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Personalrecht
259
[...]
42
Beginn der Sperrfrist bei vorzeitiger Kündigung
Die Sperrfrist nach Art. 336 Abs. 1 lit. b OR beginnt mit Eintritt der Ar-
beitsunfähigkeit zu laufen, unabhängig davon, ob die (vom Kündigungs-
termin zurückzurechnende) Kündigungsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits
läuft oder nicht. Bei vorzeitiger Kündigung kann die Sperrfrist somit
konsumiert werden, bevor die Kündigungsfrist überhaupt zu laufen be-
ginnt. Das gilt jedenfalls insoweit, als Art. 336c Abs. 1 lit. b und Abs. 2 OR
(gestützt auf § 7 GAL) als kantonales öffentliches (Personal-)Recht (für
Lehrpersonen) anwendbar sind. In diesem Anwendungsbereich erhei-
schen Gründe des Arbeitnehmerschutzes keine Verlängerung der Kündi-
gungsfrist infolge Arbeitsunfähigkeit.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 22. April
2015 in Sachen A. gegen Gemeindeverband B. (WKL.2015.9).
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
260
Aus den Erwägungen
II.
1.
1.1.
Die Klägerin wurde per 1. Februar 2011 als Lehrperson beim
Beklagten unbefristet angestellt. Am 28. Oktober 2013 kündigte die
Kreisschulpflege das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin im Rahmen
der Umstellung von 5/4 (5 Jahre Primarstufe, 4 Jahre Oberstufe) auf
6/3 aus organisatorischen Gründen per 31. Juli 2014.
Die Klägerin war, wie aus den eingereichten Arztzeugnissen er-
sichtlich, vom 28. November 2013 - 20. Dezember 2013, vom
6. Januar 2014 - 20. Januar 2014 sowie vom 8. Februar 2014 -
5. Juli 2014 vollumfänglich (100% arbeitsunfähig) sowie vom 5. Juli
2014 - 18. Juli 2014 teilweise krankgeschrieben (60% arbeitsun-
fähig). Seit dem 19. Juli 2014 ist die Klägerin wieder voll arbeitsfä-
hig.
1.2.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Frage,
wie lange die Lohnzahlungspflicht des Beklagten dauerte. Dies hängt
letztlich davon ab, ob das Anstellungsverhältnis der Klägerin per
31. Juli 2014 endete oder ob sich ihre Anstellung infolge Krankheit
bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin verlängerte. Die Recht-
mässigkeit der am 28. Oktober 2013 erfolgten Kündigung wird von
der Klägerin nicht in Frage gestellt.
2.
2.1.
Die Beurteilung, wann das Anstellungsverhältnis der Klägerin
endete, richtet sich nach § 7 GAL in Verbindung mit Art. 336c OR.
Gemäss dieser Bestimmung darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhält-
nis im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit
fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr
während 180 Tagen nicht kündigen, sofern die Arbeitnehmerin ohne
eigenes Verschulden durch Krankheit ganz oder teilweise an der Ar-
beitsleistung verhindert ist (Art. 336c Abs. 1 lit. b OR). Eine wäh-
rend einer solchen Sperrfrist erklärte Kündigung ist nichtig; ist die
2016
Personalrecht
261
Kündigung dagegen vor Beginn einer solchen Frist erfolgt, aber die
Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ab-
lauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt
(Art. 336c Abs. 2 OR).
2.2.
Die Sperrfrist für die Klägerin, welche seit dem 1. Februar 2011
als Lehrperson bei der Beklagten tätig war, betrug gemäss Art. 336c
Abs. 1 lit. b OR 90 Tage.
2.3.
In concreto betrug die Kündigungsfrist gemäss Vertrag und Ge-
setz drei Monate. Gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtspre-
chung beginnt die Kündigungsfrist nicht mit dem Zugang der Kündi-
gung zu laufen, sondern ist durch Rückrechnung vom Endtermin aus
zu bestimmen (BGE 134 III 354, Erw. 2 f. mit Hinweisen). Der Be-
klagte kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 28. Oktober 2013
auf den 31. Juli 2014. Somit begann die dreimonatige Kündigungs-
frist am 1. Mai 2014 zu laufen.
3.
3.1.
Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, sie sei in der mass-
gebenden dreimonatigen Kündigungsfrist vom 1. Mai bis zum
31. Juli 2014 krank gewesen, und zwar vom Beginn weg bis und mit
dem 19. (recte: 18.) Juli 2014. Die Kündigungsfrist sei dementspre-
chend unterbrochen worden bzw. habe erst am 19. Juli 2014 zu lau-
fen begonnen und Anfang Oktober 2014 geendet. Da gemäss Anstel-
lungsvertrag vom 21. Mai 2013 und gemäss § 10 Abs. 4 GAL eine
Kündigung ab dem 2. Anstellungsjahr nur auf das Ende eines Schul-
halbjahrs möglich sei, sei gestützt auf Art. 336c Abs. 3 OR die Kün-
digung erst per 31. Januar 2015 wirksam geworden. Damit habe auch
die Lohnfortzahlung bis zu diesem Zeitpunkt zu erfolgen. Die Krank-
heitstage vor Beginn der Kündigungsfrist würden "keine Rechtswir-
kung" entfalten.
3.2.
Der Beklagte argumentiert demgegenüber, dass das Anstel-
lungsverhältnis zwischen der Klägerin und ihm per 31. Juli 2014 be-
endet worden sei. Die durch die Krankheit der Klägerin ausgelöste
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
262
Sperrfrist von 90 Tagen habe spätestens am 28. November 2013 zu
laufen begonnen und damit spätestens am 25. Februar 2014 geendet.
Folglich sei zu Beginn der Kündigungsfrist, laufend ab 30. April
2014, die Sperrfrist bereits abgelaufen gewesen und habe keine Aus-
wirkungen mehr zeitigen können. Ein Aufschub des Kündigungster-
mins sei nur möglich, wenn im Zeitpunkt der Kündigungsfrist über-
haupt noch eine Sperrfrist laufe, was im vorliegenden Fall nicht zu-
treffe.
4.
4.1.
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestim-
mung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretati-
onen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht wer-
den unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustellen
ist dabei namentlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und
ihren Zweck, auf die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen so-
wie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen
Bestimmungen zukommt. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht
unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn
der Norm zu erkennen. Namentlich bei neueren Texten kommt den
Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände
oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger
nahelegen. Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlas-
sen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann
allein auf das grammatische Element abgestellt, wenn sich daraus
zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung ergab (BGE 133 V 9,
Erw. 3.1 mit Hinweisen; vgl. auch AGVE 2003, S. 191 f. mit
Hinweisen).
4.2.
Gemäss Art. 336c Abs. 2 OR wird der Ablauf der Kündigungs-
frist unterbrochen und nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt,
wenn die Kündigung vor Beginn einer Sperrfrist erfolgt ist, aber die
Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen ist. Wie der Beklag-
te zu Recht festhält, lässt dieser Wortlaut darauf schliessen, dass die
Sperrfrist grundsätzlich durch Eintritt der (durch Krankheit oder Un-
fall verursachten) Arbeitsunfähigkeit ausgelöst wird.
2016
Personalrecht
263
Die so verstandene Bedeutung von Art. 336c Abs. 2 OR er-
scheint in all jenen Konstellationen unproblematisch, in denen der
Arbeitnehmer (erst) innerhalb der Kündigungsfrist erkrankt oder ver-
unfallt. Demgegenüber lässt sich mit Fug die Frage stellen, ob der
Wortlaut der Bestimmung auch jene Fälle erfasst, wo die Kündigung
bereits erfolgt ist, die Arbeitsunfähigkeit jedoch vor Beginn der Kün-
digungsfrist eintritt. Allerdings hätte eine Auslegung, wonach dieser
Sachverhalt nicht von Art. 336c Abs. 2 OR erfasst wird, den Makel,
dass je nach Zeitpunkt der Kündigung der Beginn der Arbeitsunfä-
higkeit einmal die Sperrfrist auslöst (wenn er in die Kündigungsfrist
fällt; dasselbe im Übrigen auch, wenn er vor der Kündigung erfolgt)
und einmal nicht (wenn er in die Zeit zwischen Kündigung und Be-
ginn der Kündigungsfrist fällt). Für eine derartige unterschiedliche
Behandlung bietet der Wortlaut von Art. 336c Abs. 2 OR nicht den
geringsten Anhaltspunkt.
4.3.
Aus der systematischen Stellung von Art. 336c Abs. 2 OR und
der historischen Auslegung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür,
ob bei einer vorzeitigen Kündigung die Sperrfrist mit Eintritt der Ar-
beitsunfähigkeit oder erst später (mit Beginn der Kündigungsfrist) zu
laufen beginnt. Insbesondere die Gesetzesmaterialien enthalten keine
hilfreichen Hinweise zur Beantwortung der vorliegenden Streitfrage.
4.4.
Art. 336c Abs. 1 und 2 OR wollen den Arbeitnehmer in einer
Periode, in der er in aller Regel keine Chance bei der Stellensuche
hat und von einem Arbeitgeber in Kenntnis der Arbeitsverhinderung
nicht angestellt würde, vor dem Verlust seiner Arbeit schützen (siehe
statt vieler U
LLIN
S
TREIFF
/A
DRIAN VON
K
AENEL
/R
OGER
R
UDOLPH
,
Arbeitsvertrag, 7. Auflage, Art. 336c N 2). Sinn und Zweck von
Art. 336c OR liegen somit darin, dass dem Arbeitnehmer eine besse-
re Chance geboten wird, die neue Stelle gesund anzutreten, und dass
sich zwischen dem alten und neuen Arbeitsverhältnis nach Möglich-
keit kein Unterbruch ergeben soll.
Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Kündigungsfrist bei
einer vorzeitigen Kündigung mit Zugang der Kündigung zu laufen
beginnt oder ob der Anfang der Kündigungsfrist durch Rückrech-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
264
nung vom Kündigungsendtermin aus festlegt wird, hielt das Bundes-
gericht Folgendes fest (BGE 115 V 437, Erw. 3b f.):
(Wiedergabe von BGE 115 V 437, Erw. 3b und c)
Gestützt auf diese Erwägungen könnte der Schluss gezogen
werden, Art. 336c Abs. 2 OR sei so auszulegen, dass bei einer vorzei-
tigen Kündigung eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit bzw. Un-
fall nur dann eine Sperrfrist auszulösen vermag, wenn die Kündi-
gungsfrist bereits zu laufen begonnen hat; andernfalls beginnt die
Sperrfrist erst, wenn und soweit die Arbeitsunfähigkeit in die Kündi-
gungsfrist fällt.
Gleichzeitig gilt es indessen darauf hinzuweisen, dass eine Re-
gelung, wonach die Sperrfrist stets mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
zu laufen beginnt (also unabhängig davon, ob die Kündigungsfrist
bereits läuft oder nicht), für den Arbeitgeber einen gewissen Anreiz
darstellen kann, eine Kündigung möglichst früh zu kommunizieren.
Dies dürfte aber auch im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer lie-
gen, damit sie frühzeitig die Stellensuche organisieren können.
5.
In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lassen sich keine
Aussagen in Bezug auf den Beginn der Sperrfrist finden, wenn die
Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall nach der Kündi-
gung und vor Beginn der Kündigungsfrist eintritt. In der Lehre wird
überwiegend die Auffassung vertreten, auch bei dieser Konstellation
löse der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit die Sperrfrist aus; die Kündi-
gungsfrist werde aber bloss unterbrochen, wenn und soweit die Ar-
beitsunfähigkeit in die Kündigungsfrist falle:
"Die Kündigungserklärung geht dem Arbeitnehmer vor
Beginn der Sperrfrist zu; die Kündigungsfrist reicht
aber in die Sperrfrist hinein, d.h., die Sperrfrist beginnt
erst nach erfolgtem Zugang der Kündigung, dauert aber
während der noch laufenden Kündigungsfrist. In die-
sem Fall ist die Kündigung als solche gültig. Jedoch
verlängert sich die Kündigungsfrist mindestens um die
Dauer der hineinragenden Sperrfrist" (A
DRIAN
S
TÄHE
-
LIN
, in: Zürcher Kommentar, Teilband V 2c, 4. Auflage,
Zürich 2013, Art. 336c OR N 19).
2016
Personalrecht
265
C
HRISTIANE
B
RUNNER
/J
EAN
-M
ICHEL
B
ÜHLER
/J
EAN
-
B
ERNARD
W
AEBER
/C
HRISTIAN
B
RUCHEZ
, Kommentar
zum Arbeitsvertragsrecht, 3. Auflage, Basel 2005,
S. 253, Fall 2.
"Fällt (...) die Sperrfrist teilweise in die Kündigungs-
frist, so verlängert sich diese entsprechend (...)" (J
ÜRG
B
RÜHWILER
, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag,
3. Auflage, Basel 2014, Art. 336c OR N 7c).
"Damit Art. 336c zur Anwendung kommt, muss sich ein
in Absatz 1 genannter Tatbestand zum Zeitpunkt der
Kündigung oder während der Kündigungsfrist verwirk-
licht haben" (S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/R
UDOLPH
, a.a.O.,
Art. 336c OR N 2 sowie N 3/Beispiel C. Wesentlich ist
jedoch auch das Beispiel B, wonach die Arbeitsunfähig-
keit nach der Kündigung eintritt und vor Beginn der
Kündigungsfrist beendet ist. In diesem Zusammenhang
wird ausgeführt: "[...] Sperrfrist tangiert Kündigungs-
frist nicht [...]." Diese Aussage belegt, dass nach Mei-
nung der Autoren eine Sperrfrist tatsächlich lief bzw.
diese nicht erst zu laufen beginnt, wenn sie mit der
Kündigungsfrist zusammenfällt).
"Auszugehen ist stets vom 'ursprünglichen' Endtermin,
d.h. vom Zeitpunkt, auf den das Arbeitsverhältnis geen-
det hätte, wenn kein Sperrtatbestand eingetreten wäre.
Von diesem Zeitpunkt aus ist durch 'Zurückrechnen' zu
ermitteln, wieviele Tage der Kündigungsfrist beim Ein-
tritt des Sperrtatbestandes noch nicht abgelaufen wa-
ren" (A
NDREA
T
ARNUTZER
-M
ÜNCH
, in: P
ETER
M
ÜNCH
/M
ARKUS
M
ERZ
[Hrsg.], Stellenwechsel und
Entlassung, 2. Auflage, Basel 2012, N 2.52).
"Die Kündigungsfrist wird unterbrochen, solange sie
sich mit der Sperrfrist überschneidet" (R
OLF
A.
T
OB
-
LER
/C
HRISTIAN
F
AVRE
/C
HARLES
M
UNOZ
/D
ANIELA
G
ULLO
E
HM
, Arbeitsrecht, Lausanne 2006, Art. 336c
OR N 2.5).
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
266
Explizit zur Frage, ob die Sperrfrist vor Beginn der Kündi-
gungsfrist nicht nur zu laufen anfangen, sondern unter Umständen
auch ablaufen kann, äussert sich (soweit ersichtlich) nur eine Litera-
turstelle: "War die Arbeitnehmerin wegen einer Diskushernie
65 Tage im Spital, so wäre sie bei einem Rückfall und einer Sperr-
frist von 90 Tagen noch während 25 Tagen gegen eine Kündigung
geschützt bzw. würde eine bereits laufende Kündigungsfrist um wei-
tere 25 Tage unterbrochen.
Damit ist auch gesagt, dass der Schutz
durch die Sperrfrist bereits vor der Kündigung konsumiert wer-
den kann (...)"
(S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/R
UDOLPH
, a.a.O., Art. 336c
OR N 4; Hervorhebung im vorliegenden Urteil).
Eine gegenteilige Lehrmeinung zum Beginn der Sperrfrist ver-
tritt F
RANK
E
MMEL
(Handkommentar zum Schweizer Privatrecht,
Vertragsverhältnisse 2. Teil, 2. Auflage, Zürich 2012, Art. 336c OR
N 2): "Auf diese Weise lösen insbesondere Arbeitsunfähigkeiten, die
nach Zugang der Kündigung, aber vor Beginn dieser Kündigungsfrist
eintreten, bis zu diesem Beginn noch keine Sperrfristen aus (gegen-
teilig jedoch BGE 131 III 467, Erw. 2.1)."
6.
Für den vorliegenden Fall ist zusätzlich zu den vorstehenden
Erwägungen Folgendes von entscheidender Bedeutung: Gemäss § 7
GAL gelten die subsidiär anwendbaren Normen des Obligationen-
rechts als kantonales öffentliches Recht. Dies entspricht dem allge-
meinen Grundsatz, dass dort, wo durch Verweis im kantonalen öf-
fentlichen Recht ergänzend die Bestimmungen des Obligationen-
rechts zur Anwendung gelangen, diese Bestimmungen zum öffentli-
chen Recht des betreffenden Gemeinwesens werden. Entsprechend
ist in diesen Fällen das Privatrecht nach den Regeln des kantonalen
öffentlichen Rechts anzuwenden und auszulegen (Urteil des
Bundesgerichts vom 29. Dezember 2011 [8C_294/2011], Erw. 3.4
mit zahlreichen Hinweisen).
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass das kantonale öffentli-
che Recht im Gegensatz zum Obligationenrecht (vgl. Art. 324a OR
bzw. die hierzu entwickelte Berner, Zürcher und Basler Skala) eine
bedeutend grosszügigere Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit und
Unfall des Arbeitnehmers kennt (Lohnfortzahlung von 6 Monaten so-
2016
Personalrecht
267
wie Krankentaggeldversicherung für weitere 18 Monate; § 19 f.
LDLP). Diese Besserstellung zeigt sich auch am Ende eines Anstel-
lungsverhältnisses. So ist es nach der OR-Regelung ohne weiteres
denkbar, dass infolge einer verlängerten Kündigungsfrist das Arbeits-
verhältnis noch andauert, dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer jedoch
kein Lohnanspruch mehr zusteht; gemäss dem kantonalen öffentli-
chen Recht ist eine derartige Konstellation jedoch weitgehend ausge-
schlossen. Diese grundsätzlich deutliche finanzielle Besserstellung
des erkrankten bzw. verunfallten öffentlich-rechtlichen Arbeitneh-
mers spricht dagegen, in der vorliegenden Streitfrage bzw. bei der
Auslegung von Art. 336c OR als kantonales öffentliches Recht dem
Arbeitnehmerschutz ein zusätzliches Gewicht einzuräumen; diesem
Gedanken wurde schon mit der grosszügigen Lohnfortzahlungs-
pflicht Rechnung getragen.
Hinzu kommt, dass eine teleologische Auslegung, welche sich
primär nach dem Gedanken des Arbeitnehmerschutzes richtet, bei
kantonalen Lehrpersonen auch deshalb kaum gerechtfertigt ist, weil
ihnen bereits ab dem zweiten Anstellungsjahr bloss auf Ende eines
Schulhalbjahres gekündigt werden darf (§ 10 Abs. 4 GAL). Jede Ver-
längerung der Kündigungsfrist ist daher für den Arbeitgeber mit mas-
siven Konsequenzen verbunden, weshalb auch seine Interessen adä-
quat zu berücksichtigen sind.
7.
Insgesamt ergibt sich Folgendes: Der Wortlaut von Art. 336c
Abs. 2 OR spricht grundsätzlich dafür, dass die Sperrfrist auch dann
mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu laufen beginnt (und unter Um-
ständen auch bereits ablaufen kann), wenn die Kündigung zwar be-
reits ausgesprochen wurde, die Kündigungsfrist jedoch noch gar
nicht läuft. Eine teleologische Auslegung von Art. 336c Abs. 2 OR
spricht, soweit die Norm allein als privatrechtliche Bestimmung ver-
standen wird, tendenziell eher dagegen, dass die Sperrfrist schon vor
der Kündigungsfrist zu laufen beginnen kann. Allerdings orientiert
sich diese Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm an der Über-
zeugung, aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes dürfe die Sperrfrist
weder ganz noch teilweise vor Beginn der Kündigungsfrist konsu-
miert werden. Genau diese Überlegung spielt indessen eine unterge-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
268
ordnete Rolle, soweit Art. 336c Abs. 2 OR als öffentliches Recht des
Kantons Aargau zur Anwendung gelangt, steht doch hier dem er-
krankten bzw. verunfallten Arbeitnehmer ein deutlich besserer Lohn-
fortzahlungsanspruch zu als nach dem Obligationenrecht (vgl.
Erw. II/6). Zudem bewirkt in Fällen wie dem vorliegenden jede Ver-
längerung der Kündigungsfrist eine erhebliche Beeinträchtigung der
Interessen des Arbeitgebers, da eine Kündigung nur per Ende Schul-
halbjahr zulässig ist. Der teleologischen Auslegung zugunsten des
Arbeitnehmers kommt insofern ein deutlich geringeres Gewicht zu,
als ihr allenfalls im Privatrecht zuzubilligen ist.
Daraus folgt, dass Art. 336c Abs. 2 OR jedenfalls insofern, als
die Norm als öffentliches kantonales Recht zur Anwendung gelangt,
primär anhand des Wortlauts auszulegen ist. Dieser legt es nahe, dass
die Sperrfrist einheitlich stets mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu
laufen beginnt, und zwar unabhängig davon, ob die Kündigungsfrist
bereits läuft oder nicht. Dies entspricht im Übrigen der herrschenden
Lehre zu Art. 336c Abs. 2 OR. Konsequenterweise kann, sofern die
Kündigung entsprechend vorzeitig erfolgt, unter Umständen die
Sperrfrist bereits abgelaufen sein, bevor die Kündigungsfrist über-
haupt zu laufen anfängt. | 4,324 | 3,608 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-42_2015-04-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-42.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-42.pdf | AGVE_2016_42 | null | nan |
b6dbedae-747c-5648-8f13-e976bc817f2f | 1 | 412 | 871,553 | 1,283,385,600,000 | 2,010 | de | 2010
Verwaltungsgericht
122
[...]
24
Streitgegenstand im steuerrechtlichen Rechtsmittelverfahren.
-
Streitgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren
im Steuerrecht (Erw. 6.3).
-
Das kantonale Recht enthält keine Bestimmung, wonach im Verlauf
des Verfahrens nur Tatsachen und Beweismittel geltend gemacht
werden können, die im Schriftenwechsel nicht vorgebracht werden
konnten (Erw. 6.4).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 22. September 2010, in
Sachen E. (WBE.2009.370).
Aus den Erwägungen
6.
6.1.
Abweichend vom in der Rekursschrift vom 15. August 2007
gestellten Antrag auf Festsetzung des steuerbaren Eigenkapitals auf
Fr. 1'032'394.00 beantragt die Beschwerdeführerin im Beschwerde-
verfahren (wie bereits in ihrer Eingabe ans Steuerrekursgericht vom
7. Februar 2008), unter Berufung auf den ausgewiesenen Verlust von
Fr. 1'907'471.00, das steuerbare Eigenkapital auf Fr. 100'000.00 fest-
zusetzen. Die Vorinstanz kam diesbezüglich zum Schluss, auf diesen
erst im Rahmen des Untersuchungsverfahrens abgeänderten Antrag
auf Reduktion des steuerbaren Eigenkapitals auf Fr. 100'000.00 sei
nicht einzutreten, da dieser nicht durch den Gang des Rekursver-
fahrens verursacht worden sei.
6.2.
Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, die von der Vor-
instanz zitierte Praxis beziehe sich auf die Erweiterung des Rekurs-
begehrens. Hier werde aber das Rekursbegehren nicht erweitert,
2010
KantonaleSteuern
123
sondern lediglich mit Blick auf die korrekte Rechtsanwendung, wel-
che von Amtes wegen hätte erfolgen sollen, betragsmässig angepasst.
Die Vorinstanz hätte - nach Auffassung der Beschwerdeführerin -
ohne Weiteres zu Gunsten des Steuerpflichtigen vom gestellten An-
trag abweichen können.
6.3.
6.3.1.
Eine ausdrückliche Regelung des Streitgegenstands fehlt im
kantonalen Recht. Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren ist, was
im ursprünglichen Verwaltungsverfahren - und allenfalls zusätzlich
in einem vorangehenden Beschwerde- (oder Rekurs)verfahren - ver-
bindlich geregelt wurde (AGVE 1999, S. 368; zur Praxisverschär-
fung in Bezug auf den Ausschluss von Feststellungsverfügungen:
AGVE 2009, S. 137). Der Begriff des Streitgegenstands im verwal-
tungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren in Steuersachen stimmt da-
mit im Wesentlichen mit demjenigen der bundesgerichtlichen Recht-
sprechung überein. Danach gilt als Streitgegenstand das Rechtsver-
hältnis, das Gegenstand der angefochtenen Verfügung bildet, in dem
Umfang, in dem es im Streit liegt. Beschwerdebegehren, die neue, in
der angefochtenen Verfügung nicht geregelte Fragen aufwerfen,
überschreiten den Streitgegenstand und sind deshalb unzulässig. In
einem Rechtsmittelverfahren kann der Streitgegenstand grundsätz-
lich nur eingeschränkt, aber nicht ausgeweitet werden (BGE 131 II
203). Was Streitgegenstand ist, bestimmt sich nach dem angefochte-
nen Entscheid und den Parteibegehren. Auch wenn zum Verständnis
der Anträge auf die Begründung zurückgegriffen werden muss, ergibt
sich der Streitgegenstand stets aus der beantragten Rechtsfolge und
nicht aus deren Begründung, die sich regelmässig aus verschiedenen
rechtlichen und tatsächlichen Aspekten zusammensetzt. Der Recht-
sprechung liegt damit eine "objektmässige" und nicht eine "aspekt-
mässige" Umschreibung des Streitgegenstands zugrunde (Urteil des
Bundesgerichts vom 22.
Januar
2008 [2C_446/2007], Erw.
2.2,
m.w.H., publ. in StE 2008 B 96.11 Nr. 8).
6.3.2.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wäre es jedoch
nicht ausgeschlossen, dass der Streitgegenstand, der normalerweise
2010
Verwaltungsgericht
124
das gesamte Rechtsverhältnis erfasst, auf Teilaspekte desselben
beschränkt wird. So könnten die Behörden vorab über einzelne
Elemente eines bestimmten Rechtsverhältnisses rechtskräftig verfü-
gen (erwähntes Urteil des Bundesgerichts in: StE 2008 B 96.11 Nr. 8,
Erw. 3.1). Eine derartige Teilrechtskraft wird nach der konstanten
Praxis des Verwaltungsgerichts indes nicht anerkannt, wenn sich die
Beschwerde auf den materiellen Punkt des Entscheids bezieht und
diesen ganz oder teilweise anficht (AGVE 1987, S. 342 ff. und 1988,
S. 199; M
ICHAEL
M
ERKER
, Rechtsmittel, Klage und Normenkon-
trollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungs-
rechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Zürich 1998,
§ 38 N 50). Daran ist festzuhalten.
6.3.3.
Eine Verengung des Streitgegenstands kann indes auch durch
Parteierklärung erfolgen. Anerkennt eine Partei ausdrücklich, dass
sich ihr Begehren nicht auf einen bestimmten Rechtsgrund stützt,
kann sie später nicht mehr darauf zurückkommen. Eine nachträgliche
Geltendmachung eines zuvor ausdrücklich verworfenen Standpunkts
liefe schliesslich auf ein widersprüchliches Verhalten ("venire contra
factum proprium") hinaus.
6.4.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz handelte es sich beim
"Begehren" um Berücksichtigung des Verlustvortrags - da die Vorin-
stanz den Rekurs gegen die Aufrechnung des Aktionärsdarlehens ab-
gewiesen hat - um keine Rekurserweiterung. Die Frage, ob es sich
bei der Geltendmachung des Verlustvortrags um eine allenfalls unzu-
lässige Rekurserweiterung gehandelt hätte, hätte sich einzig dann
gestellt, wenn das Steuerrekursgericht selbst die Aufrechnung derart
reduziert hätte, dass das steuerbare Eigenkapital unter
Fr. 1'032'394.00 gesunken wäre. So wie das Steuerrekursgericht ent-
schied bzw. wie es seinen Entscheid sachlich begründete, hätte indes
selbst eine Berücksichtigung des Verlustvortrags in der von der
Rekurrentin geltend gemachten Höhe lediglich zu einer Herabset-
zung des steuerbaren Eigenkapitals von Fr.
8'123'645.00 um
Fr. 1'907'471.00 auf Fr. 6'216'174.00 geführt und wäre somit betrags-
mässig ohne weiteres im Rahmen des ursprünglichen Antrags gele-
2010
KantonaleSteuern
125
gen. Eine ausdrückliche Anerkennung des Ausschlusses der Ver-
lustverrechnung seitens der Beschwerdeführerin liegt zudem nicht
vor. Demzufolge ist das Steuerrekursgericht zu Unrecht nicht auf das
"Begehren" eingetreten.
Daran vermag auch die Berufung auf das Urteil des Bundesge-
richts vom 8. September 2009 [2C_514/2008] durch das KStA nichts
zu ändern. Darin schützte das Bundesgericht das Vorgehen der Vor-
instanz, welche neue Vorbringen und Dokumente unberücksichtigt
liess, weil das Behauptungs- und Beweisverfahren in diesem Zeit-
punkt bereits abgeschlossen war. Dabei ist zu bedenken, dass das in
jenem Fall massgebende freiburgische Verfahrensrecht (Gesetz über
die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Freiburg vom 23. Mai 1991
[VRG-FR; SGF 150.1]) - im Gegensatz zum aargauischen VRPG -
eine ausdrückliche Bestimmung enthält, wonach im Verlauf des Ver-
fahrens nur Tatsachen und Beweismittel geltend gemacht werden
können, die im Schriftenwechsel im Sinne von Art. 89 VRG-FR
nicht vorgebracht werden konnten (Art. 93 VRG-FR).
Soweit sich die Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid
der Vorinstanz richtet, ist sie somit gutzuheissen. | 1,588 | 1,211 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-24_2010-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-24.pdf | AGVE_2010_24 | null | nan |
b7e3accb-dae6-56fb-bbc8-93d7fabe9d47 | 1 | 412 | 871,804 | 1,335,916,800,000 | 2,012 | de | 2012
Verwaltungsgericht
102
[...]
16
Abzug behinderungsbedingte Kosten
-
Definition der Behinderung im Rechtssinn (Erw. 3)
-
Die Kosten einer In-vitro-Fertilisation sind nicht als behinderungs-
bedingte Kosten steuerlich abzugsfähig (Erw. 4.2.3).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 2. Mai 2012 in Sachen
P.K. (WBE.2011.339).
2012
Kantonale Steuern
103
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
Art. 2 Abs. 1 BehiG definiert Menschen mit Behinderungen
(Behinderte, Behinderter) als Personen, denen es eine voraussichtlich
dauernde körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung
erschwert oder verunmöglicht, alltägliche Verrichtungen vorzuneh-
men, soziale Kontakte zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und
fortzubilden oder eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
3.2.
Diese Definition enthält zunächst ein anthropologisch-medizini-
sches Element, indem sie für das Vorliegen einer Behinderung eine
körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung verlangt.
Diese darf nicht nur vorübergehend, sondern muss voraussichtlich
dauernd sein. Als Beeinträchtigung ist dabei jedes erhebliche Defizit
gegenüber einem als normal (bzw. nicht behindert empfundenen)
körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand einer Person zu
verstehen. "Normalität" in diesem Sinn weist eine erhebliche Band-
breite auf, d.h. sie reicht von der normal bzw. sogar der leicht unter-
durchschnittlich begabten bis zur hochbegabten Person, vom Leis-
tungssportler bis zur unsportlichen, aber grundsätzlich bewegungs-
fähigen Person, vom ausgeglichenen bis zum launischen Menschen
mit einer akzentuierten Persönlichkeit.
3.3.
Für die Definition einer behinderten Person zentral ist indessen
das zweite Begriffselement, nämlich die funktionale Komponente.
Auch wenn eine Person gegenüber einem als Bandbreite vorgestell-
ten Normalfall in ihrem körperlichen, geistigen oder psychischen
Zustand erheblich beeinträchtigt ist, liegt eine Behinderung im
Rechtssinn erst dann vor, wenn sich aus dieser Beeinträchtigung ein
Funktionsverlust ergibt (vgl. Botschaft zum Entwurf des BehiG vom
11. Dezember 2000, BBl 2001, S. 1777). Dabei betrachtet das Gesetz
nicht jeden Funktionsverlust als Behinderung, sondern nur (aber
immerhin) Funktionsverluste, die es erschweren oder verunmögli-
chen, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte zu
2012
Verwaltungsgericht
104
pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und fortzubilden oder eine
Erwerbstätigkeit auszuüben.
Diese gesetzliche Definition umschreibt die Behinderung zum
einen bewusst weiter als etwa der deutsche Gesetzgeber, welcher
alterstypische Funktionsverluste bei betagten Menschen nicht als
Behinderung auffasst. Die Definition umfasst insbesondere auch eine
grössere Menschengruppe als die Invalidenversicherung, indem sie
auch Personen umfasst, die noch nicht oder nicht mehr erwerbsfähig
sind (vgl. Botschaft zum BehiG, BBl 2001, S. 1777). Andererseits
stellt aber nicht jeder erhebliche Funktionsverlust infolge einer kör-
perlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung eine Behin-
derung im Rechtssinn dar. Eine Behinderung muss vielmehr zu einer
Erschwerung bzw. Verunmöglichung in bestimmten Bereichen
menschlichen Verhaltens führen, nämlich bei der Vornahme alltägli-
cher Verrichtungen, der Pflege sozialer Kontakte, bei der Fortbewe-
gung sowie bei der Aus- und Fortbildung und bei der Fähigkeit zur
Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
4.
4.1.
Zutreffend hat das Steuerrekursgericht festgestellt, dass Infer-
tilität, soweit sie denn beim Beschwerdeführer besteht, eine körper-
liche Beeinträchtigung darstellt. Es ist darüber hinaus notorisch, dass
die Unmöglichkeit, infolge Infertilität einen bestehenden Kinder-
wunsch zu erfüllen, bei den davon betroffenen Personen auch zu
weiteren Beeinträchtigungen vor allem psychischer Natur (insbeson-
dere Depressionen) führen kann.
So hat denn auch der Supreme Court der USA anerkannt, dass
die Möglichkeit, Nachwuchs zu zeugen ("reproduction and child
bearing"), eine "major life activity" im Sinne des "Americans with
Disability Act" von 1990 (ADA; United States Codes Annotated
[U.S.C.A.], Band 42, Kapitel 126, § 12101 ff.) darstellt. Dementspre-
chend ist Infertilität eine "disability" im Sinne von Section 3 des
ADA, definiert diese Bestimmung "disability" doch unter anderem
als "a physical or mental impairment that substantially limits one or
more of the major life activities of such individual" (zitiert in der
Botschaft zum BehiG, BBl 2001, S. 1777; vgl. dazu den Entscheid
2012
Kantonale Steuern
105
des Supreme Court vom 25. Juni 1998; Bragdon vs. Abbott et. al.,
524 United States Reports [U.S.] 624 ff. [1998]; siehe dort aber auch
die teilweise abweichende Meinung von Chief Justice William H.
Rehnquist, der insbesondere den Charakter der Entscheidung für
eigene Kinder als "major life acitivity" anzweifelte [524 U.S. 660]).
Bereits in diesem Zusammenhang gilt es darauf hinzuweisen, dass
der Begriff der "disability" gemäss ADA nicht mit jenem des Men-
schen mit Behinderung gemäss Art. 2 Abs. 1 BehiG gleichgesetzt
werden kann. Section 3 des ADA enthält nämlich anders als Art. 2
Abs. 1 BehiG keinen (geschlossenen) Katalog der Verhaltensweisen,
bei welchen die körperliche, geistige oder psychische Beeinträchti-
gung zu einem Funktionsverlust führt, sondern definiert generell alle
erheblichen Funktionsverluste (bzw. "substantial limitations"),
welche eine "major life acitivity" betreffen als "disability".
4.2.
4.2.1.
Art. 2 Abs. 1 BehiG verlangt über das Vorliegen einer voraus-
sichtlich dauernden körperlichen, geistigen oder psychischen Beein-
trächtigung hinaus, dass es der bzw. dem davon Betroffenen dadurch
erschwert oder verunmöglicht ist, alltägliche Verrichtungen vorzu-
nehmen, soziale Kontakte zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus-
und fortzubilden oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Hier ist
zu Recht nicht streitig, dass der Beschwerdeführer durch die behaup-
tete bei ihm bestehende Infertilität weder bei der Pflege seiner sozia-
len Kontakte noch bei der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit noch
gar in seiner Fortbewegung oder bei einer allfälligen Aus- bzw.
Weiterbildung betroffen ist. Es stellt sich somit nur noch die Frage,
ob die behauptete Infertilität dem Beschwerdeführer die Vornahme
alltäglicher Verrichtungen erschwert bzw. sogar verunmöglicht.
4.2.2. (...)
4.2.3.
Zu Recht hat es das Steuerrekursgericht abgelehnt, die Zeugung
von Kindern unter den Begriff der alltäglichen Verrichtung gemäss
Art. 2 Abs. 1 BehiG zu subsumieren. Dabei hat es zu Recht offen
gelassen, ob dieser Begriff mit jenem der alltäglichen Lebensverrich-
tung gemäss Art. 9 ATSG identisch ist, der die Hilflosigkeit als das
2012
Verwaltungsgericht
106
Bedürfnis umschreibt, wegen der Beeinträchtigung der Gesundheit
für alltägliche Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter oder
der persönlichen Überwachung zu bedürfen. Selbst wenn der Begriff
der alltäglichen Verrichtung gemäss Art. 2 Abs. 1 BehiG weiter sein
sollte als jener der alltäglichen Lebensverrichtung gemäss Art. 9
ATSG, ergibt sich bereits aus dem Wortsinn, dass das Zeugen von
Kindern keine alltägliche Verrichtung ist. Das Zeugen eines Kindes
ist eine erfolgsbezogene Handlung. Der Beschwerdeführer selbst
behauptet nicht, er sei durch die bei ihm behauptetermassen
bestehende Infertilität im Vollzug des Geschlechtsaktes oder sonst in
seinem sexuellen Leben behindert. Es kommt bei ihm gemäss seiner
Darstellung lediglich bei seiner Partnerin infolge seiner Infertilität zu
keiner Schwangerschaft. An das Fehlen des Erfolges einer bestimm-
ten Handlung bzw. Lebensverrichtung knüpft Art. 2 Abs. 1 BehiG
aber nach seinem Wortsinn gerade nicht an. Dafür, dass der Erfolg
bestimmter Handlungen als Teil der Fähigkeit zu deren Ausführung
in Art. 2 Abs. 1 BehiG mitzuverstehen wäre, müssten, da eine solche
Bedeutung weit ausserhalb des Wortsinns liegt, Hinweise in den
Gesetzesmaterialien vorhanden sein. An solchen fehlt es aber, wird
doch die Infertilitätsproblematik in der gesamten Botschaft zum Be-
hindertengesetz nirgends angesprochen. Es ist daher davon auszuge-
hen, dass der Gesetzgeber Infertilität nicht als Behinderung im
Rechtssinn verstanden haben wollte. Kosten im Zusammenhang mit
der Erfüllung eines Kinderwunsches infertiler Paare können daher
nicht unter den Begriff der behinderungsbedingten Kosten gemäss
§ 40 lit. i
bis
StG bzw. Art. 9 Abs. 2 lit. h
bis
StHG subsumiert werden. | 1,878 | 1,508 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-16_2012-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-16.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-16.pdf | AGVE_2012_16 | null | nan |
b8277261-9e7d-52ff-bdb1-0c946acb4ecb | 1 | 412 | 871,181 | 1,551,571,200,000 | 2,019 | de | 2019
Enteignungsrecht
153
VI. Enteignungsrecht
21
Formelle Enteignung; Behandlung der Einwendungen (§§ 152 ff. BauG)
Grundsätzlich hat das Spezialverwaltungsgericht alle unerledigten Ein-
wendungen gegen die Enteignung an den Regierungsrat zu überweisen;
auf unzulässige Einwendungen i.S.v. § 152 Abs. 1 lit. a BauG ist nicht ein-
zutreten.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. März
2019, in Sachen A. und Mitbeteiligte gegen Einwohnergemeinde B.
(WBE.2018.227).
Aus den Erwägungen:
2.
Innerhalb der Auflagefrist der Enteignungsunterlagen sind beim
Gemeinderat zuhanden des SKE Einwendungen gegen die Enteig-
nung anzumelden. Anträge die bereits mit Einwendungen gegen den
Nutzungsplan oder das Bauprojekt hätten gestellt werden können,
sind unzulässig (§ 152 Abs. 1 lit. a BauG). Das SKE oder der Abtei-
lungspräsident versucht, eine Einigung zwischen Enteigner und Ent-
eigneten über die Einwendungen gegen die Enteignung herbeizufüh-
ren (§ 153 Abs. 1 BauG). Gelingt keine Einigung hat der
Regierungsrat über die unerledigten Einwendungen zu entscheiden
(§ 154 Abs. 1 BauG).
3.
3.1. (...)
3.2. (...)
3.3.
Das SKE verzichtete auf eine Überweisung an den Regierungs-
rat und wies die Einwendung ab. Sowohl im angefochtenen Ent-
scheid als auch in seiner Beschwerdeantwort verweist es auf seine
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
154
langjährige Praxis, wonach es die Verpflichtung, eine Einigungsver-
handlung auch über die Einwendungen gegen die Enteignung durch-
zuführen (§ 153 BauG), stets als Kompetenz verstanden habe, die be-
treffenden Begehren mit aller Zurückhaltung einer rechtlichen
Grundprüfung zu unterziehen und ein klares Ergebnis ausnahms-
weise direkt in einem Entscheid festzuhalten ([...] AGVE 2013,
S. 441; AGVE 1996, S. 447 f.).
3.4.
Der Wortlaut von § 154 Abs. 1 BauG deckt sich nicht mit der
Praxis der Vorinstanz. Eine entsprechende Entscheidkompetenz fehlt
im Gesetz. Allerdings bestimmt § 152 Abs. 1 lit. a BauG ausdrück-
lich, dass Einwendungen, die bereits gegen den Nutzungsplan oder
das Bauprojekt hätten gestellt werden können, unzulässig sind. Ob
eine solche Einwendung vorliegt, muss das SKE im Hinblick auf die
durchzuführende Einigungsverhandlung prüfen. Insofern liegt es
nahe, dass das SKE in einem Prozessentscheid auf die unzulässige
Einwendung nicht eintritt, anstatt die unter § 152 Abs. 1 lit. a BauG
fallende unzulässige Einwendung an den Regierungsrat weiterzulei-
ten. Sowohl der Prozessentscheid des SKE als auch derjenige des
Regierungsrats sind vor Verwaltungsgericht anfechtbar, womit den
Beschwerdeführern kein Nachteil zukommt. Der Verfahrensfehler
wurde denn auch von den Beschwerdeführern nicht gerügt. Grund-
sätzlich sind zwar alle unerledigten Einwendungen gegen die Ent-
eignung an den Regierungsrat zu überweisen. Dass das SKE im vor-
liegenden eindeutigen Fall die in § 152 Abs. 1 lit. a BauG klar um-
schriebene Unzulässigkeit festgestellt und auf eine Weiterleitung der
Einwendung verzichtet hat, ist im Ergebnis jedoch nicht zu bean-
standen.
Klar ist, dass das SKE einzig die Frage prüfen durfte, ob die
Einwendung bereits mit Einwendungen gegen den Erschliessungs-
plan hätte vorgebracht werden können. Mit anderen Worten durfte es
einzig die Einwendung auf ihre Zulässigkeit i.S.v. § 152 Abs. 1 lit. a
BauG hin beurteilen. Erweist sich die Einwendung als unzulässig, ist
darauf nicht einzutreten. Die
materielle
Beurteilung bzw. die Abwei-
sung der Einwendung lag jedoch nicht in seiner Zuständigkeit. | 843 | 661 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-21_2019-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-21.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-21.pdf | AGVE_2019_21 | null | nan |
b82c2dc2-1f55-591d-8b2f-efff3086de35 | 1 | 412 | 870,833 | 1,251,849,600,000 | 2,009 | de | 2009
Grundbuchrecht
243
VIII. Grundbuchrecht
46
Ausweis über das Verfügungsrecht als Voraussetzung für einen Eintrag in
das Grundbuch (Art. 965 Abs. 1 ZGB)
-
Anspruch auf Grundbucheintrag trotz fehlender Ausscheidung für
unselbstständigen Miteigentumsanteil
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 17. September 2009 in
Sachen G.M. gegen das Departement Volkswirtschaft und Inneres
(WBE.2009.73).
Aus den Erwägungen
II.
1.
Die Eintragung ins Grundbuch setzt eine Grundbuchanmeldung,
einen Ausweis über das Verfügungsrecht und einen Rechtsgrund vor-
aus (Art. 963 Abs. 1 ZGB, Art. 965 Abs. 1 ZGB). Nicht streitig ist
hier, dass diese Voraussetzungen hinsichtlich der Abparzellierung
vom Grundstück GB L Nr. X erfüllt sind. Der Streit dreht sich allein
darum, ob die Beschwerdeführerin ihr Verfügungsrecht auch mit Be-
zug auf die beiden Parzellen GB L Nrn. Y und Z (Weggrundstücke)
ausreichend nachgewiesen hat, damit der Grundbuchverwalter dem
Eintragungsgesuch hätte entsprechen müssen.
2.
2.1.
Mit Bezug auf die beiden Grundstücke GB L Nrn. Y und Z ist
klar, dass die Beschwerdeführerin an diesen als Eigentümerin nicht
allein, sondern zusammen mit den Eigentümern anderer Grundstücke
berechtigt ist.
2009
Verwaltungsgericht
244
2.2.
Bei den beiden Grundstücken handelt es sich unbestrittener-
massen um sog. "Anmerkungsgrundstücke" ("immeuble mentionné",
vgl. zur Terminologie BGE 130 III 13, S. 16, Erw. 5.2.2., mit Hin-
weisen = Pra 93/2004, S. 721 ff.). Das bedeutet, dass das Eigentum
an diesen Grundstücken in der Weise mit dem Eigentum an anderen
Grundstücken subjektiv-dinglich verknüpft ist, dass der jeweilige Ei-
gentümer der anderen Grundstücke auch zu den gemeinschaftlichen
Eigentümern an den beiden Grundstücken Nrn. Y und Z gehört.
Grundbuchlich ist dies in der Weise zum Ausdruck gebracht, dass im
Grundbuch bei den beiden "dienenden" Grundstücken als Eigentü-
mer keine - natürlichen oder juristischen - Personen verzeichnet
sind, sondern anstelle der Eigentümer die Grundbuchnummern der
entsprechenden "herrschenden" Grundstücke erscheinen.
2.3.
Der Grundbuchverwalter und die Vorinstanz sind zum Schluss
gelangt, aus dem Grundbucheintrag der beiden Anmerkungsgrund-
stücke ergebe sich ebenso wenig wie aus den Belegen, welche Art
gemeinschaftlichen Eigentums (Miteigentum oder Gesamteigentum)
vorliege und - sollte Miteigentum vorliegen - welcher prozentuale
Miteigentumsanteil auf die von der Abparzellierung betroffene Par-
zelle GB L Nr. X entfalle.
Die Beschwerdeführerin ist dagegen der Auffassung, aus den
Belegen zur Eintragung der beiden Anmerkungsgrundstücke ergebe
sich entgegen der Auffassung des Grundbuchverwalters und der Vor-
instanz keine Ungewissheit hinsichtlich der Form des gemein-
schaftlichen Eigentums (Miteigentum oder Gesamteigentum) an den
beiden Grundstücken. Vielmehr sei klar, dass diese im (selbstständi-
gen) Miteigentum der jeweiligen Eigentümer der in der Eigentums-
spalte der beiden Grundstücke figurierenden Grundstücke stünden.
2.4.
2.4.1.
Auch der Grundbuchverwalter ist im Rahmen der ihm zuste-
henden beschränkten Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu H
ENRI
D
ESCHENAUX
, Das Grundbuch, in: Schweizerisches Privatrecht,
Band V/3 I, Basel und Frankfurt a.M. 1988, S. 483 f. sowie S. 492
2009
Grundbuchrecht
245
ff.) dazu berechtigt und verpflichtet, ihm eingereichte und bereits
beim Grundbuchamt aufbewahrte Belege nach dem Willen der Par-
teien auszulegen. Bei (vermeintlichen) Lücken darf er nicht eine
formalistische, den Willen der Parteien offensichtlich verkürzende
Interpretation vornehmen.
Die Grundbucheinträge der beiden Anmerkungsparzellen ent-
halten zwar keine ausdrücklichen Angaben über die Art des gemein-
schaftlichen Eigentums. Entgegen der Auffassung des Grundbuch-
verwalters und der Vorinstanz ergibt sich indessen aus den Umstän-
den, unter denen die beiden in den Akten befindlichen Abtretungs-
verträge vom 21. (...) und vom 15. (...) geschlossen wurden und aus
diesen Verträgen selbst klar, dass sich der Wille der Vertragsparteien
darauf richtete, Miteigentum an den Wegparzellen zu begründen.
- Gemäss dem Vertrag vom 21. (...) wandelte der bisherige Ei-
gentümer der ausdrücklich als "Weggrundstück" bezeichneten Par-
zelle Nr. Y, dem gleichzeitig die Parzelle Nr. V gehörte ("..." im Halt
von 32.31 ar, von dem der Eigentümer bereits 1932 die Bauparzelle
Nr. V im Halt von 5.32 ar abverkauft hatte, mit gleichzeitiger Über-
tragung der Wegdienstbarkeit zu Lasten Y auf die neue Parzelle), das
Weggrundstück in einen "Miteigentümerweg gemäss Art. 32 G.V."
um.
- Ebenso wandelte gemäss dem Vertrag vom 15. (...) der bis-
herige Eigentümer des Weggrundstücks Nr. Z, dem gleichzeitig die
angrenzende Parzelle Nr. X gehörte, die Parzelle Nr. Z in einen "Mit-
eigentümerweg gemäss 32 G.V." um, wobei er sich "für die Einräu-
mung des Miteigentums" vom Eigentümer der Parzelle Nr. U, die
ebenfalls an die Wegparzelle Nr. Z grenzt, eine Entschädigung von
Fr. 250.-- bezahlen liess.
Schon die Umstände, unter denen die genannten Verträge ge-
schlossen wurden, stellen einen klaren Hinweis darauf dar, dass Mit-
eigentum und nicht etwa Gesamteigentum begründet werden sollte.
So geht aus dem Situationsplan der Parzellen hervor, dass sie der
wegmässigen Erschliessung der Parzellen dienen, deren Eigentümer
neben den vorherigen Alleineigentümern neu an den beiden Weg-
parzellen berechtigt wurden. Zu diesem Befund passt bei der Parzelle
Nr. Y, dass diese vorher zu Lasten der Parzellen, deren Eigentümern
2009
Verwaltungsgericht
246
nunmehr Miteigentum eingeräumt wurde, mit Wegdienstbarkeiten
belastet waren (die im Zug der Begründung des Miteigentums ge-
löscht wurden).
Die Begründung von Gesamteigentum verlangt eine zwischen
den Parteien bestehende Gemeinschaft (Art. 652 ZGB). Hier fehlen
jegliche Hinweise darauf, dass die an der Begründung des "Mitei-
gentümerwegs" beteiligten Parteien, auch wenn die entsprechenden
Verträge aus heutiger Sicht als lückenhaft erscheinen, sich zu einer
solchen Gemeinschaft zusammenschliessen wollten.
Der Wortlaut der Vereinbarungen deutet positiv darauf hin, dass
Miteigentum begründet werden sollte. Selbst wenn das Wort "Mit-
eigentümerweg", wie der Grundbuchverwalter meint (Amtsbericht),
damals einfach dem üblichen Sprachgebrauch entsprochen haben
sollte, lässt sich daraus nicht ableiten, dass die Parteien es untech-
nisch verstanden. Im Zusammenhang mit dem "Miteigentümerweg"
wird in beiden Verträgen ausdrücklich auf Art. 32 GBV verwiesen.
Die Bestimmung handelt von den sog. Anmerkungsgrundstücken, bei
denen in der ganz überwiegenden Mehrheit der Fälle Miteigentum
besteht. Dafür, dass es sich hier anders verhalten hätte, fehlen
jegliche Hinweise.
Dass die Parteien der Verträge keine Miteigentümerquoten aus-
schieden und der Grundbuchverwalter sie damals (und in der Folge,
als noch zusätzliche Grundstücke mit der Anmerkungsparzelle
dinglich-subjektiv verbunden wurden) nicht unter Hinweis auf Art.
32 Abs. 1 GBV anhielt, die Quoten festzulegen, lässt schliesslich den
bestehenden Eintrag zwar als mangelhaft erscheinen, ändert indessen
am dargelegten Auslegungsergebnis nichts.
Zusammenfassend ist damit festzuhalten: Entgegen dem
Grundbuchverwalter und der Vorinstanz ist hier Miteigentum nicht
etwa bloss zu vermuten. Aufgrund der (lückenhaften) Belege lässt
sich vielmehr schlechterdings kein anderes Auslegungsergebnis
rechtfertigen.
2.4.2.
Die Beschwerdeführerin hat sich auf den Standpunkt gestellt,
ihr stehe selbstständiges Miteigentum an den beiden Anmerkungs-
parzellen zu. Auch diese Auffassung erweist sich bereits im Rahmen
2009
Grundbuchrecht
247
der den Grundbuchbehörden zustehenden Kognition als unzutref-
fend.
2.4.2.1.
Wie das Verwaltungsgericht schon früher festgestellt hat
(VGE I/72 vom 28. April 1997 [BE.1994.00186]) besteht keine
begriffliche Deckungsgleichheit zwischen unselbstständigem und
subjektiv-dinglichem Miteigentum: Unselbstständiges Miteigentum
liegt dann vor, wenn der Aufhebungsanspruch des Miteigentümers
ausgeschlossen ist, weil die Sache für einen dauernden Zweck
bestimmt ist (Art. 650 Abs. 1 ZGB). Ob subjektiv-dingliches
Miteigentum vorliegt, bestimmt sich danach, ob das Miteigentum an
einem Grundstück mit der jeweiligen Eigentümerstellung an einem
anderen Grundstück verbunden ist.
Obwohl die Begriffe subjektiv-dingliches und unselbstständiges
Eigentum nicht deckungsgleich sind, ergibt sich indessen insoweit
eine Abhängigkeit, als Miteigentum an einem Grundstück, das von
den Miteigentümern einem dauernden Zweck gewidmet wird (z.B.
gemeinsamer Eingang, Grenzmauer etc.) und mit der Eigentümer-
stellung an einem anderen Grundstück subjektiv-dinglich verknüpft
wird, wesensgemäss nur als unselbstständiges Miteigentum vor-
stellbar ist. Dies stellt aus praktischer Sicht aber gerade auch den
Hauptfall des unselbstständigen Miteigentums dar.
Daneben ist zwar zumindest vorstellbar, dass dann, wenn eine
dingliche Verknüpfung zwischen "herrschenden" Hauptgrundstücken
(z.B. in einer Einfamilienhaussiedlung) und einem "dienenden" An-
merkungsgrundstück (z.B. einem grossen Schwimmbecken) herge-
stellt wird, die Miteigentümer sich im Begründungsakt darüber eini-
gen, dass die Zweckbestimmung eben nicht dauernd und der jewei-
lige Eigentümer des Hauptgrundstücks berechtigt sein soll, die ding-
lich-subjektive Verknüpfung für seinen Miteigentumsanteil zu lösen,
um auf diese Weise wiederum unabhängig von der Verfügung über
das (ehemals) herrschende Grundstück über den Miteigentumsanteil
verfügen zu können (z.B. Verkauf eines Miteigentumsanteils an ei-
nem Schwimmbecken mit zugehörigem Nutzungsrecht an einen
Dritten; vgl. zur Möglichkeit selbstständigen subjektiv-dinglichen
Eigentums B
ENNO
S
CHNEIDER
, Probleme des subjektiv-dinglichen
2009
Verwaltungsgericht
248
Eigentums, ZBGR 57/1976, S. 15; sowie die Hinweise in BGE 130
III 306, S. 309 in fine, Erw. 3.3.1.).
Solches selbstständiges Miteigentum ist indessen nach Lage der
Dinge insbesondere bei Gemeinschaftsanlagen, die im Miteigentum
stehen und subjektiv-dinglich mit anderen Grundstücken verknüpft
sind, nicht zu vermuten. Ist aus dem Begründungsakt und nach den
Umständen davon auszugehen, dass das Anmerkungsgrundstück so-
wie gegebenenfalls die auf diesem befindlichen Anlagen den "herr-
schenden" Hauptgrundstücken dienen, so ist mangels klarer anders-
lautender Abmachungen im Begründungsakt vielmehr zu vermuten,
dass mit Bezug auf die Anmerkungsparzelle unselbstständiges Mit-
eigentum vorliegt.
2.4.2.2.
Genauso verhält es sich denn auch hier: Obwohl der Wortlaut
der beiden Abtretungsverträge vom 21. (...) und vom 15. (...) sehr
knapp ausgefallen ist, so geht doch aus beiden Dokumenten unter
Berücksichtigung der Lage der Grundstücke der beteiligten Grund-
eigentümer unmittelbar an den Parzellen Nrn. Y und Z klar hervor,
worauf sich deren Wille richtete, nämlich auf die Konstituierung ei-
ner im Miteigentum der jeweiligen Eigentümer der Anstössergrund-
stücke stehenden Wegparzelle. Entgegen den Ausführungen der Be-
schwerdeführerin kann keine Rede davon sein, dass die Parteien der
beiden Abtretungsverträge hinsichtlich der Parzelle Nrn. Y und Z
keine dauernde Widmung vorgenommen hätten.
2.5.
Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass in Ab-
weichung sowohl von der Auffassung der Vorinstanz und des Grund-
buchverwalters als auch teilweise von der Meinung der Beschwerde-
führerin hinsichtlich der beiden Weggrundstücke unselbstständiges
Miteigentum vorliegt.
3.
Bei der Teilung der im Alleineigentum der Beschwerdeführerin
stehenden Parzelle GB L Nr. X, die wegen deren subjektiv-dingli-
chen Verknüpfung mit den beiden Anmerkungsparzellen auch zu ei-
ner Teilung des Miteigentums an diesen führt, stellt sich die Frage,
2009
Grundbuchrecht
249
ob die Beschwerdeführerin dazu der Zustimmung der übrigen Mit-
eigentümer bedarf.
3.1.
Das Bundesgericht hat sich in einem publizierten Entscheid
(BGE 130 III 13 ff.) ausführlich mit der Frage befasst, ob und in-
wieweit der unselbstständige Eigentümer über seinen Miteigen-
tumsanteil verfügen kann.
Zu beurteilen hatte das Gericht, ob es im Rahmen einer Parzel-
lierung des Hauptgrundstücks zulässig sei, wenn der Miteigentümer
des Anmerkungsgrundstücks das Miteigentum an diesem nur auf der
verbleibenden Restparzelle belässt (oder nur auf die neue Parzelle
überträgt). Das Bundesgericht hat dabei entschieden, dass eine solche
Möglichkeit grundsätzlich nicht besteht, es sei denn alle Mitei-
gentümer würden sich in einer neuen Vereinbarung mit einer ent-
sprechenden Änderung des Zwecks des Anmerkungsgrundstücks
(dass nämlich dieses nicht mehr allen bisher mit ihm verknüpften
Grundstücken dienen solle) einverstanden erklären. Zur Begründung
hat das Gericht darauf hingewiesen, dass es zu einer Zweckänderung
nicht nur dann komme, wenn ein Miteigentumsanteil, namentlich im
Hinblick auf dessen Veräusserung oder die Verknüpfung mit einem
anderen Grundstück (ausdrücklich) entwidmet werde, sondern eben
schon dann, wenn im Zuge einer Abparzellierung hinsichtlich der
neu geschaffenen oder der verbleibenden Parzelle der Miteigen-
tumsanteil nicht übertragen werde (BGE 130 III 13, S. 17 f.,
Erw. 5.2.5.).
3.2.
Das Bundesgericht hat es hingegen im angeführten Entscheid
ausdrücklich für zulässig erachtet, dass ein Grundstück (das Haupt-
grundstück), das mit einem anderen Grundstück (dem Anmerkungs-
grundstück) subjektiv-dinglich verbunden ist, geteilt wird und dabei
der mit dem Hauptgrundstück verbundene unselbstständige Mitei-
gentumsanteil anteilmässig auf die verbleibende Restparzelle und die
neue Parzelle übertragen wird (BGE 130 III 13, S. 18, Erw. 5.2.7.).
Ein Autor (J
ÜRG
S
CHMID
, Das unselbständige Miteigentum in Theo-
rie und Praxis, ZBGR 86/2005, S. 277 ff., S. 285) hat denn auch dar-
auf hingewiesen, dass sich damit das Vorgehen bei der Teilung von
2009
Verwaltungsgericht
250
Grundstücken nach denselben Vorschriften richtet, wie sie die
Grundbuchverordnung für die Nachführung der Dienstbarkeiten
vorschreibt (Art. 86 und 90 ff. GBV). Als zusätzliches Element ist
unter Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Erwägungen zu be-
achten, dass durch eine nur beschränkte Nachführung der Berechti-
gung (d.h. nur auf einem Teil der aus der Teilung hervorgegangenen
Grundstücke) die von der Miteigentümern getroffene Vereinbarung
über die Zweckbestimmung des gemeinschaftlichen Grundstücks
nicht einseitig abgeändert werden darf.
3.3.
Die Beschwerdeführerin beabsichtigte bei der von ihr vorge-
nommenen Parzellierung, deren Anmeldung im Grundbuch hier
streitig ist, offensichtlich keine von der bestehenden Berechtigung an
den beiden Anmerkungsgrundstücken abweichende Übertragung des
Miteigentumsanteils auf die neu zu schaffende bzw. die verbleibende
Parzelle. Weder sollte das Miteigentum an den beiden Weg-
grundstücken nur auf eine der beiden Parzellen (Nr. X oder T) über-
tragen werden, noch bestand die Absicht, die Miteigentumsquoten im
Zuge der Parzellierung zu verändern. Damit steht der Parzellierung
nach der dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Hin-
blick auf die damit verbundene Aufteilung des unselbstständigen
Miteigentums an den beiden Weggrundstücken nichts entgegen.
4.
Damit ist freilich noch nicht über die Zulässigkeit der von der
Beschwerdeführerin anbegehrten Eintragung der von ihr vorge-
nommenen Parzellierung im Grundbuch entschieden. Dieser steht -
jedenfalls auf den ersten Blick - der Wortlaut von Art. 33 Abs. 1
GBV entgegen, wonach bei Miteigentum der Bruchteil durch ent-
sprechenden Zusatz (zur Hälfte, zu 1/3 usw.) zum Namen jedes
Miteigentümers angegeben werden muss. Daran ändert auch nichts,
dass die Beschwerdeführerin in ihrem zweiten Eintragungsbegehren
die Übertragung je der Hälfte der Miteigentumsanteile an den beiden
Anmerkungsgrundstücken beantragt hat, denn der quotenmässig
bekannte Anteil an einem quotenmässig unbekannt hohen Anteil an
einem ganzen Recht lässt sich naturgemäss ebenfalls nicht als quo-
tenmässig bestimmter Anteil am ganzen Recht bestimmen.
2009
Grundbuchrecht
251
4.1.
Die Miteigentumsanteile an den beiden Anmerkungsparzellen
sind im bestehenden Grundbucheintrag entgegen der Vorschrift von
Art. 33 GBV nicht angegeben. Dies macht den Eintrag nicht zu ei-
nem ungültigen Eintrag. Indessen bedarf er der Vervollständigung
durch die Parteien (P
AUL
H
ENRI
S
TEINAUER
, Les pluralités de
copropriétés sur un immeuble, ZBGR 79/1998, S. 224 N 13 mit
Hinweisen). Dabei kann nicht einfach ein Miteigentümer unter Be-
rufung auf die Vermutung von Art. 646 Abs. 2 ZGB die Eintragung
gleicher Quoten verlangen. Mangels Einverständnisses zwischen den
Miteigentümern, obliegt es vielmehr dem Richter, die Miteigen-
tumsquoten festzulegen (BGE 111 II 26, S. 29, Erw. 5).
4.2.
Die geschilderte Rechtslage bedeutet für den vorliegenden
Sachverhalt, dass eine Festlegung der bestehenden Miteigentums-
quoten, sofern keine Einigkeit zwischen den Miteigentümern besteht,
nur auf dem Weg über den Zivilrichter möglich ist. Aus verschiede-
nen Schreiben beteiligter Miteigentümer in den Akten ergibt sich nun
aber deutlich, dass die Beschwerdeführerin bereits Anstrengungen
unternommen hat, um das für die Bereinigung des bestehenden
Grundbucheintrags erforderliche Einverständnis zwischen den Mit-
eigentümern herzustellen, diese Versuche aber nicht erfolgreich wa-
ren bzw. der Beschwerdeführerin mit Bezug auf die Abparzellierung,
den Verkauf des abparzellierten Grundstücks und dessen Überbauung
offensichtlich zumindest von einzelnen Miteigentümern zusätzliche
Konzessionen abverlangt wurden.
4.3.
Die Beschwerdeführerin steht damit heute vor der Situation,
dass sie, will sie den von ihr begehrten, ihr bisher verweigerten
Grundbucheintrag der Abparzellierung erreichen, sich zunächst mit
den übrigen Miteigentümern einigen oder, sofern eine Einigung nicht
erzielt werden kann, einen Zivilprozess gegen diese ausfechten muss.
Im Ergebnis wirkt sich damit der Entscheid über die register-
rechtliche Frage der Eintragungsfähigkeit der Abparzellierung für die
Beschwerdeführerin als Eigentumsbeschränkung aus, und zwar so-
wohl hinsichtlich der Hauptparzelle Nr. X als auch mit Bezug auf die
2009
Verwaltungsgericht
252
Ausübung des unselbstständigen Miteigentums an den beiden An-
merkungsparzellen Nrn. Z und Y. Aus den eigentumsrechtlichen
Regeln des ZGB lässt sich indessen für die Hauptparzelle keine sol-
che Eigentumseinschränkung ableiten; und auch der Übertragung des
unselbstständigen Miteigentums an den beiden Anmerkungs-
grundstücken stehen, wie dargelegt (Erw. II/3.), keine materiellrecht-
lichen Hindernisse entgegen.
In der Errichtung derartiger Eigentumsbeschränkungen liegt
aber offensichtlich nicht der Sinn der registerrechtlichen Vorschrift
von Art. 33 Abs. 1 GBV. Dass die gesetzliche Delegation in den
Art. 943, 945, 949, 949
a
, 953, 954, 956, 967, 970, 970
a
und 977
ZGB dafür wohl nicht ausreichen würde, sei dabei nur am Rande
vermerkt.
Dementsprechend ist Art. 33 Abs. 1 GBV in Fällen wie dem
vorliegenden dahingehend einschränkend auszulegen, dass der An-
spruch des Eigentümers auf Eintragung eines materiellrechtlich zu-
lässigen Rechtsvorgangs dem Interesse an einer grundbuchrechtli-
chen Bereinigung vorgeht. Ausnahmsweise genügt es daher hier für
den Eintrag der von der Beschwerdeführerin durchgeführten Abpar-
zellierung, dass die mit der Abparzellierung verbundene Übertragung
von Miteigentum an den Anmerkungsgrundstücken Nrn. Y und Z
ohne Veränderung des quotal unbestimmten Miteigentumsanteils des
Eigentümers der bisherigen Parzelle Nr. X und ohne Veränderung des
Verhältnisses zwischen Alt- und Neuparzelle infolge der Abpar-
zellierung erfolgt. Praktisch sind auf dem Hauptbuchblatt der neuen
Parzelle Nr. T die (quotal unbestimmten) Anteile an den Anmer-
kungsgrundstücken anzumerken und ist auf den Grundbuchblättern
der beiden Anmerkungsparzellen die neue Parzelle Nr. T zusätzlich
zu den bereits dort figurierenden Grundstücken in die Spalte "Eigen-
tümer gem. Art. 32 GBV" aufzunehmen. | 4,485 | 3,525 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-46_2009-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-46.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-46.pdf | AGVE_2009_46 | null | nan |
b874d7e3-17fc-5461-99b7-c48a77e9449a | 1 | 412 | 870,020 | 1,259,712,000,000 | 2,009 | de | 2009
Verwaltungsrechtspflege
283
53
Fristwiederherstellung; Kostenverlegung in Steuerverfahren
-
Vordatierung als Fristwiederherstellungsgrund
-
Anforderungen an den Empfänger vordatierter behördlicher Sen-
dungen
-
Grundsätze für die Kostenverlegung und die Ausrichtung von Par-
teientschädigungen in Steuerverfahren
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 2. Dezember 2009 in Sa-
chen Z.-B. gegen Kantonales Steueramt und Gemeinderat W.
(WBE.2009.106).
2009
Verwaltungsgericht
284
Aus den Erwägungen
II.
1.
Einsprachen, Rekurse und Beschwerden sind innert 30 Tagen
einzureichen. Diese Frist kann nicht erstreckt werden. Auf verspätet
erhobene Rechtsmittel wird nur eingetreten, wenn die steuer-
pflichtige Person durch erhebliche Gründe oder durch fehlende oder
unrichtige Rechtsmittelbelehrung an der rechtzeitigen Einreichung
verhindert war und das Rechtsmittel innert 30 Tagen nach Wegfall
des Hinderungsgrunds eingereicht wird (§ 187 Abs. 1 und 2 StG).
2.
Die Einsprache wurde unbestrittenermassen am 4. Oktober
2007 und damit erst 31 Tage nach Empfang der Veranlagungsverfü-
gung am 3. September 2007 eingereicht. Damit erweist sich die
Einsprache als nicht fristgerecht und es bleibt einzig zu klären, ob die
Steuerkommission bzw. in der Folge das Steuerrekursgericht den
Beschwerdeführern die verpasste Frist wieder hätte herstellen müs-
sen.
2.1.
Die Beschwerdeführer machen geltend, durch das falsche Ver-
sanddatum auf der vordatierten Veranlagungsverfügung (3. Septem-
ber 2007), das nicht mit dem Datum des tatsächlichen Versandes
übereingestimmt habe (31. August 2007), sei bei Ihnen eine Vertrau-
ensgrundlage geschaffen worden. Nachdem sie die Verfügung tat-
sächlich am 3. September 2007 in Empfang genommen hätten, sei
ihnen das genaue Zustelldatum später nicht mehr erinnerlich gewe-
sen. Im Vertrauen auf das auf der Veranlagung aufgedruckte Ver-
sanddatum seien sie davon ausgegangen, und hätten auch davon aus-
gehen dürfen, dass ihnen die Verfügung nicht vor dem
4. September 2007 zugestellt worden sei. Deshalb sei ihnen die Ein-
sprachefrist wiederherzustellen und die Einsprache als rechtzeitig zu
betrachten.
2.2.
Das Steuerrekursgericht ist dagegen im Ergebnis zur Auffas-
sung gelangt, es fehle an der von den Beschwerdeführern behaupte-
2009
Verwaltungsrechtspflege
285
ten Vertrauensgrundlage, so dass eine Fristwiederherstellung ausser
Betracht falle.
3.
3.1.
In Anlehnung an die vom Bundesgericht entwickelte Recht-
sprechung zur Einhaltung bundesrechtlicher Rechtsmittelfristen ist
zunächst festzuhalten, dass es an sich Sache des Empfängers ist, sich
das Aushändigungsdatum einer Verfügung zu merken und an
geeigneter Stelle zu notieren. Dessen ungeachtet hat das Bundesge-
richt angenommen, dass dem Empfänger einer Verfügung, wenn er
sich im Datum nicht mehr sicher ist, eine Möglichkeit offen stehen
muss, um den letzten Tag der Rechtsmittelfrist zu bestimmen (vgl.
Urteil des Bundesgerichts vom 13. Juni 2001 [I 579/98], Erw. 3a;
Urteil vom 4. September 2007 [8C_50/2007], Erw. 5.2).
Es besteht keine Aufbewahrungspflicht des Empfängers bei
Postsendungen. Ausserdem entspricht es der Lebenserfahrung, dass
bei empfangenen Postsendungen nicht jedes Zustellkuvert aufbe-
wahrt wird und der Empfänger sich bei eingeschriebenen Sendungen
auch in aller Regel nicht akribisch das Datum der Entgegennahme
notiert. Entgegen der Auffassung des Steuerrekursgerichts erscheint
es daher als entschuldbar, wenn beim Empfänger einer Verfügung,
obwohl er deren Empfang - hier auf einem sog. Rückschein -
schriftlich bestätigt, Unsicherheit über den genauen Empfangszeit-
punkt entsteht.
3.2.
Das Bundesgericht hat in den beiden bereits angeführten Ent-
scheiden (vgl. vorne Erw. 3.1.) weiter geprüft, auf welche zumutba-
ren Weisen sich der über den genauen Empfangszeitpunkt unsichere
Verfügungsadressat Sicherheit über den genauen Zustellungszeit-
punkt verschaffen kann. Dabei ist es zur Auffassung gelangt, es
könne vom Verfügungsempfänger in der Regel nicht verlangt wer-
den, dass er sich mittels eines Nachforschungsbegehrens bei der Post
oder einer sog. Track-and-Trace-Anfrage Gewissheit über den Zu-
stellungszeitpunkt verschafft. Das Bundesgericht hat es vielmehr als
zulässig erachtet, dass der Verfügungsadressat sich anhand des Da-
tums der Verfügung (bzw. eines allfällig abweichenden Versandda-
2009
Verwaltungsgericht
286
tums) Sicherheit verschafft. Er darf darauf vertrauen, dass dieses
Datum zutrifft.
3.3.
Auch für das aargauische Verwaltungsverfahrensrecht stellt zu-
mindest ein auf der Verfügung aufgedrucktes Versanddatum eine
Vertrauensgrundlage dar. Es würde in diesen Fällen zu weit führen,
vom Verfügungsadressaten zu verlangen, sich bei der verfügenden
Behörde nach dem genauen Zustellungsdatum (oder der Track-and-
Trace-Nummer) zu erkundigen. Dies muss jedenfalls für Fälle wie
den vorliegenden gelten, wo die Beschwerdeführer im Veranla-
gungsverfahren noch nicht vertreten waren.
Für den zu beurteilenden Sachverhalt bedeutet dies, dass die
Beschwerdeführer sich auf das auf der Verfügung aufgedruckte Ver-
sanddatum "3. September 2009" verlassen durften und nicht in Er-
wägung ziehen mussten, dass die Veranlagungsverfügung allenfalls
vordatiert worden sein könnte. Unter diesen Umständen erweist sich
ihre falsche Annahme der Zustellung am Folgetag, dem 4. September
2007, und der dadurch verursachte Irrtum hinsichtlich des Endes des
Fristenlaufs gemäss § 187 Abs. 2 StG als entschuldbar und die
Steuerkommission hätte dementsprechend auf ihre Einsprache ein-
treten müssen.
4. (...)
III.
1.
Für die Parteistellung, die Kostenverlegung und die Ausrich-
tung von Parteientschädigungen im Geltungsbereich der Steuerge-
setzgebung des Kantons Aargau gelangen primär die entsprechenden
Verfahrensbestimmungen des StG (§ 188 f. StG), welche gemäss
§ 1 Abs. 3 VRPG vorbehalten sind, zur Anwendung. Lediglich sub-
sidiär und ergänzend sind die diesbezüglichen Regeln im VRPG
(§ 29 ff. VRPG) und in der ZPO anwendbar (§ 197 Abs. 4 StG;
§ 2 VKD).
Die Normen des StG knüpfen für die Bestimmung des Begriffs
der Partei - anders als § 13 VRPG - abstrakt an die im Gesetz um-
schriebene Legitimation zur Ergreifung eines Rechtsmittels an (vgl.
§ 175 Abs. 3 StG). Daraus ergibt sich, dass im verwaltungsgerichtli-
2009
Verwaltungsrechtspflege
287
chen Beschwerdeverfahren grundsätzlich die gemäss §
198
Abs. 1 StG Beschwerdeberechtigten als Parteien zu betrachten sind,
d.h. die steuerpflichtige Person, der Gemeinderat, das KStA, und
soweit es um die Kirchensteuerfrage geht, die Kirchenpflege.
2.
Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden ge-
mäss § 189 Abs. 1 StG der unterliegenden Partei auferlegt; bei teil-
weiser Gutheissung der Beschwerde sind die Kosten anteilmässig
aufzuteilen. Mangels einer ausdrücklichen Regelung im StG, wer als
unterliegende Partei zu betrachten ist, sind ergänzend die Regeln des
VRPG zur Kostenverlegung heranzuziehen. Unter der Herrschaft des
alten Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 9. Juli 1968
(aVRPG) wurde die Bestimmung über die Kostenauflage in der
Weise angewendet, dass eine Kostenauflage der amtlichen Kosten
nur an den Privaten bei dessen Unterliegen erfolgt ist. Behörden
wurden unter Hinweis auf § 35 Abs. 1 aVRPG keine Kosten aufer-
legt. Aufgrund des ausdrücklichen gesetzgeberischen Willens (vgl.
Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen
Rat vom 14. Februar 2007 zum Gesetz über die Verwaltungsrechts-
pflege, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, S. 6 f.) ist an der grund-
sätzlichen Kostenfreiheit des Verfahrens für Behörden festzuhalten
(§ 31 Abs. 2 Satz 1 VRPG). Vorbehalten bleiben einerseits die in
§ 31 Abs. 2 Satz 1 VRPG erwähnten Fälle des schwerwiegenden
Verfahrensmangels und der Willkür, die zur Auferlegung von Verfah-
renskosten an die Behörden führen und andererseits die Fälle, in
welchen eine Behörde selbst erfolglos Beschwerde führt (zur ent-
sprechenden Praxis unter dem aVRPG: AGVE 2006, S. 285; ebenso
für das DBG: Urteile des Bundesgerichts vom 20.
Juni
2002
[2A.88/2002 und 2A.89/2002], publ. in: StE 2002, B 26.27 Nr. 5,
Erw. 4.1). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier indessen nicht vor,
sodass bei diesem Ausgang des Verfahrens die Kosten vollumfäng-
lich auf die Staatskasse zu nehmen sind (§ 31 Abs. 2 VRPG).
3.
Der obsiegenden steuerpflichtigen Person wird für die Vertre-
tung durch eine Anwältin oder einen Anwalt, eine Notarin oder einen
Notar oder durch eine Steuerberaterin oder einen Steuerberater eine
2009
Verwaltungsgericht
288
angemessene Entschädigung zugesprochen (§ 189 Abs. 2 StG). Be-
reits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass nur die
obsiegenden steuerpflichtigen Personen, nicht dagegen Behörden,
entschädigungsberechtigt sind, womit die Anwendung der Praxis der
Verrechnung von Parteientschädigungen (zur aargauischen Ver-
rechnungspraxis siehe AGVE 2000, S. 51) im kantonalen Steuerrecht
ausser Betracht fällt. Auch in den kantonalen Rechtsmittelverfahren
vor Verwaltungsjustizbehörden im Anwendungsbereich des DBG
(Art. 144 Abs. 4 DBG i.V.m. Art. 64 Abs. 1 - 3 VwVG) wird den
Bundesbehörden (wie auch anderen Behörden) in der Regel keine
Parteientschädigung zugesprochen (so auch Felix Richner/Walter
Frei/Stefan Kaufmann/Hans Ulrich Meuter, Handkommentar zum
DBG, 2. Auflage, Zürich 2009, Art. 144
N
44).
Obsiegt - wie hier - die vertretene steuerpflichtige Person, ist
zu entscheiden, wer als unterliegende Partei anzusehen ist und wem
somit die Parteientschädigung auferlegt wird (bzw. nach der Termi-
nologie im VRPG und DBG: die Parteikosten auferlegt werden).
Diesen Fall regelt weder § 189 Abs. 2 StG noch § 32 Abs. 2 VRPG
ausdrücklich. Da in Verfahren betreffend Kantons- und Gemeinde-
steuern die infrage stehenden Steuern sowohl dem Kanton als auch
der Gemeinde zustehen, dem KStA gemäss § 161 StG eine weitge-
hende Aufsicht bei den an die Veranlagungsbehörden der Gemeinden
delegierten Veranlagungen zukommt und ein kantonaler Steu-
erkommissär in der kommunalen Steuerkommission Einsitz nimmt
(§ 164 Abs. 2 StG), rechtfertigt es sich in der Regel, bei den von den
kommunalen Steuerkommissionen veranlagten Steuern sowohl den
Kanton als auch die Gemeinde als unterliegende Partei zu betrachten
und die Parteientschädigung grundsätzlich je zur Hälfte dem für den
Kanton handelnden KStA und dem für die Gemeinde handelnden
Gemeinderat aufzuerlegen.
Dementsprechend haben das KStA und der Gemeinderat W. die
Beschwerdeführer für das rekurs- und verwaltungsgerichtliche Ver-
fahren anteilsmässig zu je 50 % zu entschädigen. | 2,432 | 1,907 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-53_2009-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-53.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-53.pdf | AGVE_2009_53 | null | nan |
b88902a2-6a3b-50f8-a200-b2f998af1e87 | 1 | 412 | 870,531 | 1,062,460,800,000 | 2,003 | de | 2003
Sozialhilfe
283
VIII. Sozialhilfe
65
Auflage, eine preisgünstigere Wohnung zu beziehen.
- Was ist bei Krankheit/Behinderung eine zumutbare Wohnung?
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. September 2003 in
Sachen M.M. gegen Entscheid des Regierungsrats.
Aus den Erwägungen
e) aa) Es ist zweifellos sachgerecht und mit dem Grundsatz der
Verhältnismässigkeit im Einklang, im Fall übermässig hoher
Mietkosten die Zusprechung von Sozialhilfe mit der Auflage zu ver-
binden, eine günstigere Wohnung zu suchen, andernfalls entspre-
chende Kürzungen bei den Wohnkosten vorgenommen werden
(vgl. auch AGVE 1993, S. 619). In diesem Sinne sehen auch die
Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe vom
18. September 1997 (SKOS-Richtlinien) vor, dass überhöhte Wohn-
kosten nur so lange zu übernehmen sind, bis eine zumutbare günsti-
gere Lösung zur Verfügung steht. Die üblichen Kündigungsbedin-
gungen sind in der Regel zu berücksichtigen. Bevor der Umzug in
eine günstigere Wohnung verlangt wird, ist jedoch die Situation im
Einzelfall zu prüfen. Insbesondere sind die Grösse und Zusammen-
setzung der Familie, eine allfällige Verwurzelung an einem be-
stimmten Ort, das Alter und die Gesundheit der betroffenen Person
sowie der Grad ihrer sozialen Integration zu berücksichtigen (siehe
SKOS-Richtlinien, Kapitel B.3). Auf den vorliegenden Fall übertra-
gen bedeutet dies, dass die in Frage stehende Auflage dann zu Recht
erfolgte, wenn der gegenwärtige Mietzins von monatlich Fr. 1'270.--
gemessen an den legitimen Interessen des Beschwerdeführers und
seiner Ehefrau überhöht und der Wohnungswechsel zumutbar ist
sowie die allgemeine Wohnungsmarktsituation tatsächlich den Um-
2003
Verwaltungsgericht
284
zug in eine angemessene, günstigere Wohnung zulässt (siehe
AGVE 1993, S. 619).
bb) (...)
cc) Der Gemeinderat erachtete den monatlichen Mietzins von
Fr. 1'270.-- für einen Zweipersonen-Haushalt als übersetzt. Zu die-
sem Schluss kam er offenbar auf Grund eines quantitativen Ver-
gleichs mit den Mietkosten anderer Sozialhilfebezüger in Zweiper-
sonen-Haushalten (Beschluss vom 24. Juni 2002, S. 3). Die konkrete
Situation des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau fand keine er-
kennbare Berücksichtigung.
Der Beschwerdeführer machte schon im Gesuchsverfahren wie-
derholt geltend - und belegte dies mit ärztlichen Zeugnissen -, dass er
und seine Ehefrau unter massiven gesundheitlichen Gebrechen litten,
die beider Bewegungsfreiheit und nur schon die Fähigkeit zur Bewe-
gung an sich signifikant einschränkten, was die Ansprüche an Lage
und Grösse der Wohnung erheblich beeinflusse. Dass diese Ausfüh-
rungen geeignet sind, den Kreis der in Frage kommenden Wohnun-
gen stark einzuschränken und besonders preisgünstige Wohnungen
eher auszuschliessen, liegt auf der Hand. Damit verknüpft ist die
Frage der Gewährleistung einer gewissen Mobilität zur Erledigung
grundlegendster Bedürfnisse für den Beschwerdeführer und seine
Ehefrau - und der Tragung der entsprechenden Kosten -, sollte eine
Wohnung mit einem Mietzins in der vom Gemeinderat geforderten
Bandbreite nicht genügend nahe bei einer Einkaufsmöglichkeit für
Artikel des täglichen Bedarfs zu finden sein.
Der Gemeinderat hat sich - angesichts der vorgelegten ärztli-
chen Zeugnisse zweifellos zu Recht - nicht auf den Standpunkt ge-
stellt, er erachte die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit
des Beschwerdeführers und dessen Ehefrau mit entsprechend er-
höhten Anforderungen an eine zumutbare Wohnung als unglaubhaft
oder irrelevant. Also hätte er darlegen müssen, welche Anforderun-
gen (Lage, Grösse bzw. Anzahl der Zimmer) er für gerechtfertigt
erachtete, denn erst auf dieser Grundlage wäre es möglich gewesen,
den ortsüblichen Rahmen des Mietzinses für eine konkret überhaupt
in Frage kommende Wohnung zu bestimmen, zumal davon ausge-
gangen wurde, dass der Beschwerdeführer "vorübergehend" ohne
2003
Sozialhilfe
285
eigenes Motorfahrzeug auskommen müsse (Beschluss vom 24. Juni
2002, S. 4). Es fehlt demzufolge an einer ausreichenden Begründung
für Ziff. 2 dieses Beschlusses. | 861 | 722 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-65_2003-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-65.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-65.pdf | AGVE_2003_65 | null | nan |
b8914559-a8f5-5877-8d83-3fd2e8aff9f8 | 1 | 412 | 870,918 | 946,857,600,000 | 2,000 | de | 2000
Submissionen
267
VIII. Submissionen
66
Einordnung des Studienauftrags ins Gefüge der submissionsrechtlichen
Verfahren.
- Auch beim Studienauftrag müssen die Zuschlagskriterien, anhand
derer die Studien beurteilt werden, in der Reihenfolge ihrer Bedeu-
tung im Voraus bekannt gegeben werden (Erw. 3/c/cc).
- Uneingeschränkte Geltung der für das Vergabewesen fundamentalen
Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung bzw. Nicht-
diskriminierung der Teilnehmenden (Erw. 3/c/cc).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. Januar 2000 in
Sachen S.-S.-B. gegen die Verfügung des Gemeinderats Waltenschwil und der
Katholischen Kirchgemeinde Waltenschwil .
Aus den Erwägungen
3. a) Der angefochtenen Verfügung vom 4. November 1999
liegt im Wesentlichen der folgende Sachverhalt zugrunde:
Gemäss der öffentlichen Ausschreibung war ein Verfahren mit
zwei Stufen vorgesehen. Als teilnahmeberechtigt erklärt wurden
Architekturbüros, die ,,im Einzugsgebiet von Waltenschwil ihren Ge-
schäftssitz haben", ,,im öffentlichen Bau vertraut sind (Referenzob-
jekte)", und ,,die eine kurze Projekt- und Bauphase planen und
durchführen können". In einem ersten, als selektives Verfahren
bezeichneten Schritt sollten aus den bis zum 10. September 1999
eingegangenen Bewerbungen anhand der genannten Kriterien ma-
ximal acht Architekturbüros bestimmt und zur Erarbeitung einer
Kurzstudie in Skizzenform eingeladen werden. Die Kurzstudien wa-
ren bis zum 15. Oktober 1999 einzureichen. In einem zweiten Schritt
sollte die Wettbewerbskommission dann aufgrund der Kurzstudien
maximal drei Architekturbüros für die Ausarbeitung eines definitiven
2000
Verwaltungsgericht
268
Studienauftrags nach SIA 102.10 (Vorprojekt) auswählen. Diese drei
Studien sollten mit je Fr. 5'000.-- entschädigt werden.
In der Folge reichten neun Interessenten ihre Bewerbung ein;
alle Bewerber wurden zum weiteren Verfahren zugelassen. Am
21. September 1999 fand eine Besprechung mit Besichtigung des
Baugrundstücks statt, und den Bewerbern wurden die Unterlagen
,,Studienauftrag für den Gemeindesaal Waltenschwil" ausgehändigt.
Mit Schreiben des Gemeinderats vom 23. September 1999 wurden
die Bewerber aufgefordert, die Projektstudie bis zum 15. Oktober
1999 anonym (mit Fantasiekennwort) einzureichen. Es gingen
schliesslich neun Studien ein (Licht und Luft, Luise, Finale, Futu-
rum, Ondenue und Obenabe, Zweierlei, Waag, Harmonie, Synergie).
Aufgrund einer ersten summarischen Beurteilung wurde neben den
Projektstudien Synergie und Luise auch die Studie Licht und Luft der
Beschwerdeführer ausgeschieden, weil das Gesamtkonzept (Einpas-
sung ins Ortsbild, optisches Erscheinungsbild, Funktionalität, etc.)
nicht den Vorstellungen der Bauherrschaft entsprach. Die verblei-
benden sechs Projekte wurden einer detaillierten Bewertung anhand
eines ,,Kriterienkatalogs" unterzogen. Diese Bewertung ergab die
folgende Rangfolge:
Rang
Projektstudie
Punkte
1
Harmonie
218
2
WAAG
185
3
Zweierlei
183
(...)
Aufgrund des deutlichen Vorsprungs des Projekts ,,Harmonie"
beschloss die Wettbewerbskommission, nur dieses Projekt, das be-
züglich der Aspekte Wirtschaftlichkeit und Raumprogramm ihren
Vorstellungen entsprach, weiterbearbeiten zu lassen. Die übrigen
Projekte wären nach Angabe der Vergabestelle nur unter wesentli-
2000
Submissionen
269
chen Projektänderungen für eine Weiterbearbeitung in Frage ge-
kommen.
b) Die Beschwerdeführer machen geltend, bei der Besichtigung
sei betont worden, dass für die Stufe 1 des Verfahrens Ideenskizzen
genügen würden. Nach dem Beurteilungsblatt sei aber mindestens
ein Vorprojekt (Stufe 2) nötig gewesen. Dieses Vorgehen der Wett-
bewerbsveranstalter verstosse gegen Treu und Glauben, da die Teil-
nehmer der Stufe 1 nicht über die wechselnden Beurteilungskriterien
informiert worden seien.
c) aa) Öffentlich ausgeschrieben war vorliegendenfalls die Ver-
gabe eines Studienauftrags an mehrere Architekten nach Art. 10 der
SIA-Ordnung 102 (Ordnung für Leistungen und Honorare der Ar-
chitekten). Der Studienauftrag wird im Anhang 2 Ziff. 13 zum Sub-
missionsdekret definiert als ,,Vergabe identischer Aufträge an meh-
rere Anbieter zwecks Erarbeitung von Lösungsvorschlägen" (vgl.
ebenso Anhang 1 Ziff. 13 VoeB; Simon Ulrich, Öffentliche Aufträge
an Architekten und Ingenieure unter besonderer Berücksichtigung
des Bundesrechts, in: Alfred Koller (Hrsg.), Baurecht und Baupro-
zessrecht, Ausgewählte Fragen, St. Gallen 1996, S. 142 f., 165 f.).
Bei einem Studienauftrag erarbeiten mehrere Architekten oder Inge-
nieure gleichzeitig, d. h. in Konkurrenz, einen Lösungsvorschlag;
dies zumeist in der Hoffnung, einen Folgeauftrag für das ganze Pro-
jekt zu erhalten (Ulrich, Öffentliche Aufträge, S. 142). Der Studien-
auftrag bietet nach S
IMON
U
LRICH
dem Auftraggeber die Möglich-
keit, für die durch Werkvertrag mit den einzelnen Planern abge-
schlossenen Planungsaufträge nicht den vollen, sondern einen redu-
zierten Preis bezahlen zu müssen. Diese Reduktion rechtfertigt sich
insbesondere dann, wenn jeder durch einen Studienauftrag ver-
pflichtete Architekt oder Ingenieur eine gewisse Chance hat, dass
ihm ein Folgeauftrag erteilt wird. Diese Chance reduziert diesfalls
den Lohn, den der einzelne Planer für sein Werk verlangt. Da sich
somit der Lohn aller beteiligter Planer reduziert, wird die Vergabe für
denjenigen Auftraggeber ökonomisch interessant, der zwar eine
2000
Verwaltungsgericht
270
kleine Auswahl von verschiedenen Projekten wünscht, aber weder
den vollen Preis für diese Werke bezahlen, noch die Entscheidungs-
freiheit bezüglich der Auftragsvergabe aus der Hand geben will
(Ulrich, Öffentliche Aufträge, S. 165 f.; vgl. auch SIA-Ordnung 142
[Ausgabe 1998]: Ordnung für Architektur- und Ingenieurwettbe-
werbe, insbesondere Anhang Studienauftrag; Simon Ulrich, Die neue
SIA-Ordnung 142 für Architektur- und Ingenieurwettbewerbe, in:
Aktuelle Juristische Praxis [AJP] 1999, S. 244 f.).
bb) Es fragt sich, wie der (entgeltliche) Studienauftrag ins Ge-
füge der submissionsrechtlichen Verfahren einzuordnen ist. Während
beim offenen Verfahren jedermann ein Angebot einreichen kann (§ 7
Abs. 1 SubmD), können beim selektiven Verfahren alle interessierten
Anbieter zunächst (nur) einen Antrag auf Teilnahme einreichen.
Alsdann ermittelt der Auftraggeber aufgrund der Eignung der
teilnahmewilligen Anbieter diejenigen, die ein Angebot einreichen
dürfen. Damit erweist sich das selektive Verfahren als ein zweistufi-
ges Verfahren: In einem ersten Schritt erfolgt der Nachweis (bzw. die
Abklärung) der Eignung (sog. Präqualifikation), erst in einem zwei-
ten Schritt die Angebotseinreichung (bzw. die Beurteilung der Ange-
bote) und die Erteilung des Zuschlags (zum Ganzen: Peter Galli /
Daniel Lehmann / Peter Rechsteiner, Das öffentliche Beschaffungs-
wesen in der Schweiz, Zürich 1996, Rzn. 152 f., 155). Beim Studien-
auftrag erfolgt in der Regel ebenfalls eine Selektionierung, indem
sich die teilnahmewilligen Architekten oder Ingenieure zunächst um
die zu vergebenden Aufträge bewerben. Die Vergabestelle hat dann
den Präqualifikationsentscheid zu fällen und gestützt darauf mit den
selektionierten Bewerbern separate Werkverträge abzuschliessen
(vgl. Peter Gauch, Der Werkvertrag, 4. Auflage 1996, S. 16 Rz. 49
mit Hinweisen), d. h. diese sind berechtigt und verpflichtet, gegen
Entgelt (Werklohn) eine Projektstudie einzureichen. Ein definitiver
Zuschlag für den zu vergebenden Projektierungsauftrag wird in
diesem Zeitpunkt aber noch nicht erteilt, sondern die Abgabe der
(entschädigungsberechtigten) Projektstudien lässt sich eher gleich-
2000
Submissionen
271
setzen mit dem Einreichen der Unternehmerofferten im normalen
selektiven oder auch offenen Verfahren mit dem Unterschied, dass
dort die Ausarbeitung der Angebote in der Regel ohne Vergütung
erfolgt (§ 14 Abs. 2 SubmD). Die Projektstudien sind alsdann anhand
der von der Vergabestelle ausgewählten Kriterien zu beurteilen, und
das siegreiche Projekt erhält schliesslich den Zuschlag in dem Sinne,
dass der betreffende Anbieter direkt mit der eigentlichen Pro-
jektierung und allenfalls auch der Ausführung beauftragt wird. In
diesem Sinne wird auch von einem mehrstufigen Vergabeverfahren
gesprochen (Ulrich, a.a.O., S. 144). Erst die Empfehlung zur Weiter-
bearbeitung eines Projekts bildet dabei den ordnungsgemässen Ab-
schluss des bezüglich des Studienauftrags durchgeführten selektiven
Submissionsverfahrens; es handelt sich damit um den Zuschlag (vgl.
den erwähnten VGE III/123 in Sachen J., S. 12).
cc) Gemäss § 18 Abs. 1 SubmD erhält das wirtschaftlich gün-
stigste Angebot den Zuschlag. Kriterien zur Ermittlung des wirt-
schaftlich günstigsten Angebots sind insbesondere Qualität, Preis,
Erfahrung, Innovation, Termin, Garantie- und Unterhaltsleistungen,
Betriebs- und Unterhaltskosten, technischer Wert, Zweckmässigkeit,
Ästhetik, Umweltverträglichkeit, Kundendienst, gerechte Abwechs-
lung und Verteilung; als Kriterium kann auch die Ausbildung von
Lehrlingen berücksichtigt werden (§ 18 Abs. 2 SubmD). Die von der
Vergabebehörde ausgewählten Zuschlagskriterien sind in der
Reihenfolge ihrer Bedeutung in den Ausschreibungsunterlagen auf-
zuführen (§ 18 Abs. 3 SubmD). Klar ist, dass sich die in § 18 Abs. 1
SubmD genannten Zuschlagskriterien nicht unbesehen auf die Ver-
gabe von Architekturaufträgen, Architekturwettbewerben (Ideen- und
Projektwettbewerbe) und dergleichen oder - wie hier - Studien-
aufträgen übertragen lassen. Für eine objektive Beurteilung der ein-
zelnen Beiträge müssen indessen auch hier Zuschlagskriterien
festgelegt werden, und die Grundsätze der Transparenz des Wettbe-
werbs und der chancengleichen und nichtdiskriminierenden Be-
handlung der Teilnehmenden erfordern es, dass die Kriterien, anhand
2000
Verwaltungsgericht
272
derer die Studien beurteilt werden, in der Reihenfolge ihrer Bedeu-
tung im Voraus bekannt gegeben werden. So sieht im Bundesrecht
der Anhang 6 VoeB, der die Ausschreibung von Wettbewerben regelt,
in Ziffer 7 ausdrücklich vor, dass die Ausschreibung die ,,anzu-
wendenden Zuschlagskriterien" enthalten muss (vgl. die Verweisung
auf die Bestimmungen des Bundesrechts in § 9 SubmD). Auch die
SIA-Ordnung 142 verlangt für die Durchführung eines Architektur-
wettbewerbs, dass das Wettbewerbsprogramm die Beurteilungskrite-
rien enthalten muss (Art. 13.3 lit. u). Der Studienauftrag unter meh-
reren Auftragnehmern ist zwar nicht mit einem Architektur- oder
Planungswettbewerb identisch, sondern es handelt sich um eine
eigenständige Form der Konkurrenz; er kann sich bei entsprechender
Ausgestaltung (z. B. Einführung einer Expertenjury, Anonymität des
Verfahrens, ,,In-Aussicht-stellen" eines Folgeauftrags für den besten
Entwurf) einem solchen aber weitgehend annähern. Die
massgebenden Vorschriften lassen sich daher zumindest sinngemäss
auch für Studienaufträge berücksichtigen (vgl. auch SIA-Ordnung
142, Anhang Studienauftrag), und die für das öffentliche Vergabewe-
sen fundamentalen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbe-
handlung bzw. Nichtdiskriminierung der Teilnehmenden müssen
auch hier uneingeschränkt gelten; die Vergabestelle darf trotz des ihr
zustehenden grossen Ermessensspielraums dieses Ermessen nicht
überschreiten oder sogar willkürlich vorgehen. Dies gilt für die Ver-
gabe von Studienaufträgen ganz allgemein und für die Bewertung
der einzelnen Beiträge im Besonderen. Letztere muss in jedem Fall
überprüfbar sein; dies ist nur möglich, wenn die massgebenden Be-
urteilungskriterien zum Voraus festgelegt sind und den Konkurrenten
auch bekannt gegeben werden.
dd) Die Vergabestelle ging in der öffentlichen Ausschreibung
wie gesagt von einem zweistufigen Verfahren aus. Auf einer ersten
Stufe sollte ein selektives Verfahren stattfinden, indem aus den ein-
gegangenen Bewerbungen aufgrund der Zulassungskriterien acht
Konkurrenten bestimmt werden sollten, die eine Kurzstudie einrei-
2000
Submissionen
273
chen konnten. Auf einer zweiten Stufe sollte dann aufgrund einer
Bewertung der Kurz- oder Vorstudien die Vergabe der Studienauf-
träge erfolgen. Bei richtiger Betrachtungsweise handelt es sich aller-
dings beim öffentlich ausgeschriebenen Verfahren um ein dreistufi-
ges Verfahren: Zunächst erfolgt eine Präqualifikation der Bewerber
aufgrund der ihnen in der Ausschreibung bekannt gegebenen Eig-
nungskriterien. Anschliessend haben die selektionierten Bewerber
eine (als Studienauftrag bezeichnete) Kurzstudie mit Planunterla-
gen - einzureichen sind Skizzen (Grundrisse und Fassaden und ev.
zum Verständnis notwendige Schnitte) sowie eine Kostenschätzung
(BKP 1, 2, 3, 4 und 5) mit einer Genauigkeit von +/- 20% - zu er-
stellen, aufgrund derer dann über die definitive Vergabe der (ent-
geltlichen) Studienaufträge entschieden wird. Es stellt sich die Frage,
ob die mittlere Phase (Kurzstudie) noch zum Präqualifikations-
verfahren zu zählen ist oder bereits Bestandteil des Zuschlags-
verfahrens bildet. Dies hängt davon ab, ob man den Zuschlag bzw.
die Zuschläge bereits in der Vergabe der drei Studienaufträge erblickt
oder aber erst in der Vergabe des eigentlichen Projektierungsauftrags
mittels der Empfehlung des siegreichen Studienauftrags zur Weiter-
bearbeitung. Letzteres dürfte die Regel sein (vgl. Erw. c/bb hievor).
Im vorliegenden Fall ist es indessen angesichts der Vorgehensweise
der Vergabestelle ebenfalls denkbar, von einem zweistufigen Zu-
schlagsverfahren, bestehend aus der Erteilung des Zuschlags für die
drei entgeltlichen Studienaufträge aufgrund der Kurzstudien einer-
seits und aus der Erteilung des Zuschlags für den eigentlichen Pro-
jektierungsauftrag aufgrund der Studienaufträge anderseits, auszu-
gehen; dies aus folgenden Gründen: Die Präqualifikation der Interes-
senten ist vorliegendenfalls klarerweise aufgrund der Bewerbungen
anhand der in der öffentlichen Ausschreibung bekannt gegebenen
Eignungskriterien erfolgt. Es dürfte indessen zulässig sein, im Rah-
men eines Präqualifikationsverfahrens für Architekturleistungen und
dergleichen auch eine sogenannte Ideenskizze als objektspezifischen,
das heisst auf den konkreten Auftrag bezogenen, Eignungsnachweis
2000
Verwaltungsgericht
274
zu verlangen (bejahend Art. 7.3 der SIA-Ordnung 142; Ulrich, SIA-
Ordnung 142, S. 250 und Anm. 46; offengelassen im Entscheid der
Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaf-
fungswesen vom 13. Juni 1997 in Sachen M. [zitiert in: Peter Galli,
Rechtsprechung der Eidgenössischen Rekurskommission für das
öffentliche Beschaffungswesen, in: Nicolas Michel / Roger Zäch
(Hrsg.), Submissionswesen im Binnenmarkt Schweiz, Erste prakti-
sche Erfahrungen und Entwicklungen, Zürich 1998, S. 117 f.]). Unter
einer sogenannten Skizzenselektion wird eine Präqualifikation ver-
standen, bei der die anonym eingereichten Ideenskizzen, z. B.
Handskizzen einer Frontansicht, eines Gebäudeumrisses oder einer
besonders schwierigen Detailplanungsfrage etc., begutachtet und
rangiert werden (Ulrich, Öffentliche Aufträge, S. 151 Anm. 89). Die
Erstellung der vorliegendenfalls verlangten Kurz- bzw. Vorstudien -
so wie in den Unterlagen ,,Studienauftrag" ausgeschrieben - geht
dagegen schon umfangmässig deutlich über eine blosse Ideenskizze
und damit über eine Eignungsprüfung hinaus, war doch nebst mehre-
ren Skizzen auch eine Kostenschätzung einzureichen. Dass mehr als
eine blosse Ideenskizze einzureichen war, ergibt sich im Übrigen
auch aus dem detaillierten ,,Bewertungsblatt Projekte Gemeinde-
saal". Insofern erscheint die Auffassung der Beschwerdeführer, auf
der Stufe 1 habe eine Skizzenselektion stattgefunden, unzutreffend.
Bereits auf dieser Stufe wurde, was nach fachrichterlicher Ansicht
durchaus unüblich ist, eine umfassende Lösung in Skizzenform ver-
langt, wenn auch noch kein eigentliches Vorprojekt (vgl. dazu
Art. 4.1 der SIA-Ordnung 102). Letztlich ist die Frage der Zuord-
nung der Verfahrensstufe ,,Kurzstudie" aber nicht von ausschlag-
gebender Bedeutung; entscheidend ist vielmehr, dass die Beurteilung
der Kurzstudien anhand von zum Voraus definierten Kriterien
erfolgen muss (vgl. Erw. d/cc hienach).
d) aa) Die Vergabestelle hat entgegen der Ausschreibung die
Zahl der zur Kurzstudie zugelassenen Bewerber nicht auf die an-
gekündigten maximal acht beschränkt, sondern alle neun Interes-
2000
Submissionen
275
senten als aufgrund der ausgeschriebenen Kriterien geeignet erachtet.
Dies wird von der Beschwerdeführerin nicht angefochten, weshalb
offen bleiben kann, ob eine derartige von den Vorgaben in der
Ausschreibung abweichende Erweiterung des Bewerberkreises ohne
Weiteres zulässig ist. Immerhin mindert sich durch den zusätzlichen
Konkurrenten die Chance des einzelnen Anbieters auf den Erhalt
eines der zu vergebenden Studienaufträge.
Im Hinblick auf das in Art. 3 in Verbindung mit Art. 5 BGBM
enthaltene Verbot der Benachteiligung ortsfremder Anbietender und
das in § 1 Abs. 1 SubmD statuierte Diskriminierungsverbot erweist
sich das Erfordernis des Geschäftssitzes im Einzugsgebiet von Wal-
tenschwil für die Teilnahme am Wettbewerb als klar unzulässig (vgl.
auch Art. 6.2 der SIA-Ordnung 142; dazu Ulrich, SIA-Ordnung 142,
S. 250); der Verstoss gegen das Binnenmarktgesetz wird indessen
ebenfalls nicht gerügt.
bb) Die Beschwerdeführer beanstanden jedoch, dass die Stufe 2
des Wettbewerbs nicht durchgeführt worden sei und nur ein Projekt
weiterbearbeitet werde. Die Vergabestelle macht unter Hinweis auf
die Ausschreibung bzw. die Ausschreibungsunterlagen geltend, sie
sei klarerweise befugt gewesen, auch nur einen Studienauftrag zu
vergeben. Die öffentliche Ausschreibung hält diesbezüglich fest:
,,Die Wettbewerbskommission entscheidet sich für max. drei Archi-
tekturbüros zur weiteren Bearbeitung". Die Publikation ist indessen
insofern missverständlich, als im Rahmen der Beschreibung der
zweiten Stufe ausgeführt wird, es würden ,,drei Architekturbüros
zum definitiven Studienauftrag (...) eingeladen", ohne dass auf die
Möglichkeit, weniger als drei Teilnehmer zu berücksichtigen, hinge-
wiesen wurde. Die Unterlagen zum Studienauftrag bestimmen in
Ziffer 5.2 Folgendes:
,,Grundsätzlich ist die Kommission frei in der Wahl von max. drei ein-
gereichten Projektstudien zur Weiterbearbeitung. Grundsätzlich ist es mög-
lich, dass kein Auftrag vergeben wird."
Und Ziffer 6 lautet:
2000
Verwaltungsgericht
276
,,Die max. 3 Architekturbüros, die zur Weiterbearbeitung eines detail-
lierten, mit Kostenberechnung und genauen Honorarforderungen ausge-
statteten Vorprojektes ausgewählt werden, erhalten eine Entschädigung von
Fr. 5'000.-- (inkl. MWST). Beim Siegerobjekt wird diese Zahlung als
Akontozahlung angerechnet."
Aus dem Wortlaut sowohl der öffentlichen Ausschreibung als
auch der Ausschreibungsunterlagen können die Teilnehmer am Wett-
bewerb grundsätzlich keinen Anspruch auf die Vergabe von
drei
Studienaufträgen herleiten. Insoweit ist der Vergabestelle beizu-
pflichten. Gemäss dem systematisch zu interpretierenden Wortlaut
bleibt die Beschränkung auf die Weiterbearbeitung auch nur
einer
Kurzstudie oder sogar der gänzliche Verzicht auf eine Auftragsver-
gabe vorbehalten. Eine Beschränkung oder gar ein Verzicht stehen
nun aber nicht im Belieben der Vergabestelle. Grundsätzlich ist die
Vergabe von drei Studienaufträgen öffentlich ausgeschrieben wor-
den, daran ist die Vergabestelle gebunden. Der Verzicht auf die
zweite, bzw. hier dritte, Stufe des Evaluationsverfahrens kann daher
trotz des Hinweises auf diese Möglichkeit grundsätzlich nur beim
Vorliegen sachlich haltbarer Gründe zulässig sein; andernfalls han-
delt die Vergabestelle willkürlich und verstösst gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben. Ein haltbarer Grund könnte darin bestehen,
dass sämtliche eingereichten Kurzstudien den Vorstellungen der
Vergabestelle klarerweise nicht entsprechen; diesfalls hätte es wenig
Sinn, sie trotzdem weiterzuverfolgen und zweckmässigerweise wird
dann neu begonnen (sinngemäss Art. 23.3 der SIA-Ordnung 142; vgl.
auch § 22 SubmD). Solche Fälle dürften allerdings eher selten sein.
Im vorliegenden Fall entspricht nach Angaben der Vergabestelle
lediglich
eine
Studie ihren Vorstellungen; sie weist denn auch in der
Beurteilung einen deutlichen Vorsprung auf, währenddem die andern
laut Vergabestelle wesentliche Projektveränderungen erfordern
würden und entsprechend schlechter bewertet worden sind. Auch in
einer solchen Situation kann eine vorzeitige Beendigung des
Wettbewerbsverfahrens grundsätzlich vertretbar sein. Voraussetzung
2000
Submissionen
277
für eine derartige vorzeitige und den Ankündigungen in der Aus-
schreibung widersprechende Beendigung ist allerdings in jedem Fall,
dass sie die Konsequenz einer objektiven und transparenten
Beurteilung der eingereichten Beiträge ist. Somit muss in den den
Teilnehmern abgegebenen Unterlagen klar zum Ausdruck kommen,
welche Gesichtspunkte für die Vergabestelle von Bedeutung sind und
welches Gewicht sie ihnen zumisst.
cc) Im vorliegenden Fall enthält die öffentliche Ausschreibung
keine Angaben darüber, aufgrund welcher Kriterien die Beurteilung
der Kurzstudien erfolgen soll. Genannt werden lediglich die Voraus-
setzungen für die Teilnahmeberechtigung (vgl. Erw. a und d/aa hie-
vor). In den Unterlagen zum Studienauftrag bzw. - richtigerweise -
zur Kurz- oder Vorstudie zum definitiven Studienauftrag sind eben-
falls keine Zuschlags- oder Beurteilungskriterien erwähnt. Wohl lässt
sich der Umschreibung der Bauaufgabe entnehmen, dass eine ,,kos-
tengünstige, jedoch in die Umgebung angepasste Lösung" anzustre-
ben sei, dass die bestehenden Infrastrukturen der Gemeinden mit ein-
zubeziehen seien, dass das neue Gebäude eine ,,möglichst gute Nut-
zung für die getrennten und gemeinsamen Bedürfnisse der Einwoh-
nergemeinde und Kirchgemeinde ergeben solle" oder dass in das
Projekt ,,möglichst wirtschaftliche und ökologische Gesichtspunkte"
einbezogen werden sollten. Und unter dem Titel ,,Zielsetzung" wer-
den zwar Rahmenbedingungen genannt, nicht aber eigentliche Beur-
teilungskriterien. Die genannten Vorgaben sind jedenfalls sehr offen;
worauf die Vergabestelle letztlich Wert oder sogar das Schwerge-
wicht legt, ist nicht erkennbar. Die Vergabestelle wollte sich hier
offensichtlich bewusst nicht binden und sich die volle Entschei-
dungsfreiheit bewahren. Dies ergibt sich auch aus Ziffer 5.2 des Stu-
dienauftrags (,,Beurteilung"): ,,Grundsätzlich ist die Kommission frei
in der Wahl von max. drei eingereichten Projektstudien zur Weiter-
bearbeitung". Erst in der Vernehmlassung verweist die Vergabestelle
auf Kriterien wie ,,Einpassung ins Ortsbild, optisches Erscheinungs-
bild, Funktionalität etc.", die eine Rolle gespielt hätten, ohne sich
2000
Verwaltungsgericht
278
allerdings zur beigemessenen Gewichtung zu äussern. Damit gerät
die Vergabestelle nun aber in Widerspruch mit den elementaren
Grundsätzen des öffentlichen Beschaffungswesens. Wie bereits aus-
geführt, erfordern es die Gebote der Transparenz, Chancengleichheit
und Fairness, dass die Kriterien, nach denen die Beiträge bewertet
werden, von Anfang an offen gelegt werden müssen; die Interessen-
ten müssen sich für ihre Beiträge daran orientieren können. Die Ver-
gabestelle bzw. die Wettbewerbskommission hat wohl eine punkte-
mässige Bewertung der einzelnen Projekte vorgenommen. Bewertet
wurden insgesamt 27 Gesichtspunkte, unter anderem die Abmes-
sungen, die Raumeinteilung, die einzelnen Räume, behindertenge-
rechte Bauweise, Einbezug der bestehenden Infrastruktur, Benützer-
freundlichkeit der Zugänge oder der Gesamteindruck des Gebäude-
kubus. Pro Gesichtspunkt gab es offensichtlich maximal 10 Punkte,
das heisst total waren 270 Punkte erreichbar. Nach welchen Beurtei-
lungskriterien die Punkte vergeben wurden, ist unbekannt. Die Be-
urteilung der Vergabestelle, die Projektstudie ,,Harmonie" des Ar-
chitekturbüros K. & K. entspreche ihren Vorstellungen am besten, ist
nicht aufgrund einer nachvollziehbaren Bewertung, die auf klaren
Beurteilungskriterien beruht und zudem den Bewerbern offengelegt
worden ist, zustande gekommen. Selbst soweit Ansätze für Beur-
teilungskriterien vorhanden sind, sind den einschlägigen Unterlagen
keinerlei Hinweise auf deren Gewichtung zu entnehmen. Von einer
transparenten Beurteilung der Kurzstudien kann somit nicht gespro-
chen werden. Damit bestehen aber auch keine nachvollziehbaren und
haltbaren Gründe für die vorzeitige Beendigung des Verfahrens bzw.
den Verzicht auf die Vergabe der beiden restlichen Studienaufträge.
Der Vorwurf der Beschwerdeführerin, das Vorgehen der Vergabe-
stelle verstosse gegen Treu und Glauben, erweist sich als berechtigt. | 5,134 | 4,240 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-66_2000-01-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-66.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-66.pdf | AGVE_2000_66 | null | nan |
b897f6bc-fc9f-59c6-926a-c88cd767101c | 1 | 412 | 871,185 | 991,440,000,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
172
42
Ambulante Behandlung (Art. 43 StGB).
- Ist nicht einzig deshalb, weil sie nur zusammen mit andern, ausser-
strafrechtlichen Massnahmen (FFE) wirksam ist, als unzweckmässig
einzustellen (Erw. 2-4/b).
- Die Einstellung der ambulanten Behandlung wegen Unzweckmässig-
keit ist nicht zulässig, bevor effektiv versucht wurde, sie durchzufüh-
ren (Erw. 4/c).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 20. Juni 2001 in
Sachen U.W. gegen Verfügung des Departements des Innern.
Aus den Erwägungen
1. b) Erweist sich die ambulante Behandlung nach Art. 43
Abs. 1 StGB als unzweckmässig oder für andere gefährlich, so ist sie
einzustellen; der Richter ordnet die Einweisung in eine Heil- oder
Pflegeanstalt an, sofern der Geisteszustand des Täters eine ärztliche
Behandlung oder besondere Pflege erfordert, andernfalls prüft er die
Anordnung einer anderen zweckmässigeren Massnahme oder den
Vollzug der Freiheitsstrafe (Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB). Un-
zweckmässig ist die ambulante Massnahme namentlich dann, wenn
sie keinen Erfolg mehr verspricht (Erfolgsaussicht ist Voraussetzung
für die Anordnung der Massnahme; vgl. BGE 109 IV 75 f.). Dies
kann sich darin zeigen, dass der Verurteilte weiterhin delinquiert oder
sich der Behandlung entzieht (BGE 109 IV 11 f.), aber auch wenn
die ambulante Massnahme in dieser Form nicht (mehr) durchführbar
ist, weil - namentlich bei mangelnder Kooperationsbereitschaft des
Verurteilten - keine therapeutische Beziehung zustande kommt (Gün-
ter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II:
Strafen und Massnahmen, Bern 1989, § 11 Rz. 112; Ursula Frau-
enfelder, Die ambulante Behandlung geistig Abnormer und Süchtiger
als strafrechtliche Massnahme nach Art. 43 und 44 StGB, Diss. Zü-
rich 1978, S. 223). Ob eine ambulante Behandlung als unzweckmäs-
sig einzustellen sei, ist aufgrund der gesamten Umstände zu ent-
scheiden (BGE 109 IV 11 f.; Stratenwerth, a.a.O., § 11 Rz. 112).
2001
Straf- und Massnahmenvollzug
173
2. Die Vorinstanz führt aus, dass die ambulante Massnahme un-
zweckmässig sei, da die psychische Erkrankung des Beschwerdefüh-
rers eine langfristige dauernde medikamentöse Behandlung erfor-
dere. Aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht entziehe sich der
Beschwerdeführer innerhalb von wenigen Monaten seit der Entlas-
sung aus der psychiatrischen Klinik der Behandlung, was zwangsläu-
fig zu einer Verschlechterung seines Zustandes, zu Verwahrlosung,
Selbst- und/oder Fremdgefährdung und zur erneuten Klinikeinwei-
sung mittels FFE führe. Der Beschwerdeführer macht dagegen gel-
tend, dass er sich im Grossen und Ganzen an die ärztliche Behand-
lung gehalten habe und in Krisensituationen mit der FFE ein adä-
quates Mittel zur Verfügung stehe. Nach der Entlassung aus der
Klinik habe das Wissen um das Bestehen einer strafrechtlichen
Massnahme jeweils stark stützend gewirkt. Die ambulante Mass-
nahme sei daher zweckmässig.
Die Unzweckmässigkeit der ambulanten Massnahme wird
durch die Vorinstanz also insbesondere damit begründet, dass eine
regelmässige Depotmedikation unumgänglich sei, um weitere Straf-
taten zu verhindern, und dass die medikamentöse Behandlung nur im
stationären Vollzug sichergestellt werden könne; eine ambulante
Behandlung oder die Möglichkeit, mittels FFE zu reagieren, wenn
der Beschwerdeführer die Medikamente absetze, reiche dazu nicht
aus.
3. Das Verwaltungsgericht hat 1998 aufgrund der Abklärungen
und Erfahrungen die folgenden Sachverhaltselemente als nachgewie-
sen erachtet (AGVE 1998, S. 173 f.):
- Der Beschwerdeführer leidet an einer chronischen Schizo-
phrenie.
- Aus ärztlicher Sicht ist die Dauerbehandlung mit Neurolep-
tika angezeigt.
- Während der Behandlung mit Neuroleptika waren der Zu-
stand und das Verhalten des Beschwerdeführers markant
weniger auffällig als bei Unterbruch der medikamentösen
Behandlung.
- Solange die ärztliche und medikamentöse Behandlung ange-
ordnet war, hielt sich der Beschwerdeführer jedenfalls in den
2001
Verwaltungsgericht
174
letzten Jahren zuverlässig daran. Er versuchte indessen im-
mer wieder durch entsprechende Begehren, die Anordnung
der Depotmedikation aufheben zu lassen.
Hinsichtlich der ersten drei Punkte hat sich seither nichts geän-
dert, zum vierten ergibt sich Folgendes. (Die Vorinstanz und die be-
handelnden Ärzte gingen ab 1999 aufgrund eines Missverständnisses
davon aus, es dürfe keine medikamentöse Behandlung gegen den
Willen des Beschwerdeführers mehr erfolgen. In der Folge verwei-
gerte er die Depotmedikation. Dies hatte die Verschlechterung seines
Zustands zur Folge und führte im Jahre 2000 zweimal zur Klinik-
einweisung mittels FFE.)
4. a) Die Delikte, die dem Urteil des Bezirksgerichts B. vom
25. Februar 1993 zugrunde liegen, datieren von 1990/91. Seither sind
die Handlungen des Beschwerdeführers vom 4. Juli 1997 die einzi-
gen erwähnenswerten Delikte mit strafrechtlichen Folgen. Dieser
Vorfall darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Der
Beschwerdeführer war damals in begreiflicher Erregung über die
vorgesehene Einweisung in die PKK, was zwar das Verschulden zu
mildern mag, nicht aber die objektive Gefährlichkeit, die vorliegend
im Vordergrund steht. Einzig der Umstand, dass er den Polizeibeam-
ten tatsächlich nicht verletzte, könnte darauf schliessen lassen, dass
doch noch eine gewisse Hemmschwelle vorhanden war und er nicht
mit aller Entschiedenheit zuzustechen versuchte, denn sonst wäre
dies dem kräftigen Beschwerdeführer in der von den Polizeibeamten
geschilderten Situation wohl gelungen.
An weiteren
konkreten
Hinweisen, dass der Beschwerdeführer
für andere gefährlich sei oder sonstwie namhafte Delikte drohen
könnten, fehlt es. Die letzten Klinikeinweisungen erfolgten wegen
massiver Belästigungen der unmittelbaren Umgebung, aber primär
im eigenen Interesse des Beschwerdeführers, um seinen Zustand
mittels Medikamenten wieder zu verbessern und ihm so erneut ein
Leben ausserhalb der Klinik zu ermöglichen. Bei einer erheblichen
Verschlechterung seines psychischen Zustands kann die Gefahr neuer
Delikte zwar nicht ausgeschlossen werden; die Akten rechtfertigen
aber kaum, von regelmässig wiederkehrender Selbst- und/oder
Fremdgefährdung zu sprechen - abgesehen davon, dass für die Voll-
2001
Straf- und Massnahmenvollzug
175
zugsbehörde nur die Rückfallsgefahr, also nur Fremdgefährdung in
einem weiten Sinn, massgeblich sein kann.
b) Eine Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung
neuer Delikte fällt, über die letzten 10 Jahre gesehen, recht gut aus,
wenn man die psychischen Voraussetzungen, die der Beschwerdefüh-
rer nun einmal mitbringt, als gegeben akzeptiert. Von einem Schei-
tern der ambulanten Behandlung kann jedenfalls keine Rede sein.
Die Vorinstanz scheint denn auch eher der Meinung zu sein, zum
Ergebnis habe die strafrechtliche Massnahme zu wenig beigetragen
und es habe jeweils der FFE bedurft, um Verschlechterungen des
Zustands, wenn der Beschwerdeführer die Medikamente abgesetzt
habe, zu begegnen. Indessen ist die FFE das vorgesehene Mittel, um
psychisch Kranken in ihrem eigenen Interesse zu helfen, wenn weni-
ger einschneidende Massnahmen keinen Erfolg versprechen (vgl.
Art. 397 a Abs. 1 ZGB). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts
entspricht es dem Sinn von Art. 43 StGB, die Zweckmässigkeit (im
Sinn der Deliktsverhinderung) der strafrechtlich angeordneten am-
bulanten Behandlung zusammen mit den weiteren, ausserhalb des
Strafrechts liegenden Behandlungs- und Eingriffsmöglichkeiten zu
beurteilen. Soweit der Zweck insgesamt erreicht wird, ist auch die
strafrechtliche Massnahme als Teil des ganzen Konzepts legitimiert.
Ob es nötig ist, einen Teil des Erfolgs nachweisbar der strafrechtli-
chen Massnahme zuzuschreiben (und, wenn ja, wie gross dieser Teil
sein muss), kann im vorliegenden Fall aus den nachfolgend darzu-
stellenden Gründen offen gelassen werden.
c) aa) Das Bezirksgericht L. schob den Vollzug der in seinem
Urteil vom 28. Januar 1999 ausgefällten Freiheitsstrafe gestützt auf
Art. 43 StGB zugunsten der bereits laufenden Massnahme auf. (...)
Die Auflage des Bezirksgerichts bezog sich somit auf die regel-
mässige ärztliche Behandlung
einschliesslich der Verabreichung von
Neuroleptika-Depotspritzen
. (...) Als das Departement des Innern
anfangs Februar 2000 den Vollzugsauftrag für das Urteil des Be-
zirksgerichts erhielt, erkannte es offenbar nicht, dass dieses bei ge-
nauer Interpretation eine ambulante Massnahme mit Depotmedika-
tion angeordnet hatte. (Stattdessen ging das Departement des Innern
2001
Verwaltungsgericht
176
davon aus, mit der "bereits laufenden Massnahme" sei bloss die Wei-
sung zu regelmässiger ärztlicher Behandlung gemeint.)
bb) Eine ambulante Massnahme kann nur dann als unwirksam
bzw. ungenügend und folglich unzweckmässig bezeichnet werden,
wenn die Vollzugsbehörde zuvor ernsthaft versucht hat, sie durchzu-
setzen (vgl. Frauenfelder, a.a.O., S. 223). Darunter ist im konkreten
Fall etwa zu verstehen, dass dem behandelnden Arzt klare Erläute-
rungen über den Inhalt der angeordneten Massnahme und über seine
Behandlungsbefugnisse gegeben werden und dass die Wahl des be-
handelnden Arztes nicht einfach dem Beschwerdeführer überlassen,
sondern nur ein Arzt akzeptiert wird, der sich ausdrücklich bereit
erklärt, der Vollzugsbehörde umgehend zu melden, wenn die Be-
handlung nicht mehr ordnungsgemäss verläuft. Erst wenn auch der-
artige Vollzugsbemühungen ohne Erfolg bleiben, kann mit Grund
argumentiert werden, die ambulante Massnahme sei wirkungs- und
nutzlos. Dies gilt umso eher, als sich der Beschwerdeführer in aller
Regel an klar festgesetzte und bekannt gegebene Auflagen hält. Dass
er jeweils nach einer gewissen Zeit versucht, mit entsprechenden
Begehren die ihm unangenehmen Auflagen loszuwerden, darf ihm
nicht vorgeworfen werden, solange er den dafür rechtlich vorgesehe-
nen Weg einschlägt. | 2,145 | 1,773 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-42_2001-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-42.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-42.pdf | AGVE_2001_42 | null | nan |
b8a32986-89f0-5d72-972e-529795c98c01 | 1 | 412 | 870,055 | 1,101,945,600,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsgericht
124
[...]
30
Allgemeine Abzüge. Gewinnungskosten bei Selbstständigerwerbenden.
- Die Prämien für die (freiwillige) Unfallversicherung von Selbststän-
digerwerbenden sind jedenfalls dann abziehbar, wenn besondere
Unfallrisiken der Berufsausübung abzudecken sind.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 16. Dezember 2004 in
Sachen R.G. gegen Steuerrekursgericht.
Aus den Erwägungen
2. a) Prämien und Beiträge für die obligatorische Unfallversi-
cherung sind uneingeschränkt abziehbar (§ 40 lit. f StG). Prämien für
nicht obligatorische Unfallversicherungen werden demgegenüber
durch die Pauschale von Fr. 4'000.-- (Verheiratete) in § 40 lit. g StG
erfasst und können deshalb nicht separat abgezogen werden. Dem
Obligatorium der Unfallversicherung unterstehen nur die unselbst-
ständig Erwerbenden; Selbstständigerwerbende können sich aber
freiwillig versichern lassen (Art. 1a, Art. 4 Abs. 1 UVG). Von daher
erscheinen die Unfallversicherungsprämien von Selbstständigerwer-
benden zunächst nicht abzugsfähig (vgl. dazu Markus Reich, in:
Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Band I/1 [StHG],
2.
Auflage, Basel/Genf/München 2002, Art. 10 N 9; Daniel
Aeschbach, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Band 1,
2. Auflage, Muri/Bern 2004, § 40 N 125). Trotzdem wird in der
Lehre die Abzugsfähigkeit teilweise - aus Überlegungen der rechts-
gleichen Behandlung - vollumfänglich bejaht (Aeschbach, a.a.O.,
§
40 N 125 [der zitierte RGE äussert sich aber nicht zur
Unfallversicherung und belegt ausschliesslich die Nichtabzugsfähig-
keit von Prämien für die Krankentaggeldversicherung]; Peter Locher,
Kommentar zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel 2001, Art. 27 N 45).
Teilweise werden bestimmte Ausnahmen anerkannt, namentlich
2004
Kantonale Steuern
125
-
soweit der Arbeitgeber in gleichem Umfang auch für die Prä-
mien seiner Arbeitnehmer aufkommt - dies ebenfalls aus
Rechtsgleichheitsgründen (Harmonisierung des Unternehmens-
steuerrechts [Hrsg. Konferenz Staatlicher Steuerbeam-
ter/Kommission Steuerharmonisierung], Muri/Bern 1995, S. 39;
Reich, a.a.O., Art. 10 N 9; Richner/Frei/Kaufmann, Kommentar
zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, Zürich 1999, § 27
N 8),
-
wenn die Berufsausübung mit besonderen Unfallrisiken ver-
bunden ist und die Versicherung daher vorwiegend betrieblich
bedingt erscheint - dies gestützt auf § 36 Abs. 1 StG und in
Weiterführung der Rechtsprechung zum früheren Recht
(AGVE 1978, S. 356 mit Hinweisen), und - mit ähnlicher
Begründung - wenn erkennbar das Betriebsrisiko (Kredit- und
andere Fixkosten) während einer längeren unfallbedingten
Erwerbslosigkeit abgedeckt wird (Maute/Steiner/Rufener,
Steuern und Versicherungen, 2. Auflage, Muri/Bern 1999,
S. 223 f.; vgl. zum Ganzen auch Duss/Greter/von Ah, Die
Besteuerung Selbständigerwerbender, Zürich/Basel/Genf 2004,
S. 94).
b) Weshalb der Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung (Art. 8
Abs. 1 BV) dazu führen soll, dass die Unfallversicherungsprämien
von Selbstständigerwerbenden vollumfänglich zum Abzug zuzulas-
sen sind, wird durch die Befürworter nicht eingehend begründet,
sondern einzig auf die bereits erwähnte Publikation "Harmonisierung
des Unternehmenssteuerrechts" gestützt. Eine so weit gehende Ab-
zugsmöglichkeit ist abzulehnen. Allenfalls liesse sich erwägen, aus
Gründen der Rechtsgleichheit die Prämien der Selbstständigerwer-
benden für den im Rahmen der obligatorischen Unfallversicherung
maximal versicherbaren Verdienst von zur Zeit Fr. 106'800.-- im Jahr
bzw. Fr. 293.-- im Tag (Art. 22 Abs. 1 UVV in der Fassung vom
28. September 1998) als abzugsfähig anzuerkennen; auf Seiten der
unselbstständig Erwerbenden ist kein Sachverhalt ersichtlich, der als
Basis für noch höhere Abzüge bei Selbstständigerwerbenden - auf
Grundlage eines Gleichbehandlungsanspruchs - dienen könnte. Wie
2004
Verwaltungsgericht
126
sich im Folgenden zeigt, kann diese Frage vorliegend aber offen
bleiben.
c) Bei den erwähnten (vorne Erw. a) spezifischen Ausnahmen
kann das Kriterium "besondere Unfallrisiken" namentlich bei Ein-
mann-Firmen in Betracht kommen, wo eine Gleichbehandlung mit
den Prämien der Arbeitnehmer aus faktischen Gründen unmöglich
ist. So wird auch im angefochtenen Entscheid argumentiert:
"(Abzugsfähigkeit), soweit der Abschluss einer Versicherung
für den selbstständig Erwerbenden vorwiegend betrieblich bedingt
ist. Das trifft insbesondere zu, wenn die Berufsausübung mit beson-
deren Unfallrisiken verbunden ist und der selbstständig Erwerbende
eine Unfallversicherung abschliesst, um für sich selbst die wirt-
schaftlichen Folgen des Gefahreneintritts abzuwenden. Die Kosten
einer solchen Versicherung sind, soweit sie für Arbeitnehmer üblich
ist, Gewinnungskosten..."
Nach Meinung des Verwaltungsgerichts ist es gerechtfertigt, an
dieser Ausnahme weiterhin festzuhalten, da sie mit der allgemeinen
Regelung der Abzugsfähigkeit geschäftsmässig begründeter Kosten
(§ 36 Abs. 1 StG) in Einklang steht. Wie im Folgenden darzulegen
ist, ist dieser Sachverhalt gegeben, sodass auf die anderen
Ausnahmen bzw. auf die generelle Abzugsfähigkeit im Rahmen der
für unselbstständig Erwerbende obligatorischen Unfallversicherung
nicht näher eingegangen werden muss. | 1,178 | 954 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-30_2004-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-30.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-30.pdf | AGVE_2004_30 | null | nan |
b8cbbb12-5fa2-51a0-9eb4-bb90ae87c0aa | 1 | 412 | 870,435 | 1,364,947,200,000 | 2,013 | de | 2013
Gemeinderecht
269
IX. Gemeinderecht
44 Bestattungswesen
-
Im Bestattungswesen sind die Gemeinden insbesondere bei der Rege-
lung von organisatorischen und finanziellen Belangen (Anlage von
Friedhöfen und Gräbern, Abräumen von Gräbern, Kosten der Be-
stattung) autonom.
-
Die Bestattungsverordnung sieht die vorzeitige Exhumierung bei
Erdbestattungen explizit vor; mangels gegenteiliger Vorschrift ist
auch die vorzeitige Aufhebung bzw. Verlegung von Urnengräbern zu-
lässig, da sie von keiner gesundheitspolizeilichen Relevanz ist.
-
Dem Selbstbestimmungsrecht des Verstorbenen kommt gegenüber
dem Bestimmungsrecht der hinterbliebenen Angehörigen grundsätz-
lich der Vorrang zu, d.h. letzteres kommt zum Zuge, wenn keine ent-
sprechenden schriftlichen oder mündlichen Anordnungen des Ver-
storbenen vorliegen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 24. April 2013 in Sachen
A. gegen Gemeinderat B. und DGS (WBE.2012.441).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach
Massgabe des kantonalen Rechts. Gemäss § 106 Abs. 1 KV sind die
Gemeinden im Rahmen von Verfassung und Gesetz befugt, sich
selbst zu organisieren, ihre Behörden und Beamten zu wählen, ihre
Aufgaben nach eigenem Ermessen zu erfüllen und ihre öffentlichen
Sachen selbständig zu verwalten. Nach der Praxis des Bundesge-
richts liegt Gemeindeautonomie dort vor, wo das kantonale Recht ei-
nen Sachbereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
270
teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und der Gemeinde
dabei einen relativ erheblichen Entscheidungsspielraum einräumt
(BGE 138 I 143, Erw. 3; 136 I 395, Erw. 3.2; 136 I 316, Erw. 2.1;
129 I 290, Erw. 2; AGVE 2011, S. 199; 2003, S. 470 mit Hinweisen;
U
LRICH
H
ÄFELIN
/G
EORG
M
ÜLLER
/F
ELIX
U
HLMANN
, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 1392 mit
Hinweisen). Ob und wieweit eine Gemeinde in einem gewissen Be-
reich autonom ist, bestimmt sich also nach dem kantonalen Ver-
fassungs- und Gesetzesrecht (BGE 129 I 410, Erw. 2 mit Hinweisen;
AGVE 2011, S. 200; 2003, S. 470; H
ÄFELIN
/M
ÜLLER
/U
HLMANN
,
a.a.O., Rz. 1393 mit Hinweisen).
2.2.
Nach § 47 Abs. 1 GesG ist das Bestattungswesen Aufgabe der
Gemeinden. Der Regierungsrat regelt die zur Wahrung von gesund-
heitspolizeilichen Interessen erforderlichen Grundsätze (Abs. 2). Den
Materialien zur Totalrevision des Gesundheitsgesetzes lässt sich ent-
nehmen, dass die bisher weitergehende kantonale Regelung des Be-
stattungswesens den Grundsätzen der Aufgabenteilung zwischen
Kanton und Gemeinden widersprochen habe, da dieses "unbestritte-
nermassen in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden" falle. Nach
dem Willen des Gesetzgebers soll den Gemeinden neben der Voll-
zugs- auch eine stark erweiterte Rechtssetzungskompetenz zukom-
men, welche Anpassungen und Ergänzungen in den kommunalen
Friedhofreglementen erforderlich mache (vgl. Botschaft des Regie-
rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 21. Mai
2008, 08.141, S. 79).
Der Regierungsrat hat in Ausführung der Umweltschutz- und
Gesundheitsgesetzgebung Grundsätze des Bestattungswesens in der
Bestattungsverordnung vom 11. November 2009 (Bestattungsverord-
nung; SAR 371.112) geregelt. In dieser Verordnung finden sich auch
Bestimmungen zur Aufhebung von Gräbern bzw. zur Grabesruhe
(§ 10 Bestattungsverordnung).
Ein relativ erheblicher Entscheidungsspielraum und damit Ge-
meindeautonomie besteht im Bestattungswesen insbesondere bei der
Regelung von organisatorischen und finanziellen Belangen (Kosten
der Bestattung, Anlage von Friedhöfen und Gräbern, Abräumung von
2013
Gemeinderecht
271
Gräbern; vgl. Botschaft, a.a.O.). Bereits unter der Geltung des
Gesundheitsgesetzes vom 10. November 1987 und der Bestattungs-
verordnung vom 22. Januar 1990 waren die Gemeinden befugt, die
Benützung der Friedhöfe anstaltspolizeilich zu ordnen und alles vor-
zukehren, was sie im Rahmen der speziellen Zweckbestimmung der
öffentlichen Anlage für nötig erachteten. Anerkannt war insbeson-
dere, dass sie zum Erlass von Vorschriften befugt waren, welche da-
zu dienen, dem Friedhof ein würdiges und harmonisches Aussehen
zu geben und zu erhalten (AGVE 2001, S. 546; 1991, S. 435 je mit
Hinweisen).
3.
3.1.
§ 16 des Bestattungs- und Friedhofreglements der Gemeinde B.
regelt die Benützungsdauer der Gräber bzw. die Ruhezeit. Danach
beträgt die Ruhezeit für Reihengräber für Erdbestattungen und Urnen
und für Bestattungen im Urnenplatten- bzw. Gemeinschaftsgrab
25 Jahre. Das Benützungsrecht für Familiengräber beträgt 50 Jahre.
Die Gräber dürfen unter Vorbehalt der gesetzlich geregelten Exhu-
mation frühestens nach Ablauf von 25 Jahren geöffnet werden.
Nach § 10 Abs. 1 Bestattungsverordnung beträgt die Grabes-
ruhe mindestens 20 Jahre. Wird eine Urne einem Grab nachträglich
beigelegt, richtet sich die Dauer der Grabesruhe nach der Erstbe-
stattung. Gemäss Abs. 2 kann der Gemeinderat auf übereinstimmen-
des Begehren der nächsten Angehörigen und nach vorgängiger Zu-
stimmung des Amtsarztes eine vorzeitige Exhumierung bewilligen,
wenn dieser keine wesentlichen Interessen entgegenstehen und eine
anderweitige Bestattung der Leiche gewährleistet ist.
3.2.
Das kommunale Bestattungs- und Friedhofreglement hält fest,
dass Gräber grundsätzlich erst nach 25 Jahren geöffnet werden dür-
fen, wobei die gesetzlich geregelte Exhumation vorbehalten wird
(vgl. § 16).
§ 10 der kantonalen Bestattungsverordnung ermöglicht die vor-
zeitige Exhumierung bei Erdbestattungen. Unter Erdbestattung im
Sinne von § 7 Abs. 2 Bestattungsverordnung wird die Beisetzung ei-
ner Leiche in einem zu diesem Zweck besonders hergestellten Grab
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
272
verstanden, welches wieder geschlossen wird, um durch die in der
Erde enthaltene Luft und Feuchtigkeit eine allmähliche Auflösung
der Leiche herbeizuführen (P
ETER
R
EMUND
, Die rechtliche Organi-
sation des Bestattungswesens im Aargau, Aarau 1948, S. 112).
Unter dem Begriff der Feuerbestattung im Sinne von § 7 Abs. 3
Bestattungsverordnung wird die Auflösung der Körper verstorbener
Menschen durch Verbrennung und die Beisetzung der im Ver-
brennungsprozess übrig gebliebenen Aschenreste zur dauernden Ru-
he verstanden (R
EMUND
, a.a.O., S. 141 mit Hinweis). Die vorzeitige
Aufhebung eines Urnengrabes zwecks Verlegung der Urne in ein
neues Grab ist in der Bestattungsverordnung nicht explizit geregelt.
Der kantonale Verordnungsgeber hat aber - wie bereits ausgeführt -
die Möglichkeit der vorzeitigen Exhumierung der Leiche auf über-
einstimmendes Begehren der Angehörigen bei Erdbestattungen vor-
gesehen und die Umbettung ist bei Urnengräbern von keinerlei ge-
sundheitspolizeilicher Relevanz (vgl. R
EMUND
, a.a.O., S. 152). Dies
zeigt sich unter anderem daran, dass die Verordnung bei Feuerbe-
stattungen die Beisetzung von Urnen bzw. offener Asche im Gegen-
satz zu Erdbestattungen auch ausserhalb von Friedhöfen, insbe-
sondere in Wäldern, Gewässern oder auf Privatgrundstücken, grund-
sätzlich erlaubt (§ 7 Abs. 2 und 3 Bestattungsverordnung). Unter Be-
achtung der gesundheitspolizeilichen und umweltschutzrechtlichen
Zielsetzungen der Bestattungsverordnung würde es einen Wertungs-
widerspruch bedeuten, die vorzeitige Aufhebung eines Urnengrabes
zwecks Verlegung der Urne in ein neues Grab mit dem Argument zu
verweigern, sie sei in der Bestattungsverordnung nicht vorgesehen.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber die Auf-
hebung von Urnengräbern bzw. die Verlegung von Urnen (still-
schweigend) erlaubt hat. Der Regierungsrat hatte bereits unter der
Geltung der Verordnung über das Bestattungswesen vom 9. Dezem-
ber 1946, welche keine ausdrückliche Bestimmung zur Verlegung
von Urnen enthielt, in einem Entscheid vom 21. März 1988 erwogen,
dass unter bestimmten Voraussetzungen einem Begehren um nach-
trägliche Änderung der Art oder des Ortes der Bestattung entspro-
chen werden könne bzw. müsse (vgl. AGVE 1988, S. 549). Bei die-
ser Gelegenheit hat der damalige Verordnungsgeber festgehalten, die
2013
Gemeinderecht
273
Beigabe der Urne in das Grab eines Familienangehörigen entspreche
einem im Kanton Aargau bekannten Gebrauch (vgl. AGVE 1988,
S. 552).
3.3.
Weder § 16 des kommunalen Bestattungs- und Friedhofregle-
ments noch § 10 Bestattungsverordnung verbieten die Verlegung ei-
ner auf dem Friedhof beigesetzten Urne vor dem Ablauf der Grabes-
ruhe bzw. der Ruhezeit.
Das kommunale Bestattungs- und Friedhofreglement sieht zwar
einerseits Familiengräber für Urnen (§ 21, Anhang Ziff. 6) wie auch
die (bewilligungspflichtige) Möglichkeit der Beisetzung von Perso-
nen mit auswärtigem Wohnsitz vor, wenn besondere Beziehungen
zur Gemeinde bestehen (§ 9 Abs. 2). Auch die zusätzliche Urnenbei-
setzung im Reihen- oder Familiengrab ist geregelt (§ 15). Indessen
enthält es keine Vorschriften zur Verlegung von beigesetzten Urnen.
Angesichts des Fehlens einer ausdrücklichen Bestimmung zur
Verlegung von beigesetzten Urnen und in Nachachtung der ver-
fassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu hinten Erw. 4.1 und 4.2)
ist die analoge Anwendung von § 10 Abs. 2 Bestattungsverordnung
angezeigt (zum Analogieschluss vgl. E
RNST
A.
K
RAMER
, Juristische
Methodenlehre, 2. Aufl., Basel/München/Wien 2005, S. 173 ff.).
Beim Fehlen einer entsprechenden Regelung im kommunalen Regle-
ment kann der Gemeinderat daher in analoger Anwendung von § 10
Abs. 2 Bestattungsverordnung auch bei beigesetzten Urnen dem ge-
meinsamen Gesuch der nächsten Angehörigen um Verlegung stattge-
ben, wenn diesem keine wesentlichen Interessen entgegenstehen und
eine anderweitige (schickliche) Beisetzung der Urne gewährleistet
ist. Dabei entfällt selbstredend das Erfordernis der vorgängigen Zu-
stimmung des Amtsarztes (zur schicklichen Beisetzung der Aschen-
reste vgl. R
EMUND
, a.a.O., S. 152 ff.).
4.
4.1.
§ 10 Abs. 2 Bestattungsverordnung ist eine "Kann-Vorschrift"
und räumt dem Gemeinderat ein Ermessen ein. Darunter wird ge-
meinhin ein Entscheidungsspielraum der Verwaltungsbehörden ver-
standen, ein Freiraum, den der Gesetzgeber den Verwaltungsbehör-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
274
den gewährt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Behörden in ihrer
Entscheidung völlig frei sind. Die Behörden dürfen nicht willkürlich
entscheiden. Sie sind vielmehr an die Verfassung gebunden und
müssen daher insbesondere das Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 BV),
das Verhältnismässigkeitsprinzip und die Pflicht zur Wahrung der
öffentlichen Interessen (Art. 5 Abs. 2 BV; § 3 VRPG) befolgen. Aus-
serdem sind Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung auch bei Er-
messensentscheiden zu beachten (pflichtgemässes Ermessen; vgl.
H
ÄFELIN
/M
ÜLLER
/U
HLMANN
, a.a.O., Rz. 429, 441; P
IERRE
T
SCHANNEN
/U
LRICH
Z
IMMERLI
/M
ARKUS
M
ÜLLER
, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Bern 2009, § 26 N 11).
In seinem Entscheid hat der Gemeinderat auch die verfassungs-
mässigen Rechte der verstorbenen Person sowie der Angehörigen zu
beachten (vgl. hinten Erw. 4.2) und in diesem Zusammenhang insbe-
sondere die für Einschränkungen von Freiheitsrechten vorgeschrie-
bene Interessenabwägung zwischen den relevanten öffentlichen und
privaten Interessen vorzunehmen (vgl. § 3 VRPG).
4.2.
4.2.1.
Der Anspruch auf eine schickliche Beerdigung war explizit in
Art. 53 Abs. 2 der (alten) Bundesverfassung der Schweizerischen
Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (aBV) enthalten. Die schickli-
che Beerdigung eines Verstorbenen wurde als ein über den Tod hi-
nauswirkendes verfassungsmässiges Recht des Bürgers aufgefasst
(D
ETLEV
C
HR
.
D
ICKE
, in: Kommentar zur aBV, Basel/Zürich/Bern
1996, Band III, Art. 53 N 10). In der neuen Bundesverfassung vom
18. April 1999 ist der Anspruch auf ein schickliches Begräbnis nicht
mehr ausdrücklich enthalten, ausgehend davon, dass die Garantie der
Menschenwürde nach Art. 7 BV dieses Recht mit einschliesst (vgl.
BGE 125 I 300, Erw. 2a; Botschaft über eine neue Bundesverfassung
vom 20. November 1996, 96.091, S. 141, in: BBl 1997 I 141).
4.2.2.
Neuere Lehre und Praxis gehen davon aus, dass der verfas-
sungsmässige Persönlichkeitsschutz und damit auch die Bestimmung
über die Beerdigungsart den Tod seines Trägers überdauern (post-
mortale Fortwirkung des verfassungsmässigen Persönlichkeitsschut-
2013
Gemeinderecht
275
zes; vgl. N
ICCOLO
R
ASELLI
, Schickliche Beerdigung für "Anders-
gläubige", in: AJP 1996, S. 1108; J
ÖRG
P
AUL
M
ÜLLER
/M
ARKUS
S
CHEFER
, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl., Bern 2008, S. 162).
Der altrechtliche Anspruch auf ein schickliches Begräbnis wird
allgemeiner als Garantie selbstbestimmter Bestattung verstanden
(D
IES
., a.a.O., S. 161; vgl. demgegenüber noch: D
ICKE
, a.a.O.,
Art. 53 N 10; BGE 125 I 300, Erw. 2a mit Hinweisen, wo die
Schicklichkeit als Ausdruck der Achtung gegenüber dem Leichnam
verstanden wird, wozu auf die Sitte und den Ortsgebrauch abgestellt
wird; R
EMUND
, a.a.O., S. 46, wonach die Schicklichkeit insbesonde-
re erfordere, dass jeder Verstorbene ungeachtet seiner Konfession
oder Religion oder anderer Umstände in einer der Achtung der Men-
schenwürde entsprechenden Weise bestattet wird).
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird das Selbst-
bestimmungsrecht eines Menschen, zu Lebzeiten über seinen toten
Körper zu verfügen und die Modalitäten seiner Bestattung festzule-
gen durch die persönliche Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV geschützt
(BGE 129 I 173, Erw. 4). In der Kantonsverfassung wird das Be-
stimmungsrecht über den toten Körper ebenfalls durch das Grund-
recht der persönlichen Freiheit nach § 15 Abs. 1 KV gewährleistet
(K
URT
E
ICHENBERGER
, Verfassung des Kantons Aargau, Textausga-
be mit Kommentar, Aarau 1986, § 15 N 6). Die persönliche Freiheit
schützt auch die emotionalen Bindungen der Angehörigen zu einem
Verstorbenen. Kraft dieser engen Verbundenheit steht den Ange-
hörigen das Recht zu, über den Leichnam des Verstorbenen zu
bestimmen, die Art und den Ort der Bestattung festzulegen sowie
sich gegen ungerechtfertigte Eingriffe in den toten Körper zur Wehr
zu setzen (BGE 129 I 173, Erw. 2.1 mit Hinweisen). Dem Selbst-
bestimmungsrecht des Verstorbenen kommt gegenüber dem Be-
stimmungsrecht der hinterbliebenen Angehörigen grundsätzlich der
Vorrang zu, d.h. letzteres kommt zum Zuge, wenn keine entsprechen-
den schriftlichen oder mündlichen Anordnungen des Verstorbenen
vorliegen (BGE 129 I 302, Erw. 1.2.3; 129 I 173, Erw. 4).
4.2.3.
Dementsprechend bestimmt § 8 Abs. 1 Bestattungsverordnung,
dass sich die Bestattungsart nach dem Wunsch der verstorbenen Per-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
276
son, oder, wenn nicht feststellbar, nach dem Wunsch der nächsten,
erreichbaren Angehörigen richtet (vgl. bereits AGVE 1988, S. 549).
4.2.4.
Der Beschwerdeführer verlangt die Verlegung des Urnengrabes
seiner vorverstorbenen Gattin nach C. (ZH), um im gemeinsamen
Grab die letzte Ruhe finden zu können. Entsprechend den
Ausführungen des Beschwerdeführers sind keine weiteren nahen An-
gehörigen vorhanden und entspricht es dem Willen beider Partner, im
gemeinsamen Urnengrab bestattet zu werden. Ein weiterer Grund sei
sein abgelegener Wohnsitz: C. sei mit den öffentlichen Verkehrs-
mitteln besser erreichbar. Eine Beisetzung im Reihengrab seiner
Gattin auf dem Friedhof in B., wie sie entsprechend § 9 Abs. 2 i.V.m.
§ 15 Abs. 1 des Bestattungs- und Friedhofreglements bewilligungsfä-
hig wäre, lehnt der Beschwerdeführer ab. Es sei ihm ein Anliegen, im
gleichen Grab wie seine vorverstorbene Ehefrau beigesetzt zu wer-
den. Seiner neuen Lebenspartnerin fehle der Bezug zu B.. Aus die-
sem Grunde mache eine Bestattung dort für ihn keinen Sinn.
Von der Gemeinde C. (ZH) habe er eine Grabesreservationszu-
sage und die Beisetzung der Urne sei mit dem Friedhofsgärtner abge-
sprochen. Diese würde auch von einem Pfarrer begleitet. Der Be-
schwerdeführer erklärt sich im Weiteren bereit, die Kosten der Um-
bettung zu tragen und die Grabeslücke auf dem Friedhof in B. auf
eigene Kosten zu begrünen.
4.3.
Der Gemeinderat hat seinen Entscheid vom 14. Mai 2012 im
Wesentlichen damit begründet, dass für die vom Beschwerdeführer
gewählte Bestattungsart keine frühzeitige Auflösung des Grabes
vorgesehen sei. Abgestützt hat er sich dabei - wie erwähnt - auf § 16
des kommunalen Bestattungs- und Friedhofreglements. Der Gemein-
derat bewillige praxisgemäss keine Ausnahmen, wobei einer "Selbst-
dynamik, welche durch Sonderbewilligungen entstehen könnte", vor-
gebeugt werden soll.
Wie bereits festgehalten, verbietet § 16 des Reglements in Ver-
bindung mit § 10 Bestattungsverordnung die Umbettung einer beige-
setzten Urne nicht (vgl. vorne Erw. 3).
2013
Gemeinderecht
277
Die Vorinstanz hat zu Recht festgehalten, dass die kantonale
Rechtsmittelinstanz ihr Ermessen im von der Gemeindeautonomie
erfassten Bereich nicht anstelle der kommunalen Verwaltungsbe-
hörde ausüben darf (vgl. BGE 138 I 143, Erw. 3.2). Entgegen den Er-
wägungen im angefochtenen Entscheid des DGS stellt aber die unter-
lassene Ermessensausübung durch den Gemeinderat eine Ermessens-
unterschreitung dar und ist daher eine zu beanstandende Rechtsver-
letzung (vgl. H
ÄFELIN
/M
ÜLLER
/U
HLMANN
, a.a.O., Rz. 470 f.;
T
SCHANNEN
/Z
IMMERLI
/M
ÜLLER
, a.a.O., § 26 N 17). Da der Ge-
meinderat die Umbettung der Urne als zum vornherein unzulässig er-
achtet hat, ist neben der Ausübung des Ermessens auch die im Rah-
men des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes vorgeschriebene Interes-
senabwägung bzw. die Prüfung der Voraussetzungen eines Eingriffs
in das Grundrecht der persönlichen Freiheit (vgl. vorne Erw. 4.2.2)
im erstinstanzlichen Entscheid unterblieben. | 4,263 | 3,365 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-44_2013-04-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-44.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-44.pdf | AGVE_2013_44 | null | nan |
b903ad68-c667-52e9-b10b-7bf513adc0b9 | 1 | 412 | 871,823 | 1,407,024,000,000 | 2,014 | de | 2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
196
34
Staatsvertragsbereich; Sektorentätigkeit; Rechtsschutz
-
Begriff bzw. Umfang der Sektorentätigkeit. Die Beschaffung von
Ganzkörperkontaminationsmonitoren für ein Kernkraftwerk gehört
zur Sektorentätigkeit.
-
Selbst wenn eine Beschaffung nicht dem Staatsvertragsbereich
untersteht, kann sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes
ergeben, dass einem ausländischen Anbieter der Rechtsschutz auf ge-
richtliche Überprüfung des Zuschlags nicht abgesprochen werden
kann.
Verfügung des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. August 2014 in
Sachen A. GmbH gegen B. AG (WBE.2014.219).
Sachverhalt
Im Rahmen der Beurteilung eines Gesuchs um aufschiebende
Wirkung (§ 26 Abs. 2 SubmD) stellte sich die Frage, ob die
2014
Submissionen
197
Beschwerdeführerin als ausländische Anbieterin überhaupt befugt ist,
den Zuschlag anzufechten.
Aus den Erwägungen
4.
4.1.
Die Vergabestelle bringt zunächst vor, die Beschaffung sei nicht
dem Staatsvertragsbereich unterstellt, weshalb die Beschwerdeführe-
rin gar nicht befugt sei, den Zuschlag anzufechten.
Nach Art. 8 Abs. 1 lit. c IVöB unterstehen dem Staatsvertrags-
bereich Behörden sowie öffentliche und private Unternehmen, die
mit ausschliesslichen oder besonderen Rechten ausgestattet sind,
jeweils in den Sektoren Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung
sowie Telekommunikation für Aufträge, die sie zur Durchführung
ihrer in der Schweiz ausgeübten Tätigkeit in diesen Bereichen
vergeben. Dieser Bestimmung entspricht § 30 Abs. 1 SubmD. Dass
es sich bei der Vergabestelle als Kernkraftwerk in der Schweiz um
ein solches Sektorenunternehmen (Elektrizität) handelt, ist zu Recht
nicht umstritten (vgl. Anhang I Annex 3 Ziff. II GPA; Art. 3 Abs. 2
lit. f/ii sowie Anhang IV B-Schweiz lit. b des Abkommens zwischen
der schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen
Gemeinschaft über bestimmte Aspekte des öffentlichen Be-
schaffungswesens vom 21. Juni 1999 [BilatAbk; SR 0.172.052.68]).
Dem Staatsvertragsrecht sind Sektorenauftraggeber unterstellt,
soweit sie einen öffentlichen Auftrag im Zusammenhang mit einer
Sektorentätigkeit vergeben (vgl. Anhang I Annex 3 Note 1 GPA;
Art. 3 Abs. 7 i.V.m. Anhang VIII lit. a BilatAbk; M
ARTIN
B
EYELER
,
Der Geltungsanspruch des Vergaberechts, Zürich/Basel/Genf 2012,
Rz. 466, 471 ff.; P
ETER
G
ALLI
/A
NDRÉ
M
OSER
/E
LISABETH
L
ANG
/
M
ARC
S
TEINER
, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts,
3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 168). Dabei ist der jeweili-
gen Sektorentätigkeit alles zuzurechnen, was für die rechtskonforme,
fachgerechte und zeitgemässe Verfolgung der Kerntätigkeiten (z.B.
Herstellung von Elektrizität) direkt oder indirekt (einschliesslich:
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
198
infrastrukturell) notwendig ist. Darüber hinaus ist auch all jenes zur
Sektorentätigkeit zu zählen, was nicht in diesem Sinne erforderlich,
aber für die Verfolgung der Kerntätigkeit nützlich ist oder aus
sonstigen Gründen (gegebenenfalls aus freier Wahl und Entschei-
dung) vom Sektorenauftraggeber zwecks Unterstützung, Beför-
derung oder Verbesserung der Sektorentätigkeit unternommen wird
(ob die Ziele tatsächlich erreicht werden, spielt dabei keine Rolle)
(B
EYELER
, a.a.O., Rz. 481 mit Hinweisen; G
ALLI
/M
OSER
/
L
ANG
/
S
TEINER
, a.a.O., Rz. 155). Die vorliegende Beschaffung von Ganz-
körperkontaminationsmonitoren gehört vor diesem Hintergrund ohne
Weiteres zur Sektorentätigkeit. Für die Verfolgung der Kerntätigkeit
sind sie notwendig bzw. sie dienen dieser unmittelbar, da sie die
öffentliche Sicherheit und den Schutz der Personen, die im Kon-
trollbereich des Kernkraftwerks arbeiten, gewährleisten. Wenn in der
Literatur beispielsweise selbst der Betrieb einer Kindertagesstätte,
bei der die betreuten Kinder zur Hauptsache jene von Mitarbeitenden
sind, zur Sektorentätigkeit gezählt werden - oder der Betrieb eines
Restaurants, das primär für die im Rahmen der Sektorentätigkeit be-
schäftigten Mitarbeiter durch den Sektoren-Auftraggeber bereitge-
stellt oder betrieben wird (B
EYELER
, a.a.O., Rz. 481; G
ALLI
/M
OSER
/
L
ANG
/S
TEINER
, a.a.O., Rz. 155), muss dies für die zur Beurteilung
stehende Beschaffung von Ganzkörperkontaminationsmonitoren für
ein Kernkraftwerk erst recht gelten. Die vorliegende Beschaffung
untersteht daher dem Staatsvertragsbereich. Davon ging die
Vergabestelle im Übrigen auch selber aus, führte sie für die
Beschaffung doch ausdrücklich ein offenes Verfahren nach
GATT/WTO-Abkommen bzw. Staatsvertrag durch. Auch wurde das
Absageschreiben vom 23. Juni 2014 mit einer Rechtsmittelbelehrung
versehen. Es mutet eigenartig und widersprüchlich an, wenn die
Vergabestelle im Beschwerdeverfahren nun plötzlich die Ansicht ver-
tritt, der Auftrag unterstehe gar nicht dem Staatsvertragsbereich und
könne von der Beschwerdeführerin nicht angefochten werden.
Zu keinem andern Ergebnis führte im Übrigen, wenn die vorlie-
gende Beschaffung nicht dem Staatsvertragsbereich (was - wie dar-
gelegt - jedoch nicht der Fall ist) unterstände: Die Beschwerdeführe-
rin wäre insofern zwar kein privilegierter ausländischer Bieter, d.h.
2014
Submissionen
199
so zu behandeln wie ein ausländischer Anbieter aus einem Nichtver-
tragsstaat (vgl. B
EYELER
, a.a.O., Rz. 1440 f.). Schweizerischen
Vergabestellen ist es jedoch nicht untersagt, ausländische Anbieter
aus Nichtvertragsstaaten zuzulassen und ihnen einen Zuschlag zu er-
teilen (Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 10. September
2012 [VB.2012.00328], Erw. 2; B
EYELER
, a.a.O., Rz. 1401,
1442 ff.). Soweit ein solcher Bieter durch einen schweizerische Be-
schaffungsstelle zur Teilnahme zugelassen wird, stehen ihm auch die
aus dem Grundsatz der Vertrauensschutzes fliessenden Rechte zu
(Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 10. September 2012
[VB.2012.00328], Erw. 2; B
EYELER
, a.a.O., Rz. 1447 ff.). Nachdem
die Beschwerdeführerin zur Teilnahme zugelassen wurde, eine
Offerte einreichte, Vertreter der Vergabestelle die Produktionsstätte
der Beschwerdeführerin in C. besichtigten (wo sie sich die Eigen-
schaften und Charakteristika der offerierten Geräte präsentieren lies-
sen), die Vergabestelle die Offerte der Beschwerdeführerin bewertete
und der Beschwerdeführerin schliesslich die anderweitige Vergabe
unter Beifügung einer Rechtmittelbelehrung eröffnete, wäre es mit
den Grundsätzen des Vertrauensschutzes nicht vereinbar, der Be-
schwerdeführerin den Rechtsschutz auf gerichtliche Überprüfung des
Zuschlags auf dessen Rechtmässigkeit abzusprechen (siehe
B
EYELER
, a.a.O., Rz. 1447, 1456). | 1,499 | 1,242 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-34_2014-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-34.pdf | AGVE_2014_34 | null | nan |
b91ea7d4-9673-54f7-84be-c54236bbfc20 | 1 | 412 | 870,129 | 1,501,632,000,000 | 2,017 | de | 2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
128
21
Ausschaffungshaft; Haftzweck; Verhältnismässigkeit
-
Die Anordnung einer Ausschaffungshaft zur Vornahme weiterer
Identitätsabklärungen ist nicht notwendig und damit unzulässig,
wenn sich die inhaftierte Person den Behörden in den vergangenen
elf Jahren immer zur Verfügung gehalten hat.
-
Mit der Anordnung einer Ausschaffungshaft darf nicht primär be-
zweckt werden, den Druck auf die betroffene Person zu erhöhen und
diese zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, da dieser Haftzweck
der Durchsetzungshaft vorbehalten ist.
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 10. August 2017, i.S. Amt für Migration und Integration gegen A.
(WPR.2017.128)
Aus den Erwägungen
6.4.3.
Mit Blick auf die Notwendigkeit der Inhaftierung führte der
Vertreter des Gesuchsgegners anlässlich der heutigen Verhandlung
aus, der Gesuchsgegner sei seit elf Jahren in der Schweiz und bisher
für alle Befragungen immer in seiner Unterkunft anzutreffen gewe-
sen. Diese Darstellung wird seitens des Gesuchstellers zwar bestätigt,
jedoch moniert, der Gesuchsgegner habe sich sonst in keiner Weise
um die Feststellung seiner Identität gekümmert. Die angeordnete
Haft solle dem Gesuchsgegner deutlich machen, dass es dem MIKA
nun ernst sei, seine Identität festzustellen und die Wegweisung zu
vollziehen. Die Haft solle unter anderem sicherstellen, dass der Ge-
suchsgegner anlässlich der Befragung kooperiere. Das MIKA sei
überzeugt, dass eine Identifizierung und Ausschaffung möglich sei.
Nachdem der Gesuchsgegner in den letzten Jahren mehrfach
problemlos ausländischen Delegationen zwecks Befragung und Iden-
tifizierung zugeführt werden konnte und dazu mehrfach auch kurz-
fristige Festhaltungen verfügt wurden, ist nicht ersichtlich, weshalb
dies bei der nächsten Befragung nicht möglich sein sollte. Eine In-
haftierung zwecks Zuführung zur Befragung durch eine ugandische
2017
Migrationsrecht
129
Delegation und spätere Ausschaffung ist damit nicht notwendig, wo-
mit eine sechsmonatige Inhaftierung im Rahmen der Ausschaffungs-
haft unverhältnismässig wäre. Dies auch mit Blick auf die Verhältnis-
mässigkeit im engeren Sinne, da der Gesuchsgegner bereits einmal
durch eine ugandische Delegation befragt und nicht anerkannt wor-
den ist. Bei dieser Sachlage wäre eine Inhaftierung zum einen nur
dann verhältnismässig im engeren Sinne, wenn ein Befragungstermin
feststünde und die konkrete Gefahr bestünde, dass sich der Gesuchs-
gegner einer Befragung entziehen wollte. Da sich der Gesuchsgegner
jedoch bislang immer zur Verfügung gehalten hat, ist dies, wie be-
reits ausgeführt, aktuell nicht der Fall. Anders würde sich die Situa-
tion wohl dann präsentieren, wenn der Gesuchsgegner als ugan-
discher Staatsangehöriger identifiziert werden würde.
Im Kern bezweckt das MIKA mit der angeordneten Haft offen-
sichtlich, den Druck auf den Gesuchsgegner zu erhöhen. Die Haft
zielt damit auf eine Verhaltensänderung des Gesuchsgegners ab, wel-
che mittels Anordnungen einer Durchsetzungshaft zu erwirken wäre.
Abgesehen davon, dass keine Durchsetzungshaft beantragt wurde,
könnte eine solche nicht bewilligt werden, da diese mit Bezug auf die
Ausschaffungshaft nur subsidiär angeordnet werden darf, d.h. nur
dann, wenn keine Ausschaffungsperspektive mehr besteht. Eine sol-
che ist im vorliegenden Fall mit der Gesuchstellerin jedoch zu beja-
hen, womit die Anordnung einer Durchsetzungshaft nicht zur
Diskussion steht. | 718 | 596 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-21_2017-08-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-21.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-21.pdf | AGVE_2017_21 | null | nan |
b9644329-e60b-5a3a-9ece-c93ee3c65a7d | 1 | 412 | 871,396 | 1,572,652,800,000 | 2,019 | de | 2019
Steuern und Abgaben
81
10
Grundstückschätzung
Kognition des Verwaltungsgerichts (E. I./2.)
Berücksichtigung einer im Zusammenhang mit der Erschliessung vorzu-
nehmenden Bachöffnung (E. II./2.3.)
Feststellung bundesrechtswidrig tiefer Schätzwerte (E. II./2.5.)
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 6. November
2019, in Sachen F. gegen KStA und Stadtrat Q. (WBE.2019.167).
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
82
Aus den Erwägungen
I.
1. (...)
2.
Bei der Überprüfung von Liegenschaftenschätzungen greift das
Verwaltungsgericht nicht in das den Vorinstanzen zustehende
schätzerische Ermessen ein. Die Beurteilung durch die Vorinstanzen
korrigiert das Verwaltungsgericht nur dann, wenn der Schätzung ein
unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt wurde oder wenn aus der
Verletzung von Normen (insbesondere den Bestimmungen der VBG)
bzw. allgemein anerkannten Schätzungsmethoden ein gesamthaft ge-
sehen unrichtiges Schätzungsergebnis resultierte (vgl. zuletzt Urteil
des Verwaltungsgerichts WBE.2016.495 vom 10. Februar 2017
E. I./2. m.w.N.).
II.
