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78dd49ce-ca7f-47fb-9786-a39e5b920f3a | Sachverhalt
ab Seite 271
BGE 143 IV 270 S. 271
A.
Die Regionale Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland führt eine Strafuntersuchung gegen den sich in Untersuchungshaft
BGE 143 IV 270 S. 272
befindlichen A. wegen qualifizierten Kokainhandels. Anfang Juni 2016 stellte das Personal des Untersuchungsgefängnisses einen Zettel sicher, auf dem der Beschuldigte die Zugangsdaten (Benutzername und Passwort) zu seinem Facebook-Account notiert hatte. Gemäss ihrer Verfügung vom 9. Juni 2016 liess die Staatsanwaltschaft (bis am 13. Juni 2016) online, unter Verwendung der ermittelten Zugangsdaten, das Facebook-Konto des Beschuldigten durch die Kantonspolizei sichten und beweisrelevante Chat-Nachrichten vorläufig sicherstellen.
B.
Anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme vom 19. September 2016 wurden dem Beschuldigten einige sichergestellte Nachrichten vorgehalten. Am 26. September 2016 beantragte er die Siegelung sämtlicher erhobener Aufzeichnungen. Am 3. Oktober 2016 stellte die Staatsanwaltschaft beim kantonalen Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch. Mit Entscheid vom 14. Dezember 2016 hiess das Regionale Zwangsmassnahmengericht Berner Jura-Seeland, Präsidentin, das Entsiegelungsgesuch teilweise gut.
C.
Gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde vom 30. Januar 2017 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die (vollumfängliche) Abweisung des Entsiegelungsgesuches. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
(...)
4.3
Schriftstücke, Ton-, Bild- und andere Aufzeichnungen, Datenträger sowie Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen dürfen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen (
Art. 246 StPO
). Dies gilt namentlich für Gegenstände, die als Beweismittel gebraucht werden (
Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO
). Die Inhaberin oder der Inhaber kann sich vorgängig zum Inhalt der Aufzeichnungen äussern (
Art. 247 Abs. 1 StPO
). Die Inhaberin oder der Inhaber kann der Strafbehörde Kopien von Aufzeichnungen und Ausdrucke von gespeicherten Informationen zur Verfügung stellen, wenn dies für das Verfahren ausreicht (
Art. 247 Abs. 3 StPO
). Sichernde Zwangsmassnahmen anstelle von blossen Editionsbefehlen (
Art. 265 StPO
) sind zulässig, wenn die Herausgabe von Aufzeichnungen verweigert wurde oder die Aufforderung zur Edition den Zweck der Massnahme vereiteln würde (
Art. 265 Abs. 4 StPO
).
BGE 143 IV 270 S. 273
Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (
Art. 248 Abs. 1 StPO
). Ist Gefahr im Verzug, so können die Polizei oder Private Gegenstände und Vermögenswerte zuhanden der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte vorläufig sicherstellen (
Art. 263 Abs. 3 StPO
).
4.4
Durchsuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen (
Art. 241 Abs. 1 StPO
). Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei ohne Befehl Durchsuchungen vornehmen; sie informiert darüber unverzüglich die zuständige Strafbehörde (
Art. 241 Abs. 3 StPO
).
Von einer Durchsuchung von Aufzeichnungen gemäss
Art. 246 StPO
wird nach der Praxis des Bundesgerichtes gesprochen, wenn die Schriftstücke oder Datenträger im Hinblick auf ihren Inhalt oder ihre Beschaffenheit durchgelesen bzw. besichtigt werden, um ihre Beweiseignung festzustellen, sie allenfalls zu beschlagnahmen und zu den Akten zu nehmen. Solche Durchsuchungen von Unterlagen und Datenträgern sind (nach Art. 198 i.V.m.
Art. 241 Abs. 1 StPO
) zwar grundsätzlich von der Staatsanwaltschaft (bzw. vom Sachgericht) anzuordnen bzw. vorzunehmen. Es ist der Staatsanwaltschaft aber unbenommen, die Polizei (gemäss
Art. 312 StPO
) damit zu beauftragen, die Durchsuchung und Auswertung nach bestimmten Kriterien vorzunehmen. Sofern im Sinne von
Art. 241 Abs. 3 StPO
"Gefahr in Verzug" besteht, kann die Polizei Unterlagen und Aufzeichnungen auch ohne besonderen Befehl der Staatsanwaltschaft durchsuchen. Das polizeiliche Handeln muss sich dann allerdings (wie bei einer allfälligen Delegation von der Staatsanwaltschaft an die Polizei nach
Art. 312 StPO
) auf relativ einfache Sachverhalte beschränken (
BGE 139 IV 128
E. 1.4 S. 133; vgl. CATHERINE CHIRAZI, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse [nachfolgend: Commentaire romand], 2010, N. 23-36 zu
Art. 241 StPO
; DIEGO R. GFELLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung [nachfolgend: Basler Kommentar], 2. Aufl. 2014, N. 32-41 zu
Art. 241 StPO
; ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung [StPO] [nachfolgend: Zürcher Kommentar], 2. Aufl. 2014, N. 21-23 zu
Art. 241 StPO
; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO] [nachfolgend: Praxiskommentar], 2. Aufl. 2013, N. 3 zu
Art. 246 StPO
).
BGE 143 IV 270 S. 274
Die Strafbehörden nehmen sichergestellte Beweisgegenstände vollständig und im Original zu den Akten (
Art. 192 Abs. 1 StPO
). Von Urkunden und weiteren Aufzeichnungen werden Kopien erstellt, wenn dies für die Zwecke des Verfahrens genügt. Die Kopien sind nötigenfalls zu beglaubigen (
Art. 192 Abs. 2 StPO
).
4.5
Die geheime Überwachung des Fernmeldeverkehrs ist in
Art. 269- 279 StPO
geregelt. Erkenntnisse, die durch eine richterlich nicht genehmigte Fernmeldeüberwachung gewonnen wurden, sind unverwertbar (Art. 141 Abs. 1 Satz 2 i.V.m.
Art. 277 Abs. 2 StPO
).
Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs (
Art. 13 Abs. 1 BV
). Geschützt ist - in den Schranken von
Art. 36 BV
bzw.
Art. 197 StPO
- insbesondere die (briefliche oder elektronische) Privatkorrespondenz (vgl.
Art. 264 Abs. 1 lit. b StPO
). Das
Fernmelde
geheimnis wird in Art. 43 des Fernmeldegesetzes vom 30. April 1997 (FG; SR 784.10) definiert: Wer mit fernmeldedienstlichen Aufgaben betraut ist oder betraut war, darf Dritten keine Angaben über den Fernmeldeverkehr von Teilnehmerinnen und Teilnehmern machen und niemandem Gelegenheit geben, solche Angaben weiterzugeben.
4.6
Wenn Smartphones und andere digitale Kommunikationsgeräte physisch beschlagnahmt oder vorläufig sichergestellt werden und die Staatsanwaltschaft die gespeicherten Daten auswerten will (Kontaktnummern, Verbindungsdaten, vom Empfänger abgerufene SMS- und E-Mail-Nachrichten usw.), liegt nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich
keine
Fernmeldeüberwachung (
Art. 269-279 StPO
) vor und auch keine rückwirkende Randdatenerhebung (
Art. 273 StPO
). Der Rechtsschutz erfolgt hier in der Weise, dass die betroffene Person die
Siegelung
(
Art. 248 Abs. 1 StPO
) des edierten oder sichergestellten Gerätes verlangen kann (wie z.B. bei PCs, Notebooks, Servern usw.). Die Staatsanwaltschaft, welche die elektronischen Aufzeichnungen durchsuchen und beschlagnahmen will, muss dann beim Zwangsmassnahmengericht ein
Entsiegelungsgesuch
stellen (
BGE 140 IV 181
E. 2.4 S. 184, E. 2.10 S. 188 mit Hinweisen; Urteile 1B_347/2015 vom 29. März 2016 E. 1.1; 1B_52/2015 vom 24. August 2015 E. 1.2; 1B_131/2015 vom 30. Juli 2015 E. 1.2; vgl. MARC FORSTER, Marksteine der Bundesgerichtspraxis zur strafprozessualen Überwachung des digitalen Fernmeldeverkehrs, in: Festgabe zum Schweizerischen Juristentag, Gschwend und andere [Hrsg.], 2015, S. 615 ff., 623-625; STEFAN HEIMGARTNER, Strafprozessuale Beschlagnahme [nachfolgend: Habil. 2011], S. 176-183; NIKLAUS
BGE 143 IV 270 S. 275
SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts [nachfolgend: Handbuch], 2. Aufl. 2013, Rz. 1139; zu den Rechtsfolgen einer verfrühten polizeilichen Durchsuchung eines Smartphones s.a.
BGE 139 IV 128
E. 1.6-1.7 S. 134 f.; zur Edition von Informationen bei sogenannten "abgeleiteten" Internetdiensten s. nachfolgend, E. 4.7- 4.8).
Anders ist die Rechtslage, wenn keine Geräte physisch sichergestellt und ausgewertet und keine gespeicherten Nachrichten nach dem Fernmelde-Kommunikationsvorgang ediert und gesichtet werden, sondern wenn die Staatsanwaltschaft E-Mails und SMS
geheim abfangen
bzw. "aktiv", noch während des Kommunikationsvorgangs, beim Fernmeldedienst- oder Internetzugangs-Provider edieren lässt: Solange die betreffenden
Fernmelde
nachrichten vom Empfänger noch nicht auf dem Gerät abgerufen worden sind, liegt in diesen Fällen grundsätzlich eine
Fernmeldeüberwachung
vor (
BGE 140 IV 181
E. 2.4-2.7 S. 184- 187; vgl. BOMMER/GOLDSCHMID, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 28 zu
Art. 263 StPO
; FORSTER, a.a.O., S. 623-625; THOMAS HANSJAKOB, in: Zürcher Kommentar, a.a.O., N. 9 zu
Art. 269 StPO
; STEFAN HEIMGARTNER, in: Zürcher Kommentar, a.a.O., N. 5 zu
Art. 263 StPO
;
ders.
, Habil. 2011, a.a.O., S. 176-183; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, 2013, Rz. 14068; MARC JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 23 f. zu
Art. 269 StPO
; zur Definition des "Abschlusses" der Fernmeldekommunikation s. auch MICHAEL AEPLI, Die strafprozessuale Sicherstellung von elektronisch gespeicherten Daten, unter besonderer Berücksichtigung der Beweismittelbeschlagnahme am Beispiel des Kantons Zürich, 2003, S. 17 ff.; SIMON BANGERTER, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen im Wettbewerbsrecht unter vergleichender Berücksichtigung der StPO, 2014, S. 282-285; DONATSCH/SCHMID, Der Zugriff auf E-Mails im Strafverfahren - Überwachung [BÜPF] oder Beschlagnahme?, Internet-Recht und Strafrecht, in: Schwarzenegger und andere [Hrsg.], 2005, S. 151 ff., 157; DOMINIC RYSER, "Computer Forensics", eine neue Herausforderung für das Strafprozessrecht, in: Internet-Recht und Strafrecht, 2005, S. 553 ff., 571 f.).
4.7
In
BGE 141 IV 108
hatte das Bundesgericht folgende Konstellation einer Datenerhebung beim sozialen Netzwerk Facebook (FB), einem sogenannten "abgeleiteten" Internetdienst, zu beurteilen:
Eine kantonale Staatsanwaltschaft hatte gegenüber dem IT-Unternehmen Facebook Inc. (USA) und dessen Mitarbeitern gestützt auf
Art. 273 StPO
und Art. 32 lit. b des Internationalen
BGE 143 IV 270 S. 276
Cybercrime-Übereinkommens (SR 0.311.43; nachfolgend: CCC, in Kraft für die Schweiz seit 1. Januar 2012) rückwirkend für sechs Monate die
Herausgabe
der sogenannten "IP-Histories" auf verschiedenen FB-Accounts sowie der Registrierungsdaten der betreffenden Kunden verfügt. Das Überwachungsgesuch der Staatsanwaltschaft wies das kantonale Zwangsmassnahmengericht ab, soweit es darauf eintrat. Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft ebenfalls ab.
Das Bundesgericht erwog, dass im beurteilten Fall die in Art. 32 CCC geregelten Voraussetzungen einer grenzüberschreitenden rückwirkenden Datenerhebung mit Teilnehmeridentifikation nicht erfüllt waren (
BGE 141 IV 108
E. 5.9-5.12 S. 124-127). Aufgrund des internationalstrafrechtlichen Grundsatzes der Territorialität ist ein direkter hoheitlicher Zugriff der schweizerischen Strafbehörden auf im Ausland domizilierte Anbieter von Internetdiensten nicht zulässig. Vielmehr war für die von der Staatsanwaltschaft gewünschte Datenerhebung der Weg der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen zu beschreiten (
BGE 141 IV 108
E. 5.3 und 5.12 S. 121 f., 127; bestätigt in
BGE 143 IV 21
E. 3.2-3.4 S. 24 ff.).
Auch das Schweizer Landesrecht enthält keine gesetzliche Grundlage für die Erhebung von im Ausland gespeicherten "IP-Histories". Artikel 273 StPO ermöglicht lediglich rückwirkende Erhebungen von Randdaten des Fernmeldeverkehrs gegenüber dem schweizerischen Recht unterworfenen, in der Schweiz domizilierten
Fernmeldedienst
-Anbieterinnen bzw. Internet-Zugangsprovidern (
BGE 141 IV 108
E. 5.13 S. 127; bestätigt in
BGE 143 IV 21
E. 3.1 S. 23). Für die Herausgabe von Registrierungs- bzw.
Bestandes
daten bei in den USA domizilierten Anbieterinnen von Internetdiensten ist grundsätzlich ebenfalls das US-amerikanische Amts- und Rechtshilferecht massgeblich. Für die Bewilligung von reinen Bestandesdatenerhebungen war das Zwangsmassnahmengericht im Übrigen gar nicht zuständig (
BGE 141 IV 108
E. 6 S. 128-131; vgl. zu dieser Praxis FORSTER, a.a.O., S. 615 ff.; SIMON ROTH, Die grenzüberschreitende Edition von IP-Adressen und Bestandesdaten im Strafprozess, direkter Zugriff oder Rechtshilfe?, Jusletter 17. August 2015 Rz. 1-14).
4.8
In
BGE 143 IV 21
hatte das Bundesgericht eine weitere Konstellation von strafprozessualen Datenerhebungen bei FB zu prüfen:
Es war ein
Editionsbefehl
(
Art. 265 StPO
) zu beurteilen, den die Staatsanwaltschaft an FB Schweiz (und zwei Mitarbeiter dieser
BGE 143 IV 270 S. 277
Firma) gerichtet hatte. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft mehrmals vergeblich versucht, bei FB Schweiz Auskünfte zu erhalten, namentlich über die Identität des Inhabers eines FB-Accounts bzw. über die für das Erstellen des FB-Profils (und ein inkriminiertes FB-Posting) verwendeten IP-Adressen (IP-History). FB Schweiz hatte geantwortet, dass sie das soziale Netzwerk FB nicht verwalte, sondern lediglich für die Entwicklung des schweizerischen Marktes für Werbeauftritte bei FB zuständig sei. FB Irland hatte der Staatsanwaltschaft (auf deren analoge Anfrage hin) mitgeteilt, ein entsprechendes Auskunftsbegehren müsse auf dem Wege der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen übermittelt werden.
Das Bundesgericht bestätigte zunächst, dass die Artikel 269 ff. StPO auf Anbieter von sogenannten "abgeleiteten" Internetdiensten wie dem sozialen Netzwerk FB (und der darauf gestützten Web-Kommunikation) nicht anwendbar sind: Weder FB Schweiz noch FB Irland (oder FB USA) sind
Fernmeldedienst
-Anbieterinnen (im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [BÜPF; SR 780.1] i.V.m.
Art. 269-279 StPO
). FB ist eine Programm- und Applications-Anbieterin, die in der Schweiz keinen eigenen Fernmeldedienst betreibt. Ebenso wenig tritt FB in der Schweiz als Internet-
Zugangsproviderin
auf (im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 BÜPF
i.V.m.
Art. 1 Abs. 2 lit. e VÜPF
[SR 780.11] bzw. Ziff. 1 des Anhangs zum VÜPF). Die Artikel 269 ff. StPO (betreffend Überwachung des Fernmeldeverkehrs) sind auf entsprechende "abgeleitete" Internetdienste nicht anwendbar (
BGE 143 IV 21
E. 3.1 S. 23; vgl. auch
BGE 141 IV 108
E. 5.13 S. 127; Urteil 1B_142/2016 vom 16. November 2016 E. 3.1; ROTH, a.a.O., Rz. 20-29).
Falls die Strafbehörden bei einem abgeleiteten Internetdienst gespeicherte Daten mittels eines
Editionsbefehls
(
Art. 265 StPO
) erheben wollen, ist die Verfügung an den jeweiligen in der
Schweiz
domizilierten
Inhaber
(oder an die Inhaberin) der zu edierenden Daten zu richten bzw. an den dortigen
Verwalter
der elektronischen Dateien. Bei FB Schweiz handelt es sich (im Gegensatz allenfalls zu FB Irland bzw. FB USA) weder um die Inhaberin noch um die Web- Verwalterin solcher Daten. Auch in der dort beurteilten Konstellation hatte die Staatsanwaltschaft daher den Weg der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen zu beschreiten (
BGE 143 IV 21
E. 3.3-3.4 S. 25 f.; s.a. zit. Urteil 1B_142/2016 E. 3.2-3.6).
(...)
BGE 143 IV 270 S. 278
5.
5.1
Nach den Feststellungen der Vorinstanz wurde der Beschwerdeführer am 28. Februar 2016 verhaftet und in Untersuchungshaft versetzt. Zuvor waren ca. 1,7 kg Kokain und Bargeld von ca. Fr. 34'000.- in der von ihm mitbewohnten Wohnung sichergestellt worden. Auf den Verpackungen der in einem Ofen sichergestellten Drogen wurden seine Fingerabdrücke erhoben. Gemäss den Auswertungen einer separaten Fernmeldeüberwachung hat er mehr als hundert Telefongespräche mit einem Mitbeschuldigten geführt, welcher sich (wegen Entgegennahme von 5 kg Kokain) ebenfalls in Untersuchungshaft befindet. Gegen den Beschwerdeführer hat auch ein mitbeschuldigter mutmasslicher Drogentransporteur belastende Aussagen gemacht.
5.2
Am 1. Juni 2016 bat der Beschwerdeführer die Lehrerin eines im Gefängnis durchgeführten Sprachkurses, diese solle seiner (nicht mit ihm verheirateten) Lebenspartnerin per FB-Chat eine Nachricht senden. Anlässlich ihrer polizeilichen Befragung vom 29. Juni 2016 hat die Lehrerin bestätigt, diesen Wunsch des Beschwerdeführers erfüllt zu haben: Über den FB-Account ihrer Tochter habe sie am 3. Juni 2016 eine Nachricht an dessen Lebenspartnerin verschickt. Einen Ausdruck davon hat sie den Strafbehörden übergeben. Daraus werde laut Vorinstanz ersichtlich, dass die von der Lehrerin im Auftrag des Beschuldigten versendete Nachricht inhaltlich nicht an dessen Lebenspartnerin (als Empfängerin) gerichtet gewesen sei, sondern an zwei andere Personen, darunter (vermutlich) ein wegen qualifizierten Drogendelikten Mitbeschuldigter.
Einige Tage später habe die Sprachlehrerin dem Beschwerdeführer mitgeteilt, es könne sein, dass seine Lebenspartnerin die Nachricht vom 3. Juni 2016 nicht erhalten habe. In der Folge habe die Lehrerin ihn um die Zugangsdaten für sein FB-Konto gebeten. Der Beschwerdeführer habe Benutzername und Passwort seines FB-Accounts auf einen Zettel geschrieben. Nach den Feststellungen der Vorinstanz (und auch gemäss den Aussagen des Beschwerdeführers vom 19. Juni 2016) legte er den Zettel in ein Aufgabenheft, welches er der Lehrerin zukommen lassen wollte.
5.3
Das Personal des Untersuchungsgefängnisses stellte dieses Schriftstück sicher, und am 9. Juni 2016 liess die Staatsanwaltschaft das FB-Konto des Beschwerdeführers online, unter Verwendung der ermittelten Zugangsdaten, durch die Kantonspolizei sichten und diverse untersuchungsrelevante Chat-Nachrichten elektronisch sicherstellen. Anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme vom 19. September
BGE 143 IV 270 S. 279
2016 wurden ihm einige erhobene Nachrichten als Beweismittel vorgehalten. Der Beschuldigte verweigerte Aussagen dazu. Am 26. September 2016 beantragte er die Siegelung der erhobenen Aufzeichnungen. Am 3. Oktober 2016 stellte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch.
5.4
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er Anfang Juni 2016 die Zugangsdaten zu seinem FB-Account der Lehrerin seines Sprachkurses zugänglich machte bzw. mittels einer selber verfassten Notiz an sie zu übermitteln versuchte.
6.
6.1
Zunächst ist die Frage zu klären, welche Untersuchungshandlungen der streitigen Beweismittelerhebung und Entsiegelung zugrunde liegen und ob diese Massnahmen bundesrechtskonform waren.
6.2
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Staatsanwaltschaft habe ohne seine Zustimmung und ohne gesetzliche Grundlage die sichergestellten Zugangsdaten zu seinem FB-Account für eine Internet-Recherche und die Sicherstellung bzw. Durchsuchung der später gesiegelten Chat-Nachrichten verwendet. Die Situation sei vergleichbar mit einem sichergestellten Schlüssel, der auch nicht ohne Weiteres die Durchsuchung einer Wohnung rechtfertige. Weder eine Durchsuchung noch eine Beschlagnahmung von elektronischen Daten sei hier zulässig gewesen. Vor der Datenerhebung sei es ihm auch nicht ermöglicht worden, sich zur verfügten Durchsuchung zu äussern bzw. ein Siegelungsgesuch zu stellen. Die erhobenen Beweismittel seien unverwertbar und aus den Akten zu entfernen. Chat-Nachrichten über FB unterlägen zudem wie E-Mails dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses, weshalb eine richterliche Fernmeldeüberwachung (nach
Art. 269 ff. StPO
) hätte angeordnet werden müssen. Deren Fehlen führe zur absoluten Unverwertbarkeit der Beweiserhebung. Ausserdem verstosse eine direkte Erhebung von im Ausland (vermutlich in den USA) gespeicherten elektronischen Daten gegen das Territorialitätsprinzip.
7.
7.1
Die Staatsanwaltschaft hat die streitigen Beweisunterlagen bzw. Chat-Nachrichten über Internet nicht auf dem Wege einer Überwachung des Fernmeldeverkehrs erhoben. Nach der oben dargelegten Bundesgerichtspraxis sind die Artikel 269-279 StPO auf sogenannte
abgeleitete
Internetdienste wie das soziale Netzwerk Facebook (FB) gar nicht anwendbar (
BGE 141 IV 108
E. 5.13 S. 127;
BGE 143 IV 21
E. 3.1 S. 23; Urteil 1B_142/2016 vom 16. November 2016 E. 3.1;
BGE 143 IV 270 S. 280
vgl. ROTH, a.a.O., Rz. 20-29). Ebenso wenig erfolgte hier eine Edition (Art. 265 f. StPO) der fraglichen Daten bei den Anbieterinnen des Internet-Zugangsdienstes oder des abgeleiteten Internetdienstes. Die Untersuchungsbehörde hat die Informationen vielmehr online, auf dem passwortgeschützten FB-Account des Beschwerdeführers, recherchieren lassen. Die dafür benötigten Internet-Zugangsdaten haben die Ermittlungsbehörden einem sichergestellten Zettel entnommen, auf dem der Beschwerdeführer diese Daten selber notiert hatte.
7.2
Der Geheimnisschutz zugunsten der Inhaber von
Schriftstücken
(und anderen Aufzeichnungen) ist in den Artikeln 246-248 StPO geregelt. Da die passwortgeschützten Zugangsdaten eines FB-Kontos den Privatgeheimnissen zuzurechnen sind (
Art. 13 BV
,
Art. 264 Abs. 1 lit. b StPO
), hätte der Beschwerdeführer zunächst die Siegelung des von ihm ausgestellten Schriftstücks verlangen können (
Art. 248 Abs. 1 StPO
). Dass er demgegenüber versucht hat, den Zettel mit den aufnotierten Zugangsdaten als Kassiber heimlich aus dem Untersuchungsgefängnis zu schmuggeln bzw. an eine Drittperson weiterzuleiten, ist weder der Staatsanwaltschaft noch der Gefängnisleitung anzulasten. Diese sind gesetzlich verpflichtet, die Ordnung und Sicherheit im Gefängnis zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass die Untersuchungszwecke nicht durch Kollusionshandlungen von beschuldigten Häftlingen vereitelt werden (
Art. 235 Abs. 1-3 StPO
). Nach den unbestrittenen Darlegungen der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer nicht nur versucht, seine FB-Zugangsdaten als Kassiber aus dem Gefängnis zu schmuggeln; zudem hat er eine Drittperson (als Nachrichtenmittlerin) veranlasst, weiteren Personen (darunter vermutlich einem wegen qualifizierten Drogendelikten Mitbeschuldigten) eine Nachricht des Beschwerdeführers aus dem Gefängnis zukommen zu lassen.
7.3
Angesichts dieser massiven Kollusionshandlungen musste der Beschwerdeführer ernsthaft damit rechnen, dass seine Kontakte mit aussenstehenden Drittpersonen von der Verfahrensleitung und vom Sicherheitspersonal des Gefängnisses kontrolliert wurden. Dazu gehörten auch in Aufgabenheften versteckte Informationen, die er seiner Sprachlehrerin zukommen liess:
Hätte der Beschwerdeführer schon den Zettel mit den FB-Zugangsdaten der strafprozessualen Geheimhaltung unterstellen wollen, hätte er ihn nach den Vorschriften des Gesetzes siegeln lassen können und müssen (
Art. 246-248 StPO
). Stattdessen hat er versucht, das
BGE 143 IV 270 S. 281
Schriftstück als Kassiber aus dem Untersuchungsgefängnis zu schmuggeln und damit zu kolludieren. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hatte er die Sprachlehrerin zunächst veranlasst, am 3. Juni 2016 (über den FB-Account ihrer Tochter) eine Nachricht an seine Lebenspartnerin zu verschicken. Diese Nachricht war inhaltlich für zwei andere Personen bestimmt (darunter ein wegen qualifizierten Drogendelikten Mitbeschuldigter). Wenige Tage später teilte die Lehrerin dem Beschwerdeführer mit, es könne sein, dass seine Lebenspartnerin die Nachricht vom 3. Juni 2016 nicht erhalten habe. In der Folge bat sie ihn um die Zugangsdaten für sein FB-Konto. Der Beschwerdeführer schrieb Benutzername und Passwort seines FB-Accounts auf einen Zettel, den er zuhanden der Lehrerin in ein Aufgabenheft legte.
7.4
Die Staatsanwaltschaft war befugt, diese akute Kollusion zu unterbinden (vgl.
Art. 235 Abs. 1-3 StPO
). Dabei durfte sie insbesondere verifizieren, ob die Lehrerin ihr Angebot an den Beschwerdeführer wahrgemacht hatte, die fragliche Nachricht nochmals - nun mittels der von ihm preisgegebenen Zugangsdaten - über sein eigenes FB-Konto zu versenden:
In dringenden Fällen können Durchsuchungen von Schriftstücken mündlich angeordnet und erst nachträglich schriftlich bestätigt werden (
Art. 241 Abs. 1 StPO
). Ist Gefahr im Verzug, so kann sogar die Polizei (ohne schriftlichen Befehl) Durchsuchungen vornehmen und die Staatsanwaltschaft unverzüglich darüber informieren (
Art. 241 Abs. 3 StPO
). Im vorliegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft den sichergestellten Kassiber durchsucht und am 9. Juni 2016 (gestützt auf die darauf notierten Zugangsdaten) Online-Recherchen durch die Kantonspolizei angeordnet.
Ein begründeter Anlass dafür, den Beschwerdeführer schon am 9. Juni 2016 - von Amtes wegen und noch vor der Kollusionsabwehr - einzuladen, ein Siegelungsgesuch betreffend den beschlagnahmten Kassiber zu stellen, oder ihm diesbezüglich einen förmlichen Durchsuchungsbefehl zuzustellen, bestand hier nicht: Angesichts der oben dargelegten akuten Verdunkelungsgefahr wäre vielmehr ernsthaft zu befürchten gewesen, dass die per Internet zugänglichen untersuchungsrelevanten Beweismittel in diesem Fall (noch vor dem behördlichen Zugriff) vernichtet worden wären. Für solche Fälle von "Gefahr in Verzug" sieht das Gesetz die vorläufige Sicherstellung von Aufzeichnungen ausdrücklich vor (
Art. 263 Abs. 3 und
Art. 265 Abs. 4 StPO
;
BGE 138 IV 153
E. 3.3.2 S. 155). Dabei durfte die
BGE 143 IV 270 S. 282
Staatsanwaltschaft auch dem hohen öffentlichen Interesse an der ungestörten Wahrheitsfindung bzw. Kollusionsabwehr in einem schwerwiegenden komplexen Fall von Drogenkriminalität Rechnung tragen (vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und Abs. 2 StPO).
Die Nutzung des Internets, etwa von sozialen Netzwerken, steht grundsätzlich jedermann zu, auch Strafbehörden für Online-Ermittlungen (vgl. Art. 139 Abs. 1 i.V.m. Art. 306 Abs. 1-2 und
Art. 312 Abs. 1 StPO
). Die Internet-Recherche stützte sich im vorliegenden Fall auf eine gesetzlich zulässige Durchsuchung einer zur Kollusionsabwehr sichergestellten und durchsuchten schriftlichen Privataufzeichnung (Art. 246 i.V.m. Art. 241 Abs. 3, Art. 263 Abs. 3 und Art. 265
Art. 4 StPO
). Der Beschwerdeführer selber hat die Sprachlehrerin über seine FB-Zugangsdaten informiert; die Lehrerin hat diesbezüglich Beweisaussagen gegenüber der Untersuchungsbehörde gemacht. Die vom Beschuldigten preisgegebenen Zugangsdaten hätten beispielsweise auch dann für Online-Ermittlungen verwendet werden dürfen, wenn er (oder eine informierte Gewährsperson) sie anlässlich einer Befragung (
Art. 157 ff. StPO
) bekanntgegeben hätte. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Verwendung der gesetzeskonform erhobenen Zugangsdaten für strafrechtliche Ermittlungen wegen mutmasslichen Verbrechen hätte verboten sein sollen, nachdem der Berechtigte keine Siegelung der fraglichen Privataufzeichnung beantragt hatte, sondern diese aus eigenem Antrieb als Kassiber verwendete bzw. zu Kollusionszwecken einsetzte.
7.5
Die sich anschliessende
Online-Recherche
und die vorläufige Sicherstellung von elektronischen Dateien (Chat-Nachrichten) stützen sich ebenfalls auf die Bestimmungen von Art. 246 und Art. 263 Abs. 3 bzw.
Art. 265 Abs. 4 StPO
:
Gemäss
Art. 246 StPO
können insbesondere Datenträger sowie Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beweismittelbeschlagnahme (
Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO
) unterliegen. Dazu gehören auch Chat-Nachrichten auf abgeleiteten Internetdiensten wie FB-Konten, welche auf elektronischen Servern in diversen Ländern (bzw. sogenannten Internet-Clouds) gespeichert werden. Zwar kann sich die Inhaberin oder der Inhaber der zu durchsuchenden Aufzeichnungen vorgängig zum Inhalt der Aufzeichnungen äussern (
Art. 247 Abs. 1 StPO
) und ein Siegelungsgesuch stellen, falls er Geheimnisschutzinteressen anrufen möchte (
Art. 248 Abs. 1 StPO
). Falls "Gefahr im Verzug" ist, dürfen die
BGE 143 IV 270 S. 283
Strafbehörden jedoch Beweisgegenstände bereits
vorläufig
sicherstellen(
Art. 263 Abs. 3 StPO
). Sichernde Zwangsmassnahmen sind namentlich zulässig, wenn die blosse Aufforderung zur Edition den Zweck der Massnahme vereiteln würde (
Art. 265 Abs. 4 StPO
).
Nach ständiger Praxis des Bundesgerichtes kann die Untersuchungsbehörde mögliche Beweismittel, die sie inhaltlich durchsuchen (
Art. 246 StPO
) und beschlagnahmen (
Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO
) möchte, nötigenfalls vorläufig sicherstellen (
Art. 263 Abs. 3 und
Art. 265 Abs. 4 StPO
;
BGE 138 IV 153
E. 3.3.2 S. 155). Ein solches Vorgehen kann sich insbesondere aufdrängen, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass Beweismittel
unterdrückt
werden, oder wenn andere Verdunkelungshandlungen drohen (Urteil 1B_636/2011 vom 9. Januar 2012 E. 2.4.2; vgl. BANGERTER, a.a.O, S. 102-106; BOMMER/GOLDSCHMID, a.a.O., N. 67 zu Art. 263 und N. 33 f. zu
Art. 265 StPO
; CHIRAZI, a.a.O., N. 23 ff. zu
Art. 241 StPO
; GFELLER, a.a.O., N. 33 zu
Art. 241 StPO
; HEIMGARTNER, in: Zürcher Kommentar, a.a.O., N. 26 zu Art. 263 und N. 12 zu
Art. 265 StPO
; KELLER, a.a.O., N. 22 zu
Art. 241 StPO
; SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 3 zu Art. 246 und N. 16 zu
Art. 265 StPO
).
Zum Zwecke der vorläufigen Sicherstellung darf die Untersuchungsbehörde die Aufzeichnungen thematisch
grob sichten
, um zu gewährleisten, dass nur Gegenstände sichergestellt werden, die potentiell untersuchungsrelevant erscheinen. Eine detaillierte inhaltliche
Durchsuchung
und Auswertung (im Sinne von
Art. 246 StPO
) darf hingegen in der Regel erst erfolgen, nachdem dem betroffenen Inhaber die Gelegenheit gegeben wurde, sich zum Inhalt der sichergestellten Aufzeichnungen grundsätzlich zu äussern (
Art. 247 Abs. 1 StPO
) bzw. ein Siegelungsgesuch (
Art. 248 Abs. 1 StPO
) zu stellen (
BGE 142 IV 372
E. 3.1 S. 375;
BGE 141 IV 77
E. 5.5.1 S. 84 f.;
BGE 138 IV 225
E. 7.1 S. 229;
BGE 137 IV 189
E. 5.1 S. 195-197;
BGE 108 IV 75
E. 5a S. 76;
BGE 106 IV 413
E. 7b S. 423 f.; vgl. BANGERTER, a.a.O., S. 211; CHIRAZI, a.a.O., N. 5-10 zu
Art. 247 StPO
; KELLER, a.a.O., N. 3-5 zu
Art. 247 StPO
; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, Rz. 1083; SCHMID, Handbuch, a.a.O., Rz. 1077; THORMANN/BRECHBÜHL, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 13 zu
Art. 248 StPO
).
7.6
Im vorliegenden Fall durfte die Staatsanwaltschaft die Chat-Nachrichten über das Internet recherchieren und vorläufig sicherstellen lassen, da ernsthafte Anhaltspunkte bestanden, dass der
BGE 143 IV 270 S. 284
Beschwerdeführer diese löschen oder manipulieren lassen würde, falls nicht ohne Verzug darauf zugegriffen worden wäre (vgl. oben, E. 5.1- 5.3). Die Untersuchungsbehörde hat auch die elektronischen Kopien der sichergestellten Chat-Nachrichten gesetzeskonform erheben lassen und zu den Akten genommen (Art. 192 Abs. 2 i.V.m.
Art. 263 Abs. 3 StPO
) und die Aufzeichnungen sofort nach Eingang des Siegelungsgesuches versiegelt (
Art. 248 Abs. 1 StPO
).
Gemäss dem angefochtenen Entscheid hat die Staatsanwaltschaft schon angesichts der grossen Menge der elektronisch sichergestellten Dateien noch keine vollständige Durchsuchung und Auswertung vorgenommen. Die aktivsten Chat-Kontakte des Beschwerdeführers während den drei bis vier Monaten vor seiner Verhaftung wurden gesichtet. Sie betreffen Kommunikationen, die der Beschuldigte mit fünf Personen geführt hat, die mutmasslich ebenfalls im Kokainhandel tätig waren. Einige als untersuchungsrelevant eingestufte Chat-Nachrichten wurden ausgedruckt, damit sie dem Beschwerdeführer anlässlich seiner polizeilichen Befragung vom 19. September 2016 vorgehalten werden konnten. Der Beschuldigte hatte ausgesagt, über FB-Nachrichten keinen Kontakt zu Personen gepflegt zu haben, die im Drogenhandel tätig sind; ebenso wenig habe er sich mit Chat-Partnern über Drogen, Kunden oder Geld ausgetauscht.
Zwar wurden dem Beschwerdeführer einige ausgedruckte Nachrichten (am 19. September 2016) inhaltlich vorgehalten. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass bereits eine gesetzwidrige detaillierte Durchsuchung der zahlreichen sichergestellten Aufzeichnungen erfolgt wäre, die überdies zu einem Verwertungsverbot führen würde: Zum einen wurden sehr umfangreiche Dateien sichergestellt, die zum weit überwiegenden Teil noch nicht inhaltlich ausgewertet werden konnten. Zum anderen diente der Vorhalt einiger Stichproben-Nachrichten nicht zuletzt dem Zweck, dass sich der Beschwerdeführer vor der detaillierten Auswertung zum Inhalt der Aufzeichnungen grundsätzlich äussern konnte. Dementsprechend hat er auch wenige Tage später - am 26. September 2016 - die Siegelung sämtlicher vorläufig sichergestellter Aufzeichnungen beantragt. Zu den vorgehaltenen Stichproben hat er die Aussage verweigert. Als Zwangsmassnahme und "ultima ratio" gegenüber akut drohenden Kollusionshandlungen käme im Übrigen selbst eine polizeiliche (Not-)Durchsuchung von sichergestellten Aufzeichnungen (ohne vorgängigen staatsanwaltlichen Befehl) grundsätzlich in Frage (
Art. 241 Abs. 3 StPO
; vgl.
BGE 139 IV 128
E. 1.4 S. 133; BOMMER/GOLDSCHMID, a.a.O., N. 34
BGE 143 IV 270 S. 285
zu
Art. 265 StPO
; CHIRAZI, a.a.O., N. 23-36 zu
Art. 241 StPO
; GFELLER, a.a.O., N. 32-41 zu
Art. 141 StPO
; KELLER, a.a.O., N. 21-23 zu
Art. 241 StPO
; SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 6-7 zu Art. 241 und N. 16 zu
Art. 265 StPO
).
Aber sogar der Fall einer unzulässigen verfrühten Durchsuchung würde in der vorliegenden Konstellation nicht zu einem absoluten Verwertungsverbot (Art. 141 Abs. 1 i.V.m.
Art. 140 StPO
) bereits im Vorverfahren führen. Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen (E. 8.3-8.4) ergibt, erscheint die Beweiserhebung zur Aufklärung schwerer Straftaten von erheblicher Bedeutung, was eine Verwertung - zumindest im jetzigen Verfahrensstadium - nicht ausschlösse (vgl.
Art. 141 Abs. 2 StPO
; dazu
BGE 139 IV 128
E. 1.6-1.7 S. 134 f.; s.a. BÉNÉDICT/TRECCANI, in: Commentaire romand, a.a.O., N. 22 ff. zu
Art. 141 StPO
; SABINE GLESS, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 66-69 zu
Art. 141 StPO
; SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 6-8 zu
Art. 141 StPO
; WOLFGANG WOHLERS, in: Zürcher Kommentar, a.a.O., N. 20-24 zu
Art. 141 StPO
). Über die Bedeutung der Beweiserhebung (im Sinne von
Art. 141 Abs. 2 StPO
: "zur Aufklärung unerlässlich") wird im Übrigen das Strafgericht bzw. die für den Endentscheid zuständige Instanz abschliessend zu befinden haben (
BGE 142 IV 207
E. 9.8 S. 227;
BGE 141 IV 284
E. 2.1-2.3 S. 286 f.,
BGE 141 IV 289
E. 1 S. 291 f.).
Da die passwortgestützte Online-Recherche und die Sicherstellung der Chat-Nachrichten in die Grundrechte des Beschwerdeführers eingreifen (
Art. 13 BV
), sind die Untersuchungshandlungen als strafprozessuale
Zwangsmassnahmen
einzustufen (
Art. 196 lit. a StPO
). Wie bei der Prüfung der materiellen Entsiegelungsvoraussetzungen darzulegen sein wird, sind hier auch die allgemeinen gesetzlichen Zwangsmassnahmenvoraussetzungen (
Art. 197 StPO
) grundsätzlich erfüllt (vgl. E. 8).
7.7
Für das gleiche Zwischenergebnis spricht hier auch ein Vergleich mit der Rechtslage im Falle der Erhebung von passwortgeschützter
Fernmelde
kommunikation (nach
Art. 269 ff. StPO
):
Wenn die Untersuchungsbehörde (etwa über eine Beweisaussage oder eine erhobene Beweisurkunde) zum Beispiel das Zugangspasswort zur Entsperrung eines sichergestellten und nicht gesiegelten
Smartphones
erfährt, ist sie ebenfalls berechtigt, die dort gespeicherte abgeschlossene
Fernmelde
kommunikation (insbesondere vom Empfänger bereits abgerufene E-Mails oder SMS) zu
sichten
. Die Wahrung
BGE 143 IV 270 S. 286
von Geheimnisrechten erfolgt auch hier über eine
Siegelung
des edierten oder beschlagnahmten Smartphones durch dessen Eigentümer bzw. Anschlussinhaber (oder nötigenfalls über die Siegelung von abgeschlossener Kommunikation, welche von der Fernmeldedienst-Anbieterin ediert wurde). Eine richterliche Überwachungsbewilligung (
Art. 271 Abs. 1 StPO
) wäre hier nur bei
aktiver
(vom Empfänger noch nicht abgerufener)
Fernmelde
kommunikation erforderlich (
BGE 140 IV 181
; vgl. zu dieser Praxis oben, E. 4.6; zur polizeilichen Durchsuchung eines nicht passwortgeschützten Smartphones s.
BGE 139 IV 128
E. 1.7 S. 134 f.).
Für blosse
abgeleitete Internetdienste
(etwa Kommunikation über soziale Netzwerke wie FB), welche nicht den Bestimmungen von
Art. 269-279 StPO
unterliegen (vgl. oben, E. 4.7-4.8), können keine strengeren strafprozessualen Zugriffsregeln gelten als bei der digitalen Fernmeldekommunikation im engeren Sinne.
7.8
Die vom Beschwerdeführer vertretene Analogie mit dem Fall eines sichergestellten Hausschlüssels legt hier kein anderes Ergebnis nahe:
Im vorliegenden Fall wurde keine Wohnung durchsucht. Vielmehr liess die Staatsanwaltschaft Web-Kommunikation (über einen abgeleiteten Internetdienst) online sichten. Wenn die Untersuchungsbehörde zum Beispiel den Schlüssel zu einem Behältnis (etwa Koffer oder Gepäckschliessfach) oder zu einem Fahrzeug rechtmässig sicherstellt, kann sie durchaus befugt sein, dieses zu öffnen und darin befindliche Aufzeichnungen als Beweismittel sicherzustellen. Erst wenn sich Anhaltspunkte für geheimnisgeschützte Aufzeichnungen ergeben, ist ihrem Inhaber (nach der oben dargelegten gesetzlichen Regelung) vor einer detaillierten inhaltlichen Auswertung Gelegenheit zu geben, ein Siegelungsgesuch zu stellen (Art. 248 i.V.m Art. 246 f. StPO).
7.9
Auch das strafprozessuale Verbot des Selbstbelastungszwangs ("nemo-tenetur"-Prinzip) lässt die hier erfolgte Online-Ermittlung nicht als bundesrechtswidrig erscheinen: Die kantonalen Strafbehörden haben den Beschwerdeführer nicht gezwungen, sich selbst zu belasten oder belastende Beweismittel herauszugeben. Das Selbstbelastungsprivileg bietet dem Beschuldigten keinen Schutz vor den gesetzlich vorgesehenen Zwangsmassnahmen und anderen zulässigen Untersuchungshandlungen (
Art. 113 Abs. 1 Satz 2 StPO
;
BGE 142 IV 207
E. 8.1-8.4 S. 213-216 mit Hinweisen).
BGE 143 IV 270 S. 287
7.10
Der Beschwerdeführer stellt sich (wie auch die Vorinstanz) auf den Standpunkt, bei den online erhobenen Nachrichten handle es sich um elektronische Aufzeichnungen, die auf Servern im
Ausland
(gemäss seiner Vermutung in den USA) gespeichert würden. Nach der Praxis des Bundesgerichtes (
BGE 141 IV 108
) zum Territorialitätsgrundsatz und zur Cybercrime-Convention dürfe die Untersuchungsbehörde nicht direkt darauf zugreifen, sondern nur auf dem Wege der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen.
In
BGE 141 IV 108
wurde entschieden, dass aufgrund des internationalstrafrechtlichen Territorialitätsprinzips (vgl.
Art. 1 und
Art. 54 StPO
i.V.m.
Art. 1 Abs. 1 lit. b IRSG
[SR 351.1] und
Art. 3 StGB
) ein direkter hoheitlicher Zugriff der schweizerischen Strafbehörden (per Überwachungsverfügung oder Editionsbefehl) auf im Ausland domizilierte Anbieter von abgeleiteten Internetdiensten nicht zulässig ist. Im dort beurteilten Fall war für die (von der Staatsanwaltschaft gegenüber FB USA verfügte) Erhebung von Verkehrsranddaten der Internet-Kommunikation (IP-History) der Weg der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen zu beschreiten (
BGE 141 IV 108
E. 5.3 S. 121 f., E. 5.12 S. 127; bestätigt in
BGE 143 IV 21
E. 3.2-3.4 S. 24 ff.; vgl. dazu näher oben, E. 4.7-4.8).
Im vorliegenden Fall erfolgte kein Datenerhebungs- oder Editionsbefehl der Untersuchungsbehörde gegenüber FB USA, FB Irland oder FB Schweiz. Ebenso wenig nahm die Staatsanwaltschaft (gestützt auf die Cybercrime-Convention oder auf dem Rechtshilfeweg) hoheitliche Handlungen im Ausland vor. Vielmehr hat die Untersuchungsbehörde - von in der Schweiz befindlichen Computern, Servern und IT-Infrastrukturen aus - eigene Ermittlungen im Internet aufgenommen. Diese Online-Recherche war möglich geworden, weil die Staatsanwaltschaft über einen abgefangenen Kassiber (den der Beschuldigte aus dem Untersuchungsgefängnis zu schmuggeln versucht hatte) in den Besitz der Zugangsdaten des FB-Accounts des Beschuldigten gelangt war.
Wer über einen Internetzugang im Inland einen abgeleiteten Internetdienst benutzt, der von einer ausländischen Firma angeboten wird, handelt nicht "im Ausland". Auch der blosse Umstand, dass die elektronischen Daten des betreffenden abgeleiteten Internetdienstes auf Servern (bzw. Cloud-Speichermedien) im Ausland verwaltet werden, lässt eine von der Schweiz aus erfolgte gesetzeskonforme Online-Recherche nicht als unzulässige Untersuchungshandlung auf
BGE 143 IV 270 S. 288
ausländischem Territorium (im Sinne der dargelegten Praxis) erscheinen (vgl. auch BANGERTER, a.a.O., S. 280-282).
7.11
Nach dem Gesagten erweist sich die dem Entsiegelungsverfahren vorangegangene Online-Ermittlung und vorläufige Datenerhebung in der vorliegenden Konstellation als bundesrechtskonform. In diesem Zusammenhang ist kein Beweisverwertungsverbot (im Sinne von
Art. 140-141 StPO
) ersichtlich. (...) | mixed |
57f451ee-0f8c-459e-b26b-0d11030e1cf3 | Sachverhalt
ab Seite 75
BGE 144 IV 74 S. 75
A.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen B. und Mitbeteiligte wegen Tötungsversuchs und schwerer Körperverletzung. Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen habe der Beschuldigte am 15. Mai 2017 mehrmals auf A. geschossen und ihn dabei schwer verletzt. Da die bei der Schussabgabe anwesenden Personen Verbindungen zum Drogenmilieu hätten, sei unter anderem zu untersuchen, ob das Motiv des versuchten Tötungsdeliktes mit Drogengeschäften in Zusammenhang stehe. In den Effekten des schwer verletzten Opfers und Privatklägers wurden bei der polizeilichen Spurensicherung (noch am Tatort der Schiesserei) unter anderem Betäubungsmittel, Drogenutensilien sowie ein Rucksack mit zwei Mobiltelefonen sichergestellt. Gleichentags bzw. in der darauffolgenden Nacht liess die Staatsanwaltschaft diverse Hausdurchsuchungen durchführen, darunter auch am Wohnort des Privatklägers.
B.
Anlässlich der Hausdurchsuchung beim Privatkläger wurden unter anderem zusätzliche 10 Mobiltelefone sichergestellt, diverse weitere elektronische Geräte (darunter ein Laptop, drei Tablets, eine externe Festplatte, diverse USB-Sticks und eine Fotokamera), eine Bankkarte (Postcard) ein Portemonnaie mit Inhalt (darunter diverse Dokumente und Schlüssel), ein Notizzettel sowie weitere Schlüssel.
C.
Am 24. Mai 2017 stellte der Privatkläger ein Siegelungsbegehren. Am 29. Mai 2017 verfügte die Staatsanwaltschaft (vorsorglich) die "Beschlagnahme" der anlässlich der genannten Hausdurchsuchung sichergestellten und gesiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände.
BGE 144 IV 74 S. 76
Mit Verfügung vom 30. Mai 2017 dehnte sie die Beschlagnahme aus auf die (anlässlich der Spurensicherung sichergestellten und ebenfalls gesiegelten) Betäubungsmittel und Drogenutensilien aus den Effekten des Privatklägers. Gegen die Beschlagnahmen erhob dieser Beschwerde beim Zürcher Obergericht. Am 30. Mai 2017 stellte die Staatsanwaltschaft zudem beim kantonalen Zwangsmassnahmengericht zwei Gesuche um Entsiegelung aller versiegelten und (vorsorglich) beschlagnahmten Aufzeichnungen und Gegenstände.
D.
Mit Verfügung vom 25. Juli 2017 entschied das Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht (ZMG), über die Entsiegelungsgesuche wie folgt: Bei zehn Asservaten, nämlich mehreren Schlüsseln, Fr. 20.- Bargeld, einer Sonnenbrille, mehreren Gramm "Hanf" (bzw. Cannabis), einem Beutel mit "weissem Pulver" sowie Betäubungsmittelutensilien schrieb das ZMG das Entsiegelungsverfahren als gegenstandslos geworden und damit erledigt ab. Die betreffenden Gegenstände gab das ZMG an die Staatsanwaltschaft zur weiteren Verwendung frei. Betreffend alle anderen versiegelten Unterlagen, Gegenstände und Datenträger (darunter mehrere Mobiltelefone und diverse andere elektronische Datenträger) hiess das ZMG das Entsiegelungsgesuch gut. Gleichzeitig bewilligte es deren Durchsuchung und weitere Verwendung durch die Staatsanwaltschaft.
E.
Gegen den Entsiegelungsentscheid des ZMG gelangte A. mit Beschwerde vom 14. September 2017 (...) an das Bundesgericht. Er beantragt im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Abweisung der Entsiegelungsgesuche. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Zunächst ist zu prüfen, ob die Vorinstanz ein bundesrechtskonformes Verfahren durchgeführt hat. Der Beschwerdeführer macht insbesondere geltend, das ZMG habe ihm den gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutz verweigert. Die Ansicht der Vorinstanz, ein Teil der versiegelten und gleichzeitig förmlich beschlagnahmten Aufzeichnungen und Gegenstände sei weder einer Durchsuchung (
Art. 246 StPO
) noch dem Geheimnisschutz des Entsiegelungsverfahrens (
Art. 248 StPO
) zugänglich, sei bundesrechtswidrig. Das ZMG habe auf die Entsiegelungsgesuche gar nicht eintreten dürfen. Diese seien
BGE 144 IV 74 S. 77
jedenfalls abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden könne.
2.1
Der 3. Abschnitt "Durchsuchung von Aufzeichnungen" regelt (im 4. Kapitel des 5. Titels StPO) in den Artikeln 246-248 StPO die Siegelung und das Entsiegelungsverfahren: Schriftstücke, Ton-, Bild- und andere Aufzeichnungen, Datenträger sowie Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen dürfen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen (
Art. 246 StPO
). Dies gilt namentlich für Gegenstände, die als Beweismittel benötigt werden (
Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO
). Von einer Durchsuchung von Aufzeichnungen gemäss
Art. 246 StPO
wird nach der Praxis des Bundesgerichtes gesprochen, wenn die Schriftstücke oder Datenträger im Hinblick auf ihren Inhalt oder ihre Beschaffenheit durchgelesen bzw. besichtigt werden, um ihre Beweiseignung festzustellen, sie allenfalls zu beschlagnahmen und zu den Akten zu nehmen (
BGE 143 IV 270
E. 4.4 S. 273 mit Hinweisen).
Die Inhaberin oder der Inhaber kann sich vorgängig zum Inhalt der zu durchsuchenden Aufzeichnungen und Gegenstände äussern (
Art. 247 Abs. 1 StPO
). Die Inhaberin oder der Inhaber kann der Strafbehörde Kopien von Aufzeichnungen und Ausdrucke von gespeicherten Informationen zur Verfügung stellen, wenn dies für das Verfahren ausreicht (
Art. 247 Abs. 3 StPO
). Sichernde Zwangsmassnahmen anstelle von blossen Editionsbefehlen (
Art. 265 StPO
) sind zulässig, wenn die Herausgabe verweigert wurde oder die Aufforderung zur Edition den Zweck der Massnahme vereiteln würde (
Art. 265 Abs. 4 StPO
). Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei Gegenstände zuhanden der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte vorläufig sicherstellen (
Art. 263 Abs. 3 StPO
; s.a.
Art. 241 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 StPO
).
2.2
Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (
Art. 248 Abs. 1 StPO
). Stellt die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren ein Entsiegelungsgesuch, hat das ZMG im Entsiegelungsverfahren zu prüfen, ob schutzwürdige Geheimnisinteressen oder andere gesetzliche Entsiegelungshindernisse einer Durchsuchung entgegenstehen (
Art. 248 Abs. 2-4 StPO
; vgl.
BGE 141 IV 77
E. 4.1 S. 81).
BGE 144 IV 74 S. 78
2.3
Soweit der Geheimnisschutz von durchsuchbaren sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen betroffen ist (
Art. 246-248 StPO
), schliesst das Gesetz die Beschwerde an die kantonale Beschwerdeinstanz ausdrücklich aus (Art. 248 Abs. 3 i.V.m.
Art. 380 StPO
). Statt dessen ist in diesen Fällen der Rechtsbehelf des Siegelungsbegehrens (Art. 247 Abs. 1 i.V.m.
Art. 248 Abs. 1 StPO
) zu ergreifen und (im Falle eines Entsiegelungsgesuches) das Entsiegelungsverfahren vor dem ZMG zu durchlaufen. Gegen den Entsiegelungsentscheid kann (unter den Voraussetzungen von
Art. 78 ff. BGG
) grundsätzlich Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht erhoben werden (vgl.
Art. 80 Abs. 2 Satz 3 und
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
).
Zu durchsuchende gesiegelte Beweismittel (etwa abgerufene Fernmeldenachrichten auf sichergestellten Mobiltelefonen) sind erst
nach
erfolgter Entsiegelung und Durchsuchung förmlich zu beschlagnahmen (Art. 263 Abs. 1 lit. a i.V.m.
Art. 246-248 StPO
). Vorher kann die Staatsanwaltschaft auch gar noch nicht im Detail wissen, was sie sichergestellt hat, was beweisrelevant ist und was sie überhaupt unter welchem Titel förmlich beschlagnahmen will (vgl.
BGE 143 IV 270
E. 4.4 S. 273;
BGE 141 IV 77
E. 4.1 S. 81; Urteile 1B_273/2015 vom 21. Januar 2016 E. 1.2; 1B_65/2014 vom 22. August 2014 E. 2.2, 2.4).
2.4
Wenn Mobiltelefone und andere digitale Kommunikationsgeräte physisch sichergestellt werden und die Staatsanwaltschaft die gespeicherten Daten auswerten will (Kontaktnummern, Verbindungsdaten, vom Empfänger abgerufene SMS- und E-Mail-Nachrichten, abgerufene Kommunikation über abgeleitete Internetdienste usw.), liegt nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich keine Fernmeldeüberwachung (
Art. 269-279 StPO
) vor und auch keine rückwirkende Randdatenerhebung (
Art. 273 StPO
). Der Rechtsschutz erfolgt hier in der Weise, dass die betroffene Person die Siegelung (
Art. 248 Abs. 1 StPO
) des edierten oder sichergestellten Gerätes verlangen kann (wie z.B. bei PCs, Notebooks, Servern usw.). Die Staatsanwaltschaft, welche die elektronischen Aufzeichnungen durchsuchen und beschlagnahmen will, muss dann beim ZMG ein Entsiegelungsgesuch stellen (
BGE 143 IV 270
E. 4.6 S. 274 f.;
BGE 140 IV 181
E. 2.4 S. 184, E. 2.10 S. 188; je mit Hinweisen).
Anders ist die Rechtslage, wenn keine Geräte physisch sichergestellt und ausgewertet und keine gespeicherten Nachrichten nach dem Fernmelde-Kommunikationsvorgang ediert und gesichtet werden,
BGE 144 IV 74 S. 79
sondern wenn die Staatsanwaltschaft digitale Nachrichten geheim abfangen bzw. "aktiv", noch während des Kommunikationsvorgangs, beim Fernmeldedienst- oder Internetzugangs-Provider edieren lässt: Solange die betreffenden Nachrichten vom Empfänger noch nicht auf dem Gerät abgerufen worden sind, liegt in diesen Fällen grundsätzlich eine Fernmeldeüberwachung vor (
BGE 143 IV 270
E. 4.6 S. 275;
140 IV 181
E. 2.4-2.7 S. 184-187; je mit Hinweisen).
2.5
Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz das Entsiegelungsverfahren teilweise als erledigt abgeschrieben. Es hat erwogen, dass diverse sichergestellte und von der Staatsanwaltschaft gesiegelte Gegenstände weder einer Durchsuchung (
Art. 246 StPO
) zugänglich noch "siegelungsfähig" seien. Da das betreffende Entsiegelungsgesuch gegenstandslos sei, hat die Vorinstanz das Entsiegelungsverfahren insofern als erledigt abgeschrieben. Die fraglichen Gegenstände hat das ZMG (ohne Entsiegelung) an die Staatsanwaltschaft zur weiteren Verwendung freigegeben. Für den ganzen Rest der versiegelten Gegenstände und Aufzeichnungen (insbesondere Mobiltelefone) hat es überwiegende Geheimnisschutzgründe (und andere Entsiegelungshindernisse) verneint und die beantragte Entsiegelung und Durchsuchung bewilligt.
2.6
Das prozessuale Vorgehen der Vorinstanz hält vor dem Bundesrecht stand:
Die Abschreibung des Entsiegelungsverfahrens betrifft mehrere Schlüssel, Fr. 20.- Bargeld, eine Sonnenbrille, mehrere Gramm "Hanf" (bzw. Marihuana/Cannabis), einen Beutel mit "weissem Pulver" sowie Betäubungsmittelutensilien. Weder ist ersichtlich, inwiefern es sich dabei um zu durchsuchende Schriftstücke, Aufzeichnungen und Datenträger im Sinne von
Art. 246 StPO
handeln könnte, noch, inwiefern daran schutzwürdige Geheimnisrechte im Sinne von
Art. 248 Abs. 1 StPO
angerufen werden könnten. Mutmassliche Drogen sind nicht (nach
Art. 246 StPO
) zu "durchsuchen", sondern spurentechnisch und chemisch-toxikologisch zu analysieren (vgl.
Art. 182-191 StPO
). Dafür sind sie sicherzustellen und zu Einziehungs- und Beweiszwecken zu beschlagnahmen (
Art. 263 Abs. 1 lit. a und d StPO
i.V.m. Art. 69 f. StGB). Der Beschwerdeführer legt auch keine schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen an den sichergestellten mutmasslichen Betäubungsmitteln oder an den Drogenutensilien dar. Das blosse Motiv, dass eine Person (namentlich eine beschuldigte oder verdächtige Person) strafprozessuale Beweiserhebungen möglichst unterbinden möchte, begründet für sich allein noch kein
BGE 144 IV 74 S. 80
rechtlich geschütztes Geheimnisinteresse im Sinne von
Art. 248 Abs. 1 StPO
(
BGE 142 IV 207
E. 11 S. 228).
Analoges gilt für die übrigen von der Vorinstanz als nicht entsiegelungsrelevant eingestuften Gegenstände. Auch Schlüssel, Fr. 20.- Bargeld oder eine Sonnenbrille sind nicht nach
Art. 246 StPO
zu durchsuchen. Sofern mit den hier sichergestellten Schlüsseln Behältnisse (z.B. Banksafes) geöffnet werden sollten, die dem Geheimnisschutz unterlägen und deren Durchsuchung verfügt würde, stünde es dem Beschwerdeführer dannzumal frei, ein entsprechendes Siegelungsbegehren zu stellen. Eine Beschlagnahme von Schlüsseln, Bargeld oder Kontenguthaben könnte er grundsätzlich mit Beschwerde an die kantonale Beschwerdeinstanz anfechten (vgl.
Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO
).
2.7
Die Staatsanwaltschaft hat beim ZMG nicht nur die Entsiegelung aller sichergestellten und versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände beantragt, sondern gleichzeitig (vorsorglich) auch noch förmliche "Beschlagnahmen" verfügt. Der Beschwerdeführer hat gegen diese Beschlagnahmeverfügungen separat (neben der Beschwerde ans Bundesgericht gegen den angefochtenen Entsiegelungsentscheid) auch noch eine StPO-Beschwerde beim kantonalen Obergericht erhoben. Wie oben dargelegt, sieht das Gesetz in der vorliegenden Konstellation eine Gabelung des Rechtsweges vor:
Die nicht entsiegelungsrelevanten und von vornherein nicht dem Geheimnisschutz vor Durchsuchungen unterliegenden Drogen (und weitere "nicht siegelungsfähige" Gegenstände) hat die Staatsanwaltschaft bereits mit förmlichem Einziehungs- und Beweismittelbeschlag belegt (
Art. 263 Abs. 1 lit. a und d StPO
). Der Beschwerdeführer hat diese Zwangsmassnahme mit separater Beschwerde beim kantonalen Obergericht angefochten, und im angefochtenen Entscheid wird zutreffend erwogen, dass diese Beschlagnahmen Gegenstand des hängigen StPO-Beschwerdeverfahrens bilden (
Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO
).
Was die entsiegelungsrelevanten (zu durchsuchenden und grundsätzlich dem Geheimnisschutz zugänglichen) Unterlagen, Aufzeichnungen und Datenträger betrifft, namentlich die sichergestellten und versiegelten Mobiltelefone, ist demgegenüber das gesetzliche Entsiegelungsverfahren durchzuführen (
Art. 248 StPO
). Dies gilt insbesondere für die zu durchsuchende bereits abgeschlossene Fernmeldekommunikation auf diversen elektronischen Geräten (vgl. oben,
BGE 144 IV 74 S. 81
E. 2.4). Die kantonale StPO-Beschwerde ist in diesem Bereich gesetzlich ausgeschlossen (Art. 248 Abs. 3 i.V.m.
Art. 380 StPO
und
Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG
). Das ZMG hat die Entsiegelungssache daher (im Hinblick auf die separat erhobene StPO-Beschwerde gegen die Beschlagnahmen) mit Recht nicht sistiert, sondern den hier angefochtenen Entscheid gefällt, soweit die Entsiegelungsgesuche nicht gegenstandslos waren und den Geheimnisschutzbereich vor Durchsuchungen betrafen (
Art. 246-248 StPO
).
Das prozessuale Vorgehen des ZMG (Beschränkung des materiellen Entscheides auf entsiegelungsrelevante Gegenstände) erweist sich damit als bundesrechtskonform. | mixed |
1a8f8b9e-9c3a-4119-9521-7ae46cdefe03 | Sachverhalt
ab Seite 243
BGE 143 I 241 S. 243
A.
Gemäss den vor dem Kriminalgericht Luzern hängigen Anklagen vom 29. September 2016 werden A. und B. unter anderem beschuldigt, gemeinsam mehrere qualifizierte Raubüberfälle begangen zu haben. Für den Beschuldigten A. hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern eine Freiheitsstrafe von 18 Jahren beantragt, für die Beschuldigte B. eine solche von 15 Jahren. Der Beschuldigte befindet sich seit dem 25. Juli 2015 in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft; die Beschuldigte war ab 25. Juli 2015 in Untersuchungshaft, seit dem 18. April 2016 befindet sie sich im vorzeitigen Strafvollzug. Die Beschuldigten sind seit mehr als 15 Jahren (unverheiratete) Lebenspartner.
B.
Am 14. Oktober 2016 stellte der Beschuldigte beim Kriminalgericht ein Gesuch betreffend "Besuchswunsch und Telefonate". Er wolle die separat inhaftierte Beschuldigte wieder einmal sehen und mit ihr regelmässigen telefonischen Kontakt pflegen können. Mit Verfügung vom 26. Oktober 2016 wies das Kriminalgericht, Abteilung 1, Präsident, das Gesuch des Beschuldigten in Bezug auf die beantragte Besuchsmöglichkeit (in Anwendung von
Art. 235 Abs. 2 StPO
) ab. Eine vom Beschuldigten dagegen erhobene Beschwerde wies das Luzerner Kantonsgericht, 1. Abteilung, Präsident, mit Beschluss vom 6. Dezember 2016 ab, soweit es darauf eintrat.
C.
Am 26. Oktober 2016 stellte auch die Beschuldigte beim Kriminalgericht ein Gesuch um Bewilligung von Besuchen zwischen ihr und dem Beschuldigten. Sie wolle ihren langjährigen Lebenspartner zumindest einmal im Monat sehen. Mit Verfügung vom 2. November 2016 wies das Kriminalgericht, Abteilung 1, Präsident, auch das Gesuch der Beschuldigten ab. Eine von ihr gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde vereinigte das Luzerner Kantonsgericht, 1. Abteilung, Präsident, mit der oben genannten Haftvollzugsbeschwerde des Beschuldigten. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2016 wies das Kantonsgericht auch die Beschwerde der Beschuldigten ab, soweit es darauf eintrat.
BGE 143 I 241 S. 244
D.
Gegen den Beschluss vom 6. Dezember 2016 des Kantonsgerichtes gelangten die beiden Beschuldigten mit gemeinsamer Beschwerdeeingabe vom 27. Januar 2017 an das Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Die kantonalen Behörden hätten ihnen zu ermöglichen, sich zumindest einmal monatlich besuchen zu können.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen (
Art. 78 Abs. 1 BGG
). Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend den Vollzug von strafprozessualer Haft (sog. "Haftvollzugsbeschwerde" nach
Art. 235 Abs. 5 StPO
i.V.m.
Art. 80 BGG
; vgl. dazu MARC FORSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 7 zu
Art. 220 StPO
; MATTHIAS HÄRRI, ebenda, N. 60-64 zu
Art. 235 StPO
; HUG/SCHEIDEGGER, in: Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. Aufl. 2014, N. 18 zu
Art. 235 StPO
; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPC, Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2016, N. 24 zu
Art. 235 StPO
; PATRICK ROBERT-NICOUD, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 13 zu
Art. 235 StPO
).
Der angefochtene Entscheid schliesst das hängige Strafverfahren nicht ab und ist insoweit als Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
einzustufen. Den Beschwerdeführenden droht im Falle einer Verweigerung des Besuchsrechts ein empfindlicher Eingriff in ihre Grundrechte (
Art. 10 Abs. 2,
Art. 13 Abs. 1 und
Art. 14 BV
) und damit ein (auch durch einen späteren Endentscheid in Strafsachen) nicht wiedergutzumachender Rechtsnachteil. Auch die Beschwerdelegitimation (
Art. 81 Abs. 1 BGG
) ist zu bejahen (vgl. Urteile 1B_369/2013 vom 26. Februar 2014 E. 1, nicht publ. in:
BGE 140 I 125
; 1B_788/2012 vom 5. Februar 2013 E. 1, nicht publ. in:
BGE 139 IV 41
; 1B_17/2015 vom 18. März 2015 E. 1; 1B_170/2014 vom 12. Juni 2014 E. 1; 1B_382/2013 vom 18. Dezember 2013 E. 1).
(...)
3.
3.1
Jede Person hat das Recht auf persönliche Freiheit (insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit) sowie auf Achtung
BGE 143 I 241 S. 245
ihres Privat- und Familienlebens (
Art. 10 Abs. 2 und
Art. 13 Abs. 1 BV
). Das Recht auf Familie ist grundrechtlich gewährleistet (
Art. 14 BV
).
Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse (oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter) gerechtfertigt und verhältnismässig sein (
Art. 36 Abs. 2 und Abs. 3 BV
). Schwere Eingriffe müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein (
Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BV
). Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar (
Art. 36 Abs. 4 BV
).
3.2
Die strafprozessuale Haft (Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie vorzeitiger Straf- und Massnahmenvollzug) ist in
Art. 220-236 StPO
gesetzlich geregelt. Als Sicherheitshaft gilt die Haft während der Zeit zwischen dem Eingang der Anklageschrift beim erstinstanzlichen Gericht und der Rechtskraft des Urteils, dem Antritt einer freiheitsentziehenden Sanktion, dem Vollzug der Landesverweisung oder der Entlassung (Art. 220 Abs. 2 i.V.m.
Art. 229 ff. StPO
). Die Verfahrensleitung kann der beschuldigten Person bewilligen, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehende Massnahmen vorzeitig anzutreten, sofern der Stand des Verfahrens es erlaubt (
Art. 236 Abs. 1 StPO
).
3.3
Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig (
Art. 32 Abs. 1 BV
;
Art. 10 Abs. 1 StPO
). Die strafprozessual inhaftierte beschuldigte Person darf in ihrer persönlichen Freiheit nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Haftzweck sowie die Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt erfordern (
Art. 235 Abs. 1 StPO
). Die Kontakte zwischen der inhaftierten Person und anderen Personen bedürfen der Bewilligung der Verfahrensleitung. Besuche finden wenn nötig unter Aufsicht statt (
Art. 235 Abs. 2 StPO
). Beim vorzeitigen Sanktionsvollzug tritt die beschuldigte Person mit dem Eintritt in die Vollzugsanstalt ihre allfällige Strafe oder Massnahme bereits an; sie untersteht von diesem Zeitpunkt an dem Vollzugsregime, wenn der Zweck der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft dem nicht entgegensteht (
Art. 236 Abs. 4 StPO
). Die Kantone regeln die Rechte und Pflichten der strafprozessual inhaftierten Personen, ihre Beschwerdemöglichkeiten, die Disziplinarmassnahmen sowie die Aufsicht über die Haftanstalten (
Art. 235 Abs. 5 StPO
).
3.4
Diese gesetzlichen Regelungen stützen sich auf die langjährige Praxis des Bundesgerichtes. Danach müssen einschränkende Haftbedingungen zur Gewährleistung der gesetzlichen Haftzwecke
BGE 143 I 241 S. 246
sachlich notwendig erscheinen. Dabei ist zwischen dem Vollzug von rechtskräftigen Sanktionen und dem strafprozessualen Haftvollzug zu unterscheiden: Letzterer setzt einen dringenden Tatverdacht eines Verbrechens oder Vergehens sowie einen besonderen Haftgrund (
Art. 221 StPO
) voraus. Auch können sich alle strafprozessualen Häftlinge bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung auf die Unschuldsvermutung berufen. Je höher im Einzelfall die Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr erscheint oder je stärker die Ordnung und Sicherheit (namentlich des Gefängnispersonals oder der Mithäftlinge) in der Haftanstalt gefährdet ist, desto restriktiver kann - in den Schranken der Grundrechte - das Regime der strafprozessualen Haft ausfallen (
BGE 141 I 141
E. 6.3.4 S. 146 f.;
BGE 140 I 125
E. 3.3 S. 133 f.;
BGE 123 I 221
E. I/4c S. 228, E. II/3f S. 238 f.;
BGE 118 Ia 64
E. 2d S. 73 f.; je mit Hinweisen). Je länger die strafprozessuale Haft allerdings gedauert hat, desto höhere Anforderungen sind an die Bundesrechtskonformität des Haftregimes zu stellen. Bei dieser Prüfung ist der Gesamtheit der Haftbedingungen im konkreten Einzelfall Rechnung zu tragen (
BGE 141 I 141
E. 6.3.4 S. 147;
BGE 140 I 125
E. 3.3 S. 134;
BGE 123 I 221
E. II/1c/cc S. 233;
BGE 118 Ia 64
E. 2d S. 73 f.). In diesem Bereich gehen die Garantien der EMRK über diejenigen der Bundesverfassung und des übrigen Bundesrechtes nicht hinaus (
BGE 141 I 141
E. 6.3.4 S. 147;
BGE 140 I 125
E. 3.3 S. 133;
BGE 118 Ia 64
E. 2d S. 73; je mit Hinweisen).
3.5
Beim vorzeitigen Sanktionsvollzug (
Art. 236 StPO
) handelt es sich um eine strafprozessuale Zwangsmassnahme auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Sanktionsvollzug, welche strafprozessuale Haftgründe (
Art. 221 StPO
) voraussetzt. Auch wenn der vorzeitige Sanktionsvollzug in einer Straf- oder Massnahmenanstalt erfolgt, bleiben hier grundsätzlich die Sacherfordernisse des Untersuchungshaftregimes aktuell. Es verletzt insofern das Rechtsgleichheitsgebot nicht, wenn für strafprozessuale Häftlinge in einer Strafanstalt ein anderes Haftregime gilt als für Strafgefangene (
BGE 133 I 270
E. 3.2.1 S. 277 f. mit Hinweis). Da der vorzeitige Sanktionsvollzug allerdings nicht nur strafprozessualen Haftzwecken dient, ist das Haftregime dem ordentlichen Sanktionsvollzug möglichst anzugleichen, soweit dies unter dem Gesichtspunkt der strafprozessualen Unschuldsvermutung zulässig erscheint (
BGE 133 I 270
E. 3.2.2 S. 278;
BGE 126 I 172
E. 3 S. 174).
3.6
Nach der Praxis des Bundesgerichtes besteht unter den Voraussetzungen von
Art. 235 StPO
grundsätzlich ein bundesrechtlicher
BGE 143 I 241 S. 247
Anspruch auf angemessene Haftbesuche (Urteile 1B_17/2015 vom 18. März 2015 E. 3; 1B_170/2014 vom 12. Juni 2014 E. 2; 1B_382/ 2013 vom 18. Dezember 2013 E. 2; zum grundrechtlich geschützten Haftbesuchsrecht s.a.
BGE 118 Ia 64
E. 3n-o S. 85-87;
BGE 106 Ia 136
E. 7a S. 140 f.; Europäische Strafvollzugsgrundsätze, Empfehlung des Europarates Rec[2006]2, 2007 [im Folgenden: Empfehlung des Europarates], Ziff. 24.1-24.2; vgl. HÄRRI, a.a.O., N. 33-37 zu
Art. 235 StPO
; HUG/SCHEIDEGGER, a.a.O., N. 3-6 zu
Art. 235 StPO
; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 24 zu
Art. 235 StPO
; ROBERT-NICOUD, a.a.O., N. 10 zu
Art. 235 StPO
). Bei Vorliegen besonderer Umstände kann es auch geboten erscheinen, Haftbesuche mit einem Recht auf Telefonverkehr zu kombinieren (Urteil 1B_17/2015 E. 3). Mangels entgegenstehender gewichtiger öffentlicher Interessen haben auch strafprozessuale Häftlinge namentlich das Recht auf angemessenen regelmässigen Kontakt zu ihrer Familie, darunter auch unverheirateten Lebenspartnern (
BGE 118 Ia 64
E. 3o S. 86;
BGE 106 Ia 136
E. 7a S. 140 f.;
BGE 102 Ia 299
E. 3 S. 301; Urteil 1B_170/2014 E. 2; Empfehlung des Europarates, a.a.O., Ziff. 24.2). Dies muss nach der dargelegten Rechtsprechung besonders nach länger andauernder strafprozessualer Haft und Wegfall von Kollusionsgefahr gelten. Hingegen kann eine Telefonier- oder Haftbesuchsbewilligung - selbst unter Bewachung und auch gegenüber nahen Angehörigen - grundsätzlich verweigert werden, solange akute Verdunkelungsgefahr besteht (Urteil 1B_382/2013 E. 2; vgl. auch HÄRRI, a.a.O., N. 30, 37 zu
Art. 235 StPO
; HUG/SCHEIDEGGER, a.a.O., N. 5 f. zu
Art. 235 StPO
; ROBERT-NICOUD, a.a.O., N. 4 zu
Art. 235 StPO
; zur Zulässigkeit von körperlichen Durchsuchungen bei Haftbesuchen s.
BGE 141 I 141
E. 6.3.5-6.6 S. 147-151; zur Zulässigkeit von Besuchssperrfristen in der ersten Haftwoche s.
BGE 118 Ia 64
E. 3n S. 85 f.;
BGE 106 Ia 136
E. 7a S. 140 f.).
4.
4.1
Die kantonalen Instanzen gehen zunächst von einer engen Definition des
strafprozessualen Haftbesuchsrechts
aus. Die Vorinstanz erwägt, das Besuchsrecht beinhalte nur (aber immerhin) den Anspruch, dass inhaftierte Personen in der Haftanstalt, in welcher sie untergebracht sind, Besuche "empfangen" dürften. Dies ergebe sich aus den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen (1978 und 2006) sowie aus
Art. 84 StGB
. Daraus könne nicht abgeleitet werden, dass die in Sicherheitshaft oder vorzeitigem Strafvollzug befindlichen Beschuldigten eine andere Person ausserhalb der Gefängnismauern
BGE 143 I 241 S. 248
besuchen dürften. Solche Besuche fielen vielmehr unter den Begriff "Urlaub" gemäss dem Strafvollzugsrecht.
4.2
Der Regelung von
Art. 235 Abs. 2 StPO
lässt sich nicht entnehmen, dass das strafprozessuale Haftbesuchsrecht ausschliesslich auf das (passive) Empfangen von Besuchen beschränkt wäre. Das Gesetz spricht vielmehr von "Kontakten" zwischen der inhaftierten Person und anderen Personen sowie von "Besuchen". Diese Kontakte und Besuche sind grundsätzlich zu bewilligen, soweit der Haftzweck und die Ordnung und Sicherheit der Haftanstalt dies erlauben (Art. 235 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 StPO). Besuche finden wenn nötig unter Aufsicht statt (
Art. 235 Abs. 2 Satz 2 StPO
).
Die im angefochtenen Entscheid getroffene Unterscheidung zwischen zulässigem (passivem) "Empfang" von Besuchen und angeblich nicht zulässigen (bzw. strafvollzugsrechtlich separat zu bewilligenden) aktiven Besuchen (mit strafprozessualem Hafturlaub) erscheint für das strafprozessuale Haftrecht (
Art. 235-236 StPO
) nicht hinreichend:
Die elementaren Grundrechte stehen nach der oben dargelegten Praxis des Bundesgerichtes auch (und gerade) den strafprozessual Inhaftierten zu. Dies gilt umso mehr, als alle nicht rechtskräftig verurteilten Personen, darunter auch Beschuldigte im vorzeitigen Sanktionenvollzug (
Art. 236 StPO
), sich auf die Unschuldsvermutung (
Art. 32 Abs. 1 BV
) berufen können (
BGE 126 I 172
E. 3 S. 174;
BGE 117 Ia 72
E. 1d S. 79 f.). Nur unter diesem Vorbehalt unterstehen Beschuldigte im vorzeitigen Strafvollzug grundsätzlich dem Strafvollzugsregime (vgl.
Art. 236 Abs. 4 StPO
). Dementsprechend bestimmt
Art. 235 Abs. 1 StPO
ausdrücklich, dass strafprozessual Inhaftierte in ihrer persönlichen Freiheit nicht stärker eingeschränkt werden dürfen, als es der Haftzweck sowie die Ordnung und Sicherheit der Haftanstalt erfordern.
Daraus folgt zunächst, dass auch für strafprozessual Inhaftierte eine
praxistaugliche Besuchsrechtsregelung
für enge Familienangehörige gelten muss, die vor den Grundrechten standhält. Selbst wenn der These der Vorinstanz gefolgt würde, das strafprozessuale Besuchsrecht sei auf den (passiven) "Empfang" von Besuchen zu beschränken, wäre der Empfang von Besuchen
inhaftierter
Angehöriger faktisch nur möglich, wenn dem Besucher oder der Besucherin ein entsprechendes aktives Besuchsrecht (verknüpft mit einem akzessorischen strafprozessualen "Hafturlaub" bzw. mit einer
BGE 143 I 241 S. 249
Gefangenentransportbewilligung) eingeräumt würde. Da strafprozessuale Gefangene bei Haftbesuchen nicht (begleitet oder unbegleitet) in Freiheit entlassen, sondern polizeilich von Haftanstalt zu Haftanstalt transportiert werden und sich dort (innerhalb des Anstaltsperimeters) weiter in Gefangenschaft befinden, wäre es sowohl terminologisch als auch inhaltlich verfehlt, hier von "Urlaub" im Sinne des Strafvollzugsrechts zu sprechen.
4.3
Nach den Feststellungen der Vorinstanz haben die Beschwerdeführenden ausdrücklich die Gesuche gestellt, sich in der strafprozessualen Haft sehen und
besuchen
zu dürfen. Sie legen nach wie vor dar, dass für sie sowohl "eine kurzzeitige Überführung in die Strafanstalt der Lebenspartnerin" des Beschuldigten in Frage komme, als auch (umgekehrt) ein Besuchsrecht im Haftgefängnis des Beschuldigten. Umfang und Grenzen des strafprozessualen Besuchsrechts sind nach den Kriterien von
Art. 235 Abs. 1-2 StPO
zu prüfen (Urteile des Bundesgerichtes 1B_17/2015 E. 3; 1B_170/2014 E. 2; 1B_382/2013 E. 2). Demgegenüber kann dieses Haftbesuchsrecht nicht aufgrund einer formalistisch-engen Definition oder hier sachfremder strafvollzugsrechtlicher Kriterien von vornherein vollständig verneint werden.
Auch das Strafvollzugsrecht ermöglicht im Übrigen grundsätzlich Urlaube von Strafgefangenen zum Besuch von Angehörigen oder Gefängnisbesuche von Angehörigen (Art. 84 Abs. 1-2 und Abs. 6 StGB). Der Kontakt mit nahestehenden Personen ist dabei zu erleichtern (
Art. 84 Abs. 1 Satz 2 StGB
; vgl. zum Ganzen MARTINO IMPERATORI, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 11, 19 zu
Art. 84 StGB
). Gemäss Ziffer 24.1 der Empfehlung des Europarates (a.a.O.) ist den (Straf-)Gefangenen zu gestatten, mit ihren Familien so oft wie möglich brieflich, telefonisch oder in anderen Kommunikationsformen zu verkehren und Besuche von ihnen zu empfangen. Bei strafprozessualen Häftlingen können Besuche und sonstige Kontakte eingeschränkt und überwacht werden, wenn dies für noch laufende strafrechtliche Ermittlungen, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit, zur Verhütung von Straftaten und zum Schutz der Opfer von Straftaten erforderlich ist. Solche Einschränkungen, auch spezielle, von einer Justizbehörde angeordnete Einschränkungen, müssen jedoch ein annehmbares Mindestmass an Kontakten zulassen (Empfehlung des Europarates, a.a.O., Ziff. 24.2; zu deren Rechtsquellenstatus als sog. "soft law"
BGE 143 I 241 S. 250
vgl.
BGE 141 I 141
E. 6.3.3 S. 145 f.;
BGE 140 I 125
E. 3.2 S. 133;
BGE 118 Ia 64
E. 2a S. 69 f.; je mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall ist nur schwer einzusehen, weshalb angemessene strafprozessuale Haftbesuche des nicht mehr kollusionsgefährdeten Beschuldigten in der Vollzugsanstalt seiner mitbeschuldigten Lebensgefährtin nicht sachgerecht, nämlich mittels Gefangenentransport und Familienbesuchszimmer, organisiert werden könnten. Darin ist bei sachgerechten Besuchsintervallen auch kein übertriebener Aufwand für die zuständigen Behörden erkennbar (zu den Modalitäten des Besuchsrechts in Strafanstalten bzw. Untersuchungsgefängnissen vgl. HÄRRI, a.a.O., N. 38-41 zu
Art. 235 StPO
; IMPERATORI, a.a.O., N. 19 zu
Art. 84 StGB
).
4.4
Aber auch in
verfahrensrechtlicher
Hinsicht kann den Erwägungen der Vorinstanz nicht gefolgt werden. Diese würden zu einer sachwidrigen und vom Bundesrecht nicht vorgesehenen Gabelung und Komplizierung der Rechtswege im strafprozessualen Haftrecht führen:
Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, in Fällen wie dem vorliegenden "gable" sich die sachliche Behördenzuständigkeit und der Rechtsmittelweg: Während für die Bewilligung von Besuchen die Verfahrensleitung (hier: das erstinstanzliche Strafgericht) zuständig sei, habe über konnexe strafprozessuale "Urlaube" die kantonale Strafvollzugsbehörde zu entscheiden. Der Beschwerdeführer habe ungeachtet seiner Grundrechte "keinen Anspruch auf Urlaubsgewährung" zur Besuchsausübung. Der Beschwerdeführerin helfe eine Besuchserlaubnis nicht, da der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Hafturlaub habe.
Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Die strafprozessual Inhaftierten haben Gesuche gestellt, sich in einem angemessenen Rahmen sehen und besuchen zu dürfen. Auch in Fällen wie dem vorliegenden hat die
zuständige Verfahrensleitung
gemäss
Art. 235 Abs. 2 Satz 1 StPO
über solche Anträge zu entscheiden. Erstens geht es hier um (rein akzessorische)
strafprozessuale
"Hafturlaube" zur Ausübung des
Besuchsrechts
unter engen Angehörigen und nicht um strafvollzugsrechtlichen Urlaub von rechtskräftig verurteilten Strafgefangenen (
Art. 84 Abs. 6 StGB
). Auch eine beschuldigte Person im vorzeitigen Strafvollzug (
Art. 236 StPO
) bleibt Partei des hängigen Strafprozesses, der von der jeweiligen Verfahrensleitung zu führen ist. Diese kann für die (nach
Art. 235 Abs. 1-2 StPO
zu
BGE 143 I 241 S. 251
prüfende) Bewilligung von strafprozessualen Besuchen per Gefangenentransport zuvor eine
Koordinationsrücksprache
mit den zuständigen Gefängnisleitungen und der kantonalen Vollzugsbehörde nehmen. Das Bewilligungsgesuch wird in der Regel von der (von einem Besuchsgesuch betroffenen) Gefängnisleitung zu stellen sein. Zweitens würde die von der Vorinstanz befürwortete Gabelung der Zuständigkeiten und Rechtswege im strafprozessualen Haftrecht zu einer bundesrechtswidrigen (nicht praktikablen und das Beschleunigungsgebot in Haftsachen tangierenden) Komplizierung und Verzögerung des Rechtsschutzes führen (Art. 235 Abs. 5 i.V.m.
Art. 5 Abs. 2 StPO
).
4.5
Schliesslich bleibt noch zu prüfen, ob die vollständige Verweigerung von Haftbesuchen hier materiell vor dem massgeblichen Bundesrecht standhält:
Nach den Feststellungen der Vorinstanz haben sich die Beschwerdeführenden seit ihrer Inhaftierung am 25. Juli 2015 nicht besuchen können, nachdem sie zuvor seit ca. 14 Jahren als unverheiratete Lebenspartner zusammengelebt hatten. Die vollständige Verweigerung des Besuchsrechts durch die kantonalen Instanzen führt hier zu einem schweren Eingriff in die Grundrechte auf persönliche Freiheit und Familienleben (
Art. 10 Abs. 2 und
Art. 14 BV
; s.a.
Art. 8 und
Art. 12 EMRK
). Das Recht auf Ehe- und Familienleben steht nach der übereinstimmenden Praxis des Bundesgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht nur verheirateten Paaren zu, sondern auch inhaftierten Partnern eines (gefestigten) Konkubinats bzw. einer anderen eheähnlichen Lebensgemeinschaft (
BGE 118 Ia 64
E. 3o S. 86; Urteil des EGMR
P. gegen Bulgarien
vom 22. Mai 2008, Nr. 15197/02 § 53).
Die strafprozessuale Haft der Lebenspartner dauert hier zudem bereits seit einem Jahr und acht Monaten an. Ein erstinstanzliches Gerichtsurteil ist nach den vorliegenden Akten noch nicht erfolgt, und die Beschuldigten können sich auf die Unschuldsvermutung berufen (
Art. 32 Abs. 1 BV
). Zudem droht ihnen im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung (angesichts der hohen Strafanträge von 18 bzw. 15 Jahren Freiheitsstrafe) noch ein sehr langer Rest-Strafvollzug mit weiteren (dannzumal vollzugsrechtlichen) Beschränkungen des Besuchsrechts. Hinzu kommt noch, dass die beiden Inhaftierten (je mit ausländischer Staatsangehörigkeit) darlegen, dass sie in der Schweiz über kein anderes Beziehungsnetz (etwa zu nahen Familienangehörigen) verfügen.
BGE 143 I 241 S. 252
Eine vollständige Verweigerung des Besuchsrechts im hängigen Strafverfahren würde das Grundrecht der Inhaftierten auf Familienleben bzw. persönlichen Kontakt mit dem langjährigen Lebenspartner ausserordentlich stark beeinträchtigen bzw. sogar dahinfallen lassen (vgl.
Art. 36 Abs. 4 BV
). Ein solch schwerer Eingriff müsste im Gesetz ausdrücklich vorgesehen sein (
Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BV
). Der angefochtene Entscheid hält umso weniger vor dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz (
Art. 36 Abs. 2-3 BV
) stand, als keine strafprozessualen Gründe für ein mehrjähriges vollständiges Besuchsverbot dargetan sind (
Art. 235 Abs. 1 StPO
). Insbesondere bestreiten die kantonalen Instanzen nicht, dass keine Kollusionsgefahr (
Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO
) zwischen den Beschuldigten mehr besteht.
Im angefochtenen Entscheid wird vielmehr argumentiert, die strafprozessual Inhaftierten hätten keinen Anspruch auf "positive Leistungen des Staates" wie Transport und Bewachung zu Besuchszwecken. Diese juristische Ansicht ist weder mit dem Grundrecht auf Familienleben vereinbar, noch findet sie in
Art. 235 Abs. 1 und 2 StPO
eine Stütze. Das Gesetz sieht vielmehr die "Bewilligung" von entsprechenden angemessenen Besuchskonditionen durch die strafprozessuale Verfahrensleitung bzw. die "Aufsicht" von bewilligten Besuchen (im Rahmen der Haftzwecke bzw. vorbehältlich der Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt) ausdrücklich vor. Die Beschwerdeführenden haben sich denn auch schon im vorinstanzlichen Verfahren bereit erklärt, sachlich gebotene Auflagen bzw. Einschränkungen des Besuchsrechts zu akzeptieren. Vor Bundesgericht beantragen sie ein (zumindest) monatliches Besuchsrecht, was nicht per se unangemessen erscheint. In diesem Rahmen haben die kantonalen Behörden (in Koordination zwischen Verfahrensleitung und Vollzugsbehörden) bundesrechtskonforme Besuchsmöglichkeiten des Beschuldigten in der Vollzugsanstalt seiner mitbeschuldigten Lebensgefährtin zu gewährleisten.
Der angefochtene Entscheid ist nach dem Gesagten mit dem Bundesrecht nicht vereinbar. (...) | mixed |
02e3ebf0-57f1-4abd-b270-d0b20cd8c661 | Sachverhalt
ab Seite 313
BGE 136 V 313 S. 313
A.
B., né en 1971, perçoit depuis le 1
er
janvier 2001 une rente entière de l'assurance-invalidité, assortie de rentes complémentaires pour son épouse et son enfant, ainsi que des prestations d'invalidité de la prévoyance professionnelle versées par la Caisse de retraite X. (ci-après: la caisse de retraite).
B.
En 2005, Z. SA a été absorbée par la société A. SA (aujourd'hui: C. SA). A la suite de cette fusion, l'Autorité de surveillance des fondations et des institutions de prévoyance de la République et canton de Genève a, par décision du 6 août 2007, prononcé la liquidation de la caisse de retraite. Alors que les assurés actifs étaient transférés dans une nouvelle institution de prévoyance, les droits et obligations découlant du rapport d'assurance entre la caisse de retraite
BGE 136 V 313 S. 314
et B. ont été repris, à compter du 1
er
janvier 2007, par la Fondation de prévoyance Y. (ci-après: la fondation de prévoyance; convention de cession et de reprise des 18 décembre 2006 et 8 janvier 2007).
C.
Le 29 septembre 2008, B. a ouvert action devant le Tribunal cantonal des assurances sociales de la République et canton de Genève contre la fondation de prévoyance, en concluant à ce qu'elle soit condamnée à lui verser, à compter du 1
er
janvier 2002, une rente complémentaire pour enfant de la prévoyance professionnelle. La fondation de prévoyance a appelé en cause la caisse de retraite.
Par jugement du 3 novembre 2009, le Tribunal cantonal des assurances sociales a admis la demande. Il a condamné d'une part la caisse de retraite à verser à l'assuré la somme de 39'312 fr. (avec intérêts à 5 % dès le 1
er
octobre 2008) au titre des rentes complémentaires pour enfant dues pour la période courant du 1
er
janvier 2002 au 31 décembre 2006 (chiffre 3 du dispositif). Il a condamné d'autre part la fondation de prévoyance à verser à l'assuré (1) la somme de 14'607 fr. (avec intérêts à 5 % dès le 1
er
octobre 2008) au titre des rentes complémentaires pour enfant dues pour la période courant du 1
er
janvier 2007 au 30 septembre 2008, et (2) une rente mensuelle de 895 fr. à compter du 1
er
octobre 2008 (chiffres 4 et 5 du dispositif). La caisse de retraite et la fondation de prévoyance ont également été condamnées respectivement à verser une indemnité de dépens de 1'800 fr. à l'assuré (chiffres 6 et 7 du dispositif).
D.
La caisse de retraite interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement. Elle conclut, principalement, à l'annulation des chiffres 3 et 7 du dispositif du jugement attaqué et, subsidiairement, au renvoi de la cause à la juridiction cantonale pour nouvelle décision au sens des considérants. Elle assortit son recours d'une requête d'effet suspensif.
B. conclut au rejet du recours, tandis que la fondation de prévoyance en propose l'admission. L'Office fédéral des assurances sociales a renoncé à se déterminer.
Le recours a été admis. Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.2
La seule question que le Tribunal fédéral doit examiner en l'espèce est de savoir si la caisse de retraite recourante est tenue d'allouer à l'intimé une rente complémentaire pour enfant de la
BGE 136 V 313 S. 315
prévoyance professionnelle pour la période courant du 1
er
janvier 2002 au 31 décembre 2006. Faute de recours de la fondation de prévoyance, le jugement attaqué est entré en force de chose jugée pour les parties qui concernent cette dernière (chiffres 4, 5 et 6 du dispositif).
3.
3.1
Le système suisse de prévoyance vieillesse, survivants et invalidité repose sur le principe des trois piliers (
art. 111 Cst.
). Les prestations du premier pilier (assurance-vieillesse, survivants et invalidité fédérale et prestations complémentaires) doivent couvrir les besoins vitaux des personnes assurées de manière appropriée (
art. 112 al. 2 let. b Cst.
), alors que les prestations du deuxième pilier (prévoyance professionnelle) doivent permettre aux personnes assurées de maintenir de manière appropriée leur niveau de vie antérieur (
art. 113 al. 2 let. a Cst.
; voir également
art. 1 al. 1 LPP
[RS 831.40]). II incombe au troisième pilier (prévoyance individuelle) de compléter les mesures collectives des deux premiers piliers selon les besoins personnels.
3.2
De manière générale, il est admis que le niveau de vie antérieur est maintenu, lorsqu'une personne qui a mené une carrière professionnelle normale - avec une durée complète de cotisation - touche un revenu de substitution - rente du premier et du deuxième pilier - égal à 60 % au moins de son dernier salaire brut. Cette conception n'a toutefois pas valeur absolue. En effet, pour les personnes de condition modeste, maintien du niveau de vie et couverture des besoins vitaux tendent par exemple à se confondre (Message du 10 novembre 1971 à l'appui d'un projet portant révision de la constitution dans le domaine de la prévoyance vieillesse, survivants et invalidité, FF 1971 II 1631 ch. 130.31; Message du 19 décembre 1975 à l'appui d'un projet de loi sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité, FF 1976 I 125 ch. 312; Message du 20 novembre 1996 relatif à une nouvelle constitution fédérale, FF 1997 I 331).
4.
4.1
Tant le financement que la mise en oeuvre de la prévoyance professionnelle doivent être fixés à l'avance dans les statuts et les règlements (
art. 50 LPP
) selon des critères schématiques et objectifs et respecter les principes d'adéquation, de collectivité, d'égalité de traitement, de planification ainsi que d'assurance (
art. 1 al. 3
BGE 136 V 313 S. 316
LPP
;
ATF 131 II 593
consid. 4.1 p. 603 et les références). Le principe d'assurance de la prévoyance professionnelle est respecté lorsque l'aménagement des rapports entre la personne assurée et l'institution de prévoyance permet d'atteindre les buts de la prévoyance professionnelle non seulement pour les cas de vieillesse, mais également pour les cas d'invalidité et de décès (cf. art. 1h de l'ordonnance du 18 avril 1984 sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité [OPP 2; RS 831.441.1]; Message du 19 décembre 1975 à l'appui d'un projet de loi sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité, FF 1976 I 127 ch. 313; arrêt 2A.554/2006 du 7 mars 2007 consid. 5.6; voir également JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER, in Commentaire LPP et LFLP, 2010, n
os
65 ss ad
art. 1 LPP
).
4.2
Les institutions de prévoyance qui participent à l'application du régime obligatoire de la prévoyance professionnelle (
art. 48 al. 1 LPP
) doivent respecter les exigences minimales fixées aux art. 7 à 47 LPP (
art. 6 LPP
). Il leur est toutefois loisible de prévoir des prestations supérieures aux exigences minimales fixées dans la loi (
art. 49 LPP
; Message à l'appui de la LPP, FF 1976 I 127 ch. 313 et 314;
ATF 131 II 593
consid. 4.1 p. 603 et les références).
4.3
Lorsqu'une institution de prévoyance décide d'étendre la prévoyance au-delà des exigences minimales fixées dans la loi (prévoyance surobligatoire ou plus étendue), on parle alors d'institution de prévoyance "enveloppante". Une telle institution est libre de définir, dans les limites des dispositions expressément réservées à l'
art. 49 al. 2 LPP
en matière d'organisation, de sécurité financière, de surveillance et de transparence, le régime de prestations, le mode de financement et l'organisation qui lui convient, pour autant qu'elle respecte les principes d'égalité de traitement et de proportionnalité ainsi que l'interdiction de l'arbitraire (
ATF 115 V 103
consid. 4b p. 109).
4.4
Dans les faits, une institution de prévoyance "enveloppante" propose, en général, un plan de prestations unique qui inclut les prestations minimales et les améliore, sans opérer de distinctions entre prévoyance obligatoire et prévoyance plus étendue. Afin de s'assurer que les prestations réglementaires respectent les exigences minimales de la LPP, autrement dit si la personne assurée bénéficie au moins des prestations minimales légales selon la LPP (
art. 49 al. 1 LPP
en corrélation avec l'
art. 6 LPP
), l'institution de prévoyance est
BGE 136 V 313 S. 317
tenue de pouvoir procéder à un calcul comparatif entre les prestations selon la LPP (sur la base du compte-témoin que les institutions de prévoyance doivent tenir afin de contrôler le respect des exigences minimales de la LPP [Alterskonto;
art. 11 al. 1 OPP 2
]) et les prestations réglementaires (Schattenrechnung; cf.
ATF 136 V 65
consid. 3.7 p. 71 et les références; voir également
ATF 114 V 239
consid. 6a p. 245).
4.5
Au lieu d'aménager la prévoyance plus étendue dans le cadre d'une institution de prévoyance "enveloppante", il est possible d'opérer une séparation organisationnelle stricte entre la prévoyance obligatoire et la prévoyance surobligatoire ("splitting"). Lorsque l'institution de prévoyance - constituée sous la forme d'une fondation en vertu des
art. 331 al. 1 CO
et 89
bis
CC - assure, pour la part surobligatoire, les risques vieillesse, décès et invalidité, elle doit alors tenir compte des dispositions expressément réservées à l'
art. 89
bis
al. 6 CC
, lesquelles sont similaires, dans les grandes lignes, aux règles posées à l'
art. 49 al. 2 LPP
(voir SCHNEIDER, op. cit., n° 210 ad Introduction générale).
5.
5.1
Selon l'
art. 25 LPP
, les bénéficiaires d'une rente d'invalidité ont droit à une rente complémentaire pour chaque enfant qui, à leur décès, aurait droit à une rente d'orphelin; le montant de la rente équivaut à celui de la rente d'orphelin. La rente pour enfant est calculée selon les mêmes règles que la rente d'invalidité.
5.2
Selon la jurisprudence, les exigences minimales fixées dans la LPP garantissent non seulement le montant minimal des prestations de la prévoyance obligatoire, mais également le genre de prestations qu'une institution de prévoyance doit allouer. Le règlement d'une institution de prévoyance "enveloppante" qui accorde, en lieu et place d'une rente d'invalidité et d'une rente complémentaire d'invalidité pour enfant, une rente d'invalidité supérieure au montant minimum de la rente d'invalidité et de la rente complémentaire d'invalidité pour enfant prévues par la LPP, n'est pas conforme au droit fédéral. Dès lors que la rente complémentaire d'invalidité pour enfant constitue une prestation à part entière dans le système de la prévoyance professionnelle tel que voulu par le législateur, la personne assurée a droit au montant de la rente d'invalidité réglementaire ainsi qu'au montant de la rente d'invalidité pour enfant calculé conformément à l'
art. 25 LPP
, si le règlement de prévoyance ne
BGE 136 V 313 S. 318
prévoit pas le versement d'une telle rente (
ATF 121 V 104
consid. 4 p. 106).
5.3
Bien que cette jurisprudence n'ait pas suscité de critiques de la part de la doctrine, il convient de revenir dessus.
5.3.1
Un revirement de jurisprudence ne peut se justifier que si la nouvelle solution répond mieux à l'intention du législateur, ou lorsqu'il tient à un changement des circonstances extérieures ou à l'évolution des conceptions juridiques. Le changement de jurisprudence doit donc se fonder sur des motifs matériels très sérieux, qui doivent être d'autant plus déterminants que la jurisprudence est ancienne, afin de ne pas heurter gratuitement la sécurité du droit. Si la jurisprudence se révèle erronée ou que son application a conduit à des abus répétés, elle ne saurait être maintenue (
ATF 136 III 6
consid. 3 p. 8 et les arrêts cités).
5.3.2
Selon le Message du 19 décembre 1975 à l'appui d'un projet de loi sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité, les institutions de prévoyance doivent servir au moins les prestations prescrites par la loi et respecter les principes qui y figurent quant à l'organisation et au financement des institutions de prévoyance, conservant pour le surplus la plus grande autonomie possible. Elles peuvent ainsi offrir aux assurés des prestations plus étendues que celles imposées par la loi ou assumer d'autres tâches que la seule prévoyance-vieillesse, survivants et invalidité. Pour des raisons de sécurité financière et afin que le bon fonctionnement de la prévoyance obligatoire soit garanti, quelques dispositions de la loi sont toutefois applicables à l'ensemble des activités de l'institution de prévoyance (FF 1976 I 128 ch. 314, 222 ch. 531). Il s'agit des dispositions qui font aujourd'hui l'objet du catalogue de l'
art. 49 al. 2 LPP
. Selon la volonté du législateur, le régime de l'assurance obligatoire, tel qu'il est décrit aux art. 7 à 47 LPP, a pour but de fixer les exigences minimales que les institutions de prévoyance enregistrées au registre de la prévoyance professionnelle doivent respecter.
5.3.3
5.3.3.1
Le système des rentes complémentaires a été introduit lors de la création de l'assurance-invalidité. Afin de remédier "aux conséquences économiques fâcheuses de l'invalidité du chef de famille pour la femme et les enfants", le législateur avait prévu de compléter la rente principale qui lui était allouée par des rentes
BGE 136 V 313 S. 319
complémentaires pour ses proches parents. Ces rentes devaient dépendre de l'existence d'un droit à une rente principale et revenir au même ayant droit; les proches parents n'avaient pas un droit propre aux rentes complémentaires, de sorte que l'unité juridique du cas de rente était maintenue (Message du 24 octobre 1958 relatif à un projet de loi sur l'assurance-invalidité ainsi qu'à un projet de loi modifiant celle sur l'assurance-vieillesse et survivants, FF 1958 II 1225 ss, 2
e
partie, chapitre F, III, ch. 2). Les rentes complémentaires devaient s'ajouter à la rente principale et constituer un revenu de substitution pour l'assuré invalide en vue de lui permettre de subvenir à l'entretien de sa famille (arrêt U 53/07 du 18 mars 2008 consid. 5.2.2.1, in SVR 2009 UV n° 7 p. 26; voir également arrêt du Tribunal fédéral des assurances B 25/00 du 24 septembre 2001 consid. 5b).
5.3.3.2
Le projet de loi sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité présenté par le Conseil fédéral ne prévoyait pas l'allocation de rentes pour enfant. Dans le cadre des travaux parlementaires, la commission du Conseil national a proposé de compléter les rentes de vieillesse et d'invalidité par une rente pour enfant, afin d'assurer le parallélisme entre les deux premiers piliers de la prévoyance (art. 17a et 23a du projet soumis aux Chambres, devenus ensuite les
art. 17 et 25 LPP
). La proposition de la commission du Conseil national a été adoptée par les Chambres fédérales sans que cela ne donne lieu à discussion (cf. BO 1977 CN 1326 s.; BO 1980 CE 273 et 275).
5.3.3.3
En calquant le système des rentes complémentaires de la prévoyance professionnelle sur celui du premier pilier, le législateur a exprimé la volonté de voir les mêmes principes être appliqués dans les deux piliers de la prévoyance. A l'
ATF 121 V 104
, le Tribunal fédéral des assurances s'est détourné de cette volonté, et a nié, sans raison évidente, le caractère accessoire de la rente complémentaire pour enfant par rapport à la rente principale.
5.3.4
Le but assigné à la prévoyance (premier et deuxième piliers) est de réparer, principalement sous la forme du versement d'une rente, les conséquences économiques et financières résultant de la réalisation du risque assuré (vieillesse, décès ou invalidité) en permettant à la personne assurée de maintenir son niveau de vie à un niveau approprié (cf. supra consid. 3.1 et 3.2). De par sa nature, la rente versée revêt un caractère indemnitaire. Le fait que la personne assurée ne puisse plus assurer l'entretien convenable de sa famille
BGE 136 V 313 S. 320
ne constitue qu'une partie du dommage global qu'elle subit en raison de la survenance du risque assuré (cf.
ATF 128 V 20
consid. 3e p. 28). La rente complémentaire pour enfant a donc pour effet d'augmenter la rente de vieillesse ou d'invalidité à laquelle la personne assurée peut prétendre et, partant, de compenser les éléments du revenu perdus à la suite de la survenance du risque assuré et destinés à l'entretien convenable de la famille (
ATF 134 V 15
consid. 2.3.3 p. 17; arrêt B 25/00 du 24 septembre 2001 consid. 5b, in RSAS 2003 p. 432). Nonobstant le texte de la loi, la rente principale et la rente complémentaire pour enfant ne sont que deux éléments d'une même prestation, la rente de vieillesse ou d'invalidité (principe d'assurance). Si le montant de la rente réglementaire est supérieur au montant total de la rente due au titre de rente principale et de rente complémentaire pour enfant selon le régime obligatoire, l'objectif assigné à la prévoyance professionnelle est rempli, puisque le préjudice subi à la suite de la réalisation du risque assuré a été réparé par la prestation reçue.
5.3.5
5.3.5.1
A l'
ATF 114 V 239
, le Tribunal fédéral des assurances a consacré pour le calcul des prestations d'assurance l'application de la méthode comparative (Anrechnungs- ou Vergleichsprinzip). Selon cette méthode, il convient de mettre en parallèle le montant de la prestation fixée selon la LPP et le montant de la prestation déterminé selon les dispositions réglementaires, la somme la plus élevée étant allouée à la personne assurée (cf. supra consid. 4.4). Le Tribunal fédéral des assurances a expressément rejeté l'application de la méthode cumulative (Splittings- ou Kumulationsprinzip), selon laquelle l'assuré a droit au montant de la prestation fixée selon la LPP pour la part obligatoire, auquel s'ajoute un montant calculé d'après les dispositions réglementaires pour la part surobligatoire (consid. 7 et 8; voir également
ATF 115 V 27
consid. 4 p. 30).
5.3.5.2
La méthode comparative a été consacrée depuis lors dans la loi. L'art. 2 al. 2 de la loi fédérale du 17 décembre 1993 sur le libre passage dans la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité (loi sur le libre passage, LFLP; RS 831.42) impose en effet aux institutions de prévoyance dans un cas de libre passage l'obligation de procéder à une comparaison, en exigeant que le montant de la prestation de sortie fixée d'après le règlement soit au moins égal à la prestation de sortie calculée selon les dispositions légales (art. 15 à 19 LFLP). Ce faisant, la LFLP admet l'existence d'un mode
BGE 136 V 313 S. 321
de calcul réglementaire à côté du mode de calcul légal et, partant, l'identité propre de chacun d'entre eux (arrêt du Tribunal fédéral des assurances B 48/96 du 16 septembre 1997 consid. 4d, in SVR 1998 BVG n° 5 p. 17).
5.3.5.3
L'
ATF 121 V 104
, en tant qu'il considère que la personne assurée peut cumuler la rente d'invalidité réglementaire avec la rente complémentaire d'invalidité pour enfant prévue à l'
art. 25 LPP
, constitue une exception à la méthode comparative. Alors même que la loi ne contient aucun point d'appui en faveur d'une application cumulative des dispositions légales et réglementaires, le Tribunal fédéral des assurances a introduit, en contradiction avec la jurisprudence antérieure et sans motiver cette exception, un cas d'application de la méthode cumulative.
5.3.6
Dans les faits, le système de la prévoyance professionnelle obligatoire connaît deux régimes distincts. Le premier voit les institutions de prévoyance n'appliquer que le régime de l'assurance obligatoire; elles sont alors soumises aux règles fixées aux art. 7 à 47 LPP. Le second voit les institutions de prévoyance étendre la prévoyance au-delà des prestations minimales; elles sont libres de fixer dans leur règlement de prévoyance le régime des prestations, les art. 7 à 47 LPP ne servant alors qu'à fixer la valeur de référence que l'institution de prévoyance doit, en tout état de cause, respecter pour atteindre le but de la prévoyance.
5.3.7
Sur le vu de ce qui précède, un examen attentif du but de la loi, du système de celle-ci et de sa genèse permet de conclure que la jurisprudence consacrée à l'
ATF 121 V 104
repose sur des fondements erronés. Les arrêts rendus ultérieurement sur la base de cette jurisprudence ne permettent pas une autre appréciation (p. ex.
ATF 133 V 575
). En conséquence, il y a lieu d'abandonner la jurisprudence actuelle et d'admettre que l'institution de prévoyance "enveloppante" qui accorde, en lieu et place d'une rente d'invalidité et d'une rente complémentaire d'invalidité pour enfant, une rente d'invalidité unique dont le montant est supérieur au montant de la rente d'invalidité et de la rente complémentaire d'invalidité pour enfant prévues par la LPP, respecte le droit fédéral (voir dans ce sens également
ATF 136 V 65
concernant la portée de la méthode comparative en matière de rentes d'invalidité).
6.
6.1
En l'espèce, le jugement du Tribunal cantonal des assurances sociales, en tant qu'il constate que l'intimé a droit, au titre de rente
BGE 136 V 313 S. 322
complémentaire pour enfant et pour autant que la limite de surindemnisation ne soit pas dépassée, au montant correspondant au 20 % de la rente d'invalidité réglementaire de la prévoyance professionnelle versée à l'intimé, n'est pas conforme aux principes décrits ci-dessus. Il a droit aux prestations fixées conformément aux dispositions réglementaires, sous réserve que le montant de celles-ci ne soit pas inférieur au montant des prestations légales relevant du régime obligatoire de la prévoyance professionnelle.
6.2
6.2.1
Faute pour le règlement de prévoyance de prévoir des rentes complémentaires pour enfant (cf. art. 8 du règlement), l'intimé a droit, au titre des prestations de la prévoyance professionnelle, à la somme de 53'700 fr., soit le montant - non contesté - de la rente d'invalidité qu'il perçoit actuellement.
6.2.2
Les exigences minimales de la LPP sont respectées. Au regard des pièces versées au dossier, le régime obligatoire de la prévoyance professionnelle garantit à l'intimé le droit à une rente annuelle d'invalidité d'un montant de 18'014 fr. (
art. 23 et 24 LPP
) et à une rente complémentaire pour enfant d'un montant de 3'603 fr. (
art. 25 LPP
en corrélation avec l'
art. 21 al. 1 LPP
). La somme de ces prestations (21'617 fr.) est de loin inférieure au montant de la rente d'invalidité versée actuellement sur la base du règlement de prévoyance (53'700 fr.), de sorte que l'intimé ne subit aucun préjudice du fait que ledit règlement ne prévoit pas le versement de rentes complémentaires pour enfant. | mixed |
49dfd4f4-357d-4178-8ef8-724801929cda | Sachverhalt
ab Seite 148
BGE 106 V 147 S. 148
A.-
Margareta Schmid, Witwe des am 6. Juni 1974 verstorbenen Karl Schmid, bezog ab 1. Juli 1974 eine Witwenrente sowie Waisenrenten für ihre Söhne Daniel und Peter Jürg. Daniel Schmid, geboren 1957, schloss im Oktober 1978 das Wirtschaftsgymnasium der Kantonsschule Zürich mit der Maturität ab, worauf die Ausgleichskasse die Ausrichtung seiner Waisenrente auf den 31. Oktober 1978 einstellte.
Am 20. Dezember 1978 teilte Margareta Schmid der Ausgleichskasse mit, dass ihr Sohn Daniel ab 1. Januar 1979 als "Allround-Praktikant" bei der Schweizerischen Bankgesellschaft angestellt sei. Der Mitteilung legte sie eine Bestätigung der Arbeitgeberin bei, wonach die Ausbildung 18 Monate dauert und das Jahressalär Fr. 22'750.-- beträgt. Auf Anfrage der Ausgleichskasse bezifferte die Bankgesellschaft den Anfangslohn eines gleichwertig ausgebildeten Angestellten auf rund Fr. 27'000.-- im Jahr.
Mit Verfügung vom 10. Januar 1979 lehnte die Ausgleichskasse das Begehren um Weiterausrichtung der Waisenrente ab mit der Begründung, dass das Arbeitsentgelt nicht um mehr als ein Viertel unter den ortsüblichen Anfangslöhnen der entsprechenden Branche liege, weshalb die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien.
B.-
Beschwerdeweise machte Daniel Schmid geltend, die Schweizerische Bankgesellschaft habe der Ausgleichskasse versehentlich das Einkommen angegeben, das er erzielen würde, wenn er heute ohne bankfachliche Ausbildung zu arbeiten begänne. Gleichzeitig reichte er ein Schreiben der Bankgesellschaft ein, worin bestätigt wird, dass er im Anschluss an seine Ausbildung mit einem Jahresgehalt von Fr. 31'000.-- bis Fr. 32'000.-- rechnen kann.
Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies die Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung ab, dass beim Einkommensvergleich vom üblichen Anfangslohn und nicht von dem im Anschluss an die Ausbildung zu erwartenden Lohn ausgegangen werden müsse. Demzufolge mache die Lohndifferenz
BGE 106 V 147 S. 149
weniger als ein Viertel aus, weshalb praxisgemäss kein Anspruch auf Waisenrente bestehe (Entscheid vom 11. Mai 1979).
C.-
Daniel Schmid lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem Antrag, die Ausgleichskasse sei zu verpflichten, ihm vom 1. November 1978 bis zum 30. Juni 1980 eine Waisenrente auszurichten. Das von der Bankgesellschaft zunächst genannte Salär entspreche der Entlöhnung eines schulentlassenen, beruflich nicht ausgebildeten Maturanden. ohne Zusicherung einer weiteren, von der Arbeitgeberin zu gewährenden Berufsausbildung. Massgebend für die Beurteilung des Anspruchs auf die Waisenrente sei indessen der ortsübliche Anfangslohn eines voll ausgebildeten Erwerbstätigen, somit der von der Arbeitgeberin für die Zeit nach Abschluss des Praktikums in Aussicht gestellte Lohn von Fr. 31'000.-- bis Fr. 32'000.-- im Jahr.
Während sich die Ausgleichskasse eines Antrages enthält, schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es vertritt die Auffassung, dass der Rentenansprecher im Rahmen der Ausnahmebestimmung, wonach Waisenrenten über das 18. Altersjahr hinaus ausgerichtet werden könnten, nur dann als in Ausbildung begriffen erachtet werden könne, wenn er nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selber zu bestreiten... Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Anspruch auf Waisenrente erlischt mit Ablauf des Monats, in welchem der Anspruchsberechtigte das 18. Altersjahr vollendet. Ist die Waise noch in Ausbildung begriffen, so dauert der Anspruch bis zum Abschluss der Ausbildung, längstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr (
Art. 25 Abs. 2 AHVG
).
Als in Ausbildung begriffen gelten Waisen, die während einer bestimmten Zeit Schulen oder Kurse besuchen oder der beruflichen Ausbildung obliegen. Unter beruflicher Ausbildung ist jede Tätigkeit zu verstehen, welche die systematische Vorbereitung auf eine künftige Erwerbstätigkeit zum Ziel hat und während welcher die Waise mit Rücksicht auf den vorherrschenden Ausbildungscharakter ein wesentlich geringeres Erwerbseinkommen erzielt, als ein Erwerbstätiger mit abgeschlossener Berufsbildung
BGE 106 V 147 S. 150
orts- und branchenüblich erzielen würde. Das Arbeitsentgelt gilt dann als wesentlich geringer als dasjenige eines Vollausgebildeten, wenn es nach Abzug der besonderen Ausbildungskosten um mehr als 25% unter dem ortsüblichen Anfangslohn für voll ausgebildete Erwerbstätige der entsprechenden Branche liegt (
BGE 104 V 67
mit Hinweisen).
2.
a) Der Bestätigung der Schweizerischen Bankgesellschaft vom 14. Dezember 1978 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer als "Allround-Praktikant" angestellt ist und in Form einer 18 Monate dauernden Ausbildung in die verschiedenen Abteilungen der Bank eingeführt wird. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz kann im Hinblick darauf, dass er in der vorangegangenen Zeit das Gymnasium besucht hat, davon ausgegangen werden, dass das Bankpraktikum die systematische Vorbereitung auf die künftige Erwerbstätigkeit zum Ziele hat und der Ausbildungscharakter der Anstellung im Vordergrund steht. Zu prüfen bleibt, ob das Erwerbseinkommen zufolge des vorherrschenden Ausbildungscharakters um mehr als 25% unter dem Einkommen liegt, wie es ein Erwerbstätiger mit abgeschlossener Berufsbildung der gleichen Art orts- und branchenüblich erzielen würde.
b) Der Beschwerdeführer bezieht während der Ausbildung ein Jahressalär von Fr. 22'750.--. Demgegenüber beträgt nach den Angaben der Arbeitgeberin der "Anfangslohn eines gleichwertig ausgebildeten Angestellten" rund Fr. 27'000.-- und der Lohn im Anschluss an die vom Beschwerdeführer gewählte Ausbildung Fr. 31'000.-- bis Fr. 32'000.-- im Jahr. Die Vorinstanz erachtet den Betrag von Fr. 27'000.-- als massgebend mit der Begründung, dass auf den Anfangslohn eines gleichwertig ausgebildeten Angestellten und nicht auf den Lohn abzustellen sei, welchen der Beschwerdeführer im Anschluss an seine Ausbildung beziehen werde. Sie geht dabei von einer unzutreffenden tatsächlichen Annahme aus, denn die erste Bestätigung der Arbeitgeberin ist richtigerweise so zu verstehen, dass es sich beim angegebenen Lohn um denjenigen eines beruflich nicht ausgebildeten Maturanden bei sofortiger Arbeitsaufnahme handelt. Entscheidend ist indessen der Anfangslohn eines Erwerbstätigen mit abgeschlossener gleichwertiger Berufsausbildung, somit das Einkommen, welches der Beschwerdeführer als beruflich Vollausgebildeter erzielen würde. Dabei ist im Sinne der vorinstanzlichen Erwägungen nicht auf das Erwerbseinkommen
BGE 106 V 147 S. 151
abzustellen, welches der Beschwerdeführer nach Abschluss der Ausbildung voraussichtlich erzielen wird, sondern auf das Einkommen, welches er heute als Vollausgebildeter orts- und branchenüblich erzielen würde. Bei dem von der Arbeitgeberin angegebenen Einkommen von Fr. 31'000.-- bis Fr. 32'000.-- scheint es sich um das Einkommen zu handeln, welches der Beschwerdeführer nach Abschluss der Ausbildung voraussichtlich erzielen wird. Im Hinblick auf die Ausbildungsdauer von lediglich 1 1/2 Jahren und die weitgehend stabilen Lohnverhältnisse im massgebenden Zeitraum ist indessen anzunehmen, dass sich der heutige Anfangslohn bei abgeschlossener Ausbildung der gleichen Art hievon nur unwesentlich unterscheidet. Damit steht fest, dass das effektive Einkommen um mehr als 25% unter dem massgebenden Anfangslohn bei abgeschlossener Ausbildung liegt.
3.
a) Das Bundesamt für Sozialversicherung vertritt die Auffassung, der Waisenrentenanspruch habe schon deshalb zu entfallen, weil der Beschwerdeführer während der Ausbildung einen Lohn beziehe, welcher den vollen Lebensunterhalt decke. Es geht davon aus, dass nach
Art. 276 Abs. 3 ZGB
die Eltern von der Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind in dem Masse befreit sind, als dem Kind zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Erwerb oder aus andern Mitteln zu bestreiten. Bei der Auslegung der Bestimmung, wonach Waisenrenten über das 18. Altersjahr hinaus an Kinder in Ausbildung ausgerichtet werden könnten, dürfe aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Zweck der Renten darin bestehe, den ausfallenden Elternunterhalt zu ersetzen. Waisenrenten könnten daher nicht unabhängig davon ausgerichtet werden, ob die Waise mit dem während der Ausbildung erzielten Lohn für sich aufkommen könne oder nicht.
b) Dem Bundesamt für Sozialversicherung ist darin beizupflichten, dass die Waisenrente einen zumindest teilweisen Ausgleich für entgangenen Unterhalt bezweckt und dass die zivilrechtlichen Regeln über die Unterhaltspflicht nicht unbeachtet bleiben können (EVGE 1966 S. 91; vgl. auch
BGE 97 V 178
sowie ZAK 1975 S. 523). Dies bedeutet indessen nicht, dass der Rentenanspruch davon abhängig zu machen wäre, dass im Einzelfall tatsächlich eine Unterhaltspflicht bestanden hat. Das Bundesamt räumt denn auch ein, dass es nach der gesetzlichen Regelung unerheblich ist, ob die Waisenrente für das noch
BGE 106 V 147 S. 152
nicht 18jährige Kind den Elternunterhalt ersetzt oder nicht. Etwas anderes sieht das Gesetz für die in Ausbildung stehenden Waisen nach vollendetem 18. Altersjahr nicht vor. Der Gesetzgeber hat auch anlässlich der Gesetzesnovelle vom 19. Dezember 1963 (6. AHV-Revision), mit welcher die Altersgrenze für den Rentenanspruch vom vollendeten 20. auf das vollendete 25. Altersjahr heraufgesetzt wurde, davon abgesehen, den Anspruch mit der Voraussetzung zu verbinden, dass die elterliche Unterhaltspflicht bei Eintreten des Versicherungsfalles weiterbesteht. Für den Anspruch auf Waisenrente ist demnach unerheblich, ob der Rentenansprecher ein Arbeitsentgelt bezieht, welches die Eltern von der Unterhaltspflicht teilweise oder ganz befreit. In diesem Sinne hat das Eidg. Versicherungsgericht bereits im Urteil vom 2. November 1959 i.S. Bregenzer (EVGE 1959 S. 248) entschieden. Es stellte sich dabei auf den Standpunkt, dass es nicht darauf ankommen könne, ob das Arbeitsentgelt den Lebensunterhalt des Rentenberechtigten zu decken vermöge, da Studierende und Werktätige, die für sich selber sorgten, versicherungsrechtlich nicht schlechter gestellt werden dürften als andere Versicherte, die - etwa weil sie über eigenes Vermögen verfügen oder von Verwandten unterhalten werden - während der Dauer der Ausbildung nicht auf erwerblichen Verdienst angewiesen seien. An diesen in EVGE 1960 S. 112 bestätigten Überlegungen haben weder die auf den 1. Januar 1964 in Kraft getretene neue Fassung von
Art. 25 Abs. 2 Satz 2 AHVG
noch die Neuregelung der elterlichen Unterhaltspflicht gemäss der auf den 1. Januar 1978 in Kraft getretenen Novelle zum Zivilgesetzbuch etwas geändert. Dass die Eltern von der Unterhaltspflicht befreit sind, soweit dem Kind zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Erwerb oder aus andern Mitteln zu bestreiten, galt praxisgemäss schon vor Inkrafttreten des neuen
Art. 276 Abs. 3 ZGB
(vgl.
BGE 54 II 342
,
BGE 71 IV 203
/204). Unerheblich ist dabei, ob das Kind das 18. Altersjahr zurückgelegt hat oder nicht, weshalb sich auch unter diesem Gesichtspunkt keine unterschiedliche Beurteilung des Rentenanspruchs rechtfertigen lässt.
c) Dem Einwand des Bundesamtes für Sozialversicherung, wonach die geltende Praxis zu unbefriedigenden und stossenden Ergebnissen führe, indem die Rente auch Waisen ausgerichtet werden müsse, die über ein hohes, den Lebensunterhalt ohne weiteres deckendes Einkommen verfügten, ist entgegenzuhalten,
BGE 106 V 147 S. 153
dass die ordentlichen Renten der AHV durchwegs ohne Rücksicht auf die finanziellen Verhältnisse des Rentenbezügers gewährt werden. Dass im Einzelfall kein wirtschaftliches Bedürfnis nach der Rente besteht, vermag daher eine gegenüber der bisherigen Praxis einschränkende Auslegung der Gesetzesbestimmung nicht zu begründen. Es ist Sache des Gesetzgebers, eine andere Regelung zu treffen, falls dies aus sozialpolitischen Gründen als notwendig erachtet werden sollte.
4.
Nach dem Gesagten steht der Umstand, dass der Beschwerdeführer während der Ausbildung ein Erwerbseinkommen erzielt, mit welchem er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, dem Bezug der Waisenrente nicht entgegen. Da er eine ausbildungsbedingte Einkommenseinbusse von mehr als 25% erleidet und auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, steht ihm grundsätzlich eine Rente zu. Diese ist von der Ausgleichskasse verfügungsweise festzusetzen. | mixed |
278846e5-6c3d-4da7-8572-c53eeda274d9 | Sachverhalt
ab Seite 485
BGE 140 V 485 S. 485
A.
A., née en 1967, travaille au service de deux employeurs, l'un dont le siège est dans le canton de Vaud (B. Sàrl), et l'autre à Genève (C. SA). Elle a un enfant, D., né en 1996, dont le père vit à l'étranger. L'époux de A., E., né en 1955, qui n'exerce plus d'activité lucrative depuis 2009, est quant à lui au bénéfice d'une demi-rente de l'assurance-invalidité depuis 1996.
BGE 140 V 485 S. 486
Le 13 mars 2013, C. SA a déposé auprès de la Caisse interprofessionnelle AVS de la Fédération des Entreprises Romandes (ci-après: la caisse genevoise) une demande d'allocations familiales en faveur de son employée.
Par courriel du 9 avril 2013, la Caisse d'allocations familiales du Centre patronal vaudois (ci-après: la caisse vaudoise) a informé la caisse genevoise qu'elle estimait être prioritairement compétente pour le versement des allocations familiales au motif que le salaire versé à l'intéressée par B. Sàrl était plus élevé que celui versé par C. SA. Par décision du 10 avril 2013, la caisse genevoise a en conséquence refusé d'allouer à A. les allocations prétendues.
A. a formé opposition à cette décision en demandant à la caisse genevoise de lui allouer, dès le 1
er
mai 2012, la différence entre le montant de l'allocation familiale versée dans le canton de Vaud et celui, plus élevé, auquel elle aurait droit dans le canton de Genève. Par décision du 21 mai 2013, la caisse genevoise a rejeté l'opposition.
B.
A. a recouru contre cette décision devant la Chambre des assurances sociales de la Cour de justice de la République et canton de Genève. Statuant le 27 février 2014, cette juridiction a annulé la décision du 21 mai 2013 en ce sens que A. a droit au versement par la caisse genevoise de la différence de prestations entre les cantons de Genève et Vaud.
C.
L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) interjette un recours en matière de droit public dans lequel il conclut à l'annulation de l'arrêt cantonal.
A. conclut au rejet du recours, tandis que la caisse genevoise adhère à la position exprimée par l'OFAS.
Le recours a été admis. Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
L'allocation familiale comprend l'allocation pour enfant et l'allocation de formation professionnelle qui est octroyée au plus tard, en cas de formation, jusqu'à l'âge de 25 ans (art. 3 al. 1 de la loi fédérale du 24 mars 2006 sur les allocations familiales [LAFam; RS 836.2]). Selon l'
art. 3 al. 2 LAFam
, les cantons peuvent prévoir dans leur régime d'allocations familiales des taux minimaux plus élevés pour l'allocation pour enfant et l'allocation de formation
BGE 140 V 485 S. 487
professionnelle que ceux prévus à l'art. 5 (respectivement 200 fr. et 250 fr.), ainsi qu'une allocation de naissance et une allocation d'adoption; les dispositions de la LAFam sont également applicables à ces allocations.
2.2
L'
art. 7 LAFam
prévoit un ordre de priorité en cas de cumul de droits à des prestations familiales. Il est libellé ainsi:
Concours de droits
1
Lorsque plusieurs personnes peuvent faire valoir un droit aux allocations familiales pour le même enfant en vertu d'une législation fédérale ou cantonale, le droit aux prestations est reconnu selon l'ordre de priorité suivant:
a. à la personne qui exerce une activité lucrative;
b. à la personne qui détient l'autorité parentale ou qui la détenait jusqu'à la majorité de l'enfant;
c. à la personne chez qui l'enfant vit la plupart du temps ou vivait jusqu'à sa majorité;
d. à la personne à laquelle est applicable le régime d'allocations familiales du canton de domicile de l'enfant;
e. à la personne dont le revenu soumis à l'AVS et provenant d'une activité lucrative dépendante est le plus élevé;
f. à la personne dont le revenu soumis à l'AVS et provenant d'une activité lucrative indépendante est le plus élevé.
2
Dans le cas où les allocations familiales du premier et du second ayants droit sont régies par les dispositions de deux cantons différents, le second a droit au versement de la différence lorsque le taux minimal légal est plus élevé dans son propre canton que dans l'autre.
Le Parlement a délégué au Conseil fédéral le pouvoir de régler la procédure et la compétence des caisses de compensation pour les allocations familiales concernant les personnes qui ont plusieurs employeurs (
art. 13 al. 4 let. b LAFam
). Forte de cette délégation, l'autorité exécutive a prévu à l'art. 11 al. 1 de l'ordonnance du 31 octobre 2007 sur les allocations familiales (OAFam; RS 836.21) que si une personne est employée auprès de plusieurs employeurs, la caisse de compensation pour allocations familiales compétente est celle de l'employeur qui verse le salaire le plus élevé.
2.3
Ni les premiers juges ni les parties ne remettent en cause la légalité de l'
art. 11 al. 1 OAFam
. A juste titre. En effet, quand la norme de délégation accorde un large pouvoir d'appréciation au Conseil fédéral, le Tribunal fédéral est lié à cet égard. Il ne peut pas substituer sa propre appréciation à celle du Conseil fédéral, mais doit seulement vérifier que l'ordonnance en cause ne sorte pas
BGE 140 V 485 S. 488
manifestement du cadre de la délégation de compétence prévue par la loi ou n'apparaisse pas, pour d'autres raisons, contraire à la loi ou à la Constitution (
ATF 131 II 562
consid. 3.2 p. 566;
ATF 130 I 26
consid. 2.2.1 p. 32). Tel n'est à l'évidence pas le cas en l'espèce, le critère du salaire le plus élevé apparaissant comme objectivement fondé et répondant de surcroît à un impératif de simplicité (KIESER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Familienzulagen - Praxiskommentar, 2010, n° 47 ad
art. 13 LAFam
).
2.4
Les parties ne contestent pas davantage qu'il appartient à la caisse de compensation de l'employeur vaudois de verser - selon les normes du canton de Vaud - les allocations familiales, étant donné que le salaire réalisé par l'intimée dans le canton de Vaud est plus élevé que celui réalisé dans le canton de Genève. Dans le canton de Vaud le montant minimum de l'allocation pour enfant s'élève à 200 fr. Il a été fixé à 230 fr. à compter du 1
er
janvier 2014 et sera porté à 250 fr. dès le 1
er
janvier 2017 (art. 3 al. 1 de la loi d'application du canton de Vaud du 23 septembre 2008 de la loi fédérale sur les allocations familiales et sur des prestations cantonales en faveur de la famille [LVLAFam; RSV 836.01]). Le canton de Genève a pour sa part opté pour une allocation pour enfant de 300 fr. jusqu'à 16 ans et de 400 fr. de 16 à 20 ans (art. 8 al. 2 de la loi de la République et canton de Genève du 1
er
mars 1996 sur les allocations familiales [LAF; rs/GE J 5 10]).
3.
La question est de savoir si l'intimée a droit au versement par la caisse genevoise de la différence entre le montant de l'allocation familiale versée dans le canton de Vaud - par la caisse compétente selon l'
art.11 al. 1 OAFam
- et celle, plus élevée, prévue par la législation du canton de Genève.
3.1
Comme le rappelle l'autorité cantonale, l'adoption de l'
art. 7 al. 2 LAFam
avait été motivée par la jurisprudence rendue par le Tribunal fédéral dans l'
ATF 129 I 265
. Dans cette affaire, il était question de conjoints résidant dans le canton de Fribourg. Le mari travaillait dans le canton de Soleure et son épouse dans le canton de Fribourg. Celle-ci s'était vu refuser les prestations familiales au motif que la loi fribourgeoise sur les allocations familiales prévoyait - pour les couples mariés - comme ayant droit prioritaire le père. Etant donné que son mari avait droit au versement d'allocations familiales dans le canton de Soleure, elle ne pouvait pas demander des prestations familiales dans le canton de Fribourg. Confronté à cette situation de concours de droits impliquant deux cantons, le Tribunal
BGE 140 V 485 S. 489
fédéral a jugé opportun d'appliquer par analogie les règles de conflit prévues aux art. 73 et 76 du Règlement (CEE) n° 1408/71 du Conseil du 14 juin 1971 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté (RO 2004 121). Il en résultait, dans les relations intercantonales aussi, que les allocations familiales devaient être servies par la caisse du canton de résidence des époux lorsque l'un d'entre eux travaille dans ce canton. Dans le cas où le canton dans lequel travaille l'autre époux prévoit des allocations plus élevées, le versement de la différence pouvait être demandé. L'autorité cantonale en déduit que ces principes sont aussi applicables en présence d'un seul ayant droit qui travaille dans deux cantons différents. Admettre le contraire constituerait selon les premiers juges une violation du principe de l'égalité de traitement tel que consacré à l'
art. 8 al. 1 Cst.
3.2
Le recourant fait valoir que la solution préconisée par la juridiction cantonale ne repose sur aucune base légale. Le non-versement d'un éventuel différentiel résulte d'un choix du législateur. La solution de l'
art. 7 al. 2 LAFam
ne saurait s'appliquer ici, car la situation dans laquelle il y a un concours de droits entre plusieurs personnes n'est pas similaire à celle où le concours de droits est réalisé au sein de la même personne.
3.3
L'intimée quant à elle se rallie aux considérations des premiers juges et invoque subsidiairement l'existence d'une lacune. A son avis, l'
art. 7 al. 2 LAFam
a pour vocation de régler tant la situation du parent qui travaille dans deux cantons différents que celle des familles au sein desquelles les parents ne travaillent pas dans le même canton. L'
art. 8 al. 1 Cst.
commanderait de traiter de la même manière les deux situations.
4.
4.1
La loi s'interprète en premier lieu selon sa lettre (interprétation littérale). Dans le cas où plusieurs interprétations sont possibles, le juge recherche la véritable portée de la norme en la dégageant de sa relation avec d'autres dispositions légales et de son contexte (interprétation systématique), du but recherché, singulièrement de l'intérêt protégé (interprétation téléologique), ainsi que de la volonté du législateur telle qu'elle ressort des travaux préparatoires (interprétation historique). Le sens que prend la disposition dans son contexte est également important. Lorsqu'il est appelé à interpréter une loi, le Tribunal fédéral adopte une position pragmatique en suivant une
BGE 140 V 485 S. 490
pluralité de méthodes, sans soumettre les différents éléments d'interprétation à un ordre de priorité (
ATF 140 V 227
consid. 3.2 p. 230 et les arrêts cités).
L'interprétation de la loi peut conduire à la constatation d'une lacune. Une lacune proprement dite suppose que le législateur s'est abstenu de régler un point qu'il aurait dû régler et qu'aucune solution ne se dégage du texte ou de l'interprétation de la loi. En revanche, si le législateur a renoncé volontairement à codifier une situation qui n'appelait pas nécessairement une intervention de sa part, son inaction équivaut à un silence qualifié. Quant à la lacune improprement dite, elle se caractérise par le fait que la loi offre certes une réponse, mais que celle-ci est insatisfaisante. D'après la jurisprudence, seule l'existence d'une lacune proprement dite appelle l'intervention du juge, tandis qu'il lui est en principe interdit, selon la conception traditionnelle qui découle notamment du principe de la séparation des pouvoirs, de corriger les silences qualifiés et les lacunes improprement dites, à moins que le fait d'invoquer le sens réputé déterminant d'une norme ne soit constitutif d'un abus de droit, voire d'une violation de la Constitution (cf.
ATF 139 I 57
consid. 5.2 p. 60 s. et les arrêts cités).
4.2
4.2.1
Le texte de l'
art. 7 al. 2 LAFam
est clair et ne vise que la situation des familles au sein desquelles deux ayants droit travaillent dans des cantons différents. Aussi convient-il de se demander, par la voie de l'interprétation, s'il existe des raisons objectives d'admettre que la lettre de la loi ne restitue pas le véritable sens de la disposition en cause, de sorte que l'on devrait en conclure que, nonobstant l'interprétation littérale, l'
art. 7 al. 2 LAFam
devrait s'appliquer aux cas où l'on est en présence d'un parent qui travaille dans deux cantons différents.
4.2.2
Dans le rapport du 20 novembre 1998 sur l'initiative parlementaire "Prestations familiales (Fankhauser)" la Commission de la sécurité sociale et de la santé publique du Conseil national (ci-après: la CSSS-CN) avait formulé à l'art. 6 du projet de loi les règles de priorité applicables en cas de concours de droits. Cette version du texte visait uniquement les cas où plusieurs personnes pouvaient faire valoir un droit aux allocations familiales pour le même enfant (FF 1999 2942, 2976). Ce n'est que dans le rapport complémentaire du 8 septembre 2004 de la CSSS-CN qu'apparaît pour la première fois le droit au versement du différentiel (art. 7 al. 2 du projet de loi; FF 2004 6459, 6502). L'adoption de cette disposition a été motivée
BGE 140 V 485 S. 491
- comme l'a retenu à juste titre l'instance cantonale - par la jurisprudence rendue dans l'
ATF 129 I 265
. Elle avait pour but d'accorder les mêmes droits aux familles au sein desquelles les parents exercent une activité lucrative dans deux cantons différents et à celles où l'un des parents travaille à l'étranger et l'autre en Suisse. En ce qui concerne le versement du différentiel, la CSSS-CN avait précisé que seul le deuxième ayant droit pouvait prétendre au versement de la différence (FF 2004 6478). L'art. 7 al. 2 du projet de loi prévoyait en effet ceci: "Dans le cas où les allocations familiales du deuxième ayant droit seraient plus élevées, celui-ci a droit à la différence". Par la suite, la Commission de la sécurité sociale et de la santé publique du Conseil des Etats (ci-après: la CSSS-CE) a proposé une formulation plus détaillée de l'art. 7 al. 2. La version du texte proposée par la CSSS-CE avait la teneur suivante: "Dans le cas où les allocations familiales du premier et du second ayant droit sont régies par les dispositions de deux cantons différents, le second a droit au versement de la différence lorsque le taux minimal légal est plus élevé dans son propre canton que dans l'autre" (BO 2005 CE 717). Cette version du texte a été approuvée par le Conseil des Etats et correspond à la version actuelle du texte de l'
art. 7 al. 2 LAFam
. La préoccupation majeure était de régler dans la LAFam les situations dans lesquelles plusieurs personnes peuvent faire valoir un droit au versement d'allocations familiales pour le même enfant. La question d'un éventuel versement du différentiel à un travailleur qui exerce des activités lucratives dans plusieurs cantons n'a jamais été soulevée lors des débats parlementaires (voir en particulier l'intervention du conseiller aux Etats Urs Schwaller BO 2005 CE 717). L'examen des travaux préparatoires ne permet donc pas de retenir que le texte de l'
art. 7 al. 2 LAFam
ne traduit pas sa portée véritable (voir également pour une interprétation littérale, DOROTHEA RIEDI HUNOLD, Familienleistungen, in Recht der Sozialen Sicherheit, Steiger-Sackmann/Mosimann [éd.], 2014, n. 33.65 p. 1196; MARCO REICHMUTH, Ansprüche der Erwerbstätigen, in Bundesgesetz über die Familienzulagen [FamZG], Schaffhauser/Kieser [éd.], 2009, p. 128; THOMAS FLÜCKIGER, Koordinations- und verfahrensrechtliche Aspekte bei den Kinder- und Ausbildungszulagen, in Bundesgesetz über die Familienzulagen [FamZG], Schaffhauser/Kieser [éd.], 2009, p. 169 et 177; dans le même sens: Directives pour l'application de la loi fédérale sur les allocations familiales LAFam [DAFam], valables dès le 1
er
janvier 2009, ch. 411; voir toutefois pour une approche
BGE 140 V 485 S. 492
plus large KIESER/REICHMUTH, op. cit., n° 96 ad art. 7 et n° 49 ad
art. 13 LAFam
).
4.2.3
Du point de vue téléologique, les premiers juges insistent sur le but des allocations familiales qui est de compenser partiellement la charge financière que représentent un ou plusieurs enfants (
art. 2 LAFam
). Le but visé ne postule toutefois pas nécessairement un ordre de priorité en faveur de la législation cantonale la plus favorable ou le versement d'un montant sous la forme d'un complément différentiel. En cas de concours de droits, il incombe au législateur de faire des choix en fonction de ses objectifs de politique juridique et sociale. Le législateur était d'ailleurs conscient d'un concours possible de droits résultant de l'exercice de deux (ou plusieurs) activités simultanées par une même personne dans des cantons différents, puisqu'il a délégué au Conseil fédéral la compétence de régler cette situation en lui laissant toute latitude sur la réglementation à adopter. On peut penser que s'il avait voulu instaurer dans ce cas un système analogue à l'
art. 7 al. 2 LAFam
, il l'aurait prévu dans la loi.
4.2.4
La loi étant claire, l'éventualité d'une lacune proprement dite doit être exclue. Quant à l'existence d'une lacune improprement dite, elle ne peut en principe pas être comblée par le juge (supra consid. 4.1). A l'évidence, l'
art. 7 al. 2 LAFam
n'est pas invoqué abusivement en l'espèce. En outre, indépendamment du fait que le Tribunal fédéral est tenu d'appliquer les lois fédérales (
art. 190 Cst.
), à tout le moins lorsque le texte et le sens de la disposition légale sont absolument clairs (
ATF 136 II 120
consid. 3.5.1 p. 130;
ATF 132 II 234
consid. 2.2 p. 236), on ne voit pas que la loi consacre ici une inégalité de traitement. Le principe de l'égalité de traitement ne commande pas de traiter de la même manière deux situations aussi différentes que sont l'exercice par une personne de plusieurs activités et le concours de prestations entre deux ayants droit potentiels.
5.
Il suit de ce qui précède que le recours doit être admis et que le jugement de la Chambre des assurances sociales de la Cour de justice de la République et canton de Genève du 27 février 2014 doit être annulé. | mixed |
d41f5f4f-1869-428d-9d23-2c3e6c80dc2c | Erwägungen
ab Seite 15
BGE 134 V 15 S. 15
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Invaliden-Kinderrente direkt dem Beschwerdeführer als mündigem, noch in Ausbildung stehenden Sohn des Rentenberechtigten ausbezahlt werden kann.
2.1
Männer und Frauen, denen eine Invalidenrente zusteht, haben für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente der AHV beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente (
Art. 35 Abs. 1 IVG
). Der Anspruch besteht auch für erwachsene Kinder, die noch in Ausbildung stehen, bis längstens zum vollendeten 25. Altersjahr (vgl.
Art. 25 Abs. 5 AHVG
).
Gemäss
Art. 35 Abs. 4 Satz 1 IVG
wird die Kinderrente wie die Rente ausbezahlt, zu der sie gehört, mithin grundsätzlich an den rentenberechtigten Elternteil. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die zweckmässige Verwendung (
Art. 20 ATSG
) und abweichende zivilrichterliche Anordnungen (
Art. 35 Abs. 4 Satz 2 IVG
). Der Bundesrat kann die Auszahlung für Sonderfälle in Abweichung von
Art. 20 ATSG
regeln, namentlich für Kinder aus getrennter oder geschiedener Ehe (
Art. 35 Abs. 4 Satz 3 IVG
). Gestützt auf diese Delegation hat der Bundesrat in
Art. 82 IVV
BGE 134 V 15 S. 16
festgelegt, dass für die Auszahlung der Renten sowie der Hilflosenentschädigung für Volljährige unter anderem
Art. 71
ter
AHVV
sinngemäss gilt. Dessen Abs. 1 lautet: "Sind die Eltern des Kindes nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet oder leben sie getrennt, ist die Kinderrente auf Antrag dem nicht rentenberechtigten Elternteil auszuzahlen, wenn diesem die elterliche Sorge über das Kind zusteht und es bei ihm wohnt. Abweichende vormundschaftliche oder zivilrichterliche Anordnungen bleiben vorbehalten."
2.2
Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, ist in den dargelegten Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen eine Drittauszahlung der Kinderrente an das mündige Kind nicht vorgesehen. Selbst wenn angenommen würde, die Mutter habe den Beschwerdeführer bloss zum Bezug der Rente bevollmächtigt, würde die Drittauszahlung an den Beschwerdeführer daran scheitern, dass nach dem klaren Wortlaut des
Art. 71
ter
Abs. 1 AHVV
die Drittauszahlung voraussetzt, dass eine elterliche Sorge besteht, was beim Beschwerdeführer seit Eintritt der Mündigkeit nicht mehr der Fall ist.
2.3
Der Beschwerdeführer vertritt indessen die Auffassung, Gesetz und Verordnung enthielten eine Lücke, welche dahingehend zu füllen sei, dass eine Drittauszahlung an ihn als mündiges Kind möglich sein müsse.
2.3.1
Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt oder eine Antwort gibt, die aber als sachlich unhaltbar angesehen werden muss. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung (
BGE 132 III 470
E. 5.1 S. 478;
BGE 130 V 229
E. 2.3 S. 233; vgl.
BGE 131 II 562
E. 3.5 S. 567 f.).
2.3.2
Die dargelegten Bestimmungen geben, indem sie die Möglichkeit der Drittauszahlung der Kinderrente an das mündige Kind nicht erwähnen, eine Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage. Zu prüfen bleibt, ob - wie der Beschwerdeführer geltend macht - dieser Ausschluss der Drittauszahlung an das mündige Kind sachlich unhaltbar ist.
2.3.3
Zur Stützung seines Standpunktes lässt der Beschwerdeführer anführen, es sei nicht möglich, dass nur die Waisenrente und nicht auch die Kinderrente einem noch in Ausbildung stehenden mündigen Kind ausbezahlt werden könne. Anders als der
BGE 134 V 15 S. 17
Beschwerdeführer annimmt, stimmen indessen die Auszahlungsmodalitäten der Kinderrente nicht zwingend mit denjenigen der Waisenrente überein. Die beiden sozialversicherungsrechtlichen Rentenarten sind im Zusammenhang mit der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kind zu sehen (
Art. 276 ff. ZGB
): Die Waisenrente ist definitionsgemäss dann geschuldet, wenn der (unterhaltspflichtige) Vater oder die (unterhaltspflichtige) Mutter gestorben ist (vgl.
Art. 25 Abs. 1 AHVG
); sie ersetzt dem Kind den Wegfall des Elternteils. Der Anspruch steht zwangsläufig dem originär waisenrentenberechtigten Kind selber zu, dies im Gegensatz zur Person, welche - abgeleitet aus dem Stammrecht des Hauptrentners - eine derivative Zusatzrente bezieht (ZAK 1989 S. 224, insbes. E. 2b, P 39/86, bestätigt in
BGE 122 V 300
E. 4b S. 304). Die Kinderrente hingegen ist dann geschuldet, wenn der (unterhaltspflichtige) Vater oder die (unterhaltspflichtige) Mutter noch lebt (vgl.
Art. 35 Abs. 1 IVG
;
Art. 22
ter
Abs. 1 AHVG
); sie ersetzt dem Kind nicht den Wegfall des Elternteils, sondern dient der Erleichterung der Unterhaltspflicht des invalid gewordenen oder im AHV- Alter stehenden Unterhaltsschuldners und soll dessen (durch Alter oder Invalidität bedingte) Einkommenseinbusse ausgleichen. Mit anderen Worten soll sie dem invaliden oder im AHV-Alter stehenden Elternteil ermöglichen, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen, aber nicht der Bereicherung des Unterhaltsempfängers dienen (
BGE 128 III 305
E. 3 S. 308;
BGE 114 II 123
E. 2b S. 125). Der Anspruch steht daher dem Rentenempfänger zu, nicht direkt dem Kind (
BGE 114 II 123
E. 2b S. 124). Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung ist der unterschiedliche Auszahlungsmodus bei Kinder- und Waisenrenten mithin systemkonform.
2.3.4
Um den Zweck der Kinderrente - dem Unterhalt des Kindes zu dienen (
BGE 103 V 131
E. 3 S. 134; SVR 2001 IV Nr. 39 S. 117, E. 4d, I 12/00; Urteil 5P.346/2006 vom 12. Oktober 2006, E. 3.3) - sicherzustellen, hat die Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten der Drittauszahlungsregelung in
Art. 35 Abs. 4 IVG
auf den 1. Januar 1997 (vgl. auch
Art. 82 IVV
in Verbindung mit
Art. 71
ter
AHVV
) unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage eine Drittauszahlung der Kinderrente an den nicht rentenberechtigten anderen Elternteil, unter dessen Sorge das Kind stand, zugelassen (
BGE 103 V 131
E. 3 S. 134 f.;
BGE 101 V 208
E. 2 S. 210 f.; SVR 1999 IV Nr. 2 S. 5, E. 2a, I 237/97). Aus denselben Überlegungen wurde des Weitern erkannt, dass die Rente
BGE 134 V 15 S. 18
direkt dem mündigen Kind ausbezahlt werden kann, wenn der rentenberechtigte Elternteil die zweckkonforme Verwendung der Rente nicht gewährleistet, auch wenn die Voraussetzungen des (damaligen)
Art. 76 AHVV
, dem der heutige
Art. 20 Abs. 1 ATSG
entspricht, nicht erfüllt waren (SVR 1999 IV Nr. 2 S. 5, E. 2b, I 237/97; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 213/86 vom 15. Mai 1987, E. 2b). Diese Rechtsprechung blieb auch nach Inkrafttreten des neuen
Art. 35 Abs. 4 IVG
(am 1. Januar 2003) anwendbar, solange der Bundesrat von der ihm zustehenden Delegation (
Art. 35 Abs. 4 Satz 3 IVG
) keinen Gebrauch gemacht hatte (SVR 2002 IV Nr. 5 S. 11, E. 3c/aa, I 245/01; 2000 IV Nr. 22 S. 65, E. 1a, I 171/99).
Auf den 1. Januar 2002 hat der Bundesrat indessen die dargelegten Verordnungsbestimmungen (
Art. 82 IVV
und
Art. 71
ter
AHVV
) erlassen und damit positivrechtlich die Drittauszahlung an den nicht rentenberechtigten Elternteil, unter dessen Sorge das Kind steht, geregelt (vgl.
BGE 129 V 362
E. 3.4 S. 365 f.), während er die Direktauszahlung an das mündige Kind nicht normiert hat. Aus den Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) zu dieser Verordnungsänderung (publ. in: AHI 2002 S. 14 ff.) ergibt sich nicht ausdrücklich, ob in Bezug auf die Direktauszahlung an das mündige Kind ein qualifiziertes Schweigen vorliegt. In Rz. 10006 der Wegleitung über die Renten in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (RWL) hat das BSV festgelegt, dass die Kinderrenten grundsätzlich zusammen mit der Hauptrente auszuzahlen sind (Satz 1), indessen die Vorschriften über die Auszahlung bei unzweckgemässer Verwendung gelten, wenn die leistungsberechtigte Person nicht für die Kinder sorgt (Satz 2), und die Kinderrenten in einem solchen Fall auch direkt an volljährige Kinder, für die sie bestimmt sind, ausbezahlt werden können, sofern die Voraussetzung der zweckgemässen Verwendung erfüllt ist (Satz 3). Demgegenüber hat das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil I 840/04 vom 28. Dezember 2005, E. 4.1 - allerdings ohne nähere Ausführungen - erkannt, dass seit dem Inkrafttreten der neuen Verordnungsbestimmungen (1. Januar 2002) die vorher entwickelte Rechtsprechung nicht mehr anwendbar ist; für den Zeitraum bis Ende 2001 schloss es in
BGE 129 V 362
E. 5.2.2 S. 368 f. eine lückenfüllende Ergänzung der damals geltenden Auszahlungsordnung aus.
2.3.5
Nach
Art. 285 Abs. 2 ZGB
hat zwar der unterhaltspflichtige Elternteil die für den Unterhalt des Kindes bestimmten
BGE 134 V 15 S. 19
Sozialversicherungsleistungen zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt. Es gilt insoweit von Gesetzes wegen eine Kumulation von Unterhaltspflicht und der Pflicht, die Kinderrente an das Kind zu bezahlen (
BGE 128 III 305
E. 4b S. 309 f.). Mit dem am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen neuen Abs. 2
bis
von
Art. 285 ZGB
wurde die Stellung des Unterhaltspflichtigen insofern verbessert, als er eine nachträglich erhaltene Kinderrente nicht mehr kumulativ zu den Unterhaltsbeiträgen zu leisten hat, sondern diese sich von Gesetzes wegen entsprechend vermindern. Vorbehalten sind jedoch immer abweichende zivilgerichtliche Anordnungen, auf welche nicht nur in
Art. 285 Abs. 2 ZGB
, sondern auch in
Art. 35 Abs. 4 IVG
sowie
Art. 71
ter
Abs. 1 AHVV
ausdrücklich hingewiesen wird.
Nach der in
Art. 285 ZGB
enthaltenen Regelung ist es mithin Sache der Zivilgerichte, aufgrund einer Gesamtwürdigung der finanziellen Verhältnisse die Unterhaltsbeiträge festzusetzen und dabei den sozialversicherungsrechtlichen Rentenansprüchen in gesamthafter Betrachtung Rechnung zu tragen. Das Zivilrecht erlaubt, eine dem Einzelfall gerecht werdende Lösung zu treffen und eine zweckentsprechende Verwendung der Kinderrente sicherzustellen. Über die Unterhaltspflicht gemäss Art. 285 Abs. 2 oder 2
bis
ZGB kann nicht im sozialversicherungsrechtlichen Leistungs(streit)verfahren befunden werden, da es sich dabei um eine zivilrechtliche Verpflichtung handelt (ZAK 1989 S. 224, E. 3, P 39/86). Angesichts der zivilrechtlichen Regelung besteht kein Anlass, eine Lücke in der sozialversicherungsrechtlichen Auszahlungsregelung anzunehmen, zumal eine sozialversicherungsrechtlich angeordnete Drittauszahlung der gesamtheitlichen Betrachtung, die namentlich bei Unterhaltszahlungen an das mündige Kind gesetzlich zwingend ist (
Art. 277 Abs. 2 ZGB
), nicht zugänglich wäre.
2.3.6
Bei dieser Sachlage bleibt für richterliche Lückenfüllung kein Raum. Vielmehr muss es bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass die Kinderrente nicht direkt an den mündigen Sohn ausbezahlt werden darf. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. | mixed |
b238f9dd-2d4a-46d4-b181-a5cc24eaec85 | Sachverhalt
ab Seite 235
BGE 132 II 234 S. 235
X., né en 1962, domicilié dans le canton de Genève, exerce la profession de chauffeur de taxi depuis une vingtaine d'années. Il y a environ trois ans, il s'est mis à son compte.
Le 4 janvier 2005 vers 09h30, il a circulé à 75 km/h dans le village de Coppet (Vaud) alors que la vitesse autorisée y est limitée à 50 km/h.
Le Préfet du district de Nyon a infligé à X. une amende de 400 fr. pour violation grave des règles de circulation routière au sens de l'
art. 90 ch. 2 LCR
. Ce prononcé n'a fait l'objet d'aucune opposition.
Par décision du 29 juillet 2005 fondée sur l'
art. 16c LCR
, disposition entrée en vigueur au 1
er
janvier 2005 et relative au retrait du permis de conduire pour infraction grave, le Service des automobiles et de la navigation du canton de Genève a ordonné à l'encontre de X. un retrait du permis de conduire pour toutes les catégories et sous-catégories, d'une durée de trois mois. Il a cependant autorisé l'intéressé à conduire des véhicules des catégories spéciales F (véhicules automobiles dont la vitesse n'excède pas 45 km/h, à l'exception des motocycles), G (véhicules automobiles agricoles dont la vitesse maximale n'excède pas 30 km/h, à l'exception des véhicules spéciaux) et M (cyclomoteurs) ainsi que les véhicules pour lesquels un permis de conduire n'est pas nécessaire.
Par arrêt du 25 octobre 2005, le Tribunal administratif du canton de Genève a rejeté le recours de X.
X. interjette un recours de droit administratif auprès du Tribunal fédéral. Il conclut principalement au prononcé d'un avertissement. A titre subsidiaire, il demande que le retrait de trois mois soit limité à ses activités privées et à être autorisé, durant cette période, à conduire dans le cadre de ses activités professionnelles.
Invité à se déterminer, le Tribunal administratif a simplement déclaré persister dans les considérants et le dispositif de son arrêt.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours. Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le recourant se plaint pour l'essentiel d'une inégalité de traitement entre les chauffeurs professionnels et les autres conducteurs.
2.1
Il objecte principalement que la réglementation légale, en prévoyant une durée de retrait minimale de trois mois pour tous les
BGE 132 II 234 S. 236
conducteurs sans distinction, viole les principes constitutionnels de l'égalité (
art. 8 Cst.
) et de l'interdiction de l'arbitraire (
art. 9 Cst.
), au motif qu'elle soumettrait à un régime identique des situations de fait différentes exigeant un traitement différent. Concrètement, il estime que le principe de l'égalité exige des mesures de retrait différenciées pour les conducteurs professionnels et les autres conducteurs, au motif qu'un retrait du permis touche les premiers de manière plus importante que les seconds; le législateur n'ayant pas fait de différences, il considère que la loi en elle-même est arbitraire.
2.2
A teneur de l'
art. 191 Cst.
, le Tribunal fédéral est tenu d'appliquer les lois fédérales. Il n'est donc pas habilité à en contrôler la constitutionnalité (
ATF 131 II 562
consid. 3.2 p. 566 et les références). Il peut tout au plus leur appliquer le principe dit de l'interprétation conforme à la constitution, si les (autres) méthodes d'interprétation laissent subsister un doute sur le sens d'une loi fédérale (
ATF 129 II 249
consid. 5.4 p. 263 et les références).
2.3
Une interprétation de l'
art. 16c LCR
dans le sens d'un traitement différencié en faveur des chauffeurs professionnels, tel que le postule le recourant, est clairement exclue. Il ressort en effet des débats parlementaires que les Chambres n'entendaient pas, en particulier, qu'il puisse être dérogé aux durées minimales de retrait prévues en faveur de certaines catégories de chauffeurs particulièrement touchées par ce genre de mesure.
Sous l'ancien droit, le Tribunal fédéral avait admis un retrait d'une durée inférieure au minimum légal en cas de circonstances particulières. Le Conseil fédéral a proposé aux Chambres fédérales d'exclure cette possibilité ouverte par la jurisprudence (Message du 31 mars 1999, FF 1999 p. 4131). Le Conseil des Etats, lors de la première lecture, a prévu la possibilité de réduire la durée minimale du retrait en faveur de conducteurs professionnels dont les chauffeurs de taxi, mais uniquement pour certaines infractions moyennement graves au sens de l'
art. 16b al. 1 let. a LCR
(BO 2000 CE 214/215). En revanche, il l'a exclue en cas d'infraction grave au sens de l'
art. 16c LCR
(BO 2000 CE 215). Le Conseil national par contre a été plus sévère et a opté pour la proposition du Conseil fédéral (BO 2001 CN 911). Le Conseil des Etats n'a alors pas insisté; il a adhéré à la solution du Conseil national et du Conseil fédéral, renonçant ainsi également à toute dérogation en faveur des chauffeurs professionnels (BO 2001 CE 562). La volonté du législateur de ne pas
BGE 132 II 234 S. 237
permettre au juge de prononcer un retrait de permis d'une durée inférieure à la durée minimale prévue par la loi est donc manifeste. Au demeurant, elle ressort clairement de l'
art. 16 al. 3 LCR
, où il est précisé que la nécessité professionnelle de conduire un véhicule doit être prise en considération pour fixer la durée du retrait, mais que la durée minimale du retrait ne peut pas être réduite.
En outre, le retrait pour la durée minimale légale s'applique à toutes les catégories de permis. Lors des débats devant le Conseil national, il a été proposé de permettre un retrait limité à certaines catégories de permis, dans le but qu'un chauffeur professionnel puisse se voir interdire de conduire un véhicule privé tout en conservant l'autorisation de conduire dans l'exercice de sa profession. Cette proposition a été rejetée (BO 2001 CN 911/912). En conséquence, la différenciation des durées de retrait selon les catégories, afin d'éviter une rigueur excessive, n'est possible que sous réserve d'observer pour toutes les catégories la durée minimale fixée par la loi (art. 33 al. 5 de l'ordonnance du 27 octobre 1976 réglant l'admission des personnes et des véhicules à la circulation routière [OAC; RS 741.51]; cf.
ATF 128 II 173
consid. 3b p. 175 s.).
3.
Se pose encore la question de savoir si les critères développés par la jurisprudence pour définir le cas grave au sens de l'ancien droit (art. 16 al. 3 let. a aLCR) sont encore pertinents sous le nouveau droit.
3.1
Selon l'ancien
art. 16 al. 3 let. a LCR
, le cas était grave et le permis de conduire devait être retiré si le conducteur avait compromis gravement (in schwerer Weise) la sécurité de la route. Cela supposait une violation grossière d'une règle essentielle de la circulation créant un danger concret ou un danger abstrait accru. L'art. 16 al. 3 let. a aLCR correspondait à l'
art. 90 ch. 2 LCR
(
ATF 123 II 37
consid. 1b p. 38 s.). Le cas était par contre moyennement grave et n'entraînait qu'un retrait dit facultatif si le conducteur avait, par des infractions aux règles de la circulation, compromis la sécurité de la route ou incommodé le public (art. 16 al. 2 phr. 1 aLCR).
Pour assurer l'égalité de traitement, la jurisprudence avait été amenée à fixer des règles précises dans le domaine des excès de vitesse. A l'intérieur des localités, le cas était considéré comme grave et le retrait était partant obligatoire dès que le dépassement atteignait 25 km/h, nonobstant les circonstances particulières du cas comme, notamment, des conditions de la circulation favorables ou une excellente réputation du conducteur en tant qu'automobiliste. Hors des
BGE 132 II 234 S. 238
localités et sur les autoroutes, le cas grave était retenu en cas de dépassements de respectivement 30 km/h et 35 km/h (
ATF 128 II 86
consid. 2b p. 88;
ATF 126 II 202
consid. 1a p. 204;
ATF 124 II 475
consid. 2a p. 476 ss).
3.2
Aux termes de l'
art. 16c al. 1 let. a LCR
, dans sa nouvelle teneur, commet une infraction grave la personne qui, en violant les règles de la circulation, met sérieusement en danger la sécurité d'autrui (ernstliche Gefahr für die Sicherheit) ou en prend le risque. Elle ne commet par contre qu'une infraction moyennement grave lorsque, en violant les règles de la circulation, elle crée un danger pour la sécurité d'autrui ou en prend le risque (
art. 16b al. 1 let. a LCR
). Ces définitions du cas grave et du cas moyennement grave dans le nouveau droit correspondent à celles de l'ancien droit. Cela est au demeurant conforme à la volonté clairement exprimée par le législateur qui a notamment précisé que, sur le fond, l'
art. 16c al. 1 let. a LCR
ne subissait aucune modification par rapport à l'art. 16 al. 3 let. a aLCR, dont il ne s'agissait que d'adapter le libellé à celui de l'
art. 90 ch. 2 LCR
(FF 1999 p. 4134). Et pour ce qui concerne plus particulièrement les excès de vitesse, le législateur s'est expressément référé aux catégories fixées par la jurisprudence en la matière (FF 1999 p. 4131). Celles-ci se retrouvent au demeurant à l'
art. 38 ch. 2 let. a OAC
. Cette disposition, adoptée le 28 avril 2004 et mise en vigueur en même temps que la révision de la LCR au 1
er
janvier 2005, permet à la police de saisir sur-le-champ le permis de conduire lorsque le conducteur dépasse la limite de respectivement 30, 35 et 40 km/h à l'intérieur des localités, hors des localités et sur autoroutes. Il s'agit là des limites fixées par la jurisprudence précitée pour retenir le cas grave, augmentées chaque fois de 5 km/h.
La révision du droit de la circulation routière entrée en vigueur le 1
er
janvier 2005 ne touche donc pas à la définition du cas grave, qui reste la même à l'
art. 16c LCR
et à l'
art. 90 ch. 2 LCR
. Elle ne met pas non plus en cause la jurisprudence en matière de retrait de permis pour excès de vitesse. Il y a donc lieu de retenir que, sous le nouveau droit aussi, un dépassement de 25 km/h de la vitesse autorisée dans une localité constitue un cas grave. Certes, l'
art. 16c al. 2 let. a LCR
prévoit des sanctions massivement plus sévères que l'ancien droit avec une durée minimale du retrait trois fois plus longue. Mais cette sévérité accrue a été expressément voulue par le législateur afin de renforcer la sécurité et, partant, d'épargner des vies
BGE 132 II 234 S. 239
humaines et des blessés (FF 1999 p. 4130). Il ne peut qu'en être pris acte. Elle n'entraîne dès lors pas de modification de la notion de cas grave. | mixed |
f1ee77dd-caae-4cb4-9048-8c53ab46806d | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 135 IV 130 S. 131
A.
Das Obergericht des Kantons Solothurn erklärte X. (Beschwerdegegner 1) mit Urteil vom 8. Juli 2008 in zweiter Instanz der mehrfachen Urkundenfälschung im Amt, begangen am 30. Oktober 1996 und im Herbst 1996, sowie der Anstiftung zur Urkundenfälschung, begangen am 15. November 1996, schuldig. Von einer Bestrafung sah es ab. Vom Vorwurf der Erschleichung einer falschen Beurkundung sprach es X. frei. Ferner erklärte es Y. (Beschwerdegegner 2) der Urkundenfälschung, begangen zwischen dem 20. November 1996 und dem 29. November 1996, schuldig und sah auch in Bezug auf diesen von einer Bestrafung ab. Von der Anklage der Urkundenfälschung, der Gehilfenschaft zur Erschleichung einer falschen Beurkundung, der Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung sowie der mehrfachen Urkundenfälschung sprach es Y. frei. Im Weiteren sprach es ihm eine durch die Gerichtskasse auszahlbare Entschädigung für erlittene Nachteile (Genugtuung) von pauschal Fr. 2'000.- zu. Schliesslich entschied es über die Nebenpunkte und die geltend gemachte Zivilforderung.
B.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt Beschwerde beim Bundesgericht, mit der sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Strafsache sei zur Verurteilung von Y. wegen Urkundenfälschung sowie zur Ausfällung einer schuldangemessenen Strafe für X. und Y. an die Vorinstanz zurückzuweisen.
C.
Das Obergericht des Kantons Solothurn, X. und Y. beantragen in ihren Vernehmlassungen je die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
5.1
Die Beschwerdeführerin rügt im Weiteren eine unrichtige Anwendung von
Art. 52 StGB
. Die Vorinstanz habe bei beiden Beschwerdegegnern zu Unrecht von einer Bestrafung abgesehen.
BGE 135 IV 130 S. 132
5.1.1
In Bezug auf den Beschwerdegegner 1 macht sie geltend, die Tatbestände der Urkundenfälschung im Amt und der Anstiftung zur Urkundenfälschung, begangen durch einen öffentlichen Notar und Anwalt, stellten von vornherein keine Bagatelldelikte dar, auf welche die Bestimmung von
Art. 52 StGB
Anwendung finden könnte. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz seien im zu beurteilenden Fall auch die Tatfolgen nicht geringfügig. Durch eine Urkundenfälschung im Amt im Sinne von
Art. 317 StGB
würden nicht Rechte Dritter tangiert, sondern Treu und Glauben im Rechtsverkehr sowie das besondere Vertrauen, welches die Öffentlichkeit den Amtshandlungen des Staates entgegenbringe. Allein schon die Tatsache, dass ein öffentlicher Notar bei Ausübung seiner Funktion Urkunden fälsche, schädige das Vertrauen in die Verlässlichkeit dieser Berufsgruppe und somit auch das Vertrauen des Bürgers in den Staat in einer Weise, dass der Erfolgsunwert keinesfalls als geringfügig angesehen werden könne. Zudem sei auch das Verschulden des Beschwerdegegners 1 nicht geringfügig. Dies ergebe sich daraus, dass er einen Treuhänder zu einer Urkundenfälschung angestiftet habe, um seine eigene Fälschungshandlung zu vertuschen. Es liege auf der Hand, dass er dabei aus egoistischen Beweggründen gehandelt habe. Selbst die Vorinstanz nehme an, es sei unbegreiflich, weshalb der Beschwerdegegner 1 nicht mit den beiden Generalversammlungen zugewartet habe. Schliesslich komme dem Strafmilderungsgrund von
Art. 48 lit. e StGB
keine Bedeutung zu. Dass sich das Strafbedürfnis infolge der seit der Tat verstrichenen Zeit verringere, führe lediglich zu einer Milderung der Strafe. Das Mass des Verschuldens werde davon nicht berührt. Dasselbe gelte für allfällige Auswirkungen der Strafe auf das Leben des Beschwerdegegners 1.
5.1.2
Auch in Bezug auf den Beschwerdegegner 2 macht die Beschwerdeführerin geltend, die einzelnen Tathandlungen liessen kein leichtes Verschulden erkennen. Die Vorinstanz habe die Rückdatierung der Prüfungsbestätigung nicht als besonders leichten Fall im Sinne von
Art. 251 Ziff. 2 StGB
qualifiziert. In denjenigen Fällen, in denen das Gesetz bei einem bestimmten Tatbestand auch eine Tatbestandsvariante im Sinne eines leichten oder besonders leichten Falles vorsehe, bleibe beim Grundtatbestand kein Raum für die Anwendung von
Art. 52 StGB
. Soweit das Gesetz besonders leichte Fälle bezüglich der Strafzumessung privilegiere, aber dennoch unter Strafe stelle, bringe es zum Ausdruck, dass die normalen Fälle nie
BGE 135 IV 130 S. 133
als Bagatelldelikt im Sinne von
Art. 52 StGB
gelten könnten und daher immer zu bestrafen seien. Im Übrigen sprächen im zu beurteilenden Fall auch die Täterkomponenten nicht in besonderem Masse für den Beschwerdegegner 2.
5.2
5.2.1
Die Vorinstanz beurteilt im Rahmen der Strafzumessung das Verschulden des Beschwerdegegners 1 als eher leicht. Er habe zwar mehrere, teilweise öffentliche Urkunden gefälscht und damit Treu und Glauben im Rechtsverkehr nicht unerheblich verletzt. Doch sei dies mit der Subsumtion des Verhaltens unter den entsprechenden Tatbestand abgegolten. Nachteilige Folgen der Taten für Dritte seien nicht erkennbar, und es habe auch keinerlei entsprechende Gefährdung bestanden. Zudem hätten die Unterlagen im Zeitpunkt der Anmeldung an das Handelsregisteramt vollständig vorgelegen und die Beteiligten seien mit der nachträglichen Änderung der Firmenbezeichnung in F. AG einverstanden gewesen. Dies ändere zwar nichts an der Strafbarkeit des Verhaltens, mindere aber das Verschulden. Die Vorinstanz attestiert dem Beschwerdegegner 1 ferner einen ungetrübten Leumund und mildert die Strafe in Anwendung von
Art. 48 lit. e StGB
aufgrund der seit den strafbaren Handlungen verstrichenen langen Zeitdauer deutlich.
Weiter nimmt die Vorinstanz an, im Quervergleich zu anderen denkbaren Fällen von Urkundenfälschungen im Amt erschienen die zu beurteilenden Delikte vom Verschulden wie von den Tatfolgen her als leicht und unerheblich. Es handle sich geradezu um einen Idealfall einer unter
Art. 52 StGB
fallenden Delinquenz. Wenn weiter berücksichtigt werde, dass der Beschwerdegegner 1 unter dem seit fünf Jahren dauernden Strafverfahren besonders gelitten habe, da er seine Klienten darüber habe aufklären müssen, sei nebst dem Schuldspruch als Unwerturteil, das beim Beschwerdegegner 1 als Rechtsanwalt und Notar bereits erheblich sanktionierende Auswirkungen habe, kein Strafbedürfnis mehr erkennbar. Dies gelte umso mehr, wenn man die besonderen Folgen für den Beschwerdegegner 1 als Rechtsanwalt bedenke. Denn aufgrund der Bestimmung von
Art. 8 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935. 61)
hätte ein Eintrag ins Strafregister die Löschung im Anwaltsregister zur Folge, was für den Beschwerdegegner 1 für die Dauer der 2 Jahre dauernden Probezeit faktisch ein weitgehendes Berufsverbot bedeuten würde. Dies erscheine aufgrund der
BGE 135 IV 130 S. 134
Geringfügigkeit der Verfehlung in jeder Hinsicht als untragbare Folge der Strafe. Aus diesen Gründen sei auf die Ausfällung einer Strafe zu verzichten, womit auch ein Eintrag des Urteils im Strafregister entfalle (
Art. 366 Abs. 2 lit. b StGB
).
5.2.2
In Bezug auf den Beschwerdegegner 2 nimmt die Vorinstanz im Rahmen der rechtlichen Würdigung zunächst an, die strafbaren Handlungen des Beschwerdegegners 2 erfüllten den privilegierten Tatbestand des besonders leichten Falles gemäss
Art. 251 Ziff. 2 StGB
nicht. Zwar hätten der Falschbeurkundung keine finanziellen Beweggründe zugrunde gelegen. Angesichts der Bedeutung der Prüfungsbestätigung im Rechtsverkehr und des Ausmasses der Abweichung der Fälschung von der wahren Sachlage könne ein besonders leichter Fall indes nicht bejaht werden.
Im Rahmen der Strafzumessung wertet die Vorinstanz das Verschulden des Beschwerdegegners 2 als leicht. Er habe auf Wunsch des Beschwerdegegners 1 gehandelt, ohne eigene Vorteile anzustreben. Ausserdem wiege die Rückdatierung der Prüfungsbestätigung als Straftat im Vergleich mit dem Regelfall als eher leicht. Auch beim Beschwerdegegner 2 berücksichtigt die Vorinstanz den unbelasteten Leumund als strafmindernd und mildert die Strafe aufgrund des Zeitablaufs im Sinne von
Art. 48 lit. e StGB
seit der Tat erheblich. Aufgrund seines leichten Verschuldens, der fehlenden Nachteile für Dritte und der seit der Tat verstrichenen Zeit sieht sie auch beim Beschwerdegegner 2 von der Ausfällung einer Strafe ab. Auch er sei durch den Schuldspruch als Unwerturteil stark belastet, habe doch aufgrund der Beschreibung in den Medien leicht auf seine Person geschlossen werden können. Schliesslich sei er auch erhöht strafempfindlich, da seine Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer durch einen Eintrag im Strafregister wegen Urkundenfälschung erheblich beeinträchtigt würde.
5.3
5.3.1
Im Rahmen der Strafzumessung steht dem urteilenden Gericht bei der Gewichtung der einzelnen Komponenten gemäss
Art. 47 StGB
ein erheblicher Spielraum des Ermessens zu. Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts greift in diesen auf Beschwerde in Strafsachen u.a. nur ein, wenn das vorinstanzliche Gericht von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder wenn es wesentliche Komponenten ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet
BGE 135 IV 130 S. 135
hat (
BGE 134 IV 17
E. 2.1; zum alten Recht:
BGE 129 IV 6
E. 6.1;
BGE 127 IV 101
E. 2; je mit Hinweisen).
5.3.2
Gemäss
Art. 52 StGB
sieht die zuständige Behörde von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig ("de peu d'importance"; "di lieve entità") sind. Die Bestimmung erfasst nach der Botschaft relativ unbedeutende Verhaltensweisen, welche die Schwere und Härte einer Strafe nicht verdienen (Botschaft vom 23. März 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [...], BBl 1999 2063 Ziff. 213.31). Die Regelung von
Art. 52 StGB
ist zwingender Natur. Sind die Voraussetzungen erfüllt, muss die Behörde das Strafverfahren einstellen bzw. von einer Überweisung absehen. Stellt erst das Gericht die Voraussetzungen für das fehlende Strafbedürfnis fest, erfolgt nicht ein Freispruch, sondern ein Schuldspruch bei gleichzeitigem Strafverzicht (Botschaft, a.a.O., 2064 Ziff. 213.31; FRANZ RIKLIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 20 zu
Art. 52 StGB
;
ders
., a.a.O., N. 26 vor
Art. 56 ff. StGB
; vgl. ferner
BGE 135 IV 27
E. 2 zu
Art. 53 StGB
).
Voraussetzung für die Strafbefreiung und Einstellung des Verfahrens gemäss
Art. 52 StGB
ist die Geringfügigkeit von Schuld und Tatfolgen. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (RIKLIN, a.a.O., N. 14 zu
Art. 52 StGB
). Die Würdigung des Verschuldens des Täters richtet sich nach den in
Art. 47 StGB
aufgeführten Strafzumessungskriterien (RIKLIN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 52 StGB
; DUPUIS UND ANDERE, Code pénal, Bd. I, 2008, N. 4 zu
Art. 52 StGB
; DANIEL JOSITSCH, Strafbefreiung gemäss
Art. 52 StGB
neu
und prozessrechtliche Umsetzung, SJZ 100/2004 S. 4). Der Begriff der Tatfolgen umfasst nicht nur den tatbestandsmässigen Erfolg, sondern sämtliche vom Täter verschuldete Auswirkungen der Tat (RIKLIN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 52 StGB
). Diese müssen stets gering sein. Schwerwiegendere Folgen können nicht durch andere, zu Gunsten des Betroffenen wirkende Komponenten ausgeglichen werden (RIKLIN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 52 StGB
).
5.3.3
Mit der Regelung von
Art. 52 StGB
hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt, dass in allen Bagatellstraftaten generell auf eine strafrechtliche Sanktion verzichtet wird. Eine Strafbefreiung ("exemption de peine"; "impunità") kommt nur bei Delikten in Frage, bei denen keinerlei Strafbedürfnis besteht. Auch bei einem Bagatelldelikt kann daher wegen Geringfügigkeit von Schuld und
BGE 135 IV 130 S. 136
Tatfolgen eine Strafbefreiung nur angeordnet werden, wenn es sich von anderen Fällen mit geringem Verschulden und geringen Tatfolgen qualitativ unterscheidet. Das Verhalten des Täters muss im Quervergleich zu typischen unter dieselbe Gesetzesbestimmung fallenden Taten insgesamt - vom Verschulden wie von den Tatfolgen her - als unerheblich erscheinen, so dass die Strafbedürftigkeit offensichtlich fehlt. Die Behörde hat sich mithin am Regelfall der Straftat zu orientieren (RIKLIN, a.a.O., N. 15 f. zu
Art. 52 StGB
; GÜNTER STRATENWERTH, Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 7 N. 5; SCHWARZENEGGER UND ANDERE, Strafrecht II, 8. Aufl. 2007, S. 63; STRATENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 2007, N. 1 zu
Art. 52 StGB
; TRECHSEL/PAUEN BORER, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, N. 2 zu
Art. 52 StGB
; DUPUIS UND ANDERE, a.a.O., N. 3 zu
Art. 52 StGB
; vgl. auch Botschaft, a.a.O., 2064 Ziff. 231.31; ferner für das österreichische Recht HANS VALENTIN SCHROLL, in: Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Wien 2000, N. 26 zu § 42 österr. StGB). Für die Anwendung der Bestimmung bleibt somit nur ein relativ eng begrenztes Feld (RIKLIN, a.a.O., N. 19 zu
Art. 52 StGB
).
5.3.4
Der Gesetzgeber hat schon vor Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches bei einzelnen Straftaten leichte oder besonders leichte Fälle privilegiert behandelt. So kann das Gericht etwa gemäss
Art. 251 Ziff. 2 StGB
bei besonders leichten Fällen von Urkundenfälschung die Strafe mildern und gemäss
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
in besonders leichten Fällen von Fahrlässigkeit bzw. gemäss
Art. 19a BetMG
(SR 812.121) in leichten Fällen des Konsums von Betäubungsmitteln von einer Strafe absehen (vgl. auch aArt. 322
octies
Ziff. 1 StGB). Die Rechtsprechung hat an die Bejahung des leichten Falles stets hohe Anforderungen gestellt und von einer Bestrafung nur Umgang genommen, wenn eine noch so geringe Strafe, weil dem Verschulden des Täters nicht angemessen, als stossend erschien (
BGE 114 IV 126
E. 2c [ad aArt. 251 Ziff. 3 StGB];
BGE 117 IV 302
E. 3b/cc; Urteil 6S.123/2007 vom 23.07.2007 E. 4.3 [ad
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
]; ferner
BGE 124 IV 184
E. 3,
BGE 124 IV 44
E. 2a;
BGE 106 IV 75
E. 2 [ad
Art. 19a Ziff. 2 BetmG
]). Diese Rechtsprechung kann für die Anwendung von
Art. 52 StGB
als Leitlinie herangezogen werden (CÉDRIC PIGNAT, La fixation de la peine avant et après la révision de 2002, in: Droit des sanctions, André Kuhn und andere [Hrsg.], 2004, S. 41).
BGE 135 IV 130 S. 137
Der Umstand, dass das Gesetz bei einzelnen Tatbeständen leichte Fälle ausscheidet, bedeutet entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin indes nicht, dass
Art. 52 StGB
bei diesen Deliktsgruppen nicht zur Anwendung gelangen kann. Denn die Ausdifferenzierung leichter Fälle wirkt sich, worauf in der Lehre zutreffend hingewiesen wird, zugunsten der Täter aus, so dass es als widersprüchlich erschiene, wenn gerade in diesen Fällen die Möglichkeit einer Strafbefreiung im Sinne von
Art. 52 StGB
entfallen würde. In solchen Fällen ist eine Strafbefreiung gerechtfertigt, wenn die bei der Strafzumessung mit zu berücksichtigenden Täterkomponenten in besonderem Masse zugunsten des Beschuldigten sprechen (RIKLIN, a.a.O., N. 18 zu
Art. 52 StGB
).
