verwaltungsgericht
104
Diesen Ausführungen entspricht das Berechnungsbeispiel 1 im
Anhang 6 (wiedergegeben bei Klöti-Weber, a.a.O., § 106 N 7).
In der grossrätlichen Kommission wie auch nachher im Grossen
Rat wurde § 103 des Entwurfs weder diskutiert noch abgeändert. In-
sofern entspricht es dem klar ausgedrückten Willen des Gesetzge-
bers, sämtliche unter dem alten Recht vorgenommenen Abschrei-
bungen der Einkommenssteuer zu unterwerfen, insbesondere auch
die im Zusammenhang mit Ersatzbeschaffungen vorgenommenen
Sofortabschreibungen auf dem neuen Gegenstand des Geschäftsver-
mögens, wenn dieser nach Inkrafttreten des StG veräussert wird.
4.3./4.3.1. Unter dem Steuergesetz von 1945 löste bei Landwirt-
schaftsbetrieben die Überführung von Geschäftsvermögen ins Pri-
vatvermögen keine Einkommensbesteuerung aus, wohl aber unter
dem nachfolgenden Steuergesetz von 1966. Das Verwaltungsgericht
führte dazu aus, das Steuergesetz 1966 könne nur Geltung beanspru-
chen für die Festsetzung der Einkommenssteuern ab 1967. Aus sei-
nen Bestimmungen lasse sich nicht ableiten, dass auch für Vorgänge
vor seinem Inkrafttreten festgelegt werden sollte, wieweit sie einen
Übergang vom Geschäfts- ins Privatvermögen oder umgekehrt dar-
stellen könnten; ebenso wenig ergebe sich daraus, dass durch das In-
krafttreten des neuen Gesetzes eine Um- oder Rückwandlung von
Privat- in Geschäftsvermögen erfolge. Vielmehr sei der beim In-
krafttreten bestehende Zustand bezüglich der Aufteilung Geschäfts-
/Privatvermögen als gegeben hinzunehmen. Nur soweit in diesem
Zeitpunkt Geschäftsvermögen bestanden habe, sei gestützt auf das
Steuergesetz 1966 eine Besteuerung bei der Überführung ins Privat-
vermögen zulässig (AGVE 1976, S. 174 f.).
4.3.2. Ein Geschäftsgrundstück wurde 1982 veräussert, als noch
das Steuergesetz 1966 in Kraft war; es wurde eine Ersatzbeschaf-
fungsrückstellung gebildet, die 1984 aufgelöst wurde und somit beim
Einkommen des Bemessungsjahres 1984, nun unter der Geltung des
aStG, aufzurechnen war. Der Besitzesdauerabzug auf Kapitalgewin-
nen, der durch das aStG neu eingeführt worden war, wurde dem
Steuerpflichtigen verwehrt. Das Verwaltungsgericht hielt fest, der
Kapitalgewinn sei 1982 erzielt worden und habe bei der Veranlagung
1983/84 festgesetzt werden müssen. Auch wenn die Besteuerung
2006
Kantonale Steuern
105
wegen der vorgesehenen Ersatzbeschaffung hinausgeschoben worden
sei, dürfe der Kapitalgewinn nicht neu auf Grundlage des aStG statt
des Steuergesetzes 1966 berechnet werden (AGVE 1990, S. 201).
4.3.3. Die Sachverhalte, über die das Verwaltungsgericht in die-
sen früheren Entscheiden zu befinden hatte, sind zwar mit dem jetzt
streitigen Sachverhalt nicht direkt vergleichbar, weisen aber doch er-
hebliche Ähnlichkeiten auf. Dies gilt insbesondere für den zweiten
Entscheid. Wie im jetzt vorliegenden Fall war dort unter altem Recht
ein (der Einkommenssteuer unterliegender) Kapitalgewinn festge-
setzt worden, wenn auch unter Aufschub der Besteuerung im Hin-
blick auf die vorgesehene oder bereits erfolgte Ersatzbeschaffung.
In beiden angeführten Fällen lehnte es das Verwaltungsgericht
ab, dem neuen Recht - unter dem die Besteuerung erfolgte - Auswir-
kungen auf die Beurteilung der früheren Verhältnisse, die weiterhin
eine Rolle spielten, zuzubilligen. In der Tat besteht eine Verwandt-
schaft zu den Tatbeständen der sog. unechten Rückwirkung (siehe
dazu Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht,
5. Aufl., Zürich 2006, Rz. 337 ff.).
4.4. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der ge-
setzgeberische Wille klar darauf gerichtet war, die noch unter dem
aStG erfolgten Abschreibungen, einschliesslich derjenigen bei Er-
satzbeschaffungen, im Rahmen der Gewinnaufteilung zwischen § 27
Abs. 4 und § 106 Abs. 1 StG vollumfänglich der Einkommenssteuer
zu unterwerfen. Dieser Wille fand im Gesetz keinen deutlichen Aus-
druck. Dies schadet angesichts der Nähe zu Tatbeständen der unech-
ten Rückwirkung jedoch nicht, da die Rückwirkung neuen Rechts -
auch die zulässige "unechte" - und nicht deren Ausschluss im Gesetz
angeordnet werden (oder sich zumindest klar aus dem Gesetz erge-
ben) muss; dieser Grundsatz liegt auch der Rechtsprechung des Ver-
waltungsgerichts zu früher beurteilten übergangsrechtlichen Proble-
men im Steuerrecht zugrunde.
5. Die Auslegung von § 106 StG durch die Steuerbehörden, die
auch dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegt, ist somit zu be-
stätigen.
(Hinweis: Gegen diesen Entscheid wurde beim Bundesgericht
Beschwerde erhoben.) | 3,504 | 2,763 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2006-22_2006-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-22.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-22.pdf | AGVE_2006_22 | null | nan |
e14878c3-d687-5467-baff-6eb24915c5ea | 1 | 412 | 871,719 | 1,259,884,800,000 | 2,009 | de | 2010
Verwaltungsgericht
206
[...]
38
Rückwirkende Einstellung der materiellen Hilfe.
-
Rückwirkende Einstellung der materiellen Hilfe ist nur ausnahms-
weise zulässig.
-
Formell müssen die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine
Wiedererwägung erfüllt sein.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 15. Dezember 2009 in Sa-
chen R.G. gegen Gemeinderat F. und Bezirksamt L. (WBE.2009.176).
2010
Sozialhilfe
207
Aus den Erwägungen
2.3.
Sozialhilfeleistungen werden nach dem Bedarfsdeckungsprinzip
für die Zukunft ausgerichtet (§ 5 Abs. 1 SPG; Richtlinie für die Aus-
gestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (herausgegeben von der
Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe [SKOS-Richtlinien],
3. Auflage, Dezember 2000, Kapitel A.4.2; VGE IV/23 vom 6. April
2009 [WBE.2008.182], S. 7 f.). Eine rückwirkende Auszahlung ist
nicht vorgesehen und auch eine rückwirkende Einstellung der mate-
riellen Hilfe ist nur ausnahmsweise und unter bestimmten formellen
und materiellen Voraussetzungen möglich.
Die Begründung der Einstellung in der Anspruchsberechtigung
geht dahin, dass der Beschwerdeführerin seit 25. April 2008 faktisch
keine Sozialleistungen mehr ausbezahlt wurden. Das Kontoblatt "So-
zialhilfe" vom 15. Mai 2009 belegt, dass seit Mai 2008 keine Aus-
zahlungen an die Beschwerdeführerin erfolgt sind, da ihr Lohnein-
kommen den Sozialhilfeanspruch - unter Berücksichtigung einer
Rückzahlungsvereinbarung - überstieg. Der aufgrund des unter-
schiedlichen Lohneinkommens ungewissen Höhe der monatlichen
materiellen Hilfe wurde in den Entscheiden der Sozialbehörde Rech-
nung getragen, indem die materielle Hilfe unter Vorbehalt des Ein-
kommens festgesetzt wurde. Dieses Vorgehen zur Bestimmung der
monatlichen Hilfe wurde schon in den vorangegangen, rechtskräf-
tigen Verfügungen vom 28. April 2008 und 26. Mai 2008 gewählt.
Die Finanzverwaltung der Gemeinde hat die Anordnungen in diesen
Verfügungen vollzogen, indem der monatliche Anspruch auf mate-
rielle Hilfe im Vergleich zur Lohnabrechnung der Beschwerdeführe-
rin berechnet wurde. Die Höhe der monatlichen Lohneinkommen
war und blieb auch für die Zukunft ungewiss. Hingegen haben sich
die Anspruchsvoraussetzungen rückwirkend nicht verändert, weshalb
die Auszahlungsmodalitäten an den materiellen Anspruchsvorausset-
zungen nichts zu ändern vermochten. Die Beschwerdeführerin war
2010
Verwaltungsgericht
208
und blieb auf materielle Hilfe angewiesen, sobald und soweit ihr
Einkommen bei der "P." das soziale Existenzminimum nicht deckt.
Die Verfügung vom 30. März 2009 ist aber auch in formeller
Hinsicht zu beanstanden. Gemäss § 37 VRPG können Entscheide nur
widerrufen oder aufgehoben werden, wenn sie der Rechtslage oder
den sachlichen Erfordernissen nicht (mehr) entsprechen und die öf-
fentlichen Interessen überwiegen (Abs. 1). Entscheide, die ihrer Na-
tur nach oder nach den gesetzliche Vorschriften nicht oder nur unter
ganz bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden kön-
nen, sind ohnehin vorbehalten (§ 37 Abs. 2 VRPG). Die Wiedererwä-
gung durch die erste Instanz ist, wenn wie im vorliegenden Fall Ent-
scheide einer Rechtsmittelinstanz betroffen sind, nur zulässig, wenn
sich die Rechtslage oder der Sachverhalt erheblich und entscheidrele-
vant verändert haben (§ 39 Abs. 2 VRPG). Solche Gründe liegen
nicht vor, nachdem der Gemeinderat F. den Anspruch auf materielle
Hilfe in der Höhe der Differenz zwischen Anspruch und Lohn fest-
legte. Auch die formellen Voraussetzungen für einen Widerruf oder
die Wiedererwägung der vom Gemeinderat F. erlassenen Verfügun-
gen über die Sozialhilfe für die Zeit zwischen April 2008 und März
2009 fehlen.
Die rückwirkende Einstellung der Sozialhilfe und die Anwei-
sung der Finanzverwaltung zur Einstellung der Sozialhilfegelder er-
wiesen sich damit als unrechtmässig. | 830 | 666 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-38_2009-12-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-38.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-38.pdf | AGVE_2010_38 | null | nan |
e1df4a88-2662-52ad-8f71-3d5f57438561 | 1 | 412 | 869,757 | 1,272,931,200,000 | 2,010 | de | 2010
Gesundheitsrecht
213
VIII. Gesundheitsrecht
40 Medikamentenabgabe;
Normenkontrollverfahren.
-
Für die Besserstellung von Ärzten der medizinischen Grundversor-
gung bei der Selbstdispensation gemäss § 24 Abs. 3 HBV besteht
keine zureichende gesetzliche Grundlage.
-
Weil eine erleichterte Zulassung der Ärzte zur Medikamentenabgabe
auch keine Grundlage in den Massnahmen zur Sicherstellung der
ärztlichen Grundversorgung im ambulanten Bereich (§ 40 GesG)
findet, ist § 24 Abs. 2 HBV aufzuheben.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 25. Mai 2010 in Sachen H.
gegen Kanton Aargau (WNO.2010.1).
Aus den Erwägungen
4.2.
Am 1. Januar 2002 ist das Bundesgesetz über Arzneimittel und
Medizinprodukte vom 15. Dezember 2000 (Heilmittelgesetz, HMG;
SR 812.21) in Kraft getreten, womit der Bund die Vorschriften im
Rahmen seiner Zuständigkeiten gemäss Art. 118 Abs. 2 BV erlassen
hat. Art. 24 Abs. 1 lit. a HMG sieht als Regel die Abgabe von ver-
schreibungspflichtigen Arzneimitteln durch die Apotheker vor. Die
Abgabe durch die Ärzte (weitere Medizinalpersonen) erfolgt nach
den Bestimmungen über die Selbstdispensation (Art. 24 Abs. 1 lit. b
HMG). Als Grundsatz gelten sodann gemäss Art. 26 Abs. 1 HMG,
dass bei der Verschreibung und der Abgabe von Arzneimittel die an-
erkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissen-
schaften beachtet werden müssen. In den Bestimmungen des KVG
wird zwischen der Abgabeberechtigung der Apotheken als primäre
Leistungserbringer für Medikamente und der Selbstdispensation der
Ärzte differenziert. Art. 37 Abs. 3 KVG weist die Regelung der
2010
Verwaltungsgericht
214
Selbstdispensation den Kantonen zu (vgl. BGE 131 I 198 Erw. 2.5
mit Hinweisen). Dabei wird das Hauptkriterium dieser Regelung
vorgegeben, nämlich die Möglichkeit des Zugangs von Patienten zu
einer öffentlichen Apotheke.
Nachdem der Bundesgesetzgeber auch in den Ausführungsver-
ordnungen auf eine Normierung der Selbstdispensation verzichtete,
haben die Kantone die entsprechenden Bestimmungen zu erlassen
(Art. 83 Abs.1 lit. b HMG; vgl. Moritz W. Kuhn/Tomas Poledna,
Arztrecht in der Praxis, 2. Aufl., 2007, S. 475). Die Bestimmungen
über die Selbstdispensation sind damit selbstständiges kantonales
Recht.
4.3.
Gemäss § 44 Abs. 2 GesG kann der Kantonsarzt Ärzten die
Führung einer Privatapotheke in Ortschaften ohne öffentliche Apo-
theke bewilligen, wenn die rasche und für jedermann mögliche Ver-
sorgung mit Arzneimitteln nicht durch eine öffentliche Apotheke
einer nahe gelegenen Ortschaft gewährleistet ist.
Im Rahmen der Totalrevision des Gesundheitsgesetzes war die
Selbstdispensation umstritten. Dem Vernehmlassungsentwurf vom
5. September 2007 ist zu entnehmen, dass die neue Bestimmung
(§ 45 E-GesG heute: § 44 GesG) die bisherige Ordnung in § 32
Abs. 1 und 2 aGesG unverändert übernehme (Botschaft des Regie-
rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 21. Mai
2008, Gesundheitsgesetz [08.141], nachfolgend: Botschaft 1 GesG,
S. 77). Anlässlich der 1. Beratung im Grossen Rat am 16. Septem-
ber 2008 plädierte die Mehrheit für die Beibehaltung der bisherigen
Ordnung (Theres Lepori-Scherrer ["...Beibehaltung des bisherigen
Medikamentenversorgungssystems..."]; Dr. Rudolf Jost ["...dass an
diesem bewährten System nicht gerüttelt werden soll"]; Hans Dös-
segger ["...beim bewährten System Aargau zu bleiben,..."];
Dr. Andreas Brunner ["Die bisherige Lösung (...) hat sich be-
währt"]). Anträge im Parlament auf Lockerung der bisherigen
Ordnung, darunter auch der Prüfungsantrag von Dr. Robert Rhiner
betreffend Wahlfreiheit der Patienten beim Medikamentenbezug,
welcher Unterstützung von Susanne Hochuli erhielt, wurden ab-
gelehnt. Regierungsrat Ernst Hasler verwies auf die gefestigte und
2010
Gesundheitsrecht
215
jahrelange Praxis zur Bedeutung der Begriffe "rasch" und "für jeder-
mann zugänglich" (vgl. 141. Sitzung, Art. 1869-1871; AGVE 2001,
S. 127 Erw. 6a; vgl. auch VGE III/121 vom 12. September 2000
[BE.1999.00160] Erw. 7b, bestätigt in: Urteil des Bundesgerichts
vom 24. Oktober 2001 [2P.52/2001] = ZBl 2002, S. 322). Der Grosse
Rat hat die Regelung des Selbstdispensationsverbots in der Schluss-
abstimmung praktisch wortwörtlich (ausser: "Arzneimittel" statt
"Medikamente") vom aGesG übernommen. Es darf daher davon
ausgegangen werden, dass die langjährig entwickelte Praxis zu den
Begriffen der "raschen" und "für jedermann mögliche Versorgung"
bestätigt wurden. Aus den Materialien nicht ersichtlich ist, ob der
Gesetzgeber von einer abschliessenden Regelung im Gesetz ausging,
wie dies der Gesuchsteller behauptet.
Im Rahmen einer Ausführungs- und Vollziehungsverordnung
können im Interesse der Rechtsgleichheit eine Verwaltungspraxis
festgehalten oder unbestimmte Rechtsbegriffe konkretisiert werden.
Von dieser Befugnis hat der Regierungsrat mit Bezug auf die Abgabe
von Medikamenten in § 24 Abs. 2 HBV Gebrauch gemacht und die
Voraussetzungen der Selbstdispensation näher umschrieben. Dem-
nach gilt die rasche und für jedermann mögliche Versorgung mit Arz-
neimitteln durch eine öffentliche Apotheke in einer nahe gelegenen
Ortschaft als gewährleistet, wenn der Zeitaufwand für den einfachen
Weg bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in der Regel nicht
mehr als eine Stunde beträgt und ungefähr stündlich ein öffentliches
Verkehrsmittel zur Verfügung steht. Die Parteien sind sich einig, dass
mit dieser Bestimmung die unter dem früheren Recht entwickelte
und vom Verwaltungsgericht bestätigte Praxis, rechtsatzmässig ver-
ankert wurde und zum Ausdruck bringt, dass das Selbstdispensa-
tionsverbot nach der bisherigen Praxis (...) vollzogen wird. Damit ist
auch erstellt, dass für die Konkretisierung der Voraussetzungen für
den Betrieb einer Privatapotheke durch Ärzte gemäss § 44 Abs. 2
GesG für den Gesetzgeber der Zeitaufwand von nicht mehr als einer
Stunde zur Beschaffung eines Medikaments massgebend war. Die
Zeitlimite muss zudem unter Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
erfüllbar sein (AGVE 1993, S. 246 mit Hinweisen; AGVE 2001,
S. 142). Mit der Ausführungsbestimmung in § 24 Abs. 2 HBV
2010
Verwaltungsgericht
216
wurden die inhaltlichen Vorgaben der gesetzlichen Regelung zur
Selbstdispensation umgesetzt und mit dieser Verordnungsbestim-
mung hat der Regierungsrat die generelle Ermächtigung zum Erlass
von Ausführungsvorschriften (§ 57 GesG) hinsichtlich der Selbst-
dispensation auch ausgeschöpft.
Ein Vorbehalt oder eine Differenzierung des gesetzlichen Distri-
butionsmodells nach Art der Arztpraxen (Grundversorgung) oder der
Ausbildung der Ärzte (§ 29 Abs. 1 lit. a-d GesV) findet sich im Ge-
setz nicht. Die Regelung der Ausnahmen zum Selbstdispensations-
verbot sieht auch keine weiteren Lockerungsmöglichkeiten bzw.
"Ausnahmen von der Ausnahme" bei der Abgabe von Medikamenten
durch Ärztinnen und Ärzte vor. Ein Handlungsspielraum im Sinne ei-
ner Lockerung der Voraussetzungen für die Bewilligung einer Privat-
apotheke für bestimmte Arztpraxen geht über die im Gesetz um-
schriebenen Grundzüge der Selbstdispensation hinaus. Die gesetzli-
chen Vorgaben schliessen auch eine unterschiedliche Auslegung der
unbestimmten Rechtsbegriffe nach Ärztekategorien aus.
Für eine Besserstellung von Ärzten der medizinischen Grund-
versorgung bei den Voraussetzungen der Selbstdispensation besteht
in § 44 GesG keine gesetzliche Grundlage. Die Kompetenz zum Er-
lass von Ausführungsvorschriften in § 57 GesG erlaubt kein Abwei-
chen von der gesetzlichen Ordnung der Selbstdispensation. Die Ein-
führung einer erleichterten Selbstdispensationsbewilligung für be-
stimmte Ärzte(-gruppen) tangiert auch den Grundsatz, wonach nur
die Möglichkeit der Patienten zum Zugang zu Medikamenten das
Kriterium für eine Bewilligung ist (Erw. II./4.2).
4.4.
4.4.1.
Der Ausnahmetatbestand in § 24 Abs. 3 HBV stützt sich nach
Darstellung des Regierungsrates auf § 40 Abs. 3 GesG. Diese Be-
stimmung ist im Ingress der HBV auch aufgeführt.
Zur Sicherstellung der ärztlichen Grundversorgung im ambu-
lanten Bereich trifft der Kanton Massnahmen (§ 40 Abs. 1 GesG). Zu
diesem Zweck kann der Kanton finanzielle Mittel für Massnahmen
im Bereich der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärzten, der Orga-
nisation des Notfalldiensts und weiteren Anreizmassnahmen, die der
2010
Gesundheitsrecht
217
Förderung der ärztlichen Grundversorgung dienen (§ 40 Abs. 2 lit. a
bis c GesG), einsetzen. Die Delegationsnorm (§ 40 Abs. 3 GesG)
überträgt dem Regierungsrat die Regelung der Einzelheiten.
Die in Buchstabe a (Aus-, Weiter- und Fortbildung) und b (Or-
ganisation Notfalldienst) erwähnten Massnahmen kommen als ge-
setzliche Grundlage für die besondere Regelung der Selbstdispensa-
tion nicht in Betracht. Zu prüfen ist, ob sich die umstrittene, modifi-
zierte Ausnahme vom Selbstdispensationsverbot als "weitere Anreiz-
massnahme, die der Förderung der ärztlichen Grundversorgung
dient", auf § 40 GesG stützen kann.
4.4.2.
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Be-
stimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Inter-
pretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht
werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustel-
len ist dabei namentlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und
ihren Zweck, auf die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen so-
wie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Be-
stimmungen zukommt. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht un-
mittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der
Norm zu erkennen. Namentlich bei neueren Texten kommt den Ma-
terialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder
ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger na-
helegen. Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen
stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann al-
lein auf das grammatische Element abgestellt, wenn sich daraus
zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung ergab (BGE 133 V 10 f. mit
Hinweisen; vgl. auch AGVE 2003, S. 191 f. mit Hinweisen).
4.4.3.
Nach dem Wortlaut in § 40 GesG geht es um Massnahmen zur
Sicherstellung einer ärztliche Grundversorgung im ambulanten Be-
reich (Marginale und Abs. 1) und bei den Massnahmen handelt es
sich um den Einsatz von finanziellen Mitteln für zweckorientierte
Anreize (Abs. 2). Diese Beschränkung der Massnahmen auf den Ein-
satz staatlicher Mittel findet sich in den Materialien bestätigt. Ge-
mäss Botschaft wurden im Rahmen eines Pilotprojekts seit 2008 und
2010
Verwaltungsgericht
218
mit Mitteln des Lotteriefonds (Ausbildungs-) Beiträge für Praxisassi-
stenzen in Hausarztpraxen finanziert. Das neue Gesundheitsgesetz
sah für diese Massnahmen die Finanzierung aus dem ordentlichen
Staatshaushalt vor. Was den Einsatz finanzieller Mittel für weitere
Anreizmassnahmen zur Förderung der ärztlichen Grundversorgung
gemäss § 40 Abs. 2 lit. b GesG angeht, geht es nach Darstellung des
Regierungsrates vor allem um die Erteilung eines entgeltlichen Leis-
tungsauftrags an den Aargauischen Ärzteverband für die Organisa-
tion der notfalldienstlichen Grundversorgung (Botschaft 1 GesG,
S. 73).
Der Delegationsvorbehalt in § 40 Abs. 3 GesG umfasst daher
den Einsatz finanzieller staatlicher Hilfe an die ärztliche Grundver-
sorgung und beschränkt sich auch auf solche Anreize. Einen Hand-
lungsspielraum zu andern Massnahmen als den Einsatz finanzieller
Mittel lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Insbesondere fehlt je-
der Bezug oder Hinweis zur Marktordnung für die Abgabe von Me-
dikamenten. Aus der systematischen Stellung von § 40 GesG ergeben
sich keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung. Die Förderung
der ärztlichen Grundversorgung ist im Kapitel 7 (Versorgungssicher-
heit) geregelt, während die kantonalen Bestimmungen über das Heil-
mittelwesen in einem separaten Kapitel 8 zusammengefasst sind. Ge-
rade die Antwort des Regierungsrats auf das Postulat der SP-Fraktion
betreffend Strategie gegen Ärztemangel bestätigt, dass die Förderung
der Hausarztmedizin finanzielle Massnahmen und nicht strukturpoli-
tische Massnahmen im Medikamentenhandel beinhaltet. Der Re-
gierungsrat sieht vor, die Entwicklung der Hausarztmedizin in den
kommenden Jahren aufmerksam zu verfolgen und bei Bedarf von
den im kantonalen Kompetenzbereich liegenden Möglichkeiten Ge-
brauch zu machen (vgl. Entgegennahme des Postulats der SP-Frak-
tion vom 31. März 2009 [GR.09.106]). In der Sache fraglich er-
scheint, ob eine Lockerung der Medikamentenabgabe nicht eher die
Versorgung mit Medikamenten als die ärztliche Grundversorgung
fördert.
4.5.
Ob dem Regierungsrat in § 40 GesG die Befugnis zu andern
Massnahmen als die im Gesetz erwähnten finanziellen Leistungen
2010
Gesundheitsrecht
219
eingeräumt wurde, muss im vorliegenden Fall nicht abschliessend
beurteilt werden. Die Regelung der Selbstdispensation in § 44 Abs. 2
GesG lässt - auch aus Gründen der Rechtsgleichheit - unterschied-
liche Voraussetzungen für Grundversorger oder Arztpraxen im länd-
lichen Gebiet nicht zu. Eine Förderung der ärztlichen Grundversor-
gung mittels einer erleichterten Zulassung der Ärzte zur Medikamen-
tenabgabe überschreitet die Grenzen der gesetzlichen Befugnisse des
Regierungsrates aus § 40 GesG und die (Förder-) Massnahme in der
Verordnung verletzt die Grundordnung der Selbstdispensation in § 44
GesG und damit den Grundsatz der Gewaltenteilung. | 2,988 | 2,377 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-40_2010-05-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-40.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-40.pdf | AGVE_2010_40 | null | nan |
e1e7944d-aa83-5687-8982-5103f6c0fe74 | 1 | 412 | 871,371 | 1,251,763,200,000 | 2,009 | de | 2009
Straf-undMassnahmenvollzug
97
II. Straf- und Massnahmenvollzug
24
Arbeitspflicht im Straf- bzw. Massnahmenvollzug
-
Im Straf- und Massnahmenvollzug besteht auch nach Erreichen des
ordentlichen Pensionsalters eine Arbeitspflicht; dies gilt auch für
verwahrte Täter (Erw. II/1).
-
Der Verurteilte wird in angemessener Weise an den Kosten des Voll-
zugs beteiligt, wenn er grundlos eine ihm zugewiesene Arbeit verwei-
gert (Erw. II/2).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. September 2009 in
Sachen K.W. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und In-
neres (WBE.2009.181).
Aus den Erwägungen
II.
1.
1.1.
Im vorliegenden Verfahren gilt es, die Frage zu klären, ob der
Beschwerdeführer, welcher das ordentliche Pensionsalter bereits
überschritten hat und über den die Verwahrung angeordnet worden
ist, zur Arbeit verpflichtet werden kann.
Gemäss § 58a Abs. 2 SMV wird die Verwahrung gemäss den
Bestimmungen über den Normalvollzug in einer geschlossenen
Vollzugsanstalt vollzogen.
1.2.
1.2.1.
Die Vorinstanz führt im angefochtenen Entscheid aus, die Ar-
beitspflicht bestehe nach schweizerischer Rechtstradition auch für
Inhaftierte, welche das ordentliche Pensionsalter erreicht haben.
Beim Beschwerdeführer sei die Arbeitsfähigkeit weiterhin gegeben -
2009
Verwaltungsgericht
98
auch nach Überschreitung des AHV-Pensionsalters und bei Beein-
trächtigung durch eine schwere psychische Störung. Der Gesund-
heitszustand des Beschwerdeführers lasse einen Arbeitseinsatz -
insbesondere in einem körperlich weniger anstrengenden Bereich -
weiterhin zu.
1.2.2.
Der Beschwerdeführer hingegen macht geltend, er habe (...)
das ordentliche AHV-Alter von 65 Jahren erreicht; es sei "äusserst
stossend", wenn ein seit mehreren Jahren pensionierter Insasse zur
Arbeit verpflichtet werde. Es könne nicht sein, dass von einem Insas-
sen Arbeit verlangt werde und diese angebliche Arbeitspflicht mit der
schweizerischen Rechtstradition begründet werde, wenn gemäss
geltender AHV-Gesetzgebung nach Vollendung des 65. Lebensjahres
keine Arbeitspflicht mehr bestehe. Aufgrund der Erreichung des or-
dentlichen Pensionsalters könne der Beschwerdeführer nicht zur Ar-
beit angehalten werden.
1.3.
1.3.1.
(...)
Das geltende Schweizerische Strafgesetzbuch nennt als allge-
meines Vollzugsziel in Art. 75 Abs. 1 Satz 1, das soziale Verhalten
des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu
leben. Mit anderen Worten soll der Strafvollzug auf Resozialisierung
und Rückfallsvermeidung ausgerichtet sein. Die Gefangenen sind
gemäss dem Wortlaut des Strafgesetzbuches verpflichtet, aktiv bei
den Sozialisierungsbemühungen und Entlassungsvorbereitungen mit-
zuwirken. Der Gesetzgeber geht somit davon aus, dass die Fähigkeit,
sozialadäquat zu handeln, die Aussicht, ein straffreies Leben nach
der Entlassung führen zu können, befördert. Dies wird am wirkungs-
vollsten erreicht, wenn der Inhaftierte während des Vollzuges erken-
nen lernt, dass ein selbstverantwortliches Leben ohne Delinquenz
seinem bisherigen vorzuziehen ist, und er somit das Ziel, künftig
straffrei zu leben, zu seinem persönlichen Lebensentwurf macht. Die
persönliche Mitwirkung bei der Gestaltung des Vollzugsaufenthaltes
und die persönliche Einsicht des Strafgefangenen in sein begangenes
Unrecht erscheinen somit als unumgängliche Prämisse bei der Um-
2009
Straf-undMassnahmenvollzug
99
setzung des allgemeinen Vollzugszieles (vgl. Benjamin F. Brägger,
Der neue Allgemeine Teil des Schweizerischen Strafgesetzbuches -
erste Erfahrungen mit dem Vollzugsplan: Nur ein gordischer Knoten
oder unerlässliches Koordinationsinstrument? publiziert in: Schwei-
zerische Zeitschrift für Kriminologie (SZK) 1/2008, S. 26 - 33).
1.3.2.
Die Arbeitspflicht ist seit jeher im Schweizerischen Strafge-
setzbuch verankert (vgl. dazu ausführlich Andrea Baechthold, Die
Arbeitspflicht im Strafvollzug - ein Grundpfeiler der Freiheitsstrafe
oder eine überkommene Ideologie? in: ZStrR, Aktuelle Probleme der
Kriminalitätsbekämpfung; Festschrift zum 50jährigen Bestehen der
Schweizerischen Kriminalistischen Gesellschaft, Bern 1992,
S. 383 ff.). Art. 81 Abs. 1 des geltenden Schweizerischen Strafgesetz-
buches hält fest, dass der Gefangene zur Arbeit verpflichtet ist, wobei
die Arbeit so weit als möglich seinen Fähigkeiten, seiner Ausbildung
und seinen Neigungen zu entsprechen hat. Gemäss Art. 90 Abs. 3
StGB (Marginalie: "Vollzug von Massnahmen") wird der Eingewie-
sene zur Arbeit angehalten, sofern er arbeitsfähig ist und soweit seine
stationäre Behandlung oder Pflege dies erfordert oder zulässt. Die
Artikel 81 bis 83 StGB werden in diesem Zusammenhang als sinnge-
mäss anwendbar erklärt.
1.3.3.
Entsprechend Art. 81 Abs. 1 StGB hält § 66 SMV das Folgende
fest:
" 5. Arbeit und Ausbildung
1 Die Gefangenen im Normalvollzug sind zur Arbeit oder Ausbildung ver-
pflichtet, soweit die Vollzugsanstalt über ein entsprechendes Angebot verfügt
(...).
2 Für die geleistete Arbeit beziehungsweise für an deren Stelle besuchte Aus-
beziehungsweise Weiterbildung erhalten die Gefangenen ein angemessenes
Entgelt beziehungsweise eine angemessene Vergütung. Die Vollzugsanstalt
bestimmt die Höhe des Entgelts oder der Vergütung anhand der erbrachten
Leistung und unter Berücksichtigung der Richtlinien des Strafvollzugskon-
kordats über das Arbeitsentgelt. Sie legt die Art der Auszahlung oder Gut-
schrift fest."
2009
Verwaltungsgericht
100
1.3.4.
Gemäss Art. 83 StGB (vgl. auch den hiervor zitierten § 66 Abs.
2) erhält der Gefangene für seine Arbeit ein von seiner Leistung ab-
hängiges und den Umständen angepasstes Entgelt (Abs. 1). Der Ge-
fangene kann während des Vollzugs nur über einen Teil seines Ar-
beitsentgeltes frei verfügen. Aus dem anderen Teil wird für die Zeit
nach der Entlassung eine Rücklage gebildet (Abs. 2).
1.3.5.
Das Gesetz sieht keine Altersbegrenzung für die Arbeitspflicht
im Strafvollzug vor. In diesem Zusammenhang führen Hans-Ulrich
Meier / Ernst Weilenmann im Basler Kommentar Strafrecht I
(Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kom-
mentar Strafrecht I, 2., überarbeitete Auflage, Basel 2007) aus, die
Arbeitspflicht bestehe nach schweizerischer Rechtstradition auch für
Inhaftierte, welche vor dem Haftantritt Leistungen der Invalidenver-
sicherung bezogen oder bereits das ordentliche Pensionierungsalter
gemäss AHV erreicht haben. Diese seien im Rahmen von arbeitsthe-
rapeutischen Massnahmen gezielt zu fördern. Somit seien grundsätz-
lich auch pensionierte Strafgefangene während des Vollzugs zur Ar-
beit verpflichtet, welche ihrem körperlichen und geistigen Zustand
entspricht. Gerade bei längeren Strafen bilde die Arbeit eine will-
kommene Abwechslung und Strukturierung des Anstaltsalltages
(a.a.O., Art. 82 Rz. 8).
1.4.
1.4.1.
Zweifellos ist der Arbeitseinsatz im Straf- und Massnahmen-
vollzug nicht mit einem ordentlichen Arbeitsverhältnis auf dem
freien Arbeitsmarkt vergleichbar. Bei der Arbeitspflicht gemäss Art.
81 Abs. 1 StGB handelt es sich um einen Arbeitseinsatz in einem ge-
schlossenen System, der mit der Arbeit im Erwerbsleben auch lohn-
mässig nicht vergleichbar ist (vgl. dazu auch das Urteil des Bundes-
gerichts vom 25. Oktober 2007 [8C_176/2007], Erw. 4.2). Das Ver-
waltungsgericht stimmt den Ausführungen der Vorinstanz in ihrer
Beschwerdeantwort (...) zu, wonach eine den Fähigkeiten des Ge-
fangenen angemessene Arbeit auch als eine arbeitstherapeutische Be-
schäftigung für körperlich und geistig minder leistungsfähige Insas-
2009
Straf-undMassnahmenvollzug
101
sen ausgestaltet sein kann, und dass sie in der Regel weit über das
blosse Erbringen einer Arbeitsleistung hinaus geht, indem sie dem
Gefangenen eine sinnvolle Tagesstruktur vorgibt, er sich in einem so-
zialen Gefüge bewegen muss und so seine geistige und körperliche
Leistungsfähigkeit besser erhalten kann. Dass die Beschäftigung
auch der Erhaltung und Förderung von sozialen Fähigkeiten und
Fertigkeiten dient, die zur allfälligen späteren Wiedereingliederung
in die Gesellschaft notwendig sind, ist wohl unbestritten. Durch die
sinnvolle Einsetzung in einen Arbeitsprozess vermittelt die Anstalt
Techniken im Arbeits- und auch im Sozialverhalten, die der Wie-
dereingliederung dienen. Dies fördert die Resozialisierung und er-
höht deshalb die Sicherheit der Bevölkerung während und auch nach
dem Vollzug. Es ist der Vorinstanz zuzustimmen, indem sie die Be-
schäftigung im Straf- und Massnahmenvollzug aus diesen Gründen
als wichtigen Bestandteil für das Erreichen des Vollzugsziels, das so-
ziale Verhalten und die Fähigkeit, straffrei zu leben, zu fördern, sieht,
zumal die Arbeit auch auf die Stärkung der Eigenverantwortung und
Sicherung der sozialen Integration zielt. Denn nicht zuletzt soll der
Vollzug der Freiheitsstrafe dazu beitragen, die Eingliederungschan-
cen der Gefangenen zu verbessern, denn die primäre Legitimation
der staatlichen Strafe liegt in der Verhinderung künftiger Straftaten
(vgl. dazu auch Baechthold, a.a.O., S. 388).
1.4.2.
Dementsprechend beschreibt § 2 Abs. 1 der Verordnung über
die Organisation der Strafanstalt Lenzburg vom 21. Januar 2004 un-
ter dem Titel "Vollzugsziele", dass der Vollzug durch Erziehung, Be-
treuung, Behandlung, Bildung, sinnvolle Freizeitgestaltung sowie
durch Arbeit bessernd auf die Gefangenen wirken soll, um diesen
nach der Entlassung ein deliktfreies Leben zu ermöglichen. So sollen
Fähigkeiten gefördert werden, die auch nach der Entlassung nützlich
sind; d.h. eingeübte Fähigkeiten (fachliche Kompetenzen, Disziplin,
Einsatz) sollen nach der Entlassung nutzbringend eingesetzt werden
können.
Auf der Homepage der Justizvollzugsanstalt Lenzburg wird die
Arbeit nicht nur als Beitrag an die Kosten des Freiheitsentzugs be-
schrieben, sondern u.a. auch als "Methode, haftbedingten Persönlich-
2009
Verwaltungsgericht
102
keitsveränderungen entgegenzuwirken" (http://www.jvalenzburg.ch/
sites/betriebe_arbeit.html). Denn je länger Menschen unter den ein-
geschränkten Lebensbedingungen der Haft verbringen, je weniger sie
Kontakt zur Außenwelt haben und je geringer die Möglichkeiten
sind, zu lernen oder auch im Sinn der Außenwelt sinnvollen Be-
schäftigungen nachzugehen, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit,
dass sie nach der Haft mit dem Leben in Freiheit überfordert sind.
Mit dem Verlust der Freiheit ist auch ein Verlust der persönlichen,
frei bestimmbaren Zeit und der Zeitwahrnehmung verbunden. Im
Strafvollzug wird die Zeit gänzlich von der Institution strukturiert.
Der Verlust der eigenen, persönlichen Zeit führt oft dazu, dass die
Menschen verlernen, zu planen und zielgerichtet zu handeln (vgl.
dazu den Aufsatz "Was bringen lange Freiheitsstrafen?" von Walter
Hammerschick, Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien
[http://www.paulus-akademie.ch/berichte/was_bringen_lange_frei-
heitsstrafen-hammerschick.pdf]). Diesen sogenannten "Haftschäden"
gilt es entgegenzuwirken, wobei die regelmässige Arbeitsbeschäf-
tigung im Strafvollzug einen wichtigen Teil dazu beitragen kann.
1.4.3.
Wir bereits erwähnt (vgl. Erw. 1.1 hiervor), wird gemäss § 58a
Abs. 2 SMV die Verwahrung gemäss den Bestimmungen über den
Normalvollzug vollzogen. Das Vollzugsziel der Resozialisierung
muss deshalb auch für Verwahrte Geltung haben; dies nicht zuletzt
deshalb, weil gemäss Art. 64a StGB der Täter aus der Verwahrung
nach Artikel 64 Absatz 1 StGB bedingt entlassen wird, sobald zu er-
warten ist, dass er sich in der Freiheit bewährt. Gemäss Art. 64b
StGB prüft die zuständige Behörde auf Gesuch hin oder von Amtes
wegen mindestens einmal jährlich, und erstmals nach Ablauf von
zwei Jahren, ob und wann der Täter aus der Verwahrung bedingt ent-
lassen werden kann (lit. a) und mindestens alle zwei Jahre, und erst-
mals vor Antritt der Verwahrung, ob die Voraussetzungen für eine
stationäre therapeutische Behandlung gegeben sind und beim zustän-
digen Gericht entsprechend Antrag gestellt werden soll (lit. b). Ent-
sprechend finden sich Bestimmungen über die Aufhebung bzw. Ent-
lassung aus der Verwahrung in § 58b SMV. Von dem her besteht
theoretisch die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer eines Tages
2009
Straf-undMassnahmenvollzug
103
wieder in Freiheit leben wird, weshalb es unabdingbar ist, dass wäh-
rend des Strafvollzuges u.a. durch Arbeit sein soziales Verhalten und
die Fähigkeit, straffrei zu leben, gefördert werden.
Entsprechend wurde beim Beschwerdeführer im Rahmen der
Vollzugsplanung als allgemeine Zielsetzung u.a. auch die "berufliche
und soziale Wiedereingliederung soweit möglich" genannt.
1.4.4.
Gemäss Art. 81 Abs. 1 Satz 2 StGB hat die Arbeit so weit als
möglich den Fähigkeiten, der Ausbildung und den Neigungen des
Gefangenen zu entsprechen. § 62 Abs. 3 SMV spricht davon, dass
bei kranken, gebrechlichen und betagten Personen sowie bei
Schwangeren und Müttern mit Kleinkindern zugunsten der Gefange-
nen von den Regeln des Vollzugs von Strafen und Massnahmen ab-
gewichen werden könne. Grundsätzlich ist also jeder arbeitsfähige
Strafgefangene und Verwahrte verpflichtet, Arbeit zu leisten - dies
unabhängig vom Alter.
Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers einen Arbeitseinsatz, insbesondere in einem kör-
perlich weniger anstrengenden Bereich, weiterhin zulasse; dies trotz
der Tatsache, dass er das AHV-Pensionsalter bereits seit mehreren
Jahren überschritten habe und eine Beeinträchtigung durch eine
schwere psychische Störung bestehe.
Der Beschwerdeführer wehrt sich nicht gegen diese Feststellung
an sich. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass der Gesund-
heitszustand des Beschwerdeführers die Anwesenheit am Arbeits-
platz und eine durchschnittliche Arbeitsleistung ohne Weiteres zu-
lässt.
Dass ein Arbeitseinsatz in der Landswirtschaft, wie ihn der Be-
schwerdeführer offenbar gewünscht hat, aus Sicherheitsgründen
nicht möglich ist, dürfte auch dem sich in Verwahrung befindlichen
Beschwerdeführer klar (gewesen) sein. Zur Arbeit außerhalb einer
Anstalt dürfen nur Strafgefangene herangezogen werden, von denen
ein Missbrauch der mit der Außenarbeit verbundenen Lockerung des
Vollzuges nicht zu befürchten ist. Entsprechend sieht § 3 der Verord-
nung über die Organisation der Strafanstalt Lenzburg vor, dass beim
Vollzug u.a. stets das Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit zu be-
2009
Verwaltungsgericht
104
rücksichtigen ist. Die Justizvollzugsanstalt Lenzburg hält in ihrer
Stellungnahme in diesem Zusammenhang fest, dass der Beschwerde-
führer als Verwahrungsgefangener ohne ausdrückliche Zustimmung
der Fachkommission und der Vollzugsbehörde nicht ausserhalb der
Anstaltsmauern beschäftigt werden dürfe.
Auf der Homepage der Justizvollzugsanstalt Lenzburg sind die
zahlreichen Betriebe aufgelistet, welche Beschäftigungsmöglichkei-
ten anbieten. Es sind dies (neben der Landwirtschaft): Atelier, Buch-
binderei, Druckerei/Ausrüsterei, Korberei/Stuhlflechterei, Malerei/
Ablaugerei, Industriemontage, Schlosserei/Metallgewerbe, Schreine-
rei, Wäscherei, Glätterei/Näherei, Küche/Bäckerei, Hausdienst und
Unterhalt (http://www.jvalenzburg.ch/sites/betriebe_arbeit.html). Oh-
ne Zweifel gibt es in einem dieser Betriebe in einem körperlich we-
niger anstrengenden Bereich eine für den Beschwerdeführer geeigne-
te, seinem körperlichen und geistigen Zustand entsprechende Be-
schäftigungsmöglichkeit, bei welcher auch dem Sicherheitsbedürfnis
der Öffentlichkeit genüge getan werden kann.
1.4.5.
Im Übrigen ist die Aussage des Beschwerdeführers, gemäss gel-
tender AHV-Gesetzgebung bestehe nach Vollendung des 65. Lebens-
jahres keine Arbeitspflicht mehr, in dieser Form nicht zutreffend.
Art. 21 AHVG besagt lediglich, dass Männer, welche das 65. Alters-
jahr vollendet haben, Anspruch auf eine Altersrente haben. Entspre-
chend formuliert Art. 3 AHVG, dass die Versicherten beitragspflich-
tig sind, solange sie eine Erwerbstätigkeit ausüben. Ein grundsätzli-
cher Anspruch auf Rentenleistungen, seien es Leistungen der AHV,
der IV oder anderer Leistungsgerbringern, vermag daher für sich al-
lein keine Entbindung von der Arbeitspflicht begründen, soweit der
Insasse gesundheitlich zur Arbeit fähig ist.
1.5.
Zusammenfassend kommt das Verwaltungsgericht in Überein-
stimmung mit der Vorinstanz zum Schluss, dass für den verwahrten
Beschwerdeführer auch nach Erreichen des Pensionsalters eine Ar-
beitspflicht besteht.
2009
Straf-undMassnahmenvollzug
105
2.
2.1.
Die Vorinstanz stützt die Verpflichtung des Beschwerdeführers
zur Beteiligung an den Vollzugskosten auf Art. 380 Abs. 2 lit. b StGB
sowie auf § 242 StPO.
2.2.
Ob und inwieweit der Verurteilte die Vollzugskosten zu tragen
hat, richtet sich nach Art. 380 StGB: Die Kantone tragen die Kosten
des Straf- und Massnahmenvollzugs, wobei der Verurteilte nur unter
eingeschränkten Voraussetzungen und in angemessener Weise an den
Kosten beteiligt wird (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom
19. Juni 2007 [6S.530/2006], Erw. 6.4).
Wörtlich lautet Art. 380 StGB folgendermassen:
" 1 Die Kosten des Straf- und Massnahmenvollzugs tragen die Kantone.
2 Der Verurteilte wird in angemessener Weise an den Kosten des Vollzugs
beteiligt:
a. durch deren Verrechnung mit seiner Arbeitsleistung im Straf- oder Mass-
nahmenvollzug;
b. nach Massgabe seines Einkommens und Vermögens, wenn er eine ihm zu-
gewiesene Arbeit verweigert, obwohl sie den Vorgaben der Artikel 81 oder
90 Absatz 3 genügt; oder
c. durch Abzug eines Teils des Einkommens, das er auf Grund einer Tätig-
keit im Rahmen der Halbgefangenschaft, des Arbeitsexternats oder des
Wohn- und Arbeitsexternats erzielt.
3 Die Kantone erlassen nähere Vorschriften über die Kostenbeteiligung der
Verurteilten."
Die entsprechende Regelung findet sich im kantonalen Recht in
der Strafprozessordnung. § 242 StPO, der gemäss § 244 StPO sinn-
gemäss auch für die Kosten der Verwahrung gemäss Art. 64 StGB
gilt, lautet:
" 1 Die Kosten des Vollzuges der Freiheitsstrafen, unter Einschluss der Kosten
der auf die Strafe angerechneten Untersuchungshaft, trägt der Staat. (...)
2 Das zuständige Departement verpflichtet den Verurteilten nach Massgabe
seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse ganz oder teilweise zum
Ersatz, wenn er eine ihm zugewiesene Arbeit verweigert oder ausserhalb der
Vollzugseinrichtung arbeitet."
2009
Verwaltungsgericht
106
In diesem Sinne konkretisiert § 98 SMV unter dem Titel "Ko-
stenverlegungsverfahren", dass die Kosten des Strafvollzugs und der
Verwahrung gemäss Art. 64 StGB vorbehältlich der Fälle gemäss
§ 100 SMV im Grundsatz der Kanton trägt, wobei nach § 100 SMV
("Normalvollzug und Verwahrung") die Vollzugsbehörde die Ein-
kommens- und Vermögensverhältnisse der Verurteilten prüft, wenn
eine Kostenbeteiligung gemäss Art. 380 Abs. 2 lit. b oder c StGB in
Betracht kommt.
Die Rechtslage ist mit Blick auf das Gesetz klar: Der Verurteilte
wird in angemessener Weise an den Kosten des Vollzugs beteiligt,
wenn er grundlos eine ihm zugewiesene Arbeit verweigert. Dies
scheint konsequent. Die Bestimmung des Art. 380 StGB hat eher
disziplinarischen Charakter, will aber auch eine Benachteiligung der
mitarbeitenden Gefangenen vermeiden, die mit ihrer Arbeitsleistung
an die Vollzugskosten beitragen (Thomas Maurer, in: Marcel
Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar
Strafrecht II, 2., überarbeitete Auflage, Basel 2007, Art. 380 Rz. 7).
2.3.
2.3.1.
Im Zusammenhang mit der Höhe der Kostenbeteiligung hat die
Vorinstanz festgehalten, eine solche solle einerseits der finanziellen
Leistungsfähigkeit und andererseits den persönlichkeitsspezifischen
Möglichkeiten eines Gefangenen entsprechen. Die Kostenbeteiligung
dürfe nicht höher ausfallen als die Arbeitsleistungen, die der Insasse
zugunsten der Vollzugseinrichtung erbringen könnte. Für die Be-
rechnung der Kostenbeteiligung hat die Vorinstanz den durchschnitt-
lichen Nettoertrag für die internen Gewerbebetriebe der Justizvoll-
zugsanstalt Lenzburg herangezogen und anhand der zur Verfügung
stehenden Zahlen für das Rechnungsjahr 2007 erkannt, dass ein In-
sasse durchschnittlich ca. Fr. 52.-- pro geleisteten Arbeitstag erwirt-
schaftet, wobei den Insassen gemäss Richtlinien für das Arbeitsent-
gelt (Pekulium) des Strafvollzugskonkordats der Nordwest- und In-
nerschweiz vom 5. Mai 2006 durchschnittlich Fr. 26.-- pro Arbeitstag
als Arbeitsentgelt ausbezahlt werden (a.a.O., Fussnote, S. 2). Die
Kostenbeteiligung durch Arbeitsleistung im Sinne von Art. 380 StGB
liege durchschnittlich bei Fr. 26.-- pro Arbeitstag. Da der Be-
2009
Straf-undMassnahmenvollzug
107
schwerdeführer jedoch das AHV-Pensionsalter bereits seit mehreren
Jahren überschritten habe und nachweislich eine Beeinträchtigung
durch eine schwere psychische Störung bestehe, sei eine wesentliche
Reduktion auf die Hälfte des ursprünglichen Betrages, d.h. auf
Fr. 13.-- pro Arbeitstag, den Umständen entsprechend angemessen.
2.3.2.
Eine Kostenbeteiligung im Umfang von Fr. 13.-- pro nicht ge-
leisteten Arbeitstag erscheint dem Verwaltungsgericht sachlich ge-
rechtfertigt, zumal die Berechnung der Kostenbeteiligung durch die
Vorinstanz vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird.
3.
Zusammenfassend kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss,
dass der Beschwerdeführer trotz Erreichens des ordentlichen Pen-
sionsalters arbeitspflichtig und eine Kostenbeteiligung im Umfang
von Fr. 13.-- pro nicht geleisteten Arbeitstag rechtmässig ist. Die Be-
schwerde ist somit abzuweisen. | 4,734 | 3,722 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-24_2009-09-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-24.pdf | AGVE_2009_24 | null | nan |
e2052023-4d59-5ed6-a791-d7388891c4c9 | 1 | 412 | 872,003 | 1,480,723,200,000 | 2,016 | de | 2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
238
[...]
39
Sozialhilfe; interkantonale Zuständigkeit
-
Zuständigkeit des Kantonalen Sozialdienstes bei negativem inter-
kantonalem Kompetenzkonflikt gestützt auf § 6 Abs. 2 SPG
-
Wird ein Entscheid, mit welchem eine Sozialbehörde ihre Zuständig-
keit verneint, durch die Aufsichtsbehörde widerrufen, ist das Zustän-
digkeitsverfahren von Amtes wegen einzuleiten.
2016
Sozialhilfe
239
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 7. Dezember 2016 in
Sachen Einwohnergemeinde A. gegen B. und Departement Gesundheit und
Soziales (WBE.2016.346).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Die Vorinstanz hat den Entscheid des Gemeinderats A. in An-
wendung von § 37 VRPG von Amtes wegen aufgehoben. Entscheide,
die der Rechtslage oder den sachlichen Erfordernissen nicht entspre-
chen, können durch die erlassene Behörde oder die Aufsichtsbehörde
geändert oder aufgehoben werden, wenn das Interesse an der richti-
gen Rechtsanwendung die Interessen der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes überwiegt (§ 37 Abs. 1 VRPG). Der Kantonale
Sozialdienst nimmt im Auftrag des DGS die Aufgabe als Aufsichtsin-
stanz über die Sozialbehörden wahr.
1.2.
Das ZUG bestimmt, welcher Kanton für die Unterstützung
eines Bedürftigen, der sich in der Schweiz aufhält, zuständig ist
(Art. 1 Abs. 1 ZUG). Das ZUG sieht jedoch kein spezielles Verfah-
ren für die Klärung von negativen Kompetenzkonflikten vor. Diese
Lücke ist durch (analoge) Anwendung von Instrumenten, welche das
ZUG zur Verfügung stellt, zu füllen. In Frage kommen dazu grund-
sätzlich zwei Varianten, nämlich die Klärung der Zuständigkeit auf
dem Weg der Einreichung von Unterstützungsanzeigen oder mit
einem dem Richtigstellungsbegehren zufolge Abschiebung (Art. 28
Abs. 2 ZUG) nachgebildeten Begehren (SKOS, Kommission Rechts-
fragen, Negative Kompetenzkonflikte im interkantonalen Bereich:
Wer ist zuständig für die Unterstützung?, Januar 2012, S. 1).
Gemäss § 5 Abs. 3 SPV tritt die Gemeinde, welche ihre Zustän-
digkeit als Wohnsitz- oder Aufenthaltsgemeinde verneint, umgehend
mit der ihrer Meinung nach zuständigen Gemeinde in Kontakt. Wenn
keine Einigung zustande kommt, wird die Zuständigkeitsfrage dem
kantonalen Sozialdienst zum Entscheid unterbreitet, welcher die
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
240
erforderlichen vorsorglichen Anordnungen trifft (vgl. auch § 6 Abs. 2
SPG). Das Gleiche gilt auch für interkantonale Zuständigkeitskon-
flikte: Ist die interkantonale Zuständigkeit nach einem gegenseitigen
Austausch auf Ebene Sozialdienst nicht klar, treten die beteiligten
Kantonalen Sozialämter miteinander in Kontakt. Diese sollen - wenn
möglich - eine Einigung über die Zuständigkeit herbeiführen. Kann
keine Einigung erzielt werden, muss der unterstützende Aufenthalts-
kanton zuhanden des mutmasslich zuständigen Kantons eine Notfall-
unterstützungsanzeige im Sinne von Art. 30 ZUG einreichen. Wenn
der Kanton vorläufig unterstützt, in dem sich die hilfebedürftige Per-
son nicht mehr aufhält (in der Regel der letzte Wohnkanton),
empfiehlt die Kommission Rechtsfragen, ein Richtigstellungsbe-
gehren gemäss Art. 28 ZUG beim seiner Meinung nach neu zuständi-
gen Kanton einzureichen. Alternativ führt die Kommission
Rechtsfragen der SKOS auf Antrag der Parteien ein Schlichtungsver-
fahren durch (vgl. Negative Kompetenzkonflikte im interkantonalen
Bereich, a.a.O., S. 2).
1.3.
Der Gemeinderat A. war nicht zuständig, über die interkanto-
nale Zuständigkeit für die Leistung materieller Hilfe zu befinden.
Gemäss Art. 29 Abs. 1 ZUG geht der Verkehr zwischen den Kanto-
nen über die zuständigen kantonalen Amtsstellen. Im Kanton Aargau
obliegt der Amtsverkehr mit anderen Kantonen dem Kantonalen So-
zialdienst (§ 42 Abs. 1 lit. b SPG). Die Gemeinde A. hätte sich zu-
nächst mit dem Sozialdienst C. austauschen müssen. Hätte dies zu
keiner Klärung der interkantonalen Zuständigkeit geführt, hätte der
Gemeinderat den Kantonalen Sozialdienst über den Sachverhalt
informieren müssen. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse
daran, dass eine bedürftige Person die von ihr benötigte Hilfe (recht-
zeitig) erhält. Negative Kompetenzkonflikte sollen sich nicht zu Las-
ten der hilfesuchenden Person auswirken. Um dies sicherzustellen,
ist das vorgeschriebene Zuständigkeitsverfahren einzuhalten.
Dementsprechend war der Widerruf des Entscheids durch die Vorin-
stanz rechtmässig.
2016
Sozialhilfe
241
2.
Zu beanstanden ist jedoch die Anweisung der Vorinstanz an den
Gemeinderat A., entweder die in Frage stehende Kostengutsprache
subsidiär zu leisten oder aber umgehend die Zuständigkeitsfrage dem
Kantonalen Sozialdienst zum Entscheid zu unterbreiten. Die Vorin-
stanz hätte die Beschwerde als Antrag um Prüfung der Zuständigkeit
entgegennehmen und der Kantonale Sozialdienst ein Zuständigkeits-
verfahren einleiten müssen. Dieser wäre gehalten gewesen, mit der
nach Art. 29 Abs. 1 ZUG zuständigen kantonalen Amtsstelle von C.
eine Klärung der Zuständigkeit herbeizuführen.
3.
Zusammenfassend ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen
und sind Anweisung und Kostenverlegung im angefochtenen Ent-
scheid aufzuheben. Die Angelegenheit ist an den Kantonalen Sozial-
dienst zur Durchführung eines Zuständigkeitsverfahrens zurückzu-
weisen. In diesem Verfahren kann unter Beteiligung und Wahrung
der Verfahrensrechte der involvierten Gemeinwesen geklärt werden,
ob der Unterstützungswohnsitz der Beschwerdegegnerin im Kanton
Aargau beendet wurde. | 1,183 | 951 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-39_2016-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-39.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-39.pdf | AGVE_2016_39 | null | nan |
e240fb2f-3a15-5bc5-ba3e-e99d6516b14d | 1 | 412 | 871,303 | 1,309,651,200,000 | 2,011 | de | 2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
141
37
Erleichterte Ausnahmebewilligung im Unterabstand von Strassen (§ 67a
BauG)
Vorausgesetzt wird eine untergeordnete Baute und dass kein überwie-
gendes, aktuelles öffentliches Interesse entgegenstehen darf; Anwen-
dungsfall eines Garten- bzw. Gerätehauses.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 4. Juli 2011 in Sachen
Gemeinderat A. gegen B. und C. (WBE.2010.386).
Aus den Erwägungen
1.
1.1. (...)
1.2.
Die Beschwerdegegner beabsichtigen, auf der Parzelle Nr. (...)
ein Garten- bzw. Gerätehaus zu erstellen. Gemäss den Akten handelt
es sich um ein Blockbohlenhaus mit einer Grundfläche von 5.04 m x
3.11 m (inkl. Dachvorsprünge und einseitig offener Unterstand) und
einer maximalen Höhe von 2.40 m, wobei die Beschwerdegegner
von einer effektiven Höhe der Baute von 2.20 m sprechen.
Das Gerätehaus soll im Abstand von 2 m zum D.-weg und da-
mit innerhalb der Baulinie zum D.-weg (5 m) und im Unterabstand
zur Gemeindestrasse (§ 111 Abs. 1 lit. a BauG) erstellt werden. Das
Vorhaben ist somit keiner ordentlichen Bewilligung zugänglich.
Ebenso fällt eine Ausnahmebewilligung nach § 67 BauG ausser Be-
tracht, da weder aussergewöhnliche Verhältnisse noch ein Härtefall
vorliegen (vgl. dazu etwa AGVE 2006, S. 165 f.). Umstritten ist
hingegen die Frage, ob die Bauherrschaft eine erleichterte Ausnah-
mebewilligung nach § 67a BauG (in Kraft seit 1. Januar 2010)
beanspruchen kann.
1.3.
Für untergeordnete Bauten und Anlagen wie namentlich Klein-
und Anbauten kann nach § 67a BauG eine erleichterte Ausnahme-
bewilligung betreffend Abstände gegenüber Strassen oder Baulinien
2011
Verwaltungsgericht
142
erteilt werden, sofern kein überwiegendes, aktuelles öffentliches In-
teresse entgegensteht (§ 67a Abs. 1 BauG). Die Bauten und Anlagen,
die gestützt auf diese Bestimmung bewilligt worden sind, müssen
vom Eigentümer auf erstmalige Aufforderung hin sowie auf eigene
Kosten und entschädigungslos entfernt oder versetzt werden, wenn
die überwiegenden Interessen eines öffentlichen Werkes es erfordern.
In der Baubewilligung ist dies zur Auflage zu machen (§ 67a Abs. 2
BauG).
2. (...)
3.
3.1.
3.1.1.
Voraussetzung für eine erleichterte Ausnahmebewilligung im
Unterabstand von Strassen oder Baulinien ist nach § 67a BauG das
Vorliegen einer "
untergeordneten
" Baute oder Anlage. Als Beispiel
von untergeordneten Bauten erwähnt das Gesetz Klein- und An-
bauten. Der Begriff der Klein- und Anbaute taucht auch in § 18
ABauV auf. Zwar regelt diese Vorschrift den Grenz- und Gebäude-
abstand von Klein- und Anbauten, es ist jedoch anzunehmen, dass
der Gesetzgeber diese Definition vor Augen hatte, als er in § 67a
BauG den gleichlautenden Begriff der Klein- und Anbaute über-
nommen hat. Aufgrund der bloss beispielhaften Erwähnung der
Klein- und Anbauten steht vorab fest, dass auch andere Bauten und
Anlagen "untergeordnet" sein können.
Wie den Materialien zu § 67a BauG zu entnehmen ist, kommt
eine erleichterte Ausnahmebewilligung nur bei Bagatellbauten in
Betracht, die sich im Falle eines Strassenausbaus mit wenig Aufwand
entfernen lassen, wie z. B. Reklametafeln, Schaukästen, Geräte-
häuschen oder Autounterstände (Botschaft des Regierungsrats vom
5. Dezember 2007 zur Teilrevision des BauG [Ges.-Nr. 07.314] [Bot-
schaft], S. 89). Ob sich eine Baute oder Anlage noch als "untergeord-
net" im Sinne von § 67a Abs. 1 BauG bezeichnen lässt, richtet sich
somit nach dem Aufwand, der bei einer späteren Beseitigung nach
§ 67a Abs. 2 BauG anfiele. Die Erfahrung lehrt nämlich, dass Besei-
tigungsaufforderungen, selbst wenn sie aufgrund eines Reverses er-
folgen, meistens nicht widerstandslos befolgt werden. Das gilt insbe-
2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
143
sondere dann, wenn erhebliche wirtschaftliche Interessen im Spiel
sind (vgl. AGVE 2006, S. 164). Je aufwändiger die spätere Beseiti-
gung ist, desto eher ist mit Widerstand des Eigentümers zu rechnen,
weshalb es sachgerecht erscheint, eine erleichterte Ausnahmebewilli-
gung nach § 67a BauG nur dann zu erteilen, wenn sich die Baute
oder Anlage mit wenig Aufwand beseitigen lässt (AGVE 2010,
S. 166).
3.1.2.
Im konkreten Fall steht ausser Frage, dass das projektierte Gar-
ten- bzw. Gerätehaus eine "untergeordnete" Baute im Sinne von
§ 67a BauG darstellt: Mit rund 15.67 m2 weist das Garten- bzw.
Gerätehaus eine Bruttofläche von deutlich weniger als 40 m2 auf,
und mit 2.40 bzw. 2.20 m eine Höhe von deutlich weniger als 3 m,
womit die Anforderungen an eine Kleinbaute im Sinne von § 18
Abs. 1 ABauV erfüllt sind. Material und Bauweise weisen zudem auf
eine einfache Beseitigung hin. Die Beseitigungskosten wurden am
vorinstanzlichen Augenschein auf rund Fr. 1'500.00 geschätzt. Das
geplante Garten- bzw. Gerätehaus kann also mit wenig Aufwand und
Kosten entfernt werden. Seitens der Gemeinde wurde am vor-
instanzlichen Augenschein ebenfalls bestätigt, dass es sich um eine
Bagatell- bzw. Kleinbaute handle.
3.2.
3.2.1.
Nach dem Wortlaut von § 67a Abs. 1 BauG genügt es, dass es
sich um eine untergeordnete Baute oder Anlage handelt und der
Strassenabstands- bzw. Baulinienunterschreitung
kein überwiegen-
des, aktuelles öffentliches Interesse entgegensteht
. Ausserordentliche
Verhältnisse oder ein Härtefall wie bei § 67 BauG werden nicht
verlangt. Die "erleichterte" Ausnahmebewilligung sieht gegenüber
§ 67 BauG bei den Voraussetzungen graduelle Unterschiede vor,
indem die Anforderungen an eine erleichterte Ausnahmebewilligung
weniger streng sind. Nach dem Gesetzestext ist auch der Nachweis
eines speziellen / spezifischen objektivierbaren Bedürfnisses für die
Abstands- oder Baulinienunterschreitung nicht erforderlich. Das
BauG verlangt ausdrücklich
aktuelle
öffentliche Interessen. Das kann
nur bedeuten, dass die "normalen" öffentlichen Interessen, welche
2011
Verwaltungsgericht
144
den Abstandsvorschriften allgemein zugrunde liegen (z. B. Einhal-
tung der gesetzlichen Vorschriften, Freihalten des Strassenraums, Er-
haltung der Planungsfreiheit), nicht genügen, um eine erleichterte
Ausnahmebewilligung zu verweigern. Die "normalen" öffentlichen
Interessen müssen im konkreten Anwendungsfall auch aktuell sein,
damit sie Privatinteressen zu überwiegen vermögen.
Die Gesetzesmaterialien verweisen als Interpretationshilfe auf
die "analoge" Vorschrift von § 139 des Baugesetzes des Kantons Aar-
gau vom 2. Februar 1971 (aBauG), welche von "besonderen Verhält-
nissen" gesprochen habe; der Kommentar von Erich Zimmerlin
(Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, Kommentar,
2. Auflage, Aarau 1985, S. 330) halte dazu fest, damit seien Fälle ge-
meint, "in denen die öffentlichen Interessen weniger schwer wiegen,
so dass ein striktes Beharren auf durch Baulinien oder geschriebenen
Normen festgelegte Abstände sich nicht rechtfertigen lässt und die
entgegenstehenden privaten Interessen mehr Schutz verdienen" (Bot-
schaft, S. 89). Diese Interpretation lasse sich auf den neuen § 67a
BauG übertragen (vgl. Botschaft, S. 89). Demgemäss soll der ge-
nannte Wertungsgedanke übernommen werden und eine erleichterte
Ausnahmebewilligung ist dann zu erteilen, wenn im konkreten An-
wendungsfall die aktuellen öffentlichen (einer Strassenabstands-
bzw. Baulinienunterschreitung entgegenstehenden) Interessen nicht
überwiegen. Von einer Wiedereinführung des § 139 aBauG kann
demgegenüber nicht die Rede sein. Der Wortlaut von § 67a Abs. 1
BauG unterscheidet sich von demjenigen des § 139 Abs. 1 aBauG
klar. § 67a BauG verlangt insbesondere nicht das Vorliegen "beson-
derer Verhältnisse", sondern fordert ausdrücklich, dass "kein über-
wiegendes, aktuelles öffentliches Interesse" entgegensteht. Damit ist
aber dem Haupteinwand des Gemeinderats, er wolle im Anwen-
dungsbereich von § 67a BauG ein objektives Bedürfnis bzw. spezi-
fische Interessen des Baugesuchstellers verlangen und hierzu eine
eigene Praxis entwickeln, das Fundament entzogen.
Die Erteilung einer erleichterten Ausnahmebewilligung betref-
fend Abstände gegenüber Strassen oder Baulinien für untergeordnete
Bauten und Anlagen (§ 67a BauG) setzt somit voraus, dass der Stras-
senabstand (zu den Abstandsvorschriften vgl. § 111 Abs. 1 lit. a
2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
145
BauG) oder die Baulinie
zur Zeit
keinen überwiegenden,
aktuellen
öffentlichen Interessen dient. Das heisst, eine vorübergehende tat-
sächliche Verletzung des Strassenabstands oder der Baulinie schaden
nach dem Willen des Gesetzgebers den öffentlichen Interessen nicht,
oder bloss in einem vernachlässigbaren Umfang. Diese Beurteilung
verlangt im Anwendungsfall eine sorgfältige und umfassende Inte-
ressenabwägung. Beim Ausnahmecharakter von § 67a BauG bleibt
es, da diese Bestimmung nur für untergeordnete Bauten und Anla-
gen, auf Zeit und gegen Revers, denen aktuell keine öffentlichen
Interessen entgegenstehen, anwendbar ist (vgl. § 67a Abs. 1 und 2
BauG). Insofern lässt sich die These des Gemeinderats, die Aus-
nahme werde zur Regel, nicht halten. Manifestieren sich zu einem
späteren Zeitpunkt öffentliche Interessen eines öffentlichen Werkes,
welche die privaten Interessen überwiegen, aktualisiert sich der
Revers und die als erleichterte Ausnahme bewilligte Baute muss
dann beseitigt werden.
3.2.2.
Zur Interessenabwägung ergibt sich vorliegend was folgt:
Zur Beurteilung steht ein Garten- bzw. Gerätehaus mit einer
Grundfläche von rund 15.67 m2 und einer Höhe von 2.40 bzw.
2.20 m (vgl. Erw. 1.2.). Das projektierte Blockbohlenhaus soll im
Abstand von 2.0 m zum D.-weg und im Abstand von 2.0 m zur
Nachbarparzelle (Nr. [...]) in der Süd-Ost-Ecke des dreieckigen
Grundstücks (Parzelle Nr. [...]) erstellt werden. Gegenüber dem
Nachbargrundstück ist dies ohne weiteres zulässig (vgl. § 18 Abs. 2
ABauV i. V. m. Fussnote 11 zu § 27 der Bauordnung der Gemeinde
A. vom 25. Juni 1998 / 14. Juni 2000; mit schriftlicher Zustimmung
des Nachbarn könnte der Grenzabstand weiter reduziert werden).
Das private Interesse der Beschwerdegegner liegt in der optimalen
bzw. vernünftigen Nutzung ihres Gartenraums, sie wollen einen ge-
wissen Spielraum für allfällige künftige Bauten bzw. Gartenumge-
staltungen (z. B. Schwimmteich oder Gartenpavillon) freihalten kön-
nen. Ausserdem kann mit der Positionierung des Garten- bzw. Gerä-
tehauses die spitzwinklige, schattige Eckfläche des dreieckigen
Grundstücks geeignet genutzt und eine grössere nutzbare Rasen-
fläche am Stück erreicht werden. Auch wenn das Garten- bzw. Ge-
2011
Verwaltungsgericht
146
rätehaus auf dem Grundstück an anderer Stelle unter Einhaltung der
Strassenabstandsvorschriften erstellt werden könnte, steht hinter der
beabsichtigten Positionierung ein einleuchtender Grund, weshalb
dem privaten Interesse ein gewisses Gewicht zuzuerkennen ist.
Dem Interesse der Beschwerdegegner an einer Baulinien- bzw.
Strassenabstandsunterschreitung stellt die Gemeinde lediglich das
formelle, generell-abstrakte gesetzliche Interesse an der Einhaltung
der Strassenabstandsvorschriften entgegen. Aktuelle öffentliche In-
teressen, welche am fraglichen Ort die Einhaltung der Strassenab-
standsvorschriften - sei dies die Baulinie oder der gesetzliche Nor-
malabstand - erforderten, bringt die Gemeinde nicht vor. Am vorin-
stanzlichen Augenschein wurde seitens der Gemeinde bestätigt, dass
der Verkehr durch die projektierte Baute nicht gestört und der Pla-
nungsspielraum durch das Bauvorhaben nicht gefährdet werde. Die
Vorinstanz legte im Weiteren überzeugend dar, dass auch keine ak-
tuellen siedlungsgestalterischen Interessen erkennbar sind, die der
Abstandsunterschreitung entgegenstehen. Der Gemeinderat bestreitet
diese Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht. Im
konkreten Fall kann somit nicht gesagt werden, dass der beabsich-
tigten Abstandsunterschreitung auf 2 m Strassenabstand aktuelle
öffentliche Interessen (wie z. B. ungehinderte Abwicklung des Ver-
kehrs, Erhaltung des Planungsspielraums und der Landerwerbsmög-
lichkeit für zukünftigen Strassenbau oder siedlungsgestalterische Ge-
sichtspunkte; vgl. AGVE 2000, S. 260; 1997, S. 332 f. mit Hinwie-
sen; 1990, S. 237 f. mit Hinweisen) entgegenstehen würden. Viel-
mehr kann festgestellt werden, dass die Strassenabstandsvorschriften
am fraglichen Ort zur Zeit und bis auf weiteres keine konkreti-
sierbaren öffentlichen Interessen erfüllen.
Demgemäss steht fest, dass der Erstellung des strittigen Garten-
bzw. Gerätehauses im Strassenabstand von 2 m - d. h. in Unter-
schreitung der Strassenabstandsvorschriften - kein aktuelles, öffent-
liches Interesse von Bedeutung entgegensteht. Die Voraussetzungen
einer erleichterten Ausnahmebewilligung nach § 67a Abs. 1 BauG
sind erfüllt. Der vorinstanzliche Entscheid, mit welchem der Ge-
meinderat A. angewiesen wurde, das Baugesuch für das Garten- bzw.
Gerätehaus auf der Parzelle Nr. (...) unter einer entsprechenden Be-
2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
147
seitigungsauflage (vgl. § 67a Abs. 2 BauG) zu bewilligen, ist nicht zu
beanstanden. | 3,019 | 2,320 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-37_2011-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-37.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-37.pdf | AGVE_2011_37 | null | nan |
e26b2d81-9973-5b40-aa75-7701b9461571 | 1 | 412 | 871,336 | 973,209,600,000 | 2,000 | de | 2001
Verwaltungsrechtspflege
367
[...]
78 Rechtliches
Gehör.
- Eine Gemeinde kann sich auf diesen Anspruch berufen, wenn sie wie
eine Privatperson betroffen ist oder wenn es um den Umfang der ihr
zustehenden Autonomie geht (Erw. 4/b).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. November 2000 in
Sachen Einwohnergemeinde B. gegen Regierungsrat.
Aus den Erwägungen
4. a) Die Beschwerdeführerin bezichtigt den Regierungsrat
einer Gehörsverletzung, weil im vorinstanzlichen Entscheid auf die
Problematik der Einhaltung der Sonntagsruhe nicht eingegangen
worden sei. Gerügt wird also eine Verletzung der Begründungs-
pflicht, welche allgemein aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör
abgeleitet wird (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grundriss des Allge-
meinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, Rz. 1293; BGE
112 Ia 109; AGVE 1998, S. 426).
b) Art. 29 Abs. 2 BV billigt den Parteien einen Anspruch auf
rechtliches Gehör zu. Auch § 22 Abs. 1 KV schreibt fest, dass die
Betroffenen in behördlichen Verfahren Anspruch auf rechtliches
Gehör und faire Behandlung haben. In beiden Verfassungen sind die
angeführten Bestimmungen im Kapitel bzw. Abschnitt über die
,,Grundrechte" eingeordnet. Diese bringen zum Ausdruck, dass jeder
2001
Verwaltungsgericht
368
Mensch voraussetzungslos Inhaber bestimmter Rechte ist; er gilt als
Rechtsperson und ist Träger einer besonderen Würde (Jörg Paul
Müller, in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen
Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 [im Folgenden: Kommentar
BV], Basel/Zürich/Bern 1996, Einleitung zu den Grundrechten, N 1).
Die gemäss Art. 29 Abs. 2 BV bzw. § 22 Abs. 1 KV anspruchsbe-
rechtigten ,,Parteien" bzw. ,,Betroffenen" sind also Private, die in
Verfahren involviert sind, deren Ergebnisse sie mehr als Andere be-
lasten können (Georg Müller, in: Kommentar BV, Art. 4 N 101; Jörg
Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz [im Folgenden: Grund-
rechte], 3. Auflage, Bern 1999, S. 509). Auch gemäss aargauischem
Verfassungsverständnis gelten die allgemeinen Verfahrensgarantien
(nur) für ,,Betroffene", d. h. für subjektiv-rechtlich Beschwerte (Kurt
Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit
Kommentar, Aarau 1986, § 22 N 9, 11). Demzufolge kann sich eine
Gemeinde auf die Garantien verfahrensrechtlicher Kommunikation
berufen, wenn sie wie eine Privatperson betroffen ist, z. B. in ihrer
Rechtsstellung als Grundeigentümerin oder als Bauherrin. Darüber
hinaus wird den Gemeinden ein Anspruch auf rechtliches Gehör im
Verfahren über den Umfang der ihr zustehenden Autonomie zugebil-
ligt; in dieser Hinsicht hat der erwähnte Anspruch dieselbe Tragweite
wie der verfassungsrechtlich verankerte Gehörsanspruch der Privaten
(Jörg Paul Müller, Grundrechte, S. 511 mit Fn. 10; Michele Albertini,
Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Ver-
waltungsverfahren des modernen Staates, Bern 2000, S. 140; Pra
81/1992, S. 103; Bundesgericht, in: ZBl 98/1997, S. 261). Im vorlie-
genden Fall geht es um die Wahrung der Sonn- und Festtagsruhe
bzw. um die Anwendung des kantonalen Gesetzes über die Feier der
Sonn- und Festtage (SFG) vom 7. November 1861. In diesem Be-
reich sind die Gemeinden nach Massgabe von § 106 Abs. 2 KV au-
tonom. Mit der ersatzlosen Aufhebung von Ziffer B/9 Abs. 2 der
Baubewilligung vom 4. Januar 1999 (soweit die Schliessung der
Autowaschanlage an Sonn- und allgemeinen Feiertagen betreffend)
hat der Regierungsrat in diesen Autonomiebereich eingegriffen. Er
war daher auch in Bezug auf Argumente, welche der Gemeinderat im
vorinstanzlichen Verfahren vorbrachte, begründungspflichtig.
2001
Verwaltungsrechtspflege
369
Die Begründungspflicht ist zudem noch aus einer andern Über-
legung zu bejahen. Zweck und Leitgedanke dieser Pflicht ist es u.a.,
dass die Betroffenen die getroffene Entscheidung verstehen und
sachgerecht anfechten können; durch die angemessene Begründung
einer Verfügung soll dem Betroffenen ermöglicht werden, sich über
die Tragweite eines Entscheides Rechenschaft zu geben und in voller
Kenntnis der Gründe ein Rechtsmittel zu ergreifen (Albertini, a.a.O.,
S. 403; BGE 122 II 362 f.; AGVE 1998, S. 426). Auf die Begrün-
dungspflicht müssen sich deshalb alle potentiell zur Beschwerdefüh-
rung Legitimierten berufen können, und dazu gehört klarerweise
auch ein Gemeinderat, der in seiner Eigenschaft als erstinstanzlich
verfügende Behörde in das Verfahren einbezogen wird (vgl. auch
Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren
nach dem Aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege,
Diss. Zürich 1998, § 41 Rz. 25). | 1,053 | 886 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-78_2000-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-78.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-78.pdf | AGVE_2001_78 | null | nan |
e279b223-66d0-53e1-9c8d-fc85c3a8bf5c | 1 | 412 | 870,676 | 1,520,035,200,000 | 2,018 | de | 2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
206
17
Anlieferungsverbot für ein Ladengeschäft wegen nächtlicher Lärm-
immissionen
Der durch den nächtlichen Güterumschlag eines Verkaufsgeschäfts mit
Frischprodukten erzeugte Lärm ist nach Anhang 6 LSV zu beurteilen,
auch wenn der Anlieferungsvorgang nur relativ kurz andauert. Eine Ein-
zelfallbeurteilung direkt gestützt auf das USG (unter Zuhilfenahme der
BAFU-Vollzugshilfe für die Beurteilung von Alltagslärm), mit der Be-
gründung, Anhang 6 LSV und die dort vorgesehene Ermittlung des mass-
gebenden Beurteilungspegels (energieäquivalenter Dauerschallpegel) bil-
deten den Lärm eines nur wenige Minuten andauernden Güterumschlags
nicht angemessen ab, drängt sich nicht auf. Der Störungswirkung von
Spitzenwerten und der Impulshaltigkeit scheppernder Geräusche kann
mit Pegelkorrekturen Rechnung getragen werden.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. März
2018, in Sachen A. AG und B. AG gegen C., Gemeinderat E. und
Departement Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2016.390).
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
207
Aus den Erwägungen
1.
Die Beschwerdeführerin 1 ist Stockwerkeigentümerin eines La-
denlokals im Erdgeschoss des Gebäudes Nr. UUU auf der Parzelle
Nr. XXX der Gemeinde E. Das betreffende Grundstück befindet sich
in der Dorfzone D, wo namentlich mässig störende Gewerbe- und
Dienstleistungsbetriebe sowie Verkaufsgeschäfte bis 500 m2 Nettola-
denfläche zulässig sind und die Empfindlichkeitsstufe III (gemäss
Art. 43 Abs. 1 lit. c LSV gilt [§§ 6 Abs. 1 und 8 Abs. 2 BNO]). Die
Beschwerdeführerin 1 vermietet das Ladenlokal an die Beschwerde-
führerin 2, die dort eine F.-Filiale betreibt. Im Dachgeschoss des glei-
chen Gebäudes (Nr. UUU) wohnt die Beschwerdegegnerin. Sie ist
ebenfalls Stockwerkeigentümerin und wehrt sich gegen Nachtruhe-
störungen, die durch Geräusche während der Anlieferung von Frisch-
produkten für den F.-Laden in der Nachtruhephase (zwischen
22.00 Uhr und 6.00 Uhr) verursacht werden.
Die Vorinstanz hat die gerügten Lärmimmissionen unter drei
Aspekten gewürdigt: die Vereinbarkeit mit dem Bundesumwelt-
schutzrecht, den kommunalen Zonenvorschriften und den Bestim-
mungen im Polizeireglement (...).
2.
2.1.
In Erw. 3.2 des angefochtenen Entscheids hat die Vorinstanz das
in Frage stehende Verkaufslokal zutreffend als neue ortsfeste Anlage
im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung (Art. 7 Abs. 7 USG und
Art. 7 und 47 LSV) qualifiziert.
Die Lärmemissionen einer neuen ortsfesten Anlage müssen
nach den Anordnungen der Vollzugsbehörde so weit begrenzt wer-
den: (a) als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaft-
lich tragbar ist und (b) dass die von der Anlage allein erzeugten
Lärmimmissionen die Planungswerte nicht überschreiten (Art. 7
Abs. 1 LSV; vgl. auch Art. 25 Abs. 1 USG). Diese beiden Anforde-
rungen gelten kumulativ; Art. 7 Abs. 1 lit. a LSV ist Ausdruck des
bereits in Art. 11 Abs. 2 USG als allgemeiner Grundsatz statuierten
umweltschutzrechtlichen Vorsorgeprinzips (ANDRÉ SCHRADE/THEO
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
208
LORETAN, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2. Auflage,
Zürich/Basel/Genf 2004, Art. 11 N 34b).
Die Planungswerte bilden die niedrigste Schwelle der in drei
Kategorien unterteilten Belastungsgrenzwerte, gefolgt von den Im-
missionsgrenzwerten und den noch höheren Alarmwerten. Für be-
stimmte Lärmarten (Strassenverkehrslärm, Eisenbahnlärm, zivile
Flugplätze, Industrie- und Gewerbelärm, zivile Schiessanlagen, Mili-
tärflugplätze sowie militärische Waffen-, Schiess- und Übungsplätze)
werden in den Anhängen 3-9 LSV Belastungsgrenzwerte definiert.
Fehlen gesetzlich festgelegte Belastungsgrenzwerte (für andere
Lärmarten), so erfolgt die Beurteilung der Lärmimmissionen unmit-
telbar gestützt auf das USG. Zu beachten ist vorab Art. 23 USG, wo-
nach die Planungswerte unter den Immissionsgrenzwerten liegen
müssen; nach den Art. 15 und 13 Abs. 2 USG sind die Immissions-
grenzwerte so festzulegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft
oder der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte die Bevölke-
rung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören, unter Berück-
sichtigung der Wirkungen auf Personengruppen mit erhöhter Emp-
findlichkeit, wie Kinder, Kranke, Betagte und Schwangere; Art. 19
USG regelt die Alarmwerte, die über den Immissionsgrenzwerten lie-
gen und der Beurteilung der Dringlichkeit von Sanierungen dienen
(vgl. Art. 40 Abs. 3 LSV). Dabei muss sich die Vollzugsbehörde um
eine objektivierte Betrachtung bemühen und darf nicht auf das sub-
jektive Empfinden einzelner Nachbarn abstellen. Amtliche Richtli-
nien können die Vollzugsbehörde bei ihrer Aufgabe unterstützen. Als
Entscheidungshilfe können ferner fachlich genügend abgestützte aus-
ländische oder private Richtlinien herangezogen werden, sofern die
Kriterien, auf welchen sie beruhen, mit jenen des schweizerischen
Lärmschutzrechts vereinbar sind. Eine analoge Anwendung von Be-
lastungsgrenzwerten anderer Lärmarten ist jedoch grundsätzlich pro-
blematisch, weil Belastungsgrenzwerte typisierbare Situationen vo-
raussetzen, die sich auf einfache Weise durch akustische Beschrei-
bungsgrössen zuverlässig erfassen lassen (BGE 133 II 292, Erw. 3.3;
123 II 325, Erw. 4d/bb; Urteil des Bundesgerichts vom 27. Februar
2014 [1C_161/2013, 1C_162/2013, 1C_163/2013, 1C_164/2013],
Erw. 3.3).
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
209
Auf dieselbe Weise ist vorzugehen, wenn ein in der LSV festge-
legter Grenzwert nicht gesetzeskonform ist, weil er den Kriterien des
USG nicht oder nicht mehr entspricht. Die rechtsanwendende Behör-
de hat sich in diesem Fall jedoch möglichst weitgehend an den vom
Verordnungsgeber getroffenen Wertungen zu orientieren und nur die
zur Beachtung des Gesetzes notwendigen Anpassungen vorzuneh-
men (CHRISTOPH ZÄCH/ROBERT WOLF, in: Kommentar zum
Umweltschutzgesetz, a.a.O., Art. 15 N 45).
Im Rahmen der Einzelfallbeurteilung sind der Charakter des
Lärms, Zeitpunkt und Auftreten sowie die Lärmempfindlichkeit bzw.
Lärmvorbelastung zu berücksichtigen. Neue Anlagen dürfen im Hin-
blick auf die Einhaltung der Planungswerte während der Nacht höch-
stens geringfügige Störungen verursachen (BGE 137 II 30, Erw. 3.4;
Urteile des Bundesgerichts vom 9. August 2016 [1C_521/2015],
Erw. 6.2, und vom 13. Juli 2011 [1C_58/2011], Erw. 4.1).
2.2.
Die Vorinstanz gelangte in Erw. 3.3.1 des angefochtenen Ent-
scheids unter Bezugnahme auf einen vom Verwaltungsgericht beur-
teilten Präzedenzfall (VGE vom 28. August 2007 [WBE.2006.300])
zum Schluss, die LSV, Anhang 6 (Belastungsgrenzwerte für Indu-
strie- und Gewerbelärm), erfasse die von der Beschwerdegegnerin
kritisierten Lärmimmissionen, die bei der nächtlichen Belieferung
des F.-Ladens mit Frischprodukten entstünden, nicht angemessen. Da
die von der Beschwerdegegnerin beklagten, mit Ausnahme des Sonn-
tags jede Nacht (zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr) auftretenden Ge-
räusche (Motorenlärm des Lastwagens, Gespräche, Zuschlagen von
Türen, Absenken und Anheben der hydraulischen Hebebühne, Auf-
schlagen der Hebebühne auf dem Asphaltboden, das Schie-
ben/Ziehen von Rollwagen über die geriffelte Hebebühne samt Ein-
und Ausrasten und danach über den körnigen Asphaltbelag bis zum
Lieferanteneingang) jeweils nur relativ kurze Zeit (rund zehn Minu-
ten) andauerten, fielen sie bei der Beurteilung des Lärms nach den
gemittelten Pegeln gemäss Anhang 6 LSV kaum ins Gewicht, so dass
die dort geregelten Planungswerte der massgeblichen Empfindlich-
keitsstufe III eingehalten würden. Würden jedoch derart kurzzeitige
und wiederholt auftretende Störungen in der Schlafperiode die bei
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
210
45-50 dB(A) liegende Weckschwelle überschreiten, könne nicht von
vornherein ausgeschlossen werden, dass dadurch das Wohlbefinden
der schlafenden Bevölkerung beeinträchtigt werde. Vor diesem Hin-
tergrund sei festzuhalten, dass die Belastungsgrenzwerte für Indu-
strie- und Gewerbelärm nicht auf Immissionen der hier streitigen Art
zugeschnitten seien und diesbezüglich keine sachgerechten Ergebnis-
se lieferten. Das habe auch die beim vorinstanzlichen Augenschein
anwesende kantonale Fachperson bestätigt. Deshalb seien vorliegend
nicht die in Anhang 6 der LSV enthaltenen Planungswerte massgeb-
lich, sondern es sei eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen.
Stattdessen hat die Vorinstanz auf die vom Bundesamt für Um-
welt (BAFU) im Jahr 2014 herausgegebene Vollzugshilfe im Um-
gang mit Alltagslärm ( Beurteilung Alltagslärm ; nachfolgend: Voll-
zugshilfe Alltagslärm) zurückgegriffen. Diese beschreibe - so die
Vorinstanz - einen gangbaren Weg zur Beurteilung von Störwir-
kungen von Lärmsituationen, für welche Belastungsgrenzwerte fehl-
ten bzw. keine sachgerechten Ergebnisse lieferten. Ziel der darin dar-
gestellten Methode sei die Ermittlung einer objektivierten Quantifi-
zierung der Störwirkung.
Bei der Störung des Schlafes orientiere sich die Vollzugshilfe
Alltagslärm an den lärmbedingten Aufwachreaktionen (AWR). Nach
dem Stand der Wissenschaft und der Erfahrung liessen mehr als eine
AWR pro Nacht auf eine Überschreitung der Immissionsgrenzwerte
und mehr als drei AWR pro Woche auf eine Überschreitung der Pla-
nungswerte schliessen. Nebst der Anzahl AWR berücksichtige die
Vollzugshilfe Alltagslärm die Empfindlichkeitsstufe des betroffenen
Gebiets (ES), die erhöhte Lärmempfindlichkeit spezieller Personen-
gruppen (SP) sowie die örtlichen Gegebenheiten (ÖG) respektive die
Lärmvorbelastung. Die Erheblichkeit der Störung ergebe sich aus der
Summe der für die genannten Parameter (AWR/ES/SP/ÖG) einge-
setzten, in der Vollzugshilfe Alltagslärm angegebenen Werte. Unter-
schieden werde zwischen sehr stark störend bei einer Summe von 3
(= über Alarmwert), erheblich störend bei einer Summe von 2 (=
zwischen Immissionsgrenzwert und Alarmwert), störend bei einer
Summe von 1 (= zwischen Planungswert und Immissionsgrenzwert)
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
211
und höchstens geringfügig störend bei einer Summe von 0 (= unter
Planungswert).
Für den Parameter AWR hat die Vorinstanz den Wert 2 in die
auf S. 55 der Vollzugshilfe Alltagslärm wiedergegebene Formel (für
die Beurteilung nächtlicher Störungen) eingesetzt; dies mit der Be-
gründung, die von der Fachperson der Abteilung für Umwelt des
BVU beim Augenschein vom 15. April 2015 gemessenen Schallpe-
gelwerte der lautesten Geräusche von 55-58 dB(A), mithin rund 5-
10 dB(A) über der Weckschwelle, könnten - wie das Beispiel der
Beschwerdegegnerin zeige - zu einer Aufwachreaktion pro Nacht
führen. Dem Parameter ES hat die Vorinstanz den Wert -1 (= Emp-
findlichkeitsstufe III) und den Parametern SP und ÖG die Werte 0
(keine sensiblen Bevölkerungsgruppen und keine spezielle örtliche
Gegebenheiten, bzw. Lärmbelastung entspricht der Empfindlichkeits-
stufe) zugeordnet. Auf diese Weise resultiere eine Summe von 1 (2 +
-1+ 0 +0), die einer Störung entspreche, die zwischen dem Planungs-
wert und dem Immissionsgrenzwert liege, also den Planungswert
überschreite.