1. (...)
2.
2.1-2.2 (...)
2.3.
2.3.1.
Das KStA und in der Folge auch die Vorinstanz sind davon aus-
gegangen, dass ein Teil der Parzelle X. infolge der Bachöffnung nicht
überbaubar sein wird. Dabei hat das KStA im Einspracheentscheid
angenommen, dass der Landstreifen Bach eine Breite von maximal 8
m aufweisen werde, was dem üblichen Grenzabstand entspreche. Mit
dieser Begründung hat das KStA für die von der Bachöffnung be-
troffene Teilfläche eine Wertminderung von 50% angenommen.
Die Vorinstanz hat dazu ausgeführt, dass bei einer nicht durch
einen Bach eingeschränkten Überbauung ohnehin der normale
Grenzabstand von 4 m (bei Berücksichtigung des Bachlaufs 8 m) zu
berücksichtigen sei. Für diesen Landanteil wäre so oder so der volle
Preis zu bezahlen gewesen. Bei einer Verdoppelung des üblichen
Grenzabstands wegen des verlegten Bachlaufs sei es folgerichtig,
den üblichen Grenzabstand von der Wertminderung in Abzug zu
2019
Steuern und Abgaben
83
bringen. Die Halbierung des Landpreises sei daher nicht zu bean-
standen.
Dagegen macht der Beschwerdeführer geltend, gemäss Art. 41a
der GSchV sei für fliessende Gewässer mit einer Gerinnesohle von
weniger als 2 m (recte 1 m) natürlicher Breite ein Gewässerraum von
mindestens 11 m auszuscheiden. Angenommen worden seien ledig-
lich 8 m. Die Baulinie sei somit mindestens um weitere 3 m zurück-
zuversetzen.
2.3.2.
Der Beschwerdeführer übersieht - wie auch bereits das KStA -,
dass auf dem von ihm selbst eingereichten Plan der Ingenieurbüro Y.
AG auf der Parzelle X. nicht etwa nur der auf die Seite des freizu-
legenden Bachs entfallende Abstand von 4 m vorgesehen wurde,
sondern ein Abstand von 6.50 m zuzüglich 1 m für die Gerinnesohle.
Dies entspricht dem, was im Entwurf des Gestaltungsplans vorge-
sehen ist. Im Gestaltungsplan soll danach ein Freihaltebereich
Fliessgewässer definiert werden, innerhalb dessen der mutmasslich
erforderliche Gewässerraum im nachfolgenden Nutzungsplanverfah-
ren mittels Festlegung einer Gewässerraumzone umgesetzt werden
soll. Dieser Freihaltebereich übersteigt das gesetzlich minimal Ge-
forderte klar. Auf die Parzelle X. entfällt damit ein nicht überbau-
barer und nur sehr beschränkt nutzbarer Abstand zum freizulegenden
Bach von 6.5 m zuzüglich eines auf die Gerinnesohle entfallenden
Streifens (wie auf dem Plan der Ingenieurbüro Y. AG verzeichnet).
Für diese Fläche von insgesamt (840m2 + 348m2 =) 1'188 m2 trifft
die von der Vorinstanz angestellte Überlegung offensichtlich zu:
Zwar werden allfällige spätere Käufer von von der Parzelle X. ab-
parzellierten Baulandgrundstücken diesen Teil des Grundstücks -
wie bei einem zu beachtenden Grenzabstand - nicht überbauen und
höchstens beschränkt nutzen können. Daraus folgt indessen nicht,
dass diese Fläche, wie der Beschwerdeführer geltend macht, über-
haupt keinen Verkehrswert hat. Es ist vielmehr ohne weiteres nach-
vollziehbar, wenn die Vorinstanz auch für diesen Parzellenteil von
einem Verkehrswert in der Höhe der Hälfte des für das ansonsten
überbaubare Grundstück zu bezahlenden Preises ausgegangen ist, ist
doch auch sonst infolge von Grenzabstandsvorschriften ein bisher
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
84
unüberbautes Grundstück nie vollständig überbaubar. Das ent-
sprechende Vorbringen des Beschwerdeführers erweist sich daher als
unbegründet.
2.4. (...)
2.5.
2.5.1. (...)
2.5.2.
Abschliessend rechtfertigt sich ein allgemeiner Hinweis betref-
fend die Festlegung des Steuerwerts von Grundstücken: Im vorlie-
genden Fall resultiert für Zwecke der Vermögenssteuer - auch ange-
sichts der erst noch herzustellenden Baureife sowie der damit ver-
bundenen Beschränkungen, Landverluste und Erschliessungskosten -
ein Vermögenssteuerwert von (CHF 464'100.00 / 6'314) rund
CHF 74 pro m2, der auch bei angemessener Berücksichtigung des
(bei unüberbautem Land naturgemäss fehlenden) Ertragswerts mit
der Realität von im Kanton Aargau 2015 für Bauland zu bezahlenden
Preisen nichts mehr zu tun hat. Damit hält sich im vorliegenden Fall
die Besteuerung - auch unter Berücksichtigung des den Kantonen
bei der Vermögenssteuer gemäss Art. 13 ff. StHG zustehenden ge-
setzgeberischen Freiraums (vgl. dazu zuletzt Urteil des Bundesge-
richts 2C_632/2018 vom 29. August 2019 E. 2.1) - offensichtlich
nicht mehr an den dem Kanton Aargau durch das Steuerharmonisie-
rungsgesetz bundesrechtlich vorgegebenen Rahmen. Hinzu kommt,
dass eine solche Behandlung von Grundeigentum bei der Vermö-
genssteuer zu einer offensichtlich rechtsungleichen Bevorzugung der
Grundeigentümer gegenüber den Eigentümern mobiler Werte (insbe-
sondere jeglicher Art von Wertschriften) führt. Es ist daher durch den
Gesetzgeber ernsthaft zu prüfen, wie die systematischen Fehler, die
in diesem und anderen Fällen zu offensichtlich bundesrechtswidrigen
und mit der Rechtsgleichheit nicht zu vereinbarenden zu tiefen Ver-
mögenssteuerwerten von Grundstücken führen (darunter insbeson-
dere auch der Umstand, dass seit der auf den Stichtag 1. Mai 1998
bezogenen allgemeinen Neuschätzung im Kanton Aargau keine all-
gemeine Neuschätzung mehr durchgeführt wurde), möglichst rasch
behoben werden können. | 1,444 | 1,094 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-10_2019-11-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-10.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-10.pdf | AGVE_2019_10 | null | nan |
b96c2344-3a3b-531b-845d-d2fa70945aea | 1 | 412 | 871,932 | 1,038,873,600,000 | 2,002 | de | 2002
Submissionen
345
[...]
82
Arbeitsgemeinschaften.
- Unzulässige Schlechterbewertung von Arbeitsgemeinschaften.
2002
Verwaltungsgericht
346
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. Dezember 2002 in
Sachen ARGE I. und Mitb. gegen Gemeinderat Niederwil.
Aus den Erwägungen
5. b) aa) Die Beschwerdeführerinnen haben beim Gesichtspunkt
"Interdisziplinarität ('alle Medien in einer Hand')", der im Rahmen
der Qualitätsbeurteilung beim Teilkriterium "Unternehmen, Or-
ganigramm" bewertet wurde, keine Punkte erhalten, weil sie als Ar-
beitsgemeinschaft aufgetreten sind. Begründet wird dieser "ARGE-
Abzug" damit, dass der Vergabebehörde bei der Zusammenarbeit ein
grösserer Aufwand entstehe. Bei Projekten wie dem vorliegenden
seien sehr viele Kontakte auf Sachbearbeiterebene nötig; die
Besprechungen auf Projektleitungsstufe dienten mehr den Organi-
sations- und Administrationsproblemen und den Grundsatzfragen wie
System- und Datenbankkonfiguration, einheitliche Darstellung auf
den Plänen, Datensicherung und -verwaltung. Bei der Eingabe der
Daten ab den vorhandenen Unterlagen entstünden viele Fragen, die
der Sachbearbeiter der einzelnen Medien oder Themen direkt mit den
Verantwortlichen der Gemeinde besprechen und klären müsse, ohne
dass der Projektleiter benötigt werde. Trotz Einsatz der modernen
Kommunikations- und Projektmanagementmittel könne nicht alles
ohne persönlichen Kontakt abgewickelt werden. Je grösser die
Anzahl der Beteiligten an einem Projekt sei, desto grösser werde der
Aufwand auf der Seite der ausschreibenden Stelle. Die Beschwerde-
gegnerin weist daraufhin, dass sie im Gegensatz zu den Beschwer-
deführerinnen in der Lage sei, sämtliche Bereiche des Projekts
zentral an einem Ort zu erbringen. Dies sei bei der Projektrealisie-
rung insofern von Vorteil als es weniger Ansprechstellen gebe und
deshalb ein geringerer Aufwand für die Auftraggeberin entstehe. An-
gesichts des Umstandes, dass die Interdisziplinarität bei der Projekt-
realisierung objektive Vorteile habe, liege keine Diskriminierung von
Arbeitsgemeinschaften vor.
Die Beschwerdeführerinnen erachten den Abzug als submissi-
onsrechtlich falsch und sachlich unbegründet bzw. unsachgemäss.
2002
Submissionen
347
Den Vergabebehörden stehe es frei, Arbeitsgemeinschaften nicht
zuzulassen. Würden sie zugelassen, so dürften sie nicht allein des-
wegen schlechter bewertet werden, zumindest dann nicht, wenn ein
solcher ARGE-Abzug in den Submissionsunterlagen nicht aus-
drücklich angekündigt werde. Andernfalls werde gegen das Diskri-
minierungsverbot verstossen. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, hätten sie um den Abzug gewusst, so wäre die Beschwerde-
führerin 1 keine Arbeitsgemeinschaft mit der Beschwerdeführerin 2
eingegangen, sondern hätte (wahrscheinlich von dieser) die erfor-
derlichen Arbeitskräfte für die Datenerfassung zugemietet. Unzuläs-
sig sei es überdies, den Arbeitsgemeinschaften quasi im Sinne eines
Naturgesetzes eine ineffiziente Arbeitsweise zu unterstellen. Der
Zusammenschluss zu einer Arbeitsgemeinschaft führe nicht zu einer
Erschwerung der Kommunikation zwischen Vergabestelle und Auf-
tragnehmer. Im Organigramm der Beschwerdeführerinnen sei nur ein
Projektleiter (mit den nötigen Stellvertretern) vorgesehen.
bb) Die im Hinblick auf den auszuführenden Auftrag vorgese-
hene Projektorganisation und der Personaleinsatz sind im Grundsatz
sachgerechte Gesichtspunkte, welche die Vergabebehörde bei der
Beurteilung der Qualität bewerten darf. Dass sich bei den einzelnen
Angeboten Unterschiede in Bezug auf die vorgesehene Organisation
ergeben, liegt auf der Hand. Bezüglich dessen, was sie im konkreten
Fall als zweckmässig(st)e Organisation ansieht, kommt der Vergabe-
behörde ein weiter, vom Verwaltungsgericht zu respektierender
Ermessensspielraum zu. Indessen muss die Ermessensausübung in
sachlich haltbarer und nachvollziehbarer Weise erfolgen. Die Verga-
bebehörde ist berechtigt, in den Ausschreibungsunterlagen die Bil-
dung von Arbeitsgemeinschaften ausdrücklich auszuschliessen, wenn
sie solche im konkreten Fall als unzweckmässig erachtet (§ 11 Abs. 3
SubmD). Unterlässt sie dies, so sind Arbeitsgemeinschaften zulässig.
Dabei muss jedes Mitglied die Bedingungen der §§ 3 und 10 SubmD
erfüllen (§ 11 Abs. 3 Satz 2 SubmD). Die zugelassenen Ar-
beitsgemeinschaften sind gleich zu behandeln wie die übrigen An-
bieter. Dies folgt aus § 1 SubmD und dies schliesst es aus, Arbeits-
gemeinschaften ungeachtet ihrer konkreten Organisation im Einzel-
2002
Verwaltungsgericht
348
fall generell und von vornherein schlechter zu bewerten als Einzel-
unternehmen.
Der Gemeinderat argumentiert, je grösser die Anzahl der Betei-
ligten am Projekt sei, desto grösser werde der Aufwand bei der aus-
schreibenden Stelle. Bei der Eingabe der Daten ab den vorhandenen
Unterlagen entstünden viele Frage, die der Sachbearbeiter der ein-
zelnen Medien oder Themen direkt mit den Verantwortlichen der
Gemeinde besprechen und klären müsse, ohne dass der Projektleiter
benötigt werde. Es seien persönliche Kontakte notwendig. Ob und in
welchem Umfang derartige direkte Kontakte zwischen den Sachbe-
arbeitern auf Auftragnehmer und Auftraggeber tatsächlich stattfinden
und erforderlich sind (die Beschwerdeführerinnen bestreiten dies),
kann offen bleiben. Diese Problematik stellt sich in gleicher Weise
bei Arbeitsgemeinschaften und Einzelunternehmen. Auch die Anzahl
der an einem Projekt Beteiligten hängt nicht von der Organisati-
onsform ab. Wesentlich erscheint, dass die Zuständigkeiten und
Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Ausführung des Auftrags klar
festgelegt sind, und die Auftraggeberin erkennen kann, wer ihre An-
sprechpartner sind. Diesen Anforderungen entspricht die Organisa-
tion der Beschwerdeführerinnen. Aus ihrer Offerte, welche die in
Ziff. 6.1 (Projektorganisation und Personaleinsatz) des Pflichtenhefts
verlangten Angaben, namentlich die bei Arbeitsgemeinschaften
verlangte kurze Beschreibung der Kompetenzregelung und der
Verantwortlichkeiten enthält, geht hervor, dass die Aufgabenteilung
so vorgesehen ist, dass die I. AG die Bereiche Elektrizität und Zivil-
schutz bearbeiten und sämtliche Vermessungs- und Ortungsarbeiten
durchführen sollte. Dem Organigramm ist in Bezug auf die Projekt-
organisation zu entnehmen, dass die Projektleitung Netzinformati-
onssystem bei B. (I. AG) liegt. Stellvertreter des Projektleiters sind I.
(I. AG) und F. (B. AG). Die zuständigen Mitarbeiter für die Bereiche
Elektrizität/Zivilschutz,
Wasser
und
Abwasser/GEP
werden
namentlich aufgeführt. Die Vergabebehörde begründet ihr Vorgehen,
den Beschwerdeführerinnen beim Teilkriterium "Interdisziplinarität"
keine Punkte zu vergeben, denn auch nicht mit einer unzweckmäs-
sigen Organisation oder Kompetenzregelung, sondern allein und
ausschliesslich damit, dass die Beschwerdeführerinnen als Arbeits-
2002
Submissionen
349
gemeinschaft auftreten. Dies ist unzulässig. Demgemäss sind die
Beschwerdeführerinnen beim Gesichtspunkt
"Interdisziplinarität
('alle Medien in einer Hand')" des Teilkriteriums "Unternehmen,
Organigramm" mit zwei Punkten zu bewerten. | 1,443 | 1,194 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-82_2002-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-82.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-82.pdf | AGVE_2002_82 | null | nan |
b9c850a4-fb37-534a-b8f3-0c50cca07d9c | 1 | 412 | 871,696 | 1,280,620,800,000 | 2,010 | de | 2010
Strassenverkehrsrecht
71
I. Strassenverkehrsrecht
18
Wiedererteilung des Führerausweises unter Auflagen nach vorsorglichem
Führerausweisentzug.
Die Auflage einer mindestens einjährigen Drogenabstinenz ist nicht ge-
rechtfertigt, wenn neben dem jahrelangen, regelmässigen Konsumverhal-
ten des Beschwerdeführers betreffend Cannabis in dessen Vergangenheit
weitere Indizien für die Fahreignung beeinträchtigende Faktoren fehlen,
und insbesondere das Gutachten keine Hinweise darauf ergibt, dass beim
Beschwerdeführer von einer geringen Bereitschaft und Fähigkeit auszu-
gehen ist, zuverlässig zwischen dem Drogenkonsum und der Teilnahme
am Strassenverkehr zu trennen, bzw. beim Beschwerdeführer gar eine
Neigung besteht, unter Substanzeinfluss zu fahren.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 12. August 2010 in
Sachen Z.K. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und In-
neres (WBE.2010.192).
Sachverhalt
Z.K. konsumiert seit seinem 21. Lebensjahr Marihuana; zuletzt
bis zu max. 10 Joints 0.6 bis 1 Gramm täglich. Bereits im Jahre
2004 war eine Anzeige gegen Z.K. wegen Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz erfolgt, wobei er damals einen monatlichen
Konsum von 2 Gramm Marihuana seit 2002 zu Protokoll gab. Das
Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau verfügte einen vorsorgli-
chen Führerausweisentzug und ordnete eine eingehende fachärztliche
Begutachtung an. Nach Vorliegen des Gutachtens (Erw. 5.2) verfügte
das Strassenverkehrsamt die Wiedererteilung des Führerausweises
unter der Auflage einer Drogenabstinenz unter ärztlicher Beratung
und Kontrolle, wobei es festhielt, dass die Aufhebung frühestens
nach einem Jahr auf ausdrücklichen ärztlichen Antrag erfolge.
2010
Verwaltungsgericht
72
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
Gemäss Art. 30 VZV kann der Führerausweis vorsorglich ent-
zogen werden, wenn ernsthafte Bedenken an der Fahreignung beste-
hen. Voraussetzung für einen vorsorglichen Führerausweisentzug ist
gemäss der Rechtsprechung, dass der Fahrzeugführer andere Ver-
kehrsteilnehmer im Vergleich zu den übrigen Fahrzeugführern in er-
höhtem Masse gefährden könnte, würde er während der Verfahrens-
dauer zum Verkehr zugelassen (BGE 106 Ib 115, Erw. 2b). Diese Re-
gelung trägt der besonderen Interessenlage Rechnung, welche bei der
Zulassung von Fahrzeugführern zum Strassenverkehr zu berücksich-
tigen ist. Angesichts des grossen Gefährdungspotentials, welches
dem Führen eines Motorfahrzeugs eigen ist, erlauben schon Anhalts-
punkte, die den Fahrzeugführer als besonderes Risiko für die anderen
Verkehrsteilnehmer erscheinen lassen und ernsthafte Bedenken an
seiner Fahreignung erwecken, den vorsorglichen Ausweisentzug.
Der strikte Beweis für die Fahreignung ausschliessende Um-
stände ist nicht erforderlich; wäre dieser erbracht, müsste unmittelbar
der Sicherungsentzug selber verfügt werden. Eine umfassende Aus-
einandersetzung mit sämtlichen Gesichtspunkten, die für oder gegen
einen Sicherungsentzug sprechen, brauchen erst im anschliessenden
Hauptverfahren zu erfolgen (BGE 125 II 492, Erw. 2b; 122 II 359,
Erw. 3a mit Hinweisen). Falls die erforderlichen Abklärungen also
nicht der Dringlichkeit entsprechend rasch und abschliessend getrof-
fen werden können, soll der Ausweis bis zum Sachentscheid vorläu-
fig entzogen werden können (BGE 122 II 359, Erw. 3a; 125 II 492,
Erw. 2b). Die Wiedererteilung des Führerausweises wird vom günsti-
gen Ausgang einer fachärztlichen Untersuchung abhängig gemacht.
3.2.
Es ist im Rahmen der Verhältnismässigkeit nach den verwal-
tungsrechtlichen Grundsätzen stets zulässig, aus besonderen Gründen
den Führerausweis mit Auflagen zu versehen, wenn diese der Sicher-
stellung der Fahreignung und damit der Verkehrssicherheit dienen
sowie mit dem Wesen der Fahrerlaubnis im Einklang stehen. Zudem
2010
Strassenverkehrsrecht
73
ist erforderlich, dass sich die Fahreignung nur mit dieser Massnahme
aufrecht erhalten lässt und die Auflage erfüll- und kontrollierbar sind
(vgl. BGE 131 II 248, Erw. 6, mit Hinweisen).
Bei der Wiedererteilung des Führerausweises ist die Auflage
einer totalen Drogenabstinenz angebracht, wenn gewisse Unsicher-
heiten bezüglich des Nachweises bestehen, ob der Eignungsmangel
völlig behoben ist bzw. wenn eine als Suchtgefährdung zu be-
zeichnende Rückfallgefahr besteht. Zur Sicherstellung des Erfolgs
der Massnahme kann in solch fraglichen Fällen die Wiedererteilung
mit Auflagen verbunden werden. Beim Entscheid über die Erforder-
lichkeit von Auflagen sind die Sicherheitserfordernisse des Strassen-
verkehrs zu berücksichtigen, ebenso die Fortschritte, die der Betrof-
fene bisher, also in der Zeit des (vorsorglichen) Sicherungsentzugs,
gemacht hat (René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen
Strassenverkehrsrechts, Band III: Die Administrativmassnahmen,
Bern 1995, Rz. 2224).
Da die grundsätzliche Zulässigkeit von Auflagen bei der Wie-
dererteilung des Führerausweises nicht bestritten wird, erübrigen sich
diesbezüglich weitere Ausführungen. Es stellt sich somit die Frage,
ob beim Beschwerdeführer eine verkehrsrelevante Sucht bzw. Sucht-
gefährdung vorliegt, welche die angeordnete Auflage rechtfertigt.
4.
4.1.
Eine Trunksucht ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtspre-
chung gegeben, wenn der Betreffende regelmässig so viel Alkohol
konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird und er diese
Neigung zum übermässigen Alkoholgenuss durch den eigenen Will-
len nicht zu überwinden vermag. Für die Drogensucht gilt Vergleich-
bares: Die Abhängigkeit von der Droge muss derart sein, dass der
Betroffene mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist,
sich ans Steuer eines Fahrzeuges in einem - dauernden oder zeitwei-
ligen - Zustand zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr gewähr-
leistet (BGE 129 II 82, Erw. 4.1; 127 II 122, Erw. 3c; 124 II 559,
Erw. 2b, je mit Hinweisen).
2010
Verwaltungsgericht
74
4.2.
Die Rechtsprechung setzt den regelmässigen Konsum von Dro-
gen der Drogenabhängigkeit gleich, sofern dieser seiner Häufigkeit
und Menge nach geeignet ist, die Fahreignung zu beeinträchtigen.
Nach der Rechtsprechung erlaubt ein regelmässiger, aber kontrol-
lierter und mässiger Haschischkonsum für sich allein noch nicht den
Schluss auf eine fehlende Fahreignung. Ob diese gegeben ist, kann
ohne Angaben über die Konsumgewohnheiten des Betroffenen, na-
mentlich über Häufigkeit, Menge und Umstände des Cannabiskon-
sums und des allfälligen Konsums weiterer Betäubungsmittel und/
oder Alkohol, sowie zu seiner Persönlichkeit, insbesondere hinsicht-
lich Drogenmissbrauch und Strassenverkehr, nicht beurteilt werden
(BGE 127 II 122, Erw. 4b). Selbst bei der Einnahme grösserer Can-
nabismengen, die geeignet sind, die Fahrfähigkeit zu beeinträchtigen,
kann nicht ohne weiteres auf eine fehlende Fahreignung geschlossen
werden. Dies hängt vielmehr davon ab, ob der Betroffene in der Lage
ist, Cannabiskonsum und Strassenverkehr ausreichend zu trennen,
oder ob die naheliegende Gefahr besteht, dass er im akuten Rausch-
zustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt. Hierfür sind un-
ter anderem die Konsumgewohnheiten (Ort und Zeit des Konsums;
kombinierte Einnahme weiterer Drogen) und die Persönlichkeit, ins-
besondere hinsichtlich Drogenmissbrauch und Strassenverkehr von
Bedeutung (BGE 128 II 335, Erw. 4b; 127 II 122, Erw. 4b; 124 II
559, Erw. 4e). Aus verkehrsmedizinischer Sicht gilt allgemein be-
züglich Cannabis und Fahreignung, dass Personen, die weder in ab-
hängiger noch in verkehrsrelevant missbräuchlicher Weise Cannabis
konsumieren, für die 3. medizinische Führerausweisgruppe ohne
Auflagen als fahrgeeignet beurteilt werden können, wenn davon aus-
zugehen ist, dass der Konsum vom Fahren getrennt wird, keine zu-
sätzlichen Drogen bzw. keine psychotropen Medikamente verwendet
werden, keine Alkoholproblematik besteht, und keine psychische
Störung vorliegt (Bruno Liniger, Drogen, Medikamente und Fahr-
eignung, in: Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung der
Arbeitsgruppe Verkehrsmedizin der Schweizerischen Gesellschaft
für Rechtsmedizin [Hrsg.], Bern 2005, S. 37).
2010
Strassenverkehrsrecht
75
5.
5.1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass schon unter dem
medizinischen Gesichtspunkt alleine kein Grund zur Annahme einer
nur bedingten Fahreignung und damit zur Anordnung von Auflagen
bestehe. Es sei fraglos von einer uneingeschränkten Fahreignung
auszugehen. Selbst wenn eine Suchtgefährdung vorliegen würde, wä-
ren Auflagen nur bei einer strassenverkehrsrechtlichen Relevanz der-
selben zulässig, was vorliegend zu verneinen sei. Auch sei der Be-
schwerdeführer geistig und körperlich völlig gesund und die Labor-
werte anlässlich der Untersuchung seien normwertig und in keiner
Weise auffällig gewesen. Er habe seinen früheren Konsum ohne Pro-
bleme oder Entzugserscheinungen einstellen können und diesen auch
nie bagatellisiert oder gar geleugnet. Des Weiteren habe er betont,
stets strikte darauf geachtet zu haben, nicht unter noch anhaltender
Wirkung von Haschisch zu fahren; er habe also den Unterschied zwi-
schen Suchtmittelgenuss und Teilnahme am motorisierten Strassen-
verkehr zu machen gewusst und sich daran auch gehalten. Dies wer-
de durch seine klaglose Fahrpraxis gestützt. Die beanstandeten Auf-
lagen seien somit aufzuheben. Es bestehe kein Grund, den Beschwer-
deführer mit diesbezüglichen Arzt- und Verfahrenskosten zu belas-
ten.
5.2.
Im vorliegenden Fall wurde aufgrund des im Sachverhalt ge-
schilderten Vorfalls und der Aussagen des Beschwerdeführers zu sei-
nem Drogenkonsumverhalten eine eingehende fachärztliche Begut-
achtung angeordnet. Anlässlich der Begutachtung gab der Beschwer-
deführer an, vor 9 Jahren mit dem Konsum von Cannabis begonnen
zu haben, jedoch habe er auch Pausen von mehreren Monaten bis
Jahren eingelegt. Erst vor 1 Jahren habe er wieder angefangen,
"richtig zu kiffen", und schliesslich mit der Einrichtung einer eigenen
Hanfproduktionsanlage vor 6 Monaten fast täglich bis zu 10 Joints
oder mehr geraucht. Seit der Hausdurchsuchung vom 28. September
2009 und deren Folgen (U-Haft) habe er mit dem Konsum von
Cannabis aufgehört und sei seither weniger müde und benebelt. An-
sonsten habe er keinen grossen Unterschied festgestellt seit seiner
2010
Verwaltungsgericht
76
Abstinenz. Wenn er mit Kollegen zusammen sei und diese mit Kiffen
beginnen würden, gehe er an die frische Luft, da er - als konse-
quenter Mensch - gut widerstehen könne. Er habe nie andere Drogen
konsumiert und trinke auch keinen Alkohol, da ihm dieser gar nicht
schmecke. Seit seinem 14. Lebensjahr rauche er Zigaretten, spüre
jetzt aber negative Auswirkungen und wolle Ende Jahr damit
aufhören.
Gemäss der Beurteilung des Gutachters handle es sich nach den
Angaben des Beschwerdeführers um einen jahrelangen, zunächst un-
regelmässigen, im letzten Halbjahr vor der Begutachtung aber stark
gesteigerten und regelmässigen Cannabiskonsum, der mit der poli-
zeilichen Hausdurchsuchung vom 28. September 2009 gänzlich und
konsequent eingestellt worden sei. Bei der aktuellen Untersuchung
habe der Beschwerdeführer auf Anhieb einen auf sämtlichen unter-
suchten Substanzen negativen Urin abgegeben. Der Beschwerdefüh-
rer lebe in geordneten Verhältnissen und gehe einer geregelten Tätig-
keit nach. Anhaltspunkte für anderweitige psychische Störungen fän-
den sich keine und er wirke in seiner Persönlichkeit stabil und ver-
antwortungsbewusst.
Dementsprechend kam der Gutachter zum Schluss, dass der Be-
schwerdeführer aus eigener Kraft auf den Konsum von Drogen ver-
zichten konnte. Eine eigentliche Sucht könne gegenwärtig nicht mehr
nachgewiesen werden. Im Strassenverkehr sei er als Drogenkonsu-
ment bisher noch nie aufgefallen, da er offenbar den Konsum von
Drogen und die Teilnahme am Strassenverkehr konsequent trennen
konnte. Aus psychiatrischer Sicht liege keine andere die Fahreignung
ausschliessende Störung vor. Die Fahreignung sei seines Erachtens
heute wieder gegeben. Da es sich jedoch beim Beschwerdeführer
zeitweise um einen intensiven Konsum gehandelt habe und der Be-
ginn der Abstinenz erst 2 Monate zurückliege, solle die Wiederertei-
lung der Fahrerlaubnis mit einer auf 12 Monate befristeten Auflage
verbunden werden, um Rückfälle frühzeitig erfassen zu können.
5.3.
(...) In seiner Stellungnahme vom 14. Januar 2010 zu Handen
des DVI schilderte das Strassenverkehrsamt, dass sich die Auflage
rechtfertige, weil der Beschwerdeführer intensiv Cannabis konsu-
2010
Strassenverkehrsrecht
77
miert habe, und der letzte Konsum im Zeitpunkt der Begutachtung
erst zwei Monate zurückliege. Zudem habe der Beschwerdeführer,
nach eigenen Angaben, in den letzten neun Jahren auch immer wie-
der Pausen von mehreren Monaten bis Jahren gemacht. Die Auflage
diene dazu, einen erneuten Rückfall frühzeitig zu erfassen. In seiner
Stellungnahme vom 5. Februar 2010 schilderte das Strassenverkehrs-
amt u.a., die Tatsache, dass der Beschwerdeführer es seit der Haus-
durchsuchung geschafft habe, den Konsum von Drogen zu beenden,
spreche für ihn. Doch diese kurze Zeit - zwischen der Hausdurch-
suchung und der Begutachtung lägen lediglich zwei Monate - ge-
nüge nicht für eine Stabilisierung und eine tragfähige Distanzierung
vom früheren Verhalten.
Die Vorinstanz bestätigte die vom Strassenverkehrsamt verfügte
Wiedererteilung des Führerausweises unter der erwähnten Auflage
und schloss sich der Auffassung des Gutachters an. Die Begutach-
tung des Beschwerdeführers habe gezeigt, dass dieser langjährig
Cannabis bzw. Marihuana konsumiert habe. Zwar habe er vor der
Untersuchung offenbar problemlos auf den Konsum verzichten kön-
nen, dennoch sei es erforderlich, dass er während einer angemesse-
nen Zeit nachweise, dass er fähig sei, auf den Drogenkonsum zu ver-
zichten. Seine Fahreignung bedürfe einer besonderen Kontrolle.
Daran ändere der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführer grund-
sätzlich über die Eignung verfüge, ein Fahrzeug zu lenken, weil
keine Drogensucht im medizinischen Sinn bestehe. Angesichts der
festgestellten Gefahr des Drogenmissbrauchs erscheine es verhält-
nismässig, wenn die Fahrerlaubnis von der Einhaltung einer kontrol-
lierten Abstinenz abhängig gemacht werde. Die dem Beschwerdefüh-
rer auferlegte, abstinente Lebensweise bezwecke eine nachhaltige Si-
cherstellung der Fahreignung. Im Sinne der Verkehrssicherheit und
in Anlehnung an die geltende Praxis sei es daher verhältnismässig,
die Wiedererteilung des Führerausweises mit der Auflage der Dro-
genabstinenz für mindestens ein Jahr zu verbinden.
5.4.
5.4.1.
In seinem Urteil 6A.11/2006 vom 13. April 2006 erwog das
Bundesgericht, es entspreche zwar gesicherter wissenschaftlicher Er-
2010
Verwaltungsgericht
78
kenntnis, dass der Cannabisrausch die Fahrtüchtigkeit beeinträchtige.
Der gelegentliche Cannabiskonsument, der nicht mit Alkohol oder
anderen Drogen mische, sei jedoch in der Regel in der Lage, kon-
sumbedingte Leistungseinbussen als solche zu erkennen und danach
zu handeln. Demgegenüber sei bei andauerndem bzw. regelmässigem
und gleichzeitig hohem Konsum von einer mindestens geringen Be-
reitschaft und Fähigkeit auszugehen, zuverlässig zwischen dem Dro-
genkonsum und der Teilnahme am Strassenverkehr zu trennen
(Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 1 BvR 2062/96 vom 20. Juni
2002, Absätze 33 ff.). Die Neigung, unter Substanzeinfluss zu fahren,
verstärke sich mit zunehmendem Konsum. Deshalb könne regel-
oder gar gewohnheitsmässiger Cannabiskonsum zumindest berech-
tigte Zweifel an der Fahreignung begründen, die gegebenenfalls wie-
tere Abklärungen im Rahmen einer Eignungsprüfung oder von Aufla-
gen rechtfertigen. Bestehen nach den Umständen des konkreten Fal-
les hinreichend aussagekräftige Anzeichen für den Verdacht, dass der
Fahrausweisinhaber mindestens regelmässig Cannabis konsumiere,
und könne die ärztliche Untersuchung diesen Verdacht nicht ausräu-
men sowie die konkreten Konsumgewohnheiten abschliessend erhel-
len, können die Behörden im Interesse der Verkehrssicherheit ver-
hältnismässige Auflagen anordnen, welche der Klärung der Fahr-
eignung dienen (a.a.O., Erw. 3.3).
Im erwähnten Urteil schütze das Bundesgericht die Anordnung
von Auflagen zur Kontrolle der Fahreignung. In jenem Fall konsu-
mierte der Betroffene seit mehreren Jahren regelmässig Cannabis,
wobei aufgrund einer Verurteilung im Jahre 2004 zudem ein Konsum
von Kokain erstellt war, was der Betroffene jedoch bestritt. Ein ein-
gefordertes Arztzeugnis, das sich zur Frage der möglichen Drogen-
abhängigkeit äussern sollte, konnte diese Frage nicht abschliessend
beantworten, weshalb eine Eignungsuntersuchung durch die Psychi-
atrische Poliklinik der Universität Bern (PUPK) angeordnet wurde.
Im Gutachten wurde festgehalten, eine Drogensucht könne nicht
nachgewiesen, aber auch nicht ausgeschlossen werden.
Das Bundesgericht erwog, dass das Aussageverhalten des Be-
troffenen im Verfahren (widersprüchliche Angaben betreffend Kon-
sum), der positive Befund auf Cannabinoide bei der ersten - längere
2010
Strassenverkehrsrecht
79
Zeit vorher angekündigten - ärztlichen Untersuchung, seine hinaus-
gezögerte zweite Urin- und Blutprobenanalyse, der Konsum mehre-
rer berauschender oder betäubender Mittel sowie der langjährige re-
gelmässige Cannabiskonsum hinreichend aussagekräftige Anzeichen
für den Verdacht seien, dass er gewohnheitsmässig Cannabis konsu-
miere und selbst vor einer ärztlichen Untersuchung darauf nicht ver-
zichten könne. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass es bei ei-
nem solchen Konsumverhalten überwiegend wahrscheinlich sei, dass
der Betroffene ausser Stande ist, eine drogenkonsumbedingte zeit-
weilige Fahruntüchtigkeit rechtzeitig als solche zu erkennen oder
trotz einer solchen Erkenntnis von der aktiven Teilnahme am Stras-
senverkehr abzusehen. Unter diesen Umständen liege ein besonderer
Grund vor, der die Anordnung von Auflagen zur Kontrolle der
Fahreignung erlaube (a.a.O., Erw. 3.2).
5.4.2.
Im vorliegenden Fall beantwortete der Gutachter die Frage, ob
beim Beschwerdeführer eine Drogensucht vorliege, so dass er nicht
fähig ist, aus eigener Kraft auf den Drogenkonsum zu verzichten, da-
hingehend, dass der Beschwerdeführer aus eigener Kraft auf den
Konsum von Drogen verzichten könne. Eine eigentliche Sucht könne
gegenwärtig nicht nachgewiesen werden; im Strassenverkehr sei der
Beschwerdeführer bisher noch nie als Drogenkonsument aufgefallen,
da er offenbar den Konsum von Drogen und die Teilnahme am Stras-
senverkehr konsequent trennen konnte. Weiter hielt der Gutachter
fest, aus psychiatrischer Sicht lägen keine anderen, die Fahreignung
ausschliessenden Störungen vor. Die Fahreignung sei heute seines
Erachtens wieder gegeben. Lediglich gestützt auf die ehrlichen und
widerspruchsfreien Angaben des Beschwerdeführers zu seinem frü-
heren Konsumverhalten kam der Gutachter zum Schluss, dass eine
Auflage nötig sei, "um Rückfälle frühzeitig erfassen zu können".
Der Beschwerdeführer ist nie mit Drogen im Strassenverkehr
auffällig geworden. Wie er zu Recht ausführt, steht dem der am
1. März 2007 angeordnete und in der Zeit vom 4. April 2007 bis zum
3. Juli 2007 vollzogene Führerausweisentzug für die Dauer von drei
Monaten nicht entgegen und in keinem Zusammenhang mit einer
Suchtproblematik. Damals wurde dem Beschwerdeführer der Füh-
2010
Verwaltungsgericht
80
rerausweis wegen In-Verkehr-Bringens eines Personenwagens in
nicht vorschriftsgemässem Zustand (abgefahrene Reifen) entzogen.
Gemäss Gutachten habe der Beschwerdeführer - gemäss seinen
Angaben - stets darauf geachtet, nicht unter Drogeneinfluss Auto zu
fahren und dabei einen Abstand von 24 Stunden zum letzten Konsum
eingehalten. Auch sei er schon mehrmals von der Polizei als Auto-
fahrer kontrolliert worden, habe jedoch nie Anlass zu einem Verdacht
auf Drogenkonsum gegeben. Seit der Hausdurchsuchung vom
28. September 2009 habe der Beschwerdeführer den Cannabiskon-
sum gänzlich und konsequent eingestellt. Gemäss Gutachter wirkt
der Beschwerdeführer, der offenbar in geordneten Verhältnissen lebt
und einer geregelten Tätigkeit nachgeht, in seiner Persönlichkeit sta-
bil und verantwortungsbewusst.
Gesamthaft ergibt das Gutachten keine Hinweise darauf, dass
beim Beschwerdeführer von einer geringen Bereitschaft und Fähig-
keit auszugehen ist, zuverlässig zwischen dem Drogenkonsum und
der Teilnahme am Strassenverkehr zu trennen, bzw. beim Beschwer-
deführer gar eine Neigung besteht, unter Substanzeinfluss zu fahren.
Im Gegensatz zum Gutachten im erwähnten bundesgerichtlichen
Entscheid, in welchem eine Drogensucht "nicht nachgewiesen aber
auch nicht ausgeschlossen" werden konnte, nimmt der Gutachter im
vorliegenden Fall klar dahingehend Stellung, dass der Beschwerde-
führer aus eigener Kraft auf den Konsum von Drogen verzichten
kann, somit keine Sucht vorliegt.
Bei dieser Ausgangslage ist davon auszugehen, dass der Be-
schwerdeführer - sollte er überhaupt jemals wieder mit dem Canna-
bis-Konsum beginnen - eine drogenkonsumbedingte zeitweilige
Fahruntüchtigkeit rechtzeitig als solche erkennt und entsprechend
dieser Erkenntnis von der aktiven Teilnahme am Strassenverkehr
absieht, wie er es in der Vergangenheit mit Blick auf seinen diesbe-
züglich ungetrübten automobilistischen Leumund offenbar gehand-
habt hat. Unter diesen Umständen liegt kein besonderer Grund vor,
der die Anordnung von Auflagen zur Kontrolle der Fahreignung er-
laubt. Eine erhöhte Suchtgefährdung wird durch das Gutachten nicht
dargelegt. Die in den Persönlichkeitsbereich des Beschwerdeführers
2010
Strassenverkehrsrecht
81
eingreifende Auflage betreffend mindestens einjährige Drogenabsti-
nenz ist damit nicht zu rechtfertigen.
Im Übrigen kann festgestellt werden, dass in Ziffer 3 der Verfü-
gung des Strassenverkehrsamtes vom 9. Dezember 2009 Dr. med. X.
aufgefordert wurde, "dem Strassenverkehrsamt das Missachten der
Auflage oder ungünstige Urinprobenergebnisse oder eine allfällige
mangelnde Fahreignung umgehend zu melden". Aufgrund der Tat-
sache, dass bis zum heutigen Zeitpunkt keine entsprechende Mel-
dung eingegangen ist, kann davon ausgegangen werden, dass die
Auflage durch den Beschwerdeführer eingehalten wird, bis anhin
keine ungünstigen Urinprobenergebnisse vorliegen und keine allfäl-
lige mangelnde Fahreignung vorliegt. Die am 1. Dezember 2009 an-
lässlich der Begutachtung durchgeführte Urinprobe war nota bene
ebenfalls negativ bezüglich sämtlicher untersuchter Substanzen. Seit
der Hausdurchsuchung im September 2009 bis zum heutigen Zeit-
punkt - also während einer Dauer von rund elf Monaten - hat der
Beschwerdeführer somit drogenabstinent gelebt. Offensichtlich hat
der Beschwerdeführer tatsächlich die Kraft und den Willen, mit dem
Cannabiskonsum aufzuhören.
6.
Nachdem neben dem jahrelangen, regelmässigen Konsumver-
halten des Beschwerdeführers betreffend Cannabis in dessen Vergan-
genheit weitere Indizien für die Fahreignung beeinträchtigende Fak-
toren fehlen, ist die Auflage einer mindestens einjährigen Drogenab-
stinenz nicht gerechtfertigt. | 4,820 | 3,894 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-18_2010-08-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-18.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-18.pdf | AGVE_2010_18 | null | nan |
b9ed4f6a-ab52-50cc-9404-d571bdb99976 | 1 | 412 | 871,225 | 1,128,124,800,000 | 2,005 | de | 2005
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
269
54
Ausgangsregelung in der Anstalt; Zuständigkeit; Zwangsmassnahmen.
- Keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Überprüfung der
Ausgangsregelung im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentzie-
hung (Erw. 2.3.1.).
- Eine Zwangsmassnahme i.S.v. § 67e
bis
EGZGB liegt vor, wenn neben
dem Entzug der Bewegungsfreiheit ein zusätzlicher Eingriff in die
körperliche und psychische Integrität des Betroffenen erfolgt; das
Nichtgewähren von Einzelausgang ist keine Zwangsmassnahme
(Erw. 2.3.2.).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 11. Oktober 2005 in
Sachen E.P.-G. gegen Entscheid der Klinik Königsfelden.
Aus den Erwägungen
I.
(...)
2.2. Gemäss § 67 e
bis
Abs. 4 EGZGB kann auch ein Entscheid
der Psychiatrischen Klinik Königsfelden betreffend Zwangsmass-
nahmen im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung, ein-
schliesslich der nach § 15 PD notfallmässig durchgeführten Zwangs-
behandlungen (AGVE 2000, S. 177 f.), mit Beschwerde beim Ver-
waltungsgericht angefochten werden. Das Verwaltungsgericht über-
prüft, ob die Zwangsmassnahme nach Massgabe des Einweisungs-
grundes medizinisch indiziert und ob sie verhältnismässig ist. Das
Verwaltungsgericht ist indessen grundsätzlich nicht zuständig zur
Beurteilung von konkreten ärztlichen Anordnungen, wie die Wahl
des Medikaments, der Dosierung, der Anordnung einer bestimmten
therapeutischen Behandlung, Wahl der Abteilung, etc. Dies gehört in
den Fachbereich der Ärzte (AGVE 1987, S. 217; AGVE 1989, S. 198
f.; Eugen Spirig in: Zürcher Kommentar, Art. 397a - 397f ZGB,
Zürich 1995, Art. 397d N 42 mit Hinweisen).
2.3. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Entscheid
der Klinik Königsfelden, mit welchem unter dem Titel "Aufhebung
der Ausgangssperre" ein entsprechendes Gesuch der Beschwerde-
2005
Verwaltungsgericht
270
führerin um Gewährung von Ausgang in Begleitung ihres Ex-Ehe-
mannes abgewiesen wurde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen
darauf hingewiesen, dass sich die Beschwerdeführerin im Rahmen
einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung in einer geschlossenen
Anstalt befinde, weil sie sich trotz vielfältigen Bemühungen in der
Vergangenheit immer wieder auf gefährliche Art und Weise
prostituiere.
2.3.1. Bei der Ausgangsregelung handelt es sich um eine Vor-
kehr der Klinik zur Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht gegenüber der
Beschwerdeführerin, die sich mittels rechtskräftiger fürsorgerischer
Freiheitsentziehung in der Klinik als geschlossene Anstalt befindet.
Die Regelung des Ausgangs liegt im Ermessen der Klinikärzte. Es
handelt sich um eine Frage der Ausgestaltung gewisser Freiheiten im
Rahmen des Klinikalltags. Diese kann nicht Gegenstand der ver-
waltungsgerichtlichen Prüfung einer fürsorgerischen Freiheitsent-
ziehung sein (AGVE 2003, S. 151 f.). (...) Das Verwaltungsgericht
darf daher auf die Beschwerde nicht eintreten.
2.3.2. Der Vollständigkeit halber ist die Frage zu prüfen, ob die
Verweigerung von Ausgang eine Zwangsmassnahme im Sinne von
§ 67 e
bis
EGZGB darstellt. Eine Zwangsmassnahme im Sinne dieser
Bestimmung ist eine Behandlung oder eine andere Vorkehr, die im
Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung gegen den Willen
der betroffenen Person vorgenommen wird, und die neben dem
Entzug der Bewegungsfreiheit einen zusätzlichen Eingriff in die
körperliche oder psychische Integrität der betroffenen Person be-
deutet (BGE 125 III 172 f.). Der Gesetzgeber dachte im Wesentli-
chen an Zwangsmedikation, Isolation und Fixierung. Das Verwal-
tungsgericht hat entschieden, dass auch das Besuchsverbot der Spi-
talpfarrerin und der Entzug der Bibel eines isolierten Patienten
Zwangsmassnahmen darstellen, weil durch diese Anordnungen die
persönliche Freiheit des Patienten weitergehender als durch den
Zwangsaufenthalt in der Anstalt eingeschränkt wurde (AGVE 2000,
S. 195 ff.). Durch den vorliegendenfalls nicht gewährten Einzelaus-
gang in Begleitung ihres Ex-Ehemannes wird die persönliche Frei-
heit der Beschwerdeführerin nicht weitergehender eingeschränkt, als
sie es durch den Entzug der Bewegungsfreiheit durch fürsorgerische
2005
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
271
Freiheitsentziehung in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden als
grundsätzlich geschlossene Anstalt schon ist. Es handelt sich somit
nicht um eine Zwangsmassnahme im Sinne von § 67 e
bis
EGZGB,
weshalb auch unter diesem Titel keine verwaltungsgerichtliche
Überprüfung des Klinikentscheids vom 29. September 2005 erfolgen
kann (vgl. AGVE 2003, S. 152 f.). | 995 | 780 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-54_2005-10-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-54.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-54.pdf | AGVE_2005_54 | null | nan |
ba377dc6-4b73-54ce-803d-aa98d8e2f141 | 1 | 412 | 871,356 | 1,017,705,600,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
186
[...]
54
Mitwirkung des KStA im kommunalen Veranlagungsverfahren.
-
Einzelfallweise Einsetzung eines ausserordentlichen kantonalen Steu-
erkommissärs.
-
Beamte des KStA können von der kommunalen Steuerkommission zur
Unterstützung in Fachfragen beigezogen werden. Dies ist keine unzu-
lässige Expertentätigkeit.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 3. April 2002 in Sa-
chen M.E. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts.
Aus den Erwägungen
3. a) Die Steuerkommission N. stützte sich bei der Berechnung
des Liquidationsgewinns auf den Bericht des Landwirtschaftlichen
Fachbeamten (LF) des KStA vom 25. Juni 1999, der hinsichtlich des
Verkehrswerts der Grundstücke IR Nr. 360 und 480 wiederum auf
einer Schätzung durch die Sektion Grundstückschätzungen des KStA
basierte. Der Beschwerdeführer lehnt A. (Schätzer bei der Sektion
2002
Kantonale Steuern
187
Grundstückschätzungen) und J. (LF/KStA; im vorliegenden Fall
wirkte er als ausserordentlicher kantonaler Steuerkommissär im Ein-
spracheverfahren als Mitglied der Steuerkommission N. mit) "als
Experten" ab. Damit verkennt er deren Stellung. Das KStA nimmt
seine Leitungsfunktion (§ 114 Abs. 1 StG) nicht nur mit Weisungen
und Kontrollen, sondern auch mit Dienstleistungen wahr. In diesem
Rahmen können Beamte des KStA im Auftrag der kommunalen
Steuerkommissionen rechtliche und tatsächliche Abklärungen und
Untersuchungen vornehmen, die der Steuerkommission dann als Ent-
scheidgrundlage dienen (vgl. AGVE 1992, S. 269; Jürg Baur, in:
Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Muri/BE 1991, § 114 N 5).
Es handelt sich nicht um formelle Gutachten (weshalb im angefoch-
tenen Entscheid richtigerweise nicht vom "Gutachten" des KStA,
sondern von dessen Schätzung die Rede sein sollte), sondern um
Entscheidgrundlagen, welche die veranlagende Steuerkommission
durch eine andere Steuerbehörde erstellen lässt (im Übrigen sind
auch verwaltungsinterne Expertisen nicht unzulässig; vgl. BGE 122
V 161 f.). Sie ist berechtigt und verpflichtet, diese Grundlagen einer
eigenen Überprüfung zu unterziehen (Baur, a.a.O., § 133 N 15); das
Gleiche gilt für die Rechtsmittelinstanzen. Die Steuerkommission N.
hat die streitige Verkehrswertschätzung denn auch nicht unbesehen
übernommen, sondern ist im Einspracheverfahren unter Berücksich-
tigung der Vorbringen der Steuerpflichtigen zu deren Gunsten davon
abgewichen.
Was die "Doppelfunktion" von J. (LF/KStA und Mitglied der
Steuerkommission als ausserordentlicher kantonaler Steuerkommis-
sär) betrifft, so ist zunächst festzuhalten, dass der Steuerkommission
von Amtes wegen ein kantonaler Steuerkommissär angehört (§ 117
Abs. 2 StG) - was im Rahmen der Leitungsfunktion des KStA zu
sehen ist -, die Doppelfunktion also hier vom Gesetz vorgeschrieben
ist. Weiter ist es zulässig, einzelfallweise einen ausserordentlichen
Steuerkommissär einzusetzen (VGE II/160 vom 11. Dezember 1992
in Sachen H.E.; VGE II/34 vom 8. April 1999 in Sachen U.M.; Baur,
a.a.O., § 117 N 2). Dies ist in komplexeren Fällen angezeigt, dient
doch die umfassende Abklärung des Sachverhalts unter Beizug der-
jenigen Person, die sich im KStA bereits mit dem Fall befasst hat,
2002
Verwaltungsgericht
188
einerseits der Verfahrensökonomie, letztlich aber auch der Wahrung
des rechtlichen Gehörs, denn so können die Steuerpflichtigen ihre
Mitwirkungsrechte frühzeitig und am besten wahrnehmen. Dem Be-
schwerdeführer wurde der Bericht des LF/KStA vor dem Einsprache-
entscheid zur Stellungnahme zugestellt und seine Einwendungen
wurden so bereits im Einspracheverfahren berücksichtigt. Dies als
Zeichen von Befangenheit zu werten und unter Hinweis auf die
"Doppelfunktion" zu verhindern, würde dazu führen, dass die Mei-
nung des LF/KStA (und Steuerkommissionsmitglieds) erst aus der
Begründung des Einspracheentscheids ersichtlich würde, was nicht
den Interessen der Steuerpflichtigen entspräche, sondern diesen ge-
radezu zuwiderliefe.
b) Unter den gegebenen Umständen gehen die Einwendungen
des Beschwerdeführers, der nicht etwa geltend macht, A. und J. seien
aus persönlichen Gründen befangen gewesen (vgl. § 124 StG), son-
dern diese für Expertentätigkeit ablehnt, weil sie Beamte des KStA
sind, am gegebenen Sachverhalt vorbei. | 980 | 776 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-54_2002-04-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-54.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-54.pdf | AGVE_2002_54 | null | nan |
ba6ccd84-3208-5d13-a753-f15e470fdb58 | 1 | 412 | 871,744 | 1,407,024,000,000 | 2,014 | de | 2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
296
50
Ordnungsbusse nach § 25 VRPG
-
Der gegenüber mehreren Amtsstellen und Personen erhobene, ehren-
rührige Vorwurf der strafbaren Handlung verletzt den prozessualen
Anstand (Erw. 6.1.-6.3.).
-
Gewährung des rechtlichen Gehörs (Erw. 6.4.)
-
Strafzumessung im konkreten Anwendungsfall; Entschuldigung/
Rückzug der Vorwürfe durch den Rechtsvertreter wirkt sich straf-
mindernd aus (Erw. 6.5.).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. August 2014 in Sa-
chen A. gegen B. und Gemeinderat C. sowie Departement Bau, Verkehr und
Umwelt (WBE.2013.503).
Aus den Erwägungen
6.
6.1.
2014
Verwaltungsrechtspflege
297
Wer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den prozessualen
Anstand grob verletzt, kann nach § 25 VRPG mit einem Verweis
oder mit einer Ordnungsbusse bis Fr. 1'000.00 bestraft werden. Ob
sich die betreffende Handlung gegen das Gericht, eine Partei oder
unbeteiligte Dritte richtet, ist belanglos (vgl. analog zum früheren
Recht: AGVE 1992, S. 419 f.; VGE III/20 vom 30. Mai 2007
[WBE.2006.31], S. 18, je mit weiteren Hinweisen). Bei der Frage, ob
ein Verhalten den Anstand verletzt und damit "ungebührlich" ist, geht
es letztlich um eine Wertung. Dabei sind der Anspruch der Parteien,
ihren Standpunkt auch pointiert vertreten zu können, und die Freiheit
der Kritik, welche für eine wirksame Kontrolle der Rechtspflege not-
wendig ist, gegen das ebenso berechtigte Interesse der Justiz abzuwä-
gen, ein geordnetes Verfahren durchzuführen und, gerade zum
Schutz von Verfahrensbeteiligten, unzumutbare Vorwürfe zu verhin-
dern (VGE III/20 vom 30. Mai 2007 [WBE.2006.31], S. 18, mit Hin-
weis). Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Sanktionierung
von Verstössen gegen den prozessualen Anstand folgt dabei unmittel-
bar aus § 25 VRPG (vgl. VGE III/20 vom 30. Mai 2007
[WBE.2006.31], S. 18, mit Hinweis).
6.2.
Der Beschwerdeführer äussert sich in seiner Verwaltungsge-
richtsbeschwerde vom 16. November 2013 in verunglimpfender und
inhaltlich deplatzierter Weise über diverse Amtsstellen und Personen.
So wirft er der (...) Bauverwaltung Urkundenfälschung und Betrug
vor. Dem Gemeinderat wird mehrfach Korruption, Betrug und
"Begünstigung" (effektiv dürfte damit Amtsmissbrauch gemeint sein)
nachgesagt; zudem habe er "bösartig auf einen Volksentscheid
getreten" und halte Gesetze nicht ein. Auch der zuständigen
Sachbearbeiterin des Departements BVU wird "Begünstigung"
vorgeworfen; weiter wird behauptet, sie hätte den Beschwerdeführer
"absichtlich geschädigt, diskriminiert und rassistisch behandelt".
Schliesslich wird ausgeführt, eine Person des Departements BVU
habe Ende 2005 eine Lärmmessung gefälscht. Diese Zusammenstel-
lung verunglimpfender Aussagen ist nicht abschliessend.
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
298
6.3.
Die genannten Vorwürfe sind strafrechtlicher Natur (vgl. insbe-
sondere Art. 146 [Betrug], Art. 251 ff. [Urkundenfälschung], Art. 305
[Begünstigung] und Art. 312 [Amtsmissbrauch] StGB) und wiegen
schwer. Unbestrittenermassen besteht zwar ein erhebliches öffentli-
ches Interesse daran, Missstände in der Rechtspflege aufzudecken;
dies berechtigt aber nicht dazu, unbewiesene Verdächtigungen oder
unqualifizierte Vorwürfe gegen Verfahrensbeteiligte zu richten (vgl.
VGE III/20 vom 30. Mai 2007 [WBE.2006.31], S. 19, mit Hinwei-
sen). Sodann vermag der Beschwerdeführer seine Anschuldigungen
nicht konkret zu begründen; entsprechend zog er mit Eingabe vom
8. April 2014 "die verschiedenen Behauptungen, Belastungen und
verfehlten juristischen Qualifikationen" zurück. Tatsächlich müsste
der Wahrheitsbeweis für die Aussage, jemand habe eine strafbare
Handlung begangen, grundsätzlich durch ein rechtskräftiges Strafur-
teil erbracht werden. Ist eine Verurteilung noch nicht erfolgt, so müs-
sen entsprechende Äusserungen zurückhaltend erfolgen und deutlich
werden lassen, dass einstweilen nur der Verdacht vorliegt (vgl.
VGE III/20 vom 30. Mai 2007 [WBE.2006.31], S. 19, mit Hinweis).
Eine solche Zurückhaltung hat der Beschwerdeführer vermissen las-
sen. Der gegenüber mehreren Amtsstellen und Personen erhobene,
ehrenrührige Vorwurf der strafbaren Handlung schiesst klar über das
hinaus, was es zu einer sachlichen Begründung einer Verwaltungsge-
richtsbeschwerde bedarf. Irgendwelche Rechtfertigungsgründe wer-
den vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht; solche sind auch
nicht ersichtlich. Es ist deshalb nicht nur von einem
tatbestandsmässigen, sondern auch von einem widerrechtlichen Ver-
halten auszugehen. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer seine
Äusserungen nachträglich zurücknahm, vermag an dieser Beurtei-
lung nichts zu ändern.
6.4.
Bei der Ausfällung einer Sanktion nach § 25 VRPG ist dem Be-
troffenen in der Regel vorgängig das rechtliche Gehör zu gewähren,
da nachteilig in seine Rechtsstellung eingegriffen werden soll. Der
Betroffene erhält durch die Möglichkeit der vorgängigen Äusserung
die Gelegenheit, mit einer Entschuldigung die Anstandsverletzung
2014
Verwaltungsrechtspflege
299
zwar nicht rückgängig zu machen, aber immerhin seine Bereitschaft
zu dokumentieren, den durch § 25 VRPG geschützten Gerichtsfrie-
den wiederherzustellen (vgl. VGE III/20 vom 30. Mai 2007
[WBE.2006.31], S. 19 f., mit Hinweis).
Der Beschwerdeführer wurde mit Verfügung vom 14. Februar
2014 auf § 25 VRPG hingewiesen. Gleichzeitig wurde ihm mitge-
teilt, dass die Beschwerdeschrift auch nach Massgabe dieser Bestim-
mung geprüft werde. In seiner Eingabe vom 8. April 2014 liess der
Beschwerdeführer festhalten, die Beschwerdeschrift enthalte tatsäch-
lich Formulierungen, die so nicht hingenommen werden könnten. Er
sei wegen den jahrelangen Auseinandersetzungen verbittert und ent-
täuscht, dass Verwaltung und Gerichte nicht immer so entschieden
hätten, wie er dies verlangt habe. Er ziehe die verschiedenen Behaup-
tungen, Belastungen und verfehlten juristischen Qualifikationen mit
dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Er ersuche höflich darum, von
einer Disziplinierung abzusehen; dem Rechtsfrieden diene der Ver-
zicht auf eine Disziplinierung mehr.
6.5.
Der vom Beschwerdeführer begangene Verstoss gegen den pro-
zessualen Anstand wiegt schwer, griff er doch mehrere Amtsstellen
und Personen in massiv ehrverletzender Weise an. Hinzu kommt,
dass er bereits früher vom Verwaltungsgericht wegen einer Ver-
letzung des prozessualen Anstands mit einer Busse von Fr. 250.00
bestraft werden musste (VGE III/20 vom 30. Mai 2007
[WBE.2006.31]). Diese Gründe legen es nahe, von einem schweren
Verschulden auszugehen und die Höhe der Busse im obersten Be-
reich des vorgesehenen Strafrahmens (maximal Fr. 1'000.00)
festzulegen. Die angebliche Verbitterung vermag daran nichts zu
ändern; Niederlagen vor Verwaltungs- und/oder Gerichtsinstanzen
vermögen derart schwere Anschuldigungen, wie sie der Beschwerde-
führer erhob, in keiner Art und Weise zu rechtfertigen. Der Verweis
auf die angeblich früher erlittene Unbill ist umso unverständlicher,
als die verwaltungsrechtlichen Verfahren betreffend die eigentliche
Sitzplatzüberdachung schon 9 bzw. 11 Jahre zurückliegen. Immerhin
ist dem Beschwerdeführer zugutezuhalten, dass er im Nachhinein
(wenn auch erst nach der impliziten Androhung allfälliger Sanktio-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
300
nen und offensichtlich unter erheblichem Zuspruch seines Rechtsver-
treters) seine Vorwürfe "mit dem Ausdruck des Bedauerns" zurück-
zog. Dies lässt auf eine gewisse Reue schliessen, welche strafmin-
dernd zu berücksichtigen ist. Insgesamt rechtfertigt es sich, dem Be-
schwerdeführer eine Busse von Fr. 500.00 aufzuerlegen. | 1,767 | 1,374 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-50_2014-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-50.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-50.pdf | AGVE_2014_50 | null | nan |
bb2b21e9-aea9-57b5-8b01-8dbdbd2c4f2c | 1 | 412 | 870,660 | 1,109,808,000,000 | 2,005 | de | 2005
Verwaltungsgericht
152
[...]
36
Vertragliche Reduktion der gesetzlichen Grenz- und Gebäudeabstände.
-
Begriffe des Mehrfamilien- und des Terrassenhauses nach Massgabe
von § 47 Abs. 2 Satz 2 BauG und § 20 Abs. 4 ABauV (Erw. 2/b/aa und
bb).
- Anwendung auf den konkreten Fall; fehlende Terrassierung, wenn
nicht gesagt werden kann, die betreffende Baute sei aufgrund der to-
pographischen Gegebenheiten bewusst treppenförmig erstellt worden
(Erw. 2/b/cc/bbb).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 30. März 2005 in Sa-
chen D. AG gegen Regierungsrat.
2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
153
Aus den Erwägungen
1. Die Beschwerdeführerin erstellt derzeit im Gebiet "Rütimatt"
die Wohnüberbauung "Schlossberg", bestehend aus 16 Häusern. 14
dieser Häuser sind offenbar bereits fertiggestellt und bezogen. Das
verbleibende Doppelhaus (Häuser Nrn. 15 und 16), welches
Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens bildet, weist auf den drei
oberirdischen Geschossen insgesamt sechs Wohnungen auf. Die Ge-
bäudehöhe der mit einem Flachdach versehenen Baute beträgt
10.08 m, die Gebäudelänge 25.80 m. Im Kellergeschoss befindet sich
eine Einstellhalle mit 14 Autoabstellplätzen. Der umbaute Raum be-
trägt rund 5'650 m
3
.
2. a) Streitig ist im vorliegenden Falle der Grenzabstand zur
Parzelle Nr. 394. In der Wohn- und Gewerbezone (WG) 2, in welcher
die Parzelle Nr. 399 gemäss dem geltenden Bauzonenplan der
Gemeinde Bellikon vom 10. Juni 1987 / 27. März 1990 gelegen ist,
gilt ein kleiner Grenzabstand von 4 m (§ 5 Abs. 1 der Bau- und
Nutzungsordnung [BNO] der Gemeinde Bellikon vom 20. November
1998 / 15. Juni 1999). Dazu kommt ein Mehrlängenzuschlag von
2.70 m gemäss § 24 Abs. 1 Satz 1 BNO; danach erhöhen sich bei
einer die Länge von 15 m überschreitenden Fassade (im vorliegen-
den Falle 25.80 m [vorne Erw. 1]) die Grenzabstände gegenüber den
verlängerten Gebäudeseiten um 1⁄4 der Mehrlänge (im vorliegenden
Falle 25.80 m ./. 15.00 m = 10.80 m : 4). Der einzuhaltende Grenz-
abstand beträgt somit 6.70 m. Der effektive Grenzabstand zur Par-
zelle Nr. 394 beträgt indessen nur 4.00 m. Ein entsprechendes, ge-
stützt auf § 47 Abs. 2 BauG vereinbartes Näherbaurecht steht der
Beschwerdeführerin gemäss einem mit dem Eigentümer der Parzelle
Nr. 394 am 12. Mai 2003 abgeschlossenen Dienstbarkeitsvertrag zu.
Der Regierungsrat erachtet § 47 Abs. 2 BauG freilich nicht als
anwendbar. Das Bauprojekt erfülle mangels einer Gebäudestufung
entlang der Hangneigung die von der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung ausgestalteten Kriterien für ein Terrassenhaus nicht.
Die in § 20 Abs. 4 ABauV statuierte Ausnahme komme deshalb nicht
zum Zug, und es gelte der Grenzabstand von 6.70 m. Die Be-
schwerdeführerin bejaht demgegenüber die Terrassierung sowohl in
2005
Verwaltungsgericht
154
bezug auf die Stufung der Baute am Hang als auch in bezug auf das
Verhältnis der Wohn- zur Terrassenfläche; zudem handle es sich um
selbständige Wohneinheiten.
b) aa) Soweit die Gemeinden nichts anderes festlegen, können
die (Grenz- und Gebäude-)Abstände durch einen mit dem Baugesuch
einzureichenden Dienstbarkeitsvertrag reduziert oder aufgehoben
werden; ausgenommen sind Abstände gegenüber Mehrfamilien-
häusern (§ 47 Abs. 2 BauG). § 22 Abs. 1 BNO legt in diesem Zu-
sammenhang fest, dass Grenz- und Gebäudeabstände reduziert oder
aufgehoben werden können, wenn dadurch die zonenzulässige An-
zahl Wohneinheiten insgesamt nicht überschritten wird. Da in der
Zone WG 2 die Anzahl der zulässigen Wohneinheiten nicht fixiert ist
(§ 5 Abs. 1 BNO), gilt § 47 Abs. 2 BauG uneingeschränkt. Weiter zu
beachten ist die folgende Ausführungsbestimmung zu § 47 BauG
(§ 20 Abs. 4 ABauV):
"Als Mehrfamilienhäuser gelten Gebäude mit vier und mehr
Wohneinheiten. Einfamilienhausüberbauungen wie Reihenhäuser,
Terrassenhäuser und dergleichen gelten nicht als Mehrfamilienhäu-
ser."
Es gibt keine allgemeingültige Definition des Begriffs "Mehr-
familienhaus". Der allgemeine Sprachgebrauch versteht darunter ein
Gebäude mit mehreren Wohnungen. Vor diesem Hintergrund war es
folgerichtig, in die ABauV eine Legaldefinition aufzunehmen. Der
Verordnungsgeber musste sich dabei der ratio legis bewusst sein:
Hinter dem Vorbehalt, dass privatrechtliche Abänderungen der Ab-
standsvorschriften bei Mehrfamilienhäusern nicht zulässig sind (§ 47
Abs. 2 Satz 2 BauG), steht nämlich in erster Linie der Schutz der
Mieter; der Ersteller eines Mehrfamilienhauses soll nicht zum Nach-
teil der künftigen Bewohner, die sich in der Baubewilligungsphase ja
noch nicht wehren können, auf der vertraglichen Ebene Abstandsre-
duktionen vornehmen können (AGVE 2001, S. 296; Spezial-
kommission Baugesetzrevision, fortlaufendes Protokoll der 11. Sit-
zung vom 14. Dezember 1990, S. 153 [Votum Baudirektor
Dr. U. Siegrist]). Für eine griffige Terminologie bildet der Mieter-
schutz freilich ein untaugliches Kriterium, kann doch beispielsweise
ein Gebäude mit einer Mehrzahl von Wohnungen auch in Stock-
2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
155
werkeigentum aufgeteilt sein. Es lag deshalb nahe, die Legal-
definition nach Massgabe klar umschriebener bzw. beschreibbarer
Haustypen vorzunehmen (Gebäude mit vier und mehr Wohneinhei-
ten, Reihenhäuser, Terrassenhäuser). Dass das eigentliche gesetzge-
berische Anliegen damit nicht durchwegs und vollumfänglich umge-
setzt werden kann, ist im Interesse der Anwendungspraktikabilität
hinzunehmen.
bb) Das Verwaltungsgericht hat sich in einem Entscheid vom
2. März 1976 in Sachen G. (publiziert in: ZBl 78/1977, S. 28 ff.;
siehe auch Verwaltungsgericht, in: Mitteilungen des Baudeparte-
ments Nr. 39/1986, S. 286; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons
Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 166 N 4) mit dem
Begriff des Terrassenhauses befasst. Es hat dort u.a. ausgeführt,
terrassiert seien der Hangneigung nach erstellte Gebäudestufen von
einem oder mehreren übereinanderliegenden Geschossen, wobei jede
Stufe in der Regel eine selbständige Wohneinheit nach dem Modell
eines Einfamilienhauses bilde; auch die einzelnen Gebäudestufen der
Terrassenbaute lägen also senkrecht übereinander, wenn auch nur
teilweise; deshalb gälten sie nicht als "senkrecht übereinander
liegend". Der Raum über der unteren Stufe diene der oberen Stufe als
verhältnismässig geräumiger Vorplatz oder Garten, nicht bloss als
überdimensionierter Balkon. Die Terrasse müsse eine minimale
Grösse im Verhältnis zum Volumen des Hauses, dem sie diene, ha-
ben, um ihre Funktionen überhaupt erfüllen zu können. Die Regel sei
ein Verhältnis von Terrassenfläche zur Wohnfläche von mindestens
1:3. Senkrecht übereinander befänden sich demgegenüber Ge-
schosse, die praktisch mit der ganzen Fläche übereinander lägen, mit
Ausnahme von Vorbauten wie Treppen, Erkern, Balkonen oder Ge-
bäudevorsprüngen oder entsprechenden nebensächlichen Rückver-
setzungen (siehe zum Ganzen: AGVE 1997, S. 330).
cc) Die Umsetzung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden
Fall ergibt Folgendes:
aaa) (...)
bbb) Die erwähnte publizierte Rechtsprechung des Verwal-
tungsgerichts ist vor dem Hintergrund der Bestimmungen über die
Bauhöhen und die Geschosszahl zu sehen. Am Hang werden diese
2005
Verwaltungsgericht
156
Parameter talseitig gemessen, bei gestaffelten und terrassierten Bau-
ten für jeden Gebäudeteil einzeln (§ 12 Abs. 3 ABauV, Fassung vom
12. Juli 2000). Mit dieser Sonderregelung wird bezweckt, Treppen-
überbauungen an Hanglagen zu ermöglichen. Andernfalls würden
nämlich die Höhenvorschriften der Nutzungsordnung regelmässig
bei Weitem überschritten. Rechtfertigen lässt sich dabei die auf den
einzelnen Gebäudeteil bezogene Betrachtungsweise deshalb, weil der
Eindruck einer einheitlichen Gebäudefront bei derartigen Treppen-
überbauungen wegen der Versetzung der einzelnen Gebäudestufen
und deren Anlehnung an den Hangverlauf massgeblich abgeschwächt
wird; dies ist denn auch der Grund, weshalb die Praxis die Vorausset-
zung geschaffen hat, dass die Terrassenfläche ein bestimmtes Ver-
hältnis zur Wohnfläche nicht unterschreiten darf (vorne Erw. bb).
§ 12 Abs. 3 Satz 2 ABauV ist also auf eine ganz bestimmte Art von
Bauten, nämlich eben Treppenbauten an Hanglagen, bei denen die
versetzte Anordnung der einzelnen Gebäudestufen auf einem bauli-
chen Sachzwang beruht, zugeschnitten (siehe zum Ganzen
VGE III/152 vom 14. Dezember 2000 [BE.1999.00270], S. 10 f.).
Von einer Baute, die aufgrund der topographischen Gegeben-
heiten bewusst treppenförmig erstellt worden ist, kann beim hier zu
beurteilenden Projekt nicht die Rede sein. Dass die südwestseitigen
Gebäudeabschlüsse des jeweils oberen Geschosses um 2.5 bis 3 m
zurückversetzt sind, ist offenbar primär durch die architektonische
Absicht bestimmt, teilweise offene Terrassenflächen zu schaffen. Der
Regierungsrat hat zu Recht erwogen, die geplante Baute könnte ohne
weiteres auch in flachem Gelände erstellt werden und sei in keiner
Art und Weise auf das Vorhandensein eines Hangs angewiesen. Au-
genfällig ist denn auch, dass die Gebäudehöhe gesamthaft über alle
vier Geschosse gerechnet worden ist; würde es sich um eine
Terrassenüberbauung handeln, wäre die Berechnungsweise gemäss
§ 12 Abs. 3 Satz 2 ABauV angewandt worden. An dieser Sichtweise
vermag nichts zu ändern, dass die von der Praxis verlangte Relation
zwischen Terrassen- und Wohnfläche an sich eingehalten ist. (...).
Die Beschwerdeführerin betont, dass das Verwaltungsgericht in
dem in AGVE 1997, S. 327 ff. publizierten Fall eine Terrassierung
ebenfalls bejaht habe, obwohl dort die den Wohngebäuden vorgela-
2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
157
gerten unterirdischen Garagenbauten hangseitig mit der oberen Ge-
bäudestufe bündig gewesen seien. Dies trifft in der Tat zu, ist aber
ohne Belang. Entscheidend ist nur, dass die einzelnen Gebäudestufen
entsprechend der vorhandenen Neigung treppenartig in den Hang
hineingebaut sind. Beim zugrundeliegenden Bauprojekt K. in Woh-
lenschwil war dem so, beim Bauprojekt der Beschwerdeführerin
fehlt es klarerweise an dieser Voraussetzung. Im Übrigen weist der
Regierungsrat zu Recht darauf hin, dass eine treppenförmige Ver-
schiebung der einzelnen Gebäudestufen auch auf der Hangseite
zumindest bei Wohngeschossen aus wohntechnischen Gründen (Be-
lichtung) die Regel sein wird.
c) Zusammenfassend ist unter diesem Titel somit festzuhalten,
dass es sich bei den Häusern Nrn. 15 und 16 um keine terrassierten
Bauten, sondern um normale Mehrfamilienhäuser handelt, die den
nutzungsordnungsgemässen Grenzabstand von 6.70 m einzuhalten
haben (vorne Erw. a). Die Möglichkeit, diesen Abstand auf vertragli-
cher Ebene zu verringern, ist durch § 47 Abs. 2 Satz 2 BauG ausge-
schlossen. | 2,477 | 1,957 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-36_2005-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-36.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-36.pdf | AGVE_2005_36 | null | nan |
bb90b2cb-2605-48a6-ae2e-19ea1251f76f | 1 | 413 | 1,497,444 | 1,376,352,000,000 | 2,013 | de | Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 13. August 2013
(WBE.2013.377)
Art. 447 Abs. 2 ZGB: Die Delegation der Anhörungskompetenz an ein
Einzelmitglied des Familiengerichts darf nicht die Regel darstellen, auch
nicht bei Anhörung in der Einrichtung.
2.
2.1.
Gemäss Art. 447 Abs. 1 ZGB wird die betroffene Person persönlich an-
gehört, soweit dies nicht als unverhältnismässig erscheint. Im Fall einer
fürsorgerischen Unterbringung hört die Erwachsenenschutzbehörde die
betroffene Person in der Regel als Kollegium an (Art. 447 Abs. 2 ZGB).
Der Gesetzgeber misst dem Prinzip der Unmittelbarkeit somit ein hohes
Gewicht zu. Dies hängt auch mit dem Erfordernis der Interdisziplinarität
zusammen: Indem das ZGB eine interdisziplinäre Zusammensetzung der
Erwachsenenschutzbehörde verlangt, gewährleistet es mit dem Gebot
der Anhörung im Kollegium eine Wahrnehmung durch Entscheidträger
unterschiedlicher Fachrichtungen. Aus Art. 447 Abs. 2 ZGB ergibt sich,
dass die Anhörung ausnahmsweise an ein Einzelmitglied der Erwachse-
nenschutzbehörde übertragen werden kann. Damit wird zwar nach wie
vor die Unmittelbarkeit gewährleistet, nicht aber die Interdisziplinarität
(CHRISTOPH AUER/MICHÈLE MARTI, in: GEISER/REUSSER [Hrsg.], Basler
Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 447 N 33 f.). Der Re-
gelfall muss aber eine mündliche Anhörung vor dem gesamten Kollegium
bleiben. Denkbar ist eine Ausnahme-Konstellation, falls die Mitglieder den
Betroffenen aus früheren Verfahren bereits gut kennen und man sich le-
diglich über die eingetretenen Veränderungen ein Bild machen muss
(CHRISTOF BERNHART, Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung, Ba-
sel 2011, Rz. 512). Die Delegationsmöglichkeit an ein Einzelmitglied des
Gerichts ist zurückhaltend, nur im konkreten Einzelfall und im Entscheid
begründet anzuwenden (PATRICK FASSBIND, Erwachsenenschutz, Zürich
2012, S. 147 f.). Eine Ausnahme ist z.B. denkbar bei urteilsunfähigen Pa-
tienten, die aufgrund einer schweren Demenzerkrankung in der Psychiat-
rischen Klinik Königsfelden untergebracht und daher im Status einer für-
sorgerischen Unterbringung sind (Art. 380 ZGB).
Besteht eine Verletzung von Art. 447 Abs. 2 ZGB darin, dass die Anhö-
rung ohne zureichenden Ausnahmegrund durch ein einzelnes Behörden-
mitglied durchgeführt wurde, so führt dies grundsätzlich zur Aufhebung
des Entscheids (Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, a.a.O., Art. 447
N 37).
2.2.
In Erw. 2.2. des angefochtenen Entscheids hält die Vorinstanz in diesem
Zusammenhang fest, im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen für
eine Einzeldelegation gegeben. Mit Hinweis auf eine entsprechende Er-
wägung im Basler Kommentar erklärt die Vorinstanz, die Anhörung durch
ein einzelnes Mitglied der Erwachsenenschutzbehörde sei im Interesse
der Prozessökonomie ausnahmsweise zulässig, wenn die betroffene
Person infolge Alters oder Krankheit in ihrer Wohnung oder an ihrem
Aufenthaltsort anzuhören sei.
2.3.
2.3.1.
Im Kanton Aargau hat sich in Absprache der Familiengerichte mit den
Einrichtungen die Praxis entwickelt, dass die Anhörung in aller Regel in
der Einrichtung durchgeführt wird. Die Ausführungen des Basler Kom-
mentars können deshalb nicht unbesehen übernommen werden, an-
sonsten die Ausnahme (Anhörung durch ein einzelnes Mitglied der Er-
wachsenenschutzbehörde) zur Regel würde, was dem Sinn und Zweck
der bundesrechtlichen Bestimmung klar widersprechen würde. Vielmehr
ist deshalb – auch mit Blick auf die hiervor zitierte Lehre – festzustellen,
dass die Anhörung grundsätzlich immer durch das Kollegium des Fami-
liengerichts durchzuführen ist.
2.3.2.
Der Beschwerdeführer ist bereits einmal durch das Kollegium des Fami-
liengerichts Zofingen im Rehahaus Effingerhort angehört worden. Nach-
dem sich das Familiengericht somit bereits in interdisziplinärer Zusam-
mensetzung ein Bild der persönlichen und gesundheitlichen Situation des
Beschwerdeführers gemacht hat, konnte hier ausnahmsweise auf eine
Anhörung durch das Kollegium verzichtet werden. | 877 | 692 | AG_VG_002 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_002_-Kindes--und-Erwachs_2013-08-13 | https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/kindes__und_erwachsenenschutz/verwaltungsgericht/EntscheiddesVerwaltungsgerichtsvom13August2013.pdf | null | nan |
||
bc944714-3297-5bd5-90cf-ce97e03302d0 | 1 | 412 | 871,556 | 1,364,860,800,000 | 2,013 | de | 2013
Kantonale Steuern
99
III. Kantonale Steuern
18 Grundbuchabgabe
-
Steuerwert als Mindestbemessungsgrundlage (Erw. 4.)
-
Eine vorbehaltene Nutzniessung stellt keine objektive Werteinbusse
der Liegenschaften dar (Erw. 5.).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 26. April 2013 in Sachen
E.Z. (WBE.2012.372).
Aus den Erwägungen
4.3.
Die in § 8 Abs. 2 GBAG getroffene Regelung steht in folgerich-
tigem Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 GBAG, der Grundsatzregelung,
wie die Berechnung der Grundbuchabgabe zu erfolgen hat. Die
Massgeblichkeit der Kauf- oder Übernahmesumme für die Bemes-
sung der Grundbuchabgabe beruht auf der natürlichen Vermutung,
der in der Vertragsurkunde genannte Preis entspreche dem wahren
Wert, dem Verkehrswert (vgl. Erläuterungen und Berechnungsbei-
spiele GBAG/GBAD, § 8, insbesondere N 1 und 2; Botschaft des
Regierungsrates an den Grossen Rat vom 7. September 1998, Fi-
nanzpaket 98, S. 18 f.). Fehlt in der Vertragsurkunde eine Preisan-
gabe oder weicht diese erheblich vom wahren Wert ab, hat die
Berechnung der Grundbuchabgabe auf einem Ersatzwert zu erfolgen.
Gemäss ursprünglicher Regelung hatten die Grundbuchämter selber
eine Verkehrswertschätzung vorzunehmen und gestützt darauf die
Abgabe zu berechnen (§ 8 Abs. 2 GBAG in der Fassung vom 7. Mai
1980). Mit der Revision vom 9. März 1999, in Kraft seit 1. August
1999, wurde diese Ordnung ersetzt durch den Steuerwert als einfache
und leicht eruierbare massgebliche Bemessungsgrundlage (§ 8 Abs. 2
Satz 1 GBAG). Nur noch bei Fehlen eines Steuerwerts gilt, dass die
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
100
Parteien auf Verlangen des Grundbuchamtes eine nach anerkannten
Regeln erstellte Verkehrswertschätzung vorzulegen haben. Weicht
die Schätzung von der Kauf- oder Übernahmesumme um mehr als
10% nach oben ab, so wird die Abgabe vom Schätzwert erhoben (§ 8
Abs. 2 Sätze 2 und 3 GBAG).
4.4. (...)
4.5.
Der Steuerwert dient gemäss § 8 Abs. 2 Satz 1 GBAG als
Ersatzwert für die Berechnung der Grundbuchabgabe, wenn die Ver-
tragsurkunde keinen Kaufpreis nennt. Er legt den Verkehrswert nach
den dargelegten einheitlichen, objektiven Kriterien fest. Liegt der be-
urkundete Kaufpreis unter dem Steuerwert, ist in diesem eine Min-
destbemessungsgrundlage für die Grundbuchabgabe zu erblicken.
5.
5.1.-5.2. (...)
5.3.
Bemessungsgrundlage der Grundbuchabgabe ist der objektive
Wert einer Liegenschaft, wie er normalerweise im Kaufpreis zum
Ausdruck kommt. Ersatzweise ist der Steuerwert massgebend, bei
dessen Fehlen die Verkehrswertschätzung.
Der beurkundete Kaufpreis berücksichtigt vorliegend die von
der Beschwerdeführerin sich selber vorbehaltene Nutzniessung an
den übertragenen Liegenschaften, indem deren kapitalisierter Wert
zum Abzug gebracht worden ist. Der Kaufpreis widerspiegelt damit
nicht mehr den objektiven, sondern den subjektiven Wert der Liegen-
schaften, den bei den Übernehmerinnen durch das Nutzniessungs-
recht bewirkten Minderwert. Objektiv ist der Wert der Liegenschaf-
ten durch den Vorbehalt der Nutzniessung unberührt geblieben. Der
Wert einer Liegenschaft bestimmt sich nach dem Nutzen, den die
Liegenschaft spendet. Wer den Nutzen vereinnahmt, der Eigentümer
selber oder der Nutzniesser, ist für den Wert der Liegenschaft bedeu-
tungslos. Die Bewertung der Liegenschaft hat so zu erfolgen, wie
wenn kein solches Recht bestünde (K
ASPAR
F
IERZ
, Der Schweizer
Immobilienwert, 5. A., Zürich 2005, S. 373). Dies gilt gleichermas-
sen auch für die Ermittlung des Steuerwertes einer Liegenschaft. Ob
daran eine Nutzniessung besteht, ist ohne Bedeutung. Deren Wert ge-
2013
Kantonale Steuern
101
langt von der Grundstückbewertungssumme nicht in Abzug (Weglei-
tung für die Bewertung von Grundstücken, II/2, S. 2, Ziff. 2.2.3).
Steuerlich ist das Bestehen einer Nutzniessung lediglich insofern von
Bedeutung, als nicht der Grundeigentümer, sondern der Nutzniesser
die Liegenschaft zu versteuern hat (§§ 30 Abs. 1 lit. a und 46 Abs. 2
StG). Die Bemessungsgrundlagen bleiben für Eigentümer und Nutz-
niesser dieselben.
5.4.
Die Massgeblichkeit des objektiven Wertes einer Liegenschaft
für die Berechnung der Grundbuchabgabe kommt auch darin zum
Ausdruck, dass die auf die Erwerberinnen übertragene Schuld für die
Berechnung der Grundbuchabgabe vom Übernahmepreis nicht zum
Abzug gelangt. Dies wird denn auch von der Beschwerdeführerin
nicht verlangt, obwohl die Liegenschaften durch die Schuldübernah-
meverpflichtung für die Erwerberinnen zusätzlich an Wert eingebüsst
haben. Nicht anders verhält es sich mit der vorbehaltenen Nutznies-
sung. Sie schmälert nur für die Erwerberinnen den Wert der Liegen-
schaften, stellt aber nicht eine objektive Werteinbusse dar.
Der in der notariellen Urkunde bezeichnete Übernahmepreis
von Fr. X. liegt unter den Steuerwerten der Liegenschaften. Die
Vorinstanz hat damit zu Recht den Steuerwert als massgebliche
Grundlage für die Berechnung der Grundbuchabgabe bezeichnet (§ 8
Abs. 2 GBAG). | 1,157 | 918 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-18_2013-04-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-18.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-18.pdf | AGVE_2013_18 | null | nan |
bcc40668-13e5-5404-9531-8e91679f32e4 | 1 | 412 | 870,575 | 1,564,704,000,000 | 2,019 | de | 2019
Wahlen und Abstimmungen
185
IX. Wahlen und Abstimmungen
28
Gemeinderecht
Kein Finanzreferendum bei Kredit betreffend Anschaffung im Bereich
des Finanzvermögens
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 28. August
2019, in Sachen A.X., B.Y., C.Y. und D.Z. gegen Einwohnergemeinde Aarau
und Departement Volkswirtschaft und Inneres, Gemeindeabteilung
(WBE.2019.238).
Aus den Erwägungen
1.
(...) Umstritten ist einzig, ob der Kreditbeschluss des Einwoh-
nerrats vom 25. März 2019 dem Finanzreferendum und damit dem
obligatorischen Referendum untersteht.
Mit den vom Einwohnerrat gesprochenen CHF 33'580'000.00
will die Stadt Aarau die Liegenschaft auf Walthersburg in Aarau als
Kapitalanlage erwerben (Botschaft und Antrag an den Einwohnerrat
vom 21. Januar 2019), wobei beabsichtigt ist, den Kaufpreis aus
eigenen Mitteln des Finanzvermögens (Anlagefonds) oder durch
Aufnahme von Fremdkapital zu finanzieren. Neben 30 Mietwoh-
nungen verfügt die Liegenschaft über 29 Alterswohnungen für
selbstständiges Wohnen im Alter, welche von einer Betriebsgenos-
senschaft als Seniorenzentrum betrieben werden. Die Stadt Aarau ist
aktuell eine von mehreren Genossenschafterinnen. Mit dem Kauf
möchte die Stadt Aarau ihre Position auf dem Immobilienmarkt stär-
ken und die Erträge zugunsten der Erfolgsrechnung sichern, wobei in
erster Linie marktgerechte Mieteinnahmen erzielt werden sollen.
2.
2.1.
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
186
Beschlüsse der Gemeindeversammlung oder des Einwohnerra-
tes unterliegen nach Massgabe von Gesetz und Gemeindeordnung
der obligatorischen Volksabstimmung (§ 62 Abs. 2 KV). Gemäss
§ 57 GG müssen der Gesamtheit der Stimmberechtigten, neben den
in lit. a - e aufgezählten und im vorliegenden Fall nicht einschlägigen
Geschäften, die von der Gemeindeordnung ausdrücklich bezeichne-
ten weiteren Geschäfte zum Entscheid durch die Urne vorgelegt wer-
den (lit. f).
2.2.
Die Gemeindeordnung der Einwohnergemeinde Aarau vom
23. Juni 1980 (GO, SRS 1.1-1) bestimmt in § 4 Abs. 1 lit. g (GO),
dass Beschlüsse, die eine einmalige Ausgabe von mehr als
Fr. 6'000'000.- oder neue, jährlich wiederkehrende Ausgaben von
mehr als Fr. 300'000.- zur Folge haben , der Gesamtheit der
Stimmberechtigten zum Entscheid an der Urne vorgelegt werden
müssen. Ein solcherart ausgestaltetes Finanzreferendum soll den
Stimmbürgern als Steuerzahler über das Verfassungs- und
Gesetzesreferendum hinaus bei Verwaltungsakten von erheblicher
finanzieller Tragweite ein unmittelbares Mitspracherecht sichern
(ADRIAN HUNGERBÜHLER, Das Finanzreferendum nach der
aargauischen Kantonsverfassung vom 25. Juni 1980, ZBl 86/1985
S. 331).
3.
Für die Beantwortung der Frage, ob das Finanzreferendum auf
ein konkretes Sachgeschäft Anwendung findet, sind der Begriff der
Ausgabe und die Unterscheidung zwischen Finanz- und Verwal-
tungsvermögen von ausschlaggebender Bedeutung.
3.1.
§ 84a Abs. 1 GG umschreibt das Finanzvermögen als jene Ver-
mögenswerte, die ohne Beeinträchtigung der öffentlichen Aufgaben-
erfüllung veräussert werden können. Das Verwaltungsvermögen um-
fasst demgegenüber jene Vermögenswerte, die der öffentlichen Auf-
gabenerfüllung dienen (§ 84a Abs. 2 GG). Während das Finanzver-
mögen demnach nur mittelbar durch seinen Vermögenswert oder
seine Erträgnisse für die Erfüllung staatlicher Aufgaben zur Verfü-
gung steht, dienen dem Verwaltungsvermögen zuzurechnende Werte
2019
Wahlen und Abstimmungen
187
unmittelbar aufgrund ihres Gebrauchswerts der Besorgung öffent-
licher Aufgaben. Diese Gebrauchswerte sind denn auch - im Gegen-
satz zu den grundsätzlich realisierbaren Aktiven des Finanzvermö-
gens - nicht veräusserbar oder pfändbar (ULRICH HÄFELIN/GEORG
MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auf-
lage, Zürich 2016, N 2203 ff.; BGE 138 I 247 E. 2.3.2). In der Ver-
ordnung über den Finanzhaushalt der Gemeinden, Gemeindeverbän-
de und Gemeindeanstaltenvom 19. September 2012 (FiV,
SAR 617.113) ist ausserdem festgelegt, dass zum Finanzvermögen
unter anderem Grundstücke gehören, die als Kapitalanlage erworben
werden (§ 3 Abs. 1 FiV). Zum Verwaltungsvermögen zählt § 3
Abs. 1 lit. a und b FiV dagegen insbesondere Grundstücke, die mit
Bauten und Anlagen für öffentliche Zwecke überbaut sind, und sol-
che in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen.
3.2.
Der Begriff der Ausgabe wird bereits in § 63 Abs. 1 lit. d KV
bei der Regelung des fakultativen Referendums auf Kantonsebene
verwendet. Das Gemeindegesetz umschreibt die Ausgabe als Ver-
wendung von Finanzvermögen zur Erfüllung öffentlicher Zwecke
(§ 84b Abs. 2 GG). Von einer Ausgabe, welche dem Finanzreferen-
dum unterliegt, wird dann gesprochen, wenn der Staat mit der Geld-
summe keinen gleichwertigen realisierbaren Vermögenswert erwirbt
(HUNGERBÜHLER, a.a.O., S. 333). Auch der Erwerb von Verwal-
tungsvermögen sowie die Umwandlung von Finanz- in Verwaltungs-
vermögen stellen eine Ausgabe dar (BGE 123 I 78; HÄFELIN/
MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., N 2220).
Demgegenüber untersteht die blosse Kapitalanlage als solche
nicht dem Finanzreferendum (HUNGERBÜHLER, a.a.O., S. 333). Eine
Anlage ist ein Finanzvorfall, dem ein frei realisierbarer Wert gegen-
übersteht und der bloss zur Umschichtung innerhalb des Finanzver-
mögens führt (§ 84b Abs. 3 GG). Das entscheidende Kriterium für
die Unterstellung unter das Finanzreferendum ist folglich die Ver-
minderung des Finanzvermögens und damit einhergehend die Mehr-
belastung des Steuerzahlers. Werden dem Finanzvermögen Mittel
entzogen, muss darüber abgestimmt werden - dies jedoch nur bei
einem echten Mittelabfluss, d.h. wenn dem Finanzvermögen kein
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
188
realisierbarer Gegenwert zugeführt wird. Eine Investition mit Mitteln
aus dem Finanzvermögen in Werte, die wiederum zum Finanzver-
mögen gehören, verringert das Finanzvermögen nicht und die Reali-
sierbarkeit bleibt erhalten (GIERI CAVIEZEL, Das Finanzreferendum
im Allgemeinen und unter besonderer Berücksichtigung des Kantons
Graubünden, Diss. Freiburg 1987, S. 54 f.; vgl. auch PIERRE
TSCHANNEN, in: Basler Kommentar zur Bundesverfassung, Basel
2015, Art. 34 N 27 f.; GEROLD STEINMANN, Die Schweizerische
Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Auflage 2014, Art. 34
N 18; YVO HANGARTNER/ANDREAS KLEY, Die Demokratischen
Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossen-
schaft, Zürich 2000, N 1832 ff.).
3.3.
In einem älteren Entscheid hielt das Bundesgericht fest, der Er-
werb von Liegenschaften zu Anlagezwecken stelle keine Ausgabe im
Sinne des Finanzreferendums dar (BGE 89 I 37 S. 43 f.). Einige Jah-
re später äusserte es sich in ähnlicher Weise, dass der Erwerb eines
Grundstücks durch den Staat keine Ausgabe (im Sinne einer Vermin-
derung des Staatsvermögens) darstellt, sondern erst die Inanspruch-
nahme dieses Grundstücks für einen bestimmten öffentlichen Zweck
(BGE 111 Ia 201 E. 5a S. 208 f.). An dieser Ansicht hielt das Bun-
desgericht in den folgenden Jahren fest und führte zum verfassungs-
politischen Zweck des Finanzreferendums aus, dem Bürger solle
damit bei Beschlüssen über erhebliche Ausgaben, die ihn als Steuer-
zahler mittelbar treffen, ein Mitspracherecht gesichert werden. Mit
Verweis auf das Begriffspaar Anlage und Ausgabe stellte es
ausserdem fest, um eine Anlage handle es sich dann, wenn einer
staatlichen Aufwendung ein frei realisierbarer Wert gegenüberstehe
und das erworbene Objekt nicht von Rechts wegen zu einer Verwen-
dung bestimmt sei, welche seine wirtschaftliche Veräusserung aus-
schliesse, wie diejenige zu Verwaltungszwecken. Daraus folgerte es
im konkreten Fall, dass mit der Absicht, einen Wohn-, Büro- und La-
dentrakt eines Gebäudes zu erstellen und weiterzuvermieten eine An-
lagetätigkeit verfolgt werde und der Vorgang keine Ausgabe darstelle
(BGE 112 Ia 221 E. 2a S. 226 f.). Schliesslich qualifizierte das Bun-
desgericht den Kredit für den Umbau einer bisher an eine private
2019
Wahlen und Abstimmungen
189
Mieterin vermieteten Liegenschaft der Stadt Zürich, um die Liegen-
schaft danach als Gerichtsgebäude zu nutzen, als eine Übertragung
von Finanz- in Verwaltungsvermögen und damit als Ausgabe, welche
dem Finanzreferendum unterstellt ist (BGE 123 I 78 E. 5b S. 84).
Anlagen seien Veränderungen innerhalb des Finanzvermögens; dabei
werde zur Werterhaltung und Sicherung eines angemessenen Ertra-
ges vorhandenes eigenes Vermögen in eine andere wirtschaftliche
Form gebracht (BGE 123 I 78 E. 3c S. 82).
4.
4.1.
Beim beabsichtigten Erwerb der Liegenschaft auf Walthers-
burg , welche sich in der Wohnzone und nicht in der Zone für öffent-
liche Bauten befindet, steht das Tätigen einer reinen Finanzanlage im
Vordergrund. So soll die Liegenschaft nach dem Kauf in das Liegen-
schaftenportfolio im Finanzvermögen integriert werden. In diesem
Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass der Erwerb und die Ver-
äusserung von Grundstücken nicht den Wert des Gemeindevermö-
gens verändert, sondern bloss die Zusammensetzung desselben. An-
stelle von liquiden Mitteln (Kaufpreis) wird der Wert eines Grund-
stücks im Finanzvermögen bilanziert oder umgekehrt (ANDREAS
BAUMANN, Aargauisches Gemeinderecht, 4. Auflage, Zürich 2017,
S. 361 FN 7).
4.2.
Die 29 bestehenden Alterswohnungen stellen dabei kein Hin-
dernis für die Überführung in das Finanzvermögen dar, unterscheidet
sich doch das Anbieten von Wohnungen für ein selbstbestimmtes
Wohnen im Alter klar von der Führung eines Altersheims, welches
zum Verwaltungsvermögen gehört. Dies gilt unabhängig davon, ob
die Miete der Alterswohnungen an den Bezug von (minimalen) Pfle-
ge- und Betreuungsleistungen gebunden ist oder nicht. Unter Beach-
tung der gesetzlichen und vertraglichen Fristen können Alterswoh-
nungen gekündigt und anderweitig (ohne Pflichtleistungen) vermietet
werden. Die Stellung der Stadt als eine von vierzehn Genossenschaf-
terinnen der Betriebsgenossenschaft ändert an der Qualifikation der
Alterswohnungen als Finanzvermögen nichts. Erst wenn die Stadt
beispielsweise selber Pflege- und Betreuungsdienste anbieten oder
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
190
aus sozialpolitischen Gründen auf Marktmieten verzichten würde,
könnte dies als Wechsel vom Finanz- zum Verwaltungsvermögen be-
trachtet werden und unterläge demnach dem Finanzreferendum. Da-
von ist in der stadträtlichen Botschaft jedoch keine Rede.
4.3.
Wird der Begriff Ausgabe im Sinne von § 4 lit. g GO in
Übereinstimmung mit dem übergeordneten Recht und der bundesge-
richtlichen Rechtsprechung ausgelegt, wird klar, dass sich eine Aus-
gabe ausschliesslich auf das Verwaltungsvermögen oder die Um-
widmung von Finanz- in Verwaltungsvermögen beziehen kann. Der
vorliegende Erwerb der Liegenschaft auf Walthersburg ist als Ka-
pitalanlage zu qualifizieren und nicht als Ausgabe im Sinne von § 4
lit. g GO. Das Sachgeschäft untersteht damit nicht dem Finanzrefe-
rendum. | 2,522 | 1,957 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-28_2019-08-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-28.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-28.pdf | AGVE_2019_28 | null | nan |
bcea6b14-75b9-557d-897a-884e90381eed | 1 | 412 | 870,295 | 1,078,185,600,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsgericht
140
[...]
37
Rückwirkende Änderung von Werten der Handels- und Steuerbilanz.
Berichtigung.
- Bilanzwerte, die formell verbindlich festgesetzt wurden oder die zur
Ermittlung des steuerbaren Ertrags in rechtskräftig gewordenen
Veranlagungen dienten, müssen fortgeführt werden.
2004
Kantonale Steuern
141
- Eine Berichtigung zur Korrektur materieller Fehler der Veranlagung
ist nicht zulässig.
- Eine Revision zu Lasten des Steuerpflichtigen mit dem Zweck,
"verschleppte Bilanzierungsfehler" zu beseitigen, ist nicht zulässig.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 4. März 2004 in
Sachen E. AG. Publiziert in StE 2005, B 72.11 Nr. 11. | 146 | 127 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-37_2004-03-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-37.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-37.pdf | AGVE_2004_37 | null | nan |
bd60af87-4f1a-588e-b4ed-f6f071016cae | 1 | 412 | 871,657 | 1,291,161,600,000 | 2,010 | de | 2010
Verwaltungsgericht
104
[...]
21
Anordnung einer fachärztlichen Begutachtung.
Unzulässigkeit der Anordnung einer fachärztlichen Begutachtung bei re-
gelmässigem, aber kontrolliertem und mässigem Cannabiskonsum, wenn
keine Indizien bestehen, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage
sein könnte, Cannabiskonsum und Strassenverkehr ausreichend zu tren-
nen, und es auch keine Hinweise auf die zusätzliche Einnahme anderer
Drogen gibt.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 15. Dezember 2010 in
Sachen R.G. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und Inne-
res (WBE.2010.324).
2010
Strassenverkehrsrecht
105
Aus den Erwägungen
1.
1.1. (...)
1.2.
1.2.1.
Führerausweise sind zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass
die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr
bestehen (Art. 16 Abs. 1 SVG). Der Sicherungsentzug wird unab-
hängig von einer Verkehrsregelverletzung bei körperlicher, geistiger
oder charakterlicher Unfähigkeit eines Fahrzeuglenkers verfügt und
dient damit unmittelbar der Sicherheit im Strassenverkehr
(BGE 107 Ib 395, Erw. 2a). Sicherungsentzüge sind dort anzuordnen,
wo an der Verkehrstauglichkeit eines Motorfahrzeugführers berech-
tigte Zweifel bestehen (vgl. hierzu AGVE 1991, S. 196 mit Hin-
weisen). Trifft diese Voraussetzung zu, so würde eine weitere
Zulassung zum Verkehr die Verkehrssicherheit gefährden. Hinter
dem Begriff "Verkehrssicherheit" steht das allgemeine Interesse der
anderen Verkehrsteilnehmer, keinen voraussehbaren und vermeid-
baren Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt zu sein. Dieses
Interesse überwiegt regelmässig die Interessen des Einzelnen (dessen
Verkehrstauglichkeit in Frage steht). Dieser Interessenlage wird auch
im Rahmen eines vorsorglichen Entzugs des Führerausweises
(Art. 30 VZV) Rechnung getragen (zu dessen Voraussetzungen:
BGE 106 Ib 115, Erw. 2b; 122 II 359, Erw. 3a mit Hinweisen). Da
ein Sicherungsentzug tief in den Persönlichkeitsbereich des
Betroffenen eingreift, ist nach der Rechtsprechung in jedem Fall und
von Amtes wegen eine genaue Abklärung der persönlichen Verhält-
nisse - und bei einem allfälligen Suchtleiden der Konsumgewohn-
heiten der betroffenen Person - vorzunehmen. Das Ausmass der
notwendigen behördlichen Nachforschungen, namentlich die Frage,
ob ein medizinisches Gutachten eingeholt werden soll, richtet sich
nach den Umständen des Einzelfalls und liegt im pflichtgemässen
Ermessen der Entzugsbehörde (Entscheid des Bundesgerichts vom
10. August 2010 [1C_146/2010], Erw. 3.2.1, letzter Abschnitt).
2010
Verwaltungsgericht
106
Wegen fehlender Fahreignung wird einer Person der Führer-
ausweis auf unbestimmte Zeit u.a. dann entzogen, wenn sie an einer
Sucht leidet, welche die Fahreignung ausschliesst (Art. 16d Abs. 1
lit. b SVG). Drogensucht wird nach der Rechtsprechung bejaht, wenn
die Abhängigkeit von der Droge derart ist, dass der Betroffene mehr
als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich ans Steuer eines
Fahrzeugs in einem - dauernden oder zeitweiligen - Zustand zu set-
zen, der das sichere Führen nicht mehr gewährleistet. Im Interesse
der Verkehrssicherheit setzt die Rechtsprechung den regelmässigen
Konsum von Drogen der Drogenabhängigkeit gleich, sofern dieser
seiner Häufigkeit und Menge nach geeignet ist, die Fahreignung zu
beeinträchtigen. Auf fehlende Fahreignung darf geschlossen werden,
wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, Betäubungsmittel-
konsum und Strassenverkehr ausreichend zu trennen, oder wenn die
nahe liegende Gefahr besteht, dass er im akuten Rauschzustand am
motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (Beschluss des Bundesge-
richts vom 7. Februar 2007 [6A.72/2006], Erw. 3.2 mit Hinweisen).
1.2.2.
Eine Fahreignungsabklärung in der Form einer Verpflichtung zu
einer fachärztlichen Begutachtung auf eigene Kosten (und unter der
Androhung eines vorsorglichen Sicherungsentzugs im Unterlas-
sungsfalle) muss sich auf einen genügenden Anlass stützen und ver-
hältnismäßig sein, d.h., es müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen,
wonach der Betroffene mehr als jede andere Person der Gefahr aus-
gesetzt ist, sich in einem Zustand ans Steuer eines Fahrzeugs zu set-
zen, der das sichere Führen nicht mehr gewährleistet (BGE 127 II
122, Erw. 3c; 124 II 559, Erw. 3d, je mit Hinweisen). Dabei gilt es
festzuhalten, dass nicht bei jedem Cannabis- bzw. Alkoholkonsu-
menten ohne weiteres eine mangelnde Fahreignung vermutet und
eine entsprechende verkehrsmedizinische Abklärung angeordnet
werden kann (Entscheid des Bundesgerichts vom 27. November
2002 [6A.65/2002], Erw. 6.2), vielmehr braucht es dafür eines kon-
kreten und erheblichen Verdachts für das Vorliegen einer verkehrs-
medizinisch relevanten Suchtproblematik.
2010
Strassenverkehrsrecht
107
2.
2.1.
Das im angefochtenen Entscheid geschilderte Konsumverhalten
des Beschwerdeführers (drei bis vier Gramm Marihuana pro Monat)
ist in dessen Verwaltungsgerichtsbeschwerde unbestritten geblieben.
Die Vorinstanz hält im angefochtenen Entscheid fest, im Rah-
men eines im April 2006 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens sei der
Beschwerdeführer wegen Vermittelns, Transportierens und Konsums
von Marihuana verzeigt worden. Gegenüber der Polizei habe der Be-
schwerdeführer damals angegeben, von April 2005 bis April 2006
monatlich einmal Marihuana zu rauchen. Die letzte Verzeigung we-
gen eines Betäubungsmitteldelikts sei im Januar 2007 erfolgt. Der
Beschwerdeführer habe am 14. März 2010 gegenüber der Polizei an-
gegeben, seit Juni 2009 wöchentlich Marihuana, letztmals am
13. März 2010 und insgesamt 36 Gramm, konsumiert zu haben.
Betreffend den letzten feststehenden Konsum vom 13. März 2010
habe er angegeben, einen Joint mit ca. 0,5 Gramm Marihuana ge-
raucht zu haben; ausgehend von dieser Menge Marihuana pro Joint
ergebe sich ein Konsum von sechs bis acht Joints monatlich. Als Fol-
ge dieses Vorfalls habe das Bezirksamt X. den Beschwerdeführer im
Mai 2010 u.a. wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittel-
gesetz durch Besitz und Konsum von Marihuana zu einer Geldstrafe
und einer Geldbusse verurteilt.
2.2.
2.2.1.
Die Vorinstanz schildert, es sei beim Beschwerdeführer von ei-
nem seit längerer Zeit betriebenen, regelmässigen Marihuanakonsum
auszugehen, der sich von anfänglich einem Joint auf sechs bis acht
Joints pro Monat gesteigert habe. Aufgrund des aktenkundigen regel-
mässigen Konsums von Marihuana lägen genügend Anhaltspunkte
vor, die zumindest berechtigte Zweifel an der Fahreignung des Be-
schwerdeführers begründeten, weshalb die Anordnung eines fach-
ärztlichen Gutachtens zur Abklärung der Fahreignung des Beschwer-
deführers notwendig sei.
2010
Verwaltungsgericht
108
2.2.2.
Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, es liege
weder eine Drogensucht noch eine Suchtgefährdung vor, und über-
dies fehle es auf jeden Fall an einem strassenverkehrsrechtlich rele-
vanten Konsumverhalten, weshalb keine Abklärungsmassnahmen an-
geordnet werden dürften.
3.
3.1.
Mögliche Anzeichen dafür, dass eine verkehrsmedizinische Ab-
klärung der Fahreignung von regelmässigen Cannabiskonsumenten
geboten ist, kann sich u.a. auch aus dem nachweisbaren bzw. einge-
standenen Konsum- und Fahrverhalten des Lenkers ergeben. Bei An-
zeichen von übermässigem Haschischkonsum, der zur Gefährdung
der Verkehrssicherheit führt, darf eine Prüfung der Fahreignung an-
geordnet werden (Entscheid des Bundesgerichts vom 27. November
2002 [6A.65/2002], Erw. 6.2 mit Hinweisen). Die Anordnung einer
verkehrsmedizinischen Abklärung der Fahreignung (im Hinblick auf
die Prüfung eines allfälligen Sicherungsentzuges) setzt jedoch kon-
krete Anhaltspunkte dafür voraus, dass der fragliche Inhaber des
Führerausweises mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt
ist, sich in einem Zustand ans Steuer eines Fahrzeuges zu setzen, der
das sichere Führen nicht mehr gewährleistet (BGE 127 II 122,
Erw. 3c; 124 II 559, Erw. 3d, je m.w.H.). Dies kann namentlich der
Fall sein, wenn es sich um einen "starken" Konsumenten von
Cannabis handelt und weitere Indizien auf verkehrsgefährdendes
Verhalten hinweisen (BGE 127 II 122, Erw. 4b; 124 II 559, Erw. 4a-
g, je m.w.H.).
Es entspricht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis, dass
der Cannabisrausch die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt. Der gelegent-
liche Cannabiskonsument, der nicht mit Alkohol oder anderen Dro-
gen mischt, ist jedoch in der Regel in der Lage, konsumbedingte
Leistungseinbussen als solche zu erkennen und danach zu handeln.
Demgegenüber ist bei andauerndem bzw. regelmässigem und gleich-
zeitig hohem Konsum von einer mindestens geringen Bereitschaft
und Fähigkeit auszugehen, zuverlässig zwischen dem Drogenkonsum
und der Teilnahme am Strassenverkehr zu trennen (Entscheidung des
2010
Strassenverkehrsrecht
109
Bundesverfassungsgerichts [BVerfG], 1 BvR 2062/96 vom 20. Juni
2002, Absätze 33 ff.). Die Neigung, unter Substanzeinfluss zu fahren,
verstärkt sich mit zunehmendem Konsum. Deshalb kann regel- oder
gar gewohnheitsmässiger Cannabiskonsum zumindest berechtigte
Zweifel an der Fahreignung begründen, die gegebenenfalls weitere
Abklärungen im Rahmen einer Eignungsprüfung (oder von Auf-
lagen) rechtfertigen. Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt,
ist eine möglichst rechtsgleiche Praxis im Vergleich zum Alkohol-
missbrauch am Steuer anzustreben, weshalb nicht bei jedem Canna-
biskonsumenten ohne weiteres eine mangelnde Fahreignung vermu-
tet und eine entsprechende verkehrsmedizinische Abklärung ange-
ordnet werden darf (Entscheid des Bundesgerichts vom 27. Novem-
ber 2002 [6A.65/2002]).
3.2.
Bei einem zugestandenen monatlichen Konsum von drei bis
vier Gramm Marihuana - entsprechend einem bis zwei Joints 0,5
mg pro Woche - kann zweifellos nicht von einem starken Konsu-
menten von Cannabis i.S. der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
gesprochen werden. Der Beschwerdeführer ist nie mit Drogen im
Strassenverkehr auffällig geworden. Bei dieser Ausgangslage ist da-
von auszugehen, dass es sich bei ihm um einen Fall von regelmässi-
gem, aber kontrolliertem und mässigem Cannabiskonsum handelt,
der für sich allein noch nicht den Schluss auf eine fehlende Fahreig-
nung zulässt (BGE 127 II 122, Erw. 4b). Es liegen auch keine Indi-
zien dafür vor, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage sein
könnte, Cannabiskonsum und Strassenverkehr ausreichend zu tren-
nen. Auch sind in casu keine Indizien für die zusätzliche Einnahme
anderer Drogen ersichtlich. Zusammenfassend besteht somit auf-
grund der Aktenlage kein genügender Anlass, den Beschwerdeführer
zu einer medizinischen Fahreignungsabklärung zu verpflichten. Die
Beschwerde ist daher gutzuheissen. | 2,381 | 1,882 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-21_2010-12-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-21.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-21.pdf | AGVE_2010_21 | null | nan |
bdb0651c-c47b-57c4-8b0f-952d39903c8a | 1 | 412 | 869,662 | 1,433,289,600,000 | 2,015 | de | 2015
Sozialhilfe
225
33
Sozialhilfe; selbständig Erwerbende
-
Selbständig Erwerbende können von der Sozialhilfe grundsätzlich
nur für eine befristete Zeit im Sinne einer Überbrückungshilfe bei
bestehender Erwerbstätigkeit ergänzend unterstützt werden.
-
Als Einkommen aus der selbständigen Erwerbstätigkeit ist der je-
weils erzielte Gewinn massgebend, nicht die Bruttoeinnahmen.
-
Die Aufrechnung unklarer Ausgaben als Einkommen setzt eine Ver-
letzung der Mitwirkungspflicht oder den Nachweis voraus, dass
nicht geschäftsmässig begründeter Aufwand vorliegt.
-
Behandlung von Kontokorrentkrediten
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. Juni 2015 in Sachen
Einwohnergemeinde A. gegen B., C. und Departement Gesundheit und Sozia-
les (WBE.2015.85).
Aus den Erwägungen
3.2.
Mit der Sozialhilfe dürfen keine selbständigen Erwerbstätigkei-
ten mitfinanziert werden, die nicht geeignet sind, die Notlage einer
gesuchstellenden Person in absehbarer Zeit zu mildern. Umgekehrt
soll aber einem Sozialhilfeempfänger - nach dem Grundsatz der
Subsidiarität (§ 5 Abs. 1 SPG) - nicht die Möglichkeit genommen
werden, mit der Ausübung einer Nebenerwerbstätigkeit die Ab-
hängigkeit von der materiellen Hilfe zu beschränken oder gar auf-
zuheben (AGVE 2009, S. 277, Erw. 4.3.1).
Selbständig Erwerbende können von der Sozialhilfe grundsätz-
lich nur für eine befristete Zeit im Sinne einer Überbrückungshilfe
bei bestehender selbständiger Erwerbstätigkeit ergänzend unterstützt
werden. Betriebskosten werden in der Regel nicht zu Lasten der So-
zialhilfe übernommen. Kleininvestitionen können zu Lasten der So-
zialhilfe getätigt werden, wenn der Betrieb bereits den Lebensunter-
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
226
halt abwirft, dadurch die Sozialhilfeabhängigkeit vermeidet und dies
auch künftig der Fall ist (vgl. SKOS-Richtlinien, Kapitel H.7; G
UIDO
W
IZENT
, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen
2014, S. 364; AGVE 2004, S. 251 f.). Die SKOS-Richtlinien
empfehlen, Unterstützung nur zu gewähren, wenn gleichzeitig eine
Überprüfung der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit des Betriebes
erfolgt (Kapitel H.7; C
LAUDIA
H
ÄNZI
, Die Richtlinien der
schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011, S. 202).
3.3.
Zum anrechenbaren Erwerbseinkommen gehören die Netto-Ein-
künfte aus unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit
(SKOS-Richtlinien, Kapitel E.I). Bei selbständiger Erwerbstätigkeit
ist jeweils der erzielte Gewinn massgebend, nicht etwa die Bruttoein-
nahmen, andernfalls müssten Geschäftsauslagen aufgerechnet wer-
den (H
ÄNZI
, a.a.O., S. 389 mit Verweis auf VGE IV/8 vom 14. Feb-
ruar 2005 [BE.2004.00259], S. 19). Bei der Berechnung der Netto-
einkünfte sind insbesondere Sozialversicherungsbeiträge und der
übrige Betriebsaufwand in Abzug zu bringen (Handbuch Sozialhilfe
des Kantonalen Sozialamtes Zürich, 2012, 9.1.01, Erläuterung 1.1).
Vermögensbestandteile der unterstützten Person, die (in ver-
nünftigem Umfang) in ihr Geschäft investiert sind und welche zur
Weiterführung der (mangels Rentabilität nicht ohnehin aufzugeben-
den) selbständigen Erwerbstätigkeit erforderlich sind, gelten grund-
sätzlich als nicht realisierbar im Sinne von § 11 Abs. 5 SPG (vgl.
Handbuch Sozialhilfe des Kantonalen Sozialamtes Zürich, a.a.O.,
9.2.01, Erläuterung 5).
3.4. (...)
4.-6. (...)
7.
7.1.
Den Beschwerdegegnern ist entsprechend dem Effektivitäts-
grundsatz nur verfügbares Einkommen als eigene Mittel anzurech-
nen. Für die Einkünfte aus der selbständigen Erwerbstätigkeit ist der
monatliche Geschäftsgewinn ergänzt um die Privatbezüge massge-
bend.
2015
Sozialhilfe
227
Bei den Akten ist eine Buchhaltung mit Zahlungsein- und -aus-
gängen der Geschäftskonti, wobei zu den Buchungen Referenzen an-
gegeben werden und ein monatlicher Gewinn/Verlust ausgewiesen
wird. Eine Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung liegt nicht vor.
Aufgrund der Kontoauszüge für September 2013 bis Dezember 2014
lassen sich die Gutschriften und Belastungen überprüfen. Die von
den Beschwerdegegnern eingereichten Unterlagen sind grundsätzlich
vollständig und stimmen mit den Auszügen überein. Es ist daher
grundsätzlich auf deren Angaben in den Unterlagen abzustellen. Bei
Auffälligkeiten hat die Sozialbehörde zusätzlich Auskünfte einzuho-
len. Zur Ermittlung des monatlichen Betriebsergebnisses darf einer-
seits nicht bloss auf die Geschäftseinnahmen abgestellt werden und
sind aufgrund der Massgeblichkeit der Kreditoren, unabhängig von
allenfalls höheren Saldi am Ende des Monats, die Verbindlichkeiten
bspw. für Lieferantenrechnungen zu berücksichtigen.
7.2.
Erscheint bei Ausgaben der Bezug zur Geschäftstätigkeit frag-
lich, hat die Sozialbehörde zusätzliche Auskünfte und Belege
einzuholen und besteht für die Beschwerdegegner eine erhöhte
Mitwirkungspflicht. Die Anrechnung unklarer Ausgaben als eigene
Mittel setzt eine Verletzung der Mitwirkungspflicht oder den Nach-
weis voraus, dass nicht geschäftsmässig begründeter Aufwand vor-
liegt.
7.3.
Nachdem der Kontokorrentkredit im Einverständnis mit der
Sozialbehörde weitergeführt wurde, können Erhöhungen des Konto-
standes (d.h. Buchgewinne ohne Ausschüttung und verbunden mit
dem Abbau des Kredits bzw. des Minussaldos) nicht als Einnahmen
im Sozialhilfebudget angerechnet werden. Die Anrechnung von
Bezügen als eigene Mittel setzt voraus, dass entsprechende Beträge
für private Zwecke verwendet wurden. Bestehen Anhaltspunkte für
Privatbezüge, hat die Sozialbehörde Anrechnungen zu begründen.
Nicht angerechnet werden dürfen insbesondere Beträge, welche
kurzfristig zur Einhaltung einer Kreditlimite oder zum Abbau eines
Minussaldos einbezahlt und anschliessend wieder abgehoben wur-
den. Diese wirken sich nicht auf das Geschäftsergebnis aus. | 1,268 | 986 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2015-33_2015-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-33.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-33.pdf | AGVE_2015_33 | null | nan |
be45199f-6f4e-54f3-a449-27fab0953b19 | 1 | 412 | 869,620 | 1,470,182,400,000 | 2,016 | de | 2016
Verwaltungsrechtspflege
323
[...]
53
Beschwerdebefugnis/Legitimation
Beschwerdebefugnis der (Einwohner-)Gemeinde in Bausachen
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. August 2016 in
Sachen A. AG, B. GmbH und C. AG gegen Departement Bau, Verkehr und
Umwelt sowie Gemeinderat D. (WBE.2015.502, Beschwerdeverfahren I) und
in Sachen Einwohnergemeinde D. gegen Departement Bau, Verkehr und Um-
welt sowie Gemeinderat D. (WBE.2015.503, Beschwerdeverfahren II).
Aus den Erwägungen
I.
1. (...)
2.
2.1.
Gemäss § 42 VPRG ist zur Beschwerde befugt a) wer ein
schutzwürdiges eigenes Interesse an der Aufhebung oder der Ände-
rung des Entscheids hat, b) jede andere Person, Organisation oder
Behörde, die durch Bundesrecht oder kantonales Recht zur Be-
schwerde ermächtigt ist.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
324
2.2. (...)
2.3.
Fraglich ist hingegen, ob auch der Gemeinderat zur Beschwerde
befugt ist (Beschwerdeverfahren II [WBE.2015.503]). Eine
Konstellation im Sinne von § 42 lit. b VRPG (spezifische Ermächti-
gung durch Bundesrecht oder kantonales Recht) liegt vorab nicht vor.
Es ist deshalb zu prüfen, ob die Beschwerdebefugnis gestützt auf
§ 42 lit. a VRPG gegeben ist. Der Gemeinderat bringt vor, als Adres-
sat sei er vom angefochtenen Entscheid direkt betroffen, und er
werde in seiner noch vorhandenen Gemeindeautonomie beschnitten,
weshalb er beschwerdeberechtigt sei.
Nach der Praxis kann sich auch eine (Einwohner-)Gemeinde auf
§ 42 lit. a VPRG (bzw. früher § 38 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspfle-
gegesetzes vom 9. Juli 1968 [aVRPG]) berufen. Gleich wie beim pri-
vaten Beschwerdeführer ist vorausgesetzt, dass sie ein schutzwürdi-
ges eigenes Interesse geltend machen kann. Die öffentlichen Interes-
sen einer (Einwohner-)Gemeinde sind eigene, wenn sie dem spezifi-
schen lokalen Lebensbereich entspringen; gemeint sind jene Belange,
welche die Gemeindeeinwohner erheblich anders als die Kantonsein-
wohner im Allgemeinen berühren (vgl. AGVE 1989, S. 305 f.; 1988,
S. 373; 1986, S. 322; VGE III/18 vom 2. März 2009
[WBE.2006.430], S. 4; je mit Hinweisen). Nach ständiger Rechtspre-
chung des Verwaltungsgerichts ist die Einwohnergemeinde (bzw. der
Gemeinderat) in Bausachen nur dann zur Beschwerde befugt, wenn
die kantonale Instanz entgegen der gemeinderätlichen Verfügung
eine Baubewilligung erteilt hat - weil dies zu Veränderungen in der
Gemeinde führt, welche der Gemeinderat für unzulässig hält - (vgl.
AGVE 1989, S. 306; 1986, S. 322; VGE III/5 vom 23. Januar 2014
[WBE.2013.113],
S. 3;
VGE III/18
vom
2. März
2009
[WBE.2006.430], S. 5; M
ICHAEL
M
ERKER
, Rechtsmittel, Klage und
Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die
Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38-72 [a]VRPG,
Diss., Zürich 1998, § 38 N 206), nicht hingegen, wenn eine
Baubewilligung des Gemeinderats aufgehoben wird, weil dann die
Situation der Gemeinde, wenn der Baugesuchsteller auf ein Rechts-
mittel verzichtet, nicht anders ist, als wenn überhaupt kein Bauge-
2016
Verwaltungsrechtspflege
325
such eingereicht worden wäre (AGVE 1989, S. 306 mit diversen
Hinweisen; M
ERKER
, a.a.O., § 38 N 206). Es besteht im vorliegen-
den Fall kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Selbst
wenn die Baubewilligung im Beschwerdeverfahren nämlich erteilt
wird, hat die Gemeinde kein Mittel, die Ausführung der Baute durch-
zusetzen; dies hängt völlig vom Willen des Baugesuchstellers ab (bei
dem angenommen werden kann, er ergreife selbst ein Rechtsmittel,
wenn er fest entschlossen ist zu bauen, so dass es in dieser Situation
gar keiner eigenen Beschwerdelegitimation der Gemeinde bedarf).
Es bleibt deshalb immer ungewiss, ob die Gemeinde die angestrebten
Auswirkungen ihrer Beschwerde überhaupt erreichen kann. Ausser-
dem hat sie, wenn sie die Bautätigkeit fördern will, dies durch gene-
rell anwendbare und wirksame Massnahmen zu tun. Die besonders
intensive Unterstützung eines Bauwilligen im Einzelfall - auch in
prozessualer Hinsicht - erfüllt diese Voraussetzung nicht; sie ist nicht
allgemein vorgesehen und kann es auch nicht sein, weil dies darauf
hinausliefe, dass die Gemeinde in jedem Fall prozessiert, wenn sie
vor der Beschwerdeinstanz nicht recht erhalten hat, also letztlich aus
reiner Rechthaberei. Zudem bestünde bei derartigem Handeln im
Einzelfall die erhebliche Gefahr objektiv nicht begründbarer
Ungleichbehandlung (AGVE 1989, S. 307).
Vorliegend hob die Vorinstanz die Baubewilligung des Gemein-
derats auf, und zwar gestützt auf verschiedene kantonale Bauvor-
schriften, deren Anwendung sie frei überprüfen durfte und musste
(namentlich kantonale Definitionen/Begriffe bzw. Messweisen im
Zusammenhang mit Geschossigkeit/Terrassierung und Gebäude-
länge, aber auch Strassenabstandsvorschriften und Frage, ob die
Voraussetzungen für Ausnahmebewilligungen erfüllt sind). Soweit es
um die Anwendung und Auslegung kantonaler Bestimmungen geht,
kann sich die Gemeinde auch nicht auf ihre Autonomie berufen. Ent-
sprechend den vorstehenden Ausführung ist die Einwohnergemeinde
(als deren Organ der Gemeinderat handelt) in einer solchen
Konstellation nicht befugt, den Entscheid ans Verwaltungsgericht
weiterzuziehen. Auf die Beschwerde im Beschwerdeverfahren II
(WBE.2015.503) ist demgemäss nicht einzutreten. | 1,264 | 1,017 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-53_2016-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-53.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-53.pdf | AGVE_2016_53 | null | nan |
bf624406-f72e-53f8-b281-b3e6eeb15aec | 1 | 412 | 871,703 | 1,257,206,400,000 | 2,009 | de | 2009
Enteignungsrecht
271
XI. Enteignungsrecht
49
Kostenauflage im erstinstanzlichen Verfahren um formelle Enteignung
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. November 2009 in Sa-
chen Einwohnergemeinde U. gegen den Kanton Aargau und den Regierungs-
rat des Kantons Aargau (WBE.2009.57).
Aus den Erwägungen
5.3.
Nach § 149 Abs. 2 BauG sind in Enteignungsverfahren, in de-
nen Entschädigungen zugesprochen werden, die Verfahrenskosten in
der Regel vom entschädigungspflichtigen Gemeinwesen zu tragen.
Eine ähnliche Regelung enthielt bereits das Dekret über das Verfah-
ren vor der Schätzungskommission nach Baugesetz und nach Gewäs-
serschutzgesetz (DSchK) vom 22. Februar 1972, welches mit dem
Inkrafttreten des Baugesetzes vom 19. Januar 1993 aufgehoben
wurde (vgl. § 166 lit. g BauG). Diese Bestimmung lautete wie folgt:
"Kostenverteilung
1
In Enteignungs- und Entschädigungsstreitigkeiten sind
a) Grundsatz
die Kosten des Verfahrens in der Regel vom Enteigner
beziehungsweise vom entschädigungspflichtigen Ge-
meinwesen zu tragen. In allen übrigen Verfahren ent-
scheidet die Schätzungskommission nach Recht und Bil-
ligkeit sowie unter Berücksichtigung des Verfahrensaus-
ganges über die Kostentragung."
Das Verwaltungsgericht erwog dazu in einem Grundsatzent-
scheid aus dem Jahr 1985, die Regel, wonach das entschädigungs-
pflichtige Gemeinwesen die Verfahrenskosten zu tragen habe, be-
ziehe sich einzig auf die zweite Phase des Verfahrens um formelle
Enteignung, in der das Enteignungsrecht feststehe und sich die Aus-
einandersetzung nur noch um die Entschädigung drehe. Das Recht
2009
Verwaltungsgericht
272
des Privaten, ohne Kostenrisiko den Enteignungsrichter anzurufen,
gelte somit bei der formellen Enteignung bloss für die Entschädi-
gungsfrage (AGVE 1985, S. 378). Gemäss den Materialien zum
Baugesetz sollte die Regel gemäss § 26 BauG in das neue Baugesetz
übernommen und gleichzeitig präzisiert werden (Botschaft des Re-
gierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 21. Mai
1990 [5397], S. 52). Hinweise darauf, dass die Kostenregelung ma-
teriell abgeändert werden sollte, finden sich in den Materialien nicht.
Es besteht daher kein Anlass, unter dem geltenden BauG vom
Grundsatz abzurücken, wonach sich das Kostenprivileg des Enteig-
neten lediglich auf die Entschädigungsfrage bezieht. Nachdem sich
der Streit im konkreten Fall um das Enteignungsrecht als solches
dreht, findet § 149 Abs. 2 BauG keine Anwendung. Die Kostenfrage
richtet sich also nach § 33 Abs. 1 aVRPG i.V.m. § 4 Abs. 1 BauG.
5.4.
Nach § 33 Abs. 1 aVRPG ist das erstinstanzliche Verwaltungs-
verfahren unentgeltlich; abweichende Bestimmungen sind jedoch
vorbehalten. Das Verfahren vor dem Regierungsrat ist zwar ein erst-
instanzliches, weil die Schätzungskommission in der Enteignungs-
frage keinen Entscheid fällen, sondern das Verfahren nach Scheitern
der Einigungsverhandlungen lediglich an den Regierungsrat über-
weisen kann (§ 154 BauG). Das Baugesetz enthält jedoch eine ab-
weichende Bestimmung im Sinn von § 33 Abs. 1 aVRPG. Gemäss
§ 5 Abs. 2 BauG können für Entscheide über Enteignungen auch vor
erster Instanz Gebühren und Kosten auferlegt werden.
Es gilt zwar der Grundsatz, dass eine Behörde keine Verfah-
renskosten zu tragen hat (vgl. AGVE 1996, S. 384 f.). Dieser Grund-
satz kommt jedoch dann nicht zum Tragen, wenn die Behörde ein
Verfahren selber eingeleitet hat oder wenn eine besondere Interes-
senlage gegeben ist, die jener im Klageverfahren oder im Zivilpro-
zess entspricht, wenn es also um Interessen des Gemeinwesens na-
mentlich finanzieller Art geht (vgl. AGVE 2006, S. 285; 2000, S. 386
mit Hinweisen). Nachdem die Beschwerdeführerin das vor-
instanzliche Verfahren selber durch ihre Einsprache eingeleitet hat,
lässt es sich nicht beanstanden, dass der Regierungsrat die vor-
instanzlichen Verfahrenskosten nach dem Prozessausgang verlegt
2009
Enteignungsrecht
273
hat. Da die Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren un-
terlegen ist, hat sie folgerichtig die Kosten des Verfahrens vor dem
Regierungsrat zu tragen. Die Rüge, die Vorinstanz habe die Kosten
falsch verlegt, ist somit unbegründet. | 963 | 756 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-49_2009-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-49.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-49.pdf | AGVE_2009_49 | null | nan |
bf99418e-4079-5d33-8e74-082f61093a2a | 1 | 412 | 871,327 | 1,102,032,000,000 | 2,004 | de | 2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
139
IV. Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
34 Gewässernutzung.
-
Ausnahmen von der Bewilligungspflicht (§ 4 Abs. 2 Satz 2 GNG; § 5
Abs. 3 GNV); Anwendung auf eine durch eine Eindolung entstandene
zusätzliche Gartenfläche (Erw. 1).
- Fehlende Gebührenpflicht auch mangels einer effektiven, sich nach
aussen manifestierenden Leistung des Staates (Erw. 2).
-
Abhandlung von Gegenargumenten (Erw. 3).
- Zulässigkeit einer zu blossen Kontrollzwecken erteilten Bewilligung
(Erw. 4).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. Dezember 2004 in
Sachen F. und Mitb. gegen Regierungsrat.
Aus den Erwägungen
1. Die Beschwerdeführer bestreiten zunächst unter Hinweis auf
§ 4 Abs. 2 Satz 2 GNG die Bewilligungspflicht für die den ange-
fochtenen Bewilligungen zugrundeliegenden Gewässernutzungen.
a) Die Nutzung der oberirdischen Gewässer ist im Rahmen des
Gemeingebrauches frei (§ 4 Abs. 1 GNG). Den Gemeingebrauch
übersteigende Nutzungen an oberirdischen Gewässern und ihrem
Gebiet sind bewilligungspflichtig (§ 4 Abs. 2 Satz 1 GNG). Der Re-
gierungsrat kann geringfügige Nutzungen von der Bewilligungs-
pflicht ausnehmen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 GNG). In § 5 Abs. 3 GNV hat
er von dieser Befugnis Gebrauch gemacht, einige Fälle aufgelistet
(Einsetzen von Fischkästen bis 100 l Inhalt; Erstellung einfacher
Bootsanbindevorrichtungen sowie von Fischer- und Bootsanlege-
stegen bis höchstens 1.50 m
2
Grundfläche) und das Baudepartement
ermächtigt, "ähnliche geringfügige Nutzungen von der Bewilli-
gungspflicht auszunehmen". Mit diesen Ausnahmen von der Be-
2005
Verwaltungsgericht
140
willigungspflicht wird offensichtlich bezweckt, unnötigen Verwal-
tungsaufwand zu vermeiden; der Staat soll nur dort intervenieren, wo
es sich unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses auf-
drängt. Ganz ähnliche Motive liegen auch der Bestimmung von § 30
ABauV betreffend die Befreiung von der Baubewilligungspflicht
zugrunde (siehe AGVE 2001, S. 287 ff.).
b) Im Jahre 1962 wurde der bis dahin in einem offenen Gerinne
fliessende "Huebbach" teilweise in ein Zementrohr mit einem Kali-
ber von 70 cm verlegt. Zuvor hatten sich infolge der Erosionswir-
kung des Bachs beidseitig Böschungen gebildet. Durch die mit der
Eindolung verbundene Terrainaufschüttung entstand über der Ge-
wässersohle eine Landfläche, welche als Gewässergebiet wie das
Gewässer selbst im Eigentum des Kantons steht (§ 116 Abs. 1 und 2
BauG) und durch die Eigentümer des beidseitig angrenzenden Lan-
des genutzt werden kann. Es ist unbestreitbar, dass eine solche
Nutzung nicht mehr gemeinverträglich ist, d.h. den Gemeingebrauch
übersteigt (§ 4 Abs. 2 GNG).
Die Beschwerdeführer machen nun geltend, die im Grenzbe-
reich ihrer Grundstücke liegende Eindolung führe nicht zu einer
besseren Grundstücksnutzung. Dies wird (wenn die bauliche
Nutzung ausgeklammert wird) durch die anlässlich des vorinstanzli-
chen Augenscheins aufgenommenen Fotos belegt; sie zeigen, dass im
aufgeschütteten Bereich lediglich die Gartenfläche etwas vergrössert
worden ist. Die Gegenargumente des Regierungsrats in der Stel-
lungnahme vom 13. Oktober 2004 überzeugen nicht. Selbst wenn
dort, wo früher ein kleines Tobel war, "einzelne Obstbäume"
gepflanzt worden sein sollten, würde dies noch keine im Sinne von
§ 4 Abs. 2 GNG rechtserhebliche Nutzung indizieren.
Soweit der Regierungsrat bauliche Nutzungen auf den Parzellen
Nrn. 336 und 1262 anspricht, die nur wegen der Eindolung möglich
gewesen seien, ist er auf seine eigenen Erwägungen im angefochte-
nen Entscheid zu verweisen; dort wird nämlich zutreffend ausge-
führt, aufgrund der Dauer der Gewässergebietsnutzung (rund 40
Jahre) sei "dem Schutz des Vertrauens der Beschwerdeführenden in
diese Nutzung erhöhtes Gewicht beizumessen", weshalb der erteilten
Nutzungsbewilligung "kein konstitutiver Charakter" zukomme. Auch
2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
141
die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts hat seinerzeit erwogen, dass
eine offenkundige, von den Behörden während Jahrzehnten
geduldete Nutzung nach Treu und Glauben als bewilligt gelten müsse
(AGVE 1994, S. 267 ff.). Es bleibt folglich dabei, dass man es zum
jetzigen Zeitpunkt mit einem vernachlässigbar kleinen Nut-
zungsgewinn zu tun hat. Ein Vertreter des Gemeinderats brachte es
am vorinstanzlichen Augenschein mit der Bemerkung, das Ganze sei
"völlig unverständlich" und es gehe - wenn überhaupt- höchstens um
eine geringfügige Nutzung, auf den Punkt. Eine Bewilligungspflicht
für gesteigerten Gemeingebrauch ist somit zu verneinen. Dem steht
nicht entgegen, dass der Staat auch derartige geringfügige Nutzungen
aus Kontrollgründen erfasst (AGVE 1994, S. 272 f.); dann steht hin-
ter der "Bewilligungspflicht" aber nicht die Zusatznutzung, sondern
ein anderes Motiv.
2. Für die
der Bewilligung unterliegende
Nutzung der öffentli-
chen Gewässer und ihres Gebiets erhebt der Staat Gebühren (§ 42
Abs. 1 Satz 1 GNG). Fehlt es an der Bewilligungspflicht, ist folglich
auch keine Gebühr geschuldet. Selbst wenn die Bewilligungspflicht
hier bejaht würde, wäre das Ergebnis kein anderes. Im Regelfall
werden Nutzungsgebühren für
konkrete
Nutzungen erhoben, deren
Art und Umfang im Bewilligungsgesuch selber umschrieben werden.
Das klassische Beispiel hiefür bildet etwa die Demonstration auf
öffentlichem Grund oder das Aufstellen von Verkaufswagen auf dem
Gebiet öffentlicher Strassen (siehe Ulrich Häfelin / Georg Müller,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich 2002, Rz. 2397).
Die in den §§ 11 f. GND aufgezählten Nutzungsarten sind ganz
analoge, ebenfalls klar definierte Tatbestände; aufgezählt werden
dort Seilbahnen und Materialtransportanlagen, Schiffs-, Fischer- und
Wochenendbauten, Schiffsstege und Schiffsverankerungen,
Surfplätze mit Einsatzstellen, Campingplätze und ähnliche Anlagen
oder landwirtschaftliche Nutzungen (§ 11) bzw. Rohr- und Ka-
belleitungen, Rechteckkanäle und andere unterirdische Bauten,
Freileitungen und Masten sowie Eindolungen (§ 12). In Anbetracht
dieser Enumerationen erweist es sich als nicht verhältnismässig,
schon eine relativ vage Nutzungs
möglichkeit
als gebührenpflichtig
zu betrachten. Auch das Äquivalenzprinzip verlangt grundsätzlich,
2005
Verwaltungsgericht
142
dass eine
konkrete und effektive
, sich nach aussen manifestierende
Leistung des Staates vorliegt; es geht hier nicht um die Abgeltung
eines wirtschaftlichen Sondervorteils wie bei der Vorzugslast (Häfe-
lin/Müller, a.a.O., Rz. 2641 f., 2655). Diesen Grundsatz bringt auch
§ 42 Abs. 1 Satz 1 GNG zum Ausdruck, wonach die Gebühren "in
billiger Weise nach der gewährten Leistung abzustufen sind". Eine
blosse Gartennutzung erreicht in aller Regel die für eine Gebüh-
renerhebung erforderliche Nutzungsintensität nicht.
3. Im Folgenden ist noch gesondert zu einzelnen Argumenten
und Einwänden des Regierungsrats Stellung zu nehmen:
a) Ob eine unbefristet erteilte Erlaubnis zur dauerhaften Ein-
deckung eines Bachs unter § 11 lit. e oder § 12 lit. d GND fällt, kann
offen bleiben, nachdem die Bewilligungspflicht verneint worden ist
(vorne Erw. 1/b) und es hier auch nicht um den erwähnten Tatbestand
geht. Dies scheint der Regierungsrat zu verkennen. Die Eindolung
des "Huebbachs" als solche ist im Jahre 1962 realisiert worden
(vorne Erw. 1/b), und es ist anzunehmen, dass der damalige Ersteller
(die Einwohnergemeinde oder das betreffende Bodenverbesserungs-
unternehmen) die dazu erforderliche Bewilligung gemäss § 4 Abs. 2
GNG bzw. § 5 Abs. 2 lit. a GNV eingeholt hat. Von der Erstellung
des Eindolungsbauwerks zu unterscheiden ist die Nutzung der dar-
überliegenden Fläche. Der Regierungsrat vermengt diese beiden Nut-
zungsarten. Für ihn ist offenbar einzig massgebend, dass eine Über-
bauung des Gewässergebiets (beispielsweise in Form einer Eindo-
lung) vorliegt; ob die neu geschaffene Fläche über dem Gewässerge-
biet landwirtschaftlich, als Garten oder als Parkplatz usw. genutzt
wird, mit Obstbäumen bepflanzt wird oder brach liegt, ist danach un-
erheblich. Das kann aber gebührenrechtlich nicht richtig sein (siehe
vorne Erw. 2). Aus den dargelegten Gründen - und auch vom norma-
len Sprachgebrauch her - bleibt auch die Verwendung des Begriffs
"Eindolung" in den angefochtenen Gewässernutzungsbewilligungen
vom 28. Mai 2002 problematisch.
b) Der Regierungsrat stellt fest, es sei in Fällen wie dem vorlie-
genden nicht das Ziel, möglichst viele Einnahmen zu generieren,
sondern es gehe primär um die Regelung der Frage, wer den Nutzen
und die Verantwortung für den Unterhalt der Bachleitung und des
2005
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
143
Landes trage. Eine solche Zwecksetzung ist aber von der Gebüh-
renerhebung völlig unabhängig. Dass es legitim ist, wenn der Kanton
aus Gründen der Präventivkontrolle und zu Registrierungszwecken
im Rahmen der Gewässerverwaltungspflicht auch nachträglich noch
Gewässernutzungsbewilligungen erteilt, ist bereits ausgeführt wor-
den (vorne Erw. 1/b; siehe AGVE 1994, S. 272 f.).
c) Die vom Regierungsrat aufgezeigten "weit reichenden Fol-
gen" für die aargauische Verwaltungspraxis vermag das Verwal-
tungsgericht nicht zu erblicken. Sowohl für die Eindolungsbauwerke
als solche als auch für den gesteigerten Gemeingebrauch der dar-
überliegenden Fläche können gemäss GNG und den einschlägigen
Ausführungserlassen Gebühren erhoben werden, aber eben nur dann,
wenn die aus dem Äquivalenzprinzip fliessenden Anforderungen er-
füllt sind (siehe vorne Erw. 2).
d) Unzutreffend ist auch, dass bei Zugrundelegung der verwal-
tungsgerichtlichen Auffassung "die jeweils aktuellen Grundeigen-
tümer nach ihren eigenen Wünschen und momentanen Nutzungen
über die Gebührenerhebung jährlich frei entscheiden könnten". Ob
eine Einsatzstelle für Surfer oder eine Privatbrücke mit Gebühren
belegt werden dürfen, auch wenn sie momentan nicht als solche ge-
nutzt werden, ist ein anderes Thema. Im vorliegenden Fall geht es
ausschliesslich darum, ob die in Frage stehende Nutzung die für die
Bewilligungs- und Gebührenpflicht nötige "Intensitätshöhe" erreicht.
Geradezu spitzfindig erscheint sodann der Hinweis, findige Grundei-
gentümer könnten "künftig vom Kanton z.B. verlangen, dass er auf
eigene Kosten ihren Garten unterhält, soweit er im Gewässergebiet
liegt". Unter dem Gewässerunterhalt im Sinne der §§ 121 f. BauG
werden die Vorkehren verstanden, "die dazu dienen, ein Gewässer in
gutem Zustand zu erhalten und den ungehinderten Abfluss des Was-
sers durch Freihalten des Bettes und des Durchflussprofils zu ge-
währleisten" (Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom
2. Februar 1971 [Kommentar], 2. Auflage, Aarau 1985, § 84 N 3).
Private Grundstücksnutzungen oberhalb einer Eindolung werden von
diesem Begriff klarerweise nicht erfasst.
e) Schliesslich entsteht auch kein Widerspruch mit dem
VGE II/117 vom 8. Dezember 1998 (BE.1995.00323). Dort ging es
2005
Verwaltungsgericht
144
um die teilweise Verlegung eines eingedolten Bachs im Rahmen
eines privaten Bauvorhabens, da die geplanten Bauten über die
unterirdische Bachleitung zu stehen gekommen wären. Streitig war
die Zustimmung des Baudepartements zur Bachumlegung und die
damit zusammenhängende Gebührenerhebung. Diesem Sachverhalt
entspricht im vorliegenden Falle die Bewilligung, den die Gemeinde
Auenstein vom Kanton für die Leitungsverlegung erhalten hat.
4. Der Regierungsrat ging im angefochtenen Entscheid von ei-
ner Nutzungsbewilligung aus, wie sich aus der Verknüpfung mit
Nutzungsgebühren und auch aus den Äusserungen im Beschwerde-
verfahren zweifelsfrei ergibt. Die angepassten "Besonderen Bedin-
gungen und Auflagen" sind nun aber so formuliert, dass sie auch im
Rahmen einer bloss zu Kontrollzwecken erteilten Bewilligung - wie
sie zulässig ist (vorne Erw. 1/b a.E., 3/b) - ihre Berechtigung haben.
Sie aufzuheben, wäre deshalb nicht gerechtfertigt. (...).
Da eine "Bewilligung zu Kontrollzwecken" nicht im Interesse
des Privaten, sondern des Kantons bzw. seiner Verwaltung liegt, sind
die angefochtenen Gebühren vollumfänglich aufzuheben. | 2,734 | 2,214 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-34_2004-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-34.pdf | AGVE_2005_34 | null | nan |
bfc7a0ad-75f1-5054-8969-b7870e10ecc4 | 1 | 412 | 870,972 | 1,196,726,400,000 | 2,007 | de | 2007
Sozialhilfe
195
[...]
46
Kantonsbeitrag an die Kosten der materiellen Hilfe.
-
Auslegung von § 47 Abs. 3 und § 49 SPG.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 20. Dezember 2007 in
Sachen Einwohnergemeinde K. und Mitb. gegen den Regierungsrat
(WBE.2006.447).
Aus den Erwägungen
1.
Der Kantonale Sozialdienst hat für die Kosten der materiellen
Hilfe, der Massnahmen zur wirtschaftlichen Verselbständigung, der
2007
Verwaltungsgericht
196
Elternschaftsbeihilfe, der Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen
und für die Kosten der Beschäftigungsprogramme gestützt auf § 47
Abs. 3 und Abs. 4 SPG sowie § 49 Abs. 1 und 2 SPG den Kantons-
beitrag für die einzelnen Gemeinden festgelegt. Gemäss Rechnungs-
blatt "Lastenausgleich für Sozialhilfekosten nach § 47 ff. Sozialhilfe-
und Präventionsgesetz für das Jahr 2005" wurde der Kantonsbeitrag
an die einzelnen Gemeinden auf der Grundlage der Einwohnerzahl,
der Anzahl Fälle sowie der Nettokosten ermittelt und nach einer
mathematischen Formel in prozentuale Beiträge der Nettokosten am
gesamten Kantonsbeitrag berechnet. Gegen die der Berechnung der
Gemeindebeiträge zugrunde gelegten Einwohnerzahlen, die Netto-
kosten und Fallzahlen erheben die Beschwerdeführerinnen keine
Einwendungen, und an der Richtigkeit dieser Zahlen bestehen auch
keine Zweifel. Umstritten ist vielmehr das in Anwendung von § 47
lit. a und b SPG gewählte Modell, mit dem der Kantonsbeitrag an die
Beschwerdeführerinnen im Einzelnen bestimmt wurde.
2.
2.1.
Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die Festsetzung
ihres Kantonsbeitrags verletze in mehrfacher Weise die gesetzliche
Ausgestaltung des Lastenausgleichssystems nach § 47 Abs. 3 SPG.
Die angefochtenen Vergütungen bewirkten, dass die Nettoaufwen-
dungen pro Einwohner zum Teil sehr deutlich unter die Grenze des
kantonalen Mittelwertes absänken. Aus der gesetzlichen Ausgestal-
tung des Lastenausgleichs ergebe sich unmissverständlich eine obere
Grenze des Ausgleichs bei den jeweiligen kantonalen Mittelwerten.
Die gesetzliche Konzeption bezwecke den Ausgleich von Spitzen-
belastungen und Sonderkosten oberhalb der kantonalen Durch-
schnittswerte und verbiete Vergütungen mit der Wirkung, dass in
einzelnen Gemeinden die Nettoaufwendungen pro Einwohner deut-
lich unter die Grenze des kantonalen Mittelwertes absänken. Mit dem
Lastenausgleich dürften nach dem Willen des Gesetzgebers einzelne
Gemeinden nicht zu Lasten anderer subventioniert werden, und es
dürfe nicht zu Lastenverschiebungen zwischen einzelnen Gemeinden
führen. Die Lastenverschiebung zwischen Kanton und Gemeinden
und zwischen den einzelnen Gemeinden verletze § 47 Abs. 3 SPG.
2007
Sozialhilfe
197
Weiter rügen die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung der gesetz-
lichen Bestimmungen über die Aufgabenteilung zwischen Kanton
und Gemeinden (Gesetz I über die Aufgabenteilung zwischen Kanton
und Gemeinden vom 2. Juli 2002 [GAT I; SAR 691.100], Gesetz II
vom 20. Mai 2003 [GAT II; SAR 692.100] sowie GAT III und daran
anschliessende Dekrete [DAT I bis DAT III; SAR 691/692/693.110]).
Die Grundsätze über die Aufgabenteilung verlangten annähernde
Kostenneutralität und schlössen einen indirekten Finanzausgleich
über Umwege aus. Selbst wenn das SPG von den Erlassen über die
Aufgabenteilung ausgeklammert bliebe, werde in den angefochtenen
Beschlüssen das gesetzliche Lastenausgleichssystem nicht zutreffend
umgesetzt.
Ergänzend machen sie schliesslich geltend, die Kostenvertei-
lung für das Jahr 2005 verstosse gegen das Rechtsgleichheitsgebot,
das Willkürgebot und gegen das Gebot der Verhältnismässigkeit.
2.2.
Der Regierungsrat führt zur Festlegung der Beitragsstufen im
Wesentlichen aus, dass das Lastenausgleichssystem des SPG zwei
selbstständige und gleichwertige (Lastenausgleichs-)Komponenten
enthalte, welche es mit sich brächten, dass Gemeinden, welche eher
tiefe Nettoaufwendungen hätten, bei einer Anzahl Sozialhilfefälle
über dem Kantonsmittel einen markant über das gesetzliche Mini-
mum hinausgehenden Kantonsbeitrag erhielten und damit ihre Netto-
aufwendungen reduziert würden. Die gesetzliche Regelung sehe
keine Nivellierung auf der Höhe des kantonalen Mittelwerts vor, und
der Gesetzgeber habe sich auch für eine Entlastung von Gemeinden
mit hoher Fallzahl entschieden. Das Lastenausgleichssystem berück-
sichtige auch die hohen Kosten von Gemeinden in Folge des Einbe-
zugs der Ausländerinnen und Ausländer. Keine Lastenverschiebung
dürfe im Verhältnis Kanton und allen Gemeinden stattfinden, weil
der Lastenausgleich nur zwischen Kanton und Gemeinden erfolge.
Aus den Materialien zum Projekt Aufgabenteilung (GAT I bis
GAT III) ergäbe sich in keinem Zusammenhang eine Verletzung der
Grundsätze der Aufgabenteilung durch das Lastenausgleichssystem
des SPG. Der Gesetzgeber habe sich bewusst gegen eine Überfüh-
2007
Verwaltungsgericht
198
rung des Lastenausgleichs im SPG in den allgemeinen Finanz- und
Lastenausgleich ausgesprochen.
3.
3.1.
Der Kanton vergütet den Gemeinden an die Kosten der Sozial-
hilfe und sozialen Prävention einen Beitrag, welcher sich einerseits
mit einem Anteil zwischen 5 bis 30 % nach der Anzahl der Fälle be-
zogen auf die Bevölkerungszahl richtet (§ 49 Abs. 1 i.V.m. § 47
Abs. 3 lit. a SPG), andererseits sich mit einem Anteil zwischen 5 bis
35 % nach den Nettoaufwendungen im Vergleich zum Kantonsmittel
(§ 49 Abs. 1 i.V.m § 47 Abs. 3 lit. b SPG) bemisst. Der Regierungsrat
hat die jährlichen Beitragsstufen so festzulegen, dass die Gemeinden
72 % und der Kanton 28 % der Gesamtkosten tragen (§ 49 Abs. 2
SPG).
Nach dem Wortlaut der erwähnten Bestimmungen (§§ 47 und
49 SPG) sind daher folgende Randbedingungen bei der Festlegung
und Bemessung des Kantonsbeitrags für die Sozialhilfe zwingend:
Der Kantonsbeitrag darf und muss 28 % der gesamten Nettoaufwen-
dungen aller Gemeinden betragen (§ 49 Abs. 2 SPG). Der kantonale
Beitrag gemäss § 47 Abs. 3 lit. a SPG beträgt mindestens 5 %, jener
nach § 47 Abs. 3 lit. b SPG mindestens 5 % der Nettoaufwendungen
(§ 49 Abs. 1 SPG). Die Obergrenze für die Bemessung des Kantons-
beitrags an einzelne Gemeinden beträgt für den Kantonsbeitrag nach
§ 47 Abs. 3 lit. a SPG 30 %, für denjenigen nach § 47 Abs. 3 lit. b
SPG 35 % (§ 49 Abs. 1 SPG).
Innerhalb dieser Randbedingungen legt der Regierungsrat die
Beitragsstufen jährlich fest (§ 49 Abs. 2 SPG). Für den Kostenver-
teiler, insbesondere die Festsetzung der Beitragsstufen, lassen sich
darüber hinaus dem SPG unmittelbar keine weiteren Bestimmungen
entnehmen. Der Gesetzeswortlaut lässt damit für die Festsetzung der
Beitragsstufen und die Verteilung unter die Gemeinden verschiedene
Möglichkeiten zu.
3.2.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens legte der Regierungs-
rat eine Variante vor, nach welcher sich die Beitragsstufen für die
beiden Kriterien linear veränderten. Für das Kriterium 1 (Anzahl So-
2007
Sozialhilfe
199
zialhilfefälle in der Gemeinde in % der Einwohnerzahl; § 47 Abs. 3
lit. a SPG) fing der Beitragssatz im Falle von bis zu 0,5 % von Fällen
pro Einwohner bei 10 % an. Bei einer Erhöhung der Fälle pro Ein-
wohner um 0,5 % erhöhte sich der Beitragssatz um 5 %, wobei er bei
über 2 % von Fällen pro Einwohner konstant bei 30 % lag. Für das
Kriterium 2 (Sozialhilfekosten pro Einwohner im Verhältnis zum
Kantonsmittel; § 47 Abs. 3 lit. b SPG) begannen die Beitragsstufen
im Falle von Nettoaufwendungen bis 100 % des Kantonsmittels bei
10 %, wobei eine Erhöhung der Nettoaufwendungen um 20 % den
Beitragssatz um 5 % ansteigen liess. Bei Nettoaufwendungen von
über 180 % des Kantonsmittels betrug der Beitragssatz generell 35 %
(Botschaft des Regierungsrats vom 30. Juni 1999 [99.226], S. 15).
Im "Zusatzbericht zur Kostenverteilung Kanton - Gemeinden" wird
ergänzend ausgeführt, dass dieses lineare Stufenmodell nicht
zwingend sei. Die offene Formulierung des SPG erlaube eine diffe-
renzierte Ansetzung der Beitragsstufen, "um so das Lastenaus-
gleichssystem zu Gunsten von überproportional stark belasteten Ge-
meinden noch griffiger auszugestalten (Botschaft des Regierungsrats
vom 27. September 2000 [Zusatzbericht zu Nr. 99.226], S. 4). In den
Beratungen des Grossen Rats wurde die Finanzierung und Kosten-
verteilung in der ersten Lesung zwar kontrovers, aber eher grund-
sätzlich diskutiert. In den Eintretensvoten wurde die Notwendigkeit
eines wirksamen Lastenausgleichs zwischen den Gemeinden und die
Entlastung derjenigen Gemeinden mit hohen Sozialhilfekosten auch
- oder vor allem - mit Blick auf die materielle Unterstützung von
Ausländerinnen und Ausländern betont (Protokoll der 167. Sitzung
des Grossen Rats vom 24. Oktober 2000 [Art. 2274], S. 3483 f. [Vo-
tum Barbara Roth], S.
3484 [Votum Esther Egger-Wyss] und
S. 3485 f. [Votum Dr. Rudolf Jost]). Insbesondere Regierungsrat
Ernst Hasler wies auf die besondere Situation von Zentrumsgemein-
den in der Sozialhilfe einerseits und die erheblichen Belastungen
durch einzelne Unterstützungsfälle andererseits hin. Mit dem Kosten-
verteiler sollten diese einseitigen Belastungen aufgefangen werden
(Protokoll der 168. Sitzung des Grossen Rats vom 24. Oktober 2000
[Art. 2275], S. 3488 f.). Über die konkreten finanziellen Auswirkun-
gen für die einzelnen Gemeinden herrschte auch in der Detailbera-
2007
Verwaltungsgericht
200
tung Unklarheit, worauf der Regierungsrat für die zweite Lesung
weitere Abklärungen in Aussicht stellte (Protokoll der 170. Sitzung
des Grossen Rats vom 31. Oktober 2000 [Art. 2289], S. 3534 [Votum
Rudolf Kalt] und S. 3535 [Votum Regierungsrat Ernst Hasler]).
Trotz dieser Unsicherheiten wurde den Bestimmungen von § 47
Abs. 3 SPG und § 49 SPG in der zweiten Lesung ohne Ergänzungen
durch die vorberatende Grossratskommission und ohne eine Detail-
beratung zugestimmt mit der einzigen Anregung, dass das Lasten-
ausgleichssystem im Rahmen der Aufgabenteilung nochmals einge-
hend überprüft wird (Protokoll der 187. Sitzung des Grossen Rats
vom 6. März 2001 [Art. 2487], S. 3876 [Votum Esther Egger-Wyss]).
Nach den Materialien zu schliessen, gaben zusätzliche Erläuterungen
des Kantonalen Sozialdiensts Anlass zur vorbehalts- und dis-
kussionslosen Annahme. Der Kantonale Sozialdienst hat der Gross-
ratskommission einen Bericht zum Kostenverteiler nach § 47 Abs. 3
SPG erstattet. Dieser Bericht vom 21. November 2000 stellte klar,
dass der Kostenverteiler einen Ausgleich hoher Fallkosten und hoher
Fallzahlen, aber auch einen Lastenausgleich unter den Gemeinden
schaffen soll. Im Zusatzbericht findet sich bereits die Abkehr vom li-
nearen Stufenmodell aus der Botschaft zu einem nichtlinearen steti-
gen Modell zur Bestimmung der Beitragsstufen (erwähnter Bericht,
S. 2 f.).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich den Materia-
lien über die im Gesetzeswortlaut erwähnten Randbedingungen hin-
aus für die Festsetzung der Beitragsstufen durch den Regierungsrat
keine zwingenden Vorgaben entnehmen lassen. Insbesondere sind -
entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen - der kantonale
Mittelwert der Fallzahlen und die Nettoaufwendungen pro Einwoh-
ner im Durchschnitt keine absoluten Grenzen für die Betragsberech-
tigung. Auch eine Auslegung, wonach zwischen den Gemeinden
keine Lastenverschiebungen zulässig seien, findet in den Materialien
keine Stütze. Im Gegenteil: Das gewählte System ist ausdrücklich
darauf ausgerichtet, Gemeinden mit hohen Sozialhilfekosten und ei-
ner hohen Anzahl von Sozialhilfefällen durch das Lastenausgleichs-
system besonders zu entlasten. Das zentrale Problem sah der Gesetz-
geber in den Sozialhilfekosten für Ausländer, welche sich nicht ho-
2007
Sozialhilfe
201
mogen auf alle aargauischen Gemeinden verteilen (vgl. erwähnter
Bericht, S. 3 f.). Das Lastenausgleichssystem gemäss §§ 47 ff. SPG
sieht deshalb gerade keine Nivellierung auf der Höhe des kantonalen
Mittelwerts der Aufwendungen vor. Nicht zu verkennen ist, dass die-
ses System mit zwei selbstständigen Faktoren zur Folge hat, dass Ge-
meinden, die bei der Anzahl der Sozialhilfefälle im Vergleich zum
Kantonsmittel eher hoch, aber im Bereich der Nettoaufwendungen
eher tief sind, einen Beitrag erhalten, welcher erheblich über das ge-
setzliche Minimum hinausgeht, was im Ergebnis wiederum die Net-
toaufwendungen sinken lässt.
Weder der Gesetzeswortlaut noch die Materialien erlauben aber
den Schluss, dass der Gesetzgeber den Kantonsbeitrag an die einzel-
nen Gemeinden auf der Grenze des kantonalen Mittelwerts der Net-
toaufwendungen pro Einwohner beschränken bzw. Vergütungen ver-
bieten wollte, welche zur Senkung der Nettoaufwendungen pro Ein-
wohner unter den kantonalen Mittelwert führen.
3.3.
Der Lastenausgleich wird in § 49 Abs. 2 SPG normiert, indem
der kantonale Beitrag an alle Gemeinden mit 28 % an den Ge-
samtaufwendungen aller Gemeinden (§ 49 Abs. 1 SPG und § 48
Abs. 2 SPG) festgelegt ist. Diese Grenze ist in den angefochtenen
Verfügungen eingehalten und damit auch der Grundsatz der Kosten-
neutralität im Sinne des Gesetzgebers gewahrt. Entgegen den Be-
schwerdeführerinnen geht es beim Lastenausgleichssystem im SPG
auch nicht um eine annähernde (horizontale) Kostenneutralität zwi-
schen den einzelnen Gemeinden. Der Gesetzgeber war sich dieser
Konsequenz des Lastenausgleichssystems im SPG durchaus bewusst.
Nebst den Materialien (siehe vorne Erw. 3.2) wurde auch in den
späteren Beratungen zum Projekt Aufgabenteilung auf eine Ände-
rung des Lastenausgleichssystems im SPG ausdrücklich verzichtet.
Der Regierungsrat hatte im Rahmen des 2. Pakets der Aufgabentei-
lung (GAT II) eine Ablösung des Lastenausgleichs im SPG durch
eine Ausgleichsregelung unter Einbezug des Ertrags der ordentlichen
Gemeindesteuern vorgeschlagen (Botschaft des Regierungsrats vom
11. September 2002 [Nr. 02.315], S. 2 f. und 15 f.). Auf diese Ände-
rung wurde in der Folge ausdrücklich verzichtet (Botschaft des Re-
2007
Verwaltungsgericht
202
gierungsrats vom 19. März 2003 [03.71], S. 10). Sowohl im SPG als
auch in der Gesetzgebung über die Aufgabenteilung (GAT) um-
schreibt die Kostenneutralität das Verhältnis des Kantons zu allen
Gemeinden vor und nach der Zuweisung neuer Aufgaben, d.h. dem
Kanton und allen Gemeinden zusammen dürfen aus der Aufgaben-
teilung per Saldo keine zusätzlichen Kosten anfallen (vgl. Zusatzbe-
richt vom 27. September 2000, S. 2 f.; vgl. auch Antworten des Re-
gierungsrats zur Interpellation Dr. Marcel Guignard betreffend Aus-
wirkungen des NFA auf GAT III und die Gemeinden vom 10. Januar
und 16. Februar 2005 [GR.04.336]).
3.4.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in den gesetzlichen Be-
stimmungen und den Materialien die von den Beschwerdeführerin-
nen angewandte kostenorientierte Optik am Ergebnis und nach
Leistung des Kantonsbeitrags keine Stütze findet. Mit der Beitrags-
bemessung nach der Anzahl der Sozialhilfefälle (§ 47 Abs. 3 lit. a
SPG) wird zudem der Belastung der Gemeinden mit den Infrastruk-
tur- und Betriebskosten (§ 52 lit. a SPG) Rechnung getragen. Diese
Kosten sind in Gemeinden mit vielen Unterstützungsbedürftigen hö-
her. Weitere Vorgaben zur Ausübung des Ermessens enthält das Ge-
setz nicht. Soweit die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung von
§ 47 Abs. 3 SPG rügen oder geltend machen, die Bestimmungen des
SPG über den Lastenausgleich seien in den jeweiligen Verfügungen
bzw. mit dem angewandten Berechnungsmodell verletzt, sind die Be-
schwerden somit abzuweisen. | 3,385 | 2,754 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2007-46_2007-12-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2007-46.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2007-46.pdf | AGVE_2007_46 | null | nan |
c00c9f0f-fdcf-577d-b429-be8939c3cd5f | 1 | 412 | 870,785 | 1,061,942,400,000 | 2,003 | de | 2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
235
[...]
56 Weitgehend
überbautes
Gebiet
- Der Begriff des weitgehend überbauten Gebietes ist parzellenüber-
greifend und gebietsbezogen zu verstehen.
- Sehr stark genutzte Erschliessungsanlagen können zusammen mit
umliegenden Gebäuden einen Siedlungszusammenhang begründen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 27. August 2003, 4. Kammer, in
Sachen H. gegen den Grossen Rat und den Regierungsrat
Aus den Erwägungen
2. c) Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die Parzelle
Nr. X und der unüberbaute Teil der Parzelle Nr. Y zum weitgehend
überbauten Gebiet gemäss Art. 15 lit. a RPG gehören. Sie würden
eine Fläche von total rund 0.9 ha umfassen und seien auf drei Seiten
von der Bauzone WG3, als welche auch die O.-strasse ausgeschieden
sei, umschlossen. Eine Baulücke sei nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung bei einer Grösse der fraglichen unüberbauten Fläche
von weniger als etwa 1.4 ha anzunehmen.
aa) Der Begriff des "weitgehend überbauten Landes" gemäss
Art. 15 lit. a RPG umfasst im Wesentlichen den geschlossenen Sied-
lungsbereich und eigentliche Baulücken innerhalb dieses Bereichs
(Bundesgericht, in: ZBl 103/2002, S.