5.4
Die Bestimmung von
Art. 52 StGB
trägt dem Umstand Rechnung, dass, auch wenn die Voraussetzungen der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens an sich erfüllt sind, ein Strafbedürfnis aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen entweder von vornherein fehlen oder nachträglich entfallen kann (STRATENWERTH, a.a.O., § 7 N. 1). Sie erfasst somit auch Fälle, bei denen im Zeitpunkt der Untersuchung oder der gerichtlichen Beurteilung ein Strafbedürfnis nicht mehr besteht. Dies ergibt sich daraus, dass für die Würdigung des Verschuldens nicht ausschliesslich auf die in
Art. 47 Abs. 2 StGB
aufgeführten konkretisierenden Umstände zu berücksichtigen sind. In die Entscheidung über die Geringfügigkeit der Schuld fliessen vielmehr sämtliche relevanten Strafzumessungskomponenten, mithin auch die Täterkomponenten wie das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse oder das Nachtatverhalten, mit ein (RIKLIN, a.a.O., N. 13 zu
Art. 52 StGB
; vgl. für das österreichische Recht SCHROLL, a.a.O., N. 10 zu § 42 österr. StGB; für das deutsche Recht EDDA WESSLAU, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, N. 16 zu § 153 dt. StGB; WERNER BEULKE, in: Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Grosskommentar, 26. Aufl., Berlin 2008, N. 24, 27 zu § 153 dt. StGB). Berücksichtigt werden können darüber hinaus etwa auch eine durch überlange Verfahrensdauer bewirkte Verletzung des Beschleunigungsgebots (vgl. schon
BGE 117 IV 124
E. 4) und schuldunabhängige Strafmilderungsgründe, wie das Verstreichen verhältnismässig langer Zeit seit der Tat (RIKLIN, a.a.O., N.13 zu
Art. 52 StGB
; BEULKE, a.a.O., N. 34 zu § 153 dt. StGB).
5.5
Die Vorinstanz hat das Tatverschulden der Beschwerdegegner als leicht bzw. eher leicht gewertet. Dies ist nicht zu beanstanden.
BGE 135 IV 130 S. 138
So wiegen die vom Beschwerdegegner 1 zu verantwortenden Falschbeurkundungen im Zusammenhang mit der Neugründung der A. AG objektiv nicht schwer, zumal er weder einen materiellen Schaden bewirkt noch einen persönlichen Vorteil erlangt oder auch nur angestrebt hat. Dies gilt auch für den Beschwerdegegner 2, der die Falschdatierung des Prüfungsberichts lediglich auf Wunsch des Beschwerdegegners 1 vorgenommen hat. Zwar wendet die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang zu Recht ein, dass die Tatbestände des Urkundenstrafrechts in erster Linie das Vertrauen schützen, welches im Rechtsverkehr einer Urkunde als einem Beweismittel entgegengebracht wird (vgl.
BGE 132 IV 12
E. 8.1;
BGE 131 IV 125
E. 4.1) und dass dieses Vertrauen beeinträchtigt wird, wenn ein öffentlicher Notar im Zusammenhang mit einer Gesellschaftsgründung in der öffentlichen Urkunde eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet bzw. ein Treuhänder zur Deckung der unzulässigen Gründung eine Prüfungsbestätigung falsch datiert. Auch ist der Vorinstanz beizupflichten, wenn sie feststellt, die beiden Beschwerdegegner hätten aufgrund ihrer Fachkompetenz und ihres beruflichen Hintergrundes ohne weiteres regelkonform handeln können. Die Vorinstanz hat denn auch hinsichtlich des Beschwerdegegners 2 zutreffend einen Bagatellfall im Sinne von
Art. 251 Ziff. 2 StGB
verneint. Doch erweist sich das Verschulden der Beschwerdegegner im zu beurteilenden Fall im Quervergleich mit Taten gleicher Art immer noch als gering.
Zu Recht weist die Vorinstanz auch auf die erhöhte Strafempfindlichkeit der Beschwerdegegner hin, welche bei einer Verurteilung mit disziplinarischen Massnahmen rechnen müssen. Das gilt namentlich für den Beschwerdegegner 1, dem bei einem Eintrag einer Strafe im Strafregister die Löschung aus dem Anwaltsregister drohen würde (
Art. 366 Abs. 2 lit. b StGB
; Art. 9 i.V.m.
Art. 8 Abs. 1 lit. b BGFA
; hinsichtlich des Beschwerdegegners 2 vgl. Art. 17 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a RGA; generell zur Folgenberücksichtigung in der Strafzumessung vgl. HANS WIPRÄCHTIGER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 120, 123 f. zu
Art. 47 StGB
). Zwar führt auch dieser Gesichtspunkt für sich allein nicht zur Annahme eines fehlenden Strafbedürfnisses, da diese Folgen zwangsläufig mit einem Strafverfahren, das mit einer Verurteilung zu einer Strafe endet, verbunden sind. Doch kommt ihm in Verbindung mit den anderen Faktoren Bedeutung zu.
BGE 135 IV 130 S. 139
Schliesslich berücksichtigt die Vorinstanz zu Recht, dass die Strafe aufgrund des Umstands, dass seit den Straftaten nunmehr gut 12 Jahre verstrichen sind und die Beschwerdegegner sich in dieser Zeit wohl verhalten haben, in Anwendung von
Art. 48 lit. e StGB
erheblich gemildert werden müsste. Dieser Umstand vermindert schon für sich allein das Strafbedürfnis in erheblichem Ausmass. Die Verbindung dieses Strafmilderungsgrundes mit den geringen Tatfolgen, dem geringfügigen Verschulden der Beschwerdegegner und ihrer erhöhten Strafempfindlichkeit führt dazu, dass ein Strafbedürfnis bei beiden Beschwerdegegnern vollends verneint werden muss. Die Vorinstanz hat daher bei beiden Beschwerdegegnern zu Recht von der Aussprechung einer Strafe abgesehen. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass sie sich dabei von rechtlich nicht massgeblichen Gesichtspunkten hätte leiten lassen oder wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hätte. Sie hat daher ihr Ermessen nicht verletzt.
Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet. | mixed |
b89bcfa0-13bb-40c2-97c6-c446422efdc7 | Die von einer Schadenersatzforderung betroffene Person muss auf Grund der Rechtsweggarantie die Möglichkeit gehabt haben, das Massliche der Beitragsforderungen, für die sie haftbar gemacht wird, zumindest einmal bei einer Gerichtsinstanz bestreiten zu können, die den Sachverhalt frei prüft. Aus der Unternehmung ausgeschiedene frühere Organe haben bei späterer Zustellung der Beitragsverfügung keine Möglichkeit mehr, in ihrer Organeigenschaft die Beitragsverfügung anzufechten oder anfechten zu lassen, weshalb diese in ihrem Falle im Rahmen des Schadenersatzverfahrens frei überprüfbar sein muss (Präzisierung der Rechtsprechung in E. 5 [insbes. E. 5.4]). Erwägungen
ab Seite 402
BGE 134 V 401 S. 402
Aus den Erwägungen:
5.
Zu beantworten bleibt die Frage, in welchem zeitlichen Rahmen der Beschwerdeführer ersatzpflichtig ist. Das kantonale Gericht hat für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) festgestellt, dass der Beschwerdeführer am 1. November 2002 aus der Gesellschaft ausgeschieden ist. Ab diesem Zeitpunkt hat es ihn - anders als noch die Verwaltung - von der Ersatzpflicht ausgenommen und die Forderung soweit korrigiert.
5.1
Diese Anpassung ist grundsätzlich richtig, denn nach der Rechtsprechung ist für das Ende der Organstellung auf das Datum des tatsächlichen Ausscheidens abzustellen (anstelle vieler vgl.
BGE 126 V 61
E. 4a sowie MARCO REICHMUTH, Die Haftung des Arbeitgebers und seiner Organe nach
Art. 52 AHVG
, Diss. Freiburg 2008, Rz. 244 f. mit Hinweisen) und haftet eine Person grundsätzlich nur für jenen Schaden, der durch die Nichtbezahlung von Beiträgen verursacht ist, die zu einem Zeitpunkt zur Zahlung anstanden, als sie eine formelle, materielle oder faktische Organstellung innehatte und somit disponieren sowie Zahlungen an die Ausgleichskasse
BGE 134 V 401 S. 403
veranlassen konnte (vgl.
BGE 103 V 120
E. 5 S. 123 sowie REICHMUTH, a.a.O., Rz. 256 f. mit Hinweisen).
5.2
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Gesellschaft habe in der fraglichen Zeit keine AHV-beitragspflichtigen Löhne bezahlt. Die Vorinstanz hat in diesem Zusammenhang auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung verwiesen, wonach die rechtskräftigen Beitragsverfügungen im Schadenersatzverfahren nicht mehr anfechtbar sind, ausser wenn sie zweifellos unrichtig sind oder ein Revisionsgrund vorliegt (AHI 1993 S. 172, E. 3a, H 155/91; ZAK 1991 S. 125, E. II/1b, H 116/85). Diese Rechtsprechung findet auch auf Personen Anwendung, denen im Zeitpunkt des Verfügungserlasses keine Organstellung mehr zukommt. Dies ist damit begründet worden, dass für das Unternehmen ungeachtet der personellen Zusammensetzung der Organe stets dasselbe Interesse bestehe, die Frage des Beitragsstatus korrekt beantwortet zu haben, weil es als Arbeitgeber von Gesetzes wegen der Schuldner der Beiträge und somit die Gefahr sehr gering sei, dass ein Verzicht der Firma, von der Anfechtungsbefugnis Gebrauch zu machen, auf sachfremden Motiven beruhe (SVR 2001 AHV Nr. 15 S. 51, E. 3b, H 136/00). Es sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass jede juristische Person an der Abwehr ungerechtfertigter Nachzahlungsforderungen interessiert ist, einerseits weil sie keine Nichtschulden bezahlen wolle, andererseits weil die für die juristische Person handelnden Organe wegen der allfälligen persönlichen Haftung auch ein ganz besonderes Interesse daran hätten, ungerechtfertigte Zahlungen abzuwehren (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 14/00 vom 30. Juli 2001, E. 3d).
5.3
Gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(SR 0.101) hat jedermann ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht entschieden wird. Entsprechend dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) weit gefassten Begriff der "zivilrechtlichen" Ansprüche und Verpflichtungen hat das Eidg. Versicherungsgericht die prinzipielle Anwendbarkeit des
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
für sämtliche Bereiche des Bundessozialversicherungsrechts - für Leistungs- ebenso wie für Beitragsstreitigkeiten - bejaht (vgl.
BGE 131 V 66
E. 3.3 S. 70 mit Hinweisen). Am 1. Januar 2007 trat in Ergänzung zu
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
die Rechtsweggarantie von
Art. 29a BV
in Kraft. Danach hat jede Person bei Rechtsstreitigkeiten
BGE 134 V 401 S. 404
Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde. Bund und Kantone können durch Gesetz die richterliche Beurteilung in Ausnahmefällen ausschliessen. Es wird damit garantiert, dass eine betroffene Person ein Gericht mit freier Rechts- und Sachverhaltsprüfung anrufen kann (KÄLIN/KIENER, Grundrechte, Bern 2007, S. 434; ANDREAS KLEY, in: Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender [Hrsg.], Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 15 zu
Art. 29a BV
mit Hinweisen).
5.4
Die von einer Schadenersatzforderung betroffene Person muss auf Grund der Rechtsweggarantie die Möglichkeit haben, das Massliche der Beitragsforderungen, für die sie haftbar gemacht wird, zumindest einmal bei einer Gerichtsinstanz bestreiten zu können, die den Sachverhalt frei prüft. Solange sie noch Organ der Gesellschaft ist, hat sie die Möglichkeit, eine solche Beitragsverfügung anzufechten, sei es direkt für die Gesellschaft oder indirekt, indem sie innerhalb der Unternehmung darauf hinwirkt, dass die Verfügung angefochten und die Rechtslage geklärt wird. Anders verhält es sich, wenn die ins Recht gefasste Person im Zeitpunkt der betreffenden Beitragsverfügung nicht mehr Organ der Gesellschaft ist: Aus der Unternehmung ausgeschiedene frühere Organe haben bei späterer Zustellung der Beitragsverfügung in der Regel keine Möglichkeit, Einfluss darauf zu nehmen, dass die Gesellschaft die Verfügung anficht. Beitragsschuldnerin und damit Verfügungsadressatin ist die Gesellschaft. Ein ehemaliges Gesellschaftsorgan ist nicht legitimiert, die Beitragsforderung vor Gericht zu ziehen. Es ist auch nicht immer so, dass die noch vorhandenen Organe zum Beispiel einer Unternehmung, deren Firmentätigkeit eingeschlafen ist, sich noch ausreichend um die Verwaltung kümmern; darum wird etwa eine Beitragsverfügung nicht mehr angefochten, auch wenn dazu aller Grund bestehen würde, weil in der entsprechenden Periode tiefere als die veranlagten oder gar keine beitragspflichtigen Lohnzahlungen erfolgten. Die bisherige Rechtsprechung (oben E. 5.2) wonach rechtskräftige Beitragsverfügungen im Schadenersatzprozess masslich nur eingeschränkt überprüfbar sind, ist darum zu differenzieren:
5.5
Diese Rechtsprechung gilt weiterhin, soweit die Beitragsverfügungen zu einem Zeitpunkt ergangen sind, als die ins Recht gefasste Person noch eine formelle, materielle oder faktische Organstellung hatte und entsprechend auch eine Einwirkungsmöglichkeit
BGE 134 V 401 S. 405
in der beitragspflichtigen Gesellschaft bestand. War hingegen die ins Recht gefasste Person in diesem Zeitpunkt als Organ ausgeschieden und hatte sie demzufolge keine Möglichkeit mehr, in ihrer Organeigenschaft die Beitragsverfügung anzufechten oder anfechten zu lassen, muss die Beitragsverfügung im Rahmen des Schadenersatzverfahrens frei überprüfbar sein. | mixed |
18b7cd09-817f-47bc-a473-d16e9e27783d | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 137 I 31 S. 32
A.
Das Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120) wurde am 24. März 2006 mit Vorkehren zur Vorbeugung von Gewalt an Sportveranstaltungen mit Wirkung ab dem 1. Januar 2007 ergänzt (AS 2006 3703). Die Ergänzung sah u.a. Rayonverbote (Art. 24b), Meldeauflagen (Art. 24d) und Polizeigewahrsam (Art. 24e) vor (vgl. zum Ganzen
BGE 134 I 125
S. 126). Diese Massnahmen waren wegen der
BGE 137 I 31 S. 33
fragwürdigen Zuständigkeit des Bundes zeitlich begrenzt. Sie wurden durch Änderung des BWIS vom 3. Oktober 2008 auf Ende 2009 ausser Kraft gesetzt (AS 2009 5091).
Wegen der Befristung der bundesrechtlichen Massnahmen beschloss die Frühjahrsversammlung 2007 der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), zur Weiterführung der erforderlichen Massnahmen ein entsprechendes Konkordat zu schaffen. Am 15. November 2007 verabschiedete die Konferenz das Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (im Folgenden: Konkordat).
Das Konkordat übernimmt im Wesentlichen die befristete Regelung des BWIS und der entsprechenden Verordnung. Es hat folgenden Wortlaut:
"1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen
Art. 1 Zweck
Die Kantone treffen in Zusammenarbeit mit dem Bund zur Verhinderung gewalttätigen Verhaltens vorbeugende polizeiliche Massnahmen nach diesem Konkordat, um frühzeitig Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen zu erkennen und zu bekämpfen.
Art. 2 Definition gewalttätigen Verhaltens
1
Gewalttätiges Verhalten und Gewalttätigkeiten liegen namentlich vor, wenn eine Person folgende Straftaten begangen oder dazu angestiftet hat:
a) Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben nach den Artikeln 111- 113, 117, 122, 123, 125 Absatz 2, 129, 133, 134 des Strafgesetzbuches (StGB);
b) Sachbeschädigungen nach Artikel 144 StGB;
c) Nötigung nach Artikel 181 StGB;
d) Brandstiftung nach Artikel 221 StGB;
e) Verursachung einer Explosion nach Artikel 223 StGB;
f) Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit nach Artikel 259 StGB;
g) Landfriedensbruch nach Artikel 260 StGB;
h) Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte nach Artikel 285 StGB.
2
Als gewalttätiges Verhalten gilt ferner die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch das Mitführen oder Verwenden von Waffen, Sprengmitteln, Schiesspulver oder pyrotechnischen Gegenständen an Sportstätten, in deren Umgebung sowie auf dem An- und Rückreiseweg.
BGE 137 I 31 S. 34
Art. 3 Nachweis gewalttätigen Verhaltens
1
Als Nachweis für gewalttätiges Verhalten nach Artikel 2 gelten:
a) entsprechende Gerichtsurteile oder polizeiliche Anzeigen;
b) glaubwürdige Aussagen oder Bildaufnahmen der Polizei, der Zollverwaltung, des Sicherheitspersonals oder der Sportverbände und -vereine;
c) Stadionverbote der Sportverbände und -vereine;
d) Meldungen einer zuständigen ausländischen Behörde.
2
Aussagen nach Absatz 1 Buchstabe b sind schriftlich festzuhalten und zu unterzeichnen.
2. Kapitel: Polizeiliche Massnahmen
Art. 4 Rayonverbot
1
Einer Person, die sich anlässlich von Sportveranstaltungen nachweislich an Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen beteiligt hat, kann der Aufenthalt in einem genau umschriebenen Gebiet im Umfeld von Sportveranstaltungen (Rayon) zu bestimmten Zeiten verboten werden. Die zuständige kantonale Behörde bestimmt den Umfang der einzelnen Rayons.
2
Das Rayonverbot kann längstens für die Dauer eines Jahres verfügt werden.
3
Das Verbot kann von den Behörden des Kantons verfügt werden, in dem die betroffene Person wohnt oder in dem sie an der Gewalttätigkeit beteiligt war. Die Behörde des Kantons, in dem die Gewalttätigkeit geschah, hat dabei Vorrang. Die Schweizerische Zentralstelle für Hooliganismus (Zentralstelle) kann den Erlass von Rayonverboten beantragen.
Art. 5 Verfügung über ein Rayonverbot
1
In der Verfügung über ein Rayonverbot sind die Geltungsdauer und der Geltungsbereich des Rayonverbots festzulegen. Der Verfügung ist ein Plan beizulegen, der die vom Verbot erfassten Orte und die zugehörigen Rayons bezeichnet.
2
Wird das Verbot von der Behörde des Kantons verfügt, in dem die Gewalttätigkeit geschah, ist die zuständige Behörde des Wohnsitzkantons der betroffenen Person umgehend zu informieren.
3
Für den Nachweis der Beteiligung an Gewalttätigkeiten gilt Artikel 3.
Art. 6 Meldeauflage
1
Eine Person kann verpflichtet werden, sich zu bestimmten Zeiten bei einer Polizeistelle zu melden, wenn:
a) sie in den letzten zwei Jahren gegen ein Rayonverbot nach Artikel 4 oder gegen eine Ausreisebeschränkung nach Artikel 24c BWIS verstossen hat;
BGE 137 I 31 S. 35
b) aufgrund konkreter und aktueller Tatsachen anzunehmen ist, dass sie sich durch andere Massnahmen nicht von Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen abhalten lässt; oder
c) die Meldeauflage im Verhältnis zu andern Massnahmen im Einzelfall als milder erscheint.
2
Die betroffene Person hat sich bei der in der Verfügung genannten Polizeistelle zu den bezeichneten Zeiten zu melden. Grundsätzlich ist dies eine Polizeistelle am Wohnort. Die verfügende Behörde berücksichtigt bei der Bestimmung von Meldeort und Meldezeiten die persönlichen Umstände der betroffenen Person.
3
Die Behörde des Kantons, in dem die betroffene Person wohnt, verfügt die Meldeauflage. Die Zentralstelle kann den Erlass von Meldeauflagen beantragen.
Art. 7 Handhabung der Meldeauflage
1
Dass eine Person sich durch andere Massnahmen als eine Meldeauflage nicht von Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen abhalten lässt (Art. 6 Abs. 1 Bst. b), ist namentlich anzunehmen, wenn:
a) aufgrund von aktuellen Aussagen oder Handlungen der betreffenden Person behördlich bekannt ist, dass sie mildere Massnahmen umgehen würde; oder
b) die betreffende Person aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse, wie Wohnlage oder Arbeitsplatz in unmittelbarer Umgebung eines Stadions, durch mildere Massnahmen nicht von künftigen Gewalttaten abgehalten werden kann.
2
Kann sich die meldepflichtige Person aus wichtigen und belegbaren Gründen nicht nach Artikel 6 Absatz 2 bei der zuständigen Stelle (Meldestelle) melden, so hat sie die Meldestelle unverzüglich und unter Bekanntgabe des Aufenthaltsortes zu informieren. Die zuständige Polizeibehörde überprüft den Aufenthaltsort und die Angaben der betreffenden Person.
3
Die Meldestelle informiert die Behörde, die die Meldeauflage verfügt hat, unverzüglich über erfolgte oder ausgebliebene Meldungen.
Art. 8 Polizeigewahrsam
1
Gegen eine Person kann der Polizeigewahrsam verfügt werden, wenn:
a) konkrete und aktuelle Hinweise dafür vorliegen, dass sie sich anlässlich einer nationalen oder internationalen Sportveranstaltung an schwerwiegenden Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen beteiligen wird; und
b) dies die einzige Möglichkeit ist, sie an solchen Gewalttätigkeiten zu hindern.
2
Der Polizeigewahrsam ist zu beenden, wenn seine Voraussetzungen weggefallen sind, in jedem Fall nach 24 Stunden.
BGE 137 I 31 S. 36
3
Die betroffene Person hat sich zum bezeichneten Zeitpunkt bei der Polizeistelle ihres Wohnortes oder bei einer andern in der Verfügung genannten Polizeistelle einzufinden und hat für die Dauer des Gewahrsams dort zu bleiben.
4
Erscheint die betreffende Person nicht bei der bezeichneten Polizeistelle, so kann sie polizeilich zugeführt werden.
5
Die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzuges ist auf Antrag der betroffenen Person richterlich zu überprüfen.
6
Der Polizeigewahrsam kann von den Behörden des Kantons verfügt werden, in dem die betroffene Person wohnt, oder von den Behörden des Kantons, in dem die Gewalttätigkeit befürchtet wird. Die Behörde des Kantons, in dem die Gewalttätigkeit befürchtet wird, hat dabei Vorrang.
Art. 9 Handhabung des Polizeigewahrsams
1
Nationale Sportveranstaltungen nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a sind Veranstaltungen, die von den nationalen Sportverbänden oder den nationalen Ligen organisiert werden oder an denen Vereine dieser Organisationen beteiligt sind.
2
Schwerwiegende Gewalttätigkeiten im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a sind namentlich strafbare Handlungen nach den Artikeln 111-113, 122, 123 Ziffer 2, 129, 144 Absatz 3, 221, 223 oder nach Artikel 224 StGB.
3
Die zuständige Behörde am Wohnort der betreffenden Person bezeichnet die Polizeistelle, bei der sich die betreffende Person einzufinden hat, und bestimmt den Beginn und die Dauer des Gewahrsams.
4
Die Kantone bezeichnen die richterliche Instanz, die für die Überprüfung der Rechtmässigkeit des Polizeigewahrsams zuständig ist.
5
In der Verfügung ist die betreffende Person auf ihr Recht, den Freiheitsentzug richterlich überprüfen zu lassen, hinzuweisen (Art. 8 Abs. 5).
6
Die für den Vollzug des Gewahrsams bezeichnete Polizeistelle benachrichtigt die verfügende Behörde über die Durchführung des Gewahrsams. Bei Fernbleiben der betroffenen Person erfolgt die Benachrichtigung umgehend.
Art. 10 Empfehlung Stadionverbot
Die zuständige Behörde für die Massnahmen nach den Artikeln 4-9 und die Zentralstelle können den Organisatoren von Sportveranstaltungen empfehlen, gegen Personen Stadionverbote auszusprechen, welche in Zusammenhang mit einer Sportveranstaltung ausserhalb des Stadions gewalttätig wurden. Die Empfehlung erfolgt unter Angabe der notwendigen Daten gemäss Artikel 24a Absatz 3 BWIS.
Art. 11 Untere Altersgrenze
Massnahmen nach den Artikeln 4-7 können nur gegen Personen verfügt werden, die das 12. Altersjahr vollendet haben. Der Polizeigewahrsam
BGE 137 I 31 S. 37
nach den Artikeln 8-9 kann nur gegen Personen verfügt werden, die das 15. Altersjahr vollendet haben.
3. Kapitel: Verfahrensbestimmungen
Art. 12 Aufschiebende Wirkung
Einer Beschwerde gegen eine Verfügung über Massnahmen nach den Artikeln 4-9 kommt aufschiebende Wirkung zu, wenn dadurch der Zweck der Massnahme nicht gefährdet wird und wenn die Beschwerdeinstanz oder das Gericht diese in einem Zwischenentscheid ausdrücklich gewährt.
Art. 13 Zuständigkeit und Verfahren
1
Die Kantone bezeichnen die zuständige Behörde für die Massnahmen nach den Artikeln 4-9.
2
Die zuständige Behörde weist zum Zweck der Vollstreckung der Massnahmen nach Kapitel 2 auf die Strafdrohung von
Art. 292 StGB
hin.
3
Die Kantone melden dem Bundesamt für Polizei (fedpol) gestützt auf Artikel 24a Absatz 4 BWIS:
a) Verfügungen und Aufhebungen von Massnahmen nach den Artikeln 4-9 und 12;
b) Verstösse gegen Massnahmen nach den Artikeln 4-9 sowie die entsprechenden Strafentscheide;
c) die von ihnen festgelegten Rayons unter Beilage der entsprechenden Pläne.
4. Kapitel: Schlussbestimmungen
Art. 14 Information des Bundes
Das Generalsekretariat der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) informiert die Bundeskanzlei über das vorliegende Konkordat. Das Verfahren richtet sich nach
Art. 27o RVOV
.
Art. 15 Inkrafttreten
Dieses Konkordat tritt in Kraft, sobald ihm mindestens zwei Kantone beigetreten sind, frühestens jedoch auf den 1. Januar 2010.
(...)"
B.
Mit Antrag und Weisung vom 16. Juli 2008 unterbreitete der Regierungsrat des Kantons Zürich dem Kantonsrat einen Entwurf für ein Gesetz über den Beitritt zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen. Am 18. Mai 2009 verabschiedete der Kantonsrat unter gleichem Titel das folgende Gesetz (LS 551.19):
"§ 1. Beitritt
Der Kanton tritt dem Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen vom 15. November 2007 bei.
BGE 137 I 31 S. 38
§ 2. Zuständigkeiten
1
Der Regierungsrat bezeichnet die für Massnahmen nach Art. 4-9 und für die Meldungen nach Art. 13 Abs. 3 des Konkordates zuständigen Behörden.
2
Die Haftrichterin oder der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich ist zuständig für die Überprüfung von Massnahmen nach Art. 4-9 des Konkordats. Der Entscheid kann mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten werden.
§ 3. Änderung bisherigen Rechts
Das Gerichtsverfassungsgesetz vom 13. Juni 1976 wird wie folgt geändert: § 24a. Abs. 1-4 unverändert.
5
Er (der Einzelrichter) ist zuständig für die Überprüfung von Massnahmen nach § 2 des Gesetzes vom 18. Mai 2009 über den Beitritt zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen."
Dieser Erlass unterstand dem fakultativen Referendum. Davon ist nicht Gebrauch gemacht worden. Der Regierungsrat beschloss am 1. September 2009 das Inkrafttreten auf den 1. Januar 2010.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten haben Rolf Zopfi und weitere Mitbeteiligte die vollumfängliche Aufhebung des Gesetzes über den Beitritt zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen beantragt. Sie rügen Verletzungen diverser Garantien der Bundesverfassung, der EMRK und des UNO-Paktes II.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war.
(Zusammenfassung) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.3
Die Beschwerdeführer beanstanden ausschliesslich die Bestimmungen des Konkordats.
Konkordatsbestimmungen sind unter der Herrschaft des Organisationsgesetzes als kantonale Hoheitsakte und im Falle von rechtsetzenden Konkordaten als kantonale Erlasse im Sinne von
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
betrachtet worden (vgl. Urteil 1P.428/1988 vom 1. Februar 1989 E. 1a; ROLAND VETTERLI, Kantonale Erlasse als Anfechtungsobjekt der staatsrechtlichen Beschwerde, 1989, S. 205 ff. und 213 ff.; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. 1994, S. 111; je mit weitern Hinweisen). Sie
BGE 137 I 31 S. 39
können auch unter dem Bundesgerichtsgesetz als kantonale Erlasse gemäss
Art. 82 lit. b BGG
verstanden und angefochten werden (vgl. AEMISEGGER/SCHERRER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 44 zu
Art. 82 BGG
). Es gehören dazu Konkordate, die von einem Konkordatsorgan als direkt verbindliches und direkt anwendbares Recht geschaffen werden (vgl. Urteil 2C_561/2007 vom 6. November 2008 E. 1.1.1, in: ZBl 110/2009 S. 571). Gleiches gilt für Konkordate, die einen Beitritt von Kantonen erfordern. Mit dem Beitritt einer bestimmten Anzahl von Kantonen kann das Konkordat in Kraft treten (vgl. Art. 15 Konkordat). Es erlangt für den betreffenden Kanton Rechtsgültigkeit. Das Konkordatsrecht wird entsprechend publiziert (vgl. LS 551.19). Das hat im Falle der Gutheissung der Beschwerde - soweit sich die einzelnen Vorschriften nicht verfassungs- und konventionskonform auslegen lassen - zur Folge, dass die entsprechenden Konkordatsbestimmungen aufgehoben werden (vgl. Urteil 2C_561/2007 vom 6. November 2008, in: ZBl 110/2009 S. 571).
Anders als nach der alten Bundesverfassung (vgl.
Art. 7 und 84 Ziff. 5 aBV
), unterliegen Konkordate keiner Bundesgenehmigung, sondern nach
Art. 48 Abs. 3 Satz 2 BV
bloss der Pflicht zur Mitteilung an die Bundesbehörden (vgl. URSULA ABDERHALDEN, in: Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 38 ff. zu
Art. 48 BV
). Art. 14 Konkordat sieht eine entsprechende Information vor. Das Erfordernis ist ohne Bedeutung für die Anfechtung des Konkordats.
Die vorliegende Beschwerde kann als Beschwerde im Sinne von
Art. 82 lit. b BGG
entgegengenommen und behandelt werden.
(...)
2.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines Erlasses im Rahmen der abstrakten Normkontrolle massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungs- oder EMRK-Garantien vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich jeglicher verfassungs- und konventionskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich bleibt. Es ist grundsätzlich vom Wortlaut der Gesetzesbestimmung auszugehen und der Sinn nach den überkommenen Auslegungsmethoden zu bestimmen. Eine verfassungs- und konventionskonforme Auslegung ist namentlich
BGE 137 I 31 S. 40
zulässig, wenn der Normtext lückenhaft, zweideutig oder unklar ist. Der klare und eindeutige Wortsinn darf indes nicht durch eine verfassungskonforme Interpretation beiseitegeschoben werden. Im Einzelnen wird auf die Tragweite des Grundrechtseingriffs, die Möglichkeit eines hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutzes bei einer späteren Normkontrolle, die konkreten Umstände der Anwendung und die Auswirkungen auf die Rechtssicherheit abgestellt. Der blosse Umstand, dass die angefochtene Norm in einzelnen Fällen auf eine verfassungswidrige Weise angewendet werden könnte, führt für sich allein noch nicht zu deren Aufhebung (vgl. Urteil 1C_179/2008 vom 30. September 2009 E. 2, nicht publ. in:
BGE 136 I 87
;
BGE 135 II 243
E. 2 S. 248;
BGE 133 I 77
E. 2 S. 79; 131 ll 697 E. 4.1 S. 703;
BGE 123 I 112
E. 2a S. 116; 119 la 460 E. 11b S. 497 und E. 12e S. 502;
BGE 109 Ia 273
E. 2a S. 277 und E. 12c S. 301; Urteil 1C_140/2008 vom 17. März 2009 E. 3, in: ZBl 111/2010 S. 42; je mit Hinweisen; kritisch zu einer als zu weit gehend erachteten Auslegung HÄFELIN/HALLER/KELLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Aufl. 2008, N. 148 ff. und 154 ff.; AXEL TSCHENTSCHER, in: ZBJV 145/2009 S. 750).
3.
Das vorliegend umstrittene Konkordat stellt spezifisches Polizeirecht dar. Es ist auf die besondere Erscheinung der Gewalttätigkeiten im Umfeld von Sportveranstaltungen ausgerichtet. Das Konkordat bezweckt, mit den speziellen Massnahmen von Rayonverboten, Meldeauflagen und Polizeigewahrsam solche Gewalttätigkeiten zu verhindern und auf diese Weise eine friedliche Durchführung von Sportanlässen zu ermöglichen. Das Konkordat wird ergänzt durch die im BWIS vorgesehenen Massnahmen. Als besonderes Polizeirecht reiht sich das Konkordat in das allgemeine Polizeirecht ein, das unabhängig davon nach seinen eigenen Regeln zur Anwendung gelangt. Es ist für den Kanton Zürich insbesondere im Polizeigesetz vom 23. April 2007 umschrieben (PolG; LS 550.1; vgl.
BGE 136 I 87
). Dieses sieht in allgemeiner Weise polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen vor und nennt als besondere Vorkehren u.a. die Wegweisung und Fernhaltung (§ 33 PolG) sowie den polizeilichen Gewahrsam (§ 25 PolG). Ferner treten strafprozessuale Massnahmen wie die vorläufige Festnahme nach Art. 217 der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0, AS 2010 1881) hinzu. Das im vorliegenden Verfahren umstrittene Konkordat ist vor diesem weitern Hintergrund zu betrachten und im Rahmen der abstrakten Normkontrolle auf seine Verfassungs- und Konventionskonformität zu prüfen.
BGE 137 I 31 S. 41
4.
Die Beschwerdeführer rügen vorerst unter Berufung auf
Art. 49 Abs. 1 und
Art. 123 BV
eine Verletzung des Vorrangs von Bundesrecht. Sie gehen davon aus, dass die im Konkordat vorgesehenen Massnahmen der Rayonverbote, der Meldeauflagen und des Polizeigewahrsams Anordnungen mit strafrechtlichem Charakter darstellen, und folgern daraus, dass die Kantone mit Blick auf
Art. 123 BV
und
Art. 335 StGB
zum Erlass solcher Bestimmungen nicht befugt seien.
4.1
Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach
Art. 49 Abs. 1 BV
schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt, eine Rechtssetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden. Das Bundesgericht prüft mit freier Kognition, ob die kantonale Norm mit dem Bundesrecht im Einklang steht (
BGE 134 I 125
E. 2.1 S. 128 mit Hinweisen).
4.2
Für die Beurteilung der von den Beschwerdeführern vorgebrachten Rüge ist die Natur der im Konkordat vorgesehenen Massnahmen von ausschlaggebender Bedeutung.
Der Bundesrat hielt in seiner Botschaft zur Ergänzung des BWIS fest, die entsprechenden Massnahmen seien als verwaltungsrechtliche, nicht als strafrechtliche Vorkehren konzipiert (Botschaft vom 17. August 2005, BBl 2005 5613, 5626 Ziff. 2.1). Die Sanktionierung im Falle der Widerhandlung gegen die Massnahmen richte sich in Anwendung von
Art. 24h BWIS
nach
Art. 292 StGB
. Die Bundeskompetenz sei gerade mit Blick auf die polizeiliche Natur der Massnahmen fragwürdig (Botschaft, a.a.O., S. 5637 ff. Ziff. 5). Vor diesem Hintergrund hat das Parlament die Gültigkeit der Massnahmen im BWIS zeitlich beschränkt. Das Bundesgericht ging davon aus, dass die im BWIS vorgesehenen Massnahmen verwaltungsrechtlichen Charakter aufwiesen. Es prüfte den einzuschlagenden Rechtsmittelweg ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel des Verwaltungsverfahrens (
BGE 134 I 125
E. 4.1 S. 136). Im Entscheid zum Zürcher Polizeigesetz führte es allgemein aus, das Polizeirecht sei grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Natur, auch wenn es im Einzelnen Bezüge zum Straf- und insbesondere zum Strafprozessrecht aufweise. Polizeiliche Massnahmen wie etwa der Polizeigewahrsam
BGE 137 I 31 S. 42
stellten verwaltungsrechtliche Anordnungen dar. Entsprechend hat es den Rechtsweg unter dem Gesichtswinkel von
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
und
Art. 31 Abs. 4 BV
untersucht (
BGE 136 I 87
E. 3.4 S. 93 und E. 6.5 S. 106).
4.3
Vor diesem Hintergrund ist auch für die im Konkordat vorgesehenen Massnahmen der Rayonverbote, der Meldeauflagen und des Polizeigewahrsams die öffentlich-rechtliche, verwaltungsrechtliche Natur zu bejahen. Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, vermag nicht zu überzeugen. Sie übersehen, dass das Konkordat bezweckt, Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen. Im Vordergrund steht die Prävention, die Verhinderung von Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen. Die Massnahmen sind auf Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit durch Gewalttätigkeiten unterschiedlichster Art ausgerichtet. Sie weisen keinen pönalen, repressiven Charakter auf, werden nicht wegen Erfüllung von Straftatbeständen ausgesprochen und bezwecken nicht die Besserung der betroffenen Person. Damit unterscheiden sich die im Konkordat vorgesehenen polizeilichen Massnahmen auch wesentlich vom Warnungsentzug nach dem SVG, dem das Bundesgericht eine pönale, unter
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
fallende Natur zugesprochen hat (
BGE 121 II 22
E. 3 S. 25;
BGE 128 II 173
E. 3b und 3c S. 175). Daran ändert der Umstand nichts, dass für den Nachweis der Gefahr von gewalttätigem Verhalten gemäss Art. 3 Konkordat u.a. auf entsprechende Gerichtsurteile und Anzeigen abgestellt wird und die Schwere nach Art. 2 Konkordat an Straftatbeständen gemessen wird.
4.4
Die umstrittenen Massnahmen der Rayonverbote, der Meldeauflagen und des Polizeigewahrsams weisen somit keinen strafrechtlichen Charakter auf. Damit können sie von vornherein nicht mit
Art. 123 BV
in Konflikt geraten und müssen sich nicht nach
Art. 335 StGB
richten. Andere Aspekte, weshalb die Massnahmen gegen Bundesrecht verstossen sollten, machen die Beschwerdeführer nicht geltend. Damit erweist sich die Rüge der Verletzung des Grundsatzes des Vorrangs von Bundesrecht nach
Art. 49 Abs. 1 BV
als unbegründet.
5.
Im gleichen Sachzusammenhang rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung der Unschuldsvermutung gemäss
Art. 32 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
. Sie machen geltend, dass sich die Massnahmen der Rayonverbote, der Meldeauflagen und des Polizeigewahrsams nach Art. 3 Konkordat auf strafrechtlich relevante
BGE 137 I 31 S. 43
Grundlagen abstützen und damit ohne gerichtliche Verurteilung einen Schuldvorwurf enthalten. Ein solcher bleibe auch dann aufrechterhalten, wenn in einem Strafverfahren die Unschuld nachgewiesen werde.
5.1
Die Unschuldsvermutung ergibt sich aus
Art. 32 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
. Sie bedeutet, dass jede Person bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt. Es ist das Recht, als unschuldig behandelt zu werden, bis ein zuständiges Gericht nach Durchführung eines fairen Verfahrens die strafrechtliche Schuld in rechtsgenüglicher Weise nachgewiesen und festgestellt hat. Für den vorliegenden Sachzusammenhang heisst das insbesondere, dass ohne entsprechendes Verfahren niemand einer
strafbaren Handlung
bezichtigt werden darf.
5.2
Die umstrittenen polizeilichen Massnahmen weisen keinen strafrechtlichen Charakter auf und enthalten keine repressiven Komponenten. Sie sind vielmehr polizeilicher Natur und dienen präventiv der Gefahrenabwehr (E. 3). Deren Anordnung enthält für sich gesehen keinen strafrechtlichen Vorwurf. Es wird nicht zum Ausdruck gebracht, dass die betroffene Person sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hätte. Es kann auch nicht gesagt werden, dass von den Massnahmen indirekt ein strafrechtlicher Vorwurf ausgehen würde. Der Hinweis auf
BGE 120 Ia 147
E. 3 S. 155, wo ein Verstoss gegen die Unschuldsvermutung im Zusammenhang mit der Aufbewahrung erkennungsdienstlichen Materials verneint worden ist, ist unbeachtlich.
Mit Blick auf die Unschuldsvermutung kann in Bezug auf die einzelnen Massnahmen das Folgende angefügt werden. Die Meldeauflage stützt sich nach Art. 6 Abs. 1 lit. b Konkordat u.a. darauf, dass aufgrund konkreter und aktueller Tatsachen anzunehmen ist, dass sich die Person nicht von Gewalttätigkeiten abhalten lasse. Für den Polizeigewahrsam nach Art. 8 Abs. 1 lit. a Konkordat ist massgebend, dass aufgrund von konkreten und aktuellen Hinweisen eine Beteiligung an schwerwiegenden Gewalttätigkeiten zu befürchten ist. Damit kommt kein strafrechtlicher Vorwurf zum Ausdruck, der mit der Unschuldsvermutung unvereinbar ist.
Ein Rayonverbot kann nach Art. 4 Abs. 1 Konkordat angeordnet werden, wenn sich eine Person nachweislich an Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen beteiligt hat. Der Terminus "nachweislich" ist im Zusammenhang mit Art. 3 Konkordat zu verstehen, wo
BGE 137 I 31 S. 44
der Nachweis gewalttätigen Verhaltens umschrieben wird. Neben entsprechenden Gerichtsurteilen, die unter der Unschuldsvermutung ohnehin unbedenklich sind, werden polizeiliche Anzeigen, glaubwürdige Aussagen oder Bildaufnahmen, Stadionverbote von Sportverbänden und -vereinen sowie Meldungen zuständiger ausländischer Behörden genannt. In all diesen Fällen kommt lediglich ein Verdacht zum Ausdruck, dem in den entsprechenden Verfahren nachgegangen wird. Dieser Verdacht ist es, der nach Art. 3 und 4 Konkordat Ausgangspunkt für die polizeiliche Massnahme des Rayonverbots bildet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer kommt darin kein strafrechtlicher Vorwurf zum Ausdruck. Es verhält sich nicht wesentlich anders als bei strafprozessualen Massnahmen, die einen entsprechenden Tatverdacht voraussetzen und gleichwohl mit der Unschuldsvermutung vereinbar sind (vgl.
BGE 107 Ia 138
E. 4c S. 141).
Die Rüge der Verletzung der Unschuldsvermutung ist unbegründet.
6.
Hinsichtlich aller drei im Konkordat vorgesehenen Massnahmen - Rayonverbote, Meldeauflagen und Polizeigewahrsam - rügen die Beschwerdeführer Verletzungen der Versammlungsfreiheit nach
Art. 22 BV
. Sie machen geltend, es fehle an den Voraussetzungen gemäss
Art. 36 BV
für Einschränkungen des Grundrechts. Insbesondere fehlten die gesetzliche Grundlage, das erforderliche öffentliche Interesse und die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit.
6.1
Gemäss
Art. 22 BV
verbietet die Versammlungsfreiheit staatliche Massnahmen gegen Einberufung, Organisation, Durchführung oder Gestaltung einer Versammlung oder gegen die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an einer solchen. Zu den Versammlungen im Sinne dieser Bestimmung gehören verschiedenste Formen des Zusammenfindens von Menschen im Rahmen einer gewissen Organisation mit einem weit verstandenen gegenseitig meinungsbildenden, -äussernden oder -austauschenden Zweck (
BGE 132 I 49
E. 5.3 S. 56,
BGE 132 I 256
E. 3 S. 258; je mit Hinweisen). Im Vordergrund stehen in einem weiten Sinne kommunikative Zwecke von Gruppen, die durch die Versammlungsfreiheit geschützt werden und die auch auf lose Gruppierungen zutreffen können (
BGE 132 I 49
E. 5.3 S. 57). Anders verhält es sich mit zufälligen Ansammlungen von Personen und Schaulustigen ohne verbindendes Ziel (CHRISTOPH ROHNER, in: Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 6
BGE 137 I 31 S. 45
zu
Art. 22 BV
; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 580 f.). In diesem Sinne vermag die Versammlungsfreiheit beliebige Gruppen von Besuchern von Sportveranstaltungen grundsätzlich nicht zu schützen. Gleichwohl ist im Einzelfall nicht auszuschliessen, den Versammlungsbegriff auf Gruppierungen anzuwenden, wenn sie sich zum gemeinsamen Besuch von Sportveranstaltungen zusammenfinden, möglicherweise Hin- und Rückreise gemeinsam unternehmen und insoweit gewissermassen organisiert auftreten. Insoweit könnten solche Personen durch Rayonverbote, Meldeauflagen und Polizeigewahrsam in ihrem Zusammentreffen beeinträchtigt werden. Wie es sich mit dem Vorliegen einer Versammlung im Sinne von
Art. 22 BV
verhält, kann indes im Verfahren der abstrakten Normkontrolle offenbleiben.
6.2
Die Beschwerdeführer rufen mit denselben Rügen die Bewegungsfreiheit an. Diese ist als Teil der persönlichen Freiheit im Sinne von
Art. 10 Abs. 2 BV
garantiert. Sie wird durch Rayonverbote, Meldeauflagen und Polizeigewahrsam beeinträchtigt.
Versammlungsfreiheit und Bewegungsfreiheit können wie andere Grundrechte gestützt auf und nach den Kriterien von
Art. 36 BV
eingeschränkt werden. Einschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein und müssen sich schliesslich als verhältnismässig erweisen. Die Kerngehaltsgarantie ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang.
6.3
Die Beschwerdeführer rügen das Fehlen einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage. Die Konkordatsbestimmungen seien lediglich eine Konkretisierung der polizeilichen Generalklausel. Diese aber könne nur zum Zuge kommen, wenn im Einzelfall unaufschiebbare Massnahmen zur Behebung einer unmittelbar drohenden Gefährdung oder zur Verhinderung bevorstehender Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu treffen seien. Dies treffe in den vorliegenden Konstellationen nicht zu.
Die Rüge ist von vornherein unbegründet. Das angefochtene Konkordat stellt, wie ausgeführt, autonomes kantonales Recht dar. Dieses unterstand dem fakultativen Referendum. Es bildet eine hinreichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen von Grundrechten. Als spezielles, auf spezifische Situationen ausgerichtetes Polizeirecht konkretisiert das Konkordatsrecht allgemeines Polizeirecht zur Gefahrenabwehr und damit auch die polizeiliche
BGE 137 I 31 S. 46
Generalklausel (vgl.
BGE 130 I 369
E. 7.3 S. 381; Urteil 2C_166/2009 vom 30. November 2009 E. 2.3.2; Urteil des EGMR
Gsell gegen Schweiz
vom 8. Dezember 2009). Es wird in einem förmlichen Erlass umschrieben, welche konkreten Massnahmen bei gegebener Gefährdungslage ergriffen werden können. Das Konkordat stellt insoweit die demokratische Umsetzung der Gefahrenabwehr in spezifischen Situationen dar. Als solches gilt es nach
Art. 36 Abs. 1 BV
als hinreichende Grundlage für Einschränkungen von Grundrechten (vgl.
BGE 128 I 327
E. 3.2 S. 335).
6.4
Ferner stellen die Beschwerdeführer ein hinreichendes Interesse für die beanstandeten Massnahmen in Frage.
Es besteht ein ebenso offensichtliches wie gewichtiges öffentliches Interesse daran, Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen zu verhindern. Der Bundesrat hat in seiner BWIS-Botschaft auf die zunehmenden Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fussball- und Eishockeyspielen und das damit einhergehende Gefahrenrisiko für Gewaltaktionen aufmerksam gemacht (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 5617 f. Ziff. 1.1.1 und 5637 f. Ziff. 5.1). Es handelt sich um ein allgemeines Phänomen, das über die Fussball-Europameisterschaft und die Eishockey-Weltmeisterschaft hinausreicht und auch nach Aufhebung der entsprechenden BWIS-Bestimmungen von aktueller Bedeutung ist. Der Bundesrat hat zudem hingewiesen auf das Europäische Übereinkommen vom 19. August 1985 über Gewalttätigkeiten und Ausschreitungen von Zuschauern bei Sportanlässen, insbesondere bei Fussballspielen (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 5624 Ziff. 1.5). Die Schweiz ist dem Übereinkommen im Jahre 1990 beigetreten (SR 0.415.3). Es verpflichtet die Vertragsstaaten u.a. dazu, in verschiedener Hinsicht Massnahmen zur Verhinderung von Gewaltakten bei Fussballspielen zu treffen (vgl. Art. 1-3 des Übereinkommens). Überdies sind auf eidgenössischer Ebene parlamentarische Vorstösse zur Verhinderung von Gewalt mittels Präventionsmassnahmen überwiesen worden (vgl. das am 17. März 2008 überwiesene Postulat 08.3000 der Rechtskommission des Ständerates, AB 2008 S 170 f. sowie die parlamentarische Initiative 06.454).
Die mit den Polizeimassnahmen angegangenen Gewalttätigkeiten berühren öffentliche Interessen, sowohl im Hinblick auf Störungen und Gefährdungen der öffentlichen Ordnung wie auch mit Blick auf den erforderlichen Einsatz von Sicherheitskräften. Gleichermassen sind unbeteiligte Besucher und Veranstalter von
BGE 137 I 31 S. 47
Sportveranstaltungen durch Gewalttätigkeiten in ihren privaten Interessen beeinträchtigt und in ihren Grundrechten betroffen. Damit sind die Interessen zur Grundrechtseinschränkung gegenüber Hooligans im Sinne von
Art. 36 Abs. 2 BV
klar und hinreichend ausgewiesen.
6.5
Schliesslich machen die Beschwerdeführer geltend, dass die vorgesehenen Massnahmen der Rayonverbote, der Meldeauflagen und des Polizeigewahrsams weder zweckmässig noch notwendig seien und daher mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht im Einklang stünden.
Die Beschwerdeführer begründen ihre Rüge der Unverhältnismässigkeit nur sehr partiell. Sie legen nicht dar, dass und inwiefern alle drei umstrittenen Massnahmen unverhältnismässig seien. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf die Rayonverbote und bestimmte Aspekte der Meldeauflagen. Es ist einzig auf die gerügten Aspekte einzugehen.
Zur Hauptsache bringen die Beschwerdeführer vor, die Rayonverbote könnten das Gewaltproblem nicht lösen und führten lediglich dazu, dass Gewalttätigkeiten in andere Gebiete verschoben oder auf Sportveranstaltungen unterer Ligen übertragen würden. Dieser Einwand ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, vermag die Verhältnismässigkeit von Rayonverboten indes nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Rayonverbote sind geeignet, Personen, von denen Gewalttätigkeiten ausgehen könnten, sowohl vom Umkreis der Stadien als auch von den Bahnhöfen und Örtlichkeiten, welche zur Hin- bzw. Rückfahrt benutzt werden, fernzuhalten. Damit wird in effizienter Weise verhindert, dass die betroffenen Personen in jene Gebiete gelangen, wo es erfahrungsgemäss besonders häufig zu Gewalttätigkeiten kommt. Das schliesst es allerdings nicht aus, dass sich gewaltbereite Personen an andern, von den Rayonverboten nicht betroffenen Orten treffen. Insoweit bieten Rayonverbote keine Gewähr, dass es überhaupt nicht zu Ausschreitungen kommt. Das dürfte - abgesehen von drakonischen und deshalb unverhältnismässigen Anordnungen - für die meisten Massnahmen der Gefahrenabwehr gelten. Gerade für solche Konstellationen stellt das Konkordat weitere Massnahmen zur Verfügung. Insbesondere mit der Meldeauflage oder gar mit einem Polizeigewahrsam zur Durchsetzung von Rayonverboten kann dem von den Beschwerdeführern angesprochenen Problem möglicherweise begegnet und auf diese Weise verhindert werden, dass die betroffenen Personen auf Gebiete ausserhalb der
BGE 137 I 31 S. 48
Rayons ausweichen, sich dort zusammenfinden und Gewalttätigkeiten auslösen. Vor diesem Hintergrund können Rayonverbote nicht generell als unzweckmässig oder als nicht notwendig bezeichnet werden. Sie halten daher vor dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit nach
Art. 36 Abs. 3 BV
stand. Ob ein konkretes Rayonverbot angemessen und verhältnismässig ist, kann erst im Einzelfall geprüft werden. Im Verfahren der abstrakten Normkontrolle genügt die Feststellung, dass sich Rayonverbote nach Art. 4 Konkordat ohne Weiteres verfassungsmässig handhaben lassen.
Die Verhältnismässigkeit der umstrittenen Massnahmen kann auch mit Blick auf das Strafrecht nicht in Frage gestellt werden. Das Konkordat sieht, wie dargelegt, administrative polizeiliche Massnahmen vor. Diese dienen der Gefahrenabwehr und sind auf die Zukunft ausgerichtet. Sie bezwecken nicht die Repression von Gewalttätigkeiten. Hierzu dient das Strafrecht. Es tritt als Ergänzung zu den Polizeimassnahmen hinzu und führt zu Strafverfahren, soweit die polizeilichen Vorkehren Gewalttätigkeiten nicht zu verhindern vermochten und Straftatbestände vorliegen. Das Strafrecht dient als letztes Mittel zur Ahndung von Hooligan-Verstössen. Es vermag die Prävention in Form von polizeilichen Massnahmen nicht zu ersetzen.
Die Rüge, die Rayonverbote hielten vor dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Sinne von
Art. 36 Abs. 3 BV
nicht stand, ist demnach unbegründet.
6.6
Spezifisch mit Blick auf die Bewegungsfreiheit machen die Beschwerdeführer geltend, Rayonverbote verhinderten die freie Zirkulation der Betroffenen. Werden Rayonverbote im Raum Zürich für Hallenstadion, Letzigrund, Bahnhof Altstetten und Hauptbahnhof verordnet, so würden die Betroffenen daran gehindert, etwa eine Reise via Hauptbahnhof anzutreten oder an bestimmten Orten Einkäufe zu tätigen; in Winterthur könnte die Fachhochschule nicht besucht werden. Dies belege die Unverhältnismässigkeit der Massnahme.
Rayonverbote bringen ihrem Zweck entsprechend eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit mit sich. Sie untersagen den Betroffenen, sich während bestimmter Zeiten an bestimmten Örtlichkeiten aufzuhalten. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass eine Person Orte und Gebiete nicht betreten darf, die sie ohne Zusammenhang mit Sportveranstaltungen für andere Aktivitäten wie Antritt einer
BGE 137 I 31 S. 49
Reise, Einkäufe oder Besuch einer Schule aufsuchen möchte. Dieser auf den Einzelfall bezogenen Problematik kann im Rahmen der Anordnung eines konkreten Rayonverbots Rechnung getragen werden, sei es anlässlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs, sei es allenfalls in einem Rekursverfahren. Die von den Beschwerdeführern zu den Akten gegebenen Beispiele zeigen, dass in Einzelfällen entsprechende, präzis umschriebene Ausnahmen eingeräumt worden sind. Rayonverbote lassen sich demnach verfassungskonform handhaben. Im Verfahren der abstrakten Normkontrolle vermag die Problematik von besonderen Situationen die Massnahme der Rayonverbote als solche nicht als verfassungswidrig erscheinen zu lassen. Die Beschwerde ist auch in dieser Hinsicht unbegründet.
6.7
An der Verfassungs- und Konventionskonformität des Konkordats ändert auch der Umstand nichts, dass private Personen und Organisationen wie der Schweizerische Fussballverband SFV im Anschluss an die umstrittenen Polizeimassnahmen ihrerseits privatrechtliche Massnahmen treffen. Rechtskräftige Rayonverbote werden gemäss
Art. 24a BWIS
in das elektronische Informationssystem des Bundesamtes für Polizei, Fedpol, aufgenommen und führen nach den Richtlinien des Fussballverbandes zu privatrechtlichen Stadionverboten. Das lässt sie allerdings entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht als unverhältnismässig erscheinen. Deren Ausführungen in ihrer Eingabe vom 7. Oktober 2010 führen zu keinem andern Schluss. Daher kann die prozessuale Frage, ob diese neuen Ausführungen unter dem Gesichtswinkel des Novenverbots gemäss
Art. 99 BGG
zulässig sind, offenbleiben.
7.
Art. 8 Konkordat sieht die Möglichkeit des Polizeigewahrsams vor, Art. 9 Konkordat umschreibt dessen Handhabung. Mit Blick auf diese Bestimmungen rügen die Beschwerdeführer Verletzungen von
Art. 10 Abs. 2 und
Art. 31 BV
und bringen vor, der Polizeigewahrsam könne nicht als rechtmässige Festnahme im Sinne der Bundesverfassung betrachtet werden. Sie begründen ihre Rügen nicht in spezifischer und hinreichender Weise, sodass darauf nicht einzutreten ist. Hingegen rügen die Beschwerdeführer in genügender Weise, der Polizeigewahrsam nach Art. 8 Konkordat lasse sich nicht unter
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
subsumieren und sei in Anbetracht des abschliessenden Charakters von
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
mit der Konvention nicht vereinbar.
7.1
Nach
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
hat jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den von der Bestimmung
BGE 137 I 31 S. 50
aufgezählten Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden. Die Aufzählung der möglichen Konstellationen von Freiheitsentzug in
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
ist abschliessend (vgl. Urteile des EGMR
Borer gegen Schweiz
vom 10. Juni 2010, Nr. 22493/06, § 40;
Epple gegen Deutschland
vom 24. März 2005, Nr. 77909/01, § 33, in: EuGRZ 2005 S. 474;
BGE 121 I 208
E. 4c S. 214; je mit Hinweisen).
7.2
Der Bundesrat hat in seiner BWIS-Botschaft den Polizeigewahrsam ohne weitere Prüfung als Massnahme im Sinne von
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
bezeichnet (Botschaft, a.a.O., S. 5633 f. zu Art. 24e). Das Bundesgericht hat diese Aussage wiedergegeben, ohne die Vereinbarkeit des Polizeigewahrsams mit
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
im Einzelnen zu untersuchen (
BGE 134 I 125
E. 4.4 S. 138). Eine nähere Prüfung unter diesem Gesichtswinkel konnte auch im Urteil zum Zürcher Polizeigesetz unterbleiben (vgl.
BGE 136 I 87
E. 6 S. 104).
7.3
Im vorliegenden Sachzusammenhang fällt für die Rechtfertigung von Polizeigewahrsam ausschliesslich lit. b von
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
in Betracht. Die übrigen Litterae von
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
kommen von vornherein nicht zur Anwendung. Nach der genannten Bestimmung ist die rechtmässige Festnahme oder der rechtmässige Freiheitsentzug zulässig wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung.
Die Bestimmung von
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
bringt nach ihrem Wortlaut zwei unterschiedliche Alternativen mit verschiedenen Zweckausrichtungen zum Ausdruck (vgl.
BGE 135 II 105
E. 2.2.1 S. 107; aus der Lehre FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 51 zu
Art. 5 EMRK
; JOACHIM RENZIKOWSKI, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2004, N. 139 ff. zu
Art. 5 EMRK
; WALTER GOLLWITZER, Menschenrechte im Strafverfahren, MRK und IPBPR, 2005, N. 49 zu Art. 5 MRK; CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2009, § 21 N. 13 S. 170; VELU/ERGEC, La Convention européenne des droits de l'homme, 1990, S. 264 N. 320).
Nach der ersten Alternative bezweckt der Freiheitsentzug die Befolgung einer gerichtlichen Anordnung. Er weist ein repressives Element auf, ist darauf angelegt, dass eine auf ein künftiges Verhalten ausgerichtete gerichtliche Anordnung tatsächlich befolgt und
BGE 137 I 31 S. 51
durchgesetzt wird. Als Beispiele hierzu werden in der Lehre genannt: gerichtliche Weisungen, eine Busse zu bezahlen, sich einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen oder eine Blutentnahme zu dulden (vgl. HAEFLIGER/SCHÜRMANN, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl. 1999, S. 94; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 52 ff. zu
Art. 5 EMRK
; RENZIKOWSKI, a.a.O., N. 143 ff. zu
Art. 5 EMRK
).
Im vorliegenden Zusammenhang geht dem Polizeigewahrsam keine gerichtliche Anordnung voraus, die es mit einer Haft durchzusetzen gilt. Damit entfällt die erste Alternative von
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
für die Rechtfertigung des Polizeigewahrsams nach Art. 8 Konkordat.
7.4
Zu prüfen ist die zweite Alternative von
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
. Danach kann Haft angeordnet werden zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung. Sie dient dazu, eine Person dazu anzuhalten, einer spezifischen Verpflichtung nachzukommen. Es geht um Konstellationen, in denen das Gesetz es gestattet, jemanden in Haft zu nehmen oder zu behalten, ohne dass der Massnahme Strafcharakter zukommt. Erforderlich ist, dass der Betroffene vorher Gelegenheit hat, die gesetzliche Pflicht von sich aus freiwillig zu erfüllen, und dass es ausser dem Freiheitsentzug keine wirksame Massnahme gibt, um die Pflichterfüllung zu bewirken. Nach der Lehre gehören dazu etwa Beugemassnahmen, Massnahmen wegen Verletzung der Wehrpflicht oder der Verweigerung der Identitätsfeststellung sowie zur Duldung von strafprozessualen Ermittlungshandlungen und Zwangsvollstreckungsmassnahmen (vgl. FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 55 ff. zu
Art. 5 EMRK
; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, a.a.O., S. 94 f.; RENZIKOWSKI, a.a.O., N. 147 ff. zu
Art. 5 EMRK
; GOLLWITZER, a.a.O., N. 53 ff. zu Art. 5 MRK).
Diese Konstellation von
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
darf nicht als weite Generalklausel verstanden werden, die es erlauben würde, Bürgern die Freiheit zu entziehen, damit sie sich in genereller Weise an allgemeine gesetzliche Regeln zum Schutz von Ruhe und Ordnung halten. Der Bestimmung sind zur Verhinderung von missbräuchlichem Freiheitsentzug Grenzen zu setzen. Es ist ein Ausgleich zwischen der Durchsetzung von gesetzlichen Pflichten in einer demokratischen Gesellschaft und der Bedeutung des Rechts auf Freiheit zu suchen. Erforderlich ist daher, dass die gesetzliche Verpflichtung, die mit Haft sichergestellt werden soll, hinreichend bestimmt, konkret und nach Umfang und Inhalt eindeutig umschrieben ist. Die
BGE 137 I 31 S. 52
Haft kann nicht mit der allgemeinen Befolgung der Rechtsordnung oder der Befehle von Vorgesetzten gerechtfertigt werden (Urteile des EGMR
Epple gegen Deutschland,
a.a.O., § 37;
Vasileva gegen Dänemark
vom 25. September 2003, Nr. 52792/99, § 36 f.;
Engel gegen Niederlande
vom 8. Juni 1976, Serie A Bd. 22 § 69, auch in: EGMR-E 1 S. 178;
Guzzardi gegen Italien
vom 6. November 1980, Serie A Bd. 39 § 101, auch in: EGMR-E 1 S. 492; vgl. Urteil des EGMR
Lawless gegen Irland
vom 1. Juli 1961, Serie A Bd. 3 § 12, auch in: EGMR-E 1 S. 10; Bericht der EKMR
Eggs gegen Schweiz
vom 4. März 1978, DR 15 S. 35 [46], VPB 1983 Nr. 82, EuGRZ 1980 S. 308; Entscheidung des EGMR
Susanne Paradis und Mitb. gegen Deutschland
vom 4. September 2007, in: EuGRZ 2007 S. 678; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 55 ff. zu
Art. 5 EMRK
; RENZIKOWSKI, a.a.O., N. 147 ff. zu
Art. 5 EMRK
; GOLLWITZER, a.a.O., N. 53 ff. zu Art. 5 MRK; GRABENWARTER, a.a.O., § 21 N. 13 f. S. 170 f.; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl. 1999, S. 94 f.; VELU/ERGEC, a.a.O., S. 265 N. 322; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1999, S. 213 N. 334; STEFAN TRECHSEL, Human Rights in Criminal Proceedings, 2005, S. 444 f.).
7.5
Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob der Polizeigewahrsam nach Art. 8 Konkordat als Massnahme gemäss
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
zur Erzwingung einer gesetzlichen Pflicht verstanden und das Konkordat in diesem Sinne konventionskonform ausgelegt werden kann.
7.5.1
Auszugehen ist von der besonderen Charakteristik des Polizeigewahrsams nach dem Konkordatsrecht. Ein solcher wird nach Abklärung der erforderlichen Voraussetzungen in dem Sinne verfügt, dass die betroffene Person aufgeboten wird, sich - in den Worten von Art. 8 Abs. 3 Konkordat - zum bezeichneten Zeitpunkt bei einer bestimmten Polizeistelle einzufinden und für die Dauer des Gewahrsams zu verbleiben (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 5634 zu Art. 24e; vgl. CHRISTOPH JENNI, Beweisrechtliche Anforderungen an Fernhalteverfügungen, in: Sicherheit&Recht 2010 S. 47). Sie verfügt über den aus
Art. 31 Abs. 4 BV
fliessenden Rechtsschutz und kann unmittelbar einen Richter anrufen (vgl.
BGE 136 I 87
E. 6 S. 104). Der hier in Frage stehende Polizeigewahrsam unterscheidet sich im Normalfall von andern Formen des Polizeigewahrsams gemäss kantonalen Polizeigesetzen, welcher für die betroffene Person oftmals
BGE 137 I 31 S. 53
einen unmittelbaren und unvorhergesehenen Freiheitsentzug bedeutet (vgl.
BGE 136 I 87
E. 6 S. 104).
7.5.2
Dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit kommt im Polizeirecht besondere Bedeutung zu. Er verlangt, dass behördliche Massnahmen im öffentlichen oder privaten Interesse geeignet und erforderlich sind und sich für die Betroffenen in Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung zumutbar und verhältnismässig erweisen. Erforderlich ist eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation. Eine Massnahme ist unverhältnismässig, wenn das Ziel mit einem weniger schweren Grundrechtseingriff erreicht werden kann (vgl.
BGE 136 I 87
E. 3.2 S. 91).
Dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit sind auch die im Konkordat vorgesehenen polizeilichen Massnahmen verpflichtet. Sie weisen gesamthaft ein kaskadenartiges Konzept auf, wie sich aus den Materialien zum BWIS klar ergibt (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 5615, 5620, 5626 und 5633). Das Rayonverbot nach Art. 4 Konkordat bildet die mildeste Massnahme zur Verhinderung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen. Die Meldeauflage gemäss Art. 6 Konkordat greift stärker in die Grundrechte ein. Sie wird nur angeordnet, soweit ein Rayonverbot missachtet worden ist (Art. 6 Abs. 1 lit. a Konkordat). Die schärfste Massnahme ist der Polizeigewahrsam nach Art. 8 Konkordat. Er wird als "ultima ratio" bezeichnet (Botschaft, a.a.O., S. 5634 zu Art. 24e). Voraussetzung ist, dass der Gewahrsam als einzige Möglichkeit erscheint, die betroffene Person von der Beteiligung an Gewalttätigkeiten abzuhalten (Art. 8 Abs. 1 lit. b Konkordat).
Der Polizeigewahrsam gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. b Konkordat darf demnach nur angeordnet werden, wenn ein Rayonverbot vorausgegangen ist und dieses sich als nicht wirksam herausgestellt hat, weil es nicht befolgt worden ist oder weil sich die betroffene Person nachweislich nicht daran halten will. Das Rayonverbot bildet Ausgangspunkt und Grundlage der Betrachtung des Polizeigewahrsams. Es stellt eine durch eine Verfügung konkretisierte gesetzliche Verpflichtung im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. b letzter Satzteil EMRK dar (vgl. Urteil des EGMR
Epple gegen Deutschland
, a.a.O., § 38). Es ist diese mildere gesetzliche Verpflichtung des Rayonverbots, die mit dem schwerer wiegenden Polizeigewahrsam durchgesetzt werden soll. In Form des Polizeigewahrsams ohne Strafcharakter wird einer bestimmten Person die Freiheit entzogen, um ein ihr
BGE 137 I 31 S. 54
gegenüber konkret und bestimmt ausgesprochenes Rayonverbot umzusetzen. Auf diese Weise soll eine friedliche Durchführung von Sportveranstaltungen ermöglicht werden.
Die dem Polizeigewahrsam zugrunde liegende gesetzliche Verpflichtung liegt somit im Rayonverbot. Gestützt auf Art. 4 Abs. 1 Konkordat wird einer Person untersagt, sich zu bestimmten Zeiten in genau umschriebenen Gebieten aufzuhalten. Diese Verpflichtung erweist sich als bestimmt und konkret sowie nach Inhalt und Umfang klar umschrieben. Sie stellt keine Generalklausel dar, die Rechtsordnung in allgemeiner Weise zu befolgen. Die betroffene Person hat Gelegenheit, das Rayonverbot von sich aus zu befolgen.
Diese Auslegung des Konkordats erlaubt es, den Polizeigewahrsam nach Art. 8 Konkordat unter die Bestimmung von
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
zu subsumieren. Sie orientiert sich am Konkordatstext, findet eine Stütze in der Systematik des Konkordats und kann schliesslich auf die Materialien zum BWIS abstellen. Damit wird der Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Auslegung gewahrt.
7.5.3
Über diese aus der Konvention fliessenden Anforderungen an den Polizeigewahrsam hinaus ergeben sich aus der konkordatsrechtlichen Ausgestaltung weitere Einschränkungen im Sinne des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes. Der Polizeigewahrsam kann - anders als bei Rayonverbot und Meldepflicht - nur angeordnet werden bei Gefahr von besonderen Straftaten gemäss Art. 9 Abs. 2 Konkordat und lediglich hinsichtlich von qualifizierten Sportveranstaltungen nach Art. 9 Abs. 1 Konkordat. Der Polizeigewahrsam darf gemäss Art. 8 Abs. 2 Konkordat längstens 24 Stunden dauern. Er ist sofort aufzuheben, sobald die Umstände dies erlauben. Die von den Beschwerdeführern angeführten Beispiele, in denen Rayonverbote für die Zeit von sechs Stunden vor Beginn bis sechs Stunden nach Beendigung der Veranstaltung galten, zeigen, dass auch der Polizeigewahrsam im Einzelfall auf eine verhältnismässige Dauer beschränkt werden kann.
7.6
Gesamthaft gesehen liegt dem Polizeigewahrsam nach Art. 8 Konkordat eine hinreichend bestimmte gesetzliche Verpflichtung in Form eines Rayonverbots gemäss Art. 4 Konkordat zugrunde. Der von den Beschwerdeführern beanstandete Polizeigewahrsam lässt sich somit in Übereinstimmung mit der Strassburger Praxis (vgl. insbesondere Urteil
Epple gegen Deutschland
, a.a.O.) unter die zweite Alternative von
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
subsumieren. Damit
BGE 137 I 31 S. 55
erweist sich die Rüge, Art. 8 Konkordat stehe mit
Art. 5 Ziff. 1 EMRK
im Widerspruch, als unbegründet. Die Beschwerde ist in diesem Punkte abzuweisen.
8.
Schliesslich beanstanden die Beschwerdeführer Art. 10 Konkordat, wonach die zuständigen Behörden den Organisationen von Sportveranstaltungen Stadionverbote empfehlen können. Sie erblicken darin Verletzungen von Art. 5, 9, 29, 29a, 30 und 49 BV.
Die Bestimmung von Art. 10 Konkordat steht im Zusammenhang mit dem im BWIS geregelten Informationsfluss. Von zentraler Bedeutung ist
Art. 24a BWIS
. Nach Abs. 1 betreibt Fedpol ein elektronisches Informationssystem mit Daten über Personen, die sich anlässlich von Sportveranstaltungen gewalttätig verhalten haben. Die Daten, die aufgenommen werden dürfen, sind in Abs. 2 und 3 umschrieben. Die Vollzugsbehörden können gemäss Abs. 5 besonders schützenswerte Personendaten bearbeiten. Das Informationssystem steht den in Abs. 7 festgehaltenen Stellen und Behörden zur Verfügung. Gemäss Abs. 8 können die Vollzugsbehörden entsprechende Personendaten an Organisatoren von Sportveranstaltungen weitergeben, wenn die Daten für die Anordnung von Massnahmen zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten anlässlich bestimmter Veranstaltungen nötig sind.
Es zeigt sich zum einen, dass die Vollzugsbehörden Personendaten bearbeiten dürfen. Zum andern, dass entsprechende Daten im Sinne der Gewaltprävention anlässlich von Sportveranstaltungen an andere Vollzugsstellen wie auch an private Veranstalter weitergegeben werden dürfen. Mit dieser Regelung steht die Bestimmung von Art. 10 Konkordat nicht im Widerspruch und sie verletzt
Art. 49 Abs. 1 BV
nicht. Es ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob entsprechende Daten bloss ausgetauscht werden oder ob die Datenvermittlung auch noch mit einer entsprechenden Empfehlung für den Erlass eines privatrechtlichen Stadionverbots verbunden ist. Eine solche Empfehlung kann den Erlass von polizeilichen Massnahmen sinnvoll ergänzen, weil Rayonverbote möglicherweise leichter missachtet werden können als Stadionverbote. Dass die Regelung willkürlich sein soll und gegen
Art. 9 BV
verstossen sollte, ist nicht ersichtlich. Es ist Sache der privaten Organisatoren und Verbände, nach ihren eigenen Regeln vorzugehen, die Sachlage gestützt auf eine Empfehlung einzuschätzen und allenfalls ein Stadionverbot zu erlassen oder davon abzusehen.
BGE 137 I 31 S. 56
Umgekehrt kann ein Stadionverbot nach Art. 3 Abs. 1 lit. c Konkordat beim Erlass einer polizeilichen Massnahme mitberücksichtigt werden. Allerdings sind die Voraussetzungen für die Anordnung von polizeilichen Massnahmen im Einzelfall zu prüfen. Sie können vom Betroffenen im entsprechenden Verfahren bestritten werden (vgl. Urteil 1C_453/2009 vom 12. Januar 2010). Von privaten Sportverbänden oder -vereinen ausgesprochene Stadionverbote führen daher nicht schon von sich aus zu polizeilichen Massnahmen wie etwa Rayonverbote.
Damit ist nicht ersichtlich, inwiefern Verfahrensgrundrechte verletzt sein sollten. Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkte als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. | mixed |
05904bc9-719a-4ac0-a034-d544465ebbfe | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 142 II 113 S. 115
A.
X., succursale de Genève (ci-après: la Succursale 1) et X., succursale de Zurich (ci-après: la Succursale 2) ont pour but l'exploitation d'une banque. Toutes deux forment le Groupe TVA X. (ci-après: le Groupe TVA), qui est inscrit comme assujetti à la taxe sur la valeur ajoutée (TVA) dans le registre de l'Administration fédérale des contributions (ci-après: l'Administration fédérale).
B.
A l'issue d'un contrôle externe qu'elle a effectué auprès du Groupe TVA en mars 2013, l'Administration fédérale a fait valoir une correction d'impôt en sa faveur. Le 12 avril 2013, elle a adressé à l'assujetti une notification d'estimation confirmant les montants de la créance fiscale pour les années 2007 à 2009. Le Groupe TVA a formé réclamation contre cette notification d'estimation. Par décision du 5 novembre 2013, l'Administration fédérale a rejeté la réclamation du Groupe TVA et confirmé le montant de la correction d'impôt en sa faveur.
Le Groupe TVA a recouru contre cette décision auprès du Tribunal administratif fédéral, qui a admis le recours par arrêt A-6661/2013 du 10 décembre 2014, annulé la décision du 5 novembre 2013 et renvoyé la cause à l'Administration fédérale pour complément d'instruction et nouvelle décision au sens des considérants.
C.
Contre l'arrêt du 10 décembre 2014, l'Administration fédérale interjette un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral, en concluant à l'annulation partielle dudit arrêt.
Le Tribunal fédéral admet le recours et annule partiellement l'arrêt attaqué, en ce qu'il exclut, d'une part, que les prestations de services échangées entre Y. (Uruguay) SA (ci-après: la Société uruguayenne) et le Groupe TVA soient soumises à l'impôt sur les acquisitions et, d'autre part, en ce qu'il interdit à l'Administration fédérale de corriger le décompte fiscal pour l'année 2007 en transférant vers un autre poste l'ensemble des prestations de services n'entrant pas dans l'activité bancaire usuelle et ne pouvant dès lors bénéficier du "forfait
BGE 142 II 113 S. 116
bancaire". La cause est renvoyée à l'Administration fédérale afin qu'elle statue à nouveau, dans le sens des considérants.
(résumé) Erwägungen
Extrait des considérants:
II. Qualification de la Société uruguayenne en tant que sujet fiscal indépendant
4.
La recourante reproche au Tribunal administratif fédéral d'avoir arbitrairement établi les faits de la cause en retenant que la Société uruguayenne était une "succursale" de la X., succursale de Genève. Selon la recourante, cette définition erronée est susceptible d'influer sur la qualification en tant qu'opérations internes (non) imposables des prestations fournies par la Société uruguayenne à la Succursale 1.
Le grief soulevé par l'Administration fédérale revient à se demander si la Société uruguayenne et la Succursale 1 constituent un seul sujet fiscal, auquel cas il n'y aurait pas d'opération déterminante du point de vue de la TVA. Il convient partant d'examiner ce grief à l'aune du droit de fond régissant l'impôt sur les acquisitions (consid. 5 infra).
5.
Conformément à l'
art. 5 let
. d de l'ancienne loi fédérale du 2 septembre 1999 régissant la taxe sur la valeur ajoutée (aLTVA [RO 2000 1300 et les modifications ultérieures]), est soumise à l'impôt, pour autant qu'elle ne soit pas expressément exonérée au sens de l'art. 18 aLTVA, l'acquisition à titre onéreux de prestations de services d'entreprises ayant leur siège à l'étranger (impôt sur les acquisitions; cf. aussi
art. 130 al. 1 Cst.
in fine).
5.1
Selon l'art. 10 aLTVA, sont soumises à l'impôt sur les acquisitions, d'une part, les prestations de services tombant sous le coup du principe du lieu du destinataire (cf. art. 14 al. 3 aLTVA) qui sont fournies sur le territoire suisse par une entreprise non assujettie sur le territoire suisse, ayant son siège à l'étranger et qui n'a pas opté pour l'assujettissement au sens de l'art. 27 aLTVA (let. a); parmi ces prestations figurent celles des conseillers au sens de l'
art. 14 al. 3 let
. c aLTVA; d'autre part, les prestations de services imposables tombant sous le coup du principe du lieu du prestataire (cf. art. 14 al. 1 aLTVA), que le destinataire ayant son siège sur le territoire suisse acquiert de l'étranger et utilise ou exploite sur le territoire suisse (let. b; voir aussi arrêts 2C_1120/2013 du 20 février 2015 consid. 4.2, in Archives 84 p. 235; 2C_309/2009 du 1
er
février 2010 consid. 4.2.2, résumé in RF 65/2010 p. 593). Conformément à l'art. 24
BGE 142 II 113 S. 117
aLTVA, est assujetti à l'impôt quiconque, au cours d'une année civile, acquiert aux conditions mentionnées à l'art. 10 aLTVA pour plus de 10'000 fr. de prestations de services d'entreprises ayant leur siège à l'étranger.
5.2
En l'occurrence, les parties ne contestent pas qu'au cours des périodes de 2007 à 2009, la Succursale 1, sise en Suisse, a obtenu de la part de la Société uruguayenne sise à l'étranger, pour des montants annuels dépassant 10'000 fr., des prestations, non exonérées selon l'art. 18 aLTVA, consistant en particulier en des services techniques et consultatifs destinés à faciliter, promouvoir et préparer la négociation d'affaires financières, qui tombaient sous le coup de l'art. 14 al. 3 aLTVA, notamment de la let. c relative aux prestations des conseillers. Prima facie, ces prestations sont donc réputées fournies au lieu du destinataire sis en Suisse et devraient ainsi être soumises à l'impôt sur les acquisitions selon l'art. 10 let. a aLTVA.
5.3
Encore faut-il déterminer, ce qui est litigieux, si, comme le prétend l'Administration fédérale, la Société uruguayenne apparaît comme un sujet fiscal distinct d'après l'
art. 5 let
. d aLTVA (celle-ci n'ayant pas opté pour l'assujettissement au sens de l'art. 27 aLTVA) ou si, au contraire, tel que l'ont retenu les précédents juges, elle n'est pas un établissement stable et, partant, pas un sujet fiscal distinct dont les prestations importées en Suisse sont imposables.
6.
Dans l'arrêt attaqué, le Tribunal administratif fédéral a développé le raisonnement suivant, auquel souscrit aussi le Groupe TVA intimé: en mentionnant l'"acquisition à titre onéreux", l'
art. 5 let
. d aLTVA supposait que plusieurs sujets distincts (y compris le cas échéant une société et ses membres) participent à l'opération d'échange, un chiffre d'affaires purement interne ne relevant pas de la TVA. La Société uruguayenne constituait une succursale. Selon le principe de l'entité distincte, l'absence de la personnalité juridique n'empêchait pas l'entité en question d'être un sujet fiscal à part entière, tout comme son existence ne fondait pas automatiquement son indépendance économique. Conformément au principe de l'unité de l'entreprise, les simples bureaux d'une société formaient une entité imposable unique; dans un tel cas, le chiffre d'affaires réalisé entre les différentes composantes devait être considéré comme des opérations internes non imposables. Le Tribunal administratif fédéral a ensuite examiné si, en tant que succursale, la Société uruguayenne exerçait entièrement ou partiellement une activité commerciale indépendante,
BGE 142 II 113 S. 118
lui permettant d'être qualifiée d'établissement stable et d'être considérée comme une entité fiscale distincte. Il a considéré qu'il résultait d'un extrait du site de la Banque nationale d'Uruguay que les activités de la Société uruguayenne se bornaient à de la représentation et à de l'assistance technique préparatoire, celle-ci ne pouvant, contrairement à la Succursale 1 et à une autre succursale appartenant au groupe X. présente à Montevideo, exercer des activités comme intermédiaire financier ni des opérations de crédit; cela démontrait son manque d'indépendance commerciale. Bien que l'Administration fédérale n'ait pas établi les faits au sujet de l'activité de la Société uruguayenne de façon complète et exacte, le Tribunal administratif fédéral s'est déclaré convaincu, "à un degré largement suffisant", que l'autorité fiscale avait à tort qualifié cette société d'établissement stable. Partant, les prestations acquises par le Groupe TVA n'étaient pas soumises à l'impôt sur les acquisitions.
La recourante y oppose l'argumentation suivante: dans les relations transfrontalières, l'entreprise et l'établissement stable qui se trouvaient dans des Etats différents constituaient des sujets fiscaux distincts, dont les opérations étaient en règle générale soumises à la TVA, à moins que la structure (à l'étranger ou en Suisse) soit dépendante de l'entreprise (siège ou établissement stable situé en Suisse ou à l'étranger). Or, d'après la pratique de l'Administration fédérale, le critère de la dépendance s'interprétait selon l'absence d'autonomie de la structure, l'appartenance de cette dernière à l'entreprise et le type d'activité déployée par la structure, étant précisé qu'une structure constituée sous la forme d'une personne morale était toujours autonome vis-à-vis de l'entreprise. Appliquant ces critères au cas d'espèce, la recourante soutient que le Tribunal administratif fédéral a arbitrairement constaté que la Société uruguayenne constituait une succursale du Groupe TVA. Disposant en réalité de la personnalité morale et de son propre personnel, la Société uruguayenne ne pouvait être considérée comme un simple bureau de représentation de la Succursale 1; il s'agissait d'une filiale de la maison-mère dont le type d'activités fournies était sans pertinence pour juger de son indépendance économique. Les prestations effectuées par ladite société, sujet fiscal distinct, à la Succursale 1, devaient ainsi être soumises à l'impôt sur les acquisitions.
7.
Sont assujetties à la TVA les opérations économiques qui font l'objet d'un échange de prestations entre deux ou plusieurs sujets fiscaux distincts - le prestataire et le destinataire - et qui engendrent
BGE 142 II 113 S. 119
des chiffres d'affaires externes ("Aussenumsätze"; cf., pour ces notions, arrêts 2C_1120/2013 du 20 février 2015 consid. 9.3, in Archives 84 p. 235; 2C_904/2008 du 22 décembre 2009 consid. 7.1, résumé in RF 65/2010 p. 344). Partant, les opérations qui demeurent purement internes à la sphère d'un même sujet fiscal ("Innenumsätze") ne sont pas imposables (arrêts 2C_195/2007 du 8 janvier 2008 consid. 2.1, in Archives 79 p. 639; 2A.748/2005 du 25 octobre 2006 consid. 3.2, résumé in RF 62/2007 p. 234).
7.1
Dans le cadre des relations transfrontalières, la pratique constante de l'Administration fédérale, confirmée par le Tribunal administratif fédéral (
ATAF 2008/39
p. 565; arrêts A-6258/2011 du 27 août 2012 consid. 2.4; A-1359/2006 du 26 juillet 2007 consid. 3.1 et 4.1, annulé - toutefois pour d'autres raisons - par la Cour de céans dans son arrêt 2C_510/2007 du 15 avril 2008), assimile l'entreprise et l'établissement stable sis dans des pays différents à des sujets fiscaux distincts, dont les prestations de l'un(e) envers l'autre sont donc en principe imposables (cf. MARTIN KOCHER, Die Holdinggesellschaft im schweizerischen Mehrwertsteuerrecht, Archives 74 p. 609 ss, 628; JAN OLE LUUK, Grenzüberschreitende Dienstleistungen zwischen Hauptsitz und Betriebsstätte, L'Expert-comptable suisse 79/2005 p. 504). Le Tribunal fédéral ne perçoit pas de motif qui s'opposerait à la validation d'une telle solution. Celle-ci coïncide en effet non seulement avec l'approche retenue par le législateur en matière d'imposition directe (cf. notamment art. 6 al. 1 et 52 al. 1 LIFD [RS 642.11]), mais elle trouve aussi un certain appui dans les travaux parlementaires entourant l'aLTVA (cf. l'initiative parlementaire "Loi fédérale sur la taxe sur la valeur ajoutée [Dettling]", Rapport de la Commission de l'économie et des redevances du Conseil national du 28 août 1996, FF 1996 V 701, 750). Elle répond de surcroît à des soucis de praticabilité de l'imposition et de sécurité du droit (cf. NICOLAS BUCHEL, L'établissement stable en matière de TVA, RDAF 1997 II p. 103, 126). Ce principe dit de la "dual entity" a été par ailleurs repris à l'art. 10 al. 3 e contrario de la loi fédérale du 12 juin 2009 régissant la taxe sur la valeur ajoutée (LTVA; RS 641. 20; Message sur la simplification de la TVA du 25 juin 2008, FF 2008 6277, 6340; CLAUDIO FISCHER, in Loi fédérale régissant la taxe sur la valeur ajoutée, Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson [éd.], 2015, n° 120 ad
art. 10 LTVA
p. 293).
7.2
La pratique administrative susmentionnée (consid. 7.1 supra) présuppose cependant que la structure qui est sise dans un autre Etat
BGE 142 II 113 S. 120
que l'entreprise principale dispose d'une certaine autonomie vis-à-vis de cette dernière et soit partant assimilable à un établissement stable autonome (cf.
ATAF 2008/39
consid. 4.1.1 précité; s'agissant du critère de l'indépendance, cf. notamment art. 21 al. 1 aLTVA: "exerce de manière indépendante une activité commerciale ou professionnelle"). A ce défaut, l'entreprise principale et sa structure sise dans un autre Etat devront être considérées comme un seul et unique sujet fiscal, si bien que les prestations de services qu'elles échangeraient entre elles ne seraient pas déterminantes au regard de la TVA suisse. Ce critère d'indépendance vaut en présence d'entités commerciales dépourvues de la personnalité juridique (cf. NICOLAS BUCHEL, L'établissement stable en matière de TVA, RDAF 1997 II p. 103, 108 s.): en cas d'indépendance suffisante, l'entité sera traitée en tant qu'établissement stable dont les opérations localisées en Suisse seront en principe imposables; dans la négative, il pourra notamment s'agir d'un simple bureau de représentation du siège sis dans un autre Etat, dont les prestations fournies à l'entreprise principale, "internes" du point de vue de la TVA, ne seront pas assujetties.
7.3
Il est certes exact, comme le rappelle le Tribunal administratif fédéral dans son arrêt querellé (consid. 3.5.1), que la qualité d'assujetti à la TVA n'est pas tributaire de la forme juridique de la structure considérée, en ce sens que, même une entité dépourvue de la personnalité morale, lorsqu'elle exerce une activité commerciale ou professionnelle indépendante de celle du siège en agissant notamment sur le plan externe (principe de l'entité distincte), peut être soumise à la TVA (cf. arrêts 2C_321/2015 du 22 décembre 2015 consid. 4.2; 2C_508/2010 du 24 mars 2011 consid. 3.3.1, résumé in RF 66/2011 p. 640; 2C_239/2008 du 26 août 2008 consid. 2.2; 2A.520/2003 du 29 juin 2004 consid. 2.2, in RDAF 2005 II p. 75; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz [MWSTG], 2
e
éd. 2003, p. 343; JAEGGI/MOLINO, L'imposta sul valore aggiunto nelle prestazioni di servizi transfrontaliere tra casa madre e succursale, Rivista ticinese di diritto 2005 II p. 641 ss, 655; KOCHER, op. cit., p. 610 s.: "Rechtsformunabhängigkeit"; RIVIER/ROCHAT PAUCHARD, Droit fiscal suisse - La taxe sur la valeur ajoutée, 2000, p. 104).
On ne peut en revanche en déduire, contrairement à ce qu'ont admis les précédents juges sans citer la moindre référence, que la personnalité morale ne constituerait pas obligatoirement un signe d'indépendance de la structure en cause (arrêt querellé, consid. 3.5.1).
BGE 142 II 113 S. 121
Premièrement, une telle interprétation contredit le principe fiscal général selon lequel, sous réserve d'une situation d'évasion fiscale, les personnes morales, en particulier les sociétés anonymes, doivent être imposées en tant que
sujets fiscaux à part entière
(cf.
ATF 136 I 65
consid. 5.4 p. 77;
ATF 126 I 122
consid. 5b p. 130; arrêts 2C_321/2015 du 22 décembre 2015 consid. 4.4; 2C_396/2011 du 26 avril 2012 consid. 4.2.1; cf. aussi MARC VOGELSANG, Der Begriff der Betriebsstätte im schweizerischen und internationalen Steuerrecht, 2015, ch. 6.6.3.2 p. 373).
Deuxièmement, la Cour de céans a retenu, certes en lien avec des opérations échangées entre des entités situées en Suisse, que le principe de l'unité de l'entreprise ne permet pas, en règle générale, de faire abstraction de la forme juridique pour admettre l'existence d'un seul assujetti en présence de plusieurs entités juridiquement distinctes, même si celles-ci exploitent une seule entreprise d'un point de vue économique (arrêts 2C_321/2015 du 22 décembre 2015 consid. 4.3; 2C_742/2008 du 11 février 2009 consid. 5.3, in Archives 79 p. 260). Or, le principe selon lequel la structure disposant de la personnalité morale est dans la règle indépendante vis-à-vis d'une autre entreprise s'applique
a fortiori
en matière d'opérations transfrontalières, puisque la pratique traite généralement en tant que sujets fiscaux distincts le siège social et l'établissement stable sis à l'étranger, en dépit de leurs liens économiques et administratifs étroits (cf., pour une illustration, arrêt 2C_1120/2013 du 20 février 2015 consid. 5 et 6, in Archives 84 p. 235 [imposition de prestations deservices immatérielles en provenance de l'université-mère américaine acquises par une fondation privée en Suisse]).
Troisièmement, la théorie du Tribunal administratif fédéral part de la notion d'établissement stable. Selon la doctrine et la pratique administrative constante rendue sous l'empire de l'aLTVA, dont la réglementation relative à la nouvelle LTVA s'est inspirée à l'art. 5 de l'ordonnance du 27 novembre 2009 régissant la taxe sur la valeur ajoutée (OTVA; RS 641.201), l'établissement stable vise une installation commerciale permanente où est exercée, pleinement ou partiellement, l'activité commerciale d'une entreprise ou une profession libérale; tombent typiquement sous cette définition, notamment, les succursales, sites de fabrication et représentations permanentes (cf. Administration fédérale, Instructions 2001 sur la TVA [entrées en vigueur le 1
er
janvier 2008 et valables jusqu'au 31 décembre 2009],
BGE 142 II 113 S. 122
ch. 8; cf. aussi, par exemple, BLUMENSTEIN/LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 7
e
éd. 2016, p. 80 ss; CAMENZIND ET AL., Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz, 3
e
éd. 2012, n. 289 p. 149 [sous la nouvelle LTVA]; NIKLAUS HONAUER, in Loi fédérale régissant la taxe sur la valeur ajoutée, Zweifel et al. [éd.], 2015, n° 8 ad
art. 8 LTVA
p. 244; MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, Traité TVA, 2009, n. 144 p. 208; RICHNER ET AL., in Handkommentar zum DBG, 2
e
éd. 2009, n
os
18 ss ad
art. 4 LIFD
p. 55). Or, l'ensemble des structures commerciales incluses dans la notion fiscale d'établissement stable, y compris la succursale, sont du point de vue du droit commercial dépourvues de la personnalité juridique (cf. CHAUDET/CHERPILLOD/LANDROVE, Droit suisse des affaires, 3
e
éd. 2010, n. 1216 p. 240; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Droit suisse des sociétés, 2015, § 24 n. 12 p. 864; PASCAL MONTAVON, Abrégé de droit commercial, 5
e
éd. 2011, ch. 4.1 s., p. 30; GUILLAUME VIANIN, L'inscription au registre du commerce et ses effets, 2000, p. 113;
ATF 120 III 11
consid. 1 p. 13;
ATF 117 II 85
consid. 3 p. 87).
C'est partant à tort que les précédents juges ont retenu que la personnalité morale d'une entité commerciale ne signifiait pas nécessairement que celle-ci devait être traitée comme un sujet fiscal indépendant. Sous réserve d'indices permettant de retenir une situation abusive d'évasion fiscale, la personnalité juridique d'une entité entraîne ainsi la fiction que celle-ci constitue une entité fiscale indépendante.
7.4
Le Tribunal administratif fédéral a qualifié la Société uruguayenne de "succursale de Montevideo", avant de parvenir à la conclusion que cette structure ne répondait pas aux critères d'un établissement stable situé à l'étranger, au motif qu'elle n'était pas habilitée à exercer une activité commerciale indépendante dans le domaine bancaire et que son activité se bornait à des activités de représentation et d'assistance technique à des fins préparatoires en faveur du Groupe TVA sis en Suisse. La recourante est d'avis que les qualifications de "succursale" et de "bureau de représentation" sont arbitraires. Inscrite en tant que société anonyme au registre du commerce d'Uruguay et exerçant, avec son propre personnel, une activité indépendante de celle du Groupe TVA consistant à rendre à celui-ci des services techniques et consultatifs, la Société uruguayenne constituait, selon la recourante, une filiale dotée de la personnalité morale de la société-mère du groupe X. au Royaume-Uni.
BGE 142 II 113 S. 123
Ces arguments commandent d'examiner, en premier lieu, la forme commerciale prise par la Société uruguayenne, plus précisément si cette dernière dispose ou non de la personnalité morale et, le cas échéant, si l'on pouvait retenir un cas d'évasion fiscale.
En l'occurrence, selon les faits figurant dans l'arrêt attaqué et non disputés par les parties, la Société uruguayenne est une société anonyme de droit uruguayen (arrêt attaqué, consid. 3.6.3). Une telle entité commerciale dispose en outre de la personnalité morale (cf. les art. 2 ["Sujeto de derecho" (...)] et 278 ["Personería jurídica de las sociedades anónimas" (...)] de la loi uruguayenne n° 16.060 sur lessociétés commerciales [Ley N° 16.060 - Sociedades comerciales, inD.O. N° 22977] du 16 août 1989, publiée le 1
er
novembre 1989 et citée par l'Administration fédérale). Or, l'existence de la personnalité juridique exclut d'emblée la qualification de succursale retenue par la précédente instance, de même que celle de toute autre structure tombant sous l'acception d'établissement stable.
Par ailleurs, aucun élément au dossier ne plaide en faveur d'une évasion fiscale qui permettrait exceptionnellement de ne pas considérer la Société uruguayenne en tant que sujet fiscal à part entière. Il résulte au contraire des constatations faites par le Tribunal administratif fédéral sur la base d'un extrait du site Internet de la Banque nationale d'Uruguay (arrêt attaqué, consid. 3.6.2) que la Société uruguayenne déployait des (réelles) activités d'assistance technique à des fins de préparation, promotion et facilitation de négociation. Que ces activités ne consistaient pas en des prestations d'ordre bancaire, comme celles effectuées par le Groupe TVA sis en Suisse, ne remet pas en cause, quoi qu'en dise la précédente instance, l'indépendance tant économique que juridique (personnalité morale) de la Société uruguayenne par rapport au Groupe TVA. En outre, les tableaux d'analyse des charges de la Société uruguayenne pour les années 2007 à 2009, produits par le Groupe TVA devant le Tribunal administratif fédéral (
art. 105 al. 2 LTF
), indiquent que cette société étrangère assumait du personnel propre.
7.5
Par conséquent, c'est à tort que le Tribunal administratif fédéral a exclu, dans l'arrêt querellé, que les prestations de services litigieuses échangées entre la Société uruguayenne et le Groupe TVA en Suisse n'étaient pas soumises à l'impôt sur les acquisitions en vertu des
art. 5 let
. d et 10 let. a aLTVA. Le recours doit être admis sur ce point.
BGE 142 II 113 S. 124
III. Méthode de décompte forfaitaire des prestations de services
8.
8.1
Conformément à l'art. 58 al. 3 aLTVA, l'Administration fédérale doit, à certaines conditions précisées dans cette même disposition, accorder à l'assujetti des facilités et admettre qu'il calcule l'impôt par approximation. L'Administration fédérale a notamment concrétisé cette clause dite de simplification ("Vereinfachungsklausel"; cf. arrêt 2C_264/2014 du 17 août 2015 consid. 2.2.4, in Archives 84 p. 324) en matière bancaire. Avec le concours des banques, elle a élaboré une méthode de décompte permettant à ces dernières de calculer un taux forfaitaire pour le remboursement de l'impôt préalable acquitté dans le cadre de certaines de leurs activités. Pour les périodes fiscales en cause, la pratique administrative instaurée dans le but de mettre en oeuvre cette méthode de calcul forfaitaire a été successivement documentée dans la brochure de l'Administration fédérale n° 14 "Finance" de septembre 2000, en vigueur dès le 1
er
janvier 2001 (ci-après: la Brochure 14), puis dans l'Annexe n° 14a à la brochure n° 14 "Finance - Forfait d'impôt préalable pour les banques" de décembre 2007 (ci-après: l'Annexe 14a), entrée en vigueur le 1
er
janvier 2008, après la suppression de la partie consacrée au forfait dans une nouvelle version de la Brochure 14 (qui n'est de ce fait plus pertinente à cet égard; cf. Annexe 14a, p. 3).
Le calcul du forfait bancaire détaillé dans les instructions précitées se réfère au système comptable uniforme imposé aux banques suisses par l'ancienne ordonnance fédérale sur les banques du 17 mai 1972, en vigueur jusqu'au 1
er
janvier 2015 (aOB; RO 2014 1269). D'après l'art. 25a al. 1 aOB, le compte de résultat du bouclement individuel doit contenir différentes rubriques et sous-rubriques, notamment la position 1.2.5 concernant le "sous-total résultat des opérations de commissions et des prestations de services" et la position 1.4.6 relative au "sous-total autres résultats ordinaires" du plan comptable. D'après la pratique administrative, selon qu'une prestation de service déterminée est énumérée à la position 1.2.5 ou à la position 1.4.6, son décompte pourra être intégré au décompte forfaitaire (position 1.2.5) ou devra au contraire faire l'objet d'un décompte séparé (position 1.4.6).
8.2
En l'occurrence, le second volet du litige porte, pour la période fiscale de 2007 (les périodes 2008 à 2009 n'étant, sur ce point, pas remises en cause devant le Tribunal fédéral), sur la classification par
BGE 142 II 113 S. 125
le Groupe TVA de certaines prestations de services faisant l'objet d'une part, de l'"Agreement for use of staff" conclu par le Groupe TVA avec la société A. SA sise à Genève et, d'autre part, le "Services Level Agreement" conclu avec la société B. Sàrl et portant sur les services variés de type suivant: comptabilité, administration du personnel, audit interne et contrôle, support de marketing, mise à disposition de locaux et de personnel, de services d'entretien de locaux, de prestations de services de support informatique, comptable et administratif, service de compliance, de reporting, de management et de ressources humaines. Tandis que le Groupe TVA avait énuméré ces services sous la rubrique 1.2.5 du plan comptable de sorte à les inclure dans le décompte forfaitaire applicable aux activités bancaires, l'Administration fédérale avait corrigé le calcul du taux forfaitaire proposé, en transférant certains montants figurant initialement sous la position 1.2.5 vers la position 1.4.6 exclue du forfait bancaire.
8.3
Le Tribunal administratif fédéral a considéré en substance que ce n'était que sur la base de l'Annexe 14a, en vigueur depuis 2008, qu'il était possible d'exclure du forfait les produits et les charges n'étant pas en relation avec les prestations fournies usuellement par une banque. La Brochure 14, qui régissait la période fiscale 2007, prévoyait seulement que les prestations de services de management facturées forfaitairement ne devaient pas être classées sous les opérations de commissions et prestations de services, mais dans la rubrique "autres résultats ordinaires". Partant, pour l'année 2007, seules pouvaient être exclues du forfait, en les faisant passer du poste comptable 1.2.5 vers la rubrique 1.4.6, les prestations de services de management, unique cas mentionné par la Brochure 14. En effet, contrairement à ce qu'il résultait de l'Annexe 14a, il n'était pas indiqué dans la Brochure 14 que seules les opérations usuelles au secteur bancaire pouvaient être enregistrées sous la rubrique 1.2.5.
9.
9.1
Selon la jurisprudence, les brochures et autres instructions que l'Administration fédérale édicte en matière de TVA constituent des ordonnances administratives (arrêts 2C_264/2014 du 17 août 2015 consid. 2.4.1, résumé in Archives 84 p. 324; 2C_1120/2013 du 20 février 2015 consid. 7.3, résumé in Archives 84 p. 235; 2C_812/2013 du 28 mai 2014 consid. 2.3.2, résumé in Archives 83 p. 63; voir déjà
ATF 123 II 16
consid. 7 p. 30). Elles sont destinées à assurer
BGE 142 II 113 S. 126
l'application uniforme de certaines dispositions légales, en explicitant l'interprétation que l'administration leur donne (
ATF 133 II 305
consid. 8.1 p. 315; arrêt 2C_299/2009 du 28 juin 2010 consid. 3.5, in RDAF 2010 II p. 494). Dans le domaine de la TVA, où prévaut en large partie le principe de l'auto-taxation (
ATF 140 II 202
consid. 5.4 p. 206), les ordonnances administratives, qui sont publiées et/ou communiquées aux assujettis (cf. arrêt 2A.555/1999 du 15 mai 2000 consid. 5b, in SJ 2000 I p. 620), visent de plus à faciliter la tâche de ces derniers dans l'accomplissement de leurs obligations et l'exécution de leurs droits; affectant même directement la situation juridique des particuliers, elles déploient partant un effet externe (cf. arrêt 2A.320/2002 du 2 juin 2003 consid. 4.2.2, in RDAF 2004 II p. 100; voir aussi MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, op. cit., n. 5 p. 806; ANNIE ROCHAT PAUCHARD, in mwst.com, 2000, n° 6 ad art. 52 aLTVA p. 802 s.; sur les ordonnances administratives à portée externe: AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, vol. I, 3
e
éd. 2013, n. 1654 p. 561; FABIEN WAELTI, La "directive" dans le paysage législatif genevois, in Actualités juridiques de droit public 2011, Hofmann/Waelti [éd.], 2011, p. 123 ss, 130).
Ne contenant aucune règle de droit au sens strict, les ordonnances administratives (qu'elles soient de portée interne ou externe) sont en principe applicables dans le temps de la même manière que les dispositions qu'elles interprètent (cf. arrêts 2C_299/2009 du 28 juin 2010 consid. 3.5, in RDAF 2010 II p. 494; 2A.555/1999 du 15 mai 2000 consid. 5b, in RDAF 2000 II p. 300; voir cependant, pour des exceptions à ce principe, arrêts 2A.517/2002 du 21 mai 2003 consid. 3, in RDAF 2003 II p. 359; 2A.517/2002 du 21 mai 2003 consid. 3, in RF 58/2003 p. 620, et 2A.358/2001 du 25 janvier 2002 consid. 3, in StE 2002 B 22.2 n° 15 [modification de l'imposition dans le temps d'options de collaborateurs afin d'éviter une brèche fiscale]). Lors d'un contrôle, l'Administration fédérale accepte généralement d'appliquer une nouvelle pratique à des périodes fiscales antérieures à son entrée en vigueur, lorsque celle-ci est en faveur du contribuable (arrêt 2C_299/2009 du 28 juin 2010 consid. 3.5, in RDAF 2010 II p. 494). Dans une jurisprudence rendue sous l'aOTVA, la Cour de céans a par ailleurs jugé que l'application dans le temps d'une ordonnance administrative indiquant pour la première fois de quelle manière une disposition normative serait interprétée n'avait pas à être examinée au regard des principes de la sécurité du droit
BGE 142 II 113 S. 127
ou de l'égalité de traitement; une telle directive devait en principe s'appliquer dès l'entrée en vigueur de la disposition qu'elle interprétait, sans qu'un délai d'adaptation ne dût être accordé aux assujettis (arrêt 2A.555/1999 du 15 mai 2000 consid. 5c, in SJ 2000 I p. 620). Une partie de la doctrine a toutefois critiqué les "effets rétroactifs" de la pratique administrative susceptibles de dériver de cette jurisprudence, doutant qu'une circulaire dépourvue d'effets normatifs puisse être adoptée avec effet ex tunc (BEHNISCH/LOCHER, Die steuerrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 2000, RJB 138/2002 p. 481 ss, 506; MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, op. cit., n. 8 p. 807; voir cependant JACQUES PITTET, TVA et forfait bancaire, L'Expert-comptable suisse 10/2008 p. 830 ss, 834).
9.2
En l'espèce, tant la Brochure 14 que l'Annexe 14a diffusées aux assujettis précisent la pratique de l'Administration fédérale en matière de forfait bancaire et entendent faciliter l'accomplissement des obligations et droits par les intéressés (Brochure 14, p. 5), respectivement permettre aux banques tenues de présenter leur compte de résultat conformément à l'art. 25a aOB "de procéder à un décompte fiscal simplifié grâce à la méthode du forfait d'impôt préalable" (Annexe 14a, ch. 1 p. 7). Ces documents constituent par conséquent des ordonnances administratives de portée externe. Cette qualification s'impose d'autant plus que l'art. 58 al. 3 aLTVA laisse à l'Administration fédérale une grande liberté pour le développement de sa propre pratique en matière d'octroi de facilités ou de calcul de l'impôt par approximation en cas de charge excessive pour l'assujetti (cf. arrêts 2C_812/2013 du 28 mai 2014 consid. 2.3.1; 2C_650/2011 du 16 février 2012 consid. 2.4.2; cf., pour la réduction de cette liberté sous la nouvelle LTVA: BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, Vom alten zum neuen Mehrwertsteuergesetz, 2010, n. 94 s. p. 49). Si, comme l'indique l'instance précédente, ladite liberté peut faire penser à une sous-délégation législative en faveur de l'autorité fiscale, les instructions en cause n'en restent pas moins des ordonnances administratives sans effet normatif contraignant (cf. arrêt 2C_264/2014 du 17 août 2015 consid. 2). (...) | mixed |
311d439c-34c1-43d0-a7f8-825692da4ff8 | Sachverhalt
ab Seite 380
BGE 138 I 378 S. 380
A.
Die Landsgemeinde des Kantons Glarus erliess am 2. Mai 2010 ein neues Gesetz über die Kantonale Sachversicherung Glarus (SachVG; GS V D/1/1), welches das bisherige Sachversicherungsgesetz vom 2. Mai 1993 (aSachVG) ersetzte. Nach Art. 1 SachVG ist die Kantonale Sachversicherung Glarus (Glarnersach) eine selbständige Anstalt des kantonalen öffentlichen Rechts. Gemäss Art. 2 Abs. 1 SachVG hat sie folgende Aufgaben:
a. Versicherung von Gebäuden im Monopol gegen Feuer- und Elementarschäden nach den Vorschriften dieses Gesetzes;
b. Versicherung von Sachen und nicht vom Monopol erfassten Gebäuden im Wettbewerb gegen Feuer- und Elementarschäden sowie andere Gefahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes;
c. Führung des Kulturschadenfonds nach den Vorschriften dieses Gesetzes;
d. Führung der Fachstelle für Brandschutz und Feuerwehr nach den Vorschriften des Brandschutzgesetzes sowie Einzug der Brandschutzabgabe;
e. Förderung und Unterstützung von präventiven Massnahmen gegen Feuer- und Elementarschäden sowie andere Gefahren.
Die Art. 55-60 SachVG lauten sodann unter dem Titel "VII. Versicherung im Wettbewerb" wie folgt:
Art. 55
Umfang
1
Die Glarnersach versichert im Wettbewerb mit den privaten Versicherungsgesellschaften Fahrhabe und Gebäude gegen Feuer- und Elementarschäden sowie weitere Gefahren.
2
Der Verwaltungsrat kann die Glarnersach ermächtigen, weitere Versicherungen anzubieten, sofern diese mit den in Absatz 1 versicherten Sachen in Zusammenhang stehen.
3
Er legt die allgemeinen Versicherungsbedingungen fest, wobei er diesbezüglich die zwingenden Bestimmungen der Bundesgesetzgebung zum Versicherungsvertrag berücksichtigt.
Art. 56
Geschäftskreis
Der Geschäftskreis erstreckt sich schwergewichtig auf den Kanton. Die Glarnersach kann in den angrenzenden Wirtschaftsräumen und in
BGE 138 I 378 S. 381
besonderen Fällen auch in der übrigen Schweiz ihre Dienstleistungen anbieten, sofern ihr daraus keine ausserordentlichen Risiken erwachsen.
Art. 57
Versicherungsantrag
1
Wer bei der Glarnersach eine Versicherung im Wettbewerb abschliessen will, hat einen schriftlichen Antrag einzureichen.
2
Die allgemeinen Versicherungsbedingungen sind entweder im Versicherungsantrag aufzuführen oder dem Antragsteller vor der Einreichung des Antrages zu übergeben.
3
Die Glarnersach ist berechtigt, einen Versicherungsantrag innert 14 Tagen abzulehnen oder den Beginn der Versicherung von der Erfüllung von Bedingungen abhängig zu machen.
Art. 58
Versicherungsbestätigung
Die Glarnersach hat dem Versicherungsnehmer eine Versicherungsbestätigung (Police) auszuhändigen, in der die Rechte und Pflichten der Parteien festgehalten sind.
Art. 59
Ergänzendes Recht
Im Übrigen gelten für die Versicherung im Wettbewerb ergänzend und sinngemäss die materiellen Bestimmungen der Bundesgesetzgebung über den Versicherungsvertrag.
Art. 60
Steuerpflicht
Im Rahmen der Versicherung im Wettbewerb ist die Glarnersach steuerpflichtig.
Gemäss Art. 74 SachVG tritt das Gesetz am 1. Januar 2011 in Kraft.
B.
Der Schweizerische Versicherungsverband, die AXA Versicherungen AG, die Helvetia Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG, die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG, die Schweizerische National-Versicherungsgesellschaft AG, die Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft AG, die Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG sowie A. erhoben am 31. Mai 2010 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, die Art. 2 Abs. 1 lit. b und Art. 55-60 SachVG seien aufzuheben. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Sachverhalt
Nach bisherigem Recht bestand im Kanton Glarus eine obligatorische staatliche Gebäudeversicherung gegen Feuer- und Elementarschäden für alle im Kanton gelegenen Gebäude mit Ausnahme von Industrie- und Hotelbauten. Gebäude, welche nicht unter das
BGE 138 I 378 S. 382
Versicherungsmonopol fielen, wurden im freien Wettbewerb zwischen Privatversicherern und der kantonalen Sachversicherung versichert (Art. 15 aSachVG; dazu
BGE 124 I 25
). Daneben konnte die kantonale Sachversicherung Gebäudezusatzversicherungen, Haushaltversicherungen, Landwirtschaftsversicherungen und Geschäftsversicherungen abschliessen; die Verwaltungskommission konnte die Sachversicherung ermächtigen, für weitere Gefahren Deckung zu gewähren (Art. 46 aSachVG). Darunter fiel vor allem auch die Versicherung für Fahrhabe, die obligatorisch, aber nicht monopolisiert war (Art. 45 aSachVG). Mit dem neuen Gesetz wird der Monopolbereich der Glarnersach beibehalten (Art. 18 ff. SachVG), ihr aber daneben ermöglicht, im Wettbewerb mit privaten Versicherungsgesellschaften weitere Gefahren zu versichern, sofern diese Versicherungen mit Fahrhabe und Gebäuden in Zusammenhang stehen (Art. 2 Abs. 1 lit. b und Art. 55 Abs. 2 SachVG), ohne dass dies aufbestimmte Arten von Versicherungen eingeschränkt wäre. Zudemkann sie gemäss Art. 56 SachVG ihre Dienstleistungen auch ausserhalb des Kantons in den angrenzenden Wirtschaftsräumen und in besonderen Fällen auch in der übrigen Schweiz anbieten, sofern ihr daraus keine ausserordentlichen Risiken erwachsen. Nach dem Memorial für die Landsgemeinde des Kantons Glarus 2010 soll damit der Glarnersach unternehmerischer Spielraum zugestanden werden und namentlich auch eine Betriebsunterbruchversicherung möglich sein. Nach der unwidersprochenen Darstellung der Beschwerdeführer bietet die Glarnersach auch Spezialversicherungen (wie Maschinenversicherung, Transportversicherung und EDV-Allgemeine technische Anlageversicherung), Haftpflichtversicherungen, Motorfahrzeugversicherungen, Vermögensversicherungen und Rechtsschutzversicherungen an. Ferner bietet sie nach Darstellung der Beschwerdeführer eine Jugendversicherung für den gesamten Hausrat gegen Feuer-, Elementar- und Wasserschäden sowie Diebstahl mit Deckung in der ganzen Schweiz und teilweise im Ausland an. NachDarstellung des Beschwerdegegners akquiriert die Glarnersach diesbezüglich nur im Kanton Glarus, deckt jedoch auch Hausratschäden, die ausserhalb des Kantons eingetreten sind; zudem kann die Versicherung nach Wegzug aus dem Kanton Glarus beibehalten werden. Inzwischen hat der Verwaltungsrat der Glarnersach ein Vollzugsreglement zum Gesetz erlassen (Amtsblatt des Kantons Glarus vom 24. Februar 2011), worin in Art. 17 der sachliche Umfang und in Art. 18 der geographische Geschäftskreis näher umschrieben wird.
BGE 138 I 378 S. 383
4.
Rügen
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung der Wirtschaftsfreiheit, indem die Glarnersach durch die angefochtenen Bestimmungen ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage, ohne öffentliches Interesse und in unverhältnismässiger und wettbewerbsverzerrender Weise zu einer unternehmerischen Tätigkeit ausserhalb ihres Monopolbereichs ermächtigt werde (E. 6-9). Durch die offene und unklare Formulierung der Art. 55 und 56 des Gesetzes würden zudem das Legalitätsprinzip und die Gewaltenteilung verletzt (E. 7). Sodann werde das Abkommen vom 10. Oktober 1989 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft betreffend die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung (SR 0.961.1; nachfolgend: Versicherungsabkommen Schweiz-EU) verletzt (E. 10). Schliesslich verstosse das SachVG gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (
Art. 49 Abs. 1 BV
in Verbindung mit dem Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen [Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG; SR 961.01] und dem Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag [Versicherungsvertragsgesetz, VVG; SR 221.229.1]; E. 11).
5.
Art. 48 der Verfassung des Kantons Glarus
5.1
Der Beschwerdegegner macht zunächst geltend, aufgrund des von der Bundesversammlung gewährleisteten Art. 48 der Verfassung des Kantons Glarus vom 1. Mai 1988 (KV/GL; SR 131.217) sei das angefochtene Gesetz nicht überprüfbar. Diese Bestimmung sieht vor, dass der Kanton eine Anstalt für die Gebäudeversicherung betreibt (Abs. 1) und dass die Anstalt nach Gesetz weitere Sachversicherungen führen kann (Abs. 2).
5.2
Art. 189 Abs. 4 BV
bestimmt, dass Akte der Bundesversammlung nicht beim Bundesgericht angefochten werden können. Gemäss ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt deshalb eine von der Bundesversammlung gewährleistete Kantonsverfassung (
Art. 51 Abs. 2 und
Art. 172 Abs. 2 BV
) nicht der bundesgerichtlichen Kontrolle, soweit sich eine Rechtswidrigkeit nicht aus einer nachträglichen Änderung des höherrangigen Rechts ergeben hat (
BGE 131 I 85
E. 2.4 S. 89,
BGE 131 I 126
E. 3.1 S. 130). Dabei erstreckt sich diese Unüberprüfbarkeit auch auf die Anwendungsakte der gewährleisteten Verfassungen (vgl.
BGE 131 I 85
E. 2.3 S. 88) und damit auch auf die kantonalen Gesetze, soweit diese inhaltlich mit den
BGE 138 I 378 S. 384
gewährleisteten Verfassungsbestimmungen übereinstimmen (zum Verhältnis von Bundesgesetz einerseits und Verordnung oder kantonalem Recht andererseits in Bezug auf die Massgeblichkeit gemäss
Art. 190 BV
vgl.
BGE 131 II 735
E. 4.1 S. 740;
BGE 132 I 68
E. 4.3.2 S. 79;
BGE 135 V 172
E. 5 S. 173 f.).
5.3
Art. 48 KV/GL
wurde am 4. Dezember 1989 von der Bundesversammlung gewährleistet (BBl 1989 III 1723). Ausgehend von der obig aufgezeigten bundesgerichtlichen Rechtsprechung könnte die Regelung, dass die Glarnersach neben der Gebäudeversicherung auch weitere Sachversicherungen führen kann, vom Bundesgericht grundsätzlich nicht daraufhin überprüft werden, ob sie mit der Wirtschaftsfreiheit vereinbar ist. Indessen wurde diese Rechtsprechung von der Lehre z.T. stark kritisiert (vgl.
BGE 131 I 85
E. 2.4 S. 89 mit Hinweis). Ob daran festgehalten werden kann oder ob die bundesgerichtliche Praxis aufgegeben oder gelockert werden müsste, kann im vorliegenden Fall offenbleiben: Auch wenn die im kantonalen Verfassungsrecht verankerte Grundsatzregelung betreffend die Glarnersach nicht überprüfbar wäre, würde damit freilich nicht ausgeschlossen, dass die Art und Weise, wie der verfassungsrechtliche Grundsatz im kantonalen Gesetz umgesetzt wird, auf ihre Bundesrechtskonformität hin überprüft werden kann, namentlich soweit geltend gemacht wird, der Inhalt der gesetzlichen Regelung gehe über das in der Kantonsverfassung Vorgegebene und mit ihr Gewährleistete hinaus. Eine Überprüfung kann sodann in jedem Fall bezüglich das erst nach der Gewährleistung in Kraft getretene Versicherungsabkommen Schweiz-EU vorgenommen werden (E. 10).
5.4
Soweit die Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung hingegen beiläufig kritisieren, das angefochtene Gesetz verstosse gegen
Art. 48 KV/GL
, indem es der Glarnersach erlaube, auch andere als Sachversicherungen zu betreiben, ist darauf nicht einzugehen: Diese Bestimmung stellt kein kantonales verfassungsmässiges Recht im Sinne von
Art. 95 lit. c BGG
dar (zu diesem Begriff vgl.
BGE 137 I 77
E. 1.3.1 S. 79;
BGE 131 I 366
E. 2.2 S. 367) und die Beschwerdeführer machen nicht rechtsgenüglich geltend, inwiefern das Gesetz in willkürlicher Weise gegen
Art. 48 KV/GL
verstossen soll (nicht publ. E. 2.1 und 2.2).
6.
Wirtschaftsfreiheit
6.1
Art. 27 BV
gewährleistet die Wirtschaftsfreiheit, insbesondere die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer
BGE 138 I 378 S. 385
privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung. Gemäss
Art. 94 Abs. 1 BV
halten sich Bund und Kantone an den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit. Abweichungen von diesem Grundsatz, insbesondere Massnahmen, die sich gegen den Wettbewerb richten, sind nur zulässig, wenn sie in der Bundesverfassung vorgesehen oder durch kantonale Regalrechte begründet sind (
Art. 94 Abs. 4 BV
).
Art. 27 BV
schützt damit den individualrechtlichen Gehalt,
Art. 94 BV
als grundlegendes Ordnungsprinzip einer auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhenden Wirtschaftsordnung die systembezogene oder institutionelle Dimension der Wirtschaftsfreiheit, wobei diese beiden Aspekte freilich eng aufeinander bezogen sind und nicht isoliert betrachtet werden können (Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 1 175 ff., 293, 296; GIOVANNI BIAGGINI, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [nachfolgend: BV], Kommentar, 2007, N. 1 zu
Art. 94 BV
; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, S. 69). Eine Scharnierfunktion kommt besonders dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen und der staatlichen Wettbewerbsneutralität zu (BBl 1997 I 177 Anm. 266; VALLENDER, in: Die schweizerische Bundesverfassung [nachfolgend: Bundesverfassung], Kommentar, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 26 f. zu
Art. 27 BV
).
6.2
Der Beschwerdegegner bestreitet das Vorliegen eines Eingriffs in die Wirtschaftsfreiheit, da das Gesetz die Ausübung der privatwirtschaftlichen Tätigkeit durch die Beschwerdeführer nicht tangiere.
6.2.1
Wie hiervor ausgeführt, kann trotz der Gewährleistung der Glarner Kantonsverfassung durch die Bundesversammlung jedenfalls die Umsetzung bzw. die konkrete Ausgestaltung der Sachversicherung im kantonalen Gesetzesrecht auf ihre Bundesrechtskonformität - insbesondere auf ihre Verfassungsmässigkeit - überprüft werden (E. 5.3). Im Übrigen ist die Vereinbarkeit mit der Wirtschaftsfreiheit auch insoweit zu prüfen, als die Glarnersach nebst der in der Kantonsverfassung genannten Sachversicherung auch Vermögensversicherungen anbietet (E. 3).
6.2.2
Eine Einschränkung (im Sinne von
Art. 36 BV
) des in
Art. 27 BV
gewährleisteten Individualrechts liegt grundsätzlich nur vor, wenn die Stellung des Wirtschaftssubjekts durch staatliche Rechtsakte oder allenfalls hoheitliches Realhandeln rechtlich eingeschränkt wird (
BGE 132 V 6
E. 2.5.2 S. 14 f.;
BGE 125 I 182
E. 5b S. 198 f.). In
BGE 138 I 378 S. 386
der älteren Lehre wurde teilweise angenommen, dass die privatwirtschaftliche Tätigkeit des Gemeinwesens ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit sei (HANS MARTI, Die Handels- und Gewerbefreiheit, 1950, S. 215 f.; LEO SCHÜRMANN, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 3. Aufl. 1994, S. 34 Anm. 16). Die Rechtsprechung hat indessen staatliche Massnahmen, welche bloss faktisch Auswirkungen auf das wirtschaftliche Handeln haben, nur zurückhaltend als Grundrechtseingriff qualifiziert, so wenn sie geradezu prohibitiv sind oder die Betroffenen im Ergebnis ähnlich beeinträchtigen wie ein rechtliches Verbot (
BGE 135 I 130
E. 4.2 S. 135 f.;
BGE 132 V 6
E. 2.5.3 S. 15;
BGE 130 I 26
E. 4.4 S. 42;
BGE 125 I 182
E. 5b S. 198; GÄCHTER, in: Staatsrecht, Biaggini/Gächter/Kiener [Hrsg.], 2011, S. 432; UHLMANN, in: Staatsrecht, a.a.O., S. 490 f.). Sodann kann auch eine faktische Massnahme gegen den in
Art. 27 BV
enthaltenen Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen verstossen (
BGE 136 I 1
E. 5.5.2 S. 16;
BGE 130 I 26
E. 4.4 S. 42;
BGE 125 I 182
E. 5e S. 200 f.; MARKUS SCHOTT, Staat und Wettbewerb, 2010, S. 442 Rz. 732). Die individualrechtliche Komponente der Wirtschaftsfreiheit (
Art. 27 BV
) gibt hingegen dem Einzelnen keinen Schutz vor Konkurrenz. Tritt ein staatliches Unternehmen mit gleichen Rechten und Pflichten wie ein privater Unternehmer und im Wettbewerb zu diesem auf, so entsteht den Privaten bloss ein weiterer Konkurrent, was keine Einschränkung der individualrechtlichen Wirtschaftsfreiheit darstellt (Urteil 2P.67/2004 vom 23. September 2004 E. 1.5 in: ZBl 106/2005 S. 424; BIAGGINI, BV, a.a.O., N. 17 zu
Art. 27 BV
; BEAT KRÄHENMANN, Privatwirtschaftliche Tätigkeit des Gemeinwesens, 1987, S. 161, 209; ANDREAS LIENHARD, Staats- und verwaltungsrechtliche Grundlagen für das New Public Management in der Schweiz, 2005, S. 168; ETIENNE POLTIER, Les entreprises d'économie mixte, 1983, S. 254; JOHANNES REICH, Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit, 2011, S. 487 f.; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 335 Rz. 57, S. 338 Rz. 68; ELIANE SCHLATTER, Grundrechtsgeltung beim wirtschaftlichen Staatshandeln, 2009, S. 31; LISBETH SIDLER, Aspekte einer gewinnstrebigen Staatstätigkeit, in: Gesetzgebung heute, 1994, Heft 3, S. 11 ff., 16; FELIX UHLMANN, Gewinnorientiertes Staatshandeln, 1997, S. 176 f.; STEFAN VOGEL, Der Staat als Marktteilnehmer, 2000, S. 102 f., 120). Dies gilt jedenfalls so lange, als das private Angebot durch die staatliche Massnahme nicht geradezu verdrängt wird (BLAISE KNAPP, Les limites à l'intervention de l'Etat dans l'économie [nachfolgend: Limites], ZBl 91/1990 S. 241 ff., 261; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 339 Rz. 71; VOGEL,
BGE 138 I 378 S. 387
a.a.O., S. 103). PAUL RICHLI (Zweck und Aufgaben der Eidgenossenschaft im Lichte des Subsidiaritätsprinzips [nachfolgend: Zweck], ZSR 1998 II S. 139 ff., 296) vertritt zwar die Ansicht, staatliche Wirtschaftstätigkeit sei eine faktische Grundrechtsbeeinträchtigung, legt allerdings das Schwergewicht eher auf die Wettbewerbsneutralität (dazu E. 9). GIOVANNI BIAGGINI (Von der Handels- und Gewerbefreiheit zur Wirtschaftsfreiheit [nachfolgend: Wirtschaftsfreiheit], ZBl 102/2001 S. 240 ff., 243) spricht von einem "bedingten" Anspruch auf Schutz vor staatlicher Konkurrenz, meint damit aber bloss die prozessuale Möglichkeit, staatliche Wirtschaftstätigkeit verfassungsrichterlich überprüfen zu lassen, was ohnehin erfüllt ist (vgl. E. 6.2.3).
6.2.3
Die angefochtenen Gesetzesbestimmungen schränken nicht die rechtliche Befugnis der Beschwerdeführer ein, Versicherungen anzubieten, sondern erlauben es der Glarnersach, in bestimmten Bereichen gleich wie die Beschwerdeführer tätig zu sein. Die Glarnersach tritt damit bloss als zusätzliche Konkurrentin auf dem Markt auf, was nach dem Gesagten unter Vorbehalt einer Verletzung der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen (vgl. E. 9) keine Einschränkung von
Art. 27 BV
darstellt. Anders als bei der früheren staatsrechtlichen Beschwerde setzt die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten aber keine Beeinträchtigung in einer (individuellen) Rechtsposition voraus; es kann mit ihr auch die Verletzung objektiv-rechtlicher Normen gerügt und in diesem Zusammenhang auch eingewendet werden, durch die staatliche Wirtschaftstätigkeit werde
Art. 94 BV
verletzt, unabhängig davon, ob eine Einschränkung der individualrechtlichen Komponente (
Art. 27 BV
) vorliegt.
6.3
Art. 94 BV
schützt insbesondere das Bestehen einer Wettbewerbswirtschaft. Indessen äussert sich diese Bestimmung nicht ausdrücklich dazu, ob eine unternehmerische Tätigkeit des Staates zulässig ist.
6.3.1
Nach der Botschaft zur Reform der Bundesverfassung spricht sich die Verfassung mit der Gewährleistung der Handels- und Gewerbefreiheit für eine grundsätzlich staatsfreie Wirtschaftsordnung aus, die auf dem Gedanken der Privatautonomie beruht und sich an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientiert (BBl 1997 I 1, 174, 290). Wie sich aus dem Kontext ergibt, ist damit in erster Linie gemeint, dass die private Wirtschaft nicht ohne Rechtfertigung durch den Staat beschränkt wird; daneben wird wie in der bisherigen
BGE 138 I 378 S. 388
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 125 I 431
E. 4b/aa S. 435;
BGE 121 I 279
E. 4a S. 285) der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität des staatlichen Handelns betont (BBl 1997 I 292, 294, 296). Dazu, ob der Staat unternehmerisch oder privatwirtschaftlich in Konkurrenz zu Privaten tätig sein kann, äussern sich die Materialien zur Bundesverfassung nicht ausdrücklich. In der parlamentarischen Beratung wurden zwar im Zusammenhang mit dem heutigen
Art. 94 Abs. 4 BV
die kantonalen Monopol-Gebäudeversicherungen diskutiert (AB 1998 S 238 ff.), aber nicht die Frage, ob sie oder andere Monopolbetriebe ausser im monopolisierten Bereich auch privatwirtschaftlich tätig sein können. Immerhin wurde im Zusammenhang mit dem heutigen
Art. 92 BV
(Post- und Fernmeldewesen) in der Botschaft ausgeführt, es sei Sache des Gesetzgebers, Monopol- und Wettbewerbsbereich näher zu konkretisieren (BBl 1997 I 271).
6.3.2
Die herrschende Lehre nimmt an, dass die Bundesverfassung einen Grundsatzentscheid für eine privatwirtschaftliche Wirtschaftsordnung enthält in dem Sinne, dass die wirtschaftliche Tätigkeit grundsätzlich den Privaten vorbehalten ist (AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, 2. Aufl. 2006, S. 426; GIOVANNI BIAGGINI, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung [nachfolgend: Privatisierung], Rapports suisses présentés au XV
e
congrès international de droit comparé, 1998, S. 67 ff., 77; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 161 f.; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 69 Rz. 63, S. 70 Rz. 69; KLAUS A. VALLENDER, Wirtschaftsfreiheit, in: Handbuch der Grundrechte, Bd. VII/2: Grundrechte in der Schweiz und in Liechtenstein, 2007, S. 568 Rz. 47, S. 581 f.; VALLENDER/HETTICH/LEHNE, Wirtschaftsfreiheit und begrenzte Staatsverantwortung, 4. Aufl. 2006, S. 188 f.; VOGEL, a.a.O., S. 108 f.) oder jedenfalls vom Staat nur zurückhaltend ausgeübt werden soll (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, S. 295; SCHLATTER, a.a.O., S. 30; PAUL RICHLI, Grundriss des schweizerischen Wirtschaftsverfassungsrechts [nachfolgend: Grundriss], 2007, S. 55 Rz. 179; VALLENDER/HETTICH/LEHNE, a.a.O., S. 191 Rz. 179; VALLENDER, Bundesverfassung, a.a.O., N. 6 zu
Art. 94 BV
), dass aber eine unternehmerische Tätigkeit des Staates trotzdem grundsätzlich zulässig ist (BIAGGINI, Privatisierung, a.a.O., S. 77; YVO HANGARTNER, Der Staat als Unternehmer [nachfolgend: Staat], in: Festschrift 25 Jahre juristische Abschlüsse an der Universität St. Gallen [HSG], 2007, S. 237 ff., 240; BLAISE KNAPP, L'intervention de l'Etat dans l'économie [nachfolgend: Intervention], in: Festschrift Morand, 2001,
BGE 138 I 378 S. 389
S. 519 ff., 534, 536; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 161; RHINOW, Kommentar zur Schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, N. 109 zu
Art. 31 aBV
; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 335; SCHLATTER, a.a.O., S. 30; SIDLER, a.a.O., S. 16; REICH, a.a.O., S. 487 f.; VOGEL, a.a.O., S. 128; a.M. SCHOTT, a.a.O., S. 442 f. Rz. 733 f.). Vorausgesetzt für unternehmerisches Handeln des Staates wird nach der Lehre eine formell-gesetzliche Grundlage (HANGARTNER, Staat, a.a.O., S. 241; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 203 ff.; REICH, a.a.O., S. 486 f.; RICHLI, Grundriss, a.a.O., S. 55 Rz. 180; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 337; SCHLATTER, a.a.O., S. 32 f.; VOGEL, a.a.O., S. 138 ff.), was sich unabhängig vom Vorliegen eines Grundrechtseingriffs im Sinne von
Art. 36 BV
schon aus staatsorganisationsrechtlichen Gründen ergibt (RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 337 f.; VOGEL, a.a.O., S. 135 f.; vgl. E. 7 hiernach). Die privatwirtschaftliche Tätigkeit des Staates muss sodann im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (
Art. 5 Abs. 2 BV
; HANGARTNER, Staat, a.a.O., S. 242 f.; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 172 f.; LIENHARD, a.a.O., S. 168 f.; REICH, a.a.O., S. 486 f.; RICHLI, Grundriss, a.a.O., S. 55 Rz. 180; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 340 ff.; SCHLATTER, a.a.O., S. 33 ff.; VOGEL, a.a.O., S. 145 ff.; vgl. E. 8 hiernach). Zudem soll sie wettbewerbsneutral bzw. nicht wettbewerbsverzerrend sein (
Art. 94 BV
; HANGARTNER, Staat, a.a.O., S. 240, 244 ff., KRÄHENMANN, a.a.O., S. 195 ff.; RICHLI, Grundriss, a.a.O., S. 55 f. Rz. 181; SCHOTT, a.a.O., S. 441 f.; SCHLATTER, a.a.O., S. 36, 38 ff.; UHLMANN, a.a.O., S. 192 ff.; VALLENDER, Bundesverfassung, a.a.O., N. 6 zu
Art. 94 BV
; VOGEL, a.a.O., S. 122 ff.). Sie muss deshalb den gleichen Wettbewerbsbedingungen unterworfen sein wie ein entsprechendes privates Unternehmen (
BGE 130 I 96
E. 3.7 S. 104;
BGE 129 III 35
E. 5.3 S. 41; HANGARTNER, Staat, a.a.O., S. 245; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 348 Rz. 106; KNAPP, Intervention, a.a.O., S. 534 f.; PATRICK SCHÖNBÄCHLER, Wettbewerbsneutralität staatlicher Massnahmen, 1998, S. 219; vgl. E. 9).
6.3.3
Die grundsätzliche Zulässigkeit einer unternehmerischen Tätigkeit des Staates entspricht der gelebten Verfassungspraxis, was sich auch in der erwähnten Gewährleistung von
Art. 48 KV/GL
durch die Bundesversammlung ausdrückt (vgl. E. 5.3). Sodann ist es allgemein- und gerichtsnotorisch, dass zahlreiche Kantone und Gemeinden seit jeher Unternehmen in Konkurrenz zu privatwirtschaftlich betriebenen Unternehmen besitzen oder betreiben (Spitäler und Heime, Gast-, Land- und Forstwirtschaftsbetriebe, Weingüter,
BGE 138 I 378 S. 390
Kellereien, touristische Anlagen, Sportanlagen, Banken usw.; vgl. KNAPP, Intervention, a.a.O., S. 528 f.). Die Zulässigkeit gewerblicher Betriebe der öffentlichen Hand wird in
Art. 61 Abs. 2 OR
seit jeher vorausgesetzt (vgl.
BGE 113 II 424
E. 1a S. 426). Hätte der Verfassungsgeber solche Tätigkeiten verbieten wollen, so hätte er dies angesichts der entgegenstehenden Rechtstradition ausdrücklich sagen müssen. Sodann sehen auch zahlreiche neuere Bundesgesetze vor, dass staatliche Unternehmen neben einem allfälligen Monopol- oder service-public-Bereich in Konkurrenz zur Privatwirtschaft weitere Tätigkeiten ausüben können (z.B. Art. 1 lit. g und Art. 14 des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über Statut und Aufgaben des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum [IGEG; SR 172.010. 31]; Art. 10 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Eidgenössischen Technischen Hochschulen [ETH-Gesetz; SR 414.110]; Art. 4 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 1999 über die Meteorologie und Klimatologie [MetG; SR 429.1; vgl. dazu Urteil 2A.251/2005 vom 19. November 2005 E. 2.3, in: sic! 2006 S. 260]; Art. 19 des Bundesgesetzes vom 5. Oktober 2007 über Geoinformation [GeoIG; SR 510.62]; Art. 4 und 9 des Postgesetzes vom 30. April 1997 [PG; SR 783.0; vgl. dazu
BGE 129 III 35
E. 4 und E. 5 S. 37 ff.; Urteil 2P.154/2005 vom 14. Februar 2006, in: StR 61/2006 S. 446] bzw. neu Art. 19 des Postgesetzes vom 17. Dezember 2010 [noch nicht in Kraft]; Art. 17a des Bundesgesetzes vom 9. Juni 1977 über das Messwesen [SR 941.20]; Bundesgesetz vom 10. Oktober 1997 über die Rüstungsunternehmen des Bundes [BGRB; SR 934.21]). Auch das Kartellrecht sieht ausdrücklich vor, dass es Unternehmen des öffentlichen Rechts gibt, die im Wettbewerb zu privaten Unternehmen stehen (
Art. 2 Abs. 1 und
Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen [Kartellgesetz, KG; SR 251]
; vgl.
BGE 137 II 199
E. 3.1 S. 205 f.;
BGE 129 II 497
E. 3.3.1 S. 515), und setzt damit die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Unternehmen voraus. Die meisten dieser Gesetze wurden wenige Jahre vor oder nach der Beratung der Bundesverfassung verabschiedet; es ist nicht anzunehmen, dass die Bundesversammlung solche Gesetze erlassen hätte, wenn sie mit der etwa zeitgleich erlassenen Bundesverfassung unternehmerische Tätigkeiten des Staates hätte verbieten wollen.
7.
Die gesetzliche Grundlage im Besondern
Die Beschwerdeführer rügen eine ungenügende gesetzliche Grundlage und damit neben der Wirtschaftsfreiheit eine Verletzung des
BGE 138 I 378 S. 391
Legalitätsprinzips und der Gewaltenteilung, indem das angefochtene Gesetz den Tätigkeitsbereich der Glarnersach ungenügend präzis umschreibe.
7.1
Das Bundesgericht hat seit jeher das durch sämtliche Kantonsverfassungen explizit oder implizit garantierte Prinzip der Gewaltenteilung, welches die Einhaltung der verfassungsmässigen Zuständigkeitsordnung schützt, als verfassungsmässiges Individualrecht anerkannt. Dessen Inhalt ergibt sich in erster Linie aus dem kantonalen Recht. Für den Bereich der Rechtsetzung bedeutet der Grundsatz, dass generell-abstrakte Normen vom zuständigen Organ in der dafür vorgesehenen Form zu erlassen sind. In diesem Sinne sind nach
Art. 73 KV/GL
die gesetzgebende, die vollziehende und die richterliche Gewalt dem Grundsatz nach getrennt. Weder die Gewaltenteilung noch das Legalitätsprinzip verlangen aber, dass alle Regelungen im formellen Gesetz selber enthalten sind. Im Bund sind gemäss
Art. 164 BV
alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in Form des Bundesgesetzes zu erlassen (zu den dafür massgebenden Kriterien s.
BGE 134 I 322
E. 2.6.3 S. 330;
BGE 133 II 331
E. 7.2.1 S. 347). Auch nach
Art. 69 Abs. 1 KV/GL
sind alle grundlegenden und wichtigen Bestimmungen durch die Landsgemeinde in der Form eines Gesetzes zu erlassen, sodass es sich rechtfertigt, die analogen Grundsätze wie zu
Art. 164 BV
anzuwenden (vgl. Urteil 2P.304/2005 vom 14. März 2006 E. 4.5, in: ZBl 107/2006 S. 539).
7.2
Unbestritten ist der angefochtene Erlass ein formelles Gesetz. Umstritten ist dagegen, ob er die Versicherungen, welche die Glarnersach anbieten darf, genügend präzis bezeichnet. Das Legalitätsprinzip verlangt im Interesse der Rechtssicherheit und der rechtsgleichen Rechtsanwendung eine hinreichende und angemessene Bestimmtheit der anzuwendenden Rechtssätze. Dieses Gebot kann indes nicht in absoluter Weise verstanden werden und erlaubt, dass der Gesetzgeber allgemeine und vergleichsweise vage Begriffe verwendet, deren Auslegung und Anwendung der Praxis überlassen werden muss. Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Entscheidung, von den Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung ab (
BGE 136 I 87
E. 3.1 S. 90 f.;
BGE 138 I 378 S. 392
BGE 132 I 49
E. 6.2 S. 58 f.;
BGE 131 II 13
E. 6.5.1 S. 29). Die Anforderungen an die Bestimmtheit der formell-gesetzlichen Grundlage sind geringer, wenn es um den Bereich der Leistungsverwaltung oder um Tätigkeiten geht, die nach marktwirtschaftlichen Prinzipien geregelt werden (
BGE 125 I 182
E. 4a S. 193;
BGE 121 I 230
E. 3g/aa S. 238). Insbesondere im Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates kann die gesetzliche Grundlage nicht zu detailliert sein, um die unternehmerische Tätigkeit nicht zu behindern, namentlich dann, wenn damit eine unabhängige staatliche Anstalt betraut wird (
BGE 124 I 11
E. 7c S. 22; REICH, a.a.O., S. 487 Anm. 2387; SCHLATTER, a.a.O., S. 32, 38; VOGEL, a.a.O., S. 136). Die gesetzliche Grundlage muss aber zumindest den Sachbereich umschreiben, in welchem die Tätigkeit erfolgen soll (Spezialitätsprinzip; BIAGGINI, Wirtschaftsfreiheit, a.a.O., S. 241; REICH, a.a.O., S. 486 f.; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 350 f.; SCHLATTER, a.a.O., S. 32 f., UHLMANN, a.a.O., S. 245 ff.; VOGEL, a.a.O., S. 140, 162 ff.).
7.3
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Gesetz: Es legt für den Wettbewerbsbereich in Art. 55 Abs. 1 SachVG präzis die Haupttätigkeit der Glarnersach fest und ermächtigt sie in Absatz 2 derselben Bestimmung, weitere Versicherungen anzubieten, sofern diese mit den in Absatz 1 versicherten Sachen in Zusammenhang stehen. Dass innerhalb dieser Vorgaben die einzelnen anzubietenden Versicherungen vom Verwaltungsrat der Glarnersach selber festgesetzt werden können (Art. 55 Abs. 2 SachVG), liegt im Rahmen einer zulässigen unternehmerischen Flexibilität. Das Spezialitätsprinzip ist ohne Weiteres erfüllt.
8.
Öffentliches Interesse und Verhältnismässigkeit im Besondern
8.1
Die Beschwerdeführer bestreiten das Vorliegen eines hinreichenden öffentlichen Interesses an einer staatlichen Versicherung, da die privaten Versicherungen den Bedarf nach Versicherungsleistungen ohne Weiteres abdecken könnten. Der ursprüngliche Grund für die Tätigkeit der Glarnersach im Nichtmonopolbereich habe darin bestanden, dass die Fahrhabeversicherung im Kanton Glarus obligatorisch, aber nicht monopolisiert gewesen sei, und sich früher die Privatassekuranz offenbar geweigert habe, solche Risiken zu decken, sodass hier die Glarnersach eingesprungen sei; nachdem mit dem neuen SachVG das Versicherungsobligatorium für Fahrhabe aufgehoben worden sei, bestehe diesbezüglich aber kein öffentliches Interesse mehr. Es fehle insbesondere an einem sozialpolitischen
BGE 138 I 378 S. 393
Interesse, weil die Glarnersach kaum niedrigere Prämien anbieten könne als die Privatassekuranz. Für die Tätigkeit im Nichtmonopolbereich liessen sich einzig finanzielle Interessen der Glarnersach erkennen, was kein ausreichendes öffentliches Interesse sei. Jedenfalls sei die Tätigkeit der Glarnersach im Nichtmonopolbereich nicht verhältnismässig, weil sie aus den genannten Gründen nicht erforderlich sei.
8.2
Da es vorliegend nicht um einen Eingriff in die individualrechtliche Wirtschaftsfreiheit geht (vgl. E. 6.2.3), beurteilen sich das öffentliche Interesse und die Verhältnismässigkeit nicht nach
Art. 36 Abs. 2 und 3 BV
, sondern nach
Art. 5 Abs. 2 BV
. Dies hat materiellrechtliche und prozessuale Konsequenzen: Im Bereich von Grundrechtseinschränkungen muss das öffentliche Interesse das entgegenstehende Grundrechtsinteresse überwiegen, was vom Bundesgericht im Beschwerdefall - ebenso wie die Verhältnismässigkeit - frei überprüft wird (
BGE 128 II 259
E. 3.3 S. 269 f.). Demgegenüber genügt nach
Art. 5 Abs. 2 BV
grundsätzlich jedes öffentliche Interesse; verlangt wird nur, dass die staatliche Tätigkeit nicht ausschliesslich privaten Interessen dient (BIAGGINI, BV, a.a.O., N. 15 zu
Art. 5 BV
; HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung [nachfolgend: Bundesverfassung], Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 30 zu
Art. 5 BV
). Zudem wird die Einhaltung der Grundsätze von
Art. 5 Abs. 2 BV
ausserhalb von Grundrechtseingriffen im Zusammenhang mit kantonalem Recht vom Bundesgericht nur auf Willkür hin überprüft (
BGE 135 V 172
E. 7.3.2 S. 182;
BGE 134 I 153
E. 4 S. 156 ff.).
8.3
Die Auffassungen darüber, was im öffentlichen Interesse liegt, sind wandelbar und unterliegen einer politischen Wertung. Die Konkretisierung der massgeblichen öffentlichen Interessen obliegt daher in erster Linie dem politischen Prozess bzw. dem zuständigen Gesetzgeber (Urteil 2P.67/2004 vom 23. September 2004 E. 1.6; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, a.a.O., S. 99 f.; BIAGGINI, BV, a.a.O., N. 18 zu
Art. 5 BV
; FELIX HAFNER, Staatsaufgaben und öffentliche Interessen - ein (un)geklärtes Verhältnis?, BJM 2004 S. 281 ff., 293 f., 296; PIERRE MOOR, Principes de l'activité étatique et responsabilité de l'Etat [nachfolgend: Principes], in: Verfassungsrecht der Schweiz, Thürer/Aubert/Müller [Hrsg.], 2001, S. 265 ff., 273 f. Rz. 42; REICH, a.a.O., S. 487; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 340 f. Rz. 76; UHLMANN, a.a.O., S. 225 f.; VOGEL, a.a.O., S. 144 ff.; RAINER SCHWEIZER, in: Die schweizerische Bundesverfassung,
BGE 138 I 378 S. 394
Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 20 zu
Art. 36 BV
; MARTIN PHILIPP WYSS, Öffentliche Interessen - Interessen der Öffentlichkeit?, 2001, S. 148 ff.). Es gibt keinen positiven numerus clausus zulässiger öffentlicher Interessen, sondern nur negativ bestimmte Interessen, die unzulässig sind, weil sie der Verfassung zuwiderlaufen (KRÄHENMANN, a.a.O., S. 179 f.; PIERRE MOOR, Droit administratif [nachfolgend: Droit], Bd. III, 1992, S. 333; UHLMANN, a.a.O., S. 181; VOGEL, a.a.O., S. 146; WYSS, a.a.O., S. 262 ff.). Hat das Gesetz eine staatliche Aufgabe festgelegt, so ist diese im demokratischen Prozess als öffentliches Interesse bestimmt worden. Es ist alsdann nicht Sache des Bundesgerichts, diese Entscheidung als unzulässig zu erklären (vgl.
Art. 3, 43 und 47 BV
), solange das Gesetz nicht Interessen verfolgt, die verfassungsrechtlich nicht zulässig oder geradezu willkürlich sind. So wäre es mit
Art. 94 BV
unvereinbar und deshalb unzulässig, vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abzuweichen, ohne dass die Voraussetzungen von
Art. 94 Abs. 4 BV
erfüllt wären, das heisst wirtschafts- oder standespolitische Massnahmen zu treffen, welche den freien Wettbewerb behindern, um gewisse Gewerbezweige oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen oder die privatwirtschaftliche Tätigkeit oder die Wettbewerbsordnung auszuschalten (
BGE 131 I 223
E. 4.2 S. 231; MOOR, Principes, a.a.O., S. 273 Rz. 41; VOGEL, a.a.O., S. 150 f.; WYSS, a.a.O., S. 277 f.).
8.4
In der Lehre wird teilweise ein Subsidiaritätsprinzip postuliert in dem Sinne, dass eine staatliche unternehmerische Tätigkeit nur zulässig sei, wenn ein Marktversagen vorliegt oder die Privatwirtschaft nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse der Bevölkerung abzudecken (BIAGGINI, Privatisierung, a.a.O., S. 77 ff.; RICHLI, Zweck, a.a.O., S. 260 ff., 295 f; ANDREAS LIENHARD, Deregulierung - Leitmotiv im Wirtschaftsverwaltungsrecht?, 1995, S. 138, 142 f.; PHILIPPE MASTRONARDI, Strukturprinzipien der Bundesverfassung?, Beiheft 7 zur ZSR 1988 S. 75 ff.; LEO SCHÜRMANN, Das Recht der gemischtwirtschaftlichen und öffentlichen Unternehmungen mit privatwirtschaftlicher Organisation, ZSR 72/1953 II S. 101a ff., 138a f.; ähnlich auch BEAT KLEINER, Legitimation des Staates zur Betätigung in Handel und Gewerbe, Festschrift für Yvo Hangartner, 1998, S. 831 ff., 836, 843 f.). Zwar mag zutreffen, dass staatliche Wirtschaftsunternehmen vor allem dort gegründet wurden und werden, wo Private ein Bedürfnis nicht abzudecken vermögen. Dass dies Voraussetzung für wirtschaftliches Handeln des Staates wäre, ergibt sich aber weder
BGE 138 I 378 S. 395
aus dem Wortlaut noch den Materialien zu
Art. 94 BV
(vgl. E. 6.3.1) und stünde in Widerspruch zur gelebten Verfassungswirklichkeit (vgl. E. 6.3.3). Es wäre zudem auch widersprüchlich, einerseits zu postulieren, dass unternehmerisches Staatshandeln unter gleichen Bedingungen erfolgen soll wie entsprechende Tätigkeiten Privater (E. 6.3.2 in fine), andererseits aber staatliche Tätigkeit nur dann zuzulassen, wenn kein genügendes privates Angebot besteht: Mit dem Postulat der gleich langen Spiesse wird eine Konkurrenzsituation zwischen staatlichen und privaten Unternehmen vorausgesetzt, die nur dann bestehen kann, wenn neben dem staatlichen auch private Unternehmen am betreffenden Markt teilnehmen. Insgesamt ist das Subsidiaritätsprinzip im genannten Sinne eher ein wirtschaftspolitisches Leitbild als eine justiziable Rechtsregel (VOGEL, a.a.O., S. 28 f., 119 f.; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 153 f.; POLTIER, a.a.O., S. 254; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 336 Rz. 60; PETER UEBERSAX, Privatisierung der Verwaltung, ZBl 2001 S. 393 ff., 401 f.; UHLMANN, a.a.O., S. 188 f.). Auch der am 28. November 2004 aufgenommene neue
Art. 5a BV
, dessen Verletzung von den Beschwerdeführern gar nicht gerügt wird, ist kaum mehr als eine staatspolitische Maxime (BIAGGINI, BV, a.a.O., N. 13 f. zu
Art. 5a BV
; SCHWEIZER/MÜLLER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 15 zu
Art. 5a BV
; vgl. auch HEINRICH KOLLER, Subsidiarität als Verfassungsprinzip, Festschrift für Yvo Hangartner, 1998, S. 675 ff., 688, 693 f.) und bezieht sich zudem nach seiner Entstehungsgeschichte und Konzeption in erster Linie auf das Verhältnis zwischen den verschiedenen Staatsebenen, nicht auf das Verhältnis zwischen Staat und Privatwirtschaft (BIAGGINI, BV, a.a.O., N. 1 ff. zu
Art. 5a BV
; SCHWEIZER/MÜLLER, a.a.O., passim).
8.5
Vorliegend hat der demokratisch legitimierte Gesetzgeber des Kantons Glarus mit dem angefochtenen Gesetz zum Ausdruck gebracht, dass er die schon bisher neben dem Monopolbereich ausgeübten Tätigkeiten der staatlichen Gebäudeversicherung (vgl. E. 3) ausdehnen will, um die Geschäftstätigkeit zu vergrössern und Risiken und Kosten besser zu verteilen (Memorial für die Landsgemeinde des Kantons Glarus 2010, S. 31), was betriebswirtschaftlich sinnvoll sein kann und ohne Weiteres ein sachlich haltbares Ziel ist. Der Kanton will damit die Wettbewerbswirtschaft weder allgemein noch im Bereich der streitigen Versicherungen ausschalten, sondern unterstellt - im Gegenteil - die entsprechende Tätigkeit der
BGE 138 I 378 S. 396
Glarnersach dem Wettbewerb und (vorbehältlich bundesrechtlich vorgegebener Ausnahmen, vgl. E. 9.5) den gleichen Regeln wie die private Konkurrenz (E. 9). Die Beschwerdeführer machen auch nicht geltend, diese Tätigkeit würde dazu führen, dass im Kanton Glarus die entsprechenden Versicherungen auf privater Basis faktisch gar nicht mehr angeboten werden könnten, und solches ist auch nicht zu erwarten. Der blosse Umstand, dass der Kanton eine staatliche Versicherung wünscht bzw. deren Geschäftstätigkeit ausdehnt, steht deshalb gemäss dem vorne Gesagten (E. 6.3 und 8.4) nicht im Widerspruch zur Wirtschaftsfreiheit und es ist dies auch nicht sachlich unhaltbar oder sinn- und zwecklos. Dass die Gründe für die kantonale Versicherung heute andere sein mögen als im 19. Jahrhundert, als die Glarnersach gegründet wurde, macht die heutigen Motive nicht verfassungswidrig. Dies ergibt sich auch nicht daraus, dass - wie von den Beschwerdeführern geltend gemacht - die Glarnersach angesichts ihrer Kostenstruktur kaum günstigere Prämien anbieten könne als die Privatassekuranz, sodass es an einem haltbaren sozialpolitischen Interesse fehle: Wenn nämlich das Angebot der Glarnersach nicht konkurrenzfähig ist, wird es im Wettbewerbsbereich von selber aus dem Markt verschwinden, sodass eine Aushöhlung der Privatwirtschaft erst recht nicht erfolgt. Es kann insoweit sogar von einem gewissen "Wettbewerb der Systeme" (zwischen Staats- und Privatunternehmen) gesprochen werden, der allenfalls eine wettbewerblich erwünschte disziplinierende Wirkung entfalten kann (vgl. in Bezug auf das Verhältnis zwischen Monopol- und Wettbewerbssystem: Vorabklärung des Sekretariats der Wettbewerbskommission zur Gebäudeversicherung in den liberalisierten Kantonen, Recht und Politik des Wettbewerbs [RPW] 2003/4 S. 741 ff., 752 Rz. 47).
8.6
Die Beschwerdeführer rügen, mit der streitigen Tätigkeit würden einzig finanzielle Interessen verfolgt, was ein unzulässiger Zweck sei.
8.6.1
Fiskalische Interessen bzw. das Interesse an staatlicher Mittelbeschaffung sind nur sehr beschränkt hinreichende Motive für die Einschränkung (individueller) Grundrechte (vgl.
BGE 131 I 1
E. 3.3 S. 5;
BGE 118 Ia 410
E. 4a S. 413 f.; eingehend WYSS, a.a.O., S. 358 ff.), namentlich auch der Wirtschaftsfreiheit (
BGE 128 I 3
E. 3a S. 9 f.;
BGE 124 I 11
E. 3b S. 15 f.;
BGE 119 Ia 41
E. 4c S. 44;
BGE 95 I 144
E. 4b S. 150 f.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 127; UHLMANN, a.a.O., S. 233 f.). Im Übrigen stellen fiskalische Interessen aber ein zulässiges öffentliches Interesse im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 BV
dar (BIAGGINI, BV,
BGE 138 I 378 S. 397
a.a.O., N. 16 zu
Art. 5 BV
; HANGARTNER, Bundesverfassung, a.a.O., N. 32 zu
Art. 5 BV
; UHLMANN, a.a.O., S. 232 f.). Darüber, ob auch unternehmerisches Staatshandeln aus fiskalischen Gründen zulässig ist, besteht in der Literatur Uneinigkeit: Nach herrschender Lehre darf das öffentliche Interesse zwar nicht rein fiskalischer Natur sein, doch ist Gewinnorientierung als Nebenzweck staatlicher Wirtschaftstätigkeit zulässig (ETIENNE GRISEL, Liberté économique, 2006, S. 137 Rz. 287; PHILIPP HÄSLER, Geltung der Grundrechte für öffentliche Unternehmen, 2005, S. 33 f.; RICHLI, Grundriss, a.a.O., S. 56 Rz. 182; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, a.a.O., S. 340 f.; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 187 f.; MOOR, Droit, a.a.O., S. 334; SCHLATTER, a.a.O., S. 34 f.; SIDLER, a.a.O., S. 33; VOGEL, a.a.O., S. 155 f.). Eine andere Meinung folgert aus dem Grundsatz, dass dem privatwirtschaftlich tätigen staatlichen Unternehmen die gleichen Rechte und Pflichten zustehen sollen wie einem privaten, dass ein staatliches Unternehmen wie ein privates auch einen Gewinn soll erzielen können (HANGARTNER, Staat, a.a.O., S. 243; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 186; SCHLATTER, a.a.O., S. 39 f.; UHLMANN, a.a.O., S. 193 ff.; im Ergebnis auch KNAPP, Limites, a.a.O., S. 261 f.). Die Rechtsprechung hat sich bisher zu fiskalischen Interessen im Zusammenhang mit Monopolen und anderen rechtlichen Einschränkungen der Wirtschaftsfreiheit geäussert (
BGE 128 I 3
E. 3a S. 9 f.;
BGE 124 I 11
E. 4 f. S. 17 ff. mit Hinweisen), nicht aber im Zusammenhang mit privatwirtschaftlicher Tätigkeit im Wettbewerbsbereich (offengelassen in
BGE 120 II 321
E. 2d S. 326).
8.6.2
Die Frage, ob ein rein fiskalisches Interesse zulässig bzw. ausreichend ist, kann an dieser Stelle offenbleiben: Wie hiervor aufgezeigt, hat die Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Glarnersach nicht zum Zweck, staatliche Mittel zu beschaffen, sondern sie erfolgt aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen (vgl. E. 8.5 am Anfang). Da die Glarnersach im Übrigen als selbständige juristische Person ein eigenes Vermögen hat (vgl. Art. 2 Abs. 3 SachVG) und das angefochtene Gesetz eine Gewinnablieferung an den Kanton nicht vorsieht (mit Ausnahme der statuierten Steuerpflicht im Bereich der Tätigkeit im Wettbewerb), kann im vorliegenden Fall von einem rein fiskalischen Interesse nicht gesprochen werden. Der blosse Umstand, dass die Glarnersach wie eine private Versicherung einen Gewinn anstrebt, macht ihre Tätigkeit jedenfalls nicht unzulässig.
8.7
Auch die Verhältnismässigkeit kann ausserhalb von Grundrechtseingriffen bzw. der Eingriffsverwaltung nicht die gleiche Tragweite
BGE 138 I 378 S. 398
haben wie im Rahmen von
Art. 36 Abs. 3 BV
(RENÉ RHINOW, Die Bundesverfassung, 2000, S. 174; AUBERT/MAHON, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, 2003, N. 13 zu
Art. 5 BV
; HANGARTNER, Bundesverfassung, a.a.O., N. 35 zu
Art. 5 BV
). Massgebend ist, ob die staatliche Wirtschaftstätigkeit den objektivrechtlichen Gehalt der Wirtschaftsfreiheit beeinträchtigt (UHLMANN, a.a.O., S. 175 f.; VOGEL, a.a.O., S. 159 f.). Diese könnte dann verletzt sein, wenn der Kanton ohne zwingendes öffentliches Interesse einen wesentlichen Teil der Wirtschaft mit staatlichen Unternehmen kontrollieren würde, weil damit der verfassungsrechtliche Grundsatzentscheid für eine private Wirtschaft unterlaufen und diese ausgehöhlt würde (HANGARTNER, Staat, a.a.O., S. 243; YVO HANGARTNER, Das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit [nachfolgend: Grundrecht], recht 2002 S. 53 ff., 55; KRÄHENMANN, a.a.O., S. 162; vgl. in Bezug auf die Eigentumsgarantie: Urteil des Bundesgerichts vom 17. Juni 1959, in: ZBl 1960 S. 281 E. 6b). Solches wird aber von den Beschwerdeführern nicht vorgebracht. In der Beschwerde wird im Gegenteil sogar ins Feld geführt, die Glarnersach könne nicht günstigere Prämien anbieten als die Privatassekuranz. Wenn es sich so verhält, wäre ohnehin nicht damit zu rechnen, dass die Glarnersach die privaten Versicherer aus dem Markt verdrängen könnte.
9.
Wettbewerbsneutralität
9.1
Die herrschende Lehre leitet aus der Wirtschaftsfreiheit bzw. dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität ab, dass öffentliche Unternehmen, die teilweise in einem Monopolbereich, teilweise im Wettbewerbsbereich tätig sind, diese beiden Bereiche kalkulatorisch trennen müssen und systematische Quersubventionierungen des Wettbewerbsbereichs aus dem Monopolbereich unzulässig sind (HANGARTNER, Staat, a.a.O., S. 245;
ders
., Grundrecht, a.a.O., S. 55; REICH, a.a.O., S. 464 Rz. 871; UHLMANN, a.a.O., S. 213 f., 217, 222; VALLENDER, Bundesverfassung, a.a.O., N. 6 zu
Art. 94 BV
; VOGEL, a.a.O., S. 211). Diese Auffassung überzeugt. Die Wirtschaftsfreiheit schützt zwar nicht vor Konkurrenz, und der private Wettbewerbsteilnehmer kann sich deshalb nicht dagegen zur Wehr setzen, dass der Staat selber unternehmerisch tätig wird und zu ihm in Konkurrenz tritt. Das gilt jedoch nur, wenn der Staat dabei den gleichen Regeln wie die privaten Wettbewerbsteilnehmer unterworfen ist, er also bei seiner wettbewerblichen Tätigkeit keine Sonderrechte beansprucht. Diese Voraussetzung ist bei Quersubventionierungen zwischen Monopol- und Wettbewerbsbereich eines Staatsbetriebs nicht erfüllt. Eine
BGE 138 I 378 S. 399
Quersubventionierung ist deshalb unzulässig, soweit sie in systematischerWeise erfolgt und daher geeignet ist, den freien Wettbewerb zu verfälschen.
Von dieser verfassungsrechtlichen Beurteilung gehen auch neuere Bundesgesetze aus, die eine unternehmerische Staatstätigkeit vorsehen, aber ausdrückliche Bestimmungen enthalten, wonach Quersubventionierungen unzulässig sind bzw. der Wettbewerb nicht verfälscht werden darf (Art. 10 Abs. 2 ETH-Gesetz;
Art. 4 Abs. 3 MetG
;
Art. 9 Abs. 4 PG
;
Art. 19 Abs. 3 GeoIG
; Art. 17a Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 9. Juni 1977 über das Messwesen). Im Nachfolgenden ist daher zu prüfen, ob das Verbot der Quersubventionierung hier beachtet worden ist.
9.2
Die Beschwerdeführer sind der Meinung, zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und Quersubventionierungen müsse der Nichtmonopolbereich der Glarnersach in eine selbständige (Tochter-)Gesellschaft ausgelagert werden. Dies wäre zwar eine denkbare Lösung, doch ist ein solches Vorgehen jedenfalls nicht verfassungsrechtlich vorgeschrieben, da die finanzielle Trennung von Geschäftsbereichen auch innerhalb ein und derselben juristischen Person möglich ist. Das ist bei der Glarnersach der Fall: Ein Verbot der Quersubventionierung vom Monopol- zum Wettbewerbsbereich ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich festgelegt. Nach Art. 11 Abs. 1 SachVG wird aber die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage getrennt nach den Aufgabengebieten dargelegt. Nach den Materialien und den Ausführungen des Beschwerdegegners, auf denen dieser zu behaften ist, wird damit ein Verbot der Quersubventionierung gemeint. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass diese Trennung in der Praxis missachtet würde. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass die Glarnersach nach Art. 2 Abs. 3 SachVG für ihre Verbindlichkeiten mit ihrem Vermögen haftet. Dies könnte zwar theoretisch dazu führen, dass bei einer Unterdeckung des Wettbewerbsbereichs dessen Verluste aus dem Monopolbereich gedeckt werden müssten, falls die Reserven des Wettbewerbsbereichs erschöpft wären. Die blosse Befürchtung, dass sich eine solche Haftung der Glarnersach realisieren könnte, stellt jedoch noch keine systematische Quersubventionierung dar.
9.3
Die Beschwerdeführer machen geltend, eine Quersubventionierung liege vor, weil die Personal- und Sachkosten der Glarnersach nicht gemäss effektivem Aufwand dem Monopol- und dem Wettbewerbsbereich zugewiesen würden.
BGE 138 I 378 S. 400
9.3.1
Der Beschwerdegegner hat in seiner Vernehmlassung dargelegt, die Kosten würden nach einem bestimmten Schlüssel sachgerecht auf die beiden Bereiche verlegt. Er hat dazu den am 25. August 2010 angepassten "FIBU-Aufteilungsschlüssel" vorgelegt, diesen aber als Geschäftsgeheimnis bezeichnet. Die Beschwerdeführer haben in der Replik die Herausgabe dieser Unterlagen beantragt, was der Beschwerdegegner in der Duplik abgelehnt hat. Das Bundesgericht hat den Beschwerdeführern gestützt auf
Art. 56 Abs. 2 und Abs. 3 BGG
die Einsicht in diese Akten verweigert, ihnen aber den wesentlichen Inhalt mitgeteilt.
9.3.2
Aus diesem Aufteilungsschlüssel geht hervor, dass der Wettbewerbsbereich per 1. Januar 2009 in den Sparten Feuer und Elementar-Versicherung nur 12,7 % des gesamten Versicherungskapitals der Glarnersach umfasst, in der Sparte Erdbebenversicherung nur 2,6 %. Der Schadenaufwand (Feuer und Elementar) beträgt im Wettbewerbsbereich über einen Zeitraum von 10 Jahren gemittelt 16,6 % des gesamten Schadenaufwands. In Bezug auf die Finanzbuchungen beträgt der Anteil des Wettbewerbsbereichs 37,4 %, in Bezug auf die Schadenfälle 57,0 % und in Bezug auf den Policen- und Dossierbestand 28,5 %. Die Personalkosten werden zu 45,5 % dem Wettbewerbsbereich zugeordnet, die Mietkosten zu 45,0 %. Die Beschwerdeführer machen in ihrer Eingabe vom 11. November 2011 geltend, diese Zusammenstellung bestätige, dass eine scharfe verursachergerechte Zuteilung der Kosten nicht möglich sei, sodass auf das Hilfsmittel eines Kostenverteilschlüssels zurückgegriffen werde, der zudem jederzeit abgeändert werden könne und so eine Quersubventionierung nicht verlässlich ausschliesse, zumal die Schadenanteile relativ volatil seien.
9.3.3
Es mag zutreffen, dass die Kostenanteile von Monopol- bzw. Wettbewerbsbereich nicht ganz genau verursachergerecht festgelegt werden können. Die zitierten Zahlen lassen aber erkennen, dass die Glarnersach sich bemüht, nach besten verfügbaren Schätzungen die Kostenanteile zu bestimmen. Indem der Kostenanteil des Wettbewerbsbereichs auf rund 45 % festgelegt wurde, obwohl dieser Bereich in den meisten anderen Kennzahlen einen bedeutend tieferen Anteil hat, erscheint eine unzulässige Quersubventionierung zugunsten des Wettbewerbsbereichs jedenfalls als wenig plausibel, selbst wenn hier pro Police oder Schadenfall allenfalls höhere Kosten anfallen als im Monopolbereich. Im Übrigen ist es Sache der Aufsichts- oder Wettbewerbsbehörden, mit den ihnen zustehenden gesetzlichen
BGE 138 I 378 S. 401
Mitteln (Art. 14 f. SachVG;
Art. 7 KG
) eine korrekte Kostenverteilung zu überprüfen und allenfalls zu erzwingen (vgl. E. 9.4). Die blosse theoretische Möglichkeit einer Quersubventionierung genügt jedenfalls im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nicht, um das Gesetz aufzuheben (vgl. nicht publ. E. 2.3).
9.4
Die Verbindung von Monopol- oder Hoheitsverwaltung einerseits und Wettbewerbstätigkeit andererseits kann auch in anderer als rein finanzieller Hinsicht die Gefahr einer gewissen Wettbewerbsverzerrung in sich bergen, etwa wenn das staatliche Unternehmen aufgrund seiner Monopoltätigkeit im Verkehr mit den Kunden einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz hat (BIAGGINI/GÄCHTER/KIENER, a.a.O., S. 489 Rz. 7; vgl. Urteil 2P.436/1997 vom 5. Februar 1999 E. 3d und 3e, in: ZBl 101/2000 S. 383). Namentlich mag die Glarnersach faktisch einen gewissen Wettbewerbsvorteil haben, indem sie infolge ihres Monopols für die Gebäudeversicherung (ausgenommen Fabrik- und Hotelliegenschaften; Art. 19 Abs. 2 SachVG) bereits von Gesetzes wegen mit allen Gebäudeeigentümern im Kontakt steht und deshalb bei der Akquisition für andere Versicherungszweige gegebenenfalls bereits vorhandene Daten nutzen oder Kombiprodukte anbieten kann (VOGEL, a.a.O., S. 211, 242 f.; vgl. die zitierte Vorabklärung des Sekretariats der Wettbewerbskommission, Ziff. 166). Eine rechtliche Bevorzugung der Glarnersach besteht in dieser Hinsicht freilich nicht. Die faktische Bevorzugung dürfte zudem bescheiden sein, da sie sich auf den Anfangskontakt beschränkt. Eine ins Gewicht fallende Wettbewerbsverzerrung ist unter diesen Umständen nicht zu erwarten. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die Glarnersach im Wettbewerbsbereich uneingeschränkt dem Wettbewerbsrecht und insbesondere der Kartellgesetzgebung untersteht (Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 [e contrario] KG; vgl.
BGE 137 II 199
E. 3.1 S. 205 f.;
BGE 129 II 497
E. 3.3 S. 514 ff.). Sollte die Glarnersach durch ihre Geschäftstätigkeit gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen verstossen, so könnte ein solches Verhalten mit den dafür vorgesehenen Mitteln des Kartellgesetzes geahndet werden, wie dies die bereits erwähnte Vorabklärung des Sekretariats der Wettbewerbskommission betreffend die Gebäudeversicherung Bern (GVB) zeigt. Dass die Glarner Regelung nicht in allen Punkten der von der GVB abgegebenen Verpflichtungserklärung (Ziff. 167 der Vorabklärung) entspricht (z.B. nicht getrennte Leitungsorgane), bedeutet nicht automatisch, dass sie wettbewerbsrechtswidrig ist, sodass jedenfalls im Rahmen der vorliegenden abstrakten Normenkontrolle kein Grund besteht, sie aufzuheben (vgl. nicht publ. E. 2.3).
BGE 138 I 378 S. 402
9.5
Sodann erblicken die Beschwerdeführer eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsneutralität auch im Umstand, dass die Glarnersach nicht der Versicherungsaufsicht gemäss dem Versicherungsaufsichtsgesetz unterstellt sei und dementsprechend nicht die damit verbundenen Kosten tragen müsse. Namentlich müsse sie im Unterschied zu den Privatversicherern nicht die strengen Eigenkapitalvorschriften gemäss
Art. 9 VAG
bzw. Art. 21 ff. der Verordnung vom 9. November 2005 über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen (Aufsichtsverordnung, AVO; SR 961.011) beachten.
Die eidgenössische Versicherungsaufsicht bezieht sich - auch wenn das im VAG im Unterschied zu Art. 1 des aufgehobenen Bundesgesetz vom 23. Juni 1978 betreffend die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen (aVAG; AS 1978 1836; in Kraft gewesen bis zum 31. Dezember 2005) nicht mehr ausdrücklich gesagt wird - nur auf die Privatversicherung (
Art. 98 Abs. 3 BV
; Botschaft vom 9. Mai 2003 zum VAG, BBl 2003 3807 f.) und somit nicht auf die öffentlichen Versicherungen (WEBER/UMBACH, Versicherungsaufsichtsrecht, 2006, S. 42 Rz. 6, S. 53 Rz. 3 f.; VALLENDER/HETTICH/LEHNE, a.a.O., S. 617). Zwar ist fraglich, ob sich diese Einschränkung auf das Versicherungsunternehmen bzw. dessen Trägerschaft oder auf die Natur des Versicherungsverhältnisses bezieht. Diese Unterscheidung wirkt sich namentlich dann aus, wenn eine öffentliche Anstalt - wie im vorliegenden Fall - auch Versicherungen anbietet, welche nicht auf öffentlichem Recht, sondern auf einem privatrechtlichen Versicherungsvertrag beruhen. Indessen erscheint eine geteilte Aufsicht über dasselbe Versicherungsunternehmen, wie sie mit einer Anknüpfung an die Natur des konkreten Versicherungsverhältnisses verbunden wäre, nicht als sinnvoll. Sachgerecht ist es vielmehr, im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Privatversicherung und öffentlichen Versicherungen auf den Träger der Versicherung abzustellen. Als Folge hiervon untersteht die Glarnersach auch im Wettbewerbsbereich nicht der Aufsicht gemäss VAG. Sie unterliegt hingegen gemäss Art. 11 Abs. 2 SachVG einer externen Revision, welche die Geschäftstätigkeit auf Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, der anerkannten Standards und der versicherungstechnischen Grundsätze überprüft. Zudem unterliegt sie gemäss Art. 14 und Art. 15 SachVG der Aufsicht durch den Regierungsrat und der Oberaufsicht durch den Landrat des Kantons Glarus. Der Regierungsrat hat am 8. Februar 2011 die Verordnung über die Aufsicht des Regierungsrates bei der Kantonalen Sachversicherung (VAGL) erlassen, die am
BGE 138 I 378 S. 403
1. Januar 2011 in Kraft getreten ist (Amtsblatt des Kantons Glarus vom 17. Februar 2011). Gemäss Art. 4 VAGL prüft die beauftragte Revisionsstelle für jeden Aufgabenbereich getrennt die Einhaltung der versicherungstechnischen Grundsätze; die Prüfung umfasst das Vorhandensein von genügend Kapital, Rückstellungen und Reserven. Die Festlegung dieser Werte richtet sich sinngemäss nach den Bestimmungen der Bundesgesetzgebung zur Versicherungsaufsicht, insbesondere zum Schweizer Solvenztest als ergänzendes kantonales Recht (Art. 4 Abs. 3 VAGL). Damit ist die aufsichtsrechtliche Regelung der Glarnersach mit jener über die Privatversicherung vergleichbar und es besteht insoweit keine Wettbewerbsverzerrung.
9.6
Auch in anderer Hinsicht besteht keine Privilegierung der Glarnersach: Nach Art. 60 SachVG ist die Glarnersach im Rahmen der Versicherung im Wettbewerb steuerpflichtig und damit der privaten Konkurrenz gleichgestellt. Wenn die Beschwerdeführer geltend machen, die Glarnersach könne im Rahmen des Gesetzes selber bestimmen, welche zusätzlichen Versicherungen sie anbieten wolle, so trifft das zwar zu, stellt aber keine Wettbewerbsverzerrung dar, denn dasselbe gilt auch für die privaten Konkurrenten der Glarnersach.
9.7
Insgesamt verstossen die angefochtenen Gesetzesbestimmungen nicht gegen die Wirtschaftsfreiheit.
10.
Versicherungsabkommen Schweiz-EU
10.1
Gemäss Art. 3 i.V.m. Anhang 2 Bst. D Ziff. 1 lit. g des Versicherungsabkommens fällt (u.a.) die Kantonale Sachversicherung Glarus nicht unter das Abkommen, sofern ihre durch die Satzung festgelegte (territoriale und sachliche) Zuständigkeit nicht geändert wird. Die Beschwerdeführer bringen vor, die Glarnersach habe durch das neue Gesetz ihre sachliche und territoriale Zuständigkeit verändert, falle daher unter das Abkommen und müsse folglich eine Rechtsform gemäss dessen Art. 9 i.V.m. Anhang 3 aufweisen (Aktiengesellschaft oder Genossenschaft) und die Solvabilitätsvoraussetzungen gemäss Art. 16 ff. des Abkommens erfüllen. Der Beschwerdegegner bestreitet demgegenüber, dass die Tätigkeit der Glarnersach durch das angefochtene Gesetz ausgedehnt wird. Die Frage kann aus den nachfolgenden Gründen offenbleiben.
10.2
Das Versicherungsabkommen hat nach seinem Art. 1 zum Ziel, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit die Bedingungen zu regeln, die erforderlich und hinreichend sind, um Agenturen und
BGE 138 I 378 S. 404
Zweigniederlassungen von Unternehmen, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei haben und sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei niederlassen wollen oder dort bereits niedergelassen sind, die Aufnahme oder Ausübung der selbständigen Tätigkeit der Direktversicherung, mit Ausnahme der Lebensversicherung, zu ermöglichen (vgl. auch Botschaft vom 14. August 1991 zum Abkommen [...], BBl 1991 IV 1, Ziff. 13 S. 7 f., Ziff. 22 S. 11 und 13 f.). Aus dieser Zielsetzung folgt, dass das ganze Abkommen einzig die grenzüberschreitende Tätigkeit der Versicherungen regelt; innerstaatliche Sachverhalte sind nur im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Aspekt erfasst, soweit nicht der schweizerische Gesetzgeber unabhängig von dieser Zielsetzung parallel analoge Bestimmungen erlässt (vgl. BBl 1991 IV 15). Der Umstand, dass die in Anhang 2 Bst. D genannten Versicherungen nicht unter das Abkommen fallen, bedeutet demnach, dass diese Monopolversicherungen weiterhin auch im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU zulässig sind und die entsprechenden Versicherungsbereiche mithin den Versicherungsunternehmen aus der jeweils anderen Vertragspartei nicht zugänglich sind. Dadurch wird nicht ausgeschlossen, dass die genannten Versicherungen ihre Tätigkeitsbereiche im Wettbewerb - und damit in Konkurrenz auch zu den Versicherungsunternehmen aus der EU - erweitern. Sie unterstehen den Anforderungen des Abkommens einzig soweit sie in der EU tätig sein wollen. Wenn die Glarnersach die Anforderungen des Abkommens (z.B. bezüglich Rechtsform [Art. 9 und Anhang 3 Bst. A] oder Solvabilitätsspanne [Art. 16 und Protokoll Nr. 1]) nicht einhält, hat das mithin bloss zur Folge, dass sie allenfalls in der EU nicht zugelassen wird. Es hat dies aber keine Bedeutung für ihre Tätigkeit innerhalb der Schweiz.
11.
Derogatorische Kraft des Bundesrechts
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts in zweierlei Hinsicht:
11.1
Einerseits machen sie geltend, indem der kantonale Gesetzgeber einer staatlichen Unternehmung erlaube, Versicherungen im Wettbewerb anzubieten, ohne die Vorschriften des VAG einzuhalten, würden dieses Gesetz sowie
Art. 98 Abs. 3 BV
verletzt. Wie dargelegt (vgl. E. 9.5), ist jedoch das VAG gemäss
Art. 98 Abs. 3 BV
auf die kantonalen Versicherungen nicht anwendbar, sodass der Kanton kein Bundesrecht verletzt, wenn er seine Versicherung nicht diesem Gesetz unterstellt.
BGE 138 I 378 S. 405
11.2
Andererseits führen die Beschwerdeführer ins Feld, die von der Glarnersach im Wettbewerbsbereich abgeschlossenen Versicherungsverträge würden dem Versicherungsvertragsgesetz unterliegen. Art. 59 SachVG trage diesem Umstand nicht Rechnung, indem diese Bestimmung vorsehe, dass das VVG nicht direkt als Bundesrecht, sondern nur als ergänzendes kantonales Recht zur Anwendung komme, was Bundesrecht verletze.
11.2.1
Tritt eine kantonale Unternehmung als Privatrechtssubjekt und im Wettbewerb zu Privaten auf, so hat sie sich aus Gründen der Wettbewerbsneutralität wie auch wegen des Vorrangs des Bundesrechts grundsätzlich der Formen des Bundesprivatrechts zu bedienen (
Art. 61 Abs. 2 OR
;
BGE 120 II 321
E. 2h S. 329; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 62 Rz. 283 f.; KNAPP, Intervention, a.a.O., S. 535; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 380 f. Rz. 5 und 7; VOGEL, a.a.O., S. 213 f.; vgl. auch
BGE 129 III 35
E. 5.3 und 6 S. 41 ff.), soweit dieses nicht (wie z.B. bezüglich der Rechtsform,
Art. 59 ZGB
) einen Vorbehalt zu Gunsten des kantonalen Rechts enthält.
11.2.2
Nach dem Wortlaut von Art. 59 SachVG gelten "im Übrigen" für die Versicherung im Wettbewerb "ergänzend und sinngemäss" die materiellen Bestimmungen der Bundesgesetzgebung über den Versicherungsvertrag. Wie sich aus den vom Beschwerdegegner dargelegten Materialien ergibt, war im Vernehmlassungsentwurf ursprünglich vorgesehen gewesen, das Verhältnis zwischen der Glarnersach und den Versicherungsnehmern auch im Wettbewerbsbereich öffentlich-rechtlich zu regeln und das Versicherungsvertragsgesetz nur als subsidiäres kantonales Recht für anwendbar zu erklären; diese Formulierung wurde aber in der Folge verändert, um zum Ausdruck zu bringen, dass der Vertrag dem (Bundes)Zivilrecht untersteht. Das wird dadurch bekräftigt, dass gemäss Art. 70 SachVG die Forderungen aus Versicherung im Wettbewerb im zivilrechtlichen Verfahren geltend zu machen sind. Art. 59 SachVG kann ohne Weiteres in dem Sinne verfassungskonform (vgl. nicht publ. E. 2.3) ausgelegt werden, dass der Vertrag nicht nur sinngemäss, sondern direkt dem VVG unterstellt ist. Missverständlich mag allenfalls erscheinen, dass - vermutlich als Relikt aus der ursprünglich vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Konstruktion - nach wie vor in Art. 57 SachVG der Versicherungsantrag und in Art. 58 SachVG die Versicherungsbestätigung (Police) geregelt werden. Da diese Fragen bereits im Versicherungsvertragsgesetz geregelt sind (
Art. 1 ff. und 11 ff. VVG
),
BGE 138 I 378 S. 406
ist eine entsprechende Regelung im kantonalen Gesetz überflüssig. Die Beschwerdeführer rügen aber nicht in rechtsgenüglicher Form die Bundesrechtswidrigkeit dieser beiden Bestimmungen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Zudem sind diese beiden Artikel zwar weniger detailliert als die entsprechenden Bestimmungen im VVG, enthalten aber nichts, was zu diesen im Widerspruch stünde, sodass ein Rechtsanwendungskonflikt ohnehin nicht zu erwarten ist. | mixed |
a6e2296a-ee75-4c4c-b7e0-c3b681fc948e | Sachverhalt
ab Seite 187
BGE 139 II 185 S. 187
A.
A.a
Das im Eigentum der BKW FMB Energie AG (im Folgenden: BKW) stehende Kernkraftwerk (KKW) Mühleberg wurde 1972 in Betrieb genommen und verfügte jeweils über befristete Betriebsbewilligungen. Letztmals verlängerte der Bundesrat am 28. Oktober 1998 die Betriebsbewilligung bis zum 31. Dezember 2012. Die BKW reichte am 25. Januar 2005 beim Bundesrat ein Gesuch um Aufhebung dieser Befristung ein, auf welches dieser am 10. Juni 2005 mangels Zuständigkeit nicht eintrat und es dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zur weiteren Behandlung überwies. Am 13. Juni 2006 wies das UVEK das Hauptbegehren der BKW um Feststellung, dass sie mit Inkrafttreten des Kernenergiegesetzes vom 21. März 2003 (KEG; SR 732.1) über eine unbefristete Betriebsbewilligung für das KKW Mühleberg verfüge, ab. Auf das Eventualbegehren um Aufhebung der Befristung ohne Durchführung eines Verfahrens nach KEG trat es nicht ein.