2.3.
Die Beschwerdeführerinnen sind demgegenüber der Auffas-
sung, beim durch die Warenlieferung an einen Detailhändler verur-
sachten Lärm handle es sich um Gewerbelärm, auf den Anhang 6 der
LSV anwendbar sei, nicht um Alltagslärm im Sinne der Vollzugshilfe
Alltagslärm. (...)
2.4.
2.4.1.
Die Vollzugsbehörden haben die ermittelten Aussenlärmimmis-
sionen ortsfester Anlagen grundsätzlich anhand der Belastungsgrenz-
werte nach den Anhängen 3 ff. der LSV zu beurteilen (Art. 40 Abs. 1
LSV). Vorbehalten bleiben - wie erwähnt - Fälle, in denen diese Be-
lastungsgrenzwerte kein gesetzeskonformes Ergebnis liefern (siehe
Erw. 2.1 vorne).
Anhang 6 LSV regelt die Belastungsgrenzwerte für Industrie-
und Gewerbelärm. Darunter fällt gemäss Ziff. 1 Abs. 1 Lärm von An-
lagen der Industrie, des Gewerbes und der Landwirtschaft (lit. a), des
Güterumschlages bei Anlagen der Industrie, des Gewerbes und der
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
212
Landwirtschaft sowie bei Bahnhöfen und Flugplätzen (lit. b), des
Verkehrs auf dem Betriebsareal von Industrie- und Gewerbeanlagen
sowie auf dem Hofareal von Landwirtschaftsbetrieben (lit. c), von
Parkhäusern sowie von grösseren Parkplätzen ausserhalb von Stras-
sen (lit. d) und von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen (lit. e).
Daneben werden eine ganze Reihe weiterer Anlagen den Industrie-
und Gewerbeanlagen gleichgestellt, namentlich Energie-, Entsor-
gungs- und Förderanlagen, Luft- und Standseilbahnen, Skilifte,
Schwimmbad- und Wärmepumpen sowie Motorsportanlagen, die re-
gelmässig während längerer Zeit betrieben werden. Auch der Lärm
von Reparaturwerkstätten, Unterhaltsbetrieben und ähnlichen Betrie-
ben auf Bahnarealen, zivilen und militärischen Flugplätzen und mili-
tärischen Waffen-, Schiess- und Übungsplätzen wird nach Anhang 6
LSV beurteilt. Der Geltungsbereich von Anhang 6 LSV ist demnach
ziemlich umfassend und erstreckt sich auf die verschiedensten Arten
von Lärm, die vom Betrieb von Industrie- und Gewerbeanlagen oder
anderen Anlagen mit vergleichbarem Lärm ausgehen. Hingegen kön-
nen Lärmarten, die sich wesentlich von der Natur des Industrie- und
Gewerbelärms unterscheiden, wie Gaststättenlärm, Sport- und Frei-
zeitlärm, Lärm von Recyclingsammelstellen sowie sonstigem All-
tagslärm, nicht nach Anhang 6 LSV ermittelt und beurteilt werden.
Diese Lärmarten sind im Einzelfall zu beurteilen. Dabei können ent-
sprechende Vollzugshilfen, etwa die Vollzugshilfe Alltagslärm, und
andere Hilfsmittel beigezogen werden (Vollzugshilfe Ermittlung
und Beurteilung von Industrie- und Gewerbelärm des BAFU, Bern
2016 [nachfolgend: Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm],
S. 16). Ferner ist eine Beurteilung nach Anhang 6 LSV dann nicht
störungsgerecht, wenn die Zahl der jährlichen Betriebstage, an denen
der Lärm auftritt, dermassen klein ist, dass von eigentlichen Einzele-
reignissen gesprochen werden muss. Auch in diesem Fall hat eine
Einzelfallbewertung direkt gestützt auf Art. 15, 19 und 23 USG statt-
zufinden (Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm, S. 20).
Der Lärm von Industrie- und Gewerbeanlagen kennzeichnet
sich dadurch, dass die charakteristischen Lärmeigenschaften nicht
nur von Betrieb zu Betrieb variieren, sondern sogar innerhalb eines
Betriebes Phasen mit unterschiedlichem Lärmcharakter auftreten
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
213
können. Zur möglichst störungsgerechten Ermittlung der am Immis-
sionsort einwirkenden Belastung wird der Lärm von Industrie- und
Gewerbeanlagen daher in verschiedene Lärmphasen (i) unterteilt. Als
Lärmphasen werden dabei Zeitabschnitte bezeichnet, in denen am
Immissionsort hinsichtlich Schallpegelhöhe, Ton- und Impulshaltig-
keit ein einheitlicher Lärm einwirkt. Erzeugt beispielsweise eine An-
lage in ihrem normalen Betriebszustand einen einigermassen gleich-
mässigen, sich durch keine besonderen Lärmeigenschaften auszeich-
nenden Betriebslärm, so wird dieser Zeitabschnitt als eine Lärmpha-
se behandelt. Erfolgt nun in diesem Betrieb eine regelmässige Wa-
renanlieferung, die während einer bestimmten Zeit schlagenden und
scheppernden Lärm erzeugt, so wird diese Zeit der Warenanlieferung
als eine weitere Lärmphase behandelt. Der Beurteilungspegel des
Gesamtbetriebes (Lr) wird berechnet, indem die Teilbeurteilungspe-
gel (Lr,i) der verschiedenen Lärmphasen energetisch addiert werden.
Diese Teilbeurteilungspegel wiederum setzen sich - wie bei den
meisten anderen Lärmarten - aus einem Mittelungspegel (Leq,i) und
den jeweils massgebenden Pegelkorrekturen (K1,i; K2,i; K3,i) zu-
sammen. Untersuchungen haben gezeigt, dass der variable Charakter
von Industrie- und Gewerbelärm generell störender wirkt als dies
durch den reinen Mittelungspegel abgebildet wird. Diese Erkenntnis
hat zur Pegelkorrektur K1,i geführt. Mit den Pegelkorrekturen K2,i
und K3,i wird berücksichtigt, dass sich tonhaltige Lärmereignisse be-
sonders störend auswirken und impulshaltige, schlagende Geräusche
ebenfalls zu einer erhöhten Belästigung beitragen. Schliesslich er-
folgt eine Betriebszeitkorrektur mit dem Term 10 · log (ti/to), der
die Dauer einer Lärmphase berücksichtigt (vgl. zum Ganzen Anhang
6 LSV, Ziff. 3, und Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm,
S. 17 ff.).
2.4.2.
Von seiner Natur her handelt es sich bei den von der Vorinstanz
beim Augenschein vom 15. April 2015 festgestellten, durch die An-
lieferung von Frischprodukten für den F.-Laden verursachten Geräu-
schen um Lärm, der die charakteristischen Eigenschaften von Ge-
werbelärm, konkret des in Anhang 6 LSV explizit genannten Lärms
des Güterumschlages bei Gewerbeanlagen aufweist. Die registrierten
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
214
Geräusche (Motorenlärm des Lastwagens, Zuschlagen von Türen,
Absenken und Anheben der hydraulischen Hebebühne, Aufschlagen
der Hebebühne auf dem Asphaltboden, das Schieben/Ziehen von
Rollwagen über die geriffelte Hebebühne samt Ein- und Ausrasten
und danach über den körnigen Asphaltbelag bis zum Lieferantenein-
gang) sind keineswegs dermassen singulär, als dass eine Anwendung
von Anhang 6 LSV schon wegen der Andersartigkeit des Lärms im
Vergleich mit dem Güterumschlag anderer Gewerbebetriebe ausge-
schlossen wäre. Auch andernorts werden für die Anlieferung von
Waren typischerweise Lastwagen mit hydraulischer Hebebühne, die
oftmals geriffelt und - aus Sicherheitsgründen - mit einer Vorrich-
tung für die Befestigung von rollbarem Material ausgestattet ist, so-
wie für den Transport der Ware vom Lastwagen zum Warenlager des
belieferten Verkaufsgeschäfts Holzpaletten (mit Gabelstaplern) oder
- wie im vorliegenden Fall - mit Plastikrädern versehene Metallrost-
körbe eingesetzt.
Die Vorinstanz hat denn auch nur deshalb von einer Anwendung
der LSV abgesehen, weil sie die nächtliche Lärmphase als zu kurz
erachtet, um mit der in Anhang 6 LSV vorgesehenen Berechnungs-
methode ein brauchbares (repräsentatives) Ergebnis zu erhalten, das
die tatsächlich auftretenden Störungen gebührend reflektiert. Diese
Sichtweise greift jedoch aus den folgenden Überlegungen zu kurz.
Der Hauptvorteil des in der LSV für die Ermittlung des Beurtei-
lungspegels (Lr) der meisten Lärmarten verwendeten Mittelungspe-
gels (Leq; auch energieäquivalenter Dauerschallpegel oder Intensi-
tätsmittel genannt) besteht darin, dass damit ein zeitlich schwanken-
des Schallereignis mit einer einzigen Beurteilungsgrösse charakteri-
siert werden kann. Als Beurteilungsgrösse ist der Leq für verschie-
denste Lärmarten sinnvoll. Bei Industrie- und Gewerbelärm mit be-
deutender Impulshaftigkeit der Schallereignisse kann der Leq proble-
matisch sein, weil dann die störenden Spitzenwerte quasi verdünnt
werden können. Trotzdem wird der Leq auch bei solchen Lärmarten
angewandt. Die subjektive Störwirkung durch die Impulse kann
nachträglich mit einer Pegelkorrektur ausgeglichen werden
(http://www.laermorama.ch/m1_akustik/schallpegel_ w.html#leq).
Eine derartige Pegelkorrektur ist - wie dargelegt - auch in Anhang 6
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
215
LSV vorgesehen. Mit der Pegelkorrektur K1 wird der Beurteilungs-
pegel mit Bezug auf Lärm des Güterumschlages ohne weiteres um 5
dB(A) angehoben. Mit der Pegelkorrektur K3 kann der Beurteilungs-
pegel für Lärm mit stark hörbarem Impuls, der insbesondere für Wa-
renanlieferungen typisch ist, um weitere 6 dB(A) erhöht werden (An-
hang 6 LSV, Ziff. 33, und Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm,
S. 24). Das lässt den Beurteilungspegel um nicht weniger als insge-
samt 11 dB(A) ansteigen. Damit wird dem Umstand, dass sich pri-
mär die vereinzelten Spitzenwerte (und weniger der durchschnittli-
che Schallpegel) störend auswirken, hinreichend Rechnung getragen.
Die Verdünnung bezieht sich sodann auf den gemessenen Zeitraum
(Mittelung über die Messdauer). Weniger Schallereignisse während
einer kürzeren Lärmphase werden auch auf eine kleinere Zeiteinheit
verteilt.
Die Dauer der Lärmphase spielt vor allem bei der sog. Be-
triebszeitkorrektur eine Rolle. Die Korrektur wird aus dem Verhält-
nis der effektiven täglichen Betriebsdauer (ti) zur maximal mögli-
chen Betriebszeit (to) von 12 Stunden bzw. 720 Minuten pro Tag/
Nacht berechnet (Anhang 6 LSV, Ziff. 31, und Vollzugshilfe Indu-
strie- und Gewerbelärm, S. 19). Kürzere effektive Betriebsdauern
führen somit zu einem tieferen Beurteilungspegel. Das ist gewollt,
weil supponiert wird, dass ein Geräusch umso störender beurteilt
werden soll, je länger es im Mittel dauert (Vollzugshilfe Industrie-
und Gewerbelärm, S. 19). Würde man hingegen die Ansicht vertre-
ten, dass die Störwirkungen von kürzeren und längeren Lärmphasen
die gleichen sind oder sich zumindest nicht in genügendem Masse
voneinander unterscheiden, um die in Anhang 6 LSV vorgesehene
Betriebszeitkorrektur zu rechtfertigen, so könnte dort angesetzt und
diese verändert werden, um für eine Annäherung bis hin zu einem
Ausgleich der Beurteilungspegel von kürzeren und längeren Lärm-
phasen zu sorgen.
Auf S. 25 geht die Vollzugshilfe Industrie- und Gewerbelärm
darauf ein, wie der Beurteilungspegel von Güterumschlag in der
Nacht zu bestimmen ist. Beschrieben wird die folgende Situation:
Ein neuer Frischproduktebetrieb in der Kernzone beginnt um
3.00 Uhr morgens mit dem Güterumschlag. Der Vorgang dauert eine
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
216
Stunde. Die Betriebszeitkorrektur (Mittelung des Schallpegels über
die ganze Nacht) sorgt dafür, dass der Planungswert eingehalten
wird. Basierend darauf wird die Frage aufgeworfen, ob dem Betrieb
die Betriebszeitkorrektur zugestanden werden muss. Die Antwort
lautet, dass die Beurteilung nach Anhang 6 LSV erfolgt und der Mit-
telungspegel (Leq) über die gesamte Nacht (12 Stunden) zeitlich zu
mitteln ist. Zusätzlich wird auf die Möglichkeit emissionsbegrenzen-
der Massnahmen im Rahmen des Vorsorgeprinzips (Art. 11 Abs. 2
USG) oder verschärfter Massnahmen (Art. 11 Abs. 3 USG) hinge-
wiesen.
Weshalb ein nächtlicher Güterumschlag, der - wie hier - nur
einige Minuten bis maximal eine halbe Stunde dauert anders behan-
delt werden sollte, ist nicht ersichtlich. Zwar bewirkt die Verkürzung
der Lärmphase wegen der Betriebszeitkorrektur , dass der Beurtei-
lungspegel im Vergleich zu einer Lärmphase von einer Stunde noch
mehr abnimmt. Das ist zumindest bis zu einem gewissen Grad auch
sachgerecht, weil die Störungswirkungen eines längeren Anlie-
ferungsprozesses klar intensiver sind. Ein solcher führt tendenziell zu
mehr Aufwachreaktionen und hindert die betroffenen Anwohner län-
gere Zeit daran, wieder einzuschlafen. Man könnte jedoch die Be-
triebszeitkorrektur nach oben begrenzen, um zu vermeiden, dass
sehr kurz andauernde nächtliche Güterumschläge überhaupt nicht
mehr ins Gewicht fallen, indem beispielsweise Lärmphasen von we-
niger als einer halben Stunde auf eine halbe Stunde aufgerundet wer-
den, weil hinsichtlich der Störungswirkung kein signifikanter Unter-
schied zwischen einer Lärmphase von einer Viertelstunde und einer
solchen von einer halben Stunde besteht. Solche Korrekturen sind im
System der LSV durchaus möglich, ohne dass auf eine Einzelfallbe-
urteilung und in deren Rahmen auf eine Vollzugshilfe ausgewichen
werden muss, die - wie die Vollzugshilfe Alltagslärm - für andere
(nicht gewerbliche) Lärmarten konzipiert ist (Freizeitaktivitäten,
Glocken, Tierhaltungen, Tierschreckanlagen etc.).
2.4.3.
Namentlich der Glockenschlag von Kirchturmuhren lässt sich
von seiner Charakteristik her nicht mit Lärm vergleichen, der durch
Warenanlieferungen erzeugt wird. Die einzelnen, in sich abgeschlos-
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
217
senen Lärmphasen sind noch einmal deutlich kürzer, wiederholen
sich dafür umso öfter über die ganze Nacht verteilt (vor allem beim
Viertelstundenschlag mit 32 Mal zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr),
und beinhalten ausschliesslich ausgesprochen impulshaltige Geräu-
sche. Aufgrund dessen ist es schlechterdings unmöglich, die tatsäch-
lichen Störungswirkungen von Glockenschlägen mit dem Mitte-
lungspegel Leq zu erfassen. Eine Betriebszeitkorrektur fällt ohne-
hin ausser Betracht. In diesem von der LSV nicht geregelten Bereich
macht es Sinn, in Anwendung der Vollzugshilfe Alltagslärm auf die
Anzahl lärmbedingter Aufwachreaktionen (AWR) pro Nacht abzu-
stellen. Wegen der Andersartigkeit des Lärms können die Resultate
der ETH-Studie zur Ermittlung von Aufwachreaktionen durch Glo-
ckenläuten (MARK BRINK/SARAH OMLIN/CHRISTIAN MÜLLER/RETO
PIEREN/MATHIAS BASNER, An event-related analysis of awakening
reactions due to nocturnal church bell noise, Science oft he Total
Environment, 409 [24], 5210-5220) nicht unbesehen auf den durch
einen Güterumschlag erzeugten Lärm übertragen werden. Aus dieser
Studie hat sich ergeben, dass die Anzahl Aufwachreaktionen pro
Nacht erstens von der Dauer des Schlafs und zweitens - in noch viel
stärkerem Mass - davon abhängt, ob die Kirchturmuhr stündlich,
halbstündlich oder im Viertelstundentakt schlägt. Bei einem viertel-
stündlichen Glockenschlag führt schon ein Schallpegel von 40-
45 dB(A) zu mindestens einer Aufwachreaktion pro Nacht; beim
halbstündlichen Glockenschlag bedarf es dafür eines Schallpegels
von 45-50 dB(A) und beim stündlichen Glockenschlag von 55-60
dB(A) (vgl. Vollzugshilfe Alltagslärm, S. 56). Im Gegensatz zum
Glockenschlag, der die ganze Nacht über zu verzeichnen ist, konzen-
trieren sich die Geräusche der vorliegend zu beurteilenden Warenan-
lieferung auf eine einzige nächtliche Lärmphase von ca. (je nach Lie-
ferumfang) 10-25 Minuten Dauer. Auch wenn innerhalb dieser
Lärmphase mehrere stark impulsartige Geräusche auftreten, welche
für die Spitzenwerte sorgen, ist die Störungswirkung doch eine ande-
re als bei den über einen wesentlich längeren Zeitraum verteilten
Glockenschlägen. Insofern bestehen keine gesicherten (wissenschaft-
lichen, auf entsprechenden Untersuchungen basierenden) Erkenntnis-
se dazu, wo genau die Weckschwelle bei Geräuschen des Güterum-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
218
schlags liegt bzw. ab welchem Schallpegel mit mindestens einer Auf-
wachreaktion pro Nacht zu rechnen ist. Eine allgemein gültige Weck-
schwelle von 45-50 dB(A) existiert aufgrund der neuesten Erkennt-
nisse der erwähnten ETH-Studie selbst innerhalb der gleichen Lärm-
kategorie (Glockenläuten) offenbar nicht (vgl. dazu auch das Urteil
des Bundesgerichts vom 13. Dezember 2017 [1C_383/2016,
1C_409/2016], Erw. 5.3 und 5.6). Das muss erst recht für verschiede-
ne Lärmarten gelten.
Im Zusammenhang mit Fluglärm z.B. wurde die kritische
Weckschwelle bis anhin immer erst bei 60 dB(A) angenommen
(BGE 137 II 58, Erw. 5.3.5; Urteil des Bundesgerichts vom
18. Januar 2010 [1C_297/2009], Erw. 3.1 und 4). Von einer Weck-
schwelle von 45-50 dB(A) hat das Bundesgericht bei Strassenlärm
mit sog. stochastischen Geräuschen, an die sich der Mensch nicht ge-
wöhnt (BGE 101 Ib 405, Erw. 3a/aa und BGE 102 Ib 271, Erw. 3a),
gesprochen. In einem späteren Entscheid (BGE 110 Ib 340) zitierte
das Bundesgericht allerdings aus einem Schallgutachten, in welchem
sich der Experte dahingehend äusserte, dass die Frage der Schlafstö-
rung durch Lärm ein seit Jahrzehnten kontroverses Thema sei. Ob
ein Geräusch einen Schlafenden wecke, hänge von derart vielen Fak-
toren ab, dass verbindliche Aussagen kaum möglich seien; jedenfalls
lasse sich angesichts der unterschiedlichen Untersuchungsergebnisse
die Annahme einer allgemein gültigen Weckschwelle von 45-50
dB(A) nicht stichhaltig begründen (a.a.O., Erw. 8).
In Anbetracht dessen bestehen keine genügenden Anhaltspunkte
dafür, dass die Belastungsgrenzwerte in Anhang 6 LSV für Lärm von
(nächtlichem) Güterumschlag nicht störungsgerecht festgelegt wur-
den. Eine Einzelfallbeurteilung direkt gestützt auf das USG unter Zu-
hilfenahme der für andersartigen Lärm konzipierten Vollzugshilfe
Alltagslärm drängt sich nicht auf, zumal die Anzahl Aufwachreaktio-
nen pro Nacht für diese spezifische Art von Lärm nicht oder zu we-
nig erforscht ist und die LSV selber (Pegel-)Korrekturen vorsieht, die
den impulshaltigen Geräuschen (das Einhaken der Rollwagen auf der
Hebebühne, das Aufschlagen der Hebebühne auf dem Asphalt und
das Ziehen der Rollwagen über den körnigen Asphalt) Rechnung
tragen. Schliesslich kann durch eine Begrenzung der Betriebszeit-
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
219
korrektur vermieden werden, dass Anlieferungen von sehr kurzer
Dauer nicht mehr ins Gewicht fallen. Vom Sachverhalt, den das Ver-
waltungsgericht im Urteil vom 28. August 2007 (WBE.2006.300) zu
beurteilen hatte, unterscheidet sich der vorliegende insofern, als es
um regelmässige (praktisch allnächtliche), nicht bloss um sporadi-
sche Anlieferungen geht, für die eine Beurteilung nach Anhang 6
LSV ein weniger störungsgerechtes Resultat liefert (Vollzugshilfe In-
dustrie- und Gewerbelärm, S. 20 unten). Zudem stellt menschlicher
Verhaltenslärm (lautes Zurufen), der wegen seines Informationsge-
haltes als stark störend empfunden werden kann, was sich aber in den
Belastungsgrenzwerten nicht niederschlägt (BGE 123 II 325,
Erw. 4d/aa; ROBERT HOFMANN, Keine Grenzwerte - kein Lärm? in:
URP 1994, S. 428), gemäss den Feststellungen der Vorinstanz im
vorliegenden Fall kein Problem dar. Demnach ist die Einhaltung der
Planungswerte anhand von Anhang 6 LSV zu beurteilen. Die Voll-
zugshilfe Alltagslärm ist demgegenüber nicht anwendbar.
2.5.
Die Vorinstanz hielt in Erw. 3.3.1 des angefochtenen Entscheids
fest, die in Anhang 6 LSV (...) enthaltenen Planungswerte würden
mit den am Augenschein vom 15. April 2015 gemessenen Schallpe-
geln der Geräusche der Belieferung des F.-Ladens mit Frischproduk-
ten nicht überschritten. Sie äussert sich jedoch nicht dazu, welcher
Beurteilungspegel gestützt auf die LSV konkret ermittelt wurde, in-
wieweit Pegelkorrekturen (K1; K2; K3) berücksichtigt und eine Be-
triebszeitkorrektur vorgenommen wurde. (...) Bei der Messung hat
die Fachperson des BVU das Mikrophon des Schallpegelmessers auf
dem Kopfkissen im Bett der Beschwerdegegnerin platziert. Das ist
zweifelsohne richtig, wenn der Beurteilungspegel hernach aufgrund
einer Einzelfallbeurteilung anhand der Vollzugshilfe Alltagslärm be-
rechnet wird. In diesen Fällen ist eine Gesamtbetrachtung vorzuneh-
men, die unterschiedlichen Situationen mit stärkeren und schwäche-
ren Lärmbelastungen Rechnung trägt. (...) Im Anwendungsbereich
der LSV sind hingegen die Lärmimmissionen in der Mitte der offe-
nen Fenster lärmempfindlicher Räume zu ermitteln (Art. 39 Abs. 1
LSV; ALAIN GRIFFEL/HERIBERT RAUSCH, Kommentar zum Umwelt-
schutzgesetz, Ergänzungsband zur 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf
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2011, Art. 15 N 27). Das betrifft nicht nur die lärmempfindlichen
Räume in der Wohnung der Beschwerdegegnerin, sondern auch die-
jenigen an allenfalls noch exponierterer Lage, etwa in den Woh-
nungen im ersten und zweiten Obergeschoss des gleichen Gebäudes.
Dort dürften höhere Werte zu erwarten sein. Aus diesem Grund müs-
sen die Messungen wiederholt werden. Dabei ist insbesondere
sicherzustellen, dass sich die Bedingungen am Messtermin möglichst
wenig von denjenigen einer alltäglichen Situation unterscheiden, was
wohl am ehesten gewährleistet werden kann, indem der Chauffeur
nichts von der Durchführung der Messungen weiss und die
Beschwerdeführerin 2 verpflichtet wird, jenen Lastwagen zu verwen-
den, der auf der Anlieferungstour mit E. üblicherweise oder überwie-
gend zum Einsatz kommt.
2.6.
In einem weiteren Schritt wäre selbst bei Einhaltung der Pla-
nungswerte gemäss Anhang 6 LSV zu prüfen, ob von der Beschwer-
deführerin 2 im Rahmen des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzips
(Art. 11 Abs. 2 USG und Art. 7 Abs. 1 lit. a LSV) emissionsbegren-
zende Massnahmen verlangt werden können, die technisch und be-
trieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar sind. Technisch und
betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar sind in der Regel
lärmmindernde Kunststoffmatten im Abladebereich sowie die Schu-
lung der Mitarbeitenden, lärmarm zu arbeiten. Bei Betrieben mit täg-
lichem (oder nächtlichem) Güterumschlag sollte der Umschlagbe-
reich abgeschlossen gestaltet werden. Eine weitere Massnahme im
Sinne der Vorsorge ist der Ersatz von tonalen Rückfahrwarnsystemen
mit lärmärmeren Alternativen (Breitband-Alarme oder Rückfahr-
kameras oder Fahrzeuge, die den PIEK-Standard einhalten (Voll-
zugshilfe Industrie- und Gewerbelärm, S. 25). Denkbar wären so-
dann die von den Beschwerdeführerinnen selber und von der Vorin-
stanz in den Rechtsschriften im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
vorgeschlagenen Massnahmen, z.B. der Einsatz von Rollwagen mit
Flüster- oder Vollgummirollen, ein lärmarmer Asphaltbelag im An-
lieferungsbereich, die Verwendung nicht geriffelter Hebebühnen, die
Beschichtung der Hebebühne mit einem Gummibezug, damit das
Geräusch beim Aufschlagen auf dem Boden gedämpft wird, Gummi-
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Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
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puffer am Fahrzeug, um die Geräusche beim Schliessen der Hebe-
bühne zu reduzieren etc. Die Ergreifung solcher Massnahmen kann
entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin durchgesetzt und
kontrolliert werden.
(...) | 7,897 | 5,910 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-17_2018-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-17.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-17.pdf | AGVE_2018_17 | null | nan |
e2bb4b46-a7e2-5a05-9789-45f820e9d9ce | 1 | 412 | 870,159 | 1,078,272,000,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsgericht
154
[...]
43 Rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; § 15 Abs. 1 VRPG).
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands (§ 159 Abs. 1 BauG).
- Zulässigkeit der antizipierten Beweiswürdigung (Erw. 1/a).
- Fehlende Stichhaltigkeit einer Gehörsrüge, wenn sie auf einer
materiell unzutreffenden Begründungslinie im angefochtenen
Entscheid basiert und keine Gehörsverletzung vorläge, wenn die
Begründung schlüssig wäre (Erw. 1/b).
- Bei bewilligungs- und planwidriger Bauausführung besteht Anspruch
auf materielle Behandlung eines nachträglichen Baugesuchs; der
formelle Verstoss gegen öffentliches Baurecht ist ausschliesslich mit
Verwaltungsstrafe (§ 160 BauG) zu ahnden (Erw. 2).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. März 2004 in Sa-
chen S. gegen Baudepartement.
Sachverhalt
A. a) Mit Beschluss vom 1. Dezember 1998 erteilte der Ge-
meinderat Suhr den Eheleuten S. die Baubewilligung für die Erstel-
lung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf der Parzelle
Nr. 3097. In Ziffer VI/3 dieser Bewilligung ("Besondere Auflagen
und Bedingungen") wurde festgehalten, dass für Böschungen und
Einfriedigungen § 19 ABauV gelte.
Anlässlich der Schlusskontrolle vom 30. Oktober 2000 wurde
u.a. festgestellt, dass an der nordwestlichen Grundstücksgrenze das
Terrain nicht im Verhältnis 2:3 erstellt worden sei. Einer Aufsichts-
beschwerde von H., Eigentümer der nordwestlich angrenzenden
Parzelle Nr. 1213, leistete das Baudepartement mit Entscheid vom
25. Juni 2002 insofern Folge, als es den Gemeinderat anwies, die
2004
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
155
Abböschungspflicht durchzusetzen. In der Folge forderte der Ge-
meinderat die Eheleute S. mit Beschluss vom 8. Juli 2002 auf, bis
zum 31. Oktober 2002 die Terrainabböschung im Verhältnis 2:3
(Höhe:Breite) vorzunehmen oder bis zum 15. August 2002 ein Bau-
gesuch für die vorgenommene Terrainveränderung bzw. für eine
Stützmauer einzureichen.
b) Die Eheleute S. entschieden sich hierauf für die zweitge-
nannte Variante und reichten dem Gemeinderat am 12. Juli 2002 ein
nachträgliches Baugesuch für die Terraingestaltung gegenüber der
Parzelle Nr. 1213 ein. Dieses Baugesuch lag vom 26. Juli bis zum
16. August 2002 öffentlich auf. Während der Auflagefrist erhoben
die Eheleute H. Einsprache, in welcher sie die Abböschung des
Terrains auf das ursprünglich gewachsene Niveau verlangten.
Der Gemeinderat beschloss am 21. Oktober 2002:
"1. Das Baugesuch wird auf Grund der Erwägungen abgewiesen.
2. Das Terrain gegen Parzelle 1213 (Grenze Nordwest) ist bis
31. März 2003
im Verhältnis 2:3 abzuböschen.
(...)"
B. Das Baudepartement wies eine Verwaltungsbeschwerde der
Eheleute S. ab, soweit es darauf eintrat. Auf Beschwerde der Ehe-
leute S. hin hob das Verwaltungsgericht den Entscheid des Baude-
partements vom 12. Juni 2003 und den Beschluss des Gemeinderats
Suhr vom 21. Oktober 2002 auf und wies die Beschwerdesache an
den Gemeinderat Suhr zurück mit der Anweisung, das nachträgliche
Baugesuch der Beschwerdeführer materiell zu behandeln.
Aus den Erwägungen
1. In formeller Hinsicht rügen die Beschwerdeführer eine Ver-
letzung des rechtlichen Gehörs durch das Baudepartement; obwohl
im vorinstanzlichen Verfahren beide Parteien eine Augenscheins-
verhandlung beantragt hätten, sei unzulässigerweise darauf verzichtet
worden.
a) Der durch § 15 Abs. 1 VRPG und Art. 29 Abs. 2 BV ge-
währleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die
2004
Verwaltungsgericht
156
rechtsanwendende Behörde die Argumente und Verfahrensanträge
der Parteien entgegennimmt, prüft und die rechtzeitig und formrich-
tig angebotenen Beweismittel abnimmt, soweit diese nicht rechtlich
unerhebliche Tatsachen betreffen oder von vornherein untauglich
sind, über die streitigen Tatsachen Beweis zu erbringen. Die Behörde
darf also im Wege einer sogenannten antizipierten (vorweggenom-
menen) Beweiswürdigung zum Schluss kommen, weitere Abklä-
rungen seien unnötig, weil sie am Ergebnis nichts zu ändern ver-
möchten (Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf
rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates,
Diss. Bern 2000, S. 372 f.; BGE 122 I 55; 122 V 162; 121 I 111 f.;
117 Ia 268 f.; BGE vom 12. Oktober 2001 [2P.175/2001], in: ZBl
103/2002, S. 484; AGVE 1999, S. 363; 1991, S. 365 f.; VGE III/109
vom 15. Dezember 2003 [BE.2003.00063] in Sachen P., S. 11).
b) Das Baudepartement kam in seinem Entscheid zum Schluss,
die Beschwerdeführer hätten keinen Anspruch auf materielle Neube-
urteilung der rechtskräftigen Baubewilligung vom 1.
Dezember
1998. Eine materielle Beurteilung wurde demzufolge gar nicht vor-
genommen. Es wird sich zwar zeigen, dass dies ein rechtlich falscher
Ansatz war (hinten Erw. 2), doch ist dies im hier zu beurteilenden
Zusammenhang ohne Belang. Massgebend ist einzig, ob das Baude-
partement, wenn von der von ihm gewählten Begründungslinie aus-
gegangen wird, einen Augenschein hätte durchführen müssen. Dies
war nun aber nicht nötig, weil ausschliesslich Rechtsfragen zu be-
urteilen waren. Im Übrigen wurde den Beteiligten der Verzicht auf
eine Augenscheinsverhandlung mit Schreiben des Baudepartements
vom 9. Mai 2003 angezeigt; sie haben dagegen nicht remonstriert.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt somit nicht vor.
2. a) In materieller Hinsicht ist die Terraingestaltung entlang der
Grenze zwischen den Parzellen Nrn. 3097 (Beschwerdeführer) und
1213 (Beschwerdegegnerin H.) umstritten. Nebst dem Hinweis auf
§ 19 ABauV in der Baubewilligung vom 1. Dezember 1998 (vorne
lit. A/a) wurde im Bauprojektplan 1:100 vom 21. September 1998
betreffend die Südwestfassade von Hand das Neigungsverhältnis 2:3
für die Böschung festgehalten. Statt dessen füllten die
Beschwerdeführer das Terrain an der nordwestlichen Grundstücks-
2004
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
157
grenze an die auf der Grenze stehende Gartenmauer auf mit einer
kleinen Böschung ab der Oberkante der Mauer. Die Beschwerde-
gegnerin stellt sich nun auf den Standpunkt, die Beschwerdeführer
seien auf Grund der Baubewilligung verpflichtet, eine Böschung zu
erstellen, bei welcher der Böschungsfuss auf das gewachsene Terrain
zu liegen kommt.
b) Der Gemeinderat hat im Beschluss vom 21. Oktober 2002
das nachträgliche Baugesuch der Beschwerdeführer zur Bewilligung
der aktuellen Terraingestaltung zwar abgewiesen, die Abweisung
aber im Wesentlichen damit begründet, dass die Beschwerdeführer
gegen Ziffer VI/3 der Baubewilligung vom 1. Dezember 1998 kein
Rechtsmittel ergriffen hätten und dieser Entscheid nicht mittels eines
neuen Baugesuchs umgangen werden dürfe; eine (materielle) Prü-
fung der Frage, ob die Terraingestaltung, wie sie im nachträglichen
Baugesuch beantragt worden war, mit den geltenden öffent-
lichrechtlichen Bauvorschriften vereinbar und somit auch bewilli-
gungsfähig sei, fand nicht statt. Dieser Begründung hätte an sich ein
Nichteintretensentscheid entsprochen (siehe AGVE 1994, S. 460).
Das Baudepartement fuhr dann auf dieser Begründungsschiene wei-
ter und prüfte in der Folge nur, ob die Beschwerdeführer Anspruch
auf Wiedererwägung bzw. Behandlung eines neuen Baugesuchs ge-
habt hätten.
Wird durch die Errichtung von Bauten ohne Bewilligung, unter
Verletzung einer solchen oder auf andere Weise ein unrechtmässiger
Zustand geschaffen, so können u.a. die Einreichung eines Bauge-
suchs sowie die Herstellung des rechtmässigen Zustands, insbeson-
dere die Beseitigung oder Änderung der rechtswidrigen Bauten an-
geordnet werden (§ 159 Abs. 1 BauG). Diese Bestimmung hat das
Verwaltungsgericht stets so ausgelegt, dass eine Beseitigungsanord-
nung erst erlassen werden darf, wenn feststeht, dass die eigenmächtig
ausgeführten Bauarbeiten dem objektiven Recht widersprechen;
vorausgesetzt ist also die materielle Rechtswidrigkeit der bewilli-
gungswidrig getroffenen baulichen Vorkehren (AGVE 1996, S. 326
mit Hinweisen; 1993, S. 390 f.). Die Tatsache des eigenmächtigen
Vorgehens darf unter diesem Gesichtspunkt keine Rolle spielen; wer
als Bauherr gegen formelle Vorschriften verstösst, ist im Wege der
2004
Verwaltungsgericht
158
Verwaltungsstrafe (§ 160 BauG) und nur so zur Rechenschaft zu
ziehen (VGE III/34 vom 19. Mai 1994 [BE.1993.00086] in Sachen
St. und Mitb., S. 11). Richtig war es deshalb, den Beschwerdeführern
im Sinne von Ziffer 1/b des Beschlusses vom 8. Juli 2002 eine Frist
für die Einreichung eines nachträglichen Baugesuchs einzuräumen.
Die Beschwerdeführer sind dieser Aufforderung gefolgt und haben
das verlangte Baugesuch am 12. Juli 2002 eingereicht. An den
Baubewilligungsbehörden ist es nun, das eingeleitete
Baugesuchsverfahren auch durchzuführen und mit einem anfechtba-
ren Entscheid abzuschliessen. Kann die Baute wegen materieller
Rechtswidrigkeit auch nachträglich nicht bewilligt werden, ist über
die Herstellung des rechtmässigen Zustands zu befinden (§ 159
Abs. 1 BauG). Dabei sind namentlich die Grundsätze der Verhältnis-
mässigkeit und des Gutglaubensschutzes zu beachten (BGE 123 II
255; 111 Ib 221 ff.; AGVE 2001, S. 279 f.). | 2,117 | 1,657 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-43_2004-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-43.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-43.pdf | AGVE_2004_43 | null | nan |
e3155d76-138c-5d94-a5f3-c1d2c090cc08 | 1 | 412 | 869,714 | 959,990,400,000 | 2,000 | de | 2000
Submissionen
295
[...]
69
Zulässigkeit von Teilangeboten.
- Wenn die Vergabestelle in der Ausschreibung nicht etwas anderes
verlangt, sind selbständige Teilangebote unabhängig von einem Ge-
samtangebot zulässig (Erw. 3/c/cc/ccc).
- Bei der Präqualifikation besteht - anders als beim Teilangebot selbst -
keine gesetzliche Vermutung für die Zulässigkeit von Teilbewer-
bungen (Erw. 3/d/cc).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 22. Juni 2000 in
Sachen K. gegen die Verfügung der Gemeinderäte Villmergen und Walten-
schwil.
Aus den Erwägungen
3. a) Der Beschwerdeführer sieht im Umstand, dass die Verga-
bestelle seine Bewerbung für einen Teilauftrag nicht bewertet, son-
dern vom weiteren Verfahren ausgeschlossen hat, eine unzulässige
Diskriminierung nach § 1 Abs. 1 SubmD und eine Verletzung von
§ 16 Abs. 1 SubmD. Die Vergabestelle vertritt dagegen die Auffas-
sung, der Beschwerdeführer habe kein Teilangebot, sondern eine
Variante eingereicht, indem er die Ersterfassung der Daten im Sys-
tem C-Plan und nicht - wie ausgeschrieben - im System ,,Small-
world" angeboten habe. Ohne Grundangebot sei die Variante ungül-
tig. Aber auch bei einer Qualifikation als Teilangebot sei das Angebot
des Beschwerdeführers ungültig, weil unvollständig. Wie Varianten
seien auch Teilangebote nur gültig, wenn mit ihnen zugleich ein
vollständiges Grundangebot eingereicht werde.
b) aa) Festzuhalten ist vorab, dass der Beschwerdeführer nicht
ein Angebot eingereicht hat, sondern lediglich einen ,,Antrag auf
Teilnahme" im Sinne von § 7 Abs. 2 SubmD gestellt hat. Damit be-
wirbt er sich für die Offertstellung zur Ausarbeitung eines Teilange-
2000
Verwaltungsgericht
296
bots gemäss § 16 SubmD. Zu prüfen ist im Folgenden zunächst die
Frage, ob ein Teilangebot selbständig oder - wie die Vergabestelle
behauptet - nur zusammen mit einem Grundangebot zulässig ist. Ist
diese Frage zu bejahen, erweist sich die Bewerbung des Beschwer-
deführers als unzulässig, da er sich unbestrittenermassen nur um
einen Teil des Auftrags beworben hat. Die Frage, ob das Teilangebot
bzw. der Antrag, ein Teilangebot einreichen zu können, auch Vari-
antencharakter hat, stellt sich nur und erst dann, wenn sich das Teil-
angebot als solches als zulässig erweist.
bb) Den Anbietenden steht es frei, Offerten für Varianten und
Teilangebote einzureichen (§ 16 Abs. 1 SubmD). Die Vergabestelle
bezeichnet in den Ausschreibungsunterlagen die Mindestanfor-
derungen an Varianten und Teilangebote (§ 16 Abs. 2 SubmD). Das
Angebot einer Variante ist ungültig, wenn damit nicht eine Offerte
für das Grundangebot eingereicht wird (§ 16 Abs. 3 SubmD). Ge-
mäss Ziff. 6 des Anhangs 5 zum SubmD enthalten die in einem
offenen oder selektiven Verfahren abgegebenen Ausschreibungs-
unterlagen ,,besondere Vorschriften, insbesondere über
Zulässigkeit
und Bedingungen für
Bietergemeinschaften,
Teilangebote
, Pauschal-
und Globalangebote und Varianten sowie die Aufteilung des Auf-
trags" (Hervorhebungen beigefügt). IVöB und GATT-Übereinkom-
men enthalten in Bezug auf Teilangebote keine besonderen Bestim-
mungen.
cc) Die Vergabestelle argumentiert, auch Teilangebote könnten
nur zusammen mit einem vollständigen Grund- bzw. Gesamtangebot
gültig eingereicht werden. Daran ändere der Umstand, dass in § 16
Abs. 3 SubmD lediglich Varianten ohne Grundangebot für ungültig
erklärt würden, nichts. Es sei gar nicht notwendig gewesen, hier auch
Teilangebote ohne Grundangebote für ungültig zu erklären; das Er-
fordernis des Vollangebots ergebe sich schon aus § 14 Abs. 1
SubmD. Die Variante sei im Gegensatz zum Teilangebot ein Vollan-
gebot und genüge den Anforderungen von § 14 Abs. 1 SubmD be-
2000
Submissionen
297
züglich Vollständigkeit, was die spezielle Regelung in § 16 Abs. 3
SubmD notwendig gemacht habe.
Der Beschwerdeführer erachtet dieses Verständnis von § 16
SubmD als falsch. Variantenangebote und Teilangebote seien zwei
grundsätzlich verschiedene Dinge. Bei der Variante bedürfe es des
Grundangebots, damit überhaupt ein Vergleich mit den übrigen An-
bietern möglich sei; bei einem Teilangebot sei die Vergleichbarkeit
der Teilleistungen in der Regel ohne weiteres gegeben. § 16 Abs. 3
SubmD sei insofern klar und enthalte bezüglich des Teilangebots ein
qualifiziertes Schweigen.
§ 16 SubmD erweist sich angesichts dieser gegensätzlichen
Auffassungen als auslegungsbedürftig.
c) aa) Nach dem Wortlaut von § 16 Abs. 3 SubmD ist ,,das An-
gebot einer Variante" ungültig, wenn damit nicht eine Offerte für das
Grundangebot eingereicht wird. Teilangebote werden in § 16 Abs. 3
SubmD nicht genannt; nach dem reinen Wortlaut sind sie also im
Gegensatz zur Variante nicht an ein Grundangebot gekoppelt. Der
Randtitel zu § 16 SubmD lautet indessen ebenfalls lediglich ,,Varian-
ten" und nicht etwa ,,Varianten und Teilangebote". Daraus könnte ge-
schlossen werden, dass der Dekretgeber auch die in § 16 Abs. 1 und
2 SubmD genannten Teilangebote im Verhältnis zum Grundangebot
gemäss Ausschreibungsunterlagen letztlich lediglich als eine beson-
dere Art der Variante ansah (vgl. auch Entscheid des Verwaltungsge-
richts des Kantons Zürich vom 17. Februar 2000, in: Baurechtsent-
scheide Kanton Zürich [BEZ] 20/2000, S. 48). Allein aus der fehlen-
den Erwähnung der Teilangebote in § 16 Abs. 3 SubmD folgt jeden-
falls - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - nicht zwin-
gend, dass diese auch ohne Grundangebot zulässig sind, und es sich
um ein qualifiziertes Schweigen des Dekrets handelt. Dem Wortlaut
der Bestimmung kann somit keine eindeutige Lösung entnommen
werden. Auch die einschlägigen Materialien enthalten - soweit er-
sichtlich - keine Äusserungen zur zu beantwortenden Frage (vgl.
2000
Verwaltungsgericht
298
Botschaft des Regierungsrats zum Submissionsdekret vom 22. Mai
1996, S. 15).
bb) Die Vergabestelle beruft sich sinngemäss auf die Systematik
des Submissionsdekrets, wenn sie geltend macht, das ausdrückliche
Erwähnen der Teilangebote in § 16 Abs. 3 SubmD sei deshalb unnö-
tig, weil hier die Notwendigkeit eines Grund- bzw. Vollangebots
bereits durch das in § 14 Abs. 1 SubmD statuierte Gebot der Voll-
ständigkeit des Angebots vorgegeben sei. Diese Überlegung hat zwar
eine gewisse formale Logik. Andererseits ist die Sichtweise der
Vergabestelle nicht zwingend und ob sie tatsächlich sachgerecht ist
und der Förderung eines möglichst breiten Wettbewerbs dient, er-
scheint eher fraglich (vgl. Erw. cc/ccc hienach). Auch die gegentei-
lige Meinung liesse sich im Übrigen mit logischer Argumentation
vertreten: Schon § 14 Abs. 1 SubmD liesse sich auch so auslegen,
dass sich die Frage nach der Vollständigkeit nur auf die
offerierten
(und nicht auf die ausgeschriebenen) Leistungen bezieht; so ver-
standen könnte also auch ein Teilangebot vollständig sein und wäre
nur dann unvollständig, wenn innerhalb desselben wiederum für
Teilbereiche das geplante Vorgehen oder die damit verbundenen
Kosten nur ungenügend spezifiziert würden. Zudem könnte es die
sich aus dem Submissionsdekret selbst ergebende Zulässigkeit des
Einreichens von Teilangeboten (§ 16 Abs. 1 SubmD), die im Ver-
gleich zum Gesamtangebot per definitionem unvollständig sind, der
Vergabestelle grundsätzlich verbieten, solche Teilangebote gestützt
auf § 28 Abs. 1 lit. g SubmD in Verbindung mit § 14 Abs. 1 SubmD
allein wegen Unvollständigkeit vom Verfahren auszuschliessen. Die
systematische Auslegung führt somit ebenfalls nicht zu einem ein-
deutigen Ergebnis.
cc) Es stellt sich schliesslich die Frage nach dem Zweck der
Regelung von § 16 SubmD bzw. nach dem durch das grundsätzliche
Zulassen von Teilangeboten und Varianten angestrebten Ziel.
aaa) Fest steht zunächst, dass die öffentliche Vergabebehörde
als Auftraggeberin bestimmen können muss, welche Bau-, Liefer-
2000
Submissionen
299
oder Dienstleistungen sie benötigt und welche konkreten Anforde-
rungen sie bezüglich Umfang, Qualität, Ausstattung usw. stellt, was
also im Einzelnen Gegenstand und Inhalt der Submission ist (AGVE
1998, S. 404). Sie legt dies in aller Regel mehr oder weniger detail-
liert in den Ausschreibungsunterlagen fest, sei dies in einem Leis-
tungsverzeichnis, in einem Pflichtenheft oder auf andere Weise (vgl.
§ 12 Abs. 2 und 3 SubmD; Anhang 5 Ziff. 1 zum SubmD). An diese
Vorgaben sind die Anbietenden grundsätzlich gebunden; die Ver-
gabestelle ist jedenfalls nicht verpflichtet, ein Angebot zu berück-
sichtigen, das inhaltlich oder in Bezug auf den Leistungsumfang
nicht dem entspricht, was sie gemäss Ausschreibung haben will. Die
Prüfung von vom Grundangebot abweichenden Varianten und von
Teilangeboten - und später erst recht auch deren Realisierung - ist
möglicherweise mit zusätzlichem Aufwand für die Vergabestelle ver-
bunden, den auf sich zu nehmen sie nicht gewillt ist und den sie auch
nicht auf sich nehmen muss. Folgerichtig muss die Vergabestelle das
Einreichen von Varianten oder Teilangeboten von vornherein verhin-
dern können, wenn sie keine solchen berücksichtigen will. Gemäss
Ziffer 6 des Anhangs 5 zum SubmD bestimmt die Vergabestelle denn
auch in den Ausschreibungsunterlagen die
Zulässigkeit
und
Bedin-
gungen
u. a. von Teilangeboten und Varianten (vgl. auch § 16 Abs. 2
SubmD). Die Anbietenden können aus § 16 Abs. 1 SubmD, wonach
es ihnen frei steht, Offerten für Varianten und Teilangebote einzu-
reichen, somit keine unbedingte und uneingeschränkte Verpflichtung
der Vergabestelle auf Zulassung von Varianten oder Teilangeboten
herleiten. Der Vergabestelle muss das Recht zukommen, die Mög-
lichkeit von Varianten und Teilangeboten in der Ausschreibung
auszuschliessen oder zu beschränken. Dies entspricht auch der Rege-
lung im Bund und in anderen Kantonen (vgl. Art. 22 VoeB; Art. 10
der Submissionsverordnung (SubV) des Kantons Graubünden vom
23. Juni 1998; Art. 27 Abs. 2 der Verordnung über das öffentliche
Beschaffungswesen des Kantons St. Gallen vom 21. April 1998;
Peter Galli / Daniel Lehmann / Peter Rechsteiner, Das öffentliche
2000
Verwaltungsgericht
300
Beschaffungswesen in der Schweiz, Zürich 1996, Rz. 288). Sieht die
Vergabestelle allerdings davon ab, in der öffentlichen Ausschreibung
oder in den Ausschreibungsunterlagen Varianten und Teilangebote
ausdrücklich auszuschliessen, sind solche aufgrund von § 16 Abs. 1
SubmD zulässig und müssen von der Vergabestelle grundsätzlich
gemäss § 17 SubmD geprüft und in die Ermittlung des wirtschaftlich
günstigsten Angebots im Sinne von § 18 SubmD miteinbezogen wer-
den (vgl. auch Galli/Lehmann/Rechsteiner, a.a.O.). Dies entspricht
nebst Art. 16 Abs. 1 SubmD auch dem Grundsatz der Transparenz
des Vergabeverfahrens.
bbb) Mit einer Unternehmervariante wird in der Regel eine in-
haltlich von der Ausschreibung abweichende Leistung angeboten
(vgl. zum Ganzen: Roland Hürlimann, Unternehmervarianten - Risi-
ken und Problembereiche, in: Baurecht 1996, S. 3 f.; VGE III/64
vom 11. Mai 1998 in Sachen H. AG, S. 10 f.). Das Erfordernis, neben
einer Variante auch das verlangte Grundangebot einzureichen, wird
damit begründet, dass nur so alle Anbieter die gleichen Vorausset-
zungen hätten und die Vergabestelle geeignete Vergleichsmöglich-
keiten habe (Protokoll der nichtständigen Kommission Nr. 19 des
Grossen Rats vom 4. September 1996 [3. Sitzung], S. 11 [Voten
Rüegger und Frey]). Im Vernehmlassungsentwurf bzw. den Erläute-
rungen zur VoeB wurde festgehalten, das Einreichen einer Offerte
auch für die ausgeschriebenen Leistungen ermögliche eine objektive
Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit. Zudem solle damit sicherge-
stellt werden, dass sich sämtliche offerierenden Anbieter fundiert mit
allen Fragen auseinandersetzen würden, die mit dem ausgeschrie-
benen Auftrag verbunden seien (Erläuterungen zur Verordnung über
das öffentliche Beschaffungswesen, in: Öffentliches Beschaffungs-
recht, Submissionsrecht, hrsg. von Christian Bock, Basel 1996, S. 97
[im Folgenden: Erläuterungen]; Galli/Lehmann/Rechsteiner, a.a.O.,
Anm. 14 zu Rz. 288).
ccc) Das Teilangebot weicht demgegenüber nicht inhaltlich,
sondern lediglich umfangmässig (quantitativ) vom verlangten Ange-
2000
Submissionen
301
bot ab; die Vergleichbarkeit mit den übrigen Angeboten erweist sich
damit - wie dies auch der Beschwerdeführer zutreffend feststellt
(Bemerkungen, S. 5) - von vornherein als wesentlich weniger proble-
matisch. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das Abhängigmachen
der Zulässigkeit eines Teilangebots von der gleichzeitigen Einrei-
chung eines Gesamtangebots sachlich jedenfalls weniger eindeutig
geboten als bei der Variante. Klar ist aber, dass die Vergabestelle,
wenn sie in der Ausschreibung Teilangebote für nicht zulässig erklä-
ren kann (vgl. Erw. aaa hievor), deren Zulässigkeit auch von der
gleichzeitigen Einreichung eines Grundangebots abhängig machen
kann. Unklar bleibt, ob die Koppelung des Teilangebots an ein (voll-
ständiges) Grundangebot auch gilt, wenn in den Ausschreibungsun-
terlagen nichts geregelt ist. Eine diesbezüglich unmissverständliche
Regelung enthält Art. 27 Abs. 1 der Verordnung über das öffentliche
Beschaffungswesen des Kantons St. Gallen vom 21. April 1998. Da-
nach kann der Anbieter
zusätzlich
zum verlangten Angebot Varianten
oder Teilangebote einreichen. Gemäss § 23 Abs. 3 des Gesetzes über
öffentliche Beschaffungen des Kantons Basel-Stadt vom 20. Mai
1999 und § 23 Abs. 4 des Gesetzes über öffentliche Beschaffungen
des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999 sind Teilangebote
und Varianten zulässig. Sie sind
separat
und
deutlich gekennzeichnet
einzugeben. Auch diese Formulierung lässt darauf schliessen, dass
Varianten und Teilangebote nur zusätzlich zum Grundangebot zuläs-
sig sein sollen, setzt sie doch die Eingabe eines solchen voraus. Eine
gegenteilige Lösung enthält Art. 22 Abs. 3 VoeB. Danach kann die
Auftraggeberin bei Teilangeboten auf ein Gesamtangebot verzichten,
wobei sie dies in der Ausschreibung anzukünden hat. In den Erläute-
rungen zur VoeB wird hiezu ausgeführt, Anbietende, die nicht in der
Lage seien, die gesamte ausgeschriebene Leistung zu erbringen,
sollten sich selbst um eine Bietergemeinschaft bemühen; dies könne
grundsätzlich nicht Sache des Auftraggebers sein. Habe dieser jedoch
ein spezielles Interesse daran, dass Teilangebote eingereicht würden,
so könne er dies in der Ausschreibung kund tun, damit der Markt
2000
Verwaltungsgericht
302
entsprechend vergrössert werde (Erläuterungen, S. 97). Die
Vergabestelle behält sich damit das Recht vor, eingegangene Ge-
samtangebote unberücksichtigt zu lassen. Für die Anbietenden stellt
sich die Frage, ob sie ein Gesamtangebot, ein Teilangebot oder ein
Angebot einreichen wollen, das beide Alternativen umfasst
(Galli/Lehmann/Rechsteiner, a.a.O., Rz. 289). Sachlich möglich und
vertreten werden somit beide Lösungen. Angesicht der Formulierung
von § 16 Abs. 1 SubmD, der sich im Grundsatz für die Zulässigkeit
von Teilangeboten ausspricht, und es der Vergabestelle überlässt,
diese explizit auszuschliessen, wenn sie keine solchen wünscht, ist
diejenige Lösung zu bevorzugen, die selbständige Teilangebote un-
abhängig von einem Gesamtangebot zulässt, wenn die Vergabestelle
in der Ausschreibung nicht etwas anderes verlangt. Dies bedeutet
eine Erweiterung des Markts und damit eine Verstärkung des Wett-
bewerbs, indem der Anbieterkreis um Anbietende erweitert wird, die
wohl ein Teilangebot machen können, aber nicht in der Lage sind,
die Gesamtleistung zu erbringen. Diese Lösung entspricht damit
auch eher dem Grundgedanken des Submissionsrechts, einen wirk-
samen Wettbewerb zu fördern (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SubmD). Sie trägt
dazu bei, das für die Vergabestelle tatsächlich wirtschaftlich günstig-
ste Angebot zu ermitteln (§ 18 Abs. 1 SubmD). Für die Vergabestelle
sind damit grundsätzlich keine Nachteile im Sinne eines un-
erwünschten erhöhten Aufwands verbunden; ihr bleibt es unbenom-
men, in der Ausschreibung Teilangebote für unzulässig zu erklären
oder sie an Bedingungen zu knüpfen.
d) aa) Der Beschwerdeführer hat nun nicht ein Teilangebot,
sondern eine Teilbewerbung eingereicht. Er hat sich also im Rahmen
eines selektiven Verfahrens darum beworben, ein Teilangebot im
Sinne von § 16 Abs. 1 SubmD einreichen zu können. Er macht gel-
tend, dass die Möglichkeit, ein Teilangebot einzureichen, beim se-
lektiven Verfahren auch die Möglichkeit, sich im Rahmen der
Präqualifikation für ein Teilangebot zu bewerben und diesbezüglich
die Eignung nachweisen zu können, umfassen müsse. Die Vergabe-
2000
Submissionen
303
stelle könne nicht verlangen, dass in der ersten Stufe die Qualifika-
tionsbedingungen für die gesamte Submission erfüllt sein müssten,
ansonsten sie es in der Hand hätte, durch die Wahl des zweistufigen
Verfahrens § 16 Abs. 1 SubmD auszuschalten. Dies könne nicht im
Sinne des Gesetzes liegen, das darauf abziele, im Interesse des Steu-
erzahlers wirksamen Wettbewerb zu fördern und auch jungen Unter-
nehmungen den Marktzutritt zu gewährleisten.
bb) Die Argumentation des Beschwerdeführers erschiene dann
zwingend, wenn davon auszugehen wäre, dass es den Vergabestellen
verwehrt ist, Teilangebote im Voraus als unerwünscht zu bezeichnen
und damit auszuschliessen. Dies lässt sich indessen - wie soeben
ausgeführt (Erw. c/cc/aaa hievor) - aus § 16 Abs. 1 SubmD gerade
nicht ableiten (vgl. auch Ziff. 6 des Anhangs 5 zum SubmD). Die
Vergabestelle muss somit nicht den Umweg über das zweistufige
Verfahren wählen, nur um Teilangebote auszuschliessen; sie kann
dies in jedem - auch im offenen - Verfahren durch eine entspre-
chende Vorschrift in den Ausschreibungsunterlagen tun. Den Ent-
scheid, ob sie Teilangebote ausschliessen will oder nicht, muss die
Vergabestelle gemäss § 16 Abs. 2 SubmD und Ziff. 6 des Anhangs 5
zum SubmD spätestens beim Erstellen der Ausschreibungsunterlagen
fällen. In diesen muss sie den Anbietenden explizit zur Kenntnis
bringen, dass sie keine Teilangebote zulässt oder dass sie diese an die
Einhaltung gewisser Mindestanforderungen knüpft (§ 16 Abs. 2
SubmD). Sie kann hier - wie erwähnt - auch verlangen, dass zu-
gleich ein Gesamtangebot eingereicht werden muss (Erw. c/cc/ccc
hievor). Andernfalls kommt die Vermutung von § 16 Abs. 1 SubmD
zum Tragen. Es besteht hingegen aufgrund des Submissionsdekrets
keine Verpflichtung der Vergabestelle, sich bereits zu Beginn des
selektiven Verfahrens, d. h. bei der öffentlichen Ausschreibung oder
in den Präqualifikationsunterlagen, für oder gegen die Zulässigkeit
von späteren Teilangeboten auszusprechen. § 10 SubmD hält unter
dem Marginale "Eignungskriterien für das selektive Verfahren" le-
diglich fest, die Vergabestelle könne für jeden Auftrag oberhalb der
2000
Verwaltungsgericht
304
Schwellenwerte gemäss § 8 Abs. 1 SubmD in der Ausschreibung
bzw. in den Ausschreibungsunterlagen festlegen, welche für die Aus-
führung des betreffenden Auftrags wesentlichen Eignungskriterien
die Anbietenden erfüllen und welche unerlässlichen Nachweise ins-
besondere bezüglich der finanziellen, wirtschaftlichen und fachlichen
Leistungsfähigkeit sie erbringen müssen. Jungen oder sonst neu im
Markt Auftretenden sei eine angemessene, niemanden diskrimi-
nierende Chance einzuräumen. Die Bewerber haben somit gemäss
§ 10 SubmD den Nachweis zu erbringen, dass sie zur Ausführung
des nach dem Willen der Vergabestelle zu vergebenden Auftrags, mit
dem Inhalt und dem Umfang, wie ihn die Vergabestelle in der öf-
fentlichen Ausschreibung oder in den Präqualifikationsunterlagen
bestimmt, befähigt und in der Lage, d. h. geeignet, sind. Entspricht
die Bewerbung bzw. der Antrag auf Teilnahme inhaltlich und um-
fangmässig nicht den Vorgaben der Vergabestelle, ist diese
berech-
tigt
, sie als unvollständig vom weiteren Verfahren auszuschliessen
(§ 14 Abs. 1 SubmD). Dies muss jedenfalls in jenen Fällen gelten, in
denen die Vergabestelle beabsichtigt, im Zuschlagsverfahren Teilan-
gebote entweder nicht zuzulassen oder deren Zulässigkeit an die
Bedingung zu knüpfen, dass auch ein Gesamtangebot eingereicht
wird. Die Antwort auf die Frage, ob Teilangebote für die Vergabe-
stelle allenfalls von Interesse sein können, ob sie solche also zulassen
oder aber ausschliessen soll, wird sich im selektiven Verfahren
häufig erst aufgrund der eingereichten Bewerbungen in der Präquali-
fikation ergeben. Entsprechend hat sie dann die Ausschreibungs-
unterlagen abzufassen oder zu ergänzen.
cc) Der Grundgedanke, dass die Vergabestelle über Inhalt und
Umfang des von ihr zu vergebenden Auftrags bzw. über die von den
Anbietern zu erbringenden Leistungen entscheidet und nicht die An-
bieter diese bestimmen können, führt letztlich zum Schluss, dass die
Vergabestelle im Rahmen der Präqualifikation ohne weiteres ver-
langen kann, dass die Bewerber die Qualifikationsbedingungen für
den gesamten zu vergebenden Auftrag erfüllen müssen. Sofern die
2000
Submissionen
305
Vergabestelle nicht bereits in der öffentlichen Ausschreibung oder in
den Präqualifikationsunterlagen ihre Bereitschaft kund tut, auch Teil-
angebote im Sinne von § 16 Abs. 1 SubmD zu berücksichtigen, ha-
ben die Interessenten ihre Eignung für den gesamten Auftrag nach-
zuweisen. Es besteht - anders als beim Teilangebot selbst - keine
gesetzliche Vermutung für die Zulässigkeit von Teilbewerbungen.
Damit kann die Vergabestelle in der Ausschreibung offen lassen, ob
sie Bewerbungen, ein Teilangebot im Sinne von § 16 Abs. 1 SubmD
einzureichen, akzeptieren werde. Weiss die Vergabestelle indessen
bereits zu Beginn des selektiven Verfahrens, dass sie keine Teilbe-
werbungen wünscht, erscheint es zweckmässig, in der Ausschreibung
oder in den Präqualifikationsunterlagen darauf hinzuweisen. Die
Interessenten können sich in aller Regel auch zu Arbeitsge-
meinschaften zusammenschliessen, um die verlangten Eignungsan-
forderungen in allen Teilen zu erfüllen. Dies war auch im vorliegen-
den Fall gestattet. Der Beschwerdeführer wendet diesbezüglich ein,
Arbeitsgemeinschaften seien erfahrungsgemäss eher schwerfällig
und unter Umständen friktionsanfällig, weshalb er es vorziehe, sich
um ein Teilangebot im Rahmen seiner Kernkompetenz zu bewerben.
Das Zusammenfügen bzw. spätere Zusammenarbeiten mit einem
Elektrizitätsunternehmen im Elektrizitätsbereich biete keine Schwie-
rigkeiten (Verwaltungsgerichtsbeschwerde, S. 13). Zum einen er-
scheint die Argumentation in sich widersprüchlich, worauf die Ver-
gabestelle zu Recht hinweist. Zum anderen kann es nicht richtig sein,
einer Vergabestelle, die bewusst einen Gesamtauftrag ausgeschrieben
hat, den zusätzlichen Koordinationsaufwand, der mit einer Vergabe
an einzelne Teilangebote bzw. Teilanbieter verbunden ist, gegen
ihren Willen zu überbinden. Hätte sie die separate Vergabe der ein-
zelnen Leistungen in Betracht gezogen, wäre es ihr unbenommen
gewesen, diese auch so auszuschreiben. Es ist somit grundsätzlich
Sache des Anbieters, der - aus welchen Gründen auch immer - nicht
in der Lage ist, die gesamten ausgeschriebenen Leistungen zu er-
2000
Verwaltungsgericht
306
bringen, und nicht der Vergabestelle, für einen ergänzenden Partner
zu sorgen. Dies gilt insbesondere für das Präqualifikationsverfahren.
dd) Sachlich richtig ist es, dass die Vergabestelle unzulässige
Bewerbungen für Teilangebote bereits gestützt auf § 14 Abs. 1
SubmD ausschliesst und sie nicht der Eignungsprüfung unterzieht.
Auf das Gesamtangebot bezogen sind solche Teilbewerbungen von
vornherein unvollständig. Ausserdem wird ein Anbieter sich in der
Regel um ein Teilangebot bewerben, weil er - sei es aus fachlichen
Gründen oder aus Gründen der Kapazität - nicht imstande bzw. ge-
eignet ist, die gesamten verlangten Leistungen zu erbringen. Wird die
Teilbewerbung hingegen in das Prüfungsverfahren miteinbezogen
mit dem Ergebnis, dass sich der Anbieter hinsichtlich eines Teilan-
gebots als geeignet erweist, und erhält dieser einen entsprechenden
Bescheid der Vergabestelle, muss er grundsätzlich zum Zuschlags-
verfahren mit einem Teilangebot zugelassen werden. Die Vergabe-
stelle darf diesfalls in den Ausschreibungsunterlagen Teilangebote
weder ausschliessen noch ihre Zulässigkeit vom gleichzeitigen Ein-
reichen eines Gesamtangebots abhängig machen. Durch die Zulas-
sung von Teilbewerbungen zur Präqualifikation trifft sie diesbezüg-
lich also einen Vorentscheid.
e) Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Beschwerde-
führer sich für die Offertstellung zur Ausarbeitung eines Teilangebots
für die Bereiche Wasser, Erdgas und Abwasser (Datenersterfassung
und Erstellung Leitungskataster), aber ohne den Bereich Elektrizität,
beworben hat. Die Vergabestelle hat die Bewerbung mit dem
Hinweis, sie könne nicht bewertet werden, vom weiteren Verfahren
ausgeschlossen. Dieses Vorgehen lässt sich aufgrund der vorstehen-
den Erwägungen rechtlich nicht beanstanden; es hält sich an den der
Vergabestelle zukommenden Ermessensspielraum. Eine Rechtsver-
letzung besteht nicht. Der Beschwerdeführer wird durch den Aus-
schluss weder diskriminiert noch liegt darin ein Verstoss gegen § 16
Abs. 1 SubmD, denn wie dargelegt lässt sich aus § 16 Abs. 1 SubmD
keine Verpflichtung der Vergabestelle, Teilbewerbungen zuzulassen,
2000
Submissionen
307
ableiten. Sie muss auch nicht im Voraus ankündigen, dass sie keine
Bewerbungen, ein Teilangebot einzureichen, zu berücksichtigen
gedenkt. Immerhin ist festzustellen, dass bereits der Hinweis der
Vergabestelle in den Präqualifikationsunterlagen, falls für gewisse
Arbeiten Unterlieferanten berücksichtigt oder Arbeitsgemeinschaften
gebildet würden, seien diese namentlich aufzuführen, den Schluss
nahe legte, dass Teilangebote aus der Sicht der Gemeinderäte Vill-
mergen und Wohlen nicht erwünscht waren. | 5,549 | 4,598 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-69_2000-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-69.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-69.pdf | AGVE_2000_69 | null | nan |
e3281ec2-25b1-52ab-b772-78846b45efe3 | 1 | 412 | 870,520 | 1,267,574,400,000 | 2,010 | de | 2010
Bau-,Raumentwicklungs-u.Umweltschutzrecht
153
[...]
28
Gleichbehandlung im Unrecht (Rechtsgleichheit).
Vermutung, Gemeinderat werde von seiner rechtswidrigen Praxis ent-
sprechend dem Entscheid der Rechtsmittelinstanz (und Aufsichtsbe-
hörde) künftig Abstand nehmen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. März 2010 in Sachen
A. und B. gegen X. und Y. (WBE.2009.99).
Aus den Erwägungen
3.
3.1.-3.2. (...)
3.3.
Der in Art. 8 BV verankerte Gleichheitssatz verlangt, dass Glei-
ches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach
Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Es dürfen
keine Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger
Grund in den tatsächlichen Verhältnissen, über die zu entscheiden ist,
nicht gefunden werden kann. Die Rechtsgleichheit ist verletzt, wenn
zwei gleiche tatsächliche Situationen ohne sachlichen Grund unter-
schiedlich behandelt werden (BGE 131 I 103; 129 I 125 f.; AGVE
2010
Verwaltungsgericht
154
1999, S. 210; VGE III/40 vom 17. Juni 2009 [WBE.2008.85], S. 15;
VGE III/28 vom 19. Juni 2008 [WBE.2007.136], S. 13; je mit Hin-
weisen).
Sodann geht nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesge-
richts der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung in der Re-
gel der Rücksicht auf gleichmässige Rechtsanwendung vor. Der Um-
stand, dass das Gesetz in anderen Fällen nicht oder nicht richtig an-
gewandt worden ist, gibt dem Bürger grundsätzlich keinen Anspruch
darauf, ebenfalls abweichend vom Gesetz behandelt zu werden. Auf
V 392; je mit Hinweisen). Selbst wenn die Voraussetzungen für eine
unrechtsgleiche Behandlung erfüllt sind, können öffentliche Interes-
sen oder berechtigte Interessen Dritter entgegenstehen (BGE 123 II
254; 117 Ib 270; 116 Ib 234 f.; vgl. zum Ganzen auch: VGE III/40
vom 17. Juni 2009 [WBE.2008.85], S. 15; VGE III/28 vom 19. Juni
2008 [WBE.2007.136], S. 13; VGE III/77 vom 2. September 2004
[BE.2003.00257], S. 19; je mit Hinweisen).
3.4.
3.4.1.
Es ist unbestritten, dass der Gemeinderat in den Baugesuchen
Nrn. 613, 602, 557 und 508 über den ummantelten Bereich des ober-
sten Geschosses hinauskragende Dachvorsprünge mit umfangreicher
Fläche und Tiefe bewilligte, obschon der ummantelte Bereich die
nach § 16a ABauV zulässige Grundfläche eines Attikageschosses je-
weils bereits ausschöpfte und die darunterliegenden Vollgeschosse
die maximale Anzahl Vollgeschosse bereits erreichten. Entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführer bewilligte der Gemeinderat solche
auskragende Dächer nicht nur bei "Mehrfamilienhäusern" bzw. in
"Mehrfamilienhauszonen". Auch in der Wohnzone EF - in welcher
Zone das zu beurteilende Bauprojekt liegt - wurden solche Bauten
offenbar bewilligt. Es liegt deshalb nahe, dass der Gemeinderat eine
§ 16a Abs. 2 ABauV widersprechende gesetzwidrige Praxis ent-
wickelt hat. Abschliessend braucht diese Frage indessen nicht beur-
teilt zu werden, denn ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht
2010
Bau-,Raumentwicklungs-u.Umweltschutzrecht
155
besteht - wie ausgeführt (Erw. 3.3.) - nur dann, wenn die Behörde,
welche die gesetzwidrige Praxis entwickelt hat, es ablehnt, diese
aufzugeben (siehe dazu Erw. 3.4.2.) und wenn keine öffentlichen In-
teressen oder berechtigte Interessen Dritter entgegenstehen.
3.4.2.
Die Berufung auf Gleichbehandlung im Unrecht ist namentlich
dann nicht zulässig, wenn eine Behörde bisher eine gesetzwidrige
Praxis geübt hat, diese durch eine Rechtsmittelinstanz als unzulässig
beurteilt worden ist und - was in der Regel zutrifft - anzunehmen ist,
die Behörde werde sich in Zukunft an die oberinstanzlich festgelegte
Praxis halten. Äussert sich die Verwaltung nicht über ihre Absicht, ist
anzunehmen, sie werde aufgrund der Erwägungen des richterlichen
Urteils zu einer gesetzmässigen Praxis übergehen (Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 16.
Januar 2008
[VB.2007.00309], Erw. 3.2; vgl. auch BGE 122 II 451 f.; Urteil des
Bundesgerichts vom 21. März 2007 [2P.247/2006], Erw. 5.5; Urteil
des Bundesgerichts vom 12. März 2004 [2A.449/2003], Erw. 5.2; je
mit Hinweisen).
Die Vorinstanz führte aus, der Gemeinderat gedenke an der ge-
setzwidrigen Praxis festzuhalten, begründete dies indessen nicht
weiter. Ob sich der Gemeinderat im vorinstanzlichen Verfahren
überhaupt bewusst war, dass seine Praxis gesetzwidrig ist, erscheint
fraglich. Im Protokollauszug vom 19. Januar 2009 hielt er lediglich
fest, er habe seit längerer Zeit eine "relativ tolerante Haltung" in Be-
zug auf die Zulassung von grösseren Dachvorsprüngen bewiesen.
Zudem äusserte er sich nie dazu, ob er an einer (allenfalls) gesetz-
widrigen Praxis auch in Zukunft festhalten würde. Entgegen der Auf-
fassung der Vorinstanz lassen diese Gegebenheiten den Schluss nicht
zu, dass der Gemeinderat an der gesetzwidrigen Praxis auch in
Zukunft festzuhalten gedenke.
Die Vorinstanz legte im angefochtenen Entscheid die gesetz-
widrige Praxis dar und forderte den Gemeinderat - obschon sie für
den konkreten Fall den Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht
bejahte - auf, von seiner rechtswidrigen Praxis zukünftig Abstand zu
nehmen. Die Beschwerdeführer machen in ihrer Verwaltungsge-
richtsbeschwerde geltend, wenn sich eine Behörde nicht über ihre
2010
Verwaltungsgericht
156
Absicht, von ihrer Praxis abzuweichen äussere, nehme das Bundes-
gericht an, dass der Gemeinderat auf Grund der bundesgerichtlichen
Erwägungen zu einer gesetzeskonformen Praxis übergehen werde.
Nachdem dem Gemeinderat seine unrichtige Rechtsauffassung von
der Vorinstanz dargelegt worden sei und er vom BVU als Aufsichts-
behörde aufgefordert worden sei, das kantonale Recht zukünftig an-
zuwenden, müsse davon ausgegangen werden, dass eine Praxisände-
rung stattfinden werde bzw. müsse. In der Beschwerdeantwort äus-
serte sich der Gemeinderat zu diesen Vorbringen nicht. Er verwies
lediglich auf zwei Baubewilligungen, in welchen Einfamilienhäuser
mit vergrössertem Dachvorsprung bewilligt worden seien (Be-
schwerdeantwort Gemeinderat). Damit hat er zwar seine allfällige
(gesetzwidrige) Praxis erneut untermauert, sich jedoch nicht zur
Frage geäussert, ob er an seiner (ihm aufgrund des vorinstanzlichen
Entscheids mittlerweile klar bekannten) gesetzwidrigen Praxis fest-
zuhalten gedenke. Mangels einer gegenteiligen Äusserung des Ge-
meinderats muss deshalb davon ausgegangen werden, dass er auf-
grund der Feststellung im vorinstanzlichen Entscheid, wonach eine
gesetzwidrige Praxis vorliege, und der ausdrücklichen Anweisung
durch die Vorinstanz (und Aufsichtsbehörde), von dieser rechtswid-
rigen Praxis zukünftig Abstand zu nehmen, zu einer gesetzmässigen
Praxis übergehen wird.
Das Erfordernis, dass der Gemeinderat es ablehnt, seine ge-
setzwidrige Praxis aufzugeben, kann somit nicht als erfüllt betrachtet
werden. | 1,592 | 1,250 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-28_2010-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-28.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-28.pdf | AGVE_2010_28 | null | nan |
e39eca29-316d-5754-9c03-5b7e9b50ca50 | 1 | 412 | 870,243 | 946,684,800,000 | 2,000 | de | 2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
203
VII. Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
54
Beschwerdelegitimation in Baubewilligungssachen (§ 38 Abs. 1 VRPG).
Parteientschädigung an die Gemeinwesen (§ 36 VRPG).
- Kein widersprüchliches Verhalten des Gemeinderats, wenn er die
Legitimation erst im zweitinstanzlichen Beschwerdeverfahren be-
streitet (Erw. II/2/c).
- Legitimationspraxis des Verwaltungsgerichts (Erw. II/2/d) und des
Bundesgerichts (Erw. II/2/e), insbesondere bei Beschwerden wegen
Lärmimmissionen.
- Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall: Kein rechtserheblicher
Nachteil aufgrund des Erscheinungsbildes des Bauvorhabens, das bei
beschränkter Sichtverbindung 140 m vom Grundstück des Be-
schwerdeführers entfernt ist (Erw. II/2/f/bb), und aufgrund der zu er-
wartenden Lärm- und anderen Immissionen (Erw. II/2/f/cc).
Vgl. AGVE 2000, S. 365, Nr. 88 | 241 | 187 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-54_2000 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-54.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-54.pdf | AGVE_2000_54 | null | nan |
e3cc9731-4d86-5e5c-bf0f-b6a988584a27 | 1 | 412 | 870,304 | 1,033,603,200,000 | 2,002 | de | 2002
Submissionen
331
[...]
80
Selektives Verfahren; Bewertung der Eignungskriterien; Beschränkung
der Anbieterzahl.
-
Selektives Verfahren (Erw. 3).
-
Mittelwertberechnung bei der Bewertung von Planergemeinschaften
(Erw. 4/a-d).
-
Berücksichtigung neuer oder junger Anbieter (Erw. 4/e).
-
Voraussetzungen für eine Beschränkung der Anbieterzahl (Erw. 5).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. Oktober 2002 in
Sachen Planergemeinschaft I. und Mitb. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
3. a) Beim selektiven Verfahren können alle Anbietenden einen
Antrag auf Teilnahme einreichen. Die Vergabestelle bestimmt auf
Grund der Eignung nach § 10 SubmD (vgl. Erw. b unten) die An-
bietenden, die ein Angebot einreichen dürfen. Sie kann die Zahl der
zur Angebotsabgabe eingeladenen Anbietenden beschränken, wenn
der Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand für das Vergabeverfahren an-
dernfalls in einem Missverhältnis zum Wert der Leistung stehen
würde (§ 7 Abs. 2 Satz 4 SubmD; vgl. auch Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB
und unten Erw. 5). Dabei muss jedoch ein wirksamer Wettbewerb ge-
währleistet sein (Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB); die Zahl darf, wenn es
genügend geeignete Anbietende gibt, nicht kleiner als drei sein (§ 7
2002
Verwaltungsgericht
332
Abs. 2 Satz 5 SubmD; § 7 Abs. 3 Satz 2 der Vergaberichtlinien auf
Grund der IVöB [VRöB]). Zu beachten ist im vorliegenden Fall auch
Art. X
Ziff. 1
des Übereinkommens
über
das
öffentliche
Beschaffungswesen (ÜoeB; SR 0.632.0231.422) vom 15. April 1994.
Nach dieser Bestimmung laden die Beschaffungsstellen für jede
geplante Beschaffung die grösstmögliche mit einer effizienten Ab-
wicklung der Beschaffung zu vereinbarende Zahl von in- und aus-
ländischen Anbietern zur Angebotsabgabe ein. Sie wählen die An-
bieter, die an dem Verfahren teilnehmen sollen, in gerechter und
nicht diskriminierender Weise aus.
b) § 10 SubmD hält unter der Marginalie "Eignungskriterien für
das selektive Verfahren" fest, die Vergabestelle könne für jeden
Auftrag oberhalb der Schwellenwerte gemäss § 8 Abs. 1 SubmD in
der Ausschreibung bzw. in den Ausschreibungsunterlagen festlegen,
welche für die Ausführung des betreffenden Auftrags wesentlichen
Eignungskriterien die Anbietenden erfüllen und welche unerlässli-
chen Nachweise, insbesondere bezüglich der finanziellen, wirt-
schaftlichen und fachlichen Leistungsfähigkeit, sie erbringen müs-
sen. Jungen oder sonst neu im Markt Auftretenden sei eine angemes-
sene, niemanden diskriminierende Chance einzuräumen. Die Eig-
nungskriterien und die verlangten Eignungsnachweise sind im Vor-
aus bekannt zu geben. Sie müssen - wie die Zuschlagskriterien - in
der Reihenfolge ihrer Bedeutung, vollständig und in präziser Form
veröffentlicht werden. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass bei der
Eignungsprüfung nicht einzelne Bewerber bevorzugt werden, und
den Anbietenden ist es möglich, ihren Teilnahmeentscheid in
Kenntnis der gestellten Anforderungen zu fällen (vgl. AGVE 1999,
S. 295; 1998, S. 375 f.; VGE III/84 vom 9. Juni 2000
[BE.2000.00106] in Sachen R. AG, S. 8, und III/131 vom 27. Dezem-
ber 2001 [BE.2001.00388] in Sachen R. AG, S. 4 f.; Peter Gauch /
Hubert Stöckli, Vergabethesen, Thesen zum neuen Vergaberecht des
Bundes, Freiburg 1999, S. 20).
c) Bei der Festlegung, Gewichtung und Bewertung der einzel-
nen Eignungskriterien steht der Vergabebehörde ein weiter Ermes-
sensspielraum zu, in den das Verwaltungsgericht nicht eingreifen
darf. Das Verwaltungsgericht hat sich zudem bei der Überprüfung
2002
Submissionen
333
technischer und betrieblicher Aspekte, welche die Vergabebehörde
auf Grund ihres Fachwissens besser beurteilen kann, Zurückhaltung
aufzuerlegen (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 11. August 1997, in: BVR 1998, S. 64). Anzuwenden sind aber
objektive, überprüfbare und auf die ausgeschriebene Leistung kon-
kret bezogene Kriterien; leistungsfremde Merkmale der Anbieter, die
deren Eignung für die Ausführung des konkreten Auftrags nicht
beeinflussen, dürfen nicht berücksichtigt werden (Gauch/Stöckli,
a.a.O., S. 19). Grundsätzlich unzulässig ist es daher, sachfremde
Eignungskriterien heranzuziehen, d.h. Kriterien, die nicht die leis-
tungsbezogene Eignung des Anbieters betreffen; dazu zählen na-
mentlich regional-, steuer- oder strukturpolitische Überlegungen.
Andernfalls begeht die Vergabestelle eine Rechtsverletzung (AGVE
1999, S. 295 f.; 1998, S. 376; erwähnter VGE [BE.2001.00388] in
Sachen R. AG, S. 5 f.; Gauch/Stöckli, a.a.O., S. 20, 27). Namentlich
auch bei der Bewertung der Bewerbungen anhand der einzelnen Eig-
nungskriterien kommt der Vergabebehörde ein grosser Ermessens-
spielraum zu. Indessen muss auch die Bewertung in sachlich haltba-
rer und begründbarer Weise erfolgen, ansonsten der Vergabestelle
eine Ermessensüberschreitung oder sogar ein Ermessensmissbrauch
anzulasten ist (AGVE 1998, S. 384). Hingegen kann es nicht Sache
des Verwaltungsgerichts sein, anstelle der Vergabestelle eine eigene
Bewertung vorzunehmen (erwähnter VGE [BE.2001.00388] in
Sachen R. AG, S. 6 mit Hinweisen).
4. Zu überprüfen ist zunächst die von den Beschwerdeführe-
rinnen als diskriminierend erachtete Mittelwertbildung bei der Be-
wertung von Planer- bzw. Ingenieurgemeinschaften.
a) Das Verwaltungsgericht hat in einem früheren Entscheid
festgehalten, dass das Vorgehen der Vergabestelle, bei der Beurtei-
lung einer Arbeitsgemeinschaft generell nur den Durchschnitt der
Bewertung der Beteiligten als Bewertungsgrundlage heranzuziehen,
grundsätzlich das Ermessen der Vergabebehörde nicht überschreite.
Eine Ermessensüberschreitung liege jedenfalls dann nicht vor, wenn
nicht im Voraus angegeben werde, welcher Teil des Projekts durch
welche der beteiligten Partnerinnen erarbeitet werde. Anders verhalte
es sich dann, wenn Bewerber sich - ihrer jeweiligen Stärken und
2002
Verwaltungsgericht
334
Schwächen bewusst - die Aufgabenbereiche entsprechend aufteilten
und dies der Vergabebehörde auch so kundtäten. So würden sie der
Vergabestelle Gewähr dafür bieten, dass tatsächlich ein Sy-
nergieeffekt eintrete. In gleicher Weise zu bewerten seien Bewerber,
die gerade um Schwächen auszugleichen, Arbeitsgemeinschaften
bildeten und Spezialisten beizögen, jedenfalls wenn dies für die Ver-
gabestelle offensichtlich sei (VGE III/17 vom 2. März 1999
[BE.98.00381] in Sachen ARGE Sch. AG und P. AG, S. 12).
b) aa) Im vorliegenden Fall hat die Vergabebehörde bei den
Teilkriterien Firmenstruktur (Kompetenz I), objektbezogene Fir-
menreferenzen (Kompetenz I) und Leistungsfähigkeit (Projektorga-
nisation) die einzelnen Fachgebiete Tunnelbau, Strassenbau und
elektromechanische Anlagen separat bewertet. Bei Ingenieurgemein-
schaften wurde die einzelne Partnerfirma in den Fachbereichen (ge-
mäss Organigramm) bewertet, für welche sie gemäss den Angaben in
den Bewerbungsunterlagen verantwortlich war. Waren mehrere Part-
ner im gleichen Fachbereich tätig bzw. für das gleiche Teilprojekt
verantwortlich, wurde jeder Partner separat bewertet und für die Ge-
samtbewertung der Mittelwert gebildet. Für die Bewertung unerheb-
lich waren Erfahrung und Referenzen eines Partners in Fachberei-
chen, in denen er nicht tätig sein wird.
bb) Die detaillierte Bewertung der Beschwerdeführerinnen an-
hand der Vorgaben der Vergabebehörde stellt sich folgendermassen
dar: [Tabellarische Darstellung der Bewertungsmatrix].
Die Abzüge bei den Eignungskriterien im Fachgebiet Tunnelbau
betreffen vor allem die H. AG, die bei den objektbezogenen
Firmenreferenzen mit 0 Punkten und bei der Leistungsfähigkeit
(Personalbestand, Hochschul/FH-Abschluss) mit 75 Punkten bewer-
tet wurde. Im Fachbereich Strassenbau wurden Abzüge bei der
Leistungsfähigkeit der E. AG gemacht, die über einen eher kleinen
Personalbestand verfügt. Die übrigen Abzüge betreffen entweder die
I. AG (Firmenstruktur elektromechanische Anlagen, Schlüsselper-
sonen) oder das Planerteam als Gesamtes (Beschreibung Führungs-
struktur/Aufgabenteilung, QS-Referenzen) und werden von den Be-
schwerdeführerinnen nicht in Frage gestellt.
2002
Submissionen
335
c) aa) Aus dem Organigramm sowie dem Beschrieb der Organi-
sation des Projektteams geht hervor, dass die Verantwortlichkeiten
im Fachbereich Tunnelbau bei der I. AG (Tunnelbau bergmännisch)
und bei der H. AG (Tunnelbau Tagbau), im Fachbereich Strassenbau
zu je 50% bei der I. AG und bei der E. AG und im Fachbereich elek-
tromechanische Anlagen bei der I. AG (Elektromechanik) und der
Subplanerin B. AG (Tunnellüftung) liegen. Die Gesamtprojektleitung
(Projektleiter und Projektleiter-Stellvertreter) wird durch die I. AG
wahrgenommen. Die Qualitätssicherung obliegt ebenfalls der I. AG.
bb) Bei dieser Sachlage lassen sich die von der Vergabebehörde
gemachten Abzüge entgegen der Auffassung der
Beschwer-
deführerinnen nicht als diskriminierend bezeichnen. Auch die Be-
schwerdeführerinnen bestreiten nicht, dass es sich bei der H. AG und
der E. AG um unter dem im vorliegenden Fall vor allem massgeben-
den Aspekt der
Realisierungsphase
neu auf dem Markt auftretende
Firmen handelt. Die H. AG, der innerhalb des Planerteams die Ver-
antwortung für die Realisierung des im Tagbau zu erstellenden inner-
städtischen Tunnelteils zukommt, verfügt nicht über einschlägige
Referenzen. Alle drei in den Präqualifikationsunterlagen für den
Bereich Tunnelbau ausgewiesenen Firmenreferenzen sind der I. AG
zuzuordnen. Dieser Tatsache darf und muss die Vergabestelle bei der
Bewertung
der
Eignung
angemessen
Rechnung
tragen.
Die
Vergabebehörde weist zu Recht daraufhin, dass andernfalls Bewerber
diskriminiert würden, die im Bereich, in dem sie tätig werden, über
grosse oder zumindest mittlere Erfahrung verfügen. Der beim
Teilkriterium Objektbezogene Firmenreferenzen Tunnelbau ge-
machte Punkteabzug ist somit weder in Überschreitung des der Ver-
gabebehörde zukommenden Ermessens erfolgt noch liegt ein Er-
messensmissbrauch vor. Gleiches gilt für den (geringen) Abzug bei
der Leistungsfähigkeit Tunnelbau, der bei der H. AG vorgenommen
wurde.