659 f. mit Hinweisen;
BGE 122 II 462; AGVE 1997, S. 272; Felix Jost, Grösse und Lage
von Bauzonen, Diss. Zürich 2000; S. 102). Gleich verhält es sich mit
dem Begriff des weitgehend überbauten Gebiets im Sinne von
Art. 36 Abs. 3 RPG (Alexandre Flückiger und Alexander Ruch in:
Heinz Aemisegger/Alfred Kuttler/Pierre Moor/Alexander Ruch
[Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung,
Zürich 1999, Art. 15 N 58 ff. und Art. 36 N 26). Baulücken sind
einzelne unüberbaute Parzellen, die unmittelbar an das überbaute
2003
Verwaltungsgericht
236
Land grenzen, in der Regel bereits erschlossen sind und eine relativ
geringe Fläche aufweisen. Die Nutzung der Baulücke wird
vorwiegend von der sie umgebenden Überbauung geprägt: Das
unüberbaute Land muss also zum geschlossenen Siedlungsbereich
gehören, an der Siedlungsqualität teilhaben und von der bestehenden
Überbauung so stark geprägt sein, dass sinnvollerweise nur ihre
Aufnahme in die Bauzone in Frage kommt. Dazu zählen auch
Baulücken von untergeordneter Bedeutung. Der Begriff der
"weitgehenden Überbauung" ist somit nach der Rechtsprechung
gebietsbezogen, parzellenübergreifend zu verstehen. Der vorhandene
Zustand auf einem Grundstück ist in seiner Gesamtheit und im
Zusammenhang mit den Verhältnissen auf benachbarten Parzellen zu
betrachten. Der Siedlungscharakter ist vor allem auf Grund der
örtlichen Nähe der Häuser sowie der vorhandenen Infrastruktur
feststellbar. Dagegen sind peripher gelegene Gebiete, selbst wenn
dort schon eine gewisse Bautätigkeit eingesetzt hat, sowie unüber-
baute Flächen, denen im Verhältnis zu dem sie umgebenden Land
eine eigenständige Bedeutung zukommt, nicht als weitgehend über-
bautes Gebiet zu betrachten. Grössere Baulücken in besiedeltem Ge-
biet dienen der Auflockerung der Siedlungsstrukturen und der Erhö-
hung der Wohnqualität durch Grünflächen (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. b
und Art. 3 Abs. 3 lit. e RPG). Sie werden nicht von der sie umgeben-
den Überbauung geprägt, sondern haben eine eigenständige Funktion
(BGE 121 II 424 f. mit zahlreichen Hinweisen). Eine weitgehende
Überbauung ist eine effektiv bewohnte und benutzte Häusergruppe,
die zudem von derartiger Qualität ist, dass sie sinnvollerweise nur
der Bauzone zugeteilt werden kann. Nur die in eine Bauzone gehö-
renden Bauten, d.h. diejenigen des allgemeinen Siedlungszusam-
menhangs, sind bei der Beurteilung, ob bereits eine weitgehende
Überbauung besteht, zu berücksichtigen. Landwirtschaftliche und
andere, primär für die Freilandnutzung bestimmte Bauten, geben in
der Regel kein oder nur ein wenig gewichtiges Argument für die
Zuteilung zur Bauzone ab (VGE IV/8 vom 15.
April 2003
[BE.2002.00119] in Sachen S., S. 13 f.; BGE 116 Ia 201; BGE 113
Ia 450 ff.).
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
237
Die Beurteilung ist nach dieser Rechtsprechung nicht nur nach
rein quantitativen Kriterien, sondern unter Berücksichtigung der Art
der Umgebung, dem Verhältnis der nicht überbauten Fläche und den
sie umgebenden, überbauten Gebieten sowie der Nutzungsmöglich-
keiten vorzunehmen. Der Siedlungszusammenhang kann auch bei
peripheren Gebieten nicht zum vornherein verneint werden (siehe
AGVE 1997 S. 272 ff.; BGE 122 II 332 f.).
bb) Das umstrittene Gebiet mit einer Fläche von ca. 0.9 ha wird
im Norden durch die als WG3 ausgeschiedene O.-strasse begrenzt.
Jenseits der O.-strasse in der Spezialzone "G." mit landwirtschaftli-
cher Nutzung befinden sich der Landwirtschaftsbetrieb der Be-
schwerdeführerin, ein Einfamilienhaus mit ausschliesslicher Wohn-
nutzung und die Hofgebäude eines weiteren Landwirtschaftsbetrie-
bes. Hinter den erwähnten Gebäuden steigt der in der Landwirt-
schaftszone liegende Hang steil an. Die Parzelle Nr. X stösst im
Westen an die Verbindung zwischen L.- und O.-strasse (Knoten G.)
und ein Autocenter in der WG3. Die im östlichen Drittel der Parzelle
Nr. Y liegende Reithalle befindet sich ebenfalls in der WG3. Auf der
östlich anschliessenden Parzelle Nr. Z befindet sich das alte Gebäude
einer Autogarage ebenfalls in der WG3. Im Süden grenzen die um-
strittenen Parzellen an den schmalen, unüberbauten Ausläufer der
Parzelle Nr. W in der Spezialzone "G.", auf welcher ein Landwirt-
schaftsbetrieb steht. Unmittelbar angrenzend an die Parzelle Nr. W
folgt die stark befahrene L.-strasse.
cc) Weder das allein stehende Einfamilienhaus mit seiner aus-
schliesslichen Wohnnutzung noch die aus Darstellungsgründen der
WG3 zugewiesene O.-strasse können für sich alleine einen Sied-
lungszusammenhang gegen Norden begründen. Auch die bestehen-
den drei landwirtschaftlich genutzten Hofgebäude geben kein ge-
wichtiges Argument für die Zuteilung einer Parzelle zur Bauzone ab
(siehe vorne, Erw. aa). Bei einer gesamtheitlichen Betrachtung des
betroffenen Schildes fällt jedoch auf, dass die umstrittene, relativ
kleine, freie Fläche von den sie umgebenden, grossen Bauten, insbe-
sondere vom Autocenter im Westen sowie von der Reithalle und der
Autogarage im Osten stark geprägt ist. Dieser Eindruck wird durch
die enge Begrenzung des Schildes durch die O.-strasse und die sehr
2003
Verwaltungsgericht
238
stark befahrene L.-strasse noch verstärkt. Zusammen mit dem Wohn-
haus, dem auf der Nordseite relativ steil ansteigenden Hang und den
drei landwirtschaftlichen Wohngebäuden ist im konkreten Fall von
einer weitgehenden Überbauung auszugehen. Die unüberbaute Flä-
che von lediglich 0.9 ha hat in ihrer Umgebung zwischen den Ge-
bäuden der WG3 und den beiden Strassen keinen eigenständigen
Charakter mehr und wird als Lücke in mehrheitlich überbautem
Gebiet wahrgenommen. Eine sinnvolle landwirtschaftliche Nutzung
der umstrittenen Parzellen ist auf Grund der Kleinheit des Schildes
(0.9 ha) und der engen Begrenzung durch die stark befahrenen Stras-
sen kaum mehr möglich, weshalb sich eine Zuweisung der umstritte-
nen Parzellen zur Bauzone geradezu aufdrängt. | 1,586 | 1,295 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-56_2003-08-27 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-56.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-56.pdf | AGVE_2003_56 | null | nan |
c01478b4-d25c-5fce-9298-b6387a7cbb4e | 1 | 412 | 871,766 | 1,388,707,200,000 | 2,014 | de | 2014
Schulrecht
215
VIII. Schulrecht
39
Einschulung; vorsorgliche Massnahmen
-
Der Anspruch auf Beschulung und die Schulpflicht erfordern bei Ge-
fährdung der schulischen Entwicklung während des Beschwerdever-
fahrens den Erlass von vorsorglichen Massnahmen.
-
Ist der Entscheid über die Zuweisung in die Einschulungsklasse
angefochten, sind diejenigen vorsorglichen Massnahmen zu treffen,
welche der summarisch beurteilten Rechtslage am ehesten entspre-
chen.
Verfügung des Verwaltungsrichters, 3. Kammer, vom 20. Januar 2014 in Sa-
chen A. gegen Schulpflege B., Schulrat des Bezirks C. und Regierungsrat
(WBE.2013.561).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat aufschiebende Wir-
kung, wenn nicht im angefochtenen Entscheid oder durch besondere
Vorschrift etwas anderes bestimmt wird (§ 46 Abs. 1 VRPG). Im
angefochtenen Entscheid hat der Regierungsrat zur aufschiebenden
Wirkung nichts angeordnet und eine von § 46 Abs. 1 VRPG abwei-
chende gesetzliche Bestimmung im Schulgesetz fehlt.
Der Laufbahn- oder Promotionsentscheid der Schulpflege, mit
welchem der Besuch einer anderen, höheren Schulstufe bewilligt
wird, ist eine positive Anordnung. Der Suspensiveffekt des Rechts-
mittels hat bei solchen Gestaltungsverfügungen zur Folge, dass bis
zum rechtskräftigen Entscheid im Rechtsmittelverfahren ein rechtli-
ches Vakuum entsteht, da der Übertritt in die Schulstufe gemäss
erstinstanzlicher Verfügung nicht vollzogen werden kann und ein
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
216
anderer formeller (Promotions-) Entscheid, welcher dem betroffenen
Schüler erlauben würde, in einer andern Schulstufe die Schule zu
besuchen, fehlt.
2.2.
Gemäss § 46 Abs. 2 VRPG kann die Beschwerdeinstanz oder
das ihr vorsitzende Mitglied Anordnungen zur aufschiebenden Wir-
kung oder andere vorsorgliche Massnahmen treffen. § 46 Abs. 2
VRPG begründet einen sekundären, nachträglichen einstweiligen
Rechtsschutz.
Die Voraussetzungen für die Anordnung vorsorglicher
Massnahmen entsprechen grundsätzlich denjenigen für den Entzug
oder die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Dies
bedeutet, dass ein Rechtsanspruch auf Erlass von Massnahmen be-
steht, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (T
HOMAS
M
ERKLI
/
A
RTHUR
A
ESCHLIMANN
/R
UTH
H
ERZOG
, Kommentar zum Gesetz
über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997,
Art. 27 N 2). Der Entscheid über die Anordnung vorsorglicher
Massnahmen setzt Dringlichkeit voraus; es bedarf überdies einer hin-
reichend wahrscheinlichen Notwendigkeit, um die Rechtsdurchset-
zung nicht zu gefährden (BGE 127 II 132, Erw. 3; I
SABELLE
H
ÄNER
,
Die vorsorglichen Massnahmen im Zivil-, Verwaltungs- und
Strafverfahren, in: ZSR 1997 II, S. 341). Sodann ist in einer sum-
marischen Beurteilung eine Interessenabwägung vorzunehmen und
die Hauptsachenprognose zu berücksichtigen, wenn sie eindeutig ist
(BGE 130 II 149, Erw. 2.2). Inhalt der vorsorglichen Massnahmen
kann im Rahmen des Verhältnismässigkeitsprinzips alles sein, was
dem Schutz der gefährdeten Interessen dient und sich im Rahmen des
Streitgegenstandes bewegt (vgl. M
ICHAEL
M
ERKER
, Rechtsmittel,
Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz
über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38-72
VRPG, Zürich 1998, § 44 N 63).
2.3.
Kinder und Jugendliche mit Aufenthalt im Kanton haben das
Recht, diejenigen öffentlichen Schulen zu besuchen, die ihren Fähig-
keiten entsprechen und deren Anforderungen sie erfüllen (§ 3 Abs. 1
SchulG). Sie unterstehen bis zum erfolgreichen Abschluss, längstens
2014
Schulrecht
217
jedoch bis zur Vollendung des 16. Altersjahres der Schulpflicht (§ 4
Abs. 1 SchulG).
A. ist seit Beginn des Kindergartens im 2013 schulpflichtig (§ 4
Abs. 2 Satz 1 SchulG in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung)
und hat die Volksschule zu besuchen. Ein Entscheid im Rahmen von
vorsorglichen Massnahmen ist für die Dauer des Beschwerdeverfah-
rens unabdingbar, da A. bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem
Verwaltungsgericht (Instruktionsverfahren mit den Beschwerdeant-
worten, allfällig weiterem Schriftenwechsel, Hauptverfahren bis zur
Urteilszustellung) verpflichtet ist, die Volksschule zu besuchen, und
er auch Anspruch auf eine Beschulung hat. Durch einen ungenutzten
Zeitablauf kann seine schulische Entwicklung auch gefährdet sein.
Damit liegen wichtige Gründe gemäss § 46 Abs. 1 VRPG vor.
3.
3.1.-3.3. (...)
4.
4.1.-4.2. (...)
4.3.
A. besucht aufgrund der vorsorglichen Massnahme im
regierungsrätlichen Verfahren seit August 2013 die 1. Klasse, obwohl
er einer individuelleren Einschulung bedarf, als dies in der Regel-
klasse möglich ist. Seine auch von den Lehrpersonen in der
1. Regelklasse festgestellten Defizite sprechen für eine Einschulung
in der Einschulungsklasse. Die individuellen Betreuungsmöglichkei-
ten sind auch im wohlverstandenen Interesse des Kindes.
Für die Dauer des Verfahrens sind diejenigen Massnahmen zu
treffen, welche der summarisch beurteilten Rechtslage am ehesten
entsprechen. Die Feststellungen und Beobachtungen der Lehrperso-
nen und die Entscheide der Schulbehörden legen den Schluss nahe,
dass der Besuch der Regelklasse A. überfordert und der Bildungsauf-
trag nicht genügend umgesetzt werden kann. Diese Einschätzung
kann von den Beschwerdeführern nicht überzeugend entkräftet wer-
den.
Aus sozialen und pädagogischen Gründen sind bei einem weiter
andauernden Besuch der Regelklasse die Einschulung und Integra-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
218
tion des Kindes in der Einschulungsklasse in Frage gestellt, je länger
der provisorische Schulbesuch dauert.
Die von den Eltern vorgetragenen Interessen betreffen
demgegenüber den Anschluss ihres Sohnes an die Regelklassen nach
Abschluss der Einschulung. Ziel der Einschulungsklassen ist eine
dem Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler entsprechende
gezielte individuelle Förderung mit einer allmählichen Eingewöh-
nung in das Schulleben. Der Lehrplan entspricht demjenigen der
1. Klasse der Primarschule, nur wird der Lehrstoff auf 2 Jahre
verteilt. Wird das Lernziel der 1. Regelklasse nach 2 Jahren erreicht,
wird das Kind definitiv in die 2. Klasse befördert (§§ 1 ff. der
Verordnung über die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit
besonderen schulischen Bedürfnissen vom 28. Juni 2000
[SAR 421.331]). Die Befürchtungen der Eltern zum schwierigeren
Anschluss in der 2. Klasse erweisen sich damit als wenig fundiert.
Für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens ist daher A. der Ein-
schulungsklasse zuzuweisen.
5.
(...) Für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens ist daher die auf-
schiebende Wirkung zu entziehen, womit auch der Antrag der Be-
schwerdeführer auf vorsorgliche Massnahmen abzuweisen ist. (...) | 1,521 | 1,212 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-39_2014-01-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-39.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-39.pdf | AGVE_2014_39 | null | nan |
c06c34ef-2984-5601-8a2f-70f5272feeae | 1 | 412 | 871,554 | 1,107,302,400,000 | 2,005 | de | 2005
Verwaltungsrechtspflege
341
69
Ausstand (§ 124 Abs. 1 aStG).
- Über streitige Ausstandsbegehren ist vorab mittels (separat anfecht-
barer) Zwischenverfügung zu befinden. Dies gilt auch bei gleichzeitig
hängiger Aufsichtsbeschwerde. Die Person, gegen die sich das Aus-
standsbegehren richtet, hat, bis darüber rechtskräftig entschieden ist,
jede Mitwirkung im Verfahren zu unterlassen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 24. Februar 2005 in
Sachen U.B. gegen Steuerrekursgericht.
Aus den Erwägungen
3. c) aa) Nach § 124 Abs. 1 des Steuergesetzes (aStG) vom
13. Dezember 1983 dürfen Mitglieder, Beamte sowie Sachbearbeiter
der Steuerbehörden und der Steuerjustizbehörden ihr Amt in Angele-
genheiten, in denen sie als befangen erscheinen können, nicht aus-
üben. Abs. 2 enthält wohl eine ausführliche Auflistung einzelner
Ausstandsgründe, doch wird dadurch der Charakter von Abs. 1 als
Generalklausel nicht verändert. Die Ausstandspflicht gilt immer,
wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtungsweise den
Anschein der Befangenheit erwecken können (AGVE 1995, S. 414;
Jürg Baur, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, [1. Aufl.]
Muri/Bern 1991, § 124 aStG N 3; Martin Zweifel, in: Kommentar
zum schweizerischen Steuerrecht, Band I/2b [DBG], Basel/Genf/
München 2000, Art. 109 N 22).
bb) Ausstandsgründe sind rechtzeitig geltend zu machen. Wer
das Ausstandsbegehren nicht umgehend stellt, wenn er vom Aus-
standsgrund Kenntnis erhält, sondern sich auf das Verfahren einlässt,
verwirkt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben den Anspruch
auf spätere Anrufung des Ausstandsgrundes (Pra 91/2002, Nr. 102,
S. 588 f.; Zweifel, a.a.O., Art. 109 N 30, je mit Hinweisen).
Eine Person, gegen die ein Ausstandsbegehren gestellt wurde,
hat ab diesem Zeitpunkt in den Ausstand zu treten. Ist der Ausstand
streitig, so hat sie abzuwarten, bis die zuständige Instanz (§ 57 Abs. 2
der Verordnung zum Steuergesetz [aStGV] vom 13. Juli 1984) über
2005
Verwaltungsgericht
342
den Ausstand entschieden hat, und bis zu diesem Zeitpunkt jede
Mitwirkung im Verfahren zu unterlassen (Conrad Walther, in: Kom-
mentar zum Aargauer Steuergesetz, Band 2, 2. Auflage, Muri/ Bern
2004, § 169 N 14).
Es ist nichts als konsequent, aus der Obliegenheit sofortiger
Geltendmachung von Ausstandsgründen einerseits und dem Erfor-
dernis, über Ausstandsbegehren vorab mittels Zwischenverfügung zu
entscheiden, andererseits zu schliessen, über den Ausstand sei vor-
weg
rechtskräftig
zu entscheiden (vgl. Zweifel, a.a.O., Art. 109
N 32). In einem Fall der Selbstablehnung spricht das Bundesgericht
sogar von einer gerichtsorganisatorischen Frage, die
ihrer Natur
nach
endgültig zu entscheiden ist, bevor das Verfahren weitergeführt
werden kann (Pra 91/2002, Nr. 144, S. 778). Die Zwischenverfügung
über das Ausstandsbegehren muss deshalb separat weitergezogen
werden können, ohne dass es letztlich noch darauf ankäme, ob dabei
von einem nicht wieder gut zu machenden Nachteil gesprochen wer-
den kann (vgl. BGE 126 I 203 ff.; Merkli/Aeschlimann/Herzog,
Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kan-
ton Bern, Bern 1997, Art. 9 N 21; Art. 87 Abs. 1 OG in der Fassung
vom 8. Oktober 1999; Art. 45 Abs. 2 lit. b VwVG).
Sein eigenes Präjudiz in AGVE 1992, S. 454 ff. (das die An-
fechtbarkeit von Sistierungsverfügungen betraf), auf das sich das
Steuerrekursgericht im angefochtenen Entscheid für seine Ansicht
stützt, dass es im Steuerverfahrensrecht überhaupt keine anfechtba-
ren Zwischenverfügungen gebe, lässt sich in dieser umfassenden
Formulierung nicht aufrecht erhalten, ohne dass jener Entscheid aber
für den dort vorliegenden Sachverhalt in Zweifel gezogen werden
müsste.
cc) Die Möglichkeit der Aufsichtsbeschwerde (§ 113 aStG)
- besser wäre der Ausdruck "Aufsichtsanzeige" (Michael Merker,
Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aar-
gauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu
den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 59a N 2) - ändert nichts.
Wenn im Rahmen eines konkreten Verfahrens ein Ausstandsgrund
geltend gemacht wird, hat die zuständige Behörde in diesem Verfah-
ren darüber zu befinden (vgl. § 57 Abs. 2 aStGV; Walther, a.a.O.,
2005
Verwaltungsrechtspflege
343
§ 169 N 14; Baur, a.a.O., § 124 aStG N 5) und darf nicht wegen der
Möglichkeit einer Aufsichtsanzeige oder wegen eines eingeleiteten
Aufsichtsbeschwerdeverfahrens davon absehen. Dass die Steuerkom-
mission trotz der noch hängigen Aufsichtsanzeige eine Zwischen-
verfügung erliess, war verfahrensmässig korrekt.
dd) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass über streitige Ab-
lehnungsbegehren - wenn also die betroffene Person der Meinung ist,
es liege kein Ausstandsgrund vor - mittels einer selbstständig an-
fechtbaren Zwischenverfügung zu befinden ist. Daraus ergibt sich als
Selbstverständlichkeit, dass die abgelehnte Person sich nicht nur bis
zum erstinstanzlichen, sondern bis zum
rechtskräftigen
Entscheid
über das Ablehnungsbegehren jeder Mitwirkung im Verfahren zu ent-
halten hat. | 1,237 | 998 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-69_2005-02-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-69.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-69.pdf | AGVE_2005_69 | null | nan |
c06ccf9c-aa12-5dca-98fd-9a9f4a518648 | 1 | 412 | 870,100 | 1,570,060,800,000 | 2,019 | de | 2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
126
16
Eindolung von Gewässern
Gemäss § 119 Abs. 2 Satz 2 BauG ist die Bewilligung für die Eindolung
von Gewässern nach Möglichkeit davon abhängig zu machen, dass im
gleichen Gebiet ein entsprechendes Gewässer offen gelegt wird (sog.
Kompensationspflicht); diese Kompensationspflicht gilt nur für Neuein-
dolungen, nicht hingegen für bewilligungsfähige Ersatzeindolungen ge-
mäss Art. 38 Abs. 2 lit. e GSchG.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. Oktober
2019, in Sachen Abwasserverband ARA A. gegen Gemeinderat B. und Regie-
rungsrat (WBE.2018.456).
Aus den Erwägungen
5.2.2.
(...)
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
127
Nach Art. 38 GSchG dürfen Fliessgewässer nicht überdeckt
oder eingedolt werden (Abs. 1). Die Behörde kann insbesondere für
den Ersatz bestehender Eindolungen Ausnahmen bewilligen, sofern
eine offene Wasserführung nicht möglich ist oder für die landwirt-
schaftliche Nutzung erhebliche Nachteile mit sich bringt (Abs. 2
lit. e). Fehlt es an diesen Voraussetzungen, dürfen bestehende Eindo-
lungen und Überdeckungen nicht erneuert werden (CHRISTOPH
FRITZSCHE, in: PETER HETTICH/LUC JANSEN/ROLAND NORER
[Hrsg.], Kommentar zum Gewässerschutzgesetz und Wasserbauge-
setz, Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 38 N 18). Der Ersatz muss die
bisherige Führung der Dole oder Überdeckung nicht zwingend über-
nehmen (FRITZSCHE, a.a.O., Art. 38 N 19). Sanierungen, die im Er-
gebnis nicht auf einen Ersatz hinauslaufen, sondern reine Unterhalts-
arbeiten oder Ausbesserungen betreffen, sind ohne die Erteilung
einer Ausnahmebewilligung zulässig. Unter den Begriff der Ausbes-
serungen fällt auch der Ersatz einzelner untergeordneter Elemente.
Wird aber umgekehrt derart in die bestehende Substanz eingegriffen,
dass das Bestehende im Verhältnis zu den neuen Elementen als un-
tergeordnet erscheint, wird von einem Ersatz zu sprechen sein, der
einer Ausnahmebewilligung nach Abs. 2 lit. e bedarf (FRITZSCHE,
a.a.O., Art. 38 N 20). Mit der Formulierung der nicht möglichen
offenen Wasserführung meint das Gesetz nicht eine absolute Unmög-
lichkeit. Technisch ist jede Offenlegung möglich. Auf eine offene
Wasserführung kann aber jeweils verzichtet werden, wo die räum-
lichen Verhältnisse eine offene Bachführung verunmöglichen oder
unzumutbar erschweren (FRITZSCHE, a.a.O., Art. 38 N 21).
Laut Technischem Bericht zum Baugesuch musste die alte Ab-
wasserleitung (= eingedolter Bach C.) für den Bau des neuen Klärbe-
ckens provisorisch aufgehoben werden. Das Leitungstrassée - so der
Bericht weiter - werde zum Ende der Bauarbeiten neu verlegt, so
dass die Leitung in der erforderlichen Kapazität wiederhergestellt
werde. Im Situationsplan der ARA A. und in den Querschnitten des
neuen Klärblockes sei ersichtlich, dass innerhalb des Areals der
Kläranlage A. keine Platzreserven für eine Freilegung dieser Leitung
bestünden. Aufgrund dieser Ausführungen sowie der Bau-
eingabepläne steht somit einerseits fest, dass vorliegend eine Ersatz-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
128
eindolung im Sinne von Art. 38 Abs. 2 lit. e GSchG zur Debatte
steht. Die alte Abwasserleitung wird auf einer Länge von über 70 m
durch einen neuen Meteorwasserkanal mit leicht abgeänderter
Linienführung ersetzt. Dabei kann nicht mehr vom Austausch unter-
geordneter Elemente gesprochen werden. Andererseits belegen die
Baueingabepläne die Aussage im Technischen Bericht zum Bau-
gesuch, dass eine Offenlegung des Bachs C. auf der Parzelle Nr. xxx
effektiv aus Platzgründen ausscheidet. Demnach hat die Abteilung
für Baubewilligung für die Ersatzeindolung zu Recht eine Ausnah-
mebewilligung (nach Art. 38 Abs. 2 lit. e GSchG) wegen fehlender
Möglichkeit zur Bachöffnung auf der Parzelle Nr. xxx erteilt. Das
Bundesrecht selber sieht im Falle einer entsprechenden Ausnahme-
bewilligung keine Kompensationspflicht in Form einer Offenlegung
eines anderen Gewässerabschnitts oder Gewässers vor. Derlei Er-
satzmassnahmen werden nur, aber immerhin im kantonalen Recht
vorgeschrieben und sind in § 119 Abs. 2 BauG geregelt, wohingegen
sich § 119 Abs. 1 BauG auf die Verpflichtung zur Revitalisierungs-
planung des Kantons bezieht, die mit dem am 1. Januar 2011 in Kraft
getretenen Art. 38a GSchG und der seit 1. Januar 2016 geltenden
Ausführungsbestimmung in Art. 41d GSchV auf Bundesebene einge-
führt respektive konkretisiert wurde (vgl. ERICA HÄUPTLI-
SCHWALLER, in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau,
Bern 2013, § 119 N 8 ff.).
Nach § 119 Abs. 2 Satz 1 BauG dürfen neue Eindolungen von
Gewässern im Rahmen des eidgenössischen und kantonalen Rechts
mit Zustimmung des zuständigen Departements (BVU) nur bewilligt
werden (vom Gemeinderat), wenn übergeordnete Interessen dies er-
fordern. Mit dem Verweis auf das eidgenössische Recht wird klarge-
stellt, dass Ausnahmebewilligungen für die Eindolung von Gewäs-
sern nur nach Massgabe von Art. 38 Abs. 2 GSchG in Betracht
fallen, was wegen des Vorrangs des Bundesrechts vor kantonalem
Recht (Art. 49 BV) ohnehin schon kraft Art. 38 Abs. 2 GSchG gilt.
Die Tatbestände für eine Ausnahme vom Eindolungsverbot dürfen
durch das kantonale Recht nicht erweitert werden (HÄUPTLI-
SCHWALLER, a.a.O., § 119 N 12). Die Bewilligung für neue Eindo-
lungen ist gemäss § 119 Abs. 2 Satz 2 BauG nach Möglichkeit davon
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
129
abhängig zu machen, dass im gleichen Gebiet ein entsprechendes
Gewässer offengelegt wird. Weil diese Kompensationspflicht - wie
erwähnt - allein im kantonalen Recht verankert ist, im Gegensatz zu
den Ausnahmetatbeständen vom Eindolungsverbot, erstreckt sie sich
nicht notwendigerweise auf alle Fälle, in denen eine Ausnahmebe-
willigung für eine Eindolung nach Art. 38 Abs. 2 GSchG erteilt wird.
Dass das kantonale Recht die Ausnahmetatbestände vom Eindo-
lungsverbot gegenüber Art. 38 Abs. 2 GSchG nicht erweitern darf
respektive dass eine solche Erweiterung unbeachtlich wäre, hindert
den kantonalen Gesetzgeber nicht daran, die von Bundesrechts we-
gen nicht vorgeschriebene Kompensationspflicht auf einen Teil der
nach Art. 38 Abs. 2 GSchG zulässigen Eindolungen einzuschränken.
§ 119 Abs. 2 BauG handelt dem Wortlaut zufolge von neuen Ein-
dolungen. Es gibt mit Bezug auf eine grammatikalische Auslegung
des Wortlauts der Bestimmung keinen Anhaltspunkt dafür, dass da-
von auch die Erneuerung bzw. der Ersatz bestehender Eindolungen
erfasst sein könnte. Auch die ratio legis schliesst es nicht aus, Ersatz-
eindolungen im Hinblick auf die Kompensationspflicht anders zu be-
handeln als Neueindolungen, die einen unerwünschten Zustand zu-
sätzlich verschärfen. Wirft man einen Blick in die Materialien, erhellt
daraus, dass mit der Kompensationspflicht in § 119 Abs. 2 Satz 2
BauG beabsichtigt wurde, dass die eingedolten Strecken gesamthaft
nicht mehr zunehmen (Botschaft des Regierungsrats des Kantons
Aargau an den Grossen Rat vom 21. Mai 1990 zur Totalrevision des
Baugesetzes, 5397, S. 45; Protokoll der Spezialkommission Bauge-
setzrevision des Grossen Rates der 19. Sitzung vom 8. März 1991,
S. 266, Votum Jäggi zu § 100 des Entwurfs des Baugesetzes vom
21. Mai 1990). Dafür kann bereits mit einer auf Neueindolungen be-
grenzten Kompensationspflicht gesorgt werden, während eine Kom-
pensationspflicht bei Ersatzeindolungen insgesamt zur Abnahme ein-
gedolter Gewässer führen würde. Eine solche Entwicklung wird im
Lichte von Art. 38a GSchG, Art. 41d GSchV und § 119 Abs. 1 BauG
zwar durchaus angestrebt, die Umsetzung der Strategie gehört aber
primär zu den Aufgaben des Kantons. Letztlich gibt es mit § 119
Abs. 2 Satz 2 BauG nach richtiger Auslegung keine genügende ge-
setzliche Grundlage dafür, Gemeinden oder Private, denen auf ihrem
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
130
Grundstück lediglich eine Ersatzeindolung (anstelle einer Neuein-
dolung) bewilligt wird, zu einer Ersatzmassnahme in Form der
Offenlegung eines anderen Gewässerabschnitts oder Gewässers zu
verpflichten. Das gilt auch für den Beschwerdeführer, der auf seiner
Parzelle Nr. xxx nur die Erneuerung einer bestehenden Bachleitung
realisiert und somit nicht dazu verpflichtet werden kann, als Ersatz-
massnahme den Bach C. ausserhalb seines Betriebsareals auszudo-
len. Folglich ist die angefochtene Auflage, die eine solche Verpflich-
tung vorsieht, mangels gesetzlicher Grundlage aufzuheben. | 1,969 | 1,533 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-16_2019-10-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-16.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-16.pdf | AGVE_2019_16 | null | nan |
c0eddc25-4fd2-577e-8b7e-1795263526fa | 1 | 412 | 869,774 | 1,180,828,800,000 | 2,007 | de | 2007
Verwaltungsgericht
220
[...]
52
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gelten Fristerstreckungen nur für
diejenige Partei, die darum ersucht und einen zureichenden Grund nach-
weist (Erw. 2)
Verfügung des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, Präsident, vom 8. Juni
2007 in Sachen Swisscom Mobile AG gegen Regierungsrat (WBE.2007.88).
2007
Verwaltungsrechtspflege
221
Sachverhaltszusammenfassung
Am 19. Dezember 2005 erteilte der Gemeinderat Rudolfstetten-
Friedlisberg der Swisscom Mobile AG die Baubewilligung für eine
Mobilfunkanlage auf der Parzelle Nr. 1462 an der Grossmattstrasse.
Dagegen erhoben T. und 63 Mitbeteiligte Beschwerde beim Regie-
rungsrat. Mit Entscheid vom 21. Februar 2007 hiess der Regierungs-
rat die Beschwerde gut und hob die Baubewilligung auf. Der Ent-
scheid wurde den Beschwerdeführern A. AG, F., L., T. und N. zuge-
stellt. Die Swisscom Mobile AG gelangte in der Folge an das Ver-
waltungsgericht mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei
aufzuheben und die Baubewilligung zu bestätigen. Am 28. März
2007 stellte der zuständige Kammerpräsident die Beschwerde der
A. AG, F., L., T und N. zu und stellt ihnen frei, sich bis am 27. April
2007 am Verfahren zu beteiligen und eine Vernehmlassung zur Be-
schwerde einzureichen. Gleichzeitig erging der Hinweis, dass mit der
Verfahrensbeteiligung ein allfälliges Kostenrisiko für den Fall des
Unterliegens verbunden sei. Für den Fall, dass innert Frist keine Ver-
nehmlassung eingereicht werde, gehe das Gericht davon aus, dass
keine Verfahrensbeteiligung erfolge.
Am 5. April 2007 wurde den Beteiligen eine dem Gemeinderat
Rudolfstetten-Friedlisberg bewilligte Fristerstreckung bis 15. Mai
2007 zur Kenntnisnahme zugestellt. Mit Eingabe vom 14. Mai 2007
erstatteten die A. AG, F., L., T. und N eine gemeinsam verfasste Ver-
nehmlassung für alle 64 von der Baubewilligung Betroffenen.
Aus den Erwägungen
1.
Gemäss Verfügung des Kammerpräsidenten vom 28. März 2007
hatten sich T. und Mitbeteiligte bis zum 27. April 2007 über ihre Ver-
fahrensbeteiligung auszusprechen. Ihre Vernehmlassung erfolgte mit
Datum vom 14. Mai 2007 und damit verspätet.
Unterlässt eine am Verfahren beteiligte Partei innert richterlich
angesetzter Frist eine schriftliche Vorkehr, liegt Säumnis vor. Die
2007
Verwaltungsgericht
222
Säumnisfolgen bestehen darin, dass das Verfahren ohne die ver-
säumte Prozesshandlung seinen Fortgang nimmt. Nach Ablauf einer
richterlichen Frist eintreffende Rechtsschriften sind aus dem Recht
zu weisen (AGVE 1997, S. 282).
Dementsprechend ist die Vernehmlassung von T. und Mitbetei-
ligten vom 14. Mai 2007 unbeachtlich und aus dem Recht zu weisen.
Gleichzeitig ist festzustellen, dass T. und Mitbeteiligte zufolge Frist-
versäumnis am vorliegenden Verfahren nicht beteiligt sind. Die Fol-
gen der Säumnis sind in materieller Hinsicht insofern gemildert, als
deren Standpunkt aus dem vorinstanzlichen Verfahren auch vor Ver-
waltungsgericht - soweit erforderlich - Berücksichtigung findet (vgl.
§ 20 VRPG).
2.
Dem Gemeinderat Rudolfstetten-Friedlisberg wurde die Frist
zur Einreichung der Vernehmlassung auf Gesuch hin bis zum
15. Mai 2007 erstreckt, was T. und Mitbeteiligten zur Kenntnis ge-
bracht wurde.
Gemäss § 32 Abs. 2 VRPG können behördlich bestimmte Fris-
ten aus zureichenden Gründen erstreckt werden, wenn vor Ablauf
darum nachgesucht wird. Daraus folgt, dass Fristerstreckungen nur
für diejenige Partei gelten, welche darum ersucht und einen zurei-
chenden Grund nachweist. Die Kenntnisgabe einer solchen Frister-
streckung an die übrigen Verfahrensbeteiligten orientiert über die
,,Verlängerung" des Verfahrens. Sie begründet aber für eine Partei,
die kein eigenständiges Gesuch stellt, keine Fristverlängerung. T. und
Mitbeteiligte könnten deshalb selbst aus der Fristerstreckung für den
Gemeinderat nichts zu ihren Gunsten ableiten.
(Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen diese
Verfügung abgewiesen, soweit es darauf eintrat; Urteil vom
16. November 2007 [1C_194/2007].) | 912 | 717 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2007-52_2007-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2007-52.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2007-52.pdf | AGVE_2007_52 | null | nan |
c1713d95-1a99-5c51-ad40-0d5c6033d45a | 1 | 412 | 870,905 | 1,020,384,000,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
248
[...]
66
Beschwerdelegitimation. Regelungsspielraum der Kantone bezüglich der
Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen.
-
Legitimation von Verbänden, die primär eigene Interessen als Pächter
von Fischgewässern und nicht im Sinne der egoistischen Verbandsbe-
schwerde die Interessen ihrer Mitglieder wahren (Erw. I/2).
-
Das Bundesrecht (Art. 75 Abs. 1 BV; Art. 24 - 24c RPG) steht Bau-
verboten in kantonalen Erlassen für nicht zonenkonforme Bauten und
Anlagen ausserhalb der Bauzonen entgegen (Erw. II/2).
2002
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
249
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. Mai 2002 in Sa-
chen Fischereiverein D. u. Mitb. gegen Regierungsrat.
Aus den Erwägungen
I. 2. Der Beschwerdegegner stellt die Legitimation der beiden
Beschwerdeführer in Frage.
a) Der Regierungsrat hat im vorinstanzlichen Verfahren die Le-
gitimationsfrage eingehend geprüft. Er ist dabei zu Recht davon aus-
gegangen, dass sich die Beschwerdebefugnis der beschwerdefüh-
renden Vereine ausschliesslich nach § 38 Abs. 1 VRPG beurteile.
Diese Rechtsgrundlage ist auch für das vorliegende verwaltungsge-
richtliche Beschwerdeverfahren massgebend, da weder der Fischer-
verein D. noch die Pachtvereinigung U. gesamtkantonale Organi-
sationen im Sinne von § 4 Abs. 3 BauG sind.
b) Vertritt ein Verband wie im vorliegenden Falle nicht, zumin-
dest nicht in erster Linie, die Interessen seiner Mitglieder (sog. egois-
tische Verbandsbeschwerde), sondern macht er geltend, er sei in sei-
ner Interessensphäre wie eine natürliche Person berührt, so kommt
§ 38 Abs. 1 VRPG zur Anwendung (siehe Michael Merker, Rechts-
mittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen
Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-
72 VRPG], Zürich 1998, § 38 N 215). Danach kann Verfügungen
und Entscheide mit Beschwerde anfechten, wer ein schutzwürdiges
eigenes Interesse geltend macht. Zur Auslegung dieser Bestimmung
in Baubewilligungssachen besteht eine langjährige, gefestigte Praxis,
die sich weitestgehend an die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 103 lit. a OG anlehnt (siehe dazu und zum Folgenden: AGVE
2000, S. 365 ff. mit Hinweisen; 1998, S. 326; 1997, S. 288 ff.; 1993,
S. 409 ff.; 1991, S. 363 ff.; Merker, a.a.O., § 38 N 150 ff.). (...).
Der Regierungsrat hat die Legitimation bejaht, da beide Be-
schwerdeführer in unmittelbarer Nähe des geplanten Vogelbeob-
achtungsturms zu Fischereizwecken Gewässer gepachtet hätten. Die
Errichtung des Turms ziehe zusätzliche Besucher in das Gebiet, die
sich auch im fraglichen Gewässerbereich aufhalten bzw. dieses
2002
Verwaltungsgericht
250
durchqueren würden. Die Betroffenheit der Beschwerdeführer ergebe
sich dadurch, dass die von ihnen gepachteten Gewässer vermehrtem
Publikumsverkehr ausgesetzt würden, was sich nachteilig auf die Fi-
schereimöglichkeiten auswirken könne. Diesen Erwägungen ist bei-
zupflichten. Die örtliche Nähe der von den Beschwerdeführern ge-
pachteten Fischgewässer zum Bauvorhaben ist unbestrittenermassen
gegeben. So ist der Beschwerdeführer 1 Pächter des entlang dem
Stausee verlaufenden Binnenkanals und des rund 70 bis 80 m ent-
fernten Solenbachs und das Revier Nr. 12 (Aare, vom Kraftwerk
Klingnau aufwärts bis zur Mündung der Surb in Döttingen; Länge
ca. 3'500 m), das die Beschwerdeführerin 2 gepachtet hat, grenzt
sogar direkt an den Bereich der Parzelle Nr. 270, auf dem der Turm
errichtet werden soll. Es ist auch nicht auszuschliessen, dass es durch
die den Vogelbeobachtungsturm aufsuchenden Besucher, die sich
auch in seiner Umgebung aufhalten werden, zu einer Beeinträchti-
gung der erwähnten Gewässer und des dortigen Fischbestandes
kommen kann. Zu berücksichtigen ist ferner, dass sowohl die fragli-
chen Gewässer als auch der Vogelbeobachtungsturm im Rahmen der
Freizeitgestaltung genutzt werden; die Nutzung wird somit häufig in
den Tagesrandstunden (frühmorgens und abends) oder am Wochen-
ende stattfinden. Dies kann dazu führen, dass die am Klingnauer
Stausee oder an den Bächen fischenden Mitglieder der Beschwerde-
führer bei ihrer Tätigkeit durch Personen, die den Vogelbeobach-
tungsturm aufsuchen, gestört oder beeinträchtigt werden. Insofern
unterscheidet sich der hier zur Diskussion stehende Sachverhalt von
dem in AGVE 1993, S. 409 ff. beurteilten nicht unwesentlich; dort
standen sich die landwirtschaftliche Nutzung eines Grundstücks und
die normale bauliche Nutzung zu Wohnzwecken auf dem benach-
barten Grundstück gegenüber. Dass die Beschwerdeführer als Päch-
ter der fraglichen Fischgewässer durch den Beobachtungsturm in
ihren Interessen stärker als die Allgemeinheit in ihren Interessen
betroffen und beeinträchtigt sein könnten, lässt sich somit allein
schon auf Grund der örtlichen Nähe der gepachteten Gewässer zum
geplanten Beobachtungsturm nicht ausschliessen. Ihre Beschwerde-
befugnis ist demgemäss zu bejahen.
2002
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
251
II. 1. Der projektierte Vogelbeobachtungsturm ist rund 11.50 m
hoch und weist zwei übereinanderliegende Beobachtungsplattformen
auf. Diese haben eine Grundfläche von 4.50 m x 4.50 m. Eine
Überdachung ist nicht vorgesehen. Die beiden Plattformen haben ein
Geländer mit einer Höhe von 1.10 m, das aus stehenden Latten mit
der Abmessung 40 mm x 40 mm besteht. Die Treppe ist als
selbstragende Konstruktion vom Turm abgekoppelt und weist eine
Grundfläche von 4.50 m x 2.80 m auf. Die Treppenläufe sind 1.20 m
breit; die Tritte werden aus Metallgitterrosten erstellt. Der Beobach-
tungsturm und die Treppe bestehen aus einer Fachwerkkonstruktion
aus Lärchenholz, die auf einem Betonfundament verankert wird. Die
Gesamtkonstruktion nimmt eine Grundfläche von 32.85 m
2
(ein-
schliesslich des Fundaments 56 m
2
) in Anspruch und weist eine Ku-
batur von 377.30 m
3
auf. Der Turm soll die Vogelbeobachtung im
Reservatsgebiet des Klingnauer Stausees ermöglichen und damit
einerseits der wissenschaftlichen Forschung dienen, anderseits aber
auch der breiten Bevölkerung zugänglich sein. Durch ihn ersetzt
werden soll der seit 1969 bestehende, baufällig gewordene "Hero-
turm", der seit einigen Jahren nicht mehr benutzt wird.
2. a) Der vorgesehene Standort des Turms liegt gemäss dem
Dekret über den Schutz des Klingnauer Stausees und seiner Umge-
bung (KSSchD; SAR 761.560) vom 17. Mai 1988 innerhalb des
Perimeters des Schutzdekrets in der Zone für Kraftwerkanlagen
(siehe den Schutzplan 1:50'000), somit ausserhalb der Bauzonen
(siehe auch den Bauzonenplan der Gemeinde Böttstein [Kleindöttin-
gen - Burlen - Eien] vom 8. Juni 1994 / 12. September 1995). Das
KSSchD stützt sich u.a. auf Art. 17 RPG (Fassung vom 20. März
1998), der die Schutzzonen regelt. Die Zone für Kraftwerkanlagen
umfasst nach § 8 Abs. 1 KSSchD das Kraftwerk mit allem Zubehör
sowie die Dämme und Hinterwasserkanäle. Bestand, Betrieb, Unter-
halt und zeitgemässe Erneuerung des Kraftwerks werden in § 8 Abs.
2 KSSchD gewährleistet. An den Dämmen und Hinterwasserkanälen
sind landschaftsprägende Bäume, vor allem aber Gebüschgruppen
und Magerwiesen zu erhalten und zu fördern (§ 8 Abs. 3 KSSchD).
Die fehlende Zonenkonformität des Vogelbeobachtungsturms in
der Zone für Kraftwerkanlagen ist zu Recht unbestritten, ebenso dass
2002
Verwaltungsgericht
252
es vorliegendenfalls um einen Neubau geht und die Vorschriften über
die Besitzstandsgarantie daher nicht zum Tragen kommen. Streitig ist
hingegen, ob die Errichtung des fraglichen Turms am vorgesehenen
Standort als Ausnahme bewilligungsfähig ist. Nach der vom
Regierungsrat und vom Beschwerdegegner vertretenen Rechts-
auffassung ist die Frage der Zulässigkeit einer Ausnahmebewilligung
für eine zonenwidrige Baute ausserhalb der Bauzonen auf Grund von
Art. 24 RPG zu prüfen. Die Beschwerdeführer sind demgegenüber
der Ansicht, das KSSchD regle die zulässigen Ausnahmen innerhalb
des Dekretsgebiets abschliessend, weshalb darüber hinaus für eine
sich auf Art. 24 RPG stützende Ausnahmebewilligung kein Raum
bleibe.
b) Gemäss § 4 Abs. 1 KSSchD sind - vorbehältlich abweichen-
der Bestimmungen bei den Vorschriften für die einzelnen Zonen - in
allen Zonen Bauten und Anlagen, einschliesslich Terrainverände-
rungen wie Ablagerungen und Auffüllungen, das Aufstellen von
Wohnwagen, Zelten, Mobilheimen und dergleichen sowie organi-
sierte Anlässe, die den Gemeingebrauch übersteigen, untersagt. In
der Zone für Kraftwerkanlagen sind nach § 8 Abs. 2 KSSchD "Be-
stand, Betrieb, Unterhalt und zeitgemässe Erneuerung" gewährleistet,
d.h. in diesem Rahmen sind Bauten und Anlagen zonenkonform und
mit ordentlicher Baubewilligung bewilligungsfähig. Gemäss § 12
KSSchD sind folgende Ausnahmen gegenüber den Bestimmungen
von §§ 5 - 10 gestattet, soweit sie die Ziele des Dekrets nicht beein-
trächtigen:
" - Fahrten für betriebsnotwendige Unterhaltsarbeiten durch das
Kraftwerk
- das Betreten der Naturschutzzone für Aufsicht und angeordneten
Unterhalt
- die Durchführung eines jährlichen Silvesterlaufs nach genehmig-
ter Route
- das Befahren der markierten Zufahrt zur Kahnrampe und zum
Bootssteg Gippingen mit Schiffen
- Übungen und Trainingsfahrten der ansässigen Wasserfahrvereine
im Staubereich zwischen Brücke Döttingen/Kleindöttingen und
300 m unterhalb der Halbbrücke Klingnau im bisherigen Umfang,
2002
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
253
eingeschlossen die 50 m breite Sperrzone längs der Naturschutz-
zone
- die Ausübung der Angelfischerei in der Naturschutzzone von den
auf dem Plan und im Feld markierten Wegen oder Plätzen."
§ 12 KSSchD äussert sich somit nur zur Frage, welche zonen-
widrigen
Nutzungen
im Schutzgebiet des Dekrets ausnahmsweise
zulässig sind. Nicht geregelt ist die Frage der ausnahmsweisen Be-
willigung von dem Zonenzweck widersprechenden
Bauten
und
An-
lagen
. Die Beschwerdeführer gehen nun gestützt auf die Formulie-
rungen in den §§ 7 und 8 i.V.m. § 4 KSSchD davon aus, dass das
KSSchD in Bezug auf nicht zonenkonforme Bauten und Anlagen gar
keine Ausnahmebewilligungen zulassen wolle.
c) Im eidgenössischen Raumplanungsrecht sind die Rechtset-
zungskompetenzen zwischen Bund und Kantonen aufgeteilt; der
Bund legt die Grundsätze fest, während die detaillierte Normierung -
innerhalb der vom Bund aufgestellten Rahmenordnung - den Kan-
tonen vorbehalten ist (Art. 75 Abs. 1 BV; siehe Walter Haller / Peter
Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage,
Zürich 1999, Rz. 75 f.). Was das Bauen ausserhalb der Bauzonen im
Besondern anbelangt, enthalten die Art. 24 - 24c RPG eine abschlies-
sende Bundesregelung, was mit der herausragenden Bedeutung der
Trennung von Bauzonen und Nichtbauzonen begründet wird; ein
Vorbehalt zu Gunsten des kantonalen Rechts findet sich hier nur
noch in Art. 24d RPG (Haller/Karlen, a.a.O., Rz. 80; Erläuterungen
zum Bundesgesetz über die Raumplanung, herausgegeben vom Eidg.
Justiz- und Polizeidepartement [Bundesamt für Raumplanung], Bern
1981, Art. 24 N 6; der früher geltende weitere Vorbehalt in Bezug auf
bestehende Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen [Art. 24
Abs. 2 RPG in der Fassung vom 22. Juni 1979] ist mit der
Gesetzesrevision vom 20. März 1998 aufgehoben worden [Art. 24c
RPG; siehe BGE 127 II 219]).
Bei dieser rechtlichen Ausgangslage ist es - entgegen der An-
sicht der Beschwerdeführer - grundsätzlich ohne Bedeutung, ob das
KSSchD in seinem Schutzbereich ein absolutes Bauverbot für nicht
zonenkonforme Bauten und Anlagen statuiert; ein solches Verbot
wäre mit dem Bundesrecht unvereinbar. Die Frage, ob der Vogel-
2002
Verwaltungsgericht
254
beobachtungsturm als Ausnahme in der Zone für Kraftwerkanlagen
bewilligungsfähig ist, bestimmt sich klarerweise auf Grund von
Art. 24 RPG (siehe VGE III/115 vom 15. November 2001
[BE.2000.00137] in Sachen W., S. 7). Hieran ändert auch nichts, dass
§ 7 Abs. 2 KSSchD auf Art. 24 RPG verweist, nicht aber § 8
KSSchD; eine gesetzgeberische Inkonsequenz kann nicht das Prinzip
der derogatorischen Kraft des Bundesrechts ausser Geltung setzen. | 2,813 | 2,217 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-66_2002-05-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-66.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-66.pdf | AGVE_2002_66 | null | nan |
c2751fdf-4c9c-5f50-80e7-db51b0f57168 | 1 | 412 | 872,021 | 1,301,788,800,000 | 2,011 | de | 2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
125
II. Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
33
Verwaltungszwang; § 159 Abs. 1 BauG
Die Prüfung der (nachträglichen) Bewilligungsfähigkeit einer rechtswid-
rigen Baute im Beseitigungsverfahren setzt nicht in jedem Fall die Durch-
führung eines nachträglichen Baubewilligungsverfahrens voraus.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 13. April 2011 in Sachen
A. und B. (WBE.2009.188).
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
Wird durch die Errichtung von Bauten ohne Bewilligung, unter
Verletzung einer solchen oder auf andere Weise ein unrechtmässiger
Zustand geschaffen, so können die Einstellung der Arbeiten, die Ein-
reichung eines Baugesuchs sowie die Herstellung des rechtmässigen
Zustands, insbesondere die Beseitigung oder Änderung der rechts-
widrigen Bauten angeordnet werden (§ 159 Abs. 1 BauG). Eine sol-
che Beseitigungsanordnung darf jedoch praxisgemäss erst erlassen
werden, wenn feststeht, dass die eigenmächtig ausgeführten Bauar-
beiten dem objektiven Recht widersprechen und nicht nachträglich
bewilligt werden können (siehe dazu auch Erw. 3.4.); vorausgesetzt
ist also die materielle Rechtswidrigkeit der bewilligungswidrig ge-
troffenen baulichen Vorkehren (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom
22. Februar 2001 [1P.672/2000], Erw. 3a; BGE 111 Ib 221; AGVE
2004, S. 157 f.). Die Beseitigung des rechtswidrigen Zustands muss
mit den Grundsätzen der Verhältnismässigkeit, der Rechtsgleichheit
und des Gutglaubensschutzes vereinbar sein. So kann der Abbruch
oder die Abänderung der rechtswidrig erstellten Baute unterbleiben,
wenn die Abweichung vom Erlaubten nur unbedeutend ist oder der
2011
Verwaltungsgericht
126
Abbruch nicht im öffentlichen Interesse liegt, ebenso wenn die Bau-
herrschaft in gutem Glauben angenommen hat, sie sei zur Bauaus-
führung ermächtigt, und der Beibehaltung des rechtswidrigen Zu-
stands nicht schwerwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen
(BGE 123 II 255; 111 Ib 221 ff.; 108 Ia 217; AGVE 2001, S. 279 f.;
2000, S. 262 f., je mit Hinweisen). Schliesslich muss die festgesetzte
Beseitigungs- bzw. Anpassungsfrist den Verhältnissen angemessen
sein. Der Bauherrschaft ist ausreichend Zeit für den geordneten Voll-
zug der Entfernung bzw. Anpassung der Installationen und Bauteile
einzuräumen (vgl. AGVE 1994, S. 607).
3.2.-3.3. (...)
3.4.
Die Prüfung der (nachträglichen) Bewilligungsfähigkeit setzt
nicht in jedem Fall die Durchführung eines nachträglichen Baube-
willigungverfahrens voraus, was sich schon aus der "Kann"-Vor-
schrift von § 159 Abs. 1 BauG ergibt. Dies ist vorab der Fall, wenn
über ein Bauvorhaben bzw. die massgebende Frage bereits rechts-
kräftig entschieden worden ist. Aber auch wenn ein Bauvorhaben
offensichtlich nicht bewilligungsfähig ist bzw. die materielle Rechts-
widrigkeit einer Baute aufgrund klarer tatsächlicher Verhältnisse
eindeutig feststeht, ist der Ausgang des nachträglichen Baubewilli-
gungsverfahrens von vornherein klar. Das Durchlaufen eines nach-
träglichen Baubewilligungsverfahrens wäre in solchen Fällen pro-
zessökonomisch nicht zu rechtfertigen (vgl. z.B. VGE III/3 vom
21. Januar 2011 [WBE.2010.275], S. 6 f.; Urteil des Bundesgerichts
vom 22. Februar 2001 [1P.672/2000], Erw. 3; BVR 2007, S. 167 f.).
Die Unterschreitung des Kantonsstrassenabstands bedarf der
Zustimmung der Abteilung für Baubewilligungen des BVU (früher:
Koordinationsstelle Baugesuche) (vgl. § 63 lit. c BauG). In der Zu-
stimmungsverfügung vom 28. November 2005 wurde den Beschwer-
deführern im Sinne einer Ausnahme (§ 67 BauG) erlaubt, den gesetz-
lich vorgeschriebenen Kantonsstrassenabstand von 6 m (§ 111 Abs. 1
lit. a BauG) um 2 m zu unterschreiten; gleichzeitig wurde die Beo-
bachtungsdistanz der Sichtzonen von 4.5 m auf 3.5 m reduziert. In
einem früheren Stadium des Baugesuchsverfahrens lehnte die Koor-
dinationsstelle Baugesuche am 5. August 2005 einen Kantonsstras-
2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
127
senabstand des Wendeplatzes von 2 m zudem ab, was die Beschwer-
deführer akzeptierten. Der von der Abteilung Tiefbau des BVU im
vorliegenden Beseitigungsverfahren angefertigte Plan vom 6. Feb-
ruar 2009 zeigt zudem illustrativ auf, dass der Abstand des Abstell-
bzw. Vorplatzes von lediglich 2 m zur Kantonsstrasse die erforder-
liche, ohnehin schon reduzierte Sichtzone beeinträchtigt: Die unbe-
willigte Ausgestaltung des Vorplatzes lässt die Parkierung von vier
Fahrzeugen zu, was die Sichtzone klarerweise einschränkt. Das ge-
forderte Sichtfeld ist zwar nicht auf der gesamten Abstellfläche, aber
doch teilweise beeinträchtigt, womit die Verkehrssicherheit nicht
mehr gewährleistet ist. Einer weitergehenden Ausnahmebewilligung
(vgl. § 67 BauG, aber auch der neue § 67a BauG) stehen mithin ge-
wichtige öffentliche Interessen entgegen. Der eigenmächtig erstellte
Abstell- bzw. Vorplatz ist daher von vornherein nicht bewilligungs-
fähig. (...)
Die materielle Rechtswidrigkeit als Grundvoraussetzung einer
auf Herstellung des rechtmässigen Zustands abzielenden Anordnung
ist somit erstellt.
3.5.
Bleibt zu prüfen, ob die angeordnete Herstellung des recht-
mässigen Zustands rechtmässig ist. Die verfügte Anordnung ist unter
Berücksichtigung der allgemeinen Prinzipien des Verfahrens- und
Verwaltungsrechts zu beurteilen (vgl. Erw. 3.1.).
3.5.1.-3.5.2. (...)
(Hinweis: Im Anwendungsfall wurde die Herstellung des
rechtmässigen Zustands als rechtmässig beurteilt und geschützt) | 1,315 | 966 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-33_2011-04-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-33.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-33.pdf | AGVE_2011_33 | null | nan |
c30d89ed-7c41-5c36-9923-182611c6e9cc | 1 | 412 | 870,217 | 1,008,288,000,000 | 2,001 | de | 2008
Strassenverkehrsrecht
59
14
Entzug des Führerausweises; Warnungsentzug.
-
Nach mit Bundesgesetz vom 14. Dezember 2001 teilrevidiertem SVG
(in Kraft seit 1. Januar 2005) kein leichter Fall möglich bei leichtem
Verschulden aber mittelschwerer Gefährdung.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 9. Juli 2008 in Sachen
P.H. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und Inneres
(WBE.2008.100).
Aus den Erwägungen
3.
Das Strassenverkehrsgesetz unterteilt die massnahmerechtlichen
Tatbestände in leichte, mittelschwere und schwere Widerhandlungen
(Art. 16a ff. SVG). Es begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch
Verletzung von Verkehrsregeln andere nur geringfügig gefährdet,
wobei ihn dabei lediglich ein leichtes Verschulden trifft. Die fehlbare
Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der
Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmass-
nahme verfügt wurde (Art. 16a SVG). Eine schwere Verletzung be-
geht, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche
Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
Dies hat einen mindestens dreimonatigen Entzug des Führerauswei-
ses zur Folge (Art. 16c SVG). Eine mittelschwere Widerhandlung
schliesslich verübt, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine
Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. In
der Folge wird dem fehlbaren Lenker der Führerausweis für min-
destens einen Monat entzogen (Art. 16b SVG). Die mittelschwere
Widerhandlung ist nach der gesetzlichen Konzeption als Auffangtat-
bestand ausgestaltet. Sie liegt immer dann vor, wenn nicht alle pri-
2008
Verwaltungsgericht
60
vilegierenden Elemente einer leichten und nicht alle qualifizierenden
Elemente einer schweren Widerhandlung gegeben sind (Urteil des
Bundesgerichts vom 20. März 2007 [6A.64/2006], Erw. 2.3, sowie
Botschaft zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes vom 31. März
1999 in BBl 1999, S. 4462, 4487).
Die wesentlichen Kriterien zur Unterscheidung von Wider-
handlungen sind das Mass der Verkehrsgefährdung und die Schwere
des Verschuldens (BGE 105 Ib 118 Erw. 1; 104 Ib 49 Erw. 2b). Dabei
sind das Verschulden des Fahrzeuglenkers und sein automobilisti-
scher Leumund zu berücksichtigen. Mittelschwer ist die Wider-
handlung, wenn entweder das Verschulden des Lenkers nicht mehr
leicht wiegt oder die Gefahr der Sicherheit anderer nicht mehr gering
ist (vgl. Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG; Urteil des Bundesgerichts vom
13. September 2007 [1C_75/2007], Erw. 3.1).
4.
4.1.
Das DVI ist vorliegend in Anbetracht der Verkehrsgefährdung
und des Verschuldens von einer mittelschweren Widerhandlung i.S.v.
Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG ausgegangen.
4.2.
Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, es liege
höchstens ein leichtes Verschulden des Beschwerdeführers vor und
daher sei ungeachtet der Verkehrsgefährdung höchstens eine leichte
Widerhandlung im Sinne von Art. 16a SVG anzunehmen, weil die
Verkehrsgefährdung nur insoweit Bedeutung habe, als sie auch ver-
schuldensmässig relevant sei.
4.3.
Vorweg ist festzuhalten, dass der Gesetzeswortlaut eindeutig ist
und keinen Raum für eine Interpretation im Sinne des Beschwerde-
führers lässt. Eine leichte Widerhandlung begeht gemäss Art. 16a
Abs. 1 lit. a SVG, wer durch die Verletzung von Verkehrsregeln eine
geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei
nur ein leichtes Verschulden trifft. Für die Annahme eines leichten
Falls wird ausdrücklich ein geringes Ausmass der Gefährdung vor-
ausgesetzt. Im Gegensatz zur Bundesgerichtspraxis zum bis am
31. Dezember 2004 geltenden Recht (BGE 125 II 561) räumt das
2008
Strassenverkehrsrecht
61
neue Recht der Schwere der Verkehrsgefährdung eine eigenständige
Stellung ein. Die frühere Praxis stützte sich denn auch im Wesent-
lichen auf Art. 31 der Verordnung über die Zulassung von Personen
und Fahrzeugen zum Strassenverkehr in der vor dem 1. Januar 2005
geltenden Fassung vom 27. Oktober 1976, welcher lediglich das Ver-
schulden und den automobilistischen Leumund als wesentliche Ele-
mente für die Beurteilung eines leichten Falls nannte. Daraus leitete
das Bundesgericht ab, die Schwere der Verkehrsgefährdung sei kein
selbständiges Beurteilungsmerkmal (BGE 125 II 561 Erw. 2a und
Erw. 2b). Diese Bestimmung gibt es im neuen Recht nicht mehr. Ent-
sprechend wurde sowohl in der Botschaft zum revidierten SVG wie
auch vom Bundesgericht (Urteil des Bundesgerichts vom 13. Sep-
tember 2007 [1C_75/2007], Erw. 3.1) festgehalten, ein mittelschwe-
rer Fall nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG liege u.a. dann vor, wenn
nicht alle privilegierenden Elemente einer leichten Widerhandlung
gegeben sind. Die Revision des Administrativmassnahmenrechts
führte somit zu einer Verschärfung der gesetzlichen Regelung, wes-
halb die erwähnte Praxis (BGE 125 II 561) bei der Abgrenzung des
leichten vom mittelschweren Fall keine Bedeutung mehr haben kann
(vgl. Andreas A. Roth: Entwicklungen im Strassenverkehrsrecht, in:
SJZ 104 (2008) Nr. 10, S. 242 f.).
(Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen diesen
Entscheid abgewiesen; Urteil vom 25. Februar 2009 [1C_372/2008].) | 1,179 | 959 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-14_2001-12-14 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-14.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-14.pdf | AGVE_2008_14 | null | nan |
c397b942-ac95-55cb-a610-b6673c4ad42d | 1 | 412 | 870,773 | 1,107,388,800,000 | 2,005 | de | 2005
Submissionen
225
V. Submissionen
44 Preisbewertung.
-
Zulässigkeit eines Preisbewertungssystems, bei dem das tiefste Ange-
bot mit 100 und das höchste Angebot mit 0 Punkten bewertet wird.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 15. Februar 2005 in
Sachen S. gegen Bodenverbesserungsgenossenschaft S.
Aus den Erwägungen
4. Der Beschwerdeführer vertritt den Standpunkt, das von der
Vergabebehörde gewählte System zur Bewertung des Preiskriteriums
sei untauglich, unverhältnismässig und sachfremd.
a) Das Tiefstangebot wurde gemäss der von der Vergabestelle
verwendeten Methode mit 100 Punkten benotet und das Höchstange-
bot erhielt 0 Punkte. Die sich dazwischen befindenden Angebote
wurden entsprechend der Preisdifferenz linear bewertet. Es wurden
die nachfolgenden bereinigten Netto-Eingabesummen eingereicht
und bewertet:
Anbieter
Netto-Eingabesumme
%
Punkte
Beschwerdeführer
378'894.50
100
100
(...)
434'366.90
115
80
(...)
464'410.50
123
69
(...)
515'445.50
136
51
(...)
526'732.70
139
47
(...)
527'054.45
139
46
(...)
596'668.50
157
21
(...)
628'309.00
166
10
(...)
655'364.95
173
0
2005
Verwaltungsgericht
226
b) aa) - cc) (Darstellung der Praxis [AGVE 2004, 230 ff.])
dd) Das Verwaltungsgericht hat in einem früheren Urteil festge-
halten, bei einer Gewichtung des Preises mit 40% stelle es noch
keine Ermessensüberschreitung dar, wenn sich die Vergabebehörde
für eine Preisbewertung entschieden habe, die vom günstigsten An-
gebot ausgehe und die übrigen Angebote reziprok dazu bewerte, was
im konkreten Fall zur Konsequenz habe, dass das um knapp 100 %
teurere Angebot noch die halbe Punktezahl erhalte. Der konkrete Fall
betraf allerdings eine komplexe Asbestsanierung, nicht herkömmli-
che Tiefbauarbeiten oder Baumeisterarbeiten. Aufgeworfen wurde
zudem die Frage, ob eine solche Bewertungsmethode noch haltbar
wäre, wenn dem Preis ein Gewicht von 80% oder mehr zukommen
würde (siehe VGE vom 23. September 2002 [BE.2002.00247],
S. 10). Gutgeheissen hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde in
einem Fall, in welchem dem Preis ein Gewicht von 70% zukam. Auf-
grund der gewählten Bewertungsmethode erhielt das teuerste Ange-
bot (um 40% höher als das niedrigste) noch 42 von 70 möglichen
Punkten. Um keine Punkte mehr zu erhalten, hätte das teuerste An-
gebot doppelt so hoch wie der tiefste Preis sein müssen. Das Ver-
waltungsgericht führte dazu folgendes aus (AGVE 2004, S. 232 f.):
"Im vorliegenden Fall geht es um die Vergabe von Baumeisterarbei-
ten im Bereich Tiefbau. Für Vergaben dieser Art sind Preisunter-
schiede von ca. 10 - 30%, nicht aber von 100% üblich. Vorliegend
bewegen sich die (vergleichbaren) Angebote denn auch innerhalb
einer Preisspanne von 40%. Die Vergabebehörde hätte diesem Um-
stand angemessen Rechnung tragen müssen. Wird die Preiskurve
indessen so flach gelegt, dass beim Preis die Vergabe von weniger als
die Hälfte der Punkte nur theoretisch in Betracht kommen kann, so
wird die Gewichtung des Preises im Verhältnis zu den übrigen Krite-
rien gegenüber der publizierten Gewichtung verschoben. Genau dies
ist vorliegend geschehen. So erhielt auch der teuerste Anbieter 42
von 70 möglichen Punkten. Die tatsächliche Gewichtung des Preises
beträgt damit nicht 70%, sondern bloss 28%. Das Vorgehen der Ver-
gabestelle führte letztlich dazu, dass den Preisdifferenzen bei der
Bewertung viel zu wenig Rechnung getragen wurde" (siehe auch
VGE III/15 vom 19. März 2004 [BE.2003.00334], S. 13 ff.).
2005
Submissionen
227
Im vorliegenden Fall geht es im Wesentlichen um die Vergabe
von Tiefbauarbeiten (Flur- und Waldwegbauarbeiten, Bachöffnun-
gen/-renaturierungen). Dem Preis kommt gemäss Ausschreibung ein
Gewicht von 40% zu. Das tiefste Angebot des Beschwerdeführers
erhielt das Maximum von 100 Punkten, während das um 73% teurere
Höchstangebot mit 0 Punkten bewertet wurde. Die um 15% höhere
Offerte der Zuschlagsempfängerinnen erhielt 80 Punkte, d.h. 4/5 des
Maximums. Die gültigen Angebote bewegen sich innerhalb einer
Preisspanne von 73%, wobei die Preisofferte des Beschwerdeführers
einen deutlichen Abstand von 15% zum zweitgünstigsten Angebot
aufweist. Der Mittelwert aller Angebote liegt bei Fr. 525'250.--
(= 139%).
Im Gegensatz zum hier zu beurteilenden Fall bewegten sich in
den erwähnten Präjudizien allerdings alle eingereichten Angebote
innerhalb einer Preisspanne von 40%, d.h. innerhalb des für Bau-
meisterarbeiten üblichen Rahmens. Die Bewertung mit 0 Punkten
erhielt in beiden Fällen nicht das jeweils teuerste eingereichte Ange-
bot, sondern ein "fiktives" Höchstangebot, das doppelt so teuer war
wie das niedrigste. Vorliegend hat die Vergabebehörde jedoch nicht
ein bloss "fiktives", sondern das tatsächlich eingereichte Höchstan-
gebot mit 0 Punkten bewertet. Die Vergabestelle hat also die ganze
zur Verfügung stehende Bewertungsskala ausgenutzt. Es fällt zudem
auf, dass die Preise innerhalb der Bandbreite von 73% relativ
gleichmässig verteilt sind; 3 der eingereichten 9 Angebote sind mehr
als 50% teurer als das niedrigste des Beschwerdeführers. Das heisst,
ein eigentlicher "Ausreisser" nach oben liegt nicht vor. Insofern
erscheint die Argumentation des Beschwerdeführers in Bezug auf so-
genannte "Schutzangebote", die ohne Willen auf Zuschlag, aber zur
Förderung der Position von Mitkonkurrenten abgegeben würden, je-
denfalls im vorliegenden Fall nicht begründet. Ein solcher Verdacht
wäre allenfalls dann in Erwägung zu ziehen und näher zu prüfen,
wenn sich beispielsweise 10 Angebote innerhalb einer Bandbreite
von 10 - 30% bewegen und das elfte Angebot als einziges um 70 -
80% teurer ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden
Fall die teureren Angebote ohne "Zuschlagswillen" und nur zur
Preisverfälschung bzw. Begünstigung von Mitkonkurrenten einge-
2005
Verwaltungsgericht
228
reicht worden sind, also unter den Anbietenden möglicherweise Ab-
sprachen stattgefunden haben, bestehen jedenfalls nicht. Auch der
Beschwerdeführer macht diesbezüglich lediglich Ausführungen all-
gemeiner Natur und äussert keine konkreten Verdachtsmomente.
Bei einer Konstellation wie der vorliegenden, bei der sich die
einzelnen eingereichten Angebotspreise über die gesamte Bandbreite
hinweg relativ gleichmässig verteilen und das Höchstangebot auch
nicht als "Ausreisser" im Sinne eines "Schutzangebotes zu Ma-
nipulationszwecken" oder als das offensichtliche Ergebnis eines un-
richtigen Verständnisses der Aufgabestellung durch den betreffenden
Anbieter qualifiziert werden kann, handelt es sich um einen vom
Verwaltungsgericht zu respektierenden Ermessensentscheid der
Vergabebehörde, wenn diese das effektiv eingereichte teuerste An-
gebot mit 0 Punkten bewertet. Die Betrachtungsweise, die noch rea-
listische Bandbreite der Offerten bei Baumeisterarbeiten betrage ca.
30 - 40% und Angebote, die darüber liegen würden, seien von vorn-
herein nicht mehr seriös (und dürften daher beim Preis keine Punkte
mehr erhalten und die Preisbewertung auch nicht beeinflussen),
erscheint im Grundsatz zwar sachlich richtig. Letztlich hängen die
tatsächlich eingereichten Angebotspreise aber auch vom jeweiligen
zu vergebenden Auftrag ab; insofern lässt sich ein rein schematisches
und allgemein verbindliches Festlegen einer Praxis, wonach bei
Baumeisterarbeiten die "Grenze" für 0 Punkte stets bei einer Preis-
differenz von 30 bis maximal 40% liegt, nicht rechtfertigen. Mass-
geblich sind vielmehr die konkreten Umstände des jeweiligen Ein-
zelfalles. Anhand derer ist zu prüfen, ob es im betreffenden Fall
durch die verwendete Preisbewertungsmethode zu einer erheblichen
Verschiebung der bekannt gegebenen Gewichtung der Zuschlags-
kriterien kommt.
Die Vergabestelle war somit entgegen dem Beschwerdeführer
nicht verpflichtet, lediglich die drei preisgünstigsten (unter der 30 %-
Grenze liegenden) Angebote für die Preisauswertung bzw. den ent-
sprechenden Massstab zu berücksichtigen. Daran vermag auch der
Umstand nichts zu ändern, dass die Vergabestelle aus verfahrens-
ökonomischen Gründen darauf verzichtet hat, die restlichen (be-
2005
Submissionen
229
treffend Preis an 4. - 9. Stelle liegenden) Angebote auch in Bezug auf
die übrigen Zuschlagskriterien im Detail zu bewerten.
Damit steht fest, dass die Preisbewertung nicht als rechtsfehler-
haft zu beanstanden ist. | 1,834 | 1,538 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-44_2005-02-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-44.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-44.pdf | AGVE_2005_44 | null | nan |
c39d0933-dbb4-5cbf-9820-a072b6f73b9b | 1 | 412 | 870,426 | 936,057,600,000 | 1,999 | de | 2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
245
XI. Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
59
Negativer Kompetenzkonflikt; Zuständigkeit für Beschwerden betreffend
Parkplatzersatzabgaben und die Gesuche um vorzeitigen Baubeginn.
- Der Entscheid über die Parkplatzersatzabgabe ist keine "andere
Abgabeverfügung" im Sinne von § 35 Abs. 2 Satz 1 BauG (Erw. 3 a
und b)
- Für die Beurteilung der Parkplatzersatzabgaben im Beschwerdever-
fahren ist auch nach der Revision des BauG vom 31. August 1999 der
Regierungsrat bzw. das Baudepartement zuständig (Erw. 4)
- Das Baudepartement bzw. der Regierungsrat entscheiden über Ge-
suche um vorzeitigen Baubeginn (§ 65 Abs. 2 BauG) auch in den Fäl-
len, in welchen gegen Entscheide über Grundeigentümerbeiträge oder
-gebühren Beschwerde bei der Schätzungskommission erhoben wird.
Der Schätzungskommission steht das Recht zum Entzug der auf-
schiebenden Wirkung zu (Erw. 6 und 7).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 15. März 2001 in
Sachen Schätzungskommission nach Baugesetz und Regierungsrat des Kan-
tons Aargau
Aus den Erwägungen
2. a) Der vorliegende negative Kompetenzkonflikt zwischen der
Schätzungskommission und dem Baudepartement entstand aus der
Revision der §§ 34 und 35 BauG vom 31. August 1999. Zu prüfen ist
daher, ob mit dieser Revision (in Kraft seit 1. Januar 2000 [AGS
1999, S. 387]) die Rechtsmittelzuständigkeit zur Beurteilung der
Parkplatzersatzabgaben geändert hat, bzw. wie der Rechtsmittelweg
nach dieser Revision ausgestaltet ist. Unter dem Aspekt der Rechts-
kraft der Baubewilligung und der Festsetzung der Erschliessungsab-
gaben und -gebühren ist andererseits antragsgemäss zu beurteilen,
2001
Verwaltungsgericht
246
welche Instanz für die Erteilung der vorzeitigen Baubewilligung
gemäss § 65 Abs. 2 BauG zuständig ist in jenen Fällen, in welchen
die Baubewilligung auch die Erschliessungsabgaben im Sinne von
§§ 34 f. BauG und die Parkplatzersatzabgaben festsetzt, und nur
diese Auflagen und Bedingungen, oder diese zusammen mit andern
Bestimmungen der Baubewilligung angefochten werden.
b) Die Schätzungskommission ist der Auffassung, dass die
kantonale Baugesetzgebung den Rechtsschutz gegen Parkplatzer-
satzabgaben nicht regle. Die Schätzungskommission sei seit Inkraft-
treten des neuen Baugesetzes nie beschwerdeweise angerufen wor-
den, obschon § 148 Abs. 3, 2. Satzteil BauG ihr eine subsidiäre Ge-
neralzuständigkeit zuweise. Der Widerspruch zwischen dieser Be-
stimmung und § 41 Abs. 1 ABauV habe sich aufgrund der faktischen
Vorrangstellung des Baudepartements als erstem Ansprechpartner der
Gemeinden in Baugesetzfragen bis heute nicht aktualisiert. Soweit
die Parkplatzerstellungspflicht als Teil der Baureife beziehungsweise
der Erschliessung zu werten sei, könne sich die Zuständigkeit der
Schätzungskommission allenfalls auf den neuen § 35 Abs. 2 BauG
stützen.
c) Die gegenteilige Auffassung begründet das Baudepartement
einerseits unter Hinweis auf § 148 Abs. 3 BauG, anderseits mit dem
Argument, wonach Bauten nur auf baureifen Grundstücken im Sinne
von § 32 Abs. 1 BauG erstellt werden dürfen. Die Erschliessungsan-
lagen müssten nicht nur bis zur Bauparzelle genügen, sondern auch
eine genügende parzelleninterne Erschliessung aufweisen. § 55
BauG statuiere die Pflicht zur Erstellung von Abstellplätzen ein-
schliesslich der erforderlichen Verkehrsflächen für den Zubringer-
dienst. Daraus ergebe sich, dass für eine genügende Erschliessung im
Sinne von § 32 Abs. 1 lit. b BauG auch eine genügende Anzahl Ab-
stellplätze vorhanden sein müsse. Systematisch gehörten die Abstell-
plätze deshalb zu den Erschliessungsanlagen und deren Vorhanden-
sein in genügender Anzahl zu den Voraussetzungen der Baureife.
Folgerichtig erscheine deshalb, eine Ersatzabgabe im Rahmen der
Pflicht zur Erstellung von Abstellplätzen im gleichen Verfahren zu
beurteilen wie die andern Erschliessungsabgaben. Zwischen den
Abgaben bestehe ein sachlicher Zusammenhang und es sei zweck-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
247
mässig alle Erschliessungsabgaben im gleichen Verfahren zu behan-
deln. Den Erschliessungsabgaben für die öffentliche Kanalisation
oder für die Erstellung der Zufahrt bis zum Grundstück würden die
gleichen Grundsätze zugrunde liegen wie den Parkplatzersatzabga-
ben. Beide Abgaben knüpften an eine zurechenbare Leistung des
Gemeinwesens an und es handle sich um Kausal- beziehungsweise
Ersatzabgaben, die sich nach dem Verursacherprinzip richteten.
3. a) Nach dem Gesetzeswortlaut von § 35 Abs. 2 BauG in der
revidierten Fassung kann gegen den Beitragsplan während der Auf-
lagefrist und gegen andere Abgabeverfügungen innert 20 Tagen seit
Zustellung beim verfügenden Organ Einsprache erhoben werden
(§ 35 Abs. 2 Satz 1). Einspracheentscheide können mit Beschwerde
bei der Schätzungskommission, deren Entscheide beim Verwal-
tungsgericht angefochten werden können (§ 35 Abs. 2 Satz 2 BauG).
Der Begriff
"andere Abgabeverfügungen"
bezieht sich nach dem
systematischen und sachlichen Zusammenhang auf die Einzelverfü-
gungen gemäss § 35 Abs. 1 Satz 3 BauG, wonach der Gemeinderat
(beziehungsweise bei Gemeindeverbänden der Vorstand) die Bei-
tragspflichtigen und deren Beiträge an die Grob- und Feinerschlies-
sung anstelle eines Beitragsplanes in Einzelverfügungen bestimmen
kann. Soweit keine kantonalen Vorschriften bestehen, beziehungs-
weise der Grosse Rat keine präzisierenden und ergänzenden Vor-
schriften erlassen hat, können die Gemeinden die Erhebung der Ge-
bühren regeln (§ 34 Abs. 3 und 4 BauG). Die Beiträge und Gebüh-
ren, die sachlich unter diese Bestimmungen fallen, umschreiben § 34
Abs. 1 und 2 BauG. Die Grundeigentümer können zu Beiträgen an
die Kosten der Erstellung und Änderung von Strassen (§ 34 Abs. 1
BauG) und die Erstellung, Änderung und Erneuerung von Anlagen
der Versorgung mit Wasser und elektrischer Energie sowie der Ab-
wasserbeseitigung (§ 34 Abs. 2 BauG) verpflichtet werden. Überdies
verpflichtet § 34 Abs. 2 Satz 2 BauG in der Fassung vom 19. August
1999 die Gemeinden, Gebühren für den Betrieb und den ungedeckten
Teil der Kosten zu erheben. Aus dem Wortlaut und dem systema-
tischen und sachlichen Zusammenhang der Bestimmungen in den
§§ 34 f. BauG lässt sich daher nichts entnehmen, wonach unter dem
2001
Verwaltungsgericht
248
Begriff "andere Abgabeverfügungen" auch die Parkplatzersatzabga-
ben zu verstehen sind.
b) aa) Für die Auffassung des Baudepartements finden sich
auch keine Hinweise in den Materialien zur Revision der §§ 34 f.
BauG. In der Botschaft des Regierungsrats vom 16. Dezember 1998
"Baugesetz; Änderung der §§ 34, 35, 88, 166 und 169 (Erschlies-
sungsfinanzierung)" (im Folgenden: Botschaft 1998) wird zum
Rechtsschutz ausgeführt, dass die Zuständigkeit der Schätzungskom-
mission neu für Beschwerden gegen die Elektroabgaben begründet
werden soll. Rechtsmittelinstanz für Abgaben und Beiträge an die
Elektrischen Anlagen war nach dem bisherigen Recht das Departe-
ment des Innern (§§ 105 und 109 GG i.V.m. § 2 Abs. 1 lit. a der Ver-
ordnung über die Delegation von Kompetenzen des Regierungsrats
[DelV, SAR 153.111] vom 8. November 1982). Eine Ausdehnung der
sachlichen und funktionalen Zuständigkeit der Schätzungskommis-
sion auf Parkplatzersatzabgaben war nicht vorgesehen (vgl. Vorlage
zur Volksabstimmung vom 28. November 1999, S. 2 und Anhang 3).
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die
Zuständigkeit der Schätzungskommission bereits in § 35 Abs. 2
BauG in der ursprünglichen, nicht in Kraft gesetzten Fassung vom
19. Januar 1993, für Beschwerden gegen den Beitragsplan vorgese-
hen war. Diese Zuständigkeit war auf Beschwerden gegen den Bei-
tragsplan beschränkt, wollte man doch mit dem neuen Baugesetz
1993 die im alten Baugesetz 1971 (§ 32 aBauG) vorgesehene Ver-
waltungsbeschwerde durch die Beschwerde an ein unabhängiges
(Spezial-)Verwaltungsgericht ersetzen (Botschaft 1 zum Baugesetz
1993, S. 24). Den negativen Kompetenzkonflikt schaffte somit nicht
die Zuständigkeitsvorschrift, sondern die Einführung der Einzelver-
fügungen, die mit der Revision 1999 ebenfalls dem Rechtsmittelver-
fahren (Einsprache- beziehungsweise Beschwerdeverfahren) vor der
Schätzungskommission zugewiesen wurden.
bb) Die Botschaft 1998 führte zum sachlichen Geltungsbereich
der Revision und der Verfügungskompetenz der Gemeinde aus, diese
sei bewusst auf Anlagen beschränkt worden, die für die Baureife
erforderlich seien (S. 10). Nach der Botschaft sind dies "Strassen,
Anlagen der Versorgung mit Wasser und elektrischer Energie sowie
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
249
Abwasseranlagen"; weiter führt die Botschaft aus, dass "Vorschriften
über die Finanzierung anderer Einrichtungen wie Gas, Fernwärme,
TV, Telefon
usw.
" in den §§ 34 und 35 nicht enthalten seien, und die
neuen Vorschriften des Baugesetzes kommunale Regelungen nicht
verhinderten. Die Parkplatzersatzabgaben betreffen Einrichtungen,
die das kommunale Recht regelt.
cc) Der Begriff "andere Abgabeverfügungen" wird in der Bot-
schaft des Regierungsrats vom 9. Juni 1999 (Bericht und Entwurf zur
2. Beratung der Baugesetzänderung [im Folgenden: Botschaft 1999],
S. 5) als Stilbruch qualifiziert. Diese Umschreibung sei aber bewusst
deshalb gewählt worden, um sicher zu gehen, dass im Falle der Ab-
lösung der (altrechtlichen) Anschlussgebühren auch diese Abgaben
übergangsrechtlich abgedeckt seien. Ausserdem wolle man der Ge-
fahr vorbeugen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verwendung des
Begriffes "Gebühren" zum Schlusse kommen könnte, die Erhebung
von Anschlussgebühren seien nicht geregelt. Überdies seien Bei-
träge, welche durch Einzelverfügungen auferlegt werden, keine Ge-
bühren (Botschaft 1999, S. 5 f.). Die Begriffsbildung stammt aus
dem Mitbericht des Rechtsdienstes des Regierungsrats vom
3. Dezember 1998. Der Rechtsdienst schlug zum Vorentwurf vor,
dass der ursprüngliche verwendete Begriff "andere Erschliessungs-
abgaben" sprachlogisch durch "gegen andere Verfügungen betreffend
Erschliessungsabgaben", oder wörtlich: "da schon aus dem Zusam-
menhang hervorgeht, dass die Verfügungen Erschliessungsabgaben
betreffen, kürzer, gegen andere Abgabeverfügungen" ersetzt werde
(Mitbericht, S. 3). Im Gesetzesentwurf vom 11. Dezember 1998
wurde diese gekürzte Version aufgenommen.
Jedenfalls steht fest, dass ein Bezug zu den Parkplatzersatzab-
gaben bei der Begriffsbildung nicht erkannt wurde, und deren Einbe-
zug in die Revision vom Gesetzgeber nicht gewollt war. In der bera-
tenden Kommission und im Grossen Rat wurde die geltende Formu-
lierung einstimmig gutgeheissen und ohne Diskussion genehmigt
(Protokoll der nicht ständigen Kommission Nr. 16 "Baugesetz", Än-
derungen der §§ 34, 35, 88, 166 und 169 [Erschliessungsfinanzie-
rung], 3. Sitzung vom 10. August 1999, S. 13; Protokoll des Grossen
Rats vom 31. August 1999 [Art. 1371], S. 2062).
2001
Verwaltungsgericht
250
dd) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Ge-
setzgeber unter dem Begriff "andere Abgabeverfügungen" nicht an
die Parkplatzersatzabgaben dachte, was insofern verständlich er-
scheint, als die Revision der §§ 34 f. BauG nur die Anlagen der
Grob- und Feinerschliessung einschliesslich der Basiserschliessung
zum Gegenstand hatte (Botschaft 1998, S. 13; Botschaft 1999, S. 3).
c) Die Begriffe Grob- und Feinerschliessung sind bundesrecht-
liche Umschreibungen der Erschliessungsanlagen. Gemäss Art. 19
Abs. 1 RPG ist Land erschlossen, wenn die für die betreffende Nut-
zung hinreichende Zufahrt besteht und die erforderlichen Wasser-,
Energie- sowie Abwasserleitungen so nahe heranführen, dass ein
Anschluss ohne erheblichen Aufwand möglich ist. Der Begriff der
Erschliessung ist vom Bundesrecht abschliessend definiert; die
Kantone dürfen den Begriff nicht verschieden definieren (André
Jomini in: Heinz Aemisegger/Alfred Kuttler/Pierre Moor/Alexander
Ruch [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung,
Zürich 1999, Art. 19 N 10). Art. 4 Abs. 1 WEG definiert den Begriff
der Groberschliessung als "Versorgung eines zu überbauenden Ge-
biets mit den Hauptsträngen der Erschliessungsanlagen, namentlich
Wasser-, Energieversorgungs- und Abwasserleitungen sowie Strassen
und Wege, die unmittelbar dem zu erschliessenden Gebiet dienen".
Art. 4 Abs. 2 WEG definiert die Feinerschliessung als den Anschluss
der einzelnen Grundstücke an die Hauptstränge. Beide Gesetze er-
wähnen die Parkplätze nicht als Bestandteile einer Erschliessung
(vgl. auch Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und
Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 576 ff.; Erich
Zimmerlin; Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage,
Aarau 1985, § 156 N 8a). Damit bestehen auch aus dem Wortlaut
"Grob- und Feinerschliessung" keine Anhaltspunkte für einen Mit-
einbezug der Parkplatzersatzabgabe unter die Beitragspflicht gemäss
§ 35 BauG. Abstellplätze gehören nach dem Sinn und Wortlaut dieser
Definitionen klar nicht zu den Erschliessungsanlagen.
d) Weder aus dem Wortlaut, noch aus der gesetzlichen Syste-
matik und Entstehungsgeschichte ergeben sich Anhaltspunkte dafür,
dass mit der Revision des Baugesetzes von 1999 die Zuständigkeit
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
251
für das erstinstanzliche Rechtsmittelverfahren bei Streitigkeiten über
die Parkplatzersatzabgaben geändert wurde.
4. a) Baureif ist ein Grundstück, wenn es nach Lage, Form und
Beschaffenheit für die Überbauung geeignet und erschlossen ist (vgl.
den dritten Teil des Baugesetzes "Baureife und Erschliessung"; § 32
Abs. 1 BauG). Erschlossen ist ein Grundstück, wenn eine Zufahrt
oder ein Zugang, die dem Zweck der Baute genügen, und die nötigen
Anlagen für Trinkwasser, Löschwasser- sowie Energieversorgung
und für die Abwasserbeseitigung vorhanden sind oder mit dem Ge-
bäude erstellt werden (Art. 32 Abs. 1 lit. b BauG und Art. 19 Abs. 1
RPG). Das Erfordernis der genügenden strassenmässigen Erschlies-
sung soll den Anschluss an das öffentliche Strassennetz unter ver-
kehrs-, feuer-, sicherheits- und gesundheitspolizeilichen sowie raum-
planerischen Gesichtspunkten sicherstellen und bezieht sich auf die
gesamte Wegstrecke mit Feinerschliessungsfunktion (Erläuterungen
zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, Art. 19 N 12;
Erich Zimmerlin, a.a.O., § 156 N 8a, AGVE 1990, S. 249 ff. mit
Hinweisen). Die Erschliessung der Bauzonen obliegt den Gemeinden
(§ 33 BauG) und kann von den Grundeigentümern vorfinanziert und
durchgeführt werden, wenn ein Sondernutzungsplan vorliegt. Private
Erschliessungsanlagen sind von der Gemeinde grundsätzlich zu
übernehmen (§ 37 BauG). Die Baureife knüpft sachlich an ein
Grundstück (§ 32 Abs. 1 Satz BauG; Art. 4 Abs. 2 WEG), das "Land"
(vgl. Art. 19 Abs. 1 RPG) oder das "Gebiet" (vgl. Art. 4 Abs. 1
WEG) an. Die Erschliessung ist - nebst den Voraussetzungen in § 32
Abs. 1 lit. a BauG - eine Voraussetzung der Überbaubarkeit von
Bauland, aber keine Voraussetzung an ein konkretes Bauvorhaben.
Unter Zufahrt ist die Strassenverbindung zwischen dem Bau-
grundstück und dem öffentlichen Strassennetz zu verstehen (vgl. zum
bundesrechtlichen Begriff der Zufahrt in Art. 19 RPG: Erläuterungen
zum RPG, herausgegeben vom eidg. Justiz- und Polizeidepartement,
Abteilung Raumplanung, Bern 1981, Art. 19 N 12 - 14; und die Ver-
wendung dieses Begriffs in § 113 BauG; AGVE 1990, S. 248 mit
Hinweisen), weitere parzelleninterne Anlagen, insbesondere Park-
plätze, fallen nicht darunter. Dass die Parkplatzerstellungspflicht
auch nicht Teil der ausnahmsweise ausreichenden Erschliessung
2001
Verwaltungsgericht
252
durch einen "Zugang" ist, bedarf keiner eingehenden Begründung
(vgl. Erich Zimmerlin, a.a.O., § 156 N 8c). Die Revision von 1999
beschränkte sich - wie oben ausgeführt (vgl. vorne Erw. 3) - auf die
Regelung der Erschliessung der Bauzonen im öffentlichen Aufga-
benbereich. § 32 BauG und der Rechtsgehalt der Baureife blieben in
der Revision von 1999 unverändert.
b) Die Parkplatzerstellungspflicht und die Pflicht zur Schaffung
der erforderlichen Verkehrsflächen für den Zubringerdienst gemäss
§ 55 BauG sind demgegenüber Grundanforderungen an Bauvor-
haben. Sie sind systematisch im vierten Teil "Nutzungs- , Bau- und
Schutzvorschriften" des Baugesetzes eingeordnet. Die Beschaffen-
heit der Bauvorhaben, nicht des Grundstücks, ist Gegenstand dieser
Regelungen. Die Erfüllung der Parkplatzerstellungspflicht ist eine
Voraussetzung für die Erteilung einer Baubewilligung. Grundlage für
die Bestimmung der erforderlichen Anzahl Parkplätze sind die pro-
jektierten Bauten und Anlagen, beziehungsweise die Umgestaltung,
Erweiterung oder Zweckänderung bestehender Bauten, nicht die
rechtliche und tatsächliche Qualität des Baugrundstückes (§ 56
Abs. 1 Satz 2 BauG und §§ 25 f. ABauV). Vorrang bei der Parkplatz-
erstellungspflicht hat die Realerfüllung. Lediglich in Ausnahmefällen
kann oder muss die Pflicht durch Leistung von Ersatzabgaben abge-
löst werden. Die Ersatzabgabe für Parkplätze ist damit eine Folge-
koste eines Bauvorhabens, die anfällt, weil der Bauwillige die von
seinem Bauvorhaben ausgelöste Parkplatzerstellungspflicht aus
irgend einem Grund nicht real erfüllt. Die Abgeltung von Leistungen
des Gemeinwesens ist sodann nicht Voraussetzung der Ersatzabgabe,
und sie verhindert auch keine polizeiwidrigen Verhältnisse. Dies
folgt schon daraus, dass die Abgabepflicht entfällt, wenn die Erstel-
lung von Parkplätzen untersagt ist, und keine öffentlichen Parkie-
rungsanlagen in nützlicher Distanz vorhanden sind (§ 58 Abs. 2
BauG).
Diese Ersatzabgaben sind demgemäss weder nach dem Geset-
zeswortlaut, noch der gesetzlichen Systematik, noch der Sache nach
ein Teilgehalt der Baureife im Sinne von § 32 Abs. 1 BauG.
c) Die Parkplatzersatzabgaben sind Folge der Nichterfüllung
der Parkplatzerstellungspflicht, weshalb ihre Beurteilung und Be-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
253
messung regelmässig vorfrageweise die Erstellungspflicht zu beur-
teilen hat. Unbestrittenermassen wird die reale Erfüllung der Park-
platzerstellungspflicht im Rechtsmittelverfahren durch das Baude-
partement beurteilt. Dass in den Ersatzabgabefällen die Schätzungs-
kommission vorfrageweise die Pflicht und die Anspruchsgrundlagen
selbstständig beurteilt, ist einer einheitlichen Rechtsanwendung von
§ 55 ff. BauG weniger dienlich als allfällige Abweichungen bei der
Anwendung allgemeiner Grundsätze. In der Hauptsache ist daher für
die Beurteilung der Parkplatzersatzabgaben die Zuständigkeit des
Baudepartements im Beschwerdeverfahren nach § 46 VRPG und
§ 41 ABauV auch nach der Revision des BauG 1999 gegeben.
d) § 148 Abs. 3 BauG sieht eine subsidiäre Zuständigkeit der
Schätzungskommission in den Verfahren nach Baugesetz vor. Diese
Zuständigkeitsnorm anerkennt andere Zuständigkeiten unabhängig
davon, auf welcher Stufe die Regelung erfolgt. Es kann daher offen
bleiben, ob sich diese Zuständigkeitsregel auf Grund der Gesetzessy-
stematik nur auf den 9. Teil (Enteignung) des Baugesetzes bezieht,
oder weitere "Streitigkeiten" erfasst.
5. Die gesetzliche Zuständigkeitsordnung hat für die Abgaben
und Gebühren gemäss § 34 ff. BauG, welche als Auflagen oder Be-
dingungen einer Baubewilligung verfügt werden, zur Folge, dass die
Schätzungskommission nach dem Einspracheverfahren Beschwer-
deinstanz ist. Die Rechtsmittelbelehrung in der Baubewilligung hat
für diese Auflagen und Bedingungen auf die Einsprache gemäss § 35
Abs. 2 BauG und für die übrigen Bestimmungen auf die Beschwerde
an das Baudepartement gemäss § 41 ABauV hinzuweisen.
6. a) Nach § 65 Abs. 2 BauG kann die Beschwerdebehörde
im
Baubewilligungsverfahren
den Baubeginn ganz oder teilweise be-
willigen, sofern dadurch ihre Entscheidungsfreiheit nicht beeinträch-
tigt wird. Die Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem Grund-
satz der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden (§ 44 Abs. 1
VRPG) und dem in § 44 Abs. 2 Satz 2 VRPG der Beschwerdeinstanz
zustehenden Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung einer Be-
schwerde zu entziehen (vgl. AGVE 1996, S. 396 f. mit Hinweisen).
b) Der Schätzungskommission steht das Recht zum Entzug der
aufschiebenden Wirkung gemäss § 44 Abs. 2 VRPG zu. Sie ist keine
2001
Verwaltungsgericht
254
Beschwerdeinstanz im Baubewilligungsverfahren, weshalb sie keine
Bewilligungen nach § 65 Abs. 2 BauG erteilen kann.
c) Mit der Revision vom 31. August 1999 wurde die Einspra-
chemöglichkeit gegen den Beitragsplan und die Verfügungen über
Erschliessungsabgaben als neues Element in das Rechtsschutzverfah-
ren nach Baugesetz eingeführt (§ 35 Abs. 2 Satz 1 BauG). Dies auf-
grund der Erfahrungen mit dem Einspracheverfahren in andern
Sachbereichen, wie z.B. im Landumlegungsverfahren (Botschaft
1998, S. 12). Diese Einsprache ist ein Rechtsmittel, welches von der
anordnenden Behörde entschieden wird (§ 4 Abs. 2 BauG). Andere
oder ergänzende Verfahrensvorschriften finden sich weder in der
ABauV noch im VRPG. Aus den gesetzlichen Bestimmungen folgt,
dass der Gemeinderat als Einspracheinstanz keinen vorzeitigen Bau-
beginn im Sinne von § 65 Abs. 2 BauG bewilligen kann. Auch ein
nachträglicher Entzug der aufschiebenden Wirkung liegt nicht in
seiner Kompetenz (§ 44 Abs. 2 VRPG). Eine solche Bestimmung
oder die analoge Anwendung dieser Bestimmungen auf das Einspra-
cheverfahren vor dem Gemeinderat ist indessen nicht erforderlich.
Die Einsprache verschafft dem Rechtssuchenden einen Anspruch auf
Überprüfung der Verfügung. Die angefochtene Verfügung fällt dahin
und der Gemeinderat hat über die Erschliessungsabgaben neu zu ent-
scheiden. Der Rechtsschutz ist sichergestellt und die Kognition des
Gemeinderats als Einspracheinstanz ist umfassend. Letztere schliesst
sämtliche Anordnungen und Auflagen, die materiell (sachlich), funk-
tional, oder verfahrensrechtlich zum Beitragsplan und den "andern
Abgabeverfügungen" gehören, ein. In dieser Überprüfungsbefugnis
eingeschlossen sind die Anordnungen über die Fälligkeit der Er-
schliessungsabgaben entsprechend den kommunalen oder kantonalen
Reglementen. Will der Gemeinderat die Zahlung oder die Sicherstel-
lung der Erschliessungsabgaben oder -gebühren an den Baubeginn
knüpfen, beziehungsweise aus der Sicht des betroffenen Bauge-
suchsstellers, den Baubeginn von der Bezahlung der Abgaben und
Gebühren abhängig machen, kann und muss er dies im Einspra-
cheentscheid neu verfügen. Ausgeschlossen sind der vorsorgliche
Entzug der aufschiebenden Wirkung der Einsprache (§ 44 Abs. 2
VRPG) oder andere vorsorgliche Massnahmen. Der Entscheid über
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
255
die Fälligkeit der Abgaben hat im Einspracheentscheid zu ergehen,
wobei im Einspracheentscheid die aufschiebende Wirkung einer
Beschwerde an die Schätzungskommission entzogen werden kann,
sofern wichtige Gründe vorliegen (§ 44 Abs. 1 VRPG).
d) Die Spaltung der Rechtmittelverfahren schafft auch mit Be-
zug auf die Möglichkeit des vorzeitigen Baubeginns unterschiedliche
Zuständigkeiten je nach den erhobenen Rechtsmitteln und Anord-
nungen mit Bezug auf die Rechtskraft der Baubewilligung, Baube-
ginn und Fälligkeit der Abgaben. Einerseits kann die Erhebung von
Abgaben in der Baubewilligung als Nebenbestimmungen enthalten
sein. Anderseits ist es möglich, dass separate Verfügungen erlassen
werden, die entsprechende Nebenbestimmungen enthalten. Es lassen
sich für die Praxis allgemein folgende Fälle unterscheiden:
aa) Die Baubewilligung wird nur mit Bezug auf die mit ihr ver-
fügten Erschliessungsabgaben im Sinne von §§ 34 ff. BauG ange-
fochten: Zuständig ist vorerst der Gemeinderat im Einspracheverfah-
ren. Ein vorzeitiger Baubeginn oder ein vorsorglicher Entzug der
aufschiebenden Wirkung während des Einspracheverfahrens sind
ausgeschlossen (vgl. vorne Erw. c). Der Gemeinderat kann im Ein-
spracheentscheid entweder die Fälligkeitsbestimmung für die Abga-
ben ändern, oder deren Sicherstellung verlangen, wenn das kommu-
nale Erschliessungsreglement diese Möglichkeit vorsieht (vgl. § 6
des Ersatzabgabereglements Baden; AGVE 1996, S. 398). Wird der
Einspracheentscheid bei der Schätzungskommission angefochten,
kann diese der Beschwerde die aufschiebende Wirkung entziehen,
bzw. eine im Einspracheentscheid entzogene Suspensivwirkung wie-
der erteilen (§ 44 Abs. 2 VRPG).
bb) Die Anfechtung einer Baubewilligung umfasst die verfügten
Abgaben und Gebühren nicht, sondern nur andere Teile ein-
schliesslich der Parkplatzerstellungsersatzabgabe: Zuständige Be-
schwerdeinstanz ist das Baudepartement, welches nach § 65 Abs. 2
BauG den vorzeitigen Baubeginn bewilligen kann.
cc) Gegen die Baubewilligung wird eine Einsprache gemäss
§ 35 Abs. 2 BauG und eine Beschwerde gemäss § 41 ABauV einge-
reicht: Für den vorzeitigen Baubeginn gemäss § 65 Abs. 2 BauG ist
das Baudepartement ausschliesslich zuständig. Der vorzeitige Bau-
2001
Verwaltungsgericht
256
beginn setzt sowohl die Rechtskraft der Verfügungsteile über die
Erschliessungsabgaben, als auch die Bewilligung des Baudeparte-
ments gemäss § 65 Abs. 2 BauG voraus. Wird eine solche Bewilli-
gung erteilt, bevor der Gemeinderat über die Einsprache entschieden
hat, ist die Baubewilligung nicht rechtskräftig und mit dem Bauvor-
haben darf vor der Rechtskraft des Einspracheentscheids nicht be-
gonnen werden. Wurde oder wird im Zeitpunkt, in welchem der vor-
zeitige Baubeginn vom Baudepartement bewilligt wurde, eine
Beschwerde gegen den Einspracheentscheid des Gemeinderats be-
treffend Erschliessungsabgaben eingereicht, hat die Schätzungskom-
mission auf Gesuch über die aufschiebende Wirkung der ("Erschlies-
sungs-")Beschwerde zu entscheiden. Eine Koordination dieser Ent-
scheide (zum Beispiel durch entsprechende Vorbehalte) und Abspra-
che zwischen Schätzungskommission und Gemeinderat sowie Bau-
departement ist nicht nur zweckmässig, sondern im Interesse der
Verfahrensbeteiligten geboten.
dd) Die theoretisch möglichen, in der Praxis aber kaum auftre-
tenden Fälle, in welchen die Erschliessungsabgaben und -gebühren
in der Baubewilligung verfügt werden, deren Fälligkeit und/oder
Rechtskraft aber nicht mit dem Baubeginn oder der Rechtskraft der
Baubewilligung gekoppelt sind, oder die Baubewilligung besondere
Rechtskraftbestimmungen enthält, sind für den Zuständigkeitskon-
flikt beim vorzeitigen Baubeginn ohne praktische Bedeutung und
können nach den dargestellten Grundsätzen gelöst werden.
ee) Werden Erschliessungsabgaben in einer separaten Verfü-
gung festgesetzt gelten für das Rechtsmittelverfahren die Zuständig-
keitsregeln von § 35 BauG (vgl. vorne Erw. c).
7. Der Schätzungskommission und dem Baudepartement ist zu-
zustimmen, dass diese Rechtswegspaltung - und die im Ergebnis
doppelte Zuständigkeit für einen sofortigen Baubeginn - nicht pro-
zessökonomisch ist und auch nicht als besonders bürgerfreundlich
bezeichnet werden kann. Sie ist aber in Kauf zu nehmen, wenn mit
einer behördlich angeordneten Koppelung die Zahlung oder Sicher-
stellung von Erschliessungsabgaben und -gebühren mit dem Baube-
ginn bewirkt werden und der Rechtsschutz nach dem Baugesetz ge-
wahrt bleiben soll. Der Rechtschutzanspruch des Bürgers bei Abga-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
257
ben- und Gebührenverfügungen und beim Beitragsplan ist vom Ge-
setz der Schätzungskommission, einer richterlichen Instanz, anver-
traut. Sie ist mit umfassender Kognition zur Beurteilung aller Rechts-
und Tatfragen in diesem Sachzusammenhang zuständig. Damit fallen
auch Vorfragen, Verfahrensfragen, Zwischenentscheide, vorsorgliche
Massnahmen und die Anordnungen über die aufschiebende Wirkung
in ihre alleinige Zuständigkeit, soweit diese in der Hauptsache reicht.
Anderseits sind nach dem Baugesetz alle kommunalen Baubewilli-
gungen, die in Anwendung von Vorschriften des Baugesetzes erge-
hen und nicht einer besonderen Instanz zugewiesen sind, vorerst
einer Rechts- und Ermessenskontrolle im Verwaltungsverfahren un-
terstellt.
Die Verschiebung der Rechtsmittelkompetenzen und Zustän-
digkeiten je nach dem, ob eine Verfügung Anordnungen aus ver-
schiedenen Sachgebieten verbindet, oder die Betroffenen eine Verfü-
gung in einzelnen oder mehreren Punkte aus unterschiedlichen sach-
lichen Zuständigkeitsbereichen anfechten, ist mit dem Rechtsschutz-
anspruch und dem Interesse an einer einheitlichen Rechtsanwendung
nicht vereinbar. Zu erwähnen sind z.B. die Möglichkeiten, dass eine
Baueinsprache und die anschliessende Beschwerde eines Einspre-
chers statt den Parkplatzersatzabgaben die reale Erstellung beantragt
oder umgekehrt. Die Zuständigkeit einer Rechtsmittelinstanz von
Zufälligkeiten oder vom Willen der Verfahrensbeteiligten und Be-
hörden abhängig zu machen, ist mit dem Baugesetz schwer verträg-
lich und widerspricht vor allem dem Grundsatz der Rechtssicherheit,
dem besonders im Verfahrensrecht ein hoher Stellenwert zukommt.
Abschliessend sei erwähnt, dass es auch sachlich Sinn macht, wenn
die Schätzungskommission die Entscheide im Sachzusammenhang
mit den Erschliessungsabgaben und -gebühren gemäss § 34 BauG
fällt, während das Baudepartement über die Parkplatzerstellungs-
pflicht inklusive den entsprechenden Ersatzabgaben und den vorzei-
tigen Baubeginn entscheidet. | 6,512 | 5,087 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-59_1999-08-31 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-59.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-59.pdf | AGVE_2001_59 | null | nan |
c3ef26c7-3677-5641-84a1-b9ccb6e630a8 | 1 | 412 | 871,682 | 994,032,000,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
208
[...]
50
Interkantonales Steuerrecht. Erbschaftssteuer.
- Interkantonale Ausscheidung, insbesondere Behandlung der Reparti-
tionswerte der Liegenschaften.
- Die Regeln der interkantonalen Ausscheidung können keine höhere
als die nach kantonalem Recht zulässige Besteuerung rechtfertigen.
Schlechterstellungsverbot.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 25. Juli 2001 in
Sachen KStA gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts (betreffend D.W.).
Sachverhalt
Der Veranlagung von D.W. zur Erbschaftssteuer lag folgende
Berechnung zugrunde (die Zahlen sind fiktiv):
Kt.
ZH
Kt
AG
Gesamt
Liegenschaften (Repartitionswerte)
700'000
15'000'000
15'700'000
Andere Vermögenswerte
8'300'000
8'300'000
Aktiven total
9'000'000
15'000'000
24'000'000
Total der Aktiven in %
37,5%
62,5%
100%
Schulden (nach Lage der Aktiven)
300'000
500'000
800'000
Subtotal
8'700'000
14'500'000
23'200'000
Differenz Repartitions- / Vermögenssteuerwert
5'200'000
Reinvermögen
18'000'000
Freibetrag Kt. AG
50'000
2001
Kantonales Steuerrecht
209
Steuerpflichtiger Vermögensanfall
17'950'000
Aktiven in %
37,5%
62,5%
100%
Steuerpflichtiger Vermögensanfall
7'031'250
11'718'750
17'950'000
Die Steuerpflichtige beantragte demgegenüber die Veranlagung
nach folgender Berechnung:
Kt.
ZH
Kt
AG
Gesamt
Liegenschaften (Repartitionswerte)
700'000
15'000'000
15'700'000
Andere Vermögenswerte
8'300'000
8'300'000
Aktiven total
9'000'000
15'000'000
24'000'000
Total der Aktiven in %
37,5%
62,5%
100%
Schulden (nach Lage der Aktiven)
300'000
500'000
800'000
Subtotal
8'700'000
14'500'000
23'200'000
Differenz Repartitions- / Vermögenssteuerwert
200'000
5'000'000
5'200'000
Reinvermögen
8'500'000
9'500'000
18'000'000
Reinvermögen in %
47,22%
52,78%
100%
Freibetrag Kt. AG
23'610
26'390
50'000
Steuerpflichtiger Vermögensanfall
8'476'390
9'473'610
17'950'000
Aus den Erwägungen
1. a) Nach den Regeln über die interkantonale Steuerausschei-
dung bei Erbschaften und Schenkungen ist der Erbanfall am letzten
Wohnsitz des Erblassers steuerbar, mit Ausnahme des unbeweglichen
Vermögens, das am Ort der gelegenen Sache zu besteuern ist (Ernst
Höhn/Peter Mäusli, Interkantonales Steuerrecht, 4.
Aufl.,
2001
Verwaltungsgericht
210
Bern/Stuttgart/Wien 2000, § 17 Rz. 13, 15, § 24 Rz. 1; Peter Locher,
Einführung in das interkantonale Steuerrecht, Bern 1999, S. 91 ff.,
138; Urs Ursprung, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz,
Muri/BE 1991, § 86 N 1 f.; vgl. § 86 Abs. 1 und 2 StG). Ist eine
Steuerausscheidung zwischen dem Kanton des letzten Wohnsitzes
des Erblassers und dem (oder den) Belegenheitskanton(en) vor-
zunehmen, sind die Schulden proportional zur Lage der Aktiven zu
verlegen (BGE in StE 1998, A 24.42.4 Nr. 1, mit Hinweisen;
Höhn/Mäusli, a.a.O., § 24 Rz. 1, § 19 Rz. 11; Locher, a.a.O., S. 138,
98; Ursprung, a.a.O., § 86 N 6a); danach können die Kantone den auf
sie entfallenden Anteil am reinen Nachlassvermögen besteuern (BGE
in ASA 41/1972-73, S. 347 f.). Die für die Schuldenverlegung not-
wendige Bewertung der Aktiven muss zwar nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts nicht zwingend nach einem einheitlichen
Bewertungsmassstab erfolgen, doch muss jeder Kanton zumindest
seine Bewertungsregeln bei den innerkantonalen und den ausser-
kantonalen Vermögenswerten in gleicher Weise anwenden (StE 1998,
A 24.42.4 Nr. 1; Höhn/Mäusli, a.a.O., § 19 Rz. 16 ff., mit Kritik Rz.
18; Locher, a.a.O., S. 98). Für die Bewertung von Grundstücken zum
Zweck der interkantonalen Steuerausscheidung werden die sog.
Repartitionswerte verwendet (im vorliegenden Fall gemäss dem
Kreisschreiben der EStV vom 3. Februar 1993 "Regeln für die
Bewertung der Grundstücke in der Veranlagungsperiode 1993/94",
publiziert in ASA 61/1992-93, S. 759 ff.).
b) Nach kantonalem Recht wird das Vermögen nach den Vor-
schriften der Vermögenssteuer bewertet (§ 87 Abs. 1 StG), was sich
namentlich bei überbauten Grundstücken, wenn die Grundstück-
schätzung unter dem Verkehrswert bleibt, zugunsten der Steuer-
pflichtigen auswirkt (vgl. Ursprung, a.a.O., § 87 N 1).
Es ist unbestritten, dass der in die Erbsteuerberechnung einbe-
zogene Wert der aargauischen Grundstücke (Fr. 10'000'000.--) der
obigen Bewertungsregel (Vermögenssteuerwert) entspricht. Aus dem
Umstand, dass der Repartitionswert für nichtlandwirtschaftliche
Grundstücke im Kanton Aargau auf 150 % festgesetzt wurde (vgl.
ASA 61, S. 761), lässt sich vermuten, dass der Vermögenssteuerwert
auch hier klar unter dem Verkehrswert lag.
2001
Kantonales Steuerrecht
211
2. a) Die kantonalen Steuerbehörden haben auch bei interkanto-
nalen Verhältnissen zunächst das kantonale Steuerrecht anzuwenden.
Die Regeln des interkantonalen Steuerrechts setzen dem gegebenen-
falls Schranken und erzwingen Abänderungen zugunsten der Steuer-
pflichtigen. Die interkantonale Steuerausscheidung kann aber nie
dazu führen, dass ein Steuerpflichtiger in einem Kanton mehr zu ver-
steuern oder höhere Steuern zu entrichten hätte, als das dortige kan-
tonale Steuerrecht vorsieht (BGE 80 I 11; Höhn/Mäusli, a.a.O., § 3
Rz. 19 f., 24; Locher, a.a.O., S. 29).
b) Die aargauischen Liegenschaften als der aargauischen Steu-
erhoheit unterliegendes Steuersubstrat können nach dem kantonalen
Recht nur in Höhe des Vermögenssteuerwerts mit der Erbschafts-
steuer erfasst werden (§ 87 Abs. 1 StG). Unter Berücksichtigung der
anteilsmässigen Schulden (deren Berechnung und Verlegung mittels
der Repartitionswerte nicht streitig ist) und des anteiligen Freibetrags
(§ 89 Abs. 1 StG; vgl. dazu Ursprung, a.a.O., § 86 N 5d) ergibt sich
in vereinfachter Darstellung folgende Rechnung:
kantonal massgeblicher Wert der aarg. Aktiven
Fr.
10'000'000
./. interkantonal zu übernehmender Schuldenanteil
Fr.
500'000
./. Anteil Freibetrag
Fr.
26'390
Fr.
9'473'610
Die vom KStA befürwortete Berechnungsweise liefe darauf
hinaus, dass der Kanton Aargau die Erbschaftssteuer auf einem Be-
trag von Fr. 11'718'750.-- (62,5 % von Fr. 18'750'000.--) erhebt. Dies
ist mehr als der nach § 87 Abs. 1 StG festgesetzte Wert der im Kan-
ton steuerbaren Aktiven und ist offenkundig mit dem kantonalen
Recht nicht vereinbar. Wenn, wie das KStA zutreffend ausführt, der
Kanton Aargau die Liegenschaften zum Vorteil der Steuerpflichtigen
vorsichtig schätzt, so muss er diesen Vorteil nicht nur den Steuer-
pflichtigen mit rein innerkantonalen Beziehungen zukommen lassen,
sondern auch denjenigen in interkantonalen Verhältnissen (und zwar
zu eigenen Lasten; er kann diese "Vorteilsgewährung" nicht - gestützt
auf die quotenmässige Aufteilung im interkantonalen Erbschaftssteu-
errecht - auf die mitbeteiligten Kantone mit realistischerer Verkehrs-
2001
Verwaltungsgericht
212
wertschätzung abwälzen). Andernfalls verstösst er gegen das
Schlechterstellungsverbot, wonach die Kantone diejenigen Steuer-
pflichtigen, die nur für einen Teil des Vermögens oder Einkommens
steuerpflichtig sind, aus diesem Grund nicht anders und stärker be-
lasten dürfen als die ausschliesslich im Kanton steuerpflichtigen
Personen (vgl. Art. 127 Abs. 3 BV; BGE 121 I 261 mit Hinweisen;
Höhn/Mäusli, a.a.O., § 4 Rz. 17 f.; vgl. auch Locher, a.a.O., S. 40).
Dass der Kanton Aargau ohne Verstoss gegen die verfassungsrechtli-
chen Vorgaben die Erbschaftssteuer nach Massgabe der Verkehrs-
werte erheben dürfte, wie das KStA geltend macht, ist in diesem Zu-
sammenhang ohne Bedeutung. | 2,025 | 1,467 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-50_2001-07-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-50.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-50.pdf | AGVE_2001_50 | null | nan |
c43e951e-9496-53ef-a6a0-6504061aae8e | 1 | 412 | 870,584 | 1,091,404,800,000 | 2,004 | de | 2004
Kantonale Steuern
133
34 Geschäftsmässig nicht begründete Aufwendungen (verdeckte
Gewinnausschüttung).
- Grundsätze der Beurteilung der geschäftsmässigen Begründetheit
(Erw. 2/a,b).
- Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung (Erw. 2/c).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 25. August 2004 in
Sachen M. AG gegen Steuerrekursgericht.
Aus den Erwägungen
2. a) Steuerlich anerkannt sind nur die geschäftsmässig begrün-
deten Aufwendungen. Sie finden sich im Gesetz nicht definiert. Hin-
gegen hält § 8 VAStG in beispielhafter Aufzählung fest, was als
offene oder verdeckte Gewinnausschüttung bzw. geschäftsmässig
nicht begründete Aufwendung zur Aufrechnung gelangt. Die ge-
schäftsmässige Begründetheit eines Aufwands ist im Einzelfall, unter
Würdigung der gesamten Umstände, zu ermitteln. Generell ist nur
jener Aufwand abzugsfähig, welcher dem geschäftlichen Zweck des
Unternehmens zu dienen vermag. Zwischen Aufwendung und Ge-
schäftsbetrieb hat ein objektiver, sachlicher (Kausal-) Zusammen-
hang zu bestehen. Ob die Aufwendungen im konkreten Fall wirklich
notwendig bzw. von wirtschaftlichem Nutzen waren, ist dagegen
nicht entscheidend. Es geht nicht darum, die Zweckmässigkeit und
Angemessenheit geschäftlicher Ausgaben zu überprüfen und
ungünstige geschäftliche Dispositionen steuerlich zu "sanktionieren".
Die Steuerbehörde darf bei ihrer Beurteilung nicht in die unter-
nehmerische Entscheidungsfreiheit eingreifen und ihr eigenes Er-
messen an die Stelle desjenigen der Geschäftsführung stellen
(StE 2003, B 72.14.2 Nr. 31; AGVE 1978, S. 351; VGE II/48 vom
2. Juli 2003 [BE.2002.00277] in Sachen D. AG, S. 5; Urs Mühle-
bach/Heini Bürgi, Kommentar zum aargauischen Aktiensteuergesetz,
Brugg 1982, § 10 N 32.7; Philip Funk, in: Kommentar zum Aargauer
Steuergesetz, Band 1, 2. Auflage, Muri/Bern 2004, § 36 N 5; Peter
Brülisauer/Stephan Kuhn, in: Kommentar zum schweizerischen
2004
Verwaltungsgericht
134
Steuerrecht, Bd.
I/2a [DBG], Basel/Genf/München 2000,
Art. 58 N 55 ff., je mit Hinweisen).
b) Eine Aufwendung ist nicht geschäftsmässig begründet, son-
dern als sog. verdeckte Gewinnausschüttung zu qualifizieren, wenn
eine Leistung ausgerichtet wird, der keine oder keine angemessene
Gegenleistung gegenübersteht, mit der Leistung ein Anteilsinhaber
(oder eine ihm nahestehende Person) begünstigt wird und das Miss-
verhältnis von Leistung und Gegenleistung für die handelnden Or-
gane erkennbar war (erwähnter VGE vom 2. Juli 2003, S. 5 f.;
StE 2002, B 24.4 Nr. 64; Brülisauer/Kuhn, a.a.O., Art. 58 N 104;
Mühlebach/Bürgi, a.a.O., § 10 N 32.6, je mit Hinweisen). Unter
diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass die Begünsti-
gung beabsichtigt war. Der Gewinn wird diesfalls nicht bei der
Gesellschaft ausgewiesen, wo er erwirtschaftet wurde, sondern bei
der mit dieser verbundenen oder ihr nahestehenden Person. Der
Grund der Zuwendung findet sich im gesellschaftsrechtlichen
Beteiligungsverhältnis. Sie ist verdeckt, weil sie hinter einer
schuldrechtlichen Vereinbarung versteckt wird (Brülisauer/Kuhn,
a.a.O., Art. 58 N 103).
c) Stehen den fraglichen Leistungen der steuerpflichtigen Ge-
sellschaft bestimmte Verpflichtungen des Empfängers gegenüber,
liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung nur vor, wenn zwischen
Leistung und Gegenleistung ein wesentliches, offensichtliches Miss-
verhältnis besteht; eine bloss geringfügige Differenz genügt nicht.
Die Frage der (Un-)Angemessenheit von Leistung und Gegenleis-
tung beurteilt sich nach Marktverhältnissen. Abzustellen ist auf einen
objektiven Massstab, auf den Preis, den die Gesellschaft für ihre
Leistung mit einem unabhängigen Dritten vereinbart hätte (StE 2003,
B 72.14.2 Nr. 31; Ernst Blumenstein/Peter Locher, System des
schweizerischen Steuerrechts, 6. Auflage, Zürich 2002, S. 274 f.;
Brülisauer/Kuhn, a.a.O., Art. 58 N 109 ff.). Wenn streitig ist, ob
zwischen den gegenseitigen Leistungen ein offensichtliches Miss-
verhältnis besteht, ist es Sache der Steuerbehörden, das offensichtli-
che Missverhältnis bzw. die verdeckte Gewinnausschüttung zu be-
weisen (erwähnter VGE vom 2. Juli 2003, S. 6 f.; StE 1999,
2004
Kantonale Steuern
135
B 72.14.2 Nr. 23; Brülisauer/Kuhn, a.a.O., Art. 58 N 101, je mit
Hinweisen).
d) Vorliegend ist demnach zu prüfen, ob in der zwischen der
Beschwerdeführerin und ihrem Aktionär getroffenen Mietvereinba-
rung ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Leistung und Ge-
genleistung besteht. | 1,087 | 866 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-34_2004-08-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-34.pdf | AGVE_2004_34 | null | nan |
c46d5307-433c-5d14-8b57-1b2779db5485 | 1 | 412 | 870,512 | 1,556,755,200,000 | 2,019 | de | 2019
Migrationsrecht
87
III. Migrationsrecht
11
Reformatio in peius; Einspracheverfahren
Der Entscheidungsspielraum verbleibt im Einspracheverfahren voll-
ständig bei der ursprünglich verfügenden Behörde, weshalb kein Verbot
der reformatio in peius besteht (Erw. 3.2).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 2. Mai 2019, in
Sachen A. A. und B. A. gegen Amt für Migration und Integration
(WBE.2019.108).
Sachverhalt
A.
Der Sohn der Beschwerdeführer (geb. 1991) reiste 2016 in die
Schweiz ein und ersuchte um Asyl. Bei einer Messerstecherei wurde
er erheblich verletzt. In der Folge reisten seine Eltern (die Beschwer-
deführer) im September 2016 in die Schweiz ein und sorgten für
ihren Sohn. Sie erhielten dafür ein Visum D (länger als 90-tägiger
Aufenthalt), welches mehrfach verlängert wurde.
Am 6. Dezember 2018 stellte das MIKA den Beschwerde-
führern die Nichtverlängerung des am 10. Januar 2019 auslaufenden
Visums und die Wegweisung aus der Schweiz in Aussicht und ge-
währte ihnen das rechtliche Gehör. Nach Eingang der Stellungnahme
des Vertreters der Beschwerdeführer wurden diese am 14. Januar
2019 je mit separater Verfügung durch das MIKA weggewiesen und
aufgefordert, die Schweiz 60 Tage nach Rechtskraft der Verfügung
zu verlassen.
B.
Gegen die Verfügungen vom 14. Januar 2019 erhoben die Be-
schwerdeführer am 18. Januar 2019 jeweils Einsprache beim Rechts-
dienst des MIKA (Vorinstanz) und beantragten die Verlängerung der
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
88
Ausreisefrist von 60 auf 120 Tage ab Rechtskraft der angefochtenen
Verfügungen.
Die Vorinstanz vereinigte die beiden Verfahren mit Verfügung
vom 24. Januar 2019 und stellte die Einsprachen der erstinstanzlich
verfügenden Sektion zur Stellungnahme zu. Im Rahmen der Ver-
nehmlassung wies diese darauf hin, dass es sich beim Passus nach
Rechtskraft um ein Versehen gehandelt habe, welches im Rahmen
des Einspracheverfahrens zu korrigieren sei. Die Ausreisefrist sei mit
60 Tagen bereits angemessen erweitert und es sei nicht ersichtlich,
weshalb diese auf 120 Tage ausgedehnt werden müsse. Die Be-
schwerdeführer verzichteten auf eine Stellungnahme und reichten
lediglich kommentarlos eine Bestätigung eines Neurologen vom
28. Januar 2019 ein, wonach sich die Anwesenheit der Beschwerde-
führer positiv auf die psychische Gesundheit ihres Sohnes auswirke
und sie den Hauptteil der pflegerischen Aufgaben übernähmen,
wodurch auf eine Spitex oder stationäre Pflegeeinrichtung verzichtet
werden könne.
Mit Einspracheentscheid vom 22. Februar 2019 wies die Vo-
rinstanz die Einsprache ab. Die entsprechenden Dispositive des
MIKA korrigierte die Vorinstanz dahingehend, dass der Passus nach
Rechtskraft gestrichen wurde. Präzisierend hielt die Vorinstanz in
der Begründung fest, dass die Beschwerdeführer die Schweiz damit
innert 60 Tagen ab Erlass der angefochtenen Verfügungen zu verlas-
sen hätten.
C.
Mit Eingabe vom 21. März 2019 (Postaufgabe) erhoben die Be-
schwerdeführer beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Ver-
waltungsgericht) Beschwerde und stellten folgende Begehren:
1.
Die Verfügung i.S. von obigen Erwägungen abzuändern, d.h. eine Aus-
reisefrist von 120 Tagen zu gewähren.
2.
Die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
3.
Von einer Erhebung von Gerichtskosten sei zu verzichten.
Die Begründung ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nach-
stehenden Erwägungen.
2019
Migrationsrecht
89
D.
Mit Verfügung vom 25. März 2019 hielt der Instruktionsrichter
fest, dass die Vorinstanz einstweilen auf sämtliche Vollzugshandlun-
gen zu verzichten habe und dass über das Gesuch um Kostenerlass
nach Eingang der Vorakten entschieden werde.
Die Vorinstanz reichte am 2. April 2019 die Akten ein, hielt an
ihren Ausführungen im Einspracheentscheid fest und beantragte die
Abweisung der Beschwerde.
E.
Das Verwaltungsgericht hat den Fall auf dem Zirkularweg ent-
schieden (vgl. § 7 GOG).
Erwägungen
I.
1.
Einspracheentscheide des MIKA können innert 30 Tagen seit
Zustellung mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht weitergezo-
gen werden (§ 9 Abs. 1 EGAR). Beschwerden sind schriftlich einzu-
reichen und müssen einen Antrag sowie eine Begründung enthalten;
der angefochtene Entscheid ist anzugeben, allfällige Beweismittel
sind zu bezeichnen und soweit möglich beizufügen (§ 2 Abs. 1
EGAR i.V.m. § 43 VRPG).
Da sich die vorliegende Beschwerde gegen den Einspracheent-
scheid der Vorinstanz vom 22. Februar 2019 richtet, ist die Zustän-
digkeit des Verwaltungsgerichts gegeben und auf die frist- und form-
gerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
2.
Unter Vorbehalt abweichender bundesrechtlicher Vorschriften
oder Bestimmungen des EGAR können mit der Beschwerde an das
Verwaltungsgericht einzig Rechtsverletzungen, einschliesslich Über-
schreitung oder Missbrauch des Ermessens, und unrichtige oder un-
vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes gerügt
werden. Die Ermessensüberprüfung steht dem Gericht jedoch grund-
sätzlich nicht zu (§ 9 Abs. 2 EGAR; vgl. auch § 55 Abs. 1 VRPG).
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
90
II.
1.
Vorab ist festzuhalten, dass das AuG per 1. Januar 2019 revi-
diert und zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer
und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG;
SR 142.20) umbenannt wurde (Änderung vom 16. Dezember 2016;
AS 2017 6521, 2018 3171; BBl 2013 2397, 2016 2821). Da das vor-
liegende Verfahren mit Gewährung des rechtlichen Gehörs am
6. Dezember 2018 unter dem AuG begonnen wurde und der Gesetz-
geber keine besonderen Übergangsbestimmungen zur Änderung vom
16. Dezember 2016 erlassen hat, gelangen die revidierten Bestim-
mungen hier jedoch noch nicht zur Anwendung (Art. 126 Abs. 1
AIG; vgl. Urteile des Bundesgerichts vom 16. August 2018
[2C_184/2018], Erw. 2.1, und vom 9. August 2018 [2C_167/2018],
Erw. 2 mit Hinweisen; eingehend VGE vom 26. März 2019
[WBE.2017.206], Erw. II/1.3; anderer Meinung das Bundesverwal-
tungsgericht mit Urteil vom 11. Februar 2019 [F-6799/2016],
Erw. 3).
2.
Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, dass die Voraussetzun-
gen für die Anordnung einer Wegweisung grundsätzlich erfüllt sind.
Sie beantragen einzig die Verlängerung der Ausreisefrist von 60
auf 120 Tage. Zur Begründung führen sie an, damit sie im Iran wie-
der neu anfangen könnten, d.h. eine Wohnung mieten und lebens-
notwendige Sachen beschaffen könnten, benötigten sie Geld. Sie
müssten deshalb auf die Entschädigung der Opferhilfe oder des SEM
warten, ansonsten sie mit leeren Händen dastehen würden. Zudem
sei ihr Sohn wegen Invalidität auf Hilfe angewiesen. Der genaue
Zeitpunkt der Erledigung der Gerichtsverfahren sei nicht bekannt.
3.
3.1.
Aufgrund der Beschwerde und der damit gestellten Anträge ist
nachfolgend einzig zu klären, ob die Vorinstanz die Ausreisefrist zu
Recht auf 60 Tage ab Erlass der Wegweisungsverfügungen durch das
MIKA festgesetzt hat. Die Wegweisung selbst wurde durch die Be-
schwerdeführer nicht angefochten.
2019
Migrationsrecht
91
3.2.
Nachdem die Vorinstanz die erstinstanzlichen Wegweisungsver-
fügungen dahingehend korrigiert hat, dass die Wegweisungsfrist
nicht erst ab Rechtskraft der Verfügungen, sondern bereits ab Erlass
der Verfügungen, d.h. ab dem 14. Januar 2019, zu laufen begann und
dies für die Beschwerdeführer eine Schlechterstellung bedeutet, ist
zunächst zu klären, ob die Vorinstanz befugt ist, eine erstinstanzliche
Verfügung zum Nachteil der Betroffenen abzuändern.
Das Einspracheverfahren im Migrationsrecht ist kantonalrecht-
lich in §§ 7 f. EGAR und § 40 VRPG geregelt. Es unterliegt damit
nicht den Regeln des Beschwerdeverfahrens gemäss den §§ 41 ff.
VRPG. Mit anderen Worten kommt § 48 Abs. 1 VRPG, wonach an-
gefochtene Entscheide nur unter bestimmten Voraussetzungen zum
Nachteil einer Partei abgeändert werden dürfen, nicht zur Anwen-
dung. Vielmehr entscheidet die Einsprachebehörde, hier die Vorin-
stanz, gemäss § 40 Abs. 2 VRPG unter Berücksichtigung der Vor-
bringen der Partei neu und, e contrario zu § 9 EGAR, mit voller
Kognition. Der Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an
den Grossen Rat vom 14. Februar 2007 zum Gesetz über die Verwal-
tungsrechtspflege (GR 07.27, S. 52) ist zu § 40 VRPG zu entnehmen,
dass die Einsprache ein ordentliches, vollkommenes, nicht devolu-
tives, reformatorisches, selbständiges und prinzipales Rechtsmittel
sei. Das Einspracheverfahren im Migrationsrecht ist im Kanton
Aargau als Rechtsmittelverfahren ausgestaltet, wobei der Ein-
spracheentscheid nach Erlass der erstinstanzlichen Verfügung durch
dieselbe Verwaltungsbehörde, das MIKA, ergeht. Daran ändert
nichts, dass innerhalb des MIKA bislang sämtliche Einspracheent-
scheide durch den Rechtsdienst des MIKA ergingen und damit orga-
nisatorisch sichergestellt wurde, dass andere Personen als die ur-
sprünglich Verfügenden über die Einsprache entschieden haben. Da
die Einsprache kein devolutives Rechtsmittel darstellt, geht das Ver-
fahren nicht an eine Beschwerdeinstanz über, womit der volle Ent-
scheidungsspielraum bei der ursprünglich verfügenden Behörde ver-
bleibt, was ebenfalls gegen ein Verbot der reformatio in peius spricht
(vgl. THOMAS HÄBERLI, in: BERNHARD WALDMANN/PHILIPPE
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
92
WEISSENBERGER [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrens-
gesetz, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2016, Art. 62 N 6).
Nach dem Gesagten steht fest, dass die Vorinstanz befugt war,
den Passus nach Rechtskraft zu streichen und die erstinstanzlichen
Verfügungen des MIKA zum Nachteil der Beschwerdeführer abzuän-
dern. Anzumerken ist einzig, dass die Ausreisefrist erst mit Eröff-
nung der Verfügungen zu laufen begann, d.h. am 15. Januar 2019.
3.3.
Die Beschwerdeführer beantragen eine Verlängerung der Aus-
reisefrist von 60 auf 120 Tage. Hierzu ist mit Verweis auf die zutref-
fenden Ausführungen der Vorinstanz festzuhalten, dass die gestützt
auf Art. 64d AuG auf 60 Tage festgesetzte Ausreisefrist bereits sehr
lange ausgefallen ist. Dies umso mehr, als die Beschwerdeführer be-
reits Mitte Dezember Kenntnis davon hatten, dass ihr Aufenthalt in
der Schweiz nicht erneut verlängert würde. Was die Beschwerde-
führer dagegen vorbringen, ist nicht geeignet, daran etwas zu ändern.
Vielmehr zielen ihre Argumente einzig darauf ab, ihren Aufenthalt zu
verlängern, ohne dass absehbar wäre, ob und, wenn ja, wann ihrem
Sohn eine Entschädigung durch die Opferhilfe zugesprochen wird.
Dass die Beschwerdeführer ihren Sohn noch länger unterstützen
wollen, ist zwar verständlich und wäre womöglich unter gesamtwirt-
schaftlichen Gesichtspunkten gar sinnvoll. Die Beschwerdeführer
übersehen aber, dass es nicht darum geht, im Rahmen einer Interes-
senabwägung die öffentlichen Interessen an einer Wegweisung den
privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz gegenüber-
zustellen und zu klären, ob ihr privates Interesse an einem Verbleib
in der Schweiz überwiegt. Dass die Voraussetzungen für einen Ver-
bleib der Beschwerdeführer in der Schweiz nicht (mehr) erfüllt sind,
haben sie akzeptiert. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, ist
bei einer Konstellation wie der Vorliegenden nicht länger angezeigt,
den Verbleib der Beschwerdeführer in der Schweiz um weitere
60 Tage auszudehnen. Das MIKA ist den Beschwerdeführern durch
die grosszügige Verlängerung ihrer Visa und die Ansetzung einer
langen Ausreisefrist bereits äusserst wohlwollend entgegengekom-
men.
2019
Migrationsrecht
93
3.4.
Zusammenfassend steht fest, dass die Vorinstanz einerseits be-
fugt war, die erstinstanzlichen Verfügungen des MIKA abzuändern
und den Passus nach Rechtskraft zu streichen und andererseits kei-
ne Veranlassung bestand, die Ausreisefrist auf 120 Tage auszuweiten.
Die Beschwerde ist damit abzuweisen.
Die Beschwerdeführer hätten die Schweiz bereits bis zum
16. März 2019 verlassen müssen. Es bleibt dem MIKA überlassen,
den Beschwerdeführern mitzuteilen, ab wann sie mit einer zwangs-
weisen Rückführung zu rechnen haben.
III.
Bei diesem Verfahrensausgang hätten die Beschwerdeführer die
gerichtlichen Verfahrenskosten zu tragen (§ 31 Abs. 2 VRPG). Auf-
grund der besonderen Umstände und unter Berücksichtigung der fi-
nanziellen Situation der Beschwerdeführer wird auf die Erhebung
von Verfahrenskosten jedoch verzichtet. Ein Parteikostenersatz fällt
ausser Betracht (§ 32 Abs. 2 VRPG). | 2,799 | 2,232 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-11_2019-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-11.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-11.pdf | AGVE_2019_11 | null | nan |
c52a1833-bb8a-5e56-be8c-679f02d4ea27 | 1 | 412 | 871,211 | 1,483,401,600,000 | 2,017 | de | 2017
Anwalts- und Notariatsrecht
237
X. Anwalts- und Notariatsrecht
42
Aargauische Anwaltsprüfung
Ein Lizentiat der philosophischen Fakultät mit Doktortitel der Rechtswis-
senschaft erfüllt die Zulassungsvoraussetzung des abgeschlossenen Stu-
diums der Rechtswissenschaft nicht.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. Januar
2017, i.S. A. gegen Anwaltskommission (WBE.2016.385)
Sachverhalt
1.
Am 18. August 2014 verlieh die Universität Zürich (UZH) A.
den Doktor der Rechtswissenschaft (Dr. iur.). Während des Doktorats
war er unter anderem als wissenschaftlicher Assistent und Mitarbei-
ter am Rechtswissenschaftlichen Institut (RWI) in Zürich tätig.
Zuvor hatte er am 19. November 2010 den Titel lic. phil. erworben
und dieses Studium mit Hauptfach Soziologie, dem ersten Nebenfach
Strafrecht II und Strafprozessrecht sowie dem zweiten Nebenfach
Philosophie abgeschlossen. Die Lizentiatsarbeit hatte das Thema
"Punitivität - Bedeutung, Messung und Ursache der öffentlichen
Strafstrenge". Momentan absolviert er ein Rechtspraktikum bei
einem im Anwaltsregister eingetragenen Rechtsanwalt.
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
Der Beschwerdeführer bringt vor, beim Doktortitel der Rechts-
wissenschaften handle es sich um den höchsten akademischen Grad.
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
238
Zwar seien die Studiengänge zwischen den einzelnen Fakultäten und
Fächern grundsätzlich undurchlässig, dieser Grundsatz erfahre je-
doch eine Durchbrechung, wo beide Fachrichtungen Schnittmengen
aufwiesen. Dort rechtfertigten sich ausnahmsweise fakultäts- und
fachübergreifende Wechsel. Über solche Ausnahmefälle entscheide
die Fakultätsversammlung. Der Beschwerdeführer habe den Doktor-
titel entsprechend den Vorgaben der anwendbaren Promotionsverord-
nung erlangt und das Doktoratsstudium beinhalte neben der Aus-
arbeitung einer Dissertation auch Veranstaltungen. Dass dem Dok-
toratsstudium ein Lizentiat der Philosophischen Fakultät vorange-
gangen sei, sei aufgrund des Nebenfachs und der bisherigen
Forschungstätigkeit für die Verleihung des Doktortitels unerheblich.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er habe das
Nebenfachstudium absolviert, wobei in diesen Fächern identische
Prüfungen zu absolvieren gewesen seien. Es habe insbesondere die
Veranstaltung "Einführung in das Recht" umfasst und der Beschwer-
deführer habe während seines 13-semestrigen Studiums verschiedene
juristische Vorlesungen besucht (mehr juristische Veranstaltungen als
soziologische). Während seines Doktoratsstudiums und als Lehr-
stuhlassistent sei er durchgehend in der Rechtswissenschaft tätig
gewesen, wobei er Publikationen im Bereich der Kriminologie sowie
im Bereich des Straf- und Völkerrechts vorweisen könne. Seit
Oktober 2015 absolviere er ein juristisches Praktikum in einer An-
waltskanzlei, welche ihm ein sehr positives Zwischenzeugnis aus-
stelle.
Schliesslich listet der Beschwerdeführer besuchte juristische
Vorlesungen auf. Durch die Teilnahme habe er sich ein umfassendes,
wenngleich nicht lückenloses juristisches Wissen angeeignet. Im
Selbststudium habe er sich insbesondere im Verwaltungs-, Sozialver-
sicherungs- und Zivilprozessrecht Kenntnisse angeeignet.
3.2.
Die Anwaltskommission erwog, für die Erteilung des Anwalts-
patents und die Zulassung zu den Anwaltsprüfungen gestützt auf
Art. 7 Abs. 1 lit. a BGFA und § 15 Abs. 1 lit. b EG BGFA sei der Ab-
schluss eines juristischen Studiums einer schweizerischen Universität
mit dem Lizentiat oder Master erforderlich. Die gesetzlichen Bestim-
2017
Anwalts- und Notariatsrecht
239
mungen enthielten keine Ausnahmeregelung und mit dem
eingereichten Doktortitel der Rechtswissenschaft der Universität
Zürich erfülle der Beschwerdeführer die Voraussetzungen eines
absolvierten juristischen Studiums nicht. Gemäss der anwendbaren
Promotionsverordnung könnten unter gewissen Voraussetzungen
auch Personen mit fachfremden universitären Masterabschlüssen
zum Doktorat zugelassen werden. Der Abschluss "lic. phil." mit Ne-
benfach Strafrecht und Strafprozessrecht sei kein juristischer
Studienabschluss im Sinne der Anwaltsgesetzgebung.
3.3.
Gemäss § 10 Abs. 1 der Verordnung über die Promotion zur
Doktorin/zum Doktor der Rechtswissenschaft (Dr. iur.) an der
Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich (Promo-
tionsverordnung vom 25. Mai 2009; Systematische Rechtssammlung
der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich [RS]
6.1.1) hat einen Anspruch auf Zulassung zum allgemeinen Doktorat,
wer den akademischen Grad eines Master of Law oder eines
Lizentiats der Rechtswissenschaften der Universität Zürich mit dem
Prädikat summa cum laude oder magna cum laude erlangt hat. Wer
das in Absatz 1 genannte Prädikat nicht erreicht, wird zum Doktorat
zugelassen, wenn sich ein Fakultätsmitglied bereit erklärt, die
Betreuung zu übernehmen (Abs. 2). Personen, die den akademischen
Grad eines Master of Law oder eines Lizentiats der Rechtswis-
senschaft einer andern Schweizer Universität erlangt haben, werden
zugelassen, wenn sich ein Fakultätsmitglied bereit erklärt, die Be-
treuung zu übernehmen (§ 11).
Der Beschwerdeführer wurde in Anwendung der Einzelfallrege-
lung von § 13 Abs. 1 der Promotionsverordnung mit einem fach-
fremden Abschluss zum Doktorat zugelassen. Im Rahmen dessen
verfasste er eine Dissertation mit dem Thema "Kriminalitätsfurcht
und Viktimisierung im Alter - Ergebnisse einer nationalen Opfer-
werdungsbefragung unter österreichischen Seniorinnen und Senio-
ren", welche mit dem Prädikat summa cum laude bewertet wurde.
Parallel dazu war der Beschwerdeführer als wissenschaftlicher Assis-
tent und Mitarbeiter an der Universität tätig. Er ist Mitautor bzw. Au-
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
240
tor mehrerer Publikationen, vorzugsweise auf dem Gebiet der Krimi-
nologie.
3.4.
Gemäss Art. 7 Abs. 1 BGFA müssen Anwältinnen und Anwälte
für den Registereintrag über ein Anwaltspatent verfügen. Ein solches
kann von den Kantonen nur auf Grund folgender Voraussetzungen
erteilt werden: ein juristisches Studium, das mit einem Lizentiat oder
Master einer schweizerischen Hochschule oder einem gleichwertigen
Hochschuldiplom eines Staates abgeschlossen wurde, der mit der
Schweiz die gegenseitige Anerkennung vereinbart hat (lit. a); ein
mindestens einjähriges Praktikum in der Schweiz, das mit einem
Examen über die theoretischen und praktischen juristischen Kennt-
nisse abgeschlossen wurde (lit. b).
3.5.
Das Recht der Kantone, im Rahmen des BGFA die Anforderun-
gen für den Erwerb des Anwaltspatentes festzulegen, bleibt gewahrt
(Art. 3 Abs. 1 BGFA). Das Bundesgesetz zielt nicht darauf ab, die
Ausbildung der Anwältinnen und Anwälte oder die Voraussetzungen
zur Erteilung des kantonalen Anwaltspatents zu vereinheitlichen. Es
schreibt zwar Mindestvoraussetzungen für den Eintrag in das kanto-
nale Anwaltsregister vor, doch bleiben die Kantone für die Regelung
der fachlichen Voraussetzungen zur Erteilung des kantonalen
Anwaltspatents zuständig (vgl. H
ANS
N
ATER
, in: W
ALTER
F
ELLMANN
/G
AUDENZ
G.
Z
INDEL
[Hrsg.], Kommentar zum Anwalts-
gesetz, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2011, Art. 3 N 3; Botschaft zur
Änderung des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwäl-
tinnen und Anwälte vom 26. Oktober 2005 [nachfolgend Botschaft],
05.075, in: BBl 2005 6628).
Zur aargauischen Anwaltsprüfung wird gemäss § 15 Abs. 1
lit. b EG BGFA zugelassen, wer das Studium der Rechtswissenschaft
abgeschlossen hat (Lizentiat oder Masterabschluss). Der kantonale
Gesetzgeber äusserte beim Erlass der Einführungsgesetzgebung die
Meinung, dass zwecks Beibehaltung des Niveaus nach der Einfüh-
rung des Bologna-Modells ein Masterabschluss als Prüfungszulas-
sungsvoraussetzung verlangt werden muss (Botschaft des Re-
gierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom
2017
Anwalts- und Notariatsrecht
241
12. November 2013, EG BGFA, 03.310, Bericht und Entwurf zur
1. Beratung, S. 18).
Dem Willen des Bundesgesetzgebers lässt sich nichts anderes
entnehmen. Im Rahmen der Vernehmlassung wurde grossmehrheit-
lich der Masterabschluss als Voraussetzung des Registereintrags
gefordert. Studienabschlüsse anderer Fakultäten oder akademische
Grade ohne Leistungsnachweis im juristischen Grund- bzw. Aufbau-
studium waren kein Thema (vgl. Botschaft, a.a.O., 6627; N
IKLAUS
S
TUDER
, Neue Entwicklungen im Anwaltsrecht, in: SJZ 100/2004,
S. 231; F
RANÇOIS
B
OHNET
, Droit des professions judiciaires, 3. Auf-
lage, Basel 2014, S. 4).
3.6.
Mit der schriftlichen Anmeldung zur Anwaltsprüfung ist der
Ausweis über ein abgeschlossenes juristisches Studium an einer
schweizerischen Hochschule oder ein gleichwertiges Hochschul-
diplom eines Staates, mit dem die Schweiz die gegenseitige Anerken-
nung vereinbart hat, einzureichen (§ 1 lit. d AnwV). Soweit der Be-
schwerdeführer daraus ableitet, sein Doktoratsstudium genüge als
Nachweis für ein abgeschlossenes juristisches Studium, kann ihm
nicht gefolgt werden. Der kantonale Verordnungsgeber konnte beim
Erlass der Ausführungsvorschriften nicht von den Vorgaben des Ein-
führungsgesetzes abweichen.
Das Verwaltungsgericht hat zu den praktischen Prüfungszulas-
sungsvoraussetzungen erwogen, deren Hintergrund sei zweifellos der
Schutz des Publikums. Die wohl wichtigste Anforderung an den An-
walt sei die Fachkompetenz. Nach der Erteilung des Anwaltspatents
(und der Eintragung im Register) sei es jedem Anwalt erlaubt, ohne
weitere "Aufsicht" Parteien gerichtlich oder aussergerichtlich zu ver-
treten (vgl. AGVE 2012, S. 34 mit Hinweisen; K
ASPAR
S
CHILLER
,
Schweizerisches Anwaltsrecht, Zürich/Basel/Genf 2009, Rz. 175,
210). Diese Erwägungen lassen sich grundsätzlich auch auf die fach-
lichen Zulassungsvoraussetzungen der Anwaltsprüfung übertragen.
Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers können ein
Studium im Nebenfach mit Strafrecht und Strafprozessrecht sowie
der Besuch juristischer Vorlesungen den gesetzlichen Voraussetzun-
gen nicht genügen. Es besteht auch keine Grundlage, um beim Vor-
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
242
liegen einer Dissertation in Rechtswissenschaften oder publizisti-
scher Tätigkeit ohne Leistungsnachweis im Grundlagen- und
Aufbaustudium vom Erfordernis eines Lizentiats bzw. Masters in
Rechtswissenschaften abzuweichen. Dies muss umso mehr gelten,
als Leistungsnachweise insbesondere durch mündliche oder schrift-
liche Prüfungen erbracht werden (vgl. §§ 26 ff. der Rahmenverord-
nung über den Bachelor- und Masterstudiengang sowie die Neben-
fachstudienprogramme an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der
Universität Zürich vom 20. August 2012; RS 4.1.1). Wie der Be-
schwerdeführer letztlich selbst ausführt, kann von Seiten einer
Universität das Bedürfnis bestehen, Dissertationen mit Schnittmen-
gen zur Jurisprudenz oder interdisziplinär ausgerichtete Doktorstu-
dien zuzulassen. Entsprechende akademische Leistungen können
einen Masterabschluss in Rechtswissenschaften als Zulassungs-
voraussetzung zur Anwaltsprüfung jedoch nicht ersetzen. Es ist zu-
mindest fraglich, ob der Beschwerdeführer zum Masterstudium in
Rechtswissenschaften an der Universität Zürich zugelassen würde,
da dieses einen Bachelor of Law voraussetzt und Ausnahmen nicht
vorgesehen sind (vgl. § 19 der Rahmenverordnung). Insoweit über-
zeugt das Argument des hierarchisch aufgebauten Systems der
Studiengänge nicht.
Der Beschwerdeführer verweist schliesslich auf den an der Uni-
versität St. Gallen angebotenen Lehrgang Law and Economics
(Master of Arts in Rechtswissenschaft mit Wirtschaftswissenschaf-
ten; M.A. HSG) sowie auf sein Zertifikat der Universität Zürich, wo-
nach er berechtigt ist, den Titel "Master of Arts UZH" oder "M A
UZH" zu verwenden. Dieser Vergleich ist nicht stichhaltig. Beim
angesprochenen Master der Universität St. Gallen handelt es sich un-
streitig um einen wirtschaftsrechtlichen und damit juristischen
Studienabschluss im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. a BGFA. Gemäss
der Broschüre "
Jus studieren an der Universität St. Gallen (HSG)
"
wird im Rahmen des entsprechenden Bachelor-Lehrganges eine so-
lide juristische Grundausbildung angeboten, erweitert um ausge-
wählte Veranstaltungen der Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Der
Masterlehrgang soll unter anderem die rechtswissenschaftlichen Bil-
dungsvoraussetzungen für den Erwerb von schweizerischen Anwalts-
2017
Anwalts- und Notariatsrecht
243
patenten schaffen (abrufbar unter: http://www.ius-studium.unisg.ch,
letztmals besucht am 31. Oktober 2016). Die Pionierrolle dieser
Hochschule bei der Umsetzung der Bologna-Reform wurde im Rah-
men der Änderung des BGFA vom 26. Oktober 2005 ausdrücklich
betont (vgl. Botschaft, a.a.O., 6624).
4.
Soweit der Beschwerdeführer auf ein positives Zwischenzeug-
nis seines Rechtspraktikums verweist, welches er bei einem Rechts-
anwalt absolviert, kann diesem Arbeitszeugnis im Hinblick auf die
fachlichen Zulassungsvoraussetzungen zur Anwaltsprüfung keine
Bedeutung zukommen. Als fachliche Voraussetzung ist nachzuwie-
sen, dass ein juristisches Studium gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. a BGFA
abgeschlossen wurde (W
ALTER
F
ELLMANN
, Anwaltsrecht, Bern
2010, Rz. 675, Fn. 1484). | 2,866 | 2,261 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-42_2017-01-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-42.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-42.pdf | AGVE_2017_42 | null | nan |
c586abce-7460-52f7-89ef-7cc742387b20 | 1 | 412 | 870,880 | 1,304,467,200,000 | 2,011 | de | 2011
Verwaltungsrechtspflege
247
[...]
58 Parteientschädigung
-
Bei teilweisem Obsiegen wird die Parteientschädigung verhältnis-
mässig auferlegt, ohne Rücksicht auf die effektiven Anwaltskosten ei-
ner Partei. Ohne Einfluss auf den Verteilschlüssel ist auch der Um-
stand, dass eine Partei, die ohne Anwalt auftritt, keinen Anspruch
auf einen Parteikostenersatz hat.
-
Die Sonderregelung von § 12a Abs. 1 AnwT ist auch bei der Festset-
zung der Parteientschädigung zu Gunsten des Gemeinwesens an-
zuwenden.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 20. Mai 2011 in Sachen A.
gegen Einwohnergemeinde B., Regierungsrat und Grosser Rat
(WBE.2009.369).
Aus den Erwägungen
2.4.
2.4.1.
Gemäss § 12a Abs. 1 AnwT kann die Entschädigung in Zivil-
und Verwaltungssachen bei einem hohen Streitwert um bis zu einem
Drittel herabgesetzt werden, wenn die Entschädigung zu Lasten des
Gemeinwesens geht. Es handelt sich um eine "Kann"-Bestimmung,
welche den rechtsanwendenden Behörden erhebliches Ermessen
einräumt. Das Ermessen muss pflichtgemäss ausgeübt werden und
die Behörden dürfen nicht willkürlich entscheiden. Bei der Anwen-
dung dieser Bestimmung sind die Behörden an die Verfassung ge-
bunden, insbesondere an das Rechtsgleichheitsgebot, das Verhält-
nismässigkeitsprinzip und die Pflicht zur Wahrung der öffentlichen
2011
Verwaltungsgericht
248
Interessen. Sinn und Zweck einer gesetzlichen Ordnung sind auch
bei Ermessensentscheiden zu beachten (Ulrich Häfelin / Georg Mül-
ler / Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage,
Zürich 2010, Rz. 441).
2.4.2.
§ 12a AnwT wurde im Rahmen des sog. Finanzpakets 1998
eingeführt und dient einzig der Kostensenkung auf Gemeinde- und
Kantonsebene. Die Regelung will sicherstellen, dass Kanton und
Gemeinden als unterliegende Parteien in einem verwaltungsrechtli-
chen Verfahren keine unverhältnismässig hohen Entschädigungen an
die obsiegende Partei zu bezahlen haben und auch keine unverhält-
nismässigen Entschädigungen für die unentgeltliche Rechtsvertre-
tung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten zu leisten sind (siehe
Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen
Rat vom 7. September 1998, 98.004133, S. 33; Botschaft des Regie-
rungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 26. März
2003, 03.82, S. 6 und 8).
Unter dem (alten) Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 9. Juli
1968 (aVRPG; SAR 271.100) und der gefestigten Praxis des Verwal-
tungsgerichts hatte das Gemeinwesen keinen Parteikostenersatzan-
spruch (vgl. dazu AGVE 2000, S. 377 ff. mit Hinweis). Einer obsie-
genden privaten Partei wurde die Entschädigung für die Parteikosten
primär gegenüber der privaten Gegenpartei (Beschwerdegegner) oder
gegenüber der Staatskasse zugesprochen. Bei ganzem oder teilwei-
sem Obsiegen wurde entsprechend der Verlegung der Verfahrenskos-
ten auch keine Aufteilung und gegenseitige Verrechnung der (Ge-
winn-) Anteile im Verhältnis der privaten Verfahrensbeteiligten zum
Gemeinwesen vorgenommen (AGVE 1996, S. 384; vgl. zum Ganzen
schon: AGVE 1978, S. 273 und 1972, S. 335).
Im Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 4. Dezember 2007 wur-
de die bisherige Praxis nicht übernommen. Der Gesetzgeber wollte,
dass dem Gemeinwesen ein Anspruch auf Parteikostenersatz zusteht,
wenn es einen Anwalt mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt
(vgl. dazu AGVE 2009, S. 289 f.). Die Gemeinden und der Kanton
sind in den Verfahren vor dem Verwaltungsgericht "Partei" mit glei-
chen Verfahrensrechten wie die privaten Parteien (§ 13 Abs. 2 lit. e
2011
Verwaltungsrechtspflege
249
und f VRPG). Der bisher geltende Grundsatz, dass am Beschwerde-
verfahren beteiligte Gemeinwesen nur eine subsidiäre Pflicht zum
Parteikostenersatz trifft, gilt daher nicht mehr.
Die Neuregelung des Parteikostenersatzes und der Bestimmun-
gen über die Parteien führt zur Frage, wie die Sonderregel in § 12a
Abs. 1 AnwT bei der Parteikostenverlegung anzuwenden ist. Inhalt-
lich beschränkt diese Dekretsbestimmung den Parteikostenersatz bei
hohen Streitwerten der privaten Partei gegenüber einer oder mehre-
ren Gegenparteien, wenn diese dem Gemeinwesen angehören.
3.
3.1.
Die Parteikosten werden in der Regel nach Massgabe des Ob-
siegens und Unterliegens auf die Parteien verlegt (§ 32 Abs. 2
VRPG). Mehrere Parteien mit gleichen Begehren, oder wenn sich ein
Verfahren gegen mehrere Parteien richtet, tragen die ihnen auferleg-
ten Parteikosten zu gleichen Teilen (§ 33 Abs. 1 VRPG). Ist die Kos-
tenverteilung zu gleichen Teilen unbillig, kann sie nach Massgabe
der Interessenlage am Verfahrensausgang stattfinden (§ 33 Abs. 2
VRPG).
Die allgemeine Regel über die Kostenverlegung folgt dem Er-
folgsprinzip, das insbesondere im Zivilprozess die Grundregel bildet
(vgl. dazu Alfred Bühler/Andreas Edelmann/Albert Killer, Kommen-
tar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Aarau 1998,
§ 112 N 2; Viktor Rüegg, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Zivilprozessordnung, Basel 2010, Art. 106 N 1 und N 8). Massge-
bend ist im Rechtsmittelverfahren das Endergebnis im Verhältnis zu
den Anträgen der Parteien. Bei teilweisem Obsiegen wird die Par-
teientschädigung verhältnismässig auferlegt ohne Rücksicht auf die
effektiven Anwaltskosten einer Partei. Ohne Einfluss auf den Verteil-
schlüssel ist selbst der Umstand, dass eine Partei, die ohne Anwalt
auftritt, keinen Anspruch auf Parteikostenersatz hat (AGVE 2000,
S. 51). In der Berechnung werden die Parteikosten als Ganzes ge-
nommen (AGVE 1956, S. 52) und die mehrheitlich unterliegende
Partei verpflichtet, den Anteil aus der - gegeneinander verrechneten
- Differenz von Obsiegen und Unterliegen in Prozent oder Bruch-
teilen an die Parteikosten der obsiegenden Partei zu bezahlen (Guido
2011
Verwaltungsgericht
250
Fischer, Die Kostenverteilung im Aargauischen Zivilprozessrecht,
Diss., Basel 1984, S. 91 f.; SJZ 1981 Nr. 52, S. 343). Die Verrech-
nung nach dem Erfolgsprinzip findet somit bereits zwischen den
Anteilen statt, mit denen jede Partei an der Kostentragung beteiligt
ist. Es gilt eine weitgehende Parallelität der Regelungen über Kos-
tenauflage und Parteientschädigung (vgl. für das aVRPG: AGVE
1983, S. 233 ff.; 1978, S. 273 ff.; VGE III/10 vom 26. Februar 2003
[WBE.2002.110], Erw. II/1).
3.2.
Die allgemeine Verteilungsregel steht auf der Grundlage, dass
die Parteikostenentschädigung für die am Verfahren beteiligten
Parteien unbesehen der effektiven Anwaltskosten festgelegt wird.
Diese Berechnungsmethode beruht auf der Überlegung, dass die
Parteientschädigungen aller Parteien immer nach Massgabe des An-
waltstarifs festgesetzt werden (AGVE 1992, S. 397) und damit die
"in einem Verfahren notwendigen und (....) üblichen Leistungen (..)"
für eine Rechtsvertretung abgegolten werden (§ 2 Abs. 1 AnwT). Die
Parteikosten sind auf die Parteien zu verlegen (§ 32 Abs. 2 VRPG)
und mehrere Parteien tragen die ihnen auferlegten Parteikosten zu
gleichen Teilen (§ 33 Abs. 1 VRPG). Eine Unterscheidung zwischen
den unterliegenden bzw. obsiegenden Gemeinwesen mit Parteistel-
lung und den privaten Parteien findet sich im Unterschied zur Re-
gelung bei der Verteilung der Verfahrenskosten (§ 31 Abs. 2 VRPG)
nicht.
Aus der Sonderregelung in § 12a Abs. 1 AnwT folgt für die Ver-
legung und Bemessung der Parteikosten, dass das Gemeinwesen als
obsiegende Partei auch bei hohen Streitwerten Anspruch auf eine
ungekürzte Parteientschädigung hat, als unterliegende Partei aber den
andern privaten und öffentlichen Gegenparteien einen bis zu einem
Drittel der "vollen" Parteientschädigung gekürzten Parteikostenersatz
leisten müsste.
Eine solche Bevorzugung des Gemeinwesens erscheint mit dem
Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 BV; § 10 Abs. 1 KV) nicht vereinbar.
Sachliche Gründe für die Sonderregelung in § 12a AnwT finden sich
ohnehin nur im Hinblick auf die Schonung der öffentlichen Ausga-
ben (vorne Erw. 2.4.2). Wo das Gemeinwesen einen Anwalt mit der
2011
Verwaltungsrechtspflege
251
Vertretung in einem Verwaltungsverfahren beauftragt, kommt diesem
Zweck keine entscheidende Bedeutung (mehr) zu, da die Höhe der
Ausgaben einer Rechtsvertretung durch das (privatrechtliche) Man-
dat bestimmt wird und das effektive Anwaltshonorar von Behörde
und Anwalt vereinbart wird. Die Anwendung von § 12 Abs. 1 AnwT
führt vielmehr zum stossenden Ergebnis, dass das Parteikostenrisiko
eines Verfahrens bei hohen Streitwerten für das Gemeinwesen zum
vornherein um einen Drittel tiefer liegt als bei den privaten Parteien.
Bei gleichgelagerten Interessen oder Anträgen des Gemeinwesens
mit privaten Parteien kann dies zu weiteren Ungleichheiten führen,
indem eine Privatpartei - entgegen dem Grundsatz von § 33 Abs. 1
VRPG - höhere Anteile an eine Parteientschädigung der Gegenpartei
als das Gemeinwesen entrichten müsste. Umgekehrt wird bei einem
mehrheitlichen Obsiegen des Gemeinwesens die Grundregel, dass
die Parteikosten aller Parteien als Ganzes betrachtet werden, in Frage
gestellt, da Parteientschädigungen zu Lasten des Gemeinwesens bei
hohen Streitwerten um einen Drittel reduziert werden können.
Keine Lösung der Ungleichheit bietet § 32 Abs. 3 Satz 2 VRPG,
da diese Bestimmung Ausnahmen von der allgemeinen Regel nur für
den Fall der Gegenstandslosigkeit vorsieht. Die Regelung der Kos-
tentragung mehrerer Parteien (§ 33 Abs. 1 VRPG) verlangt, dass die
Parteikosten zu gleichen Teilen getragen werden, und sieht nur aus
Billigkeitsgründen ausnahmsweise eine Verteilung nach der Interes-
senlage am Verfahrensausgang, nicht aber aus andern Gründen vor
(§ 33 Abs. 2 VRPG).
3.3.
Die Änderung im System der Verlegung der Parteikosten wurde
vom Parlament beschlossen. Wie aus den Beratungsprotokollen zu
schliessen ist, war eine Anpassung von § 12 Abs. 1 AnwT an die
veränderte Stellung des Gemeinwesens bei der Verteilung der Partei-
kosten kein Thema. Die Abkehr von der bisherigen Regelung diente
dazu, "dass jeweils mit gleich langen Spiessen operiert wird" (Proto-
koll des Grossen Rates [Prot. GR] vom 4. Dezember 2007, S. 3022,
Votum Leimgruber), "auch das Gemeinwesen soll einen
entsprechen-
den
Anspruch auf Parteientschädigung" haben (a.a.O., S. 3024, Vo-
tum Hollinger). Diese Ausführungen in den parlamentarischen Bera-
2011
Verwaltungsgericht
252
tungen lassen den Schluss zu, dass die Auswirkungen der Revision
auf die Parteikostenregelung im Anwaltstarif "vergessen" wurden.
Von einem qualifizierten Schweigen des Gesetzgebers kann jeden-
falls nicht die Rede sein.
Das Verwaltungsgericht ist gehalten, Erlassen die Anwendung
zu versagen, wenn sie dem übergeordneten Bundesrecht oder kanto-
nalem Recht widersprechen (sog. inzidente Normenkontrolle; § 95
Abs. 2 KV; § 2 Abs. 2 VRPG).
§ 12a Abs. 1 AnwT ist eine "Kann"-Vorschrift und räumt den
Beschwerdeinstanzen und Gerichten ein erhebliches Ermessen ein.
Die (theoretische) Möglichkeit, diese Kürzungsmöglichkeit
überhaupt nicht mehr anzuwenden, fällt nicht in Betracht. Das Anlie-
gen des Gesetzgebers und das öffentliche Interesse an der Schonung
der öffentlichen Finanzen können bei der Zusprechung von Parteient-
schädigungen nicht einfach ausgeblendet werden. Die andere Lösung
ist, dass bei der Bemessung der Parteientschädigung zu Gunsten des
Gemeinwesens die Bestimmung ebenfalls angewendet wird. Dies,
weil es bei der Festsetzung einer Parteientschädigung keinen Unter-
schied machen kann, ob sich der Anspruch auf Parteientschädigung
eines Gemeinwesens gegen eine andere Behörde bzw. ein anderes
Gemeinwesen richtet oder gegen eine private Gegenpartei. Auch bei
einer Kostenverlegung mit teilweisem Obsiegen und Unterliegen
drängt sich auf, bei der Anteilsberechnung die Fiktion der gleich
hohen Parteientschädigungen bzw. des gleichen Entschädigungs-
risikos aller unterliegenden Parteien anzuwenden. Diese Aspekte der
Rechtsgleichheit erscheinen bei der Anwendung von § 12a Abs. 1
AnwT besonders relevant, weil mit Bezug auf die Parteikosten der
Erfolgsgrundsatz massgeblich ist. Eine Ordnung, die indirekt die
Folgen des Prozessgewinns einer Partei zugunsten einer Gegenpartei
relativiert, führt zu einer sachlich unbegründeten Bevorzugung.
Nachdem die Behörden schon bei den Gerichtskosten bevorzugt
werden (§ 31 Abs. 2 Satz 2 VRPG), lässt sich eine zusätzliche Bevor-
zugung der Gemeinden und der kantonalen Behörden bei der Vertei-
lung der Parteikosten mit der Parteistellung des Gemeinwesens im
Verwaltungsprozess und den Regeln in den §§ 32 und 33 VRPG nur
2011
Verwaltungsrechtspflege
253
vereinbaren, wenn auch bei der Festsetzung der Parteientschädigung
zu Gunsten der Gemeinwesen § 12a Abs. 1 AnwT angewendet wird.
Diese Lösung entspricht dem Grundsatz, dass dem Obsiegenden
auf jeden Fall eine angemessene Entschädigung für die notwendigen
Parteikosten auszurichten ist (§ 29 VRPG und § 2 Abs. 1 AnwT). | 2,920 | 2,312 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-58_2011-05-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-58.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-58.pdf | AGVE_2011_58 | null | nan |
c5bf6fb7-1e18-563c-ac17-915b0d74af97 | 1 | 412 | 871,552 | 1,078,272,000,000 | 2,004 | de | 2004
Submissionen
233
[...]
57 Untersuchungsgrundsatz; öffentliche Ausschreibung; Bereinigung der
Angebote.
- Das Verwaltungsgericht ist dem Untersuchungsgrundsatz verpflichtet
(§ 20 VRPG); angesichts des beschränkten Akteneinsichtsrechts hat es
die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen gegen die Begründung
der Vergabestelle für die Nichtberücksichtigung des Angebots um-
fassend zu überprüfen (Erw. I/4).