A.b
Die BKW erhob gegen diese Verfügung am 13. Juli 2006 Beschwerde mit den inhaltlich gleichen Rechtsbegehren wie schon vor dem UVEK. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Urteil A-2089/2006 vom 8. März 2007 (BVGE_2008/8) den Hauptantrag der BKW ebenfalls ab. Hingegen wurde das Eventualbegehren insofern gutgeheissen, als die Sache an das UVEK zurückgewiesen wurde mit der Anweisung, das Gesuch um Aufhebung der Befristung nach den Regeln der Wiedererwägung bzw. des Widerrufs zu behandeln. (...)
A.c
Gegen dieses Urteil erhob das UVEK am 26. April 2007 Beschwerde beim Bundesgericht; im Wesentlichen mit dem Begehren, es sei im betreffenden Fall ein Verfahren nach
Art. 61 KEG
bzw. ein förmliches Bewilligungsverfahren (nach
Art. 65 KEG
) durchzuführen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde mit Urteil 2C_170/2007 vom 21. Januar 2008 ab und bestätigte den Standpunkt des Bundesverwaltungsgerichts, dass die BKW Anspruch auf Prüfung ihres Gesuchs nach den Regeln über die Wiedererwägung oder den Widerruf von Verfügungen habe. (...)
A.d
In der Folge nahm das UVEK das entsprechende Gesuch der BKW an die Hand, publizierte es in den amtlichen Publikationsorganen der betroffenen Kantone und Gemeinden sowie im Bundesblatt und legte die Gesuchsunterlagen vom 13. Juni bis zum 14. Juli
BGE 139 II 185 S. 188
2008 öffentlich auf. Während der Auflagefrist gingen rund 1'900 Einsprachen ein, darunter mit Datum vom 14. Juli 2008 diejenige von X. und zahlreichen Mitbeteiligten (...). Diese verlangten - wie die meisten Einsprechenden -, auf das Gesuch vom 25. Januar 2005 sei nicht einzutreten, eventualiter sei es abzuweisen, wobei zur Begründung in erster Linie sicherheitstechnische Aspekte vorgebracht wurden. Im Verfahren vor dem UVEK reichte das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) am 10. Februar 2009 eine Stellungnahme ein (...). Diese sowie die Stellungnahme der BKW vom 13. Februar 2009 zu den Einsprachen konnten durch die Einsprecher eingesehen werden mit der Möglichkeit zur anschliessenden Stellungnahme. Davon machten rund 350 Einsprecher Gebrauch. Das ENSI reichte am 24. Oktober 2009 eine ergänzende Stellungnahme ein (...).
A.e
Mit Verfügung vom 17. Dezember 2009 hob das UVEK in Gutheissung des Gesuchs der BKW vom 25. Januar 2005 die Befristung der Betriebsbewilligung für das KKW Mühleberg vom 14. Dezember 1992 bzw. vom 28. Oktober 1998 auf und wies alle dagegen gerichteten Einsprachen ab.
B.
B.a
X. und ca. hundert Mitbeteiligte (...) erhoben dagegen am 1. Februar 2010 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Verfahren A-667/2010). Am 12. Februar 2010 erhoben Y. und 5 Mitbeteiligte (...) eine gleichlautende Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (Verfahren A-863/2010). Dieses vereinigte die beiden Verfahren unter der Nummer A-667/2010. Die identischen Rechtsbegehren der Beschwerdeführenden lauteten primär auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung und Rückweisung an die Vorinstanz zur Feststellung der Einspracheberechtigung der Beschwerdeführenden sowie zur Gewährung der Akteneinsicht und Einräumung des Rechts zur Stellungnahme mit Bezug auf aufgelistete - vom UVEK angeblich vorenthaltene - Aktenstücke. (...)
(...)
B.c
Mit Urteil vom 1. März 2012 erkannte das Bundesverwaltungsgericht: "1. Die Beschwerden werden im Sinne der Erwägungen teilweise gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird.
2. Die bisherige Befristung wird aufgehoben.
3. Die Betriebsbewilligung wird bis zum 28. Juni 2013 befristet.
BGE 139 II 185 S. 189
4. Zusammen mit einem allfälligen neuen Verlängerungsgesuch für die Betriebsbewilligung hat die Beschwerdegegnerin dem UVEK ein umfassendes Instandhaltungskonzept einzureichen.
[5.-8. Kosten/Eröffnung]."
C.
C.a
Die BKW erhob dagegen am 20. April 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht (Verfahren 2C_347/2012) mit dem Antrag, die Ziff. 1, 3, 4, 5, 6 und 7 des angefochtenen Urteils seien aufzuheben. Eventuell seien die Ziff. 1, 3, 4, 5, 6 und 7 des angefochtenen Urteils aufzuheben und die Betriebsbewilligung des KKW Mühleberg sei bis zum 31. Dezember 2022 zu befristen. Zudem beantragt sie Erteilung der aufschiebenden Wirkung.
C.b
Am 23. April 2012 erhob sodann das UVEK Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Verfahren 2C_357/2012) mit dem Antrag, die Ziff. 1, 3 und 4 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts seien aufzuheben. (...)
D.
Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 28. März 2013 öffentlich beraten; es heisst die Beschwerden gut.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Rechtliche Ausgangslage
4.1
Für das KKW Mühleberg waren die früheren Betriebsbewilligungen gestützt auf das damals geltende Bundesgesetz vom 23. Dezember 1959 über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz (AtG; AS 1960 541) erteilt worden. Nach dessen Art. 4 Abs. 1 lit. a bedurfte u.a. der Betrieb einer Atomanlage einer Betriebsbewilligung. Nach
Art. 5 Abs. 1 AtG
war die Bewilligung zu verweigern oder von der Erfüllung geeigneter Bedingungen oder Auflagen abhängig zu machen, wenn dies notwendig war zur Wahrung der äusseren Sicherheit der Schweiz, zur Einhaltung der von ihr übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen oder zum Schutz von Menschen, fremden Sachen oder wichtigen Rechtsgütern. Die Möglichkeit einer Befristung war im Gesetz nicht ausdrücklich genannt. Die Betriebsbewilligung für das KKW Mühleberg war jedoch jeweils befristet worden, zuletzt am 28. Oktober 1998 bis zum 31. Dezember 2012. Die Frage, ob diese Befristung wiedererwägungs- bzw. widerrufsweise aufzuheben oder zu verlängern ist, beurteilt sich gemäss Urteil 2C_170/2007 vom 21. Januar
BGE 139 II 185 S. 190
2008 (E. 3.2 und 3.3) nach dem am 1. Februar 2005 in Kraft getretenen Kernenergiegesetz.
4.2
Wer eine Kernanlage betreiben will, braucht eine Betriebsbewilligung des Departements (
Art. 19 KEG
). Die Betriebsbewilligung wird nach
Art. 20 Abs. 1 KEG
erteilt, wenn der Gesuchsteller Eigentümer der Kernanlage ist (lit. a), die Bestimmungen der Rahmen- und der Baubewilligung eingehalten sind (lit. b), der Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet wird (lit. c), die Anlage und der vorgesehene Betrieb den Anforderungen der nuklearen Sicherheit und Sicherung entsprechen (lit. d), die Anforderungen an Personal und Organisation erfüllt werden können (lit. e), qualitätssichernde Massnahmen für sämtliche im Betrieb ausgeübten Tätigkeiten (lit. f) und die Notfallschutzmassnahmen vorbereitet sind (lit. g) sowie der vorgeschriebene Versicherungsschutz nach dem Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 (SR 732.44) besteht (lit. h). Die Betriebsbewilligung legt gemäss
Art. 21 Abs. 1 KEG
fest: den Bewilligungsinhaber (lit. a), die zulässige Reaktorleistung oder Kapazität der Anlage (lit. b), die Limiten für die Abgabe von radioaktiven Stoffen an die Umwelt (lit. c), die Massnahmen zur Überwachung der Umgebung (lit. d), die Sicherheits-, Sicherungs- und Notfallschutzmassnahmen, die der Bewilligungsinhaber während des Betriebs zu treffen hat (lit. e), und die Stufen der Inbetriebnahme, deren Beginn einer vorgängigen Freigabe durch die Aufsichtsbehörden bedarf (lit. f). Die Betriebsbewilligung ist eine reine Polizeibewilligung; es besteht Anspruch auf Erteilung, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (Botschaft vom 28. Februar 2001 zu den Volksinitiativen "MoratoriumPlus" und "Strom ohne Atom" sowie zu einem Kernenergiegesetz [im Folgenden: Botschaft KEG], BBl 2001 2665, 2769; RICCARDO JAGMETTI, Energierecht, SBVR Bd. VII, 2005, S. 603 Rz. 5414, S. 635 Rz. 5467; WEBER/KRATZ, Elektrizitätswirtschaftsrecht, 2005, S. 182 f.; JOHANNES REICH, Energierecht, [Bemerkungen zum hier angefochtenen Urteil], ZBl 2012 S. 366 ff., 369; so bereits die Bewilligungen nach AtG, vgl. Urteil 2A.297/1990 vom 4. November 1994 E. 2a).
4.3
Die Betriebsbewilligung kann befristet werden (
Art. 21 Abs. 2 KEG
). Das Gesetz nennt keine ausdrücklichen Voraussetzungen, unter denen eine Befristung der Bewilligung zulässig ist. Aus der polizeilichen Natur der Betriebsbewilligung ergibt sich, dass diese Befristung keine generelle Begrenzung der Lebensdauer darstellt, sondern nur aus polizeilichen Gründen zulässig ist (Botschaft KEG, BBl 2001 2770; AB 2002 N 1111 [Sommaruga]). Der Gesetzgeber
BGE 139 II 185 S. 191
hat es bewusst abgelehnt, von Gesetzes wegen die Bewilligungen zu befristen (BBl 2001 2739 f., 2770; AB 2001 S 1019 f.). Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Betriebsbewilligung grundsätzlich unbefristet erteilt; eine Befristung kommt in Betracht für Situationen, in denen bestimmte Fragen offenbleiben, die für den Betrieb nicht von elementarer Bedeutung sind, aber abgeklärt werden müssen. In diesem Fall wäre die Nichterteilung der Betriebsbewilligung unverhältnismässig und eine Befristung, verbunden mit der Auflage, das Erforderliche zu tun, genügt für den Zweck, die vollumfängliche Einhaltung der Voraussetzungen für die Erteilung der Betriebsbewilligung zu erwirken (BBl 2001 2770 f.; AB 2001 S 1019 f. [Kommissionssprecherin Forster-Vanini, Bundesrat Leuenberger]).
4.4
Während des Betriebs ist der Bewilligungsinhaber für die Sicherheit der Anlage verantwortlich (
Art. 22 Abs. 1 KEG
). Er muss namentlich Massnahmen treffen, um die Anlage in einem guten Zustand zu erhalten, Nachprüfungen sowie systematische Sicherheits- und Sicherungsbewertungen während der ganzen Lebensdauer der Anlage durchführen, für ein Kernkraftwerk periodisch eine umfassende Sicherheitsüberprüfung vornehmen, den Aufsichtsbehörden periodisch über den Zustand und den Betrieb der Anlage berichten und ihnen Ereignisse unverzüglich melden und die Anlage so weit nachrüsten, als dies nach der Erfahrung und dem Stand der Nachrüstungstechnik notwendig ist, und darüber hinaus, soweit dies zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung beiträgt und angemessen ist (
Art. 22 Abs. 2 lit. c-g KEG
). Die Aufsichtsbehörde - d.h. in erster Linie das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI;
Art. 70 Abs. 1 lit. a KEG
; Art. 2 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 2007 über das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat [ENSIG; SR 732.2]) - wacht darüber, dass die Bewilligungsinhaber ihre Pflichten einhalten (
Art. 72 Abs. 1 KEG
); sie ordnet alle zur Einhaltung der nuklearen Sicherheit und Sicherung notwendigen und verhältnismässigen Massnahmen an (
Art. 72 Abs. 2 KEG
). Droht eine unmittelbare Gefahr, so kann sie umgehend Massnahmen anordnen, die von der erteilten Bewilligung abweichen (
Art. 72 Abs. 3 KEG
). Die Bewilligungsbehörde entzieht nach
Art. 67 Abs. 1 KEG
die Bewilligung, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung nicht oder nicht mehr erfüllt sind (lit. a) oder der Bewilligungsinhaber eine Auflage oder eine verfügte Massnahme trotz Mahnung nicht erfüllt (lit. b).
BGE 139 II 185 S. 192
5.
Beurteilung durch die Vorinstanz
5.1 | mixed |
671ce580-59c5-43f2-9348-017fe67164dc | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 137 I 167 S. 168
A.
(...) Le Grand Conseil de la République et canton de Genève (ci-après: le Grand Conseil) a adopté la loi sur la prostitution le 17 décembre 2009 (LProst/GE; RSG I 2 49). A l'issue du délai référendaire, le Conseil d'Etat a promulgué la LProst/GE par arrêté du 10 février 2010. Publiée dans la Feuille d'avis officielle de la République et canton de Genève n° 275 du 15 février 2010, elle est entrée en vigueur le 1
er
mai 2010 et dispose notamment:
CHAPITRE I: DISPOSITON GENERALES
Article 1: Buts
La présente loi a pour buts:
a) de garantir, dans le milieu de la prostitution, que les conditions d'exercice de cette activité sont conformes à la législation, soit notamment qu'il n'est pas porté atteinte à la liberté d'action des personnes qui se prostituent, que celles-ci ne sont pas victimes de la traite d'êtres humains, de menaces, de violences, de pressions ou d'usure ou que l'on ne profite pas
BGE 137 I 167 S. 169
de leur détresse ou de leur dépendance pour les déterminer à se livrer à un acte sexuel ou d'ordre sexuel;
b) d'assurer la mise en oeuvre des mesures de prévention et promotion de la santé et de favoriser la réorientation professionnelle des personnes qui se prostituent, désireuses de changer d'activité;
c) de réglementer les lieux, heures et modalités de l'exercice de la prostitution, ainsi que de lutter contre les manifestations secondaires fâcheuses de celle-ci.
(...)
CHAPITRE II: RECENSEMENT
Article 4: Obligation d'annonce
1
Toute personne qui se prostitue est tenue de s'annoncer préalablement aux autorités compétentes. Elle doit être majeure.
2
Le Conseil d'Etat fixe les modalités de cette procédure qui est gratuite.
3
La législation en matière de protection de la personnalité et de protection des données est applicable.
4
La personne se prostituant obtient des informations circonstanciées lorsqu'elle s'annonce aux autorités compétentes. (...)
Article 5: Cessation d'activité
1
La personne qui cesse toute activité liée à la prostitution est tenue d'en informer les autorités compétentes.
2
Elle est alors soit considérée comme étant en fin d'activité, soit, en fonction de sa demande, radiée de tous les fichiers de police mentionnant son activité de prostitution, y compris celui des personnes se prostituant.
3
Pour le surplus, les demandes de renseignements, de rectification ou de radiation sont traitées conformément aux dispositions de la loi [genevoise] sur les renseignements et les dossiers de police et la délivrance des certificats de bonne vie et moeurs, du 29 septembre 1977. (...)
CHAPITRE IV: PROSTITUTION DE SALON
(...)
Article 9: Obligation d'annonce
1
Toute personne physique qui, en tant que locataire, sous-locataire, usufruitière, propriétaire ou copropriétaire, exploite un salon et met à disposition de tiers des locaux affectés à l'exercice de la prostitution doit s'annoncer, préalablement et par écrit, aux autorités compétentes en indiquant le nombre et l'identité des personnes qui y exercent la prostitution. (...)
3
La personne qui effectue l'annonce est considérée comme personne responsable au sens de la présente loi.
Article 10: Conditions personnelles
La personne responsable d'un salon doit remplir les conditions personnelles suivantes: (...)
BGE 137 I 167 S. 170
d) être au bénéfice de l'accord écrit du propriétaire ou des copropriétaires de l'immeuble pour y exploiter un salon; (...)
Article 11: Communications à l'autorité
La personne responsable d'un salon est tenue de communiquer immédiatement aux autorités compétentes tout changement des personnes exerçant la prostitution et toute modification des conditions personnelles intervenues depuis l'annonce initiale.
Article 12: Obligations du responsable
La personne responsable d'un salon a notamment pour obligations: (...)
a) de tenir constamment à jour un registre mentionnant l'identité, le domicile, le type d'autorisation de séjour et/ou de travail et sa validité, les dates d'arrivée et de départ des personnes exerçant la prostitution dans le salon, ainsi que les prestations qui leur sont fournies et les montants demandés en contrepartie; (...)
c) d'y empêcher toute atteinte à l'ordre public, notamment à la tranquillité, à la santé, à la salubrité et à la sécurité publiques. (...)
Article 13: Contrôles
1
Les autorités compétentes peuvent en tout temps, dans le cadre de leurs attributions respectives et au besoin par la contrainte, procéder au contrôle des salons et de l'identité des personnes qui s'y trouvent.
2
Ce droit d'inspection s'étend aux appartements ou aux locaux particuliers des personnes qui desservent ces salons ou qui y logent, lorsque ceux-ci sont à proximité du salon.
Article 14: Mesures et sanctions administratives
(Cette disposition instaure des mesures et sanctions administratives en cas de violation, notamment, des art. 9, 10, 11 et 12).
CHAPITRE V: PROSTITUTION D'ESCORTE
(...)
Article 16: Obligation d'annonce
1
Toute personne physique qui exploite une agence d'escorte est tenue de s'annoncer, préalablement et par écrit, aux autorités compétentes en indiquant le nombre et l'identité des personnes qui exercent la prostitution par son intermédiaire. (...)
Article 17: Conditions personnelles
La personne responsable d'une agence d'escorte doit remplir les conditions personnelles suivantes: (...)
d) être au bénéfice de l'accord écrit du propriétaire ou des copropriétaires de l'immeuble pour exploiter une agence d'escorte; l'autorité compétente peut toutefois renoncer à cette condition, notamment lorsque l'exploitant n'utilise pas de locaux professionnels ou commerciaux; (...)
BGE 137 I 167 S. 171
Article 18: Communication à l'autorité
La personne responsable d'une agence d'escorte est tenue de communiquer immédiatement aux autorités compétentes tout changement des personnes exerçant la prostitution par son intermédiaire et toute modification des conditions personnelles intervenues depuis l'annonce initiale.
Article 19: Obligations du responsable
La personne responsable de l'agence d'escorte a notamment pour obligations:
a) de tenir constamment à jour un registre mentionnant l'identité, le domicile, le type d'autorisation de séjour et/ou de travail et sa validité, et les dates d'arrivée et de départ des personnes exerçant la prostitution par l'intermédiaire de l'agence, ainsi que les prestations qui leur sont fournies et les montants demandés en contrepartie; (...)
c) d'empêcher toute atteinte à l'ordre public, notamment à la tranquillité, à la santé, à la salubrité et à la sécurité publiques. (...)
Article 20: Contrôles
Les autorités compétentes peuvent en tout temps, dans le cadre de leurs attributions respectives et au besoin par la contrainte, procéder au contrôle des agences d'escorte et de l'identité des personnes qui s'y trouvent. (...)
Article 21: Mesures et sanctions administratives
(Cette disposition instaure des mesures et sanctions administratives en cas de violation, notamment, des art. 16, 17, 18 et 19). (...)
Un règlement d'exécution de la loi sur la prostitution [RProst/GE; RSG I 2 49.01], adopté le 14 avril 2010 par le Conseil d'Etat genevois, complète la LProst/GE.
B.
Dame X., qui dit également se prostituer, exploite le salon érotique "A." à Genève et fournit des services et conseils personnels érotiques. Son mari, X., exploite une agence d'escorte à Genève.
Le 16 mars 2010, Dame X. et X. ont déposé un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral à l'encontre de la loi genevoise sur la prostitution du 17 décembre 2009. Ils concluent, avec suite de frais et dépens, à l'annulation des
art. 5, 9 al. 1, 10 let
. c et d, 11, 12 let. a et c, 13, 16 al. 1, 17 let. c et d, 18, 19 let. a et c, et 20 LProst/GE. Ils se plaignent en particulier d'une violation des art. 8, 13, 27 et 49 Cst., ainsi que de l'
art. 8 CEDH
et des art. 13 et 39 de la Constitution de la République et canton de Genève du 24 mai 1847 (Cst./GE; RSG A 2 00). (...)
Le Tribunal fédéral a partiellement admis le recours en matière de droit public, dans la mesure où il était recevable, et a annulé les
art. 10 let
. d et 17 let. d de la loi querellée.
(extrait)
BGE 137 I 167 S. 172 Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
A l'appui de leur recours dirigé contre diverses dispositions de la LProst/GE, les recourants invoquent en particulier la liberté économique, la protection de la sphère privée, la primauté du droit fédéral et les principes de l'égalité de traitement et de non-discrimination.
3.1
Invocable tant par les personnes physiques que morales, la liberté économique (
art. 27 Cst.
) protège toute activité économique privée, exercée à titre professionnel et tendant à la production d'un gain ou d'un revenu (
ATF 135 I 130
consid. 4.2 p. 135;
ATF 128 I 19
consid. 4c/aa p. 29). Elle protège les personnes exerçant la prostitution ainsi que l'exploitation d'établissements permettant son exercice (
ATF 111 II 295
consid. 2d p. 300;
ATF 101 Ia 473
consid. 2b p. 476; arrêts 4A_429/2010 du 6 octobre 2010 consid. 2.2; 2C_82/2010 du 6 mai 2010 consid. 4). Seuls peuvent être réprimés certains excès et manifestations secondaires de cette activité lucrative (en particulier:
art. 199 CP
; cf.
art. 1 let
. c LProst/GE); partant, une loi ne saurait poursuivre le but d'éradiquer ou de limiter la prostitution en tant que telle (cf.
ATF 101 Ia 473
consid. 2a p. 475 s.; arrêt 2C_905/2008 du 10 février 2009 consid. 7.3; ANTONELLA CEREGHETTI ZWAHLEN, Prostitution: quelle réglementation, Plaidoyer 2002 4 p. 56 ss, 60).
3.2
Le droit au respect de la sphère privée au sens de l'
art. 13 al. 1 Cst.
, dont le champ d'application matériel concorde largement avec celui de l'
art. 8 CEDH
, garantit notamment le droit de toute personne au respect de sa vie privée et familiale; il protège l'identité, les relations sociales et les comportements intimes de chaque personne physique, l'honneur et la réputation (
ATF 135 I 198
consid. 3.1 p. 207;
ATF 126 II 377
consid. 7 p. 395). L'
art. 13 al. 2 Cst.
détaille l'une des composantes de ce droit (
ATF 128 II 259
consid. 3.2 p. 268); il prémunit l'individu contre l'emploi abusif de données qui le concernent et qui ne sont pas accessibles au public, en particulier les informations relatives à des procédures judiciaires qui porteraient atteinte à sa considération sociale (
ATF 135 I 198
consid. 3.1 p. 207).
La collecte, la conservation et le traitement de données signalétiques par la police affectent la sphère privée au sens de l'
art. 13 al. 2 Cst.
(
ATF 136 I 87
consid. 5.1 p. 101;
ATF 128 II 259
consid. 3.2 p. 268; arrêt 1D_17/2007 du 2 juillet 2008 consid. 4.1). En principe, l'atteinte persiste à tout le moins aussi longtemps que les données signalétiques demeurent accessibles aux agents de police ou qu'elles
BGE 137 I 167 S. 173
peuvent être prises en considération, voire transmises, dans le cadre de demandes de renseignements présentées par des autorités (
ATF 126 I 7
consid. 2a p. 10). Une atteinte à l'
art. 13 al. 2 Cst.
existe a fortiori en cas d'établissement et de traitement de fichiers de police concernant des données personnelles des prostitué(e)s et des tenanciers de salons et d'agences (cf.
ATF 128 II 259
consid. 3.2 p. 268;
ATF 120 Ia 147
consid. 2a p. 149 s.; arrêt 2P.165/2004 du 31 mars 2005 consid. 7.2; arrêts de la CourEDH 30562/04
S. et Marper contre Royaume-Uni
[GC] du 4 décembre 2008, destiné à la publication, §§ 67 et 84 ss;
Amann contre Suisse
[GC] du 16 février 2000,
Recueil CourEDH 2000-II p. 201
§ 69; cf. BRIGITTE HÜRLIMANN, Prostitution - ihre Regelung im schweizerischen Recht und die Frage der Sittenwidrigkeit, 2004, p. 45).
Les garanties de l'
art. 13 al. 2 Cst.
sont concrétisées par la législation applicable en matière de protection des données (cf.
ATF 131 II 413
consid. 2.6 p. 419; art. 1 de la loi fédérale du 19 juin 1992 sur la protection des données [LPD; RS 235.1]; FF 2002 1915, 1962), étant précisé que l'
art. 37 al. 1 LPD
établit un standard minimum de protection des données que les cantons et les communes doivent garantir lorsqu'ils exécutent le droit fédéral (cf. PHILIPPE MEIER, Protection des données, 2011, p. 145 n. 273). La législation fédérale et cantonale topique sauvegarde le respect des données dites "sensibles" avec un soin particulier. Il s'agit notamment des données personnelles sur la santé ou la sphère intime, tout comme les profils de personnalité (
art. 3 let
. c et d LPD; art. 4 let. b et c de la loi genevoise du 5 octobre 2001 sur l'information du public, l'accès aux documents et la protection des données personnelles [LIPAD/GE; RSG A 2 08]; cf.
ATF 129 I 232
consid. 4.3.1. p. 245 s.; FF 2002 1915, 1953). Les contours du traitement de telles données doivent être délimités clairement par une loi au sens formel (
art. 17 al. 2 LPD
et 35 al. 1 LIPAD/GE; Message du 23 mars 1988 concernant la protection des données, FF 1988 II 421, 474 ad art. 14).
L'exigence d'une base légale découle aussi de la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme en relation avec l'
art. 8 CEDH
. Par rapport aux conditions et modalités de traitement des informations personnelles, la Cour a retenu qu'il était "essentiel de fixer des règles claires et détaillées régissant la portée et l'application des mesures et imposant un minimum d'exigences concernant, notamment, la durée, le stockage, l'utilisation, l'accès des tiers, les procédures destinées à préserver l'intégrité et la confidentialité des
BGE 137 I 167 S. 174
données et les procédures de destruction de celles-ci" (arrêt de la CourEDH
S. et Marper contre Royaume-Uni
[GC], précité, §§ 98 s.). Des garanties appropriées doivent ainsi empêcher les abus dans le traitement des données à caractère personnel, en particulier en cas de traitement automatique et a fortiori quand ces données sont utilisées à des fins policières (arrêt de la CourEDH 22115/06
M.B. contre France
du 17 février 2009, § 53).
3.3
Le respect du domicile garanti par l'
art. 13 al. 1 Cst.
tend, entre autres aspects, à protéger les individus contre les ingérences arbitraires que peut commettre l'État lors de perquisitions ou de visites domiciliaires ou lors d'autres mesures de surveillance du domicile. Peuvent, dans certaines circonstances, bénéficier de la protection du domicile des locaux dédiés à un usage professionnel ou commercial, auquel cas l'intérêt public permet de justifier plus facilement une ingérence des autorités, par exemple pour contrôler le respect de certaines normes sanitaires ou de droit du travail. Enfin, la protection de l'
art. 13 al. 1 Cst.
ne dépend pas du rapport juridique qui fonde l'existence d'un domicile; il est indifférent de savoir si celui qui invoque le droit à la protection du domicile est propriétaire ou seulement locataire de l'espace qu'il occupe (arrêts 2P.272/2006 du 24 mai 2007 consid. 5.1; 1P.134/2000 du 29 septembre 2000 consid. 5a).
3.4
L'
art. 49 al. 1 Cst.
consacre le principe de la primauté du droit fédéral. Celui-ci fait obstacle à l'adoption ou à l'application de règles cantonales qui éludent des prescriptions de droit fédéral ou qui en contredisent le sens ou l'esprit, notamment par leur but ou par les moyens qu'elles mettent en oeuvre, ou qui empiètent sur des matières que le législateur fédéral a réglementées de façon exhaustive (
ATF 135 I 106
consid. 2.1 p. 108). Cependant, même si la législation fédérale est considérée comme exhaustive dans un domaine donné, une loi cantonale peut subsister dans le même domaine si elle poursuit un autre but que celui recherché par le droit fédéral. Par ailleurs, dans la mesure où une loi cantonale renforce l'efficacité de la réglementation fédérale, le principe de la force dérogatoire n'est pas violé (
ATF 133 I 110
consid. 4.1 p. 116). En outre, même si, en raison du caractère exhaustif de la législation fédérale, le canton ne peut plus légiférer dans une matière, il n'est pas toujours privé de toute possibilité d'action. Ce n'est que lorsque la législation fédérale exclut toute réglementation dans un domaine particulier que
BGE 137 I 167 S. 175
le canton perd toute compétence pour adopter des dispositions complétives, quand bien même celles-ci ne contrediraient pas le droit fédéral ou seraient même en accord avec celui-ci (
ATF 133 I 110
consid. 4.1 p. 116, confirmé par les arrêts 2C_659/2009 du 24 juillet 2010 consid. 6.3 et 2C_312/2009 du 5 octobre 2009 consid. 4.1).
3.5
Un arrêté de portée générale viole le principe de l'égalité dans la loi garantie par l'
art. 8 Cst.
lorsqu'il établit des distinctions juridiques qui ne se justifient par aucun motif raisonnable au regard de la situation de fait à réglementer ou lorsqu'il omet de faire des distinctions qui s'imposent au vu des circonstances, c'est-à-dire lorsque ce qui est semblable n'est pas traité de manière identique et lorsque ce qui est dissemblable ne l'est pas de manière différente. Il faut que le traitement différent ou semblable injustifié se rapporte à une situation de fait importante (
ATF 136 II 120
consid. 3.3.2 p. 127;
ATF 130 V 18
consid. 5.2 p. 31). La question de savoir s'il existe un motif raisonnable pour une distinction peut recevoir des réponses différentes suivant les époques et les idées dominantes. Le législateur dispose d'un large pouvoir d'appréciation dans le cadre de ces principes (
ATF 136 I 1
consid. 4.1 p. 5 s.;
ATF 127 I 185
consid. 5 p. 192).
3.6
Conformément à l'
art. 36 Cst.
, toute restriction d'un droit fondamental doit reposer sur une base légale qui doit être de rang législatif en cas de restriction grave (al. 1); elle doit en outre être justifiée par un intérêt public ou par la protection d'un droit fondamental d'autrui (al. 2) et, selon le principe de la proportionnalité, se limiter à ce qui est nécessaire et adéquat à la réalisation des buts d'intérêt public poursuivis (al. 3), sans violer l'essence du droit en question (al. 4).
Sous l'angle de l'intérêt public, et en rapport avec l'exercice de la prostitution, sont autorisées les mesures de police ou de politique sociale, de même que les mesures dictées par la réalisation d'autres intérêts publics, à l'exclusion notamment des mesures de politique économique (
ATF 131 I 223
consid. 4.2 p. 231 s.; arrêts 2C_147/2009 du 4 mai 2009 consid. 6.2; 2C_357/2008 du 25 août 2008 consid. 4.1).
Pour être conforme au principe de la proportionnalité (
art. 36 al. 3 Cst.
), une restriction d'un droit fondamental doit être apte à atteindre le but visé, lequel ne peut pas être obtenu par une mesure moins incisive; il faut en outre qu'il existe un rapport raisonnable entre les effets de la mesure sur la situation de la personne visée et le
BGE 137 I 167 S. 176
résultat escompté du point de vue de l'intérêt public (
ATF 136 I 197
consid. 4.4.4 p. 205;
ATF 134 I 214
consid. 5.7 p. 218).
3.7
Lorsqu'un état de fait appréhendé par un acte étatique tombe simultanément dans la sphère de protection de plusieurs droits fondamentaux, il y a concours ("echte Grundrechtskonkurrenz"), pour autant que les droits concernés ne se trouvent pas dans un rapport de subsidiarité ni de spécialité les uns envers les autres, auquel cas il y a concours improprement dit ("unechte Grundrechtskonkurrenz") (cf. notamment: KLEY/VOGT, Das Problem der Grundrechtskonkurrenzen, ius.full, 2008 p. 132 ss, 134 et 137 ss; JÖRG PAUL MÜLLER, Allgemeine Bemerkungen zu den Grundrechten, in Droit constitutionnel suisse, Thürer/Aubert/Müller [éd.], 2001, p. 630 s.).
En cas de concours des droits fondamentaux au sens propre, doctrine et jurisprudence récentes admettent un examen cumulatif des différents griefs portant sur un même état de fait, ce qui n'empêche toutefois pas cet examen de se dérouler autour de la liberté considérée comme la plus centrale pour la solution du cas. Ce cumul s'explique notamment en raison de l'absence de hiérarchie entre les droits fondamentaux ancrés dans la Constitution fédérale, ainsi que de leurs champs de protection distincts ou complémentaires (cf. AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, vol. II, 2
e
éd. 2006, p. 123 s.; MICHEL HOTTELIER, Grundrechtskonkurrenzen und Grundrechtskollisionen, in Handbuch der Grundrechte, Merten/Papier [éd.], vol. VII/2, Heidelberg 2007/09, p. 121 ss, 132 s. n. 27 s.; cf., par exemple:
ATF 132 I 256
;
ATF 128 I 295
). Devant le Tribunal fédéral, la possibilité de procéder à un examen cumulatif des griefs demeure toutefois conditionnée à l'exigence que, à peine d'irrecevabilité, le recourant motive suffisamment en quoi les droits fondamentaux dont il se prévaut sont applicables et seraient violés (cf.
art. 106 al. 2 LTF
;
ATF 133 II 249
consid. 1.4.2 p. 254).
4.
Les
art. 10 let
. d et 17 let. d LProst/GE soumettent le droit du responsable d'exploiter un salon ou une agence d'escorte à la preuve qu'il se trouve au bénéfice de l'accord écrit du propriétaire de l'immeuble destiné à abriter ce commerce. D'après les recourants, cette obligation représente une atteinte à la liberté économique qui ne se justifie par aucun intérêt public et est disproportionnée; en outre, elle viole la primauté du droit fédéral.
4.1
En tant qu'elles font dépendre l'autorisation d'exploiter un établissement de l'accord des propriétaires d'immeubles et que le
BGE 137 I 167 S. 177
non-respect de cette obligation peut être suivi de mesures et de sanctions administratives, y compris d'amendes (art. 14, 21 et 25 LProst/GE), les dispositions querellées portent atteinte à la liberté économique (
art. 27 Cst.
) des tenanciers de salons et d'agences.
4.2
Sous l'angle du principe de la proportionnalité, force est de constater que les autorités administratives cantonales disposent d'un arsenal législatif suffisant, en particulier la loi genevoise du 25 janvier 1996 sur les démolitions, transformations et rénovations de maisons d'habitation (...) (cf. art. 7 et 44 LDTR/GE; RSG L 5 20), pour sanctionner les réaffectations commerciales de logements d'habitation. Il n'est donc pas nécessaire de confier indirectement à des particuliers la tâche (d'ordre public) d'empêcher de telles réaffectations à travers leur refus, notamment par conviction morale, de louer des locaux à des personnes désireuses d'y ouvrir un salon ou une agence d'escorte. La possibilité pour l'autorité compétente de renoncer à l'accord du propriétaire concernant certaines agences d'escorte (
art. 17 let
. d LProst/GE) ne modifie en rien ce constat de principe. En tant que l'obligation d'accord écrit cherche à protéger les propriétaires contre les sanctions et mesures administratives susceptibles de découler d'une réaffectation d'un local loué, la LDTR/GE offre assez de moyens de défense et d'intervention.
Le propriétaire dispose pour sa part de moyens de droit privé. Ainsi, l'
art. 257f CO
autorise le bailleur à notifier un congé extraordinaire du bail à loyer dans tous les cas où le locataire use de la chose en violation des stipulations du contrat, y compris s'il la transforme en salon de prostitution (
ATF 132 III 109
consid. 5 p. 113 s.; arrêt 4A_429/2010 du 6 octobre 2010 consid. 2.2). Il peut, en outre, notifier un congé ordinaire, pour autant que celui-ci ne contrevienne pas aux règles de la bonne foi (
art. 271 al. 1 CO
; cf. arrêt 4A_631/2010 du 4 février 2011 consid. 2.6).
Par ailleurs, cette obligation d'accord peut, tel que cela avait été débattu durant les travaux préparatoires, conduire à des effets inverses à ceux visés par la loi. Certaines personnes se prostituant risquent en effet, pour ne pas se retrouver à la rue et pour continuer à exercer leur profession, de faire appel à un proxénète afin qu'il mette des locaux à leur disposition (cf.
mutatis mutandis
, VALENTIN LANDMANN, Halbwelt als Markt und Quartierverträglichkeit - wie beeinflusst man das Rotlichtmilieu sinnvoll-, in Rotlichtmilieu und Quartierverträglichkeit, 2008, p. 31 ss, 35). Il pourrait aussi arriver qu'un
BGE 137 I 167 S. 178
propriétaire-bailleur peu scrupuleux conditionne son accord écrit au paiement de loyers usuriers.
En outre, il ne se justifie pas de transposer au domaine de la prostitution l'obligation d'obtenir l'accord du propriétaire, comme le prévoit l'
art. 5 al. 1 let
. g de la loi genevoise du 17 décembre 1987 sur la restauration, le débit de boissons et l'hébergement (LRDBH/GE; RSG I 2 21). De façon générale et tout en laissant ouverte la question de savoir si l'obligation instaurée par la LRDBH/GE est elle-même conforme à la liberté économique, la différence notable de nature qui existe entre les locaux utilisés à des fins de prostitution et les établissements publics débitant mets et boissons rend toute comparaison vide de sens (cf. arrêt 2P.165/2004 du 31 mars 2005 consid. 3.2). Etant donné, notamment, la perception souvent négative que le public entretient au sujet de la prostitution (cf.
ATF 101 Ia 473
consid. 2b p. 476), ainsi que la vulnérabilité des prostitué(e)s, que la LProst/GE cherche précisément à atténuer, cette obligation risque d'empêcher,
de facto
, l'exploitation d'un salon ou d'une agence et de précariser la situation des prostitué(e)s en les renvoyant dans la rue ou, comme déjà indiqué, vers des proxénètes ou bailleurs usuriers.
4.3
Il découle de ce qui précède que l'application des
art. 10 let
. d et 17 let. d LProst/GE constitue une atteinte disproportionnée au libre exercice de la prostitution qui serait entravée en tant qu'activité commerciale particulière. De plus, ces dispositions ne se prêtent pas à une interprétation conforme à la Constitution, puisque l'accord écrit du propriétaire est obligatoire et que déjà la simple information préalable du propriétaire au sujet de l'activité envisagée est susceptible de conduire au refus de conclure un contrat de bail à loyer. Partant, ces deux dispositions doivent être annulées. Il est ainsi inutile de les examiner sous l'angle de la primauté du droit fédéral (
art. 49 Cst.
).
5.
Les art. 12 let. a in fine et 19 let. a in fine LProst/GE obligent le responsable d'un salon ou d'une agence d'escorte de tenir à jour un registre mentionnant les prestations fournies aux personnes qui exercent la prostitution et les montants demandés en contrepartie. Selon les recourants, cette obligation contredit l'
art. 19 CO
sous l'angle de la primauté du droit fédéral (consid. 5.1) et porte atteinte à la liberté contractuelle (consid. 5.2).
5.1
S'agissant de l'autonomie contractuelle ancrée à l'
art. 19 CO
, ce grief doit être écarté puisqu'il est constant que les mesures
BGE 137 I 167 S. 179
cantonales poursuivent un intérêt public légitime, au sens de l'
art. 6 CC
, en particulier la protection des prostitué(e)s contre l'exploitation et l'usure, et que le contrôle postérieur des accords qui est effectué ne nuit pas à l'autonomie des cocontractants, laquelle doit, en droit privé également, s'exercer dans les limites de la loi (cf.
art. 19 ss CO
).
5.2
S'agissant du grief tiré de la violation de la liberté contractuelle, il est douteux qu'il satisfasse aux exigences de motivation de l'
art. 106 al. 2 LTF
; quoi qu'il en soit, il doit être déclaré mal fondé. En effet, l'obligation légale en cause ne revient à soumettre le contrat passé entre le salon ou l'agence d'escorte et la personne exerçant la prostitution ni à un contrôle préventif ni à un contrôle détaillé entravant de façon disproportionnée la liberté économique des cocontractants, qui englobe la liberté contractuelle (
ATF 131 I 333
consid. 4 p. 339;
ATF 102 Ia 533
consid. 10a p. 542).
5.3
Il faut ajouter que, face au risque d'un retour du proxénétisme au vu du nombre croissant de personnes se prostituant à Genève, et face au constat, exprimé dans les travaux préparatoires, d'une inflation des loyers journaliers pour certains locaux de prostitution, les art. 12 let. a in fine et 19 let. a in fine LProst/GE poursuivent le but d'intérêt public d'améliorer les possibilités de contrôle par les autorités des conditions d'exploitation des salons et des agences d'escorte. L'objectif est ainsi de décourager et de sanctionner les cas d'exploitation ou d'usure aux dépens des prostitué(e)s (cf. art. 1 let. a et c LProst/GE). Il sied de rappeler qu'une clause contractuelle qui serait susceptible d'être interprétée comme un rapport de travail entre une personne se prostituant et un responsable de salon ou d'agence d'escorte serait punissable en application de l'
art. 195 al. 3 CP
(cf.
ATF 129 IV 71
consid. 1.4 p. 77; arrêt 6S.17/2004 du 22 juillet 2004 consid. 3.3.1, in RtiD 2005 I 147). De plus, l'obligation prévue aux art. 12 let. a et 19 let. a LProst/GE est non seulement apte à contribuer à la réalisation des objectifs précités, dès lors que le registre des prestations peut fournir des indices d'usure ou d'exploitation des prostitué(e)s. En outre, on ne voit pas quelle mesure moins incisive permettrait aux autorités de vérifier les conditions contractuelles essentielles à la prostitution dans ces établissements. En tant qu'il concerne les art. 12 let. a et 19 let. a LProst/GE, le recours doit être rejeté dans la mesure de sa recevabilité.
6.
Aux termes des
art. 12 let
. c et 19 let. c LProst/GE, le responsable d'un salon ou d'une agence est tenu "d'y empêcher toute atteinte à l'ordre public, notamment à la tranquillité, à la santé, à la salubrité
BGE 137 I 167 S. 180
et à la sécurité publiques". Les recourants font valoir que cette obligation empiète sur le droit privé du voisinage et viole ainsi la primauté du droit fédéral (consid. 6.1). En outre, cette obligation serait irréalisable et constituerait une entrave disproportionnée à leur liberté économique (consid. 6.2).
6.1
Le grief selon lequel l'obligation faite aux tenanciers des établissements de prostitution d'empêcher toute atteinte à l'ordre public, en particulier à la tranquillité publique (
art. 12 let
. c et 19 let. c LProst/GE), empièterait sur le droit du voisinage découlant du Code civil suisse (cf.
art. 684 CC
), est infondé. Ayant fait usage de la réserve de droit public cantonal prévue à l'
art. 6 al. 1 CC
, la LProst/GE entend en effet protéger la tranquillité et l'ordre publics en général, soit un intérêt différent (cf. arrêt 1P.137/2003 du 20 juin 2003 consid. 3.2) de celui constitué par les intérêts particuliers des voisins, lesquels disposent, en vertu du droit privé fédéral, de moyens de défense propres à faire cesser les désagréments excessifs. Au demeurant, on comprend mal que des dispositions de droit public cantonal visant à maintenir la sécurité et la tranquillité publiques puissent empiéter sur le droit fédéral en matière de voisinage.
6.2
Pour ce qui est du grief de la violation de la liberté économique, il ressort des travaux préparatoires que l'obligation en cause vise, d'une part, à mieux protéger la santé des personnes exerçant la prostitution et de leurs clients et, d'autre part, à limiter au maximum les nuisances dues à l'exploitation des salons. A teneur de son libellé même, elle répond à un intérêt public prépondérant, à savoir le maintien de l'ordre public.
S'agissant de la proportionnalité, il convient d'interpréter le terme "empêcher" des
art. 12 let
. c et 19 let. c LProst/GE à l'aune de la maxime qu'à l'impossible nul n'est ni ne peut être tenu (cf.
ATF 130 IV 121
consid. 1.8.2 p. 127 s.;
ATF 99 IV 36
consid. 2c p. 40). Les dispositions susnommées doivent s'appliquer de manière à ne pas pénaliser le tenancier d'un salon ou d'une agence d'escorte pour des faits échappant à tout contrôle de sa part. Les mémoires des intimés et les travaux préparatoires démontrent du reste que le législateur cantonal n'a, en adoptant la LProst/GE, pas voulu imposer d'obligations inexécutables aux tenanciers. Dans sa réponse, le Grand Conseil a ainsi concédé que l'obligation "s'appliquera rarement aux agences d'escorte", du fait que l'activité érotique a lieu hors de leurs locaux, et a précisé que les exploitants de salons devront prévenir les atteintes "dans la mesure où cela dépend d'eux". En cas d'impossibilité
BGE 137 I 167 S. 181
d'exercer un contrôle décisif sur une situation à risque, l'obligation mise à charge des tenanciers se transformera ainsi en une obligation de moyens exigeant d'eux qu'ils déploient des efforts soutenus et sérieux. Il leur appartiendra de choisir les mesures adéquates visant à prévenir ou à faire cesser toute atteinte à l'ordre public, de même que de sensibiliser, d'aider ou d'obliger contractuellement une personne se prostituant et ses clients à prendre les dispositions de sécurité idoines, notamment pour éviter la diffusion d'infections sexuellement transmissibles (cf. arrêts 2C_627/2009 du 23 février 2010 consid. 2.4.2 s.; 2C_42/2009 du 27 mars 2009 consid. 4.3.3).
Les articles querellés étant partant accessibles à une interprétation conforme à la Constitution, ils ne violent pas la liberté économique dans la mesure où ils exigent que les responsables d'un salon ou d'une agence d'escorte s'organisent de manière à ce que la législation et l'ordre public soient respectés (cf. arrêts 2C_905/2008 du 10 février 2009 consid. 5.3.2; 2C_357/2008 du 25 août 2008 consid. 3.2). Par conséquent, le grief doit être écarté.
7.
En vertu des art. 13 et 20 LProst/GE, "(l)es autorités compétentes peuvent en tout temps, dans le cadre de leurs attributions respectives et au besoin par la contrainte, procéder au contrôle des salons [respectivement des agences d'escorte] et de l'identité des personnes qui s'y trouvent". Les art. 2 al. 1 let. a, 4 al. 1 let. a et al. 3, 11 et 14 RProst/GE précisent que ces contrôles peuvent être effectués par la police cantonale, par les services en charge de l'hygiène, notamment la direction générale de la santé, ainsi que par le médecin cantonal.
7.1
Les recourants estiment que le droit des autorités d'effectuer des contrôles inopinés dans les locaux des salons et agences d'escorte porte atteinte à l'inviolabilité du domicile garantie par les
art. 13 al. 1 Cst.
, 13 et 30 à 33 Cst./GE (consid. 7.2). Pouvant, contrairement à ce qu'affirme le Conseil d'Etat, virtuellement se trouver dans la situation de clients d'un établissement érotique et donc se prévaloir d'un tel argument, les recourants se plaignent en outre d'une violation de la sphère intime des clients à la recherche d'anonymat (
art. 13 al. 1 Cst.
), compte tenu de la possibilité qui est donnée à la police de pénétrer dans les salons et agences pour y contrôler à tout moment l'identité des personnes qui s'y trouvent (consid. 7.3). Par ailleurs, les recourants invoquent une "atteinte, par ricochet, et indirectement à la liberté économique de la personne qui exploite le salon et l'agence d'escorte", dès lors que le risque d'être soumise à
BGE 137 I 167 S. 182
des contrôles d'identité inciterait la clientèle à déserter ces établissements et conduirait à une perte du chiffre d'affaires (consid. 7.4). Enfin, ils soutiennent que les contrôles entrent en collision, de sorte à violer l'
art. 49 Cst.
, avec ceux qui sont autorisés par la législation fédérale exhaustive sur les étrangers et le travail au noir (consid. 7.5).
7.2
7.2.1
Contrairement à ce qu'affirment les recourants, l'
art. 13 Cst./GE
garantissant l'inviolabilité du domicile n'offre pas, dans la situation envisagée, une protection plus étendue que l'
art. 13 al. 1 Cst.
s'agissant du droit des autorités de pénétrer dans des domiciles privés pour y effectuer des contrôles d'identité ou autres. L'
art. 39 Cst./GE
confie au législateur cantonal le soin de réglementer ce qui est relatif aux visites domiciliaires nécessaires à la sauvegarde de la santé et de la salubrité publiques (let. a) et au contrôle d'identité (let. d). C'est ce que régissent la LProst/GE et son règlement d'application. Quant aux art. 30 à 33 Cst./GE, qui relevaient du domaine pénal et prescrivaient des conditions de temps et de forme non pertinentes pour le cas d'espèce, ils ont été abrogés avec effet au 1
er
janvier 2011 dans la perspective de l'entrée en vigueur du Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (CPP; RS 312.0; cf. la loi constitutionnelle du 23 janvier 2009 modifiant la Constitution de la République et canton de Genève[Adaptation au code de procédure pénale suisse; n° 10327], adoptée lors des votations cantonales du 17 mai 2009).
Il est par ailleurs spécieux de soutenir, comme le font les recourants, que seule la loi genevoise du 26 octobre 1957 sur la police (LPol/GE; RSG F 1 05) serait à même de contenir des normes relatives aux contrôles d'identité, sachant que l'
art. 39 Cst./GE
se contente de désigner "la loi" au sens formel et que le législateur cantonal demeure souverain quant à l'ancrage des clauses autorisant des contrôles domiciliaires à des fins d'identification ou autres, en fonction de la nature et des spécificités du domaine réglementé (
ATF 99 Ia 504
consid. 4b p. 512) et dans les limites des compétences cantonales. L'inviolabilité du domicile sera donc examinée au regard du seul droit fédéral (
art. 13 Cst.
).
7.2.2
Le contrôle inopiné dans les salons ou les agences d'escorte constitue une atteinte à la garantie du domicile. Le but de ces contrôles est circonscrit par les intérêts publics légitimes prévus à l'art. 1
er
LProst/GE, en particulier - s'agissant des contrôles policiers - par la vérification que les conditions d'exercice de la
BGE 137 I 167 S. 183
prostitution se déroulent conformément à la loi et à la liberté d'action des personnes qui se prostituent (let. a).
7.2.3
Telles que prévues dans la législation, ces mesures ne paraissent pas disproportionnées, compte tenu de l'importance des buts poursuivis et de la possibilité de les exercer conformément à la Constitution. La faculté qui est donnée aux autorités compétentes d'effectuer des visites domiciliaires à des fins de contrôle dans ces établissements accessibles au public ne peut être d'emblée considérée comme inutile ni inadéquate; lesdites mesures de police (cf.
ATF 125 I 322
consid. 3a p. 326; arrêts 2C_268/2010 du 18 juin 2010 consid. 3.2; 2C_82/2010 du 6 mai 2010 consid. 6.2) doivent en effet permettre aux autorités d'intervenir rapidement pour protéger efficacement les employés, les prostitué(e)s et les clients, ainsi qu'endiguer les manifestations secondaires de la prostitution. Elles peuvent aussi porter sur la vérification des registres internes que les tenanciers des salons et agences doivent constituer au sujet des prostitué(e)s, conformément aux art. 12 let. a et 19 let. a LProst/GE (cf., s'agissant de la conformité de tels registres internes avec la Cst.: arrêt 2P.165/2004 du 31 mars 2005 consid. 7). Nonobstant les affirmations des recourants, des contrôles à titre préventif ne sont en outre pas prohibés en tant que tels (cf. arrêt 2C_1/2009 du 11 septembre 2009 consid. 4.4.1). Aussi, des visites non annoncées se justifient dans le but d'assurer une certaine efficacité à ces contrôles (cf. arrêt 2P.272/2006 du 24 mai 2007 consid. 5.5). Pour autant que, dans les circonstances d'espèce, les visites policières s'exercent dans un but concret et délimité, et respectent les exigences requises à l'accomplissement des tâches policières (cf. aussi consid. 7.3.3), les art. 13 et 20 LProst/GE constituent une atteinte admissible à la protection du domicile privé.
7.3
Les recourants font encore valoir que les contrôles d'identité que sont en droit d'effectuer les autorités compétentes violent la sphère privée (
art. 13 al. 1 Cst.
) des clients d'établissements érotiques.
7.3.1
Force est d'admettre que la formulation large des art. 13 al. 1 et 20 al. 1 LProst/GE permet d'étendre de tels contrôles aux clients d'établissements. Cela ressort également des travaux préparatoires.
7.3.2
A priori, ces vérifications se justifient en vue de garantir l'effectivité du travail d'encadrement et de surveillance des autorités sanitaires et de la police. De plus, lorsqu'elle contrôle les prostitué(e)s ou les responsables d'un salon ou d'une agence d'escorte, l'autorité
BGE 137 I 167 S. 184
compétente ne pourra pas toujours facilement distinguer les clients des prostitué(e)s et autres prestataires (par exemple les employés de bar) et aura parfois aussi intérêt à vérifier l'identité de certains "clients" afin de prévenir que les prostitué(e)s ne soient exploitées par des proxénètes ou que l'établissement en question ne soit la scène d'autres actes contraires au droit, notamment la consommation ou le trafic de stupéfiants, ainsi que l'hébergement de personnes sans titre de séjour.
7.3.3
La formulation vague et permissive des clauses de la LProst/GE, qui autorise de tels contrôles d'identité, peut toutefois laisser penser que des vérifications injustifiées ou disproportionnées puissent être cautionnées par la loi. Dans le cadre du présent contrôle normatif abstrait, l'on peut néanmoins limiter ce risque à la faveur d'une interprétation conforme à la Constitution. A cet égard, il sied de lire les dispositions querellées de la LProst/GE à l'aune de la jurisprudence que le Tribunal fédéral a rendue en matière de contrôles de police (cf.
ATF 136 I 87
;
ATF 109 Ia 146
). Celle-ci prévoit que les autorités compétentes doivent s'assurer que les contrôles d'identité que chacune d'entre elles peut devoir effectuer dans des établissements érotiques, et en particulier sur les clients s'y trouvant, soient nécessaires à l'accomplissement des tâches policières. Si tel n'est pas le cas, il est d'emblée exclu qu'une mesure de contrôle puisse être considérée comme justifiée et proportionnée. Des circonstances spécifiques doivent déterminer les organes de la police à procéder aux contrôles d'identité, et ces contrôles ne peuvent pas survenir sans motif ou du seul fait qu'une personne fréquente un établissement érotique. Des contrôles peuvent se révéler nécessaires lorsque des personnes, lieux ou événements présentent des singularités, de sorte à commander une intervention de la police. Ils doivent être motivés ou justifiés par des raisons objectives, des circonstances particulières ou des soupçons spécifiques, notamment en cas de situation confuse, d'une infraction commise à proximité d'un établissement, de ressemblance avec une personne recherchée, ou de soupçons en rapport avec la commission d'une infraction; en revanche, il est exclu que les contrôles soient effectués sous couvert de simples prétextes, sans justification suffisante. En raison de la diversité des situations susceptibles de se présenter, une formulation plus précise composée d'exemples ne serait guère utile et ne conduirait pas à davantage de précision. En substance, le critère déterminant est celui de la nécessité du contrôle (cf.
ATF 136 I 87
consid. 5.2 p. 101 s.).
BGE 137 I 167 S. 185
Pour le surplus, les fonctionnaires de police doivent faire preuve d'égards à l'endroit des personnes contrôlées, en provoquant chez elles le moins de gêne possible vis-à-vis du public environnant et en ne leur posant pas des questions indiscrètes superflues. Les mesures de contrôle ne doivent en aucun cas aller au-delà de ce qui est indispensable à la vérification d'identité; des indications verbales, dont il est aisé de confirmer sur place la véracité, suffisent lorsqu'une personne a omis de se munir d'un document de légitimation (
ATF 109 Ia 146
consid. 4b p. 151). Enfin, les données des simples clients ne sauraient être conservées sans motif spécifique prévu par la loi.
7.3.4
Dans ces limites, les art. 13 et 20 LProst/GE se prêtent à une interprétation conforme à la Constitution. Le grief soulevé par les recourants au titre du droit à la protection de la sphère intime des clients des établissements érotiques doit donc être écarté.
7.4
Les recourants se plaignent aussi d'une violation de la liberté économique des tenanciers d'établissements érotiques du fait des contrôles d'identité qui peuvent être opérés sur leurs clients. Pour autant que ce grief succinctement motivé soit recevable (
art. 106 al. 2 LTF
), la Cour de céans relève que le siège de la matière se situe davantage au niveau du droit à la protection de la sphère privée des clients ainsi contrôlés qu'à celui de la liberté économique des tenanciers que la mesure de contrôle relative aux clients n'affecte, du propre aveu des recourants, que de manière indirecte. L'on peut donc se dispenser d'examiner ce grief tiré de l'
art. 27 Cst.
7.5
Contrairement à ce qu'affirment les recourants, il n'existe pas d'incompatibilité de principe des contrôles effectués dans les salons et agences (art. 13 et 20 LProst/GE) avec le droit fédéral des étrangers ni avec les art. 6 ss de la loi fédérale du 17 juin 2005 concernant des mesures en matière de lutte contre le travail au noir (Loi sur le travail au noir, LTN; RS 822.41), lesquels prévoient également des contrôles en vue du respect du droit des assurances sociales, des étrangers et de l'imposition à la source (cf.
art. 6 LTN
). En effet, les buts d'intérêt public poursuivis par la LProst/GE (cf. art. 1) s'étendent au contrôle du respect de l'ensemble de la législation, des mesures d'hygiène et des modalités d'exercice de la prostitution; ils ne se limitent donc pas au champ des lois fédérales topiques, et ils élargissent les possibilités de contrôle en vue de faire respecter de plus amples objectifs. Si certaines mesures de contrôle se recoupent avec celles prévues par le droit fédéral, les recourants ne démontrent pas qu'elles en contrediraient le sens ou la lettre ou que le législateur fédéral aurait voulu
BGE 137 I 167 S. 186
exclure toute réglementation cantonale. Au contraire, ces dispositions cantonales renforcent l'efficacité du droit fédéral dans le domaine particulier de la prostitution de salon et d'escorte dans la mesure, notamment, où elles permettent aux autorités de police de jouer un rôle actif dans la lutte contre le travail au noir. Si la LProst/GE leur confère ainsi, dans ce domaine particulier, des compétences de contrôle similaires à celles de l'office de contrôle du travail cantonal, elle n'entrave pas la mise en oeuvre de l'obligation de coordination ni la communication des informations voulues par le droit fédéral (cf.
art. 11 LTN
).
Certes, les modalités d'exécution que l'
art. 7 LTN
impose aux contrôles entrant dans son champ d'action, réglementent plus étroitement que ne le fait la LProst/GE les possibilités et l'exécution de ces derniers, notamment par rapport aux heures des inspections et aux exigences de tenue d'un procès-verbal. Ceci ne conduit cependant pas à rendre inconstitutionnels les art. 13 et 20 LProst/GE. En effet, une interprétation conforme au droit supérieur est possible, pour autant que, à chaque fois qu'ils sont effectués en application tant de la LProst/GE que de la LTN, lesdits contrôles respectent les modalités prévues par le droit fédéral. Au vu de ce qui précède, les dispositions querellées de la LProst/GE ne violent pas le principe de la primauté du droit fédéral.
8.
A teneur de l'art. 5 LProst/GE, la personne qui cesse toute activité liée à la prostitution est tenue d'en informer les autorités compétentes (al. 1). Elle est alors soit considérée comme étant en fin d'activité, soit, en fonction de sa demande, radiée de tous les fichiers de police mentionnant son activité de prostitution, y compris celui des personnes se prostituant (al. 2). Selon l'art. 9 al. 1 LProst/GE, toute personne physique qui, en tant que locataire, sous-locataire, usufruitière, propriétaire ou copropriétaire, exploite un salon et met à disposition de tiers des locaux affectés à l'exercice de la prostitution doit s'annoncer, préalablement et par écrit, aux autorités compétentes en indiquant le nombre et l'identité des personnes qui y exercent la prostitution. Une obligation d'annonce aux termes similaires est mise à la charge des exploitants d'une agence d'escorte (art. 16 LProst/GE). En outre, les responsables de salon et d'agence d'escorte sont tenus de communiquer immédiatement aux autorités compétentes tout changement des personnes exerçant la prostitution et toute modification des conditions personnelles intervenues depuis l'annonce
BGE 137 I 167 S. 187
initiale (art. 11 et 18 LProst/GE). Enfin, lesdites personnes responsables ont pour obligation "de tenir constamment à jour un registre mentionnant l'identité, le domicile, le type d'autorisation de séjour et/ou de travail et sa validité, les dates d'arrivée et de départ des personnes exerçant la prostitution dans le salon (...)" (art. 12 let. a et 19 let. a LProst/GE).
Les recourants perçoivent une violation du principe de la primauté du droit fédéral (
art. 49 Cst.
) dans l'obligation faite aux exploitants d'un salon ou d'une agence d'escorte de communiquer le nom des prostitué(e)s aux autorités, et par rapport au recensement de ces personnes dans un fichier de police (consid. 8.1). De surcroît, l'obligation d'annonce à charge des prostitué(e)s, au sens de l'art. 5 LProst/GE, serait dénuée d'intérêt public et disproportionnée, de sorte à violer le droit au respect de la sphère privée. Il en irait de même pour les art. 11 et 18 LProst/GE, qui obligent les responsables d'un salon ou d'une agence de communiquer tout changement des prostitué(e)s exerçant dans ou par l'intermédiaire de leur établissement (consid. 8.2). Ils affirment par ailleurs que ces dispositions violent la liberté économique (consid. 8.3). Se prévalant de l'
art. 8 al. 1 et 2 Cst.
, les recourants estiment aussi que l'obligation d'annonce et le recensement des personnes se prostituant viseraient de manière discriminatoire le métier de prostitué(e) au motif que d'autres métiers "proches" comme ceux des masseurs non érotiques ou des esthéticiens ne subiraient pas une telle contrainte. Les recourants paraissent également contester l'obligation faite aux responsables d'une agence d'escorte ou d'un salon érotique d'annoncer les prostitué(e)s aux autorités compétentes au motif que ces dispositions fonderaient une discrimination à raison de la situation sociale ou du mode de vie de ces personnes (consid. 8.4).
8.1
Par rapport à l'obligation de communiquer le nom des prostitué(e)s aux autorités et au recensement des prostitué(e)s, une motivation sur le terrain de l'
art. 49 al. 1 Cst.
fait entièrement défaut dans le recours. Il n'y a donc pas lieu d'entrer en matière (
art. 106 al. 2 LTF
).
8.2
Pour ce qui est du droit au respect de la sphère privée, les art. 5, 11 et 18 LProst/GE fondent l'obligation de divulguer l'identité des personnes se prostituant, ainsi que celle des tenanciers de salons ou d'agences d'escorte vis-à-vis de la brigade des moeurs de la police genevoise (cf. aussi l'art. 2 al. 2 RProst/GE).
BGE 137 I 167 S. 188
La mise en rapport de l'identité d'une personne avec des activités liées à la prostitution est constitutive d'une ingérence dans la sphère intime des personnes concernées (cf. arrêt 2P.165/2004 du 31 mars 2005 consid. 7.2). A teneur des travaux préparatoires, l'obligation querellée qui, s'agissant de l'annonce des personnes exerçant la prostitution, existait déjà sous l'empire de l'ancien Règlement du 14 juillet 1994 relatif à l'exercice de la prostitution (art. 3 al. 1 aRProst/GE; RSG I 2 49.04), poursuit des buts d'intérêt public qui coïncident avec les trois objectifs affichés à l'art. 1 LProst/GE: la lutte contre l'exploitation des personnes se prostituant (let. a), les mesures de prévention et de réorientation en leur faveur (let. b), de même qu'un contrôle et une réglementation efficaces de la prostitution (let. c). L'annonce effectuée par les salons et les agences d'escorte doit permettre aux autorités de connaître et d'enregistrer les établissements ainsi que leurs usagers, de sorte à en faciliter les contrôles et à en prévenir une expansion non surveillée (cf. arrêt 2P.333/2001 du 2 juillet 2002 consid. 4.3). L'obligation d'annonce des personnes se prostituant vise à mettre celles-ci en contact avec la brigade des moeurs qui les conseillera et les orientera si nécessaire vers des structures de soutien, et qui pourra prévenir et détecter plus facilement toute forme de proxénétisme et d'exploitation.
En tant que telle, l'obligation d'annonce imposée aux prostitué(e)s et aux tenanciers d'établissements n'est pas disproportionnée; ce d'autant que le législateur cantonal s'est abstenu de soumettre l'activité de ces entreprises au régime plus strict de l'autorisation préalable. La diversité des établissements de prostitution dont certains sont discrets ou dissimulés, justifie en tout état que les tenanciers s'annoncent spontanément pour que les autorités puissent les localiser ainsi que vérifier que l'exploitation de leurs établissements demeure conforme au droit.
Il en va de même s'agissant de l'annonce des prostitué(e)s. Seule l'existence d'un contact direct entre la police cantonale et les prostitué(e)s est susceptible de garantir que ces personnes aient connaissance des services de conseil prodigués par la police et qu'elles puissent en bénéficier librement. Compte tenu de la forte mobilité des prostitué(e)s et du risque de manipulation des registres tenus par les salons ou agences d'escorte (art. 12 let. a et 19 let. a LProst/GE), un contact direct est en outre indispensable pour que la police puisse s'assurer efficacement de la liberté d'action des prostitué(e)s, vérifier les conditions d'exercice du métier, et intervenir rapidement
BGE 137 I 167 S. 189
en cas de besoin. L'annonce des personnes qui s'adonnent occasionnellement à la prostitution est, quant à elle, nécessaire en raison de leur vulnérabilité souvent accrue due à leur inexpérience et à la possible absence d'affiliation aux associations d'entraide. Au vu de ce qui précède, les obligations d'annonce précitées ne violent donc pas l'
art. 13 Cst.
8.3
Le recours mentionne la liberté économique de manière très sommaire. A supposer qu'une ingérence dans la liberté économique en sus d'une atteinte à la sphère privée puisse être admise, encore faut-il que les recourants expliquent en quoi les dispositions en cause y seraient contraires. Or, ceux-ci développent la (quasi-)totalité de leur argumentation sur le terrain de l'
art. 13 Cst.
sans préciser en quoi la liberté économique serait spécifiquement entravée. Ce grief est donc irrecevable (
art. 106 al. 2 LTF
).
8.4
8.4.1
S'agissant du grief selon lequel les obligations d'annonce et le recensement des prostituées violeraient l'
art. 8 al. 1 Cst.
, il est important de souligner que l'activité de prostitution se distingue des autres métiers - notamment les masseurs non érotiques, les restaurateurs ou les chauffeurs de taxis - par le fait que, par définition, son exercice suppose la pratique d'actes d'ordre sexuel qui relèvent de la vie intime des intéressés (cf. MEIER, op. cit., p. 221 n. 491). Il s'agit de plus d'une activité dont l'exercice comporte des risques tangibles pour la santé et la sécurité ou pour une exploitation criminelle du travail et de la vulnérabilité des prostitué(e)s, ceci étant exacerbé par la perception sociale souvent négative de ce métier. A l'instar des distinctions que la jurisprudence opère entre les établissements de prostitution et les autres établissements publics (cf. arrêts 2P.165/2004 du 31 mars 2005 consid. 3.2; 2P.127/1998 du 22 septembre 1998 consid. 3b), on doit admettre que ces facteurs rendent cette activité dissemblable des métiers précités; il se justifie partant de la traiter différemment au regard de l'
art. 8 al. 1 Cst.
, par l'instauration de mesures de protection et de surveillance renforcées ou spécifiques. Le grief relatif à l'existence d'une inégalité de traitement entre le métier de prostitué(e) et d'autres professions est donc mal fondé.
8.4.2
Quant à la prétendue discrimination des prostitué(e)s (
art. 8 al. 2 Cst.
) au travers des contraintes réglementaires imposées, notamment l'obligation d'annonce, il est vrai que des distinctions fondées sur le statut professionnel d'une personne sont susceptibles de
BGE 137 I 167 S. 190
se rapporter à sa situation sociale ou à son mode de vie (BERNHARD PULVER, L'interdiction de la discrimination, 2003, p. 261 n. 340; VINCENT MARTENET, Géométrie de l'égalité, 2003, p. 388 s.; BERNHARD WALDMANN, Das Diskriminierungsverbot von Art. 8 Abs. 2 BV als besonderer Gleichheitssatz, 2003, p. 759) et, partant, d'entraîner une présomption de différenciation inadmissible au sens de l'
art. 8 al. 2 Cst.
(
ATF 136 I 121
consid. 5.2 p. 127;
ATF 126 II 377
consid. 6a p. 393). Cependant, l'interdiction de toute discrimination ne s'oppose à la réglementation de l'accès ou de l'exercice de certaines professions que dans la mesure où de telles règles imposent des conditions injustifiées ayant pour but ou pour effet d'exclure une certaine catégorie de personnes, du fait de leurs qualités personnelles qui n'ont aucun lien avec les exigences objectives de la profession (WALDMANN, ibidem). Dès lors que l'activité professionnelle en cause se distingue de la plupart des autres métiers en raison des risques inhérents qu'elle comporte pour les prostitué(e)s, leur clientèle et l'ordre public, les mesures tendant à la réglementer, dont rien n'indique qu'elles seraient prises aux fins de marginaliser les prostitué(e)s, reposent sur des motifs sérieux et objectifs et ne violent pas l'
art. 8 al. 2 Cst.
Les griefs fondés sur l'
art. 8 Cst.
doivent par conséquent être écartés.
9.
Selon l'art. 5 al. 1 et 2 LProst/GE, la personne qui cesse toute activité liée à la prostitution peut, à sa demande, être "radiée de tous les fichiers de police mentionnant son activité de prostitution, y compris celui des personnes se prostituant". D'après les recourants, le recensement et la conservation des données relatives aux prostitué(e)s dans un fichier de police centralisé violeraient les
art. 13 al. 2 Cst.
et 8 CEDH.
9.1
Les recourants soutiennent, dans un premier moyen, que le traitement des données relatives aux prostitué(e)s ne s'appuie sur aucune base légale suffisante.
Le recensement et la conservation dont se plaignent les recourants consistent par définition en un ou plusieurs fichier(s) regroupant des données personnelles dont la structure permet de rechercher les données par personne concernée (
art. 3 let
. g LPD, applicable par le biais de l'
art. 37 LPD
et de la réserve en faveur du droit fédéral figurant aux
art. 3 al. 5 et 4 let
. d LIPAD/GE; cf., pour un exemple de fichier, l'arrêt 5C.15/2001 du 16 août 2001 consid. 3b). Après avoir circonscrit les exigences posées en matière de base légale (consid. 9.1.1 ss), la Cour de céans examinera si le traitement des
BGE 137 I 167 S. 191
données relatives aux prostitué(e)s repose, au vu des différents aspects qu'il implique, sur une base légale (consid. 9.2).
9.1.1
Les informations de police recensées au sujet des prostitué(e)s constituent des données sensibles (
art. 3 let
. c ch. 2 LPD et 4 let. b ch. 2 LIPAD/GE), car l'activité d'ordre sexuel qui caractérise ce métier relève de la sphère intime (cf. consid. 8.4). Or, les
art. 17 al. 2 LPD
et 35 al. 2 LIPAD/GE prescrivent qu'il n'est possible de traiter des données personnelles sensibles que si une loi au sens formel le prévoit expressément. L'art. 35 al. 2 LIPAD/GE ajoute que les données sensibles ne peuvent être traitées que si une loi définit clairement la tâche considérée et si le traitement en question est absolument indispensable à l'accomplissement de cette tâche ou s'il est nécessaire et intervient avec le consentement de la personne concernée. Le traitement des données en cause ne peut donc être admis que dans la mesure où il serait réglementé dans une loi au sens formel qui soit suffisamment dense pour préserver la confidentialité des données et empêcher les abus (cf.
ATF 122 I 360
consid. 5b p. 363 ss).
Pour pouvoir exercer un contrôle sur les données sensibles récoltées et prévenir tout abus, imprévisibilité ou disproportion dans leur traitement, il est de plus impératif que leur contenu soit lui aussi défini par la loi (cf. DAVID ROSENTHAL, in Handkommentar zum Datenschutzgesetz, 2008, n° 26 ad
art. 4 al. 2 LPD
p. 86; YVONNE JÖHRI, in ibidem, n° 16 ad
art. 17 LPD
p. 471; JÖHRI/STUDER, in Basler Kommentar zum Datenschutzgesetz, 2
e
éd. 2006, n° 35 ad
art. 17 LPD
p. 244).
Une identification au moins schématique des finalités du traitement des diverses données sensibles, qui doivent être reconnaissables pour la personne concernée (
art. 4 al. 3 LPD
et 38 LIPAD/GE), fait aussi partie des éléments devant être régis par la loi (YVONNE JÖHRI, op. cit., n° 17 ad
art. 17 LPD
p. 471; HANSPETER USTER, Datenschutz und Polizeiarbeit: fünf Thesen zur föderalen Zusammenarbeit aus der Sicht eines Kantons, Jusletter du 3 octobre 2005, n° 6).
9.1.2
En l'occurrence, la tenue de fichiers de police concernant le domaine de la prostitution est explicitement mentionnée à l'art. 5 al. 2 LProst/GE. L'existence de tels fichiers peut en outre être inférée de l'obligation d'annonce au sens des art. 4, 5 al. 1, 11 et 18 LProst/GE et y dispose ainsi d'une assise légale suffisante.
9.1.3
S'agissant du nombre des fichiers de police dont la création est requise par la LProst/GE ou en est la conséquence, de leur
BGE 137 I 167 S. 192
stockage, de la protection des données et de l'usage qui en sera fait, il est vrai que la loi querellée n'aborde pas ces questions. Compte tenu, cependant, du cadre précis fixé par la LPD et la LIPAD/GE dans ces domaines (notamment: art. 5 al. 2, 7, 8 et 11a LPD; art. 24, 37, 40, 43 et 47 LIPAD/GE), le renvoi global à la législation en matière de protection de la personnalité et des données figurant à l'art. 4 al. 3 LProst/GE en matière d'obligation d'annonce satisfait, dans le cadre du présent recours abstrait, à l'exigence d'une base légale formelle s'agissant du stockage, de l'accès, des protection et rectification des données, ainsi que des caractéristiques techniques des registres de police visant la prostitution. Ces bases légales formelles traitent en effet avec suffisamment de précision de la sécurité des données, autorisent la personne intéressée à consulter celles qui sont récoltées à son sujet ainsi que d'en exiger la rectification, et énumèrent les droits qu'elle peut faire valoir afin de sauvegarder sa sphère privée.
9.1.4
En revanche, le contenu des données qui sont traitées dans ces fichiers de police n'est pas spécifiquement réglementé. Pourtant, ces données sont susceptibles d'être utilisées dans des domaines aussi variés que la sauvegarde de la santé publique et de la liberté d'action des prostitué(e)s, ou la lutte contre les effets indésirables de l'exercice de la prostitution (cf. art. 1
er
LProst/GE). La loi genevoise du 29 septembre 1977 sur les renseignements et les dossiers de police et la délivrance des certificats de bonne vie et moeurs (LCBVM/GE; RSG F 1 25), à laquelle se réfère le Conseil d'Etat, n'est d'aucun secours en vue de préciser le contenu des données relatives aux prostitué(e)s. Le traitement par la police des données personnelles sensibles se confine en effet aux cas dans lesquels la prévention des crimes et délits ou la répression des infractions l'imposent (art. 1 al. 2 et 3 LCBVM/GE), tandis que le champ d'application de la LProst/GE déborde le cadre pénal. Du reste, la LCBVM/GE n'inclut aucun catalogue des données répertoriées en matière de prostitution. Il résulte de ce qui précède que, dans la mesure où le contenu exact des données ne peut être a priori déduit de la LProst/GE ou d'une autre loi au sens formel, leur traitement devrait être déclaré inconstitutionnel.
Ce nonobstant, il demeure possible d'interpréter les dispositions de la LProst/GE servant de fondement au traitement des données de façon conforme aux
art. 13 al. 2 Cst.
et 8 CEDH. En effet, l'art. 5 al. 2 LProst/GE implique que les fichiers de police incluent
BGE 137 I 167 S. 193
l'activité de prostitution, ainsi que l'identité des personnes qui s'y adonnent. Cette disposition fournit ainsi une base légale formelle s'agissant du traitement des nom, prénom, adresse et date de naissance d'une personne, ainsi que de son activité professionnelle.
Partant, et dans la mesure où les renseignements que la police est en droit de récolter et de répertorier selon la LProst/GE se limitent uniquement à l'inscription des nom et prénom, date de naissance, adresses privée et professionnelle, métier et date du recensement de la personne se prostituant,
à l'exclusion
de toute autre mention et de tout autre élément conservé au dossier, on peut considérer lesdites indications comme étant couvertes par l'obligation d'annonce et le principe de la tenue des fichiers mentionnant l'activité de prostitué(e), tels que prévus notamment aux art. 4 al. 1 et 5 de cette loi cantonale au sens formel.
Une conception plus restrictive de l'exigence de la base légale viderait de son sens l'institution de l'obligation d'annonce qui, s'agissant d'une activité commerciale soumise à un contrôle renforcé de la part des autorités, a précisément pour but de permettre à celles-ci de recueillir les données de base et de tenir à jour un registre relatif aux personnes exerçant cette activité (cf. arrêt 2P.165/2004 du 31 mars 2005 consid. 5.3). D'ailleurs, l'existence d'une telle base légale peut être d'autant plus facilement admise que, en dehors de l'indication de l'activité exercée, ces données afférentes à l'identité d'une personne sont en général publiquement accessibles et font partie de ses "données de base", que l'
art. 19 al. 2 LPD
permet aux organes fédéraux de communiquer même en l'absence de base légale ou d'autres motifs justificatifs (cf. MEIER, op. cit., p. 147 n. 282). Par conséquent, la tenue d'un ou de plusieurs fichiers de police au sujet des prostitué(e)s repose, dans les limites du présent considérant, sur une base légale suffisante.
9.2
Les recourants soutiennent de surcroît que le recensement et le traitement des données relatives aux prostitué(e)s constitueraient une atteinte disproportionnée à la sphère privée de ces personnes.
Tel n'est pas le cas au vu de l'interprétation du contenu des données récoltées qui résulte du considérant 9.1 ci-dessus. En effet, le nombre restreint et le contenu des données que la police cantonale est en droit de collecter et d'enregistrer en vertu de la LProst/GE, permettent de délimiter avec clarté les finalités du traitement des données et minimisent les risques d'abus. Le traitement doit
BGE 137 I 167 S. 194
ainsi avoir pour seules fins de faciliter
l'identification, la prise de contact et la localisation
des personnes et établissements qui sont actifs dans le domaine de la prostitution, ce qui permettra aux autorités de police et sanitaires de contrôler le respect de la liberté d'action des personnes qui se prostituent, de garantir la mise en oeuvre des mesures de prévention sanitaires et sociales et de réglementer les lieux, heures et modalités de l'exercice de la prostitution, ainsi que de lutter contre ses manifestations secondaires. Par ailleurs, - et sous réserve de la possibilité de collaborer avec les associations d'aide aux prostitué(e)s (cf. art. 23 LProst/GE) -, la consultation de ces données est destinée à demeurer interne à l'administration (art. 22 LProst/GE). En outre, une pratique excessive dans un cas particulier pourra être sanctionnée dans le cadre d'un contrôle concret ultérieur de la loi, ce qui offre des garanties suffisantes notamment aux recourants (cf. arrêt 2P.165/2004 du 31 mars 2005 consid. 5.3).
9.3
Il s'ensuit que, interprétée dans le sens des précédents considérants, la tenue d'un registre des prostitué(e)s par la police genevoise n'est pas une mesure disproportionnée ni en soi contraire aux
art. 13 Cst.
et 8 CEDH, ce qui entraîne le rejet du recours sur ce point. | mixed |
c3c0ea39-a575-419c-8db6-021f3c6c5d37 | Sachverhalt
ab Seite 18
BGE 136 I 17 S. 18
A.
Die Shisha Bar GmbH betreibt in Bern und Thun je eine Shisha-Bar, worin sie einerseits Getränke, andererseits die Möglichkeit anbietet, vor Ort Wasserpfeifen zu rauchen.
B.
B.a
Am 10. September 2008 erliess der Grosse Rat des Kantons Bern das Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen (SchPG; BSG 811.51). Nach Art. 8 SchPG erhielt Art. 27 des bernischen Gastgewerbegesetzes vom 11. November 1993 (GGG; BSG 935.11) den folgenden Wortlaut:
"Schutz vor Passivrauchen
1
In öffentlich zugänglichen Innenräumen von Betrieben, die eine Betriebs- oder Einzelbewilligung nach diesem Gesetz benötigen, ist das Rauchen verboten.
2
Im Freien und in Fumoirs (abgeschlossene Räume mit einer eigenen Lüftung) bleibt das Rauchen gestattet.
3
Die verantwortliche Person und die von ihr instruierten Angestellten und weiteren Hilfspersonen setzen das Rauchverbot um, indem sie
a) die Innenräume rauchfrei einrichten,
b) über das Rauchverbot informieren, beispielsweise mit Verbotstafeln,
c) die Gäste anhalten, das Rauchen zu unterlassen,
d) nötigenfalls Personen wegweisen, die das Verbot missachten.
4
Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richtet sich nach der eidgenössischen Arbeitsgesetzgebung."
BGE 136 I 17 S. 19
Gleichzeitig wurde die Strafbestimmung von Art. 49 Abs. 2 GGG neu wie folgt gefasst:
"Mit Busse von 40 Franken bis 2000 Franken wird bestraft, wer als Gast einen Gastgewerbebetrieb zur Schliessungsstunde nicht verlassen hat oder das Rauchverbot gemäss Artikel 27 Absatz 1 missachtet."
Die Gesetzesänderung trat am 1. Juli 2009 in Kraft.
B.b
Am 1. April 2009 erliess der Regierungsrat des Kantons Bern die Verordnung zum Schutz vor Passivrauchen (SchPV; BSG 811.511). Mit Art. 6 Ziff. 1 SchPV fügte er gleichzeitig unter dem Titel "Va. Schutz vor Passivrauchen" die neuen Art. 20a-20e in die bernische Gastgewerbeverordnung (GGV; BSG 935.111) ein. Diese Verordnungsbestimmungen traten ebenfalls am 1. Juli 2009 in Kraft.
B.c
Am 3. Oktober 2008 erliess die Bundesversammlung das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen (BBl 2008 8243; dazu auch BBl 2007 6185 und 6207). Die Referendumsfrist lief unbenützt ab. Der Bundesrat hat inzwischen angekündigt, das Gesetz und die dieses ausführenden Verordnungsbestimmungen auf den 1. Mai 2010 in Kraft zu setzen.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 19. März 2009 an das Bundesgericht stellt die Shisha Bar GmbH die folgenden Anträge:
"1. Es sei Art. 8 des bernischen Gesetzes zum Schutz vor Passivrauchen (SchPG) vom 10. September 2008 und die Art. 27 Abs. 1 bis 3 und Art. 49 Abs. 2 in fine ("oder das Rauchverbot gemäss Artikel 27 Absatz 1 missachtet") der Änderung des bernischen Gastgewerbegesetzes (GGG) aufzuheben.
2.
Eventualiter
sei die Verfassungswidrigkeit von Art. 8 des bernischen Gesetzes zum Schutz vor Passivrauchen (SchPG) vom 10. September 2008 und von Art. 27 Abs. 1 bis 3 und Art. 49 Abs. 2 in fine ("oder das Rauchverbot gemäss Artikel 27 Absatz 1 missachtet") der dazugehörigen Änderung im bernischen Gastgewerbegesetz (GGG) festzustellen. (...)"
(...)
D.
Die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Shisha Bar GmbH hat sich mit Eingabe vom 13. Juli 2009 nochmals zur Sache geäussert und hält dabei im Wesentlichen an ihrem Standpunkt fest. Die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern verzichtete darauf, eine weitere Stellungnahme einzureichen.
BGE 136 I 17 S. 20
E.
Mit Verfügung vom 19. Mai 2009 wies der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts ein Gesuch der Shisha Bar GmbH um aufschiebende Wirkung ab.
(Auszug) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Ein kantonaler Erlass kann beim Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden (
Art. 82 lit. b BGG
). Der Ausschlusskatalog von
Art. 83 BGG
betrifft nur Beschwerden gegen Entscheide und kommt bei der Anfechtung von Erlassen (abstrakte Normenkontrolle) nicht zur Anwendung. Gegen kantonale Erlasse ist unmittelbar die Beschwerde zulässig, sofern kein kantonales Rechtsmittel ergriffen werden kann (
Art. 87 Abs. 1 BGG
). Der Kanton Bern kennt - im Unterschied zu kommunalen Erlassen - keine abstrakte Normenkontrolle gegen kantonale Erlasse (vgl. MARKUS MÜLLER, Bernische Verwaltungsrechtspflege, 2008, S. 139).
1.2
Nach
Art. 101 BGG
ist die Beschwerde gegen einen Erlass innert 30 Tagen nach der nach dem kantonalen Recht massgebenden Veröffentlichung des Erlasses beim Bundesgericht einzureichen. Zu frühe Einreichung schadet grundsätzlich nicht und führt nicht zum Nichteintreten auf die Beschwerde, sondern in der Regel lediglich zu einer Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens (
BGE 130 I 286
E. 1 S. 288 f.;
BGE 124 I 159
E. 1d S. 162; je mit Hinweis). In der Ausgabe des Amtsblatts des Kantons Bern vom 18. Februar 2008 stellte der Regierungsrat des Kantons Bern fest, dass die für das kantonale Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen laufende Referendumsfrist am 5. Januar 2009 unbenutzt abgelaufen und dieser Erlass damit zustande gekommen sei. Die damit zusammenhängenden Änderungen des Gastgewerbegesetzes wurden nicht separat publiziert. Inzwischen trat die fragliche Gesetzesnovelle am 1. Juli 2009 in Kraft. Die Beschwerde wurde demnach rechtzeitig erhoben, und eine Sistierung des Verfahrens war und ist nicht erforderlich.
1.3
Angefochten sind einzig Art. 8 SchPG sowie Art. 27 Abs. 1-3 und Art. 49 Abs. 2 am Ende (Satzteil: "oder das Rauchverbot gemäss Artikel 27 Absatz 1 missachtet") GGG. In ihren Rechtsschriften äussert sich die Beschwerdeführerin aber auch wiederholt zu den bernischen Ausführungsbestimmungen im Verordnungsrecht (SchPV und GGV). Obwohl sich im Zeitpunkt der Erhebung der
BGE 136 I 17 S. 21
Beschwerde an das Bundesgericht aufgrund der entsprechenden politischen Diskussionen bzw. Verhandlungen mit den betroffenen Kreisen abzeichnete, welche Regelung dem Regierungsrat des Kantons Bern auf Verordnungsstufe vorschwebte, waren die kantonalen Verordnungsbestimmungen damals noch nicht erlassen. Soweit die Beschwerdeführerin diese in der Fassung der damaligen Konsultationsunterlagen prospektiv als unzulässig bezeichnet, kann darauf nicht eingetreten werden, da es dazu am erforderlichen Anfechtungsgegenstand fehlt. Die Beschwerdeführerin hat es unterlassen, die nachmalig erlassenen Verordnungsbestimmungen selbständig anzufechten. Eine Aufhebung derselben und die Kontrolle ihrer Verfassungskonformität fallen daher ausser Betracht. Zu prüfen ist mithin einzig die Verfassungsmässigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmungen.
2.
2.1
Gemäss
Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG
ist zur Anfechtung eines kantonalen Erlasses legitimiert, wer durch den Erlass aktuell oder virtuell besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Änderung oder Aufhebung hat. Das schutzwürdige Interesse kann rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein (
BGE 133 I 286
E. 2.2 S. 290). Virtuelles Berührtsein setzt voraus, dass der Beschwerdeführer von der angefochtenen Regelung früher oder später einmal mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit unmittelbar betroffen ist (vgl.
BGE 133 I 206
E. 2.1 S. 210).
2.2
Die Beschwerdeführerin ist Betreiberin verschiedener Gaststätten, die im Rahmen einer klassischen Barkultur ein ausgewähltes Angebot an alkoholischen und alkoholfreien Getränken führen, das durch Wasserpfeifen (Shisha) in verschiedenen Aromen ergänzt wird. In Thun betreibt die Beschwerdeführerin eine Shisha-Bar auf zwei Etagen mit einer Lokalfläche von ungefähr 140 m
2
, in Bern eine solche in einem einräumigen Kellerlokal von rund 70 m
2
, in dem im Übrigen die Zubereitung von Speisen nicht erlaubt ist und zu welchem Personen unter 18 Jahren keinen Zutritt haben. Aufgrund des angefochtenen Erlasses bzw. weil der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht erteilt wurde und mangels baulicher Anpassungen ist zurzeit das Raucherangebot in der Bar in Bern nicht möglich. In Thun hat die Beschwerdeführerin die Lokalitäten angepasst und einen Raucherraum (Fumoir) eingerichtet, in dem nebst Wasserpfeifen auch andere Raucherartikel wie insbesondere eine Auswahl von Zigarren angeboten werden.
BGE 136 I 17 S. 22
2.3
Die Beschwerdeführerin ficht die angefochtenen Bestimmungen einzig insoweit an, als sich diese auf das Rauchen von Wasserpfeifen beziehen. Die Rechtswirkung hinsichtlich anderer Tabakwaren stellt sie nicht in Frage, und sie erklärt auch ausdrücklich ihre Bereitschaft, sich insofern der Gesetzesordnung zu unterziehen. Damit ist einzig zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin legitimiert ist, das bernische Gesetz zum Schutz vor dem Passivrauchen insoweit anzufechten, als sich dieses auf ihr Angebot zum Konsum von Wasserpfeifen auswirkt. Dies hängt wiederum davon ab, ob die gesetzliche Regelung auch für Wasserpfeifen gilt, wovon grundsätzlich alle Verfahrensbeteiligten ausgehen, ohne eine gewisse Unsicherheit gänzlich zu verhehlen. In der Tat wäre die Beschwerdeführerin von den angefochtenen Bestimmungen weder aktuell noch virtuell beschwert, wenn sich diese auf Wasserpfeifen gar nicht erstrecken würden.
2.4
Bei der Shisha handelt es sich um eine Wasserpfeife arabischen Ursprungs, wobei der Tabak zumeist mit Fruchtaromen oder ähnlichen Geschmacksrichtungen geraucht wird. Vor dem Einatmen wird der Rauch zunächst durch ein so genanntes Bowl (ein mit Wasser gefülltes Gefäss) gezogen. Der Rauch wird dadurch gefiltert und gekühlt. Um die Shisha entwickelte sich in den letzten Jahrhunderten eine Gemeinschaftskultur, die auch in den Bars der Beschwerdeführerin gepflegt wird. Wie die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern in ihrer Vernehmlassung an das Bundesgericht ausführt, ging der kantonale Gesetzgeber davon aus, dass das Gesetz die Bevölkerung vor den schädlichen Folgen des Passivrauchens in allen Formen schützen sollte. Die Volkswirtschaftsdirektion verweist dazu darauf, dass das Rauchen von Wasserpfeifen gemäss verschiedenen Fachinstanzen wie der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme oder der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sowie gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht weniger schädlich ist als das Rauchen von Zigaretten und bezüglich der Einflüsse auf die Gesundheit dem Rauchen gleichzustellen ist bzw. den gleichen Rechtsregeln zu unterwerfen sei. Der bernische Gesetzgeber trug dieser Einschätzung Rechnung. Der Regierungsrat des Kantons Bern hatte dazu ausdrücklich ausgeführt, das Passivrauchen von Tabak, vor dem zu schützen sei, erstrecke sich auch auf Pfeifen, Wasserpfeifen oder Zigarren. Daraus geht hervor, dass das Rauchen von Wasserpfeifen zum Tabakrauchen gehört und dem Geltungsbereich der Gesetzgebung zum Schutz vor Passivrauchen unterstellt ist.
BGE 136 I 17 S. 23
2.5
Die Beschwerdeführerin ist demnach als Betreiberin von Gaststätten, in denen der Genuss von Wasserpfeifen zum betrieblichen Angebot zählt, durch die angefochtenen Bestimmungen aktuell betroffen und damit zur Beschwerde berechtigt.
3.
3.1
Nach dem mit Art. 8 SchPG eingeführten Art. 27 GGG ist das Rauchen in öffentlich zugänglichen Innenräumen von Betrieben verboten, die eine Betriebs- oder Einzelbewilligung gemäss Gastgewerbegesetz benötigen (Abs. 1). Im Freien und in Fumoirs (abgeschlossene Räume mit einer eigenen Lüftung) bleibt das Rauchen gestattet (Abs. 2). Die verantwortliche Person und ihre Angestellten haben das Rauchverbot angemessen umzusetzen, wobei das Gesetz bestimmte erforderliche Massnahmen ausdrücklich nennt (Abs. 3; vgl. zur Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Ordnung MICHAEL MÜLLER, 13. Kapitel: Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Bernisches Verwaltungsrecht, Müller/Feller [Hrsg.], 2008, S. 714 f.).
3.2
Nach
Art. 27 BV
ist die Wirtschaftsfreiheit gewährleistet. Dazu zählt insbesondere der freie Zugang und die freie Ausübung einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit. Das Rauchverbot in Restaurants, deren Haupttätigkeit im Angebot von Speisen und Getränken besteht, schränkt die Wirtschaftsfreiheit ihrer Betreiber nicht direkt ein (
BGE 133 I 110
E. 7.4 S. 126; ANDREAS AUER, Le droit face à la political correctness, La constitutionnalité de l'initiative populaire genevoise "Fumée passive et santé", AJP 2006 S. 12 f.). In der Literatur wird sogar bezweifelt, ob insofern überhaupt von einem Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit auszugehen ist (vgl. VINCENT MARTENET, L'interdiction de fumer dans les lieux publics intérieurs ou fermés, AJP 2007 S. 255), jedenfalls solange ein Wirt nicht ein spezifisches Angebot für Raucher unterhalten will (vgl. AUER, a.a.O., S. 13). Der Kanton Bern verunmöglicht nicht das Wirten als solches, d.h. insbesondere die Abgabe von Speisen oder Getränken zum Konsum gegen Entgelt. Diese Tätigkeiten können unter der Geltung des Passivraucherschutzes weiterhin vollumfänglich ausgeübt werden. Selbst das Rauchverbot fällt nicht absolut aus. Ein abgetrennter Nebenraum darf als Fumoir unterhalten werden, womit das grundsätzliche Rauchverbot wieder gelockert wird. Mit den angefochtenen Bestimmungen wird den Wirten einzig untersagt, den Hauptraum des Gaststättenbetriebs als Fumoir zu benutzen. Auch wenn dies detailliert erst im Verordnungsrecht festgelegt wird, ergibt sich aus dem Gesetz doch eindeutig, dass im Hauptbereich des Betriebes nicht geraucht werden darf und es sich beim Fumoir um einen Nebenraum handeln muss.
BGE 136 I 17 S. 24
3.3
Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss geltend, die Gesetzesordnung zum Schutz vor Passivrauchen führe bei ihr zu einem Betriebsverbot, weil der Konsum von Wasserpfeifen unverzichtbarer Bestandteil ihres Angebotes darstelle. In der Tat betreibt die Beschwerdeführerin nicht einen reinen Gastgewerbebetrieb im eigentlichen Sinne, der sich auf das Angebot von Speis und Trank beschränkt. In ihrem Betriebskonzept hängt das Rauchen von Wasserpfeifen mit dem Konsum von Getränken zusammen. Feilgehalten wird ein in diesem Sinne ganzheitliches Angebot. In ihrem Betrieb in Bern erzielte die Beschwerdeführerin allerdings bereits vor Inkrafttreten des Rauchverbots zwei Drittel ihres Umsatzes mit allgemeinen gastgewerblichen Dienstleistungen und nur einen Drittel im Bereich der Wasserpfeifen. In Thun war der Anteil aus diesem Bereich am gesamten Umsatz sogar wesentlich (um mehr als die Hälfte) kleiner. Von einem eigentlichen Betriebsverbot kann schon aus diesem Grunde nicht ausgegangen werden. Das ändert aber nichts daran, dass die Beschwerdeführerin ein spezifisches Angebot für den Konsum von Wasserpfeifen unterhält und sich insofern auf die Wirtschaftsfreiheit berufen kann. Angesichts des Zusammenhanges von klassischen Gastgewerbeleistungen mit dem Bereich der Wasserpfeifen und des doch nicht unbedeutenden Anteils des Letzteren am Gesamtumsatz ist von einem schweren Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit auszugehen. Die Einschränkung muss daher im formellen Gesetz selbst vorgesehen sein (
Art. 36 Abs. 1 BV
). Überdies muss sie durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein (
Art. 36 Abs. 2 BV
), wobei zulässige öffentliche Interessen nur solche sind, die sich an den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit halten (vgl.
Art. 94 Abs. 1 BV
). Der Eingriff muss sodann verhältnismässig sein (
Art. 36 Abs. 3 BV
) und den Kerngehalt des berührten Grundrechts wahren (
Art. 36 Abs. 4 BV
).
4.
4.1
Das bernische Gesetz verbietet der Beschwerdeführerin die grundsätzliche Fortführung ihres Betriebes nicht. Es verlangt lediglich gewisse Voraussetzungen bzw. macht Auflagen, wie sie für andere Gastgewerbebetriebe, die Angebote für Raucher unterhalten wollen, auch gelten. Die Argumentation der Beschwerdeführerin läuft darauf hinaus, dass das nichtrauchende Publikum und die Arbeitnehmenden in ihren Shisha Bars keinen Schutz vor Passivrauchen beanspruchen können sollten. Sie geht davon aus, dass ihre Betriebe nur von einer
BGE 136 I 17 S. 25
Kundschaft besucht würden, die sich bewusst auf den passiven Konsum von Wasserpfeifen einliessen, und der Kanton keine Regelung zum Arbeitnehmerschutz treffen dürfe. Die bernische Gesetzgebung nimmt eine entsprechende Unterscheidung jedoch nicht vor. Alle dem Gesetz unterstehenden Betriebe, selbst wenn sie sich vornehmlich an ein rauchendes Publikum richten, bieten zwangsläufig ebenfalls gastgewerbliche Leistungen an. Das gilt auch für die Betriebe der Beschwerdeführerin. Für den Konsum von Wasserpfeifen in Gastgewerbebetrieben greift keine besondere Regelung. Genauso wenig lässt das Gesetz eine Ausnahme bei Einverständnis zum Passivrauchen zu. Der Schutz davor soll vielmehr unabhängig von allfälligem Sozialdruck greifen. Wird davon ausgegangen, dass auch das Rauchen von Wasserpfeifen unter das allgemeine Rauchverbot von Art. 27 GGG fällt, was sich, wie bereits dargelegt (vgl. E. 2.4), aus Gründen der Zweckrichtung und der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Bestimmungen aufdrängt, ist das Rauchverbot im formellen Gesetz verankert und nicht allenfalls bloss Folge der Regelung auf Verordnungsstufe.
4.2
Die Regelungen des Gastgewerbes und des Gesundheitsschutzes sind Bereiche, die in die Kompetenz der Kantone fallen. Demgegenüber wird der Arbeitnehmerschutz, auch im Bereich des Schutzes vor Passivrauchen, in erster Linie durch Bundesrecht geregelt (vgl.
BGE 132 III 257
; so auch Art. 27 Abs. 4 GGG). Eine völlige Trennung des Schutzes von Konsumenten und Angestellten ist jedoch einzig denkbar bei Regelungen, die sich ausschliesslich auf eine Kategorie beziehen und wo auch faktisch, insbesondere örtlich, eine klare Abgrenzung vorliegt, wie dies etwa bei Arbeitsstellen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, oder umgekehrt bei öffentlichen Räumen zutreffen kann, in denen keine Arbeitnehmer tätig sind. Vermischen sich Angestellte und Konsumenten, dient der Schutz vor Passivrauchen der gesamten Bevölkerung, es sei denn, der Bund habe eine sinnvolle und umsetzbare abschliessende Regelung für die Arbeitnehmer getroffen. Insoweit verbleibt den Kantonen eine ergänzende Kompetenz jedenfalls dort, wo sich wie hier der Schutz der Adressaten eines Angebots in einem dem Kanton unterstellten Regelungsbereich wie dem Gastronomiewesen (vgl. JAAG/RÜSSLI, Schutz vor Passivrauchen, verfassungsrechtliche Aspekte, AJP 2006 S. 23 und 27) nicht von demjenigen des Personals unterscheiden lässt und der Bund nicht abschliessend legiferiert hat (vgl.
BGE 133 I 110
E. 4 S. 115 ff.). Art. 4 des noch nicht in Kraft getretenen
BGE 136 I 17 S. 26
Bundesgesetzes zum Schutz vor Passivrauchen (BBl 2008 8244) hält sogar ausdrücklich fest, dass die Kantone auch künftig strengere Vorschriften als der Bund zum Schutz der Gesundheit erlassen können. Umso mehr ist von einer solchen Kompetenz auszugehen, solange das Bundesgesetz noch gar nicht gilt. Die Anforderungen an die Legalität gemäss
Art. 36 Abs. 1 BV
erweisen sich damit als erfüllt.
4.3
Der Schutz vor dem Passivrauchen dient dem Gesundheitsschutz insbesondere der Gäste und der Angestellten von Restaurationsbetrieben. Dies liegt im öffentlichen Interesse und vermag selbst Rauchverbote zu rechtfertigen (
BGE 133 I 110
E. 7.1.1 S. 123 f.; AUER, a.a.O., S. 13 f.; JAAG/RÜSSLI, a.a.O., S. 28; MARTENET, a.a.O., S. 257 f.). Ein solches wahrt denn auch mit Blick auf die gesundheitspolizeiliche Herleitung den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit. Im Übrigen dienen die gesetzlichen Bestimmungen dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit und damit der persönlichen Freiheit Dritter im Sinne von
Art. 10 Abs. 2 BV
. Die angefochtene Regelung hält damit auch vor Art. 36 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 94 BV
stand.
4.4
Die Verhältnismässigkeit eines Grundrechtseingriffs bemisst sich im Wesentlichen an dessen Zweckgeeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit für den oder die Betroffenen.
4.4.1
Die angefochtenen Bestimmungen sind geeignet, die Gäste und die Angestellten vor den Auswirkungen des Passivrauchens zu schützen (MARTENET, a.a.O., S. 272 ff.; vgl. dazu in einem weiteren Sinne auch
BGE 133 I 110
E. 7.2-7.5 S. 124 ff.).
4.4.2
Die Beschwerdeführerin stellt die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung für das Rauchen klassischer Tabakwaren wie Zigaretten, Pfeifen oder Zigarren ausdrücklich nicht in Frage. Eine andere Einschätzung bei Wasserpfeifen erscheint nur zulässig, wenn sich das Rauchen bzw. die Auswirkungen des Passivrauchens von solchen massgeblich von klassischen Tabakwaren unterscheiden würden. Unterschiedliche Rauchertechniken für sich allein begründen allerdings keine erhebliche Differenz. Wie bereits dargelegt (vgl. E. 2.4), gilt das Rauchen von Wasserpfeifen in Fachkreisen als genauso schädlich wie dasjenige anderer Raucherwaren. Der Gesetzgeber ist daher nicht verpflichtet, eine Sonderlösung für Gaststätten mit einem Angebot von Wasserpfeifen zu treffen, ja eine solche wäre angesichts des vergleichbaren Gefährdungspotenzials unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit sogar fragwürdig. Die von der
BGE 136 I 17 S. 27
Beschwerdeführerin angestrebte - offenbar allgemeingültig gedachte - Unterscheidung von "reinen Raucherbetrieben", wo das Rauchen ein Hauptbestandteil des Angebots bilden soll, und anderen Gastronomiestätten, in denen nur nebenbei geraucht wird, erscheint ebenfalls problematisch. Zwar hat das Bundesgericht festgehalten, bei Betrieben, die sich ausschliesslich dem Tabakkonsum widmeten, stelle sich die Frage des Passivrauchens nicht in gleicher Weise wie bei den üblichen Gastgewerbestätten (
BGE 133 I 110
E. 7.4 S. 126; vgl. auch MARTENET, a.a.O., S. 276 f.). Wie dargelegt, macht aber auch die Beschwerdeführerin den Grossteil ihres Umsatzes mit dem Verkauf von Getränken und nicht mit dem Angebot im direkten Zusammenhang mit den Wasserpfeifen, wobei immerhin offen ist und sich nur schwer erheben lässt, wieweit die beiden Angebote betriebswirtschaftlich so eng miteinander verknüpft sind, dass sie sich nicht trennen liessen. So oder anders verbietet das bernische Gesetz indessen mit der Zulassung von Fumoirs ein kombiniertes Angebot nicht. Mit der Möglichkeit der Einrichtung von Raucherräumen steht es der Beschwerdeführerin offen, den Konsum von Wasserpfeifen weiterhin anzubieten, gleichermassen wie sie oder auch andere Gastgewerbebetriebe das Rauchen anderer Tabakwaren im Fumoir zulassen können. Eine weitergehende Ausnahmeregelung für das Rauchen von Wasserpfeifen ist nicht erforderlich. Es kann hier offenbleiben, ob es auch andere taugliche Lösungen gäbe und was gälte, würde der Kanton Bern Fumoirs nicht zulassen. Jedenfalls bietet das bernische Gesetz eine taugliche Möglichkeit, das Rauchen von Wasserpfeifen in einem Gastronomiebetrieb in Kombination mit dem üblichen Gastronomieangebot - Speis und Trank oder auch nur Bargetränke - anzubieten.
4.4.3
Für die Beurteilung der Zumutbarkeit der angefochtenen Regelung ist massgeblich, dass die Haupttätigkeit des Führens eines Gastronomiebetriebes, auch in der Form einer Bar, nicht verboten oder verunmöglicht wird. Selbst die Beschwerdeführerin kann beide bestehenden Betriebe weiter unterhalten. Denjenigen in Thun vermochte sie offenbar bereits durch betriebswirtschaftliche bzw. räumliche Anpassungen derart umzugestalten, dass sie unter Beachtung der neuen Gesetzesordnung das Angebot von Getränken mit demjenigen von Wasserpfeifen in einem Raucherraum kombinieren kann. Das belegt, dass die angefochtene Regelung auch für den Konsum von Wasserpfeifen in zumutbarer Weise umsetzbar ist. Dass der Umsatz wegen der neuen gesetzlichen Einschränkungen erheblich schrumpft, ist
BGE 136 I 17 S. 28
nicht belegt; im Übrigen wäre dies mit Blick auf das legitime Ziel des Gesundheitsschutzes auch für sich allein nicht wesentlich. Zwar mögen die räumlichen Möglichkeiten der Einrichtung eines Fumoirs in der Bar in Bern beschränkt sein. Das führt aber nicht zur Unzumutbarkeit der gesetzlichen Regelung. Es ist der Beschwerdeführerin unbenommen, sich entweder auf einen reinen Gaststättenbetrieb ohne Raucherangebot zu beschränken oder tauglichere Räumlichkeiten zu suchen (vgl. dazu auch MARTENET, a.a.O., S. 276 f.). Ihre Situation unterscheidet sich insofern nicht von derjenigen anderer Gastronomieanbieter, die ihren bisherigen Betrieb in ähnlichen Kellerräumlichkeiten in Bern eingerichtet haben und denen es nicht möglich ist, einen Raucherraum auszuscheiden. Mehr ist verfassungsrechtlich nicht erforderlich.
4.4.4
Die angefochtene Regelung erweist sich mithin auch als verhältnismässig.
4.5
Eine Verletzung des Kerngehalts der Wirtschaftsfreiheit wird nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich, wobei hier offenbleiben kann, ob bzw. wieweit sich der Kerngehaltsschutz bei
Art. 27 BV
nicht bereits mit dem Erfordernis der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit (nach
Art. 94 BV
) deckt.
4.6
Die angefochtenen Bestimmungen halten demnach vor
Art. 27 BV
stand.
5.
5.1
Die Beschwerdeführerin rügt überdies einen Verstoss gegen die Eigentumsgarantie (
Art. 26 Abs. 1 BV
) und das Rechtsgleichheitsgebot (
Art. 8 Abs. 1 BV
).
5.2
Nach
Art. 26 Abs. 1 BV
ist das Eigentum gewährleistet. Auf dieses Grundrecht kann sich grundsätzlich auch die Beschwerdeführerin als Mieterin von Räumlichkeiten berufen, deren Nutzung durch die gesetzliche Regelung beeinträchtigt wird (vgl.
BGE 120 Ia 120
E. 1b S. 121). Das angefochtene Rauchverbot berührt die Nutzung von Liegenschaften allerdings nur teilweise. Wird eine Räumlichkeit nicht in einer öffentlich zugänglichen Art oder von vornherein rauchfrei verwendet, entfaltet das Rauchverbot keine unmittelbaren Wirkungen. Für die öffentliche Nutzung als Barräumlichkeit kann der angefochtenen Regelung eine zumindest indirekte beschränkende Wirkung indes nicht abgesprochen werden. Gleichermassen und aus den gleichen Gründen wie der Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit erweist sich aber auch derjenige in die Eigentumsgarantie als verfassungskonform, weshalb kein Verstoss gegen
Art. 26 BV
vorliegt.
BGE 136 I 17 S. 29
5.3
Der von der Beschwerdeführerin weiter angerufene Rechtsgleichheitsgrundsatz nach
Art. 8 Abs. 1 BV
verlangt, dass Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Der Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung wird insbesondere verletzt, wenn hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn Unterscheidungen unterlassen werden, die aufgrund der Verhältnisse hätten getroffen werden müssen (vgl.
BGE 134 I 23
E. 9.1 S. 42 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin sieht eine massgebliche Differenz zwischen ihren Barbetrieben mit einem Angebot von Wasserpfeifen und anderen Gaststätten. Wie bereits dargelegt, gibt es jedoch mit Blick auf die hier wesentliche Frage des Schutzes vor Passivrauchen keine ernsthaften sachlichen Unterscheidungsmerkmale. Vielmehr drängt es sich im Gegenteil angesichts des vergleichbaren Gefährdungspotenzials für die Gesundheit Dritter auf, das Rauchen von Shishas gleich zu behandeln wie dasjenige anderer Tabakwaren (vgl. E. 2.4 und 4.4.2). Das Rechtsgleichheitsgebot von
Art. 8 Abs. 1 BV
ist daher nicht verletzt. | mixed |
f804f4f6-8bff-478d-b1fd-f009bfaaa43c | Sachverhalt
ab Seite 436
BGE 138 I 435 S. 436
A.
Le 29 octobre 2010, la Conférence latine des chefs des départements de justice et police (ci-après: la Conférence latine) a adopté le Concordat latin sur la culture et le commerce du chanvre (ci-après: CChanvre ou "le Concordat latin"), lequel est entré en vigueur le 1
er
mars 2012 à la suite de l'adhésion des cantons de Fribourg, Vaud et Neuchâtel. Le Concordat latin dispose en particulier:
"Art. 1 - But et objet:
1. Le présent concordat a pour objet de fixer des règles communes sur la culture et le commerce du chanvre.
2. Il a pour but de prévenir les violations du droit fédéral, notamment en matière de stupéfiants et en matière agricole.
3. Demeurent réservées les dispositions du droit fédéral, notamment en matière de stupéfiants et en matière agricole.
BGE 138 I 435 S. 437
4. Sont aussi réservées les dispositions du droit fédéral ou cantonal en matière de procédure pénale. (...)
Art. 3 - Produits d'usage courant non soumis au concordat:
1. La Commission concordataire édicte une liste de produits d'usage courant non soumis au concordat, notamment ceux considérés comme des objets usuels ou des aliments par le droit fédéral. (...)
Art. 4 - Définitions: a) Chanvre
1. Par chanvre au sens du présent concordat, on entend la plante de l'espèce nommée cannabis (Cannabis sativa L.), ainsi que tous ses composés et ses dérivés, notamment les graines, les boutures, les plants, les feuilles, les inflorescences ou les huiles.
Art. 5 - b) Commerce
1. Fait le commerce du chanvre quiconque aliène, à titre gratuit ou onéreux, le chanvre ou ses produits dérivés.
Art. 6 - c) Culture
1. Fait la culture du chanvre quiconque soumet la plante sous toutes ses formes à un traitement favorisant l'épanouissement de celle-ci.
Art. 7 - Obligation d'annonce:
1. Quiconque pratique la culture du chanvre a l'obligation de l'annoncer à l'autorité compétente. (...)
Art. 8 - Autorisation: a) Principe
1. Quiconque fait le commerce du chanvre sur le territoire des cantons concordataires doit être titulaire d'une autorisation. (...)
Art. 15 - Mesures administratives:
1. L'autorité qui a accordé une autorisation doit la retirer lorsque les conditions prévues par le présent concordat ne sont plus remplies, lorsqu'une gestion commerciale irréprochable n'est plus garantie, ou lorsque le titulaire ou son personnel contrevient gravement ou à de réitérées reprises à la législation. (...)
3. Dans les cas de moindre gravité, l'autorité peut également prononcer un avertissement ou une suspension de l'autorisation. (...)
Art. 17 - Contrôles et sanctions administratives:
1. Les autorités compétentes au sens du présent concordat peuvent en tout temps, dans le cadre de leurs attributions respectives et au besoin par la contrainte, procéder au contrôle des infrastructures, des cultures ou des locaux commerciaux et au contrôle des personnes qui s'y trouvent, dans le but de vérifier qu'aucune activité illicite ne s'y exerce au sens du présent concordat.
2. Ce droit d'inspection s'étend aux appartements particuliers de ceux qui desservent les infrastructures ou qui y logent, lorsque ces appartements sont attenants à l'infrastructure ou la constituent.
3. Les autorités compétentes peuvent en tout temps procéder à des prélèvements ou à des analyses. (...)
BGE 138 I 435 S. 438
Art. 18 - Aliénation et acquisition:
1. L'aliénation du chanvre doit être consignée dans un contrat écrit. (...)
Art. 21 - Dispositions pénales:
1. Est passible de l'amende ou du travail d'intérêt général quiconque:
a. exploite un commerce au sens de la présente loi sans respecter les conditions concordataires et réglementaires;
b. contrevient aux articles 7, 8, 9, 11, 13, 14, 16 et 18 du présent concordat;
c. contrevient aux dispositions cantonales d'application du présent concordat ou aux directives de la Commission concordataire.
2. Les dispositions du Code pénal suisse sur les contraventions s'appliquent. (...)
Art. 28 - Dispositions finale et transitoire:
1. Le présent concordat entre en vigueur lorsque trois cantons au moins y ont adhéré.
2. Les personnes soumises aux dispositions du présent concordat ont un délai de six mois dès son entrée en vigueur pour s'y conformer."
B.
En date du 7 juin 2011, le Grand Conseil du canton de Vaud a adopté le décret autorisant le Conseil d'Etat à adhérer au Concordat latin (ci-après: le décret d'approbation). Ce décret a été publié dans la Feuille des avis officiels du canton de Vaud du 21 juin 2011 (FAO n° 49, p. 11), qui reproduisait en outre l'intégralité du texte du Concordat latin; il était soumis au référendum facultatif, le délai pour la récolte des signatures échéant au 31 juillet 2011. Le référendum n'ayant pas été requis, le Conseil d'Etat vaudois, par arrêté du 17 août 2011 publié dans la Feuille des avis officiels du 23 août 2011 (FAO n° 67, p. 10), a mis en vigueur le décret d'approbation avec effet au 1
er
août 2011.
C.
A., B., C., D. et E., tous domiciliés dans le canton de Vaud, exploitent ou ont exploité des entreprises sises sur le territoire du canton de Vaud actives dans le commerce d'articles se rapportant au chanvre.
D.
Le 7 septembre 2011, A., B., C., D. et E. ont déposé un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral à l'encontre du Concordat latin du 29 octobre 2010. Ils concluent, avec suite de frais et dépens, à l'annulation du CChanvre et se plaignent en particulier d'une violation des
art. 27 et 49 Cst.
E.
Parallèlement au recours déposé auprès du Tribunal fédéral, les recourants ont, le 3 novembre 2011, saisi la Cour constitutionnelle du Tribunal cantonal du canton de Vaud (ci-après: le Tribunal
BGE 138 I 435 S. 439
cantonal vaudois) d'une requête dirigée contre le décret d'approbation du 7 juin 2011, en concluant à l'annulation du Concordat latin. Par arrêt du 14 février 2012, le Tribunal cantonal vaudois s'est déclaré par principe compétent pour procéder à un contrôle abstrait d'une convention intercantonale "par le biais du contrôle sur le décret d'approbation"; en raison de la tardiveté de la requête sur le plan de la procédure cantonale, le Tribunal cantonal vaudois a cependant déclaré celle-ci irrecevable.
F.
Après avoir délibéré en séance publique du 5 octobre 2012 sur le recours du 7 septembre 2011, le Tribunal fédéral a admis celui-ci et a annulé le Concordat latin.
(résumé) Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office sa compétence (
art. 29 al. 1 LTF
) et contrôle librement la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 137 III 417
consid. 1 p. 417;
ATF 136 II 101
consid. 1 p. 103).
1.1
Le Concordat latin, dont l'annulation intégrale a été requise par les recourants, est une convention intercantonale au sens de l'
art. 48 al. 1 Cst.
A condition de créer de manière immédiate des droits et des obligations pour les particuliers ou, de manière générale, de contenir des dispositions renfermant des règles de droit directement applicables (pour cette notion, cf.
ATF 136 I 290
consid. 2.3.1 p. 293;
ATF 126 I 240
consid. 2b;
ATF 119 V 171
consid. 4b p. 177 s.), les conventions intercantonales dites normatives sont assimilées à des "actes normatifs cantonaux" selon l'
art. 82 let. b LTF
et sont partant attaquables comme tels devant le Tribunal fédéral (cf.
ATF 137 I 31
consid. 1.3 p. 39; AEMISEGGER/SCHERRER REBER, in Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2
e
éd. 2011, n° 44 ad
art. 82 LTF
p. 983; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, vol. I, 2
e
éd. 2006, p. 573 n. 1624 ss; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008, n° 2703 ad
art. 82 LTF
p. 1031; HANSJÖRG SEILER, in Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, n° 43 ad
art. 82 LTF
p. 304).
En l'occurrence, non seulement le Concordat latin impose des obligations et confère des droits aux autorités (cf. par exemple l'art. 20 al. 1 CChanvre), mais il contient aussi de nombreuses dispositions, singulièrement les art. 7 ss CChanvre, qui sont dans leur ensemble suffisamment déterminées et claires par leur contenu pour constituer le fondement d'une décision à l'égard des individus. Il possède en conséquence un caractère "
self-executing
". Partant, le Concordat
BGE 138 I 435 S. 440
latin fait partie des "actes normatifs cantonaux" attaquables devant le Tribunal fédéral, au sens de l'
art. 82 let. b LTF
, peu importe qu'il nécessite l'adhésion d'au moins trois cantons pour pouvoir entrer en vigueur (art. 28 al. 1 CChanvre).
1.2
Par ailleurs, la liste d'exceptions de l'
art. 83 LTF
ne s'applique pas aux actes normatifs (arrêts 2C_727/2011 du 19 avril 2012 consid. 1.1, non publié in
ATF 138 II 191
; 2C_230/2010 du 12 avril 2011 consid. 1.1, non publié in
ATF 137 I 167
). De plus, et contrairement à ce qui prévalait sous l'empire de l'ancienne Constitution fédérale (
art. 7 et 84 ch. 5 aCst.
), les conventions intercantonales, sous réserve de la procédure d'approbation parlementaire consécutive à une réclamation (
art. 172 al. 3 Cst.
; cf. AEMISEGGER/SCHERRER REBER, op. cit., n° 44 ad
art. 82 LTF
p. 983; ALAIN WURZBURGER, in Commentaire de la LTF, 2009, n° 95 ad
art. 82 LTF
p. 731), ne doivent pas être soumises à l'approbation de la Confédération, mais sont uniquement portées à sa connaissance (art. 48 al. 3, 2
e
phr. Cst.; cf. FF 2010 7615, annonçant l'adoption du CChanvre, conformément à l'art. 48 al. 3 in fine Cst.; RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2
e
éd. 2009, p. 184 n. 904); or, cette dernière procédure ne préjuge en rien du droit de former un recours abstrait contre une convention intercantonale (cf.
ATF 137 I 31
consid. 1.3 p. 39).
1.3
Dans leurs déterminations du 25 janvier ainsi que des 7 et 14 mars 2012, le Grand Conseil et le Conseil d'Etat vaudois ont soutenu que le recours normatif abstrait sous examen devant le Tribunal fédéral serait irrecevable. A ce titre, ils ont souligné que, dans son arrêt daté du 14 février 2012, le Tribunal cantonal vaudois, se prononçant en qualité de cour constitutionnelle cantonale, avait admis sa compétence de principe pour statuer sur la requête dirigée contre le décret d'approbation autorisant l'exécutif vaudois à adhérer au Concordat latin, ce qui exclurait la compétence du Tribunal fédéral.
1.3.1
En vertu de l'
art. 87 LTF
, le recours est directement recevable contre les actes normatifs cantonaux qui ne peuvent faire l'objet d'un recours cantonal (al. 1). Lorsque le droit cantonal prévoit un recours contre les actes normatifs, l'
art. 86 LTF
est applicable (al. 2); dans une telle hypothèse, le Tribunal fédéral ne statue qu'une fois les instances cantonales épuisées et ne peut donc être saisi que par recours à l'encontre de l'arrêt rendu par la cour constitutionnelle cantonale (cf.
art. 86 al. 1 let
. d et al. 2 LTF; arrêt 2C_740/2009 du 4 juillet 2011 consid. 1.1 et 1.2, non publiés in
ATF 137 I 257
).
BGE 138 I 435 S. 441
Il convient dès lors de vérifier si, comme les autorités vaudoises le prétendent, le Tribunal cantonal vaudois était compétent pour procéder à un contrôle normatif abstrait du Concordat latin au travers d'un recours déposé directement contre le décret approuvant l'adhésion du canton de Vaud à ladite convention intercantonale. Si tel était le cas, seul l'arrêt rendu par le Tribunal cantonal vaudois en date du 14 février 2012 aurait pu faire l'objet d'un recours au Tribunal fédéral (cf.
art. 87 al. 2 LTF
), de sorte que le présent recours dirigé immédiatement contre le CChanvre devrait être déclaré irrecevable.
1.3.2
Bien que l'
art. 82 let. b LTF
assimile les conventions intercantonales à des actes normatifs cantonaux (consid. 1.1 supra), celles-ci se démarquent du droit cantonal ordinaire notamment en ce qu'elles appartiennent
en
commun
aux cantons concernés, lesquels s'engagent réciproquement, et qu'elles produisent leurs effets dans plusieurs cantons à la fois (cf. DONZALLAZ, op.cit., n° 2703 ad
art. 82 LTF
p. 1031; ROBERT ZIMMERMANN, Le contrôle préjudiciel en droit fédéral et dans les cantons suisses, 1986, p. 130 s.; arrêt de la Cour constitutionnelle jurassienne du 28 mars 2006, in Revue jurassienne de jurisprudence [RJJ] 2006 p. 342 ss, 347 s. ch. 1.4.2).
Les conventions intercantonales s'interprètent en outre à l'aune de l'
art. 48 al. 5 Cst.
, qui prévoit que les cantons respectent le droit intercantonal, ainsi qu'à la lumière du principe de la loyauté confédérale issue du principe général de la bonne foi (cf.
art. 44 Cst.
;
ATF 125 I 227
consid. 7b p. 239; PATRICIA EGLI, Die Bundestreue, 2010, p. 283 ss et 295 ss; KNAPP/SCHWEIZER, in Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2
e
éd. 2008, n
os
7 ss ad
art. 44 Cst.
p. 849 ss). Il découle de ces principes constitutionnels que le droit intercantonal l'emporte hiérarchiquement sur le droit de chacun des cantons qui a ratifié l'instrument intercantonal. Par conséquent, un canton ne peut en principe pas se soustraire à ses obligations intercantonales en invoquant son droit cantonal; en revanche, le droit intercantonal reste soumis à la primauté du droit fédéral ancrée à l'
art. 49 Cst.
(cf. arrêt 2C_66/2011 du 1
er
septembre 2011 consid. 2.1.4;
ATF 100 Ia 418
consid. 4 p. 423; URSULA ABDERHALDEN, in Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2
e
éd. 2008, n° 49 ad
art. 48 Cst.
p. 893; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, op. cit., p. 574 n. 1629 ss; VINCENT MARTENET, L'autonomie constitutionnelle des cantons, 1999, p. 89 s. et 284).
1.3.3
Il résulte de ce qui précède qu'à peine d'enfreindre la Constitution fédérale et de porter atteinte à la souveraineté des autres
BGE 138 I 435 S. 442
cantons parties au concordat, la cour constitutionnelle d'un canton ne peut contrôler abstraitement et, le cas échéant, annuler que des actes normatifs cantonaux et infracantonaux. Il ne lui est en revanche pas permis de procéder de même à l'égard d'actes appartenant à un ordre qui est hiérarchiquement supérieur au système juridique dont elle-même tire son existence et ses compétences juridictionnelles (cf., s'agissant du principe de la hiérarchie des normes:
ATF 129 V 335
consid. 3.3 p. 341;
ATF 128 II 112
consid. 8a p. 123; arrêt 2C_736/2010 du 23 février 2012 consid. 6.3).
Partant, une réglementation ou une pratique cantonale qui permettrait à une cour constitutionnelle cantonale de contrôler abstraitement et d'annuler une convention intercantonale ne serait pas applicable conformément au principe de la primauté du droit fédéral (
art. 49 al. 1 Cst.
). En conséquence, le recours abstrait dirigé contre le Concordat latin doit être immédiatement porté auprès du Tribunal fédéral (cf. DONZALLAZ, ibidem), la Cour de céans étant compétente pour opérer un tel contrôle normatif abstrait et, le cas échéant, annuler des dispositions concordataires qui seraient contraires au droit supérieur, à l'exclusion du Tribunal cantonal vaudois.
1.3.4
Il faut ajouter que l'impossibilité pour une cour cantonale de soumettre une convention intercantonale à un contrôle normatif abstrait laisse intacte la faculté des autorités compétentes, cantonales comme fédérales, de procéder à un contrôle
préjudiciel
d'une norme intercantonale lors de l'examen d'un cas d'application concret (cf., par exemple,
ATF 132 I 49
consid. 4 p. 54; arrêts 2C_1016/2011 du 3 mai 2012 consid. 6.1, non publié in
ATF 138 I 196
; 2C_116/2011 du 29 août 2011 consid. 2.4; voir aussi: JEAN MORITZ, Contrôle des normes: la juridiction constitutionnelle vaudoise à l'épreuve de l'expérience jurassienne, RDAF 2005 I 1, ch. 29, pénultième phrase).
1.4
En tout état et contrairement à ce qu'affirment les autorités vaudoises, l'arrêt du Tribunal cantonal vaudois du 14 février 2012 ne conduit pas, bien que sa formulation ne soit pas dénuée d'ambiguïté, à reconnaître aux juges constitutionnels vaudois la compétence de procéder à un contrôle normatif abstrait du Concordat latin. Comme il ressort en effet de la lecture de cet arrêt cantonal, ce n'est qu'au travers d'un recours dirigé contre le décret d'approbation (ou d'un acte d'application concret) que les normes intercantonales pourraient, d'après le Tribunal cantonal, être examinées par ce dernier; de son propre aveu d'ailleurs, en cas d'admission d'une requête dirigée contre le décret d'approbation du concordat dont certaines dispositions
BGE 138 I 435 S. 443
seraient jugées contraires au droit supérieur, le Tribunal cantonal ne pourrait formellement annuler lesdites dispositions, "la souveraineté de la Cour constitutionnelle vaudoise s'arrêtant aux frontières du canton, mais seulement le décret d'approbation", ce qui aurait pour unique effet que la convention intercantonale ne serait pas intégrée à l'ordre juridique cantonal vaudois.
1.4.1
A priori, on ne perçoit pas d'obstacle de principe à ce qu'un canton instaure, le cas échéant en parallèle à la faculté de demander un référendum contre l'adhésion du canton à un concordat (cf. VINCENT MARTENET, La conclusion des conventions internationales et intercantonales au regard de la séparation des pouvoirs, spécialement dans le canton de Genève, ZBl 4/2011 p. 173 ss, 184), une voie de recours judiciaire contre le décret autorisant son exécutif à adhérer à une convention intercantonale. Comme il a été dit plus haut, l'admission de la requête cantonale au motif que le décret conduirait à ratifier une convention intercantonale contraire au droit supérieur aboutirait en effet à l'annulation du seul décret d'approbation et aurait pour unique conséquence que le canton concerné n'adhérerait pas à ladite convention; en revanche, il ne serait porté atteinte ni au texte ni à la validité de la convention par rapport aux autres cantons qui l'auraient d'ores et déjà ratifiée, le décret d'approbation et le Concordat latin formant deux actes distincts.
1.4.2
A l'opposé de ce que semblent indiquer les autorités vaudoises, l'existence d'un contrôle cantonal du décret d'approbation par la cour constitutionnelle ne déboucherait en principe pas sur l'irrecevabilité du recours en matière de droit public qui serait, en parallèle, déposé auprès du Tribunal fédéral contre le Concordat latin. Comme indiqué, l'examen de la cour constitutionnelle cantonale porterait formellement sur le décret d'approbation cantonal; il pourrait donc seulement conduire à la non-adhésion du canton concerné audit concordat, tandis que le contrôle qui serait exercé par le Tribunal fédéral aurait pour objet immédiat la convention intercantonale et son éventuelle annulation. Tout au plus l'examen du décret d'approbation par une cour constitutionnelle cantonale pourrait-il justifier - le Tribunal fédéral statuant librement sur ce point - de suspendre, pour raisons d'opportunité, la procédure devant le Tribunal fédéral dans l'attente de l'arrêt cantonal (cf.
art. 71 LTF
cum
art. 6 al. 1 PCF
[RS 273]); en effet, les recourants, singulièrement ceux domiciliés sur le territoire cantonal seraient, en cas d'annulation du décret d'approbation cantonal, susceptibles de perdre tout intérêt actuel à recourir
BGE 138 I 435 S. 444
contre la convention intercantonale (cf.
ATF 137 II 40
consid. 2.1 p. 41; arrêt 2C_825/2011 du 25 avril 2011 consid. 1.4), qui ne s'appliquerait plus sur le territoire qu'ils habitent.
En l'espèce, et indépendamment de la question relative à la compétence de principe du Tribunal cantonal vaudois pour connaître du décret d'approbation, la question d'une éventuelle suspension de la procédure devant la Cour de céans ne se poserait pas, car le Tribunal cantonal vaudois a, par arrêt rendu le 14 février 2012, déclaré irrecevable, pour cause de tardiveté, la requête déposée contre le décret du Grand Conseil vaudois du 7 juin 2011.
1.4.3
Il résulte de ce qui précède que la compétence pour soumettre le Concordat latin à un recours normatif abstrait revient au Tribunal fédéral, à l'exclusion du Tribunal cantonal vaudois. La voie du recours en matière de droit public est donc en principe ouverte.
1.5
L'
art. 101 LTF
prévoit que le recours contre un acte normatif doit être déposé devant le Tribunal fédéral dans les 30 jours qui suivent sa publication selon le droit cantonal.
1.5.1
De manière générale, le délai pour agir commence donc à courir, si - en tant qu'il est ouvert - le référendum n'est pas utilisé, au moment où l'autorité compétente donne officiellement connaissance que, le référendum n'ayant pas été requis, l'arrêté (déjà publié) entre en vigueur ou, éventuellement, entrera en vigueur à une date déterminée (
ATF 135 I 28
consid. 3.3.1 p. 33 s.; arrêt 2C_53/2009 du 23 septembre 2011 consid. 1.2; cf. DONZALLAZ, op. cit., n° 4112 ad
art. 101 LTF
p. 1494; HANS-JAKOB MOSIMANN, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, in Prozessieren vor Bundesgericht, Thomas Geiser et al. [éd.], 3
e
éd. 2011, p. 216 n. 4.124).
1.5.2
En présence d'un recours abstrait dirigé contre une convention intercantonale, il faut toutefois tenir compte des spécificités liées à cet acte normatif bi- ou multilatéral. Celui-ci n'entre en effet pas nécessairement en vigueur ni n'est officiellement publié en même temps dans chacun des cantons signataires (AEMISEGGER/SCHERRER REBER, op. cit., n° 3a ad
art. 101 LTF
p. 1342); de plus, il n'est ratifié par un canton qu'après avoir été soumis au processus d'adhésion défini par l'ordre juridique du canton concerné. En outre, et sous réserve qu'un recourant domicilié dans un canton (non-)signataire établisse qu'une convention intercantonale est susceptible de l'affecter sur le territoire des (autres) cantons concordataires (pour un exemple, cf. arrêt 1C_428/2009 du 13 octobre 2010 consid. 1.4, non
BGE 138 I 435 S. 445
publié in
ATF 137 I 31
), une telle convention ne touchera en règle générale les personnes domiciliées dans un canton particulier qu'au moment où ce dernier aura choisi d'adhérer à ladite convention. Dans l'optique de ne pas vider de son sens la possibilité de former un recours normatif contre un concordat, on doit dès lors admettre qu'une convention intercantonale puisse faire l'objet d'un tel recours à l'occasion de la déclaration d'adhésion d'un canton, même si l'entrée en vigueur du concordat dépend encore de l'adhésion d'autres cantons (cf. arrêt 1C_428/2009 précité consid. 1.1, non publié in
ATF 137 I 31
; AEMISEGGER/SCHERRER REBER, op. cit., n° 44 ad
art. 82 LTF
p. 984).
1.5.3
En l'occurrence, le présent recours a été interjeté dans les 30 jours suivant la publication de l'arrêté de mise en vigueur du décret d'approbation dans la Feuille des avis officiels du canton de Vaud du 23 août 2011. Par cet acte de promulgation, le Conseil d'Etat vaudois, au terme du délai référendaire non utilisé, a fixé au 1
er
août 2011 l'entrée en vigueur du décret l'autorisant à adhérer au Concordat latin. Or, c'est cette publication par laquelle le canton de Vaud décide définitivement d'adhérer au Concordat latin qui a déclenché le délai pour recourir devant le Tribunal fédéral (cf. arrêt 1C_428/2009 précité consid. 1.4, non publié in
ATF 137 I 31
), indépendamment de la date de ratification effective du CChanvre par le Conseil d'Etat vaudois ou des dates d'entrée en vigueur et de prise d'effet prévues à son art. 28 al. 1 et 2. Par conséquent, le recours en matière de droit public a été formé en temps utile. Il a pour le surplus été interjeté dans les formes requises (
art. 42 LTF
).
1.6
Reste à examiner si les recourants disposent de la qualité pour agir devant le Tribunal fédéral.
La qualité pour recourir contre un acte normatif cantonal se satisfait, selon l'art. 89 al. 1 let. b et c LTF, d'une atteinte virtuelle; il suffit donc que l'on puisse prévoir avec un minimum de vraisemblance que les recourants puissent un jour être touchés directement par l'acte normatif attaqué afin que ceux-ci soient à même d'agir (
ATF 136 I 17
consid. 2.1 p. 21). Les recourants remplissent cette exigence: domiciliés dans le canton de Vaud, ils ont par ailleurs exploité ou exploitent toujours des entreprises ayant entre autres pour but le commerce du chanvre et d'articles dérivés. Il convient donc d'entrer en matière. En revanche, les poursuites pénales pour infraction à la loi fédérale du 3 octobre 1951 sur les stupéfiants et les substances psychotropes (loi sur les stupéfiants, LStup; RS 812.121) dont certains
BGE 138 I 435 S. 446
des recourants ont fait l'objet ne sont pas pertinentes dans le présent contexte.
(...)
3.
Dans un premier grief, les recourants affirment que le Concordat latin contreviendrait au principe de la primauté du droit fédéral, dans la mesure où il étendrait indûment le champ d'application de la LStup et instaurerait une série d'obligations dépassant le cadre de cette loi fédérale au caractère exhaustif.
3.1
Garanti à l'
art. 49 al. 1 Cst.
, le principe de la primauté du droit fédéral fait obstacle à l'adoption ou à l'application de règles cantonales qui éludent des prescriptions de droit fédéral ou qui en contredisent le sens ou l'esprit, notamment par leur but ou par les moyens qu'elles mettent en oeuvre, ou qui empiètent sur des matières que le législateur fédéral a réglementées de façon exhaustive. Cependant, même si la législation fédérale est considérée comme exhaustive dans un domaine donné, une loi cantonale peut subsister dans le même domaine en particulier si elle poursuit un autre but que celui recherché par le droit fédéral. En outre, même si, en raison du caractère exhaustif de la législation fédérale, le canton ne peut plus légiférer dans une matière, il n'est pas toujours privé de toute possibilité d'action. Ce n'est que lorsque la législation fédérale exclut toute réglementation dans un domaine particulier que le canton perd toute compétence pour adopter des dispositions complétives, quand bien même celles-ci ne contrediraient pas le droit fédéral ou seraient même en accord avec celui-ci (
ATF 137 I 167
consid. 3.4 p. 174 s.;
ATF 133 I 110
consid. 4.1 p. 116; arrêt 2C_727/2011 du 19 avril 2012 consid. 3.3, non publié in
ATF 138 II 191
).
3.2
Dans un premier temps, la Cour de céans s'emploiera à qualifier les compétences que la Constitution attribue à la Confédération en vue de réglementer la culture et l'utilisation du chanvre (cannabis sativa L.; cf. à propos de la terminologie: Message du 9 avril 1951 relatif à la révision de la loi sur les stupéfiants, FF 1951 I 841, 866 s.). Ce faisant et en fonction de la qualification retenue, il conviendra de s'interroger au sujet du caractère exhaustif ou non de la législation fédérale dans le domaine considéré (cf. consid. 3.3 et 3.4 infra). Si cette dernière réglementation s'avérait être exhaustive, il faudrait encore en examiner les répercussions sur la constitutionnalité du Concordat latin, étant donné que celui-ci prétend réglementer certains aspects de la culture et du commerce du chanvre agricole (cf. consid. 3.5 infra).
BGE 138 I 435 S. 447
3.3
L'
art. 104 Cst.
définit les compétences et les objectifs que doivent poursuivre les autorités fédérales en matière agricole. Aux termes de l'
art. 104 al. 1 Cst.
, la Confédération veille à ce que l'agriculture, par une production répondant à la fois aux exigences du développement durable et à celles du marché, contribue substantiellement: (a.) à la sécurité de l'approvisionnement de la population; (b.) à la conservation des ressources naturelles et à l'entretien du paysage rural; (c.) à l'occupation décentralisée du territoire.
3.3.1
La disposition constitutionnelle précitée dote la Confédération d'une compétence concurrente non limitée aux principes. La Confédération en a fait usage dans une très large mesure, en adoptant notamment la loi fédérale du 29 avril 1998 sur l'agriculture (loi sur l'agriculture, LAgr; RS 910.1) ainsi que de nombreuses ordonnances, qui réduisent d'autant les compétences autonomes dont disposent les cantons dans le domaine agricole (VALLENDER/HETTICH, in Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2
e
éd. 2008, n° 3 ad
art. 104 Cst.
p. 1668 s.).
3.3.2
En matière de chanvre, l'art. 4 et l'annexe n° 4 de l'ordonnance du 7 décembre 1998 de l'Office fédéral de l'agriculture sur le catalogue des variétés de céréales, de pommes de terre, de plantes fourragères, de plantes oléagineuses et à fibres ainsi que de betteraves (ordonnance sur le catalogue des variétés; RS 916.151.6), autorise la mise en circulation et certification des semences de chanvre d'un taux en THC inférieur à 0,3 % (voir aussi HANS SPILLMANN, Hanfanbau - Im Spannungsfeld zwischen landwirtschaftlicher Produktion und Betäubungsmittelherstellung, Communications de droit agraire 2000 p. 153 ss). Il en découle qu'il est possible d'utiliser de telles semences dans le domaine de l'agriculture (cf.
art. 162 al. 1 LAgr
), soit également de cultiver légalement du chanvre au moyen de ces dernières (cf. Office fédéral de la Justice, Réglementation sur le commerce du chanvre - Avis de droit du 15 octobre 2007, JAAC 2008 n°16 p. 265 ss, ch. 3.1 p. 268).
3.3.3
Au vu de ce qui précède, force est de retenir que la Confédération a, sous réserve des compétences que la législation déléguerait aux cantons et des tâches cantonales liées à l'exécution du droit fédéral, exhaustivement réglementé les aspects du droit agricole relatifs à l'utilisation de semences de chanvre.
3.4
L'
art. 118 Cst.
, qui a repris en substance les art. 69, 69
bis
et 24
quinquies
al. 2 aCst., règle les compétences de la Confédération en matière de protection de la santé.
BGE 138 I 435 S. 448
3.4.1
La santé publique est en principe du ressort des cantons (cf.
art. 3 Cst.
; TOMAS POLEDNA, in Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Bernhard Ehrenzeller et al. [éd.], 2
e
éd. 2008, n° 5 ad
art. 118 Cst.
p. 1823; POLEDNA/BERGER, Öffentliches Gesundheitsrecht, 2002, p. 17 n. 43). Toutefois, la Confédération se voit reconnaître la compétence pour en réglementer certains aspects spécifiques (
art. 118 al. 1 Cst.
: "Dans les limites de ses compétences"; cf. Message du 20 novembre 1996 relatif à une nouvelle Constitution fédérale, FF 1996 I 1, 338; ERWIN MURER, Wohnen, Arbeit, Soziale Sicherheit und Gesundheit, in Droit constitutionnel suisse, Daniel Thürer et al. [éd.], 2001, p. 967 ss, 977 n. 22), qui sont exhaustivement mentionnés à l'
art. 118 al. 2 Cst.
A l'intérieur de ces domaines segmentaires, la Confédération dispose d'une "compétence globale dotée d'un effet dérogatoire subséquent" (cf.
ATF 133 I 110
consid. 4.2 p. 116; FF 1996 I 1, 338; GIOVANNI BIAGGINI, in BV-Kommentar, 2007, n° 6 ad
art. 118 Cst.
p. 555; sous l'angle de l'aCst.: GUIDO CORTI, Canapa et "canapai" fra legalità e illegalità - Parere del 1° aprile/11 giugno 1999, RDAT 1999 II p. 377, 390 s.), à savoir d'une compétence concurrente non limitée aux principes lui permettant de réglementer exhaustivement une matière de sorte à évincer toute compétence cantonale autonome dans ce domaine, sous réserve des compétences réservées ou déléguées aux cantons, ainsi que de celles résultant de l'exécution du droit fédéral en vertu de l'
art. 46 Cst.
(cf. AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, op. cit., p. 360 n. 1017; POLEDNA, op. cit., n° 7 ad
art. 118 Cst.
p. 1824; RHINOW/SCHEFER, op. cit., p. 149 n. 727).
3.4.2
Selon l'
art. 118 al. 2 let. a Cst.
, la Confédération légifère entre autres sur l'utilisation des stupéfiants, ce qu'elle a fait en adoptant en particulier la LStup, l'ordonnance du 25 mai 2011 sur le contrôle des stupéfiants (OCStup; RS 812.121.1), l'ordonnance du 30 mai 2011 du Département fédéral de l'intérieur sur les tableaux des stupéfiants, des substances psychotropes, des précurseurs et des adjuvants chimiques (ordonnance sur les tableaux des stupéfiants, OTStup-DFI; RS 812.121.11), l'ordonnance du 25 mai 2011 relative à l'addiction aux stupéfiants et aux autres troubles liés à l'addiction (ordonnance relative à l'addiction aux stupéfiants, OAStup; RS 812.121.6), ainsi que la loi fédérale du 15 décembre 2000 sur les médicaments et les dispositifs médicaux (loi sur les produits thérapeutiques, LPTh; RS 812.21) et ses ordonnances, qui s'appliquent aux stupéfiants utilisés comme produits thérapeutiques (cf.
art. 1b LStup
;
ATF 133 I 58
consid. 4.1.2 p. 60).
BGE 138 I 435 S. 449
3.4.3
La législation en matière de stupéfiants a notamment pour objectifs de prévenir la consommation non autorisée de stupéfiants, réglementer leur mise à disposition à des fins médicales et scientifiques, protéger les personnes des conséquences liées à l'addiction, préserver la sécurité et l'ordre publics des dangers émanant du commerce et de la consommation de stupéfiants et lutter contre les actes criminels étroitement liés au commerce et à la consommation de ces substances (cf.
art. 1 LStup
). Du point de vue de son champ d'application matériel, cette loi régit le domaine des stupéfiants et des substances psychotropes, dont la principale caractéristique est celle d'engendrer la dépendance (cf.
art. 2 let. a et b LStup
; cf., sous l'ancien
art. 1 LStup
, arrêt 6S.3/2003 du 2 mai 2003 consid. 1.2). Ainsi, une substance tombe dans le champ de cette législation restrictive (cf. GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Gesundheitsrecht, 2
e
éd. 2010, p. 44) dans la mesure où elle est susceptible de produire de tels effets d'accoutumance ou de servir à la préparation de stupéfiants (cf. Initiative parlementaire du 4 mai 2006 concernant la révision partielle de la loi sur les stupéfiants, FF 2006 8141, 8192 ch. 6.1). De plus, la loi vise, comme indiqué précédemment, à "prévenir la consommation non autorisée de stupéfiants et de substances psychotropes", tandis que le recours à certains de ces produits en médecine reste permis (cf. art. 8 al. 5-7 et
art. 9 ss LStup
; FF 2006 8211, 8213 ch. 2.1.1).
3.4.4
S'agissant plus spécifiquement du chanvre, d'après l'
art. 2 let. a LStup
précité, les substances et préparations qui engendrent une dépendance et qui ont des effets de type cannabique, et celles qui sont fabriquées à partir de ces substances ou préparations ou qui ont un effet semblable à celles-ci, entrent dans la définition des stupéfiants et ne peuvent être, selon l'
art. 8 al. 1 let
. d LStup, ni cultivées, ni importées, ni fabriquées ou mises dans le commerce, certaines dérogations restant néanmoins possibles aux alinéas 5 à 8 de l'
art. 8 LStup
. Il résulte ainsi des termes "effets de type cannabique" que le chanvre doit être prima facie considéré comme un stupéfiant au sens de la LStup (FF 2006 8141, 8160 ch. 3.1.4).
3.4.5
Par ailleurs, le chapitre 5 (art. 29 ss) de la LStup fixe en détail les tâches appartenant à la Confédération et celles que le législateur fédéral a dévolues aux cantons; ces derniers sont en particulier tenus d'édicter les dispositions d'exécution et doivent désigner les autorités et offices chargés d'accomplir les attributions définies par la LStup (cf.
art. 29d LStup
).
BGE 138 I 435 S. 450
3.4.6
Compte tenu des actes normatifs à la fois denses et détaillés que la Confédération a notamment adoptés en matière de consommation, de commerce et de protection contre les effets indésirables et nocifs des stupéfiants, et sous réserve des compétences que la LStup délègue aux cantons sous la haute surveillance de la Confédération (cf.
art. 29 al. 1 LStup
), on peut retenir que la Confédération a exhaustivement réglementé le domaine des stupéfiants, dont relèvent également le chanvre et ses dérivés (cf., dans ce sens, CORTI, op. cit., p. 391; Office fédéral de la Justice, op. cit., p. 268).
3.5
Dès lors que la législation fédérale en matière d'agriculture et de stupéfiants doit être considérée comme complète et exhaustive en ce qui a trait au chanvre et à ses dérivés, il convient de déterminer quelles en sont les conséquences pour la constitutionnalité et l'existence du Concordat latin.
3.5.1
Le caractère exhaustif de la législation fédérale dans un certain domaine n'équivaut pas, de façon absolue ou systématique, à éliminer toute possibilité pour un canton de légiférer dans cette même matière. En particulier, il a été vu auparavant qu'une réglementation cantonale peut subsister dans le même champ lorsqu'elle poursuit un autre but que celui recherché par le droit fédéral exhaustif (consid. 3.1 supra; cf. aussi JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, vol. I, 1967, p. 252 n. 661).
Ainsi, par exemple, le Tribunal fédéral a admis la possibilité pour des communes d'édicter des prescriptions d'aménagement du territoire et de police des constructions concernant des installations de téléphonie mobile, alors même que la protection contre les immissions de ces installations était exhaustivement réglementée par le droit fédéral, de sorte à exclure toute réglementation cantonale ou communale visant directement lesdites immissions (cf.
ATF 133 II 64
consid. 5.2 s. p. 66 s.). De même, le Tribunal fédéral a jugé que l'obligation d'obtenir une concession pour utiliser le sous-sol, découlant du droit des constructions, de l'aménagement du territoire ou d'une régale minière cantonale, en vue d'y construire un dépôt atomique souterrain était compatible avec la législation fédérale exhaustive sur l'utilisation pacifique de l'énergie atomique (cf.
ATF 119 Ia 390
consid. 6c p. 402 et consid. 11b p. 406;
ATF 111 Ia 303
consid. 5a p. 307). Tout en retenant une violation du Code pénal dans le cas sous examen, le Tribunal fédéral a néanmoins retenu que le droit pénal fédéral laissait aux cantons la compétence de protéger l'intérêt public en édictant des dispositions de droit administratif, même dans
BGE 138 I 435 S. 451
des domaines que la Confédération avait déjà réglementés du point de vue pénal, pour autant que le droit public cantonal ne revienne pas à paralyser ou contredire le droit pénal (cf.
ATF 114 Ia 452
consid. 2a p. 457 s.).
A partir de ce qui vient d'être dit, il ne peut donc être a priori exclu que les cantons conservent le droit de réglementer le chanvre agricole sous l'angle du droit de l'aménagement du territoire ou d'un autre domaine poursuivant un intérêt public différent de ceux qu'appréhende déjà le droit fédéral.
3.5.2
En l'occurrence, tel qu'il résulte des déterminations des cantons concordataires ainsi que de l'exposé des motifs du projet de CChanvre adopté par la Conférence latine en date du 29 octobre 2010 (ci-après: l'exposé des motifs), le Concordat latin réglemente le chanvre dit "licite", "agricole" ou "non stupéfiant". Conformément aux travaux préparatoires relatifs à la modification de la LStup du 20 mars 2008 (cf. FF 2006 8141, 8174 ch. 3.1.10.1; RO 2011 2559; RO 2009 2623), il s'agit là du chanvre qui ne figure pas sur la liste des produits assimilés à des stupéfiants, que le Département fédéral de l'intérieur (ci-après: le Département fédéral) a dressée en application de l'
art. 2a LStup
. Concrètement, le Département fédéral a exclu de la liste les graines de chanvre figurant dans le catalogue des variétés des dispositions relatives aux substances soumises au contrôle (
art. 4 OTStup-DFI
); de même, il a soumis à contrôle la plante de chanvre ou ses parties, ses préparations et ses dérivés en tant qu'ils présentent une teneur totale moyenne en tétrahydrocannabinol (THC) de 1,0 % au moins (cf. OTStup-DFI, Annexes). Prima facie, le CChanvre entend donc régir uniquement le chanvre que la législation fédérale en matière de stupéfiants a exclu de son champ d'application matériel, soit la culture et le commerce du chanvre présentant un taux de substance active inférieur au taux fixé par le Département fédéral, l'art. 1 al. 3 et 4 CChanvre réservant de surcroît les dispositions du droit fédéral.
3.5.3
Cela étant, quand bien même le Concordat latin se propose de réglementer une matière que le législateur fédéral a, à première vue, exclu de son champ d'application, cet instrument intercantonal soulève des problèmes juridiques sous au moins trois angles différents:
Premièrement, l'on peut se demander si le fait pour la Confédération d'avoir expressément exclu le chanvre agricole dont le taux est inférieur à 1 % de THC de la législation en matière de stupéfiants et
BGE 138 I 435 S. 452
d'accepter l'utilisation de semences de chanvre présentant un taux en THC peu élevé à des fins agricoles, ne traduirait pas la volonté expresse du législateur fédéral d'empêcher toute réglementation cantonale, a fortiori de nature restrictive, dans le domaine du chanvre licite. La question d'un éventuel silence qualifié du législateur fédéral (cf., pour des exemples:
ATF 138 II 1
consid. 4.3 p. 4;
ATF 138 IV 13
consid. 3.3.1 p. 16;
ATF 134 V 15
consid. 2.3 p. 19;
ATF 116 IV 19
consid. 3 p. 21; voir aussi
ATF 138 I 196
consid. 4.5.4 p. 203 s.; ANNE BENOIT, Le partage vertical des compétences en tant que garant de l'autonomie des Etats fédérés en droit suisse et en droit américain, 2009, p. 108 s.) souffre toutefois de rester indécise compte tenu des problématiques abordées ci-après.
Deuxièmement, il convient de souligner que le CChanvre a pour seul but exprimé de "prévenir les violations du droit fédéral, notamment en matière de stupéfiants et en matière agricole" (cf. art. 1 al. 2). Il n'entend ainsi pas réglementer un aspect distinct de celui que le droit fédéral appréhende d'ores et déjà, et ne cherche pas non plus à sauvegarder un intérêt public différent de celui qui est déjà poursuivi par la LStup (cf.
art. 1 let
. d et e). Le Concordat latin vise au contraire à introduire des mesures de police administratives (obligations d'annonce et d'autorisation, possibilité d'effectuer des contrôles inopinés en dehors du contexte pénal, etc.) qui tendent à garantir ou à rendre plus efficace la bonne application du droit fédéral exhaustif dans des domaines où ce dernier n'a à dessein pas tenu pour nécessaire d'instaurer de telles mesures ou a d'ores et déjà prévu sa propre réglementation de nature tant administrative que pénale (cf. notamment les
art. 8, 16 ss et 19 ss LStup
;
art. 169 ss et 172 ss LAgr
).
Troisièmement, le Concordat latin vise non seulement à atteindre les mêmes buts que ceux que le droit fédéral exhaustif contient d'ores et déjà mais il introduit aussi certaines mesures administratives qui, de par leurs caractéristiques ou leurs effets, pourraient conduire les autorités administratives des cantons concordataires à vider de leur substance certaines mesures de contrainte de nature pénale ou, à tout le moins, de faire double emploi avec celles-ci. On relèvera en particulier la similitude pouvant exister entre les mesures de perquisition et de séquestre instaurées par les
art. 244 et 263 CPP
, et la possibilité conférée aux autorités administratives cantonales de procéder, "en tout temps, dans le cadre de leurs attributions respectives et au besoin par la contrainte (...) au contrôle des infrastructures, des cultures ou des locaux commerciaux et au contrôle des personnes qui
BGE 138 I 435 S. 453
s'y trouvent, dans le but de vérifier qu'aucune activité illicite ne s'y exerce", ainsi qu'à opérer d'éventuels séquestres (cf. art. 17 CChanvre). Le caractère intrusif de la réglementation intercantonale dans le domaine du droit pénal fédéral se trouve de plus accentué par les sanctions pénales que ledit concordat instaure en cas de contravention à ses dispositions matérielles (cf. art. 21 CChanvre), ce qui contribue indirectement à pénaliser un domaine déclaré licite par le législateur fédéral (cf., à ce titre,
ATF 116 IV 19
consid. 3 p. 20 précité).
3.5.4
Il n'est par ailleurs pas inutile de rappeler que le texte du CChanvre a été élaboré dans le contexte d'une mouture antérieure de la LStup, dont l'ancien
art. 8 al. 1 let
. d interdisait sans exception la culture et le commerce du chanvre en vue d'en extraire des stupéfiants et dont l'ancien art. 19 ch. 1 al. 1 punissait la culture de boutures de chanvre dans la mesure où celles-ci permettaient, après croissance, d'obtenir du chanvre à haute teneur en THC, lequel devait en outre servir à la consommation comme stupéfiant. Il incombait alors aux autorités pénales de démontrer l'usage illégal du chanvre envisagé (critère du but; cf.
ATF 130 IV 83
consid. 1.1 p. 85 s.). Dans la pratique, ces exigences avaient confronté les autorités pénales à des difficultés majeures en vue d'établir l'intention des prévenus de faire un usage illégal du cannabis trouvé en leur possession (cf. CORTI, op. cit., p. 382; Office fédéral de la Justice, op. cit., ch. 2.3 p. 268; Message du 15 décembre 2006 concernant l'initiative populaire "pour une politique raisonnable en matière de chanvre protégeant efficacement la jeunesse", FF 2007 241, 246 ch. 2.2.2). C'est dans cette perspective que certains cantons avaient ressenti le besoin d'instaurer des mesures administratives destinées à faciliter l'exécution du droit pénal relatif aux stupéfiants. Or, dans sa version actuelle, la LStup ne se fonde plus sur la destination illicite du chanvre, mais uniquement sur le taux en THC de cette plante (cf., pour les travaux y relatifs, FF 2006 8141, 8147). Ce taux pouvant être facilement objectivé et mesuré par les autorités cantonales agissant en application de la législation fédérale en matière de stupéfiants, la raison d'être historique de la convention intercantonale litigieuse a elle aussi disparu.
3.5.5
Il découle des considérations qui précèdent que, bien que le Concordat latin réglemente le domaine du chanvre agricole qui sort du cadre stricto sensu de la législation fédérale, il pose néanmoins des conditions et exigences ayant pour vocation et pour effet d'atteindre les mêmes buts de prévention et de contrôle déjà visés par
BGE 138 I 435 S. 454
le droit fédéral; ce, au moyen de mesures administratives restrictives que ce dernier ne prévoit précisément pas. En cela, le Concordat latin poursuit un but préventif qui relève, en raison du caractère exhaustif de la législation fédérale en la matière, du seul droit fédéral; il en découle qu'il ne peut être simultanément gouverné par une réglementation intercantonale au contenu distinct, qui opère qui plus est selon des moyens divergents (cf. MAX IMBODEN, Die staatsrechtliche Bedeutung des Grundsatzes "Bundesrecht bricht kantonales Recht", RDS 61/1942 p. 203 ss, 208). Le CChanvre empiète dès lors sur les compétences que la Constitution a attribuées à la Confédération et dont cette dernière a fait un plein usage.
3.5.6
Compte tenu du but explicite et unique qu'elle poursuit dans le domaine de la prévention des infractions contre la LStup et la LAgr, alors même que ces lois fédérales disposent de leur propre réglementation sanctionnant l'éventuel non-respect de leurs propres dispositions, la convention intercantonale litigieuse n'est pas accessible à une interprétation conforme au droit supérieur (
...
).
En conclusion, le CChanvre contrevient, par son existence même, au principe de la primauté du droit fédéral consacré à l'
art. 49 al. 1 Cst.
et devra être intégralement annulé pour ce motif. Le grief des recourants doit donc être admis.
3.6
Au vu de ce qui précède, dans la mesure où le concordat attaqué devra être entièrement annulé en raison de son incompatibilité avec le droit supérieur, la question de savoir si le CChanvre viole en sus, comme l'affirment les recourants, la liberté économique (
art. 27 Cst.
) peut rester indécise. | mixed |
7f2c2db2-cdea-4fab-b2f9-0b4428d8dbf7 | Sachverhalt
ab Seite 157
BGE 128 I 155 S. 157
Das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (Mehrwertsteuergesetz, MWSTG; SR 641.20; in Kraft seit 1. Januar 2001) gilt in Samnaun und Sampuoir, solange diese beiden Talschaften aus dem schweizerischen Zollgebiet ausgeschlossen sind, nur für Dienstleistungen sowie für Leistungen des Hotel- und Gastgewerbes. Die dem Bund auf Grund dieser Bestimmung entstehenden Steuerausfälle sind durch die Gemeinden Samnaun und Tschlin zu kompensieren; Einsparungen, die sich auf Grund des geringeren Erhebungsaufwands ergeben, sind angemessen zu berücksichtigen. Der Bundesrat regelt die Einzelheiten im Einvernehmen mit den Gemeinden Samnaun und Tschlin (
Art. 3 Abs. 3 MWSTG
).
Die Stimmberechtigten der Gemeinde Samnaun nahmen am 17. Dezember 2000 das neu geschaffene Sondergewerbesteuergesetz für den Handel und Bauinvestitionen der Gemeinde Samnaun an (im Folgenden: SGSG Handel). Mit dem Ertrag dieser Steuer sollen insbesondere die erwähnten Kompensationszahlungen an den Bund finanziert werden; ausserdem werden die Mittel zur Förderung der Wirtschaft und insbesondere der Landwirtschaft sowie für Beiträge an das Marketing verwendet; der restliche Ertrag fällt in den Gemeindehaushalt (Art. 18). Mit dem Erlass des SGSG Handel wurde gleichzeitig das Gesetz der Gemeinde Samnaun über die Besteuerung des Handels mit gebranntem Wasser, mit Benzin und mit Dieselöl vom 28. Oktober 1973 (neu: Gesetz über die Besteuerung des Handels mit Benzin und mit Dieselöl; im Folgenden: SGSG Benzin und Dieselöl) abgeändert. Der Ertrag der Steuer dient den gleichen Zwecken wie jener des SGSG Handel (vgl. rev. Art. 18). Gleichzeitig wurde auch das revidierte Gesetz der Gemeinde Samnaun über die Besteuerung des Handels mit Tabakwaren (nachfolgend: SGSG Tabak) von den Stimmberechtigten angenommen. Die zollfreien Zigaretten werden den Bezugsberechtigten vom Gemeindevorstand auf Grund des von den zuständigen Bundesbehörden bewilligten Kontingents für zollfreie Tabakwaren zugeteilt; er berücksichtigt dabei die Anzahl der Detailhändler sowie die Samnaun Tourismus gemeldeten Logiernächte (Art. 3). Zur
BGE 128 I 155 S. 158
Überwachung und Kontrolle des Handels mit Tabakwaren in der Zollfreizone Samnaun betreibt die Gemeinde Samnaun zusammen mit der Gemeinde Tschlin eine Clearingstelle (Art. 17). Der Einkauf und die Einfuhr sämtlicher Tabakwaren hat ausschliesslich über jene Händler, Lieferanten und Transporteure von Tabakwaren zu erfolgen, die durch die Clearingstelle vorgängig anerkannt wurden (Art. 4). Die Bezugsberechtigten haben der Clearingstelle ihre Bezüge von Tabakwaren zu melden (Art. 6). Diese orientiert ihrerseits die Zollbehörden, wenn ein Bezugsberechtigter seinen Kontingentsanteil an zollfreien Tabakwaren bezogen hat (Art. 5).
Die Regierung des Kantons Graubünden wies die von C. und Mitbeteiligten am 14. Februar 2001 erhobene verfassungsrechtliche Beschwerde, mit der die Aufhebung der an der Urne angenommenen Sondergewerbesteuergesetze beantragt wurde, mit Entscheid vom 3. Juli 2001 ab.
Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Die staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Erlass ist binnen 30 Tagen seit der nach kantonalem Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung zu erheben (
Art. 89 OG
). Kennt das kantonale Recht ein Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, ist zunächst dieses zu durchlaufen (
Art. 86 Abs. 1 OG
;
BGE 124 I 11
E. 1a S. 13, mit Hinweisen), und die Frist zur staatsrechtlichen Beschwerde beginnt alsdann mit der Eröffnung des letztinstanzlichen kantonalen Normenkontrollentscheids. Nach der Praxis des Bundesgerichts kann jedoch mit einer an einen solchen Entscheid anknüpfenden staatsrechtlichen Beschwerde die verfassungsrechtliche Überprüfung und allfällige Aufhebung des angefochtenen Erlasses nur dann verlangt werden, wenn das kantonale Normenkontrollverfahren unmittelbar im Anschluss an den Erlass der angefochtenen Bestimmung, d.h. innert der hiefür vorgeschriebenen oder, mangels einer solchen, innert der üblichen Rechtsmittelfrist eingeleitet worden ist. Wird indessen, wo das kantonale Recht die Einleitung eines abstrakten Normenkontrollverfahrens jederzeit bzw. ohne fristliche Bindung an den Erlass der angefochtenen Bestimmung zulässt, wie dies im Kanton Graubünden der Fall ist, ein entsprechender Normenkontrollentscheid erst später erwirkt, so kann mit einer daran
BGE 128 I 155 S. 159
anschliessenden staatsrechtlichen Beschwerde weder eine verfassungsrechtliche Überprüfung noch die Aufhebung der beanstandeten Rechtssätze verlangt werden; zulässig sind in diesem Fall einzig noch Verfassungsrügen, die sich gegen den Entscheid bzw. das Verfahren vor der kantonalen Normenkontrollinstanz richten (
BGE 111 Ia 270
E. 2 mit Hinweis).
Im vorliegenden Fall datieren die angefochtenen Erlasse vom 17. Dezember 2000; die verfassungsrechtliche Beschwerde an die Regierung wurde am 14. Februar 2001 erhoben. Es stellt sich daher die Frage, ob die Beschwerde innert der "üblichen" Rechtsmittelfrist eingereicht worden ist. Wie es sich damit verhält, kann jedoch dahingestellt bleiben, da die staatsrechtliche Beschwerde ohnehin rechtzeitig ist: Nach Art. 42 des bündnerischen Gemeindegesetzes vom 28. April 1974 bedürfen kommunale Steuererlasse nämlich zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung durch die Regierung. Diese wurde im vorliegenden Fall am 3. Juli 2001 erteilt, am gleichen Tag, an dem der angefochtene Entscheid gefällt wurde. Bedarf aber ein Erlass der (konstitutiven) Genehmigung durch eine andere Behörde, so beginnt die Beschwerdefrist erst mit der Genehmigung bzw. der Bekanntmachung des Genehmigungsentscheids zu laufen (
BGE 121 I 187
E. 1b und c S. 189/190; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 349). Da die Beschwerdeführer ihre kantonale verfassungsrechtliche Beschwerde noch vor der Ausfällung des Genehmigungsentscheids erhoben haben, kann ihnen nicht vorgeworfen werden, sie hätten damit zu lange zugewartet. Die im Anschluss an den Beschwerdeentscheid der Regierung erhobene staatsrechtliche Beschwerde vom 6. September 2001 erweist sich daher - unter Berücksichtigung der Sommergerichtsferien (
Art. 34 Abs. 1 lit. b OG
) - als rechtzeitig.
2.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von
Art. 127 Abs. 2 BV
. Sie machen geltend, die streitigen Sondergewerbesteuern verstiessen gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung, indem sie ohne sachlichen Grund nur von einer bestimmten Gruppe von Steuerpflichtigen erhoben würden. Überdies werde der Ertrag - ebenfalls ohne sachlichen Grund - nicht nur zur Finanzierung der Kompensationszahlungen an den Bund, sondern auch für die Förderung der Landwirtschaft und das Tourismus-Marketing verwendet.
2.1
Nach
Art. 127 Abs. 2 BV
sind bei der Ausgestaltung der Steuern, soweit es deren Art zulässt, insbesondere die Grundsätze
BGE 128 I 155 S. 160
der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten. Nach diesen Grundsätzen, die unter der Herrschaft der alten Bundesverfassung aus dem Gebot der Rechtsgleichheit abgeleitet wurden, müssen die Steuerpflichtigen nach Massgabe der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gleichmässig belastet werden (
BGE 126 I 76
E. 2a mit Hinweisen). Dabei ist zu beachten, dass die erwähnten Grundsätze auf die direkten Steuern zugeschnitten sind. Dieser Überlegung hat das Parlament durch Beifügung des Passus "soweit es die Art der Steuer zulässt" Rechnung getragen (zur Entstehungsgeschichte von
Art. 127 Abs. 2 BV
vgl. SILVIA MARIA SENN, Die verfassungsrechtliche Verankerung von anerkannten Besteuerungsgrundsätzen, Diss. Zürich 1999, S. 285/286).
2.2
Soweit mit den streitigen Abgaben bezweckt wird, die Kompensationszahlungen zu finanzieren, die die Gemeinde dem Bund wegen des Wegfalls der Mehrwertsteuer bezahlen muss, lassen sie sich am ehesten als Kostenanlastungssteuern qualifizieren. Unter diesen Begriff fallen Sondersteuern, die einer bestimmten Gruppe von Pflichtigen auferlegt werden, weil sie zu bestimmten Aufwendungen des Gemeinwesens eine nähere Beziehung haben als die Gesamtheit der Steuerpflichtigen. Von den Vorzugslasten (Beiträgen) unterscheiden sich solche Abgaben dadurch, dass kein individueller, dem einzelnen Pflichtigen zurechenbarer Sondervorteil vorliegen muss, der die Erhebung der Abgabe rechtfertigt. Es genügt, dass die betreffenden Aufwendungen des Gemeinwesens dem abgabepflichtig erklärten Personenkreis eher anzulasten sind als der Allgemeinheit, sei es, weil diese Gruppe von den Leistungen generell (abstrakt) stärker profitiert als andere oder weil sie - abstrakt - als hauptsächlicher Verursacher dieser Aufwendungen angesehen werden kann. Die Kostenanlastungsabgabe stellt, da sie voraussetzungslos, d.h. unabhängig vom konkreten Nutzen oder vom konkreten Verursacheranteil des Pflichtigen erhoben wird, eine Steuer dar. Sie steht nach dem Gesagten aber in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung. Eine derartige Sondersteuer setzt voraus, dass sachlich haltbare Gründe bestehen, die betreffenden staatlichen Aufwendungen der erfassten Personengruppe anzulasten. Zudem muss die allfällige Abgrenzung nach vertretbaren Kriterien erfolgen; andernfalls verletzt die Abgabe das in
Art. 8 BV
enthaltene Gleichheitsgebot (vgl.
BGE 124 I 289
E. 3b S. 291/292 mit Hinweisen).
BGE 128 I 155 S. 161
2.3
Gemäss
Art. 3 Abs. 3 MWSTG
haben die Gemeinden Samnaun und Tschlin dem Bund die Steuerausfälle zu kompensieren, die ihm daraus entstehen, dass in diesen Gemeinden die Mehrwertsteuer nur für Dienstleistungen sowie für die Leistungen des Hotel- und Gastgewerbes erhoben wird. Auch wenn die Gemeinde die Zahlungen aus den allgemeinen, von sämtlichen Steuerpflichtigen zu tragenden Finanzmitteln leisten könnte, liegt es doch nahe, diese Kosten in erster Linie jenen Leistungspflichtigen anzulasten, die von der Befreiung von der Mehrwertsteuer profitieren und deren Privilegierung den Bund veranlasst hat, von der Gemeinde eine Kompensation zu verlangen. Wenn die Gemeinde in Art. 3 und 7 SGSG Handel namentlich die Umsätze der Handelsbetriebe und die Bauleistungen einer Sondersteuer unterwirft, so ist dies sachlich vertretbar, denn es sind hauptsächlich diese Umsätze, die der Mehrwertsteuer entgehen und die zu den Kompensationszahlungen Anlass geben. Demgegenüber sind die Dienstleistungen und die Leistungen des Hotel- und Gastgewerbes der Mehrwertsteuer unterworfen, und die Landwirte sind für die Lieferungen der im eigenen Betrieb gewonnenen Erzeugnisse ohnehin von der Steuerpflicht ausgenommen (
Art. 25 Abs. 1 lit. b MWSTG
), so dass hiefür keine Steuerausfälle zu kompensieren sind.
2.4
Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, dringt nicht durch. Dass die Gewerbetreibenden die Sondersteuer zu entrichten haben, obwohl auch die im Zollfreigebiet ansässigen Endkonsumenten von der Befreiung durch die Mehrwertsteuer profitieren, verletzt den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung nicht und ist systemkonform: Einerseits wäre auch die Mehrwertsteuer nicht vom Endkonsumenten erhoben worden, anderseits kann damit gerechnet werden, dass die Sondergewerbesteuer Handel so gut wie die Mehrwertsteuer auf den Endkonsumenten überwälzt werden kann. Von der Einholung eines Gutachtens über die behauptete "Umverteilungswirkung" der Steuer durfte die Regierung ohne Verletzung des Gehörsanspruchs der Beschwerdeführer absehen. Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, dass die Berechnungen des Bundes betreffend die Höhe des von der Gemeinde zu kompensierenden Steuerausfalls nicht korrekt seien, genügt die Begründung den Anforderungen von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
nicht, indem sich die Beschwerdeführer nicht substantiiert mit den entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid auseinandersetzen. Im Übrigen bildet die Höhe der in
Art. 3 Abs. 3 MWSTG
vorgesehenen Kompensationszahlungen nur ein Element der
BGE 128 I 155 S. 162
Berechnungsgrundlagen für die Erhebung der Sondersteuer; die Gemeinde kann deren Ertrag daneben auch für die Wirtschaft, insbesondere die Landwirtschaft sowie für das Marketing verwenden; der restliche Ertrag fällt in den Gemeindehaushalt (Art. 18 SGSG Handel).
2.5
Soweit der Ertrag aus den Sondergewerbesteuern auch zu den soeben genannten Zwecken verwendet wird oder in den Gemeindehaushalt fällt, können die Steuern nicht mit der Anlastung der Kosten aus den Kompensationszahlungen gerechtfertigt werden. Sie stellen insoweit auch keine echte Vorzugslast im Sinn einer dem Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip unterliegenden Kausalabgabe dar, da sie nicht als Gegenleistung für eine bestimmte Aufwendung des Gemeinwesens erscheinen. Eine gewisse Ähnlichkeit besteht dagegen mit der Mehrwertabgabe, mit der die Abschöpfung von durch planerische Massnahmen geschaffenen Vorteilen bezweckt wird (vgl. dazu
BGE 121 II 138
;
BGE 105 Ia 134
; BLUMENSTEIN/LOCHER, System des Steuerrechts, 6. Aufl., Zürich 2002, S. 4). Es kann bei der Beurteilung der Sondergewerbesteuern nämlich nicht über die ganz besondere Situation der Gemeinde Samnaun hinweggesehen werden. Diese bildet, wie allgemein bekannt ist, ein Zollausschlussgebiet im Sinn von Art. 2 Abs. 2 des Zollgesetzes vom 1. Oktober 1925 (ZG; SR 631.0). Das heisst, dass Waren sämtlicher Art zollfrei in das Gemeindegebiet eingeführt und dort ohne Zollbelastung verkauft werden können. Von Bedeutung ist dies namentlich bei Produkten, die mit besonders hohen Grenzabgaben belastet sind, wie dies namentlich bei Treibstoffen (vgl. das Mineralölsteuergesetz vom 21. Juni 1996; SR 641.61) und Tabakwaren (vgl. das Bundesgesetz über die Tabakbesteuerung vom 21. März 1969; SR 641.31) der Fall ist. Es ist gerichtsnotorisch, dass dieses auf besondere historische Umstände zurückzuführende und seit mehr als 100 Jahren bestehende Privileg zur Folge gehabt hat, dass sich auf dem Gebiet der Gemeinde Samnaun ein ganzer Wirtschaftszweig gebildet hat, der auf dem mit dem Zollprivileg zusammenhängenden Einkaufstourismus beruht. Der Sinn der Sondergewerbesteuern liegt nun nach Darstellung der Gemeinde darin, die Vorteile, die einzelne Gewerbetreibende aus dem Zollprivileg ziehen, sämtlichen Einwohnern zukommen zu lassen und Wirtschaftszweige, die davon nicht oder jedenfalls nicht direkt profitieren, wie die Landwirtschaft und der Tourismus, zu fördern. Es geht somit um eine Art Ausgleichung des Sondervorteils, der einzelnen Gewerbetreibenden aus dem Zollprivileg erwächst. Das ist unter dem Gesichtspunkt der
BGE 128 I 155 S. 163
Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Gemeinde Samnaun erhebt denn auch schon seit längerer Zeit und unabhängig von der Einführung der Mehrwertsteuer ähnlich ausgestaltete Sondergewerbesteuern. Das Bundesgericht hat sich bereits mit Urteil vom 7. Mai 1975 mit dem damaligen Gesetz der Gemeinde Samnaun über die Besteuerung des Handels mit gebranntem Wasser und mit Benzin befasst, wobei es die dagegen erhobenen Rügen als unbegründet erachtet hat. Es besteht kein Anlass, heute anders zu entscheiden. Die Beschwerdeführer verkennen den Sinn der Sondersteuern, wenn sie geltend machen, die damit belasteten Detaillisten würden von der Wirtschaftsförderung bzw. dem Tourismus-Marketing nicht mehr als andere Bevölkerungsgruppen profitieren. Nicht darum geht es, sondern um den Ausgleich der Vorteile aus dem Zollprivileg, die ihnen im besonderen Masse zukommen. Ein solcher Vorteilsausgleich ist verfassungsmässig zulässig.
3.
Die weiteren Rügen erweisen sich zum Vornherein als unbegründet:
3.1
Bezüglich der SGSG Handel beanstanden die Beschwerdeführer, dass der Steuersatz für Betriebe des Detailhandels 3 Prozent, für solche des Grosshandels hingegen nur 0,5 Prozent des Entgelts betrage. Nach den einleuchtenden Ausführungen der Regierung lässt sich der unterschiedliche Steuersatz dadurch rechtfertigen, dass der Grosshandel, der zoll- und mehrwertsteuerfrei aus der Schweiz oder aus Österreich nach Samnaun liefern kann, bei einem höheren Steuersatz abwandern würde. Auch ist zu beachten, dass eine höhere Besteuerung des Grosshandels zu einer entsprechenden unerwünschten Schattensteuer führen würde, da die Gemeinde Samnaun das Institut des Vorsteuerabzugs nicht kennt. Dieser Aspekt rechtfertigt übrigens auch den niedrigen Steuersatz auf den Bauleistungen. Soweit die Beschwerdeführer rügen, dass die Steuersätze für die Abgaben auf Tabakwaren und Treibstoff um ein Vielfaches höher sind, übersehen sie, dass in diesen Gewerbezweigen die durch die Sondergewerbesteuer auszugleichenden Vorteile aus dem Zollprivileg ebenfalls viel höher sind als beim gewöhnlichen Detailhandel.
3.2
Die Beschwerdeführer kritisieren die Höhe der mit dem SGSG Benzin und Dieselöl erhobenen Abgaben. Sie legen jedoch nicht in einer den Anforderungen von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
genügenden Art dar, inwiefern diese Abgaben ihre verfassungsmässigen Rechte verletzen sollen. Im Übrigen wäre fraglich, ob sie zu einer
BGE 128 I 155 S. 164
entsprechenden Rüge überhaupt legitimiert wären, zumal sie nicht behaupten, Tankstellen zu betreiben oder inskünftig solche eröffnen zu wollen.
3.3
Die Beschwerdeführer machen geltend, Art. 3 Abs. 1 und 2 SGSG Tabak, wonach der Gemeindevorstand auf Grund des von den zuständigen Bundesbehörden bewilligten Kontingents für zollfreie Tabakwaren alljährlich einen Verteilschlüssel festlege, wobei er die Anzahl der Detailhändler sowie die Samnaun Tourismus gemeldeten Logiernächte berücksichtige, entspreche den Anforderungen an eine genügende gesetzliche Grundlage nicht. Indessen steht das abgaberechtliche Legalitätsprinzip hier nicht im Spiel, lässt sich der Kreis der Abgabepflichtigen, der Gegenstand der Abgabe und deren Bemessungsgrundlagen doch durchaus dem Gesetz entnehmen (vgl.
BGE 125 I 182
E. 4a S. 193 mit Hinweisen). Zwar knüpft die Abgabepflicht insofern an das Kontingentssystem an, als die Abgabe nur auf den im Rahmen des Kontingents eingeführten Zigaretten erhoben wird (Fr. 12.- pro 200 zollfreie Zigaretten; Art. 12 lit. a SGSG Tabak). Sollten die Beschwerdeführer aber ein zu geringes Kontingent erhalten, wie sie offenbar befürchten, hätten sie demgemäss eine entsprechend geringere Steuer auf den Zigaretten zu bezahlen, wären also abgaberechtlich gar nicht benachteiligt. Inwiefern die Delegation der Kontingentszuteilung an den Gemeindevorstand sonstwie ihre verfassungsmässigen Rechte verletzen soll, legen die Beschwerdeführer nicht hinreichend dar.
Die inzwischen offenbar für das Jahr 2001 vorgenommene Kontingentszuteilung kann im Übrigen nicht Gegenstand des vorliegenden abstrakten Normenkontrollverfahrens bilden. Dass die streitigen Bestimmungen überhaupt nicht verfassungskonform angewendet werden können, lässt sich im Voraus jedenfalls nicht sagen.
3.4
Die Beschwerdeführer beanstanden die Tabaksteuer auch der Höhe nach. Soweit sie geltend machen, sie übersteige die entgangene Mehrwertsteuer bei weitem und belaste die Tabakhändler übermässig, übersehen sie, dass mit der Besteuerung des Tabakhandels primär nicht die entgangene Mehrwertsteuer abgegolten, sondern der den Tabakhändlern aus dem Zollprivileg erwachsende Sondervorteil ausgeglichen werden soll (vgl. E. 2.5 hievor), weshalb der Vergleich mit dem übrigen Detailhandel zum Vornherein fehlgeht. Die Behauptung, der Zigarettenhandel werde infolge der Steuer defizitär, ist sodann nicht hinreichend belegt, indem sich die Beschwerdeführer darauf beschränken, den Berechnungen der
BGE 128 I 155 S. 165
Regierung ihre eigenen Zahlen entgegenzuhalten; sie ist im Übrigen auch nicht glaubwürdig.
3.5
Die Beschwerdeführer machen geltend, die Kontrolle des Tabakhandels durch die Gemeinde, namentlich die Einrichtung der Clearingstelle und die Meldepflicht an das Zollamt Martina, halte vor der Wirtschaftsfreiheit (
Art. 27 BV
) nicht stand.
Im angefochtenen Entscheid wird in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf ein Schreiben der Oberzolldirektion dargelegt, die Kontingentierung des Zigarettenhandels solle verhindern, dass mehr tabaksteuerfreie Zigaretten nach Samnaun verbracht werden, als in der Zollfreizone im Detailverkauf abgesetzt werden könnten. Ansonsten bestehe Schmuggelgefahr zum Nachteil der Europäischen Union und der Schweiz. Der Schmuggel zum Nachteil der Europäischen Union schade dem Ansehen der Schweiz, wenn er in irgendeiner Weise mit ihr und insbesondere mit dem Zollausschlussgebiet in Verbindung gebracht werden könne. Über Kontingentserhöhungen könne erst diskutiert werden, wenn verlässliche Detailverkaufszahlen vorlägen. Die Regierung führt dazu weiter aus, zusätzliche Kontingente würden aus naheliegenden Gründen nur zugesprochen, wenn der Nachweis erbracht werde, dass das bestehende, aus nicht versteuerten Zigaretten bestehende Kontingent nicht ausreiche und deshalb auch versteuerte Zigaretten nach Samnaun eingeführt werden müssten, um die Nachfrage nach Zigaretten zu befriedigen. Dieser Nachweis lasse sich aber nur mit einer restriktiven Kontrolle, verbunden mit einer zentralen Abwicklung, bewerkstelligen. Genau diesem Zweck diene die Clearingstelle.
Die Vorbringen der Beschwerdeführer lassen diese Überlegungen nicht als verfassungswidrig erscheinen. Es darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass der Schmuggel mit Zigaretten in Europa wegen der stärkeren fiskalischen Belastung der Tabakwaren in den umliegenden Ländern ein enormes Ausmass angenommen hat. Das Zollausschlussgebiet Samnaun ist der Gefahr, als Drehscheibe für den Zigarettenschmuggel missbraucht zu werden, in besonderem Masse ausgesetzt. Dass Schmuggelfälle in Samnaun bis anhin, wenn überhaupt, höchstens vereinzelt vorgekommen sein sollen, wie die Beschwerdeführer geltend machen, vermag an dieser Feststellung nichts zu ändern. Sollten Missbräuche nicht verhindert werden können, ist sogar zu befürchten, dass die Gemeinde Samnaun ihren Sonderstatus überhaupt verlieren könnte. Unter diesen Umständen lässt sich nicht bestreiten, dass ein eminentes öffentliches Interesse an den vorgesehenen Kontrollmassnahmen besteht,
BGE 128 I 155 S. 166
die überdies auch dem wirksamen Vollzug des Gesetzes über die Besteuerung des Handels mit Tabakwaren dienen. Diese Massnahmen sind auch nicht unverhältnismässig; sie erschweren den Beschwerdeführern die Ausübung ihres Gewerbes nicht übermässig und lassen sich nicht ohne weiteres durch weniger einschneidende, aber ebenso wirksame Kontrollen ersetzen. Dass sie wirtschaftspolitischen Charakter hätten, vermögen die Beschwerdeführer nicht darzutun.
3.6
Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, die Sondergewerbesteuern führten zu unzulässigen Mehrfachbelastungen, rügen sie keine Verletzung von verfassungsmässigen Rechten. Dass in der Schweiz wohnhafte Personen, die in Samnaun mit Sondersteuern belastete Waren einkaufen, beim Import der Waren in die Schweiz unter Umständen zusätzlich Mehrwertsteuer zu bezahlen haben, belastet die Beschwerdeführer im Übrigen nicht.
