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Kantonale Steuern
131
[...]
40
Verständigung (Vergleich) im Steuerverfahren.
- Bedingte Erklärung des Steuerpflichtigen betreffend Privatentnahme
einer Landparzelle; Auslegung der nachfolgenden Korrespondenz mit
der Steuerbehörde über den dabei anzurechnenden Verkehrswert.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. September 2003 in
Sachen A.T. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts.
Sachverhalt
B. a) Mit Schreiben vom 9. Dezember 1998 liess A.T. (Be-
schwerdeführer) dem Gemeindesteueramt B. mitteilen, er beabsich-
tige die Parzelle X ins Privatvermögen überzuführen, vorbehältlich
der Preisabsprache. Er habe zwei Schätzungen veranlasst und
schliesse sich dem Ergebnis von Fr. 150.--/m
2
an. Er bitte um Aus-
kunft, ob dieser Wert steuerlich akzeptiert werde.
b) Das KStA antwortete, ein Wert von Fr. 250.--/m
2
würde als
angemessen erachtet. Zuständig sei zwar die Steuerkommission B.,
doch könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese dem vorge-
schlagenen Wert von Fr. 150.--/m
2
zustimmen würde.
2003
Verwaltungsgericht
132
c) Nach einer Besprechung vom 23. Dezember 1998 hielt der
Vertreter von A.T. mit Eingabe vom 29. Dezember 1998 fest, eine
Überführung ins Privatvermögen erfolge nur, wenn der angerechnete
Preis Fr. 200.--/m
2
netto nicht überschreite. Wenn das Steueramt
einen höheren Verkehrswert annehme, müsse der Steuerpflichtige aus
finanziellen Gründen auf die Überführung verzichten.
d) Die Steuerkommission B. schrieb dem Vertreter von A.T. am
7. April 1999:
"Die Steuerkommission B. hat an ihrer Sitzung vom
17. März 1999, gestützt auf das Gutachten ..., den für die Über-
führung massgebenden Verkehrswert seitens der Steuerbehörde
auf Fr. 218.--/m
2
festgesetzt. Sie sieht in diesem Preis ihren äus-
sersten Spielraum für ein Entgegenkommen als ausgeschöpft.
In Ihrem Eventualantrag vom 29. Dezember 1998 sind Sie
von einem maximalen Verkehrswert von Fr. 200.--/m
2
als äusser-
stem Überführungspreis ausgegangen. Mit dem heutigen Ant-
wortschreiben möchte die Steuerkommission Ihnen einerseits ih-
ren verbindlichen Überführungspreis von Fr. 218.--/m
2
mitteilen
und gleichzeitig die Möglichkeit bieten, die Überführung der
Parzelle X per 31.12.1998 auf dieser Preisbasis vornehmen zu
können.
Ohne Ihre ausdrückliche Annahme des Überführungspreises
von Fr. 218.--/m
2
, per 31.12.1998 für die Parzelle X, innert 30
Tagen, geht die Steuerkommission davon aus, dass eine Überfüh-
rung ins Privatvermögen nicht stattfindet."
e) Nach Fristerstreckung teilte der Vertreter von A.T. dem Ge-
meindesteueramt B. am 28. Mai 1999 mit:
"Nach Rücksprache mit Herrn T. bitten wir Sie, die bean-
tragte Überführung der Parzelle X per 29.12.1998 vorzunehmen.
..."
2003
Kantonale Steuern
133
D. Das Steuerrekursgericht ging im angefochtenen Entscheid
davon aus, es sei eine verbindliche Einigung auf einen Anrech-
nungswert von Fr. 218.--/m
2
zustande gekommen.
Aus den Erwägungen
2. Beidseitig verbindliche Verständigungen zwischen Steuerbe-
hörde und steuerpflichtiger Person sind möglich, soweit sie sich im
Rahmen der formellen und materiellen Gesetzesvorschriften halten
(Jürg Baur, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Muri/BE
1991, § 127 N 19; Peter Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil,
Therwil/Basel 2001, Vorbemerkungen N 116). Gerade bei der Be-
stimmung des Verkehrswerts von Liegenschaften oder anderen Ver-
mögenswerten finden sie einen Anwendungsbereich. Dies ist im
vorliegenden Verfahren denn auch nicht streitig; fraglich ist, ob (wie
das Steuerrekursgericht annimmt) eine Verständigung zustande ge-
kommen ist oder nicht. Zur Beurteilung sind die ausgetauschten Er-
klärungen (vorne lit. B/a-e) auszulegen. Die Auslegung von Willens-
erklärungen erfolgt unter Zugrundelegung des Vertrauensprinzips,
also so, wie der Empfänger die Erklärung in guten Treuen, bei sorg-
fältiger Beachtung aller Umstände verstehen durfte und musste
(siehe BGE 126 III 380; Ernst Kramer, in: Berner Kommentar, Art.
1-18 OR, Bern 1986, Art. 1 N 102, 114, je mit Hinweisen).
3. a) Gemäss § 22 Abs. 1 lit. b aStG ist das gesamte Einkommen
jeder Art steuerbar; dazu gehören bei Einkünften aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit namentlich auch die Kapitalgewinne bei der
Veräusserung von Geschäftsvermögen; der Veräusserung gleich-
gestellt sind die Gewinne bei der endgültigen Überführung von Ge-
schäfts- ins Privatvermögen (Privatentnahme). ...
c) Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang ent-
schieden, die Erklärung betreffend Überführung ins Privatvermögen
komme hier einer einseitigen rechtsgeschäftlichen Willenserklärung
nahe. Sie habe voraussetzungslos und bedingungslos zu erfolgen und
sie binde den Steuerpflichtigen vorbehältlich eines beachtlichen
Irrtums; zudem könne sie nicht rückwirkend abgegeben werden (aus-
2003
Verwaltungsgericht
134
führlich hierzu AGVE 1996, S. 252 ff. = StE 1997, B 93.1 Nr. 4 =
Steuer Revue 1997, S. 560 ff.).
d) Manchmal wollen Steuerpflichtige die Überführung ins Pri-
vatvermögen davon abhängig machen, dass die entstehende Steu-
erforderung eine bestimmte Höhe nicht übersteigt, sei es um sicher
zu sein, die finanzielle Belastung tragen zu können, sei es ganz all-
gemein zwecks Minimierung der Steuer. Zu diesem Zweck soll die
Steuerbehörde eine verbindliche Zusicherung abgeben, wie hoch die
Steuer (bzw. der Liquidations- oder Kapitalgewinn bzw. der steuer-
lich massgebliche Wert der zu überführenden Liegenschaft) festge-
setzt werden wird. Statt eine verbindliche Zusicherung zu verlangen,
kommt es vor, dass mit dem gleichen Zweck eine bedingte Überfüh-
rungserklärung abgegeben wird. Vor diesem Hintergrund ist die
Korrespondenz zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Ver-
treter einerseits und den Steuerbehörden andererseits auszulegen und
insbesondere zu beurteilen, ob dabei eine Einigung über den der
Gewinnbemessung zu Grunde zu legenden Verkehrswert erfolgte.
4. a) Mit seinem Schreiben vom 9. Dezember 1998 (vorne
lit. B/a) wollte der Beschwerdeführer eine Zusicherung erlangen,
dass der Kapitalgewinn auf Grundlage eines Verkehrswerts der Par-
zelle X von Fr. 150.--/m
2
festgesetzt würde. Dies lehnte das KStA
quasi in Vertretung der Steuerkommission B. ab (vorne lit. B/b), wo-
rauf der Beschwerdeführer am 29. Dezember 1998 erklärte, die Par-
zelle ins Privatvermögen überzuführen, sofern der angerechnete Preis
Fr. 200.--/m
2
nicht überschreite (vorne lit. B/c). Auf diese bedingte -
und in dieser Form unzulässige (AGVE 1996, S. 252, 254) - Über-
führungserklärung reagierte die Steuerkommission B. durchaus adä-
quat, indem sie eine Verständigungslösung auf dieser Grundlage
ablehnte und festhielt, sie werde bei einer Überführung den Ver-
kehrswert der Parzelle mit Fr. 218.--/m
2
festsetzen (vorne lit. B/d).
Gleichzeitig setzte sie Frist für die Annahme dieses Vorschlags,
wobei widrigenfalls davon ausgegangen werde, dass keine Überfüh-
rung ins Privatvermögen stattfinde. Die Fristansetzung war ange-
zeigt, weil die Überführungserklärung nicht rückwirkend abgegeben
werden kann (AGVE 1996, S. 255), die Steuerkommission aber be-
reit war, eine Annahme innert gesetzter Frist noch als Ergänzung im
2003
Kantonale Steuern
135
Rahmen des laufenden, mit der Erklärung vom 9. Dezember 1998
eingeleiteten Verfahrens anzusehen und die Erklärung per 31. De-
zember 1998 wirken zu lassen.
In seiner - innert erstreckter Frist eingereichten - Eingabe vom
28. Mai 1999 (vorne lit. B/e) erklärte der Beschwerdeführer ohne
Bedingung oder Einschränkung, die Parzelle X per 29. Dezember
1998 ins Privatvermögen überzuführen bzw. übergeführt zu haben.
Zum genannten Anrechnungswert äusserte er sich nicht, weder im
Sinne einer Annahme noch ablehnend.
b) Die Steuerkommission durfte die Gültigkeit der Überfüh-
rungserklärung nicht von Bedingungen (Annahme des genannten
Anrechnungswerts durch den Steuerpflichtigen) abhängig machen.
Dies war wohl auch nicht der Sinn ihres Schreibens vom
7. April 1999. Die Formulierung "Annahme des Überführungsprei-
ses" erklärt sich daher, dass der Beschwerdeführer zuvor einen tiefe-
ren Preis ausdrücklich als Bedingung für die Gültigkeit der Überfüh-
rungserklärung genannt hatte. Eine exaktere, den wahren Sinn ge-
nauer treffende Formulierung durch die Steuerkommission hätte
lauten können: "Ohne ausdrückliche und vorbehaltlose Bestätigung
der Überführungserklärung innert 30 Tagen geht die Steuerkommis-
sion davon aus, dass per 31. Dezember 1998 keine Überführung ins
Privatvermögen stattfindet." Unter diesen Umständen durfte das
Schreiben des Vertreters des Beschwerdeführers vom 28. Mai 1999
durch die Steuerkommission B. als Erklärungsempfängerin (siehe
vorne Erw. 2) nicht als Annahme des von ihr genannten Überfüh-
rungspreises interpretiert werden, selbst wenn eine ausdrückliche
Ablehnung fehlte. Die materielle Überprüfung des Verkehrswerts im
Einspracheentscheid vom 19. März 2001 zeigt denn auch, dass sie es
tatsächlich nicht in dieser Weise auffasste. Dass der Beschwerdefüh-
rer gut daran getan hätte, klare Verhältnisse zu schaffen mit der aus-
drücklichen Erwähnung, die Überführungserklärung bedeute keine
Zustimmung zum genannten Wert von Fr. 218.--/m
2
, vermag daran
letztlich nichts zu ändern.
5. War es demnach zu keiner Verständigung über den massgeb-
lichen Verkehrswert der Parzelle gekommen, hätte die Vorinstanz die
im Rekursverfahren streitige Höhe des Verkehrswerts materiell
2003
Verwaltungsgericht
136
überprüfen müssen. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und
die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. | 2,175 | 1,743 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-40_2003-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-40.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-40.pdf | AGVE_2003_40 | null | nan |
9ac006a9-4ab3-5277-b6e5-b025a7de7aaf | 1 | 412 | 871,619 | 1,036,195,200,000 | 2,002 | de | 2002
Kantonale Steuern
175
VI. Kantonale Steuern
46
Einkommen. Massgeblicher Zeitpunkt der Einkommenserzielung bzw.
des Zufliessens von Einkommen.
-
Verkauf von Geschäftsvermögen. Der Erlös fliesst grundsätzlich mit
dem Erwerb der Forderung zu. Ausnahmen bei unsicherer Forderung
und wenn die Buchführung, von den Steuerbehörden anerkannt, nach
der "Ist-Methode" erfolgt (Erw. 2/a,b).
-
Die "Misch-Methode" liegt näher bei der "Soll-Methode" als bei der
"Ist-Methode" und rechtfertigt keine Ausnahme vom Grundsatz, dass
schon der Forderungserwerb einkommensbildend ist (Erw. 2/d).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 28. November 2002 in
Sachen H.P. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts.
Aus den Erwägungen
2. a) Gemäss § 22 StG ist das gesamte Einkommen jeder Art
steuerbar. Darunter fallen auch Gewinne aus der Veräusserung von
Geschäftsvermögen (Abs. 1 lit. b). Die steuerliche Abrechnung er-
folgt, wenn ein Wirtschaftsgut endgültig aus dem Geschäftsvermö-
gen ausscheidet, sei dies durch Verkauf oder durch Überführung ins
Privatvermögen (Walter Koch, in: Kommentar zum Aargauer Steuer-
gesetz, Muri/BE 1991, § 22 N 227).
b) aa) Das Gesetz gibt keine Auskunft darüber, wann dem Steu-
erpflichtigen Einkünfte zugeflossen sind. In Rechtsprechung und
Lehre hat sich der Grundsatz herausgebildet, dass ein Einkommen
dann als erzielt gilt, wenn der Steuerpflichtige Leistungen verein-
nahmt oder auf solche einen festen Rechtsanspruch erwirbt, über den
er auch tatsächlich verfügen kann. In der Regel wird bereits der For-
derungserwerb als einkommensbildend betrachtet. Vorausgesetzt ist
also ein abgeschlossener Rechtserwerb, der Forderungs- oder Eigen-
2002
Verwaltungsgericht
176
tumserwerb sein kann, während eine blosse Anwartschaft oder der
Erwerb einer bedingten Forderung nicht genügen. Von diesem
Grundsatz wird abgewichen, wenn die Forderung unsicher ist, so
wenn ein Kaufpreisschuldner zahlungsunfähig oder nicht zahlungs-
willig ist. In solchen Fällen wird die Realisierung des Einkommens
erst mit der Erfüllung des Anspruchs angenommen (StE 2000,
B 23.41 Nr. 3, Erw. 2/a; B 72.13.1 Nr. 2 Erw. 2/b/ff; AGVE 1976,
S. 168 ff.; Peter Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel
2001, Art. 16 N 18, 21 f.; Markus Reich, in: Kommentar zum
schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2a [DBG], Basel/Genf/München
2000, Art. 16 N 34 ff., je mit weiteren Hinweisen).
Auf den Erlös aus der Veräusserung von Grundstücken entsteht
in der Regel mit Vertragsabschluss ein fester Anspruch. Dieser stellt
den steuerbaren Einkommenszugang dar. Aus diesem Grund hängt
die Besteuerung nicht von der Vertragserfüllung, d.h. der Eigen-
tumsübertragung mittels Eintragung der Handänderung im Grund-
buch ab. Massgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt der öffentlichen
Beurkundung, die gemäss Art. 216 Abs. 1 OR beim Grundstückkauf
den Vertragsschluss erst gültig macht (StE 1992, B 21.2 Nr. 6,
Erw. 3/b = ASA 61/1992-93, S. 669; Locher, a.a.O., Art. 18 N 75,
86). Die Fälligkeit der Gegenleistung spielt dabei keine Rolle,
ebenso wenig wie der Zeitpunkt des Übergangs von Nutzen und
Schaden (vgl. zum Ganzen VGE II/11 vom 3. Februar 1998 in Sa-
chen J.J., S. 5 f.).
bb) Der Forderungserwerb ist dann nicht massgebend, wenn ein
freierwerbender Steuerpflichtiger in seinen Büchern nur die Kassen-
eingänge aufzeichnet und die Steuerbehörden diese sog. "Ist-Me-
thode" akzeptieren. In diesen Fällen wird auf den Zeitpunkt der Bu-
chung des Zahlungseinganges abgestellt (StE 2000, B 23.41 Nr. 3,
Erw. 2/a mit Hinweisen; Locher, a.a.O., Art. 18 N 70; Reich, a.a.O.,
Art. 16 N 36, Art. 18 N 23).
c) Mit der am 21. Dezember 1998 erfolgten öffentlichen Beur-
kundung des Kaufvertrags entstand dem Beschwerdeführer ein obli-
gatorischer Anspruch gegen den Käufer auf Bezahlung des Kauf-
preises. Damit erwuchs ihm nach dem Gesagten ein fester Rechtsan-
spruch, ungeachtet der auf den 4. Januar 1999 festgelegten Fälligkeit
2002
Kantonale Steuern
177
und dem auf den Zeitpunkt des Grundbucheintrags fixierten Über-
gang von Nutzen und Schaden. (...) Es bestehen keine Anzeichen
dafür, dass es sich um eine unsichere Forderung handelte.
d) Während nach der "Ist-Methode" die Ermittlung des Ge-
schäftsergebnisses durch Abrechnung nach den vereinnahmten Ent-
gelten erfolgt (erfasst werden alle Zahlungseingänge und -ausgänge)
und die Bilanzierung der ausstehenden Forderungen entfällt, werden
bei der "Soll-Methode" alle Forderungen (unter Einschluss der Gut-
haben am Ende des Jahres) zum Einkommen gerechnet, die während
des Geschäftsjahres fakturiert worden sind, und die angefangenen
Arbeiten am Ende des Rechnungsjahres in ein Inventar aufgenom-
men. Eine Mischform dieser beiden Methoden ("Misch-Methode")
erfasst Einnahmen und Ausgaben auf Grund der Zahlungen im Be-
messungszeitraum; die Veränderungen der Debitoren und der an-
gefangenen Arbeiten werden nicht einzeln und exakt erfasst, aber
Ende Jahr auf Grund einer Schätzung erfolgswirksam berücksichtigt
(Koch, a.a.O., § 22 N 73a ff.; Locher, a.a.O., Art. 18 N 63 ff.; vgl.
auch StE 2000, B 23.41 Nr. 3).
Gemäss den Jahresabschlüssen der letzten Jahre wurden in den
Konten 6000 und 6200 die Honorarerträge aus der Geschäftstätigkeit
nach Massgabe der Zahlungseingänge erfasst, dazu aber in Konto
1050 stets Debitorenguthaben verbucht und ... die angefangenen
Arbeiten in Konto 1080 jeweils auf Ende Jahr bewertet. Damit wurde
entgegen der in der Beschwerde aufgestellten Behauptung nicht ein-
heitlich nach Zahlungseingängen und -ausgängen verbucht, sondern
das Geschäftsergebnis vielmehr auf Grund der "Misch-Methode" er-
fasst. Diese liegt näher bei der "Soll-Methode" (nur dass die Abgren-
zung bezüglich der Debitorenguthaben und des Werts der angefange-
nen Arbeiten nicht exakt, sondern mittels Schätzung erfolgt), wes-
halb sich die Beschwerdeführer für den ausserordentlichen Ertrag aus
dem Grundstückverkauf nicht auf die "Ist-Methode" berufen können,
zumal selbst bei der reinen "Ist-Methode" Korrekturen im Einzelfall
nötig sind, wenn die damit eröffneten Möglichkeiten zur Erlangung
materiell nicht gerechtfertigter Steuerersparnisse eingesetzt werden
(Koch, a.a.O., § 22 N 73c). | 1,500 | 1,232 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-46_2002-11-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-46.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-46.pdf | AGVE_2002_46 | null | nan |
9ac2cf51-3294-5a67-8eb7-69a925908d2f | 1 | 412 | 870,315 | 1,038,873,600,000 | 2,002 | de | 2003
Verwaltungsrechtspflege
309
[...]
77
Legitimation (§ 38 Abs. 1 VRPG).
- Begriff der formellen Beschwer (Erw. 2/b/aa).
- Der Baugesuchsteller ist wegen seiner besonderen Nähe zur Sache
zwingend am Verfahren beteiligt, ebenso der wegen Lärmimmissionen
ins Recht gefasste Eigentümer und Betreiber eines Restaurants
(Erw. 2/b/bb).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 20. Dezember 2002 in
Sachen R. AG gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
2. a) Das Baudepartement stellt auf S. 2 seines Entscheids fest,
die heutige Beschwerdeführerin habe sich im vorinstanzlichen Ver-
fahren weder zur Verwaltungsbeschwerde vernehmen lassen noch
habe sie sich als Partei erklärt; anlässlich der Augenscheinsver-
handlung vom 4. November 1999 seien ihre Vertreter nochmals über
die Bedeutung einer mangelnden Parteistellung in Kenntnis gesetzt
und in der Folge als Auskunftspersonen behandelt worden. Die Be-
schwerdeführerin bestreitet diese Darstellung und begründet aus-
führlich, warum sie am vorinstanzlichen Verfahren als Partei beteiligt
war und demzufolge zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde legitimiert ist. Das Baudepartement hält an seiner Version
fest und ersucht das Verwaltungsgericht, die Frage der Parteistellung
der Beschwerdeführerin zu entscheiden.
b) aa) Die Beschwerdelegitimation (§ 38 Abs. 1 VRPG) setzt
neben der materiellen Beschwer (diese ist hier offenkundig gegeben)
auch eine solche im formellen, prozessualen Sinne voraus. Diese
2003
Verwaltungsgericht
310
Voraussetzung erfüllt, wer formell richtig am vorinstanzlichen
Verfahren beteiligt, d.h. darin einbezogen war (passive Seite) und
dort seine Antrags- bzw. (wenn es sich um ein Verwaltungsbe-
schwerdeverfahren handelt) seine Beschwerdemöglichkeiten formell
richtig ausgeschöpft hat (aktive Seite), aber nicht voll durchgedrun-
gen ist. Deshalb ist auf Rechtsmittel bzw. Begehren von Personen
nicht einzutreten, welche sich am vorinstanzlichen Verfahren nicht
beteiligt oder welche dort weniger weitgehende Anträge gestellt ha-
ben, ausser sie wären zu Unrecht von der Beteiligung ausgeschlossen
oder erst durch den vorinstanzlichen Entscheid beschwert worden
(siehe zum Ganzen: AGVE 1987, S. 332 mit Hinweisen; VGE III/53
vom 21. Juni 2002 [BE.2001.00336] in Sachen B., S. 5; Michael
Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem
aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar
zu den §§ 38-72 VRPG], Zürich 1998, § 38 N 146).
bb) Das Baudepartement hat der Beschwerdeführerin nach Ein-
gang der Verwaltungsbeschwerde von W. und B. mit Verfügung vom
30. Juni 1999 eröffnet, dass es ihr als betroffene Grundeigentümerin
freistehe, sich - unter Übernahme eines Kostenrisikos hinsichtlich
der Verfahrenskosten und der Parteientschädigung - am Beschwerde-
verfahren als Gegenpartei zu beteiligen und innert Frist zur Be-
schwerde vernehmen zu lassen. Die Beschwerdeführerin hat in der
Folge keine Vernehmlassung eingereicht. Anlässlich der Augen-
scheinsverhandlung vom 4. November 1999 wurden die dazu eben-
falls eingeladenen Vertreter der Beschwerdeführerin von der Vorsit-
zenden im Rahmen der einleitenden Bemerkungen nochmals darauf
hingewiesen, "dass sie, wenn sie sich nicht als Partei erklären, keine
Parteistellung haben und nur als Auskunftspersonen befragt werden".
Der Beschwerdeentscheid vom 25.
Oktober 2000 wurde der
Beschwerdeführerin dann lediglich mitgeteilt.
Die Beschwerdeführerin macht zu Recht geltend, sie sei im
vorinstanzlichen Verfahren zwingend als Partei beteiligt gewesen.
Zwar kann für diese Frage nicht allein massgebend sein, dass jemand
als Verfügungsadressat ins Recht gefasst worden ist (Merker, a.a.O.,
§ 41 N 19, 24), wie das Beispiel der Baubewilligung zeigt: Ist das
Baugesuch in Gutheissung einer Einsprache abgewiesen worden, ist
2003
Verwaltungsrechtspflege
311
der Einsprecher zwar neben dem Baugesuchsteller auch Verfügungs-
adressat, aber im nachfolgenden Beschwerdeverfahren des Bauherrn
trotzdem nicht zwingend am Verfahren beteiligt. Der Bauherr dage-
gen ist in seiner Eigenschaft als Baugesuchsteller, d.h. wegen seiner
besonderen Nähe zur Sache, stets zwingend beteiligt. Im vorliegen-
den Falle ist die Beschwerdeführerin als Grundeigentümerin und
Betreiberin des Restaurants "H." in der analogen Situation eines
Bauherrn, woraus ihre zwingende Beteiligung im vorinstanzlichen
Beschwerdeverfahren abzuleiten ist. Selbst wenn dem nicht so wäre,
könnte der Beschwerdeführerin ihr Recht, als Partei am Verfahren
vor Verwaltungsgericht teilzunehmen, nicht abgesprochen werden.
Das Baudepartement war unbestrittenermassen verpflichtet, sie über
die verfahrensrechtliche Situation aufzuklären; es tat dies auch, aber
unvollständig, wurde doch der Hinweis auf die verfahrensrechtlichen
Konsequenzen der Nichtbeteiligung (Ausschluss aus dem Rechts-
mittelverfahren) unterlassen (siehe Merker, a.a.O., § 41 N 33). Dazu
kommt, dass die Beschwerdeführerin behauptet, beim Baudeparte-
ment telefonisch eine Erläuterung der erwähnten Rechtsbelehrung
eingeholt zu haben, was das Baudepartement nicht ausdrücklich be-
streitet. Ob der Inhalt des Telefonats dem entsprach, was die Be-
schwerdeführerin behauptet, bleibt zwar offen, doch muss mangels
einer entsprechenden Aktennotiz des Baudepartements davon aus-
gegangen werden, die Version der Beschwerdeführerin treffe zu.
Auch an der Augenscheinsverhandlung vom 4. November 1999
wurde im Übrigen keine korrekte Belehrung erteilt. Die Beschwerde-
führerin erweist sich somit auch in formeller Hinsicht als beschwert. | 1,199 | 972 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-77_2002-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-77.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-77.pdf | AGVE_2003_77 | null | nan |
9b519712-175b-5431-965e-4e2365895b67 | 1 | 412 | 871,818 | 1,128,384,000,000 | 2,005 | de | 2005
Sozialhilfe
295
[...]
61
Weisung, ein Eheschutzverfahren einzuleiten.
- Die Weisung, ein Eheschutzverfahren einzuleiten, verletzt die Ehe-
freiheit nicht (Erw. 5.1-5.3).
- Der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe verlangt, dass eine
Hilfe suchende verheiratete Person ein Eheschutzverfahren zur Gel-
tendmachung von Unterhaltsansprüchen einleitet. Keine Rolle spielt,
2005
Verwaltungsgericht
296
ob die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen eine Aussicht auf
Erfolg hat (Erw. 5.4.1-5.5).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 13. Oktober 2005 in Sa-
chen S.W. gegen das Bezirksamt Zofingen.
Aus den Erwägungen
5.1. Die Vorinstanz kam zum Schluss, Art. 14 BV statuiere das
Recht, unbeeinträchtigt durch staatliche und polizeiliche Einschrän-
kungen die Ehe eingehen zu können. In diesem Recht werde die Be-
schwerdeführerin durch die Weisung, ein Eheschutzverfahren einzu-
leiten, nicht beschränkt. Die Rechtsgültigkeit der bestehenden Ehe
zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann werde in
keinster Weise durch ein Eheschutzverfahren tangiert. Vielmehr solle
das Eheschutzverfahren im vorliegenden Fall dazu dienen,
Unterhaltsbeiträge des Ehemannes für die gemeinsame Tochter
festzulegen. Endgültig festzustellen, ob der Ehemann zu Unterhalts-
zahlungen verpflichtet werden könne und ob reelle Chancen auf ein
zukünftiges intaktes Zusammenleben der Eheleute X bestünden, sei
nicht Aufgabe des Bezirksamtes, sondern habe durch das zuständige
Familiengericht entschieden zu werden.
5.2. Die Beschwerdeführerin bestreitet die Zulässigkeit der
Weisung, diese verletze die Ehefreiheit, welche in Art. 14 BV garan-
tiert sei. Wie der Sozialkommission bekannt sei, beziehe der Ehe-
mann der Beschwerdeführerin ebenfalls Sozialhilfe. Dies gehe aus
der Bestätigung des Sozialamtes der Gemeinde B vom 7. Januar
2005 hervor. Folglich sei der Ehemann der Beschwerdeführerin auf
keinen Fall in der Lage, ihr oder ihren Kindern irgendwelche Unter-
haltsbeiträge zukommen zu lassen. Unter diesen Umständen mache
die Einleitung eines Eheschutzverfahrens keinen Sinn. Die Be-
schwerdeführerin könne mit keinerlei Unterhaltsbeiträgen rechnen.
Ein Eheschutzverfahren hätte somit keinerlei Auswirkungen auf das
Budget der Beschwerdeführerin. Es gebe kein höheres Interesse der
Sozialkommission, welches es rechtfertigen würde, die Beschwerde-
2005
Sozialhilfe
297
führerin zu zwingen, gegen ihren Willen ein Eheschutzverfahren
einzuleiten.
5.3. Wie die Vorinstanz zu Recht feststellte, verletzt die Wei-
sung, ein Eheschutzverfahren einzuleiten, die Ehefreiheit nach
Art.
14 BV nicht. Art.
14 BV garantiert das Recht zur Ehe-
schliessung, d.h. die Freiheit, dass ein mündiger Erwachsener selber
entscheiden kann, ob bzw. wen er heiraten möchte (Jörg Paul Müller,
Grundrechte in der Schweiz, 3. Auflage, Bern 1999, S. 102). Ein
Eheschutzverfahren bei getrennt lebenden Ehegatten dient dazu, die
Verhältnisse unter den Ehegatten, insbesondere den Unterhalt, für die
Dauer des Getrenntlebens zu regeln (Art.
176 ff. ZGB). Die
Rechtsgültigkeit und der Bestand der Ehe zwischen der Beschwer-
deführerin und ihrem Ehemann werden in keiner Weise beeinträch-
tigt.
5.4.1. Die Vorinstanz kam weiter zum Schluss, die an die Be-
schwerdeführerin gerichtete Weisung, bis spätestens 20. Januar 2005
ein Eheschutzverfahren einzuleiten, stehe im Einklang mit den
Richtlinien des Kantonalen Sozialdienstes. So könne bei getrennt
lebenden Ehegatten von der unterstützten Person verlangt werden,
dass innert 30 Tagen eine gerichtliche Festsetzung der Unterhalts-
beiträge beantragt werde.
5.4.2. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, die Vorin-
stanz stütze das Vorgehen der Sozialkommission mit dem Hinweis
auf das Handbuch Sozialhilfe. Bei diesem Handbuch handle es sich
aber nicht um eine gesetzliche Grundlage, sondern um eine interne
Publikation ohne Rechtsverbindlichkeit.
5.4.3. Den Erläuterungen im Handbuch Sozialhilfe kommt tat-
sächlich - im Gegensatz zum SPG, zu der dieses ausführenden SPV
und, soweit von Letzterer als massgeblich bezeichnet (§ 10), den
Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe,
herausgegeben von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe
(SKOS-Richtlinien), Dezember 2000 - keine rechtserzeugende Wir-
kung zu; sie sind nur beachtlich, soweit sie dem formell gesetzten
Recht entsprechen oder dort klarerweise enthaltene Ermessenspiel-
räume korrekt ausfüllen (VGE II/74 vom 19. November 2003
[BE.2003.00216], S. 9).
2005
Verwaltungsgericht
298
Anspruch auf Sozialhilfe besteht, sofern die eigenen Mittel
nicht genügen und andere Hilfeleistungen nicht rechtzeitig erhältlich
sind oder nicht ausreichen (§ 5 Abs. 1 SPG). Damit wird der Grund-
satz der Subsidiarität der Sozialhilfe ausgedrückt. Die Hilfe suchende
Person ist verpflichtet, sich nach Möglichkeit selbst zu helfen; sie
muss alles Zumutbare unternehmen, um eine Notlage aus eigenen
Kräften abzuwenden oder zu beheben (vgl. SKOS-Richtlinien, Ka-
pitel A.4). Die Zusprechung materieller Hilfe kann mit Auflagen und
Weisungen verbunden werden (§ 13 Abs. 1 SPG). Diese dienen
gemäss § 14 SPV entweder vorbeugend der richtigen Verwendung
der materiellen Hilfe oder dann zur Verbesserung der Lage der Hilfe
suchenden Person. Werden Auflagen und Weisungen nicht befolgt,
welche unter Androhung der Folgen bei Missachtung erlassen wur-
den, so kann die materielle Hilfe gekürzt werden (§ 15 Abs. 1 SPV;
VGE IV/29 vom 26.
August 2004 [BE.2004.00177], S.
4 f.;
VGE IV/54 vom 19. November 2004 [BE.2004.00284], S. 6), und im
Falle, dass die unterstützte Person sich rechtsmissbräuchlich verhält,
kann eine materielle Hilfe ganz eingestellt werden (§ 15 Abs. 3
SPV).
5.4.4. Zu den eigenen Mitteln gehören auch die Unterhaltsan-
sprüche der hilfebedürftigen Person (§ 11 Abs. 1 SPV). Bestehen
Ansprüche gegenüber Dritten nur vermeintlich oder können sie aus
irgendwelchen Gründen nicht durchgesetzt werden, dürfen sie ande-
rerseits nicht als fiktive Einkünfte der Hilfe suchenden Person ange-
rechnet werden. Vorerst muss in jedem Fall feststehen, dass sie nicht
durchsetzbar und erhältlich sind. Die Entscheidung zur Geltendma-
chung und Durchsetzung unsicherer Unterhaltsansprüche steht nicht
im Belieben der Hilfe suchenden Person (VGE II/42 vom 20. Juni
2003 [BE.2003.00110], S. 5 f.). Entsprechend kommt es nicht darauf
an, ob die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen keine Aussicht
auf Erfolg hat, weil der Unterhaltsverpflichtete selbst auf Sozialhilfe
angewiesen ist.
Die unterstützenden Sozialhilfebehörden können daher von den
Gesuchstellern eine Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen auf
dem Rechtsweg verlangen. Verzichtet eine unterstützte Person auf
eheliche Unterhaltsbeiträge, obwohl der Ehegatte offensichtlich sol-
2005
Sozialhilfe
299
che leisten könnte, so muss sie sich einen angemessenen Betrag an-
rechnen lassen. Im Umfang dieses Betrags besteht im Sinne des Sub-
sidiaritätsprinzips keine Bedürftigkeit (SKOS-Richtlinien, Kapi-
tel F.3.2; Peter Stadler, Wie ist die Sozialhilfe zu bemessen, wenn
Eheleute nicht zusammen wohnen und das Getrenntleben nicht ge-
richtlich geregelt ist, in: Zeitschrift für Sozialhilfe [ZeSo], 2001 Heft
5).
5.5. Die Beschwerdeführerin lebt seit Mai 2004 von ihrem
Ehemann getrennt. Solange die Beschwerdeführerin keine Sozial-
hilfe beantragt hatte, stand es ihr grundsätzlich frei, Unterhaltsan-
sprüche für sich persönlich geltend zu machen. Es stand ihr jedoch
bereits damals nicht frei, auf Unterhaltsansprüche für das Kind zu
verzichten, da diese dem Kind zustehen (Peter Breitschmid, in: Bas-
ler Kommentar, ZGB I, 2. Auflage, Basel / Genf / München 2002,
Art. 276 N 17). Ein Verzicht der Beschwerdeführerin auf den für die
Tochter Y (geboren 13. Dezember 2003) unentbehrlichen Unterhalt
ist ausgeschlossen (vgl. Cyril Hegnauer, in: Berner Kommentar,
Art. 252-301 ZGB, 3. Auflage, Bern 1964, Art. 272 aZGB N 68;
BGE 119 II 6), und eine Verletzung der elterlichen Pflicht zur Gel-
tendmachung von Unterhaltsansprüchen kann zu Kindesschutzmass-
nahmen (Art. 307 f. ZGB) durch die Vormundschaftsbehörde Anlass
geben.
Der Ehemann der Beschwerdeführerin bezieht gemäss Bestäti-
gung der Gemeinde B vom 7. Januar 2005 ebenfalls Sozialhilfe. Das
bedeutet jedoch nicht, dass er auch in Zukunft nicht in der Lage sein
wird, Unterhaltszahlungen zu leisten. Es steht insbesondere nicht
fest, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin bei einer zumutbaren
Anstrengung kein Einkommen zu erzielen vermag, zumal seine
berufliche und finanzielle Situation undurchsichtig erscheint. Seine
finanziellen Möglichkeiten und den Anspruch der Beschwer-
deführerin und ihrer Tochter auf Unterhalt kann umfassend nur der
Eheschutzrichter beurteilen. Es mag sein, dass die Ehetherapie der
Beschwerdeführerin erfolgsversprechend verläuft. Es mag auch sein,
dass die Ehegatten in der Vergangenheit Schwierigkeiten gehabt
haben. Sie haben andererseits gemeinsam den Mietvertrag für das
51⁄2-Zimmer-Einfamilienhaus in A unterzeichnet und am 13. Dezem-
2005
Verwaltungsgericht
300
ber 2004 gemeinsam die C s.a g.l. mit Sitz in A gegründet, deren
Mitgesellschafterin die Beschwerdeführerin ist. Möglich ist auch,
dass ein Eheschutzverfahren zu weiteren persönlichen Belastungen
der Beteiligten führen kann. All dies entbindet aber die Beschwerde-
führerin nicht davon, die ihr und ihrer Tochter zustehenden
Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem Ehemann geltend zu machen.
Diese Ansprüche bestehen entgegen der Auffassung der Be-
schwerdeführerin auch bei ungetrennter Ehe (Art. 172/173 ZGB).
Von der Sozialhilfe sind nur die nötigen Kosten zu übernehmen,
und das Subsidiaritätsprinzip gilt auch bei nicht zusammen lebenden
Ehepaaren (SKOS-Richtlinien, Kapitel F.3.2). Im Umfang der Unter-
haltsansprüche bestehen Ansprüche der Klägerin auf eigene Mittel,
die grundsätzlich geeignet sind, ihre Notlage vermindern. Für die
Rechtsmässigkeit der Weisung, ein Eheschutzverfahren einzuleiten,
ist die mögliche Aussicht auf einen Beitrag zur Verminderung der
Notlage der Beschwerdeführerin ausreichend. Zu berücksichtigen ist
schliesslich, dass die dem Kind zustehenden Unterhaltsbeiträge
bevorschusst werden können und damit einer andern Abrechnungs-
und Rückforderungsregelung unterstehen (Art. 290 ZGB und § 27 f.
SPG).
Die Weisung, ein Eheschutzverfahren einzuleiten, ist somit
nicht zu beanstanden, und die Beschwerde ist in diesem Punkt ab-
zuweisen. | 2,327 | 1,879 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-61_2005-10-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-61.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-61.pdf | AGVE_2005_61 | null | nan |
9c6a6f37-c50e-5a01-808c-aee1d7e5d04f | 1 | 412 | 870,320 | 1,309,737,600,000 | 2,011 | de | 2011
Sozialhilfe
177
[...]
45
Rückzahlung nach § 3 SPG
-
Die Rückzahlungspflicht nach § 3 SPG knüpft an den materiell un-
rechtmässigen Leistungsbezug an.
-
Als unrechtmässiger Bezug gelten Leistungen, die aufgrund unwah-
rer oder unvollständiger Angaben ausgerichtet wurden.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 6. Juli 2011 in Sachen A.
gegen Gemeinderat B. und Bezirksamt C. (WBE.2010.249).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Der unrechtmässige Bezug von materieller Hilfe wird in § 3
SPG geregelt. Nach der genannten Bestimmung sind unrechtmässig
bezogene Leistungen samt Zins zurückzuzahlen. Was unter unrecht-
mässigem Bezug zu verstehen ist, ergibt sich aus dem systematischen
Zusammenhang. § 3 SPG bildet zusammen mit der vorangehenden
Bestimmung einen Teil der Allgemeinen Bestimmungen des Sozial-
hilfegesetzes. § 2 SPG regelt die Mitwirkungs- und Meldepflicht:
Personen, die Leistungen nach SPG geltend machen, beziehen oder
erhalten haben, sind verpflichtet, über ihre Verhältnisse wahrheits-
2011
Verwaltungsgericht
178
getreu und umfassend Auskunft zu geben sowie die erforderlichen
Unterlagen vorzulegen. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach,
sind die zuständigen Behörden berechtigt, die für den Vollzug
erforderlichen Auskünfte einzuholen. Personen, die Leistungen nach
diesem Gesetz geltend machen oder beziehen, sind verpflichtet, Ver-
änderungen in ihren Verhältnissen umgehend zu melden (§ 2 SPG).
Als unrechtmässiger Bezug gelten deshalb Leistungen, die aufgrund
unwahrer oder unvollständiger Angaben ausgerichtet wurden. § 3
SPG kommt demnach nur zur Anwendung, wenn dem Leistungs-
bezüger ein gewisses Fehlverhalten, nämlich ein Verstoss gegen die
Mitwirkungs- und Meldepflicht gemäss § 2 SPG vorgeworfen wer-
den kann. Diese Auslegung ergibt sich auch aus den Gesetzes-
materialien (vgl. Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau
an den Grossen Rat vom 30. Juni 1999, 99.226, S. 18 f; VGE IV/55
vom 30. Juli 2009 [WBE.2009.26], S. 6).
Die in § 3 SPG geregelte Rückzahlungspflicht unterscheidet
sich materiell von der Rückerstattungspflicht bezogener materieller
Hilfe bei Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse gemäss § 20
SPG. Weiter unterscheidet sie sich von der Möglichkeit, Leistungen
zu kürzen, wenn Auflagen und Weisungen nicht befolgt wurden (§ 13
Abs. 2 SPG). In § 8 Abs. 4 SPV ist sodann eine Verrechnungsmög-
lichkeit für Mehrleistungen des Gemeinwesens als Folge nicht
zweckkonformer Verwendung der materiellen Hilfe vorgesehen.
Schliesslich umfasst sie auch eine allfällige Rückforderungsmög-
lichkeit aufgrund des auch im öffentlichen Recht geltenden Grund-
satzes der Rückforderung wegen ungerechtfertigter Bereicherung
(Urs Vogel, Rechtsbeziehungen - Rechte und Pflichten der unter-
stützten Person und der Organe der Sozialhilfe, in: Christoph Häfeli
[Hrsg.], Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008,
S. 192 f.).
2.2. (...)
3.
3.1.-3.2. (...)
3.3.
Die Rückzahlungspflicht nach § 3 SPG knüpft allein an den
materiell unrechtmässigen Leistungsbezug an (vgl. hierzu Handbuch
2011
Sozialhilfe
179
Sozialhilfe, Kantonaler Sozialdienst, 2003, Kap. 6, S. 8). Als un-
rechtmässig bezogene Leistung kann daher nur angerechnet werden,
was eine bedürftige Person an materieller Hilfe bezogen hat, obwohl
sie keinen Rechtsanspruch darauf gehabt hätte (vgl. Erw. 2.1. vorn).
Die vom Gemeinderat vorgenommene und vom Bezirksamt bestä-
tigte Berechnung, wonach der zurückzuerstattende Betrag der Diffe-
renz von angeblich deklariertem und effektiv erzieltem Einkommen
entspricht, lässt sich somit nicht aufrecht erhalten. Der Entscheid des
Bezirksamts ist daher aufgrund der fehlerhaften Berechnung des
Rückerstattungsanspruches aufzuheben. | 851 | 673 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-45_2011-07-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-45.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-45.pdf | AGVE_2011_45 | null | nan |
9c9c5111-082e-5edd-9cec-9c500c7676b2 | 1 | 412 | 870,861 | 991,353,600,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
228
[...]
55
Zwangsmassnahmen im Rahmen fürsorgerischer Freiheitsentziehung.
- Bei Bereitschaft zur freiwilligen Medikamenteneinnahme ist die
Anordnung einer Zwangsmedikation unzulässig.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 5. Juni 2001 in Sachen
R.S. gegen Entscheid der Klinik Königsfelden.
Aus den Erwägungen
2. c) aa) Der Beschwerdeführer beschwert sich über die ange-
ordnete medikamentöse Zwangsbehandlung. Er habe sich nie gewei-
gert, die Medikamente Seroquel und Valium in der verordneten Dosis
einzunehmen. Damit fehle es aber an einer Voraussetzung zur An-
ordnung einer Zwangsmedikation. Es gehe überdies nicht an, dass
die Ärzte präventiv als Druckmittel gegen den Patienten eine
Zwangsmedikation anordneten.
bb) Die Anordnung einer Zwangsmedikation setzt gemäss
§ 67e
bis
EG ZGB voraus, dass eine medizinisch indizierte Massnahme
gegen
den Willen der betroffenen Person vorgenommen wird. Dies
ist dann nicht der Fall, wenn jemand freiwillig Medikamente ein-
nimmt. Gemäss Praxis des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die
fürsorgerische Freiheitsentziehung darf eine solche nicht angeordnet
werden, wenn ein ernstgemeinter freiwilliger Eintritt bzw. Verbleib
in der Klinik vorliegt. Ob ein solcher Eintritt vorliegt, beurteilt sich
nicht nur anhand der Aussagen des Betroffenen, sondern auch an
seinem bisherigen Verhalten (AGVE 1992, S. 279). Da zwischen der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung und der Anordnung von
Zwangsmassnahmen ein enger Zusammenhang besteht und es sich
ebenfalls um einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit des
Beschwerdeführers handelt, rechtfertigt es sich, die genannte Praxis
2001
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
229
bei der Beurteilung der Freiwilligkeit bei der Medikamentenein-
nahme analog anzuwenden.
cc) Wie bereits erwähnt, hat sich der Beschwerdeführer an der
Verhandlung vom 15. Mai 2001 dahin geäussert, dass er Seroquel
und Valium brauche. Der Beschwerdeführer nimmt seit seinem Kli-
nikeintritt freiwillig Medikamente per os. Wie er selber sagt, ver-
spüre er eine gute Wirkung; ohne Medikamente wäre er weniger
ruhig. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer
im gegenwärtigen Zeitpunkt die Medikamenteneinnahme verweigern
würde, denn wie er selber ausführte, sei er an der richtigen Medika-
menteneinstellung interessiert. Diese ist im Urteilszeitpunkt noch
nicht gefunden worden. Unter diesen Umständen ist es nicht zuläs-
sig, rein präventiv eine Zwangsmedikation anzuordnen. Bei ernstge-
meinter Freiwilligkeit des Beschwerdeführers ist die Anordnung
einer Zwangsmedikation, selbst bei faktischer Gewährung von auf-
schiebender Wirkung, unverhältnismässig, da ein entsprechender
Eingriff in die persönliche Freiheit des Patienten nicht notwendig ist.
Sollte der Beschwerdeführer allerdings in einem späteren Zeitpunkt
die Medikamente verweigern und sollte die entsprechende Behand-
lung nach wie vor indiziert und eine Zwangsmedikation verhältnis-
mässig sein, so steht es der Klinik frei, jederzeit einen neuen
Zwangsmassnahmen-Entscheid zu erlassen unter Prüfung der
Voraussetzungen im dannzumaligen Zeitpunkt (vgl. VGE I/134 vom
29. August 2000
[BE.2000.00253] in Sachen R.H., S. 17 ff.). Die
Voraussetzungen für die Anordnung einer Zwangsmedikation sind
beim Beschwerdeführer heute nicht gegeben, so dass seine Be-
schwerde vollumfänglich gutgeheissen werden muss. Damit wird die
Anordnung der Zwangsmedikation aufgehoben. | 720 | 592 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-55_2001-06-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-55.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-55.pdf | AGVE_2001_55 | null | nan |
9ca5f681-a0fe-5160-b0af-a398f50cec2d | 1 | 412 | 871,277 | 1,022,976,000,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsrechtspflege
417
[...]
101
Kostenverlegung (§ 35 VRPG).
-
Der AEW Energie AG sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen,
wenn die Beschwerde gegen die von ihr verfügten Stromgebühren
erfolgreich ist.
2002
Verwaltungsgericht
418
Beschluss des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 18. Juni 2002 in Sa-
chen B.F. gegen Verfügung der AEW Energie AG.
Sachverhalt
Auf die Beschwerde hin hob die AEW Energie AG ihre Verfü-
gung, mit der sie Stromgebühren erhoben hatte, wiedererwägungs-
weise auf.
Aus den Erwägungen
2. a) Der Verfahrensausgang kommt einem Obsiegen des Be-
schwerdeführers gleich. Nach § 33 Abs. 2 VRPG sind daher die Kos-
ten grundsätzlich der AEW Energie AG aufzuerlegen. Gilt sie aller-
dings nach wie vor als Amtsstelle im Sinne von § 35 Abs. 1 VRPG,
sind die Kosten auf die Staatskasse zu nehmen.
Die AEW Energie AG ist seit dem 1. Oktober 1999 eine privat-
rechtliche Aktiengesellschaft (§ 20a des Energiegesetzes [EnG;
SAR 773.100] vom 9. März 1993; AEW-Firmenprofil unter
www.aew.ch). Der Kanton hält jedoch die Aktienmehrheit und hat
der AEW Energie AG einen Leistungsauftrag erteilt (§§ 20b Abs. 1,
20c Abs. 2 EnG; Dekret über den Leistungsauftrag der AEW Energie
AG vom 7. September 1999, SAR 773.330). Sodann kann sie nach
wie vor Verfügungen erlassen (Ziff. 3.3.2 des Reglementes über die
Lieferung elektrischer Energie aus dem Niederspannungsnetz des
Aargauischen
Elektrizitätswerkes
vom
23. März
1994,
SAR
773.533). Damit übt sie nach wie vor hoheitliche Funktionen aus und
ist als Amtsstelle im Sinne von § 35 Abs. 1 VRPG zu betrachten. Die
Kosten sind daher auf die Staatskasse zu nehmen. | 428 | 338 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-101_2002-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-101.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-101.pdf | AGVE_2002_101 | null | nan |
9cba4e4c-f6b6-5d7d-988d-4da3e5b786d3 | 1 | 412 | 870,686 | 1,309,737,600,000 | 2,011 | de | 2011
Gesundheitsrecht und Adoption
207
IX. Gesundheitsrecht und Adoption
52 Zweckentfremdung und Veräusserung von Spitalanlagen und -liegen-
schaften (§ 14 Abs. 6 SpiG)
Die Entlassung einer Einrichtung aus dem staatlichen Leistungsauftrag
und die Verwendung von Anlagen und Liegenschaften in tatsächlicher
Hinsicht für eine Nutzung, die nicht mehr auf einem Leistungsauftrag
gemäss kantonaler Spitalkonzeption beruht, stellen eine Zweckentfrem-
dung im Sinne von § 14 Abs. 6 SpiG und § 9 Abs. 2 SpiV dar.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 6. Juli 2011 in Sachen A.
gegen Regierungsrat (WBE.2008.14).
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
Die Vorinstanz hat die Zweckentfremdung gemäss § 9 der
Spitalverordnung (SpiV; SAR 331.211) sowohl nach der Fassung
vom 26. Mai 2004 wie jener vom 13. September 2006 bejaht. Sie hat
u. a. erwogen, dass mit der Aufhebung des Spitalstandorts D. der
Leistungsauftrag der Beschwerdeführerin im Rahmen der kantonalen
Spitalkonzeption entfallen sei. Die B. sei nicht Teil der kantonalen
Spitalversorgung, sondern lediglich aus gesundheitspolitischen Grün-
den im Besitz einer Betriebsbewilligung. Die Verwendung der Anla-
gen und Liegenschaften sowie Teilen davon entspreche nicht mehr
dem ursprünglichen Subventionszweck. In der Vernehmlassung wird
ergänzt, dass von einer Einbettung der B. in die kantonale Spitalkon-
zeption keine Rede sein könne. Die B. betreibe ein Ambulatorium
bzw. eine teilstationäre Einrichtung ohne einen kantonalen Versor-
gungsauftrag.
2011
Verwaltungsgericht
208
3.2.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist der Begriff der
Zweckentfremdung in § 14 Abs. 6 des Spitalgesetzes vom 25. Feb-
ruar 2003 (SpiG; SAR 331.200) nicht definiert und dahingehend
auszulegen, dass der in Frage stehende Vermögenswert nicht mehr
seinem ursprünglichen Zweck diene und damit einer anders gearteten
Nutzung zugeführt werde. Dies treffe aber sowohl auf C. als auch auf
die B. nicht zu. Der einzige Unterschied zur früheren Nutzung beste-
he darin, dass das Spital D. eine stationäre Einrichtung gewesen sei,
während es sich beim B. um eine Tagesklinik bzw. eine teilstationäre
Einrichtung handle. Art. 25 KVG sehe dieselben Leistungen für den
stationären Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung eines Spitals als
auch für den Aufenthalt in einer teilstationären Einrichtung vor.
Selbst der Regierungsrat habe in der Betriebsbewilligung vom
29. Juni 2005 der B. die zweckentsprechende Benützung der Infra-
struktur des Spitals attestiert. Die B. sei schliesslich wie das vorma-
lige Spital in eine staatliche Tarifordnung eingebunden. Die Gebäude
und Anlagen würden weiterhin demselben Zweck dienen. Der Grosse
Rat habe in seinem Beschluss vom 8. März 2005 dem Regierungsrat
den Auftrag erteilt, die Voraussetzungen für den Betrieb eines priva-
ten medizinischen Zentrums zu schaffen. Dieses sei in die Spitalkon-
zeption einbezogen und habe einen Leistungsauftrag für teilstationä-
re Medizin erhalten. Eine Zweckentfremdung liege daher nach der
Definition von § 9 Abs. 2 aSpiV unter diesen Umständen nicht vor.
Die ab 13. September 2006 geltende Fassung dieser Bestimmung
komme infolge unzulässiger Rückwirkung nicht zur Anwendung. Die
Verordnungsänderung sei im Übrigen Beleg dafür, dass § 9 SpiV in
der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung keine ausreichende
Rechtsgrundlage für Rückforderungsansprüche sei.
3.3.
Ausgangspunkt für die Prüfung einer Zweckentfremdung ist
§ 14 Abs. 6 SpiG. Nach dieser Bestimmung fällt bei einer Zweckent-
fremdung oder Veräusserung der Anlagen und Liegenschaften der
Ertrag dem Kanton zu. Anknüpfungspunkt ist damit der ursprüng-
liche Zweck der Subvention, d. h. vorliegend die Zweckbestimmung,
welche mit der vom Kanton ausgerichteten Subventionen und den
2011
Gesundheitsrecht und Adoption
209
damit bezahlten Bauten und Anlagen verknüpft war. Für die Zweck-
bestimmung der Subvention massgebend ist § 4 Abs. 1 des alten
Spitalgesetzes, wonach der Staat im Rahmen der kantonalen Spital-
konzeption
Spitäler
unterstützt, die u.a. durch Stiftungen mit ge-
meinnützigem Zweck betrieben werden und der Staat die Kosten für
Neu-, Um- und Erweiterungsbauten trägt (§ 5 Abs. 1 aSpiG). Gemäss
§ 4a Abs. 1 aSpiG gehörte die Beschwerdeführerin zu den beitrags-
berechtigten Spitälern. Die subventionsrechtliche Zweckentfremdung
besteht daher in der Entlassung der Beschwerdeführerin zur Führung
des beitragsberechtigten Spitals D. aus dem staatlichen Leistungsauf-
trag und in tatsächlicher Hinsicht in der Verwendung der Anlagen
und Liegenschaften für eine Nutzung, die nicht mehr auf einem
Leistungsauftrag gemäss kantonaler Spitalkonzeption beruht. Dieser
Tatbestand wird in § 9 Abs. 3 SpiV in der Fassung vom 26. Mai 2004
auch ausdrücklich festgehalten. Die Bestimmung präzisiert, was im
Subventionsverhältnis zwischen den beitragsberechtigten Spitälern
als (Subventions-) Empfänger der Finanzhilfe und dem Kanton als
Subvenienten ohnehin gilt. Die Bausubventionen an die Beschwerde-
führerin waren keine einseitigen, voraussetzungslosen Zahlungen.
Nachdem der Grosse Rat mit Beschluss vom 8. März 2005 den
Spitalstandort D. aufgehoben hatte, war die Beschwerdeführerin aus
dem Leistungsauftrag der kantonalen Spitalkonzeption 2005 aus dem
Jahre 1994 entlassen und auch kein beitragberechtigtes Spital gemäss
§ 4a aSpiG mehr. Die Entlassung der Beschwerdeführerin aus dem
Rahmen der Spitalkonzeption führt subventionsrechtlich dazu, dass
jede nachfolgende Nutzung der Bauten und Anlagen eine zweck-
fremde Nutzung darstellt. Dies wird auch deutlich durch den Zusam-
menhang von Spitalplanung, Spitalkonzept und Leistungsauftrag
nach § 16 und 17 SpiG mit dem Zulassungssystem für Spitäler nach
dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 18. März
1994 (KVG; SR 832.10). Gemäss Art. 39 Abs. 1 KVG ist das Spital
eine Einrichtung, welche
der stationären Behandlung
akuter Krank-
heiten oder der
stationären
medizinischen Rehabilitation dient. Die
Spitäler haben bestimmte, in Art. 39 Abs. 1 lit. a bis d KVG
umschriebene Dienstleitungen und Infrastrukturen zu gewährleisten
(vgl. dazu Botschaft zum KVG, BBl 1992 I S. 66) und die Kantone
2011
Verwaltungsgericht
210
sind zur Spitalplanung verpflichtet (Art. 39 Abs. 1 lit. d KVG). Die
Beschwerdeführerin betreibt kein Spital mehr, sondern vermietet
Teile ihrer Bauten, Räumlichkeiten und Anlagen; wesentliche Ein-
richtungen des früheren Spitals hat sie zudem veräussert. Dass diese
Vorgänge subventionsrechtlich und gemäss § 14 Abs. 6 SpiG eine
Zweckentfremdung darstellen ist offensichtlich. Die Beschwerde-
führerin kann sich die Tätigkeit der B. im Subventionsverhältnis zum
vornherein nicht als eigene Nutzung oder Erfüllung öffentlich-
rechtlicher Obliegenheiten anrechnen lassen. Abgesehen davon er-
füllt die B. keinen Leistungsauftrag gemäss Spitalkonzeption. Un-
bestritten ist, dass sie keinen Leistungsauftrag für ein Spital gemäss
§ 17 SpiG hat. Sie betreibt auch kein Spital im Sinne des KVG. Für
die Zweckentfremdung nicht massgebend ist, ob die Beschwerde-
führerin oder Dritte Tätigkeiten und Leistungen gemäss Art. 25 KVG
erbringen, da diese Bestimmung die Leistungspflicht der obligatori-
schen Krankenpflegeversicherung umschreibt. Massgebend ist - ent-
gegen der Beschwerdeführerin - auch nicht, ob die B. nach einer
staatlichen Tarifordnung medizinische Leistungen, die sogar gesund-
heitspolitisch erwünscht sind, anbietet oder den ambulanten Teil des
Spitals D. auf privater Basis weiterführt. Nachdem für die B. auch in
der Spitalkonzeption 2015 kein Leistungsauftrag für ein Spital (§ 17
SpiG) besteht, sondern für "teilstationäre Behandlungen" bzw. eine
Tagesklinik, welche nicht dem Spitalgesetz und auch nicht der kann-
tonalen Spitalplanung unterstehen, liegt eine Zweckentfremdung der
subventionierten Bauten und Einrichtungen vor.
Anzufügen bleibt, dass an diesem Ergebnis weder die Einla-
dung des Grossen Rates an den Regierungsrat noch die Betriebsbe-
willigung für die B. vom 29. Juni 2005 etwas ändern können. Für die
Spitalkonzeption ist der Grosse Rat nicht zuständig (§ 6 SpiG). Die
im Grossratsbeschluss vom 8. März 2005 beschlossene Einladung
zur Schaffung der Voraussetzungen für ein privates medizinisches
Zentrum ist auch rechtlich eine blosse Einladung, kein parlamentari-
scher Vorstoss mit verpflichtenden Wirkungen oder Weisungscha-
rakter (vgl. dazu §§ 41 f. des Gesetzes über die Organisation des
Grossen Rates und über den Verkehr zwischen dem Grossen Rat,
dem Regierungsrat und dem Obergericht vom 19. Juni 1990 [Ge-
2011
Gesundheitsrecht und Adoption
211
schäftverkehrsgesetz, GVG; SAR 152.200]). Die Betriebsbewilli-
gung wurde der B. gestützt auf § 58 des Gesundheitsgesetzes vom
10. November 1987 (aGesG; AGS Band 12, S. 553) unter dem aus-
drücklichen Hinweis erteilt, dass sich die Bewilligung nur auf die
Prüfung der gesundheitspolizeilichen Voraussetzungen beschränke
und mit der Bewilligung kein Anspruch auf Aufnahme in die
Spitalliste bestehe.
3.4.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass eine relevante
Zweckänderung gemäss § 14 Abs. 6 SpiG und in Anwendung von
§ 9 Abs. 3 aSpiV (Fassung vom 26. Mai 2004) zu bejahen ist. Die
Beschwerdeführerin bestreitet überdies nicht, dass die Vorausset-
zungen einer Zweckänderung wie sie § 9 Abs. 3 SpiV in der Fassung
vom 13. September 2006 umschrieben sind, erfüllt sind. In der Tat ist
mit der Revision die Beschränkung der Zweckänderung auf den
Leistungsauftrag gemäss Spitalkonzeption entfallen und die Verord-
nungsbestimmung erfasst nunmehr die Zweckbindung aus dem Sub-
ventionsverhältnis allgemein. Ob dies eine blosse Präzisierung der
Gesetzesnorm darstellt, wie dies vom Regierungsrat betont wird,
kann offen gelassen werden. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass mit
dieser Änderung die Beschwerdeführerin oder die B. gegenüber dem
Normgehalt von § 9 Abs. 3 aSpiV benachteiligt worden wäre. Die
Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit sie die Feststellung
der Zweckentfremdung beanstandet.
4.
4.1.
Im angefochtenen Entscheid wird die Beschwerdeführerin ver-
pflichtet, die kantonalen Vorinvestitionen mit jährlich Fr. 72'856.00
pro Jahr ab 1. Januar 2008 oder in einem einmaligen Betrag von
Fr. 2'048'545.00 zu bezahlen.
Der Regierungsrat stellte im Wesentlichen auf verschiedene Be-
richte des DGS "Spital D. - Mietwertberechnung", die Teilergebnisse
der Arbeitsgruppe sowie die Empfehlungen der E. AG ab. In den
Berichten wurde festgehalten, dass das Gebäude aufgrund seiner
spezifischen Nutzung kein marktgängiges Objekt darstelle und die
Berechnung des Mietwertes deshalb nur über die kostendeckende
2011
Verwaltungsgericht
212
Verzinsung des Realwertes erfolgen könne. Gestützt auf übliche
Regeln der Immobilienbewirtschaftung und unter Anwendung weite-
rer Hilfsmittel seien die Gebäudebestandteile in verschiedene Raum-
kategorien eingeteilt und bei jeder Kategorie für die Erstellungs-
kosten inkl. Ausstattung prozentuale Zuschläge angenommen wor-
den. Die Altersentwertung sei ebenfalls gestützt auf die in der
Immobilienwirtschaft üblichen Regeln berücksichtigt worden. Be-
züglich der Verzinsung stelle der Regierungsrat auf die Variante mit
einer mittleren Kapitalverzinsung von 3 % und einem Unterhalt von
2,5 % ab, wobei die Kosten für eine langfristige Substanzwerterhal-
tung nicht berücksichtigt seien. Der aufgeschobene Unterhalt an
Gebäude und Haustechnik und die Kosten der Instandstellung der
Innenräume wurden auf Fr. 2.6 Mio. geschätzt, die Sanierung der
Lüftung/Klima wurde mit geschätzten Fr. 1 Mio. eingesetzt. Nach
der Vornahme dieser Abzüge wurden ein Realwert für die an die B.
vermieteten Anlagen von Fr. 2'428'545.00 und ein Mietwert von
Fr. 133'570.00 ermittelt. Dieser Betrag wurde in eine Kapitalver-
zinsung von Fr. 72'856.00 (gerechnet mit 3 %) und in die Kosten für
Unterhalt-/Instandstellung in der Höhe von Fr. 60'714.00 (mit 2,5 %
angerechnet) pro Jahr aufgeteilt. Die Vorinstanz stellte im Ergebnis
fest, dass die geforderte Rückzahlung von Fr. 72'856.00/Jahr unter
Einbezug aller Faktoren (Fläche, Quadratmeterpreis, Vergleich mit
ortsüblichen Mietpreisen im Raum D., Einnahmen aus der Weiterver-
mietung an Dritte) sehr massvoll kalkuliert sei.
4.2.
Die Beschwerdeführerin rügt zur Hauptsache, dass der Regie-
rungsrat einen theoretischen, nicht den tatsächlichen Ertrag bean-
spruche. Soweit sich die Berechnung auf § 9 SpiV in der Fassung
vom 13. September 2006 stütze, liege sowohl ein Verstoss gegen
§ 14 Abs. 6 SpiG wie auch gegen das Rückwirkungsverbot vor.
Weiter wird unter Bezugnahme auf den Bericht der C. vom
28. August 2006 ein Zeitwert der vom Kanton in den Jahren 1995 bis
2005 mitfinanzierten Gebäudesanierungen bezogen auf jenen Teil,
welcher an die B. vermietet sei, von Fr. 810'000.00 (ohne Unterhalt,
Reparaturen und Verbrauchsmaterial) geltend gemacht. Bei einer
2011
Gesundheitsrecht und Adoption
213
Verzinsung mit 3 % ergäbe sich ein Kapitalzins bzw. angemessener
Mietzins von lediglich Fr. 24'000.00 pro Jahr.
5.
5.1.
Gemäss § 14 Abs. 6 SpiG unterliegt bei einer Zweckentfrem-
dung oder Veräusserung der Ertrag der Rückerstattungspflicht. § 9
SpiV in der Fassung vom 26. Mai 2004 präzisiert den Ertrag nur mit
Bezug auf die Anlageobjekte (,,Vermögensteile"), die der Rücker-
stattungspflicht unterliegen.
In der Fassung der Verordnung vom 13. September 2006 gilt als
Ertrag ein
angemessene
r Verkaufspreis oder im Falle einer Vermie-
tung ein
angemessener
Mietzins (§ 9 Abs. 5 Satz 1 SpiV). Die Be-
rechnung richtet sich nach marktüblichen Werten sowie nach den
allgemeinen Richtlinien der Immobilienwirtschaft (§ 9 Abs. 5 Satz 2
SpiV). Diese Teilrevision von § 9 SpiV ist am 15. September 2006 in
Kraft getreten.
5.2.
5.2.1.
Die Rückerstattungspflicht in § 14 Abs. 6 SpiG knüpft an zwei
alternative Tatbestände, die Zweckentfremdung und die Veräus-
serung. Die Aufgabe oder Beendigung der Zweckbindung aus dem
Subventionsverhältnis genügt daher für sich allein nicht. Die Zweck-
entfremdung entsteht vielmehr mit einer Nutzung subventionierter
Bauten und Einrichtungen, welche nicht mehr der Zweckbindung aus
dem Subventionsverhältnis entspricht. Ist die Rückerstattungspflicht
die Rechtsfolge einer neuen und andern Nutzung der Subventions-
objekte, sind in zeitlicher Hinsicht die im Zeitpunkt der Nutzungs-
änderung (oder Veräusserung) tatsächlichen Umstände massgebend.
Die Aufhebung der Zweckbindung der Bauten und Einrichtun-
gen erfolgte in rechtlicher Hinsicht und gestützt auf den Beschluss
des Grossen Rates vom 8. März 2005 per 31. Dezember 2005. Tat-
sächlich entliess der Regierungsrat die Beschwerdeführerin vorzeitig
und sukzessive aus der Pflicht zur Führung des Spitals D. im Ver-
laufe des 2. Semesters 2005. Der Spitalbetrieb wurde im Einverneh-
men mit dem Regierungsrat vorzeitig geschlossen. Die Beschwerde-
führerin schloss den Mietvertrag mit der B. per 1. Januar 2006 ab,
2011
Verwaltungsgericht
214
obwohl die B. berechtigt war, die Mietgegenstände ab 1. Juli 2005 zu
nutzen (Mietvertrag). Die Zweckänderung trat damit für Anlage- und
Einrichtungsteile des früheren Spitals D. sukzessive im 2. Semester
2005 ein. Der genaue Zeitpunkt für die tatsächliche Zweckent-
fremdung lässt sich nicht exakt bestimmen. Der Grosse Rat beschloss
die Aufhebung des Spitalstandortes auf den 31. Dezember 2005, der
Regierungsrat hat in die vorzeitige Schliessung des Spitals einge-
willigt und die Beschwerdeführerin vereinbarte den Mietbeginn mit
der B. auf den 1. Januar 2006. Unter diesen Umständen ist vorlie-
gend der massgebliche Zeitpunkt für die Zweckentfremdung auf den
1. Januar 2006 festzulegen. Dieses Datum ist damit auch für die Be-
stimmung des Ertrages massgebend.
5.2.2.
Die Nutzungsänderung durch die Vermietung an die B. und da-
mit die Zweckentfremdung ist ein einmaliger, abgeschlossener Vor-
gang. Das Mietverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und der
B. begründet nur zwischen den Mietvertragsparteien ein privatrecht-
liches Dauerschuldverhältnis. Zwischen dem Kanton Aargau und der
B. besteht kein öffentlichrechtliches Verhältnis. Die subventions-
rechtliche Beziehung zwischen Kanton und Beschwerdeführerin be-
schränkt sich, solange die finanziellen Vorleistungen des Kantons
nicht vollständig abgegolten sind, auf die Ablieferungspflicht gemäss
§ 14 Abs. 6 SpiG. Veränderungen in der Nutzung der Subventi-
onsobjekte oder die Abänderung des Mietvertrages mit der B. führen
je nach den Umständen zu weiteren neuen subventionsrechtlichen
Rückforderungsansprüchen. Hingegen ist die subventionsrechtliche
Zweckentfremdung (§ 14 Abs. 6 SpiG) - jedenfalls für die Dauer der
Miete durch die B. und unter Vorbehalt von Änderungen des Miet-
vertrages - am 1. Januar 2006 eingetreten und auch abgeschlossen.
Der Ertrag gemäss § 14 Abs. 6 SpiG ist kausal zur (jeweiligen)
Zweckentfremdung, richtet sich hier nach den konkreten Umständen
am 1. Januar 2006. Er kann auch nur für die Dauer des unveränderten
Mietverhältnisses mit der B. bestimmt werden.
5.2.3.
Nachdem die Zweckentfremdung ab 1. Januar 2006 ein abge-
schlossener Vorgang darstellt, kann eine Anwendung der revidierten
2011
Gesundheitsrecht und Adoption
215
Bestimmungen der Spitalverordnung, welche erst am 15. September
2006 in Kraft getreten sind, aufgrund des Rückwirkungsverbots nicht
in Frage kommen. Der Beschwerdeführerin ist zuzustimmen, dass
der Regierungsrat mit der Revision der Verordnung während der
schon über ein Jahr andauernden Verhandlungen die Modalitäten
betreffend die Rückerstattungspflicht geändert hat. Insbesondere
kann § 9 Abs. 5 SpiV, soweit der rückerstattungspflichtige Ertrag als
"angemessener Mietzins" nach der üblichen Liegenschaftsschät-
zungspraxis definiert wird, nicht angewendet werden.
Auf die von der Beschwerdeführerin beantragte inzidente Nor-
menkontrolle von § 9 SpiV in der Fassung vom 13. September 2006
kann bei diesem Ergebnis verzichtet werden.
5.2.4.
Der Kanton Aargau verfügt über kein allgemeines Subventions-
gesetz wie der Bund mit dem Bundesgesetz über Finanzhilfen und
Abgeltungen vom 5. Oktober 1990 (Subventionsgesetz, SuG;
SR 616.6) oder einzelne Kantone wie Zürich und Bern. Die Bestim-
mungen in § 14 Abs. 6 SpiG und § 9 SpiV (Fassung vom 24. März
2004) bilden vorliegend die einzige (spezial-) gesetzliche Grundlage
für den Rückforderungsanspruch aus dem Subventionsverhältnis.
Soweit eine ausdrückliche Regelung fehlt, können zur Lückenfüllung
allgemeine Rechtsgrundsätze oder Rechtsregeln herangezogen wer-
den (vgl. dazu Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Bern 2009, § 18 N 8 f.:
Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwal-
tungsrecht, 6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 187 f. und 769 ff.).
Der Rückerstattungspflicht untersteht nach dem Wortlaut von
§ 14 Abs. 6 SpiG der Ertrag. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird
darunter das Ergebnis, der finanzielle Nutzen oder die Ausbeute aus
Kapital und Arbeit verstanden (Duden, Das grosse Wörterbuch der
deutschen Sprache, Band 2, 2. Auflage, 1993, S. 976).
Nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz können Zuwendun-
gen aus einem nachträglich weggefallenen Grund auch im öffent-
lichen Recht zurückgefordert werden. Diese Regel gilt gleicherweise
für ungerechtfertigte Leistungen, die vom Gemeinwesen oder von
2011
Verwaltungsgericht
216
Privaten erbracht worden sind (Ulrich Häfelin/Markus Müller/Felix
Uhlmann, a.a.O., Rz. 188 mit Hinweisen; BGE 88 I 216 f.).
Der Rückforderungsanspruch gemäss § 14 Abs. 6 SpiG entsteht,
weil die subventionsrechtliche Zweckbindung der Anlagen und
Einrichtungen des Spitals, die im Eigentum der Beschwerdeführerin
stehen, beendet oder unmöglich wurde und die Beschwerdeführerin
aus der Vermietung der Anlagen und Einrichtungen Einnahmen er-
zielt. Dieser Anspruch aus der (vorzeitigen) Beendigung des Subven-
tionsverhältnisses ist seiner Natur nach ein Bereicherungsanspruch
(vgl. Max Imboden/René Rhinow, Schweiz. Verwaltungsrecht-
sprechung, Band 1, 6. Aufl., Basel 1986 und René Rhinow/Beat
Krähenmann, Ergänzungsband, Basel 1990, je Nr. 32 B I und V).
Der rückerstattungspflichtige Vermögenswert (Ertrag) steht
nicht im Zusammenhang mit eigentumsrechtlichen Vorgängen, wie
dies die Parteien anzunehmen scheinen. Sämtliche Anlagen und Bau-
ten des ehemaligen Spitals D. waren und sind weiterhin Eigentum
der Beschwerdeführerin (Art. 642 Abs. 1 und 2 ZGB und Art. 644
Abs. 1 und 2 ZGB). Mit der sachenrechtlichen Rechtslage sind die
verschiedenen ("Ertrags-") Berechnungen der Parteien nur schwer
vereinbar. Die Real- bzw. Zeitwertberechnungen von Bauten und
Einrichtungen sind Schätzungen eines Sachwertes von Bauten (vgl.
Wolfgang Nägeli/Heinz Wenger, Der Liegenschaftsschätzer, 4. Aufl.,
Zürich 1997, Seite 11 f.). Die Beschwerdeführerin ist mit der Zweck-
änderung indessen nicht Eigentümerin der subventionierten Anlagen
und Einrichtungen geworden, noch ist ihr sachenrechtlich oder
rechtsgeschäftlich ein Vermögenswert im Zeitpunkt der Zweckent-
fremdung zugeflossen. Die Beendigung der Zweckbindung aus dem
Subventionsverhältnis kann auch nicht mit der Beendigung eines
Nutzungsrechts oder einer Grundlast gleichgesetzt werden (vgl. z.B.
den Heimfall beim Baurecht gemäss Art. 779c ZGB; Art. 789 ZGB).
Insbesondere in jenen Fällen, wo das Gemeinwesen das Subventions-
verhältnis einseitig und vorzeitig beendet, ist von einer analogen
Anwendung von Rechtsgrundsätzen, die von einer (automatischen)
objektiven Vermögensvermehrung beim Subventionsempfänger aus-
gehen, abzusehen. Hinzu kommt, dass mit der Realwertmethode der
eigentliche Marktwert einer Bausubstanz in einem bestimmten
2011
Gesundheitsrecht und Adoption
217
Zeitpunkt und Zustand nicht berechnet werden kann. Diese Methode
summiert nur die Erstellungskosten und lässt die tatsächliche Nut-
zung, die Nutzungsmöglichkeiten und die Marktsituation ausser
Acht. Aus Kosten ergeben sich keine Werte und dieser Methode
fehlen die Marktelemente (Francesco Canonica, Die Immobilienbe-
wertung, SIV, 2009, S. 311 f.). Der Realwert entspricht auch im
Wohnungsbau kaum je dem effektiven Verkehrs- oder Marktwert.
Aus diesen Erwägungen folgt als Zwischenergebnis, dass die
angefochtene Verfügung, soweit sie einen geschätzten Zeit- oder
Realwert und einen einmaligen Betrag in der Höhe von
Fr. 2'428`545.00 als Rückforderungsbetrag festlegt und als Anspruch
in dieser Höhe bedingt gegenüber der Beschwerdeführerin geltend
macht, unrechtmässig und aufzuheben ist.
5.3.
5.3.1.
Wie ausgeführt, handelt es sich beim Rückforderungsanspruch
des Subvenienten um einen Bereicherungsanspruch (vorne
Erw. 5.2.4.). Die Beschwerdeführerin hat dem Kanton zu ersetzen,
was sie nach Aufhebung der Zweckbindung und ihrer subventions-
rechtlichen Verpflichtung an Ertrag aus der anderweitigen Nutzung
der subventionierten Spitalbauten und Einrichtungen erzielt. Der
Ertrag entsteht aus der zweckentfremdeten Nutzung. Der Ertrag im
Sinne von § 14 Abs. 6 SpiG ist daher kausal von der (weiteren) Ver-
wendung oder Nutzung der subventionierten Bauten abhängig, nicht
von der Zweckentfremdung allein. Wird - ohne eine Veräusserung -
auf jede weitere Nutzung verzichtet, entsteht auch kein ,,Ertrag". Die
Rückerstattung umfasst daher jeden finanziellen Vorteil der Be-
schwerdeführerin aus der Vermietung der subventionierten Bauten
und Anlagen.
5.3.2.
Im zivilen Bereicherungsrecht gilt der Grundsatz, dass voller
Wertersatz geschuldet ist und sich die Ersatzforderung grundsätzlich
nach dem Verkehrswert ("Marktwert") der Bereicherung, nach einer
"objektiven Berechnung" (Ingeborg Schwenzer, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Bern 2009, N 58.09 f.)
bemisst. Dieser Grundsatz kennt im Privatrecht Ausnahmen, wenn
2011
Verwaltungsgericht
218
die Bereicherung dem Bereicherten "aufgedrängt" wurde. Nach Leh-
re und Rechtsprechung rechtfertigt sich in solchen Fällen kein objek-
tiver (Verkehrs-) Wertersatz, massgebend ist vielmehr der "subjektive
Wert", den die Bereicherung für den Bereicherten mindestens wert ist
("subjektive Berechnung"; Jörg Schmid, Die Geschäftsführung ohne
Auftrag, 3. Aufl., Zürich 1993, Nr. 907 f.; Peter Gauch, Werkvertrag,
4. Aufl., Zürich 1996, Nr. 1311; ZR 99, 2000, Nr. 2, S. 6; ähnlich
BGE 119 II 252 f. und 122 III 64; Peter Gauch/ Walter Schluep/Jörg
Schmid/Heinz Rey, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil, Band I, Nr. 1517b und Nr. 2724 mit Hinweisen). Dieses sub-
jektive Element enthält auch die Wertungsgrundsätze, die nach Art.
672 Abs. 2 ZGB beim (gutgläubigen) Einbau von Material auf frem-
dem Grundstück gelten (vgl. dazu Heinz Rey, Basler Kommentar,
Zivilgesetzbuch II, 3. Aufl., Basel 2003, Art. 672 ZGB N 9 f. mit
Hinweisen). Diese Wertung kommt auch im Wortlaut von § 14 Abs. 6
SpiG zum Ausdruck, indem als "Ertrag" nicht der (Vermögens-) Wert
(Zuwachs) oder der verbleibende Restwert der Finanzhilfe (vgl. dazu
Art. 29 Abs. 1 SuG) dem Kanton "zufällt", sondern der durch die
veränderte Nutzung verursachte bzw. erzielte Ertrag. Der subjektive
Mehrwert kann den objektiven Mehrwert weit unterschreiten (vgl.
BGE 99 II 144 f.), im Extremfall sogar gleich null sein (vgl. zum
Ganzen: Arthur Meier-Hayoz, Berner Kommentar, Art. 672 ZGB
N 18).
Ursprung und Ursache der Bereicherung der Beschwerdeführe-
rin liegen im Beschluss des Grossen Rates vom 8. März 2005. Mit
der Schliessung des Spitals D. per 31. Dezember 2005 musste der
Regierungsrat das Subventionsverhältnis mit der Beschwerdeführerin
beenden, d.h. widerrufen. Die Beschwerdeführerin hat die Beendi-
gung des Subventionsverhältnisses auf den 1. Dezember 2006 nicht
verursacht. Die aus dem Subventionsverhältnis entstandene Berei-
cherung wurde ihr insofern aufgedrängt. Es rechtfertigt sich daher,
diesen Umstand bei der Festlegung der Höhe des Rückerstattungsan-
spruches zu berücksichtigen.
5.3.3.
Die Beschwerdeführerin erzielt nach der übereinstimmenden
Darstellung der Parteien aus der Vermietung der Einrichtungen und
2011
Gesundheitsrecht und Adoption
219
Anlagen an die B. Einnahmen in der Höhe des vereinbarten Miet-
zinses. Nachdem im Mietvertrag sämtliche Neben- und Unterhalts-
kosten der B. überbunden wurden (vgl. Mietvertrag), bilden die
Mietzinseinnahmen auch den Ertrag aus der "zweckentfremdeten"
Nutzung der subventionierten Anlagen und Einrichtungen. Für die
Beschwerdeführerin haben die "freigewordenen" Bauten und Anla-
gen keinen höheren Wert als der Mietzins, der ihr aus der Vermietung
zufliesst. Der Mietzins ist mit andern Worten der Ertrag, den die
Beschwerdeführerin im konkreten Fall für die Nutzung der Subven-
tionsobjekte erhält.
Aus den Erwägungen folgt, dass der massgebende Ertrag ge-
mäss § 14 Abs. 6 SpiG dem Mietzins von Fr. 50'000.00 pro Jahr
entspricht. | 6,118 | 4,746 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-52_2011-07-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-52.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-52.pdf | AGVE_2011_52 | null | nan |
9cc7bd5c-ee08-5497-9539-05e28f3a17d9 | 1 | 412 | 869,682 | 1,504,310,400,000 | 2,017 | de | 2017
Steuern
107
[...]
17
Berufskosten und Arbeitsweg (§ 35 Abs. 1 lit. a und c StG)
Beweisanforderungen, wenn berufliche Notwendigkeit der Benützung des
Privatfahrzeugs geltend gemacht wird
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom
15. September 2017, i.S. B.I. und S.I. gegen KStA (WBE.2017.102)
Aus den Erwägungen
1.
Gemäss § 35 Abs. 1 lit. a StG werden die notwendigen Kosten
für Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsstätte als Berufskosten abge-
zogen. Steht kein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung oder ist
dessen Benutzung objektiv nicht zumutbar, so können die Kosten des
privaten Fahrzeugs abgezogen werden (§ 12 ff. StGV i.V.m. Art. 5
Abs. 3 der Verordnung des EFD über den Abzug der Berufskosten
unselbständig Erwerbstätiger bei der direkten Bundessteuer vom
10. Februar 1993 [Berufskostenverordnung] in der Fassung vom
1. Januar 2007 [AS 2006 4887]).
1.1.
Nach ständiger Praxis der aargauischen Steuerbehörden und
Gerichte wird objektive Unzumutbarkeit namentlich dann angenom-
men, wenn die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für den
Arbeitsweg zwar möglich wäre, aber dadurch täglich im Vergleich
mit der Benützung des privaten Fahrzeugs ein zusätzlicher zeitlicher
Aufwand von mehr als 60 Minuten entsteht (vgl. Nachweise bei
P
HILIP
F
UNK
, in: M
ARIANNE
K
LÖTI
-W
EBER
/D
AVE
S
IEGRIST
/D
IETER
W
EBER
[Hrsg.], Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Aufl.,
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
108
Muri/Bern 2015, § 35 N 9). Hier ist nicht umstritten, dass sich für
den Beschwerdeführer bei Benützung der Park & Ride Variante im
Vergleich zur Benützung des privaten Fahrzeugs kein zusätzlicher
Zeitaufwand von mehr als 60 Minuten pro Tag für die Bewältigung
des Arbeitswegs ergibt.
1.2.
Der Beschwerdeführer macht indessen geltend, die Benützung
seines Fahrzeugs sei für die Berufsausübung am Arbeitsplatz not-
wendig. Deshalb - und nicht weil sich ein unzumutbarer zusätzlicher
Zeitaufwand bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für den Ar-
beitsweg ergebe - erweise sich die tägliche Fahrt von O. an seine Ar-
beitsstätte in D. als notwendig.
2.
2.1.
Nach der relativ zwingenden Vorschrift von Art. 327a Abs. 1
OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer alle durch die Ausführung
der Arbeit notwendig entstehenden Auslagen zu ersetzen, bei Arbeit
an auswärtigen Arbeitsorten auch die für den Unterhalt erforderli-
chen Aufwendungen. Benützt der Arbeitnehmer im Einverständnis
mit dem Arbeitgeber für seine Arbeit ein von diesem oder ein von
ihm selbst gestelltes Motorfahrzeug, so sind ihm die üblichen
Aufwendungen für dessen Betrieb und Unterhalt nach Massgabe des
Gebrauchs für die Arbeit zu vergüten (Art. 327b Abs. 1 OR). Auch
diese Vorschrift, die über Art. 327a Abs. 1 OR hinausgeht, indem sie
die Vergütung für die Verwendung eines Fahrzeugs vom Einverständ-
nis des Arbeitgebers und nicht von der Notwendigkeit des Fahrzeug-
einsatzes für die Arbeitsausführung abhängig macht (vgl. U
LLIN
S
TREIFF
/A
DRIAN VON
K
AENEL
/R
OGER
R
UDOLPH
, Arbeitsvertrag,
Praxiskommentar zu Art. 319 - 362 OR, 7. Aufl., Zürich 2012,
Art. 327b N 8), ist relativ zwingend, d.h. es darf von ihr nicht zuun-
gunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Stellt der Arbeitneh-
mer im Einverständnis mit dem Arbeitgeber selbst ein Motorfahr-
zeug, d.h. verwendet er sein eigenes Fahrzeug, sind nach der
dispositiven Vorschrift von Art. 327b Abs. 2 OR ausserdem die
öffentlichen Abgaben für das Fahrzeug, die Prämien für die Haft-
pflichtversicherung und eine angemessene Entschädigung für die Ab-
2017
Steuern
109
nützung des Fahrzeugs nach Massgabe des Gebrauchs für die Arbeit
zu vergüten.
2.2.
Behauptet der Steuerpflichtige, er müsse sein Privatauto an den
Arbeitsplatz mitnehmen und für Geschäftsfahrten zur Verfügung stel-
len, ist zu prüfen, ob diese Notwendigkeit tatsächlich besteht und es
dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten ist, für Geschäftszwecke
öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Die Beweisführung obliegt
in diesem Punkt dem Steuerpflichtigen, der grundsätzlich den Nach-
weis steuermindernder Tatsachen erbringen muss (Urteile des
Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2008 [WBE.2007.304] E. 2.2.,
vom 15. Juli 2009 [WBE.2009.3] E. 3.3. und vom 30. Juni 2015
[WBE.2015.161] E. 3.3.).
Dabei ist die Gefahr von "Gefälligkeitsbescheinigungen" des
Arbeitgebers mit Bezug auf die geschäftliche Notwendigkeit der Ver-
wendung von Privatfahrzeugen gross: Bescheinigt der Arbeitgeber
dem Arbeitnehmer generell oder auch schon nur häufig die Notwen-
digkeit des Gebrauchs und der tatsächlichen Verwendung des Privat-
fahrzeugs fürs Geschäft, bezahlt daneben aber eine eher bescheidene
pauschale Spesenentschädigung oder vergütet nur in geringem Um-
fang effektive Spesen für die Benützung des privaten Fahrzeugs
durch den Arbeitnehmer, verschafft der Arbeitgeber auf diese Weise
seinem Arbeitnehmer - ohne dass für ihn selbst Kosten entstehen -
einen allenfalls erheblichen Steuervorteil, indem der Arbeitnehmer
die höheren Kosten für die Benützung des Privatfahrzeugs steuerlich
in Abzug bringen kann. Die Praxis ist daher bei der Gewährung von
Fahrkostenabzügen im Zusammenhang mit der behaupteten geschäft-
lichen Verwendung von Privatfahrzeugen zu Recht zurückhaltend. In
der Regel wird der Arbeitnehmer sowohl die Notwendigkeit
geschäftsbedingter Fahrten (d.h. dass der Einsatz des Privatwagens
vom Arbeitgeber angeordnet oder zumindest erwartet wird: Wer aus
eigenem Antrieb das eigene Fahrzeug benutzt, führt keine berufsnot-
wendige Fahrt mit dem Privatwagen aus) als auch jede einzelne sol-
che bedingte Fahrt belegen müssen, will er für die entsprechenden
Arbeitstage für den Arbeitsweg die Kosten für die Benützung des pri-
vaten Fahrzeugs zum Abzug bringen (vgl. die bereits angeführten Ur-
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
110
teile vom 23. Januar 2008 [WBE.2007.304], vom 15. Juli 2009
[WBE.2009.3] und vom 30. Juni 2015 [WBE.2015.161]).
2.3.
Hier ist schon zweifelhaft, ob überhaupt notwendig berufsbe-
dingte Fahrten als nachgewiesen gelten können. Der Beschwerdefüh-
rer hat zwar behauptet, er müsse sein Fahrzeug bei seiner Arbeit ver-
wenden. Aus seinem Arbeitsvertrag ergibt sich jedoch keine Ver-
pflichtung zum Einsatz des Privatwagens für geschäftliche Belange.
Auch aus der Funktionsbeschreibung der Stelle, welche der Be-
schwerdeführer bei seiner Arbeitgeberin bekleidet, ergibt sich zwar,
dass er bisweilen nicht am Sitz des Unternehmens zum Einsatz
kommt (vgl. etwa den Hinweis auf die Teilnahme des Be-
schwerdeführers an Informations- und Fachanlässen, auf die Funk-
tion des Beschwerdeführers als Ansprechperson für Mietliegenschaf-
ten sowie Botengänge zur Poststelle in D.). Dass der Beschwerdefüh-
rer von seinem Arbeitgeber jeweils zum Einsatz des privaten Fahr-
zeugs angehalten wird, ergibt sich aber auch daraus nicht; dies fällt
umso mehr ins Gewicht als angesichts der Grösse des Unternehmens
der Arbeitgeberin ohne weiteres davon ausgegangen werden kann,
dass diese über Geschäftswagen verfügt. Ein Beweis für notwendig
berufsbedingte Fahrten mit dem eigenen Wagen wird auch durch die
entsprechenden Bestätigungen der Arbeitgeberin nicht erbracht. In
diesen wird zwar ausgeführt, der Beschwerdeführer sei dauerhaft auf
sein privates Fahrzeug angewiesen, um geschäftlich bedingte Fahrten
zu Geschäftspartnern, Bankinstituten, Firmenliegenschaften, Amts-
stellen etc. auszuführen. Die Bestätigung datiert aber vom 1. April
2016 und wurde somit erst im laufenden Rechtsmittelverfahren er-
stellt. Ungewöhnlich ist dabei auch die Tatsache, dass mit den im
Einspracheverfahren eingereichten Spesenabrechnungen dannzumal
lediglich zehn beruflich notwendige Fahrten ausgewiesen worden
sind und nun im Verfahren vor Verwaltungsgericht rund 100 zusätzli-
che berufsbedingte Kurzfahrten in der Steuerperiode 2014 stattgefun-
den haben sollen. Dass die Arbeitgeberin die Verwendung des priva-
ten Fahrzeugs vorher bereits angeordnet oder zumindest stillschwei-
gend vorausgesetzt hätte, ergibt sich daraus jedoch nicht. Fehlt es
aber am Nachweis, dass der Beschwerdeführer und seine Arbeitgebe-
2017
Steuern
111
rin sich darauf geeinigt haben, dass für ihn der Einsatz seines priva-
ten Fahrzeugs als Teil der Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen
Pflichten anzusehen ist, so ist nicht erkennbar, inwiefern Fahrten im
Zusammenhang mit der Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflich-
ten berufsnotwendig gewesen sein sollen und nicht vielmehr aus pri-
vaten Gründen der Bequemlichkeit, des Zeitgewinns o.ä. mit dem
Privatwagen ausgeführt wurden.
2.4.
Selbst wenn für den Nachweis der beruflichen Notwendigkeit
von Fahrten eines Arbeitnehmers mit seinem Privatwagen ein weni-
ger strenger Massstab angelegt und angenommen wird, es genüge für
die Annahme der Berufsnotwendigkeit, wenn der Beschwerdeführer
nachweise, dass er anlässlich der Erbringung seiner Arbeitsleistung
seinen Privatwagen tatsächlich eingesetzt habe, so führt dies hier
doch nicht dazu, dass mehr als die von der Vorinstanz anerkannten
Fahrkosten anerkannt werden können.
2.4.1.
Der Beschwerdeführer hat anhand seiner Spesenabrechnungen
vor Vorinstanz nachgewiesen, dass er an neun Tagen zehn beruflich
bedingte Fahrten ausgeführt hat, wofür er auch von seiner Arbeit-
geberin entschädigt wurde. Dass er an diesen Tagen sinnvollerweise
nicht mit Park & Ride den Weg zwischen seiner Wohn- und Arbeits-
stätte, sondern mit dem Privatwagen zurücklegte, ist aus Sicht der
steuerlichen Abzugsfähigkeit der betreffenden Kosten nicht zu bean-
standen.
2.4.2.
Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren geht es aber
nicht in erster Linie um diese Fahrten. Der Beschwerdeführer macht
nämlich für alle seine Arbeitstage geltend, er habe jeweils mit dem
Einverständnis der Arbeitgeberin sein Privatfahrzeug für beruflich
bedingte Fahrten, vor allem Kurzfahrten, eingesetzt. Deshalb müsse
ihm steuerlich für alle diese Tage auch die Benützung des Privatfahr-
zeugs zugestanden bzw. es müssten die entsprechenden Kosten als
Berufskosten anerkannt werden.
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
112
2.5.
2.5.1.
Im Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer nunmehr
eine Spesenabrechnung für (zusätzliche) 100 Kurzfahrten in der
Steuerperiode 2014 eingereicht. Damit will er den Nachweis dafür
erbringen, dass er entsprechende berufsbedingte Fahrten unternahm
und an den Tagen, an denen er diese ausgeführt hat, auch seinen Ar-
beitsweg mit dem Privatfahrzeug zurücklegen musste.
2.5.2.
Abgesehen davon, dass die erwähnte Abrechnung nachträglich
erstellt wurde, vermöchte sie von vornherein nur für 100 Arbeitstage
und nicht etwa für den gesamten Zeitraum der Anstellung im Jahr
2014 den Nachweis für berufsbedingte Fahrten zu erbringen.
Hinzu kommt, dass die Spesenabrechnung sich in einer pau-
schalen Bestätigung von Kurzfahrten erschöpft, ohne dass erkennbar
wäre, dass es sich tatsächlich um Fahrten im Zusammenhang mit der
Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Beschwerdeführer
handelt (Wozu wurden die Fahrten tatsächlich ausgeführt) und
ausserdem Angaben zu den konkreten Umstände der behaupteten
Fahrten (Daten der Fahrten; von wo nach wo wurde gefahren) fehlen.
Die eingereichten Spesenabrechnungen sind damit materiell betrach-
tet der Ausrichtung von Pauschalspesen ähnlicher als der Abrech-
nung effektiver Spesen, so dass sie auch deshalb als Nachweis dafür,
dass tatsächlich entsprechende berufsbedingte Fahrten ausgeführt
wurden, als untauglich erscheinen.
Schliesslich rechtfertigt sich der Hinweis, dass, soweit mit der
im Beschwerdeverfahren eingereichten Spesenabrechnung Kürzest-
fahrten nachgewiesen werden sollen, ohnehin als fraglich erscheint,
ob die Ausführung solcher Fahrten dazu führen kann, dass das
Vorhandensein des privaten Fahrzeugs an der Arbeitsstätte als erfor-
derlich angesehen wird und damit die Arbeitswegkosten als notwen-
dig betrachtet werden. Bereits die Vorinstanz hat zutreffend darauf
hingewiesen, dass die bei Kürzestfahrten zurückgelegten Strecken
mühelos auch zu Fuss bewältigt werden können. Dagegen bringt der
Beschwerdeführer zwar vor, bei einem zeitlichen Verlust von ca. 20
Minuten je Weg/Rückweg liege auf der Hand, dass das Zurücklegen
2017
Steuern
113
der Strecken innerhalb der Gemeinde D. zu Fuss keinesfalls im Sinne
der Arbeitgeberin sei. Damit ist aber die Notwendigkeit der Benut-
zung eines privaten Motorfahrzeugs noch nicht dargetan. Sollen Kür-
zeststrecken möglichst rasch und ökonomisch bewältigt werden, so
kann, jedenfalls für die weit überwiegende Zahl der Fälle, auf erheb-
lich kostengünstigere Transportmittel zurückgegriffen werden (Fahr-
rad, E-Bike, Motorroller), bei deren Einsatz gegenüber dem privaten
Motorfahrzeug nicht mit einem Zeitverlust zu rechnen ist. Der Ent-
scheid über den Einsatz entsprechender Transportmittel steht im
freien Ermessen der Arbeitgeberin und/oder des Beschwerdeführers
selbst und es ist nicht Sache der Steuerbehörden, die Verwendung
spezifischer Transportmittel vorzuschreiben. Mit Blick auf die vom
Gesetzgeber für die Abzugsfähigkeit von Fahrkosten geforderte Not-
wendigkeit, den Arbeitsweg mit dem privaten Fahrzeug zurücklegen
zu müssen, ist jedoch festzuhalten, dass der Arbeitnehmer, welcher
für berufsbedingte Kürzeststrecken sein privates Motorfahrzeug ein-
setzt, in erster Linie aus privaten Motiven der Bequemlichkeit han-
delt und nicht etwa deshalb, weil er nur auf diese Weise seine arbeits-
vertraglichen Pflichten erfüllen könnte. Dementsprechend erweisen
sich die Kosten für die Zurücklegung des Arbeitswegs, mit dem der
Privatwagen am Arbeitsort erst verfügbar gemacht wird, nicht als be-
rufsnotwendig und fällt die Gewährung eines Abzugs für solche
Kosten ausser Betracht. | 2,959 | 2,413 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-17_2017-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-17.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-17.pdf | AGVE_2017_17 | null | nan |
9cc7f5b9-5a64-5e50-9c6a-2ac2830eb3b3 | 1 | 412 | 871,198 | 1,493,683,200,000 | 2,017 | de | 2017
Migrationsrecht
123
[...]
20
Ausschaffungshaft; unbekannter Aufenthalt; Verhältnismässigkeit
-
Der Aufenthalt einer ausländischen Person ohne festen Wohnsitz gilt
nicht als unbekannt, wenn sich diese regelmässig bei den Behörden
meldet und zumindest telefonisch kontaktiert werden kann.
-
Unverhältnismässigkeit der Ausschaffungshaft, wenn Behörden trotz
Ausreiseverpflichtung mit Blick auf die Papierbeschaffung jahrelang
untätig sind
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 24. Mai 2017, i.S. Amt für Migration und Integration gegen A.
(WPR.2017.88)
Aus den Erwägungen
3.2.
Der Gesuchsgegner erklärte sich anlässlich des rechtlichen Ge-
hörs vom 23. Mai 2017 sowie an der heutigen Verhandlung zwar be-
reit, nach Serbien auszureisen, kündigte aber an, sofort wieder in die
Schweiz zurückzukehren. Im Wesentlichen gab er anlässlich der Ver-
handlung zu Protokoll, er sei in den vergangenen Jahren zwar ohne
festen Wohnsitz gewesen, habe sich jedoch stets bei der Gemeinde
gemeldet und sei telefonisch jederzeit erreichbar gewesen. Er sei so-
mit nicht untergetaucht oder habe sich der Wegweisung aus der
Schweiz entziehen wollen, vielmehr sei er sich nicht darüber im Kla-
ren gewesen, dass er von der Polizei wegen illegalen Aufenthaltes
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
124
festgenommen werden könnte. Er habe zwar Kenntnis vom Vorliegen
des Wegweisungsentscheides, jedoch sei ihm die Konsequenz - näm-
lich seine Ausreisepflicht aus der Schweiz - nicht bewusst gewesen.
Der Gesuchsteller bringt vor, dass sich der Gesuchsgegner wäh-
rend Jahren beharrlich geweigert habe, seiner Mitwirkungspflicht bei
der Papierbeschaffung nachzukommen. Gemäss eigenen Angaben
habe er sich erfolglos beim serbischen Konsulat um Papiere bemüht,
dies habe er jedoch nie belegen können. Mit dieser fehlenden Koope-
ration sowie mit den Versäumnissen betreffend Verlängerung seiner
Aufenthaltsbewilligung und Regelung seiner Meldeverhältnisse habe
der Gesuchsgegner gezeigt, dass er sich behördlichen Anforderungen
widersetze. Zudem habe der Gesuchsgegner ab Ende Oktober 2014
als unbekannten Aufenthalts gegolten, was gemäss MIKA als Unter-
tauchen zu werten sei.
Dieser Auffassung kann nicht vollumfänglich gefolgt werden.
Dem Gesuchsgegner fällt es offensichtlich schwer, sich konform in
die hiesigen gesellschaftlichen Strukturen einzufügen, insbesondere
der Umgang mit Behörden scheint ihm Mühe zu bereiten. Dies ist
wohl auf seine Persönlichkeitsstruktur und seinen bisherigen Lebens-
lauf sowie auf den Umstand zurückzuführen, dass er seit dem Ge-
trenntleben von seiner Mutter und dem damit verbundenen Verlust
einer Tagesstruktur und von finanzieller Autonomie jeglichen Halt
verloren hat. Nach dem Gesagten erscheint fraglich, inwieweit ihm
seine fehlende Mitwirkung bei der Papierbeschaffung vorgeworfen
werden kann. Dies gilt umso mehr, als offensichtlich ist, dass der Ge-
suchsgegner einzig mit finanzieller Unterstützung nicht von sozialer
Verwahrlosung bewahrt werden konnte. Anlässlich der Verhandlung
vermochte der Gesuchsgegner glaubhaft darzulegen, dass bei ihm
nicht von einem klassischen Untertauchen gesprochen werden kann
und sich der Gesuchsgegner auch nicht bewusst einer Wegweisung
entzogen hat. Zudem zeigte er sich bereit, sich dem MIKA zur Verfü-
gung zu halten, Termine wahrzunehmen und sicherzustellen, dass all-
fällige Schreiben - trotz fehlenden festen Wohnsitzes - zu ihm ge-
langen würden. So gab er die Adresse eines Freundes an, an welchen
für ihn bestimmte Schreiben gerichtet werden können. In Anbetracht
der Tatsache, dass der von ihm erwähnte Freund - B.F. - bei der An-
2017
Migrationsrecht
125
haltung des Gesuchsgegners anwesend war, polizeilich zu Protokoll
gab mit diesem befreundet zu sein und dass dieser ab und an bei ihm
in der Wohnung schlafen würde und die beiden somit Kontakt zu-
einander haben, erscheint diese Aussage plausibel. Sodann gab er an,
für das MIKA über sein Mobiltelefon, welches er seit Jahren besitze,
telefonisch erreichbar zu sein.
Dennoch ist nicht völlig abwegig, wenn der Gesuchsteller
davon ausging, der Gesuchsgegner biete keine Gewähr, dass er ord-
nungsgemäss aus der Schweiz ausreisen werde. Sowohl anlässlich
des rechtlichen Gehörs vom 23. Mai 2017 als auch während der
heutigen Verhandlung gab dieser seine Rückreisebereitschaft zwar zu
Protokoll, fügte jedoch hinzu, sogleich wieder in die Schweiz
zurückzukehren. Aufgrund dieser Aussage durfte der Gesuchsteller
davon ausgehen, dass der Gesuchsgegner einen für ihn gebuchten
Rückflug effektiv nicht freiwillig antreten werde. Unter diesen Um-
ständen ist die Untertauchensgefahr zu bejahen, womit der Haftgrund
von Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 AuG erfüllt ist.
4.
4.1.
Es stellt sich die Frage, ob die Haftanordnung deshalb nicht zu
bestätigen sei, weil sie im konkreten Fall gegen das Prinzip der Ver-
hältnismässigkeit verstossen würde.
4.2.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Anordnung einer Ausschaf-
fungshaft einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit der betroffenen
Person und damit einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen
Freiheit beinhaltet (Art. 10 Abs. 2 BV). Wie jeder Eingriff in ein
Freiheitsrecht bedarf gemäss Art. 36 BV auch die Anordnung einer
Ausschaffungshaft einer gesetzlichen Grundlage. Zudem muss die
Einschränkung durch ein öffentliches Interesse oder durch den
Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und im konkreten
Fall verhältnismässig sein.
4.3.
Dass mit Art. 76 AuG eine gesetzliche Grundlage für die Ein-
schränkung der Bewegungsfreiheit vorliegt, ist offensichtlich und be-
darf keiner weiteren Ausführungen. Gleiches gilt für das grundsätz-
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
126
liche Bestehen eines öffentlichen Interesses an der Inhaftierung zur
Sicherstellung des Vollzugs der Ausschaffung aus der Schweiz.
4.4.
4.4.1.
Weiter ist zu prüfen, ob die angeordnete Massnahme geeignet
ist, den angestrebten Zweck zu erreichen; ob sie sodann notwendig
ist oder ob zur Erreichung des Zwecks auch eine mildere Massnahme
genügen würde, und schliesslich, ob die Massnahme verhältnismäs-
sig im engeren Sinne ist, d.h. ein überwiegendes öffentliches Inte-
resse an der Massnahme besteht.
Die genannten Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.
Ist dies nicht der Fall, ist die Inhaftierung nicht rechtmässig und nicht
zu bestätigen.
4.4.2.
Dass die Inhaftierung eines Betroffenen grundsätzlich geeignet
ist, den Vollzug der Wegweisung sicherzustellen, liegt auf der Hand.
4.4.3.
Mit Blick auf die Notwendigkeit der Inhaftierung ist festzuhal-
ten, dass der Gesuchsgegner anlässlich der Verhandlung zu Protokoll
gab, er werde sich trotz fehlenden festen Wohnsitzes dem MIKA
stets zur Verfügung halten. Zudem ergibt sich aus den Akten, dass
der Gesuchsgegner trotz Obdachlosigkeit immer wieder in Kontakt
mit den Gemeindebehörden stand.
Es ist somit zumindest fraglich, ob sich die Anordnung einer
Ausschaffungshaft für die Sicherstellung des Wegweisungsvollzuges
als notwendig erweist. Dies kann jedoch mit Blick auf die nachste-
henden Ausführungen offen gelassen werden.
4.4.4.
Wie jede Massnahme ist auch die Anordnung einer Ausschaf-
fungshaft nur dann verhältnismässig im engeren Sinne, wenn ein
überwiegendes öffentliches Interesse besteht.
Zweifellos besteht seitens des MIKA ein gewichtiges öffent-
liches Interesse daran, den Vollzug von rechtskräftigen Wegwei-
sungen durchsetzen zu können. Andererseits scheint das MIKA der
Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung bislang keine allzu grosse
Priorität gegeben zu haben. Immerhin ist dem MIKA seit Jahren be-
2017
Migrationsrecht
127
kannt, dass der Gesuchsgegner ohne gültige heimatliche Ausweis-
papiere in der Schweiz lebt und eine legale Ausreise unter den gege-
benen Umständen gar nicht möglich war und ist. Trotzdem hat es das
MIKA unterlassen, im Nachgang zur Wegweisungsverfügung vom
10. November 2015 irgendwelche Schritte in Bezug auf die Beschaf-
fung von Ersatzreisepapieren zu unternehmen. Mit andern Worten
wurde die Ausschaffungshaft angeordnet, obwohl unklar ist, ob der
Gesuchsgegner überhaupt noch in einem serbischen Register ver-
zeichnet ist und wie lange die Papierbeschaffung dauern wird. An-
lässlich der mündlichen Verhandlung gab der Vertreter des MIKA so-
dann zu Protokoll, aufgrund der unklaren Situation im Heimatland
könne es Monate dauern, bis ein Ersatzreisepapier beschafft werden
könne.
Bei dieser Sachlage wäre es offensichtlich unverhältnismässig,
einen hier geborenen und seit über 30 Jahren in der Schweiz leben-
den Ausländer während Monaten in Ausschaffungshaft zu nehmen.
Dies umso mehr, als nicht erstellt ist, dass sich der Gesuchsgegner
nicht an konkrete Anweisungen des MIKA halten wird. Vielmehr ist
einzig notorisch, dass der Gesuchsgegner aufgrund seiner Lebenssi-
tuation grösste Mühe bekundet, seinen Verpflichtungen ohne fremde
Hilfe rechtskonform nachzukommen und er wohl längst einer kon-
kreten faktischen Unterstützung bedurft hätte.
4.5.
Aus den genannten Gründen erweist sich die angeordnete Aus-
schaffungshaft als nicht verhältnismässig im engeren Sinne und ist
somit nicht zu bestätigen.
Selbstverständlich steht es dem MIKA frei, dem Gesuchsgegner
eine Meldepflicht aufzuerlegen. Sollte sich zu einem späteren Zeit-
punkt herausstellen, dass sich der Gesuchsgegner nicht daran oder an
andere Weisungen des MIKA hält, steht es dem MIKA frei, erneut
die Anordnung einer Ausschaffungshaft zu prüfen. | 1,954 | 1,652 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-20_2017-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-20.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-20.pdf | AGVE_2017_20 | null | nan |
9ce153e6-09f5-5240-b433-a587862fc9bb | 1 | 412 | 871,877 | 1,051,920,000,000 | 2,003 | de | 2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
189
[...]
51
Gewerbliche Nutzung in einer Wohnzone.
- Bedeutung der Gemeindeautonomie bei der Auslegung einer kommu-
nalen Bestimmung (Erw. 2/a).
- Die Zulassung von nicht störendem Gewerbe nur als Nebennutzung
bezieht sich auf die Zone als Ganzes, nicht auf das einzelne Grund-
stück; Bauten mit ausschliesslicher gewerblicher Nutzung sind des-
halb nicht zonenfremd (Erw. 2/b).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 12. Mai 2003 in Sa-
chen R. und Mitb. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. Vor einiger Zeit richtete die Beschwerdegegnerin im Gebäude
Nr. 586, das bis dahin ausschliesslich für Wohnzwecke verwendet
worden war, verschiedene Geschäftsräume ein. Die Nut-
zungsänderung betrifft vier Zimmer im Erdgeschoss, nämlich das
frühere Wohnzimmer mit einer Bruttogeschossfläche (BGF) von ca.
42 m
2
(neu: Büro), zwei frühere Kinderzimmer mit ca. 10 bzw. 12 m
2
BGF (neu: Büro bzw. Praxis) sowie das frühere Elternzimmer mit ei-
ner BGF von ca. 20 m
2
(neu: Praxis). Benutzer dieser Räume sind
zur Zeit die Beschwerdegegnerin, welche eine Getreidehandelsfirma
mit einer Angestellten leitet und eine esoterische Praxis betreibt,
sowie ihr Ehemann M.R., Facharzt für Rheumatologie, der seine
Hauptpraxis in B. führt. Ausser Renovationsarbeiten wurden keine
baulichen Änderungen vorgenommen. Gegenwärtig wird die Liegen-
2003
Verwaltungsgericht
190
schaft nicht bewohnt; eine Wohnnutzung wäre aber jederzeit wieder
möglich.
2. a) Die Wohnzone W2, in welcher die Parzelle Nr. 692 gele-
gen ist, dient dem Wohnen; nicht störendes Gewerbe ist zugelassen
(§ 6 der Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde Unterentfelden
vom 2. Juni / 2. Dezember 1997 [BNO]). Als nicht störende Gewerbe
gelten in Wohnquartiere passende Kleinbetriebe mit geringem
Zubringerverkehr wie Läden, Büros und Geschäfte, die keine erheb-
lich grösseren Auswirkungen entfalten, als sie aus dem Wohnen ent-
stehen (§ 22 Abs. 1 BNO). Im vorliegenden Fall geht es um die Aus-
legung dieser Bestimmungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die
Gemeinden bei der Ausscheidung und Definition der verschiedenen
Zonen (§ 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a BauG) auf Grund
von § 106 KV verfassungsrechtlich geschützte Autonomie geniessen;
hierin eingeschlossen ist die Anwendung des autonomen Gemeinde-
rechts. Daraus folgt, dass sich das Verwaltungsgericht bei der Über-
prüfung einschlägiger gemeinderätlicher Entscheide zurückzuhalten
hat, zumindest soweit es bei den zu entscheidenden Fragen um rein
lokale Anliegen geht und weder überörtliche Interessen noch über-
wiegende Rechtsschutzanliegen berührt werden. Die Gemeinde kann
sich in solchen Fällen bei der Auslegung kommunalen Rechts insbe-
sondere dort auf ihre Autonomie berufen, wo eine Regelung unbe-
stimmt ist und verschiedene Auslegungsergebnisse rechtlich vertret-
bar erscheinen. Die kantonalen Rechtsmittelinstanzen sind hier ge-
halten, das Ergebnis der gemeinderätlichen Rechtsauslegung zu
respektieren und nicht ohne Not ihre eigene Rechtsauffassung an die
Stelle der gemeinderätlichen zu setzen. Die Autonomie der Ge-
meindebehörden hat jedoch auch in diesen Fällen dort ihre Grenzen,
wo sich eine Auslegung mit dem Wortlaut sowie mit Sinn und Zweck
des Gesetzes nicht mehr vereinbaren lässt (AGVE 2001, S. 299 f. mit
Hinweis).
b) aa) Der Gemeinderat vertrat im ablehnenden Bauge-
suchsentscheid vom 23. April 2001 den Standpunkt, der Souverän
habe das Schwergewicht der Wohnzonen W2 und W3 eindeutig auf
die Wohnnutzung gelegt. Als Nebennutzung - und nicht als Haupt-
nutzung - sei nicht störendes Gewerbe zugelassen. Dies bedeute, dass
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
191
die in den fraglichen Zonen liegenden Gebäude nebst einer unterge-
ordneten, nicht störenden Gewerbenutzung zum grössten Teil der
Wohnnutzung dienen müssten. Ein Haus, in dem ein nicht störendes
(Neben-)Gewerbe betrieben werde, müsse demzufolge bewohnt sein.
Das Wohnen müsse überwiegen. Hätte der Souverän eine Wohn- und
Gewerbezone gewollt, in der entweder Wohnen oder Gewerbe bzw.
Wohnen und Gewerbe gleichberechtigt zugelassen sind, hätte er
analog der Wohn- und Gewerbezone 3 eine Wohn- und Gewerbezone
2 ausgeschieden. Auch im vorinstanzlichen Verfahren hielt der Ge-
meinderat daran fest, dass die Wohnzonen in erster Linie dem Woh-
nen dienten. Aus dem Wortlaut von § 6 BNO gehe eindeutig hervor,
dass die beiden Sätze nicht gleichwertig seien: Satz 1 lege den
Hauptzweck der Zone, nämlich das Wohnen, fest, und im zweiten
Satz werde stipuliert, welche zusätzlichen oder ergänzenden (unter-
geordneten) Nutzungen möglich seien. In Unterentfelden verfügten
sämtliche Häuser in den Wohnzonen über Wohnräume. In einzelnen
Gebäuden seien zusätzliche stille Gewerbe integriert. Mit einer
Gutheissung der Beschwerde würde ein Präjudiz geschaffen, dessen
Folgen für die Gemeinde und speziell das Gebiet "Distelberg" mit
seiner bevorzugten Wohnlage nicht absehbar wären. Häuser könnten
so zu Bürokomplexen werden. Im verwaltungsgerichtlichen Be-
schwerdeverfahren hat der Gemeinderat dann auf eine Antragsstel-
lung verzichtet, und er führt dazu aus, die Argumente im vorinstanz-
lichen Entscheid hätten ihn bewogen, von einer Anfechtung beim
Verwaltungsgericht abzusehen; der Entscheid werde akzeptiert. Auf
Nachfrage des Verwaltungsgerichts hat der Gemeinderat klargestellt,
dass ihn die Auffassung des Baudepartements nicht überzeuge und er
nach wie vor der Meinung sei, Bauten mit ausschliesslich gewerbli-
cher Nutzung seien unabhängig von ihrer Immissionsträchtigkeit in
einer reinen Wohnzone zonenfremd; die Gewerbenutzung müsse dort
der Wohnnutzung so untergeordnet sein, wie das Umgekehrte in
einer reinen Gewerbezone der Fall sei.
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Norm
in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn und
Zweck und den ihr zu Grunde liegenden Wertungen, aber auch nach
der Entstehungsgeschichte auszulegen. Auszugehen ist vom Wort-
2003
Verwaltungsgericht
192
laut, doch kann dieser nicht allein massgebend sein. Besonders wenn
der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zulässt, muss nach
seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung
weiterer Auslegungselemente, wie namentlich der Entstehungsge-
schichte der Norm, ihrem Zweck und ihrem Zusammenhang mit
andern Bestimmungen (Bundesgericht, in: ZBl 102/2001, S. 84, und
BGE 125 II 152, je mit Hinweisen; AGVE 1997, S. 336 mit Hinwei-
sen).
Klar ist zunächst, dass in der Wohnzone W2 dem Wohnen der
Vorrang zukommt; dies ist der Hauptzweck, und die gewerbliche
Nutzung darf nur eine untergeordnete Rolle spielen (Erich
Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage,
Aarau 1985, §§ 130-33 N 4; AGVE 1994, S. 370). Nach dem Wort-
laut von § 6 BNO ist dieses Verhältnis von Haupt- und Nebennut-
zung aber auf die Zone als Ganzes und nicht auf das einzelne Grund-
stück bezogen. Insoweit lässt die Bestimmung keinen Auslegungs-
spielraum. Es ist also zulässig, eine Liegenschaft ausschliesslich
einer gewerblichen Nutzung zuzuführen, wie es die Beschwerdegeg-
nerin getan hat. Der Gemeinderat befürchtet nun allerdings, bei einer
solchen Auslegung könne die gewerbliche Nutzung als Folge der
präjudiziellen Wirkung ein von den Zonenvorschriften nicht mehr
abgedecktes Übergewicht erhalten bzw. der Zonenzweck vereitelt
werden. Rein theoretisch ist dies zwar möglich. Ein Blick auf die
Gegebenheiten in den Wohnzonen ganz allgemein zeigt indessen,
dass die Nutzungsweise eine andere ist und die Wohnnutzung in aller
Regel weit überwiegt. Dies hängt wohl weitgehend mit der Steue-
rung durch den Markt zusammen. Wohnzonenland ist normalerweise
einer Preiskategorie zugeordnet, die für gewerbliche Aktivitäten
nicht ohne Weiteres attraktiv ist. Dazu kommt, dass ausschliesslich
"in Wohnquartiere passende Kleinbetriebe mit geringem Zu-
bringerverkehr" zugelassen sind (§ 22 Abs. 1 BNO), womit sich der
Kreis der möglichen Nutzungen relativ stark reduziert. Schliesslich
stehen einem unkontrollierbaren Überhandnehmen von Gewerbebe-
trieben in den Wohnzonen auch der - zumindest für gewisse Nutzun-
gen zu bejahende - "Standortnachteil" und die auf das Wohnen aus-
gerichtete Infrastruktur entgegen. Die Gefahr, dass das Gebiet des
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
193
"Distelbergs" plötzlich von Bürohäusern dominiert sein könnte, er-
weist sich somit als denkbar minim. Sollte sich eine Entwicklung in
dieser Richtung trotzdem je einmal abzeichnen, könnte dem bei-
spielsweise mit kommunalen Vorschriften über einen minimalen
Wohnflächenanteil pro Gebäude entgegengewirkt werden (siehe etwa
§ 12 Abs. 1 i.V.m. § 41 der Bau- und Nutzungsordnung der Stadt
Baden vom 24. Januar 1995 / 11. Juni 1996).
Zusammenfassend ist unter diesem Titel somit festzuhalten,
dass die vom Gemeinderat favorisierte Auslegung von § 6 BNO
durch den Gesetzeswortlaut nicht abgedeckt ist und auch vom Sinn
der Bestimmung her nicht auf der Hand liegt, weshalb Überlegungen
der Gemeindeautonomie zurückzutreten haben (vorne, Erw. a). Das
Umnutzungsvorhaben der Beschwerdegegnerin erweist sich mithin
als grundsätzlich zulässig.
Redaktionelle Anmerkung
Das Bundesgericht, I. Öffentlichrechtliche Abteilung, hat eine gegen
den Entscheid vom 12. Mai 2003 erhobene Staatsrechtliche
Beschwerde mit Urteil vom 17. November 2003 abgewiesen, soweit
es darauf eintrat (BGE 1P.543/2003). | 2,056 | 1,733 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-51_2003-05-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-51.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-51.pdf | AGVE_2003_51 | null | nan |
9db17d20-1345-5378-a0ea-e446d74c9353 | 1 | 412 | 869,926 | 1,099,440,000,000 | 2,004 | de | 2004
Submissionen
217
VI. Submissionen
52 Zuständigkeit
der
Vergabebehörde.
- Die Vergabe öffentlicher Arbeiten und Lieferungen obliegt dem Ge-
meinderat; er kann gemäss § 39 GG die Entscheidbefugnis an eines
seiner Mitglieder, an Kommissionen oder an Mitarbeitende, der mit
der entsprechenden Aufgabe betrauten Verwaltungsstelle, übertragen;
die Einzelheiten der Delegation sind in einem Reglement festzulegen
(Erw. 2).
- Anforderungen an ein solches Reglement (Erw. 3).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 30. November 2004 in
Sachen A. und B. AG gegen Stadtbauamt Aarau.
Aus den Erwägungen
1. Die Beschwerdeführer sind vorab der Auffassung, die ihnen
vom Stadtbauamt Aarau eröffnete Verfügung vom 10. Juni 2004
betreffend ihren Ausschluss bzw. die Zuschlagserteilung an die P./K.
sei aufzuheben, da sie nicht vom Stadtrat Aarau erlassen worden sei.
Eventualiter wird die Feststellung der Nichtigkeit der angefochtenen
Verfügung verlangt.
Zum Vorwurf der fehlenden Zuständigkeit hält der Informatik-
Lenkungsausschuss fest, der Stadtrat Aarau habe am 4. Mai 1998
eine neue Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Informatikwesen
gutgeheissen und die Entscheidbefugnis bei Informatikprojekten dem
Informatik-Lenkungsausschuss übertragen. Der Informatik-Len-
kungsausschuss habe dementsprechend am 10. Juni 2004 die Arbei-
ten für das Informatikprojekt "GIS Aarau; Aufbau und Betrieb" ver-
geben und das Stadtbauamt beauftragt, den nicht berücksichtigten
Firmen eine entsprechende Mitteilung zuzustellen und mit der desi-
2004
Verwaltungsgericht
218
gnierten Firma einen entsprechenden Werkvertrag auszuarbeiten und
diesen zu unterzeichnen.
2. a) Die Vergebung öffentlicher Arbeiten und Lieferungen ob-
liegt dem Gemeinderat (§ 37 Abs. 2 lit. l GG). Gemäss § 39 GG (in
der Fassung vom 20. Mai 2003, in Kraft seit dem 1. Januar 2004)
kann der Gemeinderat jedoch Entscheidungsbefugnisse an eines sei-
ner Mitglieder, an Kommissionen oder an Mitarbeitende der mit der
entsprechenden Aufgabe betrauten Verwaltungsstelle übertragen
(Abs. 1). Erklären Betroffene, dass sie mit der Verfügung dieser
Stelle nicht einverstanden sind, entscheidet der Gemeinderat selber.
Die Erklärung ist innert 10 Tagen nach Zustellung der Verfügung
schriftlich beim Gemeinderat einzureichen (§ 39 Abs. 2 GG). Die
Einzelheiten der Delegation sind vom Gemeinderat in einem Re-
glement festzulegen (§ 39 Abs. 3 GG).
Eine Anzeige an den Gemeinderat genügt, damit dieser einen
neuen
erstinstanzlichen
, beschwerdefähigen Entscheid fällt. Die
bestrittene Verfügung der mit der Aufgabe betrauten Stelle fällt ohne
weiteres dahin. Der Gemeinderat prüft den Sachverhalt frei und ent-
scheidet, wie wenn die Entscheidungsbefugnis nie übertragen wor-
den wäre (Merkblatt der Gemeindeabteilung des Departements des
Innern "Delegation von Entscheidungsbefugnissen des Gemeinde-
rates nach § 39 Gemeindegesetz" vom Oktober 2004, S. 6; Botschaft
des Regierungsrats vom 11. September 2002 [Bericht und Entwurf
zur 1. Beratung], S. 26 ff.; Botschaft des Regierungsrats vom
19. März 2003 [Bericht und Entwurf zur 2. Beratung], 13 ff.).
Die Delegationsnorm regelt grundsätzlich nur die Übertragung
von gemeinderätlichen Befugnissen. Sie gilt nicht für eigenständige
Behörden und Kommissionen wie etwa die Schulpflege. Nicht an-
wendbar ist § 39 GG auch für die Sozialkommission und die Vor-
mundschaftskommission. Hier gehen die Spezialbestimmungen im
SPG bzw. im EG ZGB vor. Auch für die Übertragung von Aufgaben
an die Finanzkommission sowie die Geschäftsprüfungskommission
gibt es Spezialregelungen. Nach §§ 47 und 48 GG sind die weiteren
Geschäfte, welche diese Behörden behandeln sollen, in der Gemein-
deordnung festzulegen (siehe zum Ganzen erwähntes Merkblatt der
Gemeindeabteilung, S. 5). Vorliegendenfalls hat der Stadtrat Aarau
2004
Submissionen
219
mit Beschluss vom 4. Mai 1998 Entscheidbefugnisse an den Infor-
matik-Lenkungsausschuss übertragen. Es handelt sich nicht um eine
der erwähnten eigenständigen Kommissionen, weshalb § 39 GG
grundsätzlich Anwendung findet.
b) § 39 GG war im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den
Informatik-Lenkungsausschuss und der Eröffnung der Verfügung
durch das Stadtbauamt Aarau am 10. Juni 2004 bereits in Kraft (siehe
vorne Erw. a; AGS 2003, S. 299 ff.). Der davon abweichenden
Bestimmung in § 34 der Gemeindeordnung der Einwohnergemeinde
Aarau vom 23. Juni 1980 / 9. September 1981, welche der Regelung
in den §§ 39 Abs. 1 und 108 Abs. 1 aGG entsprach (ersetzt bzw.
aufgehoben mit Änderung vom 20. Mai 2003 [AGS 2003, S. 300 f.])
kommt keine Bedeutung mehr zu. Folglich hätte das Stadtbauamt
Aarau die Verfügung vom 10. Juni 2004 korrekterweise mit dem
Hinweis versehen müssen, dass derjenige, der mit der Verfügung
nicht einverstanden ist, dies dem Gemeinderat innert einer nicht
erstreckbaren Frist von 10 Tagen schriftlich mitzuteilen hat (§ 39
Abs. 2 GG; siehe erwähntes Merkblatt der Gemeindeabteilung, S. 5).
Diese Frist wurde mit Schreiben der Beschwerdeführer an den
Stadtrat Aarau vom 21. Juni 2004, in welchem um Zustellung einer
förmlichen Verfügung der Vergabestelle (Stadtrat Aarau) ersucht
wurde, und auch mit der rechtzeitigen Anhebung der Beschwerde an
das Verwaltungsgericht gewahrt (siehe § 23 SubmD i.V.m. § 31
VRPG und § 83 Abs. 1 ZPO).
c) Demgemäss wurde gegen den Beschluss des Informatik-
Lenkungsausschusses vom 10. Juni 2004 und die Verfügung des
Stadtbauamtes Aarau, Abteilung Tiefbau, vom 10. Juni 2004 recht-
zeitig Einspruch erhoben, was nach § 39 Abs. 2 GG zur Folge hat,
dass der Beschluss und die gestützt darauf erlassene Verfügung dahin
gefallen sind. Der Stadtrat Aarau wird neu über die Vergabe zu
befinden haben.
3. Die Beschlussfassung durch den Informatik-Lenkungsaus-
schuss erweist sich auch aus einem weiteren Grund als rechtsfehler-
haft.
a) Nach § 39 Abs. 3 GG sind die Einzelheiten der Delegation
vom Gemeinderat in einem Reglement festzulegen. Der Gemeinderat
2004
Verwaltungsgericht
220
hat also generell-abstrakt zu bestimmen, nach welchen Kriterien die
Übertragung von Aufgaben und Befugnissen an welche Stelle erfolgt
(Botschaft des Regierungsrats vom 19. März 2003 [Bericht und
Entwurf zur 2. Beratung], S. 15; erwähntes Merkblatt der Ge-
meindeabteilung, S. 4). Der Stadtrat Aarau hat am 4. Mai 1998 "die
neue Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Informatikwesen ge-
mäss Massnahme 4, Bericht Seite 37, in Verbindung mit dem SOLL-
Konzept Ziffer 4.4, Bericht Seite 27 - 33" gutgeheissen. Danach ist
für Informatikprojekte (Vorprojekt, Konzept, Evaluation,
Kauf/Entwicklung) der Informatik-Lenkungsausschuss zum Ent-
scheid zuständig. Es stellt sich mithin die Frage, ob die mit Be-
schluss vom 4. Mai 1998 genehmigte Aufgaben- und Kompetenz-
verteilung den Anforderungen an ein Reglement i.S.v. § 39 Abs. 3
GG genügt.
b) Zunächst ist festzustellen, dass bei den hier zu vergebenden
Leistungen für den Aufbau und Betrieb des GIS durchaus von einem
Informatikprojekt gesprochen werden kann, geht es doch vorab um
das Erfassen und Verwalten von Daten. Anderseits umfasst die Ver-
gabe auch den Aufbau eines Netzwerks und das Bereitstellen von
Softwarelizenzen. Während über Informatikprojekte allein der In-
formatik-Lenkungsausschuss entscheidet, beschränkt sich dessen
Zuständigkeit bei Informatikanschaffungen auf "strategische An-
schaffungen". Über die übrigen, d.h. wohl nicht strategischen An-
schaffungen von Soft- und Hardware entscheidet die Sektion Orga-
nisation und Informatik bis zu einem Betrag von Fr. 30'000.--, in
allen anderen Fällen der Stadtrat.
Die getroffene Regelung erweist sich als zu unbestimmt. So ist
u.a. nicht klar, was mit den Begriffen "Informatikprojekte" und
"strategische Anschaffungen" genau gemeint ist. Ferner fehlt auch
eine Regelung für Fälle, in welchen es zu Überschneidungen kommt.
Gerade bei der vorliegenden Vergabe, welche Elemente eines Infor-
matikprojekts und Informatikanschaffungen umfasst, lässt sich die
Frage nach der zuständigen Instanz nicht eindeutig beantworten.
Eine solche Regelung vermag den Anforderungen an ein Reglement
i.S.v. § 39 Abs. 3 GG nicht zu genügen. Es fehlt daher auch eine
2004
Submissionen
221
genügende generell-abstrakte Regelung für die Übertragung der Ent-
scheidbefugnis an den Informatik-Lenkungsausschuss.
4. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als begrün-
det. Es ist daher in Gutheissung der Beschwerde festzustellen, dass
der Beschluss des Informatik-Lenkungsausschusses der Stadt Aarau
sowie die Verfügung des Stadtbauamtes der Stadt Aarau, Abteilung
Tiefbau, durch die schriftliche Mitteilung der Beschwerdeführer an
den Stadtrat Aarau vom 21. Juni 2004 dahingefallen sind. Die Akten
sind im Sinne der Erwägungen an den Stadtrat Aarau zu überweisen. | 1,903 | 1,600 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-52_2004-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-52.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-52.pdf | AGVE_2004_52 | null | nan |
9df61e29-eb19-5f78-b7ac-57ac45c553aa | 1 | 412 | 871,829 | 962,668,800,000 | 2,000 | de | 2000
Schulrecht
107
II. Schulrecht
31
Transportkostenersatz für unzumutbaren Schulweg
- Die Unterscheidung zwischen auswärtigen Schülern und Schülern der
eigenen Schulgemeinde für die Zusprechung von Transportkosten-
ersatz bei einen unzumutbaren Schulweg widerspricht dem verfas-
sungsmässigen Gleichbehandlungsgebot.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 4. Juli 2000 in Sachen
R.G. gegen Einwohnergemeinde Baden.
Aus den Erwägungen
6. a) Die Kläger berufen sich in der Klage sinngemäss auf die
Verletzung der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung.
Sie machen dies einerseits im Zusammenhang mit Transportkosten-
beiträgen geltend, welche die Nachbargemeinde Birmenstorf den
Schülern gewährt, die in Baden die Schule besuchen, und anderseits
mit der Begründung, das Kriterium der "Auswärtigkeit" gemäss § 53
Abs. 4 SchulG verletze das Gleichbehandlungsgebot, indem Schüler
mit einem unangemessenen Schulweg und unterschiedlichem Wohn-
und Schulort gegenüber Schülern mit einem ebensolchen Schulweg
aber identischem Wohn- und Schulort ohne sachlichen Grund be-
nachteiligt würden.
Die Beklagte stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, dass
die kantonale Auslegung des Begriffs "auswärtig" vor dem Gebot der
Rechtsgleichheit standhalte, weil zwischen dem Sachverhalt, bei dem
Schul- und Wohnort in derselben Gemeinde liegen und dem Sach-
verhalt, bei dem diese in verschiedenen Gemeinden liegen, ein recht-
lich relevanter Unterschied bestehe; zudem könne der Wohnsitz in
2000
Verwaltungsgericht
108
Abwägung aller Vor- und Nachteile, wozu auch die Schulweglänge
gehöre, von den Eltern frei gewählt werden.
b) Die Gerichte sind gemäss § 95 Abs. 2 KV zur inzidenten
Normenkontrolle verpflichtet. Im verwaltungsgerichtlichen Klage-
verfahren ist das Verwaltungsgericht gemäss § 67 VRPG in Verbin-
dung mit § 76 Abs. 1 ZPO von Amtes wegen gehalten, Erlassen die
Anwendung zu versagen, die Bundesrecht oder kantonalem Verfas-
sungsrecht widersprechen (vgl. Michael Merker, Rechtsmittel, Klage
und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über
die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38 - 72 VRPG,
Zürich 1998, § 56 N 6 mit Hinweisen). Dies gilt auch für kantonale
Gesetze (AGVE 1987, S. 273 mit Hinweisen). Wird bei dieser Über-
prüfung ein Konflikt der geprüften Norm mit einer massgeblichen
höheren Norm, mithin Unvereinbarkeit oder Kollision im weiten
Sinne dieses Wortes festgestellt, ist die Anwendung dieser Bestim-
mung zu unterlassen. Das Gericht hebt die mangelhafte Norm nicht
förmlich auf oder stellt die Nichtigkeit fest, sondern erklärt in der
Begründung seines Urteils die Norm als unbeachtlich oder unan-
wendbar (Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau vom
25. Juni 1980, Textausgabe mit Kommentar, Aarau/Frankfurt
a.M./Salzburg 1986, § 95 N 21).
c) aa) Ein Erlass verletzt den Grundsatz der Rechtsgleichheit
und damit Art. 8 Abs. 1 BV, wenn er rechtliche Unterscheidungen
trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnis-
sen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich
auf Grund der Verhältnisse aufdrängen. Die Rechtsgleichheit ist ver-
letzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich
oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich
behandelt wird. Vorausgesetzt ist, dass sich der unbegründete Unter-
schied oder die unbegründete Gleichstellung auf eine wesentliche
Tatsache bezieht. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grund-
sätze und des Willkürverbots ein weiter Spielraum der Gestaltungs-
freiheit (BGE 114 Ia 2 f. mit Hinweisen). Das Bundesgericht übt eine
2000
Schulrecht
109
gewisse Zurückhaltung und greift von Verfassungs wegen bloss ein,
wenn der Kanton mit den Unterscheidungen, die er trifft, eine Grenze
zieht, die sich nicht vernünftig begründen lässt, die unhaltbar und
damit in den meisten Fällen auch geradezu willkürlich ist (BGE 123
I 7 f.; 121 I 104 je mit Hinweisen).