Der Strassenbau fällt gemäss Organigramm zu je 50% in den
Aufgabenbereich der I. AG und der E. AG. Letztere verfügt nach
ihren Angaben (Personalliste) über acht Mitarbeiter, wovon eine
kaufmännische Angestellte und ein Lehrling. Über einen Hochschul-
/Fachhochschulabschluss verfügen drei Mitarbeiter. Das Punktema-
2002
Verwaltungsgericht
336
ximum erhielt bei der Leistungsfähigkeit Strassenbau, wer einen Per-
sonalbestand im fraglichen Tätigkeitsbereich von mehr als 15 Perso-
nen, wovon mindestens acht mit einem Hoch- oder Fach-
hochschulabschluss, aufwies. Auch hier erweisen sich sowohl der bei
der E. AG vorgenommene Bewertungsabzug als auch die Mittel-
wertbewertung der beiden je zu 50% tätig werdenden Unternehmen
als vertretbar und nicht in Überschreitung des der Vergabebehörde
zukommenden Ermessens erfolgt.
cc) Zu berücksichtigen ist sodann auch, dass sich die von den
Beschwerdeführerinnen in Frage gestellte Mittelwertbewertung beim
Teilkriterium Firmenstruktur im Sachbereich elektromechanische
Anlagen zugunsten des Planerteams ausgewirkt hat, indem hier die
mehr als zwanzigjährige Erfahrung der für den Bereich Tunnellüf-
tung vorgesehenen Subunternehmerin B. AG zu einer besseren Be-
wertung des Planerteams insgesamt geführt hat.
d) Die von der Vergabebehörde gewählte Methode zur Bewer-
tung von Planerteams ist sachgerecht, indem sie die Stärken und
Schwächen der beteiligten Partner in denjenigen Bereichen, in denen
sich diese effektiv auch auswirken können, berücksichtigt. Dem
durch den Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft ange-
strebten Synergieeffekt wird mit dieser Bewertungsmethode durch-
aus angemessen Rechnung getragen. Die Vergabebehörde weist zu
Recht daraufhin, dass indessen nicht nur die spezifischen Vorteile
eines Zusammenschlusses, z.B. die besondere Fachkompetenz oder
Erfahrung einer Partnerfirma, sondern auch die jeweiligen Schwä-
chen, soweit sie sich tatsächlich auswirken können, berücksichtigt
werden müssen. Eine Diskriminierung von Planergemeinschaften
gegenüber Einzelanbietern erfolgt deswegen nicht. Die Tatsache,
dass die E. AG und die H. AG im Zusammenhang mit der Ausarbei-
tung des Generellen Projekts und des Bauprojekts der Ortskernum-
fahrung bereits verschiedene Planerleistungen erbracht haben, ver-
mögen nichts daran zu ändern, dass diese beiden Partnerinnen die
genannten Teilkriterien Objektbezogene Firmenreferenzen Tunnel-
bau bzw. Leistungsfähigkeit Strassenbau - wie ausgeführt - nicht
bzw. nur teilweise erfüllen. Dasselbe gilt für den Umstand, dass die
E. AG und die I. AG über eine Beteiligungsgesellschaft verbunden
2002
Submissionen
337
sind. Es handelt sich bei den Partnerfirmen dessen ungeachtet um
selbständige Unternehmungen, die sich für den vorliegenden Auftrag
zu einer Ingenieurgemeinschaft zusammengefunden haben und die in
den Präqualifikationsunterlagen auch als drei eigenständige Firmen
in Erscheinung treten.
e) Die Beschwerdeführerinnen verlangen unter Hinweis auf
§ 10 SubmD, die Bewertung sei so zu modifizieren, dass neu auf
dem Markt auftretende Firmen eine angemessene, niemanden diskri-
minierende Chance bei der Zulassung im Rahmen eines selektiven
Verfahrens hätten. § 10 Satz 2 SubmD besagt, dass bei der Festle-
gung der Eignungsanforderungen "jungen oder sonst neu im Markt
Auftretenden (...) eine angemessene, niemanden diskriminierende
Chance einzuräumen" ist. Dies kann z.B. durch einen Verzicht auf
einschlägige Referenzen geschehen. Eine zwingende Verpflichtung
der Vergabestelle, dies in jedem Fall zu tun, lässt sich aus § 10
SubmD indessen nicht ableiten. Wie ausgeführt, sind die Eignungs-
kriterien jeweils im Einzelfall und im Hinblick auf die konkrete Ver-
gabe in objektiver Art zu bestimmen (Botschaft des Regierungsrats
zum Submissionsdekret vom 22. Mai 1996, S. 14), wobei der Verga-
bebehörde ein grosser Ermessensspielraum zusteht, in den das Ver-
waltungsgericht nicht eingreifen darf (vgl. Erw. 3c oben). Wenn die
Vergabebehörde im vorliegenden Fall, indem es unbestreitbar um die
Realisierung eines bedeutenden und komplexen Strassen- und Tun-
nelbauprojekts geht, der einschlägigen Erfahrung der Bewerber ein
sehr grosses Gewicht beimisst, so lässt sich dies nicht als Ermes-
sensüberschreitung oder in anderer Weise rechtsfehlerhaft beanstan-
den. Die Vergabestelle hat ihren diesbezüglich hohen Anspruch auch
konsequent kundgetan, zum einen allein schon mit der Tatsache, dass
sie sich für die Durchführung eines selektiven Verfahrens entschie-
den hat, und zum andern, indem sie sowohl in der öffentlichen Aus-
schreibung als auch in den Präqualifikationsunterlagen klar darauf
hinwies, dass spezifische Fachkompetenz in der Projektierung
und
Bauleitung
von Strassentunnels erforderlich seien. Im Umstand, dass
das Fehlen von vergleichbaren Referenzobjekten bei der H. AG zu
einer Schlechterbewertung führte, ist im vorliegenden Fall kein Ver-
stoss gegen § 10 Satz 2 SubmD zu erblicken.
2002
Verwaltungsgericht
338
f) Damit erweist sich die Bewertung der Beschwerdeführerin-
nen als sachgerecht; eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermes-
sensmissbrauch liegt nicht vor.
5. a) Die Vergabestelle hat im vorliegenden Fall lediglich drei
Anbieter für die zweite Stufe und damit zur Einreichung einer Of-
ferte zugelassen. Den restlichen neun Bewerbern wurde mitgeteilt,
dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne. Weder aus
den verschiedenen Absageschreiben noch aus den übrigen dem Ver-
waltungsgericht zur Verfügung stehenden Unterlagen geht hervor, ob
die Vergabestelle diese Bewerber als nicht geeignet erachtet oder
aber aus verfahrensökonomischen Gründen vom weiteren Verfahren
ausgeschlossen hat. Lediglich in Bezug auf eine Ingenieurgemein-
schaft wird festgehalten, diese erfülle die zwingenden Anforderungen
nicht, weil sie die elektromechanischen Anlagen nicht durch einen
Partner, sondern durch Subunternehmer bearbeiten lassen wolle.
Klar erscheint, dass diejenigen Bewerber, welche die zwingen-
den Anforderungen gemäss Ziffer 1.10.1 der Präqualifikationsun-
terlagen nicht erfüllen, zur Auftragsausführung nicht geeignet sind.
Demgegenüber erachtet die Vergabestelle offensichtlich alle Anbie-
ter, welche die zwingenden Anforderungen erfüllen, als geeignet. Sie
hat es jedenfalls unterlassen, festzulegen, welches Punktetotal im
Minimum erreicht werden musste, um die Eignungsanforderungen zu
erfüllen. Aus den dem Verwaltungsgericht zur Verfügung stehenden
Unterlagen ergeben sich denn auch keine Anhaltspunkte dafür, dass
die Vergabebehörde die Eignung der Beschwerdeführerinnen in
grundsätzlicher
Weise
in
Frage
stellen
würde.
Die
Be-
schwerdeführerinnen haben 81.3 Punkte erreicht, also mehr als vier
Fünftel des Punktemaximums. Die Eignung zur Auftragsausführung
kann ihnen deshalb nicht abgesprochen werden.
b) Die Vergabebehörde hat die Anzahl der zur Offerteinreichung
zugelassenen Anbieter
auf
deren
drei
beschränkt.
Die
Be-
schwerdeführerinnen stellen angesichts der Grösse und der Komple-
xität des Projektes Ortskernumfahrung Aarburg mit ausgewiesenen
Baukosten in der Grössenordnung von Fr. 80 - 90 Mio. diese Be-
schränkung der Teilnehmerzahl für die zweite Vergabephase in
2002
Submissionen
339
Frage. Diese Grösse rechtfertige es, die Anzahl der zur Angebotsan-
gabe Einzuladenden angemessen zu erhöhen.
c) Zunächst ist festzustellen, dass weder die öffentliche Aus-
schreibung noch die Präqualifikationsunterlagen im vorliegenden
Fall einen (ausdrücklichen) Hinweis auf die Absicht der Vergabebe-
hörde enthalten, die Zahl der zur Angebotsabgabe eingeladenen An-
bietenden zu limitieren. In den Präqualifikationsunterlagen sind unter
dem Titel "Angabe zur Präqualifikation" die folgenden Hinweise ent-
halten:
"Für die Ausschreibung der Ingenieurleistungen kommt das selektive
Verfahren zur Anwendung. Die Auswahl der Firmen oder Ingenieur-
gemeinschaften, die zur Offertstellung eingeladen werden, erfolgt auf
Grund einer Bewertung der Präqualifikationsunterlagen, die gemäss
dem speziellen Formular für die Bewerbung einzureichen ist.
Grundsätzlich steht die Ausschreibung allen Bewerbern mit der spezi-
fischen Fachkompetenz in der Projektierung und Bauleitung von
Strassentunnels, Strassenbauwerken und elektromechanischen Ein-
richtungen und mit den nötigen Kapazitäten offen."
Ein Hinweis auf eine Beschränkung der Teilnehmerzahl kann
diesen Ausführungen nicht entnommen werden. Sie lassen sich im
Gegenteil ohne weiteres dahingehend verstehen, dass
alle
geeigneten
Bewerber an der Ausschreibung teilnehmen und eine Offerte
einreichen können. Es stellt sich damit die Frage, ob die Vergabebe-
hörde die Anbieterzahl nachträglich überhaupt limitieren durfte.
d) Das Vergaberecht des Bundes enthält in Art. 15 Abs. 4 des
Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen vom
16. Dezember 1994 (BoeB; SR 172.056.1) eine mit § 7 Abs. 2
SubmD und Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB inhaltlich vergleichbare
Bestimmung. Die Eidgenössische Rekurskommission für das öffent-
liche Beschaffungsrecht (BRK) hat im Zusammenhang mit der mög-
lichen Beschränkung der Anbieterzahl nach Massgabe von Art. 15
Abs. 4 BoeB festgehalten, dass grundsätzlich alle Bewerber, welche
die in der Ausschreibung angegebenen Eignungskriterien erfüllten,
einzuladen seien, ihre Offerte in der zweiten Vergabephase ein-
zureichen. Das Gesetz erlaube einzig die Teilnehmerzahl zu be-
schränken, wenn sonst die Auftragsvergabe nicht effizient abge-
2002
Verwaltungsgericht
340
wickelt werden könne. Gestützt auf den Grundsatz der Transparenz
habe die Vergabebehörde die Absicht zur Beschränkung bereits in der
Ausschreibung bekannt zu geben. Fehle eine solche Erwähnung, so
sei eine weitergehende Einschränkung grundsätzlich ausgeschlossen.
Sie sei nur unter aussergewöhnlichen Umständen zuzulassen, so
wenn die Vergabebehörde sich mit einer aussergewöhnlich grossen
Anzahl von Bewerbern, welche die Eignungskriterien erfüllten,
konfrontiert sehe (Entscheid der BRK vom 26. Mai 1997, in BR
1997, S. 120).
e) Weder § 7 Abs. 2 SubmD noch die Anhänge 3, 4 und 5 zum
SubmD noch die Bestimmungen des ÜoeB (vgl. insb. Art. IX Ziff. 6
und Art. X Ziff. 1), der IVöB oder der VRöB verlangen ausdrücklich,
dass die Vergabebehörde in der öffentlichen Ausschreibung oder in
den Ausschreibungsunterlagen ihre Absicht, die Anzahl Teilnehmer
im selektiven Verfahren zu limitieren, bekannt gibt. Es stellt sich da-
mit die Frage, ob eine Gesetzeslücke oder aber ein qualifiziertes
Schweigen des Gesetzgebers vorliegt. Die BRK geht für die ver-
gleichbare bundesrechtliche Regelung (unausgesprochen) vom Be-
stehen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke aus und füllt diese, indem
sie die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Limitierungsabsicht in der
öffentlichen Ausschreibung aus dem Grundsatz der Transparenz
herleitet (vgl. die Kritik an diesem Vorgehen bei Peter Gauch, in BR
1997, S. 120, Anmerkung zum vorerwähnten Urteil der BRK; ferner
Gauch/Stöckli, a.a.O., S. 39 f.).
Die einschlägigen Materialien zum Submissionsdekret äussern
sich zur Frage, ob die Limitierungsabsicht in der Ausschreibung
bekannt gegeben werden muss, nicht. In diesem Zusammenhang ist
aber festzustellen, dass § 7 Abs. 2 SubmD in der ursprünglichen
Fassung vom 26. November 1996 eine Beschränkung der Anzahl der
Anbieter ohnehin nur bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwert von
Fr. 500'000.-- für Bauaufträge und Fr. 150'000.-- für Liefer- und
Dienstleistungsaufträge
zuliess;
im
Bereich
oberhalb
dieser
Schwellenwerte war eine Beschränkung nicht möglich (vgl. dazu
VGE III/28 vom 15. März 1999 [BE.1998.00388] in Sachen T.
GmbH und L. AG, S. 11 ff.). Anhaltspunkte für ein qualifiziertes
Schweigen des Dekrets im fraglichen Punkt in dem Sinn, dass der
2002
Submissionen
341
Dekretgeber bewusst keine Bekanntgabe der Limitierungsabsicht
verlangen wollte, lassen sich den Materialien (zum ursprünglichen
Dekret und zur Revision vom Januar 2000) jedenfalls nicht entneh-
men. Mithin erscheint es zulässig, zur Beantwortung der Frage auf
die grundlegenden Prinzipien des Vergaberechts zurückzugreifen.
Dazu gehören die Förderung des wirksamen Wettbewerbs, das Ver-
bot der Diskriminierung (vgl. § 1 Abs. 1 SubmD) und der Grundsatz
der Transparenz. Aus diesen Prinzipien, namentlich aus dem Trans-
parenzgebot, lässt sich die Verpflichtung der Vergabebehörde, die
Beschränkungsabsicht in der öffentlichen Ausschreibung oder aber
jedenfalls in den Präqualifikationsunterlagen den Interessenten
bekannt zu geben, ohne weiteres ableiten. Einerseits kann es durch-
aus im berechtigten Interesse der Bewerber liegen, zu wissen, ob die
Vergabestelle beabsichtigt, alle geeigneten Teilnehmer oder nur eine
beschränkte Anzahl zur Offertstellung zuzulassen. Die Chancen auf
eine Zulassung sind je nach dem unterschiedlich gross. Namentlich
bei grösseren und komplexeren Aufträgen, bei denen das selektive
Verfahren seinen Hauptanwendungsbereich hat, ist für die Interes-
senten bereits das Beibringen der verlangten Präqualifikationsunter-
lagen mit erheblichem Aufwand verbunden; unter Umständen kann
sogar der Hauptteil des Aufwands bereits auf dieser Stufe des Ver-
fahrens anfallen. Die Interessenten müssen sich gegebenenfalls auch
bereits in diesem Zeitpunkt zu Bietergemeinschaften zusammen-
schliessen, was ebenfalls mit Aufwand verbunden ist. Anderseits
wird die Vergabebehörde durch die Bekanntgabe der Anzahl Teil-
nehmer, die sie zuzulassen beabsichtigt, gebunden. Dadurch wird
z.B. verhindert, dass die Limite durch die Vergabebehörde bewusst
so festgesetzt werden kann, um die Teilnahme eines unerwünschten
Bewerbers willkürlich zu verhindern. Durch die vorgängige Ankün-
digung der Limitierungsabsicht werden mit andern Worten auch Ma-
nipulationsmöglichkeiten ausgeschlossen.
Im vorliegenden Fall hat die Vergabebehörde die Limitierungs-
absicht weder in der öffentlichen Ausschreibung noch in den Aus-
schreibungsunterlagen bekannt gegeben. Die Ausschreibungsun-
terlagen legen - wie schon erwähnt - im Gegenteil sogar den Schluss
nahe, alle geeigneten Bewerber würden zur Offertstellung eingela-
2002
Verwaltungsgericht
342
den. Insofern erweist sich die nachträgliche Limitierung der Anbie-
terzahl als nicht zulässig. Nur mehr am Rande ist darauf hinzuwei-
sen, dass in sämtlichen ausserkantonalen Präqualifikationsverfahren,
welche das Baudepartement als Beispiele anführt, die Limitierung
der Teilnehmerzahl offensichtlich spätestens in den Präqualifikati-
onsunterlagen zum Voraus bekannt gegeben wurde.
f) Die nachträgliche Beschränkung auf das Minimum von nur
drei Anbietern erweist sich im vorliegenden Fall überdies auch sach-
lich nicht als gerechtfertigt. Grundsätzlich ist für jede geplante Be-
schaffung die grösstmögliche mit einer effizienten Abwicklung der
Beschaffung zu vereinbarende Zahl von Anbietern zur Angebotsab-
gabe einzuladen (erwähnter VGE in Sachen T. GmbH/L. AG, S. 12;
erwähnter Entscheid der BRK in BR 1997, S. 120; Urteil des Ver-
waltungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. Februar 2000
[VB.1999.00359] E. 3b/bb; Peter Galli / Daniel Lehmann / Peter
Rechsteiner, Das öffentliche Beschaffungswesen in der Schweiz, Zü-
rich 1996, Rz. 154; Gauch/Stöckli, a.a.O., S. 39). Limitieren kann die
Vergabestelle die Teilnehmeranzahl dann, "wenn der Zeit-, Arbeits-
und Kostenaufwand für das Vergabeverfahren andernfalls in einem
Missverhältnis zum Wert der Leistung stehen würde" (§ 7 Abs. 2
SubmD) bzw. "wenn sonst die Auftragsvergabe nicht effizient abge-
wickelt werden kann" (Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB; vgl. auch Art. X
Ziff. 1 ÜoeB). Die Beschränkung der Teilnehmerzahl zielt somit in
erster Linie darauf ab, den bei der auftraggebenden Amtsstelle an-
fallenden Aufwand für die Abwicklung des Vergabeverfahrens in
einem tragbaren Rahmen zu halten. Beim Entscheid darüber, ob sich
eine Beschränkung der Teilnehmerzahl rechtfertigt, ist einerseits die
Komplexität der durchzuführenden Beschaffung, anderseits der Wert
des zu vergebenden Auftrags zu berücksichtigen. Je komplexer die
Beschaffung und je geringer der Auftragswert, umso eher ist eine Be-
schränkung der Teilnehmerzahl gerechtfertigt (Urteil des Verwal-
tungsgerichts
des
Kantons
Zürich
vom
13.
April
2000
[VB.1999.00385], E. 3c/aa mit Hinweis). Die Mindestzahl von drei
Anbietern darf nur dann zur Anwendung gelangen, wenn eine grös-
sere Zahl von Anbietern eine effiziente Abwicklung der Auftragsver-
2002
Submissionen
343
gabe verunmöglichen würde (Galli/Lehmann/Rechsteiner, a.a.O.,
Rz. 141; vgl. auch Gauch, in BR 1997, S. 120 mit Hinweisen).
Die Vergabebehörde begründet die Limitierung auf drei Anbie-
ter in der Vernehmlassung hauptsächlich mit den Kosten, die den
betreffenden Planern mit der Erarbeitung einer Offerte entstünden.
So wird davon ausgegangen, dass pro Anbieter mit einem Aufwand
von Fr. 40'000.-- bis Fr. 75'000.-- gerechnet werden müsse. Würde
im Rahmen der 1. Stufe (Präqualifikation) des Submissionsverfah-
rens die Anzahl Anbieter nicht eingeschränkt, so würden zusätzliche
Gesamtkosten (Aufwände Bewerber und interne Kosten des Baude-
partements) von gegen Fr. 500'000.-- entstehen. Dies erscheine der
Vergabestelle aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht gerechtfertigt,
sondern es entstehe ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Wert
der Leistung.
Die den einzelnen Anbietern im Zusammenhang mit der Ausar-
beitung ihrer Offerten entstehenden Kosten vermögen nun jedoch die
Limitierung der Teilnehmerzahl nicht zu rechtfertigen. Die Ver-
gabebehörde darf den Kreis der geeigneten Bewerber und damit den
Wettbewerb nicht mit dem Argument einschränken, die Anbieter vor
Kosten zu bewahren. Der unternehmerische Entscheid darüber, ob er
an einem Submissionsverfahren mit einem Angebot teilnehmen und
die damit verbundenen Kosten auf sich nehmen will oder nicht, liegt
ausschliesslich beim einzelnen Anbieter. Die Beschwerdeführerinnen
machen hier völlig zu Recht geltend, dass die Vergabebehörde es im
Interesse des freien Wettbewerbs den Bewerbern überlassen müsse,
zu entscheiden, ob es für sie wirtschaftlich vertretbar sei oder nicht,
eine Offerte einzureichen.
Die erwähnte Berechnung des Baudepartements zeigt, dass die
Kosten der Vergabestelle selbst im Zusammenhang mit der zweiten
Stufe des Vergabeverfahrens keinesfalls sehr erheblich sein können.
Von den geschätzten Gesamtkosten von rund Fr. 500'000.-- sind die
Kosten der zusätzlichen neun Bewerber von Fr. 40'000.-- bis
Fr. 75'000.-- für den Offertaufwand in Abzug zu bringen. Damit ver-
bleiben für die Vergabestelle nach ihrer eigenen Schätzung ohne Be-
schränkung der Teilnehmerzahl zusätzliche Kosten von höchsten
Fr. 140'000.--. Dieser zusätzliche finanzielle Aufwand für das Ver-
2002
Verwaltungsgericht
344
fahren erscheint bei einer Bausumme von Fr. 80 - 90 Mio. ohne wei-
teres vertretbar. Im Interesse eines wirksamen Wettbewerbs wäre es
im vorliegenden Fall wohl angezeigt gewesen, alle geeigneten Be-
werber zur zweiten Verfahrensstufe zuzulassen und diesen die Ent-
scheidung darüber, ob sie den mit der Offerterstellung verbundenen
Aufwand erbringen wollen oder nicht, zu überlassen. Die Beschrän-
kung auf das Minimum von drei zugelassenen Bewerbern jedenfalls
lässt sich nicht rechtfertigen; sie verstösst gegen § 7 Abs. 2 SubmD,
Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB und Art. X Ziff. 1 ÜoeB. | 6,352 | 5,162 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-80_2002-10-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-80.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-80.pdf | AGVE_2002_80 | null | nan |
e3fb0222-ba5c-51e5-afd7-dadab3fc8e36 | 1 | 412 | 870,024 | 1,244,073,600,000 | 2,009 | de | 2009
Verwaltungsgericht
156
[...]
32 Erschliessungsplanung;
Gemeindeautonomie
-
Die verkehrstechnische Dimensionierung einer Erschliessungsstrasse
steht nicht im "freien Ermessen" der Gemeinde.
-
Bedeutung der "Sockellinie".
-
Rechtsgrundsätze für die Interessenabwägung.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 30. Juni 2009 in Sachen
A.M. gegen den Regierungsrat (WBE.2007.134).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Der Erschliessungsplan "Gatterächer" sieht u.a. den teilweisen
Ausbau des südlichen Teils der (bestehenden) Haselstrasse auf eine
Breite von 5 m vor. Entlang der West- und Nordseite des auszubau-
enden Teils soll ein 2 m breites Trottoir, abgetrennt durch einen 1 m
breiten Grünstreifen und von 6 Parkplätzen, erstellt werden. An-
schliessend sind Trottoir und Haselstrasse rund 83 m ungetrennt ge-
führt und die Strasse (ohne Trottoir) geht weiter in eine Ringstrasse,
welche in süd- bzw. westlicher und nördlicher Richtung wieder in die
Haselstrasse einmündet und ebenfalls eine Breite von 5 m aufweisen
soll. Das Trottoir wird demgegenüber als Rad- und Fussweg-
verbindung in die Gatterächerstrasse weitergeführt (Erschliessungs-
plan "Gatterächer", Situationsplan 1:500, vom Regierungsrat geneh-
migt am 14. März 2007).
2009
Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht
157
1.2.
Die im umstrittenen Perimeter des Erschliessungsplans "Gat-
terächer" zu erschliessenden Parzellen sind zur Hauptsache den
Wohnzonen E2 und anfangs Haselstrasse der W2 und der Dorfzone,
zugewiesen. Die Haselstrasse dient auch der Erschliessung des Kin-
dergartens in der Zone für öffentliche Bauten (Bauzonenplan vom
5. März 2002 vom Grossen Rat genehmigt [Stand 15. Februar
2005]).
2.
2.1.
Der Beschwerdeführer beanstandet die geplante Breite der Ha-
sel- und der Ringstrasse von 5 m. Er anerkennt, dass die Breite der
Ringstrasse bzw. der Haselstrasse so beschaffen sein müsse, dass die
Interessen aller Verkehrsteilnehmer gewahrt seien. Mit einer Breite
von 4 m für die Ring- bzw. 4,5 m für die Haselstrasse, wie dies die
VSS-Normen maximal vorsähen, sei diesen Interessen genüge getan.
Es bedürfe überzeugender Argumente, um von den Normen abzu-
weichen. Sowohl der Gemeinderat X. als auch der Regierungsrat,
welcher im Übrigen auch keine Ermessensüberprüfung vorgenom-
men habe, hätten es unterlassen, eine umfassende Abwägung der
beteiligten Interessen vorzunehmen. Im Weiteren sei dem Grundsatz
der Verhältnismässigkeit mangelhaft Rechnung getragen worden.
2.2.
Die Gemeinde X. macht geltend, die Schätzung der Fachperson
der Abteilung Verkehr des BVU, wonach höchstens 30 Wohnein-
heiten zu erschliessen seien, habe sich nur auf die Ring-, nicht auf
die Haselstrasse bezogen. Die Haselstrasse werde im Endausbau des
Gebiets offensichtlich mehr als 30 Wohneinheiten erschliessen. Die
Ringstrasse weise enge Kurven und relativ kurze gerade Teilstücke
auf. Ausweich- und Abstellmöglichkeiten für Lastwagen seien keine
vorgesehen. Es sei unübersehbar, dass sich in Wohnquartieren -
abgesehen von den kommunalen Ver- und Entsorgungsfahrzeugen -
mehr und mehr auch Lastwagen bewegten und abgestellt werden
müssten, so z.B. Umzugs-, Zuliefer- und Servicefahrzeuge. Im Übri-
gen lasse die Zonenordnung auch nicht störendes Gewerbe zu. Zur
Breite von 5 m führt der Gemeinderat X. aus, auf Erschlies-
2009
Verwaltungsgericht
158
sungsstrassen sei der Sicherheit der Fussgänger und Radfahrer Vor-
rang einzuräumen. Dies sei vorliegend umso mehr geboten, als aus
Süden und Osten Fussgängerverbindungen in die Ringstrasse ein-
mündeten. Mit zu geringen Erschliessungsstrassenbreiten habe der
Gemeinderat X. schlechte Erfahrungen gemacht.
2.3.
Der Regierungsrat stützt sich in seinem Beschwerdeentscheid
auf die Ausführungen der Gemeinde X. ab, wonach diese mit Stras-
senbreiten von 4,5 m schlechte Erfahrungen gemacht habe, den
Schutzbedürfnissen der Fussgänger und Fahrradfahrer Rechnung ge-
tragen werden solle und sich in unmittelbarer Nähe des streitigen Be-
reichs ein Kindergarten befinde. Zudem werde der bestehende Geh-
weg entlang der Bahnlinie aufgehoben und durch den neuen Gehweg
ersetzt, welcher insbesondere für den Kindergarten und die darin
situierte Mütterberatung wichtig sei. Die Ausführungen der Ge-
meinde seien nachvollziehbar und in sich schlüssig. Des Weiteren sei
zu berücksichtigen, dass 5 m breite Strassen zwar zu einer Erhöhung
der Geschwindigkeit verleiten könnten, die Anordnung des Erschlies-
sungsrings und die Kürze des vom Ausbau betroffenen Teils der
Haselstrasse jedoch eine starke Erhöhung der Geschwindigkeiten
verhinderten. Insgesamt sei die Erschliessungsplanung im Bereich
der Haselstrasse und des Erschliessungsrings zwar als eher gross-
zügig einzustufen, die Gemeinde X. habe ihr Ermessen aber nicht
überschritten.
3.
3.1.
Die Erschliessung hat grundsätzlich im Rahmen von Sondernut-
zungsplänen zu erfolgen, damit der Boden umweltschonend,
landsparend und wirtschaftlich genutzt wird (§ 33 Abs. 1 BauG;
siehe auch § 16 Abs. 1 Satz 1 BauG; Art. 19 Abs. 2 RPG). Der Er-
schliessungsplan im Besonderen bezweckt, Lage und Ausdehnung
von Erschliessungsanlagen und Bahngleisen festzulegen und das
hiezu erforderliche Land auszuscheiden. Erschliessungspläne können
Bau-, Strassen-, Niveau- und Leitungslinien sowie Sichtzonen
enthalten (§ 17 Abs. 1 und 2 BauG). Sodann können Erschliessungs-
pläne mit der Erschliessung zusammenhängende Anordnungen ent-
2009
Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht
159
halten, insbesondere über die Erstellung von Fuss- und Radweg-
verbindungen, über die Gestaltung und Bepflanzung des Strassen-
raumes und der Abstellplätze, über Lärmschutzmassnahmen sowie
über Ver- und Entsorgungseinrichtungen (§ 1 ABauV i.V.m. § 17
Abs. 4 BauG). Mit der Genehmigung von Erschliessungs- und Ge-
staltungsplänen ist das Enteignungsrecht für die darin mit genügen-
der Bestimmtheit festgelegten, im öffentlichen Interesse liegenden
Werke erteilt (§ 132 Abs. 1 BauG).
3.2.
Land ist erschlossen, wenn die für die betreffende Nutzung hin-
reichende Zufahrt besteht (Art. 19 Abs. 1 RPG; § 32 Abs. 1 lit. b
BauG). Das Erfordernis der genügenden strassenmässigen Erschlies-
sung (Art. 19 Abs. 1 RPG; § 32 Abs. 1 lit. b BauG) soll den An-
schluss der Bauten an das öffentliche Strassennetz unter ver-
kehrs-, feuer-, sicherheits- und gesundheitspolizeilichen sowie raum-
planerischen Gesichtspunkten sicherstellen (AGVE 1999, S. 202 mit
Hinweisen). Richtschnur für die Beurteilung, ob eine Erschliessung
als genügend zu beurteilen ist, bildet der Grundsatz der Verhält-
nismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV; § 2 Satz 2 KV; § 3 Abs. 1 aVRPG,
wobei die Erschliessungsanforderungen je nach Nutzungszone unter-
schiedlich sein können (Peter Hänni, Planungs-, Bau- und besonderes
Umweltschutzrecht, 5. Auflage, Bern 2008, S. 269 f.). Einerseits be-
stimmt sich die Erschliessung nach der beanspruchten Grundstücks-
nutzung, andererseits nach den massgeblichen Umständen des Ein-
zelfalls (BGE 116 Ib 159 Erw. 6b; Walter Haller / Peter Karlen,
Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich
1999, Rz. 575).
3.3.
Eine Erschliessung hat im Weiteren das in § 33 Abs. 1 Satz 2
BauG festgehaltene Gebot zu beachten, wonach der Boden umwelt-
schonend, landsparend und wirtschaftlich zu nutzen ist. Im gleichen
Sinne hält § 92 Abs. 1 Satz 1 BauG fest, dass Strassen möglichst
flächensparend zu erstellen, zu ändern und zu erneuern sind.
2009
Verwaltungsgericht
160
4.
4.1.
Der Massstab für die Anforderungen an die strassenmässige Er-
schliessung bestimmt sich im Rahmen der jeweiligen Verkehrsver-
hältnisse und des Standes der Strassenbautechnik nach den VSS-
Normen (AGVE 2005, S. 203 ff. mit Hinweisen, siehe auch § 92
Abs. 4 BauG i.V.m. § 44a Abs. 1 ABauV). Die VSS-Normen sind je-
doch nicht völlig schematisch und stur zu übernehmen; deren An-
wendung muss im Einzelfall vor den allgemeinen Rechtsgrundsät-
zen, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, stand-
halten. Das Erfordernis Land sparender und wirtschaftlicher Lösun-
gen lässt Ausnahmen zu (Entscheid des Bundesgerichts vom
26. Oktober 2004 [1P.40/2004], Erw. 3.2.1; AGVE 2005, S. 204;
AGVE 1990, S. 251). Da es vorliegend um die Erschliessung eines
Wohnquartiers geht, ist mit der Vorinstanz auf die VSS-Norm
640'045 "Strassentyp Erschliessungsstrasse" abzustellen (lit. A Zif-
fer 4). Diese unterscheidet zwischen den Typen Quartiererschlies-
sungsstrasse, Zufahrtsstrasse und Zufahrtsweg. Die Zufahrtsstrasse
ist zur Erschliessung von Siedlungsgebieten in der Grösse bis zu 150
Wohneinheiten oder bei Verkehrsaufkommen gleichwertiger Quellen
anzuwenden (lit. C Ziffer 8 Abs. 2); er weist einen oder zwei Fahr-
streifen auf, ist in der Regel nicht durchgehend befahrbar, basiert be-
züglich Wegbreite auf dem Grundbegegnungsfall Personenwagen/
Personenwagen und kann einen durchschnittlichen stündlichen Ver-
kehr von 100 Fahrzeugen verkraften (Tabelle 1). Der Typ Zufahrts-
weg ist zur Erschliessung von Siedlungsgebieten in der Grösse bis zu
30 Wohneinheiten anzuwenden (lit. C Ziffer 8 Abs. 5); er weist einen
Fahrstreifen auf, ist nicht durchgehend befahrbar, basiert bezüglich
der Wegbreite auf dem Grundbegegnungsfall Personenwagen/Fahr-
rad und kann einen durchschnittlichen stündlichen Verkehr von 50
Fahrzeugen verkraften (Tabelle 1; AGVE 1999, S. 206 f.).
4.2.
Der Ausbau der Haselstrasse mit der geplanten Ringstrasse
dient der Erschliessung der Parzellen in der östlichen Hälfte des Er-
schliessungsperimeters. Anlässlich der Augenscheinsverhandlung vor
der Vorinstanz führte die Fachperson des BVU, Abteilung Verkehr,
2009
Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht
161
aus, bei der Ringstrasse handle es sich um eine Erschliessungs-
strasse. Da nicht mehr als 30 Wohneinheiten erschlossen seien, genü-
ge ein Zufahrtsweg mit einer Breite von 3 bis 3,5 m. Laut der Richt-
linie müsse aber bei einem Begegnungsfall Personenwagen/Perso-
nenwagen (PW/PW) das angrenzende Land, d.h. Land eines Priva-
ten, beansprucht werden. Dies sei nicht erwünscht, weshalb von der
nächst höheren Strassenkategorie mit 4 bis 4,5 m auszugehen sei. In
der Gemeinde X. sei zudem eine Strassenbreite von 4,5 m üblich.
Die vorgesehene Breite von 5 m sei ein Grenzfall. Auch der von der
Gemeinde X. beauftragte Planer führte aus, östlich der Haselstrasse
sei mit etwa 15 zusätzlichen Wohneinheiten zu rechnen, wobei eher
nicht mit über 30 Wohneinheiten zu rechnen sei. Der Beschwerde-
führer räumt ein, dass die Zufahrt Haselstrasse und die Ringstrasse
die Interessen aller Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen habe,
sieht aber diese Interessen mit einer Breite von 4 m (Ringstrasse)
bzw. 4,5
m (Zufahrt Haselstrasse), wie dies die VSS-Normen
maximal vorsehen, als ausreichend gewahrt.
4.3.
4.3.1.
Die Verfahrensbeteiligten sind sich mit dem Sachverständigen
dahingehend einig, dass im vorliegenden Fall vom Grundbegeg-
nungsfall PW/PW auszugehen ist. Das Verwaltungsgericht hat keine
Veranlassung von dieser Beurteilung abzuweichen.
Die Hasel-, mit der Ringstrasse, ist rund 350 m lang und er-
schliesst Wohneinheiten in der Wohnzone E2, welche für den Bau
von alleinstehenden Ein-, Zwei- und Doppeleinfamilienhäusern be-
stimmt ist und in der auch nichtstörende Betriebe zulässig sind (§ 11
der Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde X. vom 26. Oktober/
12. Dezember 2000, genehmigt durch den Grossen Rat am 5. März
2002 [BNO]). Der auszubauende Teil der Haselstrasse dient zudem
der Erschliessung von Parzellen in der Dorfzone (D) und der Zone
für öffentliche Bauten und Anlagen (ÖB), auf der sich der Kinder-
garten befindet. Die Dorfzone ist für Wohnbauten, Kleingewerbe,
Dienstleistungsbetriebe, Landwirtschaft und öffentliche Dienste be-
stimmt. Mässig störende Betriebe werden unter Berücksichtigung der
örtlichen Verhältnisse zugelassen (§ 9 Abs. 2 und 3 BNO). Aus den
2009
Verwaltungsgericht
162
Nutzungsbestimmungen der BNO lässt sich nicht zwingend ein
Grundbegegnungsfall Lastwagen/Personenwagen (LW/ PW) an-
nehmen, zumal nur kleinere Gewerbe- bzw. Dienstleistungsbetriebe
zugelassen sind. Es ist daher höchstens mit gelegentlichem Lieferwa-
genverkehr zu rechnen und Lastwagenverkehr ist allenfalls im Zu-
sammenhang mit der Kehrichtabfuhr oder einem Umzugstransport zu
erwarten. Diese seltenen Liefer- oder Lastwagenfahrten können kei-
nen Grundbegegnungsfall LW/PW begründen, auch wenn berück-
sichtigt wird, dass grosse Fahrzeuge nach der Einfahrt in die Hasel-
strasse mangels Wendemöglichkeit über die Ringstrasse ausfahren
müssen. Im Gebiet "Gatterächer" ist auf sämtlichen Erschliessungs-
strassen, d.h. u.a. auch auf der Hasel- und der Ringstrasse, ein Ge-
schwindigkeitslimit von 30 km/h geplant.
Zusammenfassend ist sowohl für den auszubauenden Teil der
Haselstrasse als auch für die Ringstrasse vom Grundbegegnungsfall
PW/PW auszugehen. Eine Erschliessungstrasse, welche im überbau-
ten bzw. überbaubaren Abschnitt eine Länge von über 300 m, enge
Kurven mit kurzen geraden Abschnitten aufweist, muss gewährleis-
ten, dass sich zwei PW gefahrlos kreuzen können.
Das Verwaltungsgericht berechnete gestützt auf die VSS-Norm
640'201 in AGVE 1999, S. 208 für den Grundbegegnungsfall von
zwei Personenwagen 4,40 m als Mindestbreite, wobei es zum
Schluss kam, dass auch 4 m genügen würden, sofern die Seitenfrei-
heit gewährleistet sei bzw. der Fahrbahnrand ausgefahren werden
könne. Eine unter diesem Mindestmass liegende Breite hielt es in der
Regel für nicht verantwortbar. An dieser Rechtsprechung hat das Ver-
waltungsgericht auch in neueren Entscheiden festgehalten (AGVE
2005, S. 203 ff.; VGE III/65 vom 21. August 2002
[WBE.2001.389]). Üblich ist für diesen Grundbegegnungsfall eine
Strassenbreite von 4,5 m, die auch vom BVU empfohlen wird. Ent-
gegen der Ansicht des Beschwerdeführers und der Gemeinde X. be-
steht, soweit es um die verkehrstechnische Dimensionierung einer
Erschliessungsstrasse nach den VSS-Normen geht, kein "freies" Er-
messen der Gemeinde. Abweichungen von den verkehrtechnisch er-
forderlichen Strassenbreiten erfordern vielmehr eine sachliche Be-
2009
Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht
163
gründung und die Abwägung der involvierten Interessen
(AGVE 2005, S. 203 f.; siehe auch AGVE 1990, S. 251).
4.3.2.
Nach § 111 Abs. 1 lit. c BauG haben Einfriedungen bis 80 cm
Höhe gegenüber Gemeindestrassen einen Abstand von 60 cm einzu-
halten. Für Einfriedungen von mehr als 80 cm bis zur Höhe von 180
cm und einzelne Bäume beträgt der Abstand vom Strassenmark ge-
genüber Gemeindestrassen ebenfalls 60 cm (§ 111 Abs. 1 lit. d
BauG). Diese gesetzlichen Abstandsvorschriften haben zur Folge,
dass gegenüber der Strasse eine Seitenfreiheit von je 60 cm besteht
und eine Mindestbreite der befahrbaren und mit Belag versehenen
Verkehrsfläche von 4 m ausreichen würde. Die Strassenabstände
können gemäss § 111 Abs. 2 BauG u.a. durch Nutzungspläne erhöht,
herabgesetzt oder aufgehoben werden.
Nach dem Erschliessungsplan sind die Strassenlinien gleichzei-
tig sogenannte Sockellinien (Legende zum Erschliessungsplan
"Gatterächer", Situationsplan 1:500, vom Regierungsrat genehmigt
am 14. März 2007). Der Begriff "Sockellinie" ist allerdings weder in
der ABauV, noch in den kommunalen Bauvorschriften näher defi-
niert. Zum Genehmigungsinhalt des Erschliessungsplanes "Gatter-
ächer" gehören nebst den Strassen- und Sockellinien auch Baulinien
gemäss § 111 Abs. 1 lit. a BauG (vgl. Erschliessungsplan). Diese
Baulinien setzen ausdrücklich den Abstand für Bauten gegenüber der
Hasel- und Ringstrasse fest und folgen teilweise den bisherigen
Baulinien im aufgehobenen Überbauungsplan "Zelgli/Gatter-Äcker"
oder wurden zum Teil neu im Abstand von drei bis vier Metern von
der Strassenlinie festgelegt. Die Sockellinien in der Sonder-
nutzungsplanung "Gatterächer" haben daher nur die Herabsetzung
der Abstandsvorschriften für Einfriedungen und einzelne Bäumen
gemäss §§ 111 Abs. 1 lit. c und d BauG zum Inhalt, mit dem Ergeb-
nis, dass Einfriedungen und einzelne Bäume gegenüber dem befahr-
baren und mit Belag versehenen Strassenraum von 5 m keinen (zu-
sätzlichen) Abstand einzuhalten haben. Diese Sockellinien sind somit
besondere Baulinien für Einfriedungen und Bäume. Die Möglichkeit
neben den klassischen Baulinien, welche den Mindestabstand be-
zeichnen, "weitere" Baulinien vorzuschreiben, ist im Baugesetz vor-
2009
Verwaltungsgericht
164
gesehen (§ 18 Abs. 2 BauG) und solche Baulinien können Bestand-
teil einer Sondernutzungsplanung sein (§ 17 Abs. 2 und § 111 Abs. 2
BauG). Die Sicherstellung des Strassenraumes mit zusammenfal-
lenden Strassen- und Sockellinien für Einfriedungen und Bäume im
angefochtenen Erschliessungsplan bedeutet, dass im Perimeter des
Erschliessungsplanes "Gatterächer" Einfriedungen und einzelne
Bäume an die Strassenlinie gebaut bzw. gepflanzt werden dürfen und
die Einhaltung von Abständen gemäss § 111 Abs. 1 lit. c und d BauG
die Änderung des Erschliessungsplanes erfordert. Nachdem für Ein-
friedungen und einzelne Bäume die gesetzlichen Abstände von
60 cm gegenüber dem Strassenmark der projektierten Hasel- und
Ringstrasse nicht eingehalten werden muss, ist - mangels Seitenfrei-
heit - verkehrtechnisch eine Strassenbreite von mindestens 4,5 m er-
forderlich.
4.4.
4.4.1.
Als Begründung für die Strassenbreite von 5 m führt die Ge-
meinde X. an, dem Gebot flächensparender Erschliessung gemäss
§ 92 Abs. 1 BauG stehe die Anweisung des Abs. 2 gegenüber, wo-
nach auf Erschliessungsstrassen der Sicherheit der Fussgänger und
Radfahrer Vorrang einzuräumen sei. Der Gemeinderat gewichte im
Zweifelsfall Letzteres höher. Dies sei im vorliegenden Fall umso
mehr geboten, als in die Ringstrasse aus Richtung Süden und Osten
auch Fussgängerverbindungen einmündeten. Sodann führt die Ge-
meinde an, die ausgeschiedene Ringstrasse weise enge Kurven und
relativ kurze gerade Teilstücke auf. Ausweich- und Abstellmöglich-
keiten für Lastwagen seien keine vorgesehen. Es sei unübersehbar,
dass sich in Wohnquartieren mehr und mehr auch Lastwagen be-
wegten und abgestellt werden müssten.
4.4.2.
Eine Erschliessungsstrasse hat grundsätzlich eine Vielzahl von
Anforderungen zu erfüllen. So muss sie die örtlichen Verhältnisse
berücksichtigen und die Verkehrssicherheit aller Benutzer (Fussgän-
ger, Radfahrer, Personenwagen, öffentliche Dienste wie Sanität,
Feuerwehr, Kehrichtabfuhr) gewährleisten (Haller / Karlen, a.a.O.,
Rz. 577). Des Weiteren sind die Anforderungen des Natur- und Hei-
2009
Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht
165
matschutzes, des Umweltschutzes sowie weitere wichtige Anforde-
rungen der Raumplanung, insbesondere die haushälterische Boden-
nutzung, zu berücksichtigen (Art. 1 und 3 RPG; Art. 11 und 25
USG). Die genannten Erfordernisse können im Einzelfall miteinan-
der kollidieren. Da keinem von ihnen ein absoluter Vorrang zu-
kommt, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Unter verschie-
denen möglichen Varianten ist jene zu wählen, welche unter Berück-
sichtigung aller Umstände den Verhältnissen am Besten angepasst
ist. Dabei kommt den Gemeinden ein grosser Ermessensspielraum zu
(Art.
2 Abs.
3 RPG; zum Ganzen: BGE vom 6.
Mai 1993
[1P.115/1992], in: ZBl, S. 91; VGE IV/32 vom 1. September 2005
[WBE.2003.347], S. 15 f.). Das heisst allerdings nicht, dass beliebige
Anforderungen gestellt werden dürfen, die Planungsbehörde ist an
Gesetz und Recht gebunden (§ 2 Abs. 1 aVRPG). Auch dort, wo eine
Norm der rechtsanwendenden Behörde Ermessen einräumt, besteht
eine Bindung der Ermessensbetätigung an das Gesetz und die
Verfassung (Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhlmann, All-
gemeines Verwaltungsrecht, 5.
Auflage, Zürich 2006, Rz. 441;
AGVE 2005, S. 152; AGVE 2003, S. 190 mit Hinweis). Trotz ihrer
durch die Kantonsverfassung begründeten autonomen Stellung müs-
sen die Gemeinden die Nutzungsplanung in ihrem Gemeindegebiet
daher nach den bundesrechtlichen Grundsätzen und Zielen sowie den
kantonalen Vorgaben der Raumplanung ausrichten. Die auch durch
Art. 2 Abs. 3 RPG normierte Zurückhaltung verlangt von den Ge-
nehmigungs- und Rechtmittelinstanzen nicht, bei Planungsentschei-
den der Gemeinden erst einzuschreiten, wenn sich diese als unsach-
lich oder unhaltbar erweisen. Korrekturen sind vielmehr schon dann
möglich, wenn sich die gemeindeseitig getroffene Lösung auf Grund
überkommunaler Interessen als unzweckmässig erweist oder wenn
sie den wegleitenden Grundsätzen und Zielen der Raumplanung
nicht entspricht oder diesen unzureichend Rechnung trägt (Wald-
mann Bernhard / Hänni Peter, Handkommentar Raumplanungsge-
setz, Art. 33 N 64 f. mit Hinweisen; BGE 127 II 238 Erw. 3.b.aa;
BGE 119 Ia 321 Erw. 5.a). Auch die Genehmigungsbehörde hat die
Nutzungsplanung der Gemeinde vollumfänglich, aber differenzie-
rend nach Massgabe der Rolle, die sie im betreffenden Sachzusam-
2009
Verwaltungsgericht
166
menhang sachlich und institutionell erfüllt, zu prüfen. Die Über-
prüfung hat sich dabei in dem Umfang zurückzuhalten, als es um rein
lokale Anliegen und örtlich spezifische Interessen geht und weder
überörtliche Interessen noch überwiegende Rechtsschutzanliegen
berührt sind (AGVE 1994, S. 369 f.).
Im Rechtsschutzverfahren schreibt § 26 BauG eine vollum-
fängliche Überprüfung des Planungsentscheides der Gemeinde ein-
schliesslich der Ermessenskontrolle vor (Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG;
§ 26 i.V.m. § 4 Abs. 1 BauG und § 49 aVRPG). Auch die Beschwer-
deinstanz ist indessen und insbesondere bei der Beurteilung von
kommunalen Interessen zur Zurückhaltung verpflichtet, was bedeu-
tet, dass der Gemeinde ihre Gestaltungsfreiheit in der Planung auch
im Rechtsmittelverfahren zu belassen ist (Art.
2 Abs.
3 RPG;
BGE 121 I 117 Erw. 4.c; BGE 116 Ia 221 Erw. 2; Pierre Tschannen,
in: Heinz Aemissegger / Alfred Kuttler / Pierre Moor / Alexander
Ruch [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung,
Zürich 1999 [im Folgenden: Kommentar RPG], Art. 2 N 60 f.). Die
Gestaltungsfreiheit konkretisiert sich daher bei der Wahl unter meh-
reren zur Verfügung stehenden angemessenen Vorkehren und soll
grundsätzlich der Gemeinde als nachgeordnete Behörde überlassen
bleiben (Art. 2 Abs. 3 RPG). Der Regierungsrat als übergeordnete
Behörde darf im Beschwerdeverfahren auch eine unangemessene
Lösung der Gemeinde nicht aus ihrem eigenen Ermessen ersetzen,
solange sachliche Gründe für den Entscheid der Planungsbehörde
vorliegen (Tschannen, a.a.O., Art. 2 N 64; AGVE 1996, S. 307;
AGVE 2002, S. 286; VGE IV/67 vom 13.
November 2001
[BE.1996.284], S.
15; VGE IV/52 vom 11. Dezember 2002
[WBE.2000.271], S. 33 f.).
Entsprechend kann der Planungsentscheid der Gemeinde X. auf
Erweiterung der Strassenbreite um 50 cm nicht bereits unter Verweis
auf ihre verfassungsrechtlich garantierte Entscheidungsfreiheit sank-
tioniert werden. Vielmehr müssen sich sowohl Genehmigungsbehör-
de wie auch Beschwerdeinstanz auf der Grundlage der bundes- und
kantonalrechtlichen Planungs- und Erschliessungsgrundsätze mit
dem Sondernutzungsplan auseinandersetzen und entsprechend ihren
2009
Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht
167
Funktionen das kommunale Planungsermessen zwar beachten, aber
die Rechtmässigkeit der Ermessensbetätigung prüfen.
4.4.3.
Zum Vornherein wenig überzeugend ist das Argument der Ge-
meinde, der Erschliessungsplan lege die Maximaldimensionierung
fest und schaffe einen Planungsspielraum. Zwar trifft es zu, dass über
die definitive Strassenbreite erst anhand der konkreten Überbauung
und Nutzung definitiv entschieden wird. Der Erschliessungsplan mit
den Strassen- und Baulinien verschafft der Gemeinde das Enteig-
nungsrecht (§ 132 Abs. 1 BauG) und hat u.a. den Zweck die Ausdeh-
nung von Strassen festzulegen und das hierzu erforderliche Land
auszuscheiden (§ 17 Abs. 1 BauG). Mit dem Eingriff in das Eigen-
tum nicht vereinbar ist daher die Ausscheidung von Land zur
Schaffung eines Planungsspielraums.
Die Gemeinde führt zur Begründung der Erweiterung der Stras-
senbreite ihre (schlechten) Erfahrungen in anderen Quartieren mit
Strassenbreiten unter 5 m an. Insbesondere für die Ringstrasse
(Schlaufe) wird sodann auf das fehlende Trottoir hingewiesen. Er-
gänzend wird angeführt, mit den Fahrbahnbreiten sollen auch die
Voraussetzungen für Strassen als "Begegnungszonen" geschaffen
werden. Betont wird weiter das Schutzbedürfnis der Fussgänger und
Radfahrer, insbesondere zur Erschliessung des Kindergartens und der
darin situierten Mütterberatung.
4.4.4.
Das Gebiet "Gatterächer" liegt zentral im Siedlungsgebiet der
Gemeinde X.. Die Haselstrasse dient in nordsüdlicher Richtung als
zentrale Fuss- und Radwegachse für die Schüler aus dem Gebiet
"Flüh" und "Zelgli" zu den Schulhäusern "Ländli". Die mit 5 m vor-
gesehene Strassenbreite für die Haselstrasse und dem zusätzlichen
Trottoir dient auch der Erschliessung des Kindergartens, dabei ist
dem erhöhten Schutzbedürfnis der Kinder Rechnung zu tragen. Das
Trottoir wurde in der Breite auf 2 m reduziert, weshalb der Fahr-
radverkehr auf die Strasse verwiesen wird. Geplant sind auch in Ost-
Westrichtung durchgehende Fuss- und Radwege zur Verbindung der
östlich an den Perimeter angrenzenden Wohngebiete mit dem
Zentrum an der Kantonsstrasse. Diese Argumente sind nachvollzieh-
2009
Verwaltungsgericht
168
bar. Zunächst stellt das Gesetz selber den Grundsatz auf, dass auf
Strassen, die vorwiegend der Erschliessung dienen, die verschiede-
nen Verkehrsteilnehmer grundsätzlich gemischt werden (§ 92 Abs. 2
Satz 1 BauG). Der Sicherheit der Fussgänger und Radfahrer ist
zudem Vorrang einzuräumen (§ 92 Abs. 2 BauG). Im Weiteren
erscheint die Annahme, dass mit der Aufhebung des Gehwegs
entlang der Bahnlinie, der Fuss- und Fahrradverkehr von den
östlichen Wohngebieten vermehrt von der neuen Erschliessung
aufgenommen werden muss, nicht abwegig. In zentral gelegenen
Wohngebieten besteht auch an der Schaffung von "Begegnungs-
zonen" im Interesse der Kinder ein legitimes Interesse. Das
Argument der erhöhten Sicherheitsanforderungen der Fussgänger
und Radfahrer, rechtfertigt daher die Verbreiterung um 50 cm, auch
soweit es um die Ringstrasse geht. Zusätzlich zu berücksichtigen
sind hier die Fusswegverbindung, die von der Strasse "Am Bach" in
die Ringstrasse führt und auch der Nord-Süd-Verbindung dient,
sowie die engen Kurven. Auch wenn die schlechten Erfahrungen der
Gemeinde X. im Einsprache- und den Rechtsmittelverfahren nicht
substantiiert wurden, bestehen hinreichend sachliche Argumente für
eine Verbreiterung um 0,5 m. Der Beschwerdeführer wendet zwar
mit Recht ein, dass auch das Interesse an einem Landflächen
sparenden und wirtschaftlichen Strassenbau ein gewichtiges öffent-
liches Interesse darstellt (§ 92 Abs. 1 BauG). Es ist aber nicht zu
beanstanden, dass die Gemeinde X. die Sicherheitsaspekte und die
Siedlungsgestaltung im Vergleich zu den in Frage stehenden rund
175 m
2
höher gewichtet. Sie folgt damit bei der Interessenabwägung
den Zielvorstellungen des Gesetzgebers (siehe vorne Erw. 4.4.2) und
entscheidet mit haltbaren Gründen, wenn sie dem Sicherheits-
bedürfnis der Radfahrer und Fussgänger, insbesondere den Kindern,
ein relativ starkes Gewicht beimisst. Eine solche Entscheidung muss
der Gemeinde X. infolge ihrer Sachnähe, Ortskenntnis, und auch der
Gemeindeautonomie zugebilligt werden. Sind solche lokalen Aspek-
te von Bedeutung, hat sich die Planprüfung im Beschwerdeverfahren
auf die Frage zu beschränken, ob eine angemessene Lösung getroffen
wurde (Heinz Aemisegger / Stephan Haag, in: Kommentar RPG,
Art. 33 N 61 f.).
2009
Bau-,Raumplanungs-undUmweltschutzrecht
169
4.4.5.
In der Interessenabwägung sind auch die privaten Interessen des
Beschwerdeführers und der betroffenen Grundeigentümer einzube-
ziehen. Hinsichtlich des Schopfes auf Parzelle Nr. Y. ist festzuhalten,
dass dieser selbst bei einer Strassenbreite von 4,5 m und einer Re-
duktion der Breite auf dieser Seite der Ringstrasse dem Er-
schliessungsvorhaben weichen muss. Gewichtiger erscheint das In-
teresse des Beschwerdeführers, soweit die Parzelle Nr. Y. direkt ent-
eignungsrechtlich tangiert wird. Die zusätzliche Breite von 50 cm
beansprucht eine zusätzliche Fläche von ca. 42 m
2
dieses Grund-
stücks bzw. insgesamt von rund 175 m
2
. Das Interesse des Be-
schwerdeführers und der übrigen Grundeigentümer ist damit nicht als
derart erheblich einzustufen, dass die Gemeinde X. mit der vor-
genommenen Interessenabwägung ihr Ermessen überschritten hat. | 6,631 | 5,149 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-32_2009-06-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-32.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-32.pdf | AGVE_2009_32 | null | nan |
e43c3ea3-16bb-578e-a76e-15b7df638b24 | 1 | 412 | 871,404 | 1,186,099,200,000 | 2,007 | de | 2007
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
105
III. Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
30
Voranfrage i.S.v. § 28 AbauV.
-
Keine Befangenheit der mit der Voranfrage befassten Behörde im
nachfolgenden Baubewilligungsverfahren (Erw. 2.4 und 2.5).
-
Gegenstand einer Voranfrage (Erw. 2.6).
-
Keine Pflicht zur öffentlichen Auflage von Voranfrageakten
(Erw. 2.7).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 9. August 2007 in Sa-
chen H. und Mitbeteiligte gegen Eheleute R. (WBE.2006.173).
Aus den Erwägungen
Die Beschwerdegegner beabsichtigen den Abbruch ihres Einfa-
milienhauses und den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tief-
garage auf der Parzelle Nr. 3548. Die Vorinstanz beschreibt das
Bauprojekt der Beschwerdegegner zutreffend wie folgt:
"Die Parzelle 3548 liegt in der Allmend, im Westen des
Gemeindegebietes von Baden. Sie weist eine Fläche von 1'057 m
2
auf und grenzt im Norden an die Rehhalde, im Süden an die Hägeler-
strasse und im Osten und Westen unmittelbar an Wohngebiet. Auf
dem Grundstück befindet sich gegenwärtig ein Einfamilienhaus (Ge-
bäude Nr. 2067), welches von den Eigentümern (Beschwerdegeg-
nern) zu Wohnzwecken genutzt wird.
Das umstrittene Bauvorhaben umfasst den vollständigen Ab-
bruch des Gebäudes 2067 und die Erstellung eines modernen Neu-
baus mit Flachdach. Geplant ist ein zweigeschossiges Mehrfamilien-
haus (für 5 Wohneinheiten) inkl. Attikageschoss und Tiefgarage. In
den unteren beiden Stockwerken sind drei 4 1⁄2 - Zimmer-Wohnungen
und eine 3 1⁄2 - Zimmer-Wohnung vorgesehen. Im Attikabereich soll
eine grosszügige 5 1⁄2 - Zimmer-Wohnung entstehen, welche von den
2007
Verwaltungsgericht
106
Beschwerdegegnern selbst wiederum zu Wohnzwecken beansprucht
wird. Während der Zugang zum Gebäude für Fussgänger von der
Rehhalde erfolgt bzw. der Eingangsbereich dort angeordnet ist, wird
die verkehrsmässige Erschliessung für PWs über die Hägelerstrasse
sichergestellt (Einfahrt Tiefgarage)."
1.2.
Das Grundstück der Beschwerdegegner liegt gemäss Bauzonen-
plan der Stadt Baden in der Wohnzone W2 (zwei Geschosse). In den
Wohnzonen sind neben dem vorgeschriebenen Wohnflächenanteil
Läden, Kleingewerbe, Ateliers und dergleichen zulässig, sofern sie
nicht stören (§ 12 Abs. 1 der Bau- und Nutzungsordnung der Stadt
Baden vom 23. Oktober 2001 / 2. April 2003 [BNO]). Die Vorinstanz
hat die Zonenkonformität des geplanten Mehrfamilienhauses festge-
stellt; diese wird von den Beschwerdeführern nicht mehr bestritten.
2.
2.1.
Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, der Stadtrat Baden
habe die Bestimmungen über die Voranfrage verletzt. Sie führen in
diesem Zusammenhang aus: Das Bauvorhaben der Beschwerdegeg-
ner sei kein zulässiger Gegenstand für eine Anfrage im Sinne von
§ 28 ABauV, da es sich nicht um ein komplexes und grösseres Bau-
vorhaben handle; selbst wenn dem so wäre, hätte sich die Anfrage
zumindest auf wichtige Fragen beschränken müssen. Ausserdem sei
der Stadtrat bei Erteilung der Baubewilligung voreingenommen ge-
wesen. Aus diesen Gründen sei die Baubewilligung aufzuheben. Die
Beschwerdeführer kritisieren schliesslich, die vorläufige Stellung-
nahme des Stadtrats und die Voranfrage seien nicht öffentlich aufge-
legt worden. Die Vorinstanz habe es versäumt zu prüfen, ob der
Stadtrat damit gegen § 72 BNO verstossen habe. Sie habe lediglich
festgehalten, dass sich die Aufhebung der Baubewilligung allein
wegen einer allfälligen Verletzung von § 72 BNO nicht rechtfertigen
liesse. Hätten die Beschwerdeführer oder weitere Interessierte bei der
Einsicht in die öffentlich aufgelegten Baugesuchsakten festgestellt,
dass sich der Stadtrat in der vorläufigen Stellungnahme positiv zum
Bauvorhaben gestellt habe, so hätte das durchaus Einfluss auf den
weiteren Fortgang der Angelegenheit haben können. Es sei nicht
2007
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
107
auszuschliessen, dass sich weitere Personen mit einer Einsprache
gegen das Bauvorhaben gewehrt hätten. Zudem hätte das Gespräch
mit der Baukommission und dem Stadtrat gesucht werden können.
Letztlich hätte auch das Quartier für das Problem sensibilisiert wer-
den können, was zweifellos zu einer Petition o.a. beim Stadtrat ge-
führt hätte. Jedenfalls wäre es zu Interventionen gekommen. Das al-
les sei durch das heimliche Vorgehen verhindert worden. Die Vorin-
stanz hätte die Baubewilligung schon wegen der Verletzung von § 72
BNO aufheben müssen.
2.2.
Demgegenüber führen die Beschwerdegegner aus, Sinn und
Zweck von § 28 ABauV lägen in einer pragmatischen, bürger-
freundlichen Verfahrensabwicklung. In welchem Umfang die Behör-
den davon Gebrauch machten, sei Ermessenssache. Nicht nur bei
komplexen und grösseren Bauvorhaben, sondern generell sollten
Bauherrschaften ihr Bauvorhaben mit den Behörden besprechen.
Diese Haltung sei eine Konkretisierung der wirkungsorientierten
Verwaltungsführung und stelle keine Verletzung von § 28 ABauV
dar. Dass durch diese Zusammenarbeit eine Vorbefassung stattfinde,
liege in der Natur der Sache und schade nicht. Die Vorinstanz habe
zwar bezüglich einzelner Begründungspunkte eine Gehörsverletzung
festgestellt, sie sei aber zur Recht von einer Heilung dieser Mängel
im Rechtsmittelverfahren ausgegangen. Zwar habe es die Baubehör-
de anfänglich gegenüber den Einsprechern an Transparenz fehlen
lassen, doch sei dieser Fehler noch vor Einreichung der Beschwerde
beim BVU korrigiert worden.
2.3.
Die Vorinstanz erwog im angefochtenen Entscheid, das von den
Beschwerdeführern beanstandete Voranfrageverfahren lasse sich
ohne weiteres unter § 28 Abs. 2 ABauV subsumieren, sei im Gesetz
vorgesehen und grundsätzlich zulässig. Der Frage, welche oder wie
viele baurechtlich relevanten Punkte bereits im Voranfrageverfahren
geprüft würden, komme eher weniger Bedeutung zu. Dass der Wort-
laut der vorläufigen Stellungnahme und der Baubewilligung teilwei-
se übereinstimmten, bedeute nicht, dass der Stadtrat eine vorgefasste
Meinung gehabt habe. Das Projekt sei im Einspracheverfahren erneut
2007
Verwaltungsgericht
108
detailliert geprüft und auch die Einsprachen seien (zumindest teilwei-
se) in die Beurteilung einbezogen worden. Inhaltlich gehe die Baube-
willigung auch über den Gegenstand der Voranfrage hinaus. Es be-
stünden keine genügenden Anhaltspunkte für eine Voreingenommen-
heit des Stadtrates.
Es bestehe grundsätzlich keine Pflicht, allfällige vorläufige Stel-
lungnahmen der Behörden im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben
zu publizieren und öffentlich aufzulegen. Dennoch könne betroffe-
nen Dritten ein gewisses Interesse, von behördlichen Stellungnahmen
zu Bauprojekten Kenntnis zu erhalten, nicht abgesprochen werden.
Das gelte selbst dann, wenn die behördliche Stellungnahme unver-
bindlich sei. Auch unter dem Gesichtspunkt der "Waffengleichheit"
empfehle es sich, derartige Unterlagen ebenfalls öffentlich aufzule-
gen, werde doch allfälligen Einsprechern so die Möglichkeit gege-
ben, vor Einreichen einer Einsprache denselben Wissensstand zu er-
langen wie die Bauherrschaft. Dies müsse umso mehr gelten, wenn
eine Gemeinde, wie vorliegend die Stadt Baden, die transparente
Verfahrensabwicklung als Grundsatz explizit in ihrer BNO nenne. In-
des könne nicht ernsthaft behauptet werden, dass den Beschwerde-
führern ein nicht wiedergutzumachender Nachteil entstanden sei.
Selbst im Falle einer Verletzung von § 72 BNO liesse es sich nicht
rechtfertigen, die Baubewilligung allein aus diesem Grund aufzuhe-
ben.
2.4.
(...)
2.5.
Eine Befangenheit kann sich aus Gründen ergeben, die im Ge-
setz angelegt sind (Erw. 2.5.1.-2.5.3.), oder aus besonderen Fallum-
ständen (Erw. 2.5.4.).
2.5.1.
Nach § 62 BauG kann der Gemeinderat um einen Vorentscheid
über wichtige Bau- und Nutzungsfragen ersucht werden (Abs. 1).
Der Vorentscheid ist im gleichen Verfahren zu treffen wie der Ent-
scheid über das Baugesuch (Abs. 2). Beim Vorentscheid im Sinn von
§ 62 BauG handelt es sich um einen Teilentscheid über einzelne,
konkrete, wichtige Aspekte eines Projekts (AGVE 2005, S. 542 mit
2007
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
109
Hinw.). Da er im gleichen Verfahren zu erteilen ist wie der Entscheid
über das Baugesuch, ist er grundsätzlich auch für Dritte rechtsver-
bindlich. Von diesem Vorentscheid ist die Auskunft zu unterscheiden,
welche die Baubewilligungsbehörde auf eine Voranfrage hin erteilt
(vgl. zu dieser Unterscheidung Protokoll der Spezialkommission
Baugesetzrevision, Sitzung vom 24. Oktober 1991, S. 443 f., Votum
Regierungsrat Pfisterer). Mit der Auskunft befasst sich § 28 ABauV.
Diese Bestimmung lautet:
"Beratung und
1
Die am Verfahren beteiligten Privaten und Behörden
Zusammenarbeit
arbeiten zusammen.
(§ 60 BauG)
2
Im Interesse einer zügigen Verfahrensabwicklung und
der Koordination können der Gemeinderat, sowie für
kantonale und eidgenössische Bewilligungen und
Zustimmungen die kantonale Koordinationsstelle, vor
Einreichung von Gesuchen für komplexe und grössere
Bauvorhaben um unverbindliche Auskünfte und Stel-
lungnahmen ersucht werden. Dies gilt namentlich für
Gewerbe- und Industriebauten, Arealüberbauungen,
Bauten ausserhalb der Bauzonen und für Vorhaben, die
einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterstehen.
3
Diese Beratung bezieht sich insbesondere auf wichti-
ge Fragen zur Zulässigkeit des Vorhabens, die Ge-
suchsunterlagen und die Verfahrensabläufe. Die Ge-
suchsteller können die Mitwirkung der Behörde bei der
Ausarbeitung eines Ablaufprogramms verlangen.
4
Die Einreichung eines Gesuches verpflichtet zur Zu-
sammenarbeit mit den Bewilligungsbehörden, insbe-
sondere dazu, die erforderlichen Angaben und Unterla-
gen einzureichen und an einer beförderlichen und ko-
ordinierten Behandlung des Gesuches mitzuwirken.
Dies hilft mit, Verzögerungen zu vermeiden."
2007
Verwaltungsgericht
110
Sowohl das Vorentscheid- als auch das Voranfrageverfahren
dienen dazu, wichtige Vorfragen vorweg abzuklären, bevor dem Bau-
herrn bedeutender Aufwand für Projektierung und Umtriebe entste-
hen (für das Vorentscheidverfahren AGVE 1996, S. 509; 1981,
S. 210; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Feb-
ruar 1971, 2. Aufl., Aarau 1985, § 152 N 9). Im Gegensatz zum Vor-
entscheid fehlt der Auskunft aber die rechtliche Verbindlichkeit, wie
schon aus dem Wortlaut von § 28 Abs. 2 ABauV hervorgeht. Der
Grund liegt darin, dass Dritte in das Voranfrageverfahren nicht einbe-
zogen werden. Es handelt sich somit bei der Auskunft lediglich um
eine vorläufige (nicht bindende) Stellungnahme.
2.5.2.
Wird die Baubewilligungsbehörde vor der Einleitung eines Bau-
bewilligungsverfahrens um Auskunft ersucht, führt dies im nachfol-
genden Baubewilligungsverfahren systembedingt zu einer Vorbefas-
sung. Der Zweck der mehrfachen Befassung liegt hier gerade darin,
eine einheitliche Beurteilung zu ermöglichen. Ob in dieser Vorbefas-
sung ein Ausstandsgrund zu erblicken ist, beurteilt sich nach dem
kantonalen Recht (Ziff. 2.5.2.1.) und den aus Art. 29 BV herzuleiten-
den Grundsätzen (Ziff. 2.5.2.2.).
2.5.2.1.
§ 5 VPRG regelt die Frage des Ausstandes wie folgt:
"2. Ausstand
1
Behördemitglieder und Sachbearbeiter dürfen beim Erlass
von Verfügungen und Entscheiden nicht mitwirken, wenn ein
Ausstandsgrund im Sinne der Zivilprozessordnung
vorliegt.
2
Sie haben sich insbesondere in Ausstand zu begeben, wenn
sie selbst oder ihnen nahe verbundene Personen an der Ver-
fügung oder dem Entscheid persönlich interessiert sind, sowie
in Angelegenheiten von juristischen Personen, deren Verwal-
tung sie oder ihnen nahe verbundene Personen angehören,
ferner wenn sie in der Sache schon in einer untern Instanz,
oder als Berater oder Vertreter eines Beteiligten mitgewirkt
haben.
3
Wird die Verfügung einer Regierungsdirektion [heute: De-
2007
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
111
partement] beim Regierungsrat angefochten, hat der betref-
fende Direktionsvorsteher [heute: Departementsvorsteher]
be-
ratende Stimme.
"
Der in § 5 Abs. 2 VRPG geregelte Ausstandsgrund der Vorbe-
fassung kann sich nur aktualisieren, wenn einzelne Behörden-
mitglieder in der gleichen Sache schon in einer
unteren Instanz
mitgewirkt haben bzw. wenn ein Behördenmitglied auf zwei hierar-
chisch unterschiedlichen Verfahrensstufen tätig war (vgl. auch
AGVE 2000, S. 394). Das trifft vorliegend nicht zu. Auf Grund der
bloss beispielhaften Aufzählung in § 5 Abs. 2 VRPG und des Verwei-
ses in § 5 Abs. 1 VRPG ist jedoch anzunehmen, dass sich ein Behör-
denmitglied auch dann in den Ausstand zu begeben hat, wenn andere
Umstände vorliegen, die es als befangen erscheinen lassen (§ 5
Abs. 1 VRPG i.V.m. § 3 lit. c ZPO). Es stellt sich somit die
grundlegende Frage, ob Behördenmitglieder, die eine Auskunft
erteilen oder eine Meinungsäusserung abgeben, damit automatisch
für den eigentlichen formellen und anfechtbaren Entscheid als
befangen zu betrachten sind. Bis anhin wurde die Zulässigkeit
behördlicher Auskünfte von Lehre und Praxis auch unter diesem
Gesichtspunkt nie in Frage gestellt. Die Möglichkeit der Voranfrage
wird sogar befürwortet, weil sie im Interesse der Verfahrensökono-
mie und der bürgernahen Verwaltung liegt. Eine solche Vorbefassung
wird erst dann als kritisch eingestuft, wenn ausserhalb eines Baube-
willigungsverfahrens und somit unter Ausschluss der an diesem Ver-
fahren zu beteiligenden Dritten Zusagen abgegeben werden, die ge-
eignet sind, beim Adressaten eine Vertrauensposition zu schaffen, so
dass sich dieser im nachfolgenden Baubewilligungsverfahren ver-
anlasst sieht, sich auf die Verbindlichkeit der Zusage zu berufen.
Auch wenn eine solche Zusage für nicht einbezogene Dritte keine
verbindliche Wirkung entfalten kann, so dürfte sie doch die Behörde
im nachfolgenden Baubewilligungsverfahren als voreingenommen
erscheinen lassen BVR 1992, S. 219 f.). Eine solche vertrauens-
begründende Zusage ist aber im konkreten Fall nicht erteilt worden.
Vielmehr hat der Stadtrat in seinem Beschluss vom 20. Dezember
2004 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um eine
2007
Verwaltungsgericht
112
vorläufige Stellungnahme handelt. Er hat zudem Änderungen der
Rechtsverhältnisse, allfällige berechtigte Einsprachen Dritter sowie
die Bedingungen und Auflagen der Baubewilligung ausdrücklich
vorbehalten. Nachdem auch keine anderen Umstände vorliegen, die
den Vorwurf der Befangenheit untermauern könnten, liegt kein
Ausstandsgrund nach kantonalem Prozessrecht vor.
2.5.2.2.
Zu prüfen bleibt, ob sich aus dem Bundesrecht eine Ausstands-
pflicht ergibt. Während die Ausstandspflicht richterlicher Behörden
nach Art. 30 Abs. 1 BV zu beurteilen ist, richtet sich diejenige von
Verwaltungsbehörden nach Art. 29 Abs. 1 BV (BGE 127 I 198).
Nach den in dieser Bestimmung verankerten "Allgemeinen Verfah-
rensgarantien" hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Ver-
waltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung
sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. Aus dieser Bestim-
mung lässt sich für den Fall einer (relevanten) Vorbefassung eine
Ausstandspflicht von Verwaltungsbehörden ableiten. Neuere Ent-
scheide des Bundesgerichts deuten zudem darauf hin, dass es die
Grundsätze über die Vorbefassung von
Richtern
auch auf Entscheid-
träger der Verwaltung anwenden will, die vornehmlich oder aus-
schliesslich Rechtsprechungsfunktionen wahrnehmen (vgl. BGE 125
I 119 ff. = Pra 88/1999, S. 867 ff.; vgl. auch Benjamin Schindler, Die
Befangenheit der Verwaltung, Der Ausstand von Entscheidträgern
der Verwaltung im Staats- und Verwaltungsrecht von Bund und Kan-
tonen, Diss. Zürich 2002, S. 144 f. mit Hinw.). Es ergibt sich somit
für das verwaltungsinterne und -externe Verfahren ein vergleichbarer
Anspruch auf Ausstand vorbefasster Entscheidträger (Schindler,
a.a.O., S. 145). Allerdings ist davon auszugehen, dass in der verwal-
tungsinternen Rechtspflege nicht die gleich strengen Massstäbe gel-
ten wie in Verfahren vor verwaltungsunabhängigen Organen (AGVE
2000, S. 394 f. mit Hinw.). Es liegt in der Natur der Sache, dass die
verwaltungsinterne Rechtspflege nicht die gleichen prozessualen Ga-
rantien zu bieten vermag wie die Rechtsprechung durch unabhängige
Gerichte. Gerade solche systembedingten Unzulänglichkeiten des
verwaltungsinternen Rechtsschutzes haben zur Schaffung unabhängi-
2007
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
113
ger Verwaltungsgerichte geführt (BGE vom 8. September 2000
[5P.284/2000], Erw. 3b mit Hinw.).
Nach der in Art. 30 Abs. 1 BV enthaltenen Garantie des verfas-
sungsmässigen Richters hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine
Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbe-
fangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände ent-
schieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenhei-
ten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der
Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie
verletzt. Solche Umstände können auch in funktionellen oder organi-
satorischen Gegebenheiten begründet sein. Bei der Beurteilung der
Umstände, welche die Gefahr der Voreingenommenheit schaffen,
kann nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abgestellt wer-
den; das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in
objektiver Weise begründet erscheinen. Ob sich ein Richter durch
seine Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen Punkten
bereits in einem Mass festgelegt hat, das ihn als voreingenommen
und das Verfahren als nicht mehr offen erscheinen lassen, kann nicht
generell gesagt werden. Es ist nach der Rechtsprechung vielmehr in
jedem Einzelfall zu untersuchen, ob die konkret zu entscheidende
Rechtsfrage trotz Vorbefassung als offen erscheint (BGE 126 I 73 mit
Hinw.; BGE vom 25. Oktober 2004 [4P.83/2004], Erw. 1.2).
Vorliegend konnte der Stadtrat Baden auf die Anfrage der Bau-
herrschaft hin von Gesetzes wegen nur eine unverbindliche Auskunft
erteilen (vgl. § 28 Abs. 2 ABauV). Der Stadtrat hielt ausserdem in
seiner Auskunft explizit fest, dass es sich um eine vorläufige Beurtei-
lung handelt. Ausserdem verknüpfte er die Auskunft namentlich mit
dem Vorbehalt allfälliger berechtigter Einsprachen Dritter und mit
den im Baubewilligungsverfahren anzuordnenden Bedingungen und
Auflagen. Damit war der Inhalt der Baubewilligung trotz Voranfrage
weiterhin offen, weshalb auch keine verfassungswidrige Vorbefas-
sung vorliegt. In solchen Fällen kann von der Baubewilligungsbehör-
de erwartet werden, dass sie ihre Beurteilung des Bauvorhabens bei
begründeten Einwendungen Dritter im Verlauf des Verfahrens revi-
diert und das Baugesuch trotz der vorgängig erteilten (unverbindli-
chen) Auskunft objektiv und unparteiisch beurteilt.
2007
Verwaltungsgericht
114
2.5.3.
(Befangenheit als Folge besonderer Fallumständen verneint).
2.5.4.
Es kann somit weder aus Gründen, die im Gesetz angelegt sind,
noch aus besonderen Fallumständen auf eine Befangenheit des Stadt-
rats Baden geschlossen werden. Der Einwand der Beschwerdeführer
erweist sich als unbegründet.
2.6.
Es bleibt zu untersuchen, ob die Voranfrage im konkreten Fall
den Rahmen des Zulässigen gesprengt hat oder nicht.
Nach § 28 Abs. 2 ABauV kann "vor Einreichung von Gesuchen
für komplexe und grössere Bauvorhaben um unverbindliche
Auskünfte und Stellungnahmen ersucht werden". Es stellt sich die
Frage, ob der Gesetzgeber mit der Beschränkung der Voranfrage auf
"komplexe und grössere Bauvorhaben" die Gefahr der Vorbefassung
eindämmen wollte, wie dies die Beschwerdeführer behaupten. Das
ist zu verneinen. Hätte der Gesetzgeber mit dieser Beschränkung die
Gefahr der Vorbefassung minimieren wollen, hätte er das Voranfra-
geverfahren nicht nach der Grösse und Komplexität des Bauvor-
habens, sondern nach der Bedeutung der Frage eingrenzen müssen,
die dem vorfrageweise unterbreiteten Punkt für die Bewilligungsfä-
higkeit des Bauvorhabens zukommt. Er hätte in diesem Fall Fragen,
die für die Bewilligungsfähigkeit des Bauvorhabens von entschei-
dender Bedeutung sind, von der Möglichkeit der Voranfrage ausneh-
men müssen, und zwar auch bei kleinen und einfachen Projekten.
Grösse und Komplexität eines Bauvorhabens haben keine Auswir-
kungen auf das Ausmass der Vorbefassung. Vor diesem Hintergrund
ist davon auszugehen, dass die Einschränkung nach Grösse und
Komplexität nicht der Vorbefassung entgegen wirken, sondern der
Beurteilung des Rechtsschutzinteresses an der Voranfrage dienen
soll. Während der Bauherr bei Bauvorhaben mit grossem Projektie-
rungsaufwand ein erhebliches Interesse hat, gewisse Fragen noch vor
dem Ausarbeiten der Baugesuchsunterlagen abzuklären (vgl. für den
Vorentscheid Zimmerlin, a.a.O., § 152 N 10), ist ihm bei leicht
projektier- und beurteilbaren Bagatellprojekten im Allgemeinen die
direkte Einreichung eines Baugesuchs ohne Voranfrage zumutbar. In
2007
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
115
diesem Fall soll die Verwaltung nicht mit unnötigen Voranfragen
belastet werden, so dass dem Bauherrn das erforderliche Rechts-
schutzinteresse an der Beantwortung der Voranfrage abzusprechen
ist. Im konkreten Fall zeigen jedoch schon die zahlreichen Argumen-
te der Beschwerdeführer, welche diese gegen die Bewilligungsfähig-
keit des Bauvorhabens vorbringen, dass es sich nicht um ein leicht
beurteilbares Bagatellprojekt handelt.
§ 28 Abs. 3 ABauV, wonach sich die Beratung insbesondere
auf wichtige Fragen zur Zulässigkeit des Vorhabens, die Gesuchsun-
terlagen und die Verfahrensabläufe bezieht, beschränkt die Zulässig-
keit der Voranfrage wohl ebenfalls nur unter dem Aspekt des Rechts-
schutzinteresses. Ob es sich tatsächlich so verhält, kann jedoch offen
bleiben, weil die in der Voranfrage thematisierten Punkte im konkre-
ten Fall ohnehin nicht als unwichtig bezeichnet werden können.
2.7.
Es bleibt zu erörtern, ob die Baubewilligungsbehörde auch die
Voranfrage-Akten hätte öffentlich auflegen müssen.
2.7.1.
Nach § 60 Abs. 2 BauG wird das Baugesuch vom Gemeinderat
veröffentlicht und bei Vorhaben, die nicht der Umweltverträglich-
keitsprüfung unterliegen, während 20 Tagen öffentlich aufgelegt.
Welche Angaben zu publizieren sind, hat der Gesetzgeber auf der
Verordnungsstufe geregelt (§ 35 Abs. 3 ABauV). Danach sind fol-
gende Angaben zu veröffentlichen bzw. nicht ortsansässigen An-
stössern schriftlich mitzuteilen: Name und Adresse der Gesuchsteller,
Lage des Baugrundstücks, Umschreibung des Vorhabens, Gesuche
für weitere Bewilligungen und Zustimmungen kantonaler oder eidge-
nössischer Behörden und Ort sowie Zeit der öffentlichen Auflage,
Einsprachemöglichkeit, Einsprachestelle, Einsprachefrist und formel-
le Anforderungen an Einsprachen. Dagegen wird der Umfang der
Auflage auch auf der Verordnungsstufe nicht näher umschrieben.
2.7.2.
Die Publikation und die öffentliche Auflage bilden wichtige
Mittel, durch das Nachbarn und weitere Interessenten von einem
Bauvorhaben Kenntnis und damit Gelegenheit erhalten, sich durch
eine Einsprache zu wehren. Die Einsprache dient der formalisierten
2007
Verwaltungsgericht
116
Gewährung des rechtlichen Gehörs. An diesem Zweck hat sich auch
die Antwort auf die Frage auszurichten, welche Akten zu publizieren
und öffentlich aufzulegen sind. Publikation und öffentliche Auflage
müssen die zur Einsprache legitimierten Personen in die Lage verset-
zen, sich in Kenntnis aller wesentlicher Sachumstände gegen das
Bauvorhaben wehren zu können. Während sich der Gegenstand der
Publikation schon aus praktischen Gründen beschränken muss, be-
steht im Allgemeinen kein Anlass, den Umfang der aufzulegenden
Baugesuchsakten einzugrenzen. Nach dem Wortlaut von § 60 Abs. 2
BauG wird das "Baugesuch" (d.h. mit all seinen Bestandteilen)
öffentlich aufgelegt. Aus dem Wortlaut von § 60 Abs. 2 BauG lässt
sich hingegen keine Rechtspflicht der Baubewilligungsbehörde ablei-
ten, Vorakten zum Baugesuch (wie Voranfragen und behördliche
Auskünfte) öffentlich aufzulegen. Eine solche Pflicht folgt auch
nicht aus Sinn und Zweck der öffentlichen Auflage. Der Grund liegt
darin, dass sich die Einsprache nach der Konzeption des Gesetzes
nicht gegen einen behördlichen Entscheid richtet (der in diesem Ver-
fahrensstadium noch gar nicht vorliegt), sondern gegen das
Bauvorhaben. Die Angaben zu diesem sind im Baugesuch enthalten,
weshalb die Baugesuchsakten dem legitimierten Nachbarn eine ge-
nügende Grundlage bieten, um von der Möglichkeit der Einsprache
bestimmungsgemäss Gebrauch zu machen. Um sich gegen das
Bauvorhaben wehren und seine Interessen im Einspracheverfahren
adäquat wahren zu können, bedarf er keiner Kenntnisse über Voran-
fragen und über unverbindliche Auskünfte der Behörden im Sinn von
§ 28 Abs. 2 ABauV. Nachdem sich die Baubewilligungsbehörde im
Entscheid über das Baugesuch trotz vorläufiger Stellungnahme bzw.
unverbindlicher Auskunft im Sinn von § 28 ABauV zu sämtlichen
relevanten Punkten zu äussern und ihre Haltung zu begründen hat,
erleidet der Einsprecher bei Unkenntnis über Vorakten der erwähnten
Art auch für den weiteren Verlauf des Verfahrens keinen Rechts-
nachteil. Der Einspracheentscheid bzw. der Entscheid über die Bau-
bewilligung eröffnet ihm die Möglichkeit, sich gegen die Beurteilung
der Baubewilligungsbehörde zu wehren. Mit der Vorinstanz ist daher
davon auszugehen, dass keine Rechtspflicht besteht, Voranfragen und
vorläufige Stellungnahmen zu solchen öffentlich aufzulegen. Etwas
2007
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
117
anderes kann auch nicht aus dem Grundsatz der "Waffengleichheit"
abgeleitet werden. Da sich die Einsprache gegen ein Bauvorhaben
und nicht gegen einen behördlichen Entscheid richtet, wirkt sich die
Nichtauflage der Voranfrageakten nicht auf die Chancengleichheit
der Parteien im Einspracheverfahren aus. Der Grundsatz der Waffen-
gleichheit wird aber möglicherweise dann tangiert, wenn die vorläu-
fige Stellungnahme zur Voranfrage über die Begründung im nachfol-
genden Baubewilligungsentscheid hinausgeht. Alsdann bestünde die
Gefahr, dass sich der unterschiedliche Wissenstand des Bauherrn und
des Dritten im Beschwerdeverfahren zum Nachteil des Zweitgenann-
ten auswirkt. Diese Gefahr hat sich jedoch im konkreten Fall nicht
verwirklicht, haben die Beschwerdeführer doch noch im Einspra-
cheverfahren von der Voranfrage und der vorläufigen Stellungnahme
Kenntnis erhalten.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer lässt sich auch
aus § 72 BNO keine Pflicht ableiten, Voranfragen und vorläufige
Stellungnahmen zu solchen öffentlich aufzulegen. § 72 BNO ist als
Zielnorm konzipiert. Sie nennt lediglich Zielvorstellungen für das
Baubewilligungsverfahren, ohne konkrete Verhaltenspflichten zu be-
gründen. Als zielbestimmte Vorschrift kommt sie deshalb nicht allei-
ne zur Anwendung, sondern nur (aber immerhin) bei der Anwendung
und Auslegung anderer Normen. § 72 BNO bezieht sich sodann auf
Grund seines Wortlauts und der systematischen Stellung auf das
Baubewilligungsverfahren. Sie ist nicht auf das Voranfrageverfahren
zugeschnitten, das dem Baubewilligungsverfahren zeitlich vorgela-
gert und in der BNO selber nicht geregelt ist.
(Hinweis: Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.) | 5,944 | 4,714 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2007-30_2007-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2007-30.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2007-30.pdf | AGVE_2007_30 | null | nan |
e454b671-d6b6-5548-aa5e-241a81da03ba | 1 | 412 | 870,224 | 1,078,185,600,000 | 2,004 | de | 2004
Kantonale Steuern
135
[...]
36 Korrekturveranlagung
(Rektifikat).
- Eine während laufendem Einspracheverfahren erfolgende neue Ver-
anlagung (Korrekturveranlagung, Rektifikat) ist nach Ablauf der
Rechtsmittelfrist auch für die Steuerbehörden verbindlich.
- Gegen eine äusserlich als Veranlagung der Gemeindesteuerkommis-
sion erscheinende Veranlagung können die Steuerbehörden nicht
nachträglich einwenden, sie sei vom Gemeindesteueramt eigenmäch-
tig erlassen worden und basiere nicht auf einem entsprechenden Be-
schluss der Steuerkommission.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 4. März 2004 in Sa-
chen A.W. gegen Steuerrekursgericht.
Aus den Erwägungen
2. Streitig ist die Bedeutung der Korrekturveranlagung vom
18. Januar 2001.
2004
Verwaltungsgericht
136
a) aa) Die Beschwerdeführer bringen vor, damit sei die ur-
sprüngliche Veranlagung vom 20. Dezember 1995 aufgehoben und
das Verfahren abgeschlossen worden. ... Es sei keinesfalls unüblich,
dass bei Gutheissung einer Einsprache lediglich eine Korrekturver-
anlagung (Rektifikat) anstelle eines formellen Einspracheentscheids -
dem sie inhaltlich gleichkomme - zugestellt werde. Der Steuer-
pflichtige müsse sich darauf verlassen dürfen, dass es sich dabei um
eine gültige neue Veranlagung handle.
bb) Das Regionale Steueramt X. als zuständiges Gemeindesteu-
eramt hat im Rekursverfahren zur Erklärung ausgeführt, nach Inter-
ventionen der Beschwerdeführer sei entgegenkommenderweise "die
Steuerrechnung der Veranlagung Liquidationsgewinn 1993 momen-
tan sistiert (worden), damit die Zinspflicht nicht weiterläuft, da der
Pflichtige sich weigerte die definitive Rechnung in der Höhe von
Fr.
156'430.-- trotz Gesetzgebung zu begleichen". Zu diesem
Zeitpunkt sei der Ausgang des Einspracheverfahrens noch ungewiss
gewesen. Es sei den Beschwerdeführern und insbesondere ihrem
Vertreter bewusst gewesen, "dass dieser durch das Steueramt
vorgenommene Akt keine Behandlung der Einsprache war, sondern
unter anderem lediglich ein Entgegenkommen seitens der Amtsstelle.
Die Zustellung der diesbezüglichen Korrektur erfolgte lediglich an
den Pflichtigen zur Kenntnisnahme." Der Einspracheentscheid sei
erst später erfolgt und korrekt eröffnet worden.
cc) Das KStA vertritt die Auffassung, bei der "korrigierten
Rechnung" vom 18. Januar 2001 könne es sich nicht um einen Ein-
spracheentscheid handeln, denn zu jenem Zeitpunkt habe es an einem
entsprechenden Entscheid der Steuerkommission Y. gefehlt, und die
Formalien eines Einspracheentscheides gingen der Rechnung ab.
In der Praxis würden in Ausnahmefällen Einsprachen auf dem
Rektifikatswege (mit Korrekturveranlagung) erledigt. Dabei korri-
giere das Gemeindesteueramt die im Einspracheverfahren beanstan-
deten Faktoren entsprechend dem Einsprachebegehren oder dem
Ergebnis aus der Korrespondenz oder der Besprechung mit der steu-
erpflichtigen Person von sich aus, ohne dass hierüber die Ge-
samtsteuerkommission einen förmlichen Beschluss fasse. Die Steu-
erkommission und der (in der Regel zuvor orientierte) kantonale
2004
Kantonale Steuern
137
Steuerkommissär billigten dieses Verfahren stillschweigend, das
grundsätzlich nur zur Anwendung komme, wenn aufgrund einer
Einsprache eine Verhandlung zu einem übereinstimmenden Ergebnis
geführt habe oder die Veranlagung mit einem offensichtlichen Fehler
behaftet sei. Bei grösseren Differenzen, die nicht auf dem Verhand-
lungsweg bereinigt werden könnten, erfolge nie eine Korrekturver-
anlagung.
dd) Das Steuerrekursgericht hat im angefochtenen Entscheid
ausgeführt, das Einspracheverfahren sei durch einen Einspracheent-
scheid abzuschliessen, und dass die Korrekturveranlagung keinen
solchen darstelle, sei schon äusserlich klar erkennbar, zumal sie kei-
nen Hinweis auf das Einspracheverfahren enthalte. Zwar komme es
in der Praxis vor, dass statt eines förmlichen Einspracheentscheids
ein sog. Rektifikat erlassen werde; diese im StG nicht vorgesehene
Erledigungsart werde aber nur angewendet, wo sich die Steuerbe-
hörde und der Steuerpflichtige über die Einspracheerledigung einig
seien. Auch wenn die Zustellung der Verfügung vom 18. Januar 2001
etwas problematisch erscheine, könne ihr nicht die Bedeutung eines
Einspracheentscheids beigemessen werden.
b) Einem Entscheid des Verwaltungsgerichts im Jahre 2001 lag
der Sachverhalt zugrunde, dass das Gemeindesteueramt gestützt auf
einen gutheissenden Rekursentscheid die sich daraus ergebende neue
Veranlagung eröffnet hatte, während noch die Beschwerdefrist lief.