- Folgen einer unterbliebenen Ausschreibung des Auftrags im kanto-
nalen Amtsblatt (Erw. II/2).
- Unzulässige Bereinigung eines Angebots (Erw. II/3/d, e).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. März 2004 in Sa-
chen ARGE W. gegen Regierungsrat.
Aus den Erwägungen
I. 4. Praxisgemäss sind die vollständigen Verfahrensakten bei-
gezogen worden. Die Vergabestelle hat die zusammen mit der Ver-
nehmlassung eingereichten Unterlagen über weite Strecken als im
Sinne von § 2 und 20 Abs. 3 SubmD vertraulich bezeichnet, so
insbesondere die Offerten, technische Beschreibungen und Baupro-
gramme. Die Beschwerdeführerinnen haben vom Inhalt dieser
2004
Verwaltungsgericht
234
Unterlagen nur in einem sehr beschränkten Umfang Kenntnis
erhalten. Die Möglichkeit, vermutete Mängel des Vergabeverfahrens
zu rügen, wird dadurch naturgemäss erschwert. Die Beschwerdefüh-
rerinnen sind insbesondere nicht in der Lage, eine rechtsungleiche
oder willkürliche Bewertung ihres Angebots im Vergleich mit den
übrigen Offerten substantiiert zu rügen. Das Verwaltungsgericht, das
dem Untersuchungsgrundsatz (§ 20 VRPG) verpflichtet ist und dem
ein vollumfänglicher Einblick in die Unterlagen des Vergabeverfah-
rens, einschliesslich der Konkurrenzofferten, zukommt, hat die Stich-
haltigkeit der Begründung für die Nichtberücksichtigung des
Angebots der Beschwerdeführerinnen daher umfassend zu über-
prüfen (VGE III/33 vom 30. April 2002 [BE.2002.00041] in Sachen
ARGE Argovia A1 Baregg West, S. 11 f. mit Hinweis; Entscheid des
Bundesgerichts vom 2. März 2000, in: Pra 2000 Nr. 134, S. 798). In
diesem Sinne ist dem prozessualen Begehren der Beschwerdeführe-
rinnen, deren Vorbringen durch Einsichtnahme in die Offertunterla-
gen der Zuschlagsempfängerinnen zu verifizieren, zu entsprechen.
II. 1. (...).
2. a) Art. IX Ziffer 1 GPA schreibt vor, dass die Beschaffungs-
stellen für jede geplante Beschaffung eine Einladung zur Teilnahme
veröffentlichen. Die Bekanntmachung erfolgt im Publikationsorgan
gemäss Anhang II; es sind dies die amtlichen Publikationsorgane der
jeweiligen Kantone, vorliegendenfalls das Amtsblatt des Kantons
Aargau. In gleicher Weise sieht Art. 13 lit. a IVöB vor, dass die
Kantone Ausführungsbestimmungen zum Vergabeverfahren erlassen,
welche die notwendigen Veröffentlichungen gewährleisten, min-
destens im zuständigen kantonalen Amtsblatt der Auftraggeberin
oder des Auftraggebers. Diese Vorgabe ist in § 12 Abs. 1 SubmD
umgesetzt worden; so ist jeder Auftrag, der im offenen oder selekti-
ven Verfahren vergeben wird, mindestens im amtlichen Publikations-
organ der Vergabestelle auszuschreiben und im kantonalen Amtsblatt
anzuzeigen.
b) Vorliegendenfalls ist die Ausschreibung aufgrund eines Ver-
sehens der Vergabestelle lediglich im Baublatt Nr. 30 vom 11. April
2003 erfolgt. Von diesem Umstand hat das Verwaltungsgericht trotz
ausdrücklicher Aufforderung an die Vergabestelle, der Vernehmlas-
2004
Submissionen
235
sung eine Kopie der öffentlichen Ausschreibung im Amtsblatt bei-
zulegen, erst unmittelbar vor Abschluss des Schriftenwechsels und
erst auf nochmalige telefonische Nachfrage hin Kenntnis erhalten.
Das fragliche E-Mail der Abteilung Tiefbau des Baudepartements
wurde den Beschwerdeführerinnen zusammen mit den Beilagen zur
Kenntnis zugestellt; sie haben sich dazu nicht vernehmen lassen.
c) Die vorgeschriebene Veröffentlichung ist ein wichtiges (ja
geradezu konstitutives) Element eines transparenten Vergabeverfah-
rens (Peter Gauch / Hubert Stöckli, Vergabethesen 1999, Thesen zum
neuen Vergaberecht des Bundes, Freiburg 1999, S.
17). Die
Verletzung der Ausschreibungspflicht ist in aller Regel auf die Wahl
einer falschen Verfahrensart zurückzuführen. Die Wahl einer falschen
Verfahrensart stellt einen schwerwiegenden Rechtsmangel dar, der
wegen des Grundsatzes der Rechtsanwendung von Amtes wegen
(§ 20 Abs. 2 VRPG in Verbindung mit § 23 SubmD) auch dann zu
berücksichtigen ist, wenn er nicht ausdrücklich gerügt wird
(AGVE 1997, S. 343).
Die Vergabestelle hat sich für ein offenes Verfahren im Sinne
von § 7 Abs. 1 SubmD entschieden. Die Veröffentlichung der Aus-
schreibung erfolgte in der Zeitschrift Baublatt, einer Fachzeitschrift
für die Schweizer Baubranche, deren Auflage 10'854 Exemplare
beträgt (siehe www.baublatt.ch). Die Zeitschrift erscheint unter dem
Titel Batimag auch in einer französischen Fassung mit einer Auflage
von 5'000 Exemplaren (siehe www.batimag.ch) und wird auf Verlan-
gen auch ausländischen Abonnenten zugestellt. Somit ist hier weder
eine falsche Verfahrensart gewählt noch gänzlich auf eine Veröffent-
lichung der Ausschreibung verzichtet worden. Aufgrund der weiten
Verbreitung der Zeitschrift Baublatt hat wohl eine grosse Mehrheit
möglicher Interessenten von der Ausschreibung Kenntnis erhalten;
Beleg hierfür ist insbesondere die grosse Zahl von Teilnehmern an-
lässlich der obligatorischen Begehung (33 Unternehmen). Insofern
erweist sich die Unterlassung der Vergabestelle nicht als folgen-
schwer. Auch lag seitens der Vergabestelle keine Absicht vor; viel-
mehr handelt es sich um ein offensichtliches Versehen.
Unter diesen besonderen Umständen sind weder das öffentliche
Interesse an einer korrekten Durchführung des Verfahrens zur
2004
Verwaltungsgericht
236
Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots noch das In-
teresse der Allgemeinheit an einem wirksamen Wettbewerb in einem
Masse betroffen, das eine Wiederholung des Submissionsverfahren
als zwingend erforderlich erscheinen lässt. Der Verfahrensfehler ist
deshalb nicht als schwerwiegend im Sinne der vorerwähnten
Rechtsprechung zu qualifizieren und folglich auch nicht von Amtes
wegen zu berücksichtigen. Da auch die Beschwerdeführerinnen aus
der unterbliebenen Publikation im Amtsblatt keine negativen Folgen
ableiten (sie haben auf einen entsprechenden, ergänzenden Antrag
verzichtet), bleibt das Versehen der Vergabestelle folgenlos.
3. (...)
d) Die Bereinigung der Angebote ist in § 17 SubmD geregelt.
Danach prüft die Vergabestelle die Angebote rechnerisch und fach-
lich und bringt sie auf eine vergleichbare Basis (§ 17 Abs. 1 SubmD).
Sind Angaben eines Angebots unklar, so können von den
Anbietenden Erläuterungen, fachliche Präsentationen, Begehungen
usw. verlangt werden, die schriftlich festzuhalten sind (§ 17 Abs. 2
SubmD). Die Vergabestelle darf offensichtliche Rechnungsfehler
korrigieren (§ 17 Abs. 3 SubmD). Abgebotsrunden sind verboten.
Abänderungen eines Angebots dürfen nur während der Eingabefrist
und nur auf schriftlichem Weg erfolgen (§ 17 Abs. 4 SubmD).
aa) Das Verwaltungsgericht erachtet eine technische Bereini-
gung der Offerten als zulässig. Es ist jedoch zu beachten, dass Ange-
bote, nicht nur hinsichtlich des Preises, sondern auch in Bezug auf
die offerierte Leistung nach Ablauf der Eingabefrist nicht mehr ge-
ändert werden dürfen. Daraus folgt, dass Offertbereinigungen techni-
scher Natur, die über die Berichtigung von Rechnungsfehlern oder
anderer offensichtlicher Irrtümer und Fehler hinausgehen, aufgrund
der mit ihnen verbundenen Gefahr der Wettbewerbsverfälschung
bzw. Begünstigung einzelner Bewerber eher zurückhaltend zu hand-
haben sind und jedenfalls nicht zu einer Änderung des Leistungsin-
halts führen dürfen. Die zulässige technische Bereinigung der Offer-
ten kann unter Umständen zusätzliche Abklärungen bei einzelnen
Anbietern erforderlich erscheinen lassen. Die Vergabestelle ist daher
befugt, im Rahmen einer Offertbereinigung bei den Anbietern Rück-
fragen zu machen, ohne sich allein deswegen bereits dem Vorwurf
2004
Submissionen
237
der Annahme eines unzulässigen Angebots oder einer sonstigen
Wettbewerbsverfälschung auszusetzen. Anderseits haben solche
Rückfragen aus eben diesem Grund mit der nötigen Zurückhaltung
und Sorgfalt (§ 17 Abs. 2 SubmD) zu geschehen; zudem sind dabei
alle Anbietenden nach gleichem Massstab zu behandeln
(AGVE 1999, S. 342 ff.).
bb) Es stellt sich die Frage, inwieweit Angebote, welche
zwingend
einzuhaltenden Randbedingungen widersprechen, im Rah-
men der Offertbereinigung noch korrigiert werden dürfen. Vorliegen-
denfalls führt die Korrektur der Offerte zu einer Änderung des Leis-
tungsinhalts, indem der zeitliche Ablauf der Leistungserbringung
(Neugestaltung des Bauprogramms) und die Ausführungsweise (Re-
duktion der Längen einer Etappe mit freiliegender Planie auf
1000 m; Neuorganisation der Baustellenzufahrt) Anpassungen er-
fahren haben. Erst aufgrund des revidierten Bauprogramms erbringen
die Zuschlagsempfängerinnen den Nachweis dafür, dass sie die von
der Vergabestelle bezüglich der Anlegung der Planien vorgegebene
Etappierung auch tatsächlich umsetzen. Die Zuschlagsempfängerin-
nen sahen im ursprünglichen Bauprogramm vor, die Planien teil-
weise während mehr als einer Woche offen zu lassen, bevor mit den
Belagsarbeiten begonnen wird. Dem entsprach die offerierte Bauzeit
von 22.5 Wochen. Werden dagegen die Planien nach den Vorgaben
der Vergabestelle erstellt, so ist nach Meinung des Fachrichters
höchst fraglich, ob dies nicht eine unrealistisch kurze Bauzeit gewe-
sen wäre. Man hat es daher mit einer ganz erheblichen Änderung des
Leistungsinhalts zu tun. Eine derart weitreichende technische Berei-
nigung eines Angebots übersteigt das noch zulässige Mass klar. In
diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die im Bau-
programm ausgewiesene Bauzeit und die Plausibilität des Baupro-
gramms alleinige Grundlage der (strittigen) Bewertung des mit 30%
gewichteten Zuschlagskriteriums "Termine" bildeten und die
Zuschlagsempfängerinnen hier als einzige die Maximalpunktzahl er-
hielten. Die Fehlerhaftigkeit des Angebots der Zuschlag-
sempfängerinnen betraf somit nicht bloss einen untergeordneten
Sachverhalt, sondern einen für das Vergabeverfahren entscheidenden
Aspekt. Mit ihrem Vorgehen hat die Vergabestelle die Zuschlags-
2004
Verwaltungsgericht
238
empfängerinnen in einer Weise begünstigt, die sich mit den
Grundsätzen eines fairen Verfahrens, insbesondere dem Grundsatz
der Gleichbehandlung aller Anbieter, nicht vereinbaren lässt.
e) Erweist sich die technische Bereinigung eines den zwingen-
den Anforderungen der Vergabe widersprechenden Angebots als
unzulässig, ist das Angebot vom Verfahren auszuschliessen
(AGVE 1999, S. 351). So hätte hier auch die Vergabestelle verfahren
müssen. Durch die Berücksichtigung des fraglichen Angebots bei der
Vergabe hat sie das ihr zustehende Ermessen klar überschritten.
Schon aus diesem Grund ist der angefochtene Zuschlag aufzuheben. | 2,281 | 1,869 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-57_2004-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-57.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-57.pdf | AGVE_2004_57 | null | nan |
c6582860-392b-57b2-bfd4-b7fae8e59af8 | 1 | 412 | 870,900 | 1,551,571,200,000 | 2,019 | de | 2019
Übriges Verwaltungsrecht
221
XIII. Übriges Verwaltungsrecht
33
Grundbuch
Die flächenmässige Aufteilung eines selbstständigen und dauernden Bau-
rechts unter Mitwirkung der Parteien des Dienstbarkeitsvertrags führt
zu einem zusätzlichen dinglichen Recht, welches für die Mindestdauer
von 30 Jahren zu begründen ist.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. März
2019, in Sachen Ortsbürgergemeinde A., B. AG und C. AG gegen
Departement Volkswirtschaft und Inneres (WBE.2018.250).
Aus den Erwägungen
3.
Die Beschwerdeführerinnen verlangen die Eintragung des ab-
gewiesenen Rechtsgeschäfts. Sie berufen sich im Wesentlichen
darauf, dass die flächenmässige Aufteilung eines Baurechtsgrund-
stücks entsprechend der Berner Grundbuchpraxis zulässig sei. Zwar
könnten selbstständige und dauernde Baurechte nicht wie Liegen-
schaften parzelliert werden, hingegen könne eine Aufteilung im
Rahmen einer formgültigen Abänderung des Dienstbarkeitsvertrags
erfolgen. Die flächenmässige Aufteilung eines selbstständigen und
dauernden Baurechts bedürfe nebst Messurkunde und Situationsplan
zur Planänderung eines öffentlich beurkundeten Vertrags, an wel-
chem mindestens die baurechtsbelastete und die baurechtsberechtigte
Partei mitwirkten. Für die Zulässigkeit entsprechender Aufteilungen
plädierten insbesondere der langjährige Grundbuchverwalter des
Grundbuchamts Thun-Oberland, Prof. Dr. iur. Roland Pfäffli, sowie
dessen Nachfolger Adrian Mühlematter.
4. - 5. (...)
6.
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
222
6.1.
Art. 655 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB bezeichnet die in das Grundbuch
aufgenommenen selbstständigen und dauernden Rechte als Grund-
stücke im Sinne des Gesetzes. Gemäss Art. 655 Abs. 3 ZGB kann
eine Dienstbarkeit an einem Grundstück als selbstständiges und
dauerndes Recht in das Grundbuch aufgenommen werden, wenn sie
weder zugunsten eines berechtigten Grundstücks noch ausschliess-
lich zugunsten einer bestimmten Person errichtet ist (Ziff. 1) und auf
wenigstens 30 Jahre oder auf unbestimmte Zeit begründet ist
(Ziff. 2). Als solches kann es Gegenstand des Rechtsverkehrs, insbe-
sondere Belastungsobjekt von beschränkten dinglichen Rechten wie
Dienstbarkeiten und Grundpfandrechten sein, sofern es Sachherr-
schaft vermittelt (LORENZ STREBEL/HERMANN LAIM, in: Basler
Kommentar, Zivilgesetzbuch II [BSK-ZGB II], Art. 457-977 ZGB,
5. Auflage, 2015, Art. 655 N 11 mit Hinweisen). Dies gilt
insbesondere für das Baurecht (vgl. Art. 779 Abs. 3 ZGB).
Das Bundesgericht führte in einem Urteil vom 19. Mai 1992
aus, es sei anerkannt, dass die selbstständigen und dauernden Rechte
durch diese gesetzgeberische Fiktion nicht zu Grundstücken, d.h. zu
Sachobjekten gemacht würden, an denen Eigentum begründet wer-
den könnte; die Bestimmungen über die Grundstücke könnten dem-
gemäss nur analog auf sie angewendet werden, indem den Besonder-
heiten ihres Charakters als Dienstbarkeitsrechte Rechnung getragen
werde (BGE 118 II 115, Erw. 2 mit Hinweisen). Unter Verweis auf
die grundsätzlich fehlende Sachqualität lehnt die herrschende Lehre
eine Parzellierung bzw. Teilung selbstständiger und dauernder
Rechte ab (vgl. PETER LIVER, Die Grunddienstbarkeiten, in: Kom-
mentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Zürich 1980
[ZK-LIVER], Art. 743 N 13 f.; ADRIAN MÜHLEMATTER, Teilung und
Vereinigung von Grundstücken, in: BN 2017, S. 36 f.).
6.2.
6.2.1.
Nach Auffassung der Vorinstanz ist die Konstruktion der Auf-
teilung bzw. Abänderung des ursprünglichen Baurechts LIG
Nr. 4143-1 in ein reduziertes Baurechtsgrundstück LIG Nr. 4143-1
sowie in ein neues Baurechtsgrundstück LIG Nr. 4143-5 [...] nicht
2019
Übriges Verwaltungsrecht
223
eintragungsfähig. Soweit sich die Vorinstanz damit auf die fehlende
Sachqualität des selbstständigen und dauernden Baurechts beruft,
überzeugt ihre Argumentation nur beschränkt. Die Einräumung eines
selbstständigen und dauernden Rechts zu Gunsten der Beschwerde-
führerin 3 erfolgt - wie die Beschwerdeführerinnen zu Recht vor-
bringen - entsprechend ihrer Vorstellung nicht einseitig durch die
Beschwerdeführerin 2 als Baurechtsnehmerin. Im Hinblick auf die
Beteiligung der Grundeigentümerin und Baurechtsgeberin ist anzu-
nehmen, dass die Vertragsparteien eine Abänderung des ursprüng-
lichen Dienstbarkeitsvertrags (unter Einbezug einer weiteren Partei)
beabsichtigten. Dies ist insbesondere naheliegend, da die Vertrags-
parteien den ursprünglichen Baurechtsvertrag zum integrierenden
Bestandteil des neuen Dienstbarkeitsvertrags erklärten und der Be-
schwerdeführerin 3 obligatorische Verpflichtungen wie die Bau-
rechtszinsverpflichtung (teilweise) überbunden werden sollten.
6.2.2.
Die Verlegung der Baurechtsfläche und Flächenveränderungen
in Form der Ausweitung oder Verkleinerung der Baurechtsfläche
können anerkanntermassen durch eine Änderung des Dienstbarkeits-
vertrags bewirkt werden (vgl. CHRISTIAN BRÜCKNER/MATHIAS
KUSTER, Die Grundstücksgeschäfte, Zürich/Basel/Genf 2016,
Rz. 516, 1556 ff.). In diesem Zusammenhang können im Grundbuch
- wie die Vorinstanz zu Recht ausführt - insbesondere Teil-
löschungen des ursprünglichen Baurechtsgrundstücks (im Sinne
einer Flächenverkleinerung) erfolgen. Auch Erweiterungen der
Baurechtsparzelle können auf diesem Weg vereinbart werden (vgl.
Nachtrag zum Kurzgutachten von Prof. Dr. iur. Roland Pfäffli).
Die Vertragsparteien haben sich indessen nicht für eine (aner-
kanntermassen zulässige) Flächenverschiebung der aneinander-
grenzenden Baurechtsparzellen (der Beschwerdeführerinnen 2 und 3)
entschieden; vielmehr möchten sie für die ungenutzte Teilfläche von
SDR Nr. 4143-1 ein selbstständiges und dauerndes Baurecht aus-
scheiden (SDR Nr. 4143-5). Dieses soll der Beschwerdeführerin 3
zustehen, welche als Drittpartei in das Baurechtsverhältnis zwischen
den Beschwerdeführerinnen 1 und 2 eintritt. Aus den Akten geht
nicht schlüssig hervor, welche Motive gegen eine flächenmässige
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
224
Verkleinerung von SDR Nr. 4143-1 und eine Vergrösserung von SDR
Nr. 4143-2 sprachen.
6.2.3.
Nach der bernischen Grundbuchpraxis kann auch die flächen-
mässige Aufteilung eines Baurechtsgrundstücks durch eine formgül-
tige Abänderung des bisherigen Dienstbarkeitsvertrags erfolgen (vgl.
Handbuch für den Verkehr mit den Grundbuchämtern und die
Grundbuchführung der bernischen Justiz-, Gemeinde- und Kirchen-
direktion, Ziff. 3.7, S. 39; MÜHLEMATTER, a.a.O., S. 37). Damit hat
auch diese Praxis ihren Anwendungsbereich bei der Abänderung von
Dienstbarkeitsverträgen unter Beteiligung des Baurechtsgebers. Die
Vorinstanz erwähnte die Möglichkeit der Teillöschung des ursprüng-
lichen Baurechts und der Neuerrichtung eines Baurechts auf der frei-
gegebenen Teilfläche. So oder so dürfte bei der Abänderung des ur-
sprünglichen Dienstbarkeitsvertrags kein Widerspruch zum Grund-
satz der Unteilbarkeit von Dienstbarkeiten (ZK-LIVER, Art. 730
N 47) entstehen, wenn Baurechtsgeber und -nehmer eine Aufteilung
eines Baurechtsgrundstücks vereinbaren. Auch Art. 25 Abs. 1 VAV
spricht von der Teilung flächenmässig ausgeschiedener selbstständi-
ger und dauernder Rechte. Diesbezüglich berufen sich die Be-
schwerdeführerinnen zu Recht auf Art. 19 OR, wonach der Inhalt
eines Baurechtsvertrags unter Beachtung des sachenrechtlichen
Typenzwangs festgestellt werden kann (vgl. Nachtrag zum Kurzgut-
achten von Prof. Dr. iur. Roland Pfäffli; CHRISTINA SCHMID-
TSCHIRREN, Numerus clausus - Bemerkungen zum sachenrecht-
lichen Typenzwang, in: BN 2014, S. 444). Insoweit ist insbesondere
nicht zwingend, dass (einseitig durch den Baurechtsnehmer) ein
Unterbaurecht errichtet wird (in ZK-LIVER, Art. 743 N 14, als
rechtliches Mittel der Parzellierung des Baurechtsgrundstücks
bezeichnet). In der Kommentierung von PETER LIVER wird die
Teilung bzw. Parzellierung eines Baurechts im Hinblick auf die
Befugnisse des Baurechtsnehmers abgelehnt, nicht jedoch die
Änderung des Dienstbarkeitsvertrags (vgl. ZK-LIVER, Art. 743
N 13 f.).
6.3.
6.3.1.
2019
Übriges Verwaltungsrecht
225
Weder die Literatur noch die angesprochene Berner Praxis
äussern sich zu den Voraussetzungen und Konsequenzen einer
flächenmässigen Aufteilung eines selbstständigen und dauernden
Baurechts. Unabhängig davon ist festzuhalten, dass die vereinbarte
Aufteilung des Baurechts zur Errichtung eines neuen selbstständigen
und dauernden Rechts führt. Insoweit ist - in Bezug auf den vorlie-
genden Fall - wesentlich, welche Bedeutung Art. 655 Abs. 3 Ziff. 2
ZGB zukommt, wonach dieses auf wenigstens 30 Jahre zu begründen
ist.
6.3.2.
Im Gegensatz zu Verschiebungen und Flächenveränderungen
des Baurechtsgrundstücks, wo kein zusätzliches dingliches Recht er-
richtet wird, geht eine flächenmässige Aufteilung mit der Errich-
tung eines zusätzlichen (selbstständigen und dauernden) Baurechts
einher. (...)
6.3.3.
Vorliegend wurde das bestehende Baurecht (SDR Nr. 4143-1)
für die Dauer von 50 Jahren, d.h. bis 16. Mai 2038, vereinbart.
Dessen Verlängerung ist im Rahmen der Abänderung des Dienstbar-
keitsvertrags nicht vorgesehen. Nach der Vorstellung der Vertragspar-
teien soll das der Beschwerdeführerin 2 zustehende Baurecht
flächenmässig verkleinert und auf der freigegebenen Fläche ein wei-
teres selbstständiges und dauerndes Baurecht (zu Gunsten der Be-
schwerdeführerin 3) begründet werden, letzteres für die (Rest-)Dauer
von ca. 20 Jahren. Bei der blossen Verlängerung eines selbststän-
digen und dauernden Baurechts, d.h. der Fortsetzung des bisherigen
Rechtsverhältnisses, müsste die Mindestdauer von Art. 655 Abs. 3
Ziff. 2 ZGB nicht beachtet werden (vgl. STEPHAN SPYCHER, in:
STEPHAN WOLF [Hrsg.], Dienstbarkeiten im Wandel - von Weg und
Steg zum Energie-Contracting, INR - Institut für Notariatsrecht und
Notarielle Praxis, Band/Nr. 16, Bern 2014, S. 125). Hingegen führt
die Aufteilung eines Baurechtsgrundstücks zur Errichtung eines wei-
teren selbstständigen und dauernden Rechts (vorliegend SDR
Nr. 4143-5). Dem Privatgutachter kann nicht gefolgt werden, wenn
dieser ausführt, dass keine formelle Parzellierung erfolge, und
darauf verweist, das bestehende Baurecht sei seinerzeit auf eine
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
226
Dauer von über 30 Jahren begründet worden (vgl. Nachtrag zum
Kurzgutachten von Prof. Dr. iur. Roland Pfäffli). Diesbezüglich ist
zwischen der Abänderung und der Begründung eines selbstständigen
und dauernden Rechts zu differenzieren. Die vereinbarte Aufteilung
des Baurechtsgrundstücks (unter Einbezug einer weiteren Partei in
den Dienstbarkeitsvertrag) würde zu einer Umgehung der Bestim-
mungen über die Mindestdauer von selbstständigen und dauernden
Rechten führen (zur Prüfungsbefugnis des Grundbuchverwalters vgl.
hinten Erw. 6.5).
Ob diese Problematik nicht besteht, wenn ein Baurechtsgrund-
stück durch einen neu angelegten Weg flächenmässig aufgeteilt wird,
muss vorliegend nicht geklärt werden (vgl. Kurzgutachten von Prof.
Dr. iur. Roland Pfäffli). Ergänzend ist jedoch festzuhalten, dass sich
die Aufteilung einer Liegenschaft durch eine Wegparzelle (und die
gemäss Art. 974a ZGB damit verbundene Bereinigung der Dienst-
barkeiten) nicht mit der beabsichtigten Aufteilung bzw. Begründung
eines selbstständigen und dauernden Baurechts vergleichen lässt.
Mit der Revision des Immobiliarsachenrechts (in Kraft getreten
am 1. Januar 2012) wurde die Mindestdauer von selbstständigen und
dauernden Rechten auf Gesetzesstufe geregelt (vgl. Botschaft zur
Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Register-Schuld-
brief und weitere Änderungen im Sachenrecht] vom 27. Juni 2007,
07.061, in: BBl 2007 5304). Insoweit berufen sich die Be-
schwerdeführerinnen vergeblich auf eine fehlende gesetzliche
Grundlage (zur Prüfungsbefugnis des Grundbuchverwalters vgl. hin-
ten Erw. 6.5). Die Rechtfertigung für die Mindestdauer kann mitunter
in der Belastbarkeit als Grundstück gesehen werden (vgl. PETER R.
ISLER/DOMINIQUE GROSS, in: BSK-ZGB II, Art. 779 N 30; JÜRG
SCHMID, in: BSK-ZGB II, Art. 943 N 18, 20). Die Vorinstanz ver-
weist diesbezüglich zu Recht auf Bedürfnisse des Investitions-
schutzes. Unabhängig davon erscheint fraglich, ob seitens von ge-
werblichen Baurechtsnehmern ein praktisches Bedürfnis besteht,
selbstständige und dauernde Baurechte für eine Dauer von unter
30 Jahren errichten zu können (zu üblicherweise definierten Dauern
vgl. URS BÜRGY/ADRIAN FRITZ/MARC HENDRY, Der Baurechtsver-
trag und seine Komplexität, in: SREJ 15/2017, S. 36).
2019
Übriges Verwaltungsrecht
227
Dieselbe Problematik würde sich im Übrigen auch bei der Er-
richtung eines selbstständigen und dauernden Unterbaurechts stellen:
Dessen Dauer dürfte einerseits diejenige des bestehenden Baurechts
nicht überschreiten und andererseits wäre es auf wenigstens 30 Jahre
zu begründen (vgl. ISLER/GROSS, a.a.O., Art. 779 N 36 f.; Kurzgut-
achten von Prof. Dr. iur. Roland Pfäffli; Nachtrag zum Kurzgutach-
ten von Prof. Dr. iur. Roland Pfäffli).
6.4.
Von den Beschwerdeführerinnen herangezogene Vergleichsfälle
können zu keiner anderen Beurteilung führen. Dies betrifft insbeson-
dere eine mögliche Parzellierung eines (Baurechts-)Grundstücks
im Rahmen von öffentlich-rechtlichen Enteignungen bzw. diesbezüg-
licher rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen. In diesem Zusammen-
hang erwähnte Verbreiterungen von Strassenparzellen sind nicht ver-
gleichbar, denn hier entsteht kein zusätzliches selbstständiges und
dauerndes Baurecht zu Gunsten eines Dritten (vgl. Kurzgutachten
von Prof. Dr. iur. Roland Pfäffli). Schliesslich handelt es sich beim
Beispiel LIG D./183-1 nach Darstellung der Vorinstanz um eine
flächenmässige Erweiterung eines Baurechtsgrundstücks, welche an-
erkanntermassen zulässig ist (vgl. vorne Erw. 6.2.2).
6.5.
Es kann somit festgehalten werden, dass die vereinbarte Auftei-
lung des Baurechtsgrundstücks nicht eintragungsfähig ist. Für die
Aufnahme einer neuen Baurechtsparzelle ins Grundbuch würde
vorausgesetzt, dass die Vertragsparteien für diese eine Mindestdauer
von 30 Jahren vorsähen.
Das Grundbuchamt prüft, gestützt auf die mit der Anmeldung
eingereichten weiteren Belege, ob die gesetzlichen Voraussetzungen
für die Eintragung in das Hauptbuch erfüllt sind (Art. 83 Abs. 1
GBV). Insbesondere zu prüfen hat es die Verfügungsberechtigung
der anmeldenden Person (Art. 83 Abs. 2 lit. c GBV) sowie die
Rechtsgrundausweise, insbesondere deren Form (lit. g; vgl. dazu
BETTINA HÜRLIMANN-KAUP, Die Änderung von Dienstbarkeiten -
ausgewählte Fragen, in: BN 2013, S. 131 f.). Bei der Mindestdauer
für selbstständige und dauernde Rechte gemäss Art. 655 Abs. 3
Ziff. 2 ZGB handelt es sich um eine zwingende Bestimmung, ohne
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
228
deren Einhaltung kein Hauptbuchblatt angelegt werden darf (vgl.
Art. 22 GBV). Bei der vereinbarten Aufteilung der Baurechtsparzelle
erscheint die Aufnahme des neu auszuscheidenden Baurechtsgrund-
stücks und damit dessen (Mindest-)Dauer objektiv und subjektiv we-
sentlich (in diesem Sinne: Urteil des Handelsgerichts des Kantons
Zürich vom 25. Oktober 2002, Erw. 2c/ee, in: ZBGR 86/2005,
S. 294; vgl. auch BRÜCKNER/KUSTER, a.a.O., Rz. 1536). Insoweit
unterscheidet sie sich von der blossen Eintragung einer Bau-
rechtsdienstbarkeit, welche grundsätzlich nicht von der Möglichkeit
abhängt, diese im Zeitpunkt der Eintragung oder danach als selbst-
ständiges und dauerndes Recht ins Grundbuch aufzunehmen (vgl.
§ 22 Abs. 1 GBV, wonach die Aufnahme auf schriftliches Begehren
der berechtigten Person erfolgt; STREBEL/LAIM, a.a.O., Art. 655
N 10; SCHMID, a.a.O., Art. 943 N 19 ff.).
Die gegenteilige Auffassung des privaten Rechtsgutachters
gründet darin, dass dieser in unzutreffender Weise annimmt, die
Mindestdauer für selbstständige und dauernde Rechte sei für die neu
auszuscheidende Baurechtsparzelle unbeachtlich (vgl. Nachtrag zum
Kurzgutachten von Prof. Dr. iur. Roland Pfäffli).
(Anmerkung: Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde
Beschwerde in Zivilsachen erhoben [5A_341/2019].) | 3,834 | 2,823 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-33_2019-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-33.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-33.pdf | AGVE_2019_33 | null | nan |
c679f496-8e64-5c6a-b9e8-b24ec01fa99b | 1 | 412 | 871,757 | 1,038,787,200,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
366
[...]
86
Anwaltskommission, Disziplinarverfahren.
-
Aufgaben und Besetzung der Anwaltskommission; diese ist kein Ge-
richt im Sinne von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Erw.
1/b/bb,dd).
-
Der Anzeiger bzw. die anzeigende Behörde ist nicht Partei im Diszi-
plinarverfahren (Erw. 1/b/dd).
-
Bei einer Anzeige durch das Obergericht müssen Oberrichter, die der
Anwaltskommission angehören, nicht in den Ausstand treten, wenn
sie an der Anzeige nicht direkt beteiligt waren (Erw. 1/b,c).
-
Beruht der Vorwurf ausschliesslich auf der Kombination der Tätig-
keiten als Anwalt und als Notar, richtet sich die Zuständigkeit zur
Disziplinierung (Anwaltskommission oder Notariatskommission/ Re-
gierungsrat) nach der näheren sachlichen Beziehung (Erw. 2,3).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 11. Dezember 2002 in
Sachen Fürsprecher X. gegen Entscheid der Anwaltskommission.
Aus den Erwägungen
1. a) Mit seinem Eventualantrag beantragt der Beschwerdefüh-
rer, der angefochtene Entscheid sei wegen unkorrekter Besetzung der
Anwaltskommission aufzuheben und zur Neubeurteilung in richtiger
Besetzung zurückzuweisen. Dieses Vorbringen führt, sofern zutref-
fend, zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids ohne materielle
Überprüfung und ist deshalb vorab zu behandeln.
2002
Disziplinarrecht (Anwälte, Notare)
367
b) aa) Der Beschwerdeführer hat in seiner Eingabe vom
6. Juni 2002 an die Anwaltskommission darauf hingewiesen, dass
beim Entscheid der Anwaltskommission seines Erachtens keine
Oberrichter und Ersatzrichter des Obergerichts mitwirken dürften, da
die Anzeige vom Obergericht ausgegangen sei. Es handelte sich nicht
um ein formelles Ablehnungsbegehren, doch war dies auch nicht
erforderlich angesichts der Behauptung, es liege ein - von Amtes
wegen zu beachtender - Ausschliessungsgrund vor.
bb) Die Anwaltskommission ist eingesetzt als Aufsichtsbehörde
über die Anwälte. Sie setzt sich zusammen aus zwei Oberrichtern,
zwei praktizierenden Anwälten und einem weiteren Juristen mit Fä-
higkeitsausweis als Anwalt sowie einer gleichen Zahl von Ersatz-
mitgliedern mit entsprechenden Voraussetzungen. Wahlbehörde ist
das Obergericht; für die Mitglieder aus dem Anwaltsstand steht dem
aargauischen Anwaltsverband ein Vorschlagsrecht zu (Art. 3 AnwG).
Die Aufgaben der Anwaltskommission bestehen aus der Durchfüh-
rung der Prüfungen mit der Erteilung des Fähigkeitsausweises und
der Berufsausübungsbewilligung, der Entbindung vom Berufsge-
heimnis sowie der Aufsicht einschliesslich der Verhängung von Dis-
ziplinarstrafen und dem Entzug der Berufsausübungsbewilligung
(§ 4 AnwG; vgl. auch Art. 14 ff. des Bundesgesetzes über die Freizü-
gigkeit der Anwältinnen und Anwälte [BGFA; SR 935.61] vom
23. Juni 2000). Die Anwaltskommission gilt von ihrer Funktion her
nicht als Gericht im Sinne von Art. 30 Abs. 1 BV und von Art. 6
Ziff. 1 EMRK (BGE 126 I 230 ff. betreffend die zürcherische Auf-
sichtskommission über die Rechtsanwälte, bei vergleichbarer Rege-
lung; BGE 123 I 90 ff. betreffend die bündnerische Notariatskam-
mer), sondern als mit administrativen Aufgaben beauftragte Behörde.
Soweit sie Disziplinarverfahren durchführt, verfolgt sie das öffentli-
che Interesse an der ordnungsgemässen Ausübung des Anwaltsbe-
rufs.
Das Anwaltsgesetz enthält für das Verfahren vor der Anwalts-
kommission keine Ausstandsbestimmungen und verweist auch nicht
ausdrücklich auf das VRPG (anders für das Beschwerdeverfahren
vor Verwaltungsgericht [vgl. § 35 Abs. 2 AnwG]). § 1 Abs. 1 und 2
VRPG, wonach dieses Gesetz (zumindest subsidiär) für das Verfah-
2002
Verwaltungsgericht
368
ren vor dem Verwaltungsgericht, den Spezialverwaltungsgerichten
und den Verwaltungsbehörden gilt, führt trotzdem zur Anwendung
der VRPG-Bestimmungen. Für Behördemitglieder und Sachbearbei-
ter gelten neben der ausdrücklichen Bestimmung von § 5 Abs. 2
VRPG (persönliches Interesse; Mitglied der Verwaltung einer juristi-
schen Person; vorherige Mitwirkung in der Sache, in einer unteren
Instanz oder als Vertreter oder Berater) die Ausstandsgründe der ZPO
(Art. 5 Abs. 1 VRPG).
cc) Liegt ein Ausschliessungsgrund (§ 2 ZPO) vor, so muss sich
der Richter von Amtes wegen in den Ausstand begeben, ohne dass es
eines Anstosses durch die Verfahrensparteien bedürfte (§ 4 Abs. 1
ZPO; Alfred Bühler, in: Kommentar zur aargauischen Zivilprozess-
ordnung, 2. Auflage, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1998, § 2 N 1,
§ 4 N 1). Der Beschwerdeführer beruft sich auf § 2 lit. a Ziff. 8 ZPO,
wonach der Richter von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen
ist in Streitsachen, in denen eine Behörde Partei ist, der er oder sein
Ehegatte als Mitglied angehört.
dd) Wie bereits ausgeführt, ist die Anwaltskommission eine mit
administrativen Aufgaben beauftragte Behörde. Soweit sie Diszipli-
narverfahren durchführt, verfolgt sie selber das öffentliche Interesse
an der ordnungsgemässen Ausübung des Anwaltsberufs. Sie ent-
scheidet nicht im Streit zwischen einem Anzeiger (bzw. der anzei-
genden Behörde) und dem Anwalt, sondern ist vielmehr selber eine
Art "Gegenpartei" des Anwalts (BGE 126 I 232); der Anzeiger ist am
Disziplinarverfahren ausschliesslich insoweit beteiligt, als es durch
seine Anzeige in Gang kommt, und er nimmt insbesondere nicht
Parteistellung ein. Dass es einer anzeigenden Behörde nicht um die
Wahrung eigener Interessen geht (was mit der Parteistellung re-
gelmässig verbunden ist), zeigt sich schon daran, dass Gerichte und
andere Behörden ungeachtet der Interessenlage verpflichtet sind, der
Anwaltskommission Meldung zu erstatten, wenn das Verhalten eines
Anwalts gegen seine Berufspflichten verstossen könnte (Art. 15
BGFA; § 24 Abs. 2 AnwG).
Demgemäss ist festzuhalten, dass weder das Obergericht noch
dessen 2. Zivilkammer als Partei am Disziplinarverfahren vor der
2002
Disziplinarrecht (Anwälte, Notare)
369
Anwaltskommission beteiligt waren. § 2 lit. a Ziff. 8 ZPO kommt
somit nicht zur Anwendung.
c) Weiter beruft sich der Beschwerdeführer auf die Ableh-
nungsgründe von § 3 lit. b und c ZPO.
aa) Ablehnungsbegehren müssen so früh wie möglich gestellt
werden (vgl. BGE 119 Ia 228 f.; Bühler, a.a.O., Vorbemerkungen
§§ 2-8 N 8). Die Eingabe des Beschwerdeführers vom 6. Juni 2002
war seine erste nach der Eröffnung des Disziplinarverfahrens. Auch
wenn er kein formelles Ablehnungsbegehren stellte, machte er damit
rechtzeitig geltend, Mitglieder und Ersatzmitglieder des Obergerichts
dürften in der Anwaltskommission nicht mitwirken.
bb) Der Ablehnungsgrund von § 3 lit. b ZPO (Freundschaft,
Feindschaft oder ein Pflicht- oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen
dem Richter und einer Partei) ist nicht gegeben, denn, wie bereits
dargelegt, war das Obergericht nicht Partei des Disziplinarverfahrens
vor der Anwaltskommission.
cc) Gemäss § 3 lit. c ZPO kann ein Richter abgelehnt werden,
wenn (andere) Umstände vorliegen, die ihn als befangen erscheinen
lassen können.
Dass die Anwaltskommission nicht als Gericht tätig ist, sondern
als mit administrativen Aufgaben beauftragte Behörde, hat zur Folge,
dass in diesem Verfahren - unter Vorbehalt ausdrücklicher, weiter
gehender Bestimmungen - etwas weniger strenge Ausstandsbestim-
mungen einzuhalten sind als diejenigen, die für Gerichte gelten, wo-
bei immerhin höhere Mindestanforderungen gelten als bei eigentli-
chen Verwaltungsbehörden (BGE in ZBl 100/1999, S. 76 f.).
Das Bundesgericht hat bei weitgehend identischem Sachverhalt
entschieden, wenn die Anzeige gegen einen Anwalt von einer Be-
hörde ausgehe, müssten die Mitglieder der Anzeige erstattenden
Behörde nicht zwingend als befangen erscheinen. Die Befürchtung
der Voreingenommenheit (mit der Folge, dass sie bei Mitwirkung in
der Aufsichtsbehörde abgelehnt werden könnten) könne aber entste-
hen, wenn das behauptete Disziplinarvergehen des Anwalts mit ei-
nem vor dieser Behörde durchgeführten Verfahren zusammenhänge.
Dies treffe namentlich dann zu, wenn die Mitglieder der Behörde mit
der Anzeige bereits die Auffassung manifestiert hätten, es liege ver-
2002
Verwaltungsgericht
370
mutlich ein Disziplinarverstoss vor. Auch in einem solchen Fall liess
das Bundesgericht aber nur die Ablehnung derjenigen Behördemit-
glieder zu, die an der Anzeige direkt beteiligt gewesen waren (ZBl
100/1999, S. 78 ff., insbesondere S. 80 oben). Dieser bundesgericht-
lichen Rechtsprechung ist zu folgen. Gerade angesichts der Ver-
pflichtung zur Anzeigeerstattung (siehe vorne Erw. b/dd) kann aus
der Anzeige allein nicht auf eine Voreingenommenheit der Mitglieder
der anzeigenden Behörde geschlossen werden. Im Weiteren muss
von Mitgliedern des Obergerichts erwartet werden können, dass sie
Ansichten ihrer Kolleginnen und Kollegen kritisch überprüfen. Dies
gehört bei Kollegialgerichten zum Alltag und hat auch Geltung,
wenn Mitglieder des Obergerichts in der Anwaltskommission tätig
sind und in einem Disziplinarverfahren zu entscheiden haben, das
durch eine Anzeige des Obergerichts in Gang gesetzt wurde.
Im vorliegenden Fall ging die Anzeige von der 2. Zivilkammer
des Obergerichts aus, die den Zivilprozess in der Besetzung mit den
Oberrichtern A, B und C behandelte. Soweit die wegen unzulässiger
Prozessvertretung erstattete Anzeige auf eine relevante Vorbefassung
schliessen lassen könnte - was angesichts der einlässlichen Begrün-
dung der Anzeige wohl zu bejahen wäre -, sind davon nur die ge-
nannten Richter betroffen, nicht aber Oberrichterin D. und Ober-
richter E., die beim angefochtenen Entscheid der Anwaltskommis-
sion mitwirkten; dass Oberrichter E. ebenfalls Mitglied der 2. Zivil-
kammer ist, ändert nach dem zuvor Ausgeführten nichts an dieser
Beurteilung. Andere, konkrete Hinweise, aus denen auf eine Befan-
genheit von Oberrichterin D. und Oberrichter E. geschlossen werden
könnte, nennt der Beschwerdeführer nicht.
d) Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass die
Besetzung der Anwaltskommission beim angefochtenen Entscheid
nicht zu beanstanden ist. Das Eventualbegehren erweist sich als un-
begründet.
2. a) (...) Diese Begründung hat die Anwaltskommission in ih-
rem Entscheid übernommen. Der Vorwurf erstreckt sich somit auf
die Kombination der Tätigkeiten des Beschwerdeführers als Notar
und als Anwalt, die in der vorliegenden Konstellation als unzulässig
2002
Disziplinarrecht (Anwälte, Notare)
371
erachtet wurde. Weder die Tätigkeit als Anwalt noch diejenige als
Notar, je für sich allein genommen, werden beanstandet.
b) Die Anwälte unterstehen im Bereich ihrer Tätigkeit der Auf-
sicht der Anwaltskommission, die Notare für ihren Tätigkeitsbereich
derjenigen der Notariatskommission und des Regierungsrats (§ 1,
§ 43 NO). Wo jemand, wie im vorliegenden Fall, Anwalt und Notar
ist und sich der erhobene Vorwurf aus der Kombination beider Tätig-
keiten ergibt, stellt sich deshalb die Frage der aufsichtsrechtlichen
Zuständigkeit bzw. der Abgrenzung der Zuständigkeiten der An-
waltskommission einerseits und von Notariatskommission/ Regie-
rungsrat andererseits.
Sinnvoll wäre eine Bestimmung, die für solche Sachverhalte ein
gemeinsam durchzuführendes Verfahren oder allenfalls die Kompe-
tenzattraktion bei der einen Behörde vorsieht. An einer derartigen
Regelung fehlt es indessen. Sie ohne generell-abstrakte Vorgaben
allein durch die Rechtsprechung einzuführen, wäre fragwürdig, da
die Anwalts- und die Notariatskommission je spezifisch im Hinblick
auf die erforderlichen Fachkenntnisse besetzt sind, da sich Kompe-
tenzen und Verfahren unterscheiden (die Notariatskommission kann
Disziplinarfälle nur untersuchen und dem Regierungsrat Antrag stel-
len, hat aber keine eigenen Disziplinarbefugnisse [vgl. § 43 Abs. 1
NO]) und da die Anwaltskommission ausserhalb der Verwaltungs-
hierarchie steht (was eine Abtretung ihrer Befugnisse an den Regie-
rungsrat problematisch macht). Die Anwalts- und die Notariatskom-
mission haben denn auch, soweit ersichtlich, das Vorgehen nicht
miteinander abgesprochen.
Wenn für die Tätigkeiten als Anwalt einerseits und als Notar an-
dererseits keine Verfahrenskoordination stattfinden kann, bedarf es
einer Abgrenzung, und die Anwaltskommission bzw. Notariatskom-
mission/Regierungsrat dürfen sich je nur mit den in ihren Bereich
fallenden Verhaltensweisen befassen. Wenn es wie vorliegend um die
Kombination beider Tätigkeiten geht, die beanstandet wird, muss als
Abgrenzungskriterium dienen, zu welchen Berufspflichten (Anwalt
oder Notar) die nähere sachliche Beziehung besteht.
c) Vorliegend geht es durchwegs um Verhaltenspflichten, die
dem Beschwerdeführer nach Ansicht der Vorinstanz und der Anzei-
2002
Verwaltungsgericht
372
gerin daraus entstanden, dass er den Erbvertrag vom 23. Januar 1992
öffentlich beurkundete.
aa) Der Notar ist verpflichtet, die Interessen der Vertragspar-
teien, für die er eine Urkunde erstellt, zu wahren; nach den Standes-
regeln schuldet er seinen Auftraggebern "Treue und Verschwiegen-
heit" (Art. 12 der Standesregeln der Aargauischen Notariatsgesell-
schaft vom 21. November 1957; Art. 9 der Standesregeln vom
8. Dezember 1998). Daraus leitet sich die Pflicht zu strenger Unpar-
teilichkeit ab (Christian Brückner, Schweizerisches Beurkundungs-
recht, Zürich 1993, Rz. 895 ff.; Peter Ruf, Notariatsrecht, Langenthal
1995, Rz. 988 ff.). Entsteht Streit zwischen den Vertragsparteien, so
darf der Notar nicht die eine gegen die andere vertreten. Wenn in
diesem Zusammenhang häufig ausgeführt wird, es sei unzulässig,
dass die Urkundsperson, die eine Urkunde errichtet hat, im Rechts-
streit über die Entstehung der Urkunde oder die Gültigkeit des beur-
kundeten Geschäfts eine der Parteien anwaltlich vertrete (Brückner,
a.a.O., Rz. 902; Ruf, a.a.O., Rz. 1013), wirkt dies als Einschränkung
der Pflicht zur Unparteilichkeit. Die Formulierung dürfte auf einen
konkreten Fall zurückgehen (vgl. Ruf, a.a.O., Rz. 1013), die (schein-
bare) Einschränkung unbeabsichtigt sein (vgl. Brückner, a.a.O.,
Rz. 899). Die richtig verstandene Pflicht zur Unparteilichkeit führt
zum Schluss, dass sich das Verbot, die eine Vertragspartei gegen die
andere zu vertreten, auf
sämtliche Streitigkeiten aus dem beurkun-
deten Vertrag
(also namentlich auch über Vertragsfolgen) beziehen
muss (ebenso Ruf, a.a.O., Rz. 1013 a.E.) und dass es nicht auf die
anwaltliche Vertretung beschränkt ist, sondern für
jede Vertretung
gilt, also beispielsweise auch in Verfahren, die nicht vom An-
waltsmonopol beherrscht sind (im vorliegenden Verfahren stellt sich
allerdings die Frage, ob das Verbot auch noch gilt, wenn die eine
Partei verstorben ist und es daher um die Vertretung der einen Ver-
tragspartei gegen die Erben der anderen geht).
cc) ... die generelle Pflicht der Urkundsperson zur Unparteilich-
keit, die ihr auch für das spätere Verhalten - nach der Beurkundung
und Grundbuchanmeldung - Einschränkungen auferlegt. Ob sie ge-
gen diese Einschränkungen verstösst, indem sie als Anwalt auftritt,
oder auf andere Weise, ist von untergeordneter Bedeutung. Entschei-
2002
Disziplinarrecht (Anwälte, Notare)
373
dend ist, dass es sich um Verpflichtungen handelt, die sich aus der
Tätigkeit als
Urkundsperson
ableiten; deren Verletzung disziplina-
risch zu ahnden, fällt deshalb ausschliesslich in die Kompetenz der
Notariatskommission und des Regierungsrats (siehe vorne Erw. b).
3. Die Notariatskommission hat es abgelehnt, dem Regierungs-
rat Antrag auf Disziplinierung zu stellen, da sie sich für die vom
Anzeiger vorgeworfene Pflichtverletzung nicht als zuständig erach-
tete. Aus den vorangehenden Darlegungen ergibt sich, dass das Ver-
waltungsgericht diese Ansicht nicht zu teilen vermag. Ob ein Verfah-
ren vor Notariatskommission/Regierungsrat zu einer disziplinari-
schen Sanktion geführt hätte, muss hier offen bleiben. So oder anders
vermag das Nichthandeln der Notariatskommission keine "ersatz-
weise" Zuständigkeit der Anwaltskommission zur Disziplinierung zu
begründen. | 3,522 | 2,928 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-86_2002-12-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-86.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-86.pdf | AGVE_2002_86 | null | nan |
c68eb7e3-9b23-5467-a652-6dd102ccf598 | 1 | 412 | 871,363 | 1,225,756,800,000 | 2,008 | de | 2008
Submissionen
183
[...]
32 Öffentliche
Ausschreibung;
Diskriminierungsverbot.
-
Eine öffentliche Ausschreibung ist grundsätzlich so zu formulieren,
dass die Anzahl der potentiellen Anbietenden der nachgefragten
Leistung möglichst gross ist. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn
die Spezifikationen nicht durch den Zweck der Beschaffung ge-
rechtfertigt sind, oder wenn sie gar zwecks gezielter Vereitelung der
Möglichkeit bestimmter Unternehmen, am Verfahren teilzunehmen,
formuliert werden.
2008
Verwaltungsgericht
184
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 25. November 2008 in
Sachen B. AG gegen die Gemeinderäte B. und W. (WBE.2008.122).
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, das Pflichtenheft
bzw. die darin verlangten technischen Spezifikationen seien einzig
darauf ausgerichtet, die Erteilung des Zuschlags an eine bestimmte
Anbieterin zu bewirken. Zwar handle es sich offenbar nicht um
eigentliche Produkteanforderungen, deren Nichterfüllung zum Aus-
scheiden mangels Eignung führe, sondern die Erfüllung des Pflich-
tenhefts sei "nur" ein Zuschlagskriterium. Die (hohe) Gewichtung
dieses Zuschlagskriteriums mit 35 % habe aber mit absolut überwie-
gender Wahrscheinlichkeit zur Folge, dass die Zuschlagserteilung an
dasjenige Unternehmen erfolgen werde, dessen Angebot am stärksten
mit dem Pflichtenheft übereinstimme. Die im Pflichtenheft geforder-
ten technischen Vorgaben (z.B. bezüglich Grundrahmen, Abstützein-
richtung, Abseilgerät, Hauptsteuerstand, Rettungskorb, Notablasssys-
tem) seien für die zweckmässige Verwendung des zu beschaffenden
Produkts keineswegs zwingend notwendig und hätten einzig den
Zweck, eine bestimmte Anbieterin zu bevorzugen. Beim Pflichten-
heft der Beschwerdegegnerinnen handle es sich nicht um eine
neutrale Leistungsumschreibung, sondern um einen eigentlichen Pro-
duktebeschrieb. Das ganze Pflichtenheft stimme praktisch wörtlich
mit dem dem Kaufvertrag der A. zugrunde liegenden Angebot über-
ein, d.h. die Übereinstimmung beziehe sich nicht nur auf einzelne
Aspekte, sondern auf das ganze Angebot. Es könne keine Rolle spie-
len, ob die Vorgaben des Pflichtenhefts als Produkteanforderungen
(d.h. eigentlich Eignungskriterien) oder als Zuschlagskriterien aufzu-
fassen seien. Auch könne es nicht darauf ankommen, ob die Be-
schwerdeführerin theoretisch in der Lage wäre, ein Produkt entspre-
chend dem Pflichtenheft anzubieten. Bei der Beschaffung eines tech-
nisch hoch komplexen Produktes habe die Vergabestelle vorzugeben,
2008
Submissionen
185
welche Leistungen ein entsprechendes Produkt erbringen müsse.
Entsprechend könne je nach dem vorgehenden Einsatz des Produktes
- beispielsweise die topographischen oder örtlichen und baulichen
Verhältnisse - das Angebot des einen oder anderen Anbieters den
Vorzug verdienen. Es sei aber nicht zulässig, die Ausschreibung auf
ein genau bestimmtes Produkt auszurichten, ansonsten werde das
marktwirtschaftliche Wettbewerbsprinzip vollständig sinnentleert
und ausgehöhlt.
3.2.
Gemäss § 1 Abs. 1 SubmD soll der wirksame Wettbewerb ge-
fördert werden. Die Anbietenden sind in allen Phasen des Vergabe-
verfahrens gleich zu behandeln, und die Vergabestelle vermeidet jede
Diskriminierung der Anbietenden, insbesondere durch die Bestim-
mung der technischen Spezifikationen und der zu verwendenden Pro-
dukte. Nach Art. 13 lit. b IVöB haben die kantonalen Ausführungs-
bestimmungen die Bezugnahme auf nicht diskriminierende techni-
sche Spezifikationen zu gewährleisten (vgl. auch Art. VI GPA und
§ 15 Abs. 1 und 2 der Vergaberichtlinien [VRöB] zur IVöB).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts steht fest,
dass auch die öffentliche Vergabebehörde als Auftraggeberin
grundsätzlich frei bestimmen kann, welche Bau-, Liefer- oder
Dienstleistungen sie benötigt und welche konkreten Anforderungen
sie bezüglich Qualität, Ausstattung, Ästhetik, Service usw. stellt, was
also im Einzelnen Gegenstand und Inhalt der Submission ist (AGVE
1998, S. 404). Der Vergabestelle ist es aber verwehrt, ausschliesslich
das Produkt eines bestimmten Herstellers zu verlangen oder die
technischen Spezifikationen derart zu bestimmen, dass nur ein be-
schränkter Anbieterkreis oder sogar nur ein einziger Anbieter über-
haupt in der Lage ist, ein den einschränkenden Bedingungen der
Ausschreibung entsprechendes Angebot einzureichen. Dem (öffentli-
chen) Auftraggeber ist es mit anderen Worten verboten, sich auf
technische Spezifikationen zu beziehen oder Produktevorgaben zu
machen, die bewirken, dass bestimmte Unternehmer bevorzugt oder
ausgeschlossen werden. Grundsätzlich müssen in einem öffentlich
ausgeschriebenen Verfahren alle interessierten (und geeigneten)
Anbieter der betreffenden Branche die gleiche Möglichkeit haben,
2008
Verwaltungsgericht
186
für die zu vergebende Leistung ein Angebot zu unterbreiten, welches
auch eine effektive Chance auf Erhalt des Zuschlags hat. Dies
bedeutet, dass sich die Vergabebehörde im Regelfall nicht von
vornherein auf einen bestimmten Hersteller oder ein bestimmtes
Produkt festlegen darf (AGVE 1998, S. 407).
Auch gemäss dem Bundesgericht ist die Vergabebehörde in der
Analyse ihres Bedarfs weitgehend frei. Ihr ist es auch erlaubt, bei der
Ausschreibung eines Vorhabens durch sog. technische Spezifikatio-
nen gewisse technologische Mindestanforderungen an die Ausfüh-
rung zu stellen, solange sich diese auf die geforderte Leistung bezie-
hen und sich nicht diskriminierend auswirken. Diese Spezifikationen
müssen namentlich in Bezug auf den konkreten Auftrag gerecht-
fertigt sein und dürfen nicht dazu dienen, gezielt bestimmte Anbieter
ohne sachliche Notwendigkeit zu bevorzugen oder zu benachteiligen
(BGE vom 2. März 2000 [2P.282/1999], Erw. 3).
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich schliesslich hat
festgehalten, aus Gründen der Gleichbehandlung und des Wettbe-
werbs habe die Vergabestelle bei der Leistungsdefinition darauf zu
achten, dass die Anzahl der potentiellen Anbieter der Leistung so
gross wie möglich bleibe und nicht durch Anforderungen verringert
werde, die in sachlicher Hinsicht als nicht zwingend erschienen. Ein-
schränkungen des Kreises potentieller Anbieter seien nur insoweit
zulässig, als sie durch den Zweck der Beschaffung gerechtfertigt sei-
en. Gewünschte, aber nicht notwendige technische Merkmale einer
Leistung seien in diesem Sinn als (relative) Zuschlagskriterien und
nicht als (absolute) technische Anforderungen zu formulieren (Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. November
2001 [VB.2000.00275], Erw. 2c und d; vgl. ferner auch Urteile vom
21. April 2004 [VB.2003.00268], Erw. 3.2.3 und vom 25. Januar
2006 [VB.2005.00200], Erw. 5).
Aus vorstehend angeführter Rechtsprechung folgt, dass eine
öffentliche Ausschreibung nur dann geeignet ist, einen hinreichend
weiten Kreis an Wettbewerbern anzuziehen, wenn sie möglichst neu-
tral abgefasst ist und wenn nicht schon die Umschreibung der
gesuchten Leistung eine grosse Zahl potenzieller Submittenten de
facto von einer Bewerbung ausschliesst. Eine Diskriminierung liegt
2008
Submissionen
187
vor, wenn die Spezifikationen nicht sachgerecht, also durch den
Zweck der Beschaffung nicht gerechtfertigt sind, oder wenn sie gar
zwecks gezielter Vereitelung der Möglichkeit bestimmter Unterneh-
men, am Verfahren teilzunehmen, formuliert werden. Solche Leis-
tungsumschreibungen schränken den Wettbewerb in vergaberechts-
widriger Weise ein, da die grundsätzliche Definitionsfreiheit der Auf-
traggeber unsachgemässe Spezifikationen nicht mit umfasst und ge-
zielte Diskriminierung ohnehin vergaberechtswidrig ist (siehe auch
Martin Beyeler, Ziele und Instrumente des Vergaberechts, Zürich /
Basel / Genf 2008, Rz. 95 ff.).
3.3.
Lieferaufträge sind im offenen oder selektiven Verfahren zu
vergeben, wenn der geschätzte Wert des Einzelauftrags Fr. 250'000.--
übersteigt (§ 8 Abs. 1 SubmD). Dieser Betrag wird vom zu beschaf-
fenden Hubrettungsfahrzeug, auch von einem Vorführfahrzeug, klar
überschritten, wie die verschiedenen (Richt-)Offerten klar aufzeigen.
Ausnahmetatbestände im Sinne von § 8 Abs. 3 SubmD, die eine frei-
händige Vergabe rechtfertigen könnten, sind vorliegend nicht gege-
ben. Insbesondere stellt auch der Entscheid für ein (preisgünstigeres)
Vorführfahrzeug keine Ausnahme dar; auch solche Fahrzeuge kön-
nen von verschiedenen Lieferanten angeboten werden. Die Vergabe-
behörde hat sich somit letztlich richtigerweise - wenn auch nur wide-
rwillig und auf Druck der Beschwerdeführerin - dafür entschieden,
auf die ursprünglich vorgesehene freihändige Vergabe des Hubretters
an die A. zu verzichten und diesen in einem offenen Submissionsver-
fahren öffentlich auszuschreiben. Damit aber ist sie an die dafür gel-
tenden Vorschriften gebunden; insbesondere hat sie den potentiellen
Anbietenden einen wirksamen und fairen Wettbewerb zu gewähr-
leisten, die Anbietenden in allen Phasen des Vergabeverfahrens
rechtsgleich zu behandeln und jegliche Diskriminierung im Sinne
einer gezielten Bevorzugung bzw. Benachteiligung einzelner Anbie-
ter zu vermeiden. Sind bei einem Beschaffungsgeschäft die Schwel-
lenwerte für das offene oder selektive Verfahren erreicht, darf sich
die Vergabestelle somit nicht von vornherein durch die entsprechen-
de Ausgestaltung der Ausschreibung auf einen bestimmten Anbieter
oder ein bestimmtes Produkt festlegen, ansonsten würden die ent-
2008
Verwaltungsgericht
188
sprechenden Vorschriften ihres Sinnes entleert. In diesem Sinne be-
grenzt das anzuwendende Verfahren auch das bestehende Ermessen
der Vergabestelle bei der Umschreibung der zu beschaffenden
Leistung.
3.4.
3.4.1.
Das streitige Pflichtenheft nennt beim Trägerfahrzeug zwar als
Fahrzeugtyp konkret den C., aber korrekterweise mit der Ergänzung
"oder ähnlich" versehen. Die Typenbezeichnung ist deshalb nicht als
diskriminierend zu beanstanden.
In Bezug auf die Hubrettungsbühne selbst wird zwar nicht
ausdrücklich ein bestimmter Produkte- oder Markennamen genannt.
Indessen stimmen die verlangten Spezifikationen des Pflichtenheftes
für die Hubrettungsbühne - wie auch die Beschwerdeführerin zu
Recht festgestellt hat - weitestgehend praktisch wörtlich mit der Of-
ferte vom 3. Juli 2007 bzw. dem Kaufvertrag der A. für die Hubret-
tungsbühne D. überein. Die verlangten Spezifikationen sind mit an-
deren Worten unverkennbar auf dieses Produkt zugeschnitten. Ab-
weichende Lösungen/Systeme - wie sie die Offerte der Beschwerde-
führerin vom 14. Dezember 2007 enthält - werden im Pflichtenheft
explizit als "nicht akzeptiert" zurückgewiesen, wie z.B. den Einbau
des Hydrauliköltanks in den Grundrahmen, Überwachung des Bo-
dendrucks mit reinen Schaltern, Rettungskorb vorwiegend aus Edel-
stahl, Teleskop-Wasserleitung aus Edelstahl oder anderen Materia-
lien. Insofern kann von einem neutral abgefassten Pflichtenheft (je-
denfalls soweit es die Hubrettungsbühne selbst und nicht das Träger-
fahrzeug betrifft), nicht die Rede sein. Aufgrund der Spezifikationen
besteht von vornherein eine klare Bevorzugung der Hubrettungs-
bühne D., was von der Vergabestelle auch nicht in Abrede gestellt
wird. Eine solche Bevorzugung eines Standardprodukts eines Un-
ternehmens ist in einem offenen Vergabeverfahren, in dem alle An-
bieter eine Chance auf den Zuschlag haben müssen, nicht zulässig.
Daran ändert auch nichts, dass die Konkurrenzunternehmen zumin-
dest theoretisch technisch in der Lage wären, ihre (Standard-)Pro-
dukte den speziellen Vorgaben anzupassen. Der damit verbundene
2008
Submissionen
189
Aufwand würde das entsprechende Produkt derart verteuern, dass die
Konkurrenzfähigkeit von vornherein nicht mehr gegeben wäre.
3.4.2.
Zwar sind gemäss den vorliegenden Ausschreibungsunterlagen
Varianten bezüglich Ausrüstung des Fahrzeuges möglich, was ge-
wisse Spielräume für Abweichungen von den verlangten Spezifika-
tionen öffnet. Allerdings wurde vom Verfasser des Pflichtenheftes an
der Verhandlung ausdrücklich bestätigt, dass bei der Bewertung ent-
sprechende Punkteabzüge gemacht würden, wenn die im Pflichten-
heft verlangten Anforderungen nicht erfüllt seien. In diesem Sinne
kann festgestellt werden, dass die Einhaltung des Pflichtenhefts
vorliegend nicht ein Eignungskriterium darstellt, was unter den gege-
benen Umständen von vornherein unzulässig wäre, sondern ein
Zuschlagskriterium ist. Die im Pflichtenheft genannten Spezifikatio-
nen sind somit nicht als absolut zwingend einzuhalten zu verstehen,
sondern ziehen "lediglich" Abzüge bei der Bewertung nach sich.
Dies hat zur Konsequenz, dass Abweichungen von den Vorgaben des
Pflichtenheftes grundsätzlich nicht zum Ausschluss des betreffenden
Anbieters bzw. des Angebots führen, sondern sich bei der Bewertung
des Zuschlagskriteriums "Aufbau/Pflichtenheft", sehr wahrscheinlich
aber auch bei den weiteren Zuschlagskriterien ("Technik/Leistung",
"Produkt/Miliztauglichkeit") negativ auswirken. Rein theoretisch
könnten diese Abzüge zwar durch eine entsprechende Besserbe-
wertung bei anderen Kriterien, z.B. beim Preis, kompensiert werden.
In welchem Ausmass solche Abweichungen von den Vorgaben bei
der Bewertung negativ ins Gewicht fallen, ist zum heutigen Zeit-
punkt allerdings nicht bekannt. Das Bewertungsschema soll erst bei
Offertöffnung erarbeitet werden.
Die Beschwerdeführerin ist in diesem Kontext der Ansicht, eine
transparente und rechtsgleiche Auswertung der Angebote sei im
vorliegenden Fall zum vornherein ausgeschlossen. Die Angaben in
der Ausschreibung betreffend die Zuschlagskriterien seien derart un-
bestimmt, dass es die Beschwerdegegnerinnen auch bei der Auswer-
tung der Angebote in der Hand hätten, die Beurteilungsmatrix
2008
Verwaltungsgericht
190
gestützt auf die eingereichten Angebote dergestalt festzulegen, dass
das Angebot der A. den Zuschlag erhalten werde.
Diese Befürchtungen der Beschwerdeführerin erscheinen be-
gründet. In der Tat sind die Zuschlagskriterien mehrheitlich sehr
unbestimmt und wenig konkret formuliert. In welchem inhaltlichen
Verhältnis die Zuschlagskriterien "Aufbau/Einhaltung des Pflichten-
heftes, "Technik/Leistung" und "Produkt/Miliztauglichkeit" zueinan-
der bestehen bzw. wie sie sich abgrenzen, ist ebenso unklar wie ihre
genaue inhaltliche Bedeutung. Es muss angesichts der formulierten
Zuschlagskriterien davon ausgegangen werden, dass Abweichungen
vom Pflichtenheft nicht nur beim mit 35 % gewichteten Kriterium
"Aufbau/Einhaltung des Pflichtenhefts" zu Bewertungsabzügen füh-
ren, sondern sich konsequenterweise auch negativ auf die Bewertung
der Kriterien "Technik/Leistung" und "Produkt/Miliztauglichkeit"
auswirken. So ist z.B. anzunehmen, dass die Einhaltung der verlang-
ten Anforderungen an den Hauptsteuerstand sowohl beim Zuschlags-
kriterium "Aufbau/Pflichtenheft" als auch beim Zuschlagskriterium
"Produkt/Miliztauglichkeit" in der Bewertung berücksichtigt würde,
führte E. an der Verhandlung doch aus, im Rahmen der Vorführungen
sei den sieben Personen der Fahrzeugbeschaffungskommission die
Handhabung des Systems, das die A. anbiete, besser erschienen. Es
sei einfacher zu bedienen. Die Zuschlagskriterien "Aufbau/Ein-
haltung des Pflichtenhefts", "Technik/Leistung", "Produkt/Miliztaug-
lichkeit", bei deren Bewertung die Einhaltung der Spezifikationen
eine erhebliche Rolle spielen dürfte, haben insgesamt ein Gewicht
von 70 %. Die Ausrichtung auf das Standardprodukt der A. führt zu
einer hohen Bewertung ihres Angebots. Die restlichen Zuschlags-
kriterien, darunter der Preis (20 %), weisen demgegenüber ein Ge-
wicht von lediglich 30 % auf. Insofern dürfte es für die Beschwer-
deführerin weitgehend illusorisch sein, die negative Bewertungen
wegen abweichender Spezifikationen hier mit einem preisgünstigen
Angebot kompensieren zu können.
3.5.
Unter den gegebenen Umständen muss bejaht werden, dass sich
die unbestreitbar auf das von der A. angebotene Produkt ausgerichte-
ten Vorgaben des Pflichtenheftes für die übrigen Anbieter von vorn-
2008
Submissionen
191
herein diskriminierend auswirken. Ihre Chancen, im vorliegenden
Submissionsverfahren den Zuschlag zu erhalten, sind, sofern über-
haupt vorhanden, jedenfalls durch die Vorgaben im Pflichtenheft
massiv eingeschränkt. Von einer Chancengleichheit kann deshalb
nicht mehr gesprochen werden. Sich aus den konkreten Verhältnissen
ergebende stichhaltige sachliche Gründe für eine derartige Bevor-
zugung vermag die Vergabebehörde nicht darzutun. Es ist objektiv in
keiner Weise nachvollziehbar, wieso einzig die von der A. ange-
botene Hubrettungsbühne für den vorgesehenen Einsatz im Raum F.
tauglich sein soll. Insbesondere auch die vorgebrachten Sicherheits-
argumente vermögen nicht zu überzeugen. Es lässt sich kaum
ernstlich behaupten, dass von allen sich auf dem Markt befindenden
Rettungsgeräten einzig diejenigen der A. die Einhaltung der Sicher-
heitsaspekte gewährleisten. Mithin verstösst die vorliegende Aus-
schreibung gegen das in § 1 Abs. 1 SubmD statuierte Diskriminie-
rungsverbot, weshalb sie aufzuheben ist. Mit der Aufhebung der Aus-
schreibung fallen auch die Ausschreibungsunterlagen einschliesslich
des Pflichtenhefts dahin. Der Entscheid über das weitere Vorgehen in
Bezug auf das strittige Beschaffungsgeschäft liegt bei der Vergabebe-
hörde. Sie ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die
Formulierung der Zuschlagskriterien bei einer Neuausschreibung
überprüft werden muss, insbesondere auch auf unzulässige Über-
schneidungen (siehe vorne Erw. 3.4.2.). | 3,575 | 2,939 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-32_2008-11-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-32.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-32.pdf | AGVE_2008_32 | null | nan |
c6a2f8d4-8beb-5c55-9d94-d2c816edb1c7 | 1 | 412 | 870,896 | 1,527,984,000,000 | 2,018 | de | 2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
336
36
Grundbuch; Baurecht; Vormerkung persönlicher Rechte
Enthält der verlängerte Baurechtsvertrag obligatorische Bestimmungen,
welche nicht vorgemerkt werden dürfen, hindert dies die Verlängerung
des selbständigen und dauernden Baurechts grundsätzlich nicht.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 11. Juni
2018, in Sachen A., B. und C. gegen Departement Volkswirtschaft und Inneres
und Grundbuchamt D. (WBE.2018.7).
Aus den Erwägungen
3.1.
Strittig ist die Eintragung von Bestimmungen zum Baurechts-
vertrag. Diese sehen eine Verpflichtung der Baurechtsnehmerin (Be-
schwerdeführerin 2) vor, das selbständige und dauernde Baurecht der
Beschwerdeführerin 3 zu übertragen, falls jene von der Verlänge-
rungsoption keinen Gebrauch macht, sowie eine entsprechende Über-
nahmeverpflichtung. Das betreffende Baurechtsgrundstück wird zum
Betrieb einer Tankstelle genutzt. Die Beschwerdeführerin 3 betreibt
das Autowaschcenter neben der Tankstelle.
3.2.-3.3. (...)
3.4.
Gemäss Art. 959 Abs. 1 ZGB können persönliche Rechte im
Grundbuch vorgemerkt werden, wenn deren Vormerkung durch das
Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, wie bei Vor- und Rückkauf,
Kaufsrecht, Pacht und Miete. Sie erhalten durch die Vormerkung
Wirkung gegenüber jedem später erworbenen Recht (Abs. 2). Durch
die Vormerkung wird das persönliche Recht zur Realobligation.
Realobligationen sind Schuldverhältnisse, welche eine positive Leis-
tung zum Gegenstand haben und bei denen der Schuldner oder der
Gläubiger durch die dingliche Berechtigung oder den Besitz an
Grundstücken bestimmt wird. Die realobligatorische Berechtigung
oder Verpflichtung steht somit nicht einer mit Namen individualisier-
ten Person zu, sondern ist verknüpft mit der dinglichen Berechtigung
oder dem Besitz an einer Sache. Die Realobligation kann gegenüber
2018
Übriges Verwaltungsrecht
337
jeder Person, welche in eine bestimmte sachenrechtliche Beziehung
zu einem Grundstück tritt, (insbesondere gegenüber jedem Erwerber
des Grundstücks) durchgesetzt werden. Mit der Veräusserung des
Grundstücks geht die Realobligation ohne weiteres auf den Rechts-
nachfolger über (vgl. STEPHAN SPYCHER, Die Vormerkung von
weiteren vertraglichen Bestimmungen des Baurechtsvertrags, in:
Festgabe für Professor Dr. iur. Roland Pfäffli zum 65. Geburtstag am
27. Januar 2014, BN 2014, S. 346; JÜRG SCHMID, in: Basler Kom-
mentar, Zivilgesetzbuch II [BSK-ZGB II], Art. 457-977 ZGB,
5. Auflage, 2015, Art. 959 N 2 ff.; DIETER ZOBL, Grundbuchrecht,
2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2004, Rz. 301 ff.).
Wesentlich ist vorliegend, dass bei Nichtausübung des Options-
rechts das Baurecht durch Zeitablauf untergeht (vgl. Art. 779c;
PETER R. ISLER/DOMINIQUE GROSS, in: BSK-ZGB II, Art. 779c
N 3 ff.). Die strittigen Vertragsbestimmungen betreffen damit in ers-
ter Linie Modalitäten im Zusammenhang mit dem Ablauf der Befris-
tung (Verpflichtungen nach Ablauf und Regelung des Heimfalls; vgl.
Art. 779c f. ZGB). Bei der strittigen Optionsvereinbarung ist von
einer obligatorischen Abrede (unter Einbezug einer Drittpartei)
auszugehen, deren Vormerkbarkeit fraglich ist.
Entgegen dem Vorgebrachten sind mithin nicht die Eigenschaf-
ten des Baurechtsgrundstücks als selbständiges und dauerndes Recht
und damit seine Eigenschaft als Grundstück im Sinne von Art. 655
Abs. 2 Ziff. 2 ZGB fraglich. Die angerufene Literaturstelle (LORENZ
STREBEL/HERMANN LAIM, in: BSK-ZGB II, Art. 655 N 15) betrifft
die Selbständigkeit des dauernden und selbständigen Rechts, welches
grundsätzlich übertragbar sein muss. Diesbezüglich toleriert die
Praxis gewisse Einschränkungen der freien Übertragbarkeit, ohne
dass deswegen die Selbständigkeit verloren geht (vgl. CHRISTIAN
BRÜCKNER/MATHIAS KUSTER, Die Grundstücksgeschäfte,
Zürich/Basel/Genf 2016, Rz. 274). Die strittige Optionsvereinbarung
betrifft die Übertragbarkeit des dauernden und selbständigen Rechts
- wenn überhaupt - nur am Rande. Das Baurecht bindet als Personal-
dienstbarkeit den Beschwerdeführer 1 und die Beschwerdeführerin 2
(vgl. Art. 779 Abs. 1 ZGB; ISLER/GROSS, a.a.O., Art. 779 N 8). Die
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
338
Frage, ob eine suspensiv bedingte Dienstbarkeit vorliegt, stellt sich
nicht.
4.
4.1.
Bereits vor dem Inkrafttreten der Revision des
Immobiliarsachenrechts am 1. Januar 2012 wurde als zulässig erach-
tet, beim selbständigen und dauernden Baurecht bestimmte Ein-
schränkungen der Übertragbarkeit mit realobligatorischer Wirkung
zu vereinbaren. Dies betrifft insbesondere Bestimmungen, welche
den Fall regeln, dass die obligationenrechtlichen Verpflichtungen des
Bauberechtigten vom Erwerber nicht übernommen werden oder eine
mangelnde Kreditwürdigkeit des Erwerbers besteht (ROLAND
PFÄFFLI, Neuerungen im Dienstbarkeitsrecht, in: STEPHAN WOLF
[Hrsg.], Revision des Immobiliarsachenrechts, Bern 2011, S. 125).
Nach der Rechtsprechung entfaltet ein Vorbehalt im Baurechtsver-
trag, wonach die Übertragung des Baurechts der Zustimmung des
Grundeigentümers bedarf, keine dingliche Wirkung (vgl. BVR 2009,
S. 63). Der Grundbuchverwalter ist weder berechtigt noch verpflich-
tet, die Übertragung eines selbständigen und dauernden Baurechts
von der Zustimmung des Grundeigentümers abhängig zu machen
(BGE 135 III 103, Erw. 3 f.; ALFRED KOLLER, in: AJP 2009, S. 369;
JÜRG SCHMID, in: BR 2/2009, Nr. 133, S. 61 f.).
4.2.
Mit der Revision des Immobiliarsachenrechts ermöglichte der
Gesetzgeber, über Vereinbarungen zur Heimfallsentschädigung und
zum Vorkaufsrecht hinaus obligatorische Bestimmungen des Bau-
rechtsvertrags als Realobligationen auszugestalten (vgl. Botschaft
zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs [Register-
Schuldbrief und weitere Änderungen im Sachenrecht] vom 27. Juni
2007, 07.061, in: BBl 2007 5313; PFÄFFLI, a.a.O., S. 125). Art. 779b
Abs. 2 ZGB entspricht einem Bedürfnis der Vertragsparteien,
obligatorische Vereinbarungen des Baurechtsvertrags mit Wirkung
für allfällige Rechtsnachfolger vereinbaren zu können (ISLER/GROSS,
a.a.O., Art. 779b N 13).
SPYCHER vertritt, dass gestützt auf Art. 779b Abs. 2 ZGB
grundsätzlich jede vertragliche Bestimmung der Baurechtsurkunde
2018
Übriges Verwaltungsrecht
339
vorgemerkt und damit zu einer Realobligation ausgestaltet werden
kann. Ausnahmen sieht dieser Autor lediglich bei Bestimmungen,
welche (a) gegen Art. 20 OR verstossen, welchen (b) bereits gestützt
auf Art. 779 Abs. 1 ZGB dingliche Wirkung zukommt oder welche
(c) keinen materiellen Zusammenhang mit dem Baurecht haben
(offensichtlich baurechtsfremde Bestimmungen). Nach dieser Auf-
fassung hat der Grundbuchverwalter aufgrund seiner beschränkten
Prüfungsbefugnis die Vormerkung in Zweifelsfällen vorzunehmen
(vgl. SPYCHER, a.a.O., S. 349, 353). Einschränkender äussert sich die
überwiegende Lehre, welche für die Vormerkung von Vertrags-
bestimmungen einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Nutzung
des Grundstücks oder der Baurechtsbaute bzw. einen Zusammenhang
mit der Ausübung des Baurechts fordert (vgl. ISLER/GROSS, a.a.O.,
Art. 779b N 8, 12; DENIS PIOTET, Les limitations de l'annotation de
l'art. 779b CC à la lumière de la théorie générale de l'annotation de
droits personnels, in: ZBGR 94/2013, S. 368).
Implizit vorausgesetzt wird für die Vormerkung von obligato-
rischen Vereinbarungen, dass die betreffende Berechtigung bzw. Ver-
pflichtung Rechtsnachfolgern (insbesondere Erwerbern) überbunden
werden kann. Darin liegt gewissermassen der Zweck der Realobliga-
tion begründet. Bei der strittigen Optionsrechtsvereinbarung, welche
für den Ablauf des Baurechts eine Übertragungsverpflichtung zu
Gunsten einer Drittpartei vorsieht, handelt es sich um keine Bestim-
mungen, welche die Ausübung des Baurechts betreffen. Insoweit be-
steht weder ein materieller Zusammenhang mit dem Baurecht noch
ein Konnex zu Nutzungsvorgaben des Baurechtsgrundstücks. Weiter
ist aufgrund der gesetzlichen Regelung des Heimfalls (Art. 779c
ZGB) fraglich, ob von einer baurechtsfremden Bestimmung
ausgegangen werden müsste. Der vorgesehene Eintritt einer
bestimmten Drittpartei ins Baurecht als Rechtsnachfolgerin der Bau-
rechtsnehmerin und dessen Fortführung nach Ablauf sind - soweit
möglich - weder einer dinglichen noch realobligatorischen Wirkung
zugänglich (vgl. Art. 123 Abs. 1 GBV).
5.
Mit der strittigen Klausel verpflichtet sich die Baurechtsneh-
merin zur Übertragung an eine Drittpartei, wenn sie von der
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
340
Verlängerungsoption keinen Gebrauch macht. Ob dieser Vereinba-
rung obligatorische Wirkung zukommen kann, ist äusserst fraglich,
aber nicht Gegenstand des Eintragungsverfahrens. Die Frage der Ver-
bindlichkeit im Verhältnis unter den Vertragsparteien wäre zivilrecht-
lich. Da die Nichtausübung des Optionsrechts zum Untergang des
Baurechts infolge Zeitablaufs führt, ist nicht von einer unzulässigen
Übertragungsbeschränkung auszugehen (vgl. zum Ganzen: DOMINIK
BACHMANN, Verfügungsbeschränkungen bei gebuchten selbständi-
gen und dauernden Rechten, insbesondere Baurechten, Bern 1993,
S. 61 f.; PFÄFFLI, a.a.O., S. 125). Insoweit ist die betreffende
Vereinbarung zwar keiner Verdinglichung als Realobligation und
damit der Vormerkung im Grundbuch zugänglich. Indessen hindert
sie auch nicht die Entstehung bzw. den Fortbestand des dauernden
und selbständigen Rechts. Für die einzelnen vorzumerkenden
Bestimmungen werden mithin aus Gründen der Rechtssicherheit
separate Anträge beim Grundbuchamt verlangt (vgl. ISLER/GROSS,
a.a.O., Art. 779b N 14; Art. 47 Abs. 2 GBV). Vorliegend bezweckte
die erste Grundbuchanmeldung die Verlängerung der Baurechtsdauer
bis 31. Dezember 2027 mit Optionsrecht auf Verlängerung und die
geänderten Bestimmungen für die Ausübung von Optionsrechten als
Einträge. In der zweiten Anmeldung erfolgte insoweit eine Berichti-
gung, als die Vormerkung der Regelung betreffend Nichtausübung
Optionsrecht zu Baurecht dauernd bis 31.12.2027 verlangt wurde.
Das Grundbuchamt war gehalten, die (unstrittige) Verlängerung der
Baurechtsdauer einzutragen und die Vormerkung der Bestimmungen
betreffend Nichtausübung des Optionsrechts zu verweigern. Die
Grundbuchverwalterin hat die Anmeldung des Rechtsgeschäfts
insgesamt abgewiesen. Entgegen deren Begründung ist nach dem
Gesagten nicht von einer Übertragungsbeschränkung auszugehen,
welche der Verlängerung der Baurechtsdauer bis 31. Dezember 2027
entgegensteht. Wie im Amtsbericht im Ergebnis eingeräumt, kann die
Verlängerung ohne die entsprechende Vormerkung eingetragen wer-
den. Jedenfalls ist in Bezug auf den Baurechtsvertrag nicht von einer
Nichtigkeit auszugehen, welche die Eintragung hindern würde (vgl.
Art. 20 Abs. 1 und 2 OR). Insoweit erweist sich die Beschwerde als
teilweise begründet. Soweit hingegen die Vormerkung der Vereinba-
2018
Übriges Verwaltungsrecht
341
rungen betreffend Nichtausübung des Optionsrechts verlangt wird,
ist die Beschwerde abzuweisen. Diese Bestimmungen sind keiner
realobligatorischen Wirkung zugänglich, weshalb keine Eintragung
erfolgen kann. | 2,647 | 1,959 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-36_2018-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-36.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-36.pdf | AGVE_2018_36 | null | nan |
c6b2c2c1-17f6-58e9-9840-6a12c45fe405 | 1 | 412 | 871,379 | 1,456,963,200,000 | 2,016 | de | 2016
Sozialhilfe
209
VIII. Sozialhilfe
34
Sozialhilfe; materielle Hilfe des Pflegekindes
-
Im Unterschied zu Kindesschutzmassnahmen besteht bei der frei-
willigen Platzierung eines Pflegekindes gestützt auf § 67 Abs. 5 EG
ZGB keine Pflicht der Gemeinde zur Bevorschussung des Pflege-
geldes.
-
Für Vorschussleistungen für vom Pflegegeld abgedeckte Ausgaben
gilt das sozialhilferechtliche Subsidiaritätsprinzip.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 22. März 2016 in Sachen
Einwohnergemeinde A. gegen B. und Departement Gesundheit und Soziales
(WBE.2015.387).
Aus den Erwägungen
1.
Zuständig und zur wirksamen Hilfeleistung verpflichtet ist die
Gemeinde am Unterstützungswohnsitz, bei Personen ohne Unter-
stützungswohnsitz und im Notfall die Gemeinde am Aufenthaltsort
der Hilfe suchenden Person (§ 6 Abs. 1 SPG). Für die Bestimmung
des Unterstützungswohnsitzes und des Aufenthaltsortes gelten ge-
mäss § 6 Abs. 3 SPG die Vorschriften des ZUG. Der Beschwerde-
gegner steht unter elterlicher Sorge und verfügt über einen Beistand
(Art. 308 ZGB), er ist aber nicht bevormundet (Art. 327a ZGB).
Nachdem seine leibliche Mutter den Wohnsitz nach Zürich verlegt
hatte, begründete er gemäss Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG in A. einen eige-
nen Unterstützungswohnsitz bzw. wurde der zunächst abgeleitete
Unterstützungswohnsitz selbständig. Damit war der Gemeinderat A.
zuständig, über das Gesuch des Beschwerdegegners um materielle
Hilfe zu entscheiden.
2.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
210
2.1.
Nach Art. 294 Abs. 1 ZGB haben Pflegeeltern Anspruch auf ein
angemessenes Pflegegeld, sofern nichts Abweichendes vereinbart ist
oder sich eindeutig aus den Umständen ergibt. Unentgeltlichkeit ist
zu vermuten, wenn Kinder von nahen Verwandten aufgenommen
werden (vgl. Abs. 2).
Gemäss Art. 3 Abs. 2 lit. b der Verordnung über die Aufnahme
von Pflegekindern vom 19. Oktober 1977 (Pflegekinderverordnung,
PAVO; SR 211.222.338) ist es den Kantonen vorbehalten, Richtlinien
für die Festsetzung von Pflegegeldern zu erlassen.
Im Kanton Aargau erliess die Kammer für Kindes- und Erwach-
senenschutz des Obergerichts die Richtlinien zur Bemessung der
Pflegekosten für Pflegekinder vom 1. bis 18. Altersjahr (abrufbar un-
ter
https://www.ag.ch/de/gerichte/kesb/dokumente_1/kreisschreiben_6/k
reisschreiben_11.jsp). Danach besteht das Pflegegeld in einer Abgel-
tung der Unterhaltskosten am Pflegeplatz, d.h. Pflegekosten, und in
einer Entschädigung der Pflegeeltern für den Betreuungsaufwand. Es
ist in einem Pflegevertrag zwischen den Pflegeeltern und dem sorge-
berechtigten Elternteil bzw. der fremdplatzierenden Behörde auszu-
handeln und festzulegen. Für Pflegekinder, die sich dauernd in der
Pflegefamilie aufhalten, wird ein monatliches Pflegegeld von pau-
schal Fr. 1'300.00 (zuzüglich Fr. 100.00 für Bekleidung) empfohlen.
2.2.
Bei Kindesschutzmassnahmen sind die Kosten von der Ge-
meinde zu bevorschussen (§ 67 Abs. 5 EG ZGB). Bei Fremdplatzie-
rungen auf Anordnung der Kindesschutzbehörde gemäss Art. 310
ZGB wird in der Praxis der Pflegevertrag auf Anordnung der Kindes-
schutzbehörde durch den Vormund mit der vorschusspflichtigen Ge-
meinde als (primärer) Kostenträgerin abgeschlossen. Partei des
Pflegevertrages und Schuldnerin der Pflege- und Betreuungskosten
ist in diesen Fällen die Gemeinde. Die Schuldpflicht der Gemeinde
ist im Zivilrecht begründet (P
ETER
B
REITSCHMID
, in: Basler Kom-
mentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 5. Auflage, 2014,
Art. 294 N 2 und Art. 310 N 16; ebenso Urteil des Verwaltungs-
gerichts des Kantons Zürich vom 7. Oktober 2010 [VB.2010.00411],
2016
Sozialhilfe
211
Erw. 4 und Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 18. Juni 2013 [U 12 132], Erw. 6c). Die Pflicht zur Bevorschus-
sung durch die Gemeinde gilt bei Kindesschutzmassnahmen auch
dann, wenn diese nicht Partei eines Pflegevertrages ist. Das Regress-
recht der Gemeinde ist zivilrechtlicher Natur (Art. 289 Abs. 2 ZGB)
und auf dem Zivilweg geltend zu machen.
Ein formeller Obhutsentzug mit Fremdplatzierung wurde
vorliegend nicht angeordnet. Mit Beschluss des Stadtrats Bremgarten
wurde eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB errichtet.
Die Beiständin wurde u.a. mit der Regelung der finanziellen und per-
sönlichen Belange beauftragt. Schliesslich ernannte das Familien-
gericht Bremgarten einen neuen Beistand gemäss Art. 308 Abs. 1
und 2 ZGB, welchem die Einforderung der finanziellen Ansprüche
im Namen des Kindes sowie die Ausarbeitung einer Unterhaltsrege-
lung übertragen wurde. Eine Beschränkung der elterlichen Sorge
besteht nicht (Art. 308 Abs. 3 ZGB). Die Platzierung des Be-
schwerdegegners bei der Grossmutter und Pflegemutter erfolgte im
Rahmen der elterlichen Sorge (vgl. D
ANIEL
R
OSCH
/A
NDREA
H
AURI
,
in: D
ANIEL
R
OSCH
/C
HRISTIANA
F
OUNTOULAKIS
/C
HRISTOPH
H
ECK
[Hrsg.], Handbuch Kindes- und Erwachsenenschutz, Luzern 2016,
Rz. 1081). Eine Kindesschutzmassnahme liegt diesbezüglich nicht
vor (vgl. B
REITSCHMID
, a.a.O., Art. 310 N 16; AGVE 2010, S. 25).
Die Errichtung der Beistandschaft hat nicht zur Folge, dass gestützt
auf § 67 Abs. 5 EG ZGB eine Pflicht der Gemeinde besteht, das den
Pflegeeltern zustehende Pflegegeld zu bevorschussen.
2.3.
Höhe und Umfang der Pflegekosten werden bei der
freiwilligen
Platzierung
in einem Pflegevertrag zwischen den Pflegeeltern und
dem sorgeberechtigten Elternteil geregelt. Der Pflegevertrag ist kein
Unterhaltsvertrag im Sinne von Art. 287 ZGB und untersteht keiner
Genehmigungspflicht. Die Familienpflege (Art. 4 PAVO) und
die Tagespflege (Art. 12 PAVO) sind zwar bewilligungspflichtig und
unterstehen der Aufsicht (Art. 316 ZGB und Art. 1 PAVO). Zustän-
dige Behörde ist der Gemeinderat (§ 55e Abs. 2 EG ZGB). Prüfungs-
pflicht und Aufsicht erstrecken sich aber nicht auf den Pflegevertrag
(Art. 5 und 10 PAVO).
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
212
Der Anspruch auf Pflegegeld ist im Zivilrecht begründet.
Schuldner des Pflegegeldes ist der Vertragspartner der Pflegeeltern;
es sind dies (trotz Bewilligungsbedürftigkeit: Art. 4 PAVO) die leib-
lichen Eltern, wo das Kind auf ihren Wunsch bei Pflegeeltern unter-
gebracht wird. Erfolgt die Fremdunterbringung aufgrund behördli-
cher Anordnung, ist gegenüber den Pflegeeltern das Gemeinwesen
Schuldner, welches aber auf die Eltern regressieren kann (Art. 289
Abs. 2 ZGB; vgl. B
REITSCHMID
, a.a.O., Art. 294 N 2).
3.-5. (...)
6.
Die von der Kindesschutzbehörde genehmigten Kindes-
unterhaltsverträge sind für die Sozialbehörden auch öffentlich-
rechtlich verbindlich (SKOS-Richtlinien, F.3.3). Die gleiche Ver-
bindlichkeit kommt Pflegeverträgen zu, die im Anschluss an Kin-
desschutzmassnahmen vom Vormund mit der (vorschusspflichtigen)
Gemeinde als Vertragspartei geschlossen werden. Keine Bindung der
Sozialbehörde besteht, wenn der Pflegevertrag zwischen Eltern und
Pflegeeltern abgeschlossen wurde (anderer Ansicht für ein vereinbar-
tes Pflegegeld im Rahmen der kantonalen Richtlinien: K
ARIN
A
NDERER
, Das Pflegegeld in der Dauerfamilienpflege und die sozial-
versicherungsrechtliche Rechtsstellung der Pflegeeltern, in: Schriften
zum Sozialversicherungsrecht [SzS], Band/Nr. 26, Zürich 2012, Rz.
301; vgl. auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich
vom 11. November 2010 [VB.2010.00377], Erw. 4.4).
Das aargauische Sozialhilferecht regelt mit Bezug auf den Kin-
desunterhalt ausdrücklich nur die Inkassohilfe (§ 31 SPG) und die
Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen (§§ 32 ff. SPG). Beide
Institute können nicht zur Anwendung gelangen, weil der
Beschwerdegegner zivilrechtlichen Wohnsitz bei der sorgeberechtig-
ten Mutter hat, welche heute in Zürich lebt (vgl. Art. 25 Abs. 1
ZGB). Unterhalts- und Pflegekosten können nicht mit Beschluss der
Sozialbehörde festgesetzt oder eingefordert werden. Fehlt eine ver-
tragliche Vereinbarung mit dem Gemeinwesen, ist grundsätzlich
Zivilklage gegen die unterhaltspflichtigen Eltern zu erheben
(Art. 279 ZGB).
2016
Sozialhilfe
213
Darüber hinaus regelt das Sozialhilferecht, wenn weder die El-
tern noch die Verwandten den Unterhalt, d.h. das Pflegegeld und die
weiteren Auslagen, bestreiten können (Art. 293 ZGB). Soweit die
Kindesschutzbehörde Massnahmen zur Fremdplatzierung und zum
Pflegeverhältnis trifft, besteht eine Bevorschussungspflicht der Ge-
meinde auch für den Kindesunterhalt (§ 67 Abs. 5 EG ZGB). Das
aargauische Sozialhilferecht kennt darüber hinaus keine besonderen
Bestimmungen zur Kindersozialhilfe (vgl. zu den besonderen Rege-
lungen in andern Kantonen: C
LAUDIA
H
ÄNZI
, Die Richtlinien der
schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011, S. 94 f.). Ein
Anspruch auf materielle Hilfe besteht für Unterhaltsberechtigte,
wenn sie trotz Bevorschussung der Unterhaltsbeiträge unterstüt-
zungsbedürftig sind.
Bei der Fremdplatzierung im Rahmen der elterlichen Sorge und
ohne Entscheid der Kindesschutzbehörde gemäss Art. 310 ZGB be-
steht eine Rechtsgrundlage zur Bevorschussung der Pflegekosten nur
in § 12 Abs. 1 SPG und § 6 Abs. 1 Satz 2 SPV. Sie folgt mittelbar
aus Art. 12 BV: Eine Verweigerung der Bevorschussung der Pflege-
kosten kann zu einer Notlage des Kindes führen und zudem für die
Pflegeeltern existenzgefährdend werden und wäre daher mit dem
Grundrechtsschutz gemäss Art. 12 BV nicht vereinbar. Die Sozialbe-
hörde hat die unterhaltspflichtigen Eltern zunächst zur Leistung des
Pflegegeldes und der weiteren Auslagen anzuhalten. Unterbleibt jede
oder eine rechtzeitige Leistung, sind Pflegekosten im existenz-
notwendigen Umfang zu übernehmen, d.h. zu bevorschussen.
Vorschussleistungen der Sozialhilfe erfolgen aber nur subsidiär.
7.-8. (...)
9.
9.1.
Wie sich aus vorstehenden Erwägungen ergibt, besteht ein zivil-
rechtlicher Anspruch der Pflegemutter auf ein Pflegegeld im Betrag
von Fr. 1'138.35 pro Monat. Schuldnerin der Pflegekosten ist die sor-
geberechtigte Mutter. Dem Beschwerdegegner stehen zivilrechtliche
Unterhaltsansprüche zu.
Die privatrechtlichen Bestimmungen zur Unterhaltspflicht der
Eltern gegenüber dem Pflegekind und ihre (Zahlungs-) Pflichten ge-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
214
genüber den Pflegeeltern heben die Grundsätze der Subsidiarität und
der Existenzsicherung (Bedürftigkeit) in der Sozialhilfe nicht auf.
Auch Vorschussleistungen gemäss § 12 Abs. 1 SPG unterstehen dem
Subsidiaritätsprinzip, wonach Sozialhilfeleistungen nur gewährt wer-
den, soweit die hilfesuchende Person keinen Zugang zu andern,
zumutbaren Hilfsquellen hat (vgl. dazu AGVE 2014, S. 210 und
BGE 141 I 153, Erw. 4.2 mit Hinweisen).
Bezüglich der Kosten, welche das Pflegegeld decken soll, be-
steht grundsätzlich kein Anspruch des Beschwerdegegners auf
Sozialhilfeleistungen. Dies trifft im Falle der Zahlung des Pflege-
geldes durch die sorgeberechtigten Eltern an die Pflegeeltern voraus-
setzungslos zu auf die Kosten der Unterkunft, Ernährung, Betreuung
und Erziehung sowie die Nebenkosten. Im Falle unterbliebener oder
nicht rechtzeitig erhältlicher Zahlung kann sich die Frage der Bevor-
schussung stellen. Ausweislich der Akten sind keine zivilrechtlichen
Schritte zur Einforderung oder neuen Festlegung des Pflegegeldes
oder von Unterhaltsbeiträgen unternommen worden. Die Anspruchs-
voraussetzungen für Sozialhilfeleistungen liegen beim Beschwerde-
gegner bezüglich der vom Pflegegeld abgedeckten Kosten nicht vor.
9.2.
Entgegen dem angefochtenen Entscheid besteht keine Grund-
lage für die Übernahme des vertraglich vereinbarten Pflegegeldes
durch Sozialhilfeleistungen an den Beschwerdegegner. Entspre-
chende Fürsorgeleistungen können insbesondere nicht auf Kapitel
B.2.5 der SKOS-Richtlinien abgestützt werden (betreffend Personen
in stationären Einrichtungen). Die Voraussetzungen zur Gewährung
von Vorschussleistungen gemäss § 12 Abs. 1 SPG liegen nach dem
Gesagten nicht vor. Damit ist der angefochtene Entscheid diesbezüg-
lich aufzuheben. | 2,809 | 2,166 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-34_2016-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-34.pdf | AGVE_2016_34 | null | nan |
c7177439-c31b-5d6c-85c0-a185f0e572aa | 1 | 412 | 870,054 | 1,456,790,400,000 | 2,016 | de | 2016
Personalrecht
247
X. Personalrecht
41
GAV FHNW i.V.m. Art. 321d und Art. 336a OR
-
Die Auflösung des bisherigen Anstellungsverhältnisses verbunden
mit einer neuen Vertragsofferte stellt in zweifacher Hinsicht eine
Änderungskündigung dar; der Beschwerdeführerin wurde sowohl
ein niedrigeres Pensum als auch ein neuer Arbeitsort angeboten, wel-
cher nicht mittels einseitiger (Versetzungs-)Anordnung der Anstel-
lungsbehörde abgeändert werden konnte (Erw. II/1).
-
Grundsätzlich setzt eine Strafzahlung nach Art. 336a OR wegen
widerrechtlicher Änderungskündigung voraus, dass das Arbeitsver-
hältnis effektiv geendet hat (Erw. II/2).
-
Im konkreten Fall wurde indessen ein Entschädigungsanspruch der
Beschwerdeführerin trotz Unterzeichnung des neuen Anstellungsver-
trages ausnahmsweise bejaht, weil sich die Parteien vorgängig
darauf geeinigt hatten, dass das Zustandekommen des neuen Anstel-
lungsvertrages unter dem Vorbehalt der Rechtmässigkeit der Ände-
rungskündigung steht (Erw. II/3).
-
Faktoren zur Bemessung der Entschädigungshöhe (Erw. II/8).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 23. März
2016 in Sachen A. gegen Fachhochschule Nordwestschweiz (WBE.2015.314,
WKL.2014.20).
Aus den Erwägungen
II.
1.
1.1.
Die Beschwerdegegnerin eröffnete der Beschwerdeführerin mit
Schreiben vom 17. Mai 2013 Folgendes:
"(...)
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
248
Per 30. November 2013 wird der Anstellungsvertrag vom
13. Dezember 2006 mit einem Pensum von 80 % zwischen
Ihnen und der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW aus
wirtschaftlich-strukturellen Gründen (GAV 3.10_Abs. 3b)
aufgelöst. Damit wird die ordentliche Kündigungsfrist von 3
Monaten auf 6 Monate erstreckt, wie es der Gesamtarbeits-
vertrag 14.5 vorsieht.
Der aktuelle Stand der durch Sie betreuten Programme (...)
ergeben zum heutigen Zeitpunkt ein Pensum von rund 40 %.
Dank Abklärungen durch den Leiter des Weiterbildungssekre-
tariats in B. können wir Ihnen zusätzlich diverse Seminare des
Instituts für (...) und weitere (...)-Seminare für den Kanton
C. zuteilen. Dies ergibt für Sie ein Pensum von total 50 %.
Weitere Bemühungen seitens der HR-Verantwortlichen (Su-
che nach zusätzlichen Stellen an der FHNW, um das Pensum
insgesamt wieder auf 80 % aufzustocken, oder, als Alternati-
ve, eine 80 %-Stelle an einer anderen Hochschule der FHNW)
haben bis heute leider noch nicht gefruchtet. Eine Ausschrei-
bung der Pädagogischen Hochschule (Sachbearbeiter/in 80 %
- Administration, Kursverwaltung, Assistenz Ressortleitung)
hat Ihnen nicht zugesagt.
Aufgrund dieser Situation unterbreiten wir Ihnen mit beilie-
gendem Vertrag eine Anstellung mit einem Pensum von 50 %,
gültig ab 1. Dezember 2013.
Bitte prüfen Sie das Dokument und senden es, sofern einver-
standen, unterschrieben bis 15. Juni 2013 an die HR-Verant-
wortliche zurück (Antwortcouvert liegt bei). Wenn Sie mit
dieser Massnahme nicht einverstanden sind bzw. den Vertrag
nicht bis zum 15. Juni 2013 unterschrieben retournieren, so
gilt das Anstellungsverhältnis als per 30. November 2013
aufgelöst. (...).
(...)"
1.2.
Entgegen dem Wortlaut des zitierten Schreibens vom 17. Mai
2013 unterschied sich die Vertragsofferte nicht nur in Bezug auf das
2016
Personalrecht
249
Pensum, sondern auch in Bezug auf den Arbeitsort vom bisherigen
Anstellungsvertrag.
1.2.1.
Unter welchen Voraussetzungen die FHNW ihre Mitarbeitenden
versetzen bzw. deren Arbeitsort (mittels einseitiger Anordnung)
verlegen kann, wird weder im Staatsvertrag zwischen den Kantonen
Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn über die
Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) vom 27. Oktober
2004/9. November 2004/18./19. Januar 2005 noch im GAV FHNW
geregelt. Können dem Staatsvertrag und dem GAV keine Vor-
schriften entnommen werden, so gelten gemäss Ziff. 1.3 Abs. 3 GAV
FHNW sinngemäss die Bestimmungen in Art. 319 ff. OR, des ArG
und des Mitwirkungsgesetzes.
1.2.2.
In Anwendung von Art. 321d OR kann der Arbeitgeber über die
Ausführung der Arbeit und das Verhalten der Arbeitnehmer im Be-
trieb oder Haushalt allgemeine Anordnungen erlassen und ihnen be-
sondere Weisungen erteilen (Abs. 1). Der Arbeitnehmer hat die allge-
meinen Anordnungen des Arbeitgebers und die ihm erteilten beson-
deren Weisungen nach Treu und Glauben zu befolgen (Abs. 2). Mit
der Ausübung des Weisungsrechts konkretisiert der Arbeitgeber ein-
seitig den Inhalt des Arbeitsvertrages. Das Weisungsrecht ist direkter
Ausfluss der Unterordnung des Arbeitnehmers, entspringt also dem
Wesen des Arbeitsvertrages. Der Unterordnung des Arbeitnehmers
sind durch den Grundsatz von Treu und Glauben Schranken gesetzt:
Weisungen sind nur soweit berechtigt und zu befolgen, als die Treue-
pflicht des Arbeitnehmers (Art. 321a OR) reicht (U
LLIN
S
TREIFF
/A
DRIAN VON
K
AENEL
/R
OGER
R
UDOLPH
, Arbeitsvertrag,
7. Auflage, Zürich 2012, Art. 321d N 2). Das Weisungsrecht findet
sodann in den Abmachungen des einzelnen Arbeitsvertrages und im
Inhalt eines anwendbaren Gesamt- oder Normalarbeitsvertrages seine
Schranken. Wer laut Vertrag für die Ausübung eines bestimmten Be-
rufs angestellt ist, muss sich die Weisung nicht gefallen lassen, künf-
tig einen anderen Beruf auszuüben. Auch der vertraglich vorgeschrie-
bene Arbeitsort kann nicht einfach durch eine Weisung verlegt wer-
den, in den Grenzen von Art. 27 ZGB aber schon, wenn sich der Ar-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
250
beitgeber vertraglich ein solches Recht ausbedungen hat (sog.
"clause de mobilité"). Ohne entsprechende Vertragsabrede hat der
Arbeitnehmer immerhin bei dringlichen betrieblichen Bedürfnissen
gestützt auf seine Treuepflicht vorübergehend andere Arbeiten auszu-
führen oder sich an einen anderen Arbeitsort transferieren zu lassen.
Die Versetzung muss jedoch zumutbar sein, was von den Umständen
abhängt; wichtig ist, dass die Versetzung nicht zu lange dauert, das
Privatleben nicht stark beeinträchtigt wird und die Mehrkosten (z.B.
längerer Arbeitsweg) ersetzt werden (S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/R
U
-
DOLPH
, a.a.O., Art. 321d N 3 mit weiteren Hinweisen).
1.2.3.
Im Arbeitsvertrag vom 13. Dezember 2006 ist D. als Arbeitsort
festgelegt. Bis zum 17. Mai 2013 wurde der Arbeitsvertrag diesbe-
züglich nie geändert. Insbesondere stellte die Versetzung vom
15. November 2012 keine Vertragsänderung dar. Eine solche wäre
nur in der Form einer entsprechenden Vereinbarung oder einer Ände-
rungskündigung möglich gewesen. Beides ist jedoch vorliegend nicht
erfolgt. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut des Schreibens
vom 15. November 2012, welches als einseitige Anordnung formu-
liert ist. Zum anderen ist im Kurzprotokoll zur Sitzung "Abschluss
Bewährungsfrist A." vom 13. März 2013 vermerkt, der Anstellungs-
vertrag bleibe unverändert, (theoretischer) Arbeitsort sei D. und für
den Arbeitseinsatz in B. würden entsprechende Reisespesen vergütet.
Diese Formulierungen verbieten es auch, die im gleichen Kurzproto-
koll enthaltene Bemerkung, eine Rückversetzung ins WB-Sekretariat
D. sei für beide Seiten nicht zumutbar, als Zustimmung der Klägerin
zum Wechsel des Arbeitsortes von D. nach B. zu interpretieren.
Im Übrigen enthält der Arbeitsvertrag vom 13. Dezember 2006
keine Mobilitätsklausel, welche die Versetzbarkeit der Beschwerde-
führerin vorsehen würde. In der von der Beschwerdeführerin unter-
zeichneten Stellenbeschreibung vom 28. September 2012 heisst es
zwar, dass bei Bedarf auch Arbeitseinsätze ausserhalb von D. zu leis-
ten seien. Diese Bestimmung betrifft jedoch nicht den Arbeitsort,
sondern - dem klaren Wortlaut zufolge - externe "Arbeitseinsätze",
womit kurzfristige Deplatzierungen ohne Aufgabe der Eingliederung
in die bisherige Arbeitsorganisation bzw. ohne Aufgabe des Arbeits-
2016
Personalrecht
251
orts gemeint sind. Dementsprechend berechtigte die Stellenbeschrei-
bung die Beschwerdegegnerin nicht dazu, den vertraglich verabrede-
ten Arbeitsort der Beschwerdeführerin mittels einseitiger Anordnung
zu ändern. Die Versetzung vom 15. November 2012 lässt sich dem-
zufolge einzig als vorübergehende Versetzung aus dringenden be-
trieblichen Gründen (vgl. vorne Erw. 1.2.2) verstehen. Eine Vertrags-
änderung ist bis zum 17. Mai 2013 nicht erfolgt.
1.3.
Das Vorgehen der Beschwerdegegnerin stellt eine der verschie-
denen Formen der Änderungskündigung dar: Es wurde eine unbe-
dingte Kündigung ausgesprochen, verbunden mit einer Offerte zu ei-
nem neuen Vertragsabschluss mit geänderten Bedingungen. Nimmt
in derartigen Konstellationen die Gegenpartei die Offerte nicht an,
endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist. Nimmt
sie indessen die Offerte an, gelten die Regeln des neuen Arbeitsver-
trages. Allerdings wird diesfalls nicht ein neues Arbeitsverhältnis be-
gründet, sondern das alte wird auf neuer vertraglicher Grundlage
weitergeführt (M
ARCO
K
AMBER
, Die Änderungskündigung im Ar-
beitsvertragsrecht, Diss. Bern 2014, Rz. 92 ff.; S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/R
UDOLPH
, a.a.O., Art. 335 N 3; T
HOMAS
G
EISER
, Die
Änderungskündigung im schweizerischen Arbeitsrecht, in: AJP 1999,
S. 61).
2.
2.1.
Die Beschwerdeführerin verlangt eine Entschädigung in der
Höhe von sechs Monatslöhnen. Sie macht sinngemäss geltend, die
Kündigung des früheren Arbeitsvertrages sei unrechtmässig erfolgt.
Entsprechend stehe ihr - analog zur Argumentation der Vorinstanz -
gestützt auf Ziffer 1.3 GAL in Verbindung mit Art. 336a OR eine
Entschädigung zu. Die im angefochtenen Entscheid zugesprochene
Entschädigung von drei Monatslöhnen sei zu tief ausgefallen.
2.2.
Akzeptiert die gekündigte Partei die ihr gleichzeitig mit der un-
bedingt ausgesprochenen Kündigung unterbreitete Offerte, so eini-
gen sich die Parteien über den Abschluss eines neuen Arbeitsvertra-
ges zu veränderten Bedingungen. Der gekündigte Arbeitsvertrag fin-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
252
det dagegen sein Ende (K
AMBER
, a.a.O., Rz. 303). Zeigt sich demge-
genüber die gekündigte Partei innert der ihr gesetzten Annahmefrist
für einen neuen Vertragsabschluss nicht bereit, so verfällt die Ver-
tragsofferte. Die unbedingt ausgesprochene Kündigung führt entspre-
chend nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Beendigung des Arbeits-
verhältnisses (K
AMBER
, a.a.O., Rz. 328).
Grundsätzlich kann sich die gekündigte Partei gegen eine un-
rechtmässige (Änderungs-)Kündigung wehren und eine Entschädi-
gung nach Art. 336a OR geltend machen. Dabei ist indessen zu
beachten, dass eine Strafzahlung nach Art. 336a OR voraussetzt, dass
das Arbeitsverhältnis effektiv wegen der unrechtmässigen Kündi-
gung geendet hat. Dies ist (unter anderem) dann nicht der Fall, wenn
die gekündigte Person die Offerte für einen geänderten Arbeitsver-
trag angenommen hat und deshalb das Arbeitsverhältnis (wenn auch
zu geänderten Konditionen) fortgesetzt wird (BGE 121 III 64;
G
EISER
, a.a.O., S. 69; derselbe: Rechtsprobleme im Zusammenhang
mit der Flexibilisierung der Arbeit, AJP 1998, S. 1031; M
ANFRED
R
EHBINDER
/J
EAN
-F
RITZ
S
TÖCKLI
, in: Berner Kommentar zum Ar-
beitsvertrag, Bern 2014, Art. 336 OR N 32).
2.3.
Die Beschwerdeführerin hat den neuen Arbeitsvertrag, der ihr
gleichzeitig mit der Kündigung vom 17. Mai 2013 offeriert wurde
(mit einem gegenüber dem bisherigen Vertrag reduzierten Pensum
und dem Arbeitsort B.; vgl. vorne Erw. 1), unterzeichnet. Dem-
entsprechend hat sie grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Ent-
schädigung gestützt auf 1.3 Abs. 3 GAV FHNW in Verbindung mit
Art. 336a OR.
3.
3.1.
Mit der Änderungskündigung vom 17. Mai 2013 wurde der Be-
schwerdeführerin eine Frist bis zum 15. Juni 2013 gesetzt, um den
offerierten neuen Anstellungsvertrag zu akzeptieren. In ihrer Einspra-
che an den Direktionspräsidenten der FHNW vom 14. Juni 2013
beantragte die Beschwerdeführerin unter anderem, die erwähnte Frist
sei "bis 10 Tage nach dem Eintritt der Rechtskraft des Entscheids be-
treffend Rechtmässigkeit der Kündigung vom 17. Mai 2013" zu er-
2016
Personalrecht
253
strecken. Am 25. Juni 2013 fällte der Vizepräsident der FHNW den
folgenden Zwischenentscheid:
"Angesichts der seit der Änderungskündigung vergangenen
Zeit heisse ich eine Fristverlängerung für die Unterzeichnung
des neuen Arbeitsvertrages bis zum 3. Juli 2013 gut. Eine
weitergehende Fristverlängerung bis 10 Tage nach Eintritt der
Rechtskraft des Entscheids betreffend Rechtmässigkeit der
Kündigung lehne ich ab. Selbstverständlich steht die Unter-
zeichnung des neuen Arbeitsvertrages durch Frau A. unter
dem Vorbehalt, dass der bisherige Arbeitsvertrag rechtmässig
aufgelöst wird."
Am 27. Juni 2013 retournierte die Beschwerdeführerin den un-
terzeichneten neuen Arbeitsvertrag. Im Begleitschreiben führte sie
aus:
"In der Beilage erhalten Sie den neuen unterzeichneten Ar-
beitsvertrag. Selbstverständlich steht die Unterzeichnung des
neuen Arbeitsvertrags unter dem Vorbehalt, dass der bisherige
Arbeitsvertrag rechtmässig aufgelöst wird.
Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Einsprache gegen die
Auflösung des bisherigen Arbeitsvertrags noch hängig ist und
ich weiterhin daran festhalte.
Die Unterzeichnung erfolgt gestützt auf das Schreiben des Di-
rektionspräsidenten (recte: Direktionsvizepräsidenten) Herr E.
vom 25. Juni 2013."
3.2.
Übereinstimmend erfolgte somit die Vereinbarung über den
neuen Anstellungsvertrag unter dem Vorbehalt, "dass der bisherige
Arbeitsvertrag rechtmässig aufgelöst wird." Die Formulierung lässt
darauf schliessen, dass ursprünglich beide Parteien der Auffassung
waren, der bisherige Vertrag solle - entgegen der dargestellten
grundsätzlichen Rechtslage - weiterhin Geltung haben, falls sich die
Änderungskündigung als unrechtmässig erweisen würde. Letztlich
kann indessen offen bleiben, ob dies tatsächlich beidseits so gemeint
war. Massgebend ist vielmehr, dass mittlerweile beide Parteien die
Auffassung vertreten, dass a) trotz des Akzepts des neuen Vertrages
durch die Beschwerdeführerin eine Überprüfung der Rechtmässigkeit
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
254
der seinerzeitigen Änderungskündigung möglich sein soll, b) bei ei-
ner allfälligen Unrechtmässigkeit eine Entschädigungszahlung ana-
log zu Art. 336a OR geschuldet ist und c) die Entschädigungszahlung
maximal sechs Monatslöhne für ein 80%-Pensum beträgt. In Bezug
auf die beiden letztgenannten Punkte ist zum einen wesentlich, dass
die Beschwerdeführerin - anders als vor den Vorinstanzen - aus-
schliesslich eine Entschädigungszahlung verlangt. Zum anderen er-
klärte die Beschwerdegegnerin ausdrücklich, das Verwaltungsgericht
solle, sofern es die Änderungskündigung als widerrechtlich erachte,
eine Entschädigung analog zu Art. 336a OR festlegen. Gegen die von
der Vorinstanz auf drei Monatslöhne 80 % festgesetzte Entschädi-
gung hat sie ihrerseits keine Beschwerde erhoben. Schliesslich wäre
eine Beschränkung auf maximal sechs Monatslöhne 30 % insofern
schwer nachvollziehbar, als sich die Änderungskündigung primär auf
den Arbeitsort bezog bzw. die Pensenreduktion letztlich bloss eine
Folge der Änderung des Arbeitsortes war.
Die Beschwerdegegnerin hält in ihrer Beschwerdeantwort fest,
die "Entschädigung muss aber im Verhältnis der effektiven Kündi-
gung von 30 % angepasst werden, weshalb die Entschädigung auf
30 % von drei Monatslöhnen zu beschränken wäre." Diese Äusse-
rung steht den obigen Darlegungen nicht entgegen, sondern ist
(insbesondere aufgrund der zitierten Aussage der Beschwerdegegne-
rin in ihrer Beschwerdeantwort) so zu verstehen, dass die Entschädi-
gung innerhalb des Rahmens von null bis sechs Monatslöhnen
80 % auf maximal drei Monatslöhne 30 % zu beschränken sei.
4.-7. (Prüfung und Verneinung eines sachlichen Grundes für die
Änderungskündigung)
8.
8.1.
Als Folge der ohne "wesentlichen" respektive sachlich zurei-
chenden Kündigungsgrund ausgesprochenen und damit unrechtmäs-
sigen Änderungskündigung hat die Beschwerdeführerin Anspruch
auf eine Entschädigung, die sich kraft des Verweises in Ziff. 1.3
Abs. 3 GAV FHNW und mangels einer spezifischen anderslautenden
Regelung in Ziff. 3.10 GAV FHNW nach den Bestimmungen des OR
über die missbräuchliche Kündigung bemisst und den Betrag nicht
2016
Personalrecht
255
übersteigen darf, der dem Lohn der Beschwerdeführerin für sechs
Monate entspricht (vgl. Art. 336a Abs. 2 OR). Vorliegend steht auf-
grund des Verbots der reformatio in peius eine Entschädigung zwi-
schen den der Beschwerdeführerin vorinstanzlich zugesprochenen
drei und den von ihr geforderten sechs Monatslöhnen im Streit.
8.2.
Die Entschädigung nach Art. 336a Abs. 2 OR hat sowohl Straf-
charakter als auch Genugtuungsfunktion und soll die durch unge-
rechtfertigte Kündigung erlittene Persönlichkeitsverletzung des Ar-
beitnehmers abgelten. Die Höhe der Entschädigung wird vom Ge-
richt nach pflichtgemässem Ermessen aufgrund der Umstände des
Einzelfalles festgesetzt und hat sich entscheidend nach der Strafwür-
digkeit des Verhaltens des Arbeitgebers bzw. dem Grad der Miss-
bräuchlichkeit des Motivs des Kündigenden, dem Mass der Wider-
rechtlichkeit der Entlassung, der Schwere des Eingriffs in die Persön-
lichkeit des Gekündigten, der Dauer der Anstellung, dem Alter des
Arbeitnehmers, dem bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses, den
besonderen Umständen der Kündigung (z.B. besonders rücksichtslo-
ses Vorgehen), den Auswirkungen der Kündigung, der finanziellen
Situation der Parteien und der Schwere eines allfälligen Mitverschul-
dens des Arbeitnehmers zu richten (BGE 123 III 391; 121 III 64,
Erw. 3c; Urteile des Bundesgerichts vom 25. Februar 2014
[8C_620/2013], Erw. 4.1, vom 11. März 2011 [4A_660/2010],
Erw. 3.2, vom 16. November 2005 [4C.253/2005], Erw. 2.1, und
vom 5. Mai 2003 [4C.67/2003], Erw. 4.3; S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/
R
UDOLPH
, a.a.O., Art. 336a N 3; A
DRIAN
S
TAEHELIN
, Zürcher Kom-
mentar, Teilband V 2c, Der Arbeitsvertrag, Zürich/Basel/Genf 2014,
Art. 336a N 6 f.; M
ANFRED
R
EHBINDER
/J
EAN
-F
RITZ
S
TÖCKLI
,
a.a.O., Art. 336a N 9 ff.).
Die als Strafzahlung konzipierte Entschädigung stellt weder
Lohn noch Schadenersatz (für entgangenen Lohn) dar (S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/R
UDOLPH
, a.a.O., Art. 336a N 2). Die Fortführung des Ar-
beitsverhältnisses kann aber selbstverständlich einen Einfluss auf die
Bemessung der Entschädigung haben, indem beispielsweise das
Mass der Widerrechtlichkeit bei einer vollständigen Kündigung hö-
her sein dürfte als bei einer Änderungskündigung, oder indem sich
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
256
die soziale Lage des Betroffenen bei einer Änderungskündigung in
der Regel besser präsentiert, als wenn das Arbeitsverhältnis vollstän-
dig aufgelöst worden wäre.
Massgebend für die Berechnung der Entschädigung ist der
Bruttolohn ohne Sozialabzüge, da die Entschädigung ihrerseits sol-
chen Abzügen nicht unterliegt, weil sie kein Erwerbseinkommen bil-
det; regelmässig ausgerichtete Zulagen, z.B. Gratifikationen und der
13. Monatslohn, sind zuzurechnen (S
TAEHELIN
, a.a.O., Art. 336a
N 6; S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/R
UDOLPH
, a.a.O., Art. 336a N 3; R
EH
-
BINDER
/S
TÖCKLI
, a.a.O., Art. 336a N 10).
8.3.-8.4. (...)
8.5.
8.5.1.
Bei der Festsetzung der Entschädigung nach Art. 336a OR han-
delt es sich, wie gesehen (Erw. 8.2 vorne), um einen Ermessensent-
scheid. Dem Verwaltungsgericht steht in personalrechtlichen Fällen
die Ermessensüberprüfung zu.
8.5.2.
Entsprechend den vorstehenden Ausführungen war die Ände-
rungskündigung sowohl in Bezug auf den Wechsel des Arbeitsortes
als auch in Bezug auf die Pensenreduktion sachlich nicht begründet.
Nicht damit zu verwechseln ist die für die Beurteilung des Grads der
Missbräuchlichkeit der Kündigung relevante Frage, ob der Kündi-
gende trotz festgestellter Widerrechtlichkeit einigermassen nachvoll-
ziehbare Motive hatte oder sein Handeln von gänzlich unlauteren
und treuwidrigen Beweggründen bestimmt war. In diesem Zusam-
menhang kann die Meinung der Beschwerdeführerin, die Beschwer-
degegnerin habe sich geradezu schikanös und bösartig verhalten,
nicht geteilt werden. Die Beschwerdegegnerin hat sich vorschnell da-
zu entschieden, den Arbeitskonflikt zwischen der Beschwerdeführe-
rin und ihrer Vorgesetzten mit der Versetzung nach B. und der an-
schliessenden Änderungskündigung zu lösen. Dabei hat sie einseitig
die Interessen der Vorgesetzten, sich nicht mehr mit einer bedingt an-
passungsfähigen Mitarbeiterin befassen zu müssen, in den Vorder-
grund gerückt und zu wenig auf das vitale Interesse der Beschwerde-
führerin am Erhalt ihres Arbeitsplatzes Rücksicht genommen. Dass
2016
Personalrecht
257
es die Beschwerdegegnerin nur darauf abgesehen hätte, der Be-
schwerdeführerin zu schaden, darf jedoch aufgrund der gesamten
Umstände nicht angenommen werden. Richtschnur für ihr Verhalten
war für die Beschwerdegegnerin die Lösung eines Arbeitskonflikts,
also alles andere als ein niedriger Beweggrund. Allerdings hat die
Beschwerdegegnerin die sich gegenüberstehenden Interessen der
Konfliktparteien nicht sorgfältig genug gegeneinander abgewogen
und dadurch das Verhältnismässigkeitsprinzip missachtet. Es wäre
insofern verfehlt, von einem besonders hohen Grad von Missbräuch-
lichkeit zu sprechen. Gering war der Grad der Missbräuchlichkeit an-
gesichts der einseitigen Bevorzugung der Interessen der Vorgesetzten
der Beschwerdeführerin aber auch nicht, weshalb es unrichtig wäre,
diesen Faktor entschädigungsmindernd zu berücksichtigen. Er darf
nicht zu Ungunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht fallen, um-
gekehrt aber auch nicht zum Anlass genommen werden, bei der Be-
messung der Entschädigung nahe an die Obergrenze zu gehen.
Beizupflichten ist der Beschwerdeführerin darin, dass die Be-
reitschaft der Beschwerdegegnerin, sie mit einem 50 %-Pensum zu
beschäftigen, nicht sehr nachhaltig war. Davon zeugt die Zielverein-
barung vom Januar 2014, mit welcher die Beschwerdeführerin u.a.
angehalten wurde, sich nach einer neuen Stelle umzuschauen. Im-
merhin war die Beschwerdeführerin mit einer vorübergehenden Wei-
terbeschäftigung mit reduziertem Beschäftigungsgrad in jeder Hin-
sicht bessergestellt, als wenn sie ihre Stelle schon per Ende Novem-
ber 2013 ganz verloren hätte. Das darf durchaus zum Anlass genom-
men werden, die Entschädigung geringer zu bemessen, als wenn eine
Vollkündigung zu beurteilen wäre.
Es steht ausser Diskussion und beruht nicht auf einer willkürli-
chen Beweiswürdigung der Vorinstanz, dass die Beschwerdeführerin
das ihrige zum Arbeitskonflikt mit ihrer Vorgesetzten beigetragen
hat. Hätte sie sich darum bemüht, die Weisungen ihrer Vorgesetzten
betreffend Einhaltung der Mittagspausen und Beteiligung am Tele-
fon- und Schalterdienst von Anfang an strikter zu befolgen, so wäre
es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu der verfahrenen Situation
gekommen, basierend auf welcher die Vorgesetzte der Beschwerde-
führerin deren Versetzung nach B. durchsetzen konnte. Auch wenn
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
258
das (nachgewiesene) Mitverschulden der Beschwerdeführerin nicht
sehr gross war und ihr gestützt auf die vorliegenden Akten nicht die
Hauptverantwortung für den Arbeitskonflikt zugeschoben werden
darf, ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz das Mitverschul-
den entschädigungsmindernd berücksichtigt hat. Das entspricht kon-
stanter Rechtsprechung.
Weniger einheitlich ist die Rechtsprechung mit Bezug auf die
Frage, ob die Dauer der Anstellung bei der Bemessung der Entschä-
digung in jedem Fall zwingend berücksichtigt werden muss (vgl.
BGE 123 III 246, Erw. 6b; S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/R
UDOLPH
, a.a.O.,
Art. 336a N 3). Als offensichtlich unbillig und in stossender Weise
ungerecht erscheint indessen die Nichtberücksichtigung der Anstel-
lungsdauer der Beschwerdeführerin durch die Vorinstanz schon des-
halb nicht, weil diese mit rund zehn Jahren (im Kündigungszeit-
punkt) noch nicht als besonders lang bezeichnet werden kann. Ent-
schädigungserhöhend wirkte sich die Anstellungsdauer in Präzedenz-
fällen vor allem dann aus, wenn ein über mehrere Jahrzehnte dauern-
des Arbeitsverhältnis zur Debatte stand (vgl. S
TREIFF
/
VON
K
AENEL
/R
UDOLPH
, a.a.O., Art. 336a N 4).
Unbillig wäre es hingegen, neben dem Mitverschulden der Be-
schwerdeführerin am entstandenen Arbeitskonflikt mit ihrer Vorge-
setzten im Sinne einer ausgewogenen Optik nicht auch die Tatsache
in Betracht zu ziehen, dass ihr Verhalten bis zum Dienstantritt ihrer
neuen Vorgesetzen per Anfang Juni 2012 - soweit aus den Akten er-
sichtlich - wenig Anlass zu Tadel gegeben hat. Die Beschwerdefüh-
rerin scheint übers Ganze gesehen eine angenehme Mitarbeiterin ge-
wesen zu sein. Eigentliche Probleme gab es erst in den letzten vier
Monaten ihrer Zeit im Weiterbildungssekretariat in D., wobei das
Verständnis ihrer Vorgesetzten für bestimmte Verhaltensweisen und
Bedürfnisse der Beschwerdeführerin auch nicht sehr ausgeprägt war.
Vollkommen klaglos kann das Verhalten der Beschwerdeführerin mit
Blick auf die bei früheren Mitarbeiterbeurteilungen formulierten Ver-
haltensziele ("bessere Integration ins Team", "durch meine verlässli-
che Anwesenheit, Hilfsbereitschaft und persönliche Organisation hel-
fe ich mit, dass das Sekretariatsteam konfliktfrei funktioniert", "die
Arbeitsweise von Kolleginnen kritisiere ich nicht, es sei denn, die ei-
2016
Personalrecht
259
gene Arbeit ist davon direkt betroffen", "meine Stellvertretung ist
klar geregelt") gleichwohl schon vor dem Dienstantritt ihrer neuen
Vorgesetzten nicht gewesen sein.
8.5.3.
In Würdigung aller massgeblichen Aspekte (das grundsätzlich
zu begrüssende Motiv der Beschwerdegegnerin, mit der Versetzung
der Beschwerdeführerin einen Arbeitskonflikt zu lösen, ohne dabei
auch die Interessen der Beschwerdeführerin ausreichend zu gewich-
ten, die vorübergehende Weiterbeschäftigung mit einem reduzierten
Pensum, das fortgeschrittene Alter der Beschwerdeführerin, ihre so-
ziale Lage, das finanzielle Ungleichgewicht zwischen den Parteien,
das über einen langen Zeitraum mehrheitlich klaglose Verhalten der
Beschwerdeführerin, ein gewisses Mitverschulden der Beschwerde-
führerin am Arbeitskonflikt mit der Vorgesetzten, der letztlich zur
Änderungskündigung geführt hat), erscheint es angezeigt, der Be-
schwerdeführerin - in Übereinstimmung mit der Vorinstanz - eine
Entschädigung in der Höhe von Fr. 18'245.00 (entsprechend 3 Mo-
natslöhnen bei einem Jahreslohn von Fr. 72'979.90) zuzusprechen. | 6,024 | 4,823 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-41_2016-03-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-41.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-41.pdf | AGVE_2016_41 | null | nan |
c721c308-6b72-5ca3-bc46-2c34d4bf77fc | 1 | 412 | 870,907 | 1,564,790,400,000 | 2,019 | de | 2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
121
15
Behindertengerechtes bzw. hindernisfreies Bauen
Die in der Norm SIA 500 Hindernisfreie Bauten , Ausgabe 2009,
festgehaltenen (Mindest-)Anforderungen bei einem Mehrfamilien-
haus-Neubau mit 28 Wohnungen müssen von Anfang an erfüllt sein.
Eine Variabilität bzw. Flexibilität ist erst dann zulässig, wenn
bzw. solange die Mindestanforderungen gemäss Norm SIA 500 er-
füllt sind (zweistufiges Konzept).
Unzulässigkeit verschiebbarer Wände
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 30. August
2019, in Sachen A. AG gegen Gemeinderat B. und Departement Bau, Verkehr
und Umwelt (WBE.2019.40).
Aus den Erwägungen:
2.
In materieller Hinsicht umstritten ist zunächst, ob bezüglich der
Nasszellen die in Ziff. 10.2.1 der Norm SIA 500, Ausgabe 2009, des
Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (nachfolgend:
SIA-Norm 500) geforderte minimale Raumabmessung von 1.70 m
zwingend einzuhalten ist, oder ob die von der Beschwerdeführerin
geplante variable Lösung mit einer verschiebbaren Wand (mit
welcher die Raumtiefe je nach Bedarf von 1.40 m auf die in der SIA-
Norm 500 geforderten 1.70 m angepasst/vergrössert werden könne)
zulässig ist.
2.1. (...)
2.2.
2.2.1.
Vorab festzuhalten ist, dass der projektierte Neubau
28 Wohnungen umfasst, womit das Gebäude als Mehrfamilienhaus
gilt (vgl. § 23b ABauV i.V.m. § 64 Abs. 1 BauV; vgl. auch § 18
Abs. 1 BauV). Gemäss § 53 Abs. 1 BauG sind Mehrfamilienhäuser,
die neu erstellt oder erneuert werden, für Menschen mit Behinde-
rungen zugänglich und benutzbar zu gestalten; diese Pflicht entfällt,
wenn der für Behinderte zu erwartende Nutzen in einem Missver-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
122
hältnis steht, insbesondere zum wirtschaftlichen Aufwand, zu Inte-
ressen des Umweltschutzes, des Natur- und Heimatschutzes oder zu
Anliegen der Verkehrs- und Betriebssicherheit. Gestützt auf § 53
Abs. 2 BauG hat der Regierungsrats in den §§ 37 f. BauV sodann
Vorschriften zum hindernisfreien Bauen erlassen. § 37 BauV regelt
die Anforderungen an hindernisfreies Bauen: Abs. 1 bestimmt,
dass u.a. Mehrfamilienhäuser nach Massgabe der SIA-Norm 500
Hindernisfreie Bauten , Ausgabe 2009, hindernisfrei zu erstellen
sind. Abs. 2 ist im konkreten Fall sodann nicht von Bedeutung, weil
nicht ein Mehrfamilienhaus mit weniger als neun Wohneinheiten zur
Beurteilung steht. Und § 38 BauV regelt schliesslich den verhält-
nismässigen Aufwand für die hindernisfreie Bauweise.
Beizupflichten ist der Vorinstanz zunächst, dass die Mindestan-
forderungen der SIA-Norm 500 bei einem Neubau bereits von An-
fang an erfüllt sein und im Rahmen der Projektierung mitberücksich-
tigt werden müssen. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut von
§ 37 Abs. 1 BauV, gemäss welchem u.a. Mehrfamilienhäuser nach
Massgabe der SIA-Norm 500 hindernisfrei zu erstellen sind. Eben-
falls zutreffend ist, dass es sich bei der SIA Norm 500 gemäss § 37
Abs. 1 BauV nicht eine Richtlinie handelt, sondern um eine verbind-
lich einzuhaltende Norm. Dem Merkblatt Nr. 201 Die Bedeutung
des anpassbaren Wohnungsbaus (12/10) der Procap lässt sich so-
dann entnehmen, dass das Konzept der Anpassbarkeit auf einer zwei-
stufigen Strategie basiert: Alle Wohnungen seien so zu erstellen, dass
sie auch für Menschen im Rollstuhl etc. weitgehend besuchsgeeignet
seien. Gleichzeitig sei bereits bei der Erstellung sicherzustellen, dass
nachträgliche Anpassungen an die individuellen Bedürfnisse behin-
derter Personen mit wenig Aufwand möglich seien. Bauliche Anpas-
sungen würden jedoch erst dann vorgenommen, wenn sie erforder-
lich und auch im Detail bekannt seien; genannt werden z.B. Apparate
oder Haltegriffe, welche allenfalls im Badezimmer zu montieren
seien. Das Merkblatt hält weiter fest, dass u.a. Raumgrössen bereits
bei der Erstellung genügend gross zu dimensionieren seien und so
nicht mehr verändert werden müssten. Das Konzept für Wohnbauten,
bei denen es sich um individuell genutzte Räume handle, verlange
damit nicht von Anfang an eine umfassende Behindertengerechtig-
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
123
keit. Deshalb müsse auch nicht eine grosse Zahl von Anforderungen
eingehalten werden - in der SIA-Norm genügten dafür vier Seiten
(Merkblatt Nr. 201 Die Bedeutung des anpassbaren Wohnungsbaus
[10/12] der Procap). Umgekehrt formuliert müssen jedoch die in der
SIA-Norm festgehaltenen (wenigen) Anforderungen von Anfang an
eingehalten werden. Mit andern Worten ergibt sich auch aus dem
Merkblatt und dem zweistufigen Konzept, das der SIA-Norm 500
zugrunde liegt, dass die in der SIA-Norm 500 festgehaltenen (Min-
dest-)Anforderungen bei einem Mehrfamilienhaus-Neubau von An-
fang an erfüllt sein müssen.
Abweichungen von den Bestimmungen der SIA-Norm 500 sind
dann zulässig, wenn auf andere Art nachweislich erreicht wird, was
die einzelnen Bestimmungen vorgeben (SIA-Norm 500, Ziff. 0.2.1).
Falls in einem Bauvorhaben einzelne Bestimmungen der SIA-Norm
500 nicht eingehalten werden können, sind die Abweichungen im
Rahmen der Verhältnismässigkeit durch die zuständigen Instanzen
festzulegen (SIA-Norm 500, Ziff. 0.2.2).
2.2.2.
Mit dem Baugesuch wird um die Bewilligung eines konkreten
Bauvorhabens ersucht. Das Baubewilligungsverfahren bezweckt die
Feststellung, ob das zugrundeliegende Bauvorhaben mit den ein-
schlägigen Vorschriften des öffentlichen Rechts übereinstimmt (vgl.
AGVE 2000, S. 247; ANDREAS BAUMANN, in: Kommentar zum
Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 59 N 29; ERICH
ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971,
Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 152 N 5). Überprüft wird da-
bei die gemäss eingereichtem Baugesuch geplante Baute oder Anla-
ge, nicht jedoch allfällige Möglichkeiten und Variationen aufgrund
unbekannter Wünsche und Bedürfnisse eventueller späterer Mieter
oder Eigentümer. Mit der Baubewilligung soll sichergestellt werden,
das zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung, der Erstellung
und der Abnahme der Baute oder Anlage der gesetzeskonforme Zu-
stand besteht. Allfällige spätere Änderungen müssen ebenfalls die
gesetzlichen Vorgaben einhalten, allenfalls ist dafür ein neues Bau-
bewilligungsverfahren erforderlich. Eine Variabilität bzw. Flexibi-
lität ist erst dann zulässig, wenn bzw. solange die Mindestanforde-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
124
rungen gemäss SIA-Norm 500 erfüllt sind. Dies entspricht dem
zweistufigen Konzept.
Die SIA-Norm 500 schreibt in Ziff. 10.2.1 Anpassbarer Bad-
/Duschraum vor, dass pro Wohnung mindestens ein Bad- oder
Duschraum mit Klosett u.a. folgende Masse einhalten muss: Nutz-
fläche mindestens 3.80 m2, wobei keine Raumabmessung weniger
als 1.70 m betragen darf. Die erforderlichen Fertigmasse dürfen nicht
durch Vormauerungen reduziert werden . Entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführerin ist dabei unerheblich, ob der Raum geschickt
angeordnet ist oder die Länge des Raums 2.89 m misst. Solange
(u.a.) nicht jede Raumabmessung mindestens 1.70 m beträgt, ent-
spricht das Vorhaben nicht den rechtlichen Mindestanforderungen.
Der Gemeinderat weist im Übrigen völlig richtig darauf hin,
dass die Argumentation der Beschwerdeführerin, die Grundstruktur
des Gebäudes müsste im Moment nicht behindertengerecht erstellt
werden, vergleichbar mit der Argumentation ist, zu einem Mehrfami-
lienhaus müssten keine Spielflächen erstellt werden, weil keine Kin-
der im Gebäude wohnten; der Spielplatz werde beim Zuzug von
Kindern dann erstellt. Eine solche Argumentation wäre mit den ge-
setzlichen Vorgaben nicht vereinbar (§ 54 Abs. 1 BauG). Analog ver-
hält es sich beim behindertengerechten Bauen. Geht es um den Bau
eines Mehrfamilienhauses, so muss dieser Neubau behinderten-
gerecht bzw. hindernisfrei gemäss SIA-Norm 500 erstellt werden
(§ 53 BauG i.V.m. § 37 BauV). Dabei müssen die Minimalanforde-
rungen gemäss SIA-Norm 500 von Anfang an erfüllt sein (zweistufi-
ges Konzept). Dies gilt auch für die Beschwerdeführerin, und zwar
unabhängig davon, ob im derzeitigen Zeitpunkt der Bedarf dafür be-
reits besteht oder nicht.
Demgemäss ist auch im vorliegenden Fall eine Badezimmer-
breite von (mindestens) 1.70 m in sämtlichen Wohnungen einzuhal-
ten. Die von der Beschwerdeführerin projektierte Lösung mit einer
(angeblich) leicht demontier- bzw. verschiebbaren Wand sieht im
Grundsatz eine Badezimmerbreite von 1.40 m vor, womit die Min-
destanforderungen nicht erfüllt sind und sich die Lösung als nicht
rechtmässig erweist. Dass die von der Beschwerdeführerin geplante
Lösung nicht zulässig ist, entspricht im Übrigen auch der Ansicht der
2019
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
125
Fachstelle Hindernisfreies Bauen der Kantone Aargau und Solothurn
(Procap). Ein Ausnahmegrund, weshalb von den Bestimmungen der
SIA-Norm 500 abgewichen werden dürfte, ist schliesslich ebenfalls
nicht ersichtlich.
3.
Weiter ist umstritten, ob bezüglich der Korridore im Dachge-
schoss die in Ziff. 9.3.1 der SIA-Norm 500 geforderte nutzbare Brei-
te von 1.20 m zwingend einzuhalten ist, oder ob die von der Be-
schwerdeführerin geplante Lösung mit den flexiblen selbststehen-
den Schränken (welche verschoben werden könnten, damit die Brei-
te bei Bedarf den gemäss SIA-Norm 500 geforderten 1.20 m ent-
spricht) zulässig ist.
3.1. (...)
3.2.
Unbestritten ist vorab, dass die Beschwerdeführerin die in den
Plänen Grundriss DG (...) sowie 01 Appartement Layout, DG
Apartment 1:50 (...) eingetragene und hier umstrittene Schrank-
wand tatsächlich auch einbauen will. Entsprechend ist es mit den
Vorinstanzen auch richtig, die Schrankwand bei der Beurteilung, ob
die Baute behindertengerecht bzw. hindernisfrei ist, miteinzubezie-
hen. Zu den rechtlichen Vorgaben bzw. zur SIA-Norm 500, deren
Mindestanforderungen verbindlich einzuhalten sind, kann zunächst
auf die bereits gemachten Darlegungen in Erw. 2.2.1 und 2.2.2
(erster Absatz) verwiesen werden. Die dortigen Ausführungen gelten
auch für die umstrittenen Korridore bzw. das (angeblich) flexible
Schranksystem im Dachgeschoss. Eine Flexibilität ist auch hier erst
dann zulässig, wenn bzw. solange die Mindestanforderungen gemäss
SIA-Norm 500 erfüllt sind.
Gemäss SIA-Norm 500, Ziff. 9.3.1 hat die nutzbare Breite von
Wegen und Korridoren mindestens 1.20 m zu betragen. Nach
Ziff. 9.3.2 sind geringere Breiten zwischen 1.00 und 1.20 m bedingt
zulässig: Bei geraden Wegen und Korridoren ohne seitlichen Ab-
gänge; bei Korridoren, bei denen seitlich angeordnete Türen und
Durchgänge eine erhöhte Mindestbreite gemäss der Formel Nutz-
bare Tür- oder Durchgangsbreite + Korridorbreite >= 2 m aufweisen.
Gemäss nachvollziehbarer Beurteilung der Procap handelt es sich bei
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
126
den Korridoren zu den Zimmern im DG (in den Plänen werden diese
Zimmer als Büro bezeichnet) um Korridore mit seitlichem Abgang
gemäss Ziff. 9.3.1 der SIA-Norm 500, womit sie eine Mindestbreite
von 1.20 m erfordern. Diese verbindliche Mindestbreite kann mit der
projektierten Schrankwand indes nicht eingehalten werden, weshalb
die geplante Lösung nicht zulässig ist. Dies hielt bereits die Procap in
ihren Berichten vom 21. März 2017 und vom 24. Oktober 2017 fest.
Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, wie die Schrankwand re-
alistischerweise sinnvoll verschoben werden soll, wenn die vorge-
schriebene Mindestbreite von 1.20 m eingehalten werden wollte, da
die Schrankwand dann teilweise vor den bodenhohen Sitzplatzfens-
tern stehen würde. Ein Ausnahmegrund, wonach von den Bestim-
mungen der SIA-Norm 500 abgewichen werden dürfte, ist im Übri-
gen auch hier nicht ersichtlich. | 2,697 | 2,090 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-15_2019-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-15.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-15.pdf | AGVE_2019_15 | null | nan |
c799587e-a9b1-5438-aa95-9cf652175e3a | 1 | 412 | 871,331 | 1,433,203,200,000 | 2,015 | de | 2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
120
17
Liegenschaftsschätzung
Tragweite einer von der vertraglich vereinbarten Nutzung abweichenden
tatsächlichen Nutzung einer Liegenschaft (andere Aufteilung als bei Mit-
eigentum vereinbart) bei Schätzung der Liegenschaft
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 8. Juni 2015, i.S. A.X.,
B.X., C.X. und D.X. gegen KStA (WBE.2014.383).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Das den Eltern der Beschwerdeführer 1 und 3 eingeräumte
Wohnrecht ist für die Berechnung der den Beschwerdeführern 1 und
2 bzw. 3 und 4 zuzuweisenden Vermögenssteuerwerte unbeachtlich,
da ein Wohnrecht kein vermögenssteuerlich relevantes Nutznies-
sungsverhältnis begründet (vgl. B
ARBARA
S
RAMEK
, in: M
ARIANNE
K
LÖTI
-W
EBER
/D
AVE
S
IEGRIST
/D
IETER
W
EBER
[Hrsg.], Kommentar
zum Aargauer Steuergesetz, 4. Aufl., Muri 2015, § 46 N 25). Zu
beantworten bleibt damit, ob, nachdem der Vermögenssteuerwert der
Liegenschaft zutreffend allein den Beschwerdeführern (und nicht
etwa teilweise auch den Eltern der Beschwerdeführer 1 und 3)
zugewiesen wurde, die zwischen ihnen vorgenommene hälftige
Aufteilung des Gesamtvermögenssteuerwerts rechtmässig ist.
2.2.
2.2.1.
Die Beschwerdeführer 1 und 3 sind Miteigentümer je zur Hälfte
des Wohnteils. Das spricht dafür, ihnen auch den Vermögenssteuer-
wert des Wohnteils je zur Hälfte zuzuweisen. Dagegen wird in der
Beschwerde vorgebracht, die tatsächliche Nutzung der Liegenschaft,
wie sie zwischen den Parteien vereinbart worden sei, weiche von der
eigentumsmässigen Aufteilung der Liegenschaft ab. Der Sache nach
2015
Kantonale Steuern Migrationsrecht
121
machen die Beschwerdeführer damit geltend, der Beschwerdefüh-
rer 3 und dessen Ehefrau (Beschwerdeführerin 4) hätten dem Be-
schwerdeführer 1 und dessen Ehefrau (Beschwerdeführerin 2) fak-
tisch eine Nutzniessung an einem Teil des ihnen zuzurechnenden
Miteigentumsanteils eingeräumt.
2.2.2.
Wie das Spezialverwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat,
sind im Steuerrecht auch nutzniessungsähnliche Verhältnisse zu be-
achten. Kommen solche Verhältnisse wirtschaftlich betrachtet einer
Nutzniessung gleich, besteht kein Grund, darauf nicht auch die ent-
sprechenden steuerrechtlichen Regeln betreffend die Nutzniessung
zur Anwendung zu bringen. Die sog. faktische Nutzniessung wird so-
mit auch im Steuerrecht anerkannt.
2.2.3.
Steht ein Vermögensgegenstand im hälftigen Miteigentum, so
ist vermutungsweise davon auszugehen, dass auch die Nutzung des
Gegenstands je zur Hälfte erfolgt. Art. 647 Abs. 1 ZGB sieht indes-
sen vor, dass die Eigentümer eine von den gesetzlichen Bestimmun-
gen abweichende Nutzungs- und Verwaltungsordnung vereinbaren
können. Es ist somit rechtlich ohne weiteres möglich, bei hälftigem
Miteigentum eine andere als die je hälftige Aufteilung der Nutzung
vorzusehen. Eine solche Vereinbarung kann im Übrigen sogar form-
los getroffen werden. Indessen ist Schriftlichkeit in der Praxis die
Regel und dann erforderlich, wenn die Ordnung im Grundbuch ange-
merkt werden soll (vgl. C
HRISTOPH
B
RUNNER
/J
ÜRG
W
ICHTERMANN
,
in: H
EINRICH
H
ONSELL
/N
EDIM
P
ETER
V
OGT
/T
HOMAS
G
EISER
[Hrsg.], Zivilgesetzbuch II, Basler Kommentar, 4. Aufl., Basel 2011,
Art. 647 N 25). Hier wurde nicht geltend gemacht, es bestehe eine
schriftliche Vereinbarung geschweige denn eine solche sei im Grund-
buch angemerkt. Die Beschwerdeführer machen vielmehr geltend, es
bestehe eine formlose Verabredung, wonach die Beschwerdeführer 1
und 2 den Wohnteil in einem grösseren Ausmass nutzten wie die Be-
schwerdeführer 3 und 4.
2.2.4.
Das Spezialverwaltungsgericht gibt im angefochtenen Ent-
scheid zutreffend die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsge-
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
122
richts wieder, das in Fällen, da die überlebende Ehefrau in der
Liegenschaft wohnen blieb, eine faktische Nutzniessung angenom-
men hat (vgl. angefochtener Entscheid, Erw. 10.4.1. unter Hinweis
auf das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2004
[WBE.2004.152]). Das Spezialverwaltungsgericht hat indessen
ebenso zutreffend darauf hingewiesen, dass es das Verwaltungsge-
richt abgelehnt hat, diese Rechtsprechung generell auf weitere Fälle
auszudehnen. Daran ist festzuhalten. Das Steuerrecht als Massenfall-
recht ist darauf angewiesen, an leicht erkennbare und eruierbare Tat-
sachen anknüpfen zu können. Das muss umso mehr gelten, wenn es
um die Festlegung von Schätzwerten von Liegenschaften geht. Für
solche Werte ist eine gewisse Beständigkeit in zeitlicher Hinsicht un-
verzichtbar. Es ginge offensichtlich zu weit, wenn die Steuerbehör-
den, gegebenenfalls noch mit Durchführung eines Augenscheins, in
jeder Steuerperiode abklären müssten, wie genau sich die Nutzungs-
verhältnisse in einer von Miteigentümern gemeinsam genutzten Lie-
genschaft entwickelt haben (das Gleiche muss im Übrigen auch für
die Einräumung und Ausübung von Wohnrechten gelten, wie das
Spezialverwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid ebenfalls zu-
treffend ausführt). Ergeben sich Verschiebungen in der Nutzung einer
Liegenschaft, die von der ursprünglichen Rechtsgestaltung abwei-
chen, ist daher, damit diese steuerlich anerkannt werden können, zu
fordern, dass die Änderungen leicht erkennbar (z.B. weil eine ent-
sprechende abweichende Nutzungsordnung im Grundbuch ange-
merkt wurde) und langfristig angelegt sind. Das muss im Hinblick
auf die Wohnnutzung von Liegenschaften auch deshalb gelten, weil
insoweit selbst bei Vornahme eines Augenscheins erhebliche Unsi-
cherheiten verbleiben können ("Arrangements" hinsichtlich der
Wohnnutzung sind im Hinblick auf behördliche Augenscheine in der
Regel einfach zu bewerkstelligen). Faktische Nutzniessungen sind
daher in der Veranlagungspraxis nur dann anzunehmen, wenn klare
entsprechende Vereinbarungen vorliegen und/oder eine langjährige,
unveränderte Nutzung nachgewiesen werden kann. Dies ist hier
indessen auch nach dem Ergebnis des vom Spezialverwaltungsge-
richt durchgeführten Augenscheins nicht der Fall. Es muss daher bei
der vom KStA und der Vorinstanz vorgenommenen hälftigen Auftei-
2015
Kantonale Steuern Migrationsrecht
123
lung des Vermögenssteuerwerts des Wohnteils sein Bewenden haben.
Das führt zur Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten
werden kann. | 1,425 | 1,130 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2015-17_2015-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-17.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-17.pdf | AGVE_2015_17 | null | nan |
c7ad8b6c-c098-5c75-93e6-d06646773e7e | 1 | 412 | 870,781 | 1,475,366,400,000 | 2,016 | de | 2016
Migrationsrecht
141
[...]
21
Ausschaffungshaft; Haftüberprüfung; Haftdauer; (keine) Anrechnung
bereits ausgestandener Administrativhaft bei mehreren Wegweisungsver-
fahren
-
Wird eine migrationsrechtliche Administrativhaft unterbrochen, ist
eine früher ausgestandene Administrativhaft grundsätzlich an die
maximal zulässige Gesamtdauer anzurechnen.
-
Gilt das Wegweisungsverfahren, welches Grundlage für die früher
angeordnete Administrativhaft bildet, als abgeschlossen, und wird
auf Basis eines neuen Wegweisungsentscheids erneut eine mig-
rationsrechtliche Administrativhaft angeordnet, kann der Betroffene
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
142
abermals während der gesamten, maximal zulässigen Haftdauer
inhaftiert werden.
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 18. Oktober 2016, in Sachen Amt für Migration und Integration gegen A.
(WPR.2016.158).
Aus den Erwägungen
8.
8.1.
Gemäss Art. 79 Abs. 1 AuG darf die ausländerrechtliche Inhaf-
tierung im Sinne von Art. 75-78 AuG zusammen die maximale Haft-
dauer von sechs Monaten nicht überschreiten. Eine darüber hin-
ausgehende Verlängerung ist nur zulässig, wenn entweder die be-
troffene Person nicht mit den zuständigen Behörden kooperiert oder
sich die Übermittlung der für die Ausreise erforderlichen Unterlagen
durch einen Staat, der kein Schengen-Staat ist, verzögert. Auch in
diesem Fall darf die Verlängerung allerdings höchstens zwölf
bzw. für Minderjährige zwischen 15 und 18 Jahren höchstens sechs
Monate betragen, woraus sich eine Gesamtdauer der ausländerrecht-
lichen Haft von 18 bzw. für Minderjährige zwischen 15 und 18 Jah-
ren von zwölf Monaten ergibt (Art. 79 Abs. 2 AuG).
Wird die migrationsrechtliche Administrativhaft unterbrochen
und befindet sich der Betroffene zwischenzeitlich in Freiheit oder im
Strafvollzug, ist eine früher ausgestandene Administrativhaft grund-
sätzlich an die maximal zulässige Gesamtdauer anzurechnen. Nur
wenn das Wegweisungsverfahren, welches Grundlage für die früher
angeordnete Ausschaffungshaft bildet, als abgeschlossen gilt, und ein
neuer Wegweisungsentscheid Grundlage für die erneute migrations-
rechtliche Inhaftierung bildet, kann der Betroffene abermals während
der gesamten, maximal zulässigen Haftdauer inhaftiert werden. Als
abgeschlossen gilt ein Wegweisungsverfahren unter anderem dann,
wenn der Betroffene die Schweiz im Nachgang zu einer Wegwei-
sungsverfügung verlassen hat, oder wenn dem Betroffenen eine Auf-
2016
Migrationsrecht
143
enthaltsbewilligung erteilt und die angeordnete Wegweisungsverfü-
gung damit hinfällig wird (BGE 140 I 1, Erw. 5.2; A
NDREAS
Z
ÜND
,
in: M
ARC
S
PESCHA
/H
ANSPETER
T
HÜR
/A
NDREAS
Z
ÜND
/P
ETER
B
OLZLI
/C
ONSTANTIN
H
RUSCHKA
[Hrsg.], Kommentar Migrations-
recht, 4. Auflage, Zürich 2015, Art. 79 N 4; M
ARTIN
B
USINGER
, Aus-
länderrechtliche Haft, in: Zürcher Studien zum öffentlichen Recht,
Zürich/Basel/Genf 2015, S. 74 f.).
8.2.
Im vorliegenden Fall befand sich der Gesuchsgegner bereits
vom 13. April 2007 bis zum 8. Januar 2009 mit mehreren Unter-
brüchen in ausländerrechtlicher Haft, ohne dass die Wegweisung je
vollzogen worden wäre. Am 30. Januar 2009 heiratete der Gesuchs-
gegner eine Schweizer Staatsangehörige und erhielt aufgrund der
Heirat eine Aufenthaltsbewilligung im Rahmen des Familiennach-
zugs. Mit Erteilung dieser Aufenthaltsbewilligung liess die ausstel-
lende Behörde von dem Vorhaben ab, den Gesuchsgegner aus der
Schweiz wegzuweisen. Die erneute Wegweisung des Gesuchsgeg-
ners wurde im Zusammenhang mit der Verweigerung der Erteilung
bzw. Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung verfügt.
Nach dem Gesagten erhellt, dass der neuerlichen Wegweisung
des Gesuchsgegners aus der Schweiz ein neues Verfahren zu Grunde
liegt, womit die zwischen dem 13. April 2007 und 8. Januar 2009 er-
standene ausländerrechtliche Haft nicht an die nun angeordnete Haft
anzurechnen ist.
(...)
(Hinweis: Das Bundesgericht wies die gegen diesen Entscheid
erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
Urteil vom 23. Dezember 2016 [2C_1091/2016] ab.) | 926 | 750 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-21_2016-10-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-21.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-21.pdf | AGVE_2016_21 | null | nan |
c7b7c99c-b8f3-5faf-985d-feb10a099837 | 1 | 412 | 871,785 | 1,010,016,000,000 | 2,002 | de | 2002
Submissionen
295
IX. Submissionen
73
Zertifizierung.
-
Der Verzicht der Vergabestelle, in der Ausschreibung nach einer Qua-
litätszertifizierung zu fragen bzw. eine vorhandene Zertifizierung im
Sinne einer Besserbewertung zu berücksichtigen, lässt sich nicht be-
anstanden. Aus einer Zertifizierung lässt sich nicht zwangsläufig ein
unmittelbarer Qualitätsvorsprung gegenüber nichtzertifizierten Un-
ternehmen ableiten.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 8. Januar 2002 in Sa-
chen R. AG gegen Gemeinderat Küttigen.
Aus den Erwägungen
4. b) Die Beschwerdeführerin bemängelt, dass bei der Bewer-
tung des Zuschlagskriteriums "Qualität und Referenzen" ihre Be-
triebszertifizierung nach ISO Standards 9001 und 14001 überhaupt
keine Würdigung gefunden habe. Es stelle sich die Frage nach dem
Sinn solcher Zertifizierungen. Die Beschwerdeführerin hat - wie die
meisten Anbieter - beim Kriterium "Qualität und Referenzen" die
Maximalpunktzahl erhalten. Sie ist - soweit ersichtlich - die einzige
Anbieterin, die eine QS-Zertifizierung nachgewiesen hat. Sinnge-
mäss macht sie geltend, diese Tatsache hätte bei der Bewertung zu
ihren Gunsten berücksichtigt werden müssen, indem die nicht zertifi-
zierten Konkurrentinnen beim Kriterium "Qualität und Referenzen"
nicht das Punktemaximum hätten bekommen dürfen.
Der Verzicht der Vergabestelle, in der Ausschreibung nach einer
QS-Zertifizierung zu fragen bzw. eine vorhandene Zertifizierung im
Sinne einer Besserbewertung zu berücksichtigen, lässt sich nicht
beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat mehrfach festgehalten, aus
einer Qualitätszertifizierung lasse sich nicht zwangsläufig ein un-
2002
Verwaltungsgericht
296
mittelbarer Qualitätsvorsprung gegenüber nichtzertifizierten Unter-
nehmungen ableiten; die Zertifizierung sei lediglich ein Indiz für
Qualität, nicht mehr; ebensogut könne z.B. auch eine Referenzliste
Auskunft über die Qualifikation einer Unternehmung geben. Die
Qualität könne sich also auch aufgrund anderer Kriterien als der
Zertifizierung ergeben (vgl. VGE III/87 vom 14. Oktober 1997 in
Sachen ARGE St. [BE.1997.00189], S. 6 f.; III/47 vom 16. April
1999 [BE.1999.00055] in Sachen C.H., S. 12; III/14 vom 7. Februar
2001 [BE.2000.00405] in Sachen St. AG, S. 10). Der Nutzen der
Qualitätsmanagementsysteme ist überdies auch nicht unbestritten
(vgl. Peter Gauch / Hubert Stöckli, Vergabethesen 1999, Thesen zum
neuen Vergaberecht des Bundes, Freiburg 1999, S. 20 f.). Es liegt
letztlich weitestgehend im Ermessen der Vergabestelle, ob sie bei der
Qualitätsbeurteilung derartige Zertifikate berücksichtigen und wel-
ches Gewicht sie ihnen dabei zumessen will. Bei der Qualitätsbeur-
teilung handelt es sich generell über weite Teile um einen Wertungs-
bzw. Ermessensentscheid der Vergabebehörde. Im vorliegenden Fall
liegt klarerweise keine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung der
Vergabestelle vor. | 630 | 501 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-73_2002-01-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-73.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-73.pdf | AGVE_2002_73 | null | nan |
c7d03370-c3e1-5541-9e55-bea098563703 | 1 | 412 | 869,960 | 1,109,808,000,000 | 2,005 | de | 2005
Submissionen
229
[...]
45
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts; Territorialitätsprinzip.
-
Bau von Gas-Kombikraftwerken in Italien.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. März 2005 in Sa-
chen X. AG gegen Y. AG und Z. AG.
Sachverhalt
Am 21. Januar 2005 veröffentlichte die Y. AG eine Medien-
mitteilung, worin u.a. Folgendes festgehalten wird: Ein Ausschuss
des Verwaltungsrates der Y. AG habe die Grundlagen für die Vergabe
von weiteren Aufträgen für den Bau von Gas-Kombi-Kraftwerken
der Tochtergesellschaft Z. AG in Italien eingehend geprüft. In
Kenntnis aller Faktoren und nach Bewertung aller Konsequenzen
komme der Ausschuss zum Schluss, dass eine Neuausschreibung
nicht zu verantworten wäre, weil sie die gesamte Strategie der Z. AG
in Italien ernsthaft gefährden würde. Der Verwaltungsrat der Y. AG
habe den Schlussbericht in zustimmendem Sinn zur Kenntnis ge-
nommen und sehe keinen Grund, der Z. AG für ihr weiteres Vorge-
hen Weisungen zu erteilen. Dieser Medienmitteilung lag ein Be-
schluss des Verwaltungsrates der Y. AG vom gleichen Tag zugrunde,
mit dem Inhalt, von materiellen und formellen Auflagen zu Handen
der Z. AG abzusehen sowie den Schlussbericht des Spezial-
ausschusses Vergaben in Italien zu genehmigen und damit die Strate-
gie der Z. AG in Italien zu bestätigen. Gegen diesen Beschluss rich-
tete sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der X. AG.
2005
Verwaltungsgericht
230
Aus den Erwägungen
1. (...)
2. Die Y. AG und die Z. AG begründen die Unzuständigkeit des
Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau mit dem Territorialitäts-
prinzip.
a) Das sog. Territorialitätsprinzip besagt, dass öffentliches
Recht, wozu fraglos auch das öffentliche Beschaffungsrecht zu zäh-
len ist, nur in dem Staat Rechtswirkungen entfaltet, der es erlassen
hat. Schweizerisches öffentliches Recht wird somit nur auf Sach-
verhalte angewendet, die sich in der Schweiz zutragen. Schweizeri-
sche Behörden dürfen nur schweizerisches öffentliches Recht an-
wenden, es sei denn, die Anwendung ausländischen öffentlichen
Rechts sei auf Grund eines Staatsvertrags geboten (BGE 95 II 114).
Im interkantonalen und interkommunalen Bereich gelten ebenfalls
das Territorialitätsprinzip und der Grundsatz, dass jeder Kanton und
jede Gemeinde nur sein bzw. ihr Verwaltungsrecht anwendet (Ulrich
Häfelin / Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage,
Zürich 2002, Rz. 357 f.; Pierre Tschannen / Ulrich Zimmerli, Allge-
meines Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Bern 2005, § 24 N 3). Gemäss
dem Territorialitätsprinzip gilt kantonales oder kommunales öffentli-
ches Recht somit nur für Sachverhalte, die sich im räumlichen Herr-
schaftsbereich des Recht setzenden Gemeinwesens ereignen (Häfe-
lin/Müller, a.a.O., Rz. 359).
Unter Umständen kann ein Sachverhalt allerdings zu mehreren
Gemeinwesen Berührungspunkte haben. Es stellt sich in solchen Fäl-
len die Frage, an welche Kriterien anzuknüpfen ist, um ein Rechts-
verhältnis einem Gemeinwesen zuzuordnen. Dabei kommen ver-
schiedene Kriterien in Betracht, wie z.B. Wohnsitz oder Sitz, Ort der
gelegenen Sache, Ort der Ausübung einer Tätigkeit (Häfelin/Haller,
a.a.O., Rz. 361). Aufgrund der Anknüpfung wird das zuständige
Gemeinwesen und gleichzeitig das anwendbare Recht bestimmt, wo-
bei immer dasjenige Recht zur Anwendung gelangt, das auch zustän-
dig ist (Häfelin/Haller, a.a.O., 361; Tschannen/Zimmerli, a.a.O., § 24
N 4 f.).
2005
Submissionen
231
b) Im öffentlichen Beschaffungsrecht ist der primäre An-
knüpfungspunkt der Auftraggeber, der die in Frage stehende Be-
schaffung vornimmt. Die jeweiligen Beschaffungsgesetze führen die
ihnen unterstehenden Vergabebehörden oder Kategorien von Verga-
bebehörde in der Regel mehr oder weniger detailliert auf (siehe § 5
Abs. 1 SubmD; Art. 2 BoeB). Die Auftraggeber des Bundes, d.h.
Bundesstellen und vom Bund beherrschte öffentlichrechtliche und
privatrechtliche Organisationen unterstehen dem Bundesbeschaf-
fungsrecht (Art. 2 BoeB). Die Kantone und die Gemeinden hingegen
unterstehen für ihre Vergaben vorab dem interkantonalen sowie dem
jeweiligen kantonalen Beschaffungsrecht, die Gemeinden, soweit
zulässig und überhaupt vorhanden, gegebenenfalls auch ihrem kom-
munalen Beschaffungsrecht (siehe Art. 8 Abs. 1 IVöB [ursprüng-
liche, für den Kanton Aargau noch geltende Fassung]; § 5 SubmD).