Unbegründet ist die Rüge der Kläger, die Rechtsgleichheit sei
verletzt, weil die Nachbargemeinde Birmenstorf den Schülern und
Schülerinnen, die auf ihrem Gemeindegebiet wohnen und die Schule
in Baden besuchen, Transportkostenbeiträge gewährt. Die Rechts-
gleichheit bezieht sich nur auf den Zuständigkeitsbereich derselben
Behörde (BGE 121 I 51). Aus der kommunalen Trägerschaft des
obligatorischen Volksschulunterrichtes (§ 29 Abs. 1 KV und § 52
SchulG) ergibt sich, dass die Gemeinden in ihrem Zuständigkeitsbe-
reich auch unterschiedliche Regelungen für die Erleichterung des
auswärtigen Schulbesuches gemäss § 53 Abs. 4 SchulG treffen kön-
nen. Wenn einige Gemeinden Transportkostenbeiträge an Schüler,
die innerhalb des Gemeindegebietes die Schule besuchen, leisten,
während andere darauf verzichten, kann darin keine Verletzung der
Rechtsgleichheit liegen. Abgesehen davon leistet die Gemeinde Bir-
menstorf nach den Akten selbst für die Schüler, welche in Müslen
wohnen, nur Transportkostenbeiträge für den auswärtigen Schulbe-
such in der Gemeinde Baden.
d) Das Verwaltungsgericht hat in AGVE 1986, S. 147 offen ge-
lassen, ob einem Schüler entgegen dem Wortlaut des Schulgesetzes
ein Anspruch auf Transportkostenersatz zusteht, wenn er innerhalb
seiner Wohnortsgemeinde einen überdurchschnittlich langen Schul-
weg hat. Diese Frage ist, nachdem im vorliegenden Fall die übrigen
Anspruchskriterien der "Notwendigkeit" gemäss § 53 Abs. 4 lit. c
SchulG erfüllt sind, zu entscheiden.
e) aa) Unter dem Rechtsgleichheitsgebot ist abzuklären, ob die
von § 53 Abs. 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 4 lit. c SchulG getrof-
fene Abgrenzung der auswärtigen Schulbesuche von den Schülern,
welche einen unzumutbaren Schulweg in der eigenen Gemeinde
2000
Verwaltungsgericht
110
haben, hinsichtlich seiner Wertungen folgerichtig und in sich wider-
spruchslos und damit systemgerecht ist. Ein Gesetz, das den Adres-
saten weiter oder enger zieht, der mehr oder weniger Fälle erfasst
oder andere Rechtsfolgen eintreten lässt, als sein Zweck es erfordert,
trifft Unterscheidungen, für die sich kein vernünftiger Grund aus der
zu normierenden Materie ergibt (vgl. Georg Müller, Kommentar zur
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
29. Mai 1874 [Kommentar aBV], Stand Mai 1995, Art. 4 N 31 mit
Hinweisen). Der allgemeine Gleichheitssatz fordert, dass bei jeder
Ungleichbehandlung sachlich begründet wird, inwiefern mit Bezug
auf die tatsächlichen Verhältnisse, die Gegenstand der Regelung sind,
eine Differenzierung gerechtfertigt erscheint (Jörg Paul Müller,
Grundrechte in der Schweiz, 3. Auflage, Bern 1999, S. 397). Die
Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund
in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschiede-
nen Zeiten verschieden beantwortet werden, je nach den herrschen-
den Anschauungen und Zeitverhältnissen.
bb) Die von § 53 Abs. 4 SchulG anvisierte Chancengleichheit
steht aber auch in einem Zusammenhang mit der Vorschrift, dass der
Unterricht an öffentlichen Schulen für Kantonseinwohner unentgelt-
lich ist (§ 34 Abs. 1 KV und § 3 Abs. 3 SchulG) sowie der Pflicht der
Gemeinde, den Schulbesuch unentgeltlich zu ermöglichen. Dieser
Zusammenhang kommt auch in der systematischen Einordnung der
Bestimmung im Schulgesetz zum Ausdruck. Gemäss § 52 Abs. 1
SchulG sind die Gemeinden verpflichtet, die Kindergärten und die
Volkschule selber zu führen (bzw. sich an einer Kreisschule zu betei-
ligen); führt eine Gemeinde den betreffenden Schultyp oder die
Schulstufe nicht, hat sie die Schulgelder für den auswärtigen Schul-
besuch der schulpflichtigen Kinder, welche in ihrer Gemeinde
Wohnsitz oder Aufenthalt haben, zu übernehmen. Zusätzlich sind
gemäss § 34 Abs. 1 und Abs. 3 KV von den Schulträgern Aus-
gleichsmassnahmen zu gewähren, wenn ausserordentlichen Situatio-
nen beim Besuch von öffentlichen Schulen Sonderheiten herbeifüh-
2000
Schulrecht
111
ren, welche den Eltern unverhältnismässige Zusatzkosten aufbürden
würden (vgl. Kurt Eichenberger, a.a.O., § 34 N 4). Die Rechtspre-
chung des Bundesrates zu Art. 27 Abs. 2 aBV (neu Art. 19 und
Art. 62 Abs. 2 BV) verlangt gestützt auf den Grundsatz der Unent-
geltlichkeit, dass die Gemeinden den Schülern, die einen übermässig
langen Schulweg zurückzulegen haben, die Kosten eines Busdienstes
ersetzen müssen (vgl. Marco Borghi, Kommentar aBV, Stand Juni
1988, Art. 27 N 58 und N 61; weitere Beispiele in: VPB 25-10). Der
Regelung im Schulgesetz liegt der Gedanke zu Grunde, dass der
Zugang zur Schule allen Teilen der Bevölkerung unter (möglichst)
gleichen Bedingungen möglich sein soll.
cc) Die Unterscheidung zwischen auswärtigen Schülern und
Schülern der eigenen Schulgemeinde ist beim Transportkostenersatz
gemäss § 53 Abs. 4 lit. c SchulG insofern sachlich begründet, wenn
davon ausgegangen werden kann, dass in den aargauischen Gemein-
den die Schüler in der Regel die öffentlichen Schulen der Wohnge-
meinde ohne übermässig langen Schulweg erreichen können. Dies ist
indes nicht immer und immer weniger der Fall. Die Differenzierung
in § 53 Abs. 4 SchulG beruht zudem auf einem kommunal geprägten
Verständnis der Chancengleichheit. Die ausgleichenden Massnahmen
werden in den Zusammenhang mit der Pflicht zum auswärtigen
Schulbesuch gebracht, weil eine Wohngemeinde die Schulstufe nicht
führt und Schüler und Schülerinnen deshalb gezwungen sind, in einer
anderen Gemeinde die Schulen zu besuchen. Die Schüler und Schü-
lerinnen, denen ein Schulbesuch in der Wohngemeinde möglich ist,
benötigen nach diesem Verständnis keinen Ausgleich, auch wenn sie
einen langen Schulweg bewältigen müssen. Für diese Betrachtungs-
weise spricht die systematische Einordnung der Regelung im Schul-
gesetz.
Unter dem Rechtsgleichheitsgebot steht indessen ein anderer
Aspekt im Vordergrund: Nach der Praxis und der Rechtsprechung
des Verwaltungsgerichts begründet § 53 Abs. 4 SchulG einen direk-
ten Anspruch der Schüler auf Transportkostenersatz, wenn sie einen
2000
Verwaltungsgericht
112
unzumutbaren Schulweg für den auswärtigen Schulbesuch haben. Zu
prüfen ist daher, ob der
Ausschluss
vom gesetzlichen Transport-
kostenersatz der Schüler, die einen - nach dieser Praxis und Recht-
sprechung - langen und unzumutbaren Schulweg haben, indessen
nicht "auswärts" zur Schule gehen, sachlich begründet und mit dem
Gebot der Rechtsgleichheit vereinbar ist. Das Kriterium für den Zu-
gang zum Transportkostenersatz bildet in solchen Fällen nur die
Grenze der politischen Gemeinde. Auch diesen Schülerinnen und
Schüler entstehen zusätzliche Kosten für Transport, gegebenenfalls
für die Mittagsverpflegung. Zu den finanziellen Mehraufwendungen
kommt der zusätzliche Zeitaufwand. Die Benachteiligung ist in tat-
sächlicher Hinsicht identisch; die Schüler und Schülerinnen, welche
auswärts in die Schule gehen, erleiden aus der politischen Verschie-
denheit ihres Schulorts keinerlei zusätzliche Nachteile. Mit einem
zeitgemässen Verständnis der Chancengleichheit ist das Abgren-
zungskriterium aus den dargelegten Gründen nicht vereinbar. Der
Transportkostenersatz gewährt in Ergänzung zum unentgeltlichen
Unterricht ausgleichende staatliche Unterstützung, wo nach dem Ge-
setz ungleiche Chancen auszugleichen sind. Dieser Anspruch kann
den Schülern und Schülerinnen, die sämtliche übrigen Anspruch-
voraussetzungen erfüllen, nicht deshalb verwehrt werden, weil sie an
ihrem Wohnort die Schule besuchen. Der Schulbesuch in der Wohn-
gemeinde ist gesetzliche Pflicht (§ 6 Abs. 1 SchulG); die Volksschul-
pflicht an den öffentlichen Schulen der Wohngemeinde entfällt nur
ausnahmsweise aus wichtigen Gründen (§ 6 Abs. 2 SchulG). Der
Ausschluss der Schülerinnen und Schüler mit Schulort in der Wohn-
gemeinde vom Ersatz der Transportkosten und ihre Ungleichbe-
handlung gegenüber Schülerinnen und Schüler mit auswärtigem
Schulort ist deshalb auch nicht systemgerecht. Bei der Schulpflicht
geht der Wohnort vor, beim Schulbesuch am Wohnort wird der An-
spruch auf Transportkostenersatz demgegenüber ausgeschlossen. Das
Schulgesetz trifft schliesslich eine Unterscheidung, welche sich mit
der Zielsetzung der Norm und mit dem Zweck der Ausgleichsmass-
2000
Schulrecht
113
nahmen nicht vereinbaren lässt. Schülerinnen und Schüler, die einen
weiten, gefährlichen oder aus andern Gründen unzumutbaren Schul-
weg haben, sind beim Anspruch auf Transportkostenersatz gleich zu
behandeln, unbesehen wo sich ihr Wohn- und Schulort befindet. Der
Unterschied von Wohn- und Schulort hat mit der tatsächlichen Be-
nachteiligung dieser Schüler und Schülerinnen durch den unzumut-
baren Schulweg keinen sachlichen Zusammenhang. Die von § 53
Abs. 4 SchulG mit Bezug auf den Transportkostenersatz getroffene
Ungleichbehandlung tatsächlich gleicher Chancenbeeinträchtigung
beruht aus den dargelegten Gründen auf einer widersprüchlichen
Wertung gleicher Sachverhalte. Im Ergebnis ist die Unterscheidung
mit der von der Verfassung anvisierten Verwirklichung der Chan-
cengleichheit nicht vereinbar.
Das Kriterium der "Auswärtigkeit" im Sinne von § 53 Abs. 4
Satz 1 SchulG mit der Konsequenz, dass der direkte Anspruch auf
gesetzlich vorgesehene ausgleichende Massnahmen nur einem Teil
der tatsächlich Betroffenen zuerkannt wird, findet in der heutigen
Zeit weder in der Chancengleichheit, noch im Unterschied Wohn-
ort/Schulort eine sachlich vertretbare Begründung. Die Anschauun-
gen haben sich in dieser Hinsicht seit dem Erlass des Schulgesetzes
(Inkrafttreten des Schulgesetzes: 1. April 1982) verändert. Auch die
Rechtsordnung hat sich insofern geändert, als der auswärtige Schul-
besuch nur bei Vorliegen wichtiger Gründe unentgeltlich ist (§ 6
Abs. 2 SchulG in der Fassung vom 17. März 1998), und der Gesetz-
geber den Schulbesuch innerhalb der Wohngemeinde privilegiert.
Eine Ungleichbehandlung der Schüler mit unzumutbarem Schulweg
darf bei der Gewährung von Transportkostenersatz unter aktuellen
Verhältnissen nicht zu einer Ungleichbehandlung führen (vgl. dazu
auch Arthur Haefliger, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich,
Bern 1985, S. 64). Die "Auswärtigkeit" ist aus den dargelegten Grün-
den ein sachfremdes Kriterium, weil es den Anspruch auf Transport-
kostenersatz einzig und alleine vom Überschreiten einer Gemeinde-
grenze auf dem Schulweg abhängig macht. Eine solche Differen-
2000
Verwaltungsgericht
114
zierung schafft zwischen den tatsächlich und nach Massgabe ihrer
Beeinträchtigung anspruchsberechtigten Schülerinnen und Schüler
im Ergebnis eine stossende Rechtsungleichheit.
f) Zusammenfassend verstösst die Verweigerung der Zuspre-
chung von Transportkostenersatz bei Schülern, die innerhalb der
Gemeindegrenzen einen unzumutbaren Schulweg zu bewältigen
haben, dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot von
Art. 8 Abs. 1 BV. In Abweichung von § 53 Abs. 4 lit. c SchulG ist
daher den Klägern ein Transportkostenersatz für den Schulbesuch der
beiden Töchter A. und S. zuzusprechen, da sie einen unzumutbaren
Schulweg bewältigen müssen. | 3,126 | 2,623 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-31_2000-07-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-31.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-31.pdf | AGVE_2000_31 | null | nan |
9dfa796c-bcdd-5bba-93c6-c9b34f3d5160 | 1 | 412 | 870,802 | 1,141,344,000,000 | 2,006 | de | 2006
Verwaltungsgericht
170
[...]
34 Rechtliche Zuordnung eines bahnnahen Nebenbetriebs im "übrigen
Gebiet" einer Gemeinde.
-
Verhältnis zwischen dem bundesrechtlichen Plangenehmigungsver-
fahren und dem kantonalen Bau- und Raumplanungsrecht (Erw. 2).
-
Als "übriges Gebiet" bezeichnetes Areal gilt als Bauzone, wenn es
sich mitten im Baugebiet befindet, selbst wenn die Nutzungsordnung
die Subsumtion unter Art. 24 RPG vorschreibt (Erw. 3).
-
Zulässigkeit eines Speisekiosks als "standortgebundener" bahnnaher
Nebenbetrieb; zu prüfende Kriterien (Erw. 4).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. März 2006 in Sa-
chen B. AG gegen Regierungsrat.
2006
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
171
Aus den Erwägungen
1. Streitgegenstand bildet das Aufstellen eines Speisekiosks mit
separatem WC durch die Beschwerdegegnerin. Der Kiosk mit einer
Grundfläche von 3.36 m x 2.26 m soll samt dem WC (Condecta-
Einmanntoilette mit einer Grundfläche von 1.26 m x 1.11 m) neben
dem Güterschuppen Nr. 242 der SBB auf der bestehenden Rampe er-
richtet werden. Zu diesem Zweck hat die Beschwerdegegnerin mit
den SBB einen entsprechenden Mietvertrag abgeschlossen; dessen
Gültigkeit ist seitens der SBB bestätigt worden.
2. Da die Bauparzelle Nr. 2 zum Bahnareal der SBB gehört, ist
vorab das Verhältnis zwischen dem bundesrechtlichen Plangenehmi-
gungsverfahren und dem kantonalen Bau- und Raumplanungsrecht
zu klären.
2.1. Bauten und Anlagen, die ganz oder überwiegend dem Bau
und Betrieb einer Eisenbahn dienen (Eisenbahnanlagen), dürfen nur
mit einer Plangenehmigung erstellt oder geändert werden (Art. 18
Abs. 1 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 [EBG, Fas-
sung vom 18. Juni 1999; SR 742.101]). Kantonale Bewilligungen
und Pläne sind für solche Anlagen nicht erforderlich (Art. 18 Abs. 4
EBG). Die Abgrenzung zu anderen Bauten und Anlagen hat dabei
auf Grund einer funktionellen Betrachtung zu erfolgen. Von einer
ganz oder überwiegend dem Bahnbetrieb dienenden Anlage kann nur
gesprochen werden, wenn sachlich und räumlich ein notwendiger,
enger Zusammenhang derselben mit dem Bahnbetrieb besteht (BGE
127 II 234 mit Hinweisen). Auch bei grösseren, nicht nur baulich,
sondern auch funktionell und betrieblich zusammenhängenden Bau-
ten und Anlagen stellt das Bundesgericht darauf ab, ob das Gesamt-
bauwerk überwiegend dem Bahnbetrieb diene; in diesem Sinne wur-
den die Ladenzentren im Zürcher Hauptbahnhof und im Bahnhof Zü-
rich-Stadelhofen in das bundesrechtliche Plangenehmigungsverfah-
ren gewiesen und nicht als selbständige Teile dem kantonalen Be-
willigungsverfahren unterstellt (BGE 122 II 272 f.; 116 Ib 407 ff.).
Dagegen wurde ein enger Zusammenhang mit einem Busbahnhof
sowie einer Allee und Unterführung im Bereich des Bahnhofs Siss-
ach verneint (BGE vom 23. Mai 1995 [1A.147/1994], publiziert in:
2006
Verwaltungsgericht
172
ZBl 97/1996, S. 377 f.), ebenso derjenige mit einer neu auf einem
SBB-Grundstück zu errichtenden Lagerhalle, in welcher Alteisen ge-
sammelt, verarbeitet, gelagert und anschliessend mittels der Eisen-
bahn weitertransportiert werden sollte (BGE 111 Ib 42 ff.). Im Lichte
dieser Rechtsprechung besteht offensichtlich kein enger Zusammen-
hang zwischen dem geplanten Speisekiosk und dem Bahnbetrieb der
SBB, weshalb eine bundesrechtliche Plangenehmigungspflicht ge-
mäss Art. 18 Abs. 1 EBG ausser Betracht fällt.
2.2. Gemäss Art. 18m Abs. 1 EBG unterstehen die Erstellung
und Änderung von Bauten und Anlagen, die nicht ganz oder über-
wiegend dem Bahnbetrieb dienen (Nebenanlagen), dem kantonalen
Recht; sie dürfen nur mit Zustimmung der Bahnunternehmung be-
willigt werden, wenn die Nebenanlage Bahngrundstücke beansprucht
oder an solche angrenzt (lit. a) oder die Betriebssicherheit beein-
trächtigen könnte (lit. b). Ob es sich beim Speisekiosk um eine Ne-
benanlage in diesem Sinne oder um eine Baute handelt, die in keiner
Art und Weise mit dem Eisenbahnrecht des Bundes im Zusammen-
hang steht, kann offen gelassen werden, da der Speisekiosk unstreitig
einer Baubewilligung bedarf, so oder so kantonalem Recht untersteht
und die Zustimmung der Bahnunternehmung in Form des Mietver-
trags vom 16./19. September 2003 vorliegt.
3. 3.1. Die Parzelle Nr. 2 ist im Bauzonenplan der Gemeinde
Döttingen vom 9. Dezember 1988 / 3. November 1992 als weisse
Fläche dargestellt, d.h. keiner besonderen Zone zugewiesen. § 26 der
Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde Döttingen vom 11. Juni
1999 / 29. Mai 2002 (BNO) bestimmt dazu Folgendes:
"
1
Das keiner Nutzungs- oder Schutzzone zugewiesene und
nicht zum Wald oder zu den Gewässern gehörende Areal wird
als übriges Gebiet bezeichnet.
2
Für Bauten und Anlagen gilt Art. 24 RPG."
Das fragliche Bahnareal liegt mitten im Baugebiet der Ge-
meinde Döttingen bzw. ist allseitig von Bauzonen umgeben (Kern-
zone, Gewerbe- und Wohnzone 3, Gewerbe- und Industriezone,
Wohnzone 3, Dorfzone). Auch die Richtplan-Gesamtkarte weist es
vollumfänglich dem Siedlungsgebiet zu. Diese Umstände legen die
Frage nahe, was der Verweisung auf Art. 24 RPG in § 26 Abs. 2
2006
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
173
BNO für eine Bedeutung zukommt; die erwähnte Bestimmung des
Bundesrechts regelt die Ausnahmen für Bauten und Anlagen
ausser-
halb
der Bauzonen.
3.2. Das Bundesgericht hat sich in zwei Fällen mit ähnlichen
Problemstellungen auseinandergesetzt:
3.2.1. Im einen Fall aus dem Jahre 1988 sollte auf dem "Her-
renacker", einem Platz in der Altstadt der Stadt Schaffhausen, ein
unterirdisches Parkhaus errichtet werden. Der "Herrenacker" war,
wie die anderen öffentlichen Strassen und Plätze im Zonenplan der
Stadt, weiss gelassen worden. Für die Frage, ob der mitten in der
Altstadt liegende Platz zur Bauzone gehöre oder eine nicht überbau-
bare Insel in der Bauzone bilde, hielt das Bundesgericht fest, es sei
auf die kantonalen Vorschriften, die kommunalen Nutzungsbestim-
mungen und den Willen der für die Ortsplanung zuständigen Instan-
zen abzustellen, soweit dieser sich aus dem Zonenplan selbst oder
aus den Vorarbeiten ergebe. Es kam zum Ergebnis, dass für den
"Herrenacker" keine nutzungsmässige Sonderregelung getroffen
worden sei, die ihn von der Bauzone ausgeschlossen hätte; er sei
deshalb gleich wie die anderen Erschliessungsflächen der Zone zuzu-
rechnen, in der er liege, d.h. der Altstadtzone. Zwar sei einzuräumen,
dass die Bauvorschriften dieser Zone nicht auf Bauten wie das um-
strittene Parkhaus zugeschnitten seien und auch das kantonale Bau-
gesetz keine Spezialbestimmungen für grössere unterirdische Anla-
gen enthalte. Dieser Mangel sei jedoch durch Änderung des kanto-
nalen und kommunalen Rechts zu beheben und nicht durch Anwen-
dung von Art. 24 RPG, dessen Zweck darin bestehe, das vom Sied-
lungsgebiet abzugrenzende Kulturland von zonenwidrigen Bauten
möglichst freizuhalten und für Ausnahmen eine einheitliche Rege-
lung zu schaffen (BGE 114 Ib 344 ff., insbesondere 349 f.).
3.2.2. Im BGE vom 18. März 2004 [1A.140/2003] ging es um
die Baubewilligung für eine Mobilfunkantenne auf dem Bahnareal
Rothenburg Dorf. Das Bundesgericht hielt hierzu u.a. Folgendes fest
(Erw. 2.5):
"Im vorliegenden Fall geht es um ein Areal, das dem Bahnbe-
trieb dient und deshalb grundsätzlich der Eisenbahnhoheit des Bun-
des und nicht dem kommunalen und kantonalen Planungsrecht un-
2006
Verwaltungsgericht
174
terliegt (Art. 18 EBG; BGE 115 Ib 166 E. 3 und 4 S. 172 ff.). Dieser
Tatsache trägt der Zonenplan der Gemeinde Emmen Rechnung,
wenn er das Bahnareal weiss darstellt und es nicht selbst einer be-
stimmten Nutzung zuordnet. Die Nutzung dieses Grundstücks ist
nicht unbestimmt; vielmehr ist es bereits durch eisenbahnrechtliche
Plangenehmigung dem Eisenbahnverkehr gewidmet. Dann aber ist es
nicht willkürlich, die Anwendbarkeit von § 56 PBG/LU im vorlie-
genden Fall zu verneinen. Der Verzicht auf eine eigene Planung die-
ses Gebiets durch die Gemeinde, die ohnehin nur für allfällige be-
triebsfremde Nutzungen des Bodens Wirkung entfalten könnte (BGE
115 Ib 166 E. 4 S. 174), folgt aus der Zuständigkeitsordnung des
EBG und ist nicht als bewusster Ausschluss des Bahnhofareals aus
der umgebenden Bauzone zu verstehen.
Das Verwaltungsgericht hat deshalb für die Frage, ob das Areal
als Bauzone oder Nichtbauzone zu betrachten sei, zu Recht nicht al-
lein auf die Darstellung (weisse Fläche) im Zonenplan, sondern auf
weitere Kriterien abgestellt, namentlich die bereits erfolgte Überbau-
ung des Gebiets zu Zwecken des Bahnbetriebs, seine Lage inmitten
von Bauzonen und seine Zuordnung zum Siedlungsgebiet im Richt-
plan. Es hat ferner geprüft, ob mit der Bewilligung einem be-
schränkten Mobilfunkantennenverbot der Gemeinde im Wege der
Nutzungsplanung, insbesondere aus Gründen der Ästhetik, des Orts-
bilds- oder Landschaftsschutzes zuvorgekommen werde, und hat dies
verneint. Diese Erwägungen widersprechen weder den leitenden
Prinzipien des Raumplanungsrechts, namentlich der Trennung von
Siedlungs- und Nichtsiedlungsgebiet, noch liegt ihnen eine willkürli-
che Auslegung und Anwendung kantonalen Planungsrechts zu-
grunde. Zumindest in der vorliegenden Konstellation besteht, wie das
Verwaltungsgericht zu Recht festgehalten hat, auch keine Gefahr der
Nichteinhaltung der vom RPG vorgeschriebenen Entscheidfolge:
Während bei einer Lücke in einem Nutzungsplan im allgemeinen ein
Handlungsbedarf für die Nutzungsplanung besteht (...), ist eine
kommunale Planung des fraglichen Bahnareals erst möglich, wenn
der Bahnbetrieb an dieser Stelle einmal aufgegeben werden sollte
(BGE 115 Ib 166 E. 4 S. 174). Bis dahin erscheint es aber durchaus
sinnvoll, Bahnareale, die im Siedlungsgebiet liegen, baulich zu nut-
2006
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
175
zen, z.B. für die Erstellung von Mobilfunkanlagen; ein Interesse an
der Freihaltung solcher Areale besteht nicht."
Dementsprechend ging das Bundesgericht davon aus, dass es
sich beim fraglichen Bauvorhaben um ein solches innerhalb der Bau-
zone handle, das keiner Ausnahmebewilligung gemäss Art. 24 RPG
bedürfe (a.a.O., Erw. 2.6).
3.2.3. In Anlehnung an diese Entscheide ist auch § 26 BNO
auszulegen. Es ist klarerweise unlogisch, eine mitten im Baugebiet
liegende Landfläche Nutzungsbestimmungen zu unterstellen, deren
Hauptzweck in der Freihaltung von Bauten und Anlagen besteht. Das
raumplanerische Ziel, in Befolgung des Gebots der haushälterischen
Nutzung des Bodens (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 RPG) die Siedlungstätig-
keit in Bauzonen zusammenzufassen und die Streubauweise für nicht
freilandgebundene Bauten zu verhindern (BGE 124 II 395 mit Hin-
weisen), wird in der zur Diskussion stehenden Situation in keiner
Weise aufgeweicht, wenn das Areal des Bahnhofs Döttingen grund-
sätzlich als Bauzone betrachtet wird. Es besteht diesbezüglich weit-
gehende Parallelität mit dem zweitgenannten BGE betreffend das
Bahnareal Rothenburg Dorf; auch dort hat das Bundesgericht entge-
gen dem Wortlaut des einschlägigen § 56 Abs. 2 des Planungs- und
Baugesetzes des Kantons Luzern vom 7. März 1989 ("In dieser Zone
gelten die Bestimmungen der Landwirtschaftszone.") dafür gehalten,
es mache von der Sache her keinen Sinn, Land, das bereits jetzt
durch die Bahn baulich genutzt werde sowie grossmehrheitlich von
Bauland umgeben und gemäss Richtplan dem Siedlungsgebiet zuge-
ordnet sei, als Nichtbauzone zu betrachten (a.a.O., Erw. 2.1, 2.5, 2.6).
Diese Überlegungen gewinnen noch an Gewicht, wenn in Rechnung
gestellt wird, dass das in Frage stehende "Übrige Gebiet" im Zuge
einer unmittelbar bevorstehenden Gesamtrevision des Zonenplans
der Bauzone zugewiesen werden soll. Damit sind die Argumente,
welche die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit Art. 24 RPG
vorbringt, obsolet.
4. 4.1. Die erstinstanzlich zuständige Abteilung für Baubewilli-
gungen des BVU verfolgt die Praxis, sog. bahnnahe Nebenbetriebe
auf dem Areal der SBB als "standortgebunden" zuzulassen. Eine sol-
che Nutzung diene zwar nicht ganz oder überwiegend dem Bahnbe-
2006
Verwaltungsgericht
176
trieb, stehe aber dem Bahnbetrieb insofern nahe, als so die Kunden-
bedürfnisse befriedigt werden könnten. Dazu gehörten etwa ein Le-
bensmittelgeschäft, ein Blumenladen, Taxistandplätze, Postautoab-
stellplätze, Reklameständer, ein Take-away-Betrieb sowie Waren-
oder andere Automaten. An der Augenscheinsverhandlung vom 1.
März 2006 haben die Vertreter der Abteilung für Baubewilligungen
dem Verwaltungsgericht drei einschlägige Teilverfügungen überge-
ben, wovon zwei (datierend vom 7. Juni 2004) die Erstellung von
Park-and-Rail-Anlagen auf den Bahnhöfen Beinwil a.S. und Birrwil
betreffen. Der Regierungsrat trägt diese Praxis mit.
Das BVU vertritt weiter die Meinung, auch ein Speisekiosk
könne im erwähnten Sinne als "standortgebunden" bezeichnet wer-
den. Ein solcher Kiosk befriedige die Bedürfnisse der Bahnreisen-
den. Dass auch andere Kunden den Kiosk aufsuchten, könne nicht
ganz ausgeschlossen werden. Dieser Umstand schliesse aber die
"Standortgebundenheit" nicht aus. Der Regierungsrat argumentiert in
der gleichen Richtung: In örtlicher Hinsicht genüge es, wenn sich ein
Bahnnebenbetrieb an einem Bahnhof, d.h. in der Nähe der Bahn-
steige, der Geleise oder an den Hauptverkehrswegen im Bahnhof zu
oder von den Geleisen befinde. Mit zunehmender räumlicher Distanz
von den genannten Bahnanlagen könne allerdings eine Baute ihre
Qualifikation als Bahnnebenbetrieb verlieren.
Die Beschwerdeführerin wendet sich in grundsätzlicher Hin-
sicht nicht gegen diese Verwaltungspraxis. Sie leuchtet auch dem
Verwaltungsgericht ein, zumal sie sich an Art. 39 Abs. 1 EBG an-
lehnt. Danach sind die Bahnunternehmungen befugt, an Bahnhöfen
und in Zügen Nebenbetriebe einzurichten, soweit diese auf die Be-
dürfnisse der Bahnkunden ausgerichtet sind (siehe zur einschlägigen
Rechtsprechung BGE vom 22. März 2002 [2A.255/2001] Erw. 4.1;
BGE vom 22. März 2002 [2A.256/2001] Erw. 6.1 und 6.2).
4.2. Bezogen auf den konkreten Einzelfall hält der Regierungs-
rat fest, das Warenangebot der Beschwerdegegnerin umfasse Imbiss-
Gerichte (Kebab, Bratwürste, Hot Dogs, Hamburger und gebackene
Kartoffeln), Bier und alkoholfreie Getränke. Ein solches Angebot sei
für einen Bahnnebenbetrieb typisch. Im Weitern befinde sich zwar
der geplante Standort rund 150 m vom Bahnhofsgebäude entfernt
2006
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
177
und sei für ortsunkundige Bahnreisende, die nicht aus südlicher
Richtung zum Bahnhof gelangten, kaum wahrnehmbar. Es sei aber
zu berücksichtigen, dass die fraglichen Bauten auf die Rampe eines
noch in Gebrauch befindlichen Güterschuppens der SBB zu stehen
kämen. Auch grenze der Speisekiosk an die Gleisanlagen, und er sei
von zahlreichen Park-and-Ride-Parkplätzen der SBB umgeben. Es
sei daher naheliegend, dass ihn vorwiegend Bahnkunden aufsuchen
würden. Bei einer Gesamtbetrachtung sei davon auszugehen, dass
der Speisekiosk vornehmlich den Bahnkunden diene. Dem hält die
Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Distanz bzw. den fehlenden
Sichtkontakt zum Bahnhof entgegen. Das Schwergewicht des Bahn-
hofs sei nach dessen Umgestaltung markant nach Norden verlegt
worden. Der ehemalige Güterschuppen der SBB sei zum heutigen
Zeitpunkt an eine gemeinnützige Stiftung vermietet und habe mit
dem Bahnbetrieb nichts mehr zu tun. Das Bauvorhaben sei vom
Bahnhof "abgenabelt".
Der streitbetroffene Speisekiosk erfüllt in sachlicher Hinsicht
die Anforderungen an einen bahnnahen Nebenbetrieb; angeboten
werden darin wie erwähnt herkömmliche Imbiss-Gerichte sowie Bier
und alkoholfreie Getränke. In örtlicher Hinsicht befindet sich der
Speisekiosk zwar nicht unmittelbar im Bahnhofsgebäude, sondern in
ca. 150 m Distanz dazu. Indessen ist nach der Rechtsprechung zu den
Bahnnebenbetrieben nicht erforderlich, dass sich diese im Bahnhof
selbst befinden. Entscheidend ist vielmehr der funktionale Bezug des
Betriebs zum Bahnhof, und dieser Bezug ist hier klarerweise zu be-
jahen; der Speisekiosk grenzt unmittelbar an die Gleisanlagen an, ist
vor einem Güterschuppen der SBB situiert und überdies von zahlrei-
chen Park-and-Ride-Parkplätzen der SBB umgeben. Dass der Güter-
schuppen heute nicht mehr von den SBB genutzt wird, tut nichts zur
Sache; wesentlicher ist seine Erscheinungsweise, die immer noch
dieselbe ist wie vorher und ihn seitens der Passanten ohne weiteres
dem Bahnbetrieb zuordnen lässt.
5. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Be-
schwerde unbegründet und deshalb abzuweisen ist. | 3,765 | 3,006 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2006-34_2006-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2006-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2006-34.pdf | AGVE_2006_34 | null | nan |
9e4d94dc-7465-5432-9977-63ffa5e0d3f1 | 1 | 412 | 869,880 | 1,498,953,600,000 | 2,017 | de | 2017
Migrationsrecht
135
[...]
24
Kostenverlegung bei Gegenstandslosigkeit
-
Die Verfahrenskosten können einer Partei auch dann auferlegt wer-
den, wenn sie die Gegenstandlosigkeit des Verfahrens formell nicht
verursacht hat.
-
Im konkreten Fall hat es die Beschwerdeführerin trotz Möglichkeit
versäumt, die im Beschwerdeverfahren eingereichten Unterlagen,
welche belegten, dass die angeordnete Massnahme nicht angezeigt
war, bereits im Verfahren vor der Vorinstanz beizubringen. Da das
MIKA die dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegende Verfügung
einzig wegen der nachträglich eingereichten Belege in Wiedererwä-
gung gezogen hat, ist die Gegenstandslosigkeit des Verfahrens auf
das Verhalten der Beschwerdeführerin zurückzuführen.
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
136
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom
12. Juli 2017, i.S. A. gegen das Amt für Migration und Integration
(WBE.2016.244)
Aus den Erwägungen
1.2.
Gemäss § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 32 Abs. 3 Satz 1 VRPG gilt
bei Gegenstandslosigkeit als unterliegende Partei, wer dafür sorgt,
dass das Verfahren gegenstandslos wird. Wird ein Verfahren ohne
Zutun einer Partei gegenstandslos, sind die Verfahrens- und Partei-
kosten nach den abgeschätzten Prozessaussichten zu verlegen oder
aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise dem Gemeinwesen zu be-
lasten (§ 31 Abs. 3 Satz 2 und § 32 Abs. 3 Satz 2 VRPG).
Bei Gegenstandslosigkeit eines Verfahrens werden die Verfah-
rens- und Parteikosten somit primär nach dem Verursacherprinzip
verlegt. Eine Verlegung nach dem mutmasslichen Ausgang oder die
Belastung des Gemeinwesens aus Billigkeitsgründen steht grundsätz-
lich erst zur Diskussion, wenn keine der beteiligten Parteien für die
Gegenstandslosigkeit verantwortlich ist (vgl. AGVE 2009, S. 280 f.;
VGE vom 9. Dezember 2011 [WBE 2011.206], Erw. II/1).
1.3.
Im vorliegenden Fall ist die Gegenstandslosigkeit des Verfah-
rens zwar formell darauf zurückzuführen, dass das MIKA die Verfü-
gung vom 10. November 2015 wiedererwägungsweise aufgehoben
hat. Dies jedoch einzig deshalb, weil die Beschwerdeführerin mit
Einreichung von Belegen betreffend ihren Gesundheitszustand nach-
träglich dargelegt hat, dass eine Verwarnung nicht angezeigt war.
Wären die Unterlagen bereits im Einspracheverfahren eingereicht
worden, hätte sich ein Beschwerdeverfahren gemäss Ausführungen
der Vorinstanz erübrigt. Effektiv hat deshalb die Beschwerdeführerin
die Gegenstandslosigkeit des Beschwerdeverfahrens zu verantworten
und es sind ihr die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Daran ändert
nichts, dass der ärztliche Bericht bezüglich den Gesundheitszustand
der Beschwerdeführerin offenbar erst im April 2017 erstellt wurde.
2017
Migrationsrecht
137
Die Vorinstanz weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin,
dass die Beschwerdeführerin die entsprechenden Abklärungen früher
hätte in Angriff nehmen müssen. Dies umso mehr, als sie mit Verfü-
gung der Vorinstanz vom 8. März 2016 explizit im Rahmen ihrer
Mitwirkungspflicht aufgefordert wurde, nachzuweisen, dass es ihr
aus gesundheitlichen Gründen seit Jahren nicht möglich war und ist,
einer Arbeit nachzugehen. Trotz dieser Aufforderung reichte sie am
22. März 2016 lediglich zwei ärztliche Zeugnisse vom 16. bzw.
18. März 2016 ein, welche ihr eine Arbeitsunfähigkeit seit
3. Dezember 2015 bzw. seit 1. Januar 2016 attestierte. Ein Partei-
kostenersatz infolge (formellen) Obsiegens steht nach dem Gesagten
nicht zur Diskussion. | 728 | 601 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-24_2017-07-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-24.pdf | AGVE_2017_24 | null | nan |
9e590296-21f0-5086-8b01-d8019e655e89 | 1 | 412 | 871,397 | 1,270,166,400,000 | 2,010 | de | 2010
KantonaleSteuern
111
II. Kantonale Steuern
22
Abziehbarkeit einer Studienreise als Weiterbildungskosten. Praxis hin-
sichtlich des Nachweises des Weiterbildungscharakters von Studienreisen.
-
Gewinnungskostenbegriff. Die Abziehbarkeit als Gewinnungskosten
setzt einen qualifiziert engen Konnex zwischen den getätigten Ausga-
ben und den erzielten Einkünften voraus (Erw. 3).
-
Beweislast im Steuerrecht (Erw. 4).
-
Anforderungen an den Nachweis des beruflichen Charakters der
Reise (Erw. 4.1).
-
Der berufliche Charakter der Studienreise ist hier nicht rechtsgenüg-
lich belegt (Erw. 5).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. April 2010, in Sachen
V. (WBE.2009.323).
Aus den Erwägungen
2.
Die Beschwerdeführer machen geltend, angesichts einer dicht
gedrängten Studienreise mit einem täglichen Programm von mindes-
tens 8-10 Stunden sei es nicht verständlich und auch nicht akzep-
tabel, den Privatanteil auf 50 Prozent festzulegen. Wenn während
einer Studienreise von mehr als 3 Wochen bloss eineinhalb Tage zur
freien Verfügung stünden und abends auch einmal eine landestypi-
sche Aufführung besucht oder auf einer langen Reise ausnahmsweise
ein Badestopp eingeschaltet werde, rechtfertige dies schon aus rech-
nerischen Gründen keinen Abzug von 50 Prozent an den Gesamt-
kosten. Die Studienreise sei als Weiterbildung für Lehrpersonen an-
geboten und organisiert worden und stehe demzufolge in unmittel-
barem Zusammenhang mit dem Lehrberuf und weise Weiterbil-
dungscharakter auf. Kulturelle, gesellschaftliche und touristische
2010
Verwaltungsgericht
112
Aspekte gehörten gerade zum beruflichen Kerngeschäft und zu den
zentralen Themen von Dozierenden im Bereich der Gesellschafts-
wissenschaften. Es stimme, dass eine von der Route her vergleichba-
re Reise in jedem Reisebüro gebucht werden könne. Inhaltlich und
qualitativ seien die beiden Reisen jedoch nicht miteinander ver-
gleichbar, da sich die Reiseleitung und die Qualität der bearbeiteten
Inhalte wesentlich voneinander unterscheiden würden.
3.
3.1.
Gemäss Art. 9 Abs. 1 StHG werden von den gesamten steuer-
baren Einkünften die zu ihrer Erzielung notwendigen Aufwendungen
und die allgemeinen Abzüge abgerechnet. Nach diesen harmonisie-
rungsrechtlichen Vorgaben sind nicht sämtliche Ausgaben, die mit
der Erzielung der Einkünfte in irgendeinem Zusammenhang stehen
oder die anlässlich der Einkunftserzielung getätigt werden, abzieh-
bar, sondern nur die zu deren Erzielung notwendigen Aufwendungen
(Gewinnungskosten). Die Abziehbarkeit setzt einen qualifiziert
engen Konnex zwischen den getätigten Ausgaben und den erzielten
Einkünften voraus, d.h. einen rechtlich erheblichen (wesentlichen)
Zusammenhang zwischen Art, Grund und Zweck der Ausgabe einer-
seits und der Natur der beruflichen Tätigkeit andererseits (finale und
kausale Komponente des Gewinnungskostenbegriffs). Nicht abzieh-
bar sind demgegenüber grundsätzlich die Lebenshaltungskosten. Die
Abgrenzung der Gewinnungskosten von den Lebenshaltungskosten
kann letztlich nur durch eine Wertung getroffen werden (vgl. aus-
führlich M
ARKUS
R
EICH
in: M
ARTIN
Z
WEIFEL
/P
ETER
A
THANAS
[H
RSG
.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, Bundes-
gesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone
und Gemeinden [StHG], 2. Auflage, Basel-Genf-München 2002,
Art. 9 N 8 ff., m.w.H.).
3.2.
Zu den notwendigen Aufwendungen gehören auch die mit dem
Beruf zusammenhängenden Weiterbildungs- und Umschulungs-
kosten (Art. 9 Abs. 1 Satz 2 StHG). Gemäss § 35 Abs. 1 lit. e StG
werden die mit dem Beruf zusammenhängenden Weiterbildungs- und
Umschulungskosten als Berufskosten vom steuerbaren Einkommen
2010
KantonaleSteuern
113
abgezogen (wörtlich gleichlautend: Art. 26 lit. d DBG). Im Gegen-
satz dazu sind Ausbildungskosten nicht abziehbar (§ 41 lit. b StG;
vgl. auch H
ANS
Z
EHNDER
, Die Behandlung der Kosten für Aus-
bildung und berufliche Weiterbildung im schweizerischen Steuer-
recht, Diss. Zürich 1985, S. 38 f.).
3.3.
Nach dem Willen des (Bundes-)Gesetzgebers, der hier aufgrund
der Übernahme der Bestimmungen ins kantonale Recht bei der Aus-
legung heranzuziehen ist, soll hinsichtlich der abziehbaren "mit dem
Beruf zusammenhängenden Weiterbildungs- und Umschulungskos-
ten" das gleiche Kriterium angewendet werden wie bei den Gewin-
nungskosten Selbständigerwerbender, bei welchen gemäss Art. 27
Abs. 1 DBG die "geschäfts- oder berufsmässig begründeten Kosten"
abgezogen werden können (Botschaft über die Steuerharmonisie-
rung, in: BBl 1983 III 166). Aufwendungen sind im Rahmen einer
Unternehmung dann geschäftsmässig begründet, wenn sie mit dem
erzielten Erwerb unternehmungswirtschaftlich in einem unmittel-
baren und direkten Zusammenhang stehen (vgl. Urteil des Bundes-
gerichts vom 18. Dezember 2003 [2A.277/2003], Erw. 2.1, m.w.H.).
Der Begriff der "Erforderlichkeit" ist nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung weit auszulegen. Dass § 35 Abs. 1 lit. e StG den
Begriff der "Erforderlichkeit" bzw. "Notwendigkeit" nicht enthält,
steht dem Rückgriff auf diese Rechtsprechung nicht entgegen (vgl.
zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts vom 8.
August
2002,
[2A.130/2002], Erw. 4.1.1).
Abziehbar sind alle Kosten der Weiterbildung, die mit dem ge-
genwärtigen Beruf des Steuerpflichtigen in einem unmittelbaren ur-
sächlichen Zusammenhang stehen und auf die zu verzichten dem
Pflichtigen nicht zugemutet werden kann. Als Weiterbildung gelten
die Aufwendungen zur Erhaltung und Sicherung der Stellung im
Beruf, aber auch die Aufwendungen für den Aufstieg. Der unmittel-
bare ursächliche Zusammenhang mit dem ausgeübten Beruf besteht
lediglich, wenn sich die Weiterbildung auf Kenntnisse bezieht, die
bei der Berufsausübung verwendet werden. Er fehlt hingegen, wenn
es nur um persönliche Bereicherung - etwa im Sinne kultureller
Weiterbildung - geht (BGE 113 Ib 114, Erw. 3b.).
2010
Verwaltungsgericht
114
4.
Nach der im Steuerrecht allgemein gültigen Regel trägt die
Steuerbehörde die Beweislast für steuerbegründende Tatsachen, wäh-
rend der Beweis für steueraufhebende oder steuermindernde Tatsa-
chen - dazu gehören auch jene Umstände, die eine Ausgabe als Wei-
terbildungskosten qualifizieren - grundsätzlich den Steuerpflichtigen
obliegt. Sie haben steuermindernde Tatsachen nicht nur zu behaup-
ten, sondern auch zu belegen (Urteil des Bundesgerichts vom
12. Mai 2003 [2P.254/2002], Erw. 4.2, m.w.H.; C
ONRAD
W
ALTHER
,
in: M
ARIANNE
K
LÖTI
-W
EBER
,
D
AVE
S
IEGRIST
,
D
IETER
W
EBER
[H
RSG
.], Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, a.a.O., § 174
N 28).
4.1.
In Bezug auf den Nachweis des Weiterbildungscharakters von
Studienreisen ist die bisherige aargauische Steuerpraxis streng
(vgl. dazu Entscheide des Steuerrekursgerichts: AGVE 1987, S. 372;
AGVE 1979, S. 333; AGVE 1962, S. 114). Keine Berufsreise liegt
vor, wenn auf einer typischen Besichtigungsfahrt auch beruflich in-
teressierende Vorgänge in das Programm einbezogen werden (AGVE
1987, S. 372). Die Reiseaufwendungen müssen in einer Weise
gemacht werden, die die ausschliesslich oder weitaus berufliche
Bedingtheit der Reise einwandfrei erkennen lässt (AGVE 1979,
S. 333). In Betracht fallen von einer Berufsorganisation veranstaltete
Studienreisen (AGVE 1979, S. 333). Im Falle von Lehrpersonen
muss das Reiseprogramm eindeutig und ausschliesslich auf die
beruflichen Bedürfnisse für den Unterricht der jeweiligen Schulstufe
ausgerichtet sein; entsprechend wird verlangt, dass bei einer solchen
Veranstaltung Lehrstoff für den Unterricht erarbeitet wird
(AGVE 1979, S. 335 f.). Diese durch die Steuerbehörden und das
Steuerrekursgericht begründete Praxis mit Bezug auf Reisekosten ist
zutreffend und daran ist festzuhalten.
Gerade bei sog. Studienreisen ist sehr häufig nur schwierig aus-
zumachen, ob sie vorwiegend privaten oder beruflichen Zwecken
dienen, d.h. ob sie vorwiegend aus einer direkt mit der Berufsaus-
übung zusammenhängenden Motivation oder eher aus privaten Grün-
den unternommen werden ("Das Angenehme mit dem Nützlichen
2010
KantonaleSteuern
115
verbinden"). Damit eine Reise als beruflich bedingte Weiterbildungs-
aufwendung qualifiziert werden kann, gelten daher hohe Anforderun-
gen an den Nachweis des beruflichen Charakters der Reise. So muss
zum Beispiel vom Reiseprogramm her unzweifelhaft sein, dass es
sich um eine echte Weiterbildungsreise handelt. Das bedeutet, dass
das Reiseprogramm ganz überwiegend einen fachlichen Charakter
aufweisen muss, was sich nicht nur im Bezug auf die einzelnen
Reiseziele, sondern auch konkret mit Bezug auf die Aktivitäten der
Reiseteilnehmer während der Reise (Besuch von fachspezifischen
Vorträgen, Teilnahme an fachspezifischen Workshops, Pflicht zur
eigenen aktiven Erarbeitung von Unterlagen, Präsentationen, etc.)
ausdrücken muss. Angaben über die Reiseteilnehmer (z.B. nur oder
ganz überwiegend Angehörige einer bestimmten Berufsgruppe)
können einen Hinweis auf den berufsbedingten Anlass der Reise dar-
stellen (vgl. AGVE 1987, S. 372). Ist eine Reise unter Zugrundele-
gung der genannten strengen Kriterien als hauptsächlich berufsbe-
dingt zu qualifizieren, ist sodann weiter zu prüfen, ob die gesamten
Kosten der Reise abzugsfähig sind oder ob allenfalls ein Teil der
Kosten als privat veranlasst nicht zum Abzug zuzulassen ist (insbe-
sondere Kosten des Freizeitprogramms im Rahmen einer beruflich
veranlassten Reise).
5.
5.1.
Die im Reiseprogramm der Studienreise des ULEF "Tradition
und Moderne" vorgesehenen Besuche von Sehenswürdigkeiten wie
der Chinesischen Mauer, der verbotenen Stadt oder verschiedener
bekannter Tempel, Paläste und Museen bilden keinen Hinweis auf
den fachspezifischen Charakter der Reise. Nach der allgemeinen
Lebenserfahrung würde jeder kulturell interessierte Tourist die ent-
sprechenden Sehenswürdigkeiten ebenfalls ansehen. Dem Reise-
programm sind - wie die Beschwerdeführer selbst bestätigen - inso-
weit keine Unterschiede zu einer rein touristischen Reise zu entneh-
men. Auch die blosse Angabe der Beschwerdeführer, bei der Besich-
tigung der zahlreichen Städte und Sehenswürdigkeiten sei mit ande-
ren Teilnehmern über Themen diskutiert worden, die in das Fach-
gebiet der Geografie fallen, vermag den Weiterbildungscharakter
2010
Verwaltungsgericht
116
nicht rechtsgenüglich zu belegen. Nichts anderes ergibt sich in Bezug
auf die geltend gemachten qualitativen Unterschiede zu gewöhn-
lichen Reisen (Reiseleitung, Experten, etc.). Diese mit Ausnahme des
Reiseleiters namentlich nicht genannten Experten sind weder im
Reiseprogramm erwähnt, noch wird das Vorbringen, auf berufsspezi-
fische Interessen der Reiseteilnehmer sei eingegangen worden, be-
legt.
Unterscheidet sich das Reiseprogramm - wie hier - nicht von
demjenigen einer touristischen Rundreise, und werden darin keinerlei
Veranstaltungen, die sich eindeutig an Geografie- bzw. Didaktik-
Fachkräfte richten, nachgewiesen, kann - zur korrekten Abgrenzung
von den nicht abzugsfähigen Lebenshaltungskosten - nicht ohne
entsprechende Nachweise der Auf- und Verarbeitung der Reise im
Unterricht auf einen Weiterbildungscharakter der Reise geschlossen
werden. Das Steuerrekursgericht hatte in einem älteren Entscheid bei
Lehrpersonen in einer solchen Konstellation für das Vorliegen von
Gewinnungskosten zu Recht verlangt, dass im Rahmen der Reise
Unterrichtsstoff erarbeitet wird, der auf die unterrichtete Schulstufe
zugeschnitten ist (AGVE 1979, S. 335 f.). Die Beschwerdeführer
machen zwar geltend, dass die Beschwerdeführerin sich durch die
Reise eine Meinung zu typisch geografischen Themen, wie Besied-
lungsmuster, Stadtentwicklungen oder Handelsbeziehungen habe bil-
den können und diese für den Unterricht aufgearbeitet und eingesetzt
habe. Den entsprechenden Nachweis dafür erbringen sie indes nicht,
obwohl sie - da sie nun die vollumfängliche Abzugsfähigkeit der
Reisekosten verlangen - aufgrund der ihnen obliegenden Beweislast
(siehe vorne Erw. 4) dazu verpflichtet gewesen wären.
5.2
Im Übrigen sind Studienreisen von der Art, wie sie die Be-
schwerdeführerin hier unternommen hat, erfahrungsgemäss nicht
ausschliesslich darauf ausgerichtet, fachliches Wissen zu vermitteln.
Neben diesem Zweck wird bei der Gestaltung des Reiseprogramms
regelmässig und nicht nur nebenbei auch auf andere Interessen der
Teilnehmer Rücksicht genommen. So werden - wie das KStA in der
Beschwerdeantwort zutreffend ausgeführt hat - zwischen den (hier
wie erwähnt nicht aktenkundigen) berufsspezifischen Arbeiten/Ver-
2010
KantonaleSteuern
117
anstaltungen, Besuche von Museen, Empfänge und andere Veranstal-
tungen gesellschaftlicher, kultureller und unterhaltender Art ein-
geschaltet. Die auf diesen Teil entfallenden Kosten bleiben selbstver-
ständlich unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Gewinnungs-
kosten ausser Betracht. Mit Bezug darauf besteht, auch wenn sie in
Verbindung mit Gewinnungskosten entstanden sind, kein Anlass zur
Privilegierung (so bereits für das damalige Recht: AGVE 1962,
S. 114, Erw. 4.).
5.3
Auch aus der Bestätigung des Reiseleiters betreffend "Notwen-
digkeit" der Reise vom 9. März 2009 kann nichts zu Gunsten der Be-
schwerdeführer abgeleitet werden. Zum einen ist dazu zu bemerken,
dass die Bestätigung nicht von den Arbeitgebern ausgestellt wurde.
Darüber hinaus wäre damit, selbst wenn der zuständige Arbeitgeber
bzw. die zuständige Schulbehörde die Reise als notwendig erachtet
hätte, noch nichts über die Notwendigkeit im Sinne des Steuerrechts
resp. die genaue Zuweisung der Reisekosten zu den Weiterbildungs-
bzw. Lebenshaltungskosten gesagt (so auch Urteil der Steuerrekurs-
kommission Bern vom 15. Juni 1999, publ. in StE 2000, B 22.3
Nr. 69, Erw. 6). Zum andern lassen sich auch dieser Teilnahmebes-
tätigung keinerlei konkrete fachspezifische Veranstaltungen entneh-
men.
6.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen ist das
Steuerrekursgericht den Beschwerdeführern damit bereits (zu) weit
entgegengekommen, da sie den ihnen obliegenden Nachweis der
hälftigen - geschweige denn der darüber hinausgehenden - berufli-
chen Veranlassung der Reise nicht erbracht haben. Da dem Verwal-
tungsgericht in Bezug auf den Abzug verwehrt ist, den angefoch-
tenen Entscheid zu Ungunsten der Beschwerdeführer abzuändern
(§ 199 Abs. 2 StG), hat es beim hälftigen Abzug der geltend gemach-
ten Kosten zu bleiben und eine exakte Festsetzung des angemessenen
(höheren) Privatanteils erübrigt sich.
7.
Die Beschwerde ist somit vollumfänglich abzuweisen. | 3,126 | 2,610 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-22_2010-04-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-22.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-22.pdf | AGVE_2010_22 | null | nan |
9f8f5e9b-9c78-59fe-a5ca-12c1240bebce | 1 | 412 | 870,997 | 973,036,800,000 | 2,000 | de | 2000
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
191
[...]
53
Zwangsmassnahmen im Rahmen fürsorgerischer Freiheitsentziehung;
Fixierung mit Bauchgurt in Isolation; Besuchsverbot für die Seelsorgerin;
Bibelentzug.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 17. November 2000 in
Sachen H.S. gegen Entscheide der Klinik Königsfelden.
Sachverhalt
H.S. leidet an einer chronischen paranoiden Schizophrenie mit
religiösem Wahn. Aufgrund möglicher Fremdgefährdung und Medi-
kamentenverweigerung wurde er anlässlich der fürsorgerischen Frei-
2000
Verwaltungsgericht
192
heitsentziehung zwangsmediziert, isoliert und gegurtet. Zusätzlich
wurde ein Bibelentzug und ein Besuchsverbot der Seelsorgerin ver-
fügt.
Aus den Erwägungen
4. a) Seit dem 14. November 2000 und erneut gestützt auf den
Zwangsmassnahmen-Entscheid vom 17. November 2000 wird der
Beschwerdeführer im Isolationszimmer mit dem Bauchgurt fixiert.
An der Verhandlung beklagte er sich, dass er im Gurt ersticke, dass
er nicht immer ans Bett gefesselt sein wolle.
b) Das bis vor kurzem ungeschriebene verfassungsmässige
Recht der persönlichen Freiheit, das in der am 1. Januar 2000 in
Kraft getretenen Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV) aus-
drücklich in Art.10 und - hinsichtlich des Schutzes der Menschen-
würde - auch in Art. 7 gewährleistet ist, beinhaltet insbesondere das
Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, auf Bewegungs-
freiheit und Wahrung der Würde des Menschen sowie alle Freiheiten,
die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstel-
len (BGE 126 I 114 mit Hinweisen). Das Recht auf persönliche Frei-
heit gilt indessen, wie die übrigen Freiheitsrechte, nicht absolut. Ein-
schränkungen sind zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grund-
lage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig
sind; zudem dürfen sie den Kerngehalt des Grundrechts nicht beein-
trächtigen, das heisst, dieses darf weder völlig unterdrückt noch sei-
nes Gehalts als Institution der Rechtsordnung entleert werden (BGE
126 I 115). Eine Zwangsmassnahme ist namentlich dann unverhält-
nismässig, wenn eine ebenso geeignete mildere Anordnung für den
angestrebten Erfolg ausreicht. Der Eingriff darf in sachlicher, räumli-
cher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht einschränkender sein
als notwendig (BGE 126 I 119 f. mit Hinweisen).
2000
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
193
c) Beim Entscheid über die Zulässigkeit einer Zwangsmass-
nahme darf auch das Schutzbedürfnis Dritter einbezogen werden.
Unter Würdigung aller Umstände gilt es somit zu prüfen, ob die Fi-
xierung mit Bauchgurt medizinisch indiziert und verhältnismässig
sei.
aa) Gemäss Aussage des Klinikarztes wurde die Fixierung not-
wendig, weil der Beschwerdeführer aggressiv sei und ihm bei jeder
Gelegenheit die Faust zeige. Er äussere sich mit viel Wucht und
wirke sehr bedrohlich. Er selber besuche ihn jeweils in Begleitung
von zwei Personen im Isolationszimmer (Protokoll, S. 13 und 19).
Der Pfleger sagte aus, dass sich die Aggressionen hauptsächlich ge-
gen die Ärzte richteten und das Pflegepersonal keine Probleme mit
dem Beschwerdeführer habe. Der Beschwerdeführer sei im Gurt,
weil die Gefahr bestehe, dass er jemanden schlagen könnte, den er
nicht möge. Man habe zu wenig Personal auf der Abteilung (Proto-
koll, S. 9 f.).
Der Zustand des Beschwerdeführers verlangt nach einer Be-
handlung mit Medikamenten, die notfalls zwangsweise - d.h. allen-
falls auch durch Festgurten zu diesem Zweck - verabreicht werden
müssen. Da sich die verbalen und tätlichen Angriffe hauptsächlich
gegen die Ärzte richten, ist ein Gurten somit zumindest während der
Arztvisite zum Schutz Dritter indiziert.
bb) Bei der Frage der Verhältnismässigkeit gilt es aber daran zu
erinnern, dass der Eingriff in die persönliche Freiheit durch Fixie-
rung ans Bett in extremer Weise den Kerngehalt des Grundrechts
betrifft und daher gemäss Art. 36 Abs. 4 BV grundsätzlich unzulässig
ist. Ausnahmen sind nur denkbar, wenn in akuter Weise eine Gefahr
für Leib und Leben von Menschen besteht. Dabei darf der Eingriff
insbesondere in zeitlicher Hinsicht nicht einschränkender sein als zur
Abwendung der Gefahr erforderlich (BGE 126 I 119f.). §
67e
bis
EG
ZGB sieht Vorkehrungen vor, zu denen auch die Isolation und
Gurtung zählen. Ziel und Zweck einer solchen Massnahme kann aber
2000
Verwaltungsgericht
194
auch gemäss Darstellung in der Botschaft nur der Schutz der
betroffenen Person oder deren Mitmenschen sein (Botschaft, S. 6).
Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer, der
aus Sicherheitsgründen bereits isoliert wird, zusätzlich die ganze Zeit
im Gurt ans Bett gebunden sein muss. Ein Festgurten kann nur in
akuten Notsituationen verhältnismässig sein. Wo ein Kampf mit dem
Beschwerdeführer voraussehbar ist, wie vor einer Visite oder einer
Zwangsmedikation, ist das Gurten zum Schutz der Betroffenen an-
gebracht. Unverhältnismässig ist dagegen, wenn ein Patient ausser-
halb von Notsituationen im Isolationszimmer in den Gurt gelegt
wird. Der zuständige Pfleger hat denn auch bestätigt, dass es bei
Toilettenbesuchen oder dem Duschen etc. mit dem Beschwerdeführer
keine Probleme gebe. Auch anlässlich der Verhandlung konnte sich
das Gericht davon überzeugen, dass vom Beschwerdeführer grund-
sätzlich keine konkrete Gefahr ausgeht. Wohl ist er - insbesondere
den Ärzten gegenüber - verbal massiv bedrohlich, im übrigen aber
anständig und wie Pfarrerin R. aussagte, anhänglich und Geborgen-
heit suchend. Unter diesen Umständen ist zu befürchten, dass diese
extrem einschneidende Sicherheitsmassnahme die Aggression des
Beschwerdeführers gegen die Ärzte noch steigert. Das Fixieren mit
dem Bauchgurt betrifft den Kerngehalt der Bewegungsfreiheit als
Aspekt der persönlichen Freiheit in extremster Form und kann nur
bei einer konstanten akuten Gefahr für Leib und Leben verhältnis-
mässig sein. Da der Beschwerdeführer sich selber nicht gefährdet
und seine Angriffe gegen Dritte sich grundsätzlich nur gegen die
behandelnden Ärzte richten, ist ein Fixieren während des ganzen
Tages offensichtlich unverhältnismässig. Die Beschwerde ist somit
bezüglich des Fixierens mit dem Teilgurt in dem Sinne teilweise
gutzuheissen, so dass die Klinik mit milderen Massnahmen einer
latenten Gefahr zu begegnen hat. Es ist zweifellos sinnvoll, wenn
Ärzte in der Regel - wie schon bisher praktiziert - nicht alleine zum
Beschwerdeführer ins Isolationszimmer gehen. Solange sich der
Beschwerdeführer nicht gleichzeitig mit Ärzten im Isolationszimmer
2000
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
195
aufhält, muss er sich mindestens frei bewegen und so einen Teil sei-
ner Aggression abreagieren können. Demgegenüber sind kurze Fixie-
rungen mit dem Bauchgurt für die Zeiten der Arztvisiten und der
Medikamentenverabreichung verhältnismässig, ebenso bleiben un-
vorhergesehene Notfallsituationen mit akuter Gefahr für Leib und
Leben vorbehalten.
5. a) Der Zwangsmassnahme-Entscheid vom 17. November
2000 sieht zusätzlich ein Besuchsverbot betreffend die Anstaltspfar-
rerin R. vor. Es ist vorweg zu prüfen, ob ein solches Besuchsverbot
überhaupt als Zwangsmassnahme gemäss § 67e
bis
EG ZGB qualifi-
ziert werden kann.
b) Gemäss Abs. 1 der genannten Norm dürfen "Behandlungen
und andere Vorkehrungen", die medizinisch indiziert sind, zwangs-
weise vorgenommen werden, sofern die notwendige Fürsorge auf
andere Weise nicht gewährleistet werden kann. Die Botschaft nennt
neben der Zwangsmedikation, Isolation und Gurtung als Beispiele
für "andere Vorkehrungen" (Botschaft, S. 6). Eine Zwangsmass-
nahme ist nur innerhalb einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung
zulässig und liegt immer dann vor, wenn durch eine ärztlich ange-
ordnete Vorkehr die persönliche Freiheit des Betroffenen noch stär-
ker eingeschränkt wird als durch den Zwangsaufenthalt in einer An-
stalt.
Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen
der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bereits die Zwangsmass-
nahme der geschlossenen Isolation angeordnet wurde und seit dem
6. November 2000, und somit seit 11 Tagen, ununterbrochen voll-
zogen wird. Dies ist bereits ein massiver Eingriff in seine persönliche
Freiheit. Das zusätzliche Verbot an den Beschwerdeführer, mit der
Anstaltspfarrerin als seiner langjährigen Vertrauensperson und
gleichzeitigen Seelsorgerin reden zu dürfen, bedeutet nochmals eine
erhebliche Einschränkung der persönlichen Freiheit. Das Be-
suchsverbot muss vom psychisch kranken Beschwerdeführer als
nicht nachvollziehbare, zusätzliche einschneidende Beschränkung
2000
Verwaltungsgericht
196
oder gar als Strafe empfunden werden. Es handelt sich daher
zweifellos um eine andere Vorkehr im Sinne von § 67e
bis
EG ZGB.
Von der Klinik wurde das Besuchsverbot in formell korrekter Weise
mittels Zwangsmassnahmen-Entscheid verfügt.
c) Eine Zwangsmassnahme - und somit auch das vorliegend zu
beurteilende Besuchsverbot - ist nur zulässig, wenn sie medizinisch
indiziert und verhältnismässig ist. Beim Entscheid kann auch das
Schutzbedürfnis Dritter in die Beurteilung miteinbezogen werden.
aa) Der Arzt begründet die medizinische Indikation des Be-
suchsverbots der Seelsorgerin damit, dass er dem Beschwerdeführer,
der unter einem religiösen Wahn leide, die "nährenden" Reize ent-
ziehen wolle. Es sei üblich, bei Wahn-Patienten einen Reizentzug
anzuordnen. Durch den Entzug religiöser Einflüsse müsse sich der
Beschwerdeführer auf Alltägliches konzentrieren. Der Arzt erhofft
sich dadurch - zusammen mit weiteren Massnahmen - eine Beruhi-
gung des Patienten, so dass eine Medikation auf freiwilliger Basis
möglich wird.
Nach Aussage der Seelsorgerin R. anlässlich der Verhandlung
drehen sich die Gespräche zwar oft um religiöse Themen, eine Ver-
schlechterung des Zustandes des Beschwerdeführers nach Besuchen
der Pfarrerin wurde jedoch weder behauptet noch nachgewiesen. So
erklärte die Anstaltspfarrerin glaubwürdig, dem Beschwerdeführer
immer wieder zu erklären, dass er die Bibel teilweise falsch auslege,
weil er z.B. nicht der Jeremia sei, sondern der H.; so habe sie schon
öfters erreicht, dass der Beschwerdeführer sich wieder beruhigt habe.
Weiter spreche sie mit ihm auch häufig über das Problem der Sexua-
lität und der Masturbation.
Der Fachrichter sieht in den 1 bis 2 Besuchen à ca. 30 Minuten
pro Woche keine Anhaltspunkte für eine Verstärkung des psychoti-
schen Erlebens des Beschwerdeführers und nach seiner Ansicht ist es
höchst unwahrscheinlich, dass sich die Wahngedanken des Be-
schwerdeführers durch ein Besuchsverbot auflösen oder auch nur
reduzieren werden. Die heftigen verbalen Attacken an der Verhand-
2000
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
197
lung vom 17. November 2000, die sich ausschliesslich gegen die
beiden anwesenden Ärzte richteten, lassen eher darauf schliessen,
dass sich der Beschwerdeführer durch die erfolgten ärztlichen An-
ordnungen bestraft fühlt und deshalb noch aggressiver reagiert.
Es bestehen somit erhebliche Bedenken, ob das verfügte Be-
suchsverbot überhaupt medizinisch indiziert sei. Da es jedoch offen-
sichtlich an der Verhältnismässigkeit dieser Zwangsmassnahme fehlt,
kann diese Frage offen gelassen werden.
bb) aaa) Das verfassungsmässige Gebot der Verhältnismässig-
keit verlangt, dass staatliche Hoheitsakte für das Erreichen eines im
übergeordneten öffentlichen Interesse liegenden Zieles geeignet,
notwendig und dem Betroffenen zumutbar sein müssen. Eine
Zwangsmassnahme ist namentlich dann unverhältnismässig, wenn
eine ebenso geeignete mildere Anordnung für den angestrebten Er-
folg ausreicht. Der Eingriff darf in sachlicher, räumlicher, zeitlicher
und personeller Hinsicht nicht einschränkender sein als notwendig
(BGE 126 I 119 f. mit Hinweisen). Je schwerer ein Eingriff wiegt,
desto sorgfältiger ist er folglich zu begründen (BGE 124 I 304). In
der Lehre wird überdies die Meinung vertreten, dass das Verhältnis-
mässigkeitsprinzip für eine Zwangsbehandlung voraussetzt, dass die
Vorteile der Massnahme die Nachteile eindeutig überwiegen (Tho-
mas Geiser, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung als Rechts-
grundlage für eine Zwangsbehandlung?, in: Familie und Recht, Fest-
gabe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg
für Bernhard Schnyder, Freiburg 1995, S. 311).
Es stellt sich somit die Frage, ob die persönliche Freiheit durch
das verfügte Besuchsverbot über das zulässige Mass hinaus verletzt
wird. Die persönliche Freiheit, wie sie in der neuen Bundesverfas-
sung in Art. 10 ausdrücklich garantiert ist, beinhaltet insbesondere
das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, auf Bewe-
gungsfreiheit sowie die elementare Persönlichkeitsentfaltung. Art. 7
BV schützt zudem die Würde des Menschen (BGE 126 I 114). Ge-
genüber spezifischen Grundrechtsgarantien, die Teilbereiche der
2000
Verwaltungsgericht
198
Persönlichkeit schützen, kommt dem verfassungsmässigen Persön-
lichkeitsschutz die Funktion einer subsidiären Garantie zu (Jörg Paul
Müller, Grundrechte in der Schweiz, Im Rahmen der Bundesverfas-
sung von 1999, der UNO-Pakte und der EMRK, 3. Auflage, Bern
1999, S.8). Sie tritt deshalb zurück, wenn die Persönlichkeitsentfal-
tung des Einzelnen unter einem durch ein spezifischeres Freiheits-
recht geschützten Aspekt wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit
beeinträchtigt wird (BGE 123 I 118). Gegenüber Personen in einem
Sonderstatus wie Haft oder fürsorgerische Freiheitsentziehung, die
dem staatlichen Machtmonopol nahezu vollständig ausgeliefert sind,
hat der Staat den verbleibenden Freiraum des Einzelnen aktiv zu
schützen. Bei der konfessionellen Betreuung von Personen in Son-
derstatusverhältnissen hat der Staat sicherzustellen, dass der Kontakt
mit Gleichgläubigen und eine glaubenskonforme Lebensführung
möglich sind (ZBl 1994, S. 398). Das öffentliche Interesse an einer
Beschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit kann sich aus
dem Zweck einer Institution, wie z.B. einer Klinik oder einer Straf-
anstalt, ergeben. Solche Beschränkungen sind jedoch durch sachge-
rechte Anstaltsordnungen in engen Schranken zu halten (BGE 113 Ia
305). Gemäss § 6 PD hat die Klinik den Patienten angemessen Gele-
genheit für vertrauliche Gespräche mit ihren Seelsorgern zu gewäh-
ren. Im Unterschied zu § 7 Abs. 2 PD, gemäss welcher Norm der
Arzt im medizinischen Interesse des Patienten ausnahmsweise ein
Verbot des allgemeinen Besuchsrechts anordnen kann, sieht § 6 PD
keine entsprechende Ausnahmereglung betreffend vertraulichen Ge-
sprächen vor. Ein entsprechendes Verbot kann somit nur in ganz
akuten Notfällen verhältnismässig sein. So ist selbst bei Strafgefan-
genen ein Besuchsverbot unzulässig, wenn ein Priester von sich aus
eine seelsorgerliche Betreuung anbietet (ZBl 1994, S. 398).
bbb) An der Verhandlung vom 17. November 2000 hat sich ge-
zeigt, dass die Seelsorgerin R. seit Jahren eine der vertrautesten Be-
zugspersonen des Beschwerdeführers ist, die mit ihm höchstens ein
bis zwei mal pro Woche eine halbe Stunde spricht. Dabei mischt sie
2000
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
199
sich offensichtlich nicht in Fragen der ärztlichen Therapie ein, son-
dern bespricht mit dem Beschwerdeführer persönliche Lebens- und
Glaubensfragen.
Der behandelnde Arzt hofft auf eine positive Wirkung durch
den Entzug sämtlicher religiöser Einflüsse. Demgegenüber zeigte
sich eindrücklich, dass der Beschwerdeführer sich nahezu konstant
mit seinen Glaubensüberzeugungen beschäftigt und sowohl dem
Gericht wie auch den Ärzten gegenüber häufig mit Bibelzitaten ant-
wortete. Es ist denn auch erstellt, dass er seit Jahren an einer chroni-
schen paranoiden Schizophrenie mit religiösem Wahn leidet. Die
Befragung der Klinikpfarrerin ergab keine Anhaltspunkte dafür, dass
sie die seelsorgerlichen Besuche dazu missbrauchen könnte, den
Beschwerdeführer im Hinblick auf ärztliche Anordnungen und Me-
dikamenteneinnahme irgendwie negativ zu beeinflussen. Da es sich
beim Besuchsrecht eines Seelsorgers um ein grundlegendes Recht
handelt, kann die ungewisse Hoffnung auf einen zusätzlichen thera-
peutischen Effekt keinesfalls genügen, diesen massiven Eingriff in
die persönliche Freiheit bzw. in die Glaubens- und Gewissensfreiheit
des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Das verfügte Verbot der
üblichen ein bis zwei Besuche pro Woche erweist sich daher als un-
verhältnismässig und ist aufzuheben.
6. Der Zwangsmassnahmen-Entscheid vom 17. November 2000
sieht den Entzug der Bibel vor.
a) Wie beim Besuchsverbot der Seelsorgerin stellt sich auch
hier die Frage, ob es sich dabei um eine Zwangsmassnahme im Sinne
von § 67e
bis
Abs. 1 EG ZGB handelt. Für den Beschwerdeführer ist
die Bibel zweifellos ein wichtiges Buch, mit dem er sich häufig und
intensiv beschäftigt. Indem dem Beschwerdeführer, der sich bereits
im verschlossenen Isolationszimmer aufhält, das Lesen seiner Bibel
verunmöglicht wird, wird ihm die persönliche Freiheit zusätzlich
beschränkt, weshalb eine Zwangsmassnahme im Sinne der genannten
Norm vorliegt.
2000
Verwaltungsgericht
200
b) Der Entzug der Bibel als Zwangsmassnahme gestützt auf
§ 67e
bis
EG ZGB ist nur zulässig, wenn er medizinisch indiziert und
verhältnismässig ist.
aa) Nach Ansicht des behandelnden Arztes verstärkt die Aus-
einandersetzung mit der Bibel den religiösen Wahn. Wie schon beim
Besuchsverbot der Seelsorgerin beabsichtigt er mit der Massnahme
einen Reizentzug und damit eine Hinwendung des Beschwerdefüh-
rers zum Alltäglichen. Es soll damit verhindert werden, dass er noch
mehr in seine Wahnwelt abtauchen könne. Nach seiner Einschätzung
habe der Entzug der Bibel die Aggressionen des Beschwerdeführers
nicht verstärkt. Er habe das Buch auch kampflos hergegeben. Ziel
der flankierenden Massnahmen (Besuchsverbot und Bibelentzug) sei
ein erzieherisches, das aber nur erreicht werden könne, wenn der
Lernprozess längere Zeit andaure.
Das Gericht zweifelt - wie schon beim Besuchsverbot der Seel-
sorgerin - aufgrund des seit Jahren anhaltenden chronischen Zu-
standsbildes des Beschwerdeführers an den Erfolgschancen der ver-
fügten Massnahme. Aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdefüh-
rer in erregtem Zustand gewisse für ihn wichtige Bibelzitate even-
tuell nicht sofort findet und durch das Suchen und Blättern noch
erregter wird, kann ein gewisser Beruhigungseffekt und damit die
medizinische Indikation dieser Anordnung allerdings nicht ausge-
schlossen werden.
bb) Der Bibelentzug ist unverhältnismässig, wenn damit die
persönliche Freiheit des Beschwerdeführers über das notwendige
Mass hinaus beschränkt wird. Bereits die Isolierung stellt einen
schweren Eingriff in die persönliche Freiheit dar und betrifft deren
Kerngehalt (BGE 126 I 115). Die Tatsache, dass der im Isolations-
zimmer eingeschlossene Beschwerdeführer zusätzlich nicht in sei-
nem Lieblingsbuch lesen darf, stellt einen noch tiefgreifenderen Ein-
griff in seine persönliche Freiheit dar und kann daher nur verhältnis-
mässig sein, wenn diese Massnahme zur Gewährung der nötigen
persönlichen Fürsorge unumgänglich ist, d.h. wenn ohne diese An-
2000
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
201
ordnung eine mögliche Heilung verhindert oder eine akute Gefahr
für Leib und Leben eintreffen würde. Zum Vergleich sei darauf hin-
gewiesen, dass gemäss Bundesgericht Untersuchungsgefangene und
ausländerrechtliche Administrativhäftlinge gestützt auf die persönli-
che Freiheit und auf Art. 10 Ziff. 1 EMRK sogar ein Recht auf die
Zustellung von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern haben. Einzig
bei Untersuchungshäftlingen gilt bei Kollusionsgefahr die Beschrän-
kung, dass Drucksachen nur über Verlage oder Buchhandlungen
bezogen werden können (BGE 122 I 234). Umso mehr muss ein
isolierter, geisteskranker Patient die Möglichkeit haben, in seiner
Bibel zu lesen. Das Recht in der eigenen Bibel zu lesen berührt zu-
dem den Kerngehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit und ist
daher grundsätzlich unantastbar (Art. 36 Abs. 4 BV). So verbietet die
Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit auch, dass Strafgefan-
genen religiöse Bücher, die ihnen von Dritten zur Verfügung gestellt
werden, entzogen werden (ZBl 1994, S. 398).
Wie bereits mehrfach ausgeführt wurde, besteht die primäre
ärztliche Behandlung des Beschwerdeführers in einer medikamentö-
sen Therapie mit Neuroleptika. In der akut psychotischen Phase ist
zusätzlich eine gewisse Reizabschirmung sinnvoll und auch zum
Schutz der übrigen Patienten und des Personals verhältnismässig.
Mit diesen Massnahmen ist zwar keine Heilung der chronischen
Schizophrenie zu erwarten, jedoch eine Verbesserung des Zustands-
bildes, so dass der Beschwerdeführer in einigen Wochen wieder in
einem freieren Rahmen in der Klinik leben kann. Selbst wenn der
Entzug der Bibel einen kleinen Beitrag zur Beruhigung des Be-
schwerdeführers leisten kann, ist die damit verbundene tiefgreifende
Einschränkung der Freiheitsrechte des Beschwerdeführers unverhält-
nismässig. Der angestrebte Erfolg ist nach ärztlicher und fachrichter-
licher Meinung mit den angeordneten medizinisch indizierten Mass-
nahmen der medikamentösen Behandlung und der - vorübergehen-
den - Isolation anzustreben und selbst gewisse Nachteile wie eine
zeitliche Verzögerung, die durch das Bibellesen entstehen könnten,
2000
Verwaltungsgericht
202
rechtfertigen diesen massiven Eingriff in den Kerngehalt des Grund-
rechts des Beschwerdeführers nicht. Zum Schutz von Leib und Le-
ben ist diese Zwangsmassnahme jedenfalls klarerweise nicht erfor-
derlich.
Der angeordnete Entzug der Bibel ist demzufolge nicht verhält-
nismässig. | 4,520 | 3,712 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-53_2000-11-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-53.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-53.pdf | AGVE_2000_53 | null | nan |
a028e8de-ba4b-5bac-a27f-87af4adbf99d | 1 | 412 | 871,612 | 1,525,219,200,000 | 2,018 | de | 2018
Migrationsrecht
97
III. Migrationsrecht
11
Familiennachzug
-
Mitwirkungspflicht der gesuchstellenden Person bezüglich Feststel-
lung des Sachverhalts und Beschaffung der erforderlichen Beweis-
mittel gemäss Art. 90 AuG (Erw. 2.3)
-
Vorlage eines gültigen Ausweispapiers der nachzuziehenden Person
als notwendige Voraussetzung der Gesuchsprüfung (Erw. 2.3.2)
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 8. Mai 2018, in
Sachen A. gegen Amt für Migration und Integration (WBE.2016.541).
Sachverhalt
A.
Die Beschwerdeführerin reiste am 25. April 2007 in die
Schweiz ein und stellte am 16. Mai 2007 in X. ein Asylgesuch
(Akten des Amtes für Migration und Integration betreffend die Be-
schwerdeführerin [MI1-act.] 5).
Mit Entscheid vom 20. November 2008 trat das BFM auf das
Asylgesuch der Beschwerdeführerin nicht ein (MI1-act. 49 ff.). Die
dagegen erhobene Beschwerde wurde durch das Bundesverwaltungs-
gericht mit Entscheid vom 13. Januar 2009 abgewiesen (MI1-
act. 56 ff.). Hierauf setzte das BFM der Beschwerdeführerin eine
Ausreisefrist bis zum 3. Februar 2009 an (MI1-act. 81).
Auf ein am 4. März 2009 eingereichtes Revisionsgesuch trat
das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 7. April 2009
nicht ein (MI1-act. 82 ff.). Die Beschwerdeführerin reichte jedoch
unmittelbar darauf am 8. April 2009 beim BFM ein Wiederer-
wägungsgesuch ein, worauf der Vollzug der Wegweisung einstweilen
ausgesetzt wurde (MI1-act. 85).
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
98
Im Jahr 2009 kam die Tochter der Beschwerdeführerin, B., zur
Welt. Nachdem der Vater der Tochter Schweizer ist und somit auch
die Tochter die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt (MI1-
act. 92, 99), erteilte das MKA der Beschwerdeführerin am 10. No-
vember 2010 eine Jahresaufenthaltsbewilligung (MI1-act. 98 f.,
118 ff.), welche in der Folge jeweils verlängert wurde (MI1-act. 133,
143, 148, 152, 160, 171).
Die Beschwerdeführerin ersuchte am 2. Juli 2012 um Bewilli-
gung des Familiennachzugs für ihre beiden Söhne C., geboren 2000,
und D., geboren 2002 (Akten des Amtes für Migration und Integra-
tion betreffend D. [MI2-act.] 1 ff. und Akten des Amtes für Migra-
tion und Integration betreffend C. [MI3-act.] 1 ff.). Mit Verfügung
vom 25. Februar 2013 lehnte das MIKA das Gesuch wegen Sozial-
hilfeabhängigkeit der Beschwerdeführerin und fehlenden Nachwei-
ses der elterlichen Sorge über die Kinder ab und verweigerte den bei-
den Kindern die Einreise in die Schweiz (MI2-act. 13 ff. und MI3-
act. 15 ff.).
Nachdem die beiden Söhne trotz des abgelehnten Gesuches of-
fenbar mit einem falschen Pass illegal in die Schweiz eingereist
waren (MI2-act. 22 f. und MI3-act. 23 f.), reichte die Beschwerde-
führerin am 9. Oktober 2014 erneut ein Familiennachzugsgesuch für
diese ein, wobei sie folgende Personalien angab: E., geboren 1998,
und F., geboren 2000 (MI2-act. 23 ff. und MI3-act. 25 ff.).
In einem Antwortschreiben vom 20. April 2015 betreffend Fra-
gen des MIKA zum Familiennachzugsgesuch stellte die Beschwerde-
führerin klar, dass es sich bei den nun in der Schweiz lebenden Kin-
dern um dieselben handle, für die sie bereits 2012 um Familiennach-
zug ersucht hatte (MI2-act. 85 f. und MI3-act. 86 f.).
Am 6. Juli 2016 wurden die Kinder durch das MIKA betreffend
Einreise in die Schweiz und Lebensumstände in der Demokratischen
Republik Kongo getrennt befragt (MI2-act. 112 ff. und MI3-
act. 111 ff.).
Da sich der aufgelaufene Saldo des Sozialhilfebezugs der Be-
schwerdeführerin per 8. August 2016 auf über CHF 121'000.00 be-
lief, lehnte das MIKA das Familiennachzugsgesuch mit Verfügung
2018
Migrationsrecht
99
vom 22. September 2016 erneut ab (MI2-act. 119 ff. und MI3-
act. 118 ff.).
B.
Gegen diese Verfügung erhob die Beschwerdeführerin durch
ihre Rechtsvertreterin am 24. Oktober 2016 beim Rechtsdienst des
MIKA (Vorinstanz) Einsprache (MI2-act. 146 ff. und MI3-
act. 145 ff.).
Am 17. November 2016 erliess die Vorinstanz folgenden Ein-
spracheentscheid (act. 1 ff.):
1.
Die Einsprache wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewie-
sen.
3.
Es werden keine Gebühren erhoben.
4.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den folgenden
Erwägungen eingegangen.
C.
Mit Eingabe vom 19. Dezember 2016 (Postaufgabe) erhob die
Beschwerdeführerin beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
(Verwaltungsgericht) Beschwerde und stellte folgende Anträge
(act. 11 ff.):
1.
Die Verfügung des Rechtsdienstes des Migrationsamtes vom 17.11.216
(richtig: 2016) sei aufzuheben und es sei der Familiennachzuges für meine
Kinder C. (geb. 2000) und D. (2002) zu bewilligen.
2.
Es sei C. und D. der Aufenthalt bei der Gesuchstellerin für die Dauer des Ver-
fahrens gem. Art. 17 Abs. 2 AuG zu gestatten.
Eventuell:
3.
Es sei die angefochtene Verfügung vom 17.11.2016 aufzuheben und die Sache
zur Neuentscheidung an die Sektion zurückzuweisen.
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
100
4.
Es sei der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren
und es ihr ein amtlicher Anwalt nach ihrer Wahl als Rechtsvertreter zu bestim-
men und sie sei von der Leistung eines Vorschusses zu befreien. Es sei ihr eine
kurze Nachfrist anzusetzen, um einen amtlichen Vertreter zu bestimmen und
um allenfalls die Beschwerde zu ergänzen-
- unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Staates -
Die Begründung ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nach-
stehenden Erwägungen.
D.
Mit Instruktionsverfügung vom 22. Dezember 2016 wurde die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Vorinstanz zur Vernehmlassung
und Einreichung aller migrationsamtlichen Akten zugestellt. Gleich-
zeitig wurde verfügt, dass über das Gesuch um Gewährung der un-
entgeltlichen Rechtspflege nach Eingang der Akten entschieden
werde (act. 19 f.). Die Vorinstanz reichte am 11. Januar 2017 die
vollständigen Akten ein, hielt an ihren Ausführungen im angefoch-
tenen Einspracheentscheid fest und beantragte die Abweisung der
Beschwerde (act. 21 f.).
E.
Mit Beschluss vom 12. Juli 2017 hat das Verwaltungsgericht
das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (An-
trag 4) und das Gesuch um Gewährung des Aufenthaltes für die
Dauer des Verfahrens (Antrag 2) abgelehnt, einen Kostenvorschuss
einverlangt und die Vernehmlassung der Vorinstanz der Beschwerde-
führerin zur allfälligen Stellungnahme zugestellt (act. 25 ff.). Die Be-
schwerdeführerin zahlte den Kostenvorschuss fristgerecht ein
(act. 41), nahm zur Vernehmlassung der Vorinstanz mit Eingabe vom
5. August 2017 Stellung und beantragte erneut die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege (act. 52 f.).
F.
Das Verwaltungsgericht hat den Fall am 8. Mai 2018 beraten
und entschieden.
2018
Migrationsrecht
101
Erwägungen
I.
1.
Einspracheentscheide des MIKA können innert 30 Tagen seit
Zustellung mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht weitergezo-
gen werden (§ 9 Abs. 1 EGAR). Beschwerden sind schriftlich einzu-
reichen und müssen einen Antrag sowie eine Begründung enthalten;
der angefochtene Entscheid ist anzugeben, allfällige Beweismittel
sind zu bezeichnen und soweit möglich beizufügen (§ 2 Abs. 1
EGAR i.V.m. § 43 VRPG).
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Einsprache-
entscheid der Vorinstanz vom 17. November 2016. Die Zuständigkeit
des Verwaltungsgerichts ist somit gegeben und auf die frist- und
formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
2.
Unter Vorbehalt abweichender bundesrechtlicher Vorschriften
oder Bestimmungen des EGAR können mit der Beschwerde an das
Verwaltungsgericht einzig Rechtsverletzungen, einschliesslich Über-
schreitung oder Missbrauch des Ermessens, und unrichtige oder un-
vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes gerügt
werden. Die Ermessensüberprüfung steht dem Gericht jedoch grund-
sätzlich nicht zu (§ 9 Abs. 2 EGAR; vgl. auch § 55 Abs. 1 VRPG).
II.
1.
1.1.
Die Vorinstanz hält im angefochtenen Einspracheentscheid fest,
dass die formellen Voraussetzungen für einen Familiennachzug nicht
erfüllt seien. Die in Aussicht gestellten Pässe und Originalurkunden
der beiden Kinder habe die Beschwerdeführerin bis heute nicht ein-
gereicht. Die Identität und die Abstammung der Kinder seien somit
weiterhin unklar und das Sorgerecht nicht belegt. Zwar könne ein
DNA-Gutachten erstellt werden, jedoch würde ein solches die Perso-
nalien der Kinder, insbesondere deren Alter, nicht klären können. Zur
Frage des Sorgerechts habe es die Beschwerdeführerin unterlassen,
der behördlichen Aufforderung zur Einreichung von Urkunden nach-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
102
zukommen, und somit ihre Mitwirkungspflicht verletzt. Weitere Be-
weisabnahmen betreffend Identität und Abstammung der Kinder
würden sich erübrigen, da das Familiennachzugsgesuch ohnehin
abzuweisen sei. Die Zweizimmerwohnung der Beschwerdeführerin
sei nicht ausreichend für vier Personen. Zudem lebe die Beschwerde-
führerin von der Sozialhilfe, wobei sich deren Saldo auf
CHF 121'598.40 (Stand August 2016) belaufe. Auch das gefestigte
Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin wegen des Schweizer Bür-
gerrechts ihrer Tochter führe zu keiner anderen Beurteilung. Das
Familiennachzugsgesuch sei nach Ablauf der Fünfjahresfrist einge-
reicht worden - unabhängig davon, auf welches Geburtsdatum der
Kinder man sich stütze. Es handle sich somit um ein nachträgliches
Familiennachzugsgesuch, womit wichtige familiäre Gründe vor-
liegen müssten. Diese lägen dann vor, wenn das Kindeswohl nur
durch einen Nachzug sachgerecht gewahrt werden könnte. Die Aus-
sagen der Beschwerdeführerin zu den Lebensverhältnissen ihrer
Kinder im Kongo seien widersprüchlich und nicht deckungsgleich
mit denjenigen ihrer Kinder. Die geltend gemachte lebensbedrohliche
Notlage im Kongo sei nicht nachgewiesen. Die Kinder hätten im
Kongo offensichtlich in geordneten Verhältnissen gelebt und dort
über ein tragfähiges Beziehungsnetz verfügt. Das Kindeswohl erfor-
dere keinen Familiennachzug, im Gegenteil sei ein solcher aufgrund
des fortgeschrittenen Alters der Kinder nicht mit dem Kindeswohl
vereinbar. Somit seien keine wichtigen familiären Gründe für einen
nachträglichen Familiennachzug ersichtlich und den beiden Kindern
keine Aufenthaltsbewilligungen zu erteilen. Ebenso wenig liege ein
persönlicher Härtefall vor, welcher die Erteilung einer Aufenthaltsbe-
willigung rechtfertigen würde. Eine existenzielle Notlage, welcher
die Kinder bei einer Rückkehr in den Kongo ausgesetzt wären, sei
nicht belegt. Einer der Söhne sei bereits volljährig und könne den
jüngeren begleiten. Die Anwesenheit in der Schweiz sei zu kurz, um
von einer engen Beziehung zur hiesigen Gesellschaft ausgehen zu
können. Zudem sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich die
beiden illegal in der Schweiz aufhielten. Dem Vollzug der Wegwei-
sung stünden überdies keine Hindernisse entgegen.
2018
Migrationsrecht
103
1.2.
Die Beschwerdeführerin bringt demgegenüber im Wesentlichen
vor, dass die Identität und die Geburtsdaten ihrer Söhne durch die
eingereichten Geburtsurkunden belegt seien. Die Beschwerde-
führerin wie auch die Kinder würden einem DNA-Test dennoch
Hand bieten. Nur aus finanziellen Gründen habe die Beschwerde-
führerin bis anhin selbst noch keinen Test durchführen lassen. Betref-
fend die Nachzugsvoraussetzung der angemessenen Wohnung ver-
weist die Beschwerdeführerin auf ihre Einsprache, worin sie geltend
macht, dass die Platzverhältnisse in ihrer Wohnung zwar begrenzt
seien, aber für die Familie zum Leben ausreichen würden. Das
Wohnen in einer Zweizimmerwohnung stelle für Menschen aus dem
afrikanischen Kulturkreis kein Problem dar. Beiden Kindern sei die
Integration gelungen: Der jüngere Sohn D. besuche die Realschule
und könne im Sommer 2017 aufgrund seiner hervorragenden schuli-
schen Leistungen in die Sekundarschule wechseln. C. nehme zwei-
mal wöchentlich an einem Deutschkurs teil und könne voraussicht-
lich im Sommer die Integrationsklasse der Schule Y. besuchen. Die
Kinder hätten im Kongo kein tragfähiges Beziehungsnetz und es sei
in Anbetracht des Kindeswohls nicht zu verantworten, die Kinder in
den Kongo zurückzuschicken. In der Schweiz könnten die beiden die
Schule besuchen und sie sprächen bereits sehr gut Deutsch. Eine
Wegweisung würde zu einer kompletten sozialen und kulturellen
Entwurzelung führen, zumal die Kinder bereits seit mehr als zwei
Jahren in der Schweiz seien. Bezüglich der Nachzugsfrist habe die
Vorinstanz fälschlicherweise das Vorliegen eines nachträglichen Fa-
miliennachzugsgesuches angenommen. Entgegen der Auffassung der
Vorinstanz beginne die Nachzugsfrist erst mit Erteilung der Aufent-
haltsbewilligung an die Beschwerdeführerin zu laufen. Der jüngere
der beiden habe das 13. Altersjahr zum Zeitpunkt des Gesuches noch
nicht vollendet, bei ihm könne somit nicht von einem nachträglichen
Familiennachzugsgesuch ausgegangen werden. Praxisgemäss wür-
den Geschwister nicht getrennt, daher sei der Ablauf der Frist für den
älteren Bruder unbeachtlich. Die Beschwerdeführerin habe nicht nur
einen sehr engen Kontakt zu ihren Söhnen, sondern unterstütze sie
auch finanziell und habe dies auch schon getan, als ihre Söhne noch
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
104
im Kongo gelebt hätten. Die Beschwerdeführerin habe ihre Mitwir-
kungspflicht nicht verletzt, vielmehr sei es aufgrund der Unter-
suchungsmaxime an den Behörden, im Zweifelsfalle abzuklären, ob
das Kindeswohl im Falle einer Wegweisung verletzt werde. Der Be-
schwerdeführerin könne wegen des Schweizer Bürgerrechts ihrer
Tochter nicht zugemutet werden, mit allen Kindern in ihr Heimatland
zurückzukehren. Die vorinstanzliche Begründung, weshalb keine
Vollzugshindernisse vorlägen, sei ungenügend. Die Sache sei daher
eventualiter an die Sektion zurückzuweisen, welche die Frage von
Vollzugshindernissen, insbesondere die Zumutbarkeit des Wegwei-
sungsvollzuges, noch einmal eingehend zu prüfen habe.
Mit ihrer weiteren Eingabe vom 5. August 2017 teilte die Be-
schwerdeführerin mit, für ihre Söhne werde seit März 2017 Sozial-
hilfe ausbezahlt und die Familie werde im September 2017 in Z. eine
41⁄2-Zimmerwohnung beziehen. Der jüngere Sohn besuche ein wei-
teres Jahr die Realschule und der ältere Sohn sei inzwischen an der
Schule Y. (Integrationsangebot) aufgenommen worden. Die Be-
schwerdeführerin selbst beginne im August 2017 eine Ausbildung
zur Pflegehelferin.
2.
2.1.
Gemäss Art. 44 AuG kann ausländischen Ehegatten und ledigen
Kindern unter 18 Jahren von Personen mit Aufenthaltsbewilligung
eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, wenn sie mit diesen zu-
sammenwohnen (lit. a), eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden ist
(lit. b) und sie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind (lit. c). Die
Voraussetzungen von Art. 44 lit. a bis c AuG müssen kumulativ er-
füllt sein und die Fristen für den Familiennachzug gemäss Art. 73
VZAE eingehalten werden.
2.2.
Das Gesuch um Bewilligung des Familiennachzugs von Ehegat-
ten und Kindern gestützt auf Art. 44 AuG ist gemäss Art. 73 Abs. 1
VZAE innerhalb von fünf Jahren einzureichen und Kinder über
zwölf Jahre müssen innerhalb von zwölf Monaten nachgezogen
werden. Die Fristen beginnen mit der Erteilung der Aufenthalts- oder
2018
Migrationsrecht
105
Niederlassungsbewilligung oder der Entstehung des Familienverhält-
nisses zu laufen (Art. 73 Abs. 2 VZAE).
Hat ein nachzuziehendes Kind sein zwölftes Altersjahr beendet,
verbleibt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung lediglich noch
eine Frist von zwölf Monaten zur Einreichung des Nachzugsgesuchs.
Die Frist beginnt am Tag nach dem zwölften Geburtstag und endet
am Tag nach dem dreizehnten Geburtstag des nachzuziehenden
Kindes (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 16. Juli 2015
[2C_201/2015], Erw. 3, sowie zur konkreten Fristberechnung VGE
vom 7. August 2015 [WBE.2015.27], Erw. II/2.2.2).
Werden die Fristen nicht eingehalten, liegt ein nachträglicher
Familiennachzug vor. Dieser ist nur bei Vorliegen wichtiger fami-
liärer Gründe zu bewilligen (Art. 47 Abs. 4 AuG; Art. 73 Abs. 3
VZAE).
2.3.
2.3.1.
Gemäss Art. 90 AuG trifft den um Familiennachzug ersuchen-
den Elternteil eine Mitwirkungspflicht bezüglich Feststellung des
Sachverhalts und Beschaffung der erforderlichen Beweismittel. Bei
der Anmeldung ist ein gültiges Ausweispapier vorzulegen und die
Anmeldung darf erst nach Vorliegen aller notwendigen Dokumente
erfolgen (Art. 13 Abs. 1 und 3 AuG). Die Migrationsbehörden kön-
nen die Vorweisung eines Ausweises im Original (Art. 8 Abs. 3
VZAE) und gegebenenfalls die Beglaubigung der Dokumente ver-
langen (Urteil des Bundesgerichts vom 20. Dezember 2012
[2C_234/2012], Erw. 3.4).
2.3.2.
Das BFM hat den Ablauf und die vorzulegenden Dokumente in
der Weisung 322.126 vom 25. Juni 2012 mit dem Titel Einreise-
gesuche im Hinblick auf einen Familiennachzug: DNA-Profil und
Prüfung von Zivilstandsurkunden konkretisiert (vgl. https://www.
sem.admin.ch/dam/data/sem/rechtsgrundlagen/weisungen/auslaender
/familie/20120625-weis-dnaprofil-familiennachzug-d.pdf; zuletzt be-
sucht am 8. Mai 2018).
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
106
Der Weisung ist Folgendes zu entnehmen:
1. Prüfung von Gesuchen um Familiennachzug
a. Gesuche um Familiennachzug von Ehegatten und Kindern unter achtzehn
Jahren werden behandelt, wenn die um Familiennachzug ersuchenden Per-
sonen - allenfalls zusammen mit ihren gesetzlichen Vertreterinnen oder Ver-
tretern - unabhängig von der beabsichtigten Aufenthaltsdauer und vom Auf-
enthaltsort des sorgeberechtigten Elternteils persönlich vorsprechen. Die
gesuchstellenden Personen haben dabei die notwendigen Zivilstandsurkunden
vorzulegen.
b. Die Auslandvertretung hat in einem summarischen Verfahren zu prüfen, ob
die Einreisebedingungen erfüllt sind (Vollständigkeit der Angaben, gültiger
Reisepass, Kontrolle der Urkunden ohne aufwendige Dokumentenprüfungen).
Danach leitet sie das Gesuch mit den relevanten Urkunden an die kantonale
Ausländerbehörde weiter.
c. Erachtet sie dies als notwendig, verfasst die Auslandvertretung eine Stel-
lungnahme, in der sie auf die Besonderheiten des jeweiligen Landes oder des
betreffenden Falles hinweist (Indizien für eine Scheinehe, für Käuflichkeit
oder Fälschung der Urkunden, für Menschen- oder Kinderhandel oder Hin-
weise auf andere Umstände, die für die Auslandvertretung aufgrund ihrer
Ortskenntnisse entscheidend sind). Sie kann ergänzend eine Empfehlung
zuhanden der kantonalen Ausländerbehörde abgeben, ob eine Dokumenten-
überprüfung oder ein DNA-Test angezeigt ist. Sie teilt mit, wie hoch die Kos-
ten für eine Überprüfung der Zivilstandsdokumente und/oder einen DNA-Test
in Schweizer Franken zu stehen kommen.
d. Die kantonale Ausländerbehörde wartet den Eingang des Visumgesuchs mit
der Stellungnahme und der Empfehlung der Auslandvertretung ab, bevor sie
prüft, ob die Voraussetzungen für den Familiennachzug in der Schweiz erfüllt
sind (finanzielle Mittel, Wohnung, Verhalten der bereits in der Schweiz leben-
den Personen). Sofern das Gesuch in dieser Phase des Verfahrens nicht bereits
aus anderen Gründen abgelehnt werden muss, entscheidet sie auf dieser
Grundlage darüber, ob weitere Abklärungen im Ausland durchzuführen sind
(Dokumentenüberprüfung, Einsatz einer Vertrauensanwältin oder eines Ver-
trauensanwalts, DNA-Test usw.).
Als unabdingbare Voraussetzung für eine Gesuchsprüfung ist
damit auf jeden Fall ein gültiges Ausweispapier vorzulegen, wobei
das MIKA die Einreichung eines Ausweises im Original verlangen
2018
Migrationsrecht
107
kann (vgl. Art. 13 Abs. 1 AuG; Art. 8 Abs. 3 VZAE und Ziff. 1 lit. b
der Weisung).
2.3.3.
Die Beschwerdeführerin hat bislang weder bei der zuständigen
Schweizer Botschaft in Kinshasa vorgesprochen, noch gültige Aus-
weispapiere für ihre beiden Söhne eingereicht. Dies obschon sie mit
Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. Juli 2017 unmissver-
ständlich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Pflicht, gül-
tige und anerkannte Ausweispapiere einzureichen, auch dann gelte,
wenn die nachzuziehenden Personen sich bereits (illegal) in der
Schweiz aufhalten würden und direkt bei der kantonalen Migrations-
behörde ein Gesuch um Familiennachzug gestellt werde.
Konkret wurde festgehalten (Erw. 12.3):
Im vorliegenden Fall sind insbesondere die Pässe der nachzuziehenden Kinder
sowie aufgrund der diversen sich widersprechenden Geburtsurkunden beglau-
bigte und durch die zuständige Schweizer Auslandvertretung verifizierte Ge-
burtsurkunden vorzulegen. Zudem hat die Beschwerdeführerin den Nachweis
der Elternschaft und des Sorgerechts über die nachzuziehenden Kinder zu er-
bringen.
Nachdem bis zum heutigen Zeitpunkt weder rechtsgenügliche
amtliche Dokumente der Kinder noch Belege über die elterliche
Sorge vorliegen, steht fest, dass die Beschwerdeführerin ihrer Mit-
wirkungspflicht nicht nachgekommen ist. Die Beschwerdeführerin
hätte seit August 2017 genügend Zeit gehabt, die notwendigen Doku-
mente zu beschaffen und einzureichen. Gründe, weshalb gestützt auf
Art. 8 Abs. 2 VZAE von der Einreichung von Ausweispapieren abge-
sehen werden könnte, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht
geltend gemacht. Die Beschaffung von Ausweisen ist weder unmög-
lich noch unzumutbar. Es kann auch keine Rede davon sein, dass bei
der Beschwerdeführerin besondere Umstände vorliegen würden, die
aus anderen Gründen eine Behandlung des Familiennachzugsgesuchs
ohne Vorliegen der Reisepässe und der beglaubigten Geburtsur-
kunden rechtfertigen würden. Im Ergebnis fehlt es mit den gültigen
Ausweispapieren der Kinder an einer notwendigen Voraussetzung für
die Gesuchsprüfung, wobei dieser Umstand der Beschwerdeführerin
zuzurechnen ist. Unabhängig von der Frage, ob die weiteren Voraus-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
108
setzungen für die Bewilligung eines Familiennachzugs erfüllt sind,
hat die Vorinstanz die Einsprache deshalb zu Recht abgewiesen und
den Familiennachzug verweigert.
3.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Voraussetzungen
zur Behandlung des Familiennachzugsgesuchs nicht erfüllt sind,
womit die Beschwerde abzuweisen ist.
4.
Anzumerken bleibt, dass unter diesen Umständen offen bleiben
kann, ob es sich vorliegend um ein nachträgliches Familiennachzugs-
gesuch handelt und, falls ja, ob das Gesuch aufgrund wichtiger
Gründe im Sinne von Art. 47 Abs. 4 AuG zu bewilligen wäre.
5.
Sodann sind vorliegend keine Hinweise auf eine konkrete Ge-
fährdung der Söhne der Beschwerdeführerin in deren Heimatland
Kongo ersichtlich, aufgrund derer eine Rückkehr dorthin unzumutbar
im Sinn von Art. 83 Abs. 4 AuG wäre und welche somit dem Vollzug
der Wegweisung entgegenstehen würden. An dieser Beurteilung
ändert sich vorliegend - entgegen der Auffassung der Beschwerde-
führerin - auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 des Über-
einkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989
(Kinderrechtskonvention, KRK; SR 0.107) nichts. Konkrete Gründe
für eine Gefährdung werden denn auch in der Beschwerde weder
rechtsgenüglich dargetan noch behauptet. Für eine Aufhebung des
Einspracheentscheids und eine Rückweisung zur Neubeurteilung,
wie sie die Beschwerdeführerin eventualiter beantragt, besteht daher
keine Veranlassung. Auch ansonsten sind keine Vollzugshindernisse
im Sinn von Art. 83 AuG ersichtlich.
III.
1.
Im Beschwerdeverfahren werden die Verfahrenskosten nach
Massgabe des Unterliegens und Obsiegens auf die Parteien verlegt
(§ 31 Abs. 2 VRPG). Nachdem die Beschwerdeführerin unterliegt,
gehen die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu ihren
Lasten. Eine Parteientschädigung fällt ausser Betracht (§ 32 Abs. 2
VRPG).
2018
Migrationsrecht
109
2.
Das wiedererwägungsweise gestellte Gesuch um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege ist unter Verweis auf die Be-
gründung des Beschlusses vom 12. Juli 2017 abzulehnen.
(Hinweis: Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig. Ver-
fahrensnummer des Bundesgerichts: 2C_504/2018) | 5,366 | 4,267 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-11_2018-05-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-11.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-11.pdf | AGVE_2018_11 | null | nan |
a05f8bd3-e9c7-572e-8702-5cf2a3f63be6 | 1 | 412 | 870,484 | 994,204,800,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsrechtspflege
363
XIII. Verwaltungsrechtspflege
77 Teilurteil im Beschwerdeverfahren nach § 28 BauG und § 6 Abs. 2
ABauV.
- Voraussetzungen für den Erlass eines Teilentscheids (Erw. 2a und b)
- Der Entscheid über die Höhe der Parteikosten in einem Verwaltungs-
oder verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren über einen Nut-
zungsplan kann nicht Gegenstand eines Teilurteils sein ( Erw. 2c)
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 3. Juli 2001 in Sachen
V. gegen Entscheide des Regierungsrats
Aus den Erwägungen
1. a) Der Beschwerdeführer beschränkt sich in seiner Be-
schwerde vom 11. Dezember 2000 zunächst auf den Entschädi-
gungspunkt des Beschwerdeverfahrens und stellt bedingte Anträge
mit denen er den Genehmigungsentscheid rügt. In der Eingabe vom
20. Januar 2001 stellt er den Verfahrensantrag, wonach das verwal-
tungsgerichtliche Beschwerdeverfahren zunächst auf die Rechtsfra-
gen im Zusammenhang mit der Festsetzung der Parteikosten im Be-
schwerdeverfahren zu beschränken sei. Diese Fragen seien "im Sinne
einer Vorfrage vorab zu behandeln und mit einem Teilentscheid zu
beantworten". Der Beschwerdeführer verlangt sodann, dass ihm nach
der Eröffnung des Teilentscheides Gelegenheit gegeben werde, zu
entscheiden, ob er die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den
Genehmigungsentscheid des Regierungsrates aufrecht erhalten wolle
oder nicht.
b) Der Regierungsrat schliesst sich in seiner Vernehmlassung
vom 9. Februar 2001 dem Antrag auf einen Teilentscheid an, im
wesentlichen mit der Begründung, die Anwendung des Anwaltstarifs
2001
Verwaltungsgericht
364
könne bei hohen Streitwerten zu stossenden Parteientschädigungen
führen.
Als grundsätzlich unzweckmässig erachtet der Gemeinderat Of-
tringen in seiner Stellungnahme vom 30. Januar 2001 den bean-
tragten Teilentscheid, da er zu Verfahrensverzögerungen führe. Er
glaubt aber, dass vorliegend ein Teilentscheid der Vereinfachung und
Beschleunigung des Verfahrens diene.
Die Beschwerdegegner vertreten in ihrer Eingabe vom
12. Februar 2001 die Auffassung, ein Teilentscheid sei unzulässig, da
die Voraussetzungen nach der Praxis nicht erfüllt seien.
2. a) Teilentscheide sind Urteile, mit denen über eine Vorfrage,
eine Grundsatzfrage oder einen Teilaspekt des Streitgegenstandes
vorab selbständig, materiell entschieden wird (vgl. Alfred Koelz/Isa-
belle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des
Bundes, 2. Auflage, Zürich 1998, Rz. 896; BGE 121 II 119;
Bernische Verwaltungsrechtsprechung [BVR] 1996, S. 468). Das
VRPG enthält über den Erlass eines Teilentscheides, mit dem über
einen Teil des Entscheidgegenstandes endgültig entschieden wird,
keine Bestimmungen (Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Nor-
menkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Ver-
waltungsrechtspflege vom 9. Juli 1968, Diss. Zürich 1998, § 38
N 50; AGVE 1994, S. 232 unten). Grundsätzlich setzt ein Teilent-
scheid voraus, dass eine Abspaltung der Teilfrage vom Endurteil zu-
lässig, aus prozessökonomischen Gründen zweckmässig und im Inte-
resse der Verfahrensbeteiligten geboten ist. Die Praxis lässt daher
Teilentscheide ausnahmsweise zu, wenn sie zu einer erheblichen
Vereinfachung des Verfahrens führen, oder wenn sie durch ein hin-
reichendes Interesse insbesondere der Verfahrensbeteiligten gefordert
werden (AGVE 1994, S. 232 f.; Entscheid des Verwaltungsgerichtes
[VGE] III/30 vom 2. März 2000 in Sachen K. und J. gegen W. und
W.; VGE III/50 vom 27. April 2000 in Sachen Z. R. und W. gegen
Baudepartement). Besteht aber die Gefahr, dass der Entscheid über
den verbleibenden Entscheidgegenstand in Wechselwirkung mit dem
Teilentscheid steht, ist ein Teilentscheid unzulässig (Merker, a.a.O.,
§ 30 N 47).
2001
Verwaltungsrechtspflege
365
b) Zu unterscheiden ist der Teilentscheid vom Zwischenent-
scheid. Zwischenentscheide sind prozessleitende Entscheide, die das
Verfahren nicht abschliessen, sondern zum Endentscheid führen
(Merker, a.a.O., § 38 N 53; AGVE 1992, S. 454; Attilio Gadola, Das
verwaltungsinterne Beschwerdeverfahren, Diss. Zürich 1991,
S. 298). Der Beschwerdeführer möchte die Höhe der Parteientschä-
digung im regierungsrätlichen Beschwerdeverfahren vorab entgültig
entschieden haben. Soweit der Beschwerdeführer in der verbesserten
Beschwerdefrist die Höhe der Parteikosten formell als "Vorfrage"
behandelt haben will und damit einen Zwischenentscheid meint, ist
dieser Antrag demnach als ein Begehren um einen Teilentscheid ent-
gegen zu nehmen.
c) Zu prüfen bleibt damit, ob ein Entscheid über die Höhe der
im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren vom Regierungsrat zuge-
sprochenen Parteientschädigung Gegenstand eines Teilurteils sein
kann.
aa) Der Kostenentscheid im Beschwerdeverfahren allgemein
und der Entscheid über die Parteientschädigung im Besonderen un-
terstehen gemäss § 28 BauG und § 6 Abs. 2 ABauV der selbständi-
gen Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Anfechtungsobjekt einer sol-
chen Beschwerde bilden jene Punkte die nicht Bestandteil des Ge-
nehmigungsentscheides im Sinne von § 27 Abs. 1 BauG sind, vorlie-
gend der Kosten- bzw. Entschädigungsentscheid des Regierungsrats.
Da der Beschwerdeführer nur die Höhe der verlegten Parteientschä-
digung gerügt hat, ist die Parteientschädigung der einzige Streitge-
genstand im gesonderten Beschwerdeverfahren. Der vom Beschwer-
degegner anbegehrte Teilentscheid über die Parteientschädigung
beinhaltet somit die Beurteilung des gesamten Streitgegenstandes des
Beschwerdeverfahrens. Wird aber der ganze Streitgegenstand auf
einmal beurteilt, ist in diesem Beschwerdeverfahren ein Teilurteil
ausgeschlossen.
bb) Im Beschwerdeverfahren gegen den Genehmigungsent-
scheid des Regierungsrates setzt ein Teilentscheid primär voraus,
dass eine Abtrennung von Rechtsfragen zulässig und möglich ist. Die
im Teilentscheid beurteilten Fragen müssen einen sachlichen Konnex
zu den Entscheidgegenständen im Endentscheid aufweisen. Dieser
2001
Verwaltungsgericht
366
verlangte sachliche Konnex zwischen dem Teil- und dem Endent-
scheid fehlt aber vorliegend. Der Entscheid des Regierungsrats über
die Anwendung des Anwaltstarifs und die Höhe der im Beschwerde-
verfahren zugesprochenen Parteientschädigung ist nicht Gegenstand
der Beschwerde gegen den Genehmigungsentscheid. Eine Auf- bzw.
Abspaltung dieser Frage von der Beurteilung des materiellen Ge-
nehmigungsentscheids ist daher prozessual nicht möglich.
Im Verfahren betreffend Anfechtung von Nutzungsplanungen
gemäss § 28 BauG ist das Anfechtungsobjekt der materiellen Be-
schwerde gegen den Genehmigungsentscheid vom Anfechtungsob-
jekt, welches der gesonderten Beschwerde gemäss § 6 Abs. 2 ABauV
unterliegt, verschieden. Anfechtungsobjekt der Verwaltungsgerichts-
beschwerde gemäss § 28 BauG i.V.m. § 6 Abs. 2 ABauV ist nur der
Beschwerdeentscheid, soweit er nicht durch den Genehmigungsent-
scheid abgelöst wurde. Im Beschwerdeverfahren gegen den (materi-
ellen) Genehmigungsentscheid ist hingegen dieser das Anfechtungs-
objekt und die materiellen Erwägungen des Beschwerdeentscheides
sind nur insoweit zu prüfen, als sie im Genehmigungsentscheid be-
stätigt wurden. Die Entscheidung der Beschwerdeinstanz über die
Parteientschädigung des Verwaltungsverfahrens gehört nicht dazu.
Der Entscheid über die zulässige Höhe der Parteientschädigung im
Beschwerdeverfahren gemäss § 26 BauG vor dem Regierungsrat ist
demnach ohne rechtlichen oder sachlichen Zusammenhang mit dem
Anfechtungsobjekt und dem Streitgegenstand des verwaltungsge-
richtlichen Beschwerdeverfahrens gegen den Genehmigungsent-
scheid. Der Beschwerdeführer übersieht in seiner Argumentation,
dass es sich um zwei unterschiedliche Anfechtungsobjekte handelt
und auch der Streitgegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gegen den Genehmigungsentscheid sich von jenem der verwaltungs-
gerichtlichen Beschwerde gegen den Beschwerdeentscheid unter-
scheidet. Ein Teilentscheid über die Höhe der Parteientschädigung
des regierungsrätlichen Beschwerdeentscheids ist auch im verwal-
tungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren unzulässig.
Über die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdever-
fahrens hat das Verwaltungsgericht von Amtes wegen zu entscheiden
(§ 33 Abs. 2 - 4 VRPG) und gemäss § 36 Abs. 1 VRPG ist dem
2001
Verwaltungsrechtspflege
367
Obsiegenden eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen.
Der Entscheid über die Parteientschädigung ist vom Ausgang des
Hauptverfahrens abhängig und mit dem Endurteil zu fällen. Auch die
Angemessenheit einer Parteientschädigung ist vor Abschluss des
Urteils nicht beurteilbar. Die Kostennote des Parteivertreters der
obsiegenden Partei kann von der Sache her erst nach Beendigung des
Verfahrens geprüft werden. Der Entscheid über die Parteientschädi-
gung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kann deshalb grund-
sätzlich nicht Gegenstand eines Teilentscheides im Beschwerdever-
fahren nach § 28 BauG sein. | 1,953 | 1,463 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-77_2001-07-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-77.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-77.pdf | AGVE_2001_77 | null | nan |
a0b836bd-0ea2-5390-b5fe-d821cceb8573 | 1 | 412 | 870,508 | 1,075,766,400,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsrechtspflege
277
[...]
76
Rechtzeitigkeit der Beschwerde.
- Wird eine Verfügung mit gewöhnlicher Post zugestellt, fällt die Be-
weislast für das Empfangsdatum der Behörde zu, weil sie durch den
uneingeschriebenen Versand der Verfügung die Beweislosigkeit verur-
sacht hat; wird die Tatsache oder das Datum der Zustellung uneinge-
schriebener Sendungen bestritten, muss daher im Zweifel auf die
Darstellung des Empfängers abgestellt werden.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. Februar 2004 in
Sachen S. AG gegen Gemeinderat Rothrist.
2004
Verwaltungsgericht
278
Aus den Erwägungen
3. Der Gemeinderat vertritt den Standpunkt, auf die Beschwerde
sei nicht einzutreten, da sie verspätet eingereicht worden sei.
a) Die angefochtene Verfügung des Gemeinderats Rothrist da-
tiert vom 15. Oktober 2003. Gemäss Eingangsstempel ist sie der
Beschwerdeführerin am 20. Oktober 2003 zugegangen. Es ist allseits
unbestritten, dass die Verfügung trotz des Vermerks "Einschreiben"
(irrtümlich) mit A-Post verschickt worden ist.
Nach Darstellung des Gemeinderats wurde die Verfügung am
16. Oktober 2003 zusammen mit anderen Postsendungen der Post
übergeben. Eine Empfangsbestätigung könne, da die Sendung nicht
eingeschrieben erfolgt sei, nicht beigebracht werden. Nach dem ge-
wöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung
könne aber ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Brief
am 17., spätestens aber am 18. Oktober 2003 bei der Beschwerde-
führerin eingetroffen sei. Das gleichzeitig der Post übergebene
Schreiben an die F. AG sei dieser am 17. Oktober 2003 zugegangen.
Die Beschwerdeführerin weist ihrerseits darauf hin, dass die an
die S. AG Schöftland adressierten Briefe von der Poststelle Schöft-
land an die Poststelle Sursee zugestellt und von dort an die S. AG
Sursee weitergeleitet würden. Dies erkläre, weshalb die Zustellung
der Verfügung vom 15. Oktober 2003 an die Beschwerdeführerin erst
am 20. Oktober 2003 erfolgt sei.
b) Wo der Nachweis von Tatsachen über die rechtzeitige Aus-
übung eines fristgebundenen, verwirkungsbedrohten Rechts im Pro-
zess in Frage steht, ist über die streitige Tatsache der volle (strikte)
Beweis zu erbringen; der blosse Wahrscheinlichkeitsbeweis genügt
nicht (BGE 119 V 10; Pra 1995 Nr. 287, S. 976). Bei der Zustellung
einer Verfügung bzw. dem Zeitpunkt der Zustellung, welche die
Rechtsmittelfrist auslösen, handelt es sich um solche Tatsachen, denn
Rechtsmittelfristen sind Verwirkungsfristen (Ulrich Häfelin / Georg
Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich 2002, Rz.
795). Die Beweislast für die Zustellung einer Verfügung und für den
Zeitpunkt der Zustellung trägt die Verwaltungsbehörde (BGE 114 III
51; AGVE 1997, S. 230). Wird eine Verfügung mit gewöhnlicher
2004
Verwaltungsrechtspflege
279
Post zugestellt, fällt die Beweislast für das Empfangsdatum der
Behörde zu, weil sie durch den uneingeschriebenen Versand der
Verfügung die Beweislosigkeit verursacht hat (BGE 92 I 258, 114 III
51; unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts, II. öffent-
lichrechtliche Abteilung, vom 5. Juli 2000 in Sachen Sch., S. 4 f. mit
weiteren Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung;
AGVE 1975, S. 400). Wird die Tatsache oder das Datum der Zustel-
lung uneingeschriebener Sendungen bestritten, muss daher im Zwei-
fel auf die Darstellung des Empfängers abgestellt werden
(AGVE 1984, S. 542 f.).
c) Da die Verfügung vom 15. Oktober 2003 uneingeschrieben
versandt wurde, vermag die Vergabebehörde den genauen Zeitpunkt
der Zustellung nicht durch eine Empfangsbestätigung nachzuweisen.
Demzufolge ist auf die - im Übrigen durchaus nachvollziehbare und
glaubhaft erscheinende - Darstellung der Beschwerdeführerin, die
Verfügung sei bei ihr erst am Montag, den 20. Oktober 2003
eingegangen, abzustellen.
d) Die Beschwerdefrist von 10 Tagen begann somit am
21. Oktober 2003 zu laufen und endete am 30. Oktober 2003. Die
vorliegende Beschwerde wurde am 30. Oktober 2003 der Schweize-
rischen Post übergeben und somit fristgerecht beim Verwaltungsge-
richt eingereicht. Auf die Beschwerde ist demzufolge einzutreten. | 904 | 753 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-76_2004-02-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-76.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-76.pdf | AGVE_2004_76 | null | nan |
a0fd156f-a016-50ce-9f76-1be9cea92006 | 1 | 412 | 869,703 | 1,086,134,400,000 | 2,004 | de | 2004
Kantonale Steuern
121
[...]
29
Abzug von Schuldzinsen (§ 40 lit. a StG).
- Die Abzugsfähigkeit des Schuldzinsenanteils beim Leasingvertrag
hängt von der konkreten Ausgestaltung ab. Ob zivilrechtlich ein Ab-
zahlungs- bzw. Konsumkreditvertrag vorliegt, ist steuerlich irrele-
vant.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 25. Juni 2004 in Sa-
chen T.K. gegen Steuerrekursgericht.
2004
Verwaltungsgericht
122
Aus den Erwägungen
2. Gemäss § 40 lit. a StG werden von den Einkünften die pri-
vaten Schuldzinsen bis zu einem bestimmten Höchstmass abgezogen.
Voraussetzung einer steuerlich zu beachtenden Zinsschuld ist das
Vorhandensein einer Kapitalschuld, d.h. die nicht unentgeltliche
Gewährung oder Vorenthaltung einer Geldsumme oder eines Kapi-
tals, wobei dieses Entgelt nach der Zeit und als Quote des Kapitals in
Prozenten berechnet wird. Kein Schuldzins im Sinne des Steuerge-
setzes liegt dagegen vor, wenn eine Abhängigkeit zwischen Kapital-
schuld und Zins fehlt, wie etwa beim Mietzins. Als abziehbare
Schuldzinsen gelten nur Leistungen, die rechtlich nicht zur Tilgung
einer bestehenden Kapitalschuld dienen (vgl. ASA 62/1993-94, S.
684 f. = StE 1993, B 27.2 Nr. 14; StE 2001, B 25.6 Nr. 45, Erw. 5/c;
Daniel Aeschbach, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, Band
1, 2. Auflage, Muri/Bern 2004, § 40 N 17; Markus Reich, in: Kom-
mentar zum schweizerischen Steuerrecht, Band I/1 [StHG], Ba-
sel/Frankfurt a.M. 1997, Art. 9 N 33). Vorliegend ist - aufgrund der
bestehenden zivilrechtlichen Verhältnisse - zu prüfen, ob eine Kapi-
talschuld in diesem Sinne vorliegt.
3. a) Die Grundstruktur des typischen Leasingvertrags lässt sich
wie folgt umschreiben: Der Leasinggeber überlässt dem Leasing-
nehmer auf eine fest bestimmte Zeit ein wirtschaftliches Gut
(Leasingobjekt) zur freien Verwendung und Nutzung (aber nicht zum
unbeschwerten Haben), wobei das volle Erhaltungsrisiko in der
Regel vertraglich auf den Leasingnehmer übertragen wird. Hierfür
leistet der Leasingnehmer ein Entgelt, das in Teilleistungen zu ent-
richten ist (Leasingraten oder -zins). Die kapitalisierten Raten ent-
sprechen dabei einem Betrag, der dem auf Vertragsende verzinsten
Verkehrswert (Herstellungs- oder Anschaffungskosten) voll oder
teilweise entspricht. Ob ein Drei-Parteien-Verhältnis, bei welchem
ein unabhängiger Dritter (oft eine Leasing-Gesellschaft) einbezogen
wird, der das vom (späteren) Leasingnehmer zunächst beim Händler
ausgesuchte Leasingobjekt im Hinblick auf das Leasingverhältnis
durch Kauf erwirbt, begriffsnotwendig ist, wird in der Lehre nicht
einheitlich beantwortet. Beim "Leasing" sind zahlreiche Unterarten
2004
Kantonale Steuern
123
und Variationen denkbar, indessen ist nicht alles, was von den Ver-
tragsparteien als Leasingvertrag bezeichnet wird, auch als solcher zu
qualifizieren (BGE 119 II 238 = Pra 84/1995, S. 327 f.; Walter
R. Schluep/Marc Amstutz, in: Basler Kommentar, OR I, 3. Auflage,
Basel 2003, Einleitung vor Art. 184 ff. N 81 ff. mit Hinweisen).
b) Die steuerliche Abzugsfähigkeit des in den Leasingraten ent-
haltenen Zinsanteils hängt von den vertraglichen Vereinbarungen ab;
entscheidend ist, ob das Vertragsobjekt nach dem Willen der Ver-
tragsparteien zu Eigentum oder nur zum Gebrauch überlassen wurde.
Je nachdem ist der Leasingvertrag als mietähnliches Geschäft, dessen
Zweck in der Nutzung statt im Kauf liegt (echtes Mobilienfinanzie-
rungsleasing), oder als Veräusserungsgeschäft in Form eines Miet-
kaufs- oder eines Abzahlungsvertrags (unechtes Mobilienfinanzie-
rungsleasing) zu qualifizieren. Liegt ein mietähnlicher Vertrag vor,
vereinbaren die Vertragsparteien also nicht mehr als eine Ge-
brauchsüberlassung, stellen die Leasingraten einzig eine Gegen-
leistung für die Nutzung des Leasinggutes und somit nicht abzugsfä-
hige Lebenshaltungskosten dar. Ist hinter dem Leasingvertrag hinge-
gen ein Veräusserungsgeschäft verborgen, welches letztendlich die
Übertragung von Besitz und Eigentum bezweckt, besteht eine Kapi-
talschuld und die eigentlichen Schuldzinsen (als Teil der Leasingra-
ten) sind abzugsfähig (vgl. zum Ganzen: StE 1992, B.27.2 Nr. 12 =
ASA 61/1992-93, S. 250 ff.; StE 1993, B.27.2, Nr. 14; Aeschbach,
a.a.O., § 40 N 34 ff.).
c) Ob nach zivilrechtlichen Grundsätzen auf einen von den
Parteien als Leasingvertrag bezeichneten Vertrag die Vorschriften
über den Abzahlungsvertrag (Art. 226a ff. OR) zur Anwendung
gelangen, ist für die steuerrechtliche Qualifikation, ob eine Kapital-
schuld vorliegt, nicht entscheidend. Diese zum Schutze der Konsu-
menten aufgestellten Vorschriften, welche unabhängig vom Veräus-
serungswillen immer dann zur Anwendung gelangen, wenn der Ver-
trag
in wirtschaftlicher Hinsicht
die gleichen Zwecke wie ein Ab-
zahlungskauf verfolgt (vgl. BGE 118 II 155; 113 II 171), sagen
nichts darüber aus, ob von den Vertragsparteien eine Veräusserung
und Eigentumsübertragung des "Leasingobjekts" gewollt war.
Das
Gleiche gilt - in ihrem Anwendungsbereich - für die Schutzbestim-
2004
Verwaltungsgericht
124
mungen des (früheren) Bundesgesetzes über den Konsumkredit vom
8. Oktober 1993 bzw. des dieses und die Art. 226a ff. OR per
1. Januar 2003 ablösenden KKG vom 10. Dezember 2001. | 1,281 | 996 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-29_2004-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-29.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-29.pdf | AGVE_2004_29 | null | nan |
a1159f60-eb9f-58fc-8ff3-226bee1daf85 | 1 | 412 | 871,343 | 1,078,185,600,000 | 2,004 | de | 2004
Kantonale Steuern
127
[...]
33 Grundstückschätzung.
- Die Berücksichtigung von Nachteilen (hier: Hochspannungsleitung
und -mast) hat, soweit möglich, innerhalb des Bewertungssystems zu
erfolgen. Nur wenn dies für eine korrekte Schätzung nicht ausreicht,
ist ein pauschaler Abzug angezeigt.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. März 2004 in Sa-
chen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht und H.B.
Aus den Erwägungen
1. Das KStA rügt im vorliegenden Verfahren einzig die Zuläs-
sigkeit des Pauschalabzugs, mit dem die Vorinstanz "psychologi-
schen Auswirkungen" des Hochspannungsmasts und der Hochspan-
nungsleitung Rechnung trug. Die vorinstanzliche Grundstückbewer-
tung, insbesondere die festgesetzte Höhe des Eigenmietwerts, die
immissionsbedingte Herabsetzung der Punktzahl für die Wohnlage,
die Korrektur beim Land- und Realwert sowie der errechnete steuer-
liche Verkehrswert (vor dem Pauschalabzug) von Fr. 725'022.--, ist
nicht angefochten.
2. a) Die Aargauer Steuergesetzgebung sieht für Grundstücke
- von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen - die
2004
Verwaltungsgericht
128
Besteuerung zum Mittel aus Verkehrswert und Ertragswert vor
(§ 39 Abs. 4 aStG). Als Verkehrswert eines Grundstückes gilt der
Preis, welcher im Geschäftsverkehr mit Dritten erzielbar ist, ohne
Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse (§ 12
Abs. 1 VBG). Gemäss Wegleitung für die Bewertung der Grund-
stücke des Steueramts des Kantons Aargau, Ausgabe 1985 (im Fol-
genden: Wegleitung), Ziff. III/3.2.1, erfasst der Verkehrswert über-
bauter Grundstücke die Gesamtheit der wertbildenden Faktoren,
wozu insbesondere der Wertermittlungsstichtag, die rechtlichen Ge-
gebenheiten, die tatsächlichen Eigenschaften und die sonstige Be-
schaffenheit und Lage zählen. Immissionen sind dauernde Beeinflus-
sungen durch Lärm, Geräusche, Gerüche, Licht, ästhetische Empfin-
dungen, Erschütterungen, Wärme etc. (Wegleitung, Ziff. III/1.1.10).