Das KStA führte etwas später Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
dem Antrag auf Änderung des Rekursentscheids; die neue Veranla-
gung ihrerseits blieb unangefochten und erwuchs in formelle Rechts-
kraft. Das Verwaltungsgericht entschied, da es sich bei der neuen
Veranlagung nach Text und Erscheinungsbild um eine Veranlagung
der Steuerkommission handle, müssten sich die Steuerbehörden hier-
bei behaften lassen und seien gehindert, geltend zu machen, die
Steuerkommission habe gar keinen entsprechenden Beschluss ge-
fasst, vielmehr habe das Gemeindesteueramt eigenmächtig gehan-
delt. Wenn zwecks Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit die Ver-
anlagungen, anders als die Einspracheentscheide, ohne Unterzeich-
nung gültig seien, werde es dem Steuerpflichtigen verunmöglicht, zu
erkennen, ob ein (durch die Unterschrift des Steuerkommissionsprä-
2004
Verwaltungsgericht
138
sidenten bekräftigter) Beschluss der Steuerkommission existiere. Die
dadurch geschaffene Unsicherheit dürfe nicht zu Lasten des Steuer-
pflichtigen gehen. Die Veranlagungsverfügung sei nicht nichtig,
selbst wenn sie tatsächlich nicht auf einem Beschluss der zuständi-
gen Steuerkommission beruhe, da der Mangel weder offensichtlich
noch leicht erkennbar sei und zudem überwiegende Rechtssicher-
heitsinteressen dagegen sprächen. Bei einer Gutheissung der Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde entstünde ein unerträglicher Wider-
spruch zwischen dem (noch auf der ursprünglichen Veranlagung
basierenden) Entscheid des Verwaltungsgerichts und der rechtskräf-
tigen neuen Veranlagung. Dem KStA, das die rechtzeitige Anfech-
tung der neuen Veranlagung unterlassen hatte, wurde das schutzwür-
dige Interesse, einen solchen Widerspruch hervorzurufen, abgespro-
chen und als Folge auf seine Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
eingetreten (AGVE 2001, S. 379 ff. mit ausführlicher Begründung).
Bereits früher hatte sich das Verwaltungsgericht mit dem Sach-
verhalt zu befassen, dass nach Einspracheerhebung eine neue Veran-
lagungsverfügung ohne entsprechenden Beschluss der Steuerkom-
mission eröffnet worden war. Es konnte letztlich offen lassen, ob die
neue Veranlagung nichtig gewesen wäre, wurde diese doch durch die
Steuerkommission noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, also bevor
sie in Rechtskraft erwuchs, förmlich widerrufen bzw. rückgängig
gemacht (VGE II/26 vom 17. März 1986 in Sachen J. W.).
c) aa) Das Regionale Steueramt vertritt die - vom KStA über-
nommene - Ansicht, mit dem "Akt" vom 18. Januar 2001 sei keine
Behandlung der Einsprache verbunden gewesen, sondern es handle
sich lediglich um eine entgegenkommenderweise erfolgte Sistierung
der Steuerrechnung (siehe vorne Erw. a/bb). Daran ist so viel richtig,
dass die Korrekturveranlagung keinen Einspracheentscheid darstellt
und nicht in einen solchen umgedeutet werden kann (erwähnter
VGE vom 17. März 1986, S. 7, 10). Offensichtlich unzutreffend ist
dagegen die Interpretation, es handle sich nur um eine
vorübergehende Sistierung der Steuerrechnung. Das ganze äussere
Erscheinungsbild, auf das es ankommt (AGVE 2001, S. 380 f.), lässt
keinen Zweifel offen, dass die Steuerkommission Y. eine
Veranlagungsverfügung erliess und darin den steuerbaren Liqui-
2004
Kantonale Steuern
139
dationsgewinn auf Fr. 0.-- festsetzte; ... Nach der Rechtsprechung
sind die Steuerbehörden gehindert, geltend zu machen und
gegebenenfalls nachzuweisen, dass eine äusserlich ordnungsgemäss
erlassene Veranlagung nicht auf einem entsprechenden Beschluss der
Steuerkommission beruht (AGVE 2001, S. 382 f.). Eine Änderung
dieser Rechtsprechung ist abzulehnen, denn sie würde zu immenser
Rechtsunsicherheit führen; die Steuerbehörden könnten alle
rechtskräftigen Veranlagungen nachträglich mit der Behauptung in
Frage stellen, die Steuerkommission habe darüber nicht entschieden,
und das gleiche Recht müsste den Steuerpflichtigen zugebilligt
werden; ob die Sitzungsprotokolle, bei denen weder garantiert
werden kann, dass sie unmittelbar nach der Sitzung erstellt werden,
noch dass nie eine nachträgliche Korrektur erfolgt, genügenden
Beweis erbrächten, ist ungewiss. Somit ist für den vorliegenden Fall
festzuhalten, dass im Verlauf des Einspracheverfahrens, vor der
Eröffnung eines Einspracheentscheids, eine Korrekturveranlagung
eröffnet wurde, die inhaltlich dem Hauptbegehren der Einsprache
entsprach, nicht nichtig war (AGVE 2001, S. 383) und mangels
Anfechtung in formelle Rechtskraft erwuchs.
bb) Das Einspracheverfahren ist durch Einspracheentscheid der
veranlagenden Steuerkommission abzuschliessen (§ 148 aStG). Es
wurde zuvor ausgeführt, dass die Korrekturveranlagung vom
18. Januar 2001 keinen Einspracheentscheid darstellt. Wie dem Ver-
waltungsgericht und dem Steuerrekursgericht aus anderen Verfahren
bekannt ist und vom KStA auch zugestanden wird, ist es Praxis, dass
die Gemeindesteuerämter "in Ausnahmefällen", tatsächlich aber
durchaus nicht so selten, Einsprachen ohne Beschluss der Steuer-
kommission "auf dem Rektifikatswege" mittels Korrekturveranla-
gung erledigen, so wie es - anscheinend ungewollt - auch hier ge-
schehen ist. Vorgesehen ist diese Vorgehensweise zwar nur, wenn
sich aufgrund der Einsprache ein offensichtlicher Veranlagungsfehler
zeigt oder wenn im Laufe des Einspracheverfahrens Übereinstim-
mung mit dem Steuerpflichtigen erzielt wurde (Vernehmlassung
KStA), wobei auf Seiten der Steuerbehörden die für den Einsprache-
entscheid verantwortliche Steuerkommission offensichtlich nicht
immer einbezogen wird. Wenn gegen die Korrekturveranlagung
2004
Verwaltungsgericht
140
keine Einsprache erhoben wird, wird das Einspracheverfahren gegen
die ursprüngliche Veranlagung entweder formlos abgeschlossen oder
ein Abschreibungsbeschluss zufolge Gegenstandslosigkeit erlassen
(Vernehmlassung KStA); ein materieller Einspracheentscheid ent-
fällt. Diese Folge ist unausweichlich, bedeutet doch die Korrektur-
veranlagung logisch zwingend, dass damit die ursprüngliche Veran-
lagung (gegen die sich die Einsprache richtete) aufgehoben wird.
Dieser Praxis ist das Risiko inhärent, dass Korrekturveranla-
gungen ergehen, bei denen die vorausgesetzten Rahmenbedingungen
nicht erfüllt sind. Es kann nicht in Frage kommen, in die Korrektur-
veranlagungen eine stillschweigende Bedingung hineinzuinterpretie-
ren, wonach sie nur gelten, soweit die Steuerkommission bzw. die
Steuerbehörden nicht nachträglich zum Schluss kommen, es habe an
den Voraussetzungen gefehlt. Werden Korrekturveranlagungen
zwecks Verfahrenserleichterung toleriert, so haben sie auch Geltung,
wenn sie eigentlich nicht hätten erfolgen sollen (vgl. analog
AGVE 2001, S. 382 f.); dann lässt sich nur über Anweisungen und
Aufsicht verhindern, dass Gemeindesteuerämter auch in
ungeeigneten Fällen dem Einspracheentscheid mit einer Korrektur-
veranlagung zuvorkommen.
cc) Nachdem die Korrekturveranlagung rechtskräftig geworden
war, war als Konsequenz der beschriebenen Steuerpraxis kein Platz
mehr für einen materiellen Einspracheentscheid; inhaltlich blieb es
bei der Korrekturveranlagung vom 18. Januar 2001. Um dies zu ver-
hindern, hätte innerhalb der Einsprachefrist entweder die Steuer-
kommission Y. die Korrekturveranlagung rückgängig machen (ana-
log dem Sachverhalt im erwähnten VGE vom 17. März 1986) oder
das KStA Einsprache erheben müssen (§ 145 lit. a aStG; vgl. auch
AGVE 2001, S. 382). | 2,603 | 1,957 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-36_2004-03-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-36.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-36.pdf | AGVE_2004_36 | null | nan |
e4a1aefc-d910-5fc7-81d7-894ca4842502 | 1 | 412 | 870,845 | 991,440,000,000 | 2,001 | de | 2001
Abgaben
187
[...]
44 Beitragsplan.
- Folgen beim Fehlen einer genügenden gesetzlichen Grundlage und
deren nachträglicher Schaffung (Erw. 1/a).
- Rad- und Fusswege sowie Beleuchtung als Bestandteil der Strasse und
damit der massgeblichen Strassenbaukosten (Erw. 5/b).
- Zu kleiner Perimeter, Folgen für den Beitragsplan (Erw. 6/d/cc).
- Behandlung freiwilliger Beiträge von Privaten im Beitragsplan
(Erw. 6/e).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 26. Juni 2001 in
Sachen J. AG und Z. AG gegen Entscheid des Baudepartements.
Sachverhalt
Mit Entscheid vom 9. September 1998 hiess das Verwaltungs-
gericht die Beschwerde der J. AG und der Z. AG gegen die ihnen mit
dem Beitragsplan auferlegten Beiträge an die Kosten der S.-Strasse
gut, weil die Bestimmungen im Bundes- und im kantonalen Recht
dafür keine ausreichende Grundlage bildeten und es an einer gesetz-
lichen Grundlage im kommunalen Recht fehlte (zur Begründung vgl.
2001
Verwaltungsgericht
188
AGVE 1998, S. 181 ff.). In der Folge erliess die Gemeindever-
sammlung M. ein "Übergangsreglement für die Erhebung von Stras-
senbaubeiträgen". Gestützt auf dieses legte der Gemeinderat erneut
einen Beitragsplan auf.
Aus den Erwägungen
1. a) Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat die Fest-
stellung, dass eine Abgabenverfügung auf einer ungenügenden ge-
setzlichen Grundlage beruht (sodass es an der gesetzlichen Grund-
lage fehlt), nicht zur Folge, dass der beschwerdeführende Private
überhaupt keine Abgabe bezahlen muss. Vielmehr bestehen ver-
schiedene Möglichkeiten, die Abgabe trotzdem zu erheben, u.a.
durch die Schaffung einer rückwirkenden neuen Abgabenordnung
(URP 1998, S. 741 f.). Im VGE vom 9. September 1998 hat das Ver-
waltungsgericht denn auch ausdrücklich festgehalten, die Gutheis-
sung der Beschwerde schliesse die Erhebung eines Beitrags gestützt
auf eine noch zu schaffende, ausreichende gesetzliche Grundlage
nicht aus. Das von der Gemeinde M. erlassene Übergangsreglement
sieht vor, dass es bis zum Inkrafttreten einschlägiger kantonaler Vor-
schriften für die Beitragserhebung an Kosten des Strassenbaues gilt
(§ 1) und dass es rückwirkend für alle hängigen Verfahren zur
Festsetzung von Grundeigentümerbeiträgen Anwendung findet (§ 4).
Zu Recht machen die Beschwerdeführerinnen nicht geltend, die ge-
setzliche Grundlage für die angefochtenen Beiträge sei ungenügend.
(...)
5. b) aa) Öffentliche Strassen sind alle dem Gemeingebrauch
offen stehenden Strassen, Wege und Plätze mit ihren Bestandteilen
(§ 80 Abs. 1 BauG). Bestandteile sind alle Bauten und Vorrichtun-
gen, die zur technisch zweckmässigen und umweltschonenden Aus-
gestaltung dienen (§ 80 Abs. 2 BauG), so die für den Schutz der
Fussgänger und Radfahrer notwendigen Anlagen (lit. a; vgl. auch
§ 84 Abs. 2 BauG) sowie Anlagen für die Einpassung in die Land-
schaft (lit. f). Dass im vorliegenden Fall die Rad- und Fusswege (die
bei einer Sammelstrasse im Industriegebiet aus Sicherheitsgründen
2001
Abgaben
189
klarerweise notwendig sind) sowie die Grünstreifen als Bestandteile
zur Strasse gehören, kann demnach nicht zweifelhaft sein. Wenn die
Erstellung (auch) im Interesse der Öffentlichkeit erfolgt, hat dies
nicht zur Folge, dass die entsprechenden Kosten aus dem Beitrags-
plan auszuscheiden wären, sondern beeinflusst vielmehr die Höhe
des Gemeindeanteils.
bb) Auch die Beleuchtung gehört, soweit sie notwendig ist, zu
den Strassenbestandteilen (vgl. Ernst Kistler/René Müller, Baugesetz
des Kantons Aargau [Kommentar], 1994, § 80 N 6 i.V.m. § 37 Abs. 1
des Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 [altes
Baugesetz; aBauG]; Erich Zimmerlin, [Kommentar zum alten] Bau-
gesetz des Kantons Aargau, 2. Auflage, Aarau 1985, § 11 N 5, § 37
N 1). Den Ausführungen der Gemeinde, bei der S.-Strasse sei die
Beleuchtung aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendig, ist bei-
zupflichten.
Die Ansicht der Beschwerdeführerinnen, die Gemeinde müsse
die Kosten der Beleuchtung vollumfänglich tragen (sodass sie richti-
gerweise gar nicht in den Beitragsplan aufzunehmen wären), dürfte
auf das frühere Recht zurückgehen, wo aus § 37 Abs. 3 aBauG ab-
geleitet wurde, die Kostentragung bei der Beleuchtung sei unabhän-
gig von derjenigen der Strassen geregelt, weshalb diese Kosten bei
der Beitragserhebung gemäss § 31 ff. aBauG nicht einbezogen wer-
den dürften (vgl. Zimmerlin, a.a.O., § 37 N 1 i.V.m. Vorbemerkungen
zu §§ 23-25; Armin Knecht, Grundeigentümerbeiträge an Strassen
im aargauischen Recht, Berner Diss., Aarau 1975, S. 54). Ob diese
Interpretation zwingend sei, kann hier offen bleiben. Das BauG ent-
hält keine Spezialbestimmungen zur Tragung der Kosten für die Er-
stellung der Beleuchtungsanlagen, sodass diese wie andere Strassen-
bestandteile zu behandeln sind; § 99 Abs. 2 BauG, auf den sich die
Beschwerdeführerinnen beziehen, beschlägt einzig den Unterhalt.
(...)
6. d) cc) (...) Somit wurde der Beitragsperimeter im nördlichen
Teil zu eng gezogen. Konsequenz davon ist, dass der Kostenanteil,
der schätzungsweise auf die fälschlicherweise befreiten Grundstücke
entfiele, dem Gemeindeanteil zugeschlagen wird, da ein Verzicht der
Gemeinde auf mögliche Einnahmen nicht zu Lasten der beitrags-
2001
Verwaltungsgericht
190
pflichtigen Grundeigentümer gehen darf (vgl. AGVE 1982, S. 158);
die mögliche Alternative, nämlich die Aufhebung des gesamten Bei-
tragsplans und Rückweisung zur Überarbeitung, steht dem Verwal-
tungsgericht nicht offen, da es nicht über die Beschwerdebegehren
hinausgehen darf (§ 43 Abs. 2 VRPG) und die Beschwerdeführerin-
nen nur ihre eigenen Beiträge, nicht aber den gesamten Beitragsplan
anfechten können (vgl. AGVE 1981, S. 152; 1982, S. 154 f.).
(Durch den Einbezug der fälschlicherweise nicht einbezogenen
Grundstücke) würde sich die Perimeterfläche um rund 15'000 m
2
erhöhen. (
...)
Dementsprechend wäre der auf die Privaten entfallende
Kostenanteil von Fr. 1'800'000.-- statt auf 85'339 m
2
gewichteter
Fläche auf 100'339 m
2
zu verteilen, entsprechend Fr. 17.939/m
2
ge-
wichteter Fläche. (Die Erhöhung des Gemeindeanteils um 15'000 x
Fr. 17.939 = rund Fr. 270'000.-- hebt diesen auf knapp 44 % an.)
e) Der Gemeinderat hat durch Verhandlungen erreicht, dass ver-
schiedene Grundeigentümer freiwillige Beiträge zusicherten, was
nach der Beurteilung des Gemeinderats den Strassenbau bzw. dessen
Finanzierung überhaupt erst ermöglichte. Dass die Gemeinde diese
Beiträge auf ihren Gemeindeanteil anrechnen will, ist grundsätzlich
nicht zu beanstanden (AGVE 1981, S. 162 f.). Unzulässig wäre es
allerdings, diese Grundeigentümer im Gegenzug von ihrem gesetzli-
chen Beitrag zu entlasten, weil dies zu einer unzulässigen Benachtei-
ligung der übrigen Beitragspflichtigen führen würde (vgl. AGVE
1982, S. 158; 1981, S. 163 oben). Im vorliegenden Fall enthält der
Beitragsplan und insbesondere die Perimeterabgrenzung nicht die
geringsten Hinweise auf eine unzulässige Privilegierung der leisten-
den Grundeigentümer (der Rückzug ihrer Beitragszusage durch die
A. SA erfolgte gerade deshalb, weil der Gemeinderat keine Gegen-
leistungen zugestand). Sie wurden mit ihren Grundstücken offen-
sichtlich gleich behandelt wie alle anderen. Dies anerkennen letztlich
auch die Beschwerdeführerinnen. Ihr ganz generell gehaltenes Ar-
gument, solche Leistungen von Firmen seien immer irgendwie
suspekt, genügt nicht, um das Vorgehen der Gemeinde als unzulässig
erscheinen zu lassen. | 1,728 | 1,426 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-44_2001-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-44.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-44.pdf | AGVE_2001_44 | null | nan |
e593b7d0-9e97-58da-9fd5-750b743506d9 | 1 | 412 | 870,203 | 1,541,203,200,000 | 2,018 | de | 2018
Vollstreckung
327
XI. Vollstreckung
34
Vollstreckung; Parteiwechsel
-
Wird die streitbetroffene Liegenschaft während des Beschwer-
deverfahrens gegen einen Vollstreckungsentscheid veräussert,
richten sich angeordnete Vollstreckungsmassnahmen wie die Nach-
fristansetzung und das Androhen der Ersatzvornahme sowie der
Bestrafung wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen nun-
mehr gegen den Erwerber.
-
Das Beschwerdeverfahren wird auch gegen den Willen des Erwer-
bers mit diesem fortgeführt (zwangsweiser Parteiwechsel).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 7. November
2018, in Sachen A. und B. gegen Gemeinderat C. (WBE.2018.98).
Aus den Erwägungen
2.
Wenn das Streitobjekt während des Beschwerdeverfahrens ver-
äussert wird und auf eine andere Partei übergeht, kann sich die Frage
eines Parteiwechsels stellen (vgl. ISABELLE HÄNER, Die Beteiligten
im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Zürich 2000, Rz.
369 ff.). Nach der Lehre und Rechtsprechung entfalten vor dem Ver-
kauf einer Liegenschaft auferlegte übertragbare Pflichten, welche
den Besitz oder das Eigentum daran voraussetzen, Wirkung gegen-
über dem Erwerber (vgl. VGE vom 7. März 2018 [WBE.2017.455],
Erw. I/5.1; REGINA KIENER/BERNHARD RÜTSCHE/MATTHIAS KUHN,
Öffentliches Verfahrensrecht, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2015, Rz.
594). Dies gilt entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Rechtspre-
chung auch für Vollstreckungsanordnungen wie die Nachfristan-
setzung und das Androhen der Ersatzvornahme sowie der Bestrafung
nach Art. 292 StGB (vgl. VGE vom 7. März 2018 [WBE.2017.455],
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
328
Erw. I/5.1 f.). Wird eine streitbetroffene Liegenschaft während des
Beschwerdeverfahrens veräussert, richten sich angefochtene Voll-
streckungsanordnungen infolge eines zwangsweisen Parteiwechsels
nunmehr gegen den Erwerber (vgl. VGE vom 7. März 2018
[WBE.2017.455], Erw. I/5.1; MICHAEL MERKER, Rechtsmittel,
Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz
über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38-72
[a]VRPG, Zürich 1998, Vorbem. zu § 38 N 31; VERA
MARANTELLI/SAID HUBER, in: BERNHARD WALDMANN/PHILIPPE
WEISSENBERGER [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrens-
gesetz, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 6 N 48). Dieser
kann gegen seinen Willen in das Beschwerdeverfahren einbezogen
werden; nach dem Parteiwechsel wird das Verfahren mit der neu ein-
getretenen Partei weitergeführt (vgl. VGE vom 7. März 2018
[WBE.2017.455], Erw. I/5.1; KIENER/RÜTSCHE/KUHN, a.a.O.,
Rz. 596).
(...) | 710 | 502 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-34_2018-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-34.pdf | AGVE_2018_34 | null | nan |
e5985ebd-9aec-5335-b419-d260937ae795 | 1 | 412 | 871,677 | 1,080,950,400,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsgericht
158
[...]
44
Rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; § 15 Abs. 1 VRPG). Nutzungs-
verbot (§ 159 Abs. 1 BauG).
- Gehörsverletzung durch Vorenthaltung entscheidwesentlicher Akten
und durch unzulässiges "Berichten" (Erw. 1/b).
- Heilung des Verfahrensmangels bejaht (Erw. 1/c).
- Eigenmächtigen Nutzungen oder Nutzungsänderungen ist mit Nut-
zungsverboten entgegenzuwirken (Bestätigung der Rechtsprechung);
Schranke der behördlichen Duldung eines nicht bewilligten Nut-
zungsvorhabens (Erw. 2/b/bb).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 20. April 2004 in Sa-
chen K. und Mitb. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. a) (...)
b) Ferner beanstanden die Beschwerdeführer, dass sich der vor-
instanzliche Entscheid auf Eingaben abstütze, die ihnen vorenthalten
worden seien; einerseits geht es um der Eingabe der Beschwerde-
2004
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
159
gegnerin vom 4. Dezember 2002 beigelegte Datenblätter zum
Schiessbetrieb, anderseits um Auskünfte der Abteilung für Umwelt.
Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung und
stellt anderseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim
Erlass eines Entscheids dar, der in die Rechtsstellung des Einzelnen
eingreift; der Betroffene hat das Recht, sich vor Erlass eines solchen
Entscheids zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in
die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu
werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mit-
zuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn
dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 56;
124 I 242 mit weiteren Hinweisen). Diese Grundsätze hat das
Baudepartement in der Tat nicht beachtet. In Bezug auf die erwähn-
ten Datenblätter rechtfertigt es sich mit dem Hinweis darauf, dass die
in der Eingabe vom 4. Dezember 2002 angegebenen Schiesszeiten
und Schussabgaben der Sicherheitsdienste der Kernkraftwerke
Beznau und Leibstadt mit früher gemachten Angaben, welche den
Beschwerdeführern zugänglich gemacht worden seien, korrespon-
dierten; hinzu komme, dass die fraglichen Abgaben insofern nicht
entscheidrelevant gewesen seien, als nach den Berechnungen der
Abteilung für Umwelt die massgebenden Grenzwerte selbst bei den
von den Beschwerdeführenden in der Eingabe vom 3. Dezember
2002 behaupteten Schiesszeiten eingehalten seien. Das ist nicht
stichhaltig. Um der Gehörspflicht zu genügen, hätte den Beschwer-
deführern zumindest das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom
4. Dezember 2002 zur Kenntnis zugestellt werden sollen, da die
Schiessdaten fraglos eine wesentliche Beurteilungsgrundlage bilden;
der Beschwerdeführer muss im Übrigen die Möglichkeit haben, die
Übereinstimmung bestimmter Aktenstücke selber festzustellen bzw.
zu überprüfen. Begründet ist die Gehörsrüge aber auch hinsichtlich
der departementsinternen Auskünfte. Die Rechtsabteilung des Bau-
departements hatte die Abteilung für Umwelt mit Schreiben vom
23. August und 3. September 2002 darum ersucht, zu verschiedenen
offenen Fragen Stellung zu beziehen. Die kantonale Fachstelle ant-
wortete mit Amtsberichten vom 29. August und 5. September 2002.
Diese Stellungnahmen wurden den Beschwerdeführern anerkannter-
2004
Verwaltungsgericht
160
massen nicht zur Kenntnis gebracht. Nach dem vorhin Gesagten hat
der Betroffene indessen das Recht, grundsätzlich in alle für den Ent-
scheid wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen, d.h. in jene Akten,
welche Grundlage einer Entscheidung bilden (siehe auch
BGE 121 I 227 mit Hinweisen). Dies ist hier offensichtlich, werden
doch die fraglichen Auskünfte auf S. 9 f. des vorinstanzlichen Ent-
scheids als Beleg dafür zitiert, dass mit den grosskalibrigen Waffen
der Immissionsgrenzwert bei der Liegenschaft "Im Winkel 73" nicht
oder nur unwesentlich überschritten wird, soweit sie im bisherigen
Umfang eingesetzt werden. Die Thematisierung dieses Punktes an
der Augenscheinsverhandlung vom 3. Dezember 2002 in Anwesen-
heit des Vertreters der kantonalen Fachstelle - dieser bestätigte ge-
mäss Protokoll ganz kurz, dass die Lärmmessungen der Härdi &
Fritschi AG von 1991 und die Berechnungen der Beschwerdegegne-
rin korrekt vorgenommen worden seien - bildet entgegen der Auffas-
sung des Baudepartements nur einen unvollkommenen Ersatz. Ver-
waltungsinterne Meinungsäusserungen sind den Betroffenen in je-
dem Falle förmlich zur Kenntnis zu bringen; das sog. "Berichten" ist
gehörswidrig (siehe Klaus Reinhardt, Das rechtliche Gehör in Ver-
waltungssachen, Zürcher Beiträge zur Rechtswissenschaft, Neue
Folge Heft 291, Zürich 1968, S. 161 f., 194, 202; VGE III/154 vom
14. Dezember 2000 in Sachen W. AG, S. 9; AGVE 2002, S. 415 f.).
Auch muss es der Betroffene ganz generell nicht hinnehmen, dass er
zur Wahrnehmung seines Gehörsanspruchs auf den Beschwerdeweg
verwiesen wird (AGVE 1986, S. 182; VGE III/35 vom 20. Mai 1997
[BE.1995.00109] in Sachen S., S. 14 f.).
c) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur; seine
Verletzung führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in
der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE
120 Ib 383 mit Hinweisen). Eine Heilung in einem
Rechtsmittelverfahren ist nur ausnahmsweise möglich; dies hängt
namentlich von der Schwere und Tragweite der Gehörsverletzung so-
wie davon ab, ob die Rechtsmittelinstanz den angefochtenen Ent-
scheid in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht frei überprüfen kann
(BGE 120 V 362 f. und 121 V 156, je mit Hinweisen; AGVE 1997,
S. 374; 2002, S. 416 f.).
2004
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
161
Die dem Baudepartement anzulastenden Gehörsverletzungen
sind nicht gravierend; die Beschwerdeführer stellen denn auch selber
kein Rückweisungsbegehren. Im Weitern kann das Verwaltungsge-
richt den angefochtenen Entscheid umfassend überprüfen. Einer
Heilung des Verfahrensmangels steht daher nichts im Wege, zumal
sonst offensichtlich ein prozessualer Leerlauf betrieben würde (siehe
BGE 107 Ia 2 f.; Bundesgericht in: ZBl 90/1989, S. 367). Die Ge-
hörsverletzung ist aber beim Kostenentscheid angemessen zu berück-
sichtigen (AGVE 1974, S. 362).
2. a) (...)
b) aa) (...)
bb) aaa) Das frühere Baugesetz des Kantons Aargau vom
2. Februar 1971 enthielt in § 154 Abs. 2 die Vorschrift, dass vor der
Rechtskraft der Baubewilligung mit den Bauarbeiten nicht begonnen
werden darf. Im Gesetz über Raumplanung, Umweltschutz und Bau-
wesen vom 19. Januar 1993 (BauG) findet sich eine analoge Be-
stimmung nicht mehr; der Gesetzgeber erachtete diesen "allgemeinen
Grundsatz des Verwaltungsrechts" als "selbstverständlich" und sah
deshalb von einer Regelung ab (Botschaft des Regierungsrats an den
Grossen Rat vom 17. August 1992, S. 23 zu § 63 des Gesetzesent-
wurfs). Das Verbot, von einer Baubewilligung vor dem Eintritt der
formellen Rechtskraft Gebrauch zu machen, ergibt sich im Übrigen
aus § 159 Abs. 1 BauG, wonach die Errichtung von Bauten ohne
Bewilligung einen unrechtmässigen Zustand darstellt. Was für eine
Baute gilt, muss nach Massgabe von § 59 Abs. 1 Satz 1 BauG auch
für eine (bewilligungspflichtige) Nutzungsänderung gelten (siehe
AGVE 1988, S. 416).
bbb) § 159 Abs. 1 BauG sieht bei Verletzung des erwähnten
Verbots als Massnahme des Verwaltungszwangs u.a. "die Einstellung
der Bauten" vor. Dem entspricht bei unerlaubten Nutzungsänderun-
gen ein Nutzungsverbot (AGVE 1988, S. 416). Das Verwaltungsge-
richt hat bisher solche Verbote mit dem Hinweis darauf geschützt,
wenn die Behörde eigenmächtige Handlungen im Bereich des öf-
fentlichen Baurechts nicht mit den Mitteln des Verwaltungszwangs
unterbinde, laufe sie wegen der Präjudizwirkung Gefahr, das Gesetz
gar nicht mehr richtig durchsetzen zu können (AGVE 1988, S. 416
2004
Verwaltungsgericht
162
mit Hinweisen; VGE III/10 vom 21. Februar 1994
[BE.1994.00019/20] in Sachen D. und Mitb., S. 9). Wer eigenmäch-
tig bauliche Vorkehren treffe oder Umnutzungen vornehme, müsse
auch das Risiko finanzieller und anderer Nachteile bei einer
erzwungenen Wiederherstellung des früheren Zustandes in Kauf
nehmen; andernfalls würde das rechtswidrige Vorgehen allzu attrak-
tiv, verbunden mit der Konsequenz, dass das Baubewilligungsverfah-
ren weitgehend unterlaufen werden könnte (AGVE 1989, S. 254;
erwähnter VGE in Sachen D. und Mitb., S. 10). In diesem Sinne
wurde der Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips nur noch
ein enger Raum belassen (siehe auch AGVE 1988, S. 416, wo -
allerdings im Zusammenhang mit dem Suspensiveffekt einer Be-
schwerde und damit beschränkt auf die Dauer des Beschwerdever-
fahrens - gesagt wurde, die Verhältnismässigkeit der Massnahme
müsse gar nicht mehr geprüft werden). Ähnliche Überlegungen hat
das Verwaltungsgericht zur Tragweite des Vertrauensschutzes ange-
stellt (siehe dazu und zum Folgenden: AGVE 1998, S. 335 f.): Es
lasse sich ernsthaft fragen, ob bezüglich der Gut- oder Bösgläubig-
keit des Bauherrn bei einer Baueinstellung analoge Massstäbe anzu-
legen seien wie beim Entscheid über die Herstellung des rechtmässi-
gen Zustandes und ob diese bei der Baueinstellung überhaupt eine
Rolle spielen dürften. Mit der vorsorglichen Massnahme der Bau-
einstellung werde ja nichts anderes bezweckt, als die zukünftige
Vollstreckung zu erleichtern, d.h. Abbruchbefehle zu vermeiden oder
leichter durchsetzbar zu machen; es solle die Durchführung eines
korrekten Baubewilligungsverfahrens ermöglicht werden. Subjektive
Gesichtspunkte wie Gut- oder Bösgläubigkeit bzw. Beachtung von
Sorgfaltspflichten träten hier stark in den Hintergrund, und es gebe
gute Gründe, sie bei der Baueinstellung überhaupt für unbeachtlich
zu halten. Zudem erscheine der durch eine Baueinstellung bewirkte
Eingriff in die Eigentumsrechte (Verzögerung des Bauvorhabens)
erheblich geringer als eine Beseitigungsanordnung. Die Frage wurde
dann freilich nicht abschliessend behandelt. Schliesslich erwog das
Verwaltungsgericht, eine etwas andere Betrachtungsweise möge
höchstens dann angezeigt sein, wenn die eigenmächtig erstellte
Baute behördlicherseits über längere Zeit geduldet worden sei und
2004
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
163
der Bauherr deswegen eine gewisse Vertrauensposition erlangt habe
(AGVE 1989, S. 254).
Diese Rechtsprechung erweist sich nach wie vor als zutreffend.
In aller Regel ist es dem Gesuchsteller zumutbar, bis zur Erteilung
einer rechtskräftigen Bau- oder Nutzungsbewilligung mit der Reali-
sierung seines Vorhabens zuzuwarten. Das öffentliche Interesse,
einer Aufweichung der gesetzlichen Ordnung durch konsequente
Durchsetzung des Bewilligungsvorbehalts entgegenzuwirken, haben
sowohl das Bundes- als auch das Verwaltungsgericht stets als hoch
bewertet (BGE 123 II 255 mit Hinweis; AGVE 2001, S. 280). Zwar
kann das Verhältnismässigkeitsprinzip als Verfassungsgrundsatz
(Art. 5 Abs. 2 BV) nicht ausgeschaltet werden, doch ist im Normal-
fall kaum denkbar, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des
Bauherrn ausfällt, und zwar selbst dann, wenn ihm keine
Bösgläubigkeit unterstellt werden kann (wobei in vielen Fällen über
die Bewilligungspflicht Gewissheit bestehen muss). Etwas differen-
zierter zu betrachten ist der Vertrauensschutz im Zusammenhang mit
der behördlichen Duldung eines unbewilligten Nutzungsvorhabens.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erlischt der Anspruch
der Behörde auf Beseitigung eines baurechtswidrigen Zustands bzw.
auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands in jedem Falle
nach dreissig Jahren (in Analogie zur ausserordentlichen Ersitzung
gemäss Art. 662 ZGB) bzw. schon vorher, wenn der rechtswidrige
Zustand von der zuständigen Behörde über Jahre hinweg geduldet
worden ist, obschon ihr die Gesetzwidrigkeit bekannt war oder sie
diese bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte kennen müssen,
und wenn zudem die durch den gesetzwidrigen Zustand bewirkte
Verletzung öffentlicher Interessen nicht schwer wiegt (BGE 107 Ia
124; Bundesgericht, in: ZBl 81/1980, S. 73 f.; AGVE 2000, S. 256 f.
und 263 f., je mit weiteren Hinweisen). Ein Nutzungsverbot ist in
diesen Fällen unzulässig. Im Übrigen wird dieser Tatbestand bei der
Erstellung eines Gebäudes kaum je vorkommen, weil der Bauherr
normalerweise daran interessiert ist, ein Bauwerk raschmöglichst zu
realisieren und jedenfalls die Zeiträume, die im Zusammenhang mit
der Tolerierung relevant sind, hier keine Rolle spielen. | 2,823 | 2,230 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-44_2004-04-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-44.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-44.pdf | AGVE_2004_44 | null | nan |
e64f619f-8776-4c06-b4f3-2da3345f7a70 | 1 | 413 | 1,497,556 | 1,368,489,600,000 | 2,013 | de | Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 2013 (WBE.2013.263)
Im Rahmen einer FU ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch bei urteilsfähigen Personen möglich.
1. 1.1. Gemäss Art. 438 ZGB sind auf Massnahmen, die die Bewegungsfreiheit einschränken, die Bestimmungen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Wohn- und Pflegeeinrichtungen sinngemäss anwendbar (vgl. Art. 383 ff. ZGB).
1.2. Der Begriff der Einschränkung der Bewegungsfreiheit gemäss Art. 383 ZGB ist gemäss Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht) vom 28. Juni 2006 (nachfolgend: Botschaft Erwachsenenschutz) weit zu verstehen. Als Beispiel werden elektronische Überwachungsmassnahmen, das Abschliessen von Türen oder das Anbringen von Bettgittern aufgeführt (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7039). Als bewegungseinschränkende Massnahmen gelten somit sachliche Mittel mechanischer, elektronischer oder anderer Art, die betroffene Personen daran hindern, sich frei zu bewegen oder die ihren Bewegungsradius einschränken (BÜCHLER ANDREA ET AL. [Hrsg.], Familienrechtskommentar [FamKomm] Erwachsenenschutz, Art. 428 N 5).
1.3. Wie bereits erwähnt (vorne lit. C/4), entschied sich der zuständige Oberarzt am 13. Mai 2013 für die Aufrechterhaltung der Isolation des Beschwerdeführers, was bedeutet, dass dieser sich weiter in einem verschlossenen Zimmer aufhalten muss. Diese Massnahme schränkt die Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers ein und ist daher unter Art. 383 ZGB bzw. § 67q Abs. 1 lit. f EG ZGB zu subsumieren. Das ist folglich zur Beurteilung der Beschwerde gemäss Art. 439 Abs. 1 Ziff. 5 ZGB zuständig.
2. Mit der Beschwerde können Rechtsverletzungen, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und Unangemessenheit gerügt werden (Art. 450a Abs. 1 ZGB). Soweit das ZGB und das EG ZGB keine Regelungen enthalten, sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung anwendbar (Art. 450f ZGB).
3. Grundlage für die Isolation des Beschwerdeführer ist Art. 383 ZGB, welcher folgendermassen lautet:
"1 Die Wohn- oder Pflegeeinrichtung darf die Bewegungsfreiheit der ur- teilsunfähigen Person nur einschränken, wenn weniger einschneiden- de Massnahmen nicht ausreichen oder von vornherein als ungenü- gend erscheinen und die Massnahme dazu dient: 1. eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität der betroffenen Person oder Dritter abzuwenden; oder 2. eine schwerwiegende Störung des Gemeinschaftslebens zu beseitigen. 2 Vor der Einschränkung der Bewegungsfreiheit wird der betroffenen Person erklärt, was geschieht, warum die Massnahme angeordnet wurde, wie lange diese voraussichtlich dauert und wer sich während dieser Zeit um sie kümmert. Vorbehalten bleiben Notfallsituationen. 3 Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit wird so bald wie möglich wieder aufgehoben und auf jeden Fall regelmässig auf ihre Berechti- gung hin überprüft."
(...)
5.6. 5.6.1. Schliesslich wird in Art. 383 Abs. 1 ZGB die Urteilsunfähigkeit der betroffenen Person als Voraussetzung genannt. Gemäss Art. 12 ZGB ist urteilsfähig, wer vernunftgemäss handeln kann. Urteilsfähig ist, wer einerseits über die Fähigkeit verfügt, den Sinn und Nutzen sowie die Wirkungen eines bestimmten Verhaltens einsehen und abwägen zu können. Andererseits muss ein Willensmoment gegeben sein, nämlich die Fähigkeit, gemäss der Einsicht nach freiem Willen handeln zu können (MARGRITH BIGLER-EGGENSBERGER, in: Honsell/Vogt/Geiser [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Basel 2010, 4. Aufl., Art. 16 N 3). Dabei beurteilt sich die Urteilsfähigkeit nach konstanter Rechtsprechung und Lehre nie abstrakt oder ein für alle Mal gleich bezüglich einer Person, sondern stets relativ. Es kommt somit darauf an, ob die Urteilsfähigkeit für eine konkrete Handlung und zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben ist (MARGRITH BIGLER-EGGENSBERGER, a.a.O., Art. 16 N 34).
Für Art. 383 ZGB kann dies nur bedeuten, dass die betroffene Person bezüglich der Notwendigkeit der Anordnung und Umsetzung der bewegungseinschränkenden Massnahme urteilsunfähig sein muss, und zwar in dem Zeitpunkt, in welchem die Massnahme angeordnet und umgesetzt wird. Eine allgemeine Urteilsunfähigkeit existiert nicht und kann daher auch nicht
vorausgesetzt werden (vgl. auch Art. 434 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB, wo Urteilsunfähigkeit betreffend Behandlungsbedürftigkeit wird).
5.6.2. Wie bereits erwähnt, bestimmt Art. 438 ZGB, dass auf Massnahmen, die die Bewegungsfreiheit der betroffenen Personen in der Einrichtung einschränken, die Bestimmungen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen – also Art. 383 ff. – sinngemäss anwendbar sind. Ob das Kriterium der Urteilsunfähigkeit (Art. 383 Abs. 1 ZGB) auch bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit im einer fürsorgerischen Unterbringung Geltung hat, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Die Botschaft äussert sich nicht explizit dazu.
Der Basler Kommentar zum Erwachsenenschutz vertritt die Auffassung, dass die bewegungseinschränkenden Massnahmen immer voraussetzen, dass die betroffene Person urteilsunfähig ist, sie damit keine Rechtsgrundlage für die Bewegungsfreiheit einer Person darstellen, welche auf ihrer Bewegungsfreiheit besteht und insoweit als urteilsfähig angesehen werden muss (a.a.O., Art. 438 N 5). Auch der Familienrechtskommentar Erwachsenenschutz spricht sich dafür aus, dass Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch bei fürsorgerisch untergebrachten Personen nur bei Urteilsunfähigkeit zulässig ist, mit der Begründung, dass Art. 383 ZGB, auf den Art. 438 ZGB verweist, ausschliesslich urteilsunfähige Personen erwähne (a.a.O., Art. 438 N 15).
Gemäss Praxisanleitung zum Erwachsenenschutzrecht der KOKES hingegen können bewegungseinschränkende Massnahmen im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung auch bei einer urteilsfähigen Person angeordnet werden können (KOKES – Praxisanleitung Erwachsenenschutzrecht, a.a.O., Ziff. 11.12). Auch Dr. iur. Patrick Fassbind gelangt in seinem Werk zur Überzeugung, dass anders als bei Art. 383 ff. ZGB bei Art. 438 ZGB die Urteilsunfähigkeit der betroffenen Person kein Erfordernis darstellt (Patrick Fassbind, Erwachsenenschutz, Zürich 2012, S. 349). Auch der Erwachsenenschutz-Kommentar von Daniel Rosch et al. hält explizit fest, dass die Bestimmungen des Art. 383 ff. sinngemäss anwendbar seien: Abweichend von diesen Bestimmungen sei u.a., dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Rahmen einer FU nicht von der Urteilsfähigkeit abhänge (DANIEL ROSCH ET AL. (Hrsg.), Das neue Erwachsenenschutzrecht, Einführung und Kommentar zu Art. 360 ff. ZGB, Basel 2011, Art. 438 N 2).
5.6.3. Art. 438 i.V.m. Art. 383 ZGB erfasst ausschliesslich Massnahmen, die keine Behandlung sind (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7039; Basler Kommentar, a.a.O., Art. 438 N 3). Bei einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit handelt es sich demnach in aller Regel nicht um eine therapeutische Massnahme für den Betroffenen. Vielmehr geht es insbesondere um den Schutz Dritter und darum, dass das Gemeinschaftsleben auf der Abteilung nicht schwerwiegend gestört wird.
Im Gegensatz dazu geht es bei der Behandlung ohne Zustimmung gemäss Art. 434 ZGB ausschliesslich um therapeutische Massnahmen gemäss Behandlungsplan, nämlich um eine medizinische Behandlung im eigentlichen Sinne. Hier wird denn auch zu Recht beim Betroffenen die Urteilsunfähigkeit betreffend Behandlungsbedürftigkeit vorausgesetzt (Art. 434 Abs. 1 Ziff. 2).
Wenn der Basler Kommentar anfügt, eine bewegungseinschränkende Massnahme bei einem urteilsfähigen Betroffenen müsse entweder als Vollstreckung der fürsorgerischen Unterbringung angesehen werden oder Teil einer Behandlung nach Art. 434 f. ZGB darstellen (Basler Kommentar, a.a.O., Art. 438 N 5), überzeugt dies nach dem hiervor Ausgeführten nicht, nachdem der Kommentar in N 3 und 4 zu Art. 438 – zutreffenderweise – ausführt, die blosse Umsetzung der Anordnungen nach Art. 426 - 429 ZGB werde nicht von Art. 438 ZGB erfasst (a.a.O., N 4), und Art. 438 ZGB erfasse ausschliesslich Massnahmen, die keine Behandlung seien (a.a.O., N 3).
Es drängt sich daher die Frage auf, wie die Einrichtung reagieren kann, wenn jemand im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung in der Klinik hospitalisiert ist und die Voraussetzungen gemäss Art. 383 ZGB erfüllt sind, der Betroffene jedoch gleichzeitig urteilsfähig ist bezüglich der der Anordnung und Umsetzung der Massnahme. Folgt man der Lehrmeinung gemäss Basler Kommentar und Familienrechtskommentar, könnte die Einrichtung keine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zum Schutz Dritter bzw. zur Beseitigung einer schwerwiegende Störung des Gemeinschaftslebens auf der Abteilung anordnen, und es blieben wohl nur strafrechtliche Sanktionen. Dies kann nicht Sinn und Zweck sein, wenn eine Person zur Behandlung einer psychischen Störung per fürsorgerischer Unterbringung in eine Einrichtung eingewiesen ist. Deshalb ist das Verwaltungsgericht davon überzeugt, dass das Kriterium der Urteilsunfähigkeit bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit
im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung keine Geltung haben kann (so auch KOKES-Praxisanleitung, a.a.O., Ziff. 11.12, PATRICK FASSBIND, a.a.O., S. 349, DANIEL ROSCH ET AL., a.a.O., Art. 438 N 2). | 2,112 | 1,574 | AG_VG_002 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_002_-Kindes--und-Erwachs_2013-05-14 | https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/kindes__und_erwachsenenschutz/verwaltungsgericht/EntscheiddesVerwaltungsgerichtsvom14Mai2013.pdf | null | nan |
||
e6db92ce-9335-574b-99a6-bcae7e61d47d | 1 | 412 | 871,597 | 1,088,726,400,000 | 2,004 | de | 2004
Kantonale Steuern
117
III. Kantonale Steuern
28
Beschwerdelegitimation. Ersatzbeschaffungsfrist. Zeitpunkt des Zuflus-
ses von Einkünften.
- Keine Legitimation (mangels formeller Beschwer) zu einem Begehren,
das bereits im vorinstanzlichen Verfahren gestellt und gutgeheissen
wurde (Erw. I/4/a,b).
- Keine Legitimation zu einem Begehren, das einem im vorinstanzlichen
Verfahren gutgeheissenen eigenen Begehren widerspricht (Erw. I/4/c).
- Beim Verkauf eines Grundstücks unter einer Suspensivbedingung
fliesst der Verkaufserlös erst im Zeitpunkt des Eintritts der Be-
dingung zu. Dieser Zeitpunkt ist auch für die Berechnung der Ersatz-
beschaffungsfrist massgeblich (Erw. II/1,2).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. Juli 2004 in Sa-
chen E.S. gegen Steuerrekursgericht.
Aus den Erwägungen
I. 4. a) Verfügungen und Entscheide kann jedermann durch Be-
schwerde anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse gel-
tend macht (§ 38 Abs. 1 VRPG). Die Beschwerdelegitimation setzt
neben einer materiellen Beschwer auch eine solche im formellen,
prozessualen Sinne voraus. Formell beschwert ist, wer mit seinen
Begehren vor der Vorinstanz nicht oder zumindest nicht vollständig
durchgedrungen ist. Im Rechtsmittelverfahren ist somit nicht be-
schwerdebefugt, wer mit seinen im vorinstanzlichen Verfahren ge-
stellten Anträgen durchgedrungen ist, gleichgültig, ob er durch den
Entscheid in materieller Hinsicht beschwert ist oder nicht
(VGE III/57 vom 30. Juni 2003 [BE.2002.00381] in Sachen U.G.,
S. 6 f. mit Hinweisen; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und
Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die
2004
Verwaltungsgericht
118
Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss.
Zürich 1998, § 38 N 146).
b)
Der im vorliegenden Beschwerdeverfahren gestellte
Eventualantrag entspricht demjenigen, der bereits von der Vorinstanz
gutgeheissen wurde. Den Beschwerdeführern fehlt es damit an der
formellen Beschwer, weshalb auf die Beschwerde insoweit nicht
einzutreten ist.
c) Der Subeventualantrag (der bereits insofern schwer ver-
ständlich ist, als er für den Fall der Gutheissung und nicht der Ab-
weisung des Eventualantrags gestellt wird) ist mit dem von der Vor-
instanz gutgeheissenen Eventualantrag nicht vereinbar. Dort wurde
antragsgemäss der in unbestrittener Höhe von Fr. 1'291'550.-- für
Ersatzbeschaffung zur Verfügung stehende Betrag vollumfänglich
zur Bildung einer Ersatzbeschaffungsreserve per Ende 1994 in glei-
cher Höhe verwendet. Mit diesem Antrag wurde - logisch zwingend
und verbindlich - auf die Geltendmachung von Ersatzbeschaffungen
bis zu diesem Zeitpunkt verzichtet. Eine neue Veranlagung anzuord-
nen, damit dieser Betrag doch noch in der Bemessungsperiode
1993/94 auf Ersatzbeschaffungen angerechnet werden kann, kommt
nicht mehr in Frage. Mangels Vereinbarkeit mit dem bereits in der
Vorinstanz gutgeheissenen und nicht angefochtenen Eventualantrag
fehlt es den Beschwerdeführern an einem schutzwürdigen Interesse,
weshalb auf den Subeventualantrag nicht einzutreten ist.
II. 1. a) Im vorliegenden Fall ist - wie bei der Vorinstanz - im
Hauptpunkt strittig, ob der im Dezember 1993 erworbene Landwirt-
schaftsbetrieb in B. als Ersatzbeschaffung für die mit Kaufvertrag
vom 26. September 1994 veräusserte Parzelle Nr. 352 betrachtet
werden kann. Dies hängt davon ab, ob die Ersatzbeschaffungsfrist
gemäss § 24
bis
Abs. 1 aStG (in der Fassung vom 26. Januar 1988)
eingehalten worden ist.
b) Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit, einschliess-
lich der Gewinne bei Veräusserung von Geschäftsvermögen, unter-
liegen der Einkommenssteuer (§ 22 Abs. 1 lit. b aStG). Gemäss
§ 24
bis
Abs. 1 aStG können Gewinne aus der Veräusserung von be-
triebsnotwendigem Anlagevermögen, soweit sie für Ersatzbeschaf-
fungen im Kanton Aargau verwendet werden, vom Roheinkommen
2004
Kantonale Steuern
119
abgezogen werden; als Ersatzbeschaffung gilt die Übertragung der
stillen Reserven auf betriebsnotwendiges Anlagevermögen, das in-
nert einem Jahr vor oder innert drei Jahren nach der Veräusserung für
das gleiche Unternehmen erworben worden ist. Diese gesetzliche
Befristung setzt klare Grenzen für die zulässige Dauer der Ersatzbe-
schaffung (AGVE 1995, S. 452 mit Hinweis).
c) Für die Berechnung der vorgängigen wie der nachfolgenden
Ersatzbeschaffungsfrist ist der Zeitpunkt massgebend, in dem der
verwendbare Kapitalgewinn erzielt wird. Dies ist, wie die Beschwer-
deführer zutreffend ausführen, in der Regel der Abschluss eines
schuldrechtlichen Vertrages bzw. bei Grundstücken das Datum der
öffentlichen Beurkundung (AGVE 1995, S. 451 f.; Walter Koch, in:
Kommentar zum [alten] Aargauer Steuergesetz, Muri/Bern 1991,
§ 24
bis
aStG N 10). Voraussetzung dafür ist jedoch das Vorliegen
eines abgeschlossenen Rechtserwerbs, die blosse Anwartschaft oder
der Erwerb einer bedingten Forderung genügen nicht. Ist eine Forde-
rung mit einer Suspensivbedingung verknüpft, erfolgt der steuerliche
Einkommenszufluss erst, wenn die Bedingung eintritt (VGE II/49
vom 29. April 1998 [BE.96.00185] in Sachen U.W., S. 8 f.; vgl. auch
AGVE 2002, S. 175 f.; Koch, a.a.O., Vorbem. zu §§ 22-36 aStG
N 13).
Unter einer Bedingung wird ein objektiv ungewisses Ereignis
verstanden, von dem nach dem Parteiwillen die Wirksamkeit eines
Vertrages oder eines sonstigen Rechtsgeschäfts abhängt. Sowohl
Geschäfte unter einer Suspensiv- als auch solche unter einer Resolu-
tivbedingung begründen einen Schwebezustand (Felix R. Ehrat, in:
Basler Kommentar, OR I, 3. Auflage, Basel 2004, Vorbem. zu
Art. 151-157 N 1, 5
).
Ein Vertrag, dessen Verbindlichkeit von der
späteren Erteilung einer Baubewilligung abhängig gemacht wird, ist
als (suspensiv) bedingtes Rechtsgeschäft zu qualifizieren (BGE 95 II
527 f.; Peter Gauch, Der Werkvertrag, 4. Auflage, Zürich 1996,
S. 118).
2. a) Als Kaufpreis für die Parzelle Nr. 352 vereinbarten der Be-
schwerdeführer (im Folgenden auch als Verkäufer bezeichnet) und
die G. AG als Käuferin im öffentlich beurkundeten Kaufvertrag vom
26. September 1994 Fr. 2'430'000.--. Zur Tilgung dieses Betrags
2004
Verwaltungsgericht
120
hatte die Käuferin bei Unterzeichnung des Kaufvertrages eine An-
zahlung von Fr. 100'000.-- (Ziff. III/1), 30 Tage nach Rechtskraft der
Baubewilligung eine Teilzahlung von Fr. 1'300'000.-- (Ziff. III/2) und
360 Tage nach der Baubewilligung eine Schlusszahlung von
Fr. 1'030'000.-- (Ziff. III/3) zu leisten. Die Käuferin verpflichtete
sich, bis zum 15. Februar 1995 ein der damals gültigen Bauzo-
nenordnung entsprechendes Baugesuch für die Überbauung des Ge-
samtgrundstücks einzureichen. Für den Fall, dass bis spätestens
31.
August 1995 keine rechtskräftige Baubewilligung vorliegen
sollte, räumten sich die Vertragsparteien gegenseitig das Recht ein,
entschädigungslos und ohne Kostenrückerstattung vom Kaufvertrag
zurückzutreten. Die geleistete Anzahlung von Fr. 100'000.-- (zuzüg-
lich eines allfällig geleisteten Zinses) sollte jedoch als Reugeld dem
Verkäufer verbleiben, falls die Gründe für die Nichterteilung der
Baubewilligung bei der Käuferin liegen sollten; der Verkäufer hatte
demgegenüber die Anzahlung zurückzuerstatten, falls der Vollzug
der Anmeldung im Grundbuch aus bei ihm liegenden Gründen nicht
erfolgen konnte (Ziff. IV/5). Die Urkundsperson wurde beauftragt,
die Handänderung dem Grundbuchamt erst dann zur Eintragung
anzumelden, wenn eine rechtskräftige Baubewilligung für die Über-
bauung des Kaufobjekts vorliege (Ziff. IV/1).
b) Die konkrete Ausgestaltung zeigt, dass die Vertragsparteien
die Wirksamkeit dieses Vertrages von der Baubewilligung abhängig
machen wollten. Atypisch für ein suspensiv bedingtes Rechtsgeschäft
ist einzig die vereinbarte Regelung (Ziff. IV/5), wonach der Vertrag
bei Nichterteilung der Baubewilligung nicht automatisch dahinfiel,
sondern den Vertragsparteien ein Rücktrittsrecht eingeräumt wurde.
Gleichwohl rechtfertigt es sich, für die steuerlichen Folgen von
einem suspensiv bedingten Vertrag auszugehen. Diese Gleichstellung
ergibt sich insbesondere daraus, dass sowohl die Leistung des
Kaufpreises (Ziff. III/2, 3) als auch die Anmeldung der
Handänderung beim Grundbuchamt (Ziff. IV/1) von der Erteilung
der Baubewilligung abhängig gemacht wurden, was verhinderte, dass
der Vertrag vor diesem Zeitpunkt irgendwelche Wirkungen entfaltete
(mit Ausnahme der Anzahlung von Fr. 100'000.-- gemäss Ziff. III/1).
Die Aussage der Beschwerdeführer, die Vertragsparteien seien sich
2004
Kantonale Steuern
121
von Beginn weg einig gewesen, dass die Parzelle Nr. 352 in jedem
Falle veräussert und überbaut werden sollte, da es lediglich eine
Frage der Zeit gewesen sei, bis die rechtskräftige Baubewilligung
vorgelegen habe, steht einerseits in klarem Widerspruch zu ihrer im
öffentlich beurkundeten Kaufvertrag getroffenen Vereinbarung (vgl.
Art. 9 ZGB) und beruht andererseits auf einer falschen Vorstellung
von Bedeutung und Tragweite des Baubewilligungsverfahrens (vgl.
dazu Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs- und Baurecht,
Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 756 ff.). Dass die Käuferin dann
doch nicht vom Vertrag zurücktrat, als am 31. August 1995 noch
keine rechtskräftige Baubewilligung vorlag, vermag an der
Auslegung des Vertrages nichts zu ändern und ist als Einwand genau
so unbehelflich wie das letztlich vom Zufall abhängende Argument,
der Kaufvertrag sei zum Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklä-
rung 1995/1996 bereits abgewickelt gewesen.
c) Die Wirkungen des Kaufvertrages vom 26. September 1994
und damit der definitive Forderungserwerb traten demzufolge nicht
zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern erst mit dem Vorlie-
gen der rechtskräftigen Baubewilligung (zusammen mit dem Ver-
zicht der G. AG auf den Rücktritt vom Vertrag), also am 3. Dezember
1995 ein. Eine vorgängige Ersatzbeschaffung war erst ab dem
3. Dezember 1994 möglich, womit der Kauf des Landwirtschaftsbe-
triebes in B. vom 15. Dezember/29. Dezember 1993 ausserhalb der
Ersatzbeschaffungsfrist liegt. Der Gewinn aus dem Verkauf der Par-
zelle Nr. 352 kann demzufolge nicht für den ersatzbeschaffungswei-
sen Erwerb des Landwirtschaftsbetriebs in B. verwendet werden. | 2,422 | 1,873 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-28_2004-07-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-28.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-28.pdf | AGVE_2004_28 | null | nan |
e6ec57d0-98fe-5fad-ad97-bf9c6d0b7717 | 1 | 412 | 869,957 | 1,072,915,200,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsrechtspflege
277
74 Rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; § 15 Abs. 1 VRPG).
Nutzungsverbot (§ 159 Abs. 1 BauG).
- Gehörsverletzung durch Vorenthaltung entscheidwesentlicher Akten
und durch unzulässiges "Berichten" (Erw. 1/b).
- Heilung des Verfahrensmangels bejaht (Erw. 1/c).
- Eigenmächtigen Nutzungen oder Nutzungsänderungen ist mit
Nutzungsverboten entgegenzuwirken (Bestätigung der Rechtspre-
chung); Schranke der behördlichen Duldung eines nicht bewilligten
Nutzungsvorhabens (Erw. 2/b/bb).
vgl. AGVE 2004 44 158 | 157 | 116 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-74_2004 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-74.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-74.pdf | AGVE_2004_74 | null | nan |
e7200098-4905-5555-98ca-b5b14bdea6a3 | 1 | 412 | 871,728 | 1,001,894,400,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
232
[...]
57 Zwangsmassnahmen im Rahmen der fürsorgerischen Freiheitsent-
ziehung; Richtwerte für die Dauer der verschiedenen Zwangsmassnah-
men.
- Zwangsmedikation (Erw. 3/a/bb/bbb).
- Isolation
(Erw.
3/b/bb).
- Fixation (Erw. 3/c/bb).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 2. Oktober 2001 in
Sachen L.F. gegen Verfügung des Bezirksarzt-Stellvertreters L. und Entscheid
der Klinik Königsfelden.
Aus den Erwägungen
3/a/bb/bbb) Bei der Zwangsmedikation ist dem Grundsatz der
Verhältnismässigkeit insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht Rech-
nung zu tragen. Das Verwaltungsgericht erachtet es als zulässig, be-
stimmte Medikationen bereits in einem einzigen Zwangsmassnah-
men-Entscheid anzuordnen, selbst wenn sich deren Vollzug in der
Folge über einen gewissen Zeitraum erstreckt und die Veränderungen
im Zustand der betroffenen Person naturgemäss nicht mit Sicherheit
vorausgesagt werden können, solange es sich dabei um eine medizi-
2001
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
233
nische Behandlungseinheit handelt (vgl. VGE I/21 vom 13. Februar
2001 i.S. A.R., S. 32 f.) Die Notwendigkeit, eine konkrete Medika-
tion im Voraus für eine bestimmte Zeitdauer anzuordnen, bedarf
jedoch stets einer ausreichenden Begründung, wobei der Zusammen-
hang zwischen der angeordneten Dauer einerseits sowie der be-
zweckten und erwarteten Wirkung des Medikaments auf den Patien-
ten andererseits aufzuzeigen ist.
Die für eine Zwangsbehandlung in Frage kommenden Medika-
mente unterscheiden sich u.a. auch hinsichtlich ihrer Wirkungsdauer.
Während sich z.B. das vornehmlich der Initialbehandlung akuter psy-
chotischer Erregungszustände dienende Medikament "Clopixol-Acu-
tard" durch eine relativ kurze Wirkungsdauer auszeichnet, ist diese
z.B. beim Medikament "Clopixol Depot", welches vor allem für die
Erhaltungstherapie eingesetzt wird, wesentlich länger. Zudem spre-
chen nicht alle Patienten in gleichem Masse auf eine bestimmte
Dosis desselben Medikaments an. Es ist deshalb nicht möglich, die
für eine Zwangsmedikation zulässige Höchstdauer in absoluten Zah-
len festzulegen. Als Richtlinie erachtet das Verwaltungsgericht einen
auf die Dauer von 3 - 10 Tagen (entspricht der voraussichtlichen
Wirkungsdauer von einer bis drei Injektionen Clopixol-Acutard) bis
maximal 4 Wochen (entspricht der voraussichtlichen Wirkungsdauer
von zwei bis drei Injektionen mit einem Depotneuroleptikum)
befristeten und begründeten Entscheid betreffend Zwangsmedikation
in der Regel als verhältnismässig.
3/b/bb) Isolation ist eine "andere Vorkehr" i.S. von § 67e
bis
EG
ZGB und damit eine Zwangsmassnahme, die den Schutz der betrof-
fenen Person - und damit einhergehend den Schutz ihrer Mitmen-
schen - vor körperlichen und seelischen Schäden bezweckt (vgl.
Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 4. August
1999 [Botschaft], S. 6). Mit der Anordnung dieser Massnahme wird
in einschneidender Weise in das Grundrecht der persönlichen Frei-
heit der betroffenen Person eingegriffen. Dem Grundsatz der Ver-
hältnismässigkeit ist vor allem durch eine Beschränkung dieser
Massnahme in zeitlicher Hinsicht auf die absolut notwendige Dauer
Rechnung zu tragen.
2001
Verwaltungsgericht
234
Die Isolation stellt von ihrem Wesen her eine grundlegend an-
dere Zwangsmassnahme dar als eine medikamentöse Zwangsbe-
handlung. Isolation bedeutet, in einem (oft ausser einem Bett unmöb-
lierten) Raum alleine eingeschlossen zu werden. In der Regel soll
damit einer drohenden Selbst- oder Fremdgefährdung begegnet wer-
den, d.h. sie geschieht zum Selbstschutz des Betroffenen, aber auch
zum Schutz von Personal, Patienten und Gegenständen. Allenfalls
kann die mit der Isolation verbundene Reizabschirmung zusätzlich
zu einer Beruhigung eines Patienten führen. Bleuler führt aus, unter
der heutigen Therapie seien langdauernde Isolierungen nicht mehr
nötig, da eine Beruhigung des Patienten mittels Anwendung von
Medikamenten erreicht werden könne; hingegen seien ganz kurze
Isolierungen in akuten, schweren Erregungszuständen für die Mitpa-
tienten oft eine Notwendigkeit (Eugen Bleuler, Lehrbuch der Psy-
chiatrie, Neubearbeitung von Manfred Bleuler, Berlin/Heidel-
berg/New York 1983, S. 193). In einem beschränkten zeitlichen
Rahmen kann deshalb in bestimmten Fällen eine Verbindung von
Zwangsmedikation und Isolation verhältnismässig sein (vgl. BGE
126 I 120). Sobald jedoch die medikamentöse Behandlung ihre
gewünschte Wirkung entfaltet, ist die Isolation aufzuheben. Eine
Isolation wird sich deshalb in den meisten Fällen nur während eini-
gen Tagen als verhältnismässig erweisen und kann deshalb in der
Regel höchstens für die Dauer einer Woche angeordnet werden.
Sollte sich nach dieser Dauer eine Fortsetzung der Isolation trotzdem
noch als notwendig erweisen, wäre diese mit einem neuen Zwangs-
massnahmen-Entscheid anzuordnen und entsprechend zu begründen.
3/c/bb) Bei der Fixation handelt es sich ebenfalls um eine "an-
dere Vorkehr" i.S. von § 67e
bis
EG ZGB und damit um eine
Zwangsmassnahme. Mit der Anordnung dieser Massnahme wird in
noch einschneidenderer Weise als mittels Isolation in die Freiheits-
rechte einer betroffenen Person eingegriffen. Deshalb sind vom
Grundsatz der Verhältnismässigkeit her noch strengere Anforderun-
gen an die Anordnung einer solchen Massnahme zu stellen, dies
insbesondere dann, wenn diese Zwangsmassnahme zusätzlich zur
Isolation angeordnet wird. Weil das Fixieren mit einem Gurt den
Kerngehalt der Bewegungsfreiheit als Aspekt der persönlichen Frei-
2001
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
235
heit in extremster Form betrifft, kann es als Massnahme nur bei einer
konstanten Gefahr für Leib und Leben verhältnismässig sein (AGVE
2000, S. 194). Die Fixation ist deshalb nur in konkreten Notfallsitua-
tionen und in der Regel höchstens für die Dauer von drei Tagen an-
zuordnen. | 1,310 | 1,052 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-57_2001-10-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-57.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-57.pdf | AGVE_2001_57 | null | nan |
e81a5b32-47a9-58f8-aee4-ef1aceee06c3 | 1 | 412 | 871,549 | 1,038,787,200,000 | 2,002 | de | 2002
Kantonale Steuern
185
[...]
51
Abzugsfähigkeit von BVG-Einlagen (§ 26 Abs. 1 StG). Steuerumgehung.
-
Kapitaleinlagen zum Einkauf von Lohnaufbesserungen oder zusätz-
licher Beitragsjahre sind grundsätzlich ohne Beschränkung abzieh-
bar, soweit sie reglementarisch vorgesehen und angemessen sind.
Dies gilt selbst dann, wenn die Einlage nur rund 1 Jahr vor dem re-
glementarischen Schlussalter erfolgte und die BVG-Leistung in Ka-
pitalform bezogen wurde.
-
Keine Steuerumgehung, falls die Kapitaleinlage mit einem ausrei-
chenden wirtschaftlichen Vorteil verknüpft ist.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. Dezember 2002 in
Sachen KStA gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Zur Publikation vor-
gesehen in StE 2003. | 175 | 135 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-51_2002-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-51.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-51.pdf | AGVE_2002_51 | null | nan |
e83737a7-7d8c-565c-9430-431550e01720 | 1 | 412 | 871,988 | 1,378,080,000,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
352
[...]
58
Unentgeltliche Rechtspflege im Straf- und Massnahmenvollzug
Die Praxis, wonach Strafgefangenen grundsätzlich keine vollumfängliche
unentgeltliche Rechtspflege gewährt wird, verletzt den verfassungsrecht-
lich garantierten Mindestanspruch gemäss Art. 29 Abs. 3 BV.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. September 2013 in Sa-
chen X. (WBE.2013.317).
Aus den Erwägungen
10.1.
10.1.1.
Die Vorinstanz gewährte dem Beschwerdeführer die unentgeltli-
che Rechtspflege nur teilweise und auferlegte dem - anwaltlich nicht
vertretenen - Beschwerdeführer reduzierte Verfahrenskosten in der
Höhe von Fr. 150.00.
10.1.2.
Sie wies - unter Verweis auf unpublizierte frühere Regierungs-
ratsbeschlüsse, welche ihrerseits auf einen publizierten Entscheid des
Regierungsrats vom 24. Oktober 1983 (AGVE 1983, S. 470 ff.) ver-
weisen - darauf hin, dass der Regierungsrat praxisgemäss Strafge-
fangene als in der Lage erachte, mit ihrem Pekulium geringe Verfah-
renskosten zu bezahlen, weshalb er ihnen grundsätzlich auch keine
2013
Verwaltungsrechtspflege
353
vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege gewähre. Damit sollten
Strafgefangene für die mit dem Strafvollzug zusammenhängenden
Beschwerdeverfahren einem gewissen, auf ihre finanziellen Mög-
lichkeiten zugeschnittenen Kostenrisiko unterworfen werden, um
sicherzustellen, dass sie von den ihnen zustehenden Rechtsmitteln
einen vernünftigen Gebrauch machten. Allerdings werde bei der Be-
messung der Staatsgebühr der besonderen Situation und finanziellen
Lage der Strafgefangenen Rechnung getragen. Der Beschwerdefüh-
rer erhalte pro Monat ein Arbeitsentgelt von Fr. 520.00, wobei dieses
zu 75 % dem Frei- und zu 25 % dem Sperrkonto gutgeschrieben wer-
de. Somit stünden dem Beschwerdeführer pro Monat durchschnitt-
lich Fr. 390.00 zur Verfügung. Damit müsse er nebst den üblichen
Beschaffungen für sämtliche anfallenden Krankenkosten von seinem
Freikonto selber aufkommen (Krankenkassenprämien, Franchise,
Selbstbehalt). Das Freikonto habe per 8. Januar 2013 einen Saldo
von Fr.
815.25 aufgewiesen. Der Saldo des Sperrkontos habe
Fr. 22'716.15 betragen. Angesichts des vorhandenen Guthabens auf
dem Freikonto sei es gerechtfertigt, dem Beschwerdeführer im Sinne
einer teilweisen Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege eine
reduzierte Staatsgebühr von Fr. 150.00 aufzuerlegen.
10.2.
10.2.1.
Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechts-
pflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht als aussichtslos erscheint. So-
weit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem
Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Diese Ansprüche
gründen überdies in § 34 VRPG. § 34 Abs. 3 VRPG verweist auf die
Bestimmungen des Zivilprozessrechts, d.h. auf Art. 117 ff. ZPO.
10.2.2.
Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Unentgeltlichkeit von
Rechtspflege und Rechtsbeistand gemäss Art. 29 Abs. 3 BV gewähr-
leistet jedem Betroffenen ohne Rücksicht auf seine finanzielle Situa-
tion tatsächlichen Zugang zum (Gerichts-)Verfahren und effektive
Wahrung seiner Rechte (BGE 131 I 350, Erw. 3.1). Chancengleich-
heit als Element eines gerechten rechtsstaatlichen Verfahrens erfor-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
354
dert die Unterstützung bedürftiger Personen im Hinblick auf eine
sachgerechte Prozessführung (G
EROLD
S
TEINMANN
, in: Die Schwei-
zerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 2. Auflage 2008,
Art. 29 BV Rz. 34).
Eine partielle Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ist
nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie bedeutet eine Einschrän-
kung der durch die unentgeltliche Rechtspflege vermittelten An-
sprüche in sachlicher Hinsicht, indem die Bewilligung nur für einen
Teil der Prozesskosten erteilt und der Beschwerdeführer hinsichtlich
des anderen Teils zur Kostenübernahme verpflichtet wird. Die par-
tielle unentgeltliche Rechtspflege erklärt sich aus der Relativität der
Mittellosigkeit, welche es gebietet, auf die konkreten finanziellen
Verhältnisse des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Sie kommt in
Frage, wenn aus der Gegenüberstellung von Einkommen und Vermö-
gen einerseits und notwendigem Lebensunterhalt andererseits ein ge-
wisser Überschuss resultiert, der es dem Beschwerdeführer erlaubt,
einen Teil der Prozesskosten selbst zu bestreiten (S
TEFAN
M
EICHSSNER
, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege
[Art. 29 Abs. 3 BV], Basel 2008, S. 165 f.).
10.3.
10.3.1.
Die vom Regierungsrat angeführte Praxis, den Strafgefangenen
grundsätzlich keine vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren, um auf diese Weise sicherzustellen, dass sie von den ih-
nen zustehenden Rechtsmitteln einen vernünftigen Gebrauch mach-
ten, verletzt den verfassungsrechtlich garantierten Mindestanspruch
gemäss Art. 29 Abs. 3 BV. Sie stellt eine nicht zu rechtfertigende Un-
gleichbehandlung von Strafgefangenen im Vergleich zu den übrigen
(natürlichen) Personen dar, indem dadurch Strafgefangene, selbst
wenn ihre Beschwerde nicht aussichtslos erscheint und ihre Mittello-
sigkeit erwiesen ist - im Gegensatz zu allen anderen natürlichen Per-
sonen - einen Teil der Verfahrenskosten selbst tragen müssen. Die
Praxis des Regierungsrats berücksichtigt nicht, dass auch Strafge-
fangenen der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nur dann zu-
steht, wenn ihre Beschwerde nicht aussichtslos erscheint. Des Weite-
ren ist zu bedenken, dass die unentgeltliche Rechtspflege nur für ein
2013
Verwaltungsrechtspflege
355
konkretes Verfahren beansprucht werden kann, nicht aber generell
für die gesamte Dauer des Massnahmenvollzugs (BGE 128 I 225,
Erw. 2.4. ff.). Die Argumentation des Regierungsrats berücksichtigt
zudem nicht, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege dem
Mittellosen keine definitive Übernahme der Kosten durch den Staat
garantiert und damit zulässt, dass die im Endentscheid verlegten Pro-
zesskosten bloss gestundet werden und nach Prozessende aufgrund
einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen
von diesem zurückgefordert werden können (BGE 122 I 322,
Erw. 2c; M
EICHSSNER
, a.a.O., S. 175 f.). | 1,376 | 1,061 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-58_2013-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-58.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-58.pdf | AGVE_2013_58 | null | nan |
e8484512-2318-54c4-8e78-a197c784a271 | 1 | 412 | 870,425 | 1,288,742,400,000 | 2,010 | de | 2010
Verwaltungsrechtspflege
263
[...]
50
Beschwerdelegitimation in Baubewilligungssachen (§ 38 Abs. 1 aVRPG).
-
Zur Begründung des Anfechtungsinteresses in Ästhetikfragen ist eine
Sichtverbindung zwar erforderlich, jedoch nicht in jedem Fall genü-
gend.
-
Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall: Der an sich markante
Bau ist vom Grundstück der Beschwerdeführerin aus sichtbar, in-
folge der durch Bäume eingeschränkten Sicht, des dazwischen lie-
genden Raumes (rund 100 m) und der Anordnung des Neubaus rela-
tiviert sich jedoch die optische Wirkung des Neubaus so stark, dass
2010
Verwaltungsgericht
264
seine Fernwirkung auf die Liegenschaft der Beschwerdeführerin bei
objektiver Betrachtung nicht als Nachteil empfunden werden kann.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 9. November 2010 in Sa-
chen X. gegen A., B., C. und D. (WBE.2010.133).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
2.1.1.
Verfügungen und Entscheide kann jedermann durch Be-
schwerde anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse gel-
tend macht (§ 38 Abs. 1 aVRPG). Zur Auslegung von § 38 Abs. 1
aVRPG in Baubewilligungssachen besteht eine langjährige Praxis
(AGVE 2000, S. 365 ff.; 1998, S. 326; 1997, S. 288 ff.; 1993, S. 409
ff.; 1991, S. 363 ff.; ferner Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und
Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die
Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG],
Diss., Zürich 1998, § 38 N 150 ff.), die sich an der Rechtsprechung
des Bundesgerichts zur Beschwerdelegitimation in bundesgerichtli-
chen Verfahren orientiert. Das kantonale Recht muss die Legitima-
tion im gleichen Umfang gewährleisten wie für die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht
(Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG).
Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist
berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder
keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefoch-
tenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges In-
teresse an dessen Aufhebung oder Änderung besitzt (Art. 89 Abs. 1
BGG). Verlangt ist somit neben der formellen Beschwer (Art. 89
Abs. 1 lit. a BGG), dass der Beschwerdeführer über eine spezifische
Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt (Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG)
und einen praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des
angefochtenen Entscheids zieht (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG). Die
2010
Verwaltungsrechtspflege
265
Nähe der Beziehung zum Streitgegenstand muss bei Bauprojekten
insbesondere in räumlicher Hinsicht gegeben sein. Ein schutzwürdi-
ges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Si-
tuation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens
beeinflusst werden kann. Die Voraussetzungen von Art. 89 Abs. 1 lit.
b und lit. c BGG hängen eng zusammen; insgesamt kann insoweit an
die Grundsätze angeknüpft werden, die zur Legitimationspraxis bei
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 103 lit. a des früheren
Organisationsgesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG; BS 3 S. 531)
entwickelt worden sind (vgl. BGE 133 II 404 f. mit Hinweisen).
2.1.2.
Die enge räumliche Beziehung hängt nicht allein von einer in
Metern gemessenen Distanz ab (Urteil des Bundesgerichts vom
9. März 2010 [1C_40/2010], Erw. 2.3; AGVE 2000, S. 367), sondern
davon, auf welche Entfernung sich das streitige Bauvorhaben unter
dem geltend gemachten Anfechtungsinteresse auswirken kann
(BGE 112 Ia 123; Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 10. Juli
2008 [VB.2008.00051], Erw. 3.1; Attilio R. Gadola, Das verwal-
tungsinterne Beschwerdeverfahren, Diss. Zürich 1991, S. 221). Be-
fürchtet der Beschwerdeführer etwa eine übermässige Beschattung,
muss er sich näher an der Bauparzelle befinden, als wenn er geltend
macht, das Vorhaben löse auf einer gemeinsamen Erschliessungs-
strasse unzumutbaren Mehrverkehr bzw. Verkehrslärm aus. Die Aus-
wirkungen des beanstandeten Bauvorhabens auf die Liegenschaft des
Beschwerdeführers müssen nach ihrer Art und Intensität so beschaf-
fen sein, dass sie auch bei objektivierter Betrachtungsweise als Nach-
teil empfunden werden müssen (BGE 112 Ia 123; AGVE 2000,
S. 368). Eine besondere subjektive Empfindlichkeit des Betroffenen
verdient keinen Rechtsschutz (BGE 112 Ia 123; Urteil des Bundes-
gerichts vom 8. November 2001 [1A.244/2000], Erw. 3a). Im Allge-
meinen dürften mit zunehmender räumlicher Distanz auch die Anfor-
derungen an die Glaubhaftmachung eines besonderen Berührtseins
steigen (Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 10. Juli 2008
[VB.2008.00051], Erw. 4.3.; Urteil des Kantonsgerichts Basel-Land-
schaft vom 14. Oktober 2009 [810 09 68], Erw. 2.3).
2010
Verwaltungsgericht
266
2.1.3.
Ist das Anfechtungsinteresse nicht offensichtlich, liegt es am
Beschwerdeführer, die legitimationsbegründende räumliche Bezie-
hung und die schutzwürdigen Interessen im Verfahren aufzuzeigen.
Es ist nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanz anhand der Akten oder
weiterer, noch beizuziehender Unterlagen nachzuforschen, ob und
inwiefern der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Anfechtungs-
interesse haben könnte (vgl. BGE 133 II 404; Urteil des Verwal-
tungsgerichts Zürich vom 10. Juli 2008 [VB.2008.00051], Erw. 3.1,
mit Hinweisen). Die Behauptung allein, er sei von den Folgen einer
Baubewilligung betroffen, genügt nicht, um die Beschwerdebefugnis
zu begründen. Ansonsten stünde jedermann, der eine unzutreffende
Behauptung aufstellt, die Beschwerdeberechtigung zu. Dies liefe im
Ergebnis auf eine unzulässige Popularbeschwerde hinaus (Urteil des
Bundesgerichts vom 9. März 2010 [1C_40/2010], Erw. 2.3; Urteil
des Bundesgerichts vom 1. Februar 2010 [1C_500/2009], Erw. 2.3).
2.2.
2.2.1.
Die Beschwerdeführerin begründet ihre Legitimation mit dem
Volumen und der Anordnung des geplanten Baukörpers, der Ausnut-
zung der Bauparzelle und mit dem Ortsbild. Sie beruft sich damit
ausschliesslich auf den Gesichtspunkt der Ästhetik. Weitere Aspekte,
wie namentlich Immissionen durch Lichtentzug, Beschattung, Ver-
kehrslärm oder ähnliches, führt sie nicht an. Die Frage der Be-
schwerdebefugnis ist somit ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt
der Ästhetik zu beurteilen. Nach weiteren legitimationsbegründenden
Beeinträchtigungen muss nach dem zuvor Gesagten nicht geforscht
werden.
2.2.2.
Den Ausführungen der Beschwerdeführerin ist insofern beizu-
pflichten, als das geplante, viergeschossige Gebäude als markanter
Baukörper in Erscheinung treten wird. Auch das Fachgutachten Y.
spricht von einem grossen Volumen bzw. von einem starken Akzent
als Abschluss des Z.-Parkplatzes. Das Vorhaben nützt sodann die für
Arealüberbauung erhöhte Ausnützungsziffer mit einer Bruttoge-
schossfläche von 701 m2 vollständig aus. Bezüglich Ausnutzung und
2010
Verwaltungsrechtspflege
267
Volumen hebt sich das geplante Gebäude somit klar vom beste-
henden Wohnhaus ab. Das veranschaulichen auch die Fassadenan-
sichten und die Fotosimulationen des geplanten Gebäudes. Richtig
und allseits unbestritten ist ferner die Tatsache, dass zwischen dem
Grundstück der Beschwerdeführerin und der Bauparzelle Sichtver-
bindung besteht. Eine solche Sichtverbindung ist zwar zur Begrün-
dung des Anfechtungsinteresses in Ästhetikfragen erforderlich, aber
nicht in jedem Fall genügend. Ob eine Sichtverbindung besteht oder
nicht, stellt nur ein Indiz zur Beurteilung der Legitimationsfrage dar
(AGVE 1997, S. 290; VGE III/72 vom 22.
September 1995
[BE.94.00215/226], S. 8; VGE III/123 vom 16. Dezember 1996
[BE.96.00297], S. 4; VGE III/27 vom 9. April 1997 [BE.96.00134],
S. 5).
2.2.3.
Zwar handelt es sich beim geplanten Gebäude um einen mar-
kanten Bau mit entsprechender Nahwirkung. Die Fernwirkung des
Vorhabens von der Liegenschaft der Beschwerdeführerin aus ist je-
doch aus verschiedenen Gründen stark abgeschwächt. Erstens liegen
zwischen der Terrasse der Beschwerdeführerin und der Fassade des
projektierten Mehrfamilienhauses rund 100 Meter, was die optische
Wirkung des geplanten Neubaus erheblich relativiert. Zwischen der
Liegenschaft der Beschwerdeführerin und dem geplanten Mehrfami-
lienhaus liegt ein grosszügiger Raum, bestehend aus einer Strasse
(Z.), einer Tartanbahn, einem Fussballplatz und einem Parkplatz, so
dass bei einer objektiven Betrachtung keinerlei Gefahr besteht, dass
die Liegenschaft der Beschwerdeführerin durch den Neubau optisch
"erdrückt" werden könnte. Zweitens ist die Sichtverbindung zwi-
schen dem Grundstück der Beschwerdeführerin und der Bauparzelle
durch den dazwischenliegenden Baumbestand erheblich einge-
schränkt. Das gilt selbst in der kalten Jahreszeit, in der die Bäume
(wie auf den aktenkundigen Fotografien) keine Blätter tragen. Der
dazwischenliegende Raum und der Baumbestand haben - wie die
Vorinstanz zutreffend festhält - eine trennende sowie kaschierende
Wirkung. Drittens zeigt nur die Schmalseite des geplanten Mehrfa-
milienhauses gegen die Parzelle der Beschwerdeführerin, so dass der
neue Hauptkörper mit seiner Länge von fast 22 m auch aus diesem
2010
Verwaltungsgericht
268
Grund nicht als Riegel wirkt. Viertens nimmt der Neubau der Be-
schwerdeführerin keine freie Aussicht, ist doch diese gegen Süden
schon heute durch den Baumbestand stark eingeschränkt. Ausserdem
liegt das Grundstück der Beschwerdeführerin rund 5 m höher, was
die optischen Auswirkungen des Neubaus ebenfalls reduziert.
2.2.4.
Die Beschwerdeführerin beruft sich ferner darauf, der Neubau
mit 4 Geschossen beeinträchtige das Quartierbild. Angesichts der
räumlichen Distanz und der eingeschränkten Sichtverbindung zur
Bauparzelle und zu den übrigen Bauten im Süden ist jedoch nicht er-
sichtlich, inwiefern die Beschwerdeführerin durch den behaupteten
Einordnungsmangel in besonderer Weise betroffen sein könnte. Eine
relevante Möglichkeit, durch den behaupteten Einordnungsmangel
beeinträchtigt zu werden, besteht nicht. Bei einer materiellrecht-
lichen Beurteilung der Ortsbildfrage wäre im Übrigen zu beachten,
dass sich der Massstab für den Schutz des Orts-, Quartier- und
Landschaftsbildes in erster Linie aus der Zonenordnung ergibt, nicht
aus dem Zustand der tatsächlichen Bebauung (AGVE 1983, S. 209;
1980, S. 297; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom
2. Februar 1971, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 159 N 3b).
Unter diesem Gesichtspunkt wäre bei einer materiellen Würdigung
der Ortsbildfrage zu berücksichtigen, dass auf den umliegenden
Parzellen nach den massgebenden Zonenvorschriften ebenfalls höher
gebaut werden könnte. Bauten, die den geltenden Zonenvorschriften
entsprechen, können nicht schon deshalb als störend bezeichnet
werden, weil sie grössere Ausmasse und eine grössere Nut-
zungsdichte aufweisen als die umstehenden Gebäude (vgl. Urteil des
Bundesgerichts vom 21. Juni 2005 [1P.678/2004], Erw. 4.3, mit
Hinweisen; VGE III/39 vom 16. Juni 2009 [WBE.2008.158/159],
S. 18).
2.3.
Zusammenfassend ist der an sich markante Bau vom Grund-
stück der Beschwerdeführerin aus sichtbar, infolge der durch Bäume
eingeschränkten Sicht, des dazwischen liegenden Raumes und der
Anordnung des Neubaus relativiert sich jedoch die optische Wirkung
des Neubaus so stark, dass seine Fernwirkung auf die Liegenschaft
2010
Verwaltungsrechtspflege
269
der Beschwerdeführerin bei objektiver Betrachtung nicht als Nachteil
empfunden werden kann. Die Beschwerdeführerin legt zwar in
nachvollziehbarer Weise dar, dass sie den markanten Neubau wird
sehen können, macht jedoch nicht in substanziierter Weise glaubhaft,
dass eine relevante Beeinträchtigungsmöglichkeit besteht. Die
Behauptung allein, sie sehe den markanten Neubau und sei davon
ästhetisch betroffen, genügt nicht, um die Beschwerdebefugnis zu
begründen. | 2,712 | 2,130 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-50_2010-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-50.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-50.pdf | AGVE_2010_50 | null | nan |
e8724ce9-5a1c-5977-bd0a-160d065d168c | 1 | 412 | 870,841 | 1,083,456,000,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsrechtspflege
271
[...]
68
Beschwerdelegitimation (§ 38 Abs. 1 VRPG).
- Bei bestimmten Sachverhalten besteht ein schutzwürdiges Interesse
für den Antrag des Steuerpflichtigen, die Steuerveranlagung sei zu
seinen Ungunsten abzuändern (Erw. 2/a).
- Für die Beschwerdeführung muss ein eigenes Interesse vorliegen.
Daran fehlt es, wenn die beschwerdeführende "Einmann-AG" ledig-
lich Interessen ihres Aktionärs verfolgt (Erw. 2/b).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. Mai 2004 in Sa-
chen M. AG gegen Steuerrekursgericht. Publiziert in StE 2005, B 96.21
Nr. 13.
Aus den Erwägungen
2. a) Die Beschwerdeführerin beantragt den veranlagten Rein-
ertrag heraufzusetzen, was eine (minim) höhere Steuerbelastung
ergäbe. Zu prüfen ist, ob sie dazu legitimiert ist, was ein eigenes
2004
Verwaltungsgericht
272
schutzwürdiges Interesse voraussetzt (vgl. Martin Zweifel, in: Kom-
mentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2b [DBG],
Art. 132 N 12; § 38 Abs. 1 VRPG). Dieses liegt auf der Hand, wenn
eine tiefere Veranlagung angestrebt wird, nicht aber im umgekehrten
Fall. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass ein schutzwürdiges
Interesse an einer Höherveranlagung besteht, beispielsweise wenn
dies in einer folgenden Steuerperiode zu tieferen Steuern führt oder
wenn die Steuerpflichtige dadurch ein Nachsteuer- und Hinterzie-
hungsverfahren vermeiden kann (vgl. ASA 43/1974-75, S. 344 ff.;
VGE II/15 vom 4. März 2004 [BE.2002.00294] in Sachen E. AG,
S. 6; Ernst Känzig/Urs R. Behnisch, Die direkte Bundessteuer
[Wehrsteuer] [Kommentar], III. Teil, 2. Auflage, Basel 1992, Art. 106
N 8; Zweifel, a.a.O., Art. 132 N 12; Richner/Frei/Kaufmann,
Handkommentar zum DBG, Zürich 2003, Art. 132 N 14); doch muss
im Fall der beantragten Höherveranlagung ein solches konkretes
Interesse dargetan sein.
b) Die Beschwerdeführerin führt dazu aus, die Veranlagungsbe-
hörde verfolge das Ziel, den Zeitpunkt einer Dividendenausschüttung
festzulegen, die beim Aktionär zu einer Einkommensbesteuerung
führen solle. Für die Beschwerdeführerin selber bleibe die Steuerbe-
lastung gleich. Damit bestätigt sie selber, dass das Interesse an der
Beschwerdeführung ausschliesslich bei ihrem Aktionär liegt. Zudem
ist die Aufrechnung einer geldwerten Leistung bei der Gesellschaft
keine unerlässliche Voraussetzung für eine Besteuerung beim Aktio-
när (VGE II/39 vom 20. Juni 2003 [BE.2002.00171] in Sachen
KStA/K.S., S. 6; VGE II/11 vom 28. Februar 2000 [BE.98.00392] in
Sachen Erben P.K., S. 5), sodass ein Obsiegen der Beschwerdeführe-
rin im vorliegenden Verfahren die Besteuerung ihres Aktionärs gar
nicht zwingend zu beeinflussen vermag. Da die Beschwerdeführerin
selber steuerlich nicht beschwert ist, ist auf ihre Beschwerde mangels
eines Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten. | 725 | 562 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-68_2004-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-68.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-68.pdf | AGVE_2004_68 | null | nan |
e88ef5db-c5bb-53e0-9a82-c8a7708aa10d | 1 | 412 | 871,937 | 1,307,059,200,000 | 2,011 | de | 2011
Verwaltungsrechtspflege
253
[...]
59
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts
Ein Rückweisungsentscheid des BVU bildet taugliches Anfechtungsobjekt
vor Verwaltungsgericht. Die Anfechtungsvoraussetzungen des BGG gel-
ten im kantonalen Verfahren nicht.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. Juni 2011 in Sachen A.
gegen B. (WBE.2010.390).
Aus den Erwägungen
I.
1.
Angefochten ist ein Rückweisungsentscheid des BVU. Das
BVU macht geltend, die Auffassung, wonach Rückweisungsentschei-
de vor Verwaltungsgericht grundsätzlich taugliches Anfechtungs-
objekt darstellten, sei aufgrund der zwischenzeitlichen Totalrevision
der Bundesrechtspflege nicht mehr zeitgerecht. Auf die Beschwerde
sei im konkreten Fall nicht einzutreten.
Für das Verfahren vor Bundesgericht sind die anfechtbaren Ent-
scheide in Art. 90-94 BGG geregelt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts zum BGG stellen Rückweisungsentscheide in der
Regel Zwischenentscheide dar, die nur unter den Voraussetzungen
von Art. 93 Abs. 1 BGG selbständig angefochten werden können
(BGE 135 III 216 f.; 134 II 127 f.; 133 II 412; 133 V 481 f.; Urteil
des Bundesgerichts vom 29. September 2010 [1C_8/2010], Erw. 1.2
und 1.3). Diese unter Geltung des BGG für das bundesgerichtliche
Verfahren entwickelte Rechtsprechung lässt sich jedoch nicht auf das
kantonale Verfahren vor Verwaltungsgericht übertragen. Die Be-
schwerde an das Verwaltungsgericht bestimmt sich nach dem kanto-
2011
Verwaltungsgericht
254
nalen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege vom 4. Dezember
2007 (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRPG; SAR 271.200). Die
massgebliche Regelung in §§ 54 ff. VRPG (Beschwerde an das Ver-
waltungsgericht) unterscheidet sich von derjenigen in Art. 90-94
BGG. Eine Praxis, welche bezüglich Rückweisungsentscheiden an
die Anforderungen von Art. 93 Abs. 1 BGG anknüpfen würde, be-
steht auf kantonaler Ebene nicht und bestand auch unter Geltung des
aVRPG nicht.