3.7
Schliesslich rügen die Beschwerdeführer, dass in den drei angefochtenen Gesetzen unterschiedliche Strafandrohungen vorgesehen seien. In der Tat ist kein überzeugender Grund für die unterschiedliche Bussenrahmen erkennbar. Das rechtfertigt die Aufhebung der betreffenden Bestimmungen im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle indessen noch nicht, da sie trotz dieses Mangels einer rechtsgleichen und damit verfassungskonformen Anwendung zugänglich sind und die Beschwerdeführer überdies die Möglichkeit haben, allfällige Bussenverfügungen anzufechten (vgl.
BGE 125 I 369
E. 2 S. 374 mit Hinweisen).
4.
4.1
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Regierung des Kantons Graubünden hat die angefochtenen Sondergewerbesteuergesetze unter dem Vorbehalt genehmigt, dass die Stimmrechtsbeschwerde materiellrechtlich abgewiesen wird. Auch das vorliegende Urteil präjudiziert jenes kantonale Beschwerdeverfahren, das anscheinend vom Verwaltungsgericht sistiert wurde und in dem es um abstimmungsrechtliche Fragen geht, nicht. | mixed |
3d20e6f0-0468-45a0-8675-26233ab3f372 | Sachverhalt
ab Seite 135
BGE 132 I 134 S. 135
Il existe à Pleven, en Bulgarie, une raffinerie de pétrole qui appartient à Oil AD, une société constituée selon le droit de ce pays. L'installation peut traiter 1'200'000 tonnes de pétrole brut par année. Le 18 septembre 1998, un lot d'actions de Oil AD, correspondant à plus de 96 % de son capital, fut vendu à une société de droit chypriote devenue par la suite Oil Consortium Ltd. Le 18 décembre suivant, on amenda le contrat en ce sens que le prix initialement convenu, soit environ 50 millions de dollars étasuniens, serait dorénavant fixé à 44'924 millions d'anciens leva bulgares, payables trente ans après l'acquisition des titres.
Les actions de Oil Consortium Ltd. appartiennent elles-mêmes à une autre société chypriote, Oil Holding Ltd. Egalement le 18 septembre 1998, un contrat fut conclu entre cette dernière et X. , celui-ci agissant à titre de représentant d'une société à créer par lui. Ce contrat assurait à la société future le droit à une redevance de 1,50 dollar pour chaque tonne de pétrole brut reçue par la raffinerie, mais au minimum de trois millions de dollars par période de trente-six mois. Cette redevance serait garantie par l'ensemble des actions de Oil Consortium Ltd.
La constitution de cette garantie fit l'objet d'un "acte de gage" et d'un contrat de séquestre, le 18 décembre 1998. Les parties audit contrat étaient X., agissant au nom et pour le compte de la société en formation, Oil Holding Ltd. et la fiduciaire suisse Y. SA. Cette dernière s'obligeait à recevoir et conserver les actions de Oil Consortium Ltd. en vue de les transférer à X., le cas échéant, trente jours
BGE 132 I 134 S. 136
après que celui-ci lui aurait adressé des instructions écrites dénonçant une violation du contrat relatif à la redevance.
Tous les contrats prévoyaient l'application du droit anglais et la compétence "non exclusive" des tribunaux anglais.
Dès octobre 1999, X. s'est prévalu de la garantie constituée en sa faveur et il s'est adressé à Y. SA afin d'obtenir la remise des actions. Durant trois mois environ, cette remise fut d'abord retardée par des mesures d'urgence obtenues des tribunaux genevois par Oil Holding Ltd. Il apparut ensuite que Y. SA n'avait jamais reçu les instruments originaux de transfert des actions, de sorte qu'elle n'était pas en mesure de les livrer à X. et que celui-ci, par conséquent, demeurerait hors d'état de vendre les titres conformément à ses expectatives.
Le 13 décembre 2000, X. et D. International SA, qui est semble-t-il la société en formation mentionnée dans les contrats, ont ouvert action contre Y. SA devant le Tribunal de première instance. Leur demande initiale tendait au paiement de 17 millions de dollars à titre de dommages-intérêts; cette somme correspondait censément à la valeur de la garantie dont les demandeurs se trouvaient frustrés. La demande fut par la suite réduite à 5'250'000 dollars. Oil Holding Ltd. fut appelée en cause par la défenderesse.
Dès mars 2002, cette dernière partie a soulevé l'exception tendant à obtenir une
cautio judicatum solvi
. Elle fut déboutée de ses conclusions au motif que X. était domicilié dans un Etat partie à la Convention de la Haye relative à la procédure civile.
Le 30 avril 2005, la défenderesse a réitéré l'exception en faisant valoir que X. avait transféré son domicile en Mongolie, soit dans un Etat qui n'avait pas adhéré à la convention précitée. Ses conclusions tendaient au versement de sûretés au montant de 400'000 fr. Le tribunal lui a donné gain de cause par jugement du 31 mai 2005, les demandeurs devant fournir une garantie de cette valeur dans un délai de soixante jours dès la communication du prononcé.
Les demandeurs ont appelé à la Cour de justice en réclamant que le montant des sûretés fût réduit à 50'000 fr. Statuant le 18 novembre 2005, la Cour a rejeté l'appel.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours de droit public des demandeurs.
BGE 132 I 134 S. 137 Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Il est constant qu'en raison du caractère civil de la prétention qu'ils élèvent contre Y. SA, les recourants ont le droit de faire valoir cette prétention devant un tribunal, selon les
art. 6 par. 1 CEDH
et 30 al. 1 Cst., et d'obtenir un procès équitable devant ce tribunal, conformément à cette même disposition conventionnelle et à l'
art. 29 al. 1 Cst.
2.1
Selon la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme relative à l'
art. 6 par. 1 CEDH
, le droit d'accéder aux tribunaux nécessite de par sa nature même une réglementation par les Etats parties à la Convention. Ceux-ci jouissent, à ce sujet, d'une certaine marge d'appréciation et ils peuvent donc prévoir certaines limitations, pour autant que celles-ci ne portent pas atteinte à la substance même du droit d'accès aux tribunaux, qu'elles tendent à un but légitime et qu'il existe un rapport raisonnable de proportionnalité entre les limitations instituées et le but visé (arrêt de la CourEDH dans la cause
Garcia contre Espagne
du 15 février 2000, par. 36; voir aussi les arrêts
Patronono contre Italie
du 20 avril 2006, par. 58, et
Besseau contre France
du 6 mars 2006, par. 23). La Cour a notamment reconnu comme légitime de réclamer d'une partie appelante le versement d'une
cautio judicatum solvi
afin d'éviter que la partie appelée ne se trouve confrontée, en cas de rejet de l'appel, à l'impossibilité de recouvrer ses frais de justice (arrêt
Tolstoy contre Royaume-Uni
du 13 juillet 1995, par. 61; voir aussi l'arrêt
Kreuz contre Pologne
du 19 juin 2001, par. 54).
Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, des principes semblables s'appliquent au droit d'accès aux tribunaux qui est garanti par la Constitution fédérale (
ATF 131 II 169
consid. 2.2.3 p. 173/174;
ATF 130 I 312
consid. 4.2 p. 326;
ATF 129 V 196
consid. 4.1 p. 198). Ce droit nécessite d'être concrétisé par la législation; dans ce contexte, l'
art. 36 Cst.
, qui vise au premier chef la restriction des libertés fondamentales, s'applique par analogie aux limitations éventuellement prévues (
ATF 129 I 135
consid. 8.2 p. 42). Les recourants se réfèrent à l'
art. 36 al. 3 Cst.
, qui consacre le principe de la proportionnalité, pour soutenir que le montant de 400'000 fr. est excessif.
2.2
Ledit montant est issu d'une évaluation portant sur l'ensemble des frais déjà exposés ou restant à exposer, pour les intimées, du commencement du procès jusqu'à l'issue d'une éventuelle instance d'appel. Les recourants reprochent aux précédents juges d'avoir pris en
BGE 132 I 134 S. 138
considération aussi ces frais déjà exposés avant le 30 avril 2005, date à laquelle les intimées ont réitéré l'exception tendant aux sûretés. Ils invoquent la jurisprudence du Tribunal fédéral relative à l'
art. 150 al. 2 OJ
, selon laquelle seuls des frais futurs, postérieurs à la demande de sûretés, peuvent être couverts par cette garantie (arrêt 4P.282/2001 du 3 avril 2002, consid. 1;
ATF 118 II 87
consid. 2 p. 88;
79 II 295
consid. 3 p. 305).
Selon la jurisprudence cantonale relative à l'
art. 102 al. 1 LPC
/GE, les sûretés doivent être demandées d'entrée de cause devant le Tribunal de première instance, de manière que la partie demanderesse soit avertie de tous les risques du procès avant qu'elle ait exposé des frais autres que ceux nécessaires à l'introduction de l'instance. Les sûretés peuvent encore être requises au moment de l'appel à la Cour de justice, mais seulement pour couvrir les dépens d'appel. On réserve les cas où le droit aux sûretés ne prend naissance que pendant le procès, en raison d'une modification dans la situation des parties; le défendeur doit alors agir immédiatement (BERNARD BERTOSSA/ LOUIS GAILLARD et al., Commentaire de la loi de procédure civile du canton de Genève du 10 avril 1987, ch. 4 ad
art. 102 LPC
/GE). En l'espèce, c'est précisément le changement de domicile de X. qui a permis aux intimées d'obtenir les sûretés en cours de procès.
Certaines législations cantonales diffèrent de celle en vigueur à Genève et prévoient que les sûretés peuvent être requises aussi en cours de procès (
Valais
:
art. 264 al. 1 CPC
;
Vaud
:
art. 96 al. 2 CPC
), alors même qu'elles auraient pu l'être déjà au début, ou encore qu'elles peuvent être augmentées si elles se révèlent insuffisantes (
Zurich
: § 79 al. 1 ZPO;
Berne
:
art. 71 CPC
;
Valais
:
art. 265 al. 1 CPC
;
Vaud:
art. 100 CPC
). Dans les cantons de Zurich et de Berne, de même qu'en Allemagne, il est admis que les sûretés doivent couvrir non seulement les frais futurs mais aussi, le cas échéant, ceux que la partie défenderesse a déjà subis dans le procès (RICHARD FRANK, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3
e
éd., ch. 3 ad § 79; GEORG LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5
e
éd., ch. 1 let. c ad art. 71; ADOLF BAUMBACH et al., Zivilprozessordnung, 64
e
éd., Munich 2006, ch. 6 ad § 112 ZPO). La solution contraire pratiquée par le Tribunal fédéral, dans l'application de l'
art. 150 al. 2 OJ
, ne semble donc pas correspondre à un principe fondamental et généralement reconnu de la procédure civile, principe qui s'imposerait aussi dans l'application des législations cantonales; elle paraît surtout adaptée aux procédures de recours qui
BGE 132 I 134 S. 139
s'accomplissent devant le Tribunal fédéral, dans lesquelles, en règle générale, la partie intimée se borne à déposer un unique mémoire. Pour le surplus, les sûretés répondent sans doute à un objectif légitime, au regard de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, aussi lorsqu'elles garantissent indistinctement des frais déjà subis et des frais futurs. Les recourants ne cherchent pas à démontrer le contraire et on ne discerne pas ce qui pourrait justifier une pareille opinion. Or, dans la mesure où il est approprié à un objectif légitime, le montant des sûretés ne saurait être tenu pour disproportionné.
2.3
Le Tribunal de première instance a pris en considération, outre la valeur litigieuse, les difficultés inhérentes à un débat judiciaire portant sur des questions de droit étranger. Les recourants contestent la pertinence de cet élément d'appréciation. Ils affirment que le litige relatif au contrat de séquestre ne nécessite qu'une instruction très simple. Certes, les intimées opposent en compensation une prétention qu'elles fondent sur des éléments exorbitants de ce contrat; toutefois, selon les recourants, seuls les tribunaux anglais sont compétents pour connaître de cette prétention.
Dans les causes soumises au droit civil fédéral, la compensation peut toujours intervenir conformément à ce droit et, par conséquent, le juge appelé à statuer sur la prétention principale doit aussi statuer sur l'existence de la prétention opposée à fin de compensation. En principe, quelles que soient les règles du droit cantonal de procédure, le droit fédéral interdit au juge d'éconduire le défendeur de son exception de compensation pour le renvoyer à agir devant un autre juge, si ce n'est devant un autre juge du même canton (
ATF 85 II 103
consid. 2 p. 106; voir aussi
ATF 124 III 207
consid. 3b/bb p. 210). En l'occurrence, pour autant que les clauses contractuelles relatives à l'élection de droit ne donnent pas elles aussi lieu à contestation, il semble que la cause soit soumise au droit anglais. Néanmoins, on ne peut pas exclure d'emblée qu'en conformité de ce droit, à appliquer selon l'
art. 148 al. 2 LDIP
, ou du droit cantonal, les tribunaux genevois puissent ou doivent admettre leur compétence pour instruire et statuer aussi sur la prétention compensante des intimées. Par ailleurs, même si une cause se révèle plus compliquée et difficile que prévu, le droit genevois ne permet pas d'augmenter en cours d'instance les sûretés exigées du demandeur. Dans ces conditions, les juges n'ont pas violé le principe de la proportionnalité en tenant compte, dans l'évaluation du montant à exiger pour les sûretés, des difficultés inhérentes à tous les moyens soulevés dans le procès, y compris l'exception de compensation.
BGE 132 I 134 S. 140
Le grief que les recourants prétendent tirer de l'
art. 36 al. 3 Cst.
, en relation avec les
art. 6 par. 1 CEDH
, 29 al. 1 et 30 al. 1 Cst., se révèle donc mal fondé. | mixed |
4d9b3ef9-35eb-4700-ad64-b71b3f9f1e34 | Sachverhalt
ab Seite 79
BGE 141 I 78 S. 79
Il 25 novembre 2013 il Gran Consiglio del Cantone Ticino ha deciso l'introduzione nelle disposizioni transitorie della legge tributaria ticinese del 21 giugno 1994 (LT; RL 10.2.1.1) delle seguenti norme:
BGE 141 I 78 S. 80
Art. 309e (nuovo)
Aliquote attenuate in caso di autodenuncia esente da pena
1
Le aliquote applicate al ricupero dell'imposta non incassata ai sensi dell'articolo 236 capoverso 1 in relazione alle autodenunce esenti da pena presentate dal 1. gennaio dell'entrata in vigore al 31 dicembre dell'anno successivo all'entrata in vigore, sono ridotte del 70 percento. Sugli elementi già tassati la riduzione è applicata sull'aumento dell'aliquota marginale.
2
La riduzione delle aliquote è applicabile quando sono adempiute le condizioni dell'articolo 258 capoverso 3 (autodenuncia esente da pena).
3
La riduzione delle aliquote non è ammessa in relazione alla costituzione di riserve occulte non tassate.
4
La riduzione delle aliquote di cui al capoverso 1 è ammessa unicamente sugli elementi sottratti non dichiarati all'autorità fiscale entro il 31 dicembre dell'anno precedente l'entrata in vigore.
Art. 314e (nuovo)
Aliquote attenuate in caso di autodenuncia esente da pena
1
Le aliquote applicate al ricupero dell'imposta non incassata ai sensi dell'articolo 236 capoverso 1 in relazione alle autodenunce esenti da pena presentate dal 1. gennaio dell'entrata in vigore al 31 dicembre, dell'anno successivo all'entrata in vigore, sono ridotte del 70 percento.
2
Le aliquote ridotte sono applicabili soltanto quando sono adempiute le condizioni dell'articolo 265a capoverso 1 (autodenuncia esente da pena).
3
La riduzione delle aliquote non è ammessa in relazione alla costituzione di riserve occulte non tassate.
4
La riduzione delle aliquote di cui al capoverso 1 è ammessa unicamente sugli elementi sottratti non dichiarati all'autorità fiscale entro il 31 dicembre dell'anno precedente l'entrata in vigore.
La novella legislativa, che concerne le persone fisiche (art. 309e LT) e le persone giuridiche (art. 314e LT), è stata pubblicata sul Foglio ufficiale cantonale il 29 novembre 2013 con l'indicazione del termine per esercitare il diritto di referendum. Accolta anche dal Popolo ticinese, dopo che contro la stessa era stato lanciato con successo un referendum, essa è stata quindi pubblicata sul Bollettino ufficiale delle leggi e degli atti esecutivi del Cantone Ticino del 4 luglio 2014, accompagnata dalla seguente decisione del Consiglio di Stato:
La modifica 25 novembre 2013 della Legge tributaria del 21 giugno 1994 è pubblicata nel Bollettino ufficiale delle leggi e degli atti esecutivi ed entrerà in vigore con effetto retroattivo al 1° gennaio 2014, a condizione che l'atto normativo cantonale non venga impugnato davanti al Tribunale federale o che, in caso di impugnazione, i ricorsi vengano respinti.
BGE 141 I 78 S. 81
Ritenuta a vario titolo lesiva del diritto federale, l'adozione degli art. 309e e 314e LT è stata oggetto di due distinti ricorsi (ricorrenti 1-11) in materia di diritto pubblico davanti al Tribunale federale.
Accertata la legittimazione a ricorrere degli insorgenti e l'assenza di motivi di ricusazione da parte dei membri della Corte giudicante, il Tribunale federale ha annullato le norme impugnate perché contrastavano sia con gli art. 8 cpv. 1 e 127 cpv. 2 Cost. sia con la legge federale del 14 dicembre 1990 sull'armonizzazione delle imposte dirette dei Cantoni e dei Comuni (LAID; RS 642.14).
(riassunto) Erwägungen
Dai considerandi:
3.
3.1
Giusta l'art. 89 cpv. 1 lett. b e c LTF, è legittimato a ricorrere contro un atto normativo chi ne è particolarmente toccato in modo attuale o virtuale e ha un interesse degno di protezione al suo annullamento o alla sua modifica. L'interesse degno di protezione può essere giuridico o di fatto (
DTF 133 I 286
consid. 2.2 pag. 290). Il coinvolgimento virtuale presuppone tuttavia che il ricorrente possa, prima o poi, essere concretamente toccato dalla regolamentazione impugnata con una probabilità minima (
DTF 136 I 17
consid. 2.1 pag. 21,
DTF 136 I 49
consid. 2.1 pag. 53 seg.;
DTF 133 I 286
consid. 2.2 pag. 289 seg.).
Per prassi, all'impugnazione di una normativa fiscale cantonale sono in via di principio legittimati i contribuenti con domicilio nel Cantone che l'ha emanata (
DTF 130 I 174
consid. 1.2 pag. 176 seg.; sentenza 2C_62/2008 del 25 settembre 2009 consid. 2.1); quando l'impugnazione concerne una tariffa, che costituisce un tutt'uno inseparabile, essi hanno il diritto di farne valere l'incostituzionalità anche nel caso i vantaggi che la stessa comporta per altri contribuenti non abbiano su di loro nessuna conseguenza negativa diretta (
DTF 133 I 206
consid. 2.1-2.3 pag. 210 seg.; sentenza 2C_62/2008 del 25 settembre 2009 consid. 2.1).
3.2
Come già indica la nota marginale che li accompagna, l'art. 309e e l'art. 314e LT mirano all'applicazione di "aliquote attenuate in caso di autodenuncia esente da pena", sia nei confronti delle persone fisiche che delle persone giuridiche. D'altra parte, i ricorrenti 1-11 sono tutti cittadini contribuenti domiciliati nel Cantone Ticino che insorgono per fare valere l'incostituzionalità delle nuove tariffe previste.
BGE 141 I 78 S. 82
In tale qualità essi sono di conseguenza particolarmente toccati, nel senso sopra descritto, dall'introduzione delle norme impugnate ed hanno un interesse degno di protezione al loro annullamento.
3.3
Per quanto riguarda l'impugnativa dei ricorrenti 10-11 (causa 2C_645/2014), resta da aggiungere che nemmeno vi sono motivi per cui i membri di questa Corte o i suoi Cancellieri abbiano a ricusarsi.
Come tale, la questione di natura funzionale sollevata dal Consiglio di Stato ticinese non è oggetto di nessuna delle fattispecie regolate dall'
art. 34 LTF
. Ragione per una ricusa non è inoltre data in virtù dell'
art. 30 cpv. 1 Cost.
o dell'art. 6 cifra 1 CEDU, che riconoscono il diritto a un giudizio da parte di un Tribunale indipendente, imparziale e fondato sulla legge. A prescindere dal fatto che, da oltre due anni, Peter Locher (ricorrente 11) non ricopre più la carica di Giudice federale supplente, il solo rapporto di collegialità tra i membri di un tribunale non comporta infatti nessun obbligo di ricusa (
DTF 139 I 121
con ulteriori rinvii).
4.
4.1
Con il ricorso in materia di diritto pubblico è possibile tra l'altro lamentare la violazione del diritto federale (
art. 95 lett. a LTF
), nozione che comprende i diritti costituzionali dei cittadini (
DTF 133 III 446
consid. 3.1 pag. 447 seg.).
Le esigenze in materia di motivazione previste dall'
art. 42 cpv. 2 LTF
e quelle - accresciute - prescritte dall'
art. 106 cpv. 2 LTF
valgono anche per ricorsi contro atti normativi cantonali (sentenza 2C_169/2010 del 17 novembre 2011 consid. 2.1, non pubblicato in
DTF 138 II 70
).
4.2
Nel contesto di un controllo astratto, il Tribunale federale si impone nel contempo un certo riserbo, annullando una disposizione cantonale solo se non si presta ad alcuna interpretazione conforme al diritto costituzionale o al diritto federale di rango superiore (
DTF 135 II 243
consid. 2 pag. 248).
Per delineare la portata delle norme in questione, ma anche di eventuali disposti di diritto federale il cui rispetto è messo in discussione nel gravame, occorre pertanto procedere tenendo conto del loro testo (interpretazione letterale), dei lavori preparatori (interpretazione storica), dello scopo perseguito dal legislatore (interpretazione teleologica), nonché della relazione con altri disposti (interpretazione sistematica). Applicando questi metodi, il Tribunale federale non ne
BGE 141 I 78 S. 83
privilegia infatti nessuno in particolare, preferendo ispirarsi a un pluralismo interpretativo (
DTF 136 II 233
consid. 4.1 pag. 235 seg.;
DTF 134 II 308
consid. 5.2 pag. 311;
DTF 131 II 562
consid. 3.5 pag. 567 seg. con ulteriori rinvii).
5.
5.1
Dopo avere espressamente scartato l'ipotesi di proporre un'amnistia fiscale generale - sul modello di quella decisa nel 1969, con esenzione da pena e rinuncia al ricupero d'imposta - in data 18 ottobre 2006 il Consiglio federale ha presentato un messaggio concernente la semplificazione del ricupero d'imposta in caso di successione e l'introduzione dell'autodenuncia esente da pena (FF 2006 8079; GANTENBEIN AFFRUNTI/STÄHLIN, Steueramnestie in der Schweiz? - Grundsätzliche Überlegungen zu Steueramnestien und aktuelle gesetzgeberische Vorstösse in der Schweiz, Der Schweizer Treuhänder 1-2/2004 pag. 112 segg.; ALFRED MEIER, Steueramnestie und amnestieähnliche Massnahmen - Zur Vernehmlassungsvorlage zur Vereinfachung der Nachbesteuerung in Erbfällen und Einführung der straflosen Selbstanzeige mit Wirkung für die direkten Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden, Forum für Steuerrecht 2003 pag. 279 segg.).
Adottata dalle Camere federali il 20 marzo 2008 e posta in vigore il 1° gennaio 2010 (RU 2008 4453), la modifica legislativa in questione si poneva due obiettivi distinti. Da una parte, stimolare gli eredi a ricondurre alla legalità il patrimonio che il defunto ha sottratto al fisco, attraverso un ricupero d'imposta ed il pagamento di interessi di mora limitato ai tre periodi fiscali precedenti l'anno del decesso. D'altra parte, concedere a persone fisiche e giuridiche che denunciano spontaneamente e per la prima volta una sottrazione d'imposta la possibilità di regolarizzare la propria posizione nei confronti del fisco, senza incappare in un procedimento penale (RETO SUTTER, Die straflose Selbstanzeige im Bereich der direkten Steuern der Schweiz, 2014, pag. 13 segg.; TOBIAS ROHNER, Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung und Steuerbetrug, Jusletter 8 aprile 2013; STREULI/GROSSMANN, Vereinfachte Nachbesteuerung in Erbfällen und straflose Selbstanzeige - Anreize zu mehr Steuerehrlichkeit, Der Schweizer Treuhänder 9/2008 pag. 711 segg.).
5.2
La procedura semplificata di ricupero d'imposta in caso di successione e l'autodenuncia esente da pena sono state ancorate nella legge federale del 14 dicembre 1990 sull'imposta federale diretta (LIFD; RS 642.11; art. 153a, 175 e 181a) così come nella LAID
BGE 141 I 78 S. 84
(art. 53a, 56 e 57a [corretto successivamente in 57b; RU 2009 5683]) e si applicano sia all'imposta federale diretta sul reddito delle persone fisiche rispettivamente sull'utile delle persone giuridiche, sia alle imposte sul reddito e sulla sostanza delle persone fisiche rispettivamente sull'utile e sul capitale delle persone giuridiche percepite dai Cantoni e dai Comuni (BERNASCONI/FERRARI, Le nuove norme relative alla semplificazione del ricupero d'imposta in caso di successione e all'introduzione dell'autodenuncia esente da pena, RtiD 2008 I pag. 487 segg., 498).
La modifica legislativa ha di conseguenza comportato un adeguamento delle legislazioni cantonali al quale ha proceduto anche il legislatore ticinese (
art. 72h LAID
; messaggio del Consiglio di Stato n. 6116 del 17 settembre 2008; Bollettino ufficiale delle leggi e degli atti esecutivi del Cantone Ticino del 27 gennaio 2009 pag. 42 segg.). Poco dopo l'entrata in vigore di detto adeguamento legislativo, il 1° gennaio 2010, il Consiglio di Stato del Cantone Ticino ha tuttavia manifestato l'intenzione di porre di nuovo mano alla legge tributaria. Con messaggio n. 6328 del 23 febbraio 2010, ha in effetti proposto al Parlamento di completare il regime dell'autodenuncia attraverso l'introduzione di due norme transitorie volte a ridurre del 70 % le aliquote applicate al ricupero d'imposta per tutte le autodenunce esenti da pena presentate tra il 1° gennaio 2010 e il 31 dicembre 2011, con l'intento di promuovere in questo modo "un'amnistia fiscale cantonale", di cui avrebbero dovuto beneficiare sia le persone fisiche che le persone giuridiche.
5.3
Il progetto descritto è stato respinto di misura dal Parlamento ticinese nella seduta del 14 marzo 2012. Successivamente esso è poi però rinato nella forma di un'iniziativa parlamentare elaborata, la quale ha portato alla modifica legislativa che ci occupa: che concerne le imposte su reddito e sostanza rispettivamente su utile e capitale percepite da Cantoni e Comuni ma che - secondo quanto indicato nei materiali legislativi riguardanti il primo progetto e confermato in quelli relativi al secondo - si estende anche alle imposte di donazione e successione e all'imposta sugli utili immobiliari.
Riprendendo di fatto la proposta contenuta nel Messaggio governativo n. 6328, la novella legislativa votata dal Gran Consiglio ticinese nella seduta del 25 novembre 2013 ha infatti portato ad affiancare ai disposti concernenti l'autodenuncia due norme transitorie, che prevedono la riduzione del 70 % delle aliquote applicate al ricupero
BGE 141 I 78 S. 85
d'imposta per tutte le autodenunce esenti da pena presentate durante un lasso di tempo di due anni dalla loro entrata in vigore ed in relazione a tutte le imposte cantonali citate (SAMUELE VORPE, Novità legislative nel campo del diritto tributario, RtiD 2014 II pag. 551 segg. n. 2.1).
5.4
Come il Consiglio di Stato ticinese, nel suo originario messaggio, anche gli iniziativisti e i relatori di maggioranza ritengono per altro espressamente che il progetto di "amnistia fiscale cantonale" - presentato per ottenere un immediato aumento del gettito fiscale, fornire una risposta alle intenzioni del Consiglio federale di allentare il segreto bancario anche per i contribuenti svizzeri e favorire un ritorno di capitali nelle banche ticinesi e svizzere, promuovendone l'attività - sia compatibile con la LAID, in quanto non interviene sui periodi di recupero d'imposta, ma agisce sulle aliquote, ovvero su una materia di competenza esclusiva dei Cantoni (
art. 129 cpv. 2 Cost.
).
Parallelamente, rilevano che - nonostante "la soluzione migliore" sarebbe stata quella di un'amnistia fiscale generale, mediante l'inserimento di un'apposita norma transitoria nella Costituzione federale, come invano richiesto dal Gran Consiglio ticinese con iniziativa cantonale del 9 ottobre 2002 all'attenzione dell'Assemblea federale (banca dati Curia vista, affare n. 02.308) - il tempo trascorso dall'ultima misura decretata dalla Confederazione in tal senso (1969), la "tassa d'amnistia" comunque prelevata da chi intende beneficiare "dell'amnistia fiscale cantonale" (30 % delle imposte sottratte), così come la creazione di un "fondo cantonale per favorire il lavoro", alimentato (fino ad un massimo di 20 milioni di franchi) dai proventi dei recuperi d'imposta incassati nel periodo di validità delle norme in questione, legittimino l'adozione della misura proposta.
6.
Insorgendo contro gli art. 309e e 314e LT davanti al Tribunale federale, sia i ricorrenti 1-9 che i ricorrenti 10-11 raggruppano le loro critiche in due distinti capitoli.
Da un lato, denunciano la lesione del principio della preminenza del diritto federale (
art. 49 Cost.
), ponendo in discussione la compatibilità dei disposti impugnati con quelli della LAID votati dall'Assemblea federale il 20 marzo 2008, rispettivamente negando che il legislatore ticinese possa richiamarsi alle competenze riconosciutegli dalla Costituzione federale in materia di tariffe e aliquote fiscali (
art. 129 cpv. 2 Cost.
).
BGE 141 I 78 S. 86
Dall'altro, fanno valere un illecito effetto retroattivo delle norme votate (
art. 5 cpv. 1 Cost.
), e lamentano la loro contrarietà sia al principio dell'uguaglianza giuridica (
art. 8 cpv. 1 Cost.
), sia a quelli della generalità, dell'uniformità e dell'imposizione secondo la capacità economica (
art. 127 cpv. 2 Cost.
), senza che vi siano sufficienti motivi per giustificare simili violazioni.
7.
Formulando la prima serie di critiche menzionata, i ricorrenti si appellano innanzitutto al chiaro testo di legge che regola l'autodenuncia esente da pena rispettivamente alla volontà del legislatore federale di non legare l'autodenuncia esente da pena a nessun tipo di sconto in materia di ricupero d'imposta.
7.1
Interpretate le norme in questione, facendo capo ai metodi usuali (precedente consid. 4.2), occorre condividere tale opinione.
7.1.1
I disposti della LAID che regolano la fattispecie dell'autodenuncia esente da pena (
art. 56 cpv. 1
bis
LAID
, per le persone fisiche;
art. 57b cpv. 1 LAID
per le persone giuridiche), prevedono che quando il contribuente denuncia spontaneamente e per la prima volta una sottrazione d'imposta si prescinde dall'aprire un procedimento penale (autodenuncia esente da pena), a condizione che:
- la sottrazione d'imposta non sia nota ad alcuna autorità fiscale;
- il contribuente aiuti senza riserve l'amministrazione a determinare gli elementi della sostanza e del reddito sottratti rispettivamente l'ammontare dell'imposta sottratta; e
- si adoperi seriamente per pagare l'imposta dovuta.
Oggetto di un testo privo di ambiguità anche nelle versioni in tedesco e in francese, gli art. 56 cpv.1
bis
e 57b cpv. 1 LAID non fanno per contro menzione di nessuna conseguenza favorevole all'autodenunciante in materia di ricupero imposta, ponendo piuttosto quale condizione al riconoscimento dell'esenzione dalla pena che lo stesso "si adoperi seriamente per pagare l'imposta dovuta" (nella versione in tedesco: wenn die steuerpflichtige Person sich "ernstlich um die Bezahlung der geschuldeten Nachsteuer bemüht"; nella versione in francese: lorsque le contribuable "s'efforce d'acquitter le rappel d'impôt dû").
7.1.2
Conseguenze in tal senso non sono inoltre ravvisabili nei materiali legislativi e segnatamente nel messaggio del 18 ottobre 2006 (FF 2006 8079), sulla base del quale l'Assemblea federale ha
BGE 141 I 78 S. 87
adottato gli art. 56 cpv. 1
bis
e 57b cpv. 1 LAID senza modifica, o nei verbali dei dibattiti parlamentari.
Al contrario. Presentando il nuovo disciplinamento proposto, e segnatamente l'autodenuncia esente da pena, il Consiglio federale sottolinea infatti a chiare lettere che: "per quanto riguarda l'autodenuncia esente da pena, il ricupero d'imposta resta interamente dovuto" (FF 2006 8092 n. 1.5); "il contribuente rimane comunque tenuto a pagare il ricupero d'imposta come pure gli interessi di mora" (FF 2006 8102 n. 2.2.1 in relazione con 8105 n. 2.2.2); "l'imposta non versata e gli interessi di mora sono percepiti per i dieci anni precedenti" (FF 2006 8106 n. 3.1.1). Parallelamente, la limitazione delle conseguenze della novella legislativa alla sola esenzione dalla pena è oggetto di un'evidente sottolineatura anche negli interventi dei rappresentanti delle Commissioni dell'economia e dei tributi, che hanno proposto l'entrata in materia sul progetto in Consiglio degli Stati (BU 2007 CS 941) e in Consiglio nazionale (BU 2007 CN 2012).
7.1.3
La precisa opzione di cui è stato appena dato conto trova infine altre conferme.
Una prima, nel fatto che l'
art. 53 LAID
, che ha finora regolato il ricupero d'imposta, ha subito modifiche per quanto riguarda la sua nota marginale (mutata in "ricupero ordinario d'imposta", al fine di sottolineare la distinzione dalla "procedura semplificata di ricupero d'imposta per gli eredi", prevista oggi dall'
art. 53a LAID
), non però nella sua sostanza e continua pertanto a prescrivere che, quando fatti o mezzi di prova sconosciuti in precedenza permettono di stabilire che la tassazione è stata indebitamente omessa o che la tassazione cresciuta in giudicato è incompleta, "l'autorità fiscale procede al recupero dell'imposta non incassata, compresi gli interessi". Una seconda, nell'esplicita volontà da cui è nata la modifica legislativa stessa, cioè quella di scartare la via dell'amnistia fiscale generale - sul modello deciso nel 1969, con esenzione da pena e rinuncia al ricupero d'imposta - optando per misure che suscitavano preoccupazioni etiche minori (FF 2006 8092 n. 1.5). Una terza, ancorché indiretta, nella dottrina menzionata (precedente consid. 5.1) e nelle indicazioni della Conferenza svizzera delle imposte (Steuerinformationen - Die Strafbestimmungen bei den direkten Steuern, ed. agosto 2011, n. 1.4).
7.2
Verificata la portata degli art. 56 cpv. 1
bis
e 57b cpv. 1 LAID, condivisa dev'essere però anche la conseguenza che i ricorrenti 1-9 e 10-11 ne traggono: ovvero che davanti alle chiare norme della LAID
BGE 141 I 78 S. 88
in materia di autodenuncia esente da pena e di ricupero d'imposta, che restano direttamente applicabili laddove il diritto cantonale risulti loro contrario (
art. 72i cpv. 2 LAID
), il Cantone Ticino non possa giustificare l'introduzione degli art. 309e e 314e LT nemmeno attraverso il richiamo all'
art. 129 cpv. 2 Cost.
(precedente consid. 5.4).
7.2.1
Secondo giurisprudenza e dottrina relative all'
art. 53 cpv. 1 LAID
- che il legislatore federale non ha modificato - e all'
art. 151 cpv. 1 LIFD
- che è anche lecito richiamare applicando il primo (sentenza 2C_104/2008 del 20 giugno 2008 consid. 3.2) - il ricupero d'imposta non rappresenta infatti una pretesa di natura differente dal credito d'imposta primitivo, bensì la percezione a posteriori di imposte che non sono state a torto riscosse nel quadro della procedura di tassazione originaria (sentenze 2C_999/2014 del 15 gennaio 2015 consid. 6; 2C_277/2008 del 26 settembre 2008 consid. 5.3 e 2C_104/2008 del 20 giugno 2008 consid. 3.3; tutte con rinvio alla
DTF 121 II 257
consid. 4b pag. 265; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 2
a
ed. 2009, n. 3-5 e 39 ad
art. 151 LIFD
; ZWEIFEL/CASANOVA, Schweizerisches Steuerverfahrensrecht, 2008, pag. 357 segg.; KLAUS A. VALLENDER, in Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, Zweifel/Athanas [ed.] 2
a
ed. 2002, n. 1 segg. ad
art. 53 LAID
; JEAN-MARC RIVIER, Droit fiscal suisse, L'imposition du revenu et de la fortune, 2
a
ed. 1998, pag. 206 segg.).
7.2.2
Proprio perché concerne l'obbligo fiscale primitivo che non si è ancora estinto, ed ha per oggetto l'imposta che a torto non è stata ancora percepita, anche l'importo "interamente dovuto" a titolo di recupero giusta gli art. 56 cpv. 1
bis
e 57b cpv. 1 LAID in relazione con l'
art. 53 cpv. 1 LAID
, rimasto immutato, non può di conseguenza che coincidere con quello ancora mancante, al quale vanno ad aggiungersi gli interessi maturati a far tempo dalla scadenza dell'imposta stessa (
DTF 121 II 257
consid. 4c pag. 265;
DTF 98 Ia 22
consid. 2 pag. 24 seg.; MARKUS REICH, Steuerrecht, 2
a
ed. 2012, § 26 n. 126 segg.; HUGO CASANOVA, in Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, n. 1-4 ad
art. 151 LIFD
; VALLENDER/LOOSER, in Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, Zweifel/Athanas [ed.], 2
a
ed. 2008, n. 1-3 e 17 ad
art. 151 LIFD
).
7.3
Per quanto tese a denunciare la contrarietà alla LAID della novella legislativa impugnata - per altro paventata anche dal
BGE 141 I 78 S. 89
Consiglio di Stato ticinese fin dalla presentazione del primo progetto di "amnistia fiscale cantonale" (citato messaggio n. 6328 del 23 febbraio 2010, n. 9) - le critiche contenute nel gravame dei ricorrenti 1-9 così come in quello dei ricorrenti 10-11 sono pertanto da condividere.
Come rilevato, il quadro normativo descritto non concede in effetti spazio per l'applicazione di aliquote attenuate e quindi differenti da quelle originariamente stabilite.
8.
8.1
Constatata l'incompatibilità con gli art. 56 cpv. 1
bis
e 57b cpv. 1 LAID in relazione con l'
art. 53 cpv. 1 LAID
dell'introduzione di un'aliquota attenuata in materia di autodenuncia esente da pena, la richiesta dei ricorrenti 1-11 di annullare gli art. 309e e 314e LT dev'essere quindi accolta.
Se infatti è vero che detti disposti non trovano applicazione solo alle imposte armonizzate, ma parimenti alle imposte non armonizzate quali quelle di successione e di donazione, è altrettanto vero che il testo degli art. 309e e 314e non accenna a nessun tipo di distinzione tra imposte, fa espresso riferimento alla procedura di autodenuncia esente da pena e agli art. 258 cpv. 3 e 265a cpv. 1 LT - introdotti nella legge tributaria per conformarla alla LAID (precedente consid. 5.2) - e non può così che essere annullato nel suo insieme.
8.2
Simile procedere non appare del resto nemmeno in contrasto con il volere del Consiglio di Stato e del legislatore ticinesi. Al contrario.
Al riguardo occorre in effetti rilevare che, nelle risposte ai ricorsi, in cui viene presa posizione in merito all'incompatibilità con la LAID delle modifiche proposte, l'argomento di una possibile limitazione del progetto di "amnistia fiscale cantonale" alle imposte che sfuggono all'applicazione delle norme federali di armonizzazione non è oggetto di nessun rilievo specifico. Ragioni in tal senso non risultano inoltre dai materiali legislativi, da cui emerge piuttosto che l'estensione del provvedimento ad imposte non armonizzate quali le imposte di donazione e successione era inteso come uno sgravio "supplementare" e quindi aggiuntivo a quello principale, concernente le imposte su reddito e sostanza, rispettivamente su utile e capitale (citato messaggio n. 6328 del 23 febbraio 2010, n. 4.2). Un'ulteriore conferma dell'impostazione descritta è data infine sia dal Decreto legislativo del 25 novembre 2013 concernente l'istituzione
BGE 141 I 78 S. 90
di un Fondo cantonale per favorire il lavoro (RL 10.1.4.1.5.), che indica come l'istituzione dello stesso sia subordinata "all'entrata in vigore dell'amnistia fiscale prevista dall'iniziativa parlamentare elaborata del 28 maggio 2013 'Per un rilancio dell'amnistia fiscale cantonale'", sia dalla decisione del Consiglio di Stato del Cantone Ticino di condizionare l'entrata in vigore degli art. 309e e 314e LT al fatto che eventuali ricorsi interposti davanti al Tribunale federale siano stati (integralmente) respinti (Fatti).
9.
Sia come sia, dev'essere ad ogni modo osservato che l'annullamento degli art. 309e e 314e LT nel loro complesso si impone anche per un altro motivo. In effetti, le norme in questione non resistono nemmeno alle ulteriori critiche dei ricorrenti e segnatamente a quelle con cui viene fatta valere la violazione dei principi dell'uguaglianza giuridica (
art. 8 cpv. 1 Cost.
), della generalità, dell'uniformità e dell'imposizione secondo la capacità economica (
art. 127 cpv. 2 Cost.
), senza che vi siano sufficienti motivi per giustificare simili lesioni.
9.1
L'
art. 8 cpv. 1 Cost.
sancisce il principio dell'uguaglianza davanti alla legge. Per giurisprudenza e dottrina, un atto normativo viola questo principio quando, tra casi simili, fa distinzioni che nessun ragionevole motivo in relazione alla situazione da regolare giustifica di fare o sottopone ad un regime identico situazioni che presentano tra loro differenze rilevanti e di natura tale da rendere necessario un trattamento diverso (
DTF 136 II 120
consid. 3.3.2 pag. 127 seg.;
DTF 136 I 1
consid. 4.1 pag. 5 seg.;
DTF 133 I 249
consid. 3.3 pag. 254 seg.; RAINER J. SCHWEIZER, in Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3
a
ed. 2014, n. 38 segg. ad
art. 8 Cost.
; KIENER/KÄLIN, Grundrechte, 2
a
ed. 2013, pag. 418 segg.; GIOVANNI BIAGGINI, BV, 2007, n. 10 segg. ad
art. 8 Cost.
).
In ambito fiscale, l'
art. 8 cpv. 1 Cost.
è concretizzato dai principi della generalità e dell'uniformità dell'imposizione, così come dal principio dell'imposizione secondo la capacità economica (
art. 127 cpv. 2 Cost.
; KATHRIN KLETT, Der Gleichheitssatz im Steuerrecht, ZSR 111/1992 II pag. 1 segg., 58 segg.; DANIELLE YERSIN, L'égalité de traitement en droit fiscal, RDS 111/1992 II pag. 145 segg., 164 segg.). Si tratta di principi impositivi originariamente dedotti dall'art. 4 della Costituzione federale del 29 maggio 1874, che sono stati poi esplicitamente inclusi nella Costituzione federale accolta in votazione dal popolo svizzero e dai Cantoni il 18 aprile 1999 (
DTF 133 I 206
consid. 6.1 pag. 215;
BGE 141 I 78 S. 91
VALLENDER/WIEDERKEHR, in Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3
a
ed. 2014, n. 3 ad
art. 127 Cost.
).
9.2
Il principio della generalità dell'imposizione richiede che tutte le persone e tutti i gruppi di persone siano imposti secondo la medesima regolamentazione giuridica. Esso vieta l'esonero di certe persone o gruppi di persone dal pagamento di un'imposta senza motivi oggettivi, in quanto gli oneri finanziari della collettività, che risultano dai compiti pubblici di carattere generale, vanno sostenuti dall'insieme dei cittadini (
DTF 133 I 206
consid. 6.1 pag. 215;
DTF 132 I 153
consid. 3.1 pag. 154 seg.;
DTF 114 Ia 321
consid. 3b pag. 323; HÖHN/WALDBURGER, Steuerrecht, vol. I, 9
a
ed. 2001, § 4 n. 71; SANDRA MORANDI, Die Begrenzung der Steuerlast durch verfassungsrechtliche Bindungen des schweizerischen Steuergesetzgebers, 1997, pag. 125 segg.).
Per i principi dell'uniformità dell'imposizione e dell'imposizione secondo la capacità economica, i contribuenti che si trovano nella stessa situazione economica devono invece sopportare un carico fiscale simile, in base alla loro capacità; quando le situazioni di fatto sono differenti, anche il carico fiscale deve tenerne conto. Nel contempo, il carico fiscale dev'essere proporzionato al substrato economico a disposizione del singolo, il quale deve essere chiamato a contribuire alla copertura delle spese pubbliche tenuto conto della sua situazione personale e in proporzione ai suoi mezzi (
DTF 140 II 157
consid. 7.1 pag. 160 seg. con ulteriori rinvii; sentenza 2C_300/2009 del 23 settembre 2009 consid. 5.1, nel quale viene indicato come le imposte sulle successioni e sulle donazioni concretizzino anch'esse il principio dell'imposizione secondo la capacità economica; KLETT, op. cit., pag. 92 segg.; YERSIN, op. cit., pag. 169 segg.).
Il principio dell'imposizione secondo la capacità economica trova uno dei suoi fondamenti nella Dichiarazione dei diritti dell'uomo e del cittadino del 1789 (KLAUS TIPKE, Die Steuerrechtsordnung, vol. I, 2
a
ed. 2000, pag. 488 segg.). Il Tribunale federale ha espressamente dedotto tale principio dall'
art. 4 vCost.
a partire dal 1973 (
DTF 133 I 206
consid. 7.1 pag. 217;
DTF 99 Ia 638
consid. 9 pag. 652 seg.; KLETT, op. cit., pag. 92 seg.). In precedenza, un diritto individuale in tal senso era però da esso già stato riconosciuto sulla base di disposizioni costituzionali cantonali (sentenza 2P.78/1995 del 24 maggio 1996, in StR 51/1996 pag. 436 consid. 2c/aa; MARKUS REICH, Das
BGE 141 I 78 S. 92
Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommenssteuerrecht, ASA 53 pag. 5 segg., 16 seg.). In dottrina vi è oggi ampio consenso nel riconoscere che quello dell'imposizione secondo la capacità economica costituisce un principio di importanza basilare, parte della coscienza giuridica comune (MARKUS REICH, Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - eine Illusion?, in Liber amicorum für Martin Zweifel, 2013, pag. 3 segg.; HÖHN/WALDBURGER, op. cit., § 4 n. 76 seg.; TIPKE, op. cit., pag. 484; MORANDI, op. cit., pag. 133; SILVIA MARIA SENN, Die verfassungsrechtliche Verankerung von anerkannten Besteuerungsgrundsätzen, 1999, pag. 191 segg.).
9.3
L'
art. 127 Cost.
non è incluso nel capitolo che è dedicato ai diritti fondamentali (art. 7 segg. Cost.), bensì in quello che ha per oggetto l'ordinamento finanziario della Confederazione (art. 126 segg. Cost.). Questa norma concerne quindi in primo luogo le imposte prelevate dalla Confederazione. Come detto, i principi impositivi in essa contenuti sono stati tuttavia concepiti e vengono intesi quale concretizzazione del principio della parità di trattamento (
art. 8 Cost.
), che permea in quanto tale l'intero ordinamento giuridico svizzero (
DTF 133 I 206
consid. 6.2 pag. 216 seg.; MARKUS REICH, Von der normativen Leistungsfähigkeit der verfassungsrechtlichen Steuererhebungsprinzipien, in Steuerrecht im Rechtsstaat, Festschrift für Francis Cagianut, 1990, pag. 107 segg.; MORANDI, op. cit., pag. 124). Di conseguenza, gli stessi vincolano anche il legislatore cantonale, il quale ne deve tenere conto nell'ambito della regolamentazione del proprio ordinamento fiscale (
DTF 134 I 248
consid. 2 pag. 251).
9.4
Nella fattispecie, gli art. 309e e 314e LT mirano a una riduzione del 70 % delle aliquote applicate al recupero d'imposta per tutte le autodenunce esenti da pena presentate durante un periodo di due anni dalla loro entrata in vigore. Come tali, essi comportano delle chiare violazioni sia dell'art. 8 cpv. 1 che dell'
art. 127 cpv. 2 Cost.
Gli art. 309e e 314e LT esonerano gli autodenuncianti dal pagamento del 70 % delle imposte originariamente dovute ed entrano pertanto in collisione con il principio della generalità dell'imposizione, poiché prevedono per chi ha sottratto imposte al fisco un trattamento diverso e decisamente più favorevole di quello riservato a chi, contribuente come il primo, in questa categoria di persone non rientra.
Nel contempo, essi contrastano con i principi dell'uniformità dell'imposizione e dell'imposizione secondo la capacità economica,
BGE 141 I 78 S. 93
secondo i quali contribuenti nella stessa situazione economica devono sopportare un carico fiscale simile, in base alla loro capacità, e situazioni di fatto differenti devono essere considerate in maniera diversa anche dal punto di vista del carico fiscale (precedente consid. 9.2 con rinvii a giurisprudenza e dottrina).
Contribuenti che hanno correttamente dichiarato i propri elementi imponibili, pagando il 100 % di quanto dovuto, si vedono infatti trattati differentemente da contribuenti che - nella stessa identica situazione - non hanno dichiarato nulla e procedono alla loro dichiarazione solo in sede di autodenuncia. Oltre che condurre a un trattamento decisamente diverso di contribuenti con una capacità economica esattamente identica (violazione della cosiddetta equità fiscale orizzontale), le norme in questione comportano poi ingiustificate disparità di trattamento tra contribuenti con capacità economica differente (violazione della cosiddetta equità fiscale verticale). Come pertinentemente indicato nei ricorsi, l'applicazione degli art. 309e e 314e LT ha in effetti conseguenze anche in tal senso e non è in particolare nemmeno da escludere che - tenuto conto della riduzione introdotta - contribuenti che hanno dichiarato correttamente i propri elementi imponibili si trovino a dovere pagare importi addirittura più alti di contribuenti che, con elementi imponibili maggiori, hanno omesso di dichiararne l'esistenza e vi provvedono solo in sede di autodenuncia.
9.5
La violazione dell'art. 8 cpv. 1 e dell'
art. 127 cpv. 2 Cost.
che è stata appena riscontrata non può nel contempo trovare una legittimazione neanche negli obiettivi perseguiti dal legislatore cantonale: che pure occorre considerare in costellazioni come quella in esame (
DTF 136 I 1
consid. 4.3.2 pag. 8;
DTF 136 II 120
consid. 3.3.2 pag. 127 seg.;
DTF 133 I 206
consid. 11 pag. 229 segg.; MATTHIAS OESCH, Differenzierung und Typisierung - Zur Dogmatik der Rechtsgleichheit in der Rechtsetzung, 2008, pag. 399 segg.; RAINER J. SCHWEIZER, in Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3
a
ed. 2014, n. 40 ad
art. 8 Cost.
; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4
a
ed. 2008, pag. 661 seg.; VINCENT MARTENET, Géométrie de l'égalité, 2003, pag. 189 segg.; RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2
a
ed. 2009, Rz. 1849; BERNHARD RÜTSCHE, Die Rechtsgleichheit in Bewegung: Dogmatische Fortbildung von Art. 8 Abs. 1 BV, AJP 2013 pag. 1321 segg.; RENÉ WIEDERKEHR, Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen: Gilt Art. 36 BV auch bei der Einschränkung der Rechtsgleichheit?, AJP 2008 pag. 394 segg., 399 segg.).
BGE 141 I 78 S. 94
9.5.1
Per le imposte armonizzate, la constatazione che gli art. 309e e 314e LT ledono l'art. 8 cpv. 1 e l'
art. 127 cpv. 2 Cost.
si aggiunge infatti all'accertamento dell'incompatibilità dell'introduzione di aliquote attenuate in materia di autodenuncia esente da pena con la LAID, motivo per cui non vi è - a priori - nessuno spazio per verificare se una simile violazione possa in qualche modo giustificarsi in considerazione degli obiettivi perseguiti dal legislatore ticinese.
Nel contempo, visto che gli argomenti e i dati addotti a sostegno dela promozione dell'autodenuncia riguardano il progetto di "amnistia fiscale" nel suo complesso, e non ciò che ne resta dopo avere constatato che la sua parte principale è irrealizzabile, poiché contraria alla LAID, vana è però anche la ricerca di ragioni specifiche, a sostegno di una sua messa in atto limitata alle sole imposte non armonizzate.
9.5.2
A titolo completivo va in ogni caso osservato che la giurisprudenza ammette limitazioni al principio della parità di trattamento in materia fiscale riconducibili al perseguimento di obiettivi sociopolitici rispettivamente di promozione economica solo in maniera restrittiva. Come già indicato dal Tribunale federale, tanto più la limitazione è importante, quanto più occorre essere esigenti nel valutare gli interessi pubblici perseguiti. Anche nel caso gli obiettivi del legislatore siano ben definiti ed il loro perseguimento sia motivato da un interesse pubblico chiaro, le restrizioni che esso comporta vengono inoltre tollerate solo se restano entro certi limiti e se sono circoscritte ad ambiti puntuali, non invece quando concernono una tariffa di carattere generale, da cui dipende l'imposizione di tutti i contribuenti (
DTF 133 I 206
consid. 11.1-11.3).
Così stando le cose, quand'anche l'introduzione di aliquote attenuate in materia di autodenuncia esente da pena non fosse contraria alla LAID o si potesse fare astrazione dal fatto che le ragioni addotte a sostegno della stessa riguardano solo il progetto di "amnistia fiscale cantonale" nel suo complesso (precedente consid. 9.5.1), l'assenza di una giustificazione alla violazione degli art. 8 cpv. 1 e 127 cpv. 2 Cost. non potrebbe che essere confermata.
Pure nel caso concreto, la lesione degli art. 8 cpv. 1 e 127 cpv. 2 Cost. - riscontrata in precedenza e motivata in primo luogo dalla volontà di aumentare il gettito fiscale - non comporta infatti conseguenze solo puntuali, ma si ripercuote in maniera incisiva sull'applicazione di intere tariffe, implica un trattamento manifestamente
BGE 141 I 78 S. 95
di favore per chi ha sottratto imposte al fisco e già beneficia dell'esenzione da pena, e non può quindi essere tollerata.
9.6
Poiché i materiali legislativi vi fanno a più riprese rinvio - per sottolineare il tempo trascorso dall'ultimo provvedimento di amnistia fiscale e il carattere eccezionale della misura proposta con gli art. 309e e 314e LT - va infine aggiunto che l'amnistia fiscale generale messa in atto nel 1969, concernente le imposte federali, cantonali e comunali, non può costituire un precedente cui potersi automaticamente richiamare.
Se infatti è vero che, anche in quel frangente, il legislatore accompagnò all'esenzione da pena la rinuncia al ricupero d'imposta, e che in tal caso la rinuncia fu di principio addirittura totale, è indispensabile sottolineare che sia l'esenzione da pena che la rinuncia totale al ricupero d'imposta erano previste dalla legge federale del 15 marzo 1968 concernente l'esecuzione dell'amnistia fiscale generale per il 1° gennaio 1969 (RU 1968 965), adottata dopo l'introduzione nella Costituzione federale di una norma transitoria appositamente votata da popolo e Cantoni (RU 1968 421; AUBERT/MAHON, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, 2003, pag. 1312 n. 35; FRITZ BANDERET, Rechtsfragen auf dem Gebiete der Eidgenössischen Steueramnestie 1969, ASA 37 pag. 6 segg.; FILIPPO LURÀ, L'amnistia fiscale, RDAT 2003 II pag. 483 segg., 487 seg.; C.D. PACHE, Quelques considérations sur l'amnistie fiscale générale au 1
er
janvier 1969, RDAF 1969 pag. 1 segg., 6 segg.; HEINZ WEIDMANN, Die allgemeine Steueramnestie 1969, 1969, pag. 13).
9.7
Detto ciò, va pertanto confermato che norme come gli art. 309e e 314e LT - che favoriscono ulteriormente chi ha sottratto imposte e già va esente da pena, con una riduzione di quanto dovuto a titolo di ricupero d'imposta - non ledono solo la LAID, ma contrastano anche con il quadro costituzionale vigente: nel quale i principi che garantiscono la parità di trattamento in materia fiscale rivestono grande rilievo e non possono quindi essere oggetto di estese ed incisive limitazioni, tanto meno in base a considerazioni di natura politico-finanziaria di carattere generale, che implicano il riconoscimento di nuovi e significativi vantaggi per chi ha sottratto imposte al fisco (precedente consid. 9.2 segg.).
In effetti, come a ragione sottolineato dai ricorrenti, benché venga definito dalle autorità cantonali quale "tassa d'amnistia"
BGE 141 I 78 S. 96
(precedente consid. 5.4), il pagamento del 30 % delle imposte sottratte è in realtà solo il risultato del sostanzioso sconto concesso dalle norme in questione.
Con la dottrina, va d'altra parte rilevato che proprio a seguito del presente giudizio - che fa definitiva chiarezza sull'impossibilità di beneficiare delle riduzioni previste dagli art. 309e e 314e LT - anche il Cantone Ticino potrà verosimilmente registrare un (ulteriore) incremento delle autodenunce, quindi approfittare degli aumenti di gettito fiscale che esse comportano, come avvenuto in altri Cantoni, in cui la possibilità dell'autodenuncia esente da pena ha già registrato un apprezzabile successo (SAMUELE VORPE, Fino a quando durerà la doccia scozzese legata all'amnistia fiscale cantonale?, Novità fiscali [del Centro di competenze tributarie della SUPSI], 7/2013 pag. 5 segg.; comunicato stampa del 6 gennaio 2015 della Direzione delle finanze del Cantone Zurigo).
10.
10.1
Per quanto precede, i ricorsi sono accolti. Constatata la loro incompatibilità sia con gli art. 8 cpv. 1 e 127 cpv. 2 Cost., sia con la LAID, gli art. 309e e 314e LT sono annullati. | mixed |
6443ef99-7ce7-46c7-ae9b-a9d36f725862 | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 137 I 107 S. 108
Die Einwohnergemeindeversammlung von Strengelbach beschloss am 23. November 2007 eine Revision ihrer Regelung über die Benützungsgebühren für die Abwasseranlage (§ 46 ihres Reglements vom 30. November 2001 über die Finanzierung von Erschliessungsanlagen).
Die neue Bestimmung ist am 1. Oktober 2008 in Kraft getreten. Sie findet einzig auf die X. AG Anwendung, die als A.-Betrieb grosse Wassermengen benötigt. Um die durch die Reglementsänderung bewirkte Gebührenerhöhung zu mildern, gilt während dreier Jahre ab Inkrafttreten eine Übergangsregelung mit zusätzlichen Ermässigungen.
Die X. AG focht die neue Regelung am 14. Juli 2008 mit einem Begehren um prinzipale Normenkontrolle beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau an. Dieses wies das Normkontrollbegehren am 13. März 2009 ab.
Die X. AG gelangte mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 1. Mai 2009 an das Bundesgericht. Es fand ein zweiter Schriftenwechsel statt. Die Praxis des Bundesgerichts ist bezüglich der Frist zur Einleitung eines kantonalen Normenkontrollverfahrens im Sinne der nachstehenden Erwägungen (E. 1.4) zu präzisieren. Insoweit hat die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts gemäss
Art. 23 BGG
die Zustimmung sämtlicher Abteilungen des Bundesgerichts eingeholt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
BGE 137 I 107 S. 109
Aus den Erwägungen:
1.
1.3
Die Beschwerde gegen einen Erlass ist gemäss
Art. 101 BGG
innert 30 Tagen nach der nach dem kantonalen Recht massgebenden Veröffentlichung des Erlasses beim Bundesgericht einzureichen. Bei Änderung eines Regelwerks läuft die Beschwerdefrist nicht erneut für den gesamten Erlass, sondern grundsätzlich nur bezüglich der neuen oder geänderten Bestimmungen, so dass auch nur diese anfechtbar sind (vgl.
BGE 122 I 222
E. 1b/aa S. 224 f. mit Hinweisen; zum BGG: Urteil 2C_462/2007 vom 11. September 2007 E. 2.2.2, in: StE 2008 A 21.2 Nr. 4).
1.4
1.4.1
Kennt das kantonale Recht - wie hier - ein Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, ist zunächst dieses zu durchlaufen (vgl. Art. 87 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG
). Das ist vorliegend geschehen. Die 30-tägige Frist (
Art. 100 Abs. 1 BGG
) zur Beschwerde an das Bundesgericht beginnt alsdann erst mit der Eröffnung des letztinstanzlichen kantonalen Normenkontrollentscheids (
BGE 128 I 158
E. 1.1 S. 158). Die Beschwerdeführerin hat diese Frist eingehalten, da ihr der angefochtene Entscheid am 1. April 2009 zugestellt wurde.
1.4.2
Allerdings muss das kantonale Normenkontrollverfahren ebenfalls innert der von der kantonalen Gesetzgebung bestimmten Frist angehoben worden sein. Ist die Anfechtung eines Erlasses - wie im Kanton Aargau - "jederzeit" zulässig (§ 68 des hier noch massgeblichen Aargauer Gesetzes vom 9. Juli 1968 über die Verwaltungsrechtspflege bzw. § 70 der neuen Fassung vom 4. Dezember 2007 [SAR 271.100 und 271.200]), so ist diese nach der unter dem Bundesrechtspflegegesetz vom 16. Dezember 1943 (OG; BS 3 531) entwickelten Praxis innert einer "üblichen" Rechtsmittelfrist einzuleiten. Andernfalls kann beim Bundesgericht keine abstrakte, sondern nur noch eine inzidente bzw. akzessorische Normenkontrolle verlangt werden (vgl.
BGE 106 Ia 310
E. 5 S. 318 ff.;
BGE 110 Ia 211
E. 3 S. 214 f.;
BGE 111 Ia 270
E. 2 S. 271 f.;
BGE 128 I 155
E. 1.1 S. 158 f.). Es besteht kein Anlass, davon unter dem Regime des Bundesgerichtsgesetzes abzuweichen, zumal insoweit keine vom Bundesrechtspflegegesetz abweichende Regelung getroffen wurde (ebenso: AEMISEGGER/SCHERRER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 3 zu
Art. 101 BGG
).
BGE 137 I 107 S. 110
1.4.3
Das Bundesgericht hat bisher aber nicht klargestellt, was unter einer "üblichen" Rechtsmittelfrist zu verstehen ist bzw. ab welchem Zeitpunkt diese läuft. Teils führte es aus, die abstrakte Normenkontrolle durch das Bundesgericht solle nicht mehr stattfinden, wenn das kantonale Normenkontrollverfahren "erst Monate oder Jahre nach der Publikation des angefochtenen Erlasses" bzw. "viele Monate oder gar Jahre nach Inkrafttreten des Erlasses" eingeleitet worden ist (
BGE 106 Ia 310
E. 5c und e S. 319 f.: Anfechtung zwei Jahre nach Genehmigung eines Zonenplans;
BGE 111 Ia 270
E. 2 S. 272: Anfechtung rund zwanzig Jahre nach Inkrafttreten). Teils erklärte es zwar, der Betreffende müsse die Anfechtung auf kantonaler Ebene innert 30 Tagen einleiten, sofern er sich die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle durch das Bundesgericht vorbehalten wolle. Ab wann genau diese 30-tägige Frist zu laufen beginnen soll, präzisierte es jedoch nicht (
BGE 110 Ia 211
E. 3 S. 215). In einem späteren Entscheid hielt es fest, das kantonale Normenkontrollverfahren müsse "unmittelbar im Anschluss an den Erlass" der beanstandeten Bestimmung eingeleitet worden sein. Ein rund zweimonatiges Zuwarten schade nicht, wenn die Bestimmung noch der Genehmigung durch eine andere Behörde bedürfe. Wie es sich mit der "üblichen" Rechtsmittelfrist letztlich verhält, liess es aber ausdrücklich offen. Solange es an der konstitutiven Genehmigung fehle, sei die kantonale Anfechtung auf jeden Fall als rechtzeitig erfolgt zu betrachten (
BGE 128 I 155
E. 1.1 S. 159).
1.4.4
Die bisherige bundesgerichtliche Praxis lehnte eine zeitlich unbefristete abstrakte Normenkontrolle auf Bundesebene vor allem deshalb ab, weil ein Erlass beim Bundesgericht nur innert einer begrenzten Zeit direkt angefochten werden kann (vgl.
Art. 89 OG
und
Art. 101 BGG
). Auch das Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers verlangt nicht eine derartig weite Anfechtungsmöglichkeit, da sich dieser nach dem Inkrafttreten eines kantonalen Erlasses immer noch gegen einen konkreten Anwendungsakt zur Wehr setzen kann (vgl.
BGE 106 Ia 310
E. 5a-c S. 318 ff.). Ausserdem verfolgt die abstrakte Normenkontrolle den Zweck, die Geltung unzulässiger Vorschriften zu verhindern. Dieser Zweck tritt zurück, wenn die beanstandeten Regelungen schon seit längerer Zeit angewendet werden.
Solange ein Erlass nicht in Kraft getreten ist, entfaltet er hingegen noch keine Rechtswirkungen für die Bürger. Die erwähnten Gründe, die gegen eine zeitlich unbegrenzte Zulassung der abstrakten
BGE 137 I 107 S. 111
Überprüfung von Erlassen durch das Bundesgericht sprechen, entfallen daher. Auch besteht vor dem Inkrafttreten des Erlasses noch keine Möglichkeit, einen Anwendungsakt anzufechten und dadurch eine inzidente Normenkontrolle zu erreichen.
Demzufolge rechtfertigt sich, die "übliche" Rechtsmittelfrist von 30 Tagen erst mit dem Inkrafttreten der beanstandeten Bestimmungen laufen zu lassen, wenn ein Kanton auf seiner Ebene keine anderen Fristen für die abstrakte Normenkontrolle vorsieht. Diese 30-tägige Frist soll die Betreffenden jedoch nicht daran hindern, das Verfahren beim kantonalen Gericht schon vor dem Inkrafttreten des Erlasses einzuleiten, soweit das im Kanton zulässig ist (vgl.
BGE 128 I 155
E. 1.1 S. 159;
BGE 110 Ia 211
E. 3 S. 214 f.).
1.4.5
Die angefochtene Reglementsbestimmung wurde am 23. November 2007 von der Einwohnergemeindeversammlung beschlossen. Die nach kantonalem Recht ab Veröffentlichung laufende Frist, um eine Urnenabstimmung zu verlangen (fakultatives Referendum) lief in der Folge unbenützt ab. Daher wurde der Beschluss der Gemeindeversammlung gemäss §§ 31 f. des Aargauer Gesetzes vom 19. Dezember 1978 über die Einwohnergemeinden (SAR 171.100) rechtsgültig. Letztgenannter Umstand wurde am 3. bzw. 5. Januar 2008 amtlich mitgeteilt. Die interessierende Änderung des Reglements trat am 1. Oktober 2008 in Kraft, während die Beschwerdeführerin das kantonale Rechtsmittel am 14. Juli 2008 erhob.
1.4.6
Nach dem Dargelegten hat die Beschwerdeführerin das kantonale Normenkontrollverfahren rechtzeitig eingeleitet, da sie noch vor dem Inkrafttreten der angefochtenen Reglementsänderung an die Vorinstanz gelangt ist. Dass zwischen der Rechtsgültigkeit des Beschlusses der Gemeindeversammlung und der Anfechtung ungefähr ein halbes Jahr lag, schadet nicht. Solange die geänderten Bestimmungen nicht in Kraft getreten waren, bestand mangels abweichender kantonaler Fristenregelung keine Veranlassung, sie innert einer bestimmten Zeit anzufechten. | mixed |
a5220382-6158-4edb-b88b-8d55f2cc9db9 | Sachverhalt
ab Seite 244
BGE 135 II 243 S. 244
Selon l'art. 2 du règlement du 28 juin 2000 sur les vins genevois (RVins; RSG M 2 50.04), le règlement s'applique à toute production issue de vignes à vocation vinicole commerciale, situées sur le territoire du canton et recensées dans le cadastre viticole. Aux termes de l'art. 27 RVins, seuls les vins issus des vignes destinées à la production vinicole commerciale et situées dans le cadastre viticole ont droit, lorsque la limitation de rendement à l'unité de
BGE 135 II 243 S. 245
surface et les conditions fixées dans le règlement sont respectées, aux appellations suivantes: a) AOC Premier Cru, b) AOC communale et régionale, c) AOC Genève. La disposition transitoire de l'art. 69 RVins règle notamment le cas des vignes situées en zone frontalière.
Par règlement du 2 juin 2008, publié dans la Feuille d'avis officielle de la République et canton de Genève du 9 juin suivant, le Conseil d'Etat a modifié l'art. 69 al. 2 RVins. La nouvelle teneur de la disposition est la suivante:
Vins issus de vignes situées en zone frontalière
2
Jusqu'au 31 décembre 2009, les vins issus des vignes situées dans la zone frontalière, dont les propriétaires ou usufruitiers sont domiciliés en Suisse, au sens de la loi fédérale sur les douanes, du 1
er
octobre 1925, peuvent:
a) bénéficier de l'appellation d'origine contrôlée Genève, pour autant qu'ils respectent, en particulier, les exigences prévues pour cette appellation figurant dans le titre III, chapitre I, du présent règlement, dont les autres dispositions sont applicables pour le surplus;
b) bénéficier d'une indication de provenance (catégorie II) ou d'une désignation vin blanc, vin rouge (catégorie III), pour autant qu'ils respectent, en particulier, les exigences prévues dans le titre III, chapitre II, du présent règlement, dont les autres dispositions sont applicables pour le surplus.
Dans l'exposé des motifs relatif à cette modification, le Conseil d'Etat a expliqué que les vignes de zone, appellation non officielle donnée aux vignes comprises dans un périmètre de 10 km au-delà de la frontière suisse, représentaient une surface de vignes françaises d'environ 130 hectares, dont le raisin était vinifié en Suisse. Jusqu'au 31 décembre 2007, la production issue de ces vignes pouvait prétendre à l'appellation d'origine (AO) Genève dans la mesure où le propriétaire était domicilié en Suisse. Une remise en cause importante de ce statut était apparue à la suite de l'adoption en 1999 de l'Accord bilatéral entre la Suisse et la Communauté européenne. En effet, l'annexe consacrée aux produits viti-vinicoles prévoyait qu'un vin suisse devait résulter d'un processus de transformation réalisé sur territoire suisse à partir de raisins récoltés sur ce même territoire. La définition des vins français était fondée sur la même logique. En conséquence, les vins issus des vignes de zone et vinifiés en Suisse étaient devenus des vins apatrides, ni suisses ni français. De surcroît, le régime des AO avait été aboli en Suisse
BGE 135 II 243 S. 246
depuis le 1
er
janvier 2008. Un projet de modification de l'Accord bilatéral était en cours, qui permettrait d'étendre l'AOC Genève sur le territoire français. Dans l'attente de son entrée en vigueur, il s'imposait de prendre des mesures afin de préserver la viabilité économique de la production issue des vignes de ces zones. La seule solution, qui respectait le droit fédéral, consistait à faire bénéficier le vin en question d'une AOC.
Agissant par la voie du recours en matière de droit public, X. et consorts demandent au Tribunal fédéral d'annuler le règlement du Conseil d'Etat du 8 juin 2008. Ils concluent également à ce que le Tribunal fédéral dise, "qu'avec effet dès le 1
er
janvier 2008, le vin issu de vignes sises dans les zones franches de la Haute-Savoie et du Pays de Gex ne peut porter une indication de provenance telle que "appellation d'origine contrôlée Genève", "appellation d'origine contrôlée (suit le nom d'une commune genevoise)", "appellation d'origine Genève", "vin de Genève" ou toute autre indication donnant à penser aux consommateurs qu'il est issu de vignes sises dans le canton de Genève". Les recourants font valoir que le règlement attaqué viole le droit fédéral et le droit international.
Le Tribunal fédéral a admis le recours de X. et consorts, dans la mesure où il était recevable, et a annulé le règlement du 2 juin 2008 modifiant le règlement du 28 juin 2000 sur les vins genevois. Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
1.1
Le règlement attaqué constitue un acte normatif cantonal et ne peut faire l'objet d'aucun recours dans le canton de Genève. Il est par conséquent directement attaquable par un recours en matière de droit public (
art. 82 let. b et
art. 87 al. 1 LTF
), qui a par ailleurs été formé en temps utile (
art. 101 LTF
).
1.2
En vertu de l'
art. 89 al. 1 LTF
, peut former un recours en matière de droit public quiconque est particulièrement atteint par l'acte normatif attaqué (let. b) et a un intérêt digne de protection à son annulation ou à sa modification (let. c). Lorsque le recours est dirigé, comme en l'espèce, contre un acte normatif cantonal, la qualité pour recourir appartient à toute personne dont les intérêts sont effectivement touchés par l'acte attaqué ou pourront l'être un jour; une simple atteinte virtuelle suffit, à condition toutefois qu'il existe un minimum de vraisemblance que le recourant puisse un jour se voir
BGE 135 II 243 S. 247
appliquer les dispositions contestées (
ATF 131 I 291
consid. 1.3 p. 296;
ATF 124 I 11
consid. 1b p. 13;
ATF 122 I 70
consid. 1b p. 73 et la jurisprudence citée). Quant à l'intérêt digne de protection, il n'est pas nécessaire qu'il soit de nature juridique, un intérêt de fait étant suffisant (
ATF 133 I 286
consid. 2.2 p. 290).
En l'espèce, tous les recourants sont des vignerons ou des propriétaires-encaveurs, qui cultivent des vignes et produisent du vin sur le territoire cantonal genevois. De ce fait, ils sont soumis au règlement sur les vins genevois et leurs vins peuvent bénéficier - si les conditions fixées dans le règlement sont respectées - des appellations AOC Premier Cru, AOC communale et régionale ainsi qu'AOC Genève. Les intéressés sont touchés personnellement par la modification de l'art. 69 al. 2 RVins, dès lors que celui-ci permet également aux vins issus des vignes situées dans la zone frontalière de bénéficier de l'appellation d'origine contrôlée Genève. En effet, outre l'intérêt commercial des recourants à la crédibilité et à la transparence des indications géographiques d'origine, une plus grande quantité de vins "AOC Genève" ou autre indication de provenance tend à accroître l'offre des vins genevois et à rendre plus difficile l'écoulement des produits sur le marché. Partant, les recourants ont un intérêt digne de protection à contester le règlement litigieux qui les défavorise, à tout le moins virtuellement.
1.3
Les recourants demandent au Tribunal fédéral de "dire qu'avec effet dès le 1
er
janvier 2008, le vin issu de vignes sises dans les zones franches de la Haute-Savoie et du Pays de Gex ne peut porter une indication de provenance telle que "appellation d'origine contrôlée Genève", "appellation d'origine contrôlée (suit le nom d'une commune genevoise)", "appellation d'origine Genève", "vin de Genève" ou toute autre indication donnant à penser aux consommateurs qu'il est issu de vignes sises dans le canton de Genève". En tant qu'elle porte sur la vendange 2008, cette conclusion s'apparente à une requête d'effet suspensif ou de mesures provisionnelles. Or, le Président de la II
e
Cour de droit public a rejeté, par ordonnance du 4 septembre 2008, les requêtes d'effet suspensif et de mesures provisionnelles des recourants. Partant, la conclusion précitée est irrecevable.
1.4
Au surplus, déposé en temps utile (
art. 100 al. 1 LTF
) et dans les formes requises (
art. 42 LTF
), le recours est en principe recevable comme recours en matière de droit public.
BGE 135 II 243 S. 248
2.
Appelé à statuer sur un recours en matière de droit public dirigé contre un acte normatif cantonal, le Tribunal fédéral examine librement la conformité de cet acte au droit fédéral (
art. 95 let. a LTF
) et au droit international (
art. 95 let. b LTF
). Il n'annule toutefois les dispositions attaquées que si elles ne se prêtent à aucune interprétation conforme au droit invoqué ou si, en raison des circonstances, leur teneur fait craindre avec une certaine vraisemblance qu'elles soient interprétées de façon contraire au droit supérieur (cf.
ATF 125 I 369
consid. 2;
ATF 119 Ia 321
consid. 4,
ATF 119 Ia 348
consid. 1d). En effet, dans le cadre d'un contrôle abstrait des normes, le Tribunal fédéral s'impose une certaine retenue eu égard notamment au principe découlant du fédéralisme et de la proportionnalité. Dans ce contexte, ce qui est décisif, c'est que la norme mise en cause puisse, d'après les principes d'interprétation reconnus, se voir attribuer un sens compatible avec les dispositions du droit supérieur. Pour en juger, il faut notamment tenir compte de la portée de l'atteinte aux droits en cause, de la possibilité d'obtenir ultérieurement, par un contrôle concret de la norme, une protection juridique suffisante, et des circonstances concrètes dans lesquelles ladite norme sera appliquée (cf.
ATF 129 I 12
consid. 3.2 p. 15;
ATF 128 I 327
consid. 3.1 p. 334 s. et les arrêts cités).
3.
Les recourants contestent la compatibilité du règlement attaqué avec le droit international et invoquent à l'appui de leur grief les art. 5 et 6 de l'annexe 7 de l'Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse et la Communauté européenne relatif aux échanges de produits agricoles (RS 0.916.026.81; ci-après: Accord ou Accord bilatéral). Ils font valoir que les pays parties à l'accord ont pris des engagements réciproques de respect du principe de la territorialité. Ainsi, l'art. 5 par. 2 de l'annexe prévoit que les dénominations protégées d'une partie sont réservées exclusivement aux produits originaires de la partie auxquels elles s'appliquent et ne peuvent être utilisées que sous les conditions prévues par les lois et réglementations de cette partie. Selon l'art. 6 de l'annexe, en relation avec l'appendice 2, sont des dénominations protégées notamment les indications géographiques et les appellations d'origine contrôlée. Le Conseil d'Etat est d'avis que les recourants ne peuvent se plaindre de la violation de l'Accord bilatéral et de son annexe, dès lors que ni l'un ni l'autre ne sont directement applicables.
3.1
La Suisse a conclu avec la Communauté européenne l'Accord bilatéral relatif aux échanges de produits agricoles. Cet accord a pour
BGE 135 II 243 S. 249
but de renforcer les relations de libre-échange entre les parties par une amélioration de leur accès au marché des produits agricoles de l'autre partie (art. 1 par. 1 de l'Accord). L'annexe 7 prévoit notamment la reconnaissance mutuelle de l'équivalence des législations, la protection réciproque des désignations géographiques et mentions traditionnelles ainsi que l'assistance mutuelle entre autorités de contrôle (cf. Message du 23 juin 1999 relatif à l'approbation des accords sectoriels entre la Suisse et la CE, FF 1999 5440 ss, 5544 ch. 243.45).
En vertu de l'
art. 5 al. 4 Cst.
, la Confédération et les cantons doivent respecter le droit international. Ainsi, la question de savoir si les dispositions topiques de l'Accord sont directement applicables n'est pas déterminante en l'espèce, car il ne s'agit pas de discuter de droits ou d'obligations que les recourants pourraient invoquer directement en justice, mais plutôt d'examiner un règlement cantonal à la lumière de l'Accord en question (cf. à propos des règles d'interprétation, FABRICE FILLIEZ, Application des accords sectoriels par les juridictions suisses: quelques repères, in Accords bilatéraux Suisse - UE, Felder/Kaddous [éd.], 2001, p. 201 s.). Or, en ce qui concerne l'adoption de normes nouvelles, le principe de la primauté de droit international s'applique (cf. à ce sujet, NICOLAS MICHEL, L'imprégnation du droit étatique par l'ordre juridique international, in Droit constitutionnel suisse, Thürer/Aubert/Müller [éd.], 2001, p. 69 s.). Le Tribunal fédéral peut donc vérifier que le droit cantonal adopté postérieurement à l'Accord est conforme à ce dernier.
3.2
L'extension d'une AOC au-delà des frontières nationales apparaît effectivement problématique au regard de l'Accord bilatéral, lequel circonscrit clairement les AOC à l'intérieur des limites des territoires nationaux des parties (principe de la territorialité). En effet, en vertu de l'art. 3 let. a de l'annexe 7 dudit accord, on entend par "produit viti-vinicole originaire de", suivi du nom de l'une des parties, un produit élaboré sur le territoire de ladite partie à partir de raisins entièrement récoltés sur ce même territoire. Selon cette définition dont le texte est clair, au sens des art. 31 ss de la Convention de Vienne du 23 mai 1969 sur le droit des traités (RS 0.111), les vins issus des vignes situées en France et vinifiés en Suisse ne peuvent pas être considérés comme du vin originaire de suisse et ne sauraient par conséquent bénéficier de l'AOC d'un canton suisse.
Depuis l'entrée en vigueur de l'Accord bilatéral, le 1
er
juin 2002, il existe un vide juridique à l'égard de ces "vins de zone" qui étaient
BGE 135 II 243 S. 250
considérés comme des vins genevois depuis plusieurs générations. Consciente de ce problème et de l'incompatibilité de la situation actuelle avec le droit international général (cf. consid. 3.3 ci-après) et conventionnel, la Suisse a entrepris des démarches, dès 2005, en vue de faire modifier l'Accord bilatéral, à savoir de compléter les définitions contenues dans l'Accord par une disposition pour les zones transfrontalières, ce qui permettrait d'adapter la réglementation genevoise des AOC en conformité avec le droit supérieur. La compétence de conclure des conventions internationales dans le domaine agricole appartient en principe au Conseil fédéral (art. 177a al. 1 de la loi fédérale du 29 avril 1998 sur l'agriculture [LAgr; RS 910.1; cf.
art. 54 al. 1 Cst.
); l'Office fédéral de l'agriculture peut, d'entente avec les autres offices et services fédéraux concernés, conclure avec des autorités agricoles étrangères, des instituts de recherches de droit public ou des organisations internationales, des conventions de nature technique portant notamment sur la reconnaissance d'appellations d'origine dans le domaine agricole (
art. 177a al. 2 let
. e LAgr). Il n'appartient dès lors pas aux cantons de conclure des traités avec l'étranger dans le domaine de la viti-viniculture et des AOC (
art. 56 al. 1 Cst.
a contrario) et encore moins de réglementer, dans leur législation interne, une question d'ordre international en relation avec ce domaine, comme c'est le cas en l'espèce.
Ainsi, tant que l'Accord bilatéral ne permet pas qu'un vin originaire d'un pays puisse être élaboré avec du raisin provenant d'une zone limitrophe d'un pays voisin, le règlement litigieux, qui adopte par anticipation un tel système, n'est pas conforme au droit international et empiète sur les compétences de la Confédération.
3.3
Au demeurant, l'interprétation proposée par le Conseil d'Etat ne va pas sans poser d'importants problèmes de droit international public. En effet, la souveraineté implique le droit exclusif de déployer les activités étatiques sur le territoire qui en fait l'objet, ce qui vise très concrètement le contrôle en principe exclusif des choses ou des personnes qui s'y localisent provisoirement ou définitivement (JOE VERHOEVEN, Droit international public, 2000, p. 486; QUOC DINH NGUYEN, Droit international public, 7
e
éd. 2002, p. 474 s.). On constate donc que la simple application des règles générales du droit international public consacrant le principe d'exclusivité de la souveraineté territoriale s'oppose déjà à la mise en place d'un système d'AOC intégrant une partie du territoire français, ne serait-ce qu'au regard des contrôles culturaux que l'autorité genevoise doit
BGE 135 II 243 S. 251
être à même d'effectuer dans les vignes ainsi situées à l'étranger. L'Accord bilatéral ne fait ainsi que réaffirmer le principe général en question et n'y déroge aucunement.
4.
D'après les recourants, le règlement attaqué viole également le droit fédéral dans la mesure où il accorde la désignation AOC Genève à du vin issu de vignes situées en zone frontalière. Ils estiment que, d'une part, le droit fédéral ne permet pas aux cantons d'étendre une AOC au-delà des frontières nationales et que, d'autre part, le vignoble considéré ne constitue pas une entité géographique bien déterminée puisque le régime prévu fait dépendre l'AOC du domicile en Suisse des propriétaires ou usufruitiers concernés. Le Conseil d'Etat fait valoir, pour sa part, que l'art. 21 al. 3 de l'ordonnance du 14 novembre 2007 sur la viticulture et l'importation de vin (ordonnance sur le vin; RS 916.140) ne vise pas que des situations "trans-cantonales" mais également des situations "trans-nationales". Par ailleurs, l'aire géographique de l'AOC serait bel et bien déterminée puisqu'elle correspond à la zone frontalière telle que définie dans la loi fédérale du 1
er
octobre 1925 sur les douanes (RS 6 469 et les modifications ultérieures), à savoir une zone limitrophe qui s'étend à 10 km de chaque côté de la frontière.
4.1
Selon la jurisprudence, la loi s'interprète en premier lieu d'après sa lettre (interprétation littérale). Si le texte n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, il convient de rechercher quelle est la véritable portée de la norme, en la dégageant de tous les éléments à considérer, soit de sa relation avec d'autres dispositions légales (interprétation systématique), du but poursuivi, de l'esprit de la règle, des valeurs sur lesquelles elle repose, singulièrement de l'intérêt protégé (interprétation téléologique), ainsi que de la volonté du législateur telle qu'elle ressort notamment des travaux préparatoires (interprétation historique). Le sens que prend la disposition dans son contexte est également important (
ATF 132 III 18
consid. 4.1 p. 20/21;
ATF 131 II 361
consid. 4.2 p. 368 et les références citées dans ces arrêts).
4.2
L'
art. 63 LAgr
prévoit que les vins sont classés en vins d'appellation d'origine contrôlée, vins de pays et vins de table (al. 1). Le Conseil fédéral établit la liste des critères à prendre en compte pour les vins d'appellation d'origine contrôlée et les vins de pays (al. 2). Les cantons fixent au surplus pour chaque critère les exigences pour leurs vins d'appellation d'origine contrôlée et pour les
BGE 135 II 243 S. 252
vins de pays produits sur leur territoire sous une dénomination traditionnelle propre (al. 3).
L'art. 21 de l'ordonnance sur le vin, relatif aux vins d'appellation d'origine contrôlée, a la teneur suivante:
"
1
Par vin d'appellation d'origine contrôlée (AOC) on entend un vin désigné par le nom d'un canton ou d'une aire géographique d'un canton.
2
Les cantons fixent les exigences applicables aux AOC; celles-ci doivent prévoir:
a. une délimitation de l'aire géographique dans laquelle le raisin au minimum est produit;
b. une liste des cépages autorisés;
c. une liste des méthodes de culture autorisées;
d. une teneur minimale naturelle en sucre par cépage autorisé;
e. un rendement maximum à l'unité de surface par cépage autorisé;
f. une liste des méthodes de vinification autorisées;
g. un système d'analyse et d'examen organoleptique du vin prêt à la vente.
3
Les cantons peuvent étendre une AOC au-delà de leurs frontières:
a. lorsque le vignoble constitue une entité géographique bien déterminée, et
b. lorsque l'AOC commune est soumise aux mêmes exigences.
4
[...]
5
[...]"
La simple lecture de l'al. 3 précité ne semble pas de prime abord exclure l'extension d'une AOC au-delà des frontières cantonales se confondant avec des frontières nationales. Le texte italien ("al di là delle frontiere") n'est pas plus explicite à ce sujet, alors que la version allemande ("über die kantonalen Grenzen hinaus") précise qu'il s'agit des frontières cantonales. L'interprétation littérale de la disposition ne permet toutefois pas de trancher si la notion de frontière cantonale peut ou non se recouper avec celle de frontière nationale.
4.3
En revanche, le législateur a évoqué la possibilité d'étendre une appellation au-delà des frontières cantonales des "cantons concernés" (cf. art. 11 al. 3 de l'ordonnance sur le vin du 7 décembre 1998; consid. 4.4 ci-dessous), ce qui signifie qu'il envisageait uniquement les frontières intercantonales et permet de rejeter l'interprétation d'une appellation à vocation transnationale.
4.4
L'arrêté fédéral du 19 juin 1992 sur la viticulture (RO 1992 1986) établissait une classification des moûts et des vins en trois
BGE 135 II 243 S. 253
catégories (indication de provenance, appellation d'origine et appellation d'origine contrôlée) ainsi que la réglementation relative aux dénominations. Dans son message du 25 novembre 1991 relatif à cet arrêté (FF 1991 437), le Conseil fédéral est d'avis qu'il faut s'en tenir au principe selon lequel l'étendue d'une appellation d'origine devrait, sauf exceptions limitées, ne pas dépasser les frontières d'un canton (FF 1991 459 ch. 152.51); les cantons peuvent obtenir, sur demande, d'étendre l'appellation d'origine au-delà des frontières d'un canton, lorsque le vignoble en question constitue une entité géographique bien déterminée (région du Vully par exemple) (FF 1991 467).
La loi fédérale du 29 avril 1998 sur l'agriculture, adoptée à la suite de la réforme de la politique agricole 2002, a notamment abrogé l'arrêté fédéral du 19 juin 1992. La protection de la désignation des vins est ainsi dorénavant fondée directement sur la loi sur l'agriculture. Les désignations correspondent en tous points aux notions fixées dans l'arrêté sur la viticulture et les cantons règlent comme auparavant les désignations qu'ils ont adoptées (Message du 26 juin 1996 concernant la réforme de la politique agricole, Deuxième étape [Politique agricole 2002], FF 1996 1, 196 et 199).
Sur la base de la nouvelle loi sur l'agriculture, le Conseil fédéral a adopté l'ordonnance du 7 décembre 1998 sur la viticulture et l'importation de vin (ordonnance sur le vin; RO 1999 86), où il définit les notions d'appellation d'origine, appellation d'origine contrôlée et indication de provenance. Lors de la modification de l'ordonnance du 26 novembre 2003 (RO 2003 4915), il a ajouté, pour les appellations d'origine contrôlée, que "les cantons concernés peuvent étendre une AOC au-delà des frontières cantonales lorsque le vignoble constitue une entité géographique bien déterminée" (art. 11 al. 3 de l'ordonnance). L'ordonnance sur le vin du 7 décembre 1998 a été abrogée et remplacée par l'ordonnance du même nom du 14 novembre 2007, actuellement en vigueur.
Les messages relatifs à l'évolution de la législation sur l'agriculture et la viticulture en particulier (cf. Message du 27 juin 1995 concernant le paquet agricole 95, FF 1995 621; Message du 26 juin 1996 concernant la réforme de la politique agricole: Deuxième étape [Politique agricole 2002], FF 1996 1; Message du 17 mai 2006 concernant l'évolution future de la politique agricole [Politique agricole 2011], FF 2006 6027) ne contiennent aucun commentaire sur les
BGE 135 II 243 S. 254
frontières dans lesquelles l'AOC des vins devrait se circonscrire, ni sur la possibilité offerte aux cantons d'étendre une appellation au-delà de leurs frontières. Ce point n'a pas non plus suscité de discussions lors des débats aux Chambres fédérales.
Il ressort des interprétations littérale et historique que l'extension d'une AOC au-delà des frontières d'un canton ne doit, de façon générale, être admise que restrictivement, en répondant pour le moins aux exigences de l'art. 21 al. 3 de l'ordonnance sur le vin. La possibilité d'une approche transnationale de l'AOC ne trouve également aucun ancrage dans le texte de l'art. 11 al. 3 de l'ordonnance sur le vin du 7 décembre 1998 qui, de manière explicite, n'envisage que le cas de l'AOC intercantonale.
Finalement, l'éventualité d'une extension extranationale n'a jamais été mentionnée dans les travaux préparatoires. Une interprétation historique de la disposition amène ainsi à exclure la volonté du législateur de permettre aux cantons d'étendre une AOC au-delà des frontières nationales. Cette interprétation est au surplus conforme aux règles de droit international exposées au considérant précédent (cf. consid. 3 ci-dessus).
5.
Il convient encore de procéder à une analyse systématique et téléologique de l'art. 21 al. 3 de l'ordonnance sur le vin pour déterminer dans quelle mesure l'extension d'une appellation au-delà de la frontière nationale serait compatible avec la législation fédérale en matière d'agriculture et de viniculture.
5.1
Le droit fédéral actuel prévoit trois classes de productions pour les vins suisses, à savoir les vins d'appellation d'origine contrôlée (classe supérieure), les vins de pays (classe médiane) et les vins de table (classe inférieure). S'agissant de cette dernière catégorie, l'ordonnance sur les vins précise que, "par vin de table suisse, on entend un vin issu de raisins récoltés en Suisse" (art. 24 al. 1 de l'ordonnance). A plus forte raison, le vin de qualité supérieure doit remplir ces exigences minimales et provenir de vignes sises en Suisse. Quant au vin de pays, il est par définition issu d'une région dont l'étendue dépasse celle d'un canton (cf. art. 22 al. 1 de l'ordonnance); pour ce motif, le Conseil fédéral a estimé que sa réglementation incombait à la Confédération (Message sur la Politique agricole 2011, op. cit., 6124 ch. 2.2.6.2). L'AOC au contraire se rapporte en principe à un vin produit à l'intérieur d'un canton (cf. art. 21 al. 1 de l'ordonnance) et est laissé à la compétence des
BGE 135 II 243 S. 255
cantons; ce n'est qu'exceptionnellement qu'elle peut s'étendre hors du territoire cantonal. Si la Confédération dispose de la compétence pour réglementer les appellations qui dépassent les frontières cantonales, il ne peut en aller que de même a fortiori lorsque l'appellation s'étend au-delà des frontières nationales, sous réserve des exigences explicites et contraignantes de l'art. 21 al. 3 de l'ordonnance sur le vin.
5.2
L'exécution du contrôle de la vendange incombe aux cantons (
art. 64 al. 3 LAgr
). Celui-ci doit porter sur toute la récolte de raisin destiné à la vinification, dans le but d'assurer le respect des dispositions de production (art. 28 al. 1 de l'ordonnance sur le vin). Les cantons doivent également contrôler la conformité des vins AOC aux exigences qu'ils ont fixées (art. 21 al. 4 de l'ordonnance); pour ces vins, l'art. 21 al. 6 de l'ordonnance fixe la limite des rendements à l'unité de surface que les cantons ne doivent pas excéder. Cela étant, on ne voit pas comment des autorités cantonales pourraient effectuer des contrôles de la vendange sur territoire étranger, notamment pour s'assurer que les limites à l'unité de surface sont respectées. Ces facteurs sont toutefois indispensables pour garantir la qualité des produits AOC, raison pour laquelle l'ordonnance ne permet l'extension d'une AOC hors d'un canton que "lorsque l'AOC commune est soumise aux mêmes exigences" (art. 21 al. 3 let. b de l'ordonnance). On peut relever à ce propos l'absence d'élément au dossier établissant que les exigences en matière d'AOC seraient les mêmes sur le territoire français que dans le canton de Genève ou qu'il existerait des accords à ce sujet entre les deux pays.
Dans l'
ATF 109 Ia 116
, le Tribunal fédéral - saisi d'un recours contre un arrêté cantonal exigeant que les vins commercialisés sous les appellations d'origine valaisanne soient vinifiés en Valais - a constaté que l'autorité cantonale compétente n'était pas en mesure de contrôler les vinifications opérées en dehors des limites du territoire valaisan; cela signifiait pratiquement que les autorités valaisannes étaient dans l'impossibilité de garantir l'appellation d'origine valaisanne de vins dont la fermentation n'avait pas été soumise à ce contrôle (consid. 5c p. 125). De même, on peut constater que la possibilité offerte aux cantons d'étendre une AOC à des vins issus de vignes situées à l'étranger ne leur permet pas de prévenir les risques d'abus ni de garantir la qualité de leurs vins; or, des mesures telles que le contrôle de la vendange visent aussi à protéger
BGE 135 II 243 S. 256
la bonne foi du consommateur qui doit pouvoir s'attendre à un produit d'une certaine qualité lorsqu'il achète un vin dont l'appellation d'origine est garantie (cf. ATF précité, consid. 4d p. 124). L'extension d'une appellation hors des frontières nationales apparaît ainsi incompatible avec le système des AOC.
5.3
Les prescriptions en matière d'AOC ont en effet pour but de garantir l'authenticité des produits, notamment leur qualité et leur provenance. Elles protègent ainsi les consommateurs en même temps qu'elles valorisent les ressources spécifiques d'une région. La loi fédérale du 9 octobre 1992 sur les denrées alimentaires et les objets usuels (LDAl; RS 817.0), qui tend à protéger les consommateurs contre les tromperies relatives aux denrées alimentaires (
art. 1 let
. c LDAl), s'applique également aux produits viticoles. Selon l'
art. 18 al. 3 LDAl
, sont réputées trompeuses notamment les indications propres à susciter chez le consommateur de fausses idées sur la provenance de la denrée alimentaire. De façon plus précise, l'ordonnance du DFI du 23 novembre 2005 sur les boissons alcooliques (RS 817.022.110) fixe les exigences auxquelles doivent satisfaire ces boissons, vin y compris, et règle les modalités d'étiquetage (cf. art. 1 al. 1). L'art. 9 al. 2 de ladite ordonnance signale que sur les vins suisses de la classe "Appellation d'origine contrôlée" doit figurer en plus l'origine géographique correspondante. L'étiquette doit également mentionner le pays de production, pour autant qu'il ne soit pas identifiable d'après la dénomination spécifique, le nom ou la raison sociale et l'adresse du producteur (
art. 10 al. 1 let
. c). En outre, l'art. 13 interdit le coupage des vins suisses portant une AOC avec du vin étranger (al. 2); le coupage consiste à mélanger entre eux des raisins, des moûts de raisin ou des vins d'origines ou de provenances différentes (al. 1).
A lire ces dispositions, il ne fait pas de doute que la mention "AOC Genève" sur des bouteilles de vin dont une partie ou la totalité des raisins provient du sol français est propre à tromper les consommateurs. En effet, l'indication de la provenance n'est pas correcte, puisque par "Genève" on entend usuellement le canton de Genève - voire la ville de Genève - mais en aucun cas le territoire qui se trouve au-delà de la frontière (cantonale ou nationale). A cela s'ajoute que, au vu de la législation suisse, le consommateur ne peut pas s'attendre à ce que du vin suisse certifié AOC soit produit ou coupé avec du raisin cultivé en France.
BGE 135 II 243 S. 257
6.
Il découle ainsi de l'interprétation de l'art. 21 al. 3 de l'ordonnance sur le vin que l'extension de l'AOC Genève hors des frontières nationales, telle qu'elle est prévue par le règlement litigieux, est incompatible avec les exigences strictes du droit suisse en matière d'AOC. Cette interprétation est au demeurant conforme au principe de la territorialité découlant de l'Accord bilatéral et du droit international public général (cf. consid. 3 ci-dessus). Par conséquent, la nouvelle teneur de l'art. 69 al. 2 let. a RVins viole également le droit fédéral, sans qu'il soit besoin d'examiner le grief tiré de l'"entité géographique bien déterminée".
On peut néanmoins relever à cet égard qu'il apparaît problématique de faire dépendre l'attribution d'une AOC à des vignobles en fonction du domicile de leurs propriétaires. Ce critère est en effet totalement étranger à la notion d'entité géographique, déterminante en matière d'AOC et qui se rapporte à des données objectives telles que les spécificités d'un territoire particulier, à savoir la qualité du sol, l'exposition des terrains, les cépages utilisés, le climat, etc. Une appellation d'origine est en effet liée à un produit et non pas à une entreprise ou à une personne (Message du 25 novembre 1991 relatif à l'arrêté fédéral du 19 juin 1992 sur la viticulture, FF 1991 467; cf. également YVES DONZALLAZ, Le système d'appellation d'origine contrôlée dans le canton du Valais, in Communications de droit agraire 1991 p. 81 et 88; BOISSEAUX/BARJOLLE, La bataille des A.O.C. en Suisse, 2004, p. 17 ss, qui mettent en évidence les spécificités des AOC viticoles en Suisse).
7.
7.1
Les recourants contestent également la nouvelle teneur de l'art. 69 al. 2 let. b RVins, selon lequel les vins de zone peuvent, si les conditions sont remplies, bénéficier d'une indication de provenance (catégorie II) ou d'une désignation vin blanc, vin rouge (catégorie III). Ils relèvent que ces notions ont été supprimées au niveau fédéral, depuis la modification de l'
art. 63 LAgr
, et que la disposition attaquée est par conséquent contraire au droit fédéral. Selon le Conseil d'Etat, la terminologie "indication de provenance" utilisée dans la disposition transitoire de l'art. 69 al. 2 let. b RVins a été gardée pour préserver la cohérence interne du règlement genevois.
7.2
Dans sa version en vigueur jusqu'au 31 décembre 2007 (RO 1998 3048), l'art. 63 en relation avec l'
art. 64 LAgr
prévoyait que
BGE 135 II 243 S. 258
les vins étaient classés en trois catégories, à savoir les vins avec appellation d'origine et appellation d'origine contrôlée (catégorie 1), les vins avec indication de provenance (catégorie 2) et les vins sans appellation d'origine ni indication de provenance (catégorie 3). La nouvelle teneur de l'
art. 63 LAgr
, introduite par la loi fédérale du 22 juin 2007 (RO 2007 6095 6107), classe les vins en vins d'appellation d'origine contrôlée, vins de pays et vins de table. En vertu de l'
art. 187c LAgr
, qui règle les dispositions transitoires relatives à la modification du 22 juin 2007, les vins des millésimes 2007 et antérieurs peuvent être élaborés et étiquetés selon l'ancien droit, et peuvent être remis au consommateurs jusqu'à épuisement des stocks. Dans le même sens, l'art. 48 de l'ordonnance sur le vin prévoit que les vins suisses issus des raisins des vendanges 2007 sont élaborés selon l'ancien droit (al. 1); les vins suisses d'appellation d'origine contrôlée issus des raisins de la vendange 2008 peuvent être élaborés conformément aux exigences fixées par les cantons selon l'ancien droit fédéral (al. 2) et les cantons doivent adapter leurs dispositions relatives aux vins d'appellation d'origine contrôlée le 1
er
juin 2009 au plus tard (al. 3). Ainsi, à partir des vendanges 2008, seuls les vins d'appellation d'origine contrôlée peuvent encore être soumis à l'ancien droit, les autres catégories devant être adaptées à la nouvelle législation. Il s'ensuit que dès le millésime 2008, les cantons ne peuvent plus élaborer et étiqueter des vins sous une dénomination inconnue du nouveau droit, telle que l'indication de provenance. A cela s'ajoute que l'ordonnance du DFI sur les boissons alcooliques interdit également le coupage des vins de pays suisses et des vins de table suisses avec du vin étranger (art. 13 al. 2). Pour ces motifs, la disposition litigieuse viole le droit fédéral et doit être annulée.
En outre, comme il a été vu ci-dessus, le canton de Genève n'a pas la compétence de légiférer dans un domaine qui relève de l'Accord bilatéral. La disposition contestée est également contraire au droit international. | mixed |
f7150279-d3ae-46d2-bb96-af0596c0fea2 | Sachverhalt
ab Seite 242
BGE 141 I 241 S. 242
A.
In den Morgenstunden des 28. März 2005 fuhr ein bei der B. Versicherungen AG (Gesuchs- und Beschwerdegegnerin) versicherter Personenwagen bei einem kleinen Durchgangsweg zwischen den Liegenschaften U. und V. in W. rückwärts, nach rechts abdrehend aus einem Parkfeld. Dabei wurde der sich hinter dem Personenwagen befindliche A. (Gesuchsteller und Beschwerdeführer) übersehen. Dieser wurde vom rückwärtsfahrenden Personenwagen touchiert und kam dadurch zu Fall. Nach eigener Darstellung zog sich der Verunfallte durch diesen Sturz unter anderem ein Schädelhirntrauma zu, an dessen Folgen er seit dem Unfalltag leide.
B.
B.a
Am 23. Mai 2011 gelangte A. an das Einzelgericht Audienz des Bezirksgerichts Zürich und stellte ein Begehren um vorsorgliche Beweisabnahme in der Form eines gerichtlichen Gutachtens zu den medizinischen Dauerfolgen des am 28. März 2005 erlittenen Unfalls. In prozessualer Hinsicht beantragte er zudem die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Mit Verfügung vom 3. Oktober 2011 wies das Einzelgericht Audienz den Antrag von A. auf unentgeltliche Prozessführung und Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters im Umfang von Fr. 11'000.- ab, bewilligte es indessen im Mehrumfang und bestellte A. in der Person von Rechtsanwalt Stolkin einen unentgeltlichen Rechtsbeistand.
B.b
Mit Urteil 4A_589/2013 vom 16. Januar 2014 erkannte das Bundesgericht in einem Verfahren zwischen anderen Parteien, dass für eine vorsorgliche Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe. Dieser Grundsatz wurde als Leitentscheid publiziert (
BGE 140 III 12
).
BGE 141 I 241 S. 243
B.c
Mit Verfügung vom 30. März 2015 entschied das Einzelgericht Audienz, dass es A. die mit Verfügung vom 3. Oktober 2011 im Fr. 11'000.- übersteigenden Umfang bewilligte unentgeltliche Rechtspflege mit Wirkung ab Datum der Verfügung entziehe, wobei ein Erledigungsentscheid infolge Abstandnahme oder Nichtleistung des Kostenvorschusses noch von der bisherigen Bewilligung erfasst sei.
Mit Urteil vom 20. Mai 2015 wies das Obergericht des Kantons Zürich die dagegen eingelegte Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt A. dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und das Bezirksgericht sei anzuweisen, ihm die unentgeltliche Rechtspflege im bisherigen Umfang weiterhin zu gewähren.
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer macht in sich mehrfach wiederholender Weise geltend, es sei unzulässig, eine rechtskräftig gewordene Verfügung, mit der die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt wurde, nachträglich zu widerrufen. Ein solches Vorgehen verstosse gegen den "Grundsatz der Rechtssicherheit", gegen das "Rückwirkungsverbot", das "Vertrauensprinzip" und das "Prinzip der Verfahrensfairness". Zudem habe am 3. Oktober 2011, als dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege vom Einzelgericht Audienz des Bezirksgerichts Zürich erteilt worden sei, noch ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege für sämtliche Verfahrensarten bestanden. Die Verfügung vom 3. Oktober 2011 sei also nicht offensichtlich unrichtig gewesen.
3.1
Das Verfahren um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege gehört zur freiwilligen Gerichtsbarkeit i.S.v.
Art. 1 lit. b ZPO
(statt aller ALFRED BÜHLER, in: Berner Kommentar, Bd. I, 2012, N. 6 zu
Art. 119 ZPO
; vgl. auch
BGE 139 III 334
E. 4.2 S. 342 ff. [zur Stellung der Gegenpartei]). Als solches wird es nicht im ordentlichen, sondern im summarischen Verfahren durchgeführt (
Art. 119 Abs. 3 Satz 1 ZPO
und
Art. 248 lit. e ZPO
). Summarentscheide sind ordentlichen Entscheiden hinsichtlich der Rechtskraft grundsätzlich
BGE 141 I 241 S. 244
gleichgestellt, d.h. sie werden mit Ablauf der Berufungsfrist formell rechtskräftig und damit - unter Vorbehalt einer Revision nach
Art. 328 ff. ZPO
- unwiderrufbar (
BGE 141 III 43
E. 2.5.2 S. 46). Für Summarentscheide betreffend Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sieht
Art. 256 Abs. 2 ZPO
hingegen eine Ausnahme vor: Danach kann ein solcher Entscheid
von Amtes wegen oder auf Antrag aufgehoben oder abgeändert
werden, wenn er sich im Nachhinein als unrichtig erweist, ausser das Gesetz oder die Rechtssicherheit ständen entgegen. Für Entscheide betreffend die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege wiederholt
Art. 120 ZPO
diese Regel und bestimmt, dass das Gericht die unentgeltliche Rechtspflege
entzieht
, wenn der Anspruch darauf nicht mehr besteht oder nie bestanden hat. Dieser Entzug erfolgt grundsätzlich nur für die Zukunft (Urteil 5A_305/2013 vom 19. August 2013 E. 3.3 m.H. auf die Botschaft zur ZPO).
3.2
Die Vorinstanz hat sich bei ihrer Beurteilung auf
Art. 120 ZPO
gestützt und in Anlehnung an BÜHLER (a.a.O., N. 9 zu
Art. 120 ZPO
) erwogen, dass sich der Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege nach derselben Interessenabwägung richte wie der Widerruf von verwaltungsrechtlichen Verfügungen über Dauerleistungen. Somit sei das Interesse an der richtigen Anwendung des objektiven Rechts dem Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem Vertrauensschutz gegenüber zu stellen und je nachdem, welches Interesse überwiegt, die Rechtmässigkeit eines Widerrufs zu bejahen oder nicht. Der Vertrauensschutz verlange, dass ein Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege grundsätzlich nur mit Wirkung
ex nunc et pro futuro
erfolgen könne. Beim Honoraranspruch des unentgeltlichen Rechtsvertreters sei zu beachten, dass dieser sich für die in der Vergangenheit liegenden Aufwendungen auf das gerichtlich erteilte Mandat verlassen könne. Jedoch habe er keinen Anspruch auf Weiterführung des Mandats auf Kosten der Gerichtskasse, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind.
Die Vorinstanz nahm sodann Bezug auf
BGE 140 III 12
, in dem das Bundesgericht erkannte, dass in einem Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe. Sie kam zum Schluss, dass aufgrund dieses Leitentscheids feststehe, dass der Beschwerdeführer gar nie über einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege verfügt habe und sich deren Bewilligung
BGE 141 I 241 S. 245
für ein Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
daher als offensichtlich unrichtig erweise. Es liege damit ein Anwendungsfall von
Art. 120 ZPO
vor. Dem Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege stünden keine Vertrauensinteressen entgegen, da die bisherigen Aufwendungen des unentgeltlichen Rechtsvertreters durch einen Entzug
ex
nunc
nicht tangiert würden. Dem Beschwerdeführer entstünden auch keine Nachteile, da die Gerichtskosten des bisherigen Verfahrens ausser Ansatz fielen.
3.3
Der Beschwerdeführer vermag diese zutreffenden Erwägungen nicht als verfassungswidrig auszuweisen:
3.3.1
In
BGE 140 III 12
hat das Bundesgericht erkannt, dass Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der unentgeltlichen Rechtspflege fallen. Dabei handelt es sich - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nicht um eine Praxisänderung, sondern um eine erstmalige Beurteilung der Frage, ob Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
überhaupt in den erwähnten Geltungsbereich fallen. Das Bundesgericht erwog dabei namentlich, dass sich die Aufgabe des Staates darauf beschränkt, den Einzelnen dann (finanziell) zu unterstützen, wenn er ohne diese Unterstützung eines Rechts verlustig ginge oder sich gegen einen als unzulässig erachteten Eingriff nicht wehren könnte. Da es in einem vorsorglichen Beweisverfahren indessen gerade nicht um die Beurteilung materiellrechtlicher Rechte und Pflichten geht und dem Gesuchsteller damit kein Rechtsverlust droht, fällt die Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege für ein vorsorgliches Beweisführungsverfahren ausser Betracht (
BGE 140 III 12
E. 3.3.1 und 3.3.4).
Die Rechtsprechung, wonach unentgeltliche Rechtspflege nur in Verfahren gewährt wird, in denen ein Rechtsverlust droht, galt bereits im Zeitpunkt der Verfügung des Einzelgerichts Audienz vom 3. Oktober 2011 (vgl.
BGE 121 I 314
E. 3b S. 317;
BGE 135 I 102
E. 3.2.3 S. 105). Da also im Zeitraum vor dem Ergehen von
BGE 140 III 12
weder eine andere Praxis geschweige denn eine andere Rechtslage galt, erweist sich nun im Nachhinein, dass auch dem Beschwerdeführer kein unentgeltlicher Rechtsvertreter hätte beigeordnet werden dürfen. Ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat bereits im Zeitpunkt der Verfügung des Einzelgerichts Audienz vom 3. Oktober 2011 gar nicht bestanden. Es liegt damit ein Anwendungsfall von
Art. 256 Abs. 2 ZPO
bzw.
Art. 120 ZPO
vor.
BGE 141 I 241 S. 246
3.3.2
Mit seinen Rügen zielt der Beschwerdeführer an der Sache vorbei. Ein Verstoss gegen das Rückwirkungsverbot, den Vertrauensgrundsatz, das Prinzip der Verfahrensfairness oder den "Grundsatz der Rechtssicherheit" liegt nicht vor, haben doch die Zürcher Instanzen den Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege nicht
ex tunc
, sondern
ex nunc
, d.h.
pro futuro
angeordnet. Dass das Bundesgericht dem Beschwerdeführer im Urteil 4A_322/2012 vom 21. Februar 2013 ein schutzwürdiges Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung zugebilligt hat, steht einem Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege ebenfalls nicht entgegen. Im genannten Urteil wurde zwar entschieden, dass die Voraussetzungen einer vorsorglichen Beweisführung gegeben sind; hingegen wurde dem Beschwerdeführer in keiner Weise zugesichert, dass er diese auch kostenlos, d.h. auf Kosten der Allgemeinheit erhält. Mit der Verfügung 4A_359/2014 vom 16. September 2014 hat das Bundesgericht dem Beschwerdeführer sodann in einem weiteren Beschwerdeverfahren zur vorliegenden Streitsache ausdrücklich beschieden, dass er für eine vorsorgliche Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
keinen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege habe.
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, ein Entzug sei nur bei "offensichtlicher Unrichtigkeit" der Verfügung vom 3. Oktober 2011 möglich, so ist ihm entgegenzuhalten, dass deren Unrichtigkeit nach dem Leitentscheid
BGE 140 III 12
klarer gar nicht ins Auge springen könnte. Mit seiner Kritik am Widerruf der unentgeltlichen Rechtspflege scheint der Beschwerdeführer generell übersehen zu wollen, dass der Gesetzgeber mit
Art. 120 ZPO
bzw.
Art. 256 Abs. 2 ZPO
nun einmal die Möglichkeit vorgesehen hat, die unentgeltliche Rechtspflege nachträglich zu entziehen, und deren Bewilligung somit nie die Bestandessicherheit formeller Rechtskraft zukommt.
4.
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Verfügung vom 3. Oktober 2011 entspreche den "Vorgaben der Verfassung" und bleibe "somit rechtmässig"; ihr Widerruf sei unzulässig. Damit sowie mit seinen weiteren, sich mehrfach wiederholenden Rügen, die er auf den S. 9-44 seiner Beschwerdeschrift vorträgt, übt der Beschwerdeführer in der Sache weniger Kritik am angefochtenen Entscheid, als vielmehr an der mit
BGE 140 III 12
eingeschlagenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung, auf die sich die Zürcher Instanzen bei ihren Entscheiden gestützt haben:
4.1
Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Rechtsweggarantie nach
Art. 29a BV
rügt, ist seine Rüge von vornherein
BGE 141 I 241 S. 247
erfolglos. Gemäss dem ersten Satz dieser Norm hat zwar jede Person bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde. Das Bundesgericht hat jedoch klargestellt, dass sich daraus gerade kein Recht auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt (
BGE 128 I 237
E. 3 S. 239; Urteil 2C_959/2012 vom 4. Oktober 2012 E. 2). Der Beschwerdeführer geht also fehl, wenn er aus
Art. 29a BV
einen kostenlosen Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren ableiten will, wobei offenbleiben kann, ob dieses Verfahren überhaupt in den sachlichen Anwendungsbereich von
Art. 29a BV
fällt.
4.2
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Rechtsprechung von
BGE 140 III 12
und ihre Anwendung im vorliegenden Fall bedeute eine Verletzung seines Rechts auf Zugang zum Gericht, auf unentgeltliche Rechtspflege und Waffengleichheit gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
.
4.2.1
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gibt jedermann ein Recht darauf, in Bezug auf zivilrechtliche Streitigkeiten von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört zu werden.
Gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt sich aus dem Recht auf ein Gericht ("right to a court") namentlich ein Recht auf
Zugang zu einem Gericht
("right of access"; Urteil des EGMR
Golder gegen das Vereinigte Königreich
vom 21. Februar 1975 [Nr. 4451/70] § 36).Dieses Recht ist indessen nicht absolut, sondern kann Einschränkungen unterworfen sein, sofern es nicht geradezu in seinem Wesensgehalt ("dans sa substance même") betroffen wird (Urteil des EGMR
Moor gegen die Schweiz
vom 11. März 2014[Nr. 52067/10 und 41072/11] § 71 m.w.H; vgl. auch Urteil des EGMR
Philis gegen Griechenland
vom 27. August 1991 [Nr. 12750/87, 13780/88 und 14003/88] § 59 ["very essence ofthe right"]).
Aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
lässt sich namentlich kein Recht auf ein Verfahren betreffend die
Anordnung vorsorglicher Massnahmen
ableiten. Nach der Rechtsprechung des EGMR findet
Art. 6 EMRK
nämlich grundsätzlich keine Anwendung auf vorsorgliche Massnahmeverfahren, bei denen kein Urteil in der Sache ergeht ("no decision on the merits of the case"; Urteile des EGMR
Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich
vom 16. Januar 2003 [Nr.62763/00] § 2;
Libert gegen Belgien
vom 8. Juli 2004 [Nr. 44734/98] § 1b["(...)cette disposition ne s'applique pas à une procédure dans laquelle ne peuvent être prises que des mesures préliminaires ou provisoires qui
BGE 141 I 241 S. 248
n'affectent pas le fond de l'affaire ou dans laquelle il n'est pas tranché une contestation"]).
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
findet nur Anwendung auf Verfahren, in denen über zivilrechtliche Ansprüche und Pflichten in verbindlicher Weise abgesprochen wird ("proceedings determining civil rights and obligations"; "procédures portant sur des droits ou obligations de caractère civil"); ausnahmsweise ist
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
daher immerhin auch in jenen Massnahmeverfahren zu beachten, in denen - für eine beschränkte Zeit - über genau jenes Recht in verbindlicher Weise geurteilt wird, über das anschliessend auch im Hauptverfahren zu urteilen ist ("mesure déterminante pour le droit ou l'obligation de caractère civil en jeu, quelle que soit la durée pendant laquelle elle a été en vigueur"; Urteil des EGMR
Micallef gegen Malta
vom 15. Oktober 2009 [Nr. 17056/06] § 83 ff.).
4.2.2
Während
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
für Strafverfahren ein Recht auf unentgeltliche Verbeiständung vorsieht, lässt sich aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
für zivilrechtliche Streitigkeiten kein entsprechendes Recht auf unentgeltliche Rechtspflege ableiten (Urteil des EGMR
Airey gegen Irland
vom 9. Oktober 1979 [Nr. 6289/73] § 26).Nach der Rechtsprechung des EGMR gibt es einen klaren Unterschied zwischen dem
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, welch letzterer gerade keinen Hinweis auf Prozesskostenhilfe enthält (Urteil des EGMR
Essaadi gegen Frankreich
vom 4. September 2002 [Nr. 49384/99] § 30["La Cour souligne d'emblée que la Convention n'oblige pas à accorder l'aide judiciaire dans toutes les contestations en matière civile. En effet, il y a une nette distinction entre les termes de l'article 6 § 3 c), qui garantit le droit à l'aide judiciaire gratuite sous certaines conditions dans les procédures pénales, et ceux de l'article 6 § 1, qui ne renvoie pas du tout à l'aide judiciaire"]).
4.2.3
Mit dem Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
, auf das die Bestimmungen über die vorsorglichen Massnahmen anwendbar sind (
Art. 158 Abs. 2 ZPO
), hat der schweizerische Gesetzgeber den Rechtssuchenden ein Instrument an die Hand gegeben, damit sie ihre Beweischancen in einem allenfalls einzuleitenden Prozess im Voraus abklären können. Im Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
geht es nur um die Gewinnung von Informationen in Form von potentiellen Beweismitteln, die dem Rechtssuchenden bei seiner Entschlussfassung helfen sollen, ob er das Kostenrisiko eines Hauptprozesses eingehen und einen solchen
BGE 141 I 241 S. 249
tatsächlich einleiten will. Es handelt sich mithin um ein Hilfsverfahren im Hinblick auf ein allfälliges Hauptverfahren (
BGE 140 III 12
E. 3.3 S. 12). In diesem Hilfsverfahren stehen noch keine materiellrechtlichen Rechte oder Pflichten zur Beurteilung; das Gericht beurteilt die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klagebegehren nicht und würdigt auch das vorsorglich erhobene Beweismittel nicht. Der gesuchstellenden Partei steht - wenn das Verfahren der vorsorglichen Beweisführung durchgeführt wurde - lediglich ein gerichtlich erhobenes Beweismittel zur Verfügung, das ihr ermöglichen soll, die Nutzlosigkeit einer Klage zu erkennen, oder beiden Parteien eine vergleichsweise Regelung der Streitsache erleichtern soll (
BGE 140 III 12
E. 3.3.3 S. 13 f.).
4.2.4
Aus der Natur des vorsorglichen Beweisverfahrens ergibt sich, dass es sich dabei um ein Massnahmeverfahren handelt, auf das
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gemäss der Strassburger Rechtsprechung keine Anwendung findet. Es handelt sich nicht um "proceedings determining civil rights and obligations" und auch nicht um eine (zeitlich beschränkte) "mesure déterminante pour le droit ou l'obligation de caractère civil en jeu" (oben E. 3.2.1); es geht also nicht um die Beurteilung von zivilrechtlichen Ansprüchen und Pflichten, auch nicht um eine bloss vorübergehende, sondern ausschliesslich um die
Erhebung von Beweismitteln
vor einem allfälligen Hauptverfahren, mit welcher der gesuchstellenden Partei die Entschlussfassung erleichtert werden soll, ob sie das Kostenrisiko des Hauptverfahrens überhaupt eingehen will. Aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ergibt sich mithin kein Recht auf Zugang auf das Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
. Ebenso wenig lässt sich aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ein genereller Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ableiten. Der Beschwerdeführer geht damit fehl, wenn er sich gestützt auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
einen kostenfreien Zugang zum vorsorglichen Beweisverfahren verschaffen will. Auch seine Hinweise auf den aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
abgeleiteten Anspruch auf Waffengleichheit zielen ins Leere, da diese Norm auf das vorsorgliche Beweisführungsverfahren gar keine Anwendung findet.
4.2.5
Mit seiner Rüge, der vorliegend zur Beurteilung stehende Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege durch die Zürcher Instanzen verstosse gegen
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, scheint der Beschwerdeführer sodann ohnehin den Unterschied zwischen dem vorsorglichen Beweisführungsverfahren und dem eigentlichen Hauptverfahren übersehen
BGE 141 I 241 S. 250
zu wollen. Der Zugang zu letzterem, bei dem es um die Beurteilung von materiellrechtlichen Rechten und Pflichten geht und für das er gestützt auf
Art. 116 ff. ZPO
bzw.
Art. 29 Abs. 3 BV
auch die unentgeltliche Rechtspflege beantragen kann, steht dem Beschwerdeführer nämlich ohne Weiteres offen. Die schweizerische Rechtsordnung sieht mithin für die zivilrechtliche Streitigkeit zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin durchaus eine wirksame Möglichkeit vor, Rechtsschutz zu erhalten. Von einem Verstoss gegen Konventionsrecht kann keine Rede sein.
4.3
Der Beschwerdeführer rügt weiter einen Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot bzw. Diskriminierungsverbot gemäss
Art. 8 BV
bzw.
Art. 14 EMRK
. Er macht geltend, mit dem Ausschluss des Verfahrens nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
aus dem Anwendungsbereich der unentgeltlichen Rechtspflege stehe dieses Instrument nur noch Vermögenden zur Verfügung, während Mittellose hierzu keinen Zugang hätten. Darin liege eine unzulässige Ungleichbehandlung bzw. sogar eine Diskriminierung, da die Ungleichbehandlung an das Merkmal der sozialen Stellung anknüpfe und die Gruppe der "Menschen ohne hinreichendes Vermögen" vom vorsorglichen Beweisführungsverfahren ausschliesse.
4.3.1
Dem in
Art. 14 EMRK
verankerten Diskriminierungsverbot kommt kein selbständiger Charakter zu; vielmehr setzt diese Bestimmung die Anwendbarkeit einer anderen Grundrechtsgarantie der EMRK voraus (
BGE 134 I 257
E. 3 S. 260;
BGE 130 II 137
E. 4.2 S. 146; je mit Hinweisen). Da
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
keinen kostenlosen Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren verbürgt und der Beschwerdeführer auch keine andere Norm der EMRK nennt, die durch das angefochtene Urteil verletzt worden sein könnte, stösst die Rüge der Verletzung von
Art. 14 EMRK
von vornherein ins Leere.
4.3.2
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich (
Art. 8 Abs. 1 BV
). Niemand darf diskriminiert werden, namentlich u.a. nicht wegen der sozialen Stellung (
Art. 8 Abs. 2 BV
). Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteiligung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen (
BGE 135 I 49
E. 4.1). Die Verfassungsbestimmung fällt allgemein in Betracht, wenn eine mehr oder
BGE 141 I 241 S. 251
weniger bestimmbare Gruppe von gesellschaftlicher Herabwürdigung und Abwertung oder Ausgrenzung nach stereotypen Vorurteilen bedroht ist (
BGE 135 I 49
E. 4.2).
Das Diskriminierungsverbot gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
schliesst indes die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal - wie beispielsweise die soziale Stellung - nicht absolut aus. Eine solche begründet zunächst lediglich den blossen Verdacht einer unzulässigen Differenzierung. Diese kann indes durch eine qualifizierte Rechtfertigung umgestossen werden. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt demgegenüber vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützten Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (
BGE 135 I 49
E. 4.1;
BGE 126 II 377
E. 6 S. 392;
BGE 134 I 49
E. 3 S. 53;
BGE 132 I 49
E. 8.1 S. 65,
BGE 129 I 167
E. 3 S. 169;
BGE 129 I 217
E. 2.1 S. 223,
BGE 129 I 392
E. 3.2.2 S. 397;
BGE 126 V 70
E. 4c/bb S. 73).
4.3.3
Es trifft zu, dass von einem vorsorglichen Beweisführungsverfahren faktisch ausgeschlossen bleibt, wer die dazu notwendigen Beweisführungskosten nicht vorschiessen kann. Ob dieser Umstand damit das Diskriminierungsverbot nach
Art. 8 Abs. 2 BV
tangiert, ist jedoch bereits im Ansatz fraglich. Wäre die Gruppe der "Menschen ohne hinreichendes Vermögen", zu denen sich der Beschwerdeführer zählt, nämlich generell als solche i.S.v.
Art. 8 Abs. 2 BV
zu qualifizieren, hätte dies die fragwürdige Konsequenz, dass nahezu jede entgeltliche staatliche Leistung das Diskriminierungsverbot tangieren könnte. Zu Recht wird in der Lehre denn auch darauf hingewiesen, dass das Diskriminierungsverbot sich nicht auf die Einebnung tatsächlich vorhandener Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet (BERNHARD WALDMANN, Das Diskriminierungsverbot von
Art. 8 Abs. 2 BV
als besonderer Gleichheitssatz, 2003, S. 756).
4.3.4
Die Frage braucht aber nicht vertieft zu werden. Denn der Beschwerdeführer wird als (angeblich) Mittelloser nicht ungleich behandelt und schon gar nicht diskriminiert, nur weil ihm kein kostenloser Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren gewährt wird. Er und andere Personen in vergleichbarer wirtschaftlicher Situation sind dadurch nicht von gesellschaftlicher Herabwürdigung und Abwertung oder Ausgrenzung nach stereotypen Vorurteilen bedroht. Der Beschwerdeführer wird auch nicht besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre.
BGE 141 I 241 S. 252
Denn wie oben ausgeführt, dient das Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
nicht der Beurteilung von materiellrechtlichen Rechten und Pflichten, sondern lediglich der Gewinnung von Informationen in Form von potentiellen Beweismitteln, die dem Rechtssuchenden bei seiner Entschlussfassung helfen können, ob er das Kostenrisiko eines Prozesses eingehen und einen solchen tatsächlich einleiten will. Eine Person, deren Vermögen für einen Prozess grundsätzlich ausreicht, ist auf solche Informationen angewiesen, da sie bei einem Misserfolg des Hauptprozesses vollumfänglich für die Prozesskosten aufzukommen hat (
Art. 106 Abs. 1 ZPO
). Demgegenüber ist eine Person, die nicht über die für eine Prozessführung erforderlichen Mittel verfügt (
Art. 117 lit. a ZPO
), auf diese Informationen gerade viel weniger angewiesen, kann sie doch ohne Risiko, auf den Gerichtskosten sitzen zu bleiben, ein Hauptverfahren einleiten. Wenn ihr Begehren nicht geradezu aussichtslos ist (
Art. 117 lit. b ZPO
), sich also Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese (
BGE 140 V 521
E. 9.1 S. 537), kann eine bedürftige Person ein Klageverfahren einleiten, wobei die Gerichtskosten selbst dann vom Staat getragen werden, wenn die Klage abgewiesen wird. Eine Person, die über die zur Prozessführung erforderlichen Mittel verfügt, ist demgegenüber einem Kostenrisiko ausgesetzt. Mit einem vorsorglichen Beweisführungsverfahren kann ihr deshalb immerhin ermöglicht werden, ihre Prozesschancen besser abzuklären, um ein Verfahren erst dann einzuleiten, wenn sich die Gewinnaussichten und Verlustgefahren nicht nur ungefähr die Waage halten, sondern jene diese klar überwiegen.
Der Beschwerdeführer wird nicht diskriminiert, wenn ihm für das Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
ein Kostenvorschuss auferlegt wird: Ihm steht offen, sogleich ein Hauptverfahren einzuleiten und hierfür die unentgeltliche Rechtspflege zu beantragen. Soweit der Beschwerdeführer aus einer ganzen Kaskade von völkerrechtlichen Verpflichtungen und Rechten der Schweizerischen Bundesverfassung einen Anspruch auf weitgehend risikoloses Prozessieren auf Kosten der Allgemeinheit ableiten will, kann ihm damit kein Erfolg beschieden sein. | mixed |
8d3f55f8-146d-43e3-af47-e544eb9f2219 | Sachverhalt
ab Seite 210
BGE 128 III 209 S. 210
Die Stiftung T. (nachfolgend die Stiftung), eine Stiftung im Sinne von
Art. 80 ff. ZGB
mit dem Zweck, in Chile ein Kinderdorf zu errichten und zu betreiben, wurde mit Stiftungsurkunde vom 11. April 1994 errichtet und am 28. Juni 1994 in das Handelsregister eingetragen. Ihrem Stiftungsrat gehörten die Eheleute A.S. und B.S. an. Die Stiftung steht unter der Stiftungsaufsicht des Bundes (Eidgenössischen Departements des Innern [EDI]). | mixed |
1ae44988-5711-4002-be7c-8962f2de552e | Das kantonale Gericht, das ablehnende Entscheide über Einbürgerungen beurteilt, hat gestützt auf die Rechtsweggarantie eine freie Überprüfung des Sachverhalts und der Rechtsanwendung vorzunehmen. Es wahrt dabei den Gestaltungsbereich der unteren Instanzen und der Gemeinden (E. 2.5).
Sprachniveau, das im Regelfall von Einbürgerungswilligen verlangt werden darf (E. 3.4).
Verfahrensrechtliche Mindestanforderungen an die Ermittlung der Sprachkenntnisse (E. 3.5).
Sachverhalt
ab Seite 236
BGE 137 I 235 S. 236
Am 7. März 2008 reichte A.X. für sich und ihre vier Kinder ein Gesuch um ordentliche Einbürgerung ein.
Nachdem A.X. die staatskundliche Prüfung bestanden hatte, fand am 17. April 2009 in Anwesenheit des Gemeindepräsidenten, eines Gemeinderats und einer Gemeindeangestellten (Vorsteherin der Einwohnerkontrolle) ein Gespräch mit A.X. und den vier Kindern statt. Am 28. April 2009 beschloss der Gemeinderat, der Gemeindeversammlung die Nichtzusicherung des Gemeindebürgerrechts zu beantragen. Der Gemeinderat teilte A.X. am 1. Mai 2009 seinen Beschluss mit und gab ihr Gelegenheit, ihr Einbürgerungsgesuch zurückzuziehen.
Nachdem A.X. an ihrem Einbürgerungsgesuch (mit Einbezug der unmündigen Kinder) festgehalten hatte, verweigerte die Einwohnergemeindeversammlung Erlinsbach am 27. November 2009 die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts für sie und die vier Kinder.
Die gegen den ablehnenden Entscheid erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Aargau am 9. Juni 2010 ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau hiess eine gegen den Entscheid des Regierungsrats gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 6. Dezember 2010 gut. Es hob den Beschluss des Regierungsrats auf und wies die Angelegenheit zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an die Einwohnergemeinde Erlinsbach zurück. Aus den Erwägungen ergibt sich insbesondere, dass die Gemeinde die Sprachkenntnisse von A.X. nach den vom Verwaltungsgericht aufgestellten materiellen und verfahrensmässigen Anforderungen beurteilen muss. Sollte sich die Beschwerdeführerin über ausreichende Sprachkenntnisse ausweisen und die Gemeinde weiterhin Bedenken hinsichtlich deren Vertrautheit mit den schweizerischen Verhältnissen hegen, so wären
BGE 137 I 235 S. 237
entsprechende zusätzliche Untersuchungen durchzuführen oder Gesichtspunkte zu nennen, welche die Annahme einer unzureichenden Integration als haltbar erscheinen lassen.
Mit Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht beantragt die Einwohnergemeinde Erlinsbach, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und der Beschluss der Gemeindeversammlung Erlinsbach vom 27. November 2009 zu bestätigen. Eventuell sei das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung der Sprachkenntnisse von A.X. an den Gemeinderat Erlinsbach zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung der Gemeindeautonomie (
Art. 50 Abs. 1 BV
) sowie die Verletzung des rechtlichen Gehörs (
Art. 29 Abs. 2 BV
) und Willkür (
Art. 9 BV
). Sie beanstandet insbesondere, dass das Verwaltungsgericht ihr vorschreibe, wie sie die Sprachkenntnisse festzustellen habe.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie macht geltend, sie habe das ihr bei der Einbürgerung zustehende Ermessen pflichtgemäss ausgeübt. Im Rahmen des Einbürgerungsgesprächs sei festgestellt worden, dass A.X. nicht über hinreichende Sprachkenntnisse verfüge. Das Verwaltungsgericht sei nicht berechtigt, dem Gemeinderat Vorgaben für die Feststellung und Beurteilung der Sprachkenntnisse von Einbürgerungswilligen zu machen. Im Übrigen fehle es bei der Gesuchstellerin auch an der für eine Einbürgerung notwendigen Integration. Die Vorinstanz habe sich über die willkürfreie Beurteilung durch die Gemeinde hinweggesetzt und damit die Gemeindeautonomie verletzt.
2.2
Art. 50 Abs. 1 BV
gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Nach der Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen
BGE 137 I 235 S. 238
Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (
BGE 136 I 265
E. 2.1 S. 269,
BGE 136 I 395
E. 3.2.1 S. 398;
BGE 135 I 233
E. 2.2 S. 241 f.; je mit Hinweisen). Die Anwendung von eidgenössischem und kantonalem Verfassungsrecht prüft das Bundesgericht mit freier Kognition, die Handhabung von Gesetzes- und Verordnungsrecht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (
BGE 136 I 265
E. 2.3 S. 270;
BGE 135 I 302
E. 1 S. 305).
2.3
Nach § 6 der Aargauer Kantonsverfassung vom 25. Juni 1980 (KV/AG; SR 131.227) regelt der kantonale Gesetzgeber das Kantons- und Gemeindebürgerrecht (vgl. Gesetz des Kantons Aargau über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht vom 22. Dezember 1992 [KBüG/AG; SAR 121.100]). Eine Zuständigkeit der Gemeinden zum Erlass von Bestimmungen über die Einbürgerungsvoraussetzungen besteht nicht (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, 1986, N. 1 zu
§ 6 KV/AG
). Für die materiellen Voraussetzungen der Einbürgerung knüpft das kantonale Recht an die bundesrechtlichen Anforderungen an und enthält keine zusätzlichen Erfordernisse.
Zuständigkeiten und Verfahren zur Einbürgerung von Ausländern sind in § 11 KBüG/AG geregelt. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung trifft der Gemeinderat die Erhebungen, die für die Beurteilung der Einbürgerungsvoraussetzungen nötig sind, und legt, wenn die Wohnsitzerfordernisse erfüllt sind, das Gesuch der Gemeindeversammlung zur Beschlussfassung über die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts vor. Die Zuständigkeit der Gemeindeversammlung ergibt sich zudem aus § 20 Abs. 2 lit. k des kantonalen Gesetzes vom 19. Dezember 1978 über die Einwohnergemeinden (Gemeindegesetz, GG/AG; SAR 171.100). Über die Einbürgerung entscheidet abschliessend die Einbürgerungskommission des Grossen Rats, sofern der Grosse Rat den Entscheid nicht an sich zieht (§ 11 Abs. 5 KBüG/AG).
2.4
Die Verleihung des Gemeindebürgerrechts fällt im Kanton Aargau aufgrund der genannten Bestimmungen in den Autonomiebereich der Gemeinden (vgl. ANDREAS BAUMANN, Aargauisches Gemeinderecht, 3. Aufl. 2005, S. 162). Diese sind bei ihrem Entscheid an die Kriterien gemäss
Art. 14 lit. a-d des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (Bürgerrechtsgesetz, BüG; SR 141.0)
gebunden. Danach ist bei der
BGE 137 I 235 S. 239
ordentlichen Einbürgerung vor Erteilung der Einbürgerungsbewilligung zu prüfen, ob der Bewerber zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er in die schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist, mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist, die schweizerische Rechtsordnung beachtet und die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen steht den zuständigen Behörden ein weiter Ermessensbereich zu, welchen die Rechtsmittelinstanzen beachten müssen. Sie dürfen einzig eingreifen, wenn die Gemeinde ihr Ermessen nicht pflichtgemäss, das heisst in Widerspruch zum Sinn und Zweck der Bürgerrechtsgesetzgebung, ausübt (vgl.
BGE 129 I 232
E. 3.3 S. 237 ff. und E. 3.4.2 S. 240 sowie
BGE 129 I 217
E. 2.2 S. 224 ff.; siehe ferner Urteile des Bundesgerichts 1D_5/2010 vom 30. August 2010 E. 3.2.4; 1P.788/2006 vom 22. März 2007 E. 3, in: ZBl 109/2008 S. 161; je mit Hinweisen).
2.5
Nach
Art. 50 BüG
sind die Kantone verpflichtet, Gerichtsbehörden einzusetzen, die als letzte kantonale Instanzen Beschwerden gegen ablehnende Entscheide über die ordentliche Einbürgerung beurteilen. Diese Gerichtsbehörden haben gestützt auf die Rechtsweggarantie (
Art. 29a BV
) eine freie Überprüfung des Sachverhalts sowie der Anwendung des kantonalen und des Bundesrechts vorzunehmen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_310/2009 vom 17. März 2010 E. 2.2.2 mit Hinweisen; Bericht vom 27. Oktober 2005 der Staatspolitischen Kommission des Ständerats, BBl 2005 6953; ANDREAS KLEY, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2008, N. 11 zu
Art. 29a BV
). Eine gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit der angefochtenen Entscheide verlangt
Art. 29a BV
nicht. Zulässig ist auch eine richterliche Zurückhaltung bei der Überprüfung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei der Beurteilung von technischen Sachverhalten (KLEY, a.a.O.). Damit sind die Gerichte in der Lage, den Handlungsspielraum der zuständigen unterinstanzlichen Behörden zu respektieren. Der eingeschränkten Justiziabilität von Ermessensentscheiden ist durch eine Anpassung des Kontrollumfangs und der Kontrolldichte sowie durch geeignete Beweismassnahmen Rechnung zu tragen (ESTHER TOPHINKE, Bedeutung der Rechtsweggarantie für die Anpassung der kantonalen Gesetzgebung, ZBl 107/2006 S. 107 f.; WALTER KÄLIN, Die Bedeutung der Rechtsweggarantie für die kantonale Verwaltungsjustiz, ZBl 100/1999 S. 61 f.). Die Rechtsweggarantie verpflichtet die Vorinstanz somit zu einer umfassenden Rechts- und Sachverhaltsprüfung, was
BGE 137 I 235 S. 240
nicht ausschliesst, den Gestaltungsbereich der unteren Instanzen und insbesondere der Gemeinden zu wahren.
2.5.1
Das Verwaltungsgericht überprüfte den bei ihm angefochtenen Entscheid im Rahmen der Beschwerdeanträge auf unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts sowie Rechtsverletzungen (§ 48 Abs. 2 und § 55 Abs. 1 des kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 4. Dezember 2007 [VRPG/AG; SAR 271. 200]). In tatsächlicher Hinsicht ist die Kognition des Verwaltungsgerichts nicht beschränkt. In rechtlicher Hinsicht bezeichnet das Verwaltungsgericht seine Kognition als eingeschränkt, weil den Gesuchstellern kein Anspruch auf Einbürgerung zustehe und deshalb den zuständigen Behörden sowohl hinsichtlich der Erteilung des Gemeinde- als auch des Kantonsbürgerrechts ein weiter Spielraum zustehe. Praktisch beschränke sich damit die Kognition des Verwaltungsgerichts in rechtlicher Hinsicht auf die Verletzung von Verfassungsrecht einschliesslich des Willkürverbots (
Art. 9 BV
).
2.5.2
Eine solche Kognitionsbeschränkung in Bezug auf die Rechtsanwendung ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem Hintergrund der Rechtsweggarantie (
Art. 29a BV
) nicht zulässig. Der Gestaltungsspielraum der unteren Instanzen und der Gemeinden darf nicht zu einem Verzicht auf die nach der Rechtsweggarantie erforderlichen Rechts- und Sachverhaltsprüfung führen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Anforderungen für eine ordentliche Einbürgerung gemäss
Art. 14 BüG
. Die freie gerichtliche Prüfung dieser bundesrechtlichen Anforderungen obliegt den in
Art. 50 BüG
genannten kantonalen Gerichtsbehörden. Damit wird den Anforderungen von
Art. 29a BV
entsprochen.
Das Bundesgericht kann in diesem Bereich wegen des Ausschlusses der ordentlichen Beschwerde (
Art. 83 lit. b BGG
) in Bezug auf Sachverhalts- und Rechtsfragen lediglich eine Prüfung der Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gewährleisten (
Art. 113, 116 und 118 BGG
).
Ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt sind, prüft das Verwaltungsgericht somit frei. Es beachtet bei der Prüfung der Rechtsfragen, dass die Gemeinden im Rahmen ihrer Autonomie die im Gesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe selbstständig anwenden. Indessen muss das kantonale Gericht die Rechtsanwendung und namentlich die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Gemeinde auf die Vereinbarkeit mit den
BGE 137 I 235 S. 241
einschlägigen Normen des kantonalen Rechts und des Bundesrechts überprüfen. Dazu gehört neben der Bundesverfassung auch das Bürgerrechtsgesetz. Die freie Prüfung der Anwendung des BüG geht über eine Willkürprüfung hinaus, indem das kantonale Gericht eine Verletzung des BüG zu korrigieren hat und nicht nur dann einschreitet, wenn der bei ihm angefochtene Entscheid im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgrundsatz zuwiderläuft (zum Willkürbegriff vgl.
BGE 135 V 2
E. 1.3 S. 4;
BGE 133 I 149
E. 3.1 S. 153;
BGE 131 I 467
E. 3.1 S. 473 f.; je mit Hinweisen). Das zuständige kantonale Gericht darf auch nicht mit Rücksicht auf die Gemeindeautonomie eine willkürfreie Anwendung des BüG akzeptieren, wenn sich aus diesem Bundesrecht oder anderen Rechtssätzen ergibt, dass eine andere Lösung vorzuziehen wäre.
2.5.3
Die Vorinstanz war somit im Hinblick auf die Anwendung des BüG nicht auf eine Willkürprüfung beschränkt, sondern hatte unter Beachtung des Gestaltungsbereichs der unteren Instanzen eine umfassende Rechts- und Sachverhaltsprüfung vorzunehmen. Diese Aufgabe hat sie, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, wahrgenommen. Dem weiten Gestaltungsbereich der Gemeinde trägt sie Rechnung, indem sie zur Förderung einer rechtsgleichen und willkürfreien Ermittlung und Beurteilung der Sprachkenntnisse die Einhaltung bestimmter Regeln verlangt, welche die nach
Art. 50 BüG
i.V.m.
Art. 29a BV
geforderte gerichtliche Überprüfung ermöglichen. Im bundesgerichtlichen Verfahren ist auf Verfassungsbeschwerde hin zu prüfen, ob der angefochtene Entscheid die von der Gemeinde angerufenen verfassungsmässigen Rechte (Gemeindeautonomie, rechtliches Gehör, Willkürverbot) verletzt.
3.
3.1
Die Gemeinde hat im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens zu prüfen, ob ein Bewerber zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er in die schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist und mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist (
Art. 14 lit. a und b BüG
). Das in
Art. 14 lit. b BüG
genannte Kriterium der Vertrautheit mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen setzt gewisse Kenntnisse über das Land und seine Bewohner und insbesondere eine der Landessprachen voraus (vgl. VPB 69/2005 Nr. 101 S. 1243 f.;
BGE 137 I 235 S. 242
CÉLINE GUTZWILLER, Droit de la nationalité et fédéralisme en Suisse, 2008, Rz. 557). Die Fähigkeit, sich in einer Landessprache zu verständigen, soll im neuen Bürgerrechtsgesetz als Integrationskriterium ausdrücklich genannt werden (Art. 12 Abs. 1 lit. c nBüG gemäss Botschaft des Bundesrates vom 4. März 2011 zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das Schweizer Bürgerrecht, BBl 2011 2834 f. Ziff. 1.2.2.5 [nachfolgend: Botschaft Bürgerrecht]). Fehlende Kenntnisse der vor Ort gesprochenen Landessprache können als Indiz für eine mangelnde Integration gewertet werden (vgl.
BGE 134 I 56
E. 3 S. 59). Um als Bürgerin bzw. Bürger im politischen System der Schweiz mitwirken zu können, sind auch Kenntnisse über die Grundlagen der politischen und sozialen Ordnung notwendig. Sprachkenntnisse, Kenntnisse des Landes und seines politischen Systems und die Einbindung in die Lebensverhältnisse müssen so weit gehen, dass anzunehmen ist, dass ein Bewerber nach Verleihung des Staatsbürgerrechts angemessen von seiner Rechtsstellung und insbesondere auch von den damit verliehenen Teilnahmerechten am politischen Prozess Gebrauch machen kann (vgl. Botschaft zur Revision des Bürgerrechtsgesetzes, BBl 2002 1943 Ziff. 2.2.1.3; Eidg. Ausländerkommission EKA, Einbürgerung und Sprachnachweis, Empfehlungen an die Gemeinden, die Kantone und den Bund, 2006, S. 4 ff.).
3.2
Das Verwaltungsgericht hält die Abklärungen der Gemeinde über die Sprachkenntnisse der Beschwerdegegnerin 1 A.X. für ungenügend. Es beanstandet zunächst das Fehlen einer Definition des erwarteten Sprachniveaus. Weiter kritisiert es im Hinblick auf das Verfahren, dass keine vorgängige Mitteilung an die Bewerberin über das erwartete Sprachniveau erfolgte, kein definiertes brauchbares Testverfahren angewendet und keine Fachperson oder ein entsprechend geschulter Sachbearbeiter beigezogen worden sei. Zudem fehlten Aufzeichnungen über den Sprachtest, und sei kein individueller Test durchgeführt worden.
Die Gemeinde beruft sich auf die in § 11 Abs. 2 KBüG/AG enthaltene Kompetenz, Erhebungen zu treffen, die für die Beurteilung der Einbürgerungsvoraussetzungen nötig sind. Sie leitet daraus ab, die Gemeinden seien bei der Sprachbeurteilung frei, das erforderliche Sprachniveau zu bestimmen und nach den ihr als gut erscheinenden Methoden vorzugehen.
3.3
Bei der Handhabung des Sprachkriteriums stellt sich die Frage nach dem erforderlichen Niveau an Sprachkenntnissen sowie die
BGE 137 I 235 S. 243
Frage nach den Methoden zu dessen Ermittlung. Mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben stellte das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid Grundsätze ("Leitplanken") auf, welche eine willkürfreie und rechtsgleiche Beurteilung der Sprachkenntnisse erlauben sollen. Es ist im Folgenden zu prüfen, ob damit der Beurteilungsspielraum der zuständigen Gemeinde verletzt wurde.
3.4
3.4.1
Das Verwaltungsgericht nimmt im angefochten Entscheid Bezug auf den im Auftrag der Eidg. Ausländerkommission (EKA) erstellten Kurzbericht zu einem Rahmenkonzept für den Nachweis der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Hinblick auf die Einbürgerung (SCHNEIDER UND ANDERE, Rahmenkonzept für den Nachweis der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Hinblick auf die Einbürgerung, 2006, publiziert im Internet:
http://www.ekm.admin.ch/de/themen/buergerrecht.php
, besucht am 29. März 2011). Dieser Kurzbericht stützt sich bei der Umschreibung des anzustrebenden Sprachniveaus auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen des Europarats (GER; Europäisches Sprachenportfolio ESP; abrufbar unter:
http://www.coe.int/T/DG4/Portfolio/L=E&M=/main_pages/levels.html
, besucht am 28. März 2011).
In der erwähnten Publikation von SCHNEIDER UND ANDERE wird für die mündlichen Kompetenzen (Sprechen, Hörverstehen) ein Überprüfungsprofil im Bereich der Referenzniveaus B1.1 bis A2.1 als sinnvoll bezeichnet. Die Prüfung von schriftlichen Kompetenzen (Lesen, Schreiben) wird generell nicht empfohlen. Indes wird vorgeschlagen, dass sich die zuständigen Behörden im Falle einer Prüfung schriftlicher Kompetenzen am Referenzniveau A2.2 für das Lesen und A2.1 für das Schreiben orientieren (SCHNEIDER UND ANDERE, a.a.O., S. 21 f. und Anhang D, Sprachkompetenzprofil "Einstieg in die selbständige Sprachverwendung", S. 35).
Unter Berücksichtigung dieses Rahmenkonzepts kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss, im Regelfall könnten vom Bürgerrechtsbewerber kommunikative Fähigkeiten (Verstehen, Sprechen) von B1 bis B2 (insbesondere soweit es um Begriffe und Themen aus dem Bereich der Staats- und Landeskunde geht) verlangt werden, ohne dass die zuständige Behörde dadurch den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum verletze. Mit Bezug auf die schriftliche Sprachbeherrschung (Schreiben) dürften hingegen die Anforderungen mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Bildungsfähigkeiten der
BGE 137 I 235 S. 244
Gesuchsteller das Niveau A2 nicht überschreiten, ansonsten die Diskriminierung bildungsferner Personen drohe.
3.4.2
Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen (GER) hat sich als Bezugsinstrument insbesondere in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts etabliert. Er unterscheidet drei Hauptniveaus sprachlicher Kommunikationsfähigkeiten: Die A-Niveaus stehen für eine elementare, die B-Niveaus für eine selbstständige und die C-Niveaus für eine kompetente Sprachverwendung. Innerhalb der verhältnismässig breit angelegten Hauptniveaus A und B werden je zwei Teilniveaus (A1 und A2 sowie B1 und B2 mit weiteren Unterteilungen) unterschieden, was die Genauigkeit des sprachlichen Anforderungsprofils erhöhen soll.
Der GER findet auch im Bundesrecht Verwendung. So werden für die vorzeitige Erteilung der Niederlassungsbewilligung Kenntnisse der am Wohnort gesprochenen Landessprache auf dem Niveau A2 des GER verlangt (vgl. Art. 62 Abs. 1 lit. c der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]). Für die Betreuungs- und Lehrtätigkeit (z.B. religiöse Betreuungspersonen oder Lehrkräfte für heimatliche Sprache und Kultur) sind Kenntnisse der am Arbeitsort gesprochenen Landessprache auf dem Sprachniveau B1 des GER erforderlich (
Art. 7 der Verordnung vom 24. September 2007 über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern [VlntA; SR 142.205]
).
3.4.3
Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern das vom Verwaltungsgericht genannte Sprachniveau mit der Gemeindeautonomie nicht vereinbar wäre. Zur näheren Umschreibung der Anforderungen, die ein Einbürgerungswilliger in sprachlicher Hinsicht erfüllen sollte, erscheint der GER aufgrund des Rahmenkonzepts für den Nachweis der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Hinblick auf die Einbürgerung als gut geeignet. Es geht darum, einen objektivierbaren Massstab für die Einbürgerungsvoraussetzungen gemäss
Art. 14 lit. b BüG
festzulegen. Damit wird die Grundlage für einen überprüfbaren Entscheid über die Sprachkenntnisse im Einbürgerungsverfahren geschaffen, was der rechtsgleichen und willkürfreien Handhabung des Sprachenkriteriums dient. Die Sprachniveaus wurden vom Verwaltungsgericht nicht als verbindliche Mindestkenntnisse formuliert, sondern es bleibt weiterhin den Gemeinden überlassen, im Rahmen der genannten Kriterien zu entscheiden, ob die Sprachkenntnisse im konkreten Einzelfall für eine Einbürgerung
BGE 137 I 235 S. 245
ausreichen. Damit wird der von der Gemeindeautonomie geschützten Entscheidungsfreiheit der Gemeinde hinreichend Rechnung getragen. Auch können die Gemeinden das Verfahren für Personen, welche die sprachlichen Anforderungen aus bestimmten Gründen nicht erfüllen (z.B. wegen einer geistigen Behinderung oder hohen Alters), individuell bestimmen (vgl.
BGE 135 I 49
). Somit erscheint die Einbürgerung von Personen mit Lern- oder Leistungsschwächen oder Behinderungen durch die Vorgaben des Verwaltungsgerichts nicht ausgeschlossen (vgl. Botschaft Bürgerrecht, BBl 2011 2832 Ziff. 1.2.2.2; Bericht des Regierungsrats des Kantons Basel-Stadt vom 26. Oktober 2010 zur kantonalen Volksinitiative "für eine faire Einbürgerung [Sprachinitiative]", S. 11, im Internet:
http://www.grosserrat.bs.ch/dokumente/100370/000000370752.pdf
, besucht am 4. April 2011).
3.5
Soweit das Verwaltungsgericht das in Erlinsbach durchgeführte Verfahren zur Feststellung der Sprachkenntnisse der Beschwerdegegnerin A.X. beanstandet, ist ebenfalls nicht ersichtlich, inwiefern damit die Gemeindeautonomie verletzt worden sein soll. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den genannten Mängeln werden von der Beschwerdeführerin nicht substanziiert in Frage gestellt (Art. 106 Abs. 2 i.V.m.
Art. 117 BGG
).
Das Verwaltungsgericht verlangt im Hinblick auf die rechtsgleiche Handhabung des Spracherfordernisses und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, dass den Bürgerrechtsbewerbern zumindest zu einem frühen Zeitpunkt mitgeteilt wird, welches Sprachniveau bei den verschiedenen sprachlichen Fertigkeiten (Verstehen, Sprechen, Schreiben) erwartet wird. Weiter soll die zuständige Behörde die ausreichende Qualität des Evaluationsverfahrens sicherstellen sowie die Evaluation in Bezug auf den Gesuchsteller bzw. die Gesuchstellerin individuell durchführen und dokumentieren. Diese Mindesterfordernisse dienen im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes der rechtsgleichen Behandlung (
Art. 8 BV
) sowie der Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (
Art. 29 Abs. 2 BV
). Das Verwaltungsgericht hat die Gemeinde nicht auf ein bestimmtes Verfahren zur Ermittlung der Sprachkenntnisse verpflichtet, sondern lediglich die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an das Verfahren bezeichnet. Damit bleibt es der Gemeinde überlassen, innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens über die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens zur Beurteilung der Sprachkenntnisse zu
BGE 137 I 235 S. 246
entscheiden. Die Autonomie der Gemeinde wird dadurch gewahrt. Da der Gemeinde nach dem angefochtenen Entscheid innerhalb des bundesrechtlichen Rahmens hinreichende Gestaltungsmöglichkeiten für die Feststellung und Beurteilung der Sprachkenntnisse verbleiben, kann auch dem Eventualantrag der Beschwerdeführerin nicht entsprochen werden.
3.6
Schliesslich hat das Verwaltungsgericht auch darauf hingewiesen, dass die Verneinung einer hinreichenden Integration der Beschwerdegegnerin A.X. einer verfassungsrechtlich haltbaren Begründung bedarf. Die entsprechenden Erwägungen der Vorinstanz stimmen mit
Art. 15b BüG
und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Begründungspflicht von Einbürgerungsentscheiden überein (
BGE 135 I 265
E. 4.3.1 S. 276;
BGE 132 I 196
E. 3.1;
BGE 131 I 18
E. 3 S. 20;
BGE 129 I 232
E. 3 S. 234 ff.; je mit Hinweisen). Die Gemeinde hat die Gründe, welche zur Ablehnung der Einbürgerung wegen mangelnder Integration führen, im Einzelnen darzulegen. Dadurch werden sowohl die betroffene Gesuchstellerin als auch die Beschwerdeinstanz in die Lage versetzt, sich mit den genannten Gründen auseinanderzusetzen und diese auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen. Das Verwaltungsgericht beanstandete zu Recht, dass die Gemeinde die ausreichende Vertrautheit mit den schweizerischen Verhältnissen im Wesentlichen damit verneine, dass die Beschwerdegegnerin A.X. keine Erwerbstätigkeit ausübe. Stattdessen hat sie hier ihre Kinder grossgezogen und begleitet auch heute noch die Entwicklung der jüngeren Kinder. Dass sie - zumindest in beschränktem Rahmen - am Dorfleben teilnimmt, bestreitet die Gemeinde nicht. Unter diesen Umständen gelangte das Verwaltungsgericht ohne Verletzung der Gemeindeautonomie zum Schluss, dass aufgrund der bisherigen Untersuchung des Sachverhalts - vorbehältlich ausreichender Sprachkenntnisse - nicht von einer unzureichenden Vertrautheit mit den hiesigen Verhältnissen ausgegangen werden dürfe. | mixed |
6ff366e3-8cd8-4145-a77b-b61ea7d37ab6 | Sachverhalt
ab Seite 287
BGE 133 I 286 S. 287
Im Hinblick auf das Inkrafttreten des revidierten Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Bundesgesetzes über das Jugendstrafrecht am 1. Januar 2007 erliess der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt am 15. November 2006 u.a. ein neues Gesetz über die Jugendstrafrechtspflege. Nach Ablauf der unbenützten Referendumsfrist stellte der Staatsschreiber des Kantons Basel-Stadt am 3. Januar 2007 fest, dass die Jugendstrafprozessordnung in Rechtskraft erwachsen ist. Sie trat gemäss Beschluss des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt auf den 1. Januar 2007 in Kraft (Kantonsblatt Basel-Stadt vom 4. Januar 2006).
Unter dem Titel "Dauer und Vollzug des Haftbefehls" enthält § 23 Abs. 4 der Jugendstrafprozessordnung die folgende Bestimmung:
4
Jugendliche dürfen nur ausnahmsweise in Einrichtungen für Erwachsene untergebracht werden, und nur dann, wenn der Zweck der Untersuchungshaft nicht anders erreicht werden kann. Sie unterstehen in diesem Fall besonderen Vollzugsvorschriften, die auf ihre Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Eine geeignete Betreuung ist sicherzustellen.
Jelscha Schmid, Tanja Soland und der Verein Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS), Regionalgruppe Basel, erhoben am 2. Januar 2007 staatsrechtliche Beschwerde. Sie beantragen die Aufhebung von § 23 Abs. 4 der Jugendstrafprozessordnung. Sie rügen eine Verletzung von
Art. 49 Abs. 1 BV
und machen geltend, die genannte Bestimmung stehe im Widerspruch mit Art. 6 Abs. 2 des
BGE 133 I 286 S. 288
Bundesgesetzes über das Jugendstrafrecht und verletze überdies Art. 10 Abs. 2 lit. b des UNO-Paktes II und Art. 37 lit. c des Übereinkommens über die Rechte des Kindes.
Das Bundesgericht nimmt die Beschwerde als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinne von
Art. 82 lit. b BGG
entgegen, heisst sie gut und hebt § 23 Abs. 4 der Jugendstrafprozessordnung auf. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführer haben gegen das Gesetz vom 15. November 2006 über die Jugendstrafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt (JStPO; SG 257.500) am 2. Januar 2007 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Es stellt sich die Frage, welche Verfahrensordnung für das bundesgerichtliche Verfahren Anwendung findet und welches Rechtsmittel gegeben ist.
Nach Art. 132 Abs. 1 des am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) ist die neue Verfahrensordnung auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren anwendbar, auf Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid unter dessen Herrschaft ergangen ist. Es ist demnach zu prüfen, ob die Jugendstrafprozessordnung noch als unter altem Recht ergangen gilt und demnach das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; BS 3 S. 531) zur Anwendung kommt oder ob das neue Bundesgerichtsgesetz anwendbar ist.
Unterliegt ein kantonaler Erlass dem fakultativen Referendum, beginnt die Frist zur abstrakten Anfechtung beim Bundesgericht nicht mit der Verabschiedung und der Publikation der Referendumsvorlage, sondern mit der Veröffentlichung des Erwahrungsbeschlusses, d.h. mit der Feststellung, dass entweder die Referendumsfrist unbenützt abgelaufen ist oder der Erlass im Falle eines Referendums in der Volksabstimmung angenommen worden ist (
BGE 130 I 82
E. 1.2 S. 84,
BGE 130 I 306
E. 1 S. 309;
BGE 124 I 145
E. 1b S. 148;
BGE 121 I 187
E. 1a S. 189). Der Erwahrungsbeschluss schliesst das Gesetzgebungsverfahren förmlich ab. Wird die Beschwerde dem Bundesgericht vor dem Erwahrungsbeschluss eingereicht, gilt sie als verfrüht. Das bundesgerichtliche Verfahren wird diesfalls in der Regel bis zur
BGE 133 I 286 S. 289
Publikation des Erwahrungsbeschlusses sistiert (
BGE 109 Ia 61
E. 1c S. 66).
Die vorliegende Beschwerde vom 2. Januar 2007 ist in Anbetracht des Erwahrungsbeschlusses des Staatsschreibers vom 3. Januar 2007 (publiziert am 4. Januar 2007) verfrüht. In jenem Zeitpunkt war das kantonale Gesetzgebungsverfahren formell noch nicht abgeschlossen. Trotz des Umstandes, dass die Jugendstrafprozessordnung vom 15. November 2006 datiert, im Kantonsblatt vom 18. November 2006 als Referendumsvorlage veröffentlicht worden ist und Streitgegenstand der vorliegenden Beschwerde darstellt, bildet der Erwahrungsbeschluss vom 3. Januar 2007 den Anknüpfungspunkt für deren abstrakte Anfechtung. Daraus ergibt sich, dass in zeitlicher Hinsicht auf den Erwahrungsbeschluss abzustellen ist. Da dieser im Jahre 2007 ergangen ist, findet auf die vorliegende Beschwerde das Bundesgerichtsgesetz Anwendung (vgl. Urteil 2P.312/2006 vom 4. Dezember 2006).
Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinne von
Art. 82 lit. b BGG
entgegenzunehmen. Den Beschwerdeführern erwächst dadurch kein Nachteil. In Bezug auf die Besetzung des Spruchkörpers hat das zur Folge, dass nicht die Bestimmung von
Art. 15 Abs. 3 OG
, sondern diejenige von
Art. 20 Abs. 3 BGG
gilt.
2.
2.1
Kantonale Erlasse können nach
Art. 82 lit. b BGG
mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden. Hierzu zählen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zu
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
Anordnungen generell-abstrakter Natur, die die Rechtsstellung des einzelnen Bürgers berühren, indem sie ihn verbindlich und erzwingbar zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichten oder sonstwie seine Rechtsbeziehungen zum Staat verbindlich festlegen (vgl.
BGE 128 I 167
E. 4 S. 170 mit Hinweisen). Dazu gehören wie im vorliegenden Verfahren formelle kantonale Gesetze. Vorbehältlich eines kantonalen Rechtsmittels unterliegen diese nach
Art. 87 BGG
direkt der Beschwerde ans Bundesgericht.
2.2
Zur Beschwerde gegen einen Erlass war nach
Art. 88 OG
legitimiert, wer durch die angefochtene Bestimmung unmittelbar oder zumindest virtuell, das heisst mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal in seinen rechtlich geschützen eigenen Interessen betroffen ist (
BGE 131 I 291
E. 1.3 S. 296 mit Hinweisen).
BGE 133 I 286 S. 290
Die Beschwerdelegitimation in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird nunmehr durch
Art. 89 Abs. 1 BGG
umschrieben. Soweit ein kantonales Rechtsmittel fehlt, entfällt für die Erlassanfechtung das Erfordernis der formellen Beschwer im Sinne von
Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG
. Zur Anfechtung eines kantonalen Erlasses ist gemäss
Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG
legitimiert, wer durch den Erlass aktuell oder virtuell besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Änderung oder Aufhebung hat. Das schutzwürdige Interesse kann rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein.
Die Beschwerdeführerin Jelscha Schmid ist als unmündige Jugendliche durch die Jugendstrafprozessordnung, welche auf Personen anwendbar ist, die im Tatzeitpunkt unmündig sind (
§ 1 JStPO
), im Sinne von
Art. 89 Abs. 2 lit. b BGG
zumindest virtuell betroffen; sie hat demnach ein Interesse an der Aufhebung von
§ 23 Abs. 4 JStPO
. Sie legitimiert sich durch eine Vollmacht und die Zustimmung ihrer Eltern zur Prozessführung.
Auf die Beschwerdeführerin Tanja Soland findet der angefochtene Erlass keine Anwendung. Es kann offenbleiben, ob sie allein im Hinblick auf eine allfällige Mutterschaft zur Beschwerde legitimiert wäre. Gleichermassen braucht nicht darüber entschieden zu werden, ob den Demokratischen Juristinnen und Juristen, über deren Mitglieder keine näheren Angaben gemacht worden sind, die Legitimation zukomme.
3.
3.1
Die Beschwerdeführer rügen zur Hauptsache eine Verletzung des Vorrangs des Bundesrechts im Sinne von
Art. 49 Abs. 1 BV
und machen geltend, die angefochtene Bestimmung von
§ 23 Abs. 4 JStPO
stehe mit der Regelung von Art. 6 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 über das Jugendstrafrecht (Jugendstrafgesetz, JStG; SR 311.1) im Widerspruch, wonach Jugendliche während der Untersuchungshaft in einer besonderen Einrichtung oder einer besonderen Abteilung der Haftanstalt getrennt von den erwachsenen Gefangenen unterzubringen sind.
Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach
Art. 49 Abs. 1 BV
schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt, eine Rechtssetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck
BGE 133 I 286 S. 291
nicht beeinträchtigen oder vereiteln. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden. Das Bundesgericht prüft mit freier Kognition, ob die kantonale Norm mit dem Bundesrecht im Einklang steht (
BGE 133 I 110
E. 4.1 S. 115;
BGE 129 I 402
E. 2 S. 404, mit Hinweisen).
3.2
Darüber hinaus rufen die Beschwerdeführer das Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes an (Kinderrechtskonvention, KRK; SR 0.107). Nach dessen Art. 37 lit. c stellen die Vertragsstaaten sicher, dass jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Personen seines Alters behandelt wird; insbesondere ist jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, von Erwachsenen zu trennen, sofern nicht ein anderes Vorgehen als dem Wohl des Kindes dienlich erachtet wird. Die Bestimmung bezieht sich gleichermassen auf Untersuchungshaft wie andere Formen des Freiheitsentzugs.
Eine Beschwerde wegen Verletzung von Staatsvertragsrecht (vgl.
Art. 95 lit. b BGG
) setzt voraus, dass die staatsvertragliche Bestimmung, deren Verletzung gerügt wird, direkt anwendbar (self-executing) ist. Dies trifft zu, wenn die Bestimmung inhaltlich hinreichend bestimmt und klar ist, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheides zu bilden. Die Norm muss mithin justiziabel sein, d.h. es müssen die Rechte und Pflichten des Einzelnen umschrieben und der Adressat der Norm die rechtsanwendenden Behörden sein. Wie es sich damit verhält, ist von den rechtsanwendenden Behörden zu bestimmen (
BGE 124 III 90
E. 3a S. 91).
Das Bundesgericht hat einzelne Bestimmungen der Kinderrechtskonvention als direkt anwendbare Rechtssätze bezeichnet; dies trifft namentlich auf
Art. 12 KRK
betreffend die Anhörung von Kindern zu allen sie berührenden Angelegenheiten zu (
BGE 124 III 90
E. 3b S. 92). Es fragt sich, wie es sich mit
Art. 37 lit. c KRK
verhält.
Nach dem Ingress von
Art. 37 KRK
stellen die Vertragsstaaten verschiedene Massnahmen und Rechte sicher. Diese Formulierung lässt für sich genommen vermuten, dass damit lediglich Pflichten der Vertragsstaaten angesprochen, indessen keine direkt anwendbaren Rechte eingeräumt werden. Eine inhaltliche Betrachtung der einzelnen Bestimmungen von
Art. 37 KRK
zeigt indessen, dass konkrete und justiziable Rechte garantiert werden: lit. a verbietet
BGE 133 I 286 S. 292
die Folter gegenüber Kindern in spezifischer Weise; lit. b untersagt rechtswidrigen oder willkürlichen Freiheitsentzug von Kindern; lit. d ermöglicht Kindern den Beizug eines Beistandes und gewährleistet das Recht, die Rechtmässigkeit eines Freiheitsentzuges innert angemessener Frist überprüfen zu lassen. Diese Bestimmungen sprechen somit Rechte an, die in vergleichbarer Weise in
Art. 3, 5 und 6 EMRK
sowie in
Art. 10 Abs. 3,
Art. 29 Abs. 3 und
Art. 31 BV
garantiert sind und daher als self-executing zu verstehen sind.
Gleich verhält es sich mit dem von den Beschwerdeführern angesprochenen
Art. 37 lit. c KRK
. Die Bestimmung räumt dem in Haft gehaltenen Kind einen Anspruch auf eine menschliche und würdevolle Behandlung ein und verlangt bei Freiheitsentzug grundsätzlich eine von Erwachsenen getrennte Unterbringung.
Die Schweiz hat indessen bei der Unterzeichnung der Kinderrechtskonvention zu Art. 37 lit. c einen Vorbehalt angebracht, wonach die Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen im Freiheitsentzug nicht ausnahmslos gewährleistet sei. Mit dem Jugendstrafgesetz wird der Rückzug des Vorbehalts in Betracht gezogen (Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes] und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 S. 2225 und 2279). Der Rückzug des Vorbehalts ist mit dem Inkrafttreten des Jugendstrafgesetzes im Hinblick auf
Art. 48 JStG
noch nicht erfolgt; er wird erst möglich, wenn die Trennung Jugendlicher von Erwachsenen sowohl in der Untersuchungshaft als auch im Straf- und Massnahmenvollzug realisiert ist. Bei dieser Sachlage können sich die Beschwerdeführer daher nicht direkt auf die Kinderrechtskonvention berufen. Das schliesst es allerdings nicht aus, bei der Auslegung des Jugendstrafgesetzes, mit dem die Voraussetzungen für den Rückzug des Vorbehalts geschaffen werden sollen, den Gehalt des Konventionsrechts mitzuberücksichtigen.
3.3
Ferner beziehen sich die Beschwerdeführer auf
Art. 10 Ziff. 2 lit. b UNO-Pakt II
(SR 0.103.2), wonach jugendliche Beschuldigte, denen die Freiheit entzogen wird, von Erwachsenen zu trennen sind. Die Norm betrifft ausschliesslich die Untersuchungshaft. Sie ist - wie auch die übrigen Bestimmungen dieses Artikels (vgl.
BGE 133 IV 76
E. 4) - direkt anwendbar.
BGE 133 I 286 S. 293
Die Schweiz hat zur genannten Norm des UNO-Paktes II ebenfalls einen Vorbehalt angebracht, wonach die Trennung zwischen jugendlichen Beschuldigten und Erwachsenen nicht ausnahmslos gewährleistet ist (vgl. KÄLIN/MALINVERNI/NOWAK, Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Aufl. 1997, S. 95 f. und S.168 Anm. 56). Mit dem Jugendstrafgesetz sollen die Voraussetzungen für einen Rückzug auch dieses Vorbehalts geschaffen werden (Botschaft, a.a.O., S. 2225 und 2278). Der Rückzug ist im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Jugendstrafgesetzes am 1. Januar 2007 noch nicht erfolgt. Doch hat der Bundesrat am 4. April 2007 beschlossen, den Vorbehalt zurückzuziehen und den Rückzug dem Generalsekretär der Vereinten Nationen mitzuteilen (Pressemitteilung vom 4. April 2007). Der Rückzug ist nunmehr formell erfolgt und auf den 7. Mai 2007 wirksam geworden (AS 2007 S. 3837). Der Bundesrat ging offensichtlich davon aus, dass der Vorbehalt mit dem Inkrafttreten des Jugendstrafgesetzes, welches nach Art. 6 Abs. 2 für die Untersuchungshaft eine Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen vorschreibt, gegenstandslos geworden ist. Bei dieser Sachlage ist im vorliegenden Verfahren der abstrakten Normkontrolle dem Gehalt von
Art. 10 Ziff. 2 lit. b UNO-Pakt II
bei der Auslegung von
Art. 6 Abs. 2 JStG
Rechnung zu tragen (vgl.
BGE 119 Ia 460
E. 4d S. 473).
3.4
In der Vernehmlassung vertritt das Justizdepartement die Auffassung, dass die Kinderrechtskonvention als lex specialis et posterior dem UNO-Pakt II vorgehe und Letzterer daher nicht anwendbar sei. Der Einwand erscheint angesichts des Umstandes, dass die entsprechenden Garantien in den beiden Konventionen nicht deckungsgleich sind (Botschaft, a.a.O., S. 2225), als fragwürdig. Wie es sich damit verhält, braucht vor dem Hintergrund von
Art. 49 Abs. 1 BV
nicht näher geprüft zu werden.
Das Justizdepartement bringt weiter vor, dass
Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK
mit der umstrittenen Norm der JStPO im Einklang stehe. Die Beschwerdeführer machen keine Verletzung dieser Konventionsbestimmung geltend. Es ist auch nicht bestritten, dass die genannte EMRK-Bestimmung Untersuchungshaft gegenüber Jugendlichen zulässt und Freiheitsentzug aus fürsorgerischen Gründen oder zum Zwecke überwachter Erziehung erlaubt (vgl.
BGE 121 I 208
E. 4c S. 215). Es wird schliesslich von den Beschwerdeführern nicht in Frage gestellt, dass Jugendliche im Rahmen von
§ 23 JStPO
eine geeignete Betreuung erhalten sollen. Auf den Hintergrund von
BGE 133 I 286 S. 294
Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK
braucht daher nicht näher eingegangen zu werden.
4.
4.1
Unter dem Titel "Untersuchungshaft" enthält
Art. 6 JStG
folgende Bestimmungen:
1
Untersuchungshaft darf nur angewendet werden, wenn ihr Zweck nicht durch eine vorsorglich angeordnete Schutzmassnahme erreicht werden kann. Die Dauer der Untersuchungshaft ist so kurz wie möglich zu halten.
2
In der Untersuchungshaft sind die Jugendlichen in einer besonderen Einrichtung oder einer besonderen Abteilung der Haftanstalt getrennt von den erwachsenen Gefangenen unterzubringen. Sie sind in geeigneter Weise zu betreuen.
Diese Norm des Jugendstrafgesetzes entspricht in Bezug auf die im vorliegenden Verfahren umstrittenen Fragen weitgehend dem Art. 6 des Entwurfes des Bundesrates (Botschaft, a.a.O., S. 2400). Der Bundesrat führte dazu aus, dass im Allgemeinen die Kantone für die Bestimmung der Voraussetzungen von Untersuchungshaft und die Art des Vollzuges zuständig seien. Wegen möglicher nachteiliger Auswirkungen auf Jugendliche rechtfertigten sich indes Mindestvorschriften im Bundesrecht. Die Voraussetzungen für Untersuchungshaft seien restriktiv zu halten. Zum Schutze der Jugendlichen vor negativen Einflüssen sei insbesondere vorzusehen, dass diese getrennt von Erwachsenen untergebracht werden, d.h. in einer für sie reservierten Abteilung des Gefängnisses oder zumindest so, dass Kontakte mit älteren Häftlingen vermieden werden. Mit diesen Vorgaben werde dem UNO-Pakt II und der Kinderrechtskonvention Rechnung getragen. Darüber hinaus sei eine geeignete Betreuung der Jugendlichen sicherzustellen (Botschaft, a.a.O., S. 2224 f.). Schliesslich hielt der Bundesrat fest, dass Jugendliche künftig konsequent von erwachsenen Häftlingen getrennt und betreut werden sollen (Botschaft, a.a.O., S. 2275).
4.2
Dem Wortlaut von
Art. 6 Abs. 2 JStG
kann nicht entnommen werden, dass der Bundesgesetzgeber Ausnahmen von der getrennten Unterbringung vorsehen oder zulassen würde. Daran ändert der Umstand nichts, dass
Art. 6 Abs. 2 Satz 2 JStG
eine geeignete Betreuung der Jugendlichen in der Untersuchungshaft vorschreibt. Gleichermassen geht die zitierte Botschaft davon aus, dass das Trennungsgebot ohne Ausnahmen gilt; es finden sich darin keine Hinweise auf die Möglichkeit irgendwelcher Abweichungen. In
BGE 133 I 286 S. 295
dieselbe Richtung weist
Art. 10 Ziff. 2 lit. b UNO-Pakt II
, der keine Ausnahmen von der Trennung Jugendlicher und Erwachsener zulässt (vgl. MANFRED NOWAK, U.N. Covenant on Civil and Political Rights, 2. Aufl. 2005, Rz. 21 f. zu Art. 10). Weniger eindeutig erscheint demgegenüber
Art. 37 lit. d KRK
, wonach Kinder bei Freiheitsentzug (Untersuchungshaft
und
Strafhaft) von Erwachsenen zu trennen sind, sofern nicht ein anderes Vorgehen als dem Wohl des Kindes dienlich erachtet wird.
Gesamthaft betrachtet ergibt sich daraus, dass der Bestimmung von
Art. 6 Abs. 2 JStG
eine absolute Bedeutung zukommt und dass vom bundesrechtlichen Trennungsgebot keine Ausnahmen zugelassen sind.
4.3
Bei dieser Sachlage ist im Folgenden zu prüfen, ob die angefochtene Bestimmung von
§ 23 Abs. 4 JStPO
mit der derart verstandenen bundesrechtlichen Norm von
Art. 6 Abs. 2 JStG
vereinbar ist. Im Rahmen der abstrakten Normkontrolle ist dabei nach der Rechtsprechung massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbaren lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich jeglicher verfassungskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich bleibt (vgl.
BGE 130 I 26
E. 2.1 S. 31;
BGE 128 I 327
E. 3.1 S. 334). Vor diesem Hintergrund ist im Folgenden der Sinngehalt der umstrittenen Norm der Jugendstrafprozessordnung zu prüfen und auf die Art ihrer Anwendung näher einzugehen.
4.4
§ 22 ff. JStPO
ordnen die sog. Wegnahme. Die Wegnahme wird gegen angeschuldigte Personen bei dringendem Tatverdacht und Vorliegen der Haftvoraussetzungen (§ 22 Abs. 1) angeordnet. Die Wegnahmeverfügung entspricht sinngemäss den Vorschriften über den Haftbefehl (§ 22 Abs. 3). Die Wegnahme hat daher die Bedeutung einer Untersuchungshaft.
Nach der angefochtenen Bestimmung von
§ 23 Abs. 4 JStPO
dürfen Jugendliche ausnahmsweise in Einrichtungen für Erwachsene untergebracht werden, wenn der Zweck der Wegnahme nicht anders erreicht werden kann. Das Justizdepartement hebt hervor, dass eine gemeinsame Unterbringung nur in ausgesprochenen Ausnahmefällen bezweckt sei. Eine Ausnahmesituation liege nach den Materialien vor, wenn etwa mehrere jugendliche Mitglieder einer
BGE 133 I 286 S. 296
Einbrecherbande gleichzeitig in Haft genommen werden müssen und die Verhinderung von Kollusion nicht anders als durch Unterbringung in einer Anstalt mit Erwachsenen erreicht werden kann.
Besonderes Gewicht legt das Justizdepartement auf die in Art. 2 festgehaltenen Grundsätze des Jugendstrafgesetzes. Danach sind für die Anwendung allgemein der Schutz und die Erziehung der Jugendlichen wegleitend; insbesondere ist den Lebens- und Familienverhältnissen des Jugendlichen sowie der Entwicklung seiner Persönlichkeit besondere Beachtung zu schenken. Diesen Grundsätzen werde durch eine ganz ausnahmsweise Unterbringung zusammen mit Erwachsenen besser Rechnung getragen als mit der Anordnung von Einzelhaft zur Vermeidung von Kollusionsgefahr, welche sich negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirke. Den Gefahren einer gemeinsamen Unterbringung werde insofern Rechnung getragen, als sie nur für Jugendliche über 15 Jahren vorgesehen sei.
Die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt hat eine Weisung zur "gemeinsamen Unterbringung von Jugendlichen und Erwachsenen im UG" erlassen. Danach soll die Unterbringung von Jugendlichen zusammen mit Erwachsenen nur in absoluten Ausnahmefällen vorgenommen werden (Ziff. 1.2). Grund hierfür kann nur die Verhinderung einer akuten Kollusionsgefahr sein (Ziff. 2). Die gemeinsame Unterbringung fällt lediglich gegenüber Jugendlichen ab einem Alter von 15 Jahren in Betracht, sofern sie dringend eines Verbrechens beschuldigt sind, für welches das Strafrecht bei Erwachsenen eine maximale Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren vorsieht (Ziff. 3.1). Ferner ist erforderlich, dass eine geschlossene Unterbringungsmöglichkeit getrennt von Erwachsenen und mit Ausschluss von Kollusionsmöglichkeiten nicht möglich ist oder aufgrund allzu fern gelegener Einrichtungen zu einer Verlängerung der Haft führen würde (Ziff. 3.2).
4.5
Aus diesen Erörterungen zum Anwendungsbereich und zur Art und Weise der Anwendung von
§ 23 Abs. 4 JStPO
ergibt sich einerseits, dass den Anliegen des Schutzes von Jugendlichen zwar weitestgehend Rechnung getragen werden soll, andererseits aber auch, dass Jugendliche in der Untersuchungshaft nicht konsequent von Erwachsenen getrennt werden und eine gemeinsame Unterbringung in ausgesprochenen Ausnahmefällen möglich bleibt. Es kann der Vernehmlassung nicht entnommen werden, dass die Vollzugsbehörden diesfalls bei der Unterbringung von Jugendlichen
BGE 133 I 286 S. 297
zusammen mit Erwachsenen konsequent darauf achten würden, dass entsprechende Kontaktnahmen ausgeschlossen würden.
Die Auffassung des Justizdepartementes beruht vor dem Hintergrund der wegleitenden Grundsätze nach
Art. 2 JStG
letztlich auf einer Abwägung zwischen zwei als negativ bewerteten Erscheinungen, nämlich der gemeinsamen Unterbringung einerseits und der Einzelhaft anderseits. Die Berücksichtigung der besonderen Interessenlage von Jugendlichen entspricht den Anliegen, die das Jugendstrafgesetz in Art. 2 umschreibt.
Art. 6 Abs. 2 JStG
kann indes nicht entnommen werden, dass den Vollzugsorganen bei der Anordnung von Untersuchungshaft in Bezug auf deren Durchführung unter Abwägung verschiedener Interessen ein Ermessensspielraum und die Möglichkeit eingeräumt würden, zwischen gemeinsamer Unterbringung mit Erwachsenen und Einzelhaft zu wählen. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass der Basler Gesetzgeber die gemeinsame Unterbringung nur in ausgesprochenen Ausnahmefällen vorsieht. Es ist vielmehr der Bundesgesetzgeber, der mit der genannten Bestimmung die Abwägung selber vorgenommen, der Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen Vorrang eingeräumt und damit allenfalls auch eine Einzelhaft von Jugendlichen in Kauf genommen hat. Es würde sowohl in abstrakter Hinsicht als auch in Bezug auf konkret betroffene Jugendliche schwerfallen, die negativen Auswirkungen von Kontakten mit Erwachsenen und jene der Einzelhaft zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Daran ändert die Absicht der Jugendanwaltschaft nichts, dass die gemeinsame Unterbringung nur für Jugendliche von mehr als 15 Jahren in Betracht gezogen wird. Auch die Argumentation des Justizdepartementes, wonach der Kontakt eines 17-jährigen Jugendlichen mit einer 19-jährigen Person sich weniger negativ auswirken soll als der Kontakt eines 10-jährigen mit einem 17-jährigen Jugendlichen, vermag vor dem Hintergrund von
Art. 6 Abs. 2 JStG
nicht zu überzeugen. Die damit angesprochene - und nicht von der Hand zu weisende - Problematik ist im Rahmen der Fürsorge beim Vollzug der Untersuchungshaft in Anbetracht der konkreten Umstände zu berücksichtigen, vermag indessen für sich genommen am Erfordernis der Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen nichts zu ändern.