Der Verkehrswert wird festgesetzt durch die Gleichsetzung mit dem
Kaufpreis, sofern ein Kaufpreis fehlt oder dieser nicht dem Ver-
kehrswert entspricht, durch mittelbaren oder unmittelbaren Preisver-
gleich oder - fehlen sowohl Kaufpreis wie auch Preisvergleich -
durch Berechnung mit dem gewichteten Ertragswert und Realwert
(§ 12 Abs. 2 VBG).
b) Vorliegend ist zu beurteilen, wie und in welchem Umfang die
Nähe der Starkstromleitung zur Parzelle B. bei der Grundstückbe-
wertung zu berücksichtigen ist.
aa) Das KStA anerkennt, dass die Leitung und der hinter dem
Wohnhaus der Beschwerdegegner stehende Hochspannungsmast zu
einem Minderwert der Parzelle führen. Hingegen entbehre der vor-
genommene Pauschalabzug einer rechtlichen Grundlage und wider-
spreche einer seriösen Schätzungsmethodik. Er erübrige sich, da die
Vorinstanz die elektromagnetischen Immissionen bzw. die gedämpfte
Nachfrage nach Objekten in der Nähe von Starkstromleitungen bei
der Mietwertberechnung und auch beim Landwert in die Gesamtbe-
wertung des Grundstücks habe einfliessen lassen. Die bisher ge-
bräuchlichen Bewertungsmethoden würden durch Ermessens-Pau-
schalabzüge für einen in Franken nicht messbaren Indikator "psy-
chologische Auswirkungen" ganz grundsätzlich hinterfragt bzw.
müssten aufgegeben werden; psychologisch bedingte Mehrwerte
(z.B. bei Seesicht) wären dann konsequenterweise mit einem pau-
2004
Kantonale Steuern
129
schalen Zuschlag zu berücksichtigen. Nach Ansicht des KStA könn-
ten Eigentümer von Nachbarparzellen oder ähnlich betroffenen
Grundstücken gestützt auf das Gebot der Rechtsgleichheit eine Neu-
schätzung ihrer Liegenschaften anstreben. Es sei zudem stossend,
dass sich der steuerliche Verkehrswert der Parzelle B. nach diesem
Abzug jenem dreier ungleich kleinerer, von der Hochspannungslei-
tung vergleichbar betroffener Nachbarparzellen annähere. An der
Augenscheinsverhandlung präzisierte das KStA, dass der (akzep-
tierte) Minderwert der Parzelle B. mit einer Korrektur innerhalb des
gebräuchlichen Grundstückbewertungssystems berücksichtigt wer-
den müsse und nicht mit einem Pauschalabzug ausserhalb des Sys-
tems erfolgen dürfe.
bb) Dem KStA ist beizupflichten, dass die Regeln über die
Grundstücksbewertung erlauben sollen, im Rahmen dieses Systems
zu angemessenen Schätzungen zu gelangen. Der Umstand allein, ob
Korrekturen innerhalb oder ausserhalb des Systems erfolgen, ist aber
nicht entscheidend. Die Gemeindeschätzungskommission hatte
offenkundig gleich wie das Steuerrekursgericht das Bedürfnis, das
als übersetzt empfundene Resultat zu korrigieren. Dazu setzte sie den
Landwert "ermessensweise" mit bloss Fr. 70'000.-- ein. Dieser Pau-
schalbetrag ist in keiner Art und Weise begründbar und nachvoll-
ziehbar, er ist offensichtlich und in willkürlicher Weise zu tief (vgl.
auch hinten, Erw. c/bb). Eine derartige "Korrektur innerhalb des
Systems" ist nicht weniger falsch und unzulässig und müsste vom
KStA in gleicher Weise beanstandet werden.
c) aa) Die Vorinstanz erwog, für einen potentiellen Mieter der
Parzelle B. sei der Umstand entscheidend, dass etwa die Hälfte des
Grundstücks einer nichtionisierenden Strahlung über dem Anlage-
grenzwert (Anhang 1 Ziff. 14 der Verordnung über den Schutz vor
nichtionisierender Strahlung [NISV; SR 814.710] vom 23. Dezember
1999) ausgesetzt sei. Dass die Strahlung teilweise durch das Gebäude
absorbiert wird, dürfte für den Mieter eine untergeordnete Rolle
spielen. Mit Blick auf die Gesamtsituation setzte die Vorinstanz des-
halb unter dem Kriterium "Immissionen" zusätzlich den Punkt
"nichtionisierende Strahlung" mit der Note 1 (sehr schlecht) ein und
reduzierte dadurch bei der Bewertung der Wohnlage die Punktzahl
2004
Verwaltungsgericht
130
um vier Punkte auf 28 von maximal 50 möglichen Punkten (Posi-
tion 43.1 des Schätzungsprotokolls; Wegleitung Ziff. IV/1.9 und 10;
Anhang 8 zur VBG) - was allerdings betraglich nur geringfügige
Auswirkungen hatte.
bb)
Den Landwert, welchen die Gemeindeschätzungs-
kommission mit Fr. 70'000.-- (Pos. 74) aus einer früheren Grund-
stückschätzung übernommen hatte (vorne Erw. b/bb), korrigierte die
Vorinstanz auf Fr. 211'500.--. Sie orientierte sich dabei an der für die
allgemeine Neuschätzung per 1. Januar 1999 massgebenden Land-
preiserhebung vom 24. Juni 1997. Dabei war für das betroffene W2-
Gebiet ein Richtpreisrahmen von Fr. 150.-- bis Fr. 220.--/m
2
ermittelt
worden. Bei insgesamt 14 aus den Akten ersichtlichen Handände-
rungen von W2-Grundstücken in der Gemeinde in den Jahren
1995/96 lag der Landpreis im Durchschnitt deutlich über Fr. 300.--
/m
2
; für die hinsichtlich Stromleitungssituation vergleichbaren W2-
Parzellen C. (Gebiet ...) und D. (Gebiet ...), 8.5 m bzw. 55 m von
einer Starkstromleitung entfernt, wurden Fr. 287.-- bzw. Fr. 350.--/m
2
bezahlt. Die Vorinstanz erwog, der signifikant tiefer angesetzte
Richtpreisrahmen trage den elektromagnetischen Immissionen bzw.
der gedämpften Nachfrage nach Objekten in der Nähe von Stark-
stromleitungen bereits Rechnung, und setzte den Landwert für die
Parzelle 789 am unteren Rahmenende mit Fr. 150.--/m
2
fest; zusätz-
lich bewertete sie 480 m
2
der Grundstücksfläche, die innerhalb des
Waldabstandes liegen, steil ansteigen und höchstens mit Kleinbauten
unüberbaubar sind, nur mit Fr. 50.--/m
2
.
cc) Die vorinstanzliche Bewertung führte - die immissionsbe-
dingte Reduktion (vorne Erw. aa und bb) von rund Fr. 55'000.-- ein-
geschlossen - zu einem steuerlichen Verkehrswert von Fr. 725'022.--,
was angesichts der über die elektromagnetischen Immissionen hinaus
bestehenden psychologischen Auswirkungen des markant hinter dem
Haus stehenden Hochspannungsmasts samt Leitung und deren ge-
wöhnungsbedürftiger, nicht ins ländliche Umfeld passender opti-
schen Wirkung nach Einschätzung der Vorinstanz nicht dem
marktkonformen Wert entsprach (weshalb sie den streitigen Pau-
schalabzug von 15 % auf Fr. 616'268.-- vornahm).
2004
Kantonale Steuern
131
d) Das Bundesgericht hielt in BGE 129 II 429 f. zur Festsetzung
einer Enteignungsentschädigung betreffend Immissionen einer
Hochspannungsleitung fest:
"L'expérience montre que la proximité d'une ligne à haute ten-
sion entraîne une baisse des prix du marché foncier, même sans di-
minution des possibilités de construire prévue par la réglementation
d'aménagement du territoire; cela peut dépendre de l'atteinte au pay-
sage, ou encore, selon la jurisprudence, de motifs purement psycho-
logiques, qui sont alors des inconvénients de fait (ATF 102 Ib 348
consid. 3 p. 350)... Pour les champs électromagnétiques ... il faut
donc déterminer, dans la situation concrète, si ces champs ont des
effets physiques (ou biologiques voire sanitaires) suffisamment évi-
dents pour constituer en eux-mêmes un désavantage, ou si au con-
traire la crainte de tels effets, non avérés, est simplement une des
composantes des inconvénients d'ordre psychologique déjà évoqués."
Für die Festsetzung der Enteignungsentschädigung sind der
konkret mit der Nähe zur Hochspannungsleitung verbundene Ein-
fluss auf den Wert des betroffenen Grundstücks, der Lärm, die elek-
tromagnetischen Felder und andere allfällige Unannehmlichkeiten zu
ermitteln und zu berücksichtigen (BGE 129 II 437 f.). Bereits zuvor
hatte das Bundesgericht im Falle einer Hochspannungsleitung in
einer Distanz von 20 bis 40 m zu einer Hotelliegenschaft festgehal-
ten, dass Grundstücke, auf denen oder in deren Nähe eine Hochspan-
nungsleitung erstellt wird, einen Wertverlust erleiden können, selbst
wenn ihre Überbaubarkeit durch die Leitung nicht eingeschränkt
wird. Dies einerseits dann, wenn der Bodenpreis massgeblich von
der landschaftlichen Schönheit mitbestimmt wird, andererseits aber
auch dann, wenn sich manche mögliche Käufer für das Land in un-
mittelbarer Nähe einer Hochspannungsleitung aus rein psychologi-
schen Gründen nicht interessieren (siehe BGE 102 Ib 350 f. mit
Hinweis auf BGE 100 Ib 194 ff.; 109 Ib 301).
e) Das Bundesgericht hat somit eine Werteinbusse von Grund-
stücken einerseits durch tatsächlich einwirkende elektromagnetische
Immissionen, deren Ermittlung, Begrenzung und Beurteilung heute
in der auf den 1. Februar 2000 in Kraft getretenen NISV geregelt ist,
und andererseits durch die rein psychologischen Auswirkungen ins-
2004
Verwaltungsgericht
132
besondere bei potentiellen Grundstückkäufern anerkannt. Während
das KStA ursprünglich die Ansicht vertrat, "psychologische Auswir-
kungen" seien bei Grundstückschätzungen kein wertmässig messba-
rer Indikator, anerkannte es an der Verhandlung die Notwendigkeit
von deren Berücksichtigung, aber innerhalb des Bewertungssystems.
3. b) Das KStA hält zu Recht fest, dass bei der Grundstückbe-
wertung angestrebt werden muss, ein detailliert ausgestaltetes Pro-
gramm mit genügend feiner Rasterung zu verwenden, um möglichst
objektive, nachvollziehbare Schätzwerte zu ermitteln, die von den
betroffenen Grundeigentümern akzeptiert werden. Dies gilt nament-
lich für Bewertungen, die sich - mangels direkter Vergleichswerte -
nicht unmittelbar auf den effektiven Geschäftsverkehr abstützen.
Daraus darf allerdings nicht abgeleitet werden, dass an den nach
dieser Bewertungssystematik ermittelten, jedoch am Markt in dieser
Höhe nicht erzielbaren Schätzungsergebnissen zum Nachteil des
Steuerpflichtigen festzuhalten wäre. Der Grundsatz der rechtsglei-
chen Behandlung (Art. 8 BV) erlaubt es nicht, den Privaten stärker
zu belasten, als es in den massgeblichen Normen vorgesehen ist; der
Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung geht in der Regel
vor, und wo dies nicht der Fall ist, handelt es sich ausschliesslich um
den Ausnahmefall gesetzwidriger
Begünstigung
des Privaten
("Gleichbehandlung im Unrecht"; vgl. Ulrich Häfelin/Georg Müller,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2002,
Rz. 374 f., 518).
Im vorliegenden Fall stellt sich somit die Frage, ob der von der
Vorinstanz errechnete Verkehrswert tatsächlich "nicht marktkon-
form" ist, und, sollte dies der Fall sein, ob sämtliche im Bewertungs-
system vorhandenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung der
Stromleitungssituation ausgeschöpft wurden, bevor das Mittel eines
Pauschalabzugs in Betracht gezogen wird.
(Das Verwaltungsgericht kam zum Schluss, eine Gewichtung
des Ertragswerts - in Relation zum Realwert - [§ 13 VBG und An-
hang 16; Wegleitung Ziff. III/4.2.1] von 0.5 statt 0.2, ergebend einen
steuerlichen Verkehrswert von rund Fr. 650'000.--, berücksichtige die
eingeschränkte Marktgängigkeit der Parzelle B. angemessen und
ausreichend, wonach sich ein zusätzlicher Pauschalabzug erübrige.) | 2,997 | 2,221 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-33_2004-03-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-33.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-33.pdf | AGVE_2004_33 | null | nan |
a1548dfd-f177-5fd9-b9a2-04ee32e11fc2 | 1 | 412 | 871,808 | 1,338,681,600,000 | 2,012 | de | 2012
Verwaltungsgericht
122
[...]
19
Zonenkonformität und immissionsrechtliche Beurteilung einer hobby-
mässigen Hühnerhaltung und -zucht in einer Wohnzone.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. Juni 2012 in Sachen A.
gegen B., C., D. und E. sowie Departement BVU und Gemeinderat F.
(WBE.2011.114).
2012
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
123
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Streitig ist die hobbymässige Haltung und Zucht von Zwerg-
hähnen im Wohngebiet. Ein Verbot oder eine Beschränkung der
Hähnehaltung und -zucht lässt sich - rein dogmatisch betrachtet -
entweder mit immissionsrechtlichen Gesichtspunkten oder aber mit
fehlender Zonenkonformität begründen.
2.2.
Die Lärmimmissionen, die von den Hähnen der Beschwerde-
gegner ausgehen, beurteilen sich grundsätzlich nach der Umwelt-
schutzgesetzgebung des Bundes, namentlich nach dem Bundesgesetz
über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG; SR 814.01) und
der Lärmschutz-Verordnung vom 15.
Dezember 1986 (LSV;
SR 814.41). Das kantonale und das kommunale Recht verliert
diesbezüglich seine selbständige Bedeutung, soweit sich dessen
materieller Gehalt mit dem Bundesrecht deckt oder weniger weit
geht als dieses; es behält sie nur dort, wo es die bundesrechtlichen
Bedingungen ergänzt oder - soweit erlaubt - verschärft (vgl. Art. 65
USG). In diesem Sinne kommt beispielsweise Bestimmungen des
kantonalen und kommunalen Rechts, die einzig zum Zweck haben,
schädigende Einwirkungen quantitativ zu begrenzen, also etwa kom-
munalen immissionsbeschränkenden Nutzungsvorschriften, keine
selbständige Bedeutung mehr zu, sofern im Bundesrecht nicht
ausdrücklich eine kantonale Kompetenz vorbehalten wird
(AGVE 1998, S. 317 f.).
Die städtebaulichen und raumplanerischen Vorschriften des
kantonalen und kommunalen Rechts besitzen demgegenüber nach
wie vor selbständigen Gehalt, soweit sie die Frage regeln, ob eine
Baute an einem bestimmten Ort erstellt und der vorgesehenen
Zweckbestimmung übergeben werden darf. Weiterhin bleibt es somit
dem kantonalen und kommunalen Recht überlassen, die für den
Charakter eines Quartiers wesentlichen Vorschriften bezüglich Nut-
zungsart und -intensität zu erlassen, wobei diese Vorschriften
mittelbar ebenfalls dem Schutz der Nachbarn vor Übelständen ver-
2012
Verwaltungsgericht
124
schiedenster Art dienen können. Sie behalten ihren selbständigen
Gehalt, wenn sie zwar auch, jedoch nicht ausschliesslich auf Zwecke
abzielen, die vom formellen Bundesumweltschutzrecht abgedeckt
werden. So können etwa Bauten und Betriebe, die mit dem Charakter
einer bestimmten Zone unvereinbar sind, untersagt werden, auch
wenn beispielsweise die Lärmimmissionen, zu denen sie führen,
bundesrechtliche Schranken nicht überschreiten, sofern die Unzu-
lässigkeit nicht einzig mit der konkreten Lärmbelästigung begründet
wird (vgl. AGVE 1998, S. 318).
2.3.
Gemäss § 13 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a BauG er-
lassen die Gemeinden allgemeine Nutzungspläne (Zonenpläne) und
allgemeine Nutzungsvorschriften (Bau- und Zonenordnungen), die
das Gemeindegebiet in verschiedene Nutzungszonen einteilen sowie
Art und Mass der Nutzung regeln; sie können dabei insbesondere
Bauzonen, namentlich Wohn-, Kern-, Gewerbe-, Industriezonen und
Zonen für öffentliche Bauten ausscheiden. Bei Ausscheidung und
Definition der verschiedenen Zonen geniessen die Gemeinden auf-
grund von § 106 KV verfassungsrechtlich geschützte Autonomie;
hierin eingeschlossen ist die Anwendung des autonomen Gemeinde-
rechts. Daraus folgt, dass sich das Verwaltungsgericht bei der Über-
prüfung einschlägiger gemeinderätlicher Entscheide zurückzuhalten
hat. Dies gilt auch bei Immissionsfragen - obwohl dem Verwal-
tungsgericht dort die Ermessensüberprüfung obliegt - insoweit, als
es bei den zu entscheidenden Fragen um rein lokale Anliegen geht
und weder überörtliche Interessen noch überwiegende Rechts-
schutzanliegen berührt werden. Die Gemeinde kann sich in solchen
Fällen bei der Auslegung kommunalen Rechts insbesondere dort auf
ihre Autonomie berufen, wo eine Regelung unbestimmt ist und ver-
schiedene Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar erscheinen. Die
kantonalen Rechtsmittelinstanzen sind hier gehalten, das Ergebnis
der gemeinderätlichen Rechtsauslegung zu respektieren und nicht
ohne Not ihre eigene Rechtsauffassung an die Stelle der gemeinde-
rätlichen zu setzen. Die Autonomie der Gemeindebehörden hat je-
doch auch in diesen Fällen dort ihre Grenzen, wo sich eine Ausle-
gung mit dem Wortlaut sowie mit Sinn und Zweck des Gesetzes
2012
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
125
nicht mehr vereinbaren lässt (AGVE 2011, S. 128 f.; AGVE 1998,
S. 319 f. mit Hinweisen).
3.
3.1.
Der Gemeinderat betrachtet die hobbymässige Haltung von Ge-
flügel in der Zone W2 grundsätzlich als zonenkonform. Die hobby-
mässige Haltung von Kleintieren gehöre zum Charakter einer in die-
sem Dorfteil doch noch recht ländlich geprägten Gemeinde. In der
Nähe befänden sich analoge Tierhaltungen und auch in anderen Tei-
len des Dorfes würden Kleintiere gehalten. Mit Ausnahme des Be-
schwerdeführers sei es noch nie zu Reklamationen oder Klagen
wegen der Kleintierhaltungen gekommen.
3.2.
3.2.1.
Gemäss einem die hobbymässige Hühnerhaltung (inkl. einem
Hahn) in einer Wohnzone betreffenden Entscheid der Baure-
kurskommission des Kantons Zürich vom 25. Mai 2007 (Nrn. 0108
und 109/2007), Erw. 7 (in: Baurechtsentscheide des Kantons Zürich
[BEZ] 2007 Nr. 36), sind Wohnzonen in erster Linie für die Wohn-
nutzung und damit für Wohnbauten bestimmt. Die Zulässigkeit
anderer Nutzweisen stehe in Wohnzonen unter dem grundsätzlichen
Vorbehalt, dass der Zonenzweck, nämlich ein gesundes und ange-
nehmes Wohnen zu gewährleisten, nicht in Frage gestellt werde.
Dabei seien insbesondere die zu erwartenden Immissionen, aber auch
der funktionelle Zusammenhang mit dem Hauptzweck der Zone zu
prüfen. Zonenkonform seien somit ohne Weiteres Bauten, die Wohn-
raum enthalten, aber auch diejenigen, die zum Wohnen zusätzlich
nötig seien, wie Garagen oder Gartenhäuser. Ebenso falle die Hobby-
nutzung unter den Begriff der Wohnnutzung. Hobbynutzung sei
grundsätzlich als Teil der Wohnnutzung anzusehen. Das Wohnen in
einer dafür bestimmten Zone werde unter anderem gerade dadurch
charakterisiert, dass deren Bewohner im allgemeinen die Möglichkeit
hätten, in ihren Gärten verschiedenen Freizeitbeschäftigungen nach-
gehen zu können. Dies verhalte sich auch dann nicht anders, wenn
Nutztiere Gegenstand der hobbymässigen Beschäftigung bildeten.
Die hobbymässige Hühnerhaltung falle daher - nicht anders als das
2012
Verwaltungsgericht
126
Halten von Hunden oder das Basteln in einer Hobbywerkstatt - unter
den Begriff der Wohnnutzung und erweise sich daher als zonen-
konform. Wann eine Tierhaltung noch als hobbymässig bezeichnet
werden könne, hange von der Zweckbestimmung der Tiere ab. Nur
diejenige Tierhaltung sei zonenkonform, die rein privaten Zwecken,
also der eigenen Freizeitbetätigung diene.
In ähnlicher Weise anerkennt das Verwaltungsgericht das hob-
bymässige Halten von Haustieren wie Hunden, Katzen oder Kanin-
chen, aber auch von einzelnen Pferden, als Bestandteil der reinen
Wohnnutzung, jedoch immer unter der Voraussetzung, dass die Tier-
haltung auch nach Art und Umfang mit dem Wohnzweck noch ver-
einbart werden kann (AGVE 2011, S. 129; 1998, S. 320; je mit
Hinweisen).
3.2.2.
Die von den Beschwerdegegnern betriebene Geflügelhaltung
und -zucht mit rund 30 Zwerghühnern dient offensichtlich aus-
schliesslich der privaten Freizeitbeschäftigung und verfolgt keine
gewerblichen oder wirtschaftlichen Ziele. Die Tiere dienen nicht dem
Verzehr und werden auch nicht verkauft. Mit den selbstgezüchteten
Hähnen werden auch Ausstellungen und Wettbewerbe besucht. Diese
hobbymässige Haltung und Zucht von Ziergeflügel und die dafür
notwendigen Bauten und Anlagen sind somit Teil der Wohnnutzung
und damit in der Wohnzone W2 und der Kernzone K grundsätzlich
zonenkonform, wovon auch der Gemeinderat in seinem Beschluss
ausgeht. Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage,
ob für die Hühnerställe je eine Baubewilligung erteilt worden ist.
3.3.
Auch wenn die Zonenkonformität der Geflügelhaltung in der
Wohnzone im Grundsatz zu bejahen ist, darf diese im Interesse der
Nachbarschaft nicht ein beliebiges Ausmass annehmen. Die Haltung
von Hühnern und insbesondere von Hähnen führt naturgemäss zu
Immissionen. Die Tiere erzeugen durch Gackern und Krähen Lärm
und produzieren Mist. Die Frage, ob eine konkrete Hobbytierhaltung
aufgrund der durch sie verursachten Immissionen durch Lärm und
Geruch nicht oder nur unter Nebenbestimmungen zulässig ist, betrifft
nicht die Zonenkonformität, sondern ist für sich anhand der
2012
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
127
einschlägigen Vorschriften der Umweltschutzgesetzgebung zu über-
prüfen und führt gegebenenfalls zu (erheblichen) Einschränkungen
der Tierhaltung. Neben quantitativen Einschränkungen durch Be-
stimmung der maximal zulässigen Anzahl Tiere können die zustän-
digen Behörden im Rahmen des Umweltrechts auch weitere konkrete
Massnahmen anordnen, um die Immissionen in Grenzen zu halten
(vgl. erwähnter Entscheid der Baurekurskommission des Kantons
Zürich vom 25. Mai 2007 [Nrn. 0108 und 109/2007], Erw. 7 [in:
BEZ 2007 Nr. 36]).
4.
Wie schon ausgeführt, wehrt sich der Beschwerdeführer aus-
schliesslich gegen die durch Krähen der Hähne verursachten Lär-
mimmissionen.
4.1.
Diese Lärmimmissionen sind nach der Umweltschutzgesetzge-
bung des Bundes (USG, LSV) zu beurteilen. Die Vorinstanz hat zu-
treffend festgehalten, bei den Ställen und Ausläufen, in denen die
Hähne gehalten und gezüchtet würden, handle es sich um (im Sinne
des USG neurechtliche) ortsfeste Anlagen. Die durch diese Anlagen
allein erzeugten Immissionen dürfen die Planungswerte in der Umge-
bung nicht überschreiten (Art. 25 Abs. 1 USG und Art. 7 Abs. 1 lit. b
LSV). Zudem müssen die Lärmemissionen unabhängig von der Ein-
haltung der Planungswerte soweit begrenzt werden, als dies tech-
nisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist
(Art. 11 Abs. 2 USG und Art. 7 Abs. 1 lit. a LSV).
Bei den vorliegend zu beurteilenden Emissionen handelt es sich
um Lärm, der durch Tiere verursacht wird. Für die Beurteilung von
solchem "untechnischen" Alltagslärm bestehen keine Belastungs-
grenzwerte. Fehlen Belastungsgrenzwerte sind die Immissionen
daher im einzelnen Anwendungsfall gestützt auf das Gesetz, in
Anwendung der in Art. 15, Art. 13 Abs. 2 und Art. 23 USG genann-
ten Kriterien, zu beurteilen (Art. 40 Abs. 3 LSV). Steht wie hier die
Anwendung von Planungswerten infrage, muss die Anlage ein
Immissionsniveau einhalten, bei welchem nach richterlicher Be-
urteilung höchstens geringfügige Störungen auftreten. Dabei sind der
Charakter des Lärms, Zeitpunkt und Häufigkeit des Auftretens sowie
2012
Verwaltungsgericht
128
die Lärmempfindlichkeit bzw. die Lärmvorbelastung der Zone zu
berücksichtigen. Es ist nicht auf das subjektive Lärmempfinden
einzelner Personen abzustellen, sondern eine objektivierte Betrach-
tung unter Berücksichtigung von Personen mit erhöhter Empfind-
lichkeit vorzunehmen (BGE 133 II 296 f.; 123 II 334; VGE III/23
vom 27. April 2012 [WBE.2011.95], S. 11).
4.2.
4.2.1.
Der Beschwerdeführer verlangt, es sei den Beschwerdegegnern
aus lärmschutzrechtlicher Sicht gemäss Art. 11 Abs. 3 USG die
Haltung und Zucht von Hähnen vollständig zu verbieten; eventualiter
sei festzuhalten, dass die Beschwerdegegner maximal je einen Hahn
halten dürften. Das Krähen der Hähne wird von ihm als stark störend
empfunden. Es finde von frühmorgens bis spät abends, manchmal
aber auch nachts statt. Der Lärm der Hähne sei völlig unvorherseh-
bar, durchdringend und stereotyp. Das Krähen sei sehr laut. Es seien
Lautstärken von deutlich über 60 db(A) gemessen worden. Das Krä-
hen sei sehr störend, auch weil es in unregelmässigen Abständen er-
folge und von der Art her durchdringend und alarmierend sei. Die
Hähne animierten sich z. T. gegenseitig zum Krähen. Störend sei
weniger der einzelne Schrei, sondern die Unvorhersehbarkeit und die
Häufigkeit des Krähens. Manchmal schrien die Hähne in Abständen
von 30 Minuten.
4.2.2.
Die Beschwerdegegner hingegen bestreiten, dass die Hähne
übermässige und störende Immissionen verursachten. Sie würden
lediglich gelegentlich krähen. Man habe aus Rücksicht auf den
Beschwerdeführer vor einiger Zeit auf Zwerghähne umgestellt, die
weniger laut krähen würden und weniger krähfreudig seien. Auch
habe man die Anzahl der Hähne auf das Minimum beschränkt. Die
Ställe seien so ausgerichtet, dass die Nachbarn möglichst geringen
Lärmeinwirkungen ausgesetzt seien. Die Behauptung des Beschwer-
deführers, die Hähne würden von früh morgens bis spät abends und
manchmal auch nachts krähen, entspreche nicht den Tatsachen. Der
Beschwerdeführer sei der einzige Nachbar, der sich an den gelegent-
lichen Lautäusserungen der Hähne störe.
2012
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
129
4.2.3.
Nach Darstellung des Lärmsachverständigen des BVU am
vorinstanzlichen Augenschein verursacht das Hahngekrähe gewisse
"Peaks", welche (nachts) ein Aufwachen mit sich bringen könnten.
Es gebe mit Sicherheit gewisse Lärmimmissionen durch die Hähne.
In der Regel werde das Krähverhalten am Morgen am intensivsten
sein; auch finde das Krähen sehr willkürlich statt. Die Anzahl der
Hähne solle in Wohnzonen nicht uneingeschränkt sein; vorstellbar
seien bauliche Massnahmen zur Lärmverminderung oder zeitliche
Beschränkungen des Freilaufs.
4.2.4.
Das Krähen eines Hahnes wird vom menschlichen Ohr als rela-
tiv intensiv empfunden. Es kann sich durch die Lautstärke und durch
das jederzeitige unvermittelte Auftreten der Lautäusserungen durch-
aus störend auswirken. Insbesondere, wenn es spätabends, nachts
oder - vor allem - frühmorgens (mit beginnender Dämmerung)
auftritt, kann die Nachtruhe der Nachbarschaft erheblich gestört sein.
Dies gilt erst recht, wenn auf relativ engem Raum mehrere Hähne
gehalten werden, die sich als Konkurrenten gegenseitig zum Krähen
animieren können (Balzverhalten). Aus diesen Gründen wird in der
Wohnnutzung dienenden Zonen in aller Regel, wie die Vorinstanz
zutreffend feststellt, lediglich die Haltung eines einzelnen Hahnes,
gegebenenfalls mit Auflagen, als zulässig angesehen (vgl. erwähnter
Entscheid der Baurekurskommission des Kantons Zürich vom
25. Mai 2007 [Nrn. 0108 und 109/2007], Erw. 7 [in: BEZ 2007
Nr. 36]; Bernhard Waldmann / Peter Hänni, Raumplanungsgesetz,
Bern 2006, N 29 zu Art. 22 RPG mit Hinweisen).
4.2.5.
Die Vorinstanz hat festgestellt, dass von den Hähnen punktuell
auftretender Lärm ausgehe, der zu einer gewissen Beeinträchtigung
des Beschwerdeführers führen könne. Hingegen träten diese Lärm-
immissionen nicht dauernd auf, sondern es gebe Zeiten mit höheren
und Zeiten mit geringeren oder gar keinen Aktivitäten. Die mit dem
Krähen verbundenen Immissionen seien nicht derart schädlich oder
lästig im Sinne von Art. 11 Abs. 3 USG, dass sich daraus ein gene-
relles Verbot der Haltung von Hähnen ableiten lasse. Jedoch sei die
2012
Verwaltungsgericht
130
Anzahl der auf den Parzellen der Beschwerdegegner gehaltenen
Hähne zu beschränken. Um den berechtigten Interessen des Be-
schwerdeführers an einer verträglichen Beeinträchtigung durch das
Krähen der Hähne und der Möglichkeit der Beschwerdegegner, ihr
Hobby auszuüben und Hähne nicht nur zu halten, sondern auch zu
züchten, Rechnung zu tragen, sei die zulässige Haltung von Zucht-
hähnen auf zwei pro Parzelle (bzw. Familie) zu beschränken. Damit
erfolge ein angemessener Interessenausgleich, und die Störung für
die Liegenschaft des Beschwerdeführers und ähnlich nahe gelegene
Nachbarliegenschaften sei nach objektiven Kriterien höchstens ge-
ringfügig.
4.2.6.
Das Verwaltungsgericht teilt die Auffassung der Vorinstanzen,
dass im konkreten Fall ein vollständiges Verbot der hobbymässigen
Haltung von Hähnen in Wohnzonen wie der vorliegenden Zone W2
bzw. der Kernzone K aus Lärmschutzgründen (als verschärfte Emis-
sionsbegrenzung gemäss Art. 11 Abs. 3 USG) nicht gerechtfertigt ist.
Gemäss dem Gemeinderat gehört die hobbymässige Haltung von
Kleintieren, einschliesslich der Geflügelhaltung, zum Charakter einer
in diesem Dorfteil (...) trotz dichter Besiedelung doch noch recht
ländlich geprägten Gemeinde. Im Gegensatz etwa zu einer Kanin-
chen- oder Meerschweinchenzucht oder der Hühnerhaltung ohne
Hahn handelt es sich bei der Hähnehaltung jedoch um eine Haustier-
haltung, bei der naturgemäss ein erhöhtes Lärmpotential vorhanden
ist. Hähne krähen, je nach Individuum mehr oder weniger laut und
mehr oder weniger häufig. Klar erscheint aus immissionsrechtlicher
Sicht deshalb, dass in Wohngebieten nicht eine unbeschränkte An-
zahl Hähne gehalten werden darf und dass sie ihre Lautäusserungen
nicht uneingeschränkt verbreiten können.
Die Vorinstanz hat im Rahmen einer Abwägung der gegenläufi-
gen Interessen des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegner
die Anzahl der maximal zulässigen (krähfähigen) Hähne auf vier
beschränkt. In Bezug auf die Interessenabwägung ist vorab klar
festzuhalten, dass dem Interesse des Nachbarn, nicht übermässigen
Lärmimmissionen ausgesetzt zu sein und insbesondere seinem An-
spruch auf eine ungestörte Nachtruhe und Erholung gegenüber den
2012
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
131
Interessen der Beschwerdegegner an einer uneingeschränkten
Ausübung ihrer hobbymässigen Geflügelhaltung und -zucht ein-
schliesslich der Teilnahme an Ausstellungen und Wettbewerben kla-
rer Vorrang einzuräumen ist. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass für
den Beschwerdeführer die Störung der Nachtruhe zwar eher nicht im
Vordergrund steht, da er nachts die Fenster geschlossen hält, wozu er
allerdings nicht verpflichtet ist, und nächtliche Lautäusserungen
offenbar nicht die Regel sind, sondern vor allem das tagsüber er-
folgende Krähen der Hähne, welche sich gegenseitig dazu animieren
(...). So macht er geltend, es sei ihm nicht mehr möglich, sich im
Aussenbereich seiner Liegenschaft zu erholen. Die Interessen des
Beschwerdeführers sprechen dafür, lediglich die Haltung eines kräh-
fähigen Hahnes zu gestatten. Auf der anderen Seite ist zu berück-
sichtigen, dass die Beschwerdegegner nach glaubhafter Darstellung
von März bis August ohnehin nur je einen krähfähigen Hahn pro
Haushalt halten; lediglich in der Zeit von August bis Dezember war
bis anhin die Maximalzahl von vier krähfähigen Hähnen pro Haus-
halt vorhanden; im Dezember reduzierten die Beschwerdeführer die
Anzahl auf je zwei krähfähige Hähne pro Haushalt und im März auf
je einen. Die saisonalen Schwankungen werden auch vom Beschwer-
deführer eingeräumt. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerde-
führer sich vornehmlich im Frühling, während des Sommers sowie
im Frühherbst im Aussenbereich seiner Liegenschaft aufhält und dort
Erholung sucht. Während eines grossen Teils dieser Zeit wird von
den Beschwerdegegnern nur je ein krähfähiger Hahn pro Haushalt
gehalten. Erst ab August (bis März) wird gemäss dem von den
Beschwerdegegnern akzeptierten Entscheid des BVU noch je ein
zweiter krähfähiger Hahn vorhanden sein. Würde den Beschwerde-
gegnern nur noch je ein zuchtfähiger (und krähfähiger) Hahn zuge-
standen, wären sie in ihrer Ziergeflügelzucht erheblich eingeschränkt
und die Teilnahme mit den Hähnen an Ausstellungen wäre wohl
gänzlich verunmöglicht. Vor diesem Hintergrund erscheint der Ent-
scheid des BVU, die Anzahl der zulässigen (krähfähigen) Zucht-
hähne nicht auf einen einzigen Hahn, sondern auf maximal zwei pro
Parzelle (bzw. Familie) zu begrenzen, grundsätzlich unter ent-
sprechenden Auflagen (vgl. insbesondere auch Erw. 4.4. hienach)
2012
Verwaltungsgericht
132
vertretbar. Jedoch ist es im Interesse des Beschwerdeführers ange-
zeigt, die Haltung von je zwei Zuchthähnen pro Familie auf die Zeit
von Anfang August bis Ende Februar zu beschränken. Während der
restlichen Monate, d. h. von Anfang März bis Ende Juli, dürfen die
Beschwerdegegner nur je einen zuchtfähigen (und krähfähigen)
Hahn pro Familie halten. Dies stellt keine zusätzliche Einschränkung
für die Beschwerdegegner dar, sondern widerspiegelt lediglich deren
bisherige Zuchtgepflogenheiten.
4.2.7. (...)
4.3.
Die Vorinstanz hat im Sinne des Vorsorgeprinzips und unter Be-
zugnahme auf die Ruhezeiten des kommunalen Polizeireglements die
Einstallung der Hähne in der Zeit von 20.00 Uhr bis 07.00 Uhr (an
Sonn- und Feiertagen bis 08.00 Uhr) angeordnet. Der Beschwerde-
führer beantragt vor Verwaltungsgericht, dass die Hähne auch wäh-
rend der Ruhezeit über Mittag, d. h. von 12.00 Uhr bis 13.30 Uhr, in
den Ställen unterzubringen seien. Bei diesem zusätzlichen, erstmals
vor Verwaltungsgericht beantragten Einsperren der Hähne handelt es
sich um eine unzulässige Erweiterung der Rechtsbegehren bzw. eine
Beschwerdeänderung, auf welche nicht einzutreten ist. Dem
Begehren könnte ohnehin nicht entsprochen werden. Es besteht keine
Veranlassung zu einem zusätzlichen Einsperren der Hähne über die
Mittagszeit. Das Krähen der Hähne erfolgt - wie schon ausgeführt -
gehäuft frühmorgens und wirkt sich vor allem dann und wenn es in
der Nacht auftritt, störend aus (vgl. oben Erw. 4.2.4.). Hingegen ist in
der Mittagszeit, insbesondere auch in den Sommermonaten, wenn
sich der Beschwerdeführer im Aussenbereich seiner Liegenschaft
aufhält, höchstens mit vereinzeltem, nicht aber mit regelmässigem
oder länger anhaltendem Krähen zu rechnen. Von einer wesentlichen
Beeinträchtigung der Umgebung über die Mittagszeit durch die
Hähne ist daher nicht auszugehen.
4.4.
4.4.1.
Abgewiesen hat die Vorinstanz das Begehren des Beschwerde-
führers, die Ställe seien so umzubauen respektive es seien Ersatz-
bauten so auszuführen, dass sie vollständig geschlossen werden
2012
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
133
könnten und im geschlossenen Zustand das Krähen der Hähne derart
dämmten, dass Drittpersonen nicht durch Lärm belästigt würden. Die
beantragten Massnahmen seien aus betrieblichen, technischen und
tierschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Die Beschwerdegegner
machen geltend, dass keine genügende Lüftung mehr gewährleistet
wäre, wenn die Hühnerställe mit einer Schallisolation und Schall-
dämmlüftung nachgerüstet würden. Zudem störe sich der Beschwer-
deführer vorab an den Krährufen der Hähne während des Tages,
wenn die Tiere ohnehin im Freien seien, weshalb die von ihm
beantragten baulichen und betrieblichen Massnahmen wirkungslos
wären.
4.4.2.
Der Argumentation, die Haltung der Hühner in schallisolierten
Hühnerhäusern sei aus tierschutzrechtlichen Gründen nicht möglich,
kann nicht gefolgt werden. Schallisolierte Modelle, z. B. mit doppel-
ten Holzwänden, Isolationsschicht und Doppelverglasung, sind im
Handel erhältlich und im geschlossenen Zustand durchaus geeignet,
die Lärmimmissionen deutlich zu verringern (vgl. erwähnter Ent-
scheid der Baurekurskommission des Kantons Zürich vom 25. Mai
2007 [Nrn. 0108 und 109/2007], Erw. 7 [in: BEZ 2007 Nr. 36]).
Auch in dem von den Beschwerdegegnern vor Vorinstanz zu den
Akten gegebenen Urteil des Bundesgericht vom 17.
Juli 2003
(1A.134/2002), Erw. 6.4, wird davon ausgegangen, dass das Hühner-
haus, eine relativ kleine einfache Baute, entsprechend schallisoliert
und belüftet werden könne. Es handelt sich um eine wirksame Mass-
nahme, welche die Lärmimmissionen der Hähne zu Zeiten, zu denen
sie eingestallt sind, massgeblich reduzieren. Aus welchen Gründen
eine Schallisolierung bei den Hühnerställen der Beschwerdegegner
nicht möglich sein soll, ist nicht nachzuvollziehen. Ihnen wird die
hobbymässige Haltung von vier krähfähigen Hähnen während eines
grossen Teiles des Jahres zugestanden und der Beschwerdeführer hat
die davon ausgehenden Lärmimmissionen zu dulden. Dem Einwand
der Beschwerdegegner, eine Schalldämmung der Hühnerhäuser sei
letztlich wirkungslos, da sich der Beschwerdeführer hauptsächlich
am Lärm der tagsüber freilaufenden Hähne störe, kann nicht gefolgt
werden. Zum einen beklagt sich der Beschwerdeführer auch über
2012
Verwaltungsgericht
134
nächtliches Krähen, dass deshalb nicht zum Aufwachen führe, weil
er die Fenster nachts geschlossen halte, zum andern monierte er im
vorinstanzlichen Verfahren, dass das Gästezimmer trotz geschlosse-
ner Fenster nicht mehr benutzt werden könne. Diese Ausführungen
erscheinen durchaus glaubhaft. Den Beschwerdegegnern ist es des-
halb ohne Weiteres zumutbar, die notwendigen baulichen Vorkehren
bei den Ställen zu treffen (durch das Anbringen einer nachträglichen
Isolation), um die von den Hähnen ausgehenden Lärmimmissionen
während der Ruhezeiten im geschlossenen Stall auf ein Minimum zu
reduzieren. Sollte das tierschutzkonforme Nachrüsten der vorhande-
nen Ställe nicht möglich sein, sind sie durch geeignete schallisolierte
Modelle zu ersetzen, was angesichts der eher geringen Grösse der
Ställe finanziell zumutbar ist. In diesem Sinne ist das Eventualbegeh-
ren 2.2 des Beschwerdeführers gutzuheissen. Nicht einzutreten ist
hingegen auf das erstmals vor Verwaltungsgericht gestellte Begeh-
ren, die Ställe seien auf die Nordseite der Liegenschaften der Be-
schwerdegegner zu versetzen. Dabei handelt es sich um eine unzu-
lässige Beschwerdeänderung.
5.
Schliesslich beantragt der Beschwerdeführer, die Reduktion der
Hähne sei innert Monatsfrist seit Rechtskraft des Entscheids umzu-
setzen. Die Vorinstanz hat demgegenüber festgehalten, die Reduktion
der Hähne auf maximal zwei sei aus Gründen der Verhältnismässig-
keit in der Weise zu vollziehen, dass keine neuen (krähfähigen) Häh-
ne mehr aufgenommen werden dürften; so müssten überzählige Tiere
nicht weggeben oder getötet werden. Aufgrund der Tatsache, dass die
Beschwerdegegner die Anzahl der Hähne im Verlauf des Jahres
sowieso reduzieren, und in der Zeit von März bis August jeweils nur
noch je ein Hahn vorhanden ist, und somit mit einer relativ raschen
Reduktion des Tierbestands durch Aussortieren zu rechnen ist,
erweist sich die Anordnung der Vorinstanz im Grundsatz als
durchaus sachgerecht. Den Befürchtungen des Beschwerdeführers,
die Beschwerdegegner würden den heute bestehenden Hahnbestand
(in Abweichung von ihrer bisherigen Handhabung der Zuchthähne)
noch während Jahren aufrecht erhalten, ist dahingehend Rechnung zu
tragen, dass die Beschwerdegegner zu verpflichten sind, spätestens
2012
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
135
Ende Februar des auf die Rechtskraft des Entscheides folgenden
Jahres nur noch je einen zuchtfähigen (und krähfähigen) Hahn zu
halten. | 5,787 | 4,690 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-19_2012-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-19.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-19.pdf | AGVE_2012_19 | null | nan |
a1c6ec02-be2c-5c4f-bf7c-c155801fe1e6 | 1 | 412 | 869,656 | 1,120,348,800,000 | 2,005 | de | 2005
Submissionen
245
[...]
50 Zuschlagskriterien.
- Preis als einziges Zuschlagskriterium.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 6. Juli 2005 in Sachen
A. AG gegen Baudepartement, Abteilung Tiefbau.
Aus den Erwägungen
2. 2.1. Gemäss den Ausschreibungsunterlagen hat die Vergabe-
behörde den Preis (Angebotspreis bereinigte Summe) zum einzigen
massgebenden Zuschlagskriterium bestimmt. Die Beschwerdeführe-
rin ist der Meinung, es gehe vorliegend um die Vergabe von an-
spruchsvollen Brückenobjekten (Überführung für Nationalstrassen).
Durch den Verzicht auf das Festlegen weiterer Zuschlagskriterien
habe das Baudepartement gegen § 18 SubmD verstossen, worin aus-
drücklich vorgeschrieben sei, dass das wirtschaftlich günstigste An-
gebot den Zuschlag erhalte. Eine ausschliessliche Berücksichtigung
des Preises mit einem gleichzeitigen und vollständigen Verzicht auf
die Beurteilung anderer massgebender Zuschlagskriterien, wie ins-
besondere Qualität, Erfahrung, Termin, Garantie- und Unterhalts-
leistungen, führe zu einer Überschreitung oder gar einem Missbrauch
des pflichtgemässen Ermessens.
2.2. Gemäss § 18 Abs. 1 SubmD erhält das wirtschaftlich
günstigste Angebot den Zuschlag. Kriterien zur Ermittlung des wirt-
schaftlich günstigsten Angebots sind insbesondere Qualität, Preis,
Erfahrung, Innovation, Termin, Garantie- und Unterhaltsleistungen,
Ästhetik, Umweltverträglichkeit, Kundendienst, gerechte Abwechs-
2005
Verwaltungsgericht
246
lung und Verteilung sowie die Ausbildung von Lehrlingen (§ 18
Abs. 2 SubmD). Die von der Vergabebehörde ausgewählten Zu-
schlagskriterien sind in der Reihenfolge ihrer Bedeutung und mit ich-
rer Gewichtung in der Ausschreibung aufzuführen. Fehlt diese An-
gabe, gilt als Zuschlagskriterium der Preis (§ 18 Abs. 3 SubmD). Der
Zuschlag für weitgehend standardisierte Güter kann ausschliesslich
nach dem Kriterium des niedrigsten Preises erfolgen (§ 18 Abs. 4
SubmD).
Bei der Auswahl und Gewichtung der einzelnen Kriterien steht
der Vergabebehörde dabei ein weiter Ermessensspielraum zu, in den
das Verwaltungsgericht nicht eingreifen darf (AGVE 1998, S. 384;
ferner Matthias Hauser, Zuschlagskriterien im Submissionsrecht,
in: AJP 2001, S. 1411; Peter Galli / Daniel Lehmann / Peter Rechstei-
ner, Das öffentliche Beschaffungswesen in der Schweiz, Zürich
1996, Rz. 464; Peter Gauch, Das öffentliche Beschaffungswesen in
der Schweiz, Ein Beitrag zum neuen Vergaberecht, in: recht 1997,
S. 179). Die Zuschlagskriterien müssen aber im Hinblick auf den
konkret zu vergebenden Auftrag bestimmt werden. Im Grundsatz un-
zulässig ist es daher, vergabefremde Kriterien heranzuziehen, d.h.
Kriterien, die sich nicht auf die Wirtschaftlichkeit des Angebotes
beziehen, bzw. sich nicht am Nutzen des konkreten Beschaffungs-
objekts selbst messen lassen; dazu zählen namentlich regional-, steu-
er- oder strukturpolitische Überlegungen (AGVE 1999, S. 296 f.;
1999, S. 328; BR 2000, S. 57 Nr. S10, S. 58 f. Nrn. S12 - 17; VGE
III/82 vom 9. August 2001 [WBE.2001.206], S. 4 f.; Hauser, a.a.O.,
S. 1408; Peter Gauch / Hubert Stöckli, Vergabethesen 1999, Thesen
zum neuen Vergaberecht des Bundes, Freiburg 1999, S. 27 ff.; ferner
auch Bernt Elsner, Vergaberecht, Wien 1999, S. 28 ff.).
2.3. Wie bereits erwähnt, kann gemäss § 18 Abs. 4 SubmD der
Zuschlag für weitgehend standardisierte Güter ausschliesslich nach
dem Kriterium des niedrigsten Preises erfolgen. Ob die Voraus-
setzungen für dieses Vorgehen erfüllt sind, ist eine Rechtsfrage, bei
deren Beurteilung der Vergabebehörde jedoch, da es sich dabei um
die Anwendung des unbestimmten Gesetzesbegriffs der weitgehend
standardisierten Güter geht, ein Beurteilungsspielraum zusteht. Der
Begriff der weitgehend standardisierten Güter wird in § 18 Abs. 4
2005
Submissionen
247
SubmD nicht umschrieben. Obschon der Wortlaut ("Güter") dies
nahe zu legen scheint, lässt sich eine Beschränkung auf Lieferauf-
träge über die Beschaffung von beweglichen Gütern im Sinne von
§ 6 Abs. 1 lit. b SubmD sachlich nicht rechtfertigen. Die Vergabe
ausschliesslich nach dem Preis muss auch bei weitgehend standardi-
sierten Bauarbeiten und bei Dienstleistungen zulässig sein. Die
Zulässigkeit der Vergabe aufgrund des niedrigsten Preises hängt
nicht von der Art der nachgefragten Leistung, sondern von der
Möglichkeit ihrer Standardisierung ab. Nach Sinn und Zweck muss
die Standardisierung der Leistung soweit gehen, dass die
Vergabestelle auch ohne Verwendung der in § 18 Abs. 2 SubmD
genannten weiteren Zuschlagskriterien mit einer ihren Bedürfnissen
genügenden Leistung rechnen kann. Für die Standardisierung
kommen naturgemäss nur Aspekte in Frage, die - wie Qualität oder
Ästhetik - die offerierte Leistung selbst prägen, nicht jedoch unter-
nehmensbezogene Aspekte, wie die Erfahrung oder Lehrlingsaus-
bildung. Der gemeinsame Standard kann dabei die Folge verschie-
dener Umstände sein, sei es, dass die qualitativen Anforderungen
durch Normen der einschlägigen Branche oder aber durch die
Vergabebehörde in der Ausschreibung genau umschrieben werden.
Auch muss die Standardisierung - wie aus § 18 Abs. 4 SubmD folgt -
keineswegs vollständig, sondern nur weitgehend vorhanden sein. Zu
beachten ist ferner, dass die Zuschlagskriterien nach § 18 Abs. 2
SubmD oftmals Qualitätsanforderungen umschreiben, die sich nicht
direkt aus der (noch gar nicht erbrachten) Leistung, sondern nur indi-
rekt, anhand der Qualifikationen des anbietenden Unternehmens
(z.B. Betriebsorganisation, Fähigkeiten des Schlüsselpersonals, tech-
nische Mittel, Referenzobjekte) beurteilen lassen. Anforderungen
dieser Art, die mehr anbieter- als leistungsbezogen sind, können auch
als Eignungskriterien verwendet werden, gemäss welchen ein
bestimmtes Mindestmass nicht unterschritten werden darf. Wird die
geforderte Eignung der Anbieter auf diese Weise in ausreichendem
Mass definiert, kann auf entsprechende Zuschlagskriterien verzichtet
werden. Bei einem Einladungsverfahren kann die Vergabebehörde
zudem von vornherein darauf achten, dass sie nur Unternehmen
einlädt, welche die diesbezüglichen Anforderungen erfüllen (siehe
2005
Verwaltungsgericht
248
zum Ganzen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Zürich vom 11. September 2003 [VB.2003.00116], E. 3b - d).
2.4. Die hier strittige Vergabe umfasst die Gussasphaltarbeiten
im Zusammenhang mit der Instandsetzung mehrerer Überführungs-
bauwerke über die N3 (Überführung Wallweg in Möhlin, Tschüpis-
weg in Möhlin, Weingartenweg in Eiken, Überführung K 465 in
Oeschgen) im Abschnitt Rheinfelden - Frick. Es liegt ein detailliertes
Leistungsverzeichnis (mit Beschreibung der Arbeiten und Mengen-
angaben) vor. Die Beschwerdeführerin weist einzig darauf hin, es
handle sich um anspruchsvolle Brückenobjekte, da es um Über-
führungen für Nationalstrassen gehe. Hingegen macht sie nicht gel-
tend, dass der vorliegende Auftrag überdurchschnittliche oder
aussergewöhnliche Anforderungen an die Unternehmer stellt, wes-
halb von vornherein nicht alle im Bereich Gussasphalt tätigen An-
bietenden, sondern nur speziell qualifizierte und erfahrende Un-
ternehmen in Betracht kommen. Dafür gibt es auch in den Aus-
schreibungsunterlagen keine Anhaltspunkte. Zu beachten ist über-
dies, dass es sich vorliegend um ein Einladungsverfahren handelt und
die Vergabebehörde die in Betracht kommenden Offerenten selbst
bestimmen konnte. Sie hatte es damit grundsätzlich in der Hand, nur
Unternehmen zur Offertabgabe einzuladen, die sie als geeignet und
zur qualitativ ausreichenden Arbeitsausführung befähigt erachtete.
Insofern erscheint es als sachlich vertretbarer Entscheid, wenn sie
vorliegend den Preis als einziges Zuschlagskriterium festgesetzt hat.
Eine Überschreitung oder gar ein Missbrauch des ihr zukommendes
Ermessens ist darin entgegen der Beschwerdeführerin nicht zu er-
kennen. | 1,738 | 1,380 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-50_2005-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-50.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-50.pdf | AGVE_2005_50 | null | nan |
a2512994-c2ec-543f-9cde-61b22ffec83f | 1 | 412 | 870,901 | 1,451,692,800,000 | 2,016 | de | 2016
Kantonale Steuern
99
II. Kantonale Steuern
15
§ 27 Abs. 4 StG
Einheitlichkeit der Wiedereinbringung von Abschreibungen: Keine Un-
terscheidung bei Verbuchung in verschiedenen Konten und Vollab-
schreibung eines Teils des Kaufobjekts
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 27. Januar
2016, i.S. E.H. und I.H. gegen KStA (WBE.2015.359).
Aus den Erwägungen
2.2.
Werden im Zusammenhang mit der ganzen oder teilweisen
Liquidation eines Landwirtschaftsunternehmens verschiedene land-
und/oder forstwirtschaftliche Parzellen veräussert oder ins Privatver-
mögen überführt, versteht sich von selbst, dass dabei erzielte Ge-
winne und Verluste bei Ermittlung des gemäss § 27 Abs. 4 StG (bzw.
Art. 18 Abs. 4 DBG) zu versteuernden Gewinns bis zur Höhe der
Anlagekosten getrennt für die einzelnen betroffenen Objekte zu
ermitteln sind. Ein solches Vorgehen ist schon deshalb geboten, weil
der zu versteuernde Gewinn eine synthetische Grösse darstellt, der
sich im Einzelfall als Nettogrösse aus Gewinnen und Verlusten zu-
sammensetzen kann (so schon Urteil des Verwaltungsgerichts vom
20. Mai 2009 [WBE.2008.385] Erw. 4.3; ebenso J
ULIA VON
A
H
, in:
M
ARIANNE
K
LÖTI
-W
EBER
/D
AVE
S
IEGRIST
/D
IETER
W
EBER
[Hrsg.],
Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Aufl., Muri/Bern 2015,
§ 27 N 163; vgl. auch M
ARKUS
R
EICH
, Steuerrecht, 2. Aufl., Zürich
2012, § 15 Rz 54 f.).
2.3.
Hier geht es jedoch nicht um die Überführung verschiedener
Parzellen (eine mit Gewinn, die andere mit Verlust), sondern um eine
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
100
einzige Parzelle, welche ins Privatvermögen überführt worden ist.
Auf dieser Parzelle bestanden indessen verschiedene Gebäulich-
keiten, von denen gemäss Darstellung der Beschwerdeführer ein Teil
(Wohnhaus) noch werthaltig gewesen, dagegen ein anderer Teil
(Scheune) ein Abbruchobjekt dargestellt habe und wertlos gewesen
sei. Dementsprechend beantragen die Beschwerdeführer bei der Be-
steuerung des bei der Überführung erzielten Gewinns zu berück-
sichtigen, dass zwar bei der Überführung des Wohnhauses Ab-
schreibungen wieder eingebracht hätten werden können (im Umfang
von Fr. 79'065.00), bei der Überführung der wertlosen Scheune dage-
gen im Umfang von deren Restbuchwert (Fr. 51'000) eine Abschrei-
bung habe vorgenommen werden müssen, welche ihrerseits den aus
der Überführung der Scheune resultierenden Gewinn schmälere. Nur
der
entsprechende
Nettogewinn
(Fr. 79'065.00
abzüglich
Fr. 51'000.00 = Fr. 28'065.00) dürfe - nach Abzug des darauf
geschuldeten AHV-Sonderbeitrags - mit der Einkommenssteuer er-
fasst werden.
2.4.
2.4.1.
Buchhalterisch kann eine Liegenschaft unterschiedlich behan-
delt werden: Einerseits ist denkbar, die gesamte Parzelle einschliess-
lich der Bauten darauf gemeinsam in einer Bilanzposition zu erfas-
sen. Es ist aber auch möglich, bei der Bilanzierung zwischen einzel-
nen überbauten Parzellenteilen zu unterscheiden. Wird bei getrennter
Bilanzierung ein Grundstück samt der darauf befindlichen (zum Teil
werthaltigen und zum Teil wertlosen Bauten) ins Privatvermögen
überführt, so führt dies zur vollständigen Abschreibung des Grund-
stücksteils mit der wertlosen Baute und zu einem Buchgewinn auf
dem Grundstücksteil mit der werthaltigen Baute. Werden hingegen
sämtliche Bauten und der zugehörige Boden in einer Bilanzposition
(bzw. in einem Konto) erfasst, so ergibt sich bei der Überführung
kein weiterer Abschreibungsbedarf.
2.4.2.
Aus steuerlicher Perspektive ist - auf den ersten Blick -
vorstellbar, dass die unterschiedliche Verbuchungsart jedenfalls bei
2016
Kantonale Steuern
101
der hier infrage stehenden Gewinnermittlung nach § 27 Abs. 4 StG
(ebenso Art. 18 Abs. 4 DBG) Konsequenzen zeitigt.
Wird gemäss der Variante "getrennte Bilanzierung" vorge-
gangen, ergibt sich - hinsichtlich der wertlosen Baute und des zuge-
hörigen Landanteils - ein Buchverlust, während die Überführung der
werthaltigen Baute samt Landanteil zu einem Gewinn führt. Steu-
erlich wäre daher zumindest denkbar, den Buchverlust im Rahmen
der Kantons- und Gemeindesteuer zu berücksichtigen, durch den
dann der auf dem anderen Grundstückteil erzielte Gewinn gemindert
würde. Wird hingegen der Variante "gemeinsame Bilanzierung"
gefolgt, so ergibt sich einzig ein Buchgewinn, nämlich der Unter-
schied zwischen den gesamten Anlagekosten und dem gesamten
Restbuchwert.
2.4.3.
Es überzeugt zum einen nicht, dass die steuerlichen Konsequen-
zen eines wirtschaftlich identischen Vorgangs verschieden sein
sollen, zumal es hier nicht um verschiedene Rechtsgestaltungen, son-
dern lediglich um unterschiedliche Verbuchungsvarianten geht. Ge-
gen ein solches Ergebnis spricht aber auch die Auslegung von § 27
Abs. 4 StG (bzw. Art. 18 Abs. 4 DBG). Obwohl in der Literatur im
Zusammenhang mit diesen Normen regelmässig von wieder einge-
brachten Abschreibungen gesprochen (vgl. J
ULIA VON
A
H
, a.a.O.,
§ 27 N 163; P
ETER
L
OCHER
, Kommentar zum DBG, I. Teil,
Therwil 2001, Art. 18 N 186 spricht immerhin von "sog." wieder ein-
gebrachten Abschreibungen) und damit suggeriert wird, es würden
Abschreibungen, die sich im Nachhinein als nicht notwendig erwie-
sen, wertmässig wieder eingeholt und der Besteuerung unterworfen
(als Kompensation zur früheren Steuerwirksamkeit der Abschrei-
bung), findet sich für eine solche, im Ergebnis einschränkende
Auslegung von § 27 Abs. 4 StG (bzw. Art. 18 Abs. 4 DBG) kein An-
haltspunkt im Wortlaut der Bestimmung. Dort ist nämlich nicht etwa
von wieder eingebrachten Abschreibungen die Rede, sondern allein
von einer Zurechnung zu den steuerbaren Einkünften "bis zur Höhe
der Anlagekosten". Für die Besteuerung kommt es demnach nicht
darauf an, wie Teile eines Grundstücks buchhalterisch behandelt wer-
den, wenn die Liegenschaft als Ganze ins Privatvermögen überführt
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
102
oder veräussert wird. Für diese Lösung sprechen im Übrigen neben
dem Wortlaut von § 27 Abs. 4 StG (bzw. Art. 18 Abs. 4 DBG) auch
Rechtsgleichheits- und Praktikabilitätsüberlegungen (vgl. so bereits
zur Frage der unterschiedlichen buchhalterischen Behandlung von
Grundstück und darauf befindlicher Baute WBE.2008.385
Erw. 5.3.4).
2.4.4.
Hinzu kommt hier, dass die Beschwerdeführer für die ins
Privatvermögen überführte Parzelle nur ein einziges Konto in der
Buchhaltung ihres Landwirtschaftsunternehmens eingestellt hatten.
Auch wenn offenbar für Wohnhaus und Scheune getrennte Abschrei-
bungstabellen geführt wurden, fällt daher von vornherein ausser Be-
tracht, für einen Teil der ins Privatvermögen überführten Parzelle
einen Verlust anzunehmen, welcher den bis zur Höhe der Anlage-
kosten des anderen Grundstückteils erzielten Gewinn schmälern
würde. | 1,551 | 1,263 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-15_2016-01-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-15.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-15.pdf | AGVE_2016_15 | null | nan |
a292ae46-75a6-54a5-b943-b5a8a778799c | 1 | 412 | 871,898 | 1,399,075,200,000 | 2,014 | de | 2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
161
27
Mobilfunkantenne; ideelle Immissionen
Standortbeschränkungen (Kaskadenmodell) finden einzig auf visuell
wahrnehmbare Antennen Anwendung.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. Mai 2014 in Sachen
Einwohnergemeinde A. gegen B. und Regierungsrat (WBE.2009.17).
Aus den Erwägungen
3.3.
§ 79a BNO lautet:
"
1
Für die Erstellung von Mobilfunkantennen, welche in der Umgebung als
solche erkennbar sind, werden die Bauzonen in verschiedene Prioritäten eingeteilt.
2
Eine Mobilfunkantenne in Bauzonen, welche in der Umgebung als solche
erkennbar ist, darf
In erster Priorität in den Gewerbezonen G und in den Zonen für öffentliche
Bauten entlang der Suhre,
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
162
In zweiter Priorität in den Wohn- und Gewerbezonen WG3 und in den
Kernzonen K,
In dritter Priorität in den Wohnzonen W1, W2, W3, in der Spezialzone Becket
SP, in den übrigen Zonen für öffentliche Bauten und in den Zonen für öffentliche
Anlagen
erstellt werden. In den Bauzonen untergeordneter Priorität kann eine als sol-
che erkennbare Mobilfunkantenne nur erstellt werden, wenn ihre Erstellung in den
Bauzonen übergeordneter Priorität nicht möglich ist. Zudem kann in den Wohnzonen
W1, W2, W3 und in der Spezialzone Becket eine als solche erkennbare Mobil-
funkantenne nur erstellt werden, wenn sie vorwiegend die Versorgung dieser Zonen
bezweckt.
3
Eine neue Mobilfunkantenne in Bauzonen, welche in der Umgebung als sol-
che erkennbar ist, muss mit einer bestehenden Antenne koordiniert werden, falls dies
möglich ist. Falls die neue Antenne auch in einer Bauzone übergeordneter oder glei-
cher Priorität möglich wäre, ist - unter Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingun-
gen - in umfassender Interessenabwägung zu entscheiden, ob sie dort zu erstellen
oder mit der bestehenden Antenne zu koordinieren ist. (...)"
3.4.
Gemäss dem ursprünglich von der Gemeindeversammlung A.
beschlossenen § 79 Abs. 3 BNO sollten Mobilfunkanlagen nur in der
Gewerbezone C. mit mindestens 60 m Abstand zu den übrigen
Bauzonen zulässig sein. Die dagegen erhobenen Beschwerden hiess
der Regierungsrat gut und wies die Bestimmung zur Neubeurteilung
an den Gemeinderat zurück. Laut Planungsbericht erwog der Regie-
rungsrat, die Versorgungssicherheit sei zwar durch die Standortbe-
schränkung nicht gefährdet, dennoch stelle die Beschränkung einen
unverhältnismässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit der Be-
schwerdegegnerin dar. Der Regierungsrat lehnte sich u.a. an das Ur-
teil des Bundesgerichts vom 21. Mai 2012 (1C_51/2012,
1C_71/2012). Gestützt auf den Entscheid des Regierungsrats be-
schloss der Gemeinderat am 10. Dezember 2012 den neuen Art. 79a
BNO.
Im genannten Urteil vom 21. Mai 2012 hatte das Bundesgericht
die von der Gemeinde Hinwil erlassene Regelung bezüglich
Standortsteuerung von Mobilfunkanlagen zu beurteilen. Die ange-
fochtene Bestimmung sollte auf alle - visuell wahrnehmbare und
2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
163
nicht erkennbare - Mobilfunkantennen Anwendung finden. Laut
Bundesgericht treffe es zwar zu, dass auch das blosse Wissen um
eine kaschierte, nicht wahrnehmbare Anlage in der unmittelbaren
Nachbarschaft unerwünschte Auswirkungen habe. In diesen Fällen
erscheine jedoch das öffentliche Interesse an der Verhinderung ideel-
ler Immissionen derart gering, dass die Beschränkung der Standort-
wahl unverhältnismässig werde. Es mache psychologisch einen
Unterschied, ob die Mobilfunkanlage den Bewohnern unmittelbar
vor Augen stehe oder nicht. Auch kaschierte Mobilfunkanlagen
könnten Angst machen, wenn man ihren Standort kenne und sich vor
ihrer Strahlung fürchte. Es gehe aber gerade nicht um den Schutz vor
nichtionisierender Strahlung für welchen die Gemeinde nicht zustän-
dig sei, sondern um den Schutz vor ideellen Immissionen. Diese
knüpften nicht an die Strahlungsintensität, sondern in erster Linie an
den für die Anwohner wahrnehmbaren Antennenstandort an, der
negative Empfindungen und Reaktionen hervorrufen könne.
Der Planungsbericht zu § 79a BNO verweist auf die Erwägun-
gen des Bundesgerichts und hält ausdrücklich fest, die neue Rege-
lung bzw. die Standortbeschränkung solle einzig auf die visuell
wahrnehmbaren Antennen Anwendung finden. Soweit der Gemein-
derat nun in seiner Eingabe vom 16. Dezember 2013 erklärt, die neue
Bestimmung müsse umfassender ausgelegt werden und nicht nur auf
visuell wahrnehmbare Antennen beschränkt werden, widerspricht er
der im Planungsbericht eindeutig wiedergegebenen Auffassung des
kommunalen Gesetzgebers. Festgehalten wurde, dass die Gemeinde
die höchstrichterlichen Ausführungen zu den ideellen Auswirkungen
von Mobilfunkanlagen zwar nicht teile, jedoch eine mit der bun-
desgerichtlichen Rechtsprechung konforme Regelung erlassen wolle.
Eine Auslegung, wie sie der Gemeinderat nun im konkreten Fall gel-
tend macht, wäre mit dem Wortlaut sowie mit Sinn und Zweck der
Norm deshalb nicht vereinbar. Die Unterscheidung zwischen "visuell
wahrnehmbare" und "in der Umgebung als solche erkennbare" Anla-
gen, wie sie der Gemeinderat zur Begründung seines Standpunktes
vorträgt, erscheint mit Blick auf die im Planungsbericht klar
wiedergegebene Absicht des kommunalen Gesetzgebers als rabulis-
tisch. Schliesslich kann der Gemeinderat auch aus dem Wortlaut von
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
164
§ 79a Abs. 4 BNO, welcher das Verfahren der Standortevaluation
nach § 79 Abs. 1 - 3 BNO regelt, nichts zu seinem Gunsten ableiten.
Gleiches gilt für den Hinweis auf § 26 EG UWR, welcher im Zeit-
punkt der Gesuchseinreichung noch nicht in Kraft war und für das
vorliegende Verfahren ohne Belang ist.
3.5.
Massgebend ist nach dem Gesagten, ob die streitbetroffene
Mobilfunkanlage in der Umgebung als solche erkennbar ist oder
nicht. Nur wenn sie als Antenne visuell wahrnehmbar ist, kommt
§ 79a BNO zur Anwendung.
4.
Gemäss den Baugesuchsunterlagen soll die Mobilfunkanlage
auf dem Dach des Mehrfamilienhauses neben dem Dachfirst als
sogenannte Rohrantenne realisiert werden. Diese besteht aus einem
ca. 2 m hohen Mast mit drei Antennen. Letztere sind nicht extern am
Mast befestigt, sondern in eine zylinderförmige, glasfaserverstärkte
Kunststoffummantelung gehüllt, welche einen Durchmesser von bis
zu 28 cm aufweist. In rund 11 m Distanz auf gleicher Höhe sind auf
dem Giebeldach zwei trommelförmige Richtstrahlantennen vorgese-
hen. Die Trommeln sollen mit einer blassbraunen 75 cm breiten,
1.55 m langen und bis zu 1.30 hohen Haube eingekleidet werden.
Die geplante Mobilfunkanlage unterscheidet sich in Form und
Gestalt grundsätzlich von herkömmlichen Mobilfunkantennen. An-
statt die einzelnen Antennenkörper mehr oder weniger entfernt von
einem Antennenmast gut sichtbar zu installieren, sind die Antennen-
module im Mast bzw. als Rohrantenne integriert. Dadurch sind sie
als solche nicht wahrzunehmen und treten visuell nicht in Erschei-
nung. Das neue Element auf dem Dach erscheint als vertikaler Dach-
aufbau, der in seiner Wirkung an einen runden Kamin erinnert. Auch
die eingekleideten Richtfunkantennen sind nicht als solche zu erken-
nen. Durch die Ummantelung tritt die typische Trommelform der
Richtfunkantenne äusserlich nicht in Erscheinung. Sie wird aus der
Umgebung als Dachaufbau, z.B. als Kamin, Lüftungseinrichtung,
Liftaufbau usw. wahrgenommen.
Die geplante Mobilfunkanlage ist weniger auffällig als
herkömmliche Mobilfunkanlagen. Die Projektpläne, insbesondere
2014
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
165
die Seitenansichten zeigen, dass der sichtbare Teil der Anlage in ei-
ner normalen Dachlandschaft als übliche Dachaufbaute, als Kamin,
Lüftungseinrichtung oder andere technische Dachaufbaute in
Erscheinung tritt. Ist die Mobilfunkanlage in der Umgebung nicht als
solche erkennbar, kommt § 79a BNO nicht zur Anwendung und die
in diesem Zusammenhang vom Gemeinderat vorgebrachten Rügen
sind folglich hinfällig. | 1,687 | 1,390 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-27_2014-05-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-27.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-27.pdf | AGVE_2014_27 | null | nan |
a2d52bdb-b28a-5430-884a-8b337ad65624 | 1 | 412 | 871,816 | 1,220,486,400,000 | 2,008 | de | 2008
Verwaltungsgericht
308
[...]
57 Rechtliches
Gehör.
-
Gewährung des rechtlichen Gehörs in dringenden Fällen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 15. September 2008 in
Sachen X. gegen den Regierungsrat (WBE.2008.220).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung elementarer
Verfahrensrechte geltend und verlangt die Wiedererteilung der auf-
schiebenden Wirkung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs. Ihr
sei keine Einsicht in sämtliche Akten gewährt worden und sie habe
zur beabsichtigten Disziplinarmassnahme der Verwaltung nicht Stel-
lung nehmen können. Die Eröffnung der Massnahme an "Ort und
Stelle" könne nicht als Gewährung des rechtlichen Gehörs bezeichnet
werden.
2008
Verwaltungsrechtspflege
309
1.2.
Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird zu-
nächst durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben.
Erst wo sich dieser Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die
unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV folgenden bundesrechtlichen Mi-
nimalgarantien Platz (BGE 129 I 232 Erw. 3.2 mit Hinweisen; 124 I
241 Erw. 2; AGVE 2003, S. 155 mit Hinweisen).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst insbesondere den
Anspruch auf Anhörung vor Erlass einer Verfügung oder eines Ent-
scheids. Den Betroffenen ist Gelegenheit zu geben, sich in Kenntnis
des Sachverhalts (§ 15 Abs. 2 VRPG) mündlich oder schriftlich zu
äussern, wenn dies besonders vorgeschrieben ist oder wenn ihnen
Nachteile erwachsen könnten, die durch nachträgliche Aufhebung
der Verfügung oder des Entscheids nicht wieder zu beseitigen wären
(§ 15 Abs. 1 VRPG). Der aus Art. 29 Abs. 2 BV abgeleitete Anspruch
auf rechtliches Gehör umfasst die Rechte der Parteien auf Teilnahme
am Verfahren und auf Einflussnahme auf den Prozess der Entscheid-
findung. In diesem Sinne dient das rechtliche Gehör einerseits der
Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, der in die
Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört auch das Recht,
an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich zumin-
dest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den
Entscheid zu beeinflussen (BGE 124 I 241 Erw. 2 mit Hinweisen).
Das Äusserungsrecht hat eine Hinweis- und Warnfunktion, indem es
vor überraschenden Entscheidungen schützt und so Ausdruck eines
fairen Verfahrens ist (Michele Albertini, Der verfassungsmässige
Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des
modernen Staates, Bern 2000, S. 259 mit Hinweisen; AGVE 2003,
S. 155; 2000, S. 292, je mit Hinweisen).
1.3.
Die Inspektion fand am 20. Juni 2008 in der Praxis der Be-
schwerdeführerin statt. Sie begann um 09.00 Uhr und dauerte bis
11.30 Uhr. Der Beschwerdeführerin wurde das Vorgehen bei Beginn
erläutert und begründet. Die Beschwerdeführerin erklärte sich mit
dem Vorgehen einverstanden. Nach der Besichtigung der Praxis-
2008
Verwaltungsgericht
310
räumlichkeiten fand die Befragung der Beschwerdeführerin durch
den Kantonsarzt statt, eine Juristin des Rechtsdienstes des DGS be-
fragte die medizinische Praxisassistentin. Themen der Befragung der
Beschwerdeführerin waren die Schwangerschaftsabbrüche in der
Klinik Z. , die Operationen in der Praxis und in der Klinik sowie ein-
zelne Operationsberichte. Die Beschwerdeführerin hat sich zu den
Vorhalten geäussert und auch zur Missachtung des Operationsverbots
Stellung genommen. Mündlich eröffnete der Kantonsarzt der Be-
schwerdeführerin anschliessend die Einleitung des Disziplinarverfah-
rens und den vorsorglichen Entzug der Berufsausübungsbewilligung
wie auch den Entzug der Suspensivwirkung einer allfälligen Be-
schwerde.
Die angefochtene (schriftliche) Verfügung vom 20. Juni 2008
wurde der Beschwerdeführerin im Anschluss an die Praxisinspektion
gleichentags per Fax zugestellt.
1.4.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Verfahrens-
garantien der Beschwerdeführerin gewahrt wurden. Sie konnte sich
insbesondere zum massgeblichen Sachverhalt, die Missachtung des
Verbotes jeglicher operativer Eingriffe, äussern und auch zum vor-
sorglichen Berufsausübungsverbot Stellung nehmen. Angesichts der
in Frage stehenden Missachtung eines rechtskräftigen Verbots zur
Durchführung operativer Tätigkeiten ist auch nicht zu beanstanden,
dass der Beschwerdeführerin die Praxisinspektion, deren Gegenstand
und die allfällige Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht vor dem
20. Juni 2008 angekündigt wurde. Nachdem die Meldungen der
Strafverfolgungsbehörden eindeutige Anhaltspunkte für eine Miss-
achtung des Operationsverbots enthielten, war die Praxisinspektion
unangemeldet durchzuführen. Für die Gewährung des rechtlichen
Gehörs und der Mitwirkungsrechte genügte es unter diesen Umstän-
den, dass die Beschwerdeführerin an der Praxisinspektion teilnehmen
und sich zu den Feststellungen des Kantonsarztes, zum vorgesehenen
vorsorglichen Verbot der Berufsausübung sowie zum Entzug des
Suspensiveffekts äussern konnte (vgl. BGE 113 Ia 81 Erw. 3a mit
Hinweisen; § 15 Abs. 1 VRPG).
2008
Verwaltungsrechtspflege
311
Anlässlich der Praxisinspektion ergab sich, dass die Operation
der Patientin U. am 25. Juni 2008 in der Praxis geplant war, sodass
die Aufsichtsbehörde zu "raschem Handeln" verpflichtet war. Die
mündliche Eröffnung der vorgesehenen Massnahme und die Zustel-
lung der schriftlichen Verfügung - im Einverständnis der Beschwer-
deführerin mittels Telefax - am gleichen Tag sind daher nicht zu be-
anstanden. Steht eine Gefährdung, insbesondere von polizeilichen
Schutzgütern unmittelbar bevor, kann eine vorgängige Anhörung
unterbleiben (§ 15 Abs. 3 VRPG; Albertini, a.a.O., S. 308 f. mit
Hinweisen). | 1,217 | 985 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-57_2008-09-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-57.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-57.pdf | AGVE_2008_57 | null | nan |
a3479a5a-ea48-51ea-bd33-e5f2f699b049 | 1 | 412 | 870,734 | 1,351,814,400,000 | 2,012 | de | 2012
Kantonale Steuern
97
II. Kantonale Steuern
14 Berufskostenabzug
-
Zulässigkeit von Pauschalierungen im Einkommenssteuerrecht als
Massenfallrecht (Erw. 3.2)
-
Die Steuerbehörden dürfen für die Berechnung der Fahrzeiten auf
einen einzigen Routenplaner (z. Z. Twixroute) abstellen (Erw. 3.3).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 14. November 2012 in Sa-
chen H.D. und Y.D. (WBE.2012.133).
Sachverhalt
Der mit Y.D. verheiratete H.D. arbeitete im Jahr 2009 als Buch-
halter bei der X.AG. Am 3. September 2010 veranlagte die Steuer-
kommission Z. die Eheleute H.D. und Y.D. für die Kantons- und
Gemeindesteuern 2009 zu einem steuerbaren Einkommen von
Fr. 90'400.00. Dabei akzeptierte sie die in der Selbstdeklaration als
Berufsauslagen geltend gemachten Fahrkosten für das Privatfahrzeug
von Fr. 11'140.00 nicht. Stattdessen wurden für den Arbeitsweg Fahr-
kosten für die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel im Umfang
von Fr. 804.00 (Kosten U-Abo des Tarifverbunds Nordwestschweiz)
gewährt.
Aus den Erwägungen
3.2.
Das Einkommenssteuerrecht ist Massenfallrecht und muss des-
halb einfach und erhebungswirtschaftlich konzipiert sein. In steuer-
rechtlichen Angelegenheiten ist stets ein tragfähiger Kompromiss
zwischen der nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip sachgerechten,
2012
Verwaltungsgericht
98
differenzierenden Lösung und dem faktisch Möglichen anzustreben
(M
ARKUS
R
EICH
, Steuerrecht, 2. Auflage, Zürich 2012, § 4 N 145
mit Hinweisen). Bei der Auslegung steuerrechtlicher Normen ist
somit fortwährend dem Aspekt der praktischen Durchführbarkeit
gebührend Rechnung zu tragen. Mit Pauschalierungen können die
Steuerbehörden auf die Überprüfung der konkreten Verhältnisse im
Einzelfall verzichten und ihren Berechnungen einen typischen
Durchschnittssachverhalt zu Grunde legen, sodass aufwändige Nach-
forschungen und Belegsammlungen für Steuerbehörden und Steuer-
pflichtige vermieden werden können (vgl. auch Urteil des Bundes-
gerichts vom 25. Oktober 2011 [2C_343/2011], Erw. 2.3, publ. in
ASA 80, S. 621). In Anbetracht des grossen Arbeitsanfalls der Steu-
erbehörden kann nicht jeder Verästelung des Einzelfalls nachgegan-
gen werden (P
ETER
L
OCHER
, Praktikabilität im Steuerrecht (unter
besonderer Berücksichtigung des materiellen Rechts der direkten
Steuern), in: F
RANCIS
C
AGIANUT
/K
LAUS
A.
V
ALLENDER
[Hrsg.],
Steuerrecht, Ausgewählte Probleme am Ende des 20. Jahrhunderts,
Festschrift zum 65. Geburtstag von Ernst Höhn, Bern 1995, S. 191).
Mit Blick auf Fragen der Beweiserhebung und -würdigung ist
im Steuerverfahren, und zwar auch im Steuerjustizverfahren, diesem
Charakter des Steuerverfahrens als Massenverfahren Rechnung zu
tragen. Im Interesse einer gesetzmässigen und rechtsgleichen Be-
steuerung hat die Steuerbehörde somit trotz grundsätzlicher Geltung
des Untersuchungsgrundsatzes die Ermittlungsintensität des je-
weiligen Einzelfalles stets an der praktischen Realisierbarkeit des
Gesamtvollzugs auszurichten (vgl. R
OMAN
S
EER
, Reform des Veran-
lagungsverfahrens, Steuer und Wirtschaft 2003, S. 41f.; M
ARKUS
B
ERGER
, Voraussetzungen und Anfechtung der Ermessensveranla-
gung, ASA 75, S. 187).
3.3.
Im Hinblick auf die Bestimmung der täglichen Fahrtdauer des
Arbeitswegs mit dem Privatfahrzeug lässt sich nach dem Gesagten
festhalten, dass die Steuerbehörden auf die Berechnungen eines ein-
zigen Routenplaners abstellen dürfen, ohne weitere Angaben anderer
Fahrzeitberechnungsprogramme zu berücksichtigen. In einem Mas-
senverfahren kann es im Sinne der Praktikabilität nicht Aufgabe der
2012
Kantonale Steuern
99
Steuerbehörden sein, in jedem Einzelfall zu untersuchen, gemäss
welchem Routenplaner der fragliche Arbeitsweg am schnellsten
zurückgelegt würde, oder sogar sämtliche Routenplaner - welche
heutzutage im Internet unzählig und teils kostenlos vorhanden sind -
zu konsultieren und den Mittelwert der unterschiedlichen Fahrzeit-
angaben zu berechnen.
Aus Gründen der rechtsgleichen Behandlung aller Steuerpflich-
tigen, aber auch aus Gründen der Praktikabilität drängt es sich auf,
dass die Veranlagungsbehörden immer auf das gleiche Programm
abstellen. Für die Berechnung der Fahrzeiten verwenden praxis-
gemäss alle Steuerbehörden des Kantons Aargau das Computerpro-
gramm "TwixRoute" (Grundsatzentscheid des Steuerrekursgerichts
in AGVE 2006 S. 295). Darauf wird seit der Steuerperiode 2007
auch jeweils in der Wegleitung zur Steuererklärung hingewiesen
(vgl. Hinweis in der Wegleitung 2007, S. 18: "Zur Berechnung der
Distanzen in km für den Arbeitsweg wird auf das Programm Twix-
route abgestellt."). Überdies ist "TwixRoute" im Vergleich zu den an-
deren vom Beschwerdeführer und der Vorinstanz genannten Routen-
planern (...) - soweit ersichtlich - das einzige Programm, bei wel-
chem die der Zeitberechnung zugrundeliegenden Durchschnitts-
geschwindigkeiten für die unterschiedlichen Höchstgeschwindig-
keitszonen (Autobahn, Fernverkehrsstrasse, Hauptverkehrsstrasse
etc.) einsehbar sind. Bei "TwixRoute" ist damit anhand der offen
gelegten Durchschnittsgeschwindigkeiten eine nähere Überprüfung
der errechneten Fahrtdauer möglich. Nach Gesagtem ist nicht zu
beanstanden, insbesondere mit Blick auf Rechtsgleichheitsüber-
legungen, dass die Vorinstanz sowie die Veranlagungsbehörde für die
Berechnung der täglichen Fahrtdauer mit dem Privatfahrzeug einzig
auf die Angaben des Programms "TwixRoute" abgestellt haben, ohne
die Zeitangaben anderer Routenplaner zu berücksichtigen.
3.4.
Dies hat aber nicht zur Folge, dass die aus dem Routenplaner
"TwixRoute" resultierenden Fahrzeiten nicht überprüft werden kön-
nen. Dabei kann es indes lediglich darum gehen, relevante und kon-
krete Abweichungen im Einzelfall (z.B. falscher Start- oder Zielort,
2012
Verwaltungsgericht
100
nicht berücksichtigte Fahrverbote, falsche Geschwindigkeiten, neue
Strassen, etc.) darzulegen und zu belegen (...). | 1,345 | 1,031 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-14_2012-11-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-14.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-14.pdf | AGVE_2012_14 | null | nan |
a355e888-b054-5aa6-bc66-d8b561d1a79c | 1 | 412 | 870,876 | 1,275,609,600,000 | 2,010 | de | 2010
Schulrecht
221
IX. Schulrecht
41
Übertritt von der Real- in die Sekundarschule.
-
Fähigkeiten und Kompetenzen können nicht nur mit der Über-
trittsempfehlung nachgewiesen werden.
-
Berücksichtigung der Leistungen in der höheren Schulstufe, wenn
der Übertritt im Beschwerdeverfahren vorsorglich gestattet wurde.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 1. Juni 2010 in Sachen
S.B. gegen Schulpflege B. und Regierungsrat (WBE.2009.348).
Sachverhalt
(Zusammenfassung)
P.B. (...), besuchte im Schuljahr 2008/2009 die 3. Klasse der
Realschule B.. Mit Verfügung vom 23. März 2009 lehnte die Schul-
pflege B. einen prüfungsfreien Übertritt von P. B. in die 3. Klasse der
Sekundarschule ab.
Mit Präsidialverfügung vom 15. Juli 2009 entschied der Regie-
rungsrat, P.B. für die Dauer des Beschwerdeverfahrens im Sinne ei-
ner vorsorglichen Massnahme den Besuch der 3. Klasse der Sekun-
darschule B. zu gestatten.
Mit Entscheid des Regierungsrats vom 16. September 2009
wurde die Beschwerde abgewiesen und P.B. der 4. Klasse der Real-
schule (wieder) zugewiesen.
Aus den Erwägungen
1. - 2. (...)
3.
3.1. (...)
2010
Verwaltungsgericht
222
3.2.
3.2.1
Nach Auffassung der Vorinstanz dürfen die während der Dauer
eines Beschwerdeverfahrens nach einem vorsorglich gestatteten
Übertritt in die beantragte höhere Schulstufe erbrachten Leistungen
in der Regel keine Berücksichtigung finden. Bei Promotionsent-
scheiden könne es grundsätzlich nur auf die im Aufnahmeverfahren
erbrachten Leistungen - d.h. die Leistungen im Zeitpunkt des ur-
sprünglichen Entscheids - ankommen, da andernfalls die Durchset-
zung der Promotionsbestimmungen in Frage gestellt würden.
Der Grundsatz der Nichtberücksichtigung nachträglicher Leis-
tungen kann indessen nicht ausnahmslos gelten. So hat die publi-
zierte Praxis des Regierungsrats Ausnahmen von diesem Grundsatz
anerkannt und die Leistungen in der höheren Schulstufe mitberück-
sichtigt (vgl. AGVE 1990, S. 494 f.). Auch eine abweichende Beur-
teilung der Lehrpersonen der höheren Schulstufe wurde als Aus-
nahmetatbestand anerkannt (AGVE 2005, S. 595 f. mit Hinweisen
auf unpublizierte Entscheide).
3.2.2.
Unbestritten ist, dass P.B. die für eine Empfehlung vorausge-
setzte Sachkompetenz, d.h. den erforderlichen Notendurchschnitt, er-
reichte. Der Umstand, dass einem Mitschüler mit einem höheren
Notendurchschnitt eine Empfehlung versagt blieb, bestätigt lediglich
die Praxis, dass die Empfehlung massgeblich von der Beurteilung der
andern Kompetenzen abhängig ist, kann aber für die Beurteilung im
vorliegenden Fall nicht massgebend sein. Selbst- und Sozialkompe-
tenz sind in höchstem Masse individuelle Faktoren, welche, wie die
Prognose hinsichtlich des Verbleibs in der höheren Schulstufe, nur
für den jeweils betroffenen Schüler erstellt werden können. Sowenig
wie der Notendurchschnitt allein die Empfehlung begründen kann,
sowenig vermag die Beurteilung eines andern Schülers mit höherem
Leistungsausweis die Empfehlung im vorliegenden Fall zum vorn-
herein ausschliessen.
Die Beurteilung der Selbst- und Sozialkompetenz wurde durch
die Lehrpersonen, welche P.B. in der Realschule unterrichteten, ge-
meinsam vorgenommen und sie war einstimmig. Auch für das Ver-
2010
Schulrecht
223
waltungsgericht sind keine Ermessensüberschreitung, Verfahrens-
fehler oder gar Willkür in dieser Beurteilung zu erkennen. (...). Dies
ändert aber nichts an der naturgemässen Subjektivität einer Beurtei-
lung von persönlichkeitsrelevanten Aspekten und am Umstand, dass
es sich bei dieser Beurteilung um Prognosen handelt.
3.2.3.
Ausgangspunkt für die Frage, ob und inwieweit die Schul-
situation bei einem vorsorglich gestatteten Übertritt in die höhere
Schulstufe zu berücksichtigen sind, bilden die Bestimmungen des
Schulrechts. Gemäss § 3 Abs. 1 SchulG haben Kinder und Jugend-
liche das Recht, diejenigen öffentlichen Schulen zu besuchen, die ih-
ren Fähigkeiten entsprechen und deren Anforderungen sie erfüllen.
Dieser Grundsatz wird in weiteren Bestimmungen verdeutlicht: Die
Schüler besuchen den Schultyp, dessen Anforderungen sie erfüllen
(§ 24 Teilsatz 1 SchulG); für den Übertritt in die höhere Stufe sind
die Voraussetzungen von den Schulen und Schulbehörden zu schaf-
fen (§ 24 Teilsatz 2 SchulG). Diese Bestimmungen konkretisieren
den verfassungsrechtlichen Anspruch jedes Kindes auf eine ange-
messene Bildung, die seinen Fähigkeiten entspricht (§ 28 Abs. 1
KV).
Die Übertrittsprüfungsverordnung sieht für die Beurteilung der
Fähigkeiten und der Möglichkeit der Schülerinnen und Schüler zum
Nachweis der ausreichenden Fähigkeiten für die Anforderungen der
Sekundarschule die Prüfung und die Empfehlung vor. Bei der Prü-
fung finden Sozial- und Selbstkompetenz höchstens indirekt - über
das Prüfungsergebnis und jedenfalls nur sehr eingeschränkt - Ein-
gang in die Beurteilung. In jedem Fall erfolgt die Promotion proviso-
risch und Schülerinnen und Schüler haben im 1. Halbjahr eine Pro-
bezeit zu bestehen (§ 14 Abs. 1 i.V.m. § 16 der Promotionsordnung
für die Volksschule vom 16. Juli 1990 [SAR 421.351]).
Diese Regelung lässt zumindest erkennen, dass für die Prognose
hinsichtlich des Verbleibs in einer höheren Schulstufe die Leistungen
im Vordergrund stehen und das Genügen an die Anforderungen in der
Probezeit nachzuweisen ist. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich
insbesondere nicht, dass die Fähigkeiten und Kompetenzen der
Schülerinnen und Schüler nur mit Prüfung oder Empfehlung nach-
2010
Verwaltungsgericht
224
gewiesen werden können und einen Tatbeweis ausschliessen. Die
Abklärung der Leistungen und des Verhaltens von P.B. in der Se-
kundarschule kann daher bei einem vorsorglich erlaubten Übertritt
nicht wegen einer kurzen zeitlichen Dauer unterbleiben. Gerade der
Umstand, dass die "weichen" Beurteilungskriterien bei der Empfeh-
lung den Ausschlag geben und prognostischen Charakter haben,
erfordert in jenen Fällen, wo die Möglichkeit besteht, die Prognose
zu überprüfen, dass die Beurteilung der Lehrpersonen der höheren
Schulstufe eingeholt wird. Die Sachverhaltsermittlung von der zeitli-
chen Dauer des Besuchs der höheren Schulstufe abhängig zu ma-
chen, ist auch antizipierend mit dem Untersuchungsgrundsatz (§ 17
Abs. 1 VRPG) nicht vereinbar.
3.3.
3.3.1. (...)
3.3.2.
Der Klassenlehrer von P.B in der Sekundarschule hat in zwei
Berichten auch das Sozialverhalten und die Selbstkompetenz zur
Hauptsache mit "gut" beurteilt. (...) P.B. hat die Probezeit bestanden,
weshalb er bei diesen Leistungen das Recht hat, die Sekundarschule
abzuschliessen. Er erfüllt die Anforderungen der Sekundarschule und
wurde definitiv befördert. Seine Fähigkeiten entsprechen den Voraus-
setzungen dieser Grundausbildung (vgl. auch § 21 Abs. 2 Satz 1 der
Verordnung über die Volksschule vom 29. April 1985; [V Volks-
schule; SAR 421.311]). Entsprechend sind die Behörden verpflichtet,
den Übertritt in diesen Oberstufentyp zu gewährleisten (vgl. auch
§ 21 Abs. 2 Satz 2 V Volksschule).
Es ist nicht nur stossend, einen vorsorglich aufgenommenen
Schüler, der sich durch besondere Anstrengungen einen Verbleib in
dieser Klasse zu erarbeiten erhofft und dabei nicht nur genügende,
sondern gute Leistungen erbringt, aus formellen Gründen des
Rechtsmittelverfahrens zu relegieren (vgl. AGVE 2005, S. 594 f.).
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts braucht es auch keine
Ausnahmegründe (vgl. AGVE 1990, S. 495), um eine weit zuverläs-
sigere Beurteilungsgrundlage als die Empfehlung der Lehrperson
beizuziehen. Eine Mitberücksichtigung der in der Sekundarschule
erbrachten Leistungen und des Verhaltens der betroffenen Schüler ist
2010
Schulrecht
225
aufgrund der Bestimmungen in § 3 und § 24 SchulG sogar geboten.
(...) | 1,701 | 1,369 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2010-41_2010-06-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2010-41.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2010-41.pdf | AGVE_2010_41 | null | nan |
a3f98dde-d8e3-53ec-83ca-161983fe20b9 | 1 | 412 | 869,888 | 1,212,537,600,000 | 2,008 | de | 2008
Verwaltungsrechtspflege
303
[...]
54 Beschwerdelegitimation.
-
Beschwerdelegitimation der Gemeinde in Sozialhilfesachen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 20. Juni 2008 in Sachen
Einwohnergemeinde X. gegen das Bezirksamt Aarau (WBE.2008.79).
Aus den Erwägungen
2.
Die als Vorinstanz am Verfahren beteiligte Behörde kann nur
dann Beschwerde führen, wenn sie ein eigenes Interesse hat oder ihr
die Beschwerdebefugnis durch besondere Bestimmungen verliehen
worden ist (§ 58 Abs. 4 SPG i.V.m. § 38 Abs. 2 VRPG; Michael
Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem
aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar
zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 38 N 205).
Ein eigenes Interesse des Gemeinderats als Behörde ist nicht er-
sichtlich und wird in der Beschwerde auch nicht geltend gemacht
(vgl. AGVE 1989, S. 307 f.). Hingegen handelt der Gemeinderat für
die Einwohnergemeinde X. als verpflichtete Wohnsitzgemeinde i.S.v.
§ 6 Abs. 1 SPG. Letztere hat am Ausgang des Beschwerdeverfahrens
ein schutzwürdiges eigenes Interesse, weil die vorgetragenen Rügen
zu einem für sie günstigeren Verfahrensausgang führen könnten
(AGVE 1990, S. 329 mit Hinweisen). Sie ist damit zur Beschwerde-
führung legitimiert (vgl. zum Ganzen: AGVE 1991, S. 363). | 320 | 255 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-54_2008-06-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-54.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-54.pdf | AGVE_2008_54 | null | nan |
a3fa38c0-b67a-5133-8d9e-151258d9f6cc | 1 | 412 | 871,135 | 981,072,000,000 | 2,001 | de | 2001
Kantonales Steuerrecht
203
[...]
48 Geschäftsmässige Begründung von (Verlusten aus) Bürgschaften und
Solidarschulden?
- Minderheitsbeteiligung des selbstständigerwerbenden Steuerpflich-
tigen an einer AG, die seiner Geschäftstätigkeit (Liegenschaften-
2001
Verwaltungsgericht
204
handel) nicht zu dienen vermag. Seine Verpflichtungen zugunsten
dieser AG sind nicht geschäftsmässig begründet.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 7. Februar 2001 in
Sachen Erben P.M. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Publiziert in
StE 2001, B 23.2 Nr. 24. | 130 | 100 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-48_2001-02-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-48.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-48.pdf | AGVE_2001_48 | null | nan |
a4306634-e0ba-5ab2-81f1-042b410495f1 | 1 | 412 | 870,769 | 1,251,849,600,000 | 2,009 | de | 2009
Einbürgerungen
261
X. Einbürgerungen
48
Rechtsmittelweg gegen ablehnende Bürgerrechtsentscheide der Gemein-
deversammlung
-
Bei der Anfechtung von ablehnenden Entscheiden der Gemeinde-
versammlung über ordentliche Einbürgerungen von Ausländern ist
der Regelrechtsmittelweg gemäss VRPG einzuhalten, indem zunächst
verwaltungsintern Beschwerde zu führen ist und erst anschliessend
der Weg ans Verwaltungsgericht offen steht.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 29. September 2009 in
Sachen J.G. gegen die Einwohnergemeinde S. (WBE.2009.219).
Aus den Erwägungen
I.
1.
Das Verwaltungsgericht prüft seine Zuständigkeit von Amtes
wegen (§ 8 Abs. 1 VRPG).
Bestehen - wie hier (siehe hinten Erw. 4.1 ff.) - Zweifel an der
Zuständigkeit, führt das Verwaltungsgericht ein Meinungsaustausch-
verfahren mit den für die Behandlung der entsprechenden Eingabe in
Betracht fallenden Behörden durch (§ 8 Abs. 2 VRPG). Zuständig-
keitskonflikte, auch negative Kompetenzkonflikte (keine der im Mei-
nungsaustauschverfahren einbezogene Instanz hält sich für zustän-
dig), entscheidet das Verwaltungsgericht (§ 9 Abs. 2 VRPG).
2.
2.1.
Gemäss § 54 Abs. 1 VRPG ist gegen letztinstanzliche Entschei-
de der Verwaltungsbehörden und, wenn vorgesehen, gegen Entschei-
de der Spezialverwaltungsgerichte, die Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde zulässig. Als Vorfrage ist zunächst zu prüfen, ob ein Aus-
2009
Verwaltungsgericht
262
schluss im Sinne des Ausnahmekatalogs gemäss § 54 Abs. 2 VRPG
oder nach § 54 Abs. 3 VRPG vorliegt.
2.2.
§ 54 Abs. 2 VRPG schliesst für verschiedene Sachbereiche aus-
drücklich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus (vgl. die Aufzäh-
lung in § 54 Abs. 2 lit. a - h). Hier liegt keiner der in § 54 Abs. 2 lit. a
- h VRPG genannten Ausschlussgründe vor.
2.3.
2.3.1.
§ 54 Abs. 3 VRPG behält für die Zulässigkeit der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde zusätzlich Sonderbestimmungen in anderen
Gesetzen vor. In Betracht fällt hier allein das Gesetz vom
22. Dezember 1992 über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht
(KBüG; SAR 121.100).
2.3.2.
Gemäss § 13 KBüG ist der Gemeinderat zuständig für Einbür-
gerungen von Schweizerbürgern (ebenso wie für Entlassungen aus
dem Kantons- und Gemeindebürgerrecht). Als Rechtsweg gegen sol-
che Beschlüsse des Gemeinderats sieht § 16 Abs. 1 erster Satz KBüG
die Beschwerde beim Departement Volkswirtschaft und Inneres
(DVI) sowie gegen dessen Entscheid die Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde vor.
2.3.3.
Im Gegensatz dazu trifft der Gemeinderat im hier massgeben-
den Einbürgerungsverfahren für Ausländer diejenigen Erhebungen,
die für die Beurteilung der Einbürgerungsvoraussetzungen erforder-
lich sind und legt anschliessend, wenn die Wohnsitzerfordernisse er-
füllt sind, das Gesuch der Gemeindeversammlung zur Beschlussfas-
sung über die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts vor (§ 11
Abs. 2 KBüG). Nach Rechtskraft des (positiven) Beschlusses der
Gemeindeversammlung übermittelt der Gemeinderat die Akten dem
DVI, welches seinerseits die eidgenössische Einbürgerungsbewilli-
gung einholt und dann die Akten mit Bericht und Antrag an die Ein-
bürgerungskommission des Grossen Rats weiterleitet (§ 11 Abs. 3
und 4 KBüG).
2009
Einbürgerungen
263
Gegen Entscheide der Gemeindeversammlung, des Einwohner-
rats, des Grossen Rats oder der Einbürgerungskommission des Gros-
sen Rates ist die Beschwerde gemäss § 16 Abs. 1 zweiter Satz KBüG
- im Gegensatz zu § 16 Abs. 1 erster Satz KBüG - generell
ausgeschlossen. Mit der genannten Norm besteht somit eine Sonder-
bestimmung im Sinne von § 54 Abs. 3 VRPG, welche die Zulässig-
keit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde grundsätzlich ausschliesst.
3.
3.1.
Gemäss § 54 Abs. 4 VRPG ist indes die Beschwerde auch in
den Fällen von Abs. 2 und 3 zulässig, wenn die Verletzung des An-
spruchs auf Beurteilung von Streitigkeiten durch eine richterliche
Behörde gerügt wird. Mit der Bestimmung soll bereits innerkantonal
reagiert werden können, wenn ein Sachgebiet zu Unrecht dem ge-
richtlichen Rechtsschutz entzogen worden ist, damit nicht zuerst ein
Bundesgerichtsentscheid ergehen muss, der den Kanton zur Ände-
rung zwingt (Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an
den Grossen Rat vom 14. Februar 2007 zum Gesetz über die Ver-
waltungsrechtspflege, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung [Bot-
schaft VRPG], S. 66).
3.2.
Der Beschwerdeführer macht zwar nicht ausdrücklich geltend,
§ 16 Abs. 1 zweiter Satz KBüG verletze den Anspruch auf Beurtei-
lung von Streitigkeiten durch eine richterliche Behörde. Dazu be-
stand indessen für ihn auch kein Anlass, gelangte er doch erst auf-
grund der Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen Verfügung,
welche auf die Möglichkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
hinweist, ans Verwaltungsgericht (zur Rechtsmittelbelehrung siehe
hinten). Damit geht der Beschwerdeführer (ebenso wie die Gemeinde
S., das DVI und der Regierungsrat) der Sache nach davon aus, es
müsse entgegen § 16 Abs. 1 zweiter Satz KBüG die Möglichkeit der
richterlichen Überprüfung von ablehnenden Entscheiden über die
ordentliche Einbürgerung bestehen. Dies ist im Folgenden zu prüfen.
2009
Verwaltungsgericht
264
3.3.
3.3.1.
Jede Person hat bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurtei-
lung durch eine richterliche Behörde. Bund und Kantone können
durch Gesetz die richterliche Beurteilung in Ausnahmefällen aus-
schliessen (Art. 29a BV). Die neuere Lehre und Rechtsprechung
(vgl. A
NDREAS
K
LEY
, in: St. Galler Kommentar zu Art. 29a BV,
2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2008, Art. 29a N 34 f. mit Hinweisen;
Urteil des Bundesgerichts vom 15. Juni 2009 [1D_1/2009], Erw. 2.2)
geht davon aus, dass Einbürgerungsentscheide nicht zu den Ausnah-
mefällen zählen, für welche der Bund oder die Kantone einen Aus-
schluss von der Rechtsweggarantie vorsehen können. Der Ausschluss
jeglichen Rechtsschutzes gegen Einbürgerungsentscheide der
Gemeindeversammlung gemäss § 16 Abs. 1 zweiter Satz KBüG er-
weist sich somit als verfassungswidrig.
3.3.2.
Dieses Ergebnis wird ausdrücklich durch die Neufassung von
Art. 50 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb
und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (BüG; SR 141.0, Fassung
gemäss Ziff. I des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 2007, AS
2008 S. 5911 f., in Kraft seit 1. Januar 2009) bestätigt, der die Kan-
tone dazu verpflichtet, Gerichtsbehörden einzusetzen, die als letzte
kantonale Instanzen Beschwerden gegen ablehnende Entscheide über
die ordentliche Einbürgerung beurteilen (vgl. zum Ausschluss des
Rechtsschutzes gegen positive Entscheide: Amtliches Bulletin der
Bundesversammlung, Nationalrat [Amtl. Bull. N] 2007, Herbst-
session, S. 1579 ff.). Die Notwendigkeit eines derartigen kantonalen
Rechtsmittels leitet sich gemäss dem Bericht der staatspolitischen
Kommission des Ständerats vom 27. Oktober 2005 zur parlamenta-
rischen Initiative des damaligen Ständerats Thomas Pfisterer (nach-
folgend Bericht) "insofern aus der Rechtsweggarantie (Art. 29a BV
gemäss Justizreform) her, als die Kommission den Entscheid über
Gesuche um ordentliche Einbürgerung nicht nur als politischen Akt,
sondern auch als individuell-konkreten Rechtsanwendungsakt er-
achtet. (...). Art. 50
a
BüG zeigt also deutlich die Interpretation des
Gesetzgebers, wonach Streitigkeiten im Bereich der ordentlichen
2009
Einbürgerungen
265
Einbürgerung keinen vorwiegend politischen Charakter im Sinne von
Art. 86 Abs. 3 des Bundesgerichtsgesetzes haben" (BBl 2005, Nr. 48,
S.
6953). Art. 50 BüG ist weiter hinsichtlich des kantonalen
Rechtsschutzes so auszulegen, dass es sich um ein oberes kantonales
Gericht handeln muss, sofern nur eine gerichtliche Instanz vorgese-
hen wird. Dies ergibt sich aus Art. 50 BüG in Verbindung mit den
Vorschriften des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom
17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110). Gemäss Art. 113 BGG ist gegen
Entscheide letzter kantonaler Instanzen über ordentliche Einbürge-
rungen die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gegeben (vgl. zum
Ausschluss der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenhei-
ten Art. 83 lit. b BGG). Für die kantonalen Vorinstanzen greift (durch
den Verweis in Art. 114 BGG) Art. 86 Abs. 2 BGG, wonach die
Kantone als Vorinstanz des Bundesgerichts obere Gerichte einzuset-
zen haben.
3.4.
Der generelle Ausschluss des Beschwerderechts gemäss § 16
Abs. 1 zweiter Satz KBüG verstösst - wie dargelegt - sowohl gegen
Art. 29a BV als auch gegen Art. 50 BüG, da beide Vorschriften auf
kantonaler Ebene eine gerichtliche Überprüfung von Einbürgerungs-
entscheiden verlangen. Insoweit erweist sich die Beschwerde als be-
gründet. Es ist festzustellen, dass der Ausschluss der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde gegen negative Entscheide über die ordentliche
Einbürgerung gemäss § 54 Abs. 3 VRPG i.V.m. § 16 Abs. 1 zweiter
Satz KBüG nicht greift und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde bei
ablehnenden Entscheiden über die ordentliche Einbürgerung gemäss
der Generalklausel von § 54 Abs. 1 VRPG grundsätzlich zulässig ist.
4.
4.1.
Das VRPG sieht für die Anfechtung behördlicher Anordnungen
als Regel die Möglichkeit der Beschwerde an eine Verwaltungsbe-
hörde vor (§ 41 Abs. 1 VRPG; vgl. auch § 50 Abs. 1 und 2 VRPG
betreffend die durch den Regierungsrat zu behandelnden Beschwer-
den bzw. die Kompetenzdelegation an andere Behörden). Dement-
sprechend ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erst gegen letzt-
instanzliche Entscheide der Verwaltungsbehörden, d.h. grundsätzlich
2009
Verwaltungsgericht
266
erst nach Ausschöpfung des verwaltungsinternen Rechtsmittels,
zulässig (§ 54 Abs. 1 VRPG). Es ergibt sich ein zweistufiger Regel-
rechtsmittelweg mit einer verwaltungsinternen und einer
verwaltungsexternen Instanz (ebenso Botschaft VRPG, S. 7 f., wo-
nach ein ideales Instanzenmodell zwei Rechtsmittelinstanzen umfasst
(erste Instanz: Ermessenkontrolle; zweite Instanz: unabhängige rich-
terliche Instanz) sowie Protokoll des Grossen Rates [Prot. GR] vom
5. Juni 2007, Art. 1132, S. 2273, Votum Regierungsrat Wernli). Da-
mit stellt sich hier die Frage, ob der Entscheid der Gemeindever-
sammlung S. vom 18. Juni 2009 nicht zunächst mit Beschwerde
beim Regierungsrat anzufechten ist.
4.2.
4.2.1.
§ 16 Abs. 1 zweiter Satz KBüG schliesst jeglichen Rechtsschutz
gegen Entscheide der Gemeindeversammlung über die ordentliche
Einbürgerung von Ausländern aus. Die Bestimmung enthält somit
ihrem Wortlaut nach nicht nur einen - wie dargelegt unzulässigen -
Ausschluss der gerichtlichen Überprüfung entsprechender Ent-
scheide der Gemeindeversammlung, sondern sie versperrt darüber
hinaus auch den Weg des verwaltungsinternen Rechtsschutzes mittels
Beschwerde.
Diese Regelung beruht auf der Prämisse, dass es sich beim Ent-
scheid über die ordentliche Einbürgerung von Ausländern um einen
politischen Akt handelt, welcher wegen seiner Qualität als freier Er-
messensentscheid des Souveräns jeglicher Überprüfung entzogen
sein soll. Diese Grundlage trägt indessen - wie dargelegt - von Bun-
desrechts wegen nicht mehr, sondern es ist im Gegenteil von einer
Doppelnatur des Einbürgerungsentscheids als politischer Akt, aber
auch als individuell-konkreter Verwaltungsakt auszugehen (siehe
vorne Erw. 3.3.2). Daher ist bei der Auslegung von § 16 Abs. 2
KBüG danach zu fragen, wie der Gesetzgeber legiferiert hätte, wenn
er um die Unrichtigkeit der Prämisse gewusst hätte, insbesondere ob
er in diesem Fall eine direkte Anfechtung beim Verwaltungsgericht
vorgesehen, d.h. auch dann die verwaltungsinterne Kontrolle des
Einbürgerungsentscheids ausgeschlossen hätte. Eine Antwort auf
diese Frage lässt sich aus § 16 Abs. 1 zweiter Satz KBüG naturge-
2009
Einbürgerungen
267
mäss nicht ableiten, da der Gesetzgeber bei Erlass der Bestimmung -
damals zu Recht - (noch) von der Prämisse der politischen Natur des
Einbürgerungsentscheids ausging und sich damit für ihn diese Frage
gar nicht stellte.
4.2.2.
Dieses Zwischenergebnis - bundesrechtliche Notwendigkeit ei-
ner gerichtlichen Überprüfung, keine Aussage in § 16 Abs. 1 zweiter
Satz KBüG darüber, ob der gerichtlichen Überprüfung eine ver-
waltungsinterne Kontrolle vorauszugehen hat - steht im Einklang mit
den Materialien, insbesondere mit der Behandlung der Frage nach
dem Rechtsschutz gegenüber ablehnenden Einbürgerungsentscheiden
im Rahmen der Beratung des VRPG durch den Grossen Rat. Der
Antrag, Einbürgerungsentscheide in den Ausnahmekatalog von § 54
Abs. 2 VRPG aufzunehmen, wurde abgelehnt, wobei in der Debatte
darauf hingewiesen wurde, dass es einen solchen Ausschluss im
Verwaltungsrechtspflegegesetz nicht brauche: § 54 Abs. 3 VRPG
behalte die Bestimmungen in anderen Gesetzen vor und § 16 KBüG
stelle eine solche Bestimmung dar. Im Übrigen wurde darauf
hingewiesen, dass ein solcher genereller Ausschluss zu weit führe, da
damit auch Schweizer Bürgern die bisher ausdrücklich in § 16 Abs. 1
erster Satz KBüG eingeräumte Möglichkeit der Beschwerde ans
Verwaltungsgericht genommen werde (vgl. zum Ganzen: Prot. GR
vom 5. Juni 2007, Art. 1132, S. 2272, Votum Stüssi-Lauterburg,
S. 2278 f., Voten Hollinger und Regierungsrat Wernli sowie Prot. GR
vom 4. Dezember 2007, Art. 1451, S. 3025 f., Voten Stüssi-
Lauterburg, Hollinger und Regierungsrat Wernli). Auch der Grosse
Rat ging somit bei der Beratung des VRPG noch davon aus, dass der
generelle Rechtsmittelausschluss von § 16 Abs. 1 zweiter Satz KBüG
bei Entscheiden über die ordentliche Einbürgerung von Ausländern
zulässig sei und stellte sich gar nicht die Frage nach der
Ausgestaltung des Rechtswegs im Falle der Unzulässigkeit des
Rechtsmittelausschlusses.
4.2.3.
Vielmehr wurde in der Debatte ausdrücklich hervorgehoben,
dass sich allenfalls infolge der Gesetzgebungsarbeiten im Bund (Än-
derung des Bürgerrechtsgesetzes) die Notwendigkeit ergeben könne,
2009
Verwaltungsgericht
268
§ 16 KBüG zu revidieren. Gerade in diesem Zusammenhang fehlt
indessen jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber bereits
irgendwelche Überlegungen in Richtung auf eine Durchbrechung des
Regelrechtsmittelzugs gemäss VRPG bei der allfällig notwendig
werdenden Änderung von § 16 Abs. 1 zweiter Satz KBüG angestellt
hätte (vgl. Prot. GR vom 5. Juni 2007, Art. 1132, S. 2278 f., Voten
Hollinger und Regierungsrat Wernli). Damit muss insoweit der
Regelrechtsmittelzug des Verwaltungsrechtspflegegesetzes gelten.
Für die Anwendung dieser Rechtsmittelordnung auch bei der
Anfechtung ablehnender Einbürgerungsentscheide sprechen im Üb-
rigen neben dem Wortlaut und der Systematik des VRPG weitere
gewichtige Gründe:
4.2.3.1.
Ein zweistufiger Rechtsschutz gilt auch nach dem Gemeindege-
setz, welches in § 105 GG gegen Entscheide von Organen der Ge-
meinden (und damit auch der Gemeindeversammlung) zunächst die
Verwaltungsbeschwerde vorsieht.
4.2.3.2.
In vergleichbarer Weise sind Einwendungen individuell Betrof-
fener gegen Beschlüsse der zuständigen Gemeindeorgane (z.B. Ge-
meindeversammlung) über Nutzungspläne und -vorschriften zu-
nächst beim Regierungsrat anzufechten (vgl. § 26 BauG).
4.2.3.3.
Ebenso gilt der zweistufige innerkantonale Regelrechtsmittel-
weg gemäss § 16 Abs. 1 erster Satz KBüG i.V.m. § 13 KBüG gegen-
über Beschlüssen des Gemeinderats betreffend die Einbürgerung von
Inländern sowie Entlassungen aus dem Kantons- und Gemein-
debürgerrecht, wobei aufgrund der vorhandenen Kompetenzdelega-
tion nicht der Regierungsrat, sondern das DVI als erste Rechtsmit-
telinstanz entscheidet (siehe vorne Erw. 2.3.2).
4.2.3.4.
Gegen den ordentlichen Regelrechtsmittelweg lässt sich auch
nicht einwenden, der Entscheid der Gemeindeversammlung über die
ordentliche Einbürgerung von Ausländern stelle einen Volksentscheid
dar, der - wenn überhaupt - nur einer gerichtlichen, nicht aber der
Überprüfung durch eine Verwaltungsbehörde zugänglich sei, da auch
2009
Einbürgerungen
269
andere Entscheide der Gemeindeversammlung der Beschwerde an
den Regierungsrat unterliegen (siehe vorne Erw. 4.2.3.1 und 4.2.3.2).
4.2.4.
Diese Auslegung von § 54 Abs. 1 VRPG erweist sich schliess-
lich auch als bundesrechtskonform. Den Materialien zu Art. 50 BüG
ist nämlich zu entnehmen, dass sich der Bundesgesetzgeber mit der
Frage der Ausgestaltung des kantonalen Rechtsmittelzugs nicht be-
schäftigt hat. Er wollte vielmehr den Kantonen diesbezüglich freie
Hand lassen (vgl. ausdrücklich Bericht, S. 6953, wonach es den
Kantone obliegt, die Fragen der Legitimation zur Beschwerde bei der
letztinstanzlichen kantonalen Gerichtsinstanz (wie auch deren
Überprüfungs- und Entscheidbefugnisse) zu klären; ebenso Amtl.
Bull. Ständerat 2005, Wintersession, S. 1141, Votum Inderkum).
Insbesondere äusserte sich der Bundesgesetzgeber nicht dazu, ob der
von Bundesrechts wegen erforderlichen gerichtlichen Überprüfung
ablehnender Entscheide über die ordentliche Einbürgerung ein ver-
waltungsinterner Rechtsschutz vorauszugehen hat, sondern er be-
schränkte sich auf die (Minimal-)Forderung eines gerichtlichen
Rechtschutzes.
4.3.
Im Ergebnis und mangels einer anderslautenden spezialgesetzli-
chen Lösung ist folglich bei der Anfechtung von ablehnenden Ent-
scheiden der Gemeindeversammlung über ordentliche Einbürgerun-
gen von Ausländern der Regelrechtsmittelweg gemäss VRPG ein-
zuhalten, indem zunächst verwaltungsintern Beschwerde zu führen
ist und erst anschliessend der Weg ans Verwaltungsgericht offen
steht. Da eine Delegation der Entscheidzuständigkeit vom Regie-
rungsrat ans DVI (im Gegensatz zu § 16 Abs. 1 erster Satz KBüG)
bisher nicht stattgefunden hat, ist der Regierungsrat für die Be-
handlung der Beschwerde zuständig.
4.4.
An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass der
Regelrechtsmittelweg gegen ablehnende Entscheide des Grossen
Rats bzw. seiner Einbürgerungskommission über die Erteilung des
Kantonsbürgerrechts nicht offensteht. Eine Parallelität des Rechts-
mittelwegs, wie sie der Regierungsrat für Entscheide der Gemeinde-
2009
Verwaltungsgericht
270
versammlung bzw. des Einwohnerrats einerseits und des Grossen
Rats bzw. seiner Einbürgerungskommission andererseits postuliert,
ist nicht geboten. Auch wenn die Erteilung des Gemeinde-, des
Kantons- und des Schweizerbürgerrechts materiell und verfahrens-
rechtlich miteinander verknüpft sind, werden mit dem jeweiligen
Bürgerrecht doch je verschiedene Rechte verliehen bzw. Pflichten
auferlegt. Hinzu kommt, dass das Kantonsbürgerrecht gemäss § 11
Abs. 2 und 3 KBüG erst nach Zusicherung des Gemeindebürger-
rechts und anschliessender Einholung der eidgenössischen Einbürge-
rungsbewilligung (§ 11 Abs. 4 KBüG; diesbezüglich greift gemäss
Art. 51 BüG der Regelrechtsmittelweg des Bundesrechts; vgl. dazu
T
HOMAS
H
ÄBERLI
, in: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz,
Basel 2008, Art. 83 N 49) erteilt wird. Die Situation beim Entscheid
des Grossen Rats bzw. der Einbürgerungskommission, der erst zu
fällen ist, nachdem - allenfalls nach Beschreitung des Rechts-
mittelwegs - rechtskräftig das Gemeindebürgerrecht zugesichert
wurde und überdies die rechtskräftige eidgenössische Einbürge-
rungsbewilligung vorliegt, stellt sich somit anders dar als jene beim
Entscheid über die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts. | 4,404 | 3,370 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-48_2009-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-48.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-48.pdf | AGVE_2009_48 | null | nan |
a4b99a07-e11c-5024-af94-e4aa7a048514 | 1 | 412 | 870,118 | 1,104,624,000,000 | 2,005 | de | 2005
Kantonale Steuern
129
[...]
31
Grundstückgewinnsteuer. Berechnung der Besitzesdauer (§ 79 aStG).
- Berechnung der Besitzesdauer bei einem Teilverkauf nach vorgän-
giger Landumlegung. Die unterschiedliche Besitzesdauer der in die
Landumlegung eingeworfenen Parzellen ist bei der Neuzuteilungs-
parzelle anteilsmässig weiterzuführen. Wird die neue Parzelle aufge-
teilt und teilweise veräussert, so ist die Berechnung vorzunehmen, als
werde zuerst der Anteil der Parzelle mit der längsten Besitzesdauer -
und entsprechend der tiefsten Steuerbelastung - verkauft.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 25. Januar 2005 in
Sachen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht und H.H. Publiziert
in StE 2006, B 45 Nr. 11. | 173 | 129 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-31_2005-01-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-31.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-31.pdf | AGVE_2005_31 | null | nan |
a4c53951-b293-5691-bb44-09a755596fae | 1 | 412 | 870,843 | 1,007,337,600,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
304
68
Erneuerung eines Baugesuchs.
- Grundsätzlich kann ein abgewiesenes Baugesuch wegen fehlender
materieller Rechtskraft jederzeit neu gestellt werden; Grenzen des
Rechtsmissbrauchsverbots und der Rücksicht auf die Verwaltungs-
ökonomie (Erw. 1).
- Anspruch des Gesuchstellers auf materielle Beurteilung des erneuer-
ten Baugesuchs wegen veränderter Ausgangslage bejaht (Erw. 2/b).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. Dezember
2001 in Sachen B. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. Die Baubewilligung wird im Allgemeinen als Polizeibewilli-
gung qualifiziert (Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau-
und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 509; Chris-
tian Mäder, Das Baubewilligungsverfahren, Diss. Zürich 1991,
Rz. 23, 430; Erich Zimmerlin, Kommentar zum Baugesetz des Kan-
tons Aargau, 2. Auflage, Aarau 1986, § 152 N 5; AGVE 2000,
S. 247). Auf die Erteilung einer Baubewilligung besteht ein Rechts-
anspruch, wenn das Bauvorhaben dem massgebenden öffentlichen
Recht, insbesondere den baurechtlichen Vorschriften entspricht (vgl.
Zimmerlin, a.a.O., § 152 N 5; AGVE 2000, S. 247). Die Abweisung
des Baugesuchs ist als negativer Verwaltungsakt deklarativer Natur
und stellt fest, dass das Projekt nicht den Vorschriften entspricht
(Zimmerlin, a.a.O., § 152 N 6; Josef Schwere, Das Baubewilligungs-
verfahren nach aargauischem Recht, Diss. Zürich 1971, S. 127).
Grundsätzlich kann ein Baugesuch, das nicht bewilligt wurde, jeder-
zeit neu gestellt werden; es gibt keine (materielle) Rechtskraft eines
negativen Verwaltungsakts (VGE III/103 vom 16. Dezember 1981 in
Sachen G. AG, S. 6; Max Imboden/René A. Rhinow, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, Band
I, 6.
Auflage, Basel/Frankfurt
a. M. 1985, Nr. 42 B. I mit Hinweisen; Schwere, a.a.O., S. 127 f.).
Die Möglichkeit, jederzeit ein neues Gesuch stellen zu können, wird
in der Lehre unter Hinweis auf die Interessen Dritter (z.B. Nachbarn)
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
305
am Bestand der ablehnenden Verfügung und auf das Interesse an der
Rechtssicherheit zum Teil als fragwürdig betrachtet. Es sei deshalb
auch beim Widerruf der Verweigerung einer Polizeierlaubnis (durch
spätere Bewilligungserteilung) eine Interessenabwägung vorzuneh-
men. Werde dagegen ein neues Gesuch eingereicht, dem ein neuer
Sachverhalt oder eine neue Rechtslage zugrunde liege, so stelle sich
die Frage des Widerrufs der Verweigerung der Polizeierlaubnis nicht,
da sich die Rechtskraft der Verweigerung nur auf den Gegenstand
des ersten Gesuchs erstrecke (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grund-
riss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998,
Rz. 1985 f.).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts liegt die
Grenze beim Erneuern von Baugesuchen in allgemeinen Rechts-
grundsätzen wie dem Verbot des Rechtsmissbrauchs (vgl. § 3 Abs. 2
VRPG) und der Rücksicht auf die Verwaltungsökonomie (erwähnter
VGE in Sachen G. AG, S. 7; VGE III/130 vom 6. Dezember 1990 in
Sachen H., S. 7; III/89 vom 16. September 1992 in Sachen W., S. 7).
Ein Anspruch auf materielle Neubeurteilung besteht jedenfalls dann,
wenn "neue", d. h. nach dem Erlass des ersten Entscheides hinzuge-
tretene Umstände dargetan werden (erwähnter VGE in Sachen W.,
S. 7, vgl. auch AGVE 1986, S. 165; 1977, S. 259 f.). Im erwähnten
VGE in Sachen G. AG (S. 7) hat das Verwaltungsgericht Folgendes
festgehalten:
"Es muss also auf jedes Gesuch hin ein neuer Entscheid gefällt wer-
den. Das gilt jedenfalls dann, wenn das zweite Baugesuch nicht genau
mit dem ersten übereinstimmt. Es mag Fälle geben, wo diese Rege-
lung missbraucht und vor allem die Nachbarn - ein typisch bau- und
raumplanungsrechtliches Problem - durch solches Vorgehen übermäs-
sig strapaziert werden. Dort kann unter Umständen eine andere Erledi-
gung Platz greifen müssen."
2. a) Der Stadtrat begründet seinen Nichteintretensentscheid
damit, dass das neu eingereichte Baugesuch identisch sei mit dem
abgelehnten Baugesuch. Es lägen keine neuen Erkenntnisse vor, und
auch hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen seien keine Ver-
änderungen zu verzeichnen, die eine Wiedererwägung rechtfertigten.
Das erste Baugesuch sei abgewiesen worden, weil durch das Bau-
2001
Verwaltungsgericht
306
vorhaben die Einheitlichkeit der Gesamtüberbauung gefährdet wor-
den sei; da sich diesbezüglich im zweiten Baugesuch nichts geändert
habe, könne nicht von einer zulässigen Erneuerung nach Ausmer-
zung von festgestellten Mängeln gesprochen werden.
Die Beschwerdeführer sind demgegenüber der Auffassung, das
Nichteintreten des Stadtrats auf ihr Baugesuch stelle eine Rechtsver-
weigerung dar. Das zweite Baugesuch sei nicht als Wiedererwä-
gungsgesuch im Sinne eines formlosen Rechtsbehelfs eingereicht,
sondern es sei ein neues Gesuch mit wesentlich veränderten rechtli-
chen Rahmenbedingungen gestellt worden. Zum Einen hätten neu
alle nötigen Zustimmungen der Nachbarn, insbesondere auch dieje-
nigen der Einsprecher gegen das erste Baugesuch, vorgelegen, zum
Zweiten seien auch die Plandarstellung verbessert sowie die vorher
fehlenden Vermerke und Unterlagen vollständig eingereicht worden,
und zum Dritten seien gegen das zweite Baugesuch keine Ein-
sprachen mehr eingegangen. Dass die Ästhetik des Bauvorhabens im
Gegensatz zu den genannten Punkten auch im zweiten Baugesuch
unverändert gleich geblieben sei, könne angesichts des den Baube-
willigungsbehörden in Einordnungsfragen immanent zukommenden
Ermessensspielraums kaum als rechtlich zulässiger Grund für die
Frage des Eintretens auf das zweite Baugesuch angesehen werden.
Im Übrigen präsentiere sich - wegen der fehlenden Einsprachen - die
Ausgangslage auch in Bezug auf die Ästhetikfrage anders.
b) Umstritten und im Folgenden zu prüfen ist, ob ein Anspruch
der Beschwerdeführer auf materielle Beurteilung ihres zweiten Bau-
gesuchs besteht.
aa) In formeller Hinsicht liegt ein neues Baugesuch vor, das
vom Stadtrat indessen als Wiedererwägungsgesuch behandelt wurde.
Klar erscheint zunächst, dass der Gegenstand des Baugesuchs, d.h.
das Bauvorhaben selbst, grundsätzlich nicht verändert worden ist. In
beiden Baugesuchen geht es um drei an die jeweilige Fassade mon-
tierte Vordächer, bestehend aus einer Stahlkonstruktion mit Draht-
glas, sowie um eine Glaswand. Im ersten Baugesuch betragen die
angegebenen Masse 95 cm x 534 cm, 95 cm x 115 cm und 95 cm x
370 cm; im zweiten Baugesuch werden 84 cm x 534 cm, 95 cm x
115 cm und 95 cm x 454 cm angegeben. Die unterschiedlichen
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
307
Massangaben sind vorab auf die - von den Beschwerdeführern aner-
kannte - Ungenauigkeit und mangelnde Professionalität der zuerst
eingereichten Pläne und nicht etwa auf eine Projektänderung zurück-
zuführen. Letzteres wird auch von den Beschwerdeführern nicht
behauptet. Sie sehen die massgebenden Änderungen vielmehr darin,
dass mit dem zweiten Baugesuch die Zustimmungserklärungen der
Eigentümer der Parzellen Nrn. x, y und z beigebracht und zudem die
mangelhaften Pläne, aufgrund derer auch die konkrete Beurteilung
der Einordnungsfrage schwierig gewesen sei, verbessert worden
seien. Die Vorinstanzen bestreiten die Relevanz dieser Änderungen.
Das Fehlen der nachbarlichen Zustimmungserklärungen sei für die
Abweisung des ersten Gesuchs gar nicht ausschlaggebend gewesen;
ihre Beibringung hätte auch als Bedingung oder Auflage in die Bau-
bewilligung aufgenommen werden können. Auch die eingereichten,
etwas rudimentären Pläne seien nicht Ursache der Abweisung gewe-
sen (Erw. a hievor).
bb) Im Entscheid vom 15. Februar 2000, mit dem der Stadtrat
das ursprüngliche Baugesuch abgewiesen hat, wird unter dem Titel
"Überbaurechte" ausgeführt, das beabsichtigte Bauvorhaben erfor-
dere Überbaurechte zu Lasten der Parzellen Nrn. x und z. Die bishe-
rigen, zum Teil vorliegenden, Rechte seien nur für die bisherige
Überbauung (ohne Vordächer) rechtskräftig. Unter der Überschrift
"Einpassung/Ästhetik" wird anschliessend festgehalten, bei der sei-
nerzeitigen Beurteilung (der Terrassensiedlung) sei eine einheitliche
und harmonische Architektur vorausgesetzt worden. Ein mit den jetzt
vorliegenden Vordächern projektiertes einzelnes Terrassenhaus
(innerhalb der Überbauung) wäre nie bewilligt worden. Mit dem be-
absichtigten Anbau der drei Vordächer werde der einheitliche Aus-
druck der Gesamtüberbauung empfindlich gestört. Aufgrund der vor-
genannten Argumente werde der Anbau der Vordächer abgelehnt.
Das Entscheiddispositiv schliesslich lautet dahingehend, dass auf-
grund der vorstehenden Erwägungen die Einsprache von W. betref-
fend Einpassung (Ästhetik) gutgeheissen und das Baugesuch für die
Vordächer abgelehnt werde, während auf die Einsprache von L. unter
diesen Umständen nicht mehr eingetreten werden müsse.
2001
Verwaltungsgericht
308
Nicht aus dem Dispositiv, wohl aber aus der Entscheidbegrün-
dung geht somit hervor, dass die für die Dächer fehlenden Überbau-
rechte doch eine Rolle gespielt haben und für die Verweigerung der
Baubewilligung mitentscheidend waren. Zumindest mussten und
durften die Beschwerdeführer dies aufgrund des Wortlauts der Be-
gründung des Entscheids annehmen. Schliesslich hatten ja auch die
Verfasser der beiden Einsprachen zur Hauptsache den nicht gewähr-
leisteten gesetzlichen Grenzabstand und das fehlende Näher- bzw.
Überbaurecht thematisiert; nur W. hatte zusätzlich ästhetische Grün-
de geltend gemacht. Insofern kann das Beibringen der Einwilligun-
gen der Nachbarn zum Bauvorhaben nicht als bloss irrelevante Än-
derung des neuerlichen Baugesuchs betrachtet werden, auch wenn
das Bauprojekt selbst dabei unverändert blieb.
Wenn die - inzwischen offenbar auch anwaltlich beratenen - Be-
schwerdeführer davon absahen, den für sie negativen Entscheid des
Stadtrats auf dem Beschwerdeweg weiterzuziehen, weil sie eine Be-
schwerde wegen der fehlenden Überbaurechte - wohl zu Recht - von
Vornherein als aussichtslos erachteten und es daher vorzogen, zu-
nächst die erforderlichen schriftlichen Zustimmungen der betroffe-
nen Nachbarn zum Bauvorhaben einzuholen und ein neues Bauge-
such einzureichen, so lässt sich dies - entgegen der Auffassung der
beiden Vorinstanzen - weder als mit dem Grundsatz der Verfahrens-
ökonomie unvereinbar noch als rechtsmissbräuchlich bezeichnen.
Dies würde selbst dann gelten, wenn die Beschwerdeführer das ver-
besserte Baugesuch allein deswegen eingereicht hätten, um auf dem
Rechtsmittelweg eine Überprüfung der vom Stadtrat negativ beur-
teilten Ästhetikfrage herbeiführen zu können. Mit einer Beschwerde
gegen den ersten Ablehnungsbeschluss hätten sie eine solche Beur-
teilung aus den genannten Gründen mit grösster Wahrscheinlichkeit
nicht erreicht. Im vorliegenden Fall weist allerdings der Umstand,
dass die Beschwerdeführer dem neuen Baugesuch nebst der Zustim-
mung der Nachbarn auch mehrere Pläne mit verbesserter Darstel-
lung, namentlich auch in Bezug auf die bemängelte Einordnung der
drei Vordächer in die bestehende Terrassensiedlung beifügten, darauf
hin, dass es ihnen primär um eine Neubeurteilung der Ästhetikfrage
aufgrund verbesserter Plangrundlagen durch den erstinstanzlich zu-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
309
ständigen Stadtrat selbst (im Hinblick auf einen positiven Entscheid)
ging und erst in zweiter Linie um die erneute Öffnung des Rechts-
mittelwegs.
cc) Aufgrund des Gesagten ist von einer für eine materielle Be-
urteilung des neuen Baugesuchs in ausreichendem Masse veränder-
ten Ausgangslage auszugehen. Es kann trotz Identität des Projekts
klarerweise nicht gesagt werden, dass das erste und das zweite Bau-
gesuch vollständig miteinander übereingestimmt hätten (vgl. auch
Erw. 1 hievor); vielmehr sind u.a. auch schwerwiegende Mängel
behoben worden, mit denen die erste Bewilligungsverweigerung mit-
begründet worden war. Richtigerweise hätte der Stadtrat daher auf
das Baugesuch vom 14. April 2000 eintreten und dieses materiell be-
handeln müssen. Im vorliegenden Fall sind überdies auch keine zu
schützenden nachbarlichen Interessen ersichtlich, die gegen eine
erneute Behandlung des Gesuchs gesprochen hätten; vielmehr haben
die direkt betroffenen Nachbarn - wie mehrfach ausgeführt - dem
Bauvorhaben ausdrücklich zugestimmt. | 2,746 | 2,184 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-68_2001-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-68.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-68.pdf | AGVE_2001_68 | null | nan |
a4cf4ba1-ba35-596c-9a5b-78a5586c885b | 1 | 412 | 871,247 | 1,067,731,200,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsgericht
308
[..]
76 Beschwerde,
aufschiebende
Wirkung.
- Der vorsorgliche Entzug der aufschiebenden Wirkung durch die ver-
fügende Behörde (§ 44 Abs. 1 VRPG) muss begründet werden.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. November 2003 in
Sachen R.B. gegen Entscheid des Bezirksamts L.
Sachverhalt
Dem Sozialhilfeempfänger wurde wegen Nichtbefolgung von
Weisungen die materielle Hilfe um den Grundbedarf II gekürzt. Ei-
ner allfälligen Beschwerde gegen diesen Beschluss entzog der Ge-
meinderat vorsorglich die aufschiebende Wirkung.