Nach § 54 Abs. 1 VRPG ist u. a. gegen letztinstanzliche Ent-
scheide der Verwaltungsbehörden die Verwaltungsgerichtsbeschwer-
de zulässig. Das gilt auch in Bausachen (vgl. § 41 ABauV). Ein
Sonderfall gemäss § 54 Abs. 2 VRPG liegt nicht vor, auch sind keine
vorbehaltenen Sonderbestimmungen in anderen Gesetzen im Sinne
von § 54 Abs. 3 VRPG erkennbar. Die Wirkungen eines Rückwei-
sungsentscheids lassen sich mit denjenigen eines Vorentscheids ver-
gleichen, da die materiellen Erwägungen in Rückweisungsentschei-
den die Vorinstanz wie auch die Rechtsmittelinstanz binden, sollte
letztere im gleichen Verfahren erneut angerufen werden (Michael
Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem
aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege vom 9. Juli
1968, Kommentar zu den §§ 38-72 [a]VRPG, Diss., Zürich 1998,
§ 38 N 62). Rückweisungsentscheide sind im Grundsatz taugliches
Anfechtungsobjekt vor Verwaltungsgericht und unterscheiden sich
insofern nicht vom reformatorischen Entscheid (Merker, a. a. O.,
§ 38 N 63). Mit dem angefochtenen Rückweisungsentscheid wurde
das Verfahren vor BVU abgeschlossen und der Gemeinderat an-
gewiesen, das Baugesuch auf die Vereinbarkeit mit den Vorschriften
zur Ausnützungsziffer hin zu überprüfen. Dies, weil das BVU zum
Schluss gelangte, dass die gewerblich genutzte Aussenverkaufsfläche
zur Bruttogeschossfläche zu zählen sei. Der strittige Rückweisungs-
entscheid bildet somit taugliches Anfechtungsobjekt und das Verwal-
tungsgericht ist zur Beurteilung der dagegen erhobenen Beschwerde
zuständig. | 821 | 625 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-59_2011-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-59.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-59.pdf | AGVE_2011_59 | null | nan |
e8c45094-0f5c-5238-a8b4-e734a73531d8 | 1 | 412 | 870,205 | 1,244,073,600,000 | 2,009 | de | 2009
Verwaltungsgericht
236
[...]
45
Sozialhilferechtliche Stellung von anerkannten Flüchtlingen
-
Fehlende Zuständigkeit des Kantonalen Sozialdienstes für die Fest-
setzung der materiellen Hilfe an anerkannte Flüchtlinge
-
Anwendung der Mietzins-Richtlinien auf "Junge Erwachsene" mit
Flüchtlingsstatus
-
Keine Rückweisung, wenn eine Anordnung für die Zukunft neu ver-
fügt werden muss
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 30. Juni 2009 in Sachen
I.T. gegen das Bezirksamt Aarau (WBE.2008.406).
Aus den Erwägungen
2.
Die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Schweiz richtet sich
grundsätzlich nach dem für Ausländerinnen und Ausländer geltenden
Recht (Art. 58 AsylG). Zur Festsetzung, Ausrichtung und Ein-
schränkung von Fürsorgeleistungen für anerkannte Flüchtlinge gilt
das SPG sowie die SPV (Art. 82 und 83 AsylG; Art. 3 der Asylver-
ordnung 2 über Finanzierungsfragen vom 11. August 1999 [AsylV 2;
SR 142.12]; Art. 4 der Vollzugsweisungen zur Asylverordnung 2,
Ausrichtung und Abgeltung von Fürsorgeleistungen für Personen des
Asylrechts vom 10. September 1999 [Asyl 80 1.2]).
Mit der Revision des Asylgesetzes ging die Zuständigkeit für
die Betreuung anerkannter Flüchtlinge mit Aufenthaltsbewilligung
(B-Bewilligung) per 1. Oktober 2001 vom Bund an die Kantone
über. Mit der kantonalen Umsetzung der AsylV 2 wurde die Fürsorge
und Betreuung anerkannter Flüchtlinge ab 1. Oktober 2001 in die
Zuständigkeit der Wohngemeinden gestellt (Kreisschreiben des
Kantons Aargau, Gesundheitsdepartement, Kantonaler Sozialdienst
[nachfolgend Kreisschreiben] 3/2001 und Kreisschreiben 5/2001).
2009
Sozialhilfe
237
Die Gewährung von Sozialhilfe an Flüchtlinge richtet sich nach
den ordentlichen Bestimmungen des SPG (§ 16 Abs. 2 SPG). Ge-
mäss § 10 SPG i.V.m. § 10 SPV gelten für die Bemessung der mate-
riellen Hilfe die Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung
der Sozialhilfe (herausgegeben von der Schweizerischen Konferenz
für Sozialhilfe [SKOS-Richtlinien], 3. Auflage, Dezember 2000).
Diese finden auch Anwendung für anerkannte Flüchtlinge (SKOS-
Richtlinien, S. 4 "Zur Bedeutung dieser Richtlinien"). Anerkannte
Flüchtlinge sind demnach fürsorgerechtlich den Einwohnern gleich-
zustellen.
3.1.-3.2. (...)
3.3.
Die sich in einer Notlage befindende und Sozialhilfe bean-
spruchende Person hat keinen Anspruch auf Übernahme der Miet-
kosten einer beliebigen Wohnung durch das Gemeinwesen (Urteil
des Bundesgerichts vom 3. Juni 2005 [2P.143/2005], Erw. 2.2). In
diesem Sinne sehen auch die SKOS-Richtlinien vor, dass überhöhte
Wohnkosten nur so lange zu übernehmen sind, bis eine zumutbare
günstigere Lösung zur Verfügung steht. Bevor der Umzug in eine
günstigere Wohnung verlangt wird, ist jedoch die Situation im Ein-
zelfall zu prüfen (SKOS-Richtlinien, Kapitel B.3; zum Ganzen:
AGVE 2003, S. 283).
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Hilfe
suchende Personen bei der Berechnung der Wohnkosten für Sozial-
hilfe keine höheren Ansprüche stellen können als Familien oder
Personen, die sich in knappen finanziellen Verhältnissen selber
durchbringen und entsprechende Einschränkungen hinnehmen
müssen (AGVE 2004, S. 253 ff. mit Hinweisen; SKOS-Richtlinien,
Kapitel A.4-2).
Für junge Erwachsene zwischen dem vollendeten 18. Altersjahr
und dem vollendeten 25. Altersjahr ohne Erstausbildung sehen die
SKOS-Richtlinien günstige Wohngelegenheiten, wie eine Zimmer-
benutzung im Rahmen einer Wohngemeinschaft vor (SKOS-Richt-
linien, Kapitel H.11).
2009
Verwaltungsgericht
238
4.
4.1.
Dem Beschwerdeführer wurde mit Verfügung vom 28. April
2008 die 2 -Zimmerwohnung mit Mietkosten von effektiv
Fr. 1'105.-- (inkl. Nebenkosten) bewilligt und gleichzeitig festge-
stellt, dass der Mietzins den gemäss Richtlinien angemessenen Miet-
zins von Fr. 900.-- pro Monat übersteigt. Der Gemeinderat X. kürzte
deshalb die materielle Bedarfsrechnung um Fr. 205.-- (d.h. um
die Überschreitung des maximalen monatlichen Mietzinslimits von
Fr. 900.--). Diese Kürzung dauert solange bis der Beschwerdeführer
eine neue Wohnung mit Mietkosten gemäss den Richtlinien gefunden
hat. Diese Verfügung ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
4.2.
4.2.1.
Zuständig für die Gewährung der Sozialhilfe sind die Gemein-
debehörden (§ 6 Abs. 1 SPG). Der Gemeinderat oder eine von ihm
eingesetzte Sozialkommission ist die zuständige Sozialbehörde, so-
weit nicht die Zuständigkeit einer anderen Behörde vorbehalten ist
(§ 44 Abs. 1 und 2 SPG). Die Zuständigkeiten des kantonalen So-
zialdiensts umschreibt allgemein § 42 Abs. 1 lit. a ff. SPG und um-
fasst u.a. die Beratung der Gemeindebehörden (lit. a), die Koordi-
nation sozialer Tätigkeiten (lit. c) und die Weiterbildung (lit. d).
Gemäss § 18 Abs. 2 SPG fällt die Betreuung und die finanzielle
Unterstützung für Personen gemäss § 16 Abs. 1 SPG (Asylsuchende
etc.) bis zur Zuweisung an die Gemeinde in die Zuständigkeit des
Kantons (§ 18 Abs. 3 SPG).
Dem Kantonalen Sozialdienst fehlt daher die Zuständigkeit zum
Erlass von Verfügungen und Entscheiden für die materielle Hilfe an
anerkannte Flüchtlinge.
Auch für eine Zuständigkeit zum Erlass von Richtlinien für
kantons- oder ortsüblich angemessene Mietkosten für Sozialhil-
feempfänger fehlt eine ausdrückliche Bestimmung im Gesetz. In sei-
ner Stellungnahme vom 6. Februar 2009 weist auch der Kantonale
Sozialdienst auf die fehlende formelle gesetzliche Grundlage hin.
Diese Zuständigkeitsfrage ist aber vorliegend nicht abschliessend zu
beurteilen.
2009
Sozialhilfe
239
4.2.2.
Der Kantonale Sozialdienst erstattet nach "langjähriger und be-
währter" Praxis den Gemeinden für die Betreuung der Flüchtlinge
maximal einen Mietbeitrag von Fr. 750.-- pro Einzelperson über
25 Jahre. Diese Praxis beruht auf den Abrechnungsmodalitäten zwi-
schen den betreuenden Gemeinden, dem Kanton und den Bundesbe-
hörden. Der Kantonale Sozialdienst erstattet den Gemeinden die
vollen Kosten für anerkannte Flüchtlinge (§ 47 Abs. 2 SPG und § 34
Abs. 1 SPV) und rechnet mit dem Bund nach Massgabe des Bundes-
rechts ab. Für die Abrechnung zwischen dem Bund und den Kanto-
nen sind Pauschalbeträge vorgesehen (Art. 24 f. AsylV 2; Handbuch
Sozialhilfe, Kapitel 13, S. 5). Eine gesetzliche Bestimmung oder eine
andere Rechtsgrundlage für die direkte Anwendung dieser (Be-
rechnungs-) Praxis auf die Festsetzung der angemessenen Woh-
nungskosten für Sozialhilfeempfänger besteht nicht und die Regeln,
welche die Rückerstattung der materiellen Hilfe unter den Behörden
regeln und/oder den Kostenträger bestimmen, sind weder direkt noch
indirekt für die Bemessung der Wohnkosten massgebend. Die
angemessenen Wohnungskosten sind vielmehr nach den Bestim-
mungen des Sozialhilferechts (SPG, SPV) und den SKOS-Richtlinien
(§ 10 SPV) im Einzelfall festzusetzen. Der Regierungsrat hat von der
Möglichkeit weitere Pauschalregelungen zu erlassen (§ 10 Abs. 6
SPV), bis anhin nicht Gebrauch gemacht.
Im vorliegenden Fall hat der Gemeinderat X. die ortsüblichen
Mietzinse für Sozialhilfebezüger allgemein festgesetzt. Die Regelung
unterscheidet in der Haushaltsgrösse (1 bis 5 und mehr Perso-
nenhaushalt) und gewährt aufgrund der ortsüblichen Verhältnisse ei-
nem 1-Personenhaushalt monatlich maximal Fr. 900.-- (inkl. Neben-
kosten). Diese Bestimmungen gelten grundsätzlich für alle Sozial-
hilfebezüger - auch für den Beschwerdeführer - und sind rechtsgleich
anzuwenden. Eine Differenzierung nach Kategorien von So-
zialhilfeempfängern ("Working-poor"), die in der Gemeinde X. ver-
wurzelt sind und anerkannten Flüchtlingen, oder unter dem Aspekt
des Sozialhilfetourismuses, ist in der Richtlinie nicht vorgesehen.
Solche Unterscheidungen wären mit den Grundsätzen des Sozial-
2009
Verwaltungsgericht
240
hilferechts und der Rechtsstellung der Flüchtlinge (§ 1 Abs. 2, § 5
SPG; § 3 SPV und vorne Erw. 2) auch kaum zu vereinbaren.
Die Mietzinslimite von Fr. 750.-- nach der Praxis des Kantona-
len Sozialdienstes entspricht daher nicht gesetzlichen Vorgaben zur
Bestimmung der angemessenen Wohnungskosten und trägt insbe-
sondere den örtlichen Gegebenheiten und dem Einzelfall nicht
Rechnung.
4.2.3.
Die Richtlinie über ortsübliche Mietzinse für Sozialhilfe-
empfänger der Gemeinde X. enthält keine Differenzierung zwischen
einem 1-Personenhaushalt und einem 1-Personenhaushalt für junge
Erwachsene ohne Erstausbildung. Der Richtlinie lässt sich auch nicht
entnehmen, dass sie für junge Erwachsene keine Anwendung findet.
Eine Reduktion des angemessenen Mietzinses für den Be-
schwerdeführer ist, unter Berufung auf die Richtlinie der Gemeinde,
daher nicht zulässig.
Abweichungen von diesen Richtlinien im Einzelfall sind nicht
grundsätzlich ausgeschlossen, bedürfen aber im Hinblick auf die
Rechtsgleichheit einer besonderen Begründung. Ein blosser Verweis
auf eine "Praxis" des Kantonalen Sozialdiensts oder auf die SKOS-
Richtlinien ersetzt die unabdingbare Prüfung und Beurteilung der
Umstände im Einzelfall nicht und genügt den Anforderungen an die
Bemessung eines angemessenen und zumutbaren Mietzinses für den
Beschwerdeführer nicht.
Damit erweist sich die Beschwerde in Bezug auf den angemes-
senen Mietzins des Beschwerdeführers als begründet. Ziffer 2 des
Beschlusses des Gemeinderates X. vom 1. September 2008 ist daher
in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben.
4.3. (...)
5.
Gemäss § 58 aVRPG kann das Verwaltungsgericht entweder
selbst urteilen oder die Sache zum Erlass eines neuen Entscheides an
die Vorinstanz zurückweisen. Die Frage, welches Vorgehen gewählt
werden soll, ist nach der Praxis auf Grund einer Interessenabwägung
zu entscheiden, wobei namentlich die Rechtsschutzbedürfnisse der
Betroffenen, funktionelle bzw. institutionelle Überlegungen sowie
2009
Sozialhilfe
241
die Interessen an einem raschen Entscheid und jene der Prozessöko-
nomie von Bedeutung sein können (AGVE 2004, S. 143 f. mit Hin-
weisen).
Vorliegend wird die Auflage mit der Bestimmung der angemes-
senen Mietkosten aufgehoben. Die Festsetzung der Mietkosten fällt
in die Zuständigkeit des Gemeinderates X., dem dabei auch das Er-
messen zusteht, in welches das Verwaltungsgericht nicht eingreifen
kann.
Es obliegt der Gemeinde X., die Richtlinie anzupassen oder mit
einem (allgemein) angemessenen Mietzins für junge Erwachsene in
Erstausbildung zu ergänzen (siehe vorne Erw. 3.3). Auf den bisheri-
gen Grundlagen besteht nur die weitere Möglichkeit, in einer neuen
Verfügung, den für den Beschwerdeführer angemessenen Mietzins,
in Abweichung der (unveränderten) Richtlinie, durch eine Beurtei-
lung im Einzelfall (zumutbare Wohnungsgrösse; Verfügbarkeit von
entsprechenden Wohnungen; Zumutbarkeit eines Wohnungswech-
sels; siehe dazu AGVE 2003, S. 283) neu festzulegen. Eine solche
Beurteilung erfordert eine neue Verfügung, unter Berücksichtigung
der aktuellen Situation, und kann Wirkungen nur für die Zukunft
entfalten. Die Wahl des geeigneten Vorgehens ist der Gemeinde frei-
gestellt. Von einer formellen Rückweisung kann unter diesen Um-
ständen abgesehen werden. | 2,427 | 1,969 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-45_2009-06-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-45.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-45.pdf | AGVE_2009_45 | null | nan |
e8dc77ba-6d4f-5f70-9f2d-f4388077ef91 | 1 | 412 | 870,851 | 1,209,859,200,000 | 2,008 | de | 2008
Anwaltsrecht
275
49
Disziplinarverfahren; Doppelfunktion als Rechtsanwalt des Mandanten
und Verwaltungsratspräsident des Prozessfinanzierers.
-
Örtliche Zuständigkeit des Kantons Aargau als Registerkanton
(Erw. I/2).
-
Unabhängigkeit gemäss Art. 12 lit. b BGFA (Erw. 2).
-
Kein verbotener Interessenkonflikt gemäss Art. 12 lit. c BGFA im
konkreten Fall (Erw. 3).
-
Verletzung von Art. 12 lit. e BGFA (Erw. 4)
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 13. Mai 2008 in Sachen X.
gegen die Anwaltskommission (WBE.2006.407).
Aus den Erwägungen
I.
1. (...)
2.
2.1.
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Stellungnahme vom
26. März 2007 vor, die Vorinstanz hätte auf die vorliegende Beurtei-
lung aufgrund mangelnder örtlicher Zuständigkeit nicht eintreten
dürfen. Der Aargau als Registerkanton wäre vorliegend nur zu einer
disziplinarischen Beurteilung befugt, wenn es um einen Vorfall gin-
ge, welcher sich vor einer eidgenössischen Verwaltungs- oder Ge-
richtsbehörde zugetragen hätte und eine entsprechende Meldung er-
folgt wäre. In diesem Fall gehe es indes unbestrittenermassen um
eine Tätigkeit ausserhalb des Anwaltsmonopols, welche zudem vor
keiner Gerichts- oder Verwaltungsbehörde stattgefunden habe. Im
vorliegenden Fall liege die ausschliessliche Kompetenz zur diszipli-
narischen Massregelung des beschwerdeführerischen Verhaltens
2008
Verwaltungsgericht
276
beim Kanton Zürich. Dieser habe nach summarischer (inhaltlicher)
Würdigung und aus formellen Gründen die Notwendigkeit der Eröff-
nung eines Verfahrens verneint. Eine Akkreszenz disziplinarischer
Befugnisse bei der Vorinstanz habe nach der Ordnung des BGFA da-
durch nicht stattgefunden, weshalb sie auf die Beurteilung nicht hätte
eintreten dürfen.
2.2.
Jeder Kanton bezeichnet gemäss Art. 14 BGFA eine Behörde,
welche die Anwältinnen und Anwälte beaufsichtigt, die auf seinem
Gebiet Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten. Die Aufsicht dieser
Behörde erstreckt sich, wie die Anwaltskommission richtig aus-
führte, auf die gesamte Anwaltstätigkeit und beschränkt sich nicht
auf Tätigkeiten im Rahmen des kantonalen Anwaltsmonopols (Bot-
schaft zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und
Anwälte vom 28. April 1999 [Botschaft BGFA], in: BBl 1999 IV
6059). Den Ausführungen des Beschwerdeführers kann nicht gefolgt
werden. Bei Tätigkeiten ausserhalb des Registerkantons ist die Auf-
sichtsbehörde des Registerkantons nicht lediglich für Vorfälle vor
eidgenössischen Gerichts- und Verwaltungsbehörden zuständig. Bei
der Zuständigkeit von kantonalen Aufsichtsbehörden müssen die aus-
schliessliche und die konkurrenzierende Zuständigkeit unterschieden
werden. Beim zuvor genannten Fall (Vorfälle vor eidgenössischen
Gerichts- und Verwaltungsbehörden) handelt es sich um eine aus-
schliessliche Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde des Registerkann-
tons (Art. 15 Abs. 2 BGFA; Tomas Poledna, in: Walter Fellmann /
Gaudenz Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich /
Basel / Genf 2005, Art. 16 N 2). Bei anderen Tätigkeiten ausserhalb
des Registerkantons besteht eine Zuständigkeit der Aufsichtsbehör-
den des Registerkantons. Diese Zuständigkeit kommt zum Tragen,
wenn die Aufsichtsbehörde des Kantons, in welcher die Tätigkeit
ausgeführt wird, auf die Einleitung eines Verfahrens verzichtet, d.h.
kein Verfahren eröffnet (vgl. Poledna, a.a.O., Art. 16 N 2 und 4).
Art. 16 BGFA kommt nur zum Zuge, wenn ein Disziplinarverfahren
eröffnet wurde.
2008
Anwaltsrecht
277
2.3.
Weder die Aufsichtskommission über die Anwältinnen und An-
wälte des Kantons Zürich noch die Anwaltskommission des Kantons
Schwyz haben ein Verfahren eröffnet bzw. auf die Einleitung eines
Verfahrens verzichtet. Die Aufsichtskommission über die Anwältin-
nen und Anwälte des Kantons Zürich hätte, auch wenn keine Tätig-
keit vor einer Gerichts- oder Verwaltungsbehörde zur Diskussion
stand, ein Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer einlei-
ten können, da sich die Aufsicht - wie zuvor aufgezeigt - nicht auf
Tätigkeiten im Rahmen des kantonalen Anwaltsmonopols be-
schränkt. Nach deren Verzicht stand es jedoch der Anwaltskommis-
sion des Kantons Aargau frei, bei anderer Einschätzung der Sachlage
ein Disziplinarverfahren einzuleiten (vgl. Poledna, a.a.O., Art. 16 N 4
a.E.). Die örtliche Zuständigkeit der Anwaltskommission des Kann-
tons Aargau war daher gegeben.
II.
1. (...)
2.
Die mit dem angefochtenen Entscheid ausgesprochene Diszi-
plinierung beruht auf dem Vorwurf, der Beschwerdeführer habe u.a.
Art. 12 lit. b BGFA (Unabhängigkeit der Berufsausübung) verletzt,
indem er eine Doppelfunktion als Rechtsanwalt des Mandanten und
Verwaltungsratspräsident des Prozessfinanzierers eingenommen
habe. Durch das Aushandeln der Konditionen des Prozessfinanzie-
rungsvertrags sei der Beschwerdeführer nicht mehr unabhängig ge-
wesen, weil er Diener zweier Herren gewesen sei.
2.1.
Anwältinnen und Anwälte üben ihren Beruf gemäss Art. 12
lit. b BGFA unabhängig, in eigenem Namen und auf eigene Verant-
wortung aus. Wie bereits die Anwaltskommission richtig ausführte,
wird der Begriff der Unabhängigkeit in Art. 12 lit. b BGFA nicht nä-
her definiert. Gemäss den Schweizerischen Standesregeln des
Schweizerischen Anwaltsverbands (SAV), die beschränkt als Ausle-
gungshilfe herangezogen werden können (vgl. BGE 130 II 270
Erw. 3.1.3), bedingt die Unabhängigkeit insbesondere, dass keine
Bindungen bestehen, welche Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
2008
Verwaltungsgericht
278
bei der Berufsausübung irgendwelchem Einfluss von Dritten, die
nicht in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sind, ausset-
zen (Art. 10 Abs. 2 der Standesregeln vom 10. Juni 2005). Die ein-
zige gesetzliche Konkretisierung besteht in Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA,
wonach Anwälte, die bei einer Person angestellt sind, die ihrerseits
nicht in einem kantonalen Register eingetragen ist, ihren Beruf ver-
mutungsweise nicht unabhängig ausüben können. Ausschlaggeben-
des Kriterium für die gesetzliche Vermutung für das Fehlen der Un-
abhängigkeit beim angestellten Anwalt ist das Subordinationsverhält-
nis und die Weisungsgebundenheit im Anstellungsverhältnis (vgl.
u.a. BGE 130 II 87 Erw. 4.3.3 mit Hinweisen; BGE vom 13. April
2004 [2A.126/2003], Erw. 4.3). Die unabhängige Ausübung der An-
waltstätigkeit soll gewährleisten, dass sich die Anwältinnen und An-
wälte ausschliesslich von sachgemässen Überlegungen leiten lassen,
nur dem eigenen Denken und Urteilen sowie den Berufspflichten fol-
gen und frei bleiben von Einflüssen, die sachgemäss mit dem Mandat
nicht zusammenhängen. Das Gebot der Unabhängigkeit verbietet den
Anwälten daher, rechtliche oder tatsächliche Bindungen einzugehen,
die die berufliche Unabhängigkeit gefährden (BGE 130 II 87 Erw. 4;
Walter Fellmann, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, a.a.O., Art. 12
N 56).
2.2.
Die Beurteilung der Unabhängigkeit eines Anwalts bei gleich-
zeitiger Tätigkeit als Verwaltungsrat eines Unternehmens, insb. bei
einem Prozessfinanzierunternehmen, wurde - soweit ersichtlich - in
der Rechtsprechung nicht vertieft behandelt. Das Bundesgericht
führte lediglich aus, es sei nicht ausgeschlossen, dass je nach konkre-
ter Ausgestaltung eines Prozessfinanzierungssystems die anwaltliche
Unabhängigkeit beeinträchtigt werde. Problematisch könnte sein,
wenn Anwälte als Gesellschafter oder Verwaltungsräte an Prozessfi-
nanzierungsgesellschaften beteiligt seien (BGE 131 I 223
Erw. 4.6.4).
Eine grundlegende oder "institutionelle" Abhängigkeit gemäss
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA steht im vorliegenden Verfahren nicht
(mehr) zur Diskussion. Die Anwaltskommission hat von einer Über-
prüfung des Registereintrags abgesehen, und Anhaltspunkte für ein
2008
Anwaltsrecht
279
arbeitsvertragliches Verhältnis des Beschwerdeführers zur X. AG
fehlen. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer Verwaltungsrats-
präsident der X. AG war, begründet nicht automatisch eine Verlet-
zung der Unabhängigkeitsregel in Art. 12 lit. b BGFA. Es ist viel-
mehr zu prüfen, ob mit dem konkreten Prozessfinanzierungsvertrag
oder aus den konkreten Umständen beim Abschluss des Vertrags die
Unabhängigkeit des Beschwerdeführers nicht mehr zureichend ge-
wahrt war.
2.3.
Aus dem Prozessfinanzierungsvertrag vom 15. März 2005 zwi-
schen der Y. und der X. AG folgt unmittelbar keine Einflussnahme
auf die Berufs- oder Mandatsausübung. Der Beschwerdeführer war
gemäss Ziff. 5 des Prozessfinanzierungsvertrags der prozessführende
Anwalt. Er unterstand für die Prozessführung auch keinem Wei-
sungsrecht der X. AG noch hat sich Letztere eine direkte Einfluss-
nahme auf die Art und Weise der Mandatsführung vorbehalten. Die
in Ziff. 3 vorgesehene Möglichkeit zur Einstellung der Prozessfinan-
zierung behält ausdrücklich die Neubeurteilung der Prozesschancen
durch den Beschwerdeführer vor. Die Vereinbarungen bezüglich der
Mitwirkung der X. AG bei Verfügungen über die Klageforderung
(Ziff. 4 der Vereinbarung) und über die Informationsrechte (Ziff. 5)
tangieren die anwaltliche Unabhängigkeit des Beschwerdeführers
ebenfalls nicht. Sie bewegen sich im Rahmen der üblichen Abma-
chungen bei Finanzierungsvereinbarungen, die auch im Verhältnis zu
Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherungen anzutreffen sind (vgl.
BGE 131 I 223 Erw. 4.5). Insbesondere ist im Umstand, dass sich die
X. AG vorbehalten hat, auf eine Weiterführung eines Prozesses zu
verzichten, keine Beeinträchtigung der anwaltlichen Unabhängigkeit
zu erblicken. Die Art und Weise der Finanzierung der Prozesskosten
ist Sache des Klienten. Fehlen dem Klienten die Eigenmittel, ist er
auf eine Fremdfinanzierung oder Unterstützung durch Dritte bzw. die
unentgeltliche Rechtspflege angewiesen. Jede Fremdfinanzierung
und jede Unterstützung begründet die Möglichkeit zur Einfluss-
nahme auf den Entscheid des Klienten hinsichtlich der gerichtlichen
Verfolgung seiner Ansprüche und Weiterführung eines Prozesses.
Diese Zustimmung des Dritten oder die (negative) Beurteilung des
2008
Verwaltungsgericht
280
Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege tangieren die anwaltliche
Unabhängigkeit indessen nicht grundsätzlich, sondern betreffen nur
das Verhältnis des Prozessfinanzierers zum Klienten. Mit der mögli-
chen Ablehnung einer weiteren Finanzierung des Verfahrens wurde
auch kein unzulässiges Abhängigkeitsverhältnis begründet.
(...)
Es ist überdies nicht ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer
beim Abschluss des Vertrags von unsachgemässen Überlegungen lei-
ten liess und nicht unabhängig von Weisungen der X. AG gehandelt
hat (siehe hinten Erw. 3). Der Vertrag sieht kein Weisungsrecht der
X. AG hinsichtlich Ausübung, Übernahme und Beendigung des Man-
dats vor und respektiert auch den Vorrang der Berufspflichten, insbe-
sondere der Treuepflicht des Beschwerdeführers gegenüber der
Klientin. Im Weiteren gibt auch der Umstand, dass die Geschäfts-
adresse der X. AG mit der Geschäftsadresse des Beschwerdeführers
in A. identisch ist, keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der
Unabhängigkeit. Eine Verletzung der Unabhängigkeit des Anwalts
gemäss Art. 12 lit. b BGFA ist daher zu verneinen.
3.
3.1.
Die mit dem angefochtenen Entscheid ausgesprochene Diszipli-
nierung beruht weiter auf dem Vorwurf, der Beschwerdeführer habe
Art. 12 lit. c BGFA (Vermeidung eines Interessenkonflikts) verletzt.
Die Anwaltskommission führt aus, bei der Aushandlung des zur
Diskussion stehenden Prozessfinanzierungsvertrags habe der Be-
schwerdeführer als Vertreter seiner Mandantin deren Interessen best-
möglich wahren müssen. Auf der anderen Seite habe er als Ver-
waltungsratspräsident der X. AG ein Interesse daran, dass aus der
Prozessfinanzierung ein Gewinn für die Aktiengesellschaft resul-
tierte. Damit bestehe aber ein unlösbarer Interessenkonflikt bei der
Ausübung dieser beiden Funktionen. Weiter bestehe eine gewisse
Diskrepanz zwischen den Interessen, indem die Prozessfinanziererin
wegen der entstehenden Kosten ein grösseres Vergleichsinteresse
habe als die Klientin.
2008
Anwaltsrecht
281
3.2.
3.2.1.
Nach Art. 12 lit. c BGFA haben Anwälte jeden Konflikt zwi-
schen den Interessen ihrer Klientschaft und Personen, mit denen sie
geschäftlich oder privat in Beziehung stehen, zu meiden. Das BGFA
will mit dieser weit gefassten Bestimmung sicherstellen, dass der
Anwalt unabhängig von entgegenstehenden Drittinteressen die Inter-
essen seines Klienten nach bestem Wissen und Können wahrnehmen
kann (BGE 130 II 87 Erw. 4.2 mit Hinweisen). Die Pflicht zur Ver-
meidung von Interessenkonflikten ist Ausfluss der Treuepflicht des
Anwalts gegenüber dem Klienten (vgl. dazu § 15 des [alten] An-
waltsgesetzes vom 18. Dezember 1984 und AGVE 1996, S. 75 f.).
Diese Berufspflichten gehen weiter als die vertragliche Treuepflicht
gemäss Art. 398 Abs. 2 OR und setzen keinen Mandatsvertrag zwi-
schen Klient und Anwalt voraus, sondern gelten auch vor Vertrags-
schluss sowie nach Beendigung des Mandats (vgl. Giovanni Andrea
Testa, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes
gegenüber dem Klienten, Diss. Zürich 2001, S. 93 f.; Martin Sterchi,
Kommentar zum bernischen Fürsprecher-Gesetz, Bern 1992, Art. 10
N 7). Eine ähnliche Regelung sehen die Schweizerischen Standesre-
geln des Anwaltsverbandes vor (vgl. Art. 11 der Standesregeln SAV
vom 10. Juni 2005). Ein verbotener Interessenkonflikt liegt vor,
wenn der Anwalt die Wahrung der Interessen eines Klienten über-
nommen hat und dabei Entscheidungen zu treffen hat, mit denen er
sich potentiell in Konflikt zu eigenen oder anderen ihm zur Wahrung
übertragenen Interessen begibt (BGE vom 8.
Januar 2001
[2P.187/2000], Erw. 4c = Pra 90/2001, S. 842, Fellmann, a.a.O.,
Art. 12 N 84). Dem Anwalt ist es demnach untersagt, in derselben
Streitsache Parteien mit widerstreitenden Interessen gegeneinander
zu vertreten. Er kann seine Treuepflicht gegenüber keinem Mandan-
ten voll erfüllen, wenn er für beide Parteien tätig wird (BGE vom
28.
Oktober 2004 [2A.594/2004], Erw.
1.2; VGE II/81 vom
25. August 2004 [BE.2004.00161], S. 7).
Diese Grundsätze lassen sich nicht einfach auf die beratende
Tätigkeit des Anwalts übertragen (Testa, a.a.O., S. 103 ff.; Felix
Wolffers, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Zürich 1986, S. 141 f.;
2008
Verwaltungsgericht
282
Walter Fellmann / Oliver Sidler, Standesregeln des Luzerner An-
waltsverbandes, Bern 1996, Art. 23 Ziff. 5; Niklaus Studer, Die Dop-
pelvertretung nach Art. 12 lit. c BGFA, in: Anwaltsrevue 2004,
S. 234 f.). Wird der Anwalt in nicht prozessualen Rechtsangelegen-
heiten von Parteien mit an sich gegensätzlichen Interessen angegan-
gen (z.B. damit er für sie eine juristisch einwandfreie Fassung ihres
mündlich geschlossenen Vertrags erarbeite), darf er das Mandat an-
nehmen, sofern ihm diese Aufgabe von allen Beteiligten übertragen
wurde und er nicht bereits vorher eine der Parteien in der betreffen-
den Sache vertreten oder beraten hat. Er hat dabei alles zu vermei-
den, was den Eindruck erwecken könnte, er bevorzuge die eine Partei
gegenüber der anderen. In diesem Sinne erklären auch die Standesre-
geln des SAV in Art. 12 die Tätigkeit des Anwalts als Berater, Ver-
treter oder Verteidiger mehrerer Mandanten als zulässig, sofern kein
Interessenkonflikt besteht oder droht. Gleiche Verhaltensvorschriften
gelten auch nach Ziff. 3.2 der Berufsregeln der Rechtsanwälte der
Europäischen Union (angenommen von der CCBE-Vollversammlung
am 28. Oktober 1988, Fassung vom 19. Mai 2006). Kommt es zu ei-
nem Interessenkonflikt oder drohen andere Beeinträchtigungen des
Mandatsverhältnisses, ist der Anwalt gehalten, alle betroffenen Man-
date niederzulegen (Art. 12 Abs. 1 der Standesregeln SAV; vgl. Testa,
a.a.O., S. 104; Wolffers, a.a.O., S. 141; Paul Wegmann, Die Berufs-
pflichten des Rechtsanwalts unter besonderer Berücksichtigung des
zürcherischen Rechts, Diss. Zürich 1969, S. 190 f.).
3.2.2.
Ein berufsrechtlich relevanter Interessenkonflikt bei gleichzeiti-
ger Verwaltungsratstätigkeit bei einer Prozessfinanzierungsgesell-
schaft kann vorliegen, wenn ein Anwalt im Verwaltungsrat an Ge-
schäften mitwirkt, die die Interessen eines Klienten berühren. Dabei
müssen sich die Interessen der Gesellschaft und diejenigen des Kli-
enten nicht diametral widersprechen, und eine aktienrechtliche Aus-
standspflicht ist nicht Voraussetzung. Eine blosse Befangenheit kann
ausreichen, d.h. wenn Umstände oder mögliche Interessenkonflikte
auf den Entscheid des Anwalts einwirken können, die ausserhalb des
Mandatsverhältnisses liegen (Walter Fellmann, Kollision von Be-
rufspflichten mit anderen Gesetzespflichten am Beispiel des Anwal-
2008
Anwaltsrecht
283
tes als Verwaltungsrat, in: Bernhard Ehrenzeller [Hrsg.], Das An-
waltsrecht nach dem BGFA, St. Gallen 2003, S. 177 f.). Die Beteili-
gung des Anwalts an einem Prozessfinanzierer muss gemäss Pelle-
grini differenziert betrachtet werden. Unproblematisch erscheine die
reine Kapitalbeteiligung an einer Publikumsgesellschaft, die das Ge-
schäft der Prozessfinanzierung betreibt. Unzulässig, weil im Ergeb-
nis auf eine Simulation des pactum de quota litis hinauslaufend, wäre
z.B. die Bildung einer stillen Gesellschaft (oder die Gründung einer
Aktiengesellschaft) durch kapitalkräftige Anwälte, die wechselseitig
intern für die Finanzierung eigener Prozesse sorgen. Bei einem fi-
nanziellen Engagement von Anwälten bei einem Prozessfinanzierer
sei Zurückhaltung angezeigt, namentlich bei kleinem Eigentümer-
kreis (Bruno Pellegrini, Zusammenarbeit mit Prozessfinanzierern, in:
Anwaltsrevue 2001, S. 43). Auch das Bundesgericht erachtet die
Beteiligung von Anwälten als Gründer, Gesellschafter oder Verwal-
tungsräte von Prozessfinanzierungsgesellschaften und Rechtsschutz-
versicherungen als problematisch (BGE 131 I 223 Erw. 4.6.4 mit
Hinweisen).
Offensichtliche Fälle von Interessenkollisionen liegen in allge-
meiner Weise vor, wenn der Anwalt einen Klient vertritt, der in Kon-
kurrenz steht mit dem Unternehmen, bei dem der Anwalt als Ver-
waltungsrat engagiert ist (vgl. Fellmann, Kollision, a.a.O., S. 176).
Ebenso werden die Berufsregeln verletzt, wenn der Anwalt einen
Klienten vertritt, dessen Gegenpartei eine Prozessfinanzierungsver-
einbarung mit dem Unternehmen, bei dem der Anwalt als Verwal-
tungsrat engagiert ist, eingegangen ist. Für eine Interessenkollision
bedarf es jedoch nicht notwendigerweise solch eindeutiger Konflikt-
situationen.
3.3.
3.3.1.
Aus dem Verwaltungsratsmandat des Beschwerdeführers bei der
X. AG kann nicht direkt eine unzulässige Doppelvertretung und
Verletzung der Berufsregeln nach Art. 12 lit. c BGFA abgeleitet wer-
den, da keine Fallkonstellation mit offensichtlichem Interessenkon-
flikt vorliegt. Die mögliche Gefahr von Interessenkollisionen ist
2008
Verwaltungsgericht
284
vielmehr anhand der konkreten Umstände zu prüfen (AGVE 2001,
S. 67).
3.3.2.
Die Y. machte im Jahre 2003, vertreten durch den Beschwerde-
führer, gegenüber der Z. eine Forderung in der Höhe von
Fr. 18'732.10 zuzüglich Zins im Rechtsöffnungsverfahren vor dem
Bezirksgericht Zürich geltend. In diesem Verfahren kam es zu einem
Vergleich über Fr. 4'000.--, den die Y. später widerrief. Das Rechts-
öffnungsbegehren wurde in der Folge mit Verfügung vom 14. März
2003 abgewiesen. Die Y. konnte mangels finanzieller Mittel ihren
Forderungsanspruch auch nicht mehr geltend machen, als weitere
Beweisunterlagen zum Vorschein kamen. Als Aktiengesellschaft war
ihr eine Prozessführung mit unentgeltlicher Rechtspflege verwehrt,
und eine Prozessfinanzierung durch andere Anbieter war wegen der
geringen Höhe der Prozessforderung nicht möglich.
Das Interesse der Y. an der Durchsetzung ihrer Forderung ist of-
fensichtlich und war aufgrund des abgelehnten Vergleichsvorschlags
auf einen Betrag von mehr als Fr. 4'000.-- gerichtet. Dem Beschwer-
deführer ist insoweit zu zustimmen, als der Y. wegen der fehlenden
Mittel zur Prozessführung alternativ nur der Verzicht auf ihre An-
sprüche offen stand.
3.3.3.
Der Beschwerdeführer hatte als Mitglied des Verwaltungsrats
und insbesondere als Verwaltungsratspräsident die Interessen der X.
AG in guten Treuen zu wahren und eigene Interessen und auch die
Interessen der Y. zurückzustellen, wenn sie nicht den Gesellschafts-
interessen entsprechen (Art. 717 Abs. 1 OR; BGE vom 14. Dezember
1999 [4C.402/1998], Erw. 2a = Pra 89/2000, S. 288).
Die Interessen einer Prozessfinanzierungsgesellschaft unter-
scheiden sich von jenen einer Rechtsschutzversicherung. Die Rechts-
schutzversicherung prüft zwar auch die Erfolgschancen in einem
Prozess, fokussiert jedoch nicht primär auf die Höhe eines Prozesser-
folgs, da ihr eine Prozessbeteilung bei Obsiegen verwehrt ist (vgl.
Art. 170 der Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Ver-
sicherungsunternehmen vom 9. November 2005 [Aufsichtsverord-
nung, AVO; SR 961.011]) und der Unternehmenserfolg nicht aus-
2008
Anwaltsrecht
285
schliesslich vom Prozessausgang abhängig ist. Demgegenüber stellt
bei einer Prozessfinanzierungsgesellschaft die Beteiligung am Pro-
zessgewinn die einzige Einnahmequelle dar. Sie fokussiert ihre Be-
urteilung deshalb (noch) mehr als die Rechtschutzversicherung auf
die Prozessaussichten und Kosten im Einzelfall. Bei der Rechts-
schutzversicherung geht dagegen die Betrachtungsweise auf die all-
gemeine Gewinnorientierung aus dem Verhältnis von Prämien und
Kosten, wobei auch hier die Rechtsschutzversicherung und die An-
wälte grundsätzlich das gleiche Ziel verfolgen (vgl. Daniel Bandle,
Das ambivalente Verhältnis zwischen Anwälten und Rechtsschutz-
versicherern, in: Haftung und Versicherung [HAVE], Heft 1/2008,
S. 2 ff., insb. S. 7 f.). Die Überlegungen, die sich die Prozessfinan-
zierungsgesellschaft in Bezug auf Prozesserfolg und Prozesschancen
macht, sind somit grundsätzlich mit dem Interesse des Klienten
gleichgerichtet (Pellegrini, a.a.O., S. 43). Die Gewinnorientierung
der X. AG schaffte damit keine Gefahr unlösbarer Konflikte mit den
Interessen der Y.
Der Anwaltskommission ist insoweit zuzustimmen, als es unter
dem Aspekt der anwaltlichen Interessenwahrungspflicht nicht auf die
Lösung eines konkreten Konflikts ankommen kann. Anderseits ge-
nügt nicht jeder Anschein einer Interessenkollision zur Begründung
einer Verletzung der Berufsregel in Art. 12 lit. c BGFA (Fellmann,
a.a.O., Art. 12 N 87). Der Beschwerdeführer macht daher zutreffend
geltend, dass die tatsächlichen Interessenkonflikte abzuklären und
dabei auch die Ausgestaltung des Prozessfinanzierungsvertrags zu
betrachten ist. Gemäss Ziff. 3 dieses Vertrags ist es der Y. unbenom-
men, bei einer Einstellung der Prozessfinanzierung durch die X. AG
das Verfahren auf eigene Kosten weiterzuführen. Beabsichtigt dage-
gen die Y., den Anspruch nicht mehr weiterzuführen, so hat sie ihn
gemäss Ziff. 4 der X. AG auf deren schriftliches Ersuchen hin durch
Abgabe einer schriftlichen Abtretungserklärung unentgeltlich zu
übertragen. Wie zuvor bereits ausgeführt, ist der Beschwerdeführer
gemäss Ziff. 5 der prozessführende Anwalt. Ein Wechsel des Pro-
zessvertreters bedarf der Zustimmung der X. AG. Diese Regelung
ermöglicht der Y. eine Beendigung der Prozessfinanzierung ohne
Nachteile, die über den Verlust der Finanzierungszusage hinausge-
2008
Verwaltungsgericht
286
hen. Beide Vertragsparteien können einen Prozess eigenständig wei-
terführen, und auch ein Anwaltswechsel ist nicht ausgeschlossen
(Ziff. 5). Verfügungen über die Forderung, insbesondere auch ein
Vergleich, bedürfen der Zustimmung der X. AG, im Widerhandlungs-
fall verliert die Y. die Ansprüche auf die Prozessfinanzierung (Ziff. 4
Abs. 1), und bei einem Verzicht auf die Weiterverfolgung verpflich-
tete sich die Y. zur Abtretung der Forderung (Ziff. 4 Abs. 2). Diese
Regelungen in der Vereinbarung wahren die Interessen der Y. und
lassen keine Gefahr der Übervorteilung erkennen. Insbesondere ent-
halten sie keine Vereinbarungen zum Vorrang allfälliger Vergleichs-
interessen der X. AG. Die Y. hätte unter Verzicht auf die Finanzie-
rungszusage einen Vergleich ablehnen können.
Die mögliche Alternative zum Prozessfinanzierungsvertrag
durch die X. AG war der vollständige Verzicht auf die Geltend-
machung der Forderung und damit ein Verzicht der Y. auf jeglichen
Rechtsschutz. In Frage stand die Finanzierung eines Rechtsöffnungs-
verfahrens mit relativ bescheidenen Verfahrens- und Parteikosten.
Mit der hälftigen Aufteilung des Streitergebnisses war das Interesse
der Y. an einem Forderungsbetrag von über Fr. 4'000.-- im Erfolgsfall
gewahrt. Dem Beschwerdeführer kann daher auch bei der Ver-
tragsgestaltung mit der X. keine unzulässige Interessenkollision vor-
geworfen werden. Seine Tätigkeit in der Vermittlung der Finanzie-
rungszusage lässt auch keine Gefährdung der Klienteninteressen er-
kennen.
3.3.4.
Zu der von der Anwaltskommission gerügten Doppelvertretung
ist Folgendes zu ergänzen: Der Beschwerdeführer hat die X. AG
nicht als Anwalt im Mandatsverhältnis vertreten. Der einzige Ver-
waltungsrat der Y. hat die Prozessfinanzierung mit hälftiger Beteili-
gung am Prozessergebnis angeregt und war über die X. AG und die
Beziehungen des Beschwerdeführers zu dieser Firma orientiert. Das
Vorgehen des Beschwerdeführers geschah im Wissen und Einver-
ständnis der Y. Die Mandatsführung des Beschwerdeführers und die
Vermittlung der Prozessfinanzierung erweist sich daher auch nach
der allgemeinen beruflichen Sorgfaltspflicht (Art. 12 lit. a BGFA)
nicht als unzulässig.
2008
Anwaltsrecht
287
4.
Eine Verletzung der Berufsregeln könnte darin erblickt werden,
wenn mit dem Prozessfinanzierungsvertrag und dem Verwaltungs-
ratsmandat der X. AG das Verbot des Erfolgshonorars und der Betei-
ligung am Prozessgewinn (Art. 12 lit. e BGFA) umgangen worden
wäre. Die Anwaltskommission macht, allerdings im Zusammenhang
mit dem Verschulden, geltend, die Prozessfinanzierung hätte zumin-
dest indirekt Auswirkungen auf das anwaltliche Honorar des Be-
schwerdeführers.
Eine Umgehung des genannten Verbots liegt dann vor, wenn der
Anwalt als Verwaltungsrat gleichzeitig als Gründer und Grossaktio-
när der Träger der Gesellschaft ist. Das Verlieren des Prozesses wür-
de damit nämlich im finanziellen Ergebnis eine verbotene Übernah-
me des Prozessrisikos bedeuten. Bei Obsiegen käme der Erfolg in-
direkt auch wieder dem Anwalt zu (vgl. BGE 98 Ia 144 Erw. 2d). Der
Beschwerdeführer ist Verwaltungsratspräsident der X. AG. Gemäss
Aktionärsverzeichnis wurde dem Beschwerdeführer eine Aktie zur
treuhänderischen Führung als Qualifikationsaktie übergeben. Dies
war bis zum 1. Januar 2008 aufgrund von Art. 707 OR obligatorisch.
Aufgrund der Aktionärslage kann daher nicht von einer Umgehung
des Verbots von Art. 12 lit. e BGFA gesprochen werden. Der Be-
schwerdeführer bezog als Verwaltungsratspräsident einen Fixbetrag
von Fr. 1'500.--. Es bestehen daher keinerlei Anzeichen für ein Zu-
satzhonorar bei Obsiegen im Prozess oder einer direkten oder in-
direkten Beteiligung des Beschwerdeführers am Prozessergebnis. | 6,008 | 4,755 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-49_2008-05-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-49.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-49.pdf | AGVE_2008_49 | null | nan |
ea68d870-706c-5ff3-b1b7-72b6b2dab1b4 | 1 | 412 | 870,265 | 1,123,027,200,000 | 2,005 | de | 2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
189
[...]
39
Gebäudehöhe und Geschossigkeit (gewachsenes Terrain).
-
Auslegung von § 13 Abs. 2 ABauV (Kodifizierung der bisherigen Pra-
xis); durch eine formell rechtskräftig bewilligte Terrainveränderung
wird ein neuer, auch für allfällige Neubauten geltender Terrainverlauf
definiert (Erw. 2).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 31. August 2005 in
Sachen H. & Co. Immobilien gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. Die Beschwerdeführerin plant auf den Parzellen Nrn. 216,
217 und 218 die Erstellung von vier nach Südwesten ausgerichteten
Mehrfamilienhäusern (Häuser A, B, C und D). In jedem Haus sind
eine Wohnung zu 5 1⁄2 Zimmern, vier Wohnungen zu 4 1⁄2 Zimmern
und zwei Wohnungen zu 3 1⁄2 Zimmern vorgesehen; die Gesamtzahl
der Wohneinheiten beträgt somit 28. Die Häuser weisen je ein Erdge-
schoss, ein 1. Obergeschoss und ein Attikageschoss auf und sind mit
Flachdächern bedeckt. Die Grundrisse sind identisch. Die Fassaden-
längen betragen 27.74 m bzw. 16.49 m. Im Untergeschoss befindet
sich eine Sammelgarage mit insgesamt 43 Autoabstellplätzen; die
Ausfahrtsrampe mündet auf der Höhe des Hauses A in die Chören-
mattstrasse. Oberirdisch sind neun Autoabstellplätze für Besucher
vorgesehen.
2. 2.1. Die Baugrundstücke liegen in der Wohnzone 2-ge-
schossig (W 2) gemäss dem Bauzonenplan der Gemeinde Berikon
vom 5. Dezember 1991 / 18. Januar 1994 (letztmals revidiert am
1. Dezember 1994 / 23. Januar 1996); dort sind maximal zwei
Vollgeschosse zulässig, und die maximal zulässige Gebäudehöhe
beträgt in der Ebene 7.0 m und am Hang 7.4 m (Art. 42 der Bau- und
Nutzungsordnung der Gemeinde Berikon [BNO] mit denselben
Beschluss- und Genehmigungsdaten wie der Bauzonenplan). In Be-
2005
Verwaltungsgericht
190
zug auf die Geschossigkeit und die Gebäudehöhen hielt das Baude-
partement Folgendes fest: Das Haus A sei rechtmässig. Die Häuser B
und C dagegen seien dreigeschossig, weil das unterste Geschoss auf
weiten Teilen das in den Fassaden- und Schnittplänen als gewachse-
nes Terrain bezeichnete Gelände vollständig bzw. weitgehend über-
schreite, und auch zu hoch. Das Haus D wiederum sei dreige-
schossig, weil an der Nordfassade auf mehr als einem Drittel der
Fassadenlänge abgegraben werde; auch rage das unterste Geschoss
mehr als 0.8 m aus dem als gewachsenes Terrain bezeichneten Ge-
lände, während die Gebäudehöhe bei Zugrundelegung dieses Ter-
rains in Ordnung sei. Nun sei allerdings nicht vom aktuell bestehen-
den (und in den Plänen fälschlicherweise als gewachsen bezeichne-
ten) Terrain auszugehen, sondern von jenem, das vor der im Jahre
1984 bewilligten Aufschüttung vorgelegen habe. Dies führe dazu,
dass sich die Abweichungen vom Erlaubten in Bezug auf Geschos-
sigkeit und Gebäudehöhe noch akzentuierten.
2.2. Vorab ist somit klarzustellen, welches das hier massge-
bende gewachsene Terrain ist.
2.2.1. Über die Messweise bei der Bestimmung der Bauhöhen
bestimmt § 12 ABauV (in der Fassung vom 12. Juli 2000) Folgendes:
"
1
Die Gebäudehöhe wird vom anschliessenden gewachsenen Terrain
bis zum Schnitt der Fassade mit der Dachoberfläche (...) gemessen.
2
Die Firsthöhe wird vom anschliessenden gewachsenen Terrain bis
zum höchsten Punkt der Dachoberfläche gemessen.
3
Am Hang werden Gebäudehöhe, Firsthöhe und Geschosszahl tal-
seitig gemessen. (...)"
Weiter enthält §
13 ABauV die folgende Definition des
gewachsenen Terrains:
"
1
Das gewachsene Terrain ist der bei Einreichung des Baugesuches
bestehende Verlauf des Bodens. Kleine Geländeunebenheiten inner-
halb des Gebäudegrundrisses werden vernachlässigt.
2
Auf frühere Verhältnisse ist zurückzugreifen, wenn das Terrain im
Hinblick auf das Bauvorhaben verändert worden ist."
2.2.2. Die Diskussion über die Lage des gewachsenen Terrains
ist durch die folgende Vorgeschichte ausgelöst worden: Mit Datum
vom 18. Juli 1983 reichte die Kollektivgesellschaft H. & Co. Immo-
2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
191
bilien ein Baugesuch für eine Terrain-Auffüllung auf der Parzelle IR
117 ein, und zwar teilweise innerhalb, teilweise ausserhalb des Bau-
gebiets. Gestützt auf die Teilverfügung der Baugesuchszentrale des
Baudepartements vom 15. November 1983, wonach der Terrainver-
änderung ausserhalb des Baugebiets nur zugestimmt wurde, soweit
sie 1 m ab gewachsenem Terrain nicht überstieg, verlangte der Ge-
meinderat mit Beschluss vom 28. November 1983 eine neue Bauein-
gabe. Diese erfolgte mit Schreiben der Bauherrschaft vom 16. De-
zember 1983. Einsprachen während der öffentlichen Auflage vom
5. bis zum 25. Januar 1984 wurden keine erhoben. Mit Beschluss
vom 6. Februar 1984 erteilte der Gemeinderat die Baubewilligung,
unter Beifügung u.a. der folgenden Nebenbestimmung:
"2. Bei künftigen Bauvorhaben im Bereiche der Aufschüttung ist das
ursprünglich gewachsene Terrain zu berücksichtigen. Der Plan,
Terrainprofile Mst. 1 : 200 vom 14. Dezember 1983, ist für die Be-
stimmung des ursprünglich gewachsenen Terrains massgebend."
In der Folge focht die Bauherrschaft die erwähnte Klausel mit
folgender Begründung beim Baudepartement an:
"Die Auflage des Gemeinderates besitzt keine gesetzliche Grundlage.
Unser Land wurde 'verlocht' wegen des Baues der neuen und
hochgelegenen Erschliessungsstrasse. Die geplante Auffüllung be-
zweckt lediglich die Anpassung an das neue Strassenniveau. Sicher
hat aus diesem Grund auch die Baugesuchszentrale in ihrem Schrei-
ben vom 15.11.83 (...) der Auffüllung zugestimmt. Wenn man auf-
füllen darf, so muss doch das neue Niveau für eine neue Überbauung
gelten. Das alte Niveau wurde durch den Strassenbau überholt."
Auf ein bei ihm eingereichtes Wiedererwägungsgesuch gleichen
Inhalts hin beschloss der Gemeinderat am 27. Februar 1984, den Satz
"Bei künftigen Bauvorhaben im Bereiche der Aufschüttung ist das
ursprünglich gewachsene Terrain zu berücksichtigen." in Ziffer 2 der
Verfügung vom 6. Februar 1984 zu streichen. Er begründete dies wie
folgt:
"Der Gemeinderat stellt fest, dass lediglich die Terrainauffüllung
Gegenstand des Gesuches war. Der Gemeinderat hat somit seine Ver-
fügungsberechtigung überschritten, wenn er bereits in die Verfügung
zur Terrainauffüllung Dispositionen betreffend künftige Bauvorha-
2005
Verwaltungsgericht
192
ben aufnimmt. - Er ist deshalb ohne weiteres bereit, auf den Wieder-
erwägungsantrag einzutreten und den Satz betreffend künftige Bau-
vorhaben aus Zif. II.2 der Bewilligung vom 6. Februar 1984 zu strei-
chen.
Seine im Beschluss vom 6. Februar 1984 enthaltene Meinung be-
treffend Hochbauten im Bereiche der Aufschüttung ändert er nicht,
resp. es wird darüber in diesem Verfahren nicht weiter beraten. - So-
fern die H. & Co. einen verbindlichen Entscheid zur Frage der Ge-
schosszahl künftiger Bauvorhaben erwirken will, müsste sie ein
Baugesuch oder zumindest einen Vorentscheid unterbreiten.
(...)"
2.2.3. 2.2.3.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist
eine Norm in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut,
Sinn und Zweck und den ihr zu Grunde liegenden Wertungen, aber
auch nach der Entstehungsgeschichte auszulegen. Auszugehen ist
vom Wortlaut, doch kann dieser nicht allein massgebend sein. Be-
sonders wenn der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zu-
lässt, muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Be-
rücksichtigung weiterer Auslegungselemente, wie namentlich der
Entstehungsgeschichte der Norm, ihrem Zweck und ihrem
Zusammenhang mit andern Bestimmungen (Bundesgericht, in: ZBl
102/2001, S. 84 und BGE 125 II 152, je mit Hinweisen; siehe auch
AGVE 2003, S. 191 f.). Nach Massgabe dieser Grundsätze ist auch
§ 13 ABauV zu deuten.
2.2.3.2. Schon aus dem Wortlaut der Bestimmung lassen sich
verschiedene Schlüsse ziehen. Klar ist zunächst, dass Abs. 1 den
Grundsatz wiedergibt und Abs. 2 einen Sondertatbestand regelt; dies
spricht für eine eher restriktive Auslegung. Im Weiteren setzt die
Ausnahmesituation voraus, dass die Terrainveränderung mit einem
konkreten Baugesuch in Verbindung gebracht werden kann ("[...] im
Hinblick auf
das
Bauvorhaben [...]"), d.h. im Zeitpunkt der Terrain-
veränderung muss sich die Planungsidee so weit verfestigt haben,
dass die wesentlichen Randbedingungen der in Aussicht genomme-
nen Baute bekannt sind. Damit scheiden länger zurückliegende
Terrainveränderungen in aller Regel aus. Ihre Berücksichtigung wäre
namentlich darum problematisch, weil der ursprüngliche Terrain-
2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
193
verlauf häufig gar nicht mehr zuverlässig rekonstruiert werden
könnte und es aus naheliegenden Gründen - Zeugen nicht mehr
verfügbar, mangelndes Erinnerungsvermögen - auch nicht einfach
ist, auf längere Zeit zurück eine bestimmte Absicht zu ergründen.
Unter diesem Aspekt ist also ein enger zeitlicher Zusammenhang
erforderlich. Auf der andern Seite soll sichergestellt werden, dass der
Bauherr nicht mittels einer gezielt vorgenommenen Aufschüttung die
Vorschriften über die Gebäude- und Firsthöhe unterlaufen kann.
Bereits in einem älteren Urteil hat das Verwaltungsgericht die Sache
wie folgt auf den Punkt gebracht (siehe AGVE 1984, S. 405 f.):
"Auch das Gebiet der Gemeinde Fislisbach ist seit Jahrhunderten
vielfältigst von Menschen verändert worden; der Urzustand ist end-
gültig verloren. Diskutieren kann man bloss, ob irgendeine be-
stimmte frühere, historische und damit immer nur relativ natürliche
Terraingestaltung massgebend sein muss. Im Grundsatz kann dem
nicht so sein. Dies führte zu völlig unpraktikablen Lösungen. Das
Ergebnis wäre dem Zufall ausgeliefert, könnte doch kein einheitli-
cher Zeitpunkt bestimmt und die seitherige Entwicklung oft nicht
genügend ermittelt werden. Normalerweise muss daher als unterer
Bezugspunkt der Höhenmessung die effektive Oberfläche des Bau-
grundstückes angenommen werden, so wie sie sich im Zeitpunkt der
Erteilung der Baubewilligung präsentiert. Nur dieser tatsächliche
Ausgangspunkt erlaubt es, den Sinn des Gesetzes zu verwirklichen.
Es will unter den heutigen Gegebenheiten Licht, Luft und Sonne er-
möglichen und eine siedlungsgestalterisch befriedigende Über-
bauung erreichen. Massgebend ist also grundsätzlich nicht irgend ein
früherer, sondern der heutige Zustand des Terrains, d.h. das Terrain,
wie es sich darstellt, bevor es der jetzt Bauwillige verändert. Immer-
hin sind allenfalls Terrainveränderungen, die der Bauherr im Zu-
sammenhang mit der Vorbereitung eines Baugesuches oder einer
Überbauung vornimmt, dementsprechend zu berücksichtigen, auch
wenn sie früher vorgenommen wurden. So soll namentlich verhindert
werden, dass die Vorschriften über die Gebäudehöhe umgangen
werden können."
Es ist offensichtlich, dass es der Wille des Verordnungsgebers
war, diese Praxis beim Erlass der ABauV zu kodifizieren.
2005
Verwaltungsgericht
194
2.2.4. Nach Auffassung des Baudepartements ist auf das alte,
vor der Aufschüttung vorhandene Terrain abzustellen. Projektver-
fasser U.H. habe anlässlich der Einspracheverhandlung vom
22. Oktober 2003 ausgesagt, die Aufschüttung sei vorgenommen
worden, damit im Hinblick auf eine zukünftige Überbauung die Ge-
bäude nicht zu tief zu liegen kämen. Den gleichen Schluss legten
auch die Schreiben der Beschwerdeführerin vom 2. September 1983
und 28. Februar 1984 sowie die Tatsache nahe, dass sie den gemein-
derätlichen Beschluss vom 6. Februar 1984 angefochten habe. Die
Aufschüttung sei nicht in erster Linie erfolgt, um die bestehende
Senke aufzufüllen. Im nördlichsten Teil des Bauplatzes möge dies
der Fall gewesen sein, doch im Übrigen habe die Aufschüttung
hauptsächlich dazu gedient, das Terrain insbesondere bis zur (dama-
ligen) Bauzonengrenze teilweise massiv anzuheben. Dabei habe es
sich nicht um eine gleichmässige Anhebung gehandelt, sondern das
Terrain sei insbesondere bis zum Bauzonenrand mit anschliessender
Böschung zur Nichtbauzone angehoben worden. Aus der wiederer-
wägungsweisen Aufhebung von Ziffer 2 des Gemeinderatsbe-
schlusses vom 6. Februar 1984 im Beschluss vom 27. Februar 1984
könne die Beschwerdeführerin angesichts der Erwägungen in diesem
Beschluss nichts zu ihren Gunsten ableiten; es resultiere daraus keine
Vertrauensgrundlage.
Es erscheint müssig, im Zusammenhang mit der Festlegung des
massgebenden gewachsenen Terrains Motivforschung zu betreiben,
wie dies das Baudepartement tut. Die Terraingestaltung, um welche
es heute geht, ist am 6. Februar 1984 formell rechtskräftig bewilligt
worden, und zwar - wenn auch der Wiedererwägungsentscheid vom
28. November 1984 in Betracht gezogen wird - ohne jeden Vorbehalt
in Bezug auf das für künftige Überbauungen massgebende
gewachsene Terrain. Derartigen, rechtlich abgesicherten Terrainver-
änderungen ist immanent, dass sie einen neuen Terrainverlauf
definieren, der auch für allfällige Neubauten gilt. Der gemeinderätli-
chen "reservatio mentalis" im Beschluss vom 28. November 1984
(siehe vorne Erw. 2.2.2.) kommt keinerlei verbindliche Bedeutung
zu, weil sie nicht im Beschlussdispositiv enthalten ist (siehe
AGVE 1992, S. 351 mit Hinweisen). Überdies hat der Gemeinderat
2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
195
im Baubewilligungsentscheid vom 15. Dezember 2003 bekundet,
dass er entgegen seinem früheren "obiter dictum" nunmehr der
Meinung ist, dass der heutige Terrainverlauf als "gewachsenes
Terrain" zu gelten habe. Er hat dabei richtigerweise auch darauf
hingewiesen, dass seit nicht weniger als 20 Jahren der gleiche, 1984
bewilligte Terrainverlauf bestehe. Unbestritten ist schliesslich, dass
die im Jahre 1984 vorgenommene Terrainaufschüttung nicht mit ei-
nem konkreten Bauvorhaben auf den Parzellen Nrn. 216, 217 und
218 zusammenhängt, wenn sich dadurch auch die Chance eröffnete,
später vom erhöhten Terrain aus zu bauen. Auch unter diesen
allgemeinen Gesichtspunkten erweist sich der angefochtene
Entscheid nicht als haltbar (siehe vorne Erw. 2.2.3.2.).
(...) | 3,101 | 2,490 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-39_2005-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-39.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-39.pdf | AGVE_2005_39 | null | nan |
eac8e2de-e2ae-5721-a6de-7135237efc47 | 1 | 412 | 871,373 | 973,296,000,000 | 2,000 | de | 2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
209
56
Öffentliches Interesse an der Pfadfinderbewegung und an einem
Pfadfinderhaus.
- Der Betrieb eines Pfadihauses liegt im öffentlichen Interesse und ist in
der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zonenkonform. Der Ent-
scheid, in welche Zone zugewiesen wird, obliegt der Gemeinde, wenn
mehrere zur Auswahl stehende Zonen planungsrechtlich konform
sind.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 7. November 2000 in
Sachen R.F. und Mitbeteiligte gegen Entscheid des Regierungsrats und Ent-
scheid des Grossen Rats.
Aus den Erwägungen
2. Streitig ist die Zuweisung der bisher in der Grünzone und im
"übrigen Gemeindegebiet" gelegenen Parzelle Nr. ... zur Zone für
öffentliche Bauten und Anlagen (OEB).
a) Gemäss § 15 Abs. 1 BauG erlassen die Gemeinden allge-
meine Nutzungspläne und allgemeine Nutzungsvorschriften, die das
Gemeindegebiet in verschiedene Nutzungszonen einteilen und Art
und Mass der Nutzung regeln. Die Gemeinden können u. a. auch
Zonen für öffentliche Bauten ausscheiden (§ 15 Abs. 2 lit. a BauG).
Sie entsprechen damit Art. 3 Abs. 4 RPG, der bestimmt, dass für die
öffentlichen oder im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und
Anlagen sachgerechte Standorte zu bestimmen sind, was sinnvoller-
weise bereits in den Nutzungsordnungen geschieht (Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement/Bundesamt für Raumplanung, Erlauterungen
zum Bundesgesetz über die Raumplanung [im Folgenden: Erläute-
rungen], Bern 1981, Art. 3 RPG N 59). Die Gemeinde O. weist ge-
mäss Bauzonenplan eine Zone für öffentliche Bauten mit einer Flä-
che von total 23,3 ha auf; davon sind 1,5 ha unüberbaut. Geregelt ist
die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (OEB) in § 12 BNO
wie folgt:
2000
Verwaltungsgericht
210
"
1
Die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen ist für die dem öffent-
lichen Interesse dienenden Bauten und Anlagen bestimmt.
2
Der Gemeinderat legt die Baumasse und Abstände, unter Berück-
sichtigung privater und öffentlicher Interessen, fest. Gegenüber an-
grenzenden Zonen sind deren Abstand- und Höhenvorschriften ein-
zuhalten.
3
Solange kein anderer öffentlicher Bedarf besteht, kann der Gemein-
derat in der Zone OEB Bauten und Anlagen für die Freizeitbetätigung
und Erholung der Bevölkerung (Kleintierhaltung, Sportanlagen,
Tennis- und Squash-Hallen, Minigolfanlagen usw.) befristet bewil-
ligen.
4
In der Zone OEB im Nuechtal ist das Erstellen eines Pfadihauses,
nicht jedoch eines Pfadiheimes, zulässig."
b) Nach Auffassung der Beschwerdeführer dient ein Pfadihaus
nicht dem öffentlichen Interesse, weshalb es in der Zone für öffent-
liche Bauten und Anlagen nicht zonenkonform sein könne.
aa) In den Zonen für öffentliche Bauten und Anlagen dürfen nur
öffentliche und öffentlichen Zwecken bzw. Interessen dienende
Werke erstellt werden (vgl. BGE 108 Ia 298 f.; 114 Ia 339; AGVE
1988, S. 342; Leo Schürmann/Peter Hänni, Planungs-, Bau- und
besonderes Umweltschutzrecht, 3. Auflage, Bern 1995, S. 141; Erich
Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage,
Aarau 1985, § 134 aBauG N 4). Private Vorhaben sind nicht zulässig;
auch nicht als "provisorische", mit Beseitigungsrevers belastete
Bauten (Bundesgericht, in: ZBl 82/1981, S. 531 f.). Voraussetzung
zur Festsetzung einer Zone für öffentliche Bauten und Anlagen ist
auch, dass das geltend gemachte zukünftige Bedürfnis genügend
konkretisiert ist. Es ist vom Gemeinwesen so genau wie möglich
anzugeben, und die Errichtung der öffentlichen Baute muss mit eini-
ger Sicherheit zu erwarten sein (Bundesgericht, in: ZBl 97/1996,
S. 116; BGE 114 Ia 340 mit Hinweisen).
bb) § 15 BauG bestimmt, dass die Gemeinden für die Ausschei-
dung von Nutzungszonen zuständig sind. Zu berücksichtigen ist, dass
den Gemeinden bei der Auslegung der für die Zonen für öffentliche
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
211
Bauten und Anlagen aufgestellten Nutzungsvorschriften eine "relativ
erhebliche Entscheidungsfreiheit" zusteht (AGVE 1988, S. 342).
Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Gemeindeautonomie (Art. 50
Abs. 1 BV; § 106 Abs. 1 KV) und aus der Tatsache, dass die mit den
örtlichen Verhältnissen vertrauten Behörden und Organe die Frage,
ob eine geplante Baute oder Anlage den kommunalen oder lokalen
öffentlichen Interessen dient, besser beurteilen können als eine kan-
tonale Rechtsmittelinstanz (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grundriss
des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998,
Rz. 452). Angesichts des der Gemeinde zustehenden Beurteilungs-
spielraums muss das Verwaltungsgericht eine rechtlich vertretbare
Auslegung akzeptieren, auch wenn eine andere Auffassung ebenfalls
denkbar ist.
cc) Die Arten der dem öffentlichen Interesse dienenden Bauten
und Anlagen sind dementsprechend äusserst vielfältig. Die öffentli-
che Bauten und Anlagen, d. h. Bauwerke, welche die öffentliche
Hand in Erfüllung verfassungsmässiger Aufgaben erstellt, dienen
dem Gemeinwesen unmittelbar durch ihren Gebrauchswert, entweder
als Verwaltungsvermögen oder als Sachen im Gemeingebrauch (Er-
läuterungen, a.a.O., Art. 3 RPG N 56; vgl. auch Zimmerlin, a.a.O.,
§ 134 aBauG N 4). Dazu gehören Schulhäuser, Spitäler, Gefängnisse,
öffentliche Verwaltungsgebäude, Alters- und Pflegeheime, etc. Sol-
che Bauten dienen fraglos öffentlichen Zwecken. Zu den im öffent-
lichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen gehören aber auch
Bauten privater Bauherren, die im weitesten Sinne Aufgaben des
modernen Leistungs- und Sozialstaates wahrnehmen helfen (Erläute-
rungen, a.a.O., Art. 3 RPG N 56). Zu den öffentlichen Bauten und
Anlagen zählen daher auch Schwimmbäder, Tennisanlagen (AGVE
1976, S. 238 ff.), oder Schrebergartenanlagen (AGVE 1988, S. 340
ff.); an ihrem Bestehen wurde ein Allgemeininteresse bejaht. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat in einem den Bau eines
Pfadfinderheims betreffenden Entscheid festgestellt, es liessen sich
gute Gründe dafür anführen, dass die Förderung der Pfadfinderbe-
2000
Verwaltungsgericht
212
wegung "in der heutigen Zeit als Teilaspekt der kommunalen Jugend-
arbeit erscheint und daher auch im öffentlichen Interesse liegt" (Ur-
teil vom 27. Juni 1983, in: BVR 1983, S. 475).
dd) Dass die Pfandfinderbewegung im öffentlichen Interesse
liegende Aufgaben wahrnimmt, stellen auch die Beschwerdeführer
nicht in Frage; sie machen aber geltend, dass die vorgesehene Baute
für die sinnvolle Freizeitbeschäftigung keine Voraussetzung darstelle,
sondern die Pfadfinder ihren Tätigkeiten auch ohne sie ausüben
könnten. Insofern bestehe kein öffentliches Interesse an der
Errichtung eines Pfadihauses. Darin unterscheide sich der hier zu
beurteilende Fall von der vom Verwaltungsgericht in AGVE 1988,
S. 343, als im öffentlichen Interesse liegend anerkannten Anlage von
Schrebergärten, welche die notwendige Voraussetzung für die gärtne-
rische Tätigkeit bildeten.
ee) Die Pfadfinderabteilung S. ist ein Verein im Sinne von
Art. 60 ff. ZGB (Statuten der Pfadfinderabteilung S. vom September
1993 [Statuten]. Sie zählt rund 65 aktive Mitglieder im Alter zwi-
schen 8 und 25 Jahren. Der normale Pfadibetrieb findet jeweils am
Samstagnachmittag statt. Die verschiedenen Aktivitäten werden
meist in der Natur, d.h. im Freien, ausgeübt. Der Aufenthaltsort Wald
und die Verbundenheit zur Natur sind zentrale Punkte der Pfadi-
arbeit. Indessen findet der Pfadibetrieb grundsätzlich während des
ganzen Jahres, auch im Winter, und auch bei schlechtem Wetter statt.
Der Wunsch nach einem geeigneten, auch heizbaren, Lokal ist schon
unter diesem Gesichtspunkt verständlich. Seitens der Pfadi S. wird
auch geltend gemacht, es würde Raum für die Vorbereitungsarbeiten
und die anfallenden administrativen Aufgaben der Leiter sowie für
die Pflege und Aufbewahrung des Materials benötigt. Den "Wölfen"
und "Bienli" solle die Möglichkeit zum Basteln und eine Alternative
bei schlechter Witterung geboten werden. Die Pfadfinder sind für die
Ausübung ihrer Aktivitäten somit zwar nicht im Sinne einer aus-
schliesslichen Voraussetzung auf ein Pfadihaus angewiesen, jedoch
entspricht ein solches Gebäude einem klaren Bedürfnis, indem es als
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
213
Begegnungs- und Aufenthaltsort der Jugendlichen, als Ort für die
Durchführung von Übungen sowie als Materialdepot dient. Die Aus-
übung der Aktivitäten würde ohne ein Pfadihaus auf Anlässe im
Freien beschränkt und einen Grossteil der Veranstaltungen (Leitersit-
zungen, Elternabende, Elternbeirat, Altpfaderbewegung, etc.) ver-
hindert oder doch erheblich erschwert. Der Zweck der Pfadibewe-
gung umfasst in diesem Sinn den Betrieb eines Pfadihauses. Insofern
lässt sich - entgegen der etwas widersprüchlichen Argumentation der
Beschwerdeführer - nicht sagen, an einem Pfadihaus bestünden kei-
nerlei öffentliche Interessen. Ein Pfadihaus und dessen Betrieb gehö-
ren untrennbar zur Bewegung. Die offenkundigen Bedürfnisse einer
Organisation, die anerkanntermassen in nicht unwesentlichem Um-
fang Aufgaben im Rahmen der kommunalen Jugendarbeit wahr-
nimmt, sind durch die Interessen der Allgemeinheit an der Pfadibe-
wegung selbst ebenfalls abgedeckt, auch wenn die Bevölkerung aus
dem Pfadihaus in der Regel keinen direkten, unmittelbaren Nutzen
zieht. Für das Vorhandensein eines allgemeinen Interesses spricht im
Übrigen auch die einhellige Zustimmung, die die Umzonung zugun-
sten des Pfadihauses im Einwohnerrat erfahren hat.
Am zu bejahenden öffentlichen Interesse ändert auch nichts,
dass die Abteilung S. derzeit im Gebiet Nuechtal, auf der Grenze
zum Naturschutzgebiet, noch über eine Pfadihütte verfügt. Es handelt
sich um eine alte, containerähnliche Baracke, die 1960 bewilligt
wurde, und ohne Wasser, Strom oder sanitarische Einrichtungen ist.
Sie befindet sich einem baufälligen Zustand und ist seit Jahren kaum
mehr benutzbar. Wenn der Gemeinderat und der Einwohnerrat ange-
sichts der Grösse und der Bedeutung der Pfadfinderabteilung S. der
Auffassung sind, die Erstellung eines neuen Pfadihauses stelle ein
öffentliches Interesse dar, so ist dies vertretbar. Das alte Pfadihaus
erfüllt die Ansprüche an eine Pfadfinderbewegung, wie sie die Pfadi
S. darstellt, nicht und soll auch in der Folge abgebrochen werden.
ff) Im vorliegenden Fall fraglos erfüllt ist auch die Vorausset-
zung, dass das geltend gemachte zukünftige Bedürfnis genügend
2000
Verwaltungsgericht
214
konkretisiert ist. Zurzeit bestehen zwar Vorstellungen vom neuen
Pfadihaus; ein konkretes Projekt ist noch nicht vorhanden und ver-
tragliche Vereinbarungen bestehen derzeit offenbar auch noch nicht.
Geplant ist eine zweigeschossige Baute, die der Pfadfinderabteilung
S. als Pfadihaus dienen soll. Die beiden Geschosse sollen je eine
Fläche von 70 - 100 m
2
aufweisen. Vorgesehen sind ein Aufenthalts-
raum, ein Sitzungszimmer, ein Materialraum sowie eine kleine Kü-
che. Die Beschwerdeführer vermuten, "es seien noch ganz andere
Bauvorhaben auf der Parzelle Nr. ... geplant", ohne allerdings kon-
krete Anhaltspunkte für ihre Befürchtungen zu nennen. Dass die
Umzonung der Teilfläche von 20,6 a in die Zone OEB zur Verwirkli-
chung des geplanten Pfadihauses und nicht zu anderen, unbestimm-
ten Zwecken erfolgt, ergibt sich einerseits aus der Tatsache, dass die
Pfadfinderabteilung S. mehr als 10 Jahre nach einem geeigneten
Standort für ein Pfadihaus gesucht hat, und auch das Begehren, es
seien durch Umzonierung der Parzelle Nr. ... die entsprechenden
zonenmässigen Voraussetzungen zu schaffen, gestellt hat. Anderseits
lassen aber auch schon die eher geringe Grösse und die Lage der
Parzelle die Realisierung anderer auf einen Standort in der Zone
OEB angewiesenen Bauvorhaben wenig wahrscheinlich erscheinen.
Auch der Wortlaut von § 12 Abs. 4 BNO, mit dem man den damali-
gen Einsprechern entgegenkommen wollte, lässt sich vor diesem
Hintergrund vernünftigerweise nur dahingehend verstehen, dass ein
Pfadihaus und nicht ein Pfadiheim (mit Lagerbetrieb), aber auch
keine andere öffentliche Baute oder Anlage, erstellt werden soll. Dies
bestätigte der Vertreter des Gemeinderats auch anlässlich der
Verhandlung ausdrücklich.
gg) Die Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde O. kennt
eine spezielle Zone "Sport und Freizeit SF". Gemäss § 13 Abs. 1
BNO ist diese Zone für "gemeindeeigene oder private Bauten und
Anlagen bestimmt, die im Zusammenhang mit Sport und Freizeit
einem engeren oder weiteren Kreis der Allgemeinheit dienen". Die
Beschwerdeführer sind der Auffassung, das projektierte Pfadihaus
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
215
erfülle sämtliche Voraussetzungen der Zone SF; es sei (mit der OEB)
die falsche Zone gewählt worden. Gestützt auf die ihr zustehende
Gemeindeautonomie habe die Gemeinde O. mit dem Erlass von § 13
BNO auch ausdrücklich festgelegt, dass der Freizeitbeschäftigung
dienende Bauten und Anlagen in der Zone OEB nicht zulässig seien.
Die Argumentation der Beschwerdeführer vermag nicht zu überzeu-
gen. Die Tatsache, dass das Pfadihaus gestützt auf § 13 Abs. 1 BNO
zweifellos auch in der Zone SF zonenkonform und grundsätzlich
bewilligungsfähig wäre, führt nicht zwangsläufig zu seiner Unzuläs-
sigkeit in der Zone OEB. Wie dargelegt, ist die Auffassung der Ge-
meinde, beim geplanten Pfadihaus handle es sich um eine öffentli-
chen Interessen dienende Baute, welche in der Zone OEB zulässig
ist, zumindest vertretbar. Kommen rechtlich beide Zonenarten in
Betracht, liegt der Entscheid darüber, welche Zone für das konkrete
Bauvorhaben die geeignetere ist, im Beurteilungsspielraum der Ge-
meinde, den das Verwaltungsgericht zu respektieren hat. Die Ge-
meinde hat sich für die Zone OEB entschieden. Zu berücksichtigen
ist sodann, dass es der Gemeinde jedenfalls im Grundsatz wohl un-
benommen gewesen wäre, die als sachgerechten Standort für das
Pfadihaus evaluierte Parzelle Nr. ... statt der Zone OEB der Zone
Sport und Freizeit SF zuzuweisen. | 3,036 | 2,549 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-56_2000-11-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-56.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-56.pdf | AGVE_2000_56 | null | nan |
eadc9b69-38f5-54b4-833a-9d55fcda58eb | 1 | 412 | 871,799 | 1,504,396,800,000 | 2,017 | de | 2017
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
171
31
Nutzungsplanung; Landwirtschaftszone
-
Rechtswidrigkeit einer Zonenvorschrift, welche in der Landwirt-
schaftszone eine Gestaltungsplanpflicht für Bauten und Anlagen mit
Intensivtierhaltungsformen vorsieht
-
Landwirtschaftliche Bauten und Anlagen zur bodenabhängigen Pro-
duktion oder inneren Aufstockung dürfen keinen Nutzungsvorschrif-
ten unterworfen werden, welche der bundesrechtlich vorgegebenen
Grundnutzung in der Landwirtschaftszone widersprechen.
-
Eine Gestaltungsplanpflicht für die gesamte Landwirtschaftszone ist
mit § 21 BauG unvereinbar, wenn weder ein bestimmtes Gebiet
innerhalb der (allgemeinen) Landwirtschaftszone mit der Sondernut-
zungsplanpflicht ausgeschieden wird noch die Planungsziele
und -grundsätze positiv formuliert werden.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 14. Septem-
ber 2017, i.S. A. gegen Einwohnergemeinde B. und Regierungsrat
(WBE.2014.359)
Aus den Erwägungen
1.
Die revidierte BNO der Gemeinde B. enthält in § 19 folgende
Nutzungsbestimmung für Bauten in der Landwirtschaftszone:
1
Für alle Bauten und Anlagen ist ein in Abwägung sämtlicher betroffener
Interessen optimaler Standort zu wählen. Sie haben sich unter Wahrung
der betrieblichen Erfordernisse in Bezug auf Ausmass, Gestaltung, Stel-
lung sowie Bepflanzung in die Landschaft einzufügen.
2
Der Neubau und die Umnutzung bestehender Bauten und Anlagen für die
landwirtschaftliche Intensivtierhaltung setzen einen Gestaltungsplan
voraus. Im Rahmen eines Gestaltungsplanes sind Bauten und Anlagen für
die Intensivtierhaltung nur zulässig, wenn die Immissionsentwicklung der
geplanten Anlage zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen des Sied-
lungsgebietes führt, die angestrebte Siedlungsentwicklung nicht einge-
schränkt wird, die landwirtschaftlichen Aspekte nicht gegen die Errichtung
derartiger Anlagen sprechen und die Funktionen der Landwirtschaftszone,
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
172
des Erholungsraumes und ökologischen Ausgleichs nicht beeinträchtigt
werden. Landwirtschaftliche Intensivtierhaltung liegt vor, wenn Tiere be-
stimmter Arten in solcher Anzahl gehalten werden, dass die Auswirkungen
auf die Umwelt und die räumliche Ordnung das bei Landwirtschaftsbetrie-
ben übliche Mass sprengen. Im Rahmen des Gestaltungsplanes werden
insbesondere Stellung und Ausmass der geplanten Bauten und Anlagen so-
wie nötige technische Vorkehren festgesetzt.
3
(Wohngebäude)
4
(Empfindlichkeitsstufe gemäss LSV)
2. (...)
3.
3.1.
Das Raumplanungsgesetz umschreibt in Art. 14 ff. Zweck und
Inhalt der wichtigsten Nutzungszonen, nämlich der Bau-, der Land-
wirtschafts- und der Schutzzonen. Mit den Teilrevisionen des Raum-
planungsgesetzes vom 20. März 1998 (in Kraft seit 1. September
2000 [AS 2000 2042; BBl 1996 III 513]) und vom 23. März 2007 (in
Kraft seit 1. September 2007 [AS 2007 3637; BBl 2005 7097]) sind
die Bestimmungen über die Landwirtschaftszonen neu gefasst und
der Begriff der Landwirtschaftszone erweitert worden (Art. 16 ff.
RPG). Mit dieser Änderung verbunden ist die Abkehr von einem rei-
nen "Produktionsmodell", gemäss welchem die bodenabhängige Pro-
duktionsweise das Hauptcharakteristikum der landwirtschaftlichen
Nutzung darstellte, in Richtung eines "Produktemodells", wonach in
der Landwirtschaftszone grundsätzlich auch bodenunabhängige Be-
wirtschaftungsformen zugelassen sind, die der langfristigen Siche-
rung der Ernährungsbasis des Landes dienen (vgl. Botschaft des
Bundesrats zu einer Teilrevision des Bundesgesetzes über die Raum-
planung vom 22. Mai 1999, in: BBl 1996 III 523 f.; A
LEXANDER
R
UCH
/R
UDOLF
M
UGGLI
,
in:
H
EINZ
A
EMISEGGER
/P
IERRE
M
OOR
/A
LEXANDER
R
UCH
/P
IERRE
T
SCHANNEN
[Hrsg.], Praxiskom-
mentar RPG: Bauen ausserhalb der Bauzone, Zürich/Basel/Genf
2017, Art. 16 N 22; P
AUL
R
ICHLI
, Unvollendetes Produktemodell für
die Landwirtschaft?, in: BlAR 3/2014, S. 181 f.).
Die Zonenkonformität von Bauten und Anlagen in der
Landwirtschaftszone richtet sich indes nicht unmittelbar nach dem in
2017
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
173
Art. 16 RPG festgelegten Zonenzweck, sondern wird in Art. 16a
RPG besonders umschrieben. Zonenkonform sind grundsätzlich Bau-
ten und Anlagen, die zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung oder
für den produzierenden Gartenbau nötig sind (Abs. 1 Satz 1). Bauten
und Anlagen für die boden
un
abhängige Nutzung sind nur unter den
Voraussetzungen von Abs. 2 (innere Aufstockung) oder Abs. 3
(Intensivlandwirtschaftszone) zonenkonform. Diese Auslegung von
Art. 16a RPG wird durch Art. 34 Abs. 1 RPV bestätigt, wonach aus-
ser in den Fällen von Art. 16a Abs. 2 und 3 RPG die Bodenabhängig-
keit der Bewirtschaftung die grundlegende Voraussetzung für die Zo-
nenkonformität
in
der
Landwirtschaftszone
bildet
(vgl.
R
UCH
/M
UGGLI
, a.a.O., Art. 16a N 9, 30 ff. und 34 ff.). Die in BGE
120 Ib 266 zu Art. 16 RPG (in der bis zum 1. September 2000 gelten-
den Fassung) entwickelten Kriterien zur Abgrenzung zwischen
bodenabhängiger und bodenunabhängiger Produktion sind auch nach
der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes vom 20. März 1998
massgebend, da diese nichts daran geändert hat, dass Bauten und
Anlagen (ausser in den Fällen von Art. 16a Abs. 2 und 3 RPG) in der
Landwirtschaftszone nur zonenkonform sind, wenn sie der bodenab-
hängigen Bewirtschaftung dienen (vgl. hierzu auch BGE 129 II 413,
Erw. 3.1). Als bodenabhängige Bewirtschaftung gilt, wenn ein enger
Bezug zum natürlichen Boden besteht. Dies ist bei der Tierhaltung
der Fall, wenn die Tiere im Wesentlichen auf der Grundlage der auf
dem Betrieb produzierten Futtermittel ernährt werden (Urteil des
Bundesgerichts vom 23. Juni 2015 [1C_71/2015], Erw. 4 und 5.2;
BGE 133 II 370, Erw. 4.2). Als innere Aufstockung werden jene
Fälle bezeichnet, in denen einem überwiegend bodenabhängig
geführten Betrieb Bauten und Anlagen für die bodenunabhängige
Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse angegliedert werden,
um auf diese Weise dessen Existenzfähigkeit zu sichern (B
ERNHARD
W
ALDMANN
/P
ETER
H
ÄNNI
, Raumplanungsgesetz, Bern 2006,
Art. 16a N 17 ff.). Bauten und Anlagen, die über eine innere Auf-
stockung hinausgehen, können als zonenkonform bewilligt werden,
wenn sie in einem Gebiet der Landwirtschaftszone erstellt werden
sollen, das vom Kanton in einem Planungsverfahren dafür freigege-
ben wird (Art. 16a Abs. 3 RPG).
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
174
3.2.
Die Zonenkonformität in der Landwirtschaftszone wird somit
grundsätzlich durch das Bundesrecht bzw. durch Art. 16, 16a und
16b RPG sowie Art. 34 bis 38 RPV bestimmt. Kantonale
Konkretisierungen der Landwirtschaftszone sind nur im Rahmen und
den Grenzen des Bundesrechts zulässig (W
ALDMANN
/H
ÄNNI
, a.a.O.,
Art. 16 N 4). Konkret bedeutet dies, dass die bundesrechtlichen
Kriterien weder zugunsten noch - unter Vorbehalt einschränkender
kantonaler Bestimmungen gemäss Art. 27a RPG - zuungunsten der
Landwirtschaft
geändert
werden
dürfen
(G
IERI
C
AVIEZEL
/J
EANNETTE
F
ISCHER
, in: A
LAIN
G
RIFFEL
/H
ANS
U.
L
INIGER
/H
ERIBERT
R
AUSCH
/D
ANIELA
T
HURNHERR
[Hrsg.], Fach-
handbuch Öffentliches Baurecht, Zürich/Basel/Genf 2016, S. 106 f.,
Rz. 3.39 und 3.42 f.; M
EINRAD
H
USER
, Planen in der
Landwirtschaftszone, in: BlAR 2-3/2015, S. 70 f.). Sämtliche auf den
Boden als Produktionsfaktor angewiesenen Nutzungsformen und die
Errichtung aller dazu notwendigen Bauten und Anlagen sind folglich
aufgrund des übergeordneten (Bundes-)Rechts in der Landwirt-
schaftszone grundsätzlich gestattet. Dasselbe gilt für Bauten und
Anlagen, die der inneren Aufstockung dienen (Art. 16a Abs. 2 RPG).