Hinzu kommen das Staatsvertragsrecht (GPA, Bilaterales Abkommen
mit der EU), soweit anwendbar, und das BGBM.
c) Das GPA hält in Ziffer 1 der Erläuterungen zu Annex 3 des
Anhangs I für die Schweiz fest, dass es auf Tätigkeiten, welche die
im Annex 3 erwähnten Vergabestellen ausserhalb der Schweiz aus-
üben, keine Anwendung findet. Eine fast gleichlautende Bestimmung
enthält der Anhang VIII zum bilateralen Abkommen mit der EU. In
lit. a wird festgehalten, dass dieses Abkommen nicht für Aufträge
gilt, die die Auftraggeber zu anderen Zwecken als zur Ausübung
ihrer Tätigkeiten gemäss Art. 3 Abs. 2 und den Anhängen I bis IV
dieses Abkommens oder zu deren Ausübung ausserhalb der Schweiz
vergeben. Auch von der IVöB werden Tätigkeiten ausserhalb der
Schweiz nicht erfasst. Nach Art. 8 Abs. 1 lit. c Satz 2 IVöB (die
revidierte IVöB vom 15. März 2001 enthält in Art. 8 Abs. 1 lit. c Satz
2 für den Staatsvertragsbereich eine identische Regelung) unter-
stehen die fraglichen Unternehmen der IVöB nur für Aufträge, die
sie zur Durchführung ihrer in der Schweiz ausgeübten Tätigkeit in
diesen Bereichen vergeben.
Das GPA, das bilaterale Abkommen mit der EU und die IVöB
knüpfen hier ihren Geltungsanspruch somit nicht nur an die Person
des Auftraggebers an, sondern mit der Beschränkung auf
Aufträge,
die zur Durchführung der in der Schweiz ausgeübten Tätigkeit
2005
Verwaltungsgericht
232
vergeben werden, auch an den Ort bzw. das Gebiet, wo der betreffen-
de Auftraggeber seine Tätigkeit ausübt. Aus den erwähnten Bestim-
mungen folgt, dass die Auslandstätigkeit schweizerischer Unterneh-
men im Sektorenbereich in submissionsrechtlicher Hinsicht weder
dem Staatsvertragsrecht noch dem Konkordat untersteht. Die er-
wähnten Erlasse beschränken damit in Nachachtung des Territo-
rialitätsprinzips ihren Anwendungsbereich ausdrücklich auf schwei-
zerische Sachverhalte.
d) § 30 Abs. 1 SubmD ist diesbezüglich weniger eindeutig for-
muliert. Dem Dekret unterstellt werden von der öffentlichen Hand
mehrheitlich beherrschte Unternehmen und Organisationen, die im
Kanton Aargau in den Bereichen der Wasser-, Energie- und Ver-
kehrsversorgung oder der Telekommunikation tätig sind. Gefordert
ist für die Unterstellung unter das Dekret ein Tätigsein im Kanton
Aargau, hingegen fehlt die ausdrückliche Beschränkung auf die im
Kanton Aargau ausgeübte Tätigkeit. Aus deren Fehlen kann nun aber
nicht geschlossen werden, ein (auch) im Kanton Aargau tätiges Un-
ternehmen unterstehe für seine gesamte Tätigkeit im Sektorenbe-
reich, also auch für die Tätigkeit in anderen Kantonen und für das
Auslandsgeschäft, dem SubmD. Ein solches Verständnis stünde in
klarem Widerspruch zum Territorialitätsprinzip und zu den vorer-
wähnten Staatsvertrags- und Konkordatsbestimmungen. Das SubmD
kann deshalb nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein Unter-
nehmen oder eine Organisation im Sinne von § 30 Abs. 1 SubmD
Aufträge, die im Zusammenhang mit der im Kanton Aargau selbst
ausgeübten Tätigkeit im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrs-
versorgung oder Telekommunikation stehen, vergibt. Vergibt das be-
treffende Unternehmen im Rahmen seiner ausserkantonalen Tätigkeit
oder seiner Tätigkeit im Ausland Aufträge an Dritte, so handelt es
nicht als Vergabestelle im Sinne von § 30 Abs. 1 SubmD. Das im
öffentlichen Recht geltende Territorialitätsprinzip lässt grundsätzlich
keinen andern Schluss zu. Der Geltungsbereich des SubmD be-
schränkt sich somit auch bei Unternehmen und Organisation gemäss
§ 30 Abs. 1 SubmD auf die Vergabe von Aufträgen, die im Kann-
tonsgebiet ausgeführt werden.
2005
Submissionen
233
e) Weil es im vorliegenden Fall ausschliesslich um die Vergabe
bzw. die Nichtausschreibung von Folgeaufträgen für Gas-Kom-
bikraftwerke in Italien geht, mithin die von der Z. ausserhalb der
Schweiz ausgeübte Tätigkeit betroffen ist, finden die erwähnten
submissionsrechtlichen Bestimmungen keine Anwendung, womit
aber auch die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zu verneinen ist
und auf die Beschwerde nicht eingetreten werden darf. Gleiches gilt
bezüglich der Beschwerdegegnerin Y. AG. Unter diesen Umständen
kann die strittige Frage, wer den Entscheid, auf eine Ausschreibung
der Folgeaufträge in Italien zu verzichten, tatsächlich getroffen hat,
offen gelassen werden. | 1,915 | 1,573 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-45_2005-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-45.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-45.pdf | AGVE_2005_45 | null | nan |
c82cdd6b-ba69-520b-89b2-b8786c79233d | 1 | 412 | 870,885 | 986,083,200,000 | 2,001 | de | 2001
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
217
53 Im Bereich der Zwangsmassnahmen steht dem Verwaltungsgericht die
Überprüfung der Ermessenshandhabung nicht zu.
Verweigert der Betroffene die medizinisch indizierte, medikamentöse Be-
handlung und erweist sich eine Zwangsbehandlung als unverhältnismäs-
sig, so ist er in der Regel aus der Klinik zu entlassen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 3. April 2001 in
Sachen T.S. gegen Verfügung des Bezirksarzts Z. und Entscheid der Klinik
Königsfelden.
Aus den Erwägungen
I. 2. Gemäss § 67e
bis
Abs. 4 EG ZGB kann ein Entscheid der
Psychiatrischen Klinik Königsfelden betreffend Zwangsmassnahmen
im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung innert
10 Tagen mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten
werden. Das Verwaltungsgericht ist demgemäss zur Beurteilung der
Beschwerde gegen den Entscheid der Ärztlichen Leitung der Klinik
Königsfelden vom 29. März 2001 zuständig. Die Überprüfung der
Ermessenshandhabung steht dem Verwaltungsgericht in diesem Be-
reich nicht zu. § 67p EG ZGB, auf den in § 67e
bis
Abs. 4 EG ZGB
ausdrücklich verwiesen wird, regelt diese Frage nicht. Dagegen ver-
weist § 67q EG ZGB "im Übrigen" auf die Vorschriften des VRPG.
Danach ist die Ermessensüberprüfung in der Regel ausgeschlossen
(§ 56 Abs. 1 VRPG), und in der abschliessenden Aufzählung der
Ausnahmen in Abs. 2 und 3 des § 56 VRPG (vgl. AGVE 1983,
S. 240; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontroll-
verfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungs-
rechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich
1998, § 56 VRPG N 36) sind die Entscheide über Zwangsmassnah-
men nach § 67e
bis
EG ZGB nicht aufgeführt. Dies erscheint denn
auch sachlich vertretbar; die Prüfung der Verhältnismässigkeit als
Rechtskontrolle bietet den Betroffenen ausreichenden Rechtsschutz.
II. 4. b) Das Verwaltungsgericht hat in seiner bisherigen Recht-
sprechung festgehalten, die fürsorgerische Freiheitsentziehung sei
2001
Verwaltungsgericht
218
unverhältnismässig, wenn nur vage Aussichten auf einen Behand-
lungserfolg bestünden und der Betroffene nicht in hohem Masse
selbst- oder fremdgefährlich sei (AGVE 1993, S. 310 [Regeste]).
Der zuständige Oberarzt erklärte an der Verhandlung, dass beim
Beschwerdeführer keine akute Selbstgefährdung vorliege. Auch der
Sachverständige erachtete die Suizidgefahr als klein. Anhaltspunkte
für eine Fremdgefährdung sind keine ersichtlich. Die von der Klinik
als notwendig angesehene medikamentöse Behandlung wurde noch
nicht begonnen, weil der Beschwerdeführer bisher jegliche Ein-
nahme von Medikamenten verweigerte. Die Klinik hat zwar diesbe-
züglich einen Zwangsmassnahmen-Entscheid getroffen, diesen aber
mit aufschiebender Wirkung versehen. Eine weitere Zurückbehaltung
in der Klinik kann somit nur dann verhältnismässig sein, wenn der
Beschwerdeführer - auch gegen seinen Willen - adäquat medika-
mentös behandelt werden kann. Es ist daher vorweg zu prüfen, ob
eine Zwangsmedikation verhältnismässig ist.
2. a) Die Klinik begründete ihren Zwangsmassnahmen- Ent-
scheid vom 29. März 2001 damit, dass beim Beschwerdeführer eine
Psychose vorliege. An der Verhandlung führte der behandelnde
Oberarzt aus, dass mit einer neuroleptischen Medikation das Zu-
standsbild des Beschwerdeführers verbessert werden könne. Die
aufschiebende Wirkung sei deshalb angeordnet worden, weil man
vor dem Beginn der Behandlung den Beschwerdeentscheid des Ver-
waltungsgerichts abwarten wollte.
b) Der Beschwerdeführer lehnt eine Behandlung mit neurolepti-
schen Medikamenten ab. Er ist lediglich zur Einnahme von homöo-
pathischen Mitteln bereit.
c) Eine neuroleptische Zwangsmedikation stellt zweifellos
einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit dar und darf da-
her nur erfolgen, wenn der betroffenen Person die notwendige Für-
sorge auf andere Weise nicht gewährleistet werden kann. Die
Zwangsbehandlung kann nur verhältnismässig sein, wenn die per-
sönliche Freiheit des Beschwerdeführers auf längere Sicht durch die
Verabreichung dieser Medikamente eindeutig weniger eingeschränkt
wird als durch andere erforderliche Ersatzmassnahmen. So hat auch
das Bundesgericht ausgeführt, eine Zwangsmedikation berühre den
2001
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
219
Kerngehalt des Grundrechtes der persönlichen Freiheit, weshalb von
einer derart weitgehenden Massnahme nur mit der gebotenen Zu-
rückhaltung Gebrauch gemacht werden dürfe. Damit der Richter in
der Lage sei, die Verhältnismässigkeit solcher Eingriffe zu beurtei-
len, seien an die Aussagekraft einer Krankengeschichte hohe Anfor-
derungen zu stellen. Je schwerer ein Eingriff wiege, desto sorgfälti-
ger sei er folglich zu begründen (BGE 124 I 304). In der Lehre wird
überdies die Meinung vertreten, dass das Verhältnismässigkeitsprin-
zip für eine Zwangsbehandlung voraussetzt, dass die Vorteile der
Massnahme die Nachteile
eindeutig
überwiegen (Thomas Geiser, Die
fürsorgerische Freiheitsentziehung als Rechtsgrundlage für eine
Zwangsbehandlung?, in: Familie und Recht, Festgabe der Rechtswis-
senschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg für Bernhard
Schnyder, Freiburg 1995, S. 311).
d) aa) Es steht fest, dass der Beschwerdeführer an einer para-
noiden Psychose leidet und dass bei ihm das Vorliegen zumindest
einer Geistesschwäche im juristischen Sinn zu bejahen ist. Die Er-
krankung brach vor ungefähr einem Jahr aus und befand sich im
Zeitpunkt der Einweisung in einem akuten Stadium. Der Beschwer-
deführer ist deshalb als dringend behandlungsbedürftig anzusehen.
Da bei Psychosen relativ gute Heilungs- oder zumindest Besse-
rungschancen bestehen, wenn möglichst schnell eine adäquate neu-
roleptische Behandlung stattfindet, ist auch die Behandlungsfähigkeit
des Beschwerdeführers zu bejahen.
bb) Weil eine Zwangsmedikation einen sehr schweren Eingriff
in die persönliche Freiheit darstellt, sind jedoch hohe Anforderungen
an die Verhältnismässigkeit zu stellen. Der Beschwerdeführer hat
sich in der Klinik ruhig, freundlich und im Umgang korrekt verhal-
ten. Er erklärte, er habe Zeit, um den Entscheid des Verwaltungsge-
richts über seine Beschwerden abzuwarten. Den Klinikaufenthalt
erlebte er offenbar als nicht allzu schweren Eingriff in seine Frei-
heitsrechte. Der Beschwerdeführer wehrt sich dagegen vehement
gegen eine medikamentöse Behandlung. Diese nun gegen seinen
Willen mit Zwang durchzuführen, wäre nur verhältnismässig, wenn
ohne Behandlung eine akute Fremd- oder Selbstgefährdung vorlie-
gen würde. Dies ist jedoch nach Aussagen des Klinikarztes und des
2001
Verwaltungsgericht
220
Sachverständigen nicht der Fall. Auch eine schwere Verwahrlosung
liegt nicht vor; der Beschwerdeführer lebte bis zum Klinikeintritt in
geregelten Verhältnissen. Es muss zudem in Betracht gezogen wer-
den, dass eine Zwangsmedikation mit Gewalt und gegen den aus-
drücklichen Willen des Beschwerdeführers eine Verstärkung von
dessen Gefühl, einer bösen Macht ausgeliefert zu sein, zur Folge
haben und sich so kontraproduktiv auswirken könnte.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass zur Zeit die
Schwelle für eine Zwangsbehandlung nicht erreicht ist, denn auch im
Falle einer Entlassung des Beschwerdeführers ohne medikamentöse
Behandlung ist nicht mit einem sofortigen Unglück zu rechnen. Der
Beschwerdeführer hat denn auch nachgewiesen, dass er nach dem
Klinikaustritt bei Kollegen wohnen kann. Mittelfristig sind allerdings
Selbstgefährdung und Verwahrlosung nicht auszuschliessen, weil der
Verlauf der paranoiden Psychose ohne medikamentöse Behandlung
eine schlechte Prognose hat. Aufgrund seiner Selbstbestimmungs-
rechte kann dem Beschwerdeführer die notwendige medizinische
Hilfe zur Zeit nicht erwiesen werden. Trotz dieser rechtlichen Situa-
tion wird ihm dringend empfohlen, sich in ambulante psychiatrische
Behandlung zu begeben, insbesondere wenn er weiterhin selbstschä-
digende Anweisungen durch Stimmen einer fremden Macht be-
kommt.
cc) Eine zwangsmässige medikamentöse Behandlung ist somit
nicht verhältnismässig; eine medizinische Indikation für eine andere
Behandlung besteht nicht. Deshalb hat ein weiterer Klinikaufenthalt
keinen Sinn und der Beschwerdeführer ist antragsgemäss aus der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung zu entlassen. | 1,719 | 1,397 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-53_2001-04-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-53.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-53.pdf | AGVE_2001_53 | null | nan |
c840318d-4b84-5651-9ea9-e3190d629c29 | 1 | 412 | 871,324 | 1,359,676,800,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
64
[...]
13
Behandlung ohne Zustimmung
-
Urteilsunfähigkeit betreffend Behandlung ohne Zustimmung mit
einem zusätzlichen Medikament trotz grundsätzlicher Krankheits-
einsicht (Erw. 4.3.)
2013
Fürsorgerische Unterbringung
65
-
Eine Beschwerde gegen eine Behandlung ohne Zustimmung hat kei-
ne aufschiebende Wirkung (Erw. 6.).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 12. Februar 2013 in Sa-
chen R.P. gegen den Entscheid der Klinik Köngisfelden (WBE.2013.46).
Aus den Erwägungen
B.
1.
Der Leitende Oberarzt X. ordnete am 5. Februar 2013 an, dass
der Beschwerdeführer gegen seinen Willen bis zum 12. Februar 2013
täglich 7 mg Psychopax in flüssiger Form einnehmen muss.
2.
Grundlage für diese Behandlung ohne Zustimmung ist Art. 434
ZGB, welche folgendermassen lautet:
"
1
Fehlt die Zustimmung der betroffenen Person, so kann die
Chefärztin oder der Chefarzt der Abteilung die im Behandlungsplan
vorgesehenen medizinischen Massnahmen schriftlich anordnen,
wenn:
1. ohne Behandlung der betroffenen Person ein ernsthafter ge-
sundheitlicher Schaden droht oder das Leben oder die körperliche In-
tegrität Dritter ernsthaft gefährdet ist;
2. die betroffene Person bezüglich ihrer Behandlungsbedürftig-
keit urteilsunfähig ist; und
3. keine angemessene Massnahme zur Verfügung steht, die we-
niger einschneidend ist.
2
Die Anordnung wird der betroffenen Person und ihrer Vertrau-
ensperson verbunden mit einer Rechtsmittelbelehrung schriftlich mit-
geteilt."
3.
Zunächst ist zu bemerken, dass die gesetzlich verlangten for-
mellen Anforderungen erfüllt sind:
Im Kanton Aargau sind die diensthabenden Kaderärztinnen und
Kaderärzte mit ärztlicher Leitung, das heisst Oberärzte und höhere
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
66
Chargen, zur Anordnung einer Behandlung ohne Zustimmung zu-
ständig (vgl. Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an
den Grossen Rat vom 27. April 2011, Ziff. 9.3.2; Botschaft des Re-
gierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 19. Okto-
ber 2011, Ziff. 3.3.4). Bei X. handelt es sich um einen in der Klinik
Königsfelden angestellten Leitenden Oberarzt, welcher die Verant-
wortlichkeit der Akutstation Y. innehat, und somit um einen "Chef-
arzt der Abteilung" im Sinne von Art. 434 Abs. 1 ZGB, der befugt ist,
eine solche Behandlung ohne Zustimmung anzuordnen.
Ferner wurde die Anordnung dem Beschwerdeführer samt
Rechtsmittelbelehrung schriftlich mitgeteilt (vgl.
Art.
434 Abs.
2
ZGB).
4.
4.1.
4.1.1.
Gemäss Gesetzestext (Art. 434 Abs. 1 ZGB) muss es sich bei
der angefochtenen medizinischen Behandlung um eine Massnahme
handeln, die im Behandlungsplan vorgesehen war, die betroffene
Person hierzu jedoch die Zustimmung nun verweigert. Es kann somit
nur eine im Behandlungsplan vorgeschlagene Behandlung vom be-
handelnden Arzt angeordnet werden (vgl. T
HOMAS
G
EISER
/M
ARIO
E
TZENSBERGER
in: Geiser/Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar, Er-
wachsenenschutz, Basel 2012, Art. 434/435 N 16).
4.1.2.
Im Behandlungsplan vom 31. Januar 2013 war die Behandlung
mit dem Medikament Valium vorgesehen. Psychopax ist ein Benzo-
diazepin, welches genau gleich wie Valium den Wirkstoff Diazepan
enthält (vgl. www.compendium.ch). Der Unterschied zwischen den
beiden Medikamenten besteht lediglich darin, dass Psychopax in
flüssiger Form und Valium in Tablettenform eingenommen werden
kann. Da die Wirkstoffe jedoch dieselben sind, kann festgestellt wer-
den, dass im vorliegenden Fall die medikamentöse Behandlung mit
Psychopax sinngemäss im Behandlungsplan enthalten ist und die
Voraussetzung gemäss Art. 434 Abs. 1 ZGB erfüllt ist.
2013
Fürsorgerische Unterbringung
67
4.2.
4.2.1.
In Anlehnung an den Gesetzestext ist in materieller Hinsicht so-
dann zu prüfen, ob ohne Behandlung des Beschwerdeführers mit
Psychopax ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden droht oder das
Leben oder die körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährdet ist
(vgl. Art. 434 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB).
4.2.2.
Dem Wortlaut des Gesetzes nach muss eine ernstliche Gefähr-
dungssituation vorliegen. Es kann sich sowohl um Selbst- oder um
Fremdgefährdung handeln (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006
7069). Ein ernstlicher Gesundheitsschaden im Sinne einer Selbstge-
fährdung liegt dann vor, wenn eine Beeinträchtigung wichtiger
körperlicher oder psychischer Funktionen mit hoher Wahrscheinlich-
keit zu befürchten ist (T
HOMAS
G
EISER
/M
ARIO
E
TZENSBERGER
, in:
a.a.O., Art. 434/435 N 19).
4.2.3.
Der Beschwerdeführer trat am 21. Januar 2013 in die Klinik
Königsfelden ein. Obschon er grundsätzlich krankheitseinsichtig war
und sich seines manischen Zustands bewusst zeigte, bestand seit dem
Eintritt ein ständiges Ringen um die Medikation. Der Beschwerde-
führer war zwar stets bereit, das Medikament Seroquel einzunehmen,
verhielt sich indessen bezüglich einer zusätzlichen Medikation hoch-
ambivalent. Zunächst war er mit der Einnahme von Valium einver-
standen. Wenige Tage später wehrte er sich jedoch dagegen. Am
31. Januar 2013 äusserte er Suizidgedanken und entwich aus der
Klinik. Gleichentags fand ein Gespräch über die Medikation mit dem
Oberarzt statt. Der Beschwerdeführer gab an, nicht mit Orfiril thera-
piert werden zu wollen, da er in der Vergangenheit davon Tremor er-
halten habe. Der Beschwerdeführer erklärte sich schliesslich mit der
Einnahme von Lithium einverstanden. Sobald dieses wirken würde,
sollte das Valium ausgeschlichen werden. Bereits einen Tag später
verweigerte er allerdings die Einnahme von Lithium, als ihn die
Pflege hierzu aufforderte, mit der Begründung, dass dieses ihn de-
pressiv machen würde. Auch die Einnahme von Valium verwehrte er.
Aufgrund der Verschlechterung des Zustands wurde schliesslich am
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
68
5. Februar 2013 eine Behandlung mit dem Medikament Psychopax
gegen den Willen des Beschwerdeführers angeordnet.
4.2.4.
Obschon der Beschwerdeführer während seines Aufenthalts im
Satis Seroquel regelmässig einnahm, geriet er Mitte Januar in einen
hochmanischen Zustand. Überdies verschlechterte sich sein Zustand
während des Klinikaufenthalts nach dem Absetzen des ursprünglich
verordneten Valiums, so dass er am 29. Januar 2013 von der Abtei-
lung Z. wieder auf die Akutstation Y. verlegt werden musste, weil er
dort aufgrund seines manischen Verhaltens (gereizt, laut, be-
schimpfend) nicht mehr tragbar war. Auch nach dem 31. Januar
2013, als er Suizidgedanken äusserte und aus der Klinik entwich,
verhielt er sich sehr angetrieben, war gereizt, aufbrausend und über-
heblich. Er hielt sich nicht an Ausgangsregelungen und kehrte nicht
zu den vereinbarten Zeiten zurück. Einmal wehrte er sich laut und
vehement gegen die Instruktionen des Pflegepersonals anlässlich der
Morgenrunde.
Diese Vorfälle zeigen, dass es offensichtlich nötig ist, dass der
Beschwerdeführer in seinem aktuellen Zustand zusätzlich zu Sero-
quel mit einem Stimmungsstabilisator wie Lithium, Convulex oder
Orfiril oder mit einem Benzodiazepine wie Valium bzw. Psychopax
behandelt werden muss, um die manischen Symptome in den Griff
zu bekommen. Zu diesem Schluss kommt übrigens auch die sachver-
ständige Psychiaterin im Rahmen ihres Kurzgutachtens.
4.2.5.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Beschwerdeführer in
der Lage ist, sich selber gesundheitliche Schäden zuzufügen, hat er
doch schon zwei Suizidversuche hinter sich. Bei Nichteinnahme von
zusätzlichen Medikamenten zur Stabilisierung der Stimmung des Be-
schwerdeführers war das Risiko einer Selbstgefährdung damit als
hoch einzustufen, insbesondere da er sehr angetrieben war und
Suizidgedanken äusserte. Im Zeitpunkt der Anordnung am 5. Februar
2013 war somit die Voraussetzung der Gefahr eines ernsthaften ge-
sundheitlichen Schadens gemäss Art. 434 Abs. 1 Ziff. 1 erfüllt.
2013
Fürsorgerische Unterbringung
69
4.2.6.
Die Behandlung mit Psychopax war gemäss Anordnung vom
5. Februar 2013 bis zum 12. Februar 2013 vorgesehen und somit auf
sieben Tage befristet. Dass die Aufrecherhaltung der Massnahme bis
zum 12. Februar 2013 ebenfalls gesetzesmässig ist, manifestiert der
Vorfall vom 9. Februar 2013 deutlich: Der Beschwerdeführer legte
im hochmanischen Zustand in seinem Zimmer einen Brand und ge-
fährdete damit sowohl seine eigene Gesundheit wie auch die körper-
liche Integrität Dritter in ernstlicher Weise.
4.3.
4.3.1.
Sodann verlangt das Gesetz die Urteilsunfähigkeit der betroffe-
nen Person bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit (Art.
434
Abs. 1 Ziff. 2 ZGB).
4.3.2.
Gemäss Art. 16 ZGB ist urteilsfähig, wem nicht wegen Kindes-
alters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch
oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu
handeln. Urteilsfähig ist, wer einerseits über die Fähigkeit verfügt,
den Sinn und Nutzen sowie die Wirkungen eines bestimmten Verhal-
tens einsehen und abwägen zu können. Andererseits muss ein
Willensmoment gegeben sein, nämlich die Fähigkeit, gemäss der
Einsicht nach freiem Willen handeln zu können (M
ARGRITH
B
IGLER
-
E
GGENSBERGER
, in: Honsell/Vogt/Geiser [Hrsg.], Basler Kommen-
tar, Zivilgesetzbuch I, Basel 2010, 4. Aufl., Art. 16 N 3). Dabei beur-
teilt sich die Urteilsfähigkeit nach konstanter Rechtsprechung und
Lehre nie abstrakt oder ein für alle Mal gleich bezüglich einer Per-
son, sondern stets relativ. Es kommt somit darauf an, ob die Urteils-
fähigkeit für eine konkrete Handlung und zu einem bestimmten Zeit-
punkt gegeben ist (M
ARGRITH
B
IGLER
-E
GGENSBERGER
, in: a.a.O.,
Art. 16 N 34).
4.3.3.
Art. 434 ZGB bestimmt, dass die Urteilsunfähigkeit bezogen
auf die eigene Behandlungsbedürftigkeit mit einer konkret in Aus-
sicht gestellten Behandlung vorliegen muss. Fraglich ist, in welchen
Situationen dies der Fall sein kann. Die Botschaft zum neuen
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
70
Erwachsenenschutzrecht führt hierzu Folgendes aus (Botschaft Er-
wachsenenschutz, BBl 2006 7069):
"So ist es denkbar, dass den Patientinnen oder Patienten die
kognitive Fähigkeit, z.B. wegen Demenz, schweren Intelligenz-
mangels oder Bewusstseinsstörungen, schlicht mangelt und sie so
weder Zustimmung noch Ablehnung äussern. Denkbar ist aber auch,
dass die Krankheit, z.B. Schizophrenie, die Wahrnehmungsfähigkeit
beeinträchtigt und die Entschlussfähigkeit lähmt, z.B. im Fall einer
Sucht, so dass die Patientinnen oder Patienten zwar merken, worum
es geht, einer angepassten Behandlung aber nicht zustimmen können
und dies mit verbalem und allenfalls physischem Widerstand aus-
drücken, weil sie in ihrer die ganze Persönlichkeit erfassenden
Schwäche ihre Situation nicht vernunftgemäss einschätzen können.
Die erste Situation stellt für Laien selten ein Problem dar. Die Perso-
nen der zweiten Gruppe imponieren dagegen oft als zu Unrecht
unterdrückte, geplagte und manipulierte Menschen, denen es gegen
eine dominante Psychiatrie zu helfen gilt. Erst die mehrjährige Erfah-
rung von Angehörigen solch psychisch Kranker, von behandelnden
und betreuenden oder sonst wie involvierten Personen, z.B. Nach-
barn, Behörden, Juristinnen und Juristen, zeigt, wie schädlich es sein
kann, diese Patienten und Patientinnen nicht zu behandeln. Man will
in ehrlichem Bemühen die Freiheit dieser kranken Menschen bewah-
ren und übersieht, dass die Krankheit selbst diese Freiheit schon
längst schwer beeinträchtigt oder zunichte gemacht hat."
In die von der Botschaft beschriebene zweite Kategorie sind so-
mit Menschen einzuordnen, welche zwar einen Willen ausdrücken
können, dessen Bildung aber nicht auf Grund des geforderten Min-
destmass an Rationalität beruht (vgl. auch T
HOMAS
G
EISER
/M
ARIO
E
TZENSBERGER
, in: a.a.O., Art. 434/435 N 18).
4.3.4.
Wie die diversen geschilderten Ereignisse (Bezug einer Geld-
summe von Fr. 9'000.00 vom Postkonto ohne Zustimmung der
Beiständin, überstürzter Auszug aus dem Wohnheim Satis, Entwei-
chen aus der Klinik Königsfelden, Brandlegung im Zimmer, Wunsch
nach gänzlicher Absetzung der Medikamente) sowie die angetrie-
bene, gehobene aber oftmals auch sehr gereizte Stimmung des Be-
2013
Fürsorgerische Unterbringung
71
schwerdeführers zeigen, befindet sich dieser in einer starken mani-
schen Episode, welche immer noch anhält. In diesem Zustand neigt
der Beschwerdeführer zu Selbstüberschätzung, was zu einem
mangelnden Realitätsbezug führt, insbesondere auch bezüglich der
Medikation. Aufgrund des ansteigenden manischen Zustands in der
Klinik Königsfelden traten denn auch immer grössere Probleme mit
dem Behandlungsteam und den Mitpatienten auf, so dass er sich in
eine Verzweiflung steigerte, die bis zu Suizidgedanken und am
9. Februar 2013 zu einer massiv selbst- und fremdgefährlichen Hand-
lung führte. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer zurzeit einen
Schub seiner chronischen Hautkrankheit, Morbus Darier, erfährt. Er
ist der Ansicht, dass die psychiatrischen Medikamente die Haut-
krankheit verschlimmern würden und wünschte auch aus diesem
Grund, die Medikamente gänzlich absetzen. Es ist jedoch nicht er-
stellt, dass die Medikamente die Hautkrankheit verschlimmern.
Ebenso denkbar ist, dass der manische Zustand des Beschwerde-
führers als einer der auslösenden Faktoren für den aktuellen Schub
der Hautkrankheit anzusehen ist. Obschon die Hautkrankheit sicher-
lich sehr beeinträchtigend ist, ist der Plan des Beschwerdeführers,
eine Zeit lang sämtliche Medikamente abzusetzen, nicht nachvoll-
ziehbar, zumal eine schwere psychische Erkrankung vorliegt, welche
gar in den Suizid führen könnte. Ohne Psychopharmaka ist mit einer
schweren manischen oder schweren depressiven Episode und damit
mit grosser Selbstgefährdung zu rechnen. Überdies ist es medizinisch
nicht erstellt, dass die verordneten Medikamente die Hautkrankheit
verschlimmern.
Für das Verwaltungsgericht besteht kein Zweifel, dass der Be-
schwerdeführer in die in der Botschaft beschriebene zweite Katego-
rie von Personen fällt: Der Beschwerdeführer ist zwar grundsätzlich
krankheitseinsichtig und kann sich auch entsprechend äussern, je-
doch kann er aufgrund seines aktuellen Schwächezustands infolge
seiner akuten psychischen Erkrankung die Situation nicht vernunft-
gemäss einschätzen. Ihm fehlte in der konkreten Situation vom
5. Februar 2013 die Urteilsfähigkeit betreffend die Notwendigkeit
eines zusätzlichen Medikaments zum Seroquel, da er aufgrund des
psychischen Zustands nicht einsah, dass die Behandlung mit Sero-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
72
quel nicht genügte, um das manische Zustandsbild zu verbessern.
Die Situation hat sich im Übrigen seither nicht verändert, gab er doch
anlässlich der Verhandlung zu Protokoll, er wolle ohne jegliche Me-
dikamente auskommen und dies obschon er aktuell nebst 900 mg
Seroquel mit 19 mg eine hohe Dosis Valium einnimmt, was mass-
geblich dazu beigetragen hat, dass er sich an der Verhandlung gut
kontrollieren konnte.
4.3.5.
Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in
Bezug auf seine Behandlungsbedürftigkeit mit dem zusätzlichen Me-
dikament Psychopax urteilsunfähig war und folglich die Vorausset-
zung von Art. 434 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB ebenfalls erfüllt ist.
4.4.
4.4.1.
Schliesslich ist zu prüfen, ob der Grundsatz der Verhältnis-
mässigkeit hinreichend beachtet wurde. Die Massnahme darf gemäss
Gesetzestext nur angeordnet werden, "wenn keine angemessene
Massnahme zur Verfügung steht, die weniger einschneidend ist"
(Art. 434 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Weniger einschneidende Massnahmen
sind insbesondere solche, die dem tatsächlichen oder mutmasslichen
Willen des Patienten mehr entsprechen als die vorgeschlagenen
(T
HOMAS
G
EISER
/M
ARIO
E
TZENSBERGER
, in: a.a.O., Art. 434/435
N 22).
4.4.2.
Wie bereits erläutert, war ein zusätzliches Medikament zu Sero-
quel aus psychiatrischer Sicht dringend angezeigt. Dem Beschwerde-
führer wurden von Oberarzt X. diverse Medikamente vorgeschlagen,
welche jedoch vom Beschwerdeführer schliesslich alle abgelehnt
wurden. Die Verabreichung von Psychopax war insofern eine nach-
vollziehbare Wahl, weil es den gleichen Wirkstoff wie Valium ent-
hält. Der Beschwerdeführer hatte zu Beginn des Klinikaufenthaltes
Valium bereits eingenommen und sprach grundsätzlich gut darauf an.
Es ist folglich nicht ersichtlich, welche weniger einschneidende
Massnahme hätte ergriffen werden können, um das gewünschte Ziel,
nämlich die Reduktion des Risikos einer Selbst- oder Fremdge-
fährdung, zu erreichen. Hierzu ist ein Benzodiazepine wie Psychopax
2013
Fürsorgerische Unterbringung
73
im Übrigen zweifellos geeignet. Der Entscheid, den Beschwerde-
führer ohne seine Zustimmung zusätzlich mit Psychopax zu behan-
deln, ist somit unter den gegebenen Umständen als verhältnismässig
anzusehen.
5.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass vom 5. Februar 2013
bis zum heutigen Zeitpunkt eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit
des Beschwerdeführers bestand bzw. besteht. Dieser Gefahr konnte
nicht anders als mit der Anordnung einer Behandlung mit dem Medi-
kament Psychopax gegen den Willen des Beschwerdeführers begeg-
net werden. Aufgrund des manischen Zustandsbilds war es dem Be-
schwerdeführer nicht möglich, die Situation vernunftgemäss einzu-
schätzen, womit er bezüglich seiner Behandlungsbedürftigkeit mit
Psychopax urteilsunfähig war. Die Anordnung einer medizinischen
Behandlung ohne Zustimmung vom 5. Februar 2013 war demnach
rechtmässig und die diesbezügliche Beschwerde ist abzuweisen.
6.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Kon-
ferenz der Kantone für Kindes und Erwachsenenschutz (KOKES) die
Meinung vertritt, einer Beschwerde gegen eine Behandlung ohne Zu-
stimmung im Sinne von Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB komme auf-
schiebende Wirkung zu (KOKES, Praxisanleitung Erwachsenen-
schutz, Zürich/St. Gallen 2012, Rz.10.47). Dieser Ansicht kann aus
folgenden Gründen nicht gefolgt werden: Die auf Art. 439 Abs. 1
Ziff. 4 ZGB anzuwendende Verfahrensbestimmung, Art. 450e Abs. 2
ZGB, hält eindeutig fest, dass den Beschwerden gegen einen Ent-
scheid auf dem Gebiet der fürsorgerischen Unterbringung grundsätz-
lich keine aufschiebende Wirkung zukommt, sofern die Erwachse-
nenschutzbehörde oder die gerichtliche Beschwerdeinstanz nichts an-
deres verfügt. Eine Ausnahme bei einer Beschwerde gegen eine Be-
handlung ohne Zustimmung ist weder dem Gesetz noch der Bot-
schaft zu entnehmen (vgl. Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006
7069 f., 7071 f. und 7086). Ferner wäre es aus medizinischer Sicht
nicht im Interesse des Patienten, die Rechtsmittelfrist abzuwarten, bis
eine entsprechende medizinische Behandlung tatsächlich durchge-
führt werden kann. Dies würde darauf hinauslaufen, dass Patienten
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
74
ohne adäquate Behandlung in der Klinik zurückbehalten würden,
wodurch sich ihr Zustand nicht verbessert, sondern eher verschlech-
tert. So käme es häufig zu Notfallsituationen (vgl. Art. 435 ZGB).
Die Ärzte müssten in diesen Fällen warten, bis eine Notfallsituation
eintrifft, statt dass die adäquate Behandlung schon vorher angeordnet
werden kann. Notfallsituationen sind sowohl für den Patienten selber
als auch für sämtliche in einer Einrichtung anwesenden Personen wie
Mitpatienten, Pflegepersonal und Ärzte äusserst belastend und be-
einträchtigen den regulären Betrieb erheblich, weshalb solche Not-
fallsituationen mit einer vorausschauenden medizinischen Behand-
lung möglichst vermieden werden sollten. Eine aufschiebende Wir-
kung solcher Beschwerden kann mit Blick auf das Gesagte somit
vom Bundesgesetzgeber nicht gewollt sein. Entsprechend wird im
kantonalen Recht in § 67q Abs. 1 lit. e i.V.m. § 67q Abs. 2 EG ZGB
denn auch ausdrücklich geregelt, dass bei Beschwerden gegen eine
Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung Art. 450e
Abs. 2 ZGB sinngemäss zur Anwendung gelangt und demzufolge
diesen Beschwerden eben grundsätzlich keine aufschiebende Wir-
kung zukommt. Die angefochtene Anordnung und anschliessende
Verabreichung von Psychopax war im vorliegenden Fall somit auch
in dieser Hinsicht rechtmässig. | 4,463 | 3,622 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-13_2013-02-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-13.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-13.pdf | AGVE_2013_13 | null | nan |
c89021cd-8975-586a-be99-76af9fec83a8 | 1 | 412 | 871,856 | 1,535,932,800,000 | 2,018 | de | 2018
Submissionen
253
V. Submissionen
22
Ausschluss eines Anbieters vom Verfahren; Arbeitsbedingungen
Ausschluss eines Anbieters vom Verfahren wegen Nichteinhaltens der Ar-
beitsbedingungen (orts- und branchenübliche Mindestlöhne).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom
17. September 2018, in Sachen A. GmbH gegen Kanton Aargau
(WBE.2018.188).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
§ 3 Abs. 1 lit. a SubmD bestimmt, dass die Vergabestelle, sofern
übergeordnetes Recht nichts anderes vorschreibt, den Auftrag nur an
Anbietende vergibt, die die am Ort der Leistung massgeblichen
Bestimmungen über Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen einhal-
ten . Die Vergabestelle ist berechtigt, die Einhaltung dieser Bestim-
mung zu kontrollieren oder kontrollieren zu lassen. Auf Verlangen
haben die Anbietenden deren Einhaltung zu bestätigen oder nach-
zuweisen (§ 3 Abs. 2 SubmD). Laut Art. 11 lit. e IVöB sind die Ar-
beitsschutzbestimmungen und die Arbeitsbedingungen für Arbeitneh-
mer zu beachten. § 7 Abs. 1 der Vergaberichtlinien (VRöB) zur IVöB
bestimmt u.a., dass die Auftraggeberin vertraglich sicherstellt, dass
die Anbieterin die geltenden Arbeitsbedingungen einhält und Dritte,
denen sie Aufträge weiterleitet, ebenfalls vertraglich verpflichtet, die
Arbeitsbedingungen einzuhalten. Als Arbeitsbedingungen gelten die
Vorschriften der Gesamt- und der Normalarbeitsverträge; wo diese
fehlen, gelten die orts- und berufsüblichen Vorschriften. Alle in der
Schweiz geltenden Vorschriften werden dabei als gleichwertig be-
trachtet (§ 7 Abs. 2 VRöB). Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
254
Vergabestelle bei Vorliegen genügender Gründe Anbietende vom
Verfahren aus. Dies gilt insbesondere in den in § 28 Abs. 1 lit. a - h
SubmD genannten Fällen. Auszuschliessen sind u.a. Anbietende, die
den Verpflichtungen aus § 3 SubmD nicht nachkommen (§ 28 Abs. 1
lit. d SubmD; vgl. auch § 27 lit. d VRöB).
2.2.
Die Einhaltung der Arbeitsbedingungen - wozu u.a. Arbeits-
zeiten, (Mindest-)Löhne, Lohnzulagen und Sozialleistungen zu zäh-
len sind - gehört - nebst der Einhaltung der Steuer- und Abgabe-
pflichten, der Arbeitssicherheitsbedingungen oder der Umweltschutz-
gesetzgebung - zu den sog. vergaberechtlichen Grundvoraussetzun-
gen. Darunter werden Vorbedingungen verstanden, welche alle
Anbieter erfüllen müssen, um ganz losgelöst von der Natur und der
Ausgestaltung des konkret zur Frage stehenden öffentlichen Auftrags
an einem öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen zu können.
Diese Bedingungen können nicht mehr oder weniger erfüllt sein,
sondern nur ganz oder gar nicht (binäre Kriterien). Es handelt sich
um jene Aspekte, ohne die ein lauterer Vergabewettbewerb undenk-
bar wäre und bei deren Missachtung das öffentliche Beschaffungs-
recht überhaupt in Misskredit kommen könnte. Anbieter, welche die
Grundvoraussetzungen nicht erfüllen, sind ungeachtet des Auftrag-
gegenstandes von jedem Verfahren auszuschliessen (MARTIN
BEYELER, Der Geltungsanspruch des Vergaberechts,
Zürich/Basel/Genf 2012, Rz. 1478 mit Hinweisen; CHRISTOPH
JÄGER, Ausschluss vom Verfahren - Gründe und Rechtsschutz,
Aktuelles Vergaberecht 2014, S. 340).
3.
3.1.
Im vorliegenden Fall hatten die Anbieter ihrer Offerte die
ausgefüllte und rechtsgültige unterzeichnete Beilage 2, enthaltend in
Ziff. 3 u.a. eine Selbstdeklaration / Bestätigung des Anbieters ,
beizufügen. Im Rahmen dieser Selbstdeklaration / Bestätigung des
Anbieters hat die Beschwerdeführerin die Frage, ob sie die am Ort
der ausgeübten Tätigkeit branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbe-
dingungen einhalte (Ziff. 3 lit. d), jeweils mit Ja beantwortet. Bei
den Fragen betreffend die Einhaltung der Gesamt- und Normal-
2018
Submissionen
255
arbeitsverträge (Ziff. 3 lit. b und c) kreuzte sie jeweils k.A. (keine
Angaben) an. Mit Schreiben vom 28. März 2018 forderte die
Vergabestelle die Beschwerdeführerin - vor dem Hintergrund, dass
sie die von dieser offerierten Kurspreise für ungewöhnlich niedrig er-
achtete - u.a. auf, mittels eines beigelegten Formulars zu belegen,
wie sich die Lohnkosten der Kursleitungen zusammensetzten ( von
der Kursleitung mit dem höchsten und mit dem tiefsten Lohn pro
Los ). Zudem sei auch ein Lohnreglement, falls vorhanden, oder
andere Dokumente, aus denen ersichtlich sei, dass die effektiv
entrichteten Löhne den Submissionsbedingungen genügten, beizule-
gen. Aus den ausgefüllten Formularen ist zu entnehmen, dass die
Kursleitungen der Beschwerdeführerin mittels Arbeitsvertrag mit
einem Jahrespensum von 1'232 Lektionen zu einem Bruttolohn von
Fr. 6'000.00 (höchster Lohn) bzw. Fr. 5'500.00 (tiefster Lohn) ange-
stellt sind. Im Bruttolohn eingeschlossen ist - in den Formularen für
die drei Lose entsprechend angekreuzt - die Vor-/Nachbearbeitung
des Unterrichts, administrative Aufgaben, die Teilnahme an
Sitzungen sowie der gesetzliche Ferienzuschlag und die Feiertagsent-
schädigung. Die Ferien betragen 4 Wochen. Spesen werden nach
Aufwand entschädigt. Im Bruttolohn enthalten sind sodann maximal
zwei bezahlte Weiterbildungen à je maximal 12 Stunden pro Jahr. Im
zugehörigen Begleitschreiben vom 9. April 2018 erläuterte die Be-
schwerdeführerin die Berechnungsgrundlage: 28 Lektionen ent-
sprechen einem 100% Pensum und somit 112 Lektionen im Monat
bzw. 1344 Lektionen im Jahr, abzüglich 1 Monat Ferien. Das Jahres-
pensum bei 100% beträgt somit 1232 Lektionen im Jahr was wie-
derum 102.66 Lektionen im Monat entsprechen. Die Lohnkosten pro
Lektion betragen somit bei einem Durchschnittlichen Lohn von
Brutto 6000.- CHF: 58.44 CHF zuzüglich ca. 0.13% Arbeitnehmer-
beiträge . Der Bruttolohn pro Lektion (à 45 Minuten) beläuft sich
nach eigenen Angaben der Beschwerdeführerin beim Höchstlohn so-
mit auf Fr. 58.44. Beim tiefsten Lohn von brutto Fr. 5'500.00 beträgt
der Lohn pro Lektion (à 45 Minuten) entsprechend Fr. 53.57.
3.2.
Die Vergabestelle stützt sich bei der Bestimmung der orts- und
branchenüblichen Mindestlöhne in erster Linie auf das Lohnbuch
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
256
Schweiz 2018 . Danach betragen die Löhne in der Integrationsförde-
rung für Lehrpersonen von Deutschkursen gemäss dem
Gesamtarbeitsvertrag (GAV) zwischen ECAP und der Gewerkschaft
UNIA sowie dem Schweizerischen Verband des Personals Öffent-
licher Dienste VPOD je nach Alter und Erfahrung der Kursleitenden
und des Deutschkursformats (Grundlagenkurs, Basiskurs, Semester-
kurs) pro Lektion à 50 Minuten zwischen Fr. 68.85 und Fr. 76.75
brutto. Pro Lektion à 45 Minuten betragen die Löhne entsprechend
zwischen Fr. 61.95 und Fr. 69.05 brutto. Das Lohnbuch Schweiz
2017 macht dieselben Lohnangaben. Damit erweist sich der Ein-
wand der Beschwerdeführerin, die Vergabestelle hätte nicht auf das
Lohnbuch Schweiz 2018 abstellen dürfen, da dieses im Zeitpunkt
der Angebotseingabe (Ende Februar 2018) noch nicht veröffentlicht
gewesen sei, im Ergebnis als unerheblich. Ebenfalls offensichtlich
nicht stichhaltig ist das Argument der Beschwerdeführerin, die B. de-
klariere für das Fachpersonal Integration einen branchenüblichen
Stundenlohn von Fr. 36.75 brutto. Dabei handelt es sich, wie die
Vergabestelle zu Recht einwendet, um eine andere Berufsgruppe mit
anderen Anstellungsvoraussetzungen; insofern können die dortigen
Mindestlöhne nicht zu Vergleichszwecken herangezogen werden.
Vom Mindestlohn von Fr. 61.95 gemäss Lohnbuch hat die Vergabe-
stelle eine Toleranz von 5 % (analog dem Lohnvergleich im Rahmen
von Arbeitsmarktbeobachtungen des MIKA) in Abzug gebracht und
gelangt so zu einem orts- und branchenüblichen Mindestlohn von
Fr. 58.85 brutto pro Lektion von 45 Minuten. Das Vorgehen der
Vergabestelle zur Ermittlung des massgebenden Mindestlohns ist
ohne Weiteres nachvollziehbar und nicht zu beanstanden (vgl. auch
Erw. 3.4 hiernach).
Als unbehelflich erweist sich in diesem Zusammenhang
insbesondere auch der Einwand der Beschwerdeführerin, der von der
Vergabestelle erwähnte Gesamtarbeitsvertrag sei ihr unbekannt.
Existiert in einer Branche ein Gesamtarbeitsvertrag, sind die Anbie-
ter zwar nicht verpflichtet, diesem beizutreten, jedoch darf im Rah-
men der Vergabe öffentlicher Aufträge von ihnen dessen Einhaltung
in Bezug auf die massgeblichen Arbeitsbedingungen, u.a. auch die
2018
Submissionen
257
vorgesehenen Mindestlöhne, verlangt werden (vgl. Art. 7 VRöB;
oben Erw. 2.1; ferner auch BGE 130 I 258 ff.).
3.3.
3.3.1.
Wie vorstehend (Erw. 3.1) ausgeführt, hat die Beschwerde-
führerin im Rahmen der Plausibilitätsüberprüfung Löhne von
Fr. 58.44 bzw. Fr. 53.57 brutto pro Lektion deklariert. Beide
Lohnangaben liegen somit unter dem orts- und branchenüblichen
Mindestlohn von Fr. 61.95 bzw. - nach Abzug der Toleranz von 5 %
- von Fr. 58.85 brutto pro Lektion.
3.3.2.
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren stellt die Beschwerde-
führerin die Richtigkeit des Abstellens auf die von ihr im Rahmen
der Plausibilitätsüberprüfung selbst deklarierten Lohnangaben in
Frage. Sie macht zum einen geltend, die Vorteile ihrer Anstel-
lungsbedingungen (Jahresarbeits-Modell) und die dadurch bewirkte
Besserstellung der Arbeitnehmenden blieben in der Gegenüberstel-
lung des Stundenlohns zu Unrecht unberücksichtigt. Zum anderen
seien in den deklarierten Zahlen zur Plausibilitätsprüfung die
Betriebsferien von mindestens einer Woche nicht enthalten. Würden
diese Betriebsferien eingerechnet, läge der Lohn pro Lektion bei
Fr. 59.80 brutto (bei einer Woche) bzw. Fr. 61.22 brutto (bei zwei
Wochen) und somit jedenfalls innerhalb der Toleranz des orts- und
branchenüblichen Lohns. Diese Argumente der Beschwerdeführerin
vermögen indessen nicht zu überzeugen und die Unterschreitung des
branchenüblichen Mindestlohns pro Lektion nicht zu rechtfertigen.
Dies gilt zunächst für die behauptete Besserstellung der Arbeitneh-
mer durch die Festanstellung mit Jahrespensum bei Schwankungen
des Auftragsvolumens. Die Vergabestelle weist zum einen zu Recht
darauf hin, dass sich ein allfälliger Vorteil einer Anstellung mit Jah-
respensum (im Vergleich zu einer Anstellung auf Stundenlohnbasis)
nicht mit einem frankenmässig klar bezifferbaren Betrag festsetzen
lässt, der zu den ausgewiesenen Ansätzen pro Lektion hinzugerech-
net werden könnte. Nachvollziehbar sind zum anderen auch die
Zweifel der Vergabestelle an der Behauptung der Beschwerdefüh-
rerin, die branchenüblichen Schwankungen des Auftragsvolumens
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
258
gingen ausschliesslich zu ihren Lasten und auch bei geringeren Auf-
tragsvolumina würden für die Arbeitnehmer keinerlei Lohneinbussen
entstehen. Dies mag bei vorübergehenden, sehr kurzfristigen und nur
geringfügigen Auftragsrückgängen zutreffen. Bei zu tiefem Auftrags-
volumen wird aber auch die Beschwerdeführerin ihren Angestellten
weder die Anstellung noch das vertragliche Jahrespensum längerfris-
tig garantieren können. Beschäftigungsmöglichkeit und Beschäfti-
gungsgrad hängen auch bei einer Anstellung mit Jahrespensum vom
effektiv vorhandenen Auftragsvolumen ab. Der Standpunkt der
Vergabestelle, auch aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin
Anstellungen mit einem Jahrespensum anbiete, könne nicht auf die
Branchenüblichkeit ihrer Ansätze geschlossen werden, erscheint vor
diesem Hintergrund ohne Weiteres nachvollziehbar. Die Ausführun-
gen der Beschwerdeführerin in der Replik ändern nichts an der Tatsa-
che, dass sie die hier relevanten Mindestlöhne offenkundig nicht ein-
hält.
In Bezug auf die Betriebsferien, die nach Auffassung der Be-
schwerdeführerin beim Lohnvergleich mitzuberücksichtigen sind, ist
festzustellen, dass in den Formularen zur Plausibilitätsüberprüfung
der Kursleiterlöhne jeweils vier Wochen Ferien angegeben sind. Be-
triebsferien werden nicht erwähnt. Auch das beigelegte Betriebsreg-
lement äussert sich diesbezüglich nicht. Auf dieser Grundlage hat die
Beschwerdeführerin das effektive Pensum, d.h. die Anzahl der zu er-
teilenden Lektionen pro Jahr (1'232) und pro Monat (102.66),
berechnet, woraus die Ansätze von Fr. 58.44 brutto (beim höchsten
Lohn von Fr. 6'000.00 brutto) bzw. Fr. 53.57 brutto (beim tiefsten
Lohn von Fr. 5'500.00 brutto) pro Lektion resultierten (vgl. auch
oben Erw. 3.1). Die Vergabestelle hatte angesichts der klaren und
eindeutigen Angaben der Beschwerdeführerin im Vergabeverfahren
keinerlei Veranlassung, nicht darauf abzustellen. Die Anbietenden
sind für den korrekten Inhalt ihrer Angebote selber verantwortlich,
und sie sind bei den von ihnen gemachten Angaben zu behaften. Der
Beschwerdeführerin wurde vorliegend von der Vergabestelle nach-
träglich die Gelegenheit geboten, zu belegen, dass sie die orts- und
branchenüblichen Mindestlöhne einhält; in diesem Kontext war auch
der Ferienanspruch anzugeben (vgl. Erw. 3.1). Tatsache ist, dass sie
2018
Submissionen
259
im Rahmen dieser Plausibilitätsprüfung ausdrücklich vier Wochen
Ferien deklariert hat. Zum einen ist es nicht Sache der Vergabestelle,
die Unterlagen (wie z.B. Unterrichts- und Einsatzpläne) daraufhin zu
überprüfen, ob sich aus ihnen noch zusätzliche (bezahlte) Ferien- und
Freitage ergeben, die sich gegebenenfalls auf die Lohnhöhe auswir-
ken könnten. Sie darf vielmehr auf die gemachten Angaben abstellen.
Zum anderen folgt aus den mit der Replik vorgelegten Arbeitsver-
trägen keineswegs ein rechtsverbindlicher zusätzlicher Ferienan-
spruch der Kursleitenden. Es kann diesbezüglich auf die zutreffenden
Ausführungen der Vergabestelle verwiesen werden.
3.4.
Zu prüfen bleibt der von der Beschwerdeführerin in der Replik
erhobene Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens innerhalb des DVI.
Während die Beschwerdeführerin den Standpunkt vertritt, es handle
sich in beiden Fällen um die gleichen Leistungen (Kursleitung mit
Ausrichtung DaZ), verneint die Vergabestelle eine Vergleichbarkeit.
Bei den vom MIKA ausgeschriebenen Regionalen Sprachkursen für
fremdsprachige Erwachsene geht es nach Darstellung der Vergabe-
stelle um die Deutschförderung von Migrantinnen und Migranten.
Die Kurse sind allen nicht deutschsprachigen Migrantinnen und Mig-
ranten zugänglich. Ziel ist es, deren Sprachkompetenzen hinsichtlich
der Kommunikation im Alltag zu verbessern. Die Unterrichtsweise
ist bedürfnisorientiert, d.h. die Lerninhalte in den einzelnen Kurs-
modulen sind nicht vorbestimmt, sondern die Kursleitung muss die
konkreten Kommunikationsbedürfnisse der Lernenden immer wieder
neu ermitteln und die Kursinhalte entsprechend ausrichten, was hohe
Anforderungen an die Kursleitungen stellt. Demgegenüber geht es
bei den Kursen des AWA um die Förderung der arbeitsmarktlichen
Integration von Stellensuchenden mit geringen Deutschkenntnissen.
Die Kurse werden ausschliesslich von Stellensuchenden mit Zuwei-
sung durch das RAV besucht. Ziel dieser Kurse ist die Verbesserung
der Vermittlungsfähigkeit und die möglichst rasche Eingliederung in
den Arbeitsmarkt. Es werden eine berufliche Standortbestimmung
vorgenommen, realistische Bewerbungsstrategien und Bewerbungs-
unterlagen erarbeitet sowie Theorie und Training der einzelnen Be-
werbungsschritte vermittelt. Die Lernziele und Lerninhalte sind be-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
260
reits vorgegeben. Die Deutschförderung ist auf die Vermittlung von
für die Bewerbungssituation relevanten Deutschkenntnissen be-
schränkt. Die Kurse unterscheiden sich somit hinsichtlich der Kurs-
inhalte, Kursziele und didaktischen Vorgaben. Gemäss Ausführungen
der Vergabestelle unterscheiden die Kurse sich auch hinsichtlich der
Anstellungsmodelle für die Kursleitungen. Der Standpunkt der
Vergabestelle, aufgrund der unterschiedlichen Kursinhalte und der
unterschiedlichen Anstellungsbedingungen könnten die Monatsbrut-
tolöhne der Kursleitenden der AWA-Kurse nicht als Massstab für die
Ermittlung des orts- und branchenüblichen Mindestlohns pro Lektion
für Kursleitende der ausgeschriebenen Regionalen Deutschkurse für
fremdsprachige Erwachsene herangezogen werden, erscheint plausi-
bel. Insofern ist es auch vor diesem Hintergrund nachvollziehbar und
vertretbar, dass sich die Vergabestelle bei der Ermittlung des orts-
und branchenüblichen Mindestlohns für Kursleitende der
ausgeschriebenen Regionalen Deutschkurse für fremdsprachige Er-
wachsene auf das Lohnbuch 17/18 und den massgeblichen GAV ge-
stützt und die AWA-Kurse nicht mitberücksichtigt hat (vgl. Erw. 3.2
oben). Von einem widersprüchlichen Verhalten kann entgegen der
Ansicht der Beschwerdeführerin nicht gesprochen werden.
3.5.
Beim Ausschluss infolge Verletzung von Arbeitsbedingungen ist
auch das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten, und zwar auch
dann, wenn die verletzte Vorschrift nicht als blosse Kann-Vorschrift,
sondern so formuliert ist, dass der Ausschluss an sich bei jeglicher
Verletzung anzuordnen wäre (PETER GALLI/ANDRÉ
MOSER/ELISABETH LANG/MARC STEINER, Praxis des öffentlichen
Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 520).
Indem die Vergabestelle vom orts- und branchenüblichen Mindest-
lohn gemäss Lohnbuch einen Toleranzwert von 5 % in Abzug ge-
bracht hat, hat sie dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz ausreichend
Rechnung getragen. Der verfügte Ausschluss der Beschwerdefüh-
rerin vom Vergabeverfahren ist auch unter diesem Aspekt nicht zu
bemängeln. | 3,784 | 2,911 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-22_2018-09-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-22.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-22.pdf | AGVE_2018_22 | null | nan |
c9863249-67cc-5512-95d9-731c074753b6 | 1 | 412 | 871,074 | 1,438,560,000,000 | 2,015 | de | 2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
178
26
Nutzungsplanung; Gärtnereizone
-
Nutzungsbestimmungen einer Gärtnereizone, welche die Nettoladen-
fläche auf die bereits bestehende Verkaufsnutzung beschränken und
nur den Ersatz bestehender Verkaufsnutzungen zulassen, widerspre-
chen den Anforderungen an eine Bauzone.
-
Das öffentliche Interesse an der optischen Trennung zweier Ortsteile
rechtfertigt keine Nutzungsbestimmungen in einer Bauzone, welche
das Verkehrsaufkommen auf den bisherigen Rahmen und die zuläs-
sige Nutzung auf den unmittelbaren betrieblichen und branchen-
mässigen Zusammenhang mit einem bestehenden Betrieb beschrän-
ken.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 7. August 2015 in Sachen
A. AG gegen Einwohnergemeinde B. und Regierungsrat (WBE.2014.140).
Aus den Erwägungen
1.
Der vom Einwohnerrat am 17. Oktober 2013 beschlossene und
vom Regierungsrat am 19. März 2014 genehmigte § 21 BNO lautet
wie folgt:
§ 21 Spezialzone Gärtnerei SG
1
Zulässig sind der Gärtnerei und dem Gartenbau dienende,
mässig störende Bauten wie Treibhäuser, Büros, Werkstätten, Ab-
stellräume und betriebsnotwendige Wohnungen. Innerhalb der Spe-
zialzone Gärtnerei C. dürfen bestehende Verkaufsnutzungen bis max.
3'000 m
2
Nettoladenfläche als Ersatz neu erstellt werden, sofern sie
einen unmittelbaren betrieblichen und branchenmässigen Zusam-
2015
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
179
menhang mit dem bestehenden Gärtnerei- und Gartenbaubetrieb ha-
ben und das Verkehrsaufkommen im gleichen Rahmen bleibt.
2
Gegenüber angrenzenden Zonen sind deren Abstandsvor-
schriften einzuhalten.
3
Die Bauten und Anlagen sind gut ins Landschafts- und Orts-
bild einzupassen. Der Gemeinderat kann im Rahmen der Baube-
willigung besondere Auflagen für die Bepflanzung und die Ein-
passung ins Landschafts- und Ortsbild machen.
2.-3.(...)
4.
4.1.
Die Beschwerdeführerin verlangt Modifikationen von § 21
Abs. 1 der revidierten BNO. Einerseits sei die Einschränkung auf
"betriebsnotwendige" Wohnnutzung aufzuheben, eventuell mittels
einer mengenmässigen Beschränkung festzulegen. Zudem wird die
Aufhebung aller (qualitativen) Nutzungsanforderung an die Ver-
kaufsnutzung beantragt mit Ausnahme der Flächenbegrenzung auf
3'000 m
2
. Die beanstandeten Einschränkungen der Verkaufsnutzung
sind im Einzelnen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 BNO):
- Nur bestehende Verkaufsnutzungen dürfen ersetzt werden.
- Ein Ersatz erfordert einen "unmittelbaren betrieblichen und
branchenmässigen Zusammenhang mit dem bestehenden
Gärtnerei- und Gartenbaubetrieb".
- Das Verkehrsaufkommen hat im gleichen Rahmen zu blei-
ben.
4.2.(...)
5.
5.1.-5.2.
5.3.
5.3.1.
Die Gemeinden sind zum Erlass kommunaler Bau- und Nut-
zungsvorschriften von Verfassung und Gesetz ermächtigt und auch
verpflichtet (§§ 45 und 47 KV; vgl. auch Art. 2 Abs. 1 RPG und
§§ 13 ff. und 46 ff. BauG). Der Nutzungsplan gemäss § 15 BauG ist
ein Rahmennutzungsplan (Art. 14 RPG), der die zulässige Nutzung
von Grundstücken verbindlich regelt (Art. 21 Abs. 1 RPG) und in
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
180
welchem die Gemeinde die raumwirksamen Zielvorstellungen um-
setzt (vgl. dazu Richtplan 2011, Planungsanweisungen im Richt-
planbeschluss S 1.1). Die Planungspflicht umfasst Anforderungen
inhaltlicher Natur an die Nutzungsplanung; inhaltliche Vorgaben
ergeben sich aus den Planungszielen (Art. 1 RPG) und den Planungs-
grundsätzen (Art. 3 RPG), welche die Behörden bei der Nutzungs-
planung zu prüfen haben (Art. 2 RPV; AGVE 2001, S. 266, Erw. 2e;
vgl. auch P
IERRE
T
SCHANNEN
, in: Kommentar RPG, Zürich 2010,
Art. 2 N 37 ff.). Mit der Nutzungsplanung wird das Gemeindegebiet
in verschiedene Nutzungszonen eingeteilt und werden Art und Mass
der Nutzung geregelt. Die Gemeinden können dabei insbesondere
Bauzonen mit differenzierten Nutzungen ausscheiden (vgl. § 15
Abs. 1 und Abs. 2 BauG). Bei der Ausscheidung und Definition der
verschiedenen Zonen geniessen die Gemeinden aufgrund von § 106
KV verfassungsrechtliche Autonomie.
5.3.2.
Kommunale Zonenvorschriften führen zu Beschränkungen des
Eigentums und sind mit der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und der
Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) vereinbar, sofern die Einschränkun-
gen durch die Raumplanung bedingt sind, im Zielbereich von Art. 75
Abs. 1 BV liegen und die Wirtschaftsfreiheit dadurch nicht völlig
ihres Gehalts entleert wird (BGE 110 Ia 167). Die Beschränkungen
müssen sodann verhältnismässig sein (vgl. U
LRICH
H
ÄFELIN
/G
EORG
M
ÜLLER
/F
ELIX
U
HLMANN
, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auf-
lage, Zürich 2010, Rz. 2062 ff.).
Planungsrechtlich sind Wohn- und Arbeitsgebiete einander
zweckmässig zuzuordnen (Art. 3 Abs. 3 lit. a RPG) und es sind mit
Mitteln der Raumplanung günstige Voraussetzungen für die Versor-
gung mit Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen (Art. 3 Abs. 3
lit. d RPG). Mit diesen Planungsgrundsätzen werden die Planungs-
ziele von Art. 1 Abs. 2 lit. d RPG und die Förderung der günstigen
Rahmenbedingungen für die private Wirtschaft (Art. 1 Abs. 2 lit. b
bis
RPG, Fassung ab 1. Mai 2014; Art. 94 Abs. 3 BV) konkretisiert. Ver-
fahrensrechtlich sind die massgebenden öffentlichen Interessen an
der Siedlungsgestaltung und die privaten Interessen zu ermitteln.
Diese Interessen sind einzeln zu beurteilen und deren Vereinbarkeit
2015
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
181
mit der anzustrebenden räumlichen Entwicklung und den möglichen
Auswirkungen ist zu berücksichtigen. Die Interessenabwägung ist
umfassend vorzunehmen und in der Begründung der Planungsent-
scheide darzulegen (Art. 3 Abs. 1 und 2 RPV). Massstab für die In-
teressenabwägung und -beurteilung bilden neben den Planungszielen
und Grundsätzen auch die kantonalen Vorschriften (BGE 134 II 97,
Erw. 3.1 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts vom 16. Juli 2013
[1C_534/2012], Erw. 2.3.2; AGVE 2004, S. 143, Erw. 7a).
5.4.
(...)
Die Spezialzone Gärtnerei ist gemäss § 10 Abs. 1 BNO, wie die
angrenzenden Zonen für öffentliche Bauten (OEB) und für Sport und
Freizeit (SF), eine Bauzone. Die Liegenschaften befanden sich früher
in der Landwirtschaftszone und wurden für die Bedürfnisse des Gar-
tenbau- und Gärtnereibetriebs der Beschwerdeführerin sukzessive
überbaut und 1991 bzw. 1993 eingezont. Die historische Entstehung
ändert nichts daran, dass mit der Einzonung keine landwirtschaft-
liche Spezialzone mehr besteht (vgl. zu landwirtschaftlichen Spezial-
zonen Art. 16a Abs. 3 RPG und Art. 34 bis Art. 38 RPV; B
ERNHARD
W
ALDMANN
/P
ETER
H
ÄNNI
, Raumplanungsgesetz, Bern 2006,
Art. 16a N 30 ff.). Für die Spezialzone SG gelten die Planungsgrund-
sätze für das Siedlungsgebiet und die (allgemeinen) Bestimmungen
für Bauzonen.
5.5. (...)
5.6.
Die angefochtenen Bestimmungen in § 21 Abs. 1 Satz 2 BNO
sind mit der Eigentumsfreiheit nur soweit vereinbar, als sie zur
planerischen Umsetzung der "Ortsbildteile-Zäsur"
in der Zone SG
er-
forderlich und auch verhältnismässig sind (vgl. Erw. 5.3.2). In der
Zone SG sind Bauten wie Treibhäuser, Büros, Werkstätten, Abstell-
räume und betriebsnotwendige Wohnungen zulässig, welche der
Gärtnerei und dem Gartenbau dienen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 BNO). § 21
Abs. 2 und 3 BNO regeln die Einpassung der Nutzungen, auch der
Verkaufsnutzungen bis max. 3'000 m
2
Nettoladenfläche, ins Ortsbild
und in die Umgebung. Die zusätzlichen Nutzungsregelungen in § 21
Abs. 1 Satz 2 BNO, wonach
nur Ersatz
für
bestehende Verkaufsnut-
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
182
zungen
neu erstellt werden darf, referenziert an die aktuelle, beste-
hende Nutzungsfläche von 2'975 m
2
; zonenkonform ist eine Netto-
verkaufsfläche von 3'000 m
2
. Für die Beschränkung der Nettoladen-
fläche auf die bereits bestehende Verkaufsnutzung und die Vorausset-
zung, dass die Verkaufsnutzung nur als "Ersatz neu" erstellt werden
kann, fehlt daher eine raumplanerische Begründung. Eine Ver-
mischung von Regelungen einer Spezialzone im Landwirtschafts-
gebiet mit den Nutzungsregeln für die Bauzone SG widerspricht den
planungsrechtlichen Vorgaben an eine Bauzone (W
ALDMANN
/
H
ÄNNI
, a.a.O., Art. 15 N 42). Die beiden Einschränkungen werden
auch dem Planungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 3 lit. d RPG und der
Verpflichtung, durch Bauvorschriften günstige Voraussetzungen u.a.
für die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu schaffen
(T
SCHANNEN
, a.a.O., Art. 3 N 58 mit Hinweisen), nicht gerecht. Sie
schränken auch entgegen Art. 1 Abs. 2 lit. b RPG die wirtschaftli-
chen Entfaltungsmöglichkeiten der Beschwerdeführerin ein.
Die optische Trennung der Ortsteile D. und E. erfordert die
beanstandeten Beschränkungen nicht. Mit der zulässigen Bauhöhe
(eingeschossige Bauten) in § 10 Abs. 1 BNO und der Rücksicht-
nahme auf das Ortsbild (§ 21 Abs. 3 BNO) ist die Erscheinung der
Bauten geregelt. Für die "Ortsbildteile-Zäsur" hat die beanstandete
Einschränkung keine Bedeutung.
Aus den gleichen Gründen und vor allem auch mit Blick auf die
zonengemässe Nutzung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 BNO; "Gärtnerei und
dem Gartenbau dienende Nutzung") ist ein rechtlicher Gehalt der
weiteren Einschränkung des "unmittelbaren betrieblichen und bran-
chenmässigen Zusammenhangs" mit dem bestehenden Gärtnerei-
und Gartenbaubetrieb nicht erkennbar. Soweit es darum geht, mit
dieser Sonderbestimmung die Besitzstandsgarantie zu konkretisieren,
widerspricht diese Bestimmung dem kantonalen Recht. Die kantona-
len Bestimmungen über die Besitzstandsgarantie (§ 68 BauG) sind
im Verhältnis zu den Gemeinden abschliessend (AGVE 2000, S. 250,
Erw. 2c mit Hinweisen; 1986, S. 243, Erw. 3b; 1983, S. 174, Erw. 3
mit Hinweisen). Das kantonale Recht erlaubt den Gemeinden eine
Einschränkung oder ein Verbot der zeitgemässen Erneuerung in
Schutzzonen (§ 68 lit. a BauG); die Zone SG ist keine Schutzzone.
2015
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
183
Die kommunalen Nutzungsvorschriften können sodann einer
zonen-
widrigen
Erweiterung, einem Umbau oder einer Zweckänderung
bestehender, zonenfremder Bauten entgegenstehen. Eine Erweiterung
der Besitzstandgarantie gemäss § 68 BauG durch kommunale Nut-
zungsvorschriften ist generell ausgeschlossen (vgl. dazu VGE IV/52
vom 26. Mai 2014 [WBE.2011.301], Erw. II/3.5 = AGVE 2014,
S. 172 ff.). Soweit die beanstandeten Beschränkungen die Be-
sitzstandsgarantie für bestehende Bauten und Anlagen zu Gunsten
der Beschwerdeführerin modifizieren wollten, sind sie daher rechts-
widrig.
Die beanstandeten Beschränkungen der zonenkonformen Nut-
zung lassen sind durch das geltend gemachte öffentliche Interesse
(Ortsbildteil-Zäsur) nicht hinreichend rechtfertigen. Zonenbestim-
mungen dürfen grundsätzlich nicht in dem Sinne statisch sein, dass
ein planerischer Entscheid die bestehende Bebauung oder Nutzung
als unveränderbar voraussetzt. Die Nutzungsvorschriften in der Zone
SG sind deshalb auf die erwünschte Entwicklung und Ordnung der
Besiedlung auszurichten (Art. 75 Abs. 1 BV), weshalb sich einander
gegenüberstehende Interessen oder Konflikte nach Massgabe der
Planungsziele optimal anzugleichen sind (vgl. zum Ganzen BGE 119
Ia 362, Erw. 5; AGVE 1990, S. 130). Eine Planung, welche die
zonenkonforme Überbauung in einer Arbeitszone auf den beste-
henden Bauzustand zementiert, erfordert daher erhebliche öffentliche
Interessen, welche hier nicht geltend gemacht werden und auch nicht
ersichtlich sind. Das von der Vorinstanz angeführte Interesse an
zusätzlichen Gebieten für eine öffentliche Nutzung ist aufgrund der
Zonierung in die Zone SG nicht massgebend. Die Ortsbildtrennung
durch öffentliche Nutzungen des Gebiets F. oder die Rücksichtnahme
auf solche ist kein massgebendes planungsrechtliches oder öffent-
liches Interesse, da mit der Zuweisung in die Zone SG öffentliche
Nutzungsinteressen für die Beurteilung der Zonenkonformität
ausscheiden. Abgesehen davon ist die Unterscheidung mit Bezug auf
die Ablesbarkeit der "Ortsbildteile-Zäsur" zwischen (eingeschossi-
ger) öffentlicher Nutzung und (eingeschossiger) zonengemässer
gewerblicher Nutzung schwer nachvollziehbar. Die Sicherstellung
oder Gewährleistung zukünftiger öffentlicher Nutzungen mittels
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
184
Nutzungsbeschränkungen in einer Gewerbezone ist schliesslich mit
Art. 26 BV und Art. 27 BV nicht vereinbar.
Damit erweisen sich die Beschränkungen der Nettoladenfläche,
soweit sie die Nutzung auf die Neuerstellung für Ersatz der alten
Verkaufsflächen beschränken und einen "unmittelbaren" betriebli-
chen und branchenmässigen Zusammenhang mit dem
bestehenden
Betrieb
der Beschwerdeführerin verlangen, als rechtswidrig.
Aus den gleichen Gründen hält auch die Beschränkung des Ver-
kehrsaufkommens "auf den gleichen Rahmen" einer näheren Prüfung
nicht stand. Wie bereits erwähnt, sind für die Spezialzone Gärtnerei
die Bestimmungen über die Bauzonen massgebend (vgl. vorne
Erw. 5.4). Die Liegenschaften der Beschwerdeführerin und auch die
Parzelle 829 sind unbestrittenermassen erschlossen. Ein planerisch
relevanter Zusammenhang zwischen der optischen Markierung der
Ortsteiletrennung und dem aktuellen Verkehrsaufkommen ist nicht
erkennbar. Einer raumplanerischen Lenkung der Nutzung auf das
bisherige, in seinem Ausmass unbekannte und unbestimmte Ver-
kehrsaufkommen, stehen zudem rechtliche Hindernisse entgegen.
Die Nutzungsplanung wurde mit Bezug auf das Verkehrsaufkommen
in der Gemeinde vorbehaltlos genehmigt. Besondere planerische
Massnahmen zur Beschränkung des Verkehrsaufkommens im Hin-
blick auf die Kapazität des Strassennetzes sind nicht vorgesehen (vgl.
dazu § 15 Abs. 3 BauG; Kapazitätsnachweis, Empfehlungen des
BVU, vom August 2011). Die Nutzungsplanung der Gemeinde B.
erfüllt die Anforderungen von § 13 Abs. 2
bis
BauG i.V.m. § 4 Abs. 2
BauV (Abstimmung der Verkehrserzeugung). Zudem fehlt ein ko-
mmunaler Gesamtplan Verkehr, weshalb die verkehrsmässigen Be-
zugsgrössen nicht beurteilbar sind. Schliesslich ist auch nicht er-
sichtlich, inwiefern die kantonalen Vorgaben an die Baureife, ins-
besondere Art. 32 Abs. 2 BauG i.V.m. § 46 BauV, als Beschränkung
bzw. verkehrsbedingte Bausperre der überlasteten Kantonsstrasse
(...) nicht ausreichen. Damit erweist sich auch die Beschränkung der
Nettoverkaufsfläche mit Bezug auf das bisherige Verkehrsauf-
kommen als unrechtmässig.
6.
6.1. (...)
2015
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
185
6.2.
Die Aufzählung der nach kantonalem Recht zulässigen Bauzo-
nen in § 15 Abs. 2 BauG ist nicht abschliessend (vgl. dazu auch
Musterbau- und Nutzungsordnung [M-BNO], Empfehlung des BVU,
Abteilung Raumentwicklung, Stand März 2014, S. 12 ff.). Für die
Gewerbe- oder Arbeitszonen (vgl. Richtplan 2011, Kap. S 1.2) kann
die Wohnnutzung ausgeschlossen werden. Die Festlegung der zonen-
spezifischen Nutzungen fällt in die Zuständigkeit der Gemeinden
(vgl. vorne Erw. 5.3.1). Der Umstand, dass in der Spezialzone SG
nur betriebsnotwendige Wohnungen zugelassen sind, ist daher nicht
zu beanstanden (vgl. AGVE 1999, S. 250 ff., insbesondere Erw. 5;
W
ALDMANN
/H
ÄNNI
, a.a.O., Art. 18 N 8 und Art. 22 N 36). Die glei-
che Einschränkung bezüglich Wohnen gilt im Übrigen auch für die
Gewerbezone (G), welche nach der BNO die einzige alternative Ar-
beitszone wäre (§ 16 Abs. 1 BNO).
Diese Beschränkung der Wohnnutzung besteht, weil die Grund-
stücke der Beschwerdeführerin zusammen mit der Parzelle 829 der
Spezialzone SG zugewiesen sind, die der gewerblichen Nutzung
vorbehalten ist. Mit dieser Zonierung des Betriebs der Beschwerde-
führerin wurde die "Ortsbildteile-Zäsur" umgesetzt. Diese Zielset-
zung wäre bei einer Ausdehnung des Zonenzwecks auf eine Wohn-
nutzung insofern beeinträchtigt, als kein eindeutiger Unterschied zu
den gemischten Zonen mehr bestünde.
Die Gemeinden sind nicht verpflichtet, in der Nutzungsplanung
gemischte Zonen auszuscheiden. Der Umstand, dass die Wohnnut-
zung auf der Parzelle 829 besitzstandsgeschützt ist, vermag keine
Änderung des Zonenzweckes zu begründen; die Beschränkung ist in
einer Arbeitszone auch nicht unverhältnismässig. Damit erweisen
sich dieser Antrag der Beschwerdeführerin und der Eventualantrag
als unbegründet. | 3,768 | 3,021 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2015-26_2015-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-26.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-26.pdf | AGVE_2015_26 | null | nan |
ca118ac4-0218-5e94-b30e-b8c910c4da93 | 1 | 412 | 870,943 | 1,278,115,200,000 | 2,010 | de | 2010
Submissionen
185
V. Submissionen
34 Selektives
Verfahren.
-
Abgrenzung selektives / offenes Verfahren (Erw. 3.2.).
-
Eine Beschränkung der Anbieterzahl nach § 7 Abs. 2 Satz 4 SubmD
(zur effizienteren Abwicklung) muss auf objektiven und nachvoll-
ziehbaren Gründen beruhen; Teilnehmerauswahl nach freiem Er-
messen ist unzulässig (Erw. 3.3. und 3.4.).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 15. Juli 2010 in Sachen
X. AG gegen Einwohnergemeinde Y. (WBE.2010.80).
Aus den Erwägungen
1.
Die Vergabestelle hat verschiedene Tiefbauarbeiten im Zusam-
menhang mit der Sanierung der Z.-strasse (1. Etappe) im selektiven
Verfahren nach § 7 Abs. 2 SubmD öffentlich ausgeschrieben. Zur
Teilnehmerauswahl wurde Folgendes bestimmt:
"In der 1. Stufe wählt der Gemeinderat aus den eingegangenen Bewer-
bungen, welche die Eignungskriterien erfüllen, 5 Teilnehmende aus,
die zur Offertstellung eingeladen werden (§ 7 Abs. 2 SubmD). In der
2. Stufe ist der Preis das einzige Zuschlagskriterium."
Als für die Ausführung des Auftrags massgebende und von den
Unternehmern zu erfüllende Eignungskriterien wurden bestimmt:
"- fachlich ausgewiesene Firma mit einschlägigen Referenzen im Ka-
nalisations- und Strassenbau
- im Markt stabile Firma betreffend Beständigkeit, Garantiesicher-
heit und Kundendienst
- genügende Kapazität zur termingerechten Ausführung
- Einhaltung der örtlichen Arbeits- und Umweltschutzbedingungen
- Angebot von Ausbildungsplätzen (Anzahl)"
2010
Verwaltungsgericht
186
Weiter wurde festgehalten, dass die Bewerbungsunterlagen (in
deutscher Sprache) bis Mittwoch, 10. März 2010 (A-Post, Datum des
Poststempels) an den Gemeinderat zu schicken waren. Die Abgabe
von Unterlagen oder das Erteilen von Informationen zum ausge-
schriebenen Auftrag durch die Vergabestelle war in der öffentlichen
Ausschreibung nicht vorgesehen. Das heisst, die interessierten Un-
ternehmen hatten ihre Bewerbungsunterlagen allein aufgrund der in
der öffentlichen Ausschreibung enthaltenen Informationen zu erstel-
len.
2. (...)
3.
3.1.
Gemäss § 7 Abs. 2 SubmD schreibt die Vergabestelle im selek-
tiven Verfahren den Auftrag öffentlich aus. Alle Anbietenden können
einen Antrag auf Teilnahme einreichen. Die Vergabestelle bestimmt
aufgrund der Eignung nach § 10 SubmD die Anbietenden, die ein
Angebot einreichen dürfen. Sie kann in der Ausschreibung die Zahl
der zur Angebotsabgabe eingeladenen Anbietenden beschränken,
wenn die Auftragsvergabe effizienter abgewickelt werden kann. Da-
bei muss ein wirksamer Wettbewerb gewährleistet sein.
Nach § 10 Abs. 1 SubmD kann die Vergabestelle für jeden
Auftrag oberhalb der Schwellenwerte gemäss § 8 Abs. 1 SubmD in
der Ausschreibung bzw. in den Ausschreibungsunterlagen festlegen,
welche für die Ausführung des betreffenden Auftrags wesentlichen
Eignungskriterien die Anbietenden erfüllen und welche unerlässli-
chen Nachweise, insbesondere bezüglich der finanziellen, wirt-
schaftlichen und fachlichen Leistungsfähigkeit, sie erbringen müs-
sen.
Nach Art. 12 Abs. 1 lit. b IVöB kann die Zahl der im selektiven
Verfahren zum Einreichen eines Angebots einzuladenden Anbieter
beschränkt werden, wenn sonst die Auftragsvergabe nicht effizient
abgewickelt werden kann.
3.2.
Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre kann eine Verga-
bestelle zwischen dem offenen und dem selektiven Verfahren frei
wählen (vgl. Peter Galli / André Moser / Elisabeth Lang / Evelyne
2010
Submissionen
187
Clerc, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 1. Band: Landes-
recht, 2. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2007, Rz. 176). Das Verwal-
tungsgericht des Kantons Aargau hat aber in einem Entscheid aus
dem Jahr 1998 festgehalten, da im selektiven Verfahren - im Ge-
gensatz zum offenen Verfahren - nicht alle interessierten Anbieter
zur Angebotseinreichung zugelassen würden, werde mit der Wahl
dieses Verfahrens der Wettbewerb eingeschränkt. Angesichts des
Umstandes, dass die Submissionsgesetzgebung generell die Stärkung
des Wettbewerbs zum Ziel habe (vgl. § 1 Abs. 1 SubmD), sei das
selektive Verfahren deshalb nur mit der gebotenen Zurückhaltung an-
zuwenden (VGE III/124 vom 28. August 1998 [BE.98.00120], S. 9
mit Hinweis, publiziert in: BR 1999, S. 144). Zweck der im selekti-
ven Verfahren vorgeschalteten Eignungsprüfung (Präqualifikation)
ist es, der Vergabestelle die Möglichkeit zu verschaffen, frühzeitig
diejenigen Anbieter auszuwählen, die für das konkrete Vorhaben tat-
sächlich in Frage kommen. So erspart die Behörde ungeeigneten
Anbietern den Aufwand der Offertstellung und sich selbst die Prü-
fung ungeeigneter Angebote (AGVE
1999, S.
294
ff., S.
299;
vgl. Entscheide der Gerichts- und Verwaltungsbehörden des Kantons
Schwyz [EGV-SZ] 2000, S. 65 ff. [Nr. 18], Erw. 3b). Das selektive
Verfahren steht daher insbesondere bei hoch komplexen, speziellen
und nicht alltäglichen Beschaffungen, welche ausserordentliche An-
forderungen an die Leistungsfähigkeit der Anbieter stellen, im Vor-
dergrund, während für herkömmliche Arbeitsvergaben ohne spezielle
Anforderungen an die Anbieter im Normalfall wegen der mit dem
selektiven Verfahren verbundenen Wettbewerbsbeschränkung das
offene Verfahren zu wählen ist (vgl. Galli / Moser / Lang / Clerc,
a. a. O., Rz. 151; siehe auch Handbuch öffentliches Beschaffungswe-
sen im Kanton Graubünden, Stand 22. April 2010, Kapitel 4.8.2). Bei
normalen Beschaffungsgeschäften, wie z. B. bei der Vergabe von
herkömmlichen Bauarbeiten, ist erfahrungsgemäss kaum mit Ange-
boten von ungeeigneten Anbietern zu rechnen.
Im vorliegenden Fall geht es unbestrittenermassen um her-
kömmliche Tiefbauarbeiten, die keine ausserordentlichen Anforde-
rungen an die Leistungsfähigkeit der Anbieter stellen. Dies folgt ei-
nerseits aus der Auswahl und der Umschreibung der Eignungskrite-
2010
Verwaltungsgericht
188
rien, die dem für Vergaben von Tief- und Strassenbauarbeiten Übli-
chen entsprechen und keine speziellen oder erhöhten Anforderungen
an die Anbieter erkennen lassen. In diesem Zusammenhang bleibt
festzuhalten, dass es sich beim Kriterium "Angebot von Ausbil-
dungsplätzen (Anzahl)" um ein vergabefremdes Kriterium handelt,
das nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts einzig als Zu-
schlagskriterium verwendet werden darf, weil im Submissionsdekret
ausdrücklich als solches genannt (§ 18 Abs. 2 SubmD), nicht aber als
Eignungskriterium (vgl. AGVE 1999, S. 294 ff.). Anderseits zeigt
auch die Tatsache, dass der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist,
dass es sich um herkömmliche Tiefbauarbeiten ohne besondere
Schwierigkeiten handelt. Insofern drängt sich im Hinblick auf die
erwähnte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung berechtigterweise
die Frage auf, ob das selektive Verfahren im vorliegenden Fall die
richtige Verfahrenswahl war oder ob nicht richtigerweise von
vornherein das offene Verfahren hätte zur Anwendung gelangen
müssen. Angesichts der der Vergabestelle diesbezüglich zukom-
menden Wahl- bzw. Entscheidungsfreiheit kann die Frage offen blei-
ben.
3.3.
3.3.1.
Die öffentliche Ausschreibung sieht die Beschränkung der Zahl
der Einzuladenden auf fünf Unternehmen vor. Die Vergabestelle be-
gründet diese Beschränkung und damit letztlich auch ihren Entscheid
für das selektive Verfahren einzig und ausschliesslich damit, dass die
detaillierte Offertprüfung mit einem nicht unerheblichen Aufwand
verbunden sei.
3.3.2.
§ 7 Abs. 2 Satz 4 SubmD gestattet die Beschränkung der zur
Angebotsabgabe einzuladenden Anbieter, wenn die Auftragsvergabe
"effizienter" abgewickelt werden könne. Die Beschwerdeführerin
weist zutreffend darauf hin, dass der reine Wortlaut von § 7 Abs. 2
Satz 4 SubmD insofern irreführend erscheine, als er den Anschein
erwecke, dass im selektiven Verfahren eine Beschränkung immer
zulässig sei. Ein solches Verständnis sei falsch. Jede Beschränkung
der Anbieterzahl führe nämlich dazu, dass der Aufwand im Zusam-
2010
Submissionen
189
menhang mit der Bereinigung und Prüfung der Offerten reduziert
werde, die Auftragsvergabe mithin immer effizienter abgewickelt
werden könne. Dies entspreche indessen nicht dem wahren Sinn der
Bestimmung; vielmehr müsse § 7 Abs. 2 Satz 4 SubmD dahingehend
verstanden werden, dass eine Beschränkung dann zulässig sei, wenn
die Vergabestelle ohne eine Beschränkung unzumutbar grossen
Aufwand in der Offertbeurteilung erwarten müsse.
Diese zutreffende und dem tatsächlichen Sinn der Bestimmung
entsprechende Auslegung von § 7 Abs. 2 Satz 4 SubmD wird bestä-
tigt durch Art. 12 Abs. 1 lit. b Satz 3 IVöB, wonach die Vergabestelle
die Zahl der zur Angebotsabgabe eingeladenen Anbieter beschränken
kann, "wenn sonst die Auftragsvergabe nicht effizient abgewickelt
werden kann". Art. 12 Abs. 1 lit. b Satz 4 IVöB lässt also einen blos-
sen Effizienzgewinn nicht genügen, sondern setzt voraus, dass die
Auftragsvergabe ohne Beschränkung nicht effizient erfolgen kann, d.
h. mit einem der Vergabebehörde nicht mehr zumutbaren Aufwand
verbunden wäre. Die Materialien zur heute geltenden Fassung von
§ 7 Abs. 2 SubmD (Fassung vom 18. Oktober 2005) bestätigen
zudem, dass im Rahmen der damaligen Revision § 7 Abs. 2 redak-
tionell an die Vergaberichtlinien der revidierten IVöB angepasst
wurde (eine inhaltliche Änderung war damit nicht verbunden; vgl.
Botschaft des Regierungsrats vom 7. Juli 2004 [04.199], S. 9. Die
davor geltende Fassung von § 7 SubmD liess eine Beschränkung der
Zahl der Anbietenden denn auch nur zu, "wenn der Zeit-, Arbeits-
und Kostenaufwand für das Vergabeverfahren andernfalls in einem
Missverhältnis zum Wert der Leistung stehen würde"; vgl. Entwurf
des SubmD vom 13. Oktober 1999 = Beilage 1 zur Botschaft des
Regierungsrats [99.328]) und folglich keine Abweichung von der
IVöB beabsichtigt war. Auch die herrschende Lehre und Recht-
sprechung gehen übereinstimmend davon aus, dass die Zahl der
Einzuladenden nur dann und nur insofern beschränkt werden darf,
wenn bzw. als es für eine effiziente Abwicklung der Auftragsvergabe
erforderlich ist. Mit anderen Worten ist für jede geplante Be-
schaffung die grösstmögliche mit einer effizienten Abwicklung der
Beschaffung zu vereinbarende Zahl von Anbietern zur Angebots-
abgabe einzuladen (VGE
III/124 vom 28.
August 1998
2010
Verwaltungsgericht
190
[BE.98.00120], S. 9). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsge-
richts des Kantons Zürich ist beim Entscheid über die Beschränkung
einerseits die Komplexität der durchzuführenden Beschaffung und
andererseits der Wert des zu vergebenden Auftrags zu berücksichti-
gen. Je komplexer die Beschaffung und je geringer der Auftragswert
ist, umso eher ist eine Beschränkung der Teilnehmerzahl
gerechtfertigt (Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Zürich vom 13. April 2000 [VB.1999.00385], Erw. 3c/aa; Galli /
Moser / Lang / Clerc, a. a. O., Rz. 198).
3.3.3.
Die vorliegende Ausschreibung betrifft - wie schon ausgeführt
- normale Strassen- und Leitungsbauarbeiten im Betrag von rund
2 Mio. Franken (Erw. 3.2). Erfahrungsgemäss ist bei der Vergabe von
solchen Aufträgen nicht mit mehreren Dutzend Bewerbungen bzw.
Angeboten zu rechnen. Die Vergabestelle hält in ihrer Stellungnahme
denn auch fest, es seien vorliegend 13 Bewerbungen eingegangen,
was in einem üblichen Rahmen liegt. Die Prüfung, Bereinigung und
Auswertung von rund einem Dutzend Angeboten, sollten sich alle
Bewerber als geeignet erweisen, ist der Vergabestelle im vorliegen-
den Fall ohne weiteres zumutbar, zumal der Preis als alleiniges Zu-
schlagskriterium bestimmt ist und die Angebote folglich lediglich aus
dem ausgefüllten Leistungsverzeichnis bestehen werden. Weitere
Zuschlagskriterien sind nicht zu beurteilen. Für eine Beschränkung
der Zahl der einzuladenden Anbieter aus Gründen der Effizienz be-
steht keine Veranlassung. Die vorliegende Vergabe kann auch ohne
Beschränkung der Teilnehmerzahl mit einem für die Vergabestelle
zumutbaren Aufwand und damit effizient abgewickelt werden. Das
öffentliche Interesse an einem möglichst wirksamen Wettbewerb (§ 1
Abs. 1 Satz 1 SubmD) geht hier dem geltend gemachten Interesse der
Vergabestelle, ihren Aufwand möglichst gering zu halten, klarer-
weise vor.
3.4.
3.4.1.
Die strittige Ausschreibung enthält sodann keinerlei Angaben
darüber, nach welchen Kriterien oder Gesichtspunkten die vorgese-
hene Beschränkung der Zahl der einzuladenden Unternehmen auf
2010
Submissionen
191
fünf erfolgen soll, falls die Anzahl der Bewerber, welche die Eig-
nungskriterien erfüllen, diese Zahl übersteigt. Die Beschwerdeführe-
rin geht daher davon aus, dass die Vergabestelle die fünf zur Offert-
stellung einzuladenden Anbieter nach ihrem freien Ermessen unter
den geeigneten Bewerbern auswählt. Der Gemeinderat hat sich in
seiner Stellungnahme dazu nicht geäussert; er bestätigt aber den
Standpunkt der Beschwerdeführerin, dass die Auswahl nach freiem
Ermessen erfolgen soll, zumindest indirekt, indem er vorbringt, eine
Begründungspflicht der Vergabestelle und die Gewichtung der Eig-
nungskriterien seien im Submissionsdekret nicht vorgesehen.
3.4.2.
Das vorgesehene Verfahren entspricht - wie die Beschwerde-
führerin auch in diesem Punkt zu Recht rügt - weder dem Grundsatz
der Gleichbehandlung bzw. dem Diskriminierungsverbot (vgl. § 1
Abs. 1 SubmD) noch dem Transparenzgebot. Es erweist sich damit
als rechtswidrig.
Zu beachten ist hierbei insbesondere auch, dass der Entscheid
über die Auswahl von Anbietenden im selektiven Verfahren gemäss
§ 24 Abs. 2 lit. c SubmD eine mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
anfechtbare Verfügung darstellt. Damit kann es sich beim Entscheid
über die Teilnehmerauswahl per definitionem nicht um einen Er-
messensentscheid der Vergabestelle handeln, darf das Verwaltungs-
gericht doch die Unangemessenheit von Verfügungen nicht überprü-
fen (§ 25 Abs. 3 SubmD). Die gerichtliche Anfechtbarkeit des Ent-
scheids über die Auswahl verdeutlicht vielmehr, dass die Teilneh-
merauswahl auf objektiven und sachlich nachvollziehbaren Gründen
beruhen muss, die rechtlich überprüfbar sind. Ebenso ist die Ver-
gabestelle verpflichtet, ihre Teilnehmerauswahl sachlich nachvoll-
ziehbar zu begründen, damit eine Überprüfbarkeit in einem allfälli-
gen Rechtsmittelverfahren überhaupt möglich ist.
Läge eine Auswahl der zur Offertabgabe Einzuladenden aus
dem Feld der geeigneten Bewerber im freien Ermessen, d. h. im Be-
lieben der Vergabestelle, so käme die vorliegend formell als selekti-
ves Verfahren ausgeschriebene Submission letztlich einem Einla-
dungsverfahren sehr nahe. Es erfolgt in formeller Hinsicht zwar tat-
sächlich eine Präqualifikation anhand von Eignungskriterien, wobei
2010
Verwaltungsgericht
192
angesichts der vorliegend publizierten Kriterien davon auszugehen
ist, dass diese von den interessierten Bewerbern leicht erfüllt werden
und diese sich daher grossmehrheitlich als geeignet erweisen. Von
einer Selektion anhand der Eignungskriterien kann daher kaum die
Rede sein. Diese erfolgt vielmehr anschliessend, indem die Vergabe-
stelle wie in einem Einladungsverfahren die ihr genehmen Anbieter
nach freiem Belieben auswählt bzw. die ihr weniger genehmen Un-
ternehmer trotz deren Eignung beiseite lässt, ohne dass sie an objek-
tive, sachliche Kriterien gebunden wäre und ohne dass sie ihren Ent-
scheid zu begründen hätte. Eine solche Auswahl der Teilnehmer
muss als willkürlich bezeichnet werden. Die Annahme der Be-
schwerdeführerin, der Vergabestelle sei es bei ihrem Vorgehen letzt-
lich nicht um die Effizienz der Verfahrensabwicklung, sondern
darum gegangen, die ihr mit dem Inkrafttreten des Submissionsde-
krets von Rechts wegen entrissene Freiheit über die Auswahl der ihr
genehmen Leistungserbringer wieder zu erlangen, lässt sich nicht
ohne weiteres von der Hand weisen.
Wie eine Vergabestelle rechtlich haltbar vorzugehen hat, wenn
die geforderten Eignungskriterien von einer grösseren Anzahl In-
teressenten erfüllt werden, als aufgrund der vorgesehenen Beschrän-
kung zur Abgabe eines Angebots eingeladen werden können, regeln
weder das Submissionsdekret noch die IVöB ausdrücklich. Lehre
und Rechtsprechung gehen aber übereinstimmend davon aus, dass
die Auswahl in gerechter und nicht diskriminierender Weise nach
sachlichen Kriterien und ohne Willkür erfolgen muss. Im Vorder-
grund steht dabei die Auswahl nach dem Mass der Eignung, was eine
Bewertung und Rangierung der Bewerber aufgrund der ausge-
schriebenen Eignungskriterien voraussetzt. Umstritten ist die Zuläs-
sigkeit von Losentscheiden (vgl. Galli / Moser / Lang / Clerc,
a. a. O., Rz. 199 ff. mit Hinweisen). Die Wahl des geeigneten Vorge-
hens liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts weitest-
gehend im Ermessen der Vergabestelle (vgl. VGE
III/28 vom
15. März 1999 [BE.98.00388], S. 17 f.; ferner Galli / Moser / Lang /
Clerc, a. a. O., Rz. 202).
2010
Submissionen
193
4.
Zusammenfassend erweist sich die gegen die öffentliche Aus-
schreibung erhobene Beschwerde somit als begründet. Angesichts
der Tatsache, dass die Ausschreibung mit der unzulässigen Be-
schränkung der Zahl der einzuladenden Anbieter, der fehlenden An-
gabe, nach welchen objektiven und nicht diskriminierenden Ge-
sichtspunkten die Auswahl unter den geeigneten Anbietern zu treffen
ist sowie dem unzulässigen Eignungskriterium der Lehrlingsaus-
bildung an mehreren Mängeln leidet, ist die öffentliche Ausschrei-
bung vom 22. Februar 2010 gesamthaft aufzuheben, zumal die
Vergabebehörde bei einer erneuten Durchführung der Ausschreibung
trotz des ihr an sich zukommenden Wahlrechts zwischen offenem
und selektivem Verfahren zu prüfen haben wird, ob ein (rechtskon-
form durchgeführtes) selektives Verfahren für die vorliegend zu ver-
gebenden Strassen- und Leitungsbauarbeiten tatsächlich das richtige
Verfahren darstellt. Aufgrund des der Vergabestelle bezüglich des
weiteren Vorgehens zukommenden Ermessensspielraums verzichtet
das Verwaltungsgericht in Bezug auf eine Neuausschreibung auf
verbindliche Anweisungen und belässt es bei der Aufhebung der
rechtsfehlerhaften Ausschreibung.
In diesem Sinne ist die Beschwerde gutzuheissen. | 3,878 | 3,152 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-34_2010-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-34.pdf | AGVE_2010_34 | null | nan |
ca5b16e4-3de0-5eef-864a-9b6af592c467 | 1 | 412 | 870,279 | 1,514,937,600,000 | 2,018 | de | 2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
181
IV. Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
15
Nichtlandwirtschaftlicher Nebenbetrieb ausserhalb der Bauzonen
Anwendungsfall eines im Sinne von Art. 24b Abs. 1bis RPG zulässigen
nichtlandwirtschaftlichen Nebenbetriebs ausserhalb der Bauzonen (Um-
nutzung bestehender Räumlichkeiten zu Schulungs-, Seminar-, Degusta-
tions- und Eventraum).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 25. Januar
2018, in Sachen A. und B. gegen C. sowie Gemeinderat X. und Regierungsrat
(WBE.2017.211).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Die Beschwerdegegnerin bewirtschaftet einen Landwirtschafts-
betrieb mit rund 47 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche (davon rund
13 ha Ackerbau), Milchviehhaltung (39 Kühe mit 9 Stück Jungvieh)
sowie 7 Pferden und Ponys (Betriebsdatenerhebung 2015); der Be-
trieb - bzw. die von der vorliegenden Umnutzung betroffene Parzelle
Nr. yyy - liegt in der Landwirtschaftszone.
1.2.
Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt, das Obergeschoss einer
im Jahr 2003 bewilligten Baute auf der Parzelle Nr. yyy umzunutzen.
Das Gebäude wurde im Untergeschoss als Backstube, als Verarbei-
tungsraum und für technische Installationen, im Obergeschoss als
Degustationsraum und Büro geprüft und bewilligt. Das Obergeschoss
besteht heute aus einem Raum (sog. D.-Stübli) für rund 40 Personen,
mit Toilette und einer Einbauküche. Nach Angaben der Beschwerde-
gegnerin wurde das D.-Stübli in den letzten Jahren vor allem als be-
triebseigener Sitzungs- und Verpflegungsraum genutzt. Gelegentlich
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
182
wurden darin auch Feste gefeiert. Grundsätzlich sei der Raum nur an
Familienangehörige oder Mitarbeiter des Landwirtschaftsbetriebs
vermietet worden.
Mit Baugesuch vom 21. Oktober 2014 ersuchte die
Beschwerdeführerin um eine Bewilligung für einen nichtlandwirt-
schaftlichen Nebenbetrieb (Besenbeiz). Bauliche Veränderungen
seien nicht vorgesehen. Als vorwiegende Verwendungszwecke wur-
den damals genannt:
- Betriebseigener Sitzungs- und Verpflegungsraum
- Vortrags- und Verpflegungsraum bei Betriebsführungen
- Schulzimmer für SchuB (Schule auf dem Bauernhof)
- Privater Partyraum für Angehörige des Betriebs
- Vermietung an Vereine und Gäste als Festraum
- Bewirtung von Gesellschaften
Im März 2015 reichte die Bauherrschaft ein Umnutzungs-
konzept des D.-Stübli nach. Darin wurde die Umnutzung konkreter
umschrieben bzw. teilweise präzisiert. Der Raum solle als Schu-
lungs-, Seminar-, Degustations- und Eventraum genutzt werden. Auf
dem Betrieb fänden regelmässig SchuB-Anlässe und Führungen zur
Biogasanlage statt, weshalb man einen geeigneten Raum benötige,
um den Schülern bzw. den Teilnehmern der Führungen weitere
Erläuterungen abgeben und/oder ihnen einen Apéro, Zmittag, Zvieri
o.ä. anbieten zu können. Immer mehr Gäste und Firmenanlässe such-
ten zwecks Weiterbildung den Bezug zur Natur/Landwirtschaft.
Auch bestehe der Bedarf nach einem Ort, an dem Grup-
pen/Gesellschaften in lockerer Atmosphäre hofeigene Produkte ge-
niessen könnten. Als Zielgruppen werden Schulklassen aus der Re-
gion, Personen, die an der Schweizer Landwirtschaft und deren Pro-
dukten interessiert seien und all jene, die sich in einem authentischen
Umfeld mit hofeigenen Produkten zu einem speziellen Anlass
verwöhnen lassen wollten, genannt. Es würden hofeigene Produkte
(z.B. pasteurisierter Süssmost, Bauernbrot, eigenes Natura-Beef und
dazu Kartoffelgerichte aus dem eigenen Anbau) angeboten.
2.-3. (...)
4.
4.1.
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
183
Die Vorinstanzen erachteten die Umnutzung gestützt auf
Art. 24b RPG als zulässig. Von den Beschwerdeführern nicht bestrit-
ten ist die Zulässigkeit der Nutzung als betriebseigener Sitzungs- und
Verpflegungsraum, als Vortrags- und Verpflegungsraum bei Betriebs-
führungen, als Schulzimmer für SchuB, als privater Partyraum für
Angehörige des Landwirtschaftsbetriebs bzw. gemäss Umnutzungs-
konzept, als Schulungs- und Seminarraum sowie als Degustations-
raum. Bestritten wird von ihnen hingegen die Zulässigkeit einer Um-
nutzung als Eventraum im Sinne einer Partylokalität.
4.2.
Art. 24b RPG und Art. 40 RPV regeln die Voraussetzungen für
nichtlandwirtschaftliche Nebenbetriebe ausserhalb der Bauzonen.
Art. 24b Abs. 1 und Abs. 1bis RPG lautet:
1 Können landwirtschaftliche Gewerbe im Sinne des Bundesgesetzes
vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht ohne ein Zusatz-
einkommen nicht weiter bestehen, so können bauliche Massnahmen
zur Einrichtung eines betriebsnahen nichtlandwirtschaftlichen
Nebenbetriebs in bestehenden Bauten und Anlagen bewilligt werden.
Die Anforderung nach Artikel 24 Buchstabe a muss nicht erfüllt sein.
1bis Unabhängig vom Erfordernis eines Zusatzeinkommens können Ne-
benbetriebe mit einem engen sachlichen Bezug zum landwirtschaftli-
chen Gewerbe bewilligt werden; dafür können massvolle Erweiterun-
gen zugelassen werden, sofern in den bestehenden Bauten und Anla-
gen kein oder zu wenig Raum zur Verfügung steht.
Die Bestimmung von Art. 24b RPG wird in Art. 40 RPV
konkretisiert:
1 Die Bewilligung eines nichtlandwirtschaftlichen Nebenbetriebs setzt
voraus, dass:
a. dieser innerhalb des Hofbereichs des landwirtschaftlichen Gewer-
bes liegt;
b. dieser so beschaffen ist, dass die Bewirtschaftung des landwirt-
schaftlichen Gewerbes gewährleistet bleibt;
c. der Hofcharakter im Wesentlichen unverändert bleibt;
d. es sich um ein Gewerbe im Sinne von Artikel 5 oder 7 des Bundes-
gesetzes vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht han-
delt.
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
184
2 Der Nachweis, dass ein Betrieb auf ein Zusatzeinkommen angewie-
sen ist (Art. 24b Abs. 1 RPG), ist mit einem Betriebskonzept zu er-
bringen.
3 Als Nebenbetrieb mit einem engen sachlichen Bezug zum landwirt-
schaftlichen Gewerbe gelten insbesondere:
a. Angebote des Agrotourismus wie Besenwirtschaften, Schlafen im
Stroh, Gästezimmer auf dem Bauernhof, Heubäder;
b. sozialtherapeutische und pädagogische Angebote, bei denen das
Leben und soweit möglich die Arbeit auf dem Bauernhof einen we-
sentlichen Bestandteil der Betreuung ausmachen.
4 Steht für die Einrichtung eines nichtlandwirtschaftlichen Nebenbe-
triebs nach Artikel 24b Absatz 1bis RPG in den bestehenden Bauten
und Anlagen kein oder zu wenig Raum zur Verfügung, so dürfen An-
bauten oder Fahrnisbauten bis zu einer Fläche von 100 m2 zugelassen
werden.
5 Sind die Voraussetzungen für eine Bewilligung nach Artikel 24b
RPG nicht mehr erfüllt, so fällt die Bewilligung dahin. Die zuständige
Behörde stellt dies durch Verfügung fest. Auf Gesuch hin ist in einem
neuen Bewilligungsverfahren zu entscheiden, ob der nichtlandwirt-
schaftliche Nebenbetrieb gestützt auf eine andere Bestimmung bewil-
ligt werden kann.
Die gesetzliche Konzeption unterscheidet zwischen
Nebenbetrieben, die einen engen sachlichen Bezug zu einem
landwirtschaftlichen Gewerbe (im Sinne des Bundesgesetzes über
das bäuerliche Bodenrecht vom 4. Oktober 1991 [BGBB;
SR 211.412.11]) haben und solchen, bei denen ein derartiger Zusam-
menhang fehlt. Nebenbetriebe mit engem sachlichen Bezug zum
Hauptbetrieb sind jene, die sich auf besondere Eigenschaften und
Ressourcen des Hauptbetriebs abstützen (RUDOLF MUGGLI, in:
HEINZ AEMISEGGER/PIERRE MOOR/ALEXANDER RUCH/PIERRE
TSCHANNEN [Hrsg.], Praxiskommentar RPG: Bauen ausserhalb der
Bauzone, Zürich/Basel/Genf 2017, Art. 24b N 9). In der Botschaft
zum revidierten Art. 24b RPG wurde dazu festgehalten: Der
notwendige enge Konnex soll dann gegeben sein, wenn eine Aktivi-
tät oder Dienstleistung nur von einem landwirtschaftlichen Gewerbe
angeboten werden kann, dieses mit anderen Worten einen inte-
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
185
grierenden Bestandteil des nebenbetrieblichen Angebots bildet. Dies
ist beispielsweise bei Besenwirtschaften, Schlafen im Stroh, Gäste-
zimmern auf dem Bauernhof oder Heubädern oder ähnlichen Well-
ness-Angeboten der Fall, aber auch etwa bei sozialtherapeutischen
Angeboten, bei denen das Leben auf dem Bauernhof einen we-
sentlichen Teil der Betreuung ausmacht. Keinen engen sachlichen
Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Gewerbe als solchem
weisen demgegenüber jene Nebenbetriebe auf, die zwar einen direk-
ten oder indirekten Bezug zur Landwirtschaft haben, jedoch nicht
zwingend an das Vorhandensein eines landwirtschaftlichen Gewerbes
anknüpfen. Dies gilt etwa für Landmaschinenwerkstätten oder land-
wirtschaftliche Lohnunternehmen. Solche Aktivitäten sind nicht
notwendigerweise an die Existenz eines landwirtschaftlichen Gewer-
bes gebunden. (Botschaft zu einer Teilrevision des Raumplanungs-
gesetzes vom 2. Dezember 2005 [05.084], BBl 2005 [nachfolgend:
Botschaft Revision RPG 2007], S. 7112 f.). Art. 40 Abs. 3 RPV
nennt als Beispiele für einen Nebenbetrieb mit einem engen sach-
lichen Bezug zum landwirtschaftlichen Gewerbe - wie oben aufge-
zeigt - explizit Angebote des Agrotourismus wie Besenwirtschaf-
ten .
Der Gesetzgeber wollte die Aktivitäten mit einem engen sach-
lichen Bezug besonders fördern und hat sie in dreifacher Hinsicht
privilegiert: In den Fällen, in denen der enge sachliche Konnex gege-
ben ist, entfällt das Erfordernis, dass das in Frage stehende landwirt-
schaftliche Gewerbe nur mit einer zusätzlichen Einkommensquelle
weiter bestehen kann. Zusätzlich sind bei derartigen Nebenbetrieben
massvolle Erweiterungen möglich, sofern in den bestehenden Bauten
und Anlagen kein oder zu wenig Raum vorhanden ist. Es darf über-
dies auch Personal angestellt werden, das ausschliesslich oder über-
wiegend für den Nebenbetrieb tätig ist. Dies jedoch nur insofern, als
die im Nebenbetrieb anfallende Arbeit zum überwiegenden Teil
durch die Bewirtschafterfamilie geleistet wird (siehe Art. 24b Abs. 1,
Abs. 1bis und Abs. 2 RPG; Eidgenössisches Departement für Umwelt,
Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, Bundesamt für Raum-
entwicklung ARE, Erläuterungen zur Revision der Raumplanungs-
verordnung vom 4. Juli 2007, Version 1.1 vom 9. Juli 2007 [nachfol-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
186
gend: Erläuterungen Revision RPV 2007], S. 4; Botschaft Revision
RPG 2007, S. 7112; Muggli, a.a.O., Art. 24b N 9).
4.3. (...)
4.3.1.
Für die Beurteilung, ob gemäss Art. 24b Abs. 1bis RPG ein enger
sachlicher Bezug besteht, sind vorab das Baugesuch inkl. des
nachgereichten Umnutzungskonzepts (siehe dazu oben Erw. 1.2) so-
wie die erläuternden Angaben der Bauherrschaft von Bedeutung. In
der Beschwerdeantwort vor Vorinstanz legte die Beschwerdegeg-
nerin das Umnutzungsgesuch nochmals eingehend dar: Der Raum
solle als Schulungsraum, Seminarraum, Degustations- und Event-
raum für Gruppen sowie für SchuB-Veranstaltungen genutzt werden.
Im fraglichen Raum solle einerseits die theoretische Einführung bzw.
der theoretische Unterricht zu den fraglichen Themen möglich sein
und andererseits im Anschluss an die Führung die Möglichkeit be-
stehen, dort noch einen Apéro bzw. einen Zvieri anbieten zu können.
Mit andern Worten: Die Beschwerdegegnerin wolle nur Gruppen in
ihrem Lokal verköstigen, wenn der Besuch der Gruppe in einem Zu-
sammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehe. Die Vermietung
an Gruppen, welche nicht vorgängig oder nachfolgend noch durch
den Betrieb geführt oder zu betrieblichen Belangen geschult würden,
solle nur soweit erfolgen, als die Beschwerdegegnerin im Rahmen
der Bewirtung konkret auch ihre Produkte vorstellen und anbieten
sowie die Besucher auch mit eigenen Produkten bewirten könne. Da-
mit sei auch gesagt, dass jegliche Vermietung an Dritte, die sich
selbst verköstigten, ausgeschlossen sei. Die Beschwerdegegnerin
lasse sich dabei ausdrücklich behaften. Es sei für sie auch selbstver-
ständlich, dass sie sich beim Umnutzungskonzept, welches Bestand-
teil der Bewilligung sei, zu behaften lassen habe. Auch vor Verwal-
tungsgericht erläutert die Beschwerdegegnerin, dass im Rahmen von
gesellschaftlichen Anlässen bzw. Events soweit als möglich hof-
eigene Produkte vermarktet werden sollen. Daran habe sie ein In-
teresse, könne sie doch aus eigener Produktion Fleisch, Gemüse,
Eier, Früchte, Brot, aber auch Getränke wie Süssmost anbieten.
Wesentliche Teile der Speisekarte könnten aus der hofeigenen
Produktion bestritten werden. Es sei ihr klar, dass eine Vermietung an
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
187
Dritte, die das Lokal nur mieten wollten, ohne dass ein enger Zusam-
menhang zum Landwirtschaftsbetrieb bestehe, nicht in Frage kom-
men könne. An einer solchen Nutzung habe sie auch kein Interesse.
Ihr Interesse bestehe vielmehr darin, im Zusammenhang mit der
Nutzung des D.-Stübli ihre hofeigenen Produkte möglichst weit-
gehend zu vermarkten. Das Nutzungskonzept sehe denn auch keine
solche Vermietung an jedwelche Dritte vor. Die Beschwerdegegnerin
lasse sich bei ihrem Konzept, das Teil der Bewilligung sei, behaften.
Aus den Angaben der Beschwerdegegnerin ergibt sich somit,
dass das D.-Stübli - soweit es als Event-/Party- oder Festraum an
Dritte vermietet werden soll - mit dem Anbieten von hofeigenen Pro-
dukten verbunden ist. An den Anlässen sollen, soweit möglich, hof-
eigene Produkte vermarktet werden. Als Nebenbetrieb mit einem
engen sachlichen Bezug zum landwirtschaftlichen Gewerbe gelten
u.a. Besenwirtschaften (siehe Erw. 4.2; § 40 Abs. 3 lit. a RPV). Was
den engen sachlichen Bezug zum landwirtschaftlichen Gewerbe
anbelangt, besteht zwischen der Führung einer Besenwirtschaft und
der Vermietung eines Lokals an Dritte zur Durchführung eines ge-
schlossenen Anlasses, wenn dabei (soweit möglich) hofeigene Pro-
dukte vermarktet werden, kein relevanter Unterschied. Insoweit ist
auch in der vorliegenden Konstellation der enge sachliche Bezug
zum landwirtschaftlichen Gewerbe (vgl. Art. 24b Abs. 1bis RPG;
Art. 40 Abs. 3 lit. a RPV) zu bejahen (vgl. etwa SAMUEL KISSLING,
Stichworte zum Bauen ausserhalb der Bauzonen, Schweizerische
Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN, Raum & Umwelt
6/2013, S. 28).
4.3.2.
Nicht weiter einzugehen ist auf die vorgebrachten Anlässe, an-
lässlich welcher das D.-Stübli in der Vergangenheit angeblich wald-
hüttenähnlich bzw. ohne engen sachlichen Bezug zum Landwirt-
schaftsbetrieb genutzt, vermietet oder angeboten worden sei. Abgese-
hen davon, dass die Beschwerdegegnerin diese Vorwürfe bestreitet
bzw. widerlegt, sind nicht retrospektiv Anlässe und Aktivitäten aus
der Vergangenheit zu beurteilen, sondern einzig die beabsichtigte zu-
künftige Nutzung des D.-Stübli.
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
188
4.4.
Weiter bringen die Beschwerdeführer vor, die Nutzung als
Eventraum für Dritte führe zu einer wesentlichen Veränderung des
Hofcharakters (Mehraufkommen und Abstellen vieler Fahrzeuge auf
dem Hofgelände, Verschiebung des Nutzungsschwerpunkts auf die
Abend- und Nachtzeit sowie auf Sonn- und Feiertage). Damit schei-
nen sie auf Art. 40 Abs. 1 lit. c RPV abzuzielen. Die Bewilligung
eines nichtlandwirtschaftlichen Nebenbetriebs setzt gemäss dieser
Bestimmung u.a. voraus, dass der Hofcharakter im Wesentlichen un-
verändert bleibt (vgl. Erw. 4.2).
Den Beschwerdeführern ist zwar beizupflichten, dass auf dem
Hofgelände bei Anlässen auch Fahrzeuge parkiert und das D.-Stübli
teilweise an Abenden und am Wochenende genutzt werden soll. Des-
wegen wird das Erscheinungsbild des landwirtschaftlichen Hofgelän-
des jedoch nicht geprägt . Es entsteht deswegen auch nicht der Ein-
druck, dass hier kein Landwirtschaftsbetrieb (mehr) vorliegen würde
(vgl. MUGGLI, a.a.O., Art. 24b N 19). Ebenso wenig kann davon ge-
sprochen werden, dass der Nutzungsschwerpunkt des Betriebs ver-
schoben würde. Die Nutzung des D.-Stübli ist ein Nebenbetrieb und
die Vermietung des Raums an Dritte ist lediglich ein Aspekt unter
vielen, wie der Raum genutzt werden soll. Bei Besenwirtschaften,
welche der Gesetzgeber ausdrücklich als zulässig bezeichnet (Art. 40
Abs. 3 lit. a RPV), gehört es im Übrigen genauso dazu, dass Be-
sucher und Gäste ihr Fahrzeug regelmässig auf dem Hofgelände par-
kieren und die Besenwirtschaft z.B. abends und/oder am Wochen-
ende besucht wird. Die Einwände der Beschwerdeführer sind auch in
diesem Punkt unbegründet.
4.5.
Die Beschwerdeführer bringen vor, es bestehe Rechtsunsicher-
heit darüber, was nun zugelassen sei. In der Baubewilligung (betref-
fend die Umnutzung) müsse präzis umschrieben werden, für welche
Verwendungszwecke und für welche Nutzungsintensität die Bewilli-
gung erteilt werde, was hier nicht der Fall sei. Dem kann so nicht ge-
folgt werden. Aus dem Baugesuch inkl. Umnutzungskonzept sowie
den erläuternden weiteren Angaben der Beschwerdegegnerin geht
hinreichend klar hervor, wie das D.-Stübli genutzt werden soll. Die
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
189
Vorinstanzen haben das Umnutzungsgesuch bewilligt, d.h. die
projektierten Nutzungen wurden als zulässig erachtet. Insoweit be-
steht keine Rechtsunsicherheit. Es ist auch nicht notwendig, dass in
der Baubewilligung bzw. im Dispositiv konkreter festgehalten oder
aufgelistet werden müsste, was nun wie bewilligt wurde.
Abgesehen davon wurde in der Baubewilligung ausdrücklich
festgehalten, dass bei Veränderung der Bewilligungsvoraussetzungen
die Baubewilligung für den nichtlandwirtschaftlichen Nebenbetrieb
dahinfällt und die Bewilligung als aufgelöst gilt, was namentlich bei
Nutzungsänderungen
des
Nebenbetriebs
gegenüber
dem
Betriebskonzept
der Fall sei.
4.6.
Schliesslich verlangen die Beschwerdeführer, bezüglich des Im-
missionsschutzes seien Massnahmen anzuordnen. Der Zu- und Weg-
fahrverkehr sei zu regeln und die maximale Anzahl von
Besucherfahrzeugen sei zu limitieren, mit gleichzeitiger Einschrän-
kung der Parkflächen. Ebenso seien Betriebszeiten im Sinne von
Öffnungszeiten festzulegen. Auf welche gesetzlichen Grundlagen die
Beschwerdeführer ihre Forderungen stützen, begründen sie indes
nicht weiter. Tatsache ist, dass das D.-Stübli Platz für maximal ca.
40 Personen bietet, wobei auf dem Hofgelände genügend Platz zur
Verfügung steht, damit Gäste ihre Fahrzeuge abstellen können. Es
bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass z.B. aus Verkehrssicher-
heitsgründen Massnahmen ergriffen werden müssten. Die Anordnung
spezifischer Betriebs- bzw. Öffnungszeiten erscheint aktuell eben-
falls nicht erforderlich. Auch anderweitige Anordnungen (wie z.B.
Abspielen von Musik und Musizieren in Zimmerlautstärke)
erscheinen nicht notwendig. Sollte sich inskünftig wider Erwarten er-
geben, dass die Nutzung dennoch mit übermässigen Immissionen
verbunden ist, so steht es den Beschwerdeführern frei, dannzumal ein
Immissionsklageverfahren einzuleiten (vgl. § 30 Abs. 4 EG UWR).
Im heutigen Zeitpunkt besteht indes kein Anlass, z.B. gestützt auf
das Bundesumweltschutzrecht weitergehende Massnahmen anzuord-
nen.
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
190
5.
Zusammenfassend ist die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach
die beabsichtigte Umnutzung des D.-Stübli zulässig sei, nicht zu
beanstanden. Die Voraussetzungen von Art. 24b Abs. 1bis RPG sind
erfüllt, namentlich auch was die Vermietung des D.-Stübli an Dritte
anbelangt, zumal an diesen Anlässen soweit möglich hofeigene Pro-
dukte angeboten bzw. vermarktet werden und/oder die Anlässe ohne-
hin z.B. im Zusammenhang mit Betriebsführungen stehen. Es ist im
Übrigen auch nicht erforderlich, die Baubewilligung mit weiteren
Nebenbestimmungen (Bedingungen, Auflagen) zu versehen.
(...) | 4,366 | 3,402 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-15_2018-01-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-15.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-15.pdf | AGVE_2018_15 | null | nan |
ca7d755e-f57a-591f-8c50-341a23783460 | 1 | 412 | 870,648 | 983,491,200,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
204
[...]
49 Veranlagung nach Vermögensentwicklung und Lebensaufwand (§ 144
Abs. 2 StG).
- Mittelflussrechnung, wenn eine Buchhaltung geführt wird (Erw. 3/a,
b/aa).
- In der Regel ist davon auszugehen, dass der Lebensaufwand jeden-
falls den betreibungsrechtlichen Notbedarf erreicht (Erw. 3/b/bb).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 27. März 2001 in
Sachen U.S. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts.
Aus den Erwägungen
3. a) Bei selbstständigerwerbenden Steuerpflichtigen, die eine
Buchhaltung führen, ist es zweckmässig, zur Vermögensentwick-
lungs-/Lebensaufwandrechnung eine Mittelflussrechnung zu erstel-
len. Massgeblich sind dabei nur die tatsächlichen Einnahmen und
Ausgaben. Aus der Mittelflussrechnung ergibt sich, welche Mittel
dem Steuerpflichtigen für den Lebensaufwand effektiv zur Verfü-
gung stehen.
b) aa) Mittelflussrechnung aufgrund der Buchhaltung und der
Steuererklärung:
2001
Kantonales Steuerrecht
205
Aus der Mittelflussrechnung ergibt sich deutlich, dass die
Selbstdeklaration des Beschwerdeführers nicht zutreffend sein kann.
Die verbleibenden Mittel für die Lebenshaltung decken den Privat-
aufwand, selbst wenn er tief angesetzt wird, bei weitem nicht.
bb) Bei der Berechnung des Lebensaufwands ist in der Regel
davon auszugehen, dass der Verbrauch eines Steuerpflichtigen auch
bei sehr sparsamer Lebensführung jedenfalls den betreibungsrecht-
lichen Notbedarf erreicht. Der Beschwerdeführer macht allerdings
geltend, er lebe äusserst sparsam, indem er kaum ausgehe und für Es-
sen, Kleider und Unterhaltung fast nichts ausgebe. Nun ist es zwar
aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse nicht unglaubhaft, dass er
selten ausgeht; auf der anderen Seite ergibt sich aus den Akten aber
auch, dass er sich dort, wo die Kosten ausgewiesen sind, namentlich
bei Versicherungen, aber auch beim Fahrzeugaufwand, nicht als be-
sonders zurückhaltend erweist. Dies spricht dagegen, bei den nicht
2001
Verwaltungsgericht
206
nachweisbaren Posten, wie bei den Ausgaben für den täglichen Be-
darf, die von ihm angegebenen aussergewöhnlich tiefen Beträge zu
übernehmen. Vielmehr erscheint es auch im vorliegenden Fall rich-
tig, der Regel zu folgen und den betreibungsrechtlichen Grundbedarf
als objektivem Massstab nicht zu unterschreiten.
Es ist daher in einem ersten Schritt der betreibungsrechtliche
Grundbetrag (auf Grundlage der "Richtlinien für die Berechnung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums [Notbedarf] nach Art. 93
SchKG", Kreisschreiben des Obergerichts vom 13. Dezember 1993
[im Folgenden: Richtlinien]) mit der Deklaration des Beschwerde-
führers, einschliesslich der Aufrechnungen der Steuerbehörden, zu
vergleichen. Erweist sich der Privataufwand gemäss (korrigierter)
Selbstdeklaration als zu gering, wird die Differenz zum betreibungs-
rechtlichen Grundbetrag als Mehraufwand aufgerechnet. Dazu kom-
men die Auslagen, die nicht im Grundbetrag enthalten sind.
2001
Kantonales Steuerrecht
207
1) Der betreibungsrechtliche Notbedarf setzt sich zusammen aus einem
Grundbetrag (pauschal Fr. 1'010.--/Monat) plus Zuschlägen für bestimmte
weitere Auslagen. Im Grundbetrag sind enthalten: Nahrung, Kleidung und
Wäsche einschliesslich deren Instandhaltung, Körper- und Gesundheits-
pflege, Unterhalt der Wohnungseinrichtung, Kulturelles sowie Auslagen
für Beleuchtung, Kochstrom und/oder Gas. Nicht enthalten sind Kranken-
kasse und Fahrkosten, die als Zuschläge zum Grundbetrag hinzukommen.
2) Aufrechnung Fahrzeugkosten im Durchschnitt Fr. 2'600.--. Von den Fahr-
zeugkosten gemäss Buchhaltung entfallen gegen 80 % auf Abschreibun-
gen. Dieser Anteil ist auch hier abzuziehen, da es sich dabei nicht um
Auslagen handelt; verbleiben Fr. 550.--.
c) Aus obiger Aufstellung ergibt sich eine Unterdeckung des
Privataufwands von rund Fr. 20'200.--. Den Unsicherheiten der Ver-
2001
Verwaltungsgericht
208
mögensvergleichsrechnung wird praxisgemäss durch Abrundung des
Ergebnisses Rechnung getragen. Es rechtfertigt sich, vorliegend eine
Einkommensaufrechnung in Höhe von Fr. 18'000.-- vorzunehmen.
(Redaktioneller Hinweis: Auf eine staatsrechtliche Beschwerde
gegen diesen Entscheid ist das Bundesgericht nicht eingetreten.) | 917 | 736 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-49_2001-03-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-49.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-49.pdf | AGVE_2001_49 | null | nan |
caa78a69-b22b-5122-8317-e5331c3ad59b | 1 | 412 | 871,864 | 1,188,864,000,000 | 2,007 | de | 2007
Submissionen
167
39
Kommunale Zuständigkeit im Submissionswesen.
-
Zuständig für die Vergabe öffentlicher Arbeiten und Lieferungen ist
grundsätzlich der Gemeinderat (Erw. 2.1).
-
Der Schulpflege V. fehlt die Zuständigkeit zur Vergabe öffentlicher
Beschaffungsaufträge (Erw. 2.4-2.5).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 19. September 2007 in
Sachen N. AG gegen die Schulpflege V. (WBE.2007.224).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Zuständig für die Vergabe öffentlicher Arbeiten und Lieferun-
gen ist der Gemeinderat (§ 37 Abs. 2 lit. l GG). Auch die Gemeinde-
ordnung der Gemeinde V. vom 19. September 2005 weist die Zu-
ständigkeit für die Vergabe öffentlicher Aufträge dem Gemeinderat
zu (§ 34 lit. m GO). Gemäss § 36 Abs. 1 GO kann der Gemeinderat
seine Befugnisse delegieren. In diesen Fällen sehen das Gemeinde-
gesetz und die Gemeindeordnung der Gemeinde V. eine Art Ein-
spracheverfahren vor (§ 39 Abs. 2 GG und § 36 Abs. 2 GO).
2.2.
Entgegen der Auffassung der Schulpflege kann die Schulpflege
ihre Zuständigkeit nicht auf eine spezielle Delegation der Entscheid-
befugnisse des Gemeinderates stützen. In tatsächlicher Hinsicht fehlt
bereits ein entsprechender Beschluss des Gemeinderates.
2.3.
Für die allgemeine Kompetenzzuweisung an eine kommunale
Kommission ist grundsätzlich ein kommunales Reglement erforder-
lich, welches in generell-abstrakter Weise die Übertragung der Ent-
scheidbefugnisse regelt (§ 39 Abs. 3 GG; vgl. hiezu auch "Delega-
tion von Entscheidbefugnissen des Gemeinderates nach § 39 Ge-
meindegesetz", Merkblatt der Gemeindeabteilung, Oktober 2004,
S. 4; Andreas Baumann, Aargauisches Gemeinderecht, 3. Auflage,
Zürich 2005, S. 537 ff.). Der Gemeinderat V. hat das Reglement zur
2007
Verwaltungsgericht
168
Übertragung von Entscheidungsbefugnissen (§ 36 Abs. 3 GO) bis
jetzt nicht erlassen.
Eine stillschweigende oder praxisgemässe Ermächtigung ver-
mag die Zuständigkeit für Verfügungsakte in Submissionsverfahren
nicht zu begründen. Die Beschaffung im Submissionsverfahren ist
öffentliches Recht (vgl. zur sog. Zweistufentheorie: Ulrich Häfelin /
Georg Müller / Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht,
5. Auflage, Zürich 2006, Rz. 287 ff.), weshalb nach dem Gesetz-
mässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV; Pierre Tschannen / Ulrich
Zimmerli, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Bern 2005,
§ 19 Rz. 6) für die verwaltungsinternen Zuständigkeiten der Verga-
bestelle eine organisationsrechtliche Grundlage erforderlich ist (vgl.
auch VGE III/73 vom 28. Mai 1999 [BE.1998.00405], S. 11 ff.).
Schon die KV gebietet in § 107 Abs. 2 KV den Gemeinden, ihre Or-
ganisation in einer Gemeindeordnung festzulegen, welche die Zu-
ständigkeiten der Gemeindeorgane bestimmt (§ 18 Abs. 1 GG) und
zu ihrer Gültigkeit vom Regierungsrat zu genehmigen ist (§ 17 GG).
2.4.
Die Zuständigkeiten des Gemeinderates stehen allerdings unter
dem Vorbehalt von Befugnissen, die durch Vorschriften des Bundes,
des Kantons oder der Gemeinden einem anderen Organ übertragen
sind (§ 37 Abs. 1 GG; § 34 Abs. 1 GO). Zu prüfen ist daher, ob kan-
tonales oder kommunales Sachrecht der Schulpflege funktionale Zu-
ständigkeiten zu Entscheidungen im Beschaffungswesen einräumt.
2.4.1.
Die Schulpflege ist gemäss § 71 Abs. 1 SchulG (Fassung vom
1. März 2005, in Kraft seit 1. August 2005 [AGS 2005, S. 254]) ver-
antwortlich für die Führung der Kindergärten sowie der Volksschule
und trifft alle Entscheidungen, die mit einem ordentlichen Rechts-
mittel angefochten werden können. Gemäss § 71 Abs. 2 SchulG ob-
liegt die operative Führung der Schule der Schulleitung. Der Wort-
laut dieser Bestimmung ist umfassend und lässt den Schluss zu, dass
die Schulpflege und/oder die Schulleitungen in schulischen Belangen
ausnahmslos für sämtliche Entscheidungen zuständig sind, welche
durch ein Rechtsmittel angefochten werden können. Da Verfügungen
im Submissionswesen im Bereich oberhalb der Schwellenwerte mit
2007
Submissionen
169
Beschwerde angefochten werden können, lässt sich eine Zuständig-
keit der Schulpflege aus dem Wortlaut von § 71 Abs. 1 Satz 2
SchulG begründen. Allerdings fällt auf, dass anlässlich der Revision
von § 71 SchulG vom 17. Dezember 2002 (AGS 2004, S. 157) und
auch im Rahmen der Revision vom 1. März 2005 (AGS 2005,
S. 254) der Gesetzgeber keine Fremdänderungen im Organisations-
recht der Gemeinden und im Finanzrecht vorgenommen hat. Auch
die Bestimmungen über die Trägerschaft der Schule (§ 52 f. SchulG)
und die Zuständigkeit der Gemeinden im Schulwesen (§ 54 SchulG)
blieben unverändert. Gemäss §§ 53 ff. SchulG sind die Gemeinden
zur Beschaffung, Finanzierung und zum Unterhalt der Schulbauten,
Schuleinrichtungen und der Lehrmittel verpflichtet (§ 53 Abs. 1 und
2 SchulG). In allen Angelegenheiten, welche über die Kompetenzen
von Gemeinderat oder Schulpflege hinausgehen, beschliessen die
Gemeinden (§ 54 Abs. 3 SchulG).
Die fehlenden Gesetzesanpassungen für den verwaltungsinter-
nen kommunalen organisatorischen Zuständigkeitsbereich sind umso
erstaunlicher, als in der Fassung des Schulgesetzes vom 17. März
1981 (AGS Band 10, S. 546 f.) die Zuständigkeiten der Schulpflege
in einem - nicht abschliessenden - Katalog aufgeführt waren. Vor
der Revision von § 71 Abs. 1 SchulG gehörte zu den Aufgaben der
Schulpflege u.a. die Antragstellung für sämtliche Schulbau- und Pla-
nungsfragen und für den jährlichen Voranschlag des Schulwesens
(§ 71 lit. k aSchulG), und sie verfügte über die durch die Gemeinde-
ordnung der Schule im jährlichen Voranschlag eingeräumten Be-
triebsmittel (§ 71 lit. l aSchulG). Eine Zuständigkeit der Schulpflege
im Beschaffungswesen war auch im alten SchulG nicht vorgesehen,
vielmehr richtete sich die verwaltungsinterne Zuständigkeit nach den
Bestimmungen im Gemeindegesetz und in der Gemeindeordnung
(vgl. auch Baumann, a.a.O., S. 365 ff.)
Mit der Revision des SchulG vom 1. Dezember 2002 und vom
1. März 2005 wurden die Kompetenzen und Aufgaben der Schul-
pflege in der geleiteten Schule erweitert. Die Schulpflege ist gemäss
§ 42 GAL Anstellungsbehörde (vgl. auch § 8 VALL), sie führt und
beaufsichtigt die Schulleitungen (§ 5 ff. der Verordnung zur geleite-
ten Schule vom 23. November 2005 [SAR 401.115]). Sie ist sodann
2007
Verwaltungsgericht
170
erste Instanz für Laufbahn-, Disziplinar- und Strafentscheide an den
Schulen (§§ 37a, 38c und § 73 SchulG in der Fassung vom 1. März
2005). Die Schulgesetzrevision 2005 hat aber die Entscheidkompe-
tenzen in Investitions- und Finanzbereichen für Schulbauten und
Schuleinrichtungen sowie Lehrmittel nicht ausdrücklich neu gere-
gelt. Aus den Materialien ergeben sich insbesondere keine Anhalts-
punkte dafür, dass der Schulpflege im öffentlichen Beschaffungswe-
sen neue Zuständigkeiten übertragen wurden (vgl. unter anderem
Botschaft des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 14. No-
vember 2001 [01.319], Gesamtbericht Führung Schule vor Ort,
S. 3 f.; Botschaft des Regierungsrates an den Grossen Rat vom
3. November 1999 [99.348], Schulgesetz, Partialrevision Etappe II,
S. 10; Botschaft des Regierungsrates an den Grossen Rat vom
24. Mai 2000 [00.187], Gesetz über die Anstellung von Lehrpersonen
[GAL], S.
35; Protokoll des Grossen Rates [Prot. GR] vom
21. Dezember 2004 [Art. Nr. 2004-2300]).
2.4.2.
Vom Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung ist dann abzu-
weichen, wenn der Wortlaut nicht ihren wahren Sinn wiedergibt bzw.
wenn eine auf den Wortlaut beschränkte Auslegung zu Ergebnissen
führt, welche der Gesetzgeber nicht gewollt hat und die gegen das
Gerechtigkeitsgefühl und den Grundsatz der rechtsgleichen Behand-
lung verstossen (vgl. BGE 128 III 113 Erw. 2a; BGE 127 III 318
Erw. 2b; AGVE 2004, S. 103 ff. mit Hinweisen).
In systematischer Hinsicht sind die Beschlüsse der Schulpflege
beim Bezirksschulrat anfechtbar (§ 75 SchulG), und auch das sog.
"Kompetenzgeld" der Schulpflege (§ 74 SchulG) ist von der zustän-
digen Gemeindebehörde im Rahmen des Jahresbudgets zu beschlies-
sen. Vor diesem Hintergrund und den Materialen ergibt sich, dass der
Schulpflege mit der Revision des Schulgesetzes keine Entschei-
dungskompetenzen in der Investitions- und Finanzplanung übertra-
gen wurden (vgl. hiezu Die Rolle der Schulpflege, Departement Bil-
dung, Kultur und Sport, November 2005, S. 5; Verordnung zur ge-
leiteten Schule, Leitfaden für die Umsetzung, Departement Bildung,
Kultur und Sport, Januar 2006, S. 7 ff.) und vor allem die innerver-
2007
Submissionen
171
waltungsrechtliche Zuständigkeit des Gemeinderates im Beschaf-
fungswesen nicht auf die Schulpflege übertragen wurde.
Der Vollständigkeit halber ist anzufügen, dass den Schulleitun-
gen operative Zuständigkeiten zugewiesen werden können (§ 71
Abs. 2 SchulG). Nach den Bestimmungen in der Verordnung zur ge-
leiteten Schule handelt es sich dabei um Bestimmungen zum "Auf-
bau und (zur) Stärkung der geleiteten Schule und (der) damit ver-
bundenen Weiterentwicklung der Schulqualität in den Bereichen Or-
ganisation, Unterricht und Personal" (§ 1 Abs. 2 Verordnung zur ge-
leiteten Schule) und mit Bestimmungen über die Organisation des
Bildungswesens (inkl. des Disziplinarrechts) für die Schüler und
Lehrpersonen (vgl. §§ 5 und 8, 9 und 11 der Verordnung zur geleite-
ten Schule). Operative Zuständigkeiten der Schulleitung ergeben sich
aus der Verordnung im Bereich des Finanzwesen, insbesondere für
die Beschaffung nicht, zumal in diesem kommunalen Bereich die
Gemeindeautonomie eine kantonale Regelung in einer regierungsrät-
lichen Verordnung ausschliessen würde (§ 106 Abs. 1 KV).
2.4.3.
Im Zusammenhang mit dem GAT III sind am 1. Januar 2006
Änderungen über die Verwaltungsorganisation im Gemeindegesetz in
Kraft getreten (vgl. §§ 71a ff. GG). Diese Revision hat die Rechts-
grundlagen geschaffen, welche es den Gemeinden ermöglichen, die
wirkungsorientierte Verwaltungsführung (WOV) einzuführen. Das
kantonale Recht bestimmt im Gemeindegesetz die Minimalanforde-
rungen und schreibt die Mindestkompetenzen von Gemeindever-
sammlung oder Einwohnerrat einerseits und Gemeinderat anderseits
vor, wobei den Gemeinden Möglichkeiten zur selbstständigen Aus-
gestaltung zustehen. Jene Gemeinden, welche die Verwaltung auf
WOV ausrichten, haben dies in ihrer Gemeindeordnung zu ordnen
(§ 71b GG; vgl. Botschaft des Regierungsrates an den Grossen Rat
vom 28. April 2004 [04.115], Aufgabenteilung Kanton-Gemeinden
3. Paket, S. 53; Prot. GR vom 18. Januar 2005 [Art. 2005-2354],
S. 3942 ff.). An den Zuständigkeiten des Gemeinderates im Beschaf-
fungswesen hat diese kantonale Revision nichts geändert (vgl. § 71d
Abs. 1 und 2 GG). Gemäss § 71d Abs. 3 GG erfordern die Zuwei-
sung weiterer Kompetenzen an Legislative oder Exekutive sowie
2007
Verwaltungsgericht
172
mögliche Instrumente der wirkungsorientierten Verfassung ein Re-
glement. Die Gemeindeordnung V. enthält (noch) keine Regelung zu
WOV, vor allem fehlen die erforderlichen Reglemente (Stellung-
nahme des Gemeinderates vom 10. September 2007). Der Auffas-
sung der Schulpflege, wonach ihr im Rahmen von Globalbudgets
auch die verwaltungsinterne Zuständigkeit für die Durchführung ei-
nes Submissionsverfahrens zukommt, fehlt daher die gesetzliche
Grundlage. Im Beschluss des Einwohnerrates vom 12. März 2007
wurde das Informatikkonzept genehmigt und der Verpflichtungskre-
dit für die Gebäudeinvestitionen/Netzwerk für die Hard- und Softwa-
reanschaffung sowie für Schulung etc. bewilligt. Eine Änderung der
Zuständigkeiten für die Durchführung der Submission enthält der
Beschluss nicht.
2.5.
Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass der Schul-
pflege V. mangels kantonaler und kommunaler Grundlage die Zu-
ständigkeit zur Vergabe öffentlicher Beschaffungsaufträge fehlt. | 2,712 | 2,197 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2007-39_2007-09-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2007-39.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2007-39.pdf | AGVE_2007_39 | null | nan |
cb43b406-65f1-5696-86b9-c2e017594ed3 | 1 | 412 | 870,661 | 1,038,873,600,000 | 2,002 | de | 2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
187
50
Besitzstandsgarantie (§ 68 lit. b BauG).
- Der Ersatz eines Flachdachs durch ein Satteldach stellt grundsätzlich
eine angemessene Erweiterung bzw. einen angemessenen Umbau dar
(Erw. 2/d/bb).
- Keine wesentliche Verstärkung der Rechtswidrigkeit, auch wenn das
neue Dachgeschoss auf ein heute rechtswidriges drittes Vollgeschoss
aufgebaut wird (Erw. 2/d/cc).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 6. Dezember 2002 in
Sachen R. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. Die Beschwerdegegner wollen auf ihr bestehendes Zweifa-
milienhaus mit Flachdach ein Satteldach aufsetzen. Das neue Dach-
geschoss, dessen Bruttogeschossfläche (BGF) mit 55.1915 m
2
ange-
geben wird, enthält nebst dem Estrich eine Galerie, ein Schlafzim-
mer, ein Bad und eine Terrasse. Auf der West- und auf der Ostseite
ist je eine Dachlukarne vorgesehen. Die Firsthöhe beträgt 10.25 m.
2. (...)
d) aa) Die Erweiterung, der Umbau oder die Zweckänderung
besitzstandsgeschützter Bauten innerhalb der Bauzonen ist nur zuläs-
sig, wenn dadurch ihre Rechtswidrigkeit nicht wesentlich verstärkt
wird (§ 68 lit. b BauG; siehe AGVE 1999, S. 217 ff.). (...).
bb) Das Verwaltungsgericht hat unter dem früheren Recht den
Ersatz eines Flachdachs durch ein Satteldach grundsätzlich als zeit-
gemässe Erneuerung im Sinne von § 224 Abs. 2 Satz 1 aBauG be-
handelt. Im Hinblick darauf, dass die Nachbarschaft durch ein Sat-
teldach regelmässig mehr beeinträchtigt werde als durch ein Flach-
dach (Schattenwurf und Lichtentzug, Einschränkung der freien Sicht
usw.), wurde allerdings verlangt, dass Dachaufbauten auf das von der
Funktion her Erforderliche zu beschränken seien, wozu auch gehöre,
dass nicht zusätzlicher Wohnraum entstehe; Leitlinie müsse sein,
dass dem betreffenden Bauherrn ermöglicht werde, das Sanierungs-
ziel zu erreichen, aber nicht mehr. Eine eher restriktive Praxis sei
2003
Verwaltungsgericht
188
auch darum gerechtfertigt, weil ein Flachdach als solches ebenfalls
einwandfrei saniert werden könne, wenn auch in der Regel mit etwas
grösserem finanziellem Aufwand (siehe zum Ganzen: AGVE 1991,
S. 353 mit Hinweisen).
Heute ist die rechtliche Ausgangslage eine andere. Angemes-
sene Erweiterungen und Umbauten sind nunmehr zugelassen. Mit
dem Begriff der "Angemessenheit" bringt der Gesetzgeber dabei zum
Ausdruck, dass zwischen der vorhandenen Kubatur und der
optischen Erscheinungsweise der betreffenden Baute und dem Er-
weiterungsvorhaben ein ausgewogenes Verhältnis bestehen soll.
Wird wie im vorliegenden Falle auf ein Flachdach ein Satteldach
aufgesetzt, darf diese Voraussetzung im Regelfall als erfüllt gelten.
Satteldächer verändern zwar das Aussehen eines Gebäudes, aber
nicht derart nachhaltig, dass die Identität des Bauwerks nachher eine
andere ist. Erst recht ist dies zu verneinen, wenn sämtliche Randbe-
dingungen, welche den Kubus eines Gebäudes bestimmen, einge-
halten sind (hier insbesondere auch die Firsthöhe, welche gemäss § 4
BNO in der Zone E2 maximal 10.30 m betragen darf). Dazu kommt,
dass das Satteldach die wohl üblichste Dachform ist und deshalb ein
Bauvorhaben wie das hier in Frage stehende auch innerhalb eines
Wohnquartiers in optischer Hinsicht kaum zusätzliche Unruhe
schafft. Das finanzielle Moment ist dagegen heute kaum mehr ein
Motiv dafür, ein Flachdach durch ein Satteldach zu ersetzen. Das
Verwaltungsgericht gelangt also im Ergebnis zu den gleichen Er-
kenntnissen wie die Vorinstanzen.
cc) Die heute vorhandene Rechtswidrigkeit des Gebäudes
Nr. 336 besteht darin, dass es drei statt der gemäss § 4 BNO in der
Zone E2 maximal zulässigen zwei Vollgeschosse aufweist. Diese
Rechtswidrigkeit wird nicht verstärkt, denn die Randbedingungen
von § 16 ABauV (in der Fassung vom 12. Juli 2000) für ein (gemäss
§ 14 Abs. 1 ABauV nicht als Vollgeschoss geltendes) Dachgeschoss
sind allesamt erfüllt; es handelt sich um ein zulässiges Schrägdach
(Dachneigung nicht über 45°, Kniestockhöhe nicht über 1.20 m
[siehe § 16 Abs. 1
bis
ABauV in der Fassung vom 12. Juli 2000]),
dessen Flächen zwar durch Lukarnen durchbrochen werden, aber nur
auf einem Geschoss und auf nicht mehr als einem Drittel der Fassa-
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
189
denlänge. Daran ändert nichts, "dass das Dachgeschoss auf ein
rechtswidriges drittes Vollgeschoss aufgebaut wird"; entscheidend
kann einzig sein, dass das Gebäude Nr. 336 sowohl vor als auch nach
der Erweiterung bzw. dem Umbau dreigeschossig ist (siehe
AGVE
1999, S.
220 f., bezüglich des analogen Falls einer
Geschosserweiterung in der Horizontalen). Andere bestehende
Rechtswidrigkeiten, die verstärkt werden könnten, sind nicht
ersichtlich. | 1,051 | 897 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-50_2002-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-50.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-50.pdf | AGVE_2003_50 | null | nan |
cc48fc94-bd27-5286-bc3e-699ef8ec6a5d | 1 | 412 | 871,645 | 1,104,624,000,000 | 2,005 | de | 2005
Verwaltungsgericht
124
[...]
30
Anfechtung einer Ermessensveranlagung (§ 193 Abs. 2 StG; Art. 48 Abs. 2
StHG).
-
Änderungen gemäss neuem Recht.
- In der Einsprache gegen eine Ermessensveranlagung sind allfällige
Beweismittel zu nennen. Erst im Rekurs- oder im Beschwerdeverfah-
ren eingebrachte Beweismittel sind unbeachtlich, sofern im Ver-
anlagungs- oder Einspracheverfahren auf den Beweismittelausschluss
hingewiesen wurde und die verspätete Einreichung nicht ausnahms-
weise entschuldbar ist.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 25. Januar 2005 in Sa-
chen B.E. gegen Steuerrekursgericht. Publiziert in StE 2005, B 96.12 Nr. 15.
Aus den Erwägungen
1. a) Die Steuerveranlagung ist in erster Linie durch direkte
Ermittlung der Einkünfte und Abzüge vorzunehmen, wozu der Steu-
erpflichtige eine Steuererklärung samt Unterlagen einzureichen und
weitere Auskünfte zu erteilen hat (§ 179 ff., § 190 StG).
Hat die steuerpflichtige Person trotz Mahnung ihre Verfah-
renspflichten nicht erfüllt oder können die Steuerfaktoren mangels
zuverlässiger Unterlagen nicht einwandfrei ermittelt werden, wird
die Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen vorgenommen,
wobei Erfahrungszahlen, Vermögensentwicklung und Lebensauf-
wand berücksichtigt werden können (§ 191 Abs. 3 StG). Resultiert
aus der Steuererklärung ein Einkommen, das unglaubwürdig ist und
"so nicht stimmen kann", drängt sich die Überprüfung durch einen
Vermögensvergleich auf. Ergibt dieser, unter Berücksichtigung der
2005
Kantonale Steuern
125
für den Lebensunterhalt benötigten Mittel, ein erhebliches Manko
und kann der Steuerpflichtige nicht nachweisen, dass ein Vermö-
genszuwachs ganz oder teilweise aus steuerfreien Einkünften resul-
tiert, ist eine Ermessensveranlagung vorzunehmen (AGVE 1996,
S. 220 f.; Martin Plüss, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz,
Band 2, 2. Auflage, Muri/BE 2004, § 191 N 23, N 36 ff. mit Hinwei-
sen).
b) Die Voraussetzungen für eine Ermessensveranlagung waren
im vorliegenden Fall erfüllt. Die Vermögensvergleichsrechnung,
erstmals am 10. Juli 2002 erstellt und auf Einwände des Beschwerde-
führers hin mehrfach abgeändert, ergab auch in der Fassung vom
8. Januar 2003, die der Veranlagung zugrunde gelegt wurde, ein
erhebliches Einkommensmanko. Dies wird vom Beschwerdeführer
denn auch gar nicht bestritten. Vielmehr beruft er sich selber darauf,
dass seine Buchhaltung - als Ausgangspunkt der Vermögensver-
gleichsrechnung (vgl. AGVE 2001, S. 204 ff.) - fehlerhaft gewesen
sei und den Kreditorenbestand Ende 2001 viel zu tief ausgewiesen
habe.
2. a) Nach pflichtgemässem Ermessen veranlagte Steuerpflich-
tige haben im Einspracheverfahren die offensichtliche Unrichtigkeit
der Veranlagung nachzuweisen. Die Einsprache ist zu begründen
(§ 193 Abs. 2 StG). Mit dieser Formulierung hat der kantonale
Gesetzgeber die bundesrechtlichen Vorgaben nicht vollumfänglich
umgesetzt. Art. 48 Abs. 2 StHG schreibt nämlich vor: "... Die
Einsprache ist zu begründen
und muss allfällige Beweismittel
nennen
." Die Vorschrift des StHG gilt, nachdem Ende 2000 die
achtjährige Anpassungsfrist (Art. 72 Abs. 1 StHG) abgelaufen ist,
ungeachtet der nur teilweisen Umsetzung ins kantonale Recht und ist
direkt anwendbar (Art. 72 Abs. 2 StHG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 132
Abs. 3 DBG (wörtlich gleich lautend wie Art. 48 Abs. 2 StHG) ist die
Begründung Gültigkeitserfordernis bei der Einsprache gegen eine
Ermessensveranlagung, jedenfalls wenn in der Rechtsmittelbeleh-
rung hierauf hingewiesen wurde; das Fehlen einer sachbezogenen
Begründung stellt einen nach Ablauf der Einsprachefrist nicht mehr
verbesserungsfähigen Mangel dar (BGE 123 II 552 ff. = Pra 87/1998,
2005
Verwaltungsgericht
126
Nr. 151 Erw. 4; Martin Zweifel, in: Kommentar zum schweizerischen
Steuerrecht, Bd. I/1 [StHG], 2. Auflage, Basel/Genf/München 2002,
Art. 48 N 43). Die Nennung der Beweismittel ebenfalls als Gültig-
keitserfordernis zu behandeln, wäre wohl eine unbegründete Strenge.
Doch immerhin überbindet Art. 48 Abs. 2 StHG dem Steuerpflichti-
gen den im Einspracheverfahren zu erbringenden Nachweis der
offensichtlichen Unrichtigkeit der Ermessensveranlagung. Der
Nachweis ist mit der Einsprache anzutreten; der Steuerpflichtige
muss zusammen mit der Einsprache taugliche Beweismittel für die
Richtigkeit seiner Darstellung einreichen oder sie zumindest genau
bezeichnen. Das Fehlen neuer Beweismittel wird häufig zum Schei-
tern des Unrichtigkeitsnachweises und zur Abweisung der
Einsprache führen (Zweifel, a.a.O., Art. 48 N 43b f., 55 f.).
Wenn die Nennung der Beweismittel ausdrücklich vorgeschrie-
ben wird, impliziert dies, dass im Rekurs- und im Beschwerdeverfah-
ren keine neuen, im Einspracheverfahren nicht angebotenen Be-
weismittel zulässig sind, um den im Einspracheverfahren geschei-
terten Nachweis der offensichtlichen Unrichtigkeit der Ermessens-
veranlagung zu erbringen. Die abweichende Meinung von Zweifel
(a.a.O., Art. 48 N 61) wird der speziellen Regelung von Art. 48
Abs.
2 StHG mit der gewollten und sachlich gerechtfertigten
Erschwerung der Anfechtung von Ermessensveranlagungen (ver-
glichen mit der Einsprache gegen normale Veranlagungen) nicht
gerecht, sondern würde diese geradezu unterlaufen. In verfahrens-
mässiger Hinsicht wird dabei übergangen, dass der abweisende
Einspracheentscheid, wenn der Unrichtigkeitsnachweis am fehlenden
Beweis gescheitert ist, richtig und rechtmässig ist; ein legitimes
Bedürfnis, ihn mit neuen, im Einspracheverfahren entgegen Art. 48
Abs. 2 StHG nicht eingebrachten Beweismitteln anfechten zu lassen,
ist - ausser wenn die nicht rechtzeitige Vorlage im Einsprache-
verfahren unverschuldet war - nicht ersichtlich. Zweifel stützt sich
denn auch, ohne auf die seither geänderten rechtlichen Grundlagen
näher einzugehen, auf einen Bundesgerichtsentscheid (ASA 58/1989-
90, S. 670 ff.) zum früheren Recht der direkten Bundessteuer (als
sich die Anforderungen an die Einsprache gegen eine Ermessensver-
anlagung, soweit die Einsprache hier überhaupt zulässig war, von
2005
Kantonale Steuern
127
denjenigen nach einer normalen Veranlagungen nicht unterschieden)
in einem Fall, wo Beweismittel, obwohl sie bereits im Einsprache-
verfahren eingebracht worden waren, im Rekursverfahren unberück-
sichtigt blieben.
b) Um den Beweismittelausschluss eintreten zu lassen, muss der
Steuerpflichtige rechtzeitig, entweder in der Rechtsmittelbelehrung
der Veranlagungsverfügung oder jedenfalls vor Abschluss des Ein-
spracheverfahrens, ausdrücklich darauf hingewiesen werden
(vgl. - zum Begründungserfordernis - BGE 123 II 552 ff. = Pra
87/1998, Nr. 151 Erw. 4/f). Die von der Rechtsprechung zum alten
Recht (Steuergesetz [aStG] vom 13. Dezember 1983) statuierten
Einschränkungen, insbesondere dass der Hinweis im Einsprachever-
fahren selber erfolgen müsse und dass sich der Beweismittelaus-
schluss nur auf Beweismittel beziehe, die klar und verständlich
umschrieben und eingefordert wurden (vgl. AGVE 1989, S. 177 f.
mit Hinweisen), lassen sich für das Einspracheverfahren nach einer
Ermessensveranlagung, wie es in Art. 48 Abs. 2 StHG/§ 193 Abs. 2
StG neu geregelt ist, nicht aufrecht erhalten.
3. a) Bereits im Veranlagungsverfahren wurde der Beschwerde-
führer mit Schreiben des Gemeindesteueramtes vom 19. Juni 2002
unter Nennung der gesetzlichen Bestimmungen auf die Möglichkeit
der Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen (§ 191 Abs. 3 StG)
hingewiesen, was zur Folge habe, dass der Beschwerdeführer die
Unrichtigkeit der Veranlagung nachweisen müsse (§ 193 Abs. 2 StG)
und dass vorenthaltene Unterlagen im Rekurs- und im Beschwerde-
verfahren nicht mehr berücksichtigt würden (§ 194 Abs. 2 StG).
Später wurde er im Zusammenhang mit den Vermögensvergleichs-
rechnungen zur Stellungnahme mit Beweismitteln aufgefordert. In
der "Abweichungsbegründung" (Beilage zur Veranlagung) wurde
ausgeführt, dass die Annahme des Beschwerdeführers, der Schuld-
saldo bei der G. AG (Fr. 152'168.55) sei nicht in den buchhalterisch
ausgewiesenen Kreditoren per Ende 2001 (Fr. 170'928.--) enthalten,
nicht zutreffe.
b) aa) Mit Einsprache brachte der Beschwerdeführer gegen die
gestützt auf den Vermögensvergleich erfolgte ermessensweise Ein-
kommensveranlagung vor, er sei der Meinung, "dass der Kreditoren-
2005
Verwaltungsgericht
128
bestand gemäss unseren Angaben genügend ergänzt worden ist. Wir
bitten Sie deshalb, die eingereichten Dokumente voll zu akzeptieren.
... Die gesamten Kreditoren müssen höher sein als sie ausgewiesen
sind. Wir bitten Sie, diese Möglichkeiten noch zu berücksichtigen. ...
Ich bin bereit, jederzeit meine Buchhaltung offen zu legen und sie
durch Ihre Stellen begutachten zu lassen." Mit Schreiben vom
2. April 2003 beanstandete das GStA, dass das Manko gemäss Ver-
mögensvergleichsrechnung immer noch nicht einleuchtend erklärt
sei, und wies wiederum auf den Beweismittelausschluss im Rekurs-
und Beschwerdeverfahren hin. Der Beschwerdeführer seinerseits
offerierte nochmals, die Buchhaltung und alle weiteren Unterlagen
zur Überprüfung der Kreditoren durch die Steuerkommission zur
Verfügung zu stellen (Eingabe vom 22. April 2003).
bb) Um die Vermögensvergleichsrechnung und die dadurch be-
wirkte ermessensweise Einkommensfestsetzung zu Fall zu bringen,
musste der Beschwerdeführer den Nachweis antreten, dass der in
seiner Buchhaltung ausgewiesene Kreditorenbestand per Ende 2001
falsch, nämlich zu tief, erfasst war. Sein anfängliches Argument, die
Schulden bei der G. AG seien im Kreditorenbestand per Ende 2001
nicht enthalten, traf so nicht zu und war bereits bei der Veranlagung
als unzutreffend zurückgewiesen worden. Unter diesen Umständen
musste er, um die offensichtliche Unrichtigkeit der Ermessensveran-
lagung aufzuzeigen, nachweisen, dass die übrigen Kreditoren mehr
als rund Fr. 20'000.-- betrugen. Als Folge seiner eigenartigen Verbu-
chungsart, indem er nämlich die Zahlungen pauschal und gerundet,
ohne Zuweisung zu den einzelnen Kreditoren, auswies, liess sich der
Nachweis der unzureichenden Erfassung der Kreditoren per Ende
2001 nicht mit der Buchhaltung und den eingereichten Kontoblättern
des Kontos 2000 "Kreditoren" erbringen. Vielmehr bedurfte es dazu
einer Zusammenstellung der offenen Rechnungen in Verbindung mit
den Belastungsanzeigen der Bank, aus denen hervorging, dass diese
Rechnungen nicht schon 2001, sondern erst im Verlauf des Jahres
2002 beglichen worden waren.
cc) Die eben genannten Unterlagen, mit denen sich die Unrich-
tigkeit der eigenen Buchhaltung und damit auch der erfolgten Er-
messensveranlagung belegen liess, reichte der Beschwerdeführer erst
2005
Kantonale Steuern
129
im Rekursverfahren ein; im Einspracheverfahren berief er sich noch
mit keinem Wort darauf. Da es unzulässig ist, im Rekurs- und im
Beschwerdeverfahren neue, im Einspracheverfahren nicht genannte
Beweismittel einzubringen, da diese Beweismittel schon während
des Einspracheverfahrens vorhanden waren und die verspätete Ein-
reichung nicht entschuldbar ist und da der Beschwerdeführer im
Veranlagungs- und im Einspracheverfahren auf den Beweismittelaus-
schluss hingewiesen wurde, darf das Verwaltungsgericht diese neuen
Unterlagen zum Nachweis der offensichtlichen Unrichtigkeit der
Ermessensveranlagung nicht berücksichtigen (und hätte sie schon
das Steuerrekursgericht nicht berücksichtigen dürfen). Das hat zur
Folge, dass dieser Nachweis nicht erbracht ist. | 2,585 | 2,024 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-30_2005-01-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-30.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-30.pdf | AGVE_2005_30 | null | nan |
cc6b61f9-871c-5063-94fe-e8d7d7c157db | 1 | 412 | 870,546 | 1,380,758,400,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
182
[...]
35 Parkplätze
-
Parkplatzerstellungspflicht: Pflichtparkplätze auf privaten Grund-
stücken sind dinglich, z.B. durch im Grundbuch eingetragene
Grunddienstbarkeiten oder Baurechte zu sichern; eine bloss obli-
gatorische Sicherung genügt nicht (Erw. 3.3.4.).
-
Mangelhaftes Baugesuch; für die Erstellung neuer Parkplätze ist ein
Baubewilligungsverfahren erforderlich; auch bei Projektänderungen
während laufendem Beschwerdeverfahren müssen die Interessen
Dritter und der Öffentlichkeit gewahrt werden (Erw. 4.3.).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. Oktober 2013 in Sa-
chen A. AG gegen Erbengemeinschaft B. und gegen C. AG sowie Gemeinde-
rat D. und Departement Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2012.219).
Sachverhalt
Das umstrittene Projekt beinhaltet verschiedene bauliche An-
passungen/Erweiterungen auf der Parzelle Nr. X. der Beschwerde-
führerin. Dabei sollen u.a. 7 bestehende Parkplätze entfernt werden,
wobei es sich um Pflichtparkplätze handelt. Die auf der gegenüber-
liegenden Strassenseite liegende Parzelle Nr. Q. gehört den Be-
schwerdegegnern 1. Auf dieser Parzelle (Nr. Q.) realisierte die Be-
schwerdeführerin im Jahre 2003 82 Parkplätze. Die Parkplätze wur-
den jedoch nie zugunsten der (Betriebs-)Parzelle Nr. X. der Be-
schwerdeführerin dinglich gesichert, sondern lediglich mittels einem
obligatorischen
Vertrag (als "Dienstbarkeitsvertrag" betitelt, aber
ohne Eintrag im Grundbuch) zwischen der Beschwerdeführerin und
den Beschwerdegegnern 1. Die Beschwerdegegner 1 haben den Ver-
trag in der Zwischenzeit gekündigt, wobei die Kündigung angefoch-
2013
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
183
ten wurde. Die Beschwerdeführerin ist im Weiteren Eigentümerin der
an die Parzelle Nr. X. angrenzenden Parzelle Nr. Z..
Aus den Erwägungen
3.3.4.
Die gesetzlich notwendigen Parkfelder müssen auf privatem
Grund in nützlicher Distanz zur Liegenschaft, der sie zu dienen ha-
ben, liegen und dauernd als solche benutzt werden können (vgl. § 55
Abs. 1 Satz 2 BauG). Die gemäss gesetzlicher Verpflichtung geschaf-
fenen Parkfelder und Verkehrsflächen müssen ihrer Zweckbestim-
mung zudem erhalten bleiben (§ 57 Abs. 1 BauG). Nach ständiger
Praxis des Verwaltungsgerichts müssen auf Drittgrundstücken
Pflichtparkplätze dinglich, d.h. durch Errichtung einer Grunddienst-
barkeit oder eines Baurechts zugunsten des Baugrundstücks und zu-
lasten des Parkplatzgrundstücks gesichert sein (AGVE 2002, S. 244;
1987, S. 258; E
RICH
Z
IMMERLIN
, Baugesetz des Kantons Aargau,
2. Auflage, Aarau 1985, §§ 60-63 N 13). Eine bloss obligatorische
Sicherung, wie z.B. die kündbare Miete, genügt demgegenüber nicht
(vgl. Z
IMMERLIN
, a.a.O., §§ 60-63 N 13).
Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, mit dem
"Dienstbarkeitsvertrag" bezüglich der Parkplätze zurzeit gleich dazu-
stehen, wie wenn sie eine Dienstbarkeit oder ein Baurecht besässe.
Diese Ansicht kann nicht geteilt werden: Selbst nach der Darstellung
der Beschwerdeführerin wären ihre Parkplätze nach einem Verkauf
der Parkplatzparzelle (Nr. Q.) an einen gutgläubigen Dritten nicht
gesichert. Zudem haben die Beschwerdegegner 1 den Vertrag in der
Zwischenzeit gekündigt, wobei die Beschwerdeführerin die Kündi-
gung angefochten hat und das diesbezügliche Zivilverfahren noch
nicht abgeschlossen ist. Schon daraus zeigt sich, dass eine dauernde
Sicherung zumindest auf privaten Grundstücken nur durch dingliche
Sicherungen, wie z.B. im Grundbuch eingetragene Grunddienstbar-
keiten oder Baurechte, erreicht werden kann. Die Beschwerdegegner
weisen insofern richtig darauf hin, dass die Erhaltung der Pflicht-
parkplätze (vgl. § 57 BauG) eine auf Dauer angelegte öffentlich-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
184
rechtliche Pflicht aus der Baubewilligung darstellt, die keine privat-
rechtlichen Eventualitäten verträgt.