Aus den Erwägungen
Der vorsorgliche Entzug der aufschiebenden Wirkung wurde in
der Verfügung mit keinem Wort begründet. Die aufschiebende Wir-
kung ist die Regel, der vorsorgliche Entzug hat den Charakter einer
klaren Ausnahme, die nur "aus wichtigen Gründen" angeordnet wer-
den darf (§ 44 Abs. 1 VRPG; vgl. auch Michael Merker, Rechtsmit-
2003
Verwaltungsrechtspflege
309
tel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen
Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-
72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 44 N 5, 28 ff.). Diese wichtigen
Gründe sind in der Verfügung zu nennen, und es ist zu begründen,
inwiefern sie die entgegenstehenden Interessen überwiegen (Merker,
a.a.O., § 44 N 28). | 318 | 255 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-76_2003-11-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-76.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-76.pdf | AGVE_2003_76 | null | nan |
a4fcce2b-d0b5-5d43-828b-47ea54ee82d4 | 1 | 412 | 870,971 | 1,096,675,200,000 | 2,004 | de | 2004
Verwaltungsgericht
126
[...]
32
Einkommenssteuertarif (§ 43 Abs. 2 StG).
- Der Verheiratetentarif gilt nach Art. 11 Abs. 1 StHG auch für
geschiedene Steuerpflichtige, die mit Kindern und einem neuen
2004
Kantonale Steuern
127
Partner (Konkubinat) zusammenleben. Die kantonale Bestimmung,
dass der Verheiratetentarif auf geschiedene Steuerpflichtige nur
anwendbar ist, wenn sie
allein
mit Kindern zusammenleben, verstösst
gegen das StHG.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 20. Oktober 2004 in
Sachen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht in Sachen M.G. Zur
Publikation vorgesehen in StE 2005.
Redaktionelle Anmerkung
Gegen diesen Entscheid hat das Kantonale Steueramt beim
Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. | 169 | 138 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-32_2004-10-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-32.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-32.pdf | AGVE_2004_32 | null | nan |
a5113879-e24b-50c5-a092-fe9c124370ab | 1 | 412 | 869,631 | 852,076,800,000 | 1,997 | de | 2005
Kantonale Steuern
105
III. Kantonale Steuern
26 Eigenmietwert.
- Die Anpassung der Eigenmietwerte auf den 1. Januar 1997 (gemäss
Dekret vom 24. September 1996) findet auf Landwirtschaftsbetriebe
im Umfang des landwirtschaftlichen Normalwohnbedarfs keine An-
wendung.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 6. Juli 2005 in Sachen
H.K. gegen Steuerrekursgericht.
Aus den Erwägungen
3.2.1. § 1 des grossrätlichen Dekretes über die Anpassung der
Eigenmietwerte auf den 1. Januar 1997 (SAR 651.130) vom 24. Sep-
tember 1996 bestimmt:
"Die bisher geltenden, auf der Basis der Neuschätzung per 1. Januar
1989 verfügten Eigenmietwerte selbstbewohnter Liegenschaften im Kanton
Aargau werden um 45 % erhöht."
3.2.2. Abweichend von der Ansicht des KStA und der Gemein-
desteuerkommission hat das Steuerrekursgericht die Erhöhung um
45 % angewendet.
3.2.3. Die Schätzung der Grundstücke und der Eigenmietwerte
erfolgt durch die Gemeindeschätzungskommissionen (§ 52, § 121
des Steuergesetzes [aStG] vom 13. Dezember 1983) auf Grundlage
der Verordnung über die Bewertung der Grundstücke (VBG). Der
Eigenmietwert bei selbst genutzten landwirtschaftlichen Liegen-
schaften wird abweichend von den sonst anwendbaren Regeln nach
landwirtschaftlichen Kriterien festgesetzt (vgl. § 24 Abs. 2 VBG).
Für den Wohnraum des "landwirtschaftlichen Normalbedarfs" galt
die landwirtschaftliche Schätzungsanleitung (§ 24 Abs. 2 VBG in der
ursprünglichen Fassung [AGS Bd. 11, S. 591] sowie gemäss Ände-
2005
Verwaltungsgericht
106
rung vom 25. September 1989 [AGS Bd. 13, S. 95]) bzw. jetzt die
Anleitung für die Schätzung des landwirtschaftlichen Ertragswertes
(§ 24 Abs. 2 VBG in der aktuellen Fassung vom 25. November
1998); nur für den zusätzlichen Wohnraum sind die Kriterien für
nichtlandwirtschaftliche Liegenschaften massgeblich.
Der Wortlaut des Dekrets vom 24. September 1996 wie auch
derjenige des vorangehenden Dekrets vom 28. Juni 1994 über die
Anpassung der Eigenmietwerte auf den 1. Januar 1995 (das lediglich
eine Erhöhung von 25 % vorgesehen hatte und als Folge des VGE
vom 6. Juni 1996 [AGVE 1996, S. 135 ff.] geändert wurde) macht
keine Ausnahme für landwirtschaftliche Liegenschaften, und die
unterschiedliche Ermittlung des Eigenmietwerts würde an sich nicht
ausschliessen, auch bei landwirtschaftlichen Liegenschaften eine
prozentuale Erhöhung vorzunehmen. Indessen ergibt sich aus den
Materialien klar, dass dies nicht vorgesehen war. In der Botschaft des
Regierungsrats vom 30. März 1994 zur Anpassung des Eigenmiet-
werts auf den 1. Januar 1995 wurde ausgeführt (S. 11):
"Was die Festsetzung des
landwirtschaftlichen Eigenmietwertes
von
selbstgenutzten landwirtschaftlichen Liegenschaften betrifft, so richtet sich
diese nach der landwirtschaftlichen Schätzungsanleitung (...). Dieses Vorge-
hen entspricht der bundesgerichtlichen Praxis, die festhält, dass die Be-
stimmung des landwirtschaftlichen Eigenmietwertes von betriebsnotwen-
digem Wohneigentum die geltenden Pachtzinsbeschränkungen gemäss eid-
genössischem Pachtzinsgesetz und der Pachtzinsverordnung zu beachten
habe (BGE vom 19. Februar 1993 i.S. B.)."
In der Botschaft des Regierungsrats vom 29. August 1996 zur
Anpassung der Eigenmietwerte auf den 1. Januar 1997 und Anord-
nung einer allgemeinen Neuschätzung per 1. Januar 1999 wurde
ausdrücklich erwähnt, dass die landwirtschaftlichen Eigenmietwerte
nicht Gegenstand des Dekrets vom 28. Juni 1994 gebildet hätten
(S. 5).
3.2.4. Somit ist festzuhalten, dass die Erhöhung der Eigenmiet-
werte gemäss den Dekreten vom 28. Juni 1994 und 24. September
1996 die landwirtschaftlichen Eigenmietwerte im Umfang des land-
wirtschaftlichen Normalwohnbedarfs nicht betrifft. Es gibt keinerlei
Hinweise, dass mit der Wohnung der Beschwerdeführer der landwirt-
2005
Kantonale Steuern
107
schaftliche Normalbedarf überschritten würde. In diesem Punkt er-
weist sich somit der Einspracheentscheid als zutreffend. Die vom
Steuerrekursgericht vorgenommene reformatio in peius ist rück-
gängig zu machen. | 924 | 704 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-26_1997-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-26.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-26.pdf | AGVE_2005_26 | null | nan |
a55c5b86-d5e1-562b-a733-9605f035eb4e | 1 | 412 | 870,404 | 1,304,467,200,000 | 2,011 | de | 2011
Jagdrecht
205
VIII. Jagdrecht
51
Jagdrecht; Privilegierung der bisherigen Jagdgesellschaft bei der Pacht-
vergabe (§ 4 Abs. 3 AJSG)
Bei Jagdgesellschaften, welche sich bisher als einfache Gesellschaften
konstituierten und deren Mitglieder neu verschiedenen (Jagd-) Vereinen
beigetreten sind, kann die Bevorzugungsklausel auch nicht indirekt in
Bezug auf die Anzahl der Mitglieder in einem Verein angewendet werden.
Mit der Auflösung der einfachen Gesellschaft besteht keine bisherige
Jagdgesellschaft im Sinne von § 4 Abs. 3 AJSG mehr.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 20. Mai 2011 in Sachen A.
gegen B., Gemeinderat C. und Regierungsrat (WBE.2011.34).
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
In materieller Hinsicht beanstandet die Beschwerdeführerin eine
unrichtige Anwendung von § 4 Abs. 3 AJSG. Ihr ehemaliger Mit-
pächter und Mitglied der Beschwerdegegnerin D. sei zwischenzeit-
lich verstorben, weshalb sie zwei, die Beschwerdegegnerin nur einen
bisherigen Pächter ausweisen könne. Zu relativieren sei die bean-
standete Nichterfüllung der Abschusszahlen.
3.2.
Die Vorinstanz und die Abteilung Wald begründeten den Zu-
schlag an die Beschwerdegegnerin mit deren jüngerer Altersstruktur,
der höheren Revierverbundenheit und der beabsichtigten Zusam-
menarbeit mit der Jagdgesellschaft E.. Weiter werden die Führung
von diversen Jagdhunden, die Erfahrung in der Schwarzwildbeja-
gung und bisherige Aktivitäten in der Naturschutz- und Öffentlich-
keitsarbeit angeführt. Besonders hervorgehoben werden die Wohn-
2011
Verwaltungsgericht
206
orte der Jagdaufseher und das gute Einvernehmen mit den Ge-
meinde- und Forstbehörden.
3.3.
Die Bevorzugung der bisherigen Jagdgesellschaft gemäss § 4
Abs. 3 Satz 1 AJSG kann beim Übergang zur Verpachtung an Jagd-
gesellschaften, die sich neu als Verein konstituieren (vgl. § 5 Abs. 1
AJSG), kein absolutes Kriterium sein. Mit der Auflösung der ein-
fachen Gesellschaft besteht rechtlich gesehen keine "bisherige Jagd-
gesellschaft" mehr. Bei Jagdgesellschaften, welche sich bisher als
einfache Gesellschaften konstituierten und deren Mitglieder neu
verschiedenen (Jagd-) Vereinen beigetreten sind, kann die Bevorzu-
gungsklausel auch nicht indirekt in Bezug auf die Anzahl der Mit-
glieder in einem Verein angewendet werden. § 4 Abs. 3 Satz 2 AJSG
schreibt vielmehr vor, dass im Falle von Mehrfachbewerbungen die
jagdlichen Kriterien, insbesondere bisherige Jagdausübung, die
Revierverbundenheit und Altersstruktur massgebend sind. Der Krite-
rienkatalog erhellt, dass die bisherige Jagdtätigkeit im betreffenden
Revier auch bei Mehrfachbewerbungen von entscheidender Bedeu-
tung ist. Sie ist aber nicht allein ausschlaggebend.
(...)
Es ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden und entspricht
den gesetzlichen Kriterien, wenn bei der Gesamtwürdigung die Aus-
wahl auf die Beschwerdegegnerin fiel. Insbesondere auch die Frage
der Zusammenarbeit mit dem benachbarten Revier sprach für die
Beschwerdegegnerin. Die Gemeinde- und Forstbehörden hatten
schon im Oktober 2008 und dann erneut im Januar 2009 diese Pro-
bleme mit den betroffenen Jagdgesellschaften andiskutiert bzw. Lö-
sungsvorschläge erwartet. Unbestritten ist, dass die Beschwerde-
führerin sich mit einer Zusammenarbeit mit andern Jagdgesellschaf-
ten schwer tat. | 710 | 566 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-51_2011-05-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-51.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-51.pdf | AGVE_2011_51 | null | nan |
a5814895-2a82-565c-b2e5-c6c15fe38bd3 | 1 | 412 | 870,379 | 1,228,262,400,000 | 2,008 | de | 2008
Verwaltungsgericht
196
[...]
34
Wahl der richtigen Verfahrensart.
-
Die Vergabestelle hat vorgängig der Ausschreibung des Auftrags eine
möglichst zuverlässige Schätzung der mutmasslichen Auftragssum-
me nach sachlichen Kriterien und aufgrund allfälliger Erfahrungs-
werte vorzunehmen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 17. Dezember 2008 in Sa-
chen E. AG gegen den Regierungsrat (WBE.2008.296)
Aus den Erwägungen
1.
Gemäss § 8 Abs. 1 lit. a SubmD sind Aufträge im offenen oder
selektiven Verfahren zu vergeben, wenn der geschätzte Wert des Ein-
zelauftrags bei Aufträgen des Bauhauptgewerbes Fr. 500'000.-- und
bei Lieferungen, Dienstleistungen und Aufträgen des Bauneben-
gewerbes Fr. 250'000.-- übersteigt. Aufträge sind gemäss § 8 Abs. 2
lit. a bis c SubmD im Einladungsverfahren zu vergeben, wenn der
geschätzte Wert des Einzelauftrags folgenden Betrag übersteigt:
2008
Submissionen
197
- Fr. 300'000.-- bei Aufträgen des Bauhauptgewerbes;
- Fr. 150'000.-- bei Dienstleistungen und Aufträgen des Baune-
bengewerbes;
- Fr. 100'000.-- bei Lieferungen.
Erreicht der geschätzte Wert des Einzelauftrags den Betrag für
das Einladungsverfahren nicht, kann der Auftrag freihändig vergeben
werden (§ 8 Abs. 3 lit. a SubmD). Eine freihändige Vergabe erfolgt
auch in den in § 8 Abs. 3 lit. b bis m SubmD genannten Fällen. In
den Fällen von § 8 Abs. 3 SubmD kann die Vergabestelle eine
Wettbewerbssituation dadurch schaffen, dass sie ohne öffentliche
Ausschreibung verschiedene Anbietende nach ihrer Wahl zur
Einreichung eines Angebots einlädt.
Für die Wahl des richtigen Verfahrens massgebend ist einerseits
die Art des zu vergebenden Auftrags (Bauauftrag, Lieferung,
Dienstleistung) und anderseits der Wert des konkreten Auftrags bzw.
das Auftragsvolumen. Massgebend ist der vor der Ausschreibung
geschätzte Auftragswert und nicht der Wert des später bei der Verga-
be berücksichtigten Angebots. Die Vergabestelle hat somit vorgängig
der Ausschreibung des Auftrags eine Schätzung der mutmasslichen
Auftragssumme nach sachlichen Kriterien und aufgrund allfälliger
Erfahrungswerte vorzunehmen. Es hat sich dabei um eine zuverläs-
sige und sorgfältige Schätzung zu handeln. Insbesondere darf dabei,
um die Bestimmungen über die Schwellenwerte einzuhalten, nicht zu
knapp kalkuliert werden; die Behörde hat sich eher an die obere
Bandbreite der Schätzung zu halten (Peter Galli / André Moser /
Elisabeth Lang / Evelyne Clerc, Praxis des öffentlichen Beschaf-
fungsrechts, 1. Band: Landesrecht, 2. Auflage, Zürich / Basel / Genf
2007, Rz. 180 ff.). Die eidgenössische Mehrwertsteuer wird bei der
Berechnung des Auftragswerts nicht berücksichtigt (§ 8 Abs.
5
SubmD).
2008
Verwaltungsgericht
198
2.
2.1.-2.2. (...)
2.3.
Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, die Ver-
gabebehörde habe zu Unrecht ein freihändiges Verfahren durchge-
führt. Sie sei ihrer Pflicht, eine sorgfältige und vorsichtige, d.h.
grosszügige Kostenschätzung vorzunehmen, nicht nachgekommen.
Dies müsse zur Aufhebung des erteilten Zuschlags und zur Neu-
durchführung eines offenen oder selektiven Vergabeverfahrens
führen. Sodann weist die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie
aufgrund der Tatsache, dass ein freihändiges Verfahren durchgeführt
worden sei, bei der Einreichung ihrer Offerte davon ausgegangen sei,
es werde eine IT-Lösung im Bereich bis zu Fr. 150'000.-- gesucht.
Aus diesem Grund habe sie ein Angebot unter Fr. 150'000.-- einge-
reicht (bereinigt bzw. inklusive Zusatzwünsche der Vergabebehörde
Fr. 190'000.--). Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass die Vergabe-
behörde das von ihr gewünschte Produkt und dessen Kosten pflicht-
gemäss evaluiert habe und dabei zum Schluss gekommen sei, dass
sie an einer eher einfachen - aber ohne Weiteres funktionstüchtigen
und praktikablen - IT-Lösung unter Fr. 150'000.-- interessiert gewe-
sen sei.
Demgegenüber ist die Vergabebehörde der Ansicht, aufgrund
der getroffenen, detaillierten und sorgfältigen Abklärungen habe sie
bei der Eröffnung des Verfahrens in guten Treuen davon ausgehen
dürfen, dass die Angebote unter dem massgeblichen Schwellenwert
von Fr. 150'000.-- liegen würden. Diese Annahme sei insbesondere
auf den beiden vorliegenden Kostenschätzungen fundiert gewesen,
die keine erheblichen betragsmässigen Differenzen aufgezeigt hätten.
Die Verfahrenswahl sei aufgrund dieser Einschätzungen korrekt
gewesen.
2008
Submissionen
199
2.4.
2.4.1.
Zu prüfen ist, ob die Schätzung der mutmasslichen Kosten
durch die Vergabebehörde richtig vorgenommen worden ist. Nach
deren Darstellung in der Vernehmlassung waren im Vorfeld der
Submission ab Mitte 2007 mit mehreren potentiellen Anbietern
Gespräche geführt worden, um die vorhandenen informationstech-
nischen Möglichkeiten sowie die anfallenden Kosten der Implemen-
tierung einer IT-Lösung abzuschätzen. In diesem Kontext habe die
Beschwerdeführerin am 30. Oktober 2007 eine Kostenzusammen-
stellung mit einmaligen Kosten von Fr. 119'200.-- (ohne optionale
Spezialentwicklungen) präsentiert. Die A. habe an ihrer Präsentation
vom 9. November 2007 Kosten in der Höhe von rund Fr. 110'000.--
in Aussicht gestellt. Gestützt auf der Grundlage dieser summarischen
Kostenschätzungen sowie auf weitere Abklärungen habe sich die
Vergabebehörde für ein freihändiges Verfahren unter Einbezug der
beiden genannten Anbieterinnen entschieden.
2.4.2.
(...)
Aufgrund dieser Angaben der beiden angefragten Unternehmen
konnte die Vergabebehörde zwar darauf schliessen, dass eine Infor-
matiklösung mit (einmaligen) Kosten unterhalb des Schwellenwerts
für das Einladungsverfahren, d.h. Fr.
150'000.--, grundsätzlich
realisierbar ist. Zugleich musste ihr aber bewusst sein, dass es sich
dabei nur um eine einfache Basis- bzw. Minimallösung handeln
konnte. Dies ergibt sich insbesondere aus der Kostenzusammen-
stellung der Beschwerdeführerin: Die Kosten für die drei Basismo-
dule betragen Fr. 119'200.--. Mit den optional angebotenen Erwei-
terungen (automatische Synopsenerstellung, Fussnotenduplikations-
elimination, Konkordanzliste und Historie) belaufen sich die Kosten
jedoch bereits auf Fr. 146'400.--, liegen also nurmehr knapp unter-
halb des Schwellenwerts für das Einladungsverfahren. Aber auch die
Tatsache, dass das schliesslich für den Zuschlag berücksichtigte An-
gebot der A. Kosten von rund Fr. 260'000.-- nach sich zieht, während
an der Präsentation von der A. noch Kosten von (lediglich)
Fr. 110'000.-- genannt wurden, lässt einzig den Schluss zu, dass sich
2008
Verwaltungsgericht
200
deren ursprüngliche Kostenschätzung ebenfalls (offenbar entspre-
chend dem ursprünglich geäusserten Wunsch der Vergabebehörde)
auf eine Minimallösung bezog.
2.4.3.
Als Zwischenergebnis durfte die Vergabebehörde aufgrund der
beiden einverlangten Kostenschätzungen zwar davon ausgehen, dass
eine Minimal- oder Basislösung zu unterhalb des Schwellenwerts lie-
genden einmaligen Anschaffungskosten erhältlich sein würde. Je-
doch musste ihr bereits zu jenem Zeitpunkt klar sein, dass zusätz-
liche Anforderungen und Wünsche sehr rasch dazu führen würden,
dass der für eine freihändige Vergabe zulässige Schwellenwert über-
schritten wird.
2.5.
2.5.1.
Die Vergabestelle erstellte in der Folge ein Pflichtenheft, in des-
sen Ziffer 5 die Anforderungen an das einzureichende Angebot
detailliert umschrieben sind. Bestandteil des Pflichtenhefts war
sodann ein "Anforderungskatalog", in dem diese Anforderungen
wiederholt und als "Zuschlagskriterien" bezeichnet wurden.
2.5.2.
Die Beschwerdeführerin reichte am 29. April 2008 ein Angebot
ein mit einmaligen Kosten in Höhe von Fr. 171'600.--. (...)
Das Angebot der A. vom 24. April 2008 nennt einmalige Kosten
in der Höhe von Fr. 259'600.--. (...)
Beide Angebote liegen deutlich über dem für die Zulässigkeit
einer freihändigen Vergabe massgebenden Schwellenwert von
Fr. 150'000.--. Das Angebot der A. überschreitet sogar den Schwel-
lenwert von Fr. 250'000.--, der eine öffentliche Ausschreibung des
Auftrags in einem offenen oder selektiven Verfahren notwendig
macht. Den Kostenunterschied zwischen den beiden Angeboten
begründet die Vergabebehörde damit, dass die Beschwerdeführerin
entgegen den Anforderungen im Pflichtenheft mit Fixpreisen arbeite,
während die A. in Übereinstimmung mit dem Pflichtenheft von
einem Kostendach bzw. maximalen Kosten ausgehe. Die auffällige
Differenz bei den Kosten der Konvertierung liege in erster Linie
darin begründet, dass bei E. die Datenkonvertierung maschinell
2008
Submissionen
201
vorgenommen werde, dabei aber ein massiv höherer Aufwand seitens
der Auftraggeberin zur Kontrolle der konvertierten Daten notwendig
sei. Der Einsatz interner Ressourcen bei der Konvertierung durch A.
sei gering, da die Konvertierung durch A. manuell und mit
juristischem Personal vorgenommen werde.
Sodann hält die Vergabebehörde fest, das von der Beschwer-
deführerin vorgebrachte, aber effektiv nicht offerierte Angebot in der
Höhe von Fr. 130'400.-- genüge den Anforderungen gemäss Pflich-
tenheft bei weitem nicht. Aber auch das um die Zusatzoptionen und
Spezialentwicklungen erweiterte Angebot der Beschwerdeführerin
genügt den Anforderungen des Pflichtenhefts nicht, stellt die Verga-
bebehörde diesbezüglich doch ausdrücklich fest, die Beschwerde-
führerin habe ausreichend Gelegenheit erhalten, ihr Angebot zu op-
timieren und nachzubessern. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe ihr
klar sein müssen, dass ihre eher einfache und knapp funktions-
tüchtige Lösung nicht den Anforderungen der Staatskanzlei entspro-
chen habe. Mit diesen Ausführungen anerkennt die Vergabebehörde,
dass die Anforderungen, wie sie im Pflichtenheft enthalten sind, über
eine einfache Basislösung, wie sie den beiden Kostenschätzungen
zugrunde lagen, deutlich hinausgehen. Folglich hätte ihr bereits bei
der Ausarbeitung des Pflichtenhefts bewusst sein müssen, dass die
vorhandenen Kostenschätzungen für die Bestimmung des tatsächlich
massgeblichen Auftragswerts von keiner bzw. nur noch von sehr
beschränkter Bedeutung sein konnten und zwar einzig dahingehend,
dass wegen der deutlich umfangreicheren Anforderungen an die zu
beschaffende Informatiklösung zwangsläufig auch mit deutlich
höheren Kosten zu rechnen sein musste. Der Argumentation der Ver-
gabebehörde, sie habe bei der Eröffnung des Verfahrens in guten
Treuen davon ausgehen dürfen, dass die Angebote unter dem mass-
geblichen Schwellenwert von Fr. 150'000.-- liegen würden, kann
deshalb nicht gefolgt werden. Vorliegend ist die Vergabebehörde
auch keineswegs durch im Vergleich zu den Kostenschätzungen un-
erwartet hohe Offertpreise (bei in etwa gleichgebliebenen Leistungs-
anforderungen) "überrascht" worden. Vielmehr liegt der Grund für
die deutlich höheren Kosten darin, dass die Vergabebehörde im Ver-
gleich zu den Grundlagen der Kostenschätzungen eben auch we-
2008
Verwaltungsgericht
202
sentlich höhere Anforderungen an die zu offerierende Lösung gestellt
hat. Mithin musste sie davon ausgehen, dass die Offertpreise
zwangsläufig wesentlich höher ausfallen würden als die Kosten-
schätzungen. Die Beschwerdeführerin weist durchaus zu Recht dar-
auf hin, es gehe nicht an, "dass die Vergabebehörde (...) eine Kosten-
schätzung für einen Kleinwagen erstellt, gestützt darauf das
freihändige Verfahren wählt und dann - ohne 'Wechsel' in die zutref-
fende Verfahrensart - einen Luxuswagen im überschwelligen Be-
reich beschafft, da dieser ihre Bedürfnisse noch besser abdeckt". Die
Vergabestelle hätte im vorliegenden Fall bereits anlässlich der Er-
stellung des Pflichtenhefts die Schätzung der mutmasslich anfallen-
den Kosten aufgrund ihrer zwischenzeitlich gesteigerten Anforde-
rungen an die Informatik-Lösung entsprechend anpassen bzw. neu
festlegen müssen.
Die Offerte der A. beläuft sich auf Fr. 259'600.-- und diejenige
der Beschwerdeführerin auf Fr. 171'600.-- (inkl. Zusatzoptionen und
Spezialentwicklungen). Letzterer Betrag erhöhte sich im Nachgang
an die von der Vergabebehörde geäusserten Optimierungswünsche
um weitere Fr. 10'000.-- auf Fr. 183'000.--, entsprach aber - laut
Vergabestelle - dennoch nicht den funktionalen und technologischen
Anforderungen. Hingegen erfüllt das Angebot der A. gemäss Verga-
bebehörde die gestellten Anforderungen vollumfänglich, weist aber
einmalige Kosten von Fr. 260'000.-- aus, d.h. liegt sogar über dem
Schwellenwert, der die Durchführung eines offenen oder selektiven
Verfahrens mit öffentlicher Auftragsausschreibung erforderlich
macht. Eine sachgerechte Schätzung des Auftragswerts (für den im
Pflichtenheft umschriebenen Auftrag) hätte somit davon ausgehen
müssen, dass der massgebende Schwellenwert zumindest des Einla-
dungsverfahrens, wenn nicht sogar des offenen oder selektiven Ver-
fahrens, erreicht würde und ein freihändiges Verfahren mit höchster
Wahrscheinlichkeit nach nicht zulässig sein konnte. In Bezug auf den
Beschaffungsgegenstand, wie er sich im Pflichtenheft dokumentiert,
lag somit keine zuverlässige Kostenschätzung vor.
2.6.
Damit steht fest, dass sich die freihändige Vergabe vorliegend
nicht auf § 8 Abs. 3 lit. a SubmD stützen lässt. Andere Ausnahme-
2008
Submissionen
203
tatbestände i.S.v. § 8 Abs. 3 lit. b bis m SubmD, die eine freihändige
Vergabe zulässig erscheinen lassen, werden von der Vergabebehörde
nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. (...) | 2,894 | 2,262 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-34_2008-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-34.pdf | AGVE_2008_34 | null | nan |
a5916182-e189-44c7-adea-ec19a7de2b9d | 1 | 413 | 1,497,461 | 1,442,361,600,000 | 2,015 | de | Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung; Anhörung im Kollegium - Erstinstanzliche Anordnungen von fürsorgerischen
Unterbringungen müssen stets in begründeter Form erlassen werden; die Zustellung im Dispositiv ist unzulässig (Erw. I/2.2 f.).
- Ausnahmen von der Anhörung im Kollegium gemäss Art. 447 Abs. 2 ZGB (Erw. II/2.3)
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 16. September 2015 in Sachen A. gegen den Entscheid des Familiengerichts X. (WBE.2015.377)
Aus den Erwägungen
I. 2. 2.1. Gemäss dem Entscheiddispositiv des Familiengerichts X. vom
10. September 2015 kann innert 10 Tagen seit Zustellung dieses Dispositivs beim Präsidenten des Bezirksgerichts X. mit schriftlicher Eingabe eine schriftliche Begründung verlangt werden. Wird gegen einen Entscheid ohne schriftliche Begründung irrtümlicherweise direkt schriftlich Beschwerde erhoben, statt vorerst eine schriftliche Begründung zu verlangen, so gilt dies grundsätzlich als Antrag auf schriftliche Begründung (DANIEL STAEHELIN, in: THOMAS /FRANZ HASENBÖHLER/CHRISTOPH LEUENBERGER [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 2. Aufl., Zürich 2013, Art. 239 N 31). Die Beschwerde vom 14. September 2015 wäre somit grundsätzlich als Antrag auf schriftliche Begründung an das Familiengericht X. weiterzuleiten.
2.2. Im vorliegenden Fall einer fürsorgerischen Unterbringung stellt
sich aber die Frage, ob das Familiengericht überhaupt einen Entscheid im Dispositiv erlassen durfte bzw. ob das Verwaltungsgericht nicht trotz fehlender Urteilsbegründung auf die
Beschwerde eintreten darf und muss. Ein Unterbringungsentscheid und somit auch ein Verlegungsentscheid sind der betroffenen Person sofort, das heisst noch vor oder gleichzeitig mit dem Vollzug der fürsorgerischen Unterbringung zu begründen (CHRISTOF BERNHART, Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung, Basel 2011, N 633; ELISABETH SCHWEREY, Das Verfahren bei der vorsorglichen fürsorgerischen Freiheitsentziehung, Basler Diss. St. Gallen 2004, S. 63). Folglich genügt es nicht, wenn der betroffenen Person bloss das Recht eingeräumt wird, eine Begründung verlangen zu können (BERNHART, a.a.O., N 633; SCHWEREY, a.a.O., S. 63; vgl. auch Botschaft Nr. 77.058 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Fürsorgerische Freiheitsentziehung] und den Rückzug des Vorbehaltes zu Artikel 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 17. August 1977, in: Bundesblatt [BBl] 1977 III, S. 1 ff., S. 34), denn sonst hätte eine fürsorgerisch untergebrachte Person nicht die Möglichkeit, ihre Rechte gemäss Art. 31 Abs. 2 BV, welcher auf fürsorgerische Unterbringungen Anwendung findet (HANS VEST, in: St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2014, Art. 31 N 6), geltend zu machen. Zu diesen Rechten gehören bei einer fürsorgerischen Unterbringung insbesondere das Recht auf ein einfaches und rasches Verfahren, weshalb gemäss Art. 450e Abs. 5 ZGB über Beschwerden gegen Entscheide auf dem Gebiet der fürsorgerischen Unterbringung in der Regel innert fünf Arbeitstagen seit Eingang der Beschwerde zu entscheiden ist. Im Übrigen muss gemäss Art. 430 Abs. 2 ZGB auch ein ärztlicher Unterbringungsentscheid begründet sein, und aus dem Sinn und Zweck einer fürsorgerischen Unterbringung ergibt sich von selbst, dass auch die Einrichtung, in welche die Person eingewiesen wird, den Grund der fürsorgerischen Unterbringung und die gemäss Einweisungsbehörde notwendige Behandlung und Betreuung von Beginn der Einweisung an kennen muss (vgl. Art. 426 Abs. 1 ZGB).
2.3 Würde das Verwaltungsgericht die Beschwerde vom
14. September 2015 als sinngemässen Antrag auf schriftliche Begründung an das Familiengericht X. weiterleiten, so wäre eine
Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin im Lichte von Art. 31 Abs. 2 BV naheliegend. Es würde für die Überweisung der Beschwerde an das Familiengericht, für die anschliessende Begründung des familiengerichtlichen Entscheids vom 10. September 2015, für die Zustellung des begründeten Entscheids und für die Einreichung einer neuen Beschwerde an das Verwaltungsgericht unnötige Zeit verstreichen, welche sich aufgrund der Natur der fürsorgerischen Unterbringung und der damit zusammenhängenden Schwere des Eingriffs in die Rechtsstellung der betroffenen Person nicht rechtfertigen lassen (vgl. auch KASPAR PLÜSS, in: ALAIN GRIFFEL [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. Aufl., Zürich 2014, § 10a N 16; vgl. zur Rechtfertigung eines einfachen und raschen Verfahrens auch THOMAS GEISER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1–456 ZGB, 5. Aufl., Basel 2014, Art. 450e N 37 ff.).
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass erstinstanzliche Anordnungen von fürsorgerischen Unterbringungen stets in begründeter Form erlassen werden müssen und die Zustellung im Dispositiv unzulässig ist. Deshalb tritt das Verwaltungsgericht trotz fehlenden begründeten Entscheids des Familiengerichts auf die Beschwerde vom 14. September 2015 ein.
2.4.-3. (...) II. 1.-2.2 (...) Gesetzlich vorgeschrieben ist, wie gesehen, eine persönliche
mündliche Anhörung der betroffenen Person; vorbehalten sind Fälle, in denen eine solche Anhörung unverhältnismässig wäre (Art. 447 ZGB). Die persönliche Anhörung verfolgt – wie der Anspruch auf rechtliches Gehör – zwei Ziele: Zum einen stellt sie ein Mitwirkungsrecht der betroffenen Person dar. Zum anderen bildet sie ein Mittel zur Sachverhaltsabklärung. Das Mitwirkungsrecht ist umfassend: Der betroffenen Person ist im Rahmen der persönlichen Anhörung nicht nur in allgemeiner Form von der in Aussicht genommenen Massnahme Kenntnis zu geben. Vielmehr sind ihr sämtliche Einzeltatsachen bekannt zu geben, auf die sich die Kindes-
und Erwachsenenschutzbehörde bei ihrem Entscheid stützen will. Soweit die Anhörung der Sachverhaltsfeststellung dient, kann auf sie nicht verzichtet werden, selbst wenn sich die betroffene Person widersetzen sollte. Die Behörde hat sich anhand der persönlichen Anhörung einen umfassenden Eindruck von den Zukunftsaussichten und der jüngeren Vergangenheit der betroffenen Person zu verschaffen, der ihr mit Blick auf die Geeignetheit, die und die Angemessenheit der Massnahme als Entscheidungsgrundlage dient (AUER/MARTI, a.a.O., Art. 447 N 4 ff.).
2.3. Ausnahmsweise kann auf die Anhörung im Kollegium gemäss
Art. 447 Abs. 2 ZGB verzichtet werden und nur eine Anhörung durch ein einzelnes Behördenmitglied durchgeführt werden, wenn Gefahr in Verzug ist, wenn sich die betroffene Person weigert, einer Vorladung Folge zu leisten, oder wenn die Anhörung durch den gesamten Spruchkörper wegen der Krankheit oder anderen persönlichkeitsbedingten Gründen seitens der betroffenen Person nicht geboten ist. Von einer Anhörung durch den gesamten Spruchkörper kann ferner Umgang genommen werden, wenn dem Grundsatz der Interdisziplinarität nicht entscheidendes Gewicht zukommt. Liegt beispielsweise im Verfahren vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde bereits ein schlüssiges psychiatrisches oder sozialpsychologisches Gutachten vor, kann es sich rechtfertigen, dass die persönliche Anhörung einzig durch das Behördenmitglied mit juristischem Sachverstand durchgeführt wird (AUER/MARTI, a.a.O., Art. 447 N 35; vgl. die Botschaft Nr. 06.063 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, in: BBl 2006, S. 7001 ff., S. 7079). Schliesslich ist denkbar, vor der Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung von einer Anhörung im Kollegium abzusehen, wenn das gleiche Kollegium die betroffene Person schon einmal angehört hat, zum Beispiel beim Entscheid über die fürsorgerische Unterbringung oder die Verlängerung einer solchen. Die Zeitspanne zwischen der letzten Anhörung und dem Unterbringungsentscheid müsste jedoch relativ kurz bemessen sein
und es müsste zweifelsfrei feststehen, dass sich in der Zwischenzeit keine neuen Aspekte ergeben haben, die für den Unterbringungs- bzw. Verlegungsentscheid relevant sind (vgl. auch AGVE 2013, S. 95 ff.).
3. 3.1. Das Familiengericht X., das den vorliegend angefochtenen
Verlegungsentscheid vom 10. September 2015 in der vom Gesetz (§ 3 Abs. 4 lit. a GOG) vorgesehenen Dreierbesetzung gefällt hat, hat die Beschwerdeführerin nicht persönlich durch den gesamten Spruchkörper angehört, denn es erfolgte bloss eine telefonische Anhörung. Das Verwaltungsgericht rügte schon mit Entscheid vom 10. September 2015 den Verlegungsentscheid (Verlegung in die Klinik Im Hasel) des Familiengerichts X. vom 26. August 2015, da das Familiengericht ebenfalls ohne persönliche Anhörung im Kollegium über die Verlegung der Beschwerdeführerin in die Klinik Im Hasel entschieden hatte. Das Verwaltungsgericht forderte das Familiengericht deshalb ausdrücklich auf, anlässlich der Beurteilung des Entlassungsgesuchs eine Anhörung im Kollegium gemäss Art. 447 Abs. 2 ZGB durchzuführen (Entscheid des Verwaltungsgerichts [VGE] I/173 vom 10. September 2015 [WBE.2015.363], Erw. 3.3). Obwohl unklar ist, wer die telefonische Anhörung der Beschwerdeführerin vom 10. September 2015 durchgeführt hat, ist davon auszugehen, dass sowohl die juristisch geschulte Gerichtspräsidentin B. als auch Fachrichterin C. die Beschwerdeführerin noch nie persönlich angehört haben. Die einzige persönliche Anhörung der Beschwerdeführerin erfolgte am 26. August 2015 durch die Fachrichterin D.
3.2. Für das Verwaltungsgericht ist keine Ausnahmesituation
ersichtlich, in welcher auf die Anhörung im Kollegium verzichtet werden konnte und somit eine Anhörung durch ein Behördenmitglied genügen würde (vgl. zu den möglichen Ausnahmesituationen vorne, Erw. II/2.3). Gerichtspräsidentin B. und Fachrichterin C. fällten den Entscheid des Familiengerichts X. vom 10. September 2015 – wie schon den Verlegungsentscheid vom 26. August 2015 – anhand der
Akten und des Votums von Fachrichterin D., und allenfalls anhand der Eindrücke aufgrund der telefonischen Anhörung am 10. September 2015, was jedoch auch nicht den Anforderungen von Art. 447 Abs. 2 ZGB genügt (AUER/MARTI, a.a.O., Art. 447 N 7). Die Gerichtspräsidentin B. und Fachrichterin C. hatten noch nie Gelegenheit, die Beschwerdeführerin persönlich kennenzulernen und sich auf diese Weise durch einen eigenen, unmittelbaren Eindruck von ihrem Wesen sowie ihrer gesundheitlichen und sozialen Situation und somit von der Richtigkeit und Angemessenheit der fürsorgerischen Unterbringung zu überzeugen. Gerade dies ist aber der Sinn der Bestimmung von Art. 447 Abs. 2 ZGB, dass die interdisziplinär zusammengesetzte Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die betroffene Person im Kollegium anhört.
Das Recht auf Anhörung im Kollegium gemäss Art. 447 Abs. 2 ZGB wurde (erneut) in grundlegender Weise missachtet (vgl. auch Entscheid des Verwaltungsgerichts [VGE] I/131 vom 9. Juni 2015 [WBE.2015.278], Erw. 3.1), weshalb in Gutheissung der Beschwerde der angefochtene Entscheid aufzuheben ist (AUER/MARTI, a.a.O., Art. 447 N 37; AGVE 2013, S. 96 f.). Unter Berücksichtigung der aktuellsten ärztlichen Berichte zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin und der bereits organisierten Nachbetreuung ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise auf eine Rückweisung an die Vorinstanz zu verzichten. Die Beschwerdeführerin ist deshalb umgehend aus der Klinik Königsfelden zu entlassen.
Sachregister
Fürsorgerische Unterbringung
- Die familiengerichtliche Anhörung ist grundsätzlich immer durch das Kollegium
durchzuführen 2013 17 95
- Die Zustellung von erstinstanzlichen Anordnungen einer fürsorgerischen
Unterbringung im Dispositiv ist unzulässig.
Rechtsmittelbelehrung
- Unzulässige Rechtsmittelbelehrung bei erstinstanzlichen Anordnungen einer fürsorgerischen Unterbringung
Urteilseröffnung
- Die Zustellung von erstinstanzlichen Anordnungen einer fürsorgerischen
Unterbringung im Dispositiv ist unzulässig.
Gesetzesregister
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV)
Art. 31 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB)
Art. 426 Abs. 1
Art. 430 Abs. 2
Art. 447
Art. 450e Abs. 5
SAR 155.100 Gerichtsorganisationsgesetz (Gesetz über die Organisation der ordentlichen richterlichen Behörden) vom 11. Dezember 1984 (GOG)
§ 3 Abs. 4 lit. a
Sachregister | 2,703 | 2,011 | AG_VG_002 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_002_-Kindes--und-Erwachs_2015-09-16 | https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/kindes__und_erwachsenenschutz/verwaltungsgericht/EntscheiddesVerwaltungsgerichtsvom16September2015.pdf | null | nan |
||
a5dfc63e-4df0-5581-be2a-2cf4dea6dda4 | 1 | 412 | 870,688 | 1,443,830,400,000 | 2,015 | de | 2015
Submissionen
191
28
Beschwerdebefugnis
Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft, die als einfache Gesellschaft auf-
tritt, müssen gegen einen Ausschluss gemeinsam Beschwerde führen.
Wird die Beschwerde nicht rechtzeitig im Namen aller Mitglieder der Ar-
beitsgemeinschaft erhoben, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 22. Oktober 2015 in Sa-
chen A. GmbH gegen B. AG (WBE.2015.337).
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
192
Aus den Erwägungen
2.2.2.
Die Beschwerdeführerin hat als Mitglied einer Arbeitsgemein-
schaft (bestehend aus der C. GmbH und der Beschwerdeführerin) am
Vergabeverfahren teilgenommen. Arbeitsgemeinschaften treten regel-
mässig in der Form der einfachen Gesellschaft (Art. 530 ff. OR) auf,
die als Vertrags- bzw. Gesellschaftszweck meist die gemeinsame
Ausführung des zu vergebenden Auftrags hat (VGE III/132 vom
29. September 1998 [BE.98.00223], S. 5; P
ETER
G
AUCH
, Der Werk-
vertrag, 5. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2011, Rz. 243, 245). Von
einer einfachen Gesellschaft ist auch im vorliegenden Fall auszuge-
hen.
Insbesondere im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens
ist allgemein anerkannt, dass die Mitglieder einer Arbeitsgemein-
schaft, die gemeinsam Gläubiger von Gesellschaftsforderungen sind
(Art. 544 Abs. 1 OR), von einem Nicht-Zuschlag nicht einzeln, son-
dern nur als Partnerschaft betroffen sind. Das Recht zur Beschwerde
gegen eine solche Verfügung mit dem Ziel, den Zuschlag dennoch zu
erhalten, kommt deshalb nur allen gemeinsam zu und muss - gleich
wie die notwendigen Streitgenossen im Zivilprozess - auch gemein-
sam ausgeübt werden (BGE 131 I 160 f. mit diversen Hinweisen =
Pra 2006, S. 195; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juli
2009 [B-2561/2009], Erw. 3.3 ff.; Baurechtsentscheide Kanton
Zürich [BEZ] 2000 Nr. 7, S. 23 f.; Rechenschaftsbericht über die
Rechtspflege des Kantons Uri [RB Uri] 2004/05, S. 109; vgl. auch
VGE III/132 vom 29. September 1998 [BE.98.00223], S. 5; M
ARTIN
B
ERTSCHI
, in: A
LAIN
G
RIFFEL
[Hrsg.], Kommentar VRG,
3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, § 21 N 43; R
OBERT
W
OLF
, Der
Rechtsschutz im öffentlichen Beschaffungswesen, in: I
SABELLE
H
ÄNER
/B
ERNHARD
W
ALDMANN
[Hrsg.], Brennpunkte im Verwal-
tungsprozess, Zürich/Basel/Genf 2013 [nachfolgend: Rechtsschutz],
S. 173 mit Hinweisen). Gleiches muss bei einer Verfügung über den
Ausschluss vom Verfahren (oder z.B. einem benachteiligenden
Präqualifikationsentscheid im selektiven Verfahren, vgl. BEZ 2000
Nr. 7, S. 23 ff. sowie Beschluss des Verwaltungsgerichts des Kantons
2015
Submissionen
193
Zürich vom 5. Mai 2010 [VB.2009.00667], Erw. 2.4) gelten. Auch
hier sind die Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft nicht einzeln, son-
dern nur als Partnerschaft betroffen. Das Recht zur Beschwerde ge-
gen eine solche Verfügung mit dem Ziel, weiterhin am Ver-
gabeverfahren teilzunehmen und den Zuschlag zu erhalten, müssen
sie deshalb gemeinsam ausüben.
Für die Arbeitsgemeinschaft als Ganzes oder ihre andern
Mitglieder kann das einzelne Mitglied somit nicht Beschwerde füh-
ren. Möglich ist die Beschwerdeführung indes im Namen und mit
Vollmacht aller Mitglieder der Gemeinschaft (BEZ 2000 Nr. 7, S. 23;
BGE 131 I 161 mit Hinweisen = Pra 2006, S. 195). Voraussetzung ist
allerdings, dass die Beschwerde rechtzeitig im Namen aller Mitglie-
der erhoben wurde; eine nachträgliche Erklärung, dass diese weiter-
hin bereit seien, den Auftrag auszuführen, genügt nicht (vgl. R
OBERT
W
OLF
, Die Beschwerde gegen Vergabeentscheide - Eine Übersicht
über die Rechtsprechung zu den neuen Rechtsmitteln, in:
ZBl 104/2003, S. 16; vgl. auch BEZ 2000 Nr. 7, S. 23; Beschluss des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. Mai 2010
[VB.2009.00667], Erw. 2.4). In solchen Fällen ist daher auch keine
Frist für das nachträgliche Beibringen weiterer Vollmachten anzu-
setzen (BEZ 2000 Nr. 7, S. 23).
2.2.3.
Vorliegend erhob die Beschwerdeführerin die Beschwerde im
eigenen Namen. Der Beschwerde vom 18. August 2015 kann nicht
entnommen werden, dass sie auch im Namen der C. GmbH erhoben
würde. Es wird an keiner Stelle dargelegt oder auch nur erwähnt,
dass gleichzeitig auch die C. GmbH Beschwerde führte. Solches lässt
sich auch nicht aus dem einleitenden Satz der Beschwerde "hiermit
führen wir gegen den Ausschluss aus dem Vergabeverfahren [...] Be-
schwerde [...]" ableiten; die Formulierung "wir" lässt sich mit Blick
auf die Beschwerdeschrift nur so verstehen, dass damit die Be-
schwerdeführerin, welche ein Unternehmen und in der Rechtsform
einer GmbH organisiert ist, gemeint war. Die mit der Replik einge-
reichte Bestätigung der C. GmbH vom 11. September 2015, wonach
sie, die C. GmbH, mit der Beschwerdeführerin am 17. August 2015
vereinbart (bzw. diese beauftragt) habe, die Beschwerde gegen die
2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
194
Ausschlussverfügung auch in ihrem Namen einzureichen, ändert
schliesslich nichts an der Tatsache, dass die Beschwerde einzig im
Namen der Beschwerdeführerin erhoben worden ist.
Da die Beschwerde somit nicht rechtzeitig im Namen aller Mit-
glieder der Arbeitsgemeinschaft erhoben wurde, darf darauf nicht
eingetreten werden.
2.2.4.
Im Weiteren könnte man sich die Frage stellen, ob die
Beschwerdeführerin allenfalls mit Blick auf die Praxis, wonach
einem einzelnen Gesamthandschafter eine selbstständige Anfech-
tungsbefugnis zuerkannt wird, wenn das Rechtsmittel darauf aus-
gerichtet ist, eine belastende oder pflichtbegründende Anordnung
abzuwenden (siehe etwa BGE 131 I 161 = Pra 2006, S. 196;
BEZ 2000 Nr. 7, S. 23 f.), selbstständig gegen die Ausschlussver-
fügung vorgehen konnte. Dies ist zu verneinen: Gleich wie die Be-
schwerde gegen einen Zuschlag oder gegen einen Präqualifikations-
entscheid im selektiven Verfahren ist auch die Beschwerde gegen
eine Ausschlussverfügung nicht darauf gerichtet, eine die Arbeitsge-
meinschaft belastende oder verpflichtende Anordnung abzuwehren,
sondern vielmehr auf den Vorteil, der sich aus dem Verbleib im Ver-
fahren bzw. dem Zuschlag ergibt (vgl. BGE 131 I 161 = Pra 2006,
S. 196). Bei diesen angestrebten Rechtsfolgen handelt es sich zudem
um "unteilbare" Leistungen, die nur an die Arbeitsgemeinschaft als
Ganzes ergehen können. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage
von den Situationen, bei welchen die Rechtsprechung die Geltend-
machung eines der Gesamthandschaft zustehenden Leistungs-
anspruchs durch ein einzelnes Mitglied zugelassen oder zumindest
erwogen hat (vgl. BGE 131 I 161 = Pra 2006, S. 196; BEZ 2000
Nr. 7, S. 24). Die Beschwerdeführerin ist daher auch aus diesem
Blickwinkel nicht zur Beschwerde befugt.
2.2.5.
Hinzuweisen ist schliesslich, dass vorliegend auch kein Fall zur
Beurteilung steht, in welchem ein Vertrag zwischen der Vergabestelle
und dem Zuschlagsempfänger bereits abgeschlossen worden wäre
und in dem die Beschwerde nicht mehr auf den Verbleib im Verfah-
ren bzw. den Zuschlag der Beschaffung zielte, sondern auf die Fest-
2015
Submissionen
195
stellung der Rechtswidrigkeit (vgl. BGE 131 I 163 ff. = Pra 2006,
S. 197 ff.). Es kann daher offen bleiben, ob ein einzelnes Mitglied
einer Arbeitsgemeinschaft in letzterer Konstellation im eigenen Na-
men zur Beschwerde befugt wäre (zur Praxis vgl. z.B. W
OLF
,
Rechtsschutz, S. 173).
2.3.
Demgemäss ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. | 1,741 | 1,461 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2015-28_2015-10-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-28.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-28.pdf | AGVE_2015_28 | null | nan |
a5f9c0da-c107-521a-88ba-68c1d580ce20 | 1 | 412 | 871,826 | 991,526,400,000 | 2,001 | de | 2001
Submissionen
337
72
Begriff der Variante (Erw. 2a/aa).
- Eine den Anforderungen entsprechende, zulässige Variante ist gleich
zu behandeln wie die übrigen Angebote; der Anbieter hat Anspruch
darauf, dass sich die Vergabestelle mit seiner Variante sachlich aus-
einandersetzt (Erw. 2/a/bb).
- Beim Entscheid, ob einer Variante der Zuschlag erteilt oder auf der
Amtslösung beharrt wird, kommt der Vergabestelle ein grosser Er-
messensspielraum zu (Erw. 2/a/cc).
- Es ist Sache des Anbieters, seine Unternehmervariante so detailliert
auszuarbeiten und ausgereift zu formulieren, dass allfällige Kosten-
vorteile bzw. entstehende Mehrkosten für die Vergabestelle ersichtlich
sind (Erw. 2/a/dd).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 8. Juni 2001 in Sachen
Bietergemeinschaft A. AG und Mitbet. gegen die Verfügung der Stadt A.
Aus den Erwägungen
2. a) Den Anbietenden steht es frei, Offerten für Varianten und
Teilangebote einzureichen (§ 16 Abs. 1 SubmD). Die Vergabestelle
bezeichnet in den Ausschreibungsunterlagen die Mindestanforderun-
gen an Varianten und Teilangebote (§ 16 Abs. 2 SubmD).
aa) In der Baubranche wird als Variante üblicherweise jeder Of-
fertvorschlag bezeichnet, der inhaltlich von der ausgeschriebenen
Bauleistung abweicht. Bei der Projektvariante offeriert ein Unter-
nehmer die Werkausführung mit einer Projektierung, die von den
ausgeschriebenen Planunterlagen ganz oder teilweise abweicht. Bei
einer Ausführungsvariante bietet ein Unternehmer die Ausführung in
einer Art und Weise an, die sich von den Ausschreibungsunterlagen
(z.B. bezüglich Baumethode, Konstruktionsart, Reihenfolge der Ar-
beiten) unterscheidet. Keine Unternehmervariante liegt vor, wenn ein
Anbieter lediglich eine von den Ausschreibungsunterlagen abwei-
chende Vergütungsart (z.B. Pauschal- statt Einheitspreise) vorschlägt
(vgl. zum Ganzen: Roland Hürlimann, Unternehmervarianten - Risi-
ken und Problembereiche, in: Baurecht 1996, S. 3 f.; ferner VGE
2001
Verwaltungsgericht
338
III/64 vom 11. Mai 1998 [BE.98.00116] in Sachen H. AG, S. 10 f.;
Verwaltungsgericht Zug, in: Baurecht 2000, S. 62).
bb) Varianten, die submissionswidrig sind, weil sie eine oder
mehrere Anforderungen verletzen, die im Rahmen des konkreten
Submissionsverfahrens für die Angebote oder deren Einreichung
gelten, scheidet die Vergabestelle berechtigterweise vom Wettbewerb
aus. Der Anbieter einer den Anforderungen entsprechenden, zulässi-
gen Variante hat jedoch einen Anspruch darauf, dass seine Variante
bei der Beurteilung der Frage, welches Angebot den Zuschlag erhal-
ten soll, in das Verfahren einbezogen und gleich behandelt wird wie
die übrigen Angebote, d. h. die Vergabestelle hat sich sachlich damit
auseinanderzusetzen. Das "wirtschaftlich günstigste Angebot" kann
somit durchaus auch ein Angebot mit Variante sein (vgl. Peter
Gauch, Der Werkvertrag, 4. Auflage, Zürich 1996, Rz. 461; ders.,
Vergabeverfahren und Vergabegrundsätze nach dem neuen Vergabe-
recht des Bundes, in: Baurecht 1996, S. 103; ders., Anmerkung zu
zwei Entscheiden des Regierungsrats des Kantons Schwyz vom
21. Juni 1994 und 29. August 1995, in: Baurecht 1997, S. 52; ferner
Hürlimann, a.a.O., S. 3).
cc) Nicht unproblematisch ist im Einzelfall die Abgrenzung, ob
überhaupt noch eine Variante (des Grundangebots) oder etwas völlig
Anderes angeboten wird. Auch wird die Vergleichbarkeit der Ange-
bote zunehmend erschwert, je weiter sich eine Variante vom Grund-
angebot bzw. vom Leistungsverzeichnis entfernt. Diese Nachteile hat
- wie der Regierungsrat des Kantons Schwyz zutreffend ausgeführt
hat (Baurecht 1997, S. 52) - der Anbieter einer Variante mitzutragen:
"Er muss es akzeptieren, dass primär die Vergebungsinstanz die erfor-
derliche Bewertung trifft und in Grenz- und Übergangsfragen auch zu
seinen Ungunsten entscheiden kann. Die Folgen der Nichtbeweisbar-
keit von Tatsachen bzw. der nicht ohne übermässigen Aufwand zu
führenden Beweise hat zu tragen, wer eine Variante einreicht. Ihm ist
dies eher zuzumuten als demjenigen, der sich an das Leistungsver-
zeichnis hält".
Aus § 15 Abs. 3 der Vergaberichtlinien (VRöB) aufgrund der
Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswe-
sen (IVöB) vom 1. Dezember 1995 ergibt sich, dass die Variante dem
2001
Submissionen
339
Amtsvorschlag bezüglich der technischen Spezifikationen gleich-
wertig sein sollte, wobei die Gleichwertigkeit von der Anbieterin
oder dem Anbieter der Variante zu beweisen ist (Verwaltungsgericht
Zug, in: Baurecht 2000, S. 62; vgl. auch Verwaltungsgericht Luzern,
in: LGVE 1999, S. 221 f.). Beim Entscheid, ob sie einer Variante den
Zuschlag erteilen oder ob sie auf der von ihr erarbeiteten Amtslösung
beharren will, kommt der Vergabestelle jedenfalls ein grosser Ermes-
sensspielraum zu, und sie ist nicht verpflichtet, irgendwelche Risiken
in Kauf zu nehmen (vgl. VGE III/81 vom 3. Oktober 1997
[BE.97.00216] in Sachen W. AG, S. 13; III/155 vom 15. Dezember
2000 [BE.97.00372] in Sachen ARGE Argovia A1, S. 39 f.).
dd) Schliesslich muss es auch Sache des Anbieters sein, seine
Unternehmervariante so detailliert auszuarbeiten und ausgereift zu
formulieren, dass allfällige Kostenvorteile bzw. entstehende Mehr-
kosten für die Vergabestelle klar ersichtlich sind. Es kann nicht ihre
Aufgabe sein, unvollständig eingereichte Unternehmervarianten
selbst soweit entwickeln zu müssen, bis die Kostenvorteile bzw.
-nachteile in Zahlenform zum Ausdruck kommen (erwähnter VGE in
Sachen ARGE Argovia A1, S. 40). | 1,305 | 1,045 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-72_2001-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-72.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-72.pdf | AGVE_2001_72 | null | nan |
a63ce555-61ed-5b33-88c0-050a051f4a78 | 1 | 412 | 869,799 | 962,582,400,000 | 2,000 | de | 2000
Submissionen
313
[...]
71
Gewichtung der Zuschlagskriterien.
- Weder der Wortlaut von § 18 Abs. 3 SubmD noch der aus den Mate-
rialien erkennbare Wille des Dekretsgebers verlangen eine prozen-
tuale Angabe der Gewichtung.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 14. Juli 2000 in
Sachen F. AG gegen die Verfügung der Kantonalen Strafanstalt Lenzburg.
Aus den Erwägungen
4. a) Die Vergabestelle hat die Zuschlagskriterien nicht prozen-
tual, sondern mit den Begriffen ,,hoch" (Preis) und ,,mittel" (Technik,
Firma) gewichtet. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Ge-
wichtung der Zuschlagskriterien sei zu vage angegeben worden.
Auch enthalte die Vergabeverfügung der Strafanstalt keine Angaben
über die Gewichtung; diese Angaben hätten bereits in der Ausschrei-
bung enthalten sein sollen.
b) Gemäss § 18 Abs. 3 SubmD sind die ausgewählten Zu-
schlagskriterien ,,in der Reihenfolge ihrer Bedeutung und mit ihrer
Gewichtung in der Ausschreibung aufzuführen. Fehlt diese Angabe,
gilt als Zuschlagskriterium der Preis" (vgl. auch Ziff. 6 des An-
hangs 3 zum SubmD). Die Pflicht zur vorgängigen Bekanntgabe der
Gewichtung der Zuschlagskriterien ist anlässlich der Revision vom
18. Januar 2000 neu in das Submissionsdekret aufgenommen wor-
den. Zuvor waren die ausgewählten Zuschlagskriterien lediglich in
2000
Verwaltungsgericht
314
der Reihenfolge ihrer Bedeutung in den Ausschreibungsunterlagen
aufzuführen (§ 8 Abs. 3 SubmD in der Fassung vom 26. November
1996). Das Verwaltungsgericht hatte eine darüber hinaus gehende
Verpflichtung der Vergabestelle zur Bekanntgabe der Gewichtung
wiederholt verneint (vgl. AGVE 1998, S. 390 f.; VGE III/70 vom
28. Mai 1999 in Sachen ARGE S. AG / K. AG, S. 8 f. [vom Bundes-
gericht mit Entscheid vom 2. März 2000, S. 7, unter Hinweis auf
BGE 125 II 100 ff. geschützt]) und es als Sache des Dekretsgebers
bezeichnet, eine solche Pflicht zu statuieren. Vom revidierten Wort-
laut nicht ausdrücklich verlangt ist, dass die Gewichtung in Zahlen,
sei dies in Prozenten, in Punkten oder mit einem Faktor, angegeben
wird. Anlässlich der Beratung des revidierten § 18 Abs. 3 SubmD
wurde ein Antrag, die ausgewählten Zuschlagskriterien seien mit
ihrer
prozentualen
Gewichtung in der Ausschreibung aufzuführen,
abgelehnt (vgl. Protokoll der Sitzung des Grossen Rates [Prot. GR]
vom 18. Januar 2000, Art. 2000-1763, S. 2739, 2740). Auch in der
vorberatenden Kommission des Grossen Rates hatte der Vorschlag,
den Begriff ,,prozentuale Gewichtung" zu verwenden, keine Zu-
stimmung gefunden (vgl. Protokoll der nicht ständigen Kommission
Nr. 16 vom 18. Dezember 1999, S. 13 [Voten Pfisterer]). Demzu-
folge sprechen weder der Wortlaut der massgebenden Gesetzesbe-
stimmung noch der aus den Materialien erkennbare Wille des De-
kretsgebers gegen die Umschreibung der Gewichtung mit den Wor-
ten ,,hoch - mittel - gering". Ziel der (vorgängigen) Bekanntgabe der
Gewichtung der Kriterien ist es, im Interesse der Anbietenden und
des Wettbewerbs Transparenz und Rechtssicherheit zu schaffen, und
die Gefahr einer willkürlichen, auf einen bestimmten Anbieter zu-
geschnittenen Bewertung zu mindern (vgl. Prot. GR, S. 2739 [Votum
Füglistaller]). Diesem Ziel kann auch mit einer verbalen Umschrei-
bung der Gewichtung genügend Rechnung getragen werden. Die An-
bieter können damit in ausreichender Weise erkennen, wo die Verga-
bestelle beim Angebot ihre Schwerpunkte setzt, zumal sich bereits
aus der Reihenfolge der Kriterien eine Gewichtung ergibt. Die Um-
2000
Submissionen
315
schreibung der Gewichtung der Zuschlagskriterien mit den Begriffen
,,hoch" und ,,mittel" ist somit nicht zu beanstanden. Ebenfalls nicht
zu bemängeln ist die Bekanntgabe der Zuschlagskriterien gemäss
§ 18 Abs. 3 SubmD in den Ausschreibungsunterlagen (Pflichtenheft),
da im Einladungsverfahren keine (öffentliche) Ausschreibung statt-
findet. | 931 | 750 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-71_2000-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-71.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-71.pdf | AGVE_2000_71 | null | nan |
a68c95a9-dbf2-5235-98ec-9b17e14d71b3 | 1 | 412 | 871,234 | 949,449,600,000 | 2,000 | de | 2000
Kantonales Steuerrecht
153
[...]
40
Abzug der Zuwendungen an unterstützungsbedürftige Personen.
- Die Begrenzung des Abzugs in § 30 lit. d StG ist, auch unter Berück-
sichtigung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftli-
chen Leistungsfähigkeit, rechtsgültig.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 28. Februar 2000 in
Sachen H.H. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Zur Publikation vor-
gesehen in StE 2001.
Aus den Erwägungen
1. Streitig ist, ob die Unterstützungsleistungen der Beschwer-
deführer für E.H. (die Mutter des Steuerpflichtigen, deren Pensions-
kosten im Jahre 1997 rund Fr. 70'000.-- betrugen) steuerlich im vol-
len Umfang abzugsfähig sind. Dazu bestimmt § 30 lit. d StG in der
Fassung vom 19. März 1990, vom Reineinkommen würden 30 % der
Zuwendungen an unterstützungsbedürftige Personen, maximal je-
doch Fr. 1'700.-- pro unterstützte Person - mit Ausnahme des Ehe-
gatten und der Kinder - abgezogen. Die Vorinstanzen haben den
Beschwerdeführern unbestrittenermassen den vollen gesetzmässigen
Abzug zugestanden. Es kann sich somit nur fragen, ob die gesetzli-
che Regelung übergeordnetem Recht widerspricht.
2. a) Der bundesverfassungsrechtliche Gleichheitssatz (Art. 4
Abs. 1 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 [aBV] bzw. Art. 8
Abs. 1 der [nachgeführten] Bundesverfassung vom 18. April 1999
2000
Verwaltungsgericht
154
[nBV]) "wird auf dem Gebiet der Steuern konkretisiert durch die
Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung
sowie durch den Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Steuerbe-
lastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Gemäss dem
letztgenannten Grundsatz müssen alle Steuerpflichtigen nach Mass-
gabe der ihnen zustehenden Mittel gleichmässig belastet werden; die
Steuerbelastung muss sich nach den dem Steuerpflichtigen zur Verfü-
gung stehenden Wirtschaftsgütern und den persönlichen Verhältnis-
sen richten" (BGE 122 I 103 mit Hinweisen). In ähnlicher Weise
schreibt § 119 Abs. 1 und 2 KV vor, bei der Ausgestaltung der Steu-
ern seien die Grundsätze der Solidarität und der Leistungsfähigkeit
der Steuerpflichtigen zu beachten; die Steuern seien so zu bemessen,
dass die gesamte Belastung der Steuerpflichtigen mit Abgaben nach
sozialen Grundsätzen tragbar sei, der Wille zur Einkommens- und
Vermögenserzielung nicht geschwächt und die Selbstvorsorge ge-
fördert werde.
Für die Einkommensbesteuerung wird daraus konkretisierend
abgeleitet, vom erzielten Roheinkommen müssten zuerst die damit
unmittelbar verbundenen Aufwendungen als sog. organische Abzüge
(Gewinnungskosten) zugelassen werden, und zwar grundsätzlich
(was allerdings nicht durchwegs konsequent verwirklicht ist) ohne
Einschränkung (Ernst Blumenstein/Peter Locher, System des Steuer-
rechts, 5. Auflage, Zürich 1995, S. 221). "Da dieses Ergebnis ledig-
lich Ausdruck einer abstrakten, von den persönlichen Verhältnissen
eines Steuerpflichtigen losgelösten Leistungsfähigkeit ist, spricht
man hier von objektiver Leistungsfähigkeit. Gesucht ist freilich die
subjektive Leistungsfähigkeit. In einem zweiten Schritt muss deshalb
mittels anorganischer Abzüge das Reineinkommen und mittels Frei-
beträgen bzw. Sozialabzügen (bzw. besonderen Tarifen) das steuer-
bare Einkommen ermittelt werden, um so der persönlich-wirtschaftli-
chen Situation des Steuerpflichtigen Rechnung zu tragen" (Blumen-
stein/Locher, a.a.O., S. 215; vgl. auch Ernst Höhn/Robert Waldbur-
2000
Kantonales Steuerrecht
155
ger, Steuerrecht, Bd. I, 8. Auflage, Bern/Stuttgart/Wien 1997, § 14
Rz. 78 ff., 102 ff.).
Der Entscheid darüber,
wie
die anorganischen Abzüge und So-
zialabzüge oder Freibeträge auszugestalten sind, obliegt dem Gesetz-
geber, der dabei eine erhebliche Gestaltungsfreiheit geniesst, zumal
die verfassungsmässigen Grundsätze zur Steuererhebung gegenläufig
sein können und unter sich harmonisiert werden müssen, was
angesichts möglicher und zulässiger Unterschiede in den sozial- und
finanzpolitischen Ansichten politische Wertungen erfordert (BGE
122 I 105; Georg Müller, in: Kommentar zur Bundesverfassung,
Basel/Zürich/Bern, [Stand Mai 1995] Art. 4 N 80; Kurt Eichenberger,
Verfassung des Kantons Aargau [Kommentar], Aarau/Frankfurt
a.M./Salzburg 1986, § 119 N 6; vgl. auch BGE 124 II 37 f.).
b) Das Zivilrecht unterscheidet zwischen der gegenüber den
Familienangehörigen (Ehegatte, Kinder) bestehenden
Unterhalts-
pflicht (Art. 163 ff., 278 ZGB) und der weniger weit gehenden
Un-
terstützungs
pflicht gegenüber anderen Verwandten, namentlich ge-
genüber den Eltern (Art. 328 Abs. 1 ZGB in der Fassung vom
26. Juni 1998 [welche die Unterstützungspflicht unter Geschwistern
nicht mehr vorsieht]). Das kantonale Steuerrecht vollzieht diese Un-
terscheidung nach. Neben Abzügen für Ehegatten - nur falls sie
Doppelverdiener sind - (§ 17 Abs. 4 und 5 StG) und für die unter-
haltenen Kinder (§ 31 Abs. 1 lit. a StG) wird die Unterhaltspflicht
namentlich durch die Anwendung eines eigenen Tarifs berücksichtigt
(§ 17 Abs. 2 und 3 StG). Tatsächliche Leistungen an andere unter-
stützungsbedürftige Personen, ob sie nun im Rahmen einer zivil-
rechtlichen Unterstützungspflicht erfolgen oder nicht, berechtigen
ausschliesslich zu einem Abzug (§ 30 lit. d StG). Beim Empfänger
sind diese Leistungen nicht steuerpflichtig (§ 23 lit. d StG).
c) aa) Eine
unbeschränkte
Abzugsfähigkeit der Unterstüt-
zungsleistungen (als
organischer
Abzug) liesse sich wohl nur ernst-
haft vertreten, wenn es sich konsequenterweise beim Empfänger um
steuerbares Einkommen handelte. Beides widerspräche klarerweise
2000
Verwaltungsgericht
156
den Auffassungen des Bundesgesetzgebers. Art. 24 lit. d DBG wie
auch Art. 7 Abs. 4 lit. f StHG erklären Einkommen aus öffentlicher
und privater Unterstützung ausdrücklich als steuerfrei, und Art. 33
Abs. 1 lit. c DBG wie auch Art. 9 Abs. 2 lit. c StHG schliessen den
Abzug von Leistungen in Erfüllung anderer privatrechtlicher Unter-
stützungspflichten als gegenüber Ehegatten und Kindern aus. Diese
Bestimmungen sind der Überprüfung durch die Gerichte entzogen
(Art. 191 nBV [Art. 113 Abs. 3, Art. 114
bis
Abs. 3 aBV]); selbst
wenn sie verfassungswidrig wären, müssten sie angewendet werden.
Die Regelung im StHG ist, jedenfalls ab 2001, auch für die Kantone
verbindlich; schon vorher, während der laufenden Anpassungsfrist
(Art. 72 Abs. 1 StHG), besteht nach der bundesgerichtlichen Recht-
sprechung ein Verbot "entharmonisierender" kantonaler Rechtset-
zung (BGE 124 I 101 ff., 106 = StE 1998, A 23.1 Nr. 2); im gleichen
Umfang muss es konsequenterweise auch den Gerichten verwehrt
sein, das kantonale Steuerrecht, soweit es dem StHG bereits ent-
spricht, durch Auslegung (oder gar, wie es hier die Beschwerdeführer
verlangen, durch eine Anwendung entgegen dem klaren Sinn des
Gesetzes) zu "entharmonisieren" (vgl. VGE II/50 vom 11. Juni 1999
i.S. D.W., S. 10). Zu Recht hat deshalb das Steuerrekursgericht fest-
gehalten, es sei an das Gesetz gebunden. Von einer Steuerharmoni-
sierung, wenn im Sinne der Beschwerdeführer entschieden würde,
kann jedenfalls keine Rede sein (vgl. auch Markus Reich, in: Kom-
mentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/1 [StHG], Ba-
sel/Frankfurt a.M. 1997, Art. 9 N 24, 40, 63, 65).
bb) Wird der Abzug für erbrachte Unterstützungsleistungen als
anorganischer
Abzug ausgestaltet, so ist er in der Höhe zu limitieren
(vgl. Reich, a.a.O., Art. 9 N 28 ff.). Die Art und Höhe dieser Ein-
schränkung zu bestimmen, gehört klarerweise zu den Optionen des
Gesetzgebers im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit (vorne Erw. 2/a).
Auch wenn man die Meinung vertreten kann, im aargauischen Steu-
ergesetz sei die Abzugsfähigkeit von Unterstützungsleistungen ange-
sichts neuerer Entwicklungen bei den Pflegekosten und bei der An-
2000
Kantonales Steuerrecht
157
wendung von Art. 328 ZGB gar stark eingeschränkt, ist die Korrektur
nicht durch die Gerichte, sondern im Gesetzgebungsverfahren
vorzunehmen. Im neuen Steuergesetz vom 15. Dezember 1998, das
auf Anfang 2001 in Kraft treten wird, ist der Unterstützungsabzug in
diesem Sinne auf Fr. 2'400.-- angehoben worden (§ 42 Abs. 1 lit. b).
3. Nur am Rande sei bemerkt, dass die vom Beschwerdeführer
früher vorgebrachte Argumentation, statt Pflegekosten zu bezahlen,
hätte er auch dem Pflegeheim eine jährliche Spende in Höhe von
Fr. 100'000.-- zukommen lassen können, die steuerlich vollumfäng-
lich abzugsfähig gewesen wäre, unzutreffend ist. Erstens kommen als
abzugsfähige freiwillige Zuwendungen im Sinne von § 30 lit. b StG
nur solche in Frage, denen keine Gegenleistung gegenübersteht (vgl.
§ 23 Abs. 1 StGV: "Freiwillige
und unentgeltliche
Zuwendungen
..."), zweitens fallen nur Zuwendungen an juristische Personen, die
im Hinblick auf gemeinnützige Zwecke von der Steuerpflicht befreit
sind, in Betracht, und drittens besteht auch hier eine Obergrenze (bis
zu 20 % des Reineinkommens; vgl. § 30 lit. b StG).
Im Übrigen würde diese Argumentation den Beschwerdeführern
ohnehin nicht helfen, da man der Besteuerung nicht mit dem Hinweis
entgehen kann, man wäre bei anderer Vorgehensweise besser
gefahren; die Besteuerung hat nach den
tatsächlichen
Verhältnissen
zu erfolgen. | 2,125 | 1,757 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-40_2000-02-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-40.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-40.pdf | AGVE_2000_40 | null | nan |
a6e74c90-6d80-5f06-9d5b-e6d11c7a5059 | 1 | 412 | 870,104 | 1,062,547,200,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsgericht
264
[...]
62 Preisbewertung.
- Zulässigkeit eines Bewertungssystems, das Angebote beim Preis in-
nerhalb einer bestimmten Bandbreite gleich bewertet.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 12. September 2003 in
Sachen S. AG gegen Gemeinderat Gansingen.
Aus den Erwägungen
4. a) Beanstandet wird von der Beschwerdeführerin die von der
Vergabebehörde gewählte Methode der Preisbewertung. Sie erachtet
es als willkürlich, dass die Vergabebehörde ihr Angebot und das um
1.4% teurere Angebot der P. AG mit der gleichen Punktzahl bewertet
hat. Der Gemeinderat beruft sich auf den ihm bei der Bewertung
zustehenden Freiraum. Es sei bewusst auf eine direkte Rangfolge
verzichtet und ein "Raster" vorgegeben worden, der einen Preisspiel-
raum fixiere.
b) Die Beschwerdeführerin irrt, wenn sie vorbringt, beim Preis
handle es sich um eine mathematische Grösse, die der Vergabebe-
hörde keinen Spielraum belasse. Auch bei der Bewertung des Preises
gilt, dass das Verwaltungsgericht die von der Vergabebestelle ge-
wählte Vorgehensweise respektieren muss, sofern diese nicht völlig
sachfremd ist oder auf die einzelnen Anbieter unterschiedlich ange-
wendet wird. Das Verwaltungsgericht hat die Gleichbewertung der
2003
Submissionen
265
Angebote innerhalb einer bestimmten Bandbreite der Offertpreise in
seiner bisherigen Praxis als grundsätzlich zulässig erachtet. Immer-
hin hat es darauf hingewiesen, dass eine solche Gleichbewertung
"annähernd gleicher Angebote" nicht dazu dienen dürfe, die Vor-
schriften des BGBM zu umgehen. Das im BGBM statuierte Gebot
der Gleichbehandlung einheimischer und auswärtiger Anbieter unter-
sagt Prozentklauseln und andere Privilegierungen ortsansässiger
Anbieter. Auch müssten im Hinblick auf das Gleichbehandlungsge-
bot die Bandbreiten, innerhalb derer eine Gleichbehandlung erfolge,
gemessen am jeweiligen Auftragswert relativ eng begrenzt sein
(VGE III/158 vom 26. November 1998 [BE.1998.00289] in Sachen
G. AG, S. 9 f.; vgl. auch Peter Galli/ André Moser/Elisabeth Lang,
Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, Zürich 2003, Rz. 423).
c) Beim von der Vergabestelle verwendeten Preisbewertungs-
system haben diejenigen Angebote, die sich preislich innerhalb einer
Bandbreite von 100 - 102% bewegten, die Note 5 bzw. 5 Punkte
erhalten. 4 Punkte erhielten Angebote zwischen 102 - 105%,
3 Punkte Angebote zwischen 105 - 110% und 2 Punkte solche zwi-
schen 110 - 115%. Offerten, die mehr als 15% über dem niedrigsten
Angebot lagen, bekamen noch einen Punkt.
Im vorliegenden Fall kommt dem Preis ein Gewicht von 50%
zu. Damit handelt es sich beim Preis zwar um das gewichtigste Zu-
schlagskriterium; den verschiedenen qualitativen Aspekten (Erfah-
rung, Qualität etc.) wird insgesamt aber die gleiche Bedeutung zu-
gemessen. Diese Kriterien wurden ebenfalls mit Punkten zwischen 5
und 1 bewertet. Das relativ geringe Gewicht des Preises mit 50%
lässt die Gleichbewertung von preislich nahe beisammen liegenden
Angeboten und den Verzicht auf eine absolut differenzierte Preisbe-
wertung als noch vertretbaren Ermessensentscheid der Vergabebe-
hörde erscheinen. Die gewählte Bewertungsmethode ist weder völlig
sachfremd noch wurde sie auf die einzelnen Anbieter unterschiedlich
angewendet. Es bestehen überdies auch keinerlei Anhaltspunkte für
eine binnenmarktgesetzwidrige Bevorzugung einheimischer Anbie-
ter, zumal vorliegend keine einheimischen Unternehmen beteiligt
waren und es sich um ein Einladungsverfahren handelt, bei dem die
2003
Verwaltungsgericht
266
Vergabebehörde in der Auswahl der einzuladenden Unternehmen
ohnehin frei war. | 755 | 644 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-62_2003-09-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-62.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-62.pdf | AGVE_2003_62 | null | nan |
a6f1ee3e-fb97-5f8f-9749-0e226f9dfaab | 1 | 412 | 870,235 | 1,564,790,400,000 | 2,019 | de | 2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
164
24
Sozialhilfe; Anrechnung eigener hypothetischer Mittel bei Rechtsmiss-
brauch
Nur ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der unterstützten Person
rechtfertigt die Anrechnung eigener hypothetischer Mittel (Zusam-
menfassung der Rechtsprechung).
Rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt vor, wenn bei vorübergehen-
der Ablösung von der Sozialhilfe und gekündigtem Arbeitsverhältnis
Mittel objektiv unvernünftig verwendet werden, d.h. Ausgaben er-
folgen, welche Personen in angespannten finanziellen Verhältnissen
nicht tätigen würden.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. August
2019, in Sachen A. gegen Gemeinderat B. und Departement Gesundheit und
Soziales (WBE.2019.158).
Aus den Erwägungen
2.4.
2.4.1.
Der Beschwerdeführer tätigte nach seiner Anmeldung bei der
Sozialhilfe vom 16. Mai 2016 folgende Barbezüge am Geldautoma-
ten: Fr. 2'000.00 am 28. Mai 2016, Fr. 3'000.00 am 6. Juni 2016
2019
Sozialhilfe
165
sowie Fr. 500.00 am 18. Juni 2016. Diese erfolgten vor der Wieder-
eröffnung des Sozialhilfedossiers durch die Sozialen Dienste per
1. Juli 2016 und dem begründeten Gesuch um materielle Hilfe vom
31. August 2016, mit welchem der Beschwerdeführer ein Vermögen
von Fr. 4'254.80 deklarierte.
Obwohl sich der Beschwerdeführer unmittelbar nach der Kün-
digung seines Arbeitsverhältnisses (d.h. während der Freistellung)
bei den Sozialen Diensten zum erneuten Sozialhilfebezug angemel-
det hatte, ist davon auszugehen, dass er bis zur Auflösung des Ar-
beitsverhältnisses und einen Monat darüber hinaus in keinem Sozial-
hilferechtsverhältnis zur Gemeinde stand. Die Sozialen Dienste teil-
ten im Schreiben vom 19. Mai 2016 mit, das Sozialhilfedossier erst
per 1. Juli 2016 wieder zu eröffnen, und verlangten vorerst weder das
Gesuch um materielle Hilfe noch irgendwelche Unterlagen. Auch die
Vorinstanz hatte den Gemeinderat verpflichtet, Nothilfeleistungen
erst per 1. Juli 2016 auszurichten. Damit ist davon auszugehen, dass
die zwischen dem 28. Mai und dem 18. Juni 2016 getätigten Barbe-
züge im Gesamtbetrag von Fr. 5'500.00 ausserhalb des Sozialhil-
febezugs erfolgten.
2.4.2.
Entsprechend dem sozialhilferechtlichen Effektivitätsgrundsatz
setzt die Anrechnung als eigene Mittel voraus, dass das Guthaben
bzw. entsprechende Barbeträge dem Beschwerdeführer im Zeitpunkt
des gemeinderätlichen Beschlusses tatsächlich zur Verfügung stan-
den (vgl. VGE vom 5. Juli 2018 [WBE.2018.50], Erw. II/3.4; vom
8. März 2016 [WBE.2016.10], Erw. II/3.6; GUIDO WIZENT, Die so-
zialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 211 ff.:
Tatsächlichkeitsprinzip ). Grundsätzlich unzulässig ist dagegen die
Anrechnung von fiktivem Einkommen oder Vermögen (vgl. FELIX
WOLFFERS, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Auflage, Bern 1999,
S. 153).
Nur ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der unterstützten Per-
son kann die Anrechnung eigener hypothetischer Mittel rechtfertigen.
Im sozialhilferechtlichen Sinne liegt Rechtsmissbrauch dann vor,
wenn das Verhalten der unterstützten Person einzig darauf gerichtet
ist, in den Genuss von materieller Hilfe zu gelangen (vgl. BGE 121 I
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
166
367, Erw. 3d) bzw. wenn jemand eine Notlage bewusst herbeiführt
oder aufrechterhält, um so Sozialhilfeleistungen zu erhalten (PETER
MÖSCH PAYOT, in: CHRISTOPH HÄFELI [Hrsg.], Das Schweizerische
Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 285).
Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung kann
rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegen, wenn vorhandene Mittel
im Hinblick auf den Sozialhilfebezug objektiv unvernünftig verwen-
det werden. Die Anrechnung eigener hypothetischer Mittel rechtfer-
tigt aber nur ein Verhalten, welches einzig oder überwiegend auf die
Ausrichtung von materieller Hilfe gerichtet ist. Als unvernünftige
Mittelverwendung gelten dabei Schuldenzahlungen oder Ausgaben,
welche üblicherweise von Personen in angespannten finanziellen
Verhältnissen, welche keine Sozialhilfe beziehen, nicht getätigt wer-
den (vgl. VGE vom 5. Juli 2018 [WBE.2018.50], Erw. II/3.4; vom
28. April 2016 [WBE.2015.450], Erw. II/4.4.4; vom 13. Februar
2008 [WBE.2007.199], Erw. II/4.4.2). Die Anrechnung als hy-
pothetische Mittel ist auch gerechtfertigt bei rechtsmissbräuchlichem
Forderungsverzicht (vgl. VGE vom 5. Juli 2018 [WBE.2018.50],
Erw. II/3.4; vom 8. März 2016 [WBE.2016.10], Erw. II/3.6).
Das Verwaltungsgericht hat die Anrechnung eigener hypothe-
tischer Mittel nicht beanstandet in einem Fall, wo der Beschwerde-
führer unter dem Vorwand, ins Ausland wegzuziehen, ein Freizügig-
keitsguthaben erhältlich gemacht hatte; angeblich wurde dieses vor
dem erneuten Sozialhilfebezug auch zur Tilgung von Privatschulden
und zur Unterstützung der Mutter im Ausland eingesetzt (vgl. VGE
vom 28. April 2016 [WBE.2015.450]). Als zulässig erwies sich auch
die Anrechnung eigener hypothetischer Mittel in einem Fall, wo die
Beschwerdeführerin vom Bankkonto des geschiedenen Ehemannes
grössere Geldbeträge abheben konnte, welche angeblich - ohne plau-
sible Angaben - ins Ausland verbracht wurden (vgl. VGE vom 5. Juli
2018 [WBE.2018.50]). Rechtsmissbräuchliches Verhalten verneinte
das Verwaltungsgericht in einem Fall, wo der Beschwerdeführer
Nachzahlungen einer Sozialversicherung zur Schuldentilgung und
Unterstützung seiner Familie verwendet und sich geweigert hatte,
eine Rückerstattungsvereinbarung zu unterzeichnen (vgl. VGE vom
29. November 2012 [WBE.2012.148]). Einen rechtsmissbräuch-
2019
Sozialhilfe
167
lichen Forderungsverzicht verneinte das Verwaltungsgericht ebenso
in einem Fall, wo die Beschwerdeführer der Krankenkasse die Zu-
stimmung erteilt hatten zur Verrechnung eines Guthabens mit den
Prämien einer Zusatzversicherung (vgl. VGE vom 8. März 2016
[WBE.2016.10]).
2.4.3.
Nach Darstellung des Beschwerdeführers dienten die Barbezüge
im Gesamtbetrag von Fr. 5'500.00 der Deckung des Lebensbedarfs
im Juni 2016, der Bezahlung von Rechnungen, dem Kauf eines
neuen Computers und von Sommerkleidern. Belege oder Zah-
lungsnachweise legte der Beschwerdeführer nicht vor.
Die Vorinstanz ging davon aus, dass der Beschwerdeführer im
Monat Juni 2016 mit der letzten Lohnvergütung im Betrag von
Fr. 2'917.70 hätte auskommen können. Dieser Einkunft stellte die
Beschwerdestelle SPG Kontobelastungen von Fr. 869.00 für die Mie-
te, von Fr. 5'500.00 für Barbezüge sowie von Fr. 14.55 für eine Spe-
senabrechnung gegenüber. Daraus resultierte ein Ausgabenüber-
schuss von Fr. 3'465.85, wofür nach Auffassung der Vorinstanz keine
plausible Verwendung dargelegt wird. In diesem Umfang ging sie
von einer objektiv unvernünftigen Mittelverwendung aus.
2.4.4.
Das Verwaltungsgericht war mehrfach damit konfrontiert, dass
längerfristig unterstützte Personen eine Anstellung im ersten Ar-
beitsmarkt finden und daher vorübergehend von der Sozialhilfe abge-
löst werden konnten. Bei der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses
während der 3-monatigen Probezeit erwog es, die materielle Hilfe sei
aufgrund des vertraglichen Lohnanspruchs einzustellen; es bestehe
keine Grundlage, sicherheitshalber Sozialhilfeleistungen auszube-
zahlen (vgl. VGE vom 26. Februar 2016 [WBE.2015.418],
Erw. II/1.4). Im Zusammenhang mit der Auflösung eines 4-
monatigen Arbeitsverhältnisses erwog es, hohe Saläre liessen er-
wartungsgemäss gerade bei tiefen Lebenshaltungskosten Ersparnisse
zu; es sei nicht zu beanstanden, Kontoauszüge einzuverlangen, aus
welchen sich die Gutschriften sowie Rückschlüsse über deren Ver-
wendung ergäben (VGE vom 19. Februar 2019 [WBE.2018.473],
Erw. II/4).
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
168
Aufgrund des 6-monatigen Arbeitsverhältnisses war der Be-
schwerdeführer während einiger Monate finanziell selbständig und
konnte zwischenzeitlich von der Sozialhilfe abgelöst werden. Aus-
serhalb des Sozialhilferechtsverhältnisses konnten ihm grundsätzlich
keine Vorgaben zu seinem Ausgabeverhalten gemacht werden. Nach-
dem er jedoch - mit Unterbrüchen - seit rund 13 Jahren Sozialhilfe
bezogen hatte, musste er nach der Kündigung des Arbeitsverhältnis-
ses damit rechnen, in absehbarer Zeit wiederum materielle Hilfe be-
anspruchen zu müssen. Ein Anspruch auf Arbeitslosentaggelder be-
stand offensichtlich nicht. Der Beschwerdeführer hat denn auch die
Sozialen Dienste bereits am 16. Mai 2016 gewissermassen vorsorg-
lich über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses orientiert. Unter
diesen Umständen durfte er seit der Kündigung vom 29. April 2016
keine Ausgaben mehr vornehmen, welche Personen in angespannten
finanziellen Verhältnissen nicht tätigen würden. Nach der Rechtspre-
chung des Verwaltungsgerichts kann eine objektiv unvernünftige
Mittelverwendung - sprich ein in diesem Sinne rechtsmissbräuch-
liches Verhalten - ausnahmsweise zur Anrechnung hypothetischer
Mittel (und damit zum Entfallen des Anspruchs auf ordentliche
Sozialhilfe) führen (vgl. VGE vom 19. Februar 2019
[WBE.2018.473], Erw. II/4; vom 5. Juli 2018 [WBE.2018.50],
Erw. II/3.4 f.; vom 28. April 2016 [WBE 2015.450], Erw. II/4.4.4 f.).
Der dem Beschwerdeführer für den Monat Juni 2016 zugestan-
dene Betrag von Fr. 2'917.70 liegt Fr. 732.35 über seinem sozialhilfe-
rechtlichen Bedarf (vgl. Budget, wo Fr. 979.00 für den
Grundbedarf I, Fr. 50.00 für den Grundbedarf II, Fr. 869.00 für
Wohnungskosten sowie Fr. 287.35 für Krankenkassenprämien einge-
setzt wurden). Im Grundbedarf I und II wären Ausgabepositionen für
Bekleidung und Schuhe bereits mit 12,99 %, für Nachrichten-
übermittlung mit 5,19 % sowie für Unterhaltung und Bildung mit
12,99 % enthalten (vgl. Handbuch Sozialhilfe des Kantonalen Sozial-
dienstes, 4. Auflage, 2003, Kapitel 5, S. 35). Unter Berücksichtigung
dessen stand es im Belieben des Beschwerdeführers, den darüber
hinaus zugestandenen Betrag von Fr. 732.35 ganz oder teilweise für
spezielle Sommerkleidung und/oder die Anschaffung eines preis-
günstigen Computers einzusetzen. Soweit der Beschwerdeführer in
2019
Sozialhilfe
169
genereller Hinsicht geltend macht, einen unbestimmten Betrag zur
Bezahlung von Rechnungen aufgewendet zu haben, wäre gegen eine
anderweitige Verwendung des letzten Lohns ebenfalls nichts
einzuwenden. Anzumerken ist allerdings, dass insbesondere für die
Krankenkasse und die Wohnungsmiete keine zusätzlichen Ausgaben
anfielen. Eine Schuldentilgung wird vom Beschwerdeführer übrigens
nicht behauptet. Mit einem Betrag von Fr. 2'917.70 standen ihm für
den Monat Juni 2016 genügend Mittel zur Verfügung.
2.4.5.
Auf dem Bankkonto des Beschwerdeführers sind von Ende Mai
bis Mitte Juni 2016 Belastungen im Gesamtbetrag von Fr. 6'383.55
verzeichnet (davon Barbezüge über insgesamt Fr. 5'500.00). Es ist
nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz dem Beschwerdeführer
im Hinblick auf eine erneute Sozialhilfeabhängigkeit für den Monat
Juni 2016 lediglich Ausgaben im Umfang des letzten Verdienstes zu-
gestand (d.h. im Betrag von Fr. 2'917.70). Die Beschwerdestelle SPG
ging davon aus, dass für den Differenzbetrag von Fr. 3'465.85 keine
plausible Verwendung vorlag, und rechnete dem Beschwerdeführer
in diesem Umfang hypothetische Mittel an. Der Beschwerdeführer
macht auch vor Verwaltungsgericht keinerlei zusätzliche Angaben
zum Verbleib des Geldes. Unter diesen Umständen ist nicht zu bean-
standen, dass eine objektiv unvernünftige Mittelverwendung unter-
stellt wird. Diese würde im Übrigen auch vorliegen, wenn sich der
Beschwerdeführer mit Bekleidung oder Elektronik aus dem
Luxussegment eingedeckt hätte. | 2,715 | 1,991 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-24_2019-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-24.pdf | AGVE_2019_24 | null | nan |
a70090cb-15c8-5475-af4f-8bb4d011d0a9 | 1 | 412 | 871,899 | 1,362,096,000,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
78
[...]
15
Angeordnete Nachbetreuung gemäss § 67l EG ZGB
Während der Dauer einer durch die Klinik angeordneten Nachbetreuung
kann ein Antrag auf Änderung oder Aufhebung an das zuständige Fami-
liengericht gestellt werden; das Gleiche gilt bei ambulanten Massnahmen
(Lückenfüllung).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 26. März 2013 in Sachen
D.R. gegen den Entscheid der Klinik Königsfelden (WBE.2013.78).
Aus den Erwägungen
6.
6.1.
Der Vollständigkeit halber (und mangels entsprechender gesetz-
licher Regelung) rechtfertigt es sich zu prüfen, ob eine von einer
Nachbetreuung betroffene Person auch nach Ablauf der Beschwerde-
frist eine Möglichkeit hat, eine Änderung oder Aufhebung der ange-
ordneten Nachbetreuung zu verlangen, und welche Behörde diesfalls
dafür zuständig wäre.
2013
Fürsorgerische Unterbringung
79
6.2.
6.2.1.
Gemäss Art. 437 ZGB regeln die Kantone die Nachbetreuung
und können ambulante Massnahmen vorsehen. Dem Bundesrecht
können keine weiteren Vorgaben betreffend die Nachbetreuung ent-
nommen werden (vgl. auch Botschaft zur Änderung des Schweizeri-
schen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und
Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7071 [nachfolgend: Bot-
schaft Erwachsenenschutz]).
6.2.2.
6.2.2.1.
Ist die Einrichtung für die Entlassung zuständig, legt sie gemäss
den kantonalrechtlichen Regelungen auch die Nachbetreuung fest.
Die Nachbetreuung ist höchstens auf sechs Monate zu befristen. Sie
fällt spätestens mit Ablauf der festgelegten Dauer dahin, wenn keine
Anordnung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde vorliegt
(§ 67l EG ZGB). Wird die Nachbetreuung durch die Kindes- und Er-
wachsenschutzbehörde angeordnet, weil ihr auch die Entlassungszu-
ständigkeit zukommt, kann die Massnahme für maximal 12 Monate
angeordnet werden (§ 67m EG ZGB).
6.2.2.2.
Dem kantonalem Gesetz lässt sich keine Regelung entnehmen,
ob und bei welcher Behörde sich eine betroffene Person während der
Dauer der Nachbetreuung (maximal 6 bzw. 12 Monate) zur Wehr set-
zen kann bzw. beantragen kann, dass die Nachbetreuung aufgehoben
oder geändert wird, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
Auch in den kantonalen Materialien betreffend die Einführung des
neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts sind keine diesbezügli-
chen Hinweise ersichtlich (vgl. Botschaft des Regierungsrats des
Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 27. April 2011, Ziff. 9.6 ff.;
Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen
Rat vom 19. Oktober 2011, Ziff. 3.3.5). Anders ist dies beispielswei-
se im Kanton Graubünden, wo gemäss ausdrücklicher Gesetzesbe-
stimmung die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die angeord-
nete Massnahme von Amtes wegen oder auf Antrag aufhebt, wenn
der Zweck erreicht ist oder nicht erreicht werden kann (Art. 54b des
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
80
Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuches des
Kantons Graubündens; BR 210.100).
6.3.
6.3.1.
Es drängt sich daher die Frage auf, ob die aargauische kantonal-
rechtliche Regelung diesbezüglich unvollständig ist, mithin eine Ge-
setzeslücke vorliegt, welche von der richterlichen Instanz gefüllt
werden muss. Eine Gesetzeslücke liegt dann vor, wenn das Gesetz
nach den ihm zugrunde liegenden Ziel- und Wertvorstellungen eine
planwidrige Unvollständigkeit aufweist und deshalb anzunehmen ist,
der Gesetzgeber hätte, wäre er sich der Tatsachen und Rechtslage be-
wusst gewesen, anders entschieden. Bevor eine solche Lücke ange-
nommen werden darf, muss zunächst durch Auslegung ermittelt wer-
den, ob das Fehlen einer Anordnung nicht eine bewusste Antwort des
Gesetzes bedeutet, d.h. ein sogenanntes qualifiziertes Schweigen dar-
stellt (Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 1986,
in: ZBl 88/1987, S. 556 f.; ULRICH
HÄFELIN/GEORG
MÜLLER/
FELIX
UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6.
Auflage,
Zürich 2010, Rz. 234 ff.).
6.3.2.
Bei einer fürsorgerischen Unterbringung kann die betroffene
oder eine ihr nahestehende Person jederzeit ein Entlassungsgesuch
stellen (Art. 426 Abs. 4 ZGB). Sodann muss gemäss Art. 383 Abs. 3
ZGB eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit re-
gelmässig auf ihre Berechtigung hin überprüft werden. Wird diese
Massnahme während eines Aufenthalts in einer Wohn- und Pflege-
einrichtung angeordnet, kann die Erwachsenenschutzbehörde jeder-
zeit angerufen werden (Art. 385 Abs. 1 ZGB). Bei Massnahmen zur
Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Rahmen einer fürsorgeri-
schen Unterbringung kann das Gericht immer angerufen werden
(Art. 438 i.V.m. Art. 439 Abs. 2 ZGB). In diesem Zusammenhang ist
ferner zu bemerken, dass gemäss Meinungen in der Lehre analog bei
einer medizinischen Behandlung ohne Zustimmung (vgl. Art. 434
ZGB), welche über eine längere Zeitspanne angeordnet wurde, auch
nach Ablauf der 10-tägigen Beschwerdefrist seit Eröffnung des Ent-
scheides die Möglichkeit bestehen sollte, diesen mittels Beschwerde
2013
Fürsorgerische Unterbringung
81
gerichtlich überprüfen zu lassen (THOMAS GEISER/MARIO
ETZENSBERGER in: Geiser/Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar,
Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 434/435 N 27 und Art. 439
N 35). Bereits in Anbetracht dieser Ausgangslage erscheint es nahe-
liegend, dass eine ähnliche Möglichkeit auch im Rahmen einer
zwangsweisen Nachbetreuung (oder ambulanten Massnahme), wel-
che regelmässig über mehrere Wochen oder Monate angeordnet wird,
bestehen muss.
6.3.3.
Das kantonale Recht schreibt vor, dass bei Vorliegen einer
Rückfallgefahr von Gesetzes wegen eine Nachbetreuung vorgesehen
werden muss (§ 67k Abs. 1 EG ZGB). Stimmt eine betroffene Person
der vorgeschlagenen Nachbetreuung nicht zu, so kann sie - wie im
vorliegenden Fall - gegen den Willen der betroffenen Person ange-
ordnet werden (vgl. § 67k Abs. 2 und 3 EG ZGB). Als mögliche
Massnahmen werden im Gesetz folgende Anordnungen beispielhaft
aufgezählt (§ 67k Abs. 1 EG ZGB):
"a) Verpflichtung, regelmässig eine fachliche Beratung oder Be-
gleitung in Anspruch zu nehmen oder sich einer Therapie zu unter-
ziehen,
b) Anweisung, bestimmte Medikamente einzunehmen,
c) Anweisung, sich alkoholischer Getränke oder anderer Sucht-
mittel zu enthalten und dies gegebenenfalls mittels entsprechender
Untersuchungen nachzuweisen."
Die soeben zitierten gesetzlich vorgesehenen Massnahmen grei-
fen zweifelsohne tief in den Persönlichkeitsbereich ein. Wie auch bei
der fürsorgerischen Unterbringung muss aus diesem Grund eine re-
gelmässige Überprüfung auf Antrag der betroffenen Person möglich
sein. Beispielsweise ist es durchaus denkbar, dass der Zustand einer
Person sich nach einigen Wochen derart stabilisiert, dass eine weni-
ger engmaschige Überwachung oder sogar keine Massnahme mehr
notwendig ist, da die Rückfallgefahr aufgrund der Stabilisation aus-
reichend minimiert werden konnte. Möglich ist auch, dass die be-
troffene Person anderen, ebenso geeigneten Massnahmen im Laufe
der Zeit zustimmen würde.
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
82
6.3.4.
Wie bereits erwähnt, äussert sich das kantonale Gesetz bezüg-
lich der Frage, ob eine einmal angeordnete Nachbetreuung im Laufe
der Zeit auf Antrag der betroffenen Person neu überprüft werden
kann, nicht. Immerhin regelt § 67o EG ZGB, dass die mit der Durch-
führung der angeordneten Massnahme im Einzelfall beauftragte
Stelle der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Meldung zu er-
statten hat, sobald sich die betroffene Person nicht an die Anordnun-
gen hält oder die Nachbetreuung beziehungsweise die ambulanten
Massnahmen die gewünschte Wirkung nicht erzielen. Dies zeigt,
dass zumindest in diesen Fällen eine Nachbetreuung beziehungswei-
se ambulante Massnahme durch das zuständige Familiengericht auf-
gehoben oder abgeändert werden kann.
6.3.5.
Insgesamt drängt es sich auf, von einer planwidrigen Unvoll-
ständigkeit des kantonalen Gesetzes auszugehen.
6.4.
6.4.1.
Bei der Lückenfüllung hat das Gericht nach der Regel zu ent-
scheiden, die es als Gesetzgebungsorgan aufstellen würde (Art. 1
Abs. 2 ZGB). Die richterrechtliche Regel ist generell-abstrakt zu for-
mulieren und muss systematisch und wertungsmässig in das Gesetz
hineinpassen (IVO SCHWANDER in: Kostkiewicz/Nobel/Schwan-
der/Wolf [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch,
2. Aufl., Zürich 2011, Art. 1 N 2). Überzeugende Lehrmeinungen
und bisherige Rechtsprechung sollten berücksichtigt werden (Art. 1
Abs. 3 ZGB).
6.4.2.
Im Sinne einer ersten Feststellung im Rahmen der Lücken-
füllung ist mit Blick auf die bestehenden Gesetzesbestimmungen und
auf den erwähnten Eingriff in den Persönlichkeitsbereich (vgl.
Erw. 6.3.2. ff. hiervor) bei einer gegen den Willen einer Person ange-
ordneten Nachbetreuung festzuhalten, dass eine betroffene Person je-
derzeit einen Antrag auf Aufhebung oder Abänderung einer angeord-
neten Nachbetreuung stellen kann. Würden in unvernünftigen Ab-
ständen und in querulatorischer Weise wiederholt Beschwerden ge-
2013
Fürsorgerische Unterbringung
83
gen die angeordnete Nachbetreuung eingereicht, müsste - in analo-
ger Anwendung der Rechtsprechung zu entsprechenden Entlassungs-
gesuchen - nicht auf die Beschwerden eingetreten werden
(vgl. BGE 130 III 729, Erw. 2.1).
6.4.3.
Fraglich bleibt, welche Behörde zur Beurteilung eines solchen
Antrags zuständig ist. Denkbar wäre einerseits jene Stelle, welche
die Nachbetreuung angeordnet hat, und somit entweder die Einrich-
tung (vgl. § 67l Abs. 1 EG ZGB) oder das Familiengericht als Kin-
des- und Erwachsenenschutzbehörde (vgl. § 67m Abs. 1 i.V.m. § 59
Abs. 1 EG ZGB). In Frage kommt ferner, dass stets das Familienge-
richt oder das Verwaltungsgericht zuständig ist. Nachfolgend ist zu
prüfen, welche der Möglichkeiten systematisch und wertungsmässig
am besten in die bestehenden gesetzlichen Regelungen passt.
6.4.4.
Ist die Einrichtung für die Entlassung zuständig, legen in Ein-
richtungen mit ärztlicher Leitung die diensthabenden Kaderärztinnen
und Kaderärzte die Nachbetreuung fest (§ 67l Abs. 1 EG ZGB). Die
Einrichtung ist einerseits gestützt auf Art. 429 Abs. 3 ZGB für die
Entlassung zuständig, wenn die Unterbringung auf einem ärztlichen
Entscheid beruht, welcher jedoch höchstens für eine Dauer von sechs
Wochen angeordnet werden darf. In allen anderen Fällen liegt die
Entlassungszuständigkeit grundsätzlich bei der Erwachsenenschutz-
behörde, ausser sie überträgt diese auf die Einrichtung (Art. 428
ZGB). In jedem Fall ist die durch eine Einrichtung angeordnete
Nachbetreuung auf sechs Monate zu befristen, und sie fällt spätestens
mit Ablauf der festgelegten Dauer dahin, wenn keine Anordnung des
Familiengerichts vorliegt (§ 67l Abs. 2 EG ZGB). Die Einrichtung
lässt dem Familiengericht eine Kopie der vorgesehenen Nachbetreu-
ung zukommen (§ 67l Abs. 2 EG ZGB). Hat die Einrichtung keine
ärztliche Leitung, ist nur das Familiengericht zur Anordnung der
Nachbetreuung ermächtigt (67l Abs. 4 EG ZGB). Das Familienge-
richt kann eine Nachbetreuung für eine Dauer von maximal zwölf
Monaten anordnen (§ 67m Abs. 2 EG ZGB). Unabhängig davon, ob
die Nachbetreuung durch die Einrichtung oder das Familiengericht
angeordnet wurde, muss die beauftragte Stelle (z.B. ambulant behan-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
84
delnder Psychiater) dem Familiengericht Meldung erstatten, sobald
sich die betroffene Person nicht an die Anordnungen hält oder die
Nachbetreuung nicht die gewünschte Wirkung erzielt (§
67o
EG ZGB). Gemäss § 67p EG ZGB ist das Familiengericht ausserdem
für die Vollstreckung der angeordneten Nachbetreuung zuständig.
Den zitierten gesetzlichen Bestimmungen lässt sich entnehmen,
dass es dem Willen des aargauischen Gesetzgebers entsprach, den
Familiengerichten die hauptsächliche Verantwortung im Bereich der
Nachbetreuung sowie der ambulanten Massnahmen zuzusprechen.
Selbst wenn die Einrichtung zur Anordnung der Nachbetreuung zu-
ständig ist, muss diese dem Familiengericht eine Kopie des Ent-
scheids zukommen lassen. Auch während der Dauer der durch die
Einrichtung angeordneten Nachbetreuung ist das Familiengericht für
die beauftragten Stellen diejenige Behörde, an welche sie Meldungen
erstatten muss, wenn die Nachbetreuung nicht wie vorgesehen ver-
läuft. Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend und gerecht-
fertigt, dass Anträge zur Aufhebung oder Abänderung der Nachbe-
treuung an das Familiengericht gestellt werden müssen. Wie nachfol-
gend überdies aufgezeigt wird, kann die Zuständigkeit der Ein-
richtung oder des Verwaltungsgerichts nicht als sinnvolle Alternative
betrachtet werden.
6.4.5.
Die Zuständigkeit bei der Einrichtung zu belassen, wenn diese
die Nachbetreuung ursprünglich angeordnet hat, passt weniger gut in
die bestehenden kantonalen Regelungen hinein, entsprach es doch,
wie dargestellt (vgl. Erw. 6.4.4. hiervor), dem Willen des Gesetzge-
bers, die massgebliche Verantwortung für die Nachbetreuung dem
Familiengericht zuzusprechen. Die Einrichtung ist nach dem Ent-
scheid über die Nachbetreuung nicht mehr mit der eigentlichen
Durchführung konfrontiert.
Ferner erscheint eine solche Lösung auch nicht praktikabel: Die
betroffene Person befindet sich allenfalls schon seit mehreren Wo-
chen nicht mehr in der Einrichtung und diese müsste, um den Antrag
überhaupt beurteilen zu können, zunächst die beauftragte Stelle auf-
fordern, schriftliche Stellungnahmen einzureichen oder diese gar zu
einer Verhandlung vorladen. Da die Einrichtung keine Justizbehörde
2013
Fürsorgerische Unterbringung
85
ist, steht für das Verwaltungsgericht zweifellos fest, dass ein solches
Vorgehen weder sinnvoll ist noch dem Willen des Gesetzgebers ent-
sprochen hätte, hätte er die Situation geregelt.
Sinn und Zweck der bundesrechtlichen Regelung, wonach nach
Ablauf der 10-tägigen Beschwerdefrist in gewissen Fällen (vgl.
Art. 428 Abs. 2 ZGB und Art. 429 Abs. 3 ZGB) ein Entlassungsge-
such im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung an die Einrich-
tung gestellt werden muss, ist, dass möglichst schnell über eine
Entlassung entschieden werden soll, wenn die Voraussetzungen der
fürsorgerischen Unterbringung nicht mehr gegeben sind. Mit anderen
Worten soll keine Zeit verloren gehen (vgl. Botschaft Erwachsenen-
schutz, BBl 2006 7064). Wenn die Einrichtung im Rahmen einer für-
sorgerischen Unterbringung nach Ablauf der 10-tägigen Beschwerde-
frist über die Entlassung entscheiden kann, präsentiert sich die Sach-
lage insofern anders als bei angeordneten Nachbetreuungen, als dass
sich die betroffene Person noch in der Einrichtung befindet und die
zuständigen Ärzte die Situation daher ohne weitergehende Abklärun-
gen ausreichend beurteilen können, um einen ersten Entscheid fällen
zu können. Vorliegend würde ein Antrag an die Einrichtung aber ge-
genüber einem Antrag an das Familiengericht keine Zeitersparnis be-
deuten, weshalb auch damit nicht gerechtfertigt werden kann, die Si-
tuation zwingend analog wie bei der fürsorgerischen Unterbringung
zu handhaben.
6.4.6.
Bei Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im Rahmen einer
fürsorgerischen Unterbringung kann das Verwaltungsgericht jederzeit
und unabhängig von der 10-tägigen Beschwerdefrist angerufen wer-
den (Art. 439 Abs. 2 ZGB i.V.m. § 67q Abs. 1 lit. f EG ZGB). Denk-
bar wäre, in analoger Anwendung dieser Bestimmungen die Zustän-
digkeit für Anträge auf Aufhebung und Abänderung von Nachbetreu-
ungen beim Verwaltungsgericht anzusiedeln. Allerdings können die
Konstellationen wertungsmässig nicht verglichen werden: Bei einer
Einschränkung der Bewegungsfreiheit handelt es sich um einen der
massivsten Eingriffe im Rahmen der fürsorgerischen Unterbringung,
weshalb ein besonderer Rechtsmittelweg mit einer Garantie auf eine
sehr schnelle und definitive Entscheidung gerechtfertigt ist. Der Ein-
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
86
griff durch die Anordnung einer Nachbetreuung ist demgegenüber
deutlich geringer. Ausserdem handelt es sich vom Wesen der Nach-
betreuung her grundsätzlich um eine längerfristige Massnahme, wel-
che aufgrund verschiedener Abklärungen festgelegt wurde. Eine Ein-
schränkung der Bewegungsfreiheit hingegen ist eine Massnahme, die
im Regelfall kurzfristig aufgrund einer akuten Belastungssituation
getroffen wird.
Ferner würde die Bejahung der Zuständigkeit des Verwaltungs-
gerichts bedeuten, dass den betroffenen Personen nur eine kantonale
Instanz zur Verfügung steht, was in Anbetracht des Prinzips des
doppelten Instanzenzugs, welches den Kantonen grundsätzlich nicht
gestattet, ihre oberen Gerichte in Zivilsachen als einzige Instanz
einzusetzen (vgl. Art. 75 Abs. 2 BGG; K
ARL
S
PÜHLER
/A
NNETTE
D
OLGE
/D
OMINIK
V
OCK
, Kurzkommentar zum Bundesgerichtsgesetz,
Zürich 2006, Art. 110 N 4), problematisch sein könnte.
6.5.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass bei einer durch die
Einrichtung rechtskräftig angeordneten Nachbetreuung die betroffene
Person jederzeit beim zuständigen Familiengericht einen Antrag auf
Aufhebung oder Abänderung der angeordneten Nachbetreuung stel-
len kann. Gleiches gilt selbstredend bei einer ambulanten Massnah-
me, welche durch das Familiengericht gemäss § 67n EG ZGB an-
geordnet worden ist. Der entsprechende Entscheid des Familienge-
richts kann anschliessend innerhalb der 10-tägigen Frist mittels Be-
schwerde beim Verwaltungsgericht angefochten werden (Art. 450b
Abs. 2 ZGB i.Vm. § 67q lit. g EG ZGB). | 3,768 | 3,090 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-15_2013-03-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-15.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-15.pdf | AGVE_2013_15 | null | nan |
a80607d0-c4db-561b-964c-637120c49591 | 1 | 412 | 871,771 | 1,315,094,400,000 | 2,011 | de | 2011
Schulrecht
195
[...]
49
Transportkostenersatz bei auswärtigem Schulbesuch
Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts rechtfertigt die Möglichkeit des
privaten Gebrauchs eines auf einem weitreichenden Streckennetz gülti-
2011
Verwaltungsgericht
196
gen Jahresabonnements den Ersatz der Transportkosten zu 4/5 der ent-
sprechenden Kosten.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 7. September 2011 in Sa-
chen A. gegen Einwohnergemeinde B. (WKL.2010.3).
Aus den Erwägungen
3.4.
Verfassung und das Schulgesetz schreiben den Gemeinden nicht
vor, mit welchen Mitteln die Benachteiligung beim Schulbesuch
aufgrund unzumutbarer Schulwege auszugleichen sind (vgl. § 53
Abs. 4 SchulG). Sie können finanzielle oder reale Ausgleichsmass-
nahmen vorsehen. Eine Pflicht, einen separaten Schulbus zur Verfü-
gung zu stellen, besteht sowenig wie eine Beschränkung der Mass-
nahme auf bestimmte Abonnemente oder Fahrkarten für den öffentli-
chen Verkehr.
(...)
Die Beklagte beteiligt sich an den Kosten des TNW-Abonne-
ments. Die Abonnemente werden aber nicht von der Beklagten oder
der Schule den Schülerinnen und Schülern abgegeben. Vielmehr wird
ihnen bzw. den Eltern die Hälfte der Kosten ersetzt. Entgegen dem
Vorbringen der Klägerin wird sie in der Ausübung der elterlichen
Obhut (Art. 301 ZGB) nicht eingeschränkt. Sie entscheidet allein, ob
und welches Billet ihre beiden Kinder erwerben können. Die Höhe
des Betrages, den die Beklagte ersetzt, begründet daher keinen Ein-
griff in das elterliche Sorgerecht der Klägerin.
(...)
3.5.
Gemäss konstanter Praxis des Verwaltungsgerichts rechtfertigt
die Möglichkeit des privaten Gebrauchs eines auf einem weitreichen-
den Streckennetz gültigen Abonnements den Ersatz der Transport-
kosten zu 4/5 der entsprechenden Kosten (vgl. VGE IV/32 vom
23. Juni 2006 [WKL.2005.3], S. 3 ff.; VGE IV/25 vom 11. Juni 1999
[WKL.1997.7], S. 10; AGVE 2000, S. 107 = VGE IV/32 vom 4. Juli
2011
Schulrecht
197
2000 [WKL.1999.1], unpublizierte Erw. 9 b). Das Jahresabonnement
kann auch während der Schulferien und an Sonn- und Feiertagen
benutzt werden. § 53 Abs. 4 lit. c SchulG verpflichtet die Gemeinden
nur zum Ersatz der notwendigen Transportkosten. "Notwendigkeit"
bedeutet auch, dass im konkreten Fall die preisgünstigste Lösung,
welche den Schülerinnen und Schülern zumutbar ist, zu treffen ist
(AGVE 1986, S. 148).
Es besteht kein Anlass im vorliegenden Fall von dieser Recht-
sprechung abzuweichen. Die Wahl der Abonnemente ist auf die An-
gebote des jeweiligen Trägers des öffentlichen Verkehrs beschränkt.
Vorliegend sind sich die Parteien einig, dass das TNW- Abonnement
"Umwelt" das günstigste Angebot im Tarifverbund Nordwestschweiz
ist. Von den Parteien werden höhere bzw. tiefere Kostenanteile mit
der Rechtsgleichheit begründet. Diese Argumente vermögen nicht zu
überzeugen. Aus dem Umstand, dass den Oberstufenschülern der
volle Betrag des Abonnements vergütet wird, kann die Klägerin kei-
nen weitergehenden Anspruch ableiten. Diese Praxis wurde von der
Kreisschulpflege, nicht vom Gemeinderat B. begründet. Sie kann
daher den Gemeinderat B. sowenig wie die Praxis in andern (Nach-
bar-) Gemeinden binden. Ebenso wenig vermag der Hinweis der
Beklagten auf die Rechtsgleichheit einen hälftigen Kostenersatz zu
rechtfertigen. Falls Schüler im Ortsteil B. einen gefährlichen oder
sonst unzumutbaren Schulweg bewältigen müssen, sind Aus-
gleichmassnahmen für sie zu bewilligen und nicht Ansprüche von
Schülern im Ortsteil C. zu kürzen. Ungleiches gleich zu behandeln
hat mit Rechtsgleichheit nichts zu tun.
Die Ausscheidung des privaten Anteils am Jahresabonnement
muss aus Praktikabilitätsgründen schematisiert werden und kann
nicht von der tatsächlichen privaten Benutzung abhängig sein. Eine
Kontrolle der privaten Nutzung und der Benützung für den Schulweg
ist auch praktisch nicht durchführbar. Der Anteil von 4/5 der Abon-
nementskosten berücksichtigt, dass zeitlich die effektiven Schultage
rund 40% eines Jahresabonnements beanspruchen, anderseits der
Kauf des Abonnements für den Schulbesuch notwendig ist. Nicht
nachvollziehbar ist das Anliegen der Klägerin, dass ihr aus erzieheri-
schen Gründen die vollen Kosten zu ersetzen seien. Der volle Ersatz
2011
Verwaltungsgericht
198
der Transportkosten vermag eine allfällige, von ihr den Kindern nicht
erlaubte Benutzung des Abonnements nicht zu verhindern.
Demgemäss ist in teilweiser Gutheissung der Klage die Be-
klagte zu verpflichten, den Klägern den Ersatz der Kosten für den
öffentlichen Verkehr für die Kinder D. und E. zu je 4/5 im Betrag
von Fr. 360.00, respektive die Differenz zum bereits ausbezahlten
Betrag, zu ersetzen. | 1,046 | 858 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-49_2011-09-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-49.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-49.pdf | AGVE_2011_49 | null | nan |
a86215e1-8814-57e9-b3dd-912563fb989c | 1 | 412 | 870,941 | 1,375,315,200,000 | 2,013 | de | 2013
Fürsorgerische Unterbringung
95
[...]
17
Delegation der Anhörungskompetenz durch das Familiengericht
Die Delegation der Anhörungskompetenz an ein Einzelmitglied des Fa-
miliengerichts darf nicht die Regel darstellen, auch nicht bei der Anhö-
rung in der Einrichtung.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 13. August 2013 in Sachen
B.F. gegen den Entscheid des Familiengerichts Z. (WBE.2013.377; publiziert
in: CAN - Zeitschrift für kantonale Rechtsprechung 2013 Nr. 75 S. 194).
Aus den Erwägungen
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
96
2.
2.1.
Gemäss Art. 447 Abs. 1 ZGB wird die betroffene Person per-
sönlich angehört, soweit dies nicht als unverhältnismässig erscheint.
Im Fall einer fürsorgerischen Unterbringung hört die Erwach-
senenschutzbehörde die betroffene Person in der Regel als Kolle-
gium an (Art. 447 Abs. 2 ZGB). Der Gesetzgeber misst dem Prinzip
der Unmittelbarkeit somit ein hohes Gewicht zu. Dies hängt auch mit
dem Erfordernis der Interdisziplinarität zusammen: Indem das ZGB
eine interdisziplinäre Zusammensetzung der Erwachsenenschutzbe-
hörde verlangt, gewährleistet es mit dem Gebot der Anhörung im
Kollegium eine Wahrnehmung durch Entscheidträger unterschiedli-
cher Fachrichtungen. Aus Art. 447 Abs. 2 ZGB ergibt sich, dass die
Anhörung ausnahmsweise an ein Einzelmitglied der Erwachsenen-
schutzbehörde übertragen werden kann. Damit wird zwar nach wie
vor die Unmittelbarkeit gewährleistet, nicht aber die Interdiszipli-
narität (CHRISTOPH AUER/MICHLE MARTI, in: GEISER/
REUSSER [Hrsg.], Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel
2012, Art. 447 N 33 f.). Der Regelfall muss aber eine mündliche An-
hörung vor dem gesamten Kollegium bleiben. Denkbar ist eine Aus-
nahme-Konstellation, falls die Mitglieder den Betroffenen aus frühe-
ren Verfahren bereits gut kennen und man sich lediglich über die
eingetretenen Veränderungen ein Bild machen muss (CHRISTOF
BERNHART, Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung, Basel
2011, Rz. 512). Die Delegationsmöglichkeit an ein Einzelmitglied
des Gerichts ist zurückhaltend, nur im konkreten Einzelfall und im
Entscheid begründet anzuwenden (PATRICK FASSBIND, Erwachse-
nenschutz, Zürich 2012, S. 147 f.). Eine Ausnahme ist z.B. denkbar
bei urteilsunfähigen Patienten, die aufgrund einer schweren Demenz-
erkrankung in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden untergebracht
und daher im Status einer fürsorgerischen Unterbringung sind
(Art. 380 ZGB).
Besteht eine Verletzung von Art. 447 Abs. 2 ZGB darin, dass
die Anhörung ohne zureichenden Ausnahmegrund durch ein einzel-
nes Behördenmitglied durchgeführt wurde, so führt dies grundsätz-
2013
Fürsorgerische Unterbringung
97
lich zur Aufhebung des Entscheids (Basler Kommentar, Erwachse-
nenschutz, a.a.O., Art. 447 N 37).
2.2.
In Erw. 2.2. des angefochtenen Entscheids hält die Vorinstanz in
diesem Zusammenhang fest, im vorliegenden Fall seien die Voraus-
setzungen für eine Einzeldelegation gegeben. Mit Hinweis auf eine
entsprechende Erwägung im Basler Kommentar erklärt die Vorin-
stanz, die Anhörung durch ein einzelnes Mitglied der Erwachse-
nenschutzbehörde sei im Interesse der Prozessökonomie ausnahms-
weise zulässig, wenn die betroffene Person infolge Alters oder
Krankheit in ihrer Wohnung oder an ihrem Aufenthaltsort anzuhören
sei.
2.3.
2.3.1.
Im Kanton Aargau hat sich in Absprache der Familiengerichte
mit den Einrichtungen die Praxis entwickelt, dass die Anhörung in
aller Regel in der Einrichtung durchgeführt wird. Die Ausführungen
des Basler Kommentars können deshalb nicht unbesehen übernom-
men werden, ansonsten die Ausnahme (Anhörung durch ein einzel-
nes Mitglied der Erwachsenenschutzbehörde) zur Regel würde, was
dem Sinn und Zweck der bundesrechtlichen Bestimmung klar wider-
sprechen würde. Vielmehr ist deshalb - auch mit Blick auf die hier-
vor zitierte Lehre - festzustellen, dass die Anhörung grundsätzlich
immer durch das Kollegium des Familiengerichts durchzuführen ist.
2.3.2.
Der Beschwerdeführer ist bereits einmal durch das Kollegium
des Familiengerichts Z. (in überwiegend identischer Besetzung) im
Rehahaus Effingerhort angehört worden. Nachdem sich das Fami-
liengericht somit bereits in interdisziplinärer Zusammensetzung ein
Bild der persönlichen und gesundheitlichen Situation des Beschwer-
deführers gemacht hat, konnte hier ausnahmsweise auf eine Anhö-
rung durch das Kollegium verzichtet werden. | 973 | 777 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-17_2013-08-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-17.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-17.pdf | AGVE_2013_17 | null | nan |
a87f1201-bf81-5244-aac1-e5c4c809bea8 | 1 | 412 | 871,485 | 991,526,400,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
340
73 Anfechtungsgrundsatz; Rügeprinzip; Rechtsanwendung von Amtes
wegen.
- Grundsatz der umfassenden Prüfung von Amtes wegen bei Submis-
sionsbeschwerden (Erw. 3/b/bb).
- Das Verwaltungsgericht darf nicht über die gestellten Begehren
hinausgehen; das Rügeprinzip hat zur Folge, dass selbst beim Vor-
liegen schwerer Verfahrensmängel nur der Zuschlag, nicht aber das
Submissionsverfahren als solches ganz oder teilweise aufgehoben wer-
den kann, wenn dies nicht verlangt ist; aufgrund welcher rechtlicher
Grundlagen die allfällige Aufhebung eines angefochtenen Zuschlags
zu erfolgen hat, ist eine Frage der Rechtsanwendung von Amtes
wegen (Erw. 3/b/cc).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. Juni 2001 in
Sachen ARGE B. AG und N. gegen die Verfügung des Gemeinderats B.
Aus den Erwägungen
3. b) bb) Die Beschwerdeführer rügen in ihrer Beschwerde
nicht, dass die Angebote in unzulässiger Weise nachträglich abgeän-
dert worden seien. Immerhin weisen sie aber in der Stellungnahme
vom 21. Mai 2001 darauf hin, dass das ursprüngliche Grundangebot
der E. AG für die Überarbeitung von Fr. 1'077'000.-- wettbe-
werbsentscheidend auf Fr. 1'000'000.-- reduziert worden sei.
Gemäss § 20 VRPG (i.V.m. § 23 SubmD) prüfen die Behörden
den Sachverhalt unter Beachtung der Vorbringen der Beteiligten
jedoch ohnehin von Amtes wegen und stellen hiezu die notwendigen
Ermittlungen an. Sie würdigen das Ergebnis der Untersuchung frei
und wenden das Recht von Amtes wegen an. Das Verwaltungsge-
richt, dem keine allgemeine Aufsicht über die Verwaltung zukommt,
ist dabei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf die Überprü-
fung des Streitgegenstandes beschränkt (René Rhinow/Alfred Kol-
ler/Christina Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungs-
recht des Bundes, Basel/Frankfurt a.M. 1996, Rz. 903 und 916). Der
Streitgegenstand wird einerseits durch das Anfechtungsobjekt, an-
2001
Submissionen
341
derseits durch die Parteibegehren bestimmt (Rhinow/Koller/Kiss,
a.a.O., Rz. 901). Der in § 20 VRPG verankerte Untersuchungsgrund-
satz statuiert zwar keine Verpflichtung der Behörden, einen Sachver-
halt unter jedem nur erdenklichen Gesichtspunkt auf mögliche
Rechtsmängel hin zu überprüfen (vgl. VGE I/79 vom 21. Dezember
1993 i.S. A.H., S. 12). Jedoch gebietet er, entscheidrelevante, akten-
kundige Tatsachen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie von den
Verfahrensbeteiligten nicht ausdrücklich geltend gemacht werden.
Die umfassende richterliche Sachverhaltsermittlung drängt sich im
Besonderen dort auf, wo auch öffentliche Interessen berührt werden
oder wo eine Partei nur beschränkte Möglichkeiten hat, die notwen-
digen Sachverhaltselemente zu präsentieren (vgl. Michael Pfeifer,
Der Untersuchungsgrundsatz und die Offizialmaxime im Verwal-
tungsverfahren, Basel 1980, S. 94). Beides trifft auf das Submis-
sionsverfahren zu. Zum einen ist hier der Vergabeentscheid von der
vergebenden Behörde lediglich summarisch zu begründen (§ 20
Abs. 1 SubmD), und es bestehen auch nur beschränkte Auskunfts-
rechte der unberücksichtigt gebliebenen Anbieter (§ 20 Abs. 2 und 3
SubmD). Diesen mit den Besonderheiten des Submissionsrechts zu
begründenden Einschränkungen der Verfahrensrechte ist durch eine
entsprechend umfassende Überprüfung von Amtes wegen zu ent-
sprechen (vgl. Urteil des Bundesgerichts, II. öffentlichrechtliche
Abteilung, vom 2. März 2000 in Sachen ARGE X., in: Pra 2000,
Nr.
134, S.
794 ff.; VGE III/155 vom 15.
Dezember 2000
[BE.97.00372] in Sachen ARGE Argovia A1, S. 32 f.). Zum anderen
liegt die Durchführung eines korrekten Submissionsverfahrens auch
im Interesse der Allgemeinheit, werden die zu vergebenden Aufträge
doch in der Regel grösstenteils durch Steuergelder finanziert (AGVE
1997, S.
343 f.; VGE III/101 vom 10.
November 1997
[BE.97.00153] in Sachen H. AG, S. 6 f.; III/113 vom 28. November
1997 [BE.97.00249] in Sachen C., S. 6).
cc) Das Verwaltungsgericht darf über die gestellten Beschwer-
debegehren nicht hinausgehen (§ 43 Abs. 2 VRPG). Diese Bindung
an die Anträge hat im vorliegenden Fall zur Folge, dass das Verwal-
tungsgericht selbst beim Vorliegen schwerer Verfahrensmängel nur
den Zuschlag, nicht aber das Submissionsverfahren als solches ganz
2001
Verwaltungsgericht
342
oder teilweise aufheben kann. Aufgrund welcher rechtlichen Grund-
lagen die allfällige Aufhebung eines angefochtenen Zuschlags zu
erfolgen hat, ist jedoch eine Frage der Rechtsanwendung von Amtes
wegen; hier besteht keine Bindung an die Vorbringen in der Be-
schwerde. Die Überprüfung der Rechtmässigkeit eines erfolgten Zu-
schlags kann jedenfalls nicht unabhängig vom zugrunde liegenden
Vergabeverfahren erfolgen. Schwerwiegende Mängel des Vergabe-
verfahrens wirken sich auch auf die Rechtmässigkeit des erfolgten
Zuschlags aus; sie verlangen grundsätzlich nicht nur dessen Aufhe-
bung, sondern die Durchführung eines neuen, korrekten Submis-
sionsverfahrens. Streitgegenstand im Submissionsbeschwerdeverfah-
ren ist somit nicht nur die Zuschlagserteilung als solche, sondern
notwendigerweise auch das dieser vorangehende Submissionsverfah-
ren. Ein sich aus den Akten ergebender schwerwiegender Verfahrens-
bzw. Rechtsmangel, wie ihn z.B. die Wahl einer nicht den Vorschrif-
ten des Submissionsdekrets entsprechenden Verfahrensart (AGVE
1997, S. 347) oder auch das Durchführen von verbotenen Abgebots-
runden (erwähnter VGE in Sachen H. AG, S. 7) darstellt, ist deshalb
auch dann zu berücksichtigen, wenn eine entsprechende Rüge nicht
erhoben wird. Wenn das Verwaltungsgericht dieser - sich aus der
Pflicht zur Rechtskontrolle zwingend ergebenden - Konsequenz
nachlebt, masst es sich deswegen nicht die Kompetenz einer allge-
meinen Aufsichtsbehörde an (erwähnter VGE in Sachen C., S. 6).
. | 1,358 | 1,061 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-73_2001-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-73.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-73.pdf | AGVE_2001_73 | null | nan |
a8c5e51a-d97e-5ad9-8c49-5829b25c35fa | 1 | 412 | 870,465 | 1,546,473,600,000 | 2,019 | de | 2019
Anwalts- und Notariatsrecht
215
XII. Anwalts- und Notariatsrecht
32
Zulassungsvoraussetzungen Anwaltsprüfung
Die Tätigkeit bei einer Rechtsberatungsstelle gilt nicht als hinreichende
rechtspraktische Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 AnwV, selbst
wenn die stelleninterne Betreuung durch eine im Kanton registrierte An-
wältin erfolgt.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 24. Januar
2019, in Sachen A. gegen Anwaltskommission (WBE.2018.367).
Aus den Erwägungen
2.
Strittig ist im Wesentlichen, ob die Tätigkeit des Beschwerde-
führers bei den Rechtsberatungsstellen B. als hinreichende rechts-
praktische Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 AnwV zu quali-
fizieren ist.
3.
Die Vorinstanz verneinte dies. Die Anstellung des Beschwerde-
führers sei durch die B.-Rechtsberatungsstellen und nicht durch die
im Register eingetragene Advokatin C. erfolgt. Gemäss § 2 Abs. 1
AnwV würden jedoch (u.a.) nur rechtspraktische Tätigkeiten bei
einem im Kanton registrierten Anwalt bzw. bei einer registrierten
Anwältin angerechnet. Die blosse Betreuung durch eine im Register
eingetragene Anwältin genüge nicht.
4.
Gemäss Beschwerdeführer entspricht die Auslegung der An-
waltskommission weder dem Wortlaut noch dem Sinn der Gesetzes-
bestimmung. Einzige Bedingung sei, dass der Anwalt oder die An-
wältin im Anwaltsregister verzeichnet sei. Es werde weder eine Un-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
216
terscheidung zwischen den Eintragungsgründen vorgenommen
(Art. 8 Abs. 1 und 2 BGFA) noch sei eine Anstellung durch den re-
gistrierten Anwalt oder die registrierte Anwältin erwähnt. Folge man
der teleologischen Auslegung, so werde die Voraussetzung einer
rechtspraktischen Tätigkeit bei einem Registeranwalt u.a. mit der
Vermittlung des aargauischen Prozessrechts begründet. Die Tätigkeit
als Jurist bei den B.-Rechtsberatungsstellen unter der Leitung einer
Registeranwältin entspreche voll und ganz dieser Voraussetzung.
5.
5.1.
Gemäss § 2 Abs. 1 Satz 2 AnwV liegt eine hinreichende rechts-
praktische Tätigkeit vor, wenn sie mindestens sechs Monate bei einer
oder einem im Kanton registrierten Anwältin oder Anwalt, bei einem
aargauischen Bezirksgericht, beim Spezialverwaltungsgericht oder
beim Obergericht absolviert wird. Diese Bestimmung gilt es
auszulegen.
5.2.
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Be-
stimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Ausle-
gungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht
werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, nament-
lich von Sinn und Zweck sowie der dem Text zugrundeliegenden
Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext
zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen
Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn triftige
Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der
Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Ent-
stehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck
oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE
140 II 421 mit Hinweisen).
5.3.
5.3.1.
Der Wortlaut der Bestimmung ist nicht eindeutig. Die rechts-
praktische Tätigkeit soll bei einem im Kanton registrierten Anwalt
erfolgen. Eine wörtliche Auslegung führt zwar eher zum Ergebnis,
dass eine Anstellung durch einen Registeranwalt erforderlich ist.
2019
Anwalts- und Notariatsrecht
217
Dies stellt jedoch nicht die einzig mögliche Interpretation dar. Die
Auslegung des Beschwerdeführers, wonach die Betreuung durch eine
registrierte Anwältin den Anforderungen genüge, verstösst jedenfalls
nicht von vornherein gegen den Wortlaut der Bestimmung.
5.3.2.
Auch eine systematische Auslegung vermittelt im konkreten
Fall keine eindeutigen Hinweise, die auf die Bedeutung des umstrit-
tenen Rechtssatzes schliessen lassen. Die Sonderregelung, wonach
Anwälte einer nach Art. 8 Abs. 2 BGFA anerkannten gemeinnützigen
Organisation sich im Anwaltsregister eintragen können, bedeutet
nicht zwingend, dass sie im Hinblick auf die Ausbildung von
Rechtspraktikanten den übrigen Registeranwälten im Sinne von § 2
Abs. 1 Satz 2 AnwV gleichgestellt sind.
5.3.3
Unter altem Recht wurde bezüglich der rechtspraktischen Tä-
tigkeit verlangt, dass der Kandidat mindestens ein halbes Jahr bei
einem im Kanton Aargau praktizierenden Anwalt (oder bei einem
aargauischen Bezirksgericht oder beim Obergericht) gearbeitet hat
(§ 3 Abs. 1 aAnwD [AGS Bd. 12 S. 457]). Mit dem Inkrafttreten der
AnwV wurde diese Voraussetzung neu umschrieben; nunmehr wird
verlangt, dass der Anwalt im - mit dem BGFA eingeführten - kanto-
nalen Anwaltsregister eingetragen ist.