4.6
Gesamthaft betrachtet ergibt sich damit, dass dem in
Art. 6 Abs. 2 JStG
enthaltenen Gebot der Trennung Jugendlicher von Erwachsenen im Vollzug der Untersuchungshaft eine absolute
BGE 133 I 286 S. 298
Bedeutung zukommt, die keine Ausnahmen zulässt. Insoweit hält § 23 Abs. 4 der Jugendstrafprozessordnung vor dem Bundesrecht nicht stand und verletzt damit
Art. 49 Abs. 1 BV
.
5.
Bei dieser Sachlage ist weiter zu prüfen, wie es sich mit dem Gebot der Trennung Jugendlicher von Erwachsenen in der Untersuchungshaft in zeitlicher Hinsicht verhält. Das Justizdepartement macht geltend,
Art. 48 JStG
räume den Kantonen eine Frist von zehn Jahren zur Errichtung der entsprechenden Einrichtungen ein. Diese Bestimmung gelte sinngemäss bzw. in Annahme einer gesetzgeberischen Lücke auch für den Vollzug von Untersuchungshaft.
5.1
Art. 48 des Jugendstrafgesetzes enthält unter dem Titel "Einrichtung für den Vollzug der Unterbringung und des Freiheitsentzuges" die folgende Bestimmung:
Die Kantone errichten bis spätestens zehn Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die notwendigen Einrichtungen für den Vollzug der Unterbringung (Art. 15) und des Freiheitsentzuges (Art. 27).
Der Wortlaut dieser Bestimmung räumt den Kantonen eine zehnjährige Frist ein, um die erforderlichen Einrichtungen für den Vollzug der Unterbringung und des Freiheitsentzuges zu errichten. Die Unterbringung stellt eine spezifische Form von Schutzmassnahmen (
Art. 12 ff. JStG
), der Freiheitsentzug eine besondere Art der möglichen Strafen (
Art. 21 ff. JStG
) dar. Diese erfordern entsprechende Einrichtungen. Sie zu schaffen, obliegt den Kantonen (Botschaft, a.a.O., S. 2271).
Der Vollzug von Untersuchungshaft wird in
Art. 48 JStG
nicht genannt, weder explizit noch durch einen Verweis. Die Untersuchungshaft ist von der in
Art. 48 JStG
genannten Unterbringung (
Art. 15 JStG
) und dem Freiheitsentzug (
Art. 27 JStG
) zu unterscheiden. Eine ausdrückliche Bestimmung, dass den Kantonen hinsichtlich der Untersuchungshaft eine Frist zur Schaffung entsprechender, die Trennung Jugendlicher von Erwachsenen ermöglichender Einrichtungen eingeräumt wird, besteht demnach nicht. In der Botschaft zum heutigen
Art. 48 JStG
war davon nicht die Rede (Botschaft, a.a.O., S. 2271).
Damit stellt sich die Frage, ob
Art. 48 JStG
eine Lücke enthält, wie das Justizdepartement meint, oder ob die von
Art. 6 Abs. 2 JStG
vorgesehene Trennung mit dem Inkrafttreten des Jugendstrafgesetzes ohne Übergangsfrist zu beachten ist.
BGE 133 I 286 S. 299
5.2
Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage bildet der Wortlaut von
Art. 48 JStG
. Wie dargelegt, enthält diese Bestimmung keine Frist, während welcher entsprechende Einrichtungen für den Vollzug von Untersuchungshaft geschaffen werden können und sollen. Auch der Botschaft des Bundesrates kann kein Hinweis auf die Gewährung einer entsprechenden Frist entnommen werden. Soweit ersichtlich, nimmt auch die Doktrin keine Übergangsfrist an (vgl. PETER AEBERSOLD, Schweizerisches Jugendstrafrecht, Bern 2007, S. 204).
Von Bedeutung ist ferner, dass sich die Einrichtungen für den Vollzug der Unterbringung und des Freiheitsentzuges von solchen zum Vollzug von Untersuchungshaft wesentlich unterscheiden. Erstere erfordern entsprechende Bauten mit den notwendigen Infrastrukturen; zudem wird es in Anbetracht einer nur geringen Anzahl von erforderlichen Einrichtungen einer Koordination unter den Kantonen bedürfen. Davon unterscheidet sich die Situation beim Vollzug von Untersuchungshaft. Die Errichtung entsprechender Einrichtungen dürfte einen kleineren baulichen Aufwand erfordern. Selbst die Erstellung einer für die Untersuchungshaft geeigneten Einrichtung etwa im Kanton Basel-Stadt würde für sich allein betrachtet das vom Justizdepartement angesprochene Problem der Unterbringung von Jugendlichen bei Vorliegen von Kollusionsgefahr nicht lösen. Vielmehr haben die Kantone mit entsprechenden organisatorischen Massnahmen ganz allgemein dafür zu sorgen, dass Untersuchungshaft in einer den Anforderungen von
Art. 6 Abs. 2 JStG
genügenden Weise vollzogen werden kann.
Schliesslich zeigt der Rückzug des Vorbehalts zu
Art. 10 Ziff. 2 lit. b UNO-Pakt II
(vorne E. 3.3), dass der Trennung Jugendlicher von Erwachsenen in der Untersuchungshaft sofort Rechnung zu tragen ist.
5.3
Daraus ergibt sich, dass sich die Bestimmung von
Art. 48 JStG
nicht auf den Vollzug von Untersuchungshaft erstreckt und den Kantonen keine Übergangsfrist einräumt, für die Trennung Jugendlicher von Erwachsenen in der Untersuchungshaft zu sorgen. | mixed |
9536b96f-0100-403e-9763-861cf4bc1e4d | Sachverhalt
ab Seite 313
BGE 130 I 312 S. 313
A.
A.a
En avril 1982, l'Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire, dite le "CERN", a lancé un appel d'offres pour le creusement, dans la région genevoise, d'un tunnel souterrain de quelque 27 kilomètres de circonférence destiné à abriter un grand collisionneur à électrons-positrons (Large Electron-Positron Collider, LEP).
Par contrat du 23 février 1983, le CERN a confié les travaux de génie civil au Groupement X. (ci-après: le Groupement), composé de la société de droit français A. SA, de la société italienne B. SpA, de la société espagnole C. SA (devenue D. SA), de la personne morale de droit allemand E. i.I. et de la société suisse F. AG.
Le Groupement, organisé sous la forme d'une société simple de droit suisse (
art. 530 ss CO
), a dû faire appel à des entreprises
BGE 130 I 312 S. 314
sous-traitantes pour effectuer certains travaux. Ayant payé lesdites entreprises, le Groupement a demandé au CERN de supporter ces suppléments de prix. Aucun accord n'ayant pu être trouvé, le Groupement a mis en oeuvre le 25 mai 1986 à l'encontre de cette organisation internationale la procédure arbitrale prévue par l'art. 33 des Conditions générales des contrats du CERN.
Le 27 décembre 1991, un premier tribunal arbitral a rendu sa sentence finale, faisant partiellement droit aux prétentions du Groupement. Le tribunal arbitral n'est toutefois pas entré en matière sur les coûts des travaux sous-traités, aux motifs que les entreprises sous-traitantes n'étaient pas parties à la procédure arbitrale et que le Groupement n'avait pas la légitimation active pour faire valoir leurs prétentions. Par arrêt du 21 décembre 1992, le Tribunal fédéral a déclaré irrecevable le recours de droit public interjeté par le Groupement contre la sentence arbitrale, en raison de l'immunité de juridiction reconnue au CERN (
ATF 118 Ib 562
ss).
A.b
Le Groupement, après s'être fait céder les créances des sous-traitants à l'égard du CERN, a engagé une deuxième procédure arbitrale le 30 août 1993.
Dans sa sentence finale du 29 août 1997, le deuxième tribunal arbitral s'est déclaré incompétent, pour le motif que les prétentions cédées n'étaient pas couvertes par la clause d'arbitrage de l'art. 3 al. 1 des Conditions générales des contrats du CERN.
A.c
Le Groupement a adressé en vain au CERN, le 16 septembre 1997, une troisième demande d'arbitrage.
Invoquant l'art. 24 let. a de l'Accord de siège entre le Conseil fédéral et le CERN conclu le 11 juin 1955 (RS 0.192.122.42; ci-après: l'Accord de siège), le Groupement a demandé au Département fédéral des affaires étrangères (DFAE), le 3 novembre 1998, de contraindre le CERN à se soumettre à la procédure arbitrale ou à prendre toute mesure permettant de régler le remboursement des montants versés aux sous-traitants.
Le 22 décembre 2000, le DFAE a répondu au Groupement que le refus du CERN ne constituait pas une violation de l'Accord de siège.
Invité à statuer formellement et à mettre en oeuvre la protection diplomatique en faveur de la société F. AG, le DFAE, par décision du 19 octobre 2001, a considéré que la requête du Groupement
BGE 130 I 312 S. 315
était irrecevable, parce que l'Accord de siège n'appartenait pas au droit public fédéral au sens de l'art. 5 de la loi fédérale du 20 décembre 1968 sur la procédure administrative (PA), à l'instar du droit coutumier de la protection diplomatique invoqué en faveur du membre suisse du Groupement.
B.
B.a
Le 15 novembre 2001, le Groupement a formé un recours administratif au Conseil fédéral (CF), en se prévalant en particulier de l'
art. 6 CEDH
. Le DFAE a conclu au rejet du recours, alors que le CERN a relevé qu'il était en droit de refuser de soumettre à un arbitrage une prétention, manifestement infondée, élevée à son encontre.
Par décision du 14 janvier 2004, publiée à la JAAC 68/2004 n
o
78 p. 1009 ss, le Conseil fédéral a partiellement admis le recours, annulé la décision du DFAE du 19 octobre 2001 et rejeté la requête du Groupement, avec suite de frais et dépens. En substance, cette autorité a retenu premièrement que le DFAE aurait dû entrer en matière sur la requête du Groupement, tant au sujet de l'Accord de siège que de la protection diplomatique. Au fond, le Conseil fédéral a considéré que le DFAE n'était pas tombé dans l'arbitraire en estimant que la troisième demande d'arbitrage du Groupement était abusive et que le refus du CERN ne constituait pas un déni de justice manifeste. Comme le CERN n'avait, de ce fait, pas commis de violation de l'art. 24 let. a de l'Accord de siège, sa responsabilité internationale n'était pas engagée, de sorte qu'il n'y avait pas lieu d'accorder la protection diplomatique au Groupement. La requête adressée par ce dernier au DFAE, le 3 novembre 1998, de contraindre le CERN à se soumettre à la procédure arbitrale a donc été rejetée.
B.b
Le 27 mars 1998, le Groupement avait notifié sans succès au CERN une quatrième demande d'arbitrage - sans rapport avec les cessions de créances susmentionnées -, qui concernait son éviction de la procédure de "pré-qualification" pour de nouveaux ouvrages de génie civil.
C.
Agissant le 16 février 2004 par la voie du recours de droit administratif, les cinq sociétés formant le Groupement demandent au Tribunal fédéral d'annuler la décision du Conseil fédéral du 14 janvier 2004 et de lui renvoyer la cause "pour qu'il ordonne (...) de contraindre le CERN (...) à se soumettre à la procédure arbitrale
BGE 130 I 312 S. 316
initiée par le Group ement" ou qu'il oblige le CERN "à prendre toutes mesures appropriées permettant la résolution satisfaisante des litiges opposant" ladite organisation internationale aux recourantes, avec suite de frais et dépens.
En substance, invoquant les
art. 6 par. 1 CEDH
et 29 al. 1 Cst., les recourantes affirment que la décision attaquée exclut la saisine d'un tribunal au sens de la norme conventionnelle, si bien qu'elle consacre une violation de ce traité. Elles reprochent au Conseil fédéral, d'une part, d'avoir limité son examen à l'interdiction de l'arbitraire dans l'octroi éventuel de la protection diplomatique, et, d'autre part, de n'avoir pas examiné librement si les conditions de l'
art. 6 par. 1 CEDH
étaient réalisées.
Pour les recourantes, les prétentions qu'elles ont fait valoir étaient des droits et obligations de caractère civil, reconnus par le droit suisse. Le Conseil fédéral ne pouvait imputer à une "mauvaise stratégie développée par le Groupement" la situation dont se plaint ce dernier. Cette argumentation ne concernait de toute manière pas la recourante n
o
4 (i.e. la personne morale allemande E. i.I.).
Le prétendu "flou juridique" dont aurait fait preuve le Groupement devant le premier tribunal arbitral, continuent les recourantes, ne rendait pas "indéfendables" leurs prétentions. A cet égard, le deuxième tribunal arbitral avait admis que le Groupement avait qualité pour faire valoir ses prétentions du chef des travaux sous-traités devant une juridiction apte à rendre une décision sur leur bien-fondé, l'obstacle constitué par le défaut de légitimation active ayant disparu suite aux cessions intervenues avec six des sous-traitants. Le Groupement avait déjà allégué devant le premier tribunal arbitral que les créances tirées des travaux sous-traités lui appartenaient en propre, et que, pour obtenir la condamnation du CERN à les lui payer, il avait invoqué le principe de la "clause de rémunération", selon lequel la réclamation du sous-traitant à l'égard de l'entrepreneur n'est prise en compte que si celui-ci obtient du maître de l'ouvrage un montant correspondant. Le Conseil fédéral se serait mépris sur la notion de "clause de rémunération", dans laquelle il ne fallait pas comprendre que les recourantes réclamaient la réparation d'un préjudice subi par des sous-traitants, mais bien qu'elles formulaient une prétention propre, dont le rejet aurait comme conséquence que les sous-traitants ne pourraient plus demander le paiement de leurs prestations.
BGE 130 I 312 S. 317
Le Conseil fédéral aurait aussi violé les articles 29 al. 1 Cst., 6 et 13 CEDH, du fait que les autorités fédérales (DFAE et CF) avaient mis plus de cinq ans pour rejeter la requête du Groupement, formulée le 3 novembre 1998.
Le Conseil fédéral se réfère à sa décision. Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office et librement la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 130 II 65
consid. 1 p. 67 et les arrêts cités).
1.1
Dans sa jurisprudence récente, le Tribunal fédéral a rappelé que le droit interne doit être interprété de manière conforme au droit international pour résoudre le conflit de normes entre le droit national et le droit conventionnel. Tel est le cas des art. 98 let. a et 100 al. 1 let. a OJ, qui excluent le recours de droit administratif contre les décisions du Conseil fédéral concernant notamment la protection diplomatique et les autres affaires intéressant les relations extérieures, alors que l'
art. 6 par. 1 CEDH
requiert un examen des mêmes décisions par un tribunal (
ATF 125 II 417
consid. 4c et les arrêts cités).
En l'espèce, le Conseil fédéral était saisi d'un recours administratif ou hiérarchique dans lequel le Groupement a essentiellement argué de la violation de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, des
art. 29 al. 1 Cst.
(droit à un procès équitable), 30 al. 1 Cst. (garantie de l'accès à une autorité judiciaire) et 9 Cst. (interdiction de l'arbitraire en matière de protection diplomatique), ainsi que de l'art. 24 let. a de l'Accord de siège. Les dispositions de droit constitutionnel invoquées, de même que le régime de la protection diplomatique, relèvent du droit interne (cf. JAAC 61/1997 n
o
75 p. 718 consid. 2.1 et les références). Sur ce dernier point, la pratique du Conseil fédéral, de même que la jurisprudence du Tribunal fédéral, considèrent de manière uniforme que l'obligation de l'Etat d'assurer la protection diplomatique trouve sa source dans le droit interne, mais que celui-ci ne confère pas aux ressortissants suisses un droit personnel et subjectif à la protection diplomatique. La Confédération est libre d'accorder ou de refuser cette dernière, selon les circonstances et sur la base d'une appréciation politique de la situation, ce qui ne signifie pas qu'elle puisse agir arbitrairement dans ce domaine. L'Etat jouit d'un pouvoir discrétionnaire, qui trouve sa seule limite dans
BGE 130 I 312 S. 318
l'interdiction de l'arbitraire (JAAC, loc. cit., consid. 2.2.3 et 2.3, p. 720/721; arrêt du Tribunal fédéral 2A.102/1993 du 6 octobre 1995, consid. 5a, résumé in Pra 86/1997 n
o
20 p. 116/117), au sens de la jurisprudence constamment rappelée en ce qui concerne cette notion (cf.
ATF 129 I 8
consid. 2.1 et les arrêts cités).
Dans la mesure où les art. 29 al. 1 et 30 al. 1 Cst. offrent aux justiciables des garanties semblables à celles présentées par l'
art. 6 par. 1 CEDH
, l'interprétation de ces règles constitutionnelles conformément à la norme conventionnelle ne pose guère de problème. Il en va de même de celle de l'art. 24 let. a de l'Accord de siège, qui tend au règlement des différends et qui concrétise, dans le contexte des rapports du CERN avec des cocontractants, les garanties offertes par l'
art. 6 par. 1 CEDH
.
Toutefois, comme les art. 98 let. a et 100 al. 1 let. a OJ s'opposent au contrôle judiciaire exigé par l'
art. 6 par. 1 CEDH
, le Tribunal fédéral doit, en application directe de cette norme, entrer en matière sur le recours pour éviter une violation du droit conventionnel (
ATF 125 II 417
consid. 4d et les références, p. 425/426).
Dans le cas particulier, les autorités fédérales successivement saisies ont appliqué le droit public fédéral, de sorte que les recourantes étaient fondées à former un recours de droit administratif contre la décision du Conseil fédéral, conformément à la jurisprudence (
ATF 125 II 417
consid. 4d in fine et l'arrêt cité, p. 426), solution que ne remet pas en cause l'arrêt ultérieur cité par les recourantes (
ATF 129 II 193
consid. 2 et 4). Et cela d'autant plus qu'à l'instar des
art. 104 et 114 al. 1 OJ
, l'
art. 6 par. 1 CEDH
prévoit un contrôle judiciaire libre, en fait et en droit.
1.2
A teneur de l'
art. 104 let. a OJ
, le Tribunal fédéral revoit d'office et avec plein pouvoir d'examen l'application du droit fédéral, qui englobe notamment les droits constitutionnels du citoyen (
ATF 129 II 183
consid. 3.4 et les arrêts cités p. 188), ainsi que le droit international directement applicable (
ATF 124 II 293
consid. 4b p. 307). Comme il n'est pas lié par les motifs invoqués, il peut admettre le recours pour d'autres raisons que celles avancées par le recourant ou, au contraire, confirmer la décision attaquée pour d'autres motifs que ceux retenus par l'autorité intimée (art. 114 al. 1 in fine OJ;
ATF 129 II 183
consid. 3.4 in fine p. 188). Sous réserve des cas limitativement énumérés à l'
art. 104 let
. c OJ, le Tribunal fédéral ne revoit pas l'opportunité de la décision attaquée (RENÉ RHINOW/
BGE 130 I 312 S. 319
HEINRICH KOLLER/CHRISTINA KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Bâle 1996, ch. 1523 p. 290; DOMINIQUE FAVRE, Les recours de droit public et de droit administratif, in Publication FSA, vol. 16, p. 15), élément important s'agissant du contrôle d'une décision du Conseil fédéral intéressant les relations extérieures.
1.3
La question du pouvoir d'examen du Tribunal fédéral sur des griefs de rang constitutionnel articulés dans un recours de droit administratif, lequel assume la fonction d'un recours de droit public, est controversée en jurisprudence.
Selon certains arrêts, la cognition du Tribunal fédéral est limitée de la même manière que s'il s'agissait d'un recours de droit public, en ce sens que les moyens pris de violation des droits constitutionnels ne sont examinés que s'ils sont exposés conformément aux exigences de l'
art. 90 al. 1 let. b OJ
(
ATF 122 IV 8
consid. 2a et les arrêts mentionnés; arrêt 6A.29/2002 du 2 juillet 2002, consid. 1.2 non publié à l'
ATF 128 II 282
). C'est ce que prévoit, à l'art. 100 al. 2, le projet de loi fédérale sur le Tribunal fédéral (LTF).
A l'inverse, l'
ATF 123 II 359
consid. 6b/bb p. 369 retient, sans référence à l'appui, que l'examen des griefs d'ordre constitutionnel soulevés dans le cadre d'un recours de droit administratif doit être opéré d'après les réquisits de l'art. 108 al. 2 (et 3) OJ, et non pas de l'
art. 90 al. 1 let. b OJ
. Il a aussi été jugé que lorsqu'une voie de droit, désignée comme recours de droit public, était traitée comme un recours de droit administratif, sa recevabilité formelle était soumise aux impératifs de l'
art. 108 OJ
, la dénomination erronée du recours ne devant pas nuire au recourant (
ATF 126 II 506
consid. 1b in fine p. 509). Plus récemment, la jurisprudence a laissé la question ouverte, s'agissant d'un moyen fondé sur l'
art. 6 par. 1 CEDH
(
ATF 127 II 306
consid. 5 p. 308), et, plus généralement, de tout grief de rang constitutionnel (arrêt 6A.48/2002 du 9 octobre 2002, consid. 1.3 non publié à l'
ATF 129 II 82
).
Cette problématique ne se pose pas lorsque la décision attaquée émane, comme en l'espèce, d'une autorité fédérale qui s'est prononcée exclusivement en vertu du droit public fédéral (cf. consid. 1.2 ci-dessus; CARL HANS BRUNSCHWILER, Wie die Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde übernimmt, in Mélanges Robert Patry, 1988, p. 267 ss, spéc. p. 274 in fine). Dans ces conditions, la recevabilité des griefs d'ordre
BGE 130 I 312 S. 320
constitutionnel soulevés dans le cadre du recours de droit administratif est subordonnée aux exigences instaurées pour cette dernière voie de droit par l'
art. 108 OJ
.
1.3.1
La jurisprudence a relevé, à propos de l'
art. 108 al. 2 OJ
, qu'il suffit que le mémoire de recours de droit administratif permette de discerner sur quels points et pour quelles raisons la décision attaquée est critiquée; si la motivation ne doit pas nécessairement être juridiquement exacte, il convient qu'elle soit liée aux faits (sachbezogen) sur lesquels repose la décision entreprise; ce lien avec l'état de fait est une condition de recevabilité du recours de droit administratif (
ATF 118 Ib 134
consid. 2 p. 135/136 et les références). En d'autres termes, dans sa motivation, le recourant doit au moins faire valoir ce qu'il demande et indiquer sur quel état de fait il s'appuie (ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2
e
éd., n. 933, p. 331; PETER Karlen, Verwaltungsgerichtsbeschwerde, Prozessieren vor Bundesgericht, 2
e
éd., ch. 3.77, p. 114/115; RHINOW/KOLLER/KISS, op. cit., ch. 1534 p. 292; GIUSEP NAY, Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde, in Schriftenreihe SAV, vol. 16, p. 12). Le renvoi à certains actes antérieurs de la procédure est autorisé, du moment que le recours de droit administratif est la continuation de la procédure qui s'est déroulée auparavant, et ne constitue pas une instance nouvelle et indépendante comme l'est celle de recours de droit public (
ATF 113 Ib 287
consid. 1 p. 288 et les arrêts mentionnés).
1.3.2
Dans le cas présent, les recourantes rattachent à la demande d'arbitrage du 16 septembre 1997 (la troisième demande) une nouvelle requête (quatrième demande), du 27 mars 1998, qu'elles présentent comme un complément, quand bien même elles indiquent que cette dernière est fondée sur des faits sans aucun rapport avec leurs prétentions déduites des créances que leur ont cédées les entreprises sous-traitantes. Elles précisent de plus que cette nouvelle demande d'arbitrage porte sur un litige né après le prononcé des deux sentences arbitrales des 27 décembre 1991 et 29 août 1997, contre lesquelles sont dirigés les griefs, invoqués dans le mémoire de recours, de violation des
art. 6 par. 1 CEDH
et 29 al. 1 Cst.
Le Tribunal fédéral peut, à la rigueur, déduire des explications étiques des recourantes qu'elles font valoir une violation de l'
art. 6 par. 1 CEDH
que consacrerait le refus du CERN de participer à une
BGE 130 I 312 S. 321
procédure arbitrale ayant pour objet l'éviction du Groupement de la procédure de pré-qualification concernant des travaux en relation avec un nouvel accélérateur de particules (Large Hadron Collider, LHC).
Mais cela ne suffit pas pour rendre le moyen recevable au regard de l'
art. 108 OJ
. En effet, le seul élément de fait fourni par les recourantes à ce sujet (cf. mémoire de recours de droit administratif, p. 12 N° 11) tient au refus du CERN de recevoir la quatrième demande d'arbitrage précitée. Cet état de fait ne permet manifestement pas de connaître les circonstances de ce litige. Le Tribunal fédéral ignore ainsi tout de la procédure de pré-qualification en cause, de ses modalités, de sa nature finale ou incidente par rapport à d'éventuelles procédures de soumissions et d'adjudications des travaux. Or ces éléments sont nécessaires pour statuer sur la violation alléguée de l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Le Tribunal fédéral en est réduit à un jeu d'hypothèses, reposant sur un état de fait totalement lacunaire.
Le présent recours, en tant qu'il porte sur la "nouvelle demande d'arbitrage du 27 mars 1998", est donc irrecevable, sous l'angle de l'
art. 108 al. 2 OJ
, faute d'indication des faits pertinents.
1.4
Pour le surplus, interjeté en temps utile (
art. 106 al. 1 OJ
) et dans les formes prévues (
art. 108 OJ
) par des personnes privées (
ATF 127 II 32
consid. 2d p. 38 et les arrêts cités) réunies dans une société simple, le recours est recevable.
2.
La question matérielle que soulève le présent recours, mais qui n'est pas directement l'objet du litige, se rapporte au conflit existant entre, d'une part, les immunités de juridiction et d'exécution des organisations internationales et, d'autre part, le droit à un procès équitable, sous l'aspect du droit fondamental d'accès au juge. Le problème vient notamment de ce que la jurisprudence du Tribunal fédéral, suivant la doctrine majoritaire, a conféré aux organisations internationales une immunité de juridiction absolue (cf.
ATF 118 Ib 562
ss rendu entre les mêmes intéressés), alors qu'en matière d'immunité des Etats étrangers, elle avait opté dès 1918 pour la conception restreinte ou restrictive de l'immunité (cf.
ATF 130 III 136
consid. 2.1 p. 142 et les références; PIERRE-MARIE DUPUY, Droit international public, 5
e
éd., Paris 2000, ch. 115, p. 115). Pourtant, si est actuellement reconnue la tendance à donner à l'immunité de juridiction des organisations internationales le champ d'application le plus large,
BGE 130 I 312 S. 322
en raison de leur nécessaire implantation sur le territoire d'un Etat (DUPUY, op. cit., ch. 186 p. 189), une évolution contraire se dessine (Revue de droit international 1983, Paris, p. 187-193, cité par DUPUY, op.cit., ch. 186 let. b in fine, p. 189).
Indépendamment de la question de la portée conférée à l'immunité de juridiction des organisations internationales, la doctrine a critiqué l'
ATF 118 Ib 562
, en tant qu'il a considéré, dans un obiter dictum, que les règles de la loi fédérale du 18 décembre 1987 sur le droit international privé (LDIP; RS 291) afférentes à l'arbitrage international (
art. 176 ss LDIP
) priveraient en l'occurrence le Tribunal fédéral de toute compétence juridictionnelle. Pour PANAYOTIS GLAVINIS (Note sur l'
ATF 118 Ib 562
, in Revue de l'arbitrage 1994 p. 180 ss, notamment p. 185/186), ces dispositions de droit national n'ont pas été faites pour les organisations internationales, qui sont sujets du droit international et soumises en tant que tels au droit international public.
Un autre auteur a fustigé le raisonnement suivi par le Tribunal fédéral dans l'arrêt précité, lequel a posé que l'acceptation du principe de l'arbitrage par l'organisation internationale ne vaut pas renonciation à son immunité quant au contrôle étatique de la sentence arbitrale. D'après ce juriste, la difficulté se résume en réalité à l'interprétation de la volonté du bénéficiaire de l'immunité lorsqu'il se soumet à l'arbitrage. Or, le principe de la bonne foi impose de considérer qu'en acceptant le principe de l'arbitrage, l'organisation internationale, à l'instar d'un Etat, consent par là même aux procédures étatiques qui lui sont liées (EMMANUEL GAILLARD, Convention d'arbitrage et immunités de juridiction et d'exécution des Etats et des organisations internationales, in Bulletin ASA 2000 p. 471 ss, notamment p. 475/476).
Enfin, l'échec du contrôle étatique de la sentence en raison de la reconnaissance de l'immunité de juridiction invoquée par le CERN a été décrit comme conduisant au refus de toute protection juridique pour les cocontractants de cette organisation internationale, au mépris de la lettre de l'art. 24 de l'Accord de siège (WALTER J. HABSCHEID, Die Immunität internationaler Organisationen im Zivilprozess, in Zeitschrift für Zivilprozess 110/1997 p. 269 ss, notamment p. 282-284).
L'objet du présent litige est cependant différent. Il convient d'examiner les griefs soulevés par les recourantes, dans un recours de
BGE 130 I 312 S. 323
droit administratif, contre la décision prise par le Conseil fédéral le 14 janvier 2004. Il ne s'agit pas de statuer sur l'exception d'immunité de juridiction à l'égard de toute intervention d'une juridiction nationale, qui serait opposée par le CERN dans le cadre d'un recours de droit public fondé sur l'
art. 85 let
. c OJ.
Partant, il n'est pas nécessaire d'examiner les questions susmentionnées à la lumière de la jurisprudence en cause et des critiques qu'elle a suscitées. Il paraît toutefois utile de rappeler ces éléments, en raison de l'incidence de l'immunité de juridiction - absolue dans le cas des organisations internationales - sur le droit fondamental d'accès au juge, déduit de l'
art. 6 par. 1 CEDH
.
3.
En l'espèce, les recourantes reprochent au Conseil fédéral de n'avoir pas contraint le CERN à se soumettre à la procédure arbitrale requise ou à toutes mesures appropriées tendant à la solution des litiges divisant les intéressés. Elles se prévalent d'une violation de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, faisant valoir que les prétentions soulevées portent sur des droits et obligations de caractère civil au sens de cette disposition conventionnelle.
3.1
A teneur de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement, publiquement et dans un délai raisonnable, par un tribunal indépendant et impartial, établi par la loi, qui décidera, soit des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil, soit du bien-fondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle.
Cette norme peut ainsi être invoquée par quiconque, estimant illégale une ingérence dans l'exercice de l'un de ses droits (notamment de caractère civil), se plaint de n'avoir pas eu l'occasion de soumettre pareille contestation à un tribunal répondant aux exigences conventionnelles.
3.1.1
La notion de "droits et obligations de caractère civil" est autonome: l'
art. 6 CEDH
ne donne par lui-même aucun contenu matériel déterminé dans l'ordre juridique des Etats contractants. Cette disposition implique l'existence d'une "contestation" réelle et sérieuse; elle peut concerner aussi bien l'existence même d'un droit que son étendue ou ses modalités d'exercice. L'issue de la procédure doit être directement déterminante pour le droit en question. Un lien ténu ou des répercussions lointaines ne suffisent pas à faire entrer en jeu l'
art. 6 par. 1 CEDH
. En définitive, le droit à un tribunal ne vaut que pour les "contestations" relatives à des "droits et
BGE 130 I 312 S. 324
obligations de caractère civil" que l'on peut prétendre, au moins de manière défendable, et qui sont reconnus en droit interne, qu'ils soient ou non protégés de surcroît par la Convention. Bien que de caractère autonome, cette notion implique donc l'examen de la prétention selon le droit interne.
3.1.2
Par contestation, au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, il faut entendre tout litige surgissant entre deux particuliers ou entre un particulier et une autorité étatique, par exemple lorsque cette dernière supprime ou restreint l'exercice d'un droit. Il en va ainsi lorsque sont invoqués des droits de nature privée, telles la garantie de la propriété et la liberté économique. Les prétentions en indemnités élevées contre la collectivité présentent un caractère patrimonial et entrent dans le champ d'application de la norme conventionnelle en cause.
Il suit de là que l'
art. 6 par. 1 CEDH
ne vise pas seulement les contestations de droit privé au sens étroit - à savoir les litiges entre les particuliers ou entre les particuliers et l'Etat agissant au même titre qu'une personne privée -, mais aussi les actes administratifs adoptés par une autorité dans l'exercice de la puissance publique, pour autant qu'ils produisent un effet déterminant sur des droits de caractère civil. De ce point de vue également, sont décisifs le contenu du droit matériel et les effets que lui confère la législation nationale. Il convient dès lors de s'interroger préalablement sur l'existence d'un droit subjectif, fondé sur la législation interne. Un tel droit est nié quand l'autorité agit de manière discrétionnaire (
ATF 127 I 115
consid. 5 et 5b et les références, p. 120 à 122).
In casu, le litige de droit privé qui a pris naissance entre les recourantes et le CERN sur la base d'un contrat d'entreprise, concernant les relations entre le maître de l'ouvrage et l'entrepreneur, respectivement le maître de l'ouvrage, l'entrepreneur et les sous-traitants, tombe manifestement sous le coup de l'
art. 6 par. 1 CEDH
. La jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme le prévoit d'ailleurs expressément, lorsqu'elle consacre l'application de l'
art. 6 CEDH
dans le cadre de procédures intentées contre une administration publique concernant des contrats (P. VAN DIJK/G.J.H. VAN HOOF, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, La Haye 1998, p. 400). Les recourantes sont donc fondées à invoquer, dans un tel contexte, une violation éventuelle de l'
art. 6 par. 1 CEDH
.
BGE 130 I 312 S. 325
4.
L'
art. 6 par. 1 CEDH
a la même portée que l'
art. 30 al. 1 Cst.
(
ATF 129 V 196
consid. 4.1 et l'arrêt cité p. 198), et que l'
art. 29 al. 1 Cst.
, s'agissant du principe de la célérité (
ATF 129 V 411
consid. 1.2 et les références p. 416). De son côté, l'art. 24 let. a de l'Accord de siège prévoit que le CERN "prend des dispositions appropriées en vue du règlement satisfaisant de différends résultant de contrats auxquels l'Organisation est partie et d'autres différends portant sur un point de droit privé".
4.1
Ainsi, l'obligation d'accorder une protection judiciaire aux cocontractants du CERN, dans leurs relations de droit privé avec cette organisation, est assumée par un système de tribunal arbitral ad hoc prévu dans des clauses contractuelles, ou des conditions générales annexées aux contrats, évitant tout contrôle judiciaire étatique en raison même de l'immunité de juridiction absolue reconnue à l'organisation internationale (
ATF 118 Ib 562
consid. 1b in fine p. 566 et les références).
L'exclusion de tout contrôle juridictionnel étatique est donc corrigée par le recours à un tribunal arbitral, ou à tout autre moyen que peut recouvrir l'expression "dispositions appropriées" de l'art. 24 de l'Accord de siège. Cette situation est conforme à la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme, que citent d'ailleurs les recourantes, soit l'arrêt dans la cause
Beer et Regan contre Allemagne
du 18 février 1999, par. 53 à 63.
Dans cette décision ayant trait à des contrats de travail d'employés temporaires mis, par une société de location de services, à disposition d'une organisation internationale européenne qui gère à Darmstadt (Allemagne) un organisme indépendant, la Cour européenne a retenu que l'octroi de l'immunité de juridiction aux organisations internationales, en vertu des instruments constitutifs de celles-ci, reflétait une pratique de longue date destinée à assurer leur bon fonctionnement, pratique renforcée par la tendance à l'élargissement et à l'intensification de la coopération internationale. Sous l'angle de la proportionnalité, la limitation du droit fondamental d'accès au juge, tenant à l'immunité de juridiction, était acceptable au regard du but de faciliter l'exécution de ses fonctions par l'organisation internationale concernée. Pour déterminer si l'immunité de l'organisation devant les juridictions allemandes était admissible au regard de la Convention, il importait d'examiner si les requérants disposaient d'autres voies raisonnables pour protéger efficacement leurs droits
BGE 130 I 312 S. 326
garantis par la Convention; tel était le cas, puisque les travailleurs avaient la possibilité d'obtenir un contrôle juridictionnel, ou équivalent, au moyen de procédures adaptées aux particularités de l'organisation internationale, et dès lors différentes des recours disponibles en droit interne. La Commission de recours de l'organisation internationale en cause, indépendante de cette dernière, offrait aux requérants des voies de droit permettant de reconnaître que les tribunaux allemands n'avaient pas excédé leur marge d'appréciation en respectant l'immunité de juridiction de cette organisation internationale. Et cela, sans que les restrictions de l'accès aux juridictions allemandes pour régler le différend des travailleurs avec l'organisation internationale aient porté atteinte à la substance même de leur "droit à un tribunal", ou qu'elles aient été disproportionnées sous l'angle de l'
art. 6 par. 1 CEDH
(arrêt
Beer et Regan
, par. 55, 56, 58, 59 et 63).
C'est dans ce sens qu'il faut considérer l'art. 24 let. a de l'Accord de siège, à la lumière de l'
art. 6 par. 1 CEDH
. S'agissant de l'interprétation des traités, la Convention de Vienne du 23 mai 1969 sur le droit des traités (RS 0.111), fixe, à ses art. 31 à 33, des règles que la pratique a explicitées et complétées (
ATF 130 II 113
consid. 6.1 p. 121 et les références; ALFRED VERDROSS/BRUNO SIMMA, Universelles Völkerrecht, 3
e
éd., Berlin 1984, p. 492 à 494). Ces principes sont relativement semblables aux méthodes d'interprétation valant pour les règles générales et abstraites en droit interne, au nombre desquelles figurent les traités internationaux (
ATF 125 V 503
consid. 4b et c p. 506), qui, en Suisse, sont introduits dans l'ordre juridique national dès leur entrée en vigueur sur le plan du droit international (GEORGES J. PERRIN, Droit international public, Zurich 1999, p. 826/827), selon la conception moniste avec primauté du droit international adoptée en Suisse (GEORGES J. PERRIN, op. cit., p. 810).
4.2
D'après la doctrine, quand bien même ni les
art. 29 et 30 Cst.
ni le droit conventionnel ne le proclament expressis verbis, le droit à un procès équitable implique d'abord le droit, pour chaque justiciable, d'avoir accès aux tribunaux. Il ne se limite donc pas à assurer certaines garanties dans une instance déjà pendante, mais il reconnaît le droit d'accéder aux tribunaux à toute personne désireuse d'introduire une action, le déni de justice étant ainsi proscrit (ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, vol. II, Berne 2000, n. 1170 p. 565; ULRICH HÄFELIN/WALTER
BGE 130 I 312 S. 327
HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5
e
éd., p. 236 n. 828; JEAN-FRANÇOIS AUBERT/PASCAL MAHON, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zurich 2003, p. 262 n. 1 et 2; ARTHUR HAEFLIGER/FRANK SCHÜRMANN, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2
e
éd., p. 162).
Cette garantie a depuis lors été inscrite dans la Constitution du 18 avril 1999 à l'occasion de la première révision partielle, sous la forme d'un
art. 29a Cst.
, prévoyant, sauf exceptions, que toute personne a droit à ce que sa cause soit jugée par une autorité judiciaire (RO 2002 p. 3148). Cependant, cette norme n'est pas encore applicable en tant que telle, car son entrée en vigueur sera fixée ultérieurement (RO 2002 p. 3150), l'arrêté fédéral y relatif n'étant pas adopté à ce jour. L'
art. 29a Cst.
vise à établir une garantie générale de l'accès au juge, en particulier dans le but de soumettre les actes de l'administration à un contrôle juridictionnel (MICHEL HOTTELIER, Les garanties de procédure, in Droit constitutionnel suisse, Zurich 2001, p. 814, n. 20; ANDREAS KLEY, Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, n. 3 ss ad
art. 29a Cst.
; HANS PETER WALTER, Justizreform, in Die neue Bundesverfassung, Zurich 2002, p. 131/132).
Par ailleurs, comme n'importe quel autre droit fondamental, le droit d'accès aux tribunaux est soumis aux restrictions prévues à l'
art. 36 Cst.
; plus particulièrement ces dernières sont admissibles lorsqu'il existe un rapport raisonnable de proportionnalité entre les moyens employés et le but poursuivi (AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, op. cit., n. 1176 p. 568). L'accès au tribunal doit être effectif, ce qui implique de la part de l'autorité de prendre les mesures nécessaires pour surmonter un obstacle de fait (p. ex. frais judiciaires prohibitifs; cf. MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2
e
éd., n. 433 p. 275).
4.3
4.3.1
En l'espèce, le Tribunal fédéral, lors même qu'il est saisi d'un recours de droit administratif et bénéficie d'une cognition libre, doit cependant observer à l'égard de l'autorité administrative la réserve qu'impose la jurisprudence quand entrent en jeu des questions soit d'appréciation (
ATF 125 II 29
consid. 3d/bb p. 38/39 et les références), soit d'examen des circonstances locales (
ATF 117 Ib 162
consid. 5d p. 170) ou lorsque des normes juridiques
BGE 130 I 312 S. 328
indéterminées doivent faire l'objet d'une interprétation (
ATF 127 II 184
consid. 5a/aa p. 190/191 et les références), ce qui est le cas de l'art. 24 de l'Accord de siège.
Cela est d'autant plus important dans la présente espèce où, avant que l'
ATF 125 II 417
n'écarte les art. 98 let. a et 100 al. 1 let. a OJ au bénéfice de l'application directe de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, le domaine des affaires étrangères - ou des relations extérieures - était exclu du recours de droit administratif (KÖLZ/HÄNER, op. cit., n. 877 p. 313; RHINOW/KOLLER/KISS, op. cit., ch. 1468 et 1469 p. 280; KARLEN, op. cit., ch. 3.26 p. 86), au motif que les affaires y afférentes mettent en jeu le large pouvoir d'appréciation du gouvernement, ou relèvent de l'opportunité.
4.3.2
Le Conseil fédéral a retenu qu'une nouvelle procédure arbitrale, ou un autre moyen de règlement du litige entre les recourantes et le CERN n'était pas nécessaire, dès lors que "le Groupement [avait] (...) eu l'occasion de soumettre toutes ses demandes à une juridiction qui était compétente à examiner le litige au fond, soit le premier tribunal arbitral" (consid. II/9 de la décision attaquée).
Il appert que ce tribunal arbitral n'est pas entré en matière sur le coût des travaux sous-traités, pour le motif qu'il n'était pas compétent pour statuer sur les prétentions élevées par les sous-traitants. S'il n'y a pas lieu d'examiner en détail la relation entre ces derniers et le Groupement, pris comme entrepreneur, force est de constater que les droits et obligations liant ces diverses personnes peuvent être soumis à l'examen des tribunaux nationaux dont la compétence est reconnue en fonction des règles de fors applicables. Cette question est devenue sans importance, dans la mesure où les sous-traitants ont été désintéressés par l'entrepreneur (i.e. le Groupement) après la première procédure arbitrale, et avant la deuxième dans le cadre de laquelle les recourantes ont fait valoir les cessions de créances qu'elles avaient obtenues à la suite des paiements consentis aux sous-traitants. Comme les recourantes se savaient débitrices de ceux-ci et entendaient faire payer le coût de leur mise en oeuvre par le maître de l'ouvrage, soit le CERN, elles devaient clairement faire valoir devant le premier tribunal arbitral qu'elles soutenaient des prétentions qui leur appartenaient en propre, pour éviter l'écueil de l'incompétence personnelle du tribunal arbitral, obstacle qu'elles n'ont d'ailleurs pu éviter puisque cette juridiction a relevé que les sous-traitants n'étaient pas parties à la procédure et que le
BGE 130 I 312 S. 329
Groupement n'avait pas la légitimation active pour invoquer les prétentions dérivant des travaux sous-traités.
Le Conseil fédéral voit la situation procédurale actuelle - consistant en l'absence d'une décision sur le fond - comme une conséquence de l'ambiguïté de la formulation de la demande des recourantes devant le premier tribunal arbitral. Ce dernier avait relevé que les recourantes avaient pris à leur compte les prétentions des sous-traitants, sans réellement les intégrer à leur propre demande (sentence arbitrale du 27 décembre 1991, n
o
235 p. 102). A l'époque, les créances des sous-traitants n'avaient fait l'objet d'aucune cession de leur part en faveur de l'entrepreneur, puisque les cessions considérées ne sont intervenues qu'après le prononcé de la première sentence et avant l'introduction de la deuxième procédure arbitrale. Le premier tribunal arbitral a mentionné néanmoins (n
o
231 p. 100) que les recourantes "aurai[en]t déjà accepté et réglé la majeure partie de ces factures (...), dont le montant serait en valeur de juillet 1982, fr.s. 28'300'260.-", qui est la somme réclamée par le Groupement au CERN.
Certes, le Groupement a soutenu, dans son mémoire en réplique du 15 août 1987, qu'il faisait valoir des prétentions propres, dès l'instant où les factures adressées par ses sous-traitants constituaient, pour lui, des postes de dépenses supplémentaires à sa charge. Mais, par la suite, il a déclaré, dans son mémoire après plaidoiries du 8 mai 1991, que "les sous-traitants [avaient] subi un préjudice dû aux mêmes causes que celles alléguées par le Groupement", le rejet des prétentions de ce dernier privant les sous-traitants des rémunérations auxquelles ils avaient droit. Le Conseil fédéral a relevé cette contradiction (consid. II/6.1 de la décision du 14 janvier 2004). Les recourantes rétorquent toutefois qu'elles avaient voulu renforcer leur argumentation par le recours à la notion de "clause de rémunération (Vergütungsklausel)", que le Conseil fédéral n'avait pas saisie, et qu'il fallait comprendre qu'elles faisaient valoir leurs propres prétentions en remboursement des sommes versées ou à verser aux sous-traitants.
Comme on l'a déjà mentionné, le premier tribunal arbitral a estimé que ces prétentions n'étaient pas "réellement intégrées" à la demande des recourantes tombant sous sa juridiction, ce qui conduisait au rejet des conclusions du Groupement fondées sur les travaux sous-traités. Par surabondance, le premier tribunal arbitral a
BGE 130 I 312 S. 330
jugé qu'"en l'absence des contrats liant le Groupement à ses sous-traitants, il [n'était] pas possible (...) de déterminer si et dans quelle mesure le Groupement serait débiteur de ceux-ci (n
o
236 p. 102).
On voit donc que la question de la créance en remboursement des frais de la sous-traitance a effectivement été soumise à la juridiction instituée en application de l'art. 24 let. a de l'Accord de siège. Celle-ci l'a écartée pour des motifs formels, que le Tribunal fédéral n'a pas pu revoir en raison de l'immunité de juridiction absolue du CERN (
ATF 118 Ib 562
consid. 2b p. 567/568 déjà cité). Si le déboutement des recourantes, lors de la première procédure arbitrale, ne tient pas exclusivement à l'ambiguïté de leur demande, mais également au fait que le premier tribunal arbitral a admis qu'il n'était pas compétent à l'égard des sous-traitants, lesquels "[n'avaient] pas participé (...) à l'établissement de l'Acte de mission" (n
o
234 in fine p.101/102), il n'en demeure pas moins que les recourantes ont pu soumettre le différend à une autorité juridictionnelle, qui a statué en fait et en droit sur les mérites de leurs conclusions, dans les limites de l'art. 33 des Conditions générales des contrats du CERN et de l'Acte de mission passé entre les parties et les arbitres le 12 novembre 1986, lequel fixait le droit de fond applicable; il s'agissait, "par ordre décroissant", des Conditions générales des contrats du CERN, de la norme SIA 118 (édition 1977), des Conditions de la Fédération internationale des ingénieurs-conseils (FIDIC) et du Code suisse des obligations (cf. p. 7 de la sentence du 27 décembre 1991); quant à la procédure à suivre, elle était réglée par les "principes généraux de la procédure civile".
Il s'ensuit que les recourantes ont bel et bien eu accès à une juridiction indépendante, impartiale et douée d'une cognition ne rendant pas illusoire le recours au juge. Savoir si le Tribunal arbitral a restreint sa compétence de façon arbitraire, ou si, à l'instar du Conseil fédéral, il a mal compris la notion de "clause de rémunération" sont des questions de droit qui touchent à l'objet même de la procédure arbitrale, que le Tribunal fédéral n'a pas pu revoir en raison de l'immunité de juridiction absolue du CERN (
ATF 118 Ib 562
consid. 2b in fine p. 568) et qu'il n'y a pas lieu d'examiner à nouveau présentement.
Le rejet de la demande pour des motifs formels n'enlève rien au fait que les recourantes ont pu déférer le litige devant le Tribunal arbitral ad hoc (CHRISTIAN DOMINICÉ, L'arbitrage et les immunités des
BGE 130 I 312 S. 331
organisations internationales, in Etudes de droit international en l'honneur de Pierre Lalive, Bâle 1993, p. 484 ch. 3). Du reste, dans un obiter dictum, le premier tribunal arbitral a exposé que s'il avait été compétent quant à la demande en paiement du chef des sous-traitants, il l'aurait vraisemblablement rejetée en raison de l'absence des contrats de sous-traitance au dossier, empêchant d'apprécier la réalité des travaux et leur prise en charge éventuelle par l'entrepreneur.
De même, le rejet des prétentions des recourantes contre le CERN par le deuxième tribunal arbitral - lequel a retenu que les sous-traitants ne pouvaient invoquer à l'encontre du CERN des prétentions fondées sur un contrat qu'ils auraient passé avec cette organisation internationale au sens de l'art. 1
er
des Conditions générales des contrats du CERN, prétentions que le Groupement fait valoir en tant que cessionnaire (cf. sentence arbitrale du 29 août 1997, N° 138 p. 79/80) - ne peut pas davantage être revu par le Tribunal fédéral pour les motifs rappelés ci-dessus à propos de la première sentence arbitrale. Force aussi est d'admettre que les recourantes ont eu l'occasion de présenter le mérite de leurs prétentions au deuxième tribunal arbitral, sur la base d'une argumentation juridique renouvelée fondée sur leurs droits dérivant de la cession, et qu'elles ont donc encore eu accès à une autorité juridictionnelle. Cette constatation est suffisante pour rejeter le grief de la violation des
art. 6 par. 1 CEDH
et 24 let. a de l'Accord de siège, puisque le Tribunal fédéral ne peut revoir le bien-fondé de la sentence elle-même en raison de l'immunité de juridiction de l'organisation internationale.
5.
Se prévalant de l'
art. 29 al. 1 Cst.
, les recourantes reprochent aux deux autorités administratives (DFAE et Conseil fédéral) d'avoir conjointement mis plus de cinq ans pour rejeter leur requête du 3 novembre 1998 tendant à contraindre le CERN à se soumettre à une troisième procédure arbitrale. Elles s'en prennent plus particulièrement à la durée de la procédure devant le DFAE.
5.1
Selon l'
art. 29 al. 1 Cst.
, toute personne a droit, dans une procédure judiciaire ou administrative, à ce que sa cause soit traitée équitablement et jugée dans un délai raisonnable. Le caractère raisonnable ou adéquat du délai s'apprécie au regard de la nature de l'affaire et de l'ensemble des circonstances, selon un principe déjà fixé sous l'empire de l'
art. 4 al. 1 aCst.
(
ATF 125 V 188
consid. 2a p. 191/192;
ATF 117 Ia 193
consid. 1c p. 197;
ATF 107 Ib 160
consid. 3b p. 164/165).
BGE 130 I 312 S. 332
A l'instar de l'
art. 6 par. 1 CEDH
- qui n'offre, à cet égard, pas une protection plus étendue que les garanties constitutionnelles nationales (
ATF 114 Ia 179
ss; Hottelier, op. cit., p. 810 ch. 5 in fine) -, l'
art. 29 al. 1 Cst.
consacre le principe de la célérité en ce sens qu'il prohibe le retard injustifié à statuer. L'autorité viole cette garantie constitutionnelle lorsqu'elle ne rend pas la décision qu'il lui incombe de prendre dans le délai prescrit par la loi ou dans un délai que la nature de l'affaire, ainsi que toutes les autres circonstances, font apparaître comme raisonnable (
ATF 119 Ib 311
consid. 5 p. 323 ss; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3
e
éd., p. 505 ss; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, op. cit., p. 200 ss; HOTTELIER, op. cit., p. 810/ 811).
5.2
Le caractère raisonnable de la durée de la procédure s'apprécie en fonction des circonstances particulières de la cause, lesquelles commandent généralement une évaluation globale. Entre autres critères sont notamment déterminants le degré de complexité de l'affaire, l'enjeu que revêt le litige pour l'intéressé ainsi que le comportement de ce dernier et celui des autorités compétentes (
ATF 124 I 139
consid. 2c p 142;
ATF 119 Ib 311
consid. 5b p. 325 et les références indiquées). A cet égard, il appartient au justiciable d'entreprendre ce qui est en son pouvoir pour que l'autorité fasse diligence, que ce soit en l'invitant à accélérer la procédure ou en recourant, le cas échéant, pour retard injustifié (
ATF 107 Ib 155
consid. 2b et c p. 158 s.). Le comportement du justiciable s'apprécie toutefois avec moins de rigueur en procédure pénale et administrative que dans un procès civil, où les parties doivent faire preuve d'une diligence normale pour activer la procédure (HAEFLIGER/ Schürmann, op. cit., p. 203/204; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, op. cit., n. 1243 p. 594). On ne saurait par ailleurs reprocher à une autorité quelques "temps morts"; ceux-ci sont inévitables dans une procédure (cf.
ATF 124 I 139
consid. 2c p. 142). Une organisation déficiente ou une surcharge structurelle ne peuvent cependant justifier la lenteur excessive d'une procédure (
ATF 122 IV 103
consid. I.4 p. 111;
ATF 107 Ib 160
consid. 3c p. 165); il appartient en effet à l'Etat d'organiser ses juridictions de manière à garantir aux citoyens une administration de la justice conforme aux règles (
ATF 119 III 1
consid. 3 p. 3; JÖRG PAUL MÜLLER, op. cit., p. 506 s.; HAEFLIGER/ SCHÜRMANN, op. cit., p. 204 s.; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, op. cit., n. 1244 et 1245, p. 594/595; HOTTELIER, op. cit., p. 811 ch. 7).
BGE 130 I 312 S. 333
5.3
La sanction du dépassement du délai raisonnable ou adéquat consiste d'abord dans la constatation de la violation du principe de célérité, qui constitue une forme de réparation pour celui qui en est la victime. Cette constatation peut également jouer un rôle sur la répartition des frais et dépens dans l'optique d'une réparation morale (
ATF 129 V 411
consid. 1.3 p. 417 et les références). Dans certaines circonstances, si les conditions de la responsabilité civile de la Confédération ou des cantons pour acte illicite sont réalisées, le paiement de dommages-intérêts pour le retard à statuer peut être envisagé. Faute de compétence ratione materiae, il n'appartient pas au Tribunal fédéral, saisi d'un recours de droit administratif, de se prononcer sur cette question, d'autant que les recourantes n'ont pas formulé de conclusions dans ce sens (
ATF 129 V 411
consid. 1.4 p. 417/418 et les références).
5.4
5.4.1
En l'espèce, les recourantes ont introduit leur demande auprès du DFAE le 3 novembre 1998, par un acte de dix-huit pages, accompagné de vingt-quatre annexes. Au nombre de celles-ci figurent notamment les deux sentences arbitrales de 1991 et 1997, deux opinions dissidentes d'arbitres concernant cette dernière décision, quatre avis doctrinaux, deux décisions judiciaires étrangère ou internationale, une décision du Conseil fédéral, ainsi qu'une correspondance avec le CERN. Le montant total de la demande du Groupement présentée devant le premier tribunal arbitral ascendait à environ 430 millions de francs (sentence arbitrale du 27 décembre 1991, p. 14 et 15); le poste invoqué des frais de sous-traitants à rembourser se montait à 28'300'260 fr. (cf. sentence précitée, n
o
231 p. 100).
Le 17 mars 1999, le DFAE a invité les recourantes à fournir certains renseignements, puis a indiqué, le 20 juillet 2000, que "l'étude de [la] requête se [poursuivait] activement". A la suite d'un courrier du 2 octobre 2000, resté sans réponse, le conseil des recourantes a relancé le DFAE le 8 novembre 2000, en lui impartissant un délai à la fin de ce mois, sous menace de saisir l'autorité compétente d'un recours pour déni de justice formel et matériel, fondé sur la violation des
art. 6 CEDH
et 29 Cst. Le 18 novembre 2000, le DFAE a signalé qu'il rencontrerait les représentants du CERN le 24 novembre 2000. Par pli du 22 décembre 2000, le Département fédéral a écrit au conseil des recourantes que celles-ci n'avaient pas été victimes d'un déni de justice manifeste, dans la mesure où le litige avait
BGE 130 I 312 S. 334
été soumis à deux reprises à l'arbitrage. Le 24 janvier 2001, le DFAE a informé le conseil des recourantes que sa lettre du 22 décembre 2000 n'était "pas une décision au sens technique". Par courrier recommandé du 26 février 2001, ledit conseil a prié le DFAE de rendre une telle décision, que cette autorité a notifiée le 19 octobre 2001, prononçant l'irrecevabilité de la requête.
Le 15 novembre 2001, les recourantes ont saisi le Conseil fédéral d'un recours administratif, sur lequel il a été statué par la décision entreprise du 14 janvier 2004, qui a admis le recours sur des questions de procédure et l'a rejeté au fond.
5.4.2
Concernant les deux phases de la procédure, la première devant l'autorité administrative, la seconde devant le Conseil fédéral, il convient tout d'abord d'apprécier le critère du degré de complexité de l'affaire.
5.4.2.1
Au niveau du DFAE, l'instance s'est rapportée au problème de l'accès au juge d'une part, et à l'octroi de la protection diplomatique pour le membre suisse du Groupement, d'autre part. Malgré la nature et les caractéristiques différentes de ces deux institutions juridiques, une certaine convergence de raisonnement s'imposait, dans la mesure où la protection diplomatique ne peut entrer en ligne de compte que si la partie adverse du lésé a violé une obligation de droit international public lui incombant. La question revenait donc à savoir si le CERN avait enfreint l'art. 24 let. a de l'Accord de siège, provoquant ainsi une violation de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, en opposant une fin de non-recevoir à la troisième demande d'arbitrage portant sur le même objet, auquel cas il eût engagé sa responsabilité internationale. Toutefois, même si les questions étaient liées, elles pouvaient apparaître d'une certaine complexité pour ce qui est de l'appréciation de la vraisemblance des prétentions de caractère civil que les recourantes voulaient faire valoir contre l'organisation internationale concernée. A cet égard, l'autorité administrative a dû prendre connaissance des sentences arbitrales, des opinions dissidentes, ainsi que de trois avis de droit portant sur la question déposés en cours d'instance. Sous cet angle, la procédure nécessitait un certain développement dans le temps, qu'il appartient au Tribunal fédéral d'évaluer au regard des autres critères dégagés par la jurisprudence.
Au sujet de l'enjeu du litige pour les recourantes, il équivaut à une valeur litigieuse supérieure à 28 millions de francs, sans compter
BGE 130 I 312 S. 335
les frais arbitraux déjà exposés pour plusieurs centaines de milliers de francs.
Quant aux recourantes, elles ne sont pas restées inactives, puisqu'elles ont sollicité à plusieurs reprises du DFAE une décision, et l'ont menacé une fois d'un recours pour déni de justice formel ou matériel en raison du déroulement, d'après elles trop lent, de l'instance.
Il convient encore de considérer le contexte global de l'affaire, dont le remboursement des paiements effectués aux sous-traitants ne représentait qu'un des aspects. Les recourantes s'étaient en effet engagées dans deux procédures arbitrales successives, qui avaient duré chacune plusieurs années et qui portaient, à l'origine, sur une valeur litigieuse de plus de 400 millions de francs.
La première procédure qui s'est déroulée devant le Tribunal fédéral, close par l'
ATF 118 Ib 562
ss, a, pour sa part, pris un an.
Dans ces circonstances particulières, compte tenu de l'ensemble des documents et arguments que le DFAE a dû apprécier, et même si ce dernier a finalement rendu une décision d'irrecevabilité (
art. 5 al. 1 let
. c PA) au motif que les dispositions invoquées ne feraient pas partie du droit public fédéral, la relativement longue durée de la procédure (près de trois ans) ne fait pas encore apparaître comme déraisonnable ou inadéquat le délai utilisé. Le grief de violation des
art. 29 al. 1 Cst.
et 6 par. 1 CEDH doit en conséquence être rejeté.
5.4.2.2
Les mêmes raisons permettent de considérer que le délai de près de vingt-six mois, utilisé par le Conseil fédéral pour statuer sur le recours administratif, demeure raisonnable au vu des particularités de l'espèce. L'autorité de recours a imparti un délai de détermination convenable à l'autorité intimée, ainsi qu'au CERN, qui ont pu s'exprimer en détail compte tenu de l'enjeu important du litige. Il faut également prendre en compte les mécanismes d'instruction et de décision du Conseil fédéral agissant comme juge administratif, qui supposent un certain nombre de délégations avant qu'il ne prenne lui-même la décision, en sa qualité d'autorité collégiale (cf. consid. I/11 de la décision du Conseil fédéral du 14 janvier 2004, p. 4). Enfin, dans l'examen de la cause, le Conseil fédéral a été amené à se prononcer sur la question de la recevabilité de la requête en première instance, qu'il a admise, à l'opposé du DFAE, avant de trancher le fond. Tous ces éléments démontrent que le
BGE 130 I 312 S. 336
délai de près de vingt-six mois, même s'il était confortable, ne porte nullement atteinte au principe de célérité ancré à l'
art. 29 al. 1 Cst.
, respectivement à l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Le grief adressé à cet égard au Conseil fédéral est infondé. | mixed |
290d6b2d-8170-4f23-a1b7-3f7b37d71ace | Sachverhalt
ab Seite 40
BGE 137 II 40 S. 40
Au cours des retransmissions, par la Télévision suisse romande, des matches du tournoi de tennis ATP "Davidoff Swiss Indoors" de Bâle, en octobre 2008, la marque ou le logo "Davidoff" appartenant au sponsor du tournoi, le groupe cigarettier Oettinger Davidoff, sont apparus régulièrement en arrière-plan.
A l'issue de la procédure de médiation prévue par la loi fédérale du 24 mars 2006 sur la radio et la télévision (LRTV; RS 784.40), l'association Oxyromandie et son président Pascal Diethelm ont formé une plainte auprès de l'Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision (ci-après: l'Autorité indépendante) le 6 mars 2009, à laquelle étaient jointes 61 déclarations d'appui signées. Dans
BGE 137 II 40 S. 41
la mesure où elle était recevable, l'Autorité indépendante a, par décision du 27 août 2009, rejeté la plainte reprochant à la Société suisse de radiodiffusion et télévision SRG SSR idée suisse (ci-après: la SRG SSR) d'avoir montré, de manière massive et répétée, le logo "Davidoff" dans ses retransmissions et sur son site Internet, en violation notamment de la LRTV.
Devant le Tribunal fédéral, certains des 61 co-signataires de la plainte, hormis une personne n'ayant pas participé à la procédure antérieure, ont recouru aux côtés d'Oxyromandie et de son président. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en matière de droit public dans la mesure où il était recevable.
(résumé) Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Encore faut-il que les recourants disposent de la qualité pour agir devant le Tribunal fédéral au sens de l'
art. 89 al. 1 LTF
, ce que l'intimée conteste.
2.1
Selon les informations répercutées par voie de presse, le groupe Oettinger Davidoff aurait annoncé sa volonté de ne plus sponsoriser le tournoi "Davidoff Swiss Indoors" dès l'année 2011. Se pose ainsi la question de l'intérêt actuel à recourir contre la décision de l'Autorité indépendante, l'intérêt digne de protection devant exister non seulement au moment du dépôt du recours, mais encore au moment où l'arrêt est rendu (
ATF 136 II 101
consid. 1.1 p. 103; arrêt 2C_823/2009 du 19 octobre 2010 consid. 1.3.1). On peut aussi douter que l'on soit en présence d'une contestation susceptible de se reproduire en tout temps dans des circonstances identiques ou analogues, justifiant de déroger à l'intérêt actuel (cf.
ATF 136 II 101
consid. 1.1 p. 103;
ATF 135 I 79
consid. 1.1 p. 81). Selon les explications des recourants eux-mêmes, le parrainage du tournoi de Bâle par une marque associée au tabac serait "un anachronisme helvétique, unique dans le monde". Il n'est ainsi pas certain que la négociation d'un nouvel accord entre l'organisateur du tournoi et, par hypothèse, un autre sponsor issu de l'industrie du tabac prévoie des conditions de sponsoring similaires. Du reste, la Suisse a signé, le 25 juin 2004, la Convention-cadre de l'Organisation mondiale de la santé pour la lutte antitabac du 21 mai 2003. Si ce traité, qui n'a pas encore été ratifié, entrait en vigueur en Suisse, cela conduirait à l'interdiction généralisée du parrainage par des compagnies de tabac (cf. art. 13 de la Convention). La
BGE 137 II 40 S. 42
question de l'intérêt actuel peut cependant rester indécise puisque la qualité pour agir des recourants doit être niée pour un autre motif.
2.2
S'agissant de l'intérêt personnel des recourants à saisir le Tribunal fédéral, il convient de rappeler que la LRTV instaure deux types de recours distincts devant l'Autorité indépendante: la première catégorie consiste en un recours individuel émanant d'un particulier qui prouve, notamment, que l'objet de l'émission le touche de près (
art. 94 al. 1 LRTV
); la seconde, retenue dans le cas d'espèce par l'Autorité indépendante, découle de l'
art. 94 al. 2 LRTV
, qui prévoit que les personnes physiques qui n'apportent pas la preuve que l'objet de l'émission contestée les touche de près ont aussi qualité pour agir si leur plainte est co-signée par 20 personnes au moins (cf.
ATF 136 I 167
consid. 3.1 p. 170 s.). Cette voie n'est autre que celle de la plainte populaire par laquelle n'importe quel citoyen peut agir, indépendamment de tout intérêt personnel immédiat, dans l'intérêt général et/ou en vue de se plaindre d'une situation non conforme au droit (cf. FRANÇOIS VOEFFRAY, L'"actio popularis" ou la défense de l'intérêt collectif devant les juridictions internationales, 2002, p. 6 et 13; Message du 18 décembre 2002 relatif à la révision totale de la loi fédérale sur la radio et la télévision, FF 2003 1425, 1584 ch. 2.1.7.2.2). Elle a été prévue par la LRTV du fait que la procédure devant l'Autorité indépendante n'a pas pour but premier la protection des droits des particuliers, mais constitue également un instrument de surveillance par l'Etat du respect des dispositions relatives aux programmes de radio-télévision (Message du 28 février 2001 concernant la révision totale de l'organisation judiciaire fédérale, FF 2001 4000, 4185 ch. 4.3.2.1;
ATF 134 II 260
consid. 6.2 p. 262).
Toutefois, la voie de la plainte populaire ouverte par la LRTV se limite à la plainte devant l'Autorité indépendante. Le plaignant populaire n'a pas qualité pour recourir au Tribunal fédéral sur le fond de l'affaire. En effet, une telle voie n'est pas ouverte par la LTF (
ATF 135 II 430
consid. 1.1 p. 433;
ATF 130 II 514
consid. 1 p. 516). Il peut uniquement se plaindre de la violation des règles de procédure équivalant à un déni de justice formel (
ATF 135 II 430
consid. 3.2 p. 436 s.). Partant, la qualité pour agir devant le Tribunal fédéral ne s'apprécie pas, selon la jurisprudence - qui n'a pas été modifiée sur ce point à la suite de l'abrogation de la LRTV du 21 juin 1991 (RO 1992 601 ss) -, à l'aune de l'
art. 94 LRTV
, mais exclusivement au regard des conditions plus strictes de l'
art. 89 LTF
(
ATF 135 II 430
consid. 1.1 p. 433;
BGE 137 II 40 S. 43
ATF 134 II 120
consid. 2.1 p. 122;
ATF 133 II 400
consid. 2.2 p. 404; cf.
art. 99 LRTV
). Il ne suffit dès lors pas qu'un recourant ait pris part à la procédure de plainte devant l'Autorité indépendante (
art. 89 al. 1 let. a LTF
), en particulier lorsque celui-ci a agi sur la base de la plainte populaire de l'
art. 94 al. 2 LRTV
; encore faut-il que les autres conditions cumulatives prévues à l'
art. 89 al. 1 LTF
soient remplies.
2.3
L'
art. 89 al. 1 let. b LTF
reprend la condition de l'intérêt direct et concret de manière plus stricte que l'
art. 103 OJ
puisqu'il prévoit que le recourant doit être "particulièrement atteint" par l'acte attaqué, le législateur ayant estimé que "la pratique a parfois été trop généreuse dans la reconnaissance de la qualité pour agir de tiers" (
ATF 135 II 145
consid. 6.1 p. 150 s.;
ATF 133 II 468
consid. 1 p. 470).
Quant à l'intérêt digne de protection (
art. 89 al. 1 let
. c LTF), il représente tout intérêt pratique ou juridique à demander la modification ou l'annulation de la décision attaquée. Cet intérêt consiste dans l'utilité pratique que l'admission du recours apporterait au recourant, en lui évitant de subir un préjudice de nature économique, idéale, matérielle ou autre que la décision attaquée lui occasionnerait. Il implique que cet intérêt soit direct et concret, le recourant devant se trouver, avec la décision entreprise, dans un rapport suffisamment étroit, spécial et digne d'être pris en considération. Il doit être touché dans une mesure et avec une intensité plus grande que l'ensemble des administrés. Le recours d'un particulier formé dans l'intérêt d'un tiers ou dans l'intérêt général est exclu. Cette exigence a été posée de manière à éviter l'action populaire (
ATF 135 II 145
consid. 6.1 p. 150;
ATF 133 II 468
consid. 1 p. 470; arrêt 1C_310/2009 du 17 mars 2010 consid. 1.4.1).
2.4
2.4.1
Dans le domaine de la radio-télévision, un intérêt digne de protection à contester une décision se rapportant au contenu d'un programme rédactionnel fait défaut lorsqu'un justiciable prétend se fonder notamment sur l'exercice de ses droits politiques, sur son engagement social ou politique par rapport à une question d'intérêt public, sur la simple existence d'un intérêt particulier (privé, idéologique ou professionnel) dans une matière spécifique ou sur ses connaissances approfondies dans un certain domaine faisant l'objet d'une émission télévisuelle (
ATF 135 II 430
consid. 1.2 p. 433 s.;
ATF 134 II 120
consid. 2.2 p. 122;
ATF 130 II 514
consid. 2.2.1 p. 517; arrêt 2A.303/2004 du 26 janvier 2005 consid. 2.2.2).
BGE 137 II 40 S. 44
2.4.2
Sur la base de ces critères, la qualité pour se plaindre devant le Tribunal fédéral du contenu d'une émission rédactionnelle (cf.
art. 86 al. 1 2
e
phrase LRTV) a été notamment refusée au président de la société suisse de chirurgie qui, actif comme médecin en chef auprès d'un hôpital cantonal, avait contesté deux émissions générales relatives à des pratiques opératoires douteuses; en substance, le Tribunal fédéral a considéré que la volonté de ce médecin, qui n'était pas personnellement visé par l'émission, de défendre la réputation du corps médical ne constituait pas un lien suffisamment étroit entre lui et l'émission en cause (arrêt 2A.348/1997 du 6 février 1998 consid. 1b). La qualité pour recourir a été aussi refusée à un mathématicien et publiciste qui, disposant de connaissances scientifiques en la matière, s'était plaint au sujet d'émissions relatives à des sondages d'opinion, au motif que ni sa personne ni ses publications n'avaient été l'objet desdites émissions et que son intérêt scientifique ne le démarquait pas de tout autre téléspectateur politisé et critique vis-à-vis des médias (
ATF 135 II 430
consid. 1.3 p. 433 s.). Enfin, la qualité pour recourir a été déniée à une association de protection des animaux militant contre l'instauration d'usines d'animaux, en rapport avec une émission ayant pour objet une proposition tendant à supprimer les effectifs maxima légaux dans la production de viande; l'association recourante ne se distinguait en effet pas de n'importe quel téléspectateur soucieux de protéger les animaux (
ATF 134 II 120
consid. 2.3 p. 122 s.).
2.4.3
La qualité pour agir en rapport avec une émission traitant d'une mutinerie au sein de l'armée a en revanche été reconnue au commandant de l'unité concernée, du fait que ses compétences de gestion se trouvaient remises en cause de façon au moins implicite (arrêt 2A.11/1996 du 23 août 1996 consid. 2c); elle a aussi été accordée au président de la chambre tutélaire du tribunal supérieur d'Argovie agissant pour le compte de cette autorité, dans la mesure où ses propos avaient été repris dans l'émission télévisuelle contestée (arrêt 2C_291/2009 du 12 octobre 2009 consid. 2.2).
2.5
Le Tribunal fédéral a déjà été confronté à la question de la qualité pour recourir en relation avec une émission concernant le tabac et l'alcool; des recourants engagés professionnellement dans la prévention contre le tabagisme s'étaient attaqués au contenu de spots qui contestaient, de façon générale, l'interdiction de la publicité, au motif que l'objectif ou l'effet de tels spots pourrait contribuer à faire réadmettre la publicité pour l'alcool et le tabac (cf. arrêt 2A.303/2004 du
BGE 137 II 40 S. 45
26 janvier 2005 consid. 2.2.3). Dans cet arrêt, rendu sous l'empire de l'OJ, la jurisprudence a émis des doutes sur la qualité pour recourir, mais a laissé ouverte la question.
2.6
Il sied d'examiner, à l'aune de ces principes, si les recourants disposent de la qualité pour agir devant le Tribunal fédéral selon l'
art. 89 LTF
.
2.6.1
D'emblée, il convient de nier la qualité pour recourir à Michel Chapalay, qui n'a pas participé devant l'autorité précédente, n'apparaissant ni en tant que plaignant, ni même en tant que co-signataire de la plainte populaire (
art. 89 al. 1 let. a LTF
).
2.6.2
Contrairement à ce qu'affirme l'intimée dans sa réponse du 10 mars 2010, le seul fait pour les recourants François Cardinaux, Roger Claude, Yorick Delaunay, Vivienne Duppenthaler, Jean-Paul Humair, Rainer M. Kaelin, Michel Starobinski et Corinne Wahl de ne pas avoir formellement saisi l'organe de médiation ni déposé plainte contre les émissions en cause (
art. 94 al. 1 et 95 LRTV
), mais de s'être contentés d'appuyer la plainte diligentée par l'association Oxyromandie et Pascal Diethelm au sens de l'
art. 94 al. 2 et 3 LRTV
, ne les prive pas ipso facto de leur qualité pour agir devant le Tribunal fédéral. Au regard de l'
art. 89 al. 1 let. a LTF
, il suffit en effet que ces personnes aient pris part à la procédure devant l'autorité précédente, peu importe qu'elles l'aient fait en qualité de parties ou de simples participantes (
ATF 130 II 514
consid. 1 p. 516;
ATF 123 II 115
consid. 2a p. 117;
ATF 121 II 359
consid. 1b p. 362; cf. aussi: GABRIEL BOINAY, La contestation des émissions de la radio et de la télévision, 1996, p. 215; SCHÜRMANN/NOBEL, Medienrecht, 2
e
éd. 1993, p. 203). Encore faut-il qu'elles remplissent les conditions de l'art. 89 al. 1 let. b et c LTF.
A cet égard, il convient de relever que les huit recourants susmentionnés, dont ni la personne ni les activités n'ont d'une manière quelconque fait l'objet des émissions litigieuses, ne se distinguent pas de tout autre téléspectateur ou citoyen qui, sensibilisé aux risques du tabac, s'engage en vue de faire interdire toute forme de publicité pour ces produits et les sociétés qui les commercialisent. Contrairement à ce que prétendent lesdits recourants, on ne décèle aucun rapport étroit entre ceux-ci, la décision attaquée et, en particulier, le fait d'être un ancien fumeur ou d'assister, en tant que proche ou de professionnel de la santé, aux conséquences du tabagisme, ou le fait d'assumer la charge éducative vis-à-vis d'un enfant qu'une émission risque d'exposer au monde du tabac. Il en va de même par rapport à
BGE 137 II 40 S. 46
l'acquittement de redevances BILLAG dont bénéficierait un diffuseur retransmettant des émissions favorisant potentiellement une marque de tabac ou à la passion d'un téléspectateur pour le sport et son refus de voir une manifestation sportive utilisée à des fins publicitaires pour le tabac. A défaut d'atteinte directe et concrète, leur recours est irrecevable en tant qu'il porte sur le fond de la décision querellée (cf. consid. 2.3 et 2.4).
2.6.3
Dans sa décision entreprise, l'Autorité indépendante a elle-même laissé ouverte la question de savoir si Pascal Diethelm et l'association Oxyromandie pouvaient agir à titre individuel, dès lors que les conditions de la plainte populaire étaient remplies. Dans le cadre de l'
art. 89 al. 1 LTF
, la question doit cependant être examinée.
A ce titre, force est de constater qu'il ne suffit pas pour lui reconnaître une atteinte particulière que le président et co-fondateur de l'association Oxyromandie soit, comme il l'affirme, professionnellement impliqué dans la lutte contre le tabagisme; qu'il soit un militant et idéologue antitabac internationalement reconnu qui s'investit ou est consulté en tant qu'expert dans le cadre d'organismes (non-)gouvernementaux; que plusieurs de ses proches aient apparemment souffert des effets du tabac; que la publicité pour le tabac sape son rôle éducatif lorsqu'il suit les matches de tennis avec sa petite-fille; ou que Pascal Diethelm et Oxyromandie pourfendent le sponsoring du tournoi de Bâle. Même en les cumulant, ces allégués ne démarquent pas Pascal Diethelm des autres citoyens engagés ou des téléspectateurs hostiles à toute forme de publicité en matière de tabac ou craignant les effets du tabagisme pour eux et pour leurs proches. Dans son recours, il définit d'ailleurs lui-même la diffusion du tournoi par l'intimée comme mettant "en péril la cause à laquelle il consacre une partie importante de son existence, à savoir la santé publique et la lutte contre le tabagisme"; son engagement est ainsi dédié à la protection de l'intérêt général, ce qui constitue le propre de l'action populaire. Le recours doit donc être déclaré irrecevable en ce qu'il a trait à Pascal Diethelm agissant à titre personnel.
2.6.4
S'agissant de la qualité pour recourir de l'association Oxyromandie, la jurisprudence prévoit qu'une association jouissant de la personnalité juridique est autorisée à former un recours en matière de droit public en son nom propre lorsqu'elle est touchée dans ses intérêts dignes de protection. De même, sans être elle-même touchée par la décision entreprise, une association peut être admise à agir par la voie du recours en matière de droit public (nommé alors recours
BGE 137 II 40 S. 47
corporatif) pour autant qu'elle ait pour but statutaire la défense des intérêts dignes de protection de ses membres, que ces intérêts soient communs à la majorité ou au moins à un grand nombre d'entre eux et, enfin, que chacun de ceux-ci ait qualité pour s'en prévaloir à titre individuel. En revanche, elle ne peut prendre fait et cause pour l'un de ses membres ou pour une minorité d'entre eux (cf.
ATF 134 II 120
consid. 2 p. 122 s.;
ATF 133 V 239
consid. 6.4 p. 243;
ATF 130 II 514
consid. 2.3.3 p. 519; arrêt 1C_367/2009 du 27 octobre 2009 consid. 3).
A l'instar de ce qui a été retenu concernant Pascal Diethelm, Oxyromandie n'est pas plus touchée que tout téléspectateur ou militant opposé à la publicité pour le tabac. Les émissions litigieuses ne la mentionnent d'ailleurs d'aucune manière. Elle ne dispose, partant, pas d'un intérêt digne de protection pour recourir devant le Tribunal fédéral en son nom propre.
L'association Oxyromandie, qui se consacre selon ses statuts à la prévention et à la lutte contre le tabagisme, n'établit pas davantage qu'elle remplirait les conditions du recours corporatif dit "égoïste". En effet, l'association Oxyromandie défend de par ses statuts un intérêt général lié à la santé publique; elle n'est donc pas axée sur la protection d'intérêts particuliers de ses membres, dont la situation et le nombre ne sont d'ailleurs pas étayés dans le recours. Même à supposer que les recourants précités soient des membres de cette association, il résulterait, comme déjà indiqué, qu'aucun d'eux n'est personnellement atteint par la décision querellée, si bien que l'association Oxyromandie ne peut valablement prendre fait et cause pour eux. Par conséquent, l'intervention de l'association s'inscrit aussi dans le régime de l'action populaire, qui est ouvert uniquement devant l'Autorité indépendante.
Pour le surplus, Oxyromandie ne peut pas se prévaloir d'un droit de recours associatif altruiste ou idéal ("ideelle Verbandsbeschwerde") découlant d'une disposition spécifique du droit fédéral, au sens de l'
art. 89 al. 2 let
. d LTF (cf.
ATF 131 II 753
consid. 4.2 p. 756 s., confirmé in arrêt 2C_527/2007 du 13 mai 2008 consid. 3.1). La LRTV ne lui confère en effet pas un tel droit de recours.
2.7
Il résulte de ce qui précède que les recourants n'ont pas qualité pour contester le fond de la décision attaquée devant le Tribunal fédéral. | mixed |
aded70c7-5306-4c4f-b22e-ac95fc1bb037 | Sachverhalt
ab Seite 410
BGE 137 II 409 S. 410
A.
Sur mandat de l'Association des laboratoires de prothèses dentaires de Suisse, a été constituée en 2005 la Fondation de l'Association de technique dentaire (ci-après: la Fondation). Cette dernière a créé un Fonds national en faveur de la formation professionnelle en technique dentaire (ci-après: le Fonds national), que le Conseil fédéral a déclaré de force obligatoire générale par arrêté du 28 novembre 2006 (ci-après: l'Arrêté).
B.
Le 14 novembre 2010, la Fondation a déposé une action de droit administratif auprès du Tribunal administratif de la République et canton de Genève (ci-après: le Tribunal administratif). Son action étant dirigée contre Y. S.à.r.l. et Z., tous deux établis à Genève, la Fondation conclut à ce que ces derniers soient condamnés à lui verser divers arriérés de cotisations d'entreprise afférents à la période allant de 2007 à 2010, intérêts moratoires, frais de rappel et de commandement de payer y compris.
Par arrêt du 14 décembre 2010, le Tribunal administratif, dont les compétences ont été dévolues à la Chambre administrative de la Cour de Justice (ci-après: la Cour de Justice) à partir du 1
er
janvier 2011, a déclaré irrecevable l'action de droit administratif formée le 14 novembre 2010, au motif qu'il aurait incombé à la Fondation de rendre des décisions administratives condamnant ses débiteurs à s'acquitter des cotisations dues.
C.
Devant le Tribunal fédéral, la Fondation a conclu à l'annulation de l'arrêt du Tribunal administratif du 14 décembre 2010 et au renvoi de la cause à l'instance précédente afin qu'elle rende une décision au fond. Le Tribunal fédéral a admis le recours.
(résumé) Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
4.1
La recourante reproche avant tout aux juges cantonaux d'avoir considéré qu'il lui aurait appartenu de rendre des décisions. Elle se prévaut d'une violation des
art. 29a et 178 al. 3 Cst.
, de l'
art. 1 al. 2 let
. e de la loi fédérale du 20 décembre 1968 sur la procédure administrative (PA; RS 172.021) et de l'art. 60 de la loi fédérale du 13
BGE 137 II 409 S. 411
décembre 2002 sur la formation professionnelle (LFPr; RS 412.10). Elle conteste être la délégataire d'une tâche de l'administration et avoir été de ce fait investie d'une compétence décisionnelle en matière de cotisations en faveur de la formation professionnelle. Avant la modification, avec effet au 1
er
janvier 2011, de l'ordonnance fédérale du 19 novembre 2003 sur la formation professionnelle (OFPr; RS 412.101; RO 2003 5047, 5070 s.), la loi ne lui conférait pas de tels pouvoirs. Partant, il aurait incombé au Tribunal administratif d'entrer en matière sur son action de droit administratif du 10 novembre 2010 ou de transmettre la cause à l'autorité compétente.
4.2
Aux termes de l'
art. 29a Cst.
, toute personne a droit à ce que sa cause soit jugée par une autorité judiciaire. La Confédération et les cantons peuvent, par la loi, exclure l'accès au juge dans des cas exceptionnels. Cette disposition étend donc le contrôle judiciaire en principe à toutes les contestations juridiques. Il s'agit en particulier de contestations portant sur les droits et les obligations de personnes (physiques ou morales). La garantie ne s'oppose cependant pas aux conditions de recevabilité habituelles du recours ou de l'action (
ATF 136 I 323
consid. 4.3 p. 328 s.).
4.3
L'
art. 178 al. 3 Cst.
prévoit que la loi peut confier des tâches de l'administration à des organismes et à des personnes de droit public ou de droit privé qui sont extérieurs à l'administration fédérale. Cette disposition est entre autres concrétisée sur le plan fédéral par l'art. 2 al. 4 de la loi fédérale du 21 mars 1997 sur l'organisation du gouvernement et de l'administration (LOGA; RS 172.0109) (cf.
ATF 136 II 399
consid. 2.2 p. 401) et, s'agissant de la notion d'autorité administrative fédérale, par l'
art. 1 al. 2 let
. e PA.
5.
Il convient de déterminer si la Fondation disposait d'une compétence décisionnelle, telle que le retient l'arrêt querellé, pour condamner ses prétendus débiteurs Y. S.à.r.l. et Z. à verser les arriérés de cotisations pour la période allant de 2007 à 2010. A cet égard, l'
art. 60 LFPr
, qui traite spécifiquement des fonds en faveur de la formation professionnelle, dispose:
"
1
Les organisations du monde du travail actives dans le domaine de la formation, de la formation continue à des fins professionnelles et de la tenue d'examens peuvent créer et alimenter leurs propres fonds pour encourager la formation professionnelle.
2
Elles définissent les buts de leur fonds en faveur de la formation professionnelle. Elles doivent notamment soutenir les entreprises de leur branche pour développer la formation continue spécifique à leur domaine.
BGE 137 II 409 S. 412
3
Sur demande de l'organisation compétente, le Conseil fédéral peut déclarer la participation à un fonds en faveur de la formation professionnelle obligatoire pour toutes les entreprises de la branche et contraindre ces dernières à verser des contributions de formation (...).
5
Le genre et le montant des contributions de formation sont fonction du montant des contributions versées par les membres de l'organisation et destinées à la formation professionnelle. Le Conseil fédéral en fixe le montant maximal; celui-ci peut varier en fonction des branches (...)".
6.
6.1
Sont des décisions les actes de l'autorité qui règlent de manière unilatérale et contraignante un rapport juridique dans un cas particulier (cf.
ATF 135 II 30
consid. 1.1 p. 32; arrêt 2C_777/2009 du 21 avril 2010 consid. 2.2, in SJ 2010 I p. 516). Dès lors que les décisions administratives sont rendues dans l'exercice de la puissance publique et ont un caractère exécutoire, l'existence d'une compétence décisionnelle ne peut être admise sans autre, mais doit reposer sur une base légale suffisante (arrêt 2C_715/2008 du 15 avril 2009 consid. 3.2, in RDAF 2010 I p. 425).
6.2
La délégation de tâches publiques à un organisme extérieur à l'administration peut comprendre implicitement le pouvoir décisionnel nécessaire à l'accomplissement desdites tâches (cf. arrêt 2C_715/2008 du 15 avril 2009 consid. 3.2, in RDAF 2010 I p. 425), pour autant qu'une loi spéciale ne l'exclue pas (cf.
ATF 129 II 331
consid. 2.3.1 p. 338 s.; arrêt 2C_715/2008 précité, consid. 3.2).
Il y a toutefois lieu de préciser que la délégation de tâches publiques à un organisme extérieur à l'administration n'inclut pas automatiquement le transfert implicite d'une compétence décisionnelle. Encore faut-il que l'exercice d'un pouvoir décisionnel s'avère
indispensable
pour permettre à l'organisme délégataire de tâches publiques d'accomplir celles-ci. Le plus souvent, la question de savoir si la délégation d'une tâche d'intérêt public englobe celle d'une compétence décisionnelle ne pourra pas trouver de réponse évidente dans le texte légal, de sorte qu'il conviendra de déterminer, par la voie de l'interprétation, l'éventuelle existence et, le cas échéant, l'étendue et le champ d'application précis d'un tel pouvoir (cf. arrêt 2C_715/2008 précité, consid. 3.2). Si, à l'issue d'une telle analyse, l'existence d'un pouvoir décisionnel dérivant de la délégation de tâches publiques demeurait ambiguë, seule une délégation distincte et explicite dudit pouvoir décisionnel pourra être admise. Cela se justifie au regard des enjeux en présence, soit la délégation d'une parcelle de puissance publique en faveur d'un organisme, souvent de droit privé, extérieur à l'administration ainsi que la sécurité du droit pour les administrés.
BGE 137 II 409 S. 413
6.3
En tout état, qu'une compétence décisionnelle soit expressément déléguée à un organisme extérieur à l'administration ou qu'elle lui soit implicitement conférée à la faveur de la délégation d'une tâche publique dont l'exécution requerra nécessairement le transfert d'un pouvoir décisionnel audit organisme, cette clause de délégation devra s'appuyer sur une base légale suffisante émanant du législateur
au sens formel
(cf.
art. 178 al. 3 Cst.
et
art. 2 al. 4 LOGA
; voir aussi l'
art. 1 al. 2 let
. e PA;
ATF 135 II 38
consid. 4.4 p. 45; arrêts 2C_715/2008 précité, consid. 3.2 in fine; 2A.167/2005 du 8 mai 2006 consid. 7 et 10.2, in RDAF 2007 II p. 332; AUBERT/MAHON, in Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, 2003, n° 11 ad
art. 178 Cst.
p. 1358; GIOVANNI BIAGGINI, in Die schweizerische Bundesverfassung - Kommentar, Bernhard Ehrenzeller et al. [éd.], 2
e
éd. 2008, n
os
32 s. ad
art. 178 Cst.
p. 2642 s.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6
e
éd. 2010, n. 1515 p. 340 s.). A ce titre, il sied de rappeler que, dans le cadre de la révision de la Constitution fédérale, l'Assemblée fédérale avait, en suivant l'avis du Conseil fédéral, expressément rejeté la proposition visant à assouplir l'exigence de la réserve de la loi qui gouverne chaque cas concret d'externalisation de tâches de l'administration (BO 1998 CN 147 ss; BO 1998 CE 868; THOMAS SÄGESSER, Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz RVOG, 2007, n. 94 p. 33 s.).
6.4
L'exigence d'une base légale formelle n'exclut pas que le législateur puisse autoriser le pouvoir exécutif, par le biais d'une clause de délégation législative, à édicter des règles de droit (
art. 164 al. 2 Cst.
; cf.
ATF 130 I 26
consid. 5.1 p. 43) destinées à préciser les tâches publiques et les pouvoirs y afférents que la loi a confiés à une organisation extérieure à l'administration, ceci valant en particulier pour la délégation de tâches publiques mineures ou purement techniques (cf. BO 1998 CN 148 s.; BIAGGINI, op. cit., n° 33 ad
art. 178 Cst.
p. 2642 s.). La clause de délégation législative en faveur du Conseil fédéral est cependant soumise à des exigences strictes lorsqu'elle porte sur des tâches de puissance publique (BIAGGINI, ibidem) ou lorsque les droits et obligations des personnes sont en jeu (
art. 164 al. 1 let
. c Cst.). Il lui faut dans un tel cas être suffisamment précise de manière à circonscrire les lignes fondamentales de la réglementation déléguée, soit le but, l'objet et l'étendue des pouvoirs délégués au Conseil fédéral (
ATF 131 II 13
consid. 6.4.4 p. 29;
ATF 130 I 26
consid. 5.1 p. 43;
ATF 128 I 113
consid. 3c p. 122).
BGE 137 II 409 S. 414
7.
7.1
En tant que fondation de droit privé régie par les
art. 80 ss CC
, la recourante est une
organisation extérieure à l'administration
au sens des
art. 178 al. 3 Cst.
et 2 al. 4 LOGA.
7.2
Pour savoir si la Fondation aurait dû réclamer les cotisations litigieuses par voie de décision, comme le soutient la Cour de Justice, encore faut-il déterminer si la recourante s'est vu
confier une tâche
de l'administration
au sens de l'
art. 178 al. 3 Cst.
(cf. consid. 7.3) et, le cas échéant, si la délégation de cette tâche comprenait au moment déterminant, le pouvoir implicite de rendre des décisions administratives (cf. consid. 7.4).
7.3
7.3.1
La création d'un fonds en faveur de la formation professionnelle, au sens de l'
art. 60 al. 1 LFPr
, dont peuvent bénéficier les membres de toute une branche professionnelle, poursuit assurément un but d'intérêt public. Il ne s'ensuit toutefois pas nécessairement que l'organisation de droit privé aurait été chargée par l'Etat d'exécuter une "tâche de l'administration" au sens de l'
art. 178 al. 3 Cst.
Contrairement à ce que retient l'arrêt 2C_58/2009 du 4 février 2010 consid. 1.3, dont il faut s'écarter sur ce point, le fonds en faveur de la formation professionnelle mentionné à l'
art. 60 al. 1 LFPr
n'a pas été créé en application d'une obligation légale; il fait partie des fonds dont la création et l'alimentation sont laissées à la discrétion des organisations du monde du travail ("peuvent"), sans qu'une obligation - même supplétive en cas d'absence d'initiative privée des organisations - ne soit imposée à l'Etat. On se trouve ainsi en présence d'une renonciation de l'Etat à accomplir lui-même une tâche d'intérêt public, son exécution étant laissée à la libre initiative des organismes de droit privé (cf. SÄGESSER, op. cit., n. 85 p. 31). La LFPr traite d'ailleurs ces organisations en tant que véritables partenaires qui se partagent non seulement la tâche de promouvoir la formation professionnelle (
art. 3 LFPr
), mais également son financement (cf.
ATF 137 II 399
consid. 1.2; arrêt 2C_58/2009 du 4 février 2010 consid. 1.3).
La Cour de céans a récemment retenu que lorsque la contribution destinée à alimenter un fonds en faveur de la formation professionnelle est réclamée par une association (professionnelle) au sens de l'
art. 60 CC
à l'un de ses membres en vertu des statuts et d'un règlement adopté en exécution de ces derniers sans que le Conseil fédéral n'ait déclaré la participation à ce fonds obligatoire pour toutes les entreprises de la branche (cf.
art. 60 al. 3 LFPr
), le rapport
BGE 137 II 409 S. 415
d'obligation et les règles qui le régissent relèvent du droit privé (
ATF 137 II 399
consid. 1.5). Dans de telles circonstances, la question de savoir si l'organisation du monde du travail qui a créé et gère ce fonds dispose d'un pouvoir décisionnel lui permettant de contraindre des entreprises non-membres à y cotiser, reçoit une réponse négative (
ATF 137 II 399
consid. 1.5).
7.3.2
En revanche, la tâche dont l'accomplissement était initialement laissé à l'initiative privée et au bon vouloir des organisations du monde du travail, et par voie de conséquence assujettie au droit privé, se transforme en une tâche de l'administration soumise au droit public fédéral lorsque le Conseil fédéral déclare obligatoire l'alimentation dudit fonds. Dans une telle hypothèse, en effet, l'organisation du monde du travail ne traite pas sur pied d'égalité avec les entreprises de la branche qui n'appartiennent pas au cercle de ses membres, mais reçoit de l'Etat, en sa qualité de partenaire de la Confédération et des cantons dans le domaine de l'encouragement de la formation professionnelle, le droit de percevoir une contribution auprès des entreprises concernées (cf.
ATF 137 II 399
consid. 1.6 in fine). Elle exerce alors une tâche de l'administration au sens de l'
art. 178 al. 3 Cst.
L'existence d'une délégation de tâches de l'administration à une organisation du monde du travail se laisse de plus déduire des conditions auxquelles le Conseil fédéral est en droit d'accéder à une demande d'extension de l'obligation de cotiser au fonds de promotion. Il faut notamment que l'organisation dispose de sa propre institution de formation et que les contributions soient investies dans des mesures de formation professionnelle qui bénéficient à
toutes
les entreprises (
art. 60 al. 4 LFPr
; cf. aussi l'arrêt 2C_58/2009 du 4 février 2010 consid. 1.3 et 2). Il sied d'ajouter que l'extension de l'obligation de cotiser au fonds de promotion vise à éviter que les initiatives en matière de formation professionnelle qui sont lancées par une organisation du monde du travail pour le bénéfice de toute une branche d'activité ne soient indûment affaiblies si d'autres entreprises n'ayant pas adhéré au fonds pouvaient librement profiter des activités de formation sans fournir de contrepartie équitable (cf. FF 2000 5256, 5318 ss ch. 3.2).
7.3.3
En l'espèce, le Conseil fédéral a, par arrêté du 28 novembre 2008, pris en conformité avec l'
art. 60 al. 3 LFPr
, procédé à une telle extension de l'obligation de participer au Fonds national instauré par la Fondation. La recourante doit, partant, être considérée comme la délégataire de tâches publiques dans le domaine de la création et de la gestion d'un fonds en faveur de la formation professionnelle.
BGE 137 II 409 S. 416
7.4
Cela étant, il faut encore que l'exercice des tâches publiques qui sont déléguées à la recourante soit accompagné du pouvoir de rendre des décisions administratives relatives à la perception des cotisations au Fonds national.
7.4.1
La délégation de tâches publiques et le pouvoir décisionnel accompagnant cette dernière sont abordés de façon générale à l'
art. 67 LFPr
, à teneur duquel:
"La Confédération et les cantons peuvent confier des tâches d'exécution de la présente loi aux organisations du monde du travail. Celles-ci peuvent prélever des émoluments pour les décisions et services rendus."
L'
art. 61 al. 1 LFPr
, dans sa version amendée effective à partir du 1
er
janvier 2007 (RO 2006 2246), traite également des pouvoirs décisionnels des organisations du monde du travail, en désignant les autorités de recours contre les décisions prises en application de la LFPr, à savoir: une autorité cantonale désignée par le canton, pour les décisions prises par les autorités cantonales ou par les prestataires de la formation professionnelle ayant un mandat du canton (let. a), ou l'Office fédéral de la formation professionnelle et de la technologie (ci-après: l'Office fédéral), pour les autres décisions prises par des organisations extérieures à l'administration fédérale (let. b).
Les domaines dans lesquels les organisations du monde du travail peuvent effectivement rendre des décisions ne se laissent toutefois pas expressément déduire des
art. 61 et 67 LFPr
.
7.4.2
La doctrine considère en revanche que de telles clauses de délégation topiques en faveur des organisations du monde du travail se rencontrent, en particulier, à l'
art. 28 al. 2 LFPr
, aux termes duquel les organisations du monde du travail compétentes sont chargées de réglementer les conditions d'admission, le niveau exigé, les procédures de qualification, les certificats délivrés et les titres décernés, ainsi qu'à l'
art. 40 al. 2 LFPr
, en vertu duquel l'Office fédéral peut charger les organisations qui en font la demande d'effectuer les procédures de qualification pour certaines régions ou pour l'ensemble du pays (cf. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, op. cit., n. 1516 et 1524 p. 340 s.; PIERRE TSCHANNEN, in Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Auer/Müller/Schindler [éd.], 2008, ad
art. 1 PA
p. 39). Ces dispositions ne sont cependant pas pertinentes au regard du cas d'espèce. A l'inverse de ces règles, l'
art. 60 LFPr
ne contient pas de clause confiant expressément et directement aux organisations du monde du travail le pouvoir de rendre des décisions s'agissant du prélèvement des cotisations versées par les entreprises au Fonds national.
BGE 137 II 409 S. 417
7.4.3
De surcroît, une compétence décisionnelle en faveur de la Fondation dans le domaine des cotisations au Fonds national ne résultait pas non plus
implicitement
de la législation sur la formation professionnelle dans sa version en vigueur avant le 1
er
janvier 2011.
Contrairement à ce que retient l'arrêt attaqué, le fait que l'Arrêté du Conseil fédéral ait rendu contraignante la participation financière des entreprises de la branche au Fonds national ne permet pas d'en déduire la compétence de la Fondation de rendre des décisions obligeant ces entreprises à s'acquitter des cotisations dues, en l'absence d'une disposition légale lui conférant un pouvoir décisionnel. Une telle compétence ne s'avère en effet pas indispensable (cf. consid. 6.2) pour recouvrer les montants dus auprès des entreprises de la branche concernée, dès lors que la voie de l'action de droit administratif est ouverte (cf. consid. 9.1 non publié).
7.4.4
L'absence de pouvoir décisionnel avant l'année 2011 est corroborée par la modification de l'OFPr, intervenue le 3 décembre 2010 avec effet au 1
er
janvier 2011 (RO 2003 5047, 5070 s.). Son nouvel art. 68a concernant la perception des cotisations (RO 2010 6005) habilite désormais expressément l'organisation du monde du travail à ordonner le versement des cotisations sur demande de l'entreprise ou lorsque celle-ci ne les verse pas (al. 3), et assimile une décision de cotisations exécutoires à un jugement exécutoire au sens de l'
art. 80 LP
(
art. 68a al. 4 OFPr
). Comme dans sa version en vigueur depuis le 1
er
janvier 2004, l'OFPr n'instaurait pas une telle compétence décisionnelle, on peut en conclure
a contrario
qu'avant 2011, celle-ci n'existait pas.
7.4.5
En outre, l'
art. 68a OFPr
, qui précise la portée de l'
art. 60 al. 3 LFPr
, ne peut s'appliquer rétroactivement au cas d'espèce.
D'après les règles générales régissant la détermination du droit applicable, qui se déploient en l'absence de dispositions transitoires particulières (cf.
ATF 131 V 425
consid. 5.1 p. 429), l'application d'une norme à des faits entièrement révolus avant son entrée en vigueur est interdite (
ATF 137 II 371
consid. 4.2). En dérogation à ce principe général, les nouvelles règles de procédure s'appliquent pleinement dès leur entrée en vigueur aux causes qui sont encore pendantes. La procédure administrative connaît néanmoins une exception à l'application immédiate de la nouvelle procédure; celle-ci n'est admissible que pour autant que l'ancien et le nouveau droit s'inscrivent dans la continuité du système de procédure en place et que les modifications procédurales demeurent ponctuelles. En revanche,
BGE 137 II 409 S. 418
l'ancien droit de procédure continue à gouverner les situations dans lesquelles le nouveau droit de procédure marque une rupture par rapport au système procédural antérieur et apporte des modifications fondamentales à l'ordre procédural (cf.
ATF 130 V 1
consid. 3.3.2 p. 5 s.;
ATF 112 V 356
consid. 4a et 4b p. 360 s.;
ATF 111 V 46
consid. 4 p. 47; PIERRE MOOR, Droit administratif, vol. I, 1994, p. 170 ss).
En l'espèce, l'action de droit public litigieuse a été introduite par la Fondation et jugée par le Tribunal administratif avant l'entrée en vigueur de l'
art. 68a OFPr
. De plus, cette disposition a pour effet de modifier substantiellement la procédure administrative en vigueur jusqu'au 1
er
janvier 2011, dans le sens où elle abandonne le système de l'action de droit public (cf. consid. 9.1 non publié) au profit de l'octroi d'une compétence décisionnelle à l'organisation du monde du travail en vue de prélever des cotisations en faveur d'un fonds professionnel. En vertu des règles de droit intertemporel, la procédure administrative en vigueur jusqu'au 31 décembre 2010 demeure dès lors applicable au présent cas. Par ailleurs, ni les dispositions transitoires figurant aux art. 75 à 78 OFPr ni la modification du 3 décembre 2010 (RO 2010 6005) ne prévoient une solution contraire.
7.4.6
Par conséquent, une application rétroactive de l'
art. 68a OFPr
au présent litige ne peut être admise. Il en découle qu'en déclarant irrecevable l'action de droit administratif que la recourante a formée devant lui, au motif qu'il aurait incombé à cette dernière d'émettre une décision à l'encontre des deux débiteurs du Fonds national, le Tribunal administratif a méconnu les règles gouvernant la délégation de la compétence décisionnelle à un organisme extérieur à l'administration (
art. 178 al. 3 Cst.
), ainsi que la garantie de l'accès au juge de la recourante (
art. 29a Cst.
). L'arrêt attaqué doit donc être annulé.
8.
Dans un souci de sécurité juridique, il paraît utile de clarifier la procédure qu'une organisation du monde du travail doit, à partir du 1
er
janvier 2011, y compris par rapport aux cotisations échues antérieurement pour lesquelles une procédure judiciaire n'aurait pas encore été ouverte, engager à l'égard des entreprises qui ne s'acquittent pas des cotisations en faveur d'un fonds pour la formation professionnelle qu'un arrêté d'extension du Conseil fédéral a rendues obligatoires. A ce titre, l'organisation du monde du travail pourra obliger les entreprises de sa branche à verser des cotisations par le biais d'une décision administrative, susceptible de recours auprès de l'Office fédéral (
art. 61 al. 1 let. b LFPr
). La cause pourra subséquemment être portée devant le Tribunal administratif fédéral (
art. 33
BGE 137 II 409 S. 419
let
. d de la loi fédérale du 17 juin 2005 sur le Tribunal administratif fédéral [LTAF; RS 173.32]) et, en dernier ressort, le Tribunal fédéral (
art. 86 al. 1 let. a LTF
).
Bien qu'une compétence décisionnelle ne puisse être déduite directement de l'
art. 60 LFPr
, dont se réclame l'
art. 68a OFPr
, la première disposition n'en fonde pas moins, combinée à l'
art. 67 LFPr
, une clause de délégation législative suffisamment claire pour permettre au Conseil fédéral d'attribuer, par ordonnance, un pouvoir décisionnel auxdites organisations. Partant, on peut admettre que l'
art. 68a OFPr
repose sur une clause de délégation législative suffisante et est conforme à la Constitution. | mixed |
38184979-8fc6-430b-832b-ff27e7b84d41 | Erwägungen
ab Seite 71
BGE 96 I 71 S. 71
Mit der gegen das Urteil des Obergerichtes des Kantons Solothurn vom 29. Oktober 1969 gerichteten staatsrechtlichen Beschwerde vom 28. November 1969 /9. März 1970 wird geltend gemacht, das Obergericht hätte dem Begehren des Beschwerdeführers auf Durchführung einer psychiatrischen Oberexpertise entsprechen müssen, weil das eingeholte Gutachten ungenügend sei.
Im Strafverfahren ergibt sich der Anspruch auf Anordnung einer Expertise bei Zweifeln über die Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten aus
Art. 13 StGB
. Doch schreibt das Strafgesetz nicht bloss einfach eine Begutachtung, sondern eine ausreichende Begutachtung vor; auf Grund von
Art. 13 StGB
ist daher auch zu entscheiden, ob im Einzelfall, auf Grund der konkreten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse des Beschuldigten, ein Obergutachten einzuholen ist.
Der Anspruch auf Einholung eines Gutachtens, der sich für den Beschuldigten aus
Art. 4 BV
ergibt, geht nicht weiter als der aus
Art. 13 StGB
folgende. Wie es sich verhält, wenn das kantonale
BGE 96 I 71 S. 72
Prozessrecht Vorschriften aufweist, die über den aus
Art. 13 StGB
sich ergebenden Schutz hinausgehen, kann auf sich beruhen. Denn der Beschwerdeführer macht nichts geltend, woraus sich ein weitergehender Anspruch ergeben würde.
Die Verletzung von
Art. 13 StGB
durch Ablehnung einer Oberexpertise im Strafverfahren kann daher gegenüber einem letztinstanzlichen Urteil mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zur Geltung gebracht werden (
Art. 268, 269 BStP
).
Dieses Rechtsmittel schliesst die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aus (
Art. 84 Abs. 2 OG
).
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wegen Nichteinholung einer psychiatrischen Oberexpertise ist deshalb nicht einzutreten. | mixed |
afea921b-850a-437a-842b-ff8fbbc8202a | Sachverhalt
ab Seite 271
BGE 120 II 270 S. 271
Le 2 mars 1992, D. a assigné son épouse en divorce devant le Tribunal de grande instance de X., qui a rendu son jugement le 27 mai 1993. Cette décision a fait l'objet d'un appel interjeté par la défenderesse.
Le 23 août 1993, D. a sollicité le prononcé de l'exequatur partiel en Suisse du jugement de divorce précité.
Par jugement du 5 novembre 1993, le Tribunal de première instance de Genève a accédé à cette requête, en application de la Convention de Lugano du 16 septembre 1988.
Statuant le 3 mars 1994 sur appel de la défenderesse, la Cour de justice du canton de Genève a annulé cette décision et rejeté la requête. Vu l'appel pendant en France contre cette décision, le dispositif en cause ne pouvait faire l'objet d'une reconnaissance en Suisse faute de bénéficier de la force de chose jugée.
Le Tribunal fédéral a déclaré irrecevable le recours en réforme interjeté par D. contre cet arrêt. Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office et avec une pleine cognition la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 119 Ib 254
consid. 1 p. 262 et les arrêts cités). Il vérifie donc la voie de droit ouverte dans chaque cas particulier, quel que soit l'intitulé de l'acte de recours (
ATF 118 Ia 118
consid. 1 p. 119 et les références).
Les décisions relatives à la reconnaissance et à l'exécution des jugements étrangers ne tranchent pas une contestation civile (
art. 44 et 46 OJ
) ni une affaire civile (
art. 68 al. 1 OJ
), de sorte qu'elles ne peuvent faire l'objet d'un recours en réforme (
ATF 116 II 376
consid. 2 p. 377,
ATF 95 II 374
consid. 1 pp. 377/378 et les références; arrêt Société R. c/ P. et Cour de justice du canton de Genève du 19 décembre 1990, SJ 1991 pp. 237/238 consid. 1, non publié in
ATF 116 II 625
; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, p. 126 en haut, n. 2 ad
art. 44 OJ
; WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme, thèse Lausanne 1964, p. 104, no 150) ou en nullité (
ATF 116 II 376
consid. 3 p. 378; BIRCHMEIER, op.cit., p. 252, n. 2c ad
art. 68 OJ
). Faute d'être rendues en application du droit public fédéral au sens de l'
art. 5 PA
, elles ne sont pas non plus susceptibles d'un
BGE 120 II 270 S. 272
recours de droit administratif (
art. 97 ss OJ
). Seule est ouverte la voie du recours de droit public pour violation des
art. 25 ss LDIP
(
art. 84 al. 1 let. a OJ
) ou d'un traité international (
art. 84 al. 1 let
. c OJ;
ATF 118 Ia 118
ss; J.-F. POUDRET/S. SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, n. 1.6.1 ad
art. 49 OJ
; SCYBOZ/BRACONI, La reconnaissance et l'exécution des jugements étrangers dans la jurisprudence récente du Tribunal fédéral, Revue fribourgeoise de jurisprudence 1993, pp. 216/217 et les citations).
Le recours est donc irrecevable comme recours en réforme.
2.
Un recours d'un type donné, irrecevable à ce titre, peut dans certains cas être traité comme recours d'un autre type, s'il en remplit les conditions. En l'espèce toutefois, selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, récemment confirmée dans un arrêt publié (
ATF 118 Ia 118
) et approuvée par la doctrine unanime, la seule voie de recours possible contre les décisions rendues en matière de reconnaissance et d'exécution des jugements étrangers est celle du recours de droit public. Le choix du moyen de droit recevable ne présente dès lors aucune difficulté et est facilement reconnaissable, du moins par un mandataire professionnel. Le recourant, assisté d'un avocat, a cependant délibérément opté pour la voie du recours en réforme, alors qu'il ne pouvait ignorer qu'elle était erronée. Il a non seulement intitulé son écriture "recours en réforme", mais il s'est référé expressément aux dispositions légales régissant cette voie de droit, à savoir les
art. 43 et 54 OJ
. Il s'est aussi conformé de façon exacte aux prescriptions qui déterminent le dépôt de ce recours et son contenu, ces précisions excluant qu'il ait pu s'agir d'un simple lapsus ou d'une erreur manifeste dans le seul intitulé du mémoire.
Dans ces conditions, une éventuelle conversion du recours en réforme en recours de droit public ne saurait entrer en ligne de compte (cf. MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, 1992, p. 30, n. 10). Le présent mémoire ne peut donc qu'être déclaré irrecevable. | mixed |
e3910207-870a-40c4-bac9-cd301f1a05e1 | Sachverhalt
ab Seite 280
BGE 127 III 279 S. 280
A.-
Par contrat du 26 avril 1996, la société panaméenne Colon Container Terminal S.A. (ci-après: CCT) a chargé la société espagnole Fomento de Construcciones y Contratas S.A. (ci-après: FCC) d'exécuter des travaux de génie civil en vue de la réalisation d'un terminal portuaire au Panama.
Le règlement auquel se réfère le contrat prévoit, en cas de litige entre les parties, que le différend pourra être porté devant un ou plusieurs arbitres.
En cours d'exécution, un litige est survenu entre les parties. Le contrat a été résilié de part et d'autre. CCT a chargé un autre entrepreneur d'achever les travaux.
Le 12 mars 1998, FCC a déposé devant les tribunaux panaméens une demande sur le fond dirigée notamment contre CCT. Cette dernière a soulevé une exception d'arbitrage.
Le 26 juin 1998, le juge de première instance a estimé que l'exception d'arbitrage n'avait pas été présentée dans les délais.
B.-
Sans attendre l'épuisement des instances nationales, CCT a introduit la procédure d'arbitrage le 30 septembre 1998.
Le siège du Tribunal arbitral, composé de trois arbitres, a été fixé à Genève. Les parties ont prévu l'application du règlement d'arbitrage de la Chambre de commerce internationale et, subsidiairement, de la loi fédérale de procédure civile (PCF; RS 273).
BGE 127 III 279 S. 281
FCC a soulevé devant le Tribunal arbitral une exception d'incompétence. Principalement, elle soutient qu'elle a proposé de renoncer à l'arbitrage en saisissant les tribunaux panaméens et que sa partie adverse a accepté par acte concluant, en ne soulevant pas l'exception d'arbitrage en temps utile.
En cours de procédure d'arbitrage, un tribunal supérieur panaméen, statuant sur recours, a estimé - contrairement au juge de première instance - que l'exception d'arbitrage avait été soulevée en temps utile.
Se référant à cette décision et sans attendre l'épuisement des instances nationales, le Tribunal arbitral, par sentence du 30 novembre 2000, a tranché dans le même sens, se déclarant compétent pour connaître de la cause.
Postérieurement à cette sentence, la Cour suprême du Panama, par arrêt du 22 janvier 2001, a considéré que l'exception d'arbitrage avait été soulevée tardivement et a ordonné la poursuite de la procédure devant les tribunaux panaméens.
C.-
FCC exerce un recours de droit public au Tribunal fédéral. Soutenant que le Tribunal arbitral s'est déclaré compétent à tort principalement en méconnaissant les règles sur la litispendance, elle conclut à l'annulation de la sentence attaquée et à ce que le Tribunal arbitral soit déclaré incompétent.
L'intimée conclut au rejet des conclusions de la recourante et à ce que le Tribunal arbitral soit déclaré compétent.
Le Tribunal arbitral se réfère à sa décision.
Le Tribunal fédéral admet le recours et annule la sentence attaquée. Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) Le recours de droit public au Tribunal fédéral est ouvert contre une sentence arbitrale aux conditions des
art. 190 ss LDIP
(RS 291;
art. 85 let
. c OJ).
Comme le siège du Tribunal arbitral a été fixé en Suisse et que l'une des parties au moins n'avait, au moment de la conclusion de la convention d'arbitrage, ni son domicile, ni sa résidence habituelle en Suisse (
art. 176 al. 1 LDIP
), les
art. 190 ss LDIP
sont applicables, puisque les parties n'en ont pas exclu l'application par écrit et qu'elles ne sont pas convenues d'appliquer exclusivement les règles de la procédure cantonale en matière d'arbitrage (
art. 176 al. 2 LDIP
).
Le recours au Tribunal fédéral contre la sentence arbitrale est ouvert (
art. 191 al. 1 LDIP
), dès lors que les parties ne l'ont en rien
BGE 127 III 279 S. 282
exclu conventionnellement (
art. 192 al. 1 LDIP
), ni n'ont choisi, en lieu et place, le recours à l'autorité cantonale (
art. 191 al. 2 LDIP
).
Le recours ne peut être formé que pour l'un des motifs énumérés de manière exhaustive à l'
art. 190 al. 2 LDIP
(
ATF 119 II 380
consid. 3c p. 383).
La procédure devant le Tribunal fédéral est régie par les dispositions de la loi d'organisation judiciaire (OJ) relatives au recours de droit public (art. 191 al. 1, 2e phrase, LDIP).
b) En matière de compétence, une sentence incidente est susceptible d'un recours immédiat (
art. 190 al. 3 LDIP
).
La recourante est personnellement touchée par la sentence attaquée qui l'oblige à continuer de procéder devant le Tribunal arbitral, de sorte qu'elle a un intérêt personnel, actuel et juridiquement protégé à ce que cette décision n'ait pas été rendue en violation des garanties découlant de l'
art. 190 al. 2 LDIP
; en conséquence, elle a qualité pour recourir (
art. 88 OJ
).
Interjeté en temps utile (
art. 89 al. 1 et
art. 34 al. 1 let
. c OJ), dans la forme prévue par la loi (
art. 90 al. 1 OJ
), le recours est en principe recevable.
Hormis certaines exceptions, il n'a qu'un caractère cassatoire (
ATF 127 II 1
consid. 2c;
ATF 126 III 534
consid. 1c;
ATF 124 I 327
consid. 4a et les références). Lorsque le litige porte sur la compétence d'un tribunal arbitral, il a été admis, par exception, que le Tribunal fédéral pouvait lui-même constater la compétence ou l'incompétence (
ATF 117 II 94
consid. 4).
c) Dès lors que les règles de procédure sont celles du recours de droit public, la partie recourante doit invoquer ses griefs conformément aux exigences de l'
art. 90 al. 1 let. b OJ
(
ATF 117 II 604
consid. 3 p. 606). Saisi d'un recours de droit public, le Tribunal fédéral n'examine que les griefs admissibles qui ont été invoqués et suffisamment motivés dans l'acte de recours (cf.
ATF 126 III 524
consid. 1c, 534 consid. 1b;
ATF 125 I 492
consid. 1b p. 495). La recourante devait donc indiquer quelles hypothèses de l'
art. 190 al. 2 LDIP
étaient à ses yeux réalisées et, en partant de la sentence attaquée, montrer de façon circonstanciée en quoi consisterait la violation du principe invoqué (cf.
ATF 110 Ia 1
consid. 2a); ce n'est qu'à ces conditions qu'il est possible d'entrer en matière.
2.
a) A titre d'argumentation principale, la recourante soutient que le Tribunal arbitral était incompétent pour rendre la sentence attaquée, parce qu'il devait surseoir à statuer en vertu du principe de la litispendance.
BGE 127 III 279 S. 283
Elle invoque ainsi le motif de recours prévu par l'
art. 190 al. 2 let. b LDIP
.
La suspension du procès en cas de litispendance est une règle de compétence (
ATF 123 III 414
consid. 2b), et non pas - comme semble l'avoir pensé le Tribunal arbitral - une simple règle de procédure. La violation de cette règle peut donc être invoquée dans le cadre de l'
art. 190 al. 2 let. b LDIP
.
b) Il est contraire à l'ordre public qu'il existe, dans un ordre juridique déterminé, deux décisions judiciaires contradictoires sur la même action et entre les mêmes parties, qui sont également et simultanément exécutoires (cf.
ATF 116 II 625
consid. 4a).
Pour éviter une telle situation, il existe fondamentalement deux principes: la litispendance et l'autorité de chose jugée (
ATF 114 II 183
consid. 2a et les références citées). Lorsqu'un juge est saisi d'une cause déjà pendante devant un autre, le principe de la litispendance lui interdit de statuer avant une décision définitive dans la première procédure; ce premier mécanisme a donc pour effet de paralyser la compétence du juge saisi en second lieu. Quant à l'autorité de chose jugée, ce principe interdit au juge de connaître d'une cause qui a déjà été définitivement tranchée; ce mécanisme exclut définitivement la compétence du second juge.
Les mécanismes qui viennent d'être rappelés ne sont pas seulement applicables sur le plan interne. Selon l'ordre juridique suisse, ils valent également sur le plan international, à la condition que le jugement étranger puisse être reconnu en Suisse (
ATF 114 II 183
consid. 2b p. 186 et les références citées). Sous réserve des traités internationaux, les règles applicables sur le plan international sont contenues aux
art. 9 LDIP
(litispendance) et 27 al. 2 let. c LDIP (autorité de chose jugée).
Ainsi, l'ordre juridique suisse admet sur le plan international le devoir pour le juge saisi en second lieu de surseoir à statuer aux conditions de l'
art. 9 LDIP
(sur l'ensemble du problème de la litispendance internationale, cf. KNOEPFLER/SCHWEIZER, Droit international privé suisse, 2e éd., p. 303 s. n. 700 ss).
Comme il n'est pas contesté que les tribunaux panaméens ont été saisis en premier lieu d'une demande qui oppose notamment les mêmes parties et qui semble avoir pour objet le même complexe litigieux, il n'est pas douteux qu'un tribunal étatique suisse, s'il avait été placé dans la même situation que le tribunal arbitral siégeant à Genève, aurait dû surseoir à statuer aux conditions de l'
art. 9 LDIP
(pour un cas d'application, cf.
ATF 127 III 118
consid. 3).
BGE 127 III 279 S. 284
c) Il reste à examiner si la conclusion doit être différente pour le motif qu'on ne se trouve pas en présence d'un tribunal étatique suisse, mais d'un tribunal arbitral siégeant en Suisse.
aa) Il est vrai qu'un tribunal arbitral, en raison de sa nature privée, ne doit pas être assimilé sans autre examen à un tribunal étatique.
S'agissant du problème qui se pose ici, il faut cependant observer que les sentences arbitrales sont exécutoires de la même manière que les jugements. Il y a donc le même intérêt à éviter, au sein du même ordre juridique, des décisions contradictoires sur la même cause qui seraient également et simultanément exécutoires.
Cette première constatation milite fortement en faveur d'une application analogique du principe de la litispendance.
bb) Il semble par ailleurs aujourd'hui admis qu'un tribunal arbitral, en invoquant sa nature particulière, ne pourrait pas s'affranchir du principe de l'autorité de chose jugée.
En effet, si un tribunal étranger a admis sa compétence par un jugement qui doit être reconnu en Suisse, l'arbitre siégeant en Suisse est lié par cette décision (
ATF 120 II 155
consid. 3b/bb p. 164; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, n. 17 ad
art. 186 LDIP
).
Comme l'autorité de chose jugée et la litispendance sont des principes étroitement connexes qui remplissent la même fonction, il paraît logique de traiter de la même façon le principe de la litispendance et d'admettre que l'arbitre saisi en second lieu doit surseoir à statuer jusqu'à décision du tribunal étatique saisi en premier lieu, pour autant que celle-ci soit susceptible d'être reconnue au siège de l'arbitrage.
cc) La doctrine majoritaire estime également qu'un tribunal arbitral siégeant en Suisse doit appliquer l'
art. 9 LDIP
s'il est saisi de la même cause que celle déjà pendante devant un tribunal étatique, suisse ou étranger (WENGER, Commentaire bâlois, Internationales Privatrecht, n. 9 ad
art. 186 LDIP
p. 1572; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, 2e éd., p. 231).
La jurisprudence a déjà pris position dans ce sens, en affirmant que les conflits que peut engendrer un concours de compétences doivent être résolus par l'application des règles régissant la litispendance, l'autorité de chose jugée ou la reconnaissance et l'exécution des décisions étrangères (
ATF 121 III 495
consid. 6c p. 502). Il est vrai qu'un arrêt plus récent a laissé la question ouverte, mais pour le seul motif qu'il n'était pas nécessaire de la trancher (cf.
ATF 124 III 83
consid. 5a p. 85).
BGE 127 III 279 S. 285
Il faut donc admettre que la règle de compétence figurant à l'
art. 9 LDIP
, qui repose sur des considérations d'ordre public, doit également être appliquée par un tribunal arbitral siégeant en Suisse.
dd) Les arguments que l'on peut opposer à cette solution ne résistent pas à l'examen.
Il n'y a pas lieu de prendre en considération ici le risque qu'un tribunal étranger, par une sorte d'hostilité à l'égard de la justice arbitrale, se refuse à tenir compte d'une convention d'arbitrage. En effet, un tel jugement ne serait pas susceptible d'être reconnu en Suisse (
ATF 124 III 83
consid. 5b p. 87). Or, le principe de la chose jugée et le principe de la litispendance ne s'appliquent qu'à l'égard d'un jugement étranger susceptible d'être reconnu en Suisse (
ATF 114 II 183
consid. 2b p. 186).
L'argument du Tribunal arbitral selon lequel la suspension pour cause de litispendance n'est prévue ni par le règlement d'arbitrage ni par la loi de procédure choisie ne peut pas être suivi. Il s'agit en effet ici - comme on l'a vu - d'une question de compétence, et non pas simplement de déroulement de la procédure. Au demeurant, il est inexact de dire que la loi fédérale de procédure civile - choisie par les parties - ne permet pas une suspension pour cause de litispendance aux conditions de l'
art. 9 LDIP
(cf.
art. 6 al. 2 et 22 PCF
).
Quant à l'argument du Tribunal arbitral selon lequel la mission d'arbitrage lui permettrait de trancher la question par priorité sur les autorités panaméennes, il ne repose sur aucune constatation objective. Il ne ressort pas des constatations du Tribunal arbitral que les parties seraient convenues, au moment de signer la mission, de charger le Tribunal arbitral de trancher la question à la place des tribunaux panaméens déjà saisis.
Qu'il y ait également d'autres parties dans la procédure panaméenne n'exclut en rien que le litige qui divise la recourante et l'intimée puisse être entièrement vidé devant les tribunaux panaméens déjà saisis.
Les développements de l'intimée sur la Convention de New York du 10 juin 1958 pour la reconnaissance et l'exécution des sentences arbitrales étrangères (RS 0.277.12) sont sans pertinence, puisque ce traité international ne règle pas la question qui se pose ici.
ee) Il faut enfin se demander si le tribunal arbitral, en raison de sa nature particulière, n'aurait pas une vocation privilégiée à statuer sur sa propre compétence.
On trouve effectivement dans la doctrine l'idée que le tribunal arbitral aurait, par rapport aux juridictions étatiques, une compétence
BGE 127 III 279 S. 286
prioritaire (dans ce sens: BUCHER, Le nouvel arbitrage international en Suisse, p. 55 n. 139).
Il est vrai que l'
art. 186 al. 1 LDIP
donne au tribunal arbitral le pouvoir de statuer sur sa propre compétence. Cela ne signifie cependant pas qu'un tribunal étatique saisi de la même demande serait dépouillé du droit de statuer sur sa propre compétence; on ne peut pas non plus en déduire que le tribunal étatique serait obligé de suspendre sa procédure, si elle est antérieure, pour céder la priorité au tribunal arbitral.
La jurisprudence a néanmoins tenu compte de cette conception, en affirmant que le juge étatique suisse devait se limiter à un examen sommaire de sa compétence lorsque le siège du tribunal arbitral se trouve en Suisse (
ATF 124 III 139
consid. 2b). Cet arrêt ne concerne cependant pas un ordre de priorité pour statuer, mais exclusivement l'étendue du pouvoir d'examen appartenant au juge étatique. Il est de surcroît limité à l'hypothèse d'un juge étatique suisse amené à suivre la jurisprudence du Tribunal fédéral.
On ne trouve d'ailleurs pas de base juridique sérieuse à un droit de priorité en faveur du tribunal arbitral (dans ce sens: WENGER, ibid.). Le juge étatique saisi d'une action sur le fond - l'hypothèse d'une action en constatation de droit touchant la compétence des arbitres étant ici laissée de côté (cf. l'arrêt du 26 janvier 1987 reproduit in SJ 1987 p. 230 consid. 2a) - doit statuer sur sa compétence, même s'il doit pour cela se prononcer sur la validité d'une clause d'arbitrage (arrêt non publié du 16 juillet 1997, dans la cause 4C.206/1996, consid. 7b/bb). Le juge étatique peut examiner, selon l'art. II al. 3 de la Convention de New York ou l'
art. 7 let. b LDIP
(cf.
ATF 122 III 139
consid. 2a p. 141), si la clause d'arbitrage est caduque, inopérante ou non susceptible d'être appliquée (
ATF 121 III 495
consid. 6c). Tel pourrait être le cas si les parties ont renoncé à la clause d'arbitrage (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op. cit., n. 5 ad
art. 7 LDIP
).
Lorsqu'une des parties fait valoir une convention d'arbitrage et que l'autre soutient qu'un accord ultérieur est intervenu en faveur des tribunaux étatiques, il apparaît d'emblée que les deux tribunaux en concours (le tribunal arbitral et le tribunal étatique) ont une égale vocation à trancher la question litigieuse.
Il n'y a donc pas lieu d'accorder au tribunal arbitral une priorité qui n'a aucun fondement juridique et ne trouve pas de justification. Il faut s'en tenir à la règle de la litispendance, consacrée à l'
art. 9 LDIP
, qui donne la priorité au premier tribunal saisi.
BGE 127 III 279 S. 287
Si l'on examine plus avant la question litigieuse en l'espèce, on peut même soutenir que les tribunaux panaméens sont mieux placés que le Tribunal arbitral pour trancher la question.
Il n'est pas contestable qu'une convention d'arbitrage peut être remplacée par un accord ultérieur (cf.
ATF 121 III 495
consid. 5). Un tel accord peut résulter d'actes concluants (
ATF 121 III 495
consid. 5a). L'attitude des parties est susceptible d'être interprétée selon le principe de la confiance (
ATF 121 III 495
consid. 5). Il est donc possible d'imputer à une partie le sens objectif de son comportement, même si celui-ci ne correspond pas à sa volonté intime (WIEGAND, Commentaire bâlois, n. 8 ad
art. 18 CO
; KRAMER, Commentaire bernois, n. 101 s. ad
art. 1er CO
; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2e éd., p. 216 s.).
En l'espèce, l'intimée, en saisissant les tribunaux panaméens, a manifesté sa volonté de renoncer à la convention d'arbitrage. La question litigieuse est de savoir si la recourante a accepté cette offre. On peut attendre d'une grande société, représentée par un avocat du lieu, qu'elle procède correctement si elle entend contester la compétence du tribunal étatique et se prévaloir de la convention d'arbitrage. Savoir si l'exception d'arbitrage a été soulevée en temps utile ne relève ni de la Convention de New York ni de la LDIP, mais de la lex fori (
ATF 111 II 62
consid. 2 p. 66). La question litigieuse ressortit donc en définitive au droit panaméen, que les autorités de ce pays sont mieux placées pour connaître et appliquer correctement.
Le Tribunal arbitral l'a d'ailleurs admis expressément, en soulignant qu'il attachait de l'importance à la décision du tribunal supérieur. On ne comprend dès lors pas pourquoi il n'a pas attendu l'arrêt de la Cour suprême. Cette position est insoutenable.
Il semble que le Tribunal arbitral, profitant du fait qu'il statue en instance unique, a voulu prendre de vitesse les instances panaméennes. Une telle manière de procéder est dépourvue de tout fondement juridique. Le critère de priorité fixé par l'
art. 9 LDIP
est la date de la saisine, et non pas la date de la décision en dernière instance.
d) Il résulte des considérations qui précèdent que le Tribunal arbitral siégeant en Suisse devait appliquer l'
art. 9 LDIP
.
Il ne pouvait donc continuer la procédure arbitrale qu'en constatant qu'il n'était pas saisi de la même cause ou que la juridiction étrangère ne sera pas en mesure de rendre, dans un délai convenable, une décision pouvant être reconnue en Suisse (
art. 9 al. 1 LDIP
).
La sentence attaquée n'est pas fondée sur une telle constatation, de sorte qu'il faut conclure qu'elle viole l'
art. 9 al. 1 LDIP
.
BGE 127 III 279 S. 288
Dès lors qu'il est constant que les tribunaux panaméens ont été saisis en premier lieu d'un litige au fond opposant les parties et se rapportant apparemment au même complexe litigieux, le Tribunal arbitral devait en principe suspendre la procédure. Il n'aurait pu passer outre qu'en montrant que les conditions de l'
art. 9 al. 1 LDIP
n'étaient pas réalisées, ce qu'il n'a pas fait. En statuant sur sa compétence plutôt que de surseoir, le Tribunal arbitral a violé la règle de compétence contenue à l'
art. 9 al. 1 LDIP
et sa sentence doit être annulée (
art. 190 al. 2 let. b LDIP
).
Il n'y a pas lieu de statuer maintenant sur la compétence, puisqu'il faut en principe suspendre la procédure arbitrale (
art. 9 al. 1 LDIP
).
Comme l'action est toujours pendante devant les tribunaux panaméens (sur la base d'une décision définitive de compétence), le Tribunal arbitral ne pourrait reprendre sa procédure qu'en constatant qu'il n'est pas saisi de la même action ou que la juridiction étrangère n'est pas en mesure de rendre, dans un délai convenable, une décision pouvant être reconnue en Suisse. Une telle décision de la part du Tribunal arbitral serait susceptible d'un nouveau recours de droit public.
Dans ces conditions, il est inutile d'examiner les autres griefs invoqués. | mixed |
9cfad232-e462-4143-bf1b-485745f828f9 | Sachverhalt
ab Seite 431
BGE 126 III 431 S. 431
B.B. ist Eigentümerin des Grundstückes GB-Nr. x in C., auf dem sich 14 Garagen und ursprünglich zwölf zum Teil inzwischen zu grösseren Einheiten zusammengelegte Mietwohnungen befinden.
BGE 126 III 431 S. 432
Weil die Eigentümerin vorübergehend nicht in der Lage war, die Hypothekarzinsen zu zahlen, kündigte ihr die Bank die Geschäftsbeziehungen per 31. Dezember 1995 und stellte am 17. Januar 1996 das Betreibungsbegehren auf Grundpfandverwertung im Betrag von 1,21 Mio. Fr. Auf Begehren der Gläubigerin stellte das Betreibungs- und Konkursamt Berner Jura-Seeland, Dienststelle C., die Liegenschaft per 1. April 1996 unter die amtliche Verwaltung durch die O. SA in Z., die dieses Amt bis Ende 1996 versah. Anschliessend besorgte das Betreibungsamt die Verwaltung selber. Das Betreibungsverfahren konnte abgeschlossen werden, weil B.B. ein anderes Kreditinstitut gefunden hatte, das die Hypothek ablöste. Die amtliche Verwaltung endete per 31. August 1997.
Das Begehren von B.B., mit dem sie vom Kanton Bern Schadenersatz nebst Zins verlangt hatte und das sie vor allem mit mangelhafter Verwaltung vom 1. April 1996 bis 31. August 1997 begründet hatte, lehnte der Regierungsrat des Kantons Bern am 28. April 1999 ab. Die von B.B. gegen den Kanton Bern eingelegte Staatshaftungsklage, mit der sie um Zuspruch von Fr. 109'326.60 nebst 5% Zins seit dem 15. Juli 1997 und eines gerichtlich zu bestimmenden Anteils von Insertionskosten ersucht hatte, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 18. Februar 2000 ab.
B.B. beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde, der verwaltungsgerichtliche Entscheid sei aufzuheben und ihr seien Fr. 109'326.60 nebst 5% Zins seit dem 15. Juli 1997 sowie ein gerichtlich zu bestimmender Anteil von Insertionskosten zuzusprechen; eventuell seien die Akten zu neuer Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Das Bundesgericht hat das Rechtsmittel im Wesentlichen gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Vor Inkrafttreten des revidierten SchKG konnten kantonal letztinstanzliche Entscheide, mit denen über die Haftung des Kantons für Handlungen seiner Betreibungsbeamten befunden worden war, nur mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden, falls der betreffende Kanton über Art. 6 Abs. 1 aSchKG hinaus gehend eine eigene, der persönlichen Haftung des Betreibungs- und Konkursbeamten vorgehende Verantwortlichkeit für das Verhalten seiner Beamten eingeführt hatte (BGE 120
BGE 126 III 431 S. 433
Ia 377 E. 1 und 2;
BGE 118 III 1
E. 2b; so hier Art. 47 und 49 des Gesetzes über das öffentliche Dienstrecht des Kantons Bern vom 5. November 1992, BSG 153.01). Die Schadenersatzforderung gegen den persönlich haftenden Beamten selbst gemäss Art. 5 Abs. 1 aSchKG galt jedoch als Zivilanspruch und der Entscheid darüber war mit Berufung an das Bundesgericht weiterziehbar (
BGE 108 III 71
E. 4 S. 75; P.-R. GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et faillite, Bd. I:
Art. 1-88 SchKG
, N. 7 zu
Art. 5 SchKG
und N. 19 zu
Art. 7 SchKG
; so auch das unveröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 28. März 1995 i.S. A., E. 3, zu
Art. 426 ZGB
sowie
BGE 121 III 204
E. 2a S. 208 zu Art. 42 Abs. 1 aZGB; vgl. weiter
Art. 928 Abs. 1 OR
).
b) Im seit dem 1. Januar 1997 geltenden
Art. 5 Abs. 1 und 2 SchKG
wird primär und gegenüber dem Geschädigten exklusiv der Kanton für widerrechtliche Schadenszufügung seiner Beamten und Angestellten haftpflichtig erklärt. Dieser haftpflichtrechtliche Systemwechsel wird damit begründet, dass der Gesetzgeber einer allgemeinen Tendenz folgend die persönliche Haftung der Beamten durch eine Verantwortlichkeit des Gemeinwesens ablösen wollte (
BGE 121 III 204
E. 2a S. 208; GILLIÉRON, a.a.O. N. 8 f., 11 f. und 14 zu
Art. 5 SchKG
; s. zuletzt
Art. 46 Abs. 2 ZGB
und zuvor schon Art. 429 aAbs. 2 ZGB). Bei
Art. 5 Abs. 1 SchKG
handelt es sich um eine ausschliesslich auf Bundesrecht beruhende Kausalhaftung (GILLIÉRON, a.a.O. N. 14, 17 und 38 zu
Art. 5 SchKG
; D. GASSER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I:
Art. 1-87 SchKG
, N. 2 f. und 8 bis 10 zu
Art. 5 SchKG
), wobei den Kantonen freigestellt ist, ob sie den Verwaltungsweg oder den Gerichtsweg vorsehen und ob sie eine oder zwei Instanzen zur Verfügung stellen wollen; das Verfahren regeln die Kantone (GILLIÉRON, a.a.O. N. 17 f. zu
Art. 7 SchKG
; AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl. 1997, § 5 Rz. 6 und 19 S. 32 und 34; GASSER, a.a.O. N. 54, 58 f. und 61 zu
Art. 5 SchKG
).
2.
Hier ergeben sich übergangsrechtliche Probleme aus den Umständen, dass die Zwangsverwaltung am 1. April 1996, mithin vor Inkrafttreten des revidierten
Art. 5 SchKG
, begonnen hatte und am 31. August 1997 endete. Mangels einschlägiger Normen (vgl. Art. 2 der Schlussbestimmungen zur Änderung des SchKG vom 16. Dezember 1994) muss auf allgemeine Regeln abgestellt werden, wobei zu unterscheiden ist, ob sich geltendes Recht in materieller und/oder in verfahrensrechtlicher Hinsicht geändert hat. Insoweit folgt die Anwendbarkeit neuen Rechts unterschiedlichen übergangsrechtlichen
BGE 126 III 431 S. 434
Regeln (KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl. 1998, Rz. 78 S. 29; F. GYGI, Verwaltungsrecht, S. 112 f.; A. KÖLZ, Intertemporales Verwaltungsrecht, ZSR 102/1983 II S. 206 ff. und 222 f.).
a) Intertemporalen Regeln für materielles Recht untersteht hier zweifellos die Frage, ob das seit dem 1. Januar 1997 vorliegendenfalls nicht mehr anwendbare kantonale Recht über die Verantwortlichkeit des Beschwerdegegners (E. 1a hiervor) oder das neue Recht (E. 1b hiervor) zur Anwendung gelangt.
Die Rechtmässigkeit eines Verwaltungsaktes bestimmt sich in materiellrechtlicher Hinsicht nach Massgabe des zur Zeit seines Erlasses geltenden Rechts (
BGE 125 II 591
E. 4e/aa S. 598;
BGE 122 V 28
E. 1;
BGE 120 Ib 317
E. 2b). Hat das Recht vor Erlass des (erstinstanzlichen) Verwaltungsaktes und vor Abschluss des die strittigen Rechtsfolgen auslösenden Sachverhalts geändert, gilt in analoger Anwendung von Art. 1 SchlTZGB regelmässig der Grundsatz der Nichtrückwirkung neuen Rechts; jedoch wird auch dieses sofort angewendet (vgl. Art. 2 Abs. 1 und 2 SchlTZGB), wenn es öffentliche Interessen gebieten (
BGE 123 II 359
E. 3 mit Hinw.;
BGE 112 Ib 39
E. 1c). Auf Dauersachverhalte, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts begonnen hatten und nachher abgeschlossen wurden oder noch andauern, wird neues Recht angewendet, es sei denn, das Übergangsrecht sehe eine andere Regel vor (
BGE 124 III 266
E. 3e S. 271 f.;
123 V 133
E. 2b;
BGE 122 V 6
E. 3a, 405 E. 3b/aa;
BGE 119 II 46
E. 1; KÖLZ, a.a.O. S. 160 ff.). Daher untersteht der eine Einheit bildende Sachverhalt, während dessen Verlauf materielles Recht geändert wird, dem neuen Recht (
BGE 123 V 28
E. 3a;
BGE 121 V 97
E. 1a).
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts, das sich mit dem in E. 1b geschilderten Systemwechsel nicht auseinander setzt, ist vorliegend neues Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (
Art. 5 Abs. 1 SchKG
) anzuwenden, weil die Haftungsordnung des kantonalen Rechts am 1. Januar 1997, mithin während der staatlichen Zwangsverwaltung, vom revidierten SchKG abgelöst wurde und das Verwaltungsgericht (als einzige kantonale Instanz) erst am 18. Februar 2000 entschieden hat, als das neue Recht schon längst galt. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob öffentliche Interessen eine sofortige Anwendung des neuen Rechts erforderlich machen. Der ohnehin allein anwendbare
Art. 5 SchKG
verdrängt kantonales Verantwortlichkeitsrecht (
Art. 49 Abs. 1 BV
; vgl. BBl. 1997 I S. 215 f. zu EArt. 40; vgl. zu Art. 2 aUebBestBV
BGE 125 II 56
E. 2b
;
124 I 107
E. 2a;
BGE 123 I 313
E. 2b).
BGE 126 III 431 S. 435
b) Die intertemporalrechtlichen Regeln zum Verfahrensrecht gebieten, geändertes Prozessrecht in analoger Anwendung von Art. 2 SchlTZGB sofort anzuwenden, sofern einschlägige Übergangsbestimmungen nicht etwas anderes vorsehen und die Kontinuität des bisherigen (materiellen) Rechts dadurch nicht gefährdet wird (KÖLZ/HÄNER, a.a.O. Rz. 79 S. 29; so auch zum Zivilprozessrecht
BGE 122 III 324
E. 7;
BGE 119 II 46
E. 1b S. 49 f.;
BGE 118 II 508
E. 2;
BGE 115 II 97
E. 2c S. 101 f.; O. VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 6. Aufl. 1999, Kap. 1 Rz. 93 f. S. 54 f. und TH. SUTTER-SOMM, Zur intertemporalen Anwendung der neuen prozessualen Vorschriften über die aktienrechtliche Verantwortlichkeit [
Art. 756 Abs. 2 OR
], SJZ 94/1998 S. 380 f.). Die Frage, mit welchem Rechtsmittel das Bundesgericht angerufen werden kann, richtet sich nach dem zur Zeit des angefochtenen Entscheids geltenden Recht (
BGE 125 II 591
E. 4e/aa S. 598 mit Hinweisen). Das ergibt sich sinngemäss aus Art. III Abs. 2 der Schlussbestimmungen zur Änderung des OG vom 20. Dezember 1968 und aus Art. 3 Abs. 1 der Schlussbestimmungen zur Änderung des OG vom 4. Oktober 1991 (
BGE 120 Ia 101
E. 1b S. 103 f.;
BGE 120 IV 44
E. I/1a/bb S. 47 f.).
Hätte das Verwaltungsgericht am 18. Februar 2000 in Anwendung von
Art. 5 Abs. 1 und 2 SchKG
entscheiden müssen, ist die Frage des zulässigen Bundesrechtsmittels im vorliegenden Fall ebenfalls nach neuem Recht zu beurteilen.
c) Welches Bundesrechtsmittel gegen kantonal letztinstanzliche Verantwortlichkeitsentscheide nach
Art. 5 SchKG
zur Verfügung steht, beantwortet die Literatur nicht einhellig.
aa) AMONN/GASSER erblicken in der Bestimmung von
Art. 5 SchKG
öffentliches Recht (a.a.O. § 5 Rz. 6 S. 32), sind aber dennoch der Meinung, ein letztinstanzlicher Entscheid über die Haftung des Kantons sei berufungsfähig (a.a.O. § 5 Rz. 19 S. 34). JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN teilen diese Ansicht und begründen sie damit, dass neben
Art. 5 SchKG
die Bestimmungen des Obligationenrechts angewendet werden (Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl. 1997, Bd. I, N. 5 und 7 lit. a zu
Art. 5 SchKG
).
GILLIÉRON verweist auf die Verwandtschaft zwischen dem Zwangsvollstreckungsrecht und dem Verwaltungsrecht (a.a.O. N. 5 f. vor
Art. 1 SchKG
), erblickt im Staatshaftungsanspruch öffentliches Recht im formellen und materiellen Sinn (a.a.O. N. 14 zu
Art. 5 SchKG
) und vertritt dementsprechend die Auffassung,
Art. 64 aBV
sei nicht die für das SchKG passende Verfassungsgrundlage (a.a.O. N. 6 vor
Art. 1 SchKG
), auch wenn das Zwangsvollstreckungsverfahren
BGE 126 III 431 S. 436
insofern mit dem Zivilverfahren verglichen werden kann, als es in verschiedenen Stadien nur dann weitergeführt wird, nachdem der Gläubiger tätig geworden ist. Dennoch scheint GILLIÉRON der Berufung den Vorzug zu geben, zieht aber auch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Betracht und verweist auf die gegenüber beiden genannten Rechtsmitteln subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde (a.a.O. N. 19 zu
Art. 7 SchKG
). Mit ähnlichen Argumenten zieht auch B. REEB (Les mesures provisoires dans la procédure de poursuite, ZSR 116/1997 II S. 427 und 448) die Zulässigkeit der Berufung in Zweifel. GASSER qualifiziert die Zwangsexekution als staatlich hoheitliche Tätigkeit im klassischen Sinn, weshalb auch der Anspruch nach
Art. 5 SchKG
öffentlichrechtlicher Natur sei (a.a.O. N. 5 zu
Art. 5 SchKG
). Daher zieht er die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor und befürwortet die Berufung nur deswegen (a.a.O. N. 56 zu
Art. 5 SchKG
), weil auch für andere auf
Art. 64 aBV
(vgl. Ingress zum SchKG) gestützte Verantwortlichkeitsansprüche gegen Kantone dieses Rechtsmittel zur Verfügung steht (z.B.
BGE 119 II 216
und
BGE 106 II 341
zu
Art. 955 ZGB
).
bb) Ob eine Zivilrechtsstreitigkeit (
Art. 44 OG
) oder eine öffentlichrechtliche Streitsache vorliegt, ist nach den hierfür entwickelten Abgrenzungskriterien zu beurteilen (
BGE 122 III 101
E. 2a/cc;
BGE 120 II 412
E. 1b;
BGE 109 Ib 146
E. 1b;
BGE 101 II 366
E. 2b; POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, Bern 1990, N. 2.2 vor dem 2. Titel S. 27 ff.; HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl. Zürich 1998, Rz. 202 ff. S. 49 ff.; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. 1, Neuchâtel 1984, S. 106 ff.). Gegen eine Zivilrechtsstreitigkeit spricht hier im Sinne der Subjekts- und der Subordinationstheorie, dass nicht Ansprüche zwischen Trägern privater Rechte und zwischen gleichgeordneten Rechtssubjekten zu regeln sind (
BGE 124 III 44
E. 1a S. 46, 463 E. 3a;
BGE 118 Ia 118
E. 1b S. 122). Im Vordergrund steht aber, dass auch im Sinne der Funktionstheorie eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit vorliegt, weil der Staat mit der Anordnung der Zwangsverwaltung in hoheitlicher Funktion in die Rechte der Beschwerdeführerin eingegriffen hat (vgl.
BGE 103 Ia 31
E. 2a S. 34). Begründet dabei der Kanton, indem er den Schuldner in seinen Vermögensrechten widerrechtlich schädigt, gegen sich einen Haftungsanspruch, ist die Forderung des Betroffenen - wie die den Anspruch begründende Verwaltungstätigkeit selbst - öffentlichrechtlicher Natur, nicht anders als bei Staatshaftungsansprüchen gegenüber der Schweizerischen Eidgenossenschaft
BGE 126 III 431 S. 437
(
Art. 3 und 10 des Bundesgesetzes vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten [VG, SR 170.32]
); z. B.
BGE 126 II 145
E. 1b;
BGE 123 II 577
E. 4 und
BGE 119 Ib 208
). Nicht so eindeutig ist die Abgrenzung auf Grund der Interessentheorie. Da die übrigen Kriterien, insbesondere die Funktionstheorie, aber zu einem klaren Ergebnis führen, ist dieser Umstand nicht entscheidend. Ebenso wenig vermag die Praxis zu
Art. 955 ZGB
(
BGE 119 II 216
;
BGE 106 II 341
) etwas am Resultat zu ändern. Einerseits beruhen derartige Ansprüche eindeutig auf einer Vorschrift des ZGB, mithin auf Zivilrecht im formellen Sinne, und andererseits wird in den erwähnten Urteilen nicht in allgemeiner und auf den vorliegenden Fall übertragbarer Weise begründet, weshalb die Berufung das zutreffende Rechtsmittel ist.
Diesem Ergebnis steht auch
Art. 42 OG
nicht entgegen, nach welcher Bestimmung gestützt auf
Art. 5 SchKG
gegen einen Kanton angestrengte Verantwortlichkeitsklagen dem Bundesgericht direkt unterbreitet werden können (GILLIÉRON, a.a.O. N. 15 zu
Art. 7 SchKG
). Denn der in dieser Bestimmung verwendete Begriff "zivilrechtliche Streitigkeit" wird sehr weit verstanden (
BGE 122 III 237
E. 1a;
BGE 118 II 206
E. 2 f.; POUDRET/SANDOZ-MONOD, a.a.O. N. 2.1 und 2.1.1 zu
Art. 42 OG
).
3.
Hat hier das Verfahren mit der Schadenersatzklage vom 4. Oktober 1999 gestützt auf Bundesrecht (E. 1b hiervor) begonnen und das Verwaltungsgericht am 18. Februar 2000 über den Anspruch der Beschwerdeführerin als einzige kantonale Instanz entschieden, ist zur Anfechtung vor Bundesgericht nach dem Dargelegten die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben (
Art. 5 VwVG
,
Art. 97 Abs. 1 und
Art. 98 lit. g OG
). Steht dieses Rechtsmittel offen, fällt die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde weg (
Art. 84 Abs. 2 OG
), weil auch Verfassungsrügen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben sind, wenn diese zur Verfügung steht (
BGE 123 II 385
E. 3 S. 388;
BGE 119 Ib 380
E. 1b S. 382), wobei die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts diesbezüglich nicht weiter geht als bei der staatsrechtlichen Beschwerde (
BGE 120 Ib 379
E. 1b S. 382;
BGE 116 Ib 8
E. 1 S. 10). Richtigerweise hätte die Beschwerdeführerin ihre Einwendungen daher mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vortragen sollen. Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde kann indessen als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegengenommen werden, da sie deren formellen Anforderungen genügt (Art. 106 Abs. 1 und
Art. 108 Abs. 2 und 3 OG
;
BGE 120 II 270
E. 2;
BGE 112 II 512
E. 2 S. 517). | mixed |
82fdaee6-f8a6-4498-9df9-d17f4398e660 | Sachverhalt
ab Seite 187
BGE 129 I 185 S. 187
A.-
Der Präsident des Zentralwahlbüros publizierte am 7. September 2001 im amtlichen Publikationsorgan der Stadt Zürich, "Zürichexpress", die Anordnung betreffend die Erneuerungswahl der Mitglieder des Zürcher Stadtparlamentes (Gemeinderat) für die Amtsdauer 2002 bis 2006 vom Sonntag, 3. März 2002. Darin wurde insbesondere bestimmt, dass die Wahl des Gemeinderates nach dem Verhältniswahlverfahren erfolge. Ebenfalls wurde die Anzahl der pro Stadtkreis zu wählenden Parlamentsmitglieder bestimmt. Dem Kreis 1 sollten zwei Vertreter zustehen, anderen Kreisen bis zu 19.
B.-
X. und Y. erhoben gegen diese Verfügung am 27. September 2001 Beschwerde an den Bezirksrat Zürich und beantragten im Wesentlichen, die Verfügung vom 7. September 2001 sei aufzuheben. Der Stadtrat sei anzuweisen, eine Weisung zu Händen des Gemeinderates und der Gemeinde auszuarbeiten, wonach das Gebiet der Stadt Zürich in verfassungskonforme Wahlkreise eingeteilt werden solle. Der Bezirksrat Zürich trat auf die Beschwerde vom 27. September 2001 am 18. Oktober 2001 nicht ein.
C.-
X. und Y. beschwerten sich gegen diesen Nichteintretensentscheid mit Eingabe vom 21. November 2001 beim Regierungsrat des Kantons Zürich. Sie stellten den Antrag, der Bezirksrat sei anzuweisen, auf die Beschwerde vom 27. September 2001 einzutreten und in der Sache zu entscheiden. Der Regierungsrat hiess die Beschwerde vom 21. November 2001 am 3. April 2002 - also nach durchgeführter Gemeinderatswahl vom 3. März 2002 - gut und hob den Beschluss des Bezirksrates auf. Materiell wies er die Beschwerde vom 27. September 2001 gegen die Anordnung des Präsidenten des Zentralwahlbüros vom 7. September 2001 ab.
D.-
X. und Y. führen mit Eingabe vom 15. Mai 2002 staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Zürcher Regierungsrates. Zur Hauptsache beantragen sie, den Beschluss des Bezirksrates vom 18. Oktober 2001 sowie den Beschluss des Regierungsrates vom 3. April 2002 aufzuheben, die Gemeinderatswahlen vom 3. März 2002 zu kassieren und den Stadtrat von Zürich anzuweisen, die Gemeinderatswahlen aufgrund der in der bevorstehenden Volksabstimmung vom 2. Juni 2002 per Initiative vorgeschlagenen Änderung der Gemeindeordnung wiederholen zu lassen (Volksinitiative der Grünen Partei vom 17. März 1999 "Mehr Demokratie für weniger Geld!" mit den Zielen: Verkleinerung des Gemeinderates auf 90 Mitglieder, Wahl des Gemeinderates nach dem Verhältniswahlrecht mit Bildung eines Einheitswahlkreises für das ganze Stadtgebiet).
BGE 129 I 185 S. 188 Erwägungen
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang auf eine Beschwerde einzutreten ist (
BGE 128 I 46
E. 1a S. 48 mit Hinweisen).
1.1
Nach
Art. 85 lit. a OG
beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen. Als kantonal gelten auch Wahlen und Abstimmungen in den Gemeinden (
BGE 110 Ia 186
E. 3c;
BGE 108 Ia 39
E. 2;
BGE 105 Ia 369
E. 2). Der angefochtene Entscheid schützt die Anordnung des Präsidenten des Zentralwahlbüros hinsichtlich der Wahlen vom 3. März 2002. Er berührt damit die politischen Rechte und kann mit einer Stimmrechtsbeschwerde nach
Art. 85 lit. a OG
angefochten werden.
1.2
Mit der Stimmrechtsbeschwerde kann nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, sondern auch diejenige der Wahl selbst verlangt werden (Urteil 1P.517/1994 vom 22. November 1994, publ. in: ZBl 96/1995 S. 570, E. 1d mit Hinweisen). Anfechtungsobjekt der vorliegenden Stimmrechtsbeschwerde ist der Regierungsratsbeschluss vom 3. April 2002. Dieser bestätigte einerseits die Anordnung des Präsidenten des Zentralwahlbüros vom 7. September 2001 und andererseits die Bekanntmachung des Wahlergebnisses im "Zürichexpress" vom 6. März 2002 ("Erwahrungsbeschluss" des Zentralwahlbüros vom 6. März 2002; vgl. Art. 21 Abs. 3 GO). Bereits der Regierungsrat erachtete diesen Beschluss vom 6. März 2002 als mitangefochten, ohne ihn jedoch ausdrücklich als Anfechtungsobjekt zu erwähnen (vgl. E. 3c des Regierungsratsbeschlusses vom 3. April 2002).
1.3
Die Beschwerdeführer sind stimm- und wahlberechtigt in der Stadt Zürich. Daher sind sie zur Stimmrechtsbeschwerde betreffend die Gemeinderatswahlen der Stadt Zürich legitimiert. Weil auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Stimmrechtsbeschwerde grundsätzlich einzutreten.
1.4
Die Beschwerde richtet sich der Sache nach nur gegen die Ziff. II und III des Regierungsratsbeschlusses vom 3. April 2002. Die Ziff. I dieses Beschlusses, die den Entscheid des Bezirksrates Zürich vom 18. Oktober 2001 aufgehoben hat, beschwert die Beschwerdeführer nicht. Damit fehlt ihnen mit Bezug auf den Antrag um Aufhebung der Ziff. 1-4 des Bezirksratsbeschlusses ein aktuelles Rechtsschutzinteresse. Insoweit ist auf die Stimmrechtsbeschwerde nicht einzutreten.
BGE 129 I 185 S. 189
1.5
Soweit die Beschwerdeführer sodann die Wiederholung der Gemeinderatswahlen vom 3. März 2002 aufgrund der Initiative vom 17. März 1999 zur Bildung eines Einheitswahlkreises verlangen, kann auf die Beschwerde schon deshalb nicht eingetreten werden, weil die besagte Initiative am 2. Juni 2002 an der Urne abgelehnt worden ist. Im Ergebnis Gleiches gilt für den Eventualantrag, wonach der Stadtrat anzuweisen sei, die Wahlkreiseinteilung im von den Beschwerdeführern beantragten Sinne abzuändern und die Wahlen aufgrund dieser Neueinteilung zu wiederholen: Stimmrechtsbeschwerden sind wie andere staatsrechtliche Beschwerden in der Regel kassatorischer Natur (
BGE 119 Ia 167
E. 1f S. 173 mit Hinweisen). Anträge zum Erlass positiver Anordnungen sind daher grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der verfassungsmässige Zustand mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheides nicht hergestellt werden kann (
BGE 124 I 327
E. 4b/aa S. 332 mit Hinweisen). Bei Gutheissung der Beschwerde hätte im vorliegenden Fall die Stadt Zürich die Wahlkreise neu einzuteilen bzw. entsprechende Ausgleichsmassnahmen zu ergreifen. Wie eine Wahlkreiseinteilung im Einzelnen aussehen soll, hat die Stadt Zürich selbst zu bestimmen. Das ist nicht Sache des Bundesgerichts (vgl. aber E. 8 hiernach).
1.6
Die Begründungspflicht gemäss
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
gilt auch für Stimmrechtsbeschwerden. Das Bundesgericht prüft demnach nur die rechtsgenüglich erhobenen Rügen. Die Beschwerdeführer müssen daher den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die als verletzt behaupteten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun, inwiefern diese verletzt sein sollen (
BGE 121 I 334
E. 1b S. 337, 357 E. 2d S. 360;
BGE 114 Ia 395
E. 4 S. 401;
BGE 104 Ia 236
E. 1d).
Soweit die Beschwerdeführer einen Verstoss gegen
Art. 9 BV
behaupten, kann auf die Beschwerde mangels hinreichender Begründung nicht eingetreten werden. Aus demselben Grund kann auf ihren Antrag auf Aufhebung der Ziff. III des Regierungsratsbeschlusses nicht eingetreten werden. Einerseits legen die Beschwerdeführer nicht dar, inwiefern der Beschluss hinsichtlich der Parteientschädigung falsch sein sollte. Andererseits befassen sie sich nicht mit der vom Regierungsrat in E. 6 des Beschlusses angeführten Doppelbegründung, wonach § 17 Abs. 2 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (Verwaltungsrechtspflegegesetz) nicht erfüllt sei (
BGE 121 I 1
E. 5a/bb S. 11 mit Hinweisen).
BGE 129 I 185 S. 190
2.
Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimmrechts umschreiben oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (
BGE 111 Ia 194
E. 4a, 197 E. 2a;
BGE 110 Ia 181
E. 5a;
BGE 108 Ia 167
E. 2a, mit Hinweisen). Zu diesen Vorschriften gehören auch die Bestimmungen des Gesetzes des Kantons Zürich vom 4. September 1983 über die Wahlen und Abstimmungen (Wahlgesetz; WaG/ZH), des Gesetzes des Kantons Zürich vom 6. Juni 1926 über das Gemeindewesen (Gemeindegesetz; GG) sowie der Gemeindeordnung der Stadt Zürich vom 26. April 1970 (Gemeindeordnung; GO).
3.
3.1
Die Kantone sind in der Ausgestaltung ihres politischen Systems weitgehend frei.
Art. 39 Abs. 1 BV
(früher
Art. 6 Abs. 2 lit. b aBV
) verpflichtet sie lediglich, die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen zu sichern. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen grundsätzlich sowohl das Mehrheits- als auch das Verhältniswahlverfahren. Schranke für die Ausgestaltung des Wahlverfahrens bildet
Art. 8 Abs. 1 BV
(früher
Art. 4 Abs. 1 aBV
), welcher in Verbindung mit
Art. 34 BV
(auch) die politische Gleichberechtigung der Bürger garantiert; das war ursprünglich gar die Hauptbedeutung des Gleichheitsartikels gemäss der Bundesverfassung von 1848 (BÉATRICE WEBER-DÜRLER, Rechtsgleichheit, in: Thürer/Aubert/Müller [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 41 Rz. 1 ff.). Da jede Abweichung vom Proporz zwangsläufig zu einer Ungleichbehandlung von Wählerstimmen führt, ist die Aufnahme proporzfremder Elemente ins Wahlverfahren nur zulässig, wenn dafür ausreichende sachliche Gründe bestehen (vgl.
BGE 121 I 138
E. 5b S. 145; Urteil 1P.671/1992 vom 8. Dezember 1992, E. 3a, publ. in: ZBl 95/1994 S. 479).
3.2
Die Verfassung vom 18. April 1869 des eidgenössischen Standes Zürich (KV) hält in Art. 32 Abs. 3 fest, dass der Kantonsrat (Volksvertretung, Art. 28 KV) nach dem Verhältniswahlverfahren gewählt und das Verfahren durch das Gesetz bestimmt wird. Nach
§ 94 WaG
/ZH erfolgt die Wahl des Grossen Gemeinderates ebenfalls nach diesem Verfahren und zwar gemäss den Bestimmungen über die Wahl des Kantonsrates.
BGE 129 I 185 S. 191
Nach § 101 GG wird die Zahl der Mitglieder des Grossen Gemeinderates durch die Gemeindeordnung bestimmt; die Wahl erfolgt entsprechend den Vorschriften des Wahlgesetzes. Gemäss
§ 93 Abs. 1 WaG
/ZH bildet die Gemeinde für die Gemeindewahlen einen Wahlkreis, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Gemeinden mit Grossem Gemeinderat können in ihrer Gemeindeordnung das Gemeindegebiet für die Wahl der Mitglieder des Grossen Gemeinderates in mehrere Wahlkreise aufteilen (
Art. 93 Abs. 2 WaG
/ZH). Von diesem Recht hat die Stadt Zürich Gebrauch gemacht: Das Stadtgebiet wird in zwölf Kreise eingeteilt (Art. 3 GO), und diese Kreise bilden die Wahlkreise für den Gemeinderat (Art. 4 lit. b GO). Die 125 Mitglieder des Gemeinderates werden im Verhältniswahlverfahren gewählt (Art. 23 Abs. 1 und 2 GO). Jeder Kreis wählt seine Vertreterinnen oder Vertreter in der Zahl, die der Wohnbevölkerung gemäss letzter eidgenössischer Volkszählung entspricht (Art. 23 Abs. 3 GO). Im Einzelnen erfolgt die Zuteilung der Mandate für jeden Wahlkreis gesondert nach den Regeln in
§
§ 86 ff. WaG
/ZH, welche sich an der Methode "Hagenbach-Bischoff" orientieren (siehe dazu
BGE 109 Ia 203
E. 4c S. 205 ff.).
4.
Die Beschwerdeführer halten dafür, die Wahlkreiseinteilung der Stadt Zürich widerspreche Art. 32 Abs. 3 KV,
Art. 8 Abs. 1 und
Art. 34 BV
sowie Art. 25 lit. b und c des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (UNO-Pakt II; SR 0.103.2). Insbesondere seien sie durch die Anordnung des Präsidenten des Zentralwahlbüros vom 7. September 2001 in ihrem aktiven und passiven Wahlrecht verletzt. Soweit sie zudem eine Verletzung von
Art. 9 BV
geltend machen, kann auf ihre Beschwerde nicht eingetreten werden (vgl. E. 1.6 vorstehend).
Zur Begründung ihrer Rügen führen sie aus, nach § 101 Abs. 2 GG werde der Grosse Gemeinderat nach dem Verhältniswahlverfahren gewählt. Aufgrund des für die Gemeinderatswahlen der Stadt Zürich massgebenden Proporzsystems und der geltenden Wahlkreiseinteilung betrage der erforderliche Mindestanteil an Stimmen in Prozenten für ein Vollmandat im Wahlkreis 8 mit fünf Sitzen 16.66%, im Wahlkreis 5 mit vier Sitzen 20% und im Wahlkreis 1 mit zwei Sitzen sogar 33.33%. In anderen Wahlkreisen mit 19 und 16 Mitgliedern gelte ein Quorum von 5 respektive 5.88%. Die geltende Wahlkreiseinteilung verhindere das von der Kantonsverfassung vorgeschriebene Verhältniswahlrecht. Auch der Regierungsrat anerkenne, dass die umstrittene Wahlkreiseinteilung einen Eingriff in den Grundsatz
BGE 129 I 185 S. 192
der Verhältniswahl bedeute und dass diese bei den Wahlen vom 3. März 2002 einen proporzverfälschenden Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt habe. Die Partei der Grünen habe im Kreis 1 einen Wähleranteil von 16.1% der Stimmen erreicht, sei aber trotzdem von der Mandatsverteilung ausgeschlossen geblieben. Dies widerspreche auch dem Anspruch auf unverfälschte Stimmabgabe im Sinne von
Art. 34 Abs. 2 BV
, da die besagten Stimmen völlig gewichtslos geblieben seien. Die vom Regierungsrat angeführte historisch gewachsene Wahlkreiseinteilung aufgrund der verschiedenen Eingemeindungen entspreche nur teilweise der Realität. Das vom Regierungsrat behauptete, aber nicht näher belegte gesellschaftliche und kulturelle Zusammengehörigkeitsgefühl in den Kreisen 1, 5 und 8 rechtfertige nicht, dass an einer Mandatszahl unter 10 Sitzen pro Kreis festgehalten werde. Nach der zweiten Eingemeindung von 1934 seien dem Kreis 1 neun Mandate zugekommen. Heute stelle er noch zwei Abgeordnete. Eine Mindestanzahl von Mandaten sei nicht vorgeschrieben, sodass unter Umständen ein Kreis gar kein Mandat mehr erhalte. Zusammenfassend seien zumindest die kleineren Wahlkreise hinsichtlich der unterschiedlichen Quoren für die Erlangung eines Vollmandats offensichtlich verfassungswidrig.
5.
Nach der Ansicht der Beschwerdeführer stellt die Wahlkreiseinteilung eine unangemessene Einschränkung des freien Wählerwillens (
Art. 25 lit. b UNO-Pakt II
) dar bzw. verletzt sie in ihrem Anspruch auf unverfälschte Stimmabgabe (
Art. 34 Abs. 2 BV
). Auch genüge sie dem Recht auf gleiche Ämterzugänglichkeit (
Art. 25 lit. c UNO-Pakt II
) nicht.
Sofern die Beschwerdeführer ihrer diesbezüglichen Begründungspflicht überhaupt nachgekommen sind (vgl. E. 1.6 vorstehend), erweisen sich diese Rügen als unbegründet. Nach
Art. 25 lit. b UNO-Pakt II
und
Art. 34 Abs. 2 BV
muss das Wahlverfahren so ausgestaltet sein, dass die freie und unbeeinflusste Äusserung des Wählerwillens gewährleistet ist. Geschützt wird unter anderem das Recht der aktiv Wahlberechtigten, weder bei der Bildung noch bei der Äusserung des Wählerwillens unter Druck gesetzt oder unzulässigerweise beeinflusst zu werden.
Art. 25 lit. c UNO-Pakt II
garantiert das Recht auf gleiche Ämterzugänglichkeit, wobei der Begriff des öffentlichen Amtes sämtliche Ämter der Exekutive, Judikative sowie der öffentlichen Verwaltung erfasst, deren Inhaber nicht mittels Wahl bestimmt, sondern hoheitlich ernannt und worin hoheitliche Befugnisse ausgeübt werden. Die politischen Rechte sind im
BGE 129 I 185 S. 193
UNO-Pakt II bewusst als kleinster gemeinsamer Nenner konzipiert, um möglichst vielen, auch weniger demokratischen Staaten die Teilnahme zu ermöglichen (
BGE 125 I 289
E. 7d; WALTER KÄLIN/GIORGIO MALINVERNI/MANFRED NOWAK, Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Aufl., Basel und Frankfurt am Main 1997, S. 226 ff.; MANFRED NOWAK, U.N. Covenant on Civil and Political Rights, CCPR Commentary, Kehl am Rhein/Strasbourg/Arlington 1993, S. 449 Rz. 30 ff.; PIERMARCO ZEN-RUFFINEN, L'expression fidèle et sûre de la volonté du corps électoral, in: Thürer/Aubert/Müller [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 21 Rz. 2 ff.).
Weder ist ersichtlich, wie die angefochtene Wahlkreiseinteilung die Beschwerdeführer in der Bildung bzw. Äusserung ihres freien Wählerwillens verletzt haben soll (
Art. 25 lit. b UNO-Pakt II
,
Art. 34 Abs. 2 BV
), noch schützt
Art. 25 lit. c UNO-Pakt II
den Zugang zum Zürcher Gemeindeparlament, da dessen Zusammensetzung in Wahlen und nicht durch hoheitliche Ernennung bestimmt wird. Folglich ist insofern weder
Art. 25 UNO-Pakt II
noch
Art. 34 Abs. 2 BV
verletzt worden.
6.
Die Beschwerdeführer kritisieren die Stadtzürcher Wahlkreiseinteilung als bundesverfassungswidrig.
6.1
Das Bundesgericht hielt im Entscheid "Geissbühler" vom 28. März 1962 fest, die Bedeutung einer Partei im kantonalen Parlament müsse aufgrund der Wahlergebnisse bezogen auf den ganzen Kanton ermittelt werden und nicht nur unter Berücksichtigung eines einzelnen Wahlkreises. Die gesetzliche Festsetzung eines Quorums von 15% für ein Vollmandat widerspreche daher dem in der Kantonsverfassung festgeschriebenen Verhältniswahlsystem. Denn es blieben unter Umständen in einem einzelnen Wahlkreis Listen erfolglos, denen gesamtkantonal eine genügend gewichtige Rolle zukomme. Ein Quorum von 12.4% wurde - da beinahe bei 15% liegend - als unzulässig, ein Quorum von 6.6% demgegenüber noch als mit der Verfassung vereinbar beurteilt (Urteil P.15/1962 vom 28. März 1962, E. 3, publ. in: JdT 1962 I S. 271 ff.). In
BGE 103 Ia 557
E. 3c S. 563 ("Freie Wähler") erachtete das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Restmandatsverteilung ein Quorum von einem Sechstel als zulässig, um eine Zersplitterung der politischen Gruppierungen und damit eine Erschwerung der wirksamen Erfüllung der öffentlichen Aufgaben zu verhindern. Weiter hielt das Bundesgericht am 21. Dezember 1977 fest, ein Quorum von 10% für ein Vollmandat sei noch mit dem Verhältniswahlsystem vereinbar (
BGE 103 Ia 603
BGE 129 I 185 S. 194
E. 6c S. 611, "Mouvements démocrates du district de Sion"). Gemäss dem Entscheid "Bohnet" vom 20. November 1981 ist das durch die Mandatszahl und das Wahlsystem vorgegebene Quorum nicht generell mit dem im Kanton Wallis geltenden Verfassungsgrundsatz der Proporzwahl unvereinbar. Das Bundesgericht führte weiter aus, dieses Quorum dürfe "(...) aber nicht für Parlamentswahlen nach dem Proporz in Wahlkreisen mit einer sehr kleinen Mandatszahl angewendet werden, wie im vorliegenden Falle bei einem Wahlkreis mit nur zwei Mandaten (...)." Eine Grenze in Form einer Mindestmandatszahl pro Wahlkreis, unterhalb welcher ein solches System verfassungswidrige Ergebnisse zeitigt, legte das Bundesgericht jedoch nicht fest, da dies nicht seine Sache sei (
BGE 107 Ia 217
E. 3f S. 224; zum Problem der Mandatszuteilung auf die Wahlkreise vgl.
BGE 99 Ia 658
ff.). Im Urteil 1P.671/1992 vom 8. Dezember 1992, publ. in: ZBl 95/1994 S. 479 ("Freie Liste des Kantons Bern") hielt das Bundesgericht erneut fest, das Verhältniswahlrecht könne durch ein gesetzliches Quorum für die Vollmandatsverteilung eingeschränkt werden, um eine Parteienzersplitterung zu verhindern. Ein reines Verhältniswahlrecht im Wahlgebiet setze entweder möglichst grosse und gleiche Wahlkreise voraus, denen viele Sitze zustünden, oder das Wahlgebiet müsse als Einheitswahlkreis ausgebildet sein. Unterschiedliche Wahlkreise bewirkten, dass nicht jeder Wählerstimme das gleiche politische Gewicht zukomme. Je kleiner ein Wahlkreis sei, desto grösser sei der erforderliche Stimmenanteil, um einen Sitz zu erringen, und desto grösser sei auch die Zahl der Wähler, die im Parlament nicht vertreten würden, deren Stimmen mithin "gewichtslos" seien. Eine auf der überkommenen Gebietsorganisation beruhende Einteilung in verschieden grosse, teils sehr kleine Wahlkreise halte vor der Rechtsgleichheit nur stand, wenn diese kleinen Wahlkreise, sei es aus historischen, föderalistischen, kulturellen, sprachlichen, ethnischen oder religiösen Gründen, Einheiten mit einem gewissen Zusammengehörigkeitsgefühl bildeten.
6.2
Diese Rechtsprechung wird in der Literatur kritisiert.
6.2.1
Nach ALFRED KÖLZ (Probleme des kantonalen Wahlrechts, ZBl 88/1987 S. 1 ff., insb. 24 ff.) ist zu unterscheiden, ob die Abweichungen vom Proportionalitätsgrundsatz eine Folge der Sitzzuteilung oder aber eine Folge der Einteilung des Kantons in kleine Wahlkreise seien. Abweichungen von der Gleichbehandlung aller Wahlkreise seien erlaubt, um regionalen Minderheiten einen überproportionalen Vertretungsanspruch einzuräumen. Unzulässig sei es aber, die bundesgerichtlichen Überlegungen zur Wahlkreiseinteilung
BGE 129 I 185 S. 195
auf das Mandatsverteilungsverfahren für die einzelnen Listen eines Wahlkreises anzuwenden. In kleinen Wahlkreisen könnten Minderheiten von der Mandatsverteilung ausgeschlossen bleiben, sogar jene Minderheiten, die mehr als 10% der Stimmen erreichten und somit als "bedeutende Minderheiten" mittels des Quorums gar nicht ausgeschlossen werden dürften. Die sich durch die Wahlkreiseinteilung ergebenden Unterschiede in der für einen Sitzgewinn notwendigen Wählerzahl zugunsten der grossen Listen seien Folge einer Ungleichbehandlung der Listen innerhalb der Wahlkreise und nicht der Bevorteilung regionaler Minderheiten. Für die proportionalitätsverfälschenden Auswirkungen der Wahlkreiseinteilung sollten deshalb die gleichen Massstäbe wie bei den beiden Quoren gesetzt werden. Quorumsbestimmungen führten zu empfindlichen Einbrüchen in das Prinzip der Erfolgswertgleichheit. Mit dem Entscheid für das Verhältniswahlrecht hätten sich die kantonalen Verfassungsgeber für das Prinzip der Erfolgswertgleichheit und damit auch für die mittelbare Anwendbarkeit der in den Kantonsverfassungen verankerten Rechtsgleichheit ausgesprochen. Gewisse Wahlkreiseinteilungen weckten Bedenken, da der Wahlkreiseinteilung die gleichen ausschliessenden Wirkungen wie den Quoren zukommen könne. Im Unterschied zu den Quoren könnten gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts durch die Wahlkreiseinteilung auch Listen, die weit mehr als 10% der Stimmen erreicht hätten, von der Mandatsverteilung ausgeschlossen bleiben. Dies bedeute eine massive proporzfremde Abweichung von der Erfolgswertgleichheit der Stimmen der verschiedenen Listen. Die Kantone verfügten zwar bei der Festlegung des Wahlsystems und in seiner Ausgestaltung über einen grossen Gestaltungsspielraum; es sollte indessen ein bestimmtes System dann auch in allen Wahlkreisen ungefähr gleich zur Anwendung gelangen. Die in
Art. 4 aBV
(bzw.
Art. 8 BV
) festgehaltene Rechtsgleichheit sei bei ihrer Aufnahme in die Bundesverfassung vor allem auf die Behebung politischer Ungleichheiten in den Kantonen ausgerichtet gewesen. Dieser ursprünglichen Hauptbedeutung der Rechtsgleichheit sei stärker Nachachtung zu verschaffen.
6.2.2
TOMAS POLEDNA (Wahlrechtsgrundsätze und kantonale Parlamentswahlen, Diss. Zürich 1988, S. 118 ff., insb. 130 ff.) widerspricht der bundesgerichtlichen Argumentation ebenfalls, wonach mittels Quoren die Parteienzersplitterung tauglich verhindert werden könnte. Er sieht zwischen Wahlverfahren und Parteienzersplitterung kein so enges Verhältnis. Unter Hinweis auf die Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament stellt er die Zulässigkeit der Quoren
BGE 129 I 185 S. 196
überhaupt in Frage. Sei ferner die Mandatszuteilung streng an den Wahlkreis gebunden, finde also kein Verhältnisausgleich zwischen den Wahlkreisen statt, so habe die Wahlkreisgrösse eine eminente wahlsystematische Bedeutung. Mit abnehmender Wahlkreisgrösse steige die für die Zuteilung eines Mandates notwendige prozentuale Anzahl an Stimmen innerhalb eines Wahlkreises. Der Wahlkreisgrösse könne eine quorumsähnliche, wenn nicht gar wahlsystemändernde Wirkung zukommen. Wiewohl die Einteilung des Wahlgebietes in kleine Wahlkreise in ihren Auswirkungen den Quoren gleichzustellen sei, werde die Wahlkreisgestaltung vom Bundesgericht trotzdem nicht nach den gleichen Massstäben beurteilt. Jede wahlsystembedingte Sperrwirkung bei Verhältniswahlen bedürfe einer besonderen Begründung. Weder die Parteienzersplitterung noch die Gefährdung der Funktionsfähigkeit kantonaler Organe rechtfertigten jedoch eine solche Einschränkung. Ebenso sei der vom Bundesgericht bei der Sitzverteilung angewandte Grundsatz, wonach die Rechtsgleichheit kein konstantes Verhältnis von Sitzen zur Bevölkerungszahl fordere, bei Verfahren der Mandatsverteilung abzulehnen. Dadurch würden nicht regionale Minderheiten geschützt, sondern politische Minderheiten ausgeschlossen. Mit dem Grundsatz der politischen Gleichheit und der Erfolgswertgarantie lasse sich nur schwer vereinbaren, wenn im Ergebnis verschiedene Wahlsysteme innerhalb des gleichen Wahlgebietes für die Bestellung desselben Organes angewandt würden. Mit abnehmender Wahlkreisgrösse erfolge eine Verschiebung des Wahlsystems in Richtung Mischwahlsystem (so auch: PIERRE GARRONE, L'élection populaire en Suisse, Diss. Genf 1990, S. 241 ff.).
6.2.3
PIERRE TSCHANNEN (Stimmrecht und politische Verständigung, Habilitationsschrift Bern 1995, N. 749 ff.) ist ebenfalls der Ansicht, die Unterschiede in der Wahlkreisgrösse wirkten sich zum Schaden der Erfolgswertgleichheit aus. Die Grösse der Wahlkreise sollte deshalb nur wenig vom Mittelmass abweichen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung lasse Abweichungen aufgrund historisch-politischer Strukturen zu. Gegen die verschiedenen Sperrklauseln spreche die Inkonsequenz, mit der sie in der Rechtsprechung beurteilt würden. Trotz vergleichbarer Auswirkungen ziehe das Bundesgericht keine bundesverfassungsrechtlichen Konsequenzen für die Bemessung der Wahlkreise; insbesondere habe es aus dem Systemgeist der Verhältniswahl keine minimale Wahlkreisgrösse abgeleitet, nicht einmal die Pflicht, kleine Wahlkreise für die Mandatsverteilung zu Wahlkreisverbänden zusammenzulegen.
BGE 129 I 185 S. 197
6.2.4
Auch YVO HANGARTNER und ANDREAS KLEY (Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, Rz. 1453) sind der Meinung, Sperrklauseln dürften nicht übermässig sein und den Erfolg kleinerer Parteien nicht allzu stark hindern. Wenn sich der Verfassungsgeber oder auch nur der Gesetzgeber für das Verhältniswahlsystem entscheide, so müsse dieses System auch sinnvoll, seiner Konstruktion entsprechend, ausgestaltet werden. Die gegenüber den Sperrklauseln restriktive Praxis des Bundesgerichts sollte eher noch verschärft werden.
7.
An der in E. 6.1 dargestellten Rechtsprechung ist grundsätzlich festzuhalten. Sie ist jedoch begrifflich und inhaltlich zu präzisieren:
7.1
Rechtsprechung und Literatur verwenden im Zusammenhang mit der Mandatszuteilung die Begriffe des direkten, des indirekten und des natürlichen Quorums. Begriffliche Übereinstimmung herrscht jedoch lediglich in Bezug auf das direkte Quorum.
7.1.1
Das direkte Quorum bietet deshalb zu keinen Weiterungen Anlass. Es schliesst jene Listen von der Mandatsverteilung im Wahlkreis aus, die einen in der Verfassung oder gesetzlich festgelegten Prozentsatz der gültigen Stimmen nicht erreicht haben (vgl. die unter E. 6.1 zitierte Rechtsprechung; so auch schon EMIL KLÖTI, Die Proportionalwahl in der Schweiz, Diss. Zürich 1901, S. 391; zuletzt: HANGARTNER/KLEY, a.a.O., Rz. 1448). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und der Mehrheit der Autoren verhindert das indirekte Quorum jenen Listen den Zugang zur Restmandatsverteilung, die nicht mindestens die Verteilungszahl und damit ein Vollmandat erzielt haben. Diese Verteilungszahl entspricht (gemäss der Methode des kleinsten Quotienten nach "Hagenbach-Bischoff") dem Quotienten aus der Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen und der um eins vermehrten Zahl der im Wahlkreis zu vergebenden Mandate, aufgerundet auf die nächsthöhere ganze Zahl (
BGE 103 Ia 557
E. 3c S. 562; so auch GARRONE, a.a.O., S. 231; KÖLZ, a.a.O., S. 20; POLEDNA, a.a.O., S. 110; BENNO SCHMID, Die Listenverbindung im schweizerischen Proportionalwahlrecht, Diss. Zürich 1961, S. 23 und 32). TSCHANNEN (a.a.O., S. 501) definiert das indirekte Quorum demgegenüber als Folge kleiner Wahlkreise. So verlangten kleine Wahlkreise mit tiefer Sitzzahl entsprechend hohe Wähleranteile, um ein Mandat zu erreichen. Lehre und Rechtsprechung sind sich schliesslich uneins hinsichtlich der Bedeutung des natürlichen Quorums. Die Literatur verwendet diesen Begriff mehrheitlich als Synonym des indirekten Quorums (z.B. KLÖTI, a.a.O., S. 397 oder
BGE 129 I 185 S. 198
POLEDNA, a.a.O., S. 110). KÖLZ (a.a.O., S. 20) kann diesem Terminus allerdings nicht viel abgewinnen. So ist er der Ansicht, der Ausdruck des indirekten Quorums werde "(...) euphemistisch "natürliches" Quorum genannt". Für TSCHANNEN (a.a.O., S. 501) gehört der Begriff des natürlichen Quorums ebenfalls zur Restmandatsverteilung. Er versteht ihn jedoch nicht als Synonym des indirekten Quorums, sondern stellt ihn als dritte, eigenständige Form neben das direkte (als normativ festgelegten Prozentsatz) und das indirekte Quorum (als Folge kleiner Wahlkreise). GARRONE (a.a.O., S. 232) wiederum stellt dem direkten und dem indirekten Quorum als gesetzliche Quoren den effet de seuil gegenüber, den er auch natürliches Quorum nennt. Die Anzahl Sitze pro Wahlkreis bestimme diesen Schwellenwert. In der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichts wird das natürliche Quorum als Synonym des indirekten benutzt (so in
BGE 107 Ia 217
E. 3c S. 222). In neueren Entscheiden wird es hingegen als die von der Wahlkreisgrösse (und dem Wahlsystem) abhängige Form des Quorums verwendet (Urteil 1P.671/1992 vom 8. Dezember 1993, E. 3c, "Freie Liste des Kantons Bern", publ. in: ZBl 95/1994 S. 479; Urteil 1P.563/2001 vom 26. Februar 2002, publ. in: ZBl 103/2002 S. 537).