Die Beschwerdeführerin zieht im Weiteren den Vergleich mit
der Rechtsprechung zu Parkplatzgrundstücken, die dem Verwal-
tungsvermögen einer Gemeinde zugehören. In solchen Fällen kann
von einer rechtlichen Sicherung der Parkplätze abgesehen werden, da
Verwaltungsvermögen nicht veräussert werden kann und die Wahr-
scheinlichkeit, dass später eine Umwandlung des Grundstücks in
Finanzvermögen und nachfolgend seine Realisierung erfolgt, äus-
serst gering ist (vgl. AGVE 2002, S. 244; 1987, S. 258 f.). Sollte der
Fall einer Umwandlung in Finanzvermögen dennoch eintreten,
könnte die Gemeinde die dingliche Sicherung vor der Realisierung
noch immer vornehmen, womit die Zweckbestimmung der Pflicht-
parkplätze weiterhin rechtlich gesichert wäre. - Im vorliegenden Fall
geht es jedoch um eine völlig andere Konstellation, nämlich um Bau-
ten und Grundstücke von Privaten. Dabei steht fest, dass die Park-
plätze auf der (fremden) Parzelle Nr. Q. nicht zugunsten der Be-
triebs-Parzelle Nr. X. (der Beschwerdeführerin) dinglich gesichert
sind.
Da von den ursprünglich 43
Parkplätzen (bzw. von den
41.5 Pflichtparkplätzen) heute nur noch 14 Parkplätze auf der Par-
zelle Nr. X. bestehen und die Parkplätze auf der Parzelle Nr. Q. wie
erwähnt nicht dinglich gesichert sind, besteht bezüglich der Park-
plätze bereits heute ein rechtswidriger Zustand. Dieser hat sich nur
deshalb noch nicht akzentuiert, weil die Beschwerdeführerin die
Parkplätze auf der Parzelle Nr. Q. (derzeit) tatsächlich noch benutzen
kann.
Demgemäss genügen die Parkplätze auf der Parzelle Nr. Q. den
Anforderungen an Ersatzparkplätze für Pflichtparkplätze des Be-
triebs auf der Parzelle Nr. X. mangels dinglicher Sicherung nicht. Für
die 7 Parkplätze, welche im Zuge des vorliegenden Bauvorhabens
auf der Parzelle Nr. X. aufgehoben werden sollen, können auf der
Parzelle Nr. Q. keine Ersatzparkplätze bereitgestellt werden. Die be-
züglich der Parkplätze ohnehin schon bestehende rechtswidrige
Situation würde dadurch nur noch verstärkt.
2013
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
185
3.4.-3.6. (...)
4.
4.1.
4.1.1.
Die Beschwerdeführerin stellt eventualiter den Antrag, in
Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Baubewilligung des
Gemeinderats vom 20. Februar 2012 grundsätzlich zu bestätigen, in-
dessen mit der Auflage zu versehen, dass vor der Platzierung der bei-
den Kühlcontainer entweder der Verzicht auf die Aufhebung der
7 Parkplätze oder deren Ersatz auf eigenem Areal nachgewiesen
werde.
4.1.2. (...)
4.2. (...)
4.3.
Die rechtsanwendende Behörde hat, wenn ein Baugesuch man-
gelhaft ist bzw. nicht durchwegs mit dem objektiven Recht überein-
stimmt, nach Massgabe des Verhältnismässigkeitsprinzips zu ent-
scheiden, ob das Gesuch gesamthaft abgewiesen werden muss oder
ob die Mängel mittels geeigneter Nebenbestimmungen behoben wer-
den können; die zweitgenannte Möglichkeit findet bei untergeordne-
ten Mängeln Anwendung (vgl. AGVE 2002, S. 242 f. mit Hin-
weisen).
Das zu beurteilende Baugesuch sieht wie erwähnt u.a. die
Aufhebung von 7 Parkplätzen vor. Da es sich um Pflichtparkplätze
handelt, müssten dafür an einem geeigneten Ort dinglich gesicherte
Ersatzparkplätze zur Verfügung gestellt werden. Die Beschwerde-
führerin bringt vor, sie könnte auf der benachbarten, ebenfalls ihr ge-
hörenden Parzelle Nr. Z. (E. Areal) 7 neue Parkplätze erstellen. Die
Vorinstanz weist dazu zutreffend darauf hin, dass es sich bei der
Erstellung neuer Parkplätze um baubewilligungspflichtige Bauten
bzw. Anlagen handelt (vgl. § 6 Abs. 1 lit. b BauG sowie Umkehr-
schluss aus § 49 BauV). Für die Erstellung neuer Parkplätze ist
vorerst ein Baubewilligungsverfahren erforderlich. Mit der von der
Beschwerdeführerin gewünschten Auflage würde das erforderliche
Baugesuchsverfahren für Parkplätze auf dem eigenen Areal um-
gangen und die Rechte möglicher Einwender würden beschnitten,
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
186
was nicht zulässig ist. Entsprechendes gilt für den Vorschlag, auf die
Aufhebung der 7 Parkplätze könnte mittels Auflage verzichtet wer-
den: Der Verzicht auf die Beseitigung der 7 Parkplätze wäre mit ei-
ner Änderung des Zufahrtsregimes verbunden. Zudem erachtet die
Beschwerdeführerin selber eine Änderung des Zufahrtsregimes zu
den Rampen nicht als besonders günstig. Auf jeden Fall müsste auch
ein neues Zufahrtsregime vertieft aufgezeigt (insbesondere mit ange-
passten Plänen) und geprüft werden. Neue Parkplätze, eine andere
Anordnung von Parkplätzen mit den entsprechenden baulichen
Massnahmen, eine allfällige andere Platzierung der Kühlcontainer
etc. stellen gegenüber dem Baugesuch vom 9. November 2011
Projektänderungen dar. Solche sind praxisgemäss im Beschwerde-
verfahren nur unter der Voraussetzung zulässig, wenn die Interessen
Dritter und der Öffentlichkeit gewahrt bleiben, was in der Regel der
Fall ist, wenn das abgeänderte Projekt publiziert und öffentlich auf-
gelegt wird (vgl. AGVE 2004, S. 166 mit Hinweisen).
Vorliegend ist nicht klar, wie die Beschwerdeführerin die
Problematik im Zusammenhang mit den 7 Parkplätzen nun konkret
lösen will. Im Vordergrund dürfte die Variante stehen, auf der be-
nachbarten, ebenfalls der Beschwerdeführerin gehörenden Parzelle
Nr. Z. 7 neue Parkplätze zu erstellen, welche als Ersatzparkplätze
(anstelle der aufgrund des Bauvorhabens auf Parzelle Nr. X. wegfal-
lenden 7 Parkplätze) dinglich zu sichern wären. Sollte sich im Rah-
men der Neubeurteilung zudem ergeben, dass die projektierten Mass-
nahmen zusätzliche Pflichtparkplätze erforderten (§
55 Abs.
1
BauG), wäre ebenfalls denkbar, diese Parkplätze auf der Parzelle
Nr. Z. zu erstellen, wobei auch sie dinglich gesichert werden müss-
ten. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Abweisung des Bauge-
suchs (derzeit) nicht verhältnismässig. Da für neue Parkplätze ein
Baubewilligungsverfahren erforderlich ist und im Übrigen auch bei
allfälligen Projektänderungen die Rechte Dritter und der Öffentlich-
keit gewahrt werden müssen, genügt es auf der andern Seite jedoch
nicht, dem Baugesuch mit der Auflage zu entsprechen, dass vor der
Platzierung der beiden Kühlcontainer entweder der Verzicht auf die
Aufhebung der 7 Parkplätze oder deren Ersatz auf eigenem Areal
nachgewiesen werden müsse. Die Sache ist deshalb an den Gemein-
2013
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
187
derat als Baubewilligungsbehörde zurückzuweisen (vgl. § 49 Abs. 1
VRPG). Die Beschwerdeführerin wird zu erläutern und zu belegen
haben, ob die projektierten Massnahmen auf den Parkplatzbedarf
einen Einfluss haben. Des Weiteren wird sie für neue (Ersatz-
)Parkplätze (auf der Parzelle Nr. Z.) eine Baubewilligung zu erlangen
oder evtl. eine Projektänderung einzureichen haben. Der Gemein-
derat wird dafür besorgt sein, dass die Interessen Dritter und der
Öffentlichkeit gebührend gewahrt werden. Anschliessend wird er
über die Sache neu befinden müssen. | 2,384 | 1,903 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-35_2013-10-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-35.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-35.pdf | AGVE_2013_35 | null | nan |
cca8299a-8851-54c8-b9ff-3c4780fe6f19 | 1 | 412 | 869,961 | 1,015,200,000,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsrechtspflege
385
XII. Verwaltungsrechtspflege
89
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts.
-
Keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Beurteilung von
vermögensrechtlichen Streitigkeiten aus Arbeits- und Dienstverhält-
nissen in der evangelisch-reformierten Landeskirche.
-
Die Kantonsverfassung verpflichtet die Landeskirchen zur Einrich-
tung eines kircheneigenen Rechtsschutzes zu Gunsten der Konfessi-
onsangehörigen und der Kirchgemeinden. Die evangelisch-reformierte
Landeskirche hat in ihrem Organisationsstatut auf diese Jurisdiktion
nicht verzichtet.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 11. März 2002 in Sa-
chen H. gegen die Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde M.
Aus den Erwägungen
1. Das Verwaltungsgericht urteilt im Klageverfahren als einzige
kantonale Instanz über vermögensrechtliche Streitigkeiten, an denen
der Kanton, eine Gemeinde oder eine öffentlich-rechtliche Körper-
schaft oder Anstalt des kantonalen oder kommunalen Rechts beteiligt
ist, sofern nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben oder
ein Zivil- oder Spezialrekursgericht zuständig ist. Ausgenommen
sind Staatsbeiträge und jene Streitigkeiten, auf welche die Bestim-
mungen über die Rechtspflege in Sozialversicherungssachen zur
Anwendung kommen (§ 60 Ziff. 3 VRPG). Unter diese Bestimmung
fallen nach dem Willen des Gesetzgebers auch die vermögensrechtli-
chen Ansprüche aus dem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis (Bot-
schaft des Regierungsrats an den Grossen Rat vom 3. Mai 1967 zum
VRPG; AGVE 1997, S. 161). Die auf den 1. November 2000 in Kraft
getretenen Vorschriften des Personalgesetzes, namentlich die darin
enthaltenen Rechtsschutzbestimmungen (§§ 37 ff. i.V.m. § 48
2002
Verwaltungsgericht
386
PersG), gelangen im vorliegenden Fall, in dem die streitigen Forde-
rungen aus einem bereits im Frühjahr 1999 beendeten Dienstverhält-
nis, welche am 12. Juli 2000 eingeklagt wurden, nicht zur Anwen-
dung (vgl. § 87 Satz 2 VRPG i.V.m. § 60 Ziff. 3 VRPG in der Fas-
sung vom 1. November 2000).
Vorliegend streitig sind vermögensrechtliche Ansprüche aus ei-
nem kirchlichen, öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis.
2. a) Die evangelisch-reformierte, die römisch-katholische und
die christkatholische Landeskirche sind Körperschaften des öffentli-
chen Rechts (§ 109 Abs. 1 KV). Sie können sich im Rahmen der
Verfassung nach demokratischen Grundsätzen selbständig organisie-
ren (§ 110 KV), und sie sind auch für einen genügenden Rechts-
schutz der Konfessionsangehörigen und der Kirchgemeinden besorgt
(§ 114 Abs. 1 KV). Letztinstanzliche Entscheide der landeskirchli-
chen Behörden sind nach Massgabe der Gesetzgebung an staatliche
Organe weiterziehbar. Diesen steht die Kontrolle hinsichtlich der
Übereinstimmung der Entscheide mit der Verfassung und dem Orga-
nisationsstatut zu (§ 114 Abs. 2 KV). Gegenstand der innerkirchli-
chen Organisation und damit des landeskirchlichen Rechtsschutzes
sind u.a. auch das kirchliche Dienstrecht (vgl. Michael Merker,
Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aar-
gauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu
den §§ 38-72 VRPG, Zürich 1998, § 59b N 6, 25 ff.; Kurt Eichenber-
ger, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar,
Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1986, § 114 N 2).
Seitens der Verfahrensbeteiligten ist unbestritten, dass nicht
Vermögensrechte betreffende Streitigkeiten aus kirchlichen, öffent-
lichrechtlichen Dienstverhältnissen (wie Nicht(wieder)wahl, Ent-
lassung, Versetzung oder die Anordnung anderer disziplinarischer
Massnahmen) von den zuständigen innerkirchlichen Instanzen zu be-
urteilen sind (vgl. §§ 140 ff. der Kirchenordnung der evangelisch-
reformierten Landeskirche vom 22. November 1976/8. Dezember
1993). Gegen letztinstanzliche Verfügungen und Entscheide landes-
kirchlicher Behörden kann Beschwerde beim Regierungsrat erhoben
werden, der darüber endgültig entscheidet (§ 59b Abs. 1 VRPG; vgl.
dazu auch AGVE 1997, S. 158 f.; ferner VGE II/87 vom
2002
Verwaltungsrechtspflege
387
9. November 2000 [BE.2000.00339] in Sachen K.). Entgegen der
Ansicht der Rekurskommission, hat sich das Verwaltungsgericht
noch nicht dazu geäussert, ob es letztinstanzlich zur Beurteilung
landeskirchlicher Entscheide zuständig ist. Beim verwaltungsge-
richtlichen Entscheid vom 5. September 1997 in Sachen G. ging es
um die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im Beschwerdeverfah-
ren nach § 53 VRPG. Das Verwaltungsgericht hat jenen Fall auch
nicht materiell (d.h. inhaltlich) beurteilt, sondern seine fehlende Zu-
ständigkeit in der Sache festgestellt und nur die geltend gemachten
Verfahrensmängel nach § 53 VRPG untersucht (AGVE 1997,
S. 158). Zu klären ist somit die Zuständigkeit des Verwaltungsge-
richts bei vermögensrechtlichen Ansprüchen, welche aus einem
kirchlichen Dienstverhältnis resultieren.
b) Der Kläger erachtet die Zuständigkeit des Verwaltungsge-
richts im Klageverfahren als gegeben. Dies folge einerseits aus dem
klaren Wortlaut von § 60 Ziff. 3 VRPG und anderseits aus dem Um-
stand, dass das kirchliche Rechtsschutzsystem kein Klageverfahren
kenne. Er beruft sich für seinen Standpunkt auch auf die ständige
Praxis der Rekurskommission der evangelisch-reformierten Landes-
kirche. Danach ist für vermögensrechtliche Streitigkeiten aus dem
Arbeits- oder Dienstverhältnis nicht die Rekurskommission oder der
Kirchenrat zuständig, sondern bei privatrechtlichen Streitigkeiten das
Arbeitsgericht, bei öffentlichrechtlichen Streitigkeiten hingegen das
Verwaltungsgericht und zwar - mangels eines Anfechtungsobjekts -
im Klageverfahren nach § 60 Ziff. 3 VRPG. Die Rekurskommission
begründet ihre Rechtsauffassung vor allem mit der fehlenden Voll-
streckbarkeit des kirchlichen Entscheids einerseits und mit den prak-
tischen Schwierigkeiten der kirchlichen Instanzen bei der Beweiser-
hebung (fehlenden Amtsgewalt, fehlende personelle und finanzielle
Mittel) anderseits (vgl. Entscheid der Rekurskommission vom
8. April 1999, S. 4 ff.).
Die Beklagte wendet sich gegen die Zuständigkeit des Verwal-
tungsgerichts im Klageverfahren im Wesentlichen mit der Begrün-
dung, das kirchliche Dienstrecht gehöre unbestrittenermassen zu den
eigenen Angelegenheiten der Landeskirche und unterstehe damit der
kirchlichen Jurisdiktion. Für eine separate vermögensrechtliche
2002
Verwaltungsgericht
388
Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts in kirchlichen Angelegen-
heiten bleibe kein Raum. Wohl sehe die Kirchenordnung kein Klage-
verfahren vor; dies bedeute jedoch nicht ein qualifiziertes Schwei-
gen. Vielmehr seien zur Eröffnung des innerkirchlichen Instanzen-
zugs vom kirchlichen Dienstnehmer behauptete Lohnansprüche auf
Ansprache hin zu verfügen. Ein Verzicht der Landeskirche auf die
Beurteilung vermögensrechtlicher Streitigkeiten zu Gunsten der
staatlichen Gerichtsbarkeit sei weder ausdrücklich noch stillschwei-
gend erfolgt. Die Abtrennung führt nach Auffassung der Beklagten
überdies dazu, dass das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung eines
Klagebegehrens die Frage der Zulässigkeit einer sich finanziell aus-
wirkenden Massnahme des kirchlichen Dienstnehmers (vorfrage-
weise) erneut zu prüfen hätte, somit entgegen der Kantonsverfassung
über innerkirchliche Fragen entscheiden würde.
3. a) In die verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit können u.a.
vermögensrechtliche Streitigkeiten fallen, an denen eine öffent-
lichrechtliche Körperschaft des kantonalen oder kommunalen Rechts
beteiligt ist (§ 60 Ziff. 3 VRPG). Die Beklagte ist als evangelisch-re-
formierte Kirchgemeinde kraft staatlicher Anerkennung eine selb-
ständige, öffentlichrechtliche Körperschaft des kantonalen Rechts
mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 109 i.V.m. § 112 Abs. 2 KV;
Eichenberger, a.a.O., § 112 N 3). Der Wortlaut von § 60 Ziff. 3
VRPG schliesst somit die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im
Klageverfahren im kirchlichen Bereich nicht von vornherein aus.
b) aa) Gemäss Art. 14 des Organisationsstatuts der evangelisch-
reformierten Landeskirche des Kantons Aargau vom 25. November
1981/26. März 1985 können Beschlüsse, Verfügungen und Ent-
scheide kirchlicher Behörden durch Beschwerde weitergezogen wer-
den (Abs. 1). Für das Verfahren gelten sinngemäss die Vorschriften
des Verwaltungsrechtspflegegesetzes, soweit in der Kirchenordnung
nichts anderes bestimmt ist (Abs. 2). Vorbehalten bleiben die Be-
stimmungen der Kantonsverfassung, des Verwaltungsrechtspflegege-
setzes und anderer staatlicher Erlasse über den Weiterzug landes-
kirchlicher Verfügungen und Entscheide an den Regierungsrat und
das Verwaltungsgericht (Abs. 3). Gemäss § 140 Abs. 1 der Kir-
chenordnung kann jedermann Verfügungen und Entscheide der Or-
2002
Verwaltungsrechtspflege
389
gane der Landeskirche und der Kirchgemeinden durch Verwaltungs-
beschwerde anfechten, der ein schutzwürdiges, eigenes Interesse
geltend macht. Ebenfalls mit Beschwerde angefochten werden kön-
nen gemäss § 141 Abs. 1 der Kirchenordnung allgemein verbindliche
Erlasse sowie Verwaltungsakte, die nicht in die persönlichen Ver-
hältnisse eingreifen (Wahlen, Ausgabenbeschlüsse).
bb) Weder im Organisationsstatut noch in der Kirchenordnung
ist ein kirchliches Klageverfahren vorgesehen. Während der Kläger
im Fehlen des Klageverfahrens einen bewussten Verzicht der Lan-
deskirche auf die autonome kirchliche Jurisdiktion in Bezug auf
vermögensrechtliche Streitigkeiten erkennt und von einer Rechts-
schutzlücke in der innerkirchlichen Ordnung ausgeht, bei der die
staatlichen Organe kraft Justizgewährleistungspflicht die Rechtsan-
wendung sicherstellen müssen, erachtet die Beklagte den kirchlichen
Rechtsschutz auch für vermögensrechtliche Streitigkeiten als genü-
gend, da die vom kirchlichen Dienstnehmer behaupteten Lohnan-
sprüche auf Ansprache hin beschwerdefähig zu verfügen seien und
dann im Beschwerdeverfahren vollumfänglich überprüft werden
könnten.
cc) Es stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Notwendig-
keit eines Klageverfahrens für vermögensrechtliche Ansprüche. Aus
gesetzgeberischer Sicht unabdingbar ist das Klageverfahren (als ur-
sprüngliche Gerichtsbarkeit) nur dort, wo der Staat wegen der beson-
deren Natur der Sache nicht selber ein Rechtsverhältnis durch ver-
bindliche, formelle Verfügung regeln darf. Dies ist u.a. dann der Fall,
wenn sich ein Gemeinwesen und ein Individuum als gleichgeordnete
Rechtssubjekte gegenüberstehen und dem Gemeinwesen keine Ver-
fügungsbefugnis zukommt (Alfred Kölz/Jürg Bosshart/ Martin Röhl,
VRG, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons
Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, Vorbem. zu §§ 81-86 N 3; Alfred
Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechts-
pflege des Bundes, 2. Auflage, Zürich 1998, Rz. 1038). Bei öffent-
lichrechtlichen Dienstverhältnissen ist diese Gleichordnung der be-
teiligten Rechtssubjekte nicht gegeben; dem Gemeinwesen kommt
als Arbeitgeber weitgehend Verfügungskompetenz zur Begründung
und Gestaltung des öffentlichrechtlichen Dienstverhältnisses zu. Dies
2002
Verwaltungsgericht
390
gilt grundsätzlich auch in Bezug auf die vermögensrechtlichen An-
sprüche aus dem Dienstverhältnis (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O.,
Vorbem. zu §§ 74-80d N 8; vgl. auch §§ 3 Abs. 3 und 38 Abs. 1
PersG). Dass zur Beurteilung von solchen Ansprüchen daher nicht
zwingend ein Klageverfahren zur Verfügung stehen muss, zeigt die
Regelung im Kanton Zürich. Hier wurde die verwaltungsrechtliche
Klage für vermögensrechtliche Streitigkeiten aus öffentlichrechtli-
chen Dienstverhältnissen abgeschafft; die Beurteilung erfolgt durch
das Verwaltungsgericht als Personalrekursgericht und zwar primär
im Anfechtungsverfahren (§ 74 des Gesetzes über den Rechtsschutz
in Verwaltungssachen [Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons
Zürich] vom 24. Mai 1959; vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., Vorbem.
zu §§ 81-86 N 4). Nur subsidiär, d.h. nur soweit dem Gemeinwesen
als Arbeitgeber die Verfügungskompetenz fehlt, sind vermögens-
rechtliche Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis mit Klage geltend
zu machen (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 74 N 8, § 79 N 1 f.). Auch
im Bund wurden Streitigkeiten über vermögensrechtliche Leistungen
aus Dienstverhältnissen vom Klageverfahren ausgenommen und auf
eine
Beschwerdeinstanz
übertragen
(vgl.
Kölz/Häner,
a.a.O.,
Rz. 1040). Der Dualismus von Beschwerde- und Klageverfahren im
Bereich des öffentlichen Dienstrechts wird somit zunehmend be-
seitigt (vgl. auch §§ 38 und 39 PersG). Nach Kölz/Bosshart/Röhl
entspricht das Anfechtungsverfahren dem Gebot, für Streitigkeiten
aus dem Dienstverhältnis einen einfachen und raschen Rechtsschutz
zu gewährleisten, weit besser (a.a.O., § 79 N 4).
dd) Allein aus dem Umstand, dass das landeskirchliche Rechts-
schutzsystem das Klageverfahren nicht ausdrücklich vorsieht, kann
zumindest in Bezug auf vermögensrechtliche Streitigkeiten aus dem
kirchlichen Dienstverhältnis nicht auf eine Rechtsschutzlücke ge-
schlossen werden. Solche Streitigkeiten sind der Beurteilung im in-
nerkirchlichen Beschwerdeverfahren grundsätzlich durchaus zu-
gänglich. Für die Annahme eines bewussten Verzichts bzw. eines
qualifizierten Schweigens der kirchlichen Regelungen in dem Sinne,
dass vermögensrechtliche Streitigkeiten bewusst vom innerkirchli-
chen Rechtsschutz ausgenommen und ausschliesslich der staatlichen
2002
Verwaltungsrechtspflege
391
Jurisdiktion unterstellt werden sollten, müssen deshalb klare An-
haltspunkte gegeben sein.
4. a) Gemäss Art. 14 Abs. 2 des Organisationsstatuts gelten für
das Verfahren sinngemäss die Vorschriften des Verwaltungsrechts-
pflegegesetzes, soweit in der Kirchenordnung nicht etwas anderes
bestimmt ist. Nach Art. 14 Abs. 3 des Organisationsstatuts bleiben
die Bestimmungen der KV, des VRPG und anderer staatlicher Er-
lasse über den Weiterzug landeskirchlicher Verfügungen und Ent-
scheide vorbehalten. § 142 der Kirchenordnung bestimmt die Zustän-
digkeit von Kirchenrat und Rekurskommission. § 143 der Kir-
chenordnung regelt das Verfahren, indem gemäss Abs. 1 die Verfah-
ren vor den Organen der Kirchgemeinden und der Landeskirche
(grundsätzlich) kostenlos sind, und gemäss Abs. 2 im Übrigen die
Bestimmungen des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechts-
pflege gelten. Während für das Verfahren somit zweimal ausdrück-
lich auf die subsidiäre Geltung des VRPG verwiesen wird, enthalten
weder das Organisationsstatut noch die Kirchenordnung bezüglich
der Zuständigkeit irgendwelche Vorbehalte zu Gunsten einer erstin-
stanzlichen staatlichen Jurisdiktion in Bezug auf vermögensrechtli-
che Streitigkeiten.
Sowohl das Organisationsstatut als auch die Kirchenordnung
enthalten demgegenüber zahlreiche Bestimmungen, welche eine
innerkirchliche Autonomie und Zuständigkeit in vermögensrechtli-
chen Angelegenheiten des Dienstrechts statuieren: So ordnet die
Landeskirche ihre Angelegenheiten und insbesondere auch ihr Ver-
mögen und ihre Einkünfte frei und selbständig im Rahmen von Ver-
fassung und Gesetz (Art. 1 Abs. 3 und 4 des Organisationsstatuts).
Für die Anstellung der haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiter (§ 44
Ziff. 4 Kirchenordnung) und deren Besoldung (§ 47 Kirchenord-
nung) ist die Kirchenpflege zuständig. Gemäss § 96 Ziff. 11 der
Kirchenordnung ist die Synode zur Festsetzung der Besoldung der
Beamten und Angestellten der Landeskirche sowie der Mindestbe-
soldung und der Dienstalterszulagen der Pfarrer zuständig. Weiter
entscheidet der Kirchenrat bei der Einstellung eines fehlbaren Pfar-
rers in seinem Amt über den weiteren Besoldungsgenuss und er kann
die Kosten einer Vertretung ganz oder teilweise aus der Besoldung
2002
Verwaltungsgericht
392
des fehlbaren Pfarrers bezahlen lassen (§ 137 Abs. 6 der Kirchenord-
nung). Aus dieser Zuständigkeitsordnung folgt, dass die innerkirchli-
chen Institutionen sehr wohl auch im Bereich des vermögensrechtli-
chen Dienstrechts zum Erlass von Verfügungen zuständig sind.
b) Die Landeskirchen haben für einen genügenden Rechtsschutz
der Konfessionsangehörigen und der Kirchgemeinden besorgt zu
sein (§ 114 Abs. 1 KV) und nur die letztinstanzlichen Entscheide der
landeskirchlichen Behörden sind nach Massgabe der Gesetzgebung
an staatliche Organe weiterziehbar. Der Verfassungsauftrag verlangt
von den Landeskirchen einen genügenden Rechtsschutz mit landes-
kirchlichen Organen zumindest in einer Rechtsschutzinstanz mit
voller Kognition (vgl. Eichenberger, a.a.O., § 114 N 1 und 3). Die
Kantonsverfassung verpflichtet mithin die Landeskirchen, einen kir-
cheneigenen Rechtsschutz zu Gunsten der Kirchgemeinden und der
Konfessionsangehörigen einzurichten (Eichenberger, a.a.O., Vorbem.
zum 7. Abschnitt N 7). Gemäss § 114 Abs. 2 KV sind nur die letztin-
stanzlichen Entscheide der landeskirchlichen Behörden an kantonale
Organe weiterziehbar. Der staatliche Rechtsschutz ist zudem auf eine
Rechtskontrolle beschränkt. Die Überprüfung der kirchlichen Justiz-
entscheide beschränkt sich auf die Bundes- und Kantonsverfassung
sowie die kirchliche Organisationsregelung (vgl. Eichenberger,
a.a.O., § 114 N 5). Diese Verfassungsordnung schliesst einen still-
schweigenden Verzicht auf die kirchliche Gerichtsbarkeit aus. Sie
steht auch einer Auslegung der Verweisungsnormen von Art. 14
Abs. 2 des Organisationsstatuts und § 143 der Kirchenordnung der
evangelisch-reformierten Kirchgemeinde, welche nach ihrem Wort-
laut nur die massgebende Verfahrensordnung und nicht die Zustän-
digkeit regeln, entgegen. Die Zuständigkeitsbestimmungen im Orga-
nisationsreglement (Art. 10 für die Kirchgemeinde, Art. 7 für die
Synode, Art. 8 für den Kirchenrat und Art. 9 für die Rekurskommis-
sion) und die innerkirchlichen Justizzuständigkeiten in der Kir-
chenordnung (§ 142) sind zudem umfassend und abschliessend for-
muliert. Der Vorbehalt der Kantonsverfassung, des VRPG und ande-
rer kantonaler Erlass in Art. 14 Abs. 3 des Organisationsstatuts be-
schränkt sich auf den
Weiterzug
landeskirchlicher Verfügungen und
Entscheide. Mithin ist von einer erschöpfenden Regelung der Zu-
2002
Verwaltungsrechtspflege
393
ständigkeiten in den massgebenden kirchlichen Ordnungen auszuge-
hen (Merker, a.a.O., § 59b N 29). Entgegen der Ansicht des Klägers
lässt sich aus dem Verweis in Art. 14 Abs. 2 des Organisationsstatuts
somit keine staatliche Entscheidkompetenz herleiten.
c) Für die Annahme eines Verzichts der evangelisch-reformier-
ten Landeskirche auf die Jurisdiktion in vermögensrechtlichen An-
gelegenheiten bestehen keine weiteren Anhaltspunkte. Der Gel-
tungsbereich des VRPG erfasst wohl auch die Verwaltungsbehörden
von Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts, indessen
sind gemäss § 1 Abs. 2 VRPG Sonderbestimmungen in andern Erlas-
sen vorbehalten. Vor allem aber schliesst zusätzlich zur verfassungs-
rechtlich geordneten Selbständigkeit des kirchlichen Rechtsschutzes
auch § 59b VRPG eine direkte Anwendung von Zuständigkeitsvor-
schriften des kantonalen Rechts über den erstinstanzlichen Rechts-
schutz, wie dies § 60 VRPG darstellt, aus. Die staatliche Kontrolle
landeskirchlicher Belange ist auf die Einhaltung der Verfassung und
des genehmigten Organisationstatuts beschränkt. Ergänzend kann
auch auf die mit dem neuen Personalgesetz geschaffene Regelung
verwiesen werden, mit der die staatliche Kontrolle im Bereich des
öffentlichen Dienstrechts neu geregelt wurde. Gemäss § 48 Abs. 3
PersG beurteilt das Personalrekursgericht mit gemäss Verfassung
(§ 114 Abs. 2 Satz 2 KV) beschränkter Kognitionsbefugnis
Rechts-
mittel
gegen letztinstanzliche Entscheide von landeskirchlichen Be-
hörden.
Auch die erwähnte Praxis der Rekurskommission, ihre Urteils-
kompetenz in vermögensrechtlichen Belangen zu verneinen, vermag
- entgegen der Meinung des Klägers - keinen Verzicht der Landeskir-
che auf die Zuständigkeit zu begründen. Sie steht offenkundig im
Widerspruch zur Rechtsauffassung des Kirchenrats, der die inner-
kirchliche Rechtsschutzzuständigkeit bei dienstrechtlichen Streitig-
keiten vermögensrechtlicher Natur bejaht. Die Rekurskommission ist
sodann zum Erlass von Zuständigkeitsbestimmungen des innerkirch-
lichen Rechtsschutzes nicht zuständig. Wollte die evangelisch-refor-
mierte Kirche tatsächlich auf ihre Zuständigkeit im Bereich der ver-
mögensrechtlichen Angelegenheiten verzichten, so bedürfte ein sol-
cher Verzicht einer ausdrücklichen Regelung im Organisationsstatut.
2002
Verwaltungsgericht
394
Zuständig wäre die Synode (Art. 7 Abs. 4 des Organisationsstatuts
und § 96 Ziff. 2 der Kirchenordnung) und der Verzicht müsste vom
Grossen Rat genehmigt werden (§ 110 Abs. 1 KV).
5. a) Der Kläger erachtet den Rechtsschutz im innerkirchlichen
Beschwerdeverfahren in Bezug auf vermögensrechtliche Streitigkei-
ten als ungenügend bzw. gar nicht anwendbar, da der Streitsache
weder eine Verfügung noch ein Entscheid zu Grunde liege. Es wi-
derspreche den in der Kantonsverfassung statuierten Grundsätzen der
Übersichtlichkeit und der Einfachheit des Rechtsschutzes, eine Kla-
gemöglichkeit in das kirchliche Rechtsschutzsystem hineinzuproji-
zieren. Das Schutzbedürfnis des Dienstnehmers als der schwächeren
Partei würde missachtet, sofern er immer dann, wenn er ein beliebi-
ges Recht aus dem Dienstverhältnis geltend machen wolle, auf einer
beschwerdefähigen Verfügung der Gegenseite beharren müsste. Im
vorliegenden Fall sei von der Beklagten denn auch keine beschwer-
defähige Verfügung erlassen worden.
Auch die Rekurskommission begründet die Unzuständigkeit der
kirchlichen Beschwerdeinstanzen u.a. mit dem Fehlen eines An-
fechtungsobjekts.
b) Dieser Argumentation kann das Verwaltungsgericht nicht
folgen. Es sind keine rechtlichen Gründe ersichtlich, wieso eine
kirchliche Behörde, der gegenüber vermögensrechtliche Ansprüche
aus einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis geltend gemacht
werden, zum Begehren nicht in Verfügungsform Stellung nehmen
und so den kirchlichen Rechtsweg öffnen kann. Die Verfügungs-
kompetenz der kirchlichen Behörde bei einem unbestrittenermassen
öffentlichrechtlichen Anstellungsverhältnis zwischen Pfarrer und
Kirchgemeinde ist gegeben. Wird eine Verfügung unrechtmässig
verweigert oder verzögert, kann wegen Rechtsverweigerung oder
Rechtsverzögerung Beschwerde geführt werden. Dies folgt aus-
drücklich aus § 40 Abs. 4 VRPG, der als Verfahrensvorschrift Kraft
der Verweisung in § 143 Abs. 2 der Kirchenordnung subsidiär an-
wendbar ist, und überdies auch aus dem verfassungsrechtlich statu-
ierten Rechtsverweigerungs- und Rechtverzögerungsverbot (Art. 29
Abs. 1 BV; René Rhinow, Die Bundesverfassung 2000, Eine Einfüh-
rung, Basel 2000, S. 215; ferner Eichenberger, a.a.O., § 10 N 15).
2002
Verwaltungsrechtspflege
395
Eine Rechtsschutzeinbusse für den kirchlichen Dienstnehmer ergibt
sich durch den Umstand, dass er seine Ansprüche im Beschwerde-
und nicht im Klageverfahren durchzusetzen hat, nicht. Ausserdem
geht die Argumentation, dass das Klageverfahren einfacher sei, an
der Sache vorbei. Die Zuständigkeit zur Beurteilung einer Streitsache
wird durch das ihr zu Grunde liegende Rechtsverhältnis begründet
und nicht durch die Tatsache, ob eine Verfügung erlassen worden ist
oder nicht. Im Übrigen wird dem Rechtsschutzbedürfnis des Dienst-
nehmers im Beschwerdeverfahren mit einer formell korrekten Verfü-
gung, welche auch eine Begründung und eine Rechtsmittelbelehrung
enthalten muss, viel eher Genüge getan als mit einem formlosen
Vorverfahren nach § 63 VRPG, wo der Dienstherr nicht einmal zu
einer Antwort, geschweige denn zu einer genügenden Begründung,
verpflichtet ist. Es ist auch nicht einsehbar, wieso alle nicht vermö-
gensrechtlichen Anordnungen und Entscheide des öffentlichen
Dienstverhältnisses im Beschwerdeverfahren abgehandelt werden,
der Dienstnehmer aber ins kostenintensive Klageverfahren gedrängt
werden soll, sobald es sich um vermögensrechtliche Ansprüche han-
delt. Der im kirchlichen Beschwerdeverfahren bestehende Rechts-
schutz erweist sich jedenfalls auch für vermögensrechtliche Streitig-
keiten aus Dienstverhältnissen als genügend und ist ohne Komplika-
tionen zu verwirklichen (§ 114 Abs. 1 KV; vgl. Eichenberger, a.a.O.,
§ 114 N 3).
c) Dass im vorliegenden Fall von der Beklagten (noch) keine
Verfügung erlassen wurde, hat seine Ursache in der erwähnten
Rechtsprechung der Rekurskommission.
d) Zu Recht weist die Beklagte auf die Problematik hin, die mit
der Abspaltung der vermögensrechtlichen Komponente vom übrigen
kirchlichen Dienstverhältnis verbunden ist (Merker, a.a.O., § 59b
N 25). Die Beurteilung vermögensrechtlicher Ansprüche setzt regel-
mässig auch die Prüfung nichtvermögensrechtlicher Fragen voraus.
So ist z.B. für die Frage der Lohnfortzahlung zu klären, ob eine vor-
zeitige Entlassung gerechtfertigt war oder nicht (AGVE 1993, S. 235
f.). Das Verwaltungsgericht käme im Klageverfahren somit häufig
nicht umhin, zumindest vorfrageweise auch Aspekte zu prüfen, die
unbestrittenermassen in den autonomen, innerkirchlichen Zuständig-
2002
Verwaltungsgericht
396
keitsbereich fallen. Unklar ist auch, ob und in welchem Umfang das
Verwaltungsgericht bei seiner Beurteilung an die das fragliche
Dienstverhältnis betreffenden, kirchlichen Beschlüsse und Ent-
scheide gebunden wäre und wie weit die Kognitionsbefugnis des
Verwaltungsgerichts durch § 114 Abs. 2 Satz 2 KV beschränkt ist
(vgl. auch § 59 b VRPG). Es ist der Beklagten auch zuzustimmen,
wenn sie vorbringt, dass das Auseinanderfallen dienstrechtlicher
Streitigkeiten in einen nichtvermögensrechtlichen/kirchlichen und
einen vermögensrechtlichen/weltlichen Bereich und damit die Pro-
zessführung bei unterschiedlichen Instanzen dem Anliegen eines
einfachen und effektiven Rechtsschutzes nicht entspricht. Ein solches
Auseinanderklaffen des Rechtswegs bei dienstrechtlichen Streitig-
keiten ist heute nicht mehr als zeitgemäss anzusehen. Dies zeigt auch
die Schaffung einer einheitlichen Rechtsmittelinstanz in Personal-
und Lohnfragen für das Personal des Kantons und der Gemeinden
(§§ 38 ff. und § 48 PersG; vgl. auch die Regelung im Bund und im
Kantons Zürich [vorne Erw. b/cc]). Nicht zu folgen ist daher dem
Kläger, wenn er geltend macht, gegen die innerkirchliche Zuständig-
keit bzw. die erstinstanzliche Beurteilung von vermögensrechtlichen
Streitigkeiten durch den Kirchenrat spreche dessen Befangenheit im
vorliegenden Fall, da er die Modalitäten des Amtsaustritts festgelegt
habe. Falls der Kläger damit eine Vorbefassung des Kirchenrats
meint, handelt es sich um ein institutionelles Problem, welches nicht
kirchenspezifisch ist. So ist z.B. das Arbeitgericht, welches über die
Zulässigkeit einer fristlosen Entlassung entschieden hat, auch zu-
ständig, um über allfällige Entschädigungsansprüche aus der von ihm
als ungerechtfertigt beurteilten, fristlosen Entlassung zu entscheiden.
Eine allfällige Vorbefassung im Einzelfall hat mit der sachlichen
Zuständigkeit einer Rechtsmittelinstanz nichts zu tun.
(Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 29. November 2002
[2P.118/2002] die staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des
Verwaltungsgericht abgewiesen, BGE 129 I 91). | 5,877 | 4,520 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-89_2002-03-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-89.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-89.pdf | AGVE_2002_89 | null | nan |
ccc9313f-7609-51b2-ba40-e000a2e4f8e3 | 1 | 412 | 869,858 | 1,018,224,000,000 | 2,002 | de | 2011
Wahlen und Abstimmungen
225
X. Wahlen und Abstimmungen
54 Politische
Rechte
-
Bei der Unterzeichnung eines Volksbegehrens (Referendum/Initiati-
ve) müssen schreibfähige Stimmberechtigte sowohl den Namensein-
trag als auch die Unterschrift eigenhändig vornehmen (Erw. 4.5).
-
Für Hilfsangaben (Vornamen, Geburtstag und Adresse) gelten keine
qualifizierten Formvorschriften. Auch hinsichtlich der Hilfsangaben
Eigenhändigkeit zu verlangen, läuft auf überspitzten Formalismus
hinaus (Erw. 4.6).
-
Das Merkblatt der Staatskanzlei vom 8. April 2002, welches vollum-
fängliche Eigenhändigkeit verlangt, kann künftig insoweit nicht
mehr zur Anwendung gelangen (Erw. 6.1).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 2. März 2011 in Sachen F.
und Konsorten (WBE.2010.347).
Aus den Erwägungen
4.4.
Materiell umstritten ist die Auslegung von § 43 GPR. Im Sinne
einer Harmonisierung mit den Bundesvorschriften (Art. 61 des Bun-
desgesetzes über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976
[BPR; SR 161.1]) nahm der kantonale Gesetzgeber im Rahmen der
Teilrevision des GPR, die per 1. Juli 2000 in Kraft getreten ist, eine
Anpassung des Wortlauts des § 43 GPR vor. Zur Vorbeugung von
Fälschungen hatte der Bundesgesetzgeber zuvor Art. 61 BPR revi-
diert und neu vorgeschrieben, dass auf den Initiativ- und Referen-
dumsbögen zusätzlich zum handschriftlichen Namen die eigenhändi-
ge Unterschrift beigefügt werden muss. Diese Vorgaben übernahm
der kantonale Gesetzgeber für das kantonale Recht vollumfänglich,
da die Bundesvorschriften nur für die eidgenössischen Volksinitiati-
2011
Verwaltungsgericht
226
ven und Referenden direkt gegolten hätten (vgl. Botschaft des Regie-
rungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom
25. März 1999, 99.105, S. 7). § 43 GPR stimmt damit im Wortlaut
materiell mit Art. 61 BPR überein:
§ 43 GPR:
1
Die Stimmberechtigten müssen ihren Namen handschriftlich und leserlich
auf die Unterschriftenliste setzen sowie zusätzlich ihre eigenhändige Unter-
schrift beifügen. Schreibunfähige können die Eintragung ihres Namens durch
eine stimmberechtigte Person ihrer Wahl vornehmen lassen.
2
Sie müssen alle weiteren Angaben machen, die zur Feststellung ihrer Iden-
tität nötig sind, wie Vornamen, Jahrgang, Adresse.
3
Sie dürfen das gleiche Referendumsbegehren nur einmal unterschreiben.
4.5.
Auszugehen ist bei der Auslegung von diesem Gesetzeswort-
laut. Aus § 43 Abs. 1 GPR ergibt sich, dass jede stimmberechtigte
Person ihren eigenen Namen selbst und von Hand und daneben ihre
Unterschrift eigenhändig eintragen muss (mit Ausnahme der schreib-
unfähigen Personen). Wie die Bundeskanzlei zutreffend ausführt,
zeigt gerade die präzise Regelung dieser Ausnahme, wie ernst es dem
Gesetzgeber damit war, die Unterzeichnung auch eidgenössischer
Volksbegehren als höchstpersönliches Recht auszugestalten. Aus
diesem Grund kann die eigenhändige Unterschrift allein nicht genü-
gen; es widerspräche klarem Willen des Gesetzgebers, Fremdeinträge
des Namenszugs zu tolerieren. So verzichtete der Bundesgesetzgeber
anlässlich der Einführung des Erfordernisses eigenhändiger Unter-
schrift nicht auf den eigenhändigen Eintrag des Namens, sondern
verlangte ausdrücklich kumulativ ("zusätzlich") Eigenhändigkeit für
Namenseintrag und Unterschrift. In dieser Formstrenge kann kein
überspitzter Formalismus gesehen werden. (...)
4.6.
4.6.1.
Entgegen den Ausführungen des Regierungsrats ergibt sich in-
des die von ihm verlangte Eigenhändigkeit sämtlicher Angaben we-
der aus dem Gesetz noch lässt sich dies aus den Vorgaben des Bun-
des zur einheitlichen Handhabung ableiten. § 43 Abs. 2 GPR verlangt
2011
Wahlen und Abstimmungen
227
vielmehr einzig, dass die Stimmberechtigten die nötigen Angaben
zur Feststellung der Identität machen müssen, wobei im Gegensatz
zur Formulierung in § 43 Abs. 1 GPR das Erfordernis der Eigenhän-
digkeit bzw. der Handschriftlichkeit nicht genannt wird. Die weiteren
Angaben gemäss § 43 Abs. 2 GPR sind denn auch als blosse Hilfs-
angaben zu verstehen. Vornamen, Geburtsdatum und Adresse sind,
soweit zur Identifikation nötig, anzugeben. Soweit eine Person ohne
erheblichen Aufwand identifizierbar ist (dies dürfte insbesondere in
kleineren Gemeinden eher der Fall sein), könnten sogar ihr Name
und ihre Unterschrift für die Rechtsgültigkeit genügen. Daher darf
ihre Angabe von vornherein nicht an qualifizierte Formvorschriften
gebunden werden. Dies entspricht der gewachsenen und gefestigten
Praxis der Bundeskanzlei bei Volksbegehren auf Bundesebene.
Hilfsangaben (Vornamen, Geburtstag und Adresse) werden
folglich seitens der Bundeskanzlei in konstanter Praxis auch dann
anerkannt, wenn sie z.B. mit Schreibmaschine oder von fremder
Hand eingesetzt oder durch Gänsefüsschen, dito oder dergleichen er-
teilt worden sind. Unterschriften mit der Begründung zu streichen,
vom Gesetzgeber klar als Hilfsangabe charakterisierte Hinweise
seien nicht eigenhändig erteilt worden, läuft auf überspitzten For-
malismus hinaus und schützt die Ausübung der politischen Rechte
nicht mehr, sondern dient im Gegenteil der Verhinderung ihrer wirk-
samen Wahrnehmung. Ein überspitzter Formalismus ist gerade auch
im Bereich der Volksrechte absolut zu vermeiden (...).
4.6.2.-4.6.4. (...)
5. (...)
6.
6.1.
Der Vollständigkeit halber ist auf das kantonale Merkblatt der
Staatskanzlei (Merkblatt der Staatskanzlei vom 8.
April
2002),
worauf sich der Regierungsrat beruft und das zur Sicherstellung der
einheitlichen Rechtsanwendung im Kanton sämtlichen Gemeinden
und den Sekretariaten der Kantonalparteien zugestellt worden ist,
einzugehen. Darin wird wörtlich ausgeführt:
2011
Verwaltungsgericht
228
"...
2.
Die Anforderung der Handschriftlichkeit bedeutet, auch wenn dies nicht expli-
zit ausgeführt wird, das eigenhändige Niederschreiben dieser Angaben. Wird
lediglich die Unterschrift des/der Stimmberechtigten eigenhändig gesetzt,
werden also die übrigen zwingenden Angaben erkennbar von fremder Hand
niedergeschrieben, so muss die Stimmrechtsbescheinigung von der Einwoh-
nerkontrolle der zuständigen Gemeinde
verweigert
werden.
3.
Das Erfordernis der umfassenden Eigenhändigkeit dient dazu, Unregelmä-
ssigkeiten bei der Sammlung von Unterschriften vorzubeugen."
6.2
Beim Merkblatt handelt es sich um eine sogenannte Verwal-
tungsverordnung, die in erster Linie Regeln für das verwaltungs-
interne Verhalten enthält. Verwaltungsverordnungen umschreiben
grundsätzlich keine Rechte und Pflichten der Bürger. Konkret han-
delt es sich beim Merkblatt (wie auch beim Kreisschreiben der
Bundeskanzlei) um eine verhaltenslenkende Verwaltungsverordnung,
mit der zum Zweck einer einheitlichen und rechtsgleichen Rechtsan-
wendung auf die Ermessensausübung und die Handhabung offen for-
mulierter Vorschriften abgezielt wird. Verwaltungsverordnungen
können so genannte Aussenwirkungen entfalten und somit zumindest
indirekt in die Rechtsstellung der Bürger zurückwirken (ausführlich
zu Verwaltungverordnungen: BGE 128 I 167, Erw. 4.3, m.w.H.).
Dass die Anwendung des Merkblatts hier derartige Aussenwirkungen
zeitigte, bedarf keiner weiteren Erläuterungen. Verwaltungsverord-
nungen bedürfen keiner förmlichen gesetzlichen Ermächtigung,
können aber, da sie von der Verwaltungsbehörde und nicht vom ver-
fassungsmässigen Gesetzgeber stammen, keine von der gesetzlichen
Ordnung abweichende Bestimmung vorsehen (BGE 120 Ia 343,
Erw. 2a, m.w.H.). Sie sind für die rechtsanwendenden Behörden ins-
besondere auch für das Verwaltungsgericht nicht verbindlich, werden
aber mitberücksichtigt, soweit sie eine dem Einzelfall angepasste
sachgerechte Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmun-
gen zulassen (AGVE 2006, S. 232, BGE 121 II 473, Erw. 2b mit
Hinweisen). Die in der Verwaltungsverordnung vorgenommene Aus-
legung des Gesetzes unterliegt somit der richterlichen Nachprüfung.
2011
Wahlen und Abstimmungen
229
6.3.
Im Merkblatt wird mit der verlangten vollumfänglichen Eigen-
händigkeit - wie dargelegt - ein zusätzliches, vom Gesetzeswortlaut
nicht gedecktes Erfordernis aufgestellt, das sich zudem als überspitzt
formalistisch erweist und der gefestigten Praxis der Bundeskanzlei
widerspricht. In Anbetracht dessen, dass in einem derartigen Merk-
blatt gerade keine von der gesetzlichen Ordnung abweichende Be-
stimmung vorgesehen werden darf und auch aufgrund der (wie der
Regierungsrat zutreffend darlegt) wünschenswerten einheitlichen
Praxis auf Bundes-, Kantons- und kommunaler Ebene, kann das
kantonale Merkblatt künftig insoweit somit nicht mehr zur Anwen-
dung gelangen.
(Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen diesen
Entscheid mit Urteil vom 15. Juli 2011 [1C_169/2011] abgewiesen.) | 1,898 | 1,507 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-54_2002-04-08 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-54.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-54.pdf | AGVE_2011_54 | null | nan |
ccf7429d-cc77-51de-8c8c-abc114ca91b7 | 1 | 412 | 870,536 | 1,196,726,400,000 | 2,007 | de | 2009
Verwaltungsgericht
278
[...]
51 Warnungsentzug
-
Verfahrens- und Parteikostenverlegung gemäss Verwaltungsrechts-
pflegegesetz vom 4. Dezember 2007 bei teilweisem Obsiegen (neuer
Parteibegriff; Verrechnung)
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. September 2009 in
Sachen M.L. gegen den Entscheid des Departements Volkswirtschaft und In-
neres (WBE.2009.120).
Aus den Erwägungen
III.
Im Beschwerdeverfahren werden die Verfahrenskosten in der
Regel nach Massgabe des Unterliegens und Obsiegens auf die Par-
teien verlegt, wobei den Behörden Verfahrenskosten nur auferlegt
werden, wenn sie schwerwiegende Verfahrensmängel begangen oder
willkürlich entschieden haben (§ 31 Abs. 2 VRPG). Nachdem der
Beschwerdeführer zu 5/6 obsiegt, sind die vorinstanzlichen sowie die
verwaltungsgerichtlichen Verfahrenskosten vom Beschwerdeführer
zu 1/6 zu tragen, wobei der Staat die restlichen Verfahrenskosten
trägt.
Für die Parteikosten gilt mit Inkrafttreten des Verwaltungs-
rechtspflegegesetzes vom 4. Dezember 2007 die neue Regelung in
§ 32 Abs. 2 VRPG. Nach dieser Bestimmung sind die Parteikosten in
der Regel nach Obsiegen und Unterliegen auf die Parteien zu verle-
gen. Eine Einschränkung entsprechend der Regelung bei den Verfah-
renskosten, wonach den Behörden Verfahrenskosten nur auferlegt
2009
Verwaltungsrechtspflege
279
werden, wenn sie schwerwiegende Verfahrensmängel begangen oder
willkürlich entschieden haben, sieht das Gesetz bei der Parteikosten-
verteilung nicht vor.
Was die vorinstanzlichen Parteikosten anbelangt, so hat im dor-
tigen Verfahren neben dem Beschwerdeführer (§ 13 Abs. 2 lit. a
VRPG) das Strassenverkehrsamt gemäss § 13 Abs. 2 lit. e VRPG
Parteistellung, weshalb diesem die Parteientschädigung zu Gunsten
des teilweise obsiegenden Beschwerdeführers aufzuerlegen ist.
Nachdem dort der Beschwerdeführer zu 5/6 und das Strassenver-
kehrsamt zu 1/6 obsiegen, hat der Beschwerdeführer Anspruch auf
einen Anteil von 2/3 (=4/6) seiner Parteikosten. Die Verrechnung der
Bruchteile folgt dem Ergebnis von Obsiegen und Unterliegen der
Parteien (§ 32 Abs. 2 VRPG). In den zivilprozessualen Verfahren gilt
die materiell gleichlautende Regelung in § 112 Abs. 1 ZPO und die
Praxis, dass die Parteikosten beider Parteien als Ganzes genommen
und die Anteile des Obsiegens bzw. Unterliegens verrechnet werden
(siehe dazu AGVE 2000, S. 51 f.; Alfred Bühler / Andreas Edel-
mann / Albert Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessord-
nung, 2. Auflage, Aarau 1998, § 112 N 6 mit Hinweisen). Das Stras-
senverkehrsamt hat somit ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer
die vor der Vorinstanz entstandenen Parteikosten in Höhe von 2/3 zu
ersetzen.
Was die verwaltungsgerichtlichen Parteikosten bzw. das Verfah-
ren vor Verwaltungsgericht anbelangt, so hat dort neben dem Be-
schwerdeführer (§ 13 Abs. 2 lit. a VRPG) das Departement Volks-
wirtschaft und Inneres als Vorinstanz gemäss § 13 Abs. 2 lit. e VRPG
Parteistellung. Im Gegensatz dazu hat das Strassenverkehrsamt im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine Parteistellung. So hat
gemäss § 13 Abs. 2 lit. e VRPG lediglich die Vorinstanz - und nicht
die Vorinstanzen - Parteistellung. Mit Blick auf § 13 Abs. 2 lit. f
VRPG ist das Strassenverkehrsamt zwar erstinstanzlich entscheiden-
de Behörde, es gehört aber nicht einem anderen Gemeinwesen an.
Aus diesen Gründen hat in casu neben dem Beschwerdeführer aus-
schliesslich das Departement Volkswirtschaft und Inneres vor
Verwaltungsgericht Parteistellung, weshalb diesem die vor Verwal-
tungsgericht entstandenen Parteikosten zu Gunsten des teilweise ob-
2009
Verwaltungsgericht
280
siegenden Beschwerdeführers aufzuerlegen sind. Nachdem der Be-
schwerdeführer zu 5/6 und das Departement Volkswirtschaft und
Inneres zu 1/6 obsiegen, hat der Beschwerdeführer in Anwendung
der eben geschilderten Verrechnungsgrundsätze Anspruch auf einen
Anteil von 2/3 (=4/6) seiner Parteikosten. Das Departement Volks-
wirtschaft und Inneres hat somit ausgangsgemäss dem Beschwerde-
führer die vor Verwaltungsgericht entstandenen Parteikosten in Höhe
von 2/3 zu ersetzen. | 941 | 734 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-51_2007-12-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-51.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-51.pdf | AGVE_2009_51 | null | nan |
cd54a84d-6862-5869-8e77-15fd2718d680 | 1 | 412 | 871,503 | 1,417,392,000,000 | 2,014 | de | 2014
Fürsorgerische Unterbringung
67
II. Fürsorgerische Unterbringung
8
Art. 450 Abs. 1 ZGB; Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO;
Art. 449a und 450e Abs. 4 Satz 2 ZGB; § 67q Abs. 3 EG ZGB; Art. 432
ZGB; Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 117 lit. b ZPO
-
Abschreibungsentscheide der Erwachsenenschutzbehörde können
mit Ausnahme des Kostenpunkts nicht mit Beschwerde gemäss
Art. 450 ff. ZGB angefochten werden; für die Geltendmachung
materieller und prozessualer Mängel einer Rückzugserklärung ist
die Revision primäres und ausschliessliches Rechtsmittel (Erw. 1.1).
-
Eine amtliche Vertretung im Sinne von Art. 449a und 450e Abs. 4
Satz 2 ZGB liegt nur vor, wenn die Vertretung von den Behörden an-
geordnet wird, weil die betroffene Person ausserstande ist, sich selber
um die Bestellung einer Vertretung zu kümmern; das Anwaltsmono-
pol gilt gemäss § 67q Abs. 3 EG ZGB auch für die amtliche Vertre-
tung (Erw. 2).
-
Die nach Art. 432 ZGB bezeichnete Vertrauensperson hat keinen An-
spruch auf Entschädigung durch das Gemeinwesen (Erw. 2).
-
Unentgeltliche Rechtspflege: Im Bereich fürsorgerische Unterbrin-
gung sind Beschwerden gegen Unterbringungsentscheide und Entlas-
sungsgesuche nur mit Zurückhaltung als aussichtslos im Sinne von
Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 117 lit. b ZPO zu beurteilen (Erw. 3).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 15. Dezem-
ber 2014 in Sachen. A.H. gegen das Familiengericht X. (WBE.2014.331).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Gegen Entscheide der Erwachsenenschutzbehörde kann Be-
schwerde beim zuständigen Gericht erhoben werden (Art. 450 Abs. 1
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
68
ZGB). Die sachliche und funktionelle Zuständigkeit der Gerichte
wird durch das kantonale Recht geregelt, soweit das Gesetz nichts
anderes bestimmt (Art. 4 Abs. 1 ZPO). Nach § 15a EG ZPO ent-
scheidet das Verwaltungsgericht als einzige kantonale Instanz über
Beschwerden gemäss § 67q Abs. 1 EG ZGB, namentlich über Be-
schwerden gegen die Abweisung eines Entlassungsgesuchs (§ 67q
Abs. 1 lit. d EG ZGB). Entscheidet die Erwachsenenschutzbehörde
neben dem Entlassungsgesuch über die Gewährung der unentgeltli-
chen Rechtspflege, folgt der Rechtsweg demjenigen der Hauptsache
(vgl. V
IKTOR
R
ÜEGG
, in: Basler Kommentar, 2. Auflage, Basel 2013,
Art. 121 ZPO N 2, mit Hinweisen). Die Verweigerung der unentgelt-
lichen Rechtspflege unterliegt daher ebenfalls der Beschwerde ans
Verwaltungsgericht. Art. 450 Abs. 1 ZGB stellt mit der darin geregel-
ten Beschwerde ein spezielles "Einheitsrechtsmittel" gegen alle End-
entscheide und die damit eröffneten Zwischenentscheide sowie ge-
wisse selbständig anfechtbare Zwischenentscheide der Erwachsenen-
schutzbehörde zur Verfügung (vgl. D
ANIEL
S
TECK
, in: Basler Kom-
mentar, Basel 2012, Art. 450 ZGB N 19 ff.; Botschaft zur Änderung
des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutzrecht,
Personenrecht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, Gesch.-Nr.
06.063, Bundesblatt [BBl] 2006, S. 7001 ff., S. 7084).
Kein (End-)Entscheid und damit kein Anfechtungsobjekt im
Sinne von Art. 450 Abs. 1 ZGB stellt hingegen ein Abschreibungs-
entscheid dar, der auf Rückzug des Entlassungsgesuchs und des Ge-
suchs um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege hin ergeht.
Dabei handelt es sich um einen rein deklaratorischen Akt, weil be-
reits der Rückzug als solcher den Prozess unmittelbar beendet. Der
Abschreibungsentscheid beurkundet den Prozesserledigungsvorgang
(im Hinblick auf die Vollstreckung), erfolgt aber abgesehen davon
der guten Ordnung halber, d.h. zum Zwecke der Geschäftskontrolle.
Gegen den Abschreibungsentscheid als solchen steht somit kein
Rechtsmittel zur Verfügung, lediglich der darin enthaltene Kosten-
entscheid ist mit Beschwerde anfechtbar (BGE 139 III 133, Erw. 1.2
mit zahlreichen Hinweisen auf die [kontroversen] Lehrmeinungen).
Immerhin kann der Rückzug bzw. die Rückzugserklärung mit Revi-
sion nach dem gestützt auf Art. 450f ZGB subsidiär anwendbaren
2014
Fürsorgerische Unterbringung
69
Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO angefochten werden, mit der Begründung,
der Rückzug (des Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege) sei nicht wirksam bzw. ungültig. In Bezug auf mate-
rielle oder prozessuale Mängel der Rückzugserklärung ist die Revi-
sion mithin primäres und ausschliessliches Rechtsmittel (BGE 139
III 133, Erw. 1.3). Die Zuständigkeit für die Beurteilung eines ent-
sprechenden Revisionsgesuchs liegt allerdings nicht beim Verwal-
tungsgericht, sondern beim Familiengericht X. als letzte Instanz, die
in der Sache entschieden hat (Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 328 Abs. 1
ZPO). Dieses kann das Revisionsgesuch abweisen, welcher Ent-
scheid mit Beschwerde anfechtbar ist (Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 332
ZPO), oder gutheissen, seinen Abschreibungsentscheid (mit Bezug
auf das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege)
aufheben und neu entscheiden (Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 333 ZPO).
Der neue Entscheid wiederum könnte mit Beschwerde gemäss
Art. 450 ff. ZGB beim Verwaltungsgericht angefochten werden.
(...)
1.2.-1.5. (...)
2.
Zudem könnte auf die vorliegende Beschwerde auch mangels
gültiger Vertretung der Beschwerdeführerin nicht eingetreten werden.
Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin ist gemäss Auskunft der
Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte des
Obergerichts des Kantons A. seit (...) nicht mehr im Anwaltsregister
des Kantons A. eingetragen. Unter diesem Aspekt ist er nicht berech-
tigt, die Beschwerdeführerin vor Verwaltungsgericht berufsmässig
(unentgeltlich) zu vertreten (Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 68 Abs. 2
ZPO). Eine Bestellung als amtlicher Vertreter gestützt auf Art. 450e
Abs. 4 Satz 2 ZGB scheidet schon deshalb aus, weil die Beschwerde-
führerin ihren Rechtsvertreter selbständig mandatiert hat. Damit ist
der Anwendungsbereich von Art. 450e Abs. 4 Satz 2 ZGB nicht
eröffnet (vgl. S
TECK
, a.a.O., Art. 450e ZGB N 13g). Analog zu
Art. 449a ZGB für das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde
regelt Art. 450e Abs. 4 Satz 2 ZGB, dass die Beschwerdeinstanz
wenn nötig die Vertretung der betroffenen Person anordnet und eine
in fürsorgerischen und rechtlichen Fragen erfahrene Person als Bei-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
70
ständin oder Beistand bezeichnet. Diese Bestimmungen betreffend
die amtliche Vertretung sind denjenigen Fällen vorbehalten, in denen
die betroffene Person ausserstande ist, sich selber um die Bestellung
eines Rechtsbeistands zu kümmern. Auf entsprechenden Antrag oder
von Amtes wegen übernimmt die Behörde die Bestellung eines Ver-
treters an ihrer statt (S
TECK
, a.a.O., Art. 450e ZGB N 13d). Davon
abgesehen hat der Kanton Aargau Art. 449a und Art. 450e Abs. 4
Satz 2 ZGB in § 67q Abs. 3 EG ZGB dahingehend konkretisiert, dass
das für das gerichtliche Verfahren bestehende Anwaltsmonopol auch
für diese Fälle der Anordnung einer amtlichen Rechtsvertretung gilt,
was von Bundesrechts wegen zulässig ist (vgl. T
HOMAS
G
EISER
, in
G
EISER
/R
EUSSER
[Hrsg.], Basler Kommentar, Erwachsenenschutz,
Basel 2012, Art. 450e ZGB N 31; S
TECK
, a.a.O., Art. 450e ZGB
N 13b). Ob der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin das vorlie-
gende Verfahren mit Wissen und Willen der Beschwerdeführerin ein-
geleitet hat bzw. hierzu explizit bevollmächtigt wurde, ist ohnehin
fraglich.
Immerhin hat die Beschwerdeführerin im Vorfeld ihres Entlas-
sungsgesuchs beim Familiengericht X. eine Vollmacht (betreffend
"Menschenrechte, Entlassung, Zwangsbehandlungsverbot etc.")
unterzeichnet, wonach sie die "gegenüber der Anstalt auftretende
Person gemäss obiger Liste", d.h. Rechtsanwalt B., als Person des
Vertrauens gemäss Art. 432 ZGB beiziehe. Eine Vertrauensperson im
Sinne von Art. 432 ZGB verfügt über alle Rechte, die nahestehenden
Personen im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung zustehen,
insbesondere hat sie das Recht in den Fällen gemäss Art. 439 ZGB
das Gericht anzurufen und Entscheide der Erwachsenenschutzbe-
hörde gestützt auf Art. 450 Abs. 2 ZGB anzufechten (O
LIVIER
G
UILLOD
, FamKomm Erwachsenenschutz, Bern 2013, Art. 432 ZGB
N 9). Allerdings bestehen aufgrund des zerrütteten Verhältnisses zwi-
schen der Beschwerdeführerin und ihrem Rechtsvertreter, wie es an
der Anhörung durch das Familiengericht X. vom (...) zu Tage getre-
ten ist, erhebliche Zweifel daran, ob Rechtsanwalt B. nach wie vor
als Vertrauensperson der Beschwerdeführerin bezeichnet werden
kann. Und selbst wenn dem so wäre, würde es ihm als Vertrauensper-
2014
Fürsorgerische Unterbringung
71
son - gleich wie der Beschwerdeführerin selber - aus den nachfol-
gend dargelegten Gründen am Anfechtungsinteresse fehlen.
Dass Rechtsanwalt B. mangels Eintrag im Anwaltsregister (des
Kantons A.) schon bei der Anhörung durch das Familiengericht X.
vom (...) nicht mehr als (unentgeltlicher) Rechtsvertreter der Be-
schwerdeführerin hätte auftreten dürfen, hat zur Konsequenz, dass er
unter keinem Titel einen Anspruch auf eine Entschädigung für seine
Bemühungen im dortigen Verfahren hat, und zwar weder gegenüber
der Staatskasse noch gegenüber der Beschwerdeführerin, für die er
keine gültigen Prozesshandlungen als (unentgeltlicher) Rechtsvertre-
ter vornehmen konnte. Die Vertrauensperson ist nicht durch das Ge-
meinwesen zu entschädigen (vgl. Botschaft zur Änderung des
Schweizerischen Zivilgesetzbuchs [Erwachsenenschutz, Personen-
recht und Kindesrecht], BBl 2006 S. 7068; T
HOMAS
G
EISER
/M
ARIO
E
TZENSBERGER
, in: G
EISER
/R
EUSSER
[Hrsg.], a.a.O., Art. 432 ZGB
N 15). Das wiederum hat zur Folge, dass die Beschwerdeführerin mit
einer Bewilligung ihres Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege (vermögensmässig) nicht bessergestellt wäre als mit
dem vorliegend beanstandeten Abschreibungsentscheid, denn Verfah-
renskosten wurden gestützt auf § 65a Abs. 3 lit. b EG ZGB ohnehin
nicht erhoben. Bei diesem Lichte betrachtet hat die Beschwerde-
führerin kein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung/Abände-
rung des angefochten Abschreibungsentscheids, weshalb auch auf ein
allfälliges Revisionsgesuch nicht eingetreten werden müsste.
3.
Der Vollständigkeit halber bleibt anzufügen, dass die Vorausset-
zungen für die Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege und der
Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters im Falle der Be-
schwerdeführerin wohl vorgelegen hätten. Das Rechtsbegehren der
Beschwerdeführerin hätte entgegen der Auffassung der Vorinstanz
nicht als aussichtslos im Sinne von Art. 117 lit. b ZPO bezeichnet
werden dürfen, jedenfalls nicht mit der Begründung, die das
Familiengericht X. im angefochtenen Entscheid angeführt hat. Der
Hinweis auf Art. 450e Abs. 4 ZGB ist in diesem Zusammenhang
nicht zielführend. Erstens regelt diese Bestimmung nicht die Voraus-
setzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, son-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
72
dern diejenigen für die Bestellung eines amtlichen Rechtsbeistandes
(für eine Person, die - anders als offenbar die Beschwerdeführerin -
nicht selbst zur Bestellung eines Rechtsvertreters in der Lage ist).
Zweitens besteht mit Art. 449a ZGB eine Parallelbestimmung für das
Verfahren vor den Familiengerichten. Drittens sind bei einem Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege die Erfolgsaussich-
ten des Hauptbegehrens, mithin diejenigen des Gesuchs um Entlas-
sung aus der fürsorgerischen Unterbringung zu beurteilen. Aus
objektiver Sicht mögen die Verlustgefahren die Gewinnchancen (bei
weitem) überwogen haben. Doch sind Beschwerden gegen die
fürsorgerische Unterbringung wie auch Gesuche um Entlassung aus
der fürsorgerischen Unterbringung nur mit Zurückhaltung als aus-
sichtslos zu werten, will man den Betroffenen den Rechtsweg bzw.
einen effektiven Rechtsschutz nicht unzulässig erschweren. Wer -
wie die Beschwerdeführerin - nach einer fürsorgerischen Unterbrin-
gung von dreieinhalb Monaten Dauer erstmalig ein Entlassungsge-
such stellt, nimmt grundsätzlich berechtigte Interessen wahr, auch
wenn sich die Unterbringung als klar rechtmässig erweisen würde,
was aber die Betroffenen (aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands)
regelmässig anders sehen. Es muss berücksichtigt werden, dass sie
sich in einer Zwangslage befinden und ihre Prozessaussichten häufig
nicht unter streng objektiven Gesichtspunkten abzuwägen vermögen.
Anders als in anderen Rechtsgebieten muss der Rückzug eines
Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs im Bereich der fürsorgerischen Un-
terbringung auch nicht zwangsläufig Ausdruck der Anerkennung
sein, dass ein Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelf von Beginn weg chan-
cenlos oder wenig aussichtsreich war (vgl. dazu das Urteil des
Bundesgerichts vom 18. August 2014 [2C_292/2014], Erw. 2.4). Es
kann seit Ergreifung des Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs zu einer
Entwicklung (des Gesundheitszustandes) gekommen sein, welche die
Betroffenen veranlasst, die fürsorgerische Unterbringung anders
einzuschätzen. Im Falle der Beschwerdeführerin scheint sich eine für
sie befriedigende Anschlusslösung ergeben zu haben, die sie zum
Rückzug ihres Entlassungsgesuchs veranlasst hat.
(...) | 3,086 | 2,453 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-8_2014-12-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-8.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-8.pdf | AGVE_2014_8 | null | nan |
cd77cf47-dad2-5c53-b3ce-5623a73b72c2 | 1 | 412 | 871,843 | 1,214,870,400,000 | 2,008 | de | 2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
207
36
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO.
-
Isolation ist keine zusätzliche Zwangsmassnahme bei Haft
(Erw. III/2).
-
Strenge Voraussetzungen für Zwangsmedikation (Erw. V).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 15. Juli 2008 in Sa-
chen P.B. gegen Entscheid der Klinik Königsfelden betreffend Zwangsmass-
nahmen (WBE.2008.218).
Aus den Erwägungen
III.
1.
Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer seit sei-
nem Eintritt in die Psychiatrische Klinik Königsfelden am 27. Juni
2008 im Isolationszimmer untergebracht ist. Isolation bedeutet, allein
in einem (oft ausser einem Bett unmöblierten) Raum eingeschlossen
zu sein.
Anlässlich der verwaltungsgerichtlichen Verhandlung hat der
Beschwerdeführer explizit die erfolgte Isolation angefochten. In die-
sem Zusammenhang schilderte er, er sei seit siebzehn Tagen "in ei-
nem Zimmer ohne Luft"; es herrschten unmenschliche Umstände. Er
dürfe das Zimmer lediglich für wenige Minuten für Raucherpausen
verlassen; bisher habe er nie spazieren gehen dürfen. Im Gefängnis
habe er eine halbe Stunde pro Tag raus gehen können.
Der behandelnde Oberarzt führte anlässlich der verwaltungsge-
richtlichen Verhandlung aus, der Beschwerdeführer befände sich im
Isolationszimmer, weil er im Haft-Status in der Klinik sei; es seien
lediglich Ausnahmefälle, bei denen jemand trotz Haftstatus nicht
isoliert werde.
2008
Verwaltungsgericht
208
2.
Vorliegend befindet sich der Beschwerdeführer zurzeit in Haft
zur Sicherung des Massnahmenvollzuges, wobei diese Haft vorüber-
gehend in der Klinik Königsfelden vollzogen wird. Die Isolation ent-
spricht somit der Fortführung der Haft und ist nicht Gegenstand der
medizinisch indizierten Zwangsmassnahme. Daher ist das Verwal-
tungsgericht nicht zuständig, die Isolation und deren Vollzug (Ver-
weigerung eines 30minütigen Spaziergangs) zu überprüfen, weshalb
auf die Beschwerde betreffend Isolation in der Psychiatrischen Kli-
nik Königsfelden nicht eingetreten werden kann.
IV. (...)
V.
1.
1.1.
Zur Hauptsache wendet sich der Beschwerdeführer gegen die
angeordnete Behandlung mit Neuroleptika für die Dauer seiner Hos-
pitalisation in der Klinik Königsfelden. Die Klinik hat im Zwangs-
massnahmen-Entscheid vom 30. Juni 2008 die "Behandlung mit De-
pot-Medikation: Consta Risperdal i.m. alle drei Wochen, 25 - 75 mg"
angeordnet. Als Diagnose wurde auf dem entsprechenden Formular
"paranoide Schizophrenie; DD:
Persönlichkeitsstörung" genannt.
Dem Entscheid wurde wegen akuter Behandlungsbedürftigkeit die
aufschiebende Wirkung nicht gewährt.
1.2.
Wird der Einsatz von Zwangsmassnahmen mit Beschwerde an-
gefochten, so hat das Verwaltungsgericht zu überprüfen, ob die ge-
setzlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Zwangsmass-
nahmen erfüllt sind. Zur Beurteilung der konkreten ärztlichen An-
ordnung (Wahl des Medikamentes, Dosierung, Wahl der Abteilung,
etc.) ist das Verwaltungsgericht dagegen grundsätzlich nicht zustän-
dig; dies gehört in den Fachbereich der Ärzte (vgl. AGVE 1987,
S. 217 [dieser Entscheid erging im Zusammenhang mit Zwangsmass-
nahmen im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung; die
gleichen Überlegungen müssen jedoch genauso für Zwangsmass-
nahmen im Rahmen eines Strafvollzugs gelten]). Ausnahmen von
diesem Grundsatz sind namentlich in jenen Fällen denkbar, in denen
2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
209
das Gericht eine angeordnete Massnahme als unangemessen oder gar
missbräuchlich beurteilt (AGVE 2000, S. 168 f.).
2.
2.1.
Ausgangspunkt jeder Beurteilung ärztlichen Handelns oder
Unterlassens ist das verfassungs- und persönlichkeitsrechtlich abge-
sicherte Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl. BGE vom
15. Juni 2001 [6A.100/2000], Erw. 3a). Das verfassungsmässige
Recht der persönlichen Freiheit, das in der am 1. Januar 2000 in
Kraft getretenen Bundesverfassung vom 18. April 1999 ausdrücklich
in Art. 10 und - hinsichtlich des Schutzes der Menschenwürde - auch
in Art. 7 gewährleistet ist, beinhaltet insbesondere das Recht auf
körperliche und geistige Unversehrtheit, auf Bewegungsfreiheit und
Wahrung der Würde des Menschen sowie auf alle Freiheiten, die
elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen.
Das Recht auf persönliche Freiheit gilt indessen, wie die übrigen
Freiheitsrechte, nicht absolut. Einschränkungen sind zulässig, wenn
sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Inter-
esse liegen und verhältnismässig sind; zudem dürfen sie den Kernge-
halt des Grundrechts nicht beeinträchtigen, das heisst, dieses darf
weder völlig unterdrückt noch seines Gehalts als Institution der
Rechtsordnung entleert werden (vgl. Art. 5 und 36 BV). Der
Schutzbereich der persönlichen Freiheit samt ihren Ausprägungen
sowie die Grenzen der Zulässigkeit von Eingriffen sind jeweils im
Einzelfall - angesichts der Art und Intensität der Beeinträchtigung
sowie im Hinblick auf eine allfällige besondere Schutzbedürftigkeit
des Betroffenen - zu konkretisieren (vgl. BGE vom 23. Mai 2000
[1P.645/1999], Erw. 3a mit Hinweisen).
Eine neuroleptische Zwangsmedikation stellt zweifellos einen
schweren Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Schwere Eingriffe
in Freiheitsrechte bedürfen einer klaren und ausdrücklichen gesetzli-
chen Regelung in einem formellen Gesetz (Art. 36 Abs. 1 Satz 2
BV).
2008
Verwaltungsgericht
210
2.2.
2.2.1.
Die Aargauische Strafprozessordnung sieht vor, dass medizini-
sche Behandlungen oder andere medizinisch indizierte Vorkehren der
Zustimmung des Gefangenen bedürfen (§ 241a Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gemäss § 241a Abs. 2 StPO dürfen ohne Zustimmung oder gegen
den Willen des Gefangenen medizinische Behandlungen oder andere
medizinisch indizierte Vorkehren nur durchgeführt werden, wenn
eine richterlich angeordnete Massnahme gemäss Art. 59, 60 oder 64
StGB zu vollziehen ist und sie mit dem konkreten Massnahmezweck
vereinbar sind (lit. a) oder wenn der Gefangene aufgrund einer
Krankheit nicht zurechnungsfähig ist, sich selbst oder Dritte in
schwerer Weise gefährdet und die notwendige Fürsorge auf andere
Weise nicht gewährleistet werden kann (lit. b).
2.2.2.
Die Bestimmung soll nicht nur akute Krisenintervention, son-
dern auch mittel- bis langfristige Therapien abdecken, wenn solche
für eine wirksame Gefahrenabwendung erforderlich sind. Die beson-
dere Fürsorgepflicht des Staates kann für die im Strafvollzug befind-
lichen Personen den Einsatz ärztlicher Massnahmen gebieten, selbst
wenn keine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit besteht
(vgl. Materialien zu § 241a StPO [Materialien], Bericht des DVI,
Abteilung Strafrecht, zur Änderung des Gesetzes über die Straf-
rechtspflege, vom 28. August 2001). Ein medikamentöses Ruhig-
stellen während der Dauer des Strafvollzugs als blosses Disziplinie-
rungsmittel ist jedoch nicht erlaubt; "gesunde Tobende" müssen mit
sicherheitspolizeilichen Methoden zur Ruhe gebracht werden
(vgl. Materialien, Stellungnahme der PDAG, IPD, Ärztliche Leitung,
vom 9. Juli 2001).
2.2.3.
Zwangsmassnahmen sind u.a. dort indiziert, wo psychisch
Kranke die rückfallprophylaktischen Medikamente (z.B. eine De-
potspritze) verweigern, so dass eine erneute Dekompensation erfah-
rungsgemäss nur noch eine Frage der Zeit ist; ausserdem bei Perso-
nen, die - z.B. in Folge einer Persönlichkeitsstörung - im Vollzug
ohne sedierende Medikamente nicht tragbar sind, diese aber verwei-
2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
211
gern (Materialien, Stellungnahme der PDAG, IPD, Ärztliche Leitung,
vom 9. Juli 2001). Eine zwangsweise vollzogene Behandlung ist mit
dem verfassungsmässigen Recht der persönlichen Freiheit nur ver-
einbar, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Besserung und
Heilung des körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes des
Betroffenen spricht (Materialien, Arbeitspapier DVI, Abteilung
Strafrecht, vom 30. Juli 2001, S. 4).
2.3.
Mit Urteil des Bezirksgerichts Z. vom 7. Mai 2008 war die dem
Beschwerdeführer vom Obergericht mit Urteil vom 18. Oktober
2007 auferlegte stationäre Massnahme für junge Erwachsene gemäss
Art. 61 StGB gestützt auf Art. 62c Abs. 6 StGB aufgehoben worden.
An deren Stelle wurde gestützt auf Art. 59 StGB eine stationäre
psychiatrische Behandlung angeordnet. Dieses Urteil ist nicht rechts-
kräftig; der amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers hat es an das
Obergericht des Kantons Aargau weitergezogen. Mangels Rechts-
kraft dieses Urteils bildet § 241a Abs. 2 lit. a StPO in casu keine
rechtsgenügliche Grundlage für die Durchführung von medizinischen
Behandlungen oder anderen medizinisch indizierten Vorkehren ge-
gen den Willen des Beschwerdeführers.
Lediglich der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass eine
neuroleptische Zwangsmedikation ohnehin nicht dem Massnahme-
zweck (stationäre Verhaltenstherapie) entspricht.
Im Folgenden gilt es deshalb zu prüfen, ob § 241a Abs. 2 lit. b
StPO eine rechtsgenügliche Grundlage für die Zwangsbehandlung
des Beschwerdeführers bildet.
3.
3.1.
Wie bereits in Erw. V/2.2 hiervor ausgeführt, dürfen gemäss
§ 241a Abs. 2 lit. b StPO ohne Zustimmung oder gegen den Willen
des Gefangenen medizinische Behandlungen oder andere medizi-
nisch indizierte Vorkehren nur durchgeführt werden, wenn der Ge-
fangene aufgrund einer Krankheit nicht zurechnungsfähig ist, sich
selbst oder Dritte in schwerer Weise gefährdet und die notwendige
Fürsorge auf andere Weise nicht gewährleistet werden kann. Wie bei
der fürsorgerischen Freiheitsentziehung (vgl. Art. 397a ff. ZGB) ist
2008
Verwaltungsgericht
212
vorausgesetzt, dass aufgrund einer Krankheit die nötige persönliche
Fürsorge in der medizinischen Behandlung liegt; vorausgesetzt sind
also Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit. Zusätzlich
braucht es neben der Verhältnismässigkeit Zurechnungsunfähigkeit
(bzw. Urteilsunfähigkeit) aufgrund einer Krankheit sowie eine
schwere Selbst- oder Fremdgefährdung. Damit sind die Vorausset-
zungen wesentlich strenger als bei einer Zwangsbehandlung im Rah-
men einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung.
Es ist im Folgenden im Einzelnen zu prüfen, ob die Vorausset-
zungen nach den Bestimmungen der Aargauischen Strafprozessord-
nung für eine Zwangsmedikation des Beschwerdeführers vorliegen.
3.2.
3.2.1.
3.2.1.1.
Die Psychiatrische Klinik Königsfelden stellte anlässlich der er-
sten Hospitalisation des Beschwerdeführers (Mai bis August 2006)
u.a. die Diagnose einer "Anpassungsstörung mit gemischter Störung
von Gefühlen und Sozialverhalten" und "Persönlichkeitsakzentuie-
rung mit dissozialen, querulatorischen Zügen". Es habe bei der
psychiatrischen und testpsychologischen Untersuchung psychopa-
thologisch keine direkten Hinweise für ein psychotisches Gesche-
hen/Erleben gegeben; zu keiner Zeit habe eine positive psychotische
Symptomatik festgestellt werden können. Bei Austritt wurden dem
Beschwerdeführer keine Medikamente verordnet.
3.2.1.2.
Im forensisch-psychiatrischen Vorgutachten der Klinik Königs-
felden vom 18. Dezember 2006 beschreibt der Gutachter, der Be-
schwerdeführer zeige eine extrem geringe Frustrationstoleranz und
eine niedrige Schwelle für aggressives und gewalttätiges Verhalten;
er habe kein Schuldbewusstsein und sei unfähig, aus negativer Erfah-
rung zu lernen, da er immer anderen die Schuld für sein Versagen
gebe. In diagnostischer Hinsicht hält der Gutachter fest, es bestehe
beim Beschwerdeführer eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Wei-
ter wurde festgehalten, es hätten bei der psychiatrischen Untersu-
chung keine schizophrenen Symptome festgestellt werden können;
eine Schizophrenie im Prodromalstadium (Anfangsstadium ohne ty-
2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
213
pische Symptome) könne zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht mit letz-
ter Sicherheit ausgeschlossen werden.
3.2.1.3.
Mit forensisch-psychiatrischem Gutachten vom 13. April 2007
nimmt der Gutachter Stellung zu Fragen einer psychischen Störung,
der Schuldfähigkeit, der Rückfallgefahr sowie einer allfälligen
Massnahme. In diesem Zusammenhang führt er aus, die geringe
Frusttoleranz, die labile Affektivität, die ungenügende Selbst- und
Impulskontrolle, die mangelnde Verarbeitungs- und Introspektions-
fähigkeit, die verzerrte, misstrauisch-paranoid anmutende Wahrneh-
mung, die defizitäre Empathiefähigkeit und die mangelnde Anpas-
sungsfähigkeit wiesen am ehesten auf einen Menschen mit struktu-
rellen Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung, aber auch auf Un-
reife in der Persönlichkeitswerdung hin. Die Persönlichkeit des Be-
schwerdeführers sei zusammenfassend beurteilt sehr auffällig. In
diagnostischer Hinsicht führt der Gutachter aus, beim Beschwerde-
führer bestehe - neben einem Cannabisabhängigkeitssyndrom - eine
kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, dissozialen und
unreifen Zügen. Für diese gebe es keine sicher wirksame Therapie.
Eine verhaltenstherapeutisch-deliktorientierte Therapie habe gemäss
heutiger Wissensgrundlagen allenfalls eine gewisse Wirksamkeit.
3.2.1.4.
Anlässlich der zweiten Hospitalisation des Beschwerdeführers
in der Klinik Königsfelden von Dezember 2007 bis Februar 2008
wurde die Klinik beauftragt, u.a. abzuklären, ob es sich auch um eine
Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis handeln könnte. Im
Bericht zu der im Verlaufe dieser Hospitalisation durchgeführten
psychologischen Testung wurde zusammenfassend ausgeführt, der
Beschwerdeführer scheine zwischen seiner Tendenz zum Bagatelli-
sieren, sich als Opfer darzustellen und mit einer "realitätsnahen" Ein-
sicht zu ringen. In belastenden Situationen sei es denkbar, dass er
eine paranoide Verarbeitung begünstige. Der Beschwerdeführer habe
sich in den Persönlichkeitsverfahren bedeckt gezeigt; es bleibe un-
gewiss, ob er sich nicht habe zeigen wollen oder ob er es nicht ge-
konnt habe.
2008
Verwaltungsgericht
214
Des Weiteren war anlässlich jener Hospitalisation eine Erstpsy-
chose-Abklärung durchgeführt worden. Diese Abklärung wurde im
Austrittsbericht vom 5. Juni 2008 bezüglich dritte Hospitalisation des
Beschwerdeführers im Mai 2008 folgendermassen zusammengefasst:
"In der damaligen Testung wurde festgehalten, dass sich trotz
Abwesenheit florid-psychotischer Symptome der Verdacht einer Er-
krankung aus dem schizophrenen Formenkreis, welche schleichend
ist, nicht entkräften [lasse], dies einerseits durch die Krankheitsent-
wicklung über Jahre mit einem deutlichen Leistungsknick und immer
wieder uneinfühlbarem Verhalten, sowie der genetischen Belastung
durch eine schizophrene Mutter. Dennoch liessen sich nie eigentliche
psychotische Symptome finden, sodass dies allenfalls eine Ver-
dachtsdiagnose bleibt."
Die Klinikärzte kamen anlässlich der zweiten Hospitalisation zu
folgender Diagnose:
"- Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, dissozialen
und unreifen Zügen (...)
- Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (...)
- Anamnestisch schädlicher Gebrauch von Cannabis (...)"
3.2.1.5.
Die Diagnose anlässlich der dritten Hospitalisation des Be-
schwerdeführers im Mai 2008 lautete folgendermassen :
"- Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, dissozialen
und unreifen Zügen (...)
- Anamnestisch schädlicher Gebrauch von Cannabis (...)
- Schleichende Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis,
lässt sich gemäss Erstpsychoseabklärung nicht ausschliessen, aktuell
klinisch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich"
3.2.1.6.
Anlässlich der aktuellen Hospitalisation des Beschwerdeführers
in der Klinik Königsfelden wurde anlässlich der Aufnahme folgende
Beurteilung abgegeben:
"- Angespanntes, fremdgefährliches Zustandsbild mit fragilen psy-
chotischen Symptomen bei bekannter Erkrankung des schizophrenen
Formenkreises
- Substanz-induziert
2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
215
- Gemischte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, dissozialen und
unreifen Zügen
- (...)"
Auf dem Zwangsmassnahmen-Entscheid vom 30. Juni 2008
wurde unter der Rubrik Diagnose "Schizophrenie; DD: Persönlich-
keitsstörung" aufgeführt.
Entsprechend führte der behandelnde Oberarzt anlässlich der
verwaltungsgerichtlichen Verhandlung vom 15. Juli 2008 aus, man
könne aufgrund von Beobachtungen über einen längeren Zeitraum
feststellen, dass beim Beschwerdeführer Denkstörungen mit einer pa-
ranoiden Verarbeitung der Umgebung stattfänden; so seien immer die
anderen schuld; es bestehe ein stetes Misstrauen. Dies seien Hin-
weise auf eine Schizophrenie. Die Dichte dieser Hinweise sowie de-
ren Konstanz lägen näher bei einer Schizophrenie als bei einer Per-
sönlichkeitsstörung. Der Beschwerdeführer kenne die Krankheit
Schizophrenie von seiner Mutter und könne daher die Symptome
verstecken; er kontrolliere sich, was er sage. Es bestehe eine ge-
lockerte Assoziation, wobei diese Störung der Gedanken symptoma-
tisch für eine Schizophrenie sei.
3.2.2.
Es kann festgestellt werden, dass mit Ausnahme der aktuellen
Hospitalisation alle involvierten Psychiater eindeutig die Diagnose
einer Persönlichkeitsstörung gestellt haben. Insbesondere im Gut-
achten vom 13. April 2007 wird diese Diagnose ausführlich begrün-
det. Auch der vom Gericht beigezogene Gutachter bestätigte diese
Diagnose anlässlich der verwaltungsgerichtlichen Verhandlung. Für
das Verwaltungsgericht steht somit fest, dass beim Beschwerdeführer
eine Persönlichkeitsstörung vorliegt. Gemäss übereinstimmenden
Angaben der Fachärzte besteht die adäquate Behandlung derselben in
einer Verhaltenstherapie (vgl. Erw. V/3.2.1.3 hiervor), zumal sich
eine Persönlichkeitsstörung medikamentös kaum behandeln lässt.
Unklar ist, ob zusätzlich eine Erkrankung aus dem schizophre-
nen Formenkreis vorliegt, bei welcher eine neuroleptische Behand-
lung medizinisch indiziert wäre. Verschiedene Indizien dafür liegen
zwar vor, allerdings bleibt es bei einer Verdachtsdiagnose. Ent-
sprechend führte auch der Gutachter anlässlich der verwaltungsge-
2008
Verwaltungsgericht
216
richtlichen Verhandlung aus, die letzten Beweise für eine paranoide
Schizophrenie seien nicht gegeben. Insbesondere steht fest, dass ak-
tuell keine florid psychotischen Symptome vorhanden sind. Das vom
behandelnden Oberarzt mehrfach erwähnte "paranoide Verarbeiten"
konnte aktuell nicht konkretisiert werden. So antwortete der Be-
schwerdeführer an der für ihn sicherlich mit einer gewissen Belas-
tung verbundenen verwaltungsgerichtlichen Verhandlung ruhig, an-
ständig, adäquat, realitätsbezogen und in jeder Hinsicht nachvoll-
ziehbar. Es lagen keinerlei Hinweise auf ein psychotisches Gesche-
hen im Hintergrund vor; der Blick war offen. Dass sich der Be-
schwerdeführer wiederholt über die Ungerechtigkeit äusserte, nun
beinahe zwei Jahre im Gefängnis zu sein und noch immer kein Ende
der Strafe zu sehen, ist nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht geht
mit dem anwesenden psychiatrischen Sachverständigen überein, dass
die Tatsache, dass der Beschwerdeführer auf gewisse Fragen andere
Ausführungen machte, nicht auf eine Denkstörung schliessen lassen,
sondern eher ein Ausweichen auf unangenehme Fragen darstellt, dies
verbunden mit dem Bedürfnis, seine als ungerecht empfundene Lage
zu erklären.
Selbst wenn also die Verdachtsdiagnose einer Schizophrenie
zutreffen würde, so ist aktuell kein akutes Krankheitsbild, sind keine
florid psychotischen Symptome erkennbar, sondern höchstens ge-
wisse Minussymptome. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu be-
achten, dass solche Minussymptome unspezifisch sind, d. h. sie sind
nicht nur an schizophrene Psychosen gebunden, sondern kommen
auch bei anderen Krankheiten vor, so auch bei Persönlichkeitsstö-
rungen.
3.3.
3.3.1.
Damit eine Massnahme verhältnismässig ist, muss sie geeignet
und notwendig sein, und es muss eine vernünftige Zweck-Mittel-
Relation vorliegen. Eine Zwangsmassnahme ist namentlich dann un-
verhältnismässig, wenn eine ebenso geeignete mildere für den ange-
strebten Erfolg ausreicht. Der Eingriff darf in sachlicher, räumlicher,
zeitlicher und personeller Hinsicht nicht einschneidender sein als
notwendig. Nach diesen Kriterien der Verhältnismässigkeit bzw. der
2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
217
Subsidiarität ist die weniger eingreifende der eingriffsintensiveren
und die bessernde der bloss sichernden Massnahme vorzuziehen und
die geeignete Behandlungsform auszuwählen (BGE 127 IV 154
Erw. 4c).
Dass (auch) bei Zwangsmassnahmen im Rahmen eines Straf-
vollzugs die Verhältnismässigkeit gewahrt werden muss, drückt
§ 241a Abs. 2 lit. b StPO mit den Worten aus: "wenn [...] die not-
wendige Fürsorge auf andere Weise nicht gewährleistet werden
kann". Durch diese Formulierung soll zur möglichsten Schonung der
persönlichen Freiheit die Zwangsbehandlung im Sinne des Verhält-
nismässigkeitsprinzips beschränkt werden; die Zwangsbehandlung
muss also ultima ratio bleiben. Die Beurteilung hängt im Wesentli-
chen davon ab, in welchem Ausmass eine Behandlung einerseits
"notwendig" und welches andererseits die Auswirkungen im Falle ei-
ner Nichtbehandlung sind.
Wie bereits in Erwägung V/2.2.3 hiervor ausgeführt, ist eine
zwangsweise vollzogene Behandlung nur verhältnismässig, wenn
eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Besserung und Heilung des
körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes des Betroffenen
spricht.
3.3.2.
3.3.2.1.
Eine Behandlungsbedürftigkeit liegt dann vor, wenn eine Per-
son in organischer oder psychischer Hinsicht derart erheblich von der
Gesundheit/des Wohlbefindens abweicht, dass stationäre oder am-
bulante medizinische, insbesondere psychiatrische, psychologische
oder heilpädagogische Vorkehren angezeigt erscheinen.
3.3.2.2.
Wie bereits in den Erwägungen hiervor ausgeführt, lässt sich
eine Persönlichkeitsstörung mit neuroleptischer Medikation nicht be-
handeln. Entsprechend wird im Gutachten vom 13. April 2007 aus-
geführt, für die kombinierte Persönlichkeitsstörung gebe es keine si-
cher wirksame Therapie; lediglich eine verhaltenstherapeutisch-de-
liktsorientierte Psychotherapie habe gemäss heutiger Wissensgrund-
lage eine gewisse Wirksamkeit. Dementsprechend hat das Bezirksge-
richt Z. mit Entscheid vom 16. Mai 2007 den Vollzug der Freiheits-
2008
Verwaltungsgericht
218
strafe zugunsten einer stationären therapeutischen Massnahme ge-
mäss Art. 61 StGB (Massnahme für junge Erwachsene, die in ihrer
Persönlichkeitsentwicklung erheblich gestört sind) aufgeschoben;
das Obergericht hat eine dagegen ergriffene Berufung mit Urteil vom
18. Oktober 2007 abgewiesen. Später hat das Bezirksgericht Z. mit
Urteil vom 7. Mai 2008 anstelle einer Massnahme für junge Erwach-
sene eine stationäre Massnahme gemäss Art. 59 StGB angeordnet
(dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig).
3.3.2.3.
Falls beim Beschwerdeführer neben der Persönlichkeitsstörung
eine Schizophrenie vorliegen würde, wäre eine medikamentöse Be-
handlungsbedürftigkeit grundsätzlich zu bejahen. Aus medizinischer
Sicht ist daher ein Behandlungsversuch dieser Verdachtsdiagnose
durchaus nachvollziehbar; fraglich ist dagegen, ob dies gegen den
Willen des Beschwerdeführers zulässig ist.
3.3.2.4.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass an der medikamentö-
sen Behandlungsbedürftigkeit somit zumindest Bedenken bestehen.
3.3.3.
3.3.3.1.
Weitere Voraussetzung für die Durchführung einer Zwangs-
massnahme nach § 241a Abs. 2 lit. b StPO ist die Behandlungsfähig-
keit des Betroffenen. Verspricht eine neuroleptische Behandlung von
vorneherein keinen Erfolg, kommt eine neuroleptische Zwangsbe-
handlung nicht in Frage.
3.3.3.2.
Der zuständige Oberarzt führte anlässlich der Verhandlung aus,
er sehe bereits einen Behandlungserfolg. Der Beschwerdeführer sei
nicht mehr so misstrauisch im Gespräch; er mache ein Stück weit
mit. Es sei eine leichte Verbesserung eingetreten.
3.3.3.3.
Der anwesende Gutachter führte in diesem Zusammenhang aus,
man könne nicht sagen, dass es mit der Behandlung zu einem Fort-
schritt komme und ohne Behandlung zu einer Verschlechterung; dies
könne man im Voraus nicht abschätzen.
2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
219
3.3.3.4.
Gemäss dem bisher Ausgeführten handelt es sich bei der beim
Beschwerdeführer vorliegenden Persönlichkeitsstörung um eine psy-
chische Störung, die nach dem heutigen Stand der Wissenschaft me-
dikamentös nicht behandelt werden kann; eine Behandlungsfähigkeit
betreffend Persönlichkeitsstörung durch Neuroleptika ist unter diesen
Umständen zu verneinen.
3.3.3.5.
Selbst wenn beim Beschwerdeführer neben der Persönlichkeits-
störung eine Schizophrenie vorliegen würde, wäre die Behandlungs-
fähigkeit betreffend Negativsymptomatik gering.
Entsprechend wurde im Austrittsbericht vom 5. Juni 2008 das
Folgende festgehalten:
"Wir erachten es als nicht verhältnismässig, ihn zwangszumedi-
zieren, da ein Erfolg einer medikamentösen Therapie, wenn über-
haupt, nur in sehr begrenztem Ausmass, im Vergleich zu allfälligen
Spätfolgen desselben zu erwarten gewesen wäre. Dies einerseits,
weil sich eine Persönlichkeitsstörung kaum mehr medikamentös be-
einflussen lässt und ein schleichender Verlauf einer Schizophrenia
simplex weiter höchstens eine Verdachtsdiagnose ohne eindeutige
Anhaltspunkte bildet. Selbst wenn es sich um eine solche handeln
sollte, wäre eine medikamentöse Therapie deutlich weniger wirksam
bei den so genannten Negativsymptomen, als bei einer florid-psy-
chotischen Situation, die bei Herrn B. zu keiner Zeit vorlag."
Das Verwaltungsgericht kann sich dieser oberärztlichen Ansicht
vollumfänglich anschliessen: Da kein florid psychotisches Zustands-
bild vorliegt, würde es selbst bei Vorliegen einer Schizophrenie an
einer nachgewiesenen Behandlungsfähigkeit fehlen. Die Ausführun-
gen des behandelnden Oberarztes lassen Fragen offen, wenn er einer-
seits ausführt, es sei durch die neuroleptische Behandlung bereits
eine Verbesserung eingetreten, er jedoch andererseits schildert, dass
die dem Beschwerdeführer am 30. Juni 2008 verabreichte Risperdal-
Spritze erst nach drei Wochen ihre Wirkung entfalte und der Be-
schwerdeführer die Risperdal-Tabletten schmuggle, indem er sie in
die Urinflasche ausspucke.
2008
Verwaltungsgericht
220
3.3.3.6.
Diese Erwägungen schliessen nicht aus, dass eine neurolepti-
sche Behandlung durchaus sinnvoll wäre, im Interesse des Be-
schwerdeführers liegen könnte und medizinisch vertretbar wäre, zu-
mal man daraus bzw. aus dem allfälligen Behandlungserfolg nach-
trägliche Rückschlüsse betreffend die Verdachtsdiagnose Schizo-
phrenie tätigen könnte.
3.3.4.
Es ist bereits ausgeführt worden, dass mit einer neuroleptischen
Behandlung lediglich ein geringer Behandlungserfolg zu erwarten
ist, zumal der Beschwerdeführer primär an einer Persönlichkeitsstö-
rung leidet, welche ohnehin schwer therapierbar ist. Aus diesem
Grund ist vorliegend die Verhältnismässigkeit der Zwangsmedikation
nicht gegeben. Die notwendige Fürsorge im Haftstatus kann dem Be-
schwerdeführer ohne neuroleptische Behandlung erwiesen werden.
So ergibt sich aus den Akten, dass der Beschwerdeführer die meiste
Zeit anständig und freundlich ist; es ist nicht ersichtlich, dass er einer
besonderen Behandlung/Fürsorge bedürfe.
Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer bei den gele-
gentlich vorkommenden Aggressionsdurchbrüchen notfallmässig se-
diert werden kann. Ob diese Aggressionsdurchbrüche mit seiner
Situation (seit rund 20 Monaten in Haft; das Ende der Haftzeit ist
noch offen), seiner Persönlichkeitsstörung oder mit einer allfälligen
Schizophrenie in Zusammenhang stehen, ist ungewiss.
3.4.
3.4.1.
Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Zwangsmass-
nahme nach § 241a Abs. 2 lit. b StPO ist die Unzurechnungsfähigkeit
des Betroffenen aufgrund einer Krankheit.
Bei der Auslegung dieser Voraussetzung ist zunächst festzuhal-
ten, dass der Begriff Zurechnungsfähigkeit ein Begriff des Straf-
rechts ist und die Schuldfähigkeit eines Täters in Bezug auf eine be-
stimmte Straftat betrifft. So ist gemäss Art. 19 StGB nicht strafbar,
wer zur Zeit der Tat nicht fähig war, das Unrecht seiner Tat einzuse-
hen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln. Im Zusammenhang mit
einer medizinischen Zwangsbehandlung eines Gefangenen kann so-
2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
221
mit die Frage der Zurechnungsfähigkeit im strafrechtlichen Sinne
keine Rolle spielen. Eine teleologische Auslegung der Bestimmung
ergibt, dass man in Analogie zur Zwangsbehandlung im Rahmen von
fürsorgerischen Freiheitsentziehungen (§ 67e
bis
EG ZGB) eine ge-
setzliche Grundlage für behandlungsbedürftige Gefangene schaffen
wollte. Unklar ist, ob der Wortlaut "aufgrund einer Krankheit nicht
zurechnungsfähig" eine Umschreibung von "Geisteskrankheit oder
Geistesschwäche" sein soll, oder ob damit bewusst strengere Voraus-
setzungen für eine Zwangsbehandlung geschaffen werden sollten,
indem das Vorliegen einer Urteilsunfähigkeit bezüglich Behandlung
vorausgesetzt werden sollte.
Sinn und Zweck von § 241a Abs. 2 lit. b StPO liegt darin,
kranke Gefangene unter den gleichen Voraussetzungen wie Personen
in einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung gegen ihren Willen me-
dizinisch behandeln zu können, wobei gemäss eindeutigem Wortlaut
zusätzlich eine schwere Selbst- oder Drittgefährdung vorausgesetzt
wird. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Zwangsbehandlun-
gen stets im eigenen wohlverstandenen Interesse einer kranken Per-
son erfolgen, ist bereits diese zusätzliche Voraussetzung (schwere
Selbst- oder Drittgefährdung) bedenklich, kann doch einem kranken
Gefangenen erst später - nämlich erst bei einer schweren Gefähr-
dungssituation - die in seinem Interesse liegende, wenn auch gegen
seinen Willen erfolgte, adäquate Behandlung zuteil werden, als ei-
nem genau gleich kranken Menschen, der gegen seinen Willen in
eine Klinik eingewiesen und dort gegen seinen Willen behandelt
wird. Umso mehr verstösst § 241a Abs. 2 lit. b StPO gegen das
Rechtsgleichheitsprinzip, wenn diese Norm so ausgelegt wird, dass
zusätzlich zur schweren Selbst- oder Fremdgefährdung das Vorliegen
einer Urteilsunfähigkeit des kranken Gefangenen vorausgesetzt wird.
Es ist unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar, weshalb andere
- strengere - Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung geschaffen
werden sollten; sicher ist jedoch, dass im Sinne einer restriktiven
Umsetzung höchstens Urteilsunfähigkeit aufgrund einer Krankheit in
Bezug auf die (notwendige) medikamentöse Behandlung gemeint
sein kann.
2008
Verwaltungsgericht
222
Es rechtfertigt sich, die Auslegung des Begriffs der Urteilsfä-
higkeit bzw. Urteilsunfähigkeit im Sinne von Art. 16 ZGB vorzuneh-
men, wonach urteilsfähig ist, wer nicht wegen seines Kindesalters
oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit
oder ähnlichen Zuständen die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu
handeln.
Für die Beurteilung der Urteilsunfähigkeit ist im Einzelfall von
den konkreten Umständen hinsichtlich einer bestimmten Handlung
auszugehen. Urteilsunfähigkeit kann angenommen werden, wenn es
an der Fähigkeit fehlt, eine bestimmte Lage richtig zu beurteilen und
in Angelegenheiten der in Frage stehenden Art ein vernünftiges Ur-
teil zu bilden sowie die Beweggründe und Folgen eines bestimmten
Handelns richtig zu erkennen (vgl. dazu den Entscheid des Bundes-
gerichts vom 22. März 2001 [1P.103/2001], Erw. 7b/aa).
3.4.2.
Der behandelnde Oberarzt führte anlässlich der Verhandlung
aus, er erachte den Beschwerdeführer als urteilsunfähig betreffend
Medikation.
3.4.3.
Es ist nicht erkennbar, dass die diagnostizierte Persönlichkeits-
störung beim Beschwerdeführer zu einem fehlenden Realitätsbezug
führt. Da eine Persönlichkeitsstörung einer neuroleptischen Behand-
lung nicht zugänglich ist, kann sicher nicht gesagt werden, der Be-
schwerdeführer sei urteilsunfähig, wenn er diese Behandlung ver-
weigert.
Selbst bei allfälligem Vorliegen einer Schizophrenie kann nicht
gesagt werden, dem Beschwerdeführer fehle die Einsicht in die Not-
wendigkeit der Behandlung. Der Beschwerdeführer kennt die Krank-
heit von seiner Mutter her; anlässlich seiner zweiten Hospitalisation
in der Klinik Königsfelden Ende 2007/anfangs 2008 wurde er mit
Neuroleptika behandelt. Er kennt das Wesen einer neuroleptischen
Behandlung; er weiss, was die entsprechenden Medikamente bewir-
ken, sowohl in positiver Hinsicht als auch in Bezug auf Nebenwir-
kungen. Dass er diese Behandlung nicht will, ist in einem gewissen
Sinne nachvollziehbar, zumal er unter keinen positiven Symptomen
2008
Zwangsmassnahmen gemäss § 241a StPO
223
(Halluzinationen usw.) leidet. Es kann daraus nicht auf diesbezügli-
che Urteilsunfähigkeit geschlossen werden.
3.4.4.
In Zusammenfassung obiger Erwägungen kann festgestellt wer-
den, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich der Frage einer medi-
kamentösen Behandlung urteilsfähig ist.
3.5.
3.5.1.
Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit von Zwangsmass-
nahmen im Strafvollzug ist das Vorliegen einer schweren Selbst-
oder Drittgefährdung.
Fremdgefährdung liegt vor, wenn für andere Personen eine ab-
sehbare Gefährdung besteht. Gefahr besteht insbesondere in aggres-
sivem Verhalten bis zur Androhung von schwerer Gewalt oder in
körperlichen Attacken.
3.5.2.
Wenn der Gesetzestext von schwerer Fremdgefährdung spricht,
kann nur eine akute Fremdgefährdung gemeint sein. Aus den Akten
ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer in den vergangenen
Jahren mehrfach massiv bedrohlich und teilweise auch tätlich ge-
worden ist. Der Vorfall im Bezirksgefängnis Z. vom 26. Juni 2008,
wo der Beschwerdeführer den Gefangenenwart mehrfach bedrohte,
in der Zelle ein Feuer entzündete und ein Metallstück eines Fenster-
rahmens in bedrohlicher Haltung in der Hand hatte, führte zur ak-
tuellen Hospitalisation des Beschwerdeführers in der Klinik Königs-
felden. In diesem Zeitpunkt war eine schwere Fremdgefährdung
nicht auszuschliessen.
Seit der Beschwerdeführer in der Klinik Königsfelden ist, gab
es keinerlei Anzeichen für eine akute Fremdgefährdung. So wurde
bereits am Tag nach der Einweisung in der Krankengeschichte an-
lässlich der oberärztlichen Untersuchung explizit festgehalten, es be-
stünden keine Hinweise auf Fremdgefährdung. Der Beschwerdefüh-
rer wird im Pflegebericht durchwegs als anständig und freundlich be-
schrieben. Trotz der schwierigen persönlichen Situation, trotz Isola-
tion und Zwangsmedikation ist der Beschwerdeführer nie "ausge-
rastet". Auch anlässlich der verwaltungsgerichtlichen Verhandlung,
2008
Verwaltungsgericht
224
welche einen zusätzlichen Stressfaktor darstellt, blieb er ruhig und
stets anständig. Eine schwere Drittgefährdung im Sinne von § 241a
Abs. 2 lit. b StPO liegt somit nicht vor.
4.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die strengen Vorausset-
zungen für eine Zwangsmedikation gemäss § 241a Abs. 2 lit. b StPO
vorliegend nicht erfüllt sind. Nebst der gutachterlich festgestellten
Diagnose der Persönlichkeitsstörung und der Notwendigkeit einer
Verhaltenstherapie bestehen zu viele Ungewissheiten. Es muss im
heutigen Zeitpunkt offen bleiben, ob allenfalls zusätzlich eine Er-
krankung aus dem schizophrenen Formenkreis vorliegt und ob mit-
tels Neuroleptika ein wesentlicher Behandlungserfolg erzielt werden
könnte. Zusätzlich fehlt es an einer schweren Fremdgefährdung des
Beschwerdeführers ebenso wie an einer durch Krankheit verursach-
ten Urteilsunfähigkeit.
Aus diesen Gründen wird der Zwangsmassnahmen-Entscheid
der Klinik Königsfelden vom 30. Juni 2008 aufgehoben. | 7,653 | 5,899 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-36_2008-07-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-36.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-36.pdf | AGVE_2008_36 | null | nan |
cdb93edd-4cf4-54ce-8a2e-faed9ff002da | 1 | 412 | 869,910 | 952,041,600,000 | 2,000 | de | 2000
Verwaltungsgericht
290
[...]
68
Referenzauskünfte.
- Mündlich eingeholte Auskünfte zuhanden der Vergabestelle bezüglich
der zuschlagsrelevanten Punkte müssen vollständig, sachlich richtig
und unmissverständlich festgehalten bzw. wiedergegeben werden, was
eine entsprechend sorgfältig abgefasste schriftliche Aktennotiz er-
fordert.
- Formelle Mindestanforderungen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 30. März 2000 in
Sachen ARGE E. AG/M. AG gegen den Beschluss / die Verfügung des
Abwasserverbands O.
Aus den Erwägungen
2. d) bb) Die öffentlichrechtliche Vergabestelle im Sinne von
§ 5 SubmD ist wie jede andere Verwaltungsbehörde verpflichtet, den
rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig festzustellen.
Dies ergibt sich schon aus § 25 Abs. 2 lit. b SubmD, wonach die un-
richtige oder unvollständige Sachverhaltsfeststellung einen Be-
schwerdegrund darstellt. Mit anderen Worten gilt auch im erst-
2000
Submissionen
291
instanzlichen Submissionsverfahren als nichtstreitigem Verwaltungs-
verfahren der Untersuchungsgrundsatz (vgl. § 20 Abs. 1 VRPG;
Alfred Kölz / Jürg Bosshart / Martin Röhl, VRG, Kommentar zum
Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage,
Zürich 1999, § 7 N 4). Dieser Grundsatz gebietet der Behörde, nach
der wirklichen Sachlage zu suchen; sie darf sich nur auf Sachum-
stände stützen, von deren Vorhandensein sie sich überzeugt hat
(Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 7 N 4). Für das Submissionsverfahren
bedeutet dies, dass die Vergabebehörde aufgrund eines richtig und
vollständig festgestellten Sachverhalts das wirtschaftlich günstigste
Angebot zu ermitteln und über den Zuschlag zu befinden hat.
Grundlagen dafür bilden vorab die von den Anbietenden eingereich-
ten, allenfalls im Rahmen von § 17 SubmD bereinigten Angebote.
Auch Referenzauskünfte - ob und in welchem Umfang eine Verga-
bestelle derartige Auskünfte einholen will, liegt grundsätzlich in
ihrem Ermessen (VGE III/157 vom 26. November 1998 in Sachen
Sch. AG, S. 12 f.) - können der Sachverhaltsermittlung dienen. Refe-
renzen informieren über die Qualität der Arbeitsausführung, die
Terminwahrung, das Geschäftsgebaren eines Anbieters usw. bei
früheren für andere Auftraggeber erbrachten Leistungen. Referenz-
geber sind in diesem Sinne Auskunftspersonen in einem (erst-
instanzlichen) Verwaltungsverfahren, d. h. private Dritte, die nicht
Verfahrensbeteiligte sind und kein schutzwürdiges rechtliches oder
tatsächliches Interesse am Verfahrensausgang besitzen (Kölz/Boss-
hardt/Röhl, a.a.O., § 7 N 20). Im öffentlichen Vergabeverfahren
kommen auch Behörden oder Behördemitglieder als Referenz- bzw.
Auskunftspersonen in Frage. In Lehre und Rechtsprechung wird
festgehalten, dass Auskunftspersonen in der Regel mündlich einzu-
vernehmen sind, und ein Protokoll aufzunehmen ist, das bei wich-
tigen Aussagen von der Auskunftsperson zu unterzeichnen ist. Damit
den Betroffenen das rechtliche Gehör gewährt werden kann, sind
Aussagen von Auskunftspersonen besonders sorgfältig schriftlich
festzuhalten (BGE 101 Ib 276; Kölz/Bosshardt/Röhl, a.a.O., § 7
2000
Verwaltungsgericht
292
N 21). Der durch § 15 Abs. 1 VRPG und - noch weitergehend (vgl.
AGVE 1980, S. 305 f.) - durch Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistete
Anspruch auf rechtliches Gehör dient einerseits der Sachaufklärung
und stellt anderseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht
beim Erlass eines Entscheids dar, der in die Rechtsstellung des
Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Be-
troffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheids zur Sache zu
äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu
nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an
der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich
zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist,
den Entscheid zu beeinflussen (BGE 124 I 52; 122 II 469; 119 Ia
139; 119 V 211; 118 Ia 19). Die Tragweite des Anspruchs auf
rechtliches Gehör im Sinne einer verfahrensrechtlichen Minimal-
garantie bestimmt sich ganz allgemein nach der konkreten Situation
und Interessenlage im Einzelfall (BGE 113 Ia 288). Im Bereich der
Vergabe öffentlicher Aufträge macht der Bewerber selbst ein
Angebot und reicht die entsprechenden Unterlagen ein, um der
Vergabebehörde damit grundsätzlich die nötigen Grundlagen für
ihren Entscheid zu verschaffen. Darüber hinaus kommt ihm - ähnlich
wie bei Examensentscheiden (vgl. BGE 113 Ia 288) - im Submis-
sionsverfahren vor dem behördlichen Entscheid über den Zuschlag
grundsätzlich kein Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs
zu, sondern ein solcher Anspruch kann sich nur sehr beschränkt
zwecks umfassender Sachaufklärung einzelfallweise ergeben (vgl.
VGE III/59 vom 19. August 1997 in Sachen K. AG, S. 8 f.; III/82
vom 3. Oktober 1997 in Sachen J. AG, S. 9 f.). Hingegen besteht
nach erfolgter Eröffnung des Zuschlags der Gehörsanspruch im Sin-
ne eines Einsichts- und Auskunftsrechts der nicht berücksichtigten
Anbieter (§ 20 Abs. 2 SubmD), welches auch die Auskunft über
Referenzangaben bzw. die Einsicht in entsprechende Unterlagen
umfasst. Im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdever-
fahrens schliesslich besteht bezüglich Referenzangaben grundsätz-
2000
Submissionen
293
lich ein umfassendes Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht (vgl. den
vorstehenden Zwischenentscheid vom 16. Februar 2000 in Sachen
der Beschwerdeführerinnen). Der Anspruch auf rechtliches Gehör
besteht somit auch im Submissionsverfahren, zwar (grundsätzlich)
nicht vor der Zuschlagserteilung, wohl aber im Anschluss daran und
erst recht in einem allfälligen Beschwerdeverfahren. Allein schon
dieser Umstand erfordert es, dass über mündlich eingeholte Refe-
renzauskünfte mit der gebotenen Sorgfalt schriftliche Aufzeichnun-
gen erstellt werden. Hinzu kommt, dass die Abklärungen im Zusam-
menhang mit den Referenzen in aller Regel nicht von der Vergabe-
behörde als demjenigen Gremium, das verbindlich über den Zu-
schlag entscheidet, sondern (delegationsweise) von einem einzelnen
Behördemitglied oder vielfach - wie auch im vorliegenden Fall -
sogar von einer mit der Durchführung der Submission beauftragten
Hilfsperson vorgenommen werden. Auch dieser Umstand gebietet
eine sorgfältige aktenmässige Erfassung der eingeholten Referenz-
auskünfte, damit das Entscheidgremium über zuverlässige Beurtei-
lungsgrundlagen verfügt. Generell verlangt der Grundsatz eines
transparenten und fairen, niemanden diskriminierenden Submissions-
verfahrens, dass die Vergabestelle nur auf ernsthafte und sachliche
Auskünfte Dritter abstellt, an deren Richtigkeit sie keine Zweifel hat.
Grundsätzlich zulässig erscheint es aber, die Referenzauskünfte
mündlich einzuholen und anschliessend schriftlich festzuhalten,
wobei eine handschriftliche Notiz an sich durchaus genügt. Wesent-
lich erscheint indes, dass festgehalten wird, wer die Auskunft auf
welche Weise (telefonisch usw.) eingeholt hat, wer die Auskunft er-
teilt hat, wie sie im Wesentlichen gelautet hat und wann sie eingeholt
worden ist. Die von den Beschwerdeführerinnen befürwortete
Beschränkung der Vergabestellen dahingehend, dass nur schriftlich
eingeholte bzw. erteilte Referenzauskünfte überhaupt Berücksich-
tigung finden dürfen, geht dagegen zu weit und lässt sich weder aus
dem Gehörsanspruch noch aus dem Gebot eines fairen und
transparenten Submissionsverfahrens herleiten. In der Literatur wird
2000
Verwaltungsgericht
294
durchaus zutreffend festgestellt, Auskünfte der Parteien oder Dritter
lieferten oft wertvolle Hinweise, ,,zumal Abklärungen in Gesprächs-
form manchmal ein differenzierteres Bild über einen Sachverhalt
vermitteln als förmliche Einvernahmen" (Thomas Merkli / Arthur
Aeschlimann / Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Ver-
waltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 19 N 17).
Entscheidend ist, dass die mündlich eingeholten Auskünfte zuhanden
der Vergabestelle bezüglich der zuschlagsrelevanten Punkte voll-
ständig, sachlich richtig und unmissverständlich festgehalten bzw.
wiedergegeben werden, was eine entsprechend sorgfältig abgefasste
schriftliche Aktennotiz erfordert. Die lediglich mündliche Wieder-
gabe der erhaltenen Auskünfte gegenüber dem Entscheidgremium
durch diejenige Person, welche die Referenzen eingeholt hat, erweist
sich demgegenüber sowohl aus faktischen als auch aus rechtlichen
Gründen als ungenügend. Zum einen ist es eine Tatsache, dass das
Erinnerungsvermögen zeitlich und umfangmässig begrenzt ist,
Informationen vergessen werden, und es sehr rasch auch zu Ver-
wechslungen und Irrtümern kommen kann. Zum anderen geschieht
die Vergabe öffentlicher Aufträge in einem normativ geregelten Ver-
waltungsverfahren; die Vergabestelle ist bei der Ermittlung des
wirtschaftlich günstigsten Angebots an die rechtlichen Vorgaben, wie
sie vor allem im SubmD, aber auch im BGBM und weiteren Erlassen
ihren Niederschlag gefunden haben, gebunden. Die Beschwerdefüh-
rerinnen weisen zu Recht darauf hin, dass die Vergabestelle ver-
pflichtet sei, ,,bei der Festlegung des wirtschaftlich günstigsten An-
gebots korrekte und absolut nachvollziehbare Kriterien herauszuar-
beiten". Der nicht berücksichtigte Anbieter hat auch - wie bereits
ausgeführt - einen Rechtsanspruch darauf, über ihn belastende Refe-
renzauskünfte informiert zu werden. Ebenso muss die allfällig ange-
rufene Rechtsmittelinstanz in der Lage sein, zu überprüfen, ob die
Auskünfte sachlich zutreffen. Auch dies setzt voraus, dass in Bezug
auf die eingeholten Referenzen formelle Mindestanforderungen er-
füllt sind, indem sie aktenmässig zuverlässig und vollständig und
2000
Submissionen
295
auch für Dritte nachvollziehbar erfasst werden, um beim Zuschlag
Berücksichtigung zu finden. | 2,064 | 1,676 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-68_2000-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-68.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-68.pdf | AGVE_2000_68 | null | nan |
cddc15c2-fbae-54cd-b0ff-da3b3cfe0aa3 | 1 | 412 | 871,624 | 1,249,344,000,000 | 2,009 | de | 2009
Gesundheitsrecht
253
IX. Gesundheitsrecht
47 Entbindung
vom
Arztgeheimnis
-
Verhältnis der gesetzlichen Meldepflicht des Art. 15 BetmG und
§ 55b EG ZGB zur ärztlichen Schweigepflicht
-
Bei einer möglichen Gefährdung von Kindern rechtfertigen objektive
Anhaltspunkte eine Entbindung
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 19. August 2009 in
Sachen C.G. gegen M.P. (WBE.2008.270).
Aus den Erwägungen:
II.
1.
1.1.
Gemäss Art. 321 StGB sowie § 30 GesG haben Ärzte Geheim-
nisse, die sie im Rahmen ihrer Berufstätigkeit feststellen, zu wahren.
Von dieser Schweigepflicht können sie sich durch Einwilligung des
Berechtigten oder durch eine Bewilligung, welche im Kanton Aargau
vom DGS erteilt werden kann, befreien lassen. Auch bleiben die eid-
genössischen und kantonalen Bestimmungen über die Zeugnispflicht
und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde vorbehalten
(Art. 321 Ziff. 3 StGB). Da mit der Geheimhaltungspflicht von Be-
rufsgeheimnissen das verfassungsmässige Recht auf Privatsphäre
(Art. 36 BV) geschützt wird, ist die Bewilligung zur Offenbarung des
Berufsgeheimnisses nur zulässig, wenn neben der gesetzlichen
Grundlage, welche sowohl in Art. 321 StGB als auch in § 30 GesG
besteht, das Interesse des Arztes oder der Allgemeinheit an der Of-
fenbarung klarerweise gegenüber dem Interesse des Patienten an der
Geheimhaltung überwiegt und der Grundsatz der Verhältnismässig-
keit eingehalten wird. Die Aufhebung der Geheimhaltungspflicht des
2009
Verwaltungsgericht
254
Arztes bedeutet einen Eingriff in die Geheimsphäre, also in höchst-
persönliche Rechte (Heinz Walter Blass, Die Berufsgeheimhaltungs-
pflicht der Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte, S. 71 ff.; Marc-
Antoine Schaffner, L'autorisation de révéler un secret professionnel,
S. 20 f. und 64; Alexander Sieben, Das Berufsgeheimnis auf Grund
des eidgenössischen Strafgesetzbuches, S. 45). Sie darf nur ganz
ausnahmsweise durchbrochen werden, wenn es zur Wahrung höherer
Interessen unumgänglich ist (vgl. BGE 91 I 200 Erw. 2 f. mit Hin-
weisen).
1.2. - 1.4.(...)
2.
2.1.
Art. 15 Abs. 1 BetmG sieht für Ärzte, die bei Ausübung ihrer
beruflichen Tätigkeit einen Betäubungsmittelmissbrauch feststellen,
ein Melderecht vor. Vorausgesetzt wird weder eine Betäubungsmit-
telsucht noch ein massiver Konsum von Betäubungsmitteln, wie sich
insbesondere aus der von der Beschwerdeführerin zitierten Botschaft
zur Änderung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom
9. Mai 1973, S. 1363 f. (BBl 1973 I 1348-1379) entnehmen lässt. Bei
dieser Revision wurde in Art. 15 Abs. 1 als auch in der Überschrift
der Ausdruck "Betäubungsmittelsucht" durch "Betäubungsmittel-
missbrauch" ersetzt. Als Betäubungsmittelmissbrauch gilt grund-
sätzlich jeder unbefugte Betäubungsmittelkonsum, d.h. ein Konsum
welcher nicht aufgrund einer ärztlichen Anordnung erfolgt (vgl.
Art. 19 f. und Art. 9 f. BetmG). Die konsumierte Menge ist daher
nicht ausschlaggebend. Massgebend ist vielmehr, dass nach ärztli-
cher Einschätzung Betreuungsmassnahmen im Interesse des Patien-
ten, seiner Angehörigen oder der Allgemeinheit angezeigt sind.
Schon im Anfangsstadium des Betäubungsmittelgebrauchs und ohne
dass eine Abhängigkeit oder Sucht vorliegt, können Betreu-
ungsmassnahmen angezeigt sein (Botschaft, a.a.O., 1364).
2.2.
Nach den Akten suchte die Beschwerdeführerin aufgrund eines
Erschöpfungszustandes ihren Hausarzt, Dr. med. X., auf, welcher sie
an den Beschwerdegegner zur psychologischen Betreuung überwies.
Unbestrittenermassen hat die Beschwerdeführerin ihrem damaligen
2009
Gesundheitsrecht
255
Hausarzt, Dr. med. X., und der behandelnden Psychologin in der
Praxis des Beschwerdegegners, Y., mitgeteilt, dass sie übermässig
Alkohol und regelmässig mehrere Joints (15 - 20 Joints pro Tag),
konsumiert. Sie hat ihren erheblichen Betäubungsmittelkonsum und
Alkoholkonsum im Bericht an den Beschwerdegegner unterschrift-
lich bestätigt. In ihrem Schreiben vom (...), in welchem sie ihre Zu-
stimmung zum Bericht von Y. an den Beschwerdegegner widerrief,
führte sie nur an, sie habe zu hohe Mengenangaben gemacht. Damit
ist der Alkohol- und Cannabiskonsum an sich relativiert, aber nicht
ausgeschlossen. Ihre Ausführungen im Schreiben vom (...) können
in Übereinstimmung mit der Vorinstanz nur so verstanden werden,
dass die Beschwerdeführerin lediglich ihre Angaben hinsichtlich der
konsumierten Mengen widerrief. Nicht widerrufen ist damit die Tat-
sache, dass sie Cannabis konsumiere bzw. konsumierte. Auch in der
Stellungnahme vom (...) bestreitet die Beschwerdeführerin den
Konsum nicht. Vielmehr ist auch hier lediglich die Rede von weit
überhöhten Angaben der Beschwerdeführerin betreffend ihres eige-
nen Suchtmittelkonsums. Das Gleiche gilt für die Ausführungen in
der Beschwerdeschrift vom (...). Die gegenteiligen Ausführungen in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erscheinen damit wenig über-
zeugend und auch das Blutanalyseblatt lässt nicht zwingend auf eine
Betäubungsmittelabstinenz schliessen. Analysewerte für die ein-
schlägigen Substanzen (vgl. dazu Art. 2 Abs. 2 VRV) fehlen.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Beschwerdeführerin die
Vornahme einer Blutanalyse zu ihrem Betäubungsmittelkonsum ver-
weigerte und die Behandlung in der Praxis des Beschwerdegegners
vorzeitig abgebrochen hat. Sie lehnte sodann eine Entbindung ihres
Hausarztes Dr. X. vom Arztgeheimnis ab und wechselte zu einem
neuen Hausarzt. Verdachtsmomente eines Alkoholmissbrauchs erge-
ben sich sodann aus dem Bericht des Kantonsspitals (...), wonach
die Beschwerdeführerin während einer Arztkonsultation mit einem
Pflegekind alkoholisiert gewesen sein könnte.
2.3.
Im Zeitpunkt des Entbindungsgesuchs (...) betreute die Be-
schwerdeführerin die leibliche Tochter A., geb. 2002, seit Dezember
2005 den Pflegesohn B., geb. 2004, und seit Dezember 2004 das Ta-
2009
Verwaltungsgericht
256
geskind C., geb. 2002. Zusätzlich beaufsichtigte sie stundenweise
Tageskinder, welche ihr von Z. vermittelt wurden. Aktenkundig sind
massive Erziehungsschwierigkeiten beim Pflegekind.
Die Beschwerdeführerin war vom (...) bis (...) in der Gemein-
schaftspraxis des Beschwerdegegners in Behandlung. Unbestritten
ist, dass die Beschwerdeführerin an einem (grossen) Erschöpfungs-
zustand litt. Ihr Hausarzt verschrieb Psychopharmaka und riet zu ei-
ner psychiatrischen Abklärung und Behandlung. Gegenüber ihrem
Hausarzt und im Verlaufe der psychiatrischen Behandlung gab sie
detailliert Auskunft zu ihrem Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum,
welche den Schluss auf eine Substanzabhängigkeit und einen
Suchtmittelabusus zuliessen. In ihren anamnetischen Angaben schil-
derte sie eine jahrelange Depression mit Angstzuständen. Die Anga-
ben bestätigte sie mit ihrer Unterschrift zum Bericht der behandeln-
den Psychologin.
Aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin, den Feststel-
lungen des Hausarztes und des Beschwerdegegners bzw. der behan-
delnden Psychologin, lagen angesichts der unbestrittenen Belas-
tungssituation der Beschwerdeführerin ausreichende objektive An-
haltspunkte für eine mögliche Gefährdung der von ihr betreuten
Kinder vor. An den ausreichenden Verdachtsgründen vermag der
Widerruf der Angaben zum Betäubungsmittelkonsum und ihrer Un-
terschrift zum Bericht der Psychologin nichts zu ändern. Die Melde-
pflicht in Art. 15 Abs. 1 BetmG hat einen präventiven Charakter. An
den Nachweis des Betäubungsmittelmissbrauchs sind daher keine
hohen Anforderungen zu stellen und er erfordert insbesondere keinen
(Labor-) Nachweis der medizinischen Befunde. Im Einzelfall können
die anamnetischen Angaben eines Patienten oder einer Patientin
durchaus genügen, wenn sie glaubhaft erscheinen und eine zulässige
Grundlage für eine medizinische Diagnose bilden. Der Beschwerde-
führerin kann daher nicht gefolgt werden, wenn sie ihrem Widerruf
eine grössere Bedeutung beimessen will, als den gegenüber Hausarzt
und - während Monaten - dem Beschwerdegegner bzw. der behan-
delnden Psychologin gegenüber aufrecht erhaltenen, unterschriftlich
bestätigten Angaben zu ihrer psychischen Verfassung und ihrem
Suchtverhalten. Der Widerruf erfolgte zudem nach Darstellung der
2009
Gesundheitsrecht
257
Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten im Zusammenhang mit der
ultimativen Aufforderung des Beschwerdegegners zu einer Blutana-
lyse und stand offensichtlich bereits mit dem Behandlungsabbruch
im Zusammenhang. Ziel der Blutanalyse war nachgerade die zuver-
lässige Feststellung der Sucht und damit die Verifizierung der Anga-
ben der Beschwerdeführerin. Ihre Weigerung und der Behandlungs-
abbruch konnten damit auch eine zusätzliche Selbst- oder Drittge-
fährdung nahelegen oder zumindest anfängliche Verdachtsmomente
verstärken. Wie es sich damit verhält, ist unter diesen Umständen
nicht abschliessend zu untersuchen. Zur Gefährdungsmeldung nach
dem Betäubungsmittelgesetz sind die Ärzte ermächtigt, wenn sie
aufgrund einer medizinischen Diagnose eine Betreuungsmassnahme
u.a. im Interesse des Patienten und seiner Angehörigen als angezeigt
erachten. Die gesetzliche Ermächtigung räumt den Ärzten ein Er-
messen bei der Einschätzung des Gefährdungspotenzials ein. Soweit
Drittpersonen das Verhalten der Beschwerdeführerin nachträglich als
"Hilferuf" bezeichnen und vortragen, sie habe in ihrer Schilderung
masslos übertrieben, kann dem Beschwerdegegner keine falsche Ein-
schätzung vorgeworfen werden. Gerade solche "Hilferufe" können
auch Anlass zu Betreuungsmassnahmen bilden. Die Angaben der
Beschwerdeführerin zur konkreten Lebens- und Familiensituation
konnten vom Beschwerdegegner naturgemäss nur beschränkt auf ih-
ren Wahrheitsgehalt geprüft werden, und Anlass zu Zweifeln an ihrer
Glaubwürdigkeit ergab sich allenfalls, als sie ihre Angaben widerrief.
Im Hinblick auf die Gefährdungssituation und die Notwendigkeit
von Betreuungsmassnahmen konnte der Widerruf daher durchaus ei-
nen weiteren Anlass zur Abklärung durch die zuständigen Behörden
geben. Die Meldung gemäss Art. 15 Abs. 1 BetmG soll gerade die
Möglichkeit zur rechtzeitigen Abklärung einer möglichen Gefähr-
dung gewährleisten. Die Meldestellen unterstehen dem Amts- und
Berufsgeheimnis (vgl. Art. 15 Abs. 2 BetmG). Unter diesen Umstän-
den das Gesuch um Entbindung vom Arztgeheimnis zu stellen, ist
daher nicht zu beanstanden. Hinzu kommt, dass das Gesuch um Ent-
bindung sich auch deshalb rechtfertigte, weil Art. 15 BetmG i.V.m.
der kantonalen Bestimmung in § 11 der Vollziehungsverordnung zum
Bundesgesetz über die Betäubungsmittel vom 3. September 1953
2009
Verwaltungsgericht
258
(VVO BetmG) den Arzt in schweren Fällen zur Meldung verpflich-
tet.
Eine niedrige Schwelle ist grundsätzlich bei der Beurteilung der
Gefährdung von Kleinkindern angezeigt. Der Arzt, welcher eine Pa-
tientin mit Betreuungs- und Obhutspflichten von Kleinkindern be-
handelt, verfügt in der Regel nicht über die notwendigen Informa-
tionen zur Beurteilung einer konkreten Gefährdung, noch ist er für
diese Abklärungen zuständig. Die Gefährdungsmeldung hat vielmehr
den Zweck die zuständigen Behörden auf eine mögliche Gefahr für
das Kindeswohl aufmerksam zu machen. Dem Schutzzweck zum
Wohl des Kindes dienen auch die bundes- und kantonalrechtlichen
Bestimmungen im Kindesrecht. Ist ein Kind gefährdet und sorgen die
Eltern nicht von sich aus für Abhilfe oder sind sie dazu ausserstande,
so trifft die Vormundschaftsbehörde die geeigneten Massnahmen
zum Schutz des Kindes (Art. 307 Abs. 1 ZGB). Die Kantone sichern
durch geeignete Vorschriften die zweckmässige Zusammenarbeit der
Behörden und Stellen auf dem Gebiet des zivilrechtlichen Kindes-
schutzes, des Jugendstrafrechts und der übrigen Jugendhilfe
(Art. 317 ZGB). Im Kanton Aargau gilt, aufgrund dieser bundes-
rechtlichen Vorgaben, ein Melderecht und eine Meldepflicht. Gemäss
§ 55b Abs. 1 EG ZGB ist "jedermann" berechtigt, die Gefährdung
von Kindern der Vormundschaftsbehörde zu melden. Abs. 2 dieser
Bestimmung verpflichtet Behörden und Beamte zu einer solchen
Meldung. Bei objektiven Anhaltspunkten für eine Gefährdung des
Kindeswohls kann der Arzt daher eine Gefährdungsmeldung an die
Vormundschaftsbehörde richten. Das gesetzliche Melderecht im
kantonalen Recht begründet, wie Art. 15 Abs. 1 BetmG, einen Recht-
fertigungsgrund gemäss Art. 14 StGB und berechtigt den Geheim-
nisträger jedenfalls eine Bewilligung bei der vorgesetzten Behörde
zu beantragen (Brigitte Tag, in: Moritz W. Kuhn/Thomas Poledna,
Arztrecht in der Praxis, 2. Aufl., Zürich 2007, 13. Kapitel, V.1.e/cc,
S. 754). Ob dieses Melderecht sogar die Entbindung vom Berufsge-
heimnis durch die vorgesetzte Behörde unnötig macht, wie dies ein
Teil der Lehre vertritt, kann hier offen bleiben (vgl. Brigitte Berger
Kurzen; E-Health und Datenschutz, Rz. 199). Der Hinweis des Be-
schwerdeführers auf die in der VVO BetmG vorgesehene Zuständig-
2009
Gesundheitsrecht
259
keit des Kantonsarztes für die Meldung nach Art. 15 BetmG ist daher
nicht relevant.
Der nach Darstellung der Beschwerdeführerin bloss vorgescho-
bene regelmässige und übermässige Cannabis- und Alkoholkonsum
begründete, aufgrund des unbestrittenen Erschöpfungszustands der
Beschwerdeführerin, ausreichende Verdachtsmomente für eine Mel-
dung, selbst wenn die Mengenangaben nachträglich bestritten wur-
den und nicht zutreffen. Nicht zu beanstanden sind daher die Fest-
stellungen der Vorinstanz zur Überlastungssituation und zum aus-
reichenden Gefährdungsverdacht. Aufgrund der objektiv möglichen
und nicht auszuschliessenden Gefährdung der drei Kinder wurde das
Interesse an der Entbindung vom Berufsgeheimnis zu Recht höher
als das Interesse der Beschwerdeführerin an der Wahrung ihrer
Geheimnissphäre eingestuft. Von einer ungenügenden, weil zu vagen
Verdachtslage kann nicht die Rede sein, auch wenn rückblickend die
Beurteilung des Beschwerdegegners unzutreffend war oder die Vor-
mundschaftsbehörde den Verdacht nicht bestätigen konnte. Dem Be-
schwerdegegner stand bei der Beurteilung einer möglichen Gefähr-
dung der Kinder, welche der Beschwerdeführerin anvertraut waren,
ein erhebliches Ermessen zu. Im Zweifelsfall ist eine Gefährdungs-
meldung im Interesse der Kinder angebracht, wenn nicht geboten. Im
massgebenden Gesuchszeitpunkt waren daher die Voraussetzungen
für eine Entbindung gegeben, zumal die Beschwerdeführerin die me-
dizinische Verifizierung selbst verhinderte. | 3,117 | 2,446 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-47_2009-08-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-47.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-47.pdf | AGVE_2009_47 | null | nan |
cde8e2ec-bec5-5899-86b2-ea7a35200b91 | 1 | 412 | 871,283 | 1,130,976,000,000 | 2,005 | de | 2006
Verwaltungsgericht
178
35
Nutzungsweise in der Landwirtschaftszone.
-
Trennung zwischen der Frage der Baubewilligungspflicht und jener
der materiellen Rechtmässigkeit der Nutzung (Erw. 2).
-
Eine Nutzung als Blumenwiese oder Rasen stellt keine landwirt-
schaftliche Nutzung im Sinne von Art. 16 RPG dar (Erw. 3).
-
Fehlen der Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 24 RPG (Erw. 4).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 8. November 2005 in
Sachen Einwohnergemeinde Dintikon gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. 1.1. Die Beschwerdegegner haben gestützt auf die Baubewil-
ligung des Gemeinderats Dintikon vom 22. Juli 2002 auf der Parzelle
Nr. 1032 eine zweigeschossige Wohnbaute realisiert. Das Grundstück
liegt gemäss dem Zonenplan der Gemeinde Dintikon vom 30. Mai /
28. Oktober 1997 in der Wohnzone 2. Streitgegenstand im Verfahren
vor Verwaltungsgericht bildet die Nutzung einer südlich an die Par-
zelle Nr. 1032 angrenzenden, auf der Parzelle Nr. 170 gelegenen
Teilfläche von ca. 44 m
2
. Die im Eigentum von R. stehende Parzelle
Nr. 170 liegt gemäss dem Kulturlandplan der Gemeinde Dintikon
vom 23. November 1992 / 21. Dezember 1993 in der Landwirt-
schaftszone. Die Beschwerdegegner haben mit der Eigentümerin per
1. März 2003 einen mündlichen Pachtvertrag auf 10 Jahre zur Nut-
zung und Bewirtschaftung dieses Landstücks abgeschlossen; (...).
1.2. Die Beschwerdegegner haben auf der in Frage stehenden
Landfläche Rasen gesät sowie vier bis fünf einheimische Sträucher
und einen Niederstammapfelbaum gepflanzt. Zusätzlich haben sie im
südöstlichen Bereich der Rasenfläche zwei Gartenbeete angelegt,
welche durch locker gesetzte und begehbare Gartenplatten voneinan-
der abgetrennt sind.
2. Das Baudepartement hat die Streitfrage, ob die Nutzung der
gepachteten Landfläche der in der Landwirtschaftszone zulässigen
Nutzungsweise entspreche, auf die Frage fokussiert, ob eine baube-
2006
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
179
willigungspflichtige Massnahme vorliege. Nach Prüfung aller dies-
bezüglichen Gesichtspunkte ist es zum Schluss gelangt, es bestehe
"insgesamt keine Veranlassung, den vorliegenden Sachverhalt einem
Baubewilligungsverfahren zu unterwerfen". Die Beschwerdegegner
schliessen sich dieser Betrachtungsweise an; die Frage, ob eine be-
stimmte Nutzung zonenkonform sei, stelle sich erst, wenn die Frage
nach der Baubewilligungspflicht der Nutzung bejaht werde.
Bauten und Anlagen dürfen nur mit behördlicher Bewilligung
errichtet oder geändert werden (Art. 22 Abs. 1 RPG). Alle Bauten
und ihre im Hinblick auf die Anliegen der Raumplanung, des Um-
weltschutzes oder der Baupolizei wesentliche Umgestaltung, Erwei-
terung oder Zweckänderung bedürfen der Bewilligung durch den
Gemeinderat (§ 59 Abs. 1 BauG). Nach der in Rechtsprechung und
Lehre üblichen Umschreibung gelten als "Bauten und Anlagen" je-
denfalls jene künstlich geschaffenen und auf Dauer angelegten Ein-
richtungen, die in bestimmter fester Beziehung zum Erdboden stehen
und die Nutzungsordnung zu beeinflussen vermögen, weil sie entwe-
der den Raum äusserlich erheblich verändern, die Erschliessung be-
lasten oder die Umwelt beeinträchtigen (BGE 123 II 259 mit Hin-
weisen; AGVE 2001, S. 287 mit zahlreichen weiteren Hinweisen).
Aufgrund dieser Umschreibung ist offenkundig, dass die in Frage
stehende Nutzung keinen baubewilligungspflichtigen Tatbestand dar-
stellt; insoweit schliesst sich das Verwaltungsgericht der Meinung
des Baudepartements an. Wie die Beschwerdeführerin nun aber zu
Recht einwendet, greift dieser Ansatz zu kurz, weil hier nur die
(materielle) Rechtmässigkeit der Nutzung das Thema ist und die
Baubewilligungspflicht mit dieser Beurteilung nicht direkt zusam-
menhängt, sondern ausschliesslich der vorgängigen Kontrolle eines
Bauvorhabens durch die Behörde dient (AGVE 2001, S. 288 mit
Hinweisen). Wird durch die Errichtung von Bauten ohne Bewilli-
gung, unter Verletzung einer solchen
oder auf andere Weise
ein un-
rechtmässiger Zustand geschaffen, so kann in allen Fällen - also auch
wenn keine Baubewilligungspflicht besteht - die Herstellung des
rechtmässigen Zustands angeordnet werden (§ 159 Abs. 1 BauG);
vorgängig muss selbstredend geprüft werden, ob ein Widerspruch
mit dem objektiven Recht vorliegt (AGVE 1996, S. 326 mit Hinwei-
2006
Verwaltungsgericht
180
sen; siehe auch § 30 Abs. 3 Satz 1 ABauV). Diese Prüfung ist auch
hier vorzunehmen.
3. 3.1. Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RPG (in der Fassung vom
20. März 1998) umfassen Landwirtschaftszonen Land, das sich für
die landwirtschaftliche Bewirtschaftung oder den produzierenden
Gartenbau eignet und zur Erfüllung der verschiedenen Aufgaben der
Landwirtschaft benötigt wird (lit. a) oder das im Gesamtinteresse
landwirtschaftlich bewirtschaftet werden soll (lit. b). Die landwirt-
schaftliche Bewirtschaftung umfasst einerseits die bodenabhängige
und bodenunabhängige Erzeugung von pflanzlichen und tierischen
Produkten und anderseits die Pflege von ökologischen Ausgleichs-
flächen (Peter Hänni, Planungs-, Bau- und besonderes Umwelt-
schutzrecht, 4. Auflage, Bern 2002, S. 171 mit Hinweisen). In Bezug
auf den Gartenbau ist dabei festzuhalten, dass in der Landwirt-
schaftszone nur derjenige Gartenbau als zonenkonform anerkannt
wird, der in Arbeitsweise und Landbedarf mit der landwirtschaftli-
chen Nutzung vergleichbar ist und zur Bewirtschaftung freien Lan-
des eine hinreichend enge Beziehung aufweist. Gemeint sind dabei
vorab Freilandgärtnereien, welche Pflanzen in Treibhausanlagen vor-
ziehen und später in offenes Land versetzen. Dagegen gelten Be-
triebe in der Landwirtschaftszone, die überwiegend mit künstlichem
Klima unter ständigen, festen Abdeckungen arbeiten, nicht als zo-
nenkonform. Vielmehr sind nur überwiegend bodenabhängig produ-
zierende Gartenbaubetriebe in der Landwirtschaftszone zugelassen,
wobei darunter Betriebe zu subsumieren sind, die bei gesamthafter
Betrachtung ihres langfristigen Bewirtschaftungskonzepts und der zu
dessen Realisierung eingesetzten Mittel als Freilandbetriebe qualifi-
ziert werden können (BGE 125 II 281). Mithin gehört bloss gestal-
tender und nichtproduzierender Gartenbau nicht dazu (Hänni, a.a.O.).
3.2. Die streitbetroffene Nutzung der gepachteten Flächen auf
der Parzelle Nr. 170 kann unzweifelhaft nicht dem Gartenbau im
vorgenannten Sinne zugerechnet werden. Das Baudepartement hat
diese Nutzung unter Verweisung auf BGE 112 Ib 404 ff. unter den
Begriff der Freizeitlandwirtschaft subsumiert. Im erwähnten Ent-
scheid hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der
Zulässigkeit eines Gerätehäuschens in der Landwirtschaftszone aus-
2006
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
181
geführt, der Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 lit. a RPG lasse die Frage
offen, ob auch "Hobbylandwirtschaft" als landwirtschaftliche Nut-
zung gelten könne. Es kam jedoch in Würdigung der einschlägigen
kantonalen und kommunalen Bestimmungen sowie im Lichte von
Art. 3 Abs. 2 lit. a RPG zum Schluss, dass ein solches Geräte-
häuschen nicht landwirtschaftszonenkonform sei, da es bloss hobby-
mässiger Bodennutzung diene (BGE 112 Ib 406). Das Bundesgericht
hat zudem in nicht veröffentlichten Entscheiden festgehalten, dass
die Bewirtschaftung des Bodens als solche noch nicht ausreichend
sei, um eine landwirtschaftliche Nutzung im Sinne von Art. 16 RPG
anzunehmen. Vielmehr müsse die Aktivität des Bewirtschafters in
einem bestimmten Umfang ökonomisch rentabel sein. Eine reine
Hobbylandwirtschaft könne jedenfalls nicht als landwirtschaftliche
Nutzung qualifiziert werden. Diese Grundsätze gelten nach Auffas-
sung des Bundesgerichts auch nach der Revision des RPG vom
20. März 1998, was in Art. 34 Abs. 5 RPV zum Ausdruck komme,
wonach Bauten und Anlagen für die Freizeitlandwirtschaft nicht als
zonenkonform gelten (BGE vom 20. September 2002 [1A.104/2002],
Erw. 2.2 mit Hinweis auf die nicht publizierten BGE vom 20. Mai
1998 [1A.296/1997], Erw. 3/a, und vom 23. März 1994
[1A.37/1993], Erw. 3/e).
3.3. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts lässt mithin keinen
Zweifel daran offen, dass die Nutzung der gepachteten Fläche auf der
Parzelle Nr. 170 als Blumenwiese oder Rasen nicht als landwirt-
schaftliche Nutzung im Sinne von Art. 16 RPG qualifiziert werden
kann und damit nicht zonenkonform ist: Weder betreiben die Be-
schwerdegegner in ökonomisch relevanter Weise (siehe dazu Hänni,
a.a.O., S. 168), d.h. auf der Grundlage eines langfristigen Bewirt-
schaftungskonzepts eine bodenabhängige Produktion von Landwirt-
schafts- oder Gartenbauerzeugnissen, noch ist die allenfalls - wenn
überhaupt - als Freizeitlandwirtschaft zu bezeichnende Form ihrer
Wiesenbewirtschaftung bundesrechtlich bzw. aufgrund der bundesge-
richtlichen Rechtsprechung als landwirtschaftszonenkonforme Tätig-
keit zu qualifizieren. In Anbetracht ihrer geringen Grösse von ca.
44 m
2
fällt die streitbetroffene Pachtfläche auch nicht unter das land-
wirtschaftliche Pachtrecht, da sie die gesetzlich geforderte Mindest-
2006
Verwaltungsgericht
182
fläche von 25 Aren klar unterschreitet (siehe Art. 2 Abs. 1 lit. b
LPG).
4. 4.1. Durch die Nutzungsplanung werden die Gebrauchsmög-
lichkeiten des Bodens unmittelbar, d.h. mit rechtsverbindlicher Wir-
kung für jeden Grundeigentümer, eingeschränkt (Thierry Tanquerel,
in: Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Art. 21
Rz. 6 f. und 18 f.; Hänni, a.a.O., S. 191; Walter Haller / Peter Karlen,
Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Band 1, 3. Auflage, Zürich
1999, Rz. 228). Die Verbindlichkeit der Nutzungspläne gilt insoweit
nicht absolut, als ausnahmsweise auch nicht zonenkonforme Nutzun-
gen bzw. die Erstellung nicht zonenkonformer Bauten und Anlagen
gestattet werden darf, wobei ein Abweichen vom Gebot der Zonen-
konformität ausserhalb der Bauzonen in jedem Fall nur nach Mass-
gabe der Art. 24 ff. RPG (in der Fassung vom 20. März 1998) mög-
lich ist. In Bezug auf zonenwidrige
Nutzungen
, welche wie erwähnt
als solche keiner Baubewilligungspflicht unterstehen (vorne Erw. 2),
normiert das Bundesrecht keine besonderen Ausnahmebestimmun-
gen. Wenn allerdings Bauten und Anlagen nach Massgabe von Art.
24 RPG einer Ausnahmebewilligung zugänglich sind, muss dies nach
den Grundsätzen in maiore minus und per analogiam auch für zonen-
widrige Bodennutzungen gelten, welche ohne Bauten oder Anlagen
ausserhalb der Bauzonen ausgeübt werden.
4.2. Art. 24 RPG setzt für eine Ausnahmebewilligung voraus,
dass der Zweck der Bauten und Anlagen einen Standort ausserhalb
der Bauzonen erfordert (lit. a) und keine überwiegenden Interessen
entgegenstehen (lit. b). Nach der bundesgerichtlichen Recht-
sprechung darf die Standortgebundenheit nur bejaht werden, wenn
eine Baute aus technischen oder betriebswirtschaftlichen Gründen
oder wegen der Bodenbeschaffenheit auf einen bestimmten Standort
ausserhalb der Bauzone angewiesen ist; dabei beurteilen sich die
Voraussetzungen nach objektiven Massstäben, und es kann weder auf
die subjektiven Vorstellungen und Wünsche des Einzelnen noch auf
die persönliche Zweckmässigkeit und Bequemlichkeit ankommen
(BGE 111 Ib 217 E. 3b mit Hinweisen). Eine derartige Standortge-
bundenheit für die streitbetroffene Nutzung des Landwirtschaftslands
als Rasenfläche ist vorliegendenfalls weder ersichtlich noch darge-
2006
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
183
tan. Zudem kommt dem Interesse der Beschwerdegegner an der Nut-
zung des Pachtlandes als Rasen mit einheimischen Sträuchern und
einem Obstbaum sowie Gemüsebeeten zu nicht- bzw. bloss hobby-
landwirtschaftlichen Zwecken ein geringes Gewicht zu. Dem steht
ein erhebliches öffentliches Interesse daran entgegen, dass die Land-
wirtschaftszone nicht für zonenfremde Nutzungen missbraucht wird.
Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, ist nicht zu überse-
hen, dass mit einer Bestätigung des vorinstanzlichen Entscheids ein
Präjudiz für Erweiterungen von Hausgärten zu Lasten des Kulturlan-
des geschaffen würde. Nachdem das Bundesgericht an der strikten
Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet festhält und etwa die Er-
schliessung von Wohnhäusern in der Landwirtschaftszone nach wie
vor ablehnt (BGE vom 31. August 2005 [1A.256/2004], Erw. 5),
steht dem Interesse der Beschwerdegegner ein überwiegendes öf-
fentliches Interesse entgegen, so dass auch unter diesem Gesichts-
winkel gesehen eine Ausnahmebewilligung ausgeschlossen ist (Bun-
desgericht, in: ZBl 103/2002, S. 364 mit Hinweis; AGVE 2001,
S. 280 mit Hinweis). | 2,824 | 2,217 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2006-35_2005-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-35.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-35.pdf | AGVE_2006_35 | null | nan |
ce78b190-1699-572f-9053-2b38d0e96ad4 | 1 | 412 | 870,705 | 957,398,400,000 | 2,000 | de | 2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
203
VII. Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
[...]
55
Planungsermessen der Gemeinde. Rechtsschutz im Beschwerdeverfahren.
- Das Ermessen der Planungsträger ist auch im Falle einer (erstmali-
gen) Teilgenehmigung einer Nutzungsplanung verbunden mit einer
Rückweisung nicht eingeschränkt. Aus Art. 21 RPG ergibt sich keine
Kognitionsbeschränkung der Beschwerdeinstanz.
- Der Rechtsschutzanspruch verlangt eine volle Überprüfung des kom-
munalen Planungsentscheids, insbesondere der Ermessensbetätigung.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 31. Mai 2000 in
Sachen R.F. und Mitbeteiligte gegen Entscheid des Regierungsrats und Ent-
scheid des Grossen Rats.
Aus den Erwägungen
3. a) Die Beschwerdeführer machen geltend, die Einzonung der
umstrittenen Teilfläche von 800 m
2
sei innerhalb der Gemeinde nie
2000
Verwaltungsgericht
204
diskutiert worden, und sie hätten sich auch innerhalb des Planungs-
verfahrens nicht dazu äussern können.
b) Die Gemeinden erlassen allgemeine Nutzungspläne und all-
gemeine Nutzungsvorschriften, die das Gemeindegebiet in ver-
schiedene Nutzungszonen einteilen und Art und Mass der Nutzung
regeln (§ 13 Abs. 1 BauG). Die Gemeinden schützen die Landschaf-
ten von kantonaler Bedeutung im allgemeinen Nutzungsplan, kon-
kretisieren die Ziele, legen die Rechtswirkungen fest und bezeichnen
die genaue Gebietsabgrenzung. Sie können auch Schutzzonen
ausscheiden für schützenswerte Lebensräume von kommunaler Be-
deutung (§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 lit. e BauG i.V.m. § 8 Abs. 1 NLD).
Die Bewertung der Schutzwürdigkeit der Biotope von lokaler Be-
deutung hat sich nach den die Kriterien in § 6 Abs. 3 NLD zu richten.
Auch der Aspekt des ökologische Ausgleichs im Sinne von Art. 18b
NHG ist bei der Planung zu berücksichtigen (§ 13 und § 14 NSV).
Die Gemeinden besitzen bei der Ausscheidung lokaler Schutzzonen
ein weites Ermessen.
c) Das Planungsermessen der Gemeinde ist nach der Rechtspre-
chung des Verwaltungsgerichts auch im Falle einer (erstmaligen)
Teilgenehmigung einer Nutzungsplanung verbunden mit einer Rück-
weisung nicht eingeschränkt (vgl. AGVE 1996, S. 304 ff., ins-
besondere Erw. II/1b/bb). Bei der Rückweisung mit einem bestimm-
ten Auftrag handelt es sich grundsätzlich nicht um verbindliche An-
weisungen. Soweit nach den Grundsätzen der Raumplanung eine
Entscheidungsfreiheit besteht, hat die Gemeinde bei der Überarbei-
tung der Nutzungsplanung die ihr - auch auf Grund der Gemeinde-
autonomie (§ 106 KV) - zustehende Gestaltungsfreiheit. Im Rahmen
der Überarbeitung sind die Verfahrensvorschriften (§§ 22 ff. BauG),
die Planungsgrundsätze und Planungsvorschriften des Raumpla-
nungsrechts einzuhalten. Dies gilt im Besonderen für die Interessen-
abwägung (Art. 3 Abs. 1 RPV). Auch im "zweiten Umgang" sind die
Interessen zu ermitteln, zu beurteilen und zu optimieren (Pierre
Tschannen, in: Heinz Aemissegger/Alfred Kuttler/Pierre Moor/Ale-
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
205
xander Ruch [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raum-
planung [Kommentar RPG], Zürich 1999, Art. 3 N 24 ff.). Bei einer
Teilgenehmigung mit Rückweisung eines total revidierten Nutzungs-
planes ist das Rechtssetzungsverfahren für die nicht genehmigten
Planungsteile nicht abgeschlossen. Die Gestaltungsfreiheit der Ge-
meinde ist im Rahmen der ihr von der Genehmigungsinstanz auf-
erlegten Überarbeitung deshalb auch nicht auf eine Anpassung und
Überarbeitung nach Art. 21 Abs. 2 RPG eingeschränkt.
d) Zur Planung nach der Rückweisung durch den Grossen Rat
und zum Rechtsschutzverfahren des revidierten Nutzungsplanes er-
gibt sich Folgendes:
aa) Mit Schreiben vom 13. April 1993 ersuchte der Gemeinde-
rat W. das Baudepartement, das weitere Vorgehen in der Angelegen-
heit aufzuzeigen. Das Baudepartement äusserte sich mit Schreiben
vom 22. April 1993 dahingehend, dass nach den Auflagen im Ge-
nehmigungsentscheid des Grossen Rates vom 5. Januar 1993 kein
Planungsspielraum für eine Zonierung als Bauzone bestehe. Für die
vom Grossen Rat verlangte Zonierung als "geeignete Nichtbauzone"
bestünden zwei Möglichkeiten: die Zonierung als Magerwiese oder
als Alternative eine Landwirtschaftszone überlagert mit einer Land-
schaftsschutzzone. Die Abteilung Raumplanung ergänzte diese An-
weisung mit dem Hinweis, dass ein, von dieser Anweisung abwei-
chender Antrag des Gemeinderates zu Handen der Gemeindever-
sammlung zur Nichtgenehmigung und (direkten) Zuweisung zu einer
Nichtbauzone durch den Grossen Rat führen würde. Aus diesen
Äusserungen kann geschlossen werden, dass schon das Baudeparte-
ment von einer fehlenden Gestaltungsfreiheit der Gemeinde ausging.
Diese Anweisungen veranlassten jedenfalls den Gemeinderat W.
davon auszugehen, dass sie im ganzen Gebiet "Stückhalde" keinen
Planungsspielraum mehr besitze. Anlässlich der Verhandlung vor
Verwaltungsgericht erklärte der Vertreter des Gemeinderats, dieser
sei zudem davon ausgegangen, dass die Gemeinde keine Entschei-
2000
Verwaltungsgericht
206
dungsfreiheit mehr gehabt habe, und das gesamte Gebiet nur einer
geeigneten Nichtbauzone habe zuweisen können.
Die Einsprachen der Beschwerdeführer wurden in der Folge
ausschliesslich unter Hinweis auf die kantonalen Vorgaben abgewie-
sen. Am 13. Juni 1997 beschloss die Einwohnergemeindeversamm-
lung W. die Änderung des Bauzonen- und Kulturlandplanes und wies
das ganze Gebiet "Stückhalde" der Magerwiesenzone zu. Eine Prü-
fung und Beurteilung der fraglichen 800 m
2
der vormals 1. Bautiefe
gemäss Zonenplan 1969 fand aufgrund der - vermeintlichen - Bin-
dung an die Vorgaben des Grossen Rates nicht mehr statt.
Mit Beschluss vom 31. März 1998 genehmigte der Grosse Rat
den Bauzonenplan, den Kulturlandplan sowie die BNO der Ge-
meinde W. Die Prüfung der Genehmigungsbehörde beschränkt sich
auf Rechtsmässigkeit, Übereinstimmung mit den kantonalen Richt-
plänen und der angemessenen Berücksichtigung kantonaler und re-
gionaler Interessen (§ 27 Abs. 2 BauG). Eine Überprüfung und Be-
urteilung reiner kommunaler Interessen fanden im Genehmigungs-
verfahren nicht statt (vgl. Protokoll des Grossen Rates vom 31. März
1998, Art. 550).
Damit steht fest, dass für die umstrittene Teilfläche ein materiel-
ler Planungsentscheid der Gemeinde fehlt.
bb) Der Regierungsrat ging in seinen Erwägungen im Be-
schwerdeentscheid davon aus, dass der Gemeinde beim Grund-
satzentscheid keine erhebliche Entscheidungsfreiheit zukomme, zu-
mindest dann nicht, wenn nicht neue Erkenntnisse, bzw. Tatsachen
eine Anpassung des Nutzungsplanes im Sinne von Art. 21 Abs. 2
RPG begründen. Die Zuweisung der umstrittenen Teilfläche in die
Zone Magerwiese erachtete er auf Grund der lokalen Schutzwürdig-
keit begründet.
aaa) Im Rechtschutzverfahren nach § 26 BauG ist eine vollum-
fänglich Überprüfung des Planungsentscheides der Gemeinde ein-
schliesslich der Ermessenskontrolle (Art. 33 Abs. 3 lit. b. RPG; § 26
i.V.m. § 4 Abs. 1 BauG und § 49 VRPG) vorgeschrieben. Dieser
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
207
Rechtsschutzanspruch setzt voraus, dass ein materieller Planungsent-
scheid vorliegt, der überprüft werden kann. Nach dem Planungsab-
lauf und den übereinstimmenden Angaben an der Augenscheinsver-
handlung hat die Gemeinde die Planung auf die Umsetzung der ver-
meintlich unverrückbaren Auflage des Grossen Rates beschränkt.
Eine Prüfung und Beurteilung des umstrittenen Teilgebietes nach den
Grundsätzen des RPG und BauG (Art. 2 Abs. 3, 15 und 17 RPG und
§§ 13 und 15 BauG) hat nicht stattgefunden, noch wurden die öf-
fentlichen Interessen für das umstrittene Teilstücke unter Art. 15
RPG und den massgebenden Natusschutzaspekten von der Gemeinde
festgestellt. Soweit beim vorliegenden Vollzug des Rückweisungs-
auftrages von einem materiellen Planungsentscheid gesprochen wer-
den kann, wurde auch der massgebende Sachverhalt unvollständig
festgestellt. Die Gemeinde W. hat das Bedürfnis nach einem lokalen,
das Schutzgebiet "Sunneberg" ergänzendes und auf die Teilfläche
auszudehnendes Naturschutzgebiet nie geltend gemacht.
bbb) Die Zurückhaltung der Beschwerdeinstanz bei der Beurtei-
lung von kommunalen Interessen schliesst die Pflicht zur vollen
Überprüfung des Planungsentscheides nicht aus (vgl. Pierre
Tschannen, in: Kommentar RPG, a.a.O., Art. 2 N 60 ff.), sondern
bedeutet, dass der Gemeinde ihre Gestaltungsfreiheit in der Planung
zu belassen ist (vgl. BGE 121 I 122; BGE 116 IA 221 Erw. 2c). Vo-
raussetzung einer Überprüfung - und damit für den Rechtschutzan-
spruch des Betroffenen - ist in jedem Fall, dass die Gemeinde die
planerischen Entscheidungen getroffen hat. Das ist in vorliegenden
Fall nicht geschehen, indem die Gemeinde ihre Planung auf den
blossen Vollzug der Auflage aus dem Rückweisungsentscheid be-
schränkte. Eine Prüfung und Abwägung der Interessen für die von
den Beschwerdeführern beantragten 800 m
2
nach den Kriterien von
Art. 15 RPG und der möglichen Naturschutzinteressen fanden nicht
statt. Damit hat es der Planungsträger, die Gemeinde W., unterlassen,
eine RPG-konforme Planung mit vollständiger Interessenabwägung
durchzuführen. Ein solcher Planungsentscheid verletzt die Rechte
2000
Verwaltungsgericht
208
des Grundeigentümers; der Beschwerdeentscheid, der eine solche
Planung schützt, seinen Rechtschutzanspruch.
ccc) Die Gemeinde als Planungsträgerin hat auch ihr Planungs-
ermessen bei der Ausscheidung der Naturschutzzone im umstrittenen
Teilgebiet nicht ausgeübt. Die Ermessen betrifft insbesondere die
Abgrenzung des Baugebietes und der Naturschutzzone auf den
800 m
2
. Die Ermessensunterschreitung ist eine Rechtsverletzung
(Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwal-
tungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, Rz. 382 f.). Der Beschwerde-
entscheid, der diese Ermessensunterschreitung schützt, verletzt auch
in dieser Hinsicht den Anspruch auf volle Überprüfung einer Nut-
zungsplanung im Rechtschutzverfahren.
ddd) Entgegen der Auffassung des Regierungsrates ergibt sich
aus Art. 21 RPG keine Kognitionsbeschränkung der Beschwerde-
instanz. Die Änderung und Anpassung von Nutzungsplänen nach
dieser Bestimmung betrifft nur Nutzungspläne bei denen das (mate-
rielle) Rechtssetzungsverfahren abgeschlossen ist (vgl. AGVE 1991,
S. 119 ff. Erw. ccc). Bei einer Teilgenehmigung ist das Nutzungs-
planverfahren für das von einer Rückweisung betroffene Gebiet nicht
abgeschlossen, weshalb weder die Gemeinde bei der Überarbeitung
des Planes im zweiten Umgang, noch die Beschwerdeinstanz bei der
Überprüfung die Beurteilung auf die Voraussetzungen des Art. 21
RPG (vgl. Thierry Tanquerel, in: Kommentar RPG, Art. 21 N 28 ff.)
beschränken können.
e) Zusammenfassend sind die Beschwerden aus diesen Gründen
für die umstrittene Teilfläche von 800 m
2
gutzuheissen. Der Geneh-
migungsentscheid hat einen nicht RPG-konformen Planungsakt der
Gemeinde und materiell den Beschwerdeentscheid, mit dem der
Rechtsschutzanspruch der Beschwerdeführer verletzt wurde, ge-
schützt. | 2,463 | 1,964 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-55_2000-05-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-55.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-55.pdf | AGVE_2000_55 | null | nan |
cebab0f2-afb6-5ac4-a3e0-060b3d408dee | 1 | 412 | 871,599 | 1,435,881,600,000 | 2,015 | de | 2015
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
173
25
Zonenkonformität
Die Umnutzung eines ehemaligen Restaurants in ein Vereinslokal mit An-
dachts- und Aufenthaltsraum, Schulungsräumen und Büros ist in der
vorliegenden Wohn- und Gewerbezone WG2 zonenkonform.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 8. Juli 2015 in Sachen
Einwohnergemeinde A. gegen B. und Gemeinderat A. sowie Regierungsrat
(WBE.2015.19, Beschwerdeverfahren I) und in Sachen C. und Mitbeteiligte
gegen B. und Gemeinderat A. sowie Regierungsrat (WBE.2015.26, Beschwer-
deverfahren II).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Das Baugesuch der Beschwerdegegnerin beinhaltet, das ehema-
lige Restaurant "D." an der (...) in A. (Wohn- und Gewerbezone
WG2) in ein Vereinslokal umzuwandeln. Streitgegenstand bildet
insbesondere die Zonenkonformität der Umnutzung gemäss der Bau-
und Nutzungsordnung (BNO) der Gemeinde A. vom 8. Juni 2001.