Es gibt indessen keinen Hinweis darauf, dass der Verordnungs-
geber mit dieser neuen Formulierung das Kriterium, dass der betref-
fende Anwalt praktizieren bzw. unabhängig forensisch tätig sein
muss, hätte aufgeben wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass
der Verordnungsgeber, als er die Anforderungen an eine hinreichende
rechtspraktische Tätigkeit in § 2 Abs. 1 Satz 2 AnwV umschrieb bzw.
einen Registereintrag des ausbildenden Anwaltes verlangte, nicht be-
dachte, dass sich ausnahmsweise auch Anwälte, welche bei einer
gemeinnützigen Organisation angestellt und damit nicht unabhängig
sind, in das Register eintragen lassen können (Art. 8 Abs. 2 BGFA).
Die Sonderregelung geht auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung
vor Erlass des BGFA zurück. Leitgedanke dieser Regelung war das
öffentliche Interesse an einer unentgeltlichen Rechtsberatung und
Ergänzung der unentgeltlichen Rechtsvertretung für Personen, denen
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
218
der Zugang zur Verbeiständung aus sozialen Gründen erschwert ist.
Es handelt sich mit anderen Worten um eine politisch motivierte
Ausnahme vom Anwaltsmonopol, welche der Gesetzgeber im In-
teresse des Zugangs zur Rechtsvertretung für sozial Benachteiligte
bewusst in Kauf nahm (vgl. zum Ganzen VGE vom 30. Mai 2013
[WBE.2012.468], S. 8 f. mit Hinweisen).
5.3.4.
Von Bedeutung ist sodann eine teleologische Betrachtung: Sinn
und Zweck der Voraussetzung der rechtspraktischen Tätigkeit bei
einem im Kanton Aargau registrierten Anwalt oder bei einem aar-
gauischen Bezirksgericht, beim Spezialverwaltungsgericht oder beim
Obergericht ist, neben der praktischen Anwendung des im Studium
erlernten theoretischen Wissens, angehende Anwältinnen und
Anwälte vor dem Erwerb des Anwaltspatents mit dem (aargauischen)
Prozessrecht und mit der täglichen Arbeit des forensisch tätigen An-
waltes vertraut zu machen. Um dies sicherzustellen, wird ein mindes-
tens sechsmonatiges Praktikum bei einem aargauischen Gericht (ge-
wissermassen als Gegenseite des Anwalts) oder bei einem Anwalt,
welcher vor aargauischen Gerichten und Verwaltungsjustizbehörden
tätig ist, verlangt (vgl. AGVE 2006, S. 53 f.). Der Registereintrag des
ausbildenden Anwaltes hat somit im Hinblick auf die Berufsvorberei-
tung des Praktikanten zwei Funktionen: Es soll gewährleistet wer-
den, dass der angehende Anwalt zum einen Einblicke ins (aar-
gauische) Prozessrecht und zum anderen in die forensische Tätigkeit
eines selbständigen und unabhängigen Anwaltes erhält. Nicht als hin-
reichende rechtspraktische Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2
AnwV gilt die Beschäftigung bei einem nicht im Register eingetra-
genen Anwalt. Beispielsweise bei einem Anwalt, der nur beratend tä-
tig ist, oder insbesondere auch bei einem angestellten und daher nicht
unabhängigen Rechtsanwalt bei einer Rechtsschutzversicherung oder
einem anderen privaten Unternehmen.
Der Beschwerdeführer arbeitet für die B. unter der Leitung von
C. C. ist Angestellte der B. und ist als Mitarbeiterin einer nach Art. 8
Abs. 2 BGFA anerkannten gemeinnützigen Organisation im Anwalts-
register eingetragen. Als Mitarbeiterin einer Stiftung, welche aus-
schliesslich gemeinnützigen Charakter hat und keinerlei Erwerbs-
2019
Anwalts- und Notariatsrecht
219
zweck verfolgt (vgl. Art. 2 Abs. 2 des Stiftungsstatuts; [...]), ist sie
nicht den gleichen Vorschriften zur unabhängigen Ausübung des
Anwaltsberufs unterworfen wie die übrigen Registeranwälte. Die
Ausübung der Parteivertretung hat sich zudem strikt auf den gemein-
nützigen Bereich entsprechend dem Zweck der betreffenden gemein-
nützigen Organisation zu beschränken.
Die rechtspraktische Tätigkeit bei einem angestellten Anwalt
genügt den Anforderungen gemäss § 2 Abs. 1 AnwV nicht. Dass die
angestellte Anwältin C. aufgrund eines politisch motivierten Sonder-
falls zum Registereintrag berechtigt ist, vermag daran nichts zu
ändern. Der Einblick in die forensische Tätigkeit eines selbständigen
und unabhängigen Anwalts ist durch die Tätigkeit des Beschwerde-
führers für die B.-Rechtsberatungsstellen nicht sichergestellt, eben-
sowenig die Vermittlung des (aargauischen) Prozessrechts. Gemäss
Arbeitsbestätigung vom 9. Mai 2018 ist der Beschwerdeführer bei
den B.-Rechtsberatungsstellen hauptsächlich in den Bereichen Asyl-
und Ausländerrecht tätig. Dieses Betätigungsfeld schränkt die
Möglichkeit weiter ein, das (aargauische) Prozessrecht und die An-
forderungen an die Tätigkeit eines klassischen Anwaltes kennenzu-
lernen. Die Anerkennung der Tätigkeit des Beschwerdeführers als
hinreichende rechtspraktische Tätigkeit ist mit der Zielsetzung von
§ 2 Abs. 1 Satz 2 AnwV nicht vereinbar.
5.4
Für die Auffassung der Vorinstanz, wonach die juristische Tä-
tigkeit des Beschwerdeführers für die B.-Rechtsberatungsstellen für
Asylsuchende und sozial Benachteiligte nicht als hinreichende recht-
praktische Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 AnwV gilt, spricht somit vor
allem das teleologische und das historische Element. Mit dem Wort-
laut lässt sich das Auslegungsergebnis zudem vereinbaren und auch
die Gesetzessystematik steht dem Ergebnis nicht entgegen. Der Ent-
scheid der Anwaltskommission entspricht somit im Ergebnis einer
korrekten Auslegung von § 2 Abs. 1 Satz 2 AnwV, weshalb kein An-
lass besteht, korrigierend einzugreifen. Die Beschwerde ist insoweit
abzuweisen. | 2,147 | 1,711 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-32_2019-01-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-32.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-32.pdf | AGVE_2019_32 | null | nan |
a90852ec-2884-54ac-bd2d-18b500be72fe | 1 | 412 | 869,884 | 1,030,924,800,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
426
[...]
105
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts. Rechtliches Gehör.
-
Bei Verfügungen betreffend Strafantritt ist nur die Beschwerde ge-
mäss § 53 VRPG zulässig (Änderung der Rechtsprechung von AGVE
2000, S. 127 f.) (Erw. I/1).
-
Rechtliches Gehör. Ein Anspruch auf
mündliche
Anhörung besteht
nur, soweit er ausdrücklich statuiert ist; er ergibt sich insbesondere
nicht direkt aus Art. 29 Abs. 2 BV (Erw. II/1/b).
2002
Verwaltungsrechtspflege
427
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 4. September 2002 in
Sachen H.S. gegen Entscheid des Regierungsrats.
Aus den Erwägungen
I/1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsge-
richts ist das Verwaltungsgericht gestützt auf § 52 Ziff. 19 VRPG
(Zulässigkeit der anschliessenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ans Bundesgericht) sachlich zuständig, über Beschwerden betreffend
Strafantritt zu entscheiden (AGVE 2000, S. 127 f.). Dem entspricht
die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid. In einem
Entscheid vom 18. Februar 2002 in Sachen R.B. (6A.96/2001) hat
das Bundesgericht jedoch entschieden, bezüglich Strafantritt werde
kantonales Recht angewendet, was die Zulässigkeit der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde ans Bundesgericht ausschliesse. Danach steht
nun fest, dass die Voraussetzungen von § 52 Ziff. 19 VRPG nicht
gegeben sind, wenn es - wie im vorliegenden Verfahren - um den
Strafantritt geht. Als Folge davon kann das Verwaltungsgericht einzig
gestützt auf § 53 VRPG angerufen werden. Zulässige Beschwer-
degründe sind demzufolge nur (formelle) Rechtsverweigerung,
Rechtsverzögerung sowie Verletzung der Vorschriften über die Zu-
ständigkeit, den Ausstand, das rechtliche Gehör und die Aktenein-
sicht (zur Praxis vgl. AGVE 1994, S. 476 ff.; 2000, S. 348 ff.; 1989,
S. 314 ff.).
II/2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst insbesondere
den Anspruch auf Anhörung vor Erlass einer Verfügung oder eines
Entscheids (das Recht, sich in Kenntnis des Sachverhalts und der
gegen den Verfügungsadressaten lautenden Vorbringen zu äussern
[§ 15 VRPG]) sowie den Anspruch auf Behandlung der gestellten
Anträge und auf Begründung des Entscheids (AGVE 1981, S. 284;
1997, S. 373 f.). Der Ausdruck "Anhörung" bezeichnet im juristi-
schen Gebrauch nicht notwendigerweise ein mündliches Verfahren
mit direkter Anhörung anlässlich einer Verhandlung, sondern bezieht
sich ebenso auf die Möglichkeit, sich schriftlich zu äussern. Dies gilt
auch im Rahmen von § 53 VRPG.
2002
Verwaltungsgericht
428
Hinsichtlich des vorliegend in Frage stehenden Rechts auf An-
hörung ist festzuhalten, dass sich im Strafvollzugsverfahren aus
Art. 6 EMRK kein Anspruch auf mündliche Anhörung ergibt (VGE
II/41 vom 20. Juni 2001 in Sachen R.G., S. 10; Ruth Herzog, Art. 6
EMRK und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995,
S. 109). Ebenso wenig besteht von Bundesrechts wegen ein solcher
Anspruch; der in Art. 29 Abs. 2 BV verankerte Grundsatz des recht-
lichen Gehörs, der als bundesrechtlicher Minimalstandard zur An-
wendung gelangt, sofern das kantonale Recht den Anforderungen des
Bundesrechts nicht genügt, sieht keinen Anspruch auf
mündliche
Äusserung vor (vgl. BGE 122 II 469; 114 Ib 246; VGE II/53 vom
18. Mai 1998 in Sachen S.M., S. 7 f. mit Hinweisen; Ulrich Häfe-
lin/Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungs-rechts,
3. Auflage, Zürich 1998, Rz. 1315). Auch aus allgemeinem Verwal-
tungsverfahrensrecht lässt sich dies nicht ableiten. Die Anordnung
einer mündlichen Anhörung liegt demnach im pflichtgemässen Er-
messen der zuständigen Behörde (VGE II/15 vom 28. Februar 2000
in Sachen K.B., S. 8 f.). Vorliegend ist nicht ersichtlich, welche zu-
sätzlichen Erkenntnisse aus der mündlichen Anhörung des Be-
schwerdeführers hätten gewonnen werden können. Seinen Stand-
punkt konnte er in seinen Schriftsätzen an die Vorinstanz genügend
darlegen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör des Beschwerdefüh-
rers wurde deshalb durch die Vorinstanz nicht verletzt. | 945 | 775 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-105_2002-09-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-105.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-105.pdf | AGVE_2002_105 | null | nan |
a963ea0d-dad0-580d-b8e0-1ae13ba4abc7 | 1 | 412 | 870,994 | 973,296,000,000 | 2,000 | de | 2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
257
[...]
60 Planungszone.
- Im Rahmen eines eine Planungszone betreffenden Beschwerdeverfah-
rens kann das Baudepartement keine verbindliche Feststellung zur
2001
Verwaltungsgericht
258
Zugehörigkeit eines Grundstücks zu einer Nutzungszone treffen (Erw.
3 und 4)
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 21. November 2000 in
Sachen R. AG und F. AG. gegen Entscheid des Baudepartements
Aus den Erwägungen
2. a) Das Baudepartement hat im Dispositiv des angefochtenen
Entscheids erneut festgestellt, dass die Parzellen Nrn. v, w, x, y und z
ausserhalb der Bauzone im Sinne von Art. 15 RPG lägen, und es hat
die vom Gemeinderat für die genannten Parzellen verfügte Planungs-
zone "zufolge Hinfälligkeit" aufgehoben (oder vielmehr widerrufen).
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die im ZP 86
ausgeschiedene Bauzone der Gemeinde sei zu gross dimensioniert
gewesen, weshalb der ZP 86 nach dem 1. Januar 1988 mit Bezug auf
die Umschreibung des Baugebiets seine Gültigkeit verloren und
Art. 36 Abs. 3 RPG Platz gegriffen habe, wonach sich der Umfang
der Bauzone solange auf das "weitgehend überbaute Gebiet" be-
schränke, als eine den Grundsätzen des Raumplanungsgesetzes ent-
sprechende Planung fehle. Die fraglichen Parzellen der Beschwerde-
führerinnen gehörten zum "weitgehend unüberbauten Gebiet" und
würden in der 2. Etappe des Baugebiets liegen. Aus dem Urteil des
Bundesgerichts vom 12. Februar 1991 in Sachen Einwohnergemein-
de Oberrohrdorf-Staretschwil ergebe sich, dass in Gemeinden, wel-
che wie U. ein zu grosses Baugebiet aufwiesen und deren kommu-
nales Recht eine Baugebietsetappierung vorsehe, das Gebiet der
2. Etappe als Nichtbauzone zu gelten habe; der Erlass einer Pla-
nungszone sei vor diesem Hintergrund sinn- und zwecklos und
widerspreche dem Raumplanungsgesetz. Als gegeben erachtet hat
das Baudepartement auch die Voraussetzungen für einen Widerruf
der Planungszone. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse
an der Aufhebung der dem Bundesrecht widersprechenden Planungs-
zone und der Feststellung, dass der ZP 86 mit Bezug auf die Um-
schreibung des Baugebiets seine Gültigkeit verloren habe und Art. 36
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
259
RPG (mit der Beschränkung der Bauzone auf das weitgehend über-
baute Gebiet) Platz greife.
2. b) (...)
3. a) Während der Erlass oder die Änderung von Nutzungsplä-
nen und -vorschriften (namentlich für Bau-, Landwirtschafts- und
Schutzzonen, vgl. Art. 14 RPG) vorbereitet wird, können Planungs-
zonen für genau bezeichnete Gebiete erlassen werden, um Vorkehren
zu verhindern, welche die Verwirklichung des Zwecks dieser Pläne
und Vorschriften erschweren (§ 29 Abs. 1 BauG; Art. 27 RPG). Pla-
nungszonen gelten bis zum Inkrafttreten der Nutzungspläne und -
vorschriften, deren Zweck sie sichern, längstens fünf Jahre (§ 29
Abs. 2 Satz 2 BauG; Art. 27 Abs. 2 RPG).
Die Planungszone stellt das klassische raumplanungsrechtliche
Instrument zur (einstweiligen) Sicherung künftiger Planungen dar
(BGE 123 I 185; 119 Ib 486 f.; Walter Haller/Peter Karlen, Raum-
planungs-, Bau- und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999,
Rz. 326 ff., insbes. 330 ff.; Alexander Ruch, in: Heinz Aemisseg-
ger/Alfred Kuttler/Pierre Moor/Alexander Ruch [Hrsg.], Kommentar
zum Bundesgesetz über die Raumplanung [Kommentar RPG], Zü-
rich 1999, Art. 27 N 20 f.; Nicolas Michel, Droit public de la con-
struction, 2. Auflage, Fribourg 1997, S. 35 f.).
b) Die Unterstellung unter eine Planungszone bewirkt (in der
Regel) eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung (BGE 120
Ia 214 f.; Alexander Ruch, in: Kommentar RPG, a.a.O., Art. 27
N 49). Eine solche ist mit der Eigentumsgarantie nur vereinbar, wenn
sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im überwiegenden öf-
fentlichen Interesse liegt, verhältnismässig ist, die Institutsgarantie
nicht verletzt und voll entschädigt wird, wenn sie einer Enteignung
gleichkommt (Art. 26 i.V.m. Art. 36 BV; vgl. auch BGE 105 Ia 223
ff.; AGVE 1989, S. 256; Erläuterungen zum Bundesgesetz über die
Raumplanung, hrsg. vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepar-
tement/Bundesamt für Raumplanung, Bern 1981, Art. 27 Rz. 12 [im
Folgenden: EJPD/BRP, Erläuterungen]; Alexander Ruch, in: Kom-
mentar RPG, a.a.O., Art. 27 N 24 ff.).
c) Die Planungszone setzt einerseits eine begründete Planungs-
absicht voraus; darin besteht das öffentliche Interesse an der Mass-
2001
Verwaltungsgericht
260
nahme (BGE 113 Ia 365; AGVE 1989, S. 256; 1985, S. 235). Ander-
seits muss die Planungsabsicht durch ein begründetes Planungsbe-
dürfnis abgedeckt sein. Dieses ist dann zu bejahen, wenn Nutzungs-
pläne oder Nutzungsvorschriften in Widerspruch zum (positiv-recht-
lichen) Raumplanungsauftrag und zu seiner allfälligen Konkretisie-
rung in übergeordneten, umsetzungsbedürftigen (Richt-)Plänen
geraten sind, oder wenn rechtlich zulässige Zielvorstellungen beste-
hen, denen die für das fragliche Gebiet massgebliche rechtliche Ord-
nung zuwiderläuft (AGVE 1990, S. 260; 1989, S. 256 f.; 1985,
S. 234; vgl. auch BGE 113 Ia 366).
4. Als Erstes stellt sich die Frage, ob das Baudepartement zur
im Dispositiv seines Entscheids getroffenen - und damit rechtliche
Verbindlichkeit beanspruchenden - Feststellung, es handle sich bei
den von der Planungszone betroffenen Parzellen nicht um Baugebiet
im Sinne von Art. 15 RPG, befugt war, was die Beschwerdeführerin-
nen in Abrede stellen. Das Baudepartement vertritt die Ansicht, es sei
befugt, im Rahmen eines Beschwerdeentscheids vorfrageweise
festzustellen, dass ein Grundstück nicht einer Bauzone im Sinne des
Raumplanungsgesetzes zugewiesen sei.
a) Die Zuweisung eines Grundstückes zu einer bestimmten
Nutzungszone ("Zonierung") erfolgt im Verfahren der allgemeinen
kommunalen Nutzungsplanung, indem das Gemeindegebiet in ver-
schiedene Nutzungszonen eingeteilt und Art und Mass der zulässigen
Nutzung geregelt werden (§ 15 BauG). Der Nutzungsplan (zusam-
men mit der Nutzungsordnung) enthält die verbindliche Feststellung,
zu welcher Zone ein Grundstück gehört, und wie es genutzt werden
darf. Die Nutzungspläne und -vorschriften werden durch das nach
der Gemeindeorganisation zuständige Organ (Einwohnergemeinde-
versammlung oder Einwohnerrat) beschlossen und vom Grossen Rat
genehmigt (§§ 25 und 27 BauG; vgl. auch Art. 25 Abs. 1 und Art. 26
RPG). Auch die spätere Änderung einer (formell) rechtskräftigen Zo-
nierung ist nur im ordentlichen Verfahren der Nutzungsplanung
gemäss den Vorschriften von §§ 22 ff. BauG möglich.
Die Parzellen der Beschwerdeführerinnen sind mit dem von der
Gemeindeversammlung am 20. Juni 1986 und vom Grossen Rat am
22. September 1987 genehmigten Bauzonenplan der Einfamilien-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
261
hauszone, 2. Etappe (Parzelle Nr. x), bzw. der Wohnzone Hang/Ter-
rassenzone, 2. Etappe (Parzellen Nrn. y und z) zugewiesen worden.
Die Grundstücke sind somit von den zuständigen Planungsorganen
(formell) rechtskräftig dem Baugebiet (zusätzliches Baugebiet,
2. Etappe) zugeteilt worden. Formell handelt es sich um rechtskräftig
ausgeschiedenes und für eine spätere Überbauung vorgesehenes
Baugebiet, welches indessen derzeit gemäss geltendem Recht nicht
überbaut werden kann (§ 43 Abs. 2 BNO).
b) aa) Die Verfügung einer Planungszone ist eine erstinstanzli-
che Anordnung vorsorglichen Charakters; es handelt sich um eine
provisorische Planungsmassnahme (BGE 105 Ia 108). Sie ist der
Nutzungsplanung zeitlich vorgelagert und dient dazu, den bestehen-
den Zustand zu erhalten, um den politischen Planungsorganen einen
gewissen Spielraum zu verschaffen (AGVE 1989, S. 255); bewahrt
werden soll die behördliche Planungs- und Entscheidungsfreiheit vor
präjudizierenden Eingriffen der Eigentümer (BGE 113 Ia 362; Mi-
chael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren
nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege
vom 9. Juli 1968, Diss. Zürich 1998, § 52 N 204). Mittels der Pla-
nungszone soll verhindert werden, dass vorgesehene planerische
Neuordnungen durch bewilligte Bauten beeinträchtigt werden. Die
Planungszonen haben im Gegensatz zu den provisorischen Bauzonen
(Art. 36 RPG) nur negative Bedeutung; sie vermögen nur negativ
eine Bodennutzung, welche dem vorgesehenen Nutzungszweck zu-
widerlaufen würde, zu vermeiden (BGE 117 Ia 360 f.; Alexander
Ruch, in: Kommentar RPG, a.a.O., Art. 27 N 21). Auf die bestehende
Zonierung des betroffenen Grundstücks oder der betroffenen Grund-
stücke ist die Planungszone ohne jeden Einfluss. Vielmehr ist es
Sache des nachfolgenden Nutzungsplanungsverfahrens, im Rahmen
einer umfassenden Interessenabwägung konkret festzulegen, wo
allfällige Auszonungen zu erfolgen haben (vgl. BGE 114 Ia 368 ff.;
AGVE 1986, S. 234). Das Planungszonenverfahren dient demgegen-
über dazu, mittels befristeter Eigentumsbeschränkung ungünstige
Präjudizierungen im Hinblick auf die künftige Planung zu verhin-
dern; es darf nichts vorwegnehmen, was nachher im Nutzungspla-
2001
Verwaltungsgericht
262
nungsverfahren zur Diskussion steht (VGE III/95 vom 10. Dezember
1993 in Sachen V. M. und W. M., S. 7).
bb) Zuständig zum Erlass von Planungszonen ist bei kommu-
nalen Nutzungsplänen und -vorschriften der Gemeinderat. Ihm ob-
liegt die Abklärung, ob das öffentliche Interesse den Erlass einer
Planungszone erfordert (§ 29 Abs. 1 BauG).
cc) Das Baudepartement entscheidet als Rechtsmittelinstanz ge-
stützt auf § 29 Abs. 3 BauG über Beschwerden gegen Einspracheent-
scheide des Gemeinderats betreffend die Festlegung von Planungs-
zonen. Dem Baudepartement kommt im Beschwerdeverfahren die
volle Überprüfungsbefugnis zu (§ 4 Abs. 1 BauG i.V.m. § 49 VRPG).
Von der Rechtsmittelinstanz zu überprüfen ist somit die Zulässigkeit
der angefochtenen Planungszone, insbesondere deren formelle und
materielle Rechtmässigkeit, aber auch deren Angemessenheit.
Angesichts der eigentumsbeschränkenden Wirkung der Pla-
nungszone hat namentlich auch eine Überprüfung der vom Gemein-
derat vorgenommenen Interessenabwägung zu erfolgen.
Grundsätzlich ist die für die Hauptfrage zuständige Behörde zur
vorfrageweisen Prüfung einer Rechtsfrage aus dem Kompetenzbe-
reich einer anderen Behörde berechtigt, wenn dies nicht durch eine
gesetzliche Bestimmung verboten ist (Ulrich Häfelin/Georg Müller,
Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich
1998, Rz. 48), was hier nicht der Fall ist. In diesem Rahmen darf das
Baudepartement auch die Zugehörigkeit der Grundstücke zur Bau-
zone im Rahmen des die Planungszone betreffenden Beschwerdever-
fahrens prüfen, falls und soweit der Entscheid über die Zulässigkeit
der Planungszone von diesem Punkt abhängen sollte. Jedoch kann
der Entscheid über die Vorfrage die sachkompetente Behörde bei
ihrem späteren Entscheid nicht binden; die Entscheidung über die
Vorfrage ist daher auch nicht ins Dispositiv aufzunehmen (BGE 102
Ib 369; Ulrich Häfelin/Georg Müller, a.a.O., Rz. 55. f.; René Rhi-
now/Heinrich Koller/Christina Kiss, Öffentliches Prozessrecht und
Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, Rz. 920).
dd) In seinem Beschwerdeentscheid ist das Baudepartement
zum Schluss gelangt, der Erlass einer Planungszone im Sinne von
Art. 27 RPG und § 29 BauG sei im vorliegenden Fall gar nicht erfor-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
263
derlich, bzw. sinnlos, da es sich bei den im Abschnitt Ausserdorf 3
gelegenen Parzellen um Grundstücke handle, die nicht in einer Bau-
zone liegen würden und auf denen daher keine Vorhaben des allge-
meinen Siedlungsbaus (Wohnen, etc.) errichtet werden dürften. Im
Entscheiddispositiv hat es diesen Erwägungen einerseits mit der
Feststellung, die fraglichen Parzellen lägen ausserhalb der Bauzonen
im Sinne von Art. 15 RPG (Disp. Ziff. 1) und anderseits mit der
Aufhebung der Planungszone (Disp. Ziff. 2) Rechnung getragen. Mit
der Aufnahme ins Dispositiv kommt der Feststellung verbindlichen
Charakter zu (so auch VGE III/59 vom 24. April 1998 in Sachen der
Beschwerdeführerinnen, S. 5 unten); die von der Behörde getroffene
Feststellung wird mit Erlangung der formellen Rechtskraft allseits
verbindlich (Michael Merker, a.a.O., § 38 N 24). Im vorliegenden
Fall könnte sich diese Rechtsverbindlichkeit in verschiedener Hin-
sicht rechtlich und auch faktisch zu Ungunsten der betroffenen
Grundeigentümer auswirken. Sie wäre vom Gemeinderat bei künfti-
gen Baugesuchen im fraglichen Gebiet zu beachten und kommt
insoweit einem Bauverbot gleich. Sie würde sich wohl auch bei der
bevorstehenden Nutzungsplanungsrevision und möglicherweise auch
in einem allfälligen Verfahren betreffend materielle Enteignung prä-
judizierend auswirken.
c) Im Rahmen eines eine Planungszone betreffenden Beschwer-
deverfahrens kann das Baudepartement nun aber klarerweise keine
verbindliche Feststellung über die Frage, ob die mit der streitigen
Planungszone belegten Grundstücke zur Bauzone oder zum Nicht-
baugebiet gehören, treffen. Zum einen erscheint ein solches Vorge-
hen von vornherein systemwidrig. Die Planungszone ist eine provi-
sorische (Planungs-)Massnahme zur Wahrung des derzeit bestehen-
den Zustandes; sie ist in diesem Sinne in ihren Auswirkungen be-
schränkt und zeitlich befristet; eine definitive Ordnung wird damit
nicht angestrebt. Weil sie die zu genehmigende Nutzungsordnung
lediglich sichern sollen, sind Planungszonen auch von der Genehmi-
gungspflicht gemäss Art. 26 RPG ausgenommen (Alexander Ruch,
in: Kommentar RPG, a.a.O., Art. 26 N 5). Die einmal in Rechtskraft
erwachsene Feststellung, ein formell dem Baugebiet zugewiesenes
Grundstück gehöre nicht zur Bauzone, hat demgegenüber definitiven
2001
Verwaltungsgericht
264
Charakter. Eine solche Feststellung ist daher nicht in einem Verfah-
ren, indem es lediglich um eine vorsorgliche Anordnung geht, zu
treffen. Zum anderen steht die verbindliche Beantwortung der Frage,
ob ein Grundstück den Bauzonen zugehört oder nicht, den Planungs-
organen im Nutzungsplanungsverfahren (vgl. §§ 22 ff. BauG) zu,
allenfalls den Rechtsmittelinstanzen des Kantons und des Bundes,
nicht aber dem Baudepartement und schon gar im Rahmen eines
vorgeschalteten Planungszonenbeschwerdeverfahrens. Streitgegen-
stand (zum Begriff vgl. Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsver-
fahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Auflage, Zürich
1998, Rz. 402 ff., insbes. 404) in diesem Verfahren ist ausschliesslich
die Planungszone im Sinne einer vorsorglichen behördlichen Anord-
nung zur Sicherung der bevorstehenden planerischen Neuordnung,
nicht aber die - möglicherweise unklare - Zonenzugehörigkeit der
mit der Planungszone belegten Grundstücke. Die Frage darf, sofern
entscheidrelevant, lediglich als Vorfrage geprüft werden. Im vorlie-
genden Fall hat das Baudepartement, indem es diesbezüglich eine
konstitutive Feststellung getroffen hat, den ausschliesslich auf die
Planungszone beschränkten Streitgegenstand des Beschwerdeverfah-
rens eigenmächtig erweitert und seine sachlichen Kompetenzen
überschritten.
d) Ohne dass dies im angefochtenen Entscheid ausdrücklich
erwähnt wird, ist das Baudepartement über das Beschwerdeverfahren
hinaus aufsichtsrechtlich tätig geworden, indem es die vom Gemein-
derat verfügte Planungszone vollumfänglich - d. h. auch in Bezug auf
die nicht streitbetroffenen Parzellen Nrn. v und w - aufgehoben und
für sämtliche Grundstücke innerhalb des Planungszonengebiets ver-
bindlich festgestellt hat, es handle sich nicht um Baugebiet gemäss
Art. 15 RPG. Zum einen ist es damit über die von den Beschwerde-
führerinnen gestellten Anträge zu deren Ungunsten hinaus gegangen;
zum andern sind die belastenden Rechtswirkungen auf einen nicht
am Verfahren beteiligten Dritten ausgeweitet worden. Es liegt somit
ein von Amtes wegen erfolgter Widerruf der verfügten Planungszone
vor. Im Bereich der Bau- und Planungssachen ist das Baudeparte-
ment Aufsichtsinstanz über die Gemeinden. Im Rahmen von § 43
Abs. 1 VRPG kann es daher auch in einem Beschwerdeverfahren
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
265
seine Aufsichtsfunktionen wahrnehmen; es ist an die Beschwerdebe-
gehren nicht gebunden und kann die angefochtenen Verfügungen und
Entscheide u.a. dann zum Nachteil der Beteiligten abändern, sofern
die Voraussetzungen des Widerrufs (§ 26 Abs. 1 VRPG) gegeben
sind und den Betroffenen das rechtliche Gehör gewährt wird (vgl.
auch VGE III/59 vom 24. April 1998 in Sachen der Beschwerdefüh-
rerinnen, S. 5 f.). Verfügungen und Entscheide, die der Rechtslage
oder den sachlichen Erfordernissen nicht entsprechen, können durch
die verfügende Behörde oder die Aufsichtsbehörde abgeändert oder
aufgehoben werden, wenn wichtige öffentliche Interessen es erfor-
dern. Soweit die Voraussetzungen für ein aufsichtsrechtliches Ein-
schreiten gegeben sind, darf das Baudepartement im Rahmen eines
Beschwerdeverfahrens unabhängig von den Beschwerdebegehren
aufsichtsrechtliche Anordnungen treffen. Grundsätzlich kann die
dem Baudepartement zukommende Aufsichtsfunktion unter Umstän-
den einerseits die Befugnis beinhalten, anstelle des untätig bleiben-
den Gemeinderats eine Planungszone zu erlassen, anderseits aber
auch die Befugnis in sich schliessen, eine vom Gemeinderat verfügte
Planungszone aufzuheben, bzw. zu widerrufen. Dass dem Baudepar-
tement aber in seiner Funktion als Aufsichtsinstanz in Bau- und Pla-
nungssachen nicht die Befugnis zukommen kann, - anstelle der zu-
ständigen Planungsorgane - verbindliche Feststellungen über die
Zugehörigkeit von Grundstücken zur Bauzone im Sinne von Art. 15
RPG zu machen, bedarf keiner weiteren Begründung.
e) Ziffer 1 des Dispositivs erweist sich damit als unzulässig und
ist in Bezug auf die Parzellen Nrn. x, y und z der Beschwerdeführe-
rinnen antragsgemäss aufzuheben. Die Frage, ob die Feststellung
nicht sogar nichtig ist (vgl. BGE 91 I 381; Max Imboden/René A.
Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Band I, Ba-
sel/Frankfurt a. M. 1986, Nr. 40 V. 1, S. 242), muss bei diesem Er-
gebnis nicht abschliessend beantwortet werden. | 4,179 | 3,316 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-60_2000-11-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-60.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-60.pdf | AGVE_2001_60 | null | nan |
a996d388-1180-520b-9668-feac388ec06a | 1 | 412 | 871,666 | 1,470,182,400,000 | 2,016 | de | 2016
Sozialhilfe
227
37
Sozialhilfe; Anspruch auf Notfallhilfe
-
Bei fehlendem Unterstützungswohnsitz ist die Aufenthaltsgemeinde
für Notfallhilfeleistungen zuständig; diese umfassen insbesondere die
kurzfristige Zurverfügungstellung einer menschenwürdigen Unter-
kunft und die unverzügliche Sicherstellung der Mittel zur Deckung
der Grundbedürfnisse.
-
Pflicht der Gemeinde zur aktiven Unterstützung bei der Wohnungs-
suche im Falle länger dauernder Wohnungslosigkeit mit vergeblichen
Bemühungen der bedürftigen Person
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 16. August 2016 in
Sachen A. gegen Gemeinderat B. und Departement Gesundheit und Soziales
(WBE.2016.126).
Aus den Erwägungen
1.
Der Gemeinderat B. hat seine Zuständigkeit im Entscheid vom
1. Februar 2016 verneint und ist auf das Gesuch um materielle Hilfe
nicht eingetreten. Zur Begründung wurde auf den rechtskräftigen Be-
schluss vom 23. November 2015 verwiesen. Die Beschwerdestelle
SPG hat dieses Vorgehen nicht beanstandet, da sich aus den Einga-
ben der Beschwerdeführerin nicht ergebe, dass sich ihre persönlichen
Verhältnisse erheblich verändert hätten. Die Adresse der Be-
schwerdeführerin sei unbekannt und sie habe nicht widerlegt, dass
sie sich seit dem 30. September 2014 vorwiegend bei ihrer Mutter in
Deutschland aufhalte. Im Ergebnis wurden nebst dem Unterstüt-
zungswohnsitz auch der unterstützungsrechtliche Aufenthalt der Be-
schwerdeführerin in B. und damit die Zuständigkeit für Nothilfe-
leistungen verneint. In der Sache mache die Beschwerdeführerin zum
Notfall keinerlei Angaben. Nachdem sie in jüngster Vergangenheit
nicht "mit Sack und Pack" auf der Gemeindeverwaltung erschienen
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
228
sei, könne der Sozialbehörde auch kein Versäumnis bezüglich der
Unterstützung bei der Wohnungssuche vorgeworfen werden.
2.
Zuständig und zur Hilfeleistung verpflichtet ist die Gemeinde
am Unterstützungswohnsitz, bei Personen ohne Unterstützungswohn-
sitz und im Notfall die Gemeinde am Aufenthaltsort der Hilfe
suchenden Person (§ 6 Abs. 1 SPG). Für die Bestimmung des Unter-
stützungswohnsitzes und des Aufenthaltsortes gelten im inner-
kantonalen Verhältnis unter den Gemeinden aufgrund von § 6 Abs. 3
SPG die Bestimmungen des ZUG.
3.
3.1.
Der unterstützungsrechtliche Wohnsitz gemäss Art. 4 ZUG ist
dem zivilrechtlichen (vgl. Art. 23 Abs. 1 ZGB) angeglichen. Für die
Beurteilung, ob ein Unterstützungswohnsitz begründet worden ist,
kann daher grundsätzlich auf die Lehre und Rechtsprechung zum
zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff abgestellt werden (W
ERNER
T
HOMET
, Kommentar zum ZUG, Zürich 1994, Rz. 95). Der einmal
begründete zivilrechtliche Wohnsitz bleibt bis zum Erwerb eines
neuen Wohnsitzes bestehen. Im Gegensatz dazu gibt es aufgrund der
abweichenden Regelung in Art. 9 Abs. 1 ZUG keinen fiktiven Unter-
stützungswohnsitz im Sinne von Art. 24 Abs. 1 ZGB. Die Beendi-
gung eines Unterstützungswohnsitzes ist daher ohne die Begründung
eines neuen möglich (T
HOMET
, a.a.O., Rz. 89; Botschaft zur Ände-
rung des Bundesgesetzes über die Zuständigkeit für die Unter-
stützung Bedürftiger vom 22. November 1989, 89.077, in: BBl 1990
I 63).
3.2.
Bis zum 30. September 2014 wohnte die Beschwerdeführerin in
der Mietwohnung ihrer Schwiegermutter in B.. Da diese in ein
Altersheim umzog, hatte die Beiständin der Schwiegermutter den
Mietvertrag gekündigt. Die Ausführungen in den vorinstanzlichen
Entscheiden, wonach die Beschwerdeführerin den Mietvertrag für
ihre Wohnung gekündigt hat, treffen nicht zu. Nach dem Verlust der
Wohngelegenheit hielt sich die Beschwerdeführerin gemäss eigenen
Angaben bei ihrer Mutter in Laufenburg (Deutschland) sowie
2016
Sozialhilfe
229
vorwiegend bei Freunden und Kollegen in B. auf. Gelegentlich habe
sie auch im Auto übernachtet. Nach eigener Darstellung besorgt die
Beschwerdeführerin für ihre Mutter die Wundpflege und kann in de-
ren Wohnung duschen und waschen. Schlafen könne sie auf dem
Sofa, jedoch könne sie dort nicht wohnen bleiben. Eine Anmeldung
bei der Gemeinde Laufenburg/Deutschland sei zudem nicht möglich.
Das Gesuch um Mietkostenbeitrag betraf nach den Angaben der
Beschwerdeführerin die Miete eines Kellers in Laufenburg
(Schweiz), damit sie ihre Möbel einstellen konnte. Diese hatte sie ge-
mäss eigener Darstellung zunächst in der Wohnung ihrer Mutter in
Laufenburg (Deutschland) untergebracht, wo jedoch der Platz nicht
ausreichte. Im Gesuch habe sie die Adresse der Mutter genannt.
3.3.
Es ist glaubhaft, dass sich die Beschwerdeführerin nach dem
Verlust der Wohngelegenheit am 30. September 2014 sowohl in Lau-
fenburg (Deutschland) als auch bei Freunden und Kollegen in B. auf-
hielt und jeweils an unterschiedlichen Orten übernachten konnte.
Weiter ist plausibel, dass die Beschwerdeführerin teilweise bei ihrer
Mutter unterkommen konnte, dass aber die Infrastruktur und Grösse
der Wohnung für eine längerfristige Bleibe nicht ausreichen. Damit
hält sich die Beschwerdeführerin seit der Wohnungskündigung wech-
selnd an unterschiedlichen Orten auf, ohne sich an einem Ort mit der
Absicht dauernden Verbleibens niederzulassen. Mit dem Verlust der
Wohngelegenheit, dem Transport der Möbel und dem wechselnden
Nachtlager liegt zuständigkeitsrechtlich ein Wegzug vor und ging der
bisherige Unterstützungswohnsitz unter (vgl. T
HOMET
, a.a.O.,
Rz. 148).
Es ist somit festzuhalten, dass der unterstützungsrechtliche
Wohnsitz der Beschwerdeführerin untergegangen war. Einen neuen
Unterstützungswohnsitz konnte die Beschwerdeführerin in B. auf-
grund der fehlenden Wohngelegenheit bisher nicht begründen. Dafür
nicht ausreichend ist das gelegentliche oder regelmässige Übernach-
ten bei Freunden und Kollegen, welche dort wohnen. Für die Wohn-
sitzbegründung erforderlich ist der physische Aufenthalt, d.h. der
Aufenthalt im Sinne des Wohnens; der blosse Wille genügt nicht
(vgl. VGE IV/84 vom 13. Dezember 2012 [WBE.2012.261],
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
230
Erw. II/3.1; D
ANIEL
S
TAEHELIN
, in: Basler Kommentar, Zivilgesetz-
buch I, Art. 1 - 456 ZGB, 5. Auflage, 2014, Art. 23 N 5).
4.
4.1.
Bei Personen ohne Unterstützungswohnsitz und im Notfall ist
die Gemeinde am Aufenthaltsort der Hilfe suchenden Person zur
wirksamen Hilfeleistung zuständig und verpflichtet (vgl. § 6 Abs. 1
SPG). Die Notfallhilfe umfasst gemäss § 5 Abs. 1 Satz 1 SPV die so-
fortige Hilfe in Notfallsituationen, insbesondere bei Erkrankung,
Unfall und plötzlicher Mittellosigkeit (vgl. F
ELIX
W
OLFFERS
, Grund-
riss des Sozialhilferechts, 2. Auflage, Bern 1999, S. 54). Der Aufent-
haltsort leistet situationsgerechte Notfallhilfe (§ 5 Abs. 1 Satz 2
SPV). Als Aufenthalt gilt die tatsächliche Anwesenheit in einer Ge-
meinde (§ 6 Abs. 3 SPG i.V.m. Art. 11 Abs. 1 ZUG). Der unter-
stützungsrechtliche Aufenthaltsort einer Person dient zur Bestim-
mung des fürsorgepflichtigen Gemeinwesens, wenn kein Unter-
stützungswohnsitz vorliegt (vgl. T
HOMET
, a.a.O., Rz. 168).
4.2.
Nach eigener Darstellung hält sich die Beschwerdeführerin re-
gelmässig in B. auf, wo sie Kollegen und Freundinnen hat, zu wel-
chen Kontakt besteht. Bei diesen will sie mehrfach übernachtet ha-
ben. Auch um dem Sohn bei den Hausaufgaben zu helfen, sei sie
öfters in B.. Seitens der Gemeinde wurde darauf hingewiesen, dass
die Beschwerdeführerin lediglich ihre Korrespondenz postlagernd in
B. habe. Dass sich die Beschwerdeführerin nur um die aufwändige
Wundpflege der Mutter kümmere, aber nicht hauptsächlich bei ihr,
sondern bei Kollegen oder im Auto unterkomme, sei nicht plausibel.
Gemäss eigenen Angaben suchte die Beschwerdeführerin seit
September 2014 erfolglos eine Wohnung, unter anderem in B. sowie
in den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Bei der Woh-
nungssuche sei sie durch Caritas unterstützt worden. Die Vertreter
der Gemeinde führten diesbezüglich aus, dass ihre Sozialbehörde
grundsätzlich keine Wohnungen für unterstützte Personen suche.
Dies liege in erster Linie in deren eigenen Verantwortung. Auch im
Falle der Beschwerdeführerin sei auf Möglichkeiten hingewiesen
und auf Inserate aufmerksam gemacht worden. Der Beschwerde-
2016
Sozialhilfe
231
führerin sei mitgeteilt worden, dass sie materielle Hilfe beanspruchen
könne, wenn sie eine Wohnung in B. gefunden habe.
4.3.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz war für die Annahme
des unterstützungsrechtlichen Aufenthalts in B. oder einer Notlage
nicht erforderlich, dass die Beschwerdeführerin auf der Gemeinde-
verwaltung gewissermassen "mit Sack und Pack" bzw. "mit dem
Koffer" vorsprach. Die Grundlage für eine derartige Behauptung ist
unerfindlich.
Seit ungefähr zwei Jahren bemüht sich die Beschwerdeführerin
vergeblich um eine Mietwohnung. Eigenen Angaben zufolge muss
sie nach wie vor abwechslungsweise an verschiedenen Orten, d.h. bei
der Mutter oder bei Kollegen und Bekannten, übernachten, auf deren
Wohlwollen sie angewiesen ist. Dass sie nicht dauerhaft bei der
Mutter in Laufenburg (Deutschland) bleiben kann, ist glaubhaft (vgl.
vorne Erw. 3.3). Abgesehen davon kann von der bedürftigen Be-
schwerdeführerin kaum erwartet werden, dass sie sich im Ausland
niederlässt. Zutreffend ist zwar, dass die Beschwerdeführerin von der
Einwohnerkontrolle mehrfach vergeblich aufgefordert wurde, sich zu
melden, und dass mehrere Gespräche bei den Sozialen Diensten statt-
fanden. Es gab indessen nie Anlass zur Annahme, dass sich die
persönliche Situation der Beschwerdeführerin verbessert oder gar
normalisiert hatte. Mit dem erneuten Gesuch um materielle Hilfe
vom 20. Januar 2016 gab die Beschwerdeführerin klar zu verstehen,
dass sie unverzüglich Hilfeleistungen benötigte. Zu diesem Zeitpunkt
war insbesondere zu prüfen, ob gegenüber dem Entscheid vom
23. November 2015 veränderte Verhältnisse vorlagen und/oder ob
ein unterstützungsrechtlicher Aufenthalt gegeben war. Nach eigener
Darstellung hatte die Beschwerdeführerin niemals die Absicht, einen
Wohnkostenbeitrag für die Wohnung der Mutter in Laufenburg
(Deutschland) erhältlich zu machen. Der Betrag hätte der Miete eines
Kellerabteils auf Schweizer Seite dienen sollen, um Möbel einzustel-
len. Unabhängig davon, wie es sich im Einzelnen verhält, konnte un-
ter diesen Umständen nicht ausreichen, ohne weitere Abklärungen
und Begründung pauschal auf den Nichteintretensentscheid vom
23. November 2015 zu verweisen. Mithin bestand keine Gewissheit,
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
232
ob die Beschwerdeführerin bei der Mutter unterkommen konnte.
Nach den Angaben der Beschwerdeführerin haben sich ihre persönli-
chen Verhältnisse auch nach dem achtwöchigen stationären Aufent-
halt in der psychiatrischen Klinik in E. (Eintritt am 12. Februar 2016)
nicht verändert.
Angesichts des Zuzugs der Beschwerdeführerin im Juli 2013
sowie der Kontakte zum Sohn sowie zu Freunden und Bekannten in
B. ist davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin nach wie
vor regelmässig in der Gemeinde aufhält. In Laufenburg (Schweiz)
befindet sich nach den Angaben der Beschwerdeführerin lediglich
das Möbellager. Bei der Mutter in Laufenburg (Deutschland) kann
sie nicht dauerhaft bleiben, wobei die Annahme eines grenzüber-
schreitenden Wegzugs aufgrund der Bedürftigkeit und des Gesund-
heitszustands der Beschwerdeführerin ohnehin problematisch wäre.
Unter Würdigung dieser Umstände und mangels Alternativen (d.h.
anderer Gemeinden, zu denen die Beschwerdeführerin aktuell einen
zumindest ebenso engen Bezug hätte) hat sie daher unterstützungs-
rechtlichen Aufenthalt in der Gemeinde B.. Damit ist diese zur
Notfallhilfe zuständig.
5.
5.1.
Die Notfallhilfe umfasst die sofortige Hilfe in Notfallsituatio-
nen, insbesondere bei Erkrankung und plötzlicher Mittellosigkeit
(§ 5 Abs. 1 Satz 1 SPV). Im Rahmen des verfassungsmässigen
Rechts auf Hilfe in Notlagen gemäss Art. 12 BV besteht Anspruch
auf ein menschenwürdiges Obdach. Eine Notunterkunft kann kurz-
fristig insbesondere in einem Hotelzimmer bestehen. Bei Bedarf ist
die Wohnungssuche aktiv durch die Gemeinde zu unterstützen (vgl.
§ 8 SPG; VGE III/20 vom 26. Februar 2016 [WBE.2015.367],
Erw. II/2.5). Mit zunehmender Dauer der materiellen Notlage
verdichtet sich der Anspruch auf Obdach zu einem Recht auf Zutei-
lung bzw. Vermittlung von Wohnraum, in welchem eine selbständige
Haushaltsführung möglich ist (K
ATHRIN
A
MSTUTZ
, Das Grundrecht
auf Existenzsicherung, Bern 2002, S. 236).
5.2.
2016
Sozialhilfe
233
Die Beschwerdeführerin verfügt nach glaubhafter Darstellung
über keine dauerhafte Bleibe und ist für die Übernachtungen auf das
Entgegenkommen ihrer Mutter sowie von Freunden und Bekannten
angewiesen. Damit besteht Anspruch, dass ihr kurzfristig eine men-
schenwürdige Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. Aufgrund der
langen Dauer des flottanzähnlichen Zustands sowie des kürzlichen
stationären Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik dürfte sich na-
mentlich die vorübergehende Einquartierung in einer Zivilschutz-
anlage oder dergleichen als unzumutbar erweisen.
Nach den Angaben der Beschwerdeführerin erhält sie - abge-
sehen von Beiträgen für ihr Mobiltelefon, die Kellermiete und die
Haftpflichtversicherung - gegenwärtig keine Unterstützung. Soweit
die Beschwerdeführerin mittellos ist, ist mit der Notfallhilfe sicher-
zustellen, dass sie unverzüglich über die erforderlichen Mittel zur
Deckung ihrer Grundbedürfnisse, d.h. insbesondere für Nahrung,
Kleidung und medizinische Grundversorgung, verfügt.
Nachdem sich die Beschwerdeführerin seit rund zwei Jahren
vergeblich um eine Mietwohnung bemühte und wiederholt Gesprä-
che bei den Sozialen Diensten stattfanden, kann nicht mehr ausrei-
chen, ihr generelle Ratschläge zu erteilen und sie beispielsweise auf
Wohnungsinserate hinzuweisen. Vielmehr haben die Sozialen
Dienste die Beschwerdeführerin zu betreuen und bei der Wohnungs-
suche aktiv zu unterstützen (vgl. § 8 SPG). Diese Unterstützung kann
insbesondere bei der Kontaktnahme mit Vermietern, in Form von Si-
cherheitsleistungen oder mit der Zusicherung des Mietzinses erfol-
gen. Gegebenenfalls können für einen Umzug situationsbedingte
Leistungen gewährt werden. | 2,972 | 2,511 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-37_2016-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-37.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-37.pdf | AGVE_2016_37 | null | nan |
a9a5aebb-5a59-5681-8615-1c79db75c893 | 1 | 412 | 870,615 | 1,464,825,600,000 | 2,016 | de | 2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
150
[...]
24
Zustelladresse; Zustellfiktion; Annahmeverweigerung
Bleibt ein Betroffener untätig, obwohl er weiss, oder wissen müsste, dass
an der bekanntgegebenen Zustelladresse eine Postsendung nur durch per-
sönliche Übergabe erfolgen kann, ist er gleich zu behandeln, wie wenn er
die Annahme der Postsendung verweigert hätte.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 30. Juni
2016, in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integration
(WBE.2016.206).
2016
Migrationsrecht
151
Aus den Erwägungen
4.
Das Bundesgericht hat in konstanter und seit Jahren geltender
Rechtsprechung festgehalten, unter welchen Umständen eine Post-
sendung als zugestellt gilt, auch wenn ein Empfänger von deren In-
halt keine Kenntnis erlangt hat. Diese Praxis wurde durch den
Gesetzgeber in die Schweizerische Zivilprozessordnung übernom-
men, ist aber analog auch im Verwaltungsverfahren anwendbar. Ge-
mäss Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO gilt die Zustellung eines Entscheids
bei einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden
ist, als am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch er-
folgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste. Glei-
ches gilt, gemäss Art. 138 Abs. 3 lit. b ZPO, wenn ein Adressat die
Annahme verweigert, wobei die Postsendung in diesem Fall als
am Tag der Annahmeverweigerung zugestellt gilt (sog. Zustellfik-
tion; vgl. dazu J
ULIA
G
SCHWEND
/R
EMO
B
ORNATICO
, in: Basler
Kommentar, 2. Auflage, Basel 2013, Art. 138 ZPO, N 17 ff.). Die
Formulierung "nicht abgeholt worden ist" suggeriert, dass dem
Empfänger die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Postsendung ab-
zuholen, wobei diese Abholmöglichkeit in der Praxis dadurch einge-
räumt wird, dass die Post dem Empfänger eine Abholungseinladung
in seinen Briefkasten oder in sein Postfach legt. Die Annahmever-
weigerung setzt in der Regel voraus, dass der Empfänger zwar ange-
troffen wird, sich jedoch weigert, die Postsendung entgegen zu neh-
men. Ziel der Zustellfiktion ist es unter anderem, Verfahrensverzöge-
rungen durch Parteien, die Postsendungen nicht entgegennehmen, zu
verhindern.
Damit Behörden und Gerichte postalische Zustellungen vorneh-
men können, haben die Parteien eine Zustelladresse zu bezeichnen
und sicherzustellen, dass die Postzustellung an der genannten
Adresse erfolgen kann. Strengt ein Betroffener ein Verfahren an und
gibt eine Zustelladresse bekannt, ist er damit in ein Prozessrechtsver-
hältnis eingetreten und muss sicherstellen, dass die postalische Zu-
stellung möglich ist. Zudem hat er mit postalischen Zustellungen zu
rechnen. Dies jedenfalls dann, wenn das Verfahren nicht über längere
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
152
Zeit ruht. Kann eine Zustellung durch die Post nicht vorgenommen
werden, weil der Empfänger an der angegebenen Zustelladresse nicht
betroffen werden kann oder über keinen Briefkasten bzw. kein Post-
fach verfügt, hat er die Konsequenzen der nichtdurchführbaren Zu-
stellung zu tragen (Urteil des Bundesgerichts vom 18. Oktober 2010
[2C_666/2010]).
Aufgrund der früher erfolgten polizeilichen Zustellung des Ein-
spracheentscheids musste der Beschwerdeführer wissen, dass der
Postweg für ihn verschlossen war. Es wäre seine Pflicht gewesen, der
Frage nachzugehen, weshalb ihm keine Postsendungen mehr zuge-
stellt werden. Dabei hätte er, gleich wie das Verwaltungsgericht, von
der Post die Auskunft erhalten, dass er über einen beschrifteten
Briefkasten verfügen und seine Adresssperre wieder aufgehoben
werden müsse. Um Postzustellungen wieder zu erhalten, hätte der
Beschwerdeführer demnach zuerst einen Briefkasten mit seinem
Namen installieren und danach die Adresssperre bei der Post aufhe-
ben lassen müssen. Dies hat er jedoch unterlassen, obwohl er selber
durch Einreichen einer Beschwerde ein Prozessrechtsverhältnis ein-
gegangen ist, mit der Zustellung von Postsendungen rechnen musste
und verpflichtet war, dafür zu sorgen, dass ihm Postsendungen zuge-
stellt werden können. Der Beschwerdeführer hat auch keine anderen
Vorkehrungen getroffen, dass ihm Postsendungen zugestellt werden
können (z.B. Angabe eines Postfaches oder Orientierung der Post,
dass ihm an der genannten Adresse zumindest eingeschriebene Post-
sendungen persönlich übergeben werden können).
Eine erste Zustellung der Kostenvorschussverfügung an die
durch den Beschwerdeführer genannte Adresse scheiterte am 18. Mai
2016. Die Zustellung an die durch das Verwaltungsgericht ermittelte
mögliche Alternativadresse scheiterte ebenfalls. Die Zustellung der
zweiten Verfügung am 13. Juni 2016, mit welcher dem Beschwerde-
führer eine letzte Frist zur Begleichung des Kostenvorschusses ange-
setzt wurde, blieb ebenso erfolglos.
Gibt ein Betroffener eine Zustelladresse bekannt, obschon er
dort über keinen Briefkasten verfügt, kann die Zustellung nur durch
persönliche Übergabe der Postsendung erfolgen. Weiss ein Betroffe-
ner oder müsste er wissen, dass die normale Postzustellung nicht
2016
Migrationsrecht
153
mehr funktioniert und unternimmt er nichts, um den Mangel zu behe-
ben, ist er gleich zu behandeln, wie wenn er die Annahme der Post-
sendung verweigert hätte.
Mit anderen Worten gilt die Verfügung vom 13. Juni 2016, mit
welcher dem Beschwerdeführer eine letzte, nicht ersteckbare Frist
von 10 Tagen zur Bezahlung des Kostenvorschusses angesetzt
wurde, wegen Annahmeverweigerung als am 13. Juni 2016 zuge-
stellt. (...) | 1,180 | 987 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-24_2016-06-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-24.pdf | AGVE_2016_24 | null | nan |
a9aedc11-6d8b-54f0-b8c2-c03330af9d33 | 1 | 412 | 871,542 | 1,406,851,200,000 | 2,014 | de | 2014
Strassenverkehrsrecht
59
I. Strassenverkehrsrecht
7
§§ 41 und 49 VRPG; materielle Rechtskraft; Bindungswirkung
Dem formell rechtskräftigen Rechtsmittelentscheid von Verwaltungsbe-
hörden kommt insofern materielle Rechtskraft zu, als die darin ange-
ordneten Massnahmen in einem neuen Verfahren nicht mehr auf ihre
Rechtmässigkeit hin überprüft werden dürfen. Zwischenentscheide er-
wachsen grundsätzlich nicht in materielle Rechtskraft und können im
Laufe des Verfahrens abgeändert werden; haben sie aber ein Rechts-
mittelverfahren durchlaufen, ist die verfahrensleitende Behörde an den
Rechtsmittelentscheid zumindest solange gebunden, wie sich die Verhält-
nisse nicht ändern. Keine materielle Rechtskraft entfalten in der Regel
Rückweisungsentscheide. Die Bindung an den Rückweisungsentscheid
ergibt sich nicht aus dessen Rechtskraft, sondern aus der Hierarchie der
Instanzen und der Einheit des Verfahrens. Der Neuentscheid eröffnet
einen neuen Rechtsmittelweg.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 13. August
2014 in Sachen H.S. gegen das Departement Volkswirtschaft und Inneres
(WBE.2014.162).
Aus den Erwägungen
I.
1. (...)
2.
2.1.
Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bildet u.a.
der mit Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 29. Januar 2014
angeordnete vorsorgliche Sicherungsentzug des Führerausweises bis
zur Abklärung von Ausschlussgründen mittels verkehrspsychiatri-
scher Begutachtung. Allerdings hätte das Strassenverkehrsamt am
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
60
29. Januar 2014 nicht noch einmal einen vorsorglichen Siche-
rungsentzug des Führerausweises zu verfügen brauchen. Mit dem
formell rechtskräftigen, vom Verwaltungsgericht und vom Bundesge-
richt bestätigten Entscheid des DVI vom 7. Dezember 2012, wonach
der Führerausweis des Beschwerdeführers bis zur Abklärung von
Ausschlussgründen vorläufig entzogen bleibe (Dispositiv-Ziffer 2),
lag und liegt bereits ein gültiger Rechtstitel für den vorsorglichen
Entzug des Führerausweises des Beschwerdeführers vor. Im Unter-
schied zur unangefochten gebliebenen Verfügung des Strassenver-
kehrsamts vom 13. März 2012, welche mit der Durchführung der
verkehrspsychiatrischen Begutachtung (Gutachten von Dr. med. A.
vom 1. Juni 2012) hinfällig bzw. von der Verfügung des Strassenver-
kehrsamts vom 14. September 2012 mit dem darin vorgesehenen
(später jedoch wieder aufgehobenen) definitiven Sicherungsentzug
des Führerausweises abgelöst wurde, kommt dem Rechtsmittelent-
scheid des DVI vom 7. Dezember 2012 nicht nur formelle, sondern
auch materielle Rechtskraft zu. Das bedeutet, dass die vom DVI mit
Entscheid vom 7. Dezember 2012 angeordnete, von einem definiti-
ven wieder in einen (fortwährenden) vorsorglichen Führeraus-
weisentzug (gemäss Verfügung des Strassenverkehrsamts vom
13. März 2012) umgewandelte Administrativmassnahme in einem
neuen Verfahren nicht mehr materiell beurteilt bzw. auf ihre Recht-
mässigkeit hin überprüft werden darf (Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 4. Oktober 2011; E-2405/2011, Erw. 4.3.2; A
LFRED
K
ÖLZ
/I
SABELLE
H
ÄNER
/M
ARTIN
B
ERTSCHI
, Verwaltungsverfahren
und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Auflage, Zürich/
Basel/Genf 2013, S. 414). Zwar erwachsen Zwischenentscheide wie
die Anordnung eines vorsorglichen Sicherungsentzugs des Führer-
ausweises grundsätzlich nicht in materielle Rechtskraft und können
im Laufe des Verfahrens abgeändert werden; haben sie aber ein
Rechtsmittelverfahren durchlaufen, ist die verfahrensleitende Be-
hörde an den Rechtsmittelentscheid zumindest solange gebunden,
wie sich die Verhältnisse nicht ändern (M
ICHAEL
M
ERKER
, Rechts-
mittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen
Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den
§§ 38-72 [a]VRPG, Diss. Zürich 1998, § 38 N 56).
2014
Strassenverkehrsrecht
61
Dass sich die Verhältnisse seit dem 7. Dezember 2012 in
tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht geändert hätten, wird vom Be-
schwerdeführer nicht dargetan. Insbesondere macht er nicht geltend,
seit dem 7. Dezember 2012 sei mit Blick auf seine Person eine (für
ihn günstige) Entwicklung eingetreten, aufgrund welcher die Voraus-
setzungen für einen vorsorglichen Sicherungsentzug seines Führer-
ausweises nachträglich entfallen seien.
(...)
Soweit also die Beschwerde ans DVI gegen den in der Verfü-
gung des Strassenverkehrsamts vom 29. Januar 2014 geregelten vor-
sorglichen Sicherungsentzug des Führerausweises des Beschwer-
deführers gerichtet war, ist die Vorinstanz aufgrund der materiellen
Rechtskraft ihres früher ergangenen Entzugsentscheids zu Recht
nicht darauf eingetreten.
(...)
2.2.
Anders ist die Lage im Hinblick auf die vom Strassenverkehrs-
amt am 29. Januar 2014 verfügte verkehrspsychiatrische Begutach-
tung zur Abklärung der Fahreignung des Beschwerdeführers zu beur-
teilen. Diesbezüglich gibt es bis anhin keinen (materiell) rechtskräfti-
gen Entscheid, welcher einer materiellen Beurteilung der vorliegen-
den Beschwerde entgegenstehen würde. Das DVI erwog zwar im
Entscheid vom 7. Dezember 2012, es sei in Anbetracht der fest-
gestellten Alkoholabstürze und der kontrollbedürftigen CDT-Werte
(während der Abstinenzkontrolldauer) erforderlich, dass der Be-
schwerdeführer nochmals einer eingehenden fachärztlichen Untersu-
chung unterzogen werde, welche Aufschluss über seine Fahreignung
geben werde. Auf einen reformatorischen Entscheid hat dann aber
das DVI in diesem Bereich verzichtet und stattdessen die Sache mit
einem kassatorischen Entscheid zur Neubeurteilung der Fahreig-
nungsabklärung an das Strassenverkehrsamt zurückgewiesen. Mit
der Verfügung vom 29. Januar 2014 hat das Strassenverkehrsamt die
Sache anschliessend neu beurteilt. Dass das Strassenverkehrsamt
dabei allenfalls an die Erwägungen im Entscheid des DVI vom
7. Dezember 2012 gebunden war und nicht mehr frei über die Anord-
nung einer verkehrspsychiatrischen Begutachtung als solche, sondern
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
62
lediglich noch über die mit der Begutachtung zu betrauende Untersu-
chungsstelle und die Modalitäten der Begutachtung befinden konnte,
worauf weiter unten zurückzukommen sein wird (vgl. Erw. II/3 hier-
nach), heisst nicht, dass dem Entscheid des DVI punkto Fahr-
eignungsabklärung materielle Rechtskraft einzuräumen wäre.
Rückweisungsentscheide zeichnen sich dadurch aus, dass der unteren
Instanz verbindliche Weisungen für den Neuentscheid erteilt werden.
Dennoch entfaltet der Rückweisungsentscheid in der Regel keine
(materielle) Rechtskraft (M
ERKER
, a.a.O., § 58 N 32; K
ÖLZ
/H
ÄNER
/
B
ERTSCHI
, a.a.O., S. 405). Die Bindung an den Rückweisungsent-
scheid ergibt sich nicht aus dessen Rechtskraft, sondern aus der
Hierarchie der Instanzen und der Einheit des Verfahrens
(K
ÖLZ
/H
ÄNER
/B
ERTSCHI
, a.a.O., S. 405). Entsprechend kann der
Entscheid der mit der Streitsache erneut befassten unteren Instanz
wiederum angefochten werden. Der Neuentscheid eröffnet einen
neuen Rechtsmittelweg (vgl. M
ARCO
D
ONATSCH
, in: A
LAIN
G
RIFFEL
;
H
RSG
.; Kommentar VRG ZH, 3. Auflage, Zürich/Basel/
Genf 2014, § 64 N 19 ff.). Wie weit die Bindungswirkung des Rück-
weisungsentscheides im vorliegenden Fall geht, ist im Rahmen der
materiellen Beurteilung der Beschwerde gegen die verkehrs-
psychiatrische Begutachtung des Beschwerdeführers zu klären.
(...)
II.
1. - 2. (...)
3.
3.1.
Rückweisungsentscheide heben einen vorinstanzlichen Ent-
scheid auf und weisen die Streitsache zur neuerlichen Beurteilung an
die Vorinstanz zurück. Die materiellen Erwägungen im Rück-
weisungsentscheid binden die Vorinstanz wie auch die Rechtsmittel-
instanz(en), sollte(n) die letztere(n) gegen den Neuentscheid in
einem zweiten Rechtsgang erneut angerufen werden (M
ERKER
,
a.a.O., § 38 N 61 f.). Damit wird verhindert, dass über dieselbe recht-
liche Streitfrage ein zweites Verfahren stattfindet (M
ARCO
D
ONATSCH
, a.a.O., § 64 N 14). Die Bindungswirkung erstreckt sich
indes nur auf die Erwägungen mit Dispositivcharakter bzw. die ent-
2014
Strassenverkehrsrecht
63
scheidrelevanten Erwägungen des Rückweisungsentscheids; andere
Hinweise, wie nach Ansicht der übergeordneten Instanz der Fall zu
lösen wäre, sind für die Vorinstanz nicht verbindlich. Ebenso wenig
haben obiter dicta Bindungswirkung (M
ERKER
, a.a.O., § 58 N 35;
D
ONATSCH
, a.a.O., § 64 N 15; K
ÖLZ
/H
ÄNER
/B
ERTSCHI
, a.a.O.,
S. 405). Die Vorinstanz und die Rechtsmitteilinstanz(en) sind ferner
dann nicht mehr an die Erwägungen im Rückweisungsentscheid ge-
bunden und können neu und vor allem anders entscheiden, wenn ge-
setzliche Grundlagen, die Rechtsprechung oder die tatsächlichen Ver-
hältnisse während des weiteren Verfahrensgangs ändern (M
ERKER
,
a.a.O., § 58 N 32; D
ONATSCH
, a.a.O., § 64 N 24).
3.2.
Das DVI begründete den Entscheid vom 7. Dezember 2012, mit
welchem die Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 14. Septem-
ber 2012 betreffend definitiver Sicherungsentzug des Führerauswei-
ses des Beschwerdeführers aufgehoben und zur Neubeurteilung der
Sache ans Strassenverkehrsamt zurückgewiesen wurde, wie bereits
erwähnt, mit der fehlenden Schlüssigkeit bzw. der Unzulänglichkeit
des verkehrspsychiatrischen Gutachtens von Dr. med. A. vom 1. Juni
2012. Gleichzeitig betonte das DVI die Notwendigkeit dessen, dass
sich der Beschwerdeführer aufgrund fortbestehender Anzeichen für
eine verkehrsmedizinisch relevante Alkoholproblematik (festgestellte
Alkoholabstürze und kontrollbedürftige CDT-Werte) nochmals einer
eingehenden verkehrspsychiatrischen Begutachtung zur Abklärung
seiner Fahreignung zu unterziehen habe. Es müsse durch ein neues
Gutachten eines anderen Gutachters aufgezeigt werden, welche
Massnahme (gegenüber dem Beschwerdeführer) gerechtfertigt sei,
um die Verkehrssicherheit zu garantieren. Aus diesen Erwägungen
erhellt, dass das DVI den Entscheid, ob der Beschwerdeführer ein
weiteres Mal verkehrspsychiatrisch zu begutachten ist, nicht dem Er-
messen des Strassenverkehrsamts anheim stellen wollte. Vielmehr
wurde das Strassenverkehrsamt angewiesen, die notwendigen
Schritte für die vom DVI als notwendig eingestufte verkehrs-
psychiatrische Begutachtung in die Wege zu leiten. Von einer Rück-
weisung zur Neubeurteilung ohne jegliche verbindlichen Vorgaben
der Rechtsmittelinstanz, wie sie der Beschwerdeführer in den
2014
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
64
Rückweisungsentscheid hineininterpretieren will, bloss weil im
Dispositiv (...) nicht festgelegt wurde, dass die Sache zur Neu-
beurteilung "im Sinne der Erwägungen" zurückgewiesen werde,
kann somit keine Rede sein. Der Grund dafür, weshalb das DVI nicht
reformatorisch entschieden und die verkehrspsychiatrische Begut-
achtung selber angeordnet hat, wird darin liegen, dass es dem
Strassenverkehrsamt die Auswahl der Untersuchungsstelle und die
Regelung der Modalitäten der Begutachtung überlassen.
Mit dem Rechtsmittelentscheid des Verwaltungsgerichts vom
30. April 2013 wurden der Rückweisungsentscheid des DVI und die
darin enthaltenen Vorgaben für die Neubeurteilung der Sache bestä-
tigt.
Als letzte Instanz entschied das Bundesgericht am 7. Januar
2014, dass der Rückweisungsentscheid des DVI nicht zu beanstan-
den sei. Unter Bezugnahme auf zwei beträchtliche Alkoholabstürze
des Beschwerdeführers unmittelbar vor und nach der Eröffnung der
Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 25. November 2011 (be-
treffend die Belassung des Führerausweises unter der Auflage der
ärztlich kontrollierten Alkoholabstinenz) führte das Bundesgericht
aus, dass Bedenken an der Fahreignung auch unabhängig von ein-
schlägigen Verfehlungen des Beschwerdeführers im Strassenverkehr
aufkommen könnten, was der Beschwerdeführer übersehe
(Erw. 3.3.2). Das Bundesgericht teilte die Auffassung des Verwal-
tungsgerichts und des DVI, wonach ein neues verkehrspsychiatri-
sches Gutachten zur Fahreignung des Beschwerdeführers eingeholt
werden müsse (Erw. 4.2).
3.3.
Sowohl das Strassenverkehrsamt als auch alle Rechtsmittelin-
stanzen samt Bundesgericht sind nach dem in Erw. 3.1 Gesagten an
die in den oben angeführten Entscheiden eingenommene Sichtweise
gebunden, dass die verkehrspsychiatrische Begutachtung des Be-
schwerdeführers zu wiederholen ist. Das Strassenverkehrsamt hätte
daher höchstens dann von der Anordnung einer nochmaligen
Fahreignungsuntersuchung absehen können, wenn sich die Verhält-
nisse zwischen dem Rückweisungsentscheid des DVI vom 7. De-
zember 2012 und dem Verfügungszeitpunkt (29. Januar 2014)
2014
Strassenverkehrsrecht
65
massgeblich zu Gunsten des Beschwerdeführers verändert hätten.
Davon kann jedoch aus den nachfolgenden Gründen nicht ausgegan-
gen werden.
(...)
Damit blieb dem Strassenverkehrsamt im Verfügungszeitpunkt
nichts weiter, als auf den Rückweisungsentscheid des DVI und die
Rechtsmittelentscheide des Verwaltungsgerichts und des Bundesge-
richts hin eine weitere verkehrspsychiatrische Begutachtung des Be-
schwerdeführers anzuordnen, ohne dass für eine neuerliche Prüfung
der Voraussetzungen einer Fahreignungsabklärung (durch das Stras-
senverkehrsamt) noch Raum vorhanden gewesen wäre. Mit einem
anderslautenden Entscheid hätte sich das Strassenverkehrsamt über
verbindliche Weisungen übergeordneter Instanzen hinweggesetzt.
Der Entscheidungsspielraum des Strassenverkehrsamts war unter
diesen Vorzeichen auf die Bestimmung des Gutachters und die
Formulierung der dem Gutachter zu unterbreitenden Fragen limitiert. | 3,061 | 2,344 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2014-7_2014-08-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-7.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-7.pdf | AGVE_2014_7 | null | nan |
a9c37d9b-930f-57f6-a788-f5960e7a8d9f | 1 | 412 | 870,431 | 957,139,200,000 | 2,000 | de | 2000
Kostenverteilung zwischen jur. Personen des öffentlichen Rechts
97
I. Kostenverteilung zwischen jur. Personen des
öffentlichen Rechts
30
Beteiligung der Gemeinden an den Kosten des Regionalverkehrs.
- Rechtsgleichheit in der Gesetzgebung (Erw. 2)
- Abweichen vom Legalitätsprinzip im Härtefall gemäss § 13 ÖVD
(Einzelfallgerechtigkeit) ? (Erw. 3)
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 18. Mai 2000 in
Sachen Einwohnergemeinde Suhr gegen Regierungsrat.
Sachverhalt
Gestützt auf ÖVG und ÖVD verfügte der Regierungsrat für die
Gemeinde Suhr den zu leistenden Gemeindebeitrag an die Kosten
des öffentlichen Regionalverkehrs. Die Gemeinde Suhr zweifelte
nicht an der Richtigkeit der Berechnung, beantragte aber mit Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde, die Bahnfahren ab Suhr seien zwar
dreifach zu zählen, aber nur zu 50 % anzurechen.
Aus den Erwägungen
2. a) Die Einwohnergemeinde Suhr macht geltend, die undiffe-
renzierte Anwendung der Bestimmungen des ÖVD führe unter Be-
rücksichtigung des Umstandes, dass rund die Hälfte der Wohnbevöl-
kerung im Aarauer Feld Wohnsitz habe und damit aus den Bahnab-
fahrten absolut keinen Nutzen ziehe, sowie mit Blick auf die Tatsa-
che, dass drei Verkehrsträger dieselben und im Übrigen ungenügen-
den Leistungen erbrächten, zu einem für die Einwohnergemeinde
Suhr stossenden Ergebnis und zu einer ungerechtfertigten Benach-
2000
Verwaltungsgericht
98
teiligung gegenüber den anderen Gemeinden, insbesondere B., A.
und W. Damit wird sinngemäss der Einwand erhoben, die Regelung
im ÖVD wirke sich zumindest für die Einwohnergemeinde Suhr
rechtsungleich aus.
b) Das Rechtsgleichheitsgebot gilt in der Schweiz seit jeher un-
bestritten für Rechtssetzung und Rechtsanwendung (Georg Müller,
in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidge-
nossenschaft, Basel, Zürich, Bern 1991 [Kommentar BV], Art. 4
Rz. 30; Arthur Haefliger, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze
gleich, Bern 1985, S. 60 f.). Ein Erlass verletzt den Grundsatz der
Rechtsgleichheit und damit Art. 8 Abs. 1 BV, wenn er rechtliche
Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu
regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen
unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Die
Rechtsgleichheit ist verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe
seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner
Ungleichheit ungleich behandelt wird; vorausgesetzt ist, dass sich
der unbegründete Unterschied oder die unbegründete Gleichstellung
auf eine wesentliche Tatsache bezieht. Die Frage, ob für eine recht-
liche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden
Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschiedenen Zeiten verschie-
den beantwortet werden je nach den herrschenden Anschauungen
und Zeitverhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser
Grundsätze und des Willkürverbots ein weiter Spielraum der Gestal-
tungsfreiheit (BGE 124 II 213; 121 I 104; 118 IV 195; Müller, Kom-
mentar BV, a.a.O., Art. 4 Rz. 32).
c) Das Bundeseisenbahngesetz (EBG) vom 20. Dezember 1957
in Verbindung mit der Verordnung über Abgeltungen, Darlehen und
Finanzhilfen nach Eisenbahngesetz (Abgeltungsverordnung, ADFV)
vom 18. Dezember 1995 sowie der Verordnung über die Anteile der
Kantone an die Abgeltungen und Finanzhilfen im Regionalverkehr
(KAV) vom 18. Dezember 1995 hat einen massgeblichen Einfluss
auf die Gesetzgebung der Kantone im Bereich des öffentlichen Ver-
2000
Kostenverteilung zwischen jur. Personen des öffentlichen Rechts
99
kehrs, da Lastenverschiebungen zuungunsten der Kantone vorge-
nommen und Subventionsvoraussetzungen normiert wurden.
- Der Kanton Aargau hat gestützt auf die bundesrechtlichen
Vorgaben mit Änderung des ÖVG vom 5. März 1996 die
Grundsätze der Kostenverteilung im öffentlichen Verkehr wie
folgt geregelt:
- Die Gemeinden beteiligen sich an den Aufwendungen des
Kantons für den Regionalverkehr - mit Ausnahme der Son-
derleistung - im Umfang von bis zu einem Drittel (Gemeinde-
anteil, § 5 Abs. 2 ÖVG).
- Der Gemeindeanteil wird nach dem Kriterium der Verkehrsbe-
dienung und der Einwohnerzahl unter den Gemeinden aufge-
teilt (§ 5 Abs. 2 ÖVG).
- Sonderleistungen des Regionalverkehrs werden speziell gere-
gelt (§ 5 Abs. 2 und 3 ÖVG).
- Im Agglomerationsverkehr übernimmt der Kanton einen Anteil
von 20 bis 35 % der anerkannten ungedeckten Betriebskosten
(§ 6 Abs. 3 ÖVG).
- Der Grosse Rat bestimmt die Höhe der Beteiligung der Ge-
meinde am Regionalverkehr sowie des Kantons im Agglome-
rationsverkehr in einem Dekret (§§ 5 Abs. 3, 6 Abs. 3 und 8
ÖVG).
(Vgl. dazu Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau
an den Grossen Rat betreffend das Dekret über die Beteiligung von
Kanton und Gemeinden an den Kosten des Öffentlichen Verkehrs
[ÖVD] vom 18. Dezember 1996 [im Folgenden: Botschaft ÖVD]).
Das ÖVG nennt als massgebliche Faktoren für die Bestimmung
des Beitrags einer Gemeinde an die Kosten des Regionalverkehrs die
Verkehrsbedienung sowie die Einwohnerzahl (§ 5 Abs. 2 ÖVG).
Bedienungsfaktor und Einwohnerfaktor stellen die rechnerischen
Grössen dar, um den Beitragssatz einer Gemeinde zu bestimmen. Der
Bedienungsfaktor entspricht der Anzahl Kursabfahrten aus einer Ge-
meinde, bezogen auf einen festgelegten Zeitraum; gezählt wird die
2000
Verwaltungsgericht
100
Abfahrt eines Kurses aus der Gemeinde, nicht etwa die Zahl der
Abfahrten von einzelnen Haltestellen. Da Zentrumsgemeinden oder
Gemeinden mit Knotenfunktion in der Regel eine überdurchschnittli-
che Anzahl an Kursabfahrten aufweisen, von denen aber in starkem
Ausmass auch andere Gemeinden profitieren, wurde bei der Konkre-
tisierung der Vorgaben des ÖVG in § 9 Abs. 1 ÖVD ein Dämpfungs-
faktor eingeführt, der gewährleisten soll, dass die steigende Anzahl
an Kursabfahrten die Verteilzahl nicht linear erhöht, sondern die
Belastung der Gemeinden mit steigendem Angebot degressiv verläuft
(eine 10fache Erhöhung der Abfahrten erhöht den Bedienungsfaktor
nicht um 10, sondern bloss um den Faktor 4; vgl. § 9 Abs. 4 ÖVD).
Dasselbe gilt sinngemäss für den Einwohnerfaktor, welcher
sicherstellen soll, dass die Einwohnerzahl nicht direkt als Quotient
übernommen, sondern um den Faktor p gedämpft wird (§ 11 ÖVD).
Die Einführung von Dämpfungsfaktoren und vor allem deren Ge-
wichtung wurde in der Verkehrskommission gestützt auf Berech-
nungsvarianten des Baudepartements, Abteilung Verkehr, im Zu-
sammenhang mit der Erarbeitung des ÖVD eingehend diskutiert
(vgl. Protokoll der Verkehrskommission des Grossen Rates vom
14. Dezember 1995, S. 158 ff.); dabei war klar, dass eine Verteilregel
immer zu gewissen Pauschalierungen führt und kaum je die einzig
richtige sein kann (vgl. Protokoll der Verkehrskommission des Gros-
sen Rates vom 14. Dezember 1995, S. 158, Votum Howald). Der
Gesetzgeber hat sich trotzdem auf die heute gültige Fassung geeinigt
in der Meinung, damit möglichst rechtsgleich legiferiert zu haben.
c) Die beiden Kenngrössen Einwohnerfaktor und Bedienungs-
faktor sind grundsätzlich geeignete Kriterien, um die Beteiligung der
einzelnen Gemeinden am Gemeindeanteil von 16 % der Gesamt-
kosten zu berechnen. Die Einwohnerzahl berücksichtigt den poten-
ziellen Kundenkreis und ist damit Ausdruck der Inanspruchnahme
öffentlicher Verkehrsmittel; der Bedienungsfaktor berücksichtigt das
Angebot, welches der Bevölkerung der betreffenden Gemeinde auch
tatsächlich zur Verfügung steht. Im Vergleich zu Beteiligungen, die
2000
Kostenverteilung zwischen jur. Personen des öffentlichen Rechts
101
sich an der Finanzkraft der Gemeinde orientieren (vgl. die Regelun-
gen in den Kantonen Zürich, Luzern und Bern in Anhang 3 zu den
"Vorstellungen der Abteilung Verkehr" zum Vorentwurf des Dekrets
über die Beteiligung von Kanton und Gemeinden an den Kosten des
öffentlichen Verkehrs vom 24. November 1995), hat der Kanton Aar-
gau eine sachbezogenere und rechtsgleichere Lösung gewählt. Dabei
ist unbestritten, dass einzelne Gemeinden wegen ihrer Knoten-
punktfunktion oder wegen grosser Einwohnerzahl unter Umständen
stärker belastet werden als angemessen. Dem hat der Gesetzgeber
mit der Einführung von Dämpfungsmechanismen aber ausreichend
Rechnung getragen. Gerade die Dämpfungsfaktoren führen im Fall
der Einwohnergemeinde S. zu einer spürbaren Entlastung, weil
sowohl die Einwohnerzahl als auch die Anzahl gewichteter Abfahr-
ten deutlich über dem kantonalen Mittel liegen. Es kann mithin nicht
davon ausgegangen werden, dass den Berechnungskriterien keine
sachlichen Unterscheidungsmerkmale zugrunde liegen. Wie der Re-
gierungsrat in seiner Vernehmlassung zutreffend ausführt, hat der
Gesetzgeber im ÖVD eine sehr detaillierte Regelung zur Beteiligung
der Gemeinden an den Kosten des öffentlichen Verkehrs erlassen und
dabei die Interessenlage der Gemeinden bestmöglich, d.h. nach ob-
jektivierbaren Kriterien wie Kursabfahrten und Qualität der Ver-
kehrsmittel (3-facher Gewichtung von Bahnen gegenüber Bussen)
berücksichtigt und zudem durch die Einführung der Dämpfungsex-
ponenten q und p, welche den sinkenden Grenzwert des Nutzens mit
steigender Anzahl Bedienungshalte öffentlicher Verkehrsmittel sowie
die erhebliche Mehrbelastung durch zunehmende Bevölkerungszah-
len reflektiert, berücksichtigt. Dem Standortnachteil einzelner poten-
tieller Kunden des öffentlichen Verkehrs bei grossen Gemeinden
wurde damit ebenfalls Rechnung getragen. Diese Kriterien erweisen
sich, wie dargelegt, als sachbezogen. Die §§ 8 und 9 ÖVD, welche
die Verteilzahl und den Bedienungsfaktor bestimmen, stellen damit
eine vertretbare gesetzgeberische Lösung dar, welche die wesentli-
chen Kriterien zur Bestimmung des angefochtenen Gemeindeanteils
2000
Verwaltungsgericht
102
beinhalten. Berücksichtigt man zudem, dass im Gesetz immer auch
gewisse pauschalisierende Lösungen getroffen werden dürfen, kann
nicht gesagt werden, das ÖVD erweise sich unter dem Gesichtspunkt
des Gebots der rechtsgleichen Rechtsetzung als verfassungswidrig.
d) Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die im ÖVD
getroffene Regelung vor der Pflicht zur rechtsgenüglichen Rechtset-
zung standhält und anwendbar ist.
Dass die Anwendung der Bestimmung selbst keinen Raum für
Auslegung im Sinne der Einwohnergemeinde Suhr zulässt (Anrech-
nung der Bahnfahrten lediglich zu 50 %), ist gestützt auf den Geset-
zestext klar und wird von der Einwohnergemeinde Suhr denn auch
nicht bestritten.
3. a) Die Einwohnergemeinde Suhr macht in der Hauptsache
geltend, die Hälfte ihrer Einwohner wohne im Gebiet Aarauer Feld
und habe daher keinen Nutzen von der Bahnstation der SBB und der
WSB; im Übrigen sei die Einwohnergemeinde Suhr nicht bereit, für
ein ungenügendes Angebot dreifach belastet zu werden, zumal aus
dem Bereich des Bahnhofs SBB praktisch zur gleichen Zeit drei Ver-
kehrsträger nach Aarau zirkulierten. Damit vertritt sie die Auffas-
sung, die Anwendung des ÖVG und des ÖVD führe im Fall der Ge-
meinde Suhr zu einem Ergebnis, welches der Gesetzgeber nicht ge-
wollt habe.
b) aa) Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit, das sogenannte Le-
galitätsprinzip, hat zu seinem Hauptanliegen, alle Verwaltungstätig-
keit an das Gesetz zu binden. In diesem Sinne bestimmt bereits Art. 5
Abs. 1 BV, dass Grundlage und Schranke sämtlichen staatlichen
Handelns das Recht ist. Alles Verwaltungshandeln ist nur gestützt auf
das Gesetz zulässig. Dieses Prinzip hat enorme rechtsstaatliche Be-
deutung, insbesondere bei der Gewährleistung von Rechtssicherheit,
Rechtsgleichheit sowie beim Schutz der Freiheit des Individuums vor
staatlichen Eingriffen. Es erfüllt aber auch eine wesentliche Funktion
bei der demokratischen Legitimation des Verwaltungshandelns
(Ulrich Häfelin/Georg Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwal-
2000
Kostenverteilung zwischen jur. Personen des öffentlichen Rechts
103
tungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, N 296 ff.).
Im Rahmen des Legalitätsprinzips erlässt nun der Gesetzgeber
Vorschriften, die auf den Normalfall zugeschnitten sind. Es ist weder
möglich noch überhaupt sinnvoll, sämtliche besonders gelagerten
Situationen legislatorisch genau zu erfassen. Um Härtefälle zu ver-
meiden, welche die gesetzliche Regelung mit sich bringen kann, darf
der Gesetzgeber die rechtsanwendenden Organe ermächtigen, davon
aus Gründen der Billigkeit (Einzelfallgerechtigkeit) ausnahmsweise
abzuweichen. Eine entsprechende Ausnahmebewilligung darf indes-
sen im Einzelfall grundsätzlich nur dann erteilt werden, wenn erstens
dafür eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage besteht, zweitens die
vom Gesetz verlangte Ausnahmesituation tatsächlich vorliegt und
drittens der Gesetzeszweck und die öffentlichen Interessen die gehö-
rige Beachtung finden. Wenn das Gesetz selbst Abweichungen von
einer bestimmten Norm nicht zulässt, darf die fragliche Regel ange-
sichts der strengen Geltung des Legalitätsprinzips nur dann bewusst
durchbrochen werden, wenn im Einzelfall die Anwendung der ge-
setzlichen Bestimmung zu einem ausserhalb des Willens des Gesetz-
gebers liegenden Ergebnis führen würde, zu einem Ergebnis also, das
der Gesetzgeber so nicht gewollt haben kann (Häfelin/Müller, a.a.O.,
N 1970 ff.; Fritz Gygi, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 85 ff.).
bb) Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber in § 13 ÖVD ge-
troffen. Danach kann der Regierungsrat den Gemeindebeitrag ange-
messen herabsetzen, wenn ausserordentliche Umstände zu einer un-
verhältnismässigen Belastung der betroffenen Gemeinde führen.
Aus den Materialien ist ersichtlich, was der Gesetzgeber unter
ausserordentlichen Umständen, die zu einer unverhältnismässigen
Belastung führen, verstanden wissen wollte. Zunächst müssen die
beiden in § 13 ÖVD genannten Kriterien kumulativ vorliegen. Aus-
serordentliche Umstände können insbesondere in der geografischen
Lage begründet sein (Botschaft ÖVD, S. 28). Wie dargelegt, ist die
geografische Lage der Einwohnergemeinde Suhr in Bezug auf die
Erreichbarkeit der Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel keines-
2000
Verwaltungsgericht
104
wegs so, dass Ausserordentlichkeit vorliegt. Wie der Regierungsrat
zutreffend ausführt, liegen auch die äussersten Wohnhäuser in er-
reichbarer Distanz zum öffentlichen Verkehr (nämlich etwas über
1 km); es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Ge-
setzgeber bei Erlass des ÖVD an Situationen wie in der Gemeinde
Suhr nicht gedacht hat. Nur nebenbei sei erwähnt, dass die Berück-
sichtigung der Argumentationen der Einwohnergemeinde Suhr dazu
führen würde, dass zahlreiche aargauische Gemeinden mit derselben
Begründung eine Anpassung der Kostenverteilung verlangen könn-
ten, was zur Unanwendbarkeit der gesamten Regelung führen
müsste. Genau dies ist aber nicht der Sinn einer Ausnahmeklausel.
Die weiteren, von der Einwohnergemeinde Suhr vorgebrachten
Ausnahmetatbestände (mehrere Verkehrsträger, ungenügendes An-
gebot) können ebenfalls nicht zur Anwendung von § 13 ÖVD führen.
So wurde mit dem Dämpfungsfaktor q (§ 9 Abs. 1 ÖVD) auf eine
Mehrzahl von Bedienungshalten Rücksicht genommen und das un-
genügende Angebot führt ohnehin zu keiner (Mehr-)Belastung.
Damit erübrigt sich im Grundsatz die Prüfung, ob durch die
ausserordentliche Situation eine unverhältnismässige finanzielle
Belastung der Einwohnergemeinde Suhr herbeigeführt wird, was
Anwendungsvoraussetzung von § 13 ÖVD ist. Der Vollständigkeit
halber sei erwähnt, dass gestützt auf die Botschaft ÖVD (S. 28) und
die Beratungen der Verkehrskommission des Grossen Rates zum
ÖVD (Protokoll der Verkehrskommission vom 24. Januar 1997,
S. 237, 245 f.) eine Belastung von rund 1.5% der Steuerkraft der
betreffenden Gemeinde vorliegen müsste, damit Unverhältnismäs-
sigkeit im Sinn der Ausnahmebestimmung vorliegt. Gestützt auf die
unwidersprochen gebliebene Darstellung des Regierungsrates, wo-
nach die Belastung der Einwohnergemeinde Suhr aus der Beteiligung
an den Kosten des öffentlichen Verkehrs einen geringeren Anteil der
Steuerkraft beträgt, ist das kumulativ erforderliche zweite Kriterium
für das Vorliegen eines Härtefalles nicht gegeben.
Das Verwaltungsgericht erkennt die für die Einwohnergemeinde
2000
Kostenverteilung zwischen jur. Personen des öffentlichen Rechts
105
Suhr letztlich unbefriedigende Situation im Bereich des öffentlichen
Verkehrs. Allerdings kann diese Bereinigung nicht über die Ausnah-
meklausel des ÖVD herbeigeführt werden.
4. Zusammenfassend erweist sich die Beschwerde als unbe-
gründet, weshalb sie abzuweisen ist. | 3,418 | 2,860 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-30_2000-05-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-30.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-30.pdf | AGVE_2000_30 | null | nan |
aa0789e6-5282-5799-ae0d-108095fd8aeb | 1 | 412 | 871,304 | 1,023,062,400,000 | 2,002 | de | 2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
207
[...]
53
Nutzungserweiterung (Hundeschule als zusätzlicher Betriebszweig einer
bestehenden Hundezucht) in der von einer Landschaftsschutzzone über-
lagerten Landwirtschaftszone (Art. 24 RPG).
- Verneinung einer Planungspflicht (Erw. 4/b).
- Kein Anspruch auf Grund einer "abgeleiteten" Standortgebundenheit
(Erw. 4/c/aa).
- Eine Hundeschule ist nicht negativ standortgebunden (Erw. 4/c/bb).
- Verneinung der Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung ge-
mäss Art. 24a RPG (Erw. 4/d).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 13. Juni 2002 in Sa-
chen S. und Mitb. gegen Regierungsrat.
Aus den Erwägungen
1. a) Mit Zustimmung der Baugesuchszentrale (heute: Koordi-
nationsstelle Baugesuche) des Baudepartements (Teilentscheid vom
25. August 1992) erteilte der Gemeinderat GANSINGEN dem Be-
schwerdeführer 1 am 21. September 1992 die Baubewilligung für
den Umbau einer bestehenden Pferdescheune (Gebäude Nr. 281) auf
der Parzelle Nr. 775 ausserhalb der Bauzonen der Gemeinde. Zweck
des Umbaus, der den Einbau von Hundeboxen, einer Zubereitungs-
2003
Verwaltungsgericht
208
küche sowie sanitärer Installationen umfasste, war der Betrieb einer
Hundezucht. Mit der Baubewilligung wurden u.a. folgende "Speziel-
le Vorschriften und Auflagen" verknüpft:
" 1. In der Zuchtstätte dürfen maximal 12 Zuchthunde (mit Welpen)
untergebracht werden. Die Aufnahme weiterer Hunde (Pension)
ist untersagt. Vorbehalten bleibt die vorübergehende gerichtliche
Verwahrung von Hunden zur Behandlung; dafür ist jeweils die
Bewilligung des Gemeinderates einzuholen.
2. Es wird ausdrücklich festgehalten, dass die Baubewilligung für
eine Hundezucht erteilt wird. Auf der Liegenschaft dürfen nur
Privatlektionen erteilt werden, die im Zusammenhang mit der
Zuchttauglichkeitsprüfung stehen. Es dürfen maximal zwei Lek-
tionen gleichzeitig (Verkehrsbelastung, Lärmimmissionen, Park-
platzangebot) durchgeführt werden. Die Erteilung von Privatlek-
tionen wird auf folgende Zeiten beschränkt: Montag bis Samstag
jeweils 09.00 Uhr bis 19.00 Uhr.
Die Durchführung von Schulungskursen ist nicht gestattet. Grös-
sere, einmalige Anlässe bedürfen der Bewilligung des Gemeinde-
rates.
3. Die Bauherrschaft wird darauf behaftet (...), dass im Schnitt pro
Stunde zwei Fahrzeuge die Strasse zur Liegenschaft befahren
werden. Die Fahrzeuge dürfen ausschliesslich auf dem Hofareal
der Liegenschaft parkiert werden.
(...)"
In einem Entscheid vom 4. April 1996, dessen Gegenstand die
Beseitigung eines Drogen- und Sprengstoffplatzes, einer Parkat-
trappe, von Einfriedigungen sowie von Hundekisten bildete, legte
das Verwaltungsgericht die - in formelle Rechtskraft erwachsene -
Baubewilligung folgendermassen aus (S. 19 ff. passim): Dem Be-
schwerdeführer 1 sei nur eine Hunde
zucht
bewilligt worden, nicht
dagegen der Betrieb einer Hundepension sowie die Erteilung von
Privatlektionen, soweit sie nicht im Zusammenhang mit der Zucht-
tauglichkeitsprüfung stünden. Aus den Äusserungen des Beschwer-
deführers 1 während des Baubewilligungsverfahrens habe der Ge-
meinderat nach Treu und Glauben schliessen dürfen, dass der Betrieb
einer ganz normalen Hundezuchtstätte mit dem Ziel der Abgabe der
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
209
herangezüchteten Welpen im Alter von 8 bis 12 Wochen an die neuen
Besitzer geplant sei; die Aufzucht und anschliessende Ausbildung der
am besten qualifizierten Welpen bis zum einsatzbereiten Diensthund
bzw. eine in diesem Sinne professionelle Zucht hätten dagegen nicht
Bewilligungsinhalt gebildet.
b) aa) Mit Schreiben vom 25. April 1997 ersuchte der Be-
schwerdeführer 1 den Gemeinderat Gansingen unter Hinweis auf die
schlechte wirtschaftliche Situation seines Betriebs darum, die
"Stammbewilligung" vom 21. September 1992 wie folgt zu ergän-
zen:
" - Zusatzbewilligung, um die Betriebszeiten bis 21.00 Uhr zu ver-
längern.
- Dies während den Sommerzeitmonaten 15. März bis 15. Novem-
ber.
- In diesen Monaten möchten wir einen Hundeschulungskurs von
19.00 Uhr bis 21.00 Uhr durchführen, der nicht
nur
im Zusam-
menhang mit der Zuchttauglichkeitsprüfung steht (Sport- und Fa-
milienhundekurse). In diesen zwei Stunden pro Tag könnte Wolf-
sprung Kennels finanziell stark entlastet und vor dem Konkurs
gerettet werden.
- Die neuen Betriebszeiten gelten für die Wochentage Montag bis
Freitag. Der Samstag bleibt ohne Veränderung, sowie auch der
Sonntag und die übrigen Feiertage."
Der Gemeinderat beschloss daraufhin am 28. April 1997:
"Dem Antrag von Herrn S. zur Verlängerung der Betriebszeit
während der Woche bis 21.00 Uhr wird entsprochen. Betreffend
Verkehrsaufkommen gelten die bisherigen Auflagen."
Zur Begründung wurde angeführt, dass die beantragte Betriebs-
zeit im Rahmen des geltenden Polizeireglements liege, weshalb der
Gemeinderat dagegen grundsätzlich keine Einwendungen erhebe. Im
Weitern wurde darauf hingewiesen, dass der Gemeinderat, sobald der
Bundesgerichtsentscheid betreffend Einzäunung des Betriebsareals
vorliege, die Frage zu klären haben werde, ob für den zusätzlichen
Betriebszweig "Hundeschule" ein neues Gesuchsverfahren in die
Wege zu leiten sei.
2003
Verwaltungsgericht
210
In einem Protokollauszug vom 20. Juli 1998 nahm der Gemein-
derat sodann Bezug auf den Beschluss vom 28. April 1997. Darin
wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer 1 die im Gesuch vom
25. April 1997 erwähnten Hundeschulungskurse seit August 1998
nun durchführe, und zum "Weiteren Vorgehen" u.a. ausgeführt:
"(...). Aus diesen Überlegungen heraus bittet der Gemeinderat
Herrn S., ein Gesuch zur Führung einer Hundeschule zu stellen,
wie dies im Protokollauszug des Gemeinderates vom April 1997
schon zum Ausdruck gebracht worden ist. In diesem Zusammen-
hang müssen auch die Rahmenbedingungen überprüft und even-
tuell angepasst werden.
Da der Gemeinderat im April 1997 Herrn S. eine Bewilligung zur
Schulung von Hunden erteilt hat, behält diese im Moment ihre
Gültigkeit. Der Gemeinderat begrenzt sie aber bis zum Ablauf
des neuen Auflageverfahrens.
(...)"
bb) Das Verwaltungsgericht hat im VGE vom 2. Mai 2000 in
Sachen der Beschwerdeführer ausgeführt, namentlich auf Grund der
authentischen Interpretation des Beschlusses vom 28. April 1997
durch den Gemeinderat im Protokollauszug vom 20. Juli 1998 könne
kein Zweifel daran bestehen, dass dem Beschwerdeführer 1 eine
eigentliche "Bewilligung zur Schulung von Hunden" erteilt worden
sei. Insoweit hat das Verwaltungsgericht in der Zwischenzeit keine
neuen Erkenntnisse gewonnen. Konkret durfte der Beschwerdeführer
1 dem Beschluss vom 28. April 1997 - in Kombination mit seinem
Gesuch vom 25. April 1997 - entnehmen, dass er neu und zusätzlich
zur "Stammbewilligung" vom 21. September 1992 vom 15. März bis
zum 15. November und von Montag bis Freitag jeweils von 19.00 bis
21.00 Uhr Hundeschulungskurse durchführen durfte, die mit der
Zuchttauglichkeitsprüfung der von ihm selber gezüchteten Hunde
nicht
zusammenzuhängen brauchten. Im Protokollauszug vom
20. Juli 1998 bestätigte sich diese Deutung, und es kam darin auch
zum Ausdruck, dass das Motiv für die Bewilligungserteilung durch
den Gemeinderat in der "schwierigen wirtschaftlichen Situation des
Gesuchstellers" lag. Klarzustellen ist indessen in diesem Zusammen-
hang, dass der Gemeinderat dem Beschwerdeführer 1 für die zusätz-
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
211
lichen zwei Stunden
keine Gruppen-, sondern ausschliesslich Pri-
vatlektionen
bewilligt hat. (...).
Der Gemeinderat hat im Protokollauszug vom 20. Juli 1998 die
Bewilligung vom 28. April 1997 zur Schulung von Hunden "bis zum
Ablauf des neuen Auflageverfahrens" für die Führung einer Hunde-
schule befristet. Diese Änderung der Bewilligung vom
28. April 1997 ist rechtlich ohne Bedeutung, da sie in Form eines
Widerrufs hätte erfolgen müssen (§ 26 Abs. 1 VRPG) und dessen
formelle und materielle Voraussetzungen nicht erfüllt waren; weder
wurde der Widerruf dem Beschwerdeführer 1 als Verfügung mit
Begründung und Rechtsmittelbelehrung sowie unter Einräumung des
rechtlichen Gehörs eröffnet (§ 15 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3 VRPG), noch findet sich im Protokollauszug vom 20. Juli
1998 eine Interessenabwägung, wie sie § 26 Abs. 1 VRPG verlangt.
Die Bewilligung vom 28. April 1997 für die Erteilung von Privatlek-
tionen von 19.00 bis 21.00 Uhr (Montag bis Freitag) hat deshalb als
unbefristet zu gelten. (...)
c) Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass der Be-
schwerdeführer 1 schon heute auch solche Hunde, die nicht aus sei-
ner Zucht stammen, ausbilden darf, jedoch nur in beschränktem zeit-
lichen Rahmen und nur in Form von Privat- bzw. Einzellektionen.
Neu sollen die Betriebszeiten von Montag bis Freitag 8.00 bis
21.00 Uhr und Samstag 8.00 bis 16.00 Uhr (Sonn- und Feiertage
geschlossen) festgelegt werden, wobei vor 09.00 Uhr nur
Vorbereitungsarbeiten stattfänden. Zudem sollen neben den
Privatlektionen auch Gruppenkurse angeboten werden können,
nämlich von Montag bis Freitag zwischen 19.00 und 21.00 Uhr und
am Samstag. Schliesslich will der Beschwerdeführer 1 (höchstens)
10 Hunde auf dem Betrieb in Pension nehmen können; im Gegenzug
wäre er bereit, die gemäss "Stammbewilligung" vom 21. September
1992 zulässige Anzahl von 12 Zuchthündinnen auf deren 6 zu
reduzieren.
Der Gemeinderat hat das Baugesuch für eine solche Nutzungs-
erweiterung abgewiesen mit der Begründung, die gewerbliche Tätig-
keit des Beschwerdeführers 1 habe einen Umfang angenommen, der
bereits heute weit über den in der Bewilligung vom 21. September
2003
Verwaltungsgericht
212
1992 im Sinne einer Ausnahme abgesteckten Rahmen hinausgehe
und mit den verschiedenen gewichtigen öffentlichen Interessen des
Natur- und Landschaftsschutzes sowie des Schutzes der Wildtiere im
heiklen Gebiet des "Laubbergs" längst nicht mehr vereinbar sei; die
Hundeschule bilde eine zusätzliche erhebliche Ausweitung dieses
Eingriffs. Der Regierungsrat erachtet eine Hundeschule mit Hunde-
pension, wie schon die Hundezucht, als negativ standortgebunden.
Die Schulung von zuchtfremden Hunden, die zu Sporthunden ausge-
bildet würden, unterscheide sich vom Inhalt her nicht von der Schu-
lung im Hinblick auf die Zuchttauglichkeitsprüfung. Durch die Nut-
zungsänderung würde aber das Verkehrsaufkommen ganz erheblich
erhöht, schätzungsweise um das Achtfache (von 1'200 auf 9'600
Fahrten). Demgegenüber hätte die Reduktion von bisher 12 auf 6
Zuchthündinnen den Wegfall von jährlich rund 600 Fahrten zur
Folge, die bis zur Platzierung der Welpen erfolgten; die Anzahl der
Fahrten würde auch dadurch verringert, dass bei einer Verkleinerung
der Zucht weniger Hunde verkauft würden, die in der Folge auf die
Zuchttauglichkeitsprüfung vorbereitet werden müssten, und dass auf
Grossanlässe, "Schnuppertage" und die "Wolf-People-Kurse" künftig
verzichtet werde. Der Betrieb der Hundeschule mit Hundepension an
sich sei mit den Anliegen des Landschafts- und Naturschutzes ver-
einbar. Die Verkehrsproblematik sei mit Auflagen zu entschärfen. So
dürfe der Beschwerdeführer 1 in seinen Ausbildungskursen nur so
viele - maximal täglich 47 - Hunde schulen, als es für die entspre-
chenden Fahrzeuge auf dem umzäunten Parkplatz sowie auf dem
Richtung Trainingsplatz führenden Weg jeweils Platz habe, soweit
dabei kein fremdes Gelände in Anspruch genommen werde. Dem
Gesuch um Betrieb einer Hundeschule mit Hundepension sei in die-
sem Sinne grundsätzlich stattzugeben.
2. a) Die Parzelle Nr. 775, auf welcher der Beschwerdeführer 1
seine kynologischen Aktivitäten anbietet, liegt gemäss dem Nut-
zungsplan Kulturland der Gemeinde GANSINGEN vom
12. Dezember 1986 / 8. November 1988 in der Landwirtschaftszone,
die ihrerseits von einer Landschaftsschutzzone überlagert wird; aus-
genommen von der Überlagerung sind lediglich die drei Gebäude
Nrn. 281, 343 und 346 mit dem jeweiligen unmittelbaren Um-
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Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
213
schwung. Es kommen somit in erster Linie die Bestimmungen des
RPG und seiner Ausführungsvorschriften zur Anwendung. (...)
3. (...)
4. a) Abweichend von Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG können Bewil-
ligungen erteilt werden, Bauten und Anlagen zu errichten oder ihren
Zweck zu ändern, wenn der Zweck der Bauten und Anlagen einen
Standort ausserhalb der Bauzonen erfordert und keine überwiegen-
den Interessen entgegenstehen (Art. 24 RPG [in der Fassung vom
20. März 1998], mit identischem Wortlaut wie die frühere Fassung
von Art. 24 Abs. 1 RPG). Die Standortgebundenheit darf dabei nur
bejaht werden, wenn ein Bauvorhaben aus technischen oder be-
triebswirtschaftlichen Gründen oder wegen der Bodenbeschaffenheit
auf einen bestimmten Standort ausserhalb der Bauzonen angewiesen
ist (positive Standortgebundenheit), oder wenn ein Werk, für das
keine Planungspflicht besteht, wegen seiner Immissionen in einer
Bauzone ausgeschlossen ist (negative Standortgebundenheit). Diese
Voraussetzungen beurteilen sich nach objektiven Massstäben. Es
kann weder auf die subjektiven Vorstellungen und Wünsche des Ein-
zelnen noch auf die persönliche Zweckmässigkeit oder Bequemlich-
keit ankommen. Generell sind an die Voraussetzungen der Standort-
gebundenheit strenge Anforderungen zu stellen (BGE 124 II 255 f.;
118 Ib 19; 117 Ib 267, 383; Bundesgericht, in: ZBl 96/1995, S. 166;
n.p. BGE vom 3. Juni 1997 [1A.261/1996] in Sachen der Beschwer-
deführer, S. 5).
Für Zweckänderungen ohne bauliche Massnahmen ausserhalb
der Bauzonen enthält Art. 24a RPG (in der Fassung vom 20. März
1998) eine Spezialbestimmung. Sie lautet:
"
1
Erfordert die Änderung des Zwecks einer Baute oder Anlage
ausserhalb der Bauzonen keine baulichen Massnahmen im Sinne
von Artikel 22 Absatz 1, so ist die Bewilligung zu erteilen,
wenn:
a. dadurch keine neuen Auswirkungen auf Raum, Erschliessung
und Umwelt entstehen; und
b. sie nach keinem anderen Bundeserlass unzulässig ist.
2003
Verwaltungsgericht
214
2
Die Ausnahmebewilligung ist unter dem Vorbehalt zu erteilen,
dass bei veränderten Verhältnissen von Amtes wegen neu verfügt
wird."
b) Der Gemeinderat macht geltend, die Errichtung von Freizeit-
und Sportanlagen - und eine solche habe der Beschwerdeführer 1
mittlerweile errichtet - sei normalerweise planungspflichtig, benötige
also eine besondere Zone nach Art. 18 RPG; dafür dürften keine
Ausnahmebewilligungen gemäss Art. 24 RPG erteilt werden.
aa) Bau- und auch Ausnahmebewilligungen haben den planeri-
schen Stufenbau zu beachten. Für Bauten und Anlagen, die ihrer
Natur nach nur in einem Planungsverfahren angemessen erfasst wer-
den können, dürfen keine Ausnahmebewilligungen erteilt werden.
Zieht ein nicht zonenkonformes Vorhaben durch seine Ausmasse
oder seine Natur bedeutende Auswirkungen auf die bestehende Nut-
zungsordnung nach sich, so darf es erst nach einer entsprechenden
Änderung des Zonenplans bewilligt werden. Wann ein nicht zonen-
konformes Vorhaben so gewichtig ist, dass es der Planungspflicht
nach Art. 2 RPG untersteht, ergibt sich aus den Planungsgrundsätzen
und -zielen (Art. 1 und 3 RPG), dem kantonalen Richtplan und der
Bedeutung des Projekts im Lichte der im RPG und im kantonalen
Recht festgelegten Verfahrensordnung. Ein gewichtiges Indiz dafür,
dass ein Bauvorhaben nur auf Grund einer Nutzungsplanung bewil-
ligt werden kann, ist der Umstand, dass im konkreten Fall eine Um-
weltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorgeschrieben ist (BGE
124 II 254 f. mit Hinweisen; n.p. BGE vom 24. Oktober 2001
[1P.264/2001] in Sachen M. u.M., S. 11 f.).
bb) Das Bundesgericht hat eine adäquate Nutzungsplanung
etwa für grössere Sportanlagen (BGE 114 Ib 180 ff. [offene und ge-
deckte Tennisfelder, zwei Fussballfelder, Dienstgebäude und Park-
plätze]; BGE 114 Ib 312 ff. [Golfplatzanlage]), einen grossen Gärt-
nereikomplex mit zahlreichen Gewächshäusern (BGE 116 Ib 131 ff.)
oder Grossdeponien verlangt (BGE 116 Ib 50 ff. [Regionaldeponie];
siehe zum Ganzen auch: Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-,
Bau- und Umweltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 674).
Die Planungspflicht wurde demgegenüber verneint etwa für eine
Reithalle mit entsprechender Infrastruktur (BGE 124 II 391 ff.).
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
215
Auch im vorliegenden Falle hat man es nicht mit einer Nutzung zu
tun, die derart erhebliche Auswirkungen auf die Infrastruktur und die
Nachbarschaft hat, dass dem nur mittels einer vorangehenden
Nutzungsplanung angemessen Rechnung getragen werden könnte.
Die raumwirksamen Auswirkungen sind klar begrenzt. Der vom
Beschwerdeführer 1 geplante Hundeschulungsbetrieb hat denn auch
weder "Richtplanhöhe" noch ist er UVP-pflichtig. Es steht daher
nichts entgegen, das Umnutzungs- bzw. Nutzungserweiterungsge-
such im Verfahren der Ausnahmebewilligung nach Art. 24 ff. RPG
abzuwandeln.
c) Unter dem Gesichtspunkt von Art. 24 RPG ergibt sich was
folgt:
aa) Der Beschwerdeführer 1 verfügt wie erwähnt über die
"Stammbewilligung" vom 21. September 1992 zum Betrieb einer
Hundezuchstätte und über die (Zusatz-)Bewilligung vom 28. April
1997 zur Schulung von Hunden aus eigener oder fremder Zucht (in
der Form der Erteilung von Privatlektionen) jeweilen von 19.00 bis
21.00 Uhr (vorne, Erw. 1/a und b/aa und bb). Diese Bewilligungen
berechtigen den Beschwerdeführer 1 nicht zu mehr, als ihm gemäss
Art. 24 RPG zusteht. Die Existenz eines ausserhalb der Bauzonen
bewilligten Betriebs bedeutet nicht automatisch, dass alle dem
Stamm- bzw. Hauptbetrieb dienenden Bauten und Anlagen oder Nut-
zungen zulässig wären. Erforderlich ist ein besonderes betriebswirt-
schaftliches oder technisches Bedürfnis, diese Bauten oder Anlagen
am vorgesehenen Ort zu erstellen (BGE 124 II 256; 117 Ib 265;
Haller/Karlen, a.a.O., Rz. 709). Der rechtmässige Bestand des bishe-
rigen Betriebs an sich begründet also noch keine Standortgebunden-
heit für die Hundeschule, um deren Bewilligung der Beschwerdefüh-
rer 1 nachsucht. Sie kann - unter dem Titel einer "abgeleiteten"
Standortgebundenheit (BGE 124 II 256) - nur als gegeben erachtet
werden, wenn die Hundeschule für eine ordnungsgemässe Durchfüh-
rung des bestehenden Betriebs erforderlich ist (BGE 117 Ib 267).
Dies trifft indessen offensichtlich nicht zu. Es mag zwar für den Be-
schwerdeführer 1 aus Synergieüberlegungen usw. zweckmässiger
sein, wenn er die Hundeschule am angestammten Standort auf der
Parzelle Nr. 775 betreiben kann, doch sind keine betriebsorganisato-
2003
Verwaltungsgericht
216
rischen oder technischen Gründe ersichtlich, welche eine solche
Standortwahl objektiv zwingend erheischen. Ebenso wenig kann von
Belang sein, dass hinter der beabsichtigten Nutzungserweiterung mit
einer eigentlichen Hundeschule finanzielle Sachzwänge stehen.
Bereits sein Gesuch vom 25. April 1997 betreffend Verlängerung der
Betriebsöffnungszeiten bis 21.00 Uhr zwecks Durchführung eines
von der Zuchttauglichkeitsprüfung unabhängigen Hundeschulungs-
kurses begründete der Beschwerdeführer 1 mit der Verschlechterung
der wirtschaftlichen Situation und finanziellen bzw. geschäftlichen
Problemen; die Weiterführung seines Betriebs sei ohne Bewilli-
gungsergänzung nicht denkbar. Das Nutzungsänderungsgesuch vom
15. Dezember 1998 ist vom gleichen Tenor getragen, wird doch dort
vom mittelfristigen "Überleben" des Betriebs gesprochen. Dies sind
subjektive Gesichtspunkte, welche bei der raumplanungsrechtlichen
Beurteilung generell keine Berücksichtigung finden dürfen (siehe
vorne, Erw. a).
bb) aaa) Im Übrigen ist unbestritten, dass sich das Nutzungser-
weiterungsvorhaben des Beschwerdeführers 1 nur mit der negativen
und nicht auch mit der positiven Standortgebundenheit begründen
lässt. Der Regierungsrat hat unter diesem Gesichtspunkt ausgeführt,
nach Massgabe der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei seiner-
zeit die Hundezucht des Beschwerdeführers 1 als negativ standortge-
bunden qualifiziert worden. Eine Hundeschule mit Hundepension sei
nicht anders zu beurteilen. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass
von einer Hundezucht oder einem Tierheim auf Grund des intensive-
ren "Rund-um-die-Uhr-Betriebs" gesamthaft mehr Emissionen aus-
gehen könnten als von einer Hundeschule mit angegliederter Hunde-
pension. Tagsüber dürften sich die Belästigungen aber mindestens
die Waage halten; zu bedenken sei dabei auch, dass eine Hunde-
schule im Vergleich zu einer Hundezucht noch häufigere Wechsel der
Tiere bedinge. Hinzu komme, dass sich auch bei einer Hundeschule
mit Hundepension - anders als beispielsweise bei einem
Schweinestall - Lärm und lästige Gerüche nicht durch bauliche oder
betriebliche Massnahmen begrenzen liessen. Schliesslich sei nicht
davon auszugehen, dass sich in den Bauzonen von GANSINGEN
oder einer benachbarten Gemeinde für das Vorhaben des Beschwer-
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
217
deführers 1 ein geeigneter Standort finden lasse. Die Beschwerdefüh-
rer 2 und der Gemeinderat sind dagegen der Meinung, die negative
Standortgebundenheit sei nicht gegeben.
bbb) Das Bundesgericht hat in zwei Aargauer Fällen entschie-
den, dass der Betrieb von Tierheimen ausserhalb der Bauzonen we-
gen ihrer Immissionsträchtigkeit grundsätzlich als negativ stand-
ortgebunden zu betrachten sei. Konkret ging es um ein Tierheim mit
Krematorium und Dienstwohnungen in Unterbözberg (n.p. BGE vom
21. März 1984 [A 208/83] in Sachen H. u.M.) und um ein Tierheim
für je 30 Hunde und Katzen in Rothrist (ZBl 96/1995, S. 166 f.).
Denselben Standpunkt vertrat das Bundesgericht in Bezug auf die
Haltung von 60 Schlittenhunden (ZBl 91/1990, S. 187 ff.) sowie die
Hundezucht des Beschwerdeführers 1 mit bis zu 12 Zuchthunden
und einer entsprechenden Vielzahl von Welpen (n.p. BGE vom
3. Juni 1997 [1A.261/1996]). Im Fall H. u. M. (zitiert in ZBl
91/1990, S. 188 f., und 96/1995, S. 166 f., sowie in BGE 118 Ib 19)
wurde zur Begründung angeführt, das unvermeidliche dauernde Ge-
bell der sich in den Gehegen und Ausläufen befindenden Hunde, das
angesichts des naturgemäss häufigen Wechsels der Tiere das normale
Mass erheblich übersteigen dürfte, und allenfalls auch die mit dieser
Art der Tierhaltung verbundene Geruchsbelästigung seien in einer
Wohn-, Gewerbe- oder Industriezone für die Nachbarn in der Regel
unzumutbar. Im Rothrister Fall verwies das Bundesgericht zusätzlich
darauf, dass im Kanton Aargau alle Tierheime in der Landwirt-
schaftszone lägen und sich für das Bauvorhaben in den Bauzonen der
Standortgemeinde oder einer benachbarten Gemeinde kein geeigne-
ter Standort finden lasse (ZBl 96/1995, S. 167).
Auf eine Hundeschule, wie sie der Beschwerdeführer 1 betrei-
ben will, treffen diese Attribute nicht zu. Im klaren Unterschied so-
wohl zu einem Tierheim als auch zu einem Hundezuchtbetrieb ist die
Erteilung der Privat- und Gruppenlektionen auf bestimmte Zeiten
beschränkt. Während der Nachtstunden sowie an den Sonn- und Fei-
ertagen ist der Betrieb für den Publikumsverkehr geschlossen. In den
Wintermonaten sollen zudem nur Privatlektionen abgehalten werden.
Schon unter diesem zeitlichen Aspekt sind die mit dem Betrieb einer
Hundeschule zusammenhängenden Lärmimmissionen als erheblich
2003
Verwaltungsgericht
218
geringer zu veranschlagen als die von einer Hundezucht oder von
einem Tierheim ausgehenden, rund um die Uhr wahrnehmbaren Im-
missionen. Hinzu kommt, dass die in der Hundeschule auszubilden-
den Tiere unter ständiger Aufsicht und Kontrolle sind und demzu-
folge naturgemäss weniger bellen als ein Hund, der zusammen mit
andern Artgenossen in einem Gehege, einer Boxe oder einem Aus-
lauf eingesperrt ist; zumindest auf die Arbeit mit den Familienhun-
den trifft diese Aussage zu. Der Beschwerdeführer 1 als anerkannter
Hundekenner hat am Augenschein selber ausgeführt, bezüglich des
Lärms sei der Unterschied zwischen einer Hundezucht und einer
Hundeschule "enorm". Unter diesen Umständen lässt sich nicht sa-
gen, der Betrieb einer Hundeschule sei aus Immissionsgründen auf
einen Standort ausserhalb der Bauzonen zwingend angewiesen. Eine
solche Nutzung ist innerhalb des Baugebiets, etwa in einer gemisch-
ten Wohn- und Gewerbezone oder in einer reinen Gewerbezone,
ohne Weiteres denkbar. Das Privileg, ausserhalb der Bauzonen Land
zu beanspruchen, ist generell an strenge Voraussetzungen geknüpft,
um der Zersiedelung vorzubeugen (siehe vorne, Erw. a). Eine Hun-
deschule erfüllt diese Anforderungen nach dem Gesagten nicht.
d) Das Bau- bzw. Zweckänderungsgesuch vom
14./15. Dezember 1998 beinhaltet keinerlei bauliche Massnahmen.
Es fragt sich daher, ob eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24a
RPG (in der Fassung vom 20. März 1998) erteilt werden kann.
Aus der Entstehungsgeschichte der angeführten Bestimmung
hat das Bundesgericht abgeleitet, dass der Gesetzgeber mit ihr eine
Umnutzung bestehender landwirtschaftlicher Bauten ermöglichen
wollte; Art. 24a RPG beschränke sich aber nicht auf landwirtschaftli-
che Bauten, sondern erlaube auch Zweckänderungen anderer, z.B.
gewerblicher Bauten ausserhalb der Bauzone, ohne dass der neue
Zweck standortgebunden sein müsse (BGE 127 II 223 f.). Art. 24a
RPG kommt auf das hier zu beurteilende Nutzungserweiterungsvor-
haben somit grundsätzlich zur Anwendung. Indessen ist die Anforde-
rung, dass durch das Zweckänderungsvorhaben keine neuen Auswir-
kungen auf Raum, Erschliessung und Umwelt entstehen dürfen
(Art. 24a Abs. 1 lit. a RPG), hier klarerweise nicht erfüllt, worauf
namentlich die beantragte Ausweitung der Betriebszeiten für die
2003
Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht
219
Hundeschulungskurse sowie der Einbezug von Gruppenlektionen
(siehe vorne, Erw. 1/b/bb und c) schliessen lässt. Der Beschwer-
deführer 1 darf heute nach Massgabe der "Stammbewilligung" vom
21. September 1992 und des Gemeinderatsbeschlusses vom 28. April
1997 von Montag bis Freitag jeweils von 19.00 bis 21.00 Uhr maxi-
mal zwei Privatlektionen gleichzeitig erteilen, d.h. insgesamt 24 mit
ebenso vielen Zu- und Wegfahrten pro Tag. Unter dem neuen Regime
gemäss dem Nutzungserweiterungsgesuch vom 14./15. Dezember
1998 rechnet der Beschwerdeführer 1 selber mit maximal 47 Zu- und
Wegfahrten pro Tag. Es ist also zweifellos so, dass die beabsichtigte
Intensivierung der Hundeschule ein erhöhtes Verkehrsaufkommen
zur Folge haben wird. Hieran ändert nichts, dass der Be-
schwerdeführer 1 die Zahl der gemäss "Stammbewilligung" vom
21. September 1992 zulässigen 12 Zuchthündinnen auf deren 6 her-
absetzen will (es entstehen in diesem Zusammenhang ebenfalls Ver-
kehrsbewegungen, weil die Halter ihre Welpen in den ersten 9 Wo-
chen durchschnittlich ein Mal pro Woche zu besuchen pflegen); fak-
tisch befinden sich nämlich regelmässig nur 4 bis 5 Zuchthündinnen
auf dem Hof, während die restlichen in Patenfamilien gehalten wer-
den. Der diesbezügliche kompensatorische Effekt kann daher ver-
nachlässigt werden.
e) Zusammenfassend ist unter diesem Titel festzuhalten, dass
weder Art. 24 noch Art. 24a RPG eine rechtliche Handhabe bieten,
um das Nutzungserweiterungsvorhaben des Beschwerdeführers 1
bewilligen zu können. (...).
Redaktionelle Anmerkung
Das Bundesgericht, I. Öffentlichrechtliche Abteilung, hat eine gegen
den Entscheid vom 13. Juni 2002 erhobene Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde mit Urteil vom 12. September 2003 abgewiesen, soweit es
darauf eintrat (BGE 1A.214/2002). | 6,101 | 4,958 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-53_2002-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-53.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-53.pdf | AGVE_2003_53 | null | nan |
aa2afecd-90be-536a-a0e2-40542b9bd0c6 | 1 | 412 | 870,358 | 1,335,830,400,000 | 2,012 | de | 2012
Straf- und Massnahmenvollzug
189
V. Straf- und Massnahmenvollzug
27
Straf- und Massnahmenvollzug
-
Fluchtgefahr im Sinn von Art. 84 Abs. 6 StGB darf nicht bereits dann
angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter
Weise besteht (Erw. 5.2.).
-
Ein genereller Ausschluss jeglicher Urlaube oder anderer Vollzugs-
öffnungen bei mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe Verurteilten
widerspricht Art. 84 Abs. 6 StGB und ist mit dem Vollzugsziel der
Sozialisierung gemäss Art.
75 Abs.
1 StGB nicht vereinbar
(Erw. 5.3.).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 30. Mai 2012 in Sachen X.
(WBE.2012.117).
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
(...)
Zusammengefasst hat der Regierungsrat im angefochtenen Ent-
scheid erwogen, dem Beschwerdeführer sei die Gewährung von
(begleiteten) Ausgängen aus humanitären Gründen zu Recht verwei-
gert worden, weil keine wirksamen begleitenden Massnahmen vor-
handen seien, die den Schutz der öffentlichen Sicherheit ausreichend
sicherstellten und gleichzeitig dem Zweck der humanitären Aus-
gänge gerecht würden. Vollzugslockerungen kämen folglich nicht in
Frage. Eine Flucht lasse sich trotz Begleitung durch zwei Personen
des Strafvollzugspersonals nicht ausschliessen, hätten doch ver-
gangene Vorfälle gezeigt, dass eine Flucht trotz Begleitung realisier-
bar sei. Die Begleitung durch unbewaffnetes Personal erscheine
vorliegend ungeeignet, um die Gemein- und Fluchtgefahr einzudäm-
2012
Verwaltungsgericht
190
men. Dieses sei nicht in der Lage, eine Flucht zu verhindern. Auch
eine elektronische Fussfessel sei dazu kein taugliches Mittel, zumal
der Installationsaufwand in keinem Verhältnis stehe zu einem fünf-
stündigen Ausgang und die elektronische Fussfessel im Kanton
Aargau im Übrigen ohnehin nicht als Instrument im Strafvollzug
eingesetzt werde. Auf der anderen Seite würde ein allzu einengendes
Sicherheitsdispositiv (schwer bewaffnete Begleitung, Fesselung)
Sinn und Zweck der humanitären Ausgänge entgegenstehen.
3.2.-3.4. (...)
4. (...)
5.
5.1. (...)
5.2.
Fluchtgefahr im Sinn von Art. 84 Abs. 6 StGB darf nicht bereits
dann angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in
abstrakter Weise besteht. Hingegen genügt es, wenn aufgrund der
konkreten Umstände eine Flucht als wahrscheinlich erscheint. Dabei
müssen die konkreten Umstände des Falles, insbesondere die gesam-
ten Lebensverhältnisse der betroffenen Person, in Betracht gezogen
werden (Urteil des Bundesgerichts vom 13.
Januar
2010
[1B_378/2009], Erw. 4.1). So ist von einer Fluchtgefahr auszugehen,
wenn erkennbare Risiken vorliegen. Nicht erforderlich ist, dass
geradezu bewiesen werden muss, der Gefangene werde fliehen, da
künftiges Verhalten ohnehin nicht bewiesen werden kann, sondern
anhand der bekannten Umstände abzuschätzen ist.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darf ein Urlaubs-
gesuch nur dann wegen Fluchtgefahr abgelehnt werden, wenn dies
verhältnismässig ist und dem Vollzugszweck der Wiedereingliede-
rung des Eingewiesenen ausreichend Rechnung getragen wird. Je
näher das Strafende rückt, desto gewichtiger wird das öffentliche
Interesse, den Gefangenen auf den Wiedereintritt in die Gesellschaft
vorzubereiten, indem ihm u.a. Gelegenheit gegeben wird, die hierfür
notwendigen persönlichen und familiären Beziehungen zu pflegen
oder aufzubauen. Gleichzeitig nimmt das öffentliche Interesse an der
vollständigen Vollstreckung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe ab,
je länger die Haft bereits angedauert hat. Insofern ist es ein Gebot der
2012
Straf- und Massnahmenvollzug
191
Verhältnismässigkeit, gegen Ende des ordentlichen Strafvollzugs ein
gewisses Fluchtrisiko bei der Gewährung von Urlaub in Kauf zu
nehmen, das möglicherweise zu Beginn des Strafvollzugs die Ur-
laubsgewährung ausschliessen würde. Die Fluchtgefahr ist somit
regelmässig umso geringer einzuschätzen, je kürzer der verbleibende
Strafrest ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 15. Oktober 2004
[1P.470/2004], Erw. 5.1).
5.3.
Die Argumentation des Regierungsrats würde im Ergebnis dazu
führen, dass bei als gemeingefährlich eingestuften Straftätern (und
insbesondere bei mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe Verurteil-
ten), die Gewährung von begleiteten Ausgängen gänzlich ausge-
schlossen wäre, da der Regierungsrat letztlich einzig auf die abstrak-
te Fluchtgefahr abgestellt hat. Ein genereller Ausschluss jeglicher
Urlaube oder anderer Vollzugsöffnungen bei derart Verurteilten
widerspricht jedoch sowohl Art. 84 Abs. 6 StGB als auch § 61 SMV.
Zudem wäre dies mit dem Vollzugsziel der Sozialisierung gemäss
Art. 75 Abs.1 StGB nicht vereinbar.
Eine entsprechende einschränkende gesetzliche Bestimmung
hat der Gesetzgeber mit Art. 84 Abs. 6
bis
StGB (in Kraft seit
1. August 2008) zwar geschaffen, diese Bestimmung jedoch gilt aus-
drücklich nur für lebenslänglich verwahrte Straftäter und nicht auch
für mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilte Straftäter.
(...)
6. (...)
7.
In Anbetracht der ausdrücklich zustimmenden Beurteilung der
Konkordatlichen Fachkommission zur Beurteilung der Gemein-
gefährlichkeit von Straftätern des Strafvollzugskonkordats der Nord-
west- und Innerschweiz, des tadellosen Verhaltens des Beschwerde-
führers im langjährigen Strafvollzug, der Fortschritte des Beschwer-
deführers im Rahmen der Therapie und in Ermangelung jeglicher
konkreter Gründe, welche die Abweisung des Gesuchs um Gewäh-
rung von jährlich vier begleiteten fünfstündigen Ausgängen aus
humanitären Gründen rechtfertigen könnten, erweist sich die
Beschwerde damit als begründet. | 1,190 | 970 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-27_2012-05-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-27.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-27.pdf | AGVE_2012_27 | null | nan |
aa6eff6e-584c-5b01-9f39-d6f4877966d6 | 1 | 412 | 869,816 | 1,433,289,600,000 | 2,015 | de | 2015
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
228
34
Sozialhilfe; junge Erwachsene
Junge Erwachsene, welche in einer Wohngemeinschaft leben, ohne eine
Wirtschaftsgemeinschaft zu bilden, erhalten anteilmässig den Grundbe-
darf I und II für einen Zweipersonenhaushalt.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. Juni 2015 in Sachen
Einwohnergemeinde A. gegen B. und Departement Gesundheit und Soziales
(WBE.2015.31).
Aus den Erwägungen
3.3.
Nach § 10 Abs. 1 SPV sind für die Bemessung der materiellen
Hilfe die SKOS-Richtlinien mit den bis zum 1. Juli 2004 ergangenen
Änderungen, unter Vorbehalt der Absätze 2-5 und soweit das SPG
beziehungsweise dessen Ausführungserlasse keine weiteren Abwei-
chungen enthalten, gemäss Anhang verbindlich.
(...)
Nach den SKOS-Richtlinien erhalten junge Erwachsene, die
keinen eigenen Haushalt führen und nicht im Haushalt der Eltern,
sondern in einer Wohngemeinschaft leben, ohne eine Wirtschaftsge-
meinschaft zu bilden (z.B. Zimmer in einer Studenten-Wohngemein-
schaft), zur Deckung ihres Lebensunterhaltes anteilsmässig den
Grundbedarf I und II für den Zweipersonenhaushalt (Kap. H.11
Junge Erwachsene in der Sozialhilfe). Als junge Erwachsene gelten
Menschen zwischen dem vollendeten 18. und dem vollendeten
25. Altersjahr (C
LAUDIA
H
ÄNZI
, Die Richtlinien der schweizerischen
Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011, S. 206). Ziel der SKOS-Richt-
linien ist es, junge Erwachsene ohne Erstausbildung in der Sozial-
hilfe nicht besser zu stellen als nicht unterstützte junge Erwachsene
in vergleichbarer Lebenssituation (SKOS-Richtlinien, H.11-4).
3.4.
2015
Sozialhilfe
229
Die Beschwerdegegnerin lebt zusammen mit drei weiteren
Personen in einem Einfamilienhaus. Sie macht geltend, sie seien be-
freundet und hätten eine Wohngemeinschaft gegründet, damit sie
Kosten wie Miete und Strom teilen könnten. Jeder kaufe aber sein ei-
genes Essen, koche für sich selbst und habe eigene Regale für seine
Sachen in der Küche. Es komme ausnahmsweise vor, dass sie zusam-
men etwas essen würden.
Entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin reicht allein die
Tatsache, dass die Bewohner des Einfamilienhauses befreundet sind,
sie die Räume - abgesehen von ihren Schlafräumen - gemeinsam
nutzen und durch die Teilung der Stromkosten, Miete etc. Geld spa-
ren können, nicht aus, um von einer Wirtschaftsgemeinschaft auszu-
gehen. Eine solche Wohnform ist vorliegend vielmehr mit einem
Studenten-Wohnheim vergleichbar, in welchem abgesehen vom
eigenen Zimmer gemeinsame Einrichtungen und Räumlichkeiten mit
andern Bewohnern geteilt werden (vgl. VGE III/105 vom 17. Ok-
tober 2013 [WBE.2013.298], Erw. 1.5.2).
3.5.
Aus dem Mietvertrag lässt sich entnehmen, dass als Hauptmie-
ter des Einfamilienhauses C. sowie D. aufgeführt sind. Die Be-
schwerdegegnerin ist als ''Mitmieter mit gleichen Rechten und
Pflichten'' aufgeführt. Solidarmieter für Kaution und Mietzinse sind
drei weitere Personen, u.a. der Vater der Beschwerdegegnerin.
Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, durch
die Unterzeichnung als Solidarmieter gebe der Vater der Beschwer-
degegnerin zu erkennen, dass er in der Lage sei, den gesamten
Mietzins zu bezahlen. Dies trifft jedoch nicht zu; es lässt sich daraus
lediglich schliessen, dass der Vermieter davon auszugehen scheint,
der Vater der Beschwerdegegnerin sei in der Lage, den gesamten
Mietzins zu bezahlen. Ungeachtet davon stellt dies kein Indiz für das
Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft dar, sondern es wäre allen-
falls zu prüfen, ob der Vater der Beschwerdegegnerin zur Zahlung
von Unterhalt (...) zu verpflichten ist (§ 7 SPG). Dies wurde aller-
dings durch die Sozialbehörde bereits abgeklärt und verneint. | 819 | 679 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2015-34_2015-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2015-34.pdf | AGVE_2015_34 | null | nan |
aa74a1b7-11ad-56b1-ba2c-da93df5c7e54 | 1 | 412 | 869,828 | 1,025,481,600,000 | 2,002 | de | 2002
Verwaltungsgericht
430
[...]