7.1.2
Nach dem Gesagten herrscht Einigkeit über die Bedeutung des direkten Quorums (vgl. vorstehende E. 7.1.1). Aus Gründen der Rechtssicherheit sind jedoch die Begriffe des indirekten und des natürlichen Quorums für die bundesgerichtliche Rechtsprechung festzulegen.
Das indirekte Quorum macht die Teilnahme an der Restmandatsverteilung vom Erreichen der Verteilungszahl - Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen dividiert durch die um eins vermehrte Zahl der im Wahlkreis zu vergebenden Mandate, aufgerundet auf die nächsthöhere ganze Zahl - abhängig, d.h. von der Zuteilung von mindestens einem Mandat in der ersten Sitzverteilung (Vollmandat). Erreicht eine Liste kein Vollmandat, kann sie an der Restmandatsverteilung nicht teilnehmen.
Das natürliche Quorum ist demgegenüber als Folge der (unterschiedlichen) Grösse der Wahlkreise zu verstehen. Je weniger Mandate auf einen Wahlkreis entfallen, desto mehr Stimmen muss eine Liste erreichen, um wenigstens ein Vollmandat zu erhalten. Eine Liste ist von der (Voll-)Mandatsverteilung ausgeschlossen, wenn sie die Wahlzahl, d.h. den Quotienten aus 100% und der um eins vermehrten Zahl der im Kreis zu vergebenden Mandate, nicht erreicht. So sind z.B. in einem Wahlkreis mit zwei Mandaten 33.33% der
BGE 129 I 185 S. 199
Stimmen nötig, um an der Vollmandatsverteilung teilnehmen zu können, bei neun Mandaten sind es noch 10% und bei 19 Mandaten lediglich 5%.
7.2
Unter der Herrschaft der alten Bundesverfassung hat das Bundesgericht ein ungeschriebenes verfassungsmässiges Stimm- und Wahlrecht anerkannt (
BGE 125 I 441
E. 2a;
BGE 124 I 55
E. 2a;
BGE 121 I 138
E. 3, mit Hinweisen). Dieses räumt dem Bürger allgemein den Anspruch darauf ein, dass kein Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder Stimmbürger seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und zum Ausdruck bringen kann. Die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 gewährleistet allgemein die politischen Rechte. Sie schützt ausdrücklich die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe. Der Grundsatz der Stimm- und Wahlrechtsfreiheit von
Art. 34 Abs. 2 BV
dient der Konkretisierung der politischen Gleichheit, die mit der Rechtsgleichheit von
Art. 8 Abs. 1 BV
eng verknüpft ist. Als Bestandteil der Stimm- und Wahlfreiheit kommt dem Gleichheitsgebot für die politischen Rechte besondere Bedeutung zu (
BGE 124 I 55
E. 2a; Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 189ff.; RENÉ RHINOW, Die Bundesverfassung 2000: Eine Einführung, Basel/Genf/München 2000, S. 235).
7.3
Aus der Rechtsgleichheit und der politischen Gleichberechtigung im Speziellen folgt die Wahlrechtsgleichheit. Diese sichert einerseits allen Wählern desselben Wahlkreises die Zuteilung einer gleichen Anzahl von Stimmen, die Möglichkeit ihrer Abgabe sowie die gleiche Berücksichtigung aller gültig abgegebenen Stimmen bei der
BGE 129 I 185 S. 200
Stimmenzählung (Zählwertgleichheit). Der Wähler hat das Recht, seine Stimme bei der Zählung der gültig eingelegten Stimmen berücksichtigt zu finden; die Wähler sind formell gleich zu behandeln, Differenzierungen des Stimmgewichts sind unzulässig (KÖLZ, a.a.O., S. 9; POLEDNA, a.a.O., S. 26 ff., 50 ff.). Wahlrechtsgleichheit bedeutet andererseits Gleichheit der Stimmkraft und erfordert die Bildung gleich grosser (Einer-)Wahlkreise bzw. ein in allen Verhältniswahlkreisen möglichst gleichbleibendes Verhältnis von Sitzen zur Einwohnerschaft. Sie garantiert jedem Wähler die gleiche Möglichkeit, seine Stimme verwertet und nicht nur gezählt zu finden (Stimmkraft- oder Stimmgewichtsgleichheit; POLEDNA, a.a.O., S. 26 ff., 66 ff.). Insbesondere soll schliesslich allen Stimmen bei der Zählung nicht nur derselbe Wert und dieselbe Stimmkraft, sondern auch derselbe Erfolg zukommen (Erfolgswertgleichheit). Alle Stimmen sollen in gleicher Weise zum Wahlergebnis beitragen, und möglichst alle Stimmen sind bei der Mandatsverteilung zu berücksichtigen. Die Zahl der gewichtslosen Stimmen ist auf ein Minimum zu begrenzen. Verschiebungen und Einbrüche im System sind nur gestattet, wenn sie wirklich unvermeidbar sind, z.B. wenn im Rahmen der Restmandatsverteilung gewisse Stimmen unverwertet bleiben müssen. Die Erfolgswertgleichheit erfasst damit nicht nur den Anspruch auf Verwertung der Stimme, sondern bedingt auch eine innerhalb des gesamten Wahlgebietes gleiche Verwirklichung des Erfolgswertes. Damit hat sie wahlkreisübergreifenden Charakter (KÖLZ, a.a.O., S. 10; POLEDNA, a.a.O., S. 26 ff., 99 ff.; zum Ganzen auch:
BGE 125 I 21
E. 3d/dd S. 33 mit Hinweisen).
7.4
Die Sitze im Gemeinderat der Stadt Zürich sind folgendermassen auf die Kreise verteilt:
Kreis Mitglieder Kreis Mitglieder
1 2 7 12
2 10 8 5
3 16 9 16
4 9 10 12
5 4 11 19
6 10 12 10
Zusammen 125
Die durchschnittliche Anzahl Sitze pro Kreis liegt zwischen 10 und 11 (125 Sitze: 12 Kreise). Um im Kreis 1 ein Vollmandat (erste Sitzverteilung) zu erhalten, braucht eine Partei etwas mehr als 33.33% der Stimmen (Wahlzahl; 100%: (Anzahl Sitze + 1)); verglichen dazu reichen im Kreis 2 rund 9%, und im Kreis 11 sind lediglich 5% der Stimmen notwendig.
7.5
Im Kreis 1 wurden an den Wahlen vom 3. März 2002 total 3'716 gültige Parteistimmen abgegeben. Nach der hier anzuwendenden Verteilmethode (siehe E. 3.2) beträgt die Verteilungszahl 1'239 (3'716 : (2 + 1) = 1'239). Nur die Sozialdemokratische Partei (SP) erhielt mit 1'564 Parteistimmen (42.1%) ein Vollmandat. Die übrigen 2'152 Parteistimmen (3'716 ./. 1'564) blieben in der ersten Sitzverteilung ohne Mandat. Das Restmandat (zweite Sitzverteilung) fiel der Freisinnig Demokratischen Partei (FDP) mit 888 Parteistimmen (23.9%) zu (das Restmandat erhält in einem Zweier-Wahlkreis jene Partei, die bei der Division "Parteistimmenzahl geteilt durch die um
BGE 129 I 185 S. 201
eins vergrösserte Zahl der bereits zugewiesenen Vertreter aus der ersten Verteilung" den grössten Quotienten aufweist). Die Liste der Partei der Grünen ging als Drittplatzierte mit 600 Parteistimmen (16.1%) wie die übrigen Listen leer aus. Von den 3'716 Gesamtstimmen aller Parteilisten blieben 1'264 Parteistimmen (3'716 ./. 1'564 ./. 888) bzw. rund 34% ohne Einfluss auf das Wahlergebnis. In der Statistik der Wahlzettel erreichten die SP im Kreis 1 43.0%, die FDP 23.5% und die Grünen 15.8% der Wahlzettel. Auf die gesamte Stadt bezogen kamen die SP auf 34'530 (36.1%), die FDP auf 15'356 (16.0%) und die Grünen auf 7'683 (8.0%) Wahlzettel.
7.6
Mit dem Entscheid für das Verhältniswahlsystem hat sich der kantonale Verfassungsgeber für eine gewisse Erfolgswertgleichheit und grundsätzlich für das in
Art. 34 Abs. 2 BV
(in Verbindung mit
Art. 8 Abs. 1 BV
) und in
Art. 2 KV/ZH
verankerte Gleichheitsgebot entschieden (KÖLZ, a.a.O., S. 10).
7.6.1
Neben hohen direkten Quoren bewirken auch natürliche Quoren, dass nicht bloss unbedeutende Splittergruppen, sondern sogar Minderheitsparteien, die über einen gefestigten Rückhalt in der Bevölkerung verfügen, von der Mandatsverteilung ausgeschlossen werden. Aufgrund des Entscheides für das Verhältniswahlsystem dürften die eine Minderheitspartei wählenden Stimmbürger eigentlich darauf vertrauen, eine faire Chance auf einen Sitz im Gemeindeparlament zu haben. Das Vertrauen erweist sich wegen der geltenden Wahlkreiseinteilung für die Gemeinderatswahlen in der Stadt Zürich zum Teil als ungerechtfertigt. Diese Wahlkreiseinteilung gewährleistet nicht, dass in jedem Kreis bedeutende Minderheiten auch angemessen vertreten werden. Die Grösse des Kreises 1 kann dort zur Folge haben, dass eine Partei mit etwas mehr als zwei Drittel der Stimmen beide Vollmandate und damit 100% der Sitze erhält. Besonders stossend ist, dass unter Umständen gar weniger als 50% der Parteistimmen ausreichen, um beide Mandate im Gemeindeparlament zu erringen: Die SP hat als einzige Partei mit 1'564 Parteistimmen ein Vollmandat erhalten. Nimmt man an, die Gesamtzahl der Parteistimmen sowie die Stimmen der FDP blieben konstant und die beiden Listenverbindungen (die Christlichdemokratische Partei CVP zusammen mit den Grünen, der Evangelischen Volkspartei EVP und der Alternativen Liste/PdA sowie die Schweizerische Volkspartei SVP zusammen mit den Schweizer Demokraten SD) steigerten sich nicht, sondern verlören zugunsten der SP insgesamt 213 Stimmen, hätte diese mit lediglich (hypothetischen) 1'777 Parteistimmen auch noch das Restmandat erhalten (mit 888.5 wäre der in
BGE 129 I 185 S. 202
der zweiten Sitzverteilung ausschlaggebende Quotient der SP grösser als der Quotient der zweitplatzierten FDP). Diese hypothetischen 1'777 Parteistimmen entsprächen 47.8% der Gesamtzahl der Parteistimmen, also weniger als der Hälfte aller Stimmen. Ein solches Ergebnis steht mit der Wahlrechtsfreiheit und dem Rechtsgleichheitsgebot von
Art. 34 Abs. 2 BV
(und
Art. 8 Abs. 1 BV
) nicht mehr im Einklang.
7.6.2
Zudem ist es mit der sowohl innerhalb des einzelnen Wahlkreises als auch wahlkreisübergreifend zu respektierenden Erfolgswertgleichheit nicht mehr zu vereinbaren, wenn - wie vorliegend im Kreis 1 mit rund 34% (siehe E. 7.3) - über ein Drittel der Stimmen ohne Einfluss auf die Mandatsverteilung bleibt. In den mandatsmässig starken Wahlkreisen ist das in
Art. 32 Abs. 3 KV/ZH
indirekt auch für die Gemeindeparlamentswahlen vorgeschriebene Verhältniswahlsystem eingehalten. In den Wahlkreisen mit wenigen Abgeordneten im Gemeindeparlament, insbesondere im Kreis 1, nähert sich das Verhältniswahlsystem hingegen dem Mehrheitswahlsystem. Im Kreis 1 wurden die vertretungslos gebliebenen Wähler insoweit formell nicht gleich behandelt mit den Wählern der SP und der FDP. Sie hatten auch nicht die gleiche Möglichkeit, ihre Stimme verwertet zu finden, musste doch, bedingt durch die Kleinheit des Wahlkreises 1, eine für eine kleine Partei abgegebene Stimme von vornherein unverwertet bleiben und hatten nur die grossen Parteien reelle Chancen, eines der zwei Mandate zu erringen. Dass mehr als ein Drittel der Wählerstimmen - und sogar beinahe 58% in der ersten Sitzverteilung (Vollmandat; siehe E. 7.3) - nicht berücksichtigt wurden, sondern gewichtslos blieben, ist mit der Erfolgswertgleichheit nicht zu vereinbaren.
Die Anzahl der gewichtslosen Stimmen hängt von der Anzahl der im Wahlkreis zu vergebenden Sitze ab. Je weniger Sitze in einem Wahlkreis zu besetzen sind, desto mehr Stimmen bleiben ohne Einfluss auf die Wahlen. Auch die Anzahl der sich den Wählern stellenden Listen und deren Wählerstärke spielt eine Rolle. So blieben im Kreis 11, dem grösstem Wahlkreis mit 19 Mandaten und zehn Listen, von der Gesamtstimmenzahl aller Parteistimmen von 240'198 lediglich drei Listen mit total 13'787 Stimmen (5.7%) ohne Sitz im Grossen Gemeinderat. Im Wahlkreis 2, der mit zehn Sitzen im stadtzürcherischen Durchschnitt liegt und in dem unter zwölf Listen auszuwählen war, erhielten bei einer Parteistimmenzahl von total 89'220 sieben Listen mit insgesamt 13'202 Stimmen (14.8%) keinen Sitz im Gemeindeparlament. Im Kreis 1 waren es 1'264
BGE 129 I 185 S. 203
gewichtslose Parteistimmen (34%) verteilt auf sechs von total acht Listen.
7.6.3
Die Grössenunterschiede der Wahlkreise der Stadt Zürich und die dadurch bedingten Abweichungen von der durchschnittlich in einem Kreis für ein Mandat notwendigen Stimmenzahl sind mit dem Gleichbehandlungsgebot nicht mehr zu vereinbaren. Das natürliche Quorum im Kreis 1 liegt über einem Drittel. Die Anzahl der gewichtslosen Stimmen innerhalb des Wahlkreises bewegt sich ebenfalls in diesem Bereich. Eine so schwerwiegende Verletzung der Wahlrechtsfreiheit kann nach der Rechtsprechung (vgl. E. 6.1 hiervor) nur ausnahmsweise durch historische, föderalistische, kulturelle, sprachliche, ethnische oder religiöse Motive gerechtfertigt werden.
Die Stadt Zürich hat keine stichhaltigen Gründe für einen Sonderfall im dargelegten Sinne aufgezeigt. Auch das vom Regierungsrat angeführte "Zusammengehörigkeitsgefühl" der Bevölkerung in den kritischen Wahlkreisen 1, 5 und 8 erscheint wenig nachvollziehbar. Zudem anerkennt der Regierungsrat selbst, dass die Wahlkreiseinteilung der Stadt Zürich auf die Gemeinderatswahlen vom 3. März 2002 einen "proporzverfälschenden Einfluss" hatte. Aufgrund der Akten ist zwar ersichtlich, dass die einzelnen Stadtzürcher Wahlkreise zum Teil unverändert den ehemaligen, die Stadt Zürich umgebenden Gemeinden entsprechen. Die Stadtkreise dienen ferner nicht nur als Wahlkreise für den Gemeinderat, sondern auch als Verwaltungskreise für die Betreibungs-, Stadtammann- und Friedensrichterämter (Art. 4 GO). Schliesslich bilden sie auch Grundlage der Wahlgebietseinteilung für die Wahlen der Stadtzürcher Vertreter im Kantonsrat (
Art. 74 Abs. 1 WaG
/ZH). Trotz diesen für einen gewissen Sonderfall sprechenden Elementen hält die aktuelle Wahlkreiseinteilung für die Gemeinderatswahlen aus den vorgenannten Gründen vor
Art. 34 Abs. 2 BV
(und
Art. 8 Abs. 1 BV
) nicht stand. Was für den Kreis 1 gilt, trifft in ähnlicher Weise auf die Verhältnisse in den Wahlkreisen 5 und 8 mit vier (natürliches Quorum 20%) respektive fünf (natürliches Quorum 16.6%) Mandaten zu. Die Wahlkreiseinteilung der Stadt Zürich stellt insofern ein Ganzes dar. Die Einteilung der Wahlkreise gemäss Art. 3 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 lit. b GO ist bundesverfassungswidrig.
7.7
Auch wenn die Wahlkreiseinteilung der Stadt Zürich bundesverfassungswidrig ist, liegt entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer keine Verletzung des in
Art. 32 Abs. 3 KV/ZH
vorgeschriebenen Verhältniswahlsystems vor. In den umstrittenen Kreisen fand
BGE 129 I 185 S. 204
trotz allem eine Verhältniswahl statt, selbst wenn diese Wahlen wegen der geringen zu vergebenden Zahl der Gemeinderatssitze dem Mehrheitswahlsystem nahe kamen. Die diesbezügliche Rüge ist daher unbegründet.
8.
8.1
Stellt das Bundesgericht Verfahrensmängel fest, so hebt es Wahlen nur auf, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Der beschwerdeführende Stimmbürger muss in einem solchen Falle allerdings nicht nachweisen, dass sich der Mangel auf das Wahlergebnis entscheidend ausgewirkt hat; es genügt, dass nach dem festgestellten Sachverhalt eine derartige Auswirkung im Bereiche des Möglichen liegt. Mangels einer ziffernmässigen Feststellung der Auswirkung eines Verfahrensmangels ist nach den gesamten Umständen und grundsätzlich mit freier Kognition zu beurteilen, ob der gerügte Mangel das Wahlergebnis beeinflusst haben könnte. Dabei ist insbesondere auf die Grösse des Stimmenunterschiedes, die Schwere des festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten Wahlen abzustellen (Urteil 1P.141/1994 vom 26. Mai 1995, E. 7a, publ. in: ZBl 97/1996 S. 233;
BGE 119 Ia 272
E. 7a S. 281;
BGE 118 Ia 259
E. 3 S. 263, je mit Hinweisen).
8.2
Der festgestellte Mangel wiegt schwer. Die Wahlkreiseinteilung hatte zur Folge, dass eine unzulässig grosse Anzahl Wählerstimmen ohne Einfluss auf das Wahlergebnis blieb und schloss nicht nur kleinere, sondern auch im Wahlkreis selbst nicht unbedeutende Listen zum vornherein von der Mandatsverteilung aus. Die Sitzverteilung hätte bei anderer Wahlkreiseinteilung oder in Anwendung von Ausgleichsmassnahmen wie Wahlkreisverbänden anders ausfallen können. Die Grünen haben in anderen Wahlkreisen (z.B. Kreis 4, 7 und 8) mit jeweils geringerem Stimmenanteil als z.B. im Kreis 1 je einen Sitz im Gemeinderat errungen.
8.3
Das Gesagte rechtfertigte grundsätzlich, die Wahlen vom 3. März 2002 entsprechend dem Hauptantrag der Beschwerdeführer als verfassungswidrig zu kassieren. Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Verhältnismässigkeitsprinzips muss trotz der festgestellten Bundesverfassungsverletzung indessen davon Abstand genommen werden (vgl. CHRISTOPH HILLER, Die Stimmrechtsbeschwerde, Diss. Zürich 1990, S. 419).
8.3.1
Auch wenn die Wahlrechtsgleichheit wahlkreisübergreifend zu beachten ist, erwiese sich die Aufhebung der gesamten
BGE 129 I 185 S. 205
Gemeinderatswahlen als verfassungsrechtlich zu weit gehende Massnahme (
BGE 104 Ia 360
E. 4b S. 366; zur Stadt Zürich:
BGE 97 I 659
E. 5 S. 666 f.). Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich der Gemeinderat am 10. April 2002 bereits konstituiert und seine Geschäftstätigkeit aufgenommen hat. Mit Blick darauf, aber auch ganz grundsätzlich, hätte die Aufhebung der Gemeinderatswahlen vom 3. März 2002 erhebliche praktische und finanzielle Konsequenzen. Als unmittelbare Hauptkonsequenz würde der Zürcher Gemeinderat aufgelöst und die Stadt Zürich hätte das Gemeindeparlament neu zu bestellen. Vorneweg wäre jedoch die Wahlkreisordnung zu überarbeiten und diese Neuordnung obligatorisch der Volksabstimmung zu unterstellen (Art. 10 GO). Diese Umgestaltung der Wahlkreiseinteilung erforderte eine Klärung komplexer Verhältnisse, die über den hier zu beurteilenden Streitgegenstand hinausgehen und die im Rahmen der vorliegenden Beschwerde nicht abzusehen sind. Erst nach Durchführung des Wahlverfahrens (d.h. insbesondere Ausschreibung der Wahlen, Einreichung der Wahlvorschläge, Versand der Wahlunterlagen, Abhalten der eigentlichen Wahlen, Publikation des Wahlergebnisses), welches mit dem Ablauf der Beschwerdefrist gegen den neuen Erwahrungsbeschluss endet, könnte sich der neu gewählte Gemeinderat wieder konstituieren (Art. 1 der Geschäftsordnung des Gemeinderates der Stadt Zürich vom 15. März 1995, in der Fassung vom 1. Januar 2000 [GeschO]). Von der Aufhebung der Wahlen bis zur Neukonstituierung des Gemeinderates verginge einige Zeit. Bei alle dem ist auf zeitlich missliebige Kollisionen mit kantonalen oder eidgenössischen Wahlen Bedacht zu nehmen.
8.3.2
In Anbetracht der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten für die neue Wahlkreisgestaltung (geringere Anzahl von Wahlkreisen, Einheitswahlkreis, Wahlkreisverbände, usw.) ist es nicht Sache des Bundesgerichts zu bestimmen, wie die festgestellte Bundesverfassungswidrigkeit zu beseitigen ist (
BGE 126 I 112
E. 3d mit Hinweisen;
BGE 110 Ia 7
E. 6 S. 26;
BGE 109 Ib 81
E. 4e S. 88). Umso weniger, als das Zürcher Stimmvolk die Initiative vom 17. März 1999 zur Bildung eines Einheitswahlkreises in der Stadt Zürich am 2. Juni 2002 an der Urne abgelehnt hat. Es wird Aufgabe der Stadt Zürich sein, die einschlägigen Bestimmungen ihrer Gemeindeordnung unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen abzuändern und die nächsten Neuwahlen aufgrund der revidierten Wahlkreiseinteilung durchzuführen (MADELEINE CAMPRUBI, Kassation und positive Anordnungen bei der staatsrechtlichen Beschwerde, Diss. Zürich 1999,
BGE 129 I 185 S. 206
S. 83 ff., 229 ff.). An der Gültigkeit der Wahlen vom März 2002 ändert sich nichts. Der Bestand des Zürcher Stadtparlamentes in seiner aktuellen Zusammensetzung bleibt gewährleistet. Das Gleiche gilt für seine seither ergangenen Beschlüsse und Entscheide (vgl.
BGE 116 Ia 359
E. 10d S. 382). Die Ziff. II des Regierungsratsbeschlusses vom 3. April 2002, mit der der Regierungsrat die Anordnung des Präsidenten des Zentralwahlbüros vom 7. September 2001 sowie - implizit - den Erwahrungsbeschluss vom 6. März 2002 schützte, wird damit nicht aufgehoben.
9.
Zusammenfassend muss es bei der Feststellung der Bundesverfassungswidrigkeit im dargelegten Sinn sein Bewenden haben. Die vorliegende Stimmrechtsbeschwerde ist demnach insofern teilweise gutzuheissen. Im Übrigen ist sie abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Nach der festen Praxis des Bundesgerichts werden bei Stimmrechtsbeschwerden keine Kosten erhoben. Da die Beschwerdeführer nicht anwaltlich vertreten sind, wird ihnen keine Parteientschädigung zugesprochen. | mixed |
94d2471a-76f1-4423-9ed2-bfbd04a18a0a | Sachverhalt
ab Seite 411
BGE 129 I 410 S. 411 Am 11. Juli 2002 schrieb die Gemeinde Tujetsch im Amtsblatt des Kantons Graubünden die Beschaffung einer Pistenmaschine (Loipe) im offenen Verfahren aus. Es gingen je eine Offerte der X. AG zu Fr. 132'000.- und der Y. AG zu Fr. 156'000.- ein. Mit Entscheid vom 26. August 2002 erhielt die Y. AG den Zuschlag. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hiess eine dagegen erhobene Beschwerde der X. AG gut, hob den angefochtenen Zuschlagsentscheid auf und wies die Sache zu neuer Vergabe im Sinne der Erwägungen an die Gemeinde Tujetsch zurück. Am 6. Dezember 2002 vergab die Gemeinde die Lieferung des Pistenfahrzeuges erneut an die Y. AG. Mit Urteil vom 17. Januar 2003 hiess das Verwaltungsgericht eine dagegen erhobene Beschwerde der X. AG wiederum gut, hob die angefochtene Verfügung erneut auf und vergab diesmal den Auftrag für die Beschaffung einer Pistenmaschine (Loipe) zum Preis von Fr. 132'000.- direkt an die X. AG.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2003 teilte die Gemeinde Tujetsch der X. AG und der Y. AG mit, sie habe beschlossen, von der Beschaffung eines Pistenfahrzeuges abzusehen. Der im Jahre 2002 gesprochene Kredit sei mit Ablauf des Budgetjahres Ende 2002 verfallen, und aufgrund der verschlechterten Finanzlage sei der Gemeindevorstand nicht bereit, einen neuen Kredit zu beantragen.
Am 14. März 2003 ersuchte die X. AG das Verwaltungsgericht, das Urteil vom 17. Januar 2003 mit allen entsprechenden Mitteln zu vollstrecken. Das Urteil sei rechtskräftig, weshalb die Gemeinde daran gebunden sei und das bereit gehaltene Pistenfahrzeug abzunehmen habe.
Am 30. April 2003 fällte das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden das folgende Urteil:
"1. In Gutheissung des Vollstreckungsgesuches wird der Gemeindevorstand Tujetsch, bestehend aus A., B., C., D und E., unter der Strafandrohung von
Art. 292 StGB
, wonach mit Haft oder mit Busse bestraft wird, wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, verpflichtet,
BGE 129 I 410 S. 412
für die Gemeinde Tujetsch binnen 30 Tagen seit der Eröffnung dieses Urteiles mit der X. AG den Kaufvertrag für die mit Urteil des Verwaltungsgerichtes vom 17. Januar 2003 an Letztere vergebene Pistenmaschine abzuschliessen.
2. ..."
Gegen dieses Urteil führen die Politische Gemeinde Tujetsch sowie die einzelnen Mitglieder ihres Gemeindevorstandes gemeinsam staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht (Eingabe vom 10. Juni 2003). Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides.
Die X. AG schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Mit verfahrensleitender Verfügung vom 9. Juli 2003 hat der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der staatsrechtlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Der angefochtene Entscheid ist letztinstanzlich und stützt sich auf kantonales Recht; gegen ihn steht auf Bundesebene kein anderes Rechtsmittel offen als die staatsrechtliche Beschwerde (
Art. 84 Abs. 2 und
Art. 86 OG
). Er trifft die Gemeinde Tujetsch in ihren hoheitlichen Befugnissen, hat sie das Verwaltungsgericht doch zum Kauf eines Pistenfahrzeuges aus eigenen Mitteln verpflichtet. Die Gemeinde ist deshalb legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung der Gemeindeautonomie zu rügen (vgl.
BGE 128 I 3
E. 1c S. 7;
BGE 121 I 218
E. 2a S. 220, je mit Hinweisen). Ob der Gemeinde Tujetsch im betreffenden Bereich tatsächlich Autonomie zusteht, ist nicht eine Frage des Eintretens, sondern der materiellen Beurteilung (
BGE 128 I 3
E. 1c S. 7;
BGE 119 Ia 285
E. 4a S. 294).
An der Anfechtbarkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ändert grundsätzlich nichts, dass dieses letztlich einzig Vollstreckungsmassnahmen zum Gegenstand hat; zu prüfen ist indessen nur, ob der angefochtene Entscheid als Vollstreckungsentscheid mit der Verfassung vereinbar ist, und es ist nicht mehr auf die Rechtmässigkeit des Vergabeentscheides zurückzukommen, zumal die Gemeinde Tujetsch nicht geltend macht, in unverjährbaren oder unverzichtbaren Grundrechten verletzt worden zu sein.
BGE 129 I 410 S. 413
1.2
Die Mitglieder des Gemeindevorstandes Tujetsch sind durch den angefochtenen Entscheid insoweit in rechtlich geschützten Interessen betroffen, als das Verwaltungsgericht sie unter Strafandrohung verpflichtet, für die Gemeinde einen privatrechtlichen Vertrag abzuschliessen. Obwohl sie im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht an sich nicht direkt Partei waren, sind sie dadurch, dass sie vom angefochtenen Entscheid erstmals unmittelbar persönlich unter Strafandrohung in die Pflicht genommen werden, ebenfalls - wenn auch nicht im Hinblick auf die Gemeindeautonomie, sondern auf ihre jeweilige eigene Rechtsstellung - legitimiert, das Urteil des Verwaltungsgerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten (vgl.
Art. 88 OG
).
2.
2.1
Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts (
Art. 50 Abs. 1 BV
). Wie bereits unter der Geltung der alten Verfassung ist eine Gemeinde demnach dann autonom in einem Sachbereich, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung des kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (
BGE 128 I 3
E. 2a S. 8;
BGE 122 I 279
E. 8b S. 290, je mit Hinweisen).
2.2
Die Verfassung für den Kanton Graubünden vom 2. Oktober 1892 (KV) regelt die politischen Gemeinden in Art. 40 KV und weist ihnen unter anderem das Recht zur selbständigen Gemeindeverwaltung und die Verpflichtung zu, "für gute Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten ... zu sorgen". Nach Art. 1 Abs. 2 des Gemeindegesetzes des Kantons Graubünden vom 28. April 1974 üben die Gemeinden in den Grenzen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die Hoheit über alle auf ihrem Gebiet befindlichen Personen und Sachen aus. Gemäss Art. 2 Abs. 1 des Gemeindegesetzes steht ihnen innerhalb der Schranken der Gesetzgebung des Bundes und des Kantons das Recht auf selbständige Ordnung ihrer Angelegenheiten zu. Dazu
BGE 129 I 410 S. 414
gehört auch der Fahrzeugpark einer Gemeinde. Soweit es um die Beschaffung eines neuen Fahrzeuges geht, greifen zwar die Vorschriften des kantonalen Submissionsrechts; es liegt aber in erster Linie in der Verantwortung der Gemeinde, welchen Verkäufer sie berücksichtigen will (vgl. zur Autonomie der bündnerischen Gemeinden und Kreise im Submissionswesen das Urteil des Bundesgerichts 2P.6/1993 vom 25. Mai 1994).
2.3
Die beschwerdeführende Gemeinde verfügt demnach im vorliegenden Zusammenhang über die erforderliche relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit, womit sie den Schutz der Autonomie geniesst. Sie kann sich daher mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen den sie belastenden Vergabeentscheid des Verwaltungsgerichts als kantonal letztinstanzlicher Rechtsmittelbehörde wehren; dabei kann sie insbesondere geltend machen, dieses habe im Rechtsmittelverfahren seine Prüfungsbefugnis überschritten oder die den betreffenden Sachbereich ordnenden kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Normen falsch angewendet. Die Gemeinde kann auch eine Verletzung des Willkürverbots oder eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs rügen, sofern diese Vorbringen mit der behaupteten Verletzung der Autonomie in engem Zusammenhang stehen. Soweit es um die Handhabung von eidgenössischem oder kantonalem Verfassungsrecht geht, prüft das Bundesgericht das Vorgehen der kantonalen Behörden mit freier Kognition, sonst nur auf Willkür hin (
BGE 128 I 3
E. 2b S. 9;
BGE 126 I 133
E. 2 S. 136 f., je mit weiteren Hinweisen).
3.
3.1
In der vorliegenden Sache geht es um einen Vollstreckungsentscheid im Zusammenhang mit dem Verfahren zur Beschaffung eines Pistenfahrzeuges durch die Gemeinde Tujetsch. Der materielle Vergabeentscheid steht fest: Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hat anstelle der beschwerdeführenden Gemeinde und für diese entschieden, dass sie das fragliche Pistenfahrzeug bei der Beschwerdegegnerin und nicht bei der von ihr bevorzugten Konkurrentin zu beschaffen habe. Dieser Entscheid wurde von der Gemeinde nicht angefochten und ist rechtskräftig. Die beschwerdeführende Gemeinde hat aber nachträglich von einem Kauf abgesehen und begründet dies mit finanziellen und budgetrechtlichen Argumenten. Mit dem angefochtenen Entscheid soll sie nun gezwungen werden, den Kauf des Pistenfahrzeuges doch noch vorzunehmen bzw. einen entsprechenden Vertrag mit der Beschwerdegegnerin abzuschliessen.
BGE 129 I 410 S. 415
3.2
Nach Art. 81 des Gesetzes vom 9. April 1967 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Graubünden (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG/GR) werden auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung lautende Urteile, Verfügungen und Vergleiche nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vollstreckt (Abs. 1). In allen anderen Fällen kann der Berechtigte die Hilfe des Verwaltungsgerichts in Anspruch nehmen; dieses droht im Urteil oder in einer Vollziehungsverfügung Ersatzvornahme auf Kosten des Pflichtigen, polizeilichen Vollzug oder die Straffolgen von
Art. 292 StGB
an (Abs. 2), wobei die Vollstreckung solcher vom Gericht verfügten oder angeordneten Massnahmen dem kantonalen Justiz- und Polizeidepartement obliegt (Abs. 3).
Der angefochtene Entscheid erging auf der Grundlage von
Art. 81 Abs. 2 VGG
/GR. Es fragt sich, ob dies zulässig ist oder in verfassungswidriger Weise in die Autonomie der beschwerdeführenden Gemeinde eingreift.
3.3
Grundsätzlich steht es dem Verwaltungsgericht funktionell durchaus zu, auf Antrag des Berechtigten die erforderlichen Massnahmen zur Vollstreckung seiner Urteile anzuordnen. Strittig und fraglich ist im vorliegenden Zusammenhang jedoch, ob das Verwaltungsgericht auch über die sachliche Kompetenz zu den von ihm angeordneten Massnahmen verfügt.
Das Submissionsgesetz (SubG) vom 7. Juni 1998 des Kantons Graubünden ist unter anderem anwendbar auf die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen der Gemeinden (Art. 1 Abs. 1 lit. b SubG). Gemäss Art. 15 Abs. 1 SubG erhält das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag. Nach Art. 17 Abs. 2 SubG kann der Submittent das Verfahren aus wichtigen Gründen abbrechen. Diese kantonalrechtliche Submissionsordnung stimmt im Wesentlichen mit derjenigen der Interkantonalen Vereinbarung vom 25. November 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (IVoeB; SR 172.056.4) überein, der auch der Kanton Graubünden beigetreten ist.
Im vorliegenden Fall steht verbindlich fest, dass das günstigste Angebot von der Beschwerdegegnerin unterbreitet wurde, weshalb diese den Zuschlag erhielt. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, damit sei die beschwerdeführende Gemeinde gestützt auf das rechtskräftige verwaltungsgerichtliche Urteil in der Sache verpflichtet, den Kaufvertrag mit der Beschwerdegegnerin abzuschliessen, und könne in Vollstreckung des Urteils dazu gezwungen werden. Ob dies zutrifft, hängt freilich von den Rechtswirkungen ab, welche der
BGE 129 I 410 S. 416
submissionsrechtliche Zuschlag entfaltet. Die beschwerdeführende Gemeinde ist der Ansicht, der Zuschlag verpflichte sie nicht im Sinne eines Kontrahierungszwanges zu einem Vertragsabschluss; sie könne auch auf einen solchen überhaupt verzichten. Ergänzend macht sie geltend, das Verfahren aus wichtigen Gründen abgebrochen zu haben, was sie den beteiligten Unternehmungen schriftlich mitgeteilt habe. Dagegen sei keine Beschwerde erhoben worden.
3.4
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts begründen weder die Ausschreibung noch die Zuschlagsverfügung in einem Submissionsverfahren eine Kontrahierungspflicht des Submittenten. Das öffentliche Submissionsrecht berührt insofern das private Vertragsrecht nicht (PETER GALLI/ANDRÉ MOSER/ELISABETH LANG, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, Zürich/Basel/Genf 2003, S. 255 ff., Rz. 529 ff.). Der Zuschlag beseitigt zwar ein Verbot des Vertragsabschlusses während des Vergabeverfahrens (PETER GAUCH, Zuschlag und Verfügung, ein Beitrag zum öffentlichen Vergaberecht, in: Mensch und Staat, Festschrift für Thomas Fleiner zum 65. Geburtstag, hrsg. von Peter Hänni, Freiburg 2003, S. 602 ff.; ders., Der verfrüht abgeschlossene Beschaffungsvertrag, in: BR 2003 S. 4). Er bindet den Auftraggeber aber nur insoweit, als dieser den Vertrag mit dem Zuschlagsempfänger abzuschliessen hat, sofern er überhaupt einen solchen eingeht. Wieweit dies erzwingbar ist bzw. ob bei einem Verstoss der Vertragsschluss ungültig oder anfechtbar oder lediglich rechtswidrig und mit Haftungsfolgen verbunden wäre, kann hier, wo es zu keinem Vertragsschluss gekommen ist, offen bleiben. Verzichtet der Submittent nämlich trotz Zuschlags überhaupt auf den Abschluss eines Vertrages, kann er jedenfalls nicht zu einem solchen gezwungen werden (vgl. GAUCH, Zuschlag und Verfügung, a.a.O., S. 605 ff.; anderer Meinung: EVELYNE CLERC, L'ouverture des marchés publics: Effectivité et protection juridique, Diss. Freiburg 1997, S. 497 ff.; von einer "obligation [de conclure un contrat]" spricht auch JEAN-BAPTISTE ZUFFEREY, in: Jean-Baptiste Zufferey/Corinne Maillard/Nicolas Michel, Droit des marchés publics, Freiburg 2002, S. 124). Eine solche weitgehende Rechtsfolge müsste sich eindeutig aus dem Gesetz ergeben, was zumindest für das bündnerische Vergaberecht nicht zutrifft, wobei sich bei einer gegenteiligen Betrachtungsweise zusätzlich die Frage stellen würde, ob und wieweit das kantonale Recht überhaupt die bundesrechtliche Vertragsfreiheit einschränken dürfte.
Es kann hier auch offen bleiben, ob nach rechtskräftigem Zuschlag ein Abbruch des Submissionsverfahrens noch möglich ist. Gegebenenfalls
BGE 129 I 410 S. 417
lässt sich im entsprechenden Verfahren prüfen, ob für ein solches Vorgehen ein wichtiger Grund bestand (vgl. dazu GALLI/MOSER/LANG, a.a.O., S. 182 f., Rz. 391 f.). So oder so kann der Verzicht auf einen Vertrag nach abgeschlossenem Vergabeverfahren allenfalls, sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, Schadenersatzfolgen auslösen (vgl. die spezielle Haftungsregelung in Art. 25 SubG). Darüber ist aber nicht bei der Vollstreckung des Zuschlags- oder allenfalls Abbruchsentscheides, sondern in einem separaten Haftungsverfahren zu befinden (vgl. HUBERT STÖCKLI, Anmerkung zu einem Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. Januar 2002, in: BR 2003 S. 67). Die Rechtslage gleicht insofern derjenigen, die gilt, wenn der Vertrag aufgrund eines noch nicht rechtskräftigen Zuschlagsentscheides bereits abgeschlossen und die Vergabe im Rechtsmittelverfahren noch geändert wird oder wenn in einem Feststellungsverfahren die Rechtmässigkeit eines Abbruchsentscheides zu prüfen ist (vgl.
Art. 17 Abs. 4 und
Art. 18 Abs. 2 IVoeB
; GAUCH, Der verfrüht abgeschlossene Beschaffungsvertrag, a.a.O., S. 5; JEAN-BAPTISTE ZUFFEREY, Le "Combat" entre l'effet suspensif et le contrat en droit des marchés publics, in: Mensch und Staat, Festschrift für Thomas Fleiner zum 65. Geburtstag, hrsg. von Peter Hänni, Freiburg 2003, S. 689 ff.). Im Unterschied dazu kann aber im Verfahren zur Vollstreckung eines Zuschlagsentscheides nicht einmal über entsprechende Vorfragen entschieden werden. Diesfalls steht rechtskräftig fest, wer den Zuschlag erhalten hat; ob der nachfolgende Verzicht auf Vertragsschluss rechtswidrig war, ist gegebenenfalls Gegenstand eines separaten Haftungsverfahrens.
3.5
Dem Verwaltungsgericht stand es demnach sachlich nicht zu, die beschwerdeführende Gemeinde im Rahmen einer submissionsrechtlichen Vollstreckungsverfügung zum Abschluss eines privatrechtlichen Kaufvertrages zu zwingen. Es hat sowohl seine Kompetenz und damit seine Prüfungsbefugnis überschritten als auch das kantonale Submissionsrecht willkürlich angewendet. Damit hat das Verwaltungsgericht die Autonomie der beschwerdeführenden Gemeinde verletzt.
4.
Der angefochtene Entscheid erweist sich damit auch gegenüber den privaten Beschwerdeführern als willkürlich im Sinne von
Art. 9 BV
. Steht es dem Verwaltungsgericht nicht zu, die Gemeinde im submissionsrechtlichen Vollstreckungsverfahren zum Abschluss eines privaten Kaufvertrages zu verpflichten, ist es ebenfalls unhaltbar,
BGE 129 I 410 S. 418
den Mitgliedern des Gemeindevorstandes eine entsprechende Verhaltenspflicht aufzuerlegen. Damit braucht über die weiteren Rügen, die von den privaten Beschwerdeführern vorgetragen werden, nicht entschieden zu werden. | mixed |
f9a8490a-06b3-4403-8b58-074726c6c10d | Sachverhalt
ab Seite 470
BGE 135 III 470 S. 470
A.
X. (nachfolgend: Beschwerdeführer) trat am 1. März 1983 in die Dienste einer Rechtsvorgängerin der Y. AG ein. Im Dezember 1999 schloss die Y. AG mit den Sozialpartnern einen Gesamtarbeitsvertrag inkl. Sozialplan. Laut dem am 31. März 2002 mit dem Beschwerdeführer abgeschlossenen Arbeitsvertrag für Kadermitarbeiter verdiente dieser ab 1. April 2002 13 x Fr. 6'288.- brutto jährlich.
Am 22. September 2002 wurde der Y. AG die provisorische Nachlassstundung gewährt. Wenige Tage später teilte der Sachwalter den
BGE 135 III 470 S. 471
Arbeitnehmern mit, dass er nicht in die Arbeitsverhältnisse und in allenfalls bestehende Sozialpläne eintrete. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2002 kündigte die Y. AG "vorsorglich" das Arbeitsverhältnis mit dem Beschwerdeführer per 30. April 2003. Mit Schreiben vom 27. Januar 2003 teilte die Y. AG dem Beschwerdeführer mit, er werde ab dem 8. Februar 2003 freigestellt. Gegen die Kündigung per 30. April 2003 erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 29. Januar 2003 Einsprache, weil diese missbräuchlich erfolgt sei. Die Parteien einigten sich offenbar in der Folge nicht zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, der Beschwerdeführer hob aber dennoch keine Klage an.
Nachdem der Schuldenruf ergangen war, gab der Beschwerdeführer mit Anmeldung vom 13. Februar 2003 auch Forderungen aus dem Sozialplan ein.
Am 6. November 2003 bestätigte der zuständige Gerichtspräsident des Gerichtskreises Z. den von der Y. AG mit ihren Gläubigern geschlossenen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung.
In der Kollokationsverfügung vom November 2006 wurden Forderungen des Beschwerdeführers aus dem Arbeitsverhältnis in der ersten Klasse im Umfang von Fr. 35'222.10 anerkannt.
B.
Mit Klage vom 11. Mai 2007 und Ergänzung vom 7. September 2007 beantragte der Beschwerdeführer beim Gerichtskreis Z. in der Nachlassliquidation der Y. AG die Anerkennung von Fr. 54'899.10, eventualiter von Fr. 40'297.10 brutto in der 1. Klasse.
Mit Urteil vom 7. September 2007 wies der Gerichtspräsident 4 des Gerichtskreises Z. die Klage ab.
C.
Gegen diesen Entscheid appellierte der Beschwerdeführer am 17. September 2007 beim Obergericht des Kantons Bern. Mit Urteil vom 8. Juli 2008 wies das Obergericht die Kollokationsklage ab.
D.
Mit Beschwerde vom 15. September 2008 beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils sowie - in Abänderung bzw. Aufhebung der Verfügung in der Nachlassliquidation der Y. AG und des Kollokationsplans - die Anerkennung von Fr. 54'899.10, eventualiter von Fr. 40'297.10 brutto in der 1. Klasse.
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
(Zusammenfassung) Erwägungen
BGE 135 III 470 S. 472
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
(Feststellung, dass der Streitwert Fr. 19'677.- beträgt.)
1.2
Gegenstand des Verfahrens ist der Bestand und der Umfang von Ansprüchen eines Arbeitnehmers im Rahmen eines Kollokationsverfahrens. Fraglich ist, ob es sich um einen arbeitsrechtlichen Fall handelt und die Streitwertgrenze demzufolge Fr. 15'000.- betrüge (
Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG
) oder ob der vorliegende Fall unter die übrigen Fälle zu subsumieren ist und demzufolge die Streitwertgrenze von Fr. 30'000.- massgeblich wäre (
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
).
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, die niedrige Streitwertgrenze für arbeits- und mietrechtliche Fälle müsse auch in SchKG-Verfahren zur Anwendung kommen, wenn sie, wie etwa bei der Kollokationsklage, eng mit einer materiellrechtlichen Frage aus dem Arbeits- oder Mietrecht verbunden seien (BEAT RUDIN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 13 zu
Art. 74 BGG
; DENIS TAPPY, Le recours en matière civile, in: La nouvelle loi sur le Tribunal fédéral, 2007, S. 63 Rz. 20).
Zweck des Kollokationsverfahrens im Konkurs bzw. im Nachlassverfahren (Art. 321 Abs. 2 i.V.m. 244 bis 251 SchKG) ist die Feststellung der Passivmasse, d.h. der Forderungen, die am Liquidationsergebnis nach Bestand, Höhe, Rang und allfälligen Vorzugsrechten an Vermögen des Schuldners teilzunehmen haben (
BGE 133 III 386
E. 4.3.3 S. 390). Der Kollokationsprozess dient ausschliesslich der Bereinigung des Kollokationsplanes und hat so wenig wie dieser irgendwelche Rechtskraftwirkung über das Konkurs- bzw. Nachlassverfahren hinaus. Das Schuldverhältnis als solches - zwischen Schuldner und Gläubiger - wird dadurch nicht rechtskräftig festgelegt. Im Kollokationsprozess kann der Bestand einer Forderung wohl Gegenstand gerichtlicher Prüfung, nicht aber Gegenstand rechtskräftiger Beurteilung sein. Vielmehr ist Gegenstand des Kollokationsurteils nur die Feststellung, inwieweit die streitigen Gläubigeransprüche bei der Liquidationsmasse zu berücksichtigen sind (
BGE 133 III 386
E. 4.3.3 S. 390 mit Hinweisen).
Steht vorliegend die Kollokation von Ansprüchen aus einem Arbeitsverhältnis in Frage, handelt es sich somit nicht um einen arbeitsrechtlichen Fall, sodass die Streitwertgrenze Fr. 30'000.-
BGE 135 III 470 S. 473
beträgt und die Beschwerde in Zivilsachen insoweit nicht gegeben ist.
Gemäss der Rechtsmittelbelehrung des obergerichtlichen Entscheids sollte der Beschwerdeführer berechtigt sein, gegen diesen Beschwerde in Zivilsachen aus den in Art. 95 bis 97 BGG genannten Gründen zu erheben. Zwar dürfen den Parteien aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen (
Art. 49 BGG
). Indes kann die Vorinstanz in einem solchen Fall kein vom Gesetzgeber nicht vorgesehenes Rechtsmittel verschaffen.
(...)
3.
Zusammenfassend ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Betreffend die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren verweist der Beschwerdeführer auf
Art. 343 Abs. 3 OR
, wonach bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bis zu einem Streitwert von Fr. 30'000.- weder Gebühren noch Auslagen des Gerichts auferlegt werden dürfen. Diese Bestimmung gilt auch in Streitigkeiten über prozessuale Nebenpunkte (
BGE 104 II 222
E. 2b S. 223 f.). Indes verkennt der Beschwerdeführer, dass es um die Beurteilung einer Kollokationsklage und somit nicht um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit geht (s. oben, E. 1.2). Damit gelangt
Art. 343 Abs. 3 OR
nicht zur Anwendung (vgl.
BGE 131 III 451
E. 3 S. 455, wo die Frage der Anwendbarkeit von
Art. 343 OR
auf Kollokationsverfahren betreffend den Anspruch an sich offengelassen wurde; a.M. DIETER HIERHOLZER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. III, 1998, N. 80 zu
Art. 250 SchKG
; MANFRED REHBINDER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1992, N. 18 zu
Art. 343 OR
; ADRIAN STAEHELIN, in: Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1996, N. 10 zu
Art. 343 OR
). Im Übrigen würde nach
Art. 65 Abs. 4 lit. c BGG
auch im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit für das bundesgerichtliche Verfahren eine reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 200.- bis 1'000.- erhoben. Diese Bestimmung geht
Art. 343 Abs. 3 OR
vor (Urteil 4A.152/2008 vom 11. September 2008 E. 8.2). Demzufolge sind die Gerichtskosten zu erheben und dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (
Art. 66 Abs. 1 BGG
). | mixed |
8c2568b2-16fb-4b4d-8627-fda11213cb78 | Sachverhalt
ab Seite 469
BGE 138 I 468 S. 469
A.
Die Gemeinde Wangen/SZ als Konzessionsgeberin und die X. AG als Konzessionärin schlossen am 30. Mai 1996 einen Konzessionsvertrag ab betreffend teilweise Versorgung der Gemeinde Wangen mit elektrischer Energie. Die X. AG erhält dadurch das Recht und die Pflicht, ein festgelegtes Gebiet der Gemeinde Wangen mit elektrischer Energie zu erschliessen und zu beliefern. Art. 12 des Konzessionsvertrags regelt die Tarifordnung. Danach erstellt die X. AG eine Tarifordnung, für welche hinsichtlich aller Bezügergruppen und Tarifarten die Prinzipien der Rechtsgleichheit, der Kostendeckung, der Äquivalenz und der Verhältnismässigkeit gelten. Das Werk ist berechtigt, nach dieser Tarifordnung von den Strombezügern Anschlusskosten, Netzanschlussgebühren und wiederkehrende Gebühren zu verlangen. Die Tarifordnung des Werks unterliegt nach Art. 12 Abs. 4 des Konzessionsvertrags der Genehmigung durch den Gemeinderat.
B.
Mit Eingabe vom 30. Juni 2011 beklagten sich Strombezüger der X. AG beim Gemeinderat Wangen, dass die Stromtarife der X. AG über 25 % höher seien als die Stromtarife des EW Wangen. Der Gemeinderat holte eine Stellungnahme der X. AG ein und verfügte am 1. Dezember 2011 wie folgt:
BGE 138 I 468 S. 470
"Die Tarife der X. AG für das Jahr 2012 werden mit folgender Änderung genehmigt: Alle Endpreise vor Mehrwertsteuer sind so zu berechnen, dass die Tarife der X. AG maximal nur noch 15 Prozent höher liegen als diejenigen des EW Wangen. Liegen die von der X. AG eingereichten Tarife bereits jetzt unter dieser Marke, so gelten diese tieferen Ansätze."
C.
Die X. AG erhob dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz. Sie beantragte, der Gemeinderatsbeschluss vom 1. Dezember 2011 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass eine Genehmigungs- und Preisbildungspflicht ihrer Strom- und Netznutzungspreise durch den Gemeinderat Wangen gemäss Art. 12 des Konzessionsvertrags mit Inkrafttreten des Stromversorgungsgesetzes am 1. Januar 2008 nicht mehr zulässig sei. Das Verwaltungsgericht nahm mit Urteil vom 18. April 2012 die Eingabe als Klage aus Konzessionsverhältnis entgegen und wies sie im Sinne der Erwägungen ab. Es erwog, auch nach dem Inkrafttreten des Stromversorgungsgesetzes sei der Konzessionsvertrag nicht bundesrechtswidrig, was auch für die Tarifgenehmigungskompetenz des Gemeinderates gelte.
D.
Mit Eingabe vom 29. Mai 2012 erhebt die X. AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und wiederholt die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.3
Im Folgenden näher zu prüfen ist die Frage, ob mit der neuen Stromversorgungsgesetzgebung die im Konzessionsvertrag festgelegte Kompetenz des Gemeinderates Wangen, die Tarife der Beschwerdeführerin zu genehmigen, bundesrechtswidrig geworden ist.
2.3.1
Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach
Art. 49 Abs. 1 BV
schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt, eine Rechtssetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden. Das Bundesgericht prüft mit freier
BGE 138 I 468 S. 471
Kognition, ob die kantonale Norm mit dem Bundesrecht im Einklang steht (
BGE 137 I 31
E. 4.1 S. 41 mit Hinweis).
2.3.2
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, mit dem Inkrafttreten des Stromversorgungsgesetzes sei die Festlegung der Elektrizitätstarife abschliessend bundesrechtlich geregelt, so dass für die Anwendung kantonaler und kommunaler Preisbestimmungen und Genehmigungsvorbehalte kein Raum mehr bleibe.
2.3.3
Die Vorinstanz, der sich auch die Beschwerdegegnerin anschliesst, hat demgegenüber erwogen, der Konzessionsvertrag sei hinsichtlich der Preise für die Energielieferung nach wie vor gültig: Mit dem Konzessionsvertrag werde die Beschwerdeführerin beauftragt, im Sinne des Bau- und Planungsrechts (
Art. 19 RPG
[SR 700]; § 38 des Planungs- und Baugesetzes [des Kantons Schwyz] vom 14. Mai 1987 [SRSZ 400.100]) das entsprechende Gebiet mit Elektrizität zu erschliessen. Damit werde zugleich auch das Netzgebiet im Sinne von Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 23. März 2007 über die Stromversorgung (Stromversorgungsgesetz, StromVG; SR 734.7) bezeichnet. Eine kantonale Kompetenz bezüglich Tarifen bestehe aufgrund von
Art. 14 Abs. 4 StromVG
weiterhin. Nach der gesetzgeberischen Absicht bestehe somit bezüglich der Tarife weiterhin eine kantonale Kompetenz, die auch an die Gemeinden weiterdelegiert werden könne. Mit der Netzzuteilung gemäss
Art. 5 Abs. 1 StromVG
seien Anschluss- und Betriebspflichten des Netzbetreibers verbunden, die sich mit denjenigen Pflichten, die bisher durch Konzessionsverträge überbunden wurden, überschneiden würden. Der zwischen den Parteien abgeschlossene Konzessionsvertrag widerspreche (abgesehen vom Teilbereich des Netznutzungsentgelts) nicht der Stromversorgungsgesetzgebung. Neben der Tarifüberwachung durch die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) könne deshalb auch die Genehmigungspflicht des Gemeinderates bestehen bleiben.
2.3.4
Die ElCom bringt vor, die eidgenössische Stromversorgungsgesetzgebung regle sowohl die Netz- als auch die Energiekomponente der Elektrizitätstarife umfassend und abschliessend. Die Massnahmen nach
Art. 14 Abs. 4 StromVG
seien durch die Kantone und nicht durch die Gemeinden zu treffen. Die Tarifordnung gemäss Art. 12 des Konzessionsvertrags widerspreche in verschiedener Hinsicht der eidgenössischen Stromversorgungsgesetzgebung; namentlich orientiere sich der Tarif nicht an den Gestehungskosten, sondern knüpfe an den Referenzpreis eines anderen Werkes an, was
BGE 138 I 468 S. 472
möglicherweise dazu führen könnte, dass die Beschwerdeführerin ihre eigenen Kosten nicht mehr decken könne, was bundesrechtswidrig wäre. Zudem könnte die Tarifgenehmigung durch den Gemeinderat in Konflikt treten mit der Zuständigkeit der ElCom im Bereich der Elektrizitätstarife.
2.3.5
Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Energie und Kommunikation (UVEK) geht davon aus, dass das Genehmigungsrecht des Gemeinderates gemäss Konzessionsvertrag die Überprüfungsbefugnis der ElCom nicht ersetze, sondern dieser in zeitlicher Hinsicht vorausgehe und nicht bundesrechtswidrig sei. Materiellrechtlich seien die Vorschriften der Stromversorgungsgesetzgebung in Bezug auf die Energielieferung nicht abschliessend. Es verbleibe daher Raum für ergänzende kantonale Regelungen.
2.4
Das Bundesgericht hat in
BGE 138 I 454
E. 3.6.3-3.6.5 erkannt, die Stromversorgungsgesetzgebung regle sowohl das Netznutzungsentgelt (mit Ausnahme der Abgaben und Leistungen an Gemeinwesen) als auch den Energiepreis abschliessend. Mehrkosten, die sich daraus ergäben, dass das Versorgungsunternehmen den Strom infolge von Abnahme- und Vergütungspflichten zu höheren als den Marktpreisen einkaufen müsste, hätten in diesem neuen System idealtypisch keinen Raum mehr; solche seien daher nur zulässig, soweit das Bundesrecht selber (vgl. Art. 7a des Energiegesetzes vom 26. Juni 1998 [EnG; SR 730.0]) sie vorsehe, nicht aber aufgrund darüber hinausgehender kantonaler Vergütungspflichten. Im Übrigen bestünden kantonale Zuständigkeiten nur noch, soweit das Stromversorgungsrecht entsprechende Vorbehalte enthalte (vgl.
Art. 5 sowie
Art. 14 Abs. 4 StromVG
).
2.5
Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin ist somit auch der Energiepreis durch die Stromversorgungsgesetzgebung des Bundes grundsätzlich abschliessend geregelt. Die einzige Strompreiskomponente, welche nicht bundesrechtlich geregelt ist und nicht der Regulierung durch die ElCom unterliegt, sind die Abgaben und Leistungen an Gemeinwesen (
Art. 14 Abs. 1 StromVG
): Diese richten sich nach den einschlägigen Gesetzen von Bund und Kantonen (vgl.
BGE 138 II 70
) und müssen transparent ausgewiesen werden (
Art. 12 Abs. 2 StromVG
; BBl 2005 1678 f.;
BGE 138 I 454
E. 3.6.3 S. 463).
Vorliegend geht es aber nicht um eine solche Abgabe, sondern um den Tarif für die Energielieferung. Zwar sind in Bezug auf den Energiepreis die Vorschriften der Bundesgesetzgebung nicht so
BGE 138 I 468 S. 473
detailliert wie in Bezug auf die Netznutzung. Insbesondere legt das Bundesrecht nicht eindeutig fest, was unter einem "angemessenen" Tarif zu verstehen ist (WEBER/MANNHART, Neues Strompreisrecht, ZBl 109/2008 S. 463 f.; WEBER/KRATZ/MANNHART, Stromversorgungsrecht, Ergänzungsband Elektrizitätswirtschaftsrecht, 2009, S. 25 f.). Vorgeschrieben ist nur, aber immerhin, dass für feste Endverbraucher mit gleichartiger Verbrauchscharakteristik ein einheitlicher Tarif festzulegen ist (
Art. 6 Abs. 3 StromVG
), für den Tarifbestandteil der Energielieferung eine Kostenträgerrechnung zu führen ist (
Art. 6 Abs. 4 Satz 2 StromVG
) und sich der Tarif an den Gestehungskosten einer effizienten Produktion und an langfristigen Bezugsverträgen, maximal aber am Marktpreis, orientiert (Art. 4 Abs. 1 der Stromversorgungsverordnung vom 14. März 2008 [StromVV; SR 734.71]). Materiell stehen diese Grundsätze zwar nicht unbedingt im Widerspruch zu den Kriterien, die in Art. 12 Ziff. 1 des Konzessionsvertrags festgelegt sind (Rechtsgleichheit, Kostendeckung, Äquivalenz und Verhältnismässigkeit). Auch die Stossrichtung ist durchaus vergleichbar, geht es doch in beiden Regelungen darum, überhöhte Elektrizitätspreise zu verhindern. Ein Konflikt kann sich aber insbesondere in Bezug auf die Zuständigkeiten ergeben: Nach Bundesrecht unterliegen die Elektrizitätstarife der Aufsicht der ElCom. Der Verteilnetzbetreiber muss gegenüber Endverbrauchern mit Grundversorgung Erhöhungen oder Senkungen der Elektrizitätstarife begründen (
Art. 4 Abs. 2 StromVV
); er muss Erhöhungen der Tarife auch der ElCom mit der den Endverbrauchern mitgeteilten Begründung melden (
Art. 4 Abs. 3 StromVV
). Die ElCom kann die Tarife überprüfen (zu den Prüfkriterien und -methoden vgl. WEBER/MANNHART, a.a.O., S. 462 ff.) und Absenkungen verfügen oder Erhöhungen untersagen (
Art. 22 Abs. 2 lit. b StromVG
). Eine zusätzliche Tarifaufsicht durch eine kantonale Behörde würde hier zu Doppelspurigkeiten und potenziellen Widersprüchen führen, wie die ElCom mit Recht ausführt.
2.6
Trotz grundsätzlich abschliessender bundesrechtlicher Regelung bestehen kantonale Zuständigkeiten weiterhin, soweit sie in der einschlägigen Bundesgesetzgebung ausdrücklich vorgesehen sind. So hat das Bundesgericht im erwähnten
BGE 138 I 454
E. 3.6.3 S. 463 auf den Vorbehalt von
Art. 14 Abs. 4 StromVG
hingewiesen, wonach die Kantone die geeigneten Massnahmen zur Angleichung unverhältnismässiger Unterschiede der Netznutzungstarife in ihrem Gebiet treffen. Indessen betrifft
Art. 14 Abs. 4 StromVG
nur Unterschiede in den Netznutzungstarifen, die vorliegend gar nicht
BGE 138 I 468 S. 474
Streitgegenstand bilden (vgl. nicht publ. E. 1), nicht aber die hier zur Diskussion stehenden Energiepreise.
2.7
Das UVEK bringt vor, das Genehmigungsrecht der Gemeinde könne zeitlich der Überprüfung durch die ElCom vorangehen und in diesem Sinne weiterhin zulässig sein. Zwar trifft es zu, dass in den Fällen, wo die Netzbetreiber kommunale Elektrizitätswerke sind, die dem Netzeigentümer obliegende Aufgabe der Tariffestsetzung durch die nach kantonalem oder kommunalem Recht zuständigen Gemeindeorgane erfolgt (MAHAIM, L'Etat et les entreprises électriques, in: SVVOR-Jahrbuch 2008, S. 107). Die Gemeinde handelt dabei als Eigentümerin ihres eigenen Netzes. Vorliegend beansprucht die Gemeinde hingegen eine Tarifaufsicht über die Tarife einer anderen, privatrechtlichen Netzbetreiberin, was eine wesentlich andere Konstellation ist.
2.8
Die Vorinstanz begründet eine solche Zuständigkeit mit dem Konzessionsverhältnis. Richtig ist zwar, dass der Konzessionsvertrag als solcher mit dem Inkrafttreten des Stromversorgungsgesetzes nicht hinfällig geworden ist, sieht doch
Art. 5 Abs. 1 StromVG
vor, dass die Kantone Netzgebiete bezeichnen und zuteilen, was mit einem Leistungsauftrag verbunden werden kann (RECHSTEINER/WALDNER, Netzgebietszuteilung und Konzessionsverträge für die Elektrizitätsversorgung, Aktuelle Fragen und kommende gesetzliche Vorgaben, AJP 2007 S. 1289 f.). Diese Netzzuteilung kann mit bestehenden Konzessionen oder mit einer Sondernutzungskonzession für die Benützung des öffentlichen Grundes kombiniert werden (vgl. BBl 2005 1678 f. Ziff. 5.4; RECHSTEINER/WALDNER, a.a.O., S. 1293; TRÜEB/ZIMMERLI, Keine Ausschreibungspflicht für Sondernutzungskonzessionen der Verteilnetzbetreiber, ZBl 112/2011 S. 126 ff.; FUCHS/MORGENBESSER, Besteht eine Ausschreibungspflicht für die Erteilung von Verteilnetzkonzessionen?, AJP 2010 S. 1099 ff.). Der Vorinstanz ist somit insofern zuzustimmen, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Konzessionsvertrag mit dem Inkrafttreten der Stromversorgungsgesetzgebung nicht generell bundesrechtswidrig geworden ist. Gestützt auf den Vertrag ist die Beschwerdeführerin nach wie vor Netzbetreiberin im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 StromVG
auf dem darin bezeichneten Gebiet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz bedeutet dies aber nicht, dass auch die Tarifgenehmigungskompetenzen weiterhin unverändert bestehen bleiben. Der von der Vorinstanz zitierte
Art. 5 Abs. 4 StromVG
bezieht sich nur auf die Bedingungen und Kosten des Anschlusses, nicht aber auf die Energietarife. Diese sind nach der heutigen Rechtslage - wie bereits oben
BGE 138 I 468 S. 475
dargelegt - bundesrechtlich durch die Stromversorgungsgesetzgebung und die ElCom reguliert, womit eine parallele kantonale oder kommunale Tarifgenehmigungskompetenz ausgeschlossen ist.
Grundsätzlich zulässig bleiben weiterhin auch vertragliche Beziehungen zwischen Netzbetreibern und Dritten. So kann etwa ein kommunales Werk, das selber keinen Strom produziert, einen Stromlieferungsvertrag mit einem anderen, Strom produzierenden Werk abschliessen und darin einen Preis festlegen; dieser vertraglich festgelegte Strompreis präjudiziert (unter Vorbehalt der Kontrolle der ElCom) dann den Preis, den das einkaufende Werk von seinen Kunden verlangt. | mixed |
8a66c1af-d81e-4a79-958e-f4ce200358b9 | Sachverhalt
ab Seite 156
BGE 128 III 156 S. 156
Sur la base d'un rapport officiel relatant divers dysfonctionnements et manquements à la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, à ses ordonnances d'exécution et à des normes de droit cantonal, l'autorité cantonale de surveillance des offices de poursuites et de faillites a prononcé la destitution de certains fonctionnaires en vertu de l'
art. 14 al. 2 ch. 4 LP
. Trois d'entre eux, dont S., ont recouru à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral en invoquant l'excès et l'abus du pouvoir d'appréciation dans l'application de la disposition précitée. Leurs recours ont été déclarés irrecevables. Ils ont également exercé des recours de droit public. Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) Selon une jurisprudence constante, la Chambre des poursuites et des faillites examine la décision disciplinaire rendue par une autorité de surveillance seulement lorsque cette dernière n'était pas compétente pour prendre des mesures disciplinaires contre le fonctionnaire ou que la sanction n'était pas prévue par l'
art. 14 al. 2
BGE 128 III 156 S. 157
LP
; elle ne peut en revanche examiner si la mesure disciplinaire était inopportune, excessive ou infondée (
ATF 112 III 67
consid. 2a p. 70 s. et les références). Le recours selon l'
art. 19 al. 1 LP
n'étant pas ouvert à cet effet, celui de droit public est par contre recevable sous l'angle de l'
art. 84 al. 2 OJ
.
Saisi d'un tel recours, le Tribunal fédéral n'intervient que si l'autorité cantonale de surveillance a commis un excès ou un abus dans l'exercice de son pouvoir d'appréciation, qui est large dans le cadre de l'application de l'
art. 14 al. 2 LP
(
ATF 112 III 67
consid. 7a p. 73). Il y a excès ou abus du pouvoir d'appréciation lorsque la décision attaquée repose sur une appréciation insoutenable des circonstances de fait, qu'elle est inconciliable avec les règles du droit et de l'équité, qu'elle omet de tenir compte de tous les éléments de fait propres à fonder la décision ou encore lorsqu'elle prend au contraire en considération des circonstances qui ne sont pas pertinentes (ibidem;
ATF 109 Ia 107
consid. 2c p. 109 et les références).
b) La loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite a, dès le 1er janvier 1997, assimilé formellement le grief d'excès ou d'abus du pouvoir d'appréciation à celui de violation de la loi en l'inscrivant à son art. 19 al. 1. Elle n'a fait que reprendre la jurisprudence qui consacrait déjà cette assimilation (cf. Message concernant la révision de la LP du 8 mai 1991, FF 1991 III 43). La définition de l'excès ou de l'abus de droit retenue dans le cadre de l'
art. 19 al. 1 LP
rejoint cependant celle donnée à la même notion dans le cadre du recours de droit public (consid. 1a supra) et plus généralement celle de l'arbitraire (cf. SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, Berne 1990, p. 721 s. et la jurisprudence citée). On soutient pourtant en doctrine que le recours à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral pour excès ou abus du pouvoir d'appréciation devrait également être ouvert en matière disciplinaire (cf. GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, n. 40 ad
art. 14 LP
; FRANK EMMEL, in Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Staehelin/Bauer/Staehelin, n. 13 ad
art. 14 LP
).
Il y a donc lieu de revoir la situation.
c) La décision susceptible d'être déférée au Tribunal fédéral au sens de l'
art. 19 al. 1 LP
est celle par laquelle l'autorité cantonale (supérieure) de surveillance statue sur les conclusions formulées contre une mesure (ou une omission) des autorités de poursuite ou de faillite, ou ordonne elle-même une telle mesure (SANDOZ-MONOD, loc. cit., p. 709 s. et les références). Par mesure, il faut entendre tout
BGE 128 III 156 S. 158
acte d'autorité accompli par l'office ou par un organe de la poursuite en exécution d'une mission officielle dans une affaire concrète (
ATF 116 III 91
consid. 1 et les références).
En droit de la poursuite, le Tribunal fédéral n'a pas de pouvoir disciplinaire et ne saurait en exercer un (C. JAEGER, Commentaire de la LP, n. 6 s. ad
art. 14 LP
; GILLIÉRON, op. cit., n. 39 ad
art. 14 LP
et la jurisprudence citée; FRANCO LORANDI, Betreibungsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeit, n. 66 ad
art. 14 LP
et les références). Cette compétence est réservée aux seules autorités cantonales de surveillance (
ATF 47 III 119
). Celles-ci ont un pouvoir d'appréciation qui s'exerce dans le cadre des peines prévues par le droit fédéral, mais leurs décisions en la matière n'ont pas pour objet une contestation relative à un acte de poursuite (GILLIÉRON, op. cit., n. 48 ad
art. 19 LP
).
Il faut noter par ailleurs que lorsque l'autorité qui prend la décision disciplinaire n'est pas l'autorité cantonale de surveillance ou que la peine infligée n'est pas prévue par le droit fédéral, il y a méconnaissance grave d'une norme - l'
art. 14 LP
- qui attribue clairement le pouvoir disciplinaire aux autorités cantonales de surveillance et dresse une liste précise et exhaustive des sanctions (cf. GILLIÉRON, op. cit., n. 20, 32 et 40 ad
art. 14 LP
; EMMEL, loc. cit., n. 5 s. ad
art. 14 LP
). Or, la méconnaissance grave d'une norme équivaut à l'arbitraire, qui peut être invoqué dans un recours de droit public (cf. notamment
ATF 120 Ia 369
consid. 3a p. 373;
ATF 118 Ia 129
consid. 2).
Il suit de là que le recours de l'
art. 19 al. 1 LP
pour violation du droit fédéral et pour abus ou excès du pouvoir d'appréciation n'est pas recevable contre les décisions de mesures disciplinaires. Le seul moyen de droit à disposition contre de telles décisions est donc le recours de droit public pour violation de droits constitutionnels des citoyens au sens de l'
art. 84 al. 1 let. a OJ
.
Il y a lieu toutefois d'excepter les cas où, comme dans l'espèce jugée à l'
ATF 119 III 118
(consid. 4), l'autorité cantonale de surveillance, se prononçant non pas comme autorité disciplinaire, mais comme autorité de surveillance, examine la désignation ou la composition d'une administration spéciale (
ATF 112 III 67
consid. 2b p. 72). | mixed |
47ea7db7-d3ca-4501-a01f-806132310cc2 | Sachverhalt
ab Seite 234
BGE 123 V 234 S. 234
A.-
M. ist laut Handelsregistereintrag einziges Verwaltungsratsmitglied und Alleinaktionär der M. Architekt AG. Seit Mitte 1988 beschäftigte diese Firma neben M. nur noch dessen Ehefrau. Im Jahre 1992 wurde für M. mit der Ausgleichskasse ein AHV-pflichtiger Lohn von Fr. 70'000.-- abgerechnet. Nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses per 31. Dezember 1992, über welche M. selber entschieden hatte, beanspruchte er Arbeitslosentaggelder und besuchte ab 14. Januar 1993 die Stempelkontrolle. Im April 1993 bescheinigte er sich einen bei der Firma aufgrund eines befristeten Arbeitsverhältnisses erzielten Zwischenverdienst von Fr. 8'000.--.
Weil die Kantonale Arbeitslosenkasse Schwyz die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalles bezweifelte, unterbreitete sie das Dossier
BGE 123 V 234 S. 235
dem Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Schwyz (KIGA). Dieses verneinte den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, da M. nicht als Arbeitnehmer erwerbstätig gewesen sei (Verfügung vom 6. September 1993).
B.-
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hiess die hiegegen erhobene Beschwerde gut, hob die angefochtene Verfügung auf, stellte fest, dass M. anspruchsberechtigt sei, und wies die Arbeitslosenkasse zur Festsetzung und Ausrichtung der Entschädigung an (Entscheid vom 12. Januar 1994).
C.-
Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheides. Mangels einer arbeitslosenversicherungs- und beitragspflichtigen Arbeitnehmertätigkeit innerhalb der massgeblichen Rahmenfrist für die Beitragszeit bestehe kein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
M. beantragt ebenfalls Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während sich das KIGA dem Antrag des BIGA anschliesst. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
a) (Das KIGA hat den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung in seiner Vernehmlassung an die Vorinstanz mit der Begründung verneint,) das Verhalten des Versicherten, der sich selber gekündigt und dann Arbeitslosenentschädigung geltend gemacht habe, um damit die Zeiten schlechten Geschäftsganges zu überbrücken und später erneut als Arbeitnehmer in "seiner" fortbestehenden Aktiengesellschaft tätig zu sein, sei rechtsmissbräuchlich und laufe auf eine Umgehung der Regelung über die Kurzarbeitsentschädigung (
Art. 31 Abs. 3 AVIG
) hinaus, welche bestimmte Personengruppen vom Anspruch auf Entschädigung ausnehme.
b) Demgegenüber hat die Vorinstanz unter Hinweis auf die Botschaft zu einem neuem Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980 (BBl 1980 III 591 f.) im wesentlichen erwogen, der in
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG
statuierte Ausschluss vom Entschädigungsanspruch beziehe sich nur auf Kurzarbeit und Schlechtwetter, nicht aber auf Ganzarbeitslosigkeit. Aufgrund der konkreten Situation sei es zweckmässig gewesen, die Firma nicht gänzlich stillzulegen
BGE 123 V 234 S. 236
bzw. zu liquidieren. Entgegen der Auffassung der Verwaltung könne von einer fingierten Arbeitslosigkeit bzw. rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von Arbeitslosentaggeldern nicht die Rede sein.
7.
a) Laut
Art. 31 Abs. 1 AVIG
haben Arbeitnehmer, deren normale Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn sie bestimmte, in lit. a-d näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen. Kurzarbeit setzt u.a. voraus, dass der Arbeitnehmer einen Arbeitsausfall erleidet (
Art. 31 Abs. 1 lit. b AVIG
), welcher - um anrechenbar zu sein - seinerseits gewisse Voraussetzungen erfüllen muss (Art. 32 f. AVIG). Die Einführung von Kurzarbeit liegt in der unternehmerischen Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers. Er allein bestimmt, ob, wann und für wie lange er Kurzarbeit einführen will. Bezweckt wird damit eine Produktionsdrosselung und Kosteneinsparung bei gleichzeitiger Erhaltung der Arbeitsplätze und des Personalbestandes. Durch Kurzarbeit sollen während einer beschränkten Zeit Entlassungen vermieden werden, damit das Unternehmen bei einer Normalisierung des Geschäftsganges mit einem intakten Produktionsapparat weiterarbeiten kann (zum Ganzen GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. 1, S. 383 ff., Vorbemerkungen zu
Art. 31-41 AVIG
, N. 17, 20 ff., 26 f.). In dieser Dispositionsfreiheit wird der Arbeitgeber durch das Arbeitslosenversicherungsgesetz nicht eingeschränkt. Soweit allerdings gegenüber der Versicherung Leistungsansprüche geltend gemacht werden, sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen (GERHARDS, a.a.O., N. 17). So bedarf es eines gegenseitigen Einverständnisses zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, wonach bei Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses die Arbeitszeit und der Lohn reduziert werden; denn andernfalls wäre ein allfälliger Arbeitsausfall gar nicht anrechenbar (vgl. Art. 33 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit
Art. 31 Abs. 1 lit. b AVIG
; GERHARDS, a.a.O., S. 434, N. 94 zu
Art. 32-33 AVIG
).
Weil es wie erwähnt in der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers liegt, Kurzarbeit einzuführen und - bei Erfüllen der einschlägigen Voraussetzungen - den anspruchsbegründenden Sachverhalt für eine Kurzarbeitsentschädigung zu verwirklichen, ist er von vornherein vom Anspruch auf Entschädigung ausgeschlossen. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass
Art. 31 Abs. 1 AVIG
ausschliesslich Arbeitnehmer als anspruchsberechtigt erklärt. Jedoch sind - je nach der Rechtsform, in der sich ein "Arbeitgeber" konstituiert hat -
BGE 123 V 234 S. 237
auch andere Personen an dessen Dispositionen beteiligt. Aus diesem Grunde nimmt das Gesetz auch "arbeitgeberähnliche Personen" (GERHARDS, a.a.O., S. 407, vor N. 38 zu
Art. 31 AVIG
) vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung aus. Keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung haben gemäss
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG
Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten. Nach der Rechtsprechung ist der Ausschluss der in
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG
genannten Personen vom Entschädigungsanspruch absolut zu verstehen. Amtet ein Arbeitnehmer als Verwaltungsrat, so ist eine massgebliche Entscheidungsbefugnis im Sinne der betreffenden Regelung ex lege gegeben (
BGE 122 V 273
Erw. 3; anders die Praxis zum altrechtlichen, bis 31. Dezember 1983 gültig gewesenen
Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV
, dazu
BGE 113 V 74
), und zwar selbst dann, wenn seine Kapitalbeteiligung klein ist und er nur über die kollektive Zeichnungsberechtigung verfügt (ARV 1996 S. 48).
b) aa) Der Beschwerdegegner - Alleinaktionär und einziger Verwaltungsrat der nach ihm benannten Firma - gilt (...) arbeitslosenversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer. Hätte er ein Gesuch um Kurzarbeitsentschädigung eingereicht, so wäre dieses unter Hinweis auf
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG
abgelehnt worden. Vorliegend geht es jedoch nicht um Kurzarbeitsentschädigung, sondern um Arbeitslosenentschädigung nach
Art. 8 ff. AVIG
. Es fragt sich daher, ob das Vorgehen des Beschwerdegegners einer Umgehung der Folgen von
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG
gleichkommt, was das KIGA bejaht, die Vorinstanz indes verneint hat.
bb) Dem Wortlaut nach ist
Art. 31 Abs. 3 AVIG
auf Kurzarbeitsfälle zugeschnitten. Sodann trifft es zu, dass anders als unter der Herrschaft des alten Rechts (
Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV
, gültig gewesen bis 31. Dezember 1983, bezog sich auch auf Ganzarbeitslosigkeit, vgl. dazu
BGE 113 V 74
) die
Art. 8 ff. AVIG
keine entsprechende Norm für den Bereich der Arbeitslosenentschädigung kennen. Daraus lässt sich indes nicht folgern, dass die in
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG
genannten arbeitgeberähnlichen Personen in jedem Fall Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bei Ganzarbeitslosigkeit haben. In der von der Vorinstanz erwähnten Botschaft wird denn auch bloss festgehalten, dass solche Personen gegebenenfalls anspruchsberechtigt sein "können" (BBl 1980 III
BGE 123 V 234 S. 238
591 f.). Mit dieser Formulierung wird ansatzweise zum Ausdruck gebracht, dass bei Ganzarbeitslosigkeit von Arbeitnehmern mit arbeitgeberähnlicher Stellung verschiedene Fallkonstellationen unterschieden werden müssen. Insbesondere verbleibt die Möglichkeit einer Überprüfung unter dem Gesichtspunkt der rechtsmissbräuchlichen Gesetzesumgehung. Eine solche liegt nach der Praxis darin, dass zwar der Wortlaut einer Norm beachtet, ihr Sinn dagegen missachtet wird (
BGE 114 Ib 15
Erw. 3a mit Hinweis; vgl. auch
BGE 121 II 103
Erw. 4 mit Hinweisen auf die Literatur). Daher ist vorab nach dem Zweck der Regelung des
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG
zu fragen.
Die betreffende Bestimmung dient der Vermeidung von Missbräuchen (Selbstausstellung von für die Kurzarbeitsentschädigung notwendigen Bescheinigungen, Gefälligkeitsbescheinigungen, Unkontrollierbarkeit des tatsächlichen Arbeitsausfalls, Mitbestimmung oder Mitverantwortung bei der Einführung von Kurzarbeit u.ä., vor allem bei Arbeitnehmern mit Gesellschafts- oder sonstiger Kapitalbeteiligung in Leitungsfunktion des Betriebes;
BGE 122 V 272
mit Hinweisen). Nun kann Kurzarbeit nicht allein in einer Reduktion der täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit, sondern auch darin bestehen, dass ein Betrieb (bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis) für eine gewisse Zeit vollständig stillgelegt wird (100%ige Kurzarbeit; GERHARDS, a.a.O., S. 383 f., Vorbemerkungen zu
Art. 31-41 AVIG
, N. 21). In einem solchen Fall ist ein Arbeitnehmer mit arbeitgeberähnlicher Stellung nicht anspruchsberechtigt. Wird das Arbeitsverhältnis jedoch gekündigt, liegt Ganzarbeitslosigkeit vor, und es besteht unter den Voraussetzungen von
Art. 8 ff. AVIG
grundsätzlich Anspruch auf Entschädigung. Dabei kann nicht von einer Gesetzesumgehung gesprochen werden, wenn der Betrieb geschlossen wird, das Ausscheiden des betreffenden Arbeitnehmers mithin definitiv ist. Entsprechendes gilt für den Fall, dass das Unternehmen zwar weiterbesteht, der Arbeitnehmer aber mit der Kündigung endgültig auch jene Eigenschaft verliert, deretwegen er bei Kurzarbeit aufgrund von
Art. 31 Abs. 3
BGE 123 V 234 S. 239
lit. c AVIG
vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ausgenommen wäre. Eine grundsätzlich andere Situation liegt jedoch dann vor, wenn der Arbeitnehmer nach der Entlassung seine arbeitgeberähnliche Stellung im Betrieb beibehält und dadurch die Entscheidungen des Arbeitgebers weiterhin bestimmen oder massgeblich beeinflussen kann. Dies trifft im Falle des Beschwerdegegners zu, amtete er doch nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses - über die er selber entschieden hatte - weiterhin als Alleinaktionär und einziger Verwaltungsrat der Firma. Damit behielt er die unternehmerische Dispositionsfreiheit, den Betrieb jederzeit zu reaktivieren und sich bei Bedarf erneut als Arbeitnehmer einzustellen, wie er dies im April 1993 vorübergehend getan hat. Ein solches Vorgehen läuft auf eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Regelung des
Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG
hinaus, welche ihrem Sinn nach der Missbrauchsverhütung dient und in diesem Rahmen insbesondere dem Umstand Rechnung tragen will, dass der Arbeitsausfall von arbeitgeberähnlichen Personen praktisch unkontrollierbar ist, weil sie ihn aufgrund ihrer Stellung bestimmen oder massgeblich beeinflussen können. Demnach ist der Anspruch des Beschwerdegegners auf Arbeitslosenentschädigung mit dem KIGA zu verneinen. | mixed |
5ca3e0bf-f144-435e-b69f-11efcde96e61 | Erwägungen
ab Seite 213
BGE 126 V 212 S. 213
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 71a Abs. 1 AVIG
kann die Versicherung Versicherte oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Versicherte, die eine dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen, durch die Ausrichtung von höchstens 60 besonderen Taggeldern während der Planungsphase eines Projektes unterstützen. (...).
a) Die
Art. 71a ff. AVIG
enthalten keine Definition der selbstständigen Erwerbstätigkeit. Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Frage der Arbeitnehmereigenschaft in der Arbeitslosenversicherung (
Art. 2 Abs. 1 lit. a AVIG
) das formell rechtskräftig geregelte AHV-Beitragsstatut massgebend, sofern sich dieses nicht als offensichtlich unrichtig erweist (
BGE 119 V 158
Erw. 3a). Ein in einer Aktiengesellschaft als Angestellter bzw. als Organ mitarbeitender Aktionär gilt ungeachtet seiner Beteiligungsverhältnisse in der Gesellschaft grundsätzlich als Unselbstständigerwerbender. Dies gilt auch in Fällen, in welchen ein Allein- oder Hauptaktionär (formal)rechtlich Angestellter der von ihm beherrschten Firma ist (in ARV 1998 S. 13 ff. publizierte Erw. 5 des Urteils
BGE 123 V 234
).
Rein AHV-beitragsrechtlich dürfte dem Beschwerdegegner, der gemäss Businessplan vom 6. Oktober 1997 einer der beiden Hauptaktionäre, Mitglied des Verwaltungsrates sowie Geschäftsführer der Firma A. ist, demzufolge die Stellung als Arbeitnehmer zukommen, worüber indessen - soweit ersichtlich - die zuständige Ausgleichskasse noch nicht entschieden hat.
b) Für die Beurteilung der Frage, ob eine versicherte Person eine dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne von
Art. 71a Abs. 1 AVIG
aufnehmen will, kann hingegen nicht das AHV-beitragsrechtliche Statut allein massgebend sein, würde es doch ansonsten letztlich von der - aus welchen Gründen auch immer - gewählten Rechtsform der Firma abhängen, ob sie als Selbstständigerwerbende qualifiziert wird und damit in den Genuss der im Rahmen der zweiten Teilrevision des AVIG von 1995 neu eingeführten Leistungsart zur Förderung der selbstständigen
BGE 126 V 212 S. 214
Erwerbstätigkeit kommen kann. Diese neuen Bestimmungen bezwecken die Unterstützung von Arbeitslosen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen (BBl 1994 I 363). Als unterstützungswürdig im Sinne der
Art. 71a ff. AVIG
sind auch Bestrebungen einer versicherten Person zu betrachten, die ihr in einer von ihr mitzugründenden Firma, und bei der sie wesentlich mitbeteiligt ist, die Stellung einer arbeitgeberähnlichen Person (vgl. dazu
BGE 123 V 236
f. Erw. 7a) verschaffen. Eine solche Betrachtungsweise drängt sich umso mehr auf, als ansonsten in häufig vorkommenden Fällen, in welchen eine arbeitslose Person Allein- oder Hauptaktionär der von ihr im Hinblick auf die Verselbstständigung gegründeten und beherrschten Firma ist, diese nicht in den Genuss von besonderen Taggeldern käme, obwohl von einer Gesetzesumgehung nicht die Rede sein kann, wenn sie sich z.B. aus Gründen der Haftungsbeschränkung in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft konstituiert hat. Die Gleichbehandlung von Arbeitgeber und arbeitgeberähnlicher Person ist dem Arbeitslosenversicherungsrecht im Übrigen nicht fremd, haben doch - wie die Arbeitgeber selbst - auch Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten, nach
Art. 31 Abs. 3 lit. c,
Art. 42 Abs. 3 und
Art. 51 Abs. 2 AVIG
keinen Anspruch auf Kurzarbeits-, Schlechtwetter- sowie Insolvenzentschädigung und - in bestimmten Fallkonstellationen - auch keinen solchen auf Arbeitslosenentschädigung (vgl.
BGE 123 V 237
ff. Erw. 7b/bb).
3.
Strittig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner nach dem Bezug besonderer Taggelder nach
Art. 71a Abs. 1 AVIG
weitere Ansprüche gegenüber der Arbeitslosenversicherung hat.
a) Die neue Leistungsart (
Art. 71a ff. AVIG
) kann ihrem Zweck entsprechend nur beansprucht werden, wenn die Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit voraussichtlich ganz beendet werden kann. Als Anspruchsvoraussetzung wird deshalb u.a. die Vorlage eines Grobprojekts zur Aufnahme einer wirtschaftlich tragfähigen und dauerhaften selbstständigen Erwerbstätigkeit verlangt (
Art. 71b Abs. 1 lit. d AVIG
). Dieses Kriterium der Dauer ist das Abgrenzungsmerkmal zum Zwischenverdienst in Form einer selbstständigen Erwerbstätigkeit (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
BGE 126 V 212 S. 215
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz. 634). Nimmt die versicherte Person nach Bezug des letzten besonderen Taggeldes eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf oder hat sie sie zu diesem Zeitpunkt bereits aufgenommen, ist ihre Arbeitslosigkeit beendet und sie erhält keine weiteren Leistungen der Arbeitslosenversicherung mehr (NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 647). Dies gilt nach der Rechtsprechung selbst dann, wenn sie in ihrer neuen Tätigkeit unter mangelnder Beschäftigung steht, bezweckt doch das spezifische Taggeld nicht die Finanzierung der mangelnden Beschäftigung einer Person, die eine selbstständige Tätigkeit aufnimmt (SVR 1999 AlV Nr. 23 S. 56 Erw. 2a). Dem Umstand eines möglichen späteren Scheiterns des Unterfangens trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass mit Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit die Rahmenfrist zum Leistungsbezug von zwei auf vier Jahre verlängert wird (
Art. 71d Abs. 2 AVIG
und
Art. 95e Abs. 2 AVIV
).
b) Vorliegend steht fest, dass der Beschwerdegegner unbestrittenermassen die projektierte selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne des in Erw. 2b Dargelegten nicht nur aufgenommen hat, sondern diese auch weiterhin ausübt. Es bestehen keine Hinweise dafür, dass er sie als gescheitert betrachtet und endgültig aufzugeben gewillt ist. Mit dem Bezug des letzten besonderen Taggeldes wurde seine Arbeitslosigkeit nach dem Gesagten beendet und es besteht keinerlei Möglichkeit, weitere Taggeldleistungen von der Arbeitslosenversicherung zu beziehen. | mixed |
344d6dba-b5ec-48e2-81ea-5e7abfe695b2 | Die kantonale Instanz, deren Entscheid auf staatsrechtliche Beschwerde hin aufgehoben worden ist, muss sich an die Erwägungen des bundesgerichtlichen Urteils halten (
Art. 38 OG
, analoge Anwendung von
Art. 66 Abs. 1 OG
). Sie darf ihren neuen Entscheid nicht auf Erwägungen stützen, die das Bundesgericht ausdrücklich oder sinngemäss verworfen hat, wohl aber auf eine zusätzliche Erwägung, die in ihrem ersten Entscheid nicht erwähnt worden ist und zu der sich das Bundesgericht nicht geäussert hat (E. 3c, bb).
Verletzt die kantonale Instanz, die im Laufe des Verfahrens ihre Auffassung ändert, den Grundsatz von Treu und Glauben? Im vorliegenden Fall verneint (E. 3c, cc).
Sachverhalt
ab Seite 354
BGE 112 Ia 353 S. 354
Z. a ouvert contre S. une action en validation de séquestre tendant au paiement de 557'327 fr. 90 avec intérêt. Le Tribunal de première instance du canton de Genève a admis la demande par jugement du 9 novembre 1978. La Cour de justice a rejeté un appel de S. et confirmé ce jugement par arrêt du 27 janvier 1984. Le 6 juillet 1984, le Tribunal fédéral a annulé cet arrêt à la suite d'un recours de droit public de S.
La Cour de justice a confirmé à nouveau le jugement de première instance, par arrêt du 23 mai 1986.
Le Tribunal fédéral rejette un recours de droit public pour violation de l'
art. 4 Cst.
formé par S. contre cet arrêt.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) Dans son nouvel arrêt du 23 mai 1986, la Cour de justice considère, contrairement à ce qu'elle avait admis implicitement dans son arrêt du 27 janvier 1984, que les nouvelles preuves proposées par le recourant en instance d'appel - dont la Cour avait alors examiné la valeur probante - sont irrecevables; elle procède néanmoins à un examen de la valeur probante de ces pièces pour s'en tenir à ce qui avait fait l'objet de l'arrêt rendu par le Tribunal fédéral le 6 juillet 1984.
b) Dans son mémoire, le recourant ne prétend pas que la Cour de justice aurait violé le droit cantonal ou constitutionnel en considérant qu'en l'occurrence de nouvelles preuves étaient irrecevables en appel.
En revanche, il reproche à la Cour d'avoir violé l'autorité de l'arrêt du Tribunal fédéral en se fondant, dans sa nouvelle décision, sur des motifs autres que ceux qui avaient fait l'objet de cet arrêt.
c) aa) Faute de grief, le Tribunal fédéral ne peut examiner si la cour cantonale a appliqué arbitrairement le droit cantonal (
ATF 111 Ia 47
consid. 2,
ATF 110 Ia 4
consid. 2a,
ATF 109 Ia 226
, 120 consid. 3a et les arrêts cités).
bb) L'autorité cantonale dont la décision a été annulée sur recours de droit public est tenue de s'en tenir aux motifs de l'arrêt de cassation rendu par le Tribunal fédéral (
art. 38 OJ
,
art. 66 al. 1 OJ
par analogie;
ATF 111 II 95
et les arrêts cités); elle ne saurait donc se fonder sur des motifs que le Tribunal fédéral a expressément ou implicitement rejetés.
La nature du recours de droit public limite toutefois dans une certaine mesure l'autorité de l'arrêt fédéral. En effet, en règle
BGE 112 Ia 353 S. 355
générale, le Tribunal fédéral ne procède qu'à un examen de la décision cantonale limité aux griefs formulés; son intervention est restreinte à la cassation, qui permet de mettre fin à la violation constitutionnelle dénoncée; son arrêt ne se substitue pas à la décision cantonale (cf. par exemple KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, p. 340; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4e éd., p. 166 s.; AUER, La juridiction constitutionnelle en Suisse, Nos 505 ss et les références citées par ces auteurs). D'autre part, le Tribunal fédéral n'intervient que si le dispositif cantonal viole la constitution, ce qui lui permet le cas échéant de substituer des motifs ne violant pas le droit constitutionnel à des motifs qui lui sont contraires, à moins que l'autorité cantonale ne les ait expressément écartés (
ATF 108 Ia 78
,
ATF 106 Ia 315
et les arrêts cités); il en résulte logiquement que, si le Tribunal fédéral ne dispose pas des éléments le mettant à même de substituer des motifs, l'autorité cantonale ne saurait être privée de la même faculté, pour autant que les nouveaux motifs retenus n'aient pas été expressément ou implicitement écartés par le Tribunal fédéral. S'il n'en était pas ainsi, l'autorité cantonale pourrait être amenée, après cassation, à rendre des décisions contraires à la loi, ce qui ne correspond pas au but du recours de droit public pour violation des droits constitutionnels, qui tend uniquement à supprimer les états contraires à la constitution.
Au cas particulier, la Cour de justice n'a dès lors pas violé l'autorité de l'arrêt fédéral en fondant son nouvel arrêt sur un motif supplémentaire non invoqué dans son arrêt précédent et au sujet duquel le Tribunal fédéral n'a pas eu l'occasion de se prononcer.
cc) Incidemment, le recourant reproche à la Cour de justice d'avoir violé le principe de la loyauté des débats. On peut se demander si le grief de violation du principe de la bonne foi, ainsi articulé, est suffisamment motivé (
art. 90 al. 1 lettre b OJ
). La question peut demeurer indécise, car le grief n'est de toute façon pas fondé.
Sans doute le principe invoqué régit-il également les rapports entre le juge et les plaideurs. D'autre part, il est patent que la cour cantonale a modifié son attitude en cours de procès. Mais on ne saurait reprocher à une autorité mieux informée de rendre une décision conforme à la loi, même si précédemment elle se fondait sur une motivation erronée ou incomplète. Le principe de la bonne foi ne permet au citoyen d'obtenir une décision contraire à la loi
BGE 112 Ia 353 S. 356
que pour autant, notamment, qu'il ait été induit par l'autorité à adopter une attitude dommageable pour lui (
ATF 108 Ib 385
et les références citées).
Or le recourant ne prétend pas que tel ait été le cas en l'occurrence. En particulier, il n'allègue pas avoir été privé d'un moyen légal d'introduire valablement en procédure les documents dont la production a été considérée comme irrecevable en appel. | mixed |
00830fed-c903-4923-bd1d-99b4b0e82c6d | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 122 I 250 S. 250
Auf Klage von D., mit der er Fr. 90'405.20 nebst Zins verlangte, verpflichtete das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden G. mit Urteil vom 26. Oktober 1992 zur Zahlung von Fr. 48'720.-- nebst Zins. Dieser Entscheid wurde von G. mit Appellation und von D. mit Anschlussappellation angefochten. Der Hauptantrag von G. lautete auf Abweisung der Klage. D. verlangte mit der Anschlussappellation die Zahlung von Fr. 89'405.20 nebst Zins. Mit Urteil vom 22. Juni 1993 wies das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden die Appellation ab und verpflichtete G. in Gutheissung der Anschlussappellation zur Zahlung von Fr. 89'405.20 nebst Zins.
G. focht das Urteil des Obergerichts mit Berufung und staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht an. Dieses hiess die Beschwerde mit Urteil vom 24. Februar 1994 teilweise gut und hob den Entscheid des Obergerichts
BGE 122 I 250 S. 251
auf. Die damit gegenstandslos gewordene Berufung wurde mit Beschluss vom gleichen Tag abgeschrieben.
Nach Vorliegen des bundesgerichtlichen Urteils erklärte G. am 13. Mai 1994 den Rückzug der Appellation. Dem widersetzte sich D. unter Hinweis auf
Art. 269 ZPO
AR. Während der Fortsetzung des obergerichtlichen Verfahrens reduzierte D. dann die eingeklagte Forderung auf Fr. 77'372.-- nebst Zins.
Mit Urteil vom 21. Februar 1995 verpflichtete das Obergericht G. zur Zahlung von Fr. 77'372.-- nebst 5% Zins seit 1. März 1991. In der Urteilsbegründung wird festgehalten, dass der Rückzug der Appellation durch G. nach kantonalem (
Art. 269 ZPO
AR) und bundesrechtlichem (
Art. 66 OG
) Verfahrensrecht unzulässig sei.
G. hat den Entscheid des Obergerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 66 Abs. 1 OG
hat die kantonale Instanz, an die eine Sache zurückgewiesen wird, der neuen Entscheidung die rechtliche Beurteilung zugrunde zu legen, mit der die Rückweisung begründet worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung gilt dieser Grundsatz auch für das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren. Der Umstand, dass sich das Bundesgericht gemäss der vorwiegend kassatorischen Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde im Urteilsdispositiv mit der Aufhebung des fehlerhaften Urteils begnügt, ändert nichts daran, dass die Urteilsmotive von der kantonalen Instanz zu beachten sind (
BGE 100 Ia 28
E. 2 S. 30,
BGE 104 Ia 63
,
BGE 111 II 94
E. 2 S. 95,
BGE 112 Ia 353
E. 3a/bb S. 354; POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, N. 1.3.2 zu
Art. 66 OG
; KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Auflage, S. 399).
a) In
BGE 83 II 544
(E. 2 S. 550) hat das Bundesgericht einen mit dem vorliegenden vergleichbaren Fall beurteilt. Dort ist es gestützt auf
Art. 66 Abs. 1 OG
zum Ergebnis gelangt, der Rückzug der Appellation sei unbeachtlich, wenn sich aus den Erwägungen des Rückweisungsentscheides ergebe, dass der rechtliche Standpunkt der appellierenden Partei unbegründet, jener der Gegenpartei, die im kantonalen Verfahren Anschlussappellation erhoben hatte, dagegen begründet sei.
b) Die Lehre hat diesem Urteil im Ergebnis, nicht aber hinsichtlich der Begründung zugestimmt. KUMMER hat eingewendet,
Art. 66 OG
könne die
BGE 122 I 250 S. 252
Dispositionsbefugnis der Parteien, über die Streitsache nach ihrem Willen zu verfügen, nicht einschränken (ZBJV 95/1959 S. 156 ff.). Diese Bestimmung vermöge der kantonalen Instanz nicht vorzuschreiben, sie müsse in jedem Fall ein Urteil in der Sache fällen, gleichviel ob die Parteien das wollten oder nicht; sondern sie verlange nur, dass ein neuerliches Urteil, falls es hiezu komme, den bundesgerichtlichen Weisungen folge. Nach Auffassung KUMMERS hätte in der Begründung des Urteils richtigerweise darauf hingewiesen werden müssen, dass die Zulässigkeit des Rückzugs der Appellation nicht vom zufälligen Umstand abhängen könne, ob das Bundesgericht selbst in der Sache entscheide oder ob es diese mangels hinreichender Abklärung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückweise.
Es ist zwar richtig, dass ein Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts die Dispositionsfreiheit der Prozessparteien grundsätzlich nicht einschränkt. Dabei handelt es sich aber um eine Frage, die im damals beurteilten Fall nicht entscheiderheblich war, denn die Gegenpartei hatte sich - wie vorliegend - dem Rückzug der Appellation widersetzt (vgl.
BGE 83 II 548
). Die weiteren Ausführungen KUMMERS sind sodann in der Lehre zu Recht kritisiert worden. POUDRET (a.a.O., N. 1.3.1 zu
Art. 66 OG
) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das von KUMMER genannte Kriterium nicht massgeblich sein kann. Entscheidend ist vielmehr auf die materielle Tragweite des bundesgerichtlichen Urteils abzustellen und folglich danach zu fragen, ob damit der kantonale Entscheid insgesamt oder nur teilweise aufgehoben wurde. Ergibt sich aus der Urteilsbegründung, dass es sich materiell um eine Teilaufhebung handelt, gilt das kantonale Urteil im übrigen als bestätigt und kann die mit dieser Bestätigung beschwerte Partei ihr eigenes Rechtsmittel nicht mehr zu Ungunsten der Gegenpartei zurückziehen.
c) Daran ändert die vom Beschwerdeführer angerufene kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde nichts. Die Bindungswirkung eines Rückweisungsurteils hängt nicht davon ab, ob das Bundesgericht damit über ein reformatorisches oder ein kassatorisches Rechtsmittel entscheidet. Massgebend ist in diesem Zusammenhang einzig, dass der kantonale Entscheid vom Bundesgericht aufgehoben wird. Die reformatorische Natur der Berufung ermöglicht zwar, dass das Bundesgericht das angefochtene Urteil nicht nur aufhebt, sondern selbst in der Sache entscheidet, was beim kassatorischen Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde in der Regel nicht möglich ist. Die reformatorische Natur der Berufung schliesst aber nicht aus, dass
BGE 122 I 250 S. 253
sich das Bundesgericht mit einer Aufhebung begnügt und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückweist. In diesem Fall hat auch die Berufung lediglich kassatorische Wirkung. Kommt es danach zu einem neuen Entscheid, so hat sich das kantonale Gericht an die im Rückweisungsentscheid vorgenommene Beurteilung des Bundesgerichts zu halten. Genau gleich verhält es sich aber auch dann, wenn der Rückweisungsentscheid nicht auf Berufung, sondern auf staatsrechtliche Beschwerde hin ergangen ist. Der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, das Obergericht habe verkannt, dass der vorliegende Fall wesentlich von dem in
BGE 83 II 544
ff. beurteilten abweiche, erweist sich somit als unbegründet. | mixed |
daf52ee2-f657-4247-9261-3252b80afbce | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 117 Ia 119 S. 119
Das Polizeirichteramt des Kantons Zug sprach A. Z., gegen den Anklage wegen verbotener Handlungen für einen fremden Staat im Sinne von
Art. 271 Ziff. 1 StGB
erhoben worden war, mit Urteil vom 25. Januar 1990 frei, auferlegte dem Freigesprochenen jedoch die Hälfte der Untersuchungs- und Beurteilungskosten, weil er leichtfertig gehandelt habe. Die Rechtsmittelbelehrung lautete wie folgt:
BGE 117 Ia 119 S. 120
"Gegen dieses Urteil kann innert 10 Tagen nach Zustellung die Berufung an das Strafgericht erklärt werden. Diese ist schriftlich, begründet, im Doppel und mit bestimmten Anträgen beim Polizeirichteramt des Kantons Zug einzureichen."
Entgegen dieser Rechtsmittelbelehrung focht A. Z. die Kostenauflage mit Beschwerde bei der Justizkommission des Obergerichtes Zug an. Im Vernehmlassungsverfahren stellte der Polizeirichter Antrag auf Nichteintreten auf die Beschwerde, da sie durch die Berufung ausgeschlossen werde und die Justizkommission daher unzuständig sei; allenfalls sei die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die Vernehmlassung des Polizeirichters wurde A. Z. zugestellt und ihm Gelegenheit gegeben, innert zehn Tagen Stellung zu nehmen. Z. machte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch.
Mit Beschluss vom 12. April 1990 trat die Justizkommission des Obergerichtes auf die Beschwerde von A. Z. nicht ein. Sie räumte zwar ein, dass bei der Revision der Strafprozessordnung für den Kanton Zug (StPO) vom 15. März 1979 § 70 über die Berufung und § 80 Ziff. 4 über die Beschwerde gegen Kostenentscheide nicht aufeinander abgestimmt worden und nur schwer miteinander in Einklang zu bringen seien. Da aber nach
§ 70 Abs. 3 StPO
mit der Berufung nach wie vor "alle Mängel des Verfahrens und des Urteils" gerügt werden könnten und die Berufung alle anderen Rechtsmittel ausschlösse, sei sie und nur sie gegen den umstrittenen Kostenspruch gegeben. Auf die vorliegende Beschwerde könne daher nicht eingetreten werden. Im übrigen könne § 93 des Zuger Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden (GOG), der die Weiterleitung der aus Versehen an eine unrichtige Amtsstelle gerichteten Eingaben vorschreibt, hier nicht zur Anwendung kommen, weil von einem Versehen des Beschwerdeführers keine Rede sein könne.
A. Z. hat gegen den Nichteintretensentscheid der Justizkommission des Obergerichtes Zug staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
(Willkür, überspitzter Formalismus, formelle Rechtsverweigerung, Verstoss gegen Treu und Glauben) erhoben und verlangt, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache entweder zur materiellen Entscheidung an die Justizkommission oder zur Weiterleitung an das Strafgericht zurückgewiesen werde.
BGE 117 Ia 119 S. 121 Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer macht unter anderem geltend, der Nichteintretensbeschluss der Justizkommission des Obergerichtes Zug stehe mit den revidierten Bestimmungen der Strafprozessordnung und den gesetzgeberischen Absichten in klarem Widerspruch und sei daher willkürlich. Diese Rüge ist vorweg zu behandeln, denn wäre sie begründet, wäre der angefochtene Entscheid in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde aufzuheben, ohne dass die weiteren Vorwürfe geprüft werden müssten.
a) Nach § 70 Abs. 1 Ziff. 2 der Zuger Strafprozessordnung vom 3. Oktober 1940 in der am 15. März 1979 revidierten Fassung unterliegen neben den Urteilen anderer Instanzen auch die Urteile des Polizeirichters der Berufung. Über die Berufung wird im heutigen § 70 Abs. 3, der mit § 70 Abs. 2 in der ursprünglichen Fassung wörtlich übereinstimmt, folgendes ausgeführt:
"Mit der Berufung können alle Mängel des Verfahrens und des Urteils angefochten werden. Wo die Berufung möglich ist, ist die Anrufung anderer Rechtsmittel nicht zulässig. Die Berufung hemmt die Rechtskraft des Urteils."
Demgegenüber lautet seit der Gesetzesänderung von 1979
§ 80 Ziff. 4 StPO
wie folgt:
"Die Beschwerde an die Justizkommission ist zulässig:
...
4.
gegen Entscheide über die Auferlegung von Kosten und die Zusprechung von Entschädigungen, soweit diese Entscheide nicht mit der Hauptsache an eine höhere Instanz weitergezogen werden."
Nach dem Wortlaut von
§ 70 StPO
unterliegt somit auch der Kostenspruch in den Urteilen des Polizeirichters der Berufung und wird dadurch die Beschwerde ausgeschlossen. Gemäss
§ 80 Ziff. 4 StPO
sind dagegen solche Kostenentscheide mit Beschwerde an die Justizkommission anfechtbar, soweit das polizeirichterliche Urteil in der Sache selbst nicht weitergezogen wird. Diesen Widerspruch erklärt die Justizkommission im angefochtenen Entscheid damit, dass der Regierungsrat bei der Revision der Strafprozessordnung vorgeschlagen habe, in Angleichung an den Zivilprozess in einer neuen Ziffer 4 des § 80 die selbständige Anfechtung des Kostenspruches vorzusehen und dementsprechend die alte Bestimmung von
§ 70 Abs. 2 StPO
in dem Sinne zu ändern, dass der generelle Ausschluss anderer Rechtsmittel durch die Berufung gestrichen werde. Dem Antrag des Regierungsrates sei in bezug auf § 80
BGE 117 Ia 119 S. 122
Ziff. 4 gefolgt, hinsichtlich der Neufassung von § 70 Abs. 2 bzw. des heutigen Abs. 3 aber aus unbekannten Gründen nicht stattgegeben worden.
b) Aus der geschilderten Entstehungsgeschichte scheint sich zu ergeben, dass es tatsächlich Absicht des Gesetzgebers war, für die selbständige Anfechtung von Kostenentscheiden neu die Beschwerde an die Justizkommission zur Verfügung zu stellen und dass die Anpassung von
§ 70 Abs. 3 StPO
nur aus Versehen unterblieb. Für diese Interpretation spricht auch, dass
§ 80 Ziff. 4 StPO
- wie die Justizkommission selbst zugibt - jede eigenständige Bedeutung verliert, wenn davon ausgegangen wird, dass auch der Kostenspruch von berufungsfähigen Urteilen immer mit Berufung weiterzuziehen sei. Andererseits ist bei der Gesetzesänderung über die Neufassung von § 70 Abs. 2 bzw. Abs. 3 offenbar beraten und ausdrücklich an der Bestimmung festgehalten worden, nach der die Anrufung anderer Rechtsmittel unzulässig sein soll, wenn die Berufung möglich ist. Ein Grund hiefür könnte darin liegen, dass eine Gabelung des Rechtsweges vermieden werden soll, wenn die eine Partei nur den Kostenspruch, die andere den Entscheid in der Sache selbst weiterzieht. Jedenfalls räumt auch der Beschwerdeführer sinngemäss ein, dass eine Auslegung der fraglichen Bestimmung im Sinne des angefochtenen Entscheides nicht völlig ausgeschlossen sei. Als willkürlich könnte aber das Bundesgericht den angefochtenen Nichteintretensentscheid nur aufheben, wenn er eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzte, und nicht schon, wenn eine andere Lösung denkbar oder sogar vorzuziehen wäre (vgl. etwa
BGE 116 II 29
E. 5,
BGE 114 Ia 27
f. E. 3b, je mit Hinweisen). Da sich nach dem Gesagten die Auffassung der Justizkommission, der fragliche Kostenspruch des Polizeirichters hätte mit Berufung angefochten werden sollen, nicht vollständig unhaltbar ist, erweist sich der Vorwurf der Willkür als unbegründet.
2.
Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, gemäss der nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle veröffentlichten Rechtsprechung seien Beschwerden gegen Kostenentscheide im Falle von Freisprüchen regelmässig an die Hand genommen worden. Mit dem Nichteintretensbeschluss habe die Justizkommission daher eine Praxisänderung vorgenommen, welche - soweit sie überhaupt zulässig sei - nach dem Gebot des Vertrauensschutzes nicht ohne vorherige Ankündigung hätte erfolgen dürfen, da sie die Frage der Zulässigkeit eines Rechtsmittels betreffe und die Verwirkung von
BGE 117 Ia 119 S. 123
Rechten zur Folge habe. Die Justizkommission bestreitet, dass eine einheitliche, vertrauensbegründende Praxis über den Weiterzug von Kosten- und Entschädigungsentscheiden bestanden habe.
a) Nach den unwidersprochen gebliebenen Darlegungen der Justizkommission in der Beschwerdeantwort ist seit der Änderung der Strafprozessordnung, abgesehen vom vorliegenden Verfahren, in drei Fällen über den Weiterzug von Kosten- und Entschädigungsentscheiden befunden worden, ohne dass sich die Rechtsmittelinstanzen ausdrücklich mit der Frage des Verhältnisses von § 70 Abs. 3 zu
§ 80 Ziff. 4 StPO
beschäftigt hätten:
Mit Beschluss vom 1. Dezember 1981 ist das Strafobergericht des Kantons Zug auf eine unter anderem gegen die Kostenauflage gerichtete Berufung nicht eingetreten mit der Begründung, dass Entscheide über die Auferlegung von Kosten mit Beschwerde bei der Justizkommission anzufechten seien. Allerdings erfolgte die Kostenauflage in jenem Fall nicht in Zusammenhang mit einem Freispruch, sondern mit einer Einstellung des Strafverfahrens und wäre die Beschwerde schon deshalb zum Zuge gekommen, weil gegenüber Einstellungsbeschlüssen keine Berufung erhoben werden kann. Die Erwägung über das zulässige Rechtsmittel ist nicht publiziert worden.
Die Justizkommission hat mit Entscheid vom 27. September 1983 eine Beschwerde behandelt, in welcher der freigesprochene Beschwerdeführer rügte, dass ihm der Polizeirichter keine Entschädigung zugesprochen hatte. Erwägungen über Eintretensfragen wurden nicht angestellt. Das Urteil ist veröffentlicht worden (Gerichts- und Verwaltungspraxis des Kantons Zug 1983/84 S. 146 ff.).
Schliesslich ist die Berufungskammer des Strafgerichtes des Kantons Zug offenbar am 24. April 1987 auf eine Berufung gegen ein freisprechendes Urteil eingetreten, die lediglich die Entschädigungsfrage zum Gegenstand hatte. Dieses Urteil ist nicht publiziert und auch nicht zu den Akten gegeben worden.
b) Es trifft demnach nicht zu, dass sich seit der Revision der Zuger Strafprozessordnung eine ständige Praxis herausgebildet hätte, nach welcher der Kosten- und Entschädigungsspruch von an sich der Berufung unterliegenden Urteilen mit Beschwerde anzufechten sei. Immerhin lautet der einzige publizierte Entscheid (GVP 1983/84 S. 146 ff.), dem sich etwas zur Frage des zulässigen Rechtsmittels entnehmen lässt, im Sinne der These des Beschwerdeführers, doch hat sich die Rechtsmittelinstanz auch in jenem Fall
BGE 117 Ia 119 S. 124
nicht mit dem Verhältnis von § 70 Abs. 3 zu
§ 80 Ziff. 4 StPO
auseinandergesetzt. Ob unter solchen Umständen allein schon aufgrund eines einzigen Urteils berechtigtes Vertrauen in eine Praxis entstehen konnte, ist höchst fraglich, braucht hier aber nicht abschliessend beurteilt zu werden, da die staatsrechtliche Beschwerde jedenfalls aus einem anderen Grund gutzuheissen ist.
3.
Nach den Darlegungen des Beschwerdeführers hätte die Justizkommission, wenn sie sich zur Behandlung der Beschwerde nicht zuständig erachtete, die Rechtsmitteleingabe in analoger Anwendung von § 93 GOG an die Berufungsinstanz weiterleiten müssen. Dass die Justizkommission § 93 GOG als im vorliegenden Fall nicht anwendbar erklärt habe, sei überspitzter Formalismus und laufe damit auf eine formelle Rechtsverweigerung hinaus.
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung verbietet
Art. 4 BV
jeden prozessualen Formalismus, der sich durch keine schutzwürdigen Interessen rechtfertigen lässt, und gewährt dem Bürger Anspruch auf ein dem Grundsatz von Treu und Glauben entsprechendes Verhalten der Behörden. Daraus folgt unter anderem, dass dem Rechtsuchenden aus unklaren oder widersprüchlichen Rechtsmittelbestimmungen kein Nachteil erwachsen darf. Das gilt nicht nur im Falle unrichtiger oder missverständlicher Rechtsmittelbelehrungen der Behörde, sondern auch, wenn die gesetzliche Ordnung selbst unklar oder zweideutig ist (
BGE 97 I 105
f. E. 4,
BGE 114 Ia 28
,
BGE 106 Ia 18
f. E. 4). Nun stellt die Justizkommission des Obergerichtes Zug keineswegs in Abrede, dass die Rechtsmittelbestimmungen über die Anfechtung von Kostensprüchen in Strafurteilen unklar sind. Sie räumt im angefochtenen Entscheid ein, dass
§ 70 Abs. 3 und
§ 80 Ziff. 4 StPO
"schwer miteinander in Einklang zu bringen" seien, spricht von "Unstimmigkeit" der gesetzlichen Ordnung und von einem "gesetzgeberischen Betriebsunfall". Trotzdem glaubt sie es bei einem Nichteintretensentscheid belassen und von der Weiterleitung der Rechtsmitteleingabe an die zuständige Instanz absehen zu können, und zwar, weil die Rechtsmittelbelehrung des Polizeirichters unmissverständlich gewesen sei, der Beschwerdeführer sich zum Nichteintretensantrag des Polizeirichters nicht geäussert habe und ein "Versehen" im Sinne von § 93 GOG nicht vorliege. Dieser Argumentation ist jedoch nicht zu folgen.
a) Was die Rechtsmittelbelehrung des Polizeirichters anbelangt, so hat der Beschwerdeführer in der staatsrechtlichen Beschwerde darauf hingewiesen, dass in den Rechtsmittelbelehrungen auf die
BGE 117 Ia 119 S. 125
Möglichkeit der Beschwerde an die Justizkommission nicht aufmerksam gemacht werde, so dass auch nie von der Vollständigkeit der Belehrung ausgegangen werden könne. Dieser Darstellung der kantonalen Praxis hat die Justizkommission nicht widersprochen. In der Tat wird in § 79 Ziff. 6 GOG nur vorgeschrieben, dass im Urteil die Berufungsfrist angegeben werden müsse, wenn gegen dieses die Berufung möglich sei.
Dem Beschwerdeführer kann aber auch aus einem weiteren Grund nicht zum Vorwurf gemacht werden, nicht gemäss der Rechtsmittelbelehrung gehandelt zu haben: Nach der bundesgerichtlichen Praxis über die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung darf zwar aus einer solchen der Partei kein Nachteil erwachsen, doch geniesst der Private keinen Vertrauensschutz, wenn er oder sein Anwalt die Mängel der Belehrung allein schon durch Konsultierung des massgebenden Gesetzestextes hätte erkennen können (
BGE 116 Ib 146
mit Hinweisen auf weitere Urteile). Wird also vom Juristen eine "Grobkontrolle" der Rechtsmittelbelehrung verlangt, so darf es ihm nicht angelastet werden, wenn er nicht blind auf die Belehrung vertraute, sondern eine Prüfung vornahm und gestützt auf diese auch annehmen durfte, die Rechtsmittelbelehrung sei unvollständig.
b) Was im weiteren die vom Beschwerdeführer nicht genutzte Möglichkeit zur Stellungnahme zum Nichteintretensantrag betrifft, so konnte ihr im kantonalen Verfahren schon deshalb keine Bedeutung zugemessen werden, weil die Justizkommission über die Zulässigkeit des Rechtsmittels und die eigene Zuständigkeit vom Amtes wegen zu entscheiden hatte.
c) Schliesslich kann auch keine Rolle spielen, dass § 93 GOG nur eine Weiterleitung von Eingaben vorsieht, die "aus Versehen" an eine unrichtige Amtsstelle gerichtet worden sind. Darf aufgrund von
Art. 4 BV
dem Rechtsuchenden aus einer unklaren Rechtsmittelordnung kein Nachteil erwachsen und muss daher die angerufene Rechtsmittelinstanz, wenn sie sich nicht selbst mit der Sache befassen will, die Eingabe von Bundesverfassungsrechts wegen der zuständigen Behörde übermitteln, so kann es nicht darauf ankommen, ob das kantonale Recht überhaupt eine solche Weiterleitung vorsieht und an welche Voraussetzungen es sie knüpft. Dass sich die Justizkommission im vorliegenden Fall an den Wortlaut von § 3 GOG geklammert hat, lässt sich durch kein schutzwürdiges Interesse rechtfertigen und läuft tatsächlich auf eine formelle Rechtsverweigerung hinaus.
BGE 117 Ia 119 S. 126
Somit ergibt sich, dass dem auf
Art. 4 BV
gestützten Anspruch des Beschwerdeführers auf Behandlung seiner Rechtsmitteleingabe bzw. auf Weiterleitung an die zuständige Instanz nichts entgegensteht. Der angefochtene Beschluss, durch den dem Beschwerdeführer der Rechtsweg endgültig versperrt wird, ist daher in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde aufzuheben. Eine ausdrückliche Rückweisung der Sache zur Behandlung oder zur Weiterleitung kann unterbleiben, da sich die Justizkommission bei ihrem neuen Entscheid ohnehin an die Erwägungen des bundesgerichtlichen Urteils zu halten haben wird (vgl. etwa
BGE 112 Ia 353
ff.). | mixed |
e002e6c3-0fa8-4a41-929e-ef3f4a8ffb54 | Sachverhalt
ab Seite 473
BGE 138 III 471 S. 473
A.
Die Z. AG als Bestellerin schloss am 22. März 2010 mit der X. AG und mit der Y. AG einen Werkvertrag, der namentlich folgende Klausel enthielt: "Gerichtsstand ist das Bezirksgericht Zürich". Die beiden Unternehmerinnen verpflichteten sich im Vertrag, für die Bestellerin Arbeiten auf einem Grundstück auszuführen, das im Miteigentum von A., der Pensionskasse Q., der Pensionskasse R., der Pensionskasse S. und der Personalvorsorgestiftung T. stand.
Infolge Divergenzen mit der Bestellerin über die Leistung von Akontozahlungen an den Werklohn erwirkten die Unternehmerinnen die provisorische Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten auf den Grundstücksanteilen der fünf Miteigentümer. Es wurde den Unternehmerinnen Frist gesetzt, um Klage auf Feststellung der Forderung als Pfandsumme und definitive Eintragung der Pfandrechte zu erheben.
B.
Am 26. Mai 2011 reichten die Unternehmerinnen beim Bezirksgericht Zürich Klage gegen die Bestellerin und die fünf Drittpfandeigentümer ein; die Klägerinnen schlossen dahin, es sei die Bestellerin zu verurteilen, ihnen Fr. 560'000.- plus Verzugszins zu bezahlen, und es seien die fünf provisorischen Bauhandwerkerpfandrechte definitiv einzutragen.
Mit Urteil und Beschluss vom 22. August 2011 lehnte es das Bezirksgericht ab, auf die Forderungsklage gegen die Bestellerin (Beklagte 1) sowie auf die Klage auf definitive Eintragung gegen die vier Pensionskassen (Beklagte 3-6) einzutreten. Es setzte den beiden Klägerinnen sodann Frist zur Mitteilung an, ob sie an der Klage gegen den fünften Drittpfandeigentümer A. (Beklagter 2) festhielten oder diese zurückzögen, und stellte ansonsten eine Sistierung in Aussicht bis zur definitiven Erledigung der Hauptklage und der andern Prosequierungsklagen durch das Handelsgericht; die Klage gegen A. wurde in der Folge zurückgezogen.
Das Bezirksgericht hielt fest, die sachliche Zuständigkeit liege ausserhalb der Dispositionsfreiheit der Parteien; für die Prorogation eines sachlich unzuständigen Gerichts bleibe nach der neuen
BGE 138 III 471 S. 474
eidgenössischen Zivilprozessordnung kein Raum. Für die Forderungsklage gegen die Bestellerin sei nach dem neuen Recht ausschliesslich das Handelsgericht zuständig; der unter dem alten Recht geschlossenen anderslautenden Prorogationsklausel komme keine Rechtswirkung mehr zu. Sodann seien die vier beklagten Pensionskassen institutionelle Anleger, weshalb die Klage auf Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts gegen sie ebenfalls zwingend in die Zuständigkeit des Handelsgerichts falle.
C.
Am 30. August 2011 reichten die Unternehmerinnen beim Handelsgericht Klage ein gegen die Bestellerin auf Bezahlung von Fr. 560'000.- plus Verzugszins und gegen die fünf Drittpfandeigentümer auf definitive Eintragung der Bauhandwerkerpfandrechte für Pfandsummen zwischen Fr. 67'200.- und Fr. 201'600.-. Die sechs Beklagten äusserten die Auffassung, das Bezirksgericht sei zuständig. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2011 lehnte es das Handelsgericht unter Kosten- und Entschädigungsfolge ab, auf die Klage einzutreten.
Das Handelsgericht ging zunächst davon aus, dass die im Werkvertrag vereinbarte Gerichtsstandsklausel weiterhin gültig und das Handelsgericht folglich für die Forderungsklage gegen die Bestellerin sachlich nicht zuständig ist. Es folgerte, dass an sich das Bezirksgericht für die Klage gegen die Bestellerin sowie gegen die Drittpfandeigentümer A. und Pensionskasse S. (mangels Eintrags im Handelsregister) zuständig wäre und es selber für die Klage gegen die drei andern (im Handelsregister eingetragenen) Drittpfandeigentümer. Doch dränge es sich auf, für (einfache und notwendige) Streitgenossen von einer einheitlichen sachlichen Zuständigkeit auszugehen. Deshalb müsse die sachliche Zuständigkeit bei passiver einfacher (und wohl auch notwendiger) Streitgenossenschaft beim ordentlichen Bezirksgericht liegen, sobald für mindestens einen passiven Streitgenossen die sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts, nicht aber jene des Handelsgerichts gegeben ist.
D.
Die beiden Unternehmerinnen (nachfolgend gemeinsam: Beschwerdeführerinnen) reichten Beschwerde in Zivilsachen ein. Sie schliessen hauptsächlich dahin, es sei der Beschluss vom 11. Dezember 2011 vollständig aufzuheben und das Handelsgericht für die Durchführung des Prozesses gegen die Bestellerin und gegen alle fünf Drittpfandeigentümer (nachfolgend gemeinsam: Beschwerdegegner) zuständig zu erklären; subsidiär schliessen sie dahin, es sei
BGE 138 III 471 S. 475
der Beschluss soweit aufzuheben, als ihnen Kosten und Parteientschädigungen auferlegt werden. Sodann ersuchen sie um die Anweisung an das Grundbuchamt, die vorläufig eingetragenen Bauhandwerkerpfandrechte bis zum rechtskräftigen Entscheid des zuständigen kantonalen Gerichts nicht zu löschen.
Das Bundesgericht erteilt der Beschwerde aufschiebende Wirkung. Es bestätigt den angefochtenen Beschluss vom 11. Dezember 2011, soweit die Zuständigkeit des Handelsgerichts verneint wird. Der angefochtene Beschluss wird dahin gehend geändert, dass die Gerichtskosten und die Parteientschädigung an die Beschwerdegegner dem Kanton Zürich auferlegt werden.
(Zusammenfassung) Erwägungen
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit bei ihm eingereichter Beschwerden von Amtes wegen (
Art. 29 Abs. 1 BGG
;
BGE 137 III 417
E. 1 S. 417 mit Hinweisen).
1.1
Die Beschwerde in Zivilsachen steht grundsätzlich nur gegen Entscheide offen, die von einem oberen kantonalen Gericht auf Rechtsmittel hin in zweiter Instanz gefällt werden (Grundsatz der "double instance cantonale"). Dieses Erfordernis der doppelten kantonalen Instanz gilt aber nicht ausnahmslos; so steht es den Kantonen namentlich offen, Fachgerichte für handelsrechtliche Streitigkeiten, sogenannte Handelsgerichte, als einzige kantonale Instanz einzusetzen (Art. 75 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b BGG;
Art. 6 Abs. 1 ZPO
[SR 272]).
Was eine handelsrechtliche Streitigkeit in diesem Sinn ist, bestimmt allein das Bundesrecht. Eine Streitigkeit gilt als handelsrechtlich, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist - womit die charakteristische Leistung im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit der Partei gemeint ist (ALEXANDER BRUNNER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 20 zu
Art. 6 ZPO
) - , gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offensteht und die Parteien im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sind (
Art. 6 Abs. 2 ZPO
).
Ist nur die beklagte Partei im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen, sind aber die übrigen Voraussetzungen erfüllt, hat die (im Handelsregister nicht eingetragene) klagende Partei die Wahl zwischen dem
BGE 138 III 471 S. 476
Handelsgericht oder dem ordentlichen Gericht (
Art. 6 Abs. 3 ZPO
). Die Kantone können das Handelsgericht überdies zuständig erklären für Streitigkeiten, für die das Bundesrecht eine einzige kantonale Instanz vorschreibt (Art. 6 Abs. 4 lit. a i.V.m.
Art. 5 Abs. 1 ZPO
), sowie für Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften (
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
).
Der Kanton Zürich hat von der Möglichkeit, in diesem Rahmen ein Handelsgericht zu schaffen, Gebrauch gemacht. Er hat es zuständig erklärt sowohl für handelsrechtliche Streitigkeiten (im Sinn von
Art. 6 Abs. 2 und 3 ZPO
) als auch für Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften (im Sinn von
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
), sofern deren Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt (§ 44 lit. b des Zürcher Gesetzes vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess [GOG/ZH; LS 211.1]), ferner - mit Ausnahme der Klagen gegen den Bund (
Art. 5 Abs. 1 lit. f ZPO
) - für Streitigkeiten, für die das Bundesrecht eine einzige kantonale Instanz vorschreibt (Art. 5 Abs. 1 lit. a-e und h ZPO; § 44 lit. a GOG/ZH; vgl. auch
Art. 5 Abs. 1 lit. g ZPO
i.V.m. § 45 lit. a GOG/ZH). Es ist somit ein Handelsgericht im Sinn des Bundesrechts (
Art. 75 Abs. 2 lit. b BGG
,
Art. 6 Abs. 1 ZPO
), dessen Entscheide direkt an das Bundesgericht weitergezogen werden können.
1.2
Der angefochtene Beschluss beendet das Verfahren vor dem Handelsgericht; der Streitwert liegt bei Fr. 560'000.-. Die formellen Voraussetzungen an eine Beschwerde sind erfüllt. Auf die vorliegende Beschwerde in Zivilsachen ist damit grundsätzlich einzutreten.
1.3
Die Beschwerdeführerinnen ersuchen um Anweisung an das Grundbuchamt, die vorläufig eingetragenen Pfandrechte bis zum rechtskräftigen Entscheid des zuständigen kantonalen Gerichts nicht zu löschen. Darin ist ein Gesuch um aufschiebende Wirkung für die vorliegende Beschwerde zu sehen. Da bei Ablauf der Klagefrist der Verlust des Pfandrechts droht, ist dem Gesuch stattzugeben.
2.
Die Beschwerdeführerinnen haben mehrere Klagen gegen verschiedene Beklagte gehäuft. Einerseits verlangen sie Werklohn von der Bestellerin (werkvertraglicher Anspruch), andererseits ersuchen sie um die Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten gegen die Miteigentümer des Grundstücks, auf welchem sie die bestellten Arbeiten geleistet haben (sachenrechtlicher Anspruch). Diese Klagen müssen von Gesetzes wegen nicht verbunden werden: So kann der Gläubiger
BGE 138 III 471 S. 477
gegen den Drittpfandeigentümer auf definitive Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts klagen, ohne gleichzeitig den Schuldner auf Bezahlung des Werklohns einzuklagen (
BGE 126 III 467
E. 3 S. 469 ff.).
Es ist im Folgenden zu prüfen, welche kantonale Instanz zur Beurteilung der einzelnen Klagebegehren je zuständig wäre und, falls es nicht dieselbe Instanz ist, ob eine Klagenhäufung möglich ist und gegebenenfalls mit welchen Folgen hinsichtlich der Zuständigkeit.
3.
Die Beschwerdeführerinnen verlangen von der Bestellerin Fr. 560'000.- Werklohn aus dem am 22. März 2010 geschlossenen Werkvertrag.
3.1
Die Beschwerdeführerinnen und die Bestellerin sind im Handelsregister eingetragen und im Baugewerbe tätig. Die Streitigkeit um die eingeklagte Forderung aus Werkvertrag ist damit offensichtlich handelsrechtlicher Natur; das ist im Übrigen unbestritten. Ein solches Klagebegehren fällt in die Zuständigkeit des Handelsgerichts (
Art. 6 Abs. 2 ZPO
).
Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte (vgl.
Art. 4 ff. ZPO
) ist der Disposition der Parteien entzogen (vgl. FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. II, 2. Aufl. 2010, Rz. 130; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, Rz. 2.129). Diese können nicht vereinbaren, einen Streit einem andern als dem vom Gesetz bezeichneten staatlichen Gericht zu unterbreiten, es sei denn, das Gesetz sehe eine Wahlmöglichkeit vor, was für den vorliegenden Fall, in dem alle Parteien im Handelsregister eingetragen sind, nicht zutrifft (vgl.
Art. 6 Abs. 3 ZPO
). Zwar können die Parteien gemäss
Art. 17 ZPO
Gerichtsstandsvereinbarungen schliessen (
élection de for
,
proroga di foro
); diese Bestimmung steht unter dem Titel "Örtliche Zuständigkeit" (
Art. 9 ff. ZPO
) und wurde wörtlich von
Art. 9 Abs. 1 GestG
(Bundesgesetz vom 24. März 2000 über den Gerichtsstand in Zivilsachen [AS 2000 2355]) übernommen (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7264 Ziff. 5.2.2 zu Art. 16 E-ZPO), welcher sich nur auf die örtliche Zuständigkeit bezog (vgl.
Art. 1 Abs. 1 GestG
); Vereinbarungen über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte lassen sich nicht darauf stützen (vgl. HAAS/SCHLUMPF, in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 1 zu Art. 4 und N. 2 zu
Art. 17 ZPO
; DOMINIK VOCK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 5 zu
Art. 4 ZPO
; RAINER WEY, in: Kommentar zur Schweizerischen
BGE 138 III 471 S. 478
Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 7 zu
Art. 4 ZPO
; THEODOR HÄRTSCH, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Stämpflis Handkommentar, 2010, N. 8 zu Art. 4 und N. 26 zu Art. 6ZPO; DANIEL FÜLLEMANN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 8 zu
Art. 17 ZPO
; JACQUES HALDY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 2 zu
Art. 17 ZPO
).
3.2
Die Beschwerdeführerinnen und die Bestellerin haben im Werkvertrag vom 22. Mai 2010 vereinbart, Gerichtsstand sei das Bezirksgericht Zürich. Das Handelsgericht ist - wie auch das Bezirksgericht - der Auffassung, unter der Geltung des bei Vertragsabschluss noch anwendbaren kantonalen Prozessrechts sei es zulässig gewesen, die grundsätzlich gegebene Kompetenz des damaligen Handelsgerichts wegzubedingen; es hat demzufolge festgehalten, die Vertragsparteien hätten bei Vertragsabschluss rechtsgültig die sachliche Kompetenz des Bezirksgerichts begründet. Diesen auf kantonalem Recht fussenden Schluss stellen die Beschwerdeführerinnen nicht in Frage; sie erheben in diesem Zusammenhang insbesondere keine Rüge einer Verletzung des verfassungsmässigen Willkürverbots. Die Frage ist damit der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen (
Art. 95 und 106 Abs. 2 BGG
;
BGE 133 III 462
E. 2.3 und 4.4.1).
3.3
Das Handelsgericht ist der Auffassung, die unter dem alten Recht vereinbarte Wegbedingung seiner Kompetenz sei nach Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung weiterhin gültig. Es beruft sich auf
Art. 406 ZPO
, wonach sich die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht bestimmt, das zur Zeit ihres Abschlusses gegolten hat; es bezieht diese Regel nicht nur auf Vereinbarungen über die örtliche, sondern auch auf solche über die sachliche Zuständigkeit. Das Bezirksgericht war in Anlehnung an einen Entscheid des Zürcher Obergerichts anderer Auffassung. Die Beschwerdeführerinnen rügen eine Verletzung von
Art. 406 ZPO
; nach ihrem Dafürhalten bezieht sich diese Bestimmung ausschliesslich auf die örtliche Zuständigkeit.
Art. 406 ZPO
hat nach dem klaren Willen des Gesetzgebers die zuvor geltende Regelung des
Art. 39 GestG
übernommen (BBl 2006 7407 Ziff. 5.26.2 zu Art. 403 E-ZPO); diese galt nur für Vereinbarungen über die örtliche Zuständigkeit (
Art. 1 Abs. 1 GestG
). Nichts deutet darauf hin, dass der Begriff Gerichtsstandsvereinbarung (
élection de for, proroga di foro
) in den
Art. 406 und 17 ZPO
BGE 138 III 471 S. 479
verschieden sein sollte und in
Art. 406 ZPO
einen über die gewöhnliche Bedeutung hinausgehenden Sinn hätte. Entgegen der Auffassung des Handelsgerichts erheischt das Bedürfnis der Parteien nach Vertragstreue, nach Vertrauen in die Rechtsordnung und nach Rechtssicherheit keine andere Auslegungvon
Art. 406 ZPO
; denn es ist nicht ersichtlich,inwiefern dieses Bedürfnis der Parteien dadurch in Frage gestellt wäre, dass sie eine Klage vor jenem staatlichen Gericht einreichen müssen, das gemäss neuem Recht zuständig ist. Anders liegen die Dinge in Bezug auf Klagen, die noch unter dem alten Rechteingereicht worden sind und für welche das angerufene staatlicheGericht auch unter dem neuen Recht weiterhin zuständig bleibt (
Art. 404 ZPO
), sowie bei Schiedsvereinbarungen, durch welche ein Streit der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen wurde (
Art. 407 ZPO
); darum geht es vorliegend nicht.
3.4
Die Rüge einer falschen Auslegung von
Art. 406 ZPO
ist begründet. Es ist somit festzuhalten, dass das Handelsgericht grundsätzlich zuständig wäre, die Klage der Beschwerdeführerinnen gegen die Bestellerin auf Bezahlung von Fr. 560'000.- zu beurteilen.
4.
Die Beschwerdeführerinnen beantragen sodann gegen die fünf Miteigentümer des Grundstücks, das sie im Rahmen der Erfüllung des Werkvertrags mit der Bestellerin überbaut haben, die definitive Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten.
Die Zuständigkeit des Handelsgerichts setzt voraus, dass die zu beurteilende Streitigkeit die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betrifft (
Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO
). Bauarbeiten sind charakteristische Leistung eines Bauunternehmers, weshalb Streitigkeiten um den Werklohn des Bauunternehmers dessen geschäftliche Tätigkeit betreffen. Dasselbe muss auch in Bezug auf das Bauhandwerkerpfandrecht gelten, da dieses bloss eine akzessorische Sicherheit für den Werklohnanspruch ist; das Bauhandwerkerpfandrecht hängt eng mit der Werklohnforderung und damit mit der typischen geschäftlichen Tätigkeit des Bauunternehmers zusammen (RAINER SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl., Ergänzungsband, 2011, Rz. 568 und 699; vgl. VOCK, a.a.O., N. 8 zu
Art. 6 ZPO
; offengelassen in
BGE 137 III 563
E. 3.4 S. 568). Es ist im Übrigen aus prozessökonomischen Überlegungen gerechtfertigt, die Zuständigkeit des gleichen Gerichts zur Beurteilung beider Ansprüche des Bauunternehmers gegen Besteller und Drittpfandeigentümer nicht ohne zwingenden Grund zu verunmöglichen.
BGE 138 III 471 S. 480
Das Handelsgericht ist allerdings nur zuständig, wenn die beklagte Partei im Handelsregister eingetragen ist (
Art. 6 Abs. 2 lit. c und Abs. 3 ZPO
). Nach den nicht angefochtenen und damit für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Handelsgerichts ist das nur für die Pensionskasse Q., die Pensionskasse R. und die Personalvorsorgestiftung T. (Beklagte 3, 4 und 6) der Fall, nicht aber für A. (den Beklagten 2) und die Pensionskasse S. (Beklagte 5).
5.
Das Handelsgericht ist damit an sich für die Klage gegen die Bestellerin und drei Drittpfandeigentümer zuständig, nicht aber für die Klagen gegen die zwei übrigen Drittpfandeigentümer.
5.1
Die Klage gegen die Bestellerin auf Bezahlung des Werklohns und die Klagen gegen die Drittpfandeigentümer auf definitive Eintragung der Bauhandwerkerpfandrechte können getrennt eingereicht werden (
BGE 126 III 467
E. 3 S. 469 ff.), genauso wie die einzelnen Klagen auf definitive Eintragung der Teilpfandsummen (SCHUMACHER, a.a.O., Rz. 742). Es liegt somit keine notwendige passive Streitgenossenschaft vor.
Eine einfache passive Streitgenossenschaft setzt voraus, dass Rechte und Pflichten zu beurteilen sind, die auf gleichartigen Tatsachen oder Rechtsgründen beruhen (
Art. 71 Abs. 1 ZPO
); das ist vorliegend der Fall. Sodann muss für die einzelnen Klagen die gleiche Verfahrensart anwendbar sein (
Art. 71 Abs. 2 ZPO
); auch diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, da der Streitwert der einzelnen Klagen über Fr. 30'000.- liegt und folglich das ordentliche Verfahren für alle gilt (vgl.
Art. 243 Abs. 1 ZPO
). Schliesslich muss die gleiche sachliche Zuständigkeit für alle eingeklagten Ansprüche gelten. Das setzt
Art. 71 ZPO
stillschweigend voraus; was für die Klagenhäufung gegen dieselbe Partei gilt (vgl.
Art. 90 lit. a ZPO
), muss umso mehr für Klagen gegen eine einfache Streitgenossenschaft gelten (vgl. PETER RUGGLE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 17 zu
Art. 71 ZPO
; NICOLAS JEANDIN, in: CPC, Code de procédure civile commenté, Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 8 zu
Art. 71 ZPO
; STAEHELIN/SCHWEIZER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 9 zu
Art. 71 ZPO
; a.M. ISAAK MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2012, S. 62).
Im Rahmen seiner Kompetenz zur Regelung der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte (
Art. 4 ZPO
) muss dem Kanton erlaubt sein, aus prozessökonomischen Gründen und zur Vermeidung
BGE 138 III 471 S. 481
widersprüchlicher Urteile(vgl.
BGE 129 III 80
E. 2.1) eine einheitliche sachliche Zuständigkeit für einfache passive Streitgenossenschaften vorzusehen. Wäre für gewisse Streitgenossen das Handelsgericht sachlich zuständig und für andere das ordentliche Gericht, kann er die Zuständigkeit zwar nicht gesamthaft dem Handelsgericht übertragen; denn dessen Zuständigkeit ist durch das Bundesrecht begrenzt und kann nicht auf weitere Fälle (insbesondere auf beklagte Personen, die nicht im Handelsregister eingetragen sind) ausgedehnt werden (
Art. 4 Abs. 1 und
Art. 6 ZPO
; a.M. ANNE-CATHERINE HAHN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Stämpflis Handkommentar, 2010, N. 7 zu
Art. 71 ZPO
). Hingegen spricht nichts dagegen, die Zuständigkeit des Handelsgerichts für solche Fälle aufzuheben und das ordentliche Gericht für alle Klagen zuständig zu erklären (TANJA DOMEJ, in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 6 zu
Art. 71 ZPO
; vgl. auch MEIER, a.a.O., S. 62; a.M. wohl DAVID RÜETSCHI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 42 zu
Art. 6 ZPO
). Die Regelung der handelsgerichtlichen Zuständigkeit nach
Art. 6 ZPO
bezweckt nicht, in ihrem Anwendungsbereich die einfache Streitgenossenschaft (
Art. 71 ZPO
) zu verhindern. Es ist dem Kanton - dem es freisteht, die Handelsgerichtsbarkeit überhaupt einzuführen (
Art. 6 Abs. 1 ZPO
) - vielmehr zuzugestehen, mit seiner Regelung der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte zu ermöglichen, Streitgenossen vor dem gleichen Gericht einzuklagen.
5.2
Das Handelsgericht hat eine (stillschweigende) kantonale Regelung angenommen, nach welcher das Bezirksgericht sachlich zuständig ist, alle vorliegenden Klagen zu beurteilen. Die Beschwerdeführerinnen rügen keine Verletzung des verfassungsmässigen Willkürverbots bei der Auslegung des kantonalen Rechts, sodass die Frage der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen ist (
Art. 95 und 106 Abs. 2 BGG
;
BGE 133 III 462
E. 2.3 und 4.4.1).
6.
Der Nichteintretensentscheid des Handelsgerichts ist damit im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Bezirksgericht hat sich zu Unrecht sachlich unzuständig erklärt.
Wird eine Eingabe, auf die mangels örtlicher oder sachlicher Zuständigkeit nicht eingetreten wurde, innert eines Monats seit dem Nichteintretensentscheid beim zuständigen Gericht neu eingereicht, so gilt als Zeitpunkt der Rechtshängigkeit das Datum der ersten Einreichung (
Art. 63 Abs. 1 ZPO
). Diese Regel gilt - Fälle von Rechtsmissbrauch vorbehalten - auch, wenn sich nach einem ersten
BGE 138 III 471 S. 482
Nichteintretensentscheid das als zweites angerufene Gericht ebenfallsunzuständig erklärt (MARKUS MÜLLER-CHEN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 16 zu
Art. 63 ZPO
; vgl.
BGE 130 III 202
E. 3.3.2 S. 210 f., in demdie Frage offengelassen wurde, ob der Gläubiger ein zweites Mal den Schutz von
Art. 139 OR
beanspruchen kann).
Jede Person hat bei Rechtsstreitigkeiten einen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde (
Art. 29a BV
). Im vorliegenden Fall hat das sachlich zuständige Bezirksgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint und die Beschwerdeführer dazu gebracht, vor dem unzuständigen Handelsgericht zu klagen, welches aber nicht verpflichtet werden kann, auf eine Klage einzutreten, zu deren Behandlung es nicht zuständig ist. Damit stünde kein Gericht zur Verfügung, um die Klage zu beurteilen. Einem Kläger kann kein Vorwurf gemacht werden, wenn er den Nichteintretensentscheid des ersten Gerichts nicht systematisch weiterzieht, um seinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Zugang zu einem Gericht zu sichern für den Fall, dass das vom ersten Gericht als zuständig erachtete zweite Gericht doch nicht zuständig wäre.
Art. 63 ZPO
ist verfassungsmässig auszulegen in dem Sinn, dass im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegen die Verneinung der sachlichen Zuständigkeit durch das zweite Gericht eine Bindung an den Nichteintretensentscheid des ersten Gerichts nicht besteht, dass dem Entscheid des ersten Gerichts keine Rechtskraft zukommt (vgl.
Art. 100 Abs. 5 BGG
;
BGE 135 V 153
E. 1).
Es stellt sich sodann die Frage, ob die dreissigtägige Frist ab formeller Rechtskraft des Nichteintretensentscheids (MÜLLER-CHEN, a.a.O., N. 19 zu
Art. 63 ZPO
; FRANÇOIS BOHNET, in: CPC, Code de procédure civile commenté, Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 21 ff. zu
Art. 63 ZPO
; DOMINIK INFANGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 15 zu
Art. 63 ZPO
; vgl. auch SUTTER-SOMM/HEDINGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 11 zu
Art. 63 ZPO
) oder nicht vielmehr ab Zustellung des letzten, nicht angefochtenen oder nicht mehr anfechtbaren Entscheids (STEPHEN V. BERTI, in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 13 zu
Art. 63 ZPO
) läuft. Da der Nichteintretensentscheid des Handelsgerichts mit Beschwerde angefochten und dieser aufschiebende Wirkung erteilt wurde, kann die Frage mangels formeller Rechtskraft des angefochtenen Entscheids offengelassen werden und es braucht auch diejenige nach
BGE 138 III 471 S. 483
der Rechtsnatur der Beschwerde in Zivilsachen nicht weiter vertieft zu werden. Die dreissigtägige Frist läuft damit ab Zustellung des vorliegenden Entscheids.
Die Klage kann folglich wieder beim Bezirksgericht eingereicht werden. Beschwerdeführerinnen und Beschwerdegegner stimmen dem im Ergebnis zu für den Fall, dass das Handelsgericht nicht zuständig ist.
7.
Die Beschwerdeführerinnen ersuchen für den Fall, dass das Bezirksgericht als zuständig erachtet würde, die ihnen im angefochtenen Beschluss auferlegten Partei- und Gerichtskosten dem Kanton Zürich zu überbinden.
Das Verfahren vor Handelsgericht und die entsprechenden Gerichts- und Parteikosten von Fr. 11'000.- und Fr. 6'700.- sind die Folge des unzutreffenden Entscheids des Bezirksgerichts, den dieses von Amtes wegen gefällt hat. Die beklagten Parteien haben weder vor Bezirksgericht noch vor Handelsgericht unbegründete Anträge gestellt. Die Gerichts- und Parteikosten im kantonalen Verfahren sind somit nicht von den Parteien veranlasst worden. Es rechtfertigt sich folglich, sie dem Kanton aufzuerlegen (
Art. 107 Abs. 2 ZPO
).
Infolge des negativen Kompetenzkonflikts waren die Beschwerdeführerinnen gezwungen, den Beschluss des Handelsgerichts vor Bundesgericht anzufechten; die Beschwerdegegner haben hier obsiegt. Der Kanton Zürich hat die beteiligten Parteien für das Verfahren vor Bundesgericht zu entschädigen (Art. 68 Abs. 4 i.V.m.
Art. 66 Abs. 3 BGG
). Dagegen sind ihm keine Kosten aufzuerlegen (
Art. 66 Abs. 4 BGG
). | mixed |
31c833cc-5b06-49c9-b4e7-8bf7c02a3423 | Sachverhalt
ab Seite 301
BGE 133 I 300 S. 301
In den Steuerjahren 2003, 2004 und 2005 wurden A.X. und B.X. für die im Rahmen der Einzelfirma Fahrschule X.A. erzielten Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit sowohl vom Kanton Basel-Stadt als auch vom Kanton Solothurn veranlagt.
Am 10. Juli 2007 erhoben A.X. und B.X. beim Bundesgericht eine als staatsrechtliche Beschwerde bezeichnete Rechtsschrift, womit sie eine Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots gemäss
Art. 127 Abs. 3 BV
rügten. Sie beantragten, die definitiven Veranlagungen
BGE 133 I 300 S. 302
des Kantons Basel-Stadt für die Veranlagungsperioden 2003, 2004 und 2005 seien aufzuheben und es sei festzustellen, dass sich das Hauptsteuerdomizil der Einzelfirma Fahrschule X.A. in den fraglichen Steuerperioden in W., Kanton Solothurn, befinde.
Der Beschwerde waren als angefochtene Entscheide die Veranlagungen des Kantons Basel-Stadt für die Jahre 2003 (vom 30. Mai 2005) und 2005 (vom 20. April 2007) sowie des Kantons Solothurn für die Jahre 2003 (vom 11. April 2005), 2004 (vom 19. Juni 2006) und 2005 (vom 11. Juni 2007) beigelegt. Nachträglich, am 16. August 2007, wurden per Fax die Veranlagungen des Kantons Basel-Stadt per 2004 eingereicht (einerseits ein Veranlagungsprotokoll vom 27. Juli 2006 und andererseits eine Veranlagung mit definitiver Steuerausscheidung, datierend vom 16. August 2007).
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots gemäss
Art. 127 Abs. 3 BV
.
1.1
Nach dem bis Ende 2006 in Kraft stehenden Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (Bundesrechtspflegegesetz, OG [BS 3 S. 531]) war die Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots beim Bundesgericht mit dem subsidiären Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde zu rügen.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Nach diesem Gesetz kann die Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots beim Bundesgericht nunmehr mit dem ordentlichen Rechtsmittel, der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach
Art. 82 ff. BGG
, gerügt werden.
1.2
Die Beschwerdeführer erheben ausdrücklich staatsrechtliche Beschwerde. Es stellt sich vorab die Frage nach der Abgrenzung zwischen der staatsrechtlichen Beschwerde und der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten bzw. nach dem anwendbaren Recht (Bundesrechtspflegegesetz oder Bundesgerichtsgesetz). Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit bzw. die Zulässigkeit eines Rechtsmittels von Amtes wegen mit freier Kognition (
Art. 29 Abs. 1 BGG
;
BGE 133 I 185
E. 2 S. 188 mit Hinweisen). Die - allenfalls - unzutreffende Bezeichnung eines Rechtsmittels ist
BGE 133 I 300 S. 303
diesbezüglich unerheblich und schadet den Beschwerdeführern nicht, sofern ihre Eingabe den für das richtigerweise gegebene Rechtsmittel geltenden formellen Erfordernissen genügt (vgl.
BGE 131 I 145
E. 2.1 S. 148;
BGE 126 II 506
E. 1b S. 509, je mit Hinweisen).
1.3
Gemäss
Art. 132 Abs. 1 BGG
ist das Bundesgerichtsgesetz auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist.
1.3.1
Die Veranlagungsentscheide für das Steuerjahr 2003 datieren vom 30. Mai 2005 (Basel-Stadt) bzw. vom 11. April 2005 (Solothurn). Für deren Anfechtung finden die Vorschriften des Bundesrechtspflegegesetzes (OG) Anwendung; soweit sich die Beschwerde vom 10. Juli 2007 auf die Veranlagungen des Jahres 2003 bezieht, ist sie als staatsrechtliche Beschwerde zu betrachten.
1.3.2
Dasselbe gilt für das Steuerjahr 2004. Der diesbezügliche Veranlagungsentscheid des Kantons Solothurn datiert vom 19. Juni 2006 und vom Kanton Basel-Stadt liegt diesbezüglich ein "Veranlagungsprotokoll" vom 27. Juli 2006 vor. Wohl haben die Beschwerdeführer am 16. August 2007 per Fax eine vom gleichen Tag datierende Veranlagung des Kantons Basel-Stadt per 2004 mit definitiver Steuerausscheidung eingereicht. Nun kann sich die Beschwerde vom 10. Juli 2007 nicht auf diese erst nach ihrer Einreichung ergangene Verfügung beziehen, und es liegt für das Steuerjahr 2004 kein nach dem 1. Januar 2007 ergangener angefochtener Entscheid vor. Die Beschwerde ist auch in dieser Hinsicht als staatsrechtliche Beschwerde zu betrachten.
1.3.3
Für das Steuerjahr 2005 sind die Veranlagungsverfügungen beider Kantone nach Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) ergangen (im Kanton Basel-Stadt am 20. April 2007, im Kanton Solothurn am 11. Juni 2007) und diesbezüglich kommt der neue Verfahrenserlass zur Anwendung; entsprechend ist die Beschwerde, soweit sie das Steuerjahr 2005 betrifft, als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu behandeln.
1.4
Nachfolgend ist zu prüfen, ob die jeweiligen Eintretensvoraussetzungen für die staatsrechtliche Beschwerde und die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erfüllt sind.
BGE 133 I 300 S. 304
2.
2.1
Gemäss
Art. 86 OG
ist die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig (Abs. 1). Bei Beschwerden auf dem Gebiet der interkantonalen Doppelbesteuerung muss der kantonale Instanzenzug nicht ausgeschöpft werden (Abs. 2). Gemäss
Art. 89 OG
sodann ist die staatsrechtliche Beschwerde dem Bundesgericht binnen 30 Tagen, von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung der Verfügung an gerechnet, schriftlich einzureichen (Abs. 1). Bei Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte (z.B. wegen Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots) beginnt die Beschwerdefrist erst, wenn in beiden Kantonen Verfügungen getroffen worden sind, gegen welche staatsrechtliche Beschwerde geführt werden kann (Abs. 2).
Gemäss
Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG
ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen, sofern nicht die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig ist. Nach
Art. 100 BGG
ist die Beschwerde gegen einen Entscheid innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen (Abs. 1). Bei Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte beginnt die Beschwerdefrist spätestens dann zu laufen, wenn in beiden Kantonen Entscheide getroffen worden sind, gegen welche beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden kann (Abs. 5).
Weder
Art. 89 Abs. 3 OG
noch
Art. 100 Abs. 5 BGG
entbinden den Steuerpflichtigen davon, spätestens 30 Tage nach Eröffnung eines anfechtbaren kantonalen Entscheids Beschwerde zu erheben.
2.2
Gegenstand der Beschwerde sind verschiedene, zu unterschiedlichen Zeitpunkten gefällte Veranlagungsverfügungen, d.h. erstinstanzliche Entscheide.
2.2.1
Da für die Anfechtung der Veranlagungen der Steuerjahre 2003 und 2004 die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung steht (E. 1.3.1 und 1.3.2) und somit
Art. 86 Abs. 2 OG
massgeblich ist (E. 2.1 hiervor), erweist sich diesbezüglich die Letztinstanzlichkeit nicht als Eintretensvoraussetzung. Hingegen wurde die staatsrechtliche Beschwerde am 10. Juli 2007 weit mehr als 30 Tage nach Eröffnung der entsprechenden Veranlagungen beider Kantone und damit gemäss
Art. 89 Abs. 1 OG
verspätet erhoben. Dass (vor Einreichung der vorliegenden Beschwerde) auch im Jahr 2007 Veranlagungsverfügungen eröffnet worden sind, ist unerheblich, betreffen diese doch
BGE 133 I 300 S. 305
nicht die Steuerjahre 2003 und 2004;
Art. 89 Abs. 3 OG
hilft damit den Beschwerdeführern nicht weiter.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist nach dem Gesagten wegen verspäteter Beschwerdeerhebung nicht einzutreten.
2.2.2
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als für die Anfechtung der Veranlagungen des Steuerjahres 2005 massgebliches Rechtsmittel (oben, E. 1.3.3) ist demgegenüber am 10. Juli 2007 rechtzeitig erhoben worden. Die Beschwerdefrist von 30 Tagen gemäss
Art. 100 Abs. 1 BGG
ist in Bezug auf die Veranlagung des Kantons Solothurn vom 11. Juni 2007 eingehalten, was unter dem Gesichtswinkel von
Art. 100 Abs. 5 BGG
genügt, selbst wenn bloss die früher (am 20. April 2007) eröffnete Veranlagung des Kantons Basel-Stadt bestritten werden soll.
Die Beschwerdeführer gehen davon aus, dass bei der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wegen Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots, gleich wie bei der staatsrechtlichen Beschwerde, die Letztinstanzlichkeit des angefochtenen Entscheids nicht Eintretensvoraussetzung sei, sodass auch gegen Veranlagungsverfügungen unmittelbar ans Bundesgericht gelangt werden könne. Dies trifft aus den nachfolgenden Erwägungen nicht zu.
2.3
Das Bundesgerichtsgesetz sieht, anders als das Bundesrechtspflegegesetz (
Art. 86 Abs. 2 OG
), keine Ausnahme von der Regel von
Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG
vor; ausgehend vom Gesetzestext können mithin ausnahmslos, auch auf dem Gebiet der interkantonalen Doppelbesteuerung, nur Entscheide letzter kantonaler - gerichtlicher (vgl.
Art. 86 Abs. 2 BGG
) - Instanzen mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht angefochten werden.
Die Ausnahmeregel von
Art. 86 Abs. 2 OG
trug primär den verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten, vor die sich der doppelt Besteuerte gestellt sieht, Rechnung. Die Lehre bedauert denn auch, dass das neue Recht keine Ausnahme mehr enthält. Abgesehen davon, dass das Verfahren verlängert und für den Steuerpflichtigen verteuert wird, wird als wenig sinnvoll erachtet, dass nunmehr zwingend innerkantonal der Instanzenzug durchlaufen werden muss, stehen sich doch in einem interkantonalen Kompetenzkonflikt regelmässig nicht nur der Steuerpflichtige einerseits und mehrere Kantone andererseits, sondern auch die betroffenen Kantone untereinander in einer parteiähnlichen Stellung gegenüber. Zudem wird von schwer
BGE 133 I 300 S. 306
einschätzbaren prozessualen Hindernissen gesprochen (zum Ganzen: ALFRED MEIER/DIEGO CLAVADETSCHER, Prozessuale Klippen bei der Durchsetzung des interkantonalen Doppelbesteuerungsverbots, IFF Forum für Steuerrecht 2007 S. 135 ff., 139 und 141; MICHAEL BEUSCH, Die Einheitsbeschwerde im Steuerrecht, IFF Forum für Steuerrecht 2006 S. 249 ff., 258). Die Neuerung steht indessen im Einklang mit einem der wichtigen Ziele der Bundesrechtspflegereform, das Bundesgericht zu entlasten und deshalb nicht als erste richterliche Behörde tätig werden zu lassen; bevor es angerufen werden kann, soll zuvor immer mindestens ein Gericht über die Streitsache entschieden haben, was mit einer gewissen Filterwirkung verbunden ist und dem Bundesgericht aufwändige Sachverhaltsabklärungen ersparen soll (Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001 zu Art. 80 des Entwurfs BGG [heute
Art. 86 BGG
], in: BBl 2001 S. 4202, 4325 f., s. an gleicher Stelle auch Bemerkung zu Art. 94 des Entwurfs BGG [heute
Art. 100 Abs. 5 BGG
]). Zwar wird das Bundesgericht angesichts der besonderen Konstellation, die dem Beschwerdeverfahren in Doppelbesteuerungssachen zugrunde liegt, auch bei Vorliegen des Entscheids einer letztinstanzlichen kantonalen richterlichen Behörde nicht in jedem Fall davon entbunden, den Sachverhalt frei zu prüfen. Sodann wird in Doppelbesteuerungsverfahren das in
Art. 99 BGG
enthaltene Novenverbot wohl zu relativieren sein, wenn der Instanzenzug nur in einem Kanton durchlaufen wurde (s. dazu ALFRED MEIER/DIEGO CLAVADETSCHER, a.a.O., S. 140). Die mit dem Vorschalten einer gerichtlichen Instanz verbundenen Vorteile wirken sich insofern nicht vollumfänglich aus. Selbst wenn man aber die im Spiel stehenden Interessen anders gewichten und eine Ausnahmeregelung im Sinne von
Art. 86 Abs. 2 OG
vorziehen wollte, müsste diesbezüglich der Gesetzgeber tätig werden (s. dazu ALFRED MEIER/DIEGO CLAVADETSCHER, a.a.O., S. 141). Es besteht keine Möglichkeit, auf dem Wege der Gesetzesauslegung zu diesem Ergebnis zu gelangen. Das Bundesgerichtsgesetz enthält insofern keine Lücke. Wie sich aus der erwähnten Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (S. 4326) klar ergibt, handelt es sich bei der Neuregelung der Frage der Letztinstanzlichkeit nicht um ein Versehen; vielmehr entspringt sie einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung.
2.4
Die Rechtsmittelregelung des Bundesgerichtsgesetzes mag den Rechtsschutz für den mehrfach Besteuerten erschweren. Immerhin ist er aber nicht verpflichtet, in jedem der betroffenen Kantone den
BGE 133 I 300 S. 307
Instanzenzug zu durchlaufen. Es genügt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn er dies bloss in einem Kanton tut; gegen den dort erwirkten letztinstanzlichen gerichtlichen Entscheid kann er Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben und dabei auch die früher ergangenen Entscheide in anderen die Steuerhoheit beanspruchenden Kantonen anfechten, selbst wenn diese nicht letztinstanzlich sind (Botschaft, a.a.O., S. 4326; MICHAEL BEUSCH, a.a.O.; XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 3. Aufl., Basel 2007, S. 475 Rz. 80). Keine Probleme ergeben sich dabei, wenn der Steuerpflichtige mit der Besteuerung desjenigen Kantons nicht einverstanden ist, in welchem er den Instanzenzug durchläuft.
Nun ist denkbar, dass der Steuerpflichtige die Steuerhoheit des zuletzt veranlagenden (oder zuletzt einen Steuerdomizilentscheid fällenden) Kantons anerkennen will. Es wird ihm in diesem Fall keine andere Wahl bleiben, als den Instanzenzug im letzten Kanton zu durchlaufen, um schliesslich vor Bundesgericht die Aufhebung der eine Doppelbesteuerung bewirkenden Veranlagungen übriger Kantone beantragen zu können. Dieser Rechtsmittelweg muss dem doppelt Besteuerten trotz der Besonderheit der Konstellation (s. dazu ALFRED MEIER/DIEGO CLAVADETSCHER, a.a.O., S. 139 f. Ziff. 5.3, insbesondere Ziff. 5.3.2.2.1) offenstehen.
2.5
Die vorliegende Beschwerde richtet sich, soweit sie fristgerecht erhoben worden und als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu behandeln ist (Steuerjahr 2005), ausschliesslich gegen Veranlagungsverfügungen und es fehlt an der Voraussetzung der Letztinstanzlichkeit gemäss
Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG
. Sie erweist sich als unzulässig und es ist darauf nicht einzutreten.
2.6
Da zum neuen Rechtsmittelweg noch keine publizierte Rechtsprechung besteht, rechtfertigt es sich, die ans Bundesgericht adressierte Beschwerde vom 20. Juli 2007 mitsamt Beilagen an das Steueramt des Kantons Solothurn weiterzuleiten, damit dieses prüft, ob es die Rechtsschrift nachträglich als Einsprache gegen die Veranlagung vom 11. Juni 2007 betreffend das Steuerjahr 2005 entgegennehmen kann (vgl. HANSJÖRG SEILER/NICOLAS VON WERDT/ANDREAS GÜNGERICH, Stämpflis Handkommentar zum Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, Rz. 3 zu
Art. 30 BGG
, S. 108). | mixed |
683601d8-9893-4dab-b12a-dd478f3a600b | Sachverhalt
ab Seite 368
BGE 138 I 367 S. 368
Le 8 mai 2009, le Service des routes du canton de Vaud a publié un appel d'offres portant sur la construction du viaduc sur l'A9 dans le cadre de la réalisation de la RC787-H144 Transchablaisienne (Rennaz-Les Evouettes). Les documents d'appel d'offres prescrivaient aux soumissionnaires d'annoncer leurs sous-traitants et leurs fournisseurs au moment de la calculation des prix; en outre, il était exigé des sous-traitants qu'ils respectent les conditions de l'appel d'offre notamment s'agissant des conditions de travail fixées par les conventions collectives et les contrats-types de travail.
BGE 138 I 367 S. 369
Le 13 août 2009, X. SA a soumissionné, annonçant, pour la pose de l'armature (ferraillage), trois sous-traitants: A., B. et C. Le Service des routes a contacté X. SA, pour lui faire savoir que les sous-traitants A. et Cie SA et E. SA n'étaient pas admis. Entre 1999 et 2000 et entre 2007 et 2008, deux des entreprises dirigées par M.B., soit B. (depuis lors en faillite), à K., et E. SA, à L., avaient été surprises sur plusieurs chantiers alors qu'elles enfreignaient la législation en matière de police des étrangers et celle régissant le droit du travail et des assurances sociales.
Le 5 novembre 2009, le Département des infrastructures du canton de Vaud a adjugé à X. SA le marché public.
Le 3 juin 2010, le mandataire du maître de l'ouvrage s'est enquis par courrier électronique de la raison sociale du ferrailleur engagé sur le chantier. Dans sa réponse du même jour, X. SA a désigné l'entreprise O. Sàrl, à F. Au courrier électronique de ce dernier était joint un extrait scanné du Registre du commerce du canton du Valais concernant cette entreprise. La partie inférieure, faisant apparaître l'identité des organes de la société, n'a pas été transmise.
Un contrôle effectué le 26 octobre 2010 sur le chantier du viaduc a révélé que, sur cinq ouvriers occupés aux travaux de ferraillage, deux n'étaient pas autorisés à travailler en Suisse. Tous ont déclarés être employés par E. SA, à E. Appelé sur les lieux, M.B., directeur de E. SA et gérant de O. Sàrl, a admis les faits.
Le 17 février 2011, le Département des infrastructures a prononcé à l'encontre de X. SA une amende de 61'219 fr. pour contravention à l'art. 14a al. 1 de la loi vaudoise du 24 juin 1996 sur les marchés publics (LMP/VD; RSV 726.01). Un recours contre cette décision a été rejeté par arrêt du Tribunal cantonal du 2 septembre 2011.
Le Tribunal fédéral a rejeté les recours en matière pénale et en matière de droit public dirigés par X. SA contre l'arrêt du 2 septembre 2011 en séance publique du 22 juin 2012.
(résumé) Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office sa compétence (
art. 29 al. 1 LTF
). Il contrôle donc librement la recevabilité des recours qui sont déposés devant lui (
ATF 136 II 470
consid. 1 p. 472).
1.1
La voie de droit ouverte devant le Tribunal fédéral, recours en matière pénale (
art. 78 ss LTF
) ou recours en matière de droit
BGE 138 I 367 S. 370
public (
art. 82 ss LTF
), dépend de la nature pénale ou publique de la matière en cause. Hormis le cumul avec un recours constitutionnel subsidiaire (
art. 119 LTF
), il n'est en effet pas possible de saisir le Tribunal fédéral de recours distincts contre une même décision. La désignation erronée de la voie de droit toutefois ne saurait nuire à la recourante si son recours remplit les exigences légales de la voie de droit qui lui est ouverte (
ATF 133 I 300
consid. 1.2 p. 302 s.). Lorsque les deux mémoires répondent à ces exigences, tous les griefs soulevés doivent être examinés, pour autant que, comme en l'espèce, il soit aisé de les identifier. A défaut, les mémoires doivent être renvoyés pour rédaction d'une seule écriture, en application analogique de l'
art. 42 al. 6 LTF
.
1.2
Le litige a pour objet une amende de 61'219 francs prononcée en application de l'
art. 14a al. 1 LMP
/VD. A la différence d'autres lois, p. ex. de la loi fédérale du 6 octobre 1995 sur les cartels et autres restrictions à la concurrence (loi sur les cartels, LCart; RS 251), la loi vaudoise sur les marchés publics ne distingue pas clairement entre les sanctions administratives (art. 49a à 53 LCart) et d'éventuelles conséquences de droit pénal (
art. 54 ss LCart
). L'
art. 14a LMP
/VD a la teneur suivante:
"Art. 14a Sanctions
1
Les violations, intentionnelles ou par négligence, des règles régissant les marchés publics par un soumissionnaire pendant la procédure d'adjudication ou l'exécution du contrat peuvent selon leur gravité être sanctionnées par l'adjudicateur par l'avertissement ou la révocation de l'adjudication.
2
Le Département des infrastructures, sur dénonciation, peut prononcer une amende allant jusqu'à 10 % du prix final de l'offre et/ou l'exclusion de tout nouveau marché pour une durée maximale de cinq ans et l'exclusion de la liste permanente des soumissionnaires qualifiés. Il est également l'autorité compétente pour prononcer l'exclusion des futurs marchés publics au sens de l'article 13 de la loi fédérale du 17 juin 2005 concernant des mesures en matière de lutte contre le travail au noir (LTN).
3
Les sanctions n'excluent pas d'autres poursuites judiciaires à l'encontre du soumissionnaire fautif."
L'
art. 14a LMP
/VD s'inscrit dans le prolongement de l'art. 11 de l'accord intercantonal du 25 novembre 1994 sur les marchés publics (AIMP; RSV 726.91) qui prévoit notamment:
" Art. 11 Principes généraux
1
Lors de la passation de marchés, les principes suivants doivent être respectés:
(...)
BGE 138 I 367 S. 371
e. respect des dispositions relatives à la protection des travailleurs et aux conditions de travail;
(...)
Art. 19 Vérification et sanctions
1
Chaque canton vérifie le respect, par les soumissionnaires et les pouvoirs adjudicateurs, des dispositions en matière de marchés publics, tant durant la procédure de passation qu'après l'adjudication.
2
Chaque canton détermine les sanctions encourues en cas de violation des dispositions en matière de marchés publics."
La réglementation intercantonale et l'
art. 14a LMP
/VD sont encore complétés, dans le canton de Vaud, par le règlement d'application du 7 juillet 2004 de la loi cantonale du 24 juin 1996 sur les marchés public (RLMP/VD; RSV 726.01.1), qui prévoit ce qui suit:
"Art. 6 Participants à l'exécution du marché
1
Le soumissionnaire doit notamment indiquer:
(...)
b. le nom et le siège des participants à l'exécution du marché;
c. la preuve de l'aptitude des participants à l'exécution du marché.
2
L'adjudicateur s'assure que les soumissionnaires:
a. respectent les dispositions relatives à la protection des travailleurs et aux conditions de travail, ainsi que l'égalité de traitement entre hommes et femmes;
b. garantissent par contrat que les sous-traitants respectent ces prescriptions.
3
Les conditions de travail sont celles fixées par les conventions collectives et les contrats-types de travail; en leur absence, ce sont les prescriptions usuelles de la branche professionnelle qui s'appliquent.
4
Sur demande, le soumissionnaire doit prouver qu'il respecte les dispositions relatives à la protection des travailleurs et aux conditions de travail, qu'il a payé ses cotisations aux institutions sociales et ses impôts ou qu'il donne plein pouvoir à l'adjudicateur pour effectuer les contrôles."
1.3
Les termes utilisés par le législateur, spécialement celui d'"amende", peuvent se référer tant à une sanction de droit administratif que de droit pénal. Il convient donc d'interpréter la notion au regard des autres sanctions prévues par la loi cantonale sur les marchés publics, telles que l'avertissement ou la révocation de l'adjudication, l'exclusion de tout nouveau marché pour une durée maximale de cinq ans et l'exclusion de la liste permanente des soumissionnaires qualifiés. Il s'agit de mesures administratives, comme le montre également le fait que l'amende peut être prononcée, alternativement ou
BGE 138 I 367 S. 372
cumulativement à l'exclusion de tout nouveau marché pour une durée maximale de cinq ans et à l'exclusion de la liste permanente des soumissionnaires qualifiés. Prononcée par une autorité administrative en lieu et place d'un juge (TANQUEREL, Manuel de droit administratif, 2011, ch. 1204 p. 402), l'amende en cause ne peut au demeurant pas être convertie en peine privative de liberté (cf. MOOR/POLTIER, Droit administratif, vol. II, 3
e
éd. 2011, p. 161). Enfin, l'
art. 14a al. 3 LMP
/VD réserve explicitement d'autres poursuites judiciaires.
Dans ces conditions, la cause relève du droit public au sens de l'
art. 82 LTF
, ce qui ne préjuge pas du champ d'application des garanties ancrées aux
art. 6 et 7 CEDH
.
1.4
Les recours devant être examinés par la II
e
Cour de droit public (
art. 30 al. 1 let
. c ch. 8 du règlement du 20 novembre 2006 du Tribunal fédéral [RTF; RS 173.110.131]), il n'y a pas lieu de suspendre letraitement du recours en matière de droit public jusqu'à droit connu sur celui en matière pénale. La requête tendant à se voir accorder la possibilité de retirer un des recours dès lors que l'autre serait déclaré recevable est ainsi sans objet.
(...)
5.
Invoquant les
art. 5, 27 et 36 Cst.
ainsi que l'
art. 7 CEDH
, la recourante se plaint de la violation du principe de la légalité (nulla poena sine lege). Elle soutient que l'
art. 14a LMP
/VD n'indique pas de manière précise les comportements incriminés ni l'instance compétente ni les sanctions.
5.1
Aux termes de l'
art. 7 CEDH
, nul ne peut être condamné pour une action ou une omission qui, au moment où elle a été commise, ne constituait pas une infraction d'après le droit national ou international.
5.2
L'
art. 7 CEDH
a pour objet les accusations en matière pénale telles qu'elles sont décrites par l'
art. 6 par. 1 CEDH
(STEFAN SINNER, in EMRK, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Kommentar, Karpenstein/Mayer [éd.],Munich 2012, n° 8 ad
art. 7 CEDH
et les références citées). En effet, le libellé de l'article 7 par. 1, seconde phrase, CEDH, indique que le point de départ de toute appréciation de l'existence d'une peine consiste à déterminer si la mesure en question est imposée à la suite d'une condamnation pour une infraction. Selon la CourEDH, ce qui est pertinent à cet égard, c'est la nature et le but de la mesure en cause, sa qualification en droit interne, les procédures associées à son adoption et à son
BGE 138 I 367 S. 373
exécution, ainsi que sa gravité (arrêts de la CourEDH
Scoppola contre Italie
(n° 2) du 17 septembre 2009, requête n° 10249/03 § 97;
Welch contre Royaume-Uni
du 9 février 1995, requête n° 17440/90 § 28). La CourEDH a ainsi jugé qu'une amende de 500'000 drachmes infligée à une société de transport pour avoir enfreint les règles applicables au commerce international lors de l'importation de marchandises pour une valeur totale de 15'050 marks allemands constituait une infraction pénale au sens de l'
art. 6 CEDH
, en raison de l'enjeu pour la société qui risquait une amende maximale équivalent à la valeur des marchandises soit le triple de celle qui avait été infligée (arrêt de la CourEDH
Garyfallou Aebe contre Grèce
du 24 septembre 1997, requête 18996/91 § 32 et 33).
En l'espèce, bien que la présente affaire doive être considérée, sous l'angle de l'
art. 82 LTF
, comme une cause de droit public, la quotité de l'amende infligée à la recourante, soit 61'219 fr., dont le montant maximal aurait pu s'élever à 1'137'899 fr., justifie que l'infraction définie à l'
art. 14a LMP
/VD soit qualifiée de pénale au sens des
art. 6 et 7 CEDH
. Le grief de violation de l'
art. 7 CEDH
, au demeurant dûment motivé (cf.
art. 106 al. 2 LTF
), est par conséquent recevable.
5.3
L'article 7 par. 1 CEDH ne se borne pas à prohiber l'application rétroactive du droit pénal au détriment de l'accusé. Il consacre aussi, de manière plus générale, le principe de la légalité des délits et des peines (
nullum crimen, nulla poena sine lege
). S'il interdit en particulier d'étendre le champ d'application des infractions existantes à des faits qui, antérieurement, ne constituaient pas des infractions, il commande en outre de ne pas appliquer la loi pénale de manière extensive au détriment de l'accusé. Il s'ensuit que la loi doit définir clairement les infractions et les peines qui les répriment. Cette condition se trouve remplie lorsque le justiciable peut savoir, à partir du libellé de la disposition pertinente et, au besoin, à l'aide de l'interprétation qui en est donnée par les tribunaux, quels actes et omissions engagent sa responsabilité pénale. On ne saurait interpréter l'
art. 7 CEDH
comme proscrivant la clarification graduelle des règles de la responsabilité pénale par l'interprétation judiciaire d'une affaire à l'autre, à condition que le résultat soit cohérent avec la substance de l'infraction et raisonnablement prévisible. Savoir jusqu'à quel point la sanction doit être prévisible dépend dans une large mesure du contenu du texte dont il s'agit, du domaine qu'il couvre ainsi que du nombre et de la qualité de ses destinataires. La prévisibilité d'une loi
BGE 138 I 367 S. 374
ne s'oppose pas à ce que la personne concernée soit amenée à recourir à des conseils éclairés pour évaluer, à un degré raisonnable dans les circonstances de la cause, les conséquences pouvant résulter d'un acte déterminé (arrêt
Scoppola
précité, § 93 ss et les nombreuses références à la jurisprudence de la CourEDH).
5.4
Les exigences du principe de la légalité (
nulla poena sine lege
) de l'
art. 7 CEDH
résultent aussi des
art. 5, 9 et 164 al. 1 let
. c Cst. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, la loi doit être formulée de manière telle qu'elle permette au citoyen d'y conformer son comportement et de prévoir les conséquences d'un comportement déterminé avec un certain degré de certitude, lequel ne peut être fixé abstraitement, mais doit au contraire tenir compte des circonstances. Le juge peut, sans violer ce principe, donner du texte légal une interprétation même extensive, afin d'en dégager le sens véritable, celui qui est seul conforme à la logique interne et au but de la disposition en cause. Si une interprétation conforme à l'esprit de la loi peut s'écarter de la lettre du texte légal, le cas échéant au détriment de l'accusé, il reste que le principe
nulla poena sine lege
interdit au juge de se fonder sur des éléments que la loi ne contient pas, c'est-à-dire de créer de nouveaux états de fait punissables (
ATF 138 IV 13
consid. 4.1 p. 19 s. et les nombreuses références citées). Le principe de la légalité n'interdit toutefois pas les normes de renvoi, qui sanctionnent la violation de prescriptions légales, insérées dans la loi elle-même, dans ses dispositions d'application ou encore dans d'autres actes législatifs, fédéraux ou cantonaux. La disposition pénale doit être lue comme si la règle de concrétisation faisait partie intégrante de son texte. Le comportement incriminé n'est donc pas indéterminé (arrêt 6B_15/2012 du 13 avril 2012 consid. 4.1 et les références de jurisprudence et de doctrine citées).
5.5
Aux termes de l'
art. 14a al. 1 LMP
/VD, les violations, intentionnelles ou par négligence, des règles régissant les marchés publics par un soumissionnaire pendant la procédure d'adjudication ou l'exécution du contrat peuvent selon leur gravité être sanctionnées par l'adjudicateur par l'avertissement ou la révocation de l'adjudication. Selon l'
art. 14a al. 2 LMP
/VD, le Département des infrastructures, sur dénonciation, peut prononcer une amende allant jusqu'à 10 % du prix final de l'offre et/ou l'exclusion de tout nouveau marché pour une durée maximale de cinq ans et l'exclusion de la liste permanente des soumissionnaires qualifiés. Il est également l'autorité compétente pour prononcer l'exclusion des futurs marchés publics au sens de
BGE 138 I 367 S. 375
l'article 13 de la loi fédérale du 17 juin 2005 concernant des mesures en matière de lutte contre le travail au noir (loi sur le travail au noir, LTN; RS 822.41). L'
art. 14a al. 1 LMP
/VD est une "Blankettnorm" de droit pénal. De telles normes sont fréquentes parmi les dispositions pénales des lois spéciales et en principe admissibles sous l'angle constitutionnel (
ATF 106 Ia 100
consid. 7a p. 106 s.;
ATF 98 Ia 356
consid. 3a p. 360).
5.6
Parmi les règles régissant les marchés publics figure l'
art. 6 al. 1 let
. e LMP/VD selon lequel lors de la passation des marchés, il y a lieu de respecter les dispositions relatives à la protection des travailleurs et aux conditions de travail. C'est affaire d'interprétation que de désigner quelles sont les dispositions relatives à la protection des travailleurs, une interprétation extensive au détriment de l'inculpé n'étant à cet égard pas contraire au principe de la légalité (cf. consid. 5.4 ci-dessus).
Selon l'art. 22 de la loi fédérale du 16 décembre 2005 sur les étrangers (LEtr; RS 142.20), un étranger ne peut être admis, autrement dit recevoir une autorisation de séjour (
art. 11 LEtr
) en vue de l'exercice d'une activité lucrative, qu'aux conditions de rémunération et de travail usuelles du lieu, de la profession et de la branche. Il résulte du Message du 8 mars 2002 concernant la loi sur les étrangers que l'art. 22 (21 du projet) LEtr a été conçu comme une disposition ayant pour but non seulement de protéger le travailleur en Suisse contre le dumping salarial et social mais également la main d'oeuvre étrangère contre l'exploitation financière (FF 2002 3469, 3539 ad art. 21). Selon l'art. 6 al. 3 RLMP/VD, il faut entendre par conditions de travail celles fixées par les conventions collectives et les contrats-types de travail ou, à défaut, celles qui résultent des prescriptions usuelles de la branche professionnelle.
Par conséquent celui qui, pendant la procédure d'adjudication ou l'exécution du contrat, ne respecte pas l'
art. 22 LEtr
, qui constitue une disposition relative à la protection des travailleurs et aux conditions de travail, viole les règles régissant les marchés publics au sens de l'
art. 14a al. 1 LMP
/VD. L'
art. 14a LMP
/VD est ainsi formulé de façon suffisamment précise pour permettre à la recourante d'y conformer son comportement et de prévoir les conséquences d'actes déterminés.
5.7
La recourante soutient que l'obligation de surveillance dont l'instance précédente lui reproche la violation incombe, selon la loi cantonale, à l'adjudicateur et non pas à l'adjudicataire. En confirmant sa condamnation, l'arrêt attaqué aurait créé, en violation du principe
BGE 138 I 367 S. 376
nulla poena sine lege
et de l'interdiction de l'arbitraire, un nouvel état de fait punissable qui ne ressort d'aucune disposition légale. Ce grief doit être écarté.