§ 9 BNO sieht vor:
"§ 9
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
174
1 Die Wohn- und Gewerbezonen WG2 und WG3 sind für Wohnen und
mässig störendes Gewerbe bestimmt.
2 (...)."
§ 28 BNO hält unter der Marginalie "Beeinträchtigung durch
Gewerbe / Industrie" fest:
"§ 28
1 Als nicht störendes Gewerbe gelten in Wohnquartieren passende
Kleinbetriebe mit geringem Zubringerverkehr wie Läden, Büros und
Geschäfte, die keine erheblich grösseren Auswirkungen entfalten, als
sie aus dem Wohnen entstehen.
2 Als mässig störend gelten Betriebe mit Auswirkungen, die im Rah-
men herkömmlicher Handwerks- und Gewerbebetriebe bleiben, auf
die üblichen Arbeits- oder Öffnungszeiten beschränkt sind und nur
vorübergehend auftreten.
3 Als stark störende Betriebe gelten alle übrigen sowie jene, die ein
hohes Mass an quartierfremdem Verkehr verursachen."
1.2. (...)
1.3.
Steht die Anwendung und Auslegung kommunaler Bestim-
mungen in Frage, darf die Gemeinde im Rahmen ihres
Ermessensspielraums den verfassungsrechtlichen Schutz beanspru-
chen, der ihr gestützt auf die Gemeindeautonomie zusteht (§ 106
Abs. 1 KV). Die Rechtsmittelinstanzen haben sich deshalb bei der
Überprüfung kommunaler Entscheide insbesondere dort zurück-
zuhalten, wo eine Regelung unbestimmt ist und verschiedene Aus-
legungsergebnisse rechtlich vertretbar erscheinen. Sie sind diesfalls
gehalten, das Ergebnis der gemeinderätlichen Rechtsauslegung zu
respektieren und nicht ohne Not ihre eigene Rechtsauffassung an die
Stelle der gemeinderätlichen zu setzen (BGE 115 Ia 118 f. =
Pra 78/1989, S. 796 f.; AGVE 2010, S. 441, 447, 451; 2008, S. 164;
2006, S. 187 f.; 2003, S. 190). Die Autonomie der Gemeindebehör-
den hat jedoch insbesondere dort ihre Grenzen, wo sich eine Ausle-
gung mit dem Wortlaut sowie mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes
nicht mehr vereinbaren lässt (vgl. AGVE 2005, S. 152; 2003,
S. 190). Räumt eine Norm der rechtsanwendenden Behörde Ermes-
sen ein, ist die Gemeindebehörde bei der Ermessensbetätigung
2015
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
175
ausserdem an die Verfassung, insbesondere an das Rechtsgleichheits-
gebot, das Verhältnismässigkeitsprinzip und an die Pflicht zur Wah-
rung öffentlicher Interessen gebunden (U
LRICH
H
ÄFELIN
/G
EORG
M
ÜLLER
/F
ELIX
U
HLMANN
, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auf-
lage, Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 441).
1.4.
Die Vorinstanz hat zutreffend ausgeführt, dass das projektierte
Kultur- und Versammlungszentrum als zonenkonform zu gelten hat,
sofern die von der geplanten Nutzung ausgehenden Auswirkungen
sich im zonengemäss zulässigen Umfang bewegen. § 28 BNO um-
schreibt für die gemischte Wohn- und Gewerbezone WG2 die erlaub-
ten Auswirkungen bzw. Immissionen, welche den Typus des (höchs-
tens) mässig störenden Betriebs kennzeichnen. Diese Auswirkungen
müssen gemäss Wortlaut im Rahmen herkömmlicher Handwerks-
und Gewerbebetriebe bleiben, sich auf die üblichen Arbeits- und Öff-
nungszeiten beschränken und dürfen nur vorübergehend auftreten.
Darüber hinaus bildet es ein Gebot der verfassungsmässig
verankerten Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV), dass eine rechtsan-
wendende Behörde bei der Ausübung ihres Ermessensspielraums
oder der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vergleichbare
Fälle mit gleichen Massstäben misst. Im konkreten Fall bedeutet
dies, dass Bauvorhaben unterschiedlicher Art und Nutzung, aber mit
vergleichbar störenden Auswirkungen nicht erheblich verschieden
beurteilt werden können. Ansonsten geriete die kommunale Rechts-
anwendung mit dem Postulat einer rechtsgleichen Praxis in Konflikt
und überschritte die verfassungsrechtlichen Grenzen der Ge-
meindeautonomie (siehe vorne, Erw. 1.3). Auch wenn rein mit Blick
auf den Wortlaut von § 28 BNO eine restriktivere Zulassung von
Gewerbebetrieben in der Zone WG2 denkbar gewesen wäre, hat der
Gemeinderat in ständiger Praxis von einer weiten Auslegung der
Zonenkonformität Gebrauch gemacht. Insbesondere hat er in der -
bewusst gemischten - Wohn- und Gewerbezone die Nutzung durch
Restaurantbetriebe, eine Bäckerei, Autogaragen oder ein Möbelge-
schäft zugelassen. Damit hat er klar zum Ausdruck gebracht, dass der
Terminus der "üblichen Arbeits- und Öffnungszeiten" (§ 28 Abs. 2
BNO) praxisgemäss nicht unbedingt an die Zeiten der Mehrheit der
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
176
Betriebe (und allenfalls an den konkret bewilligten Betrieb) an-
knüpft. Entscheidend scheint, dass die relevanten Auswirkungen der
Nutzung "im Rahmen herkömmlicher Handwerks- und Gewerbebe-
triebe bleiben" (§ 28 Abs. 2 BNO), mithin keine grösseren Emissio-
nen entstehen. Damit wird auf die Vergleichbarkeit der Auswirkun-
gen und nicht in erster Linie auf die Art des Betriebs abgestellt. Bei
der Umnutzung zum Vereinslokal mit religiöser Zweckrichtung han-
delt es sich zwar um eine verglichen mit Restaurantbetrieben sach-
lich ungleichartige, in der Umgebung neue Nutzungsart. Massgebend
ist aber, ob die entstehenden Auswirkungen zonenrechtlich mit jenen
herkömmlicher und bewilligter Vorhaben, vorab des früheren Gastro-
betriebs auf der Parzelle, vergleichbar sind, oder aber diese überstei-
gen. Sind sie im Wesentlichen vergleichbar, wäre es vor dem Gleich-
behandlungsgrundsatz und zonenrechtlich nicht vertretbar, in Abwei-
chung zur bisherigen Praxis von einem "stark störenden" Gewerbe
(§ 28 Abs. 3 BNO) auszugehen.
1.5.
Gegenstand des Baugesuchs bilden gemäss Nutzungskonzept
Öffnungszeiten von Montag bis Freitag, 12 - 22 Uhr, sowie Samstag
und Sonntag, 12 - 22 Uhr. Abgesehen von einem einzelnen Ruhetag
unter der Woche ist nicht ersichtlich, weshalb sich diese Zeiten
zonenrechtlich betrachtet von einem Restaurantbetrieb massgeblich
unterscheiden sollten. Abends hatte das Restaurant gar länger geöff-
net als für das Vereinslokal vorgesehen (...). Es bestehen auch keine
Anzeichen dafür, dass die Besucher des Vereinslokals und des An-
dachtsraums zu lauterem Verhalten neigten als diejenigen des frühe-
ren Restaurants. Auch die Schulungs- und Büroräume lassen mit
ihrer geplanten Grösse nicht vermuten, dass sie zu mehr störenden
Auswirkungen für die Nachbarschaft führen als ein Restaurantbetrieb
bzw. herkömmliche Gewerbebetriebe. Wie der Andachtsraum sind
sie für grundsätzlich eher lärmarme, nicht ganztags stattfindende Tä-
tigkeiten vorgesehen (insb. Unterricht, Sprach- und Integrations-
kurse), die wie das freitägliche Mittagsgebet und die Kinderbe-
treuung in erster Linie im Innern stattfinden sollen. Weil die spre-
chende Rolle nur dem Vorbeter (Imam) zukommt, ist auch beim Frei-
tagsgebet nicht von übermässigen Emissionen auszugehen. Verhielte
2015
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
177
es sich anders, wären die Nachbarn den Auswirkungen nach Mass-
gabe des Lärmschutz- und Sachenrechts auch nicht schutzlos
ausgeliefert. Ferner kann es wie bei Vereinslokalen auch bei Gastro-
betrieben aus naheliegenden Gründen zu verdichtetem Anreise-
verkehr zu bestimmten Zeiten (z.B. Mittagszeit) kommen. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass je konzentriertere Zu- und Wegfahrts-
perioden mit umso ruhigeren Verkehrsphasen dazwischen und
danach korrelieren. Auch die gemäss Nutzungskonzept maximal
erwarteten Personenzahlen (ca. 60 bis 80 Personen) sind insgesamt
gegenüber zuvor bewilligten Betrieben und dem Restaurant D. - mit
88 Sitzplätzen und Aussenterrasse - nicht unvergleichbar hoch. Dies
zumal bei einem Restaurant mehrmals wöchentlich mit über
70 Gästen gerechnet werden muss. Im Übrigen ist darauf hinzuwei-
sen, dass die Vorinstanz die Sache zur genaueren Ermittlung der aus
der Parkplatzanlage herrührenden Lärmemissionen an den Gemein-
derat zurückgewiesen hat. Sollten sich zudem die Befürchtungen der
Beschwerdeführer bewahrheiten, dass ein überregionaler Zulauf zu
einem Personenandrang und unerwartet hohen Lärmimmissionen
deutlich über das massgebende Nutzungskonzept hinaus führt, so ist
darauf hinzuweisen, dass dann die Zonenkonformität allenfalls neu
beurteilt werden kann.
Soweit die Beschwerdeführerin I schliesslich eine Störung des
Wohlbefindens der Anwohner durch ideelle Immissionen beklagt, ist
schwer nachvollziehbar, weshalb der geplante Andachtsraum durch
die Art der praktizierten Glaubensrichtung geradezu "das seelische
Empfinden" der Bevölkerung verletzen könnte. Eine solche Ausle-
gung der Zonenordnung geriete auch mit der verfassungsrechtlich
verankerten Religionsfreiheit (Art. 15 BV) in Konflikt. Wenn sich
die Beschwerdeführerin I dabei auf BGE 136 I 395 beruft, lässt sich
ein Andachtsraum mit religiösen Zwecken nicht mit der dort relevan-
ten Nutzung (Liegenschaft für Freitodbegleitungen) vergleichen.
Insgesamt erweisen sich die zonenrechtlich relevanten Auswir-
kungen der Nutzung als Vereinslokal mit den praxisgemäss zuvor be-
willigten Bauvorhaben (insb. Restaurantbetrieb auf der Parzelle) als
vergleichbar. Demgemäss ist der angefochtene Entscheid des Regie-
rungsrats mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und zonen-
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
178
rechtlich vertretbar. Die Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses be-
deutet entgegen den Beschwerdeführenden keine Verletzung der Ge-
meindeautonomie. | 2,246 | 1,771 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2015-25_2015-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-25.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-25.pdf | AGVE_2015_25 | null | nan |
cebc76a9-7c0e-5670-84f1-d2296b74710f | 1 | 412 | 870,883 | 1,538,352,000,000 | 2,018 | de | 2018
Personalrecht
289
30
Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisses
Zulässigkeit einer Änderungskündigung im öffentlichen Personalrecht
auch ohne explizite gesetzliche Grundlage
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 29. Oktober
2018, in Sachen A. gegen Einwohnergemeinde B. (WKL.2017.19).
Aus den Erwägungen
II.
2.
Die Änderungskündigung ist eine Unterform der bedingten
Kündigung oder zumindest mit dieser verwandt. Zwar ist die Kündi-
gung als einseitige Gestaltungserklärung grundsätzlich bedingungs-
feindlich. Gestattet sind aber Bedingungen, über deren Eintritt der
Erklärungsempfänger allein entscheiden kann (Potestativbedingun-
gen), somit auch diejenige, dass das Arbeitsverhältnis im Fall der Ab-
lehnung einer Vertragsänderungsofferte gekündigt wird (ULLIN
STREIFF/ADRIAN VAN KAENEL/ROGER RUDOLPH, Arbeitsvertrag,
Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Auflage, Zürich/Ba-
sel/Genf 2012, Art. 335 N 3; MARCO KAMBER, Die Änderungskün-
digung im Arbeitsvertragsrecht, Diss. Bern 2014, S. 37). Eine Er-
scheinungsform der Änderungskündigung ist die aufschiebend be-
dingte Änderungskündigung im engeren Sinn, bei welcher die initia-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
290
tive Partei dem Vertragspartner gegenüber erklärt, dass sie den Ar-
beitsvertrag kündigt, wobei die Wirksamkeit der Kündigungserklä-
rung unter der Bedingung stehen soll, dass die gekündigte Partei eine
gleichzeitig offerierte Vertragsänderung ausschlägt bzw. innert ange-
setzter Frist nicht annimmt (KAMBER, a.a.O., S. 35). Mit der Ableh-
nung oder Nichtannahme der Änderungsofferte tritt die Suspensivbe-
dingung ein, unter welcher die Wirksamkeit der Kündigungserklä-
rung steht. Entsprechend wird die Kündigung - in aller Regel rück-
wirkend auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung -
rechtswirksam. Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf der Kündi-
gungsfrist (KAMBER, a.a.O., S. 125).
Ein solches Vorgehen wird im privaten Arbeitsrecht trotz der
damit verbundenen Druckausübung als grundsätzlich zulässig erach-
tet (STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 335 N 3), obwohl
es dafür im OR keine explizite gesetzliche Grundlage gibt. Weshalb
es im öffentlichen Personalrecht anders sein sollte, ist nicht ersicht-
lich. Dem Umstand, dass die Kündigungsfreiheit im öffentlichen
Dienstrecht eingeschränkt ist, indem der öffentliche, anders als der
private Arbeitgeber an die Verfassungsprinzipien (Willkürverbot,
Treu und Glauben, Verhältnismässigkeit) gebunden ist und eine Kün-
digung nur aus sachlichen Gründen aussprechen darf (VGE vom
20. Juni 2018 [WKL.2017.13], Erw. II/3.3.1; VGE vom
10. November 2015 [WKL.2015.11], Erw. II/3.1; VGE vom
28. April 2014 [WKL.2014.2], Erw. II/3.3.1; PRGE vom
23. November 2012 [2-KL.2012.1], Erw. II/3.2.3; PRGE vom
17. September 2009 [2-KL.2008.11], Erw. II/1.2; PRGE vom
16. April 2003 [2-KL.2002.50003], Erw. II/2/a mit Hinweis; LGVE
1999 II 3, Erw. 6/c), kann im Rahmen einer Änderungskündigung
dadurch Rechnung getragen werden, dass die damit beabsichtigte
Vertragsänderung - wie die Vertragsauflösung bei der Vollkündigung
- einen sachlichen Grund voraussetzt. Ist ein sachlicher Grund für
eine Vertragsänderung gegeben, muss es schon aus Verhältnismässig-
keitsgründen möglich sein, anstatt zur (unbedingten) Vollkündigung
des bisherigen Anstellungsverhältnisses zu schreiten (und die Stelle
hernach neu auszuschreiben), der Gegenseite mit der Kündigung des
bisherigen ein neues Anstellungsverhältnis zu veränderten Bedingun-
2018
Personalrecht
291
gen anzubieten. Ein öffentlich-rechtlich Angestellter, der sich als un-
geeignet für die von ihm besetzte Stelle erweist, könnte beispielswei-
se nur davon profitieren, wenn man ihm eine andere Stelle mit einem
passenderen Profil anbieten würde, anstatt ihn direkt ohne ein alter-
natives Stellenangebot zu entlassen.
(...) | 971 | 728 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-30_2018-10-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-30.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-30.pdf | AGVE_2018_30 | null | nan |
cecdb4d6-fb2e-5385-8ec7-aac36ef8c72f | 1 | 412 | 870,898 | 1,212,537,600,000 | 2,008 | de | 2008
Submissionen
173
30 Bereinigung
der
Angebote.
-
Anforderungen an die Offertbereinigung.
-
Transparenzgebot; Gleichbehandlungsgrundsatz (Erw. 4.2.2).
-
Eine nachträgliche Abänderung eines wesentlichen Teils des
Angebots sowohl in inhaltlicher als auch in preislicher Hinsicht ist
unzulässig (Erw. 4.3.1).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 23. Juni 2008 in Sachen
M. AG gegen das Departement Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2008.51).
Aus den Erwägungen
4.
Zu prüfen ist zunächst, ob es beim Angebot der Zuschlagsemp-
fängerin nach der Öffnung der Angebote zu einer unzulässigen
Veränderung des Leistungsinhalts gekommen ist.
4.1.
4.1.1.
Die Vergabebehörde prüft die Angebote rechnerisch und fach-
lich. Sie bringt sie auf eine vergleichbare Basis (§ 17 Abs. 1
SubmD). Sind Angaben eines Angebots unklar, insbesondere bezüg-
lich Bauabläufen und Prozessoptimierungen, so können von den An-
bietenden Erläuterungen, fachliche Präsentationen, Begehungen usw.
verlangt werden, die schriftlich festzuhalten sind (§ 17 Abs.
2
SubmD). Die Vergabestelle darf offensichtliche Rechnungsfehler
korrigieren (§ 17 Abs. 3 SubmD). Verhandlungen zwischen der Ver-
gabestelle und den Anbietenden über Preise sind unzulässig (§ 17
Abs. 4 SubmD); einzig im freihändigen Verfahren sind Verhandlun-
gen zulässig (§ 17 Abs. 5 SubmD). Auch Art. 11 lit. c IVöB statuiert
als allgemeinen Grundsatz den Verzicht auf Abgebotsrunden. Die
2008
Verwaltungsgericht
174
Vergaberichtlinien (VRöB) aufgrund der IVöB führen dazu in § 30
unter dem Titel "Verbot von Abgebotsrunden" präzisierend aus:
"Verhandlungen zwischen der Auftraggeberin oder dem Auftraggeber
und den Anbieterinnen oder Anbietern über Preise, Preisnachlässe
und Änderungen des Leistungsinhaltes in diesem Zusammenhang
sind unzulässig" (§ 30 Abs. 1 VRöB). Zulässig sind Verhandlungen
im freihändigen Verfahren (§ 30 Abs. 2 VRöB).
4.1.2.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts sind Offert-
bereinigungen technischer Natur, die über die Berichtigung von
Rechnungsfehlern oder anderer offensichtlicher Irrtümer und Fehler
hinausgehen, aufgrund der mit ihnen verbundenen Gefahr der Wett-
bewerbverfälschung bzw. Begünstigung einzelner Bewerber eher
zurückhaltend zu handhaben; sie dürfen auf keinen Fall zu einer Än-
derung des Leistungsinhalts führen (AGVE 1999, S. 344). Das Ver-
bot nachträglicher Offertänderungen gilt sowohl für die Anbieter als
auch die Vergabestellen. Rückfragen bei den Anbietern sind, soweit
erforderlich, zulässig; sie haben aber mit der nötigen Zurückhaltung
und Sorgfalt zu erfolgen, und es sind alle Anbieter nach gleichen
Massstäben zu behandeln. Die Offertbereinigung insgesamt und ihr
Ergebnis müssen nachvollziehbar sein. Mit dem schriftlichen Fest-
halten soll sichergestellt werden, dass das Bereinigungsverfahren
nicht für fremde Zwecke missbraucht wird; das Ergebnis der Be-
reinigung muss für die Mitbewerber nachvollziehbar sein, damit sie
sich wehren können (vgl. Protokoll des Grossen Rates vom 26. No-
vember 1996, S. 618, Votum Küng; vgl. auch Protokoll der gross-
rätlichen Kommission, 3. Sitzung, vom 4. September 1996, S. 13,
Voten Pfisterer; ferner VGE
III/127 vom 3.
September 1998
[BE.98.00168], S. 9). Unzulässig ist daher beispielsweise eine aus-
schliesslich telefonisch vorgenommene Bereinigung, über die keiner-
lei schriftliche Aufzeichnungen erstellt worden sind (AGVE 2003,
S. 247 ff.; Elisabeth Lang, Der Grundsatz der Transparenz im öffent-
lichen Beschaffungsrecht, in: Festschrift 100 Jahre Aargauischer
Anwaltverband, Zürich / Basel / Genf 2005, S. 130).
2008
Submissionen
175
4.2.
4.2.1.
Vorliegend steht unbestrittenermassen fest, dass beide Angebote
von den Anbieterinnen nach der Offertöffnung gestützt auf die Vor-
gaben der Vergabestelle sowohl inhaltlich als auch preislich verän-
dert worden sind. Beim Angebot der Zuschlagsempfängerin ist in
diesem Zusammenhang der Lieferant für die Hydraulik und die
Steuerung ausgewechselt worden, und es hat auch eine sehr erhebli-
che Preisreduktion von rund 24 % stattgefunden. Demgegenüber ha-
ben sich die vorgenommenen Anpassungen beim Angebot der Be-
schwerdeführerin preislich nicht bzw. nur geringfügig im Umfang
von weniger als 0,5 % ausgewirkt.
Seitens der Vergabestelle wird ausgeführt, beide Angebote hät-
ten bezüglich der Hydraulikanlage und der Steuerung nicht den An-
forderungen der diesbezüglich offenbar zu wenig präzise formulier-
ten Ausschreibungsunterlagen entsprochen. Die Vergabestelle habe in
den Submissionsunterlagen als Grundvariante eine gesteuerte Anlage
verlangt, die im Vergleich zur (komplexeren, mit hoher Rechenleis-
tung) geregelten Anlage den gestellten Anforderungen genügt hätte.
Beide Anbieterinnen hätten eine geregelte Anlage angeboten und so-
mit nicht den Submissionsunterlagen entsprochen. Beide Anbieterin-
nen seien im Punkt Steuerung und Hydraulik sowie weiteren Punkten
von den Submissionsunterlagen wesentlich abgewichen. Aufgrund
der Dringlichkeit habe sich die Vergabestelle entschieden, das Ver-
gabeverfahren nicht von vorne zu wiederholen - dies wäre bei einem
Einladungsverfahren der vorliegenden Art einem leeren Formalismus
gleichgekommen -, sondern die eingeladenen Parteien unter Wah-
rung des Gleichbehandlungs- und Transparenzgebots aufzufordern,
die Offerten zu verbessern. In Fällen wie hier, wo im Einladungsver-
fahren kein Angebot eingereicht werde, das die Erfordernisse der
Submissionsunterlagen erfülle, sei die Vergabestelle ohnehin berech-
tigt, den Auftrag freihändig zu vergeben.
(...)
Beiden Anbietern seien die nicht umgesetzten Anforderungen
der Submissionsunterlagen vom Experten am 20. bzw. 27. November
2007 mündlich erläutert worden. Diese Erläuterungen seien nötig
2008
Verwaltungsgericht
176
gewesen, um weitere Missverständnisse in dieser technisch kom-
plexen Sache zu vermeiden. Die Fachperson habe den Offerierenden
die Anforderungen an eine genügende Offerte erklärt und in welchen
Anforderungen sie ihre Eingabe zu verbessern hätten. Angaben über
Konkurrenzofferten seien keine gemacht worden. Über diese Erläu-
terungen sei kein Protokoll erstellt worden. Die Anbieter seien so-
dann unabhängig voneinander schriftlich (zur Bereinigung) einge-
laden worden mit genauer Angabe, was bereinigt werden solle.
4.2.2.
Zunächst steht fest, dass zwischen der Vergabestelle bzw. dem
in ihrem Auftrag handelnden Experten am 20. bzw. 27. November
2007 Gespräche mit den beiden Anbieterinnen über die jeweiligen
Angebote bzw. deren Inhalt geführt worden sind (Erläutern der nicht
umgesetzten Anforderungen der Submissionsunterlagen). Es ist auch
unbestritten, dass über diese Gespräche bzw. deren genauen Inhalt
keine schriftlichen Aufzeichnungen erstellt worden sind. Insofern ist
nicht nachzuvollziehen, welche Änderungen/Anpassungen die Verga-
bestelle bzw. der Experte von den Anbietern, insbesondere aber von
der Zuschlagsempfängerin, konkret verlangt hat. Dies stellt im Hin-
blick auf § 17 SubmD und das Transparenzgebot klarerweise einen
Fehler des Submissionsverfahrens dar (vgl. AGVE 2003, S. 248).
Daran vermag auch nichts zu ändern, dass die beiden Anbieterinnen
mit inhaltlich identischem Schreiben vom 23. November 2007 (spe-
diert am 26. November 2007) schriftlich zur Überarbeitung ihrer An-
gebote aufgefordert worden sind. Dieses Schreiben weist folgenden
Inhalt auf:
"Das Angebot entspricht bezüglich Hydraulikanlage und der Steue-
rung nicht den Anforderungen der Ausschreibung.
Für den Betrieb der Anlage erwarten wir eine sehr einfache Bedienung
und Instandstellung. Aus diesem Grund wurden durch Eigengewicht
schliessende Schützentafeln als Sicherheitselemente spezifiziert:
- Als Zylinder werden Standard-Zylinder erwartet. Die Messtechnik
soll nicht in die Zylinder eingebaut werden.
- Das Aggregat soll sehr einfach mit Handumschaltung konzipiert
sein.
- Die Anlage ist in der Grundvariante nur gesteuert ausgeschrieben."
2008
Submissionen
177
Entgegen der Behauptung der Vergabestelle kann nicht davon
gesprochen werden, es seien mit diesem Schreiben genaue Angaben
gemacht worden, was zu bereinigen sei. Es ist zum Beispiel unbe-
stritten, dass die Beschwerdeführerin - im Gegensatz zur Zuschlags-
empfängerin - bereits in ihrem (ersten) Angebot einen Standard-Zug-
zylinder mit separater Messvorrichtung offeriert hat. Insofern be-
stand hier für sie überhaupt keine Veranlassung zu einer Änderung.
Weiter ist festzustellen, dass die Vergabestelle im vorliegenden Ver-
fahren beanstandet, die Beschwerdeführerin habe weder Betriebsar-
tenschalter noch Hauptschütz zur Sicherung der Stillsetzung offe-
riert, wie dies in Maschinenrichtlinie MRL 2006/42/EG verlangt
werde. Im Angebot der Beschwerdeführerin sei somit das Einhalten
der MRL 2006/42/EG nicht gewährleistet; die Vorrichtung zur Siche-
rung der Stillsetzung fehle. Weiter seien die Positionen 2, 3 und 5 der
Spezifikation Hydraulikzylinder sowie die Positionen 6 und 7 der
Spezifikation Hydraulikaggregat vergabewidrig nicht offeriert wor-
den. Wieso die Beschwerdeführerin im Rahmen der weitreichenden
Bereinigung nicht zur Behebung dieser von der Vergabestelle festge-
stellten Mängel in ihrem Angebot aufgefordert worden ist, ist im
Hinblick auf die von der Vergabestelle angestrebte Gleichbehandlung
der Anbietenden nicht nachvollziehbar und widersprüchlich. Das
Argument vermag auch insofern nicht zu überzeugen, als die Verga-
bestelle das Angebot der Beschwerdeführerin lediglich hinsichtlich
der Kriterien "Preis" und "Referenzanlagen" mit einem Abzug be-
wertet hat, während die Beschwerdeführerin insbesondere unter
"Ausführung", "Technische Grundlagen" und "Leistungsfähigkeit"
die volle Punktzahl erhalten hat. Ebenfalls nicht gefolgt werden kann
dem Argument der Vergabestelle, im Sinne der Gleichbehandlung
und aus Gründen der Transparenz habe sie die Schreiben an beide
Anbietende im gleichen Wortlaut abfassen müssen, so dass beide
Parteien immer über alle Punkte den gleichen Wissensstand gehabt
hätten. Der Grundsatz der Gleichbehandlung schliesst es selbstver-
ständlich nicht aus, dass die Vergabestelle dem jeweiligen Anbieter
konkret diejenigen Punkte seines Angebots nennt, die noch zu be-
reinigen sind. Hingegen verlangt das Transparenzgebot, dass dies in
nachvollziehbarer Weise geschieht, d.h. entweder schriftlich erfolgt
2008
Verwaltungsgericht
178
oder aber - wenn mündlich erfolgt - zumindest in den wesentlichen
Punkten protokolliert wird. An einer Dokumentation, aus der nach-
vollziehbar hervorgeht, in welchen Punkten die beiden Anbieterinnen
ihre Angebote zu bereinigen hatten, fehlt es wie ausgeführt im vor-
liegenden Fall.
4.3.
4.3.1.
In Bezug auf die Zuschlagsempfängerin im Besonderen ist
festzuhalten, dass deren ursprüngliches Angebot vom 9. November
2007 als Unterlieferantinnen für die Hydraulik die A. in B. und für
die Steuerung und Messung die C. in D. nannte. Im überarbeiteten
Angebot vom 7. Dezember 2007 ist als Lieferantin von Hydraulik
und Steuerung die E., d.h. dieselbe Lieferantin wie beim Angebot der
Beschwerdeführerin, vorgesehen. Zudem wird die Hydraulik neu für
Fr. 54'500.00 (statt ursprünglich Fr. 107'020.00) und die Steuerung
neu für Fr. 32'000.00 (statt ursprünglich Fr. 84'650.00) offeriert. Das
heisst, Hydraulik und Steuerung wurden - anders als beim Angebot
der Beschwerdeführerin - nicht lediglich in einigen untergeordneten
Punkten den Vorgaben der Vergabestelle angepasst, sondern voll-
ständig neu mit einem neuen Lieferanten offeriert. Damit kann nicht
mehr von einer "Angebotspräzisierung" bzw. einer zulässigen
Bereinigung des Angebots im Sinne von § 17 SubmD gesprochen
werden. Vielmehr liegt eine wesentliche nachträgliche Änderung des
Leistungsinhalts vor. Seitens der Vergabebehörde ist unbestritten,
dass das ursprüngliche Angebot der Zuschlagsempfängerin den
grundlegenden Anforderungen der Ausschreibung nicht entsprach.
Aus dem Vergabeantrag geht hervor, dass die Offerten der ersten
Eingabe nicht den spezifischen Vorgaben entsprachen und nicht
vergleichbar waren. Erst nachdem die Zuschlagsempfängerin ihre
Unterlieferanten für Hydraulik und Steuerung wechselte und den
gleichen Unterlieferanten wie die Beschwerdeführerin beizog,
wurden die Angebote überhaupt miteinander (systemtechnisch) ver-
gleichbar. Laut der Vergabestelle entsprachen die Angebote im
Übrigen auch nach der Änderung nicht vollumfänglich den Anforde-
rungen, wurden aber nichtsdestotrotz aus Zeitgründen akzeptiert, da
sie nun immerhin, da in Bezug auf Hydraulik und Steuerung die
2008
Submissionen
179
gleiche technische Lösung angeboten wurde, miteinander vergleich-
bar waren. Angesichts der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin ihr
Angebot letztlich nur sehr geringfügig modifiziert hat, wird offen-
sichtlich, dass die ursprüngliche Offerte der Zuschlagsempfängerin
in wesentlichen Punkten (Hydraulik und Steuerung) von den Vor-
gaben der Ausschreibung abwich und infolgedessen gar nicht hätte
bereinigt werden dürfen, sondern bereits vorher als nicht ausschrei-
bungskonformes Angebot von der Vergabe hätte ausgeschlossen wer-
den müssen.
Auf jeden Fall aber hätte der Ausschluss des betreffenden An-
gebots erfolgen müssen, nachdem die Zuschlagsempfängerin für die
(Teil-) Bereiche Hydraulik und Steuerung ein vollständig neues An-
gebot mit anderen Lieferanten und damit auch anderen Produkten
einreichte. Hierbei handelt es sich - wie bereits erwähnt - klarerwie-
se um eine nachträgliche Abänderung eines wesentlichen Teils des
Angebots sowohl in inhaltlicher als auch in preislicher Hinsicht, was
nicht zulässig ist. Offen bleiben kann, ob der von der Zuschlagsemp-
fängerin vorgenommene Lieferantenwechsel für Hydraulik und Steu-
erung durch die Vergabestelle initiiert wurde, wie die Beschwerde-
führerin vermutet. | 2,924 | 2,361 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-30_2008-06-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-30.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-30.pdf | AGVE_2008_30 | null | nan |
cedd4890-4dbb-5d11-8f88-03ebad3e465e | 1 | 412 | 870,257 | 988,761,600,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
378
81
Nichtigkeit einer Verfügung. Schutzwürdiges Interesse als Voraussetzung
der Beschwerdelegitimation.
- Schutzwürdiges Interesse (§ 38 Abs. 1 VRPG) ist auch bei der Behör-
denbeschwerde verlangt (Erw. 4/c, 6/b).
- Zuständigkeiten der Steuerkommission und des Gemeindesteuer-
amtes (Erw. 5).
- Keine Nichtigkeit, wenn nach dem äusseren Anschein eine Veranla-
gungsverfügung der zuständigen Steuerkommission vorliegt, selbst
wenn das Gemeindesteueramt eigenmächtig handelte (Erw. 6).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 17. Mai 2001 in
Sachen KStA gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts (betreffend R.K.).
Sachverhalt
Das Steuerrekursgericht setzte in teilweiser Gutheissung des
Rekurses von R.K. das steuerbare Einkommen für die Steuerperiode
1997/98 gegenüber der Veranlagung herab. Am 7. Dezember 2000
sandte das Gemeindesteueramt dem Steuerpflichtigen eine dem Re-
kursentscheid entsprechende "definitive Steuerveranlagung
1997/98". Am 18. Januar 2001 erhob das KStA fristgerecht Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde gegen den Rekursentscheid mit dem Antrag
auf Erhöhung des steuerbaren Einkommens. Dem Einwand des Steu-
erpflichtigen, mit dem Versand der neuen Veranlagung sei das Be-
schwerderecht verwirkt, hielt das KStA entgegen, bei der "Steuerver-
anlagung" handle es sich nicht um einen Verwaltungsakt der Steuer-
kommission, sondern um die blosse Mitteilung der definitiven Fakto-
ren und des Steuerbetrags aufgrund des Rekursentscheids durch das
Gemeindesteueramt. Das KStA habe sich nicht veranlasst gesehen,
gegen die als "definitive Steuerveranlagung" bezeichnete Mitteilung
Einsprache zu erheben, zumal es an einem formgültig erlassenen
Anfechtungsobjekt gefehlt habe.
2001
Verwaltungsrechtspflege
379
Aus den Erwägungen
4. a) Gemäss § 139 Abs. 1 i.V.m. § 145 lit. a StG kann das KStA
gegen Entscheide des Steuerrekursgerichts Verwaltungsge-
richtsbeschwerde erheben.
b) Das Verwaltungsgericht hat entschieden, wenn das KStA als
Veranlagungsbehörde im Anschluss an einen zu seinen Ungunsten
ausgefallenen Rekursentscheid eine entsprechende definitive Steuer-
rechnung zustelle, liege darin ein verbindlicher Verzicht auf die Be-
schwerdeerhebung (AGVE 1993, S. 420 ff.). Die Beschwerdegegner
dürften sich auf dieses Präjudiz stützen, wenn sie geltend machen,
mit der Ausstellung und Zusendung der definitiven Steuerveranla-
gung hätten die Steuerbehörden auf die Möglichkeit einer Be-
schwerde verzichtet. Auf einen Verzicht lassen indessen nur eigene
Handlungen schliessen. Nun mag zwar der Steuerpflichtige in sei-
nem Empfinden "dem Fiskus" als einer einzigen grossen Behörde
gegenüber stehen. Dies ist jedoch eine allzu starke Vereinfachung.
Die neue Veranlagungsverfügung stammt von den kommunalen
Steuerbehörden und erfolgte ohne Zutun des KStA. Wie aus der Dar-
stellung der Behörden und ihrer Kompetenzen (nachfolgend Erw. 5)
ersichtlich, kann das KStA Handlungen der kommunalen Steuerbe-
hörden, mit denen es nicht einverstanden ist, nicht von vornherein
verhindern. Es könnte sich daher lediglich fragen, ob sich auch aus
dem Verzicht des KStA, Einsprache zu erheben, auf den Verzicht zur
Beschwerdeführung schliessen lässt. Diese Fragestellung fällt beim
gegebenen Sachverhalt mit derjenigen nach einem schutzwürdigen
Interesse an der Beschwerdeführung zusammen.
c) Generell ist ein schutzwürdiges eigenes Interesse Vorausset-
zung der Beschwerdelegitimation (§ 38 Abs. 1 VRPG). Bei der Be-
hördenbeschwerde ist es zwar nicht ausdrücklich erwähnt, nach der
Rechtsprechung aber dennoch erforderlich, weil Rechtsschutz gene-
rell nur zur Verfügung gestellt wird, wenn die damit verfolgten Ziele
auch schutzwürdig sind (vgl. Michael Merker, Rechtsmittel, Klage
und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über
die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG],
Diss. Zürich 1998, § 38 N 178 und 201, insbesondere FN 440). An
2001
Verwaltungsgericht
380
einem schutzwürdigen Interesse fehlt es vor allem dann, wenn die
Beschwerde gar keinen praktischen Nutzen bringen kann (Merker,
a.a.O., § 38 N 129 ff.). Vorliegend könnte dies namentlich dann zu-
treffen, wenn die Veranlagung vom 7. Dezember 2000 auf jeden Fall
bestehen bleibt. Dies ist im Folgenden zu prüfen (Erw. 6). Der besse-
ren Verständlichkeit halber ist zuvor in geraffter Form auf die Behör-
den und ihre Kompetenzen hinzuweisen (Erw. 5).
5. Auf Gemeindeebene ist die Steuerkommission für die Ver-
anlagung der Einkommens-, Vermögens- und Grundstückgewinn-
steuern (der natürlichen Personen) zuständig (§ 116 StG). Daneben
besteht das Gemeindesteueramt, das u.a. die Veranlagung vorbereitet,
zuhanden der Steuerkommission eine Voreinschätzung erstellt, im
Anschluss an die Veranlagung die Steuerbeträge errechnet und die
Veranlagungsverfügungen und die Einspracheentscheide zustellt
(§ 119 StG) und funktionell als zudienendes und ausführendes Organ
der Steuerkommission bezeichnet werden kann (AGVE 2000,
S. 160). Das KStA leitet den Vollzug des Steuergesetzes und hat be-
stimmte eigene Veranlagungszuständigkeiten. Wo die Gemeindesteu-
erkommissionen zur Veranlagung zuständig sind, hat das KStA für
richtige und gleichmässige Veranlagungen zu sorgen (§ 114 f. StG).
Zu diesem Zweck gehört jeder Gemeindesteuerkommission von
Amtes wegen ein kantonaler Steuerkommissär an (§ 117 Abs. 2 StG);
zudem kann das KStA gegen die einzelnen Veranlagungen
Rechtsmittel ergreifen (§ 145 lit. a, § 139 StG) und gegebenenfalls,
wenn Mängel in grösserem Umfang erkennbar werden, von Auf-
sichts wegen einschreiten (§ 114 Abs. 2 StG).
6. a) Wie dargelegt, ist die Gemeindesteuerkommission für die
Veranlagung zuständig. Das KStA macht nun geltend, vorliegend
habe die Steuerkommission gar keinen entsprechenden Beschluss
gefasst. Vielmehr habe das Gemeindesteueramt die definitiven Fak-
toren und den Steuerbetrag aufgrund des Rekursentscheides mitge-
teilt. Das KStA vertritt also die Meinung, es handle sich hierbei
überhaupt nicht um eine Veranlagung, sondern um die Rechnungs-
stellung im Rahmen des Bezugsverfahrens.
aa) Den Beschwerdegegnern wurde das übliche Steuerveranla-
gungsformular zugestellt. Als Absender ist die "Steuerkommission
2001
Verwaltungsrechtspflege
381
S." angegeben und als Betreff: "Definitive Steuerveranlagung
1997/1998 Rekursentscheid". Unter dem Zwischentitel "Veranla-
gung" figuriert das in der Gemeinde steuerbare Einkommen mit
Fr. ... Äusserlich lässt nichts darauf schliessen, dass es sich nicht um
eine Veranlagung handeln könnte. Unter diesen Umständen geht es
nicht an, kurzerhand das Vorliegen einer Veranlagungsverfügung zu
verneinen. Dagegen ist zu prüfen, ob es sich dabei um eine nichtige
Verfügung handelt.
bb) Eine fehlerhafte Verfügung ist in der Regel lediglich an-
fechtbar, auf Nichtigkeit ist nur ausnahmsweise zu schliessen. Sie ist
dann zu bejahen, wenn der Mangel besonders schwer ist, wenn er
offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem
die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernst-
haft gefährdet wird (AGVE 1994, S. 217; 2000, S. 159).
aaa) Zuständigkeitsfehler können einen besonders schweren
Mangel darstellen, wenn sie schwerwiegend sind (vgl. Max Imbo-
den/René A. Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
6. Aufl., Basel/Stuttgart 1986 und René A. Rhinow/Beat Krähen-
mann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband,
Basel/Frankfurt a.M. 1990, je Nr. 40 B V a; Ulrich Häfelin/Georg
Müller, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zü-
rich 1998, Rz. 773). Wie es sich damit vorliegend verhält, kann offen
bleiben.
bbb) Der geltend gemachte Mangel war klarerweise weder of-
fensichtlich noch leicht erkennbar; um ihn bemerken, ja auch nur
erahnen zu können, brauchte es Abklärungen über den Sitzungsab-
lauf bei der Steuerkommission.
ccc) Nichtigkeit darf nur angenommen werden, wenn keine
überwiegenden Rechtssicherheitsinteressen dagegen sprechen (Im-
boden/Rhinow und Rhinow/Krähenmann, a.a.O., je Nr. 40 B IV c,
V a 1; Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 769, 773).
aaaa) Verfügungen und Entscheide sind in der Regel schriftlich
zu eröffnen, also auch zu unterschreiben (vgl. AGVE 1996, S. 386;
Jürg Baur, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Muri/BE
1991, § 134 N 2). So schreibt § 65 Abs. 2 StGV beispielsweise vor,
dass der Präsident der Steuerkommission zusammen mit dem Proto-
2001
Verwaltungsgericht
382
kollführer die Einspracheentscheide unterzeichnet. Mit seiner Unter-
schrift bezeugt er, dass der eröffnete Einspracheentscheid so durch
die Steuerkommission gefällt wurde. Für Veranlagungen gilt nun
allerdings, dass sie keine Unterschrift tragen (§ 134 Abs. 1 StG).
Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich um
automatisiert hergestellte Massenverfügungen handelt (vgl. schon
AGVE 1983, S. 130 ff. zum früheren Recht). Diese Erleichterung der
Verwaltungstätigkeit hat zur Folge, dass die durch die Unterschrift
hergestellte Legitimation des Schriftstücks entfällt. Daraus zu fol-
gern, die Gültigkeit derartiger nicht unterschriebener Verfügungen
sei gleichsam in der Schwebe und es stehe der Verwaltung jederzeit
frei, nachzuweisen, dass sie nicht durch einen entsprechenden Be-
schluss der zuständigen Behörde gedeckt seien, liesse sich mit den
Anforderungen der Rechtssicherheit und den legitimen Interessen der
Verfügungsadressaten nicht vereinbaren. Vielmehr ist die Verwal-
tung, zu deren Gunsten die Lockerung der Form erfolgt, hier auch
ohne Unterschrift bei dem zu behaften, was der Verfügung hinsicht-
lich ihres Erlasses zu entnehmen ist.
bbbb) Obwohl das KStA zur Einspracheerhebung legitimiert ist
(§ 145 lit. a StG), werden ihm die Veranlagungsverfügungen in der
Praxis nicht formell eröffnet. In der Regel ist dies ohne Bedeutung,
da der kantonale Steuerkommissär der Gemeindesteuerkommission
angehört und über heikle Fälle im Bilde ist. Er kann also einzelfall-
weise sicherstellen, dass er rechtzeitig in den Besitz der Veranlagung
kommt und es so dem KStA möglich ist, fristgerecht Einsprache zu
erheben. Es ist denkbar, dass im vorliegenden Fall der Steuerkom-
missär keine Kenntnis von der Veranlagung vom 7. Dezember 2000
erhielt. Dies ist letztlich irrelevant. Wenn das KStA einverstanden ist,
die Veranlagungen nicht zugestellt zu erhalten, gilt dieses Einver-
ständnis generell. Das allfällige Verpassen einer Einsprachefrist wird
damit in Kauf genommen.
cccc) Es geht also nicht an, die Steuerpflichtigen die nachteili-
gen Konsequenzen aus der Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit
tragen zu lassen. Deren Rechtsschutzinteresse gebührt der Vorrang
vor der richtigen Rechtsanwendung, sofern diese nur über die Nich-
tigerklärung der Veranlagung durchgesetzt werden könnte. Diese
2001
Verwaltungsrechtspflege
383
strenge Beurteilung ist für die Steuerbehörden auch unter Berück-
sichtigung der Erfordernisse rationellen Handelns in keiner Weise
unzumutbar. Wenn es vorliegend am einfachsten war, das bestehende
Formular und Computerprogramm zu verwenden, war das Gemein-
desteueramt hieran nicht gehindert. Es hätte ausgereicht, hand-
schriftlich die Angaben "Steuerkommission S." durch "Gemein-
desteueramt
S." und "Definitive Steuerveranlagung 1997/1998"
durch "Neue Steuerrechnung gemäss Rekursentscheid" zu ersetzen.
ddd) Auch die mögliche Argumentation, es sei unmöglich, nach
dem Entscheid des Steuerrekursgerichts eine neue Veranlagung zu
treffen, wäre unzutreffend. Je nach der Formulierung des Dispositivs
(so wenn trotz Gutheissung des Rekurses nicht direkt das steuerbare
Einkommen und Vermögen festgesetzt wurde) ist dies sogar uner-
lässlich. Im vorliegenden Fall traf dies zwar nicht zu, aber dies macht
die neue Veranlagung, die inhaltlich nicht vom Rekursentscheid ab-
weicht, nicht nichtig.
eee) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Veranlagung
vom 7. Dezember 2000 selbst dann nicht nichtig ist, wenn die Aus-
führungen des KStA über ihr Zustandekommen zutreffen, sodass sich
weitere Abklärungen hierüber erübrigen. Es bleibt aufgrund der
äusseren Form dabei, dass eine definitive Veranlagung durch die
dazu zuständige Steuerkommission S. vorliegt, die dem Steuer-
pflichtigen eröffnet wurde.
dd) Daraus ergibt sich, dass die in inhaltlicher Übereinstim-
mung mit dem Rekursentscheid erlassene, neue Veranlagungsver-
fügung, gegen die keine Einsprache erhoben wurde, in Rechtskraft
erwuchs, und zwar, da keine Gerichtsferien gelten, wahrscheinlich
noch bevor das KStA seine Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein-
reichte.
b) Wie soeben dargelegt, ist die neue Veranlagung rechtskräftig.
Daran würde auch die Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde nichts ändern. Vielmehr entstünde dadurch ein Wider-
spruch, der eigentlich nicht vorkommen kann, weshalb auch keine
Methode vorgesehen ist, ihn zu lösen. Das KStA hat kein legitimes
Interesse, dass ein derartiger Widerspruch geschaffen wird. Wird
konsequenterweise unter Verneinung der Beschwerdelegitimation auf
2001
Verwaltungsgericht
384
die Beschwerde nicht eingetreten, ist die Gefahr, dass der aufgezeigte
Widerspruch entstehen könnte, von vornherein gebannt.
c) Falls das KStA in der Sache Recht haben sollte, mag dieser
Verfahrensausgang unbefriedigend erscheinen. Das KStA hat es aber
in der Hand, gleichartige Fälle für die Zukunft zu verhindern, sei es
durch eine entsprechende Weisung an die Gemeindesteuerämter, sei
es durch Einspracheerhebung, wenn doch einmal ein Verfahren
schief läuft. | 3,113 | 2,442 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-81_2001-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-81.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-81.pdf | AGVE_2001_81 | null | nan |
cf46d23e-73a8-540a-9e9b-421ce112f266 | 1 | 412 | 871,201 | 1,015,113,600,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
400
[...]
93
Parteientschädigung.
-
Der Beizug eines Rechtsvertreters im Verwaltungsbeschwerdeverfah-
ren ist dann "offensichtlich unbegründet" (§ 36 Abs. 2 VRPG), wenn
er objektiv betrachtet klarerweise unnötig ist (Erw. 1).
-
Anwendung auf den konkreten Fall (Erw. 2).
2002
Verwaltungsrechtspflege
401
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 13. März 2002 in Sa-
chen G. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. a) § 36 VRPG lautet:
"
1
Im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht ist dem Ob-
siegenden eine angemessene Entschädigung für die Kosten der Ver-
tretung, Verbeiständung oder Beratung durch Anwälte und weitere
Sachverständige zuzusprechen. Die Entschädigung ist den Umständen
entsprechend dem Unterliegenden oder dem interessierten Gemeinwe-
sen oder beiden anteilweise aufzuerlegen.
2
Diese Bestimmung kommt auch in den übrigen Beschwerdeverfah-
ren zur Anwendung, sofern der Beizug eines Vertreters oder Sachver-
ständigen nicht offensichtlich unbegründet war."
Das Baudepartement betrachtete den Beizug eines Rechtsver-
treters im bei ihm hängigen Verfahren als "offensichtlich unbegrün-
det" im Sinne der angeführten Bestimmung; G. wäre als Fürsprecher
ohne Weiteres selber in der Lage gewesen, auf die Verwaltungsbe-
schwerde ohne Beizug eines Berufskollegen zu replizieren und die
entsprechenden Anträge zu stellen, zumal die Behörden den Sach-
verhalt im Sinne von § 20 Abs. 1 VRPG von Amtes wegen zu prüfen
hätten. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, dass Lehre und
Rechtsprechung an die Bejahung der Notwendigkeit einer Rechts-
vertretung keine strengen Anforderungen stellten. § 36 Abs. 2 VRPG
gehe in dieser Beziehung sogar noch weiter. Ein Rechtsanwalt dürfe
gegenüber andern Rechtsuchenden nicht in unzulässiger Weise
benachteiligt werden; auch in solchen Fällen sei einzelfallweise zu
prüfen, ob sachliche Gründe für den Beizug eines Kollegen bestan-
den hätten. Tragweite und Dauer des Verwaltungsbeschwerdever-
fahrens seien nun für den als "Privatrechtler" tätigen Beschwerde-
führer nicht absehbar gewesen; mit Beschwerderückzügen habe nicht
gerechnet werden können. Der Beizug eines in Bausachen erfahrenen
Kollegen habe auf Grund des hohen Streitwerts und des Umstands,
dass Vergleichsverhandlungen vor erster Instanz gescheitert seien,
2002
Verwaltungsgericht
402
auf der Hand gelegen. Der Hinweis auf § 20 Abs. 1 VRPG sei darum
nicht stichhaltig, weil dem Einfluss der Untersuchungsmaxime auf
die Parteientschädigung bereits in den §§ 5 und 8 AnwT Rechnung
getragen werde.
b) Die Wendung "nicht offensichtlich unbegründet" in § 36
Abs. 2 VRPG stellt einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff dar, der
die Voraussetzungen der Rechtsfolge oder die Rechtsfolge selbst in
offener, unbestimmter Weise umschreibt (siehe Ulrich Häfelin /
Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auf-
lage, Zürich 1998, Rz. 361; ferner BGE 98 Ib 509). Die Abgrenzung
zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen ist dabei flies-
send; bei beiden Erscheinungen liegen offene Formulierungen vor,
welche den rechtsanwendenden Behörden einen Entscheidungsspiel-
raum gewähren. Der Unterschied liegt darin, dass die unbestimmten
Rechtsbegriffe der Auslegung zugänglich sind und diese eine Rechts-
und
keine
Ermessensfrage
darstellt
(Häfelin/Müller,
a.a.O.,
Rz. 362 f.).
c) aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine
Norm in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn
und Zweck und den ihr zu Grunde liegenden Wertungen, aber auch
nach der Entstehungsgeschichte auszulegen. Auszugehen ist vom
Wortlaut, doch kann dieser nicht allein massgebend sein. Besonders
wenn der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zulässt, muss
nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichti-
gung weiterer Auslegungselemente, wie namentlich der Entste-
hungsgeschichte der Norm, ihrem Zweck und ihrem Zusammenhang
mit andern Bestimmungen (Bundesgericht, in: ZBl 102/2001, S. 84,
und BGE 125 II 152, je mit Hinweisen; AGVE 1997, S. 336 mit Hin-
weisen).
bb) Es entspricht einem haftpflichtrechtlichen Grundsatz, dass
nicht jeder beliebige, sondern nur der
notwendige
Rechtsverfol-
gungsaufwand des Entschädigungsberechtigten zu ersetzen ist; nicht
notwendige Parteikosten gehören, da sie keinen adäquaten Kausal-
zusammenhang zum "schädigenden" Ereignis aufweisen, nicht zum
Schaden im Rechtssinne (Martin Bernet, Die Parteientschädigung in
der schweizerischen Verwaltungsrechtspflege, Zürcher Studien zum
2002
Verwaltungsrechtspflege
403
Verfahrensrecht, Band 69, Zürich 1986, Rz. 257 mit Hinweisen;
Alfred Kölz / Jürg Bosshart / Martin Röhl, Kommentar zum Ver-
waltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich
1999, § 17 N 10 mit Hinweisen). In den Prozessgesetzen finden sich
denn auch entsprechende Formulierungen. So wird etwa gemäss Art.
159 Abs. 2 OG die unterliegende Partei verpflichtet, der obsiegenden
alle durch den Rechtsstreit verursachten
notwendigen
Kosten zu
ersetzen, und gemäss Art. 64 Abs. 1 VwVG kann die Beschwer-
deinstanz der ganz oder teilweise obsiegenden Partei eine Entschädi-
gung für ihr erwachsene
notwendige
und verhältnismässig hohe
Kosten zusprechen. Analoge Anforderungen werden an den An-
spruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung (im aargauischen
Recht: § 35 Abs. 3 VRPG) gestellt; die Verbeiständung muss
not-
wendig
erscheinen bzw. die bedürftige Partei eines Rechtsbeistands
zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedürfen (BGE 117 Ia 281;
124 I 2 mit Hinweisen; AGVE 1998, S. 438 mit Hinweisen; VGE
III/33 vom 30. März 1999 [BE.1996.00087] in Sachen M., S. 14;
Marc Forster, Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung
in der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: ZBl
93/1992, S. 460 f. mit Hinweisen).
Als notwendig gelten gemeinhin jene Parteikosten, welche zur
sachgerechten und wirksamen Rechtsverfolgung oder Rechtsver-
teidigung auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls ob-
jektiv unerlässlich sind (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O. mit Hinweisen).
Wie die Notwendigkeit im Allgemeinen hängt auch die Frage, ob der
Beizug eines rechtskundigen Vertreters erforderlich war, weitgehend
von den Umständen des Einzelfalls ab. Die tatsächlichen und rechtli-
chen Schwierigkeiten einer Angelegenheit sind an den Fähigkeiten
und an der prozessualen Erfahrung des Betroffenen sowie an den
Vorkehren der entscheidenden Behörde zu messen. Eine Vertretung
ist umso eher unerlässlich, je bedeutsamer die Sache für den Betrof-
fenen ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass dieser gegenüber der
fachlich und juristisch meist versierten Behörde in der Regel unterle-
gen ist. Bei dieser Sachlage ist dem Privaten der Beizug eines rechts-
kundigen Vertreters grundsätzlich zuzugestehen und ihm im Fall des
Obsiegens eine Entschädigung zu gewähren, jedenfalls soweit sich
2002
Verwaltungsgericht
404
die Anwaltskosten als nützlich erweisen, d.h. der Vertreter zur Füh-
rung des Verfahrens besser geeignet ist als die vertretene Partei
(Bernet, a.a.O., Rz. 259 mit Hinweisen; Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O.,
§ 17 Rz. 11 mit Hinweisen).
cc) aaa) Es fällt nun auf, dass bezüglich des Anspruchs auf
Parteientschädigung im aargauischen Recht statt des Begriffs "not-
wendig" der Begriff "nicht offensichtlich unbegründet" verwendet
wird. Vom Wortlaut her ist diese Formulierung insofern stärker, als es
mehr braucht, um den Beizug eines Vertreters oder Sachverständigen
(mit dem Anspruch auf Ersatz der Parteikosten) als ungerechtfertigt
zu betrachten. Da die heute geltende Fassung von Art. 159 Abs. 2
OG wie auch das VwVG als Ganzes im gleichen Zeitraum
entstanden wie das VRPG, drängt sich ein Blick in die Gesetzesmate-
rialien auf, um feststellen zu können, ob die unterschiedliche Wort-
wahl bewusst so getroffen wurde.
bbb) Ursprünglich war eine Entschädigung für
notwendige
Kos-
ten nur in den Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht und
den Spezialverwaltungsgerichten vorgesehen (§ 29 Satz 1 des Vor-
entwurfs der Justizdirektion vom Juni 1966; siehe auch AGVE 1972,
S. 350, 352). In der Expertenkommission, die sich mit diesem Ent-
wurf befasste, wurde dann angeregt, die Parteientschädigung auch im
Verfahren vor den Verwaltungsbehörden zuzulassen, "wenn beson-
dere Umstände vorliegen" (S. 12 des Protokolls vom 14. September
1966). Dementsprechend lautete § 29 Abs. 2 des Entwurfs der Jus-
tizdirektion vom November 1966 wie folgt:
"In schwierigen Fällen ist dies (scil. die Ausrichtung einer Parteient-
schädigung gemäss Abs. 1) auch in den übrigen Beschwerdeverfahren
möglich."
Nachdem im Schosse der Expertenkommission namentlich ge-
gen die Einführung der Parteientschädigung im Verwaltungsverfah-
ren "ernstliche Bedenken" geäussert worden waren (Protokoll der
Sitzung vom 11. November 1966, S. 10; bereinigter Entwurf der
Justizdirektion vom 30. November 1966, S. 9), nahm der Regie-
rungsrat in seine Botschaft vom 3. Mai 1967 an den Grossen Rat
einem Wunsch der Expertenkommission entsprechend die folgende
2002
Verwaltungsrechtspflege
405
Formulierung auf (§ 30 Abs. 2; siehe das Protokoll der Sitzung vom
10. Dezember 1966, S. 10):
"Diese Bestimmung kommt auch in den übrigen Beschwerdeverfahren
zur Anwendung, sofern der Beizug eines Vertreters oder Sachver-
ständigen begründet war."
In der Botschaft selber (S. 24) wurde dazu folgender Kommen-
tar abgegeben:
"Die Parteientschädigungen beschränken sich auf die Kosten für die
Vertretung, Verbeiständung oder Beratung durch Anwälte oder Sach-
verständige. Sie sind zulässig in Verfahren vor Verwaltungsgericht und
in den übrigen Beschwerdeverfahren dann, wenn der Beizug eines
Vertreters oder Sachverständigen begründet war. Das letztere ist wohl
nur dann der Fall, wenn dem Beschwerdeführer nicht zugemutet wer-
den konnte, das Rechtsmittel selber einzulegen."
Auf Antrag von Grossrat Dr. Jakob Notter beschloss dann die
vorberatende Grossratskommission anlässlich ihrer Sitzung vom
15. September 1967 die folgende neue Fassung von § 30 Abs. 2
(Protokoll, S. 11):
"Diese Bestimmung kommt auch in den übrigen Beschwerdeverfahren
zur Anwendung, sofern der Beizug eines Vertreters oder Sachver-
ständigen nicht offensichtlich unbegründet ist."
Diese Fassung wurde in der Folge, nur noch in redaktioneller
Hinsicht bereinigt ("ist" wurde durch "war" ersetzt), zum geltenden
Wortlaut.
ccc) Die Tendenz ging somit über weite Strecken des Gesetz-
gebungsverfahrens dahin, Parteientschädigungen in Verwaltungsbe-
schwerdeverfahren - wenn überhaupt - nur mit Zurückhaltung zu
gewähren; als begründet wurde der Beizug eines Vertreters nur be-
trachtet, wenn es für den Beschwerdeführer nicht zumutbar erschien,
das Rechtsmittel ohne anwaltliche Hilfe zu ergreifen (erwähnte
regierungsrätliche Botschaft vom 3. Mai 1967, S. 24). Die nicht
unwesentliche Änderung der Formulierung ganz am Schluss des
legislatorischen Prozesses wurde nicht weiter begründet und lässt
deshalb - in Anbetracht des ursprünglich zurückhaltenden Tenors -
einige Fragezeichen offen. Trotzdem lässt sich über die terminologi-
sche Differenzierung nicht hinwegsehen; es muss davon ausgegan-
2002
Verwaltungsgericht
406
gen werden, dass der aargauische Gesetzgeber Parteientschädigungen
in den Verwaltungsbeschwerdeverfahren eher in grosszügigerem
Rahmen gewähren wollte, als dies der Begriff der Notwendigkeit zu-
lässt. "Offensichtlich unbegründet" ist der Beizug eines Rechtsver-
treters dann, wenn er objektiv betrachtet klarerweise unnötig ist; es
muss auf der Hand liegen, dass eine vernünftig handelnde Prozess-
partei, wenn sie das ihr erwachsende Kostenrisiko in Rechnung stellt,
unter den gegebenen Umständen auf anwaltlichen Beistand verzich-
tet.
2. Diese Grundsätze sind im Folgenden auf den konkreten An-
wendungsfall umzusetzen.
a) Der vorliegende Fall hat die Besonderheit, dass die die Par-
teientschädigung beanspruchende Prozesspartei selber den Anwalts-
beruf ausübt. Dieser Umstand allein schliesst einen Anspruch auf
Parteientschädigung freilich nicht aus; § 36 Abs. 2 VRPG enthält
einen derartigen Vorbehalt nicht, und ein genereller Ausschluss
schüfe ein Rechtsgleichheitsproblem (siehe auch Kölz/Bosshart/
Röhl, a.a.O., § 17 N 13, zur Frage, ob ein Rechtsanwalt, der ein
Verfahren in eigener Sache oder in eigenem Namen führt, in Bezug
auf die ihm dadurch entstehenden Parteikosten ersatzberechtigt ist).
Sollte der Entscheid des Regierungsrats vom 30. Juni 1999 (Art. Nr.
1999-001236) in Sachen Dr. iur. B., auf den das Baudepartement
verweist, eine anderweitige Aussage machen ("Rechtsanwalt Dr. B.
wäre ohne weiteres in der Lage gewesen, die umstrittenen
vorinstanzlichen Entscheide ohne Beizug eines Berufskollegen -
zumal dieser noch in derselben Bürogemeinschaft tätig ist - an den
Regierungsrat weiterzuziehen"), so wäre er insoweit als nicht
schlüssig zu betrachten (siehe auch BGE 110 V 134 f.). Von selbst
versteht sich dagegen, dass die besondere Sachkunde des als Partei
am Verfahren beteiligten Anwalts bei der Beurteilung der konkreten
Fallkonstellation eine Rolle spielen muss (siehe hinten Erw. b).
b) Die Notwendigkeit, einen Rechtsvertreter beizuziehen, darf
auch nicht deswegen aus grundsätzlichen Überlegungen verneint
werden, weil das betreffende Verfahren von der Offizialmaxime bzw.
vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht wird, mithin die beteiligte
Behörde ihrerseits gehalten ist, an der Sammlung des Prozessstoffs
2002
Verwaltungsrechtspflege
407
massgeblich mitzuwirken (siehe BGE 117 Ia 282 und den erwähnten
VGE in Sachen M., S. 14 [beide zur Frage der unentgeltlichen
Rechtsverbeiständung]). Anderseits rechtfertigen es - im Rahmen der
Zurückhaltung, welche angesichts der Formulierung in § 36 Abs. 2
VRPG zu üben ist (vorne Erw. 1/c/cc) - Natur und Besonderheiten
derartiger Verfahren, an die Voraussetzungen, unter denen eine Ver-
beiständung durch einen Rechtsanwalt sachlich geboten ist, einen
eher strengen Massstab anzulegen; in einem vom Untersuchungs-
grundsatz beherrschten Verfahren ist die Mitwirkung eines Rechtsan-
walts häufig nicht zwingend erforderlich (BGE 122 I 10; erwähnter
VGE in Sachen M., S. 14).
c) Das vorinstanzliche Beschwerdeverfahren, in welchem der
Beschwerdeführer als Bauherr beteiligt war, ist zwar geprägt durch
einen relativ hohen Streitwert (die Bausumme für die Betonaufbe-
reitungsanlage wird in den Baugesuchsakten mit Fr. 1'500'000.--
angegeben), doch ist dies letztlich nicht entscheidend. Ungleich stär-
ker fällt ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen
Verfahren mit einer recht einfachen und übersichtlichen Ausgangs-
lage konfrontiert war. So führten vor dem Baudepartement nur noch
solche Einsprecher Verwaltungsbeschwerde, deren Einsprachebefug-
nis vom Gemeinderat auf Grund der örtlichen Gegebenheiten ver-
neint worden war. Der Gegenstand des Verfahrens reduzierte sich
somit im Wesentlichen auf ein Legitimationsproblem. In materieller
Hinsicht sodann ging es den damaligen Beschwerdeführern nicht um
eine Verhinderung des Bauvorhabens, sondern einzig um dessen ver-
kehrstechnische Erschliessung, welche sie mit einer Auflage in ihrem
Sinne geregelt haben wollten. Der Beschwerdeführer wies in der
Vernehmlassung vom 14. Februar 2001 darauf hin, dass er "nöti-
genfalls mit einer rechtsverbindlichen Auflage, wonach die Zu- und
Wegfahrt zur Betonaufbereitungsanlage für betriebseigene Fahr-
zeuge, die ca. 90% des Gesamtverkehrs ausmachen, zwingend über
die Nigglishüserstrasse / Aeschwuhrstrasse-West zu erfolgen habe,
durchaus leben könnte"; damit gab er zu erkennen, dass er dem Ver-
fahrensausgang nicht allzu grosse Bedeutung beimass. Jedenfalls
erscheint dem Verwaltungsgericht klar, dass unter diesen Umständen
der rechtskundige Beschwerdeführer nicht auf eine anwaltliche Ver-
2002
Verwaltungsgericht
408
beiständung angewiesen sein konnte. War der Beizug seines Büro-
kollegen somit "offensichtlich unbegründet", darf ihm gemäss § 36
Abs. 2 VRPG auch keine Parteientschädigung ausgerichtet werden.
Die Beschwerde ist abzuweisen und der vorinstanzliche Entscheid zu
bestätigen. | 3,591 | 2,915 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-93_2002-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-93.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-93.pdf | AGVE_2002_93 | null | nan |
cf583129-7cf1-5ce6-8b8f-1e164f64ddeb | 1 | 412 | 871,858 | 1,049,155,200,000 | 2,003 | de | 2003
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
151
[...]
44
Anstaltseinweisung; Zuständigkeit; Zwangsmassnahmen.
- Die Regelung des Ausgangs ist eine Anordnung der Klinik im Rahmen
des Vollzugs einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung und kann als
solche nicht durch das Verwaltungsgericht überprüft werden
(Erw. 2/c/aa).
- Eine Zwangsmassnahme i.S.v. § 67e
bis
EGZGB liegt vor, wenn neben
dem Entzug der Bewegungsfreiheit ein zusätzlicher Eingriff in die
körperliche oder psychische Integrität des Betroffenen erfolgt; die
vorübergehende Streichung des Gruppenspaziergangs ist keine
Zwangsmassnahme (Erw. 2c/bb).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 15. April 2003 in Sa-
chen R.F. gegen Entscheid der Klinik Königsfelden.
Aus den Erwägungen:
2. a) Das Verwaltungsgericht beurteilt Beschwerden gegen für-
sorgerische Freiheitsentziehungen (§ 52 Ziff. 14 VRPG; Art. 397d
ZGB und § 67o EGZGB). Die verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit
beschränkt sich dabei auf die Beurteilung der Rechtmässigkeit der
Einweisung in eine Anstalt oder der Verweigerung der Entlassung
(Zurückbehaltung bzw. Abweisung des Entlassungsgesuchs). Anord-
nungen in der Anstalt im Rahmen des Vollzugs einer fürsorgerischen
Freiheitsentziehung überprüft es hingegen nicht (AGVE 1989,
S. 198 f.; 1987, S. 217; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und
Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die
Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38 - 72 VRPG, Diss.
Zürich 1998, § 52 N 118).
2003
Verwaltungsgericht
152
b) Gemäss § 67e
bis
Abs. 4 EGZGB kann auch ein Entscheid der
Psychiatrischen Klinik Königsfelden betreffend Zwangsmassnahmen
im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung, einschliesslich
der nach §
15 PD notfallmässig durchgeführten Zwangs-
behandlungen (AGVE 2000, S. 177 f.), mit Beschwerde beim Ver-
waltungsgericht angefochten werden. Das Verwaltungsgericht über-
prüft, ob die Zwangsmassnahme nach Massgabe des Einweisungs-
grundes medizinisch indiziert und ob sie verhältnismässig ist. Das
Verwaltungsgericht ist indessen grundsätzlich nicht zuständig zur
Beurteilung von konkreten ärztlichen Anordnungen, wie die Wahl
des Medikaments, der Dosierung, der Anordnung einer bestimmten
therapeutischen Behandlung, Wahl der Abteilung, etc. Dies gehört in
den Fachbereich der Ärzte (AGVE 1987, S. 217; AGVE 1989, S. 198
f.; Eugen Spirig, Zürcher Kommentar, Art. 397a - 397f ZGB, Zürich
1995, Art. 397d N 42 mit Hinweisen).
c) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Entscheid
der Klinik, dem Beschwerdeführer bei Entweichen während des
Gruppenspaziergangs den Ausgang für drei Tage zu streichen.
aa) Es handelt sich dabei um eine Vorkehr der Klinik zur Er-
füllung ihrer Aufsichtspflicht gegenüber dem Beschwerdeführer, der
sich - zur Zeit zu Recht - mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung
in der Klinik als geschlossene Anstalt befindet. Die Regelung des
Ausgangs liegt im Ermessen der Klinikärzte. Es handelt sich um eine
Frage der Ausgestaltung gewisser Freiheiten im Rahmen des
Klinikalltags. Wenn der Beschwerdeführer diese Freiheiten für
Fluchtversuche missbraucht, ist die darauffolgende Streichung des
Spaziergangs eine Anordnung im Rahmen des Vollzugs der fürsorge-
rischen Freiheitsentziehung. Diese kann nicht Gegenstand der ver-
waltungsgerichtlichen Prüfung einer fürsorgerischen Freiheitsentzie-
hung sein (siehe vorne, Erw. 2/a).
bb) Weiter stellt sich die Frage, ob eine Zwangsmassnahme im
Sinne von § 67e
bis
EGZGB vorliegt. Eine Zwangsmassnahme im
Sinne dieser Bestimmung ist eine Behandlung oder eine andere Vor-
kehr, die im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung gegen
den Willen der betroffenen Person vorgenommen wird, und die ne-
ben dem Entzug der Bewegungsfreiheit einen zusätzlichen Eingriff
2003
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
153
in die körperliche oder psychische Integrität der betroffenen Person
bedeutet (BGE 125 III 172 f.). Der Gesetzgeber dachte im Wesentli-
chen an Zwangsmedikation, Isolation und Fixierung. Das Verwal-
tungsgericht hat entschieden, dass auch das Besuchsverbot der Spi-
talpfarrerin und der Entzug der Bibel eines isolierten Patienten
Zwangsmassnahmen darstellen, weil durch diese Anordnungen die
persönliche Freiheit des Patienten weitergehend als durch den
Zwangsaufenthalt in der Anstalt eingeschränkt wurde (AGVE 2000,
S. 195 ff.). Durch die vorliegend angeordnete und inzwischen mehr-
mals vollzogene vorübergehende Streichung des Gruppenspazier-
gangs wird die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers nicht
weitergehend eingeschränkt, als sie es durch den Entzug der Bewe-
gungsfreiheit in der psychiatrischen Klinik Königsfelden als ge-
schlossene Anstalt grundsätzlich schon ist. Es handelt sich somit
nicht um eine Zwangsmassnahme im Sinne von § 67e
bis
EGZGB,
weshalb auch unter diesem Titel keine verwaltungsgerichtliche
Überprüfung der Klinikanordnung vom 8. April 2003 erfolgen kann. | 1,104 | 874 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-44_2003-04-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-44.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-44.pdf | AGVE_2003_44 | null | nan |
cf5d3e55-d646-5422-952c-e9cd2671041e | 1 | 412 | 871,047 | 1,067,731,200,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsgericht
292
[...]
69 Materielle
Hilfe.
- Berechnung der materiellen Hilfe, wenn der Sozialhilfeempfänger in
einem gefestigtem Konkubinat lebt. Unzulässigkeit der Gleichstellung
mit einem Ehepaar.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. November 2003 in
Sachen V.G. gegen Entscheid des Bezirksamts R.
Aus den Erwägungen
2. a) aa) Das SHG (in der bis zum 31. Dezember 2002 gelten-
den Fassung) enthält keine explizite Regelung bezüglich der Berech-
nung des Sozialhilfeanspruches bei Konkubinatspartnern. Gemäss
§ 12 Abs. 1 SHG sind die Sozialbehörden allerdings nur zur Leistung
materieller Hilfe verpflichtet, soweit der Hilfesuchende für seinen
Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen mit gleichem
Wohnsitz nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mit-
teln aufkommen kann. Damit wird der Grundsatz der Subsidiarität
der Sozialhilfe ausgedrückt. Soweit der Bedürftige gegenüber Ange-
hörigen oder Dritten einen klagbaren Anspruch auf Leistungen be-
2003
Sozialhilfe
293
sitzt, besteht demnach kein Anspruch auf Sozialhilfe. Sozialhilfeleis-
tungen sind aber auch subsidiär gegenüber Leistungen Dritter, wel-
che ohne rechtliche Verpflichtungen erbracht werden (Entscheid des
Bundesgerichts vom 24. August 1998 [2P.386/1997] in Sachen K.,
Erw. 3/c; Basellandschaftliche Verwaltungsgerichtsentscheide
[BLVGE] 1998, S. 223; Richtlinien für die Ausgestaltung und Be-
messung der Sozialhilfe, herausgegeben von der Schweizerischen
Konferenz für Sozialhilfe [SKOS-Richtlinien], Dezember 2000,
Ziff. A.4).
Im Konkubinatsverhältnis bestehen keine gesetzlichen Unter-
halts- oder Unterstützungspflichten. Für das Sozialhilferecht ist nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung - im Sinne einer widerlegbaren
Vermutung - indessen davon auszugehen, dass sich die Partner eines
stabilen Konkubinats gegenseitig unterstützen. Dies hat zur Folge,
dass Einkommen und Vermögen des Konkubinatspartners bei einem
gefestigten Konkubinat für die Beurteilung der Bedürftigkeit ange-
messen mitberücksichtigt werden darf (erwähnter BGE vom
24. August 1998, Erw. 3/c; vgl. auch BGE 129 I 6 f.; Felix Wolffers,
Grundriss des Sozialhilferechts, Bern 1993, S. 162). Von einem
gefestigten Konkubinat ist auszugehen, wenn es mindestens fünf
Jahre andauert (SKOS-Richtlinien, Ziff. F.5.1).
bb) Diese Grundsätze haben Eingang in das ebenfalls vom Sub-
sidiaritätsgedanken geprägte SPG (§ 5 Abs. 1) bzw. den diesen kon-
kretisierenden § 12 SPV gefunden. Danach können einer unter-
stützten Person, welche in einer stabilen, eheähnlichen Beziehung
lebt, die finanziellen Mittel des Partners ganz oder teilweise ange-
rechnet werden, sofern nicht glaubhaft gemacht werden kann, dass
die Beziehung keinen eheähnlichen Charakter aufweist. Beim Um-
fang der anzurechnenden finanziellen Mittel ist den konkreten Um-
ständen, insbesondere bestehenden Verpflichtungen, angemessen
Rechnung zu tragen (Abs. 1). Eine stabile, eheähnliche Beziehung ist
unter anderem dann anzunehmen, wenn seit mindestens 5 Jahren ein
gemeinsamer Haushalt geführt wird (Abs. 2 lit. a). In dieser allge-
mein gehaltenen Formulierung ist diese Verordnungsbestimmung
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. dazu auch
AGVE 1985, S. 120 ff.).
2003
Verwaltungsgericht
294
cc) Die fehlende rechtliche Unterhaltspflicht zwischen Konku-
binatspaaren verbietet aber aus Gründen der Rechtsgleichheit (Art. 8
Abs. 1 BV) ein Abstellen auf die gleiche Berechnungsweise wie bei
zusammenlebenden Eheleuten, da damit Ungleiches gleich behandelt
würde. Die gegenteiligen Erläuterungen im Handbuch Sozialhilfe des
Kantonalen Sozialdienstes (4. Auflage, August 2003, Kapitel 12,
Rechtsprechung 1, S. 3), wonach bei einem gefestigten Konkubinat
ein gemeinsames Budget unter Einbezug der Einkünfte und Vermö-
genswerte der nicht unterstützten Person zu erstellen ist, erweisen
sich daher als unzulässig. Ihnen kommt - im Gegensatz zum SPG, der
dieses ausführenden SPV und, soweit von Letzterer als massgeblich
bezeichnet (§ 10), den SKOS-Richtlinien - ohnehin keine rechtser-
zeugende Wirkung zu; sie sind nur beachtlich, soweit sie dem for-
mell gesetzten Recht entsprechen oder dort klarerweise enthaltene
Ermessenspielräume korrekt ausfüllen.
dd) Im Ergebnis ist festzuhalten, dass bei einem gefestigten
Konkubinat die tatsächliche gegenseitige Unterstützung vermutet
wird. Die finanziellen Mittel des Konkubinatpartners dürfen - soweit
zumutbar - angemessen angerechnet werden. Dies gilt unabhängig
davon, ob die Sozialhilfeansprüche nach SHG oder SPG zu beurtei-
len sind.
b) Gemäss eigenen Angaben leben der Beschwerdeführer und
sein Partner Z. seit über 20 Jahren in einem gemeinsamen Haushalt
zusammen. Es handelt sich um ein gefestigtes Konkubinat; entspre-
chend ist davon auszugehen, dass sie sich gegenseitig unterstützen.
Diese Vermutung vermögen die durch nichts belegten Behauptungen
des Beschwerdeführers, der eine Unterstützung durch Z. verneint,
nicht umzustossen. Ganz im Gegenteil zeigt die fehlende Deklaration
von Mietzinseinnahmen durch Z., dass er den Beschwerdeführer
kostenlos in seiner - nach den gegebenen Umständen im Hinblick auf
das weitere Zusammenleben zu zweit erworbenen - Eigentumswoh-
nung wohnen lässt und ihn insoweit unterstützt. Für eine tatsächliche
Unterstützung sprechen im Weiteren auch die finanziellen Verhält-
nisse von Z. Er deklarierte in den Jahren 1999/2000 ein Reinein-
kommen von ... Bei solchen finanziellen Verhältnissen ist eine Un-
terstützung des Konkubinatspartners durchaus zumutbar.
2003
Sozialhilfe
295
c) Soweit auf Grund der Verhältnisse eine finanzielle Unter-
stützung durch den Konkubinatspartner zumutbar ist, ist zu deren
Berechnung auf die von ihm effektiv zu tragenden Ausgaben abzu-
stellen. Bei der Bedarfsrechnung darf dabei nicht nur ein Grundbe-
darf nach Sozialhilfegrundsätzen (§ 10 SPV i.V.m. SKOS-Richtli-
nien, Ziff. B.2) eingesetzt werden, denn der nicht unterstützungsbe-
dürftige Konkubinatspartner muss sich nicht auf einen Lebensstand-
ard nach Sozialhilfegrundsätzen beschränken. Diesem Umstand ist
durch die Berücksichtigung eines im Einzelfall festzulegenden Zu-
schlags Rechnung zu tragen. Anders entscheiden würde im Ergebnis
zu einer Gleichstellung mit Ehepaaren führen und die finanziellen
Mittel des Konkubinatspartners über den zumutbaren Rahmen hinaus
berücksichtigen.
d) (...)
e) Wie bereits ausgeführt, stellt Z. dem Beschwerdeführer die
Unterkunft unentgeltlich zur Verfügung. Entsprechend sind beim
Bedarf des Beschwerdeführers keine Wohnungskosten zu berück-
sichtigen, weshalb sich weitere Ausführungen zu deren Angemes-
senheit erübrigen. Zusätzlich vom in Geld vorhandenen Überschuss
von monatlich Fr. 1'224.-- rund
1
/
5
dem Beschwerdeführer als eigene
Mittel zuzurechnen, hält sich klar im Rahmen des Zumutbaren und
ist offensichtlich nicht übersetzt. | 1,498 | 1,197 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-69_2003-11-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-69.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-69.pdf | AGVE_2003_69 | null | nan |
cf60cfd4-d98d-5d14-bd00-7fd55c640ee0 | 1 | 412 | 871,582 | 1,388,534,400,000 | 2,014 | de | 2014
Personalrecht
241
XI. Personalrecht
43
Besoldung Lehrpersonen Kindergarten
-
Lehrpersonen Kindergarten üben einen typischen Frauenberuf aus
(Erw. 1).
-
Die ABAKABA-Punktewerte des Verwaltungspersonals sowie der
Lehrpersonen sind direkt miteinander vergleichbar (Erw. 5).
-
Es lässt sich grundsätzlich nicht beanstanden, dass für die Lohn-
einstufung des Verwaltungspersonals einerseits und der Lehrperso-
nen andererseits Vergleichslöhne unterschiedlich berücksichtigt wer-
den (Erw. 6).
-
Anforderungen an die Erhebung der Vergleichslöhne (Erw. 7).
-
Soweit die Besoldung der Lehrpersonen Kindergarten an deren
Besoldung gemäss dem früheren Lohnsystem anknüpft, bedarf es des
Nachweises, dass diese frühere Besoldung diskriminierungsfrei war
(Erw. 8).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 29. Januar
2014 in Sachen. B. gegen Schulpflege V. (WBE.2013.151).
Aus den Erwägungen
1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihre Lohneinstufung sei
diskriminierend. Der entsprechenden Argumentation legt sie die Be-
hauptung zugrunde, als Lehrperson Kindergarten übe sie einen typi-
schen Frauenberuf aus. Diese Qualifikation ist ohne weiteres zutref-
fend; sie deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts (Ur-
teil des Bundesgerichts vom 15. Juni 2007 [2A.79/2007], Erw. 2;
BGE 125 II 530,
Erw. 2b)
sowie
des
Verwaltungsgerichts
(VGE IV/89 vom 7. Dezember 2007 [WNO.2005.1-4], S. 23). Allein
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
242
durch eine Besoldungserhöhung wird die Qualifikation als typischer
Frauenberuf nicht hinfällig.
2.
2.1.
Die Beschwerdeführerin bezieht sich im Zusammenhang mit ih-
rer Rüge der Diskriminierung primär auf den Vergleich mit Funktio-
nen der Kantonalen Verwaltung (Sachbereichsleiter/in, Sachbearbei-
ter/in II und Fachspezialist/in I). (...)
2.2.
(Darstellung des Besoldungssystems für das aargauische Ver-
waltungspersonal; dieses richtet sich primär nach dem Arbeitsplatz-
bewertungssystem ABAKABA)
2.3.
(Darstellung des Besoldungssystems für die aargauischen Lehr-
personen; zusammenfassend wird die Lohneinstufung aufgrund fol-
gender Gewichtung festgelegt: 37,5 % bisheriger Positionslohn
[= Minimallohn gemäss dem früheren Besoldungssystem], 12,5 %
ABAKABA-Lohn, 50 % Marktlohn [= Vergleichslohn, der in be-
stimmten anderen Kantonen ausbezahlt wird])
3.
(Darstellung der Rechtsprechung betreffend die Lohngleichheit
von Mann und Frau)
4. (...)
5.
5.1.
Die Behauptung, die Tätigkeit der Lehrpersonen Kindergarten
sei gegenüber den ähnlich besoldeten Tätigkeiten der Verwaltung
deutlich höher einzustufen, ist vorab nach Massgabe der Arbeits-
platzbewertung ABAKABA zu prüfen. Umstritten ist in diesem Zu-
sammenhang die Bedeutung des ABAKABA-Merkmals "Fd" betref-
fend die "Verantwortung für die Erreichung von Lernzielen". Nach
Darstellung des Beigeladenen ist dieses Merkmal "systemwidrig"
und einzig darauf ausgerichtet, die unterschiedlichen Funktionen von
Lehrpersonen präziser abbilden zu können. Da es nur bei den
Lehrpersonen erhoben werde bzw. nur sie hier Punkte generieren
könnten, sei ein Quervergleich der ABAKABA-Punktezahlen des
2014
Personalrecht
243
Verwaltungspersonals einerseits sowie der Lehrpersonen andererseits
ausgeschlossen.
5.2.
Der sachverständige Zeuge erklärte an der Verhandlung vor
Verwaltungsgericht, gemäss seinen Informationen sei der Merkmals-
bereich "F" (Führung) für die beiden Personalgruppen Lehrpersonen
und Verwaltungspersonal gleich ausgestaltet. Das Merkmal "Fd"
(Verantwortung für die Erreichung von Lernzielen) sei zwar beson-
ders für Lehrpersonen konzipiert worden, finde aber auch bei der Be-
wertung der Arbeitsplätze des Verwaltungspersonals Anwendung.
Das Merkmal gelte demnach für beide Personalgruppen gleichermas-
sen. Die Verantwortung für die Erreichung von Lernzielen erwachse-
ner Personen werde weniger hoch bewertet als diejenige für die
Erreichung von Lernzielen von Kindern und Jugendlichen, weil die
Eigenverantwortung bei Erwachsenen grösser sei. Es sei jedoch nicht
so, dass die Lehrpersonen im Vergleich zum Verwaltungspersonal
Zusatzpunkte erhalten würden. Immerhin könnten die Lehrpersonen
bei den Merkmalen "Fa-c" keine Punkte sammeln. Im Übrigen gebe
es immer Merkmale, die nur für einen Teil der Funktionen relevant
seien, beispielsweise das Merkmal "Pd6" (Kälte, Hitze, Nässe, Arbeit
im Freien). Ein einzelnes Merkmal könne nur dann ausgeklammert
werden, wenn bei einem Arbeitgeber keine einzige Funktion vorhan-
den sei, für die es relevant sein könnte. Das System sei darauf ange-
legt, alle Arbeitsplätze nach dem gleichen Raster zu beurteilen, so
dass eine vollumfängliche Vergleichbarkeit der Punktewerte gewähr-
leistet sei. Dies sei auch in Bezug auf die Lehrpersonen sowie das
Verwaltungspersonal "absolut" erfüllt. Die Behauptung des Beigela-
denen, wonach im Zusammenhang mit dem Merkmal "Fd" die Ver-
gleichbarkeit nicht gegeben sein soll, könne er (der sachverständige
Zeuge) nicht nachvollziehen.
5.3.
Die erwähnten Aussagen des sachverständigen Zeugen, nota-
bene eines der beiden Begründer des Arbeitsplatzbewertungssystems
ABAKABA, sind schlüssig und nachvollziehbar. Es besteht kein An-
lass, an deren Richtigkeit zu zweifeln bzw. die Vergleichbarkeit der
ABAKABA-Punktewerte der Lehrpersonen einerseits sowie des Ver-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
244
waltungspersonals andererseits in Frage zu stellen. Dies gilt umso
mehr, als es sich dabei ausschliesslich um eine rein arbeitswissen-
schaftliche Problematik handelt. Der Umstand, dass beim Merkmal
"Fd" primär Lehrpersonen Punkte generieren, vermag an der erwähn-
ten Einschätzung nichts zu ändern. Im Übrigen existieren ausweis-
lich der vom Beigeladenen zu den Akten gereichten ABAKABA-
Protokolle beim Verwaltungspersonal mit dem/der Fachspezialist(in)
Informatik und dem/der Zivilschutzinstruktor(in) mindestens zwei
Funktionen, die für das umstrittene, angeblich den Lehrpersonen vor-
behaltene Merkmal "Fd" ebenfalls Punkte erhielten. Dass die
ABAKABA-Punktewerte der Lehrpersonen und des Verwaltungsper-
sonals "eins zu eins" miteinander vergleichbar sind, zeigt sich
schliesslich nicht zuletzt auch darin, dass der Beigeladene die sich
aus den ABAKABA-Protokollen für die Lehrpersonen ergebenden
Punktewerte auf den Lohnstufenplan für das Verwaltungspersonal
referenzierte, um den in das Vektorenmodell einzusetzenden
"ABAKABA-Lohn" zu erhalten.
5.4. (...)
5.5.
Die Lehrpersonen Kindergarten erreichten bei der Arbeitsplatz-
bewertung nach ABAKABA 478 Punkte (Total gewichtet). Damit
wären sie nach der entsprechenden Umrechnungsskala in die Lohn-
stufe 13 des Lohnstufenplans für das Verwaltungspersonal (für Funk-
tionen mit 440 bis 479,99 Punkten) einzureihen, für welche 2011 ein
Minimal- oder Positionslohn von Fr. 96`478.50 bzw. ein Maximal-
lohn von Fr. 135'069.90 galt. Tatsächlich wurde die Beschwer-
deführerin in die Lohnstufe 2 des Lohnstufenplans für die Lehrper-
sonen mit einem Minimal- bzw. Positionslohn von Fr. 70`622.00 und
einem Maximallohn von Fr. 112'995.00 eingereiht (Anhänge I und
IIA LDLP).
Allein aufgrund der im Vergleich zum Verwaltungspersonal
tieferen Einstufung ist jedoch eine Diskriminierung im Sinne von
Art. 8 Abs. 3 BV und Art. 3 GlG weder dargetan noch auch bloss
glaubhaft gemacht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Vek-
torenmodell, welches letztlich zur Tiefereinstufung führt (vgl. Bot-
schaft Änderung LDLP, Tabelle S. 12), für sämtliche Lehrpersonen
2014
Personalrecht
245
Anwendung findet, also nicht nur für den frauenspezifischen Beruf
der Lehrpersonen Kindergarten. Im Folgenden ist indessen zu prüfen,
ob die Vektoren "Marktlohn" und "bisheriger Lohn" für die Lehrper-
sonen Kindergarten diskriminierende Auswirkungen haben.
6.
6.1.
6.1.1.
Für die Lohneinstufung des Verwaltungspersonals spielt der
Marktvergleich gegenüber der ABAKABA-Bewertung eine weniger
gewichtige Rolle. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut von
§ 5 LD: Gemäss Abs. 3 legt der Regierungsrat die Positionslöhne
nach einem Bericht über die Bewertung der Arbeitsplätze fest; ge-
mäss Abs. 4 bildet dieser Bericht auch die Basis für den Lohnstufen-
plan sowie den Einreihungsplan. § 5 Abs. 4 LD verlangt indessen
ausdrücklich, dass zusätzlich auch die Arbeitsmarktsituation zu be-
rücksichtigen ist. Ursprünglich wurden bei der Zuordnung der
ABAKABA-Punktezahl zu den einzelnen Lohnstufen verschiedent-
lich dauerhafte Marktkorrekturen um plus oder minus ein oder zwei
Lohnstufen vorgenommen. Im Rahmen der Revision wurde demge-
genüber speziell darauf geachtet, die Notwendigkeit derartiger
Marktkorrekturen soweit als möglich zu vermeiden. Effektiv konnten
die Ergebnisse der Arbeitsplatzbewertung so auf die Marktsituation
abgestimmt werden, dass aus der Zuordnung der ABAKABA-Punk-
tewerte zu den einzelnen Lohnstufen marktgerechte Löhne resul-
tierten. § 5 Abs. 1 LD bietet indessen weiterhin die Möglichkeit, bei
Bedarf die sich aus ABAKABA ergebenden Löhne dauerhaft nach
Massgabe des Marktes zu reduzieren oder zu erhöhen.
6.1.2.
Im Lohnsystem für die Lehrpersonen spielt der Marktlohn eine
bedeutend zentralere Rolle, kommt ihm doch im Rahmen des Vekto-
renmodells ein Gewicht von 50 % zu. Dies wird damit begründet,
dass der Arbeitsmarkt Lehrpersonen weitgehend in sich geschlossen
ist und primär eine Konkurrenz zu den umliegenden Kantonen be-
steht (vgl. Botschaft LDLP, S. 15).
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
246
6.2.
Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist es einem
Kanton nicht verwehrt, sein Lohnsystem auf einen grösseren Markt
auszurichten und die dort bezahlten Gehälter mit zu berücksichtigen.
Der Arbeitgeber darf das Arbeitsmarktargument jedoch nicht derart
anwenden, dass er daraus ohne sachliche, geschlechtsunabhängige
Gründe nur zum Nachteil des einen Geschlechts bzw. von vorwie-
gend weiblichen Funktionsbereichen Schlüsse zieht, nicht aber beim
anderen Geschlecht bzw. bei neutralen oder vorwiegend männlichen
Funktionsbereichen. Demnach muss sich der Arbeitgeber - vor allem
wenn es um Herabsetzungen geht - vergewissern, dass die Ver-
gleichslöhne auf dem Markt nicht selber diskriminierende Züge auf-
weisen. Ansonsten würden allfällige auf dem Markt bestehende Ge-
schlechterdiskriminierungen (wieder) Einfluss in das Lohnsystem
finden, obwohl es gerade ein Ziel der analytischen Arbeitsplatz-
bewertung war, sie auszuräumen. Im Weiteren müssen die geltend
gemachten arbeitsmarktlichen Verhältnisse tatsächlich vorhanden ge-
wesen sein und den Lohnentscheid beeinflusst haben (BGE 131 II
393, Erw. 7.4 mit zahlreichen Hinweisen). Dem erwähnten Urteil des
Bundesgerichts lag ein sogenannter Minusklassenentscheid zugrun-
de, d.h. es wurde - unter Verweis auf den Marktlohn - zum Nachteil
geschlechtsspezifischer Funktionen eine tiefere Lohneinreihung vor-
genommen, als sie gemäss systematischer Arbeitsbewertung ange-
zeigt gewesen wäre. Das Bundesgericht hielt in diesem Zusammen-
hang fest, dass ein derartiges Vorgehen begründungsbedürftig ist und
in der Regel zur Vermutung einer Diskriminierung führt; die Beweis-
last wird nach Art. 6 GlG umgekehrt (BGE 131 II 393, Erw. 7.1 mit
Hinweisen).
6.3.
6.3.1.
Es lässt sich grundsätzlich nicht beanstanden, dass für das Ver-
waltungspersonal einerseits sowie die Lehrpersonen andererseits
zwei verschiedene Besoldungssysteme vorgesehen sind. Der Um-
stand, dass die beiden Systeme dem Markt in verschiedener Art und
Weise Rechnung tragen, vermag an dieser Einschätzung nichts zu än-
dern. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass bei den Lehrperso-
2014
Personalrecht
247
nen im Gegensatz zum Verwaltungspersonal zum einen eine hohe
Vergleichbarkeit gegeben ist und zum anderen ein geschlossener
Markt besteht (siehe vorne Erw. 6.1.2). Es erscheint daher gerecht-
fertigt, dass der Beigeladene in besonderem Masse auf diesen Markt
abstellt bzw. das Lohnniveau der Lehrpersonen wesentlich nach
demjenigen der Nachbarkantone ausrichtet.
Hinzu kommt, dass sich die Zuordnung der ABAKABA-
Punktezahl zur entsprechenden Lohnstufe stark nach den Bedürfnis-
sen des Marktes für das allgemeine Verwaltungspersonal richtet
(siehe vorne Erw. 6.1.1) und dennoch die ABAKABA-Punktewerte
der Lehrpersonen auf den Lohnstufenplan des allgemeinen Verwal-
tungspersonals referenziert werden. Aufgrund dieser Konstellation
erscheinen Korrekturen unvermeidbar, damit bei der Lohneinstufung
der Lehrpersonen dem diesbezüglichen Markt gebührend Rechnung
getragen werden kann. Alternativ wäre es nach Darstellung des sach-
verständigen Zeugen möglich gewesen, bei der erwähnten Zuord-
nung sowohl den Markt des allgemeinen Verwaltungspersonals als
auch denjenigen der Lehrpersonen zu berücksichtigen; dabei hätte je-
doch kaum auf Korrekturen in der Form von dauerhaften Marktan-
passungen verzichtet werden können.
6.3.2.
Problematisch mag erscheinen, wie stark bei zwei parallelen
Lohnsystemen desselben Arbeitgebers die Gewichtungen des Mark-
tes voneinander abweichen dürfen. Dies kann jedoch vorliegend auf-
grund der nachstehenden Erwägungen offen gelassen werden. (...)
7.
7.1.
7.1.1.
Wird ein Lohnsystem wesentlich auf den Markt ausgerichtet, so
ist im Sinne der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung
vorauszusetzen, dass in einem ersten Schritt die Vergleichslöhne
sorgfältig und hinreichend differenziert erhoben werden. Eine ent-
sprechend durchgeführte Marktanalyse ist eine grundlegende Voraus-
setzung für jegliche Anpassung der aus einer analytischen Arbeits-
platzbewertung resultierenden Löhne an davon abweichende Markt-
löhne. Je stärker das Gewicht des Marktlohnes im Vergleich zum
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
248
ABAKABA-Lohn ist, eine umso höhere Bedeutung kommt der sorg-
fältigen Erhebung des Marktlohnes zu.
7.1.2.
Der Marktvergleich betreffend die Lehrpersonen Kindergarten
wurde - wie bei allen Lehrpersonen - mit den sechs Nachbarkanto-
nen (Basel-Land, Solothurn, Bern, Luzern, Zug, Zürich) sowie mit
den Kantonen Basel-Stadt und St. Gallen durchgeführt. Die Konkur-
renzsituation mit den Nachbarkantonen erscheint offensichtlich und
wird letztlich auch von der Beschwerdeführerin nicht in Frage ge-
stellt. Dasselbe gilt in Bezug auf den nicht direkt angrenzenden, je-
doch nahe gelegenen Kanton Basel-Stadt. Fraglich erscheint demge-
genüber der Einbezug des Kantons St. Gallen, zu welchem im
Gegensatz zu den Nachbarkantonen nur eine untergeordnete Konkur-
renzsituation besteht. Es mag zutreffen, dass dieser Kanton ver-
gleichbare wirtschaftliche Strukturen aufweist (Botschaft LDLP,
S. 15). Diese Parallelität genügt jedoch nicht, um die Lohneinstufung
der Lehrpersonen (auch) nach dem Kanton St. Gallen auszurichten.
Ergeben sich folglich für den Kanton St. Gallen über- oder unter-
durchschnittliche Vergleichswerte, ist ihre Berücksichtigung mangels
genügender Konkurrenzsituation nicht gerechtfertigt; bei durch-
schnittlichen Werten ist ein Einbezug ohne erkennbaren Nutzen.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass gewisse
Anhaltspunkte für eine unterdurchschnittliche Besoldung der Lehr-
personen Kindergarten im Kanton St. Gallen sprechen (vgl. dazu den
"Lohnvergleich 2013" des Zentralverbands Öffentliches Personal
Schweiz auf http://oeffentlichespersonal.ch/downloads/Lohnver-
gleich_2013_deutsch.pdf sowie den Artikel "Lohnklagen der Lehre-
rinnen könnten Kantone Millionen kosten" vom 12. Dezember 2013
auf http:///www.tagesanzeiger.ch/schweiz/Lohnklagen-der-Lehrerin-
nen-koennten-Kantone-Millionen-kosten-/story/24621331).
Aller-
dings muss vorliegend offen bleiben, ob die entsprechenden Verglei-
che auf gesicherten Zahlen beruhen.
7.1.3.
Bei der letzten Erhebung der Vergleichslöhne wurde offenbar
nur danach gefragt, wie hoch der Minimallohn der betroffenen Lehr-
personen ist. Mehr gibt das vom Beigeladenen mit der Eingabe vom
2014
Personalrecht
249
20. November 2013 eingereichte Datenblatt jedenfalls nicht her. Es
zeigt für acht anonymisierte Kantone je die Jahreslöhne (Marktwerte,
Stand Mai 2010) für die Lehrpersonen Kindergarten einerseits und
die Lehrpersonen Primarstufe / Einschulungsklasse andererseits.
Nimmt man den Schnitt aus den acht für die Kindergartenlehrperso-
nen präsentierten Lohnzahlen (Fr. 57'599.00, Fr. 65'476.00,
Fr. 66'170.00,
Fr. 68'712.00,
Fr. 69'438.00,
Fr. 69'548.00,
Fr. 70'763.00 und Fr. 71'245.00), resultiert der in der Botschaft Ände-
rung LDLP (Tabelle S. 12) verzeichnete Marktmittellohn von aufge-
rundet Fr. 67'370.00.
Ein umfassender Besoldungsvergleich würde eine Vielzahl von
Komponenten beinhalten, d.h. nicht nur den Lohn im engeren Sinne,
sondern auch sämtliche weiteren wirtschaftlichen Leistungen des Ar-
beitgebers (Pensionskassenlösungen, Lohnfortzahlung bei Krank-
heit/Unfall, Dienstaltersgeschenke etc.) sowie namentlich die
Arbeitszeit (Pflichtstunden pro Woche, Ferien). Ein solcher Vergleich
wäre indessen überaus aufwendig und würde den Rahmen dessen,
was im Hinblick auf die Lohneinstufung angezeigt erscheint, spren-
gen. Auf der anderen Seite erscheint es jedenfalls dort, wo zuun-
gunsten eines frauenspezifischen Berufes von einer analytischen Ar-
beitsplatzbewertung abgewichen wird, als ungenügend, für die Be-
stimmung des Marktlohnes bloss auf die in anderen Kantonen ausbe-
zahlten Minimallöhne abzustellen. Vielmehr erweist es sich für eine
aussagekräftige Marktanalyse als zwingend, zusätzliche Erhebungen
vorzunehmen. Dazu gehören namentlich Abklärungen betreffend die
in anderen Kantonen vorausgesetzte Ausbildung (siehe hinten
Erw. 7.4.2), betreffend den Lohnrahmen (Differenz zwischen Mini-
mal- und Maximallohn) oder betreffend die Lohnentwicklung (wie
wird der Anfangslohn festgesetzt und aufgrund welcher Kriterien er-
folgt der Anstieg innerhalb des Lohnrahmens?).
Aus den in Erw. 7.1.2 erwähnten Vergleichen ergibt sich, dass
der Beigeladene unter den deutschsprachigen Kantonen mit dem An-
fangslohn im Mittelfeld liegt, mit zunehmender Dauer des Anstel-
lungsverhältnisses aber schlechter abschneidet. Auch wenn die er-
wähnten Zahlen - soweit ersichtlich - nicht aus gesicherten Quellen
stammen und daher mit Vorsicht zu geniessen sind, zeigt sich darin
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
250
beispielhaft, dass ein Marktvergleich, der sich lediglich auf die Mini-
mallöhne beschränkt, letztlich nicht zu genügen vermag. Ein solches
Vorgehen erfüllt die Voraussetzungen an einen hinreichend verlässli-
chen Marktvergleich nicht. Der Fokus ist vielmehr zu erweitern.
7.2.
Der korrekten Erhebung aller notwendigen Daten für einen ver-
lässlichen Marktvergleich müsste die Klärung der Frage folgen, ob
die zum Vergleich herangezogenen Löhne in den anderen Kantonen
diskriminierungsfrei festgelegt wurden (siehe vorne Erw. 6.2). Wie
umfassend diese Prüfung zu erfolgen hat, lässt sich der bundes-
gerichtlichen Rechtsprechung nicht entnehmen. Zumindest in Bezug
auf unterdurchschnittliche Löhne erscheint es indessen unverzicht-
bar, sie anhand einfacher einschlägiger Indizien auf eine allfällige
Diskriminierung hin zu überprüfen. Im Vordergrund dürften dabei
die Fragen stehen, wann im betroffenen Vergleichskanton die letzte
Besoldungsrevision stattgefunden hat, ob die entsprechende Einstu-
fung der Lehrpersonen Kindergarten bereits gerichtlich überprüft
wurde oder ob der tiefe Marktlohn allenfalls auf ein generell tieferes
Lohnniveau im betreffenden Kanton zurückzuführen ist. Vorzugswei-
se sind nur diejenigen (Nachbar-)Kantone in den Marktvergleich ein-
zubeziehen, die aufgrund der erwähnten groben Prüfung eine gewis-
se Gewähr für eine diskriminierungsfreie Lohneinstufung bei den
Lehrpersonen Kindergarten bieten.
7.3.
Der Umstand, dass das Vektorenmodell auf sämtliche Lehrper-
sonen anwendbar ist und nicht nur auf die (geschlechtsspezifische)
Funktion der Lehrpersonen Kindergarten, vermag an der Notwendig-
keit, den Marktlohn korrekt und diskriminierungsfrei zu erheben,
nichts zu ändern. Dies gilt umso mehr, als der vom Beigeladenen
vorgenommene Marktvergleich die Lehrpersonen Kindergarten ge-
genüber allen anderen Lehrfunktionen benachteiligt. Aus der Bot-
schaft Änderung LDLP (Tabelle S. 12) geht hervor, dass der für die
Kindergartenlehrpersonen zum Vergleich herangezogene Marktlohn
mit Fr. 67'370.00 beinahe 20 % tiefer ist als der in das Vektorenmo-
dell eingesetzte ABAKABA-Lohn von Fr. 83'583.00. Die Differenz
zwischen dem für die Primarlehrpersonen ermittelten Marktlohn von
2014
Personalrecht
251
Fr. 76'188.00 und dem dazugehörigen ABAKABA-Lohn von
Fr. 83'583.00 ist mit rund 9 % nicht einmal halb so hoch. Bei den an-
deren Lehrpersonen liegt der ABAKABA-Lohn lediglich zwischen
1,4 % (Lehrpersonen Berufsfachschule) und 8 % (Lehrpersonen
Kantonale Schule für Berufsbildung) über dem Marktlohn; bei eini-
gen Funktionen (Lehrpersonen Instrumentalunterricht Sekundarstufe
II, Lehrpersonen Höhere Fachschule und Lehrpersonen Mittel-
schule/Berufsmittelschule) ist der Marktlohn sogar höher. Durch-
schnittlich (ohne Lehrpersonen Kindergarten) ist der Marktlohn rund
3 % tiefer als der ABAKABA-Lohn. Wegen der hohen Gewichtung
des Marktlohns und der geringen Gewichtung des ABAKABA-
Lohns (siehe vorne Erw. 6.1.2) hat die überdurchschnittlich hohe
Differenz zwischen dem Markt- und dem ABAKABA-Lohn für die
Lehrpersonen Kindergarten besonders gravierende Auswirkungen;
der Vektor Marktlohn hat hier eine bedeutend höhere Reduktion des
ABAKABA-Lohns zur Folge als bei allen anderen Lehrkräften.
7.4.
7.4.1.
Aufgrund der im vorliegenden Prozess verfügbaren Unterlagen
ergeben sich somit erhebliche Zweifel an der Rechtmässigkeit des
Einbezugs des Kantons St. Gallen in den Marktvergleich. Im Weite-
ren erscheint dieser insofern unvollständig, als er sich lediglich auf
die Minimallöhne stützt. Schliesslich wurde selbst auf eine minimale
Überprüfung verzichtet, ob die erhobenen Vergleichszahlen allenfalls
diskriminierend sind, obwohl dies vom Bundesgericht ausdrücklich
verlangt wird. Der vom Beigeladenen erhobene Marktvergleich ist
dementsprechend nicht geeignet, die diesbezüglich massgebenden
Kriterien zu erfüllen. Dies wiegt umso schwerer, als sich vorliegend
der Marktvergleich einseitig zuungunsten der Lehrpersonen Kinder-
garten auswirkt.
Demzufolge rechtfertigt es sich, in teilweiser Gutheissung der
Beschwerde die angefochtene Verfügung aufzuheben. Der Beigela-
dene hat in Bezug auf die Lehrpersonen Kindergarten einen Markt-
vergleich durchzuführen, der den entsprechenden Anforderungen zu
genügen vermag. In der Folge ist die Lohneinstufung neu festzulegen
(siehe zusätzlich hinten Erw. 8).
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
252
7.4.2.
Der Vollständigkeit halber ist zusätzlich auf die folgende
Problematik hinzuweisen: Nach dem Arbeitsplatzbewertungssystem
ABAKABA bedarf eine Kindergartenlehrperson einer Grundausbil-
dung auf Stufe Bachelor (siehe dazu das Merkmal "Ia1" im
ABAKABA-Protokoll für die Funktion Lehrpersonen Kindergarten).
Bis vor wenigen Jahren waren die Ausbildungsanforderungen gerin-
ger. Der Beigeladene macht geltend, es könne nicht verlangt werden,
dass eine neue Ausbildungsanforderung umgehend lohnmässig be-
rücksichtigt werde. Dies mag insofern zutreffen, als eine Änderung
der Ausbildungsanforderungen kaum einen Anspruch auf eine sofor-
tige Besoldungsrevision zu begründen vermag. Demgegenüber darf
jedoch im Rahmen einer Besoldungsrevision nicht über die in diesem
Zeitpunkt relevanten Ausbildungsanforderungen hinweggegangen
werden. Will man verhindern, dass Lehrpersonen Kindergarten mit
einer "alten" Ausbildung von der relativ hohen Lohneinstufung von
Lehrpersonen Kindergarten mit einer "neuen" Ausbildung profitie-
ren, so ist diesem Anliegen mit einer entsprechenden Übergangsrege-
lung Rechnung zu tragen. Die gewählte Lösung, bei der Arbeitsplatz-
bewertung ABAKABA von den aktuellen Ausbildungsanforderungen
auszugehen und beim Marktvergleich etwaige unterschiedliche
Ausbildungsanforderungen unberücksichtigt zu lassen, lässt demge-
genüber die nötige Differenzierung vermissen (siehe vorne
Erw. 7.1.3 und hinten Erw. 8.3).
8.
8.1.
Ein weiteres Element der Lohneinstufung der Lehrpersonen bil-
det das "bestehende Lohngefüge" (§ 5 Abs. 2 LDLP). Gestützt darauf
wird im Vektorenmodell der bisherige Positionslohn ("Ist-Anfangs-
lohn" oder "Positionslohn alt") berücksichtigt und mit 37,5 % ge-
wichtet.
Für die Lohneinstufung des Verwaltungspersonals spielt demge-
genüber der bisherige (Positions-)Lohn grundsätzlich keine Rolle
(...). Vielmehr beschränkt sich die Relevanz des bisherigen Lohns
auf die Überführungsproblematik: Liegt er innerhalb des massgeben-
den Lohnbandes, wird er unverändert überführt. Falls der bisherige
2014
Personalrecht
253
Lohn über dem massgebenden Lohnband liegt, besteht allenfalls eine
Besitzstandsgarantie nach Massgabe von Ziff. 4 Anhang III LD.
8.2.
Analog zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Markt-
lohn (siehe vorne Erw. 6.2) erscheint es für den Einbezug des "Ist-
Anfangslohnes" bei der Lohneinstufung der Lehrpersonen Kinder-
garten unabdingbar, dass er seinerseits keinerlei diskriminierende
Züge aufweist. Andernfalls würde mit der Berücksichtigung des
bisherigen Positionslohns die frühere Diskriminierung in die neue
Lohneinstufung überführt und damit perpetuiert (vgl. Urteil des Bun-
desgerichts vom 7. Mai 2009 [1C_62/2008], Erw. 5.4 mit Hinwei-
sen).
Der Beigeladene hat demzufolge sicherzustellen, dass sich ge-
stützt auf die Berücksichtigung des früheren Positionslohns keinerlei
Diskriminierung ergibt. Dieser Nachweis wurde - soweit erkennbar
- bis dato nicht erbracht und ist, falls am Vektor "Positionslohn alt"
festgehalten werden soll, zwingend nachzuholen. Die entsprechende
Notwendigkeit besteht umso mehr, als der "Positionslohn alt"
(Fr. 64'088.00) 23,3 % unter dem ABAKABA-Lohn (Fr. 83'583.00)
liegt (Botschaft Änderung LDLP [Tabelle, S. 12]). Selbst unter Be-
rücksichtigung dessen, dass bei der Festsetzung des ABAKABA-
Lohns neu ein Bachelor-Abschluss vorausgesetzt ist (siehe vorne
Erw. 7.4.2), erscheint die erwähnte Differenz sehr gross und könnte
Ausdruck einer bisherigen Diskriminierung sein. Hinzu kommt, dass
bereits bei der Einführung des LDLP der Lohn nach dem
Vektorenmodell festgesetzt wurde. Dies bedeutet, dass bei der Be-
stimmung des "Positionslohn alt" der vor Einführung des LDLP gel-
tende Anfangslohn ebenfalls mit 37,5 % berücksichtigt wurde. Es ist
gerichtsnotorisch, dass dieser frühere Anfangslohn für Lehrpersonen
Kindergarten sehr tief war und eine Diskriminierung nicht a priori
ausgeschlossen werden kann.
Schliesslich erscheint wesentlich, dass - ähnlich wie beim
Marktlohn - durch die hohe Gewichtung des bisherigen Positions-
lohns den Lehrpersonen Kindergarten deutlich grössere Nachteile er-
wachsen als dem gesamten übrigen Lehrkörper. Dies ergibt sich aus
der Botschaft Änderung LDLP (Tabelle, S. 12): Während bei den
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
254
Lehrpersonen Kindergarten die Differenz zwischen dem ABAKA-
BA-Lohn und dem "Ist-Anfangslohn" 23,3 % beträgt, beläuft sie sich
bei den anderen Lehrpersonen auf maximal 11,1 % (Lehrpersonen
Kantonale Schule für Berufsbildung); im Durchschnitt liegt sie bei
lediglich 4,9 %. Auch aus diesem Grund bedarf die Frage einer
allfälligen früheren Diskriminierung einer eingehenden Überprüfung.
8.3.
Allenfalls lässt sich die grosse Differenz zwischen dem bisheri-
gen Positionslohn und dem ABAKABA-Lohn damit erklären, dass
gemäss ABAKABA neu ein Bachelor-Abschluss vorausgesetzt wird
(siehe vorne Erw. 7.4.2 und 8.2). Diesfalls wäre es aber dennoch
nicht gerechtfertigt, unbesehen auf den bisherigen Lohn abzustellen.
Vielmehr wäre eine differenzierte (Übergangs-)Regelung für Kinder-
gartenlehrpersonen mit "altem" und mit "neuem" Abschluss vorzuse-
hen (siehe vorne Erw. 7.4.2 hiervor).
9.
9.1.
Zusammenfassend ist in teilweiser Gutheissung der Beschwerde
die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache an die Vorin-
stanz zurückzuweisen. Der Beigeladene hat gestützt auf einen Markt-
vergleich, der sämtlichen diesbezüglich massgebenden Kriterien zu
genügen vermag, die Lohneinstufung der Lehrpersonen Kindergarten
zu überprüfen, worauf die Vorinstanz den Lohn der Beschwerdefüh-
rerin neu festsetzen muss. Der bisherige Positionslohn darf dabei nur
insoweit berücksichtigt werden, als dadurch keine frühere Lohndis-
kriminierung fortgeführt wird.
Es ist Sache des Beigeladenen zu entscheiden, ob gestützt auf
den vorliegenden Entscheid eine isolierte Überprüfung der Lohnein-
stufung der Lehrpersonen Kindergarten genügt oder ob die Lohnein-
stufungen sämtlicher Lehrpersonen einzubeziehen sind. Immerhin sei
darauf hingewiesen, dass aus Gründen der Rechtsgleichheit eine iso-
lierte Betrachtungsweise nicht unproblematisch erscheint. | 6,353 | 4,888 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-43_2014-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-43.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-43.pdf | AGVE_2014_43 | null | nan |
cf85ee96-bc8f-5c14-a5d4-f2addb96c4e0 | 1 | 412 | 869,697 | 1,525,219,200,000 | 2,018 | de | 2018
Migrationsrecht
109
12
Nachzug eines Familienangehörigen gemäss Art. 3 Abs. 2 letzter Satz
Anhang I FZA
-
Auslegung des Begriffs des Begünstigens gemäss Art. 3 Abs. 2 letz-
ter Satz Anhang I FZA (Erw. 2.4.1 und 2.4.2)
-
Direkte Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA
mangels Präzisierung der Bestimmung im nationalen Recht
(Erw. 2.4.3)
-
Voraussetzungen für den Nachzug eines Familienangehörigen ge-
mäss Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA (Erw. 2.5)
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 22. Mai 2018, in Sa-
chen A. A. gegen Amt für Migration und Integration (WBE.2017.65).
Sachverhalt
A.
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Grossbritan-
nien, reiste am 4. Dezember 2011 in die Schweiz ein und erhielt eine
Aufenthaltsbewilligung als Erwerbstätiger (MI-act. 52). Am 1. April
2016 zog er vom Kanton X. in den Kanton Aargau, wo ihm am
4. Mai 2016 ebenfalls eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA als
Erwerbstätiger erteilt wurde (Akten des Amts für Migration und
Integration betreffend den Beschwerdeführer, act. 1 ff.).
Am 25. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer den
Familiennachzug für B. B., Staatsangehörige von Sri Lanka, bei der
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
110
es sich um seine Tante handeln soll (Akten des Amts für Migration
und Integration betreffend B. B. [MI-act.] 46 ff.).
Mit Schreiben vom 16. Juni 2016 teilte das MIKA dem Be-
schwerdeführer mit, dass wegen der unterbliebenen Bescheinigung
der Verwandtschaft durch den Heimat- oder Herkunftsstaat der Fami-
liennachzug nach dem FZA nicht bewilligt werden könne und eine
Aufenthaltsbewilligung auch nach dem AuG ausser Betracht falle
(MI-act. 53 f.).
Der Beschwerdeführer ersuchte das MIKA mit Eingabe vom
4. Juli 2016, den Entscheid vom 16. Juni 2016 in Wiedererwägung zu
ziehen oder ihm andernfalls eine einsprachefähige Verfügung zuzu-
stellen (MI-act. 57 ff.).
Mit Verfügung vom 7. September 2016 lehnte das MIKA das
Familiennachzugsgesuch des Beschwerdeführers und die Erteilung
einer Aufenthaltsbewilligung an B. B. zur erwerbslosen Wohnsitz-
nahme ab (MI-act. 62 ff.).
B.
Gegen die Verfügung des MIKA vom 7. September 2016 erhob
der Beschwerdeführer mit Eingabe seiner Rechtsvertreterin vom
6. Oktober 2016 beim Rechtsdienst des MIKA (Vorinstanz) Einspra-
che (MI-act. 87 ff.).
Am 11. Januar 2017 fällte die Vorinstanz folgenden Einsprache-
entscheid (act. 1 ff.):
1.
Die Einsprache wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gebühren erhoben.
3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den folgenden
Erwägungen eingegangen.
2018
Migrationsrecht
111
C.
Mit Eingabe seiner Rechtsvertreterin vom 2. Februar 2017
reichte der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht des Kantons
Aargau (Verwaltungsgericht) Beschwerde ein und stellte folgende
Begehren (act. 9 ff.):
1.
Der angefochtene Entscheid der Vorinstanz sei aufzugeben [richtig: aufzuhe-
ben];
2.
Frau [B. B.], geb. 1953, Sri Lanka, sei im Kanton Aargau eine Aufenthaltsbe-
willigung zu erteilen;
3.
eventualiter sei die Angelegenheit zur Vervollständigung der Sachverhaltsfest-
stellung und zur neuen Entscheidung an die Sektion Aufenthalt des Amts für
Migration und Integration Kanton Aargau zurückzuweisen;
4.
es sei dem Beschwerdeführer für das vorinstanzliche Verfahren eine angemes-
sene Prozessentschädigung auszurichten;
unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Staatskasse.
Die Begründung ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nach-
stehenden Erwägungen.
D.
Mit Instruktionsverfügung vom 3. Februar 2017 wurde der Be-
schwerdeführer zur Zahlung eines Kostenvorschusses aufgefordert
(act. 18 f.), welchen er fristgerecht leistete (act. 20 f.). Am 13. Feb-
ruar 2017 wurde die Beschwerde der Vorinstanz zur Vernehmlassung
und Einreichung aller migrationsamtlichen Akten zugestellt
(act. 22 f.). Die Vorinstanz reichte ihre Akten am 16. Februar 2017
ein, hielt an ihren Ausführungen im Einspracheentscheid fest und
beantragte die Abweisung der Beschwerde (act. 24). Mit Verfügung
vom 17. Februar 2017 wurde die Vernehmlassung dem Beschwerde-
führer zur Kenntnisnahme zugestellt. Ein weiterer Schriftenwechsel
wurde nicht angeordnet (act. 25 f.).
Mit Verfügung vom 21. Februar 2018 wurde dem Beschwerde-
führer Gelegenheit gegeben, allfällige Sachverhaltsveränderungen
darzulegen und entsprechende Unterlagen einzureichen. Insbeson-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
112
dere wurde er aufgefordert, seinen aktuellen Lohnausweis sowie
Belege über die von Februar 2016 bis Januar 2018 an B. B. geleiste-
ten Unterstützungszahlungen einzureichen (act. 28 f.). Der Be-
schwerdeführer äusserte sich mit Eingabe vom 13. März 2018 und
reichte diverse Unterlagen ein (act. 30 ff.), welche am 19. März 2018
der Vorinstanz zur Kenntnisnahme zugestellt wurden (act. 60 f.). Die
Vorinstanz reichte darauf am 22. März 2018 eine Stellungnahme ein
(act. 62), welche am 26. März 2018 dem Beschwerdeführer zur
Kenntnisnahme zugestellt wurde (act. 63 f.).
E.
Das Verwaltungsgericht hat den Fall am 22. Mai 2018 beraten
und entschieden.
Erwägungen
I.
1.
Einspracheentscheide des MIKA können innert 30 Tagen seit
Zustellung mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht weitergezo-
gen werden (§ 9 Abs. 1 EGAR). Beschwerden sind schriftlich einzu-
reichen und müssen einen Antrag sowie eine Begründung enthalten;
der angefochtene Entscheid ist anzugeben, allfällige Beweismittel
sind zu bezeichnen und soweit möglich beizufügen (§ 2 Abs. 1
EGAR i.V.m. § 43 VRPG).
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Einsprache-
entscheid der Vorinstanz vom 11. Januar 2017. Die Zuständigkeit des
Verwaltungsgerichts ist somit gegeben. Auf die frist- und formge-
recht eingereichte Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
Unter Vorbehalt abweichender bundesrechtlicher Vorschriften
oder Bestimmungen des EGAR können mit der Beschwerde an das
Verwaltungsgericht einzig Rechtsverletzungen, einschliesslich Über-
schreitung oder Missbrauch des Ermessens und unrichtige oder
unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes
2018
Migrationsrecht
113
gerügt werden. Die Ermessensüberprüfung steht dem Verwaltungsge-
richt jedoch grundsätzlich nicht zu (§ 9 Abs. 2 EGAR).
II.
1.
1.1.
Die Vorinstanz hält in ihrem Einspracheentscheid (act. 4 ff.) im
Wesentlichen fest, dass zwischen dem Beschwerdeführer und B. B. -
unabhängig davon, ob es sich bei dieser um die Tante im Rechtssinne
handle - keine Verwandtschaft in aufsteigender Linie bestehe. Eine
Tante falle unter die übrigen Verwandten i.S.v. Art. 3 Abs. 2 letzter
Satz Anhang I FZA. Gemäss den Weisungen des SEM könnten sich
nur Verwandte in aufsteigender Linie auf das FZA berufen, nicht
aber andere Verwandte wie Geschwister, Onkel, Neffe, Tante oder
Nichte. Allein die Leistung von Unterhalt könne daher für eine
Aufenthaltsbewilligung für B. B. nicht ausreichen. Von einem Zu-
sammenleben in häuslicher Gemeinschaft sei zu Recht nicht die
Rede, lebten der Beschwerdeführer und B. B. doch spätestens seit
1998 getrennt. Beim Nachzug verwandter Personen, die sich nicht
auf die Bestimmungen des FZA über den Familiennachzug berufen
könnten, seien Art. 20 VEP und Art. 31 VZAE anwendbar. Die er-
messensweise Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestützt auf
Art. 28 AuG falle mangels besonderer persönlicher Beziehungen zur
Schweiz jedoch ausser Betracht. Auch ein schwerwiegender persönli-
cher Härtefall gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG liege nicht vor. Damit
sei eine Aufenthaltsbewilligung für B. B. auch im Rahmen von
Art. 20 VEP nicht begründet. Schliesslich seien die Voraussetzungen
für eine Berufung auf Art. 8 EMRK vorliegend ebenfalls nicht er-
füllt.
1.2.
Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde (act. 14 ff.) im
Wesentlichen vor, seiner Tante sei direkt gestützt auf Art. 3 Abs. 2
letzter Satz Anhang I FZA eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen,
da er ihr Unterhalt gewährt habe und weiterhin gewähre. Falls ein
solcher direkter Anspruch verneint würde, sei seiner Tante der
Aufenthalt gestützt auf Art. 20 VEP zu bewilligen, nachdem die Vor-
instanz keine Gründe gegen den Nachzug vorgebracht habe und
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
114
seine Tante für ihn wie seine Mutter sei, da er nach dem Tod seiner
leiblichen Mutter bei ihr gelebt und sie ihn aufgezogen habe.
Schliesslich wäre ihr auch gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG eine
Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, weil sie aus gesundheitlichen
Gründen auf seine Pflege und Unterstützung angewiesen sei und
weder im Herkunftsstaat noch in einem anderen Staat weitere nahe
Verwandte diese Aufgabe übernehmen könnten.
2.
2.1.
Bestimmungen über den Familiennachzug finden sich sowohl
im AuG als auch im FZA. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöri-
ger von Grossbritannien und kann sich deswegen als Bürger eines
EU-Mitgliedstaats auf das FZA berufen.
Da das AuG für EU-Staatsangehörige und ihre Familienange-
hörigen nur so weit gilt, als das FZA keine abweichenden Regelun-
gen enthält oder das AuG günstigere Bestimmungen vorsieht (Art. 2
Abs. 2 AuG), ist nachfolgend in einem ersten Schritt zu prüfen, ob
dem Beschwerdeführer gestützt auf die Bestimmungen des FZA ein
Anspruch auf Familiennachzug von B. B. zusteht.
2.2.
2.2.1.
Gemäss Art. 7 lit. d FZA i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA ha-
ben die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige
einer Vertragspartei ist und ein Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei
ihr Wohnung zu nehmen.
Familienangehörige einer Person gemäss Art. 7 lit. d FZA i.V.m.
Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA sind ungeachtet ihrer Staatsangehörig-
keit der Ehegatte und die Verwandten in absteigender Linie, die noch
nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird (Art. 3
Abs. 2 lit. a Anhang I FZA), die Verwandten und die Verwandten des
Ehegatten in aufsteigender Linie, denen Unterhalt gewährt wird
(Art. 3 Abs. 2 lit. b Anhang I FZA) sowie im Fall von Studierenden
der Ehegatte und die unterhaltsberechtigten Kinder (Art. 3 Abs. 2
lit. c Anhang I FZA).
Darüber hinaus müssen die Vertragsparteien die Aufnahme aller
nicht unter Art. 3 Abs. 2 lit. a - c Anhang I FZA genannten Familien-
2018
Migrationsrecht
115
angehörigen begünstigen, denen der Staatsangehörige einer Vertrags-
partei Unterhalt gewährt oder mit denen er im Herkunftsland in einer
häuslichen Gemeinschaft lebt (Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I
FZA). Unter Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA fallen nicht in
Art. 3 Abs. 2 lit. a - c Anhang I FZA erwähnte Familienangehörige
wie uneheliche Lebenspartner, nicht eingetragene gleichgeschlechtli-
che Paare, aber auch Verwandte in der Seitenlinie wie Brüder und
Schwestern, Onkel und Tanten, Neffen und Nichten (MARC
SPESCHA, in: MARC SPESA/HANSPETER THÜR/ANDREAS
ZÜND/PETER BOLZLI [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 4. Aufl.,
Zürich 2015, Art. 3 Anhang I FZA N 15).
2.2.2.
Im Folgenden ist zuerst zu untersuchen, ob B. B. die Tante des
Beschwerdeführers ist. Wenn dies der Fall ist, ist weiter zu prüfen,
ob dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 3 Abs. 2 letzter Satz An-
hang I FZA - allenfalls in Verbindung mit präzisierenden nationalen
Rechtsnormen - der Familiennachzug zu bewilligen und B. B. eine
Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA zu erteilen ist, oder ob dafür allen-
falls eine andere Rechtsgrundlage im nationalen Recht besteht.
2.3.
2.3.1.
Auf den Geburtsscheinen (MI-act. 72 ff.) und den Taufscheinen
(MI-act. 76 f.) der beiden Schwestern von B. B., C. B. und D. B.,
sind die gleichen Namen von Mutter und Vater aufgeführt wie auf
dem Taufschein von B. B. (MI-act. 78). Die Daten von B. B. auf dem
Taufschein stimmen mit jenen auf ihrem Reisepass überein
(MI-act. 3, 5). Der Beschwerdeführer wiederum ist in Sri Lanka
geboren (MI-act. 8, 35). Seine Mutter hatte den gleichen Vater wie
B. B. und deren Schwestern (MI-act. 35, 37, 38). Dies bedeutet, dass
sie die (Halb-)Schwester von B. B. war. Demzufolge ist als erwiesen
anzusehen, dass es sich bei B. B. um die Tante des Beschwerdefüh-
rers handelt.
2.3.2.
Gemäss Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA ist der Fami-
liennachzug der Tante des Beschwerdeführers zu begünstigen. Im
Folgenden ist zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer aufgrund dieser
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
116
Bestimmung der Familiennachzug seiner Tante zu bewilligen ist.
Dafür ist zu ermitteln, was unter dem Begriff des Begünstigens zu
verstehen ist.
2.4.
2.4.1.
Das FZA ist gestützt auf die völkerrechtliche Methodik nach
Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen
Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung
und im Lichte seines Ziels und Zwecks auszulegen (vgl. Art. 31 ff.
des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der
Verträge [VRK; SR 0.111]). Gemäss Art. 16 Abs. 2 FZA ist für die
Anwendung des FZA - soweit für die Anwendung des Abkommens
Begriffe des Unionsrechts herangezogen werden - die einschlägige
Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung
(21. Juni 1999) massgebend. Da es Ziel des Abkommens ist, die
Freizügigkeit auf der Grundlage der in der Europäischen Union
geltenden Bestimmungen zu verwirklichen (Präambel), und die Ver-
tragsstaaten übereingekommen sind, in den vom Abkommen erfass-
ten Bereichen alle erforderlichen Massnahmen zu treffen, damit in
ihren Beziehungen eine möglichst parallele Rechtslage besteht
(Art. 16 Abs. 1 FZA), hat das Bundesgericht in inzwischen ständiger
Rechtsprechung entschieden, von der Auslegung abkommensrelevan-
ter unionsrechtlicher Bestimmungen durch den EuGH nach dem
Unterzeichnungsdatum nur bei Vorliegen triftiger Gründe abzuwei-
chen. Bezüglich neuer Entwicklungen besteht gestützt auf Art. 16
Abs. 2 FZA keine Befolgungspflicht, sondern höchstens ein Beach-
tungsgebot in dem Sinn, dass diese nicht ohne sachliche Gründe
unbeachtet bleiben sollen, aber aus der Sicht der Vertragspartner
auch nicht zu einer nachträglichen Änderung des Vertragsinhalts
führen dürfen. Für eine solche sind die Verfahren nach Art. 17 FZA
(Entwicklung des Rechts) und Art. 18 FZA (Revision) vorgesehen.
Der Schweizer Richter muss die Tragweite der neuen Rechtspre-
chung des EuGH jeweils auf dem Stand des 1999 übernommenen
Acquis communautaire würdigen und auslegungsweise klären, ob
deren Gehalt (noch) dem Regelungsgegenstand des an sich statisch
ausgestalteten FZA entspricht oder ausschliesslich Teil der dynami-
2018
Migrationsrecht
117
schen Weiterbildung des Unionsrechts seit dem 21. Juni 1999 bildet
und jenen damit sprengt (BGE 139 II 393, Erw. 4.1.1; Urteil des
Bundesgerichts vom 19. Juli 2017 [2C_301/2016], Erw. 2.2 mit Hin-
weisen).
2.4.2.
Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und
ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitglied-
staaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der
Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien
64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG,
75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und
93/96/EWG (Richtlinie 2004/38/EG) enthält in Art. 3 Abs. 2 eine
parallele Bestimmung zu Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA.
Gemäss Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erleich-
tert der Aufnahmemitgliedstaat nach Massgabe seiner innerstaatli-
chen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt jedes nicht
unter die Definition in Art. 2 Ziff. 2 der Richtlinie 2004/38/EG
fallenden Familienangehörigen ungeachtet seiner Staatsangehörig-
keit, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im Her-
kunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in
häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, oder wenn schwerwiegende
gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege des Familienangehö-
rigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen (lit. a),
sowie des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine ordnungs-
gemäss bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist (lit. b).
Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der
persönlichen Umstände durch und begründet eine etwaige Verweige-
rung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen (Art. 3 Abs. 2
Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG).
Der EuGH hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten nach der
Richtlinie 2004/38/EG nicht verpflichtet seien, Anträgen auf Einreise
oder Aufenthalt von Personen, die nachweisen, dass sie Familienan-
gehörige i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a der Richtlinie
2004/38/EG seien, denen ein Unionsbürger Unterhalt gewähre, in
allen Fällen stattzugeben. Somit verpflichte Art. 3 Abs. 2 der Richtli-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
118
nie 2004/38/EG die Mitgliedstaaten zwar nicht dazu, Familienange-
hörigen im weiteren Sinne, denen von einem Unionsbürger Unterhalt
gewährt werde, ein Recht auf Einreise und Aufenthalt zuzuerkennen,
wohl aber - wie sich aus der Verwendung des Ausdrucks erleichtert
in dieser Bestimmung ergebe - dazu, Anträge auf Einreise und
Aufenthalt von Personen, die zu einem Unionsbürger in einem
besonderen Abhängigkeitsverhältnis stünden, gegenüber den Anträ-
gen anderer Drittstaatsangehöriger in gewisser Weise bevorzugt zu
behandeln. Um diese Verpflichtung zu erfüllen, müssten die
Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie
2004/38/EG vorsehen, dass Personen i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1
der Richtlinie 2004/38/EG eine Entscheidung über ihren Antrag
erhalten könnten, die auf einer eingehenden Untersuchung ihrer per-
sönlichen Umstände beruhe und im Fall der Ablehnung begründet
werde. Im Rahmen dieser Untersuchung der persönlichen Umstände
des Antragstellers habe die zuständige Behörde verschiedene Fakto-
ren zu berücksichtigen, die je nach Fall massgeblich sein könnten,
z.B. den Grad der finanziellen oder physischen Abhängigkeit und
den Grad der Verwandtschaft. Hinsichtlich der Wahl der zu berück-
sichtigenden Faktoren hätten die Mitgliedstaaten einen grossen
Ermessensspielraum; die Kriterien müssten sich aber mit der
gewöhnlichen Bedeutung des Ausdrucks erleichtert und der in
Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG in Bezug auf die Abhängig-
keit verwendeten Begriffe vereinbaren lassen und dürften dieser
Bestimmung nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Der Wort-
laut von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG sei aber nicht so
bestimmt, dass sich derjenige, der einen Antrag auf Einreise und
Aufenthalt stelle, unmittelbar auf diese Bestimmung berufen könne,
um Beurteilungskriterien geltend zu machen, die seiner Auffassung
nach auf seinen Antrag anzuwenden seien (Urteil des EuGH vom
5. September 2012, C-83/11
Rahman
, Randnr. 19 ff.).
Dieser Entscheid erging nach Unterzeichnung des FZA und be-
zieht sich auf die am 29. April 2004 und damit ebenfalls nach Unter-
zeichnung des FZA erlassene Richtlinie 2004/38/EG. Der EuGH
führte darin nicht bloss die vorbestehende Rechtsprechung präzi-
sierend weiter, weshalb nach der zitierten bundesgerichtlichen Recht-
2018
Migrationsrecht
119
sprechung bezüglich des erwähnten Urteils des EuGH somit keine
Befolgungspflicht besteht, sondern lediglich ein Beachtungsgebot in
dem Sinn, dass dieses nicht ohne sachliche Gründe unbeachtet blei-
ben soll, aber aus der Sicht der Vertragspartner auch nicht zu einer
nachträglichen Änderung des Vertragsinhalts führen darf.
2.4.3.
2.4.3.1.
Im vorliegenden Fall sind keine triftigen Gründe ersichtlich,
welche gegen eine Beachtung des Urteils des EuGH vom 5. Septem-
ber 2012, C-83/11
Rahman
, bei der Auslegung von Art. 3 Abs. 2
letzter Satz Anhang I FZA sprechen würden. Dies gilt insbesondere
für die Auslegung des Begriffs begünstigen , da insoweit eine paral-
lele Rechtslage vorliegt.
Im Weiteren stellt sich die Frage, ob Art. 3 Abs. 2 letzter Satz
Anhang I FZA mangels innerstaatlicher Regelung unmittelbar an-
wendbar ist. EU-Richtlinien enthalten lediglich ein zu erreichendes
Ziel und verpflichten die Mitgliedstaaten zu deren Umsetzung im
nationalen Recht. Sie sind daher grundsätzlich nicht direkt anwend-
bar (MATTHIAS OESCH, Europarecht, Band I, Bern 2015, § 17
Rz. 426 ff.; STEPHAN BREITENMOSER/ROBERT WEYENETH, Europa-
recht, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2017, Rz. 254 ff.). Demgegenüber
sind die Bestimmungen des FZA und seines Anhangs I direkt
anwendbar, d.h. sie regeln direkt die Rechtsstellung von Einzelperso-
nen und enthalten ausreichend klare und genaue Vorschriften, auf die
sich eine einzelne Person vor Gericht direkt berufen kann (DIETER
W. GROSSEN/CLAIRE DE COULON, Das Freizügigkeitsabkommen
zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten, in: Bilaterale Verträge I & II Schweiz - EU, Zürich
2007, Rz. 21, S. 142; MONIKA PUSTUL, Freizügigkeit der Unionsbür-
ger und das Recht auf Sozialleistungen in der EU und unter dem
Freizügigkeitsabkommen Schweiz - EU, Zürich 2014, S. 102 ff.).
Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA ist somit direkt anwendbar,
soweit diese Bestimmung keine Präzisierung im schweizerischen
Recht erfahren hat, ansonsten sie keine Wirkung entfalten könnte.
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
120
2.4.3.2.
Das AuG enthält keine Bestimmung, welche explizit in Präzi-
sierung von Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA Familienange-
hörige einer Person, die Staatsangehörige eines EU- oder EFTA-Mit-
gliedstaates ist und in der Schweiz ein Aufenthaltsrecht hat, gegen-
über Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen privilegieren
würde.
Art. 20 VEP sieht vor, dass eine Aufenthaltsbewilligung
EU/EFTA erteilt werden kann, wenn wichtige Gründe es gebieten,
obwohl die Voraussetzungen zu einem Aufenthalt ohne Erwerbstätig-
keit nach dem FZA nicht erfüllt sind. Das letztgenannte Erfordernis
schliesst eine Anwendung von Art. 20 VEP in den in Art. 3 Abs. 2
letzter Satz Anhang I FZA genannten Fällen aus, da in den Fällen, die
unter Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA zu subsumieren sind,
die Voraussetzungen des FZA für einen Aufenthalt ohne Erwerbs-
tätigkeit gerade erfüllt sind.
Art. 27 ff. AuG, welche die Zulassung zu einem Aufenthalt in
der Schweiz ohne Erwerbstätigkeit regeln, und Art. 30 AuG, welcher
Abweichungen von den gesetzlichen Zulassungskriterien vorsieht,
gelten gleichermassen für alle Ausländerinnen und Ausländer, soweit
das FZA keine abweichenden Bestimmungen enthält oder sie günsti-
gere Bestimmungen vorsehen (Art. 2 Abs. 2 und 3 AuG). Sie erlau-
ben es nicht, wie es Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA verlangt,
Familienangehörige einer Person, die Staatsangehörige eines EU-
oder EFTA-Mitgliedstaates ist und in der Schweiz ein Aufenthalts-
recht hat, gegenüber Familienangehörigen von Drittstaatsangehöri-
gen bevorzugt zu behandeln. Mit Blick auf den vorliegenden Fall gilt
dies insbesondere für Art. 28 AuG, der lediglich Kriterien für die
Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen für Rentnerinnen und Rent-
ner enthält. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass das von
der Vorinstanz in der Stellungnahme vom 22. März 2018 angeführte
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2018
(F-5102/2016) für den vorliegenden Fall nicht einschlägig ist, da es
einen kosovarischen Staatsangehörigen in der Schweiz betrifft, der
um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Art. 28 AuG für
seine im Kosovo lebende Mutter ersuchte, womit das FZA nicht
2018
Migrationsrecht
121
anwendbar war. Eine Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 30
Abs. 1 lit. b AuG schliesslich setzt einen schwerwiegenden persönli-
chen Härtefall oder wichtige öffentliche Interessen voraus. Der Aus-
nahmecharakter dieser Bestimmung steht dem von Art. 3 Abs. 2 letz-
ter Satz Anhang I FZA angestrebten Ziel der Begünstigung der
Aufnahme aller nicht unter lit. a - c dieser Bestimmung fallenden
Familienangehörigen von Staatsangehörigen einer Vertragspartei
entgegen.
Andere Bestimmungen des schweizerischen Rechts kommen
vorliegend als Ausführungsbestimmungen von Art. 3 Abs. 2 letzter
Satz Anhang I FZA ebenfalls nicht in Betracht. Somit ist im Folgen-
den zu prüfen, ob der Tante des Beschwerdeführers allein aufgrund
von Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA der Aufenthalt in der
Schweiz zu bewilligen ist.
2.5.
2.5.1.
Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA will sicherstellen, dass
tatsächlich bestehende enge Bindungen zwischen Staatsangehörigen
von EU- oder EFTA-Mitgliedstaaten, die in der Schweiz ein Aufent-
haltsrecht haben, und ihren unter diese Bestimmung fallenden Fami-
lienangehörigen freizügigkeitsrechtlich nicht behindert werden. Er
vermittelt den Familienangehörigen zwar keinen Rechtsanspruch auf
Einreise und Aufenthalt. Die vorbestehende häusliche Gemeinschaft
oder die Unterhaltsgewährung sind aber Indizien für eine Intensität
der Beziehung, welche es rechtfertigt, dass sie durch die Erteilung
einer Aufenthaltsbewilligung künftig wieder in räumlicher Nähe
gelebt werden kann. Sind die Voraussetzungen der Unterhaltsgewäh-
rung oder der vorbestehenden häuslichen Gemeinschaft erfüllt, be-
darf angesichts des Begünstigungsanspruchs gemäss Art. 3 Abs. 2
letzter Satz Anhang I FZA die Verweigerung des Nachzugs einer
qualifizierten Rechtfertigung. Das heisst, dass in diesen Fällen der
Nachzug zu bewilligen ist, wenn keine triftigen Gründe dagegen
sprechen (SPESCHA, a.a.O., Art. 3 Anhang I FZA N 15; MARC
SPESCHA/ANTONIA KERLAND/PETER BOLZLI, Handbuch zum Migra-
tionsrecht, 2. Aufl., Zürich 2015, S. 215 f.).
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
122
2.5.2.
Die Eigenschaft eines Familienangehörigen, dem Unterhalt ge-
währt wird, ergibt sich aus einer tatsächlichen Situation, die dadurch
gekennzeichnet ist, dass der erforderliche Unterhalt des Familienan-
gehörigen vom Aufenthaltsberechtigten materiell sichergestellt wird.
Dabei kommt es darauf an, ob der nachzuziehende Verwandte in
Anbetracht seiner wirtschaftlichen und sozialen Situation in der Lage
ist, seine Grundbedürfnisse selbst zu decken, oder ob er auf zusätzli-
che Mittel angewiesen ist, die vom Aufenthaltsberechtigten aufge-
bracht werden (BGE 135 II 369, Erw. 3.1 zu Art. 3 Abs. 2 lit. b An-
hang I FZA, mit Verweis auf das Urteil des EuGH vom 9. Januar
2007, C-1/05
Jia
, Slg. 2007 I-1 Randnr. 37). Entscheidend ist auch,
ob die Unterhaltsgewährung künftig erbracht werden kann, so dass
nachzugsbedingt keine (erhebliche) Belastung des Staates durch
zusätzliche Ausgaben befürchtet werden muss. Von einer Unterhalts-
gewährung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 lit. b Anhang I FZA ist regelmässig
dann auszugehen, wenn sie bei bestehender Leistungsfähigkeit ver-
bindlich zugesichert wird oder aufgrund bisheriger Unterstützungs-
leistungen glaubhaft erscheint (SPESCHA/KERLAND/BOLZLI, a.a.O.,
S. 215 zu Art. 3 Abs. 2 lit. b Anhang I FZA). Dies muss - in maiore
minus - auch unter Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA gelten.
Zudem ist kein Grund ersichtlich, den Begriff der Unterhaltsgewäh-
rung anders auszulegen. Im Urteil vom 9. Januar 2007 (C-1/05
Jia
,
Slg. 2007 I-1 Randnr. 43) hielt der EuGH fest, der Nachweis des
Unterhaltsbedarfs könne mit jedem geeigneten Mittel geführt wer-
den; es sei aber zulässig, die blosse Verpflichtungserklärung des Ge-
meinschaftsangehörigen oder seines Ehegatten, diesem Familienmit-
glied Unterhalt zu gewähren, nicht als Nachweis dafür anzusehen,
dass dieses tatsächlich unterhaltsbedürftig sei.
Das Gewähren von Unterhalt muss überdies bei objektiver Be-
trachtung notwendig erscheinen. Dies ist dann der Fall, wenn die
unterstützte Person in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen und sozialen
Lage nicht in der Lage ist, ihre Grundbedürfnisse selbst zu decken.
Der Unterhaltsbedarf muss im Herkunftsland des Familienangehöri-
gen in dem Zeitpunkt bestehen, in dem sie beantragen, dem Gemein-
2018
Migrationsrecht
123
schaftsangehörigen zu folgen (Urteil des Bundesgerichts vom
19. Juli 2017 [2C_301/2016], Erw. 3.4.4).
2.5.3.
Gemäss Art. 3 Abs. 3 Anhang I FZA dürfen für die Erteilung ei-
ner Aufenthaltserlaubnis für Familienangehörige eines Staatsangehö-
rigen einer Vertragspartei nur folgende Unterlagen verlangt werden:
die Ausweise, mit denen sie in ihr Hoheitsgebiet eingereist sind
(lit. a), eine von der zuständigen Behörde des Heimat- oder Her-
kunftsstaats ausgestellte Bescheinigung, in der das Verwandtschafts-
verhältnis bestätigt wird (lit. b), und für Personen, denen Unterhalt
gewährt wird, eine von der zuständigen Behörde des Heimat- oder
Herkunftsstaats ausgestellte Bescheinigung, in der bestätigt wird,
dass die in Abs. 1 genannte Person ihnen Unterhalt gewährt oder sie
in diesem Staat mit ihr in einer häuslichen Gemeinschaft leben
(lit. c).
Der Nachweis des Unterhalts kann in der Praxis allerdings
kaum je durch eine Bescheinigung der heimatlichen Behörden er-
bracht werden, zumal diese von der tatsächlichen Unterhaltsgewäh-
rung in der Regel keine Kenntnis haben. Beweistauglich sind hinge-
gen objektivierbare Geldüberweisungen oder z.B. die Bezahlung von
Mietkosten, Reisekosten, Krankenkassenprämien etc. Da die Unter-
stützungsleistungen oft auch durch Geldübergaben in bar erfolgen,
kann der Unterhaltsnachweis diesbezüglich auch durch glaubhafte
übereinstimmende Erklärungen der beteiligten Personen erbracht
werden (SPESCHA, a.a.O., Art. 3 Anhang I FZA N 16).
2.5.4.
Weitere Voraussetzung für den Familiennachzug ist eine ange-
messene Wohnung. Angemessen ist eine Wohnung dann, wenn sie
den ortsüblichen Verhältnissen entspricht, die für inländische Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer am Wohnort gelten. Je nach Fami-
liengrösse gelten hier andere Anforderungen. Als Faustregel kann
gelten, dass eine Wohnung hinreichend gross ist, wenn die Personen-
zahl die Zahl der Zimmer um nicht mehr als eins übersteigt, wobei
diese Faustregel bei grossen Wohnungen gegebenenfalls anzupassen
ist. Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA schliesst jedoch nicht aus, dass Fami-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
124
lienangehörige in der Schweiz zwei getrennte Haushalte führen (vgl.
SPESCHA, a.a.O., N 6 f. Art. 3 Anhang I FZA N 6 f.).
2.5.5.
In zeitlicher Hinsicht hängt die Berücksichtigung der Unter-
haltsgewährung vom anwendbaren Verfahrensrecht ab. Das BGG
schreibt den Kantonen vor, dass die richterliche Vorinstanz des Bun-
desgerichts oder ein vorgängig zuständiges Gericht den Sachverhalt
frei prüft und das Recht von Amtes wegen anwendet (Art. 110 BGG).
Daraus folgt, dass der Sachverhalt im gerichtlichen Verfahren zu
erstellen ist, weshalb diesem Gericht auch neue Tatsachen und Be-
weismittel unterbreitet werden können. Das Verwaltungsgericht hat
somit die Tatsache der Unterhaltsgewährung von Bundesrechts we-
gen zu berücksichtigen, auch wenn diese beim MIKA im Zeitpunkt
der Gesuchseinreichung noch nicht geltend gemacht wurde, sondern
erst im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren
(BGE 135 II 369, Erw. 3.3). Gleiches gilt für die Frage, ob eine ange-
messene Wohnung vorhanden ist.
2.5.6.
Zusammenfassend hat das Verwaltungsgericht aufgrund der
aktuellen Situation zu prüfen,
-
ob der nachzuziehende Familienangehörige bedürftig ist;
-
ob der nachziehende Aufenthaltsberechtigte leistungsfähig,
d.h. in der Lage ist, den notwendigen Unterhalt zu decken;
-
ob eine längerfristige Sicherheit der Leistungsfähigkeit be-
steht;
-
ob der nachziehende Aufenthaltsberechtigte dem nachzu-
ziehenden Familienangehörigen Unterhalt gewährt oder in
häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebte und
-
ob eine angemessene Wohnung vorhanden ist.
2.6.
In der Verordnung des EJPD über die dem Zustimmungsverfah-
ren unterliegenden ausländerrechtlichen Bewilligungen und Vorent-
scheide vom 13. August 2015 (SR 142.201.1) ist nicht geregelt, ob
die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA gestützt auf
Art. 3 Abs. 2 letzter Satz Anhang I FZA unter dem Vorbehalt der
Zustimmung des Bundes steht. Aus den Weisungen und Erläuterun-
2018
Migrationsrecht
125
gen des SEM zur Verordnung über die Einführung des freien Perso-
nenverkehrs (Weisungen VEP), Stand November 2017, Ziff. 8.2.7,
ergibt sich weiter kein entsprechender Hinweis.
Der Entscheid, ob der vorliegende Fall dem SEM zur Zustim-
mung zu unterbreiten ist, obliegt nicht dem Verwaltungsgericht. Viel-
mehr hat das MIKA in Absprache mit der zuständigen Stelle diesen
Entscheid zu fällen und das Familiennachzugsgesuch des Beschwer-
deführers gegebenenfalls dem SEM zur Zustimmung zu unterbreiten.
3.
3.1.
Die Tante des Beschwerdeführers ist Staatsangehörige von Sri
Lanka; der Beschwerdeführer selbst ist Staatsangehöriger von Gross-
britannien und verfügt in der Schweiz über eine Aufenthaltsbewilli-
gung EU/EFTA. Als nicht unter Art. 3 Abs. 2 lit. a - c Anhang I FZA
fallende Familienangehörige des Beschwerdeführers ist ihr daher
gestützt auf Art. 7 lit. d FZA i.V.m. Art. 3 Abs. 2 letzter Satz An-
hang I FZA zu bewilligen, beim Beschwerdeführer in der Schweiz
Wohnung zu nehmen, sofern ihr der Beschwerdeführer Unterhalt
gewährt. Ob Letzteres zutrifft, ist nachfolgend zu prüfen.
3.2.
3.2.1.
3.2.1.1.
Gemäss den Angaben des Beschwerdeführers im Familiennach-
zugsgesuch vom 25. April 2016 ging seine Tante in Sri Lanka nie
einer Erwerbstätigkeit nach. Während der Zeit nach dem Tod seiner
Mutter, als sie sich wie eine Mutter um ihn gekümmert habe, seien
ihre Brüder, d.h. die Onkel des Beschwerdeführers, für den Unterhalt
des Beschwerdeführers und seiner Tante aufgekommen. Danach sei
der Beschwerdeführer für den Unterhalt der Tante aufgekommen
(MI-act. 48).
3.2.1.2.
Die Lebenshaltungskosten einer Einzelperson (ohne Miete) in
der Hauptstadt Colombo werden auf LKR 61'463.36 pro Monat
veranschlagt (vgl. www.numbeo.com/cost-of-living/in/Colombo).
Beim am 22. Mai 2018 gültigen Wechselkurs von LKR 1 =
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
126
CHF 0.00630 (www.oanda.com) entspricht dieser Betrag
CHF 387.15.
3.2.1.3.
Da die Tante des Beschwerdeführers kein eigenes Erwerbs-
oder Renteneinkommen erzielt, verfügt sie selber nicht über die
erforderlichen Mittel, um nur schon ihre gewöhnlichen Lebensunter-
haltskosten (ohne Arztkosten und Kosten der Reisen in die Schweiz)
zu decken.
3.2.2.
Der Beschwerdeführer hat zwar keine Bestätigung der sri-lanki-
schen Behörden vorgelegt, in welcher diese bescheinigen würden,
dass er seiner Tante Unterhalt gewährt. Jedoch hat er ihr in der Zeit
von Ende Februar 2010 bis Ende Januar 2016 total
LKR 9'375'353.00 (= CHF 59'052.10) überwiesen (MI-act. 30 f.).
Dies entspricht durchschnittlich CHF 831.70 pro Monat. Davon ent-
fielen LKR 8'380'612.00 (= CHF 52'786.50) auf die Zeit von März
2014 bis Januar 2016, was in diesen 23 Monaten durchschnittlich
CHF 2'295.05 pro Monat ausmachte. Überdies erklärte der Be-
schwerdeführer, dass er seiner Tante das Geld für zwei Augenopera-
tionen, denen sie sich im Oktober 2015 und im Februar 2018 in Sri
Lanka unterziehen musste (act. 56 ff.), anlässlich von Besuchen in
der Schweiz in bar mitgegeben habe (act. 31 f.). Ebenso liegt es
nahe, dass der Beschwerdeführer für den Lebensunterhalt seiner
Tante während ihrer Besuche in der Schweiz finanziell aufkommt
(act. 31).
Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der Be-
schwerdeführer seiner Tante finanzielle Beiträge an deren notwendi-
gen Lebensunterhalt gewährt hat. Dies ist als Indiz dafür zu werten,
dass er seiner Tante auch künftig Unterhalt gewähren wird.
3.2.3.
Gemäss dem Lohnausweis für das Jahr 2017 erzielt der Be-
schwerdeführer ein jährliches fixes Bruttoeinkommen von
CHF 154'800.00 (act. 33). Dieser Betrag genügt, um den Beschwer-
deführer und seine Tante zu unterhalten (vgl. Urteil des Bundesge-
richts vom 28. Januar 2016 [2C_296/2015], Erw. 4.3.2, wo ein jähr-
2018
Migrationsrecht
127
liches Bruttoeinkommen von CHF 103'000.00 als ausreichend für
drei Erwachsene und drei Kinder angesehen wurde).
3.3.
Der Beschwerdeführer lebt allein in einer 4 1⁄2-Zimmerwohnung
mit ca. 105.3 m2 Wohnfläche (MI-act. 29) und verfügt daher über
genügend Wohnraum, um auch seine Tante angemessen zu beherber-
gen.
3.4.
Triftige Gründe, welche gegen den Familiennachzug sprechen
würden, sind aus den Akten nicht ersichtlich und wurden von der
Vorinstanz im Beschwerdeverfahren auch nicht geltend gemacht.
3.5.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Tante des Be-
schwerdeführers gestützt auf Art. 7 lit. d FZA i.V.m. Art. 3 Abs. 1
und 2 letzter Satz Anhang I FZA eine Aufenthaltsbewilligung
EU/EFTA zu erteilen ist. In Gutheissung der Beschwerde ist der Ein-
spracheentscheid der Vorinstanz vom 11. Januar 2017 aufzuheben
und das MIKA anzuweisen, das Familiennachzugsgesuch des Be-
schwerdeführers zu bewilligen und gegebenenfalls vorgängig dem
SEM mit dem Antrag auf Zustimmung zu unterbreiten.
III.
1.
Gemäss § 31 Abs. 2 VRPG werden die Verfahrenskosten in der
Regel nach Massgabe des Unterliegens und Obsiegens auf die Par-
teien verlegt. Gleiches gilt gemäss § 32 Abs. 2 VRPG für die Partei-
kosten.
2.
Bei diesem Verfahrensausgang obsiegt der Beschwerdeführer.
Nachdem das MIKA weder schwerwiegende Verfahrensmängel be-
gangen noch willkürlich entschieden hat, sind die Verfahrenskosten
auf die Staatskasse zu nehmen (§ 31 Abs. 2 VRPG).
3.
3.1.
Als unterliegende Partei hat die Vorinstanz dem Beschwerde-
führer die Parteikosten für das Verfahren vor dem Verwaltungsge-
richt zu ersetzen (§ 32 Abs. 2 VRPG).
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
128
3.2.
Die Höhe der Parteikosten bestimmt sich nach dem Anwaltsta-
rif. In Anwendung von § 8a Abs. 3 und § 8c AnwT erscheint eine
Entschädigung von CHF 3'000.00 (inkl. Auslagen und MWSt) ange-
messen. | 8,901 | 7,155 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-12_2018-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-12.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-12.pdf | AGVE_2018_12 | null | nan |
cfc3d4ae-836e-5828-a45c-77f53c1cd1cb | 1 | 412 | 871,042 | 1,546,300,800,000 | 2,019 | de | 2019
Personalrecht
191
X. Personalrecht
29
§ 25 Abs. 4 PersG; § 5 und 7 Inkonvenienzverordnung
Anwendbarkeit des ArG auf öffentlichrechtliche Arbeitsverhältnisse. Auf
die dem PersG unterstehenden Arbeitsverhältnisse sind Art. 9-28 ArG
nicht anwendbar. § 25 Abs. 4 PersG bezieht sich nur auf diejenigen Be-
stimmungen des Arbeitsgesetzes, die gemäss Arbeitsgesetz ohnehin für die
öffentliche Verwaltung gelten (vgl. Art. 3a ArG) und hat keine Auswei-
tung des kantonalrechtlichen Arbeitnehmerschutzes zur Folge (E. 1).
Entschädigung eines Arbeitnehmers ohne festen Arbeitsort, welcher sich
während einer vom Arbeitgeber angeordneten täglichen Pausenzeit von
einer Stunde einsatz- bzw. rufbereit halten muss. Abgrenzung Pikett-
dienst/ Bereitschaftsdienst (E. 2.4-2.5).
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 30. Januar
2019, in Sachen A. gegen Kanton Aargau (WKL.2018.5).
Aus den Erwägungen
1.
Da sich der Kläger in verschiedener Hinsicht auf die Anwen-
dung des ArG und die darauf gestützte ArGV 1 beruft, ist vorab zu
prüfen, ob diese im vorliegenden Rechtsstreit Anwendung finden.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. a ArG ist das Arbeitsgesetz - unter
Vorbehalt von Art. 3a - auf Verwaltungen des Bundes, der Kantone
und Gemeinden nicht anwendbar. Zur Anwendung gelangen einzig
die arbeitsgesetzlichen Bestimmungen über den Gesundheitsschutz
(Art. 3a lit. a ArG). Die in Art. 3a ArG enthaltenen Aufzählung der
arbeitsgesetzlichen Bestimmungen, denen das Personal des Beklag-
ten unterliegt, ist abschliessender Natur. Sie erfasst abgesehen von
den ausdrücklich erwähnten Art. 6, Art. 35 und Art. 36a ArG keine
weiteren Schutzbestimmungen, auch nicht solche, deren Regelungs-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
192
gegenstand ebenfalls einen Einfluss auf die Gesundheit der Arbeit-
nehmer haben kann. Insbesondere die Vorschriften über die Arbeits-
und Ruhezeiten (Art. 9-28 ArG) sind von der Gegenausnahme zu
Gunsten des Gesundheitsschutzes nicht betroffen (vgl. Urteil des
Bundesgerichts 2P.251/2001 vom 14. Juni 2002, Erw. 4.3.1 mit wei-
teren Hinweisen; AGVE 2011, Nr. 94, Erw. 4.2. ff.). Das ArG und die
dazugehörige ArGV 1 finden somit auf den vorliegenden Rechtsstreit
keine direkte Anwendung.
An dieser Rechtslage vermag im Ergebnis auch § 25 Abs. 4
PersG nichts zu ändern, der in Bezug auf die Arbeits-, Freizeit und
Betriebszeit die bundesrechtlichen Minimalbestimmungen zum
Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbehält. Zwar
lässt der Wortlaut dieser Bestimmung offen, ob der Verweis lediglich
die in Art. 3a ArG erwähnten Vorschriften des Gesundheitsschutzes
erfasst, die nach Arbeitsgesetz auch für Angestellte der öffentlichen
Verwaltung gelten, oder ob damit - über den Anwendungsbereich des
Arbeitsgesetzes hinaus - auch die Art. 9-28 ArG gemeint sind. Unter
Einbezug der übrigen Auslegungselemente ist jedoch davon auszu-
gehen, dass mit den bundesrechtlichen Minimalbestimmungen nur
diejenigen gemeint sind, die gemäss Bundesrecht auch auf Angestell-
te der öffentlichen Verwaltung anwendbar sind (vgl. Art. 3a ArG).
Dazu gehört namentlich Art. 6 ArG, der unter anderem auch vor
missbräuchlichen Arbeits- oder Ruhezeitvorschriften schützt (vgl.
AGVE 2011, S. 413). Der Verweis in § 25 Abs. 4 PersG bringt bei
korrekter Gesetzesauslegung lediglich zum Ausdruck, was von Bun-
desrechts wegen ohnehin gilt. Er dient der Rechtsklarheit und hat
keine Ausweitung des kantonalrechtlichen Arbeitnehmerschutzes zur
Folge. Hierfür spricht zunächst das historische Auslegungselement
bzw. der Wortlaut der Botschaft des Regierungsrates des Kantons
Aargau an den Grossen Rat vom 19. Mai 1999 zum Gesetz über die
Grundzüge des Personalrechts (Personalgesetz; 99.102), wonach
selbstverständlich die im Arbeitsgesetz des Bundes vorgesehenen
Minimalbestimmungen vorbehalten blieben (S. 27). Die Verwendung
des Worts selbstverständlich deutet darauf hin, dass der kantonale
Gesetzgeber in § 25 Abs. 4 PersG nur diejenigen Bestimmungen des
Arbeitsgesetzes vorbehalten wollte, die gemäss Arbeitsgesetz ohne-
2019
Personalrecht
193
hin für die öffentliche Verwaltung gelten. Dass der Gesetzgeber an
sich nicht anwendbare Gesetzesbestimmungen zur Anwendung
bringen will, würde dagegen keine Selbstverständlichkeit darstel-
len. Auch der Umstand, dass § 25 Abs. 4 PersG in den umfang-
reichen Beratungen von Parlament und Kommissionen - soweit er-
sichtlich - zu keinen Diskussionen geführt hat, deutet auf eine be-
schränkte Tragweite dieses Verweises hin. Es wäre aber auch unter
dem Aspekt der Gesetzessystematik nicht einleuchtend, wenn der
Gesetzgeber dem Regierungsrat in den § 25 Abs. 1-3 PersG zunächst
weitreichende Kompetenzen bei der Regelung der Arbeits-, Freizeit-
und Betriebszeit eingeräumt hätte, dieses Ermessen aber in einem ab-
schliessenden Absatz 4 mit einem grosszügigen Verweis auf das Ar-
beitsgesetz wieder hätte markant einschränken wollen. Hätte der Ge-
setzgeber tatsächlich die (an sich nicht anwendbaren) bundesrecht-
lichen Vorschriften zur Arbeits- und Ruhezeit übernehmen wollen,
wäre damit zu rechnen gewesen, dass er gesetzessystematisch primär
auf die Art. 9-28 ArG verwiesen und dem Regierungsrat lediglich
eine Kompetenz zur ergänzenden Rechtssetzung zugewiesen hätte.
Da der Verweis in § 25 Abs. 4 PersG namentlich Art. 6 ArG erfasst,
der in unspezifischer Weise auch vor missbräuchlichen Arbeits-,
Betriebs- und Ruhezeiten schützt, kann entgegen dem Kläger auch
nichts aus dem Umstand abgeleitet werden, dass dieser Verweis unter
dem Titel Arbeits- und Freizeit; Betriebszeit und nicht unter dem
Titel Gesundheitsschutz steht. Es bleibt somit dabei, dass die
Art. 9-28 ArG auf den konkreten Fall nicht anwendbar sind.
2.
2.1.-2.3. (...)
2.4.
Der Kläger musste sich unbestrittenermassen auch während der
Pausen für allfällige Arbeitseinsätze oder Telefonanrufe zur Verfü-
gung halten. Da seine Pause nicht zur Arbeitszeit zählte, erhielt er für
diese Einsatz- bzw. Rufbereitschaft während der Pausen keine Ent-
schädigung. Eine solche bekam er nur, wenn er die Pause einsatzbe-
dingt abbrechen musste. In diesem Fall wurde die Einsatzzeit (nicht
aber die Bereitschaftszeit) als Arbeitszeit berücksichtigt. Die Parteien
sind sich im Grundsatz darüber einig, dass es sich bei der Einsatz-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
194
bzw. Rufbereitschaft während der Pausen um eine entschädigungs-
pflichtige Inkonvenienz handelt (vgl. § 2 Abs. 1 lit. c Lohndekret).
Streitig ist hingegen, ob diese Dienstleistung während der Pausen
zum niedrigeren Tarif des Pikettdienstes oder zum höheren des Be-
reitschaftsdienstes gemäss Inkonvenienzverordnung zu entschädigen
ist.
2.5.
Pikettdienst leisten Mitarbeitende, die sich auf dienstliche An-
ordnung hin ausserhalb der ordentlichen Arbeitszeit bereithalten, um
nötigenfalls kurzfristig einen Arbeitseinsatz zu leisten. Der Pikett-
dienst wird nicht am Arbeitsort geleistet (§ 5 Inkonvenienz-
verordnung). Demgegenüber bedeutet Bereitschaftsdienst, jederzeit
während der Nacht im Betrieb einsatzbereit zu sein. Der Bereit-
schaftsdienst wird am Arbeitsort geleistet (§ 7 Inkonvenienzverord-
nung).
Der Wortlaut dieser Bestimmungen führt zu keinem eindeutigen
Auslegungsergebnis. Weder die Umschreibung des Pikett- noch des
Bereitschaftsdienstes ist auf den konkreten Fall zugeschnitten, in
dem sich ein Arbeitnehmer ohne festen Arbeitsort während Pausen
einsatz- bzw. rufbereit halten muss. Da der Wortlaut bei der Ausle-
gung nicht weiterhilft, ist nach dem Gesetzeszweck zu forschen.
Die Inkonvenienzverordnung bezweckt, Inkonvenienzen bzw.
aussergewöhnliche Belastungen (vgl. § 1 Abs. 1 Inkonvenienzver-
ordnung) auszugleichen, die dem Arbeitnehmer durch die Dienst-
leistung entstehen und durch den normalen Lohn nicht abgegolten
werden. Es soll verhindert werden, dass der Arbeitnehmer Belastung-
en ausgesetzt ist, für die er nicht entschädigt wird. Für die Frage, ob
dem Kläger eine Entschädigung nach dem höheren Tarif für den Be-
reitschaftsdienst oder nach dem niedrigeren Tarif für den Pikettdienst
zusteht, muss es daher auf das Ausmass der ungewöhnlichen Belas-
tung ankommen. Da die Entschädigung beim Bereitschaftsdienst
höher ausfällt, ist anzunehmen, dass die Belastung bei diesem
grösser sein muss als beim Pikettdienst.