Dementsprechend hat der Betriebsinhaber im Grundsatz die Wahl,
welche landwirtschaftliche Nutzung er auf dem ihm zur Verfügung
stehenden Land in der Landwirtschaftszone betreiben will. Die
Zonenkonformität von Bauten und Anlagen in der Landwirtschafts-
zone setzt voraus, dass sie für die in Frage stehende Bewirtschaftung
nötig sind, ihnen am vorgesehenen Standort keine überwiegenden In-
teressen entgegenstehen und der Betrieb voraussichtlich längerfristig
bestehen kann (Art. 34 Abs. 4 RPV; C
AVIEZEL
/F
ISCHER
, a.a.O.,
S. 107 ff., Rz. 3.42 und 3.62).
Es ist unbestritten, dass in der Gemeinde B. keine Intensivland-
wirtschaftszone vorgesehen ist; auf diese Zone ist daher im Folgen-
den nicht näher einzugehen. Die Erstellung von Bauten und Anlagen
zur bodenabhängigen Tierhaltung und zur bodenunabhängigen Tier-
haltung im Rahmen der inneren Aufstockung ist - wie oben darge-
stellt - Teil der bundesrechtlich festgelegten zulässigen Grund-
nutzung der Landwirtschaftszone. Diese Grundnutzung kann von den
2017
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
175
dem Bundesgesetzgeber nachgeordneten kantonalen Gesetzgebern
nur in Bezug auf Art. 16a Abs. 2 (innere Aufstockung), 24b (nicht-
landwirtschaftliche Nebenbetriebe ausserhalb der Bauzonen), 24c
(bestehende zonenwidrige Bauten und Anlagen ausserhalb der
Bauzonen) und 24d RPG (landwirtschaftsfremde Wohnnutzung und
schützenswerte Bauten und Anlagen) eingeschränkt werden (Art. 27a
RPG). Möglich ist zudem eine Differenzierung innerhalb der
Landwirtschaftszone nach Art und Mass der Nutzung und der Inan-
spruchnahme des Bodens durch Bauten und Anlagen. Es können die
Landwirtschaftszone überlagernde Nutzungszonen des RPG
(Schutzzonen) oder des kantonalen Rechts vorgesehen werden,
wodurch die Errichtung von Bauten und Anlagen weiter beschränkt
oder ausgeschlossen wird (Art. 18 RPG in Verbindung mit § 15
Abs. 1 BauG; R
UCH
/M
UGGLI
, a.a.O., Art. 16 N 11; vgl. auch
C
HRISTIAN
H
ÄUPTLI
, in: A
NDREAS
B
AUMANN
/R
ALPH VAN DEN
B
ERGH
/M
ARTIN
G
OSSWEILER
/C
HRISTIAN
H
ÄUPTLI
/E
RICA
H
ÄUPTLI
-
S
CHWALLER
/V
ERENA
S
OMMERHALDER
F
ORESTIER
[Hrsg.], Kom-
mentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, N 100 zu
§ 15 BauG).
Der Begriff der Bauten und Anlagen ist in Art. 22 RPG im
Sinne einer Minimaldefinition bundesrechtlich geregelt; er kann von
den Kantonen und den Gemeinden nicht unterschritten, d.h. nicht
enger gefasst werden (W
ALDMANN
/H
ÄNNI
, a.a.O., Art. 22 N 13; Eid-
genössisches Justiz- und Polizeidepartement, Erläuterungen RPG,
1981, Art. 22 N 6).
3.3.
Die umstrittene Bestimmung von § 19 Abs. 2 BNO unterstellt
die "Intensivtierhaltung" in der gesamten Landwirtschaftszone der
Gemeinde B. einer Gestaltungsplanpflicht. Zusätzlich werden Krite-
rien definiert, die erfüllt sein müssen, damit eine "Intensivtierhal-
tung" zulässig sein soll. Eine "Intensivtierhaltung" liegt gemäss § 19
Abs. 2 BNO vor, "wenn Tiere bestimmter Arten in solcher Anzahl
gehalten werden, dass die Auswirkungen auf die Umwelt und die
räumliche Ordnung das bei Landwirtschaftsbetrieben übliche Mass
sprengen."
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
176
§ 19 Abs. 2 BNO läuft darauf hinaus, dass grundsätzlich zuläs-
sige Tiermast- und Tierhaltungsbetriebe, die entweder bodenab-
hängig oder im Sinne eines Zuerwerbs (innere Aufstockung) boden-
unabhängig produzieren, einschränkenden Bestimmungen unter-
worfen werden bzw. hierfür ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ein-
geführt wird. Die Norm widerspricht insofern der bundesrechtlich
zulässigen Grundnutzung innerhalb der Landwirtschaftszone (vgl.
vorne Erw. 3.1 und 3.2).
3.4.
3.4.1.
Der Richtplan des Kantons Aargau (Richtplan 2011) äussert
sich in Kap. L 3.1 zum Landwirtschaftsgebiet und zu den
Fruchtfolgeflächen, in Kap. L 3.2 zu den Entwicklungsgebieten
Landwirtschaft. Das Landwirtschaftsgebiet gemäss Richtplankarte
wird festgesetzt (Kap. L 3.1, Beschluss 1.1). Die Gemeinden sichern
mit ihrer Nutzungsplanung das Landwirtschaftsgebiet, indem sie die-
ses den Landwirtschaftszonen zuweisen (Kap. L 3.1, Beschluss 1.2).
Zu bestehenden Landwirtschaftsbetrieben ist
ohne Planungsverfah-
ren
sowohl die bodenabhängige als auch die bodenunabhängige Pro-
duktion über die innere Aufstockung hinaus bis zu einer durch den
Betrieb beanspruchten Gesamtfläche von 0,5 ha möglich (Kapitel
L 3.2, Beschluss 1.1). Planungspflichtige Bauvorhaben in der Land-
wirtschaftszone erfordern eine planerische Ausscheidung im Kultur-
landplan. Die Umsetzung erfolgt über Speziallandwirtschaftszonen,
Entwicklungsstandorte Landwirtschaft (ESL) oder in speziellen Fäl-
len einen Gestaltungsplan (Kap. L 3.2, Planungsgrundsatz A). Einer
Planungspflicht unterstehen (Kap. L 3.2, Beschluss 1.2):
Bauvorhaben an neuen Standorten, die eine Gesamtfläche
von mehr als 0,5 ha beanspruchen. Dies sind beispielsweise
neue Grossanlagen mit Gewächshäusern. Herkömmliche
Aussiedlungen werden in aller Regel nicht planungspflichtig,
da die beanspruchte Fläche meist unter 0,5 ha liegt (Kap. L
3.2, S. 1).
Bauvorhaben von bestehenden landwirtschaftlichen Betrie-
ben, welche zusammen mit dem bestehenden Betrieb eine
Gesamtfläche von mehr als 0,5 ha beanspruchen und über
2017
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
177
die innere Aufstockung hinausgehen oder neue Nutzungen
(Tierhaltung, Pflanzenproduktion in festen Gewächshäusern)
umfassen.
Für planungspflichtige Bauvorhaben der Landwirtschaft können
die Gemeinden in der Nutzungsplanung Speziallandwirtschaftszonen
bezeichnen. Bei planungspflichtigen Vorhaben zu bestehenden Land-
wirtschaftsbetrieben können die Gemeinden die planungsrechtlichen
Voraussetzungen im Gestaltungsplanverfahren schaffen (Kap. L 3.2,
S. 1).
Zusammenfassend lässt sich zum einen festhalten, dass der
Richtplan die planungspflichtigen Bauvorhaben bezeichnet. Zum
anderen ist wesentlich, dass nach Massgabe des Richtplans die Ge-
meinden im Rahmen ihrer Nutzungsplanung lediglich Konkreti-
sierungen für bestimmte Projekte oder für bestimmte Teilflächen
vornehmen können; generelle Abweichungen von der bundesrecht-
lich statuierten Grundnutzung innerhalb der Landwirtschaftszone
sind demgegenüber nicht vorgesehen. Vielmehr wird für die boden-
abhängige Produktion als auch die innere Aufstockung bis zu einer
Gesamtfläche von 0,5 ha ausdrücklich statuiert, dass keine weiteren
Planungsverfahren zu durchlaufen sind. § 18 Abs. 1 BNO verweist
für die Zulässigkeit von anderen Produktionsmethoden als die
bodenabhängige Produktion in den Bereichen Acker- und Futterbau,
Tierhaltung etc. explizit auf die bundesrechtlichen Bestimmungen
(Art. 16 und Art. 16a Abs. 1, 1
bis
und 2 RPG; vgl. Art. 34 RPV;
Erläuterungen zum Bau- und Nutzungsrecht des Kantons Aargau
[BNR], Version 3.1, Juni 2012/Januar 2014, S. 24 f.).
3.4.2.
Mit der neuen Zonenbestimmung wurde nicht das im Richtplan
vorgesehene Verfahren gewählt, wonach im Hinblick auf planungs-
pflichtige Bauvorhaben für konkrete Gebiete planerische Ausschei-
dungen im Kulturlandplan vorgenommen werden können (durch die
Festlegung von Spezialzonen oder Entwicklungsgebieten Landwirt-
schaft bzw. unter bestimmten Umständen durch das Statuieren einer
Gestaltungsplanpflicht). Vielmehr werden durch die Bestimmung in
§ 19 Abs. 2 BNO Tiermast- und Tierhaltungsbetriebe, die in der
Landwirtschaftszone grundsätzlich zulässig sind (weil sie bodenab-
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
178
hängig oder im Sinne eines Zuerwerbs [innere Aufstockung]
bodenunabhängig produzieren),
generell
einer Sondernutzungs-
planpflicht unterstellt. Grundlage der Gestaltungsplanpflicht bildet
auch nicht eine Präzisierung der Raumnutzung durch überlagernde
andere Nutzungszonen des RPG (Schutzzonen) oder des kantonalen
Rechts. Entgegen der Auffassung der Gemeinde bildet auch § 13
Abs. 2 BauG keine hinreichende Rechtsgrundlage, welche den
Gemeinden die Einführung von Sondernutzungsplanungen, die von
den Richtplanbeschlüssen gemäss Kap. L 3.2 abweichen, erlauben
würde. Seit der Revision des Baugesetzes 2009 gibt diese Bestim-
mung inhaltlich lediglich die Bundesnorm in Art. 2 Abs. 1 RPG
wieder (H
ÄUPTLI
, a.a.O., N 45 zu § 13 BauG mit Hinweisen auf die
Materialien).
3.5.
Insgesamt ergibt sich, dass die in § 19 Abs. 2 BNO statuierte
Gestaltungsplanpflicht der bundesrechtlich vorgegebenen Grund-
nutzung in der Landwirtschaftszone widerspricht und keine genü-
gende Grundlage im kantonalen Recht hat. Entsprechend erweist sich
die Bestimmung als rechtswidrig und ist aufzuheben.
4.
4.1.
Die Vorinstanz sieht die gesetzliche Grundlage für die umstrit-
tene Gestaltungsplanpflicht vorab in § 16 Abs. 1 BauG. Da Satz 1
dieser Bestimmung die zweckmässige Erschliessung behandelt und
die Erschliessung nicht Gegenstand der angefochtenen Sonder-
nutzungsplanpflicht ist, kann sich der Verweis nur auf § 16 Abs. 3
BauG beziehen, der die Gemeinden ermächtigt, in der allgemeinen
Nutzungsplanung Gebiete zu bezeichnen, in denen eine Überbauung
eine Sondernutzungsplanung voraussetzt.
4.2.
4.2.1.
Gestaltungspläne werden in erster Linie für Teilbereiche des
Baugebiets erstellt. Sie können erlassen werden, wenn ein wesent-
liches öffentliches Interesse an der Gestaltung der Überbauung be-
steht (§ 21 Abs. 1 BauG). Gestaltungspläne können von den
allgemeinen Nutzungsplänen und -vorschriften abweichen, wenn
2017
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
179
dadurch ein siedlungs- und landschaftsgestalterisch besseres Ergeb-
nis erzielt wird, die zonengemässe Nutzungsart nicht übermässig be-
einträchtigt wird, keine überwiegenden Interessen entgegenstehen
und die allgemeine Nutzungsordnung Abweichungen nicht explizit
ausschliesst oder besondere Voraussetzungen für ein Abweichen von
den Nutzungsplänen und -vorschriften umschreibt (§ 21 Abs. 2
BauG). § 8 Abs. 1 BauV verdeutlicht, dass ein Gestaltungsplan ins-
besondere Vorschriften über Art und Mass der Nutzung (lit. b) und
Bestimmungen im Interesse des Umweltschutzes und der Siedlungs-
qualität (lit. c) enthalten kann (vgl. dazu AGVE 2007, S. 143 f. mit
Hinweisen; H
ÄUPTLI
, a.a.O., N 11 f. zu § 21 BauG).
Sondernutzungspläne sind auch im Nichtbaugebiet, d.h. aus-
serhalb des Siedlungsgebiets, nicht ausgeschlossen. Die Sonder-
nutzungsplanung ist aber an die Grundnutzung gebunden (vgl.
AGVE 2007, S. 143; H
ÄUPTLI
, a.a.O., N 12 zu § 21 BauG). Das
Bundesrecht verlangt bei zonenkonformen Bauten grundsätzlich kein
Sondernutzungsplanungsverfahren (vgl. Urteil des Bundesgerichts
vom 1. April 2015 [1C_892/2013], Erw. 2.1, mit Hinweisen).
Bei Abweichungen vom allgemeinen Nutzungsplan zeigt der
Gemeinderat auf, wie jene zu einem siedlungs- und landschafts-
gestalterisch besseren Ergebnis führen. Er beauftragt eine quali-
fizierte Fachperson mit der Ausarbeitung der Stellungnahme; diese
ist mit dem Entwurf öffentlich aufzulegen (§ 8 Abs. 3 BauV).
4.2.2.
Der Gestaltungsplan gemäss § 21 BauG ist vornehmlich ein In-
strument zur differenzierten Nutzungsplanung innerhalb des Bauge-
bietes. Seine Aufgabe und sein Zweck bestehen in der Konkretisie-
rung der Nutzung im Hinblick auf besondere öffentliche Anliegen,
welche in § 21 Abs. 1 lit. a bis c BauG aufgeführt sind. Der Gestal-
tungsplan soll ein qualitativ besseres Ergebnis ermöglichen als der
allgemeine Nutzungsplan mit der parzellenweisen "Regelbauweise".
Insbesondere die Verwirklichung städtebaulicher Ziele verlangt oft-
mals besondere, detaillierte planerische Regelungen, welche den
Rahmen der allgemeinen Nutzungsordnung schon aus praktischen
Gründen sprengen. Auch nicht endgültig abgeschlossene Planungen
in einem Gebiet können Anlass für einen Gestaltungsplan bilden, um
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
180
damit sicherzustellen, dass der Planungsprozess abgeschlossen und
konkrete Planungsziele realisiert werden können (vgl. E
RIC
B
RANDT
/P
IERRE
M
OOR
,
in:
H
EINZ
A
EMISEGGER
/A
LFRED
K
UTTLER
/P
IERRE
M
OOR
/A
LEXANDER
R
UCH
[Hrsg.], Kommentar
zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999, Art. 18
N 96; W
ALTER
H
ALLER
/P
ETER
K
ARLEN
, Raumplanungs-, Bau- und
Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 357).
4.2.3.
Die BNO der Gemeinde B. enthält in § 3 Abs. 2 verschiedene
Festlegungen zu einzelnen gestaltungsplanpflichtigen Arealen. Darin
werden die mit der Sondernutzungsplanung zu lösenden Konflikte
und der Zweck der Planung konkret umschrieben. Abweichungen
oder Änderungen gegenüber der Grundordnung werden nicht ausge-
schlossen. Die Gestaltungsplanpflicht in der Landwirtschaftszone
(§ 19 Abs. 2 BNO) wird in § 3 Abs. 2 BNO nicht erwähnt und insbe-
sondere nicht präzisiert.
Selbst in § 19 Abs. 2 BNO werden die zu lösenden Konflikte
sowie der Zweck der Planung nicht konkret umschrieben. Die
Bestimmung sieht für die gesamte Landwirtschaftszone der Ge-
meinde B. eine Abweichung von der Grundordnung vor, indem gene-
rell für die "Intensivtierhaltung" ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
eingeführt wird. Solche Anlagen sind nur zulässig, wenn die Immis-
sionsentwicklung zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen des
Siedlungsgebietes führt, die angestrebte Siedlungsentwicklung nicht
eingeschränkt wird, keine landschaftlichen Aspekte gegen ihre
Errichtung sprechen und die Funktionen der Landwirtschaftszone,
des Erholungsraumes und des ökologischen Ausgleichs nicht beein-
trächtigt werden (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BNO). Nach Darstellung des
Gemeinderates geht es bei diesem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für
Betriebe der "Intensivtierhaltung" vor allem darum, den erheblichen
Interessenkonflikt zwischen intensiver landwirtschaftlicher (Mas-
sen-)Tierhaltung und der angestrebten Siedlungsentwicklung zu lö-
sen, sowie um den Schutz der Bevölkerung vor übermässigen Immis-
sionen. Das wichtigste Ziel und der Hauptzweck der
Gestaltungsplanpflicht sei die Erhaltung "der hohen Standortattrakti-
2017
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
181
vität und der angenehmen Wohnlagen", weshalb störende Betriebe in
der Landwirtschaftszone nicht zugelassen werden sollen.
4.3.
Die Gestaltungsplanpflicht für die gesamte Landwirtschaftszone
ist mit § 21 BauG unvereinbar, da weder ein bestimmtes Gebiet
innerhalb der (allgemeinen) Landwirtschaftszone mit der Sondernut-
zungsplanpflicht ausgeschieden wird, noch die Planungsziele und -
grundsätze positiv formuliert werden. Entgegen der Darstellung der
Gemeinde lässt auch der Planungsbericht keine hinreichende Kon-
kretisierung der gewünschten Ordnung erkennen. Unter der ange-
strebten Siedlungsentwicklung wird eine langfristige Entwicklung
verstanden, die über 2 bis 3 Planungshorizonte geht und einen Zeit-
raum von 30 bis 40 Jahren umfasst, der jedoch nach den eigenen An-
gaben "raumplanerisch noch nicht festlegbar ist". Lässt sich das Pla-
nungsziel nicht definieren, kann dafür dem Grundeigentümer oder
dem Betriebsinhaber eines Tierhaltungsbetriebs auch keine Sonder-
nutzungsplanpflicht auferlegt werden.
Insgesamt erscheint zumindest fraglich, ob nicht auch aus die-
sen Gründen (das Gebiet, das der Sondernutzungsplanung unterlie-
gen soll, wurde nicht ausgeschieden; keine positiv formulierten Pla-
nungsziele und -grundsätze) die umstrittene Gestaltungsplanpflicht in
§ 19 Abs. 2 Satz 1 BNO ersatzlos zu streichen ist. | 5,301 | 4,262 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-31_2017-09-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-31.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-31.pdf | AGVE_2017_31 | null | nan |
eb3d9831-f891-5f5a-87b7-98fa4c48f984 | 1 | 412 | 869,709 | 1,407,024,000,000 | 2,014 | de | 2014
Verwaltungsrechtspflege
303
52
Wiederaufnahme
-
Von Bundesrechts wegen schliesst eine hängige Beschwerde in öffent-
lich-rechtlichen Angelegenheiten die Wiederaufnahme des verwal-
tungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens für sich alleine nicht aus;
die Voraussetzung des rechtskräftig erledigten Verfahrens nach § 65
Abs. 1 VRPG steht einer Wiederaufnahme insoweit nicht entgegen.
-
Die Subsidiarität der Wiederaufnahme ist formelles Gültigkeitserfor-
dernis, bei dessen Fehlen auf das Gesuch nicht einzutreten ist.
-
Unechte Noven nach § 65 Abs. 1 lit. a VRPG rechtfertigen eine
Wiederaufnahme nur, wenn der Gesuchsteller darlegt, dass ihm die
Beweise oder Tatsachen trotz hinreichender Sorgfalt ebenfalls nicht
bekannt oder nicht zugänglich waren.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. August 2014 in Sachen
A. gegen Regierungsrat (WBE.2014.222).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Ein rechtskräftig erledigtes Verfahren ist nach § 65 Abs. 1
VRPG auf Begehren einer Partei durch die letzte Instanz, die
entschieden hat, wieder aufzunehmen, wenn nachgewiesen wird,
dass erhebliche Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die zur Zeit
des Entscheids wohl bestanden, den Behörden aber nicht bekannt
waren (lit. a), die Vorschriften über die rechtmässige Zusammen-
setzung der entscheidenden Behörde verletzt oder erhebliche Tatsa-
chen, die sich aus den Akten ergaben, versehentlich nicht berücksich-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
304
tigt worden sind (lit. b) oder der Entscheid durch Arglist oder straf-
bare Handlungen beeinflusst wurde (lit. c).
Die Beurteilung eines Wiederaufnahmegesuchs erfolgt in drei
Schritten:
a) Vorab ist, wie in allen verwaltungsgerichtlichen Verfahren,
darüber zu befinden, ob die Verfahrensvoraussetzungen erfüllt sind.
Darunter fällt die Prüfung der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des
Begehrens (Legitimation, Antrag und Begründung, Fristwahrung),
welche im Wiederaufnahmeverfahren insbesondere auch die Sub-
sidiarität (d.h. die Subsidiarität des Wiederaufnahmeverfahrens
gegenüber dem ursprünglichen Verfahren einschliesslich der damali-
gen Rechtsmittelmöglichkeiten) mitumfasst. Fehlt eine dieser
Voraussetzungen, ist auf das Gesuch nicht einzutreten (AGVE 2001,
S. 390 mit Hinweisen; M
ARTIN
B
ERTSCHI
, in: A
LAIN
G
RIFFEL
[Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kan-
tons Zürich [VRG], 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, § 86d N 2;
T
HOMAS
M
ERKLI
/A
RTHUR
A
ESCHLIMANN
/R
UTH
H
ERZOG
, Kom-
mentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton
Bern, Bern 1997, Art. 98 N 1; vgl. zur Subsidiarität insbesondere:
R
UDOLF
W
EBER
, Grundsätzliches zur Wiederaufnahme nach § 27
VRPG, in: Festschrift für Dr. Kurt Eichenberger, alt Oberrichter,
Beinwil am See, Aarau 1990, S. 348 ff.).
b) In einem zweiten Schritt ist darüber zu befinden, ob das
Revisionsgesuch begründet ist (AGVE 2001, S. 391 mit Hinweis).
Geht es wie hier um die Anwendung von § 65 Abs. 1 lit. a VRPG,
hat sich das Gericht insbesondere von der Erheblichkeit der geltend
gemachten, nicht berücksichtigten Tatsachen zu überzeugen. Diese
Prüfung der Erheblichkeit umfasst die Prognose, ob der gerügte Wie-
deraufnahmetatbestand zu einer für den Gesuchsteller günstigeren
Beurteilung führen kann. Die Tatsache muss geeignet sein, den von
der rechtsanwendenden Behörde zugrunde gelegten Sachverhalt zu
verändern und so zu einer anderen Entscheidung in der Sache zu
führen (AGVE 1987, S. 330). Erweisen sich die vorgebrachten
Revisionsgründe als nicht rechtserheblich, ist das Wiederaufnahme-
begehren abzuweisen (AGVE 2001, S. 390 f.; U
RSINA
B
EERLI
-
B
ONORAND
, Die ausserordentlichen Rechtsmittel in der Verwal-
2014
Verwaltungsrechtspflege
305
tungsrechtspflege des Bundes und der Kantone, Zürich 1985, S. 163;
VGE III/21 vom 20. Februar 2001 [BE.2000.00369], S. 7 f. mit Hin-
weisen). Wird demgegenüber die Erheblichkeit der geltend gemach-
ten Wiederaufnahmegründe bejaht, sind der Entscheid oder Teile
davon aufzuheben und ist zu entscheiden, welche Instanz neu in der
Sache befindet (vgl. § 68 VRPG).
c) Die Aufhebung beendet das Wiederaufnahmeverfahren im
engeren Sinn, und es ist in einem dritten Verfahrensabschnitt eine
materielle Neubeurteilung des nunmehr wieder hängigen früheren
Verfahrens vorzunehmen. Im hier zu beurteilenden Fall wäre somit
bei einer Gutheissung des Wiederaufnahmegesuchs über die Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde neu zu befinden.
1.2.
Die Wiederaufnahme kann sich nur gegen rechtskräftig erle-
digte Verfahren richten (§ 65 Abs. 1 VRPG). Der Entscheid des Ver-
waltungsgerichts ist mit seiner Eröffnung formell nicht rechtskräftig
geworden. Die Gesuchstellerin hat dagegen Beschwerde in öffent-
lich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG erhoben.
Das Verfahren vor dem Bundesgericht ist noch nicht abgeschlossen.
Das ordentliche Rechtsmittel hindert den Eintritt der Rechtskraft des
Urteils des Verwaltungsgerichts (Art. 103 BGG; § 76 Abs. 1 VRPG;
U
LRICH
M
EYER
/J
OHANNA
D
ORMANN
, in: M
ARCEL
A
LEXANDER
N
IGGLI
/P
ETER
U
EBERSAX
/H
ANS
W
IPRÄCHTIGER
[Hrsg.], Basler
Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Auflage, 2011, Art. 103 N 5).
Nach Art. 125 BGG kann die Revision eines Bundesgerichtsent-
scheids, der den Entscheid der Vorinstanz bestätigt, nicht aus einem
Grund verlangt werden, der schon vor der Ausfällung des bundesge-
richtlichen Entscheids entdeckt worden ist und mit einem Revisions-
gesuch bei der Vorinstanz hätte geltend gemacht werden können.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 125 BGG
dürfen Vorinstanzen nicht einzig aus dem Grunde nicht auf Wieder-
aufnahmebegehren eintreten, weil gegen den zu revidierenden
Entscheid Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beim Bundesgericht erhoben worden und hängig ist (BGE 138 II
386, Erw. 4 und 6.4; E
LISABETH
E
SCHER
, in: Basler Kommentar,
a.a.O., Art. 125 N 3). Die kantonale Verfahrensbeschränkung der
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
306
Wiederaufnahme, das "rechtskräftig erledigte Verfahren" (§ 65
Abs. 1 VRPG), steht daher insoweit der Anhandnahme eines Wieder-
aufnahmegesuchs gegen einen Entscheid des Verwaltungsgerichts
vor der rechtskräftigen Erledigung des Beschwerdeverfahrens vor
dem Bundesgericht nicht entgegen.
1.3. (...)
2.-4. (...)
5.
5.1. (...)
5.2.
Vorab ist unter dem Aspekt der Subsidiarität zu prüfen, ob die
Wiederaufnahmegründe im Verfahren, das dem Entscheid vorausging
oder mit einem Rechtsmittel gegen den Entscheid hätten geltend
gemacht werden können (§ 65 Abs. 3 VRPG; Botschaft des Regie-
rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 14. Februar
2007 [Botschaft], 07.27, S. 78). Die Subsidiarität der Wiederauf-
nahme ist ein formelles Gültigkeitserfordernis, bei dessen Fehlen auf
das Gesuch nicht eingetreten wird (vgl. AGVE 2001, S. 390 f.).
Selbst Beweismittel und Tatsachen, die vor der Entscheidfällung
bereits bestanden, den Behörden im Zeitpunkt ihres Entscheides
nicht bekannt waren und damit in Hinblick auf § 65 Abs. 1 lit. a
VRPG als unechte Noven gelten, rechtfertigen eine Wiederaufnahme
nur dann, wenn die Gesuchstellerin darlegt, dass ihr die Beweise
oder Tatsachen trotz hinreichender Sorgfalt ebenfalls nicht bekannt
oder nicht zugänglich waren (vgl. A
LFRED
K
ÖLZ
/I
SABELLE
H
ÄNER
/
M
ARTIN
B
ERTSCHI
, Verwaltungsverfahren und Verwaltungs-
rechtspflege des Bundes, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013,
Rz. 1340; A
NDRÉ
M
OSER
/M
ICHAEL
B
EUSCH
/L
ORENZ
K
NEUBÜHLER
,
Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Auflage, Basel
2013, Rz. 5.47).
Auch vor dem Hintergrund des Untersuchungsgrundsatzes nach
§ 17 VRPG ist das Verwaltungsgericht nicht gehalten, nach Tatsa-
chen zu forschen, von deren angeblichem Vorhandensein es nichts
weiss und aufgrund der vorhandenen Akten auch nichts wissen kann.
So entbindet die Pflicht des Richters, den Sachverhalt von Amtes
wegen festzustellen (§ 17 Abs. 1 VRPG), die Parteien nicht von ihrer
2014
Verwaltungsrechtspflege
307
Mitwirkungspflicht bei der Feststellung der Tatsachen und der Be-
schaffung von Beweismitteln (§ 23 Abs. 1 VRPG) (AGVE 1997,
S. 377). Die Gesuchstellerin kann sich also nicht wiederaufnahme-
weise auf Tatsachen und Beweismittel berufen, die sie aufgrund der
Mitwirkungspflicht bereits im vorgegangenen Verfahren hätte vor-
bringen müssen (vgl. Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts
vom 20. August 2008 [VB.2008.00204], Erw. 4.2).
Wiederaufnahmegesuche dürfen nicht dazu dienen, früher nicht
ergriffene, ordentliche Rechtsmittel zu ersetzen, damalige vermeid-
bare Unterlassungen der Gesuchstellerin zu korrigieren oder umstrit-
tene Anordnungen stets wieder zur Diskussion zu stellen. Andernfalls
hätte es jedermann in der Hand, die Rechtsmittelfristen zu unterlau-
fen und die Wiederaufnahme verkäme zu einem Instrument, das ein-
zig dazu da wäre, den funktionellen Instanzenzug zu verlängern (vgl.
AGVE 2011, S. 255, Erw. 3.3; 2001, S. 390; R
UDOLF
W
EBER
, a.a.O.
S. 348 ff.; B
EERLI
-B
ONORAND
, a.a.O., S. 45).
Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Wiederaufnahme als
ausserordentliches Rechtsmittel (vgl. dazu W
EBER
, a.a.O., S. 360)
muss sich der Betroffene auch gegen die Verletzung von Verfahrens-
vorschriften in erster Linie innerhalb des Verfahrens und mittels der
ordentlichen Rechtsmittel wehren. | 2,287 | 1,843 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-52_2014-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-52.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-52.pdf | AGVE_2014_52 | null | nan |
eb40d586-a465-5507-a289-82e4803bf1b5 | 1 | 412 | 870,230 | 1,170,374,400,000 | 2,007 | de | 2007
Kantonale Steuern
91
[...]
25 Allgemeine
Abzüge.
-
Zuwendungen an die steuerbefreiten politischen Parteien sind
abzugsfähig.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 7. Februar 2007 in
Sachen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht und E.T.
(WBE.2006.208). Publiziert in StE 2007, B 27.4 Nr. 18.
(Hinweis: das Bundesgericht hat später entgegengesetzt entschieden: Urteil
2A.647/2005 = StE 2007, A 23.14) | 117 | 89 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2007-25_2007-02-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2007-25.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2007-25.pdf | AGVE_2007_25 | null | nan |
eb5a3917-cc31-5cd1-8180-d4286bb045a9 | 1 | 412 | 871,189 | 1,196,553,600,000 | 2,007 | de | 2007
Verwaltungsgericht
86
[...]
24 Anschlussbeschwerde. Abzug von Beiträgen zum Einkauf in BVG-
Leistungen.
-
Eine Anschlussbeschwerde ist im verwaltungsgerichtlichen Be-
schwerdeverfahren unzulässig (Erw. I/4).
-
Bei der Berechnung des maximal zulässigen Einkaufs sind die bei ei-
ner Vorsorgeeinrichtung gestützt auf Art. 13 Abs. 2 FZG liegenden
Beträge zu berücksichtigen (Erw. II/3).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 7. Dezember 2007 in
Sachen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht und R.W.
(WBE.2007.61). Zur Publikation vorgesehen in StE 2008.
Sachverhalt
R.W. war im Jahr 2001 bei verschiedenen Arbeitgebern in un-
selbstständiger Erwerbstätigkeit beschäftigt: Bis zum 31. Januar
2001 arbeitete er für die A. AG in leitender Stellung, vom 1. Juli bis
zum 31. Dezember 2001 im Nebenerwerb für deren Schwestergesell-
schaft B. AG; zudem war er während des gesamten Kalenderjahres
2001 für die von ihm und seiner Frau beherrschte C. AG tätig. Dane-
ben führte er als Unternehmensberater in selbstständiger Erwerbstä-
tigkeit eine Einzelfirma.
Nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei der A. AG
wurde sein Freizügigkeitsguthaben in Höhe von Fr. 750'205.--
vollumfänglich auf sein Vorsorgekonto bei der Vorsorgeeinrichtung
der B. AG übertragen, für das dortige neue Arbeitsverhältnis bestand
2007
Kantonale Steuern
87
indessen bis Ende 2001 ein Einkaufsbedarf von lediglich
Fr. 129'600.--. Bei der Vorsorgeeinrichtung der C. AG kaufte sich W.
am 27. Dezember 2001 mit Fr. 1'200'000.-- ein, wobei er das Freizü-
gigkeitsguthaben bei der Vorsorgeeinrichtung der B. AG unangetastet
liess.
Der Steuerpflichtige beantragte, der Einkaufsbetrag in die
2. Säule von Fr. 1'200'000.-- sei vollumfänglich vom steuerbaren
Einkommen in Abzug zu bringen. Das Steuerrekursgericht aner-
kannte, in teilweiser Gutheissung des gegen den Einspracheentscheid
der Steuerkommission erhobenen Rekurses, unter diesem Titel
lediglich Fr. 307'409.--. Gegen den Rekursentscheid führte das KStA
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Aus den Erwägungen
I/4. Die Vernehmlassung eröffnet der Vorinstanz sowie weiteren
am Verfahren beteiligten Parteien die Möglichkeit, innerhalb des
durch die Beschwerdebegehren begrenzten Verfahrens Anträge zu
stellen, berechtigt aber nicht zu weitergehenden, selbständigen An-
trägen (§ 43 Abs. 2 VRPG). Eine Anschlussbeschwerde ist im VRPG
nicht vorgesehen und deshalb unzulässig (AGVE 1981, S. 278). Der
Entscheidungsspielraum des Gerichts ist auf der einen Seite durch
das Ergebnis im angefochtenen Entscheid, andererseits durch den
Beschwerdeantrag begrenzt; es darf nicht über die Anträge des Be-
schwerdeführers hinausgehen, noch darf es den angefochtenen Ent-
scheid zum Nachteil des Beschwerdeführers abändern.
In ihrer - nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereichten - Ver-
nehmlassung beantragten die Beschwerdegegner, der Einkaufsbeitrag
in die Vorsorgeeinrichtung der C. AG in Höhe von Fr. 1'200'000.--
sei vollständig zum Abzug zuzulassen. Damit verlangen sie eine
Herabsetzung des steuerbaren Einkommens, also eine Änderung des
angefochtenen Entscheids zum Nachteil des beschwerdeführenden
KStA, was eine unzulässige Anschlussbeschwerde darstellt. Soweit
die Beschwerdegegner mehr verlangen als die Abweisung der Be-
schwerde, ist auf ihre Anträge nicht einzutreten. Dies schliesst aller-
dings nicht aus, dass auf ihre Begründungen einzugehen ist, soweit
diese auch geeignet sind, zur Abweisung der Beschwerde zu führen.
2007
Verwaltungsgericht
88
II/1. Gemäss § 40 lit. d StG können die gemäss Gesetz, Statut
und Reglement geleisteten Einlagen, Prämien und Beiträge zum Er-
werb von Ansprüchen aus der Alters-, Hinterlassenen- und Invali-
denversicherung und aus Einrichtungen der beruflichen Vorsorge von
den Einkünften abgezogen werden. Aufgrund der Verweisung auf das
Gesetz gilt für die Abzugsfähigkeit von Leistungen an die berufliche
Vorsorge ... die Begrenzung des Umfangs bei Beiträgen für Einkäufe
von Lohnerhöhungen und von Beitragsjahren in Einrichtungen der
beruflichen Vorsorge gemäss Art. 79a BVG in der Fassung vom 19.
März 1999, in Kraft seit dem 1. Januar 2001 (seither wurde sie im
Rahmen der 1. BVG-Revision mit Wirkung ab 1. Januar 2006 wieder
geändert). Dazu gibt es das Kreisschreiben der ESTV Nr. 3 vom
22. Dezember 2000 "Die Begrenzung des Einkaufs für die berufliche
Vorsorge nach dem Bundesgesetz vom 19. März 1999 über das
Stabilisierungsprogramm 1998" (publiziert in ASA 69/2001-2002, S
703 ff.; in der Folge: Kreisschreiben ESTV). Die Leistungen, in die
sich der Versicherte einkaufen kann, werden auf den oberen
Grenzbetrag nach Art. 8 Abs. 1 BVG, multipliziert mit der Anzahl
Jahre bis zum Erreichen des reglementarischen Rücktrittsalters,
begrenzt (Art. 79a Abs. 2 BVG). Es darf nur die im Einzelfall
effektiv benötigte Einkaufssumme (Finanzierungsbedarf) geleistet
werden (Kreisschreiben ESTV, S. 2). Gleicherweise wird steuerlich
nur der zulässige Höchstbetrag des Einkaufs zum Abzug zugelassen.
2./2.1. Die maximale zulässige Einkaufssumme entspricht der
Differenz zwischen der reglementarisch benötigten Eintrittsleistung
(unter Berücksichtigung der Begrenzung gemäss Art. 79a Abs. 2
BVG) und der zur Verfügung stehenden Eintrittsleistung (Art. 79a
Abs. 3 BVG; vgl. Kreisschreiben ESTV, S. 2). Die zulässige Ein-
kaufssumme wird für jedes Ereignis, das zu einem Einkauf führt, ge-
sondert festgesetzt (Art. 60a Abs. 1 lit. c BVV 2); bei einem Ver-
dienst, welcher bei mehreren Vorsorgeeinrichtungen versichert ist,
gilt die maximal zulässige Einkaufssumme insgesamt für alle Ein-
käufe, die auf dasselbe Ereignis zurückzuführen sind (Art. 60a Abs. 1
lit. d BVV 2; Kreisschreiben ESTV, S. 4). Steht der Versicherte im
Dienste mehrerer voneinander unabhängiger Arbeitgeber und ist
deshalb bei verschiedenen Vorsorgeeinrichtungen versichert, sind die
2007
Kantonale Steuern
89
höchstzulässigen Einkaufssummen gesondert zu ermitteln, weil der
Einkauf nicht auf dasselbe Ereignis zurückgeführt werden kann
(Kreisschreiben ESTV, S. 4).
2.2. Das Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 17. Dezember
1993 (Freizügigkeitsgesetz; FZG) regelt die Behandlung der BVG-
Ansprüche beim Austritt aus einer und beim Eintritt in eine andere
Vorsorgeeinrichtung. Wer die Vorsorgeeinrichtung verlässt, hat An-
spruch auf eine Austrittsleistung (Art. 2 Abs. 1 FZG). Diese ist an die
neue Vorsorgeeinrichtung zu überweisen (Art. 3 Abs. 1 FZG). Ist dies
nicht möglich, weil der Versicherte nicht in eine andere Vorsor-
geeinrichtung eintritt, hat grundsätzlich die Überweisung an eine
Freizügigkeitseinrichtung zu erfolgen (Art. 4 FZG; Art. 10 der Ver-
ordnung über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlas-
senen- und Invalidenvorsorge vom 3. Oktober 1994 [Freizügigkeits-
verordnung; FZV). Kann die Austrittsleistung nicht vollumfänglich
zum Einkauf in die reglementarischen Leistungen der neuen Vorsor-
geeinrichtung benützt werden, weil sie höher ist als die benötigte
Eintrittsleistung, so kann sie einer Freizügigkeitseinrichtung über-
wiesen werden (Art. 13 Abs. 1 FZG) oder der Versicherte kann damit
bei der neuen Vorsorgeeinrichtung "künftige reglementarisch höhere
Leistungen erwerben" (Art. 13 Abs. 2 FZG), also den künftigen Ein-
kauf in allfällige Erhöhungen der reglementarischen Leistungen (Art.
6 Abs. 2 FZG spricht von Erhöhungsbeiträgen infolge einer Leis-
tungsverbesserung) im Voraus sicherstellen. In beiden Fällen des Art.
13 FZG bleibt das Geld dem Vorsorgezweck verhaftet und wird
gleichsam "parkiert", weil es zur Zeit nicht zum Erwerb von Leistun-
gen benötigt wird.
Mit dem Stabilisierungsprogramm 1998 wurden gleichzeitig
Änderungen am FZG (Art. 4 Abs. 2
bis
, Art. 11 Abs. 2) vorgenommen
mit dem Zweck, die Überweisung des gesamten Vorsorgekapitals
(Austrittsleistungen; Kapital bei Freizügigkeitseinrichtungen) an die
neue Vorsorgeeinrichtung sicherzustellen.
3./3.1. Die von der X. als Vorsorgeeinrichtung der C. AG er-
stellte Berechnung der maximal zulässigen Einkaufssumme weist als
höchstmögliches Spar- oder Deckungskapital im Zeitpunkt des Ein-
2007
Verwaltungsgericht
90
kaufsbegehrens Fr. 1'428'013.90 aus. Nach Abzug des bei der X. be-
reits zur Verfügung stehenden Spar- oder Deckungskapitals in Höhe
von Fr. 86'552.70 ergibt sich die maximal zulässige Einkaufssumme
(Finanzierungsbedarf) in Höhe von Fr. 1'341'461.20.
3.2. Die Vorinstanz nahm die Berechnung des maximal zulässi-
gen und steuerlich abzugsfähigen Einkaufsbetrages wie folgt vor:
Total gemäss Reglement
Fr.
1'428'014.--
./. WEF-Vorbezug
Fr.
500'000.--
./. aus freiwilliger Übertragung
Fr.
620'605.--
Total möglicher Einkauf
Fr.
307'409.--
Die Fr. 500'000.-- betreffen einen im Jahr 2000 getätigten Vor-
bezug für Wohneigentumsförderung (WEF), der anzurechnen ist (an-
gefochtener Entscheid, S. 11 mit Hinweisen). Die Fr. 620'605.--
stellen die betraglich unbestrittene Differenz zwischen der auf die
Vorsorgeeinrichtung der B. AG übertragenen Freizügigkeitsleistung
und dem Einkaufsbedarf dar.
3.3./3.3.1. Das Steuerrekursgericht hat übersehen, dass bei der
Vorsorgeeinrichtung der C. AG im Zeitpunkt des Einkaufsbegehrens
bereits ein Kapital von Fr. 86'552.70 vorhanden war, sodass der Ein-
kauf nur für die Differenz zwischen dem höchstmöglichen und dem
bereits vorhandenen Spar- und Deckungskapital zu erfolgen hatte.
3.3.2./3.3.2.1. Mit dem Stabilisierungsprogramm 1998 wurden
die steuerbefreiten BVG-Einkäufe betraglich begrenzt. Dazu war es
erforderlich, bereits vorhandenes BVG-Kapital, das nicht (mehr) der
Deckung von Vorsorgeleistungen dient - also "Gelder, die sich schon
im 'Vorsorgekreislauf' befinden und steuerlich bereits zum Abzug
gebracht worden sind" (Kreisschreiben ESTV, S. 2) - in die neue
Versicherungseinrichtung (in welche der Einkauf erfolgen sollte)
überzuführen. Auch für den Fall, dass dies nicht geschah, war den
steuerlichen Folgen eine solche Überführung zugrunde zu legen, um
die Begrenzung der steuerbefreiten BVG-Einkäufe auch tatsächlich
durchsetzen zu können. Wie bereits ausgeführt (vorne Erw. 2.2), be-
steht kein sachlicher Unterschied zwischen den gemäss Art. 13 Abs.
1 FZG bei einer Freizügigkeitseinrichtung und den gemäss Art. 13
Abs. 2 FZG bei einer Vorsorgeeinrichtung für künftige Einkäufe
"parkierten" Beträgen. Selbst wenn lediglich die Überweisung des
2007
Kantonale Steuern
91
bei Freizügigkeitseinrichtungen vorhandenen Kapitals vorgeschrie-
ben ist (Art. 4 Abs. 2
bis
FZG), ist somit bei beiden Tatbeständen eine
identische steuerliche Behandlung sachlich geboten. Wenn es um die
Höhe des zulässigen Einkaufs in eine andere Vorsorgeeinrichtung
geht, ist alles gestützt auf Art. 13
Abs. 1 und 2
FZG vorhandene Ka-
pital als bereits zur Verfügung stehendes Spar- oder Deckungskapital
zu behandeln. Daran ändert Art. 60a Abs. 1 lit. c BVV 2, wonach die
zulässige Einkaufssumme für jedes Ereignis, das zu einem Einkauf
führt, gesondert festzusetzen ist, nichts; diese Bestimmung besagt
nichts über die Anrechenbarkeit des vorhandenen BVG-Kapitals.
3.3.2.2. Die bei der Vorsorgeeinrichtung der B. AG gemäss
Art. 13 Abs. 2 FZG vorhandenen Fr. 620'605.-- sind somit entgegen
den Darlegungen der Beschwerdegegner in die Berechnung einzube-
ziehen.
3.3.2.3. Bei dieser Auslegung ist es konsequent, spätere Ein-
käufe in die Vorsorgeeinrichtung, bei der das Kapital nach Art. 13
Abs. 2 FZG nach wie vor liegt, selbst dann steuerlich vollumfänglich
anzuerkennen, wenn der Einkauf mit diesem Kapital finanziert wird.
Beim Beschwerdegegner spielt dies allerdings keine Rolle, da sich
schon nach kurzer Zeit ergab, dass sich die (behauptungsweise) vor-
gesehene Aufstockung seines Engagements bei der B. AG, die zu ei-
nem höheren Gehalt und damit verbunden zu einem Einkauf in die
höheren Vorsorgeleistungen (zu finanzieren mit dem bei der Vorsor-
geeinrichtung der B. AG liegenden Art. 13 Abs. 2 FZG-Kapital) ge-
führt hätte, nicht verwirklichte. | 2,845 | 2,153 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2007-24_2007-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2007-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2007-24.pdf | AGVE_2007_24 | null | nan |
ebde525f-6f51-5cf8-8053-74815ffb0e39 | 1 | 412 | 871,138 | 1,470,182,400,000 | 2,016 | de | 2016
Verwaltungsrechtspflege
323
52
Ausstand
-
Für die Mitglieder beratender Kommissionen gelten die Ausstands-
regeln des VRPG. Sie wirken an der Vorbereitung des Entscheids mit
und fallen somit unter den Anwendungsbereich von § 16 VRPG.
-
Anwendungsfall: Im Unterschutzstellungsverfahren von Baudenk-
mälern gemäss § 27 VKG darf der Bauberater der Gesuchstellerin
nicht gleichzeitig in der Kommission für Denkmalpflege und
Archäologie mitwirken.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 16. August 2016 in
Sachen Einwohnergemeinde A. gegen Regierungsrat (WBE.2015.427). | 132 | 103 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-52_2016-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-52.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-52.pdf | AGVE_2016_52 | null | nan |
ebdeae26-15e5-5d66-8133-58ba60230b58 | 1 | 412 | 870,825 | 1,136,073,600,000 | 2,006 | de | 2006
Verwaltungsrechtspflege
277
[...]
53 Legitimation
Dritter.
-
Legitimation im Falle einer Drittbeschwerde zugunsten des Verfü-
gungsadressaten (Erw. I/3).
-
Ausstand eines Gemeinderats, der von Amtes wegen Präsident der
Forstbetriebskommission Y. ist und dessen Forstbetrieb Y. für den
Flurstrassenunterhalt seiner Einwohnergemeinde ein Angebot einge-
reicht hat (Erw. II/4.1).
vgl. AGVE 2006
39
204 | 109 | 87 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2006-53_2006 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-53.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-53.pdf | AGVE_2006_53 | null | nan |
ebe87f9e-756e-54d5-8db2-9c5c9091c2bc | 1 | 412 | 869,954 | 1,478,131,200,000 | 2,016 | de | 2016
Übriges Verwaltungsrecht
317
50
Betreuungsgesetz; ausländisches Pflegekind
-
§ 27 Abs. 2 des Betreuungsgesetzes (Elternbeiträge an stationäre
Sonderschulen und Einrichtungen) ist auf Pflegeeltern nicht anwend-
bar.
-
Keine Verfügungskompetenz bezüglich der Verpflichtung der Pflege-
eltern, für den Unterhalt eines ausländischen Pflegekindes in der
Schweiz aufzukommen; im Falle einer Fremdplatzierung als Kindes-
schutzmassnahme ist der Kostenersatzanspruch des Gemeinwesens
auf dem Weg der verwaltungsrechtlichen Klage geltend zu machen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. November 2016 in
Sachen A. und B. gegen Stadt C. und Regierungsrat (WBE.2016.243).
Aus den Erwägungen
1.
Gemäss § 27 Abs. 2 des Gesetzes über die Einrichtungen für
Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen vom 2. Mai 2006
(Betreuungsgesetz; SAR 428.500) leisten die Eltern den stationären
Einrichtungen gemäss § 2 Abs. 1 lit. b und c für den Aufenthalt ihrer
Kinder eine vom Regierungsrat auf maximal Fr. 30.00 pro Kind und
Nacht festgesetzte Pauschale, wobei der Regierungsrat diesen Eltern-
beitrag auf Fr. 25.00 pro Übernachtung festsetzte (§ 54 Abs. 1 der
Verordnung über die Einrichtungen für Menschen mit besonderen
Betreuungsbedürfnissen vom 8. November 2006 [Betreuungsverord-
nung; SAR 428.511]). Dabei haben alle Eltern von Kindern, Jugend-
lichen und jungen Erwachsenen im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht
einen Beitrag an den Aufenthalt einer Einrichtung zu leisten (vgl.
Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen
Rat vom 28. September 2005, GR.05.256, S. 54 f.). Die Wohnsitz-
gemeinden bevorschussen den Einrichtungen die Elternbeiträge und
beziehen diese von den Eltern (§ 27 Abs. 3 i.V.m. § 25 Abs. 2
Betreuungsgesetz).
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
318
2.
2.1.
Die Beschwerdeführer bestreiten die Zuständigkeit des Regie-
rungsrats zur Beurteilung dieser Streitsache. Dem Wortlaut des § 31
Abs. 1 i.V.m. § 27 des Betreuungsgesetzes folgend, beziehe sich der
Rechtsschutz nicht auf Streitigkeiten betreffend die Kostentragung
zwischen nicht leiblichen Eltern (wie etwa Pflegeeltern) und der Ge-
meinde. Grundlage von § 27 Betreuungsgesetz sei die gesetzlich
geregelte Unterhaltspflicht der Eltern (Art. 276 ZGB). Zu Eltern
werde man durch Geburt des Kindes, Ehelichkeitsvermutung des mit
der Mutter verheirateten Mannes, Anerkennung der Vaterschaft,
Vaterschaftsurteil oder Adoption. Andere Möglichkeiten gebe es
nicht.
2.2.
Das BKS führte in seinem Entscheid aus, ihm komme keine
Kompetenz zu, gestützt auf das Betreuungsgesetz gegenüber den
Pflegeeltern Elternbeiträge zu verfügen, da D. weder der leibliche
Sohn noch das Adoptivkind der Beschwerdeführer sei und diese so-
mit nicht als Eltern im Sinne von § 27 Abs. 2 Betreuungssetz gälten.
2.3.
Für die Vorinstanz sind Konstellationen denkbar, in denen
"Nicht-Eltern" in Bezug auf die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern
kraft einer rechtlichen Grundlage oder einer privatrechtlichen Verein-
barung den leiblichen Eltern gleichgestellt sind. Das BKS sei daher
von Gesetzes wegen nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, bei
Streitigkeiten unter anderem über den Bestand von Beiträgen und
Leistungspflichten im Sinne von § 27 Betreuungsgesetz materiell zu
entscheiden.
Die Vorinstanz führt in ihrem Entscheid zwar aus, dass aus dem
Umstand, dass das Pflegeverhältnis während des Aufenthalts von D.
im Internat X. noch bestand, kein Anspruch gegenüber den Pfle-
geeltern auf Rückerstattung der bevorschussten Elternbeiträge im
Sinne von § 27 Abs. 2 Betreuungsgesetz abgeleitet werden könne.
Die Vorinstanz sieht aber in der von den Beschwerdeführenden am
30. Januar 2001 unterzeichneten Verpflichtungserklärung im Sinne
von Art. 6 Abs. 4 der Verordnung über die Aufnahme von Pflege-
2016
Übriges Verwaltungsrecht
319
kindern vom 19. Oktober 1977 (Pflegekinderverordnung, PAVO;
SR 211.222.338; alte Fassung) eine gültige Rechtsgrundlage für die
Begründung der Leistungspflicht nach § 27 Abs. 2 Betreuungsgesetz
und somit die Rechtsgrundlage für die Zuständigkeit des BKS und
des Regierungsrats gemäss § 31 Abs. 1 Betreuungsgesetz. Da die
Beschwerdeführer gemäss der genannten Verpflichtung "für sämt-
liche Kosten des Unterhalts" aufzukommen hätten, seien sie den
leiblichen Eltern im Sinne von § 27 Abs. 2 Betreuungsgesetz gleich-
gestellt.
2.4.
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Wie der
Regierungsrat in einem anderen Entscheid richtig ausführte, wird die
Elternschaft im ZGB indirekt mit den Bestimmungen über die Ent-
stehung des Kindsverhältnisses definiert (Art. 252 ZGB). Somit gel-
ten als Vater und Mutter und damit im rechtlichen Sinn als Eltern
eines Kindes diejenigen Personen, zu denen ein zivilrechtliches
Kindsverhältnis besteht. Pflege-, Tages-, Gross- und Stiefeltern so-
wie jegliche in der Alltagssprache genannten Eltern gelten hingegen
in zivilrechtlicher Hinsicht nicht als Eltern. Eine andere Definition
des Wortes "Eltern" lasse sich weder dem Betreuungsgesetz noch der
Botschaft entnehmen. Der Gesetzeswortlaut selber erwähne lediglich
"die Eltern" und es folge kein Hinweis darauf, dass der verwendete
Begriff "Eltern" weit auszulegen sei, so dass auch "Nicht-Eltern" da-
runter fallen würden. Der Gesetzeswortlaut umfasse damit lediglich
das zivilrechtlich definierte Elternpaar, d.h. die leiblichen Eltern, so-
fern keine Adoptiveltern bestehen (Regierungsratsbeschluss
Nr. 2010-000400 vom 17. März 2010, Erw. 2.3). Diesen Ausfüh-
rungen des Regierungsrats ist zu folgen. Die Beschwerdeführer wa-
ren die Pflegeeltern von D.. Das Vorgehen der Vorinstanz, die Pflege-
eltern gestützt auf eine unterzeichnete Verpflichtungserklärung den
zivilrechtlich definierten Eltern gleichzusetzen, ist nicht zulässig. Da
die Beschwerdeführer nicht als Eltern im Sinne von § 27 Abs. 2 Be-
treuungsgesetz zu qualifizieren sind, ist die Zuständigkeit des BKS
und des Regierungsrats nach § 31 Abs. 1 Betreuungsgesetz nicht
gegeben.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
320
Über allfällige Ansprüche der Gemeinde C. gegenüber den Ehe-
gatten A. und B. gestützt auf die Verpflichtungserklärung ist auf dem
Klageweg zu befinden. Die Gemeinde macht einen vertraglichen An-
spruch geltend (vgl. § 60 lit. a VRPG). | 1,360 | 1,115 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-50_2016-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-50.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-50.pdf | AGVE_2016_50 | null | nan |
ec85aa33-7f44-5a34-b094-785e1b8e6845 | 1 | 412 | 870,038 | 1,485,993,600,000 | 2,017 | de | 2017
Migrationsrecht
121
IV. Migrationsrecht
19
Ausschaffungshaft; Beschleunigungsgebot und Zusammenarbeit mit
ausländischen Behörden
Das Beschleunigungsgebot wird verletzt, wenn die Migrationsbehörden
während hängiger Herkunftsabklärungen neue Angaben zur Identität der
inhaftierten Person länger als zwei Monate nicht an die zuständigen aus-
ländischen Behörden weiterleiten. Auch wenn im Rahmen der Papierbe-
schaffung bei einigen ausländischen Behörden eine gewisse Zurückhal-
tung beim Nachfragen angebracht ist, sind neue Erkenntnisse bezüglich
der Herkunft des Betroffenen raschmöglichst zu übermitteln.
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 2. Februar 2017, i.S. Amt für Migration und Integration gegen A.
(WPR.2017.9)
Aus den Erwägungen
2.3.
Aus den Akten geht hervor, dass die algerischen Behörden am
28. Oktober 2016 durch das SEM ersucht worden sind, betreffend
den Gesuchsgegner Identifikationsabklärungen vorzunehmen. Zum
Zeitpunkt der letzten Bestätigung der Ausschaffungshaft standen die
Abklärungen bei den algerischen Behörden somit erst am Anfang.
Die vom Gesuchsgegner angegebene neue Identität wurde dem SEM
mit Schreiben vom 4. November 2016 mit dem Hinweis übermittelt,
dass an der Richtigkeit der neuen Angaben Zweifel bestehen würden.
Der Vertreter des Gesuchsgegners moniert in seiner Stellung-
nahme vom 25. Januar 2017, aus den Akten gehe nicht hervor, ob
und inwiefern das SEM die neuen Angaben an die algerischen Be-
hörden weitergeleitet habe. Mit Blick auf das Beschleunigungsgebot
forderte der Einzelrichter das MIKA zudem gleichentags auf, eine
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
122
Aufstellung sämtlicher konkreten Bemühungen der Schweizer Be-
hörden gegenüber den algerischen Behörden zur Ausstellung eines
Ersatzreisedokumentes für den Gesuchsgegner bzw. seiner Identitäts-
abklärung vorzulegen. In der Folge reichte das MIKA seine Korres-
pondenz mit dem SEM, datierend vom 25. Januar 2017 und
27. Januar 2017, ein.
Aus den aufgrund der Beweisanordnung des Verwaltungsge-
richts vom 25. Januar 2017 eingereichten Unterlagen geht hervor,
dass die algerischen Behörden durch das SEM lediglich im Drei-
monatsrhythmus gemahnt würden. Trotzdem erfolgte die Mahnung
im vorliegenden Fall unmittelbar nach der Beweisanordnung des
Verwaltungsgerichts und vor Ablauf dieser Frist von drei Monaten,
jedoch ohne den algerischen Behörden die neu durch den Gesuchs-
gegner angegebene Identität zu übermitteln.
Zwar trifft zu, dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich nicht
beanstandet, wenn das SEM die bundesgerichtliche Frist von zwei
Monaten, innerhalb welcher eine ausstehende Anfrage moniert wer-
den muss, bezüglich der algerischen Behörden nicht einhält, sondern
nur alle drei Monate die ausstehende Anfrage anzeigt. Dies gilt je-
doch nur in Fällen, in denen keine neuen Erkenntnisse bezüglich der
Identität vorliegen. Gibt der Betroffene eine andere Identität an, ist
diese den heimatlichen Behörden raschmöglichst zu übermitteln.
Dies umso mehr, wenn es um Abklärungen in Algerien geht, da diese
bekanntermassen überdurchschnittlich viel Zeit in Anspruch nehmen.
Weder das SEM noch das MIKA legen dar, weshalb die neuen Identi-
tätsangaben nicht an die algerische Vertretung weitergeleitet wurden.
Der blosse Vermerk des Gesuchstellers im Schreiben vom
4. November 2016, dass die neu angegebenen Personalien wohl
falsch seien, reicht jedenfalls als Begründung für die ausgebliebene
Übermittlung nicht aus. Auch wenn die Erfahrung mit den algeri-
schen Behörden zeigt, dass eine gewisse Zurückhaltung beim
Nachfragen angebracht ist, hätte das SEM den neuen Hinweis über-
mitteln müssen (vgl. AGVE 2008, S. 390 ff.).
2.4.
Nach dem Gesagten steht fest, dass das SEM zwischen dem
28. Oktober 2016 und dem 27. Januar 2017 keinerlei konkrete Bemü-
2017
Migrationsrecht
123
hungen unternommen hat, die Identität des Gesuchsgegners abzuklä-
ren, obschon neue Identitätsangaben vorlagen.
Unter diesen Umständen wurde das Beschleunigungsgebot ver-
letzt und der Gesuchsgegner ist unverzüglich aus der Haft zu entlas-
sen. Die Prüfung der weiteren Haftvoraussetzungen - auch bezüglich
einer Durchsetzungshaft - erübrigt sich damit. | 878 | 720 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-19_2017-02-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-19.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-19.pdf | AGVE_2017_19 | null | nan |
ec9fbf1a-1da6-58bc-a29f-0a2ea8977171 | 1 | 412 | 869,862 | 1,388,620,800,000 | 2,014 | de | 2014
Kantonale Steuern
75
III. Kantonale Steuern
9
Art. 56 lit. g DBG, § 14 Abs. 1 lit. c StG
Weder Verfolgung öffentlicher noch gemeinnütziger Zwecke durch Jagd-
gesellschaft, daher keine Steuerbefreiung
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 29. Januar 2014 in Sachen
KStA gegen Verein X. (WBE.2013.307).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Von der Steuerpflicht befreit sind im Bereich der direkten Bun-
dessteuer insbesondere juristische Personen, die öffentliche oder ge-
meinnützige Zwecke verfolgen, für den Gewinn, der ausschliesslich
und unwiderruflich diesen Zwecken gewidmet ist (Art. 56 lit. g
DBG).
2.2.
2.2.1.
Neben der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke bildet die Ver-
folgung öffentlicher Zwecke eine eigenständige steuerprivilegierte
Zielsetzung. Dabei handelt es sich um eine mit Rücksicht auf den
verfassungsrechtlichen Grundsatz der Allgemeinheit der Steuern
(Art. 127 Abs. 2 BV) restriktiv zu fassende Kategorie von Aufgaben,
die sich eng an die Staatsaufgaben anlehnen müssen. Juristische
Personen, die in erster Linie Erwerbs- oder Selbsthilfezwecke verfol-
gen, haben grundsätzlich - unter Vorbehalt einer teilweisen Befrei-
ung, sofern eine rechnungsmässig klare Trennung besteht - keinen
Anspruch auf Steuerbefreiung, selbst wenn sie zugleich öffentlichen
Zwecken dienen. Art. 56 lit. g DBG wird durch das Kreisschreiben
der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 8. Juli 1994 näher
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
76
konkretisiert. Damit eine Steuerbefreiung beansprucht werden kann,
muss - nebst hier nicht interessierenden allgemeinen Voraussetzun-
gen - bei juristischen Personen mit öffentlicher Zwecksetzung vor
allem dieser "öffentliche Zweck" gegeben sein. Dabei sind bei Ein-
richtungen ohne Erwerbs- oder Selbsthilfezweck alle Zwecke öffent-
lich, die in den ordentlichen Aufgabenkreis eines Gemeinwesens fal-
len, selbst wenn sie dem Gemeinwesen nicht durch Gesetz übertra-
gen wurden, sondern nach allgemeiner Auffassung als dessen
Angelegenheit betrachtet werden. Bei Institutionen mit Erwerbs-
oder Selbsthilfezweck ist zudem in der Regel erforderlich, dass sie
durch einen öffentlich-rechtlichen Akt (z.B. ein Gesetz) mit der
Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe betraut wurden, diese öffentli-
che Aufgabe in konkret überprüfbarer Weise tatsächlich erfüllen,
keine Dividenden ausschütten, einer gewissen Aufsicht des Ge-
meinwesens unterliegen und ihr Eigenkapital statutarisch aus-
schliesslich und unwiderruflich den öffentlichen Zwecken gewidmet
haben. Jede Steuerbefreiung, auch eine teilweise, ist ausgeschlossen,
wenn die juristische Person Erwerbs- oder Selbsthilfezwecke ver-
folgt, die ein gewisses Ausmass übersteigen (Urteil des Bundesge-
richts vom 28. Dezember 2010 [2C_383/2010], Erw. 2.2; BGE 131 II
6 f., Erw. 3.3). Unter diesen Voraussetzungen können auch private
Institutionen, die aufgrund einer Monopolkonzession einen öffentli-
chen Zweck erfüllen, steuerbefreit werden (M
ARCO
G
RETER
, in:
M
ARTIN
Z
WEIFEL
/P
ETER
A
THANAS
[Hrsg.], Kommentar zum
schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundes-
steuer, 2. Aufl., Basel/Genf/München 2008 [Kommentar DBG],
Art. 56 N 36). Nicht genügend für die Qualifikation als öffentliche
Aufgabe im Sinne von Art. 56 lit. g DBG ist die Ausübung einer
Tätigkeit im öffentlichen Interesse (R
ETO
K
USTER
, Steuerbefreiung
von Institutionen mit öffentlichen Zwecken, Diss. Zürich 1998,
S. 224)
2.2.2.
2.2.2.1.
Gemäss Art. 79 BV legt der Bund Grundsätze fest über die Aus-
übung der Fischerei und der Jagd, insbesondere zur Erhaltung der
Artenvielfalt der Fische, der wild lebenden Säugetiere und der Vö-
2014
Kantonale Steuern
77
gel. Diese Bestimmung geht somit davon aus, dass die Jagd (d.h. die
Nutzung des Wilds durch fachkundiges Hegen und Erlegen) in den
Schranken der Rechtsordnung zulässig ist, und übernimmt materiell
vollständig die Vorläuferbestimmung von Art. 25 aBV. Die Ausfüh-
rungsgesetzgebung des Bundes enthält Grundsätze über die Aus-
übung der Jagd, wobei der Schutz der betroffenen Tierarten im Vor-
dergrund steht, aber auch Vorschriften über die Schadenverhütung
und Haftpflicht aufgestellt werden (A
RNOLD
M
ARTI
, in: B
ERNHARD
E
HRENZELLER
/P
HILIPPE
M
ASTRONARDI
/R
AINER
J.
S
CHWEIZER
/
K
LAUS
A.
V
ALLENDER
, Die Schweizerische Bundesverfassung,
Kommentar, 2. Auflage, Zürich 2008 [Kommentar BV], Art. 79
N 2 f.).
Im Rahmen der bundesrechtlichen Schutzvorschriften bestim-
men die Kantone, nach welchen Grundsätzen die Berechtigung für
die Jagd in ihrem Gebiet erteilt wird und welche Regeln für die Aus-
übung dieser Tätigkeit im Einzelnen gelten. Grundsätzlich kommen
dafür die Patentjagd (Einzelbewilligung für eine bestimmte Zeit und
einen bestimmten Umfang) oder die Revierjagd (Sonderrecht der
Jagdpächter auf einem bestimmten Gebiet) in Frage (M
ARTI
, Kom-
mentar BV, Art. 79 N 6). Das Reviersystem gibt dem Pächter das
alleinige Recht auf die in seinem Revier befindlichen Tiere. Damit
wird erreicht, dass eine bestimmte Anzahl von Berechtigten für län-
gere Zeit an ein bestimmtes Gebiet gebunden und für Hege und
Pflege verantwortlich ist (T
HOMAS
F
LEINER
-G
ERSTER
, in: J
EAN
-
F
RANÇOIS
A
UBERT
et al., Kommentar zur Bundesverfassung der
Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 [Stand Okto-
ber 1989], Art. 25 N. 18).
2.2.2.2.
Im Kanton Aargau steht die Jagd als sog. Regalrecht dem Kan-
ton zur ausschliesslichen wirtschaftlichen Betätigung zu (§ 55 Abs. 1
lit. a KV). Der Kanton kann diese Befugnis selber ausüben oder
durch Gesetz oder Konzession auf Dritte übertragen (§ 55 Abs. 2
KV).
Gemäss § 2 AJSG überträgt der Kanton das Recht zur Aus-
übung der Jagd und die damit verbundenen Pflichten revierweise an
Jagdgesellschaften. Die Jagdreviere werden durch den Kanton
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
78
öffentlich ausgeschrieben und für die Dauer von acht Jahren an Jagd-
gesellschaften verpachtet (§ 4 Abs. 1 AJSG). Als Jagdgesellschaft
gilt ein Zusammenschluss von Jagdberechtigten in der Rechtsform
eines Vereins (§ 5 Abs. 1 AJSG).
2.2.2.3.
Die Jagdgesellschaften sind verpflichtet, dem Kanton für die
einzelnen Reviere Pachtzinsen zu bezahlen (§ 6 AJSG). Sie sind für
Jagdplanung und Jagdbetrieb in ihren Revieren zuständig und dafür
verantwortlich, dass die Wildtierbestände den örtlichen Verhältnissen
angepasst sind sowie keine übermässigen Schäden an Wald, land-
wirtschaftlichen Kulturen und Nutztieren auftreten. Sie unterstützen
ausserdem Bestandesregulierungen nichteinheimischer Wildtiere, er-
fassen die Bestände der wichtigsten Wildtierarten in den Jagdrevie-
ren und liefern die für die Jagdstatistik benötigten Angaben (§ 15
Abs. 1 - 4 AJSG). Die Jagdaufsicht im Jagdrevier wird ebenfalls
durch die betreffende Jagdgesellschaft sichergestellt. Jede Jagdge-
sellschaft bestimmt eine Jagdaufseherin oder einen Jagdaufseher so-
wie eine Stellvertretung und holt die Zustimmung der betroffenen
Gemeinden ein (§ 31 Abs. 1 und 2 AJSG). Ausserdem fördern und
begleiten die Jagdgesellschaften Kandidierende für die Jagdprüfung
(§ 33 Abs. 3 AJSG), und sie informieren die Gemeinden im Revier
periodisch über ihre jagdlichen Tätigkeiten und die geplanten Mass-
nahmen (§ 34 Abs. 2 AJSG).
Jagdaufseherinnen und Jagdaufseher müssen im Kanton jagdbe-
rechtigt und für diese Aufgabe geeignet sein sowie das Jagdrevier in-
nert nützlicher Frist erreichen können. Sie können Mitglied einer
Jagdgesellschaft sein. Die Jagdaufseherinnen und Jagdaufseher üben
im Jagdrevier die zum Schutz der Wildtiere und zur Gewährleistung
der Jagd nötigen Aufsichts-, Vollzugs- und Kontrollaufgaben aus, so-
weit diese nicht einer anderen Behörde obliegen. Das zuständige De-
partement kann für kantonale Aufgaben Jagdaufseherinnen und Jagd-
aufseher beiziehen und einsetzen. Es legt zu diesem Zweck die Auf-
sichtsgebiete und eine allfällige Entschädigung fest (§ 31 Abs. 3 - 5
AJSG).
Jagdaufseherinnen und Jagdaufseher haben gemäss § 27 Abs. 1
der Verordnung zum Jagdgesetz des Kantons Aargau vom 23. Sep-
2014
Kantonale Steuern
79
tember 2009 (AJSV, SAR 933.211) folgende Aufgaben zu erfüllen:
Aufsicht über die Einhaltung der Bestimmungen zu den Schonzeiten
jagdbarer Wildtiere, zum Arten- und Lebensraumschutz und zur Lei-
nenpflicht für Hunde; Mitwirkung bei Erhebungen zur Jagdstatistik,
bei Abschussplanungen, bei der Bekämpfung von Tierseuchen und
beim Vollzug jagdrechtlicher Anordnungen; Beratung der Grundei-
gentümerinnen und Grundeigentümer beziehungsweise der für die
Bewirtschaftung des Grundeigentums zuständigen Personen in der
Anwendung von Verhütungs- und Selbsthilfemassnahmen; Unter-
stützung der Jagdgesellschaften bei der Kontrolle der Jagdpässe und
-karten; Melde- und Koordinationsstelle bei Fragen und Problemen
im Zusammenhang mit Wildtieren, insbesondere bei Unfällen mit
Wildtieren. Sie sind verpflichtet, Widerhandlungen gegen das Jagd-
recht nachzugehen und diese den Strafverfolgungsbehörden anzuzei-
gen (§ 36 Abs. 3 AJSG).
2.3.
Der Beschwerdegegner ist gemäss § 1 seiner Statuten ein Verein
im Sinne von Art. 60 ff. ZGB und erfüllt damit die gesetzlichen
Anforderungen an die Rechtsform der Jagdgesellschaften (§ 5 Abs. 1
AJSG). Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass er die ihm
gesetzlich und vertraglich auferlegten Pflichten bzw. Aufgaben er-
füllt. Die Zahlung des Pachtzinses (Hauptpflicht) und die Erfüllung
der übrigen Aufgaben (Nebenpflichten) durch den Beschwerdegeg-
ner bzw. seine Mitglieder sind dabei als Gegenleistungen für das
vom Kanton gewährte Recht zur Ausübung der Jagd zu betrachten.
Aus § 55 KV und Art. 79 BV ergibt sich, dass die Ausübung der Jagd
primär als eine wirtschaftliche Tätigkeit verstanden wird, welche di-
verse Rahmenbedingungen auf dem Gebiet des Natur- und Tierschut-
zes einhalten muss.
Dem in AJSG und AJSV statuierten Aufgabenkatalog
(Erw. 2.2.2.3.) ist zu entnehmen, dass die Jagdaufsicht zu einem er-
heblichen Teil (jagd- und gesundheits-)polizeiliche Tätigkeiten bein-
haltet und insoweit eine öffentliche Aufgabe darstellt. Sie wird indes-
sen nur von einzelnen Jagdberechtigten (pro Revier ist ein Jagdaufse-
her und ein Stellvertreter zu bezeichnen) ausgeübt, die zudem nicht
Mitglieder des Beschwerdegegners sein müssen (§ 28 Abs. 1 der Sta-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
80
tuten vom 28. Juli 2011; Ziff. 7.2 und 7.3 der jeweiligen Pachtver-
träge). Indem der Beschwerdegegner u.a. dafür sorgt, dass die Wild-
tierbestände weder zu gross noch zu klein sind und keine übermässi-
gen Schäden an Wald, landwirtschaftlichen Kulturen und Nutztieren
auftreten, nimmt er weitere Aufgaben wahr, die nicht nur privaten
Dritten (insbesondere Landwirten und privaten Waldeigentümern),
sondern auch der Allgemeinheit dienen und somit im öffentlichen
Interesse liegen. Bei all diesen Aufgaben handelt es sich jedoch
lediglich um Nebenpflichten des Beschwerdegegners.
Die Ausübung der Jagd steht demnach im Vordergrund. Dies
ergibt sich bereits aus § 2 der Statuten vom 28. Juli 2011, wonach der
Beschwerdegegner die Ausübung der Jagd in einem oder mehreren
aargauischen Jagdrevieren nach Massgabe der gesetzlichen Bestim-
mungen und nach weidmännischen Grundsätzen bezweckt und dafür
die Pacht eines oder mehrerer Jagdreviere vom Kanton Aargau und
damit die Ausübung der hoheitlichen Jagdberechtigung übernimmt.
Der Beschwerdegegner bezweckt mithin primär, seinen Mitgliedern
die Ausübung ihres Hobbys zu ermöglichen. Dies zeigt sich auch da-
rin, dass gemäss den eingereichten Jahresrechnungen in den Jahren
2011 und 2012 bei einem Gesamtaufwand von rund Fr. 30'000.00
bzw. Fr. 35'000.00 lediglich Fr. 2'250.00 für die Besoldung der Jagd-
aufseher verwendet wurden, während allein die Pachtzinsen
Fr. 18'800.00 ausmachten, was in etwa der Höhe der Mitgliederbei-
träge ("Pächterbeiträge") entsprach. 2013 werden die Zahlen gemäss
Budget voraussichtlich in ungefähr gleicher Höhe liegen. Gemäss
den Jahresrechnungen 2011 und 2012 resultierte sodann ca. ein Drit-
tel der Einnahmen des Beschwerdegegners aus dem Verkauf von
Wildfleisch (Wildbreterlös). Daraus ist zu schliessen, dass die Tätig-
keit des Beschwerdegegners vorwiegend im privaten Interesse seiner
Mitglieder liegt. Der Beschwerdegegner verfolgt demnach in erster
Linie einen Selbsthilfezweck. Demzufolge kann er nach Massgabe
der in Erw. 2.2.1. zitierten Rechtsprechung weder ganz noch teil-
weise wegen Verfolgung öffentlicher Zwecke gemäss Art. 56 lit. g
DBG von der Steuerpflicht befreit werden.
2014
Kantonale Steuern
81
2.4.
Gemeinnützigkeit setzt voraus, dass die Tätigkeit der juristi-
schen Person im Interesse der Allgemeinheit liegt und dass dem Wir-
ken uneigennützige Motive zugrunde liegen (G
RETER
, Kommentar
DBG, Art. 56 N 29). Die Tätigkeit muss somit aus selbstlosen,
altruistischen Motiven erbracht werden. Das subjektive Element der
Uneigennützigkeit verlangt, dass mit der gemeinnützigen Zweckset-
zung nicht Erwerbszwecke oder sonst eigene unmittelbare (wirt-
schaftliche oder persönliche) Interessen der juristischen Person oder
ihrer Mitglieder verknüpft sind. Uneigennützigkeit im steuerrechtli-
chen Sinne ist nicht gegeben, wenn ausschliesslich oder neben
gemeinnützigen Zielen unmittelbare Eigeninteressen der juristischen
Person oder Sonderinteressen ihrer Mitglieder verfolgt werden
(G
RETER
, Kommentar DBG, Art. 56 N 31 f.; K
USTER
, a.a.O.,
S. 204 f.).
Wegen überwiegender Verfolgung eines Selbsthilfezwecks
(Sonderinteressen seiner Mitglieder) kann der Beschwerdegegner
auch nicht wegen Gemeinnützigkeit i.S.v. Art. 56 lit. g DBG von der
Steuerpflicht befreit werden.
2.5.
2.5.1.
Eine Steuerbefreiung juristischer Personen, die öffentliche oder
gemeinnützige Zwecke verfolgen, kann nach Art. 56 lit. g DBG nur
erfolgen für den Gewinn, der ausschliesslich und unwiderruflich die-
sen Zwecken gewidmet ist. Somit muss insbesondere die Mittelver-
wendung ausschliesslich auf die öffentliche Aufgabe oder das Wohl
Dritter ausgerichtet sein, und die der Zweckbindung gewidmeten
Mittel müssen unwiderruflich steuerbefreiten Zwecken verhaftet sein
(Urteil des Bundesgerichts vom 16. August 2013 [2C_143/2013 und
2C_144/2013], Erw. 3.3 und 4.2). Entgegen der Auffassung des Be-
schwerdegegners ist es daher nicht überspitzt formalistisch, für die
Steuerbefreiung einer juristischen Person zu verlangen, dass ein
allfälliges Liquidationsergebnis einer steuerbefreiten juristischen
Person mit öffentlichem bzw. gemeinnützigem Zweck zukommen
soll.
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
82
2.5.2.
In § 31 Abs. 3 der Statuten des Beschwerdegegners vom 28. Juli
2011 wird bestimmt, dass im Fall einer Liquidation die Mitglieder-
versammlung über die konkrete Verwendung eines allfälligen
Aktivenüberschusses entscheidet, wobei das vorhandene Vermögen
an eine andere Organisation mit gemeinnützigem und/oder öffentli-
chem Zweck mit ähnlicher Zielsetzung zu übertragen ist. Eine unwi-
derrufliche Zuwendung des Liquidationsergebnisses an eine steuer-
befreite Institution mit öffentlichem oder gemeinnützigem Zweck ist
mit dieser statutarischen Bestimmung nicht gewährleistet. Eine
Steuerbefreiung kann dem Beschwerdegegner folglich auch aus die-
sem Grund nicht gewährt werden.
2.6.
Demnach erfüllt der Beschwerdegegner die Voraussetzungen
für eine Steuerbefreiung wegen Verfolgung öffentlicher oder gemein-
nütziger Zwecke gemäss Art. 56 lit. g DBG nicht. In Bezug auf die
direkte Bundessteuer ist die Beschwerde deshalb gutzuheissen.
3.
§ 14 Abs. 1 lit. c StG entspricht Art. 23 Abs. 1 lit. f StHG. Die-
ser stimmt - abgesehen davon, dass sich die Steuerbefreiung im
kantonalen Recht nicht nur auf den Gewinn, sondern auch auf das
Kapital der juristischen Person erstreckt - mit Art. 56 lit. g DBG
überein. Daraus folgt, dass die Erwägungen zur direkten Bundes-
steuer für die Kantons- und Gemeindesteuer analog massgebend sind
(Urteil des Bundesgerichts vom 16. August 2013 [2C_143/2013 bzw.
2C_144/2013], Erw. 6.1). Für die Kantons- und Gemeindesteuer
ergibt sich mithin dasselbe Ergebnis wie bei der direkten Bundes-
steuer.
Somit erweist sich die Beschwerde des KStA hinsichtlich der
Kantons- und Gemeindesteuern gleichermassen als begründet und ist
ebenfalls gutzuheissen. Das Urteil des Spezialverwaltungsgerichts,
Abteilung Steuern, vom 25. April 2013 ist demzufolge vollumfäng-
lich aufzuheben. | 3,646 | 2,991 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-9_2014-01-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-9.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-9.pdf | AGVE_2014_9 | null | nan |
ece398c3-a5f9-52ab-a259-7a099f6c9de7 | 1 | 412 | 871,976 | 1,243,814,400,000 | 2,009 | de | 2009
Verwaltungsgericht
280
[...]
52
Entzug des Führerausweises; vorsorglicher Sicherungsentzug
-
Kostenregelung gemäss Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 4. De-
zember 2007 bei Gegenstandslosigkeit eines Verfahrens betreffend
vorsorglicher Sicherungsentzug des Führerausweises.
-
Es ist sachgerecht darauf abzustellen, wer das Verwaltungs- und Be-
schwerdeverfahren veranlasst hat (summarische Prüfung), und in
welchem Stadium (vor welcher Instanz) das Verfahren gegenstands-
los geworden ist, wobei sich für das Verfahren vor dieser Instanz eine
pauschale Kostenaufteilung aufdrängt, während der Kostenentscheid
der Vorinstanz nicht zu korrigieren ist (Bestätigung der Rechtspre-
chung, vgl. AGVE 1998, S. 160 ff.).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. Juni 2009 in Sa-
chen C.I. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres
(WBE.2009.151).
Sachverhalt
Das Strassenverkehrsamt hatte C.I. den Führerausweis wegen
der Gefahr einer Trunksucht vorsorglich entzogen und eine fachärzt-
liche Begutachtung in Auftrag gegeben. Nachdem die Vorinstanz
eine dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen hatte und in der
Folge das Verfahren beim Verwaltungsgericht hängig war, hob das
Strassenverkehrsamt die angefochtene Verfügung gestützt auf das in-
zwischen vorliegende Gutachten mit sofortiger Wirkung auf.
2009
Verwaltungsrechtspflege
281
Aus den Erwägungen
11.
Nachdem das Strassenverkehrsamt (...) den (...) vorsorglichen
Entzug des Führerausweises zur Abklärung der Fahreignung betref-
fend einer allfälligen Trunksucht mit sofortiger Wirkung aufgehoben
hat, ist das vorliegende Beschwerdeverfahren als gegenstandslos ge-
worden von der Geschäftskontrolle abzuschreiben.
12.
12.1.
Im Beschwerdeverfahren werden die Verfahrenskosten in der
Regel nach Massgabe des Unterliegens und Obsiegens auf die Par-
teien verlegt. Wer sein Rechtsmittel zurückzieht oder auf andere
Weise dafür sorgt, dass das Verfahren gegenstandslos wird, gilt als
unterliegende Partei. Wird ein Verfahren ohne Zutun einer Partei ge-
genstandslos, sind die Verfahrenskosten nach den abgeschätzten
Prozessaussichten zu verlegen oder aus Billigkeitsgründen ganz oder
teilweise dem Gemeinwesen zu belasten (§ 31 Abs. 2 und 3 des auf
den 1. Januar 2009 in Kraft getretenen VRPG vom 4. Dezember
2007). Das selbe gilt für die Parteikostenverlegung (§ 32 Abs. 2 und
3 VRPG).
12.2.
Das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid IV/24 vom
20. Oktober 1998 in Sachen B. S. [WBE.1998.261] - teilweise publi-
ziert in AGVE 1998, S. 160 ff. - noch unter Geltung des Verwal-
tungsrechtspflegegesetzes vom 9. Juli 1968 (aVRPG), welches sich
nicht ausdrücklich über die Frage der Verfahrenskosten und der Par-
teientschädigung in Verfahren ohne Sachentscheid ausgedrückt hatte,
festgehalten, dass in Verfahren betreffend vorsorglicher Führeraus-
weisentzug weder eine Kostenverteilung nach dem Ausgang des
Hauptverfahrens (Obsiegen/Unterliegen) noch nach dem Verursa-
cherprinzip gerechtfertigt sei. Zur Begründung führte das Verwal-
tungsgericht im erwähnten Entscheid an, dass die Gegenstandslosig-
keit des Verfahrens in solchen Fällen regelmässig dadurch verursacht
werde, dass die angeordnete Abklärung der Fahrtauglichkeit als Vor-
aussetzung für den Hauptentscheid durchgeführt worden sei und die
2009
Verwaltungsgericht
282
Verwaltungsbehörde den definitiven Entscheid über den Sicherungs-
entzug zu fällen habe. Die Massnahmen würden daher teilweise auch
durch die Durchführung der Abklärungen gegenstandslos. Weiter sei
auch der Zeitfaktor zu berücksichtigen; das Gutachten oder andere
Abklärungen und der Entscheid im Hauptverfahren könnten in ver-
schiedenen Stadien des Rechtsmittelverfahrens eintreffen oder einge-
hen. Das Verwaltungsgericht hielt deshalb fest, dass bei Verfahren
betreffend vorsorglicher Führerausweisentzug sachgerecht darauf ab-
zustellen sei, wer das Verwaltungs- und Beschwerdeverfahren veran-
lasst habe, und in welchem Stadium das Verfahren gegenstandslos
geworden sei. Unter dem Aspekt der Veranlassung des Verwaltungs-
verfahrens sei lediglich eine summarische Prüfung jener Umstände,
die zur Einleitung des gesamten Verfahrens betreffend Sicherungs-
entzug geführt haben, vorzunehmen. Bei der Frage des Zeitpunktes
sei darauf abzustellen, vor welcher Instanz das Verfahren gegen-
standslos geworden sei. Für das Verfahren vor dieser Instanz dränge
sich eine pauschale Kostenaufteilung auf, während der Kostenent-
scheid der Vorinstanz nicht zu korrigieren sei, da diese im Be-
schwerdeverfahren bereits materiell entschieden habe. Aus diesem
Grund müsse es bei der Kostenauflage im Beschwerdeentscheid sein
Bewenden haben; dieses Ergebnis sei der zeitlichen Abfolge und der
Pflicht der Verwaltung, mit dem Eintreffen des Gutachtens in der
Hauptsache zu entscheiden, angemessen. Aufgrund dieser Erwägun-
gen nahm deshalb das Verwaltungsgericht in jenem konkreten Fall
für das verwaltungsgerichtliche Verfahren (in welchem die Gegen-
standslosigkeit eintrat) eine pauschale Kostenaufteilung (Verfahrens-
kosten werden je zur Hälfte dem Beschwerdeführer und dem Staat
auferlegt; die Parteikosten werden dem Beschwerdeführer zur Hälfte
ersetzt) vor. Der Kostenentscheid des Departements Volkswirtschaft
und Inneres (vollumfängliche Auferlegung der Verfahrenskosten;
keine Ausrichtung einer Parteientschädigung) wurde hingegen vom
Verwaltungsgericht bestätigt (erwähnter VGE, S. 11).
13.
Eine summarische Prüfung der Umstände, die zur Einleitung
des vorliegenden Verfahrens betreffend Sicherungsentzug geführt ha-
ben, ergibt, dass der Beschwerdeführer durch sein eigenes Verhalten
2009
Verwaltungsrechtspflege
283
- (...) seit 1983 sieben Führerausweisentzüge, wovon fünf in Zusam-
menhang mit Alkohol standen; wiederum zwei davon waren definiti-
ve Sicherungsentzüge wegen Alkoholismus - Anlass für die Einlei-
tung des Verfahrens gegeben hat, da zahlreiche Verdachtsmomente
bestanden, wonach eine die Fahreignung ausschliessende Trunksucht
des Beschwerdeführers nicht ausgeschlossen werden konnte. In die-
sem Sinne standen die Prozessaussichten im Zeitpunkt des Erlasses
der Verfügung betreffend vorsorglicher Entzug ebenso wie bei Ein-
reichung der Beschwerde an die Vorinstanz und bei Einreichung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schlecht. Dementsprechend hat die
Vorinstanz materiell entschieden und die Beschwerde abgewiesen.
Diese abgeschätzten Prozessaussichten haben zur Folge, dass der
Kostenentscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres ([...]
vollumfängliche Auferlegung der Verfahrenskosten; keine Ausrich-
tung einer Parteientschädigung) nicht zu korrigieren ist. Weil das
Verfahren während der Rechtshängigkeit vor Verwaltungsgericht
gegenstandslos geworden ist und unter Berücksichtigung der in
AGVE 1998, S. 160 ff. beschriebenen Besonderheiten des Verfahrens
betreffend vorsorglicher Führerausweisentzug, rechtfertigt es sich je-
doch, dem Beschwerdeführer aus Billigkeitsgründen lediglich die
Hälfte der verwaltungsgerichtlichen Verfahrenskosten aufzuerlegen;
die restlichen Verfahrenskosten trägt der Staat. Dem Beschwer-
deführer ist die Hälfte der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
entstandenen Parteikosten zu ersetzen. | 1,507 | 1,165 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-52_2009-06-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-52.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-52.pdf | AGVE_2009_52 | null | nan |
ece808d7-7bda-58f4-a7b5-438c0fc22a9e | 1 | 412 | 870,342 | 946,684,800,000 | 2,000 | de | 2000
Verwaltungsgericht
388
[...]
89
Überprüfung eines kommunalen Überbauungsplans auf seine
Verfassungs- und Gesetzmässigkeit.
- Kognition des Verwaltungsgerichts bei der inzidenten Normen-
kontrolle (Erw. 2/b/aa).
- Begriff der erheblichen Änderung in Art. 21 Abs. 2 RPG
(Erw. 2/b/bb).
- Nichtanwendung eines kommunalen Baulinienplans wegen Wegfalls
des öffentlichen Interesses (Erw. 2/b/cc).
Vgl. AGVE 2000, S. 257, Nr. 64 | 123 | 103 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-89_2000 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-89.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-89.pdf | AGVE_2000_89 | null | nan |
ed0ae4ac-1b0f-5b35-afee-a2adab95133d | 1 | 412 | 869,856 | 1,551,571,200,000 | 2,019 | de | 2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
108
14
Stationäre automatische Verkehrsüberwachungsanlage ( Blitzer )
Von einer Gemeinde beabsichtigter Einsatz einer stationären automati-
schen Verkehrsüberwachungsanlage (AVÜ) auf einer Kantonsstrasse in-
nerorts; rechtliche Beurteilung unter besonderer Berücksichtigung der
Gemeindeautonomie.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. März
2019, in Sachen Stadt Baden gegen Regierungsrat (WBE.2018.70).
Aus den Erwägungen:
2.
2.1.
Die Vorinstanz prüfte, ob für die Nutzung der kantonalen Infra-
struktur eine kantonale Bewilligung erforderlich ist und gegebenen-
falls ob diese erteilt werden kann. Dass für den Einsatz der AVÜ die
kantonale Infrastruktur genutzt werden soll, trifft zunächst zu: Einer-
seits ist vorgesehen, dass die Überwachungs- und Kontrollgeräte der
Beschwerdeführerin an Bestandteilen der Kantonsstrasse (Signalträ-
ger) installiert werden (vgl. § 80 Abs. 2 lit. c BauG); andererseits sol-
len die Rotlichtmissachtungen ab dem Steuergerät der Lichtsignalan-
lage (der Kantonsstrasse) erfasst werden. Es erscheint daher nach-
vollziehbar, wenn mit Blick auf §§ 102 ff. BauG geprüft wurde, ob
eine kantonale Bewilligung erforderlich ist und gegebenenfalls ob
diese erteilt werden kann. Offen bleiben kann dabei, ob die AVÜ als
Bestandteil der öffentlichen Strasse zu qualifizieren ist (vgl. § 80
Abs. 2 BauG). Selbst wenn dem nämlich so wäre, müsste geprüft
werden, ob die Nutzung der kantonalen Infrastruktur durch die Be-
schwerdeführerin - welche nicht Eigentümerin der Kantonsstrasse ist
(vgl. § 81 Abs. 1 und 2 BauG) - einer kantonalen Bewilligung bedarf
und, falls ja, ob eine solche Bewilligung erteilt werden kann.
2.2.
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
109
Die Nutzung von öffentlichen Sachen richtet sich in erster Linie
nach kantonalem Recht. Dieses umschreibt insbesondere, in wel-
chem Rahmen und Ausmass öffentliche Sachen im Gemeingebrauch
genutzt werden dürfen und wie namentlich öffentlicher Grund von
der Allgemeinheit benützt werden darf. Dabei unterscheiden die kan-
tonalen Rechtsordnungen und die Praxis meist zwischen schlichtem
Gemeingebrauch, gesteigertem Gemeingebrauch und Sondernutzung.