108
Untersuchungsgrundsatz; Mitwirkungspflicht; Massnahme; Kostenaufla-
ge.
-
Die Untersuchungsmaxime wird relativiert durch die Mitwirkungs-
pflicht der Parteien, wenn eine Partei das Verfahren durch eigenes
2002
Verwaltungsrechtspflege
431
Begehren eingeleitet hat oder darin eigene Rechte geltend macht (Erw.
2/b/aa).
-
Die Mitwirkungspflicht gilt vorab für solche Tatsachen, welche eine
Partei besser kennt als die Behörden und welche diese ohne ihre Mit-
wirkung gar nicht oder nicht ohne unvernünftigen Aufwand erheben
können (Erw. 2/b/aa).
-
Die Massnahmeempfindlichkeit ist bereits im Beschwerdeverfahren
hinreichend zu begründen und zu belegen (Erw. 2/b).
-
Kostenauflage bei Saumseligkeit (Erw. 2/c).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 3. Juli 2002 in Sachen
F.R. gegen den Entscheid des Departements des Innern.
Aus den Erwägungen
2. b) aa) Für die Feststellung des Sachverhalts gilt im Verwal-
tungsverfahren grundsätzlich die Untersuchungsmaxime. Diese wird
jedoch relativiert durch die Mitwirkungspflicht der Parteien, welche
namentlich insoweit greift, als eine Partei das Verfahren durch eige-
nes Begehren eingeleitet hat oder darin eigene Rechte geltend macht.
Die Mitwirkungspflicht gilt vorab gerade für solche Tatsachen, wel-
che eine Partei besser kennt als die Behörden und welche diese ohne
ihre Mitwirkung gar nicht oder nicht ohne unvernünftigen Aufwand
erheben können (BGE 128 II 142 f. mit Hinweisen). Gemäss § 21
Abs. 1 VRPG sind die Beteiligten verpflichtet, an der Feststellung
des Sachverhalts mitzuwirken, soweit dies besondere Vorschriften
vorsehen, oder soweit sie ein Verfahren durch ihre Begehren einlei-
ten oder darin selbständige Anträge stellen (vgl. dazu AGVE 1986,
S. 328 ff.).
bb) Der Beschwerdeführer hat gegen den vom Strassenver-
kehrsamt verfügten Führerausweisentzug ein Beschwerdeverfahren
angestrengt und eine blosse Verwarnung (oder eventualiter eine Re-
duktion der Entzugsdauer) verlangt. Seinen Eventualantrag hat er
u.a. mit der beruflichen Angewiesenheit des Beschwerdeführers auf
den Führerausweis begründet. Der Anwalt des Beschwerdeführers
2002
Verwaltungsgericht
432
hat es jedoch versäumt, dessen Angewiesensein auf den Führeraus-
weis hinreichend zu begründen und zu belegen. Auf Grund der An-
gaben des Beschwerdeführers durfte das Departement des Innern
davon ausgehen, der Beschwerdeführer arbeite als "Aussendienst-
mitarbeiter"; es bestand kein Grund zur Vermutung, der Beschwerde-
führer sei als Berufschauffeur tätig. Der Anwalt des Beschwerdefüh-
rers hätte dies geltend machen müssen. Es ist somit auf das prozes-
suale Verhalten des Anwalts des Beschwerdeführers zurückzuführen,
dass nicht bereits die Vorinstanz zum Schluss gekommen war, beim
Beschwerdeführer liege eine hochgradige Massnahmeempfindlich-
keit vor und deswegen die Entzugsdauer reduzierte.
c) Gemäss § 33 Abs. 2 Satz 3 VRPG können die Kosten ganz
oder teilweise dem Obsiegenden auferlegt werden, wenn er durch
Saumseligkeit in der Vorinstanz das Beschwerdeverfahren verursacht
hat. Saumseligkeit in der Vorinstanz kann u.a. darin bestehen, dass
bestimmte tatsächliche Behauptungen und Beweismittel erst im
verwaltungsgerichtlichen
Verfahren
(neu)
vorgebracht
werden
(AGVE 1972, S. 328 f.; 1976, S. 307 f.).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Beschwerdeführer hat es ver-
säumt, bereits vor dem Departement des Innern geltend zu machen
und entsprechend zu belegen, dass er als Berufschauffeur arbeitet.
Diese Saumseligkeit hat für den Beschwerdeführer Kostenfolgen. Er
hat die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens zu tragen und hat für
jenes Verfahren keinen Anspruch auf Parteikostenersatz. | 817 | 675 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-108_2002-07-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-108.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-108.pdf | AGVE_2002_108 | null | nan |
aa8569f0-c539-54f5-bd51-f44a9fc968a5 | 1 | 412 | 870,634 | 1,501,718,400,000 | 2,017 | de | 2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
196
[...]
37
Sozialhilfe; Rechtsmissbrauch
Rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt nicht vor, wenn die mangelnde
Kooperation der unterstützten Person mit der Invalidenversicherung auf
psychische Gründe zurückzuführen ist.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. August
2017, i.S. A. gegen Gemeinderat B. und Departement Gesundheit und So-
ziales (WBE.2017.145)
2017
Sozialhilfe
197
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Anspruch auf Sozialhilfe besteht, sofern die eigenen Mittel
nicht genügen und andere Hilfeleistungen nicht rechtzeitig erhältlich
sind oder nicht ausreichen (§ 5 Abs. 1 SPG). Damit wird der Grund-
satz der Subsidiarität der Sozialhilfe ausgedrückt. Die Hilfe suchende
Person ist verpflichtet, sich nach Möglichkeit selbst zu helfen; sie
muss alles Zumutbare unternehmen, um eine Notlage aus eigenen
Kräften abzuwenden oder zu beheben (BGE 130 I 71, Erw. 4.3; vgl.
auch SKOS-Richtlinien, A.4-1).
Weder der Gemeinderat noch die Vorinstanz behauptet, dass die
Anspruchsvoraussetzungen der materiellen Hilfe fehlen. Aus den
Akten ergeben sich keine Hinweise für eine fehlende Bedürftigkeit
des Beschwerdeführers. Die blosse Möglichkeit, durch die Koopera-
tion mit der Invalidenversicherung (IV) einen Anspruch auf eine IV-
Rente zu erhalten, führt nicht zum Entfallen des Anspruchs auf
Sozialhilfe (vgl. SKOS-Richtlinien, A.4-2). Der Anspruch auf mate-
rielle Hilfe ist nicht verschuldensabhängig (vgl. BGE 131 I 166,
Erw. 4.3). Eine Leistungseinstellung wegen fehlender Anspruchs-
voraussetzungen war somit nicht zulässig.
2.2.
2.2.1.
Nach § 13 Abs. 1 SPG kann die Gewährung von materieller
Hilfe mit Auflagen und Weisungen verbunden werden. Werden sol-
che Auflagen und Weisungen nicht befolgt, können die Leistungen
gekürzt werden, sofern sie unter Androhung der Folgen bei Missach-
tung erlassen wurden (Abs. 2). Bei der Kürzung der materiellen Hilfe
ist die Existenzsicherung zu beachten (§ 15 Abs. 1 SPV). Diese liegt
bei 65 % des Grundbedarfs I gemäss SKOS-Richtlinien (§ 15 Abs. 2
SPV in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung). Verhält
sich die unterstützte Person rechtsmissbräuchlich, kann eine Kürzung
der materiellen Hilfe auch unter die Existenzsicherung erfolgen oder
die materielle Hilfe ganz eingestellt werden. Rechtsmissbrauch liegt
insbesondere dann vor, wenn das Verhalten der unterstützten Person
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
198
einzig darauf ausgerichtet ist, in den Genuss von materieller Hilfe zu
gelangen (§ 15 Abs. 3 Satz 2 SPV). Rechtsmissbrauch ist anzuneh-
men, wenn jemand eine Notlage bewusst willentlich herbeiführt oder
aufrechterhält, um so an Sozialhilfeleistungen zu gelangen (C
LAUDIA
H
ÄNZI
, Die Richtlinien der schweizerischen Konferenz für Sozial-
hilfe, Basel 2011, S. 154). Auch die systematische Weigerung, Wei-
sungen und Auflagen zu erfüllen, kann als rechtsmissbräuchlich
qualifiziert werden (AGVE 2008, S. 242 ff., Erw. 2; VGE vom
29. März 2007 [WBE.2006.319], S. 15).
2.2.2.
Mit Entscheid vom 15. September 2014 erteilte der Gemeinde-
rat dem Beschwerdeführer die Auflage/Weisung, eine teilstationäre
Behandlung zu absolvieren. Werde die Therapie nicht angetreten
oder abgebrochen, werde "der Grundbedarf I gemäss SKOS-Richt-
linien 20 % über 6 Monate unter Wegfall des Grundbedarfs II ab No-
vember 2014 gekürzt". Wegen Missachtens der Auflage/Weisung
wurde im Entscheid vom 12. Januar 2015 der Grundbedarf I um
Fr. 7.00 gekürzt und der Grundbedarf II gestrichen (für den Zeitraum
von 6 Monaten).
Am 19. Januar 2015 erteilte der Gemeinderat dem Beschwerde-
führer die Auflage/Weisung, für die Abklärungen der Invalidenversi-
cherung eng mit der IV-Stelle zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig
wurde dem Beschwerdeführer angedroht, die Sozialhilfe wegen
rechtsmissbräuchlichen Verhaltens einzustellen, falls die IV-Stelle
das hängige Gesuch wegen mangelnder Kooperation erneut zurück-
weist.
Am 18. Januar 2016 verfügte der Gemeinderat - unabhängig
von einer bestehenden Kürzung der Wohnkosten - eine Kürzung des
Grundbedarfs I um 35 % ab Februar 2016 und für 12 Monate. Falls
der Beschwerdeführer in eine teil- bzw. stationäre Behandlung ein-
trete, könne diese Kürzung überprüft bzw. aufgehoben werden. Einer
allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid wurde die aufschie-
bende Wirkung entzogen. Zur Begründung wurde auf zwei abgebro-
chene Therapien verwiesen. Es bestehe der Eindruck, dass der Be-
schwerdeführer nicht gewillt sei, seine psychische Erkrankung thera-
pieren zu lassen.
2017
Sozialhilfe
199
Nachdem die IV-Stelle am 8. Juni 2016 verfügt hatte, wegen
fehlender Mitwirkung auf das Begehren des Beschwerdeführers nicht
einzutreten, beschloss der Gemeinderat am 12. September 2016 die
Einstellung der materiellen Hilfe.
2.2.3.
Die dargelegte Chronologie lässt ein rechtsmissbräuchliches
Verhalten des Beschwerdeführers als naheliegend erscheinen. Er hat
sich trotz angedrohten und vollzogenen Kürzungen sowie der ange-
drohten Leistungseinstellung nicht dazu bewegen lassen, mit der IV-
Stelle zu kooperieren. Gleichzeitig ist in Betracht zu ziehen, dass der
Beschwerdeführer mindestens seit 2004 psychisch auffällig ist. Ur-
sprünglich wurde von einer "Depression mit Anpassungsstörungen
bei einer unreifen Persönlichkeit mit zusätzlicher Überprotektion
durch die Mutter" ausgegangen. Nach Einschätzung der behandeln-
den Psychiaterin Dr. med. C., Fachärztin für Psychiatrie und Psycho-
therapie, vom 26. Juni 2014 leidet er unter Angstzuständen und
depressiven Stimmungen. Seine Ängste führten zu Blockaden, wes-
halb er insbesondere eine vorgesehene Operation der Nasenscheide-
wand wieder abgesagt habe. Lic. phil. D., Fachpsychologin für
Psychotherapie FSP, diagnostizierte am 5. November 2015 eine sozi-
ale Phobie (ICD-10 F40.1) sowie "sonstige näher bezeichnete Prob-
leme verbunden mit der sozialen Umgebung: bis jetzt hat keine Ablö-
sung von der Mutter stattgefunden, symbiotische Beziehung mit
Mutter Z 60.8". Gemäss Schreiben von Dr. med. E. vom 15. März
2017 leidet der Beschwerdeführer an einer depressiven Verstimmung
mit mangelndem Selbstwertgefühl; zudem bestehe wohl eine vermin-
derte zerebrale Kapazität. Unabhängig davon, dass eine genaue Diag-
nose bis dato nicht möglich war, leidet der Beschwerdeführer offen-
bar unter ernstzunehmenden psychischen Problemen. Es liegt nahe,
dass diese Probleme, namentlich seine regelmässigen Angstzustände,
eine wesentliche Ursache für die ungenügende Kooperation mit der
IV waren. Daher darf nicht auf rechtsmissbräuchliches Verhalten ge-
schlossen werden. Dem Beschwerdeführer kann nicht vorgeworfen
werden, absichtlich eine Notlage aufrechtzuerhalten, um so an
Sozialhilfeleistungen zu gelangen. Die Einstellung der materiellen
Hilfe war somit unzulässig.
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
200
2.3.
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass eine Leistungseinstellung
weder aufgrund fehlender Bedürftigkeit noch wegen rechtsmiss-
bräuchlichen Verhaltens zulässig war. Entgegen der Darstellung des
Gemeinderats hat sich der Beschwerdeführer insbesondere nicht
rechtsmissbräuchlich verhalten, indem er Beschwerde erhoben hat. | 1,610 | 1,281 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-37_2017-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-37.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-37.pdf | AGVE_2017_37 | null | nan |
ab0708e4-b276-510f-af5d-29c4ef5adea8 | 1 | 412 | 871,942 | 954,547,200,000 | 2,000 | de | 2000
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
165
VI. Fürsorgerische Freiheitsentziehung
46
Anstaltseinweisung; Belastung der Umgebung in einem Pflegeheim;
blosse Belästigung nicht ausreichend.
- Anforderungen an das Mass der Belastung der Umgebung sind sehr
hoch, um einen Einweisungsgrund gemäss Art. 397a Abs. 2 ZGB dar-
zustellen; blosse Belästigung der Umgebung reicht nicht.
- Anforderungen an Intensität der Belastung: richten sich nach den
konkreten Verhältnissen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 4. April 2000 in
Sachen A.R. gegen Verfügung des Bezirksarzt-Stellvertreters L.
Sachverhalt
A.R., bei der eine chronische paranoide Schizophrenie diag-
nostiziert wurde, und die aufgrund ihrer Gehschwierigkeiten teil-
weise auf einen Rollstuhl angewiesen war, wohnte im Pflegeheim L.
Sie lehnte immer wieder die Medikation ab und wurde gegen das
Pflegepersonal in gesteigertem Masse aggressiv, indem sie trat, biss
und Sachen gegen Dritte warf. Es erfolgte eine bezirksärztliche Ein-
weisung in die Psychiatrische Klinik Königsfelden.
Aus den Erwägungen
3. c) Zusammenfassend bedeutete die gesteigerte Aggressivität
der Beschwerdeführerin für das sie betreuende Pflegepersonal eine
grosse Belastungsprobe. In diesem Zusammenhang ist auf Folgendes
hinzuweisen:
Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist die Be-
lastung der Umgebung von der blossen Belästigung zu unterschei-
2000
Verwaltungsgericht
166
den, die eine Einweisung nicht zu rechtfertigen vermag (AGVE
1986, S. 192). Dabei ist entscheidend, wie weit die Belästigungen für
die Umgebung zumutbar sind (AGVE 1988, S. 260); von Nachbarn
und betroffenen Behördenvertretern kann ein relativ grosses Ver-
ständnis erwartet werden (vgl. AGVE 1986, S. 200 und 204). Ist
festgestellt, dass jemand seinen "Vorwürfen, Anschuldigungen und
Verleumdungen" freien Lauf lässt und auf diese Weise in die sehr
"eigene Gedankenwelt" versinkt und immer mehr Leute in ihre An-
schuldigungen mit einbezieht und so eine immer grösser werdende
Zahl von Feindbildern aufbaut, was einen Teufelskreis zur Folge hat,
so kann die fürsorgerische Freiheitsentziehung gerechtfertigt sein
(AGVE 1986, S. 200). Entscheidend ist somit vor allem das Ausmass
der Ehrverletzungen und der falschen Anschuldigungen; im soeben
zitierten Entscheid hatte die Betroffene es darauf angelegt, ihre Geg-
ner geradezu zu demütigen (AGVE 1986, S. 200 f.). Zugunsten des
Betroffenen fällt ins Gewicht, wenn keine Drohungen und Tätlich-
keiten festgestellt werden können (AGVE 1988, S. 260). Nach dieser
Rechtsprechung sind die Anforderungen an das Mass der Belastung
der Umgebung sehr hoch angesetzt, dass daraus ein Einweisungs-
grund im Sinne von Art. 397a Abs. 2 ZGB abgeleitet werden kann.
Kann die notwendige persönliche Fürsorge indessen nur im
Rahmen eines Aufenthaltes in einer Institution wie einem Pflegeheim
erbracht werden, drängt sich eine differenzierte Betrachtungsweise
auf. Ist eine Person - neben dem Vorliegen eines Schwächezustandes
gemäss Art. 397a Abs. 1 ZGB - zusätzlich pflegebedürftig, so dass
sie auf den Aufenthalt in einem Pflegeheim angewiesen ist, und sind
andere adäquate Aufenthaltsorte nicht ersichtlich, rechtfertigt dieser
Umstand, dass die Anforderungen an die Intensität der Belästigung
der Umgebung zu lockern sind, zumal im kleinräumigen und ge-
schlossenen Umfeld, das ein Heim aufweist, Aggressionen eine we-
sentlich intensivere Wirkung zeitigen können, als in einem offeneren
und grösseren Rahmen. In diesem Fall wird das Pflegepersonal re-
gelmässig mit aggressiven Handlungen konfrontiert, ohne dabei die
2000
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
167
Möglichkeit zu haben, die Pflegetätigkeit einzustellen und damit von
der betroffenen Person Abstand zu nehmen.
Die Beschwerdeführerin erschien aufgrund der Gehschwierig-
keiten im Rollstuhl zur Verhandlung. Es stellte sich heraus, dass sie
nicht in der Lage ist, sich alleine zu waschen oder zu duschen. Zu-
dem ist sie inkontinent und demgemäss auf umfassende Pflege und
Betreuung angewiesen. Vorliegend ist demzufolge speziell darauf
hinzuweisen, dass die besondere Belastung die für die Beschwerde-
führerin für die Sicherstellung ihrer nötigen persönlichen Fürsorge
nicht wegzudenkende Umgebung betraf, was insofern von Bedeu-
tung ist, als dass das Pflegeheim L. faktisch der einzige Aufenthalts-
ort der Beschwerdeführerin ist, an dem sie tragbar ist - und wo sie
sich glücklicherweise wohl fühlt. Hinzu kommt, dass die Beschwer-
deführerin den Hang dazu hat, die Medikamente zu verweigern, bzw.
nur diejenigen zu akzeptieren, welche ihr einst von Prof. P., mit dem
sie innerlich eine enge Bindung verknüpft, verordnet worden seien.
Diese schlechte Compliance führte dazu, dass im Zeitpunkt der Ein-
weisung ohnehin eine medikamentöse Neueinstellung notwendig
gewesen wäre, da der bisherige Zustand für den Aufenthalt im Pfle-
geheim nicht mehr haltbar war. Bei ihrer Gereiztheit und ihrer
distanzlosen Aggressivität musste mit noch mehr und auch massive-
ren Übergriffen auf das Pflegepersonal gerechnet werden, weshalb es
gerechtfertigt und verhältnismässig war, die Beschwerdeführerin
unverzüglich in die Klinik Königsfelden einzuweisen. Die Be-
schwerde gegen die Anstaltseinweisung ist deshalb abzuweisen. | 1,130 | 922 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-46_2000-04-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-46.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-46.pdf | AGVE_2000_46 | null | nan |
ab08f98b-d8ef-5053-aa5e-ba3b31d25436 | 1 | 412 | 870,094 | 1,549,152,000,000 | 2,019 | de | 2019
Sozialhilfe
161
VIII. Sozialhilfe
23
Sozialhilfe; Bemessung der materiellen Hilfe
Reduktion des Grundbedarfs nach Massgabe einer besonderen
Wohnform, bei der einzelne Ausgabenposten wegfallen (Erw. 2.1 f.)
Grundbedarf für junge Erwachsene, die in einem eigenen Haushalt
leben (Erw. 2.3)
Existenzsicherung bei jungen Erwachsenen (Erw. 3)
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. Februar
2019, in Sachen A. gegen Gemeinderat B. und Departement Gesundheit und
Soziales (WBE.2018.285).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Der Anspruch auf Sozialhilfe beinhaltet unter anderem die
materielle Grundsicherung. Dazu gehört neben den anrechenbaren
Wohnkosten und der medizinischen Grundversorgung der Grundbe-
darf für den Lebensunterhalt (vgl. die gemäss § 10 Abs. 1 SPG i.V.m.
§ 10 Abs. 1 SPV grundsätzlich verbindlichen SKOS-Richtlinien,
4. Auflage, April 2005, in der Fassung vom 1. Januar 2017,
Kap. A.3, B.1). Im Grundbedarf sind sämtliche alltäglichen Ver-
brauchsaufwendungen von einkommensschwachen Haushalten ent-
halten; er stellt somit das Mindestmass einer auf Dauer angelegten
menschenwürdigen Existenz dar (SKOS-Richtlinien, Kap. B.2.1).
2.2.
Der ordentliche Grundbedarf bei einem Ein-Personen-Haushalt
beträgt gemäss den SKOS-Richtlinien (Kap. B.2.2) Fr. 986.00 pro
Monat. Im Einzelfall können jedoch Korrekturen des Grundbedarfs
angezeigt sein, insbesondere wenn die unterstützte Person in einer
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
162
besonderen Wohnform lebt. Die Reduktion nach Massgabe der be-
sonderen Wohnform setzt voraus, dass aufgrund der konkreten Ver-
hältnisse Einsparungen in Bezug auf einzelne Ausgabenposten des
Grundbedarfs klar ausgewiesen und nachgewiesen sind (vgl. VGE
vom 12. Dezember 2012 [WBE.2012.316], Erw. II/1.3.4).
Der Beschwerdeführer war im massgebenden Zeitraum in
einem möblierten Zimmer des Restaurants C. notuntergebracht. Der
Gemeinderat hat den Grundbedarf um Ausgabepositionen reduziert,
welche bei der Miete des möblierten Zimmers nicht anfielen (im
Einzelnen: Energieverbrauch, Internetbenutzung, Radio- und Fern-
sehgebühren, Zeitungen, Toilettenartikel, Putzmittel und Abfall-
säcke). Insgesamt ergab sich eine Reduktion des Grundbedarfs um
18 %. Diese ist unter den Parteien unbestritten (für die Gewichtung
der einzelnen Grundbedarfspositionen vgl. Handbuch Soziales,
Kap. 7.1.2).
2.3.
Die SKOS-Richtlinien unterscheiden beim Grundbedarf für
junge Erwachsene grundsätzlich zwischen denjenigen in Wohn- und
Lebensgemeinschaften und denjenigen in Zweck-Wohngemein-
schaften (vgl. SKOS-Richtlinien, Kap. B.4). Im vorliegenden Fall
anerkannte der Gemeinderat ausdrücklich, dass der Beschwerde-
führer aus zwingenden Gründen ausnahmsweise einen eigenen Haus-
halt führen durfte (vgl. SKOS-Richtlinien, B.4-2 und B.4-3).
Bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren, die in
einem eigenen Haushalt leben, wird der Grundbedarf um 20 % redu-
ziert, wenn sie nicht an einer auf die arbeitsmarktliche Integration
ausgerichteten Ausbildung oder Massnahme teilnehmen, keiner an-
gemessenen Erwerbstätigkeit nachgehen oder keine eigenen Kinder
betreuen (SKOS-Richtlinien, Kap. B.4; Handbuch Soziales,
Kap. 7.1.5). Der Beschwerdeführer war im massgebenden Zeitraum
20 Jahre alt und hatte bereits zuvor seine Lehrstelle verloren. Daher
hatte er lediglich Anspruch auf den um 20 % reduzierten Grundbe-
darf. Bei dieser Gruppe stehen Bildungs- und Integrations-
massnahmen im Fokus. Junge Erwachsene, die materiell unterstützt
werden, sollen nicht besser gestellt werden als Gleichaltrige, die in
2019
Sozialhilfe
163
knappen finanziellen Verhältnissen leben und ihren Lebensunterhalt
selber bestreiten (vgl. SKOS-Richtlinien, Kap. B.4).
2.4.
Der Gemeinderat hat zusätzlich eine Verrechnung der materiel-
len Hilfe mit einer Rückforderung vorgenommen (im Zusammen-
hang mit nicht wahrgenommenen Terminen beim D.). Diese Verrech-
nung war in einem früheren Entscheid angeordnet worden. Der Be-
stand der Forderung und deren Verrechenbarkeit mit der materiellen
Hilfe sind unter den Parteien unbestritten.
3.
3.1.
Bei der Kürzung der materiellen Hilfe ist die Existenzsicherung
zu beachten. Kürzungen sind in der Regel zu befristen (§ 15 Abs. 1
SPV [in der Fassung bis 31. Dezember 2017]). Die Existenzsiche-
rung liegt bei 70 % des Grundbedarfs gemäss SKOS-Richtlinien.
Diese Grenze darf auch bei der Kürzung gebundener Ausgaben, wie
zum Beispiel Wohnungsmiete oder Versicherungsprämien, grund-
sätzlich nicht unterschritten werden (vgl. § 15 Abs. 2 SPV [in der
Fassung bis 31. Dezember 2017]). Entsprechend dem Handbuch So-
zialhilfe wird bei jungen Erwachsenen in Einpersonenhaushalten und
in einer Zweck-Wohngemeinschaft der maximale Kürzungsumfang
von 30 % vom ordentlichen Grundbedarf aus berechnet (Kap.
11.2.1). Auch das Sozialhilfe-Behördenhandbuch des Kantons Zürich
sieht vor, dass Kürzungen bei jungen Erwachsenen in Einperso-
nenhaushalten und Wohngemeinschaften maximal 30 % des ordentli-
chen Grundbedarfs betragen dürfen und dieser daher nicht unter
Fr. 690.00 gekürzt werden darf (vgl. Kap. 14.2.01). Diese Kürzungs-
grenze ist auch für kumulierte Reduktionen und Kürzungen massge-
bend und darf daher grundsätzlich nicht unterschritten werden. Die
im Gemeinderatsbeschluss gewährte materielle Hilfe beachtet die
Existenzsicherung nicht.
In Bezug auf die vorinstanzlichen Erwägungen gilt es zusätzlich
festzuhalten, dass die beschriebene Richtlinie im Handbuch Soziales
der Überzeugung Ausdruck gibt, dass - unabhängig vom Alter und
der konkreten Wohnform - unterhalb der Grenze von 70 % des
Grundbedarfs dauerhaft keine menschenwürdige Existenz möglich
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
164
ist. Insofern stützt sich die Regelung sehr wohl auf sachliche Gründe.
Nicht zu überzeugen vermag die Argumentation, der bereits um 20 %
gekürzte Grundbedarf eines jungen Erwachsenen müsse um weitere
30 % gekürzt werden können, damit bei Verstössen gegen Aufla-
gen/Weisungen ein genügender Kürzungsumfang verbleibe. Immer-
hin kann bei schwerwiegender Widerhandlung gegen Auflagen/Wei-
sungen die materielle Hilfe unter die Existenzsicherung gekürzt oder
sogar ganz eingestellt werden (§ 13b Abs. 2 und 3 SPG [in Kraft seit
1. Januar 2018]). | 1,408 | 1,114 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-23_2019-02-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-23.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-23.pdf | AGVE_2019_23 | null | nan |
ab437923-7915-55c6-bb0a-cd3d5ad15485 | 1 | 412 | 871,550 | 1,356,998,400,000 | 2,013 | de | 2013
Fürsorgerische Unterbringung
59
[...]
12
Übertragung der Entlassungszuständigkeit gemäss Art. 428 Abs. 2 ZGB
Es ist unzulässig, dass das Familiengericht die Entlassungszuständigkeit
an eine Einrichtung ohne ärztliche Leitung überträgt, da die Anordnung
einer Nachbetreuung nur durch das Familiengericht möglich ist.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 29. Januar 2013 in Sachen
B.F. gegen den Entscheid des Familiengerichts Z. (WBE.2013.25).
Aus den Erwägungen
II.
1.
Gemäss Art. 426 ZGB darf eine Person, die an einer psychi-
schen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer ver-
wahrlost ist, in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden,
wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen
kann (Abs. 1). Dabei sind die Belastung und der Schutz von Angehö-
rigen und Dritten zu berücksichtigen (Abs. 2). Die betroffene Person
wird entlassen, sobald die Voraussetzungen für die Unterbringung
nicht mehr erfüllt sind (Abs. 3).
2.
2.1.
Der im ZGB verwendete Begriff der psychischen Störung um-
fasst die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie; dazu gehören
auch Suchterkrankungen (Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenab-
hängigkeit; vgl. Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivil-
gesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht]
vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7043, nachfolgend: Botschaft Erwach-
senenschutz). Beim Begriff der "psychischen Störung" handelt sich
um einen Rechtsbegriff, der im Grundsatz der Definitionsmacht und
Auslegungshoheit der Jurisprudenz unterliegt. Wo die Begrifflichkei-
ten jedoch mit der medizinischen Terminologie übereinstimmen, wie
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
60
bei der psychischen Störung, muss die rechtsanwendende Instanz da-
ran gebunden sein (vgl.
KOKES-Praxisanleitung Erwachsenen-
schutzrecht, Zürich/St.Gallen 2012, Rz.10.6; vgl.
C
HRISTOF
B
ERNHART
, Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung, Basel
2011, N 267 ff.).
2.2.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Herausgeberin der
internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und ver-
wandten Gesundheitsprobleme (englisch: International Statistical
Classification of Diseases and Related Health Problems [ICD]). Das
Kapitel V dieser Dokumentation beinhaltet die psychischen Störun-
gen. Im Abschnitt F1 werden Psychische Störungen und Verhaltens-
störungen durch psychotrope Substanzen dargestellt. Mit F.10
werden Störungen durch Alkohol klassifiziert. Damit eine Störung
durch Alkohol als Abhängigkeitssyndrom diagnostiziert werden
kann, müssen drei von mehreren von der WHO herausgeschälten
Kriterien erfüllt sein. Der Begriff "Abhängigkeitssyndrom" löst den
veralteten Begriff der "Sucht" ab und kennzeichnet sich in Anleh-
nung an diese Kriterien zusammenfassend durch ein passives und un-
kontrolliertes Verhalten, bei dem die freie Willensentscheidung auf-
grund des Angewiesenseins auf schädliche Substanzen weitgehend
fehlt und körperliche und psychosoziale Problemen zur Folge hat.
Ein Abhängigkeitssyndrom kann ferner zu einer Toleranzentwick-
lung gegenüber den Wirkungen der Substanz und zu körperlichen
Entzugssymptomen bei Reduktion der Substanz führen
(vgl. C
HRISTOF
B
ERNHART
, a.a.O., N 267 ff. und N 275 ff.). Die
Alkoholabhängigkeit als psychische Störung ist somit als medizi-
nischer Terminus klar definiert, weshalb die rechtsanwendende In-
stanz bei der Beurteilung, ob eine psychische Störung im Sinne von
Art. 426 Abs. 1 ZGB vorliegt, daran gebunden ist.
2.3.
2.3.1.
Wie bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. Oktober
2012 ausgeführt, steht fest, dass der Beschwerdeführer bereits seit
vielen Jahren an einer Alkoholabhängigkeit leidet. Als Folge der
langjährigen Alkoholabhängigkeit hat sich beim Beschwerdeführer
2013
Fürsorgerische Unterbringung
61
gar ein alkoholbedingtes dementielles Syndrom (Korsakow-Demenz)
entwickelt. Ausserdem wurde eine Benzodiazepin-Abhängigkeit
diagnostiziert. Diese Diagnosen haben sich seit Oktober 2012 nicht
verändert. Die Klinik nimmt in ihrem Austrittsbericht vom 7. De-
zember 2012 denn auch Bezug auf die Klassifizierungen der WHO
und stellt erneut eine Alkoholabhängigkeit mit der Klassifizierung
ICD-10 F10.24 fest. Die psychiatrische Sachverständige diagnosti-
zierte im Rahmen ihres Kurzgutachtens ebenfalls eine schwere Alko-
holabhängigkeit.
Die Beiständin hat den Beschwerdeführer früher in Zofingen
mehrfach in stark betrunkenem Zustand getroffen. Sie erlebt ihn als
einen alkoholabhängigen Menschen mit einem starken Drang nach
Alkohol. Dies zeigt sich auch darin, dass der Beschwerdeführer sich
ohne Bewilligung am 5. Januar 2013 vom Rehahaus Effingerhort
nach Zofingen begab und dort in stark alkoholisiertem Zustand ins
Spital gebracht werden musste.
2.3.2.
Folglich wurde beim Beschwerdeführer bereits mehrfach ein
Alkoholabhängigkeitssyndrom diagnostiziert. Mit Blick auf diese
klare medizinische Diagnose sowie des von der Beiständin geschil-
derten Verhaltens des Beschwerdeführers und der vom Rehahaus
Effingerhort geschilderten Situation steht fest, dass der Beschwer-
deführer an einer schweren Alkoholabhängigkeit und somit an einer
psychischen Störung im Sinne von Art. 426 Abs. 1 ZGB leidet.
3.-5. (...)
6.
6.1.
Dispositivziffer 2 des Entscheids des Familiengerichts Z. über-
trägt die Zuständigkeit für die Entlassung des Beschwerdeführers
dem Rehahaus Effingerhort. Nachfolgend ist von Amtes wegen zu
prüfen, ob die Übertragung der Entlassungszuständigkeit im vor-
liegenden Fall zulässig war.
6.2.
6.2.1.
Zur Problematik der vorangehend aufgeworfenen Frage finden
sich im Bundesrecht folgende Regelungen:
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
62
6.2.2.
Wie im früheren Recht richtet sich die Zuständigkeit für die
Entlassung aus einer fürsorgerischen Unterbringung danach, wer die
Unterbringung angeordnet hat. Hat die Kindes- und Erwachsenen-
schutzbehörde die Unterbringung angeordnet, ist sie gemäss Art. 428
Abs. 1 ZGB grundsätzlich auch für die Entlassung zuständig. Wurde
die Unterbringung von einem Arzt angeordnet, entscheidet die Ein-
richtung über die Entlassung (Art. 429 Abs. 3 ZGB). Im Gesetz ist
vorgesehen, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde im
Einzelfall die Zuständigkeit für die Entlassung der Einrichtung über-
tragen kann (Art. 428 Abs. 2 ZGB). Die Möglichkeit der Delegation
der Entlassungszuständigkeit entspricht der geltenden Praxis. Damit
soll sichergestellt werden, dass der Patient sofort entlassen wird,
wenn dies aus medizinischer Sicht möglich ist, und die Klinik nicht
zuerst einen Antrag an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
stellen muss. Die Übertragung kann nur im Einzelfall erfolgen und
nicht in einer generell-abstrakten Norm festgehalten werden (Bot-
schaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7064; THOMAS GEISER/
MARIO ETZENSBERGER, in: Geiser/Reusser [Hrsg.], Basler
Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 428 N 8 f.). Wei-
tere Hinweise, unter welchen Voraussetzungen die Entlassungszu-
ständigkeit im Einzelfall an die Einrichtung übertragen werden kann,
lassen sich aus dem Bundesrecht nicht ableiten.
6.2.3.
In Art. 437 ZGB wird die Kompetenz zur Regelung der Nach-
betreuung an die Kantone delegiert. In Abs. 2 der genannten Bestim-
mung wird darauf hingewiesen, dass die Kantone neben und inner-
halb der Regelung der Nachbetreuung ambulante Massnahmen vor-
sehen können. Gemäss THOMAS GEISER/MARIO
ETZENSBERGER werden die Kantone mit Art. 437 ZGB zur Rege-
lung der Nachbetreuung verpflichtet, selbst wenn eine solche Ver-
pflichtung dem Wortlaut der Bestimmung nicht explizit zu entneh-
men ist. Wie die Nachbetreuung ausgestaltet wird, schreibt das Bun-
desrecht nicht vor und ist entsprechend den kantonalen Gesetzgebern
überlassen (vgl. THOMAS GEISER/MARIO ETZENSBERGER, in:
a.a.O., Art. 437 N 5 f.).
2013
Fürsorgerische Unterbringung
63
6.3.
6.3.1.
Die Regelung der Nachbetreuung überlässt das Bundesrecht
dem Kanton. Bezüglich der Voraussetzungen der Delegation der Ent-
lassungszuständigkeit macht das Bundesrecht keine Vorgaben.
6.3.2.
Das kantonale Recht regelt die Nachbetreuung in den §§ 67k, l
und m EG ZGB. § 67k EG ZGB hält allgemeine Grundsätze fest. So
sieht § 67k Abs. 1 EG ZGB vor, dass bei Rückfallgefahr beim Aus-
tritt eine Nachbetreuung vorzusehen ist. Sofern es zu keiner sachge-
rechten schriftlichen Vereinbarung über die Nachbetreuung kommt,
entscheidet die für die Entlassung zuständige Stelle über die Nach-
betreuung (§ 67k Abs. 3 EG ZGB).
6.3.3.
Dem Wortlaut und der Systematik dieser Bestimmungen kann
entnommen werden, dass die Zuständigkeit der Anordnung einer
Nachbetreuung an die Entlassungszuständigkeit angeknüpft werden
soll: Liegt die Entlassungszuständigkeit bei der Einrichtung, soll die-
se auch die Nachbetreuung festlegen (§ 67l Abs. 1 EG ZGB). Wenn
hingegen die Entlassungszuständigkeit bei der Kindes- und Erwach-
senenschutzbehörde liegt, entscheidet diese gestützt auf die ärztliche
Beurteilung über die Anordnung der Nachbetreuung (§ 67m Abs. 1
EG ZGB).
6.3.4.
§ 67l Abs. 1 EG ZGB hält fest, dass in Einrichtungen mit ärztli-
cher Leitung die diensthabenden Kaderärztinnen und Kaderärzte die
Nachbetreuung festlegen. Gemäss Abs. 4 derselben Bestimmung
richtet sich die Nachbetreuung in Einrichtungen ohne ärztliche Lei-
tung nach § 67m EG ZGB, d.h. die Kindes- und Erwachsenenschutz-
behörde bzw. das Familiengericht (§ 59 Abs. 1 EG ZGB) ist zustän-
dig für die Anordnung der Nachbetreuung. Im letzteren Fall ist eine
Übertragung der Zuständigkeit für die Entlassung an die Einrichtung
gemäss Art. 428 Abs. 2 ZGB nicht sachgerecht, denn dies würde be-
deuten, dass die Einrichtung für die Entlassung und das Familienge-
richt für die Anordnung einer Nachbetreuung zuständig sind. Ein
Auseinanderfallen der Kompetenzen wäre unpraktikabel und kann
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
64
nicht dem Willen des kantonalen Gesetzgebers entsprochen haben
(vgl. Erw. 6.3.2. f. hiervor). Das kantonale Recht präzisiert Art. 428
Abs. 2 ZGB in dem Sinne, dass einzig bei Einrichtungen mit ärztli-
cher Leitung eine Übertragung der Zuständigkeit für die Entlassung
an die Einrichtung zulässig ist. Andernfalls würde das Familienge-
richt faktisch im Voraus auf die Anordnung einer Nachbetreuung ver-
zichten, was nicht zulässig sein kann, insbesondere in den Fällen, in
denen eine Rückfallgefahr nicht ausgeschlossen ist, was bei Alkohol-
abhängigkeit regelmässig der Fall ist.
6.4.
6.4.1.
Das Rehahaus Effingerhort ist eine Einrichtung ohne ärztliche
Leitung. Nach dem Gesagten war es daher nicht zulässig, die Ent-
lassungszuständigkeit an das Rehahaus zu übertragen. Folglich ist
Dispositivziffer 2 des Entscheids des Familiengerichts Z. von Amtes
wegen aufzuheben.
6.4.2.
Der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang darauf
hinzuweisen, dass es notorisch ist, dass die Rückfallgefahr bei Perso-
nen, welche seit langer Zeit an einem Abhängigkeitssyndrom leiden,
sehr hoch ist. Dies zeigt sich auch an der Krankheitsgeschichte des
Beschwerdeführers, welche von erfolgslosen Entzugsversuchen und
wiederholten Rückfällen geprägt ist. Gestützt auf § 67k EG ZGB ist
davon auszugehen, dass bei Austritt des Beschwerdeführers aus dem
Rehahaus Effingerhort eine Nachbetreuung vorzusehen ist. Die
Kompetenz betreffend Entlassungszuständigkeit und Regelung der
Nachbetreuung darf im vorliegenden Fall nicht auseinanderfallen.
6.4.3.
Es ist somit abschliessend festzustellen, dass das Familienge-
richt Z. für die Entlassung und Anordnung einer Nachbetreuung zu-
ständig ist. | 2,607 | 2,036 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-12_2013-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-12.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-12.pdf | AGVE_2013_12 | null | nan |
ab5cb220-5e6a-5cdf-a6cd-414819baad5d | 1 | 412 | 871,507 | 1,543,795,200,000 | 2,018 | de | 2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
245
21
Grenzabstand für Luft-Wasser-Wärmepumpen mit Aussenstandort
Grenzabstandsvorschriften gelten im Kanton Aargau nicht nur für Ge-
bäude im Sinne der Begriffsdefinition der IVHB, sondern für alle Arten
von Bauten und Anlagen. Vom Grenzabstandsprivilegium nach § 18
Abs. 2 ABauV und § 19 Abs. 2 BauV profitieren nicht nur Kleinbauten,
sondern auch Anlagen mit entsprechenden Dimensionen. Sollen bestimm-
te Bauten oder Anlagen von der Einhaltung eines Grenzabstandes dispen-
siert werden, z.B. Bauten und Anlagen mit Bagatellcharakter, muss der
Gesetzgeber (in der BNO) eine entsprechende Festlegung treffen.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. Dezember
2018, in Sachen A. und B. gegen C., D., Gemeinderat E. und Departement
Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2018.330).
Aus den Erwägungen
1.
(...)
Der streitgegenständliche, ausserhalb des Wohnhauses der Be-
schwerdegegner geplante Horizontal-Splitverdampfer, Typ VHS-M
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
246
5, Bestandteil einer im Hausinnern aufgestellten Luft-Wasser-Wär-
mepumpe des Modells Ochsner Air 7 C, ist 1,08 m hoch, 1,29 m
breit und 0,96 m tief. Der Abstand vom bewilligten Standort des Ver-
dampfers zur gemeinsamen Grundstücksgrenze mit den Beschwerde-
führern beträgt 0,8 m. (...)
2.
2.1.
Im angefochtenen Entscheid (Erw. 5) erwog die Vorinstanz,
dass der Splitverdampfer den gemäss verwaltungsgerichtlicher
Rechtsprechung (AGVE 2012, S. 146 ff.) auch auf Kleinstbauten im
Sinne von § 49 Abs. 2 lit. d BauV anwendbaren Grenzabstand nach
§ 18 Abs. 2 ABauV von 2 m um 1,2 m unterschreite. Dem Umstand,
dass Klein- und Anbauten nach der Definition in Anhang 1 Ziff. 2.2
BauV Gebäude seien, Stelen und Wärmepumpen aber keine Gebäu-
dequalität besässen, habe das aargauische Verwaltungsgericht - im
Gegensatz zum luzernischen Kantonsgericht, das baupolizeiliche
Grenzabstände nur auf Bauten, nicht dagegen auf Anlagen wie Luft-
Wasser-Wärmepumpen anwende (LGVE 2016 IV Nr. 4 vom 4. Mai
2016, Erw. 4.4.1) - keine Bedeutung beigemessen. Die festgestellte
Verletzung des Grenzabstandes spreche gegen die Erteilung einer
Baubewilligung für den Splitverdampfer.
In der Beschwerdeantwort regte die Vorinstanz jedoch an, das
Verwaltungsgericht möge seine Praxis auch mit Blick auf eine
schweizweit einheitliche Verwendung von Baubegriffen überdenken
und dahingehend präzisieren, dass für Bagatellanlagen wie den Split-
verdampfer keine Grenzabstandsvorschriften gelten.
(...)
2.2.
Die Beschwerdeführer sind weiterhin der Überzeugung, dass
der aussen aufgestellte Splitverdampfer, der einen funktionellen Be-
standteil der sich im Innern des Wohnhauses befindlichen Heizanlage
bilde, nicht als eigenständige Kleinbaute betrachtet werden dürfe und
somit eigentlich den ordentliche Grenzabstand nach § 7 Abs. 4 BNO
von 4 m einhalten müsste. Auf jeden Fall werde auch der privilegier-
te Grenzabstand für Kleinbauten nach § 18 Abs. 2 ABauV verletzt,
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
247
weshalb für den Splitverdampfer so oder so keine Baubewilligung
erteilt werden könne.
2.3.
Derweil hält der Gemeinderat E. daran fest, dass der Splitver-
dampfer kein Gebäude sei, damit nicht unter den Begriff der Klein-
baute im Sinne von § 18 ABauV falle und folglich keinen Grenzab-
stand einhalten müsse. Alles andere wäre eine unzulässige Eigen-
tumsbeschränkung, für die weder eine gesetzliche Grundlage noch
ein öffentliches Interesse bestehe, und die völlig unverhältnismässig
wäre.
3.
3.1.
Gemäss § 47 Abs. 1 BauG schreiben die Gemeinden Grenz- und
Gebäudeabstände vor. Diese Bestimmung ist gleichzeitig Auftrag wie
Verpflichtung an die Gemeinden, in ihren Nutzungsvorschriften die
einzuhaltenden (Grenz-)Abstände zu regeln (CHRISTIAN HÄUPTLI,
in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 47
N 4). Die Verpflichtung zur Abstandsregelung knüpft an das bundes-
rechtlich definierte Begriffspaar Bauten und Anlagen nach Art. 22
RPG an, das sich auf alle Bauten und Anlagen bezieht, die (aufgrund
ihrer räumlichen Auswirkungen) einer Baubewilligung bedürfen. Die
Kantone können die nach Bundesrecht baubewilligungspflichtigen
Bauten und Anlagen weiter, aber nicht enger fassen (HÄUPTLI,
a.a.O., § 6 N 2 und 5). § 6 BauG enthält (zur Verdeutlichung) eine
Liste mit Vorrichtungen, die als Bauten und Anlagen im Sinne dieses
Gesetzes zu verstehen sind. Dazu gehören nach lit. a nicht nur alle
Gebäude und gebäudeähnlichen Objekte, sondern auch alle weiteren
künstlich hergestellten und mit dem Boden fest verbundenen Objek-
te. Zu denken ist hier an Antennen, Funkanlagen, Klimageräte an
Aussenfassaden, Skulpturen von einiger Bedeutung, Denkmäler,
Dämme, Schleusen, Wehre, Kanäle, Brunnstuben, Brunnen, Leitun-
gen, Rampen, Cheminées, Hafenanlagen, Landestege, Wasserungs-
einrichtungen, Güllenlöcher, Gruben, Hauskläranlagen, Unterstände,
Windkraftanlagen, Sonnenkollektoren, Plastiktunnels für die Pflan-
zenproduktion, je nach Bedeutung und Lage Plastikfolienabdeckun-
gen, Stütz- und Futtermauern (HÄUPTLI, a.a.O., § 6 N 6). Es wäre
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
248
demnach falsch zu sagen, die von den Gemeinden festzulegenden
Grenzabstände würden von vornherein nur für Bauten oder Gebäude,
nicht hingegen für Anlagen gelten. Diese Differenzierung macht
§ 47 Abs. 1 BauG nicht, auch nicht nach der am 10. März 2009 be-
schlossenen Teilrevision des BauG, mit welcher der ehemalige Aus-
druck Baute generell durch den RPG-geläufigen Ausdruck Bauten
und Anlagen ersetzt wurde. Zwischen Bauten und Anlagen be-
steht denn auch keine scharfe Trennlinie. Im Allgemeinen gelten als
Bauten Gebäude oder gebäudeähnliche Objekte sowie Fahrnisbau-
ten. Als Anlagen werden eher Einrichtungen bezeichnet, die das
Gelände oder den umliegenden Raum verändern (Botschaft des Re-
gierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom
5. Dezember 2007 zur Teilrevision des Gesetzes über Raumplanung,
Umweltschutz und Bauwesen vom 19. Januar 1993 [Baugesetz,
BauG], 07.314, [nachfolgend: Botschaft BauG], S. 31). Dass sich die
Verpflichtung der Gemeinden zur Festlegung von Grenzabständen
sowohl auf Bauten als auch auf Anlagen bezieht, ergibt sich sodann
aus § 51 Abs. 1 BauG, wonach der Regierungsrat für untergeordnete
Bauten, Anlagen und Bauteile (also nicht nur für solche Bauten), ge-
ringere Abstände festlegen kann, als es die Baulinien und (ordentli-
chen) Abstandsvorschriften verlangen. Schliesslich wäre es auch mit
Sinn und Zweck von Abstandsvorschriften nicht zu vereinbaren,
wenn Anlagen generell aus deren Anwendungsbereich ausgeklam-
mert wären. Die damit zu schützenden Interessen der Nachbarn (vgl.
dazu HÄUPTLI, a.a.O., § 47 N 10 ff.) können - je nach Dimensionen
und Auswirkungen - durch eine Anlage gleichermassen oder ähnlich
stark wie durch ein Gebäude beeinträchtigt werden.
Die Verpflichtung der Gemeinden zur Festlegung von Grenzab-
ständen bedeutet nicht, dass die Nutzungsplanung für jede Grenze in
jeder Zone einen zwingend einzuhaltenden Grenzabstand vorschrei-
ben muss. Es gibt auch Zonen mit Nullgrenzabstand (geschlossene
Bauweise). Die Zonenvorschriften können die Grenzabstände auch
offenlassen, was zum Beispiel in Industriezonen oder Zonen für
öffentliche Bauten nicht unüblich ist (HÄUPTLI, a.a.O., § 47 N 5).
Die Gemeinden sind allerdings gehalten, eine entsprechende Festle-
gung zu treffen, wenn für bestimmte Bauten oder Anlagen kein oder
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
249
ein geringerer als der ordentliche Grenzabstand gelten soll. Solange
sie das nicht tun, gelten mit Ausnahme der im kantonalen Recht ver-
ankerten Abstandsprivilegien, insbesondere für Klein- und Anbauten
nach § 18 ABauV bzw. § 19 BauV, die ordentlichen Grenzabstände.
Würde man der Argumentation des Gemeinderats E. folgen, wonach
Splitverdampfer oder andere technische Anlagen mit vergleichbarem
Zweck und von ähnlicher Beschaffenheit, die sich nicht als Gebäu-
de im Sinne der IVHB (ortsfeste Bauten zum Schutz von Menschen,
Tieren oder Sachen, die eine feste Überdachung und in der Regel
weitere Abschlüsse aufweisen; vgl. Anhang 1 Ziff. 2.1 IVHB) quali-
fizieren, nicht unter den Begriff der Kleinbaute im Sinne von § 18
ABauV oder § 19 BauV subsumiert und insofern nicht vom dortigen
Grenzabstandsprivilegium profitieren können, wäre stattdessen nicht
etwa eine Nullgrenze anzunehmen. Vielmehr kämen mangels einer
anderweitigen gesetzlichen Regelung die ordentlichen Abstandsvor-
schriften zum Tragen (AGVE 2012, S. 149). Weil eine solche Ausle-
gung auf eine absurde und mit nichts zu rechtfertigende Benachteili-
gung kleiner Anlagen gegenüber Klein- und Kleinstbauten (als Teil-
menge der Kleinbauten) hinausliefe, ist der Anwendungsbereich von
§ 18 ABauV und § 19 BauV auf Anlagen auszudehnen, welche die
darin vorgesehenen Masse einhalten. An dieser Rechtsprechung ist
festzuhalten. Es besteht kein Präzisierungsbedarf, zumal mit der
Feststellung, dass Anlagen im Gegensatz zu Bauten keinen Grenzab-
stand einhalten müssen, nichts gewonnen wäre. Alsdann würde sich
die Diskussion dahin verlagern, was noch als Baute und was als An-
lage zu verstehen ist. Dass nur Gebäude im Sinne von Anhang 1
Ziff. 2.1 IVHB einen Grenzabstand einhalten müssen, stünde im of-
fenen Widerspruch zu den §§ 47 und 51 BauG, deren Geltungsbe-
reich klar nicht auf Gebäude beschränkt ist.
Die Gesetzeslage im Kanton Luzern lässt sich insofern nicht 1:1
mit derjenigen im Kanton Aargau vergleichen, als der Wortlaut der
§§ 122 (Ordentlicher Grenzabstand) und 124 (Grenzabstand bei
Kleinbauten und Anbauten) des Planungs- und Baugesetzes vom
7. März 1989 (PBG; SRL Nr. 735) den Anwendungsbereich der
Grenzabstandsvorschriften im Unterschied zu den §§ 47 und 51
BauG tatsächlich auf Bauten einschränkt und Anlagen (mit Ausnah-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
250
me von Mauern, Einfriedungen und Böschungen; siehe dazu § 126
PBG) unerwähnt lässt. Abgesehen davon vermag der von den Vorin-
stanzen zitierte Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 4. Mai
2016 (LGVE 2016 IV Nr. 4) nicht zu der von ihnen gewünschten
Klärung und Vereinheitlichung der Rechtslage beizutragen. Dort
wird zwar festgehalten, dass das Baupolizeirecht keine Mindest-
grenzabstände für Anlagen kenne (Erw. 4.4). Weiter hinten wird dann
aber sogleich relativierend angefügt, dass die im konkreten Fall um-
strittene Luft-Wasser-Wärmepumpe in ihren Dimensionen ver-
gleichsweise klein sei. Bei einer Pumpe, die wesentlich grösser und
breiter wäre, wäre zu prüfen, ob eine solche Maschine noch als Anla-
ge im Sinne des Rechts qualifiziert werden könne oder nicht viel-
mehr als Kleinbaute mit den gesetzlich vorgeschriebenen Abstands-
vorschriften (Erw. 4.4.1). Es ist also weiterhin nicht von vornherein
klar, dass alle Objekte, die sich nicht als Gebäude im Sinne der
IVHB qualifizieren, was insbesondere auf Wärmepumpen bzw. deren
externe Anlageteile zutrifft, keinen Grenzabstand einhalten müssen.
Wie bereits dargelegt, wird damit die Diskussion bloss auf die Frage
nach dem Anlagecharakter verlagert. Den Ausschlag für oder wider
einen Grenzabstand geben aber letztlich auch hier die wesentlich
sachgerechteren und griffigeren Kriterien der Dimensionierung und
der Auswirkungen eines Objekts auf den Raum und die Umgebung.
Es ist am Gesetzgeber zu definieren, in welchen Fällen die Dimen-
sionen und Auswirkungen von Bauten und Anlagen dermassen ge-
ringfügig sind (Stichwort: Bagatellbauten), dass sie keinen oder
höchstens einen minimalen Grenzabstand erfordern. Eine Grenzzie-
hung zwischen Bauten einerseits und Anlagen andererseits ist nicht
zielführend.
3.2.
Weil es weder im Recht des Kantons Aargau noch in demjeni-
gen der Gemeinde E. eine Vorschrift gibt, welche Bagatellbauten
oder -anlagen von der Einhaltung eines Grenzabstandes dispensiert,
kommen - wie erwähnt - die §§ 18 Abs. 2 ABauV und 19 Abs. 2
BauV mit dem darin vorgesehenen verkleinerten Grenzabstand von
2 m zum Tragen. Dieses Grenzabstandsprivilegium gilt nach dem
oben Gesagten sowohl für Kleinbauten (darunter Kleinstbauten) als
2018
Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht
251
auch - aus Rechtsgleichheitsgründen - für Anlagen mit ent-
sprechenden Dimensionen. Die Auffassung der Beschwerdeführer,
die den ordentlichen Grenzabstand (von 4 m) für massgeblich halten,
kann demgegenüber nicht geteilt werden. Die Leitungen, welche den
Splitverdampfer mit der Wärmepumpe im Wohnhaus verbinden,
berechtigen aus den vom Bundesgericht im Urteil vom 18. Januar
2016 (1C_204/2015), Erw. 2.2, dargelegten Gründen auch in der
vorliegenden Konstellation nicht zur Annahme, das Gerät sei
Bestandteil des Hauptgebäudes, für welches der ordentliche Grenz-
abstand gilt. Weshalb der Umstand, dass der Verdampfer nicht in eine
Kleinbaute (Schopf) untergebracht ist, an dieser Einschätzung etwas
ändern sollte, ist nicht ersichtlich. Der Verdampfer ist nicht
Bestandteil des Wohnhauses, sondern der sich darin befindlichen
Pumpe. Würde sich diese ausserhalb des Wohnhauses befinden, gälte
für sie aufgrund ihrer Abmessungen gleichermassen das
Grenzabstandsprivilegium der §§ 18 Abs. 2 ABauV und 19 Abs. 2
BauV.
Der nur 0,8 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze der
Beschwerdeführer und der Beschwerdegegner entfernte Splitver-
dampfer wahrt den Grenzabstand vom 2 m unbestrittenermassen
nicht. Nachdem es an einer (schriftlichen) Zustimmung der Be-
schwerdeführer zur Unterschreitung des Grenzabstandes fehlt, könn-
te für den Verdampfer am vorgesehenen Standort grundsätzlich keine
ordentliche Baubewilligung, sondern höchstens eine Ausnahmebe-
willigung nach § 67 BauG erteilt werden. (...) | 3,215 | 2,486 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-21_2018-12-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-21.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-21.pdf | AGVE_2018_21 | null | nan |
abd5506f-c758-5418-ae69-269ab494bc0a | 1 | 412 | 871,841 | 1,470,096,000,000 | 2,016 | de | [...]
19
Liegenschaftsunterhaltskosten: Anwendbarkeit der Neubaupraxis
Kein Unterhaltsabzug auch bei Geschäftsliegenschaften im Fall einer
kompletten Neugestaltung; Gleichsetzung mit Neubau
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
126
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 11. August
2016, i.S. KStA gegen D.V. und S.V. (WBE.2015.280) und D.V. und S.V. ge-
gen KStA (WBE.2015.279).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Gemäss § 25 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 StG sind alle wiederkeh-
renden und einmaligen Einkünfte steuerbar, namentlich aus Handel,
Industrie, Gewerbe, Land- und Forstwirtschaft, aus freiberuflicher
sowie jeder anderen selbständigen Erwerbstätigkeit. Als Geschäfts-
vermögen gelten alle Vermögenswerte, die ganz oder vorwiegend der
selbständigen Erwerbstätigkeit dienen (§ 27 Abs. 2 StG). Von diesen
Einkünften können die geschäfts- oder berufsmässig begründeten
Kosten abgezogen werden (§ 36 Abs. 1 StG), wozu bei Liegenschaf-
ten im Geschäftsvermögen auch die Aufwendungen mit werter-
haltendem Charakter gehören, wie das Spezialverwaltungsgericht
richtig festgehalten hat. Hingegen sind die Kosten für die An-
schaffung, Herstellung oder Wertvermehrung von Gegenständen des
Anlagevermögens nicht abzugsfähig, sondern zu aktivieren (§ 27
Abs. 3 StG i.V.m. § 68 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 StG). Als geschäfts- oder
berufsmässig begründete Kosten gelten Vermögensabgänge, die für
geschäftliche Zwecke, im Interesse des Unternehmensziels getätigt
worden sind. Die Aufwendungen sind abziehbar, wenn sie für die
Erzielung der Einkünfte geeignet sind und in engem Zusammenhang
mit dieser stehen. Entscheidend ist, ob ein Aufwand in Erwartung
einer wirtschaftlichen Gegenleistung erbracht worden ist (P
HILIPP
F
UNK
, in: M
ARIANNE
K
LÖTI
-W
EBER
/D
AVE
S
IEGRIST
/D
IETER
W
EBER
[H
RSG
.], Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Auf-
lage, Bern/Muri 2015, [Kommentar StG] § 36 N 5).
2.2.
Das Spezialverwaltungsgericht hat unabhängig von der An-
wendbarkeit der Neubaupraxis auf Liegenschaften im Geschäfts-
vermögen zu Recht festgestellt, dass die Begriffe werterhaltend und
2016
Kantonale Steuern
127
wertvermehrend bei Liegenschaften im Geschäftsvermögen und im
Privatvermögen einheitlich ausgelegt werden.
2.2.1.
Bei Aufwendungen im Zusammenhang mit bereits zum Ge-
schäftsvermögen gehörenden Gegenständen des Anlagevermögens
stellt sich die Frage, ob diese werterhaltend oder wertvermehrend
sind. Führen die Aufwendungen zu einer Wertvermehrung, so besteht
in diesem Umfang eine Aktivierungspflicht; dienen sie ausschliess-
lich der Werterhaltung, so handelt es sich um Aufwendungen, die der
Erfolgsrechnung zu belasten sind. Inwieweit die Aufwendungen
wertvermehrend (z.B. Umbauten, Modernisierungen) bzw. nur wert-
erhaltend (z.B. laufende Reparaturen, Unterhalts- und Wartungs-
arbeiten zur Erhaltung der Funktionstüchtigkeit) sind, ist im konkre-
ten Falle zu beurteilen. Eine Wertvermehrung und damit eine Ver-
pflichtung zur Aktivierung ist aus handelsrechtlicher und damit auch
steuerlicher Sicht nur möglich, wenn der Wert des Vermögensgegen-
stands über den bisherigen einkommenssteuerlich massgebenden
Wert gestiegen ist. In vielen Fällen enthalten Aufwendungen einen
wertvermehrenden und einen werterhaltenden Anteil. Die Aufteilung
ist den Steuerbehörden im Zusammenhang mit der Veranlagung von
natürlichen Personen als Diskussionspunkt bestens bekannt. Bei den
juristischen Personen fehlt jedoch die gleiche Brisanz, da nicht akti-
vierte wertvermehrende Aufwendungen über verminderte Abschrei-
bungen in den Folgejahren ohnehin in die Erfolgsrechnung, einfach
periodenverschoben, Eingang finden (P
ETER
E
ISENRING
, Kommentar
StG, § 68 N 58). Werterhaltende Aufwendungen werden i.d.R. für die
laufenden Reparaturen und Unterhaltsarbeiten vorgenommen,
währenddessen wertvermehrende Aufwendungen von der Unterneh-
mung für Umbauten bzw. für die Modernisierung von Betriebsanla-
gen gemacht werden (P
ETER
B
RÜLISAUER
/F
LURIN
P
OLTERA
, in:
Z
WEIFEL
/A
THANAS
[Hrsg.], Bundesgesetz über die direkte Bundes-
steuer, Band I/2a, 2. Auflage, Basel 2008, Art. 58 N 77).
2.2.2.
Die von den Beschwerdeführern II aufgezeigten Unterschiede
bei der Besteuerung von Liegenschaften im Geschäftsvermögen ge-
genüber solchen im Privatvermögen (keine Pauschalierung der
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
128
Unterhaltskosten, kein Abzug für Kosten im Zusammenhang mit
Umweltschutzmassnahmen und im Bereich des Denkmalschutzes bei
Liegenschaften im Geschäftsvermögen sondern Aktivierung dersel-
ben) sind gesetzliche Ausnahmetatbestände. Die Abgrenzung von
wertvermehrenden und werterhaltenden Aufwendungen wird
dadurch nicht berührt und gilt auch für das Geschäftsvermögen. Die
Beurteilung des Spezialverwaltungsgerichts trifft damit zu.
2.2.3.
Die Beschwerdeführer II weisen für ihren Standpunkt ausser-
dem auf die unterschiedliche Vergleichsbasis bei wertvermehrenden
Aufwendungen im Geschäftsvermögen (bisheriger [Einkommens-
steuer-]Wert der Liegenschaft vor Ausführung der Arbeiten) und im
Privatvermögen ([Einkommenssteuer-]Wert im Erwerbszeitpunkt)
hin. Dieser Unterschied ist auf das dualistische System der Grund-
stückgewinnsteuer für Liegenschaften im Privatvermögen zurückzu-
führen und die Tatsache, dass Liegenschaften im Geschäftsvermögen
im Gegensatz zu denjenigen im Privatvermögen ab dem Erwerb
abgeschrieben werden können. Die unterschiedliche Vergleichsbasis
ändert jedoch nichts an der Art der Beurteilung, ob wertvermehrende
oder werterhaltende Aufwendungen vorliegen.
3.
3.1.
Die Beschwerdeführer II führen richtig aus, dass bei Liegen-
schaften im Geschäftsvermögen nur dann eine Aktivierung möglich
ist, wenn der Wert des Vermögensgegenstands über den bisherigen
steuerlich massgebenden Wert gestiegen ist (E
ISENRING
, a.a.O., § 68
N 58). Ebenso zutreffend ist, dass alle Kosten für die Vermehrung
oder dauernde Verbesserung von Wirtschaftsgütern, welche dem Un-
ternehmen zur Verfügung stehen, ihm über den Bilanzstichtag hinaus
einen Nutzen abwerfen und als Objekte einzeln identifizierbar und
bewertbar sind, aktivierungsfähig sind (D
IETER
E
GLOFF
, Kommentar
StG, § 39 N 124; siehe auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kan-
tons Thurgau vom 12. Februar 2014 [VG.2013.88] Erw. 2.3.3). Sol-
che (wertvermehrenden) Investitionen können, im Gegensatz zu den
(werterhaltenden) Unterhalts- und Reparaturkosten, nicht dem Auf-
wand der laufenden Geschäftsperiode belastet werden (vgl. E
RNST
2016
Kantonale Steuern
129
K
ÄNZIG
, Die direkte Bundessteuer, II. Teil, 2. Auflage, Basel 1982-
1992, Art. 49 N 114). Die Ausgaben für Um- und Erweiterungsbau-
ten bilden wertvermehrenden Aufwand. Ihre Aktivierung ist steuer-
rechtlich sachgemäss. Auch Grossreparaturen, die die Nutzungsdauer
verlängern, sind zu aktivieren (K
ÄNZIG
, a.a.O., Art. 49 N 170 f.).
3.2.
Den Beschwerdeführern II ist überdies zuzustimmen, dass für
Liegenschaften im Geschäftsvermögen nicht direkt § 39 StG zur An-
wendung kommen kann, sondern gemäss § 36 StG die Grundsätze
des Handelsrechts gelten. Sie übersehen dabei aber, dass bereits von
Handelsrechts wegen Anschaffungs- oder Herstellungskosten und
wertvermehrende Aufwendungen, soweit sie aktivierungsfähig sind,
auch aktiviert werden müssen, d.h. aktivierungspflichtig sind (vgl.
nunmehr ausdrücklich Art. 959 Abs. 2 OR [in der Fassung vom
23. Dezember 2011, in Kraft seit 1. Januar 2013] sowie dazu P
ETER
B
ÖCKLI
, Neue OR-Rechnungslegung, Zürich 2014, S. 74 f.; ebenso
bereits zum alten Recht P
ETER
L
OCHER
, Kommentar zum DBG,
II. Teil, Basel 2004, Art. 58 N 87; vgl. ebenfalls zum alten Recht und
dem grundsätzlichen Fehlen von Ansatzwahlrechten im schweizeri-
schen Rechnungslegungsrecht R
OLF
B
ENZ
, Handelsrechtliche und
steuerrechtliche Grundsätze ordnungsmässiger Bilanzierung, Zürich
2000, S. 177 f.).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer II hat bereits
handelsrechtlich bei einer umfassenden Totalsanierung einer Liegen-
schaft mit Auskernung und erheblicher Nutzungserweiterung eine
Gesamtbetrachtung Platz zu greifen und sind die Kosten insgesamt
als Herstellungskosten zu aktivieren. Nichts anderes ergibt sich
insbesondere auch aus der von den Beschwerdeführern II angeführ-
ten Textstelle aus dem Handbuch der Wirtschaftsprüfung (Schwei-
zerische Treuhandkammer [Hrsg.], Schweizer Handbuch der Wirt-
schaftsprüfung, Band 1, Buchführung und Rechnungslegung, Zürich
2009, S. 202). Dort wird ausgeführt, dass bei Umbauten "weniger
einzelne Bautätigkeiten, sondern das Projekt als Ganzes" zu beur-
teilen seien. Das kann nichts anderes heissen, als dass bei einem
umfassenden Projekt grundsätzlich die gesamten Kosten als Her-
stellungskosten aktivierungsfähig und damit auch aktivierungs-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
130
pflichtig sind. In der Neuauflage des Handbuchs der Wirtschaftsprü-
fung (Zürich 2014, S. 192), wird denn auch der Fokus sogar noch
stärker auf die Gesamtbetrachtung gelegt, wenn es dort zu Umbauten
in bestehenden Gebäuden heisst: "Der Bewerter soll in solchen Fäl-
len zur Beurteilung der Aktivierungsfähigkeit nicht zu eng am Krite-
rium der Wertvermehrung haften. Bei Umbauten kann eine vorberei-
tende Bauleistung von an sich wertvermindernder Art dennoch einen
Nutzen haben. In diesem Sinne sind weniger einzelne Bautätigkeiten
zu beurteilen, sondern das Projekt als Ganzes". Anderes kann und
muss nur dann gelten, wenn die umfassende Totalsanierung mit Um-
bau einer Liegenschaft und die Aktivierung der damit verbundenen
Kosten zu einem Buchwert führen würden, der über dem Verkehrs-
wert liegt (vgl. dazu L
UKAS
H
ANDSCHIN
, Rechnungslegung im
Gesellschaftsrecht, Basel 2013, S. 277 Rz 598). Das ist hier aber
nicht erkennbar.
Die Beschwerdeführer II wollen dagegen (unter Bezugnahme
auf die von ihrem Rechtsvertreter stammende Kommentierung von
§ 39 StG; vgl. D
IETER
E
GLOFF
, Kommentar StG, § 39 N 117 ff.)
auch im Zusammenhang mit der umfassenden Totalsanierung mit
Auskernung und Nutzungserweiterung einer Liegenschaft an einer
Trias von Kosten, nämlich aktivierungsfähigen Kosten (für die ein
Aktivierungswahlrecht bestehen soll), aktivierungspflichtigen Kosten
und zuletzt bloss werterhaltenden Investitionen unterscheiden, wobei
letztere geschäftsmässig begründeten Aufwand darstellen und
dementsprechend steuerlich zu berücksichtigen sein sollen. Diese
Unterscheidung überzeugt nicht. Werden Massnahmen, die ansonsten
als blosser Gebäudeunterhalt geschäftsmässig begründeten Aufwand
darstellen würden, im Rahmen einer umfassenden Neugestaltung
einer Liegenschaft vorgenommen, bilden auch diese Massnahmen
Bestandteil der Gesamtsanierung und tragen zusammen mit den übri-
gen Massnahmen zum Gesamtzusatzwert des Vermögensgegenstands
bei, über den der Geschäftsinhaber verfügen kann, aus dem ein
Mittelzufluss wahrscheinlich ist und dessen Wert (als Ganzes) ver-
lässlich geschätzt werden kann. Entgegen der Auffassung der Be-
schwerdeführer II rechtfertigt sich daher bei Totalsanierungen wie
der vorliegend zu beurteilenden keine Aufspaltung zwischen aktivie-
2016
Kantonale Steuern
131
rungspflichtigen, aktivierungsfähigen und bloss werterhaltenden
Massnahmen; dies zumal auch deshalb, weil ein Unterscheidungs-
kriterium zwischen den verschiedenen Arten von Massnahmen
gerade im Zusammenhang mit einer Gesamtsanierung nicht erkenn-
bar ist: So kann etwa ohne Abbruchkosten gar keine umfassende
Neugestaltung stattfinden; diese sind gewissermassen kausale
Voraussetzung für die Neugestaltung selbst. Ebenso wäre es kaum
nachvollziehbar den Einbau eines neuen Bads oder einer neuen
Küche, auf den zu verzichten bei einer Komplettumgestaltung öko-
nomisch gesehen geradezu sinnwidrig wäre, auch im Rahmen einer
Totalsanierung als blosse werterhaltende Massnahme zu betrachten.
Dementsprechend ist schon aus handelsrechtlicher Perspektive, die
gemäss Wirtschaftsprüferhandbuch einen Blick auf ein "Projekt als
Ganzes" verlangt, die von den Beschwerdeführern II vertretene Un-
terscheidung zwischen verschiedenen Kostenarten abzulehnen (vgl.
im Übrigen zur Rechtsgleichheitsproblematik gegenüber Eigen-
tümern privat gehaltener Liegenschaften hinten Erw. 4.4).
3.3.
Die Beschwerdeführer II machen weiter geltend, bezüglich des
neu erstellten Dachstuhls/Dachs seien 85% als werterhaltend und
15% als wertvermehrend anzusehen. Es seien daher Fr. 60'426.00 als
geschäftsmässig begründeter Aufwand zum Abzug zuzulassen.
Die Beschwerdeführer II verkennen, dass die vorgenommenen
baulichen Arbeiten über den Bilanzstichtag hinaus einen Wert bzw.
Nutzen behalten. Der Marktwert des Wohnhauses wurde gegenüber
dem bisherigen Buchwert durch die Investitionen bleibend verbes-
sert. Es handelt sich dementsprechend um Herstellungskosten
.
Insge-
samt haben die Beschwerdeführer II im Jahr 2007 eine Summe von
Fr. 467'285.00 in das Wohnhaus investiert. Damit war jedoch der
Umbau noch nicht abgeschlossen. Bis im Jahr 2009 beliefen sich die
Investitionen auf rund Fr. 1,2 Mio. Die Beschwerdeführer II haben
das Zweigenerationenhaus in ein Einfamilienhaus umgebaut. Gemäss
den Plänen und den Luftaufnahmen wurden in das neu erstellte
Dach, welches zudem zwecks Raumgewinns erhöht wurde, beidsei-
tig grosse Lukarnen eingebaut. Unter dem Dach entstanden neu ein
beheizter Wohnraum mit zwei Zimmern, ein Estrichzimmer, ein Vor-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
132
raum sowie ein WC. Im Obergeschoss liessen die Beschwerdefüh-
rer II ein Elternschlafzimmer, zwei Kinderzimmer, ein Büro, ein Ba-
dezimmer und einen separaten Ankleideraum einbauen. Im ent-
kernten Erdgeschoss entstand ein grosser offener Raum mit Küche,
Esszimmer und Wohnzimmer, davon abgetrennt ein Lagerraum, ein
WC und ein weiteres Zimmer. Neu erstellt wurde sodann eine Ter-
rasse mit teilweiser Glasüberdachung.
Offensichtlich liegt hier eine umfassende Gebäudemodernisie-
rung vor, mit welcher sich längerfristig eine Wertvermehrung gegen-
über dem Markt- und Verkehrswert im Zeitpunkt der Investition
ergeben hat. Die Investitionen können daher nicht als Aufwand ver-
bucht werden, sondern sind zu aktivieren. Bei umfassenden Gebäu-
demodernisierungen ist anstelle der Einzelbetrachtung eine Ge-
samtbetrachtung vorzunehmen, da sich aus dem gesamten Projekt
eine Wertvermehrung ergibt. Die Aktivierungspflicht bei umfassen-
den Gebäudemodernisierungen fusst direkt auf dem Handelsrecht,
womit auch ohne Anwendung der Neubaupraxis die Kosten des To-
talumbaus nicht der Erfolgsrechnung belastet werden dürfen.
3.4.
Die Sanierung/Neuerstellung des Kachelofens erfolgte ebenfalls
im Zuge der umfassenden Gebäudemodernisierung und kann nicht
losgelöst davon beurteilt werden. Die Massnahme ist ein Teil des all-
umfassenden Projekts, bei dem nicht die einzelnen Massnahmen als
solche betrachtet werden, sondern das grosse Ganze. Der Minder-
heitsmeinung im angefochtenen Entscheid liegt eine Gesamt-
betrachtung zugrunde, wie sie für Liegenschaften im Privatvermögen
angewendet wird. Diese Betrachtung muss auch für Liegenschaften
im Geschäftsvermögen zur Anwendung gelangen (vgl. unten Erw. 4).
Handelt es sich wie hier um eine umfassende Gebäudemoderni-
sierung einer Liegenschaft im Geschäftsvermögen und resultiert
daraus eine Wertvermehrung gegenüber dem Markt- und Verkehrs-
wert im Zeitpunkt der Investition, sind sämtliche in diesem Zu-
sammenhang entstehenden Kosten zu aktivieren.
3.5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Kosten der Gebäudemo-
dernisierung inklusive Kachelofen zu aktivieren sind und nicht als
2016
Kantonale Steuern
133
Aufwand der Erfolgsrechnung belastet werden können. Die Be-
schwerde ist bereits aus diesem Grund abzuweisen. Wie nachfolgend
aufgezeigt wird, ist die Beschwerde auch unter dem Gesichtspunkt
der Anwendbarkeit der Neubaupraxis auf Liegenschaften im Ge-
schäftsvermögen abzuweisen.
4.
Die Beschwerdeführer II bestreiten die Rechtmässigkeit der An-
wendung der für Liegenschaften im Privatvermögen entwickelten
Neubaupraxis auf Liegenschaften im Geschäftsvermögen. Dies
widerspreche dem Handelsrecht und dem Grundsatz der Mass-
geblichkeit der Handelsbilanz und führe zu einer Verletzung des
Legalitätsprinzips.
4.1.
Wie bereits aufgezeigt (siehe vorne Erw. 3), schreibt das Han-
delsrecht selbst die Aktivierung von Kosten im Zusammenhang mit
umfassenden Gebäudemodernisierungen vor. Ein Widerspruch zum
Handelsrecht besteht entgegen den Beschwerdeführern II nicht. Die
Rechtsfolgen bei der für Liegenschaften im Privatvermögen ent-
wickelten Neubaupraxis und der vom Handelsrecht vorgeschriebenen
Aktivierung von Kosten bei Gebäudemodernisierungen sind iden-
tisch (kein Abzug der entsprechenden Kosten). Der einzige Unter-
schied besteht darin, dass für die Praxis bei Liegenschaften im
Privatvermögen der Begriff "Neubaupraxis" entwickelt worden ist.
Da die Rechtsfolgen dieselben sind, liegt in der Anwendung der Neu-
baupraxis auf Liegenschaften im Geschäftsvermögen weder eine Ver-
letzung des Grundsatzes der Massgeblichkeit der Handelsbilanz noch
des Legalitätsprinzips.
4.2.
Das Spezialverwaltungsgericht hat die Gesamtbetrachtung, res-
pektive die Neubaupraxis auf Liegenschaften im Geschäftsvermögen
mit dem Verweis auf die mittlerweile aufgegebene Dumont-Praxis
angewendet. Gemäss der vom Bundesgericht zu Liegenschaften im
Privatvermögen entwickelten Praxis stellt eine Totalsanierung, die
praktisch einem Neubau gleichkommt, aus steuerlicher Sicht eine
Herstellung dar, weshalb die damit verbundenen Kosten einkom-
menssteuerlich nicht absetzbar sind. Auch ein völliger Um- oder
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
134
Ausbau einer Liegenschaft kommt wirtschaftlich einem Neubau
gleich. Wird eine Liegenschaft umgebaut und neuen Zwecken zuge-
führt, liegt Herstellung vor, wenn die "Renovation" umfangmässig
einem Neubau gleichkommt. Das ist insbesondere bei Aushöhlung
der Baute oder von Gebäudeteilen mit anschliessender Neugestaltung
der Innenraumeinteilung der Fall (Urteil des Bundesgerichts vom
1. Oktober 2015 [2C_460/2015] Erw. 4.1 mit weiteren Hinweisen).
Diese Praxis stützt sich auf einen Bundesgerichtsentscheid
(BGE 123 II 218, Erw. 1c) aus dem Jahre 1997: Damit Kosten als
Liegenschaftsunterhaltskosten geltend gemacht werden können, ist
nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stets vorausgesetzt,
dass die vor der Durchführung der entsprechenden Massnahmen und
die nachher bestehende Nutzung im Wesentlichen miteinander ver-
gleichbar sind.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau hat auf diese
Rechtsprechung in einem Entscheid vom 2. Februar 2011 abgestellt:
Liegt nach der "Renovation" ein eigentliches Aliud vor, so stellt sich
die Frage nach der Qualifikation der baulichen Massnahmen im Ein-
zelnen nicht, sondern es ist gesamthaft die Abzugsfähigkeit zu
verweigern (WBE.2010.164 Erw. 5). Bei Liegenschaften im Privat-
vermögen kommt im Normalfall bei der Beurteilung von Liegen-
schaftsunterhaltskosten die Einzelbetrachtung zur Anwendung; die
Gesamtbetrachtung ist der Ausnahmefall. Einzig dann, wenn die Lie-
genschaft als Ganzes oder einzelne Teile der Liegenschaft so
grundlegend neu gestaltet werden, dass die Arbeiten einer eigentli-
chen Neuerstellung gleichkommen oder der Nutzwert der Liegen-
schaft so merklich erhöht wird, dass die ausgeführten Arbeiten einem
Aus- oder Umbau der Liegenschaft gleichzusetzen sind, ist eine Ge-
samtbetrachtung angezeigt (E
GLOFF
, Kommentar StG, § 39 N 29).
4.3.
Der Umbau des Wohnhauses der Beschwerdeführer II (siehe
vorne Erw. 3.2) von einem Zweigenerationenhaus in ein Einfamilien-
haus mit der damit einhergehenden Entkernung und Neueinteilung
des Wohnraums ist nicht mehr vergleichbar mit der Situation vor
dem Umbau. Die Umbauten im Dachgeschoss stellen zudem den
klassischen Fall einer Wohnraumerweiterung dar, deren Kosten als
2016
Kantonale Steuern
135
Herstellungskosten zu qualifizieren sind (Urteil des Bundesgerichts
vom 4. September 2014 [2C_153/2014] Erw. 3.2). Aufgrund dieser
massiven Veränderungen kann auch nicht mehr von einer ver-
gleichbaren Nutzung gesprochen werden, damit ist entgegen den
Beschwerdeführern von einer Nutzungsänderung auszugehen.
Auch in Anbetracht der investierten Mittel von rund Fr. 1,2
Mio. liegt hier wirtschaftlich betrachtet ein Neubau vor. Wie im
vorinstanzlichen Urteil richtig ausgeführt, wendete das Bundesge-
richt die inzwischen aufgehobene Dumont-Praxis, auch auf Liegen-
schaften im Geschäftsvermögen an (BGE 108 Ib 316), ebenso das
Verwaltungsgericht (Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 9. April
2003 [BE.2002.239] Erw. 4a). Hier handelt es sich zwar nicht um
eine Instandstellung einer stark vernachlässigten Liegenschaft son-
dern um den Totalumbau einer selbst genutzten Liegenschaft, den-
noch sind die Umstände vergleichbar. In beiden Fällen wird eine Lie-
genschaft vollständig umgebaut, sodass die Liegenschaft mit dem ur-
sprünglichen Zustand nicht mehr vergleichbar ist. Aufgrund dieser
Gemeinsamkeiten zwischen Dumont-Praxis und Neubaupraxis ist es
naheliegend, die Neubaupraxis auch auf Liegenschaften im Ge-
schäftsvermögen anzuwenden.
4.4.
Dass Aufwendungen aktiviert werden müssten, welche lediglich
dem Unterhalt dienen, trifft entgegen den Beschwerdeführern II, wie
bereits dargelegt, vorliegend nicht zu. Durch die vorgenommene To-
talsanierung kommt der Umbau einem Neubau gleich, bei welchem
nicht mehr zwischen werterhaltenden und wertvermehrenden
Aufwendungen unterschieden wird. Anstelle der Einzelbetrachtung
erfolgt eine Gesamtbetrachtung. Auch in der von den Beschwer-
deführern II zitierten Stelle im Handbuch für Wirtschaftsprüfer wird
bei Umbauten "eher das Projekt als Ganzes und weniger einzelne
Bautätigkeiten beurteilt" (Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprü-
fung, Band 1, Buchführung und Rechnungslegung, Zürich, S. 202).
Dass Aufwendungen aktiviert werden müssen, die bei Einzel-
betrachtung lediglich dem Unterhalt dienen und nicht zu einer
Wertvermehrung der Liegenschaft führen, ist gerade der Sinn der
Neubaupraxis, da wie der Name schon sagt, ein Neubau ange-
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
136
nommen wird und sämtliche damit verbundenen Kosten als Her-
stellungskosten und damit als wertvermehrend zu qualifizieren sind.
Würde zudem die Neubaupraxis zwar auf Liegenschaften im Privat-
vermögen angewendet, nicht aber auf Liegenschaften im Geschäfts-
vermögen, resultierte daraus eine nicht zu rechtfertigende Un-
gleichbehandlung. Auch bei Liegenschaften im Privatvermögen
können bei der Anwendung der Neubaupraxis Aufwendungen für den
Unterhalt nicht zum Abzug gebracht werden. Die entwickelten
Grundsätze der Neubaupraxis betreffen Liegenschaften an sich, keine
Rolle spielt, ob sich diese nun im Geschäftsvermögen oder Privatver-
mögen befinden. Würde die Praxis lediglich für Liegenschaften im
Privatvermögen gelten, könnte sie durch Gründung einer juristischen
Gesellschaft und Einbringung der Liegenschaft einfach umgangen
werden.
4.5
Entgegen den Beschwerdeführern II kann somit die Neubaupra-
xis auf Liegenschaften im Geschäftsvermögen angewendet werden
und die Beschwerde erweist sich auch aus diesem Grund als
unbegründet.
5.
Unter Bezugnahme auf das Rekursverfahren wollen die Be-
schwerdeführer II eine ausserordentliche Abschreibung vornehmen
für den Fall, dass ihr Begehren nicht gutgeheissen wird. Zwar fehlt
ein entsprechender formeller Eventualantrag, doch kann ein solcher
aus der Beschwerde abgeleitet werden. Das Spezialverwaltungs-
gericht hat die ausserordentliche Abschreibung abgelehnt, weil die
Voraussetzungen für eine nachträgliche Änderung der Bilanz nicht
vorliegen würden. Der von den Beschwerdeführern II geltend
gemachte Irrtum - sie bringen vor, die Anwendung der Neubaupraxis
auf Liegenschaften im Geschäftsvermögen sei nicht voraussehbar
gewesen und aufgrund dessen hätten sie keine Veranlassung gehabt,
eine ausserordentliche Abschreibung vorzunehmen - ändert nichts.
Die Kosten des Umbaus hätten bereits von Handelsrechts wegen
aktiviert werden müssen (siehe vorne Erw. 3.2). Der Versuch, diese
Kosten über die Erfolgsrechnung zu buchen, gründet nicht in einem
Irrtum sondern wurde vorgenommen, um damit eine erhebliche
2016
Kantonale Steuern
137
Steuerersparnis zu erzielen. Unter diesen Umständen hat das Spezial-
verwaltungsgericht mit Verweis auf das Urteil des Bundesgerichts
vom 16. August 2012 [2C_29/2012], Erw. 2.1 die nachträgliche Än-
derung der Bilanz zu Recht nicht zugelassen, da Bilanzänderungen,
mit denen Wertänderungen zum Ausgleich von Aufrechnungen im
Veranlagungsverfahren erfolgen oder die lediglich aus Gründen der
Steuerersparnis vorgenommen werden, in der Regel ausgeschlossen
sind.
Auch die Befürchtung der Beschwerdeführer II, dass der Buch-
wert der Liegenschaft per 31. Dezember 2007 deutlich höher als der
Verkehrswert wäre, kann nicht zu einer nachträglichen Bilanzände-
rung führen. Anhaltspunkte für eine Überbewertung, welche ange-
sichts der bestehenden Aktivierungspflicht für die vorgenommenen
Investitionen, von den Beschwerdeführern II zu liefern wären, sind
nicht erkennbar. Wie das Spezialverwaltungsgericht korrekt festhält,
handelt es sich vorliegend um handelsrechtlich aktivierungsfähige
und damit auch -pflichtige Aufwendungen. Es ist daher nicht
einzusehen, weshalb deren Aktivierung zu einer handelsrechtswidri-
gen Überbewertung des Wohnhauses in der Steuerbilanz führen
sollte. Das Wohnhaus kann in den folgenden Steuerperioden weiter-
hin abgeschrieben werden. Eine ausserordentliche Abschreibung,
welche nur dann in Frage kommt, wenn auf Geschäftsvermögen eine
ausserordentliche Wertminderung eintritt, ist mangels eines entspre-
chenden Nachweises durch die Beschwerdeführer II nicht vorzuneh-
men. | 5,450 | 4,399 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-19_2016-08-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-19.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-19.pdf | AGVE_2016_19 | null | nan |
ac0848d4-800b-5cce-98e7-eb92e0dded66 | 1 | 412 | 871,824 | 1,091,404,800,000 | 2,004 | de | 2004
Kantonale Steuern
135
[...]
35
Verständigung (Vergleich) im Veranlagungsverfahren.
- (Beschränkte)
Zulässigkeit
der
Verständigung.
- Obwohl die Anfechtung mit Rechtsmitteln zulässig bleibt, entspricht
es dem Sinn der Verständigung, dass sie beidseitig verbindlich sein
soll. Die Verbindlichkeit kann sich namentlich aus dem Grundsatz von
Treu und Glauben ergeben.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 25. August 2004 in
Sachen U.S. gegen Steuerrekursgericht. Zur Publikation vorgesehen in StE
2005. | 114 | 101 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-35_2004-08-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-35.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-35.pdf | AGVE_2004_35 | null | nan |
acb8a087-526e-548f-9379-794631bee7af | 1 | 412 | 870,675 | 1,117,843,200,000 | 2,005 | de | 2005
Schulrecht
97
I. Schulrecht
24
Anspruch auf Schulgeld für den Besuch einer Privatschule.
- Ein Anspruch auf Schulgelder für einen Schüler mit besonderer Be-
gabung (Hochbegabung) besteht nur dann, wenn an den öffentlichen
Schulen, welche die Aufenthaltsgemeinde anbietet, eine adäquate
Schulung nicht möglich ist.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 9. Juni 2005 in Sachen
F.G. und S.G. gegen die Einwohnergemeinde A.
Aus den Erwägungen
2. (Zusammenfassung der Rechtsprechung; vgl. AGVE 2003,
S. 95 f.; 2001, S. 155 ff.)
3.1. (...)
3.2.1. Das Schulgesetz des Kantons Aargau bestimmt, dass
Schüler mit besonderen Begabungen, die durch den ordentlichen
Unterricht nicht genügend gefördert werden können und für die das
Überspringen von Klassen nicht angezeigt ist, in der Regelklasse mit
geeigneter Unterstützung gefördert werden können (§ 15 Abs. 4
SchulG). § 20 der Verordnung über die Förderung von Kindern und
Jugendlichen mit besonderen schulischen Bedürfnissen vom 28. Juni
2000 (SAR 421.331) schreibt für Förderangebote vor, dass die
Schulpflege dafür zu sorgen hat, dass die Begabungsförderung in
erster Linie innerhalb der bestehenden Schulorganisation und mit den
zur Verfügung stehenden Mitteln vor Ort sichergestellt ist (Abs. 1).
Die Schulpflege kann Schülerinnen und Schülern mit besonderen
Begabungen den Besuch von Lektionen in einer höheren Klasse oder
in einem anderen Schultyp gestatten (Abs. 2) und kann in Ergänzung
zur bestehenden Schulorganisation Gruppen- und Einzelangebote für
Schülerinnen und Schüler mit besonderer Begabung einrichten
2005
Verwaltungsgericht
98
(Abs. 3). Gesetzlich vorgesehene Massnahmen bei Hochbegabung
sind demnach nebst der Förderung im ordentlichen Unterricht
entweder das Überspringen von Klassen oder individuelle und
ergänzende Förderungsmassnahmen im Einzelfall.
Mit dem Thema Hochbegabung und deren Förderung setzt sich
auch das ,,Dossier Unterricht, Begabungsförderung in der Volks-
schule" auseinander. Dessen Teil 1 befasst sich insbesondere mit den
Definitionen und Modellen besonderer Begabungen bzw. Hochbega-
bung, mit der Häufigkeit von Schülerinnen und Schülern mit beson-
deren Begabungen sowie den Voraussetzungen zur Begabungsförde-
rung. Teil 2 spricht sich zu den Identifikationsverfahren und den
begabungsfördernden Massnahmen (Einzel- und Gruppenangeboten)
aus. Weitere Weisungen zur Umsetzung der Begabungsförderung im
ausserschulischen Bereich sind im Dossier ,,Umsetzungshilfe zur
Begabungsförderung: Ergänzende schulische Massnahmen (ESM)
bei Intensivförderung im ausserschulischen Bereich" zu entnehmen.
Steht das Überspringen einer Klasse zur Diskussion, so finden sich
ergänzende Hinweise in ,,12 Punkte die beim Überspringen zu be-
achten sind" des BKS.
3.2.2. Im Folgenden ist zum einen zu prüfen, ob die vorge-
nannten Massnahmen ergriffen wurden, und zum anderen, welche
Gründe zum Übertritt von X in die Privatschule führten.
3.3. (...)
3.4.1. Die Massnahmen, die das Gesetz, die Verordnung über
die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen schuli-
schen Bedürfnissen sowie die verschiedenen Weisungen bei Hochbe-
gabung vorsehen (vgl. oben Erw. 3.2.1), wurden vorliegend von der
Schulpflege A ergriffen. Ein Überspringen der zweiten Klasse wurde
geprüft, wobei X sogar die Möglichkeit bekam, provisorisch für eine
beschränkte Zeit die nächsthöhere Schulklasse zu besuchen. Der
definitive Übertritt wurde von den zuständigen Behörden mit sachli-
chen, nachvollziehbaren Gründen abgelehnt. Weiter wurden den
Klägern zum einen während des regulären Unterrichts Angebote zur
Begabungsförderung unterbreitet, zum anderen wurde ein Einzelför-
derunterricht in Aussicht gestellt, wobei die Schulpflege A die von
ihrer Seite erforderlichen Vorbereitungen traf. Nachdem die Kläger
2005
Schulrecht
99
sich für Xs Wechsel in die "Talenta" des FG Basel entschieden
hatten, nahmen sie die von der Schulpflege A angebotene Bega-
bungsförderung nicht in Anspruch.
Die Tatsache, dass es innerhalb der Gemeinde A zu keinem För-
derungsprogramm gekommen ist, lag somit im Verantwortungsbe-
reich der Kläger, welche sich für eine andere Förderungsvariante
entschieden hatten. Die Schulpflege A ist ihren Pflichten nachge-
kommen.
3.4.2. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der vorgeschla-
genen Massnahmen vermögen - selbst wenn sie zutreffen, was von
der Beklagten bestritten wird - keinen wichtigen Grund zu rechtferti-
gen. Die Schulpflege hat mit Beschluss vom 3. April 2003 die Förde-
rung im Einzelunterricht bei Y ohne Begrenzung der Unterrichtszeit
beschlossen. Sofern aufgrund Ys Belastung nur eine Wochenstunde
möglich gewesen wäre, hätten die Kläger zusätzliche Stunden ver-
langen können. Möglich ist, dass der geplante Förderunterricht allein
den emotionalen Zustand von X nicht verbessert hätte. Die von der
Schulpflege beschlossene Förderung war indessen weder definitiv
noch schloss sie weitere Alternativen und Förderungsmassnahmen
aus. So hätten zusätzliche Förderungen geprüft und beispielsweise
auch das Überspringen erneut in Betracht gezogen werden können.
Zu berücksichtigen ist, dass X in der Selbst- und Sozialkompetenz
ernst zu nehmende Probleme hatte, welche auch am FG Basel zu
ergänzenden therapeutischen Massnahmen Anlass gegeben haben.
Auch solche therapeutischen Massnahmen bietet das öffentliche
Schulwesen an (§ 59 SchulG i.V.m. Dekret über die psychologischen
und ärztlichen Schuldienste vom 29. April 1986 [SAR 405.110]). Die
entsprechenden Feststellungen in den erwähnten Berichten bestätigen
sodann im Wesentlichen auch die Beurteilung von Lehrperson, PSD
und Schulpflege. (...)
Dass es nach Einschätzung der Kläger wünschenswert war, dass
X in der "Talenta"-Klasse geschult wird, ist für das Verwaltungsge-
richt nachvollziehbar und verständlich. Die Entscheidung für den
Besuch des FG Basel erscheint auch im Interesse von X richtig. Dies
bedeutet indessen nicht, dass das FG Basel die einzige Schulungs-
möglichkeit für X war; die ,,Talenta" war eine unter verschiedenen
2005
Verwaltungsgericht
100
Möglichkeiten. Unbestritten ist, dass im regionalen oder kantonalen
Schulwesen kein zur "Talenta"-Klasse des FG Basel gleichwertiges
Bildungsangebot mit integrierter individueller, therapeutischer und
schulischer Begleitung und Unterstützung bestanden hat. Entschei-
dend für eine Pflicht der Beklagten zur Übernahme des Schulgeldes
ist aber, ob an der öffentlichen Schule eine
adäquate
Schulung mög-
lich war. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass X im Rah-
men des öffentlichen Schul- und Begabtenförderungsangebotes nicht
hinreichend hätte geschult werden können. Das Recht auf an-
gemessene Bildung und ausreichenden Unterricht ist nicht gleichzu-
setzen mit dem Anliegen auf die optimale Schulung des einzelnen
Kindes.
Die Kläger haben sich für einen Privatschulbesuch Xs am FG
Basel entschieden, obwohl eine adäquate Förderung im öffentlichen
Schulangebot bestanden hätte. Grundlage ihres Entscheides war kein
wichtiger Grund, welcher eine Kostenpflicht des Gemeinwesens
auszulösen vermöchte, und auch eine Ausnahmesituation im Sinne
des Gesetzes und der Rechtsprechung liegt nicht vor.
4. Zusammenfassend ergibt sich, dass für die Privatschulung
von X am FG Basel kein zwingendes Erfordernis bestand, weil Al-
ternativen im öffentlichen Schulangebot mit individueller Förderung
seiner Begabung vorhanden waren. Der öffentliche Schulbesuch der
zweiten Primarschule in A stand X weiterhin offen; zudem wurden
konkrete Förderungsmassnahmen vorbereitet. Die Klage ist somit
vollumfänglich abzuweisen. Die Schulung in der "Talenta" des FG
Basels erfolgte auf Wunsch der Kläger, und es liegt vorliegend keine
Ausnahmesituation vor, welche die Übernahme des Schulgeldes für
die Privatschule rechtfertigen würde. | 1,631 | 1,352 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-24_2005-06-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-24.pdf | AGVE_2005_24 | null | nan |
acc35866-a43c-5c67-ae36-3a37c28448c1 | 1 | 412 | 870,350 | 1,317,427,200,000 | 2,011 | de | 2011
FürsorgerischeFreiheitsentziehung
165
IV. Fürsorgerische Freiheitsentziehung
43
Diverse EMRK-Rügen im Zusammenhang mit der Einweisung in das
REHA-Haus Effingerhort zur Durchführung einer stationären Langzeit-
therapie
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 11. Oktober 2011 in
Sachen H. gegen das Bezirksamt X. (WBE.2011.335).
Aus den Erwägungen
I.
1. (...)
2.
2.1.
Das Feststellungsinteresse ist als Prozessvoraussetzung von
Amtes wegen zu prüfen. Dabei handelt es sich um eine Erschei-
nungsform des allgemeinen Rechtsschutzinteresses; es verhindert die
missbräuchliche und nutzlose Prozessführung. Das Feststellungsin-
teresse ist zu bejahen, wenn eine Ungewissheit, Unsicherheit oder
Gefährdung der Rechtsstellung vorliegt, deren Fortdauer unzumutbar
ist, und die nicht auf andere Weise als durch ein Feststellungsbegeh-
ren behoben werden kann.
Es versteht sich von selbst, dass nach rechtskräftigem Abschluss
eines Verfahrens kein diesbezügliches Feststellungsinteresse besteht.
Soweit die Beschwerdeführerin also Vorbringen und Einwendungen
betreffend die Einweisung der Beschwerdeführerin in die
Psychiatrische Klinik Königsfelden erhebt, soweit sie also beispiels-
weise geltend macht, dass die damalige Einweisung in die Klinik
Königsfelden zu Unrecht passiert bzw. diese "eine verdammte Saue-
rei" gewesen sei, oder etwa, dass im Sinne des Verhältnimässigkeits-
prinzips als mildere Massnahme eine Zwangsreinigung ebenso wir-
2011
Verwaltungsgericht
166
kungsvoll gewesen wäre, so ist sie darauf hinzuweisen, dass die
diesbezüglich Verwaltungsgerichtsbeschwerde (...) mit Urteil vom
31. Mai 2011 abgewiesen wurde, und dass das entsprechende Verfah-
ren mittlerweile seinen rechtskräftigen Abschluss gefunden hat. Auch
Art. 5 EMRK i.V.m. Art. 13 EMRK ändert nichts daran, dass die
Beschwerdeführerin kein Feststellungsinteresse hat.
Soweit die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 429a Abs. 1
ZGB einen Anspruch auf Schadenersatz und/oder Genugtuung auf-
grund einer widerrechtlichen Freiheitsentziehung geltend machen
möchte, kann sie gegebenenfalls den Zivilweg beschreiten (Urteil
des Bundesgerichts vom 11. April 2005 [5P.57/2005], Erw. 3.2). Ein
"Verbrechen gegen die Menschenrechte" liegt - entgegen der Dar-
stellung der Beschwerdeführerin - nicht vor. Die Vorbringen der
Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang sind somit allesamt
unbeachtlich.
2.2. (...)
2.3.
Insoweit die Beschwerdeführerin geltend macht, es sei "eine
verdammte Sauerei", dass die Email-Eingabe des Bruders der Be-
schwerdeführerin vom 18. Mai 2011 zu Handen des Bezirksamtes X.
der Beschwerdeführerin nicht zur Stellungnahme unterbreitet worden
sei, weshalb dem Bezirksamt X. eine Verletzung von Art. 5 Ziffer 2
EMRK vorgeworfen werde, was gerichtlich festzustellen sei, ist die
Beschwerdeführerin darauf hinzuweisen, dass dieses Vorbringen
ebenfalls das rechtskräftig erledigte Verfahren betreffend die Einwei-
sung in die Klinik Königsfelden betrifft. Nachdem die Beschwerde-
führerin Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die damalige fürsor-
gerische Freiheitsentziehung erhoben hatte, und die damalige Be-
schwerde rechtskräftig abgewiesen wurde, kann nunmehr nicht da-
rauf eingetreten werden, woran auch Art. 5 EMRK i.V.m. Art. 13
EMRK nichts ändert, da die Beschwerdeführerin kein Feststellungs-
interesse hat. Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass die Ein-
gabe des Bruders der Beschwerdeführerin zu Handen des Bezirks-
amtes X. in der Verfügung des Bezirksamtes X. vom 20. Mai 2011
erwähnt wird; im Rahmen ihres Akteneinsichtsrechts hätte die Be-
2011
FürsorgerischeFreiheitsentziehung
167
schwerdeführerin verlangen können, dass ihr diese gezeigt wird. Dies
hat sie offenbar unterlassen.
2.4. (...)
2.5.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet ausschliesslich
die Frage, ob die Einweisung der Beschwerdeführerin in das REHA-
Haus Effingerhort "zur Alkohol- und Medikamentenentwöhnung"
recht- und verhältnismässig ist. Insoweit die Beschwerdeführerin
Ausführungen zum Thema psychiatrische Behandlung und
psychiatrische Anstalten macht, ist sie darauf hinzuweisen, dass es
im vorliegenden Fall nicht um eine psychiatrische Behandlung in
einer psychiatrischen Anstalt geht, sondern vielmehr um eine statio-
näre psychotherapeutische Behandlung in einer auf Suchterkrankun-
gen spezialisierten Therapieeinrichtung.
3.
3.1.
Anlässlich der Verhandlung liess die Beschwerdeführerin aus-
führen, sie bestreite die Richtigkeit des gesamten Akteninhaltes,
soweit er nicht in beweiskräftiger Form erhoben worden sei. Art. 6
Ziff. 1 EMRK zwinge das Gericht, dass bei einer fürsorgerischen
Freiheitsentziehung über sämtliche Tatsachen beweiskräftige Ele-
mente (Zeugenbefragung unter Strafandrohung, Augenschein, Ur-
kunden etc.) vorlägen. Gemäss Akten habe nicht die geringste Be-
weisverhandlung stattgefunden; es handle sich einfach um Behaup-
tungen, wobei es unzulässig sei, diese gegen die Beschwerdeführerin
zu verwenden, zumal deren Bruder anlässlich der Verhandlung vom
31. Mai 2011 nicht auf die Straffolgen eines falschen Zeugnisses
aufmerksam gemacht worden sei. Die Berichte der Ärzte seien nicht
beweiskräftig, da eine Anstalt keine Gutachterstellung habe. Die
Anstalt sei vielmehr Gegenpartei und hätte unter Androhung der
StGB-Straffolgen ihre Aussagen bezeugen müssen. Die in den Be-
zirksamtsakten befindlichen Fotos seien "mitnichten" Beweis für
eine Alkoholkrankheit der Beschwerdeführerin.
3.2.
Wie die Beschwerdeführerin richtig erkannt hat, stellen auch
Urkunden anerkannte Beweismittel dar. Inwiefern die ärztlichen Be-
2011
Verwaltungsgericht
168
richte bzw. die weiteren Dokumente in den Akten - so auch die Fotos
- keine Urkunden im beweisrechtlichen Sinne darstellen sollen, führt
die Beschwerdeführerin nicht aus, sondern sie lässt es lediglich beim
Bewenden, die Berichte der Ärzte seien nicht beweiskräftig, da eine
Anstalt keine Gutachterstellung habe, sondern vielmehr Gegenpartei
sei. Das Verwaltungsgericht erachtet die diversen Dokumente als
durchaus beweiskräftige Elemente. Nachdem die Einweisung bzw.
die Zurückbehaltung in der Klinik Königsfelden nicht Gegenstand
des vorliegenden Verfahrens bildet, ist auch nicht ersichtlich, inwie-
fern die Klinik Königsfelden im vorliegenden Verfahren als "Ge-
genpartei" zu gelten hat. Vielmehr unterliegen diese Urkunden der
freien richterlichen Beweiswürdigung. So ist insbesondere der Aus-
trittsbericht des zuständigen Oberarztes der Klinik Königsfelden vom
6. Oktober 2011 (...) durchaus glaubwürdig und aussagekräftig.
3.3.
Der Status des Zeugen zieht (auch im Verwaltungsverfahren)
weitreichende Folgen mit sich; so steht namentlich die falsche Zeu-
genaussage unter Strafandrohung (vgl. Art. 307 i.V.m. Art. 309
StGB). Aus diesem Grund sieht beispielsweise auch das Bundesge-
setz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren die
Zeugeneinvernahme als ultima ratio vor, also nur, wenn sich der
Sachverhalt nicht anders hinreichend abklären lässt. Im vorliegenden
Fall wurde der Bruder der Beschwerdeführerin anlässlich der Ver-
handlung vom 31. Mai 2011 als Auskunftsperson einvernommen, um
im Rahmen der Untersuchungsmaxime Auskünfte - das sind Infor-
mationen zu konkreten Ereignissen, Begebenheiten oder Tatsachen,
welche den Sachverhalt ausmachen - zur Situation zu erhalten. Aus
diesem Grund war er auch nicht auf die Strafandrohung gemäss
StGB bei falscher Zeugenaussage aufmerksam zu machen.
Seine Aussagen - wie im Übrigen auch die Aussagen der übri-
gen Beteiligten (Ärzte) anlässlich der Verhandlung vom 31. Mai
2011 - unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung wie
sämtliche übrigen Beweismittel und finden dementsprechend auch
im vorliegenden Verfahren Berücksichtigung.
4. (...)
2011
FürsorgerischeFreiheitsentziehung
169
5.
5.1.
Anlässlich der Verhandlung liess die Beschwerdeführerin bean-
tragen, es seien diverse EMRK-Verletzungen festzustellen, so die
Verletzung von Art. 5 Ziffer 1, Art. 8 und Art. 4 EMRK.
Wie bereits in Erw. I/2.1 hiervor ausgeführt, bedarf es als Pro-
zessvoraussetzung eines Feststellungsinteresses.
5.2.
Die Beschwerdeführerin leitet die Zulässigkeit ihrer Feststel-
lungsbegehren aus Art. 13 EMRK ab. Gemäss Art. 13 EMRK ist der
Verletzte berechtigt, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen
Instanz einzulegen, wenn die in der Konvention festgestellten Rechte
und Freiheiten beeinträchtigt worden sind. Art. 13 EMRK ist indes-
sen nicht unmittelbar anwendbar, falls im innerstaatlichen Recht be-
reits eine wirksame Beschwerdemöglichkeit besteht (Urteil des Bun-
desgerichts vom 11. April 2005 [5P.57/2005], Erw. 3.2).
5.3.
Art. 5 Ziffer 1 EMRK gewährleistet das Recht auf Freiheit und
Sicherheit, wobei in Fällen eines rechtmässigen Freiheitsentzugs -
u.a. bei "Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen" (lit. e) - die Freiheit
auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf. Die
Beschwerdeführerin hat gegen die vom Bezirksamt X. am 21. Sep-
tember 2011 verfügte fürsorgerische Freiheitsentziehung fristgerecht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Verwaltungsgericht
beurteilt nämlich unter anderem Beschwerden gegen fürsorgerische
Freiheitsentziehungen (§ 54 Abs. 1 VRPG, Art. 397d ZGB, § 67o EG
ZGB). Im innerstaatlichen Recht ist folglich eine wirksame Be-
schwerdemöglichkeit gegeben, weshalb Art. 13 EMRK nicht unmit-
telbar anwendbar ist. Insoweit die Beschwerdeführerin beantragt, es
sei festzustellen, dass Art. 5 Ziffer 1 EMRK verletzt sei, kann des-
halb darauf nicht eingetreten werden. Soweit sich das Feststel-
lungsbegehren auf die Verfügung des Bezirksamtes X. vom 20. Mai
2011 bezieht, kann auf Erw. I/2.1 hiervor verwiesen werden.
5.4.
Ein rechtmässiger Freiheitsentzug (das Verwaltungsgericht prüft
im Rahmen des vorliegenden Verfahrens die Rechtmässigkeit der
2011
Verwaltungsgericht
170
fürsorgerischen Freiheitsentziehung aufgrund der dagegen erhobenen
Beschwerde) hat gezwungenermassen zur Folge, dass weitere (Men-
schen-) Rechte der betroffenen Person tangiert werden.
Die Beschwerdeführerin macht mit Hinweis auf Art. 8 EMRK
geltend, ihr Menschenrecht auf Familien- und Privatleben sei inso-
fern verletzt, als dass sie nicht in einer eigenen Wohnung leben
könne; sie müsse an einem Ort in einer Zwangsgemeinschaft leben.
Wird einer Person die Freiheit gemäss Art. 5 EMRK entzogen,
hat dies zwangsläufig zur Folge, dass ihr Familien- bzw. Privatleben
tangiert wird. Gestützt auf die obigen Erwägungen (Erw. 5.2 f.) kann
auf das entsprechende Feststellungsbegehren der Beschwerdeführe-
rin somit ebenfalls nicht eingetreten werden, nachdem sie fristge-
recht Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Überprüfung der Recht-
mässigkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung - und damit in-
klusive (da notwendige Folge) auch gegen die mit dieser einherge-
henden Einschränkungen der Freiheitsrechte - erhoben hat.
5.5.
Die selben Überlegungen gelten auch betreffend den Antrag der
Beschwerdeführerin, sie werde im REHA-Haus Effingerhort zu
Zwangsarbeit gezwungen, was einen Verstoss gegen Art. 4 EMRK
darstelle und entsprechend festzustellen sei.
Art. 4 EMRK beinhaltet das Verbot der Sklaverei und der
Zwangsarbeit. Im REHA-Haus Effingerhort arbeitet die Beschwerde-
führerin zu 50% in der Hauswirtschafts-Gruppe.
Die Arbeit der Beschwerdeführerin in der Hauswirtschafts-
Gruppe ist Teil des therapeutischen Angebots des REHA-Hauses
Effingerhort. Unter dem Motto "Den Alltag neu leben" lernen die Be-
wohnerinnen und Bewohner Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Ge-
spräche zu führen, Konflikte zu lösen und Beziehungen zu pflegen.
Auch das Erarbeiten einer sinnvollen Freizeitgestaltung und weitere
Verhaltensweisen lernen und üben die Bewohner in Einzel- und
Gruppentherapien. Die Arbeit in Garten, Landwirtschaft, Küche und
Hauswirtschaft steigert die Motivation und das Selbstwertgefühl.
Alle Patienten werden in ihrer Arbeit professionell begleitet
(http://www.effingerhort.ch/de/rehahaus_effingerhort/angebot).
2011
FürsorgerischeFreiheitsentziehung
171
Die Beschwerdeführerin übersieht in diesem Zusammenhang,
dass in Art. 4 Ziffer 3 lit. a EMRK explizit ausgeführt wird, dass eine
Arbeit nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne dieses Artikels
gilt, welche üblicherweise von einer Person verlangt wird, der unter
den Voraussetzungen von Art. 5 EMRK die Freiheit entzogen wurde.
Ob die Freiheitsentziehung rechtmässig ist, wird im Rahmen des vor-
liegenden Verfahrens geprüft.
Auf das entsprechende Feststellungsbegehren kann deshalb
ebenfalls nicht eingetreten werden.
II.
1.
Die Beschwerdeführerin macht des Weiteren eine Verletzung
von Art. 8 Ziffer 1 EMRK geltend. Art. 8 Ziffer 1 EMRK beinhaltet
u.a. das Recht auf Achtung der Korrespondenz. Zur Begründung
wird ausgeführt, das Fax-Schreiben des Rechtsvertreters vom
9. Oktober 2011 betreffend Ausstandsbegehren sei der Beschwerde-
führerin nicht bereits am Sonntag ausgehändigt worden, was ein
Verbrechen darstelle.
2.
Im Gegensatz zu den hiervor genannten Feststellungsbegehren,
auf welche mangels Feststellungsinteresses nicht eingetreten werden
konnte (Erw. I/5 hiervor), ist in Bezug auf das Recht auf Achtung der
Korrespondenz ein Feststellungsinteresse der Beschwerdeführerin
grundsätzlich zu bejahen. Mit einer fürsorgerischen Freiheitsentzie-
hung ist nicht zwingend auch die Einschränkung des Rechts auf Ach-
tung der Korrespondenz verbunden. Da die Beschwerdeführerin wei-
terhin mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung im REHA-Haus
Effingerhort bleiben wird, hat sowohl die Beschwerdeführerin wie
auch das REHA-Haus Effingerhort ein Interesse an der gerichtlichen
Feststellung, ob eine Verletzung von Art. 8 Ziffer 1 EMRK vorliegt.
3.
Wird einer Person die Freiheit gemäss Art. 5 EMRK entzogen,
hat dies zwangsläufig zur Folge, dass ihr Recht auf Achtung der
Korrespondenz in zeitlicher Hinsicht tangiert werden kann; dies
umso mehr, als dass an einem Sonntag - der 9. Oktober 2011 fiel auf
eine Sonntag - in den diversen Einrichtungen in der Regel "Sonn-
2011
Verwaltungsgericht
172
tagsdienst" herrscht, was in praktischer Hinsicht bedeutet, dass an
diesen Tagen weniger Personal anwesend ist, welches sich umgehend
um die (auch postalischen) Angelegenheiten der Bewohner und Be-
wohnerinnen kümmern kann. Sobald eine betroffene Person - wie im
vorliegenden Fall - kein eigenes Fax-Gerät im Zimmer hat (was
wohl in praktisch allen Fällen zutreffen dürfte), ist es gezwungener-
massen so, dass eine Fax-Nachricht nicht unmittelbar in den Emp-
fangsbereich des Betroffenen gelangt. Der Beschwerdeführerin wur-
de die Eingabe ihres Vertreters vom 9. Oktober 2011 am darauf-
folgenden Montag, d.h. am nächsten Arbeitstag, nachmittags im Rah-
men eines gemeinsamen Gesprächs zwischen der Beschwerdeführe-
rin und der Leiterin des REHA-Hauses Effingerhort übergeben. Mit
dieser Übergabe wurde Art. 8 Ziffer 1 EMRK nicht verletzt. Die Ein-
gabe erforderte keine Reaktion der Beschwerdeführerin, da es sich
dabei lediglich um eine Zustellung zur Kenntnis an die Beschwer-
deführerin bezüglich Ablehnungsbegehren der Präsidentin der ersten
Kammer handelte (welches nota bene in der Folge abgewiesen
wurde), und somit eine frühere Kenntnisnahme für die Beschwerde-
führerin keine Auswirkungen gehabt hätte. Das Begehren auf ent-
sprechende Feststellung ist dementsprechend abzuweisen. | 3,329 | 2,625 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-43_2011-10-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-43.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-43.pdf | AGVE_2011_43 | null | nan |
accb3551-f97b-56f1-8e1e-e92a486b54c2 | 1 | 412 | 870,529 | 1,115,078,400,000 | 2,005 | de | 2005
Verwaltungsgericht
336
[...]
67
Offizialmaxime und Rügeprinzip.
-
Innerhalb des Streitgegenstands gilt für die Rechtsmittelinstanzen der
Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen; keine Bindung
an die Rechtsauffassung der Parteien und die von ihnen vorgebrach-
ten rechtlichen Überlegungen (Erw. 2/a).
-
Anhörungspflicht (Erw. 2/b).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 3. Mai 2005 in Sachen
B. und Mitb. gegen Regierungsrat.
2005
Verwaltungsrechtspflege
337
Aus den Erwägungen
1. In seinem Baubewilligungsentscheid vom 1. März 2004
stellte der Stadtrat u.a. fest, dass das geplante Dreifamilienhaus auf
seiner Nord- und Ostseite den gesetzlichen Abstand zur Meier-
hofstrasse von 6 m unterschreite; weil das Projekt die Häuserflucht
an der Meierhofstrasse weiterführe und deshalb eine städtebaulich
erwünschte, gute Lösung sei, könne im Sinne von § 67 Abs. 1 BauG
eine Ausnahmebewilligung erteilt werden. Die Einsprecher H. und
K. machten ausschliesslich diesen Punkt zum Gegenstand ihrer
Verwaltungsbeschwerde vom 23. März 2004. Der Regierungsrat
bestätigte insoweit die Baubewilligung, griff aber von sich aus die
Frage der Normkonformität der projektierten Fahrzeug-Abstellplätze
auf und verpflichtete die Bauherrschaft zu Anpassungen. Dies
wiederum fechten die Beschwerdeführer vor Verwaltungsgericht an.
2. Vorab machen die Beschwerdeführer geltend, der Regie-
rungsrat hätte nur unter den Voraussetzungen des aufsichtsrecht-
lichen Einschreitens von Amtes wegen die Rechtmässigkeit der ge-
planten Parkplätze prüfen dürfen; obwohl diese Rechtsauffassung im
vorinstanzlichen Verfahren einlässlich dargelegt und begründet wor-
den sei, sei der Regierungsrat darauf nicht eingegangen, was einer
Rechtsverweigerung gleichkomme.
a) Die Beschwerdeführer übersehen bei ihrer Argumentation,
dass im Verwaltungsrecht ganz allgemein die Offizialmaxime gilt,
d.h. dass die Behörden das Recht von Amtes wegen anwenden (§ 20
Abs. 1 Satz 2 VRPG). Dieser Grundsatz besagt, dass die Verwal-
tungsbehörde (und das Verwaltungsgericht) selbständig alle für einen
bestimmten Tatsachenkomplex anwendbaren Rechtsnormen zu su-
chen, diese auszulegen und die daraus sich ergebenden rechtlichen
Folgen zu ziehen hat. Die Behörde hat also von sich aus diejenigen
Rechtsnormen heranzuziehen, die für einen Sachverhalt objektiv
massgebend sind. Ihr obliegt die Verantwortung für die Rechtser-
mittlung, und sie hat diese Vorschriften so anzuwenden, wie sie es
für richtig hält. An die Rechtsauffassung der Parteien und an die von
diesen vorgebrachten rechtlichen Überlegungen ist die Behörde nicht
gebunden. Gilt der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes we-
2005
Verwaltungsgericht
338
gen im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren absolut, so ist die
Rechtsmittelinstanz an den durch die Parteivorbringen festgelegten
Streitgegenstand gebunden (siehe zum Ganzen: Alfred Kölz / Jürg
Bosshart / Martin Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflege-
gesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, § 7 N 79 ff.;
ferner BGE 110 V 52 f.; Thomas Merkli / Arthur Aeschlimann / Ruth
Herzog, Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Ver-
waltungsrechtspflege des Kantons Bern, Bern 1997, Art. 51 N 1 f.;
Alexander Ruch, in: ZBl 101/2000, S. 422 f. mit weiteren Hinwei-
sen).
Im vorliegenden Falle wurde in der Verwaltungsbeschwerde
vom 23. März 2004 beantragt, der Baubewilligungsentscheid vom
1. März 2004 sei aufzuheben und die Baubewilligung zu verweigern.
Damit war der Streitgegenstand umrissen; zu überprüfen war die
Baubewilligung als Ganzes. Der Regierungsrat als rechtsanwendende
Behörde war somit befugt, von sich aus einen Punkt -
die
Parkplatzfrage - aufzugreifen, der in der Beschwerdebegründung und
im späteren Verlauf des Verfahrens gar nicht genannt wurde. Das
Rügeprinzip ist mit der Offizialmaxime grundsätzlich unvereinbar;
die Praxis hat ihm nur insofern zum Durchbruch verholfen, als die
Rechtsmittelbehörden zur Prüfung von Rechtsmängeln, die von den
Parteien nicht gerügt werden, aus verfahrensökonomischen Gründen
nicht verpflichtet werden können (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 7
N 82 und § 50 N 4; Ruch, a.a.O., S. 422).
b) Geht eine Rechtsmittelinstanz so vor, sind die Verfahrens-
beteiligten vorgängig anzuhören, wenn auf den Streitgegenstand eine
bisher nicht herangezogene Bestimmung, mit deren Erheblichkeit für
das Verfahren nicht zu rechnen war, angewendet werden soll
(Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O., § 7 N 84 und § 50 N 4; Merkli/Aesch-
limann/Herzog, a.a.O., Art. 51 N 3). Dieser Pflicht ist der Regie-
rungsrat vollumfänglich nachgekommen. Ebenso wenig kann ihm
vorgeworfen werden, er habe seinen Entscheid unzulänglich be-
gründet; der Hinweis auf § 20 Abs. 1 VRPG ist zwar kurz und knapp,
doch durfte der Regierungsrat auch voraussetzen, dass die
Entscheidadressaten über die Bedeutung der Rechtsanwendung von
Amtes wegen Bescheid wissen (siehe zur Begründungspflicht allge-
2005
Verwaltungsrechtspflege
339
mein: BGE 121 I 57; 119 Ia 269; 117 Ia 1, 117 Ib 64, 114 Ia 233, 112
Ia 109 f., je mit Hinweisen).
c) Zusammenfassend ergibt sich unter diesem Titel, dass der
Regierungsrat die Parkplatzfrage im Rahmen des Verwaltungsbe-
schwerdeverfahrens - d.h. nicht nur aufsichtsrechtlich - von sich aus
aufgreifen durfte und von einer Rechtsverweigerung keine Rede sein
kann. | 1,223 | 994 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2005-67_2005-05-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2005-67.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2005-67.pdf | AGVE_2005_67 | null | nan |
ad14b14e-d836-5f9e-886b-2287e13bc93b | 1 | 412 | 870,777 | 973,209,600,000 | 2,000 | de | 2000
Verwaltungsgericht
322
73
Wechsel der Bewertungsmethode im Anschluss an einen Rückweisungs-
entscheid des Verwaltungsgerichts.
- Die neuerliche Bewertung der Angebote muss auf der Grundlage der
bereits im ersten Umgang des Vergabeverfahrens festgelegten Bewer-
tungsmatrix bzw. Bewertungsmethode erfolgen.
- Eine Abweichung ist zulässig, wenn eine ausdrückliche Aufforderung
zur Korrektur durch die Rechtsmittelinstanz erfolgt oder wenn
grundlegende Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse vorliegen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 29. November 2000 in
Sachen ARGE E. AG/M. AG gegen Verfügung des Abwasserverbands O.
Aus den Erwägungen
4. a) Die Vergabestelle hat auch eine Neubewertung des Ange-
botspreises vorgenommen. Die bereinigten Netto-Angebotssummen
betragen bei den Beschwerdeführerinnen Fr. 1'545'297.55 und bei
der B. AG Fr. 1'575'757.80. Es besteht also eine Preisdifferenz von
Fr. 30'460.25 oder 2.1 %. Das Verhältnis der Offertpreise (Kosten-
relation) spielte beim ersten, vom Verwaltungsgericht aufgehobenen
Vergabeentscheid keine Rolle; vielmehr erhielt das preisgünstigste
Angebot die Maximalnote 10, das zweitgünstigste die Note 9, usw.
Dies führte zur folgenden Preisbewertung (wobei der Preis bzw. die
Kosten in Abweichung von der in den Ausschreibungsunterlagen
vorgegebenen Reihenfolge der Zuschlagskriterien mit 60 % am
weitaus höchsten gewichtet wurde:
ARGE M. AG / E. AG
Note 10
600 Punkte
B. AG
Note 9
540 Punkte
Bei der erneuten Vergabe wurde nun für die Bewertung auf die
effektiven Preisdifferenzen abgestellt. Dazu hält die Vergabestelle
Folgendes fest: ,,Die Bewertung der Preisdifferenz wird relativ mit
dem Kehrwert der Preisabweichung vorgenommen. Ein Angebot,
2000
Submissionen
323
welches 2 % teurer ist, erhält die Punktzahl 9.8, ein Angebot, wel-
ches 20 % teurer ist, erhält die Punktzahl 8.3". Diese Berechnungs-
weise führte zu einer Bewertung des Angebots der Beschwerdeführe-
rinnen mit der Note 10, währenddem das Angebot der B. AG mit der
Note 9.8 (Kehrwert von 102.1 %) bewertet wurde. Dies ergibt neu
die folgende Punktzahl:
ARGE M. AG / E. AG
Note 10
600 Punkte
B. AG
Note 9.8
588 Punkte
Die Beschwerdeführerinnen erachten diesen nachträglichen
Wechsel der Bewertungsmethode als unzulässig.
b) Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts ist in
erster Linie entscheidend, dass ein Bewertungs- oder Benotungs-
system im Grundsatz sachgerecht ist und einheitlich, d. h. auf alle
Anbietenden bzw. auf alle Angebote in gleicher Weise und nach glei-
chen Massstäben angewendet wird. Das Verwaltungsgericht be-
schränkt sich im Rahmen seiner Kontrollbefugnisse auf die Über-
prüfung dieser Gesichtspunkte; ihm kommt nicht die Funktion einer
,,Ober-Vergabebehörde" zu. Welches System letztlich Anwendung
findet und wie es im Detail ausgestaltet ist, ist dabei von eher unter-
geordneter Bedeutung. Auch bei der Bewertung des Preises im Be-
sonderen gilt, dass das Verwaltungsgericht die von der Vergabestelle
gewählte Vorgehensweise respektieren muss, sofern diese nicht
völlig sachfremd ist oder auf die einzelnen Anbieter unterschiedlich
angewendet wird und so zu Wettbewerbsverzerrungen führt
(VGE III/152 vom 4. November 1999 in Sachen C. AG, S. 12 f.). Vor
diesem Hintergrund hat sich das Verwaltungsgericht in seinem Ent-
scheid vom 30. März 2000 (VGE III/40) nicht zur Preisbewertung,
wie sie dem damaligen Zuschlag zugrunde lag, geäussert.
c) Die Aufhebung des Vergabeentscheids durch das Verwal-
tungsgericht und die Rückweisung des Verfahrens zur Neubewertung
durch die Vergabestelle kann unter Umständen auch einen Einfluss
2000
Verwaltungsgericht
324
auf die ursprüngliche Bewertungsmatrix haben, indem diese
aufgrund des Rechtsmittelentscheids angepasst werden muss (z. B.
weil ein Zuschlagskriterium für unzulässig oder für qualifiziert falsch
gewichtet erklärt wird). Insofern kann im Fall der Rückweisung
keine absolute Bindung der Vergabestelle an die von ihr einmal fest-
gelegte Matrix bestehen. Anderseits ist die Vergabestelle nicht be-
fugt, beliebig und ohne sachliche Notwendigkeit die Matrix auch in
Bezug auf unangefochten gebliebene Punkte zu ändern und gestützt
darauf Neubeurteilungen und Neubewertungen vorzunehmen. Es
muss vielmehr ein rechtsgenüglicher Anlass zur Abänderung der
Beurteilungsmatrix bestehen, der sich entweder aus den Erwägungen
des Rechtsmittelentscheids oder ausnahmsweise auch aus zwi-
schenzeitlich massgeblich veränderten tatsächlichen Verhältnissen
ergeben kann (vgl. zum Ganzen auch VGE III/70 vom 28. Mai 1999
in Sachen ARGE S. AG / K. AG, S. 14 f.). Bei derartigen nachträg-
lichen Anpassungen ist angesichts der damit verbundenen und nicht
zu unterschätzenden Manipulationsgefahr klarerweise äusserste
Zurückhaltung geboten; sie müssen die Ausnahme bleiben.
Im vorliegenden Fall hat die Vergabestelle nun im Anschluss an
die Aufhebung des Zuschlags und die Rückweisung des Verfahrens
durch das Verwaltungsgericht die Bewertungsmethode in Bezug auf
den Preis geändert, was zu einer klaren Besserbewertung der B. AG
geführt hat, indem die ursprüngliche Punktedifferenz von 60 Punkten
zu Gunsten der Beschwerdeführerinnen auf noch 12 Punkte reduziert
worden ist. Für eine solche Änderung besteht nun klarerweise kein
sachlich haltbarer Grund. Das Verwaltungsgericht hat in seinen Er-
wägungen lediglich festgestellt, dass die vorgenommene Gewichtung
der Zuschlagskriterien mit einem klaren Übergewicht des Preises
(60%) nicht der Rangfolge der Zuschlagskriterien gemäss den Aus-
schreibungsunterlagen (Qualität, Preis, Erfahrung und Referenzen,
Termine, Garantie und Unterhaltsleistungen) entspreche, der Mangel
sich aber nicht zu Ungunsten der Beschwerdeführerinnen auswirke
(VGE III/40, S. 8 f.). Im Übrigen befasst sich der Entscheid mit den
2000
Submissionen
325
eingeholten Referenzauskünften; hierbei ist das Verwaltungsgericht
zum Schluss gekommen, dass der Sachverhalt unvollständig und
unrichtig ermittelt worden sei. Die Beschwerdesache wurde deshalb
zurückgewiesen verbunden mit der Anweisung, den massgebenden
Sachverhalt richtig und vollständig zu ermitteln, und dann eine
Neubewertung der Vergabekriterien ,,Qualität (inkl. Termin)" und
,,Erfahrung" vorzunehmen (VGE III/40, S. 22 f.). Die von der Verga-
bestelle gewählte Methode der Preisbewertung wurde - wie erwähnt -
im Entscheid nicht in Frage gestellt. Eine wesentliche Änderung der
tatsächlichen Verhältnisse, die eine Neubewertung des Preises erfor-
derlich machen würde, hat sich nicht ergeben. Die (einzige) Begrün-
dung der Vergabestelle für die Änderung der Bewertungsmethode be-
steht in der grösseren Objektivität und Gerechtigkeit der nun verwen-
deten Methode. Ob dem tatsächlich so ist - was die Beschwerde-
führerinnen mit guten Gründen in Frage stellen - kann hier offen
bleiben. Allein die nachträgliche Erkenntnis der Vergabestelle, eine
andere Bewertungsmethode als diejenige, für die sie sich ursprüng-
lich entschieden und die sie auch angewendet hat, führe zu einem
(zumindest aus ihrer Sicht) richtigeren bzw. gerechteren Ergebnis,
vermag bei Rückweisungen keine Änderung der Bewertungsmethode
zu rechtfertigen. Von den dargelegten Ausnahmen (ausdrückliche
Aufforderung zur Korrektur durch die Rechtsmittelinstanz,
grundlegende Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse) abgesehen
muss die neuerliche Bewertung der Angebote auf der Grundlage der
bereits im ersten Umgang des Vergabeverfahrens festgelegten Be-
wertungsmatrix bzw. Bewertungsmethode erfolgen. Ohne diese Bin-
dung hätte es die Vergabestelle ohne weiteres in der Hand, einerseits
zwar (formell) dem Beschwerdeentscheid bzw. den Anweisungen der
Rechtsmittelinstanz Folge zu leisten, anderseits aber durch zusätz-
liche Korrekturen und Anpassungen der Bewertungsmatrix dennoch -
zu Ungunsten eines unerwünschten Anbieters - das von ihr gewollte
Ergebnis herbeizuführen. Ein solches Vorgehen entspricht nicht
einem fairen und transparenten, dem Grundsatz der Gleichbe-
2000
Verwaltungsgericht
326
handlung bzw. Nichtdiskriminierung der Anbietenden verpflichteten
Submissionsverfahren. Die ohne sachliche Notwendigkeit vorge-
nommene nachträgliche Anpassung der Preisbewertung erweist sich
damit auch im vorliegenden Fall als unzulässig. | 1,729 | 1,415 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-73_2000-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-73.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-73.pdf | AGVE_2000_73 | null | nan |
ad5dca07-4a3b-552c-b187-af1dd001d5b1 | 1 | 412 | 871,981 | 1,129,593,600,000 | 2,005 | de | 2007
Submissionen
153
IV. Submissionen
37 Rechtsschutz.
-
Unterhalb der Schwellenwerte des Einladungsverfahrens besteht seit
der Revision des Submissionsdekrets vom 18. Oktober 2005 kein
Rechtsschutz, und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist unzulässig.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 19. September 2007 in
Sachen H. AG gegen den Gemeinderat L. (WBE.2007.141).
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Die Beschwerde an das Verwaltungsgericht ist zulässig "in den
Fällen, welche dieses oder ein anderes Gesetz bestimmt" (§ 51 Abs. 1
VRPG). Überdies kann durch Dekret des Grossen Rates die Zulässig-
keit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf weitere Fälle ausge-
dehnt werden (§ 51 Abs. 2 Satz 1 VRPG).
Gegen Verfügungen der Vergabestelle gemäss § 5 SubmD, in
der Fassung vom 18. Oktober 2005, kann direkt beim Verwaltungs-
gericht Beschwerde erhoben werden (§ 24 Abs. 1 SubmD). Beim
Gemeinderat L. handelt es sich unstreitig um eine Vergabestelle im
Sinne von § 5 Abs. 1 lit. b SubmD. Sind die Schwellenwerte des
Einladungsverfahrens (gemäss § 8 Abs. 2 SubmD) erreicht, gilt als
anfechtbare Verfügung u.a. der Zuschlag (§ 24 Abs. 2 lit. b SubmD).
Gemäss § 8 Abs. 2 SubmD sind Aufträge im Einladungsverfah-
ren zu vergeben, wenn der geschätzte Wert des Einzelauftrags fol-
genden Betrag übersteigt:
a) Fr. 300'000.-- bei Aufträgen des Bauhauptgewerbes;
b) Fr. 150'000.-- bei Dienstleistungen und Aufträgen des Bauneben-
gewerbes;
2007
Verwaltungsgericht
154
c) Fr. 100'000.-- bei Lieferungen.