En effet, le comportement sanctionnée par l'
art.14a al. 1 LMP
/VD ne consiste pas à surveiller un éventuel sous-traitant comme le soutient à tort la recourante. Le comportement délictueux consiste à ne pas respecter les exigences de l'
art. 22 LEtr
dans la passation et l'exécution d'un marché public. Les termes "exécution d'un marché public" couvrent en particulier l'acte de construire un ouvrage. En d'autres termes, l'
art. 14a LMP
/VD ne sanctionne pas l'employeur, mais bien le soumissionnaire à qui l'exécution du marché public a été accordée par contrat, qu'il construise lui-même l'ouvrage en cause ou le fasse construire par un sous-traitant. En conséquence, le soumissionnaire qui fait exécuter le marché par un sous-traitant dont les employés travaillent en violation de l'
art. 22 LEtr
remplit les conditions objectives de l'infraction sanctionnée par l'
art. 14a LMP
/VD. La question de savoir s'il remplit également les conditions subjectives de l'infraction dépend de celle de savoir s'il agit au moins par négligence.
5.8
En l'espèce, l'instance précédente a confirmé à bon droit la décision de première instance affirmant que la recourante réalisait les conditions objectives de l'
art. 14a LMP
/VD puisque deux ouvriers occupés aux travaux de ferraillage n'étaient effectivement pas autorisés à travailler en Suisse.
6.
(Le Tribunal fédéral a confirmé que les conditions subjectives de l'infraction prévues par l'
art. 14a LMP
/VD étaient remplies.) | mixed |
287f6a1a-5481-4ca0-89fb-55a55e708eab | Sachverhalt
ab Seite 114
BGE 136 II 113 S. 114
A.
Der kosovarische Staatsangehörige X., geb. 1986, heiratete am 6. Januar 2005 im Kosovo seine in der Schweiz niederlassungsberechtigte Landsfrau Y. Gestützt auf diese Eheschliessung durfte X. am 8. April 2005 in die Schweiz einreisen. Er erhielt hier eine Aufenthaltsbewilligung, welche letztmals bis 8. April 2008 verlängert wurde.
Am 25. Februar 2008 ersuchte X. erneut um Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung. Auf dem entsprechenden Formular deklarierte er erstmals, dass seine Ehefrau und er mittlerweile in separaten Haushalten wohnten. Aufgrund dieser Deklaration lehnte das Amt für Migration des Kantons Luzern das Verlängerungsgesuch mit Verfügung vom 3. Juli 2008 ab. Die Behörde hielt fest, dass X. nach Aufgabe des gemeinsamen ehelichen Wohnsitzes kein Aufenthaltsrecht in der Schweiz mehr zustehe.
B.
Hiergegen beschwerte sich X. beim Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, welches die Angelegenheit zuständigkeitshalber an das kantonale Verwaltungsgericht weiterleitete. Dieses wies die Beschwerde in seinem Urteil vom 8. April 2009 ab.
C.
Mit Eingabe vom 12. Mai 2009 führt X. Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Er beantragt, die Entscheide der Vorinstanzen seien aufzuheben und es sei seine Aufenthaltsbewilligung angemessen zu verlängern. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung ans Verwaltungsgericht des Kantons Luzern zurückzuweisen. Unabhängig vom Verfahrensausgang seien sämtliche Kosten den Vorinstanzen zu überbinden. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
BGE 136 II 113 S. 115 Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung seit der Aufgabe des gemeinsamen Wohnsitzes nicht mehr aus
Art. 43 Abs. 1 AuG
(SR 142. 20) herleiten kann. Diese Bestimmung setzt grundsätzlich voraus, dass der ausländische Ehegatte einer niederlassungsberechtigten Ausländerin mit dieser zusammenwohnt (hier nicht behauptete Konstellationen im Sinne von
Art. 49 AuG
ausgenommen). Fraglich und mithin zu prüfen ist einzig, ob dem Beschwerdeführer ein Anspruch gemäss
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
zusteht (vgl. nicht publ. E. 1.1).
Wie bereits ausgeführt, hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang erwogen, dass den Akten verschiedene Hinweise zu entnehmen seien, dass der Beschwerdeführer nicht drei Jahre seit Erhalt der Aufenthaltsbewilligung mit seiner Ehefrau in einer Haushaltsgemeinschaft gelebt habe. Letztlich könne dies indes offenbleiben, zumal der streitige Anspruch in jedem Fall unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauchsverbotes stehe (
Art. 51 Abs. 2 lit. a AuG
). Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Beschwerdeführers liege hier vor: Mit dem einzigen Ziel, sich die Aufenthaltsbewilligung zu sichern, berufe er sich auf eine inhaltsleere, nur noch formell bestehende Ehe.
Der Beschwerdeführer bestreitet demgegenüber die Rechtsmissbräuchlichkeit seines Verhaltens. Er habe länger als seine Ehefrau mental an der Ehe festgehalten. Im Frühjahr 2008 habe er sich jedoch eingestehen müssen, dass man in getrennten Haushalten lebe, was er dann gegenüber dem Amt für Migration auch korrekt deklariert habe. In der Folge sei im Kosovo ein Scheidungsverfahren eingeleitet und am 24. Oktober 2008 die Scheidung ausgesprochen worden. Die Ehe habe demzufolge über dreieinhalb Jahre Bestand gehabt, weshalb das Fristerfordernis von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
erfüllt sei. Die Vorinstanz interpretiere das Gesetz falsch, wenn sie hierfür voraussetze, dass er, der Beschwerdeführer, drei Jahre
seit Erhalt der Aufenthaltsbewilligung
mit seiner Ehefrau in einer Hausgemeinschaft gelebt haben müsse.
3.2
Dem Verwaltungsgericht kann insofern nicht gefolgt werden, als es einzig unter Hinweis auf das Scheitern der Ehe bereits von Rechtsmissbrauch ausgeht: Vielmehr kommen die in
Art. 50 AuG
statuierten Ansprüche überhaupt erst nach Auflösung der ehelichen
BGE 136 II 113 S. 116
Gemeinschaft zum Tragen, d.h. sie setzen zumindest das faktische Ende der Beziehung notwendigerweise voraus. Im vorliegenden Fall kann demzufolge nicht ohne weiteres ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers angenommen werden.
Die bundesgerichtliche Praxis zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Berufung auf eine inhaltsleere, nur noch formell bestehende Ehe hatte ihren Ursprung in der Regelung von Art. 7 Abs. 1 des bis zum 31. Dezember 2007 in Kraft gewesenen Bundesgesetzes vom 26. Mai 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; BS 1 121): Gemäss dieser Bestimmung war bereits der formelle Bestand der Ehe hinreichend, um dem ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers einen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu vermitteln. Das neue Ausländerrecht verlangt demgegenüber bezüglich einem aus der Ehe abgeleiteten Bewilligungsanspruch grundsätzlich das Zusammenwohnen der Ehegatten (
Art. 42 Abs. 1 und
Art. 43 Abs. 1 AuG
; vgl. E. 3.1); bei getrennten Wohnorten müssen dafür wichtige Gründe bestehen (
Art. 49 AuG
). Zwar stehen auch die vom AuG gewährleisteten Rechtsansprüche unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchsverbotes (vgl.
Art. 51 Abs. 1 lit. a und
Art. 51 Abs. 2 lit. a AuG
). Jedoch beschränkt sich dessen Anwendung - aufgrund der veränderten Anspruchsvoraussetzungen - im Wesentlichen auf solche Fälle, in denen Ehepartner nur zum Schein
zusammenwohnen
. Fehlt es dagegen an einem Zusammenwohnen, so scheitert der Bewilligungsanspruch bereits an den gesetzlichen Voraussetzungen und die Frage des Rechtsmissbrauchs erübrigt sich.
Gleiches gilt bezüglich dem hier streitigen Fortbestehen eines Bewilligungsanspruchs trotz Auflösung der Ehegemeinschaft: Bevor ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers in Betracht zu ziehen ist, sind die Anspruchsvoraussetzungen von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
zu prüfen (vgl. E. 3.3 hiernach), d.h. es ist abzuklären, ob die eheliche Gemeinschaft zwischen der ausländischen Person und dem Niedergelassenen oder schweizerischen Staatsangehörigen rückblickend überhaupt drei Jahre Bestand gehabt hat. Nur wenn dies der Fall ist, kann sich - bei Vorliegen entsprechender Indizien - die Frage stellen, ob die Eheleute lediglich der Form halber zusammenwohnten und die Dauer der Wohngemeinschaft deshalb - in Beachtung des Rechtsmissbrauchsverbotes - nicht bzw. nicht vollumfänglich berücksichtigt werden kann.
BGE 136 II 113 S. 117
Massgeblicher Zeitpunkt für die retrospektive Berechnung der Dauer der ehelichen Gemeinschaft ist in der Regel die Aufgabe der Haushaltsgemeinschaft: Wie bereits ausgeführt, kann sich die ausländische Person ab diesem Moment grundsätzlich nicht mehr auf ihre bisherigen Ansprüche gemäss
Art. 42 Abs. 1 und
Art. 43 Abs. 1 AuG
stützen. Nicht relevant ist demgegenüber, bis zu welchem Zeitpunkt die Ehe nach Beendigung des ehelichen Zusammenlebens formell noch weiter bestanden hat (vgl. Urteil 2C_416/2009 vom 8. September 2009 E. 2.1.2).
3.3
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer seine Ehefrau am 6. Januar 2005 im Kosovo geheiratet. Am 8. April 2005 konnte er in die Schweiz einreisen. Ausgehend von der Deklaration des Beschwerdeführers vom 25. Februar 2008, wonach die eheliche Gemeinschaft an diesem Tag bereits nicht mehr bestanden hat, wird ersichtlich, dass die in
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
enthaltene Dreijahresfrist zu diesem Zeitpunkt nur dann bereits verstrichen war, wenn der Zeitraum zwischen der Eheschliessung im Kosovo und der Einreise in die Schweiz mitgerechnet wird. Es stellt sich somit die Frage, ob die genannte Gesetzesbestimmung verlangt, dass die Ehegemeinschaft während drei Jahren
in der Schweiz
gelebt wurde. Von der Lehre wird dies teilweise ohne nähere Begründung verneint (MARC SPESCHA, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.],2. Aufl. 2009, S. 121, N. 4 zu
Art. 50 AuG
; GEISER/BUSSLINGER, Ausländische Personen als Ehepartner und registrierte Partnerinnen, in: Ausländerrecht, Uebersax und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2009,Rz. 14.55). Das Bundesgericht hat sich dazu bisher noch nicht geäussert. Wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen, kann diesen Lehrmeinungen indes nicht gefolgt werden:
3.3.1
Die Botschaft des Bundesrates sah den heute in
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
statuierten, schematischen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach dreijähriger Ehegemeinschaft und bei guter Integration noch nicht vor. Vielmehr beschränkte sich der Gesetzesentwurf darauf, den Weiterbestand des Aufenthaltsrechts eines ausländischen Ehegatten nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft dann zu gewährleisten, wenn wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Art. 49 des Gesetzesentwurfes; entspricht
Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG
).
Die beschlossene Fassung des Gesetzeswortlautes geht auf den Mehrheitsantrag der vorbereitenden parlamentarischen Kommission zurück (AB 2004 N 1060). Ob die eidgenössischen Räte bezüglich der
BGE 136 II 113 S. 118
Dreijahresfrist davon ausgingen, dass die Ehegemeinschaft während dieser Dauer
in der Schweiz
bestanden haben muss, lässt sich den Wortprotokollen nicht unmittelbar entnehmen. Hingegen geht daraus hervor, dass sich die getroffene Regelung an der damaligen Bewilligungspraxis vieler Kantone, namentlich jener des Kantons Zürich, orientierte (Votum Nationalrat Beck für die Kommission, AB 2004 N 1064; Votum Bundesrat Blocher, AB 2004 N 1064).
Diese (langjährige) Praxis der Zürcher Verwaltungsbehörden verlangte für die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eines ausländischen Ehegatten nach Aufgabe des ehelichen Zusammenlebens das mindestens dreijährige Bestehen der ehelichen Gemeinschaft
in der Schweiz
(vgl. Beschluss des Regierungsrates des Kantons Zürich RRB Nr. 702/2008 vom 21. Mai 2008 E. 5.b). Dies leuchtet ein: Vor dem Inkrafttreten des AuG stand ein solcher Verlängerungsentscheid im Ermessen der kantonalen Behörden (
Art. 7 Abs. 1 ANAG
e contrario bzw.
Art. 17 Abs. 2 ANAG
e contrario, jeweils in Verbindung mit
Art. 4 ANAG
). Bei der Ausübung ihres Ermessens stellten die Kantone auf die "Weisungen und Erläuterungen über Einreise, Aufenthalt und Arbeitsmarkt, ANAG-Weisungen" (2. Aufl. 2004) des damaligen Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (IMES) ab, welche in Ziff. 654 insbesondere die
Dauer der Anwesenheit
als massgeblich bezeichneten (vgl. hierzu die Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. September 2007 E. 2.2 sowie vom 16. November 1998, in: GVP 1998 Nr. 22). Es ging mithin um den gemeinsamen Aufenthalt im Inland.
Die Entstehungsgeschichte von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
weist demnach darauf hin, dass ein Bewilligungsanspruch gemäss dieser Bestimmung eine dreijährige Ehegemeinschaft
in der Schweiz
voraussetzt.
3.3.2
Zum gleichen Schluss führt auch die systematische Auslegung von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
: Der Gesetzeswortlaut spricht von einem "Weiterbestehen" der Ansprüche nach
Art. 42 Abs. 1 und
Art. 43 Abs. 1 AuG
. Diese sind im Gesetz unter dem Titel "Familiennachzug" aufgeführt und erlangen erst dann Bedeutung, wenn die nachzugsberechtigte Person mit ihrem nachzuziehenden Angehörigen
in der Schweiz
zusammenleben möchte. Der Bestand und die Qualität einer ehelichen Verbindung
vor
diesem Zeitpunkt sind im Rahmen der Prüfung dieser Ansprüche nicht zu berücksichtigen. Sinngemäss gleich verhält es sich mit dem Anspruch auf Erteilung der
BGE 136 II 113 S. 119
Niederlassungsbewilligung: Auch dort kommt es auf die Aufenthaltsdauer inder Schweiz an; ob zuvor bereits im Ausland ein eheliches bzw. familiäres Zusammenleben stattgefunden hat, ist demgegenüber nicht relevant (
Art. 42 Abs. 3 und
Art. 43 Abs. 2 AuG
). Warum dies bei den Anspruchsvoraussetzungen von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
anders sein sollte, ist nicht einzusehen.
3.3.3
Die Dreijahresfrist von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
darf sodann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist stets im Zusammenhang mit der zweiten Anspruchsvoraussetzung dieser Bestimmung, d.h. dem Erfordernis einer erfolgreichen Integration, zu sehen. Beide Kriterien, Fristablauf und Integration, müssen kumulativ vorliegen, damit ein Rechtsanspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung besteht. Eine erfolgreiche Integration in der Schweiz setzt jedoch zwangsläufig voraus, dass sich die ausländische Person hier während einer gewissen Mindestdauer aufgehalten hat; bei einer Anwesenheit von weniger als drei Jahren lässt sich die Frage der Integration wohl zumeist nicht schlüssig beantworten, da in diesen Fällen kaum schon von gefestigten beruflichen und persönlichen Bindungen zur Schweiz die Rede sein kann. Dieser Umstand spricht ebenfalls dafür, das zeitliche Erfordernis von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
im Sinne einer ehelichen Gemeinschaft
im Inland
zu verstehen.
3.3.4
Bei der Rechtsanwendung ist schliesslich ein Auslegungsergebnis anzustreben, das praktikabel ist (
BGE 96 I 602
E. 4 S. 605 mit Hinweisen). Zumindest darf dieses in der Praxis nicht untauglich sein. Dies bedeutet, dass im Zweifelsfall eine Lösung zu bevorzugen ist, welche den Anforderungen der Realität gerecht wird (HANS PETER WALTER, Die Praxis hat damit keine Mühe ... oder worin unterscheidet sich die pragmatische Rechtsanwendung von der doktrinären Gesetzesauslegung - wenn überhaupt?", ZBJV 144/2008, S. 126 ff., insb. S. 140).
Es erhellt ohne weiteres, dass sich Angaben über im Ausland gelebte Ehegemeinschaften oftmals nur unzureichend oder sogar überhaupt nicht verifizieren lassen. Wäre die gemeinsam im Ausland verbrachte Zeit im Rahmen der Dreijahresfrist von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
mitzuberücksichtigen, müssten die kantonalen Bewilligungsbehörden diesbezüglich oft auf die blossen Behauptungen der Gesuchsteller vertrauen. Eine solche Lösung wäre kaum praktikabel, zumal einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten auf diese Weise nicht entgegen gewirkt werden könnte.
BGE 136 II 113 S. 120
3.3.5
Aus den obenstehenden Erwägungen ergibt sich somit, dass
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
(nebst einer erfolgreichen Integration) eine dreijährige Ehegemeinschaft
in der Schweiz
verlangt. Mit dieser Auslegung in Einklang stehen im Übrigen auch die aktuellen Weisungen des BFM (Fassung vom 1. Juli 2009; Ziff. 6.1.8 und Ziff. 6.15.1
http://www.bfm.admin.ch/bfm/de/home/themen/rechtsgrundlagen/weisungen_und_kreisschreiben/auslaenderbereich/familiennachzug.html
.
3.4
Selbst wenn auf die Angaben des Beschwerdeführers abgestellt wird, dauerte das eheliche Zusammenleben in der Schweiz zwischen ihm und seiner Gattin keine drei Jahre (vom 8. April 2005 bis längstens zum 25. Februar 2008), womit es bereits an der ersten Anspruchsvoraussetzung von
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
fehlt. Ob sich der Beschwerdeführer in der Schweiz erfolgreich integriert hat, muss daher nicht mehr geprüft werden. Ebenso kann offenbleiben, ob die eheliche Gemeinschaft bereits per 1. Mai 2006 aufgelöst wurde, wie dies das Amt für Migration in seiner Verfügung vom 3. Juli 2008 festgehalten hat. So oder anders steht dem Beschwerdeführer kein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung zu. Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden. | mixed |
b7858deb-c2b1-451f-9758-d9fd3fcdb9de | Sachverhalt
ab Seite 372
BGE 137 I 371 S. 372
NML Capital Ltd. et EM Limited sont au bénéfice de deux jugements définitifs et exécutoires rendus par des tribunaux américains à l'encontre de la République d'Argentine et condamnant celle-ci à leur verser les sommes en capital, plus intérêts, de USD 284 millions et de USD 724 millions. En novembre 2009, elles ont demandé le séquestre des avoirs de la République d'Argentine et de sa banque centrale auprès de la Banque des règlements internationaux à Bâle. Par arrêt du 12 juillet 2010, le Tribunal fédéral a rejeté un recours en matière civile des deux sociétés et confirmé la décision de l'autorité cantonale de surveillance d'annuler ce séquestre (
ATF 136 III 379
).
NML Capital Ltd. et EM Limited se sont alors adressées au Département fédéral des affaires étrangères (DFAE) pour lui demander d'intervenir en leur faveur auprès de la Banque des règlements internationaux afin que celle-ci donne son accord à l'exécution du séquestre. Le DFAE a refusé de faire droit à la requête des deux sociétés.
Par arrêt du 16 août 2011, le Tribunal administratif fédéral a déclaré irrecevable le recours interjeté par NML Capital Ltd. et EM Limited contre la décision du DFAE et transmis la cause au Conseil fédéral.
Le Tribunal fédéral déclare irrecevable le recours en matière de droit public déposé par NML Capital Ltd. et EM Limited.
(résumé) Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office et librement la recevabilité des recours qui lui sont soumis (cf.
ATF 134 II 272
consid. 1.1 p. 275 et les arrêts cités).
BGE 137 I 371 S. 373
1.1
Aux termes de l'
art. 83 let. a LTF
, le recours en matière de droit public est irrecevable contre les décisions concernant la sûreté intérieure ou extérieure du pays, la neutralité, la protection diplomatique et les autres affaires relevant des relations extérieures, à moins que le droit international ne confère un droit à ce que la cause soit jugée par un tribunal. Cette condition d'irrecevabilité a son pendant à l'art. 32 al. 1 let. a de la loi fédérale du 17 juin 2005 sur le Tribunal administratif fédéral (LTAF; RS 173.32), en combinaison avec l'art. 72 let. a de la loi fédérale du 20 décembre 1968 sur la procédure administrative (PA; RS 172.021), pour les recours formés devant le Tribunal administratif fédéral, qui a d'ailleurs refusé, dans l'arrêt attaqué, d'entrer en matière sur les conclusions des recourantes en application de ces dispositions. La restriction de l'
art. 83 LTF
vaut également pour les décisions de nature procédurale, notamment les décisions d'irrecevabilité rendues par le Tribunal administratif fédéral (cf. arrêts 2C_197/2009 du 28 mai 2009 consid. 6; 2C_64/2007 du 29 mars 2007 consid. 2.1). Dès lors que l'
art. 83 let. a LTF
et l'
art. 32 al. 1 let. a LTAF
ont la même teneur, il importe toutefois peu que le Tribunal fédéral statue dans le cadre de la recevabilité du recours porté par-devant lui ou en examinant matériellement le refus d'entrer en matière du Tribunal administratif fédéral (cf.
ATF 137 II 313
consid. 3.3.3 p. 322 s.).
1.2
Le concept des "autres affaires relevant des relations extérieures" mentionné à l'
art. 83 let. a LTF
doit recevoir une interprétation restrictive (cf. arrêt 2C_127/2010 du 15 juillet 2011 consid. 1.1.3). L'exception vise les "actes de gouvernement" classiques (
ATF 132 II 342
consid. 1 p. 345). Elle s'applique aux actes ayant un caractère politique prépondérant, le gouvernement et l'administration ayant un large pouvoir d'appréciation pour défendre les intérêts essentiels du pays tant à l'intérieur que vis-à-vis de l'extérieur (cf. ALAIN WURZBURGER, in Commentaire de la LTF, 2009, n° 23 ad
art. 83 LTF
). Dans ce domaine, le législateur a considéré que le gouvernement doit demeurer seul responsable des décisions prises, puisque les mesures tendant à protéger l'intégrité de l'État et à maintenir de bonnes relations avec l'étranger font partie de ses tâches essentielles; en outre, les décisions à prendre dans ce domaine relèvent d'ordinaire d'une question d'appréciation (
ATF 132 II 342
consid. 1 p. 345;
ATF 121 II 248
consid. 1a p. 251).
En l'espèce, la démarche des recourantes appelait une intervention du DFAE auprès de la Banque des règlements internationaux afin
BGE 137 I 371 S. 374
d'amener celle-ci à donner son accord en vue d'exécuter le séquestre des fonds de la République d'Argentine et de sa banque centrale déposés auprès d'elle. La Banque des règlements internationaux est une organisation internationale (cf.
ATF 136 III 379
consid. 4.1 p. 383) dont le statut juridique est régi par l'Accord du 10 février 1987 entre le Conseil fédéral suisse et la Banque des règlements internationaux en vue de déterminer le statut juridique de la Banque en Suisse (RS 0.192.122.971.3; ci-après: l'Accord). Il découle de l'art. 4 ch. 4 de l'Accord, qui concerne l'immunité d'exécution des dépôts confiés à la Banque des règlements internationaux, qu'un séquestre de tels dépôts n'est possible qu'avec l'accord exprès de la Banque des règlements internationaux (cf.
ATF 136 III 379
consid. 4.2.1 p. 384 s.). S'agissant d'une compétence appartenant à une organisation internationale, une intervention de la Suisse dans le but de favoriser un accord exprès au séquestre des avoirs déposés par la République d'Argentine et sa banque centrale relève des relations internationales entre la Suisse et cette organisation internationale. L'opportunité d'une telle intervention et, le cas échéant, ses modalités, sont des questions qui revêtent un caractère politique marqué et concernent au premier chef les relations extérieures (cf.
ATF 121 II 248
consid. 1b p. 251).
La question de savoir si la requête des recourantes relève, ainsi que le Tribunal administratif fédéral l'a considéré, de la "protection diplomatique" de la Confédération suisse, ce que contestent les recourantes et le DFAE, peut dans ces conditions demeurer ouverte. En effet, elle a en tous les cas trait aux "relations extérieures" de la Suisse au sens de l'
art. 83 let. a LTF
(cf. THOMAS HÄBERLI, in Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2
e
éd. 2011, n° 27 ad
art. 83 LTF
).
1.3
Ce qui précède ne suffit pas à conclure à l'irrecevabilité du recours en matière de droit public. En effet, l'
art. 83 let. a LTF
prévoit que, même si une décision concerne les relations extérieures, le recours est recevable lorsque le droit international confère un droit à ce que la cause soit jugée par un tribunal (art. 83 let. a in fine LTF). Pareil droit découle notamment de l'
art. 6 par. 1 CEDH
s'il s'agit d'une contestation portant sur des droits et obligations de caractère civil (cf. WURZBURGER, op. cit., n° 29 ad
art. 83 LTF
).
1.3.1
Pour être en présence d'un droit ou d'une obligation de caractère civil au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, il faut qu'il existe une "prétention", un "droit" découlant du système légal interne au sens large
BGE 137 I 371 S. 375
(cf. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 3
e
éd. 2009, n° 6 ad
art. 6 CEDH
). L'interprétation autonome de la CEDH ne peut pas conduire à admettre des droits qui n'ont aucune base dans l'ordre juridique de l'État concerné (cf. FROWEIN/PEUKERT, op. cit., n° 7 ad
art. 6 CEDH
; DANIEL RIETIKER, La jurisprudence de la CEDH dans les affaires contre la Suisse en matière de droit à un procès équitable, Justice-Justiz-Giustizia 2005/1 n° 8). Il découle de l'
art. 6 par. 1 CEDH
que cette disposition ne vise pas seulement les contestations de droit privé au sens étroit, mais aussi les actes administratifs adoptés par une autorité dans l'exercice de la puissance publique, pour autant qu'ils produisent un effet déterminant sur des droits de caractère civil (cf.
ATF 130 I 312
consid. 3.1.2 p. 324). De ce point de vue également, le contenu du droit matériel et les effets que lui confère la législation nationale sont décisifs. Il convient dès lors de s'interroger préalablement sur l'existence d'un droit subjectif dont pourraient se prévaloir les recourantes. Or, un tel droit est nié quand l'autorité agit de manière discrétionnaire. En effet, selon la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme, lorsque l'action des autorités relève de leur entière appréciation, l'
art. 6 par. 1 CEDH
n'est pas applicable à cette procédure (cf. arrêt
Mendel contre Suède
du 7 avril 2009 § 44; JENS MEYER-LADEWIG, EMRK-Handkommentar, n° 11 ad
art. 6 CEDH
).
1.3.2
En l'espèce, les recourantes font valoir qu'elles possèdent un droit découlant de la législation sur l'exécution forcée pour obtenir l'exécution des jugements civils obtenus aux États-Unis.
Il est exact que la procédure de séquestre porte sur des droits de nature civile au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Les garanties découlant de cette disposition sont ainsi applicables à la procédure de séquestre (
ATF 136 III 379
consid. 4.5.1 p. 389). C'est pourquoi les autorités judiciaires suisses sont entrées en matière sur la requête de séquestre des recourantes et leurs recours subséquents. En dernier lieu, le Tribunal fédéral a considéré comme recevable le recours en matière civile qui a abouti à l'arrêt du 12 juillet 2010 (cf. arrêt 5A_360/2010 du 12 juillet 2010 consid. 1.1, non publié in
ATF 136 III 379
). L'affaire civile a ainsi été jugée. Que la justice ait finalement rejeté la demande de séquestre n'est pas pertinent. Sous cet angle, les recourantes ont eu accès à un tribunal.
On ne saurait toutefois déduire du fait que le séquestre a été refusé en raison de l'immunité d'exécution de la Banque des règlements
BGE 137 I 371 S. 376
internationaux (cf. art. 4 ch. 4 de l'Accord) - immunité jugée compatible avec l'
art. 6 par. 1 CEDH
- et que les recourantes ne disposaient que de la possibilité de s'adresser aux autorités suisses afin que la Confédération intervienne auprès de la Banque des règlements internationaux (
ATF 136 III 379
consid. 4.5.2 p. 390), que l'intervention requise du DFAE, objet de la présente procédure, relèverait d'un droit subjectif de nature civile également. En effet, l'art. 22 de l'Accord prévoit seulement que la Banque des règlements internationaux et les autorités suisses coopèrent en tout temps en vue de faciliter une bonne administration de la justice et d'empêcher tout abus de privilèges et immunités prévus dans l'Accord. Cette disposition permet aux autorités suisses d'intervenir auprès de la Banque des règlements internationaux, mais elle laisse cette intervention à leur entière discrétion.
Aux termes de l'art. 2 ch. 1 de l'Accord, le Conseil fédéral suisse garantit par ailleurs à la Banque des règlements internationaux l'indépendance et la liberté d'action qui lui appartiennent en sa qualité d'organisation internationale. L'intervention du DFAE auprès de la Banque des règlements internationaux sollicitée par les recourantes ne pourrait donc relever que d'un geste discrétionnaire favorable à leur égard et non découler d'un droit subjectif. L'action ou l'inaction du DFAE relève ainsi de son entière appréciation, les recourantes ne pouvant faire valoir aucun "droit" découlant du droit interne qui leur permettrait de requérir formellement une intervention du DFAE.
1.4
Au vu de ce qui précède, l'un des préalables à l'application de l'
art. 6 par. 1 CEDH
fait défaut, de sorte que l'exception à l'irrecevabilité de l'
art. 83 let. a LTF
n'est pas donnée. L'affaire relevant des relations extérieures sans que le droit international ne donne un droit à ce que la cause soit jugée par un tribunal, le recours en matière de droit public est par conséquent irrecevable. | mixed |
3c6a8fe7-21e0-4a80-9b1f-afdebf8eca4a | 748.01 1 / 50 Ordinanza sulla navigazione aerea (ONA) del 14 novembre 1973 (Stato 1° gennaio 2023) Il Consiglio federale svizzero, vista la legge federale del 21 dicembre 19481 sulla navigazione aerea (detta qui di seguito «legge sulla navigazione aerea – LNA»), ordina2:3 1 Aeromobili 11 ... Art. 14 12 Suddivisione5 Art. 2 1 Gli aeromobili vengono suddivisi, dal punto di vista tecnico, in categorie conforme- mente all’allegato.6 2 Sono considerati aeromobili di Stato gli aeromobili militari, della dogana o della polizia federale o cantonale oppure quelli che il Consiglio federale ha espressamente designati come tali.7 RU 1973 1856 1 RS 748.0 2 RU 1974 447 3 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 4 Abrogato dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, con effetto dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 5 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 6 Introdotto dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 7 Originario art. 2. 748.01 Aviazione 2 / 50 748.01 12a8 Aeromobili senza occupanti Art. 2a 1 Gli aeromobili, senza occupanti, del peso superiore ai 30 kg, possono essere impie- gati soltanto previa autorizzazione dell’Ufficio federale dell’aviazione civile (UFAC).9 2 I Cantoni, per ridurre il danneggiamento dell’ambiente e il pericolo di persone e cose al suolo, sono autorizzati a prendere misure riguardanti aeromobili, senza occupanti, del peso inferiore ai 30 kg. 3 Il Dipartimento federale dell’ambiente, dei trasporti, dell’energia e delle comunica- zioni (DATEC) disciplina i particolari.10 12b11 Divieto di determinati aeromobili con occupanti Art. 2b 1 L’esercizio di aeromobili a motore con occupanti che, dato il peso ridotto, non rien- trano nel campo di applicazione del regolamento (CE) n. 216/200812 (art. 4 par. 4 e all. II lett. e ed f di detto regolamento) è vietato. 2 Sono esclusi dal divieto: a. gli aeromobili a propulsione elettrica; b. gli aeroplani con comandi aerodinamici e motore a combustione; c. gli autogiri con motore a combustione. 3 L’UFAC può accordare singole autorizzazioni per progetti di ricerca e di sviluppo. 8 Introdotto dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 9 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 4 lug. 2007, in vigore dal 1° ago. 2007 (RU 2007 3645). 10 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 4 lug. 2007, in vigore dal 1° ago. 2007 (RU 2007 3645). 11 Introdotto dal n. I dell’O del 23 nov. 1994 (RU 1994 3028). Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 12 set. 2014, in vigore dal 1° ott. 2014 (RU 2014 3009). 12 Regolamento (CE) n. 216/2008 del Parlamento europeo e del Consiglio, del 20 febbraio 2008, recante regole comuni nel settore dell’aviazione civile e che istituisce un’Agenzia europea per la sicurezza aerea, e che abroga la direttiva 91/670/CEE del Con- siglio, il regolamento (CE) n. 1592/2002 e la direttiva 2004/36/CE, nella sua versione vin- colante per la Svizzera conformemente al numero 3 dell’allegato all’Accordo del 21 giu- gno 1999 tra la Confederazione Svizzera e la Comunità europea sul trasporto aereo (RS 0.748.127.192.68). Navigazione aerea. O 3 / 50 748.01 13 Matricola degli aeromobili Art. 313 Immatricolazione 1 L’UFAC registra nella matricola gli aeroplani, gli elicotteri e gli altri aeromobili ad ali rotanti, i motoveleggiatori, gli alianti, i palloni liberi con occupanti e i dirigibili se: a. adempiono le condizioni richieste segnatamente per quanto concerne la pro- prietà (art. 4 e 5); b. sono destinati a circolare con insegne di nazionalità e immatricolazione sviz- zere. 2 L’UFAC può autorizzare la registrazione nella matricola svizzera di un aeromobile che non adempie le esigenze sulla proprietà, se quest’ultimo deve essere usato per parecchio tempo da un’impresa svizzera di aerotrasporti commerciali.14 3 Gli aeromobili svizzeri di Stato possono essere registrati nella matricola. 4 L’immatricolazione può essere rifiutata quando l’aeromobile non risponde in modo evidente alle esigenze di attitudine al volo applicabili in Svizzera, né alle disposizioni sulla protezione dell’ambiente. 5 ...15 Art. 416 Condizioni in materia di proprietà Un aeromobile adempie le condizioni in materia di proprietà (art. 52 cpv. 2 lett. c LNA), se è proprietà esclusiva di: a. cittadini svizzeri; b. stranieri i quali, in virtù di accordi internazionali17, segnatamente per quanto riguarda la partecipazione al capitale e alla direzione di imprese di trasporti aerei, sono parificati a cittadini svizzeri e hanno il domicilio in Svizzera non- ché un’autorizzazione a soggiornarvi per un determinato periodo; c. stranieri i quali hanno il domicilio in Svizzera e un’autorizzazione a soggior- narvi per un determinato periodo e utilizzano l’aeromobile di regola a partire dalla Svizzera; d. società commerciali o società cooperative che hanno la sede in Svizzera e sono iscritte nel registro di commercio svizzero; e. collettività o enti di diritto pubblico svizzeri; 13 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 14 mar. 1994, in vigore dal 1° apr. 1994 (RU 1994 735). 14 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 29 mag. 1996, in vigore dal 1° lug. 1996 (RU 1996 1536). 15 Abrogato dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, con effetto dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 16 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 14 mar. 1994, in vigore dal 1° apr. 1994 (RU 1994 735). 17 Un elenco di questi accordi può essere consultato presso l’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). Aviazione 4 / 50 748.01 f. associazioni, costituite secondo il diritto svizzero, se i due terzi dei membri e del comitato nonché il presidente, hanno il domicilio in Svizzera e sono citta- dini svizzeri o stranieri, che sono parificati a cittadini svizzeri in virtù di ac- cordi internazionali18. Art. 519 Rapporti fiduciari Secondo la presente ordinanza il diritto di disporre basato su rapporti fiduciari non è considerato come proprietà. Art. 620 Domanda d’immatricolazione 1 L’immatricolazione di un aeromobile deve essere domandata dal proprietario. 2 Alla domanda devono essere allegati: a. i documenti comprovanti la proprietà del richiedente; b. per le società commerciali e le società cooperative, la prova che adempiono le condizioni dell’articolo 4 lettera d; c. per le associazioni, la prova che adempiono le condizioni dell’articolo 4 lettera f; d. per i proprietari ai sensi dell’articolo 4 lettera b, la prova che essi adempiono le condizioni di questa disposizione; e. per i proprietari ai sensi dell’articolo 4 lettera c, la prova che essi adempiono le condizioni di questa disposizione e una dichiarazione scritta secondo cui l’aeromobile di regola è utilizzato a partire dalla Svizzera; f. per un aeromobile importato: 1. la prova che non è immatricolato né nello Stato in cui è stato costruito, né nello Stato in cui un predecessore legale del richiedente ha il suo do- micilio; e 2. la prova che non è iscritto nella matricola degli aeromobili o in un regi- stro corrispondente dell’ultimo Stato d’immatricolazione; questa prova può essere sostituita dalla dichiarazione scritta dell’avente diritto, se- condo l’iscrizione nella matricola straniera degli aeromobili, che egli ac- consente all’immatricolazione dell’aeromobile nella matricola svizzera; g. per un aeromobile d’importazione usato la prova che è stato tenuto secondo le regole. 18 Un elenco di questi accordi può essere consultato presso l’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). 19 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 14 mar. 1994, in vigore dal 1° apr. 1994 (RU 1994 735). 20 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 14 mar. 1994, in vigore dal 1° apr. 1994 (RU 1994 735). Navigazione aerea. O 5 / 50 748.01 Art. 721 Art. 8 Contenuto dell’immatricolazione 1 L’immatricolazione deve contenere almeno le indicazioni seguenti: a. data dell’immatricolazione; b. contrassegno d’immatricolazione; c. costruttore; d. tipo d’aeromobile; e. numero di fabbrica; f. nome e indirizzo del proprietario. 2 Nome e indirizzo dell’utente possono essere iscritti accanto a quelli del proprietario, se l’utente adempie alle condizioni richieste per l’immatricolazione, astrazione fatta della proprietà. Art. 9 Certificato d’immatricolazione 1 L’UFAC consegna al proprietario dell’aeromobile un certificato attestante l’imma- tricolazione. 2 ...22 Art. 10 Modificazioni Il proprietario iscritto e, se è iscritto, l’utente dell’aeromobile debbono annunciare per scritto all’UFAC, entro dieci giorni, ogni modificazione delle condizioni menzionate negli articoli 4 a 7. Il certificato d’immatricolazione ed il certificato di navigabilità devono essere allegati a questa dichiarazione.23 Art. 11 Cancellazione 1 L’immatricolazione di un aeromobile è cancellata: a. a richiesta del proprietario; b. d’ufficio, se: – una condizione scritta non è più adempiuta; – 24 il certificato d’imposizione doganale o di franchigia provvisoria non è prodotto; 21 Abrogato dal n. I dell’O del 14 mar. 1994, con effetto dal 1° apr. 1994 (RU 1994 735). 22 Abrogato dal n. I dell’O del 27 gen. 1988, con effetto dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). 23 Nuovo testo del per. 2 giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 24 Nuovo testo giusta l’all. 4 n. 36 dell’O del 1° nov. 2006 sulle dogane, in vigore dal 1° mag. 2007 (RU 2007 1469). Aviazione 6 / 50 748.01 – l’utente non paga una tassa prevista nell’ordinanza del 25 settembre 198925 sulle tasse dell’UFAC stabilita con decisione passata in giudicato; – l’aeromobile è stato distrutto. 2 Se l’aeromobile è intavolato nel registro aeronautico, l’immatricolazione non può essere cancellata prima della radiazione in questo registro. I certificati di un aeromo- bile la cui iscrizione deve essere cancellata d’ufficio sono, tuttavia, ritirati già prima della cancellazione. 3 L’UFAC, se richiesto, attesta la cancellazione. 14 Contrassegni di nazionalità e d’immatricolazione Art. 12 L’UFAC emana le prescrizioni sui contrassegni di nazionalità e d’immatricolazione degli aeromobili svizzeri. 15 Navigabilità e ammissione alla circolazione26 Art. 1327 Riserva di applicabilità del diritto internazionale Le disposizioni concernenti la navigabilità e la procedura d’ammissione (n. 15) sono applicabili nella misura in cui non sia applicabile, conformemente al numero 3 dell’al- legato all’Accordo del 21 giugno 199928 tra la Confederazione Svizzera e la Comunità europea sul trasporto aereo, uno dei seguenti regolamenti CE nella versione vincolante per la Svizzera: a. regolamento (CE) n. 1592/2002; b. regolamento (CE) n. 2042/2003; c. regolamento (CE) n. 1702/2003. 25 [RU 1989 2216, 1993 2749, 1995 5219, 1997 2779 n. II 53, 2003 1195, 2005 2695 n. II 5. RU 2007 5101 art. 52]. Vedi ora l’O del 28 set. 2007 sugli emolumenti dell’Ufficio federale dell’aviazione civile (RS 748.112.11). 26 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 27 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 28 RS 0.748.127.192.68. La versione vincolante per la Svizzera è riportata nell’all. all’Acc. e può essere consultata o richiesta all’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). Navigazione aerea. O 7 / 50 748.01 Art. 1429 Art. 15 Responsabilità durante i controlli 1 Quando un aeromobile o i suoi accessori subiscono danni nel corso di un controllo, la Confederazione ne risponde ai sensi della legge del 14 marzo 195830 sulla respon- sabilità. 2 Con il permesso dell’UFAC il richiedente, a suo rischio e pericolo, può fare eseguire i voli di controllo da un pilota di sua scelta. 3 La garanzia della responsabilità civile verso i terzi a terra deve essere prestata du- rante ogni volo di controllo. Art. 1631 Certificato di navigabilità, certificato di navigabilità limitato, autorizzazione di volo, certificato di rumore e di emissione di sostanze tossiche 1 L’UFAC attesta la navigabilità degli aeromobili immatricolati nel certificato di na- vigabilità, nel certificato di navigabilità limitato o nell’autorizzazione di volo. 2 Il livello del rumore e il livello di emissione di sostanze tossiche degli aeromobili a motore sono attestati nel certificato di rumore e di emissione di sostanze tossiche. Art. 1732 Certificati di navigabilità, certificati di navigabilità limitati, autorizzazioni di volo e certificati di rumore e di emissione di sostanze tossiche esteri33 1 L’UFAC può riconoscere i certificati di navigabilità, i certificati di navigabilità li- mitati e le autorizzazioni di volo esteri a condizione che siano stati rilasciati:34 a. secondo le disposizioni vigenti in Svizzera; b. secondo le prescrizioni internazionali obbligatorie anche per la Svizzera,;o c. secondo le prescrizioni straniere o internazionali che soddisfano almeno alle esigenze minime svizzere e che sono riconosciute dall’UFAC. 2 I certificati esteri di rumore e di sostanze tossiche possono essere riconosciuti dall’UFAC a condizione che siano stati rilasciati: a. secondo norme che soddisfano almeno le esigenze minime svizzere; o 29 Abrogato dal n. I dell’O del 18 giu. 2008, con effetto dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 30 RS 170.32 31 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 32 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 6 dic. 1982, in vigore dal 1° gen. 1983 (RU 1982 2277). 33 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 34 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). Aviazione 8 / 50 748.01 b. secondo norme internazionali, vincolanti anche per la Svizzera.35 3 È fatto salvo il controllo supplementare destinato a verificare se l’aeromobile è atto al volo e se soddisfa le esigenze riguardanti la limitazione dei rumori e dell’emissione di sostanze tossiche.36 Art. 18 Ammissione alla circolazione37 1 Un aeromobile immatricolato è ammesso alla circolazione: a. se è atto al volo; b.38 se soddisfa alle esigenze della lotta contro i rumori e le altre immissioni; c.39 se è garantita la responsabilità civile verso i terzi a terra e verso i passeggeri, nella misura prescritta; d.40 se, nel caso di un aeromobile importato, è fornita la prova che è stato oggetto d’imposizione doganale o che beneficia provvisoriamente di una franchigia doganale. 2 ...41 3 L’ammissione alla circolazione è attestata con il rilascio del certificato di navigabi- lità, del certificato di navigabilità limitato o dell’autorizzazione di volo. In questi cer- tificati o nei rispettivi allegati l’UFAC può stabilire oneri, condizioni o limitazioni d’esercizio.42 4 In casi particolari, specialmente durante la procedura d’ammissione, l’UFAC rilascia un’autorizzazione di volo provvisoria. In ogni caso deve essere garantita la responsa- bilità civile verso i terzi a terra e verso i passeggeri.43 5 ...44 35 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 36 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 37 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 38 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 5 mar. 1984, in vigore dal 1° apr. 1985 (RU 1984 318). 39 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 40 Nuovo testo giusta l’all. 4 n. 36 dell’O del 1° nov. 2006 sulle dogane, in vigore dal 1° mag. 2007 (RU 2007 1469). 41 Abrogato dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, con effetto dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 42 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 43 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 44 Abrogato dal n. I dell’O del 25 ago. 1976, con effetto dal 1° gen. 1977 (RU 1976 1921). Navigazione aerea. O 9 / 50 748.01 Art. 1945 Durata di validità del certificato di navigabilità, del certificato di navigabilità limitato e dell’autorizzazione di volo 1 I certificati di navigabilità, i certificati di navigabilità limitati e le autorizzazioni di volo hanno, di norma, validità illimitata. L’UFAC può eccezionalmente limitare la durata di validità. 2 In casi particolari, segnatamente durante la procedura di ammissione o per sorvoli tecnici, l’UFAC rilascia autorizzazioni di volo con validità limitata. Art. 20 Ritiro del certificato di navigabilità, del certificato di navigabilità limitato o dell’autorizzazione di volo46 1 Il certificato di navigabilità, il certificato di navigabilità limitato o l’autorizzazione di volo viene ritirato:47 a.48 se l’aeromobile non è più atto al volo e se i difetti non sono stati eliminati nel tempo stabilito dall’UFAC; b.49 se l’aeromobile non soddisfa più alle esigenze della lotta contro i rumori e le altre immissioni e se i difetti non sono stati eliminati nel tempo stabilito dall’UFAC; c. se la garanzia della responsabilità civile verso terzi a terra non è più prestata a sufficienza; d. se allo spirare della franchigia doganale non è fornita la prova dello sdogana- mento. 2 Il certificato di navigabilità può inoltre essere ritirato: a. se la necessaria verifica periodica della navigabilità non viene eseguita e con- fermata entro il termine prescritto; oppure b. se i rapporti di proprietà non sono chiari.50 3 È riservato il ritiro conformemente all’articolo 92 della legge sulla navigazione ae- rea51. 45 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 46 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 47 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 48 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 6 dic. 1982, in vigore dal 1° gen. 1983 (RU 1982 2277). 49 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 5 mar. 1984, in vigore dal 1° apr. 1985 (RU 1984 318). 50 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 giu. 2008, in vigore dal 1° ago. 2008 (RU 2008 3607). 51 RU 1974 447 Aviazione 10 / 50 748.01 16 Regole speciali e altre misure Art. 2152 Nei limiti fissati dagli articoli 108 e 109 della legge sulla navigazione aerea il DATEC53 può emanare disposizioni speciali e adottare altre misure per aeromobili di categorie speciali o in caso di innovazioni tecniche. Esso prende in considerazione anche le esigenze della protezione della natura, del paesaggio e dell’ambiente. 2 Corpi volanti54 Art. 2255 Art. 2356 1 Dal punto di vista tecnico, i corpi volanti vengono suddivisi in categorie conforme- mente all’allegato. 2 Piccoli corpi volanti, come razzi pirotecnici o modelli di razzo, nonché proiettili antigrandine possono essere impiegati o lanciati se non compromettono la sicurezza della navigazione aerea. Sono fatte salve ulteriori restrizioni per altri motivi da parte della Confederazione o dei Cantoni. 3 Altri corpi volanti, segnatamente razzi con o senza occupanti, possono essere impie- gati o lanciati soltanto con l’autorizzazione dell’UFAC. L’UFAC può fissare condi- zioni per l’ammissione e per l’esercizio. 4 I proiettili antigrandine non possono invadere gli spazi aerei delle classi C e D non- ché della classe E nell’ambito dei tratti-ATS. La direzione del traffico aereo compe- tente può autorizzare deroghe. 3 Personale aeronautico 31 Licenza Art. 24 1 Il DATEC stabilisce quali categorie del personale aeronautico debbono possedere una licenza dell’UFAC per esercitare la loro attività. 52 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 53 Nuova espr. giusta il n. I dell’O del 4 lug. 2007, in vigore dal 1° ago. 2007 (RU 2007 3645). Di detta mod. è tenuto conto in tutto il testo. 54 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 55 Abrogato dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, con effetto dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 56 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). Navigazione aerea. O 11 / 50 748.01 2 L’UFAC può delegare ad associazioni idonee l’organizzazione d’esami e il rilascio di licenze.57 32 Prescrizioni Art. 25 1 Il DATEC emana, in quanto alle licenze del personale aeronautico, prescrizioni che disciplinano in particolare: a. la natura, la portata e la durata di validità; b. le condizioni di rilascio, rinnovo e ritiro; c. la procedura da osservare a questo riguardo; d. i diritti e gli obblighi dei titolari; e. le condizioni alle quali il personale aeronautico formato nell’aviazione mili- tare può conseguire licenze civili; f. il riconoscimento delle licenze straniere come anche degli esami di capacità e di visite mediche aeronautiche fatti all’estero. 2 Il DATEC può emanare prescrizioni sul personale aeronautico che non ha bisogno di una licenza per esercitare la sua attività. 3 Il DATEC, d’intesa con il Dipartimento federale della difesa, della protezione della popolazione e dello sport regola il servizio medico aeronautico. L’organizzazione e le competenze attribuite all’Istituto di medicina aeronautica sono disciplinate in un’or- dinanza emanata dal Dipartimento federale della difesa, della protezione della popo- lazione e dello sport d’intesa con il DATEC.58 57 Introdotto dal n. I dell’O del 27 gen. 1988, in vigore dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). 58 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 4 apr. 2001, in vigore dal 1° apr. 2001 (RU 2001 1067). Aviazione 12 / 50 748.01 33 Istruzione del personale aeronautico Art. 2659 Principio Fatte salve le eccezioni stabilite dal DATEC per singole categorie, l’istruzione del personale aeronautico che necessita di una licenza ufficiale può avvenire solo nel qua- dro di un’organizzazione civile di addestramento che adempie i requisiti di cui al re- golamento (UE) n. 1178/201160 o del regolamento (UE) 2015/34061. Art. 2762 Art. 2863 Vigilanza sull’organizzazione civile di addestramento 1 L’UFAC controlla la gestione dell’organizzazione civile di addestramento che istrui- sce il personale aeronautico. 2 I settori della formazione e del perfezionamento aeronautici sostenuti dalla Confe- derazione, fatti salvi gli esami attitudinali per aspiranti piloti militari, piloti professio- nisti o esploratori paracadutisti (SPHAIR), sono soggetti alla vigilanza dell’UFAC. Art. 28a64 SPHAIR 1 Le Forze aeree provvedono allo svolgimento di esami attitudinali, per aspiranti piloti militari, piloti professionisti o esploratori paracadutisti, denominati SPHAIR. 2 Nello svolgimento dei propri compiti sono coadiuvate in particolare dall’UFAC, dalle organizzazioni dell’aviazione commerciale, dalle organizzazioni di addestra- mento aeronautiche e dall’associazione mantello dell’aviazione leggera e sportiva 3 Dopo aver sentito le parti di cui al capoverso 2, il DDPS disciplina in particolare: a. le condizioni di partecipazione agli esami attitudinali; b. i requisiti per gli esami attitudinali; 59 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 60 Regolamento (UE) n. 1178/2011 della Commissione, del 3 novembre 2011, che stabilisce i requisiti tecnici e le procedure amministrative relativamente agli equipaggi dell’avia- zione civile ai sensi del regolamento (CE) n. 216/2008 del Parlamento europeo e del Con- siglio, nella versione vincolante per la Svizzera secondo il numero 3 dell’allegato all’Ac- cordo del 21 giugno 1999 sul trasporto aereo (RS 0.748.127.192.68). 61 Regolamento (UE) n. 2015/340 della Commissione, del 20 febbraio 2015, che stabilisce i requisiti tecnici e le procedure amministrative concernenti licenze e certificati dei control- lori del traffico aereo ai sensi del regolamento (CE) n. 216/2008 del Parlamento europeo e del Consiglio, modifica il regolamento di esecuzione (UE) n. 923/2012 della Commis- sione e abroga il regolamento (UE) n. 805/2011 della Commissione nella versione vinco- lante per la Svizzera secondo il numero 3 dell’allegato all’Accordo del 21 giugno 1999 sul trasporto aereo (RS 0.748.127.192.68). 62 Abrogato dal n. I dell’O del 17 ott. 2018, con effetto dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 63 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 64 Introdotto dal n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). Navigazione aerea. O 13 / 50 748.01 c. l’organizzazione della segreteria di SPHAIR e il coinvolgimento delle parti di cui al capoverso 2. Art. 2965 34 Protezione della salute dei membri dell’equipaggio degli aeromobili66 341 Disposizioni generali67 Art. 3068 Campo d’applicazione e diritto applicabile 1 Il presente numero (n. 34) disciplina la protezione della salute dei membri dell’equi- paggio degli aeromobili delle imprese di trasporti aerei con sede in Svizzera, soggette all’obbligo di autorizzazione per il trasporto commerciale di persone o merci. 2 Il presente numero attua la Direttiva 2000/79/CE nella versione vincolante per la Svizzera conformemente al numero 1 dell’allegato all’Accordo del 21 giugno 199969 tra la Confederazione Svizzera e la Comunità europea sul trasporto aereo. Art. 3170 Informazione e istruzione L’informazione e l’istruzione dei membri dell’equipaggio sono rette dall’articolo 5 dell’ordinanza 3 del 18 agosto 199371 concernente la legge sul lavoro (Igiene, OLL 3). Art. 3272 Consultazione La consultazione dei membri dell’equipaggio o della loro rappresentanza in seno all’impresa è retta dall’articolo 6 OLL 373. Art. 3374 Valutazione dello stato di salute 1 Ogni membro dell’equipaggio ha diritto ad una valutazione gratuita dello stato di salute prima di prendere per la prima volta servizio presso l’impresa di trasporti aerei. 65 Abrogato dal n. I dell’O del 17 ott. 2018, con effetto dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 66 Introdotto dal n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 67 Introdotto dal n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 68 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 69 RS 0.748.127.192.68. La versione vincolante per la Svizzera è riportata al n. 1 dell’all. dell’Acc. e può essere consultata o richiesta all’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). 70 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 71 RS 822.113 72 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 73 RS 822.113 74 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). Aviazione 14 / 50 748.01 2 I membri dell’equipaggio hanno diritto ad una valutazione gratuita del loro stato di salute, secondo l’articolo 4 numero 1 lettera a dell’allegato della Direttiva 2000/79/CE75, come segue: a. membri dell’equipaggio di volo: alle scadenze prescritte nel regolamento JAR-FCL-376; b. altri membri dell’equipaggio: 1. fino all’età di 41 anni: ogni cinque anni, 2. dall’età di 42 anni fino al compimento di 50 anni: ogni due anni, 3. dall’età di 51 anni: ogni anno. 3 Il diritto ad una valutazione annuale è accordato a coloro che hanno problemi di salute riconducibili all’attività aviatoria. 4 I costi della valutazione dello stato di salute sono a carico dell’impresa di trasporti aerei. 342 Protezione della salute durante la maternità77 Art. 3478 Applicabilità delle disposizioni di protezione durante la gravidanza 1 Le donne incinte possono esigere misure di protezione speciali, non appena hanno informato l’impresa della gravidanza. 2 Su richiesta dell’impresa devono presentare il certificato di un medico. Art. 3579 Occupazione durante la maternità L’occupazione di donne incinte, puerpere e madri allattanti è retta dagli articoli 35 capoverso 1 e 35a capoversi 1–3 della legge del 13 marzo 196480 sul lavoro. Art. 3681 Lavoro compensativo e sostituzione del salario 1 Le donne incinte e le madri allattanti esonerate dal servizio di volo hanno diritto all’80 per cento del salario, nella misura in cui l’impresa di trasporti aerei non è in grado di offrire loro un lavoro equivalente a terra. 75 La versione vincolante per la Svizzera è riportata al n. 1 dell’all. all’Acc. del 22 giu. 1999 (RS 0.748.127.192.68) e può essere consultata o richiesta all’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch) . 76 Il regolamento JAR-FCL 3 non è pubblicato nella RU e non viene tradotto. Esso può es- sere consultato presso l’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch), oppure ordinato die- tro pagamento presso il servizio competente delle Joint Aviation Authorties. 77 Introdotto dal n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 78 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 79 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 80 RS 822.11 81 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). Navigazione aerea. O 15 / 50 748.01 2 Per le donne incinte e le madri allattanti che svolgono un lavoro compensativo a terra si applicano: a. la legge del 13 marzo 196482 sul lavoro; b. l’ordinanza 1 del 10 maggio 200083 concernente la legge sul lavoro; c. l’OLL 384 concernente la legge sul lavoro; d. le prescrizioni emanate dal Dipartimento federale dell’economia in base all’articolo 62 capoverso 4 dell’ordinanza 1 del 10 maggio 2000 concernente la legge sul lavoro. 343 Membri dell’equipaggio con responsabilità familiari85 Art. 3786 Per l’occupazione di membri dell’equipaggio con responsabilità familiari si appli- cano: a. l’articolo 36 capoverso 1 della legge del 13 marzo 196487 sul lavoro, nella misura in cui lo consente l’esercizio; e b. l’articolo 36 capoverso 3 della legge del 13 marzo 1964 sul lavoro. 35 Accertamento dell’ebrietà e di altri stati88 351 Alcol89 Art. 3890 Ebrietà e inidoneità a prestare servizio È considerato in stato di ebrietà e inidoneo a prestare servizio un membro dell’equi- paggio che presenta la seguente concentrazione di alcol: a. una concentrazione di alcol nell’alito superiore a 0,1 milligrammi per litro di aria espirata; oppure b. una concentrazione di alcol nel sangue superiore a 0,2 per mille. 82 RS 822.11 83 RS 822.111 84 RS 822.113 85 Introdotto dal n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 86 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 set. 2009, in vigore dal 15 ott. 2009 (RU 2009 5027). 87 RS 822.11 88 Introdotto dal n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). 89 Introdotto dal n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). 90 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). Aviazione 16 / 50 748.01 Art. 3991 Controlli del tasso alcolico in caso di indizi di ebrietà Se vi sono indizi che un membro dell’equipaggio si trova in stato di ebrietà, si effettua un controllo del tasso alcolico. Questo si basa sugli articoli 40 capoversi 2–4, 41 e 42 capoversi 1 e 3. Art. 4092 Svolgimento dell’accertamento etilometrico casuale 1 Lo svolgimento dell’accertamento etilometrico casuale si basa: a. sul regolamento (UE) 2018/104293; b. a titolo complementare sulle disposizioni della presente ordinanza. 2 Il primo accertamento etilometrico viene effettuato mediante un etilometro precur- sore. 3 Se il risultato del primo accertamento etilometrico supera il valore limite di cui all’articolo 38 lettera a, un secondo accertamento etilometrico deve essere effettuato mediante un etilometro probatorio non prima di 15 minuti e non oltre 30 minuti dal primo accertamento. Durante l’attesa, al membro dell’equipaggio è fatto divieto di mangiare, bere o altrimenti assumere altre sostanze. 4 Gli etilometri precursori e gli etilometri probatori devono soddisfare i requisiti dell’ordinanza del 15 febbraio 200694 sugli strumenti di misurazione (OStrM) e delle relative disposizioni d’esecuzione del Dipartimento federale di giustizia e polizia. Lo svolgimento dell’accertamento etilometrico è retto per analogia dall’ordinanza del 28 marzo 200795 sul controllo della circolazione stradale (OCCS) e sulle relative dispo- sizioni d’esecuzione dell’Ufficio federale delle strade (USTRA). Art. 4196 Inidoneità temporanea a prestare servizio Se il risultato del primo accertamento etilometrico mediante l’etilometro precursore supera il valore limite di cui all’articolo 38 o se deve essere ordinato un prelievo del 91 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). 92 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). 93 Regolamento (UE) 2018/1042 della Commissione, del 23 luglio 2018, che modifica il regolamento (UE) n. 965/2012 per quanto riguarda i requisiti tecnici e le procedure ammi- nistrative concernenti l’introduzione di programmi di sostegno, della valutazione psicolo- gica dell’equipaggio di condotta, nonché di test sistematici e casuali per il rilevamento di sostanze psicoattive al fine di garantire l’idoneità medica dei membri degli equipaggi di condotta e di cabina e per quanto riguarda l’equipaggiamento dei velivoli di nuova fabbricazione a turbina, aventi una massa massima certificata al decollo pari o inferiore a 5 700 kg e autorizzati a trasportare da sei a nove passeggeri, con un sistema di avviso e rappresentazione del terreno, nella versione vincolante per la Svizzera conformemente al numero 3 dell’allegato all’Accordo del 21 giugno 1999 tra la Confederazione Svizzera e la Comunità europea sul trasporto aereo (RS 0.748.127.192.68). 94 RS 941.210 95 RS 741.013 96 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). Navigazione aerea. O 17 / 50 748.01 sangue secondo l’articolo 42 capoverso 1 lettere a e c, il membro dell’equipaggio è considerato temporaneamente inidoneo a prestare servizio. Art. 4297 Ordine e svolgimento di un prelievo del sangue 1 È ordinato un prelievo del sangue se: a. il risultato di un primo accertamento etilometrico mediante un etilometro pre- cursore è superiore al valore limite di cui all’articolo 38 e non può essere con- fermato con un secondo accertamento etilometrico mediante un etilometro probatorio; b. l’accertamento etilometrico viene rifiutato o eluso oppure se il membro dell’equipaggio vi si sottrae; oppure c. l’accertamento etilometrico non può essere effettuato per ragioni mediche. 2 In presenza del relativo certificato medico nei casi di cui al capoverso 1 lettera c, si può rinunciare al prelievo del sangue e il membro dell’equipaggio può riprendere ser- vizio. 3 Il prelievo del sangue si basa sulle disposizioni degli articoli 13 capoverso 3 e 14 dell’OCCS98 e sulle relative disposizioni d’esecuzione dell’USTRA. 352 Narcotici o sostanze psicotrope99 Art. 43100 Analisi in presenza di indizi di influsso di narcotici o sostanze psicotrope Se vi sono indizi che un membro dell’equipaggio si trova sotto l’influsso di narcotici o sostanze psicotrope, lo svolgimento delle analisi ordinate si basa per analogia sugli articoli 12a, 12b, 13 capoverso 3, 14, 15 e 17 OCCS101 e sulle relative disposizioni d’esecuzione dell’USTRA. 4 ... Art. 44–74102 97 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). 98 RS 741.013 99 Introdotto dal n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). 100 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 16 feb. 2022, in vigore dal 1° mag. 2022 (RU 2022 230). 101 RS 741.013 102 Abrogati dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, con effetto dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). Aviazione 18 / 50 748.01 5 Circolazione, esercizio e manutenzione 51103 Regole di circolazione e d’esercizio Art. 75 Regole di circolazione Il DATEC emana regole di circolazione per l’utilizzo dello spazio aereo svizzero. Art. 76 Regole d’esercizio 1 Il DATEC emana regole d’esercizio in esecuzione o a complemento del diritto in- ternazionale. 2 Le regole d’esercizio si applicano in Svizzera e all’estero ai detentori e alle imprese di trasporti aerei svizzere. 3 All’estero è possibile derogare dalle regole d’esercizio se il diritto estero lo richiede imperativamente. 52 Sistema di segnalazione di eventi nel settore dell’aviazione104 Art. 77105 Principi 1 Il sistema di segnalazione secondo gli articoli 77–77e ha lo scopo di migliorare la sicurezza della navigazione aerea. Esso si fonda sul regolamento (UE) n. 376/2014106. 2 Sono fatti salvi gli altri obblighi di dichiarazione previsti dal diritto federale. 3 Il regolamento (UE) n. 376/2014 si applica anche agli aeromobili elencati nell’alle- gato II del regolamento (CE) n. 216/2008107. 103 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). 104 Originario avanti l’art. 78. Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). 105 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 feb. 2016, in vigore dal 1° apr. 2016 (RU 2016 739). 106 Regolamento (UE) n. 376/2014 del Parlamento europeo e del Consiglio, del 3 aprile 2014, concernente la segnalazione, l’analisi e il monitoraggio di eventi nel settore dell’aviazione civile, che modifica il regolamento (UE) n. 996/2010 del Parlamento euro- peo e del Consiglio e che abroga la direttiva 2003/42/CE del Parlamento europeo e del Consiglio e i regolamenti (CE) n. 1321/2007 e (CE) n. 1330/2007 della Commissione, nella versione vincolante per la Svizzera conformemente al numero 3 dell’allegato all’ac- cordo sul trasporto aereo (cfr. nota a piè di pagina ad art. 13). 107 Regolamento ( (CE) Nr. 216/2008 del Parlamento europeo e del Consiglio, del 20 feb- braio 2008 recante regole comuni nel settore dell’aviazione civile e che istituisce un’Agenzia europea per la sicurezza aerea, e che abroga la direttiva 91/670/CEE del Con- siglio, il regolamento (CE) n. 1592/2002 e la direttiva 2004/36/CE, nella versione vinco- lante per la Svizzera conformemente al numero 3 dell’allegato all’accordo sul trasporto aereo (cfr. nota a piè di pagina ad art. 13). Navigazione aerea. O 19 / 50 748.01 4 Tutti gli eventi da segnalare sono elencati nel regolamento di esecuzione (UE) 2015/1018108. Art. 77a–77c109 Art. 77d110 Centro segnalazioni 1 L’UFAC designa un centro interno incaricato di registrare ed analizzare i dati relativi alle segnalazioni obbligatorie e facoltative ricevute (Centro segnalazioni). 2 Il Centro segnalazioni è separato dal punto di vista organizzativo dalle unità dell’UFAC che svolgono attività di vigilanza. 3 Il Centro segnalazioni tratta le segnalazioni in modo confidenziale. 4 I dipendenti del Centro segnalazioni incaricati della registrazione e dell’analisi delle segnalazioni sono esentati, nel quadro di questa attività, dall’obbligo di denuncia e di persecuzione penale. Art. 77e111 Controversie concernenti la protezione delle fonti d’informazione Il DATEC è l’organismo competente previsto all’articolo 16 paragrafo 12 del regola- mento (UE) n. 376/2014112. Art. 77f e 77g113 Art. 78114 53 ... Art. 79115 108 Regolamento di esecuzione (UE) 2015/1018 della Commissione, del 29 giugno 2015, che stabilisce un elenco per la classificazione di eventi nel settore dell’aviazione civile che de- vono essere obbligatoriamente segnalati a norma del regolamento (UE) n. 376/2014 del Parlamento europeo e del Consiglio, nella versione vincolante per la Svizzera conforme- mente al numero 3 dell’allegato all’accordo sul trasporto aereo (cfr. nota a piè di pagina ad art. 13). 109 Introdotti dal n. I dell’O del 9 mar. 2016 (RU 2007 917). Abrogati dal n. I dell’O del 17 feb. 2016, con effetto dal 1° apr. 2016 (RU 2016 739). 110 Introdotto dal n. I dell’O del 9 mar. 2016, in vigore dal 1° apr. 2007 (RU 2007 917). 111 Introdotto dal n. I dell’O del 9 mar. 2016 (RU 2007 917). Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 feb. 2016, in vigore dal 1° apr. 2016 (RU 2016 739). 112 Cfr. nota a piè di pagina ad art. 77 cpv. 1. 113 Introdotti dal n. I dell’O del 9 mar. 2016 (RU 2007 917). Abrogati dal n. I dell’O del 17 feb. 2016, con effetto dal 1° apr. 2016 (RU 2016 739). 114 Abrogato dal n. I dell’O del 9 mar. 2007, con effetto dal 1° apr. 2007 (RU 2007 917). 115 Abrogato dal n. I dell’O del 27 gen. 1988, con effetto dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). Aviazione 20 / 50 748.01 54 Presa di vedute aeree Art. 80 La presa di vedute aeree e la loro diffusione sono autorizzate sotto riserva della legi- slazione concernente la protezione delle opere militari. 55 Lancio d’oggetti Art. 81 È proibito lanciare oggetti da un aeromobile in volo, sotto riserva delle eccezioni fis- sate dal DATEC. 56 Pubblicità Art. 82 Sugli aeromobili 1 La pubblicità per mezzo di scritte e di immagini applicate agli aeromobili è permessa con riserva delle disposizioni della rimanente legislazione federale.116 2 I contrassegni di nazionalità e d’immatricolazione devono in ogni caso essere chia- ramente riconoscibili. 3 ...117 Art. 83 Per mezzo d’aeromobili È vietata ogni altra forma di pubblicità per mezzo d’aeromobili, segnatamente il lancio di volantini, la scrittura con fumogeni, l’utilizzazione di altoparlanti e il rimorchia- mento di banderuole. 57 Dimostrazioni acrobatiche a bordo di aeromobili Art. 84 Per le dimostrazioni acrobatiche a bordo di aeromobili è necessaria un’autorizzazione dell’UFAC. L’autorizzazione prescrive le condizioni richieste. 116 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 27 gen. 1988, in vigore dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). 117 Abrogato dal n. I dell’O del 27 gen. 1988, con effetto dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). Navigazione aerea. O 21 / 50 748.01 58 Manifestazioni aeronautiche pubbliche Art. 85 Definizione Le manifestazioni aeronautiche pubbliche sono manifestazioni alle quali il pubblico è invitato e che comprendono dimostrazioni e gare, nonché l’esecuzione di voli con passeggeri al di fuori degli aerodromi. Art. 86 Autorizzazione obbligatoria 1 Le manifestazioni aeronautiche pubbliche necessitano, sotto riserva del capoverso 2, di un’autorizzazione dell’UFAC. Prima di permettere grandi manifestazioni, oc- corre udire il parere dell’Ufficio federale dell’ambiente118.119 2 Non necessitano di alcuna autorizzazione: a. le manifestazioni aeronautiche pubbliche sugli aerodromi se sono ridotte a voli con passeggeri e a competizioni fra i membri di una associazione d’avia- zione locale, con partecipazione di singoli invitati; b.120 le manifestazioni aeronautiche pubbliche al di fuori degli aerodromi se vi par- tecipano al massimo venti palloni liberi; c. le manifestazioni aeronautiche pubbliche al di fuori degli aerodromi se vi par- tecipano al massimo due elicotteri, sotto riserva dell’approvazione delle auto- rità comunali; d.121 ... Art. 87 Domanda 1 La domanda di autorizzazione per una manifestazione aeronautica pubblica deve es- sere presentata all’UFAC al più tardi sei settimane prima del suo svolgimento.122 2 Essa deve indicare: a. il luogo e la data; b. l’organizzatore; c. il direttore responsabile; d. il piano d’organizzazione e gli aeromobili previsti; e. il programma; 118 La designazione dell’unità amministrativa è stata adattata in applicazione dell’art. 16 cpv. 3 dell’O del 17 nov. 2004 sulle pubblicazioni (RU 2004 4937). 119 Nuova denominazione secondo il DCF non pubblicato del 19 dic. 1997. 120 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 121 Abrogata dal n. I dell’O del 25 ago. 1976, con effetto dal 1° gen. 1977 (RU 1976 1921). 122 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). Aviazione 22 / 50 748.01 f. un compendio delle disposizioni prese in vista della manifestazione, in parti- colare per quanto concerne la sicurezza degli spettatori, la circolazione a terra e nell’aria, nonché il servizio sanitario. 3 Per le manifestazioni sugli aerodromi la domanda deve essere corredata del consenso scritto dell’esercente dell’aerodromo: trattandosi di altri terreni, è necessario produrre il consenso scritto dei proprietari e una dichiarazione dell’autorità cantonale compe- tente, secondo la quale essa non solleva alcuna obiezione contro lo svolgimento della manifestazione. 4 Se si tratta di una manifestazione aeronautica pubblica al di fuori di un aerodromo, occorre allegare alla domanda: a. un frammento della carta topografica nella scala 1:25000, dove sia contraddi- stinto in modo speciale il terreno previsto; b. uno schizzo del terreno nella scala 1:50000 che indichi chiaramente anche gli ostacoli al volo esistenti nelle adiacenze del terreno. Art. 88 Esame L’UFAC esamina la documentazione e fa una perizia in modo particolare del terreno scelto. Art. 89 Autorizzazione 1 L’UFAC rilascia l’autorizzazione quando l’organizzatore ha provato l’esistenza della garanzia supplementare della sua responsabilità civile verso i terzi a terra, giusta le disposizioni dell’articolo 133, e ha accertato che le altre condizioni sono adempiute. 1bis L’UFAC autorizza manifestazioni nell’ambito delle quali sono eseguiti atterraggi esterni con aeromobili a motore a più di 1100 m di altitudine e al di fuori delle aree di atterraggio in montagna solo se sono occasionate da un anniversario importante per il volo in montagna.123 1ter L’UFAC autorizza manifestazioni nell’ambito delle quali sono eseguiti atterraggi esterni con aeromobili a motore su distese d’acqua pubbliche solo se l’autorità canto- nale competente ha verificato e approvato il rispetto delle disposizioni in materia di diritto della protezione delle acque, della pesca, dell’ambiente e della natura e non solleva obiezioni dettate da altri interessi pubblici.124 2 Esso stabilisce le condizioni e le direttive richieste per motivi di sicurezza e di ru- more. Art. 90 Direzione della manifestazione 1 Il direttore della manifestazione, oltre alla direzione dell’esercizio aereo, ha in par- ticolare i compiti seguenti: 123 Introdotto dall’all. n. 3 dell’O del 14 mag. 2014 sugli atterraggi esterni, in vigore dal 1° set. 2014 (RU 2014 1339). 124 Introdotto dall’all. n. 3 dell’O del 14 mag. 2014 sugli atterraggi esterni, in vigore dal 1° set. 2014 (RU 2014 1339). Navigazione aerea. O 23 / 50 748.01 a. controllare le licenze del personale navigante e i certificati degli aeromobili impiegati; b. impartire al personale incaricato di disciplinare il servizio di volo le istruzioni generali sull’organizzazione di tale servizio e del servizio di sicurezza; c. controllare se gli aeromobili utilizzati sono menzionati nell’autorizzazione d’organizzare la manifestazione; d. vigilare affinché il programma approvato sia rispettato. 2 Sugli aerodromi, questi diritti e obblighi spettano al capo dell’aerodromo. Egli può delegarli, sotto la sua vigilanza, al direttore della manifestazione. Art. 91 Vigilanza L’UFAC può fare sorvegliare la manifestazione da un perito; i compiti di quest’ultimo sono stabiliti di caso in caso. 59 ... Art. 92 a 98125 510 Ritiro delle autorizzazioni Art. 99 Le autorizzazioni possono essere ritirate o limitate se non sono più adempiute le con- dizioni alle quali erano state rilasciate. 6126 Navigazione aerea commerciale 61 Autorizzazione d’esercizio Art. 100 Voli commerciali 1 I voli sono commerciali quando: a. implicano, sotto una forma qualsiasi, una rimunerazione volta a coprire più dei costi per la locazione dell’aeromobile, per il carburante nonché per le tasse aeroportuali e la sicurezza aerea; e b. sono accessibili a una cerchia indeterminata di persone. 125 Abrogati dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, con effetto dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 126 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 28 ott. 1998, in vigore dal 15 nov. 1998 (RU 1998 2570). Aviazione 24 / 50 748.01 1bis Se il vettore è un’associazione, i suoi membri sono considerati appartenenti a una cerchia determinata di persone a condizione di essere membri da oltre 30 giorni.127 2 I voli di un’impresa titolare di un’autorizzazione di esercizio sono presunti commer- ciali. È fatta salva la valutazione dei fatti sotto l’angolazione del diritto doganale e fiscale. 3 Nel caso di voli non commerciali rimunerati, i passeggeri devono essere informati in anticipo del carattere privato del volo e delle conseguenze che ne derivano per quanto concerne la protezione assicurativa. Se è impiegato un aeromobile apparte- nente alla categoria speciale per quanto riguarda la navigabilità, i passeggeri devono essere informati anche delle particolarità della sua ammissione alla circolazione.128 Art. 101129 Restrizioni per gli aeromobili impiegati nell’esercizio commerciale I seguenti aeromobili non possono essere impiegati nel trasporto commerciale di per- sone: a. aeromobili della categoria speciale, sottocategoria «Storici»; e b. aeromobili della categoria standard che non sono regolamentati a livello eu- ropeo e che non dispongono di alcun titolare del certificato di tipo. Art. 102 Revoca dell’autorizzazione d’esercizio L’UFAC può revocare l’autorizzazione d’esercizio se: a. le condizioni di rilascio non sono più adempiute; b. le prescrizioni sono violate ripetutamente o in modo grave, o c. gli oneri non sono adempiuti. 611 Imprese con sede in Svizzera Art. 103 Condizioni generali per il rilascio dell’autorizzazione 1 Un’impresa con sede in Svizzera può ottenere l’autorizzazione d’esercizio per il tra- sporto commerciale di persone e merci (art. 27 LNA) se: a. l’impresa è iscritta in Svizzera nel registro di commercio allo scopo di eserci- tare il traffico aereo commerciale; b. l’impresa si trova sotto il controllo effettivo di cittadini svizzeri e per la mag- gior parte è di proprietà di cittadini svizzeri; è fatto salvo il caso di stranieri o 127 Introdotto dal n. I dell’O del 17 ago. 2022, in vigore dal 1° ott. 2022 (RU 2022 485). 128 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ago. 2022, in vigore dal 1° ott. 2022 (RU 2022 485). 129 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ago. 2022, in vigore dal 1° ott. 2022 (RU 2022 485). Navigazione aerea. O 25 / 50 748.01 di società straniere parificati a cittadini svizzeri e a società svizzere in virtù di accordi internazionali130; c. inoltre, nel caso di una società anonima, più della metà del capitale azionario è costituito di azioni nominative ed è per la maggior parte di proprietà di cit- tadini svizzeri o di società commerciali e cooperative in mani svizzere; è fatto salvo il caso di stranieri o di società straniere parificati a cittadini svizzeri o a società svizzere in virtù di accordi internazionali131; d. l’impresa ha una licenza per trasporti aerei che regola in particolare l’organiz- zazione dell’esercizio e della manutenzione; e. gli aeromobili esercitati dall’impresa adempiono le esigenze minime per i ser- vizi previsti e sono iscritti nella matricola svizzera degli aeromobili; d’intesa con la Direzione generale delle dogane, gli aeromobili possono essere iscritti nella matricola di un Paese con il quale è stato concluso un accordo interna- zionale132 che prevede questa possibilità; f. l’impresa esercita almeno un aeromobile di cui è proprietaria o che gestisce in base a un contratto leasing, il quale le garantisce il libero impiego dell’aero- mobile per un periodo di almeno sei mesi; g. l’impresa dispone di equipaggi propri, titolari delle licenze necessarie per l’at- tività prevista; h.133 ... i. l’impresa può provare in modo credibile che è in grado di far fronte in ogni tempo ai suoi obblighi nei 24 mesi che seguono l’inizio della sua attività e, senza tener conto degli introiti d’esercizio, di coprire le sue spese fisse e va- riabili nei tre mesi che seguono l’inizio dell’attività, conformemente al piano di gestione; gli obblighi e i costi devono essere determinati in base a previsioni realistiche. 2 Allo scopo di garantire che la maggioranza del capitale sociale sia in mano svizzera, un’impresa titolare di un’autorizzazione di esercizio o una società di partecipazione che detiene direttamente o indirettamente una partecipazione maggioritaria in un’altra impresa deve disporre di un diritto di compera sulle quote di capitale quotate in borsa che sono state acquistate da stranieri. Il diritto di compera deve essere esercitato entro dieci giorni dalla dichiarazione di acquisto all’impresa, allorché la partecipazione stra- niera al capitale sociale iscritta nel registro delle azioni ha raggiunto il 40 per cento dell’insieme del capitale sociale o allorché detta partecipazione ha superato la parte- cipazione svizzera iscritta nel registro in questione. Il prezzo d’acquisto corrisponde al corso della borsa al momento dell’esercizio del diritto di compera. L’impresa pub- blica periodicamente il tasso di partecipazione straniera al capitale sociale. È fatto 130 La lista di questi accordi può essere consultata presso l’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). 131 La lista di questi accordi può essere consultata presso l’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). 132 La lista di questi accordi può essere consultata presso l’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). 133 Abrogata dal n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, con effetto dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Aviazione 26 / 50 748.01 salvo il caso di stranieri o di società straniere parificati a cittadini svizzeri o a società svizzere in virtù di accordi internazionali134. 3 In casi debitamente motivati, l’UFAC, d’intesa con la Direzione generale delle do- gane, può autorizzare per un periodo determinato l’uso di un aeromobile iscritto nella matricola di uno Stato con il quale non è stato concluso alcun accordo internazio- nale135 che prevede questa possibilità. 4 In casi debitamente motivati, l’UFAC può concedere deroghe alle condizioni di cui al capoverso 1 lettere a, b e c. Può autorizzare la delega di taluni compiti d’esercizio ad altre imprese svizzere o estere.136 Art. 103a137 Sistema di gestione della sicurezza 1 Le seguenti imprese con sede in Svizzera devono introdurre e mantenere un sistema di gestione della sicurezza: a. gli esercenti di aeroplani ed elicotteri che effettuano voli a scopo commer- ciale; b. le imprese di manutenzione per aeroplani ed elicotteri. 2 Le seguenti norme dell’Organizzazione dell’aviazione civile internazionale (OACI) contenute nell’allegato 19 alla Convenzione di Chicago138 sono direttamente applica- bili al sistema di gestione della sicurezza:139 a.140 parte I, numeri 3.3 e 8.7.3; b.141 parte III sezione II numeri 1.3 e 6.1.2. 3 Sono fatte salve le deroghe notificate dalla Svizzera in virtù dell’articolo 38 della Convenzione di Chicago. 4 Il DATEC può dichiarare vincolanti le raccomandazioni dell’allegato 6 della Con- venzione di Chicago. 134 La lista di questi accordi può essere consultata presso l’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). 135 La lista di questi accordi può essere consultata presso l’UFAC, 3003 Berna (www.bazl.admin.ch). 136 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). 137 Introdotto dal n. I dell’O del 5 dic. 2008, in vigore dal 1° gen. 2009 (RU 2008 6005). 138 RS 0.748.0. Il testo dell’allegato non è pubblicato nella RU. Può essere consultato gratui- tamente sul sito dell’Ufficio federale dell’aviazione civile all’indirizzo www.bazl.ad- min.ch > Spazio professionale > Organizzazione e informazioni di base, o acquistato presso l’Organizzazione dell’aviazione civile internazionale (Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des documents, 999 rue de l’Université, Québec, Canada H3C 5H7; www.icao.int). 139 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 140 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). 141 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Navigazione aerea. O 27 / 50 748.01 5 Per attuare le norme e le raccomandazioni dell’OACI, l’UFAC può emanare istru- zioni complementari. 6 L’allegato 6 della Convenzione di Chicago non è pubblicato nella Raccolta ufficiale. Può essere consultato in lingua francese e inglese presso l’UFAC142. Art. 104 Palloni, alianti e aeromobili di categorie speciali 1 Le imprese di aerostati devono adempiere le condizioni prescritte nell’articolo 27 capoverso 2 lettera b della legge sulla navigazione aerea e nell’articolo 103 capoverso 1 lettere a, e, g. In casi debitamente motivati, l’UFAC può consentire deroghe alle condizioni prescritte nell’articolo 103 capoverso 1 lettera a. 2 L’autorizzazione d’esercizio non è richiesta per le imprese che esercitano alianti e aeromobili di categorie speciali. Art. 105143 Autorizzazione speciale Un’autorizzazione d’esercizio può essere accordata sotto forma di autorizzazione spe- ciale per una breve durata o per un numero esiguo di voli se l’esercente può dimostrare uno standard di sicurezza paragonabile e adeguato all’operazione. Art. 106 Somma della responsabilità civile e obbligo di assicurarsi 1 L’autorizzazione è rilasciata soltanto se il richiedente: a. dispone delle seguenti garanzie: 1. a titolo di responsabilità civile di una copertura minima di 250 000 diritti speciali di prelievo per passeggero, definiti dal Fondo monetario interna- zionale in caso di morte o di lesioni personali, 2.144 a titolo di responsabilità civile di una copertura minima di 1288 diritti speciali di prelievo per passeggero in caso di danni ai bagagli, 3.145 a titolo di responsabilità civile di una copertura minima di 22 diritti spe- ciali di prelievo per chilogrammo in caso di danni alle merci; e b. prova che è assicurato contro i rischi legati alla sua responsabilità civile fino a concorrenza degli importi di cui alla lettera a. 146 2 Il contratto d’assicurazione deve contenere la disposizione seguente: se il contratto scade prima del momento indicato nel certificato di garanzia, la compagnia di assicu- razione si impegna a coprire le pretese di risarcimento alle condizioni definite nel 142 I documenti possono inoltre essere ordinati o abbonati in libreria o sul sito Internet dell’OACI (www.icao.int). 143 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). 144 Nuovo testo giusta il n. II dell’O del 12 ott. 2022, in vigore dal 1° gen. 2023 (RU 2022 622). 145 Nuovo testo giusta il n. II dell’O del 12 ott. 2022, in vigore dal 1° gen. 2023 (RU 2022 622). 146 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Aviazione 28 / 50 748.01 contratto, fino al momento della revoca dell’autorizzazione, ma al massimo durante 15 giorni dopo che l’UFAC è stato informato della scadenza del contratto; è conside- rato momento della revoca il giorno in cui la decisione di revoca passa in giudicato. Art. 107 Obbligo di informazione e di notifica 1 Su domanda, le imprese titolari di un’autorizzazione d’esercizio devono consentire in ogni momento all’UFAC di esaminare la loro conduzione aziendale e i loro docu- menti commerciali e fornirgli le indicazioni necessarie per l’allestimento della stati- stica del traffico aereo. 2 ...147 3 Le imprese che intendono servire nuovi continenti o regioni devono notificare i loro piani all’UFAC. Esse gli notificano previamente anche tutti i progetti di fusione o incorporazione, nonché, entro 14 giorni, qualsiasi modifica della proprietà per quanto riguarda le partecipazioni singole che rappresentano il 10 per cento o più dell’intero capitale di partecipazione dell’impresa, della sua società madre o della sua holding. 612 Imprese con sede all’estero Art. 108 Condizioni generali dell’autorizzazione d’esercizio 1 L’autorizzazione d’esercizio per il trasporto commerciale di persone e di merci (art. 29 LNA) è rilasciata a un’impresa con sede all’estero se: a. l’impresa è abilitata nel suo Stato d’origine a effettuare il trasporto commer- ciale di persone e di merci nel traffico aereo internazionale; b. l’impresa è oggetto, da parte delle autorità dello Stato d’origine, di una sorve- glianza efficace per quanto riguarda gli aspetti tecnici e operativi; c. il rilascio dell’autorizzazione non pregiudica interessi svizzeri essenziali; d. imprese svizzere sono autorizzate a trasportare dal territorio dell’impresa per- sone o merci a condizioni equivalenti; e. la responsabilità civile verso terzi al suolo è coperta (art. 125); e f.148 prova che dispone, a titolo di responsabilità civile, di una copertura minima identica a quella richiesta dall’articolo 106 capoverso 1 lettere a–c. 2 Se non vi è alcun motivo manifesto di supporre che le condizioni prescritte nel ca- poverso 1 lettere a e b non siano adempiute, si può rinunciare ai controlli tecnici e operativi dell’impresa. Siffatti controlli possono tuttavia essere ordinati in ogni mo- mento. 3 In casi debitamente motivati, si può rinunciare all’esigenza di cui nel capoverso 1 lettera d. 147 Abrogato dal n. I dell’O del 17 feb. 2016, con effetto dal 1° apr. 2016 (RU 2016 739). 148 Nuovo testo giusta l’all. n. II dell’O del 17 ago. 2005 sul trasporto aereo, in vigore dal 5 set. 2005 (RU 2005 4243). Navigazione aerea. O 29 / 50 748.01 Art. 109 Obbligo d’informazione e di notifica Il titolare dell’autorizzazione d’esercizio è tenuto a notificare senza indugio all’UFAC: a. tutti gli orari e i programmi dei voli da e verso la Svizzera; b.149 tutti gli eventi ai sensi dell’articolo 77a che sopravvengono in relazione con i voli da e verso la Svizzera; e c. le indicazioni necessarie all’allestimento della statistica del traffico aereo. 62 Concessione di rotte Art. 110 Traffico di linea 1 Per traffico di linea si intendono i voli per il trasporto commerciale di persone o di merci se: a. sono effettuati durante un periodo minimo secondo una frequenza e una rego- larità tali che essi risultano far parte si una serie sistematica evidente; e b. per il trasporto di persone, posti a sedere venduti individualmente sono offerti al pubblico. 2 Il DATEC emana prescrizioni d’esecuzione; tiene conto dell’evoluzione del traffico aereo internazionale. Art. 111 Obblighi legati alla concessione 1 L’impresa concessionaria è tenuta a stabilire orari e tariffe e a sottoporli all’UFAC. Essa deve renderli accessibili al pubblico in maniera appropriata. Inoltre è tenuta a garantire il rispetto degli orari e delle tariffe così resi pubblici. Il genere e l’entità degli obblighi di esercizio e di trasporto sono disciplinati nella concessione. 2 L’UFAC, segnatamente in caso di emergenza o di modifica della situazione, può dispensare l’impresa concessionaria, su domanda debitamente motivata, da tutti i suoi obblighi o da alcuni di essi o accordarle altre facilitazioni. Art. 112 Revoca della concessione 1 L’UFAC può revocare la concessione in qualsiasi tempo e senza indennità se l’im- presa concessionaria contravviene gravemente e ripetutamente ai suoi obblighi (art. 93 LNA). 2 Può inoltre revocare la concessione se le condizioni richieste per il rilascio non sono più adempiute. 149 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Aviazione 30 / 50 748.01 Art. 113150 621 Imprese con sede in Svizzera Art. 114151 Domanda 1 Le imprese con sede in Svizzera che intendono esercitare linee aeree presentano all’UFAC una domanda per il rilascio di una concessione di rotta con le seguenti in- dicazioni e documentazione: a. la tavola delle rotte e l’orario; b. le tariffe e le condizioni di trasporto; c. informazioni relative al momento dell’inizio dell’esercizio; d. i dati sul materiale di volo previsto per l’esercizio; e. gli accordi di cooperazione con altre compagnie aeree; f. i dati sulla redditività della linea richiesta. 2 Prima della decisione sulla domanda di concessione, l’UFAC informa le altre im- prese con sede in Svizzera che fossero pure in grado di assicurare l’esercizio della linea in questione. 3 Nei 14 giorni dopo la comunicazione da parte dell’UFAC, le altre imprese possono manifestare il loro interesse per l’esercizio della linea. Esse dispongono in seguito di 45 giorni per depositare una domanda di concessione. 4 Prima della decisione sulle domande di concessione riguardanti linee aeree interne al territorio svizzero, l’UFAC sente i governi dei Cantoni interessati, gli aerodromi interessati e le imprese di trasporti pubblici interessate. 5 I capoversi 2–4 non sono applicabili se vi è un diritto al rilascio di una concessione di rotta conferito da un disciplinamento internazionale. Art. 115 Decisione 1 L’UFAC può rifiutare la concessione di rotta segnatamente se la domanda di tra- sporto può essere soddisfatta in altro modo equivalente o se gli aerodromi che si pre- vede di servire non dispongono dell’infrastruttura necessaria per la procedura di av- vicinamento strumentale. 2 Se sono depositate parecchie domande per la stessa linea e se il rilascio di parecchie concessioni non è possibile in casi debitamente motivati, l’UFAC decide tenendo conto dei criteri seguenti: 150 Abrogato dall’art. 10 dell’O del 17 ago. 2005 sul coordinamento delle bande orarie, con effetto dal 1° ott. 2005 (RU 2005 4425). 151 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Navigazione aerea. O 31 / 50 748.01 a. la capacità dell’impresa di assicurare l’esercizio della linea durante almeno due periodi d’orario; b. le prestazioni che l’impresa si impegna a offrire al pubblico (qualità del pro- dotto, prezzi, aeromobili, capacità ecc.); c. gli effetti sulla concorrenza nei mercati previsti; d. il servizio degli aerodromi svizzeri; e. l’utilizzazione economicamente sensata delle capacità e dei diritti di traffico esistenti; f. la data d’inizio dell’esercizio; g. l’adempimento di condizioni ecologiche (aeromobili quanto possibile silen- ziosi e poco inquinanti); h. le prestazioni fornite finora dall’impresa concessionaria per sviluppare il mer- cato della linea in questione. 3 L’UFAC può invitare a pronunciarsi le imprese interessate. Art. 116 Durata di validità della concessione di rotta 1 La concessione è rilasciata per otto anni al massimo. 2 Può essere rinnovata su domanda. 3 La decisione concernente il rinnovo è presa al più tardi sei mesi prima della scadenza della concessione. Per il rimanente è applicabile l’articolo 115.152 Art. 117 Modifica e trasferimento di diritti e obblighi derivanti da concessioni 1 L’UFAC può modificare o trasferire diritti e obblighi derivanti da concessioni esi- stenti. 2 Può in particolare autorizzare un’impresa concessionaria a far effettuare i suoi voli da altre imprese svizzere o estere, segnatamente se: a. la sicurezza dell’esercizio è garantita; b. l’autorità incaricata della sorveglianza è chiaramente stabilita, e c. il pubblico è informato del trasferimento. 3 L’UFAC può autorizzare la delega di determinati compiti di esercizio a altre imprese svizzere o estere. 152 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Aviazione 32 / 50 748.01 Art 118153 Trasferimento delle concessioni di rotta non utilizzate a imprese concorrenti 1 Se un’impresa non fa uso dei diritti di traffico accordati nella concessione di rotta, qualsiasi altra impresa può presentare all’UFAC una domanda per il trasferimento della concessione. 2 Se viene presentata una siffatta domanda, l’UFAC impartisce all’impresa concessio- naria un termine massimo di tre mesi nel quale essa deve riprendere l’esercizio della linea. L’UFAC può prorogare questo termine in casi motivati. 3 Se l’impresa concessionaria non riprende l’esercizio entro il termine fissato e l’altra impresa soddisfa per la requisiti di concessione, l’UFAC procede al trasferimento della concessione di rotta. 4 Sono applicabili gli articoli 114 e 115. Art. 118a154 Decadenza delle concessioni di rotta non utilizzate Se un’impresa concessionaria non esercita una linea aerea per 12 mesi, la concessione di rotta decade. 622 Imprese con sede all’estero Art. 119 Domanda Le imprese con sede all’estero che intendono esercitare linee aeree sottopongono all’UFAC una richiesta che comprende i dati e i documenti seguenti: a. la tavola delle rotte e l’orario; b. le tariffe; c. le informazioni sulla data d’inizio dell’esercizio; d. i dati sul materiale di volo previsto per l’esercizio; e. le informazioni sul domicilio legale in Svizzera. Art. 120 Procedura 1 Il rilascio di una concessione a un’impresa estera è retto dall’accordo internazionale determinante. 2 Se manca un accordo internazionale o se esso non prevede determinati diritti di traf- fico, l’UFAC può rilasciare una concessione per una linea unica a un’impresa estera se questa è titolare dei necessari diritti di traffico concessi dal suo Stato d’origine. 3 In caso di rilascio della concessione, l’UFAC bada in particolare a che lo Stato d’ori- gine dell’impresa accordi la reciprocità. 153 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). 154 Introdotto dal n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Navigazione aerea. O 33 / 50 748.01 Art. 121 e 122 Abrogati 6a155 Misure di sicurezza Sezione 1: Disposizioni generali Art. 122a Misure di sicurezza negli aerodromi 1 L’esercente di un aerodromo con traffico aereo internazionale commerciale stabili- sce in un programma di sicurezza le misure che, secondo la gravità della minaccia, intende adottare per prevenire attentati alla sicurezza dell’aviazione civile. 2 Il programma di sicurezza sottostà all’approvazione dell’UFAC. 3 Sono considerate misure di sicurezza segnatamente: a. i controlli dei passeggeri, dei bagagli a mano non registrati, dei bagagli regi- strati, del carico, della posta e degli aeromobili incentrati su aspetti relativi alla sicurezza; b. altre misure intese a garantire che nessun oggetto vietato che potrebbe essere impiegato per compiere atti illeciti contro la sicurezza dell’aviazione civile possa pervenire a bordo degli aeromobili. 4 Il DATEC ordina le misure di sicurezza. Consulta dapprima la polizia cantonale competente, l’esercente dell’aerodromo interessato e le imprese di trasporti aerei in- teressate.156 Art. 122b Misure di sicurezza delle imprese di trasporti aerei 1 L’impresa di trasporti aerei che impiega aeromobili nel traffico commerciale inter- nazionale è tenuta a garantire l’esercizio sicuro dei suoi apparecchi, conformemente alle esigenze fissate dal DATEC. Essa deve esporre le proprie misure in un pro- gramma di sicurezza. 2 Il programma di sicurezza sottostà all’approvazione dell’UFAC. Art. 122c Disposizioni applicabili 1 Le misure di sicurezza si basano: a. sulle disposizioni di cui all’unità di partizione 6a; 155 Introdotto dal n. I dell’O del 27 gen. 1988 (RU 1988 534). Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 4 lug. 2007, in vigore dal 1° ago. 2007 (RU 2007 3645). 156 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). Aviazione 34 / 50 748.01 b. sulle norme direttamente applicabili dell’OACI contenute nell’allegato 17 alla Convenzione di Chicago157; sono fatte salve le deroghe notificate conforme- mente all’articolo 38 di tale Convenzione; c. sulle disposizioni del diritto dell’Unione europea vincolanti per la Svizzera.158 2 Inoltre sono direttamente applicabili le raccomandazioni dell’OACI contenute nell’allegato 17 alla Convenzione di Chicago del 7 dicembre 1944. 159 2bis Le guardie di sicurezza adottano i provvedimenti necessari quando è minacciata la sicurezza dei passeggeri, dell’equipaggio o dell’aeromobile. Possono ricorrere alla coercizione e a misure di polizia conformemente alla legge federale del 20 marzo 2008160 sulla coercizione e alle sue disposizioni esecutive.161 3 L’UFAC emana le prescrizioni necessarie, in particolare il Programma nazionale di sicurezza nell’aviazione162. Art. 122d163 Esecuzione 1 Il DATEC emana prescrizioni riguardanti: a. l’impostazione delle misure di sicurezza; b. il concorso dei servizi interessati; c. la ripartizione dei costi tra l’UFAC, gli esercenti degli aerodromi e le imprese di trasporti aerei. 2 In casi particolari, secondo la gravità della minaccia e sulla base di un’analisi delle minacce svolta dall’Ufficio federale di polizia (fedpol), l’UFAC può ordinare altre misure e fissare la ripartizione dei costi; consulta previamente la polizia aeroportuale competente come pure l’esercente dell’aerodromo interessato. 3 Sono fatte salve le attribuzioni speciali conferite in casi particolari al comandante di una polizia cantonale (art. 100bis LNA). 157 RS 0.748.0. Il testo dell’allegato non è pubblicato nella RU. Può essere consultato gratui- tamente sul sito dell’Ufficio federale dell’aviazione civile all’indirizzo www.bazl.ad- min.ch > Spazio professionale > Organizzazione e informazioni di base, o acquistato presso l’Organizzazione dell’aviazione civile internazionale (Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des documents, 999 rue de l’Université, Québec, Canada H3C 5H7; www.icao.int). 158 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 159 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 160 RS 364 161 Introdotto dall’all. n. 3 dell’O del 12 nov. 2008 sulla coercizione, in vigore dal 1° gen. 2009 (RU 2008 5475). 162 Il Programma nazionale di sicurezza nell’aviazione è redatto in inglese. Non è pubblicato. 163 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). Navigazione aerea. O 35 / 50 748.01 Sezione 2: Guardie di sicurezza Art. 122e Principi 1 Per prevenire atti illeciti che possono mettere in pericolo la sicurezza a bordo di aeromobili svizzeri nel traffico aereo internazionale commerciale vengono impiegate guardie di sicurezza. 2 Le guardie di sicurezza possono essere impiegate anche a terra in aerodromi esteri. 3 e 4 ...164 Art. 122f Compiti e competenze 1 Salvo disposizioni contrarie del diritto estero applicabile, le guardie di sicurezza hanno in particolare i compiti e le competenze seguenti:165 a. a bordo sorvegliano il comportamento dei passeggeri e impediscono atti ille- citi che mettono in pericolo la sicurezza a bordo dell’aeromobile; b.166 in aerodromi esteri possono: 1. perquisire i passeggeri e i bagagli a mano nonché sorvegliare i bagagli controllati e l’identificazione dei bagagli al fine di impedire l’introdu- zione clandestina di oggetti vietati che possono essere impiegati per met- tere in pericolo l’aviazione civile, 2. segnalare individui potenzialmente pericolosi ai servizi esteri compe- tenti, 3. fornire assistenza ai servizi esteri nello svolgimento dei loro compiti;167 c.168 ... 2 Fedpol169, in collaborazione con l’UFAC, redige direttive sui compiti delle guardie di sicurezza. Art. 122g Formazione 1 Come guardia di sicurezza può essere designata unicamente una persona che ha se- guito un programma di formazione specifico e ha superato l’esame finale. 2 Fedpol: a. redige il profilo dei requisiti delle guardie di sicurezza; b. definisce il programma di formazione; 164 Abrogati dal n. I dell’O del 18 ott. 2017, con effetto dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). 165 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). 166 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). 167 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). 168 Abrogata dal n. I dell’O del 18 ott. 2017, con effetto dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). 169 Nuova espr. giusta il n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). Di detta mod. é tenuto conto in tutto il presente testo. Aviazione 36 / 50 748.01 c. provvede al perfezionamento; d. effettua i corsi di formazione e perfezionamento corrispondenti. 3 Fedpol può fare capo a terzi, segnatamente alle imprese di trasporti aerei e alle isti- tuzioni della polizia e dell’esercito per l’esecuzione dei corsi nonché per l’allestimento e la manutenzione dell’infrastruttura per i corsi. Art. 122h Impiego 1 Fedpol è competente per l’impiego delle guardie di sicurezza e i compiti ammini- strativi che vi sono connessi. 2 Definisce la dottrina e la tattica d’impiego. 3 Determina, d’intesa con l’UFAC, il luogo, la data e il genere dell’impiego in base all’analisi dei rischi e delle minacce. 4 Informa le imprese di trasporti aerei interessate e le incarica tempestivamente di ef- fettuare la prenotazione dei relativi posti a sedere. Art. 122i Equipaggiamento delle guardie di sicurezza 1 Fedpol provvede, in collaborazione con le imprese di trasporti aerei, all’equipaggia- mento necessario per le guardie di sicurezza. 2 Per equipaggiamento s’intende in particolare le uniformi, le armi e i mezzi ausiliari. Art. 122j Assoggettamento 1 Durante la formazione e l’impiego le guardie di sicurezza rimangono assoggettate alle prescrizioni di servizio e disciplinari del loro datore di lavoro. 2 Nell’adempiere i loro compiti sottostanno al potere d’impartire istruzioni di fedpol. 3 A bordo degli aeromobili sottostanno all’autorità del comandante di bordo. Art. 122k Analisi dei rischi e delle minacce Fedpol è competente per l’analisi dei rischi e delle minacce in relazione all’impiego di guardie di sicurezza. Art. 122kbis 170 Dati relativi a individui potenzialmente pericolosi 1 Ai fini di valutare il pericolo per il traffico aereo commerciale internazionale (art. 21c cpv. 1 lett. b LNA) e decidere l’impiego di guardie di sicurezza, fedpol tratta nel sistema d’informazione: a. per quanto concerne il singolo individuo potenzialmente pericoloso le catego- rie di dati seguenti: 1. voli prenotati, 170 Introdotto dal n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). Navigazione aerea. O 37 / 50 748.01 2. informazioni su pagamenti effettuati e sui mezzi di pagamento impiegati; b. altri dati su individui potenzialmente pericolosi necessari per valutare il peri- colo per il traffico aereo commerciale internazionale. 2 Per quanto riguarda l’identità e i dati di contatto pubblicamente accessibili di indi- vidui potenzialmente pericolosi (art. 21c cpv. 1 lett. a LNA), fedpol tratta nel sistema d’informazione i seguenti dati: a. nome e cognome, compresi pseudonimi; b. data di nascita; c. luogo di nascita; d. luogo di attinenza; e. nazionalità; f. genere; g. stato civile; h. dati di contatto pubblicamente accessibili quali indirizzo postale, indirizzo elettronico, numeri telefonici; i. informazioni sui documenti di viaggio quali numero, Stato emittente, visti. Art. 122kter 171 Dati relativi alle guardie di sicurezza Fedpol tratta nel sistema d’informazione i seguenti dati relativi alle guardie di sicu- rezza che possono essere impiegate: a. nome e cognome; b. data di nascita; c. luogo di nascita; d. luogo di attinenza e nazionalità; e. dati di contatto quali indirizzo postale, indirizzo elettronico, numeri telefonici; f. indirizzo in caso d’emergenza (cognome, nome, numero telefonico e rapporto tra la persona da contattare e la guardia di sicurezza); g. informazioni sui documenti di viaggio quali numero, Stato emittente e visti; h. coordinate di pagamento; i. conoscenze linguistiche; j. corsi seguiti in relazione all’attività di guardia di sicurezza e impieghi svolti. Art. 122l Manutenzione e custodia di armi da fuoco 1 Fedpol è competente, d’intesa con l’UFAC, per la manutenzione e la custodia delle armi delle guardie di sicurezza. 171 Introdotto dal n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). Aviazione 38 / 50 748.01 2 A tal fine, esso può fare capo alla polizia aeroportuale o ad altri organi che avrà designato in particolare per la custodia delle armi di guardie di sicurezza estere nel caso di uno scalo intermedio in Svizzera. Art. 122m Obblighi delle imprese di trasporti aerei 1 Le imprese di trasporti aerei posso essere tenute a partecipare: a. alla formazione e al perfezionamento delle guardie di sicurezza; b. all’impiego e ai compiti amministrativi che vi sono connessi; c. all’analisi dei rischi e delle minacce. 2 È possibile affidare loro segnatamente i seguenti compiti: a. tenere corsi su temi specifici alla navigazione aerea nell’ambito della forma- zione e del perfezionamento; b. prenotare i posti a sedere per le guardie di sicurezza conformemente alle istru- zioni di fedpol; c. provvedere ai documenti aeronautici necessari per le guardie di sicurezza; d. approntare il materiale specifico per gli impieghi nell’ambito della naviga- zione aerea; e. trasmettere a fedpol le informazioni in materia di sicurezza importanti per l’analisi dei rischi e delle minacce. 3 L’UFAC definisce nell’autorizzazione d’esercizio gli obblighi delle imprese di tra- sporti aerei per quanto riguarda le guardie di sicurezza. Art. 122n172 Rimborsi In relazione con l’impiego delle guardie di sicurezza l’UFAC rimborsa: a. alle imprese di trasporti aerei: le spese per le prestazioni fornite in relazione con: 1. la formazione e il perfezionamento delle guardie di sicurezza, 2. la pianificazione dell’impiego delle guardie di sicurezza e i compiti am- ministrativi che vi sono connessi, 3. l’analisi dei rischi e delle minacce, 4. l’equipaggiamento delle guardie di sicurezza; b. ai Cantoni o Comuni e alla polizia dei trasporti: i salari e i costi salariali ac- cessori per le guardie di sicurezza durante la formazione e il perfezionamento nonché durante l’impiego; c. alle guardie di sicurezza: le spese per la formazione e il perfezionamento non- ché per l’impiego; 172 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 18 ott. 2017, in vigore dal 1° gen. 2018 (RU 2017 5625). Navigazione aerea. O 39 / 50 748.01 d. ai Cantoni o ai Comuni: le spese per la gestione delle armi da fuoco delle guardie di sicurezza straniere durante il loro soggiorno in Svizzera. Art. 122o Responsabilità della Confederazione La responsabilità della Confederazione per i danni che una guardia di sicurezza arreca illecitamente a terzi nell’esercizio delle sue attività è retta dalla legge del 14 marzo 1958173 sulla responsabilità. 6b174 Facilitazioni nella navigazione aerea Art. 122p175 Per l’esecuzione di misure di facilitazione nella navigazione aerea (Facilitation) sono direttamente applicabili le norme e le raccomandazioni dell’OACI contenute nell’al- legato 9 alla Convenzione di Chicago176. Sono fatte salve le deroghe notificate con- formemente all’articolo 38 di tale Convenzione. 7 Responsabilità civile 71 Responsabilità dell’esercente dell’aeromobile verso i terzi a terra 711 Natura della garanzia Art. 123 1 Su riserva del capoverso 2, la responsabilità civile verso i terzi a terra deve essere garantita mediante un’assicurazione di responsabilità civile stipulata presso una com- pagnia d’assicurazione.177 2 La garanzia proposta mediante deposito di valori o di una fideiussione solidale, è disciplinata di volta in volta dall’UFAC nei limiti delle disposizioni che seguono. 173 RS 170.32 174 Introdotto dal n. I dell’O del 27 gen. 1988 (RU 1988 534). Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 4 lug. 2007, in vigore dal 1° ago. 2007 (RU 2007 3645). 175 Introdotto dal n. I dell’O del 17 ott. 2018, in vigore dal 1° gen. 2019 (RU 2018 3843). 176 RS 0.748.0. Il testo dell’allegato non è pubblicato nella RU. Può essere consultato gratui- tamente sul sito dell’Ufficio federale dell’aviazione civile all’indirizzo www.bazl.ad- min.ch > Spazio professionale > Organizzazione e informazioni di base, o acquistato presso l’Organizzazione dell’aviazione civile internazionale (Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des documents, 999 rue de l’Université, Québec, Canada H3C 5H7; www.icao.int). 177 Nuovo testo giusta il n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Aviazione 40 / 50 748.01 712 Prova della garanzia Art. 124 1 Quale prova della prestazione della garanzia della responsabilità civile, l’esercente dell’aeromobile deve produrre un certificato d’assicurazione, un certificato di depo- sito o una dichiarazione di fideiussione. 2 L’UFAC può rivolgersi al richiedente, all’assicuratore, al depositario o al fideiussore per maggiori ragguagli circa la garanzia. Esso può differire il rilascio del certificato di navigabilità finché non dispone di tali informazioni.178 713 Importo della garanzia Art. 125179 1 La responsabilità civile verso i terzi a terra deve essere coperta almeno come segue per un sinistro (danni alle persone e danni materiali assieme): Copertura minima (milioni di diritti speciali di prelievo) a. aeroplani con peso al decollo inferiore a 500 kg 0,75 b. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 500 kg ma inferiore a 1000 kg 1,5 c. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 1000 kg ma inferiore a 2700 kg 3 d. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 2700 kg ma inferiore a 6000 kg 7 e. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 6000 kg ma inferiore a 12 000 kg 18 f. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 12 000 kg ma inferiore a 25 000 kg 80 g. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 25 000 kg ma inferiore a 50 000 kg 150 h. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 50 000 kg ma inferiore a 200 000 kg 300 178 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 179 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° apr. 1995 (RU 1994 3028). Navigazione aerea. O 41 / 50 748.01 Copertura minima (milioni di diritti speciali di prelievo) i. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 200 000 kg ma inferiore a 500 000 kg 500 j. aeroplani con peso al decollo uguale o superiore a 500 000 kg 700.180 2 Il capoverso 1 non si applica ai palloni frenati, agli alianti da pendio, agli alianti da pendio a propulsione elettrica, ai paracadute, ai cervi volanti e ai paracadute ascensio- nali. Per questi aeromobili il DATEC stabilisce l’importo di garanzia.181 3 Per voli che costituiscono un pericolo particolare, segnatamente a causa della natura delle merci trasportate, l’UFAC può subordinare il rilascio dell’autorizzazione d’eser- cizio alla prova di una copertura supplementare della responsabilità civile verso terzi al suolo.182 714 Contenuto del contratto d’assicurazione Art. 126 Cambiamento del titolare e ritiro 1 Un contratto d’assicurazione deve prevedere: a. che in caso di cambiamento d’esercente durante la validità del contratto, le pretese fatte valere nei confronti del nuovo esercente siano parimenti coperte; b. che i diritti e gli obblighi risultanti dal contratto d’assicurazione siano trasferiti al nuovo esercente; c. che il nuovo esercente sia autorizzato a recedere dal contratto nel corso dei 14 giorni che seguono il cambiamento di esercente; d. che l’assicuratore sia autorizzato a recedere dal contratto entro il termine di 14 giorni a decorrere dal momento in cui ha avuto notizia del cambiamento d’esercente. 2 In caso di ritiro la garanzia cessa al momento indicato dall’articolo 128 lettera b. 3 Se, prima di quel momento, non è stata fornita all’UFAC la prova di una nuova garanzia, il certificato di navigabilità deve essere ritirato.183 4 Se, nei 14 giorni che seguono il cambiamento d’esercente, il nuovo esercente forni- sce la prova di aver prestato una nuova garanzia, il contratto d’assicurazione anteriore è abrogato. 180 Nuovo testo giusta l’all. n. II dell’O del 17 ago. 2005 sul trasporto aereo, in vigore dal 5 set. 2005 (RU 2005 4243). 181 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 24 giu. 2015, in vigore dal 15 lug. 2015 (RU 2015 2175). 182 Introdotto dal n. I dell’O del 28 ott. 1998, in vigore dal 15 nov. 1998 (RU 1998 2570). 183 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). Aviazione 42 / 50 748.01 Art. 127 Portata delle prestazioni garantite 1 La garanzia deve coprire, fino ai limiti fissati dall’articolo 125, le pretese che i terzi a terra possono far valere contro l’esercente conformemente alle disposizioni della legge sulla navigazione aerea. 2 Per i danni causati da una persona che si trova a bordo, l’esercente risponde solo fino alla concorrenza dell’importo della garanzia, se questa persona non fa parte dell’equi- paggio (art. 64 cpv. 2 lett. b LNA). 3 I danni causati a terra dal rumore degli aeromobili devono essere compresi nel con- tratto d’assicurazione. Art. 128 Durata della garanzia e limiti territoriali Il contratto d’assicurazione deve contenere le seguenti disposizioni: a. se il contratto si estingue mentre l’aeromobile si trova in volo l’assicuratore resta obbligato verso i terzi a terra fino al prossimo atterramento che consenta un controllo ufficiale dei documenti di bordo, però al massimo durante 24 ore; b.184 se il contratto si estingue prima del momento indicato nel certificato d’assicu- razione, la compagnia d’assicurazione s’impegna ciononostante a garantire, a norma delle disposizioni contrattuali, le pretese di risarcimento fino al ritiro del certificato di navigabilità, al massimo però durante 15 giorni a decorrere dal momento in cui l’UFAC è stato informato della cessazione del contratto. Il ritiro si considera effettuato il giorno in cui la decisione di ritiro passa in giudicato. c. se un aeromobile oltrepassa i limiti di garanzia territoriali indicati nel certifi- cato d’assicurazione, l’assicurazione è ciononostante valida nei confronti dei terzi danneggiati a terra, se il volo oltre tali limiti è imputabile a forza mag- giore, ad una prestazione di assistenza giustificata dalle circostanze o a errori di pilotaggio, di condotta o di navigazione. Art. 129 Rapporto tra il certificato d’assicurazione e la garanzia Il contratto d’assicurazione deve prevedere che per i terzi danneggiati sono determi- nanti le condizioni risultanti dal certificato d’assicurazione, anche se esse non concor- dano col contenuto del contratto. Art. 130185 184 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 29 mag. 1996, in vigore dal 1° lug. 1996 (RU 1996 1536). 185 Abrogato dall’all. n. II dell’O del 17 ago. 2005 sul trasporto aereo, con effetto dal 5 set. 2005 (RU 2005 4243). Navigazione aerea. O 43 / 50 748.01 715 Assicuratore e terzi danneggiati Art. 131 1 L’esercente può esigere dall’assicuratore che questi corrisponda al terzo danneggiato l’indennità dovuta, indipendentemente dagli eventuali diritti di regresso, anche se le pretese del terzo danneggiato verso l’esercente sono superiori, conformemente alle disposizioni della presente ordinanza, a quelle che l’esercente stesso può far valere nei confronti dell’assicuratore. 2 Il terzo danneggiato non può far valere direttamente alcuna pretesa contro l’assicu- ratore, bensì ha il diritto di pegno, per l’importo che gli è dovuto quale indennizzo, sulle pretese dell’esercente nei riguardi dell’assicuratore. 716 Certificato di garanzia Art. 132 Il certificato di garanzia indica l’importo della garanzia, la durata della stessa e la validità territoriale. 71a186 Responsabilità dell’esercente di aeromobili nei confronti dei passeggeri Art. 132a Copertura minima a titolo di responsabilità civile verso i passeggeri187 1 La copertura minima a titolo di responsabilità civile verso i passeggeri ammonta a 250 000 diritti speciali di prelievo per passeggero. Per l’esercizio non commerciale di un aeromobile con un peso al decollo inferiore o uguale a 2700 chilogrammi, la copertura minima può essere inferiore a questa somma ma deve ammontare almeno a 128 821 diritti speciali di prelievo per passeggero.188 2 In caso di esercizio non commerciale di un aeromobile senza passeggeri si può ri- nunciare alla copertura a titolo di responsabilità civile verso i passeggeri. 3 Gli articoli 123, 124 capoverso 1, 126 capoversi 1 e 4, 128 lettere a e c, 129, 131 e 132 si applicano per analogia alla responsabilità civile verso i passeggeri. 4 Il presente articolo non si applica agli alianti da pendio (art. 132b).189 186 Introdotto dall’all. n. II dell’O del 17 ago. 2005 sul trasporto aereo, in vigore dal 5 set. 2005 (RU 2005 4243). 187 Introdotta dal n. I dell’O del 17 feb. 2016, in vigore dal 1° apr. 2016 (RU 2016 739). 188 Nuovo testo giusta il n. II dell’O del 12 ott. 2022, in vigore dal 1° gen. 2023 (RU 2022 622). 189 Introdotto dal n. I dell’O del 17 feb. 2016, in vigore dal 1° gen. 2017 (RU 2016 739). Aviazione 44 / 50 748.01 Art. 132b190 Responsabilità dei piloti di alianti da pendio nei confronti dei passeggeri 1 In caso di morte o di lesioni personali del passeggero in seguito a incidente, l’eser- cente di un aliante da pendio biposto senza motore o a propulsione elettrica risponde conformemente alle disposizioni del codice delle obbligazioni191. 2 Gli articoli 123, 124 capoverso 1, 126 capoversi 1 e 4, 128 lettere a e c, 129, 131 e 132 si applicano per analogia alla responsabilità nei confronti dei passeggeri. 3 Il DATEC stabilisce la copertura minima. 72 Responsabilità in occasione di manifestazioni aeronautiche pubbliche 721 Garanzia della responsabilità dell’organizzatore Art. 133 1 L’UFAC autorizza le manifestazioni pubbliche giusta gli articoli 85 a 91 solo se il richiedente prova che è garantita la responsabilità civile dell’organizzatore. 2 L’obbligo della garanzia è invece limitato, per un sinistro, ai seguenti importi minimi (danni alle persone e danni alle cose assieme): Importo della garanzia Fr. a. manifestazioni aeronautiche pubbliche senza voli acrobatici di pattuglia e senza voli acrobatici a bassa quota 2 000 000 b. manifestazioni aeronautiche pubbliche senza voli acrobatici di pattuglia, ma con voli acrobatici a bassa quota 4 000 000 c. manifestazioni aeronautiche pubbliche senza voli acrobatici a bassa quota, ma con voli acrobatici di pattuglia 4 000 000 d. manifestazioni aeronautiche pubbliche con voli acrobatici di pattuglia e con voli acrobatici a bassa quota 10 000 000.192 3 Per manifestazioni aeronautiche pubbliche che presentano un pericolo maggiore l’UFAC può aumentare l’importo della garanzia. 190 Introdotto dal n. I dell’O del 17 feb. 2016, in vigore dal 1° gen. 2017 (RU 2016 739). 191 RS 220 192 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). Navigazione aerea. O 45 / 50 748.01 722 Garanzia delle pretese contro gli esercenti Art. 134193 La garanzia prescritta dall’articolo 133 deve parimenti coprire le pretese di responsa- bilità civile fatte valere contro gli esercenti degli aeromobili partecipanti alla manife- stazione, per quanto la garanzia prevista nell’articolo 125 non sia sufficiente. 73 Aeromobili stranieri 731 Copertura e prova obbligatoria194 Art. 135195 1 L’esercente di un aeromobile estero, prima di utilizzarlo nello spazio aereo svizzero, deve assicurarsi che le pretese dei terzi relative alla responsabilità civile siano coperte secondo le aliquote dell’articolo 125. Deve poter comprovare la copertura. 2 L’esercente che utilizza parecchi aeromobili nello spazio aereo svizzero deve garan- tire la copertura soltanto della somma prevista per l’aeromobile il cui peso al decollo è il più elevato. 3 L’UFAC può rinunciare alla copertura per danni causati dal tumore o da una conta- minazione radioattiva. 4 Può rinunciare alla copertura rispetto a Stati esercenti d’aeromobili. 5 Può esigere dagli interessati le informazioni necessarie. 732 Decisione196 Art. 136197 1 L’UFAC decide se la copertura fornita è sufficiente. Nel traffico aereo non commer- ciale esamina la copertura soltanto mediante campionatura. 2 La dichiarazione di una compagnia d’assicurazione ammessa in Svizzera per questo genere di affari, secondo la quale essa copre le pretese dei terzi relative alla responsa- bilità civile nei confronti dell’esercente di un aeromobile estero nel quadro della pre- sente ordinanza, è sufficiente come prova della copertura. 193 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 29 mag. 1996, in vigore dal 1° lug. 1996 (RU 1996 1536). 194 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 27 gen. 1988, in vigore dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). 195 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 27 gen. 1988, in vigore dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). 196 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 27 gen. 1988, in vigore dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). 197 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del 27 gen. 1988, in vigore dal 1° apr. 1988 (RU 1988 534). Aviazione 46 / 50 748.01 74 Responsabilità civile del trasportatore aereo Art. 137 1 Per i trasporti a pagamento con aeromobili e i trasporti gratuiti eseguiti da un’im- presa di trasporto aereo che beneficia di una concessione o di un’autorizzazione d’esercizio sono applicabili le speciali disposizioni sulla responsabilità contenute nell’ordinanza del 17 agosto 2005198 sul trasporto aereo e le condizioni previste agli articoli 106 e 108.199 2 Per gli altri trasporti con aeromobili valgono le disposizioni del diritto svizzero delle obbligazioni200 sulla responsabilità. 8 Informazioni aeronautiche Art. 138 L’UFAC pubblica le seguenti informazioni aeronautiche: a. il Manuale d’informazione aeronautica (AIP – Svizzera)201 che contiene in- formazioni di carattere duraturo che sono essenziali per la sicurezza della na- vigazione aerea; b. le notizie per il personale incaricato delle operazioni aeree (NOTAM) e le circolari d’informazione aeronautica (AIC) nelle quali vengono date informa- zioni, importanti per il personale aeronautico se tempestive, sulla costruzione, lo stato o la modificazione d’installazioni per la navigazione aerea, nonché sui servizi della circolazione, le procedure e i pericoli per la navigazione aerea. 8a202 Prescrizioni tecniche internazionali Art. 138a 1 Nell’ambito delle proprie competenze legislative il DATEC può in via eccezionale dichiarare direttamente applicabili singoli allegati, incluse le prescrizioni tecniche pertinenti, alla Convenzione del 7 dicembre 1944203 sull’aviazione civile internazio- nale, nonché prescrizioni tecniche stabilite nell’ambito della cooperazione tra autorità aeronautiche europee. 198 RS 748.411 199 Nuovo testo giusta l’all. n. II dell’O del 17 ago. 2005 sul trasporto aereo, in vigore dal 5 set. 2005 (RU 2005 4243). 200 RS 220 201 RU 1974 447 202 Introdotto dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, in vigore dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 203 RS 0.748.0. Gli all. non sono pubblicati nella RU. Navigazione aerea. O 47 / 50 748.01 2 D’intesa con la Cancelleria federale, esso può prescrivere un tipo particolare di pub- blicazione di tali disposizioni e disporre di rinunciare totalmente o parzialmente alla traduzione. 3 Decide circa il rifiuto degli allegati o degli emendamenti d’allegati di cui nell’arti- colo 90 lettera a secondo periodo della Convenzione del 7 dicembre 1944 relativa all’aviazione civile internazionale.204 9 Disposizioni amministrative Art. 139 Moduli 1 I certificati d’assicurazione, le domande d’iscrizione nella matricola e le domande di rilascio o di rinnovo di concessioni, autorizzazioni, licenze e titoli personali devono essere presentate su moduli allestiti dall’UFAC. 2 Questi moduli possono essere richiesti all’UFAC o alle direzioni degli aerodromi. 3 Nei casi urgenti le richieste possono essere fatte per telefono, telegrafo o telescri- vente. Art. 140 Tasse Per le operazioni ufficiali delle autorità di vigilanza sono riscosse le tasse fissate dal corrispondente regolamento delle tasse riscosse in applicazione della legge federale del 19 ottobre 1983205 sulla navigazione aerea. Art. 141 Statistica 1 L’UFAC allestisce e pubblica la statistica del traffico aereo. 2 I titolari di concessioni, autorizzazioni o licenze sono tenuti a fornire all’UFAC i dati necessari all’allestimento della statistica. 9a206 Disposizioni penali Art 141a In virtù dell’articolo 91 capoverso 1 lettera i LNA, è punito chiunque: a. viola uno degli obblighi di cui alle seguenti disposizioni: articoli 2a capoverso 1, 2b capoverso 1, 26, 81, 83, 86 capoverso 1 primo periodo, 107 capoverso 2, 109 lettera a o b e 111 capoverso 1 primo o secondo periodo; 204 Introdotto dal n. I dell’O del 29 mag. 1996, in vigore dal 1° apr. 1997 (RU 1996 1536). 205 [RU 1976 668, 1979 778. RU 1983 1526 art. 35 lett. a]. Vedi ora l’O del 28 set. 2007 su- gli emolumenti dell’Ufficio federale dell’aviazione civile (RS 748.112.11). 206 Introdotto dal n. I 1 dell’O del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1139). Aviazione 48 / 50 748.01 b. effettua dimostrazioni acrobatiche a bordo di aeromobili senza l’autorizza- zione dell’UFAC (art. 84); c. omette di portare con sé i documenti che, in virtù di una disposizione del di- ritto aeronautico, devono essere trasportati a bordo dell’aeromobile; d.207 viola l’articolo 4 paragrafo 1 del regolamento (UE) n. 376/2014208. 10 Disposizioni transitorie e finali Art. 142209 Art. 143 Abrogazione delle disposizioni anteriori Sono abrogate: a. l’ordinanza d’esecuzione della legge sulla navigazione aerea, del 5 giugno 1950210; b. l’ordinanza del 22 novembre 1966211 concernente la presa di vedute aeree. Art. 144 Entrata in vigore La presente ordinanza entra in vigore il 1° gennaio 1974. 207 Introdotta dal n. I dell’O del 17 feb. 2016, in vigore dal 1° apr. 2016 (RU 2016 739). 208 Cfr. nota a piè di pagina ad art. 77 cpv. 1. 209 Abrogato dal n. I dell’O del 23 nov. 1994, con effetto dal 1° gen. 1995 (RU 1994 3028). 210 [RU 1950 I 505; 1951 996 art. 15; 1958 720; 1960 374 art. 37 cpv. 2, 1297 art. 45, 1331; 1964 321; 1966 1544 art. 5 cpv. 2; 1967 906, 935 art. 33 n. 1; 1968 888 art. 8 cpv. 2 1305; 1969 1161; 1972 1244] 211 [RU 1966 1544] Navigazione aerea. O 49 / 50 748.01 Allegato212 (art. 2 cpv. 1 e 23 cpv. 1) 212 Introdotto dall’O del 23 nov. 1994 (RU 1994 3028). Nuovo testo giusta il n. II dell’O del 24 giu. 2015, in vigore dal 15 lug. 2015 (RU 2015 2175). Aviazione 50 / 50 748.01 1 Aeromobili 11 ... Art. 1 12 Suddivisione Art. 2 12a Aeromobili senza occupanti Art. 2a 12b Divieto di determinati aeromobili con occupanti Art. 2b 13 Matricola degli aeromobili Art. 3 Immatricolazione Art. 4 Condizioni in materia di proprietà Art. 5 Rapporti fiduciari Art. 6 Domanda d’immatricolazione Art. 7 Art. 8 Contenuto dell’immatricolazione Art. 9 Certificato d’immatricolazione Art. 10 Modificazioni Art. 11 Cancellazione 14 Contrassegni di nazionalità e d’immatricolazione Art. 12 15 Navigabilità e ammissione alla circolazione Art. 13 Riserva di applicabilità del diritto internazionale Art. 14 Art. 15 Responsabilità durante i controlli Art. 16 Certificato di navigabilità, certificato di navigabilità limitato, autorizzazione di volo, certificato di rumore e di emissione di sostanze tossiche Art. 17 Certificati di navigabilità, certificati di navigabilità limitati, autorizzazioni di volo e certificati di rumore e di emissione di sostanze tossiche esteri Art. 18 Ammissione alla circolazione Art. 19 Durata di validità del certificato di navigabilità, del certificato di navigabilità limitato e dell’autorizzazione di volo Art. 20 Ritiro del certificato di navigabilità, del certificato di navigabilità limitato o dell’autorizzazione di volo 16 Regole speciali e altre misure Art. 21 2 Corpi volanti Art. 22 Art. 23 3 Personale aeronautico 31 Licenza Art. 24 32 Prescrizioni Art. 25 33 Istruzione del personale aeronautico Art. 26 Principio Art. 27 Art. 28 Vigilanza sull’organizzazione civile di addestramento Art. 28a SPHAIR Art. 29 34 Protezione della salute dei membri dell’equipaggio degli aeromobili 341 Disposizioni generali Art. 30 Campo d’applicazione e diritto applicabile Art. 31 Informazione e istruzione Art. 32 Consultazione Art. 33 Valutazione dello stato di salute 342 Protezione della salute durante la maternità Art. 34 Applicabilità delle disposizioni di protezione durante la gravidanza Art. 35 Occupazione durante la maternità Art. 36 Lavoro compensativo e sostituzione del salario 343 Membri dell’equipaggio con responsabilità familiari Art. 37 35 Accertamento dell’ebrietà e di altri stati 351 Alcol Art. 38 Ebrietà e inidoneità a prestare servizio Art. 39 Controlli del tasso alcolico in caso di indizi di ebrietà Art. 40 Svolgimento dell’accertamento etilometrico casuale Art. 41 Inidoneità temporanea a prestare servizio Art. 42 Ordine e svolgimento di un prelievo del sangue 352 Narcotici o sostanze psicotrope Art. 43 Analisi in presenza di indizi di influsso di narcotici o sostanze psicotrope 4 ... Art. 44–74 5 Circolazione, esercizio e manutenzione 51 Regole di circolazione e d’esercizio Art. 75 Regole di circolazione Art. 76 Regole d’esercizio 52 Sistema di segnalazione di eventi nel settore dell’aviazione Art. 77 Principi Art. 77a–77c Art. 77d Centro segnalazioni Art. 77e Controversie concernenti la protezione delle fonti d’informazione Art. 77f e 77g Art. 78 53 ... Art. 79 54 Presa di vedute aeree Art. 80 55 Lancio d’oggetti Art. 81 56 Pubblicità Art. 82 Sugli aeromobili Art. 83 Per mezzo d’aeromobili 57 Dimostrazioni acrobatiche a bordo di aeromobili Art. 84 58 Manifestazioni aeronautiche pubbliche Art. 85 Definizione Art. 86 Autorizzazione obbligatoria Art. 87 Domanda Art. 88 Esame Art. 89 Autorizzazione Art. 90 Direzione della manifestazione Art. 91 Vigilanza 59 ... Art. 92 a 98 510 Ritiro delle autorizzazioni Art. 99 6 Navigazione aerea commerciale 61 Autorizzazione d’esercizio Art. 100 Voli commerciali Art. 101 Restrizioni per gli aeromobili impiegati nell’esercizio commerciale Art. 102 Revoca dell’autorizzazione d’esercizio 611 Imprese con sede in Svizzera Art. 103 Condizioni generali per il rilascio dell’autorizzazione Art. 103a Sistema di gestione della sicurezza Art. 104 Palloni, alianti e aeromobili di categorie speciali Art. 105 Autorizzazione speciale Art. 106 Somma della responsabilità civile e obbligo di assicurarsi Art. 107 Obbligo di informazione e di notifica 612 Imprese con sede all’estero Art. 108 Condizioni generali dell’autorizzazione d’esercizio Art. 109 Obbligo d’informazione e di notifica 62 Concessione di rotte Art. 110 Traffico di linea Art. 111 Obblighi legati alla concessione Art. 112 Revoca della concessione Art. 113 621 Imprese con sede in Svizzera Art. 114 Domanda Art. 115 Decisione Art. 116 Durata di validità della concessione di rotta Art. 117 Modifica e trasferimento di diritti e obblighi derivanti da concessioni Art 118 Trasferimento delle concessioni di rotta non utilizzate a imprese concorrenti Art. 118a Decadenza delle concessioni di rotta non utilizzate 622 Imprese con sede all’estero Art. 119 Domanda Art. 120 Procedura Art. 121 e 122 6a Misure di sicurezza Sezione 1: Disposizioni generali Art. 122a Misure di sicurezza negli aerodromi Art. 122b Misure di sicurezza delle imprese di trasporti aerei Art. 122c Disposizioni applicabili Art. 122d Esecuzione Sezione 2: Guardie di sicurezza Art. 122e Principi Art. 122f Compiti e competenze Art. 122g Formazione Art. 122h Impiego Art. 122i Equipaggiamento delle guardie di sicurezza Art. 122j Assoggettamento Art. 122k Analisi dei rischi e delle minacce Art. 122kbis Dati relativi a individui potenzialmente pericolosi Art. 122kter Dati relativi alle guardie di sicurezza Art. 122l Manutenzione e custodia di armi da fuoco Art. 122m Obblighi delle imprese di trasporti aerei Art. 122n Rimborsi Art. 122o Responsabilità della Confederazione 6b Facilitazioni nella navigazione aerea Art. 122p 7 Responsabilità civile 71 Responsabilità dell’esercente dell’aeromobile verso i terzi a terra 711 Natura della garanzia Art. 123 712 Prova della garanzia Art. 124 713 Importo della garanzia Art. 125 714 Contenuto del contratto d’assicurazione Art. 126 Cambiamento del titolare e ritiro Art. 127 Portata delle prestazioni garantite Art. 128 Durata della garanzia e limiti territoriali Art. 129 Rapporto tra il certificato d’assicurazione e la garanzia Art. 130 715 Assicuratore e terzi danneggiati Art. 131 716 Certificato di garanzia Art. 132 71a Responsabilità dell’esercente di aeromobili nei confronti dei passeggeri Art. 132a Copertura minima a titolo di responsabilità civile verso i passeggeri Art. 132b Responsabilità dei piloti di alianti da pendio nei confronti dei passeggeri 72 Responsabilità in occasione di manifestazioni aeronautiche pubbliche 721 Garanzia della responsabilità dell’organizzatore Art. 133 722 Garanzia delle pretese contro gli esercenti Art. 134 73 Aeromobili stranieri 731 Copertura e prova obbligatoria Art. 135 732 Decisione Art. 136 74 Responsabilità civile del trasportatore aereo Art. 137 8 Informazioni aeronautiche Art. 138 8a Prescrizioni tecniche internazionali Art. 138a 9 Disposizioni amministrative Art. 139 Moduli Art. 140 Tasse Art. 141 Statistica 9a Disposizioni penali Art 141a 10 Disposizioni transitorie e finali Art. 142 Art. 143 Abrogazione delle disposizioni anteriori Art. 144 Entrata in vigore Allegato | mixed |
baf707b9-b682-4f89-9a63-07c58ee7dac8 | Sachverhalt
ab Seite 298
BGE 124 IV 297 S. 298
A.-
1. Anlässlich einer Probenerhebung durch das Kant. Laboratorium Solothurn im Lager des Grosshandelsunternehmens X. AG vom 30. Januar 1996 wurden in Nüsslersalat 27,8 mg/kg des Fungizides Iprodion (bei einem Toleranzwert von 10 mg/kg für Salat gemäss Anhang zur Verordnung des EDI vom 26. Juni 1995 über Fremd- und Inhaltsstoffe in Lebensmitteln, FIV; SR 817.021.23) und in Chinakohl 1680 mg/kg Nitrat (bei einem Toleranzwert von 1500 mg/kg für Chinakohl gemäss FIV) festgestellt.
2. Mit Verfügung vom 5. Dezember 1995 wies der Kantonschemiker von Solothurn die Verantwortlichen der X. AG an, bis spätestens am 31. Januar 1996 ein schriftliches Qualitätssicherungskonzept auszuarbeiten und der Lebensmittelkontrolle vorzulegen. Der Aufforderung wurde keine Folge geleistet.
B.-
Das Obergericht des Kantons Solothurn sprach den Geschäftsführer der X. AG am 30. Januar 1998 der mehrfachen fahrlässigen Übertretung des Lebensmittelgesetzes im Sinne von Art. 48 Abs. 1 lit. g des Bundesgesetzes über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände vom 9. Oktober 1922 (LMG; SR 817.0) und des Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung gemäss
Art. 292 StGB
schuldig und verurteilte ihn deswegen zu einer Busse von 750 Franken.
C.-
R. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht hat die Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen.
BGE 124 IV 297 S. 299 Erwägungen
Aus den Erwägungen:
I.1.
a) Gemäss den Ausführungen im angefochtenen Urteil hat die als Zwischenhändlerin im Frucht- und Gemüsebereich tätige X. AG die beanstandete Ware von Herstellern oder Lieferanten übernommen, zwischengelagert und an Detaillisten weitergeleitet. Damit habe sie die Waren zumindest gelagert und abgegeben. Dies seien im Sinne von
Art. 47 und 48 LMG
tatbestandsmässige Handlungen. Wenn der Beschwerdeführer einwende, die X. AG habe die Ware nicht im tatbestandsmässigen Sinne transportiert und gelagert, so verkenne er, dass es nicht darum gehe, dass die Ware durch die Lagerung kontaminiert worden sei, sondern vielmehr um die Lagerung kontaminierter Ware schlechthin. Als tatbestandsmässiger Erfolg sei das Inverkehrbringen kontaminierter Ware bzw. die damit verbundene Gefährdung der Gesundheit der Konsumenten anzusehen. Bei der X. AG seien erwiesenermassen Produkte festgestellt worden, bei welchen die Toleranzwerte und zum Teil sogar die Grenzwerte in Bezug auf bestimmte Stoffe überschritten worden seien. Solche Ware habe die X. AG mehrfach in Verkehr gebracht. Die Handlungen der X. AG bzw. des Beschwerdeführers seien für den inkriminierten Erfolg, die Gefährdung der Konsumenten, adaequat kausal gewesen. Die Vorinstanz legt sodann mit ausführlicher Begründung dar, dass und inwiefern das Verhalten des Beschwerdeführers objektiv pflichtwidrig, der Eintritt des Erfolges objektiv voraussehbar und vermeidbar, die Beachtung der gebotenen Sorgfalt zumutbar und die Verletzung der Sorgfaltspflicht für den tatbestandsmässigen Erfolg relevant gewesen sei. Der verpönte Erfolg sei für den Beschwerdeführer auch subjektiv erkennbar und vermeidbar gewesen. Der Beschwerdeführer habe somit in sechs Fällen tatbestandsmässig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Die Vorinstanz hält sodann fest, die X. AG sei aber in Bezug auf vier inkriminierte Sachverhalte bereits verwarnt worden. Gemäss
Art. 31 Abs. 2 LMG
könne die zuständige Vollzugsbehörde in besonders leichten Fällen auf eine Strafanzeige verzichten und den Verantwortlichen verwarnen (Satz 1); in diesem Fall entfalle jede weitere Strafe (Satz 2). In vier Anklagepunkten sei der Beschwerdeführer demnach abweichend vom erstinstanzlichen Entscheid freizusprechen. Somit seien nur noch zwei eingeklagte Sachverhalte zu beurteilen, nämlich die Überschreitung des Toleranzwertes in Bezug auf Iprodion im Nüsslersalat und die Überschreitung des Toleranzwertes hinsichtlich Nitrat im Chinakohl. Insoweit hat sich der Beschwerdeführer
BGE 124 IV 297 S. 300
nach Auffassung der Vorinstanz der (fahrlässigen) Übertretung im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
schuldig gemacht.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, den Akten seien keinerlei Hinweise zu entnehmen, dass die den Toleranzwert unstreitig überschreitende Anreicherung des Nüsslersalats mit dem Pflanzenschutzmittel Iprodion und des Chinakohls mit dem Inhaltsstoff Nitrat in irgendeinem Zusammenhang mit der Behandlung dieser Ware durch die X. AG bzw. durch ihn selbst stehen könnte. Vielmehr stehe fest, dass die fraglichen Sendungen Nüsslersalat bzw. Chinakohl von der X. AG franko Lager gekauft und durch die Lieferanten angeliefert worden seien. Die X. AG bzw. der Beschwerdeführer hätten somit nichts anderes getan, als die im Verantwortungsbereich Dritter verunreinigte Ware in ihrem Lager einzulagern, wo in der Folge die beanstandeten Proben entnommen worden seien. Die Vorinstanz halte im angefochtenen Urteil denn auch selber fest, «dass es nicht darum geht, dass die Ware durch die Lagerung kontaminiert worden ist, sondern vielmehr um die Lagerung kontaminierter Ware schlechthin». Die Lagerung kontaminierter Ware sei aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht gemäss
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
strafbar, wie sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus Sinn und Zweck der Bestimmung ergebe. Unzutreffend sei auch die Auffassung der Vorinstanz, dass die Gefährdung der Konsumenten der tatbestandsmässige Erfolg und die ihm zur Last gelegte Handlung für diesen Erfolg adaequat kausal sei. Der Erfolg der Straftat gemäss
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
bestehe nach dem Gesetzeswortlaut darin, dass Lebensmittel den Anforderungen des Gesetzes nicht entsprechen, etwa weil Toleranzwerte überschritten werden und das Lebensmittel daher (gemäss Art. 2 Abs. 3 der Verordnung über Fremd- und Inhaltsstoffe in Lebensmitteln) als verunreinigt oder sonst im Wert vermindert gilt. Für diesen Erfolg müsse die Täterhandlung etwa des Lagerns kausal sein. Indem die Vorinstanz stattdessen in einer Gefährdung der Gesundheit der Konsumenten den tatbestandsmässigen Erfolg sehe, dispensiere sie sich davon, die Täterhandlung des Lagerns unter dem Aspekt des Kausalzusammenhangs zum Verletzungserfolg zu untersuchen, der im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
eben darin bestehe, dass die Handlung die Verunreinigung oder Wertverminderung der Ware befördert haben müsse. Die Vorinstanz setze sich über den Grundsatz der Adaequanz des Kausalzusammenhangs hinweg, indem sie eine Toleranzwertüberschreitung fälschlicherweise mit einer Gefährdung des Rechtsguts der Gesundheit des Konsumenten gleichsetze und diesen Erfolg
BGE 124 IV 297 S. 301
ohne weiteres als durch die Täterhandlung des Lagerns herbeigeführt erachte.
c) Die vorinstanzlichen Erwägungen gehen insoweit an der Sache vorbei, als sie auch auf die von der 1. Instanz unter
Art. 47 Abs. 1 lit. a und lit. e LMG
subsumierten Anklagepunkte Bezug nehmen, in denen die Vorinstanz den Beschwerdeführer abweichend von der 1. Instanz letztlich in Anwendung von
Art. 31 Abs. 2 LMG
wegen Vorliegens einer Verwarnung freigesprochen hat, so dass nur noch zwei Fälle übrig blieben, in welchen lediglich Toleranzwertüberschreitungen vorlagen und daher nur eine Anwendung von
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
in Betracht kam.
I.2.
Das LMG, in Kraft seit 1. Juli 1995, erfasst gemäss Art. 2 («Geltungsbereich») unter anderem das Herstellen, Behandeln, Lagern, Transportieren und Abgeben von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen (
Art. 2 Abs. 1 lit. a LMG
). Diese fünf Begriffe betreffend die relevanten Verhaltensweisen werden auch in den Strafbestimmungen des Lebensmittelgesetzes verwendet. Gemäss
Art. 47 LMG
(«Vergehen») wird mit Gefängnis (bei Fahrlässigkeit mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, Abs. 3) oder Busse bestraft, wer Nahrungsmittel so herstellt, behandelt, lagert, transportiert oder abgibt, dass sie bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit gefährden (Abs. 1 lit. a). Nach
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
wird mit Haft oder Busse bis zu 20'000 Franken bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig Lebensmittel, Zusatzstoffe oder Gebrauchsgegenstände so herstellt, behandelt, lagert, transportiert oder abgibt, dass sie den Anforderungen dieses Gesetzes nicht entsprechen (quiconque aura fabriqué, traité, entreposé, transporté ou distribué des denrées alimentaires ... de telle façon qu'ils ne sont pas conformes aux exigences de la présente loi; chiunque fabbrica, tratta, deposita, trasporta o distribuisce derrate alimentari ... in modo che essi non soddisfino le esigenze della presente legge).
a) Der Wortlaut dieser Strafbestimmungen könnte die Annahme nahe legen, dass die darin genannten Handlungen nur dann tatbestandsmässig sind, wenn sie eine bestimmte, mangelhafte Beschaffenheit der Lebensmittel zur Folge haben, wenn also die Lebensmittel infolge der Tathandlungen so beschaffen sind, dass sie bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit gefährden (
Art. 47 Abs. 1 lit. a LMG
) bzw. nicht den Anforderungen dieses Gesetzes entsprechen (
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
). Eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereichs der Strafbestimmungen entspricht indessen sowohl in Bezug auf die Tathandlung des Abgebens als auch hinsichtlich
BGE 124 IV 297 S. 302
der Tathandlungen des Lagerns und Transportierens weder dem Sinn des Gesetzes noch dem Willen des Gesetzgebers.
b) aa) Es entspricht einem allgemeinen, grundlegenden strafrechtlichen Konzept, nicht nur denjenigen zu bestrafen, der zur verpönten Mangelhaftigkeit eines Produkts bei der Herstellung beiträgt, sondern auch denjenigen, der ein solches mangelhaftes Produkt in Verkehr bringt. Gerade auch das Inverkehrbringen läuft dem Zweck des Lebensmittelgesetzes zuwider, der gemäss
Art. 1 lit. a LMG
unter anderem darin besteht, die Konsumenten vor Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen zu schützen, welche die Gesundheit gefährden können.
bb) Das alte, bis Ende Juni 1995 geltende Bundesgesetz betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 (BS 4 459) unterschied in seiner Strafbestimmung zwischen dem Herstellen und Behandeln von Lebensmitteln etc. einerseits und dem Feilhalten bzw. Inverkehrbringen andererseits. Gemäss
Art. 38 Abs. 1 aLMG
wurde bestraft, wer (vorsätzlich oder fahrlässig) «Lebensmittel oder Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände so herstellt oder behandelt, dass ihr Genuss oder Gebrauch gesundheitsschädlich oder lebensgefährlich ist» (al. 1), und wer «gesundheitsschädliche oder lebensgefährliche Lebensmittel und Gebrauchs- oder Verbrauchsgegenstände feilhält oder sonst in Verkehr bringt» (al. 2). Die Tathandlung des Feilhaltens bzw. Inverkehrbringens war mithin schon dann tatbestandsmässig, wenn die feilgebotenen bzw. in Verkehr gebrachten Lebensmittel etc. gesundheitsschädlich bzw. lebensgefährlich waren, und nicht nur dann, wenn diese gefährlichen Eigenschaften des Lebensmittels gerade durch die Art und Weise des Feilhaltens bzw. Inverkehrbringens geschaffen respektive verstärkt wurden.
Allerdings geht der Geltungsbereich auch der Strafbestimmungen des neuen Lebensmittelgesetzes über den Anwendungsbereich des alten Gesetzes weit hinaus. Das neue Recht erfasst nicht nur lebensgefährliche und gesundheitsschädliche Lebensmittel etc., sondern auch gesundheitsgefährdende Lebensmittel und, im Übertretungstatbestand, Lebensmittel etc., die «den Anforderungen dieses Gesetzes nicht entsprechen», etwa weil irgendein Toleranzwert überschritten ist. Es fehlen jedoch Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass der Gesetzgeber etwa aus diesem Grunde die Tatbestandsmässigkeit der Tathandlung des Abgebens von Lebensmitteln auf diejenigen Fälle beschränken wollte, in denen durch die Art und Weise des Abgebens die gesundheitsgefährdenden bzw. die den gesetzlichen Anforderungen
BGE 124 IV 297 S. 303
nicht entsprechenden Eigenschaften des Lebensmittels erst geschaffen oder verstärkt werden. Dies hätte zur Folge, dass nach dem neuen Lebensmittelgesetz im Unterschied zum alten Recht selbst das Abgeben von lebensgefährlichen oder gesundheitsschädlichen Lebensmitteln als solches nicht mehr tatbestandsmässig wäre. Ein solches merkwürdiges Ergebnis kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben.
cc) Aus mehreren Bemerkungen in der bundesrätlichen Botschaft zum Lebensmittelgesetz (BBl 1989 I 893 ff.) geht hervor, dass das vorsätzliche oder fahrlässige Abgeben von gesundheitsgefährdenden bzw. nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Lebensmitteln schon als solches gemäss Art. 47 Abs. 1 lit. a bzw.
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
strafbar ist. Die Botschaft hält fest, der Entwurf verbiete grundsätzlich, «Lebensmittel so in den Verkehr zu bringen, dass sie bei üblichem Gebrauch die Gesundheit gefährden können» (S. 906 unten). Das Gesetz, dessen Strafbestimmungen denjenigen des Entwurfs entsprechen, verbietet mit andern Worten, Lebensmittel so beschaffen in den Verkehr zu bringen, dass sie bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit gefährden können. Es ist mithin verboten, Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, welche gesundheitsgefährdend sind bzw. nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Die Botschaft weist darauf hin, dass «die Produktion und Abgabe gesundheitsgefährdender Nahrungsmittel ... als allgemeines Delikt gegen die öffentliche Gesundheit» eigentlich in das Strafgesetzbuch eingefügt werden müsste, worauf aber verzichtet worden sei, da andere Strafbestimmungen des Lebensmittelgesetzes tatsächlich in das Nebenstrafrecht gehören und eine Neuaufteilung der Strafbestimmungen auf zwei Gesetze vermieden werden sollte (S. 958/959). Wenn nach dem in der Botschaft unter anderem zitierten
Art. 236 StGB
das Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichem Futter (für Haustiere) schon als solches tatbestandsmässig ist, dann muss auch das Abgeben von gesundheitsgefährdenden oder nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Lebensmitteln etc. (für Menschen) als solches tatbestandsmässig sein. Laut Botschaft bezieht sich
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
auf «Art. 4 (Auffangtatbestand)» (S. 960). Art. 4 des bundesrätlichen Entwurfs entspricht
Art. 6 LMG
(«Grundsatz»), nach dessen Abs. 1 Lebensmittel, Zusatzstoffe und Gebrauchsgegenstände, die den Anforderungen des Gesetzes und seinen Ausführungsbestimmungen nicht entsprechen, insbesondere jene, die Grenz- oder Toleranzwerte überschreiten, nicht oder nur mit Auflagen verwendet oder an den
BGE 124 IV 297 S. 304
Konsumenten abgegeben werden dürfen. Wenn nach der zitierten Bemerkung in der Botschaft
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
sich auf diesen Grundsatz bezieht, so spricht dies dafür, dass den Tatbestand erfüllt, wer vorsätzlich oder fahrlässig Lebensmittel abgibt, die nicht den Anforderungen dieses Gesetzes entsprechen, insbesondere solche, welche Grenz- oder Toleranzwerte überschreiten.
dd) Nach
Art. 47 Abs. 1 lit. e LMG
macht sich strafbar, wer gesundheitsgefährdende Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände ein- oder ausführt. Wenn somit die Einfuhr und die Ausfuhr von gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln tatbestandsmässig ist, spricht dies dafür, dass auch das Abgeben von gesundheitsgefährdenden bzw. nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Lebensmitteln im Inland schon als solches tatbestandsmässig ist. Es ist ferner nicht ersichtlich, wie anders als durch Missachtung von Vorschriften über den hygienischen Umgang (s.
Art. 15 LMG
) Lebensmittel im Sinne des Gesetzeswortlauts so abgegeben werden könnten, dass sie bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit gefährden bzw. nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Die Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften über den hygienischen Umgang mit Lebensmitteln wird aber bereits von
Art. 48 Abs. 1 lit. a LMG
erfasst.
ee) Strafbar im Sinne von Art. 47 Abs. 1 lit. a bzw.
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
macht sich somit auch, wer Lebensmittel abgibt, die, wie er weiss oder bei pflichtgemässer Sorgfalt wissen könnte, so beschaffen sind, dass sie bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit gefährden bzw. dass sie nicht den Anforderungen dieses Gesetzes entsprechen.
c) Dasselbe gilt für die Tathandlungen des Lagerns und des Transportierens.
aa) Es widerspräche einer vernünftigen Betrachtungsweise, ein- und dieselbe Strafbestimmung in Bezug auf die darin genannten Tathandlungen des Lagerns und des Transportierens anders auszulegen als hinsichtlich der darin genannten Tathandlung des Abgebens. Hinzu kommt, dass der Begriff des «Abgebens» weder im Lebensmittelgesetz noch in der Lebensmittelverordnung definiert wird. Auch wer Lebensmittel lagert oder transportiert, gibt sie irgendwann weiter. Ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen diese Weitergabe als «Abgeben» im Sinne des Lebensmittelgesetzes qualifiziert werden muss, ist im Einzelnen unklar. Es gibt zudem keinen hinreichenden Grund, einen Unternehmer, der Lebensmittel vom Hersteller oder von einem Grosshändler bezieht und an Detaillisten
BGE 124 IV 297 S. 305
oder an Konsumenten weiterveräussert, insoweit prinzipiell anders zu behandeln als einen Unternehmer, der Lebensmittel, die für die Konsumenten bestimmt sind, lagert oder transportiert.
bb) Der Geltungsbereich des Gesetzes soll nach den Ausführungen in der Botschaft nicht nur den Handel, sondern den gesamten Verkehr umfassen, vom Pflanzenanbau bzw. von der Tiermast bis zur Abgabe des Endprodukts an die Konsumenten (S. 913). Zur Erreichung des in
Art. 1 lit. a LMG
festgelegten Zwecks, die Konsumenten vor Lebensmitteln zu schützen, welche die Gesundheit gefährden können, sollen mithin alle am Verkehr mit Lebensmitteln massgeblich Beteiligten beitragen. Dazu gehört auch, wer Lebensmittel, die für den Konsumenten bestimmt sind, lagert oder transportiert. Die Botschaft hält zu Art. 47 Abs. 1 lit. a des Entwurfs, dem
Art. 47 Abs. 1 lit. a LMG
entspricht, unter anderem fest, dass «derjenige, der gesundheitsgefährdende Lebensmittel (einwandfrei) lagert oder transportiert, ohne dass er über ihre Eigenschaft im Bilde ist oder sein müsste», von der Strafdrohung nicht erfasst werde, dass der Tatbestand indessen dann erfüllt werde, «wenn durch die Lagerung oder den Transport die gesundheitsgefährdenden Eigenschaften geschaffen oder verstärkt werden» (S. 959). Wer Lebensmittel lagert oder transportiert, ist demnach zum einen dann gemäss
Art. 47 Abs. 1 lit. a LMG
strafbar, wenn er sie nicht einwandfrei lagert oder transportiert und dadurch die gesundheitsgefährdenden Eigenschaften schafft oder verstärkt, und zum andern dann, wenn er die Lebensmittel zwar einwandfrei lagert oder transportiert, aber weiss oder wissen könnte, dass sie gesundheitsgefährdend sind. Sowohl das eine wie das andere Verhalten läuft dem in
Art. 1 lit. a LMG
festgelegten Gesetzeszweck zuwider, die Konsumenten vor Lebensmitteln zu schützen, welche die Gesundheit gefährden können.
cc) Wer Lebensmittel lagert oder transportiert, ist allerdings im Unterschied zu demjenigen, der sie herstellt, behandelt, abgibt, einführt oder ausführt, nicht zur «Selbstkontrolle» im Sinne von
Art. 23 LMG
verpflichtet, er muss die Lebensmittel mithin nicht entsprechend der «Guten Herstellungspraxis» untersuchen oder untersuchen lassen.
Art. 23 LMG
erwähnt das Lagern und das Transportieren nicht. Daraus ergibt sich aber bloss, dass der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit desjenigen, welcher gesundheitsgefährdende bzw. nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Lebensmittel lediglich lagert oder transportiert, nicht damit begründet werden kann, er habe die Lebensmittel nicht im Sinne von
Art. 23 LMG
entsprechend der «Guten Herstellungspraxis» untersucht bzw. untersuchen
BGE 124 IV 297 S. 306
lassen. Nicht die Verletzung der Pflicht zur Selbstkontrolle als solche ist aber die strafbare Handlung, sondern das vorsätzliche oder fahrlässige Lagern oder Transportieren von gesundheitsgefährdenden bzw. nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Lebensmitteln. Auch der nicht zur Selbstkontrolle im Sinne von
Art. 23 LMG
verpflichtete Lagerhalter oder Transporteur macht sich strafbar, wenn er weiss oder bei der nach den konkreten Umständen gebotenen Sorgfalt wissen könnte, dass die von ihm gelagerten oder transportierten Lebensmittel gesundheitsgefährdend sind bzw. nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Im Übrigen ist derjenige, welcher Lebensmittel nicht nur lagert oder transportiert, sondern auch im Sinne des Lebensmittelgesetzes abgibt, als «Abgeber» zur Selbstkontrolle gemäss
Art. 23 LMG
verpflichtet, welche selbstredend vor der Abgabe zu erfolgen hat.
dd) Strafbar im Sinne von Art. 47 Abs. 1 lit. a bzw.
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
macht sich somit auch, wer Lebensmittel lagert oder transportiert, die, wie er weiss oder bei pflichtgemässer Sorgfalt wissen könnte, so beschaffen sind, dass sie bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit gefährden bzw. dass sie nicht den Anforderungen dieses Gesetzes entsprechen.
d) Indem der Beschwerdeführer Toleranzwertüberschreitungen aufweisende und somit nicht den Anforderungen des Lebensmittelgesetzes entsprechende Nahrungsmittel (Chinakohl und Nüsslersalat) lagerte, die er von Dritten bezogen hatte, um sie an Detaillisten weiterzuveräussern, erfüllte er nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz den objektiven Tatbestand von
Art. 48 Abs. 1 lit. g LMG
. Entgegen seiner Ansicht ist es unerheblich, dass diese Toleranzwertüberschreitungen nicht aus der Art und Weise der Lagerung resultierten. Dass die Vorinstanz Fahrlässigkeit zu Unrecht bejaht habe, macht der Beschwerdeführer mit Recht nicht geltend.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher in diesem Punkt abzuweisen.
II.3.
3.- a) Mit Schreiben vom 5. Dezember 1995 an die X. AG verfügte der Kantonschemiker unter anderem folgendes:
«1. Wir verlangen die schriftliche Vorlage Ihres Qualitätssicherungskonzeptes bis zum 31. Dezember 1995. Existiert ein solches nicht, ist uns dieses bis zum 31. Januar 1996 vorzulegen.
4. Es wird ausdrücklich auf Art. 292 des Strafgesetzbuches hingewiesen.
«Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafandrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Haft oder Busse bestraft.»
BGE 124 IV 297 S. 307
Das Schreiben enthielt die folgende Rechtsmittelbelehrung:
«Gegen Verfügungen über Massnahmen im Sinne der Lebensmittelgesetzgebung kann innert 5 Tagen nach Erhalt beim Kantonalen Laboratorium Einsprache erhoben werden. Die Einsprache hat schriftlich zu erfolgen und muss begründet sein (
Art. 52 LMG
).»
Die X. AG reagierte innert der angesetzten Fristen nicht und reichte gegen die Verfügung auch kein Rechtsmittel ein.
b) Die Vorinstanz sprach den Beschwerdeführer daher wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen im Sinne von
Art. 292 StGB
schuldig. Nach dieser Bestimmung wird mit Haft oder mit Busse bestraft, wer der von einer zuständigen Behörde unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet.
Der Beschwerdeführer wendet gegen seine Verurteilung in diesem Punkt ein, die Verfügung sei gesetzwidrig und lasse sich nicht auf die von der Vorinstanz im angefochtenen Urteil genannten Bestimmungen betreffend Hygiene und Selbstkontrolle stützen. Zudem sei das durch die Verfügung verlangte Verhalten, die Vorlage eines schriftlichen «Qualitätssicherungskonzepts», viel zu unbestimmt und könne daher nicht Gegenstand einer Verfügung unter Androhung der Ungehorsamsstrafe sein. Ausserdem sei in der Verfügung nicht ausdrücklich Haft oder Busse für den Fall ihrer Missachtung angedroht worden. In der Verfügung werde
Art. 292 StGB
lediglich wiedergegeben. Dies reiche nicht aus. Schliesslich sei auch die Rechtsmittelbelehrung unzutreffend. Da der Beschwerdeführer erst kurz nach Ablauf der vermeintlichen Rechtsmittelfrist von fünf Tagen von der Verfügung Kenntnis genommen habe, habe er in dem durch die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung begründeten Irrtum, die Verfügung sei bereits in Rechtskraft erwachsen, auf die Ergreifung des zutreffenden Rechtsmittels verzichtet. Daraus dürfe ihm kein Nachteil erwachsen.
II.4.
a) Ob und mit welcher Kognition der Strafrichter in einem Strafverfahren wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung die Rechtmässigkeit einer Verwaltungsverfügung überprüfen kann, hängt nach der Rechtsprechung davon ab, ob die Verfügung bei einem Verwaltungsgericht angefochten werden kann und gegebenenfalls vom Verwaltungsgericht bereits überprüft oder (noch) nicht überprüft worden ist. Wenn eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle möglich, aber (noch) nicht erfolgt ist, dann kann der Strafrichter die Verwaltungsverfügung nur auf offensichtliche Rechtsverletzung
BGE 124 IV 297 S. 308
und Ermessensmissbrauch überprüfen (siehe zum Ganzen
BGE 121 IV 29
E. 2a S. 31;
BGE 98 IV 106
E. 3 S. 108 ff.).
Die Verfügung des Kantonschemikers vom 5. Dezember 1995 ist eine Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
. Da kein Ausschlussgrund gemäss
Art. 99 ff. OG
vorliegt, ist letztlich jedenfalls die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegeben. Weil somit eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle möglich war, diese aber nicht erfolgt ist, kann der Strafrichter die Verfügung nur auf offensichtliche Rechtsverletzung und auf Ermessensmissbrauch überprüfen.
b) Allerdings ist die in der Verfügung des Kantonschemikers enthaltene Rechtsmittelbelehrung - Einsprache innert fünf Tagen gemäss
Art. 52 LMG
- unrichtig. Gemäss
Art. 52 LMG
können Verfügungen über Massnahmen im Sinne dieses Gesetzes bei der verfügenden Behörde mit Einsprache angefochten werden. Die Einsprachefrist beträgt nach
Art. 55 Abs. 1 LMG
fünf Tage. Die Einsprache ist indessen nur gegen Verfügungen über Massnahmen im Sinne dieses Gesetzes gegeben, d.h. über Massnahmen im Sinne von
Art. 28-30 LMG
; andere Verfügungen sind unmittelbar mit Beschwerde anfechtbar (siehe die Botschaft des Bundesrates, BBl 1989 I 893 ff., 965). Die Verfügung des Kantonschemikers, durch welche der Beschwerdeführer zur Vorlage eines schriftlichen «Qualitätssicherungskonzepts» verpflichtet wurde, betrifft keine Massnahme im Sinne von
Art. 28-30 LMG
. Daher war die Einsprache nicht gegeben. Die Verfügung war vielmehr direkt mit der Beschwerde anfechtbar. Die Beschwerdeinstanz und die Beschwerdefrist bestimmen sich gemäss
Art. 53 LMG
nach dem kantonalen Recht.
Art. 55 Abs. 2 LMG
, wonach die Beschwerdefrist zehn Tage beträgt, ist nicht anwendbar, da die fragliche Verfügung weder eine Massnahme gemäss
Art. 28-30 LMG
betrifft noch eine Verfügung im Sinne von
Art. 24 LMG
(betreffend Inspektion und Probenerhebung) ist. Da die solothurnische Vollzugsverordnung vom 30. August 1995 zum Bundesgesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (Solothurner Gesetzessammlung 815.21), die am 1. Januar 1996 in Kraft getreten ist und somit im Zeitpunkt des Erlasses der vorliegenden Verfügung vom 5. Dezember 1995 ohnehin noch nicht galt, keine speziellen Regelungen enthält, gilt insoweit das solothurnische Gesetz über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (Solothurnische Gesetzessammlung 124.11). Nach dessen § 32 Abs. 1 beträgt die Beschwerdefrist allgemein zehn Tage. Gegen die Verfügung des Kantonschemikers war somit entgegen
BGE 124 IV 297 S. 309
der darin enthaltenen Rechtsmittelbelehrung nicht die Einsprache innert fünf Tagen, sondern die Beschwerde an die Beschwerdeinstanz innert zehn Tagen gegeben.
Dass die in der Verfügung enthaltene Rechtsmittelbelehrung somit unzutreffend war, hat indessen entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht zur Folge, dass der Kassationshof die Rechtmässigkeit der Verfügung frei zu prüfen habe. Wenn der Beschwerdeführer, wie er behauptet, erst kurz nach Ablauf der angegebenen fünftägigen Einsprachefrist von der Verfügung Kenntnis genommen hat, dann hätte er sich um eine Wiederherstellung der vermeintlich abgelaufenen Frist bemühen können. Der Beschwerdeführer unternahm indessen nichts. Daher kann er aus der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung nichts zu seinen Gunsten ableiten. Der Kassationshof hat somit, da eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle möglich gewesen wäre, nur zu prüfen, ob die Verfügung des Kantonschemikers offensichtlich bundesrechtswidrig sei bzw. auf einem Ermessensmissbrauch beruhe.
c) Der Kantonschemiker wies die X. AG durch Verfügung an, innert Frist ein schriftliches «Qualitätssicherungskonzept» vorzulegen. Anlass hiefür war, dass schon mehrfach von diesem Grosshandelsunternehmen gelagerte und an Detaillisten abgegebene Nahrungsmittel (Wintergemüse) wegen Überschreitung von Toleranz- oder Grenzwerten beanstandet werden mussten, so auch anlässlich einer Probenerhebung vom 15. November 1995. In dem verlangten «Qualitätssicherungskonzept» sollte der Beschwerdeführer, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, in allgemeiner und grundsätzlicher Art darlegen, durch welche Vorkehrungen er dafür sorgen wollte, dass die Nahrungsmittel, welche die X. AG von Dritten bezog, lagerte und an Detaillisten abgab, in Bezug auf Toleranz- und Grenzwerte den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.
aa) Das Lebensmittelgesetz sieht nicht ausdrücklich vor, dass etwa ein Lebensmittelhändler zur Vorlage eines schriftlichen «Qualitätssicherungskonzepts» der hier zur Diskussion stehenden Art verpflichtet ist bzw. durch Verfügung eines Beamten oder einer Behörde verpflichtet werden kann. Eine derartige Verpflichtung bzw. eine entsprechende Verfügungskompetenz kann nach den insoweit zutreffenden Einwänden in der Nichtigkeitsbeschwerde jedenfalls nicht aus den im angefochtenen Urteil genannten Bestimmungen abgeleitet werden. Diese Vorschriften -
Art. 15 LMG
, Art. 17 der Lebensmittelverordnung (LMV; SR 817.02),
Art. 11 der Verordnung
BGE 124 IV 297 S. 310
vom 26. Juni 1995 über die hygienischen und mikrobiologischen Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände, Räume, Einrichtungen und Personal(HyV; SR 817.051)
- betreffen die Hygiene, insbesondere die zu beachtende Hygiene bei der Herstellung und beim Umgang mit Lebensmitteln. Dem Beschwerdeführer wird indessen nicht eine Verletzung von Vorschriften betreffend den hygienischen Umgang mit Lebensmitteln bzw. die Hygiene überhaupt vorgeworfen. Vielmehr beanstandete das Kantonale Laboratorium schon mehrfach, dass die vom Beschwerdeführer bei Herstellern und Lieferanten bezogenen Nahrungsmittel, die er in der Folge lagerte und an Detaillisten abgab, zufolge von Toleranz- und Grenzwertüberschreitungen hinsichtlich verschiedener Stoffe nicht den Anforderungen des Gesetzes entsprachen bzw. gesundheitsgefährdend waren. Damit wird ihm aber vom Kantonschemiker eine Missachtung von Vorschriften betreffend den allgemeinen Umgang mit Lebensmitteln vorgeworfen. Insoweit gibt es jedoch «keine explizite Verpflichtung zur schriftlichen Dokumentation des angewendeten Kontrollkonzepts», wie ein Schreiben des Bundesamtes für Gesundheit an die Vorinstanz ausdrücklich festhält.
bb) Die kantonalen Kontrollorgane, die im Bereich der Lebensmittelkontrolle unter der Leitung des Kantonschemikers stehen (
Art. 40 Abs. 4 LMG
) und denen die Kantone die Eigenschaft von Beamten der gerichtlichen Polizei verleihen müssen (
Art. 50 Abs. 4 LMG
), haben relativ weitgehende Befugnisse betreffend Inspektion und Probenerhebung (
Art. 24 LMG
), Beanstandungen (
Art. 27 LMG
) sowie Massnahmen über beanstandete Waren (
Art. 28-30 LMG
). Wer Lebensmittel etc. herstellt, behandelt, lagert, abgibt, einführt oder ausführt, muss den Kontrollorganen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unentgeltlich behilflich sein und die erforderlichen Auskünfte erteilen (
Art. 25 Abs. 1 LMG
). Die Kontrollorgane können im Falle von Beanstandungen die Betroffenen verpflichten, die Ursachen der Mängel abzuklären und die Kontrollorgane darüber zu informieren (
Art. 28 Abs. 2 LMG
). Hinzu kommt, dass die zuständige Vollzugsbehörde in besonders leichten Fällen auf eine Strafanzeige verzichten und den Betroffenen verwarnen kann, in welchem Fall jede weitere Strafe entfällt (
Art. 31 Abs. 2 LMG
). Die Kontrollorgane im Allgemeinen und der ihnen im Bereich der Lebensmittelkontrolle vorstehende Kantonschemiker im Besonderen haben mithin als Beamte der gerichtlichen Polizei nicht nur untergeordnete Hilfsfunktionen im Gesetzesvollzug, sondern weitgehende Befugnisse, welche auch Befehlsgewalt einschliessen.
BGE 124 IV 297 S. 311
In Anbetracht dieser Kompetenzen und mit Rücksicht darauf, dass die von der X. AG an Detaillisten abgegebenen Lebensmittel schon mehrfach wegen Grenz- und Toleranzwertüberschreitungen beanstandet werden mussten, ist die Verfügung des Kantonschemikers gegenüber der als Abgeberin von Lebensmitteln zur Selbstkontrolle gemäss
Art. 23 LMG
verpflichteten X. AG weder offensichtlich bundesrechtswidrig, noch beruht sie auf einem Ermessensmissbrauch. Entgegen der Andeutung des Beschwerdeführers besteht die Pflicht zur Selbstkontrolle in Bezug auf die Einhaltung von Grenz- und Toleranzwerten ohne Übergangsfristen schon seit dem Inkrafttreten des Lebensmittelgesetzes am 1. Juli 1995.
d) Das durch eine Verfügung unter Androhung der Ungehorsamsstrafe gemäss
Art. 292 StGB
vom Verfügungsadressaten verlangte Verhalten muss hinreichend klar umschrieben sein. Der Adressat muss wissen, was er zu tun oder zu unterlassen hat. Die Verfügung des Kantonschemikers genügt diesem Bestimmtheitsgebot.
In dem verlangten schriftlichen «Qualitätssicherungskonzept» sollte der Beschwerdeführer, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, in allgemeiner und grundsätzlicher Art darlegen, durch welche Vorkehrungen er dafür sorgen wollte, dass die Lebensmittel, welche die X. AG von Dritten bezog, lagerte und an Detaillisten abgab, in Bezug auf Grenz- und Toleranzwerte den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Wohl wird in der Verfügung das verlangte schriftliche «Qualitätssicherungskonzept» nicht näher beschrieben. Das bedeutet aber entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht, dass die Verfügung zu unbestimmt und ihre Missachtung aus diesem Grunde nicht strafbar sei. Es kann nicht die Aufgabe des Kantonschemikers sein, selber das Konzept etwa in den Grundzügen zu skizzieren. Dazu wäre er schon mangels ausreichender Kenntnisse über die betrieblichen Strukturen und die geschäftlichen Beziehungen des Verfügungsadressaten gar nicht in der Lage. Es ist sinnvoll, dem gemäss
Art. 23 LMG
zur Selbstkontrolle verpflichteten Lebensmittelhändler vorerst die Freiheit zur inhaltlichen Bestimmung des verlangten schriftlichen Konzepts zu überlassen. Sollte der Beschwerdeführer nicht verstanden haben, was von ihm in der Verfügung verlangt wurde, hätte er rückfragen müssen. Wäre das vom Beschwerdeführer abgelieferte schriftliche «Qualitätssicherungskonzept» aus der Sicht des Kantonschemikers ungenügend gewesen, hätte in gemeinsamer Zusammenarbeit ein ausreichendes Konzept erstellt werden können. Der Beschwerdeführer hat jedoch auf die Verfügung des Kantonschemikers, was entscheidend ist,
BGE 124 IV 297 S. 312
überhaupt nicht reagiert und weder Rückfragen gestellt noch irgendein Konzept abgeliefert.
e) In Ziff. 4 der Verfügung vom 5. Dezember 1995 wird folgendes festgehalten: «Es wird ausdrücklich auf Art. 292 des Strafgesetzbuches hingewiesen. `Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafandrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Haft oder Busse bestraft'».
Diese Formulierung genügt den gesetzlichen Anforderungen. Dem Beschwerdeführer wurde dadurch Haft oder Busse gemäss
Art. 292 StGB
für den Fall angedroht, dass er die konkrete Verfügung vom 5. Dezember 1995 missachte und das darin verlangte schriftliche Qualitätssicherungskonzept nicht vorlege. Der «Hinweis» auf
Art. 292 StGB
unter Wiedergabe des Wortlauts dieser Bestimmung bezog sich für den Beschwerdeführer offensichtlich erkennbar auf die konkrete Verfügung und konnte von ihm vernünftigerweise nur als Androhung der Ungehorsamsstrafe für den Fall der Missachtung dieser Verfügung verstanden werden. Es ist nicht ersichtlich, welchen andern Sinn der fragliche Hinweis haben könnte.
f) Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung verstösst demnach nicht gegen Bundesrecht.
III.5.