Eine Pause dient der Erholung. Die ungewöhnliche Belastung,
welche durch eine Inkonvenienzentschädigung abgegolten werden
soll, lag darin, dass sich der Kläger trotz Pause für Einsätze und Tele-
2019
Personalrecht
195
fonanrufe bereithalten musste. Dadurch reduzierte sich der Erho-
lungswert seiner Pause. Gewöhnlich wird eine Pause aufgrund ihrer
beschränkten Dauer am Betriebsort und zusammen mit Arbeitskolle-
gen verbracht. Die Tatsachen, dass der Kläger die Pause nicht zu
Hause verbringen konnte und er sie mit dem Arbeitskollegen zu-
sammen verbringen musste, stellen somit für sich genommen keine
ungewöhnlichen Belastungen im Sinn der Inkonvenienzverordnung
dar, die auszugleichen wären. Entsprechend kommt weder dem Ort,
wo sich der Kläger im konkreten Fall während der Pause für Einsätze
oder Telefonanrufe bereithalten musste, noch der Tatsache, dass er
die Pause (faktisch) zusammen mit dem Arbeitskollegen verbringen
musste, für die Abgrenzung des Pikettdienstes vom Bereitschafts-
dienst Bedeutung zu.
Die Einsatzbereitschaft betraf (wie gesagt) die Pause und beein-
trächtigte in einem gewissen Ausmass deren Erholungsfunktion. Wer
auch in der Pause mit Einsätzen oder Telefonanrufen rechnen muss,
dürfte sich schwerer damit tun, sich zu erholen. Der Unterbruch einer
Pause dürfte sich auch dann negativ auf die Erholung auswirken,
wenn die verlorene Pausenzeit nachgeholt werden kann. Darüber
hinaus führte die Einsatzbereitschaft während der Pausen aber zu
keinen nennenswerten Einschränkungen der persönlichen Freiheit
des Klägers. Vielmehr ergeben sich derartige Einschränkungen be-
reits aus den normalen Rahmenbedingungen einer Pause. So führen
schon deren beschränkte Länge, die Tatsache, dass die Pause ge-
wöhnlich nicht zu Hause verbracht werden kann, und der Umstand,
dass bei der Pausengestaltung normalerweise auf Arbeitskollegen
Rücksicht zu nehmen ist, regelmässig zu gewissen Einschränkungen
der persönlichen Freiheit. Diese sind jedoch auf die Pause an sich
und nicht auf die Pflicht zurückzuführen, sich während der Pause für
Einsätze oder Telefonanrufe bereit zu halten. Auch wenn eine Pause
dazu dient, abzuschalten, befindet sich ein Arbeitnehmer darin eher
im Arbeitsmodus als wenn er sich ausserhalb der ordentlichen Ar-
beitszeit in seinem privaten Umfeld für Einsätze oder Telefonanrufe
bereithalten muss. Aufgrund dieser Umstände ist die ungewöhnliche
Belastung, welche durch eine Inkonvenienzentschädigung abzugelten
ist, im konkreten Fall als vergleichsweise gering einzustufen. Insbe-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
196
sondere führte die Einsatz- bzw. Rufbereitschaft während der Pause
zu keiner ernstzunehmenden Beeinträchtigung des Soziallebens.
Bei einem Pikettdienst sind die Belastungen für den Arbeitneh-
mer regelmässig geringer als beim Bereitschaftsdienst, kann sich
doch der Arbeitnehmer während des Pikettdienstes immerhin zu
Hause in seinem gewohnten Umfeld aufhalten, wo er normalerweise
grössere Möglichkeiten hat, seine Zeit zu gestalten als am Arbeitsort
und wo er (mit gewissen Einschränkungen) auch am Familienleben
und anderweitigem Sozialleben teilnehmen kann. Die Belastungen,
die mit der Einsatz- und Rufbereitschaft während der Pausen einher-
gehen, sind somit im Ergebnis nicht vergleichbar mit denjenigen
einer jederzeitigen, uneingeschränkten Einsatzbereitschaft im Be-
trieb, wie sie beispielsweise Ärzte oder Mitglieder der Feuerwehr zu
leisten haben. In diesen Konstellationen sind die Erholungsfunktion
der Freizeit, die Gestaltungsfreiheit des Arbeitnehmers sowie sein
Sozialleben wesentlich stärker belastet. Dieser teleologische Aspekt
spricht somit für einen blossen Pikettdienst und gegen einen Bereit-
schaftsdienst.
Nach dem Gesagten hat der Kläger während seiner Pausen
Pikettdienst im Sinne von § 5 Inkonvenienzverordnung geleistet. Da-
für ist er mit Fr. 3.00 pro geleisteter Stunde zu entschädigen (§ 6
Abs. 1 Inkonvenienzverordnung). (...) Beim Pikettdienst sieht die
Inkonvenienzverordnung keine Zeitgutschrift vor. | 2,605 | 2,152 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-29_2019-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-29.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-29.pdf | AGVE_2019_29 | null | nan |
d06470d7-db92-5c26-ac6a-b865ad29936c | 1 | 412 | 871,105 | 1,041,552,000,000 | 2,003 | de | 2003
Submissionen
239
VII. Submissionen
57
Einladungsverfahren; Anfechtungsobjekt; Beschwerdelegitimation eines
nicht eingeladenen Anbieters; Anspruch auf Teilnahme?
- Der Beschluss der Vergabestelle, mit dem diese festlegt, welche Anbie-
ter zur Abgabe eines Angebots eingeladen werden, stellt für einen
nicht eingeladenen (potentiellen) Anbieter eine anfechtbare Verfügung
dar (Erw. I/2).
- Beschwerdelegitimation des nicht eingeladenen Anbieters (Erw. I/4).
- Wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom nicht eingeladenen
Anbieter innerhalb von 10 Tagen nach Kenntnisnahme der Tatsache,
dass ein Submissionsverfahren durchgeführt wird, eingereicht, ist die
Beschwerdefrist eingehalten (Erw. I/5).
- Kein Anspruch auf Teilnahme an einem Einladungsverfahren; Verbot
der gezielten Diskriminierung eines Anbieters (Erw. II/2).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 8. Januar 2003 in Sa-
chen R. AG gegen Gemeinderat Schafisheim.
Aus den Erwägungen
I. 2. a) Gegen Verfügungen der Vergabestelle gemäss
§
5
SubmD kann direkt beim Verwaltungsgericht Beschwerde
erhoben werden (§ 24 Abs. 1 SubmD). Tritt eine Gemeinde oder ein
Gemeindeverband als Vergabestelle auf, gilt diese Rechtsschutz-
bestimmung unabhängig vom Wert des Auftrags (§ 24 Abs. 3 i.V.m.
§ 5 Abs. 1 lit. d SubmD).
b) Gemäss Art. 9 Abs. 1 BGBM sind Beschränkungen des
freien Zugangs zum Markt, insbesondere im Bereich des öffentlichen
Beschaffungswesens, in Form einer anfechtbaren Verfügung zu er-
lassen. Dagegen muss ein Rechtsmittel an eine verwaltungsunabhän-
gige kantonale Beschwerdeinstanz gegeben sein (Art.
9 Abs.
2
2003
Verwaltungsgericht
240
Satz 1 BGBM). Wo im Einzelfall keine Verfügung ergeht, kann der
Berechtigte den Erlass einer solchen verlangen (Attilio R. Gadola,
Rechtsschutz und andere Formen der Überwachung der Vorschriften
über das öffentliche Beschaffungswesen, in: AJP/PJA 1996, S. 967
ff., S. 976).
c) § 24 Abs. 1 SubmD spezifiziert nicht, was alles unter den
Begriff "Verfügungen" fällt. Indessen scheint klar, dass davon ausser
dem Zuschlag, dem Abbruch des Verfahrens, dem Ausschluss vom
Verfahren oder dem Entscheid über die Auswahl von Anbietenden im
selektiven Verfahren (vgl. § 37 Abs. 2 SubmD) alle marktbe-
schränkenden Verfügungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 BGBM um-
fasst werden, soweit sie das öffentliche Beschaffungswesen betreffen
(vgl. VGE III/110 vom 20. August 1999 [BE.1999.00114] in Sachen
H., S. 5).
d) Im vorliegenden Fall geht es um die Vergabe eines öffentli-
chen Auftrags. Es liegt aber (noch) kein förmlicher Vergabeentscheid
des Gemeinderats als Anfechtungsobjekt vor. Eine Beschränkung des
Zugangs zum freien Markt in Bezug auf die potentiellen
Anbietenden, also auch die Beschwerdeführerin, lässt sich vorlie-
gend indessen ohne Weiteres im Beschluss des Gemeinderats vom
30. September 2002, die Elektroinstallationen im Einladungsverfah-
ren zu vergeben und (nur) die drei Unternehmen J., S. GmbH und E.
zur Offertstellung einzuladen, erblicken. Mit diesem Entscheid ist es
der Beschwerdeführerin verunmöglicht worden, sich ebenfalls um
die vom Gemeinderat zu vergebenden Elektroinstallationsarbeiten zu
bewerben. Insofern kann dem Beschluss des Gemeinderats der Cha-
rakter einer marktbeschränkenden Verfügung im Sinne von Art. 9
Abs. 1 BGBM nicht abgesprochen werden. Die Anfechtungsmög-
lichkeit gestützt auf § 24 Abs. 1 SubmD ist daher zu bejahen. Dass
der Beschluss der Beschwerdeführerin nicht formell und mit
Rechtsmittelbelehrung versehen eröffnet wurde, liegt in der Natur
des Einladungsverfahrens.
e) Es liegt hier also eine anfechtbare Verfügung vor und das
Verwaltungsgericht ist somit zur Behandlung des vorliegenden Falles
zuständig.
(...)
2003
Submissionen
241
4. Gemäss § 38 Abs. 1 VRPG kann jedermann Verfügungen und
Entscheide durch Beschwerde anfechten, der ein schutzwürdiges
eigenes Interesse geltend macht. Der Rechtsschutz im öffentlichen
Beschaffungswesen hat zum Zweck, dass die Anbietenden gegen
vermutete Verletzungen von Submissionsvorschriften im Zusam-
menhang mit Beschaffungen, an denen sie ein Interesse haben oder
gehabt haben, sollen Beschwerde führen können (AGVE 1998,
S. 352). Zur Beschwerde ist legitimiert ist daher insbesondere ein
Anbieter, dessen Offerte für den Zuschlag nicht berücksichtigt wurde
oder der vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde. Sodann kann
sich ein potentieller Anbieter mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
grundsätzlich - soweit noch kein (zulässiger) Vertrag abgeschlossen
worden ist - dagegen wehren, dass ein Auftrag, der nach geltendem
Submissionsrecht öffentlich ausgeschrieben werden muss, statt des-
sen direkt vergeben wird (vgl. erwähnter VGE in Sachen H., S. 7;
vgl. auch Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich
[VB.2001.00116] vom 9. November 2001, E. 2c). Eine andere Situa-
tion liegt vor, wenn ein Anbieter nicht eine öffentliche Ausschrei-
bung des Auftrags in einem offenen oder selektiven Verfahren, son-
dern die Zulassung zu einem Einladungsverfahren verlangt. Grund-
sätzlich besteht kein Anspruch darauf, zur Einreichung eines Ange-
bots eingeladen zu werden (siehe hinten, Erw. II/2/b). Dennoch steht
ein Beschwerdeführer, der offensichtlich zum Kreis der für eine
Einladung in Frage kommenden Anbieter zählt, in einer näheren
Beziehung zum Streitgegenstand als beliebige Dritte oder die Allge-
meinheit. Das schutzwürdige Interesse an der Beschwerdeführung
kann ihm daher nicht von vornherein abgesprochen werden
(vgl.
erwähnter Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Zürich vom 9.
November 2001, E.
2c). Im vorliegenden Fall
behauptet die Beschwerdeführerin, die Nichtberücksichtigung für das
vorliegende Einladungsverfahren stelle eine Diskriminierung durch
den Gemeinderat dar, da (ausser ihr) alle ortsansässigen
Gewerbetreibende eine Einladung zur Offertstellung erhalten hätten.
Die Beschwerdeführerin kommt als ortsansässiges Elektro-
Unternehmen für die im Einladungsverfahren zu vergebenden
Elektroinstallationen als Anbieterin grundsätzlich in Betracht, und sie
2003
Verwaltungsgericht
242
hat ein wirtschaftliches Interesse daran, solche Aufträge zu erhalten.
Insofern ist sie durch die Nichtberücksichtigung für die Teilnahme in
schutzwürdigen eigenen Interessen betroffen. Ihre Legitimation zur
vorliegenden Beschwerde ist daher zu bejahen.
5. Gemäss § 25 Abs. 1 SubmD ist die Beschwerde innert 10 Ta-
gen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen. Da im vorliegenden
Fall keine Verfügung eröffnet wurde, kann bezüglich des Fristenlaufs
nicht auf ein Eröffnungsdatum abgestellt werden. Es ist deshalb für
die Frage der Einhaltung der Beschwerdefrist auf die konkreten Ver-
hältnisse abzustellen (vgl. St. Gallische Gerichts- und Verwal-
tungspraxis 2001, Nr. 17, S. 59 mit Hinweis). In diesem Zusammen-
hang macht die Beschwerdeführerin in der Beschwerde geltend, sie
habe am Freitag, den 8. November 2002 durch Zufall erfahren, dass
die Einladung zur Offertstellung für die Sanierung der Liegenschaft
bereits stattgefunden habe und dass am 8. November 2002 die Frist
zur Einreichung der Offerten abgelaufen sei. Diese Ausführungen
erscheinen glaubhaft und sind vom Gemeinderat auch nicht in Frage
gestellt worden. Die vom 11. November 2002 datierende Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde ist innerhalb 10 Tagen nach Kenntnis-
nahme der Tatsache, dass ein Submissionsverfahren durchgeführt
wurde, durch die Beschwerdeführerin eingereicht worden. Die Be-
schwerdefrist ist damit eingehalten.
(...)
II. 2. a) Die Vergabebehörde hat sich im vorliegenden Fall für
die Durchführung eines Einladungsverfahrens entschieden und dazu
drei Unternehmen zur Einreichung eines Angebots eingeladen. Die
Beschwerdeführerin wurde nicht eingeladen.
Die Beschwerdeführerin vertritt den Standpunkt, ihre Nichtbe-
rücksichtigung für die Teilnahme an der Submission stelle eine klare
Diskriminierung dar. Bei ihr handle es sich um ein ortsansässiges,
langjähriges Familienunternehmen im Bereich Elektroinstallationen.
Der Gemeinderat habe bei den verschiedenen Arbeitsvergaben im
Rahmen der Sanierung der fraglichen Liegenschaft neben anderen
Anbietenden alle ortsansässigen Gewerbetreibenden berücksichtigt.
Nur die Beschwerdeführerin sei bei den elektrischen Installationen
übergangen worden. Dies sei ein klarer Verstoss gegen den aus
2003
Submissionen
243
Art. 8 BV fliessenden Grundsatz auf rechtsgleiche Behandlung; das
Vorgehen der Vergabebehörde entbehre jeglicher sachlichen
Begründung. Das Recht der Beschwerdeführerin auf freien Zugang
zum Markt werde nicht gewahrt und die Gleichbehandlung der
Gewerbegenossen nicht gewährleistet. Durch die Nichtberück-
sichtigung zur Offertstellung werde die in Schafisheim ansässige
Beschwerdeführerin klar benachteiligt, und die umliegenden
Elektroinstallationsbetriebe würden begünstigt. Die Vergabebehörde
verhalte sich den konkurrierenden Gewerbetreibenden gegenüber
nicht neutral und verstosse damit gegen Art. 27 Abs. 1 BV.
b) Beim Einladungsverfahren bzw. bei der freihändigen Vergabe
mit mehreren Anbietern bestimmt die Auftraggeberin frei, wen sie
zum Einreichen eines Angebots auffordert (vgl. Peter Galli/Daniel
Lehmann/Peter Rechsteiner, Das öffentliche Beschaffungswesen in
der Schweiz, Zürich 1996, Rz. 162). Einen Anspruch auf Teilnahme
besitzt niemand unter den potentiellen Anbietenden (Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 9. November 2001
[VB.2001.00116], E. 2c). Ein Anspruch auf Teilnahme an einem
Einladungsverfahren lässt sich weder aus dem allgemeinen Gleich-
behandlungsgebot (Art. 8 BV), noch aus der Wirtschaftsfreiheit
(Art. 27 Abs. 1 BV) noch aus dem Verbot wettbewerbsverzerrender
Massnahmen, die einzelne direkte Konkurrenten bevorzugen bzw.
benachteiligen (Art. 94 Abs. 1 und 4 BV) herleiten (vgl. Ulrich
Häfelin/Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht,
5. Auflage, Zürich 2001, Rz. 676 ff.). Auch wenn der Staat durch die
Wirtschaftsfreiheit objektiv verpflichtet ist, dem Einzelnen möglichst
optimale Rahmenbedingungen für seine wirtschaftliche Entfaltung
bereitzustellen, lässt sich daraus kein Anspruch des Einzelnen auf
den Erhalt eines öffentlichen Auftrags ableiten. Der Grundsatz der
Gleichbehandlung der direkten Konkurrenten gilt nicht absolut. Beim
Einladungsverfahren wird immer nur eine sehr beschränkte Zahl der
vorhandenen potentiellen und für den Auftrag in Frage kommenden
Anbietenden berücksichtigt. Die Beschränkung der Anzahl der An-
bieter auf nur wenige ist gerade der Sinn und Zweck dieser Verfah-
rensart; insofern ist eine "Ungleichbehandlung" unvermeidbar. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat es offen gelassen, ob bei
2003
Verwaltungsgericht
244
der Auswahl der Einzuladenden dennoch gewisse Einschränkungen
zu beachten sind, insbesondere zur Vermeidung einer gezielten Dis-
kriminierung einzelner Anbietender (Entscheid des Verwaltungsge-
richts des Kantons Zürich vom 10. April 2002 [VB.2001.00256],
E. 4). Eine solche gezielte Diskriminierung, die gegen die BV und
das BGBM verstösst, könnte gegebenenfalls darin bestehen, dass die
Vergabebehörde über einen langen oder zumindest längeren Zeitraum
hinweg und ohne sachliche Gründe dafür zu haben, konsequent da-
von absieht, einen bestimmten Anbieter zum Einreichen eines Ange-
bots einzuladen. Auf Grund der Wahlfreiheit der Vergabebehörde, die
ihr mit der Möglichkeit des Einladungsverfahrens bewusst zuge-
billigt wird, darf eine Diskriminierung allerdings nicht leichthin,
sondern nur unter sehr strengen Voraussetzungen angenommen wer-
den.
c) Von einer Diskriminierung kann im vorliegenden Fall entge-
gen der Auffassung der Beschwerdeführerin jedenfalls keine Rede
sein. Aus den Ausführungen des Gemeinderats in der Vernehmlas-
sung geht hervor, dass die Beschwerdeführerin in den letzten drei
Jahren sieben Mal eingeladen wurde, ein Angebot einzureichen,
allerdings mit rückläufiger Tendenz. Während im Jahr 2000 noch
fünf Einladungen erfolgten, waren es in den Jahren 2001 und 2002
noch je eine. Einen Zuschlag hat sie bei diesen Vergaben nicht er-
halten, da sich auswärtige Anbieter als preisgünstiger erwiesen und
jeweils vor der Beschwerdeführerin rangierten. Zunächst ist festzu-
halten, dass die Beschwerdeführerin allein aus ihrer Ortsansässigkeit
keinen rechtlichen Anspruch auf eine Auftragserteilung oder auch
nur auf eine Teilnahme an einem Submissionsverfahren herleiten
kann. Die Tatsache, dass der Gemeinderat Schafisheim in den letzten
Jahren, nachdem der Beschwerdeführerin bis Ende 1999 fast sämtli-
che Arbeiten für das Elektrizitätswerk übertragen worden waren, aus
finanziellen Überlegungen offensichtlich vermehrt dazu übergegan-
gen ist, auch auswärtige Unternehmen zur Offertstellung einzuladen
und so eine Konkurrenzsituation zu schaffen, lässt sich nicht bean-
standen. Dieses Vorgehen entspricht vielmehr dem heutigen Submis-
sionsrecht, das generell eine Öffnung des Marktes anstrebt und eine
protektionistische Begünstigung der einheimischen Anbieter ver-
2003
Submissionen
245
hindern bzw. beseitigen will. Offensichtlich hat die Tatsache, dass
Gemeinderat und EW-Kommission bei der Vergabe von Elektroar-
beiten vermehrt auch auswärtige Unternehmen, die kostengünstiger
offerierten, berücksichtigten, Ende 2000 zu erheblichen Unstimmig-
keiten mit der Beschwerdeführerin geführt. Die Beschwerdeführerin
ist indessen auch danach, d.h. im Juni 2001 und im Februar 2002, zur
Offertstellung aufgefordert worden. Im einen Fall reichte die Be-
schwerdeführerin keine Offerte ein, im andern Fall war ihr Angebot
nicht das preisgünstigste. Die Einwände, welche die Beschwerdefüh-
rerin im Zusammenhang mit dieser Vergabe erhebt, ändern nichts an
der Tatsache, dass sie aufgefordert wurde, ein Angebot einzureichen.
Die Beschwerdeführerin ihrerseits verweist auf vier Arbeits-
vergebungen aus den Jahren 2001 und 2002, bei denen sie ebenfalls
nicht eingeladen worden ist. Auch daraus kann die Beschwerdeführe-
rin noch keine Diskriminierung ableiten. Die Vergabebehörde ist
nicht verpflichtet, bei jedem Einladungsverfahren, dass sie zur Ver-
gebung von öffentlichen Arbeiten ausführt, stets auch die ortsansäs-
sigen Anbietenden miteinzuladen. Das Submissionsverfahren be-
zweckt die Ermittlung des im konkreten Fall wirtschaftlich
günstigsten Angebots. Dies gilt auch für das Einladungsverfahren.
Die Vergabebehörde darf (und muss sogar) bei ihrer Auswahl darauf
abstellen, von welchen Unternehmen am ehesten ein qualitativ ein-
wandfreies und auch kostengünstiges Angebot erwartet werden kann.
Aus dem Umstand, dass der Gemeinderat für die im Zusam-
menhang mit der Sanierung der fraglichen Liegenschaft zu verge-
benden übrigen Arbeitsgattungen nebst auswärtigen Unternehmen
auch verschiedene ortsansässige Anbieter eingeladen hat, lässt sich
ebenfalls nicht auf eine Diskriminierung der Beschwerdeführerin
schliessen, zumal eher fraglich erscheint, ob tatsächlich alle andern
einheimischen Unternehmen eine Einladung erhalten haben. | 3,100 | 2,580 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-57_2003-01-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-57.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-57.pdf | AGVE_2003_57 | null | nan |
d15b2bc9-f417-555f-a1dc-aa52b432cb66 | 1 | 412 | 870,573 | 1,441,065,600,000 | 2,015 | de | 2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
100
13
Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung; Anhörung im Kolle-
gium
-
Erstinstanzliche Anordnungen von fürsorgerischen Unterbringungen
müssen stets in begründeter Form erlassen werden; die Zustellung
im Dispositiv ist unzulässig (Erw. I/2.2 f.).
-
Ausnahmen von der Anhörung im Kollegium gemäss Art. 447 Abs. 2
ZGB (Erw. II/2.3)
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. Sep-
tember 2015 in Sachen A. gegen den Entscheid des Familiengerichts X.
(WBE.2015.377).
Aus den Erwägungen
I.
2.
2.1.
Gemäss dem Entscheiddispositiv des Familiengerichts X. vom
10. September 2015 kann innert 10 Tagen seit Zustellung dieses
Dispositivs beim Präsidenten des Bezirksgerichts X. mit schriftlicher
Eingabe eine schriftliche Begründung verlangt werden. Wird gegen
einen Entscheid ohne schriftliche Begründung irrtümlicherweise di-
rekt schriftlich Beschwerde erhoben, statt vorerst eine schriftliche
Begründung zu verlangen, so gilt dies grundsätzlich als Antrag auf
schriftliche Begründung (D
ANIEL
S
TAEHELIN
, in: T
HOMAS
S
UTTER
-
S
OMM
/F
RANZ
H
ASENBÖHLER
/C
HRISTOPH
L
EUENBERGER
[H
RSG
.],
Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO],
2. Aufl., Zürich 2013, Art. 239 N 31). Die Beschwerde vom 14. Sep-
tember 2015 wäre somit grundsätzlich als Antrag auf schriftliche Be-
gründung an das Familiengericht X. weiterzuleiten.
2.2.
2015
Fürsorgerische Unterbringung
101
Im vorliegenden Fall einer fürsorgerischen Unterbringung stellt
sich aber die Frage, ob das Familiengericht überhaupt einen Ent-
scheid im Dispositiv erlassen durfte bzw. ob das Verwaltungsgericht
nicht trotz fehlender Urteilsbegründung auf die Beschwerde eintreten
darf und muss. Ein Unterbringungsentscheid und somit auch ein
Verlegungsentscheid sind der betroffenen Person sofort, das heisst
noch vor oder gleichzeitig mit dem Vollzug der fürsorgerischen
Unterbringung zu begründen (C
HRISTOF
B
ERNHART
, Handbuch der
fürsorgerischen Unterbringung, Basel 2011, N 633; E
LISABETH
S
CHWEREY
, Das Verfahren bei der vorsorglichen fürsorgerischen
Freiheitsentziehung, Diss. St. Gallen 2004, S. 63). Folglich genügt es
nicht, wenn der betroffenen Person bloss das Recht eingeräumt wird,
eine Begründung verlangen zu können (B
ERNHART
, a.a.O., N 633;
S
CHWEREY
, a.a.O., S. 63; vgl. auch Botschaft Nr. 77.058 zur
Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Fürsorgerische
Freiheitsentziehung] und den Rückzug des Vorbehaltes zu Artikel 5
der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei-
heiten vom 17. August 1977, in: BBl 1977 III, S. 1 ff., S. 34), denn
sonst hätte eine fürsorgerisch untergebrachte Person nicht die
Möglichkeit, ihre Rechte gemäss Art. 31 Abs. 2 BV, wel-cher auf
fürsorgerische Unterbringungen Anwendung findet (H
ANS
V
EST
, in:
St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, 3. Aufl., Zürich/St.
Gallen 2014, Art. 31 N 6), geltend zu machen. Zu diesen Rechten
gehören bei einer fürsorgerischen Unterbringung insbesondere das
Recht auf ein einfaches und rasches Verfahren, weshalb gemäss
Art. 450e Abs. 5 ZGB über Beschwerden gegen Entscheide auf dem
Gebiet der fürsorgerischen Unterbringung in der Regel innert fünf
Arbeitstagen seit Eingang der Beschwerde zu entscheiden ist. Im
Übrigen muss gemäss Art. 430 Abs. 2 ZGB auch ein ärzt-licher
Unterbringungsentscheid begründet sein, und aus dem Sinn und
Zweck einer fürsorgerischen Unterbringung ergibt sich von selbst,
dass auch die Einrichtung, in welche die Person eingewiesen wird,
den Grund der fürsorgerischen Unterbringung und die gemäss
Einweisungsbehörde notwendige Behandlung und Betreuung von
Beginn der Einweisung an kennen muss (vgl. Art. 426 Abs. 1 ZGB).
2.3
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
102
Würde das Verwaltungsgericht die Beschwerde vom 14. Sep-
tember 2015 als sinngemässen Antrag auf schriftliche Begründung an
das Familiengericht X. weiterleiten, so wäre eine Verletzung der
Rechte der Beschwerdeführerin im Lichte von Art. 31 Abs. 2 BV
naheliegend. Es würde für die Überweisung der Beschwerde an das
Familiengericht, für die anschliessende Begründung des familienge-
richtlichen Entscheids vom 10. September 2015, für die Zustellung
des begründeten Entscheids und für die Einreichung einer neuen Be-
schwerde an das Verwaltungsgericht unnötige Zeit verstreichen,
welche sich aufgrund der Natur der fürsorgerischen Unterbringung
und der damit zusammenhängenden Schwere des Eingriffs in die
Rechtsstellung der betroffenen Person nicht rechtfertigen lassen (vgl.
auch K
ASPAR
P
LÜSS
, in: A
LAIN
G
RIFFEL
[H
RSG
.], Kommentar zum
Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. Aufl.,
Zürich 2014, § 10a N 16; vgl. zur Rechtfertigung eines einfachen
und raschen Verfahrens auch T
HOMAS
G
EISER
, in: Basler Kommen-
tar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 5. Aufl., Basel 2014,
Art. 450e N 37 ff.).
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass erstinstanzliche
Anordnungen von fürsorgerischen Unterbringungen stets in begrün-
deter Form erlassen werden müssen und die Zustellung im Dispositiv
unzulässig ist. Deshalb tritt das Verwaltungsgericht trotz fehlenden
begründeten Entscheids des Familiengerichts auf die Beschwerde
vom 14. September 2015 ein.
2.4. (...)
3. (...)
II.
1. (...)
2.
2.1. (...)
2.2. (...)
Gesetzlich vorgeschrieben ist, wie gesehen, eine persönliche
mündliche Anhörung der betroffenen Person; vorbehalten sind Fälle,
in denen eine solche Anhörung unverhältnismässig wäre (Art. 447
ZGB). Die persönliche Anhörung verfolgt - wie der Anspruch auf
rechtliches Gehör - zwei Ziele: Zum einen stellt sie ein Mitwir-
2015
Fürsorgerische Unterbringung
103
kungsrecht der betroffenen Person dar. Zum anderen bildet sie ein
Mittel zur Sachverhaltsabklärung. Das Mitwirkungsrecht ist umfas-
send: Der betroffenen Person ist im Rahmen der persönlichen Anhö-
rung nicht nur in allgemeiner Form von der in Aussicht genommenen
Massnahme Kenntnis zu geben. Vielmehr sind ihr sämtliche Einzel-
tatsachen bekannt zu geben, auf die sich die Kindes- und Erwachse-
nenschutzbehörde bei ihrem Entscheid stützen will. Soweit die
Anhörung der Sachverhaltsfeststellung dient, kann auf sie nicht ver-
zichtet werden, selbst wenn sich die betroffene Person widersetzen
sollte. Die Behörde hat sich anhand der persönlichen Anhörung einen
umfassenden Eindruck von den Zukunftsaussichten und der jüngeren
Vergangenheit der betroffenen Person zu verschaffen, der ihr mit
Blick auf die Geeignetheit, die Notwendigkeit und die Angemessen-
heit der Massnahme als Entscheidungsgrundlage dient (A
UER
/
M
ARTI
, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1 - 456 ZGB,
5. Auflage, Basel 2014, Art. 447 N 4 ff.).
2.3.
Ausnahmsweise kann auf die Anhörung im Kollegium gemäss
Art. 447 Abs. 2 ZGB verzichtet werden und nur eine Anhörung
durch ein einzelnes Behördenmitglied durchgeführt werden, wenn
Gefahr in Verzug ist, wenn sich die betroffene Person weigert, einer
Vorladung Folge zu leisten, oder wenn die Anhörung durch den ge-
samten Spruchkörper wegen der Krankheit oder anderen persönlich-
keitsbedingten Gründen seitens der betroffenen Person nicht geboten
ist. Von einer Anhörung durch den gesamten Spruchkörper kann fer-
ner Umgang genommen werden, wenn dem Grundsatz der Inter-
disziplinarität nicht entscheidendes Gewicht zukommt. Liegt bei-
spielsweise im Verfahren vor der Kindes- und Erwachsenenschutz-
behörde bereits ein schlüssiges psychiatrisches oder sozialpsycho-
logisches Gutachten vor, kann es sich rechtfertigen, dass die persön-
liche Anhörung einzig durch das Behördenmitglied mit juristischem
Sachverstand durchgeführt wird (A
UER
/M
ARTI
, a.a.O., Art. 447
N 35; vgl. die Botschaft Nr. 06.063 zur Änderung des Schwei-
zerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und
Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, in: BBl 2006, S. 7001 ff., S. 7079).
Schliesslich ist denkbar, vor der Anordnung einer fürsorgerischen
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
104
Unterbringung von einer Anhörung im Kollegium abzusehen, wenn
das gleiche Kollegium die betroffene Person schon einmal angehört
hat, zum Beispiel beim Entscheid über die fürsorgerische Unter-
bringung oder die Verlängerung einer solchen. Die Zeitspanne
zwischen der letzten Anhörung und dem Unterbringungsentscheid
müsste jedoch relativ kurz bemessen sein und es müsste zweifelsfrei
feststehen, dass sich in der Zwischenzeit keine neuen Aspekte
ergeben haben, die für den Unterbringungs- bzw. Verlegungsent-
scheid relevant sind (vgl. auch AGVE 2013, S. 95 ff.).
3.
3.1.
Das Familiengericht X., das den vorliegend angefochtenen
Verlegungsentscheid vom 10. September 2015 in der vom Gesetz
(§ 3 Abs. 4 lit. a GOG) vorgesehenen Dreierbesetzung gefällt hat, hat
die Beschwerdeführerin nicht persönlich durch den gesamten
Spruchkörper angehört, denn es erfolgte bloss eine telefonische An-
hörung. Das Verwaltungsgericht rügte schon mit Entscheid vom
10. September 2015 den Verlegungsentscheid (Verlegung in die
Klinik E.) des Familiengerichts X. vom 26. August 2015, da das
Familiengericht ebenfalls ohne persönliche Anhörung im Kollegium
über die Verlegung der Beschwerdeführerin in die Klinik E.
entschieden hatte. Das Verwaltungsgericht forderte das Familien-
gericht deshalb ausdrücklich auf, anlässlich der Beurteilung des
Entlassungsgesuchs eine Anhörung im Kollegium gemäss Art. 447
Abs. 2 ZGB durchzuführen (VGE I/173 vom 10. September 2015
[WBE.2015.363], Erw. 3.3). Obwohl unklar ist, wer die telefonische
Anhörung der Beschwerdeführerin vom 10. September 2015 durch-
geführt hat, ist davon auszugehen, dass sowohl die juristisch ge-
schulte Gerichtspräsidentin B. als auch Fachrichterin C. die Be-
schwerdeführerin noch nie persönlich angehört haben. Die einzige
persönliche Anhörung der Beschwerdeführerin erfolgte am 26. Au-
gust 2015 durch die Fachrichterin D.
3.2.
Für das Verwaltungsgericht ist keine Ausnahmesituation ersicht-
lich, in welcher auf die Anhörung im Kollegium verzichtet werden
konnte und somit eine Anhörung durch ein Behördenmitglied genü-
2015
Fürsorgerische Unterbringung
105
gen würde (vgl. zu den möglichen Ausnahmesituationen vorne,
Erw. 2.3). Gerichtspräsidentin B. und Fachrichterin C. fällten den
Entscheid des Familiengerichts X. vom 10. September 2015 - wie
schon den Verlegungsentscheid vom 26. August 2015 - anhand der
Akten und des Votums von Fachrichterin D., und allenfalls anhand
der Eindrücke aufgrund der telefonischen Anhörung am 10. Sep-
tember 2015, was jedoch auch nicht den Anforderungen von Art. 447
Abs. 2 ZGB genügt (A
UER
/M
ARTI
, a.a.O., Art. 447 N 7). Die
Gerichtspräsidentin B. und Fachrichterin C. hatten noch nie Ge-
legenheit, die Beschwerdeführerin persönlich kennenzulernen und
sich auf diese Weise durch einen eigenen, unmittelbaren Eindruck
von ihrem Wesen sowie ihrer gesundheitlichen und sozialen Situa-
tion und somit von der Richtigkeit und Angemessenheit der fürsorge-
rischen Unterbringung zu überzeugen. Gerade dies ist aber der Sinn
der Bestimmung von Art. 447 Abs. 2 ZGB, dass die interdisziplinär
zusammengesetzte Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die be-
troffene Person im Kollegium anhört.
Das Recht auf Anhörung im Kollegium gemäss Art. 447 Abs. 2
ZGB wurde (erneut) in grundlegender Weise missachtet (vgl. auch
VGE I/131 vom 9. Juni 2015 [WBE.2015.278], Erw. 3.1), weshalb in
Gutheissung der Beschwerde der angefochtene Entscheid aufzuheben
ist (Auer/Marti, a.a.O., Art. 447 N 37; AGVE 2013, S. 96 f.). Unter
Berücksichtigung der aktuellsten ärztlichen Berichte zum Gesund-
heitszustand der Beschwerdeführerin und der bereits organisierten
Nachbetreuung ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise auf eine
Rückweisung an die Vorinstanz zu verzichten. Die Beschwerdefüh-
rerin ist deshalb umgehend aus der Klinik Königsfelden zu entlassen. | 2,720 | 2,237 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2015-13_2015-09-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-13.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-13.pdf | AGVE_2015_13 | null | nan |
d20ee77b-d06f-550f-95da-2e543ff51323 | 1 | 412 | 871,377 | 1,464,825,600,000 | 2,016 | de | 2016
Migrationsrecht
153
<
[...]
25
Rechtliches Gehör; Beweiserhebung; Aktenführung; Zeugen- und
Beweisaussagen im verwaltungsrechtlichen Verfahren
-
Nach § 24 Abs. 1 VRPG kann sich die Behörde jener Beweismittel
bedienen, die sie nach pflichtgemässem Ermessen zur Ermittlung des
Sachverhalts für erforderlich hält. Dabei darf sie sich aller (legaler)
Mittel bedienen, die nach den Grundsätzen der Logik, nach allgemei-
ner Erfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet sind, den
Sachverhalt zu erhellen.
-
Art. 190 Abs. 2 ZPO beschränkt die verwaltungsrechtlichen
Behörden bei der Beweiserhebung im erstinstanzlichen Verfahren
nicht auf die schriftliche Auskunft durch Privatpersonen; sie dürfen
Auskünfte Dritter auch auf eine andere geeignete Art einholen.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 29. Juni
2016, in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integration
(WBE.2015.511).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz hätte in ihrem Ent-
scheid weder die Auskunft seiner Ehefrau noch die Facebook-Ein-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
154
träge berücksichtigen dürfen, weil sie den Anforderungen von § 24
Abs. 4 VRPG i.V.m Art. 190 Abs. 2 ZPO nicht genügen würden. Zu-
dem seien ihm die in diesem Zusammenhang erstellten oder von sei-
ner Ehefrau eingeforderten Aktenstücke nie zu einer konkreten Stel-
lungnahme zugestellt worden. Es sei offensichtlich, dass die Aus-
künfte seiner Ehefrau sowie die Facebook-Einträge zur Feststellung
des rechtserheblichen Sachverhalts herangezogen worden seien. Mit
diesem Vorgehen habe die Vorinstanz seinen Anspruch auf rechtli-
ches Gehör verletzt.
2.2.
Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, ande-
rerseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim
Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des Ein-
zelnen eingreift. Dazu gehört u.a. das Recht der Verfahrensbeteilig-
ten, sich vor Erlass eines in ihre Rechtsstellung eingreifenden Ent-
scheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Ein-
sicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört
zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mit-
zuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn
dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (Urteil des Bun-
desgerichts vom 15. April 2016 [6B_1247/2015], Erw. 2.2 und vom
28. September 2012 [2C_50/2012], Erw. 3.2, je mit weiteren Hinwei-
sen).
Nach § 24 Abs. 1 VRPG kann sich die Behörde jener Beweis-
mittel bedienen, die sie nach pflichtgemässem Ermessen zur Ermitt-
lung des Sachverhalts für erforderlich hält. Sie kann u.a. Parteien und
Drittpersonen befragen und Augenscheine vornehmen. Die Zeugen-
einvernahme ist nur im Rechtsmittelverfahren, die formelle Parteibe-
fragung nur vor Verwaltungsjustizbehörden zulässig (§ 24 Abs. 2
VRPG). Die polizeiliche Vorführung ist unter den Voraussetzungen
von § 24 Abs. 3 VRPG zulässig. Im Übrigen gilt das Zivilprozess-
recht, wenn die Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht
ausschliessen. Die Protokollierungsvorschriften des Zivilprozess-
rechts für die Zeugen- und Beweisaussagen sind jedoch nicht
anwendbar (§ 24 Abs. 4 VRPG).
2016
Migrationsrecht
155
Die Verfahrensvorschriften des VRPG (§§ 7 ff.) gelten für die
Verwaltungsbehörden grundsätzlich uneingeschränkt (§ 1 Abs. 1
VRPG). Insbesondere die Bestimmungen über das rechtliche Gehör
sind auch für die Beweiserhebung durch Verwaltungsinstanzen von
Bedeutung (AGVE 2008, S. 315). Wo sich die kantonalen Ver-
fahrensvorschriften als unzureichend erweisen, greifen zudem die
unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV folgenden bundesrechtlichen
Minimalgarantien Platz (BGE 116 Ia 98; AGVE 2008, S. 315; mit
weiteren Hinweisen). Die Frage des rechtlichen Gehörs ist in den
§§ 21 (Anhörung) und 22 (Akteneinsicht) VRPG geregelt. Das Recht
auf Akteneinsicht setzt voraus, dass überhaupt Akten vorhanden sind,
die eingesehen werden können, d.h. es begründet auch eine Aktener-
stellungs- bzw. Aktenführungspflicht (vgl. BGE 130 II 477;
124 V 375 f., 390; 115 Ia 99; AGVE 2001, S. 372; 2000, S. 343 f.; je
mit Hinweisen).
2.3.
Das MIKA gewährte dem Beschwerdeführer am 12. Juni 2015
das rechtliche Gehör betreffend Widerruf seiner Aufenthaltsbewilli-
gung und Wegweisung aus der Schweiz. Aus Ziff. 2 dieses Schrei-
bens geht unmissverständlich hervor, dass das MIKA gestützt auf die
Auskünfte der Ehefrau des Beschwerdeführers sowie deren Verweis
auf Facebook-Einträge zum Schluss kommt, der Beschwerdeführer
habe spätestens seit Oktober 2014 nur noch aus migrationsrecht-
lichen Gründen an seiner Ehe festgehalten. Aufgrund dieses miss-
bräuchlichen Verhaltens werde in Erwägung gezogen, seine ablau-
fende Aufenthaltsbewilligung zu widerrufen und ihn aus der Schweiz
wegzuweisen. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit gegeben,
sich schriftlich zur vorgesehenen Massnahme zu äussern.
Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, inwiefern der Be-
schwerdeführer keine Gelegenheit gehabt hätte, sich vor Erlass der
Verfügung des MIKA vom 10. August 2015 zur Sache zu äussern
respektive an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzu-
wirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern. Mit Ge-
währung des rechtlichen Gehörs wurde das vorliegende Verfahren
angehoben. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass dem Be-
schwerdeführer seither die gemäss den §§ 21 und 22 VRPG einge-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
156
räumten Rechte versagt worden wären. Dies umso weniger, als der
Beschwerdeführer mit Eingabe seines damaligen Vertreters vom
23. Juni 2015 von der Möglichkeit, zur vorgesehenen Massnahme
Stellung zu nehmen, Gebrauch gemacht hatte. (...) Den Akten kann
weiter nicht entnommen werden, dass seitens des Beschwerdeführers
Beweisanträge gestellt oder von ihm angebotene Beweise nicht abge-
nommen worden wären. (...)
Mit Blick auf die Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhalts
ist darauf hinzuweisen, dass sich die Behörden gemäss § 24 Abs. 1
VRPG jener Beweismittel bedienen, die sie nach pflichtgemässem
Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich halten.
Den in dieser Bestimmung genannten Beweismitteln kommt dabei
lediglich exemplarischer Charakter zu, d.h. die Behörden dürfen sich
aller (legaler) Mittel, die nach den Grundsätzen der Logik, nach all-
gemeiner Erfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet
sind, den Sachverhalt zu erhellen, bedienen (Botschaft 07.27 des Re-
gierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 14. Feb-
ruar 2007 zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Ziff. 2 zu
§ 24).
Zu Art. 190 Abs. 2 ZPO ist festzuhalten, dass das MIKA auf-
grund von § 24 Abs. 2 VRPG gar nicht befugt gewesen wäre, die
Ehefrau als Zeugin einzuvernehmen, womit fraglich ist, ob Art. 190
Abs. 2 ZPO in Verwaltungsverfahren überhaupt zur Anwendung
kommt (vgl. § 24 Abs. 4 VRPG). Abgesehen davon stellt Art. 190
Abs. 2 ZPO keine Beweiserhebungsvorschrift dar, die das MIKA in
der Art und Weise der Beweiserhebung gegenüber Privatpersonen
einschränken würde. Die Möglichkeit (auch) von Privatpersonen
schriftliche Auskünfte einholen zu können, eröffnet lediglich eine
weitere Art der Beweiserhebung und normiert die Pflicht Privater,
den Behörden in schriftlicher Form Auskunft zu geben. Eine Ver-
pflichtung der Behörden, die Auskunft Privater einzig schriftlich
oder mittels Zeugenbefragung zu erheben, liegt nicht vor. Vielmehr
sind die Behörden frei, Auskünfte auch auf andere geeignete Art ein-
zuholen.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers liegen auch keine
Anzeichen vor, dass das MIKA die dem Beschwerdeführer im Zu-
2016
Migrationsrecht
157
sammenhang mit den erhobenen Informationen zustehenden Rechte
verletzt hätte. Dem Beschwerdeführer wurden anlässlich des recht-
lichen Gehörs die Angaben der Ehefrau mitgeteilt. Zudem wurden
deren Aussagen vor Gewährung des rechtlichen Gehörs in der
Telefonnotiz (recte: Aktennotiz) vom 26. Mai 2015 schriftlich festge-
halten und zu den Akten genommen. Auch die von der Ehefrau ein-
verlangten und eingereichten Unterlagen sind vollständig in den
Akten abgelegt. Entsprechend ist das MIKA seiner Pflicht zur Akten-
erstellung- bzw. Aktenführung, welche mit dem Recht auf Aktenein-
sicht verbunden ist, nachgekommen. Hinsichtlich des Akteneinsichts-
rechts bleibt festzuhalten, dass weder der Beschwerdeführer noch
sein damaliger Vertreter - dessen Verhalten sich der Beschwerdefüh-
rer anrechnen lassen muss - einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt
haben. Dass es einer Behörde nicht angelastet werden kann, wenn ein
Betroffener darauf verzichtet, Beweisanträge zu stellen oder Einsicht
in die Akten zu verlangen, ist offensichtlich und bedarf keiner weite-
ren Ausführungen.
Inwiefern das MIKA bei dieser Sachlage den Grundsatz des
rechtlichen Gehörs verletzt hätte, ist nicht nachvollziehbar. Dies
umso weniger, als der neuen Vertreterin des Beschwerdeführers auf
entsprechenden Antrag hin umgehend sämtliche Akten in elektro-
nischer Form zugestellt wurden. Demnach bleibt festzuhalten, dass
das MIKA entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers seinem An-
spruch auf rechtliches Gehör in jeder Hinsicht Rechnung getragen
hat.
(Hinweis: Das Bundesgericht wies die gegen diesen Entscheid
erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
Urteil vom 20. April 2017 [2C_671/2016] ab.) | 2,074 | 1,697 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-25_2016-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-25.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-25.pdf | AGVE_2016_25 | null | nan |
d222b2df-89de-5709-8073-fa3af392c2b0 | 1 | 412 | 871,629 | 973,123,200,000 | 2,000 | de | 2000
Verwaltungsgericht
346
[...]
78
Kostenverlegung.
- Bei einem Beschwerderückzug wird grundsätzlich nicht auf die Erhe-
bung von Verfahrenskosten verzichtet (Praxisänderung).
Beschluss des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 9. November 2000 in
Sachen G.S. gegen Entscheid des Baudepartements.
Aus den Erwägungen
2. Nach § 23 VKD kann auf die Erhebung einer Staatsgebühr
verzichtet werden, wenn ein Verfahren nicht vollständig durchgeführt
wird, was bei einem Rückzug der Fall ist. Dasselbe gilt auch für die
Kanzleigebühr (§ 27 VKD). Das Verwaltungsgericht hat beschlossen,
von der bislang geübten Praxis, wonach bei Rückzügen vom Verzicht
auf Kostenerhebung in aller Regel Gebrauch gemacht wurde, abzu-
rücken und künftig auf die Erhebung von Verfahrenskosten grund-
sätzlich
nicht
mehr zu verzichten. Nachdem vorliegend kein allzu
2000
Verwaltungsrechtspflege
347
grosser Aufwand entstanden ist, rechtfertigt es sich, nur eine geringe
Staatsgebühr zu erheben. | 206 | 182 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-78_2000-11-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-78.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-78.pdf | AGVE_2000_78 | null | nan |
d241a357-9ed9-5940-a488-d5142ed5ec5a | 1 | 412 | 871,258 | 975,888,000,000 | 2,000 | de | 2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
215
[...]
57
Nutzungsplanung; Beschwerde an den Regierungsrat gemäss § 26 BauG.
- Die Beschwerde an den Regierungsrat gilt auch dann als zweit-
instanzliches Verfahren, wenn die Beschwerde erst durch den Ent-
scheid des nach § 25 BauG zuständigen Organs veranlasst wurde.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 10. Dezember 2000 in
Sachen A.L. gegen Entscheid des Regierungsrats.
2000
Verwaltungsgericht
216
Aus den Erwägungen
3. Unbestritten ist, dass die im Beschwerdeverfahren vor dem
Regierungsrat zu beurteilende Bestimmung in § 23 Abs. 3 der revi-
dierten Bauordnung der Stadt B. auf einen Änderungsantrag im Ein-
wohnerrat zurückging. In der öffentlichen Auflage und im Antrag des
Gemeinderates war diese Bestimmung nicht enthalten.
a) Gemäss § 4 BauG bildet die Einsprache einen Bestandteil des
erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens und dient zur Vorbereitung
der noch nicht ergangenen Planungsmassnahme (vgl. Michael Mer-
ker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem
aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar
zu den §§ 38 - 72 VRPG, Zürich 1998, § 45 N 11 mit Hinweisen;
§ 24 Abs. 2 BauG). Die Einsprache hat nach der Konzeption des
Baugesetzes nicht die Funktion eines "eigentlichen" Rechtsmittels,
sondern dient der formalisierten Gewährung des Gehörsanspruches
(Michael Merker, a.a.O., § 45 N 13). Durch die Einsprache sollen
Fehlleistungen vermieden und eine einlässliche Prüfung der Ein-
wände erwirkt werden. Sie dient der Vorbereitung eines Verwal-
tungsaktes. Es handelt sich bei den Einsprachen um eine Prohibitiv-
massnahme (Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau,
Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 4 N 1). Der durch die beab-
sichtigte Nutzungsplanung in rechtlich geschützten Interessen Be-
troffene muss zum Schutze des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit
haben, bereits von den Planentwürfen Kenntnis zu erhalten, sie ein-
zusehen und dagegen Einwendungen zu erheben, bevor der Pla-
nungsträger über die Nutzungsordnung entscheidet (Walter Hal-
ler/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, 3. Auflage,
Zürich 1999, Rz. 406 ff.).
Die Begründung des Regierungsrates, die Beschwerde gegen
den Beschluss des zuständigen Gemeindeorgans im Sinne von § 25
BauG eröffne ein "quasi-erstinstanzliches" Einspracheverfahren vor
dem Regierungsrat oder ein erweitertes öffentliches Auflageverfah-
2000
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
217
ren, erweist sich damit nach dem Wortlaut sowie dem Sinn und
Zweck der gesetzlichen Bestimmung von § 24 BauG als unrichtig.
Das Verfahren der kommunalen Raumplanung ist im Baugesetz ge-
regelt. §§ 22 - 24 BauG bestimmen die Mitwirkungsrechte der Be-
völkerung; der Gemeinderat hat dem Baudepartement die Entwürfe
zur Genehmigung vorzulegen, anschliessend werden die Entwürfe
mit den notwendigen Erläuterungen öffentlich aufgelegt. Wer ein
schutzwürdiges eigenes Interesse besitzt, kann zu diesem Zeitpunkt
Einsprache erheben. Über die Einsprache entscheidet der Gemeinde-
rat. Das Verfahren findet seine Fortsetzung, indem das nach der Ge-
meindeorganisation zuständige Organ die allgemeinen Nutzungs-
pläne und -vorschriften erlässt. Der Gemeinderat legt seine Einspra-
cheentscheide diesem Organ vor, welches aber nicht daran gebunden
ist (§ 25 BauG). Damit ist das Verfahren zum Erlass von Nutzungs-
plänen und -vorschriften auf kommunaler Ebene abgeschlossen. Das
Verfahren wird einerseits durch das Genehmigungsverfahren fortge-
setzt und abgeschlossen (§ 27 BauG). Anderseits ist der individuelle
Rechtsschutz im Beschwerdeverfahren gemäss § 26 BauG gewähr-
leistet, wobei die Unterlassung der Einsprache in der Regel zum
Verlust der Beschwerdebefugnis führt (§ 4 Abs. 2 Satz 3 BauG).
Beide Verfahren finden vor kantonalen Instanzen statt. Im vorliegen-
den Fall hat sich das zuständige Gemeindeorgan, der Einwohnerrat,
nicht an die Vorlage des Gemeinderates gehalten und den umstritte-
nen § 23 Abs. 3 BNO, der für die Überbauung am B. Quartierricht-
pläne verlangte, erlassen. Dies zwang den Beschwerdeführer, zu
diesem Zeitpunkt mit einer Beschwerde an den Regierungsrat ge-
mäss § 26 BauG seine individuellen Interessen geltend zu machen.
Der Zeitpunkt einer Intervention hat indessen keinen Einfluss auf die
funktionale Verfahrensordnung der §§ 22 ff. BauG. Das erstinstanzli-
che Verfahren vor den kommunalen Planungsträgern mit dem Ein-
spracheverfahren fand ordnungsgemäss statt. Auch wenn ein Betrof-
fener seine Anliegen erst mittels Beschwerde beim Regierungsrat
geltend macht, ändert sich deshalb an der Verfahrensordnung des
2000
Verwaltungsgericht
218
Baugesetzes nichts. Das Beschwerdeverfahren vor dem Regierungs-
rat bleibt gemäss Baugesetz funktional das zweitinstanzliche Verfah-
ren.
Abgesehen von diesen eindeutigen Zuständigkeitsvorschriften
ist die Prüfungsbefugnis des Regierungsrates beschränkt und er ent-
scheidet nicht mit der umfassenden Kognition einer erstinstanzlich
verfügenden Behörde (§§ 26 und 27 Abs. 2 BauG). Die Beschwerde-
instanz kann ihr Ermessen - trotz bestehender Ermessenskontrolle -
nicht an die Stelle desjenigen der Gemeindebehörden setzen (vgl.
auch Art. 2 Abs. 3 RPG, der den übergeordneten Planungsträgern ge-
bietet, den nachgeordneten Behörden die nötige Freiheit zu belassen;
AGVE 1994, S. 369; BGE 112 Ia 271).
b) Vorliegend hat der Regierungsrat im Beschwerdeverfahren
entschieden. Auch im Sinne von § 33 Abs. 1 VRPG, ist er funktional
nicht "erste" Instanz. Wie das Verwaltungsgericht in AGVE 1992,
S. 389 ff. (insbesondere Erw. 1/b) entschieden hat, ist § 33 Abs. 1
VRPG dahingehend auszulegen, dass als erste Instanz die im betref-
fenden Sachgebiet "als unterste Instanz wirkende Behörde" zu ver-
stehen ist. Die "unterste" Instanz ist im kommunalen Nutzungsplan-
verfahren das zuständige Gemeindeorgan (§ 25 BauG). Deshalb er-
gibt sich auch aus § 33 Abs. 1 VRPG keine hinreichende Grundlage,
das regierungsrätliche Beschwerdeverfahren allgemein oder in jenen
Fällen, in denen von einem Betroffenen keine Einsprache vor dem
Gemeinderat erhoben wurde, als erstinstanzlichen Verfahren zu qua-
lifizieren. Die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des VRPG sind
gegenüber den baugesetzlichen Verfahrensregeln subsidiär (§ 4
Abs. 1 BauG). Ebenfalls sprechen die Verfahrensregeln gemäss § 5
ABauV, wonach der Beschluss des zuständigen Gemeindeorgans
vom Gemeinderat zu publizieren ist und Eigentümer sowie weitere
Betroffene über Änderungen unter Hinweis auf die Beschwerde-
möglichkeit an den Regierungsrat schriftlich zu informieren sind, für
das Vorliegen eines Rechtsmittelverfahrens vor der übergeordneten
Instanz (§ 45 VRPG). | 1,486 | 1,194 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-57_2000-12-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-57.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-57.pdf | AGVE_2000_57 | null | nan |
d27c3396-ab41-5049-bc3a-83e791cbb0df | 1 | 412 | 870,043 | 1,475,366,400,000 | 2,016 | de | 2016
Migrationsrecht
143
22
Ausschaffungshaft; Haftverlängerung; Beschleunigungsgebot
Das Beschleunigungsgebot ist verletzt, wenn die Schweizer Behörden be-
züglich Papierbeschaffung gegenüber der ausländischen Vertretung in
der Schweiz während mehr als zwei Monaten untätig sind und aufgrund
2016
Obergericht,AbteilungVerwaltungsgericht
144
der Sicherheitslage im Zielstaat für unbestimmte Dauer davon abgesehen
wird, die Reisepapiere vor Ort zu beschaffen.
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 28. Oktober 2016, in Sachen Amt für Migration und Integration gegen A.
(WPR.2016.162).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Der Haftrichter hat sich im Rahmen der Prüfung, ob die
Verlängerung der Ausschaffungshaft rechtmässig ist, unter anderem
Gewissheit darüber zu verschaffen, ob die für den Vollzug der Weg-
oder Ausweisung notwendigen Vorkehren im Sinne von Art. 76
Abs. 4 AuG umgehend getroffen worden sind (Beschleunigungs-
gebot). Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes führt zur sofor-
tigen Beendigung der Ausschaffungshaft.
2.2.
Der Vertreter des Gesuchsgegners bemängelt, dass die Schwei-
zer Behörden bis anhin einzig interne administrative Abklärungen
getroffen hätten, welche zu keinerlei Aussenwirkungen geführt
hätten. Es stellt sich somit die Frage, ob das Beschleunigungsgebot
ausreichend beachtet wurde.
Gemäss der bundesrichterlichen Rechtsprechung gilt das Be-
schleunigungsgebot als verletzt, wenn im Hinblick auf die Aus-
schaffung während mehr als zwei Monaten keinerlei Vorkehren mehr
getroffen wurden, ohne dass die Verzögerung in erster Linie auf das
Verhalten ausländischer Behörden oder des Betroffenen selber
zurückgeht (vgl. dazu BGE 124 II 49, Erw. 3a, S. 51 mit Hinweisen;
bestätigt unter anderem mit Urteil des Bundesgerichts vom 13. April
2013 [2C_285/2013], Erw. 5.1). Die Behörden sind gestützt auf das
Beschleunigungsgebot zwar nicht gehalten, in jedem Fall schema-
tisch bestimmte Handlungen vorzunehmen, müssen das Verfahren je-
doch zielgerichtet vorantreiben, da ansonsten kein schwebendes
2016
Migrationsrecht
145
Verfahren im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK mehr vorliegt
(BGE 139 I 206, Erw. 2.1 mit weiteren Hinweisen). Massgebend ist
dabei insbesondere die konkrete Situation im angefragten Zielland
sowie die Erfahrungen, die die zuständigen Schweizer Behörden
bezüglich der Papierbeschaffung mit diesem Land gemacht haben.
Ein längeres Zuwarten nach einer Anfrage kann insbesondere dann
angezeigt sein, wenn sich ein Monieren der ausstehenden Antwort in
der Verangenheit als kontraproduktiv erwiesen hat. Obschon den
Behörden ein gewisser Spielraum bei der Einschätzung der
Geeignetheit der erforderlichen (weiteren) Schritte zukommt,
rechtfertigt sich ein mehr als zweimonatiges Zuwarten nur bei klaren
Anzeichen, dass ein früheres Nachfragen kontraproduktiv war
(AGVE 2014, S. 120 f.).
2.3.
Mit Blick auf das Beschleunigungsgebot forderte der Einzel-
richter das MIKA mit Beweisanordnung vom 20. Oktober 2016 auf,
anlässlich der heutigen Verhandlung eine Aufstellung sämtlicher
konkreter Bemühungen der Schweizer Behörden gegenüber den ira-
kischen Behörden zur Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes für
den Gesuchsgegner vorzulegen. In der Folge reichte der Gesuchstel-
ler an der heutigen Verhandlung diverse Akten des SEM ein.
Anlässlich der letzten Haftverhandlung wurde durch den Ge-
suchsteller vorgebracht, das SEM werde den Fall des Gesuchsgeg-
ners dem irakischen Botschafter Ende August 2016, nach dessen
Rückkehr aus dem Irak, erneut unterbreiten. Zudem sei die geplante
Dienstreise des SEM nach Bagdad neu für den Oktober 2016 ange-
setzt worden, um vor Ort eine Lösung zu finden. Das SEM betonte in
einem Schreiben vom 15. Juli 2016 überdies die hohe Kooperations-
bereitschaft der irakischen Behörden in Fällen wie dem Vorliegen-
den. Zum Zeitpunkt der letzten Haftverhandlung vom 27. Juli 2016
lag damit noch keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vor.
Vielmehr bestand die begründete Aussicht, dass der Fall des Ge-
suchsgegners dem irakischen Botschafter in Bern in absehbarer Zeit
erneut vorgelegt oder eine Lösung aufgrund der Dienstreise des SEM
gefunden werden kann.
2016
Obergericht,AbteilungVerwaltungsgericht
146
Anders verhält es sich zum heutigen Zeitpunkt. Die auf Okto-
ber 2016 geplante Dienstreise des SEM ist aufgrund der prekären
Sicherheitslage im Irak offenbar auf unbestimmte Zeit verschoben
worden. Bezüglich des erneuten Gesuchs um Ausstellung von Ersatz-
reisepapieren für den Gesuchsgegner ist den durch das MIKA anläss-
lich der heutigen Verhandlung abgegebenen Akten des SEM zu ent-
nehmen, dass das SEM das erneute Gesuch dem irakischen Botschaf-
ter in Bern erst am 20. Oktober 2016 zugestellt hat. Obschon das
MIKA die pendente Papierbeschaffung beim SEM mehrfach moniert
hatte, wurde die Angelegenheit durch das SEM offenbar erst am
3. Oktober 2016 wieder an die Hand genommen. Entgegen der Aus-
kunft des SEM vom 19. September 2016, der Neuantrag werde noch
in dieser Woche dem irakischen Botschafter unterbreitet, wurde der
Neuantrag betreffend Ausstellung eines Ersatzreisedokuments erst
am 19. Oktober 2016 verfasst. Den Akten können keine Hinweise
entnommen werden, welche eine plausible Erklärung für eine derart
lange Verzögerung geben würden. Dies umso weniger, als das SEM
im Juli 2016 die hohe Kooperationsbereitschaft der irakischen Be-
hörden besonders hervorgehoben hat und sich deshalb ein nach-
drückliches Vorgehen seitens der Schweizer Behörden umso mehr
aufgedrängt hätte. Unter diesen Umständen erstaunt es, dass der
Neuantrag um Ausstellung eines Ersatzreisepapieres erst mehr als
eineinhalb Monate nach der auf Ende August 2016 angekündigten
Rückkehr des irakischen Botschafters nach Bern übermittelt wurde.
Das Vorbringen des Gesuchstellers, das SEM habe internen Wei-
sungen zufolge zuerst Abklärungen zur Situation im Irak vornehmen
müssen, ist unbehelflich und kann allenfalls erklären, weshalb noch
immer kein Reisepapier vorliegt, stellt aber keine Rechtfertigung für
die Untätigkeit der Schweizer Behörden dar. Weshalb die internen
Abklärungen des SEM erst Anfang Oktober 2016 erfolgten, ist nicht
nachvollziehbar.
2.4.
Nach dem Gesagten steht fest, dass das SEM seit der letzten
Haftverhandlung vom 27. Juli 2016 bis zum 19. Oktober 2016 kei-
nerlei konkreten Bemühungen unternommen hat, sich mit dem iraki-
schen Botschafter in Bern in Verbindung zu setzen und die Papierbe-
2016
Migrationsrecht
147
schaffung für den Gesuchsgegner voranzutreiben, obschon die
irakischen Behörden gemäss Auskunft des SEM kooperationsbereit
sind. Nachdem von einer Dienstreise des SEM nach Bagdad auf-
grund der prekären Sicherheitslage im Irak vorerst abgesehen wird,
besteht auch diesbezüglich keine Hoffnung, für den Gesuchsgegner
Reisepapiere erhältlich zu machen. Das Beschleunigungsgebot
wurde unter diesen Umständen im vorliegenden Fall verletzt und der
Gesuchsgegner ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen. (...) | 1,475 | 1,213 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-22_2016-10-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-22.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-22.pdf | AGVE_2016_22 | null | nan |
d2f75634-cab5-5aee-9cff-3067542d476b | 1 | 412 | 871,588 | 1,301,788,800,000 | 2,011 | de | 2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
127
[...]
34
Zonenkonformität einer Hundehaltung in einer Dorfzone
Rechtmässigkeit der Beschränkung der Haltung von vier Hunden
(Samojeden); Berücksichtigung der Gemeindeautonomie
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 13. April 2011 in Sachen
A. und B. (WBE.2010.389).
2011
Verwaltungsgericht
128
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Die Beschwerdeführer halten auf ihrer Parzelle Nr. (...) an der
(...) in C. Hunde der Rasse der Samojeden. Das Grundstück befindet
sich gemäss geltendem Bauzonenplan (vom 15. November 1996 /
2. Dezember 1997; mit Teiländerung vom 15. November 2002 /
2. Juli 2003) in der Dorfzone. Gemäss der Bau- und Nutzungsord-
nung der Gemeinde C. vom 15. November 1996 (BNO) ist die Dorf-
zone für das Wohnen, die Landwirtschaft und das Gewerbe bestimmt
(vgl. § 8 Abs. 4 BNO). Mit andern Worten handelt es sich um eine
gemischte Wohn- / Gewerbezone. In der Dorfzone zugelassene
Wohnbauten sind Zweifamilienhäuser, Doppeleinfamilienhäuser,
Reiheneinfamilienhäuser bis zu vier Einheiten sowie Mehrfamilien-
häuser bis sechs Wohneinheiten, wobei die Mehrzahl der Wohnungen
pro Gebäude mindestens drei Zimmer aufweisen muss. Weiter sind
Bauten für Gewerbe, Dienstleistungsbetriebe und Landwirtschaft zu-
gelassen. Erlaubt sind mässig störende Betriebe, deren Auswirkun-
gen im Rahmen herkömmlicher Betriebe und auf die üblichen Ar-
beitszeiten beschränkt bleiben (§ 8 Abs. 4 BNO). Der Dorfzone ist
die Empfindlichkeitsstufe III zugeordnet (§ 6 Abs. 2 BNO).
Stellt man sich nun wie die Vorinstanzen auf den Standpunkt,
das Halten von mehr als vier Hunden könne in der Dorfzone nicht
bewilligt werden, so kann diese Argumentation - rein dogmatisch
betrachtet - entweder mit immissionsrechtlichen Gesichtspunkten
oder aber mit fehlender Zonenkonformität begründet werden.
2.2.
(...) (Zu Geruchs- und Lärmimmissionen bei Hundehaltung,
vgl. AGVE 1998, S. 317 f. [Erw. 2b])
2.3.
Gemäss § 13 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a BauG er-
lassen die Gemeinden allgemeine Nutzungspläne (Zonenpläne) und
allgemeine Nutzungsvorschriften (Bau- und Zonenordnungen), die
das Gemeindegebiet in verschiedene Nutzungszonen einteilen sowie
Art und Mass der Nutzung regeln; sie können dabei insbesondere
2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
129
Bauzonen, namentlich Wohn-, Kern-, Gewerbe-, Industriezonen und
Zonen für öffentliche Bauten ausscheiden. Bei der Ausscheidung und
Definition der verschiedenen Zonen geniessen die Gemeinden auf-
grund von § 106 KV verfassungsrechtlich geschützte Autonomie;
hierin eingeschlossen ist die Anwendung des autonomen Gemeinde-
rechts. Daraus folgt, dass sich das Verwaltungsgericht bei der Über-
prüfung einschlägiger gemeinderätlicher Entscheide zurückzuhalten
hat. Dies gilt auch bei Immissionsfragen - obwohl dem Verwaltungs-
gericht dort die Ermessensüberprüfung obliegt - insoweit, als es bei
den zu entscheidenden Fragen um rein lokale Anliegen geht und
weder überörtliche Interessen noch überwiegende Rechtsschutzanlie-
gen berührt werden. Die Gemeinde kann sich in solchen Fällen bei
der Auslegung kommunalen Rechts insbesondere dort auf ihre Auto-
nomie berufen, wo eine Regelung unbestimmt ist und verschiedene
Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar erscheinen. Die kantona-
len Rechtsmittelinstanzen sind hier gehalten, das Ergebnis der ge-
meinderätlichen Rechtsauslegung zu respektieren und nicht ohne Not
ihre eigene Rechtsauffassung an die Stelle der gemeinderätlichen zu
setzen. Die Autonomie der Gemeindebehörden hat jedoch auch in
diesen Fällen dort ihre Grenzen, wo sich eine Auslegung mit dem
Wortlaut sowie mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr verein-
baren lässt (VGE III/102 vom 26. September 2001 [BE.2000.00126],
S. 7 f.; AGVE 1998, S. 319 f. mit Hinweisen).
3.
3.1.
Der Gemeinderat betrachtet das Halten von Hunden in einer
Dorfzone wie hier grundsätzlich als zonenkonform und setzt allein
beim Ausmass der Tierhaltung eine Grenze. In gleicher Weise aner-
kennt das Verwaltungsgericht das hobbymässige Halten von Haus-
tieren wie Hunden, Katzen oder Kaninchen, aber auch von einzelnen
Pferden, als Bestandteil der reinen Wohnnutzung, jedoch immer un-
ter der Voraussetzung, dass die Tierhaltung auch nach Art und Um-
fang mit dem Wohnzweck noch vereinbart werden kann
(VGE
III/102 vom 26.
September 2001 [BE.2000.00126], S.
9;
AGVE 1998, S. 320 mit Hinweisen). Genauso ist die Haltung einer
Mehrzahl von Hunden in der Dorfzone zu beurteilen. Wie weit sich
2011
Verwaltungsgericht
130
die Haltung von Haustieren mit dem Zweck der vorliegenden Dorf-
zone verträgt, also unter anderem die Antwort auf die Frage, welche
Anzahl einer Haustiergattung noch zonenkonform ist, muss dabei mit
Rücksicht auf die Gemeindeautonomie grundsätzlich der Wertung
der zuständigen Gemeindebehörde überlassen bleiben (vgl. Erw. 2.3.
hievor).
Zunächst folgt bereits aus der Rechtsnatur des Nutzungsplans
als konkret-genereller Anordnung - konkret, weil auf ganz bestimm-
te Grundstücke bezogen; generell, da an eine unbestimmte Vielzahl
von Personen gerichtet (AGVE 1998, S. 321; vgl. Ulrich Häfelin /
Georg Müller / Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht,
6. Auflage, Zürich / St. Gallen 2010, Rz. 944; Hänni, a.a.O., S. 92) -,
dass beim Entscheid über die jeweils zulässige Nutzung grundsätz-
lich nicht auf die subjektiven Verhältnisse einzelner Eigentümer oder
Besitzer von Grundstücken abgestellt werden darf. Es liegt im Wesen
von Grundstücken und Gebäuden, dass ihre Benutzer oder Bewohner
mit mehr oder weniger grosser Regelmässigkeit wechseln. Daher
muss die Zonenordnung unabhängig von Personen und ihren Verhält-
nissen auf durchschnittliche, objektivierte Bedingungen abstellen
und so auch ausgelegt werden. Vor diesem Hintergrund spielt es bei-
spielsweise keine Rolle, ob eine gewisse Anzahl Hunde tatsächlich
bestimmte Immissionen verursacht oder nicht, sondern es genügt,
wenn mit einer bestimmten Anzahl typischerweise Auswirkungen
verbunden sind, die über das hinausgehen, was normalerweise mit
dem reinen Wohnen in einer Wohnzone bzw. konkret dem Zweck der
Dorfzone - Wohnen, Gewerbe (mässig störende Betriebe) und Land-
wirtschaft - verbunden ist (AGVE 1998, S. 322; AGVE 1988,
S. 369 f.). Es muss eine generelle Regelung für alle Arten von Hun-
den Platz greifen.
Die Schwierigkeit besteht nun für die rechtsanwendende Be-
hörde vor allem darin, im Rahmen einer allgemeinen Regelbildung
zu bestimmen, wie gross die Zahl der erlaubten Hunde sein bzw. wo
die Grenze gezogen werden soll, jenseits derer mit der Hundehaltung
typischerweise Auswirkungen verbunden sind, die über das norma-
lerweise mit dem Zweck der Dorfzone (Wohnen, Gewerbe und Land-
wirtschaft) verbundene Mass hinausgehen. Dabei muss zweifellos
2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
131
ein gewisses Mass an Störungen auch durch Tiere erlaubt sein, gibt
es doch nicht wenige menschliche Wohnaktivitäten - man denke
etwa an Rasenmähen, Kinderspiel oder Grillieren unter freiem Him-
mel -, die ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Umgebung zei-
tigen; umso mehr gilt dies für landwirtschaftliche oder je nach Be-
trieb auch gewerbliche Aktivitäten. Auf der andern Seite wird nie-
mand bezweifeln, dass eine grössere Zahl von Hunden pro Haushalt
in einer relativ dicht besiedelten gemischten Zone, wo Erholung,
Schlafen, Haus- und Heimarbeit sowie Essen, aber auch soziale Kon-
takte möglich sein sollen und nur mässig störende Betriebe zugelas-
sen sind, das tolerierbare Mass überschreiten und nicht mehr der Em-
pfindlichkeitsstufe III entsprechen würde. Dies muss unabhängig
davon gelten, ob die betreffende Tierhaltung hobby- oder gewerbs-
mässig betrieben wird. Weil nun die zulässige Anzahl von Hunden
von sämtlichen Bewohnern bzw. Haushalten einer bestimmten Zone
ausgeschöpft werden darf, liegt es auf der Hand, dass der Gemeinde-
rat diese Zahl tendenziell eher tief ansetzen muss, um siedlungs-
planerisch und wohnhygienisch unhaltbare Zustände zu verhindern.
Auch hat er die lokalen Besonderheiten der Gemeinde und insbeson-
dere der betroffenen Zone zu berücksichtigen, unabhängig davon,
dass die Dorfzone - wie die Beschwerdeführer vorbringen - eine
Empfindlichkeitsstufe III (vgl. Art. 43 Abs. 1 lit. c LSV) aufweist
und das Bundesgericht für eine andere Gemeinde in einer Land-
wirtschaftszone bei einer Empfindlichkeitsstufe III auch schon die
Zonenkonformität einer höheren Anzahl Hunde bestätigt hat (Urteil
des Bundesgerichts vom 13. August 2001 [1A.276/2000]). Was für
eine Gemeinde in einem anderen Kanton stimmen mag, kann nicht
ohne weiteres auf die vorliegend zu beurteilende Dorfzone in C.
übertragen werden. Ebenfalls nicht weiter hilft schliesslich der Ein-
wand der Beschwerdeführer, die Hunde hielten sich mehrheitlich in
der Wohnung auf und hätten noch nie eine Nacht im Freien ver-
bracht. Die Begrenzung auf eine bestimmte maximal zulässige An-
zahl Hunde bedingt eine gewisse Typisierung (Urteil des Bundesge-
richts vom 13. August 2001 [1A.276/2000], Erw. 4d). So kann inner-
halb der betroffenen Zone nicht nach gehaltener Hunderasse, Parzelle
oder Hundehalter unterschieden werden. Die Begrenzung auf eine
2011
Verwaltungsgericht
132
bestimmte Anzahl Hunde hat generell für alle Haushalte einer Zone
zu erfolgen. Auch kann nicht garantiert werden, dass die Beschwer-
deführer in der konkreten Liegenschaft wohnen bleiben. Den Be-
schwerdeführern kann ausserdem nicht vorgeschrieben werden, die
Hunde seien aus immissionsrechtlichen Gründen ausschliesslich oder
mehrheitlich in der Wohnung zu halten (Urteil des Bundesgerichts
vom 13. August 2001 [1A.276/2000], Erw. 4d).
Unter diesen Gesichtspunkten lässt sich gegen eine Beschrän-
kung auf vier Hunde nichts einwenden. Zwar trifft es zu, dass einer
konkreten zahlenmässigen Festlegung immer auch etwas Zufälliges
anhaftet; jedoch muss zwangsläufig irgendwo die Grenze gezogen
werden, und wenn sie der Gemeinderat im Rahmen der verfassungs-
mässig garantierten kommunalen Autonomie bei vier Hunden pro
Haushalt zieht, so kann ihm mit Bestimmtheit nicht vorgeworfen
werden, er entscheide sachfremd oder gar willkürlich. Mit Blick auf
den Entscheid des Verwaltungsgerichts betreffend den zulässigen
Hundebestand in einer reinen Wohnzone (AGVE 1998, S. 316 ff.) -
konkret wurde die Haltung von drei ausgewachsenen Hunden pro
Haushalt zugelassen - mag die zahlenmässige Festlegung auf vier
Hunde in einer gemischten Zone wie der Dorfzone in C. eher streng
erscheinen - indes liegt sie noch im Rahmen des Ermessensspiel-
raums der Gemeinde und ist daher (mit Blick auf die Gemeinde-
autonomie) durchaus vertretbar. Im Weitern bestehen auch keinerlei
Anzeichen dafür, dass die Bewilligungspraxis des Gemeinderats das
Rechtsgleichheitsgebot verletzt. Es erscheint wegen der Schwierig-
keit eines Direktvergleichs (unter dem Immissionsgesichtspunkt) von
vornherein problematisch, bei der Festlegung der zulässigen Anzahl
Hunde massgeblich auf den Umstand abzustellen, dass in der Dorf-
zone auch mässig störende Betriebe und Landwirtschaft zugelassen
sind. Entscheidend ist letztlich nur, ob die betreffende Nutzungsart
von ihrem Charakter her in die Dorfzone (gemischte Zone) passt
oder nicht. Diese Frage darf der Gemeinderat, ohne den ihm zuste-
henden Beurteilungsspielraum zu verletzen, z.B. für einen Quartier-
laden, einen Coiffeursalon, ein Architekturbüro oder auch eine Hun-
dehaltung bis zu vier Tieren bejahen, für eine grössere Hundehaltung
dagegen verneinen.
2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
133
3.2.
Erweist sich zusammenfassend die Begrenzung der Hundehal-
tung auf vier Tiere bereits gestützt auf die sachlich begründete An-
wendung und Auslegung der einschlägigen kommunalen Zonenvor-
schriften durch die Gemeinde als zulässig, ist also mit andern Worten
die Haltung von acht Hunden in der Dorfzone nicht zonenkonform,
so ist die Beschwerde allein schon deshalb abzuweisen, ohne dass
noch eine Prüfung aufgrund der Vorgaben des Bundesumweltschutz-
rechts zu erfolgen hätte (vgl. AGVE 1998, S. 324; BGE 114 Ib 214,
Erw. 5). | 2,655 | 2,193 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-34_2011-04-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-34.pdf | AGVE_2011_34 | null | nan |
d310b50e-e0c4-59d3-abb6-72e09e6358ea | 1 | 412 | 871,548 | 1,559,433,600,000 | 2,019 | de | 2019
Steuern und Abgaben
75
8
Sicherstellungsverfügung
Voraussetzungen für den Erlass einer Sicherstellungsverfügung
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 20. Juni
2019, in Sachen Stadtrat X. gegen D. (WBE.2019.55).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Hat die steuerpflichtige Person keinen Wohnsitz in der Schweiz
oder erscheint die Bezahlung der von ihr geschuldeten Steuer ge-
fährdet, kann die Bezugsbehörde auch vor der rechtskräftigen Fest-
stellung des Steuerbetrags jederzeit Sicherstellung verlangen (§ 232
Abs. 1 StG).
Für die direkte Bundessteuer enthält Art. 169 DBG eine inhalt-
lich übereinstimmende Regelung, so dass Lehre und Rechtsprechung
dazu bei der Anwendung von § 232 Abs. 1 StG ebenfalls herangezo-
gen werden können.
2.2.
Mit der umstrittenen Sicherstellungsverfügung vom 7. August
2018 will die Abteilung Finanzen der Stadt X. den Bezug der von der
Beschwerdegegnerin geschuldeten, definitiv veranlagten Kantons-
und Gemeindesteuern 2016 im noch offenen Gesamtbetrag von
CHF 16'518.00 sicherstellen. Da die Beschwerdegegnerin ihren
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
76
Wohnsitz in der Schweiz hat, kommt als Sicherstellungsgrund ledig-
lich die Gefährdung des Steueranspruchs in Frage.
2.3.
2.3.1.
Die Tatsache, dass eine steuerpflichtige Person aus finanziellen
Gründen nicht in der Lage ist, die in Frage stehenden Steuern zu be-
zahlen, vermag für sich allein betrachtet keine Steuergefährdung zu
bewirken. Unter Auslegung von Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG, dem
der Sicherstellungsgrund der Zahlungsgefährdung nachgebildet ist,
ergibt sich nämlich, dass die Gefährdung insofern eine besondere
sein muss, als die Zwangsvollstreckung der Steuerschuld in Gefahr
sein muss, was in den Umständen des Einzelfalls zum Ausdruck
kommt (HANS FREY, in: MARTIN ZWEIFEL/MICHAEL BEUSCH
[Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundes-
gesetz über die direkte Bundessteuer, 3. Aufl., Basel 2017, Art. 169
N 15 f.).
Eine Gefährdung der Bezahlung der von der steuerpflichtigen
Person geschuldeten Steuer ist zu bejahen, wenn der Steuerbezug bei
objektiver Betrachtung aufgrund der gesamten Umstände als gefähr-
det erscheint. Ein Verhalten der steuerpflichtigen Person, das sich auf
die Bezahlung der Steuerforderung nachteilig auswirken könnte,
wird nicht verlangt. Auf eine objektive Gefährdung schliessen lassen
etwa die Vorbereitung zur Abreise, Fluchtgefahr, Beiseiteschaffen
oder Veräusserung von Vermögenswerten, verschwenderische Le-
bensführung, Ausgestaltung der steuerpflichtigen Tätigkeit, die eine
rasche Disposition von Vermögenswerten ins Ausland ermöglicht,
grobe oder fortgesetzte Verletzung der Mitwirkungs-, Aufzeich-
nungs- oder Deklarationspflichten, wodurch gegenüber den Steuer-
behörden die Einkommens- und Vermögensverhältnisse verschleiert
werden, oder Wegweisung durch das Migrationsamt bzw. strafrecht-
liche Landesverweisung. Unter Umständen genügt auch eine
Häufung von an sich banalen Tatsachen für den Schluss auf die Ge-
fährdung des Steueranspruchs, wie die Verzögerung des Veranla-
gungs- oder eines Rechtsmittelverfahrens durch die steuerpflichtige
Person, schlechte Zahlungsmoral, undurchsichtige wirtschaftliche
Transaktionen zusammen mit der Veräusserung der Hauptbestand-
2019
Steuern und Abgaben
77
teile des Vermögens (ANDREAS SCHORNO, in: MARIANNE KLÖTI-
WEBER/DAVE SIEGRIST/DIETER WEBER [Hrsg.], Kommentar zum
Aargauer Steuergesetz, 4. Aufl., Muri-Bern 2015, § 232 N 10
m.w.H.). Auch das Vorliegen von Verlustscheinen kann zu einer
Steuersicherung Anlass geben (FREY, a.a.O., Art. 169 N 24 und 28).
Die vom Gesetz verlangte Gefährdung der Steuerforderung liegt
nicht erst beim Risiko der endgültigen Vereitelung vor, sondern ist
bereits dann gegeben, wenn deren Erfüllung als wesentlich erschwert
erscheint (FREY, a.a.O., Art. 169 N 16).
2.3.2.
Die Gefährdung der Bezahlung der Steuerforderung muss nicht
strikt bewiesen, sondern lediglich glaubhaft gemacht sein. Bloss vage
Vermutungen genügen hingegen nicht. Ebenso müssen auch der Be-
stand und der Umfang der sicherzustellenden Steuerforderung ledig-
lich glaubhaft gemacht werden. Das Beweismass der Glaubhaft-
machung bedeutet, dass das Gericht nicht von der Richtigkeit der
aufgestellten Behauptungen überzeugt werden muss, sondern dass es
genügt, wenn für deren Vorhandensein gewisse Elemente sprechen,
selbst wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass sie
sich nicht verwirklicht haben könnten (BGE 130 III 321 E. 3.1
S. 325; zum Ganzen SCHORNO, a.a.O., § 232 N 11; FREY, a.a.O.,
Art. 169 N 14).
2.4.
Die Beschwerdegegnerin hat Verlustscheine von total
CHF 7'750.30 verwirkt. Diese betreffen die Steuern der Jahre 1998,
1999, 2005, 2008, 2009, 2011 und 2012 und stammen aus den Jahren
2001, 2008, 2013 und 2014. Überdies ist die Beschwerdegegnerin
ihrer Pflicht zur fristgemässen Einreichung der Steuererklärung
(§ 180 Abs. 2 StG) in den Jahren 2003 und 2005 gar nicht nachge-
kommen, und die Steuererklärung 2017 hat sie erst nach Mahnung
vom 10. Juli 2018 eingereicht. Schliesslich hat sie die Steuern 2017
(CHF 2'751.80 gemäss provisorischer Rechnung, CHF 2'475.50 ge-
mäss definitiver Rechnung) trotz mehrfacher Mahnung und die pro-
visorische Steuerrechnung 2018 in Höhe von CHF 2'964.80, die am
31. Oktober 2018 zur Zahlung fällig war, unbestrittenermassen bis
heute nicht bezahlt.
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
78
Aufgrund der rechtskräftigen Steuerveranlagung vom
18. September 2017 hat die Beschwerdegegnerin für 2016 Kantons-
und Gemeindesteuern im Gesamtbetrag von CHF 18'091.00 zu be-
zahlen. Von dieser Steuerforderung sind nach Ratenzahlungen von
CHF 1'786.00 und einer Umbuchung von CHF 213.00 auf das
Steuerjahr 2017 noch CHF 16'518.00 offen. Beim Vollzug des
Arrests am 8. August 2018 betrug das Guthaben der Beschwerde-
gegnerin auf dem Privatkonto IBAN CHXXX bei der Y. Bank
CHF 17'070.56. Bei diesem Kontoguthaben handelt es sich - soweit
ersichtlich - um das einzige Vermögen der Beschwerdegegnerin.
Insbesondere kann sie sich nicht darauf berufen, dass der Stadtrat X.
zu Unrecht aus rückwirkend bezahlten Invalidenrenten noch
CHF 21'807.60 einbehalten habe. Von diesem Betrag verrechnete der
Stadtrat X. mit Beschluss vom 4. Oktober 2016 CHF 14'057.30 mit
einem Rückerstattungsanspruch für in früheren Jahren geleistete So-
zialhilfe (materielle Hilfe). Dieser Beschluss wurde unbestrittener-
massen rechtskräftig. Diesbezüglich kann die Beschwerdegegnerin
aus dem Urteil des Einzelrichters des Spezialverwaltungsgerichts 3-
RB.2017.28 vom 19. März 2018 deshalb von vornherein nichts zu
ihren Gunsten ableiten. Dasselbe gilt für die Verrechnung mit noch
offenen Steuerforderungen in der Höhe von total CHF 7'750.30, für
welche Verlustscheine bestanden, da der Einzelrichter nicht über die
Zulässigkeit dieser Verrechnung, sondern jener im Umfang von
CHF 16'518.00 mit den Kantons- und Gemeindesteuern 2016, für
welche die Beschwerdegegnerin um Erlass ersuchte, zu befinden
hatte.
Im Lichte der in E. 2.3. dargestellten Lehre und Rechtsprechung
erscheint es jedenfalls bei einer Gesamtwürdigung aller soeben ge-
nannten Umstände glaubhaft, dass die Erfüllung der noch offenen
Steuerforderung von CHF 16'518.00 wesentlich erschwert und damit
i.S.v. § 232 Abs. 1 StG gefährdet ist. Deshalb kann - entgegen der
Auffassung der Beschwerdegegnerin - keine Rede davon sein, dass
mit der Sicherstellungsverfügung rein pönale und damit sachfremde
Zwecke verfolgt würden. Die verfügte Sicherstellung ist zur Siche-
rung des Bezugs der von der Beschwerdegegnerin geschuldeten Kan-
tons- und Gemeindesteuern 2016 geeignet und nach den geschilder-
2019
Steuern und Abgaben
79
ten Umständen erforderlich. Ein milderes Mittel zur Erreichung des
Zwecks ist nicht ersichtlich. Die Sicherstellungsverfügung ist somit
auch verhältnismässig. | 1,821 | 1,395 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-8_2019-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-8.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-8.pdf | AGVE_2019_8 | null | nan |
d37610a0-eda7-52e0-9f73-454d47e982f0 | 1 | 412 | 871,930 | 1,041,465,600,000 | 2,003 | de | 2003
Sozialhilfe
295
[...]
70
Schulden trotz laufender Sozialhilfe.
- Vorgehen, wenn der Sozialhilfeempfänger Rechnungen für Ausgaben
des Grundbedarfs nicht zahlt.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 15. Januar 2003 in Sa-
chen K.P. gegen Entscheid des Regierungsrats.
Aus den Erwägungen
1. b) Ziel der Sozialhilfe ist es, über die blosse Existenzsiche-
rung hinaus mittels individueller materieller und persönlicher Hil-
feleistungen die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit bedürfti-
2003
Verwaltungsgericht
296
ger Personen zu stärken und damit deren soziale Integration zu ge-
währleisten (§ 1 Abs. 2 SHG; Richtlinien der Schweizerischen Kon-
ferenz für Sozialhilfe vom 18. September 1997 [SKOS-Richtlinien]
Ziff. A.1; Felix Wolffers, Grundriss des Sozialversicherungsrechts,
2. Auflage, Bern u.a. 1999, S. 91). Dem dient die Ausrichtung von
Pauschalen für den Lebensunterhalt (SKOS-Richtlinien Ziff. B.2.2:
Grundbedarf I), was der unterstützten Person ermöglicht, die verfüg-
baren Mittel selbst einzuteilen und die Verantwortung dafür zu tra-
gen. Es wird ihr somit eine gewisse Dispositionsfreiheit in der Ver-
wendung der Mittel zugestanden.
2. a) Der Elektrizitätsbezug und die Telefonkosten gehören zum
Grundbedarf. Ein entsprechender Betrag ist in der Pauschale enthal-
ten.
b) aa) Wie sich aus den Akten ergibt und vom Beschwerdefüh-
rer nicht bestritten wird, geriet dieser ab 1999 mit der Bezahlung
seiner Elektrizitätsrechnungen in Verzug. Am 20. April 2000 wurde
eine Abzahlungsvereinbarung geschlossen, die der Beschwerdeführer
aber nicht einhielt, worauf ihm mit Schreiben der Regionalwerke AG
Baden vom 8.
Dezember 2000 eine letzte kurze Zahlungsfrist
eingeräumt wurde, ansonsten ein Cash-Card-Zähler installiert werde.
Einen Tag vor Ablauf der gesetzten Frist kam es zum Einbau dieses
Zählers.
bb) Ähnlich verhält es sich mit dem Telefon. Die Angaben der
Swisscom AG sind unbestritten. Danach beglich der Beschwerdefüh-
rer die Telefonrechnung für den Monat Juli 2000 auch nach Mah-
nung und Ansetzung einer letzten Frist nicht, was zur Kündigung des
Anschlusses per 30. November 2000 führte. In der Folge machte die
Swisscom AG die Wiederinbetriebnahme des Festanschlusses von
einer Sicherheitsleistung in Höhe von Fr. 850.-- abhängig.
cc) Es ist ein völlig übliches Geschäftsgebaren, wenn Firmen
versuchen, künftigen Schaden, wenn Forderungen nicht eingetrieben
werden können, zu vermeiden. Im angefochtenen Entscheid ist dar-
gelegt, dass die Regionalwerke AG und die Swisscom AG sich an die
rechtlichen Vorgaben hielten. Es zeugt von einem seltsamen
Rechtsverständnis, wenn der Beschwerdeführer sich hier als Opfer
von Schikanen darstellt.
2003
Sozialhilfe
297
c) In beiden Fällen geht es um die Frage, ob die Sozialhilfe für
Mehrkosten aufkommen muss, welche entstanden sind, weil der
Beschwerdeführer seine Aufwendungen für Grundbedürfnisse, die
durch den Grundbetrag der Sozialhilfe abgedeckt sind, nicht im Griff
hatte (die Telefonkosten für die Monate Juli bis Oktober 2000 betru-
gen zusammen mehr als Fr. 1'070.--) und die Zahlungen erst leistete,
nachdem bereits Konsequenzen mit Mehrkosten eingetreten waren.
Offensichtlich geht es nicht an, dass eine mit Barbeträgen unter-
stützte Person (vgl. § 16 SHV) die auflaufenden Rechnungen für
Grundbedürfnisse nicht bezahlt, sondern das Geld anderswie ver-
wendet und nachher zusätzliche Sozialhilfe zur Bezahlung der Schul-
den verlangt (vgl. § 13 Abs. 1 und 3 SHV, wonach materielle Hilfe in
der Regel nur für laufende Verpflichtungen und nicht zur Schulden-
tilgung gewährt wird).
Welches die angemessene Reaktion des unterstützenden Ge-
meinwesens ist, hängt vom Einzelfall ab. In erster Linie werden Di-
rektzahlungen in Frage kommen (§ 16 SHV). Im vorliegenden Fall
bedarf es dazu keiner eingehenderen Ausführungen. Es hätte am Be-
schwerdeführer gelegen, sich rechtzeitig an den Sozialdienst der
Gemeinde zu wenden, als er bemerkte, dass er ausserstande war, der
(letzten) Zahlungsaufforderung rechtzeitig nachzukommen. Dann
wäre es noch möglich gewesen, dass der Sozialdienst die offenen
Rechnungen beglichen hätte (selbstverständlich unter entsprechender
Kürzung bei den Leistungen der folgenden Monate). Der Be-
schwerdeführer hat es sich selber zuzuschreiben, dass er sich erst an
die Sozialbehörde wandte, als die Konsequenzen seines Verhaltens
(Cash-Card-Zähler; Aufhebung des Telefonanschlusses) nicht mehr
zu verhindern waren.
d) Die Sozialhilfe ist nicht gehalten, über zusätzliche Leistun-
gen (sog. situationsbedingte Mehrleistungen) die Schulden zu beglei-
chen, welche der Beschwerdeführer verursacht hat, indem er für
Leistungen, die mit der Grundbedarfspauschale abgedeckt werden,
nicht bezahlte. Das Gleiche gilt für die, als Folge des Verhaltens des
Beschwerdeführers, entstandenen (relativ geringen) Mehrkosten des
Elektrizitätsbezugs. Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass die Ver-
weigerung der verlangten zusätzlichen Sozialhilfe den Beschwerde-
2003
Verwaltungsgericht
298
führer nicht in eine nicht zu verantwortende und mit Art. 12 BV nicht
zu vereinbarende Notlage stürzt. Diesbezüglich ist die Beschwerde
abzuweisen. | 1,114 | 932 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-70_2003-01-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-70.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-70.pdf | AGVE_2003_70 | null | nan |
d38d928c-8a04-5f16-96b4-6bb50f4abbc4 | 1 | 412 | 871,747 | 1,464,912,000,000 | 2,016 | de | 2016
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
159
IV. Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
26
Baubewilligung
Bauvorhaben in einem im ISOS verzeichneten Gebiet von nationaler Be-
deutung: Interessenabwägung zwischen den ISOS-Schutzanliegen und
dem raumplanerischen Ziel der Verdichtung (Art. 3 Abs. 3 lit. a
bis
RPG)
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 14. Juni 2016 in Sachen A.
und Mitbeteiligte gegen B. AG, Stadtrat Aarau sowie Regierungsrat
(WBE.2015.179).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Streitgegenstand des Verfahrens bildet eine Baubewilligung des
Stadtrats Aarau im Spannungsfeld zwischen Verdichtung und
Ortsbildschutz als Teilaspekte der Siedlungsentwicklung. Auf dem
streitbetroffenen Grundstück soll ein zweigeschossiges, von einer
Gartenanlage umgebenes Wohnhaus mit zwei Garagen durch zwei
im Volumen grössere Wohnhäuser (mit je drei Vollgeschossen und
insgesamt 10 Wohnungen) sowie eine verbindende Tiefgarage im
Untergeschoss ersetzt werden. Die Parzelle befindet sich im "Garten-
stadtquartier" Zelgli, in der Wohnzone W3
bis
gemäss Nutzungsplan
der Stadt Aarau. Das Zelgli-Quartier ist im Bundesinventar der
schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung
(ISOS) verzeichnet (als Gebiet 15) und dem "Erhaltungsziel B"
zugeordnet, d.h. in seiner Struktur zu erhalten.
1.2. (...)
1.3.
Im Streit steht auf kommunaler Rechtsebene insbesondere die
richtige Beurteilung der §§ 7, 8 und 58 BNO der Stadt Aarau.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
160
§ 7 BNO hält fest:
"
1
Die Wohnzone W3
bis
dient der strukturellen Erhaltung und massvollen Ver-
dichtung der zentrumsnahen, durch eine starke Durchgrünung geprägten Wohnquar-
tiere mit weitgehend einheitlicher Bebauungsstruktur.
2
Die Durchgrünung mit Bäumen, Sträuchern, Hecken usw. ist soweit möglich
zu erhalten oder entsprechend neu zu gestalten. Flachdächer sind soweit möglich zu
begrünen.
3
Die Vorgärten und die Art der Abschlüsse gegenüber dem Strassenraum sind
quartiertypisch zu gestalten. Höhenunterschiede gegenüber der Strasse sind mit
Stützmauern zu gestalten, welche direkt an die Grundstücksgrenze anschliessen. Zu-
gänge, Zufahrten und Abstellplätze dürfen in der Regel höchstens ein Drittel der
Grundstücksbreite beanspruchen.
4
Wo städtebauliche Interessen im Sinne von Abs.1 es erfordern, kann von den
Grundmassen abgewichen werden.
5
Mit dem Baugesuch ist ein Plan über die Umgebungsgestaltung einzu-
reichen."
§ 8 BNO lautet unter der Marginalie "Grundmasse" wie folgt:
E
W2
W3
W3
bis
Ausnützungsziffer
0,4
0,5
0,6
0,6
Anzahl Vollgeschosse
2
2
3
3
Grenzabstand einheitlich
4
4
-
-
kleiner
-
-
5
5
grösser
-
-
8
8
max. Gebäudelänge
-
50 m
60 m
30 m
max. Gebäudetiefe
-
15 m
15 m
-
Gemäss der kantonalen Bestimmung von § 42 Abs. 1 BauG
müssen sich Gebäude hinsichtlich Grösse, Gestaltung und Ober-
fläche des Baukörpers sowie dessen Aussenraumes so in die Umge-
bung einordnen, dass eine gute Gesamtwirkung entsteht. § 58 BNO
Aarau sieht darüber hinaus Folgendes vor:
2016
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
161
"Bauten, Aussenräume und Anlagen sind gut zu gestalten. Sie haben sich in
Lage, Stellung, Volumen und Erscheinung in das Stadt-, Quartier- und Strassenbild
einzufügen und die Einheitlichkeit, die wesentlichen Merkmale und den Massstab
des Quartiers oder des Strassenzuges sowie deren Entwicklungsmöglichkeiten zu
wahren."
2.
2.1.
Die Vorinstanz überprüfte zunächst die Grundmasse gemäss
§ 8 BNO (Ausnützungsziffer; Anzahl Vollgeschosse; kleiner und
grosser Grenzabstand; maximale Gebäudelänge) und kam zum
Schluss, dass sie eingehalten seien. Sei dies der Fall, brauche nicht
weiter untersucht zu werden, ob die Überbauung den Zielsetzungen
von § 7 Abs. 1 BNO widerspreche. Es sei nicht davon auszugehen,
dass die vom zuständigen Planungsorgan (Einwohnerrat Aarau) auf-
grund einer Interessenabwägung festgelegten Grundmasse von den
städtebaulichen Interessen abweichen, welche das gleiche Planungs-
organ im gleichen Zeitpunkt definiert habe. Zudem erübrige sich die
Abklärung, ob sich gemäss § 7 Abs. 4 BNO eine Abweichung von
den Grundmassen zur Wahrung städtebaulicher Interessen rechtfer-
tige. Andernfalls verlören die demokratisch beschlossenen, generell-
abstrakten Vorschriften über die Grundmasse ihren der Rechtssicher-
heit sowie Voraussehbarkeit dienenden, planungsleitenden Sinn und
die Verwaltung wäre kaum noch an das Recht gebunden. Betreffend
Ästhetik / Ortsbildschutz (§ 58 BNO; § 42 BauG) schützte die Vorin-
stanz den Einordnungsentscheid des Stadtrats Aarau unter Berück-
sichtigung der Gemeindeautonomie. Soweit die Grundmasse wie hier
nicht voll ausgeschöpft seien, bestehe grundsätzlich auch ein
Entscheidungsspielraum betreffend Ästhetik und Gestaltung und da-
mit auch Raum für die Abwägung verschiedener Interessen.
Zur Formulierung der durch Aufnahme des Gebiets ins ISOS
ausgedrückten Interessen hatte der regierungsrätliche Rechtsdienst
mit Zustimmung der Beteiligten die Eidgenössische Natur- und Hei-
matschutzkommission (ENHK) mit der Begutachtung beauftragt.
(...) Das Gutachten der ENHK vom 15. Juli 2014 (nachfolgend:
ENHK-Gutachten) beurteilt den Neubau von zwei im Volumen we-
sentlich grösseren Gebäuden insgesamt als schwerwiegenden Ein-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
162
griff in die bestehende Bebauungsstruktur und das Erscheinungsbild
des Quartiers.
Die Vorinstanz erwog allerdings, eine Verdichtung lasse sich
ohne Schmälerung der von der ENHK aus dem ISOS abgeleiteten
Schutzziele ("Ungeschmälerte Erhaltung der Bebauungsstruktur mit
ihrer charakteristischen Parzellierung, Körnigkeit und Anordnung"
und "Ungeschmälerte Erhaltung des Erscheinungsbilds des Quartiers,
insbesondere der Individualität des architektonischen Ausdrucks und
der Grosszügigkeit der Gartenanlagen") nicht verwirklichen. Der
Einwohnerrat Aarau habe beim Erlass der einschlägigen Nutzungs-
vorschriften 2001 die Ausmasse (inklusive halbierte Gebäudelänge
von 60 m auf 30 m) als ortsbildverträglich qualifiziert. Würde die
Kritik der ENHK am Volumen der Bauten zum Massstab genommen,
würde die Zonenordnung generell ausser Kraft gesetzt. Eine solche
Wirkung könne § 42 BauG bzw. § 58 BNO nicht zukommen.
Deshalb habe der Stadtrat zu Recht bei der Beurteilung des Orts-
bildschutzes auf die der Zonenordnung und den Grundmassen inne-
wohnende, für ihn verbindliche Interessenabwägung des Einwoh-
nerrats als zuständiges Planungsorgan abgestellt. Die Bewilligung sei
bezüglich Volumen der Bauten nicht zu beanstanden.
(...)
2.2.-2.3. (...)
3.
3.1.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt das ISOS
lediglich bei der Erfüllung von Bundesaufgaben (Art. 2 und 3 NHG)
in unmittelbarer Weise. Bei der Erfüllung von kantonalen (und kom-
munalen) Aufgaben - wie der Nutzungsplanung oder der Erteilung
von Baubewilligungen, soweit nicht das Bundesrecht konkret ihre
Voraussetzungen regelt (dazu Urteil des Bundesgerichts vom
11. März 2014 [1C_700/2013], Erw. 2.2 am Ende) - wird der Schutz
von Ortsbildern durch kantonales (und kommunales) Recht gewähr-
leistet. Dies ergibt sich verfassungsrechtlich aus Art. 78 Abs. 1 BV,
wonach die Kantone für den Natur- und Heimatschutz zuständig
sind. Auch bei der Erfüllung von kantonalen (und kommunalen) Auf-
gaben sind Bundesinventare wie das ISOS jedoch von Bedeutung.
2016
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
163
Die Pflicht zur Beachtung findet ihren Niederschlag zum einen in der
Anwendung der die Schutzanliegen umsetzenden (Nutzungs-) Pla-
nung; zum andern darin, dass
im Einzelfall erforderliche
Interessenabwägungen
im Lichte der Heimatschutzanliegen vorzu-
nehmen sind (Urteil des Bundesgerichts vom 6. Januar 2015
[1C_130/2014/1C_150/2014; "Steig"], Erw. 3.2 mit weiteren
Hinweisen auf die Praxis).
3.2.-3.4. (...)
3.5.
In der Frage, ob die ISOS-Schutzanliegen im vorliegenden Ver-
fahren Beachtung finden können, ist somit den Beschwerdeführern
darin zuzustimmen, dass die Einhaltung der quantitativen Grund-
masse nicht von der Interessenabwägung zwischen Erhaltung und
Verdichtung entbindet. Die blosse Prüfung abstrakter Grundmasse
(§ 8 BNO) würde der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur ISOS-
Beachtungspflicht im Rahmen kantonaler Aufgaben nicht gerecht. Im
Interesse einer massvollen Verdichtung sind dieser vielmehr die
Anliegen des Natur- und Heimatschutzes (gemäss ISOS) bei der An-
wendung der BNO abwägend gegenüberzustellen. Somit ist die
Vorinstanz zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Interessabwä-
gung (bezüglich Ortsbildschutz) bereits abschliessend durch den Ein-
wohnerrat durch Verankerung der Grundmasse getroffen worden sei.
Mit einem allgemeinen Verweis auf eine generell-abstrakte Wertung
(wie § 8 BNO) kann nicht von einer im Einzelfall erforderlichen
Interessenabwägung Abstand genommen werden. Damit münden die
vorstehenden Erwägungen in eine Abwägung von Verdichtung und
Strukturerhaltung bzw. Ortsbildschutz (ISOS-Schutzanliegen) im
Rahmen der ermessensweisen Anwendung der §§ 7 und 58 BNO.
Die grundsätzliche Beachtung des ISOS im Einzelfall würde -
entgegen dem angefochtenen Entscheid - auch die BNO bzw. Grund-
masse nicht ausser Kraft setzen. Wie die Beschwerdeführer berech-
tigt einräumen, ist durchaus denkbar, dass ein Bauvorhaben die
Masse ausnützt und gleichzeitig vor der ISOS-Beachtungspflicht
standhält.
3.6. (...)
4.
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
164
4.1.-4.5. (...)
5.
5.1.
Zum schützenswerten Ortsbild der Stadt Aarau hält das ENHK-
Gutachten fest:
"Aarau wird im ISOS [...] als Stadt von nationaler Bedeutung aufgeführt. [...]
Im 19. Jahrhundert wuchs die Bevölkerungszahl rasch an und Aarau dehnte sich
über die mittelalterlichen Stadtgrenzen aus. Die Stadt entwickelte sich zunächst in
Richtung Osten. Mit der Eröffnung der Bahnstation 1858 wurden die Voraussetzun-
gen für eine weitere Stadtentwicklung südlich der Bahngleise geschaffen, wo In-
dustrieareale und Wohnsiedlungen entstanden.
Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts, vor allem aber in den ersten Jahrzehnten
des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Aarau immer weiter in südlicher Richtung. Es
entstanden Einfamilienhäuser und Villen innerhalb der Strukturen der Gartenstadt
mit weitgehend einheitlicher Parzellierung, grosszügigen, mit hohen Bäumen durch-
setzten Gartenanlagen und wenig befahrenen Quartierstrassen, die von mitunter
parkartigen Gärten gesäumt werden.
Das ISOS spricht der Stadt Aarau neben ,,gewissen" Lagequalitäten und
besonderen räumlichen Qualitäten auch besondere architekturhistorische Qualitäten
als gut erhaltene mittelalterliche Stadt mit klar erkennbaren Aufbauphasen zu. Als
bedeutende Aufbauphasen hebt das ISOS verschiedene Stadterweiterungen mit epo-
chenspezifisch ausgeprägter Bausubstanz hervor, darunter die Wohnquartiere aus
dem 19. und aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu denen auch das Gebiet
der südlichen Gartenstadt gehört. [...]
Im Baugebiet G15 sind die Bauten meist zweigeschossig und weisen hohe
Giebel auf. Es finden sich aber auch Bauten und ganze Siedlungsteile mit
eingeschossigen Gebäuden und vereinzelt dreigeschossige Bebauungsstrukturen.
Unmittelbar südlich der durch das zu beurteilende Bauvorhaben betroffenen Parzelle
X. stehen - jeweils in der Parzellenmitte und damit deutlich von der Y. Strasse
zurückversetzt - zwei dreigeschossige Mehrfamilienhäuser.
Stilistisch sind die Bauten uneinheitlich. Für das Quartier charakteristisch ist
vielmehr eine grosse architektonische Vielfalt. Es finden sich Anleihen an den Histo-
rismus, den Jugendstil, den Schweizer Heimatstil, das Neue Bauen, aber auch an die
Sachlichkeit der Nachkriegsmoderne. Vereinzelte Villen sind zudem ab den Siebzi-
ger Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die jüngste Zeit entstanden."
2016
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
165
Die ENHK konkretisierte die Schutzziele des ISOS für das Gar-
tenstadtquartier Zelgli wie folgt: Ungeschmälerte Erhaltung der Be-
bauungsstruktur mit ihrer charakteristischen Parzellierung, Körnig-
keit und Anordnung. Ungeschmälerte Erhaltung des Erscheinungsbil-
des des Quartiers, insbesondere der Individualität des architekto-
nischen Ausdrucks und der Grosszügigkeit der Gartenanlagen.
Die ENHK beurteilte das umstrittene Bauvorhaben und hielt
dazu im Gutachten Folgendes fest: Die bestehende lockere und stark
durchgrünte Bebauungstruktur, mit gleichmässigen Bauvolumen und
regelmässiger Parzellierung der Grundstücke, lasse die Qualitäten
der Gartenstadt im Quartier Zelgli heute sehr gut erkennen. Der Neu-
bau mit zwei wesentlich voluminöseren, eng zueinander stehenden
Baukörpern (Grundrissfläche je von ca. 13.00 x 17.50 m) weiche we-
sentlich von der quartiertypischen Struktur ab, insbesondere in Be-
zug auf die Anordnung der Gebäude innerhalb der Parzelle und das
Verhältnis zwischen Bauten und umgebenden Gartenanlagen. Das
Volumen werde durch die seitlich auf einer Linie ausgerichtete Stel-
lung und durch den geringen Gebäudeabstand zwischen den Baukör-
pern - die je nach Standort als einziger Baukörper in Erscheinung
träten - wesentlich verstärkt. (...) Das Vorhaben vermöge bezüglich
Stellung und Volumen die Qualitäten der durchgrünten Gartenstadt
nicht zu gewährleisten. Insgesamt müsse der Neubau als ein schwer-
wiegender Eingriff in die bestehende Bebauungsstruktur und das Er-
scheinungsbild des Quartiers beurteilt werden. Die historische Quar-
tierstruktur erfahre, insbesondere vom öffentlichen Raum aus be-
trachtet, eine Veränderung, die zu einer grundlegenden Schwächung
des Gartenstadtcharakters führe. (...)
5.2. (...)
5.3.
Allerdings bringen Vorinstanz und Stadtrat zu Recht vor, dass
die ENHK - wie sie selbst einräumt - keine Interessenabwägung
zwischen der Erhaltung des Ortsbilds bzw. den ISOS-Schutzanliegen
und der "Siedlungsentwicklung nach innen" vorgenommen, sondern
die (umfassende) Wahrung der ISOS-Erhaltungsziele ("ungeschmä-
lerte Erhaltung") beurteilt hat. Dagegen ist im Rahmen der Erfüllung
kantonaler Aufgaben wie hier die Pflicht zur Beachtung des ISOS er-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
166
füllt, wenn dessen Schutzanliegen im Rahmen einer Interessenabwä-
gung berücksichtigt werden. Die Beachtungspflicht steht mit anderen
Worten einer Abwägung mit dem seitens der Gemeinde klar
bekundeten Ziel der Verdichtung (§ 7 Abs. 1 BNO Aarau) nicht
entgegen. Auch Art. 3 Abs. 3 lit. a
bis
RPG hält fest, dass die Sied-
lungen nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten und in
ihrer Ausdehnung zu begrenzen sind. Insbesondere sollen Massnah-
men getroffen werden zur besseren Nutzung der brachliegenden oder
ungenügend genutzten Flächen in Bauzonen und der Möglichkeiten
zur Verdichtung der Siedlungsfläche. Bei der Verdichtung handelt es
sich also nicht nur um ein kommunales, sondern auch bundesrecht-
lich abgestütztes und heute zunehmend beachtetes, öffentliches In-
teresse. Auch das Bundesgericht hat im Urteil vom 6. Januar 2015
(1C_130/2014 / 1C_150/2014 ["Steig"], Erw. 4.7) die innere Ver-
dichtung als gewichtiges öffentliches Interesse bezeichnet. Dies
relativiert die im ENHK-Gutachten getroffenen Aussagen insofern,
als dass - wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat - sich die Be-
bauungsstruktur und die Grosszügigkeit der Gartenanlagen nicht
ungeschmälert erhalten lassen, wenn die Zone - massvoll - verdich-
tet werden soll. Dies bedeutet auch, dass massvolle Abstriche bezüg-
lich Erhaltung unumgänglich und im Sinne einer Abwägung auch zu-
lässig sind.
Nur in diesem Sinne sind die im ENHK-Gutachten getroffenen
Aussagen zu relativieren. Nicht zu beanstanden ist, dass die ENHK
die Schutzziele der Inventarisierung im Rahmen des Gutachtens kon-
kretisiert hat. Entscheidend und zu prüfen ist, ob das streitige
Bauvorhaben die Schutzanliegen des ISOS beeinträchtigt und falls
ja, ob diese Beeinträchtigung durch das öffentliche Interesse der Ver-
dichtung gerechtfertigt wird.
5.4.-5.5. (...)
6.
Gestützt auf das Gutachten der ENHK und den Augenschein ist
festzuhalten, dass das Bauvorhaben ein Ortsbild von nationaler Be-
deutung erheblich beeinträchtigen würde. An der Erhaltung des
national geschützten Ortsbildes besteht jedoch ein hohes öffentliches
Interesse. Dem gegenüber steht das gleichfalls öffentliche Interesse
2016
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
167
der Raumplanung an einer verdichteten Bauweise. Dieses Interesse
ist indessen zu relativieren. Ausgehend vom bestehenden, unter-
nutzten Bebauungszustand führt praktisch jedes Neubauprojekt zu
einer höheren Ausnutzung und damit Verdichtung auf der streitbe-
troffenen Parzelle. Den privaten Interessen kommt deutlich weniger
Gewicht zu, da eine ortsbildverträgliche massvolle Verdichtung ohne
Weiteres möglich erscheint. Die Parzelle Nr. X. kann unbestrittener-
massen baulich genutzt werden, es entfällt lediglich die "Maximal-
variante". Bei der Interessenabwägung überwiegt demnach das Orts-
bildschutzinteresse die genannten gegenläufigen Interessen. Mit der
Bewilligung des Bauvorhabens überschritt der Stadtrat das ihm zu-
stehende, aufgrund der nationalen Schutzinteressen jedoch einge-
schränkte Beurteilungsermessen. Die Baubewilligung, welche den
Zielen des ISOS sowie den Vorgaben der kommunalen Nutzungspla-
nung (§§ 7 Abs. 1 und 58 BNO) widerspricht, ist rechtsfehlerhaft,
weshalb die Vorinstanz die Baubewilligung nicht hätte schützen dür-
fen. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene
Entscheid sowie die Baubewilligung vom 25. Februar 2013 sind
aufzuheben. | 3,895 | 3,066 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-26_2016-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-26.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-26.pdf | AGVE_2016_26 | null | nan |
d395c52c-b78d-5160-963e-d7fa3f04ae75 | 1 | 412 | 871,636 | 981,072,000,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
198
47 Geschäfts-/Privatvermögen.
- Ausdrückliche Zuweisung zum Geschäfts- oder zum Privatvermögen
durch den Steuerpflichtigen ist, sofern mit den objektiven Gegeben-
heiten vereinbar, verbindlich (Erw. 3).
- Keine rückwirkende Überführung ins Geschäftsvermögen
(Erw. 3/b/ee).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 7. Februar 2001 in
Sachen M.F. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts.
Sachverhalt
M.F. war ab 1989 als Selbstständigerwerbender tätig. Für Be-
ratungen (mit denen er schon früher begonnen hatte) bezog er von
der B. AG eine feste monatliche Entschädigung, womit auch für die
D. AG erbrachte Leistungen abgegolten waren.
Aus den Erwägungen
2. Den streitigen Abschreibungen auf Beteiligungen bzw. den
geltend gemachten Kapitalverlusten liegt im Detail folgender Sach-
verhalt zugrunde: (...)
b) aa) Im Wertschriftenverzeichnis per 1. Januar 1987 dekla-
rierte der Beschwerdeführer 7 Namenaktien à nominal Fr. 1'000.--
der B. AG. Davon veräusserte er zwei am 12. Februar 1988, anläss-
lich einer Kapitalerhöhung zeichnete er per 3. Mai 1988 weitere
Aktien. Im Wertschriftenverzeichnis per 1. Januar 1989 wies er
19 Aktien der B. AG aus. Am 23. April 1990 kaufte er zusätzlich
35 Aktien der B. AG.
In den Aufzeichnungen der Jahre 1989/90 über das Geschäfts-
vermögen sind die Aktien nicht als Aktiva aufgeführt und im Wert-
schriftenverzeichnis der Steuererklärung per 1. Januar 1991 nicht als
Geschäftsvermögen deklariert. In der Eröffnungsbilanz 1991 (die erst
im März 1993 erstellt wurde) wurden die 54 Aktien der B. AG zu
2001
Kantonales Steuerrecht
199
insgesamt Fr. 81'000.-- eingebucht. Per Ende 1991 wurde eine Ab-
schreibung von Fr. 20'000.-- verbucht und per Ende 1992 wurden die
Aktien der B. AG Fr. 0.-- abgeschrieben. Im Wertschriftenverzeich-
nis per 1. Januar 1993 werden noch 30 Aktien mit Steuerwert Fr. 0.--
ausgewiesen.
bb) Gemäss eigenen Angaben erwarb der Beschwerdeführer im
Jahre 1989 oder 1990 50 Aktien à nominal Fr. 1'000.-- der D. AG
und führte sie im Wertschriftenverzeichnis per 1. Januar 1991 erst-
mals auf. In der Eröffnungsbilanz per 1. Januar 1991 erschienen die
Aktien mit dem Nominalwert von Fr. 50'000.--. Weitere 10 bzw.
17 Aktien der D. AG zeichnete der Beschwerdeführer anlässlich von
Kapitalerhöhungen vom 21. Februar 1991 und 8. Juli 1991, was ent-
sprechend verbucht wurde. Durch Abschreibungen per Ende 1991 in
Höhe von Fr.
25'000.-- sowie per Ende 1992 in Höhe von
Fr. 52'000.-- wurde der Buchwert der Beteiligung auf Fr. 0.-- abge-
schrieben.
c) Sowohl die Steuerkommission A. als auch das Steuerrekurs-
gericht anerkannten die verbuchten Abschreibungen von insgesamt
Fr. 147'000.-- (bzw. Fr. 73'500.-- im Durchschnitt der Bemessungs-
jahre) nicht als geschäftsmässig begründet, da die Beteiligungen an
der B. AG und der D. AG als Privatvermögen qualifiziert wurden.
Die Beschwerdeführer halten an der Auffassung fest, die Aktien
stellten Geschäftsvermögen dar, weshalb die Abschreibungen auf den
Beteiligungen zum Abzug zuzulassen seien.
3. a) Für die Bestimmung, ob alternative Wirtschaftsgüter dem
Geschäfts- oder dem Privatvermögen zuzuordnen sind, ist auf die
Gesamtheit der objektiv feststellbaren tatsächlichen Verhältnisse
abzustellen. Von besonderer Bedeutung ist die technisch-wirtschaft-
liche Funktion des Vermögenswerts, d.h. ob dieser tatsächlich dem
Geschäft dient, da in aller Regel, wenn es hieran fehlt, kein Ge-
schäftsvermögen vorliegen kann; als weitere Indizien können na-
mentlich die Eigentumsverhältnisse, die buchmässige Behandlung
- soweit sie auf den Willen des Steuerpflichtigen hinweist, den Ver-
mögenswert für geschäftliche bzw. private Zwecke einzusetzen - und
das Erwerbsmotiv in Betracht fallen. Der subjektive Wille des Steu-
erpflichtigen ist für sich allein genommen nicht massgebend, sondern
2001
Verwaltungsgericht
200
nur, soweit er sich in der tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse
niederschlägt (vgl. zum Ganzen: StE 1999, B 23.2 Nr. 21, Erw. 3/a
mit zahlreichen Hinweisen; StE 1993, B 23.2 Nr. 11, Erw. 3a; AGVE
1993, S. 263 f.; Walter Koch, in: Kommentar zum Aargauer Steuer-
gesetz, Muri/BE 1991, § 22 N 189 ff.; Markus Reich, in: Kommentar
zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2a [DBG], Basel 2000,
Art. 18 N 48; Fabian Amschwand, Geschäftsvermögen oder Privat-
vermögen? Eine Übersicht, in: Steuerrevue 2000, S. 482 ff.).
b) aa) Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei ab 1989
selbstständig erwerbender Berater bei der B. AG und der D. AG
gewesen. Parallel zu seiner Beratertätigkeit habe er sich gezwungen
gesehen, sich an den fraglichen Gesellschaften mit Aktienkäufen zu
beteiligen. Die Aktien würden vollumfänglich dem Betrieb seiner
Einzelfirma dienen. Mit diesen Darlegungen macht der Beschwerde-
führer sinngemäss geltend, die technisch-wirtschaftliche Funktion
seiner Aktienbeteiligung gebiete es, die Wertschriften dem Ge-
schäftsvermögen zuzuteilen. In der Tat erscheint der Sachzusam-
menhang zwischen den getätigten Aktienkäufen und der selbststän-
digen Beratertätigkeit bei den Firmen B. AG und D. AG nachvoll-
ziehbar; die Wertschriften dienten offenkundig der selbstständigen
Erwerbstätigkeit. Dass die selbstständige Tätigkeit als Berater auch
ein verstärktes Engagement bei den genannten Firmen nach sich zog,
zeigt sich darin, dass der Beschwerdeführer in beiden Firmen als
Mitglied im Verwaltungsrat mitwirkte.
bb) Hinsichtlich des Erwerbsmotivs gelangte die Vorinstanz
zum Schluss, dass die Situation des Beschwerdeführers eher für das
Vorliegen von Geschäftsvermögen spreche, da bei einer finanziellen
Beteiligung an einer Unternehmung parallel zu einer mehr oder we-
niger umfangreichen Beratertätigkeit für den gleichen Betrieb ein
Zusammenhang zwischen der (selbstständigen) Erwerbstätigkeit und
dem Erwerb der Beteiligung bestehe. Diese Beurteilung trifft jeden-
falls für die Aktienkäufe ab 1989 zu.
dd) aaa) Die Behandlung eines Vermögensobjekts in der Buch-
haltung des Steuerpflichtigen stellt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts zwar kein allein entscheidendes Kriterium für dessen
Zuordnung zum Geschäftsvermögen dar; in der Bilanz enthaltene
2001
Kantonales Steuerrecht
201
Vermögensobjekte können zum Privatvermögen gehören, während
auch nichtbilanzierte Vermögensobjekte Geschäftsvermögen dar-
stellen können. Bei Steuerpflichtigen, die nicht ihr gesamtes Vermö-
gen in der Bilanz aufführen und somit zwischen bilanziertem Ge-
schäftsvermögen und nichtbilanziertem Privatvermögen unterschei-
den, bildet die buchmässige Behandlung aber ein sehr gewichtiges
Indiz für die Zuordnung zum Geschäfts- oder zum Privatvermögen
(BGE 112 Ib 83 f. mit weiteren Hinweisen; 94 I 468; Francis Cagia-
nut/Ernst Höhn, Unternehmungssteuerrecht, 3. Aufl., Bern 1993,
S. 259, 263 f.). Im Zusammenhang mit Überführungen vom Ge-
schäfts- ins Privatvermögen ist das Verwaltungsgericht noch etwas
weiter gegangen und hat ausgeführt: ... (Zitat aus AGVE 1996,
S. 253). Das Verwaltungsgericht hat also die ausdrückliche Zuwei-
sung zu Geschäfts- oder Privatvermögen durch den Steuerpflichtigen
in seiner Steuererklärung als verbindlich betrachtet, sofern sie mit
den objektiven Gegebenheiten vereinbar war. Dasselbe muss für die
der Steuererklärung zugrundeliegende buchhalterische Behandlung
gelten (vgl. zum Ganzen: VGE II/65 vom 9. September 1997 in Sa-
chen KStA/W.M., S. 6 f.).
bbb) 1988 ging der Beschwerdeführer unbestrittenermassen
noch einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nach. Als Unselbst-
ständigerwerbender konnte er nicht über Geschäftsvermögen verfü-
gen, da dieses eine selbstständige Erwerbstätigkeit voraussetzt
(Koch, a.a.O., § 22 N 183). Folgerichtig wurde der Kapitalgewinn
aus Aktienverkäufen nicht als Gewinn aus der Veräusserung von
Geschäftsvermögen deklariert (§ 22 Abs. 1 lit. b StG) und musste
nicht versteuert werden. Bis Ende 1988 zählten die dem Beschwerde-
führer gehörenden Aktien zu seinem Privatvermögen.
Nach der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit per
Anfang 1989 konnte der Beschwerdeführer Geschäftsvermögen aus-
weisen. Im Wertschriftenverzeichnis der am 21. Oktober 1992 er-
stellten Steuererklärung 1991/92 (Bemessungsjahre 1989/90) dekla-
rierte der Beschwerdeführer einen Bestand von 54 Aktien der B. AG
sowie 50 Aktien der D. AG. Die Kolonne im Wertschriftenverzeich-
nis, in welcher Geschäftsvermögen mit dem Vermerk "G" zu kenn-
zeichnen ist, liess er jedoch leer (vgl. StE 1999, B 23.45.2 Nr. 1
2001
Verwaltungsgericht
202
Erw. 3/a). Selbstständigerwerbende, die keine Buchhaltung führen,
haben ihre Einnahmen und Ausgaben, ihr Vermögen und ihre Schul-
den vollständig aufzuzeichnen (§ 128 Abs. 4 lit. b StG). Die Auf-
zeichnungen über das Geschäftsvermögen, die der Beschwerdeführer
mit der Steuererklärung 1991/92 eingereicht hat, enthalten unter den
Aktiven keine Aktien. Auch hier wurden also, übereinstimmend mit
der Steuererklärung, die Beteiligungen an der B. AG und der D. AG
als Privatvermögen behandelt. Die Begründung des Beschwerdefüh-
rers, es hätten ihm die notwendigen Buchhaltungskenntnisse gefehlt,
überzeugt nicht, da er sich bereits im Zusammenhang mit dieser
Steuererklärung von der Treuhandgesellschaft X beraten liess. Die-
selbe Firma erstellte im März 1993 die Eröffnungsbilanz 1991 sowie
die Buchhaltungsabschlüsse 1991/92, wo die Aktien der B. AG und
D. AG erstmals unter dem Geschäftsvermögen figurieren. Die Be-
hauptung des Beschwerdeführers, er habe mit Hilfe der X die Aktien
in den Jahren 1991 und 1992 in die Buchhaltung aufgenommen,
stimmt nicht. Tatsächlich erfolgte die Einbuchung erst anlässlich der
Erstellung der Eröffnungsbilanz. Andernfalls wäre nicht nachvoll-
ziehbar, weshalb die Deklaration der Aktien als Geschäftsvermögen
nicht auch in die erst im Oktober 1992 erstellte Steuererklärung
1991/92 Eingang fand. Nach sämtlichen Kundgebungen des Be-
schwerdeführers gegenüber den Steuerbehörden (Wertschriftenver-
zeichnis, Aufzeichnungen über das Geschäftsvermögen) verblieben
die bis Ende 1988 im Privatvermögen befindlichen Aktien auch
1989/90 im Privatvermögen; seine eigenen Deklarationen stehen der
Zuordnung zum Geschäftsvermögen entgegen. Die Steuerbehörden
ihrerseits hatten keinen Grund für Nachforschungen, da die Beteili-
gungen als Alternativgüter konsequent dem Privatvermögen zuge-
ordnet wurden, was auch nach Aufnahme der Tätigkeit als Selbst-
ständigerwerbender möglich war. Sie hatten keinen Anlass, an der
Vollständigkeit der Aufzeichnungen über das Geschäftsvermögen zu
zweifeln.
ee) aaa) Grundsätzlich kann Privatvermögen ins Geschäftsver-
mögen übergeführt werden (sog. Privateinlage; vgl. Koch, a.a.O.,
§ 22 N 267). Ein Wechsel der Zuordnung wird steuerlich nur aner-
kannt, wenn er wirtschaftlich begründbar ist und klar zum Ausdruck
2001
Kantonales Steuerrecht
203
gebracht wird. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens lässt es
insbesondere nicht zu, dass Vermögensstücke, die zuvor als Privat-
vermögen gekennzeichnet waren, bei drohender Werteinbusse vor-
sorglich in das Geschäftsvermögen überführt werden (Rechen-
schaftsbericht des Verwaltungsgerichts Zürich 1982, S. 82 f.); noch
viel weniger geht es an, solche Vermögensstücke nach bereits einge-
tretenem Verlust rückwirkend ins Geschäftsvermögen überzuführen.
bbb) Der Beschwerdeführer hat die Neuzuordnung der Beteili-
gungen zum Geschäftvermögen erstmals mit der Eröffnungsbilanz
per 1.1.1991 dokumentiert. Diese wurde jedoch erst im März 1993
erstellt. Wenige Monate zuvor, am 21. Oktober 1992, hatte der Be-
schwerdeführer in der Steuererklärung 1991/92 die Beteiligungen
noch als Privatvermögen deklariert. Buchhalterisch wurden die Be-
teiligungen in den Geschäftsjahren 1991 und 1992 vollständig abge-
schrieben (vorne Erw. 2/b). Die Zuweisung zum Geschäftsvermögen
erfolgte also, nachdem die Kapitalverluste bereits vollständig einge-
treten waren. Übereinstimmend mit der Vorinstanz ist zu verlangen,
dass buchführende Steuerpflichtige Privateinlagen nicht nur buch-
halterisch erkennbar zum Ausdruck bringen, sondern die entspre-
chenden Tatbestände auch zeitnah und chronologisch erfassen. Der
nachträgliche buchhalterische Vollzug stellt eine unzulässige, rück-
wirkende Überführung von Privat- ins Geschäftsvermögen dar und
kommt, da die Beteiligungen an der B. AG und der D. AG bei der
Erstellung der Abschlüsse bereits wertlos waren, einer Steuerumge-
hung nahe.
ff) Unter den gegebenen Umständen kommt dem Verhalten des
Beschwerdeführers bei der buchhalterischen Behandlung und seinen
Erklärungen gegenüber den Steuerbehörden entscheidende Bedeu-
tung zu. Die Vorinstanz hat daher zu Recht die Aktienbeteiligung im
hier wesentlichen Zeitraum als Privatvermögen qualifiziert und die
geltend gemachten Abschreibungen nicht zum Abzug zugelassen. | 2,839 | 2,259 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-47_2001-02-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-47.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-47.pdf | AGVE_2001_47 | null | nan |
d425ab32-5508-5339-a5ce-3ba2a4b2d2de | 1 | 412 | 871,774 | 1,401,667,200,000 | 2,014 | de | 2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
292
49
§ 42 Abs. 1 lit a VRPG
Mangelndes Rechtsschutzinteresse zur Anfechtung einer Veranlagung, bei
der durch das KStA zu Lasten des Eigenkapitals eine Minusreserve für
ein wertloses Darlehen gebildet wird. Zur Aufrechnung der verdeckten
Gewinnausschüttung kommt es erst bei der Abschreibung des Darlehens.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 26. Juni 2014 in Sachen
X. AG (WBE.2013.450).
Aus den Erwägungen
2.
Zunächst ist zu klären, ob auf die Beschwerde überhaupt einge-
treten werden kann. Die Beschwerdeführerin beantragt in ihrer Be-
schwerde, sie sei für das Jahr 2005 mit einem steuerbaren Reinge-
winn (Verlust) in Höhe von Fr. -130'066.00 und einem steuerbaren
Kapital von Fr. 127'635.00 sowie für das Jahr 2006 mit einem steuer-
2014
Verwaltungsrechtspflege
293
baren Reingewinn (Verlust) in Höhe von Fr. -42'548.00 und einem
steuerbaren Kapital in Höhe von Fr. 137'436.00 zu veranlagen.
Die Beschwerdeführerin wurde vom KStA für die Jahre 2005
und 2006 jeweils mit einem Reingewinn von Fr. 0.00 veranlagt. Für
das Jahr 2005 wurde sie mit einem steuerbaren Eigenkapital von
Fr. 98'412.00 und für das Jahr 2006 mit einem steuerbaren Eigen-
kapital von Fr. 81'776.00 veranlagt. Die Beschwerdeführerin be-
antragt somit hinsichtlich des Eigenkapitals eine Höherveranlagung
und darüber hinaus eine Anerkennung des Verlustvortrages. Im
Folgenden ist zunächst auf den Antrag auf Höherveranlagung einzu-
gehen; anschliessend ist der Antrag auf Anerkennung eines Ver-
lustvortrags zu behandeln.
2.1.
2.1.1.
Die Befugnis zur Beschwerdeerhebung setzt ein schutzwürdiges
Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Ent-
scheids voraus (§ 42 Abs. 1 lit. a VRPG). Da die Beschwerdeführerin
vorliegend eine Höherveranlagung beantragt, ist fraglich, ob sie ein
solches schutzwürdiges Interesse hat. Ein solches ergibt sich klar,
wenn eine tiefere Veranlagung angestrebt wird. Ein schutzwürdiges
Interesse an einer Höherveranlagung besteht dagegen nur in Ausnah-
mefällen. Schutzwürdig ist das eigene Interesse, wenn die Erhebung
eines erfolgreichen Rechtsmittels dem Betroffenen einen praktischen
Nutzen bringt, das heisst einen Nachteil abwendet, den der angefoch-
tene Entscheid für ihn zur Folge hätte. Ein schutzwürdiges Interesse
an einer Höherveranlagung besteht beispielsweise, wenn dies in einer
folgenden Steuerperiode zu tieferen Steuern führt oder wenn die
steuerpflichtige Person dadurch ein Nachsteuer- und Hinterziehungs-
verfahren vermeiden kann (AVGE 2004 S. 271 = StE 2005 B 96.21
Nr. 13; siehe auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zü-
rich vom 27. Juni 2012 [SB.2012.00019] Erw. 2.1). Das allgemeine
Interesse an einer gesetzmässigen Besteuerung genügt dagegen als
schutzwürdiges Interesse nicht (ASA 43 [1974/75], 342 ff.).
2.1.2.
Die Bildung der sogenannten Minus-Reserve durch das KStA
ist Konsequenz dessen Auffassung, wonach die Darlehenserhöhung
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
294
in den Jahren 2005 und 2006 simuliert ist, somit die entsprechenden
Beträge als (verdeckt) an die Beteiligten ausgeschüttet zu betrachten
sind und das Eigenkapital sich dementsprechend vermindert hat. Als
Konsequenz dieser Auffassung wird das KStA die Vornahme von Ab-
schreibungen, Rückstellungen oder anderer Belastungen der Erfolgs-
rechnung zulasten der Aktivdarlehen in späteren Steuerperioden
nicht als geschäftsmässig begründet anerkennen (Ebenso wird es
,,Rückzahlungen" in späteren Steuerperioden im Umfang der Minus-
reserve steuerlich als Kapitaleinlagen betrachten). Für die Veranla-
gung der Gewinnsteuern 2005 und 2006 spielt die umstrittene Bil-
dung einer Minusreserve indessen keine Rolle. Erst wenn die Be-
schwerdeführerin Abschreibungen, Rückstellungen oder andere
Wertberichtigungen auf dem vom KStA als simuliert betrachteten
Darlehen (bzw. auf den Erhöhungen in den Jahren 2005 und 2006)
vornimmt und das KStA diese als nicht geschäftsmässig begründet
anerkennt, kommt es zu Aufrechnungen und kann die Beschwerde-
führerin die entsprechenden Veranlagungen anfechten (vgl. im
Ergebnis ebenso Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich
vom 27. Juni 2012 [SB.2012.00019] Erw. 2.2). Insbesondere wäre es
für das KStA dannzumal auch nicht möglich, unter Hinweis auf die
Berücksichtigung der Minusreserve bei der Berechnung des steuer-
baren Kapitals bei der Kantons- und Gemeindesteuer der Steuer-
perioden 2005 und 2006 eine Beurteilung der Aufrechnung unter
Hinweis darauf, damit sei über diese Problematik schon in einer
früheren Steuerperiode rechtskräftig entschieden worden, zu verwei-
gern. Deshalb erweist sich auch der vom Spezialverwaltungsgericht
angeführte Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 7. Februar 2007
(WBE.2006.122) als unzutreffend, indem er ohne weiteres davon
ausgeht, dass im Hinblick auf eine später notwendig werdende
Auflösung der Minusreserve (praktisch: Verrechnung des sich als
Verlust niederschlagenden Abschreibungsaufwands mit der Minusre-
serve, d.h. Verbuchung einer "echten" Eigenkapitalreduktion) ein
schutzwürdiges Anfechtungsinteresse bestehe (vgl. Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 7. Februar 2007 [WBE.2006.122] i.V.m.
Urteil
des
Steuerrekursgerichts
vom
19. Januar
2006
[3-RV.2005.50131] Erw. 3). An dieser im angeführten Entscheid
2014
Verwaltungsrechtspflege
295
ohne nähere Begründung geäusserten Auffassung kann nicht
festgehalten werden. Schliesslich liegt auch kein schutzwürdiges
Interesse im Umstand, dass den beteiligten Darlehensempfängern die
Aufrechnung der verdeckten Gewinnausschüttungen droht, können
sie sich doch in den sie betreffenden Verfahren dagegen wehren.
Die Vorinstanz hat im Zusammenhang mit dem für die Rekurs-
bzw. Beschwerdeführung erforderlichen aktuellen schutzwürdigen
Interesse zwar zutreffend ausgeführt, dass bei einer Veranlagung nur
das Dispositiv in Rechtskraft erwächst, während die dem Entscheid
zugrunde liegende Begründung nicht an der Rechtskraft teilnimmt.
Sie hat indessen verkannt, dass, da in der fraglichen Steuerperiode
noch keine Abschreibungen auf dem simulierten Darlehen vorge-
nommen wurden und nur das Dispositiv des Entscheids in Rechts-
kraft erwächst, die Beschwerdeführerin auch erst dann ein aktuelles
Interesse an der rechtlichen Qualifikation des Darlehens hat, wenn
sie Abschreibungen darauf vornimmt und diese von der Steuer-
behörde nicht zugelassen werden. Nur dann führt die Qualifikation
des Darlehens auch zu einer Erhöhung der Steuerfaktoren und die
Steuerveranlagung kann entsprechend angefochten werden (vgl.
wiederum Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich
vom 27. Juni 2012 [SB.2012.00019], Erw. 2.2). In den beiden hier zu
beurteilenden Steuerperioden ist dies aber noch nicht der Fall und die
Beschwerdeführerin hat daher vorliegend noch kein aktuelles Inte-
resse an der Anfechtung der Veranlagung.
Es steht somit fest, dass die Beschwerdeführerin kein schutz-
würdiges aktuelles Interesse an der Erhöhung ihrer Steuerfaktoren
hat und daher auf ihre Beschwerde nicht eingetreten werden kann,
soweit sie eine Korrektur des steuerbaren Eigenkapitals verlangt.
2.2.
Das Bundesgericht verneint in ständiger Praxis ein Feststel-
lungsinteresse hinsichtlich der Festlegung des Verlustvortrags, so-
lange der in Frage stehende Verlust nicht in einer Steuerperiode zur
Verrechnung gebracht wird, d.h. sich die Höhe des Verlustvortrags
nicht unmittelbar auf die umstrittene Veranlagung auswirkt (vgl.
Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 2008 [2C_761/2007], Erw. 1,
m.w.H.). Dieser Praxis folgt auch die Rechtsprechung des Verwal-
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
296
tungsgerichts (AGVE 2009, S. 123 ff.). Auf die Beschwerde kann
daher auch nicht eingetreten werden, soweit die Beschwerdeführerin
die Anerkennung eines Verlustvortrages für das Jahr 2005 in Höhe
von Fr. 130'066.00 und die Anerkennung eines Verlustvortrages für
das Jahr 2006 in Höhe von Fr. 42'548.00 beantragt.
2.3.
Zusammenfassend ist kein schutzwürdiges Interesse der Be-
schwerdeführerin an der Erhöhung der Steuerfaktoren ersichtlich und
es besteht praxisgemäss kein Feststellungsinteresse bezüglich der
Festlegung des Verlustvortrages. Auf die Beschwerde kann daher ge-
samthaft gesehen nicht eingetreten werden. Da schon die Vorinstanz
auf den Rekurs nicht hätte eintreten dürfen, rechtfertigt es sich, das
Dispositiv des angefochtenen Entscheids entsprechend zu korrigie-
ren. | 1,886 | 1,445 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-49_2014-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-49.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-49.pdf | AGVE_2014_49 | null | nan |
d44d5b6a-23ab-5143-bec9-164ea267b5d3 | 1 | 412 | 871,215 | 1,061,856,000,000 | 2,003 | de | 2004
Normenkontrolle
99
I. Normenkontrolle
26
Normenkontrolle; § 9 Abs. 2 AnwT vom 26. August 2003; Begriff der
"verwaltungsrechtlichen" Natur (§ 68 VRPG).
- § 9 Abs. 2 AnwT regelt entgegen seinem Wortlaut die Entschädigung
des amtlichen Verteidigers und nicht des unentgeltlichen Rechtsver-
treters in Strafsachen (Erw. 4/d/aa).
- § 9 Abs. 2 AnwT ist ein Norm mit verwaltungsrechtlicher Natur, in-
dessen ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im Normenkon-
trollverfahren nicht gegeben, weil die Anwendung nicht durch Ver-
waltungsbehörden im Sinne von § 68 VRPG erfolgt (Erw. 4/d/bb-ee).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 18. Oktober 2004 in Sa-
chen K. und B.
Aus den Erwägungen
4. Nach § 68 VRPG können Vorschriften verwaltungsrechtli-
cher Natur in Dekreten und Verordnungen des Kantons und in Erlas-
sen der Gemeinden, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und An-
stalten dem Verwaltungsgericht jederzeit zur Prüfung auf ihre Verfas-
sungs- und Gesetzmässigkeit unterbreitet werden.
a) Das Anfechtungsobjekt der Normenkontrolle ist zunächst
nach formellen Kriterien auf Vorschriften "in Dekreten und Verord-
nungen des Kantons und in Erlassen der Gemeinden, öffentlich-
rechtlichen Körperschaften und Anstalten" beschränkt. Beim An-
waltstarif handelt es sich um einen kantonalen, untergesetzlichen
Erlass; er untersteht somit der prinzipalen Normenkontrolle.
b) Die im prinzipalen Normenkontrollverfahren überprüfbaren
Vorschriften sind auch in inhaltlicher Hinsicht beschränkt: es sind
nur Normen "verwaltungsrechtlicher Natur" der Normenkontrolle
unterstellt. Der Wortlaut von § 68 VRPG ("Vorschriften verwaltungs-
2004
Verwaltungsgericht
100
rechtlicher Natur in ...") legt nahe, dass der
einzelne Rechtssatz
die-
ses Kriterium erfüllen muss, nicht (nur) der Erlass an sich. Grund-
sätzlich irrelevant ist aber, wer die Bestimmung erlassen hat
(Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren
nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege,
Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG, Diss. Zürich 1998, § 68 N 48).
aa) Schon der Begriff der Verwaltung ist zweideutig; einerseits
ist darunter - funktionell - die Verwaltungstätigkeit, andererseits -
organisatorisch - die Verwaltung, d.h. die Verwaltungsbehörden, zu
verstehen (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungs-
recht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2002, Rz. 9 ff.; Hans J. Wolff/
Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrecht Band 1, 11.
Auflage,
München 1999, S. 35 ff.). Die Mehrheit der Lehre stellt bei der Be-
griffsbestimmung auf den Verwaltungsbegriff im funktionellen Sinn
ab, wonach Verwaltungsrecht derjenige Normenkomplex ist, der auf
die Verwaltung im funktionellen Sinn zur Anwendung kommt und
nach dem die Verwaltung im organisatorischen Sinne tätig wird
(Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 86 f.; Monika Fehlmann-Leutwyler, Die
prinzipale Normenkontrolle nach aargauischem Recht, Zürcher Diss.
Aarau/Frankfurt a.M. 1988, S. 50 f. mit Hinweisen). Vorschriften
verwaltungsrechtlicher Natur bestimmen somit Inhalt und Umfang
der Verwaltungstätigkeit und legen die Rechte und Pflichten
zwischen den Individuen und dem Gemeinwesen sowie den
Rechtsschutz fest. Verwaltungsrechtlicher Natur im Sinne von § 68
VRPG sind also Normen mit einem verwaltungsrechtlichen Inhalt im
weiten Sinn (so wohl auch Merker, a.a.O., § 68 N 48).
Staatlichen Gerichten werden neben der Rechtsprechung oft-
mals auch Aufgaben auf dem Gebiet der Verwaltung übertragen. Die
Justizverwaltung schafft die äusseren Grundlagen für die Justiztä-
tigkeit der Gerichte (Wahlen, Besorgung des Kassenwesens, Aufsicht
usw.). Nach dem Grundsatz der Trennung der Gewalten würden die
Geschäfte der Justizverwaltung in die Zuständigkeit der Verwal-
tungsbehörden fallen, sie können aber auch den Gerichten übertragen
sein (Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 87; Max Guldener, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. Auflage, Zürich 1979, S. 40 f. mit Hinweisen).
Das Kostenwesen ist teils Rechtsprechung, teils Justizverwaltung
2004
Normenkontrolle
101
(AGVE 1971, S. 360). Bei der Erhebung der tarifmässigen Gebühren
beispielsweise handelt es sich um eine den Gerichten als Anhängsel
zur Rechtsprechung übertragene Verwaltungstätigkeit, die, ohne der
staatlichen Verwaltung unterstellt zu sein, selbstständig als eine Art
Verwaltungsjustiz ausgeübt wird (vgl. Alfred Bühler/Andreas Edel-
mann/Albert Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessord-
nung, 2. Auflage, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1998, Vorbemer-
kungen zu §§ 100-134 N 1). Die von den Zivil- oder Strafgerichten
ausgeübte
Justizverwaltung
stützt sich dabei auf Rechtssätze verwal-
tungsrechtlichen Inhalts (AGVE 1996, S. 154; 1971, S. 361 f.;
Merker, a.a.O., § 68 N 51).
bb) Der Anwaltstarif regelt die Entschädigung des Anwalts für
die Vertretung und Verbeiständung einer Partei in Verfahren vor aar-
gauischen Gerichts- und Verwaltungsbehörden (§ 1 Abs. 1 AnwT).
Für die Entschädigung des amtlichen Verteidigers und des unentgelt-
lichen Rechtsvertreters ist ausschliesslich der Anwaltstarif massge-
bend und zwingend (§ 39 Abs. 2 AnwG; Bühler/Edelmann/Killer,
a.a.O., § 121 N 13).
§ 9 AnwT regelt die Bemessung der Entschädigung in Strafsa-
chen (Titel "C"; Marginale zu § 9 AnwT). In Absatz 2 dieser Be-
stimmung wird der Stundenansatz für die unentgeltliche Rechtsver-
tretung pauschal geregelt. Die Festsetzung der Entschädigung in
Anwendung dieser Bestimmung erfolgt im Einzelfall durch die letzte
kantonale Instanz (§ 12 Abs. 1 AnwT). Die Rechtsanwendung ist da-
her eine Justizverwaltungssache, die der anwendenden Behörde zu-
sätzlich zur Rechtsprechung obliegt.
cc) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass § 9
Abs. 2 AnwT eine Vorschrift verwaltungsrechtlicher Natur ist.
c) Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts bestimmt
sich die Zuständigkeit in der prinzipalen Normenkontrolle im Weite-
ren danach, ob die Norm hauptfrageweise (nicht als Vorfrage) von
Verwaltungsbehörden anzuwenden ist (AGVE 1996, S. 154; 1971,
S. 359 ff.). Der Gesetzeswortlaut von § 68 VRPG spricht zwar nicht
für diese Auslegung, sondern umfasst alle Rechtssätze verwaltungs-
rechtlicher Natur. Gegen eine weite Auslegung spricht indessen, dass
das Verwaltungsgericht zur prinzipalen Überprüfung von Rechtssät-
2004
Verwaltungsgericht
102
zen zuständig wäre, deren Anwendung und inzidente Überprüfung
nicht durch eine Verwaltungs- bzw. Verwaltungsjustizbehörde er-
folgt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Verwaltungsge-
richt explizit nicht (dem Obergericht übergeordnetes) Verfassungs-
gericht sein (vgl. Materialien zum VRPG, Protokoll der Experten-
kommission vom 10. Dezember 1966, S. 6). Diese Beschränkung
soll verhindern, dass das Verwaltungsgericht Entscheide in Sachbe-
reichen präjudiziert, für deren Beurteilung andere (kantonale) Ge-
richte (Zivil-, Straf- und Versicherungsgerichte) ausschliesslich zu-
ständig sind. Die Normenkontrolle betreffend Rechtssätze verwal-
tungsrechtlichen Inhalts, für deren Anwendung die Zivil-, Straf- oder
Versicherungsgerichte zuständig sind, ist daher nach dieser Recht-
sprechung ausgeschlossen (Zum Ganzen: AGVE 1996, S. 154; Mer-
ker, a.a.O., § 68 N 49 f. [je mit Hinweisen]).
aa) Bei Erlass des VRPG wollte der Gesetzgeber auf eine all-
gemeine Verfassungsgerichtsbarkeit verzichten und hat die prinzipale
Normenkontrolle auf Rechtsvorschriften der allgemeinen Verwaltung
beschränken wollen (Fehlmann, a.a.O., S. 49 mit Hinweisen). Wie im
Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 19. Mai 1971 ausgeführt,
bestand für den Gesetzgeber keine Veranlassung, neben der den Zi-
vil- und Strafgerichten obliegenden inzidenten Normenkontrolle
(§ 95 Abs. 2 KV) und dem zivil- und strafrechtlichen Rechtsschutz
zusätzlich die verwaltungsrechtlichen Normen, welche durch ein
Zivil- oder Strafgericht angewendet werden, einer Verfassungsge-
richtsbarkeit durch das Verwaltungsgericht zu unterstellen. Insbeson-
dere die damit verbundene Einmischung in die Belange des Zivil-
und Strafrichters lag ausserhalb der vom Gesetzgeber angestrebten
Verwaltungsgerichtsbarkeit (AGVE 1971, S.
362 mit Hinweis).
Diese Auffassung überzeugt, zumal der erwähnte Entscheid des Ver-
waltungsgerichts unter Mitwirkung des Gesetzesredaktors erging und
für die Authentizität des gesetzgeberischen Willens Gewähr bietet.
bb) Gründe für eine Praxisänderung werden von den Antrag-
stellern nicht geltend gemacht.
cc) Die von den Zivil- oder Strafgerichten ausgeübte Justizver-
waltung stützt sich auf Rechtssätze verwaltungsrechtlichen Inhalts
(siehe vorne Erw. 4/b). Die prinzipale Normenkontrolle ist indessen
2004
Normenkontrolle
103
überall dort ausgeschlossen, wo die Rechtssätze nicht von Verwal-
tungsbehörden, sondern von zivil- oder strafrichterlichen Behörden
oder von Verwaltungsbehörden, jedoch nicht unter Begründung eines
Verwaltungsrechtspflegeverhältnisses angewandt werden; zudem
darf das Verwaltungsgericht nicht aufgrund von § 60 VRPG zustän-
dig sein (AGVE 1996, S. 155 f.).
d) Zu prüfen ist daher, welche Behörden § 9 Abs. 2 AnwT an-
wenden und inwieweit bei der Rechtsanwendung dieser Bestimmung
durch Verwaltungsbehörden ein Verwaltungsrechtspflegeverhältnis
im Sinne von § 68 VRPG begründet wird. Zur Beantwortung dieser
Fragen ist vorerst der Anwendungsbereich von § 9 Abs. 2 AnwT
festzulegen; hierfür ist dessen Auslegung nötig.
aa) Die Auslegung einer Rechtsnorm stützt sich auf verschie-
dene Auslegungselemente: Lehre und Rechtsprechung unterscheiden
das grammatikalische, systematische, historische, zeitgemässe und
teleologische Element (Ulrich Häfelin/Walter Haller, Schweizeri-
sches Bundesstaatsrecht, 5. Auflage, Zürich 2001, Rz. 90 ff.). Aus-
gangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut der Bestimmung
(BGE 128 III 114 f.; 126 V 472 f.; 114 Ia 196). Vom Wortlaut darf
und muss abgewichen werden, wenn der Wortlaut einer gesetzlichen
Bestimmung nicht den wahren Sinn wiedergibt (BGE 124 II 198 f.;
103 Ia 116 f.) bzw. wenn die dem Wortlaut entsprechende Auslegung
zu Ergebnissen führt, die der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann
und die gegen das Gerechtigkeitsgefühl und den Grundsatz der
rechtsgleichen Behandlung verstossen (BGE 127 III 322 f.; 113 V 77
mit Hinweisen; 108 Ia 80 mit Hinweisen).
aaa) § 9 Abs. 2 AnwT regelt nach seinem ausdrücklichen Wort-
laut den Stundenansatz für die unentgeltliche Rechtsvertretung und
aufgrund der systematischen Stellung unter dem Titel "C. Entschädi-
gung in Strafsachen" die Bemessung der Entschädigung des unent-
geltlichen Rechtsvertreters in Strafverfahren. § 9 Abs. 1 AnwT blieb
bei der Revision des § 9 AnwT unverändert und bestimmt, dass in
Strafsachen (inkl. die Verbeiständung des Zivilklägers) der Stun-
denansatz nach Bedeutung und Schwierigkeit des Falles Fr. 185.--
bis Fr. 250.-- beträgt.
2004
Verwaltungsgericht
104
Im Strafverfahren gibt es die Institute "amtliche Verteidigung"
und "unentgeltliche Rechtspflege". Diese haben unterschiedliche
Voraussetzungen. Die amtliche Verteidigung wird in §§ 58 f. StPO
geregelt und ihre Anwendung bestimmt sich ausschliesslich nach
strafrechtlichen sowie strafprozessualen Gesichtspunkten, wie Straf-
androhung, beantragte Strafe, Untersuchungshaft etc. Die Bestellung
eines unentgeltlichen Rechtsvertreters im Strafverfahren hängt dem-
gegenüber davon ab, ob der Gesuchsteller von der Sache her einen
solchen Vertreter benötigt und insbesondere ob ihm für dessen Be-
zahlung die erforderlichen Mittel fehlen (§ 60 StPO i.V.m. § 125
ZPO).
Vor diesem Hintergrund bezieht sich § 9 Abs. 2 AnwT nach sei-
nem Wortlaut und der systematischen Stellung ausschliesslich auf die
unentgeltliche Rechtspflege im Strafverfahren, während sich die
Entschädigung des amtlichen Verteidigers wie bis anhin auf § 9
Abs. 1 AnwT stützt.
bbb) Der Regierungsrat wollte mit seinen Anträgen zur Revi-
sion des Anwaltstarifs den Stundentarif für verwaltungsrechtliche
und versicherungsgerichtliche Streitigkeiten einführen. Als Stunden-
ansatz sollte dieselbe Regelung gelten wie in Strafsachen (Botschaft
des Regierungsrats vom 26. März 2003, S. 3 f. und 8). Die Justiz-
kommission hat zu diesem Antrag der Regierung eine Erhöhung des
maximalen Stundenansatzes von Fr. 250.-- auf Fr. 280.-- beantragt
(Protokoll des Grossen Rates vom 26. August 2003 [Protokoll GR],
S. 2238 f., Votum Kurt Emmenegger).
Der Absatz 2 von § 9 AnwT hat seinen Ursprung in einem An-
trag, der im Plenum des Grossen Rates eingebracht wurde, nachdem
dieser eine Revision von § 9 AnwT nach den Anträgen der Regierung
und der Justizkommission abgelehnt hatte. Der Beschluss zur Ableh-
nung der Revision von § 9 AnwT war ein nachvollziehbarer Ent-
scheid, denn der Grosse Rat hatte zuvor einen Systemwechsel bei der
Entschädigung in Verwaltungssachen (nach Aufwand statt wie bisher
nach Streitwert; vgl. § 5 AnwT) abgelehnt. Der Antrag zur Ergän-
zung von § 9 AnwT mit einem Absatz 2 (mit dem beschlossenen
Wortlaut) war mit dem Zusatz verknüpft, dass eine Gutheissung des
Antrags die Streichung der Klammer im neuen Absatz 1 dieser Be-
2004
Normenkontrolle
105
stimmung erfordere (Protokoll GR, S. 2248, Votum Andreas Glar-
ner).
Aus der Begründung zu diesem Antrag und den anschliessenden
Voten ergibt sich, dass im Grossen Rat die Unterschiede zwischen
amtlicher Verteidigung und unentgeltlicher Rechtsvertretung in
Strafverfahren nicht gegenwärtig waren. Auch die im Antrag ver-
langte Streichung des Klammereinschubes (betreffend Verbeistän-
dung der Zivilkläger im Strafprozess) ging in den Beratungen voll-
kommen unter. Der Präsident der Justizkommission hielt ausdrück-
lich fest, es gehe um das Honorar in Strafsachen, ein weiteres Votum
erläuterte, dass es sich beim Antrag um die amtliche Verteidigung
handle, und auch Regierungsrat Wernli hielt fest, dass mit dem An-
trag das Honorar in Strafsachen und für die amtliche Verteidigung
festgesetzt werde (Protokoll GR, S. 2249 f., Voten Markus Leimba-
cher, Thierry Burkart, Regierungsrat Kurt Wernli). Die Frage der
Entschädigung der Zivilkläger im Strafprozess wurde nicht behan-
delt. Unter diesen Umständen führt die grammatikalische und sys-
tematische Auslegung von § 9 Abs. 2 AnwT nicht zu den vom Ge-
setzgeber sachlich gewollten Folgen.
ccc) Auch die teleologische Auslegung legt ein vom Wortlaut
abweichendes Ergebnis nahe. Diese stellt auf die Zweckvorstellung,
die mit einer Rechtsnorm verbunden ist, ab (Häfelin/Haller, a.a.O.,
Rz. 120). Der Zweck der Ergänzung von § 9 AnwT mit einem Ab-
satz 2 ist nach dem Willen des Grossen Rates, bei der Entschädigung
von Anwälten zu sparen, wo zulasten der Allgemeinheit erhebliche
Kosten anfallen. Bei den Strafsachen sei dies in erster Linie bei den
amtlichen Verteidigungen der Fall (Protokoll GR, S. 2249, Votum
Andreas Glarner).
Die unentgeltliche Rechtspflege im Strafverfahren ist selten; sie
kommt in der Praxis lediglich im Privatstrafverfahren und bei der
Vertretung eines Zivilklägers zur Anwendung (§ 60 StPO), so dass
die finanziellen Auswirkungen von absolut untergeordneter Bedeu-
tung sind. Auch der Umstand, dass mit der Revision des Anwaltsta-
rifs vom 26. August 2003 der Grosse Rat das Postulat Verena Zehn-
der (Kosteneindämmung für die unentgeltliche Rechtsvertretung)
überwiesen hat, um eine umfassende Neuregelung der Entschädigung
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Verwaltungsgericht
106
für die unentgeltliche Rechtspflege einzuleiten, spricht dafür, dass
mit dem neuen § 9 Abs. 2 AnwT nur die Entschädigung für die
amtliche Verteidigung hätte geregelt werden sollen.
ddd) Das Bundesgericht geht bei der Auslegung von Erlassen
vom Methodenpluralismus aus und stellt nur dann allein auf die
grammatikalische Auslegungsmethode ab, wenn sich daraus zwei-
fellos eine sachlich richtige Lösung ergibt (BGE 110 Ib 7 ff.). Bei
verhältnismässig jungen Gesetzen darf der Wille des historischen
Gesetzgebers nicht übergangen werden (BGE 112 Ia 102 ff.).
§ 9 Abs. 2 AnwT ist eine junge Bestimmung; sie wurde am
26. August 2003 eingeführt und ist seit dem 1. Januar 2004 in Kraft.
Daraus folgt, dass § 9 Abs. 2 AnwT entgegen seinem Wortlaut die
Entschädigung des amtlichen Verteidigers und nicht des unentgeltli-
chen Rechtsvertreters in Strafsachen regelt. Auch die Antragsteller
gehen im Übrigen von dieser Auslegung aus.
bb) Der Antragsteller 2 macht geltend, dass § 9 Abs. 2 AnwT
nicht bloss von Strafgerichten, sondern auch von Verwaltungsbe-
hörden im Sinne von § 68 VRPG angewandt werde.
aaa) Bei Einstellung eines Strafverfahrens handelt die Staatsan-
waltschaft als selbstständige Justizbehörde, die weder der rechtspre-
chenden Gewalt noch der Exekutive zuzurechnen ist (Beat Brühl-
meier, Aargauische Strafprozessordnung, Kommentar, 2. Auflage,
Aarau 1980, § 3 Abs. 1 N 3 mit Hinweis). Auf Begehren gewährt die
Staatsanwaltschaft eine Entschädigung für andere Nachteile, die der
Beschuldigte erlitten hat (§ 140 Abs. 1 StPO). Darunter fallen auch
die Kosten für die amtliche Verteidigung (vgl. AGVE 1960, S. 119
f.). Wird ein Strafverfahren, bei dem ein amtlicher Verteidiger be-
stellt wurde, eingestellt, muss die Staatsanwaltschaft § 9 Abs. 2
AnwT anwenden. Gegen die Einstellung des Verfahrens kann beim
Obergericht Beschwerde geführt werden (§ 141 Abs. 1 i.V.m. § 213
Abs. 1 StPO). Dem Beschuldigten steht zwar gegen die Einstellung
des Verfahrens kein Beschwerderecht zu (§ 141 Abs. 1 StPO), er
kann aber gegen die Einstellungsverfügung als solche Beschwerde
führen, wenn sein gemäss § 140 Abs. 1 StPO gestelltes Begehren um
Entschädigung abgewiesen wurde (Brühlmeier, a.a.O., § 141 Abs. 1
2004
Normenkontrolle
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N 3). Das Obergericht entscheidet darüber als strafrichterliche Be-
hörde (vgl. §§ 4 ff. und § 10 StPO).
bbb) Im Bereich der Opferhilfe können Verwaltungsbehörden
tätig werden. Sie sind aber nicht für die Beurteilung der Entschä-
digung des amtlichen Verteidigers zuständig, denn das Opfer kann
nicht amtlich verteidigt werden (vgl. §§ 58 f. StPO). Tritt das Opfer
im Strafverfahren als Zivilkläger auf, besteht unter den Vorausset-
zungen von § 60 Abs. 2 StPO ein Anspruch auf einen unentgeltlichen
Rechtsbeistand, nicht auf einen amtlichen Verteidiger.
ccc) Im Jugendstrafverfahren ist die Verteidigung durch einen
patentierten Anwalt vor dem Jugendgericht nur in bestimmten Fällen
zulässig. In wichtigen Fällen kann der Präsident des Jugendgerichts
dem Kind oder Jugendlichen einen amtlichen Verteidiger bestimmen
(§ 13 des Dekretes über die Jugendstrafrechtspflege [SAR 251.130]
vom 27. Oktober 1959). Diese Bestimmung weicht von der Regelung
der amtlichen Verteidigung in der Strafprozessordnung (§§ 58 f.
StPO) ab, weshalb letztere nicht anwendbar ist (§ 17 Abs. 2 StPO).
Im Jugendstrafverfahren ist daher eine strafrichterliche Behörde zur
Bestimmung eines amtlichen Verteidigers und somit auch für die
Festsetzung von dessen Entschädigung zuständig. Dieser Entscheid
kann beim Obergericht angefochten werden (§ 26 Abs. 3 Dekret über
die Jugendstrafrechtspflege).
ddd) Im Rechtshilfeverfahren ordnet die mit einer Strafsache
befasste Behörde Verfahrenshandlungen direkt in einem andern
Kanton an oder führt diese selber durch (Art. 3 Abs. 1 des Konkor-
dats über die Rechtshilfe und die interkantonale Zusammenarbeit in
Strafsachen [SAR 250.100] vom 5. November 1992). Solche Verfah-
renshandlungen sind z.B. Verhandlungen, Augenscheine, Durchsu-
chungen oder Beschlagnahmen (vgl. Art. 9 f. Konkordat über die
Rechtshilfe und die interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen).
Die Bestellung und Entschädigung eines amtlichen Verteidigers ob-
liegt aber weiterhin der um Rechtshilfe ersuchenden Behörde (vgl.
Art. 14 Konkordat über die Rechtshilfe und die interkantonale Zu-
sammenarbeit in Strafsachen), d.h. dem Untersuchungsrichter auf
Verlangen des Beschuldigten oder dem Gerichtspräsidenten (§§ 58 f.
StPO). Soweit die Bestellung der amtlichen Verteidigung durch den
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Verwaltungsgericht
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Gerichtspräsidenten erfolgt, ist sein Entscheid mit einem Rechtsmit-
tel (§§ 206 ff. StPO) beim Obergericht anfechtbar. Wird die amtliche
Verteidigung vom Untersuchungsrichter bestellt, entscheidet entwe-
der eine Verwaltungsbehörde (bei Verfahrenseinstellung) oder eine
strafrichterliche Behörde (bei Durchführung eines Gerichtsverfah-
rens) über die Entschädigung der amtlichen Verteidigung. In beiden
Fällen kann deren Entscheid durch das Obergericht überprüft werden
(siehe vorne Erw. 4/d/bb/aaa und §§ 206 ff. StPO).
cc) Andere Sachbereiche, wo Verwaltungsbehörden § 9 Abs. 2
AnwT anzuwenden und die Entschädigung der amtlichen Verteidi-
gung festzusetzen hätten, sind nicht erkennbar und werden von den
Antragstellern auch nicht geltend gemacht.
dd) Auch eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts im ver-
waltungsgerichtlichen Klageverfahren fällt nicht in Betracht. Gemäss
§ 60 Ziff. 3 VRPG urteilt das Verwaltungsgericht als einzige Instanz
über vermögensrechtliche Streitigkeiten, an denen u.a. der Kanton
beteiligt ist, sofern nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gege-
ben oder ein Zivilgericht oder ein Spezialrekursgericht zuständig ist.
Der Subsidiaritätsgrundsatz bedeutet, dass die Klage in vermögens-
rechtlichen Streitigkeiten dann nicht gegeben ist, wenn eine staatli-
che Behörde über den Anspruch einseitig entscheiden kann und muss
oder ein Spezial- oder Zivilgericht zuständig ist (vgl. Merker, a.a.O.,
§ 60 N 35 f.). Die Subsidiarität ist umfassend (AGVE 1996, S. 156 f.
mit Hinweisen).
Über die Entschädigung des amtlichen Verteidigers entscheiden
die zuständigen Justizbehörden und deren Entscheide können mit
einem Rechtsmittel beim Obergericht angefochten werden (siehe
vorne Erw. 4/d/bb). Die StPO enthält somit eine Sonderregelung über
die Zuständigkeit und diese geht § 60 Ziff. 3 VRPG vor.
ee) Schlussfolgernd wird somit § 9 Abs. 2 AnwT in Strafver-
fahren von Verwaltungsbehörden der Justiz hauptfrageweise an-
gewandt, aber nicht unter Begründung eines Verwaltungsrechtspfle-
geverhältnisses im Sinne von § 68 VRPG. Auch eine Zuständigkeit
des Verwaltungsgerichts im verwaltungsgerichtlichen Klageverfah-
ren fällt nicht in Betracht. | 5,065 | 4,048 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-26_2003-08-26 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-26.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-26.pdf | AGVE_2004_26 | null | nan |