Erreicht der geschätzte Wert des Einzelauftrags den Betrag für
das Einladungsverfahren nicht, so kann der Auftrag freihändig ver-
geben werden (§ 8 Abs. 3 lit. a SubmD).
1.2.
Der vorliegend zu vergebende Auftrag umfasst neben der Liefe-
rung und Montage der neuen Heizanlage auch die Demontage der
bestehenden Anlage (Heizzentrale, Öltank, Unterstation). Es handelt
sich somit um Arbeiten im Zusammenhang mit den technischen In-
stallationen eines Bauwerks, d.h. um Arbeiten des Baunebengewer-
bes. Davon geht zu Recht auch die Beschwerdeführerin aus. Eben-
falls unbestritten ist, dass der für die Vergabe im Einladungsverfah-
ren massgebende Schwellenwert von Fr. 150'000.-- vorliegend nicht
erreicht wird. Die Beschwerdeführerin vertritt den Standpunkt, sie
habe dennoch Anspruch auf eine beschwerdefähige Verfügung. Sie
begründet diesen Standpunkt vor allem mit einem Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 31. Juli 1997, wonach sich der Anspruch
auf eine Verfügung aus §§ 23 und 24 SubmD, § 23 VRPG und aus
Art. 9 BGBM ergebe.
1.3.
1.3.1.
Der von der Beschwerdeführerin angerufene VGE III/55 vom
31. Juli 1997 (BE.1997.00163) ist unter der Geltung des SubmD in
der ursprünglichen Fassung vom 26. November 1996 (nachfolgend:
aSubmD) ergangen. Danach unterstanden die Gemeinden den Be-
stimmungen des SubmD nur, wenn sie Bauaufträge über einem ge-
schätzten Wert des Einzelauftrags von Fr. 200'000.-- bzw. Dienst-
leistungs- und Lieferaufträge über einem geschätzten Wert des Ein-
zelauftrags von Fr. 50'000.-- (§ 5 Abs. 1 lit. d aSubmD) oder Auf-
träge, die von der öffentlichen Hand subventioniert wurden, verga-
ben (§ 5 Abs. 1 lit. b aSubmD). Diese Einschränkung bestand indes-
sen nur in Bezug auf die Geltung der materiellen Bestimmungen des
Dekrets, nicht aber in Bezug auf die Vorschriften über den Rechts-
schutz, denn § 24 Abs. 3 aSubmD sah ausdrücklich vor, dass die Be-
stimmung über die Beschwerde auch für Gemeinden und andere
Vergabestellen gemäss § 5 Abs. 1 lit. d aSubmD galt. Mithin bestand
2007
Submissionen
155
nach altem Recht gestützt auf § 24 aSubmD gegenüber sämtlichen
Vergaben öffentlicher Aufträge die Möglichkeit der Beschwerde an
das Verwaltungsgericht. Daraus sowie insbesondere aus der Vor-
schrift von Art. 9 Abs. 1 BGBM leitete das Verwaltungsgericht - in
Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre - einen Anspruch der
Anbietenden auf das Ergehen einer beschwerdefähigen Verfügung
auch bei kommunalen Vergaben unterhalb der Schwellenwerte von
§ 5 Abs. 1 lit. d aSubmD ab (erwähnter VGE vom 31. Juli 1997,
S. 6 f., 9 f.).
1.3.2.
In einem Urteil vom 11. Februar 2005 kam das Bundesgericht
zum Schluss, dass die Regelung des Kantons Bern, wonach Auf-
tragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte des Einladungsverfah-
rens (oder tieferer kommunaler Schwellenwerte) nicht anfechtbar
sind, vor Art. 9 BGBM standhalte. Es gebe eine Reihe gewichtiger
Gründe für die Zulässigkeit einer solchen Regelung. So sei auch im
Bund eine analoge Beschränkung vorgesehen. Das BoeB sei nur an-
wendbar, wenn bestimmte Schwellenwerte erreicht würden. Nur
dann kämen auch die Rechtsschutzbestimmungen zur Anwendung.
Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Kantone verpflichtet sein sollten,
auch für Bagatellvergaben Rechtsmittelverfahren vorzusehen, wenn
der Bund selber für solche Fälle keinen Rechtsschutz kenne. Sodann
habe die Gewährung einer Anfechtungsmöglichkeit grundsätzlich nur
dort einen Sinn, wo das einschlägige Submissionsrecht im Hinblick
auf die Bedeutung des Auftrags ein formalisiertes Vergabeverfahren
überhaupt vorsehe. Das freihändige Verfahren sei kein derartiges
Verfahren. Dass zwischen dem Verfahrensaufwand und der Be-
deutung des zu vergebenden Auftrags ein vernünftiges Verhältnis be-
stehen solle, komme auch aus Art. 5 Abs. 2 BGBM zum Ausdruck,
wonach nur Vorhaben für "umfangreiche" öffentliche Einkäufe,
Dienstleistungen und Bauten unter Angabe der Kriterien für Teil-
nahme und Zuschlag amtlich zu publizieren seien. Es stehe sodann
ausser Frage, dass der kantonale Gesetzgeber die Ausgestaltung des
Submissionsverfahrens bzw. den damit für die Behörde verbundenen
Evaluationsaufwand u.a. von der Bedeutung der Vergebung, d.h. von
zu erreichenden Schwellenwerten, abhängig machen dürfe. Art. 9
2007
Verwaltungsgericht
156
BGBM schliesse derartige Differenzierungen nicht aus. Ebenso sei
klar, dass nicht für jede kleine und kleinste Vergebung der öffentli-
chen Hand ein förmliches Verfahren durchgeführt und entsprechende
Anordnungen unabhängig vom Wert des Auftrags immer in die Form
einer anfechtbaren Verfügung gekleidet werden müssten; dies wider-
spräche der Realität (vgl. zum Ganzen BGE 131 I 137 Erw. 2.4;
siehe ferner Martin Beyeler, in: BR 2005, S. 70 f.; ähnlich schon
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 16. Sep-
tember 1999, in: St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis
[GVP] 1999, Nr. 36, S. 104 ff.).
1.3.3.
Im Rahmen der Teilrevision des Submissionsdekrets im Jahr
2005 wurde vor dem Hintergrund des vorgenannten bundesgerichtli-
chen Entscheids § 24 SubmD (Beschwerde) wie folgt neu gefasst:
"
1
Gegen Verfügungen der Vergabestelle kann direkt beim Verwal-
tungsgericht Beschwerde erhoben werden; dieses entscheidet endgültig.
2
Sind die Schwellenwerte des Einladungsverfahrens erreicht, gelten
als anfechtbare Verfügungen:
a) die Ausschreibung;
b) der Zuschlag;
c) der Entscheid über die Auswahl von Anbietenden im selektiven
Verfahren;
d) der Ausschluss vom Vergabeverfahren;
e) der Widerruf des Zuschlags oder der Abbruch des Vergabeverfah-
rens.
3
Der Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren kann unabhängig
vom Schwellenwert angefochten werden."
Die bisherige lit. d von § 5 Abs. 1 SubmD sowie § 5 Abs. 2
SubmD wurden ersatzlos gestrichen.
In der Zusatzbotschaft des Regierungsrats zur Teilrevision des
Submissionsdekrets vom 6. Juli 2005 (GR.04.199) wurde zur Be-
gründung u.a. ausgeführt, eine Regelung analog der bernischen, mit
der Durchführung von förmlichen Verfahren nur oberhalb von be-
stimmten Schwellenwerten, führe zu einer wesentlichen Verein-
fachung und damit zu einer Verkleinerung des Verwaltungsaufwands
der Vergabestellen in diesem Bereich, aber auch zu rascheren Verfah-
2007
Submissionen
157
ren. Zudem sei absehbar, dass auch die Anzahl der Beschwerden an
das Verwaltungsgericht abnehmen werde (Zusatzbotschaft, S. 2).
Mithin handelt es sich nach der Konzeption des SubmD bei der
Vergabe öffentlicher Aufträge unterhalb der Schwellenwerte des
Einladungsverfahrens um verfügungsfreies staatliches Handeln.
1.4.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Beschwerde-
führerin nach der gemäss der Teilrevision vom 18. Oktober 2005
geltenden Rechtslage aus dem Submissionsdekret im vorliegenden
Fall keinen Anspruch auf eine beschwerdefähige Verfügung und da-
mit auch keinen Anspruch auf Rechtsschutz ableiten kann. | 1,986 | 1,548 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2007-37_2005-10-18 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2007-37.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2007-37.pdf | AGVE_2007_37 | null | nan |
ae0687a0-865a-5b5c-a456-ced62042217d | 1 | 412 | 870,244 | 1,320,278,400,000 | 2,011 | de | 2011
Bau-, Raumentwicklungs-, Umweltschutzrecht
147
[...]
38
Rechtliche Qualifikation einer Privatstrasse
Eine Privatstrasse, welche mit einem im Grundbuch angemerkten öffent-
lichen Fusswegrecht belastet ist, gilt als öffentliche Strasse.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 8. November 2011 in
Sachen A. gegen B. GmbH (WBE.2010.306).
Aus den Erwägungen
2.
2.2.1 - 2.2.2 (...)
2.2.3
(...)
Öffentliche Strassen sind alle dem Gemeingebrauch offen ste-
henden Strassen, Wege und Plätze mit ihren Bestandteilen. Als öf-
fentliche Strassen gelten auch die im Eigentum Privater oder von
Korporationen stehenden Strassen, die mit Zustimmung der Eigentü-
mer oder durch Enteignung dem Gemeingebrauch zugänglich ge-
macht worden sind (§ 80 Abs. 1 BauG). Obwohl nicht ausdrücklich
erwähnt, ist unter "Zugänglichmachen" die Widmung einer Strasse
für den Gemeingebrauch zu verstehen (AGVE 2008, S. 143 mit Hin-
weis). Die Widmung einer Privatstrasse zum Gemeingebrauch setzt
die Zustimmung des Eigentümers oder eine öffentlich-rechtliche
Eigentumsbeschränkung voraus (§ 80 Abs. 1 Satz 2 BauG; AGVE
2008, S. 143 mit Hinweis; Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhl-
mann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Zürich / St. Gallen
2010, Rz. 2350).
Der Kirchweg steht im privaten Eigentum der jeweiligen
Grundeigentümer (Parzellen Nrn. [...]). Es ist allerdings unbestritten,
dass im Grundbuch ein den Kirchweg bzw. die jeweiligen Parzellen
belastendes öffentliches Fusswegrecht angemerkt ist. Aus den
Grundbucheinträgen sowie aus den Kaufverträgen vom 25. Juli und
2011
Verwaltungsgericht
148
7. September 1923 sowie vom 13. April 1934 kann abgeleitet wer-
den, dass der Kirchweg schon vor sehr langer Zeit dem Gemeinge-
brauch (wenn auch in beschränktem Mass) zugänglich gemacht
wurde (vgl. die Praxis des Departements Bau, Verkehr und Umwelt
in AGVE 2006, S. 481 ff., wonach dies zur Qualifizierung als öf-
fentliche Strasse genügt). Die Widmung erfolgte spätestens mit dem
Eintrag ins Grundbuch bzw. mit der Anmerkung des Fusswegrechts
zu Gunsten der Öffentlichkeit. Die Widmung ist nicht an eine be-
stimmte Form gebunden; es genügt der irgendwie erkennbare Wille
der Verwaltung, eine öffentliche Strasse zu schaffen (Erich
Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971,
Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 11 N 2). Mit dem Eintrag ins
Grundbuch wurde dieser Wille rechtsgenüglich kundgetan. Insofern
handelt es sich beim Kirchweg um eine öffentliche Strasse. Daran
vermag auch der Umstand, dass die Gemeinde den Kirchweg nicht
zu übernehmen beabsichtigt und weder die Reinigung noch den
Winterdienst übernimmt, nichts zu ändern. | 624 | 513 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-38_2011-11-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-38.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-38.pdf | AGVE_2011_38 | null | nan |
ae09d402-093f-53fb-b426-0c976cf15582 | 1 | 412 | 871,314 | 1,072,915,200,000 | 2,004 | de | 2003
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
137
V. Fürsorgerische Freiheitsentziehung
41
Anstaltseinweisung; Abgrenzung Einweisung zur Behandlung/zur Unter-
suchung/zur Behandlung und Untersuchung (Doppelcharakter).
- Bei der Einweisung eines psychisch Kranken zur Behandlung ist der
Behandlungsauftrag in der Regel nicht zu definieren, da die Art der
Behandlung Sache der Klinik ist; Pflicht der Klinik, nebst der Be-
handlung auch alle notwendigen Untersuchungen vorzunehmen
(Erw. 1/a).
- Voraussetzungen der Einweisung zur Untersuchung (Erw. 1/b).
- Voraussetzungen der Einweisung zur Behandlung und Untersuchung
(Doppelcharakter) (Erw. 1/c).
- Stützt sich die Einweisungsverfügung hauptsächlich auf eine über ei-
nen Monat zurück liegende ärztliche Beurteilung, so hat das Bezirks-
amt eine aktuelle ärztliche Beurteilung einzuholen (Erw. 3a/bb).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 13. Januar 2004 in Sa-
chen D.B. gegen die Verfügung des Bezirksamts Z.
Aus den Erwägungen
1. Gemäss § 67d EGZGB kann die Einweisungsbehörde vor
dem Entscheid über eine Anstaltsunterbringung eine ärztliche Unter-
suchung anordnen und die Person zur Durchführung der Untersu-
chung vorübergehend in eine Anstalt einweisen. Die massgeblichen
Einweisungsgründe und auch die Einweisungszwecke müssen in der
Einweisungsverfügung aufgeführt sein. Insbesondere muss sich aus
der Einweisungsverfügung klar ergeben, ob es sich um eine defini-
tive Anstaltsunterbringung oder um eine bloss vorübergehende Ein-
weisung zur Untersuchung gemäss § 67d Abs. 1 und 2 EGZGB han-
delt (AGVE 1994, S. 350 f. mit Hinweisen).
2003
Verwaltungsgericht
138
a) Dabei gilt zu beachten, dass in der Regel die Klinikeinwei-
sung von psychisch kranken Menschen im Rahmen einer fürsorgeri-
schen Freiheitsentziehung eine
Anstaltseinweisung
zur Behandlung
ist, wobei die Art der Behandlung in der Kompetenz der Klinik liegt.
Der Behandlungsauftrag muss daher in der Regel von der Einwei-
sungsbehörde nicht definiert werden. Eine solche Anstaltseinweisung
ist eine definitive fürsorgerische Freiheitsentziehung und darf bei
psychisch kranken Menschen nur erfolgen, wenn nach der Über-
zeugung der Einweisungsbehörde sämtliche Voraussetzungen einer
fürsorgerischen Freiheitsentziehung gegeben sind, also eine Geistes-
krankheit oder eine Geistesschwäche sowie eine stationäre Behand-
lungsbedürftigkeit vorliegt, keine mildere Massnahme möglich ist
(Verhältnismässigkeitsprüfung) und die Anstalt zur Behandlung ge-
eignet ist. In diesen Fällen gehört es zu den selbstverständlichen
Pflichten der Klinik, neben der Behandlung auch alle notwendigen
Untersuchungen vorzunehmen.
b) Eine
Anstaltseinweisung
zur Untersuchung
ist dann ange-
zeigt und zulässig, wenn die Einweisungsbehörde ernsthaften Anlass
hat, eine definitive fürsorgerische Freiheitsentziehung (zur Be-
handlung) für angezeigt zu halten, über einzelne Einweisungsvor-
aussetzungen aber noch Ungewissheit besteht, die sie weder durch
eigene Abklärung noch durch Anordnung einer ambulanten Untersu-
chung beheben kann. Der Abklärungsauftrag ist genau zu benennen
und die Einweisung zur Untersuchung ist zu befristen. Die stationäre
Untersuchung ist so schnell wie möglich abzuschliessen (§ 67d
Abs. 3 EGZGB; vgl. auch AGVE 1995, S. 252). Die Klinik hat die
gestellten Fragen (z.B. nach dem Vorliegen einer Geisteskrankheit)
der Einweisungsbehörde zu beantworten, worauf diese entscheiden
muss, ob eine definitive Einweisung zur Behandlung (in diesem Fall
ist eine neue Verfügung zu erlassen) oder eine Entlassung erfolgt
(§ 67d Abs. 1 und 2 EGZGB; AGVE 2002, S. 200 f. mit Hinweisen;
1995, S. 248 mit Hinweisen).
c) Im Normalfall liegt entweder eine definitive Einweisung zur
Behandlung oder eine (provisorische) Einweisung zur Untersuchung
vor. Nur in Ausnahmefällen ist es zulässig, eine ordentliche Einwei-
sung zur Behandlung mit einer Einweisung zur Untersuchung zu
2003
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
139
verbinden (
Doppelcharakter
). Die Voraussetzungen für eine defini-
tive Einweisung zur Behandlung müssen in diesen Fällen nach der
Überzeugung der Einweisungsbehörde eindeutig erfüllt sein und der
Abklärungsauftrag muss eine zusätzliche Frage betreffen (z.B. "Ab-
klärung, ob neben der Geisteskrankheit noch eine Drogensucht vor-
liegt", oder "soziale Abklärungen im Hinblick auf einen Übertritt in
eine geeignete betreute Wohnsituation"). Im Dispositiv der Einwei-
sungsverfügung muss in diesem Fall genau und eindeutig festgehal-
ten werden, warum die Einweisung auch zur Untersuchung erfolgt
(AGVE 1982, S. 138), und welche Untersuchungen/Abklärungen der
Klinik aufgetragen werden.
2. a) Vorliegendenfalls erfolgte die Einweisung des Beschwer-
deführers durch das Bezirksamt X. Das Bezirksamt erliess eine Ein-
weisung zur Behandlung wie auch zur Untersuchung. Die wider-
sprüchliche Begründung lautete einerseits, dass der Beschwerdefüh-
rer infolge Geisteskrankheit der persönlichen Fürsorge bedürfe
,
an-
dererseits wurde die Klinik ersucht, sie solle unter anderem abklären,
ob der Beschwerdeführer geisteskrank sei.
b) Die Einweisungsverfügung des Bezirksamts X. stützte sich
auf den Beschluss des Gemeinderates B. vom 8. Dezember 2003, in
welchem für den Beschwerdeführer eine fürsorgerische Freiheitsent-
ziehung beantragt wurde. Diesem Beschluss lag die psychiatrische
Beurteilung von Dr. H. vom 3. Dezember 2003 zu Grunde. In seiner
Beurteilung wurde der Verdacht geäussert, dass eine recht hohe
Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Wesensveränderung des Be-
schwerdeführers auf eine schleichende schwere Erkrankung aus dem
schizophrenen Formenkreis zurückzuführen sei. Entsprechend ver-
fügte das Bezirksamt X. die Einweisung des Beschwerdeführers "für
die Dauer der medizinischen Abklärung und allfälligen Behandlung"
und verlangte von der Klinik unter anderem die Abklärung, ob beim
Beschwerdeführer eine Geisteskrankheit vorliege und ob die Unter-
bringung in eine geeignete Anstalt erforderlich sei, oder ob allenfalls
eine ambulante Behandlung genüge. Damit ist offensichtlich, dass
die Voraussetzungen für eine definitive Einweisung zur Behandlung
im Einweisungszeitpunkt nicht vorlagen, da gerade nicht klar war, ob
beim Beschwerdeführer eine Geisteskrankheit vorlag. Soweit die
2003
Verwaltungsgericht
140
angefochtene Verfügung von einer Geisteskrankheit des Beschwerde-
führers spricht und der Klinik einen entsprechenden Behandlungs-
auftrag erteilt, ist sie somit aufzuheben.
3. a) Es bleibt zu prüfen, ob im Zeitpunkt der Einweisung des
Beschwerdeführers die Voraussetzungen für eine Anstaltseinweisung
zur Untersuchung gegeben waren (siehe vorne Erw. 1/b).
aa) Auf Grund der Beurteilung durch Dr. H. vom 3. Dezember
2003 konnte eine psychische Erkrankung des Beschwerdeführers
nicht ausgeschlossen werden. Die Mutter des Beschwerdeführers hat
am Tag seiner Einweisung (3. Januar 2004) dem einweisenden Be-
zirksamtmann-Stellvertreter gesagt, dass sich der Gesundheitszu-
stand ihres Sohnes in den letzten vier Wochen erheblich verbessert
habe, weshalb von einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung abzuse-
hen sei.
bb) Die Einweisungsverfügung stützte sich hauptsächlich auf
die über einen Monat zurück liegende Beurteilung durch Dr. H. Auf
Grund dieser im Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung
langen Zeitspanne hätte das Bezirksamt eine aktuelle ärztliche Beur-
teilung in die Wege leiten müssen. Dies um so mehr, als die Mutter
den Bezirksamtmann-Stellvertreter ausdrücklich darauf hingewiesen
hat, dass sich der Gesundheitszustand ihres Sohnes erheblich ver-
bessert habe und darum eine Klinikeinweisung nicht nötig sei. Auf
Grund der Schilderung der Mutter des Beschwerdeführers steht für
das Verwaltungsgericht fest, dass im Zeitpunkt seiner Einweisung die
gesetzlichen Voraussetzungen für eine Einweisung zur Untersuchung
nicht gegeben waren. Zwar bestand der Verdacht, dass der
Beschwerdeführer an einer Geisteskrankheit leiden könnte; im Zeit-
punkt der Einweisung gab der Gesundheitszustand des Beschwerde-
führers aber keinerlei Anlass zur Besorgnis, weshalb kein unauf-
schiebbarer Handlungsbedarf für die Anordnung einer fürsorgeri-
schen Freiheitsentziehung bestand. Weder war von einer akuten
Selbst- und Fremdgefährdung noch von einer schweren Verwahrlo-
sung oder übermässigen Belastung der Umgebung auszugehen. Im
Übrigen befand sich der Beschwerdeführer unter der Obhut seiner
Mutter, welche dem Bezirksamtmann-Stellvertreter anlässlich der
Einweisung ausdrücklich mitgeteilt hatte, dass sich der Beschwerde-
2003
Fürsorgerische Freiheitsentziehung
141
führer in den letzten vier Wochen angemessen verhalten und am
Familienleben wieder teilgenommen habe. Allfällige psychiatrische
Abklärungen hätten unter diesen Umständen ambulant durchgeführt
werden können. Die Einweisung des Beschwerdeführers in die PKK
war daher unverhältnismässig. | 1,864 | 1,499 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-41_2004-01-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-41.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-41.pdf | AGVE_2003_41 | null | nan |
ae3abfca-c897-5a30-8d8b-336dba4a7307 | 1 | 412 | 870,289 | 1,067,904,000,000 | 2,003 | de | 2004
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
143
IV. Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
41
Nutzungsplanung; Allgemeine Grundsätze der Rückweisung bei unvoll-
ständiger Sachverhaltserhebung (§ 58 VRPG).
- Ist die Interessenausübung der Beschwerdeinstanz, insbesondere hin-
sichtlich der kantonalen Interessen, nicht überprüfbar, ist die
Beschaffung der notwendigen Entscheidungsgrundlagen für die
kantonalen und überregionalen Interessen der Beschwerdeinstanz zu
überlassen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 23. November 2003 in Sa-
chen R.E. gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 17. Mai 2000.
Aus den Erwägungen
6. d) Kommt das Verwaltungsgericht zum Ergebnis einer un-
vollständigen oder unzureichenden Sachverhaltsabklärung, kann es
entweder selbst urteilen oder die Sache zum Erlass eines neuen Ent-
scheides an die Vorinstanz zurückweisen (§ 58 VRPG). Die Frage,
welches Vorgehen gewählt werden soll, ist nach der Praxis auf Grund
einer Interessenabwägung zu entscheiden, wobei namentlich die
Rechtsschutzbedürfnisse der Betroffenen, funktionelle bzw. institu-
tionelle Überlegungen sowie die Interessen an einem raschen Ent-
scheid und jene der Prozessökonomie von Bedeutung sein können
(AGVE 2002, S. 285 ff.; AGVE 1994, S. 186 f.; AGVE 1985, S. 325
f.; VGE IV/67 vom 13. November 2001 [BE.1996.00284] in Sachen
B., S. 18). Das Verwaltungsgericht hat in den Fällen H. und E. ein
Gutachten mit den notwendigen Sachverhaltsabklärungen sowie der
Beurteilung der Schutzbedürftigkeit und des Schutzumfangs einge-
holt (AGVE 1998, S. 274 ff.; VGE III/66 vom 12. Mai 1999
[BE.1996.00144] in Sachen P.). In andern Fällen der unzureichenden
Sachverhaltsabklärung wurde das Verfahren an die Vorinstanz oder
2004
Verwaltungsgericht
144
den Gemeinderat zurückgewiesen (VGE IV/52 vom 11. Dezember
2002 [BE.2000.00271] in Sachen W.; VGE IV/67 vom
13. November 2001 [BE.1996.00284] in Sachen B.; VGE IV/36 vom
26. Juni 2001 [BE.1997.00024] in Sachen S.). Die Ergänzung des
Sachverhalts mit der Bestimmung der Naturwerte zum Biotop- und
Artenschutz, zur Bestimmung des Verbindungskorridors und des
Umfangs bzw. der Notwendigkeit ökologischer Ausgleichsflächen
("Trittstein" und Wandergebiet) bedarf ergänzender, sachverständiger
Erhebungen und Fachgutachten. Wegleitend in der Frage, ob eine
Beweisergänzung durch das Verwaltungsgericht oder von den Vor-
instanzen vorzunehmen ist, ist neben prozessökonomischen Gründen
die Kognition des Verwaltungsgerichts. Im vorliegenden Fall ist, wie
sich aus der nachfolgenden Erwägung ergibt, auch nach einer
Sachverhaltsabklärung und -ergänzung das Verwaltungsgericht nicht
berechtigt, die Abgrenzung zwischen Naturschutzzone und
Baugebiet selbst vorzunehmen (siehe hinten Erw. 7). Auf die erfor-
derlichen Beweisergänzungen durch Expertisen ist daher im ver-
waltungsgerichtlichen Verfahren zu verzichten.
7. a) Die Gemeinden erlassen die allgemeinen Nutzungspläne
und Nutzungszonen (§ 13 Abs. 1 BauG) und sie scheiden Schutzzo-
nen für schützenswerte Lebensräume aus (§ 15 Abs. 1 und Abs. 2
lit. e BauG i.V.m. § 8 Abs. 1 NLD). Das Planungsermessen der
Gemeinde ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts
durch die Gestaltungsfreiheit der Gemeinden auf Grund der Gemein-
deautonomie bestimmt. Gemäss § 5 Abs. 2 KV ordnen und verwalten
die Gemeinden ihre Angelegenheiten selbständig und nach § 106
Abs. 1 KV sind sie im Rahmen von Verfassung und Gesetz befugt,
ihre Aufgaben nach eigenem Ermessen zu erfüllen. Die Planungs-
grundsätze des Raumplanungsrechts und die planungsrelevanten Be-
stimmungen des übrigen Bundesrechts wie des kantonalen Rechts
sind einzuhalten. Die Rechtsanwendung erfolgt im Rahmen der In-
teressenabwägung (Art. 3 RPV) und ist für die kommunalen Interes-
sen wie für die überregionalen Interessen von der Gemeinde und für
letztere zusätzlich von der kantonalen Genehmigungsbehörde umfas-
send vorzunehmen. Das Verwaltungsgericht kann und darf nicht in
die Planungshoheit der zuständigen Planungsträger eingreifen (§ 28
2004
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
145
BauG; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollver-
fahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechts-
pflege, Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG, Diss. Zürich 1998,
§ 49 N 45 mit Hinweisen; VGE IV/52 vom 11. Dezember 2002
[BE.2000.00271] in Sachen W., S. 14 ff.).
b) Im Rechtsschutzverfahren nach § 26 BauG ist eine vollum-
fängliche Überprüfung des Planungsentscheids der Gemeinde ein-
schliesslich der Ermessenskontrolle vorgeschrieben (Art. 33 Abs. 3
lit. b RPG; § 26 i.V.m. § 4 Abs. 1 BauG und § 49 VRPG). Die Be-
schwerdeinstanz ist indessen und insbesondere bei der Beurteilung
von kommunalen Interessen zur Zurückhaltung verpflichtet, was
bedeutet, dass der Gemeinde ihre Gestaltungsfreiheit in der Planung
auch im Rechtsmittelverfahren zu belassen ist (Art. 2 Abs. 3 RPG;
Bundesgericht, in: BVR 1999, S. 307; BGE 121 I 122; BGE 116 Ia
226 f.; Pierre Tschannen, in: Kommentar RPG, Art. 2 N 60 f.). So-
weit die Beschwerdeinstanz über ihre spezifische Rolle als kantonale
Rechtsmittelinstanz hinaus den Plan nicht nur einer Zweckmässig-
keitsprüfung unterzogen hat, liegt auch eine Ermessensüberschrei-
tung vor (vgl. auch BGE 109 Ib 123 f.). Gerade wo es um die Ab-
grenzung von Bauzonen, um lokale Naturschutzinteressen, also um
kommunale Anliegen geht, bei deren Wahrnehmung Sachnähe, Orts-
kenntnis, die örtliche Demokratie und insbesondere auch die Ge-
meindeautonomie von Bedeutung sind, hat sich die Planprüfung im
Beschwerdeverfahren auf die Frage zu beschränken, ob eine ge-
setzmässige und angemessene Lösung getroffen wurde (Heinz
Aemisegger/Stephan Haag, in: Kommentar RPG, Art. 33 N 61 f.).
Die Wahl unter mehreren zur Verfügung stehenden, angemessenen
Vorkehren soll grundsätzlich der Gemeinde als nachgeordneter
Behörde überlassen bleiben (Art. 2 Abs. 3 RPG). Der Regierungsrat
als übergeordnete Behörde darf im Beschwerdeverfahren auch eine
unangemessene Lösung der Gemeinde nicht aus seinem eigenen
Ermessen ersetzen, solange sachliche Gründe für den Entscheid der
Planungsbehörde vorliegen (AGVE 2000, S. 284 f; AGVE 1996,
S. 307; VGE IV/67 vom 13. November 2001 [BE.1996.00284] in
Sachen B., S. 15; Tschannen, a.a.O., Art. 2 N 64). Die Nichtgeneh-
migung oder die Abänderung im Rechtsschutzverfahren (§ 27 Abs. 2
2004
Verwaltungsgericht
146
BauG oder Art. 33 Abs. 2 und 3 RPG) bedarf daher - abgesehen von
kantonalen und überregionalen Interessen - einer qualifizierten
Rechtswidrigkeit oder einer Ermessensüberschreitung (AGVE 2002,
S. 283 ff.; AGVE 2000, S. 203 ff.; AGVE 1996, S. 304 ff.).
c) (...)
d) Die Stadt B. hat im Einspracheentscheid geltend gemacht,
dass der Schutz des Waldrandes im Nutzungsplan und in der BNO,
verbunden mit dem Waldabstand und den (privatrechtlichen) Verein-
barungen mit den Grundeigentümern auf der Grundlage des Grün-
konzepts, den notwendigen Schutz für das oder die Biotope am
"Bruggerberg" ausreichend gewährleisten könne. Ob dies tatsächlich
zutrifft, erscheint eher fraglich, auch wenn auf Grund der Planungs-
unterlagen und kantonalen Vorgaben bei Erlass des Zonenplanes
1996 diese Beurteilung verständlich erscheint. Nach den Erkenntnis-
sen im Beschwerdeverfahren sind für den umstrittenen Hang am
"Bruggerberg" schützenswerte Naturwerte erwiesen und die Not-
wendigkeit, auch potentiell bedeutsame Flächen auszuscheiden, er-
scheint möglich.
e) Die Stadt B. hat bei der Revision der Nutzungsplanung über
die Abgrenzung der Bauzone im Gebiet "Bruggerberg" sodann den
Umstand, dass der Gemeindebann schon seit längerer Zeit weitge-
hend überbaut ist und ein Mangel an bevorzugten Wohnlagen be-
steht, in die Interessenabwägung einbezogen und diese zu Gunsten
einer Bauzone W2 im umstrittenen Bereich entschieden. Sie hält am
Vorrang der Interessen an einer Bauzone auch im verwaltungsge-
richtlichen Verfahren fest. Auf der Grundlage der bisher erhobenen
und festgestellten Naturwerte erscheint die Beurteilung durch die
Gemeinde für die Parzelle Nr. ... vertretbar. Die Feststellung, dass auf
der umstrittenen Fläche zwei Zauneidechsen und eine Mauereidechse
sowie eine für Magerwiesen typische Pflanzenkennart in relativ
geringer Anzahl vorhanden sind (....), können die Interessen der
Gemeinde und das Interesse der Beschwerdeführer, welches sich im
Wesentlichen auf eine Ausdehnung der Bauzone auf ihrem
Grundstück beschränkt, nicht zum vornherein überwiegen. Diese
Begründung kann insbesondere nicht ausschliessen, dass keine
andere Lösung als die Nichteinzonung und Unterschutzstellung der
2004
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
147
gesamten unüberbauten Fläche möglich ist (§ 4 Abs. 1 und 3 NLD).
Diese Überlegungen sind auch bei der Festsetzung der Bauzonen-
grenze von Bedeutung, zumal die behaupteten gewichtigen Argu-
mente für einen Verbindungskorridor mit der Grenzziehung der Bau-
zone bis an den Waldrand (Parzellen Nrn. ...) im Beschwerdeent-
scheid selbst in Frage gestellt sind. Die unvollständige Sachverhalts-
abklärung erlaubt es bei diesem Ergebnis aber nicht, die Interessen-
abwägung des Regierungsrates abschliessend zu überprüfen und
insbesondere zu beurteilen, inwieweit der Regierungsrat bei dieser
Festsetzung der Zonengrenze in unzulässiger Weise in das der
Gemeinde zustehende Ermessen eingegriffen hat. Die Frage der Ab-
grenzung der Nutzungszonen und der Umsetzung der Naturschutz-
anliegen - soweit sie kommunal oder kantonal begründet sind -
liegen primär in der Kognition der kommunalen Planungsbehörde
(hier beim Einwohnerrat) bzw. des Regierungs- und Grossen Rats im
Rahmen des Genehmigungsverfahrens. Auch nach einer Sachver-
haltsergänzung müsste der Planungsentscheid der Gemeinde noch-
mals vom Regierungsrat überprüft werden. Auf weitere Beweiser-
hebungen vor Verwaltungsgericht kann daher verzichtet werden und
die Beschaffung der Entscheidgrundlagen, vor allem für die kanto-
nalen und überregionalen Interessen, dem dafür im Beschwerdever-
fahren zuständigen Regierungsrat überlassen bleiben. | 2,329 | 1,828 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-41_2003-11-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-41.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-41.pdf | AGVE_2004_41 | null | nan |
aea86474-98f5-5da2-9bbd-a9ce88f1bc3a | 1 | 412 | 871,482 | 1,328,227,200,000 | 2,012 | de | 2012
Submissionen
171
[...]
25 Teilung
des
Auftrags
Eine nachträgliche Aufteilung in Lose ist u.a. dann unzulässig, wenn sie
in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen nicht aus-
drücklich angekündigt worden ist, es sei denn die Vergabebehörde holt
2012
Verwaltungsgericht
172
vor der Vergabe das Einverständnis der Anbieter ein, die den Zuschlag
für die einzelnen Lose erhalten oder ohne Aufteilung allein erhalten hät-
ten.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 27. Februar 2012 in Sa-
chen A. AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2011.409).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Die Leistungen für BKP
23 Elektroanlagen, umfassend
BKP 232 Starkstrominstallationen, BKP 236 Schwachstrominstallati-
onen, BKP 238 Bauprovisorien und BKP 239 Übriges, wurden an die
C. AG, welche wie die Beschwerdeführerin ein Gesamtangebot
eingereicht hatte, vergeben. Der Zuschlag für BKP 231 Apparate
Starkstrom wurde an die D. AG, welche nur die Starkstromapparate
offeriert hatte, erteilt. Kein Zuschlag erfolgte für BKP 233 Leuchten
und Lampen; diese Vergabe wurde zurückgestellt.
Zu prüfen ist, ob die Vergabestelle berechtigt war, die ausge-
schriebenen Elektroanlagen aufzuteilen und in zwei Teilvergaben
zuzuschlagen.
2.2.
Gemäss § 19 Abs. 1 SubmD kann die Vergabestelle einen Auf-
trag in Lose aufteilen oder an mehrere Anbietende zusammen verge-
ben. Sie hat diese Absicht in der Ausschreibung bekannt zu geben.
Andernfalls steht es den Anbietenden frei, vom Angebot zurückzutre-
ten (§ 19 Abs. 2 SubmD). § 33 der Vergaberichtlinien (VRöB) zur
IVöB bestimmt, dass der Auftraggeber den Auftrag nur dann und nur
insoweit aufteilen und an verschiedene Auftraggeber vergeben kann,
wenn er dies in der Ausschreibung oder den Ausschreibungsunterla-
gen bekannt gemacht hat oder vor der Vergabe das Einverständnis
desjenigen Anbieters, der voraussichtlich den Zuschlag erhält, einge-
holt hat. Den Anbietenden ihrerseits steht es grundsätzlich frei,
Offerten für Teilangebote einzureichen (§ 16 Abs. 1 SubmD; vgl.
2012
Submissionen
173
auch AGVE 2000, S. 295 ff.). Nach Ziff. 6 von Anhang 5 zum
SubmD enthalten die Ausschreibungsunterlagen besondere Vorschrif-
ten, insbesondere über Zulässigkeit und Bedingungen für Bieterge-
meinschaften, Teilangebote, Pauschal- oder Globalangebote und Va-
rianten sowie die Aufteilung des Auftrags.
Grundsätzlich liegt es also im Ermessen der Vergabestelle, ob
sie einen Auftrag als Ganzes ausschreiben oder Lose (Teilaufträge)
bilden will. Unzulässig wäre die Aufteilung eines Auftrages etwa
dann, wenn diese einzig in der Absicht erfolgen würde, mit tieferen
Beschaffungswerten die vorgeschriebene Verfahrensart zu umgehen.
Unzulässig, weil diskriminierend, wäre die Auftragsaufteilung ferner
dann, wenn die Vergabestelle damit bestimmte Anbieter bevorzugen
oder benachteiligen will (vgl. AGVE 1999, S. 302 ff.; LGVE 2001 II
Nr. 11 Erw. 2). Grundsätzlich unzulässig ist die nachträgliche Auftei-
lung in Lose schliesslich auch dann, wenn sie in der Ausschreibung
oder in den Ausschreibungsunterlagen nicht ausdrücklich angekün-
digt worden ist, es sei denn die Vergabebehörde holt vor der Vergabe
das Einverständnis der Anbieter ein, die den Zuschlag für den Auf-
trag erhalten oder ohne Aufteilung allein erhalten hätten (vgl. Hand-
buch öffentliches Beschaffungswesen im Kanton Graubünden, He-
rausgeber: Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement Graubünden, Stand
22.04.2010, Kap. 8.8).
2.3.
Vorab ist festzustellen, dass eine Zustimmung der betroffenen
Anbieter zur vorgenommenen Aufteilung des Auftrags nicht vorliegt.
Dies gilt insbesondere für die Beschwerdeführerin. Diese hat gemäss
Offertöffnungsprotokoll mit Fr. 349'479.70 das preisgünstigste Ge-
samtangebot eingereicht. Die C. AG liegt mit einem Preis von
Fr. 359'296.80 an dritter Stelle. Die Vergabestelle hat zwar keine
Gesamtauswertung vorgenommen, aber bei den beiden Teilvergaben
sind diese beiden Anbieterinnen beim Zuschlagskriterium "Qualität"
jeweils gleich mit 16 Punkten bewertet worden. Insofern kann jeden-
falls nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin bei
einer Gesamtvergabe das wirtschaftlich günstigste Angebot einge-
reicht hat und infolgedessen den Zuschlag hätte erhalten müssen. Mit
einer Auftragsaufteilung war sie, wie die Beschwerde zeigt, nicht
2012
Verwaltungsgericht
174
einverstanden. Auch eine Zustimmungserklärung der C. AG, die
ebenfalls ein Gesamtangebot für BKP 23 eingereicht hat, zur Auftei-
lung ist nicht vorhanden.
Die Vergabebehörde behauptet denn auch gar nicht, das Einver-
ständnis der Anbieter zur Aufteilung des Auftrags eingeholt zu ha-
ben, sondern vertritt die Auffassung, die Vergabe sei in Form von
einzelnen Arbeitsgattungen (BKP) öffentlich ausgeschrieben worden.
2.4.
Der öffentlichen Ausschreibung lässt sich unter Ziff. 2.4 Ge-
meinschaftsvokabular entnehmen, dass BKP 231 Apparate Stark-
strom, BKP 232 Starkstrominstallationen, BKP 233 Leuchten und
Lampen, BKP 235 Apparate Schwachstrom, BKP 236 Schwach-
strominstallationen, BKP 238 Bauprovisorien, BKP 113 Demontagen
und BKP 443 Elektroanlagen Gegenstand der Submission sind. Für
den detaillierten Projektbeschrieb wird in Ziff. 2.5 auf das Devis
verwiesen. In Ziff. 2.7 wird festgehalten, dass keine Aufteilung in
Lose vorgesehen ist, und gemäss Ziff. 2.9 sind Teilangebote nicht
zugelassen. Die Tatsache, dass die verschiedenen genannten Leistun-
gen gemeinsam in einem offenen Verfahren öffentlich ausgeschrie-
ben worden sind, lässt die Schlussfolgerung der Beschwerdeführerin,
es sei die Vergabe der Elektroanlagen als Gesamtpaket und nicht die
Vergabe einzelner BKP ausgeschrieben worden, durchaus nachvoll-
ziehbar erscheinen, zumal eine Aufteilung in Lose sowie die Zu-
lässigkeit von Teilangeboten ausdrücklich verneint wurde. Dasselbe
gilt für die Ausschreibungsunterlagen. So war gemäss Titelblatt der
Ausschreibungsunterlagen ein "Angebot für BKP 23" einzugeben.
Die Vergabekriterien beziehen sich auf BKP 23 ("Vergabekriterien,
Gewichtung BKP 23 Elektroanlagen"). Auch das Leistungsverzeich-
nis lässt darauf schliessen, dass ein Gesamtangebot verlangt ist ([...]
"BKP Zusammenfassung"). Einen ausdrücklichen Hinweis, dass
auch nur Teilleistungen bzw. einzelne BKP angeboten werden kön-
nen, enthalten die Ausschreibungsunterlagen nicht. Nach Angabe der
Beschwerdeführerin hat sich ein solcher Hinweis einzig auf dem
Lieferschein befunden. Auch das Offertöffnungsprotokoll-Formular
lautet in der Überschrift auf "BKP Elektroinstallationen 23". Hätte
die Vergabestelle tatsächlich beabsichtigt, die Leistungen einzeln zu
2012
Submissionen
175
vergeben, hätte sie korrekterweise für jede Arbeitsgattung ein
gesondertes Offertöffnungsprotokoll vorsehen müssen.
2.5.
Aufgrund der eindeutigen Angaben in der öffentlichen Publika-
tion und in den Ausschreibungsunterlagen muss mit der Beschwerde-
führerin davon ausgegangen werden, dass die Vergabestelle vorlie-
gend klarerweise einen Gesamtauftrag für BKP 23 Elektroanlagen
ausgeschrieben und in der öffentlichen Publikation sowohl die Auf-
teilung in Lose als auch die Zulässigkeit von Teilangeboten aus-
drücklich verneint hat. Die gegenteiligen Ausführungen der Verga-
bestelle in der Beschwerdeantwort vermögen in keiner Weise zu
überzeugen. Die Auflistung der einzelnen Arbeitsgattungen (BKP)
beim Gemeinschaftsvokabular stellt keine Losbildung dar. Auch der
Interpretation, dass mit der Verneinung der Losbildung lediglich der
Ausschluss eines zusätzlichen Zerstückelns der einzelnen Arbeitsgat-
tungen in Lose beabsichtigt gewesen sei, kann nicht gefolgt werden.
Die getrennte Vergabe von BKP 231 und der restlichen BKP 23 Elek-
troanlagen erweist sich damit als ausschreibungswidrig und, da kein
Einverständnis der betroffenen Anbieter zur nachträglichen Auftei-
lung vorliegt, im Hinblick auf § 19 Abs. 1 SubmD als unzulässig.
Richtigerweise hätten die lediglich für einzelne BKP eingereichten
Angebote als nicht ausschreibungskonforme und in der öffentlichen
Ausschreibung ausdrücklich untersagte Teilangebote vom Vergabe-
verfahren ausgeschlossen werden müssen (vgl. auch AGVE 2000,
S. 295 ff.). Dies gilt insbesondere auch für das Angebot der D. AG,
welche für BKP 231 den Zuschlag erhalten hat. In Bezug auf BKP
233 Leuchten und Lampen macht die Vergabestelle geltend, aufgrund
von zu vielen offenen Fragen habe diese Vergabe zurückgestellt wer-
den müssen. Die Ursachen, weshalb es zu offenen Fragen gekommen
ist, sind nicht bekannt. Ob sich für BKP 233 allenfalls ein Teilab-
bruch des Verfahrens hätte rechtfertigen lassen, oder ob die Vergabe-
stelle mit der (Gesamt-)Vergabe von BKP 23 bis zur Klärung/Berei-
nigung dieser Fragen hätte zuwarten müssen, kann vorliegend aber
offen bleiben.
(...) | 1,964 | 1,530 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-25_2012-02-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-25.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-25.pdf | AGVE_2012_25 | null | nan |
af471e59-c21c-5d41-bc5e-a3ebbe04a4f1 | 1 | 412 | 870,316 | 1,485,907,200,000 | 2,017 | de | 2017
Fürsorgerische Unterbringung
79
II. Fürsorgerische Unterbringung
12
Art. 434 Abs. 1 ZGB
Eine medizinische Massnahme ohne Zustimmung gestützt auf Art. 434
Abs. 1 ZGB darf nicht von der gleichen Ärztin angeordnet werden, die
schon den Behandlungsplan aufgestellt hat. Zur Wahrung des Vier-
Augen-Prinzips muss die Zwangsbehandlung von einer anderen als der
behandelnden Arztperson autorisiert werden.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 14. Februar
2017, i.S. A. gegen die Entscheide der Psychiatrischen Klinik Königsfelden
(WBE.2017.71/72/81)
Aus den Erwägungen
III.
1.
Im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung dürfen (medi-
kamentöse) Behandlungen auch gegen den Willen der betroffenen
Person vorgenommen werden (Art. 434 ZGB). Kumulativ müssen
die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: (1) ohne Behandlung
droht der betroffenen Person ein ernsthafter Schaden oder das Leben
oder die körperliche Integrität von Drittpersonen ist gefährdet; (2)
die betroffene Person ist bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit
urteilsunfähig; (3) es steht keine angemessene Massnahme zur Verfü-
gung, die weniger einschneidend ist (Abs. 1). Die Anordnung wird
der betroffenen Person und ihrer Vertrauensperson verbunden mit
einer Rechtsmittelbelehrung schriftlich mitgeteilt (Abs. 2).
2.
2.1.
Die Beschwerdeführerin rügt vorab formelle Fehler, mit denen
die Zwangsmedikationsentscheide der Psychiatrischen Klinik
2017
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
80
Königsfelden vom 2. Februar 2017 und 3. Februar 2017 behaftet
seien. Beide Entscheide seien mit Dr. med. C. von ein und derselben
Oberärztin gefällt worden, die schon den ursprünglichen und den
abgeänderten Behandlungsplan für die Beschwerdeführerin unter-
zeichnet habe. Das sei rechtswidrig, denn das Gesetz verlange unte-
rschiedliche Zuständigkeiten für den Behandlungsplan und allfällige
Zwangsmassnahmenentscheide und wolle damit garantieren, dass
zwei Ärzte mit der vorgesehenen Spezialausbildung von der Notwen-
digkeit einer medizinischen Behandlung überzeugt seien. Hinzu
komme, dass der Zwangsmedikationsentscheid vom 3. Februar 2017
der Beschwerdeführerin erst am 8. Februar 2017, mithin erst am Fol-
getag des Vollzugs der darin vorgesehenen Zwangsmedikation mit
50 mg Haldol am 7. Februar 2017 ausgehändigt worden sei, was
absolut unzulässig sei.
2.2.
2.2.1.
Fehlt die Zustimmung der betroffenen Person zur (medikamen-
tösen) Behandlung, ist nach Art. 434 Abs. 1 ZGB die "Chefärztin
oder der Chefarzt der Abteilung" die für die (schriftliche) Anordnung
der im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen Massnahmen
zuständige Person. Die Lehre geht davon aus, dass die Chefärztin
oder der Chefarzt diese Kompetenzen an Oberärztinnen und
Oberärzte delegieren können, da diese über die notwendige Erfah-
rung verfügen. Die in einer Klinik tätige Chefärztin oder der Chef-
arzt der Abteilung - und aufgrund einer Delegation auch die Ober-
ärztinnen und Oberärzte - haben bundesrechtlich die Kompetenz,
medizinische Massnahmen ohne Zustimmung der betroffenen Person
unter fürsorgerischer Unterbringung anzuordnen (Botschaft des
Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom
19. Oktober 2011, Nr. 11.316, S. 20 f.). Grundvoraussetzung ist, dass
es sich um einen Arzt mit Spezialausbildung handelt. Zudem muss
die entscheidende Person innerhalb der Klinik eine bestimmte Stel-
lung innehaben. Mit "Chefärztin oder Chefarzt der (zuständigen) Ab-
teilung" ist eine Person gemeint, welche für die ganze Klinik oder
wenigstens für die entsprechende Abteilung die medizinische
Gesamtverantwortung trägt. Es darf überdies nicht diejenige Person
2017
Fürsorgerische Unterbringung
81
sein, die den Behandlungsplan aufgestellt hat, d.h. die behandelnde
Ärztin oder der behandelnde Arzt. Mit der unterschiedlichen Kompe-
tenzzuweisung in den Art. 434 und 435 ZGB garantiert das Gesetz,
wie die Beschwerdeführerin zu Recht festhält, dass eine Behandlung
ohne Zustimmung nur dann erfolgt, wenn mindestens zwei Spezial-
ärzte von deren Notwendigkeit überzeugt sind. Damit wird auch dem
rechtsstaatlichen Gebot der Unbefangenheit Rechnung getragen
(T
HOMAS
G
EISER
/M
ARIO
E
TZENSBERGER
, in: Basler Kommentar,
Zivilgesetzbuch I [Art.1-456 ZGB], 5. Auflage, Basel 2014,
Art. 434/435 N 32 f.).
2.2.2.
Die Psychiatrische Klinik Königsfelden ist in vier Bereiche
unterteilt (Zentrum Psychiatrie und Psychotherapie stationär [ZPPS];
Zentrum Suchtpsychiatrie und -psychotherapie [ZSPP]; Bereich
Alters- und Neuropsychiatrie [BANP]; Bereich Forensische
Psychiatrie [BFP]), denen je ein Chefarzt vorsteht. Die vier Bereiche
wiederum sind in diverse Abteilungen aufgegliedert, die von
Oberärzten geleitet werden. Leitender Oberarzt der Abteilungen mit
Schwerpunkt Psychose ist D. Dr. med. C. leitet die Abteilung X. Als
Oberärztin, welche für die Abteilung X. die Gesamtverantwortung
trägt und über eine Spezialausbildung in Psychiatrie verfügt, ist
Dr. med. C. grundsätzlich zu Zwangsmedikationsentscheiden befugt.
Allerdings darf sie gegenüber Patienten, deren Behandlungsplan sie
aufgestellt hat, keine Zwangsmedikationen anordnen. Dafür läge die
Zuständigkeit bei einem anderen Oberarzt, dem Leitenden Oberarzt
der Abteilungen mit Schwerpunkt Psychose oder dem Chefarzt des
Bereichs Zentrum Psychiatrie und Psychotherapie stationär.
Im vorliegenden Fall stammen sowohl der (abgeänderte) Be-
handlungsplan vom 2. Februar 2017 betreffend die Medikation der
Beschwerdeführerin mit Haldol als auch die beiden darauf basieren-
den Zwangsmedikationsentscheide vom 2. Februar 2017 und
3. Februar 2017 von Dr. med. C. Dieses Vorgehen ist nach dem oben
Ausgeführten formell rechtsfehlerhaft und verstösst gegen das Vier-
Augen-Prinzip. | 1,248 | 1,015 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2017-12_2017-02-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2017-12.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2017-12.pdf | AGVE_2017_12 | null | nan |
af7f995e-1a30-576f-89e6-6214acc0de90 | 1 | 412 | 870,179 | 1,309,737,600,000 | 2,011 | de | 2011
Verwaltungsrechtspflege
255
60 Wiederaufnahme
-
Wiederaufnahme wegen Verletzung von Vorschriften über die recht-
mässige Zusammensetzung der entscheidenden Behörde
-
Subsidiarität des Wiederaufnahmeverfahrens nach § 65 Abs. 3
VRPG
-
Offen gelassen, ob die Frist nach § 66 Abs. 1 VRPG im Falle der
Verletzung der Vorschriften über die rechtmässige Zusammenset-
zung der entscheidenden Behörde in jedem Fall mit der Zustellung
des Entscheids zu laufen beginnt
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 6. Juli 2011 in Sachen A.
gegen Gemeinderat B. und Departement Bau, Verkehr und Umwelt
(WBE.2010.128).
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
Gemäss § 65 Abs. 1 lit. b VRPG ist ein rechtskräftig erledigtes
Verfahren auf Begehren einer Partei durch die letzte Instanz, die
entschieden hat, wieder aufzunehmen, wenn unter anderem die Vor-
schriften über die rechtmässige Zusammensetzung der entscheiden-
den Behörde verletzt worden sind. Das Wiederaufnahmebegehren ist
innert drei Monaten, seit dem die gesuchstellende Person vom Wie-
deraufnahmegrund Kenntnis erhalten hat, bei der letzten Instanz, die
entschieden hat, schriftlich mit Antrag und Begründung einzureichen
(§ 66 Abs. 1 VRPG). Diese relative Revisionsfrist wird durch die
sichere Kenntnis der Sachumstände und den Revisionsgrund aus-
gelöst; der Fristenlauf beginnt aber auch nicht erst, wenn der Revisi-
onskläger den Revisionsgrund sicher beweisen kann.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts zum (alten)
Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 9. Juli 1968 (aVRPG;
SAR 271.100) war zudem erforderlich, dass der geltend gemachte
Mangel bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht durch ein or-
dentliches Rechtsmittel hätte gerügt werden können (AGVE 2001,
2011
Verwaltungsgericht
256
S. 390, mit Hinweisen, und 1972, S. 480 f.; Rudolf Weber, in: Fest-
schrift für Kurt Eichenberger, Aarau 1990, S. 349). Handelt es sich
um Verfahrensfehler, nehmen die Lehre und Rechtsprechung an, dass
die Revisionsfrist im Zeitpunkt der Eröffnung des in Revision zu
ziehenden Entscheides zu laufen beginnt (Alfred Kölz / Isabelle
Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bun-
des, 2. Aufl., Zürich 1998, N 748).
3.2.
Mit der Totalrevision des Verwaltungsrechtspflegegesetzes wur-
den die Revisionsgründe präzisiert. Der allgemeine Tatbestand der
Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften in § 27 lit. b aVRPG
wurde auf die Verletzung der Vorschriften "über die rechtmässige
Zusammensetzung" der entscheidenden Behörde eingeschränkt (§ 65
Abs. 1 lit. b VRPG). Was unter einer unrechtmässigen Zusammen-
setzung einer Behörde zu verstehen ist, definiert das Gesetz nicht.
Nach den Materialien geht es um die Verletzung von Ablehnungs-
und Ausstandsvorschriften, weil diese nicht selten erst nach Rechts-
kraft des Entscheides entdeckt würden (vgl. Botschaft des Regie-
rungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 14. Februar
2007 [Botschaft], 07.27, S. 77). Nachdem mit der Revision des
VRPG die Unterscheidung zwischen Ausschluss- und Ablehnungs-
gründen aufgegeben wurde und die Ausstandsgründe gemäss § 16
VRPG von Amtes wegen zu beachten sind, begründet bereits die
Mitwirkung eines Behördenmitglieds, an dessen Unabhängigkeit
oder Unbefangenheit (objektive) Zweifel oder auch nur ein Anschein
der Befangenheit bestehen (§ 16 Abs. 1 lit. e VRPG), den Revisions-
grund.
3.3.
§ 65 Abs. 3 VRPG schliesst die Revision aus, wenn der Wieder-
aufnahmegrund im Verfahren, das dem Entscheid voranging, oder
mit einem Rechtsmittel gegen den Entscheid hätte geltend gemacht
werden können. Mit dieser Bestimmung wurde der grundsätzliche
subsidiäre Charakter der Wiederaufnahme als ausserordentliches
2011
Verwaltungsrechtspflege
257
Rechtsmittel gemäss Lehre und Rechtsprechung zum alten Verwal-
tungsrechtspflegegesetz (vgl. AGVE 2001, S. 390 mit Hinweisen) in
das Gesetz übernommen (Botschaft, S. 78). Aus dem Wortlaut der
Bestimmung ist zu schliessen, dass von einer Revision auch ausge-
schlossen ist, wer im Erstverfahren die übliche prozessuale Sorg-
faltspflicht vernachlässigte (vgl. Alfred Bühler / Andreas Edelmann /
Albert Killer, Kommentar zur Aargauischen Zivilprozessordnung,
2. Aufl., Aarau 1998, § 344 N 3). Der ausserordentliche Charakter
der Wiederaufnahme bleibt nur gewahrt, wenn der um Wiederauf-
nahme Nachsuchende keinerlei Rügen vorbringen kann, welche er
bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt rechtzeitig hätte erheben kön-
nen (vgl. Rudolf Weber, a.a.O., S. 349; Ursina Beerli-Bonorand, Die
ausserordentlichen Rechtsmittel in der Verwaltungsrechtspflege des
Bundes und der Kantone, S. 126; Attilio Gadola, Das verwaltungs-
interne Beschwerdeverfahren, Zürich 1991, S. 135).
Ausstandsbegehren sind im Verwaltungs- und Beschwerdever-
fahren unverzüglich nach Entdeckung des Ausstandsgrundes geltend
zu machen. Wer den Richter, Beamten oder Sachverständigen nicht
unverzüglich ablehnt, wenn er vom Ablehnungsgrund Kenntnis er-
hält, sondern sich stillschweigend auf den Prozess einlässt, verwirkt
den Anspruch auf spätere Anrufung der verletzten Ausstandsbestim-
mung (vgl. BGE 132 II 485, Erw. 4.3. und 124 I 121, Erw. 2 mit
Hinweisen; AGVE 1991, S. 366 f.). Diese Rechtsprechung definiert
den Sorgfaltsmassstab für die rechtzeitige Geltendmachung von Aus-
standsgründen, welche ihrerseits Voraussetzung für die Wiederauf-
nahme eines Verfahrens wegen Verletzung der Vorschriften über die
rechtmässige Zusammensetzung der entscheidenden Behörde ist
(§ 65 Abs. 3 VRPG). Andernfalls würde das Wiederaufnahmeverfah-
ren die nachträgliche und verspätete Geltendmachung von Aus-
standsgründen erleichtern, was mit dem Zweck der Wiederaufnahme
als ausserordentliches Entscheidkorrektiv nicht vereinbar ist (vgl.
Weber, a.a.O., S. 349).
2011
Verwaltungsgericht
258
4.
4.1.
(...) Der Entscheid über die Einsprache und der gleichzeitige
Beschluss des Erschliessungsplanes wurden dem Beschwerdeführer
zugestellt. Im Bulletin des Gemeinderates (...) und im Amtsblatt (...)
wurde der Beschluss des Gemeinderates publiziert. Die Frist für die
Beschwerde gemäss § 26 BauG an den Regierungsrat endete am
7. Januar 2008.
Der Erschliessungsplan wurde vom Regierungsrat mit Entscheid
vom 13. Februar 2008 genehmigt; die Genehmigung wurde im Amts-
blatt Nr. 10 vom 3. März 2008 publiziert. Die Frist für die Beschwer-
de an das Verwaltungsgericht (§ 28 BauG) von damals 20 Tagen lief
unter Berücksichtigung der Gerichtsferien am 8. April 2008 ab.
4.2.
Der Beschwerdeführer und C. wohnen am D.. Es darf ohne
Weiteres angenommen werden, dass der Beschwerdeführer die Zu-
sammensetzung des Gemeinderates mit C. kannte. Jedenfalls war die
Zusammensetzung des Gemeinderates in öffentlichen Publikationen
(Gemeindeblatt; Staatskalender; Internet) für jedermann zugänglich.
Für die Entscheide eines Gemeinderates einer eher ländlichen und
überschaubaren Gemeinde wie B. ist es nicht erforderlich, dass die
Parteien über die Mitwirkung der einzelnen Gemeinderäte im Ein-
wendungsverfahren speziell in Kenntnis gesetzt werden. Es ist viel-
mehr davon auszugehen, dass der Gemeinderat in ordentlicher Beset-
zung und unter Mitwirkung aller Mitglieder tagt (vgl. für die Eidge-
nössische Kommunikationskommission [Comcom]: BGE 132 II 485,
Erw. 4.4.). Diese Annahme gilt in verstärktem Masse für einen Be-
schluss über die Nutzungsplanung, die nicht nur Verfügungscharak-
ter hat, sondern auch die Merkmale eines generell-abstrakten Erlas-
ses aufweist.
Der Beschwerdeführer hätte daher bei der gebotenen Sorgfalt
bereits im Einsprache- bzw. Einwendungsverfahren, spätestens bis
zum Ablauf der Rechtsmittelfrist, gegen den Beschluss des Gemein-
2011
Verwaltungsrechtspflege
259
derates vom 27. November 2007 die Ausstandsgründe prüfen und
geltend machen müssen.
Bis zum Ablauf der 20-tägigen Frist gemäss § 26 Abs. 1 BauG
(in der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung) hat der Be-
schwerdeführer keine Beschwerde erhoben, weshalb gemäss § 65
Abs. 3 VRPG eine Wiederaufnahme ausgeschlossen ist.
5.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Gemeinderat
auf das Revisionsgesuch im Ergebnis zurecht nicht eingetreten und
die Abweisung der Beschwerde durch die Vorinstanz nicht zu bean-
standen ist. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und
ist abzuweisen.
Bei diesem Ausgang kann offen bleiben, ob die Frist gemäss
§ 66 Abs. 1 VRPG für den Wiederaufnahmegrund der falschen Zu-
sammensetzung (§ 65 Abs. 1 lit. b VRPG) in jedem Fall spätestens
mit der Zustellung des Entscheides zu laufen beginnt. Offen bleiben
kann auch die Frage, ob nicht der Genehmigungsentscheid des Re-
gierungsrates Gegenstand einer Revision im Nutzungsplanverfahren
sein müsste.
61 Vollstreckung
-
Das Vollstreckungsverfahren besteht in der Regel aus drei Verfah-
rensetappen.
-
Die Androhung der Zwangsvollstreckung unter Fristansetzung (§ 81
Abs. 1 VRPG) und die Anordnung über die Art der Zwangsmittel
und den Zeitpunkt der Vollstreckung (§ 80 VRPG) sind anfechtbare
Zwischenentscheide.
-
Die Wiederholung eines Vollstreckungsentscheides mit einer Zwangs-
androhung (§ 81 VRPG) oder einer Anordnung von Sanktionsmass-
nahmen (§ 80 VRPG) bewirkt keinen Rechtsmittelausschluss.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 23. September 2011 in Sa-
chen A. gegen Gemeinderat B. (WBE.2011.201/202). | 2,124 | 1,681 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2011-60_2011-07-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2011-60.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2011-60.pdf | AGVE_2011_60 | null | nan |
af83bfd4-9598-5821-851a-034cb8c0d7cf | 1 | 412 | 870,870 | 1,204,416,000,000 | 2,008 | de | 2008
Verwaltungsgericht
78
[...]
18
Gewinnungskosten; Mehrkosten für auswärtige Verpflegung bei selbstän-
diger Erwerbstätigkeit.
-
Mehrauslagen der auswärtigen Verpflegung werden bei Selbstän-
digerwerbenden anerkannt.
-
Anforderungen an den Nachweis.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. März 2008 in Sachen
H. (WBE.2007.358). Zur Publikation vorgesehen in StE 2009.
Aus den Erwägungen
1.
1.1.
Gemäss § 36 Abs. 1 StG werden die geschäfts- oder berufsmäs-
sig begründeten Kosten, auch Gewinnungskosten genannt, bei selb-
ständiger Erwerbstätigkeit von den steuerbaren Einkünften abge-
zogen. Ob diese Kosten durch zweckmässigeres oder sparsameres
Handeln seitens des Steuerpflichtigen hätten vermieden werden kön-
nen, ist irrelevant (Philip Funk, in: Kommentar zum Aargauer Steu-
2008
Kantonale Steuern
79
ergesetz, Band 1, 2. Aufl., Muri/Bern 2004, § 36 N 5). § 36 Abs. 1
StG statuiert keine explizite Beschränkung der abzugsfähigen Kos-
ten, und die Aufzählung verschiedener Kostenarten in § 36 Abs. 2
StG ist nicht abschliessend. Das Verwaltungsgericht hat die Mehr-
auslagen der auswärtigen Verpflegung bei Selbständigerwerbenden
als abzugsfähig anerkannt (VGE II/82 vom 12. November 2001
[BE.2001.00035], S.6). An dieser Rechtsprechung zum alten Steuer-
gesetz, die zur Gleichbehandlung mit den unselbständigen Erwerbs-
tätigen führt, ist auch unter dem neuen Recht festzuhalten (ebenso
Richner/Frei/Kaufmann, Handkommentar zum DBG, Zürich 2003,
Art. 27 N 8).
1.2.
Nach der allgemeinen Regel trägt der Steuerpflichtige die Be-
weislast für Tatsachen, welche die Steuerschuld aufheben oder min-
dern (AGVE 1992, S. 228). Dies trifft somit auch auf die Gewin-
nungskosten zu (VGE II/83 vom 12. November 2001
[BE.2000.00242], S. 4). Nachzuweisen ist primär die Tatsache, dass
die Aufwendungen tatsächlich erbracht wurden, im Weiteren aber
auch deren geschäfts- oder berufsmässige Begründetheit (vgl.
VGE II/97 vom 7. Dezember 2004 [BE.2004.00071], S. 7; Markus
Reich/Marina Züger, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuer-
recht, Band I/2a [DBG], Basel/Genf/München 2000, Art. 27 N 39).
Da, wo nach aller Erfahrung gewisse Gewinnungskosten glaub-
haft sind, kann für im üblichen Rahmen geltend gemachte Abzüge
auf den strikten Nachweis durch detaillierte Aufstellungen und Be-
lege unter Umständen verzichtet werden. Welche formellen Anforde-
rungen an den Nachweis zu stellen sind, hängt von den Umständen
und den geltend gemachten Auslagen ab. Fehlen einzig genügende
Angaben über die Höhe, ist die anzuerkennende Spesenvergütung
ermessensweise festzulegen (AGVE 1988, S. 209 f.). Sobald die
geltend gemachten Spesen den üblichen Rahmen sprengen, kann auf
den Nachweis nicht verzichtet werden. Die Pauschalierung darf nicht
so weit gehen, dass sich der Steuerpflichtige dadurch vom zumutba-
ren Spesennachweis befreit (VGE II/96 vom 18. Dezember 2003
[BE.2003. 00349], S. 4 f.).
2008
Verwaltungsgericht
80
Soweit es um die Mehrkosten der auswärtigen Verpflegung
geht, wird von Unselbständigerwerbenden nicht der Nachweis ver-
langt, dass sie sich tatsächlich auswärts verpflegten (VGE II/17 vom
5. März 2007 [WBE.2005.350], S. 5). Der Abzug für Mehrkosten der
auswärtigen Verpflegung setzt einzig voraus, dass der Steuerpflich-
tige wegen zu grosser Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte
oder wegen kurzer Essenspause oder Schichtarbeit eine Hauptmahl-
zeit nicht zu Hause einnehmen kann (§ 35 Abs. 1 lit. b und Abs. 2
StG i.V.m. § 12 StGV sowie Art. 6 Abs. 1 der Verordnung des EFD
über den Abzug von Berufskosten der unselbstständigen Erwerbstä-
tigkeit bei der direkten Bundessteuer vom 10. Februar 1993 [Berufs-
kostenverordnung; SR 642.118.1]).
2.
2.1.
Die Beschwerdeführer brachten in der Rekursschrift vor, der
Beschwerdeführer 1 habe im Jahr 2004 für die Firma S. AG, in F.,
während insgesamt 200 Tagen in deren Räumen gearbeitet. Es sei
somit der Mehraufwand für auswärtige Verpflegung mit 200 Tagen à
Fr. 14.-- (insgesamt also Fr. 2'800.--) anzuerkennen. Ein Sammeln
und Verbuchen jeder einzelnen Rechnung für das Mittagessen würde
einen unverhältnismässigen Aufwand bedeuten. In der Beschwerde-
schrift halten die Beschwerdeführer an diesen Aussagen fest und
betonen nochmals, dass die Arbeiten des Beschwerdeführers 1 nicht
bei ihm zu Hause, sondern in den Räumen der Firma S. AG erfolgt
seien. Die Distanz zwischen dem Wohnort L. und dem Arbeitsort F.
sei zu gross, um über Mittag nach Hause zurückzukehren. Als Be-
weis legen sie ein Schreiben dieser Firma vom 12. November 2007
(im Folgenden: Bestätigung S.) bei, in dem bestätigt wird, dass der
Beschwerdeführer 1 im Laufe des Jahres 2004 mindestens während
200 Tagen für die Firma entweder im Büro in F. oder unterwegs auf
den Objekten und Baustellen in der ganzen Schweiz gearbeitet habe.
In der Beschwerde wird ferner betont, dass der Beschwerdeführer 1
einen Grossteil seines Umsatzes mit der Firma S. AG erzielt habe.
Den direkten Nachweis, dass sich der Beschwerdeführer 1 aus-
wärts verpflegte (beispielsweise mit Quittungen von Restaurants),
treten die Beschwerdeführer somit nicht an. Sie stützen ihren An-
2008
Kantonale Steuern
81
spruch auf den verlangten Abzug vielmehr auf das Argument der
Gleichbehandlung mit den Unselbständigerwerbenden. Entsprechend
wurde beim Abschluss der Buchhaltung ein pauschaler Betrag von
Fr. 2'800.-- verbucht.
2.2.
2.2.1.
Mit der Bestätigung S., wonach der Beschwerdeführer 1 wäh-
rend mindestens 200 Tagen für die Firma entweder in deren Büro in
F. oder unterwegs gearbeitet habe, stimmt die ursprüngliche Be-
hauptung der Beschwerdeführer, der Beschwerdeführer 1 habe 200
Tage in den Büros der Firma S. AG gearbeitet, nicht überein. In der
Beschwerde passten die Beschwerdeführer ihre Sachdarstellung dann
der eingereichten Bestätigung S. an. Ebensowenig treffen aufgrund
der eingereichten Buchhaltungsunterlagen ihre Ausführungen zu,
wonach der Beschwerdeführer 1 "einen Grossteil seines Umsatzes
mit dieser Firma erzielt" habe. Im Konto "6200 Erlös aus Arbeiten"
finden sich, bei einem Gesamtumsatz im Jahr 2004 in Höhe von
Fr. ...., Erlöse mit dem Buchungstext "S. AG" oder "S." von insge-
samt Fr. ...., was 26% des Gesamtumsatzes entspricht. Dass daneben
andere Erlöse aus Arbeiten für die Firma S. AG resultierten, ist aus
der Buchhaltung nicht ersichtlich.
Aber auch die Richtigkeit der Bestätigung S. selber erscheint
durchaus fragwürdig. In der Steuerpraxis wird ein volles Arbeitspen-
sum mit jährlich 220 Arbeitstagen gleichgesetzt (vgl. erwähnter VGE
vom 5. März 2007, S. 4). Danach würden die 200 Tage bedeuten,
dass der Beschwerdeführer 1 im Jahr 2004 beinahe ausschliesslich
für die Firma S. AG arbeitete. Mit dem Umstand, dass der Erlös aus
Arbeiten für die Firma S. AG nur 26% des Gesamtumsatzes aus-
macht, lässt sich dies nicht in Übereinstimmung bringen. Der Ver-
dacht, dass es sich bei der erst im Beschwerdeverfahren eingereich-
ten Bestätigung S. um ein nachträgliches "Gefälligkeitszeugnis" han-
delt, ist nicht von der Hand zu weisen. Jedenfalls ist nicht glaubhaft,
dass der Beschwerdeführer 1, wie behauptet, an 200 Tagen für die
Firma S. AG arbeitete.
2008
Verwaltungsgericht
82
2.2.2.
Dies schliesst jedoch nicht aus, die Grundaussage in der Bestä-
tigung S., nämlich dass der Beschwerdeführer 1 an den Tagen, an
denen er tatsächlich für die Firma S. AG arbeitete, seine Arbeit in de-
ren Büros (oder unterwegs auf Baustellen) verrichtete, für glaubhaft
anzusehen und darauf abzustellen.
Da nicht feststeht, an wie vielen Tagen sich der Beschwerdefüh-
rer 1 im Zusammenhang mit seiner Arbeit für die Firma S. AG aus-
wärts verpflegen musste und den Abzug für Verpflegungsmehrkosten
beanspruchen kann, ist die Höhe des Abzugs ermessensweise fest-
zulegen. Für das Steuerjahr 2004 betrug der volle Abzug für Mehr-
kosten der Verpflegung Fr. 14.-- pro Hauptmahlzeit bzw. Tag und
Fr. 3'000.-- im Jahr (Art. 3 Berufskostenverordnung und Anhang zur
Berufskostenverordnung). Ausgehend davon, dass der Beschwerde-
führer 1 rund einen Viertel seines Umsatzes mit Arbeiten für die
Firma S. AG erzielte (vorne Erw. 2.2.1), erscheint es gerechtfertigt,
1⁄4 der Jahrespauschale für Verpflegungsmehrkosten, somit Fr. 750.--,
zum Abzug zuzulassen.
2.2.3.
Diesem Ergebnis steht der Grundsatz, dass neben effektiven
Spesen keine Pauschalspesen anerkannt werden, nicht entgegen. Die-
ser überzeugt, soweit es um ein und denselben Zeitraum geht; im
vorliegenden Fall handelt es sich indessen bei den effektiven Spesen
um diejenigen auf Auslandreisen, während die Pauschalspesen die
Zeiten betreffen, als der Beschwerdeführer 1 im Inland arbeitete. | 2,062 | 1,659 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-18_2008-03-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-18.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-18.pdf | AGVE_2008_18 | null | nan |
aff5b363-f940-5b9a-8009-d76423e676ae | 1 | 412 | 871,622 | 1,249,257,600,000 | 2,009 | de | 2009
Submissionen
197
V. Submissionen
37 Rechtsschutz
-
Im Anwendungsbereich des SubmD besteht unterhalb der Schwel-
lenwerte des Einladungsverfahrens auch unter Geltung der Rechts-
weggarantie (Art. 29a BV) kein gerichtlicher Rechtsschutz und die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist unzulässig.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 24. August 2009 in Sachen
B. AG gegen A.R.M. (WBE.2009.124).
Aus den Erwägungen
1.6.
1.6.1.
Auf den 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist Art. 29a BV.
Art. 29a BV bestimmt, dass jede Person bei Rechtsstreitigkeiten An-
spruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde hat. In Aus-
nahmefällen können Bund und Kantone durch Gesetz die richterliche
Beurteilung ausschliessen. Mit der auf den 1. Januar 2009 in Kraft
getretenen Revision des Verwaltungsrechtspflegegesetzes ist die An-
passung des kantonalen Verfahrensrechts an die Rechtsweggarantie
zwischenzeitlich erfolgt. Die Generalklausel in § 54 Abs. 1 VRPG
regelt den Grundsatz; mit ihr soll die Rechtsweggarantie umgesetzt
werden. Gemäss § 54 Abs. 1 VRPG ist gegen letztinstanzliche Ent-
scheide der Verwaltungsbehörden und, wenn vorgesehen, gegen Ent-
scheide der Spezialverwaltungsgerichte die Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde zulässig. In § 54 Abs. 2 und 3 VRPG werden die zulässi-
gen Ausnahmen geregelt. Während § 54 Abs. 2 VRPG die wichtig-
sten Ausnahmefälle explizit auflistet, hält § 54 Abs. 3 VRPG fest,
dass weitere Ausnahmen gesetzlich vorgesehen werden können. Ge-
mäss der Botschaft des Regierungsrats vom 14. Februar 2007 zum
2009
Verwaltungsgericht
198
Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (S. 66) hat dies einzelfall-
wiese in einem formellen Gesetz zu geschehen.
1.6.2.
Damit stellt sich die Frage, ob der sich aus § 24 SubmD erge-
bende Ausschluss eines Rechtsschutzes für unterschwellige Auf-
tragsvergaben der öffentlichen Hand auf einer genügenden gesetzli-
chen Grundlage, d. h. auf einem formellen Gesetz, beruht. Formelle
Gesetze sind in erster Linie dem Referendum unterstellte Erlasse.
Vom Parlament beschlossene Akte (sog. Parlamentsverordnungen)
genügen dem Erfordernis der formellen gesetzlichen Grundlage,
wenn die anwendbare kantonale Verfassungsordnung dies zulässt, da
die Kantone von Bundesrechts wegen nicht gehalten sind, ihre
Gesetze dem Referendum zu unterstellen (BGE 126 I 182 mit Hin-
weisen; vgl. auch AGVE 2007, S. 117 ff.). Die Möglichkeit der
Rechtsetzung bezüglich ausführender Bestimmungen durch den Er-
lass von Dekreten ist in § 78 Abs. 2 KV vorgesehen. Erforderlich ist
eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung. Das SubmD stützt sich
ausser auf § 82 Abs. 1 lit. l KV ("regelt durch Dekret das öffentliche
Beschaffungswesen") insbesondere auch auf Art. 11 BGBM und
Art. 3 IVöB. Es handelt sich beim SubmD somit trotz des Aus-
schlusses des Referendums um ein Gesetz im formellen Sinn. Damit
stellt § 24 SubmD in Bezug auf die darin vorgesehene Beschränkung
des Rechtsschutzes auf Vergaben oberhalb der Schwellenwerte des
Einladungsverfahrens und dem daraus resultierenden Ausschluss
unterschwelliger Vergaben vom Beschwerdeverfahren eine genü-
gende (formelle) gesetzliche Grundlage dar. Der Umstand, dass § 24
SubmD als (teilweiser) Ausnahmetatbestand bereits vor dem In-
krafttreten des revidierten VRPG und der Rechtsweggarantie bestan-
den hat, vermag an seiner Gesetz- und Verfassungsmässigkeit nichts
zu ändern.
1.6.3.
Der Grosse Rat entschied sich somit dazu, lediglich bei Sub-
missionen, welche den Schwellenwert des Einladungsverfahrens er-
reichen, einen Rechtsschutz vorzusehen; bei unterschwelligen Ver-
gaben (Bagatellvergaben) ist der Rechtsschutz ausgeschlossen. Diese
Regelung erscheint vertretbar und sachgerecht (vgl. BGE 131 I
2009
Submissionen
199
137 ff.; Martin Beyeler, in: Baurecht 2005, S. 70 f.). Nach der Auf-
fassung des Verwaltungsgerichts hält sie auch vor Art. 29a BV sowie
Art. 86 und Art. 114 BGG stand, welche Bestimmungen denn auch
Ausnahmen vom gerichtlichen Rechtsschutz zulassen (Art.
29a
Satz
2 BV, Art.
86 Abs.
3 BGG). Für die Zulässigkeit des
Ausschlusses unterschwelliger Vergaben vom Rechtsschutz sprechen
sodann die folgenden Argumente:
-
Auch im Bund (BoeB) besteht ein gerichtlicher Rechtsschutz
(Bundesverwaltungsgericht; Art. 27 BoeB) nur bei Vergaben
oberhalb der GATT/WTO-Schwellenwerte (vgl. Art. 6 BoeB,
Verordnung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements
[EVD] über die Anpassung der Schwellenwerte im öffentlichen
Beschaffungswesen [SR 172.056.12]).
- Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
(Art. 82 ff. BGG) ist gemäss dem Bundesgerichtsgesetz nur zu-
lässig bei Vergaben des Bundes und der Kantone, die den
massgebenden GATT/WTO-Schwellenwert oder denjenigen des
Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und der Europäischen Gemeinschaft über bestimmte Aspekte
des öffentlichen Beschaffungswesens vom 21.
Juni 1999
(SR.0.172.052.68) erreichen (vgl. Art. 83 lit. f Ziff. 1 BGG); bei
kantonalen Beschaffungen unterhalb des Schwellenwerts ist nur
die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art.
113
ff. BGG)
möglich; bei Vergaben des Bundes im unterschwelligen Bereich
besteht gar kein Rechtsmittel.
-
Das bevorstehende Inkrafttreten der Rechtsweggarantie gemäss
Art. 29a BV war dem Bundesgericht beim Entscheid vom
11. Februar 2005 (BGE 131 I 137 ff.), in dem es die Zulässig-
keit der zu § 24 SubmD analogen Regelung im Kanton Bern
bejaht hat, zweifellos bekannt; es hat sich dazu jedoch mit kei-
nem Wort geäussert, geschweige denn irgendwelche Bedenken
angebracht.
-
Der Vorentwurf zur Totalrevision des BoeB vom 30. Mai 2008
(VE-BoeB) sieht generell einen Rechtsschutz, unabhängig von
der tatsächlich gewählten Verfahrensart, nur bei Beschaffungs-
verfahren, in denen die massgebenden Schwellenwerte für das
2009
Verwaltungsgericht
200
offene oder das selektive Ausschreibungsverfahren erreicht oder
überschritten werden, vor (Art. 68 VE-BoeB; vgl. insbesondere
auch Erläuternder Bericht [Vernehmlassungsvorlage zur Total-
revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaf-
fungswesen] vom 30. Mai 2008, S. 74). Mit anderen Worten ist
auch bei den Kantonen (wo das Gesetz ebenfalls gelten soll, vgl.
Art. 4 VE-BoeB) unterhalb der massgebenden Schwellenwerte
keine Beschwerdemöglichkeit an ein Gericht vorgesehen. | 1,491 | 1,155 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-37_2009-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-37.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-37.pdf | AGVE_2009_37 | null | nan |
b015564b-e497-595f-90fa-22b45b73c585 | 1 | 412 | 871,569 | 1,088,812,800,000 | 2,004 | de | 2004
Submissionen
223
[...]
54 Ausschreibungsunterlagen.
- Ausgestaltung von Ausschreibungsunterlagen bei EDV-Produkten.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 15. Juli 2004 in Sa-
chen L. AG gegen Gemeinderat Villmergen.
2004
Verwaltungsgericht
224
Aus den Erwägungen
3. a) Gemäss § 12 Abs. 3 SubmD sind die Ausschreibungsun-
terlagen so zu gestalten, dass die Anbietenden ordnungsgemäss
offerieren können. Welche Anforderungen an den Inhalt und an den
Präzisierungs- und Detaillierungsgrad eines Ausschreibungstextes zu
stellen sind, damit ein ordnungsgemässes Offerieren möglich ist,
lässt sich nicht verallgemeinern, sondern hängt vor allem auch von
der Art des zu vergebenden Auftrags ab (AGVE 1998, S. 411 f.).
b) Nicht beanstanden lässt sich der Entscheid der Vergabebe-
hörde, sich nicht bereits vor Durchführung des Submissionsverfah-
rens auf ein bestimmtes Betriebssystem festzulegen, sondern die
Plattformwahl (Microsoft Windows XP oder Apple OS X) im
Pflichtenheft offen zu lassen und Offerten für beide Systeme zuzu-
lassen. Voraussetzung war gemäss Pflichtenheft lediglich, dass der
Einsatz der bereits vorhandenen 28 Apple-Rechner weiterhin mög-
lich sein würde bzw. die Rechner ins Netzwerk integriert werden
könnten. Dieses Vorgehen ermöglicht es Anbietern beider Systeme
und damit einem weiteren Anbieterkreis, an der Submission teilzu-
nehmen bzw. gestattet es Bewerbern, die beide Systeme im Angebot
haben, beide "Varianten" einzureichen. Es steht damit im Einklang
mit dem vergaberechtlichen Grundsatz, wonach der wirksame Wett-
bewerb (nach Möglichkeit) gefördert werden soll (§
1 Abs.
1
SubmD, vgl. dazu ausführlich AGVE 1998, S. 414 ff.).
Die Beschwerdeführerin rügt, die in der Ausschreibung ge-
machten Zuschlagskriterien enthielten keine Angaben, wie die Wahl
der Plattform zustande kommen würde. Sie vermutet, dass zuerst die
Plattform bestimmt und dann das günstigste Angebot ermittelt wor-
den sei. Diese Annahme erweist sich schon deshalb als nicht zu-
treffend, weil lediglich drei vollständige Angebote, die sämtliche
nachgefragten Komponenten enthielten, eingereicht wurden; die
übrigen Offerten - darunter auch die beiden Varianten der Beschwer-
deführerin - wurden mangels Vollständigkeit ausgeschieden. Die drei
gültigen Angebote basierten alle auf der Windows-Plattform. Auf-
grund des Ergebnisses der technischen Bereinigung stellte sich daher
die Systemfrage für die Vergabebehörde gar nicht mehr, denn das
2004
Submissionen
225
wirtschaftlich günstigste Angebot war ausschliesslich unter den drei
gültigen Windows-Angeboten zu ermitteln. Offen bleiben kann
daher, ob das Pflichtenheft, wie die Beschwerdeführerin offenbar
annimmt, Angaben zu den Gesichtspunkten, nach denen die Platt-
formwahl von der Vergabebehörde zu treffen war, hätte enthalten
sollen. Ein Problem könnte sich diesbezüglich allerdings dann erge-
ben, wenn die Vergabebehörde mit der Begründung, sie habe sich für
die andere Plattform entschieden, nicht dem aufgrund der bekannt
gegebenen Zuschlagskriterien wirtschaftlich günstigsten Angebot,
sondern einem andern den Zuschlag erteilt. Dieser Fall liegt hier
jedoch nicht vor, da wie ausgeführt, eine Plattformwahl aufgrund der
eingegangenen Offerten gar nicht getroffen werden musste.
c) Als unzutreffend erweist sich der Vorwurf, die Vergabebe-
hörde habe in der Ausschreibung Windows- und Macintosh-Rechner
vermischt. Dem Pflichtenheft waren Anforderungskataloge/
Leistungsverzeichnisse für Personalcomputer Feststationen/Mobiles
Klassenzimmer und für Apple Feststationen/Mobiles Klassenzimmer
mit den entsprechenden Spezifikationen beigefügt, die spezifisch auf
die beiden unterschiedlichen Plattformen ausgerichtet waren.
Die Vergabebehörde bestreitet nicht, dass die beiden Leistungs-
verzeichnisse für die Macintosh-Produkte einige fehlerhafte Angaben
in Bezug auf die Spezifikationen enthielten (z.B. 17"-TFT-Flachbild-
schirm statt 17"-Röhrenmonitor beim Power PC G4 1, interne Dis-
kettenlaufwerke bei Macintosh weder vorhanden noch einbaubar),
die so nicht lieferbar sind und folglich in der verlangten Form auch
nicht offeriert werden konnten. Diese Fehler waren indessen für die
Anbieter der entsprechenden Produkte klar erkennbar. Die Be-
schwerdeführerin hat in ihrem Angebot ausdrücklich auf die Fehler
hingewiesen, und - wie auch die übrigen Anbieter der Macintosh-
Rechner - die entsprechenden Produkte korrekt offeriert. Insofern
kann nicht gesagt werden, die Anbieter seien durch die unrichtigen
Angaben irregeführt worden. Eine Wiederholung der Submission we-
gen der von allen Anbietern durchaus als solche erkannten Fehler im
Leistungsverzeichnis rechtfertigt sich deshalb nicht. | 958 | 795 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2004-54_2004-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-54.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-54.pdf | AGVE_2004_54 | null | nan |
b05c5cb1-9101-52d4-aa71-b29974d6608f | 1 | 412 | 871,923 | 1,217,721,600,000 | 2,008 | de | 2008
Verwaltungsrechtspflege
305
[...]
56 Immissionsbeschwerde.
- Die Beschwerdelegitimation fehlt, wenn der Lärm einer bestehenden
Anlage deutlich unter dem Planungswert liegt.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 22. August 2008 in Sachen
K. und F. gegen IG Schützen Gippingen (WBE.2007.267).
Sachverhalt
Die Beschwerdegegnerinnen betreiben in der Gemeinde Gip-
pingen einen Pistolenschiessstand. Die Beschwerdeführer wehren
sich gegen Immissionen, die mit dem Betrieb dieser Anlage verbun-
den sind.
2008
Verwaltungsgericht
306
Aus den Erwägungen
1.
1.1.-1.2. (...)
1.3.
Verfügungen und Entscheide kann jedermann durch Beschwer-
de anfechten, der ein schutzwürdiges eigenes Interesse geltend macht
(§ 38 Abs. 1 VRPG).
Nach Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG gewährleistet das kantonale
Recht die Legitimation mindestens im gleichen Umfang wie für die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bun-
desgericht. Die Auslegung von § 38 Abs. 1 VRPG hat sich deshalb
an die bundesrechtlichen Vorgaben zu halten: Das Bundesgericht ver-
zichtet darauf, hinsichtlich der Legitimation zur Anfechtung von
Bauprojekten auf bestimmte räumliche Distanzen oder andere fixe
Werte abzustellen. Für die Beurteilung der Beschwerdelegitimation
sind der auf dem betreffenden Grundstück tatsächlich wahrgenom-
mene bzw. mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit zu be-
fürchtende Lärm sowie das allgemeine Geräuschniveau in der Umge-
bung von Bedeutung, wobei gemäss Art. 8 USG die Lärmeinwirkun-
gen sowohl einzeln als auch gesamthaft und nach ihrem Zusammen-
wirken in die Beurteilung miteinzubeziehen sind (AGVE 2000,
S. 368 f. und BGE 121 II 174 je mit Hinweisen; Heinz Aemisegger /
Stephan Haag, in: Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumpla-
nung, Zürich 1999, Art. 33 RPG N 40 ff. [mit umfangreicher Ka-
suistik]). Die Beschwerdelegitimation ist nach bundesgerichtlicher
Praxis nicht erst dann gegeben, wenn die Belastung die Alarm- oder
Immissionsgrenzwerte erreicht (BGE vom 9. Juni 1992
[1A.255/1991], in: URP 1992, S. 626 f.; BGE 119 Ib 184 mit Hin-
weis; BGE vom 3. April 2001 [1A.310/2000 und 1P.754/2000), in:
ZBl 2002, S. 371 f.; AGVE 2000, S. 368 f.; VGE III/81 vom
23. September 2004 [BE.2003.00326], S. 9). Es ist unter Berück-
sichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die streitige
Anlage bzw. die Lärm verursachende Tätigkeit auf dem Grundstück
des Beschwerdeführers zu Immissionen führt, die deutlich wahr-
nehmbar und von ihrer Art und Intensität so beschaffen sind, dass sie
2008
Verwaltungsrechtspflege
307
auch bei objektivierter Betrachtungsweise als Nachteil empfunden
werden müssen; eine besondere subjektive Empfindlichkeit des Be-
troffenen verdient keinen Rechtsschutz (BGE vom 3. April 2001
[1A.310/2000 und 1P.754/2000], in: ZBl 2002, S. 371 f.; VGE III/81
vom 23. September 2004 [BE.2003.00326], S. 9; ähnlich BGE 121 II
178; 110 Ib 102; BGE vom 9. Juni 1992 [1A.255/1991], in: URP
1992, S. 627). Offen gelassen hat das Bundesgericht, ob zur Beur-
teilung der Frage, ob Lärmeinwirkungen einen Betroffenen in be-
achtenswertem Masse besonders treffen, auf die Planungswerte ab-
gestellt werden kann, die unter den Immissions- und Alarmwerten
liegen. Für ein solches Vorgehen spricht, dass die Planungswerte ein
Instrument der Lärmvorsorge darstellen (vgl. BGE vom 9. Juni 1992
[1A.255/1991], in: URP 1992, S. 627).
In einem vorangegangenen Verfahren hat das Verwaltungsge-
richt die Legitimation der Beschwerdeführer anerkannt. Es erwog in
seinem Entscheid vom 20. April 2004, die Liegenschaft «X.» be-
fände sich im Bereich der Belastungsgrenzwerte (Planungswert von
60 dB[A] und Immissionsgrenzwert von 65 dB[A]). Für die rund 180
m weiter entfernte Liegenschaft «Y.» (Liegenschaft der Beschwerde-
führer) könne nicht ausgeschlossen werden, dass deren Bewohner
- objektiv betrachtet - ebenfalls störenden Lärmimmissionen ausge-
setzt seien (VGE III/24 vom 20. April 2004 [BE.2003.00102], S. 8
f.). Der Schiessstand wurde jedoch zwischenzeitlich lärmmässig sa-
niert bzw. mit einer Lärmschutzwand versehen, weshalb die Frage
der Legitimation heute unter einem neuen Licht erscheint.
Die Beschwerdegegnerinnen haben gestützt auf die Lärmmes-
sung vom 7. Oktober 2005 und vom März 1992 für den Empfangs-
punkt «X.» nach eigenen Berechnungen vom 30. November 2007 ei-
nen Beurteilungspegel von 54.4 dB(A) (richtig wohl 54.1 dB[A])
ermittelt. Die Distanz zwischen dem Schützenhaus und der Liegen-
schaft «X.» beträgt rund 150 m. Die Distanz zwischen dem Schüt-
zenhaus und der Liegenschaft der Beschwerdeführer (Y.) beträgt
rund 320 m. Unter Berücksichtigung der geometrischen Dämpfung
(...) resultiert bei der Liegenschaft der Beschwerdeführer ein Beur-
teilungspegel von 47.5 dB(A), der deutlich unter dem massgebenden
Planungswert von 60 dB(A) liegt (vgl. zur Formel Kurt Eggen-
2008
Verwaltungsgericht
308
schwiler, Grundlagen der Akustik und Lärmbekämpfung, Unterlagen
zum ERFA-Seminar vom 25. Februar 2002, S. 7). Generell reduzie-
ren sich die für den Empfangspunkt «X.» gemessenen Schallpegel
allein schon wegen der grösseren Distanz zwischen der Quelle und
dem Empfangspunkt «Y.» um 6.58 dB(A).
(...)
Weil der Beurteilungspegel am Immissionsort im konkreten Fall
den Planungswert nachweislich und deutlich unterschreitet, kann aus
objektivierter Sicht nicht mehr von einer relevanten Beeinträchti-
gungsmöglichkeit bzw. einem rechtserheblichen Nachteil gesprochen
werden.
(...)
Die Vorinstanz hat die Legitimation der Beschwerdeführer so-
mit zu Recht verneint. Soweit sich die Verwaltungsgerichtsbeschwer-
de gegen den angefochtenen Nichteintretensentscheid richtet, ist sie
abzuweisen. (...) | 1,452 | 1,108 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-56_2008-08-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-56.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-56.pdf | AGVE_2008_56 | null | nan |
b0951fa7-4c80-5d00-8c2f-7726875772e5 | 1 | 412 | 870,640 | 1,535,932,800,000 | 2,018 | de | 2018
Sozialhilfe
265
VI. Sozialhilfe
24
Sozialhilfe; Rückerstattung
Die materielle Hilfe, welche während eines Beschäftigungsprogramms
ausgerichtet wurde, unterliegt nicht der Rückerstattung.
Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 20. Sep-
tember 2018, in Sachen Einwohnergemeinde A. gegen B. und Departement
Gesundheit und Soziales (WBE.2018.157).
Aus den Erwägungen
2.
2.1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, gestützt auf § 30 Abs. 2
SPV sei die materielle Hilfe, welche während des Beschäftigungs-
programms beim Verein C. gewährt wurde, rückerstattungspflichtig.
Würden einer unterstützten Person während eines Beschäftigungs-
programms über die ordentliche Sozialhilfe hinaus keine zu-
sätzlichen Leistungen ausgerichtet, liege kein echter Lohn vor. Auch
wenn ein Programmanbieter bloss als Zahlstelle für die materielle
Hilfe fungiere, könne nicht von einem Lohn gesprochen werden. Die
Vorinstanz habe die Ausnahmebestimmung von § 30 Abs. 2 SPV
extensiv angewendet. Ein Lohn im Sinne von § 30 Abs. 2 SPV liege
beispielsweise dann vor, wenn das Entgelt im Rahmen eines
Teillohn-Programmes verdient und als eigene Mittel angerechnet
werde. Sinngemäss macht die Beschwerdeführerin zudem geltend, es
liege ein Widerspruch zum Bundessozialversicherungsrecht vor:
Nach der Revision von Art. 23 Abs. 3bis AVIG könnten mit Beschäf-
tigungsprogrammen bei der Arbeitslosenversicherung grundsätzlich
keine Rahmenfristen mehr generiert werden. Schliesslich beschneide
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
266
der Kanton in unzulässiger Art und Weise das Recht der Gemeinden,
ausgerichtete materielle Hilfe später wieder zurückzufordern.
2.2.
Die Vorinstanz erwog, mit dem Inkrafttreten von Art. 23
Abs. 3bis AVIG hätten sich die Rahmenbedingungen bei von der
öffentlichen Hand finanzierten arbeitsmarktlichen Massnahmen
grundlegend geändert. Der Kantonale Sozialdienst empfehle den Ge-
meinden zwar weiterhin, Beschäftigungsprogramme zu ermöglichen,
zugleich seien im Hinblick auf die Wahrung von Ersatz- und Rücker-
stattungsansprüchen aber materielle Hilfe und Programmkosten
einerseits und Arbeitserwerb andererseits klar zu trennen. Weiter
werde empfohlen, von der Ausrichtung eines sog. Soziallohns eher
abzusehen. Mit § 30 Abs. 2 SPV, welcher unverändert beibehalten
worden sei, werde die Privilegierung des Soziallohns bei der Rücker-
stattung aufrechterhalten. In der Praxis würden nach wie vor
Beschäftigungsprogramme vermittelt, in welchen die materielle Hilfe
als Lohn ausbezahlt werde. Würde für die Befreiung von der
Rückerstattungspflicht allein auf die Auszahlungsmodalitäten abge-
stellt, ergäbe sich eine stossende Ungleichbehandlung jener unter-
stützten Personen, welche einen gleichwertigen Beitrag zur Verbesse-
rung ihrer wirtschaftlichen Situation leisteten. Daher bestehe keine
Rückerstattungspflicht für die materielle Hilfe, welche während des
Beschäftigungsprogramms beim Verein C. ausgerichtet worden sei.
Hingegen handle es sich beim Coaching um kein eigentliches
Beschäftigungsprogramm, weshalb für den entsprechenden Zeitraum
eine Pflicht zur Rückerstattung der materiellen Hilfe bestehe.
2.3.
Ob ein Arbeitseinsatz eine beitragspflichtige Beschäftigung dar-
stellt, mit welcher bei der Arbeitslosenversicherung die Beitragszeit
erfüllt werden kann, bestimmt das Sozialversicherungsrecht (vgl.
Art. 9 Abs. 1 und 3 sowie Art. 13 Abs. 1 AVIG). Die Beurteilung er-
folgt im Einzelfall durch die Organe der Sozialversicherung bzw. die
Versicherungsgerichte.
Seit dem Inkrafttreten von Art. 23 Abs. 3bis AVIG am 1. April
2011 ist ein Verdienst, den eine Person durch Teilnahme an einer von
der öffentlichen Hand finanzierten arbeitsmarktlichen Massnahme
2018
Sozialhilfe
267
(AMM) erzielt, nicht mehr versichert. Eine Tätigkeit, welche unter
diese Bestimmung fällt, erfüllt daher keine Beitragszeit gemäss
Art. 13 Abs. 1 AVIG (BGE 139 V 212, Erw. 3.3; Urteil des
Bundesgerichts vom 11. November 2015 [8C_87/2015], Erw. 3.3;
vgl. auch Botschaft zur Änderung des Arbeitslosenversicherungs-
gesetzes vom 3. September 2008, 08.062, in: BBl 2008 7750). Die
bundesgerichtliche Rechtsprechung stellt für die Anwendbarkeit von
Art. 23 Abs. 3bis AVIG auf den Zweck der Beschäftigung ab, d.h.
darauf, ob die Massnahme in erster Linie der beruflichen und so-
zialen Integration dient (vgl. BGE 139 V 212, Erw. 4.2; Urteil des
Bundesgerichts vom 11. November 2015 [8C_87/2015], Erw. 3.4
und 4.2).
2.4.
Gemäss § 30 Abs. 2 SPV unterliegen im Zusammenhang mit
einem Beschäftigungsprogramm geleistete Sozialversicherungs-
beiträge nicht der Rückerstattung. In der Sozialhilfegesetzgebung
wird der Begriff des Beschäftigungsprogramms in einem umfassen-
den Sinne verwendet (vgl. § 13 Abs. 2 lit. b, § 41 und § 47 Abs. 1
lit. e SPG [jeweils in der geltenden Fassung]). Dabei kann die
Abgrenzung von Coachings, Abklärungsmassnahmen und arbeitsin-
tegrativen Massnahmen im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten.
Gleich verhält es sich mit Arbeitseinsätzen im Rahmen von Be-
schäftigungsprogrammen, sog. Teillohnprogrammen und bei einem
Programmanbieter gestützt auf einen Arbeitsvertrag erbrachte
Leistungen. In der Praxis werden bisweilen auch gemeindeinterne
Arbeitsprojekte durchgeführt.
2.5.
2.5.1.
Die Programmkosten von monatlich Fr. 1'500.00 unterliegen
gemäss dem klaren Wortlaut von § 41 Abs. 2 SPG und § 30 Abs. 2
SPV nicht der Rückerstattung. Unter den Parteien unstrittig ist die
Behandlung der Computerkurse in der D. und des Coachings durch
E..
2.5.2.
Fraglich ist hingegen, ob die materielle Hilfe, welche während
des Beschäftigungsprogramms beim Verein C. gewährt wurde, der
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
268
Rückerstattung unterliegt. Die Beschwerdegegnerin nahm vom
5. Oktober 2015 bis 4. Oktober 2016 am Modul PJ Aufbautraining
von F. teil. Dieses beinhaltete einen internen Arbeitseinsatz mit
gesteigerten Anforderungen und einem Pensum von 80 %. Dabei er-
folgte eine individuelle Unterstützung (persönlich, fachlich, agogisch
und ressourcenorientiert). Der Arbeitseinsatz im Bereich Dienst-
leistung und Administration umfasste insbesondere die Bedienung
der Telefonzentrale, Kundenschalter, Post, Microsoft Excel, Lagerbe-
wirtschaftung und Büroadministration. Im Rahmen des Programms
erfolgten unter anderem Beurteilungen des Arbeitsverhaltens und der
Fähigkeiten der Teilnehmerin sowie deren persönlichen Verhaltens.
Die gesamte materielle Hilfe wurde der Beschwerdegegnerin wäh-
rend des Programms von der Gemeindeverwaltung überwiesen.
Parallel zum Verein C. absolvierte die Beschwerdegegnerin vom
20. Juni bis 23. September 2016 ein externes Praktikum bei der Stif-
tung G. im Bereich Finanzen und Informatik. Der betreffende Aufga-
benbereich umfasste Empfangsarbeiten, Post, Mitarbeit im Kassa-
wesen sowie Unterstützung der Buchhaltung, des Personalwesens
und des Marketings.
Von Oktober 2015 bis Ende September 2016 wurde der Be-
schwerdegegnerin materielle Hilfe im Betrag von Fr. 30'195.00 ge-
währt (ohne Berücksichtigung der Programmkosten).
2.5.3.
Beim Angebot des Vereins C. handelt es sich um keine Arbeits-
integrationsmassnahme mit einem Teillohnprogramm, bei welchem
ein Lohn ausbezahlt und im Sozialhilfebudget als eigene Mittel ange-
rechnet wird. Es liegt auch kein sog. Soziallohn vor, bei welchem
die Auszahlung von materieller Hilfe über den Programmanbieter er-
folgt.
2.5.4.
Entsprechend dem Wortlaut von § 30 Abs. 2 SPV ist die wäh-
rend der Programmdauer als Lohn ausgerichtete Sozialhilfe von der
Rückerstattung ausgenommen. Diese Voraussetzung ist bei Teillohn-
programmen klarerweise gegeben, was von der Beschwerdeführerin
ausdrücklich anerkannt wird. Auch wenn die materielle Hilfe
entsprechend der Ausgestaltung der Arbeitsintegrationsmassnahme
2018
Sozialhilfe
269
vom Programmanbieter überwiesen wird, ist davon auszugehen, dass
die Sozialhilfe als Lohn ausgerichtet wird . Zwar darf die materielle
Hilfe in diesem Zusammenhang nicht als Entlöhnung für eine
Arbeitsleistung verstanden werden, indessen wird sie von der unter-
stützten Person - oftmals beabsichtigt und entsprechend der Ziel-
setzung der Massnahme - als Gegenleistung für den Arbeitseinsatz
wahrgenommen. Entsprechende Ausgestaltungen eines Programms
können mithin der beruflichen Integration dienen.
Vorliegend erfolgten keinerlei Zahlungen an die Beschwerde-
gegnerin über den Programmanbieter. Der Einsatz beim Verein C.
dauerte ein Jahr, wobei die Beschwerdegegnerin während drei Mona-
ten zusätzlich ein externes Praktikum bei der Stiftung G. absolvierte.
Während des gesamten Zeitraums wurde sie durchgehend materiell
unterstützt. Die Beschwerdeführerin macht zwar mit gewissem Recht
geltend, dass unter diesen Umständen fraglich erscheint, ob die
Sozialhilfe als Lohn ausgerichtet wurde . Eine Differenzierung an-
hand der Auszahlungsmodalitäten rechtfertigt sich indessen nicht.
Wesentlich ist in Bezug auf die Rückerstattung bloss, dass die ma-
terielle Hilfe parallel zum Beschäftigungsprogramm mit einem Ar-
beitspensum von 80 % gewährt wurde. In diesem Sinne empfehlen
auch die SKOS-Richtlinien dem kantonalen Gesetzgeber, Sozial-
hilfeleistungen, die auf einer Gegenleistung der Bezügerinnen und
Bezüger beruhen, von der Rückerstattungspflicht auszunehmen
(SKOS-Richtlinien, D.2-3). Wie die Vorinstanz zu Recht erwog,
liesse sich eine Ungleichbehandlung von Teilnehmenden an Be-
schäftigungsprogrammen, welchen die materielle Hilfe durch die
Gemeinde gewährt oder (teilweise) über den Programmanbieter
ausbezahlt wird, nicht rechtfertigen. Im Unterschied zu eigentlichen
Teillohnprogrammen erscheint dabei irrelevant, ob ein sog. Sozial-
lohn bezahlt wird und von welcher Zahlstelle die Überweisungen
veranlasst werden. Eine restriktive Auslegung von § 30 Abs. 2 SPV,
wie sie die Beschwerdeführerin fordert, würde sich als zu eng erwei-
sen und dem Zweck der Norm zuwiderlaufen.
2.5.5.
Es besteht kein Widerspruch zwischen § 30 Abs. 2 SPV und
dem Arbeitslosenversicherungsrecht, wenn mit einem Beschäfti-
2018
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
270
gungsprogramm gemäss Art. 23 Abs. 3bis AVIG kein versicherter
Verdienst generiert wird. Im kantonalen (Sozialhilfe-)Recht wird
lediglich ein anderer Lohnbegriff verwendet als im eidgenössischen
(Sozialversicherungs-)Recht. Darin liegt kein Verstoss gegen
höherrangiges Recht. Die Vorinstanz hat aufgezeigt, welche Überle-
gungen dazu führten, den während der Programmdauer ausgerichte-
ten Lohn von der Rückerstattung auszunehmen. Unter anderem sollte
ein Anreiz geschaffen werden, überhaupt an einem Programm teilzu-
nehmen. Daran hat sich mit dem Erlass von Art. 23 Abs. 3bis AVIG
nichts geändert. Insofern besteht auch weiterhin ein guter Grund, an
dieser Ausnahme festzuhalten (vgl. auch SKOS-Richtlinien, D.2-3,
welche vom Prinzip der Gegenseitigkeit sprechen).
Die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Sozialhilfe liegt
beim Kanton (vgl. §§ 25 und 39 KV). Dies gilt unabhängig davon,
ob und gegebenenfalls in welchem Mass er sich finanziell an den je-
weiligen Sozialhilfeausgaben der Gemeinden beteiligt. Der Wegfall
der anteilmässigen Kostenvergütung für Beschäftigungsprogramme
(§ 47 Abs. 3 SPG in der Fassung bis 30. Dezember 2017) hat keine
Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Ausnahmen von der Rücker-
stattung.
2.5.6.
Somit unterliegt die materielle Hilfe, welche der
Beschwerdegegnerin während des Beschäftigungsprogramms im
Verein C. ausgerichtet wurde, nicht der Rückerstattung. | 2,460 | 1,955 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2018-24_2018-09-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2018-24.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2018-24.pdf | AGVE_2018_24 | null | nan |
b10e2f3d-b1a9-5d93-8590-c7ddc49b2e0a | 1 | 412 | 871,075 | 1,067,731,200,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsrechtspflege
315
[...]
80 Unentgeltlicher
Rechtsvertreter.
Vertreterwechsel.
- Ein Vertreterwechsel ist nicht zu bewilligen, wenn die Partei durch ihr
Handeln ihren unentgeltlichen Rechtsvertreter wissentlich an der
Ausübung seiner Aufgabe hindert.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 19. November 2003 in
Sachen R.B. gegen Entscheid des Bezirksamts L.
Aus den Erwägungen
b) aa) Bei der Zuweisung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters
trägt der Richter den Wünschen der Partei angemessen Rechnung
(§ 130 Abs. 1 ZPO). Wird das Gesuch gleichzeitig mit einer anwalt-
lich verfassten Rechtsschrift eingereicht, so drängt es sich schon aus
praktischen Gründen auf, wie beantragt diesen Anwalt als unentgelt-
lichen Rechtsvertreter zu bezeichnen. Es wäre sachwidrig, einen
anderen unentgeltlichen Rechtsvertreter zu bezeichnen und zu fingie-
ren, dieser habe die Rechtsschrift verfasst und sei dafür zu entschä-
digen. Entsprechend dem ersten Gesuch ist somit Rechtsanwalt G.
zum unentgeltlichen Rechtsvertreter zu ernennen.
2003
Verwaltungsgericht
316
bb) Die Partei kann den ihr zugewiesenen Rechtsvertreter aus
zureichenden Gründen ablehnen und die Bezeichnung eines anderen
Anwaltes beantragen (§ 130 Abs. 2 ZPO). Ein nachträglicher Ver-
treterwechsel ist insbesondere dann, wenn die ursprüngliche Zuwei-
sung antragsgemäss erfolgte, nur zurückhaltend zu gewähren und
setzt gewichtige Gründe voraus (vgl. Alfred Bühler, in: Kommentar
zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Auflage, Aarau/Frankfurt
a.M./Salzburg, 1998, § 130 N 4). Dies gilt auch im Fall, dass das
Gesuch um Bestellung eines anderen als des ursprünglich beantrag-
ten Vertreters gestellt wird, bevor der unentgeltliche Rechtsvertreter
bezeichnet wurde, hinsichtlich der bereits erfolgten Prozesshandlun-
gen aber aus den zuvor genannten Gründen zwingend der zuerst
beantragte Anwalt zu bezeichnen ist.
... Indem der Beschwerdeführer im Büro von Rechtsanwalt G.
die Akten behändigte und nicht zurückgab, hinderte er selber seinen
Vertreter daran, die angekündigte Eingabe zu verfassen und rechtzei-
tig einzureichen. Es geht nicht an, auf diese Weise den selbst ge-
wählten Vertreter, der antragsgemäss zum unentgeltlichen Rechts-
vertreter bestellt werden sollte, an der Arbeit zu hindern und daraus
dann einen Anspruch auf Anwaltswechsel abzuleiten. Das Gesuch
um Bewilligung des Wechsels des unentgeltlichen Rechtsvertreters
ist deshalb abzuweisen. | 526 | 428 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-80_2003-11-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-80.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-80.pdf | AGVE_2003_80 | null | nan |
b1b52ed0-f662-5891-8818-773fb9022087 | 1 | 412 | 869,935 | 952,041,600,000 | 2,000 | de | 2000
Verwaltungsgericht
356
87
Beschwerdefrist (§ 40 Abs. 1 VRPG). Fristwiederherstellung (§ 98 ZPO).
- Zustellungsfiktion in Fällen, wo der Empfänger einer Postsendung
nicht angetroffen wird; für die Frage der Fristeinhaltung ist unerheb-
lich, ob der Postbeamte auf dem gelben Formular eine längere als die
siebentägige Abholungsfrist eingesetzt hat (Erw. 1/a).
- Nichteinhaltung der Frist zur Stellung eines Wiederherstellungs-
gesuchs (Erw. 1/b/bb).
- Zumindest der rechtskundige Vertreter kann keinen Wiederherstel-
lungsgrund geltend machen, wenn er als Empfänger der Postsendung
die Beschwerdefrist verpasst hat, weil er sich auf die Angabe des Post-
beamten auf dem gelben Formular verlassen hat (Erw. 1/b/cc).
- Die Feststellung, ob die Partei oder ihr Vertreter ohne Verschulden
verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 98 Abs. 1 ZPO), ist eine
Rechts- und keine Ermessensfrage (Erw. 1/b/dd).
- Korrektur von Amtes wegen, wenn die Vorinstanz das Vorliegen einer
Sachurteilsvoraussetzung nicht richtig beurteilt hat (Erw. 1/c).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 2. März 2000 in
Sachen K., I. AG und W. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
1. a) Wenn nichts anderes bestimmt wird, sind Beschwerden
innert 20 Tagen seit Zustellung der angefochtenen Verfügungen oder
Entscheide einzureichen (§ 40 Abs. 1 VRPG). Für die Berechnung
der Fristen, deren Unterbruch und die Wiederherstellung gegen die
Folgen der Säumnis gelten sinngemäss die Vorschriften der Zivilpro-
zessordnung (§ 31 Satz 1 VRPG).
aa) Im vorliegenden Falle wurde der Baubewilligungsentscheid
vom 9. Februar 1998 vom Gemeinderat am 12. Februar 1998,
18 Uhr, als eingeschriebene Sendung Nr. 294 der Post U. übergeben.
Am darauffolgenden Tag sollte die Sendung dem Empfänger,
Rechtsanwalt X., übergeben werden. Da der Adressat nicht ange-
troffen werden konnte, wurde ihm der Zustellversuch avisiert, indem
ihm eine der üblichen gelben Bescheinigungen in den Briefkasten
2000
Verwaltungsrechtspflege
357
gelegt wurde, auf welcher er vom Zustellbeamten gebeten wurde, die
Sendung in der Zeit vom 14. bis zum 23. Februar 1998 bei der Post-
stelle B. abzuholen. Am 23. Februar 1998 wurde die Sendung dem
Adressaten ausgehändigt.
bb) Die Eröffnung des Baubewilligungsentscheids vom 9. Feb-
ruar 1998 erfolgte wie erwähnt durch eine Zustellung auf dem
postalischen Weg (vgl. § 92 Abs. 1 ZPO). Wenn nun bei dieser Zu-
stellungsform der Adressat nicht angetroffen und deshalb eine Ab-
holungseinladung in seinen Briefkasten oder sein Postfach gelegt
wird, so gilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Sen-
dung in jenem Zeitpunkt als zugestellt, in welchem sie auf der Post
abgeholt wird; geschieht dies nicht innerhalb der postalisch vorgese-
henen Abholfrist von sieben Tagen, gilt die Sendung als am letzten
Tag dieser Frist zugestellt, sofern der Adressat mit der Zustellung
hatte rechnen müssen (BGE 123 III 493 mit Hinweisen). Das gleiche
gilt nach kantonaler Rechtsprechung, jedenfalls soweit der Adressat
für das Nichtabholen der Sendung keine zureichenden Gründe anfüh-
ren kann (AGVE 1994, S. 464 mit Hinweisen). Diese Zustellungsfik-
tion rechtfertigt sich, weil für die Verfahrensbeteiligten im Prozess
die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abzuleitende Pflicht
besteht, dafür zu sorgen, dass ihnen Gerichtsurkunden zugestellt wer-
den können; die Empfangspflicht entsteht als prozessuale Pflicht mit
der Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses (BGE 116 Ia 92 mit
Hinweis; AGVE 1994, S. 464).
Die angeführte Praxis beruhte noch auf Art. 169 Abs. 1 lit. d
und e der Verordnung (1) vom 1. September 1967 zum Postverkehrs-
gesetz. Diese Verordnung ist am 1. Januar 1998 durch die Postver-
ordnung (VPG) vom 29. Oktober 1997 abgelöst worden. Dies ändert
aber nichts an der Weitergeltung der Praxis (vgl. VGE II/99 vom
26. Oktober 1999 in Sachen S., S. 4 mit Hinweis auf die Urteile des
Obergerichts, 4. Zivilkammer, vom 17. Dezember 1998 in Sachen
K., S. 4, und auf AGVE 1999, S. 59, sowie auf das Urteil des
Verwaltungsgerichts Bern vom 2. Dezember 1998 in Sachen X.,
2000
Verwaltungsgericht
358
S. 5 ff.), zumal die frühere Regelung über die Zustellung einge-
schriebener Briefe inhaltlich unverändert in die ,,Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen der Post (,Postdienstleistungen`)" Eingang ge-
funden hat (vgl. deren Ziff. 4.6).
cc) Die Beschwerdeführer 2 berufen sich ausschliesslich darauf,
dass der Abholungstermin auf dem gelben Formular vom Postbeam-
ten selber mit dem 23. Februar 1998 angegeben worden ist, wogegen
die siebentägige Abholungsfrist bereits am 21. Februar 1998 abge-
laufen wäre; sie hätten darauf vertrauen dürfen, dass die Post die
Abholungsfrist richtig berechne. Seitens der Postverwaltung wird
eingeräumt, dass der Zustellbeamte aus heute nicht mehr feststellba-
ren Gründen eine zehntägige Abholungsfrist angegeben habe; es
müsse sich um ein Versehen bei der Fristberechnung handeln. Das
Baudepartement hat die Beschwerdefrist als verpasst erachtet, sie
dann allerdings wiederhergestellt.
Der Kern der zitierten bundes- und verwaltungsgerichtlichen
Praxis besteht wie erwähnt in einer
Zustellungsfiktion
; für den Fall,
dass die Zustellung einer Postsendung nicht real möglich ist, weil der
Empfänger nicht angetroffen wird, wird ein fiktiver Zustellungster-
min bestimmt, ab welchem allfällige Rechtsmittelfristen zu laufen
beginnen (Erw. bb hievor). Aus Gründen der Rechtssicherheit und
der Rechtsgleichheit muss dies ein fixer, in allen Fällen einheitlich zu
handhabender Termin sein, wie dies auch bei einem gesetzlich
festgelegten Termin zutrifft. Es kann daher für die Frage der Frist-
einhaltung keine Rolle spielen, ob die Abholungsfrist vom Post-
beamten richtig berechnet und auf dem gelben Formular eingesetzt
worden ist. Die vormals in Art. 169 Abs. 1 lit. d und e der Verord-
nung 1 zum Postverkehrsgesetz festgelegte Frist von sieben Tagen,
innert welchen der Inhaber einer Abholungseinladung zum Bezug der
darauf vermerkten Sendungen berechtigt ist (vgl. Ziff. 4.6 lit. b der
,,Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post [,Postdienst-
leistungen`]"), hat in diesem Zusammenhang einzig eine ,,entste-
hungsgeschichtliche" Bedeutung, indem sie - naheliegenderweise -
2000
Verwaltungsrechtspflege
359
zur Konkretisierung der Zustellungsfiktion herangezogen wurde.
Diese besteht und entfaltet ihre Wirkungen aber unabhängig von
einer fehlerhaften Berechnung der Abholfrist durch die Post. Ähnlich
wird im Übrigen verfahren, wenn der Adressat der Post einen
Zurückbehaltungsauftrag erteilt hat; in solchen Fällen wird argu-
mentiert, der Beginn des Fristenlaufs dürfe vom Adressaten nicht
beliebig hinausgezögert werden, und wer so handle, müsse in Kauf
nehmen, dass die Frist nach den allgemeinen Grundsätzen zu laufen
beginne, welche die Rechtsprechung herausgearbeitet habe, selbst
wenn dieser Zeitpunkt vor der tatsächlichen Entgegennahme der
zurückbehaltenen Postsendung liege (vgl. AGVE 1994, S. 465 mit
Hinweisen). Auch in diesen Fällen ist die Zustellung spätestens am
letzten Tag der siebentägigen Abholfrist als vollzogen zu erachten.
b) aa) Galt die fragliche Postsendung somit als am 20. Februar
1998 zugestellt, begann die zwanzigtägige Beschwerdefrist am
nachfolgenden Tag zu laufen (§ 81 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit
§ 31 VRPG) und endete am 12. März 1998; die Verwaltungsbe-
schwerde vom 16. März 1998 ist am gleichen Tag zur Post gegeben
und damit klar verspätet eingereicht worden. Für diesen Fall stellten
die Beschwerdeführer 2 ein Wiederherstellungsgesuch. Das Baude-
partement hat dieses gutgeheissen mit der Begründung, Fehler oder
Irrtümer der Post dürften nicht dem Empfänger angelastet werden.
Insbesondere dürfe sich dieser darauf verlassen, dass der auf der
Abholungseinladung vermerkte Endtermin als Zustelldatum anzuse-
hen sei und eine allfällige Rechtsmittelfrist am darauffolgenden Tag
zu laufen beginne. Dies müsse vor allem dann gelten, wenn die Be-
rechnung nicht offensichtlich falsch sei. Bei einer zwei- bis dreitägi-
gen Abweichung könne davon nicht gesprochen werden. Dem Emp-
fänger sei es grundsätzlich nicht zuzumuten, die Abholfrist zu über-
prüfen. Dies gelte auch bei einer anwaltlich vertretenen Partei.
Nichteintreten wegen Fristversäumnis käme überspitztem Forma-
lismus gleich.
2000
Verwaltungsgericht
360
bb) Vorab ist darauf hinzuweisen, dass ein Wiederherstellungs-
begehren innert 10 Tagen nach dem Wegfall des Hindernisses zu
stellen ist (§ 98 Abs. 3 ZPO). Für den Beginn der zehntägigen Frist
ist massgebend, von welchem Zeitpunkt an der Gesuchsteller objek-
tiv in der Lage war, zu handeln (Alfred Bühler / Andreas Edelmann /
Albert Killer, Kommentar zur Aargauischen Zivilprozessordnung,
Aarau 1998, § 98 N 16).
Mit Schreiben vom 27. Mai 1998 wurden die Beschwerdefüh-
rer 2 durch das Baudepartement darauf aufmerksam gemacht, dass
die Beschwerdeeinreichung zu spät erfolgt sei. Mit Schreiben vom
29. Mai 1998 nahmen die Beschwerdeführer 2 alsdann zu diesem
Vorhalt Stellung. Die zehntägige Frist für die Stellung eines Wieder-
herstellungsbegehrens begann demnach spätestens am 29. Mai 1998
zu laufen und endete am 8. Juni 1998. Einen sinngemässen Antrag
auf Wiederherstellung der Frist haben die Beschwerdeführer 2 jedoch
erstmals in ihrer Eingabe vom 9. Juli 1998 gestellt; auch diese
Eingabe erfolgte somit klarerweise verspätet, weshalb auf das Wie-
derherstellungsbegehren nicht hätte eingetreten werden dürfen.
cc) Weiter würde eine Wiederherstellung voraussetzen, dass
,,eine Partei oder ihr Vertreter ohne Verschulden verhindert war, eine
Frist einzuhalten" (§ 98 Abs. 1 ZPO). Als Hinderungsgründe werden
nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts etwa anerkannt:
Ernstliche Erkrankung des Verfügungsadressaten, Unglücks- oder
Todesfall in dessen Familie, Militärdienst und nicht voraussehbare
Landesabwesenheit, aber auch weitere in der Regel subjektive
Gründe, welche die objektiv nicht unausweichliche Fristversäumnis
als entschuldbar erscheinen lassen. Daraus folgt, dass nicht jede Ver-
hinderung im Laufe der zwanzigtägigen Beschwerdefrist eine Wie-
derherstellung zu rechtfertigen vermag. Es muss entscheidend darauf
ankommen, wie sich der geltend gemachte Hinderungsgrund im
konkreten Fall ausgewirkt hat. Dabei können im Einzelfall ver-
schiedene Kriterien eine Rolle spielen, so etwa die Voraussehbarkeit
des Hinderungsgrundes, die vor dem Eintritt oder nach Wegfall des
2000
Verwaltungsrechtspflege
361
Hinderungsgrundes verbleibende Zeitspanne zur Abfassung der Be-
schwerde, allenfalls die Komplexität des Falles wie auch der Um-
stand, ob der säumige Beschwerdeführer anwaltlich vertreten ist oder
nicht oder ob ihm zuzumuten ist, sonst eine Drittperson mit der
Vornahme der Prozesshandlung zu betrauen. Das Gesetz stellt die
Wiederherstellung unter die Voraussetzung der Schuldlosigkeit (§ 98
Abs. 1 ZPO), verlangt also, dass der säumigen Partei kein Vorwurf
gemacht werden kann; ein Verschulden ist nur zu verneinen, wenn
die Säumnis auch bei der vom Säumigen zu erwartenden Sorgfalt
und unter den gegebenen Umständen nicht abgewendet werden
konnte (vgl. zum Ganzen: BGE 112 V 255 f. mit Hinweisen; AGVE
1992, S. 385 ff.; 1991, S. 324; 1984, S. 82 f.; 1983, S. 150 ff.; Büh-
ler/Edelmann/Killer, a.a.O., § 98 N 7 ff.).
Der klassische Wiederherstellungstatbestand besteht nach dem
Gesagten darin, dass die betreffende Partei oder ihr Vertreter aus in
ihrer Person liegenden Gründen verhindert waren, eine Frist, die zu
laufen begonnen hat, einzuhalten. Im vorliegenden Falle geht es um
keine derartige Verhinderung, sondern darum, dass sich der Rechts-
vertreter der Beschwerdeführer 2 wegen der irrtümlichen Berech-
nung der Abholfrist durch den Postbeamten dazu verleiten liess, die
Verwaltungsbeschwerde vom 16. März 1998 nicht rechtzeitig zur
Post zu geben. Es kann dahingestellt bleiben, ob auch ein derartiger
Fall unter § 98 Abs. 1 ZPO zu subsumieren ist, da ein ausreichender
Wiederherstellungsgrund ohnehin nicht gegeben ist, wie sich im Fol-
genden zeigt. Es gehört nämlich zu den Sorgfaltspflichten des Verfü-
gungsadressaten, nach der fristauslösenden Zustellung eines Ver-
waltungsakts den Ablauf der Rechtsmittelfrist zu berechnen und
dafür zu sorgen, dass das Rechtsmittel rechtzeitig bei der Rechtsmit-
telinstanz eingereicht wird. Dabei muss und darf verlangt werden,
dass die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (namentlich die
§§ 81 f. ZPO) bekannt sind und beachtet werden; Unkenntnis schützt
vor den nachteiligen Folgen einer falschen Fristberechnung nicht.
Dies gilt grundsätzlich auch in jenen Spezialfällen, in welchen für
2000
Verwaltungsgericht
362
den Zeitpunkt der Zustellung bzw. für den Beginn des Fristenlaufs
die erwähnte Zustellungsfiktion massgebend ist. Zumindest einem
rechtskundigen Vertreter muss die klare Praxis des Bundesgerichts,
welche seit mindestens anfangs der Sechzigerjahre besteht (wobei
seit mindestens 1971 auf die siebentägige Abholfrist zurückgegriffen
wurde [vgl. BGE 97 III 10 mit Hinweisen]) und vom Verwal-
tungsgericht übernommen wurde, bekannt sein; er muss auch wissen,
dass sich die Bedeutung der vom Postbeamten auf dem gelben For-
mular eingetragenen Abholfrist in der Berechtigung des Empfängers
erschöpft, die Sendung innert dieser Frist am Postschalter abzuholen
(vgl. Ziff. 4.6 lit. b der ,,Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post
[,Postdienstleistungen`]"), und dass eine längere als siebentägige Ab-
holfrist nicht gleichzeitig auch eine Verlängerung der Beschwerde-
frist bedeutet. Von einem Anwalt darf zudem grössere Sorgfalt ver-
langt werden als von einer in rechtlichen Dingen unerfahrenen Partei
(vgl. Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., § 98 N 7). Den Grundsatz von
Treu und Glauben können die Beschwerdeführer in diesem Zusam-
menhang ebenfalls nicht anrufen, da es nicht um eine
behördliche
Zusicherung oder um anderes, bestimmte Erwartungen begründendes
Verhalten einer
Behörde
geht (BGE 118 Ia 254 mit Hinweis); anders
liegt diesbezüglich etwa der Fall, dass Behördemitglieder selber dem
Verfügungsadressaten die Erstreckung einer gesetzlich bestimmten
Frist zusichern (vgl. Pra 78/1989, S. 261 ff.). Die gegenteilige Auf-
fassung des Baudepartements erachtet das Verwaltungsgericht nicht
als schlüssig. Unrichtig ist einmal die Annahme, nur die Post habe in
Bezug auf die Abholfrist Kenntnis vom Beginn des Fristenlaufs;
vielmehr kann der Adressat aus dem gelben Formular u. a. entneh-
men, von wann an er die betreffende Postsendung am Postschalter
abholen kann (im vorliegenden Falle war es der 14. Februar 1998),
und davon ausgehend den letzten Tag der Abholfrist berechnen.
Ebenso wenig trifft es zu, dass es überspitztem Formalismus gleich-
kommt, wenn die Beschwerdefrist als versäumt erachtet wird. Das
Bundesgericht betont stets wieder, dass prozessuale Formen uner-
2000
Verwaltungsrechtspflege
363
lässlich sind, um die ordnungsgemässe Abwicklung des Verfahrens
sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten; nur
wenn prozessuale Formstrenge durch kein schutzwürdiges Interesse
mehr gerechtfertigt ist und zum blossen Selbstzweck wird, kann von
überspitztem Formalismus gesprochen werden (BGE 125 I 170 mit
Hinweisen; AGVE 1996, S. 389 f.). Von überspannten Anforderun-
gen kann nun sicherlich keine Rede sein, wenn vom rechtskundigen
Verfügungsadressaten lediglich verlangt wird, dass er, nachdem er
von einer postalischen Abholungseinladung Kenntnis erhalten hat, in
eigener Verantwortung sorgfältig den Ablauf der Abholungsfrist
eruiert. Schliesslich lässt sich der vorliegende Fall auch nicht mit
dem vom Baudepartement zitierten BGE 121 II 77 ff. vergleichen;
dort ging es um die Folgen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung
für den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer, wobei - im offen-
kundigen Unterschied zum vorliegenden Fall - von einer noch nicht
bis ins letzte klaren Praxis auszugehen war. Ein ,,Verschulden" im
Sinne von § 98 Abs. 1 ZPO ist somit zu bejahen, womit eine Wieder-
herstellung der Beschwerdefrist selbst bei Beachtung der in Abs. 3
derselben Bestimmung statuierten Frist ausser Betracht fallen würde.
dd) Die Beschwerdeführer 2 sind der Meinung, die Wiederher-
stellung einer Frist sei ,,eine ausgesprochene Ermessensfrage", die
das Verwaltungsgericht von seiner eingeschränkten Kognition her
nicht überprüfen dürfe. Richtig ist zwar, dass die Kognition des Ver-
waltungsgerichts im vorliegenden Fall auf die Rechtskontrolle be-
schränkt ist. Zutreffend ist auch, dass der als ,,Kann-Formel" ausge-
staltete § 98 Abs. 1 ZPO der rechtsanwendenden Behörde ein sog.
Entschliessungsermessen (Wahl der Rechtsfolge) einräumt (Michael
Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem
aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar
zu den §§ 38 - 72 VRPG, Zürich 1998, § 49 N 21). Die Feststellung,
ob die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, d. h. eine Partei oder
ihr Vertreter ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten,
2000
Verwaltungsgericht
364
ist indessen eine reine Rechtsfrage, die das Verwaltungsgericht über-
prüfen darf.
c) Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen - wozu auch
die Einhaltung der Rechtsmittelfrist gehört - ist als Rechtsfrage von
Amtes wegen zu prüfen (Merker, a.a.O., Vorbemerkungen zu § 38,
N 3). Der Rüge eines der Verfahrensbeteiligten, mit welcher auf die
fehlende Sachurteilsvoraussetzung hingewiesen wird, bedarf es dabei
nicht (Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, S. 73).
Hat die Vorinstanz übersehen, dass es an einer Sachurteils-
voraussetzung fehlt, oder ist sie diesbezüglich zu einem falschen Er-
gebnis gelangt, so ist dieser Fehler auch noch im Rechtsmittelver-
fahren von Amtes wegen zu beachten. Unabhängig davon, von wem
das Rechtsmittel stammt, ist der angefochtene Entscheid aufzuheben,
und es ist unter Beachtung des Prozessmangels neu zu befinden
(Merker, a.a.O., Vorbemerkungen zu § 38, N 4; Gygi, a.a.O., S. 73;
René Rhinow / Heinrich Koller / Christina Kiss, Öffentliches Pro-
zessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel und Frank-
furt am Main 1996, Rz. 950; vgl. zum Ganzen auch: VGE III/138
vom 13. Oktober 1998 in Sachen W. u. M., S. 10). In diesem Sinne
ist der Entscheid des Baudepartements vom 19. März 1999 von Am-
tes wegen zu korrigieren (vgl. auch AGVE 1993, S. 392 f.).
(Redaktioneller Hinweis: Das Bundesgericht hat eine gegen den
Verwaltungsgerichtsentscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde
mit Urteil vom 30. August 2000 abgewiesen [1P.264/2000, zur Pu-
blikation vorgesehen; siehe auch Schweizerische Juristenzeitung
<SJZ> 96/2000, S. 474 f.]) | 4,288 | 3,451 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2000-87_2000-03-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2000-87.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2000-87.pdf | AGVE_2000_87 | null | nan |
b204e09b-9a46-5b38-84c2-1ebdfbb10d58 | 1 | 412 | 870,286 | 1,338,681,600,000 | 2,012 | de | 2012
Verwaltungsrechtspflege
223
[...]
33 Parteientschädigung;
Verrechnung
-
Bestätigung der Praxis zur Verrechnung der Quoten bei teilweisem
Obsiegen / Unterliegen. Die Quoten sind auch dann zu verrechnen,
wenn nur eine Partei anwaltlich vertreten ist.
-
Eine Verrechnung von Parteikosten mit Verfahrenskosten darf nicht
bereits im Entscheid verfügt werden.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. Juni 2012 in Sachen A.
gegen Regierungsrat des Kantons Aargau und Gemeinderat B.
(WBE.2011.325).
2012
Verwaltungsgericht
224
Aus den Erwägungen
4.
4.1.
Entsprechend dem Verfahrensausgang auferlegte die Vorinstanz
der Beschwerdeführerin 2/3 der Verfahrenskosten und nahm den Rest
auf die Staatskasse. Dieses Vorgehen entspricht der Verfahrens-
kostenregelung gemäss § 31 Abs. 2 VRPG.
4.2
4.2.1.