Die Rechtsprechung und die Verwaltungsrechtswissenschaft haben
diese Einteilung konkretisiert (BGE 135 I 306 mit Hinweisen;
ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016, Rz. 2252 ff.;
PIERRE TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI/MARKUS MÜLLER, Allge-
meines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Bern 2014, § 51 N 1 ff.). Dies
ändert nichts am Umstand, dass insbesondere die Begriffe des
schlichten bzw. des gesteigerten Gemeingebrauchs kantonalrechtlich
bestimmt sind (BGE 135 I 306 f.).
Nach § 46 KV stellt der Kanton Vorschriften über die öffentli-
chen Sachen sowie über deren Gebrauch und Nutzung auf. Die
öffentlichen Strassen dürfen im Rahmen ihrer Zweckbestimmung,
ihrer Gestaltung, der örtlichen Verhältnisse und der geltenden Vor-
schriften durch jedermann unentgeltlich und ohne besondere Erlaub-
nis benutzt werden (Gemeingebrauch; § 102 Abs. 1 BauG). Jede über
den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung einer öffentlichen
Strasse ist nur mit Bewilligung und gegen Gebühr zulässig (bewilli-
gungspflichtige Benutzung; § 103 Abs. 1 BauG). Durch Erlaubnis
kann eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung einer
öffentlichen Strasse gestattet werden (Erlaubnis; § 104 Abs. 1
BauG). Durch Verleihung schliesslich werden Rechtsverhältnisse an
dauernden, fest mit dem Boden verbundene Bauten und Anlagen auf
dem Gebiet von Strassen geordnet (Verleihung; § 105 Abs. 1 BauG).
2.3.
2.3.1.
Zum Gemeingebrauch (§ 102 BauG) gehört die Benutzung
einer öffentlichen Strasse, soweit sie bestimmungsgemäss und ge-
meinverträglich ist. Ob der Gebrauch bestimmungsgemäss ist, muss
mit Blick auf die Zweckbestimmung der Sache beurteilt werden.
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
110
Diese Zweckbestimmung ergibt sich ihrerseits aufgrund einer Wid-
mung, aufgrund der natürlich gegebenen oder menschlich gestalteten
Beschaffenheit oder aufgrund des traditionellen Gebrauchs der
Sache. Die Gemeinverträglichkeit ist solange gegeben, als die
gleichartige und gleichzeitige Benutzung der Sache durch mehrere
interessierte Personen praktisch möglich ist, einzelne Interessierte
mithin nicht erheblich an der Nutzung gehindert werden (vgl. BGE
135 I 307; zum Ganzen: TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O.,
§ 51 N 3 ff.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 2253 ff.;
ANDREAS BAUMANN, in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons
Aargau, Bern 2013 [nachfolgend: Kommentar Baugesetz], § 102
N 2).
Der Gemeingebrauch erstreckt sich bei der öffentlichen Strasse
auf alle Bestandteile, die dem entsprechenden Verkehr zu dienen be-
stimmt sind, d.h. auf die eigentlichen Verkehrsflächen (Fahrbahnen,
Rad- und Gehwege, Kreuzungen, Über- und Unterführungen, Brü-
cken, Tunnels, Treppen), nicht aber auf Bestandteile wie Böschun-
gen, Dämme, Gräben, Stützmauern, Trenn- und Sicherheitsstreifen,
Grünstreifen, Bepflanzungen etc. (vgl. ERICH ZIMMERLIN, Baugesetz
des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, Kommentar, 2. Auflage,
Aarau 1985, § 49 N 4; BAUMANN, Kommentar Baugesetz, § 102
N 9). Notwendigerweise erstreckt sich der Gemeingebrauch auch auf
den Luftraum über den Verkehrsflächen, soweit er in Anspruch ge-
nommen werden muss (ZIMMERLIN, a.a.O., § 49 N 4; BAUMANN,
Kommentar Baugesetz, § 102 N 9).
2.3.2.
Vorliegend sollen - wie dargelegt (Erw. 2.1) - die Signalträger
als Bestandteile der Kantonsstrasse zur Installation der Überwa-
chungs- und Kontrollgeräte sowie der Anschluss / die Schnittstelle
zum Steuergerät der Lichtsignalanlage genutzt bzw. beansprucht
werden. Weder die Signalträger noch der Anschluss / die Schnitt-
stelle zum Steuergerät der Lichtsignalanlage bezwecken indes, von
jedermann unentgeltlich und ohne besondere Erlaubnis benutzt zu
werden. Ein Anwendungsfall von § 102 BauG fällt schon aus diesem
Grund ausser Betracht. Abgesehen davon spricht auch die fixe Instal-
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
111
lation von neuen, zusätzlichen Geräten (namentlich an den Signal-
trägern) gegen (schlichten) Gemeingebrauch.
2.4.
2.4.1.
Gehen Benutzungen öffentlicher Sachen über den Gemeinge-
brauch hinaus, so unterscheiden Lehre und Praxis zwischen gestei-
gertem Gemeingebrauch und Sondernutzung (vgl. Erw. 2.2). Da es
aber oft schwierig ist, die Grenze zwischen diesen Benutzungsarten
zu ziehen, wurde im Kanton Aargau darauf verzichtet, die Begriffe
gesteigerter Gemeingebrauch und Sondernutzung ins Gesetz auf-
zunehmen (vgl. ZIMMERLIN, a.a.O., §§ 50-53 N 2 [zum alten Bauge-
setz vom 2. Februar 1971]). Was über den Gemeingebrauch (§ 102
BauG) hinausgeht, fällt unter den Begriff der bewilligungspflich-
tigen Benutzung . Dabei geht es um Benutzungsarten, die der
blossen Erlaubnis bedürfen (§ 104 BauG), und um solche, die eine
Verleihung (Konzession) voraussetzen (§ 105 BauG) (vgl.
ZIMMERLIN, a.a.O., §§ 50-53 N 2).
Gemäss § 103 BauG ist jede über den Gemeingebrauch hinaus-
gehende Benutzung einer öffentlichen Strasse nur mit Bewilligung
und gegen Gebühr zulässig (Abs. 1). Die Bewilligung setzt voraus,
dass ein beachtliches, auf andere Weise nicht oder nur mit unverhält-
nismässigen Kosten zu befriedigendes Bedürfnis besteht und weder
für die Strasse noch für den Verkehr schwerwiegende Nachteile er-
wachsen (Abs. 2). Die Bewilligungspflicht dient nicht nur (oder nur
mittelbar) dem Schutz von Polizeigütern, sondern vielmehr der
Koordination und Prioritätensetzung zwischen verschiedenen
Nutzungen an öffentlichen Strassen und Wegen (vgl. BGE 135 I 307;
127 I 169; BAUMANN, Kommentar Baugesetz, § 103 N 5; HÄFE-
LIN
/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 2285).
2.4.2.
Die Vorinstanzen verweigerten die Bewilligung weder aus
Gründen der Koordination und Prioritätensetzung zwischen ver-
schiedenen Nutzungen an der öffentlichen Strasse noch mit der Be-
gründung, dass durch die Nutzung der kantonalen Infrastruktur - d.h.
durch die Installation der Überwachungs- und Kontrollgeräte am
Signalträger sowie dem Anschluss zum Steuergerät der Lichtsignal-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
112
anlage - für die Strasse oder den Verkehr schwerwiegende Nachteile
entstünden. Die Vorinstanz verweigerte die Bewilligung vielmehr aus
anderen Gründen, nämlich deshalb, weil ihrer Ansicht nach eine
AVÜ nur dann zum Einsatz gelangen solle, wenn der Bedarf durch
die Unfallstatistik und Unfallanalyse nachgewiesen und vom Ein-
satz der Anlage eine signifikante Verbesserung der Verkehrssicher-
heit zu erwarten sei, was vorliegend nicht der Fall sei. Die von der
Vorinstanz vorgenommene Beurteilung bzw. Begründung ist sach-
fremd, sie betrifft nicht die im Rahmen einer Bewilligung gemäss
§ 103 Abs. 2 BauG zu prüfenden Punkte (Erw. 2.4.1), sondern sie
bezieht sich auf die Frage, ob beim Knoten Gstühl aus verkehrs-
polizeilicher Sicht (ihrer Ansicht nach) eine AVÜ eingesetzt werden
soll oder nicht. Die Beurteilung dieser Frage fällt indes in den Auf-
gaben- und Autonomiebereich der Beschwerdeführerin (vgl. hinten
Erw. 3.2 und 3.3.1).
Dass die Beschwerdeführerin an der Nutzung der kantonalen
Infrastruktur ein beachtliches Bedürfnis hat, zeigt sich bereits darin,
dass die Überwachung und Kontrolle des fliessenden Strassenver-
kehrs beim Knoten Gstühl in den Aufgaben- und Autonomie-
bereich der Beschwerdeführerin fällt (Erw. 3.2 und 3.3.1). Weiter
liegt auf der Hand, dass eine konstante Kontrolle rund um die Uhr
nicht auf andere Weise bzw. nur mit unverhältnismässigen Kosten er-
reicht werden könnte: Es wäre nicht realistisch, mit einer mobilen
Kontrolle in vergleichbarer Weise konstant und gleichzeitig mehrere
Spuren überwachen zu wollen; dies umso mehr, als Rotlicht und Ge-
schwindigkeit kontrolliert werden müssten. Zudem wäre die mobile
Kontrolle auch mit unverhältnismässigen Kosten (namentlich Perso-
nalaufwand) verbunden. Dass ein beachtliches, auf andere Weise
nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten zu befriedigendes
Bedürfnis im Sinne von § 103 Abs. 2 BauG besteht, lässt sich bei
richtiger Betrachtung somit nicht abstreiten. Mit der Inanspruchnah-
me der kantonalen Infrastruktur erwachsen für die Strasse und den
Verkehr auch keine schwerwiegenden Nachteile (vgl. § 103 Abs. 2
BauG). Im Gegenteil, soll mit der AVÜ doch gerade die Verkehrs-
sicherheit erhöht werden (Standortdisziplinierung beim Knoten
Gstühl ).
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
113
Nach dem Gesagten sind die Voraussetzungen für die Erteilung
einer Bewilligung nach § 103 Abs. 2 BauG im Grundsatz somit er-
füllt. In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob der Einsatz einer
AVÜ auch in verkehrspolizeilicher Hinsicht zulässig ist.
3.
3.1.
Gemäss Art. 82 Abs. 1 BV erlässt der Bund Vorschriften über
den Strassenverkehr. Es steht ihm die umfassende Ge-
setzgebungskompetenz im Bereich der polizeilichen Verkehrsrege-
lung zu (BGE 127 I 69; Urteil des Bundesgerichts vom 14. Juni 2013
[6B_656/2012], Erw. 1.3.3). Der Vollzug der Strassengesetzgebung
obliegt den Kantonen, welche die dafür notwendigen Massnahmen
treffen und die zuständigen kantonalen Behörden bezeichnen
(Art. 106 Abs. 2 SVG; Urteil des Bundesgerichts vom 14. Juni 2013
[6B_656/2012], Erw. 1.3.3; Urteil des Bundesgerichts vom 25. Juli
2002 [2P.34/2002], Erw. 2.3). Der Bundesrat wird in Art. 106 Abs. 1
SVG ermächtigt, die zum Vollzug dieses Gesetzes notwendigen Vor-
schriften zu erlassen und das Bundesamt für Strassen (ASTRA) mit
der Regelung von Einzelheiten zu betrauen. An entsprechende Rege-
lungen, insbesondere an Vorschriften über technische Anforderungen
zur verkehrspolizeilichen Überwachungen, sind die Kantone gebun-
den (Urteil des Bundesgerichts vom 14. Juni 2013 [6B_656/2012],
Erw. 1.3.3). Die Verkehrskontrollen, die damit zusammenhängenden
Massnahmen, Meldungen und statistischen Erhebungen werden
durch die Verordnung über die Kontrolle des Strassenverkehrs vom
28. März 2007 (Strassenverkehrskontrollverordnung, SKV;
SR 741.013) geregelt (vgl. Art. 1 SKV). Die Kontrolle des Verkehrs
auf öffentlichen Strassen obliegt der nach kantonalem Recht zustän-
digen Polizei (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 SKV). Die kantonalen Behör-
den richten die Kontrollen schwerpunktmässig nach sicherheitsrele-
vantem Fehlverhalten, den Gefahrenstellen und der Unterstützung
des Verlagerungsziels nach dem Bundesgesetz über die Verlagerung
des alpenquerenden Güterschwerverkehrs von der Strasse auf die
Schiene vom 19. Dezember 2008 (Güterverkehrsverlagerungsgesetz,
GVVG; SR 740.1) aus (Art. 5 Abs. 1 SKV). Die Kontrollen erfolgen
stichprobenweise, systematisch oder im Rahmen von Grosskontrol-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
114
len (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 SKV). Nach Möglichkeit sind bei den Kon-
trollen technische Hilfsmittel einzusetzen, insbesondere bei der Kon-
trolle der Geschwindigkeit (Art. 9 Abs. 1 lit. a SKV) oder der Beach-
tung von Lichtsignalen (Art. 9 Abs. 1 lit. b SKV). Nach Art. 10 der
Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung
vom 22. Mai 2008 (VSKV-ASTRA; SR 741.013.1) dienen Rotlicht-
überwachungssysteme in erster Linie der Feststellung von Wider-
handlungen gegen das Haltegebot durch Lichtsignale (Abs. 1); sie
können mit Systemen zur Geschwindigkeitsmessung kombiniert
werden (Abs. 2). Bei den Messarten, welche bei der Durchführung
von Geschwindigkeitskontrollen in erster Linie zu wählen sind,
nennt Art. 6 VSKV-ASTRA u.a. explizit Messungen mit stationären
Messsystemen, die autonom betrieben werden (Art. 6 lit. b VSKV-
ASTRA).
3.2.
3.2.1.
Art. 50 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Mass-
gabe des kantonalen Rechts. Gemäss § 106 KV sind die Gemeinden
im Rahmen von Verfassung und Gesetz befugt, sich selbst zu organi-
sieren, ihre Behörden und Beamten zu wählen, ihre Aufgaben nach
eigenem Ermessen zu erfüllen und ihre öffentlichen Sachen selbst-
ständig zu verwalten. Nach der Praxis des Bundesgerichts sind Ge-
meinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht
diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise
der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr in diesem Bereich eine
relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (statt vieler: BGE
143 I 278; 142 I 180; 138 I 150; AGVE 2013, S. 269 f.; 2011,
S. 199 f.; 2003, S. 470; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O.,
Rz. 1910). Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Be-
fugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften be-
ziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung des
kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der
Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufga-
bengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus (vgl. BGE
142 I 180; 139 I 172 f.; 138 I 244 f.; 136 I 397). Im Einzelnen ergibt
sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den ent-
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
115
sprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Ge-
setzesrecht (BGE 142 I 180; 136 I 397 f.). Verfassung und Gesetz ,
die den Rahmen gemäss § 106 Abs. 1 KV abgeben, sind grossteils
kantonales Recht, können aber auch eidgenössisches, interkantonales
und internationales sein. Das der Kantonsverfassung nachgeordnete
kantonale Recht muss nicht ausschliesslich in Gesetzesform gegos-
sen sein; es gelten die üblichen Regeln der Rechtsetzungszuständig-
keiten, insbesondere § 78 (Grosser Rat: Gesetze; Dekrete) und § 91
KV (Regierungsrat: Entwürfe zu Verfassungsänderungen, Gesetzen
und Dekreten; Verordnungen) (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfas-
sung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar,
Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1986, § 106 N 4).
3.2.2.
Nach § 27 KV gewährleisten Kanton und Gemeinden die
öffentliche Ordnung und Sicherheit. Sie schützen insbesondere Le-
ben, Freiheit, Gesundheit und Sittlichkeit, wobei der Polizeigüter-
schutz zu den klassischen Aufgaben der Gemeinden gehört
(AGVE 2003, S. 453; ANDREAS BAUMANN, Aargauisches Polizeige-
setz, Praxiskommentar, Zürich/Basel/Genf 2006 [nachfolgend: Poli-
zeigesetz], Rz. 87; ANDREAS BAUMANN, Aargauisches Gemeinde-
recht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2017 [nachfolgend: Gemeinde-
recht], S. 287). Gestützt auf § 37 Abs. 2 lit. f GG obliegt dem Ge-
meinderat die Sorge für die lokale Sicherheit gemäss Polizeigesetz
sowie der Erlass eines entsprechenden Reglements. Das Gesetz über
die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vom 6. Dezember
2005 (Polizeigesetz, PolG; SAR 531.200) bestimmt in § 4 Abs. 1 so-
dann, dass die Gemeinden (nach Massgabe von § 19 PolG) die lokale
Sicherheit auf dem Gemeindegebiet gewährleisten. Die lokale
Sicherheit umfasst u.a. die Überwachung und Kontrolle des ruhenden
Strassenverkehrs auf dem ganzen Gemeindegebiet sowie des flies-
senden Strassenverkehrs innerorts und auf Gemeindestrassen ausser-
orts (§ 4 Abs. 2 lit. c PolG; vgl. auch AGVE 2013, S. 258 f.). In § 3
Abs. 1 lit. b des Dekrets über die Gewährleistung der öffentlichen
Sicherheit vom 6. Dezember 2005 (Polizeidekret, PolD;
SAR 531.210) wird abermals explizit festgehalten, dass die Überwa-
chung und Kontrolle des fliessenden Strassenverkehrs auf dem Ge-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
116
meindegebiet (ausgenommen Kantonsstrassen ausserorts) zu den
verkehrspolizeilichen Aufgaben der Gemeinden gehört.
Aus dem kantonalen Recht ergibt sich somit klar, dass die lo-
kale Sicherheit, namentlich die Überwachung und Kontrolle des
fliessenden Strassenverkehrs auf dem Gemeindegebiet (ausgenom-
men Kantonsstrassen ausserorts), in den Aufgabenbereich der Ge-
meinden fällt. Innerhalb der Schranken des höherrangigen Rechts
haben die kommunalen Behörden in diesem Bereich eine relativ er-
hebliche Entscheidungsfreiheit, d.h. sie geniessen Autonomie. § 2
Abs. 2 PolG sieht im Weiteren zwar vor, dass die Kantonspolizei die
Führungsfunktion bei der allgemeinen Polizeitätigkeit im Kanton
wahrnimmt und Weisungen zur Sicherstellung der Koordination und
der einheitlichen Praxis der Polizeitätigkeit erlassen kann. Und § 1
Abs. 2 PolD hält fest, dass die Kantonspolizei eine einheitliche Ein-
satzdoktrin aller Polizeikräfte sicherstellt. Blosse Weisungen
und/oder eine Einsatzdoktrin der Kantonspolizei vermögen jedoch
die sich aus dem kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht erge-
bende Gemeindeautonomie (siehe Erw. 3.2.1) nicht zu beschränken.
3.3.
3.3.1.
Der Knoten Gstühl liegt an der Kantonsstrasse K 117 im
Innerortsbereich, womit die Überwachung und Kontrolle der Einhal-
tung der Lichtsignale sowie der Geschwindigkeit an diesem Ort in
den Autonomiebereich der Gemeinde, d.h. der Beschwerdeführerin,
fällt. Nach der bundesrechtlichen Vorgabe von Art. 5 Abs. 1 SKV
haben sich die Kontrollen schwerpunktmässig nach sicherheitsrele-
vantem Fehlverhalten und den Gefahrenstellen (und der Unter-
stützung des Verlagerungsziels nach dem GVVG) auszurichten. Die
Kontrollen erfolgen stichprobenweise, systematisch oder im Rahmen
von Grosskontrollen (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 SKV). Gemäss Art. 9
Abs. 1 SKV sind bei den Kontrollen zudem nach Möglichkeit tech-
nische Hilfsmittel einzusetzen, insbesondere bei der Kontrolle der
Geschwindigkeit (lit. a) sowie der Beachtung von Lichtsignalen
(lit. b) (vgl. zum Ganzen bereits Erw. 3.1).
Auf den Knoten Gstühl treffen von vier Seiten neun Fahrspu-
ren, es hat vier Fussgängerstreifen mit je einer Mittelinsel und über
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
117
die Kreuzung führt auch der Veloverkehr. Im Jahre 1994 wurde nörd-
lich des Knotens Gstühl (auf der Bruggerstrasse) ein durchschnitt-
licher täglicher Verkehr (DTV) von 25'300 gemessen, wobei die
Vorinstanz darauf hinweist, dass die Strassenbelastung (seit 1994)
grundsätzlich zugenommen habe. Von einem wenig befahrenen
Knoten kann insoweit keine Rede sein. Eine Erhebung der Rotlicht-
verstösse motorisierter Verkehrsteilnehmer beim Knoten Gstühl
ergab sodann, dass an den drei kontrollierten Tagen - die Lichtsig-
nalanlagen waren während insgesamt 55 Stunden in ordentlichem
Betrieb - das Rotlicht 621-mal missachtet wurde, davon 473-mal in
den Hauptfahrtrichtungen. 10 % der Rotlichtübertretungen waren
von einer Dauer von mehr als 2 Sekunden, was selbst nach Darstel-
lung der Vorinstanz zu einem direkten Konflikt mit andern Verkehrs-
strömen führen könne. Auf der Bruggerstrasse ist - so die Beschwer-
deführerin - zudem von rund 100 bis 200 Geschwin-
digkeitsübertretungen pro Tag auszugehen. Unbestritten ist weiter,
dass es beim Knoten Gstühl seit dem Jahr 2011 zu verschiedenen
Unfällen gekommen ist. Die Antwort des Regierungsrats vom
5. April 2017 auf die Motion Martin Keller (betreffend Verhinderung
von Radarfallen auf Kantonsstrassen; Grosser Rat, Ges.-Nr. 17.18)
spricht - unter Hinweis auf die Unfallstatistik - z.B. von zwölf poli-
zeilich registrierten Unfällen an der Gstühl -Kreuzung zwischen
1. Januar 2012 und 30. Juni 2016 (S. 2). Die Unfallkarte des ASTRA
weist zwischen April 2011 und September 2017 neun Unfälle mit
Personenschäden (Leichtverletzte) beim bzw. im näheren Bereich des
Knotens aus (Karte abrufbar: https://www.astra.ad-
min.ch/astra/de/home/dokumentation/unfalldaten.html [Seite besucht
am 27. März 2019]); Unfälle mit blossen Sachschäden sind in dieser
Karte (soweit ersichtlich) nicht eingetragen.
Dass die Beschwerdeführerin vor diesem Hintergrund eine AVÜ
einsetzen will, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, ist unter Be-
achtung der rechtlichen Vorgaben - namentlich des relativ erheb-
lichen Entscheidungsspielraums der Beschwerdeführerin (Gemein-
deautonomie) - nicht zu beanstanden: Es sprengt den Spielraum der
Beschwerdeführerin jedenfalls nicht, wenn sie die Rotlichtmissach-
tungen und die Geschwindigkeitsüberschreitungen beim Knoten
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
118
Gstühl als sicherheitsrelevantes Fehlverhalten und den Knoten als
Gefahrenstelle einstuft und eine (systematische) stationäre Kontrolle
als erforderlich erachtet (vgl. Art. 5 Abs. 1 und 2 SKV). Ob die in
den letzten Jahren verzeichneten Unfälle beim Knoten Gstühl mit
einer AVÜ mutmasslich verhindert worden wären, ist letztlich nicht
entscheidend (und wäre teilweise wohl auch spekulativ). Es ent-
spricht jedoch den gesetzlichen Vorgaben, wenn die für die Gewähr-
leistung der lokalen Sicherheit zuständige Beschwerdeführerin (bzw.
der Stadtrat) präventiv - im Sinne einer Standortdisziplinierung - das
Risiko vermindern will, dass es beim Knoten Gstühl wegen Rot-
lichtmissachtungen und Geschwindigkeitsüberschreitungen zu ge-
fährlichen Situationen bzw. Unfällen kommt. Standorte von stationä-
ren Kontrollanlagen sind erfahrungsgemäss relativ schnell bekannt,
weshalb schon dieses Wissen allein disziplinierende Wirkung haben
dürfte. Der Stadtrat rechnet z.B. mit einer Verbesserung der Rot-
lichtmissachtungen von 95 % und bei den Geschwindigkeitsüber-
schreitungen dürfte sich ebenfalls eine Verbesserung ergeben. Mit
mobilen Rotlicht- und Geschwindigkeitskontrollen könnte das ver-
folgte Ziel beim Knoten Gstühl im Übrigen nicht gleichwertig er-
reicht werden. Mobile Kontrollen werden nur sporadisch und wäh-
rend ein paar Stunden durchgeführt. Mit einer AVÜ kann dagegen
sichergestellt werden, dass der Knoten konstant, d.h. rund um
die Uhr, überwacht und kontrolliert wird. Ob hinter dem geplanten
Einsatz einer AVÜ teilweise auch fiskalische Motive eine Rolle spie-
len, ist mit Blick auf die Vorgeschichte zwar nicht auszuschliessen,
ändert am ausgewiesenen öffentlichen Interesse an der Erhöhung der
Verkehrssicherheit beim Knoten Gstühl (Standortdisziplinierung)
jedoch nichts. Abgesehen davon sind allfällige finanzielle Interessen
ohnehin zu relativieren, da Standorte von stationären Kontrollanla-
gen - wie dargelegt - relativ schnell bekannt sind und die Anzahl
Verfehlungen entsprechend abnehmen dürfte. Von selbst ergibt sich
im Übrigen, dass das mit der AVÜ verfolgte öffentliche Interesse an
der Erhöhung der Verkehrssicherheit (Standortdisziplinierung) höher
wiegt als das private Interesse der fehlbaren Verkehrslenker, einer
Ordnungsbusse bzw. Strafverfolgung zu entgehen.
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
119
Der von der Beschwerdeführerin geplante Einsatz einer AVÜ
beim Knoten Gstühl ist somit auch in verkehrspolizeilicher Hin-
sicht zulässig, d.h. mit den massgeblichen gesetzlichen Vorgaben
vereinbar.
3.3.2.
Der aktenkundige Dienstbefehl 216 Policy für die Durchfüh-
rung von Geschwindigkeitskontrollen der Kantonspolizei (letzte
Änderung: 01.04.2017 [nachfolgend: Dienstbefehl 216]) ändert an
diesem Ergebnis im Übrigen nichts. Blosse Weisungen und/oder die
Einsatzdoktrin der Kantonspolizei (vgl. § 2 Abs. 2 PolG; § 1 Abs. 2
PolD) vermögen die Gemeindeautonomie nicht zu beschränken (vgl.
Erw. 3.2.2). (...)
4.
Soweit die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid unter Bezug-
nahme auf die Beantwortung der Motion Keller festhielt, eine AVÜ
solle nur dann zum Einsatz gelangen, wenn der Bedarf durch die Un-
fallstatistik und Unfallanalyse nachgewiesen sei und vom Einsatz der
Anlage eine signifikante Verbesserung der Verkehrssicherheit zu er-
warten sei, ist darauf hinzuweisen, dass dies zwar die Meinung des
Regierungsrats ist, dies jedoch gesetzlich so nicht ausdrücklich ver-
ankert ist und von der Beschwerdeführerin in ihrem Autono-
miebereich nicht mitgetragen werden muss (siehe Erw. 3.2). Wollte
man solches im Zuständigkeitsbereich der Gemeinden erreichen,
müsste eine stufengerechte und klare gesetzliche Grundlage geschaf-
fen werden.
Keiner vertieften Erwägungen bedarf es sodann zu den Ausfüh-
rungen im Zusammenhang mit dem disziplinarischen Nutzen von
fest installierten Blitzern , zumal selbst die Vorinstanz diesen Nutzen
im Bereich des jeweiligen Standorts bejaht und es vorliegend gerade
um die Erhöhung der Verkehrssicherheit konkret beim Knoten
Gstühl geht (Standortdisziplinierung).
Nicht gefolgt werden kann schliesslich den Ausführungen der
Vorinstanz betreffend Gemeindeautonomie. Die Vorinstanz erwog, es
könne keine Rede davon sein, dass das kantonale Recht die Nutzung
und den Gebrauch der Kantonsstrasse nicht regle und der Beschwer-
deführerin in diesem Bereich Autonomie zukomme. Die Beschwer-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
120
deführerin machte dies jedoch gar nicht so geltend. Sie berief sich
vielmehr bereits vor Vorinstanz darauf, dass für die Überwachung
und Kontrolle des fliessenden Strassenverkehrs innerorts einzig die
Gemeinde zuständig sei. Damit müsse es auch den Gemeinden über-
lassen werden, auf welche Art und Weise sie diese verkehrspolizeili-
chen Aufgaben gemäss PolG und PolD erfüllen möchten, zumal kei-
ne gesetzliche Regelung ersichtlich sei, die den Handlungsspielraum
der Gemeinden rechtmässig einschränke. Indem der Kanton die Be-
willigung zur Nutzung der Signalanlage verweigere, schränke er den
Handlungsspielraum der Gemeinde ein. Damit schreibe der Kanton
den Gemeinden indirekt vor, wie sie ihre verkehrspolizeilichen Auf-
gaben wahrnehmen müssten und greife in den Zuständigkeitsbereich
der Gemeinde ein. Die Einschränkung des Handlungsspielraums der
Beschwerdeführerin stelle eine Verletzung der Gemeindeautonomie
dar. Mit dieser Argumentation setzte sich die Vorinstanz nicht aus-
einander. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, ist im Übrigen
auch die pauschale Behauptung der Vorinstanz unzutreffend, wonach
die Bestimmungen des Baugesetzes betreffend öffentliche Sachen
dem § 4 Abs. 2 lit. c PolG offensichtlich vorgingen.
5.
Zusammenfassend ist die Beschwerde gutzuheissen. Die
Voraussetzungen für den Einsatz einer AVÜ sowie die Erteilung einer
Bewilligung nach § 103 Abs. 2 BauG sind erfüllt, weshalb der Be-
schwerdeführerin zu erlauben ist, die kantonale Infrastruktur für die
Installation einer AVÜ auf der Kantonsstrasse K 117 beim Knoten
Gstühl zu nutzen. Mit andern Worten sind die Signalträger für die
Installation der Überwachungs- und Kontrollgeräte freizugeben, und
der Zugang zum Steuergerät der Lichtsignalanlage zur Phasen-
abnahme ist zu gewähren. Die Sache ist zur Erteilung einer entspre-
chenden Bewilligung an das BVU zurückzuweisen. Das BVU wird
zu entscheiden haben, ob dies in Form einer Erlaubnis oder einer
Verleihung zu erfolgen hat (§ 104 bzw. § 105 BauG, § 59 BauV). | 6,553 | 5,137 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-14_2019-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-14.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-14.pdf | AGVE_2019_14 | null | nan |
ed527590-a18e-5ca3-be4d-a86ecfe2da12 | 1 | 412 | 870,356 | 1,225,670,400,000 | 2,008 | de | 2008
Submissionen
191
[...]
33 Einladungsverfahren;
Beschwerdelegitimation.
-
In einem Einladungsverfahren ist die Vergabestelle berechtigt, nur
Anbietende eines bestimmten Produkts einzuladen. Eine Unterak-
kordantin, die das Produkt nicht anbietet, gehört nicht zu den po-
tentiellen Anbietern und ist deshalb nicht befugt, den Inhalt der Sub-
missionsunterlagen als diskriminierend anzufechten.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 25. November 2008 in
Sachen E. GmbH gegen die Einwohnergemeinde Z. (WBE.2008.298).
2008
Verwaltungsgericht
192
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
2.1.1.
Verfügungen und Entscheide kann jedermann durch Beschwer-
de anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse geltend macht
(§ 23 SubmD i.V.m. § 38 Abs. 1 VRPG). Der Rechtsschutz im
öffentlichen Beschaffungswesen hat zum Zweck, dass die Anbie-
tenden gegen vermutete Verletzungen von Submissionsvorschriften
im Zusammenhang mit Beschaffungen, an denen sie ein Interesse
haben oder gehabt haben, sollen Beschwerde führen können (AGVE
1998, S. 352). Zur Beschwerde legitimiert ist daher insbesondere ein
Anbieter, dessen Offerte für den Zuschlag nicht berücksichtigt wurde
oder der vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde. Unter Um-
ständen können auch Dritte zur Beschwerdeführung legitimiert sein.
Damit ihnen ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis zukommt,
müssen sie durch die streitige Anordnung jedoch
unmittelbar berührt
sein
und
eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache
haben. Dies
ist z.B. dann nicht der Fall, wenn ein interessierter Dritter den Verga-
beentscheid zugunsten eines Verfügungsadressaten anfechten will.
Akzeptieren die am Verfahren beteiligten Konkurrenten die Vergabe
an einen anderen Anbieter, so können Dritte - z.B. Arbeitnehmer
oder Lieferanten als Vertragspartner der übergangenen Bewerber -
kein eigenes Beschwerderecht haben (BGE vom 8.
Juni 2001
[2P.42/2001], Erw. 2e/bb, in: Zentralblatt für Staats- und Verwal-
tungsrecht [ZBl] 2002, S. 146 ff.; Peter Galli / André Moser /
Elisabeth Lang / Evelyne Clerc, Praxis des öffentlichen Beschaf-
fungsrechts, 1. Band, 2.
Auflage, Zürich / Basel / Genf 2007,
Rz. 861).
2.1.2.
Wird ein Auftrag freihändig oder im Einladungsverfahren ver-
geben, so sind - wie bereits angetönt - auch nicht angefragte Dritte,
d.h. alle möglichen Anbieter, insoweit zur Beschwerde legitimiert,
2008
Submissionen
193
als sie geltend machen, die Durchführung des vorgeschriebenen Ver-
fahrens sei zu Unrecht unterblieben. Ein Anbieter ist in einem sol-
chen Fall der unterlassenen Durchführung eines an sich vorge-
schriebenen Vergabeverfahrens dann zur Beschwerdeführung legiti-
miert, wenn er am Auftrag interessiert ist und dem Kreis der poten-
tiellen Anbieter zugerechnet werden kann (BGE vom 2. März 2000
[2P.282/1999], Erw. 1b; vgl. auch AGVE 2003, S. 241 f. mit Hin-
weisen). Bejaht hat das Verwaltungsgericht sodann die Legitimation
einer Beschwerdeführerin, die offensichtlich zum Kreis der für eine
Einladung in Frage kommenden Anbieter zählte und geltend machte,
ihre Nichtberücksichtigung für das Einladungsverfahren stelle eine
klare Diskriminierung dar (AGVE 2003, S. 241 f.).
2.2.
2.2.1.
Gegenstand des vorliegenden Einladungsverfahrens, dessen Zu-
lässigkeit als solches nicht in Frage gestellt ist, sind Baumeister-
arbeiten im Zusammenhang mit Hochwasserschutzmassnahmen. Die
Vergabestelle hat dafür acht Bauunternehmungen eingeladen. Bei der
Beschwerdeführerin handelt sich nicht um eine Bauunternehmung.
Sie stellt Betonartikel aller Art her, vertreibt solche und treibt ferner
Handel mit diesen. Namentlich handelt sie mit Betonrohren, die sie
unter dem Handelsnamen "A." vertreibt. Sie macht geltend, als Her-
stellerin und Lieferantin von Betonrohren sei sie an der vorliegend
angefochtenen Ausschreibung als potentielle Unterakkordantin inter-
essiert. Durch den Ausschluss von Betonrohren der Marke "A." und
die Vorschrift, es sei ausschliesslich das Konkurrenzprodukt "B." zu
verwenden, sei sie in ihren schutzwürdigen Interessen unmittelbar
betroffen. Werde ihr die Beschwerdebefugnis versagt, bedeute dies
eine nach dem Willen des Gesetzgebers unzulässige "Diskriminie-
rung zweiter Hand". Es dürfe nicht sein, dass die Vergabestelle den
zu einer Submission eingeladenen Bauunternehmern vorschreibe,
von welchem Lieferanten sie die Betonrohre zu beziehen hätten. Der
Wille des Gesetzgebers bliebe aber toter Buchstabe, wenn jenen An-
bietern von Rohren, die zu Unrecht als Lieferanten ausgeschlossen
würden, keine Möglichkeit zur Beschwerde zustehen sollte.
2008
Verwaltungsgericht
194
2.2.2.
Die Vergabebehörde ist der Auffassung, die Beschwerdelegiti-
mation der Beschwerdeführerin sei zu verneinen, da die spezifische
Nähe des Zulieferers zur Streitsache nicht gegeben sei.
2.2.3.
Die Beschwerdeführerin ist weder Adressatin der Einladung
noch kommt sie als Anbieterin für die zu vergebenden Baumeister-
arbeiten in Betracht. Insofern kann sie aus der unter Erw. 2.1.2. hier-
vor dargestellten Rechtsprechung, welche sich auf potentielle, d.h.
für eine Einladung in Frage kommende Anbieter der nachgefragten
Leistungen bezieht, nichts zu ihren Gunsten ableiten.
Im Rahmen eines Einladungsverfahrens ist die Vergabestelle
berechtigt, frei zu bestimmen, wen sie zur Einreichung eines Ange-
bots auffordern will; sie muss, sofern möglich, mindestens drei An-
gebote einholen (vgl. § 7 Abs. 3 SubmD; ferner AGVE 2003, S. 243
mit Hinweis). Einen Anspruch auf Teilnahme besitzt niemand unter
den potentiellen Anbietenden. Die Vergabestelle ist auch nicht ver-
pflichtet, die Gründe zu nennen, warum sie eine bestimmte Anbiete-
rin eingeladen bzw. nicht eingeladen hat (vgl. Galli / Moser / Lang /
Clerc, a.a.O., Rz. 205). Beim Einladungsverfahren wird immer nur
eine sehr beschränkte Zahl der vorhandenen potentiellen und für den
Auftrag in Frage kommenden Anbietenden berücksichtigt. Der Be-
schränkung der Anzahl der Anbieter auf nur wenige ist gerade der
Sinn und Zweck dieses Verfahrens, insofern ist eine "Ungleichbe-
handlung" unvermeidbar (AGVE 2003, S. 243).
Als Konsequenz der gegebenen Wahlfreiheit bezüglich der
einzuladenden Anbietenden muss es der Vergabestelle grundsätzlich
auch freistehen, in Bezug auf den zu beschaffenden Leistungsgegen-
stand in einem wesentlich weitergehenden Ausmass einschränkende
Vorgaben, z.B. bezüglich technischer Spezifikationen und zu ve-
rwendender Produkte, zu machen als in einem Submissionsverfahren
mit öffentlicher Ausschreibung, d.h. mit offenen Anbieterkreis. In
einem offenen Verfahren sind genau definierte Produktevorgaben be-
züglich Hersteller und Modell grundsätzlich nicht zulässig; sie ver-
stossen gegen das Diskriminierungsverbot (vgl. dazu AGVE 1998,
S. 402 ff.; Galli / Moser / Lang / Clerc, a.a.O., Rz. 244). Es soll hier
2008
Submissionen
195
ein möglichst offener Wettbewerb gewährleistet sein. Demgegenüber
muss es in einem Einladungsverfahren zulässig sein, dass die Verga-
bestelle sich vorab für ein bestimmtes Produkt, Fabrikat, System,
eine bestimmte Marke oder eine bestimmte Ausführungsart entschei-
det (dies jedenfalls in jenen Fällen, in denen dafür mehrere Anbieter
auf dem Markt vorhanden sind) und - gestützt auf diesen Entscheid -
hernach nur solche Unternehmen zur Submission einlädt, von denen
sie weiss, dass sie diese Marke, dieses Produkt oder die gewählte
Ausführungsart anbieten bzw. anzubieten gewillt sind. In diesem Sin-
ne darf sie in den Submissionsunterlagen auch entsprechende Pro-
duktevorgaben machen, ohne sich den Vorwürfen der Diskriminie-
rung und Ungleichbehandlung auszusetzen. Einer Begründung bzw.
einer Rechtfertigung dafür bedarf es genauso wenig wie für den Ent-
scheid, welche Anbietenden für das Verfahren einzuladen sind. Mit
anderen Worten ist es in einem Einladungsverfahren zulässig, wenn
sich die Vergabestelle für das Produkt eines bestimmten Herstellers
entscheidet und dafür dann verschiedene Anbieter dieses Produkts
zur Offertstellung einlädt, um eine beschränkte Konkurrenzsituation
zu schaffen. Die Vergabestelle hat zwar die Pflicht, die
eingeladenen
Anbieter gleich zu behandeln, ihnen einen fairen Wettbewerb zu
gewährleisten und Diskriminierungen zu vermeiden (ansonsten wäre
das Schaffen einer beschränkten Konkurrenzsituation von vornherein
sinn- und nutzlos); keine solche Pflicht besteht gegenüber nicht ein-
geladenen Dritten. Zu den letzteren gehören sowohl Konkurrenz-
unternehmen, die andere Produkte etc. anbieten als diejenigen, für
deren Beschaffung sich die Vergabestelle entschieden hat, als auch
allfällige Zulieferer und andere Subunternehmer. Bei diesen Dritten
handelt es sich
nicht
um potentielle Anbieter oder potentielle Liefe-
ranten derjenigen Produkte oder Leistungen, für deren Beschaffung
sich die Vergabestelle im Rahmen des durchzuführenden Einladungs-
verfahrens entschieden hat. Insofern fehlt es diesen Dritten im (zuläs-
sigen) Einladungsverfahren von vornherein an der geforderten
Beziehungsnähe zur Streitsache bzw. am unmittelbaren Betroffen-
sein.
2008
Verwaltungsgericht
196
3.
Zusammenfassend steht damit fest, dass die Beschwerde-
führerin nicht zur Beschwerde legitimiert ist, da sie das Produkt, für
deren Verwendung sich die Vergabestelle entschieden hat (was im
Rahmen eines Einladungsverfahrens grundsätzlich möglich und
keine unzulässige Diskriminierung von Anbietenden bedeutet), nicht
herstellt und nicht anbietet. Damit gehört sie in Bezug auf das nach-
gefragte Produkt - konkret Betonrohre der Marke B. - nicht zum
Kreis der potentiellen Anbieter. Folglich fehlt es ihr für die An-
fechtung des Einladungsverfahrens an der notwendigen beachtens-
werten Beziehungsnähe zum Beschaffungsgegenstand, und sie ist als
bestenfalls mittelbar Betroffene nicht befugt, den Inhalt der Sub-
missionsunterlagen zu rügen.
(...) | 2,140 | 1,735 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-33_2008-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-33.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-33.pdf | AGVE_2008_33 | null | nan |
ee1d7f00-58ba-5047-9ccd-9855ffea261b | 1 | 412 | 870,527 | 941,587,200,000 | 1,999 | de | 2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
223
[...]
59
Wiederaufbau einer durch Brand zerstörten Baute ausserhalb der
Bauzonen (§ 70 Abs. 2 BauG).
- Die Fünfjahresfrist ist eine Verwirkungsfrist, die weder erstreckt noch
unterbrochen werden kann (Erw. 3/c/dd).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. November 1999 in
Sachen P. und W. gegen Regierungsrat.
Aus den Erwägungen
3. c) dd) Im vorliegenden Falle sind seit der Zerstörung der
Baute Ende 1988 und der Einreichung des Baugesuchs für die süd-
ostseitigen Anbauten im September 1996 mehr als acht Jahre ver-
gangen, weshalb die zeitliche Voraussetzung zur Geltendmachung
des Wiederaufbaurechts nicht erfüllt ist. Die Beschwerdeführerin
wendet hiegegen ein, bei der Fünfjahresfrist gemäss § 70 Abs. 2
BauG handle sich um eine Netto-Frist, d. h. der Fristenlauf werde
durch die Einreichung eines Baugesuchs unterbrochen und verlän-
gere sich - für den Fall der Nichtbewilligung - um die Behandlungs-
dauer des Baugesuchs; würde während dieser Zeitspanne die grund-
sätzliche Erlaubnis zum Wiederaufbau ablaufen, hätte es die Bewilli-
2000
Verwaltungsgericht
224
gungsbehörde in der Hand, nach Ablauf der Frist das Projekt abzu-
lehnen und damit dem Bauherrn, weil die Frist abgelaufen sei, jede
andere Baumöglichkeit zu nehmen. Die Beschwerdeführerin habe
vorliegendenfalls mehrere Projekte geplant und entsprechende Ge-
suche gestellt, die indessen allesamt abgelehnt worden seien. In der
Tat hatte P., der frühere Eigentümer der Parzelle Nr. 2388, bereits
anfangs Januar 1989 ein Baugesuch für den Wiederaufbau der zer-
störten Büroräumlichkeiten eingereicht. Während sowohl die Bauge-
suchszentrale als auch der Gemeinderat Villigen dem Wiederaufbau-
gesuch zustimmten, hiess der Regierungsrat mit Entscheid vom
14. Oktober 1991 (RRB Nr. 2573) die gegen den Wiederaufbau
gerichtete Beschwerde eines Nachbarn teilweise gut und bewilligte
dem Beschwerdeführer lediglich den Wiederaufbau eines ,,Aufent-
haltsraums mit WC" mit einer Grundfläche von 14 m
2
. Zur Begrün-
dung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus der Besitz-
standsgarantie - damals noch gemäss § 135 des Baugesetzes des
Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 (aBauG) - kein Anspruch auf
den Wiederaufbau der durch einen Brand zerstörten Baute herleiten
lasse. Das Verbot, das abgebrannte Büro als Ganzes wiederaufzu-
bauen, stelle für P. zudem auch keine unzumutbare Härte dar. Im
gleichen Zuge forderte der Regierungsrat P. auf, für einen ohne Be-
willigung errichteten Zwischenboden ein Baugesuch einzureichen,
und weiter ordnete er die Beseitigung eines ebenfalls ohne Be-
willigung aufgestellten Bürocontainers an. Anfang 1992 reichte P.
dem Gemeinderat dann ein Baugesuch für den Zwischenboden und
auch das Aufstellen des Bürocontainers ein. Der Zwischenboden
wurde - im Sinne von Unterhalt und zeitgemässer Erneuerung - teil-
weise (zu rund zwei Dritteln) bewilligt; die Bewilligung für den
Bürocontainer wurde dagegen nicht erteilt. Die gegen die Nicht-
erteilung der Bewilligung erhobenen Beschwerden wies der Regie-
rungsrat mit Entscheid vom 24. November 1993 (RRB Nr. 2821) ab.
Das hiegegen angerufene Verwaltungsgericht stellte mit Entscheid
vom 14. Dezember 1994 fest, der noch streitige Teil des Zwischen-
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
225
bodens sei nicht bewilligungsfähig, und wies die Verwaltungsge-
richtsbeschwerde diesbezüglich ab. Soweit die Beschwerde die Be-
willigung des Bürocontainers zum Gegenstand hatte, wurde sie mit
Schreiben vom 22. November 1994, d. h. während des verwaltungs-
gerichtlichen Verfahrens, zurückgezogen.
Zu prüfen ist im Folgenden die Rechtsnatur der Fünfjahresfrist
von § 70 Abs. 2 BauG, nach deren Ablauf das Wiederaufbaurecht
erlischt. In Rechtsprechung und Lehre werden dabei zwei Typen des
Erlöschens eines Rechts wegen Zeitablaufs unterschieden: die Ver-
wirkung und die Verjährung. Bei der Verwirkung geht ein Recht un-
ter, wenn der Berechtigte eine Handlung, die er nach Gesetz innert
einer bestimmten Frist zu vollziehen hat, unterlässt; Verwirkungsfris-
ten können nicht gehemmt, unterbrochen, wiederhergestellt oder er-
streckt werden. Die Verjährung öffentlichrechtlicher Ansprüche be-
deutet zwar ebenfalls deren Erlöschen bzw. Untergang durch Zeitab-
lauf, doch kann der Lauf einer Verjährungsfrist durch Handlungen
des Anspruchsberechtigten unterbrochen oder gehemmt werden
(Ulrich Häfelin / Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwal-
tungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, Rz. 627 ff. und 640 f.; René A.
Rhinow / Beat Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtspre-
chung, Ergänzungsband, Basel und Frankfurt a.M. 1990, Nr. 34 B
VII mit Hinweisen). Ob es sich bei einer gesetzlichen Frist um eine
Verjährungs- oder eine Verwirkungsfrist handelt, muss im Einzelfall
geprüft werden. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, welche Vor-
kehren nach dem Gesetz geeignet sind, die Folgen des Fristablaufs
zu vermeiden. Schliesst das Gesetz ausdrücklich oder stillschwei-
gend Unterbrechungshandlungen aus, ist auf eine Verwirkungsfrist
zu schliessen (Max Imboden / René A. Rhinow, Schweizerische Ver-
waltungsrechtsprechung, Band I, 6. Auflage, Basel und Frankfurt
a. M. 1986, Nr. 34 B VII).
Gemäss § 70 Abs. 2 BauG ist zur Wahrung der Fünfjahresfrist
die Einreichung des Wiederaufbaugesuchs erforderlich. Wird das Ge-
such bewilligt, ist der Wiederaufbau zulässig. Wird das Gesuch
2000
Verwaltungsgericht
226
formell rechtskräftig abgewiesen, kann der Eigentümer jedenfalls
dann ohne weiteres ein neues Baubewilligungsgesuch stellen, wenn
die Fünfjahresfrist seit der Zerstörung noch nicht abgelaufen ist. § 70
Abs. 2 BauG enthält aber keinen Hinweis darauf, dass durch die Ein-
reichung des Baugesuchs der Fristenlauf als solcher unterbrochen, d.
h. entweder neu zu laufen beginnen oder um die Dauer des hängigen
Bewilligungsverfahrens verlängert würde. Anders ist die gesetzliche
Regelung beispielsweise im Gebäudeversicherungsrecht, wo sich die
Problematik des Wiederaufbaus unfreiwillig zerstörter Bauten eben-
falls stellt. § 54 GebVG (in der Fassung vom 18. Juni 1996) regelt
die Wiederherstellungsfrist im Zusammenhang mit der Entschädi-
gung in Schadensfällen. So erfolgt für ein total beschädigtes Ge-
bäude die Entschädigung zum Neuwert (§ 39 Abs. 1 in Verbindung
mit § 22 Abs. 1 GebVG) grundsätzlich nur, wenn das Gebäude inner-
halb von drei Jahren am gleichen Standort wieder aufgebaut wird;
ansonsten entspricht die Entschädigung dem Zeitwert zur Zeit des
Schadeneintritts (§ 54 Abs. 1 GebVG). Beim Vorliegen wichtiger
Gründe kann die Frist zur Wiederherstellung angemessen erstreckt
werden (§ 54 Abs. 2 GebVG). Anders als das Baugesetz regelt das
Gebäudeversicherungsgesetz die Möglichkeit zur Fristerstreckung
also ausdrücklich. Der fehlende Hinweis auf mögliche Unterbre-
chungshandlungen in § 70 Abs. 2 BauG deutet demgegenüber darauf
hin, dass es sich hier um eine nicht unterbrech- bzw. erstreckbare
Verwirkungsfrist handelt.
Langfristiges Ziel der Zonenordnung ist es, dass die durch den
Fortbestand zonenfremder Bauten erfolgte Durchbrechung der plane-
rischen Ordnung irgendwann beseitigt und der rechtmässige Zustand
hergestellt wird (vgl. AGVE 1996, S. 338). Vor diesem Hintergrund
haben die sich aus der Besitzstandsgarantie ergebenden Unterhalts-,
Änderungs-, Erweiterungs- oder Wiederaufbauansprüche des Eigen-
tümers einer zonenwidrigen Baute gemäss den §§ 69-71 BauG letzt-
lich Ausnahmecharakter. Das frühere Baugesetz kannte bei unfrei-
willig zerstörten zonenwidrigen Bauten wie erwähnt kein ,,Recht der
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
227
alten Baustelle", während Art. 24 Abs. 2 RPG den Wiederaufbau von
Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen gestattet, wenn dies
mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar ist. Der
kantonale Gesetzgeber wollte - in Ausschöpfung des vom Bundes-
recht vorgegeben Spielraums (Spezialkommission Baugesetzrevi-
sion, Protokoll der 16. Sitzung vom 19. Februar 1991 [im Folgenden:
Protokoll Spezialkommission], S. 219 [Voten Rohr und Kocher]) -
den Wiederaufbau plan- und vorschriftswidriger Altbauten unter be-
stimmten Voraussetzungen gestatten; die Rechtswidrigkeit der zer-
störten Baute sollte aber durch den Wiederaufbau nicht noch ver-
grössert, sondern eher verringert werden (Botschaft des Regierungs-
rats an den Grossen Rat zur Baugesetzrevision vom 21. Mai 1990,
S. 35). Der Gesetzesentwurf vom 21. Mai 1990 sah zwischen Zerstö-
rung der Baute und Baugesuch eine dreijährige Frist vor. In der
Kommission wurde an einer zeitlichen Limitierung des Wiederauf-
bauanspruchs bewusst festgehalten, ,,damit noch von einem Wieder-
aufbau gesprochen werden kann" (Protokoll Spezialkommission,
S. 221 [Votum Regierungsrat Siegrist]), jedoch wurde ein Antrag, die
Frist sei von drei auf fünf Jahre zu verlängern, von der Kommis-
sionsmehrheit deutlich gutgeheissen. Die dreijährige Frist wurde als
knapp erachtet, falls sich planungs- und eigentumsrechtliche Pro-
bleme stellten (Protokoll Spezialkommission, S. 222 [Votum Würg-
ler]). Zur Frage der Unterbrechung der Frist äussern sich die Mate-
rialien nicht. Auch dies weist darauf hin, dass der Gesetzgeber davon
ausging, es handle sich um eine Verwirkungsfrist. Hätte er eine
Unterbrechung der Frist zulassen wollen, hätte er sich im Zusam-
menhang mit der Diskussion um die Dauer naheliegenderweise auch
mit den diesbezüglichen Voraussetzungen auseinandersetzen müssen.
Festzuhalten bleibt schliesslich, dass es sich bei der Fünfjahres-
frist um eine durchaus grosszügig bemessene Zeitspanne handelt.
Der Eigentümer der von einem Elementarereignis betroffenen Baute
hat fünf Jahre Zeit, ein Baugesuch einzureichen. Der Wiederaufbau
einer unfreiwillig zerstörten, bis zur Zerstörung benutzten Baute wird
2000
Verwaltungsgericht
228
aber in aller Regel möglichst rasch angestrebt werden, weil der
Eigentümer auf einen Ersatzbau angewiesen ist. Ein allfälliges Ein-
sprache- und Beschwerdeverfahren und dessen Dauer vermögen ihm
grundsätzlich nicht zu schaden, ist doch die Frist bereits mit der Ein-
reichung des Baugesuchs gewahrt. Stellt der Eigentümer sein Bau-
bewilligungsgesuch bald nach dem Schadensereignis, wird er norma-
lerweise selbst dann in der Lage sein, nach rechtskräftiger Abwei-
sung des Gesuchs ein neues Gesuch innert der Fünfjahresfrist von
§ 70 Abs. 2 BauG einzureichen, wenn das erste Gesuch den ganzen
Rechtsmittelweg mit den entsprechenden Verfahrensdauern durch-
laufen hat. Unter diesen Gesichtspunkten erweist sich auch die Argu-
mentation der Beschwerdeführerin, die der Baubewilligungsbehörde
unterstellt, sie habe es in der Hand, durch Verfahrensverzögerung
den Untergang des Wiederaufbaurechts herbeizuführen, als wenig
stichhaltig.
Die gesamthafte Würdigung von Wortlaut, Entstehungsge-
schichte sowie Sinn und Zweck von § 70 Abs. 2 BauG führt somit
zum Schluss, dass es sich bei der Fünfjahresfrist um eine Verwir-
kungsfrist handelt, die weder erstreckt noch unterbrochen werden
kann; mit dem Ablauf von fünf Jahren seit der Zerstörung der Baute
erlischt also der Wiederaufbauanspruch. Daraus wiederum folgt für
den vorliegenden Fall, dass der Regierungsrat zu Recht die zeitliche
Voraussetzung zur Geltendmachung des Wiederaufbaurechts als
nicht erfüllt erachtet hat. Das hier zu beurteilende Baugesuch datiert
vom 17. September 1996, während sich der Brandfall Ende 1988 zu-
getragen hat. Die Fünfjahresfrist ist somit klar nicht gewahrt. Daran
vermögen die verschiedenen Baugesuche für den Wiederaufbau des
Büroanbaus oder zumindest für eine Ersatzlösung, die der Beschwer-
deführer unmittelbar nach dem Brand und dann auch später einge-
reicht hat, nichts zu ändern. Für den Fristenlauf gemäss § 70 Abs. 2
BauG sind sie unbeachtlich; sie können ihn nicht unterbrechen. Für
die Fristwahrung relevant ist einzig das erwähnte Baugesuch vom
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
229
17. September 1996, das erst rund acht Jahre nach dem Brandfall
eingereicht wurde. | 2,648 | 2,122 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-59_1999-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-59.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-59.pdf | AGVE_2000_59 | null | nan |
ee314a49-5a88-577f-9404-4ac63c9cba2b | 1 | 412 | 871,115 | 1,399,075,200,000 | 2,014 | de | 2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
165
28
Nutzungsplanung; Besitzstandsgarantie
-
Die kantonale Besitzstandsgarantie nach § 68 BauG ist im Verhältnis
zur kommunalen Nutzungsplanung abschliessend.
-
Eine Erweiterung durch kommunale Nutzungs- oder Ausnahmebe-
stimmungen ist nicht zulässig.
-
Präzisierung der Rechtsprechung
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. Mai 2014 in Sachen A.
AG gegen Regierungsrat und Einwohnergemeinde B. (WBE.2011.301).
Aus den Erwägungen
2.2.
Zentrales Anliegen der Revision der Bau- und Nutzungsord-
nung der Gemeinde B. war die Anpassung der überdimensionierten
Dorfzone in eine kleinere Zentrumszone und die Schaffung neuer
Wohn- und Arbeitszonen. Den Wohn- und Arbeitszonen WA 2 und
WA 3 wurden diejenigen Gebiete zugeteilt, welche sich aufgrund
ihrer Lage und des ortsbaulichen Zusammenhangs gut für eine ge-
mischte Nutzung eignen und meistens über einen gewissen Anteil
Gewerbe- und Dienstleistungsflächen bereits verfügten.
Die Zuweisungen aus der früheren Dorfzone in die Zonen WA 2
und WA 3 führten dazu, dass verschiedene bestehende Betriebsge-
bäude - auch jene der Beschwerdeführerin - nach den neuen Zonen-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
166
vorschriften für die Zonen WA 2 und WA 3 (§ 7 Abs. 1 und § 10
Abs. 1 BNO) nicht mehr zonenkonform sind. In diesen Zonen gelten
neue Nutzungsvorschriften, insbesondere strengere Massvorschrif-
ten.
Im Rahmen des Einsprache- bzw. Einwendungsverfahrens wur-
den eine Ergänzung der Bau- und Nutzungsordnung ausgearbeitet
und Absatz 3 zu § 10 BNO eingefügt. Ziel der Ergänzung ist die Ver-
meidung einer "Versteinerung" des Status quo aufgrund der Besitz-
standsgarantie. Es sollen den Betroffenen Anreize gesetzt werden,
"überdimensionierte" zonenwidrige Gebäude im Hinblick auf eine
gesamthaft bessere Lösung zu verändern. Mit der neuen Bestimmung
sollen die baulichen Möglichkeiten über das Mass der kantonalen
Besitzstandsgarantie ausgeweitet werden. Diese Regelung soll insge-
samt die Probleme bei der Erweiterung oder Veränderung altrechtli-
cher Bauten entschärfen, weil damit die baulichen Möglichkeiten
über die Besitzstandsgarantie hinaus erweitert werden.
Die Entstehung der umstrittenen Regelung und die Planungsab-
sicht zeigen, dass § 10 Abs. 3 BNO die kantonale Besitzstandsgaran-
tie in einzelnen Punkten erweitern will. Die Parteien sind auch über-
einstimmend der Auffassung, dass sich der Normgehalt der Bestim-
mung in dieser Erweiterung erschöpft.
3.
3.1.
Nutzungspläne sind für jedermann verbindlich (Art. 21 Abs. 1
RPG); die Verbindlichkeit wird durch das Baubewilligungsverfahren
gewährleistet (Art. 22 Abs. 2 RPG). Ausnahmen von der Zonenkon-
formität innerhalb der Bauzonen erfordern eine Grundlage im kanto-
nalen Gesetz (Art. 23 RPG). Letztere Bestimmung ist eine Verwei-
sungsnorm und hat lediglich deklaratorische Bedeutung. Für die Ge-
währung von Ausnahmen von dieser Zonenkonformität wird von der
Lehre eine eigentliche Ausnahmesituation verlangt und die Aus-
nahmebewilligung ist an relativ strikte Voraussetzungen zu knüpfen
(B
ERNHARD
W
ALDMANN
/P
ETER
H
ÄNNI
, Handkommentar RPG,
Bern 2006, Art. 23 N 3 mit Hinweisen).
2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
167
3.2.
Das kantonale Recht regelt die Voraussetzungen für die Ausnah-
men in § 67 BauG und § 67a BauG. Letztere Bestimmung erleichtert
Ausnahmebewilligungen im Unterabstand von Strassen und ist hier
nicht einschlägig. § 67 Abs. 1 BauG erlaubt eine Ausnahmebewilli-
gung von den kommunalen Nutzungsplänen und damit unter ande-
rem auch vom Erfordernis der Zonenkonformität innerhalb der
Bauzone. Eine Ausnahmebewilligung erfordert nicht nur eine
Interessenabwägung, sondern setzt kumulativ das Vorliegen ausseror-
dentlicher Verhältnisse und einer unzumutbaren Härte voraus (vgl.
dazu AGVE 2006, S. 159, Erw. 2.4; A
NDREAS
B
AUMANN
, Kommen-
tar zum Baugesetz des Kantons Aargau [Kommentar BauG], Bern
2013, § 67 N 1 ff.).
Die Ausnahmebestimmungen regeln die Rechtsanwendung im
Baubewilligungsverfahren und sind daher für das Planfestsetzungs-
verfahren nicht einschlägig.
3.3.
Gemäss § 68 BauG dürfen rechtmässig erstellte Bauten und
Anlagen, die den geltenden Plänen oder Vorschriften widersprechen,
unterhalten und zeitgemäss erneuert werden, wobei die Nutzungsord-
nung für bestimmte Schutzzonen die zeitgemässe Erneuerung ein-
schränken oder verbieten kann (Abs. 1 lit. a). Sie dürfen angemessen
erweitert, umgebaut oder in ihrem Zweck geändert werden, wenn
dadurch ihre Rechtswidrigkeit nicht wesentlich verstärkt wird und
keine besonderen Nutzungsvorschriften entgegenstehen (Abs. 1
lit. b). Schliesslich erlaubt § 68 Abs. 1 lit. c BauG den Wiederaufbau
von zonenwidrigen Bauten und Anlagen bei Zerstörung durch Brand
oder andere Katastrophen, wenn an ihrer Nutzung ein ununterbroche-
nes Interesse besteht und keine überwiegenden Anliegen der Raum-
entwicklung entgegenstehen. Dieser Wiederaufbau wird vom Gesetz
zugelassen, wenn die zerstörte Baute oder Anlage hinsichtlich Art,
Umfang und Lage beibehalten wird. Eine Änderung ist dann zuläs-
sig, wenn damit der bisherige Zustand verbessert wird.
Die Besitzstandsgarantie bezweckt den Schutz berechtigten Ver-
trauens in eine ursprünglich rechtmässige Nutzung, die im Laufe der
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
168
Zeit durch Rechtsänderung rechtswidrig geworden ist (vgl.
AGVE 1986, S. 301).
Die Besitzstandsgarantie ermächtigt nicht dazu, anstelle der al-
ten, freiwillig beseitigten eine neue, dem geltenden Recht erneut
widersprechende Baute zu errichten; im Aargau gibt es kein Wieder-
aufbaurecht (vgl. AGVE 1983, S. 178). Der Wiederaufbau rechts-
widriger Bauten ist ausschliesslich für den Fall der Zerstörung durch
Brand und andere Katastrophen gestattet (§ 68 Abs. 1 lit. c BauG;
vgl. auch V
ERENA
S
OMMERHALDER
F
ORESTIER
, Kommentar BauG,
§ 68 N 25 f.; AGVE 2000, S. 253). Für verfallene, technisch
abbruchreife Bauten besteht demnach keine Besitzstandsgarantie
(E
RICH
Z
IMMERLIN
, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aar-
gau, 2. Auflage, Aarau 1985, § 224 N 4d). Vorkehrungen, durch die
praktisch ein Neubau anstelle des bestehenden Baus gesetzt wird,
sind ebenfalls nicht erlaubt (vgl. AGVE 1992, S. 354; VGE III/25
vom 17. April 2013 [WBE.2012.68], Erw. II/4.2).
Der Anwendungsbereich der Besitzstandsgarantie gemäss § 68
BauG liegt im Baubewilligungsverfahren.
3.4.
3.4.1.
Für die Zone WA 3 gelten gemäss § 7 BNO folgende Nutzungs-
und Bauvorschriften: (...)
Nach dem Wortlaut entbindet die Ausnahmebestimmung in § 10
Abs. 3 BNO nur von der Einhaltung der Nutzungsvorschriften in § 7
Abs. 1 BNO. Unberührt von der Ausnahmebestimmung bleiben die
Bauvorschriften zu den Zonen WA 2 und WA 3 in den §§ 10 Abs. 1
BNO (Nutzungsart), 10 Abs. 2 BNO (Grenzabstand von 4 m für
eingeschossige Gewerbebauten bis zu einer Gebäudehöhe von 4 m
und einer Firsthöhe von 6 m) sowie die Grenzabstandsvorschriften in
§ 35 BNO.
3.4.2. (...)
3.4.3.
Die Ausnahmebestimmung von § 10 Abs. 3 BNO bezieht sich
nach Auffassung der Behörde primär auf die Gebäudelänge. Welche
Auswirkungen die Erweiterung der Besitzstandgarantie mit Bezug
auf die übrigen Bauvorschriften in der Zone WA 3 hat, konnte auch
2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
169
an der Augenscheinverhandlung nicht restlos geklärt werden. So
blieben die zulässigen Abweichungen von der Ausnützungsziffer und
bezüglich der Höhenvorschriften (§ 7 Abs. 1, § 10 Abs. 2 BNO) un-
klar. Die Vertreter der Gemeinde hielten dafür, dass in dieser Bezie-
hung keine quantitativen Beschränkungen bestehen. Grundsätzlich
begründe auch die 25 %-Regel der Rechtsprechung zur Besitz-
standsgarantie keine bestimmte Grenze. Bei Zweckänderungen seien
die (bundesrechtlichen) Bestimmungen zum Immissionsschutz rele-
vant und beim Zonenzweck (§ 10 Abs. 1 BNO) bestimme sich die
Besitzstandsgarantie ausschliesslich nach § 68 Abs. 1 lit. a BauG.
Massgebend sei allein die Frage, ob der aktuelle Betrieb der
Beschwerdeführerin als mässig störender Gewerbebetrieb zu qualifi-
zieren ist.
Zwar bestimmt Alinea 3 von § 10 Abs. 3 BNO, dass neue
Rechtswidrigkeiten nicht zulässig sind, indessen muss aufgrund der
erklärten Intentionen der Gemeinde und der Auffassung der Vorin-
stanz davon ausgegangen werden, dass "besitzstandsgeschützte"
Ausnahmen über die kantonalen Grenzen hinaus im Baubewil-
ligungsverfahren gewährt werden können. Massgebendes Kriterium
bleibt nach Auffassung der Behörden einzig die "gesamthaft bessere
Lösung, namentlich in architektonischer Hinsicht und bezüglich
Ortsbild sowie nachbarschaftlicher Interessen". Am Beispiel der Ge-
bäudelänge illustriert, könnte das Betriebsgebäude auf Parzelle 460
über die Parzellen 460 und 1832 bzw. 2212 und 2966 auf über 130 m
hinaus erweitert werden, sofern dies zu einer gesamthaft besseren
Lösung führen würde. Das bestehende Betriebsgebäude der
Beschwerdeführerin auf Parzelle 461 weist aktuell eine Länge von
rund 80 m auf.
Allseits anerkannt ist, dass von den Grenzabstandsbestimmun-
gen in § 35 BNO auch gemäss § 10 Abs. 3 BNO nicht abgewichen
werden kann.
§ 10 Abs. 3 BNO will in Alinea 1 für Betriebsgebäude, die ge-
gen § 7 Abs. 1 BNO verstossen, über die Besitzstandsgarantie ge-
mäss § 68 Abs. 1 lit. b BauG hinaus, angemessene Erweiterungen
und Umbauten sowie Zweckänderungen unabhängig von einer all-
fälligen Verstärkung der Rechtswidrigkeit zulassen, sofern die Verän-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
170
derungen zu einer gesamthaft besseren Lösung - namentlich in archi-
tektonischer Hinsicht und bezüglich Ortsbild sowie nachbarschaftli-
cher Interessen - führen. Alinea 2 dieser BNO-Bestimmung erlaubt
unter der Voraussetzung der gesamthaft besseren und zumutbaren
Lösung und unter dem Vorbehalt allfällig notwendiger kantonaler
Zustimmungen den Wiederaufbau am bestehenden Standort auch mit
einer anderen Volumenverteilung. Die Bestimmung in Alinea 3
schliesst "neue Rechtswidrigkeiten" aus. Der materielle Gehalt dieses
Verbots und sein Verhältnis zur Verstärkung der Rechtswidrigkeit ge-
mäss § 68 BauG bei den Erweiterungen und beim Wiederaufbau
eines Betriebsgebäudes sind nicht klar.
3.4.4.
Bestehende Bauten, die bei ihrer Vollendung formell und mate-
riell rechtmässig waren, stellen grundsätzlich einen abgeschlossenen
verwaltungsrechtlichen Tatbestand dar (Z
IMMERLIN
, a.a.O., § 224
N 4a). Die Besitzstandsgarantie gemäss § 68 BauG schützt den
Eigentümer rechtmässig erstellter Bauten und Anlagen (sog.
"altrechtliche Bauten"), wenn sie neuen Vorschriften und Plänen
nicht mehr entsprechen (BGE 113 Ia 119, Erw. 2a; 109 Ib 116,
Erw. 4; T
HIERRY
T
ANQUEREL
, in: H
EINZ
A
EMISEGGER
/P
IERRE
M
OOR
/A
LEXANDER
R
UCH
/P
IERRE
T
SCHANNEN
[Hrsg.], Kommentar
RPG, Zürich 2010, Art. 21 N 54 f.). Die Besitzstandsgarantie schützt
nicht eine vorbestehende Nutzung an sich, auch nicht eine gewerbli-
che industrielle Nutzung, sondern die (vor-) bestehenden Investitio-
nen in Bauten und Anlagen (vgl. BVR 2001, S. 125, Erw. 3).
Die Besitzstandsgarantie (§ 68 BauG) erlaubt den (baulichen)
Unterhalt und die zeitgemässe Erneuerung von rechtmässig erstellten
Bauten und Anlagen, die den geltenden Plänen oder Vorschriften wi-
dersprechen. Solche Bauten dürfen ausserdem angemessen erweitert,
umgebaut oder in ihrem Zweck geändert werden, wenn dadurch ihre
Rechtswidrigkeit nicht wesentlich verstärkt wird und keine besonde-
ren Nutzungsvorschriften entgegenstehen (§ 68 Abs. 1 lit. a und b
BauG). Die kantonale Besitzstandsgarantie schützt das berechtigte
Vertrauen in eine ursprünglich rechtmässige bauliche Nutzung, die
im Laufe der Zeit infolge einer Rechtsänderung rechtswidrig gewor-
den ist (vgl. VGE III/32 vom 25. Mai 2010 [WBE.2009.293], S. 6;
2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
171
III/88 vom 18. November 2009 [WBE.2008.363], S. 7 f.; III/77 vom
15. September 2003 [BE.2003.00040], S. 12; III/73 vom 30. Mai
2000 [BE.1998.00317], S. 10; vgl. zum alten Recht AGVE 1990,
S. 278 f.; 1986, S. 301; Z
IMMERLIN
, a.a.O., § 224 N 4a).
Sinn und Zweck der Besitzstandsgarantie liegen somit darin,
zwischen dem (privaten) Interesse am Schutz der im Vertrauen auf
die Kontinuität der bisherigen Rechtsordnung getätigten Investitio-
nen (Perpetuierung) und dem (öffentlichen) Interesse an der mög-
lichst freien politisch-planerischen Gestaltung und baldigen
Verwirklichung des neuen Rechts einen angemessenen Ausgleich zu
finden (vgl. AGVE 1983, S. 178 f.). Einerseits soll dem Eigentümer
die Weiternutzung im bisherigen Rahmen garantiert werden.
Andererseits will der Gesetzgeber aber den faktischen Zustand mit
der geltenden Rechtslage zur Deckung bringen. Das (Anpassungs-)
Ziel soll (indirekt) dadurch erreicht werden, dass dem Eigentümer
der normwidrigen Baute bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten entzo-
gen werden und insoweit die Baute für ihn uninteressant gemacht
wird (AGVE 1996, S. 336; 1994, S. 419; 1989, S. 237).
Die Wirkung der Besitzstandsgarantie besteht vor allem darin,
dass der durch sie geschützten Altbaute der Weiterbestand in ihrer
derzeitigen inneren und äusseren Gestaltung und mit ihrer bisherigen
Zweckbestimmung gewährleistet ist, und zwar grundsätzlich ebenso
lange wie bei einer baurechtskonformen Baute. Bauliche Änderun-
gen, nicht aber Erweiterungen, sind in den positiv-rechtlichen Gren-
zen statthaft (Urteil des Bundesgerichts vom 9. Dezember 2010
[1C_258/2010], Erw. 2.7; Z
IMMERLIN
, a.a.O., § 224 N 5a). Die Be-
sitzstandgarantie ist damit eine Konkretisierung der Eigentumsgaran-
tie (Art. 26 BV). Die Eigentumsgarantie schützt als Bestandesgaran-
tie nur die rechtmässige Ausübung des Privateigentums. Sie gewähr-
leistet das Eigentum innerhalb der Schranken, die ihm im öffentli-
chen Interesse durch die Rechtsordnung gezogen sind. Zu beachten
sind namentlich die Anforderungen der Raumplanung (BGE 117 Ib
243, Erw. 3a mit Hinweisen). Die Baufreiheit und damit auch das
Recht zur Erweiterung oder zum Ersatz einer Baute bestehen daher
nur innerhalb der Vorschriften, die der Gesetzgeber über die Nutzung
des Grundeigentums erlassen hat (Urteil des Bundesgerichts vom
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
172
7. Juni 2005 [1A.289/2004], Erw. 2.1.1 mit Hinweis; vom
24. Februar 2012 [1C_388/2011], Erw. 3 zu VGE III/37 vom 4. Juli
2011 [WBE.2008.37]).
3.5.
Die kantonalen Bestimmungen über die Besitzstandsgarantie
sind im Verhältnis zu den Gemeinden abschliessend (AGVE 2000,
S. 250, Erw. 2c mit Hinweisen; 1986, S. 243, Erw. 3b; 1983, S. 174,
Erw. 3 mit Hinweisen auf unveröffentlichte Entscheide). Sie erlauben
den Gemeinden eine Einschränkung oder ein Verbot der zeitgemäs-
sen Erneuerung in Schutzzonen. Die kommunalen Nutzungsvor-
schriften können auch einer Erweiterung, einem Umbau oder einer
Zweckänderung nur entgegenstehen. § 68 Abs. 1 BauG sieht keine
Ausweitung des Schutzes von Bauten, die durch eine Rechtsände-
rung vorschriftswidrig geworden, durch die Gemeinden vor.
In den AGVE 2009, S. 182 (Erw. 4.3.3), 2000, S. 250 und 1986,
S. 248 wurde dieser Grundsatz mit Bezug auf die konkrete
Nutzungsordnung relativiert. Die kantonale Besitzstandsgarantie be-
ziehe sich bloss auf die allgemeine, unabhängig von der zonenmässi-
gen Differenzierung geltende Ordnung. Die Befugnis der Gemein-
den, in einzelnen Zonen Vorschriften für den Neubau und für beste-
hende Bauten zu erlassen, ändert an der abschliessenden kantonalen
Kompetenz nichts. Im Einzelnen ergibt sich Folgendes:
- In den publizierten Entscheiden wurde auf die unter dem früheren Bauge-
setz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 (aBauG) geltende Bestim-
mung in § 130 Abs. 2 aBauG verwiesen, wonach die Gemeinden für Alt-
stadtgebiete und alte Dorfkerne zusätzliche Vorschriften zur Erhaltung des
Bestandes aufstellen können (vgl. dazu auch Z
IMMERLIN
, a.a.O., §§ 130
bis 133 N 2). Diese Regelung fehlt im neuen Baugesetz. Sie wurde entge-
gen der Auffassung der Gemeinde auch nicht durch § 40 Abs. 1 BauG oder
§ 13 Abs. 2
bis
BauG ersetzt. Diese beiden Bestimmungen befassen sich mit
Vorgaben für die Nutzungsplanung: § 40 Abs. 1 BauG hinsichtlich des
Ortsbildschutzes und § 13 Abs. 2
bis
BauG mit Bezug auf die
Siedlungsqualität und Siedlungsentwicklung. Diese Planungsvorschriften
bilden aber keine gesetzliche Grundlage, um die kantonale Besitzstandsga-
rantie in der kommunalen Nutzungsordnung zu ergänzen oder auszuwei-
ten.
2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
173
- Schon der Wortlaut von § 68 Abs. 1 lit. a BauG schliesst eine kommunale
Erweiterung der Besitzstandsgarantie aus: Nur die Einschränkung oder ein
Verbot in kommunalen Nutzungsordnungen für bestimmte Schutzzonen ist
vorgesehen. Auch § 68 Abs. 1 lit. b BauG erlaubt die angemessene
Erweiterung und den Umbau oder die Zweckänderung bestehender Bauten
und Anlagen nur dann, wenn solchen Vorhaben keine besonderen kommu-
nalen Nutzungsvorschriften entgegenstehen.
- § 40 Abs. 1 BauG enthält klarerweise einen Auftrag, die Ortsbilder mit
Massnahmen der Nutzungsplanung zu schützen (vgl. BGE 135 II 209;
AGVE 2013, S. 173; E
RICA
H
ÄUPTLI
-S
CHWALLER
, Kommentar BauG, § 40
N 81). § 13 Abs. 2
bis
BauG betrifft ebenfalls die Planungspflicht in der
kommunalen Raumentwicklung. Planungsvorschriften über die zulässige
Zonennutzung haben zwar Auswirkungen auf den Inhalt und den Umfang
der kantonalen Besitzstandsgarantie, da sie die Zonenkonformität
umschreiben. Das bedeutet aber umgekehrt nicht, dass § 40 BauG eine ge-
setzliche Grundlage ist, welche den Gemeinden erlaubt, die kantonale
Besitzstandsregelung auszudehnen.
- Die erwähnten Urteile und weitere Entscheide des Verwaltungsgerichts
zur Besitzstandsgarantie ergingen in Baubewilligungsverfahren und betra-
fen die Zonenkonformität industrieller und gewerblicher (Alt-) Bauten in
Kern- und Dorfzonen (vgl. auch VGE III/88 vom 18. November 2009
[WBE.2008.363],
Erw. II/4.3;
III/59
vom
31. August
2006
[WBE.2005.59], Erw. II/5.4.2). Diese Rechtsprechung gewährt im Rah-
men der kantonalen Besitzstandsgarantie einzelnen Bauten eine Sonder-
stellung im Hinblick auf eine Erhaltung von Industrie- und Gewerbebetrie-
ben. Eine Erweiterung der besitzstandsgeschützten Bauten ist bei einem
überwiegenden öffentlichen Interesse und unter restriktiven Voraussetzun-
gen möglich, soweit keine Verstärkung der Rechtswidrigkeit vorliegt (vgl.
AGVE 2009, S. 182, Erw. 4.3.4). Die Zonenkonformität muss auf der
Grundlage der kommunalen Zonen- und Bauvorschriften geprüft werden.
Der Umkehrschluss, dass die Gemeinden in ihrer Nutzungsordnung die
kantonale Besitzstandsgarantie erweitern können, ist demgegenüber
unzulässig. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus der von den Be-
schwerdegegnern angeführten Literatur. W
ALTER
H
ALLER
und P
ETER
K
ARLEN
beziehen sich auf die zürcherische Regelung, wonach in Kernzo-
nen der Umbau und Ersatz baurechtswidriger Bauten
planungsrechtlich
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
174
abweichend geregelt werden können (W
ALTER
H
ALLER
/P
ETER
K
ARLEN
,
Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 820;
vgl. dazu auch
R
UDOLF
K
APPELER
, Die baurechtliche Regelung bestehen-
der Gebäude, Zürich 2001, Rz. 643 und hinten Erw. 3.6).
Die Grundsätze der Besitzstandsgarantie sind von den Pla-
nungskompetenzen der Gemeinde zu unterscheiden. Eine kommu-
nale Kompetenz zur ergänzenden Rechtsetzung zu § 68 BauG kann
aus der Rechtsprechung zur Dynamisierung der Besitzstandsgarantie
für gewerbliche und industrielle Bauten nicht abgeleitet werden (a.A.
S
OMMERHALDER
F
ORESTIER
, Kommentar BauG, § 68 N 8 ff. und
N 40). Ohnehin kann die Rechtsprechung den Gemeinden keine Ge-
setzgebungskompetenzen übertragen.
3.6.
Im Baugesetz fehlt eine Kompetenz- oder Delegationsnorm,
welche den Gemeinden erlauben würde, die kantonale Besitz-
standsgarantie zu erweitern. § 164a BauG erlaubt dem Regierungsrat,
Ausführungsvorschriften zum kantonalen Baugesetz zu erlassen.
Nach § 68 BauG besteht - wie erwähnt (vgl. vorne Erw. 3.5) - nur
die Möglichkeit, in der Nutzungsordnung den Anwendungsbereich
der kantonalen Besitzstandsgarantie einzuschränken.
Das Baubewilligungsverfahren dient der Abklärung und Prü-
fung, ob Bauvorhaben den Ordnungsvorschriften der Nutzungspla-
nung und -ordnung entsprechen. Es hat die einzelfallweise Planver-
wirklichung zum Gegenstand (BGE 116 Ib 50, Erw. 3a), ist aber
nicht geeignet, selbständige Planungsentscheide hervorzubringen.
Das Baubewilligungsverfahren verfügt weder über das erforderliche
Instrumentarium noch die demokratische Legitimität, einen
Nutzungsplan zu ändern oder zu ergänzen (vgl. Urteil des Bundesge-
richts vom 11. Juni 2012 [1C_7/2012], Erw. 2.3, in: ZBl 114/2013,
S. 281). Die Entscheidungszuständigkeiten gelten nicht nur für Aus-
nahmebewilligungen ausserhalb der Bauzone (vgl. dazu A
RNOLD
M
ARTI
, Die Planungspflicht für grössere Vorhaben ausserhalb der
Bauzonen, in: ZBl 106/2005, S. 367 f.), sondern auch für das Baube-
willigungsverfahren für Ausnahmen innerhalb der Bauzone (vgl.
T
SCHANNEN
, Kommentar RPG, Art. 2 N 27 und 30).
2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
175
Eine andere gesetzliche Regelung gilt im Kanton Bern und im
Kanton Zürich. Nach Art. 3 Abs. 4 des bernischen Baugesetzes kön-
nen die Gemeinden die Besitzstandsgarantie für besondere Fälle re-
geln (vgl. A
LDO
Z
AUGG
/P
ETER
L
UDWIG
, Baugesetz des Kantons
Bern vom 9. Juni 1985, 3. Aufl., Bern 2007, Art. 3 N 8). Im Kanton
Zürich besteht für Nutzungsbestimmungen in Kern- und Quartierer-
haltungszonen ein Vorbehalt zugunsten kommunaler Sondervor-
schriften (K
ONRAD
W
ILLI
, Die Besitzstandsgarantie für vorschrifts-
widrige Bauten und Anlagen innerhalb der Bauzonen, Zürcher
Studien zum öffentlichen Recht, Band 158, Zürich 2003, S. 81 mit
Hinweisen).
3.7.
Mit der Feststellung, dass das kantonale Baugesetz die Erweite-
rung der kantonalen Besitzstandsgarantie durch kommunale
Nutzungsvorschriften nicht nur grundsätzlich, sondern generell aus-
schliesst, verliert § 10 Abs. 3 BNO die gesetzliche Grundlage, auf
die sich die Gemeinde stützt.
Der materielle Gehalt der massgebenden Bauvorschriften für
besitzstandsgeschützte Betriebsgebäude in den Zonen WA 2 und
WA 3 wird erst im Baubewilligungsverfahren vom Gemeinderat und
gestützt auf ein Gutachten festgelegt. Aus dem Wortlaut von § 10
Abs. 3 BNO lässt sich daher nicht mit genügender Bestimmtheit ent-
nehmen, bis zu welcher Grenze und in welchem Umfang die Besitz-
standsgarantie gemäss § 68 BauG ausgeweitet und die Rechtswidrig-
keit verstärkt werden darf (vgl. vorne Erw. 3.4.3 und 3.4.4). Eine sol-
che Regelung ist mit § 68 lit. b BauG auch materiell nicht vereinbar.
3.8.
Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die von der
Gemeinde in § 10 Abs. 3 BNO gewählte Regelung der Veränderung
und für den Wiederaufbau bestehender grosser Gebäudevolumen
mangels kompetenzgemässer Rechtsgrundlagen und wegen Verlet-
zung von § 68 BauG nicht rechtmässig ist. | 5,508 | 4,353 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-28_2014-05-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-28.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-28.pdf | AGVE_2014_28 | null | nan |
ee3aef33-c80f-5471-9b3d-9dbd5511ffa4 | 1 | 412 | 870,853 | 1,254,441,600,000 | 2,009 | de | 2009
KantonaleSteuern
123
III. Kantonale Steuern
26
Abschreibungen auf dem Geschäftsvermögen gemäss § 36 Abs. 2 lit. a
StG:
-
Die Aufrechnung eines Privatanteils an einer Abschreibung auf ei-
nem mittels der Präponderanzmethode dem Geschäftsvermögen zu-
geordneten Vermögenswert erweist sich als unzulässig (Erw. 6).
-
Der auf die untergeordnete private Nutzung entfallende Anteil der
Entwertung ist im Rahmen des Privatanteils an den Betriebskosten
zu berücksichtigen (Erw. 7).
-
Zum Nachweis einer derart überwiegenden geschäftlichen Nutzung,
die ein Abweichen zu Gunsten des Beschwerdeführers vom im
Merkblatt N1/2001 der ESTV festgesetzten Wert für ein wenig privat
benütztes Auto rechtfertigen würde, ist ein eigentliches Fahrtenbuch
mit detaillierten Angaben zu verlangen (Erw. 7.2).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. Oktober 2009, in Sa-
chen S. (WBE.2008.238).
Aus den Erwägungen
6.
6.1
Nachdem der Beschwerdeführer Anfang August 2002 seinen
BMW 325 ersetzte und in der Buchhaltung im Jahr 2002 an dem für
Fr. 63'671.-- neu gekauften Fahrzeug (BMW 330) eine Sofortab-
schreibung um Fr. 50'937.-- auf 20 Prozent des Kaufpreises (Buch-
wert: Fr. 12'734.--) vorgenommen hatte (Konto 4410 "Amortisie-
rung"), rechnete die Steuerkommission einen Privatanteil von 30
Prozent an der Abschreibung auf. Die Vorinstanz reduzierte den Pri-
vatanteil auf 20 Prozent (Fr. 10'187.--), entsprechend dem Durch-
schnitt der bisherigen Privatanteile. Zur Begründung des aufgerech-
2009
Verwaltungsgericht
124
neten Privatanteils führte sie aus, im bereits verbuchten Privatanteil
an den Autokosten (Privatanteil an den laufenden Kosten) sei die
Amortisation nicht enthalten. Es sei jedoch auch an den Fixkosten
des Fahrzeugs ein Privatanteil auszuscheiden, unabhängig davon, ob
es sich um jährliche Abschreibungen, eine Sofortabschreibung oder
Leasingzinsen handle.
6.2
Der Beschwerdeführer bringt dagegen zusammengefasst vor, es
sei unverständlich, weshalb ihm an der Sofortabschreibung ein Pri-
vatanteil an einem Firmenfahrzeug aufgerechnet werde. Mit der Lo-
gik dieses Urteils müssten sich alle Nutzer eines Geschäfts- oder
Mietwagens nicht nur die gefahrenen Privatkilometer zum vollen
Preis anrechnen lassen, sondern zusätzlich noch einen Anteil der ak-
tuellen Amortisation für den Geschäfts- oder Mietwagen entrichten.
Dies sei rechtlich und wirtschaftlich wohl kaum vertretbar, da damit
die Amortisation mehrfach in Rechnung gestellt würde.
6.3
Gemäss § 36 Abs. 2 lit. a StG und § 19 StGV können bei selbst-
ständiger Erwerbstätigkeit die geschäfts- und berufsmässig begrün-
deten Kosten, insbesondere auch die ausgewiesenen Abschreibungen
auf dem Geschäftsvermögen, abgezogen werden (so auch Art. 27
Abs. 2 lit. a DBG. Abschreibungen sind nur auf Geschäftsvermögen
zulässig; auf Gegenständen des Privatvermögens sind sie ausgesch-
lossen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juli
2009
[2C_475/2008], Erw. 2.1, zu Art. 27 ff. DBG).
Der Gesetzgeber hat in Art. 8 Abs. 2 erster Satzteil StHG eine
Legaldefinition des Geschäftsvermögens eingeführt. Danach gelten
als Geschäftsvermögen "alle Vermögenswerte, die ganz oder vorwie-
gend der selbstständigen Erwerbstätigkeit dienen" (ebenso Art. 18
Abs. 2 Satz 3 DBG). Daraus ergibt sich, dass bei gemischt genutzten
Wirtschaftsgütern nach der sogenannten "Präponderanzmethode" der
Vermögensgegenstand entweder voll dem Privat- oder voll dem Ge-
schäftsvermögen zuzurechnen ist (M
ARTIN
A
RNOLD
, Geschäfts- und
Privatvermögen im schweizerischen Einkommenssteuerrecht, in:
ASA 75, S. 271 ff.).
2009
KantonaleSteuern
125
Mit Inkrafttreten des StG per 1. Januar 2001 wechselte der
Kanton Aargau gestützt auf Art. 8 Abs. 2 StHG von der bis dahin
geltenden Wertzerlegungsmethode zur Präponderanzmethode. Als
Geschäftsvermögen gelten damit seither - auch im kantonalen Recht
- alle Vermögenswerte, die ganz oder vorwiegend der selbständigen
Erwerbstätigkeit dienen (§ 27 Abs. 2 Satz 3 StG). Die Präponderanz-
methode gilt für sämtliche (unmittelbar) gemischt genutzten
Vermögenswerte. Für die Zuordnung eines Vermögenswerts zum
Privat- oder Geschäftsvermögen ist in der Regel auf das (aktuelle
und überwiegende) Ertrags- oder Nutzungsverhältnis abzustellen
(vgl. § 7 Abs. 1 StGV; M
ARCO
D
USS
/
M
ARCO
G
RETHER
/
J
ULIA VON
A
H
, Die Besteuerung Selbständigerwerbender, Zürich 2004, S. 45).
Mit dem Wechsel zur Präponderanzmethode geht die Zugehörigkeit
zum Geschäftsvermögen aus der Bilanz bzw. aus den Aufstellungen
über Aktiven und Passiven hervor. Umgekehrt sind nach § 7 Abs. 3
StGV überwiegend privat genutzte Vermögenswerte per 1. Janu-
ar 2001 auszubuchen. Dass die Verordnungsbestimmung nur Grund-
stücke (anstelle von Vermögenswerten) nennt, muss als gesetzgeberi-
sches Versehen angesehen werden (so auch J
ÜRG
A
LTORFER
,
J
ULIA
VON
A
H
, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 3. Auflage,
Muri-Bern 2009, Band 1, § 27 N 100).
6.4
Sowohl die Steuerkommission als auch das Steuerrekursgericht
sind - zu Recht - von einer überwiegenden geschäftlichen Nutzung
des Fahrzeugs (bzw. der Fahrzeuge) ausgegangen. Damit ist dessen
Qualifikation als Geschäftsvermögen unbestritten.
Aufgrund der geltenden Präponderanzmethode und der vollum-
fänglichen Zuordnung zum Geschäftsvermögen kann der Auffassung
der Vorinstanz, wonach auch an der Sofortabschreibung ein Privat-
anteil auszuscheiden sei, nicht gefolgt werden. Nach § 19 Abs. 4
StGV sind Abschreibungen zulässig, wenn sie verbucht oder, bei
Fehlen einer nach kaufmännischer Art geführter Buchhaltung, in
besonderen Abschreibungstabellen ausgewiesen sind. Zulässig ist
zudem nach § 20 StGV die Sofortabschreibung der Differenz
zwischen dem Anlagewert und dem Endwert auf beweglichen Ge-
genständen des Anlagevermögens. Endwert ist der Wert, den der ab-
2009
Verwaltungsgericht
126
zuschreibende Gegenstand in dem Zeitpunkt haben wird, in welchem
er aus dem Betrieb ausscheidet; er beträgt in der Regel 20 Prozent
des Anlagewerts. Die Einschränkung, dass Abschreibungen nur auf
dem geschäftlich genutzten Teil zulässig seien, ist im Gegensatz zum
alten Recht - § 14 Abs. 4 aStGV erlaubte nach der damals geltenden
Wertzerlegungsmethode nur Abschreibungen auf dem geschäftlich
genutzten Teil von Gegenständen des Geschäftsvermögens - nicht
(mehr) vorgesehen. Dies lässt sich auch aus dem Kreisschreiben der
Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) vom 12. November 1992
zum Übergang zur Präponderanzmethode ableiten, wonach bei einer
vorwiegend geschäftlich genutzten Liegenschaft trotz eines ausge-
wiesenen Privatanteils bei den Betriebskosten die Abschreibung vom
Einkommenssteuerwert zugelassen wird und im Gegenzug bei
vorwiegend privat genutzten Liegenschaften der Abzug von Ab-
schreibungen auf dem geschäftlich genutzten Teil ausgeschlossen
wird (vgl. dazu ausführlich Kreisschreiben ESTV vom 12. November
1992 "Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit nach Art. 18
DBG (Ausdehnung der Kapitalgewinnsteuerpflicht, Übergang zur
Präponderanzmethode und deren Anwendung)" in: ASA 61
(1992/1993) S. 507 ff.).
Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus den Vorgaben im
StHG: Art. 10 Abs. 1 lit. a StHG sieht vor, dass die ausgewiesenen
Abschreibungen des Geschäftsvermögens, abziehbar sind. Sowohl
die Methode der Normalsätze mit linearen oder degressiven, als auch
die Methoden der Sofortabschreibung oder der Einmalerledigung
sind auch harmonisierungsrechtlich zulässig (vgl. M
ARKUS
R
EICH
in:
Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, Bundesgesetz
über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und
Gemeinden [StHG], 2. Auflage, Basel-Genf-München 2002, Art. 10
N 14 f.)
6.5
Da der Beschwerdeführer vorliegend sämtliche erwähnten Vor-
aussetzungen für die Vornahme der Sofortabschreibung in der ge-
samten Höhe von Fr. 50'937.-- erfüllt, ist die von der Vorinstanz auf
Fr. 10'187.-- festgesetzte Aufrechnung betreffend den Privatanteil
Abschreibung zu streichen. Die Beschwerde ist daher in diesem
2009
KantonaleSteuern
127
Punkt gutzuheissen. Bei der Festsetzung des Privatanteils Autokosten
darf indessen nicht vernachlässigt werden, dass ein Teil der - von
den Vorinstanzen im Rahmen der Abschreibung berücksichtigten -
Abnutzung und Entwertung der Vermögensgegenstände des Ge-
schäftsvermögens (Geschäftsfahrzeuge) auf die private Nutzung ent-
fällt (zur Berücksichtigung der Amortisation im Rahmen des Pri-
vatanteils Autokosten: siehe hinten Erw. 7.3).
7.
7.1
Streitig ist weiter der Privatanteil an den Betriebskosten des
Fahrzeugs bzw. der Fahrzeuge, die der Beschwerdeführer im Konto
4770 "Autospesen" in seiner Buchhaltung aufgeführt hat. Dabei
konzediert er selbst, dass der von ihm zu Grunde gelegte "km-Preis
zu gering ist". Weiter anerkennt er, dass der private Gebrauch auch in
Bezug auf die Amortisation zu berücksichtigen ist (Beschwerde
S. 6). Der Beschwerdeführer ist indessen der Auffassung, dass die
Steuerkommission und ebenso das Steuerrekursgericht von einer zu
hohen Anzahl privat gefahrener Kilometer ausgegangen seien.
7.2.
Der Beschwerdeführer hat für die beiden von ihm genutzten
Geschäftsfahrzeuge eine Gesamtkilometerleistung von 23'637 km
angegeben. Davon ist er nunmehr bereit, nachdem er anfänglich noch
von 2'400 km für die private Nutzung ausgegangen war, eine private
Kilometerleistung von 3'000 km zu akzeptieren. Die privaten
Fahrzeugkosten (inkl. Amortisation und Betrieb) berechnet er auf
Fr. 2'259.--, wobei er unzutreffend ausführt, dass in der Buchhaltung
bereits 1'560.-- privat verrechnet wurden, zumal er im Konto 4770
"Autospesen" lediglich Fr. 1'200.-- als private Benutzung verbucht
hatte. Erst im Laufe des Rechtsmittelverfahrens hatte er akzeptiert,
dass er in der Buchhaltung von einem zu geringen Kilometerpreis
ausgegangen sei, was richtigerweise zu dem entsprechend höheren
Privatanteil hätte führen müssen.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers vermögen
seine privaten Aufzeichnungen in Excel-Tabellen keinen aus-
reichenden Nachweis für die ganz überwiegend geschäftliche Nut-
zung des Fahrzeugs zu erbringen, ohne dass insoweit auf die Aus-
2009
Verwaltungsgericht
128
führungen der Vorinstanz zur Kombination von Baustellenfahrten
abgestellt werden müsste. Bei einer insgesamt nicht besonders hohen
Laufleistung von 23'637 km beider Fahrzeuge ergibt sich bei der
Annahme eines Anteils privater Fahrten von 20 Prozent ein Anteil
von rund 4'727 km. Eine solche Kilometerleistung liegt, auch wenn
der Beschwerdeführer noch ein privates Motorrad besitzt und ihm
unbestrittenermassen für den diesbezüglichen privaten Gebrauch
Kosten in der Höhe von Fr. 5'000.-- entstanden sind, nach der allge-
meinen Lebenserfahrung eher an der unteren Grenze der üblichen
privaten Nutzung eines Fahrzeugs. Die noch erheblich niedriger an-
gesetzte behauptete private Fahrleistung von 3'000 km erscheint
hingegen als unplausibel. An den Nachweis der entsprechenden Be-
hauptung des Beschwerdeführers sind daher hohe Anforderungen zu
stellen. Es wäre ein eigentliches Fahrtenbuch zu verlangen, dem ge-
naue Angaben über Abfahrts- und Ankunftsort und -zeit, zurückge-
legte Anzahl an Kilometern sowie den jeweiligen Anlass der Fahrten
entnommen werden können müssten, damit eine so weitgehende ge-
schäftliche Nutzung eines Geschäftsfahrzeugs als nachgewiesen
gelten könnte, wie sie der Beschwerdeführer behauptet. Diese Vor-
aussetzungen erfüllen die Aufzeichnungen des Beschwerdeführers
indes nicht, sodass von einer privaten Fahrleistung von 5'000 km
gemäss dem heranzuziehenden Merkblatt N1/2001 der ESTV über
die Bewertung der Naturalbezüge und der privaten Unkostenanteile
von Geschäftsinhaberinnen und Geschäftsinhabern (Merkblatt
N1/2001) für ein wenig privat benütztes Auto auszugehen ist.
7.3
Hinsichtlich der Bemessung des Privatanteils ist sodann - wie
erwähnt (siehe vorne Erw. 6.5) dem Umstand Rechnung zu tragen,
dass neben den verbuchten Ausgaben, auch der Abnutzung und Ent-
wertung der Geschäftsfahrzeuge Rechnung zu tragen ist. Da dafür,
wie bereits dargelegt, nicht einfach eine Aufrechnung bei der vom
Beschwerdeführer zulässigerweise verbuchten Sofortabschreibung
vorgenommen werden kann - womit in der Sache der Hypothese
eines stets gleich bleibenden Privatanteils bei ebenfalls gleich blei-
bender Laufleistung gefolgt würde -, drängt es sich auf, für die
Bemessung des Privatanteils nicht auf die - ohne Berücksichtigung
2009
KantonaleSteuern
129
der Abschreibung - verbuchten Betriebsausgaben für die beiden
Fahrzeuge abzustellen, sondern ebenfalls hilfsweise das Merkblatt
N1/2001 heranzuziehen, welches im Rahmen der Betriebskosten
auch die festen Kosten mit berücksichtigt. Bei Zugrundelegung die-
ses Merkblatts ergibt sich bei der pauschalen Ermittlung für die bei-
den Fahrzeuge ein Privatanteil von abgerundet Fr. 3'200.--, wobei zu
Gunsten des Beschwerdeführers auf eine gesamte Fahrleistung von
25'000 km und abgerundete Katalogpreise von Fr. 37'000.-- (BMW
325; in Gebrauch bis Ende Juli 2002) und Fr. 60'000.-- (BMW 330;
in Gebrauch ab August 2002) abgestellt wurde. Wird zusätzlich in
Erwägung gezogen, dass bereits ein Anteil von 20 Prozent an den
verbuchten Betriebskosten den Betrag von Fr. 2'264.-- ergibt, so er-
scheint der pauschal ermittelte Privatanteil als angemessen und es
muss damit sein Bewenden haben.
Abzüglich des bereits verbuchten Privatanteils von Fr. 1'200.--
beträgt die Aufrechnung damit neu Fr. 2'000.--. | 2,993 | 2,396 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-26_2009-10-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-26.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-26.pdf | AGVE_2009_26 | null | nan |
eec2fed9-b2eb-5fae-a33f-694e58b1f7b0 | 1 | 412 | 871,372 | 1,072,915,200,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsrechtspflege
269
[...]
66
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts gemäss § 52 Ziff. 1 und 4 VRPG.
- Ist das Schulgeld zwischen den Eltern und Schul- oder Wohngemeinde
umstritten, ist gegen den Entscheid des Regierungsrats die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss § 52 Ziff. 1 VRPG möglich
(Erw. 2/a).
- Bei Differenzen zwischen der Schul- und Wohngemeinde ist der Be-
schwerdeentscheid des Regierungsrats beim Verwaltungsgericht
gemäss § 52 Ziff. 4 VRPG anfechtbar (Erw. 2/b).
vgl. AGVE 2004 27 109 | 134 | 109 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-66_2004 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-66.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-66.pdf | AGVE_2004_66 | null | nan |
eee020a2-f574-5d1b-950d-d162053f1e62 | 1 | 412 | 870,148 | 986,256,000,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
330
[...]
70
Eignungs- und Zuschlagskriterien; Grundsatz der Transparenz.
- Auch in einem offenen Verfahren ist grundsätzlich bereits in der Aus-
schreibung klar zwischen den von den Anbietenden zu erfüllenden
Eignungskriterien und den leistungsbezogenen Zuschlagskriterien im
Sinne von § 18 Abs. 2 SubmD zu unterscheiden (Erw. 3/c/aa).
- Die Ausschreibung muss alle Zuschlagskriterien und deren Gewich-
tung enthalten (Erw. 3/c/bb).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 10. April 2001 in
Sachen S. AG gegen den Beschluss des Regierungsrats und die Verfügung der
Psychiatrischen Dienste des Kantons Aargau.
Aus den Erwägungen
2. a) Gemäss Ziffer 10 der öffentlichen Ausschreibung waren
die folgenden Zuschlagskriterien massgebend:
- Referenzinstallationen in der Schweiz im Gesundheitsbereich
Kunden mit vergleichbarer Grösse und Struktur
- Einführungs-, Entwicklungsplan für TARMED muss vorliegen
- Vollständigkeit der Offerte
- Preis (Investitions-, Betriebskosten)/Leistung
- Genügend Ressourcen, auch im Fachbereich
2001
Submissionen
331
- Im Markt etabliertes Softwarehaus
- Qualitätssicherung
- Übernahme des Projektes als Generalunternehmer möglich
- Erfahrung mit Ablösung von Systemen und Datenübernahme
In Ziffer 6 der Ausschreibungsunterlagen wurde nebst diesen
Kriterien als weiteres Zuschlagskriterium noch genannt:
- Angebote im Bereich der Optionen
b) Sieben der fristgerecht eingereichten Angebote - die beiden
Angebote lediglich für die Leistungserfassung wurden vom weiteren
Vergabeverfahren ausgeschlossen - wurden anhand der bekannt ge-
gebenen Zuschlagskriterien beurteilt. Dabei erfolgte nicht eine
eigentliche Bewertung, sondern die Angebote wurden daraufhin
geprüft, ob sie die einzelnen Kriterien erfüllten (vgl. dazu Erw. 3/c
hienach). Aufgrund dieser Beurteilung wurden zwei weitere Ange-
bote, deren Ressourcen im Fachbereich als ungenügend angesehen
wurden, ausgeschieden. Die verbleibenden fünf Angebote (Be-
schwerdeführerin, M. & P., L. GmbH, E., E. & Y.) wurden nach den
folgenden (gewichteten) Kriterien mit Punkten bewertet:
- Kosten einmalige (ohne Leistungserfassung) [Gewicht: 2]
- Kosten laufend (jährlich) [Gewicht: 1,5]
- Systemeinführung, Projektleitung, Unternehmen, Sicherheit [Ge-
wicht: 2]
- Funktionalität Patientenadministration [Gewicht: 2,5]
- Funktionalität Finanz- und Rechnungswesen [Gewicht: 2]
Ausgegangen wurde bei den fünf Angeboten von den folgenden
Investitionskosten (ohne Leistungserfassung) und Betriebskosten:
(Tabellarische Zusammenstellung der Angebote)
Um die drei Bereiche Systemeinführung etc., Funktionalität Pa-
tientenadministration (PA) und Funktionalität Finanz- und Rech-
nungswesen (FRW) punktemässig gleichwertig zu bewerten, wurde
das jeweils höchste Resultat auf 1000 Punkte und die anderen Punkt-
zahlen proportional aufgerechnet. Für die Kosten wurde der tiefste
Betrag auf 1000 Punkte aufgerechnet und die Differenz der einzelnen
2001
Verwaltungsgericht
332
Beträge zum tiefsten Betrag punktemässig vom Maximum abgezo-
gen. Auf diese Weise ergaben sich die folgenden Bewertungen:
(Tabellarische Zusammenstellung der Bewertung)
(...)
3 c) aa) Zunächst fällt auf, dass die Vergabestelle unter dem Ti-
tel ,,Zuschlagskriterien" nicht nur ,,reine" Zuschlagskriterien im
Sinne von § 18 Abs. 2 SubmD nennt, sondern auch Eignungskrite-
rien, Rahmenbedingungen und Ausschlussgründe. Die verlangte
Vollständigkeit der Offerte beispielsweise ist nach der verwaltungs-
gerichtlichen Rechtsprechung kein Zuschlagskriterium, sondern wie
die Wahrung der Eingabefrist eine formelle Anforderung an das An-
gebot (§ 14 Abs. 1 SubmD). Unvollständige Angebote können vom
weiteren Verfahren ausgeschlossen werden; betrifft die Unvollstän-
digkeit wesentliche Punkte, müssen sie sogar ausgeschlossen werden
(AGVE 1999, S. 345 ff.). Das verlangte Vorliegen eines Einfüh-
rungs- und Entwicklungsplans für TarMed stellt letztlich eine Rah-
menbedingung, die entweder erfüllt ist oder nicht, und nicht ein Zu-
schlagskriterium dar. Die restlichen Kriterien haben, abgesehen vom
Kriterium Preis/Leistung, weitaus eher den Charakter von Eignungs-
kriterien denn von Zuschlagskriterien, beziehen sie sich doch auf die
Anbieter und nicht auf deren Angebote. In einer ersten Runde hat die
Vergabestelle die einzelnen Angebote denn auch im Sinne einer
,,Ja"/"Nein"-Beurteilung lediglich daraufhin geprüft, ob sie die ,,Zu-
schlagskriterien" erfüllten oder nicht, was im Grunde einer Eig-
nungsprüfung entspricht. Diese erste Runde hatte offensichtlich aus-
schliesslich den Zweck, für die Ausführung des Auftrags ungeeignete
Offerenten vom weiteren Verfahren auszuschliessen. Ein solches
Vorgehen ist auch in einem offenen Verfahren zulässig, denn auch
hier darf der Zuschlag nur an einen Anbieter erteilt werden, der in
der Lage ist, die zu vergebenden Leistungen zu erbringen, was eine
Überprüfung seiner Eignung voraussetzt (VGE III/161 vom 30. No-
vember 1999 [BE.1999.00254] in Sachen E. AG, S. 11). Zu bean-
standen ist allerdings, dass diese Eignungsprüfung im vorliegenden
Fall anhand von Kriterien erfolgt ist, die von der Vergabestelle
2001
Submissionen
333
formell ausdrücklich als ,,Zuschlagskriterien" deklariert worden sind.
Auch in einem offenen Verfahren ist - im Interesse der Transparenz
des Verfahrens und um Missverständnisse oder Irreführungen der
Anbietenden auszuschliessen - grundsätzlich bereits in der Aus-
schreibung klar zwischen den von den Anbietenden zu erfüllenden
Eignungskriterien und den leistungsbezogenen Zuschlagskriterien im
Sinne von § 18 Abs. 2 SubmD zu unterscheiden.
bb) Die für die Vergabestelle im Hinblick auf die verlangten
Leistungen im Vordergrund stehenden Gesichtspunkte (,,Kosten ein-
malig", ,,Kosten laufend", ,,Systemeinführung, Projektleitung, Unter-
nehmen, Sicherheit", ,,Funktionalität Patientenadministration" und
,,Funktionalität Finanz- und Rechnungswesen" [vgl. Erw. 2/b hie-
vor]) ergeben sich zum Teil aus den Ausschreibungsunterlagen. So
wird unter dem Titel ,,Ausgangslage" zunächst festgehalten, das
Projektteam wolle auf der Basis der Offerten die folgenden Punkte
beurteilen können:
- Verfügbarkeit der geforderten Applikationen (eigene oder Integra-
tion von Drittprodukten)
- Lösungskonzept technisch und applikatorisch
- Zu erwartende Kosten (einmalige und wiederkehrende) aufgeglie-
dert in einzelne Programm-Module auf der Basis des Standardpa-
ketes inklusive Angabe allfällig erforderlicher Zusatzmodule
Weitere Hinweise auf die wesentlichen Punkte sind in den Aus-
schreibungsunterlagen unter Ziffer 4 - ,,Was wir von Ihnen erwarten"
(,,4.1 Fragen und Informationen" / ,,4.2 Investitions- und Betriebs-
kosten") - enthalten. Damit konnten die Anbietenden nur bedingt -
und zwar nicht anhand der als solche deklarierten ,,Zuschlagskrite-
rien", sondern durch die Ausschreibungsunterlagen als Gesamtes - in
Erfahrung bringen, welche Aspekte für die Vergabestelle hinsichtlich
der Zuschlagserteilung relevant sein sollten. Einzig erahnen liess
sich, wo für die Vergabestelle die Beurteilungsschwerpunkte lagen.
So lässt sich lediglich aus den Ausschreibungsunterlagen und dem
Pflichtenheft insgesamt schliessen, dass den qualitativen Gesichts-
punkten (Leistung, Zuverlässigkeit, Datenschutz, Sicherheit) ein
grösseres Gewicht beigemessen wurde als dem Preis. Doch hätte
aufgrund der bekannt gegebenen Zuschlagskriterien durchaus auch
2001
Verwaltungsgericht
334
davon ausgegangen werden dürfen, dass der Preis allein nicht in die
Bewertung miteinbezogen wird, erweist sich doch das in diesem
Kontext einzig angeführte Kriterium ,,Preis (Investititions-, Betriebs-
kosten)/Leistung" letztlich als nichtssagend. Die Ermittlung des
Preis-/Leistungsverhältnisses ist gerade Sinn und Zweck des ganzen
Vergabeverfahrens, mithin der Würdigung aller Zuschlagskriterien
(vgl. den Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission für das
öffentliche Beschaffungsrecht [ERKB] vom 1. September 2000, in:
VPB 65/2001 Nr. 11, S. 130). Die grosse Streuung, welche bezogen
auf die Eingabesummen der Angebote auszumachen ist, deutet da-
rauf hin, dass einzelne Anbieter von einer noch höheren Gewichtung
der Qualität gegenüber dem Preis ausgegangen sind.
Auf jeden Fall waren die Formulierung und insbesondere die
Reihenfolge der für den Zuschlag letztlich massgebenden Kriterien
klarerweise nicht in dem in der öffentlichen Ausschreibung und in
den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Katalog der Zuschlags-
kriterien aufgeführt. Insofern erweisen sich auch die Verfügungen
vom 10. Januar 2001 als unrichtig, wird doch dort zur Begründung
angeführt: ,,Nach den Zuschlagskriterien mit dem besten
Preis-/Leistungsverhältnis". Als Zuschlagskriterien wurden nunmehr
wieder die im Amtsblatt vom 31. Januar 2000 veröffentlichten Krite-
rien zitiert. Bewertet wurden die fünf im Verfahren verbliebenen
Angebote jedoch nicht anhand dieser Kriterien, sondern mittels eines
vierseitigen Beurteilungsschemas, welches sich zumindest inhaltlich
an die der Matrix vom Mai 2000 zugeordneten Kriterien Funktiona-
lität Patientenadministration, Funktionalität Finanz- und Rech-
nungswesen sowie Systemeinführung hält, und mittels der Kosten-
vergleiche (vgl. Erw. 2/b hievor).
Gesamthaft betrachtet erweist sich das Vorgehen der Vergabe-
stelle sowohl bei der Festsetzung und Bekanntgabe der ,,Zuschlags-
kriterien" in der öffentlichen Ausschreibung und in den Ausschrei-
bungsunterlagen als auch bei der Beurteilung und Bewertung der
Anbieter und der Angebote einerseits anhand der deklarierten ,,Zu-
schlagskriterien" und anderseits aufgrund der nicht ausdrücklich
bekanntgegebenen, sondern bestenfalls implizit aus den Ausschrei-
bungsunterlagen zu entnehmenden Kriterien und deren massgeben-
2001
Submissionen
335
den Reihenfolge vor dem Hintergrund des fundamentalen Grundsat-
zes der Transparenz - diesbezüglich in Art. 18 Abs. 3 SubmD, Art. 5
Abs. 3 BGBM, Art. XII Ziff. 2 lit. h GPA konkretisiert - als nicht
mehr haltbar.
cc) Zumindest fragwürdig erscheint das nachträgliche Aus-
scheiden von zwei Anbieterinnen mangels Eignung, nachdem die
Vergabestelle diese vorerst in die Bewertung miteinbezogen und sich
das Angebot der einen dieser Anbieterinnen dabei als das wirtschaft-
lich günstigste erwiesen hatte. Nicht zu beurteilen ist im vorliegen-
den Fall, ob die Bedenken der Vergabestelle gegen diese Anbieterin-
nen berechtigt sind (die entsprechenden Unterlagen wurden von der
Vergabestelle entgegen der Aufforderung in der Instruktionsverfü-
gung vom 22. Januar 2001, wonach
sämtliche
Vorakten einzureichen
seien, dem Verwaltungsgericht nicht zur Verfügung gestellt). Die
betreffenden Vorbehalte betreffen ausschliesslich die Eignung und
hätten bei einer korrekt durchgeführten Vergabe bei eben dieser Prü-
fung zum Ausschluss führen können. Wird die Eignung aber erst
nach einer erstmaligen Bewertung des Angebots und in Kenntnis der
ersten Rangierung eines Anbieters von neuem in Frage gestellt, so
setzt sich die Vergabestelle zumindest dem Vorwurf eines nicht mehr
transparenten Verfahrens, wenn nicht gar dem der Willkür aus.
d) Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das Vorgehen der
Vergabestelle sowohl bei der Festsetzung und Bekanntgabe der ,,Zu-
schlagskriterien" als auch bei der Beurteilung und Bewertung der
Angebote aufgrund der nicht ausdrücklich bekanntgegebenen Krite-
rien sowie bezogen auf die zweite Eignungsprüfung nach erstmaliger
Bewertung intransparent und infolgedessen vergaberechtswidrig ist. | 2,420 | 2,001 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-70_2001-04-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-70.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-70.pdf | AGVE_2001_70 | null | nan |
ef2560b9-2dd9-5843-9f66-09b0cc0fa1be | 1 | 412 | 871,748 | 1,280,620,800,000 | 2,010 | de | 2010
Strassenverkehrsrecht
89
[...]
20 Vorsorglicher Führerausweisentzug; Anordnung einer fachärztlichen
Begutachtung.
-
Rechtmässigkeit der Anordnung einer fachärztlichen Begutachtung
angesichts des eingestandenen Cannabiskonsumverhaltens (seit län-
gerer Zeit in beträchtlichem Ausmass und gewohnheitsmässig).
-
Unverhältnismässigkeit der Anordnung eines vorsorglichen Führer-
ausweisentzuges, wenn nach der Aktenlage mit den vom Beschwer-
deführer eingestandenen Cannabiskonsumgewohnheiten allein und
ohne hinzukommende manifeste Verdachtsgründe zu wenig intensive
2010
Verwaltungsgericht
90
Anhaltspunkte vorliegen, dass der Beschwerdeführer andere Ver-
kehrsteilnehmer als Folge einer allfälligen Cannabisabhängigkeit in
erhöhtem Mass gefährden könnte, wenn er bis zum Vorliegen der
fachärztlichen Begutachtung weiterhin zum Verkehr zugelassen wür-
de.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 12. August 2010 in
Sachen K.A. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und In-
neres (WBE.2010.160).
Aus den Erwägungen
1.
1.1. (...)
1.2.
Der vorsorgliche Führerausweisentzug kann nur dann angeord-
net werden, wenn genügend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein
Fahrzeuglenker ein besonderes Risiko für die anderen Verkehrteil-
nehmer darstellt, die erforderlichen Abklärungen zur Fahreignung
aber nicht der Dringlichkeit entsprechend vorgenommen werden
können. Beim vorsorglichen Führerausweisentzug handelt es sich
lediglich um eine Zwischenverfügung im Rahmen eines Sicherungs-
entzugsverfahrens. Gemäss Art. 30 VZV kann der Führerausweis
vorsorglich entzogen werden, wenn ernsthafte Bedenken an der
Fahreignung bestehen. Voraussetzung für einen vorsorglichen Füh-
rerausweisentzug ist gemäss der Rechtsprechung, dass der Fahrzeug-
führer andere Verkehrsteilnehmer im Vergleich zu den übrigen Fahr-
zeugführern in erhöhtem Masse gefährden könnte, würde er während
der Verfahrensdauer zum Verkehr zugelassen (BGE 106 Ib 115,
Erw. 2b). Diese Regelung trägt der besonderen Interessenlage Rech-
nung, welche bei der Zulassung von Fahrzeugführern zum Strassen-
verkehr zu berücksichtigen ist. Angesichts des grossen Gefährdungs-
potentials, welches dem Führen eines Motorfahrzeugs eigen ist, er-
lauben schon Anhaltspunkte, die den Fahrzeugführer als besonderes
Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer erscheinen lassen und
2010
Strassenverkehrsrecht
91
ernsthafte Bedenken an seiner Fahreignung erwecken, den vorsorg-
lichen Ausweisentzug.
Der strikte Beweis für die Fahreignung ausschliessende Um-
stände ist nicht erforderlich; wäre dieser erbracht, müsste unmittelbar
der Sicherungsentzug selber verfügt werden. Umgekehrt bedeutet
dies, dass, sobald der Beschwerdeführer nachweisen kann, dass die
Voraussetzungen eines Sicherungsentzuges mit grosser Wahrschein-
lichkeit gestützt auf einen geänderten Sachverhalt nicht mehr gege-
ben sind, er beim Strassenverkehrsamt die Aufhebung des vorsorgli-
chen Führerausweisentzugs verlangen kann. Eine umfassende Aus-
einandersetzung mit sämtlichen Gesichtspunkten, die für oder gegen
einen Sicherungsentzug sprechen, braucht erst im anschliessenden
Hauptverfahren zu erfolgen (BGE 125 II 492, Erw. 2b; 122 II 359,
Erw. 3a mit Hinweisen). Falls die erforderlichen Abklärungen also
nicht der Dringlichkeit entsprechend rasch und abschliessend getrof-
fen werden können, soll der Ausweis bis zum Sachentscheid vorläu-
fig entzogen werden können (BGE 122 II 359, Erw. 3a, 125 II 492,
Erw. 2b). Die Wiedererteilung des Führerausweises wird vom günsti-
gen Ausgang einer fachärztlichen Untersuchung abhängig gemacht.
Wird anlässlich der Abklärung die Fahreignung wegen eines Alko-
hol- oder Drogenproblems tatsächlich verneint, erfolgt ein "definiti-
ver" Führerausweisentzug (Sicherungsentzug) auf unbestimmte Zeit,
der mit einer Sperrfrist verbunden wird (Art. 16d Abs. 2 SVG).
Der vorsorgliche Entzug während eines Sicherungsentzugsver-
fahrens bildet zum Schutz der allgemeinen Verkehrssicherheit die
Regel (BGE 127 II 122, Erw. 5; 125 II 396, Erw. 3 = Pra 89/2000,
Nr. 88). Dies ergibt sich aus dem genannten Sinn und Zweck des Si-
cherungsentzugs.
1.3.
Nachdem der Beschwerdeführer die Aufhebung der vorinstanz-
lichen Entscheide beantragt, ist nachfolgend zu prüfen, ob zu Recht
eine fachärztliche Begutachtung angeordnet wurde (siehe hinten
Erw. 3) und ob die Akten zu Recht begründete Zweifel an der
Fahreignung des Beschwerdeführers aufkommen lassen und dement-
sprechend genügend Anhaltspunkte für einen vorsorglichen Siche-
rungsentzug vorliegen (siehe hinten Erw. 4).
2010
Verwaltungsgericht
92
2.
2.1.
Das DVI ging in Anlehnung an die Strafakten von folgendem
Sachverhalt aus:
" 2.
a)
Am 13. Juni 2009 wurde der Beschwerdeführer als Lenker
eines Personenwagens zur polizeilichen Kontrolle angehal-
ten. Bei der Effektenkontrolle wurden 19 Minigrips Mari-
huana mit einem Gesamtgewicht von 57 Gramm aufgefun-
den und sichergestellt. Im Laufe von polizeilichen Befragun-
gen in diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer ge-
mäss den polizeilichen Feststellungen Anzeichen von Denk-
und Konzentrationsstörung aufgewiesen. Zudem hat er zu
Protokoll gegeben, dass er seit langer Zeit Cannabis (Mari-
huana) konsumiere und jeweils nicht mehr genau wisse, was
am vorangegangenen Tag passiert sei (...).
b)
Infolgedessen verzeigte die Kantonspolizei Aargau den Be-
schwerdeführer beim Bezirksamt X. wegen Widerhandlung
gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 BetmG), falscher
Anschuldigung (Art. 303 StGB) und Irreführung der Rechts-
pflege (Art. 304 StGB). Das entsprechende Strafverfahren ist
noch hängig.
3.
Gestützt auf diese Feststellungen, insbesondere den Äusse-
rungen des Beschwerdeführers im polizeilichen Ermittlungs-
verfahren, erliess das Strassenverkehrsamt die angefochtene
Verfügung."
2.2. (...)
2.3.
Gemäss Art. 30 i.V.m. Art. 108 Abs. 3 VZV kann der Führeraus-
weis bis zur Abklärung von Ausschlussgründen sofort vorsorglich
entzogen werden. Bei dieser Art des Entzuges handelt es sich um ei-
nen Sicherungsentzug in Form einer vorsorglichen Massnahme. Er
dient zur Sicherung des Verkehrs vor ungeeigneten Führern. Ob der
2010
Strassenverkehrsrecht
93
vorsorgliche Entzug des Führerausweises zu Recht erfolgt ist, hängt
also davon ab, ob aufgrund der Aktenlage genügend konkrete An-
haltspunkte bestehen, welche das Vorliegen eines Ausschlussgrundes
wahrscheinlich erscheinen lassen (AGVE 1997, S. 472; 1982,
S. 214 f.)
Da die vorsorglichen Sicherungsentzüge im Interesse der Ver-
kehrssicherheit unverzüglich zu erlassen sind, können sie grundsätz-
lich unabhängig von einer Verkehrsregelverletzung oder einer ande-
ren Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz angeordnet
werden und dauern so lange, als der Ausschlussgrund anhält. Ein Si-
cherungsentzugsverfahren erfolgt mithin allein aus Gründen der Ver-
kehrssicherheit und ist unabhängig vom Verschulden des betroffenen
Fahrzeuglenkers. Dementsprechend ist es, anders als bei einem War-
nungsentzug, auch nicht angezeigt, den Abschluss eines allenfalls
parallel durchzuführenden Strafverfahrens abzuwarten. Davon abge-
sehen hat das Bundesgericht in BGE 122 II 359 ausdrücklich festge-
halten, dass die Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK - insbesonde-
re die Unschuldsvermutung gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK - auf das
Verfahren betreffend Erlass vorsorglicher Sicherungsentzüge keine
Anwendung finden. Mithin darf ein Sicherungsentzugsverfahren ein-
geleitet und allenfalls ein vorsorglicher Führerausweisentzug ange-
ordnet werden, ohne dass ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt.
Demzufolge braucht vorliegend der Ausgang des Strafverfahrens
nicht abgewartet zu werden.
2.4.
Aus den beigezogenen Akten geht hervor und ist vom Be-
schwerdeführer auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unbe-
stritten geblieben, dass er regelmässig Cannabis konsumierte. So
konnten beim Beschwerdeführer anlässlich seiner Kontrolle als Len-
ker des Personenwagens mit dem Kennzeichen (...) am 13. Juni
2009 19 Minigrip Marihuana mit einem Gesamtgewicht von
57 Gramm vorgefunden und sichergestellt werden. Bei der anschlies-
send durchgeführten Hausdurchsuchung wurden am Wohnort des
Beschwerdeführers weitere 39 Minigrip Marihuana mit einem Ge-
samtgewicht von 117 Gramm sichergestellt. Im Rahmen des gegen
ihn u.a. wegen des Verdachts auf Handel mit Marihuana angehobe-
2010
Verwaltungsgericht
94
nen Strafverfahrens anerkannte der Beschwerdeführer, regelmässig
Marihuana zu konsumieren, letztmals am 7. Juni 2009, als er an sei-
nem Wohnort in Y. einen "Joint" geraucht habe. Anlässlich seiner
Einvernahme am 16. Juni 2009 gab der Beschwerdeführer hin-
sichtlich seines Konsums zu Protokoll, vor ca. zwei Jahren das erste
Mal Marihuana geraucht zu haben. Andere Drogen habe er hingegen
- auch in der Vergangenheit - nicht konsumiert. Wegen Konsums
von Marihuana sei er bereits zweimal angezeigt worden. Mit dem
Konsum von Marihuana aufgehört habe er deswegen jedoch nicht.
Pro Woche habe er durchschnittlich jeweils ungefähr drei Gramm
Marihuana konsumiert, somit total rund 250 Gramm seit Januar/Fe-
bruar 2008.
3.
3.1.
Wie bereits erörtert (siehe vorne Erw. 2.3), kann ein Si-
cherungsentzugsverfahren eingeleitet und allenfalls ein vorsorglicher
Führerausweisentzug angeordnet werden, ohne dass ein rechtskräf-
tiges Strafurteil vorliegt; dies muss ebenso für die Anordnung einer
fachärztlichen Begutachtung gelten. Die Wiedererteilung des Führer-
ausweises wird vom günstigen Ausgang einer fachärztlichen Unter-
suchung abhängig gemacht. Wird anlässlich der Abklärung die Fahr-
eignung tatsächlich verneint, erfolgt ein "definitiver" Führerausweis-
entzug (Sicherungsentzug) auf unbestimmte Zeit, der mit einer
Sperrfrist verbunden wird (Art. 16d Abs. 2 SVG). Der Führerausweis
kann nur zurückgegeben werden, wenn die Person die Behebung des
Mangels nachgewiesen hat, der die Fahreignung ausgeschlossen hat
(Art. 17 Abs. 3 SVG). Der Sicherungsentzug greift damit tief in den
Persönlichkeitsbereich des Betroffenen ein. Gemäss der bundesge-
richtlichen Rechtsprechung ist daher eine genaue Abklärung der per-
sönlichen Verhältnisse von Amtes wegen vorzunehmen. Das Aus-
mass der notwendigen behördlichen Nachforschungen, namentlich
die Frage, ob eine fachärztliche Begutachtung vorgenommen werden
soll, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und liegt im
pflichtgemässen Ermessen der Entzugsbehörde (BGE 126 II 185,
Erw. 2a).
2010
Strassenverkehrsrecht
95
3.2.
Nach der Rechtsprechung erlaubt ein regelmässiger, aber kon-
trollierter und mässiger Haschischkonsum für sich allein noch nicht
den Schluss auf eine fehlende Fahreignung (BGE 127 II 122,
Erw. 4b; BGE 124 II 559, Erw. 4d und 4e). Ob diese gegeben ist,
kann ohne Angaben über die Konsumgewohnheiten des Betroffenen,
namentlich über Häufigkeit, Menge und Umstände des Cannabiskon-
sums und des allfälligen Konsums weiterer Betäubungsmittel und/
oder von Alkohol, sowie zu seiner Persönlichkeit, insbesondere hin-
sichtlich Drogenmissbrauch im Strassenverkehr, nicht beurteilt wer-
den (BGE 124 II 559, Erw. 4e und 5a). Ein die momentane Fahr-
fähigkeit beeinträchtigender Cannabiskonsum kann hingegen Anlass
bieten, die generelle Fahreignung des Betroffenen durch ein Fachgut-
achten näher abklären zu lassen (BGE 128 II 335, Erw. 4b m.w.H.).
Die (blosse) Anordnung einer verkehrsmedizinischen Abklärung der
Fahreignung (im Hinblick auf die Prüfung eines allfälligen Siche-
rungsentzuges) setzt konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass der
fragliche Inhaber des Führerausweises mehr als jede andere Person
der Gefahr ausgesetzt ist, sich in einem Zustand ans Steuer eines
Fahrzeuges zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr gewähr-
leistet (BGE 127 II 122, Erw. 3c; 124 II 559, Erw. 3d, je m.w.H.).
Dies kann namentlich der Fall sein, wenn es sich um einen "starken"
Konsumenten von Cannabis handelt und weitere Indizien auf
verkehrsgefährdendes
Verhalten
hinweisen
(BGE 127 II 122,
Erw. 4b; 124 II 559, Erw. 4a-g, je m.w.H.).
3.3.
3.3.1.
Aus den beigezogenen Akten erhellt, dass der Beschwerdefüh-
rer seit Juni 2007 bzw. spätestens anfangs 2008 wöchentlich Mari-
huana konsumierte. In mengenmässiger Hinsicht gestand der Be-
schwerdeführer im Rahmen der Ermittlungen im Strafverfahren ei-
nen Umfang von drei Gramm pro Woche zu. Obwohl der Beschwer-
deführer gemäss eigenen Angaben in der Vergangenheit von der Po-
lizei bereits zweimal wegen des Konsums von Marihuana verzeigt
worden war und damit um dessen Strafbarkeit wusste bzw. wissen
musste, und obwohl der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit
2010
Verwaltungsgericht
96
seinen Verfehlungen vom 13. Juni 2009, welche Anlass zu dem nach
wie vor hängigen Strafverfahren gaben, neun Tage Untersuchungs-
haft erstanden hatte, hörte er dennoch nicht mit dem Konsum von
Marihuana auf und konsumierte er weiterhin Marihuana, wie er
einerseits im Strafverfahren ausdrücklich zugegeben hatte und sich
andererseits aus der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergibt, in wel-
cher der Beschwerdeführer anführte, mittlerweile - d.h. seit Ende
Dezember 2009 - kein Cannabis mehr zu konsumieren. Damit ge-
steht der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren indes ein,
solche Rauschmittel bis Ende Dezember 2009 zu sich genommen zu
haben, und zwar auch nach dem am 4. Dezember 2009 durch das
Strassenverkehrsamt angeordneten (vorsorglichen) Sicherungsent-
zug. Davon abgesehen erscheint fraglich, inwiefern die Behauptung
des Beschwerdeführers, seit Ende Dezember 2009 kein Cannabis
mehr zu konsumieren, tatsächlich zutrifft. Einerseits ist bei der Wür-
digung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Cannabisabstinenz
auch zu berücksichtigen, dass er ein erhebliches Interesse an deren
Feststellung hat, steht doch einerseits eine - im vorliegenden Verfah-
ren nicht zu beurteilende - strafrechtliche Verurteilung und anderer-
seits ein damit einhergehender Führerausweisentzug im Raum, so
dass den Angaben des Beschwerdeführers, welcher um den Erhalt
seines Führerausweises bangt, nicht ohne weiteres Glauben ge-
schenkt werden kann. Andererseits blieb die behauptete Cannabisab-
stinenz vom Beschwerdeführer bis heute gänzlich unbelegt und steht
somit beweislos da, was insofern erstaunt, als sie sich in der Zwi-
schenzeit mit der Verurkundung entsprechender Blut- oder Urintests
problemlos hätte nachweisen lassen. Aus dem Umstand, dass das
DVI auf das Schreiben des Vertreters des Beschwerdeführers vom
25. März 2010 in seinem Entscheid vom 21. April 2010 keinen Be-
zug genommen hat, vermag der i.S.v. § 23 VRPG mitwirkungs-
pflichtige Beschwerdeführer hier nichts zu seinen Gunsten abzulei-
ten, da er anwaltlich vertreten war und sein rechtskundiger Vertreter
um die Möglichkeit von Blut- oder Urintests wissen musste und sol-
che Tests ohne weiteres als Beweise hätten ins Recht gelegt werden
können. Demnach braucht im Rahmen des vorliegenden vorsorgli-
2010
Strassenverkehrsrecht
97
chen Sicherungsentzugsverfahrens nicht weiter auf den diesbezügli-
chen Einwand des Beschwerdeführers eingegangen zu werden.
3.3.2.
Es kommt hinzu, dass im Schlussbericht der Kantonspolizei
Aargau vom 14. November 2009 bemerkt wird, die durch den Be-
schwerdeführer in den protokollarischen Befragungen gemachten
Aussagen seien mit der notwendigen Vorsicht zu werten, da er auf-
grund seines längeren und fortwährenden Konsums von Marihuana
bereits Anzeichen von Denk- und Konzentrationsstörungen aufweise.
In der Konfrontationseinvernahme vom 18. Juni 2009 habe er selbst
zu Protokoll gegeben: "Ich konsumiere seit langer Zeit und weiss
morgen nicht mehr genau, was heute war".
Wenn auch zutreffend ist, dass dem Beschwerdeführer im Straf-
verfahren keine Aussage- oder Wahrheitspflicht obliegt, und nicht
ausgeschlossen werden kann, dass die entsprechenden Aussagen des
Beschwerdeführers im Strafverfahren (auch) zu Verteidigungs-
zwecken erfolgt waren, so bedeutet dies entgegen der Meinung des
Beschwerdeführers dennoch nicht gleichzeitig, dass die im Schluss-
bericht der Kantonspolizei Aargau vom 14. November 2009 rappor-
tieren "Denk- und Konzentrationsstörungen" lediglich vorgetäuschte
"Wissenslücken" darstellen und allein auf "Falschaussagen" beruhen,
wie der Beschwerdeführer namhaft machen will. Mit Blick auf den
Umstand, dass die befragenden Polizeibeamten medizinische Laien
und damit nicht befähigt sind, rund um die rapportieren "Denk- und
Konzentrationsstörungen" eine stichhaltige medizinische Beurteilung
abzugeben und einzuschätzen, ob die "Wissenslücken" bloss vorge-
täuscht oder durch den Cannabiskonsum des Beschwerdeführers in-
diziert sind, sowie angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdefüh-
rer im Strafverfahren - insbesondere während der Untersuchungshaft
- zu den ihm angelasteten Verfehlungen widersprüchliche Angaben
gemacht und frühere Aussagen zurückgezogen hatte, bestehen zwar
zu wenig erhärtete und hinreichende Anhaltspunkte für den von der
Vorinstanz geäusserten Verdacht, der Beschwerdeführer leide an
(kognitiven) Gedächtnisstörungen. Die Vorinstanz übersieht in die-
sem Zusammenhang, dass nicht unbesehen der beim Beschwerdefüh-
rer bestehenden Cannabisproblematik einzig gestützt auf die erwähn-
2010
Verwaltungsgericht
98
ten Angaben im Schlussbericht vom 14. November 2009 auf das Vor-
liegen eines Verdachts kognitiver Störungen geschlossen werden
darf. Indes ist deswegen nicht ersichtlich, weshalb der eingangs ge-
schilderte Eindruck der Polizeibeamten im Strafverfahren nicht als
Indiz für die Beurteilung einer Suchtproblematik im vorliegenden
Verfahren berücksichtigt werden darf, zumal kein Grund ersichtlich
ist, weshalb die rapportierenden Polizeibeamten den Beschwer-
deführer zu Unrecht hätten "Denk- und Konzentrationsstörungen"
bezichtigen bzw. falsche Angaben im Protokoll anbringen sollen.
Weder die Formulierungen im Schlussbericht vom 14. November
2009 noch die Ausführungen im Polizeirapport vom 16. Oktober
2009 lassen darauf schliessen, dass die rapportierenden Polizei-
beamten ein besonderes Interesse an der Verzeigung und Bestrafung
des Beschwerdeführers verfolgt hätten. Im Gegenteil, dem Be-
schwerdeführer wird im Schlussbericht vom 14. November 2009 ein
anständiges Verhalten während der Untersuchungshaft attestiert.
3.3.3.
Aus den beigezogenen Akten erhellt unzweideutig, dass der
heute 19 Jahre alte Beschwerdeführer als regelmässiger - und
nicht bloss gelegentlicher - Cannabiskonsument zu gelten hat, wel-
cher während mindestens zwei Jahren wöchentlich Marihuana in
nicht zu vernachlässigendem Umfang von drei Gramm - so viel hat
der Beschwerdeführer im Rahmen der Ermittlungen im Strafverfah-
ren zumindest zugestanden - konsumierte. Dass der Beschwerdefüh-
rer lediglich jeweils an den Wochenenden Cannabis konsumiert ha-
ben soll, wie er vor Verwaltungsgericht vorbringt, findet mangels
entsprechender Aussagen im Rahmen des Strafverfahrens in den
Akten keine Stütze, so dass die entsprechende Behauptung nicht als
erwiesen angesehen werden kann.
Es kommt hinzu, dass es gesicherter wissenschaftlicher Er-
kenntnis entspricht, dass der Cannabisrausch die Fahrtüchtigkeit be-
einträchtigt. Der gelegentliche Cannabiskonsument, der nicht mit Al-
kohol oder anderen Drogen mischt, ist jedoch in der Regel in der
Lage, konsumbedingte Leistungseinbussen als solche zu erkennen
und danach zu handeln. Demgegenüber ist bei andauerndem bzw. re-
gelmässigem und gleichzeitig hohem Konsum von einer mindestens
2010
Strassenverkehrsrecht
99
geringen Bereitschaft und Fähigkeit auszugehen, zuverlässig zwi-
schen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Strassenverkehr zu
trennen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 1 BvR 2062/96 vom
20. Juni 2002, Absätze 33 ff.). Die Neigung, unter Substanzeinfluss
zu fahren, verstärkt sich mit zunehmendem Konsum. Deshalb kann
regel- oder gar gewohnheitsmässiger Cannabiskonsum zumindest
berechtigte Zweifel an der Fahreignung begründen, die gegebenen-
falls weitere Abklärungen im Rahmen einer Eignungsprüfung (oder
von Auflagen) rechtfertigen. Ausschliesslich vereinzelter Cannabis-
konsum - wie er im Falle des Beschwerdeführers hier klar zu vernei-
nen ist - ohne zusätzliche fahreignungsbeeinträchtigende Umstände
wird dies demgegenüber regelmässig nicht zulassen. Allerdings ist
der gelegentliche Konsument von Cannabisprodukten nicht ohne
weiteres von einem regel- oder gewohnheitsmässigen Konsumenten
zu unterscheiden, zumal entsprechende Erklärungen des Betroffenen
nicht stets als wahr unterstellt werden können (Entscheid des
Bundesgerichts vom 13. April 2006 [6A.11/2006], Erw. 3.3).
Wenn die Vorinstanz bei den gegebenen Umständen die Anord-
nung einer eingehenden fachärztliche Begutachtung des Beschwerde-
führers bestätigte, so kann ihr keine Rechtsverletzung vorgeworfen
werden. Die unbestrittene Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit
längerer Zeit in beträchtlichem Ausmass und gewohnheitsmässig
Cannabis konsumierte und darauf selbst nach Eröffnung eines Straf-
verfahrens und des vorliegenden Sicherungsentzugsverfahrens nicht
verzichten konnte, und er anlässlich seiner Befragungen während der
Untersuchungshaft in seinem (Aussage-)Verhalten nach Einschät-
zung der rapportierenden Polizeibeamten Auffälligkeiten offenbarte,
welche auf "Denk- und Konzentrationsstörungen" hinweisen könn-
ten, bilden hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Be-
schwerdeführer unter dem Einfluss von regelmässigem Cannabis-
konsum die Tendenz haben könnte, gesetzliche Vorschriften zu miss-
achten, die der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer dienen. Bei einem
solchen Konsumverhalten ist zudem nicht auszuschliessen, dass der
Betroffene ausser Stande ist, eine drogenkonsumbedingte zeitweilige
Fahruntüchtigkeit rechtzeitig als solche zu erkennen oder trotz einer
solchen Erkenntnis von der aktiven Teilnahme am Strassenverkehr
2010
Verwaltungsgericht
100
abzusehen. Jedenfalls darf diese Beurteilung aufgrund der entgegen-
stehenden, hinreichend aussagekräftigen Anzeichen für den vom Be-
schwerdeführer eingestandenen Verdacht, dass er mindestens regel-
mässig Cannabis konsumiert, nicht leichthin als unbegründet abgetan
werden. Angesichts seines eingestandenen Cannabiskonsums er-
weckt der Beschwerdeführer vielmehr eine gewisse Befürchtung,
dass er mehr als jede beliebige andere Person Gefahr laufen könnte,
sich in einem Zustand ans Steuer zu setzen, der das sichere Lenken
des Fahrzeuges nicht mehr gewährleistet, zumal auch eine blosse
Suchtgefährdung für einen Sicherungsentzug genügen kann, und es
lässt sich der Verdacht, dass der Beschwerdeführer Drogenkonsum
und Strassenverkehr nicht ausreichend zu trennen vermöchte, ange-
sichts der besonderen Schwierigkeiten des Nachweises sowohl des
die Fahrfähigkeit beeinträchtigenden Konsums als auch der Ab-
hängigkeit von Cannabis (vgl. BGE 124 II 559, Erw. 3c und d) nicht
ausschliessen. Im Übrigen kann erst aufgrund der hier streitigen
fachärztlichen Untersuchung geprüft werden, wie häufig und intensiv
der Cannabiskonsum tatsächlich ist, ob der Beschwerdeführer zu-
sätzlich andere Drogen bzw. Alkohol oder Medikamente konsumiert
und wie sein psychischer und gesundheitlicher Gesamtzustand sich
insgesamt auf die Frage der Fahreignung auswirkt.
3.3.4.
Vorliegend wird nicht ausser Acht gelassen, dass nicht jeder
Cannabiskonsum zwingend die Fahrfähigkeit beeinträchtigt und Can-
nabiskonsumenten - ebenso wie solche von Alkohol - in der Lage
sein können, die Gefährlichkeit der Droge im Strassenverkehr zu er-
kennen und nach einem die Fahrfähigkeit beeinträchtigenden Kon-
sum auf das Autofahren zu verzichten. Nach der dargelegten Praxis
darf auch nicht gefolgert werden, präventive verkehrsmedizinische
Abklärungen seien erst zulässig, wenn mehrere Anzeichen für eine
pathologische Sucht bzw. schwere Gesundheitsstörungen vorliegen
oder wenn es bereits zu einem Verkehrsunfall gekommen ist. Zwar
darf nicht bei jedem Cannabiskonsumenten ohne weiteres eine man-
gelnde Fahreignung vermutet und eine entsprechende verkehrsmedi-
zinische Abklärung angeordnet werden. Diesbezüglich ist auch eine
möglichst rechtsgleiche Praxis im Vergleich zum Alkoholmissbrauch
2010
Strassenverkehrsrecht
101
am Steuer anzustreben (vgl. BGE 126 II 185, Erw. 2; 124 II 559,
Erw. 3c-d). Mögliche Anzeichen dafür, dass eine verkehrsmedi-
zinische Abklärung der Fahreignung von regelmässigen Cannabis-
konsumenten geboten sei, beschränken sich allerdings nicht zum
Vornherein auf Resultate von Messungen des Cannabis-Wirkstoffge-
halts (THC-Gehalt) im Blut des Lenkers. Vielmehr können sich ent-
sprechende Anhaltspunkte - wie im vorliegenden Fall - auch aus
dem eingestandenen Konsumverhalten des Lenkers ergeben. Bei An-
zeichen von übermässigem Haschischkonsum, der zur Gefährdung
der Verkehrssicherheit führt, darf eine Prüfung der Fahreignung an-
geordnet werden (vgl. BGE 127 II 122, Erw. 4b; 124 II 559,
Erw. 3d). Schliesslich ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer
aufgrund der Begutachtung nichts zu befürchten hat, sollten seine
Angaben tatsächlich zutreffen, denn das Gutachten würde diesfalls
seine Fahreignung bestätigen. Auf der anderen Seite könnte durch
eine allfällige negative Begutachtung die Verkehrssicherheit für die
anderen Verkehrsteilnehmer gewährleistet werden, indem der Be-
schwerdeführer nach entsprechender Begutachtung mittels definiti-
vem Sicherungsentzug vom Verkehr ferngehalten werden könnte.
Eine Abwägung dieser Interessen ergibt zweifellos die Notwendig-
keit, dass beim Beschwerdeführer eine eingehende fachärztliche
Begutachtung durchgeführt wird.
3.3.5.
Die Anordnung einer eingehenden fachärztlichen Begutachtung
des Beschwerdeführers zur umfassenden Prüfung von dessen Fahr-
eignung durch das Strassenverkehrsamt war unter diesen Umständen
zu Recht erfolgt und ist auch heute noch angemessen. Es liegt darin
weder eine unrichtige Rechtsanwendung noch eine Ermessens-
überschreitung oder ein Ermessensmissbrauch.
4.
4.1.
Es stellt sich die Frage, inwieweit der vom Strassenverkehrsamt
angeordnete und von der Vorinstanz bestätigte vorsorgliche Entzug
des Führerausweises (noch) gerechtfertigt ist.
2010
Verwaltungsgericht
102
4.2.
Wie bereits geschildert, ist nach der Rechtsprechung des Bun-
desgerichts der vorsorgliche Entzug des Führerausweises gerechtfer-
tigt, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass ein Fahrer eine besondere
Gefahr für die anderen Strassenbenützer darstellt und dass seine Fä-
higkeit, ein Fahrzeug zu lenken, ernsthaft bezweifelt werden muss.
Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ärztliche Untersuchungen
oder auch das Verhalten des Fahrzeugführers insgesamt konkrete
Hinweise für eine Sucht ergeben (BGE 122 II 359, Erw. 3a;
125 II 396, Erw. 3). Wenn dabei gemäss Gesetz bis zur Abklärung
von Ausschlussgründen der Führerausweis entzogen werden kann, so
ist die Entzugsbehörde auf ihr Ermessen verwiesen und hat sie
ungeachtet, dass der vorsorgliche Entzug in solchen Fällen die Regel
bildet (BGE 125 II 396, Erw. 3), summarisch eine Abwägung der
massgeblichen Interessen vorzunehmen und mindestens die Dring-
lichkeit des Entzugs zu begründen (vgl. BGE 127 II 122, Erw. 5).
Wie alle hoheitlichen Massnahmen muss auch ein (vorsorglicher)
Führerausweisentzug dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit ge-
recht werden.
4.3.
4.3.1.
Weder das Strassenverkehrsamt noch die Vorinstanz haben in
ihren Entscheiden die Dringlichkeit des angeordneten vorsorglichen
Entzugs des Führerausweises hinreichend schlüssig begründet. Dass
nicht unbesehen der beim Beschwerdeführer bestehenden Cannabis-
problematik einzig gestützt auf die Angaben im Schlussbericht vom
14. November 2009 betreffend "Denk- und Konzentrationsstörun-
gen" auf das Vorliegen eines Verdachts kognitiver Störungen ge-
schlossen werden darf, wurde bereits erörtert (siehe vorne
Erw. 3.3.2). Umstände, welche auch bei der gebotenen summari-
schen Prüfung der für den sofortigen Entzug vorausgesetzten Ge-
fährlichkeit des Beschwerdeführers für den Strassenverkehr mitzu-
berücksichtigen sind, haben die Vorinstanzen nicht bzw. nicht aus-
reichend gewürdigt. So ist zwar ausweislich der Akten nicht bekannt,
ob der Beschwerdeführer schon einmal ein Motorfahrzeug unter
Drogeneinfluss gelenkt hat. Fest steht indes, dass ihm bislang kein
2010
Strassenverkehrsrecht
103
Vorfall von Fahren unter Drogeneinfluss angelastet wurde und der
Beschwerdeführer bisher nicht als Konsument illegaler Rauschmittel,
welcher danach in fahrunfähigem Zustand als Lenker eines Motor-
fahrzeugs am Strassenverkehr teilgenommen hatte, aktenkundig ge-
worden ist. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer unbestrit-
tenermassen über einen ungetrübten automobilistischen Leumund
und es mussten gegenüber ihm bisher - auch aus anderen Gründen -
noch keine Führerausweisentzüge oder andere Administrativmass-
nahmen verhängt werden. Das Fahrverhalten des Beschwerdeführers
anlässlich der polizeilichen Kontrolle am 13. Juni 2009 muss
mangels entgegenstehender Anhaltspunkte in den beigezogenen Ak-
ten als unauffällig gewertet werden. Ebenso wenig ergeben sich aus
den Akten hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich an-
lässlich der polizeilichen Kontrolle am 13. Juni 2009 eine merkbare
Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit des Beschwerdeführers feststel-
len liess, andernfalls von der Polizei wohl entsprechende Abklärun-
gen, insbesondere ein Drogenschnelltest und eine ärztliche Unter-
suchung, angeordnet worden wären, bzw. die Polizei diesfalls umge-
hend entsprechende Mitteilung an das Strassenverkehrsamt gemacht
hätte. Ferner ist auch nicht erwiesen, dass der Beschwerdeführer ne-
ben Cannabis Alkohol konsumiert (was bereits bei geringeren Men-
gen zu relevanten Ausfallerscheinungen führen kann; vgl.
BGE 124 II 559, Erw. 4b m.w.H.), und es bestehen auch keine Hin-
weise auf den Konsum sog. harter Drogen. Nach heutiger Aktenlage
liegen jedoch mit den vom Beschwerdeführer eingestandenen
Cannabiskonsumgewohnheiten allein und ohne hinzukommende
manifeste Verdachtsgründe für die Annahme, der Beschwerdeführer
sei gefährdet, in berauschtem Zustand als Lenker am motorisierten
Strassenverkehr teilzunehmen, zu wenig intensive Anhaltspunkte vor,
dass der Beschwerdeführer andere Verkehrsteilnehmer als Folge
einer allfälligen Cannabisabhängigkeit in erhöhtem Mass gefährden
könnte, wenn er bis zum Vorliegen der fachärztlichen Begutachtung
weiterhin zum Verkehr zugelassen würde. Die bestehenden Anhalts-
punkte sind im jetzigen Zeitpunkt zu wenig erhärtet, als dass erheb-
liche Zweifel an dessen Fahreignung aufkommen müssten, weil sich
ein erhärteter Verdacht aufdrängte, dass der Beschwerdeführer Mühe
2010
Verwaltungsgericht
104
bekundete, Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme trennen zu kön-
nen.
4.3.2.
Einer gewissen Wahrscheinlichkeit einer besonderen Gefähr-
dung des Strassenverkehrs steht der Entzug des Führerausweises ge-
genüber, welcher, auch wenn er bloss provisorisch erfolgt, einen er-
heblichen Eingriff in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen dar-
stellt, dessen unmittelbare Folgen weit einschneidender sind als die
angeordnete Abklärung von Ausschlussgründen. Da zudem diese
Abklärung erfahrungsgemäss längere Zeit beansprucht, erweist sich
der vorsorgliche Entzug des Führerausweises unter den hier gegebe-
nen Umständen gestützt auf die vorliegende Aktenlage als unverhält-
nismässig. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich das nicht
auszuschliessende Restrisiko eines Fahrens unter Drogeneinfluss
durch den bisherigen faktischen vorsorglichen Führerausweisentzug
vermindert haben dürfte. Der angefochtene vorsorgliche Sicherungs-
entzug ist deshalb zusammenfassend aufzuheben, wobei offen blei-
ben kann, ob der vorsorgliche Führerausweisentzug unter den dama-
ligen Umständen zu Recht angeordnet worden war. Diesbezüglich
hat sich der Beschwerdeführer die für ihn nachteilige Ausgangslage
durch seine nach eigener Darstellung Verteidigungszwecken dienen-
den (Falsch-) Aussagen im Strafverfahren selber zuzuschreiben. | 6,862 | 5,335 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-20_2010-08-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-20.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-20.pdf | AGVE_2010_20 | null | nan |
f047b085-b142-5c56-a4b4-6e8059a80112 | 1 | 412 | 869,873 | 1,301,702,400,000 | 2,011 | de | 2011
Einbürgerungen
231
XI. Einbürgerungen
55 Einbürgerungsverfahren
-
Die Einhaltung des Erfordernisses der Beachtung der schweizeri-
schen Rechtsordnung kann nicht gestützt auf aus dem Strafregister
entfernte Einträge verneint werden (Erw. 4.2.3.2).
-
Bei noch nicht entfernten, aber auf dem Privatauszug nicht mehr er-
scheinenden, Strafregistereinträgen ist eine Abwägung zwischen der
Schwere der Tat und der abgelaufenen Zeitdauer anzustellen (Erw.
4.2.3.3).
-
Auch die Häufung von Strassenverkehrsdelikten kann ein Hinweis
darauf sein, dass der Bürgerrechtsbewerber das Erfordernis der Be-
achtung der schweizerischen Rechtsordnung nicht erfüllt
(Erw. 4.2.4).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. April 2011 in Sachen
K. (WBE.2011.13).
Aus den Erwägungen
4.2.3.
4.2.3.1.
Der Umstand, dass ein Gesuchsteller einen oder mehrere Straf-
registereinträge aufweist, kann ein Indiz für eine mangelhafte Beach-
tung der schweizerischen Rechtsordnung darstellen, zumal ein Straf-
registereintrag in der Regel eine gewisse Mindestschwere des Delikts
voraussetzt (vgl. zu den Voraussetzungen für einen Eintrag im Straf-
register Art. 3 Abs. 1 VOSTRA-Verordnung [SR 331]; auch Über-
tretungen werden ab einer Bestrafung mit einer Busse von mehr als
Fr. 5'000.00 oder gemeinnütziger Arbeit von mehr als 180 Stunden
im Strafregister verzeichnet; vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. c VOSTRA-Ver-
ordnung). Auch wenn Delikte zu einem Eintrag im Strafregister ge-
2011
Verwaltungsgericht
232
führt haben, stellt sich jedoch die Frage, ob dann, wenn seit der Tat
schon eine erhebliche Zeit verstrichen ist, nicht doch eine gute Pro-
gnose über das zukünftige Verhalten gestellt werden kann und des-
halb das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts-
ordnung als erfüllt zu betrachten ist. In diesem Sinn wird zum Teil
verlangt, dass jedenfalls aus Unterlagen bekannte, aber im Straf-
register nicht mehr enthaltene Strafen prinzipiell auch nicht mehr
zum Nachteil der Bewerberin bzw. des Bewerbers verwendet werden
dürfen (vgl. dazu K
ARL
H
ARTMANN
/L
AURENT
M
ERZ
, Einbürgerung,
Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts, in: P
ETER
U
EBERSAX
/B
EAT
R
UDIN
/T
HOMAS
H
UGI
Y
AR
/
T
HOMAS
G
EISER
,
Ausländerrecht [Handbücher für die Anwaltspraxis], 2.
Aufl.,
Basel 2009, § 12 Rz. 12.19 S. 598).
4.2.3.2.
Das seit dem 1. Januar 2007 in Kraft stehende Strafregisterrecht
(vgl. Art. 365 ff. StGB sowie die VOSTRA-Verordnung) sieht für die
Entfernung von Strafregistereinträgen sehr lange Mindestfristen vor
(mindestens 10 Jahre sogar bei Übertretungen; vgl. Art. 369 Abs. 3
StGB). Hat sich eine Gesuchstellerin bzw. ein Gesuchsteller während
so langer Fristen nichts mehr (d.h. auch keine nicht eintragungsfähi-
gen Delikte) zu Schulden kommen lassen, so dürfte es nicht haltbar
sein, das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts-
ordnung zu verneinen, da Art. 369 Abs. 7 StGB ausdrücklich be-
stimmt, dass entfernte Urteile dem Betroffenen nicht mehr entgegen-
gehalten werden dürfen; zwischen Strafrecht und Bürgerrecht besteht
insoweit grundsätzlich eine weitgehende Wertungskongruenz (vgl.
aber immerhin die bundesgerichtliche Praxis im Migrationsrecht;
Urteil vom 4. Dezember 2009 [2C_43/2009] Erw. 3.3.1. mit Hinwei-
sen).
4.2.3.3.
Angesichts der sehr langen Fristen für eine Entfernung von
Strafregistereinträgen stellt sich umgekehrt die Frage, ob es nicht
unverhältnismässig sein kann, einer Gesuchstellerin bzw. einem Ge-
suchsteller generell die Aufnahme ins Bürgerrecht innerhalb von
zehn oder mehr Jahren seit einer entsprechenden Eintragung zu ver-
2011
Einbürgerungen
233
wehren, d.h. die Dauer der Eintragung generell als Sperrfrist für eine
Einbürgerung anzusehen.
Das neue Strafregisterrecht kennt neben dem Einsichtsrecht je-
des Betroffenen in seinen vollständigen Eintrag (Art. 370 Abs. 1
StGB) das Recht auf Ausstellung eines Auszugs aus dem Strafre-
gister (sog. Strafregisterauszug für Privatpersonen [Privatauszug];
vgl. Marginale von Art. 371 StGB). Auf dem Privatauszug erschei-
nen Eintragungen wegen Übertretungen nur im Ausnahmefall
(Art. 371 Abs. 1 StGB: wenn gleichzeitig ein Berufsverbot verhängt
wurde). Urteile, die eine Strafe enthalten, werden nicht mehr in den
Auszug aufgenommen, wenn zwei Drittel der für die Entfernung
nach Art. 369 StGB massgebenden Dauer abgelaufen sind. Auch Ein-
tragungen, welche eine bedingte oder teilbedingte Strafe enthalten,
erscheinen nicht mehr im Auszug, wenn der Verurteilte sich bis zum
Ablauf der Probezeit bewährt hat (Art. 371 Abs. 3 und 3
bis
StGB;
diese Vorschriften ersetzen der Sache nach zum Teil die altrechtliche
Regelung betreffend Löschung von Strafregisterauszügen; vgl. dazu
P
ATRICK
G
RUBER
, in: M
ARCEL
A
LEXANDER
N
IGGLI
/H
ANS
W
IPRÄCHTIGER
[Hrsg.], Basler Kommentar Strafrecht II, 2. Aufl.,
Basel 2007, Art. 371 N 27 und Art. 369 N 4). Der Gesetzgeber will
somit - ähnlich wie bei der altrechtlichen Löschung des Straf-
registereintrags - bei Bestehen der Probezeit nur noch einem be-
schränkten Personenkreis Zugang zu den eingetragenen Daten er-
möglichen. Einen vollständigen Zugriff auf die eingetragenen Daten
behält immerhin, unabhängig vom Schweigen des Privatauszugs über
bestimmte Delikte, die kantonale Koordinationsstelle (Art.
367
Abs. 2 StGB).
Das beschränkte Einsichtsrecht hat keine direkten Auswirkun-
gen auf den Entscheid über die Einhaltung des Erfordernisses der
Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung, zumal das Straf-
register auch der behördlichen Aufgabenerfüllung im Einbürgerungs-
verfahren dient und die kantonale Koordinationsstelle bis zur Entfer-
nung des Eintrags Einblick in den vollständigen Eintrag hat (vgl.
Art. 365 Abs. 2 lit. g sowie Art. 367 Abs. 1 lit. e StGB). In Fällen, wo
ein Eintrag noch nicht entfernt wurde, jedoch auf dem Privatauszug
nicht mehr erscheint, ist, wenn es um die Beurteilung des Erforder-
2011
Verwaltungsgericht
234
nisses der Beachtung der Rechtsordnung geht, eine Abwägung zwi-
schen Schwere der Tat und der seither abgelaufenen Zeitdauer anzu-
stellen.
4.2.4.
In Bezug auf sog. "Bagatelldelikte", wie sie insbesondere im
Strassenverkehrsrecht begegnen, ist im Zusammenhang mit Einbür-
gerungsbegehren der besondere Charakter solcher Straftaten zu
beachten. Anders als bei eigentlichen Vorsatztaten handelt es sich
dabei in der Regel um Verhaltensweisen, die im Wesentlichen der
(allenfalls auch grob) pflichtwidrigen Unaufmerksamkeit oder dem
Übermut eines Delinquenten zuzuschreiben sind. Das bedeutet frei-
lich nicht, dass in solchem Verhalten niemals ein Hinweis auf eine
ungenügende Beachtung der Rechtsordnung liegen könnte. Wenn
sich bei einer Person Strassenverkehrsdelikte häufen (z.B. notori-
scher Falschparkierer) kann ein solches Verhalten vielmehr durchaus
einen Hinweis darauf darstellen, dass der Bürgerrechtsbewerberin
bzw. dem -bewerber die Einhaltung der entsprechenden Normen
nicht wichtig ist, sie bzw. er somit insoweit eine gewisse "Noncha-
lance" an den Tag legt oder schlicht nicht in der Lage ist, dauerhaft
die entsprechenden Normen der schweizerischen Rechtsordnung
einzuhalten.
4.3.
4.3.1.
Das Strafregister enthält zwei Einträge betreffend den Be-
schwerdeführer:
- die Verurteilung vom 7. April 2003 wegen eines Vergehens,
welche infolge Ablaufs der Probezeit nicht mehr im Pri-
vatauszug erscheint (vgl. Art. 371 Abs. 3
bis
StGB);
- die Verurteilung vom 7. April 2006 wegen einer Übertre-
tung, die wegen ihres Charakters als Übertretung ebenfalls
nicht auf dem Privatauszug figuriert (vgl. Art. 371 Abs. 1
StGB).
Dabei handelt es sich - insbesondere bei der Verurteilung aus
dem Jahr 2003 - nicht um ein "Bagatelldelikt"; die Verurteilung wird
im Jahr 2013 aus dem Strafregister entfernt werden (vgl. Art. 369
Abs. 3 und 6 lit. a StGB).
2011
Einbürgerungen
235
Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer ein drittes Mal im Zu-
sammenhang mit seinem Verhalten im Strassenverkehr straffällig
geworden. Der letzte Vorfall - vom 18. Januar 2008 - führte indes zu
keinem Eintrag im Strafregister.
4.3.2.
Die Strafe aus dem Jahr 2003 war bei Einleitung des Einbürge-
rungsverfahrens im September 2009 schon seit über vier Jahren im
Strafregister "gelöscht" (altrechtlich) bzw. erschien nicht mehr im
Privatauszug. Hinsichtlich der zweiten gegen den Beschwerdeführer
ausgefällten Strafe erschien diese, die nur gemäss altem Recht (vgl.
Art. 9 lit. b der Verordnung vom 1. Dezember 1999 über das auto-
matisierte Strafregister [alte VOSTRA-Verordnung; BBl
1999,
3509 ff.], wonach Verurteilungen wegen Übertretungen einzutragen
waren, sofern eine Haftstrafe ausgesprochen wurde) zum Strafregi-
stereintrag führte, spätestens seit dem Inkrafttreten des neuen Rechts
am 1. Januar 2007 nicht mehr auf dem Privatauszug.
Zusätzlich fällt hier indessen ins Gewicht, dass der Beschwer-
deführer am 18. Januar 2008 wiederum straffällig wurde. Selbst
wenn es sich bei diesem Delikt zwar nicht um ein eintragungsfähiges
Delikt handelte, ging es dabei indessen wie bei den Vergehen aus den
Jahren 2002, 2003 und 2006 nicht um eine blosse Bagatelle, sondern
um gefährdende Verhaltensweisen im Strassenverkehr (Überholen an
unübersichtlicher Stelle sowie Missachtung des Vortritts gegenüber
Fussgängern), für die der Beschwerdeführer mit einer Busse belegt
wurde.
4.4.
Seit dem letzen Vorfall vom 18. Januar 2008 bis zum Entscheid
der Justizkommission am 15. November 2010 ist zwar schon wieder
ein Zeitraum von bald einmal drei Jahren verstrichen. Wird indessen
zusätzlich die automobilistische "Biographie" des Beschwerde-
führers bis zu diesem letzten Vorfall in Erwägung gezogen, erscheint
es dennoch im Ergebnis nicht als unhaltbar, wenn die Justizkom-
mission das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts-
ordnung zum Beurteilungszeitpunkt (noch) nicht als erfüllt betrachtet
hat. Um diese Schlussfolgerung ziehen zu können, bedarf es insbe-
sondere auch keiner persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers.
2011
Verwaltungsgericht
236
Der Beschwerdeführer hat in einem Zeitraum von etwas mehr als
fünf Jahren (28.11.2002 - 18.1.2008) insgesamt viermal zum Teil
sehr schwerwiegende Verkehrsregelverletzungen begangen. Ange-
sichts dessen ist es, obwohl die Schwere der Taten tendenziell eher
abnahm, haltbar, wenn die Justizkommission im Ergebnis zum
Schluss kam, der Beschwerdeführer erfülle zurzeit das Erfordernis
der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung (noch) nicht. Das
führt zur Abweisung der Beschwerde. | 2,447 | 1,968 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-55_2011-04-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-55.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-55.pdf | AGVE_2011_55 | null | nan |
f0b66119-7a0b-52ce-874b-9e724dcaebc8 | 1 | 412 | 870,638 | 1,009,929,600,000 | 2,002 | de | 2002
Straf- und Massnahmenvollzug
155
IV. Straf- und Massnahmenvollzug
42
Bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug (Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB).
-
Grundsätze der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug auf
Grund der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung (Erw. 4).
-
Die Einsetzung der "Fachkommission zur Überprüfung der Gemein-
gefährlichkeit von Straftätern und Straftäterinnen" ist rechtmässig
(Erw. 2).
-
Auslegung eines unklaren Dispositivs mit Hilfe der Erwägungen
(Erw. 3/b/aa).
-
Die Anordnung einer vollzugsbegleitenden Massnahme endet mit der
vollständigen Verbüssung der entsprechenden Strafe, selbst wenn un-
mittelbar anschliessend eine weitere Freiheitsstrafe (ohne Verbindung
mit einer Massnahme) vollzogen wird (Erw. 3/b/cc).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. Januar 2002 in Sa-
chen C.J.M. gegen Verfügung des Departements des Innern.
Aus den Erwägungen
2. a) Der Kanton Aargau gehört dem am 4. März 1959 ge-
schlossenen Konkordat über den Vollzug von Strafen und Massnah-
men nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch und dem Recht der
Kantone der Nordwest- und Innerschweiz (Strafvollzugskonkordat
NW; SAR 253.010) an (vgl. § 4 Abs. 1 des Dekrets über den Vollzug
von Strafen und Massnahmen [Strafvollzugsdekret; SAR 253.110]
vom 27. Oktober 1959). Zweck des Konkordats ist die Bestimmung
der in den Konkordatskantonen betriebenen Anstalten und der
koordinierte bzw. gemeinsame Vollzug der von den Kantonen aus-
gesprochenen Strafen und Massnahmen in diesen Anstalten. Sämtli-
che Vollzugskompetenzen verbleiben bei den Kantonen (Art. 8 Abs.
1 Strafvollzugskonkordat NW). Es handelt sich also um ein bloss
2002
Verwaltungsgericht
156
mittelbar rechtsetzendes Konkordat, d.h. dieses enthält keine unmit-
telbar rechtsetzenden Normen, sondern verpflichtet vielmehr die
beteiligten Kantone, ihr internes Recht nach den Bestimmungen des
Konkordats auszugestalten (vgl. Ulrich Häfelin/Walter Haller,
Schweizerisches
Bundesstaatsrecht,
5. Aufl.,
Zürich
2001,
Rz. 1285 f.; Yvo Hangartner, Grundzüge des schweizerischen Staats-
rechts, Bd. I, Zürich 1980, S. 78). Die Umsetzung, also die Schaf-
fung des internen kantonalen Rechts, richtet sich nach dessen Be-
stimmungen.
b) Die Konkordatskonferenz (vgl. Art. 17 Strafvollzugskonkor-
dat NW) hat am 21. April 1995 "Richtlinien betreffend gemeinge-
fährliche Straftäter/-innen im Freiheitsentzug" erlassen, die inzwi-
schen durch neue Richtlinien vom 3. Dezember 1999 (im Folgenden:
Richtlinien) ersetzt wurden. Deren Zweck ist die Vereinheitlichung
der Praxis bei der Erkennung, Erfassung, Beurteilung, Behandlung
und Unterbringung von gemeingefährlichen Straftäterinnen und
Straftätern (Ziff. 1.1 der Richtlinien). Zur Durchführung setzt jeder
Kanton eine unabhängige Fachkommission ein oder schliesst sich
einer regionalen Fachkommission an (Ziff. 2.1 Abs. 1 der Richtli-
nien).
Die Einsetzung der aargauischen Fachkommission zur Überprü-
fung der Gemeingefährlichkeit von Straftätern und Straftäterinnen
(im Folgenden: Fachkommission) und die Vorgaben für deren Tätig-
keit erfolgten durch Verfügung und Reglement vom 10. November
1995, beide erlassen durch den Vorsteher des Departements des In-
nern (heute abgelöst durch das Reglement vom 23. August 2000 und
die Verfügung vom 7. November 2000). Die Fachkommission wird
ausschliesslich auf Anfrage von Strafverfolgungs- und Strafvollzugs-
behörden hin tätig und gibt zuhanden dieser Behörden Beurteilungen
über die Gemeingefährlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern
sowie gegebenenfalls gewisse konkrete Empfehlungen ab; sie hat
keine eigenen Entscheidungs- oder Weisungsbefugnisse. Dies ergibt
sich aus dem Reglement und aus den Richtlinien, auf die darin ver-
wiesen wird, klar. Unter diesen Umständen lässt sich nicht beanstan-
den, dass der Vorsteher des Departements des Innern als zuständiger
Vollzugsbehörde (§ 18 Abs. 1 StPO) ein solches beratendes Gremium
2002
Straf- und Massnahmenvollzug
157
mittels Verfügung eingesetzt hat, auch wenn die Bedeutung der Sa-
che wohl eine Regelung im Strafvollzugsdekret gerechtfertigt hätte.
c) Der Beschwerdeführer ist der Meinung, das Wirken der
Fachkommission widerspreche der EMRK und dem Bundesrecht
(StGB). Er übersieht dabei, dass Art. 6 EMRK im strafrechtlichen
Bereich nur auf das Verfahren bis zur Verurteilung, nicht aber auf
den Strafvollzug Anwendung findet (Ruth Herzog, Art. 6 EMRK und
kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 109; Mark
E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention,
2. Aufl., Zürich 1999, Rz. 401). Dass andererseits das StGB solche
Fachkommissionen nicht vorsieht, macht diese nicht unzulässig. Die
vom Beschwerdeführer geltend gemachte Revisionsbedürftigkeit des
StGB (Vollzugsgerichte) ändert nichts daran, dass das Verwaltungs-
gericht das zurzeit geltende Recht anzuwenden hat. Nach diesem
gehört der Strafvollzug grundsätzlich - Art. 397
bis
StGB statuiert
Ausnahmen, die auf den vorliegenden Sachverhalt aber nicht zutref-
fen - zum Zuständigkeitsbereich der Kantone (Art. 42 i.V.m. Art. 123
BV; zuvor Art. 64
bis
der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874), und
dass die Einsetzung der Fachkommission mit dem kantonalen Recht
vereinbar ist, wurde bereits ausgeführt.
3. a) In der Beschwerde und an der Verhandlung wurde mehr-
fach auf die vollzugsbegleitende Massnahme gemäss Urteil des BG
Kulm vom 12. Mai 1998 Bezug genommen. Der Zusammenhang mit
dem vorliegenden Verfahren, ist offenbar der Folgende. Der Be-
schwerdeführer argumentiert damit, dass er, wenn keine bedingte
Entlassung erfolgt, am 30. Dezember 2003 ohne Auflagen und Wei-
sungen aus dem Strafvollzug entlassen werden muss, während das
Departement davon ausgeht, bis dann gelte diese vollzugsbegleitende
Massnahme; wenn sie sich als erfolglos erweise, könne sie der
Richter noch bei Strafende gestützt auf Art. 43 Ziff. 3 Abs. 3 StGB
durch eine andere Massnahme bis hin zur Verwahrung nach Art. 43
Ziff. 1 Abs. 2 StGB ersetzen (vgl. dazu BGE 123 IV 102 ff.; 125 IV
228 ff.).
b) aa) Der Beschwerdeführer bringt vor, die fragliche Mass-
nahme sei weder gestützt auf Art. 43 noch Art. 44 StGB angeordnet
worden; dies sei ein formaljuristischer Fehler, der zur Folge habe,
2002
Verwaltungsgericht
158
dass diese Anordnung nicht zu seinem Nachteil ausgelegt (d.h. im
Ergebnis nicht berücksichtigt) werden dürfe. Dispositiv Ziff. 4 des
Urteils des BG Kulm vom 12. Mai 1998 lautet:
"4. Es wird eine ambulante Psychotherapie verbunden mit der Verhinde-
rung von Alkoholkonsum angeordnet."
Massgeblich ist bei Urteilen und Verfügungen - insoweit hat der
Beschwerdeführer durchaus Recht - das Dispositiv. Ist dieses nicht
aus sich heraus verständlich und eindeutig, also auslegungsbedürftig,
so ist sein Sinn mit Hilfe der Erwägungen auszulegen. Dies ist ein
allgemeiner und unbestrittener Grundsatz (vgl. Fritz Gygi, Verwal-
tungsrecht, Bern 1986, S. 129; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kom-
mentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton
Bern, Bern 1997, Art. 52 N 12). Aus den Erwägungen seines Urteils
geht nun eindeutig hervor, dass das BG Kulm eine Massnahme
ge-
mäss Art. 43 StGB
geprüft und angeordnet hat (S. 29 unten: "Gestützt
auf die vorliegenden Gutachten und die Aussagen des Bezirksarztes
ist daher eine ambulante psychotherapeutische Behandlung nach
Art. 43 StGB anzuordnen."). Hiervon hat die Vollzugsbehörde
auszugehen.
cc) Der Beschwerdeführer verbüsste die vom BG Kulm am
12. Mai 1998 ausgefällte Strafe vollumfänglich; sie lief am 28. No-
vember 2000 ab. Das Departement des Innern ist offenbar der Mei-
nung, weil es die unmittelbar nacheinander vollzogenen Freiheits-
strafen (zunächst, bis zum 28. November 2000, diejenige gemäss
Urteil BG Kulm vom 12. Mai 1998; dann diejenige gemäss Urteil
BG Lenzburg vom 7. September 2000) für die Berechnung der frü-
hestmöglichen bedingten Entlassung zusammenzähle, gelte die vom
BG Kulm angeordnete vollzugsbegleitende Massnahme bis zum
Endtermin 30. Dezember 2003, obwohl mit Urteil des BG Lenzburg
vom 7. September 2000
ausschliesslich
der Vollzug der aufgescho-
benen Freiheitsstrafen, ohne zusätzliche Durchführung einer ambu-
lanten/vollzugsbegleitenden Massnahme, angeordnet wurde. Das
Verwaltungsgericht vermag dieser Auffassung nicht zu folgen. Die
Berechnung der Vollzugsdaten, namentlich im Hinblick auf eine
allfällige bedingte Entlassung, erfolgt unter Zusammenrechnung der
Strafen; dem Sinn von Art. 38 Ziff. 1 StGB entsprechend, muss dies
2002
Straf- und Massnahmenvollzug
159
gelten, ob nun Art. 2 Abs. 5 der Verordnung 1 zum StGB (VStGB 1;
SR 311.01) vom 13. November 1973 direkt anwendbar ist oder, weil
die Freiheitsstrafen nicht gleichzeitig vollziehbar waren, lediglich
analog. Es ist eine ganz andere Fragestellung, ob bei mehreren Frei-
heitsstrafen, die unmittelbar nacheinander vollzogen werden und von
denen nicht alle mit einer vollzugsbegleitenden Massnahme verbun-
den sind, diese Massnahme während der Gesamtdauer gilt. Dies ist
zu verneinen, weil es auf eine Änderung der Strafurteile - nämlich
derjenigen ohne Anordnung einer Massnahme während des Straf-
vollzugs - hinausliefe, was der Strafvollzugsbehörde nicht zusteht.
Die Anordnung einer ambulanten Psychotherapie als vollzugs-
begleitende Massnahme gemäss Dispositiv Ziff. 4 des Urteils des BG
Kulm vom 12. Mai 1998 hat folglich heute keine Gültigkeit mehr, da
jene Strafe seit langem vollständig verbüsst ist.
4. a) Hat der zu Zuchthaus oder Gefängnis Verurteilte zwei
Drittel der Strafe - und mindestens drei Monate - verbüsst, so kann
ihn die zuständige Behörde bedingt entlassen, wenn sein Verhalten
während des Strafvollzuges nicht dagegen spricht und anzunehmen
ist, er werde sich in der Freiheit bewähren (Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1
StGB).
b) Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung zu dieser Be-
stimmung (zusammengefasst wiedergegeben in AGVE 1993, S. 319
f.) in neuester Zeit geändert bzw. fortentwickelt (vgl. BGE 124 IV
194 ff., 125 IV 113 ff.). In BGE 124 IV 194 ff. führte es aus, die
bedingte Entlassung als vierte Stufe des Strafvollzugs sei in der Re-
gel anzuordnen; davon dürfe nur aus guten Gründen abgewichen
werden. Ob dem Verhalten des Verurteilten während dem Strafvoll-
zug noch selbstständige Bedeutung zukomme, könne offen bleiben.
Entscheidend sei eine Gesamtwürdigung mit Hinblick auf das künf-
tige Wohlverhalten. Für diese Prognose komme es lediglich insoweit
auf die Art der begangenen Delikte an, als diese Rückschlüsse auf die
Täterpersönlichkeit und damit auf das künftige Verhalten erlaube. Ob
die mit der bedingten Entlassung immer verbundene Gefahr neuer
Delikte zu verantworten sei, hänge sowohl von der Wahrscheinlich-
keit eines Rückfalls als auch von der Bedeutung des eventuell be-
drohten Rechtsgutes ab. Die Rückfallgefahr müsse dabei um so we-
2002
Verwaltungsgericht
160
niger gross sein, je gewichtigere Rechtsgüter bedroht seien. Die aus-
nahmsweise Verweigerung der bedingten Entlassung sei folglich
dann möglich, wenn mit etwelcher Wahrscheinlichkeit mit neuen,
erheblichen Delikten zu rechnen sei. Dabei sei aber auch in Betracht
zu ziehen, dass die bedingte Entlassung, die sachgerechte Weisungen
und die Stellung unter Schutzaufsicht ermögliche, eher zu einer dau-
erhaften Problemlösung und -entschärfung führe als die vollständige
Strafverbüssung.
Im letztgenannten Entscheid, der einen mehrfachen Mörder be-
traf, führte das Bundesgericht aus (BGE 125 IV 115 f.):
"La nature des délits commis par l'intéressé n'est, en tant que telle, pas à
prendre en compte, en ce sens que la libération conditionnelle ne doit
pas être exclue ou rendue plus difficile pour certains types d'infractions.
Toutefois, les circonstances dans lesquelles l'auteur a encouru la sanc-
tion pénale sont pertinentes dans la mesure où elle sont révélatrices de
sa personnalité et donnent ainsi certaines indications sur son comporte-
ment probable en liberté. Au demeurant, pour déterminer si l'on peut
courir le risque de récidive, inhérant à toute libération qu'elle soit con-
ditionnelle ou définitive, il faut non seulement prendre en considération
le degré de probabilité qu'une nouvelle infraction soit commise mais
également l'importance du bien qui serait alors menacé. Ainsi, le risque
de récidive que l'on peut admettre est moindre si l'auteur s'en est pris à
la vie ou à l'intégrité corporelle de ses victimes que s'il a commis par
exemple des infractions contre le patrimoine."
Das Verwaltungsgericht hat hierzu (im Entscheid vom 26. Okto-
ber 1999 in Sachen des Beschwerdeführers) festgehalten:
"Diese Ausführungen des Bundesgerichts erscheinen in sich nicht völlig
widerspruchsfrei. Wenn bei einem Gewaltverbrecher, der sich in schwe-
rer Weise gegen hochwertige Rechtsgüter vergangen hat, die bedingte
Entlassung nur bei gering(er)em Rückfallrisiko vertretbar ist (S. 195,
Erw. 3), bedeutet dies, dass entgegen den vorangehenden Ausführungen
die Entlassung für gewisse Tatkategorien (richtigerweise) erschwert
werden darf. Die "Leitlinien" (S. 198 ff., Erw. 4d) deuten sodann ganz
in der Richtung, dass die bedingte Entlassung der vollständigen Straf-
verbüssung praktisch durchwegs vorzuziehen sei, indem sie dem
Rechtsgüterschutz - längerfristig betrachtet - regelmässig besser diene
2002
Straf- und Massnahmenvollzug
161
als die Verbüssung der vollen Strafe. Danach wäre die bedingte Entlas-
sung "als vierte und letzte Etappe des Stufenstrafvollzugs" ungeachtet
einer Rückfallsgefahr immer dann am Platz, wenn nicht ausnahmsweise
die volle Strafverbüssung auch langfristig das Risiko zukünftiger Straf-
taten voraussichtlich stärker vermindert als die bedingte Entlassung.
Dies bedeutet eine Abweichung von den generellen Ausführungen in
Erw. 3 und lässt sich jedenfalls mit dem Wortlaut des Gesetzes ("wenn
anzunehmen ist, er werde sich in der Freiheit bewähren") nicht mehr
vereinbaren. Ob dieses Abweichen vom Wortlaut durch den Sinn des
Gesetzes geboten ist oder zumindest gerechtfertigt werden kann, er-
scheint fraglich; die Formulierungen in Erw. 4d scheinen stark von den
Besonderheiten des konkreten Falles beeinflusst und lassen die Ausein-
andersetzung mit zwei Fragen völlig vermissen (Wie verhält es sich,
wenn die Prognose sowohl bei bedingter Entlassung als auch bei vollem
Strafvollzug schlecht ist, also in beiden Fällen mit dem Rückfall zu
rechnen ist? Welches Gewicht haben, bei schlechter Prognose, die Inter-
essen der Öffentlichkeit an der Verhinderung von Straftaten wenigstens
während der Zeit des restlichen Vollzugs?), ohne deren Beantwortung
sich die Zulässigkeit des Abweichens vom Gesetzeswortlaut nicht gene-
rell bejahen lässt. Interessanterweise hat das Bundesgericht in späteren
Urteilen lediglich auf die allgemeinen Ausführungen in Erw. 3 zurück-
gegriffen und bei gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefahr einer
neuerlichen Straftat und hohem Wert des gefährdeten Rechtsgutes die
Verweigerung der bedingten Entlassung ohne weiteres - also namentlich
ohne Abwägung der Resozialisierungsaussichten bei bedingter Entlas-
sung einerseits und vollständigem Strafvollzug anderseits - geschützt
(nicht publizierter BGE vom 24. Juni 1999 in Sachen K. und BGE 125
IV 113 ff.)."
Das Verwaltungsgericht orientierte sich in der Folge an BGE
125 IV 113 ff. Dies führte zur Abweisung der Beschwerde (gegen die
Verweigerung der bedingten Entlassung), da der Beschwerdeführer
nicht bereit erschien, sich mit seinen charakterlichen Problemen, die
zu den Straftaten geführt hatten, ernsthaft auseinander zu setzen, und
da keine ambulant durchführbare Methode ersichtlich war, um Alko-
holkonsum mit Sicherheit zu verhindern, sodass nach einer bedingten
2002
Verwaltungsgericht
162
Entlassung ernsthaft mit neuen Delikten gegen hochwertige Rechts-
güter (Leib und Leben) hätte gerechnet werden
müssen. | 3,712 | 2,914 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-42_2002-01-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-42.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-42.pdf | AGVE_2002_42 | null | nan |