Die Parteikosten regelte die Vorinstanz in Dispositiv-Ziffer 3
wie folgt:
"3.
A. werden ihre im Verfahren vor Regierungsrat entstandenen Partei-
kosten in Höhe von Fr. 15'411.80 (inklusive MWSt.) zu 1/3, abzüglich
der gemäss Ziffer 2 zu bezahlenden Verfahrenskosten von Fr. 1'820.35,
das heisst mit Fr. 3'316.90 aus der Staatskasse ersetzt."
Zur Begründung führte sie aus, da die Verweigerung der Be-
willigung der Gummimatten auf den kantonalen Entscheid zurück-
gehe, sei die Beschwerdeführerin für ihre notwendigen anwaltlichen
Kosten entsprechend dem Verfahrensausgang zu 1/3, unter Verrech-
nung mit den von ihr zu bezahlenden Verfahrenskosten, zu Lasten
der Staatskasse zu entschädigen (§ 32 Abs. 2 i. V. m. § 29 VRPG).
4.2.2.
Die vorinstanzliche Parteikostenregelung geht in mehrfacher
Hinsicht fehl:
4.2.2.1.
Erstens beachtet sie die (publizierte) verwaltungsgerichtliche
Praxis zum revidierten VRPG betreffend Verrechnung der Quoten bei
teilweisem Obsiegen / Unterliegen nicht (AGVE 2009, S. 279 f.).
Hintergrund dieser Praxis ist die dem revidierten VRPG zugrunde
liegende Parteilehre (§ 13 VRPG), gemäss welcher im Beschwerde-
verfahren u. a. auch Behörden Parteistellung zukommt (insbesondere
§ 13 Abs. 2 lit. e und f VRPG). Einem Beschwerdeführer steht bei-
2012
Verwaltungsrechtspflege
225
spielsweise regelmässig die Vorinstanz als Partei gegenüber (§ 13
Abs. 2 lit. e VRPG). Nach revidiertem VRPG hat ein obsiegendes
Gemeinwesen ausserdem Anspruch auf eine Parteientschädigung,
wenn es anwaltlich vertreten ist (AGVE 2009, S. 289 ff.). Im Ver-
gleich dazu kannte das Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 9. Juli
1968 (aVRPG) keine § 13 VRPG entsprechende Parteilehre und nach
langjähriger Praxis (zu § 36 aVRPG) hatten Gemeinwesen auch kei-
nen Anspruch auf Parteientschädigungen (AGVE 2009, S. 290 f.;
2000, S. 377 ff; 1985, S. 384 ff.). Daraus erhellt, dass das Beschwer-
deverfahren nach revidiertem VRPG näher bei einem Zweipartei-
enverfahren liegt, als dies nach aVRPG der Fall war. Bezüglich der
Parteikostenregelung bei teilweisem Obsiegen / Unterliegen wurde in
AGVE 2009, S. 279 deshalb an die materiell gleichlautende Rege-
lung in § 112 des Zivilrechtspflegegesetzes vom 18. Dezember 1984
(aZPO) und die Praxis, wonach die Parteikosten beider Parteien als
Ganzes genommen und die Anteile des Obsiegens bzw. Unterliegens
verrechnet werden (AGVE
2009, S.
279 mit
Hinweisen auf
AGVE 2000, S. 51 f. sowie Alfred Bühler / Andreas Edelmann /
Albert Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung,
2.
Auflage, Aarau 1998, § 112 N 6 mit Hinweisen), angeknüpft.
Diese zivilprozessuale Praxis gilt nach der Schweizerischen Zivilpro-
zessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO;
SR 272; in Kraft seit 1. Januar 2011) weiterhin (vgl. David Jenny, in:
Thomas Sutter-Somm / Franz Hasenböhler / Christoph Leuenberger
[Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung
[ZPO], Zürich / Basel / Genf 2010, Art. 106 N 9; Hans Schmid, in:
Paul Oberhammer [Hrsg.], Kurzkommentar ZPO, Schweizerische
Zivilprozessordnung, Basel 2010, Art. 106 N 4; ferner: Karl Spühler
/ Annette Dolge / Myriam Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht
und Grundzüge des internationalen Zivilprozessrechts, 9. Auflage,
Bern 2010, Kapitel 8 Rz. 77). Sinn und Zweck der Quotenverrech-
nung bei teilweisem Obsiegen ist, dass nur der mehrheitlich obsie-
genden Partei eine Parteientschädigung zugesprochen werden soll.
Obsiegt jede Partei zur Hälfte, hat jede Partei ihre Parteikosten selbst
zu tragen und es besteht kein Anspruch auf Ersatz von Parteikosten.
Ob die Parteikosten einer Partei höher sind als diejenigen der andern,
2012
Verwaltungsgericht
226
bleibt ohne Einfluss auf den Verteilungsschlüssel (vgl. Bühler /
Edelmann / Killer, a. a. O., § 112 N 6 mit Hinweis). Die Quoten sind
daher auch dann zu verrechnen, wenn nur eine Partei anwaltlich ver-
treten ist (Schmid, a. a. O., Art. 106 N 4; ebenso Bühler / Edelmann /
Killer, a. a. O, § 112 N 6 mit Hinweis). Nur so ist gewährleistet, dass
eine Partei, die selber (z. B. aus Kostengründen) auf den Beizug
eines Rechtsvertreters verzichtet, bei hälftigem Obsiegen nicht unge-
rechtfertigt mit Anwaltskosten der Gegenpartei belastet wird. Die
Vorgehensweise der Vorinstanz führt zum unhaltbaren Ergebnis, dass
die zur Hälfte obsiegende Partei, je nachdem, ob die Gegenpartei
anwaltlich vertreten ist oder nicht, von dieser einen hälftigen Partei-
kostenersatz erhält. Der Beizug eines anwaltlichen Vertreters hat je-
doch nichts mit dem Verfahrensausgang (Obsiegen / Unterliegen) zu
tun.
Vor Vorinstanz hatte neben der Beschwerdeführerin (§
13
Abs. 2 lit. a VRPG) der Gemeinderat als Vorinstanz Parteistellung
(§ 13 Abs. 2 lit. e VRPG). Der Gemeinderat obsiegte zu 2/3, die Be-
schwerdeführerin zu 1/3. Entsprechend der Verrechnungspraxis hätte
die Beschwerdeführerin dem Gemeinderat 1/3 seiner Parteikosten
ersetzen müssen. Da der Gemeinderat nicht anwaltlich vertreten war,
waren keine Parteikosten zu ersetzen (§ 29 VRPG). Dass die
Vorinstanz der Beschwerdeführerin Parteikosten zusprach, war daher
falsch.
4.2.2.2.
Im Weiteren wurden im angefochtenen Entscheid die der Be-
schwerdeführerin auferlegten Verfahrenskosten mit den Parteikosten,
die ihr (zulasten der Staatskasse) zugesprochen wurden, sogleich
verrechnet. Die Verrechnung von Forderungen ist in Art. 120 ff. OR
geregelt. Wenn zwei Personen einander Geldsummen oder andere
Leistungen, die in ihrem Gegenstande nach gleichartig sind,
schulden, so kann jede ihre Schuld, insofern beide Forderungen fällig
sind, mit ihrer Forderung verrechnen (Art. 120 Abs. 1 OR; wobei -
entgegen dem engen Wortlaut - genügt, wenn die Verrechnungs-
forderung fällig und die Hauptforderung erfüllbar ist: vgl. Wolfgang
Peter, in: Heinrich Honsell / Nedim Peter Vogt / Wolfgang Wiegand
[Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht
I,
2012
Verwaltungsrechtspflege
227
Art. 1-529 OR, 5. Auflage, Basel 2011, Art. 120 N 4 mit Hinweisen).
Die Verrechnung konkreter Forderungen, die den Parteien noch gar
nicht bekannt, geschweige denn fällig sind, hält vor Art. 120 Abs. 1
OR nicht stand. Die Forderungen können daher nicht bereits im
Dispositiv verrechnet werden. Das Vorgehen der Vorinstanz ist
gesetzwidrig. Soweit die Voraussetzungen erfüllt sind, ist eine
Verrechnung im späteren Zeitpunkt des Be- bzw. Vollzugs der
Forderungen indessen möglich. | 1,797 | 1,401 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-33_2012-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-33.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-33.pdf | AGVE_2012_33 | null | nan |
b248505a-c021-535e-af26-e6a75309b88c | 1 | 412 | 870,280 | 1,551,398,400,000 | 2,019 | de | 2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
196
30
Versäumnis einer Nachfrist; Fristwiederherstellung
Das Verwaltungsgericht überprüft letztinstanzliche Entscheide lan-
deskirchlicher Behörden nur mit eingeschränkter Kognition (auf
Übereinstimmung mit Verfassungsrecht und dem Organisa-
tionsstatut der Landeskirche) (Erw. I/1 und I/3).
Wegen eines mehr als leichten Verschuldens am Versäumnis einer
Nachfrist (für die Einreichung des angefochtenen Entscheids) war
deren Wiederherstellung zwar rechtsfehlerhaft, aber nicht qualifi-
ziert falsch; vor dem Willkürverbot und anderen Verfas-
2019
Personalrecht
197
sungsprinzipien hält die Wiederherstellung stand, obwohl der Säum-
nisgrund nicht strikte nachgewiesen wurde (Erw. II/1.3.1 und 1.3.2).
Das Versäumnis der Nachfrist für die Einreichung des angefochtenen
Entscheids stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die grundsätzlich
nicht zum Nichteintreten auf ein Rechtsmittel führen darf, welches
die Gültigkeitsvoraussetzungen (Schriftlichkeit, Vorhandensein von
Antrag und Begründung) erfüllt (Erw. II/1.3.3).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 14. März 2019, in Sachen
Evangelisch-Reformierte Kirchgemeinde A. gegen B. (WBE.2018.432).
Aus den Erwägungen
I.
1.
Gegen letztinstanzliche Entscheide landeskirchlicher Behörden
kann wegen Verletzung der Vorschriften der Kantonsverfassung oder
des Organisationsstatuts innert 30 Tagen seit Eröffnung beim Verwal-
tungsgericht des Kantons Aargau Beschwerde geführt werden (§ 147
Abs. 3 der Kirchenordnung der Evangelisch-Reformierten Landes-
kirche des Kantons Aargau vom 11. November 2010 [KO; SRLA
151.100]). Die angefochtenen Entscheide des Rekursgerichts vom
16. Oktober 2018 sind kirchenintern letzinstanzlich (vgl. § 147
Abs. 2 sowie § 151 KO). Das Verwaltungsgericht ist somit für die
Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig.
2. (...)
3.
Wie gesehen (Erw. 1 vorne), kann vor Verwaltungsgericht nur
die Verletzung der Vorschriften der Verfassung (jedoch von Kantons-
und Bundesverfassung) oder des Organisationsstatuts der Evange-
lisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Aargau vom
12. November 2008 (OS; SRLA 111.100) gerügt werden (§ 147
Abs. 3 KO, Art. 8 Abs. 2 OS, § 56 Abs. 1 VRPG und § 114 Abs. 2
KV). Damit ist die Überprüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichts
im Gegensatz zu den innerkirchlichen Rechtsmittelinstanzen, die
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
198
gemäss § 148 KO über volle Kognition verfügen, stark einge-
schränkt. Das Verwaltungsgericht kann folglich weder falsche oder
unvollständige Sachverhaltsfeststellungen noch Rechtsfehler korri-
gieren, die nicht gerade willkürlich sind oder in sonstiger Weise ge-
gen ein verfassungsmässiges Recht oder einen Verfassungsgrundsatz
verstossen.
Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt bei der Auslegung und
Anwendung von Gesetzesnormen nicht bereits vor, wenn eine andere
Auslegung ebenfalls vertretbar oder sogar zutreffender erscheint,
sondern erst, wenn ein Entscheid offensichtlich unhaltbar ist. Dies ist
insbesondere dann der Fall, wenn er zur tatsächlichen Situation in
klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerech-
tigkeitsgedanken zuwiderläuft. Eine willkürliche Begründung reicht
allerdings nicht aus, um einen Entscheid aufzuheben; dieser muss im
Ergebnis unhaltbar sein (BGE 144 I 113, Erw. 7.1; 142 II 369,
Erw. 4.3; 141 I 70, Erw. 2.2). Willkür wurde etwa bei groben Fehlern
in der Sachverhaltsermittlung, bei offensichtlicher Gesetzesver-
letzung oder offensichtlicher Missachtung eines allgemeinen Rechts-
grundsatzes oder des tragenden Grundgedankens eines Gesetzes an-
genommen (ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016,
Rz. 606 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung).
4. (...)
II.
1.
1.1. (...)
1.2.
Die Einhaltung der Beschwerdefrist sowie der für die Verbesse-
rung einer Beschwerde eingeräumten Nachfrist ist eine Sachurteils-
voraussetzung und als solche von Amtes wegen zu prüfen. Die Prü-
fung der Sachurteilsvoraussetzungen von Amtes wegen schliesst die
Prüfung, ob auch im vorinstanzlichen Entscheid die Sachurteilsvo-
raussetzungen vorgelegen haben, ein (BGE 122 V 372, Erw. 1;
116 II 385, Erw. 2; VGE vom 13. April 2011 [WBE.2010.331], S. 5;
VGE vom 19. Juni 2008 [WBE.2006.312], S. 6; VGE vom 1. Mai
2019
Personalrecht
199
1996 [BE.95.00084], S. 4 f.; MICHAEL MERKER, Rechtsmittel, Klage
und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über
die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38-72 [a]VRPG,
Diss., Zürich 1998, Vorbemerkungen zu § 38 N 3 f.). Stellt die
Rechtsmittelinstanz fest, dass bereits im vorinstanzlichen Verfahren
eine Sachurteilsvoraussetzung fehlte, kann der angefochtene Ent-
scheid aus diesem Grund aufgehoben werden. Steht fest, dass die
Vorinstanz einen Sachentscheid ausgefällt hat, obwohl dies wegen
fehlender Sachurteilsvoraussetzungen nicht zulässig gewesen wäre,
ist der vorinstanzliche Entscheid selbst dann aufzuheben, wenn dies
von keiner Partei verlangt wurde (MERKER, a.a.O., Vorbemerkungen
zu § 38 N 4; vgl. zum Ganzen auch VGE vom 13. April 2011
[WBE.2010.331], S. 5 f.; VGE vom 4. September 2001
[BE.2000.00191], S. 9 f.; VGE vom 17. Dezember 2001
[BE.2000.00321], S. 8; ferner: FRITZ GYGI, Bundesverwaltungs-
rechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 73; ATTILIO R. GADOLA, Das
verwaltungsinterne Beschwerdeverfahren, Diss., Zürich 1991,
S. 182; MARTIN BERTSCHI, in: ALAIN GRIFFEL [Hrsg.], Kommentar
zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG],
3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, Vorbemerkungen zu §§ 19-28a
N 57; je mit Hinweisen).
1.3.
1.3.1.
Das Verfahren vor den Organen der Kirchgemeinden und der
Landeskirche richtet sich nach dem VRPG, soweit die Kirchenord-
nung oder weitere kirchliche Erlasse nichts anderes regeln (§ 142
KO).
Gemäss § 144 KO sind Beschwerden (gegen Entscheide des
Kirchenrats) innerhalb von 30 Tagen ab Eröffnung des Entscheides
schriftlich (beim Rekursgericht) einzureichen (Abs. 3 und Abs. 4
Satz 1). Die Beschwerdeschrift muss einen Antrag sowie eine Be-
gründung enthalten (Abs. 4 Satz 2). Diese Regelung entspricht derje-
nigen von § 43 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VRPG. Kraft des Verweises
in § 142 KO ist darüber hinaus § 43 Abs. 3 VRPG subsidiär anwend-
bar, wonach in der Beschwerdeschrift der angefochtene Entscheid
anzugeben, allfällige Beweismittel zu bezeichnen und soweit mög-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
200
lich beizulegen sind und die Eingabe zu unterzeichnen ist. Ist die Be-
schwerde in dieser Hinsicht ungenügend, ist eine Nachfrist zur Ver-
besserung anzusetzen unter Androhung des Nichteintretens.
Gestützt auf diese Bestimmung ordnete der juristische Sekretär
des Rekursgerichts mit den Verfügungen vom 4. April 2018 an, dass
die Beschwerdegegnerin dem Rekursgericht innert zehn Tagen die
beiden angefochtenen Entscheide des Kirchenrats in vollständiger
Kopie sowie allfällige Beweismittel (Urkunden, Belege etc.) einzu-
reichen hat. Für den Fall des Fristenversäumnisses wurde der Be-
schwerdegegnerin (unter Hinweis auf § 43 Abs. 2 [richtig: 3] VRPG)
das Nichteintreten auf ihre Beschwerden angedroht. Als die Be-
schwerdegegnerin die Nachfrist unbenützt verstreichen liess und sich
nach Ablauf zuerst telefonisch, dann mit Schreiben vom 21. April
2018 für das Fristversäumnis entschuldigte und geltend machte, sie
sei von Anfang bis Mitte April 2016 auf Konzertreise in Ungarn und
Deutschland gewesen, setzte ihr der juristische Sekretär mit Verfü-
gungen vom 24. April 2018 eine weitere zehntägige Nachfrist an.
Mit Eingabe vom 3. Mai 2018 reichte die Beschwerdegegnerin die
angefochtenen Entscheide ein.
In den hier angefochtenen Entscheiden vom 16. Oktober 2018
begründete das Rekursgericht das Ansetzen einer zweiten Nachfrist
damit, dass sich versäumte Fristen grundsätzlich wiederherstellen
liessen. Die Voraussetzungen dafür seien in § 28 Abs. 1 VRPG i.V.m.
Art. 148 ZPO geregelt. Danach könne eine versäumte Frist (durch
Gewährung einer Nachfrist) wiederhergestellt werden, wenn die
säumige Partei glaubhaft mache, dass sie kein oder nur ein leichtes
Verschulden treffe. Das Verschulden der Beschwerdegegnerin am
Fristversäumnis sei als leicht einzustufen. Von den ihr mit den Verfü-
gungen vom 4. April 2018 erstmals angedrohten Konsequenzen einer
versäumten Nachfrist habe sie keine Kenntnis gehabt. Ihr Verschul-
den wäre anders zu beurteilen, wenn sie diese Verfügungen ent-
gegengenommen und die angesetzte Nachfrist dennoch verpasst
hätte. Es treffe zwar zu, dass eine Partei nach Einleitung eines Ver-
fahrens mit Zustellungen durch das Gericht rechnen müsse. Es sei
aber zu berücksichtigen, dass die Beschwerdegegnerin eine interna-
tional tätige Musikerin sei, die sich aus beruflichen Gründen zuwei-
2019
Personalrecht
201
len während längerer Zeit im Ausland aufhalte. Es entspreche den
Gepflogenheiten, dass Anwälte ihre Absenzen jeweils den Gerichten
meldeten, um fristauslösende Zustellungen zu verhindern. Von einer
Nichtjuristin könne man jedoch nicht dasselbe erwarten. Hinzu
komme, dass die Verfügungen vom 4. April 2018 während der
Ostergerichtsferien zugestellt worden seien. Würde man der Be-
schwerdegegnerin bei dieser Sachlage ein mittelschweres bis schwe-
res Verschulden anrechnen, stünde dies in keinem vernünftigen Ver-
hältnis zu den daraus resultierenden Säumnisfolgen (Nichteintreten
auf die Beschwerde und damit Verlust der von ihr geltend gemachten
Ansprüche). Insofern sei der Beschwerdegegnerin zu Recht noch-
mals eine Nachfrist zur Einreichung der verlangten Unterlagen ein-
geräumt worden.
1.3.2.
Der Beschwerdeführerin und dem Kirchenrat ist darin beizu-
pflichten, dass die Wiederherstellung der Nachfrist (durch Einräu-
mung einer zweiten Nachfrist) in verschiedener Hinsicht nicht rech-
tens war.
Dabei steht im Vordergrund, dass das Verschulden der Be-
schwerdegegnerin am Fristversäumnis nicht mehr als leicht im Sinne
von Art. 148 Abs. 1 ZPO bezeichnet werden kann. An die Vorausset-
zung einer Wiederherstellung sind höhere Anforderungen zu stellen
als für die Erstreckung einer Frist oder Verschiebung eines Erschei-
nungstermins. Als Grundsatz muss gelten, dass nur ausserordentliche
Gründe zu Fristwiederherstellungen führen dürfen (NINA J. FREI, in:
Berner Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Band
I [Artikel 1-149 ZPO], Bern 2012, Art. 148 N 11). Die Abwesenheit
einer Partei im Zeitpunkt einer (fiktiven) Zustellung kann eine Wie-
derherstellung rechtfertigen, soweit die Partei keine Kenntnis des
hängigen Verfahrens hatte. Weiss die Partei hingegen vom laufenden
Verfahren, so muss sie mit Zustellungen von Gerichtsverfügungen
rechnen und ist deshalb verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, dass
trotz ihrer Abwesenheit eine Zustellung der entsprechenden Unterla-
gen vollzogen und allfällige Fristen eingehalten werden können
(NICCOLÒ GOZZI, in: Basler Kommentar zur Schweizerischen Zivil-
prozessordnung, 3. Auflage, Basel 2017, Art. 148 N 23 mit Hinwei-
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
202
sen). Diese Obliegenheit besteht auch oder sogar erst recht dann,
wenn eine Partei häufig auslandabwesend ist. Zudem ist nicht davon
auszugehen, dass der Beschwerdegegnerin bewusst war, wann Oster-
gerichtsferien sind, und dass sie deswegen nicht mit Zustellungen
von Gerichtsverfügungen in diesem Zeitraum rechnete. Das Argu-
ment, das Verschulden der Beschwerdegegnerin wiege auch deshalb
gering, weil sie die Konsequenzen einer versäumten Nachfrist nicht
gekannt habe, ist nicht stichhaltig, nachdem sie noch nicht einmal
wusste, dass ihr eine Nachfrist angesetzt worden war. In dieser
Konstellation ist ihr Verschulden allein daran zu messen, ob ihr die
Unkenntnis der Nachfristansetzung (mit Androhung von Säumnisfol-
gen) zum Vorwurf gemacht werden kann. Das ist nach dem oben Ge-
sagten der Fall, weil sie nicht dafür gesorgt hat, dass während ihrer
Auslandabwesenheit keine fristauslösenden Zustellungen des Re-
kursgerichts erfolgen oder von einer Person ihres Vertrauens entge-
gengenommen und ihr zur Kenntnis gebracht werden.
Die um Wiederherstellung einer versäumten Frist nachsuchende
Partei muss die materiellen Voraussetzungen der Wiederherstellung
nach dem Wortlaut von Art. 148 Abs. 1 ZPO glaubhaft machen. Das
Beweismass der Glaubhaftmachung lässt sich so umschreiben, dass
für die Richtigkeit der vorgetragenen Behauptungen eine gewisse
Wahrscheinlichkeit spricht bzw. objektive Anhaltspunkte vorliegen,
welche dem Gericht den Eindruck einer gewissen Wahrscheinlichkeit
der in Frage kommenden Tatsachen vermitteln, ohne dass es dabei
den Vorbehalt preisgeben müsste, dass die Verhältnisse sich auch
anders gestalten könnten. Dieser gemilderte Beweismassstab trägt
dem Umstand Rechnung, dass in der Regel ein strikter Beweis des
nicht oder nur leicht verschuldeten Hindernisses nicht erbracht wer-
den kann. Allerdings muss der Gesuchsteller die Gründe für die
beantragte Wiederherstellung soweit möglich durch entsprechende
Nachweise belegen (GOZZI, a.a.O., Art. 148 N 38 f.; FREI, a.a.O.,
Art. 148 N 36). Soweit aus den Akten ersichtlich, hat die Beschwer-
degegnerin ihre Konzertreise mit nichts belegt, sondern lediglich auf
eine Internetseite mit den Veranstaltungsdaten der von ihr in Berlin
angeblich besuchten Konferenz verwiesen. Dabei wäre zu erwarten
gewesen, dass sie Belege für ihre Reisen nach Ungarn und Deutsch-
2019
Personalrecht
203
land, ihre dortigen Übernachtungen und ihre Teilnahme an der besag-
ten Konferenz hätte beibringen können. Ohne entsprechende Belege
existieren keinerlei objektive Anhaltspunkte für die von ihr behaupte-
te Auslandabwesenheit.
Des Weiteren ist in formeller Hinsicht zu bemängeln, dass die
Beschwerdeführerin nicht schon vor Ansetzung der zweiten Nach-
frist mit Verfügungen vom 24. April 2018 zum Gesuch der Be-
schwerdegegnerin um Wiederherstellung der Nachfrist angehört
wurde. Art. 149 ZPO verpflichtet das Gericht dazu, der Gegenpartei
(des Wiederherstellungsgesuchs) Gelegenheit zur Stellungnahme zu
geben. Alsdann muss das Gericht die geltend gemachten Wiederher-
stellungsgründe prüfen. Hierzu ist allenfalls ein Beweisverfahren
durchzuführen (GOZZI, a.a.O., Art. 149 N 5). Dazu hätte im vorlie-
genden Fall gehört, dass das Rekursgericht, da es auf den Wiederher-
stellungsgrund der Auslandabwesenheit abstellte, von der Beschwer-
degegnerin die oben angeführten Reisebelege eingefordert hätte. Die
Verletzung des Gehörsanspruchs der Beschwerdeführerin wiegt in-
dessen nicht besonders schwer. Im Rahmen der vorinstanzlichen Be-
schwerdeantwort hatte sie Gelegenheit, sich zur gewährten Wieder-
herstellung der Nachfrist zu äussern und deren Rechtmässigkeit zu
bestreiten. Der Wiederherstellungsentscheid als solcher bzw. die
zweite Nachfristansetzung war prozessleitender Natur (GOZZI,
a.a.O., Art. 149 N 7 und 10). Er änderte nichts daran, dass das Re-
kursgericht im Urteilszeitpunkt die Einhaltung der Nachfrist zur Ver-
besserung der Beschwerde als Sachurteilsvoraussetzung prüfen und
sich in diesem Rahmen mit dem Einwand (des Kirchenrats) der ver-
säumten Nachfrist bzw. der Unrechtmässigkeit der Fristwiederher-
stellung auseinandersetzen musste und sich tatsächlich auch damit
auseinandergesetzt hat. In diesem Sinne wurde die Gehörsverletzung
noch im Verfahren vor dem Rekursgericht geheilt.
Für die Behandlung eines Wiederherstellungsgesuchs ist die-
jenige Instanz sachlich zuständig, welche über die nachzuholende
Prozesshandlung zu befinden hätte (GOZZI, a.a.O, Art. 149 N 2). Die
sachliche Zuständigkeit für das Gesuch der Beschwerdegegnerin um
Wiederherstellung der Frist zur Verbesserung ihrer Beschwerden ans
Rekursgericht lag somit bei diesem. Damit ist aber noch nicht gesagt,
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
204
dass das Gesamtgericht über die Fristwiederherstellung bzw. die An-
setzung der zweiten Nachfristen hätte befinden müssen. Prozess-
leitende Entscheide wie die Wiederherstellung einer versäumten Frist
können gestützt auf Art. 124 Abs. 2 ZPO und § 47 Abs. 2 VRPG an
ein Gerichtsmitglied delegiert werden. Der juristische Sekretär des
Rekursgerichts ist gemäss § 1 Abs. 1 und 2 und § 6 des Reglements
für das Rekursgericht vom 9. November 2011 (Rekursreglement;
SRLA 233.300) vollwertiges Mitglied des fünfköpfigen Richtergre-
miums (ohne Ersatzmitglieder). Seine Stellung und Funktion ist nicht
mit derjenigen eines Gerichtsschreibers vergleichbar, der an den
Urteilsberatungen bloss beratende Stimme hat. § 5 Rekursreglement
besagt nicht, dass in Abweichung von § 47 Abs. 2 VRPG alle pro-
zessleitenden Anordnungen vom Rekursgericht in corpore beschlos-
sen werden müssen. § 9 Rekursreglement ist sodann zu entnehmen,
dass der juristische Sekretär die Verfahrensleitung innehat. Folglich
ist er als Instruktionsrichter zur Gewährung von Fristerstreckungen,
Fristwiederherstellungen und zu weiteren prozessleitenden Entschei-
den befugt. Der Einwand des Kirchenrats, die zweiten Nachfristen
seien mit den Verfügungen des juristischen Sekretärs des Rekursge-
richts vom 24. April 2018 von einer hierfür sachlich unzuständigen
Behörde angesetzt worden und deshalb nichtig, verdient demnach
keine Zustimmung. Dies umso weniger, als das Gesamtgericht die
Rechtmässigkeit der Fristwiederherstellung im Endentscheid (ange-
fochtene Entscheide vom 16. Oktober 2018) bestätigt hat.
Über die Zustellfiktion (gemäss Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO) hat
sich das Rekursgericht selbstverständlich nicht hinweggesetzt. Ohne
Fiktion der gültig erfolgten Zustellung der Verfügungen vom 4. April
2018 und der daraus folgenden Wirksamkeit der darin angesetzten
Nachfristen hätte die Beschwerdegegnerin mit der von ihr verlangten
Prozesshandlung (Einreichung der angefochtenen Entscheide des
Kirchenrats innert Nachfrist) gar nicht säumig werden können und
die Einleitung eines Wiederherstellungsverfahrens auf ihre Bitte, die
versäumte Prozesshandlung nachholen zu dürfen, hätte sich erübrigt.
Obwohl der Entscheid des Rekursgerichts, die von der Be-
schwerdegegnerin versäumte Nachfrist durch Ansetzung einer zwei-
ten Nachfrist wiederherzustellen, an Fehlern bei der Sachverhalts-
2019
Personalrecht
205
feststellung und der Rechtsanwendung leidet, kann darin noch nicht
gerade ein Verstoss gegen das Willkürverbot oder andere verfas-
sungsmässige Rechte oder Verfassungsgrundsätze erblickt werden.
Es war zwar falsch, von der Beschwerdegegnerin keine Belege für
ihre Auslandabwesenheit zu verlangen. Von einem groben Fehler bei
der Sachverhaltsermittlung kann aber diesbezüglich deshalb nicht
gesprochen werden, weil die Beschwerdegegnerin den Hinderungs-
grund nur glaubhaft machen, nicht strikte nachweisen musste. Es ist
nicht schlechterdings unvertretbar, sich auch ohne Reisebelege, nur
anhand plausibler Schilderungen auf die behauptete Auslandab-
wesenheit einer Partei abzustützen. Auch trägt die Beschwerdegegne-
rin aus Sicht des Verwaltungsgerichts ein mehr als leichtes Verschul-
den am Fristversäumnis, weil sie ihre Sorgfaltspflichten im Zusam-
menhang mit der Vermeidung oder Ermöglichung fristauslösender
Zustellungen gerichtlicher Sendungen verletzt hat. Die gegenteilige
Sichtweise des Rekursgerichts ist jedoch nicht dermassen sachfremd,
dass eine offensichtliche Gesetzesverletzung (von Art. 148 Abs. 1
ZPO) vorliegen würde. Die vom Rekursgericht bzw. dessen juris-
tischem Sekretär zu Lasten der Beschwerdeführerin begangene Ge-
hörsverletzung hatte keine gravierenden Konsequenzen. Ein stossen-
der Widerspruch zum Gerechtigkeitsgedanken kann in einer Frist-
wiederherstellung, die weder auf einer grob falschen Sachverhalts-
ermittlung noch auf einer offensichtlichen Gesetzesverletzung be-
ruht, nicht ausgemacht werden. Schliesslich lässt sich auch keine
Verletzung des Fairnessgebots gemäss § 22 KV oder Art. 29 Abs. 1
BV feststellen. Einen prozessualen Vorteil erlangte die Beschwerde-
gegnerin durch die zwar ungerechtfertigte, aber nicht gerade willkür-
liche Fristwiederherstellung nicht, wie noch zu zeigen sein wird
(siehe Erw. 1.3.3 hinten). Zudem darf die Beschwerdegegnerin wohl
als prozessual unbeholfener angesehen werden als die Beschwerde-
führerin, weshalb eine gewisse Bevorzugung der Beschwerdegeg-
nerin die Waffengleichheit zwischen den Parteien erst wiederherstel-
len würde. Das Verwaltungsgericht sieht sich vor diesem Hintergrund
nicht veranlasst, korrigierend einzugreifen und von einer ungültigen
Wiederherstellung der Nachfristen auszugehen. Im Übrigen ergibt
sich bei richtiger Auslegung von § 43 Abs. 3 VRPG (vgl. dazu
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
206
Erw. 1.3.3 nachfolgend), dass das Rekursgericht ohnehin auf die Be-
schwerden der Beschwerdegegnerin gegen die Entscheide des
Kirchenrats hätte eintreten dürfen und müssen, selbst wenn ihr die
Wiederherstellung der versäumten Nachfristen zur Verbesserung
ihrer Beschwerden verweigert worden wäre.
1.3.3.
Beschwerden können in zweierlei Hinsicht mangelhaft sein. Ein
Mangel kann entweder die Gültigkeit einer Beschwerde berühren
oder bloss eine Ordnungsvorschrift verletzen. Bei der Verletzung von
Ordnungsvorschriften ist eine Nachbesserung ohne weiteres zulässig.
Differenzierter ist bei der Nichteinhaltung von Gültigkeitsvorschrif-
ten zu entscheiden. Fehlen Antrag oder Begründung oder beides
(trotz vollständiger Rechtsmittelbelehrung) vollständig und ergibt
sich der Antrag bei Laienbeschwerden auch nicht aus der Begrün-
dung, ist ohne Nachfrist auf Nichteintreten zu erkennen; sind Antrag
und Begründung wenigstens im Ansatz vorhanden und lediglich un-
vollständig oder unklar, muss § 43 Abs. 3 VRPG mit der Einräumung
einer Nachfrist zur Verbesserung zur Anwendung kommen. Diese
Bestimmung darf jedoch nicht dazu missbraucht werden, die gesetz-
lichen Beschwerdefristen zu umgehen, weshalb auf mangelhaft be-
gründete Beschwerden von Anwälten und anderen erfahrenen Be-
schwerdeführern ohne weiteres nicht einzutreten ist. Werden Laien-
beschwerden auch innert Nachfrist nicht verbessert, ist darauf nicht
einzutreten. Das gilt jedoch nur beim Fehlen von Gültigkeitsvoraus-
setzungen (Schriftlichkeit, Antrag, Begründung). Wohingegen die
Nachfrist zur Behebung der Verletzung von Ordnungsvorschriften
angesetzt wurde, ist auf die (innert Nachfrist nicht verbesserte Be-
schwerde) einzutreten; das Verhalten des säumigen Beschwerdefüh-
rers darf nach freiem Ermessen gewürdigt werden. Zu den Ord-
nungsvorschriften, deren Verletzung nicht bewirkt, dass auf die Be-
schwerde nicht einzutreten ist, gehört namentlich die Bezeichnung
der angefochtenen Entscheide und deren Beilage (zum Ganzen
MERKER, a.a.O., § 39 N 51 ff.). Die Rechtsfolge des Nichteintretens
auf eine Beschwerde ist nur dort angemessen, wo die festgestellten
Mängel einer Beschwerde deren Gültigkeit betreffen. Dient die
Nachfrist hingegen dazu, das Befolgen von Ordnungsvorschriften zu
2019
Personalrecht
207
ermöglichen, wäre ein Nichteintreten unangemessen streng und
überdies mit der behördlichen Untersuchungspflicht (§ 17 Abs. 1
VRPG) nicht vereinbar. In einem solchen Fall hat die Beschwer-
deinstanz aufgrund der Akten zu entscheiden und dabei das Verhalten
des säumigen Beschwerdeführers nach Ermessen zu würdigen
(ALAIN GRIFFEL, Kommentar VRG, a.a.O., § 23 N 36).
Da die Pflicht zur Beilage des mit einer Beschwerde angefoch-
tenen Entscheids eine Ordnungsvorschrift (und nicht Gültigkeits-
voraussetzung) darstellt, durfte zwar das Rekursgericht bzw. dessen
juristischer Sekretär der Beschwerdegegnerin eine Nachfrist zur Be-
hebung dieses Mangels ansetzen, mithin sie dazu auffordern, die an-
gefochtenen Entscheide des Kirchenrats innert einer bestimmten
Frist einzureichen. Auf die Androhung des Nichteintretens auf die
Beschwerden bei versäumter Nachfrist hätte jedoch verzichtet wer-
den müssen, nachdem eine solche Säumnisfolge im Falle einer blos-
sen Ordnungswidrigkeit als unangemessen ausscheidet, vor allem
dann, wenn ein Nichteintreten - wie im vorliegenden Fall - mit dem
Verlust materieller Ansprüche verbunden ist. Die Unangemessenheit
eines Nichteintretensentscheids erhellt ferner daraus, dass die ange-
fochtenen Entscheide auch durch Aktenvorlage seitens des Kirchen-
rats beizubringen gewesen wären. Immerhin hat die Beschwerdegeg-
nerin die angeforderten Entscheide innerhalb der ihr wiederherge-
stellten Nachfristen eingereicht. Insofern kann ihr von vornherein
keine verweigerte Mitwirkung (bei der Feststellung des Sachver-
halts) zum Vorwurf gemacht werden, die unter Umständen ebenfalls
dazu führen kann, dass auf Begehren nicht eingetreten werden muss
(vgl. § 23 Abs. 2 VRPG). Insgesamt gab es für das Rekursgericht
keinen Grund, auf die Beschwerden der Beschwerdegegnerin nicht
einzutreten, weder versäumte Nachfristen (zur Behebung einer blos-
sen Ordnungswidrigkeit) noch die Verletzung von Mitwirkungs-
pflichten.
1.3.4.
Das Rekursgericht ist somit im Ergebnis zu Recht auf die Be-
schwerden der Beschwerdegegnerin gegen die Entscheide des Kir-
chenrats eingetreten, selbst wenn die dazu gegebene Begründung
(Verbesserung der Beschwerden unter Einhaltung der rechtmässig
2019
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
208
wiederhergestellten Nachfristen) qualifiziert fehlerhaft, insbesondere
willkürlich oder sonstwie verfassungswidrig wäre. | 5,740 | 4,402 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2019-30_2019-03-01 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2019-30.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2019-30.pdf | AGVE_2019_30 | null | nan |
b2a915f8-3f33-52a3-88ed-47a4d531700d | 1 | 412 | 870,337 | 1,023,062,400,000 | 2,002 | de | 2002
Submissionen
313
[...]
75
Eignungs- und Zuschlagskriterien; Grundsatz der Transparenz.
-
Eignungskriterien (Erw. 4/a/aa).
-
Produkteanforderungen (Erw. 4/a/bb).
-
Zuschlagskriterien (Erw. 4/a/cc).
-
Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien (Erw. 4/a/dd).
-
Intransparente Auswahl und Handhabung von Eignungs- und Zu-
schlagskriterien im konkreten Fall (Erw. 4/b).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. Juni 2002 in Sa-
chen S. AG gegen Departement für Bildung, Kultur und Sport.
Aus den Erwägungen
4. Als im Hinblick auf das Transparenzgebot ebenfalls proble-
matisch erweist sich die Tatsache, dass die Vergabestelle Eignungs-
kriterien, Produkte- bzw. Systemanforderungen/technische Spezifi-
kationen und Zuschlagskriterien zum Teil miteinander gleichsetzt
und bei ihrer Handhabung vermengt.
a) aa) Die
Eignungskriterien
beziehen sich auf die leistungsbe-
zogene Eignung eines Anbieters zur Ausführung eines Auftrags. Es
geht vor allem um die finanzielle, wirtschaftliche und fachliche
Leistungsfähigkeit (§ 10 SubmD). Nur wer die Eignungskriterien
erfüllt, ist im selektiven Verfahren zum Angebot zuzulassen (§ 7
Abs. 2 SubmD). Zweck der - gegenüber dem offenen Verfahren zu-
sätzlich vorgeschalteten - Eignungsprüfung ist die frühzeitige Er-
mittlung derjenigen Anbieter, die grundsätzlich fähig und in der Lage
sind, den konkret ausgeschriebenen Auftrag angemessen auszu-
führen, bzw. die Ausscheidung derjenigen, welche diese Voraus-
setzung nicht erfüllen. Ungeeigneten Anbietern wird damit der mit
der Offerteinreichung verbundene Aufwand erspart, und die Beschaf-
fungsstelle bleibt von mangelhaften, untauglichen Angeboten
verschont (AGVE 1999, S. 299 mit Hinweisen). Die Eignungskrite-
2002
Verwaltungsgericht
314
rien beziehen sich immer auf die Person des Anbieters, nicht auf sein
Angebot (Matthias Hauser, Zuschlagskriterien im Submissionsrecht,
in: AJP 2001, S. 1406 mit Hinweisen in Anm. 19).
bb) Demgegenüber bestimmen die
Produkteanforderungen
den
zwingenden Inhalt des Angebots und die technischen Spezifikatio-
nen. Unter dem Begriff der technischen Spezifikationen sind die
technischen Anforderungen an ein Material, ein Erzeugnis oder eine
Lieferung zu verstehen, mit deren Hilfe das Material, das Erzeugnis
oder eine Lieferung so bezeichnet werden können, dass sie ihren
durch den Auftraggeber festgelegten Verwendungszweck erfüllen;
dazu gehören Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Leistungsfä-
higkeit, Sicherheit, Abmessungen usw. (VGE III/7 vom 25. Januar
2000 [BE.1999.00311] in Sachen B. GmbH, S. 11). Produkteanforde-
rungen sind absolute Kriterien; ihre Nichterfüllung führt unabhängig
vom Vergleich mit den anderen Angeboten zur Nichtberücksichti-
gung des Angebots (Hauser, a.a.O., S. 1406). Das Verwaltungsgericht
erachtet es als zulässig, weil im Grundsatz sachlich richtig und
verfahrensökonomisch, unter bestimmten Umständen bereits im
Rahmen der Eignungsprüfung (Präqualifikation) auch zu prüfen, ob
die von einem bestimmten Unternehmer zu offerierenden Produkte
die verlangten technischen Vorgaben einhalten können (erwähnter
VGE in Sachen B. GmbH, S. 12).
cc) Die
Zuschlagskriterien
schliesslich beziehen sich ebenfalls
auf die zu beschaffende Leistung bzw. das Angebot; sie sind aber im
Gegensatz zu den Produkteanforderungen relativer Natur. Erreicht
ein Angebot bei einem Zuschlagskriterium nur die minimale Be-
wertung, führt dies allein nicht zur Nichtberücksichtigung des Ange-
bots; vielmehr ist im Rahmen der Gesamtbewertung eine Kompen-
sation möglich (Hauser, a.a.O., S. 1406).
dd) Der unterschiedliche Charakter und Zweck der Eignungs-
kriterien und der Zuschlagskriterien erfordert - im Interesse der
Transparenz des Verfahrens und um Missverständnisse oder Irrefüh-
rungen der Anbietenden auszuschliessen - grundsätzliche eine klare
Trennung (VGE III/37 vom 10. April 2001 [BE.2001.00015] in Sa-
chen S. AG, S. 12). In der Rechtsprechung wird allerdings festgehal-
ten, dass sich Eignungs- und Zuschlagskriterien überlappen können,
2002
Submissionen
315
indem z.B. die Eignung des Anbieters (bzw. das Ausmass der Eig-
nung) auch beim Zuschlag eine Rolle spielen kann (AGVE 1999, S.
329; vgl. auch Hauser, a.a.O., S. 1414 m.w.H.). Das Verwaltungsge-
richt lehnt eine strikte Trennung als nicht praktikabel ab. Es hat bei-
spielsweise anerkannt, dass Referenzen sowohl bei der Eignung als
auch beim Zuschlag berücksichtigt werden dürfen, und erachtet es
auch als zulässig, eine allfällige "Mehr-Eignung" von Anbietern in
die nachfolgende Bewertung gemäss den Zuschlagskriterien einflies-
sen zu lassen (AGVE 1999, S. 329 f.). Vorausgesetzt ist
selbstverständlich, dass dies in den Zuschlagskriterien so vorgesehen
und den Anbietenden auch bekannt gegeben worden ist.
b) Die Vergabebehörde nennt in den Ausschreibungsunterlagen
unter dem Titel "Zuschlagskriterien" nicht nur Kriterien im Sinne
von § 18 Abs. 2 SubmD, sondern auch Eignungskriterien und Pro-
dukte- bzw. Systemanforderungen. Die als viertes Zuschlagskrite-
rium genannte "Beurteilung des Anbieters betreffend Kompetenz,
Marktauftritt, Referenzen etc." beispielsweise bezieht sich eindeutig
auf den Anbieter und nicht auf die zu erbringende Leistung und hätte
als Eignungskriterium in einem selektiven Verfahren richtigerweise
bereits im Rahmen der Präqualifikation geprüft werden müssen. An
erster Stelle der "Zuschlagskriterien" wird die "Erfüllung der Muss-
Kriterien gemäss Pflichtenheft" genannt. Im Pflichtenheft wird
unmissverständlich verlangt, dass die "Muss-Kriterien" zwingend
erfüllt sein müssen. Aus diesem Erfordernis wäre eigentlich zu
schliessen, dass es sich dabei nicht um Zuschlagskriterien, sondern
um absolute Kriterien im Sinne von Systemmindestanforderungen
und technischen Spezifikationen handelt. Das heisst, diejenigen An-
bieter, welche die "Muss-Kriterien" nicht vollumfänglich erfüllen,
wären vom Verfahren bzw. von der Bewertung anhand der übrigen
Zuschlagskriterien auszuschliessen. Bei dieser an sich naheliegenden
Betrachtungsweise ergibt jedoch der Einbezug der "Erfüllung der
Muss-Kriterien gemäss Pflichtenheft" in die Liste der Zuschlagskri-
terien und hier die Nennung an erster Stelle keinen Sinn. Offensicht-
lich hat die Vergabestelle die "Muss-Kriterien" - entgegen dem
herkömmlichen Verständnis - nicht im absoluten Sinn, das heisst als
"Killer-Kriterien" aufgefasst, sondern geht von der Zulässigkeit eines
2002
Verwaltungsgericht
316
abgestuften Erfüllungsgrads aus und hat die Angebote entsprechend
bewertet. Aus dem "Kriterienkatalog BIDA II für Bibliotheks-Lö-
sung" muss entnommen werden, dass die sogenannten "Muss-Krite-
rien" nicht selbständig, sondern im Rahmen der übrigen Zuschlags-
kriterien beurteilt bzw. bewertet worden sind. Nicht bekannt ist, wel-
che Bewertung die einzelnen "Muss-Kriterien" mindestens erreichen
mussten, damit sie als noch erfüllt erachtet wurden. Beispielsweise
ist beim Kriterium "Applikatorische Anforderungen/Datenmigration"
auch die "Übernahme ab best. System", also ein "Muss-Kriterium"
(und gemäss der öffentlichen Ausschreibung zugleich auch ein
Eignungskriterium), bewertet worden. Die Beschwerdeführerin hat
hier das Maximum von 10 Punkten erhalten, die E. GmbH hingegen
nur 7 Punkte. Mit dem Punkteabzug ist offenbar dem Umstand
Rechnung getragen worden, dass die Konversion von SISIS zu
ALEPH 500 zwar
nicht
unmöglich, aber
aufwändiger
und
komplizierter ist. Festzustellen bleibt, dass die Bedeutung und die
Handhabung, das heisst die Prüfung und Bewertung, der sogenannten
"Muss-Kriterien"
gemäss
Pflichtenheft
zumindest
schwer
durchschaubar ist. Es kommt hinzu, dass der Kantonsbibliothekar
(als Mitglied der Evaluationsbehörde) sich in diesem Zusammenhang
ebenfalls widersprüchlich äussert. Die in der öffentlichen Ausschrei-
bung als Eignungskriterien bekannt gegebenen Aspekte werden als
"Muss-Kriterien" im Zuschlagsverfahren bezeichnet und diesen nun
die Bedeutung von absoluten Kriterien beigemessen, indem geltend
gemacht wird, das System SUNRISE der Beschwerdeführerin erfülle
die Muss-Anforderungen nicht.
Handhabung und Bewertung der Kriterien entsprechen jeden-
falls nicht einem transparenten Verfahren. | 1,843 | 1,481 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2002-75_2002-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2002-75.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2002-75.pdf | AGVE_2002_75 | null | nan |
b37c546a-a52d-5c72-af80-dff37807a762 | 1 | 412 | 870,767 | 978,307,200,000 | 2,001 | de | 2001
Verwaltungsgericht
212
[...]
51
Nichtigkeit einer Verfügung. Schutzwürdiges Interesse als Voraussetzung
der Beschwerdelegitimation.
- Schutzwürdiges Interesse (§ 38 Abs. 1 VRPG) ist auch bei der Be-
schwerdeführung durch das KStA verlangt (Erw. 4/c, 6/b).
- Zuständigkeiten der Steuerkommission und des Gemeindesteuer-
amtes (Erw. 5).
- Keine Nichtigkeit, wenn nach dem äusseren Anschein eine Veranla-
gungsverfügung der zuständigen Steuerkommission vorliegt, selbst
wenn das Gemeindesteueramt eigenmächtig handelte (Erw. 6).
vgl. AGVE 2001 81 378. | 144 | 114 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-51_2001 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-51.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-51.pdf | AGVE_2001_51 | null | nan |
b38f8fb0-4f31-5b64-90ef-e6cbc3336611 | 1 | 412 | 871,520 | 1,228,348,800,000 | 2,008 | de | 2008
Sozialhilfe
259
[...]
44 Verwandtenunterstützungspflicht.
-
Eine Auflage / Weisung zur Abtretung eines nicht angefallenen Erb-
teils ist ohne die freiwillige Zustimmung des Erblassers unzulässig.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 23. Dezember 2008 in Sa-
chen Einwohnergemeinde X. gegen das Bezirksamt Aarau (WBE.2008.157).
Aus den Erwägungen
3.
3.1. (...)
3.2. (...)
2008
Verwaltungsgericht
260
3.2.1.
In der Tat sehen die SKOS-Richtlinien, Kapitel F.1-1, grund-
sätzlich vor, dass die Sozialhilfebehörde alle zulässigen finanziellen
Ansprüche gegenüber Dritten geltend machen. Ein zukünftiger,
noch
nicht angefallener
Erbanteil ist aber keine finanzieller Anspruch des
Beschwerdegegners, sondern eine blosse Anwartschaft. Diese An-
wartschaft eines Erbanwärters kann auch nicht von den Sozialhilfe-
behörden gegenüber dem potentiellen Erblasser geltend gemacht
werden. Die Einwohnergemeinde X. zielt mit der Auflage auf die
Rückerstattung der materiellen Hilfe, welche dem Beschwerdegegner
bis anhin und in Zukunft ausgerichtet wurde bzw. wird. Vorschuss-
leistungen der Sozialhilfe können gemäss § 12 Abs. 3 SPG von einer
Abtretung von (Forderungs
-) Ansprüchen
der Hilfe suchenden Per-
son abhängig gemacht werden. Auf diese Möglichkeit nehmen auch
die SKOS-Richtlinien Bezug (vgl. Kapitel F.2-2). Wie erwähnt, ge-
hören die Erbanwartschaften jedoch nicht zu diesen Ansprüchen.
Nach Art. 636 Abs. 1 ZGB sind Verträge eines Erbanwärters
über künftige Erbanwartschaften sittenwidrig und unverbindlich und
nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Erblasser am Vertrag
mitwirkt und seine ausdrückliche Zustimmung erteilt. Aus dieser
Regelung folgt, dass eine Abtretung ohne Mitwirkung des Erblassers
ausgeschlossen ist und damit auch eine Auflage oder Weisung zur
Abtretung eines nicht angefallenen Erbanteils an die Adresse eines
unterstützten Erbanwärters nicht zulässig ist, da er sie ohne Mitwir-
kung des (potentiellen) Erblassers gar nicht erfüllen kann. Im Rah-
men der Subsidiarität haben hypothetische Ansprüche einer Hilfe su-
chenden Person ausser Acht zu bleiben. Keinen Einfluss auf die An-
spruchsvoraussetzungen hat sodann die Weigerung einer unterstütz-
ten Person, Massnahmen zu ergreifen, die keinen sachlichen Zu-
sammenhang mit der tatsächlichen Beendigung seiner Notlage haben
(vgl. Markus Schefer, Grundrechte der Schweiz, Ergänzungsband zur
dritten Auflage, Bern 2005, S. 116 f. mit Hinweis). Voraussetzung
einer Auflage oder Weisung ist, dass die Hilfe suchende Person durch
eigenes Handeln die Notlage verhindern oder zumindest mildern
kann.
2008
Sozialhilfe
261
3.2.2.
Nachdem die Einwohnergemeinde X. nicht einmal abgeklärt
hat, ob die Zustimmung des Vaters des Beschwerdegegners über-
haupt erhältlich ist und der Einwohnergemeinde X. gegenüber dem
Vater des Beschwerdegegners keinerlei Verfügungs- und damit Wei-
sungsbefugnis hinsichtlich der Erbteilung oder der Verwandtenunter-
stützung gemäss Art. 328 ZGB zusteht, erweist sich bereits die Auf-
lage zur Abtretung eines nicht angefallenen Erbanteils als rechtswid-
rig.
Daran vermag auch die Zulässigkeit entsprechender Verträge
nichts zu ändern. Die Unrechtmässigkeit der Auflage zur Unter-
zeichnung eines Abtretungsvertrags bedeutet andererseits nicht, dass
den Sozialhilfebehörden der Abschluss von Vereinbarungen über
nicht angefallenen Erbanteile gemäss Art. 636 Abs. 1 ZGB verwehrt
wäre. Sie haben die Möglichkeit, bei der Prüfung von Ansprüchen
aus der Unterstützungspflicht der Verwandten entsprechende Verein-
barungen mit dem Vater des Beschwerdegegners zu treffen (§ 7
Abs. 1 SPG und § 6 SPV). Sofern dieser - freiwillig - seine Zustim-
mung zu einer solchen Vereinbarung erteilt, kann vom Beschwerde-
gegner die Unterzeichnung einer Abtretung auch verlangt werden.
Für die Geltendmachung und zur Bestimmung der Höhe sind die ein-
schlägigen Regelungen zur familienrechtlichen Unterstützungspflicht
(Art. 328 und 329 ZGB) und die entsprechenden Regelungen im So-
zialhilferecht zu beachten (vgl. auch SKOS-Richtlinien, Kapitel F.4-
1 und die Richtlinien über die Geltendmachung von Verwandtenun-
terstützung vom 12. März 2003 [Verwandtenunterstützungsrichtli-
nien, VUR; SAR 851.251]).
Kommt keine einvernehmliche Lösung zustande, ist beim zu-
ständigen Bezirksgericht Klage zu erheben (§ 7 Abs. 2 SPG; Hand-
buch Sozialhilfe, hrsg. vom Kantonalen Sozialdienst, 4. Auflage Au-
gust 2003, Kapitel 6, S. 22). Die Gemeinde kann aber weder durch
den Erlass einer Verfügung die Verwandtenunterstützung festlegen
noch einen Unterstützungspflichtigen mittels indirektem Zwang
- hier unter Androhung von Kürzungen der Hilfeleistungen an den
Sozialhilfebezüger - zu erbrechtlichen Verfügungen oder zur Zustim-
2008
Verwaltungsgericht
262
mung von Vereinbarungen gemäss Art.
636 ZGB zwingen
(vgl. Handbuch Sozialhilfe, Kapitel 6, S. 18).
3.2.3. (...)
3.2.4.
Somit war bereits die am 22. Oktober 2007 erlassene Weisung,
wonach eine Vereinbarung über die Abtretung eines Erbanteils vom
Beschwerdegegner und seinem Vater zu unterzeichnen sei, nicht
rechtmässig.
3.3.
Unabhängig davon, dass die Nichtbefolgung einer unzulässigen
Auflage keine Kürzung der Sozialhilfeleistung nach sich ziehen
kann, können Sanktionen gegenüber Sozialhilfeempfängern i.S.v.
§ 13 Abs. 2 SPG nicht durch die Nichtbefolgung von Weisungen
durch Angehörige begründet werden (AGVE 2003, S. 286 f.). Beige-
fügt sei in diesem Zusammenhang, dass eine Sanktion wegen Nicht-
befolgung von Weisungen (§ 13 Abs. 2 SPG) nur in Frage kommt,
wenn den Beschwerdegegner daran ein Verschulden trifft
(vgl. SKOS-Richtlinien, Kapitel A.8.2).
3.4.
Somit ist die am 29. November 2007 verfügte Kürzung der
materiellen Hilfe der Monate November und Dezember 2007 zu Un-
recht erfolgt und die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Auflage
und Kürzung der Rechtslage nicht entspricht, nicht zu beanstanden. | 1,350 | 1,047 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-44_2008-12-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-44.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-44.pdf | AGVE_2008_44 | null | nan |
b4104b93-63db-5bb4-9e0c-eb782c5c24b8 | 1 | 412 | 870,383 | 962,582,400,000 | 2,000 | de | 2001
Verwaltungsgericht
270
[...]
62 Aufstockung von landwirtschaftlichen Silobauten in der Landwirt-
schaftszone.
- Rechtliche Vorgaben zum Landschaftsschutz (Erw. 4/a).
- Beurteilung des Landschaftsschutzaspekts anhand der vom Baude-
partement herausgegebenen Checkliste (Erw. 4/b); Grobbeurteilung
(Erw. 4/c/aa), Analyse und Bewertung der betroffenen Landschaft
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
271
sowie Feinabgrenzung des betroffenen Landschaftsausschnitts
(Erw. 4/c/bb), Bedeutung des Vorhabens für die Landschaft und Be-
urteilung der Landschaftsverträglichkeit des Vorhabens (Erw. 4/c/cc),
Abwägung des konkreten Landschaftsschutzinteresses gegenüber den
beteiligten privaten und andern öffentlichen Interessen (Erw. 4/c/dd).
- Differenzierte Lösung zur Wahrung der Verhältnismässigkeit bei der
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands (Erw. 6).
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. Juli 2000
in Sachen K. gegen Baudepartement.
Aus den Erwägungen
2. a) Der Beschwerdeführer bewirtschaftet in O. einen auf
Milchwirtschaft und Ackerbau ausgerichteten landwirtschaftlichen
Haupterwerbsbetrieb. Dieser umfasst nach Auflösung der vorbeste-
henden Betriebsgemeinschaft nunmehr 13.55 ha Eigenland und
29.55 ha Pachtland, insgesamt also 43.10 ha landwirtschaftliche
Nutzfläche, wovon 28 ha offenes Ackerland. Der Beschwerdeführer,
welcher als Betriebsleiter fungiert, verfügt zur Zeit über einen Vieh-
bestand von 30 Milchkühen, 22 Aufzuchtrindern und 6 Kälbern
(Milchkontingent: 217'239 l). Auf dem Hof arbeitet nebst dem Vater
aushilfsweise auch der Bruder mit; der Betrieb benötigt 3,2 Standard-
arbeitskräfte. Gemäss dem von der Gemeindeversammlung am
25. März 1994 beschlossenen und vom Grossen Rat des Kantons
Aargau am 24. September 1996 genehmigten Nutzungsplan Kultur-
land liegt die Hofparzelle Nr. 281 in der Landwirtschaftszone und ist
nicht durch eine Schutzzone überlagert.
b) Verfahrensgegenstand bildet das Gesuch des Beschwerdefüh-
rers um - nunmehr nachträgliche - Bewilligung der Silo-Aufstockung
von 14.80 m (Höhe gemäss Baubewilligung vom 8. November 1993)
bzw. 15.90 m (tolerierte Höhe) auf 20.40 m. Die Vorinstanzen haben
den Beschwerdeführer verpflichtet, den Silo innert Frist auf die Höhe
von 15.90 m herabzusetzen. Eine solche Beseitigungsanordnung
setzt voraus, dass ein unrechtmässiger Zustand geschaffen worden ist
2001
Verwaltungsgericht
272
(§ 159 Abs. 1 BauG); vorausgesetzt ist also die materielle Rechts-
widrigkeit der in Frage stehenden baulichen Vorkehr (AGVE 1996,
S. 326 mit Hinweisen).
(...)
4. a) Gemäss Art. 3 Abs. 2 lit. b RPG ist die Landschaft zu
schonen; insbesondere sollen Siedlungen, Bauten und Anlagen sich
in die Landschaft einordnen. Nach § 42 BauG, der ebenfalls sowohl
für das Bau- als auch für das Nichtbaugebiet gilt, müssen sich Ge-
bäude hinsichtlich Grösse, Gestaltung und Oberfläche des Baukör-
pers sowie dessen Aussenraumes so in die Umgebung einordnen,
dass eine gute Gesamtwirkung entsteht (Abs. 1); Bauten usw. dürfen
insbesondere Landschaften sowie Orts-, Quartier- und Strassenbilder
nicht beeinträchtigen (Abs. 2). Sodann legt § 4 NO was folgt fest:
,,(...)
3
Neue Bauvorhaben sind auf ihre Verträglichkeit im Landschafts- und
Ortsbild zu prüfen. Der Gemeinderat kann im Baubewilligungsverfah-
ren Auflagen bezüglich der Standortwahl, der Abmessungen sowie der
gestalterischen Einordnung von Bauten und Anlagen erlassen. Insbe-
sondere kann er die Gesamtlänge begrenzen und die Pflanzung von
Hecken und Bäumen anordnen.
Gewächshäuser und andere Bauten der bodenunabhängigen Produk-
tion sind nur an nicht empfindlichen Standorten zugelassen.
4
(...)"
Schliesslich enthält § 13 NO unter dem Titel ,,D. Bauvorschrif-
ten" die folgenden Bestimmungen für ,,Bauten ausserhalb der Bau-
zone":
,,(...)
4
Alle Bauten und Anlagen sind nur an Standorten zugelassen, die
landschaftsverträglich sind. Sie müssen sich in Bezug auf Ausmass,
Gestaltung, Stellung und Umgebungsbepflanzung gut ins Land-
schaftsbild einfügen. Durch die Lagerung von Material, Maschinen
und Geräten dürfen die Nachbarschaft und das Landschaftsbild nicht
beeinträchtigt werden.
5
Für bewohnte Gebäude sind höchstens 2 Geschosse mit teilweisem
Dachausbau erlaubt. Für Ökonomiegebäude und andere Bauten wer-
den die Gebäudeabmessungen vom Gemeinderat unter Berücksichti-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
273
gung der tatsächlichen Verhältnisse, der landschaftlichen Einordnung
sowie der bau- und feuerpolizeilichen Erfordernisse festgelegt.
(...)"
Bauvorhaben in der Landwirtschaftszone sind somit auf ihre
Verträglichkeit im Landschaftsbild zu prüfen; der Gemeinderat kann
im Baubewilligungsverfahren Auflagen bezüglich der Standortwahl,
der Abmessungen sowie der gestalterischen Einordnung von Bauten
und Anlagen erlassen (§ 4 Abs. 3 Sätze 1 und 2 NO; vgl. auch § 13
Abs. 4 NO). Diese Vorgaben entsprechen dem - neuerdings auch in
Art. 16 Abs. 1 RPG (in der Fassung vom 20. März 1998) ausge-
drückten - multifunktionalen Charakter der Landwirtschaftszone. Mit
dieser werden nicht nur agrarpolitische, sondern u.a. auch siedlungs-
politische Ziele verfolgt, indem der gesetzgeberische Auftrag, soweit
möglich grössere zusammenhängende Freiflächen auszuscheiden
(Art. 16 Abs. 2 RPG), zur Landschaftspflege beiträgt (vgl. Erläute-
rungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung [Erläuterungen
EJPD], herausgegeben vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeide-
partement [Bundesamt für Raumplanung], Bern 1981, Art. 16 N 4
und 6; Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Um-
weltrecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 263; AGVE 1995,
S. 308; 1996, S. 356).
b) Das Baudepartement (Abteilung Landschaft und Gewässer,
Sektion Natur und Landschaft) hat im April 1999 eine ,,Checkliste
zur Beurteilung von Landschaftsveränderungen" herausgegeben, die
als Arbeitshilfe für die Rechtsfindung in Fällen wie dem vorliegen-
den folgende Teilschritte vorsieht: Grobbeurteilung (Phase 1), Ana-
lyse und Bewertung der betroffenen Landschaft (Phase 2), Feinab-
grenzung des betroffenen Landschaftsausschnitts (Phase 3), Bedeu-
tung des Vorhabens für die Landschaft (Phase 4), Beurteilung der
Landschaftsverträglichkeit des Vorhabens (Phase 5), Abwägung des
konkreten Landschaftsschutzinteresses gegenüber den beteiligten
privaten und andern öffentlichen Interessen und Entscheid (Phase 6).
Der Regierungsrat hat die Departemente angewiesen, sich bei den
Interessenabwägungen methodisch an diese ,,Checkliste" zu halten
(Schreiben des Vorstehers des Baudepartements vom 17. Januar
2000). Auch das Verwaltungsgericht stützt sich grundsätzlich auf sie,
2001
Verwaltungsgericht
274
zumal sie eine Weiterführung und Verfeinerung der bereits früher
angewandten Methodik bei der Beurteilung landschaftsverändernder
Eingriffe darstellt (vgl. AGVE 1991, S. 294 ff.; VGE III/66 vom
12. Mai 1999 [BE.96.00144] in Sachen Pro Natura u. M., S. 31).
c) Zu den einzelnen Prüfungsphasen ergibt sich was folgt:
aa) Phase 1 (Grobbeurteilung).
Landschaftsrelevante planerische Festlegungen mit Grund-
eigentümerverbindlichkeit gibt es im vorliegenden Falle nicht; na-
mentlich ist die Parzelle Nr. 281 nicht mit einer Landschaftsschutz-
zone überlagert (Kulturlandplan der Gemeinde O. vom 5. März
1993/31. Oktober 1995). Ein abschliessender Entscheid ist somit
nicht bereits aufgrund einer Grobbeurteilung möglich; vielmehr ist
eine Beurteilung anhand der nachfolgenden Prüfungsphasen vorzu-
nehmen.
bb) Phasen 2 und 3 (Analyse und Bewertung der betroffenen
Landschaft sowie Feinabgrenzung des betroffenen Landschaftsaus-
schnitts).
aaa) Gegenstand des Landschaftsschutzes bildet die Landschaft
als ein grösserer, zusammenhängender, einigermassen in sich ge-
schlossener, einheitlicher Ausschnitt der Erdoberfläche mit den darin
vorkommenden Erscheinungen der Natur (Form der Erdoberfläche,
Bepflanzung usw.) und Kultur (Überbauungen usw.). Er ist je nach
dem massgebenden Schutzziel abzugrenzen. Geht es um die optische
Wirkung, sind jene Bereiche dazuzuzählen, die mehr oder weniger
gleichzeitig überblickt werden können. Bestimmt sich die Landschaft
nach ihrer Funktion für andere räumliche Interessen wie etwa als
Erholungsraum, so ist auf deren sachliche Gegebenheiten und Be-
dürfnisse (Ruhe, Erreichbarkeit usw.) abzustellen (AGVE 1991,
S. 295 mit Hinweis). Ähnlich bezeichnet der Begriff ,,Ortsbild" im
Sinne von § 42 Abs. 2 BauG bzw. § 4 Abs. 3 NO den Gesamtein-
druck, der sich aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Ge-
bäude unter sich und mit ihrer Umgebung ergibt; die räumliche
Struktur des Ganzen macht das Bild aus. Dazu gehört, was von
einem durchschnittlichen Betrachter gleichzeitig überblickt und er-
lebt werden kann; Schutzziel ist dabei die Erhaltung des ,,Charakte-
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
275
ristischen" und des ,,Typischen" (AGVE 1993, S. 383 mit Hinwei-
sen).
bbb) Betroffen ist hier die Landschaftskammer, welche nord-
östlich durch den Wald ,,Falterhau", in den andern Richtungen durch
das Baugebiet der Gemeinde O. begrenzt wird und die Gebiete ,,Egg-
ächer", ,,Aegerten", ,,Weid", ,,Holzächer", ,,Augenweid" und ,,Brei-
tenächer" einschliesst. Dieser Landschaftsausschnitt kennzeichnet
sich durch die Ausrichtung des Geländes nach Südwesten mit Blick-
beziehungen ins Reusstal und bis hin zu den Alpen. Er ist geprägt
von intensiver landwirtschaftlicher Nutzung; durch das Fehlen land-
schaftlicher Strukturelemente wie Obstwiesen, Einzelbäumen und
Hecken wirkt die Landschaft ,,ausgeräumt". Bedeutungsmässig im
Vordergrund steht dabei der Naherholungswert dieser Landschaft;
der offene, grosszügige Landschaftscharakter und die schöne Aus-
sichtslage machen das fragliche Gebiet für Spaziergänger usw. zwei-
fellos attraktiv. Aus der Sicht des Landschaftsschutzes im engern
Sinne ist der Schutzwert des Raums eher gering und jedenfalls aus-
schliesslich von lokaler Bedeutung; geschützte oder schützenswerte
Aspekte des Landschaftsbildes werden grundsätzlich nicht tangiert.
cc) Phasen 4 und 5 (Bedeutung des Vorhabens für die Land-
schaft und Beurteilung der Landschaftsverträglichkeit des Vorha-
bens).
aaa) Die landwirtschaftliche Siedlung des Beschwerdeführers
liegt nicht in einer von Bauten sonst freien Landschaft, sondern
leicht abgesetzt am Rand des Ortsteils O.. Das nächstliegende Wohn-
haus - westlich des Hofs jenseits der Aegertenstrasse - ist rund 50 m
entfernt, der Bebauungsrand mit der Bauzonengrenze - südlich des
Hofs - rund 100 m. Der bezüglich des Ortsbilds sensible Bereich mit
Kirche und älterem Dorfkern weist bereits eine Entfernung von über
200 m auf. Im Weitern befindet sich der Hofstandort in einer leichten
Senke, was bewirkt, dass die Sicht zum Hof praktisch von allen Sei-
ten her von einem Hintergrund abgedeckt wird. Aufgrund solcher
und ähnlicher Überlegungen gelangt auch die kantonale Fachstelle
zur Feststellung, die bestehende Siedlung sei ,,ohne jegliche land-
schaftsbelastende Fernwirkung". Dieser Beurteilung kann sich auch
das Verwaltungsgericht anschliessen.
2001
Verwaltungsgericht
276
bbb) Zu den landwirtschaftlichen Silobauten drängen sich vorab
einige Überlegungen allgemeiner Art auf. In zeitgemässem Verständ-
nis moderner Agrarkultur dürfte ein aus Stahl gefertigter Silo vom
durchschnittlichen Betrachter nicht grundsätzlich als für die betrof-
fene Landschaft art- bzw. charakterfremde Baute wahrgenommen
werden. Zwar treten in Scheunen untergebrachte Silos nach aussen
nicht in Erscheinung und entsprechen sie so dem ,,klassischen" archi-
tektonischen Verständnis landwirtschaftlicher Hofbauten, wogegen
ein offener Futtersilo - als Folge von Material, Farbgebung usw. - als
neues, gleichsam ,,industrielles" Element dominierend in Erschei-
nung tritt und vom Betrachter subjektiv zumindest beim Überragen
der übrigen Hofbauten als störende und damit landschaftsunverträg-
liche Baute wahrgenommen werden kann. Offene Futtersilos werden
aber von milchwirtschaftlich tätigen Betrieben regelmässig einge-
setzt, weshalb sie auch nach einem auf den durchschnittlichen Be-
trachter ausgerichteten, objektivierten Verständnis ohne Weiteres mit
einem Landwirtschaftsbetrieb assoziiert werden. Dementsprechend
disqualifiziert sich ein Silo nicht schon per se als störendes Land-
schaftselement. Vielmehr wirkt er dann landschaftsunverträglich,
wenn er aufgrund seiner Ausmasse, seines Standorts, seiner mate-
riellen und farblichen Ausgestaltung usw. derart in den Vordergrund
rückt, dass er nicht mehr als punktuelles, sich in der weiteren Land-
schaft verlierendes Element wahrgenommen wird, sondern als diese
dominierende und nicht mehr darin integrierte Baute. Dies kann -
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - auch an nicht be-
sonders empfindlichen und erst recht an empfindlichen Standorten
der Fall sein; der von ihm aus § 4 Abs. 3 Satz 4 NO gezogene
Umkehrschluss, dass Bauten der bodenabhängigen Produktion dort
tel quel zulässig seien, erscheint vor dem Hintergrund des überge-
ordneten Rechts nicht haltbar.
Von den in Bezug auf den Landschaftsschutz günstigen Stand-
ortbedingungen (Erw. aaa hievor) profitiert grundsätzlich auch die
fragliche Silobaute. Auch sie steht nicht frei in der Landschaft, son-
dern ist Teil eines bestehenden Hofensembles mit grossvolumigem
Ökonomietrakt, dessen Nutzungsfunktion als Landwirtschaftsbetrieb
deutlich ablesbar ist; die visuelle Wirkung des Silos wird dadurch
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
277
relativiert. Positiv zu vermerken ist auch die dezent wirkende kobalt-
blaue Farbgebung. Das Problem ist indessen die Massstäblichkeit des
Silos. Im Gutachten M., das sich mit dem Silo in der ursprünglichen
(und vom Gemeinderat dann auch bewilligten) Höhe von 14.80 m zu
befassen hatte, wird unter diesem Gesichtspunkt ausgeführt, offene
Futtersilobauten seien in dieser Region wegen ihrer Seltenheit art-
fremd oder zumindest ungewohnt; deshalb stelle sich die Frage der
Massstäblichkeit mit besonderer Schärfe. Weiter wird festgestellt,
weil der geplante Silo den Scheunenfirst um 3.40 bzw. 4.50 m über-
rage, habe die Abdeckwirkung durch das Ökonomiegebäude nur
beschränkte Bedeutung. Der Silo trete wegen seiner Höhe aus allen
Blickrichtungen mehr oder weniger in Erscheinung und verschwinde
von den öffentlich zugänglichen Wegen rund um den Hof aus nie
ganz aus dem Blickfeld. Er werde die unmittelbare Umgebung stark
prägen; vor allem in der dominanten Längs-Blickachse (von Süd-
osten nach Nordwesten) stehe er praktisch ungeschützt neben dem
Gebäude. Es ist keine Frage, dass diese Feststellungen, denen das
Verwaltungsgericht vollumfänglich beipflichten kann, bei einer noch
höheren Silobaute umso mehr gelten müssen. Mit einer Höhe von
20.40 m wirkt der Silo überproportioniert. Er durchstösst den Hori-
zont von mehreren Blickpunkten aus deutlich, so beispielsweise vom
Rand des Waldes ,,Falterhau" sowie von den Gebieten ,,Fal-
ter"/,,Eggächer", ,,Ägerten", ,,Augenweid" und ,,Holzächer" aus;
vom Aussichtspunkt ,,Allmend" und vom Gebiet ,,Ufgentenmatten"
aus erscheint der Silo in südwestlicher Richtung über dem Horizont
der Reusslandschaft, bevor das Ökonomiegebäude sichtbar wird.
Besonders dort, wo der Silo vom Betrachter nicht einem Landwirt-
schaftsbetrieb zugeordnet werden kann, wirkt er als das Blickfeld
dominierender, exponierter, überdimensionierter und darum stören-
der Fremdkörper. Im Ganzen gesehen vermag er sich nicht ausrei-
chend in die Landschaftsstruktur einzugliedern. Die Vorinstanzen
sind daher zu Recht zum Schluss gelangt, es fehle an der Land-
schaftsverträglichkeit.
dd) Phase 6 (Abwägung des konkreten Landschaftsschutzinter-
esses gegenüber den beteiligten privaten und andern öffentlichen
Interessen und Entscheid).
2001
Verwaltungsgericht
278
Der Umstand, dass die Erhöhung des Silos (eigenmächtig) be-
reits erfolgt ist, darf bei dieser Interessenabwägung nicht berück-
sichtigt werden; der Entscheid ist so zu treffen, wie wenn die Erhö-
hung des Silos von 15.90 auf 20.40 m in einem ordentlichen (nicht
nachträglichen) Baubewilligungsverfahren zur Diskussion stünde
(vgl. AGVE 1992, S. 348). In dieser Optik überwiegen die öffentli-
chen Interessen des Landschaftsschutzes. Auch wenn berücksichtigt
wird, dass es an spezifischen Schutzvorgaben fehlt (Erw. aa hievor)
und die Tragweite des Eingriffs über das Lokale nicht hinausreicht
(Erw. bb/bbb hievor), bleibt der Gesamteindruck einer relativ massi-
ven Störung des Landschaftsbildes. Der Silo erscheint trotz der vor-
teilhaften Farbwahl aufgrund seiner schlanken Silhouette und der
deutlichen Mehrhöhe gegenüber den andern Ökonomiebauten als
solitärer Fremdkörper in der fraglichen Landschaftskammer. Wenn
sich der Gemeinderat daran stösst, dass der Silo von zahlreichen
Blickrichtungen aus den Horizont überragt und damit einen wesentli-
chen Aspekt dieses Landschaftsausschnitts, nämlich den freien Blick
ins Reusstal hinunter, zu den gegenüberliegenden Höhenzügen und
zum Alpenkranz, relativiert, so ist dies durchaus verständlich. Zu
beachten ist hier auch, dass dem Gemeinderat - wie bei allen Ästhe-
tikfragen - aufgrund der Gemeindeautonomie (§ 106 KV) ein erheb-
licher Ermessensspielraum zusteht, den das auf die Rechtskontrolle
beschränkte (§ 56 VRPG) Verwaltungsgericht zu respektieren hat;
das Gericht auferlegt sich in solchen Fällen angemessene Zurück-
haltung und greift jedenfalls dann nicht korrigierend ein, wenn sich
die ästhetische Wertung der Vorinstanzen auf vernünftige Gründe
stützen lässt, selbst wenn andere, ebenfalls vertretbare Lösungen
denkbar wären (vgl. AGVE 1995, S. 334 mit Hinweis). Die privaten
Interessen des Beschwerdeführers erweisen sich demgegenüber als
zweitrangig. Zwar erweist sich die Aufstockung des bestehenden
Harvestore-Silos von 15.90 m um 4.50 m auf 20.40 m, die mit Anla-
gekosten von Fr. 9'000.-- realisiert werden konnte, klar die kosten-
günstigste und auch sonst vorteilhafteste Lösung; alle Varianten, die
mit einem Wechsel vom Harvestore-System auf ein anderes Silie-
rungssystem verbunden sind (Hochsilo aus Kunststoff oder Holz;
Fahr- oder Flachsilo), kosten zwischen Fr. 50'000.-- und 60'000.--,
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
279
also ein Mehrfaches davon und sind mit zusätzlichen wirtschaftli-
chen Nachteilen (schlechtere Futterqualität usw.) behaftet. Der Be-
schwerdeführer hätte aber zumindest zwei Alternativen gehabt, die
ihm letztlich zumutbar gewesen wären. So hätte er statt der Aufsto-
ckung einen zweiten Harvestore-Silo erstellen können; dass der
kleinstmögliche Silotyp ein Volumen von 180 m
3
(also rund das
Doppelte des damaligen Bedarfs) aufweist, muss nicht von vornher-
ein unwirtschaftlich sein, da die Ausbaugrenze des Landwirtschafts-
betriebs nach Ansicht des als Landwirt fachkundigen Verwaltungs-
richters noch nicht erreicht ist und somit eine entsprechende Mehr-
investition lediglich zeitlich vorgezogen wäre. Eine weitere Silie-
rungsmöglichkeit bietet sich in Form von ,,Folien-Würsten" an, die
zumindest als Not- oder Übergangslösung in Betracht gezogen wer-
den können. Die entsprechende Kostenberechnung im Gutachten E.
ist dabei zu relativieren, da dieses mit einer Benutzungsdauer von
20 Jahren rechnet (was angesichts der Wachstumsperspektiven des
Betriebs für eine Übergangslösung unwahrscheinlich ist) und die An-
legung eines betonierten Platzes derzeit nicht erforderlich ist, womit
sich der vom Gutachter angenommene Investitionsaufwand von
Fr. 63'600.-- ganz erheblich reduzieren dürfte. Allerdings bleibt auch
hier als Nachteil die schlechtere Futterqualität. So oder so erweist
sich im Ergebnis die Auffassung des Gemeinderats, dass die Erhö-
hung des Silos auf 20.40 m in Würdigung aller massgeblichen Um-
stände mit den Anforderungen von § 4 Abs. 3 und § 13 Abs. 4 und 5
NO nicht in Einklang gebracht werden kann, als durchaus haltbar.
Die Rechtmässigkeit des Bauvorhabens ist somit zu verneinen.
5. (...)
6. a) Wird durch die Errichtung von Bauten ohne Bewilligung,
unter Verletzung einer solchen oder auf andere Weise ein unrecht-
mässiger Zustand geschaffen, so kann u.a. die Herstellung des recht-
mässigen Zustandes, insbesondere die Beseitigung oder Änderung
der rechtswidrigen Bauten angeordnet werden (§ 159 Abs. 1 BauG).
Dabei sind die in diesem Zusammenhang massgebenden allgemeinen
verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Prinzipien des Bundes-
rechts zu beachten. Zu ihnen gehören die Grundsätze der Verhältnis-
mässigkeit und des Schutzes des guten Glaubens. So kann der Ab-
2001
Verwaltungsgericht
280
bruch unterbleiben, wenn die Abweichung vom Erlaubten nur unbe-
deutend ist oder der Abbruch nicht im öffentlichen Interesse liegt,
ebenso wenn der Bauherr in gutem Glauben angenommen hat, er sei
zur Bauausführung ermächtigt. Schliesslich dürfen der Beibehaltung
des ungesetzlichen Zustandes nicht schwerwiegende öffentliche In-
teressen entgegenstehen (BGE 123 II 255; 111 Ib 221 ff.).
b) Die Überschreitung der bewilligten bzw. tolerierten Silohöhe
um 5.60 m bzw. 4.50 m kann - wie den Ausführungen in Erw. 4/c
hievor zu entnehmen ist - nicht als geringfügige Abweichung vom
Erlaubten qualifiziert werden. Die Aufstockung des Silos auf eine
Gesamthöhe von 20.40 m stellt einen empfindlichen Eingriff in das
Landschaftsbild dar. Schon aus Gründen der Rechtsgleichheit, aber
auch zum Schutze der baurechtlichen Ordnung besteht gerade bei der
Beurteilung von Bauten ausserhalb der Bauzonen ein erhebliches
Interesse daran, dass der ungesetzliche Zustand wieder beseitigt wird
(AGVE 1999, S. 236 mit Hinweis). Andere Optimierungsmöglich-
keiten als die Reduktion des Silos auf die tolerierte Höhe von
15.90 m gibt es zwar, doch vermögen sie die Beeinträchtigung nicht
wirksam genug zu mildern; eine Plazierung des Silos an der Stirn-
seite der Scheune gegen Südosten unter maximaler Nutzung der Ab-
deckwirkung der Firsthöhe des Ökonomiegebäudes von gut 11 m
trüge zwar zur optischen "Verschmelzung" des Silos mit dem Hof-
komplex bei, doch wäre damit für das ungünstige Verhältnis des
obersten Siloteils zur Horizontlinie nichts gewonnen, und auch mit-
tels einer geeigneten Bepflanzung erscheinen mehr als "kosmetische"
Verbesserungen kaum denkbar.
Unbestritten ist, dass die Entfernung des aufgestockten Siloteils
mit Kosten von rund Fr. 10'000.-- verbunden ist und zusätzliche
Kosten dadurch entstehen, dass das ausgewiesene Betriebsbedürfnis
für 87 m
3
zusätzlichen Siloraum anderweitig befriedigt werden muss
(vgl. Erw. 4/c/dd hievor). Diese Kosten fallen indessen nicht derart
ins Gewicht, dass sie das öffentliche Interesse an der Durchsetzung
landschaftsgestalterischer Anliegen der Gemeinde aufwiegen oder
gar überwiegen. Demgegenüber legt es der Umstand, dass der Be-
schwerdeführer von den Bedürfnissen seines Betriebs her mit grosser
Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit erneut zusätzlichen Siloraum
2001
Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht
281
wird schaffen müssen (vgl. Erw. 4/c/dd hievor), nahe, ein zeitliches
Moment in die Beurteilung miteinzubeziehen. Diese Überlegung hat
schon im vorinstanzlichen Verfahren zum Vorschlag geführt, den Silo
auf der derzeitigen Höhe zu belassen, bis sich die erwähnten
Bedürfnisse aktualisieren, und die Redimensionierung auf diesen
Zeitpunkt zu verschieben; zu einem gemeinsamen Antrag der Verfah-
rensbeteiligten kam es dann allerdings nicht. Auch vor Verwaltungs-
gericht stand die gleiche Frage erneut zur Diskussion, doch lagen die
Standpunkte der Beteiligten auch hier zu weit auseinander. Das Ver-
waltungsgericht ist zur Auffassung gelangt, dass nur eine solche Lö-
sung den Anforderungen des Verhältnismässigkeitsprinzips gerecht
wird. Einerseits erscheint es verantwortbar, wenn die mangelnde Ein-
fügung des Silos ins Landschaftsbild über beschränkte Zeit perpe-
tuiert wird. Anderseits muss der Beschwerdeführer, sobald er zusätz-
lichen Siloraum schaffen will und dafür eine Baubewilligung be-
nötigt, den rechtmässigen Zustand wiederherstellen und seine be-
trieblichen Bedürfnisse anderweitig abdecken. Keine Rücksicht ist
dabei darauf zu nehmen, ob sich die künftigen Zusatzbedürfnisse auf
die Mais- oder Grassilage beziehen, diese beiden Komponenten sind
nach Auffassung des Fachrichters gegenseitig kompensierbar, wes-
halb das Betriebskonzept des Beschwerdeführers nicht in Frage ge-
stellt wird. In diesem Sinne ist die Beschwerde teilweise gutzuheis-
sen.
7. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass sich die Auf-
stockung des fraglichen Silos auf die Gesamthöhe von 20.40 m als
unrechtmässig erweist, dass aber von einer Wiederherstellung des
rechtmässigen Zustands im heutigen Zeitpunkt abgesehen und dem
Beschwerdeführer bzw. einem allfälligen Rechtsnachfolger auferlegt
wird, innert einem Monat nach der Realisierung einer baubewilli-
gungspflichtigen Änderung des betriebseigenen Siloraums die Silo-
höhe auf 15.90 m zu reduzieren. | 5,589 | 4,418 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2001-62_2000-07-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-62.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-62.pdf | AGVE_2001_62 | null | nan |
b41c3d26-7e92-5400-a61f-750b0b4f1d96 | 1 | 412 | 871,085 | 1,470,096,000,000 | 2,016 | de | 2016
Migrationsrecht
139
III. Migrationsrecht
20
Durchsetzungshaft; Haftüberprüfung; Konsumation Wegweisungsent-
scheid; Subsidiarität der Durchsetzungshaft
-
Verlässt ein Betroffener die Schweiz nachdem gegen ihn eine Weg-
weisungsverfügung erging und wird er später wegen rechtswidriger
Einreise verurteilt, gilt der entsprechende Wegweisungsentscheid als
konsumiert und kann nicht mehr als Grundlage für eine migrations-
rechtliche Administrativhaft dienen.
-
Liegt zwischen den letzten Ausschaffungsversuchen und der Anord-
nung der Durchsetzungshaft eine erhebliche Zeitspanne (hier rund
vier Jahre), ist ein Vollzugshindernis im Sinne von Art. 78 Abs. 1
AuG erst dann anzunehmen, wenn erneut unbegleitete und gege-
benenfalls begleitete Ausschaffungsversuche gescheitert sind.
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 12. August 2016, in Sachen Amt für Migration und Integration gegen A.
(WPR.2016.131).
Aus den Erwägungen
3.
3.1.
Zu prüfen ist, ob ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsent-
scheid vorliegt.
Wegweisungsverfügungen stellen im Gegensatz zu anderen
migrationsrechtlichen Verfügungen wie z.B. dem Einreiseverbot,
keine Dauerverfügungen dar. Kommt eine betroffene Person der Ver-
fügung nach oder wird die Verfügung zwangsweise vollzogen, gilt
sie als konsumiert. Reist die betroffene Person erneut in die Schweiz
ein, ist somit eine neue Wegweisungsverfügung zu erlassen, die in
2016
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
140
Rechtskraft zu erwachsen hat, ehe gestützt darauf eine Durch-
setzungshaft angeordnet werden kann.
3.2.
Am 8. Juni 2011 trat das BFM auf das Asylgesuch des Gesuchs-
gegners nicht ein und wies ihn auf den Tag nach Eintritt der Rechts-
kraft des Entscheids aus der Schweiz weg. Gegen diesen Entscheid
erhob der Gesuchsgegner beim Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerde, welche mit Entscheid vom 16. Juni 2011 abgewiesen
wurde. In der Folge erwuchs der Entscheid des BFM in Rechtskraft.
3.3.
Der Gesuchsteller legt der angeordneten Durchsetzungshaft die
Wegweisungsverfügung des BFM vom 8. Juni 2011 zugrunde. Mit
Urteil vom 17. Juli 2013 verurteilte die Bundesanwaltschaft den Ge-
suchsgegner unter anderem wegen rechtswidriger Ein- oder Ausreise
(Art. 115 Abs. 1 lit. a AuG), da dieser zu einem nicht bekannten Zeit-
punkt wieder in die Schweiz eingereist ist. Gemäss eigenen Angaben
hielt sich der Gesuchsgegner gelegentlich in Frankreich auf, um auf
einem Bauernhof zu arbeiten.
Nach Auffassung des Gesuchstellers wurde die Wegweisungs-
verfügung trotz zwischenzeitlichen Verlassens der Schweiz nicht
konsumiert. Der Gesuchsgegner habe sich nur jeweils kurzzeitig im
Grenzgebiet Frankreich-Schweiz aufgehalten. Ein längerer Aufent-
halt im Ausland sei nicht erstellt.
3.4.
Dem kann nicht gefolgt werden. Verlässt ein Betroffener die
Schweiz nachdem gegen ihn eine Wegweisungsverfügung erging und
wird er später wegen rechtswidriger Einreise verurteilt, wäre es
widersprüchlich, im migrationsrechtlichen Verfahren davon auszu-
gehen, er habe die Schweiz nicht verlassen. Nach dem Gesagten ist
davon auszugehen, dass der Gesuchsgegner die Schweiz verlassen
hat, nachdem er durch das BFM aus der Schweiz weggewiesen wor-
den war. Der entsprechende Wegweisungsentscheid wurde damit
konsumiert und kann nicht erneut Grundlage für eine migrations-
rechtliche Administrativhaft bilden.
2016
Migrationsrecht
141
3.5.
Da bislang keine weitere Wegweisung gegen den Gesuchsgeg-
ner erging, ist die angeordnete Durchsetzungshaft bereits mangels
rechtskräftigen Wegweisungsentscheids nicht zu bestätigen.
4.
Im Übrigen wäre die Anordnung einer Durchsetzungshaft auch
aufgrund ihres subsidiären Charakters zur Anordnung einer Aus-
schaffungshaft zu verweigern.
Wie die Vorinstanz richtig bemerkt hat, scheiterte die Ausschaf-
fung des Gesuchsgegners sowohl mittels unbegleiteten wie auch be-
gleiteten Rückflugs. Zudem musste ein bereits gebuchter Rückflug
annulliert werden, da der Gesuchsgegner seine Bereitschaft zur
Rückkehr widerrufen hatte.
Aufgrund der erheblichen Zeitspanne, die zwischen den letzten
Ausschaffungsversuchen und der Anordnung der Durchsetzungshaft
liegt, kann auf die Ausschaffungsversuche im heutigen Zeitpunkt
nicht mehr abgestellt werden. Vielmehr ist zunächst erneut zu ver-
suchen, den Gesuchsgegner mittels unbegleiteten und gegebenenfalls
begleiteten Rückflugs auszuschaffen. Erst wenn dies aufgrund des
persönlichen Verhaltens des Gesuchsgegners scheitert, liegt ein Voll-
zugshindernis im Sinn von Art. 78 Abs. 1 AuG vor und ist die Anord-
nung einer Durchsetzungshaft gerechtfertigt. | 995 | 775 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2016-20_2016-08-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2016-20.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2016-20.pdf | AGVE_2016_20 | null | nan |
b4691a84-bfbb-5f28-9312-fb21f643a9b0 | 1 | 412 | 871,710 | 1,065,052,800,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsgericht
116
[...]
34 Kanalisationsanschlussgebühr.
- Abgabeschuldner, wenn zwischen Baubewilligung (mit vorläufiger
Abgabenerhebung) und definitiver Abgabenerhebung nach der Fest-
setzung des Brandversicherungswertes ein Eigentümerwechsel erfolgt.
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 28. Oktober 2003 in
Sachen Baukonsortium B. gegen Entscheid des Baudepartements.
2003
Abgaben
117
Aus den Erwägungen
3. a) Die einmaligen Kanalisationsanschlussgebühren (§ 34
Abs. 1 lit. a des Abwasserreglements der Gemeinde S. [AR] vom
30. November 1990) betragen für Mehrfamilienhäuser 4 % des
Brandversicherungswertes einschliesslich Zusatz- und Teuerungszu-
satzversicherungen (§ 39 Abs. 2 lit. b AR) und werden wie folgt
erhoben: Der Gemeinderat erhebt bei der Erteilung der Bau- bzw.
Anschlussbewilligung eine Vorauszahlung für die mutmassliche An-
schlussgebühr auf Grundlage der geschätzten Baukosten (§ 35
Abs. 1 AR; nachfolgend als erste Abgabenverfügung bezeichnet).
Nach der definitiven Schätzung der Baute durch das AVA erlässt der
Gemeinderat die "bereinigte Zahlungsverfügung" (§ 35 Abs. 2 AR;
nachfolgend: zweite Abgabenverfügung). Schuldner der Abgaben ist
gemäss § 37 Abs. 1 AR "der jeweilige Grundeigentümer".
Diese Regelung, die im Normalfall, wenn der Grundeigentümer
auch Bauherr ist und zwischen Baubewilligung und Abgaben-
erhebung kein Eigentümerwechsel erfolgt, unproblematisch sein
mag, ermangelt der Klarheit, wenn das Baugrundstück verkauft wird,
bevor die Erhebung der Kanalisationsanschlussgebühr abgeschlossen
ist, und muss für diesen Sachverhalt ausgelegt werden.
Für die Vorauszahlung (erste Abgabenverfügung) ist die Ertei-
lung der Bau- bzw. Anschlussbewilligung zeitlich massgeblich. Es
kann hier offen gelassen werden, ob in jedem Fall der dannzumalige
Grundeigentümer die Vorauszahlung schuldet (§ 35 Abs. 1 i.V.m.
§ 37 Abs. 1 AR) oder gegebenenfalls der Bauherr. Für die definitive
Festsetzung der Kanalisationsanschlussgebühr (zweite Abgabenver-
fügung) scheint es auf den ersten Blick auf das Eigentum im Zeit-
punkt der Schätzung durch das AVA oder der zweiten Abgabenverfü-
gung anzukommen (§ 35 Abs. 2 i.V.m. § 37 Abs. 1 AR). Damit ent-
stünde indessen ein Widerspruch zu den Grundlagen der Erhebung
einer Kanalisationsanschlussgebühr. Der damals noch in Kraft ste-
hende § 15 Abs. 1 EGGSchG schrieb den Gemeinden vor, Beiträge
und Gebühren für die Erstellung, den Betrieb und den Unterhalt der
öffentlichen Abwasseranlagen zu erheben, diese im kommunalen
Abwasserreglement festzulegen und in Anwendung des Verursacher-
2003
Verwaltungsgericht
118
prinzips oder nach Vorteil abzustufen. Die Kanalisationsanschluss-
gebühr soll als Gebühr oder Vorzugslast den Vorteil abgelten, der
dem Grundeigentümer durch die Erstellung der Kanalisation und die
Möglichkeit, daran anzuschliessen (als Voraussetzung für die Über-
baubarkeit), erwächst (vgl. AGVE 2003 33, S. 112 f.; Ulrich Häfe-
lin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zü-
rich/Basel/Genf 2002, Rz.
2647, 2650). Dieser Vorteil entsteht
spätestens im Zeitpunkt des tatsächlichen Anschlusses. Dass dieser
Gedanke auch dem AR zu Grunde liegt, kann zumindest aus § 36
Abs. 1 AR abgeleitet werden, wonach die 10-jährige Verjährungsfrist
für einmalige Abgaben "beginnt, sobald der Abgabegrund eingetreten
ist". Mit dem Eintritt des Abgabegrundes für die Anschlussgebühr
kann einzig der Kanalisationsanschluss gemeint sein; mit der
späteren Gebäudeschätzung des AVA wird nicht der Abgabegrund
gesetzt, sondern die Grundlage für die Abgabenberechnung geschaf-
fen. Demgegenüber lässt sich das Abstellen auf das Eigentum im
Zeitpunkt der zweiten Abgabenverfügung sachlich kaum begründen
und hätte zur Folge, dass der Schuldner bei einem Eigentümerwech-
sel durch den Zufall bestimmt wird. Zusammenfassend ist somit
festzuhalten, dass der Grundeigentümer im Zeitpunkt des Kanalisati-
onsanschlusses Schuldner der zweiten Abgabenverfügung ist.
(Redaktionelle Anmerkung: Eine gegen diesen Entscheid
erhobene staatsrechtliche Beschwerde hat das Bundesgericht am 3.
Juni 2004 abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist
[2P.311/2003]). | 947 | 743 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-34_2003-10-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-34.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-34.pdf | AGVE_2003_34 | null | nan |
b4ebe36f-8fb4-5abe-815f-a355e4790683 | 1 | 412 | 870,028 | 1,254,614,400,000 | 2,009 | de | 2009
Verwaltungsrechtspflege
291
[...]
56 Alimentenbevorschussung;
Beschwerdelegitimation
-
Fehlende Legitimation des Unterhaltsschuldners zur Anfechtung ei-
ner Alimentenbevorschussung
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 30. Oktober 2009 in Sa-
chen M.M. gegen das Bezirksamt Bremgarten (WBE.2009.303).
Aus den Erwägungen
1.
Die Beschwerde an das Verwaltungsgericht ist gemäss § 54
VRPG zulässig gegen letztinstanzliche Entscheide der Verwal-
tungsbehörden. Gemäss § 58 SPG können Verfügungen und Ent-
scheide der Sozialbehörden mit Beschwerde beim Bezirksamt ange-
fochten werden (Abs. 1). Dessen Entscheid kann an das Verwal-
tungsgericht weitergezogen werden (Abs. 2). Das Verwaltungsgericht
ist somit zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig.
Gerügt werden können nur die unrichtige oder unvollständige
Sachverhaltsfeststellung sowie Rechtsverletzungen, nicht aber Er-
messensfehler (§ 58 Abs. 4 SPG i.V.m. § 55 Abs. 1 VRPG).
2.
2.1.
Gemäss § 42 lit. a VRPG ist zur Beschwerdeführung befugt,
wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutz-
2009
Verwaltungsgericht
292
würdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (mate-
rielle Beschwer). Dieses Interesse kann rechtlicher oder auch bloss
tatsächlicher Natur sein. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor,
wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdefüh-
rers durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Es
besteht im praktischen Nutzen, den die erfolgreiche Beschwerde dem
Beschwerdeführer eintragen würde, das heisst in der Abwendung
eines materiellen oder ideellen Nachteils, den der angefochtene
Entscheid für ihn zur Folge hätte (AGVE 2002, S. 279 f.; Michael
Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem
aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar
zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 38 N 129).
Sodann muss die beschwerdeberechtigte Partei zusätzlich zum
schutzwürdigen Interesse ein aktuelles und praktisches Interesse an
der Beschwerdeführung dartun (AGVE 1998, S. 351). Damit soll
sichergestellt werden, dass die rechtsanwendende Behörde konkrete
und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet (AGVE 1999, S. 353
mit Hinweisen).
Die Legitimation zur Beschwerde ist eine Sachurteilsvorausset-
zung und von Amtes wegen zu prüfen. Die Prüfung umfasst das Vor-
liegen der Sachurteilsvoraussetzungen im vorinstanzlichen Verfahren
(Merker, a.a.O., Vorbem. zu § 38 N 3 f.).
2.2.
2.2.1.
In Ziffer 1 der Verfügung vom 11. Mai 2009 gewährte der Ge-
meinderat X. die Bevorschussung der Unterhaltsbeiträge. Adressatin
dieser Anordnungen ist J.M., und nur im Verhältnis zu ihr hat die Ge-
meinde ein Rechtsverhältnis begründet und gestaltet. Das SPG regelt
in §§ 32 ff. (§§ 32 - 38) die Ausrichtung von Vorschüssen für den
Unterhalt der Kinder, wenn die Eltern ihre Pflichten nicht erfüllen
(Art. 293 Abs. 2 ZGB). Die Unterhaltsbeiträge werden vom Zivil-
richter festgelegt, und ein vollstreckbarer Entscheid gegenüber dem
zivilrechtlich zum Unterhalt Verpflichteten bildet eine Voraussetzung
für die Bevorschussung (§ 33 lit. b SPG). Mit dem Urteil des Ge-
richtspräsidiums Bremgarten vom 31. März 2009, worin sowohl die
Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seinen Kindern als auch die
2009
Verwaltungsrechtspflege
293
Höhe des Unterhaltsanspruches festgelegt wurden, ist diese Voraus-
setzung erfüllt. Gegen das Urteil des Bezirksgerichts Bremgarten
vom 31. März 2009 wurde beim Obergericht des Kantons Aargau
Beschwerde geführt. Gemäss § 298 Abs. 4 ZPO sind die im erstin-
stanzlichen Urteil festgelegten Unterhaltsbeiträge sofort vollstreck-
bar, sofern das Obergericht nichts anderes anordnet. Der Beschwer-
deführer ist durch Ziffer 1 des Gemeinderatsbeschlusses in seinen
Rechten und Pflichten nicht unmittelbar betroffen und besitzt im
vorliegenden Verfahren auch keine Parteistellung. Ein Rechts-
schutzinteresse des Beschwerdeführers an der Aufhebung der Bevor-
schussung der Unterhaltsbeiträge für seine Kinder ist nicht auszu-
machen. Er ist somit nicht legitimiert, Beschwerde gegen Ziffer 1 des
Gemeinderatsbeschlusses vom 11. Mai 2009 einzureichen. Bei Ziffer
2 und Ziffer 3 des Gemeinderatsbeschlusses handelt es sich lediglich
um Anweisungen an die Finanzverwaltung und nicht um Verfü-
gungen, womit diese keine möglichen Anfechtungsobjekte nach § 41
VRPG darstellen. Bei Ziffer 4 handelt es sich um einen Hinweis, der
sich an die Ehefrau richtet, und einen Verweis auf Rechts-
vorschriften. Dieser weist ebenfalls keinen Verfügungscharakter auf
und kann somit auch nicht mit einer Beschwerde angefochten wer-
den.
2.2.2.
Die Unterhaltsbeiträge, welche die Gemeinde X. bevorschusst
hat, können nach § 37 Abs. 1 SPG vom unterhaltspflichtigen Eltern-
teil zurückgefordert werden. Die geschuldete Unterhaltsleistung
bleibt aber unabhängig von der Bevorschussung gleich hoch und
richtet sich nach dem Urteil des Gerichtspräsidiums Bremgarten vom
31. März 2009 bzw. dem (noch zu ergehenden) Urteil der Beschwer-
deinstanz. Durch die Bevorschussung entsteht keine neue Forderung
gegenüber dem Unterhaltspflichtigen. Es findet lediglich ein Gläubi-
gerwechsel statt, da die Gemeinde X. im Umfang der Bevorschus-
sung von Gesetzes wegen Gläubiger der Unterhaltsbeiträge wird
(Art. 289 Abs. 2 ZGB). Der mögliche Rahmen, in dem die Gemeinde
X. zur Rückforderung berechtigt ist, wird von den Zivilurteilen fest-
gelegt und verändert sich durch die Bevorschussung in keiner Weise.
Die Alimentenbevorschussung ist daher kein Nachteil, den der Be-
2009
Verwaltungsgericht
294
schwerdeführer durch eine Beschwerde abwenden könnte. In einem
zivilrechtlichen (Rück-) Forderungsverfahren der Gemeinde X. ge-
gen den Beschwerdeführer kann dieser geleistete Zahlungen zur
Verrechnung stellen und Einreden gegen den Bestand und die Höhe
(Art. 81 Abs. 1 SchKG), nach Massgabe der ihm im rechtskräftigen
Zivilurteil auferlegten Unterhaltsverpflichtung, vorbringen.
2.2.3.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Be-
schwerdeführer in den eigenen Interessen durch die Verfügung des
Gemeinderates X. nicht beeinträchtigt ist. Weder seine tatsächliche
noch rechtliche Situation wird durch den Ausgang des Beschwerde-
verfahrens beeinflusst. Er schuldet die vom Scheidungs- oder Ehe-
schutzrichter festgesetzten Unterhaltsbeiträge, ob sie nun von der
Gemeinde X. bevorschusst werden oder nicht. Ein praktischer Nut-
zen, den eine erfolgreiche Beschwerde dem Beschwerdeführer ein-
bringen kann, ist nicht ersichtlich (AGVE 2002, S. 279 f. mit Hin-
weisen).
Zusammenfassend fehlt dem Beschwerdeführer ein Rechts-
schutzinteresse an der Aufhebung und Abänderung des Beschlusses
vom 11. Mai 2009 und damit an der Aufhebung und Abänderung des
angefochtenen Beschwerdeentscheids.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann somit nicht ein-
getreten werden.
2.3.
Die Sachurteilsvoraussetzungen der Vorinstanz müssen vom
Verwaltungsgericht von Amtes wegen geprüft werden (siehe vorne
Erw. 2.1). Die fehlende Legitimation des Beschwerdeführers (siehe
vorne Erw. 2.2.3) betrifft auch die Sachurteilsvoraussetzung im Be-
schwerdeverfahren vor der Vorinstanz. Die Vorinstanz ist dement-
sprechend zu Unrecht auf die Beschwerde eingetreten. Der ange-
fochtene Entscheid ist von Amtes wegen zu berichtigen. Aus verfah-
rensökonomischen Gründen findet aber keine Rückweisung an die
Vorinstanz statt (§ 49 VRPG). | 1,681 | 1,305 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2009-56_2009-10-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2009-56.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2009-56.pdf | AGVE_2009_56 | null | nan |
b4edcf55-c318-5f72-8eed-a24b5eee5765 | 1 | 412 | 871,194 | 1,354,579,200,000 | 2,012 | de | 2012
Sozialhilfe
193
VI. Sozialhilfe
28 Unterstützungswohnsitz;
Abschiebungsverbot
-
Der Nachweis des Wegzugs obliegt dem Gemeinwesen, das aus dem
Wegzug Rechte ableitet, d.h. dessen Unterstützungspflicht mit dem
Wegzug grundsätzlich erlischt.
-
Eine Abschiebung im Sinne von Art. 10 des Zuständigkeitsgesetzes
kann auch bei der pflichtwidrigen Verweigerung von Sozialhilfe-
leistungen vorliegen, welche eine unmittelbar bevorstehende Ob-
dachlosigkeit verhindert hätten.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 13. Dezember 2012 in Sa-
chen Einwohnergemeinde A. gegen B., Regierungsrat und Gemeinderat C.
(WBE.2012.261).
Aus den Erwägungen
3.3.2.
Das kantonale Sozialhilferecht und das ZUG definieren den
Begriff des Wegzugs nicht näher. Negativ wird einzig festgelegt, dass
bei zweifelhaftem Zeitpunkt eines Wegszugs der Zeitpunkt der
polizeilichen Abmeldung gilt (§ 9 Abs. 2 ZUG). Thomet ist der An-
sicht, wegziehen bedeute, dass eine Person nicht mehr an diesem Ort
wohnhaft und niedergelassen sein wolle und nach Aufgabe der Un-
terkunft mit ihrem Gepäck oder ihrem gesamten Hausrat das Kan-
tonsgebiet bzw. die Gemeinde verlasse (Werner Thomet, Kommentar
zum ZUG, Zürich 1994, Rz. 146). Die gleiche Auslegung verwendet
auch das Handbuch Sozialhilfe des Kantonalen Sozialdienstes (KSD)
(Kapitel 4, Ziff. 4.4.4, S. 26). Unterhält eine bedürftige Person
gleichzeitig zu mehreren Orten persönliche Beziehungen, so ist der
Ort mit den intensivsten Beziehungen zu ermitteln und massgebend,
2012
Verwaltungsgericht
194
d.h. der Mittel- oder Schwerpunkt der Lebensbeziehungen (Thomet,
a.a.O., Rz. 98 mit Hinweis).
Der Nachweis des Wegzugs obliegt dem Gemeinwesen, das aus
dem Wegzug Rechte ableitet, d.h. dessen Unterstützungspflicht mit
dem Wegzug des Bedürftigen (grundsätzlich) erlischt (vgl. Thomet,
a.a.O., Rz. 151). Vorliegend hat somit die Beschwerdeführerin zu
beweisen, dass die Beschwerdegegnerin aus der Gemeinde A. weg-
gezogen ist. Aufgrund der Bestimmungen im ZUG und SPG ist dabei
unbeachtlich, ob die Beschwerdegegnerin in C. einen neuen
Unterstützungswohnsitz begründete (kein fiktiver Wohnsitz). Ist eine
unterstützte Person weggezogen, ohne einen neuen Wohnsitz zu
begründen, obliegt die allfällige Unterstützungspflicht der Gemeinde
am Aufenthaltsort (§ 6 Abs. 1 SPG; vgl. zur Regelung im ZUG: Ur-
teil des Bundesgerichts vom 5. Juli 2010 [8C
_
223/2010], Erw. 3.1).
3.3.3. (...)
4.
4.1.
Das Abschiebungsverbot des ZUG richtet sich an alle Behörden
und verbietet, den Wegzug aus dem Wohnkanton bzw. der Wohn-
gemeinde zu veranlassen. Verboten ist insbesondere, den Bedürftigen
aus dem Kanton bzw. der Gemeinde wegzuweisen oder ihn durch
behördliche Schikanen zum Wegzug zu bewegen. Nach dem Wort-
laut von Art. 10 Abs. 1 ZUG ist es hingegen erlaubt, einen im In-
teresse des Bedürftigen liegenden Wegzug zu veranlassen (vgl.
Thomet, a.a.O., Rz. 156 ff.). Bei Widerhandlungen gegen dieses
Verbot bleibt der Unterstützungswohnsitz des Bedürftigen am bishe-
rigen Wohnort so lange bestehen, als er ihn ohne den behördlichen
Einfluss voraussichtlich nicht verlassen hätte, längstens aber wäh-
rend fünf Jahren (Art. 10 Abs. 2 ZUG).
4.2. - 4.4. (...)
4.5.
4.5.1.
Unter einer Abschiebung ist ein behördliches Verhalten zu ver-
stehen, das darauf ausgerichtet ist, den Wegzug eines Bedürftigen zu
bewirken, obschon dieser nicht in dessen Interesse liegt. Solches
Verhalten kann darin bestehen, dass die Behörde im eigenen Inter-
2012
Sozialhilfe
195
esse auf unfaire Weise aktiv wird, sei es, dass sie auf Vermieter oder
Arbeitgeber des Bedürftigen Einfluss nimmt, sei es, dass sie dem
Bedürftigen für den Fall, dass er wegzieht, finanzielle oder andere
Vorteile in Aussicht stellt. Möglich ist auch, dass die Behörde dem
Bedürftigen mit Nachteilen droht für den Fall, dass er den Unterstüt-
zungswohnsitz nicht aufzugeben gedenkt. Auch die pflichtwidrige
Verweigerung betreuender Sozialhilfe kann den Zweck haben, einen
Bedürftigen zum Wegzug zu veranlassen (vgl. Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Januar 2009
[B 2008/95], Erw. 2.2.2.1).
4.5.2.
Zuständig und zur wirksamen Hilfeleistung verpflichtet ist die
Gemeinde am Unterstützungswohnsitz, bei Personen ohne Unterstüt-
zungswohnsitz und im Notfall die Gemeinde am Aufenthaltsort der
Hilfe suchenden Person (§ 6 Abs. 1 SPG). Die Notfallhilfe umfasst
die sofortige Hilfe in Notfallsituationen, insbesondere bei Erkran-
kung, Unfall und plötzlicher Mittellosigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SPV;
vgl. auch Felix Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl.,
Bern 1999, S. 54).
4.5.3.
Die Beschwerdegegnerin hatte ihren Unterstützungswohnsitz
bis zur Zwangsräumung ihrer Wohnung und dem daraus folgenden
Wegzug in der Gemeinde A.. Die Beschwerdeführerin war somit
verpflichtet, der Beschwerdegegnerin Sozialhilfeleistungen nach § 3
SPV auszurichten.
4.5.4.
Wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid und das De-
partement Gesundheit und Soziales (DGS) in der Beschwerdeantwort
zu Recht ausführen, mussten der Beschwerdeführerin nach der
Vorsprache auf der Gemeindekanzlei und der Gesuchseinreichung
tags darauf die Notlage und Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdegeg-
nerin bekannt sein. Im Gesuch um Sozialhilfe und Errichtung einer
vormundschaftlichen Massnahme brachte diese klar zum Ausdruck,
dass sie unverzüglich Hilfe im Form von Obdach, Betreuung und
gegebenenfalls finanziellen Mitteln benötigt. Wenn die Beschwerde-
führerin darzulegen versucht, dass sie keine Kenntnis von einer psy-
2012
Verwaltungsgericht
196
chischen Krankheit der Beschwerdegegnerin hatte, so kann diesen
Ausführungen im Hinblick auf die Leistung von Nothilfe keine ent-
scheidende Bedeutung zukommen. Aufgrund des gestellten Gesuchs
um Errichtung einer vormundschaftlichen Massnahme und den
Ausführungen der Beschwerdegegnerin, wonach sie über keine aus-
reichenden Mittel mehr verfüge und über die Schulden keinen Über-
blick mehr habe, verfangen auch die Ausführungen zu deren Eigen-
verantwortung nicht. Es trifft zwar zu, dass die Beschwerdegegnerin
zeitweise nicht erreichbar und die Kontaktnahme daher erschwert
war. Nachdem die Tochter aber zusammen mit der Beschwerdegeg-
nerin auf der Gemeindekanzlei vorgesprochen hatte, konnte die So-
zialbehörde nicht mehr darauf vertrauen, dass die nötige Unterstüt-
zung der Beschwerdegegnerin zukommen würde. Die Beschwerde-
gegnerin hatte ihren Unterstützungswohnsitz in A., weshalb die Be-
schwerdeführerin zur Ausrichtung von materieller Hilfe, insbeson-
dere der Vermittlung eines Obdachs im Sinne von Nothilfe, zuständig
war. Jedenfalls konnte in dieser Situation nicht ausreichen, ein ge-
stelltes Gesuch um materielle Hilfe zur Nachreichung von Unter-
lagen per Post zu retournieren. Angesichts der unmittelbar bevor-
stehenden Ausweisung aus der Mietwohnung und dem damit not-
wendigerweise verbundenen Transport von Utensilien überzeugen
auch die Ausführungen nicht, wonach noch genügend Zeit zur Ein-
leitung notwendiger Massnahmen bestanden habe. Die von der Be-
schwerdeführerin erbrachten Beratungen und Betreuungen "entspre-
chend den Umzugsabsichten" wurden der Notsituation der Be-
schwerdegegnerin nicht gerecht. Aus den Ausführungen in der Be-
schwerde folgt vielmehr, dass die Beschwerdeführerin der Beschwer-
degegnerin geraten hat, das Gesuch um materielle Hilfe am neuen
Wohnort einzureichen, sobald diese wisse, wohin sie ziehen werde.
Bereits daraus erhellt, dass die Beschwerdeführerin nicht davon
ausging, dass der Beschwerdegegnerin eine Unterkunft zur Verfü-
gung stand. Dem DGS ist im Übrigen zuzustimmen, wenn es aus-
führt, dass es nach der Vorsprache auf der Gemeindekanzlei nicht um
eine längerfristige Wohnmöglichkeit ging, sondern um eine kurz- bis
mittelfristige Lösung im Sinne einer Notunterkunft. Dabei war eine
allfällige Absichtsbekundung der Beschwerdegegnerin, aufgrund der
2012
Sozialhilfe
197
Notlage aus A. wegzuziehen, unerheblich. Dies muss umso mehr
gelten, als nach Ansicht der Beschwerdeführerin schlechte Aussich-
ten bestanden, in A. eine neue Mietwohnung zu finden. (...)
4.5.5.
Es ist somit festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin die Ge-
währung von Sozialhilfeleistungen, welche insbesondere in der Ver-
hinderung unmittelbar bevorstehender Obdachlosigkeit bestand,
pflichtwidrig verweigert hat. Auch die in § 8 SPG vorgesehene
Beratung und Betreuung beschränkte sich auf eine Verweisung an die
Jugend- und Familienberatung und muss als ungenügend bezeichnet
werden. Nach den Ausführungen der Beschwerdegegnerin waren
diese Umstände für den Wegzug aus der Gemeinde ursächlich. Damit
haben die Vorinstanzen das Vorliegen einer Abschiebung im Sinne
von Art. 10 ZUG zu Recht bejaht. | 1,980 | 1,572 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2012-28_2012-12-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2012-28.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2012-28.pdf | AGVE_2012_28 | null | nan |
b5f5df03-d04c-5f17-b53f-fbdb5fb761fe | 1 | 412 | 871,600 | 1,049,241,600,000 | 2,003 | de | 2003
Verwaltungsgericht
128
[...]
39
Steuerbilanz. Berichtigung.
- Massgeblichkeit der Werte in der Steuerbilanz bei künftigen Veranla-
gungen (Erw. 2/b).
- Berichtigung ist zulässig bei offenkundigem Widerspruch zwischen
dem Berechnungsergebnis in den Erwägungen und der Übernahme
ins Dispositiv (Erw. 2/a).
- Wenn die Berichtigung in der Steuerperiode, in der sie vorzunehmen
wäre, keine direkten Auswirkungen zeitigt, kann sie stattdessen in der
Folgeperiode erfolgen (Erw. 2/a).
2003
Kantonale Steuern
129
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 9. April 2003 in Sa-
chen A.W. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Zur Publikation vorge-
sehen in StE 2004.
Aus den Erwägungen
2. a) aa) Die Beschwerdeführer begannen 1990 mit der Buch-
haltung. Bei der Veranlagung der Vorperiode 1991/92 wurden die
Buchwerte in der Eröffnungsbilanz geprüft und per Ende 1990 im
Einspracheverfahren wie folgt formell festgesetzt: ... Betriebsge-
bäude Fr. 350'509.--.
bb) Im damaligen Rekurs- und Beschwerdeverfahren waren
diese Werte streitig und wurden durch das Steuerrekursgericht und
das Verwaltungsgericht bestätigt. Allerdings war der Steuerkommis-
sion ein Fehler unterlaufen. Sie hatte den Eingangs-Buchwert der
Betriebsgebäude auf Fr. 350'509.-- berechnet und davon im Jahr
1990 Abschreibungen zu Lasten des steuerbaren Einkommens in
Höhe von Fr. 14'020.-- zugelassen. Versehentlich setzte sie im Dis-
positiv ihres Einspracheentscheides vom 8. Juli 1999 den Buchwert
der Betriebsgebäude per 31.
Dezember 1990 ebenfalls auf
Fr. 350'509.-- (statt Fr. 336'489.--) fest, was das Steuerrekursgericht
übersah und das Verwaltungsgericht aus verfahrensrechtlichen
Gründen (§ 152 Abs. 2 aStG; § 43 Abs. 2 VRPG) nicht korrigieren
konnte.
cc) Gemäss § 172 aStG können rechtskräftige, mit einem Be-
rechnungs- oder Ausfertigungsfehler behaftete Verfügungen und
Entscheide der Steuerbehörden und der Steuerjustizbehörden auf
Antrag des Steuerpflichtigen oder von Amtes wegen berichtigt wer-
den (Abs. 1); zu wenig entrichtete Beträge sind nachzufordern, zu
viel bezahlte Beträge zurückzuerstatten (Abs. 2). Das Steuerrekurs-
gericht hat ausgeführt, der offenkundige Widerspruch zwischen Be-
gründung und Dispositiv des Einspracheentscheides vom 8. Juli 1999
sei der Berichtigung zugänglich und könne somit auch vorfrageweise
in der Folgeperiode, also im vorliegenden Verfahren, korrigiert wer-
den.
2003
Verwaltungsgericht
130
Wenn es darum geht, dass die Veranlagung in einer bestimmten
Steuerperiode zu berichtigen wäre, dort allerdings keine direkten
Auswirkungen zeitigt (sodass keine Nachforderung oder
Rückerstattung gemäss § 172 Abs. 2 aStG in Frage steht), sondern
erst in der Folgeperiode, ist es aus verfahrensökonomischen Gründen
zuzulassen, dass auf die formelle Berichtigung in derjenigen Periode,
wo der Fehler passierte, verzichtet und statt dessen die Berichtigung
vorfrageweise im Verfahren der Folgeperiode vorgenommen wird;
dem Steuerrekursgericht ist in dieser Hinsicht beizupflichten. Aller-
dings darf dies nicht zu einer erleichterten Berichtigung führen; die
Voraussetzungen für die Berichtigung der (seinerzeitigen) fehlerhaf-
ten Veranlagung müssen erfüllt sein.
Berechnungs- oder Ausfertigungsfehler im Sinne von § 172
aStG, die berichtigt werden können, liegen dann vor, wenn es sich
nicht um Fehler in der Willensbildung, sondern um Fehler im Aus-
druck handelt, wenn also das, was die Behörde beschlossen hat,
durch einen Berechnungs- oder einen Übertragungsfehler, ein
Schreibversehen o.ä. unzutreffend wiedergegeben wird, wenn, um
ein anschauliches Bild zu gebrauchen, der Mangel mit der Hand- und
nicht mit der Kopfarbeit zusammenhängt (vgl. dazu § 78 aStGV;
AGVE 1997, S. 233 = StE 1998, B 97.11 Nr. 15, Erw. 2, mit Hin-
weisen; Bernhard Meier, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz,
Muri/BE 1991, § 172 N 1 ff.). Der Einspracheentscheid vom 8. Juli
1999 im Verfahren betreffend die Steuerperiode 1991/92 basierte auf
einem umfassenden Bericht des Landwirtschaftlichen Fachbeamten
des KStA vom 1. März 1999, der ausdrücklich als Bestandteil des
Einspracheentscheids bezeichnet wurde. In diesem Bericht wurde der
Buchwert der Betriebsgebäude per 1.1.1990 mit Fr. 350'509.-- und,
unter Berücksichtigung der 1990 zugelassenen Abschreibungen von
Fr. 14'020.--, per 31.12.1990 korrekt mit Fr. 336'489.-- errechnet. In
die Anträge, wie die Buchwerte per Ende 1990 festzusetzen seien,
kam trotzdem der Betrag von Fr. 350'509.--. Aus dem Zusammen-
hang ergibt sich, dass es sich um einen Übertragungsfehler handelt,
der eine offenkundige Diskrepanz zwischen der Begründung und
dem Antrag zum Dispositiv (der im Einspracheentscheid unkorrigiert
übernommen wurde; siehe vorne Erw. aa) zur Folge hatte. Dem
2003
Kantonale Steuern
131
Steuerrekursgericht ist zuzustimmen, dass unter diesen Umständen
eine Berichtigung zulässig ist. Der massgebliche Buchwert der Be-
triebsgebäude per 31. Dezember 1990 beträgt Fr. 336'489.--.
b)
Mit der formellen, rechtskräftigen Festsetzung werden
Buchwerte verbindlich. Soweit sie von der Handelsbilanz abweichen
und diese nicht korrigiert wird, kommt es diesbezüglich zu einer
Korrekturaufstellung mit den steuerlich massgeblichen Werten (sog.
Steuerbilanz), die bei künftigen Veranlagungen massgeblich sind
(Ernst Känzig, Die direkte Bundessteuer [Kommentar], II. Teil,
2. Auflage, Basel 1992, Art. 49 N 400 ff.; Ernst Höhn/Robert Wald-
burger, Steuerrecht, Band II, 9. Auflage, Bern/Stuttgart/Wien 2002,
§ 46 Rz. 19 f.). Per 1. Januar 1991 und für die in den Bemessungs-
jahren 1991/92 möglichen Abschreibungen sind somit die oben ange-
führten Buchwerte verbindlich. | 1,352 | 1,043 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2003-39_2003-04-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-39.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2003-39.pdf | AGVE_2003_39 | null | nan |
b63739ed-7278-52ed-9744-3d2059edb880 | 1 | 412 | 870,592 | 1,370,217,600,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
346
[...]
55
Verfahrenserledigung nach VRPG durch Vergleich bzw. Vereinbarung;
Prüfung der Gesetzmässigkeit
Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 11. Juni 2013 in Sachen A.
und B. gegen Gemeinderat C. und Departement Bau, Verkehr und Umwelt
(WBE.2012.378/379).
Aus den Erwägungen
2.
Die Beschwerdeführer und die Einwohnergemeinde C. haben
sich über die strittige Kanalisation und die Schadenskosten im Rah-
men eines Mediationsverfahrens geeinigt und eine schriftliche Ver-
einbarung abgeschlossen. Diese Vereinbarung lautet wie folgt:
(...)
Diese Vereinbarung soll, unter Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheids sowie der Verfügung des Gemeinderats C. vom 23. Jan-
uar 2012, zum Urteil erhoben werden.
3.
3.1.
§ 19 VRPG bestimmt unter der Marginalie "Vergleich": Er-
scheint eine einvernehmliche Lösung als vorteilhaft, sind die Behör-
den zum Abschluss von Vergleichen berechtigt; die öffentlichen Inte-
ressen sind zu beachten (Abs. 1). Das Verfahren wird durch Sachent-
scheid abgeschlossen (Abs. 2). Darüber hinaus enthält § 17 VRPG
mit dem Titel "Untersuchung von Amtes wegen" folgenden Absatz 3:
Besteht über einen Sachverhalt Unsicherheit, kann diese mit Einver-
ständnis aller Parteien durch Vereinbarung über den dem Entscheid
zugrunde zu legenden Sachverhalt beseitigt werden; die öffentlichen
Interessen sind zu beachten.
2013
Verwaltungsrechtspflege
347
3.2.
Der Zulässigkeit von Vergleichen im öffentlichen Recht sind
aufgrund des Legalitätsprinzips Grenzen gesetzt, die das Bundesge-
richt in BGE 138 V 149 f. Erw. 2.4 wie folgt umschreibt: "Ist der
Vergleich im Gesetzesrecht zugelassen, so wird aber damit den Par-
teien bei ungewisser Sach- oder Rechtslage die Befugnis eingeräumt,
ein Rechtsverhältnis vertraglich zu ordnen, um die bestehende
Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Dabei und damit wird in Kauf ge-
nommen, dass der Vergleichsinhalt von der Regelung abweicht, zu
der es bei umfassender Klärung des Sachverhalts und der Rechtslage
gekommen wäre. Ein Vergleich ist somit zulässig, soweit der Verwal-
tung ein Ermessensspielraum zukommt sowie zur Beseitigung recht-
licher und/oder tatsächlicher Unklarheiten."
Das Verwaltungsgericht hat es in langjähriger Praxis zum alten
Verwaltungsrechtspflegegesetz stets als zulässig erachtet, überein-
stimmenden Anträgen der Beteiligten zur Erledigung des Verfahrens
stattzugeben, sofern sich diese als gesetzmässig erweisen und allfälli-
ge Zugeständnisse der Parteien sich innerhalb des Spielraumes hal-
ten, den das Gesetz ohnehin gewährt, und sie nicht unzumutbar er-
scheinen; nur in diesem beschränkten Rahmen ist im öffentlichen
Recht Raum für "Vergleiche" (vgl. AGVE 1991, S. 383; 1982,
S. 286 ff.; 1972, S. 285 f.). Nach dem klaren Wortlaut des VRPG ist
das Verfahren auch bei einem abgeschlossenen Vergleich durch Sach-
entscheid abzuschliessen (§ 19 Abs. 2 VRPG).
4.
Zu überprüfen ist somit, ob sich die zwischen der Einwohnerge-
meinde C. und den Beschwerdeführern sowie weiteren Privaten ab-
geschlossene Vereinbarung im vorgenannten Rahmen hält.
4.1.
In Ziffer 1 der Vereinbarung stellt die Gemeinde fest, Eigen-
tümerin der Leitung (ohne die Hausanschlüsse) zu sein und deren
Unterhalt zu übernehmen.
Gemäss § 12 Abs. 1 des Abwasserreglements der Gemeinde C.
(genehmigt von der Einwohnergemeindeversammlung am 17. Juni
2009) sind die Abwasseranlagen im Gebäude und die Leitungen bis
und mit Anschluss an die öffentliche Kanalisation (Hausanschluss)
2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
348
vom Grundeigentümer zu erstellen, zu unterhalten und zu erneuern;
sie verbleiben in seinem Eigentum. Angesichts dieser Bestimmung
erscheint folgerichtig, dass die Kanalisation D.weg als öffentliche
Kanalisation bezeichnet wird, welche im Eigentum der Gemeinde
steht und deren Unterhalt sie zu übernehmen hat. Als Hausanschlüsse
haben die Zuleitungen von den Häusern der Beschwerdeführer in die
Kanalisation D.weg zu gelten. Mit der Übernahme des Unterhalts
durch die Gemeinde entfällt auch die Rechtsgrundlage, den Be-
schwerdeführern die streitigen Schadensanteile bzw. Unterhaltskos-
ten von Fr. 2'670.55 aufzuerlegen.
4.2.
Gemäss Ziffer 2 der Vereinbarung verzichtet die Gemeinde
vollständig auf die Erhebung von Feinerschliessungsgebühren, da die
Leitung ursprünglich durch Private bereits finanziert wurde. Präzisie-
rend wird festgehalten, dass die Bestimmungen bezüglich Anpassun-
gen im Sinne von § 31 des Erschliessungsreglementes bestehen blei-
ben. Die Gebühren fallen zum Zeitpunkt der Realisierung an.
Auch dieser Vereinbarungsteil entspricht den reglementarischen
Vorgaben der Gemeinde C., welche Erschliessungsbeiträge für Ab-
wasser in § 31 des Erschliessungsfinanzierungsreglements (vom
17. Juni 2009) regeln. Gemäss Anhang Seite 3 tragen die Grundei-
gentümer die Kosten der Feinerschliessung zu 100 %. Wenn und so-
weit im vorliegenden Fall die Leitung ursprünglich durch Private be-
reits finanziert wurde, entfallen in der Tat Erschliessungsbeiträge für
die Kosten der Feinerschliessung. Vorbehalten bleiben, worin in Zif-
fer 2 der Vereinbarung auch hingewiesen wird, spätere Erschlies-
sungsbeiträge bei Änderung bzw. Anpassung der bestehenden Ab-
wasserleitung.
4.3.
In Ziffern 3 und 4 der Vereinbarung regeln Gemeinde und Pri-
vate die Verlegung der Verfahrens- und Anwaltskosten für die Be-
schwerdeverfahren vor dem Departement Bau, Verkehr und Umwelt
und vor Verwaltungsgericht.
Diese Kostenregelung hält vor den §§ 29, 31 und 32 VRPG
ohne Weiteres Stand und kann zum Urteil erhoben werden. Dem
Umstand, dass das Verfahren zufolge Vergleichs mit geringerem Auf-
2013
Verwaltungsrechtspflege
349
wand erledigt werden kann, ist mit einer reduzierten Staatsgebühr
Rechnung zu tragen (vgl. AGVE 2000, S. 346; § 23 VKD). | 1,285 | 1,037 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-55_2013-06-03 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-55.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-55.pdf | AGVE_2013_55 | null | nan |
b662cf4a-1f94-5aa4-ac6c-e910229fd6e3 | 1 | 412 | 871,839 | 1,228,348,800,000 | 2,008 | de | 2008
Verwaltungsgericht
268
[...]
47
Betriebskosten eines Motorfahrzeugs (§ 10 Abs. 5 lit. c SPV).
-
Eine kumulative Anwendung des Abzugs gemäss Satz 1 und die An-
rechnung von eigenen Mitteln gemäss Satz 3 ist ausgeschlossen.
Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 23. Dezember 2008 in Sa-
chen Einwohnergemeinde X. gegen das Bezirksamt Bremgarten
(WBE.2008.315).
Aus den Erwägungen
3.
Vom Bedarf der Hilfe suchenden Person werden die Betriebs-
kosten eines Motorfahrzeugs in Abzug gebracht, sofern dessen Be-
nützung nicht beruflich oder krankheitsbedingt zwingend erforder-
2008
Sozialhilfe
269
lich ist (§ 10 Abs. 5 lit. c Satz 1 SPV). Ein durch Dritte zur
Verfügung gestelltes Motorfahrzeug gilt als Naturalleistung, die ohne
Vorliegen der erwähnten zwingenden Gründe als eigene Mittel
angerechnet wird (Satz 3).
Grund für den in § 10 Abs. 5 lit. c Satz 1 SPV vorgesehenen
Abzug ist, dass die Finanzierung der Betriebs- und Unterhaltskosten
eines Motorfahrzeugs zu einer Zweckentfremdung der materiellen
Hilfe führen kann, d.h. dass durch den Betrieb des Autos einzelne
Mitglieder einer Unterstützungseinheit (z.B. Kinder) wegen des Au-
tobesitzes eines anderen Mitglieds (z.B. Vater) zu wenig Geld für den
Lebensunterhalt zur Verfügung haben (vgl. Zeitschrift für Sozialhilfe
[ZeSo] 1999, S. 122 mit Hinweis). Bei der Konstellation gemäss
Satz 1 wird also die von der Sozialbehörde ausbezahlte materielle
Hilfe für die Finanzierung der Betriebs- und Unterhaltskosten eines
Motorfahrzeugs verwendet. Liegt ein Fall von Satz 3 vor, so werden
die genannten Kosten durch Dritte bezahlt. In diesem Fall liegt na-
turgemäss keine Zweckentfremdung der Sozialhilfe i.S.v. Satz 1 vor,
weshalb Satz 3 aus Gründen der Rechtsgleichheit eine Aufrechnung
vorsieht. Der Abzug gemäss Satz 1 und die Anrechnung von eigenen
Mitteln gemäss Satz 3 regeln unterschiedliche Sachverhalte, weshalb
eine kumulative Anwendung - entgegen der Einwohnergemeinde X.
- ausgeschlossen ist. | 451 | 376 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2008-47_2008-12-04 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2008-47.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-47.pdf | AGVE_2008_47 | null | nan |
b6803d5f-79d0-5591-86e7-567e0e212cb6 | 1 | 412 | 871,267 | 1,380,672,000,000 | 2,013 | de | 2013
Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht
124
[...]
26
Ausschaffungshaft; Verstoss gegen Einreiseverbot; sofortige Wegweisung;
Verhältnismässigkeit
Hält sich ein Drittstaatsangehöriger illegal in der Schweiz auf und verfügt
er in einem Schengen-Staat über ein Aufenthaltsrecht, kommt Art. 64
Abs. 2 AuG zur Anwendung. Diesfalls ist in der Regel eine sofortige Weg-
weisung möglich und der Betroffene ist formlos aufzufordern, sich unver-
züglich in diesen Staat zu begeben. Sofern davon auszugehen ist, dass der
formlosen Wegweisung Folge geleistet wird, erweist sich die angeordnete
Haft als unverhältnismässig (Erw. 2.2.).
Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer,
vom 21. Oktober 2013 in Sachen Amt für Migration und Integration gegen A.
(WPR.2013.161). | 183 | 147 | AG_VG_001 | AG_VG | AG | Northwestern_Switzerland | AG_VG_001_AGVE-2013-26_2013-10-02 | http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-26.html | https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-26.pdf | AGVE_2013_26 | null | nan |