5.- (Kostenfolgen) | mixed |
a14093b6-0e0b-4016-b070-5cd2a2d0090d | 748.01 1 / 52 Ordonnance sur l’aviation (OSAv)1 du 14 novembre 1973 (État le 1er janvier 2023) Le Conseil fédéral suisse, vu la loi fédérale du 21 décembre 1948 sur l’aviation (loi sur l’aviation, LA)2,3 arrête: 1 Aéronefs 11 ... Art. 14 12 Classement5 Art. 2 1 Sous l’aspect technique, les aéronefs sont classés par catégories selon l’annexe.6 2 Sont considérés comme aéronefs d’État les aéronefs affectés au service de l’armée, de la douane ou de la police de la Confédération et des cantons, ou que le Conseil fédéral a expressément désignés comme tels.7 RO 2005 4425 1 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 2 RS 748.0 3 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 4 Abrogé par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, avec effet au 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 5 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 6 Introduit par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 7 Anciennement al. 1. 748.01 Aviation 2 / 52 748.01 12a8 Aéronefs sans occupants Art. 2a 1 Les aéronefs sans occupants dont le poids est supérieur à 30 kg ne peuvent être uti- lisés qu’avec l’autorisation de l’Office fédéral de l’aviation civile (OFAC).9 2 Pour réduire les nuisances et le danger auquel personnes et biens sont exposés au sol, les cantons sont habilités à prendre des mesures concernant les aéronefs sans oc- cupants dont le poids est inférieur à 30 kg. 3 Le Département fédéral de l’environnement, des transports, de l’énergie et de la communication (DETEC) édicte les prescriptions de détail.10 12b11 Interdiction de certains aéronefs avec occupants Art. 2b12 1 L’exploitation d’aéronefs motorisés avec occupants qui, en raison de leur faible poids, sont exclus du champ d’application du règlement (CE) no 216/200813 (art. 4, par. 4 et annexe II, let. e et f dudit règlement), est interdite. 2 Ne sont pas soumis à cette interdiction: a. les aéronefs électriques; b. les avions à commandes aérodynamiques à moteur à combustion; c. les autogires à moteur à combustion. 3 L’OFAC peut en outre délivrer des autorisations exceptionnelles pour des projets de recherche et de développement. 8 Introduit par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 9 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 4 juil. 2007, en vigueur depuis le 1er août 2007 (RO 2007 3645). 10 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 4 juil. 2007, en vigueur depuis le 1er août 2007 (RO 2007 3645). 11 Introduit par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 12 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 12 sept. 2014, en vigueur depuis le 1er oct. 2014 (RO 2014 3009). 13 Règlement (CE) no 216/2008 du Parlement européen et du Conseil du 20 février 2008 concernant des règles communes dans le domaine de l’aviation civile et instituant une Agence européenne de la sécurité aérienne, et abrogeant la directive 91/670/CEE du Con- seil, le règlement (CE) no 1592/2002 et la directive 2004/36/CE, dans la version qui lie la Suisse en vertu du ch. 3 de l’annexe de l’Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse et la Communauté européenne sur le transport aérien (RS 0.748.127.192.68). Aviation. O 3 / 52 748.01 13 Registre matricule Art. 314 Immatriculation 1 L’OFAC inscrit dans le registre matricule les avions, les hélicoptères et les autres aéronefs à voilure tournante, les motoplaneurs, les planeurs, les ballons libres avec occupants et les dirigeables, lorsqu’ils: a. remplissent les conditions requises, notamment en ce qui concerne la propriété (art. 4 et 5); b. sont destinés à circuler avec des marques de nationalité et d’immatriculation suisses. 2 L’OFAC peut autoriser l’inscription dans le registre matricule d’un aéronef qui ne remplit pas les conditions requises en matière de propriété s’il doit être utilisé durant une période assez longue par une entreprise suisse de transports aériens commer- ciaux.15 3 Les aéronefs d’État suisses peuvent être inscrits dans le registre matricule. 4 L’immatriculation peut être refusée lorsque l’aéronef ne répond manifestement pas aux exigences de navigabilité applicables en Suisse ou aux dispositions sur la protec- tion de l’environnement. 5 ...16 Art. 417 Conditions en matière de propriété Un aéronef satisfait aux conditions prescrites (art. 52, al. 2, let. c, LNA18) s’il est la propriété exclusive: a. de citoyens suisses; b. d’étrangers assimilés aux citoyens suisses en vertu d’accords internationaux19, s’ils ont leur domicile en Suisse et ont l’autorisation d’y séjourner pendant un certain temps; c. d’étrangers qui ont leur domicile en Suisse et ont l’autorisation d’y séjourner pendant un certain temps, et qui utilisent l’aéronef principalement au départ de la Suisse; d. de sociétés commerciales ou de sociétés coopératives qui ont leur siège en Suisse et qui sont inscrites au registre du commerce; e. de collectivités ou d’établissements de droit public suisse; 14 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 14 mars 1994, en vigueur depuis le 1er avr. 1994 (RO 1994 735). 15 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 29 mai 1996, en vigueur depuis le 1er juil. 1996 (RO 1996 1536). 16 Abrogé par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, avec effet au 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 17 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 14 mars 1994, en vigueur depuis le 1er avr. 1994 (RO 1994 735). 18 Actuellement: LA. 19 Une liste de ces accords peut être consultée auprès de l’Office fédéral de l’aviation civile. Aviation 4 / 52 748.01 f. d’associations constituées selon le droit suisse, pour autant que deux tiers de leurs membres et de leur comité, ainsi que leur président, soient des citoyens suisses ou des étrangers qui sont assimilés à des citoyens suisses en vertu d’ac- cords internationaux et ont leur domicile en Suisse. Art. 520 Rapports fiduciaires Au sens de la présente ordonnance, le droit de disposer fondé sur des rapports fidu- ciaires n’est pas considéré comme propriété. Art. 621 Demande d’immatriculation 1 L’immatriculation d’un aéronef doit être demandée par le propriétaire. 2 À la demande doivent être joints: a. les actes accréditant la propriété du requérant; b. pour les sociétés commerciales et les sociétés coopératives, la preuve qu’elles remplissent les conditions de l’art. 4, let. d; c. pour les associations, la preuve qu’elles remplissent les conditions de l’art. 4, let. f; d. si le propriétaire est un étranger au sens de l’art. 4, let. b, la preuve qu’il rem- plit les conditions de cette disposition; e. si le propriétaire est un étranger au sens de l’art. 4, let. c, la preuve qu’il rem- plit les conditions de cette disposition et une déclaration écrite que l’aéronef sera principalement utilisé au départ de la Suisse; f. pour un aéronef importé: 1. la preuve qu’il n’est immatriculé ni dans l’État où il a été construit ni dans l’État où un prédécesseur du requérant avait son domicile; 2. la preuve qu’il n’est pas inscrit dans le registre des aéronefs ou dans un registre correspondant du dernier État d’immatriculation; cette preuve peut être remplacée par la déclaration écrite de l’ayant droit inscrit dans le registre étranger des aéronefs, par laquelle il consent à l’immatricula- tion de l’aéronef dans le registre suisse; g. pour un aéronef importé qui a déjà été utilisé, la preuve qu’il a été entretenu réglementairement. 20 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 14 mars 1994, en vigueur depuis le 1er avr. 1994 (RO 1994 735). 21 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 14 mars 1994, en vigueur depuis le 1er avr. 1994 (RO 1994 735). Aviation. O 5 / 52 748.01 Art. 722 Art. 8 Contenu de l’immatriculation 1 L’immatriculation doit contenir au moins les indications suivantes: a. date de l’immatriculation; b. marque d’immatriculation; c. constructeur; d. type de l’aéronef; e. numéro de fabrication; f. nom et adresse du propriétaire. 2 Le nom et l’adresse de l’exploitant de l’aéronef peuvent être inscrits à côté de ceux du propriétaire lorsque l’exploitant remplit les conditions requises pour l’immatricu- lation, à l’exception de la propriété. Art. 9 Certificat d’immatriculation 1 L’OFAC délivre au propriétaire de l’aéronef un certificat attestant l’immatriculation. 2 ...23 Art. 10 Modifications Le propriétaire inscrit et, s’il est inscrit, l’exploitant de l’aéronef doivent annoncer par écrit à l’OFAC, dans les dix jours, toute modification des conditions mentionnées aux art. 4 à 7. Le certificat d’immatriculation et le certificat de navigabilité seront joints à cette déclaration.24 Art. 11 Radiation 1 L’immatriculation d’un aéronef est radiée: a. à la demande du propriétaire; b.25 d’office lorsque – une condition mise à l’inscription n’est plus remplie; – 26 la preuve du placement sous régime douanier ou de la franchise doua- nière temporaire n’est pas produite; 22 Abrogé par le ch. I de l’O du 14 mars 1994, avec effet au 1er avr. 1994 (RO 1994 735). 23 Abrogé par le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, avec effet au 1er avr. 1988 (RO 1988 534). 24 Nouvelle teneur de la phrase selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 25 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 24 oct. 1990, en vigueur depuis le 1er déc. 1990 (RO 1990 1719). 26 Nouvelle teneur selon l’annexe 4 ch. 36 de l’O du 1er nov. 2006 sur les douanes, en vigueur depuis le 1er mai 2007 (RO 2007 1469). Aviation 6 / 52 748.01 – l’exploitant n’acquitte pas une taxe prévue par l’ordonnance du 25 sep- tembre 1989 sur les taxes perçues par l’Office fédéral de l’aviation ci- vile27 et fixée par une décision passée en force; – l’aéronef est détruit. 2 Si l’aéronef a été inscrit dans le registre des aéronefs, l’immatriculation ne peut être radiée avant la radiation dans ce registre. Les papiers de bord d’un aéronef qui doit être exmatriculé d’office sont cependant déjà retirés avant la radiation. 3 Sur demande, l’OFAC délivre une attestation de la radiation. 14 Marques de nationalité et d’immatriculation Art. 12 L’OFAC édicte des dispositions sur les marques de nationalité et d’immatriculation des aéronefs suisses. 15 Navigabilité et admission à la circulation28 Art. 1329 Prise en compte du droit international Les dispositions relatives à la navigabilité et à la procédure d’admission (ch. 15) s’ap- pliquent à moins que la version contraignante pour la Suisse de l’un des règlements CE suivants ne soit applicable conformément au ch. 3 de l’annexe de l’accord entre la Confédération suisse et la Communauté européenne sur le transport aérien conclu le 21 juin 199930: a. règlement (CE) no 1592/2002; b. règlement (CE) no 2042/2003; c. règlement (CE) no 1702/2003. 27 [RO 1989 2216; 1993 2749; 1995 5219; 1997 2779 ch. II 53; 2003 1195; 2005 2695 ch. II 5. RO 2007 5101 art. 52]. Voir actuellement l’O du 28 sept. 2007 sur les émoluments de l’Office fédéral de l’aviation civile (RS 748.112.11). 28 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 29 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 30 RS 0.748.127.192.68. La version contraignante pour la Suisse est mentionnée dans l’an- nexe de cet accord et peut être consultée ou obtenue auprès de l’OFAC. Adresse: Office fédéral de l’aviation civile, 3003 Berne (www.bazl.admin.ch). Aviation. O 7 / 52 748.01 Art. 1431 Art. 15 Responsabilité lors des examens 1 Lorsqu’un aéronef et son équipement subissent des dégâts au cours d’un examen, la Confédération en répond selon les dispositions de la loi du 14 mars 1958 sur la res- ponsabilité32. 2 Avec l’approbation de l’OFAC, le requérant peut à ses risques et périls faire procé- der aux vols d’examen par un pilote qualifié de son choix. 3 Lors de chaque vol d’examen, la responsabilité civile envers les tiers au sol doit être couverte. Art. 1633 Certificat de navigabilité, certificat de navigabilité restreint, autorisation de vol, certificat de bruit et certificat d’émission de substances nocives 1 L’OFAC atteste la navigabilité des aéronefs immatriculés dans le certificat de navi- gabilité, le certificat de navigabilité restreint ou l’autorisation de vol. 2 Pour les aéronefs à moteur, le niveau de bruit est attesté dans le certificat de bruit, et l’émission de substances nocives, dans le certificat d’émission de substances nocives. Art. 1734 Certificats de navigabilité, certificats de navigabilité restreints, autorisations de vol, certificats de bruit et d’émission de substances nocives émis à l’étranger35 1 Les certificats de navigabilité, les certificats de navigabilité restreints et les autori- sations de vol étrangers peuvent être reconnus par l’OFAC s’ils ont été établis:36 a. d’après les dispositions en vigueur en Suisse; b. d’après des normes internationales qui sont obligatoires également pour la Suisse, ou c. d’après les normes étrangères ou internationales répondant au moins aux exi- gences minimales imposées en Suisse et qui sont reconnues par l’OFAC. 2 Les certificats étrangers de bruit et les certificats étrangers d’émission de substances nocives peuvent être reconnus par l’OFAC s’ils ont été établis: a. d’après des normes répondant au moins aux exigences minimales imposées en Suisse, ou 31 Abrogé par le ch. I de l’O du 18 juin 2008, avec effet au 1er août 2008 (RO 2008 3607). 32 RS 170.32 33 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 34 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 6 déc. 1982, en vigueur depuis le 1er janv. 1983 (RO 1982 2277). 35 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 36 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). Aviation 8 / 52 748.01 b. d’après les normes internationales qui sont obligatoires également pour la Suisse.37 3 Est réservé l’examen complémentaire destiné à vérifier si l’aéronef est en état de navigabilité et s’il satisfait aux exigences en matière de limitation du bruit et de l’émis- sion de substances nocives.38 Art. 18 Admission à la circulation39 1 Un aéronef immatriculé est admis à la circulation: a. s’il est en état de navigabilité; b.40 s’il satisfait aux exigences en matière de limitation du bruit et des autres émis- sions; c.41 si les prétentions en responsabilité civile de tiers au sol et de passagers sont couvertes dans la mesure prescrite; d.42 si, pour un aéronef importé, la preuve est fournie qu’il a fait l’objet d’un pla- cement sous régime douanier ou qu’il bénéficie temporairement de la fran- chise douanière. 2 ...43 3 L’admission à la circulation est attestée par l’octroi du certificat de navigabilité, du certificat de navigabilité restreint ou de l’autorisation de vol. Dans ces attestations ou dans leurs annexes, l’OFAC peut fixer des conditions et des restrictions d’exploita- tion.44 4 Dans des cas particuliers, notamment pendant la procédure d’admission, l’OFAC établit une autorisation de vol provisoire. Les prétentions en responsabilité civile de tiers au sol et de passagers doivent être couvertes dans tous les cas.45 5 ...46 37 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 38 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 39 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 40 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 5 mars 1984, en vigueur depuis le 1er avr. 1984 (RO 1984 318). 41 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 42 Nouvelle teneur selon l’annexe 4 ch. 36 de l’O du 1er nov. 2006 sur les douanes, en vigueur depuis le 1er mai 2007 (RO 2007 1469). 43 Abrogé par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, avec effet au 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 44 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 45 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 46 Abrogé par le ch. I de l’O du 25 août 1976, avec effet au 1er janv. 1977 (RO 1976 1921). Aviation. O 9 / 52 748.01 Art. 1947 Durée de validité du certificat de navigabilité, du certificat de navigabilité restreint et de l’autorisation de vol 1 Les certificats de navigabilité, certificats de navigabilité restreints et autorisations de vol sont en principe valables pour une durée indéterminée. L’OFAC peut excep- tionnellement limiter leur validité. 2 Dans des cas particuliers, notamment pendant la procédure d’admission ou pour des vols techniques, l’OFAC établit des autorisations de vol à durée de validité limitée. Art. 20 Retrait du certificat de navigabilité, du certificat de navigabilité restreint et de l’autorisation de vol48 1 Le certificat de navigabilité, le certificat de navigabilité restreint et l’autorisation de vol sont retirés:49 a.50 si l’aéronef n’est plus en état de navigabilité et si la défectuosité n’a pas été réparée dans un délai imparti par l’OFAC; b.51 si l’aéronef ne satisfait plus aux exigences en matière de limitation du bruit et des autres émissions, et si la défectuosité n’a pas été éliminée dans un délai imparti par l’OFAC; c. si la responsabilité civile envers les tiers au sol n’est plus suffisamment cou- verte; d. si, à l’expiration de la franchise douanière, le dédouanement n’est pas prouvé. 2 Le certificat de navigabilité peut en outre être retiré: a. si la vérification périodique obligatoire de la navigabilité n’a pas été exécutée dans le délai imparti, ou b. si les rapports de propriété ne sont pas clairement établis.52 3 Est réservé le retrait selon l’art. 92 de la loi sur la navigation aérienne53. 47 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 48 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 49 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 50 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 6 déc. 1982, en vigueur depuis le 1er janv. 1983 (RO 1982 2277). 51 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 5 mars 1984, en vigueur depuis le 1er avr. 1984 (RO 1984 318). 52 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 juin 2008, en vigueur depuis le 1er août 2008 (RO 2008 3607). 53 Actuellement «loi sur l’aviation». Aviation 10 / 52 748.01 16 Règles spéciales et autres mesures Art. 2154 Dans les limites fixées aux art. 108 et 109 de la loi sur l’aviation, le DETEC55 peut édicter des règles particulières et prendre d’autres mesures concernant les aéronefs de catégories spéciales ou en cas d’innovations techniques. Ce faisant, il tient également compte des impératifs de la protection de la nature, du paysage et de l’environnement. 2 Engins balistiques56 Art. 2257 Art. 2358 1 Sous l’aspect technique, les engins balistiques sont classés par catégories selon l’an- nexe. 2 Les petits engins balistiques, tels les feux d’artifice ou les fusées modèles, ainsi que les projectiles antigrêles ne peuvent être utilisés ou lancés que s’ils ne compromettent pas la sécurité de l’aviation. Pour d’autres motifs, la Confédération et les cantons peu- vent imposer des restrictions supplémentaires. 3 Les autres engins balistiques, notamment les fusées avec ou sans occupants, ne peu- vent être utilisés ou lancés qu’avec l’autorisation de l’OFAC. L’OFAC peut fixer des conditions d’admission et d’exploitation. 4 Les projectiles antigrêles ne doivent pénétrer ni dans les espaces aériens des classes C et D ni dans le secteur des routes ATS de l’espace aérien de la classe E. L’organe du contrôle de la circulation aérienne peut autoriser des exceptions. 3 Personnel aéronautique 31 Licence Art. 24 1 Le DETEC fixe les catégories de personnel aéronautique qui ont besoin d’une li- cence de l’OFAC pour exercer leur activité. 54 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 55 Nouvelle expression selon le ch. I de l’O du 4 juil. 2007, en vigueur depuis le 1er août 2007 (RO 2007 3645). Il a été tenu compte de cette mod. dans tout le texte. 56 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 57 Abrogé par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, avec effet au 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 58 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). Aviation. O 11 / 52 748.01 2 L’OFAC peut déléguer l’organisation d’examens et l’établissement de licences à des associations propres à les exercer.59 32 Prescriptions Art. 25 1 Le DETEC édicte des prescriptions sur les licences du personnel aéronautique, qui règlent notamment: a. la nature, la portée et la durée de validité des licences; b. les conditions d’octroi, de refus, de renouvellement et de retrait des licences; c. les règles de procédure qu’il y a lieu d’observer à cet égard; d. les droits et les obligations des titulaires; e. les conditions auxquelles le personnel aéronautique formé dans l’aviation mi- litaire peut obtenir des licences civiles; f. la reconnaissance des licences, des examens d’aptitude et des examens médi- caux étrangers. 2 Le DETEC peut édicter des prescriptions sur le personnel aéronautique qui n’a be- soin d’aucune licence pour exercer son activité. 3 Le DETEC, en accord avec le Département fédéral de la défense, de la protection de la population et des sports, règle le service médical aéronautique. L’organisation et les compétences de l’Institut de médecine aéronautique sont réglées par une ordon- nance du Département fédéral de la défense, de la protection de la population et des sports, élaborée en accord avec le DETEC.60 59 Introduit par le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, en vigueur depuis le 1er avr. 1988 (RO 1988 534). 60 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 4 avr. 2001, en vigueur depuis le 1er avr. 2001 (RO 2001 1067). Aviation 12 / 52 748.01 33 Instruction du personnel aéronautique Art. 2661 Principe Sous réserve des exceptions que le DETEC fixe pour certaines catégories, l’instruc- tion du personnel aéronautique pour lequel une licence officielle est exigée n’est ad- mise que dans le cadre d’un organisme de formation répondant aux exigences du rè- glement (UE) no 1178/201162 ou du règlement (UE) 2015/34063. Art. 2764 Art. 2865 Surveillance des organismes de formation civils 1 L’OFAC surveille l’exploitation des organismes de formation civils instruisant du personnel aéronautique. 2 L’OFAC surveille les secteurs de la formation et du perfectionnement aéronautiques que soutient la Confédération, à l’exception du test d’aptitude des aspirants pilotes militaires ou professionnels ou des aspirants éclaireurs parachutistes (SPHAIR). Art. 28a66 SPHAIR 1 La réalisation des tests d’aptitude des aspirants pilotes militaires ou professionnels ou des aspirants éclaireurs parachutistes réalisés sous l’appellation SPHAIR est du ressort des Force aériennes. 2 Pour accomplir leurs tâches, les Forces aériennes sont soutenues en particulier par l’OFAC, les organisations de l’aviation commerciale, les organismes de formation aéronautique et les associations faîtières de l’aviation légère et sportive. 3 Après avoir entendu les organisations visées à l’al. 2, le DDPS règlemente en parti- culier: a. les conditions de participation aux tests d’aptitude; 61 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 62 Règlement (UE) no 1178/2011 de la Commission du 3 novembre 2011 déterminant les exigences techniques et les procédures administratives applicables au personnel navigant de l’aviation civile conformément au règlement (CE) no 216/2008 du Parlement européen et du Conseil, dans la version qui lie la Suisse en vertu du ch. 3 de l’annexe de l’Accord du 21 juin 1999 sur le transport aérien (RS 0.748.127.192.68). 63 Règlement (UE) 2015/340 de la Commission du 20 février 2015 déterminant les exi- gences techniques et les procédures administratives applicables aux licences et certificats de contrôleur de la circulation aérienne conformément au règlement (CE) no 216/2008 du Parlement européen et du Conseil, modifiant le règlement d’exécution (UE) no 923/2012 de la Commission et abrogeant le règlement (UE) no 805/2011 de la Commission, dans la version qui lie la Suisse en vertu du ch. 3 de l’annexe de l’Accord du 21 juin 1999 sur le transport aérien (RS 0.748.127.192.68). 64 Abrogé par le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, avec effet au 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 65 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 66 Introduit par le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). Aviation. O 13 / 52 748.01 b. les exigences relatives aux tests d’aptitude; c. l’organisation du secrétariat SPHAIR et la participation des organisations vi- sées à l’al. 2. Art. 2967 34 Protection de la santé des membres d’équipage des aéronefs68 341 Dispositions générales69 Art. 3070 Champ d’application et droit applicable 1 Le présent chiffre (34) règle la protection de la santé des membres d’équipage des aéronefs exploités par des entreprises de transport aérien sises en Suisse et ayant l’obligation de détenir une autorisation pour le transport aérien commercial de per- sonnes et de marchandises. 2 Il transpose la version contraignante pour la Suisse de la directive 2000/79/CE con- formément au ch. 1 de l’annexe de l’accord du 21 juin 1999 sur le transport aérien71. Art. 3172 Information et instruction L’information et l’instruction des membres d’équipage sont régies par l’art. 5 de l’or- donnance 3 du 18 août 1993 relative à la loi sur le travail (Hygiène, OLT 3)73. Art. 3274 Consultation La consultation des membres d’équipage ou de leurs représentants est régie par l’art. 6 OLT 375. 67 Abrogé par le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, avec effet au 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 68 Introduit par le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 69 Introduit par le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 70 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 71 RS 0.748.127.192.68. La version contraignante pour la Suisse est mentionnée au ch. 1 de l’annexe de cet accord et peut être consultée ou obtenue auprès de l’OFAC. Adresse: Office fédéral de l’aviation civile, 3003 Berne (www.bazl.ad- min.ch). 72 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 73 RS 822.113 74 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 75 RS 822.113 Aviation 14 / 52 748.01 Art. 3376 Examen de santé 1 Tout membre d’équipage bénéficie d’un examen de santé gratuit préalablement à son embauche. 2 Les membres d’équipage bénéficient de l’examen de santé gratuit visé à la clause 4, ch. 1, let. a, de l’annexe de la directive no 2000/79/CE77 comme suit: a. membres d’équipage de conduite: aux intervalles prévus par le règlement JAR-FCL 378; b. autres membres d’équipage: aux intervalles suivants: 1. jusqu’à l’âge de 41 ans: tous les cinq ans, 2. de l’âge de 42 ans à l’âge de 50 ans: tous les deux ans, 3. à partir de l’âge de 51 ans: tous les ans. 3 Ils bénéficient d’un examen annuel s’ils souffrent de problèmes de santé liés à l’ac- tivité aéronautique. 4 L’entreprise de transport aérien prend à sa charge les frais de l’examen de santé. 342 Protection de la santé durant la maternité79 Art. 3480 Applicabilité des prescriptions en matière de protection durant la maternité 1 Les femmes enceintes peuvent faire valoir leur droit à des mesures de protection particulières dès lors qu’elles ont avisé l’entreprise de leur état. 2 À la demande de l’entreprise, elles produisent un certificat médical. Art. 3581 Occupation durant la maternité L’occupation des femmes enceintes, des accouchées et des mères allaitantes est régie par les art. 35, al. 1, et 35a, al. 1 à 3, de la loi du 13 mars 1964 sur le travail82. 76 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 77 Conformément à la version contraignante pour la Suisse du ch. 1 de l’annexe de l’accord du 21 juin 1999 sur le transport aérien (RS 0.748.127.192.68). 78 Le R JAR-FCL 3 n’est pas publié au RO ni traduit. Il peut être consulté à l’Office fédéral de l’aviation civile (OFAC), 3003 Berne (www.bazl.admin.ch) ou obtenu contre paiement auprès des Joint Aviation Authorities. 79 Introduit par le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 80 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 81 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 82 RS 822.11 Aviation. O 15 / 52 748.01 Art. 3683 Déplacement de l’horaire et paiement du salaire 1 Les femmes enceintes et les mères allaitantes qui sont libérées du service de vol ont droit à 80 % de leur salaire lorsque l’entreprise de transport aérien ne peut leur propo- ser un travail équivalent au sol. 2 Les textes suivants s’appliquent aux femmes enceintes et aux mères allaitantes exé- cutant un travail équivalent au sol: a. loi du 13 mars 1964 sur le travail84; b. ordonnance 1 du 10 mai 2000 relative à la loi sur le travail85; c. OLT 386; d. prescriptions édictées par le Département fédéral de l’économie en vertu de l’art. 62, al. 4, de l’ordonnance 1 du 10 mai 2000 relative à la loi sur le travail. 343 Membres d’équipage ayant des responsabilités familiales87 Art. 3788 L’occupation des membres d’équipage ayant des responsabilités familiales est régie par: a. l’art. 36, al. 1, de la loi du 13 mars 1964 sur le travail89, pour autant que l’ex- ploitation des vols le permette, et b. l’art. 36, al. 3, de la loi du 13 mars 1964 sur le travail. 83 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 84 RS 822.11 85 RS 822.111 86 RS 822.113 87 Introduit par le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 88 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 sept. 2009, en vigueur depuis le 15 oct. 2009 (RO 2009 5027). 89 RS 822.11 Aviation 16 / 52 748.01 35 Constatation de l’ébriété et d’états analogues90 351 Alcool91 Art. 3892 État d’ébriété et incapacité d’assurer le service Est réputé être en état d’ébriété et dans l’incapacité d’assurer le service un membre d’équipage qui présente un taux d’alcool: a. dans l’haleine de plus de 0,1 milligramme par litre d’air expiré, ou b. dans le sang de plus de 0,2 gramme pour mille. Art. 3993 Contrôles de l’alcoolémie en présence d’indices d’un état d’ébriété Lorsqu’un membre de l’équipage présente des signes d’ébriété, un contrôle d’alcoo- lémie doit être effectué. Ce dernier est réglementé aux art. 40, al. 2 à 4, 41 et 42, al. 1 et 3. Art. 4094 Exécution de contrôles aléatoires de l’alcool dans l’air expiré 1 L’exécution de contrôles aléatoires de l’alcool dans l’air expiré est réglementée: a. par le règlement (UE) 2018/104295; b. à titre complémentaire par la présente ordonnance. 2 Le premier contrôle de l’alcool dans l’air expiré est réalisé au moyen d’un éthylotest. 3 Lorsque la valeur mesurée lors de ce premier contrôle dépasse la valeur limite fixée à l’art. 38, let. a, un second contrôle doit être réalisé au moyen d’un éthylomètre dans les 15 à 30 minutes après le premier contrôle. Dans l’attente du second contrôle, le membre d’équipage ne doit ni manger, ni boire, ni absorber quoi que ce soit. 90 Introduit par le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 91 Introduit par le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 92 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 93 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 94 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 95 Règlement (UE) 2018/1042 de la Commission du 23 juillet 2018 modifiant le règlement (UE) no 965/2012 en ce qui concerne les exigences techniques et les procédures adminis- tratives applicables à l’introduction de programmes de soutien, l’évaluation psycholo- gique des membres de l’équipage de conduite, ainsi que le dépistage systématique et aléa- toire de substances psychotropes en vue de garantir l’aptitude médicale des membres de l’équipage de conduite et de l’équipage de cabine, et en ce qui concerne l’installation d’un système d’avertissement et d’alarme d’impact sur les avions à turbine neufs dont la masse maximale certifiée au décollage est inférieure ou égale à 5 700 kg et qui sont autorisés à transporter entre six et neuf passagers, dans la version qui lie la Suisse en vertu du ch. 3 de l’annexe de l’Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse et la Communauté européenne sur le transport aérien (RS 0.748.127.192.68). Aviation. O 17 / 52 748.01 4 Les éthylotests et éthylomètres doivent répondre aux exigences de l’ordonnance du 15 février 2006 sur les instruments de mesure (OIMes)96 et des dispositions d’exécu- tion du Département fédéral de justice et police. L’exécution du contrôle de l’alcool dans l’air expiré est réglementée par analogie par l’ordonnance du 28 mars 2007 sur le contrôle de la circulation routière (OCCR)97 et par les dispositions d’exécution cor- respondantes de l’Office fédéral des routes (OFROU). Art. 4198 Incapacité temporaire d’assurer le service Lorsque la valeur mesurée lors du premier contrôle de l’alcool dans l’air expiré effec- tué à l’aide d’un éthylotest dépasse la valeur limite fixée à l’art. 38, ou lorsqu’un pré- lèvement de sang doit être ordonné en vertu de l’art. 42, al. 1, let a et c, le membre d’équipage est réputé temporairement inapte à assurer le service. Art. 4299 Ordre de procéder à une prise de sang et exécution 1 Il y a lieu d’ordonner une prise de sang dans les cas suivants: a. lorsque la valeur mesurée lors d’un premier contrôle d’alcool dans l’air expiré effectué à l’aide d’un éthylotest dépasse la valeur limite visée à l’art. 38 et ne peut pas être confirmée par un deuxième contrôle de l’alcool dans l’air expiré réalisé au moyen d’un éthylomètre; b. lorsque le contrôle de l’alcool dans l’air expiré est refusé ou rendu impossible, ou si le membre de l’équipage s’y soustrait, ou c. lorsque le contrôle de l’alcool dans l’air expiré est impossible à réaliser pour des raisons médicales. 2 Lorsque, dans le cas prévu à l’al. 1, let. c, un certificat médical est produit, il peut être renoncé à une prise de sang et le membre d’équipage peut être autorisé à reprendre son service. 3 Les exigences des art. 13, al. 3, et 14 de l’OCCR100 et les dispositions d’exécution correspondantes de l’OFROU s’appliquent par analogie à l’exécution de la prise de sang. 96 RS 941.210 97 RS 741.013 98 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 99 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 100 RS 741.013 Aviation 18 / 52 748.01 352 Narcotiques ou substances psychotropes101 Art. 43102 Examens lorsque des indices donnent à penser qu’un membre d’équipage est sous l’influence de narcotiques ou de substances psychotropes Lorsque des indices donnent à penser qu’un membre d’équipage est sous l’influence de narcotiques ou de substances psychotropes, les art. 12a, 12b, 13, al. 3, 14, 15 et 17, OCCR103 et les dispositions d’exécution correspondantes de l’OFROU s’appliquent par analogie à l’exécution des examens ordonnés en pareil cas. 4 ... Art. 44 à 74104 5 Circulation, exploitation et entretien 51105 Règles de circulation et règles d’exploitation Art. 75 Règles de circulation Le DETEC édicte les règles de circulation en vigueur dans l’espace aérien suisse. Art. 76 Règles d’exploitation 1 Le DETEC édicte des règles d’exploitation afin d’exécuter ou de compléter le droit international. 2 Ces règles d’exploitation s’appliquent en Suisse et à l’étranger aux exploitants et entreprises de transport aérien suisses. 3 Il peut être dérogé aux règles d’exploitation à l’étranger si elles se heurtent à des dispositions impératives du droit étranger. 101 Introduit par le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 102 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 16 fév. 2022, en vigueur depuis le 1er mai 2022 (RO 2022 230). 103 RS 741.013 104 Abrogés par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, avec effet au 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 105 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). Aviation. O 19 / 52 748.01 52 Système de comptes rendus d’événements dans l’aviation106 Art. 77107 Principes 1 Le système de compte rendu visé aux art. 77 à 77e a pour but d’améliorer la sécurité aérienne. Il se fonde sur le règlement (UE) no 376/2014108. 2 Sont réservées les autres obligations de déclarer prévues par le droit fédéral. 3 Le règlement (UE) no 376/2014 est également applicable aux aéronefs visés à l’an- nexe II du règlement (CE) no 216/2008109. 4 Les événements visés au règlement d’exécution (UE) 2015/1018110 doivent être dé- clarés. Art. 77a à 77c111 Art. 77d112 Centre de traitement 1 L’OFAC désigne un centre interne de traitement des comptes rendus, qui collecte et évalue les comptes rendus d’événements obligatoires et les comptes rendus volon- taires qui lui sont communiqués. 2 Sur le plan organisationnel, le centre de traitement est indépendant des unités de l’OFAC chargées d’activités de surveillance. 3 Il traite les comptes rendus d’événements de manière confidentielle. 106 Anciennement avant l’art. 78. Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 107 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, en vigueur depuis le 1er avr. 2016 (RO 2016 739). 108 Règlement (UE) no 376/2014 du Parlement européen et du Conseil du 3 avril 2014 con- cernant les comptes rendus, l’analyse et le suivi d’événements dans l’aviation civile, mo- difiant le règlement (UE) no 996/2010 du Parlement européen et du Conseil et abrogeant la directive 2003/42/CE du Parlement européen et du Conseil et les règlements de la Commission (CE) no 1321/2007 et (CE) no 1330/2007, dans la version qui lie la Suisse en vertu de l’annexe, ch. 3, de l’accord sur le transport aérien (cf. note de bas de page rela- tive à l’art. 13). 109 Règlement (CE) no 216/2008 du Parlement européen et du Conseil du 20 février 2008 concernant des règles communes dans le domaine de l’aviation civile et instituant une Agence européenne de la sécurité aérienne, et abrogeant la directive 91/670/CEE du Conseil, le règlement (CE) no 1592/2002 et la directive 2004/36/CE, dans la version qui lie la Suisse en vertu de l’annexe, ch. 3, de l’accord sur le transport aérien (cf. note de bas de page relative à l’art. 13). 110 Règlement d’exécution (UE) 2015/1018 de la Commission du 29 juin 2015 établissant une liste classant les événements dans l’aviation civile devant être obligatoirement noti- fiés conformément au règlement (UE) no 376/2014 du Parlement européen et du Conseil, dans la version qui lie la Suisse en vertu de l’annexe, ch. 3, de l’accord sur le transport aé- rien (cf. note de bas de page relative à l’art. 13). 111 Abrogés par le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, avec effet au 1er avr. 2016 (RO 2016 739). 112 Introduit par le ch. I de l’O du 9 mars 2007, en vigueur depuis le 1er avr. 2007 (RO 2007 917). Aviation 20 / 52 748.01 4 Les collaborateurs du centre de traitement chargés de réceptionner et d’évaluer les comptes rendus d’événements sont déliés, durant l’exercice de ces activités, de leurs obligations de dénonciation et de poursuite. Art. 77e113 Différends relatifs à la protection des sources Le DETEC est l’organisme visé à l’art. 16, par. 12, du règlement (UE) no 376/2014114. Art. 77f et 77g115 Art. 78116 53 ... Art. 79117 54 Prise de vues aériennes Art. 80 La prise de vues aériennes et leur diffusion sont autorisées sous réserve de la législa- tion sur la protection des ouvrages militaires. 55 Jet d’objets Art. 81 Il est interdit de jeter des objets d’un aéronef en vol, sous réserve des exceptions fixées par le DETEC. 113 Introduit par le ch. I de l’O du 9 mars 2007 (RO 2007 917). Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, en vigueur depuis le 1er avr. 2016 (RO 2016 739). 114 Cf. note de bas de page relative à l’art. 77, al. 1. 115 Introduit par le ch. I de l’O du 9 mars 2007 (RO 2007 917). Abrogés par le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, avec effet au 1er avr. 2016 (RO 2016 739). 116 Abrogé par le ch. I de l’O du 9 mars 2007, avec effet au 1er avr. 2007 (RO 2007 917). 117 Abrogé par le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, avec effet au 1er avr. 1988 (RO 1988 534). Aviation. O 21 / 52 748.01 56 Publicité Art. 82 Sur des aéronefs 1 La publicité au moyen d’inscriptions et d’images apposées sur des aéronefs est auto- risée sous réserve des dispositions de la législation fédérale.118 2 Les marques de nationalité et d’immatriculation doivent dans tous les cas rester ai- sément reconnaissables. 3 ...119 Art. 83 Au moyen d’aéronefs Toute autre forme de publicité au moyen d’aéronefs, notamment le jet de feuilles vo- lantes, l’écriture céleste, l’utilisation de haut-parleurs, le remorquage de banderoles, est interdite. 57 Démonstrations d’acrobatie sur des aéronefs Art. 84 Les démonstrations d’acrobatie sur des aéronefs requièrent une autorisation de l’OFAC. L’autorisation prescrit les conditions requises. 58 Manifestations publiques d’aviation Art. 85 Définition Les manifestations publiques d’aviation sont des manifestations aéronautiques aux- quelles le public est convié et qui comprennent notamment des démonstrations et des concours, ainsi que des vols de passagers en dehors des aérodromes. Art. 86 Autorisation obligatoire 1 Les manifestations publiques d’aviation requièrent, sous réserve de l’al. 2, une auto- risation de l’OFAC. Avant d’autoriser de grandes manifestations, il y a lieu d’entendre l’Office fédéral de l’environnement120. 2 N’ont besoin d’aucune autorisation: a. les manifestations publiques d’aviation sur des aérodromes, si elles se rédui- sent à des vols de passagers et à des épreuves de concours entre les membres 118 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, en vigueur depuis le 1er avr. 1988 (RO 1988 534). 119 Abrogé par le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, avec effet au 1er avr. 1988 (RO 1988 534). 120 La désignation de l’unité administrative a été adaptée en application de l’art. 16, al. 3, de l’O du 17 nov. 2004 sur les publications officielles (RO 2004 4937). Aviation 22 / 52 748.01 d’une organisation établie sur cet aérodrome, y compris des personnes invi- tées; b.121 les manifestations publiques d’aviation en dehors des aérodromes, si vingt ballons libres au plus y participent; c. les manifestations publiques d’aviation en dehors des aérodromes, si deux hé- licoptères au plus y participent, sous réserve de l’approbation des autorités communales; d.122 ... Art. 87 Demande 1 La demande d’autorisation pour une manifestation publique d’aviation doit être adressée à l’OFAC au plus tard six semaines avant la manifestation.123 2 Elle doit indiquer: a. le lieu et la date; b. l’organisateur; c. le chef responsable; d. le plan d’organisation et les aéronefs prévus; e. le programme; f. un résumé des dispositions prises en vue de la manifestation, notamment en ce qui concerne la sécurité des spectateurs, la circulation au sol et dans les airs, ainsi que le service sanitaire. 3 S’il s’agit de manifestations sur des aérodromes, une déclaration de consentement de l’exploitant de l’aérodrome doit être jointe à la demande; s’il s’agit de manifesta- tions sur un autre terrain, il y a lieu de produire une déclaration de consentement de ses propriétaires et une déclaration de l’autorité cantonale compétente selon laquelle elle n’élève pas d’objection à l’encontre de la manifestation. 4 Lorsqu’il s’agit d’une manifestation publique d’aviation en dehors d’un aérodrome, il y a lieu de joindre à la demande: a. un fragment de carte au 1:25 000, où le terrain prévu sera spécialement indi- qué; b. un croquis du terrain au 1:5000, d’où ressortent aussi les obstacles à la navi- gation aérienne aux alentours de ce terrain. Art. 88 Examen L’OFAC examine la documentation et expertise plus particulièrement le terrain prévu. 121 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 122 Abrogée par le ch. I de l’O du 25 août 1976, avec effet au 1er janv. 1977 (RO 1976 1921). 123 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). Aviation. O 23 / 52 748.01 Art. 89 Autorisation 1 L’OFAC accorde l’autorisation lorsque l’organisateur a prouvé l’existence de la couverture supplémentaire de sa responsabilité civile envers les tiers au sol, selon les dispositions de l’art. 133, et a établi que les autres conditions sont remplies. 1bis L’OFAC n’autorise les manifestations dans le cadre desquelles des aéronefs à mo- teur effectuent des atterrissages en campagne à plus de 1100 m d’altitude et en dehors des places d’atterrissage en montagne que si ces manifestations ont pour but de com- mémorer un anniversaire important pour le vol en montagne.124 1ter Il n’autorise les manifestations dans le cadre desquelles des aéronefs à moteur ef- fectuent des atterrissages en campagne sur des étendues d’eau publiques que si l’auto- rité cantonale compétente a vérifié et confirmé le bon respect de la législation sur la protection des eaux, de la pêche, de l’environnement et de la nature et ne soulève aucune objection en raison d’autres intérêts publics.125 2 Il fixe les conditions et obligations requises pour des raisons de sécurité et de bruit. Art. 90 Conduite de la manifestation 1 Outre la direction de l’activité de vol, le chef responsable de la manifestation a no- tamment les obligations suivantes: a. examiner les licences du personnel navigant et les certificats des aéronefs em- ployés; b. renseigner le personnel chargé de régler le service de vol quant au plan de ce service et aux mesures de sécurité prises; c. examiner si les aéronefs utilisés sont mentionnés dans l’autorisation d’organi- ser la manifestation; d. veiller à ce que le programme approuvé soit observé. 2 Sur les aérodromes, ces droits et obligations incombent au chef d’aérodrome. Celui- ci peut les confier, sous sa surveillance, au chef de la manifestation. Art. 91 Surveillance L’OFAC peut faire surveiller la manifestation par un expert; les tâches de celui-ci sont fixées dans chaque cas particulier. 124 Introduit par l’annexe ch. 3 de l’O du 14 mai 2014 sur les atterrissages en campagne, en vigueur depuis le 1er sept. 2014 (RO 2014 1339). 125 Introduit par l’annexe ch. 3 de l’O du 14 mai 2014 sur les atterrissages en campagne, en vigueur depuis le 1er sept. 2014 (RO 2014 1339). Aviation 24 / 52 748.01 59126 ... Art. 92 à 98 510 Retrait des autorisations Art. 99 Les autorisations peuvent être retirées ou restreintes si les conditions dans lesquelles elles ont été accordées ne sont plus remplies. 6127 Aviation commerciale 61 Autorisation d’exploitation Art. 100 Vols commerciaux 1 Les vols sont dits commerciaux: a. lorsqu’ils donnent lieu à rémunération sous une forme quelconque, qui doit couvrir davantage que les coûts pour la location de l’aéronef et le carburant ainsi que pour les redevances d’aéroport et de navigation aérienne, et b. lorsqu’un cercle indéterminé de personnes peut y avoir accès. 1bis Lorsque le transporteur est une association, les membres de celle-ci sont réputés appartenir à un cercle déterminé de personnes pour autant qu’ils soient membres depuis plus de 30 jours.128 2 Les vols effectués par une entreprise titulaire d’une autorisation d’exploitation sont présumés commerciaux. L’appréciation des faits sous l’angle des législations fiscales ou douanières est réservée. 3 Les passagers de vols non commerciaux donnant lieu à rémunération doivent être informés au préalable du caractère privé du vol et des conséquences qui en découlent quant à la couverture de l’assurance. Lorsqu’un aéronef relevant de la catégorie de navigabilité spéciale est exploité, les passagers doivent en outre être informés des par- ticularités de la certification de l’aéronef en question.129 126 Abrogé par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, avec effet au 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 127 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 28 oct. 1998, en vigueur depuis le 15 nov. 1998 (RO 1998 2570). 128 Introduit par le ch. I de l’O du 17 août 2022, en vigueur depuis le 1er oct. 2022 (RO 2022 485). 129 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 août 2022, en vigueur depuis le 1er oct. 2022 (RO 2022 485). Aviation. O 25 / 52 748.01 Art. 101130 Restrictions frappant les aéronefs engagés en exploitation commerciale Les aéronefs suivants ne peuvent être exploités pour le transport commercial de per- sonnes: a. aéronefs de la catégorie spéciale, sous-catégorie «Historique», et b. aéronefs de la catégorie standard qui ne sont pas soumis à la réglementation européenne et pour lesquels il n’existe aucun détenteur du certificat de type. Art. 102 Retrait de l’autorisation L’OFAC peut retirer l’autorisation: a. si les conditions régissant l’octroi ne sont plus remplies; b. si des prescriptions sont violées de façon grave ou répétée, ou c. si des obligations ne sont pas remplies. 611 Entreprises sises en Suisse Art. 103 Conditions générales d’octroi de l’autorisation 1 L’autorisation d’exploitation pour le transport commercial de personnes et de mar- chandises (art. 27 LA) est délivrée à une entreprise sise en Suisse: a. lorsque l’entreprise est inscrite au registre du commerce en Suisse avec le but d’assurer du trafic aérien commercial; b. lorsque l’entreprise est sous le contrôle effectif de citoyens suisses et majori- tairement en mains suisses; est réservé le cas d’étrangers ou de sociétés étran- gères assimilés à des citoyens ou à des sociétés suisses en vertu d’accords internationaux131; c. lorsque de plus, s’agissant d’une société anonyme, plus de la moitié de son capital-actions consiste en actions nominatives et est la propriété de citoyens suisses ou de sociétés commerciales ou coopératives en mains suisses; est ré- servé le cas d’étrangers ou de sociétés étrangères assimilés à des citoyens ou à des sociétés suisses en vertu d’accords internationaux132; d. lorsque l’entreprise a une licence de transporteur aérien qui règle en particulier l’organisation de l’exploitation et de l’entretien; e. lorsque les aéronefs exploités par l’entreprise remplissent les exigences mini- males fixées pour les services prévus et sont inscrits dans le registre matricule 130 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 août 2022, en vigueur depuis le 1er oct. 2022 (RO 2022 485). 131 La liste des accords peut être consultée à l’Office fédéral de l’aviation civile. 132 La liste des accords peut être consultée à l’Office fédéral de l’aviation civile. Aviation 26 / 52 748.01 suisse; avec l’accord de la Direction générale des douanes, les aéronefs peu- vent être inscrits dans le registre matricule d’un État avec lequel a été conclu un accord international prévoyant cette possibilité133; f. lorsque l’entreprise est l’exploitante d’un aéronef au moins, dont elle est pro- priétaire ou locataire en vertu d’un contrat de leasing lui garantissant la libre utilisation de l’aéronef pendant une période de six mois au minimum; g. lorsque l’entreprise dispose de ses propres équipages, qui sont titulaires des licences requises; h.134 ... i. lorsque l’entreprise peut prouver de manière crédible qu’elle est en mesure de faire face en tout temps à ses obligations dans les 24 mois suivant le début de son activité et, sans tenir compte des recettes d’exploitation, de couvrir ses frais fixes et variables dans les trois mois suivant le début de son activité, conformément à son plan de gestion. Les obligations et les coûts doivent être déterminés sur la base de prévisions objectives. 2 Dans le but d’assurer que la majorité du capital de la société est en mains suisses, une entreprise titulaire d’une autorisation d’exploitation, ou une société de participa- tions qui détient directement ou indirectement une participation majoritaire dans une autre entreprise, doit disposer d’un droit d’emption sur les parts de capital cotées en bourse et acquises par des étrangers. Ce droit d’emption peut être exercé dans les dix jours après la déclaration de l’acquéreur à l’entreprise, lorsque la participation étran- gère au capital social inscrite au registre des actions a atteint 40 % de l’ensemble du capital social, ou que ladite participation a dépassé la participation suisse inscrite à ce registre. Le prix de reprise correspond au cours de la bourse au moment de l’exercice du droit d’emption. L’entreprise publie régulièrement le taux de participation étran- gère au capital de la société. Est réservé le cas d’étrangers ou de sociétés étrangères assimilés à des citoyens ou à des sociétés suisses en vertu d’accords internationaux135. 3 L’OFAC peut, pour de justes motifs et en accord avec la Direction générale des douanes, autoriser pour une durée déterminée l’emploi d’un aéronef inscrit dans le registre matricule d’un État avec lequel aucun accord international prévoyant cette possibilité n’a été conclu136. 4 L’OFAC peut, pour de justes motifs, accorder des exceptions aux conditions pres- crites à l’al. 1, let. a à c. Il peut autoriser le transfert de certaines activités opération- nelles à d’autres entreprises suisses ou étrangères. 137 133 La liste des accords peut être consultée à l’Office fédéral de l’aviation civile. 134 Abrogée par le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, avec effet au 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 135 La liste des accords peut être consultée à l’Office fédéral de l’aviation civile. 136 La liste des accords peut être consultée à l’Office fédéral de l’aviation civile. 137 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). Aviation. O 27 / 52 748.01 Art. 103a138 Système de gestion de la sécurité 1 Les entreprises suivantes sises en Suisse sont tenues d’introduire et de maintenir un système de gestion de la sécurité: a. les exploitants d’avions et d’hélicoptères qui effectuent des vols commer- ciaux; b. les organismes de maintenance sur avion et sur hélicoptère. 2 Les normes suivantes de l’Organisation de l’aviation civile internationale (OACI) contenues dans l’annexe 19 de la Convention de Chicago139 sont directement appli- cables au système de gestion de la sécurité:140 a.141 partie I, ch. 3.3 et 8.7.3; b.142 partie III, section II, ch. 1.3 et 6.1.2. 3 Les dérogations notifiées par la Suisse en vertu de l’art. 38 de la Convention de Chicago sont réservées. 4 Le DETEC peut déclarer obligatoires certaines recommandations de l’annexe 6 de la Convention de Chicago. 5 L’OFAC peut, afin de transposer les normes et recommandations de l’OACI, édicter des directives complémentaires. 6 L’annexe 6 de la Convention de Chicago n’est pas publiée au Recueil officiel. Elle peut être consultée auprès de l’OFAC, en français et en anglais143. Art. 104 Ballons, planeurs et aéronefs de catégories spéciales 1 Les entreprises d’aérostation doivent remplir les conditions prescrites à l’art. 27, al. 2, let. b, de la loi sur l’aviation et à l’art. 103, al. 1, let. a, e et g. L’OFAC peut, pour de justes motifs, autoriser des exceptions aux conditions prescrites à l’art. 103, al. 1, let. a. 2 L’autorisation d’exploitation n’est pas requise pour les entreprises exploitant des planeurs et des aéronefs de catégories spéciales. 138 Introduit par ch. I de l’O du 5 déc. 2008, en vigueur depuis le 1er janv. 2009 (RO 2008 6005). 139 RS 0.748.0. Cette annexe n’est pas publiée au RO. Elle peut être consultée gratuitement en ligne sur le site de l’Office fédéral de l’aviation civile (www.bazl.admin.ch > Espace professionnel > Réglementation et informations de base) ou obtenue contre paiement au- près de l’Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des docu- ments, 999, rue de l’Université, Montréal, Québec, Canada H3C 5H7. 140 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 141 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 142 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 143 Ces documents peuvent en outre être commandés ou acquis par abonnement dans le com- merce ou sur le site Internet de l’OACI (www.icao.int). Aviation 28 / 52 748.01 Art. 105144 Autorisation spéciale Une autorisation d’exploitation valable pour une brève durée ou pour un nombre res- treint de vols peut être accordée sous forme d’autorisation spéciale si l’exploitant par- vient à démontrer qu’un niveau de sécurité comparable et proportionné à l’exploita- tion est assuré. Art. 106 Somme de la responsabilité civile et obligation de s’assurer 1 L’autorisation d’exploitation n’est délivrée à un requérant que: a. s’il dispose des sûretés suivantes: 1. au titre de sa responsabilité civile en cas de mort ou de lésion corporelle: d’une couverture minimale de 250 000 droits de tirage spéciaux tels qu’ils sont définis par le Fonds monétaire international par passager, 2.145 au titre de sa responsabilité civile en cas de dommage causé à des ba- gages: d’une couverture minimale de 1288 droits de tirage spéciaux par passager, 3.146 au titre de sa responsabilité civile en cas de dommage causé à des mar- chandises: d’une couverture minimale de 22 droits de tirage spéciaux par kilogramme, et b. s’il prouve qu’il est couvert, au titre de sa responsabilité civile, jusqu’à con- currence des montants visés à la let. a. 147 2 Le contrat d’assurance doit contenir la disposition suivante: Si le contrat prend fin avant l’échéance indiquée dans l’attestation d’assurance, la compagnie d’assurance s’engage à couvrir les prétentions en dommages intérêts dans les conditions définies par le contrat jusqu’au moment du retrait de l’autorisation, mais au plus pendant quinze jours après que l’OFAC a été informé de l’expiration du contrat; est réputé moment du retrait le jour où la décision de retrait entre en vigueur. Art. 107 Obligation de renseigner et d’annoncer 1 Les entreprises titulaires d’une autorisation d’exploitation doivent, sur demande, ac- corder en tout temps à l’OFAC un droit de regard sur leur gestion opérationnelle et commerciale et lui fournir les données nécessaires à l’établissement de la statistique du trafic aérien. 2 ... 148 144 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 145 Nouvelle teneur selon le ch. II de l’O du 12 oct. 2022, en vigueur depuis le 1er janv. 2023 (RO 2022 622). 146 Nouvelle teneur selon le ch. II de l’O du 12 oct. 2022, en vigueur depuis le 1er janv. 2023 (RO 2022 622). 147 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 148 Abrogé par le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, avec effet au 1er avr. 2016 (RO 2016 739). Aviation. O 29 / 52 748.01 3 Les entreprises informent préalablement l’OFAC de leurs projets visant à desservir des continents ou des régions qu’elles ne desservaient pas jusqu’à présent. Elles lui annoncent aussi préalablement tout projet de fusion ou de rachat et, dans les quatorze jours, toute modification dans la détention de participations représentant dix pour cent ou plus de l’ensemble du capital de l’entreprise ou de celui de sa société mère ou de sa holding. 612 Entreprises sises à l’étranger Art. 108 Conditions générales d’octroi de l’autorisation 1 L’autorisation d’exploitation pour le transport commercial de personnes et de mar- chandises (art. 29 LA) est délivrée à une entreprise sise à l’étranger: a. lorsque l’entreprise est habilitée dans son État d’origine à assurer le transport commercial de personnes et de marchandises en trafic aérien international; b. lorsque l’entreprise fait l’objet, par les autorités de son État d’origine, d’une surveillance adéquate quant aux aspects techniques et opérationnels; c. lorsque l’octroi de l’autorisation ne porte pas atteinte à des intérêts suisses essentiels; d. lorsque des entreprises suisses sont autorisées à transporter à des conditions équivalentes des personnes ou des marchandises depuis le territoire de l’en- treprise; e. lorsque la responsabilité civile envers les tiers au sol est couverte (art. 125), et f.149 si elle prouve qu’elle dispose, au titre de sa responsabilité civile, d’une cou- verture minimale identique à celle exigée à l’art. 106, al. 1, let. a à c. 2 Lorsqu’il n’existe aucun motif manifeste de supposer que les conditions prescrites à l’al. 1, let. a et b, ne sont pas remplies, on peut renoncer aux contrôles techniques et opérationnels de l’entreprise. De tels contrôles peuvent toutefois être ordonnés en tout temps. 3 Pour de justes motifs, on peut renoncer à l’exigence formulée à l’al. 1, let. d. Art. 109 Obligation de renseigner et d’annoncer Le titulaire d’une autorisation d’exploitation est tenu d’annoncer sans retard à l’OFAC: a. tous les horaires et les programmes des vols au départ de la Suisse et à desti- nation de celle-ci; 149 Nouvelle teneur selon l’annexe ch. II de l’O du 17 août 2005 sur le transport aérien , en vigueur depuis le 5 sept. 2005 (RO 2005 4243). Aviation 30 / 52 748.01 b.150 tous les événements au sens de l’art. 77a qui surviennent en relation avec des vols au départ ou à destination de la Suisse, et c. les données nécessaires à l’établissement de la statistique du trafic aérien. 62 Concession de routes Art. 110 Trafic de lignes 1 Par trafic de lignes, on entend les vols affectés au transport commercial de personnes ou de marchandises: a. lorsqu’ils sont effectués pendant une période minimale selon une fréquence et une régularité telles qu’ils font partie d’une série systématique évidente, et que b. pour le transport de personnes, des sièges vendus individuellement sont mis à la disposition du public. 2 Le DETEC édicte des prescriptions d’exécution; il tient compte de l’évolution du trafic aérien international. Art. 111 Obligations liées à la concession 1 L’entreprise concessionnaire est tenue d’établir des horaires et des tarifs et de les soumettre à l’OFAC. Elle doit les rendre accessibles au public de manière appropriée. Elle est en outre tenue de s’assurer que les horaires et les tarifs ainsi rendus publics sont respectés. Le genre et la portée des obligations d’exploiter et de transporter sont réglés dans la concession. 2 L’OFAC peut, notamment en cas d’urgence ou de modification de la situation, dis- penser l’entreprise concessionnaire, sur sa demande dûment motivée, de toutes ses obligations ou de certaines d’entre elles, ou lui accorder d’autres facilités. Art. 112 Retrait de la concession 1 L’OFAC peut en tout temps retirer la concession sans indemnité si l’entreprise con- cessionnaire viole ses obligations de façon grave ou répétée (art. 93 LA). 2 Il peut en outre retirer la concession si les conditions requises pour l’octroi ne sont plus remplies. Art. 113151 150 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 151 Abrogé par l’art. 10 de l’O du 17 août 2005 sur la coordination des créneaux horaires, avec effet au 1er oct. 2005 (RO 2005 4425). Aviation. O 31 / 52 748.01 621 Entreprises sises en Suisse Art. 114152 Requête 1 Les entreprises sises en Suisse qui veulent exploiter des lignes aériennes doivent présenter à l’OFAC une requête, assortie des données et documents suivants, visant à obtenir une concession de routes: a. le tableau de routes et l’horaire; b. les tarifs et les conditions de transport; c. les informations sur l’ouverture à l’exploitation; d. les données sur les aéronefs prévus pour l’exploitation; e. les accords de coopération avec d’autres compagnies d’aviation; f. les données relatives à la rentabilité de la ligne convoitée. 2 Avant de statuer sur une demande de concession, l’OFAC informe les autres entre- prises sises en Suisse qui seraient également en mesure d’assurer l’exploitation de la ligne en question. 3 Dans les 14 jours suivant la communication de l’OFAC, les autres entreprises peu- vent manifester leur intérêt à exploiter la ligne. Elles disposent de 45 jours, à compter de la date de cette communication, pour déposer une requête de concession. 4 Avant de statuer sur une requête de concession portant sur l’exploitation d’une ligne aérienne en Suisse, l’OFAC entend les gouvernements des cantons concernés, les aé- rodromes concernés et les entreprises publiques de transport intéressées. 5 Les al. 2 à 4 ne sont pas applicables en présence d’un droit à l’octroi d’une conces- sion de routes conféré par une réglementation internationale. Art. 115 Décision 1 L’OFAC peut refuser d’octroyer la concession si la demande de transport peut être satisfaite d’une autre manière équivalente ou que les aéroports qu’il est prévu de des- servir ne disposent pas de l’infrastructure nécessaire pour les procédures d’approche aux instruments. 2 Lorsque plusieurs demandes sont déposées pour la même ligne et que l’octroi de plusieurs concessions est exclu pour des raisons dûment motivées, l’OFAC prend sa décision en tenant compte des critères suivants: a. la capacité de l’entreprise à assurer l’exploitation de la ligne pendant au moins deux périodes d’horaire; b. les prestations que l’entreprise s’engage à offrir au public (qualité du produit, prix, avions, capacités, etc.); c. les effets sur la concurrence dans les marchés convoités; 152 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). Aviation 32 / 52 748.01 d. la desserte des aéroports suisses; e. l’usage économiquement judicieux des capacités et des droits de trafic exis- tants; f. la date de l’ouverture à l’exploitation; g. la conformité aux impératifs écologiques (avions silencieux et peu polluants); h. les prestations fournies à ce jour par l’entreprise concessionnaire pour déve- lopper le marché de la ligne en question. 3 L’OFAC peut inviter les entreprises intéressées à se prononcer. Art. 116 Durée de validité de la concession 1 La concession est délivrée pour une durée de huit ans au plus. 2 Elle peut être renouvelée sur demande. 3 La décision portant sur le renouvellement est rendue au plus tard six mois avant l’échéance de la concession. L’art. 115 est en outre applicable. 153 Art. 117 Modification ou transfert des droits et obligations découlant d’une concession 1 L’OFAC peut modifier ou transférer des droits et obligations découlant d’une con- cession. 2 Il peut en particulier autoriser une entreprise concessionnaire à faire effectuer ses vols par d’autres entreprises, suisses ou étrangères: a. lorsque la sécurité de l’exploitation est garantie; b. lorsque l’autorité chargée de la surveillance est clairement établie, et c. lorsque le public est informé du transfert. 3 L’OFAC peut autoriser la délégation de certaines tâches d’exploitation à d’autres entreprises suisses ou étrangères. Art. 118154 Transfert à la concurrence de concessions de routes en cas de non-usage 1 Si une entreprise ne fait pas usage des droits de trafic qui lui ont été octroyés en vertu de la concession de routes, toute autre entreprise peut demander à l’OFAC que la concession en question lui soit transférée. 2 Dès lors qu’une demande en ce sens est déposée, l’OFAC impartit à l’entreprise concessionnaire un délai maximal de trois mois pour commencer l’exploitation de la ligne. L’OFAC peut prolonger ce délai pour de justes motifs. 153 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 154 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). Aviation. O 33 / 52 748.01 3 Si l’entreprise concessionnaire ne commence pas l’exploitation dans le délai imparti et que l’autre entreprise remplit les conditions préalables à l’octroi d’une concession, l’OFAC transfère la concession de routes. 4 Les art. 114 et 115 sont applicables. Art. 118a155 Caducité de concessions de routes en cas de non-usage Si une entreprise concessionnaire laisse une ligne aérienne inexploitée sur une période de douze mois, la concession de routes devient caduque. 622 Entreprises sises à l’étranger Art. 119 Requête 1 Les entreprises sises à l’étranger qui souhaitent exploiter des lignes aériennes sou- mettent à l’OFAC une requête comportant les données et documents suivants: a. le tableau de routes et l’horaire; b. les tarifs; c. les informations sur l’ouverture à l’exploitation; d. les données sur les aéronefs prévus pour l’exploitation; e. les informations sur le domicile légal en Suisse. Art. 120 Procédure 1 L’octroi d’une concession à une entreprise étrangère est régi par l’accord internatio- nal déterminant. 2 Lorsqu’une réglementation internationale fait défaut ou qu’elle ne prévoit pas cer- tains droits de trafic, l’OFAC peut accorder une concession pour une ligne unique à une entreprise étrangère à la condition que celle-ci soit détentrice des droits de trafic nécessaires octroyés par son État d’origine. 3 Lors de l’octroi de la concession, l’OFAC veille en particulier à ce que l’État d’ori- gine de l’entreprise accorde la réciprocité. Art. 121 et 122 Abrogés 155 Introduit par le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). Aviation 34 / 52 748.01 6a156 Mesures de sûreté Section 1 Dispositions générales Art. 122a Mesures de sûreté sur les aérodromes 1 Tout exploitant d’un aérodrome suisse ouvert au trafic aérien commercial interna- tional définit dans un programme de sûreté les mesures qu’il entend prendre, suivant la gravité de la menace, afin de prévenir tout acte dirigé contre la sûreté de l’aviation civile. 2 Le programme de sûreté est soumis à l’approbation de l’OFAC. 3 Par mesures de sûreté, on entend notamment: a. le contrôle des passagers, des bagages à main non enregistrés, des bagages enregistrés, du fret, des envois postaux et des aéronefs concentré sur les as- pects relatifs à la sûreté; b. d’autres mesures visant à garantir qu’aucun article prohibé qui pourrait servir à perpétrer des actes illicites contre la sûreté de l’aviation civile ne puisse par- venir à bord des aéronefs. 4 Le DETEC ordonne les mesures de sûreté. Il consulte préalablement les polices can- tonales compétentes, l’exploitant de l’aérodrome concerné et les entreprises de trans- port aérien concernées.157 Art. 122b Mesures de sûreté des entreprises de transport aérien 1 Toute entreprise de transport aérien dont les aéronefs sont affectés au trafic commer- cial international est tenue de garantir l’exploitation sûre de ses appareils, conformé- ment aux exigences fixées par le DETEC. Les mesures qu’elle prend doivent être dé- crites dans un programme de sûreté. 2 Le programme de sûreté est soumis à l’approbation de l’OFAC. Art. 122c Dispositions applicables 1 Les mesures de sûreté sont régies par: a. les dispositions de la subdivision 6a; b. les normes directement applicables de l’OACI énoncées à l’annexe 17 de la Convention de Chicago158, sous réserve des différences notifiées conformé- ment à l’art. 38 de ladite Convention; 156 Introduit par le ch. I de l’O du 27 janv. 1988 (RO 1988 534). Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 4 juil. 2007, en vigueur depuis le 1er août 2007 (RO 2007 3645). 157 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, en vigueur depuis le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). 158 RS 0.748.0. Cette annexe n’est pas publiée au RO. Elle peut être consultée gratuitement en ligne sur le site de l’Office fédéral de l’aviation civile (www.bazl.admin.ch > Espace professionnel > Réglementation et informations de base) ou obtenue contre paiement au- près de l’Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des docu- ments, 999, rue de l’Université, Montréal, Québec, Canada H3C 5H7. Aviation. O 35 / 52 748.01 c. les dispositions du droit de l’Union européenne qui lient la Suisse.159 2 Les recommandations de l’OACI énoncées à l’annexe 17 de la Convention 7 dé- cembre 1944 de Chicago sont en outre directement applicables.160 2bis Les gardes de sûreté prennent les mesures nécessaires lorsque la sécurité des pas- sagers, de l’équipage ou de l’aéronef est menacée. Ils peuvent faire usage de la con- trainte et des mesures policières selon la loi du 20 mars 2008 sur l’usage de la con- trainte161 et ses dispositions d’exécution.162 3 L’OFAC édicte les prescriptions nécessaires, en particulier le programme national de sûreté de l’aviation civile163. Art. 122d164 Exécution 1 Le DETEC édicte des prescriptions: a. sur la forme des mesures de sûreté; b. sur les modalités du concours des services intéressés; c. sur la répartition des frais entre l’OFAC, les exploitants des aérodromes et les entreprises de transport aérien. 2 Dans certains cas particuliers, selon la gravité de la menace et en se fondant sur une analyse de la menace effectuée par l’Office fédéral de la police (fedpol), l’OFAC peut ordonner des mesures supplémentaires et fixer la répartition des frais; il consulte pré- alablement la police aéroportuaire compétente ainsi que l’exploitant de l’aérodrome concerné. 3 Les attributions spéciales conférées dans certains cas particuliers au commandant d’une police cantonale sont réservées (art. 100bis LA). Section 2 Gardes de sûreté Art. 122e Principes 1 Des gardes de sûreté sont affectés à bord des aéronefs suisses utilisés dans le trafic aérien commercial international afin de prévenir des actes illicites de nature à com- promettre la sûreté à bord. 2 Les gardes de sûreté peuvent également être affectés au sol sur des aérodromes étran- gers. 159 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 160 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 161 RS 364 162 Introduit par l’annexe ch. 3 de l’O du 12 nov. 2008 sur l’usage de la contrainte, en vigueur depuis le 1er janv. 2009 (RO 2008 5475). 163 Le programme national de sûreté est rédigé en anglais. Il n’est pas publié. 164 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, en vigueur depuis le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). Aviation 36 / 52 748.01 3 et 4 ...165 Art. 122f Tâches et compétences 1 Sauf disposition contraire du droit étranger applicable, les gardes de sûreté exercent en particulier les tâches et compétences suivantes:166 a. à bord, ils surveillent le comportement des passagers et empêchent tout acte illicite pouvant mettre en danger la sûreté à bord de l’aéronef; b.167 Sur les aérodromes étrangers, ils peuvent: 1. fouiller les passagers et les bagages à main et surveiller les bagages con- trôlés et l’identification des bagages afin d’empêcher l’introduction d’ar- ticles prohibés susceptibles d’être utilisés pour compromettre la sûreté de l’aviation civile, 2. signaler des individus potentiellement dangereux aux services étrangers compétents, 3. assister les services étrangers dans leurs tâches; c.168 ... 2 Fedpol169 en collaboration avec l’OFAC rédige des directives précisant les tâches des gardes de sûreté. Art. 122g Formation 1 Seule peut être employée en qualité de garde de sûreté une personne ayant suivi un programme de formation spécifique et ayant réussi l’examen final. 2 Fedpol: a. définit les exigences auxquelles doivent répondre les gardes de sûreté; b. détermine le programme de formation; c. veille à ce que les gardes de sûreté se perfectionnent; d. organise des cours de formation et de perfectionnement adéquats. 3 Il peut faire appel à des tiers, notamment aux entreprises de transport aérien et aux institutions de la police et de l’armée, pour organiser les cours ainsi que pour fournir et entretenir l’infrastructure des cours. 165 Abrogés par le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, avec effet au le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). 166 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, en vigueur depuis le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). 167 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, en vigueur depuis le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). 168 Abrogée par le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, avec effet au 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). 169 Nouvelle expression selon le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, en vigueur depuis le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). Il a été tenu compte de cette mod. dans tout le texte. Aviation. O 37 / 52 748.01 Art. 122h Affectation 1 Fedpol se charge de l’affectation des gardes de sûreté et des tâches administratives qui en découlent. 2 Il fixe la doctrine et la tactique d’intervention. 3 Il fixe d’entente avec l’OFAC le lieu, la date et le genre de l’affectation sur la base d’une analyse des risques et d’une évaluation des dangers. 4 Il informe les entreprises de transport aérien concernées et leur ordonne à temps de réserver les sièges nécessaires. Art. 122i Équipement des gardes de sûreté 1 Fedpol fournit, en collaboration avec les entreprises de transport aérien, l’équipe- ment nécessaire aux gardes de sûreté. 2 Par équipement, on entend notamment les uniformes, les armes et les moyens auxi- liaires. Art. 122j Rapports de subordination 1 Durant la formation et les affectations, les gardes de sûreté restent soumis aux pres- criptions de service et aux prescriptions disciplinaires de leur employeur. 2 Dans l’accomplissement de leurs tâches, ils sont subordonnés à fedpol. 3 À bord de l’aéronef, ils sont soumis à l’autorité du commandant de bord. Art. 122k Analyse des risques et évaluation des dangers Fedpol est responsable de l’analyse des risques et de l’évaluation des dangers liées à l’affectation des gardes de sûreté. Art. 122kbis170 Données des individus potentiellement dangereux 1 Afin d’évaluer la menace pesant sur le trafic aérien commercial international (art. 21c, al. 1, let. b, LA), fedpol traite dans le système d’information pour l’affecta- tion des gardes de sûreté dans l’aviation: a. en ce qui concerne tout individu potentiellement dangereux, les catégories de données suivantes: 1. vols réservés, 2. informations concernant les paiements effectués et les moyens de paie- ment utilisés à cet effet; b. toutes données supplémentaires relatives aux individus potentiellement dan- gereux qui sont nécessaires pour évaluer la menace pesant sur le trafic aérien commercial international. 170 Introduit par le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, en vigueur depuis le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). Aviation 38 / 52 748.01 2 En ce qui concerne l’identité et les coordonnées publiquement accessibles des indi- vidus potentiellement dangereux (art. 21c, al. 1, let. a, LA), fedpol traite les données suivantes dans le système d’information: a. nom, y compris les pseudonymes; b. date de naissance; c. lieu de naissance; d. commune d’origine; e. nationalité; f. sexe; g. état civil; h. coordonnées publiquement accessibles comme l’adresse postale, l’adresse de courrier électronique, les numéros de téléphone; i. informations concernant les documents de voyage, comme le numéro, l’État de délivrance, les visas. Art. 122kter171 Données des gardes de sûreté Dans le cadre du système d’information, fedpol traite les données suivantes relatives aux gardes de sûreté mobilisables: a. nom; b. date de naissance; c. lieu de naissance; d. commune d’origine et nationalité; e. coordonnées comme l’adresse postale, l’adresse de courrier électronique, les numéros de téléphone; f. personne à prévenir en cas d’urgence (nom, prénom, numéro de téléphone et lien de cette personne avec le garde de sûreté); g. informations en lien avec les documents de voyage, comme le numéro, l’État de délivrance, les visas; h. coordonnées de paiement; i. connaissances linguistiques; j. cours suivis pour les besoins de l’activité de garde de sûreté et affectations effectuées. 171 Introduit par le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, en vigueur depuis le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). Aviation. O 39 / 52 748.01 Art. 122l Entretien et conservation des armes à feu 1 Fedpol assure, après avoir consulté l’OFAC, l’entretien et la conservation des armes des gardes de sûreté. 2 Il peut faire appel à cet effet à la police aéroportuaire ou à d’autres organes qu’il aura désignés, notamment pour la conservation des armes des gardes de sûreté étrangers qui font escale en Suisse. Art. 122m Obligations des entreprises de transport aérien 1 Les entreprises de transport aérien peuvent être appelées à participer: a. à la formation et au perfectionnement des gardes de sûreté; b. à l’affectation et aux tâches administratives qui en découlent; c. à l’analyse des risques et à l’évaluation des dangers. 2 À ce titre, elles peuvent notamment être chargées de: a. donner des cours sur des thèmes spécifiques à l’aviation dans le cadre de la formation et du perfectionnement; b. réserver, selon les instructions de fedpol, les sièges destinés aux gardes de sûreté; c. fournir à ces derniers les documents aéronautiques nécessaires; d. mettre à disposition le matériel spécifique aux affectations dans le cadre du transport aérien; e. transmettre à fedpol les informations sur la sûreté importantes pour l’analyse des risques et l’évaluation des dangers. 3 L’OFAC fixe dans l’autorisation d’exploitation les obligations des entreprises de transport aérien en relation avec les gardes de sûreté. Art. 122n172 Indemnités 1 Dans le cadre de l’affectation des gardes de sûreté, l’OFAC rembourse: a. aux entreprises de transport aérien, les frais afférents: 1. à la formation et au perfectionnement des gardes de sûreté, 2. à la planification des affectations des gardes de sûreté et aux tâches ad- ministratives qui en découlent, 3. à l’analyse des risques et à l’évaluation des dangers, 4. à l’équipement des gardes de sûreté; b. aux cantons ou communes et à la police des transports, les salaires et les charges salariales des gardes de sûreté pour la durée de leur formation et de leur perfectionnement ainsi que pour la durée de leurs affectations; 172 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 18 oct. 2017, en vigueur depuis le 1er janv. 2018 (RO 2017 5625). Aviation 40 / 52 748.01 c. aux gardes de sûreté, les frais afférents à leur formation et à leur perfection- nement et ceux afférents à leurs affectations; d. aux cantons ou communes, les frais afférents à la gestion des armes à feu des gardes de sûreté étrangers pour la durée de leur séjour en Suisse. Art. 122o Responsabilité de la Confédération La responsabilité de la Confédération pour les dommages qu’un garde de sûreté cau- serait illicitement à un tiers dans l’exercice de son activité est régie par les dispositions de la loi du 14 mars 1958 sur la responsabilité173. 6b174 Facilitations Art. 122p175 Les normes et recommandations de l’OACI énoncées à l’annexe 9 de la Convention de Chicago176 s’appliquent directement aux mesures de facilitation à mettre en œuvre dans le transport aérien. Les différences notifiées conformément à l’art. 38 de ladite Convention sont réservées. 7 Responsabilité civile 71 Responsabilité de l’exploitant d’un aéronef envers les tiers au sol 711 Nature de la couverture Art. 123 1 Sous réserve de l’al. 2, la responsabilité civile envers les tiers au sol doit être cou- verte par une assurance-responsabilité civile conclue auprès d’une compagnie d’assu- rance. 177 2 Si la couverture est proposée sous forme de dépôt de sûretés ou d’une caution soli- daire, l’OFAC la règle dans chaque cas particulier dans les limites des dispositions ci- après. 173 RS 170.32 174 Introduit par le ch. I de l’O du 28 oct. 1998 (RO 1998 2570). Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 4 juil. 2007, en vigueur depuis le 1er août 2007 (RO 2007 3645). 175 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 17 oct. 2018, en vigueur depuis le 1er janv. 2019 (RO 2018 3843). 176 RS 0.748.0. Cette annexe n’est pas publiée au RO. Elle peut être consultée gratuitement en ligne sur le site de l’Office fédéral de l’aviation civile (www.bazl.admin.ch > Espace professionnel > Réglementation et informations de base) ou obtenue contre paiement au- près de l’Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des docu- ments, 999, rue de l’Université, Montréal, Québec, Canada H3C 5H7. 177 Nouvelle teneur selon le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). Aviation. O 41 / 52 748.01 712 Preuve de la couverture Art. 124 1 Comme preuve de la couverture de la responsabilité civile, l’exploitant de l’aéronef doit produire une attestation d’assurance, un certificat de dépôt ou une déclaration de cautionnement. 2 L’OFAC est en droit de demander à l’exploitant de l’aéronef, à l’assureur, au dépo- sitaire ou à la caution de plus amples informations sur la couverture. Il peut différer l’octroi du certificat de navigabilité jusqu’à réception de ces informations.178 713 Montant de la couverture Art. 125 1 En cas de sinistre, la responsabilité civile envers les tiers au sol doit être au moins couverte comme suit (dommages corporels et dommages matériels réunis): Assurance minimale (millions de droits de tirage spéciaux) a. aéronefs d’un poids au décollage inférieur à 500 kg 0,75 b. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 500 kg mais inférieur à 1000 kg 1,5 c. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 1000 kg mais inférieur à 2700 kg 3 d. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 2700 kg mais inférieur à 6000 kg 7 e. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 6000 kg mais inférieur à 12 000 kg 18 f. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 12 000 kg mais inférieur à 25 000 kg 80 g. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 25 000 kg mais inférieur à 50 000 kg 150 h. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 50 000 kg mais inférieur à 200 000 kg 300 i. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 200 000 kg mais inférieur à 500 000 kg 500 178 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). Aviation 42 / 52 748.01 Assurance minimale (millions de droits de tirage spéciaux) j. aéronefs d’un poids au décollage égal ou supérieur à 500 000 kg 700.179 2 L’al. 1 ne s’applique pas aux ballons captifs, aux planeurs de pente, aux planeurs de pente à propulsion électrique, aux parachutes, aux cerfs-volants et aux parachutes as- censionnels. Pour ces aéronefs, le DETEC fixe le montant de la couverture.180 3 Pour les vols qui constituent un danger particulier, notamment en raison de la nature des marchandises transportées, l’OFAC peut faire dépendre l’octroi de l’autorisation d’exploitation de la preuve d’une couverture supplémentaire de la responsabilité civile envers les tiers au sol.181 714 Contenu du contrat d’assurance Art. 126 Changement de l’exploitant et retrait 1 Le contrat d’assurance doit stipuler: a. qu’en cas de changement de l’exploitant pendant la durée du contrat, les pré- tentions pouvant être élevées contre le nouvel exploitant sont également cou- vertes; b. que les droits et obligations découlant du contrat d’assurance passent au nou- vel exploitant; c. que le nouvel exploitant est autorisé à se retirer du contrat dans les quatorze jours qui suivent le changement d’exploitant; d. que l’assureur est autorisé à se retirer du contrat dans les quatorze jours après qu’il a eu connaissance du changement d’exploitant. 2 En cas de retrait, la couverture expire au moment indiqué à l’art. 128, let. b. 3 Si, avant ce moment, la preuve d’une nouvelle couverture n’a pas été fournie à l’OFAC, le certificat de navigabilité doit être retiré.182 4 Si, dans les quatorze jours qui suivent le changement d’exploitant, le nouvel exploi- tant prouve qu’il a constitué une nouvelle couverture, le contrat d’assurance antérieur cesse d’être valable. 179 Nouvelle teneur selon l’annexe ch. II de l’O du 17 août 2005 sur le transport aérien, en vigueur depuis le 5 sept. 2005 (RO 2005 4243). 180 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 24 juin 2015, en vigueur depuis le 15 juil. 2015 (RO 2015 2175). 181 Introduit par le ch. I de l’O du 28 oct. 1998, en vigueur depuis le 15 nov. 1998 (RO 1998 2570). 182 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). Aviation. O 43 / 52 748.01 Art. 127 Étendue des prétentions couvertes 1 La garantie doit couvrir, jusqu’aux limites indiquées à l’art. 125, les prétentions des tiers au sol qui peuvent être élevées contre l’exploitant d’après les dispositions de la loi sur la navigation aérienne183. 2 Pour les dommages causés par une personne se trouvant à bord, l’exploitant ne ré- pond que jusqu’à concurrence du montant de la garantie si cette personne ne fait pas partie de l’équipage (art. 64, al. 2, let. b LNA184). 3 Les dommages causés au sol par le bruit des aéronefs ne doivent pas être exclus du contrat d’assurance. Art. 128 Durée de la couverture et limites géographiques Le contrat d’assurance doit contenir les dispositions suivantes: a. si le contrat expire pendant que l’aéronef se trouve en vol, la responsabilité de l’assureur envers les tiers lésés au sol se prolonge jusqu’au prochain atterris- sage permettant un contrôle officiel des papiers de bord, mais au plus pendant vingt-quatre heures; b.185 si le contrat prend fin avant l’échéance indiquée dans l’attestation d’assurance, la compagnie d’assurance s’engage à couvrir les prétentions en dommages- intérêts dans les conditions définies par le contrat jusqu’au moment du retrait du certificat de navigabilité, mais au plus pendant quinze jours après que l’OFAC a été informé de l’expiration du contrat; est réputé moment du retrait le jour où la décision de retrait entre en vigueur. c. si un aéronef franchit les limites géographiques de la couverture telles qu’elles sont indiquées dans l’attestation d’assurance, l’assurance est néanmoins va- lable à l’égard des tiers lésés au sol si le vol au-delà desdites limites a eu pour cause la force majeure, une opération d’assistance justifiée par les circons- tances ou une faute de pilotage, de conduite ou de navigation. Art. 129 Rapport entre l’attestation d’assurance et la couverture Le contrat d’assurance doit stipuler que les conditions dont les tiers lésés peuvent se prévaloir sont celles qu’énonce l’attestation d’assurance, même si elles ne concordent pas avec le contenu du contrat. Art. 130186 183 Actuellement «loi sur l’aviation». 184 Actuellement «LA». 185 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 29 mai 1996, en vigueur depuis le 1er juil. 1996 (RO 1996 1536). 186 Abrogé par l’annexe ch. II de l’O du 17 août 2005 sur le transport aérien, avec effet au 5 sept. 2005 (RO 2005 4243). Aviation 44 / 52 748.01 715 Assureur et tiers lésé Art. 131 1 L’exploitant peut exiger de l’assureur qu’il s’acquitte, sans préjudice de droits éven- tuels de recours, entre les mains du tiers lésé, de l’indemnité due à celui-ci, même si les prétentions de ce dernier à l’égard de l’exploitant, suivant les dispositions de la présente ordonnance, dépassent celles de l’exploitant à l’égard de l’assureur. 2 Le tiers lésé ne peut faire valoir aucune prétention directement contre l’assureur, mais il possède, pour le montant des dommages-intérêts qui lui sont dus, un droit de gage sur les prétentions de l’exploitant à l’égard de l’assureur. 716 Attestation de la couverture Art. 132 L’attestation de la couverture indique le montant de la couverture, la durée de la sûreté fournie et le rayon géographique de validité. 71a187 Responsabilité de l’exploitant d’un aéronef envers les passagers Art. 132a Couverture minimale de responsabilité civile envers les passagers188 1 La couverture minimale au titre de la responsabilité civile de l’exploitant d’un aéro- nef envers les passagers est de 250 000 droits de tirage spéciaux par passager. Dans le cadre de l’exploitation non commerciale d’un aéronef dont le poids au décollage est inférieur ou égal à 2700 kg, la couverture minimale peut être inférieure à cette somme, mais elle doit être au minimum de 128 821 droits de tirage spéciaux par pas- sager.189 2 En cas d’exploitation non commerciale d’un aéronef sans passager, on peut renoncer à la couverture au titre de la responsabilité civile envers les passagers. 3 Les art. 123, 124, al. 1, 126, al. 1 et 4, 128, let. a et c, 129, 131 et 132 s’appliquent par analogie à la responsabilité civile envers les passagers. 4 Le présent article ne s’applique pas aux planeurs de pente (art. 132b).190 187 Introduit par l’annexe ch. II de l’O du 17 août 2005 sur le transport aérien, en vigueur de- puis le 5 sept. 2005 (RO 2005 4243). 188 Introduit par le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, en vigueur depuis le 1er avr. 2016 (RO 2016 739). 189 Nouvelle teneur selon le ch. II de l’O du 12 oct. 2022, en vigueur depuis le 1er janv. 2023 (RO 2022 622). 190 Introduit par le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, en vigueur depuis le 1er janv. 2017 (RO 2016 739). Aviation. O 45 / 52 748.01 Art. 132b191 Responsabilité de l’exploitant d’un planeur de pente envers les passagers 1 L’exploitant d’un planeur de pente sans moteur ou à propulsion électrique biplace est responsable conformément aux dispositions du code des obligations192 du dom- mage survenu en cas de mort ou de lésion corporelle d’un passager suite à un accident. 2 Les art. 123, 124, al. 1, 126, al. 1 et 4, 128, let. a et c, 129, 131 et 132 s’appliquent par analogie. 3 Le DETEC fixe le montant de la couverture. 72 Responsabilité lors de manifestations publiques d’aviation 721 Couverture de la responsabilité de l’organisateur Art. 133 1 Les manifestations publiques d’aviation au sens des art. 85 à 91 ne sont autorisées par l’OFAC que si le requérant prouve que l’organisateur est couvert pour sa respon- sabilité. 2 En cas de sinistre, la responsabilité civile doit être au moins couverte comme suit (dommages corporels et dommages matériels réunis): Montant de la cou- verture Fr. a. lors de manifestations publiques d’aviation sans vols acroba- tiques de patrouille et sans vols acrobatiques à basse altitude 2 000 000 b. lors de manifestations publiques d’aviation sans vols acroba- tiques de patrouille, mais avec vols acrobatiques à basse alti- tude 4 000 000 c. lors de manifestations publiques d’aviation sans vols acroba- tiques à basse altitude, mais avec vols acrobatiques de pa- trouille 4 000 000 d. lors de manifestations publiques d’aviation avec vols acroba- tiques de patrouille et avec vols acrobatiques à basse altitude. 10 000 000.193 3 Lors de manifestations publiques d’aviation présentant des dangers accrus, l’OFAC peut élever les montants de la couverture. 191 Introduit par le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, en vigueur depuis le 1er janv. 2017 (RO 2016 739). 192 RS 220 193 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). Aviation 46 / 52 748.01 722 Couverture des prétentions contre les exploitants Art. 134194 La couverture prévue à l’art. 133 doit subsidiairement s’étendre aux prétentions de responsabilité civile qui peuvent être élevées contre les exploitants des aéronefs par- ticipant à la manifestation si la garantie prévue à l’art. 125 ne suffit pas à couvrir ces prétentions. 73 Aéronefs étrangers 731 Couverture et preuve obligatoires195 Art. 135196 1 Avant de l’utiliser dans l’espace aérien suisse, l’exploitant d’un aéronef étranger doit s’assurer que les prétentions des tiers au titre de la responsabilité civile sont couvertes selon les taux prévus à l’art. 125. Il doit pouvoir faire la preuve de cette couverture. 2 Si un exploitant utilise plusieurs aéronefs dans l’espace aérien suisse, il ne doit ga- rantir la couverture que pour le montant prévu pour l’aéronef dont le poids au décol- lage est le plus élevé. 3 L’OFAC peut renoncer à la couverture pour les dommages causés par le bruit ou par une contamination radioactive. 4 Il peut renoncer à la couverture à l’égard des États qui sont exploitants d’aéronefs. 5 Il peut exiger des intéressés qu’ils fournissent les informations nécessaires. 732 Décision197 Art. 136198 1 L’OFAC décide si la couverture apportée est suffisante. Dans le trafic aérien non commercial, il n’examine la couverture que par sondages. 2 La déclaration d’une compagnie d’assurance admise en Suisse pour ce genre d’af- faires, selon laquelle elle couvre les prétentions de tiers au titre de la responsabilité 194 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 29 mai 1996, en vigueur depuis le 1er juil. 1996 (RO 1996 1536). 195 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, en vigueur depuis le 1er avr. 1988 (RO 1988 534). 196 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, en vigueur depuis le 1er avr. 1988 (RO 1988 534). 197 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, en vigueur depuis le 1er avr. 1988 (RO 1988 534). 198 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du 27 janv. 1988, en vigueur depuis le 1er avr. 1988 (RO 1988 534). Aviation. O 47 / 52 748.01 civile à l’égard de l’exploitant d’un aéronef étranger, conformément à la présente or- donnance, suffit en tant que preuve de la couverture. 74 Responsabilité civile du transporteur aérien Art. 137 1 Les transports contre rémunération effectués par aéronef ainsi que les transports gra- tuits effectués par une entreprise de transport aérien titulaire d’une autorisation d’ex- ploiter sont régis par les dispositions spéciales sur la responsabilité figurant dans l’or- donnance du 17 août 2005 sur le transport aérien199 et par les conditions prévues aux art. 106 et 108.200 2 Les autres transports par aéronefs sont régis par les dispositions du droit suisse des obligations201 sur la responsabilité. 8 Informations aéronautiques Art. 138 L’OFAC publie les informations aéronautiques ci-après: a. la Publication d’information aéronautique suisse (AIP-Suisse), laquelle con- tient des informations de caractère durable qui sont essentielles à la sécurité de la navigation aérienne; b. les avis au personnel chargé des opérations aériennes (NOTAM) et les circu- laires d’information aéronautique (AIC), donnant sur l’établissement, l’état ou la modification d’installations pour la navigation aérienne, ainsi que sur les services de la circulation, les procédures et les dangers pour la navigation aé- rienne, des renseignements dont la communication, à temps, est importante pour le personnel aéronautique. 8a202 Prescriptions techniques internationales Art. 138a 1 Dans le cadre de ses attributions législatives, le DETEC peut exceptionnellement déclarer directement applicables certaines annexes, y compris les prescriptions tech- niques qui s’y rapportent, de la Convention du 7 décembre 1944 relative à l’aviation 199 RS 748.411 200 Nouvelle teneur selon l’annexe ch. II de l’O du 17 août 2005 sur le transport aérien, en vigueur depuis le 5 sept. 2005 (RO 2005 4243). 201 RS 220 202 Introduit par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, en vigueur depuis le 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). Aviation 48 / 52 748.01 civile internationale203, ainsi que des prescriptions techniques qui sont arrêtées dans le cadre de la coopération entre autorités aéronautiques européennes. 2 Avec l’accord de la Chancellerie fédérale, il peut prescrire un mode de publication particulier et décider de renoncer en partie ou entièrement à la traduction de ces dis- positions. 3 Il statue sur le rejet des annexes ou des amendements d’annexes visés à l’art. 90, let. a, deuxième phrase, de la Convention du 7 décembre 1944 relative à l’aviation civile internationale.204 9 Dispositions administratives Art. 139 Formules 1 Les attestations d’assurance, les demandes d’inscription au registre matricule et les demandes d’octroi ou de renouvellement de concessions, d’autorisations, de licences et de titres personnels doivent être présentées sur les formules établies par l’OFAC. 2 Ces formules peuvent être obtenues à l’OFAC ou auprès des directions des aéro- dromes. 3 Dans les cas urgents, les demandes peuvent être faites par téléphone, télégraphe ou téléscripteur. Art. 140 Taxes Pour les opérations officielles des autorités de surveillance, les taxes figurant dans le règlement des taxes perçues en application de la loi sur la navigation aérienne du 8 mars 1976205 sont perçues. Art. 141 Statistique 1 L’OFAC établit et publie la statistique du trafic aérien. 2 Les titulaires de concessions, d’autorisations ou de licences sont tenus de fournir à l’OFAC les données nécessaires à l’établissement de la statistique. 203 RS 0.748.0. Les annexes ne sont pas publiées au RO. 204 Introduit par le ch. I de l’O du 29 mai 1996, en vigueur depuis le 1er juil. 1996 (RO 1996 1536). 205 [RO 1976 668, 1979 778. RO 1983 1526 art. 35 let. a]. Voir actuellement l’O du 28 sept. 2007 sur les émoluments de l’Office fédéral de l’aviation civile (RS 748.112.11). Aviation. O 49 / 52 748.01 9a206 Disposition pénale Art. 141a Est puni conformément à l’art. 91, al. 1, let. i, LA quiconque: a. enfreint l’une des obligations prévues par les dispositions suivantes: art. 2a, al. 1, 2b, al. 1, 26, 81, 83, 86, al. 1, 1re phrase, 107, al. 2, 109, let. a ou b, et 111, al. 1, 1re ou 2e phrase; b. effectue une démonstration d’acrobatie sur des aéronefs sans l’autorisation de l’OFAC (art. 84); c. n’emporte pas, à bord de l’aéronef, les papiers qui devraient s’y trouver en vertu d’une disposition du droit aérien; d.207 enfreint l’art. 4, par. 1 du règlement (UE) no 376/2014208. 10 Dispositions transitoires et finales Art. 142209 Art. 143 Abrogation de dispositions antérieures Sont abrogés: a. le règlement d’exécution de la loi sur la navigation aérienne, du 5 juin 1950210; b. l’ordonnance du 22 novembre 1966 concernant la prise de vues aériennes211. Art. 144 Entrée en vigueur La présente ordonnance entre en vigueur le 1er janvier 1974. 206 Introduit par le ch. I 1 de l’O du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avr. 2011 (RO 2011 1139). 207 Introduite par le ch. I de l’O du 17 fév. 2016, en vigueur depuis le 1er avr. 2016 (RO 2016 739). 208 Cf. note de bas de page relative à l’art. 77, al. 1. 209 Abrogé par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994, avec effet au 1er janv. 1995 (RO 1994 3028). 210 [RO 1950 I 517; 1951 970 art. 15; 1958 720; 1960 388 art. 37 al. 2, 1314 art. 45; 1964 321; 1966 1556 art. 5 al. 2; 1967 915, 941 art. 33 ch. 1; 1968 972 art. 8 al. 2, 1389, 1632; 1969 1159] 211 [RO 1966 1556] Aviation 50 / 52 748.01 Annexe212 (art. 2, al. 1, et 23, al. 1) 212 Introduite par le ch. I de l’O du 23 nov. 1994 (RO 1994 3028). Nouvelle teneur selon le ch. II de l’O du 24 juin 2015, en vigueur depuis le 15 juil. 2015 (RO 2015 2175). Aviation. O 51 / 52 748.01 Aviation 52 / 52 748.01 1 Aéronefs 11 ... Art. 1 12 Classement Art. 2 12a Aéronefs sans occupants Art. 2a 12b Interdiction de certains aéronefs avec occupants Art. 2b 13 Registre matricule Art. 3 Immatriculation Art. 4 Conditions en matière de propriété Art. 5 Rapports fiduciaires Art. 6 Demande d’immatriculation Art. 7 Art. 8 Contenu de l’immatriculation Art. 9 Certificat d’immatriculation Art. 10 Modifications Art. 11 Radiation 14 Marques de nationalité et d’immatriculation Art. 12 15 Navigabilité et admission à la circulation Art. 13 Prise en compte du droit international Art. 14 Art. 15 Responsabilité lors des examens Art. 16 Certificat de navigabilité, certificat de navigabilité restreint, autorisation de vol, certificat de bruit et certificat d’émission de substances nocives Art. 17 Certificats de navigabilité, certificats de navigabilité restreints, autorisations de vol, certificats de bruit et d’émission de substances nocives émis à l’étranger Art. 18 Admission à la circulation Art. 19 Durée de validité du certificat de navigabilité, du certificat de navigabilité restreint et de l’autorisation de vol Art. 20 Retrait du certificat de navigabilité, du certificat de navigabilité restreint et de l’autorisation de vol 16 Règles spéciales et autres mesures Art. 21 2 Engins balistiques Art. 22 Art. 23 3 Personnel aéronautique 31 Licence Art. 24 32 Prescriptions Art. 25 33 Instruction du personnel aéronautique Art. 26 Principe Art. 27 Art. 28 Surveillance des organismes de formation civils Art. 28a SPHAIR Art. 29 34 Protection de la santé des membres d’équipage des aéronefs 341 Dispositions générales Art. 30 Champ d’application et droit applicable Art. 31 Information et instruction Art. 32 Consultation Art. 33 Examen de santé 342 Protection de la santé durant la maternité Art. 34 Applicabilité des prescriptions en matière de protection durant la maternité Art. 35 Occupation durant la maternité Art. 36 Déplacement de l’horaire et paiement du salaire 343 Membres d’équipage ayant des responsabilités familiales Art. 37 35 Constatation de l’ébriété et d’états analogues 351 Alcool Art. 38 État d’ébriété et incapacité d’assurer le service Art. 39 Contrôles de l’alcoolémie en présence d’indices d’un état d’ébriété Art. 40 Exécution de contrôles aléatoires de l’alcool dans l’air expiré Art. 41 Incapacité temporaire d’assurer le service Art. 42 Ordre de procéder à une prise de sang et exécution 352 Narcotiques ou substances psychotropes Art. 43 Examens lorsque des indices donnent à penser qu’un membre d’équipage est sous l’influence de narcotiques ou de substances psychotropes 4 ... Art. 44 à 74 5 Circulation, exploitation et entretien 51 Règles de circulation et règles d’exploitation Art. 75 Règles de circulation Art. 76 Règles d’exploitation 52 Système de comptes rendus d’événements dans l’aviation Art. 77 Principes Art. 77a à 77c Art. 77d Centre de traitement Art. 77e Différends relatifs à la protection des sources Art. 77f et 77g Art. 78 53 ... Art. 79 54 Prise de vues aériennes Art. 80 55 Jet d’objets Art. 81 56 Publicité Art. 82 Sur des aéronefs Art. 83 Au moyen d’aéronefs 57 Démonstrations d’acrobatie sur des aéronefs Art. 84 58 Manifestations publiques d’aviation Art. 85 Définition Art. 86 Autorisation obligatoire Art. 87 Demande Art. 88 Examen Art. 89 Autorisation Art. 90 Conduite de la manifestation Art. 91 Surveillance 59 ... Art. 92 à 98 510 Retrait des autorisations Art. 99 6 Aviation commerciale 61 Autorisation d’exploitation Art. 100 Vols commerciaux Art. 101 Restrictions frappant les aéronefs engagés en exploitation commerciale Art. 102 Retrait de l’autorisation 611 Entreprises sises en Suisse Art. 103 Conditions générales d’octroi de l’autorisation Art. 103a Système de gestion de la sécurité Art. 104 Ballons, planeurs et aéronefs de catégories spéciales Art. 105 Autorisation spéciale Art. 106 Somme de la responsabilité civile et obligation de s’assurer Art. 107 Obligation de renseigner et d’annoncer 612 Entreprises sises à l’étranger Art. 108 Conditions générales d’octroi de l’autorisation Art. 109 Obligation de renseigner et d’annoncer 62 Concession de routes Art. 110 Trafic de lignes Art. 111 Obligations liées à la concession Art. 112 Retrait de la concession Art. 113 621 Entreprises sises en Suisse Art. 114 Requête Art. 115 Décision Art. 116 Durée de validité de la concession Art. 117 Modification ou transfert des droits et obligations découlant d’une concession Art. 118 Transfert à la concurrence de concessions de routes en cas de non-usage Art. 118a Caducité de concessions de routes en cas de non-usage 622 Entreprises sises à l’étranger Art. 119 Requête Art. 120 Procédure Art. 121 et 122 6a Mesures de sûreté Section 1 Dispositions générales Art. 122a Mesures de sûreté sur les aérodromes Art. 122b Mesures de sûreté des entreprises de transport aérien Art. 122c Dispositions applicables Art. 122d Exécution Section 2 Gardes de sûreté Art. 122e Principes Art. 122f Tâches et compétences Art. 122g Formation Art. 122h Affectation Art. 122i Équipement des gardes de sûreté Art. 122j Rapports de subordination Art. 122k Analyse des risques et évaluation des dangers Art. 122kbis Données des individus potentiellement dangereux Art. 122kter Données des gardes de sûreté Art. 122l Entretien et conservation des armes à feu Art. 122m Obligations des entreprises de transport aérien Art. 122n Indemnités Art. 122o Responsabilité de la Confédération 6b Facilitations Art. 122p 7 Responsabilité civile 71 Responsabilité de l’exploitant d’un aéronef envers les tiers au sol 711 Nature de la couverture Art. 123 712 Preuve de la couverture Art. 124 713 Montant de la couverture Art. 125 714 Contenu du contrat d’assurance Art. 126 Changement de l’exploitant et retrait Art. 127 Étendue des prétentions couvertes Art. 128 Durée de la couverture et limites géographiques Art. 129 Rapport entre l’attestation d’assurance et la couverture Art. 130 715 Assureur et tiers lésé Art. 131 716 Attestation de la couverture Art. 132 71a Responsabilité de l’exploitant d’un aéronef envers les passagers Art. 132a Couverture minimale de responsabilité civile envers les passagers Art. 132b Responsabilité de l’exploitant d’un planeur de pente envers les passagers 72 Responsabilité lors de manifestations publiques d’aviation 721 Couverture de la responsabilité de l’organisateur Art. 133 722 Couverture des prétentions contre les exploitants Art. 134 73 Aéronefs étrangers 731 Couverture et preuve obligatoires Art. 135 732 Décision Art. 136 74 Responsabilité civile du transporteur aérien Art. 137 8 Informations aéronautiques Art. 138 8a Prescriptions techniques internationales Art. 138a 9 Dispositions administratives Art. 139 Formules Art. 140 Taxes Art. 141 Statistique 9a Disposition pénale Art. 141a 10 Dispositions transitoires et finales Art. 142 Art. 143 Abrogation de dispositions antérieures Art. 144 Entrée en vigueur Annexe | mixed |
23675204-2adc-4b23-a8cb-0665ffdcb566 | 748.01 1 / 52 Verordnung über die Luftfahrt (Luftfahrtverordnung, LFV)1 vom 14. November 1973 (Stand am 1. Januar 2023) Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf das Bundesgesetz vom 21. Dezember 19482 über die Luftfahrt (Luftfahrtgesetz, LFG), verordnet: 1 Luftfahrzeuge 11 … Art. 13 12 Einteilung4 Art. 2 1 Die Luftfahrzeuge werden in technischer Hinsicht in die Kategorien nach Anhang eingeteilt.5 2 Als Staatsluftfahrzeuge gelten Luftfahrzeuge, die im Militär-, Zoll- oder Polizei- dienst von Bund und Kantonen verwendet werden oder die der Bundesrat ausdrück- lich als solche bezeichnet. AS 1973 1856 1 Fassung des Tit. gemäss Ziff. I der V vom 25. Aug. 1976, in Kraft seit 1. Jan. 1977 (AS 1976 1921). 2 SR 748.0 3 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, mit Wirkung seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 4 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 5 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 748.01 Luftfahrt 2 / 52 748.01 12a6 Unbemannte Luftfahrzeuge Art. 2a 1 Unbemannte Luftfahrzeuge mit einem Gewicht von mehr als 30 kg dürfen nur mit Bewilligung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL) eingesetzt werden.7 2 Die Kantone sind ermächtigt, für unbemannte Luftfahrzeuge mit einem Gewicht von weniger als 30 kg Massnahmen zur Verminderung der Umweltbelastung und der Ge- fährdung von Personen und Sachen auf der Erde zu treffen. 3 Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunika- tion (UVEK) regelt die Einzelheiten.8 12b9 Verbot bestimmter bemannter Luftfahrzeuge Art. 2b 1 Der Betrieb von bemannten motorisch angetriebenen Luftfahrzeugen, die wegen ih- res geringen Gewichts vom Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 216/200810 ausgenommen sind (Art. 4 Abs. 4 und Anhang II Bst. e und f der genannten Verord- nung), ist verboten. 2 Vom Verbot ausgenommen sind: a. elektrisch angetriebene Luftfahrzeuge; b. aerodynamisch gesteuerte Flugzeuge mit Verbrennungsmotor; c. Tragschrauber mit Verbrennungsmotor. 3 Das BAZL kann zudem für Forschungs- und Entwicklungsprojekte Ausnahmebe- willigungen erteilen. 6 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 7 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 4. Juli 2007, in Kraft seit 1. Aug. 2007 (AS 2007 3645). 8 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 4. Juli 2007, in Kraft seit 1. Aug. 2007 (AS 2007 3645). 9 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994 (AS 1994 3028). Fassung gemäss Ziff. I der V vom 12. Sept. 2014, in Kraft seit 1. Okt. 2014 (AS 2014 3009). 10 Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit, zur Aufhebung der Richtli- nie 91/670/EWG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 und der Richtlinie 2004/36/EG, in der für die Schweiz gemäss Ziffer 3 des Anhangs zum Abk. vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr (SR 0.748.127.192.68) jeweils verbindlichen Fas- sung. Luftfahrtverordnung 3 / 52 748.01 13 Luftfahrzeugregister Art. 311 Eintragung 1 Das BAZL trägt Flugzeuge, Hubschrauber, andere Drehflügler, Motorsegler, Segel- flugzeuge, bemannte Freiballone und Luftschiffe in das Luftfahrzeugregister ein: a. wenn die Voraussetzungen, namentlich über das Eigentum, erfüllt sind (Art. 4 und 5); b. wenn sie unter schweizerischen Hoheits- und Eintragungszeichen zum Ver- kehr zugelassen werden sollen. 2 Das BAZL kann die Eintragung eines Luftfahrzeuges, für das die Eigentumsvoraus- setzungen nicht erfüllt sind, in das Luftfahrzeugregister bewilligen, wenn das Luft- fahrzeug für längere Zeit von einer schweizerischen Unternehmung der gewerbsmäs- sigen Luftfahrt verwendet werden soll.12 3 Schweizerische Staatsluftfahrzeuge können im Luftfahrzeugregister eingetragen werden. 4 Die Eintragung kann verweigert werden, wenn das Luftfahrzeug offensichtlich den in der Schweiz anwendbaren Lufttüchtigkeitsanforderungen oder den Bestimmungen über den Umweltschutz nicht entspricht. 5 …13 Art. 414 Eigentumsvoraussetzungen Ein Luftfahrzeug erfüllt die vorgeschriebenen Voraussetzungen, wenn es ausschliess- liches Eigentum ist von: a. Schweizer Bürgern; b. Ausländern, die auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen15 namentlich hinsichtlich der Beteiligung am Kapital und an der Geschäftsführung schwei- zerischer Luftverkehrsunternehmen Schweizer Bürgern gleichgestellt sind und die Wohnsitz in der Schweiz haben und eine Bewilligung besitzen, län- gere Zeit in der Schweiz zu bleiben; c. Ausländern, die in der Schweiz Wohnsitz haben und eine Bewilligung besit- zen, längere Zeit in der Schweiz zu bleiben und die das Luftfahrzeug in der Regel von der Schweiz aus benutzen; 11 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 14. März 1994, in Kraft seit 1. April 1994 (AS 1994 735). 12 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 29. Mai 1996, in Kraft seit 1. Juli 1996 (AS 1996 1536). 13 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, mit Wirkung seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 14 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 14. März 1994, in Kraft seit 1. April 1994 (AS 1994 735). 15 Eine Liste dieser Vereinbarungen kann beim BAZL eingesehen werden. Luftfahrt 4 / 52 748.01 d. Handelsgesellschaften oder Genossenschaften, die ihren Sitz in der Schweiz haben und in der Schweiz im Handelsregister eingetragen sind; e. Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts; f. Vereinen, die nach schweizerischem Recht errichtet sind, sofern zwei Drittel ihrer Mitglieder und ihres Vorstandes sowie ihr Präsident in der Schweiz Wohnsitz haben und Schweizer Bürger oder Ausländer sind, die auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen16 Schweizer Bürgern gleichgestellt sind. Art. 517 Treuhandschaft Für die Anwendung dieser Verordnung gelten treuhandschaftlich begründete Verfü- gungsrechte nicht als Eigentum. Art. 618 Anmeldung 1 Ein Luftfahrzeug ist durch den Eigentümer zur Eintragung anzumelden. 2 Der Anmeldung sind beizulegen: a. Belege, die das Eigentum des Gesuchstellers glaubhaft machen; b. für Handelsgesellschaften und Genossenschaften der Nachweis, dass sie die Voraussetzungen des Artikels 4 Buchstabe d erfüllen; c. für Vereine der Nachweis, dass sie die Voraussetzungen des Artikels 4 Buch- stabe f erfüllen; d. für Eigentümer im Sinne von Artikel 4 Buchstabe b der Nachweis, dass sie die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllen; e. für Eigentümer im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c der Nachweis, dass sie die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllen und eine schriftliche Erklärung, dass das Luftfahrzeug in der Regel von der Schweiz aus benutzt wird; f. für ein Luftfahrzeug, das aus dem Ausland eingeführt wird: 1. der Nachweis, dass es weder im Herstellerstaat noch im Wohnsitzstaat eines Rechtsvorgängers des Gesuchstellers eingetragen ist, und 2. der Nachweis, dass es nicht im Luftfahrzeugbuch oder in einem entspre- chenden Register des letzten Eintragungsstaates aufgenommen ist; dieser Nachweis kann ersetzt werden durch die schriftliche Erklärung des nach dem Eintrag im ausländischen Luftfahrzeugbuch Berechtigten, dass er der Eintragung des Luftfahrzeuges in das schweizerische Luftfahrzeug- register zustimmt; g. für ein gebrauchtes Luftfahrzeug, das aus dem Ausland eingeführt wird, der Nachweis des ordnungsgemässen Unterhaltes. 16 Eine Liste dieser Vereinbarungen kann beim BAZL eingesehen werden. 17 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 14. März 1994, in Kraft seit 1. April 1994 (AS 1994 735). 18 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 14. März 1994, in Kraft seit 1. April 1994 (AS 1994 735). Luftfahrtverordnung 5 / 52 748.01 Art. 719 Art. 8 Inhalt des Eintrages 1 Der Eintrag im Luftfahrzeugregister enthält mindestens folgende Angaben: a. Datum der Eintragung; b. Eintragungszeichen; c. Hersteller; d. Baumuster des Luftfahrzeuges; e. Werknummer; f. Name und Adresse des Eigentümers. 2 Name und Adresse des Halters können neben dem Eigentümer eingetragen werden, wenn der Halter die Voraussetzungen für die Eintragung, abgesehen vom Eigentum, erfüllt. Art. 9 Eintragungszeugnis 1 Das BAZL stellt dem Eigentümer des Luftfahrzeuges ein Zeugnis über den Eintrag aus. 2 …20 Art. 10 Änderungen Der eingetragene Eigentümer und, wenn ein solcher eingetragen ist, der Halter des Luftfahrzeuges, haben dem BAZL jede Änderung der in den Artikeln 4–7 genannten Voraussetzungen innert zehn Tagen schriftlich zu melden. Das Eintragungszeugnis und das Lufttüchtigkeitszeugnis sind der Meldung beizulegen.21 Art. 11 Löschung 1 Der Eintrag eines Luftfahrzeuges wird gelöscht: a. auf Antrag des Eigentümers; b.22 von Amtes wegen, wenn: – eine Voraussetzung zur Eintragung wegfällt; 19 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 14. März 1994, mit Wirkung seit 1. April 1994 (AS 1994 735). 20 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988, mit Wirkung seit 1. April 1988 (AS 1988 534). 21 Fassung des zweiten Satzes gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 22 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 24. Okt. 1990, in Kraft seit 1. Dez. 1990 (AS 1990 1719). Luftfahrt 6 / 52 748.01 – 23 der Nachweis der Zollveranlagung oder der vorübergehenden Zollbefrei- ung nicht erbracht wird; – der Halter eine Gebühr nach der Verordnung vom 25. September 198924 über die Gebühren des BAZL, welche rechtskräftig festgesetzt ist, nicht bezahlt; – das Luftfahrzeug zerstört worden ist. 2 Ist das Luftfahrzeug in das Luftfahrzeugbuch aufgenommen, so darf der Eintrag im Luftfahrzeugregister nicht gelöscht werden, bevor das Luftfahrzeug im Luftfahrzeug- buch gestrichen ist. Die Bordpapiere eines Luftfahrzeuges, dessen Eintrag von Amtes wegen zu löschen ist, werden aber schon vor der Löschung zurückgezogen. 3 Auf Verlangen stellt das BAZL über die Löschung eine Bescheinigung aus. 14 Hoheits- und Eintragungszeichen Art. 12 Das BAZL erlässt Bestimmungen über die Hoheits- und Eintragungszeichen der schweizerischen Luftfahrzeuge. 15 Lufttüchtigkeit und Zulassung zum Verkehr25 Art. 1326 Vorbehalt internationalen Rechts Die Bestimmungen über die Lufttüchtigkeit und das Zulassungsverfahren (Ziff. 15) gelten, soweit nicht gemäss Ziffer 3 des Anhangs zum Abkommen vom 21. Juni 199927 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Ge- meinschaft über den Luftverkehr (Luftverkehrsabkommen) eine der folgenden EG- Verordnungen in der für die Schweiz jeweils verbindlichen Fassung anwendbar ist: a. Verordnung (EG) Nr. 1592/2002; b. Verordnung (EG) Nr. 2042/2003; c. Verordnung (EG) Nr. 1702/2003. 23 Fassung gemäss Anhang 4 Ziff. 36 der Zollverordnung vom 1. Nov. 2006, in Kraft seit 1. Mai 2007 (AS 2007 1469). 24 [AS 1989 2216, 1993 2749, 1995 5219, 1997 2779 Ziff. II 53, 2003 1195, 2005 2695 Ziff. II 5. AS 2007 5101 Art. 52]. Siehe heute: die V vom 28. Sept. 2007 (SR 748.112.11). 25 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 26 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 27 SR 0.748.127.192.68. Die für die Schweiz jeweils verbindliche Fassung ist im Anhang zu diesem Abkommen genannt und kann beim Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL, 3003 Bern (www. bazl.admin.ch) eingesehen oder bezogen werden. Luftfahrtverordnung 7 / 52 748.01 Art. 1428 Art. 15 Gefahrentragung bei Prüfungen 1 Für Beschädigungen des Luftfahrzeuges und seiner Ausrüstung bei den Prüfungen haftet der Bund nach den Bestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes29. 2 Der Gesuchsteller kann die Prüfflüge mit Zustimmung des BAZL auf seine Gefahr durch einen geeigneten Piloten eigener Wahl ausführen lassen. 3 Bei jedem Prüfflug müssen die Haftpflichtansprüche von Dritten auf der Erde si- chergestellt sein. Art. 1630 Lufttüchtigkeitszeugnis, eingeschränktes Lufttüchtigkeitszeugnis, Fluggenehmigung sowie Lärm- und Schadstoffzeugnis 1 Das BAZL bescheinigt die Lufttüchtigkeit der eingetragenen Luftfahrzeuge im Luft- tüchtigkeitszeugnis, im eingeschränkten Lufttüchtigkeitszeugnis oder in der Flugge- nehmigung. 2 Der Grad der Lärm- und der Schadstoffentwicklung von Luftfahrzeugen mit moto- rischem Antrieb wird im Lärm- und Schadstoffzeugnis bescheinigt. Art. 1731 Ausländische Lufttüchtigkeitszeugnisse, eingeschränkte Lufttüchtigkeitszeugnisse, Fluggenehmigungen sowie Lärm- und Schadstoffzeugnisse32 1 Ausländische Lufttüchtigkeitszeugnisse, eingeschränkte Lufttüchtigkeitszeugnisse und Fluggenehmigungen können vom BAZL anerkannt werden, wenn sie ausgestellt wurden:33 a. nach den geltenden schweizerischen Bestimmungen; b. nach internationalen Normen, die auch für die Schweiz verbindlich sind, oder c. nach ausländischen oder internationalen Normen, die den schweizerischen Mindestanforderungen wenigstens gleichkommen und vom BAZL anerkannt sind. 28 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, mit Wirkung seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 29 SR 170.32 30 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 31 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 6. Dez. 1982, in Kraft seit 1. Jan. 1983 (AS 1982 2277). 32 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 33 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). Luftfahrt 8 / 52 748.01 2 Ausländische Lärm- und Schadstoffzeugnisse können vom BAZL anerkannt wer- den, wenn sie ausgestellt wurden: a. nach Normen, die den schweizerischen Mindestanforderungen wenigstens gleichkommen; oder b. nach internationalen Normen, die auch für die Schweiz verbindlich sind.34 3 Die Nachprüfung, ob das Luftfahrzeug lufttüchtig ist und die Anforderungen der Lärm- und Schadstoffbegrenzung erfüllt, bleibt vorbehalten.35 Art. 18 Zulassung zum Verkehr36 1 Ein im Luftfahrzeugregister eingetragenes Luftfahrzeug wird zum Verkehr zugelas- sen, wenn: a. es lufttüchtig ist; b.37 es die Anforderungen der Begrenzung des Lärms und anderer Emissionen er- füllt; c.38 die Haftpflichtansprüche von Dritten auf der Erde und von Reisenden im vor- geschriebenen Umfang sichergestellt sind; d.39 bei einem aus dem Ausland eingeführten Luftfahrzeug nachgewiesen wird, dass eine Zollveranlagung durchgeführt wurde oder dass es vorübergehend zollbefreit ist. 2 …40 3 Die Zulassung zum Verkehr wird mit der Erteilung des Lufttüchtigkeitszeugnisses, des eingeschränkten Lufttüchtigkeitszeugnisses oder mit der Fluggenehmigung be- scheinigt. In diesen Bescheinigungen oder in Anhängen dazu kann das BAZL Aufla- gen, Bedingungen und Beschränkungen für den Betrieb festlegen.41 34 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 35 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 36 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 37 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 5. März 1984, in Kraft seit 1. Apr. 1984 (AS 1984 318). 38 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 39 Fassung gemäss Anhang 4 Ziff. 36 der Zollverordnung vom 1. Nov. 2006, in Kraft seit 1. Mai 2007 (AS 2007 1469). 40 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, mit Wirkung seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 41 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). Luftfahrtverordnung 9 / 52 748.01 4 In besonderen Fällen, namentlich während des Zulassungsverfahrens, stellt das BAZL eine provisorische Fluggenehmigung aus. Die Haftpflichtansprüche von Drit- ten auf der Erde und von Reisenden müssen in jedem Fall sichergestellt sein.42 5 …43 Art. 1944 Gültigkeitsdauer des Lufttüchtigkeitszeugnisses, des eingeschränkten Lufttüchtigkeitszeugnisses und der Fluggenehmigung 1 Die Lufttüchtigkeitszeugnisse, eingeschränkten Lufttüchtigkeitszeugnisse und Flug- genehmigungen sind grundsätzlich unbefristet gültig. Das BAZL kann ihre Gültigkeit ausnahmsweise befristen. 2 Das BAZL stellt im besonderen Fällen, namentlich im Zulassungsverfahren oder für technische Überflüge, Fluggenehmigungen mit befristeter Gültigkeitsdauer aus. Art. 20 Entzug des Lufttüchtigkeitszeugnisses, des eingeschränkten Lufttüchtigkeitszeugnisses und der Fluggenehmigung45 1 Das Lufttüchtigkeitszeugnis, das eingeschränkte Lufttüchtigkeitszeugnis oder die Fluggenehmigung wird entzogen, wenn:46 a.47 das Luftfahrzeug nicht mehr lufttüchtig ist und der Mangel innert einer vom BAZL angesetzten Frist nicht behoben worden ist; b.48 das Luftfahrzeug die Anforderungen der Begrenzung des Lärms und anderer Emissionen nicht mehr erfüllt und der Mangel innert einer vom BAZL ange- setzten Frist nicht behoben worden ist: c. keine ausreichende Sicherstellung der Haftpflichtansprüche von Dritten auf der Erde mehr vorhanden ist: d. nach Ablauf der Zollbefreiung die Verzollung nicht nachgewiesen wird. 2 Das Lufttüchtigkeitszeugnis kann ferner entzogen werden, wenn: a. die erforderliche periodische Überprüfung der Lufttüchtigkeit nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist durchgeführt und bestätigt wird; oder 42 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 43 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 25. Aug. 1976, mit Wirkung seit 1. Jan. 1977 (AS 1976 1921). 44 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 45 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 46 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 47 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 6. Dez. 1982, in Kraft seit 1. Jan. 1983 (AS 1982 2277). 48 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 5. März 1984, in Kraft seit 1. Apr. 1984 (AS 1984 318). Luftfahrt 10 / 52 748.01 b. die Eigentumsverhältnisse unklar sind.49 3 Vorbehalten bleibt der Entzug nach Artikel 92 des Luftfahrtgesetzes. 16 Sonderregeln und andere Massnahmen Art. 2150 Das UVEK51 kann innerhalb der in den Artikeln 108 und 109 des Luftfahrtgesetzes umschriebenen Grenzen für Luftfahrzeuge besonderer Kategorien oder bei neuen technischen Erscheinungen Sonderregeln erlassen und andere Massnahmen treffen. Es berücksichtigt dabei auch die Anliegen des Natur-, Landschafts- und Umweltschut- zes. 2 Flugkörper52 Art. 2253 Art. 2354 1 Die Flugkörper werden in technischer Hinsicht in die Kategorien nach Anhang ein- geteilt. 2 Kleine Flugkörper, wie Feuerwerkkörper oder Modellraketen, sowie Hagelabwehr- geschosse dürfen nur eingesetzt oder abgeschossen werden, wenn sie die Sicherheit der Luftfahrt nicht beeinträchtigen. Zusätzliche Einschränkungen aus andern Gründen durch den Bund oder die Kantone bleiben vorbehalten. 3 Andere Flugkörper, namentlich bemannte oder unbemannte Raketen, dürfen nur mit Bewilligung des BAZL eingesetzt oder abgeschossen werden. Das BAZL kann Auf- lagen für die Zulassung und den Betrieb festlegen. 4 Hagelabwehrgeschosse dürfen nicht in die Lufträume der Klassen C und D sowie der Klasse E im Bereich von ATS-Strecken eindringen. Die zuständige Flugverkehrs- leitstelle kann Ausnahmen bewilligen. 49 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Juni 2008, in Kraft seit 1. Aug. 2008 (AS 2008 3607). 50 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 51 Ausdruck gemäss Ziff. I der V vom 4. Juli 2007, in Kraft seit 1. Aug. 2007 (AS 2007 3645). Diese Änd. wurde im ganzen Erlass berücksichtigt. 52 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 53 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, mit Wirkung seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 54 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). Luftfahrtverordnung 11 / 52 748.01 3 Luftfahrtpersonal 31 Ausweis Art. 24 1 Das UVEK bestimmt, welche Kategorien des Luftfahrtpersonals zur Ausübung ihrer Tätigkeit eines Ausweises des BAZL bedürfen. 2 Das BAZL kann die Durchführung von Prüfungen und das Ausstellen von Auswei- sen geeigneten Verbänden übertragen.55 32 Vorschriften Art. 25 1 Das UVEK erlässt über die Ausweise für das Luftfahrtpersonal Vorschriften, die insbesondere regeln: a. die Art, den Geltungsbereich und die Geltungsdauer der Ausweise; b. die Voraussetzungen für die Erteilung, die Verweigerung, die Erneuerung und den Entzug der Ausweise; c. das Verfahren, das dabei einzuhalten ist; d. die Rechte und Pflichten der Träger; e. die Voraussetzungen, unter denen militärisch ausgebildetes Luftfahrtpersonal zivile Ausweise erwerben kann; f. die Anerkennung ausländischer Ausweise, Fähigkeitsprüfungen und flieger- ärztlicher Untersuchungen. 2 Das UVEK kann Vorschriften erlassen über das Luftfahrtpersonal, das für die Aus- übung seiner Tätigkeit keines Ausweises bedarf. 3 Das UVEK ordnet den fliegerärztlichen Dienst im Einvernehmen mit dem Eidge- nössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport. Die Orga- nisation und die Zuständigkeiten des fliegerärztlichen Instituts werden in einer Ver- ordnung festgelegt, die das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport im Einvernehmen mit dem UVEK erlässt.56 55 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988, in Kraft seit 1. April 1988 (AS 1988 534). 56 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 4. April 2001, in Kraft seit 1. April 2001 (AS 2001 1067). Luftfahrt 12 / 52 748.01 33 Ausbildung von Luftfahrtpersonal Art. 2657 Grundsatz Unter Vorbehalt der vom UVEK für einzelne Kategorien festzulegenden Ausnahmen ist die Ausbildung von Luftfahrtpersonal, das eines amtlichen Ausweises bedarf, nur im Rahmen einer zivilen Ausbildungsorganisation zulässig, welche die Anforderun- gen nach der Verordnung (EU) Nr. 1178/201158 oder der Verordnung (EU) Nr. 2015/34059 erfüllt. Art. 2760 Art. 2861 Aufsicht über zivile Ausbildungsorganisationen 1 Das BAZL überwacht den Betrieb der zivilen Ausbildungsorganisationen für das Luftfahrtpersonal. 2 Die vom Bund unterstützten Bereiche der fliegerischen Aus- und Weiterbildung un- terstehen, unter Ausnahme der Eignungsabklärung von Anwärterinnen und Anwärtern als Militär- oder Berufspiloten oder als Fallschirm-Aufklärer (SPHAIR), der Aufsicht des BAZL. Art. 28a62 SPHAIR 1 Die Luftwaffe sorgt für die Durchführung von Abklärungen der Eignung von An- wärterinnen und Anwärtern als Militär- oder Berufspiloten oder als Fallschirmaufklä- rer unter der Bezeichnung SPHAIR. 2 Sie wird in der Erfüllung ihrer Aufgaben insbesondere durch das BAZL, die Orga- nisationen der kommerziellen Luftfahrt, die Ausbildungsorganisationen der Aviatik und den Dachverband der Leicht- und Sportaviatik unterstützt. 57 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 58 Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. Nov. 2011 zur Festlegung tech- nischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäss der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parla- mentes und des Rates, in der für die Schweiz gemäss Ziffer 3 des Anhangs zum Luftver- kehrsabkommen vom 21. Juni 1999 (SR 0.748.127.192.68) jeweils verbindlichen Fas- sung. 59 Verordnung (EG) Nr. 2015/340 der Kommission vom 20. Februar 2015 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf Lizenzen und Be- scheinigungen von Fluglotsen gemäss der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäi- schen Parlaments und des Rates, zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 923/2012 der Kommission und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 805/2011 der Kommission, in der für die Schweiz gemäss Ziffer 3 des Anhangs zum Luftverkehrs- abkommen vom 21. Juni 1999 (SR 0.748.127.192.68) jeweils verbindlichen Fassung. 60 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, mit Wirkung seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 61 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 62 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). Luftfahrtverordnung 13 / 52 748.01 3 Das VBS regelt nach Anhörung der Beteiligten nach Absatz 2 insbesondere: a. die Voraussetzungen für die Teilnahme an den Eignungsabklärungen; b. die Anforderungen an die Eignungsabklärungen; c. die Organisation der Geschäftsstelle SPHAIR und den Einbezug der Beteilig- ten nach Absatz 2. Art. 2963 34 Schutz der Gesundheit von Luftfahrzeugbesatzungsmitgliedern64 341 Allgemeine Bestimmungen65 Art. 3066 Geltungsbereich und anwendbares Recht 1 Diese Ziffer (34) regelt den Schutz der Gesundheit von Luftfahrzeugbesatzungsmit- gliedern von Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in der Schweiz, die eine Bewilligung für die gewerbsmässige Beförderung von Personen und Gütern haben müssen. 2 Sie führt die Richtlinie 2000/79/EG in der für die Schweiz jeweils verbindlichen Fassung gemäss Ziffer 1 des Anhangs zum Luftverkehrsabkommen vom 21. Juni 199967 aus. Art. 3168 Information und Anleitung Die Information und die Anleitung der Besatzungsmitglieder richten sich nach Artikel 5 der Verordnung 3 vom 18. August 199369 zum Arbeitsgesetz (Gesundheitsvorsorge, ArGV 3). 63 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, mit Wirkung seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 64 Eingefügt gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 65 Eingefügt gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 66 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 67 SR 0.748.127.192.68. Die für die Schweiz jeweils verbindliche Fassung ist in Ziff. 1 des Anhangs zu diesem Abkommen genannt und kann beim BAZL eingesehen oder bezogen werden: Bundesamt für Zivilluftfahrt, 3003 Bern (www.bazl.admin.ch). 68 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 69 SR 822.113 Luftfahrt 14 / 52 748.01 Art. 3270 Anhörung Die Anhörung der Besatzungsmitglieder oder ihrer Vertretung im Betrieb richtet sich nach Artikel 6 ArGV 371. Art. 3372 Untersuchung des Gesundheitszustands 1 Jedes Besatzungsmitglied hat Anspruch auf eine unentgeltliche Untersuchung des Gesundheitszustands vor der erstmaligen Aufnahme der Arbeit im Luftverkehrsunter- nehmen. 2 Den Anspruch auf unentgeltliche Untersuchung des Gesundheitszustands nach Klausel 4 Ziffer 1 Buchstabe a des Anhangs zur Richtlinie 2000/79/EG73 haben die Besatzungsmitglieder wie folgt: a. Flugbesatzungsmitglieder: in den im JAR-FCL-3-Reglement74 vorgeschrie- benen Abständen; b. die übrigen Besatzungsmitglieder: 1. bis zum 41. Lebensjahr: alle 5 Jahre, 2. ab dem 42. und bis zum 50. Lebensjahr: alle 2 Jahre, 3. ab dem 51. Lebensjahr: jährlich. 3 Sie haben Anspruch auf eine jährliche Untersuchung, wenn sie gesundheitliche Probleme haben, die auf die fliegerische Tätigkeit zurückzuführen sind. 4 Die Kosten der Untersuchung des Gesundheitszustandes trägt das Luftverkehrsun- ternehmen. 342 Schutz der Gesundheit bei Mutterschaft75 Art. 3476 Anwendbarkeit der Schutzvorschriften bei Schwangerschaft 1 Schwangere Frauen können ihre Ansprüche auf besondere Schutzmassnahmen gel- tend machen, sobald sie das Unternehmen von der Schwangerschaft in Kenntnis ge- setzt haben. 70 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 71 SR 822.113 72 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 73 In der für die Schweiz jeweils verbindlichen Fassung gemäss Ziff. 1 des Anhangs zum Luftverkehrsabkommen vom 21. Juni 1999 (SR 0.748.127.192.68). 74 JAR-FCL 3 wird nicht in der AS publiziert und nicht übersetzt. Das Regelwerk kann beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), 3003 Bern (www.bazl.admin.ch) eingesehen oder bei der zuständigen Stelle der Joint Aviation Authorties gegen Entgelt bezogen werden. 75 Eingefügt gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 76 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). Luftfahrtverordnung 15 / 52 748.01 2 Sie müssen auf Verlangen des Unternehmens das Zeugnis einer Ärztin oder eines Arztes vorlegen. Art. 3577 Einsatz bei Mutterschaft Der Einsatz von schwangeren Frauen, Wöchnerinnen und stillenden Müttern richtet sich nach den Artikeln 35 Absatz 1 und 35a Absätze 1–3 des Arbeitsgesetzes vom 13. März 196478. Art. 3679 Ersatzarbeit und Lohnersatz 1 Schwangere Frauen und stillende Mütter, die vom Flugdienst befreit werden, haben Anspruch auf 80 Prozent des Lohnes, soweit ihnen das Luftverkehrsunternehmen keine gleichwertige Ersatzarbeit am Boden zuweisen kann. 2 Auf schwangere Frauen und stillende Mütter, welche eine Ersatzarbeit am Boden verrichten, sind anwendbar: a. das Arbeitsgesetz vom 13. März 196480; b. die Verordnung 1 vom 10. Mai 200081 zum Arbeitsgesetz; c. die ArGV 382; d. die Vorschriften, die das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartment gestützt auf Artikel 62 Absatz 4 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz erlässt. 343 Besatzungsmitglieder mit Familienpflichten83 Art. 3784 Für den Einsatz von Besatzungsmitgliedern mit Familienpflichten gelten: a. Artikel 36 Absatz 1 des Arbeitsgesetzes vom 13. März 196485, soweit der Flugbetrieb es zulässt; und b. Artikel 36 Absatz 3 des Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964. 77 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 78 SR 822.11 79 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 80 SR 822.11 81 SR 822.111 82 SR 822.113 83 Eingefügt gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 84 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Sept. 2009, in Kraft seit 15. Okt. 2009 (AS 2009 5027). 85 SR 822.11 Luftfahrt 16 / 52 748.01 35 Feststellung der Angetrunkenheit und anderer Zustände86 351 Alkohol87 Art. 3888 Angetrunkenheit und Dienstunfähigkeit Als angetrunken und dienstunfähig gilt ein Besatzungsmitglied, das folgende Alko- holkonzentration aufweist: a. eine Atemalkoholkonzentration von mehr als 0,1 mg Alkohol pro Liter Atem- luft; oder b. eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 0,2 Gewichtspromille. Art. 3989 Alkoholkontrollen bei Anzeichen der Angetrunkenheit Bestehen bei einem Besatzungsmitglied Anzeichen für eine Angetrunkenheit, so ist eine Alkoholkontrolle durchzuführen. Diese richtet sich nach den Artikeln 40 Ab- sätze 2–4, 41 und 42 Absätze 1 und 3. Art. 4090 Durchführung der anlasslosen Atemalkoholprobe 1 Die Durchführung der anlasslosen Atemalkoholprobe richtet sich: a. nach der Verordnung (EU) 2018/104291; b. ergänzend nach der vorliegenden Verordnung. 2 Die erste Atemalkoholprobe wird mit einem Atemalkoholtestgerät durchgeführt. 3 Liegt das Resultat der ersten Atemalkoholprobe über dem Grenzwert nach Artikel 38 Buchstabe a, so ist frühestens 15 und spätestens 30 Minuten nach Beendigung der 86 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 87 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 88 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 89 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 90 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 91 Verordnung (EU) 2018/1042 der Kommission vom 23. Juli 2018 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 in Bezug auf die technischen Anforderungen und Verwal- tungsverfahren für die Einführung von Unterstützungsprogrammen, einer psychologi- schen Beurteilung der Flugbesatzung sowie von systematischen und stichprobenartigen Tests, bei denen die Flugbesatzung und Flugbegleiter zur Gewährleistung ihrer flugmedi- zinischen Tauglichkeit auf psychoaktive Substanzen getestet werden, sowie in Bezug auf die Ausrüstung neu gebauter turbinengetriebener Flugzeuge mit einer höchstzulässigen Startmasse von höchstens 5 700 kg und einer genehmigten Anzahl von sechs bis neun Fluggastsitzen mit einem Geländewarnsystem, in der für die Schweiz gemäss Ziffer 3 des Anhangs zum Luftverkehrsabkommen vom 21. Juni 1999 (SR 0.748.127.192.68) jeweils verbindlichen Fassung. Luftfahrtverordnung 17 / 52 748.01 ersten Atemalkoholprobe eine zweite Probe mit einem Atemalkoholmessgerät durch- zuführen. Dem Besatzungsmitglied ist es während der Wartezeit untersagt, zu essen, zu trinken oder sonst etwas zu sich zu nehmen. 4 Die Atemalkoholtest- und -messgeräte müssen die Anforderungen der Messmittel- verordnung vom 15. Februar 200692 (MessMV) und der entsprechenden Ausfüh- rungsvorschriften des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements erfüllen. Die Durchführung der Atemalkoholprobe richtet sich sinngemäss nach der Strassenver- kehrskontrollverordnung vom 28. März 200793 (SKV) und den entsprechenden Aus- führungsvorschriften des Bundesamts für Strassen (ASTRA). Art. 4194 Vorläufige Dienstunfähigkeit Liegt das Resultat der ersten Atemalkoholprobe mit dem Atemalkoholtestgerät über dem Grenzwert nach Artikel 38, oder muss gemäss Artikel 42 Absatz 1 Buchstaben a und c eine Blutprobe angeordnet werden, so gilt das Besatzungsmitglied als vorläufig dienstunfähig. Art. 4295 Anordnung und Durchführung eine Blutprobe 1 Eine Blutprobe ist anzuordnen, wenn: a. eine erste Atemalkoholprobe mit einem Atemalkoholtestgerät ein Resultat über dem Grenzwert gemäss Artikel 38 ergibt und dieses nicht mittels einer zweiten Atemalkoholprobe mit einem Atemalkoholmessgerät bestätigt wer- den kann; b. die Atemalkoholprobe verweigert oder vereitelt wird, oder das Besatzungs- mitglied sich dieser entzieht; oder c. aus medizinischen Gründen keine Atemalkoholprobe durchgeführt werden kann. 2 Liegt in Fällen von Absatz 1 Buchstabe c ein entsprechendes ärztliches Attest vor, kann von einer Blutprobe abgesehen und das Besatzungsmitglied in den Dienst ent- lassen werden. 3 Die Durchführung der Blutprobe richtet sich sinngemäss nach den Vorgaben von Artikel 13 Absatz 3 und Artikel 14 der SKV96 und den entsprechenden Ausführungs- vorschriften des ASTRA. 92 SR 941.210 93 SR 741.013 94 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 95 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 96 SR 741.013 Luftfahrt 18 / 52 748.01 352 Betäubungsmittel oder psychotrope Substanzen97 Art. 4398 Untersuchungen bei Anzeichen des Einflusses von Betäubungs- mitteln oder psychotropen Substanzen Bestehen Anzeichen, dass ein Besatzungsmitglied unter dem Einfluss von Betäu- bungsmitteln oder psychotropen Substanzen steht, so richtet sich die Durchführung der angeordneten Untersuchungen sinngemäss nach den Artikeln 12a, 12b, 13 Ab- satz 3, 14, 15 und 17 der SKV99 und den entsprechenden Ausführungsvorschriften des ASTRA. 4 … Art. 44–74100 5 Verkehr, Betrieb und Unterhalt 51101 Verkehrs- und Betriebsregeln Art. 75 Verkehrsregeln Das UVEK erlässt Verkehrsregeln für die Benutzung des schweizerischen Luftraums. Art. 76 Betriebsregeln 1 Das UVEK erlässt Betriebsregeln, die das internationale Recht ausführen oder er- gänzen. 2 Die Betriebsregeln gelten für Schweizer Halter und Flugbetriebsunternehmen im In- und Ausland. 3 Von den Betriebsregeln darf im Ausland abgewichen werden, wenn ausländisches Recht dies zwingend verlangt. 97 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 98 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 16. Febr. 2022, in Kraft seit 1. Mai 2022 (AS 2022 230). 99 SR 741.013 100 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, mit Wirkung seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 101 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). Luftfahrtverordnung 19 / 52 748.01 52 Meldesystem für Ereignisse in der Luftfahrt102 Art. 77103 Grundsätze 1 Das Meldesystem nach den Artikeln 77–77e dient der Verbesserung der Sicherheit in der Luftfahrt. Es richtet sich nach der Verordnung (EU) Nr. 376/2014104. 2 Andere im Bundesrecht vorgesehene Meldepflichten bleiben unberührt. 3 Die Verordnung (EU) Nr. 376/2014 ist auch auf Luftfahrzeuge anwendbar, die in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 216/2008105 aufgeführt sind. 4 Die in der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1018106 aufgeführten Ereignisse müssen gemeldet werden. Art. 77a–77c107 Art. 77d108 Meldestelle 1 Das BAZL bestimmt eine interne Meldestelle, welche die ihr übermittelten melde- pflichtigen Ereignisse sowie freiwilligen Meldungen erfasst und auswertet. 2 Die Meldestelle ist organisatorisch unabhängig von den mit der Aufsichtstätigkeit betrauten Einheiten des BAZL. 3 Sie behandelt Ereignismeldungen vertraulich. 102 Urspünglich: vor Art. 78. Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 103 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, in Kraft seit 1. April 2016 (AS 2016 739). 104 Verordnung (EU) Nr. 376/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Meldung, Analyse und Weiterverfolgung von Ereignissen in der Zivilluft- fahrt, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnungen (EG) Nr. 1321/2007 und (EG) Nr. 1330/2007 der Kommission, in der für die Schweiz jeweils verbindlichen Fassung gemäss Ziffer 3 des Anhangs zum Luftverkehrsabkommen (siehe Fussnote zu Art. 13). 105 Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit, zur Aufhebung der Richtli- nie 91/670/EWG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 und der Richtlinie 2004/36/EG, in der für die Schweiz jeweils verbindlichen Fassung gemäss Ziffer 3 des Anhangs zum Luftverkehrsabkommen (siehe Fussnote zu Art. 13). 106 Durchführungsverordnung (EU) 2015/1018 der Kommission vom 29. Juni 2015 zur Fest- legung einer Liste zur Einstufung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt, die gemäss der Verordnung (EU) Nr. 376/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates meldepflich- tig sind, in der für die Schweiz jeweils verbindlichen Fassung gemäss Ziffer 3 des An- hangs zum Luftverkehrsabkommen (siehe Fussnote zu Art. 13). 107 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 9. März 2007 (AS 2007 917). Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, mit Wirkung seit 1. April 2016 (AS 2016 739). 108 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 9. März 2007, in Kraft seit 1. April 2007 (AS 2007 917). Luftfahrt 20 / 52 748.01 4 Angehörige der Meldestelle, die mit der Erfassung und Auswertung von Ereignis- meldungen betraut sind, sind im Rahmen dieser Tätigkeiten von ihrer Anzeige- und Verfolgungspflicht entbunden. Art. 77e109 Streitigkeiten betreffend den Schutz der Informationsquelle Das UVEK ist die nach Artikel 16 Absatz 12 der Verordnung (EU) Nr. 376/2014110 zuständige Stelle. Art. 77f und 77g111 Art. 78112 53 … Art. 79113 54 Luftaufnahmen Art. 80 Aufnahmen aus der Luft und die Verbreitung solcher Aufnahmen sind unter Vorbehalt der Gesetzgebung über den Schutz militärischer Anlagen erlaubt. 55 Abwurf von Gegenständen Art. 81 Der Abwurf von Gegenständen aus Luftfahrzeugen während des Fluges ist unter Vor- behalt der vom UVEK bestimmten Ausnahmen verboten. 109 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 9. März 2007 (AS 2007 917). Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, in Kraft seit 1. April 2016 (AS 2016 739). 110 Siehe Fussnote zu Art. 77 Abs. 1. 111 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 9. März 2007 (AS 2007 917). Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, mit Wirkung seit 1. April 2016 (AS 2016 739). 112 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 9. März 2007, mit Wirkung seit 1. April 2007 (AS 2007 917). 113 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988, mit Wirkung seit 1. April 1988 (AS 1988 534). Luftfahrtverordnung 21 / 52 748.01 56 Werbung Art. 82 an Luftfahrzeugen 1 Die Werbung mit Aufschriften und bildlichen Darstellungen an Luftfahrzeugen ist unter Vorbehalt der Bestimmungen der übrigen Bundesgesetzgebung gestattet.114 2 Die Hoheits- und Eintragungszeichen müssen in jedem Fall deutlich erkennbar blei- ben. 3 …115 Art. 83 mit Luftfahrzeugen Jede andere Werbung mit Luftfahrzeugen, namentlich durch Abwurf von Flugblät- tern, Himmelsschrift, Verwendung von Lautsprechern, Schleppen von Werbebändern ist untersagt. 57 Akrobatische Vorführungen an Luftfahrzeugen Art. 84 Akrobatische Vorführungen an Luftfahrzeugen bedürfen einer Bewilligung des BAZL. Mit der Bewilligung werden die erforderlichen Auflagen verbunden. 58 Öffentliche Flugveranstaltungen Art. 85 Begriff Öffentliche Flugveranstaltungen sind Veranstaltungen mit Luftfahrzeugen, zu deren Besuch öffentlich eingeladen wird, namentlich Vorführungen und Wettbewerbe sowie Passagierflüge ausserhalb von Flugplätzen. Art. 86 Bewilligungspflicht 1 Öffentliche Flugveranstaltungen bedürfen unter Vorbehalt von Absatz 2 einer Be- willigung des BAZL. Vor einer Bewilligung grosser Veranstaltungen ist das Bundes- amt für Umwelt116 anzuhören. 114 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988, in Kraft seit 1. April 1988 (AS 1988 534). 115 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988, mit Wirkung seit 1. April 1988 (AS 1988 534). 116 Die Bezeichnung der Verwaltungseinheit wurde in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 der Publikationsverordnung vom 17. Nov. 2004 (AS 2004 4937) angepasst. Luftfahrt 22 / 52 748.01 2 Keiner Bewilligung bedürfen öffentliche Flugveranstaltungen: a. auf Flugplätzen, wenn lediglich Passagierflüge und fliegerische Wettbewerbe unter den Mitgliedern einer ortsansässigen Organisation unter Einschluss ein- zelner Gäste, vorgesehen sind; b.117 ausserhalb von Flugplätzen, wenn höchstens zwanzig Freiballone beteiligt sind; c. ausserhalb von Flugplätzen, wenn nicht mehr als zwei Hubschrauber beteiligt sind, unter Vorbehalt der Zustimmung durch die Gemeindebehörden: d.118 … Art. 87 Gesuch 1 Das Gesuch um Bewilligung einer öffentlichen Flugveranstaltung ist dem BAZL spätestens sechs Wochen vor der Durchführung einzureichen.119 2 Es muss folgende Angaben enthalten: a. Ort und Zeitpunkt; b. Veranstalter; c. verantwortlicher Leiter; d. Organisationsplan und vorgesehene Luftfahrzeuge; e. Programm; f. Übersicht der für die Veranstaltung getroffenen Anordnungen, insbesondere für die Sicherheit der Zuschauer, den Verkehr am Boden und in der Luft sowie den Sanitätsdienst. 3 Für Veranstaltungen auf Flugplätzen ist die Zustimmung des Flugplatzhalters bei- zubringen, für Veranstaltungen auf einem anderen Gelände die Zustimmung der Grundeigentümer sowie die Erklärung der zuständigen kantonalen Behörde, dass sie gegen die Veranstaltung keine Einwendung erhebt. 4 Dem Gesuch um Bewilligung einer öffentlichen Flugveranstaltung ausserhalb eines Flugplatzes sind beizulegen: a. Kartenausschnitt 1:25 000, auf dem das vorgesehene Gelände eingezeichnet ist; b. Skizze des Geländes 1:5000, aus dem auch die umliegenden Luftfahrthinder- nisse ersichtlich sind. 117 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 118 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 25. Aug. 1976, mit Wirkung seit 1. Jan. 1977 (AS 1976 1921). 119 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). Luftfahrtverordnung 23 / 52 748.01 Art. 88 Prüfung Das BAZL prüft die Unterlagen und begutachtet insbesondere das für die Benützung vorgesehene Gelände. Art. 89 Bewilligung 1 Das BAZL, erteilt die Bewilligung, wenn der Veranstalter die zusätzliche Sicher- stellung der Haftpflichtansprüche von Dritten auf der Erde nach den Bestimmungen des Artikels 133 nachgewiesen hat und die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. 1bis Veranstaltungen, in deren Rahmen mit Luftfahrzeugen mit motorischem Antrieb Aussenlandungen oberhalb von 1100 m über Meer und ausserhalb von Gebirgslande- plätzen durchgeführt werden, bewilligt das BAZL nur, wenn sie ein bedeutendes Ju- biläum im Gebirgsflug zum Anlass haben.120 1ter Veranstaltungen, in deren Rahmen mit Luftfahrzeugen mit motorischem Antrieb Aussenlandungen auf öffentlichen Gewässern durchgeführt werden, bewilligt das BAZL nur, wenn die zuständige kantonale Behörde die Einhaltung der gewässer- schutz-, fischerei-, umwelt- und naturschutzrechtlichen Vorgaben geprüft und bejaht hat und keine Einwände aufgrund weiterer öffentlicher Interessen erhebt.121 2 Es setzt die aus Sicherheits- und Lärmgründen nötigen Bedingungen und Auflagen fest. Art. 90 Leitung 1 Dem verantwortlichen Leiter der Veranstaltung obliegt, neben der Leitung des Flug- betriebes, insbesondere: a. die Ausweise des teilnehmenden Flugpersonals und die Zeugnisse der ver- wendeten Luftfahrzeuge zu prüfen; b. das für die Regelung des Flugdienstes verantwortliche Personal über die Flug- dienstordnung und die getroffenen Sicherheitsmassnahmen zu unterrichten; c. zu prüfen, ob die verwendeten Luftfahrzeuge in der Bewilligung der Flugver- anstaltung aufgeführt sind; d. darüber zu wachen, dass das genehmigte Programm eingehalten wird. 2 Auf Flugplätzen stehen diese Pflichten und Befugnisse dem Flugplatzleiter zu. Die- ser kann sie unter seiner Aufsicht auf den Leiter der Veranstaltung übertragen. Art. 91 Überwachung Das BAZL kann die Veranstaltung durch einen Sachverständigen überwachen lassen. Dessen Aufgaben werden von Fall zu Fall festgelegt. 120 Eingefügt durch Anhang Ziff. 3 der Aussenlandeverordnung vom 14. Mai 2014, in Kraft seit 1. Sept. 2014 (AS 2014 1339). 121 Eingefügt durch Anhang Ziff. 3 der Aussenlandeverordnung vom 14. Mai 2014, in Kraft seit 1. Sept. 2014 (AS 2014 1339). Luftfahrt 24 / 52 748.01 59 … Art. 9298122 510 Rückzug von Bewilligungen Art. 99 Bewilligungen können zurückgezogen oder eingeschränkt werden, wenn die bei der Erteilung massgebenden Voraussetzungen nicht mehr bestehen. 6123 Gewerbsmässige Luftfahrt 61 Betriebsbewilligung Art. 100 Gewerbsmässigkeit 1 Flüge gelten als gewerbsmässig, wenn: a. für sie in irgendeiner Form ein Entgelt entrichtet wird, das mehr als die Kosten für Luftfahrzeugmiete, Treibstoff sowie Flugplatz- und Flugsicherungsgebüh- ren decken soll; und b. sie einem nicht bestimmten Kreis von Personen zugänglich sind. 1bis Ist der Beförderer ein Verein, so gelten Vereinsmitglieder als einem bestimmten Kreis zugehörig, wenn sie seit mehr als 30 Tagen Mitglied sind.124 2 Bei allen Flügen von Unternehmen, die über eine Betriebsbewilligung verfügen, wird die Gewerbsmässigkeit vermutet. Die zoll- und steuerrechtliche Beurteilung ei- nes Sachverhalts bleibt vorbehalten. 3 Bei nicht gewerbsmässigen Flügen, für die ein Entgelt entrichtet wird, sind die Passagiere vor dem Abflug auf den privaten Charakter des Fluges und auf die damit verbundenen Folgen hinsichtlich des Versicherungsschutzes hinzuweisen. Gelangen Luftfahrzeuge zum Einsatz, die in Bezug auf die Lufttüchtigkeit der Sonderkategorie angehören, so sind die Passagiere überdies auf die Besonderheiten der Zulassung des jeweiligen Luftfahrzeuges hinzuweisen.125 122 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, mit Wirkung seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 123 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 28. Okt. 1998, in Kraft seit 15. Nov. 1998 (AS 1998 2570). 124 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 17. Aug. 2022, in Kraft seit 1. Okt. 2022 (AS 2022 485). 125 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Aug. 2022, in Kraft seit 1. Okt. 2022 (AS 2022 485). Luftfahrtverordnung 25 / 52 748.01 Art. 101126 Einschränkungen für gewerbsmässig eingesetzte Luftfahrzeuge Folgende Luftfahrzeuge dürfen nicht für gewerbsmässige Personentransporte einge- setzt werden: a. Luftfahrzeuge der Sonderkategorie, Unterkategorie «historisch»; und b. Luftfahrzeuge der Standardkategorie, die nicht auf europäischer Ebene gere- gelt sind und die aktuell über keinen Inhaber der Musterzulassung verfügen. Art. 102 Entzug der Betriebsbewilligung Das BAZL kann die Betriebsbewilligung entziehen, wenn: a. die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht mehr erfüllt sind; b. Vorschriften wiederholt oder in grober Weise verletzt werden; oder c. Auflagen nicht erfüllt werden. 611 Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Art. 103 Allgemeine Voraussetzungen für eine Betriebsbewilligung 1 Einem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz wird eine Betriebsbewilligung für die gewerbsmässige Beförderung von Personen oder Gütern (Art. 27 LFG) erteilt, wenn: a. das Unternehmen in der Schweiz im Handelsregister eingetragen ist mit dem Zweck, gewerbsmässigen Luftverkehr zu betreiben; b. das Unternehmen sich unter tatsächlicher Kontrolle und mehrheitlich im Ei- gentum von Schweizer Bürgern befindet; vorbehalten bleibt der Fall, in dem Ausländer oder ausländische Gesellschaften auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen127 Schweizer Bürgern oder schweizerischen Gesellschaften gleichgestellt sind; c. im Fall einer Aktiengesellschaft zudem mehr als die Hälfte des Aktienkapitals aus Namenaktien besteht und sich dieses mehrheitlich im Eigentum von Schweizer Bürgern oder schweizerisch beherrschten Handelsgesellschaften o- der Genossenschaften befindet; vorbehalten bleibt der Fall, in dem Ausländer oder ausländische Gesellschaften aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarun- gen128 Schweizer Bürgern oder schweizerischen Gesellschaften gleichgestellt sind; d. ein Luftverkehrsbetreiberzeugnis vorliegt, das insbesondere die Flugbetriebs- und Unterhaltsorganisation regelt; 126 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Aug. 2022, in Kraft seit 1. Okt. 2022 (AS 2022 485). 127 Eine Liste dieser Vereinbarungen kann beim BAZL eingesehen werden. 128 Eine Liste dieser Vereinbarungen kann beim BAZL eingesehen werden. Luftfahrt 26 / 52 748.01 e. die Luftfahrzeuge, die das Unternehmen betreibt, die Mindestanforderungen für die vorgesehenen Dienste erfüllen und im schweizerischen Luftfahrzeug- register eingetragen sind; im Einvernehmen mit der Oberzolldirektion können die Luftfahrzeuge im Luftfahrzeugregister eines Staates eingetragen sein, mit dem diese Möglichkeit in einer zwischenstaatlichen Vereinbarung129 vorge- sehen wurde; f. das Unternehmen Halter von mindestens einem Luftfahrzeug ist, das es als Eigentümer oder auf Grund eines Leasingvertrages betreibt, der dem Unter- nehmen die freie Benützung des Luftfahrzeugs während mindestens sechs Monaten garantiert; g. dem Unternehmen eigene Flugbesatzungen mit den erforderlichen Ausweisen zur Verfügung stehen; h.130 …; i. das Unternehmen glaubhaft machen kann, dass es seinen Verpflichtungen während eines Zeitraums von 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit je- derzeit nachkommen kann und dass es für die fixen und variablen Kosten ge- mäss seinem Wirtschaftsplan während drei Monaten nach Aufnahme der Tä- tigkeit ohne Berücksichtigung von Betriebseinnahmen aufkommen kann; die Festlegung der Verpflichtungen und die Ermittlung der Kosten haben von re- alistischen Annahmen auszugehen. 2 Ein Unternehmen, das über eine Betriebsbewilligung verfügt, oder eine Beteili- gungsgesellschaft, die direkt oder indirekt eine Mehrheitsbeteiligung an einem Unter- nehmen hält, hat zur Sicherung einer schweizerischen Mehrheit an seinem Gesell- schaftskapital ein Kaufrecht an börsenkotierten Kapitalanteilen, die von Ausländern erworben worden sind. Das Kaufrecht darf bis zehn Tage nach Anmeldung des Er- werbs beim Unternehmer ausgeübt werden, wenn der im Aktienregister eingetragene ausländische Anteil am Gesellschaftskapital 40 Prozent des gesamten Gesellschafts- kapitals erreicht hat oder wenn der im Aktienregister eingetragene ausländische Anteil am Gesellschaftskapital den eingetragenen schweizerischen Anteil überstiegen hat. Der Übernahmepreis entspricht dem Börsenkurs im Zeitpunkt der Kaufrechtsaus- übung. Das Unternehmen veröffentlicht regelmässig den ausländischen Anteil am Ge- sellschaftskapital. Vorbehalten bleibt der Fall, in dem Ausländer oder ausländische Gesellschaften auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen131 Schweizer Bürgern oder schweizerischen Gesellschaften gleichgestellt sind. 3 In begründeten Fällen kann das BAZL, im Einvernehmen mit der Oberzolldirektion, auf bestimmte Zeit die Verwendung einzelner Luftfahrzeuge bewilligen, die im Luft- fahrzeugregister eines Staates eingetragen sind, mit dem diese Möglichkeit nicht in einer zwischenstaatlichen Vereinbarung132 vorgesehen wurde. 129 Eine Liste dieser Vereinbarungen kann beim BAZL eingesehen werden. 130 Aufgehoben durch Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, mit Wirkung seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 131 Eine Liste dieser Vereinbarungen kann beim BAZL eingesehen werden. 132 Eine Liste dieser Vereinbarungen kann beim BAZL eingesehen werden. Luftfahrtverordnung 27 / 52 748.01 4 Das BAZL kann in begründeten Fällen Ausnahmen von den Voraussetzungen nach Absatz 1 Buchstaben a, b und c gewähren. Es kann die Übertragung einzelner Be- triebsaufgaben an andere in- oder ausländische Unternehmen bewilligen.133 Art. 103a134 Sicherheitsmanagementsystem 1 Folgende Unternehmen mit Sitz in der Schweiz müssen ein Sicherheitsmanagement- system einrichten und unterhalten: a. Halter von Flugzeugen und Hubschraubern, die gewerbsmässige Flüge durch- führen; b. Instandhaltungsbetriebe für Flugzeuge und Hubschrauber. 2 Für das Sicherheitsmanagementsystem sind unmittelbar anwendbar die folgenden Normen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) in Anhang 19 zum Chicago-Übereinkommen135:136 a.137 Teil I Ziffern 3.3 und 8.7.3; b.138 Teil III Sektion II Ziffern 1.3 und 6.1.2. 3 Vorbehalten bleiben die nach Artikel 38 des Chicago-Übereinkommens von der Schweiz gemeldeten Abweichungen. 4 Das UVEK kann Empfehlungen des Anhangs 6 des Chicago-Übereinkommens für verbindlich erklären. 5 Das BAZL kann zur Umsetzung der Normen und Empfehlungen der ICAO zusätz- liche Weisungen erlassen. 6 Anhang 6 des Chicago-Übereinkommens wird in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlicht. Er kann beim BAZL in französischer und englischer Sprache eingese- hen werden139. 133 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 134 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 5. Dez. 2008, in Kraft seit 1. Jan. 2009 (AS 2008 6005). 135 SR 0.748.0. Der Text dieses Anhanges wird in der AS nicht veröffentlicht. Er kann beim Bundesamt für Zivilluftfahrt unter www.bazl.admin.ch > Für Fachleute > Regulation und Grundlagen kostenlos abgerufen oder bei der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des documents, 999, rue de l’Université, Montréal, Québec, Canada H3C 5H7; www.icao.int) kostenpflichtig bezogen werden. 136 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 137 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 138 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 139 Diese Dokumente können überdies beim Buchhandel oder bei der ICAO (www.icao.int) bestellt oder abonniert werden. Luftfahrt 28 / 52 748.01 Art. 104 Ballone, Segelflugzeuge und Luftfahrzeuge besonderer Kategorien 1 Ballonfahrtunternehmen müssen die Voraussetzungen nach Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe b des Luftfahrtgesetzes und diejenigen nach Artikel 103 Absatz 1 Buch- staben a, e und g erfüllen. In begründeten Fällen kann das BAZL Ausnahmen zu den Voraussetzungen nach Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe a gewähren. 2 Für Unternehmen, die Segelflugzeuge und Luftfahrzeuge besonderer Kategorien be- treiben, ist keine Betriebsbewilligung erforderlich. Art. 105140 Einzelbewilligung Für eine kurze Zeit oder eine geringe Anzahl von Flügen kann eine Betriebsbewilli- gung als Einzelbewilligung erteilt werden, wenn der Betreiber einen vergleichbaren und der Operation angemessenen Sicherheitsstandard nachweisen kann. Art. 106 Haftungssumme und Versicherungspflicht 1 Eine Betriebsbewilligung wird einem Gesuchsteller nur erteilt, wenn er: a. über die folgenden Sicherstellungen verfügt: 1. für Haftpflichtansprüche im Falle von Tod oder Körperverletzung: über eine minimale Sicherstellung von 250 000 Sonderziehungsrechten ge- mäss der Definition des Internationalen Währungsfonds je Reisenden, 2.141 für Haftpflichtansprüche im Falle von Beschädigung von Reisegepäck: über eine minimale Sicherstellung von 1288 Sonderziehungsrechten je Reisenden, 3.142 für Haftpflichtansprüche im Falle von Beschädigung von Gütern: über eine minimale Sicherstellung von 22 Sonderziehungsrechten je Kilo- gramm; und b. nachweist, dass er gegen die Folgen seiner Haftpflicht bis zu den Beträgen nach Buchstabe a versichert ist.143 2 In den Versicherungsvertrag ist folgende Bestimmung aufzunehmen: Endigt der Vertrag vor dem im Nachweis über die Sicherstellung angegebenen Zeitpunkt, so ver- pflichtet sich die Versicherungsunternehmung, gleichwohl Ersatzansprüche bis zum Entzug der Bewilligung nach den Bestimmungen des Vertrages zu decken, längstens aber während 15 Tagen, nachdem das BAZL vom Ende des Vertrags benachrichtigt worden ist. Als Zeitpunkt des Entzugs gilt der Tag, an dem die Entzugsverfügung rechtskräftig wird. 140 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 141 Fassung gemäss Ziff. II der V vom 12. Okt. 2022, in Kraft seit 1. Jan. 2023 (AS 2022 622). 142 Fassung gemäss Ziff. II der V vom 12. Okt. 2022, in Kraft seit 1. Jan. 2023 (AS 2022 622). 143 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). Luftfahrtverordnung 29 / 52 748.01 Art. 107 Auskunfts- und Meldepflicht 1 Unternehmen mit einer Betriebsbewilligung haben dem BAZL auf Verlangen jeder- zeit Einblick in ihre Betriebsführung und Geschäftsunterlagen zu gewähren und die für die Erstellung der Luftverkehrsstatistik erforderlichen Angaben zu liefern. 2 …144 3 Beabsichtigen Unternehmen, Kontinente oder Gebiete, die sie bisher nicht angeflo- gen haben, zu bedienen, so melden sie dem BAZL im Voraus ihre Pläne. Zudem mel- den sie ihm im Voraus alle beabsichtigten Zusammenschlüsse oder Übernahmen so- wie innert 14 Tagen jede Änderung des Eigentums an Einzelbeteiligungen, die zehn Prozent oder mehr des gesamten Beteiligungskapitals des Unternehmens oder seiner Mutter- oder Dachgesellschaft ausmachen. 612 Unternehmen mit Sitz im Ausland Art. 108 Allgemeine Voraussetzungen für eine Betriebsbewilligung 1 Einem Unternehmen mit Sitz im Ausland wird eine Betriebsbewilligung für die ge- werbsmässige Beförderung von Personen oder Gütern (Art. 29 LFG) erteilt, wenn: a. es in seinem Heimatstaat zur gewerbsmässigen Beförderung von Personen o- der Gütern im internationalen Luftverkehr zugelassen ist; b. es die Behörden seines Heimatstaats in technischer und betrieblicher Hinsicht wirksam beaufsichtigen; c. durch die Erteilung der Betriebsbewilligung keine wesentlichen schweizeri- schen Interessen beeinträchtigt werden; d. schweizerischen Unternehmen von seinem Heimatstaat die Beförderung von Personen oder Gütern in gleichwertiger Weise erlaubt wird; e. die Haftpflichtansprüche von Dritten auf der Erde (Art. 125) sichergestellt sind; und f.145 es nachweist, dass seine Sicherstellung der Haftpflichtansprüche mindestens den in Artikel 106 Absatz 1 Buchstaben a–c geforderten Beträgen entspricht. 2 Besteht kein offensichtlicher Grund zur Annahme, dass die Voraussetzungen von Absatz 1 Buchstaben a und b nicht erfüllt sind, so kann auf eine Prüfung der techni- schen und betrieblichen Grundlagen des Unternehmens verzichtet werden. Eine ent- sprechende Überprüfung kann aber jederzeit angeordnet werden. 3 In begründeten Fällen kann vom Erfordernis nach Absatz 1 Buchstabe d abgesehen werden. 144 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, mit Wirkung seit 1. April 2016 (AS 2016 739). 145 Fassung gemäss Anhang Ziff. II der V vom 17. Aug. 2005 über den Lufttransport, in Kraft seit 5. Sept. 2005 (AS 2005 4243). Luftfahrt 30 / 52 748.01 Art. 109 Auskunfts- und Meldepflicht Der Inhaber der Betriebsbewilligung ist verpflichtet, dem BAZL ohne Verzug zu mel- den: a. alle Flugprogramme und -pläne für Flüge von und nach der Schweiz; b.146 alle Ereignisse im Sinne von Artikel 77a, die sich im Zusammenhang mit Flü- gen von und nach der Schweiz ereignen; und c. die für die Erstellung der Luftverkehrsstatistik erforderlichen Angaben. 62 Streckenkonzession Art. 110 Linienverkehr 1 Als Linienverkehr gelten Flüge zur gewerbsmässigen Beförderung von Personen o- der Gütern, wenn: a. sie während einer Mindestdauer so regelmässig oder häufig erfolgen, dass es sich erkennbar um eine systematische Folge von Flügen handelt; und b. im Personenverkehr in der Öffentlichkeit Sitzplätze zum Einzelkauf angebo- ten werden. 2 Das UVEK erlässt Ausführungsvorschriften; es berücksichtigt dabei die Entwick- lungen im internationalen Luftverkehr. Art. 111 Konzessionspflichten 1 Das konzessionierte Unternehmen ist verpflichtet, Flugpläne und Tarife festzulegen und dem BAZL zu unterbreiten. Es hat seine Flugpläne und Tarife der Öffentlichkeit in geeigneter Weise zugänglich zu machen. Zudem hat es sicherzustellen, dass die auf diese Weise bekannt gemachten Flugpläne und Tarife eingehalten werden. Art und Umfang der Betriebs- und Beförderungspflicht werden in der Konzession geregelt. 2 Das BAZL kann das konzessionierte Unternehmen, namentlich im Fall einer Not- lage oder bei veränderten Verhältnissen, auf begründetes Gesuch hin von einzelnen oder allen auferlegten Pflichten befreien oder ihm andere Erleichterungen gewähren. Art. 112 Entzug der Streckenkonzession 1 Das BAZL kann eine Streckenkonzession jederzeit und ohne Entschädigung entzie- hen, wenn das konzessionierte Unternehmen seine Pflichten schwer oder wiederholt verletzt (Art. 93 LFG). 2 Es kann die Konzession ferner entziehen, wenn die für die Erteilung erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. 146 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). Luftfahrtverordnung 31 / 52 748.01 Art. 113147 621 Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Art. 114148 Gesuch 1 Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, die Luftverkehrslinien betreiben wollen, un- terbreiten dem BAZL ein Gesuch um Erteilung einer Streckenkonzession mit den fol- genden Angaben und Unterlagen: a. Linien- und Flugplan; b. Tarife und Beförderungsbedingungen; c. Angaben zum Zeitpunkt der Betriebsaufnahme; d. Angaben über das zum Einsatz vorgesehene Flugmaterial; e. Verträge über die Zusammenarbeit mit anderen Fluggesellschaften; f. Angaben über die Wirtschaftlichkeit der beantragten Linie. 2 Das BAZL informiert vor dem Entscheid über ein Konzessionsgesuch die übrigen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, die ebenfalls in der Lage wären, den Betrieb der gleichen Luftverkehrslinie sicherzustellen. 3 Die übrigen Unternehmen können innert 14 Tagen seit der Mitteilung durch das BAZL ihr Interesse am Betrieb der Luftverkehrslinie anmelden. Sie haben vom Zeit- punkt der Mitteilung an 45 Tage Zeit, um ein entsprechendes Konzessionsgesuch ein- zureichen. 4 Das BAZL hört vor dem Entscheid über ein Konzessionsgesuch für innerschweize- rische Luftverkehrslinien die Regierungen der betroffenen Kantone, die betroffenen Flugplätze und die interessierten öffentlichen Transportunternehmen an. 5 Besteht gestützt auf staatsvertragliche Regelungen ein Anspruch auf Erteilung einer Streckenkonzession, so finden die Absätze 2–4 keine Anwendung. Art. 115 Entscheid 1 Das BAZL kann die Streckenkonzession namentlich verweigern, wenn das Ver- kehrsbedürfnis in anderer Weise gleichwertig befriedigt wird oder wenn die anzuflie- genden Flugplätze keine Infrastruktur für Instrumentenanflugverfahren aufweisen. 2 Liegen mehrere Gesuche für die gleiche Luftverkehrslinie vor und ist die Erteilung mehrerer Konzessionen in begründeten Fällen nicht möglich, so berücksichtigt das BAZL bei seinem Entscheid insbesondere folgende Kriterien: 147 Aufgehoben durch Art. 10 der Slotkoordinationsverordnung vom 17. Aug. 2005, mit Wirkung seit 1. Okt. 2005 (AS 2005 4425). 148 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). Luftfahrt 32 / 52 748.01 a. die Fähigkeit des Unternehmens, den Betrieb der Linie während mindestens zwei Flugplanperioden sicherzustellen; b. die der Öffentlichkeit in Aussicht gestellte Dienstleistung (Produktqualität, Preise, Fluggerät, Kapazität usw.); c. die Auswirkungen auf den Wettbewerb in den vorgesehenen Bedienungs- märkten; d. die Bedienung der schweizerischen Flughäfen; e. die ökonomisch sinnvolle Nutzung bestehender Verkehrsrechte und -kapazi- täten; f. den Zeitpunkt der Verkehrsaufnahme; g. die Erfüllung ökologischer Bedingungen (lärm- und schadstoffarme Luftfahr- zeuge); h. die vom konzessionierten Unternehmen bisher erbrachten Leistungen zum Aufbau des Marktes der betreffenden Luftverkehrslinie. 3 Das BAZL kann die interessierten Unternehmen zu einer Anhörung einladen. Art. 116 Dauer der Streckenkonzession 1 Die Konzession wird für höchstens acht Jahre erteilt. 2 Sie kann auf Gesuch hin erneuert werden. 3 Die Entscheidung über eine Erneuerung wird spätestens 6 Monate vor Ablauf der Konzession gefällt. Im Übrigen findet Artikel 115 Anwendung.149 Art. 117 Änderung und Übertragung von Rechten und Pflichten aus Konzessionen 1 Das BAZL kann Rechte und Pflichten aus bestehenden Konzessionen ändern oder übertragen. 2 Es kann insbesondere einem konzessionierten Unternehmen erlauben, bestimmte Flüge durch andere schweizerische oder durch ausländische Luftverkehrsunterneh- men durchführen zu lassen, wenn namentlich: a. der sichere Betrieb gewährleistet ist; b. klargestellt ist, welche Behörde die Aufsicht innehat; und c. die Öffentlichkeit über die Übertragung informiert wird. 3 Das BAZL kann die Übertragung einzelner Betriebsaufgaben an andere in- oder aus- ländische Unternehmen bewilligen. 149 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). Luftfahrtverordnung 33 / 52 748.01 Art. 118150 Übertragung ungenutzter Streckenkonzessionen an Mitbewerber 1 Übt ein Unternehmen die in der Streckenkonzession gewährten Verkehrsrechte nicht aus, so kann jedes andere Unternehmen beim BAZL ein Gesuch um Übertragung der Konzession einreichen. 2 Liegt ein solches Gesuch vor, so setzt das BAZL dem konzessionierten Unterneh- men eine Frist von höchstens drei Monaten, innert der es den Betrieb der Luftver- kehrslinie aufnehmen muss. Das BAZL kann die Frist in begründeten Fällen erstre- cken. 3 Nimmt das konzessionierte Unternehmen den Betrieb innert der Frist nicht auf und erfüllt das andere die Konzessionsvoraussetzungen, so überträgt das BAZL die Stre- ckenkonzession. 4 Die Artikel 114 und 115 sind anwendbar. Art. 118a151 Heimfall unbenutzter Streckenkonzessionen Bedient ein konzessioniertes Unternehmen eine Luftverkehrslinie während 12 Mona- ten nicht, so fällt die Streckenkonzession dahin. 622 Unternehmen mit Sitz im Ausland Art. 119 Gesuch Unternehmen mit Sitz im Ausland, die Luftverkehrslinien betreiben wollen, unterbrei- ten dem BAZL ein Gesuch mit folgenden Angaben und Unterlagen: a. den Linien- und Flugplan; b. die Tarife; c. Angaben zum Zeitpunkt der Betriebsaufnahme; d. Angaben über das zum Einsatz vorgesehene Flugmaterial; e. Angaben zum Rechtsdomizil in der Schweiz. Art. 120 Verfahren 1 Die Konzessionierung eines ausländischen Unternehmens richtet sich nach der je- weils geltenden zwischenstaatlichen Vereinbarung. 2 Besteht keine zwischenstaatliche Vereinbarung oder sind in einer solchen bestimmte Verkehrsrechte nicht geregelt, so kann das BAZL einem ausländischen Unternehmen eine Streckenkonzession für eine einzelne Linie erteilen, wenn das Unternehmen auch von seinem Heimatstaat die notwendigen Verkehrsrechte besitzt. 150 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 151 Eingefügt durch Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). Luftfahrt 34 / 52 748.01 3 Das BAZL achtet bei der Erteilung der Konzession insbesondere darauf, dass der Heimatstaat des Unternehmens Gegenrecht gewährt. Art. 121–122 … 6a152 Sicherheitsmassnahmen 1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 122a Sicherheitsmassnahmen auf Flugplätzen 1 Der Halter eines Flugplatzes mit internationalem gewerbsmässigem Luftverkehr legt in einem Sicherheitsprogramm die Sicherheitsmassnahmen fest, die er je nach Bedro- hungslage zur Verhütung von Angriffen auf die Sicherheit der zivilen Luftfahrt er- greifen wird. 2 Das Sicherheitsprogramm bedarf der Genehmigung durch das BAZL. 3 Als Sicherheitsmassnahmen kommen insbesondere in Betracht: a. die auf Aspekte der Sicherheit ausgerichtete Kontrolle der Fluggäste, des nicht aufgegebenen Handgepäcks, des aufgegebenen Gepäcks, der Fracht, der Post und der Luftfahrzeuge; b. andere Massnahmen, die sicherstellen sollen, dass keine verbotenen Gegen- stände, welche zu widerrechtlichen Handlungen gegen die Sicherheit der zi- vilen Luftfahrt verwendet werden können, an Bord von Luftfahrzeugen gelan- gen. 4 Das UVEK ordnet die Sicherheitsmassnahmen an. Zuvor hört es die zuständige Kan- tonspolizei, den betroffenen Flugplatzhalter und die betroffenen Luftverkehrsunter- nehmen an.153 Art. 122b Sicherheitsmassnahmen der Luftverkehrsunternehmen 1 Das Luftverkehrsunternehmen, das Luftfahrzeuge im internationalen gewerbsmäs- sigen Luftverkehr einsetzt, ist zur Sicherung des Betriebes seiner Luftfahrzeuge ge- mäss den vom UVEK festgelegten Anforderungen verpflichtet. Es hat seine Sicher- heitsmassnahmen in einem Sicherheitsprogramm darzustellen. 2 Das Sicherheitsprogramm bedarf der Genehmigung durch das BAZL. 152 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988 (AS 1988 534). Fassung gemäss Ziff. I der V vom 4. Juli 2007, in Kraft seit 1. Aug. 2007 (AS 2007 3645). 153 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). Luftfahrtverordnung 35 / 52 748.01 Art. 122c Anwendbare Bestimmungen 1 Die Sicherheitsmassnahmen richten sich nach: a. den Bestimmungen unter der Gliederungseinheit 6a; b. den unmittelbar anwendbaren Normen der ICAO im Anhang 17 zum Chicago- Übereinkommen154; vorbehalten sind die nach Artikel 38 dieses Übereinkom- mens gemeldeten Abweichungen; c. den für die Schweiz verbindlichen Bestimmungen des Rechts der Europäi- schen Union.155 2 Zudem sind die Empfehlungen der ICAO im Anhang 17 zum Chicago- Überein- kommen vom 7. Dezember 1944 unmittelbar anwendbar.156 2bis Die Sicherheitsbeauftragten treffen die notwendigen Massnahmen, wenn die Si- cherheit der Passagiere, der Besatzung oder des Flugzeugs bedroht ist. Sie dürfen po- lizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen nach dem Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 2008157 und seinen Ausführungsbestimmungen anwenden.158 3 Das BAZL erlässt die notwendigen Vorschriften, insbesondere das Nationale Si- cherheitsprogramm Luftfahrt159. Art. 122d160 Vollzug 1 Das UVEK erlässt Vorschriften über: a. die Ausgestaltung der Sicherheitsmassnahmen; b. das Zusammenwirken der beteiligten Stellen; c. die Verteilung der Kosten zwischen dem BAZL, den Flugplatzhaltern und den Luftverkehrsunternehmen. 2 Das BAZL kann je nach Bedrohungslage im Einzelfall gestützt auf eine Bedro- hungsanalyse des Bundesamtes für Polizei (fedpol) weitere Massnahmen anordnen und die Kostentragung festlegen; es hört dazu vorgängig die zuständige Flughafenpo- lizei und den betroffenen Flugplatzhalter an. 154 SR 0.748.0. Der Text dieses Anhanges wird in der AS nicht veröffentlicht. Er kann beim Bundesamt für Zivilluftfahrt unter www.bazl.admin.ch > Für Fachleute > Regulation und Grundlagen kostenlos abgerufen oder bei der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des documents, 999, rue de l’Université, Montréal, Québec, Canada H3C 5H7; www.icao.int) kostenpflichtig bezogen werden. 155 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 156 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 157 SR 364 158 Eingefügt durch Anhang Ziff. 3 der Zwangsanwendungsverordnung vom 12. Nov. 2008, in Kraft seit 1. Jan. 2009 (AS 2008 5475). 159 Das Nationale Sicherheitsprogramm Luftfahrt ist in englischer Sprache verfasst. Es wird nicht veröffentlicht. 160 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). Luftfahrt 36 / 52 748.01 3 Vorbehalten bleiben im Einzelfall die besonderen Befugnisse der Kommandantin oder des Kommandanten einer Kantonspolizei (Art. 100bis LFG). 2. Abschnitt: Sicherheitsbeauftragte Art. 122e Grundsätze 1 Zur Abwehr widerrechtlicher Handlungen, welche die Sicherheit an Bord schweize- rischer Luftfahrzeuge im internationalen gewerbsmässigen Luftverkehr gefährden können, werden Sicherheitsbeauftragte eingesetzt. 2 Die Sicherheitsbeauftragten können auch zu Arbeiten am Boden auf ausländischen Flugplätzen eingesetzt werden. 3 und 4 …161 Art. 122f Aufgaben und Kompetenzen 1 Die Sicherheitsbeauftragten haben, soweit das zwingend anwendbare ausländische Recht es nicht ausschliesst, insbesondere folgende Aufgaben und Kompetenzen:162 a. An Bord überwachen sie das Verhalten der Fluggäste und verhindern wider- rechtliche Handlungen, welche die Sicherheit an Bord des Flugzeugs gefähr- den. b.163 Auf ausländischen Flugplätzen können sie: 1. zur Verhinderung der Einschleusung verbotener Gegenstände, die zur Gefährdung der Zivilluftfahrt eingesetzt werden können, Fluggäste und Handgepäck durchsuchen und das kontrollierte Gepäck und die Gepäck- identifikation überwachen, 2. zuhanden der zuständigen ausländischen Stellen mögliche Gefährder be- zeichnen, 3. die ausländischen Stellen bei deren Aufgaben unterstützen. c.164 … 2 Fedpol165 erstellt in Zusammenarbeit mit dem BAZL Richtlinien über die Aufgaben der Sicherheitsbeauftragten. 161 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, mit Wirkung seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). 162 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). 163 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). 164 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, mit Wirkung seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). 165 Ausdruck gemäss Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). Diese Änd. wurde im ganzen Erlass berücksichtigt. Luftfahrtverordnung 37 / 52 748.01 Art. 122g Ausbildung 1 Zum Einsatz als Sicherheitsbeauftragte oder Sicherheitsbeauftragter kann nur be- stimmt werden, wer an einem spezifischen Ausbildungsprogramm teilgenommen und die Abschlussprüfung bestanden hat. 2 Fedpol: a. erstellt das Anforderungsprofil der Sicherheitsbeauftragten; b. legt das Ausbildungsprogramm fest; c. sorgt für die Weiterbildung; d. führt entsprechende Aus- und Weiterbildungskurse durch. 3 Es kann für die Kursdurchführung sowie für die Bereitstellung und den Unterhalt der Kursinfrastruktur Dritte, namentlich Luftverkehrsunternehmen und Institutionen der Polizei und der Armee, beiziehen. Art. 122h Einsatz 1 Fedpol ist zuständig für den Einsatz der Sicherheitsbeauftragten und die damit ver- bundenen administrativen Aufgaben. 2 Es legt die Einsatzdoktrin und Einsatztaktik fest. 3 Es bestimmt nach Rücksprache mit dem BAZL Ort, Zeit und Art des Einsatzes auf- grund der Risiko- und Bedrohungsanalyse. 4 Es informiert die jeweils betroffenen Luftverkehrsunternehmen und weist sie recht- zeitig an, die entsprechenden Sitzplatzreservationen vorzunehmen. Art. 122i Ausrüstung der Sicherheitsbeauftragten 1 Fedpol sorgt in Zusammenarbeit mit den Luftverkehrsunternehmen für die notwen- dige Ausrüstung der Sicherheitsbeauftragten. 2 Als Ausrüstung gelten insbesondere Uniformen, Waffen und Hilfsmittel. Art. 122j Unterstellung 1 Während der Ausbildung und des Einsatzes bleiben die Sicherheitsbeauftragten dienst- und disziplinarrechtlich den Vorschriften ihres jeweiligen Arbeitgebers unter- stellt. 2 Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstehen sie der Weisungsbefugnis von fedpol. 3 An Bord von Luftfahrzeugen unterstehen sie der Bordgewalt des Flugkapitäns. Art. 122k Risiko- und Bedrohungsanalyse Fedpol ist zuständig für die Risiko- und Bedrohungsanalyse im Zusammenhang mit dem Einsatz von Sicherheitsbeauftragten. Luftfahrt 38 / 52 748.01 Art. 122kbis 166 Daten der möglichen Gefährder 1 Zur Beurteilung der Gefährdung des internationalen gewerbsmässigen Luftverkehrs (Art. 21c Abs. 1 Bst. b LFG) bearbeitet fedpol im Informationssystem für den Einsatz von Sicherheitsbeauftragten: a. über jeden möglichen Gefährder die folgenden Datenkategorien: 1. gebuchte Flüge, 2. Angaben zu getätigten Zahlungen und dafür eingesetzten Zahlungsmit- teln; b. weitere Daten über mögliche Gefährder, die für die Beurteilung der Gefähr- dung des internationalen gewerbsmässigen Luftverkehrs notwendig sind. 2 Betreffend die Identität und die öffentlich zugänglichen Kontaktdaten von mögli- chen Gefährdern (Art. 21c Abs. 1 Bst. a LFG) bearbeitet fedpol im System die fol- genden Daten: a. Namen einschliesslich Alias; b. Geburtsdatum; c. Geburtsort; d. Heimatort; e. Staatsangehörigkeit; f. Geschlecht; g. Zivilstand; h. öffentlich zugängliche Kontaktangaben wie Postadresse, E-Mail-Adresse, Te- lefonnummern; i. Angaben zu Reisedokumenten wie Nummer, Ausstellungsstaat, Visa. Art. 122kter 167 Daten der Sicherheitsbeauftragten Fedpol bearbeitet im Informationssystem die folgenden Daten der einsetzbaren Si- cherheitsbeauftragten: a. Namen; b. Geburtsdatum; c. Geburtsort; d. Heimatort und Nationalität; e. Kontaktangaben wie Postadressen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern; f. Notfalladresse (Name, Vorname, Telefonnummer und Beziehung der Kon- taktperson zum Sicherheitsbeauftragten); 166 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). 167 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). Luftfahrtverordnung 39 / 52 748.01 g. Angaben zu Reisedokumenten wie Nummer, Ausstellungsstaat, Visa; h. Zahlungsverbindung; i. Sprachkenntnisse; j. absolvierte Kurse im Hinblick auf die Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragte und geleistete Einsätze. Art. 122l Unterhalt und Aufbewahrung von Schusswaffen 1 Fedpol ist, nach Rücksprache mit dem BAZL, zuständig für den Unterhalt und die Aufbewahrung der Waffen der Sicherheitsbeauftragten. 2 Fedpol kann zu diesem Zweck die Flughafenpolizei oder andere von ihm bezeich- nete Organe beiziehen, vor allem für die Aufbewahrung von Waffen ausländischer Sicherheitsbeauftragter bei einem Zwischenhalt in der Schweiz. Art. 122m Pflichten der Luftverkehrsunternehmen 1 Die Luftverkehrsunternehmen können beigezogen werden: a. zur Aus- und Weiterbildung der Sicherheitsbeauftragten; b. zum Einsatz und zu den damit verbundenen administrativen Aufgaben; c. zur Risiko- und Bedrohungsanalyse. 2 Ihnen können dabei namentlich folgende Aufgaben übertragen werden: a. Sie unterrichten im Rahmen der Aus- und Weiterbildung luftfahrtspezifische Themen. b. Sie reservieren die Sitzplätze für die Sicherheitsbeauftragten nach Massgabe von fedpol. c. Sie besorgen die notwendigen luftfahrtspezifischen Ausweise für die Sicher- heitsbeauftragten. d. Sie stellen das luftfahrtspezifische Einsatzmaterial bereit. e. Sie leiten sicherheitsrelevante Informationen, die für die Risiko- und Bedro- hungsanalyse von Bedeutung sind, an fedpol weiter. 3 Das BAZL legt die Pflichten der Luftverkehrsunternehmen im Bereich der Sicher- heitsbeauftragten in der Betriebsbewilligung fest. Art. 122n168 Vergütungen Das BAZL vergütet im Zusammenhang mit dem Einsatz der Sicherheitsbeauftragten: a. den Luftverkehrsunternehmen: die Kosten für die erbrachten Leistungen im Zusammenhang mit: 1. der Aus- und Weiterbildung der Sicherheitsbeauftragten, 168 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 18. Okt. 2017, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2017 5625). Luftfahrt 40 / 52 748.01 2. der Einsatzplanung von Sicherheitsbeauftragten und den damit verbun- denen administrativen Aufgaben, 3. der Risiko- und Bedrohungsanalyse, 4. der Ausrüstung der Sicherheitsbeauftragten; b. den Kantonen oder Gemeinden und der Transportpolizei: die Lohn- und Lohn- nebenkosten für die Sicherheitsbeauftragten während der Aus- und Weiterbil- dung sowie während des Einsatzes; c. den Sicherheitsbeauftragten: die Spesen für die Aus- und Weiterbildung sowie für den Einsatz; d. den Kantonen oder Gemeinden: die Kosten für die Bewirtschaftung der Schusswaffen von ausländischen Sicherheitsbeauftragten während ihres Auf- enthalts in der Schweiz. Art. 122o Verantwortlichkeit des Bundes Die Verantwortlichkeit des Bundes für Schäden, die ein Sicherheitsbeauftragter in Ausübung seiner Tätigkeit Drittpersonen widerrechtlich zufügt, beurteilt sich nach dem Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 1958169. 6b170 Erleichterungen in der Luftfahrt Art. 122p171 Für die Durchführung von Massnahmen für Erleichterungen in der Luftfahrt (Facili- tation) sind die Normen und Empfehlungen der ICAO im Anhang 9 zum Chicago- Übereinkommen172 unmittelbar anwendbar. Vorbehalten sind die nach Artikel 38 die- ses Übereinkommens gemeldeten Abweichungen. 169 SR 170.32 170 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 28. Okt. 1998 (AS 1998 2570). Fassung gemäss Ziff. I der V vom 4. Juli 2007, in Kraft seit 1. Aug. 2007 (AS 2007 3645). 171 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 17. Okt. 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3843). 172 SR 0.748.0. Der Text dieses Anhanges wird in der AS nicht veröffentlicht. Er kann beim Bundesamt für Zivilluftfahrt unter www.bazl.admin.ch > Für Fachleute > Regulation und Grundlagen kostenlos abgerufen oder bei der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (Organisation de l’aviation civile internationale, Groupe de la vente des documents, 999, rue de l’Université, Montréal, Québec, Canada H3C 5H7) bezogen werden. Luftfahrtverordnung 41 / 52 748.01 7 Haftpflicht 71 des Luftfahrzeughalters gegenüber Dritten auf der Erde 711 Arten der Sicherstellung Art. 123 1 Die Haftpflichtansprüche Dritter auf der Erde sind unter Vorbehalt von Absatz 2 durch Abschluss einer Haftpflichtversicherung bei einem Versicherungsunternehmen sicherzustellen.173 2 Wird eine Sicherstellung der Haftpflichtansprüche durch Hinterlegung oder Solidar- bürgschaft angeboten, so regelt das BAZL die Sicherstellung im Rahmen der nachfol- genden Bestimmungen von Fall zu Fall. 712 Nachweis der Sicherstellung Art. 124 1 Als Nachweis der Sicherstellung der Haftpflichtansprüche hat der Halter des Luft- fahrzeuges den Versicherungsnachweis, den Hinterlegungsschein oder die Bürg- schaftserklärung vorzulegen. 2 Das BAZL kann vom Halter des Luftfahrzeuges, Versicherer, Aufbewahrer oder Bürgen nähere Auskunft über die Sicherstellung verlangen. Es kann die Erteilung des Lufttüchtigkeitszeugnisses bis zum Eingang dieser Auskunft aussetzen.174 713 Höhe der Sicherstellung Art. 125 1 Die Haftpflichtansprüche von Dritten auf der Erde sind für ein Schadenereignis (Per- sonen- und Sachschäden zusammen) mindestens wie folgt sicherzustellen: Mindestversiche- rungssumme (Millionen Sonder- ziehungsrechte) a. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht unter 500 kg 0,75 b. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 500 kg oder höher, aber unter 1000 kg 1,5 173 Fassung gemäss Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 174 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). Luftfahrt 42 / 52 748.01 Mindestversiche- rungssumme (Millionen Sonder- ziehungsrechte) c. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 1000 kg oder höher, aber unter 2700 kg 3 d. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 2700 kg oder höher, aber unter 6000 kg 7 e. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 6000 kg oder höher, aber unter 12 000 kg 18 f. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 12 000 oder höher, aber unter 25 000 kg 80 g. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 25 000 kg o- der höher, aber unter 50 000 kg 150 h. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 50 000 kg o- der höher, aber unter 200 000 kg 300 i. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 200 000 kg o- der höher, aber unter 500 000 kg 500 j. Luftfahrzeuge mit einem Abfluggewicht von 500 000 kg o- der höher 700.175 2 Absatz 1 gilt nicht für Fesselballone, Hängegleiter, Hängegleiter mit elektrischem Antrieb, Fallschirme, Drachen und Drachenfallschirme. Für diese Luftfahrzeuge setzt das UVEK die Versicherungssumme fest.176 3 Für Flüge, die namentlich wegen der Art der beförderten Güter eine besondere Ge- fährdung darstellen, kann das BAZL die Erteilung der Betriebsbewilligung vom Nachweis einer zusätzlichen Sicherstellung der Haftpflichtansprüche von Dritten auf der Erde abhängig machen.177 714 Inhalt des Versicherungsvertrages Art. 126 Wechsel des Halters und Rücktritt 1 Der Versicherungsvertrag muss bestimmen, dass a. bei einem Wechsel des Halters während der Vertragsdauer auch die Ansprü- che gegen den neuen Halter gedeckt sind; 175 Fassung gemäss Anhang Ziff. II der V vom 17. Aug. 2005 über den Lufttransport, in Kraft seit 5. Sept. 2005 (AS 2005 4243). 176 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 24. Juni 2015, in Kraft seit 15. Juli 2015 (AS 2015 2175). 177 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 28. Okt. 1998, in Kraft seit 15. Nov. 1998 (AS 1998 2570). Luftfahrtverordnung 43 / 52 748.01 b. die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag auf den neuen Halter übergehen; c. der neue Halter berechtigt ist, innert 14 Tagen nach dem Halterwechsel vom Vertrag zurückzutreten; d. der Versicherer berechtigt ist, innert 14 Tagen, nachdem er vom Halterwech- sel Kenntnis erhalten hat, vom Vertrag zurückzutreten. 2 Bei einem Rücktritt erlischt die Sicherstellung in dem in Artikel 128 Buchstabe b angegebenen Zeitpunkt. 3 Wird dem BAZL vor diesem Zeitpunkt keine neue Sicherstellung nachgewiesen, so ist das Lufttüchtigkeitszeugnis zu entziehen.178 4 Weist der neue Halter innert 14 Tagen seit dem Wechsel des Halters eine neue Si- cherstellung nach, so tritt der bisherige Versicherungsvertrag ausser Kraft. Art. 127 Umfang der gesicherten Ersatzansprüche 1 Die Sicherstellung muss bis zu den im Artikel 125 angegebenen Grenzen die nach den Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes gegen den Halter möglichen Ersatzansprü- che Dritter auf der Erde decken. 2 Für Schäden, die durch eine an Bord befindliche Person verursacht werden, haftet der Halter, wenn diese Person nicht zur Besatzung gehört (Art. 64 Abs. 2 Bst. b LFG), nur bis zum Betrag der Sicherstellung. 3 Schäden, die durch den Fluglärm auf der Erde verursacht werden, dürfen im Versi- cherungsvertrag nicht ausgeschlossen werden. Art. 128 Dauer und örtlicher Geltungsbereich In den Versicherungsvertrag sind folgende Bestimmungen aufzunehmen: a. Läuft der Vertrag ab, während sich das Luftfahrzeug auf einem Flug befindet, so verlängert sich die Haftung des Versicherers zugunsten des geschädigten Dritten bis zur nächsten Landung, bei der eine amtliche Nachprüfung der Bordpapiere möglich ist, höchstens aber um 24 Stunden. b.179 Endigt der Vertrag vor dem im Nachweis über die Sicherstellung angegebe- nen Zeitpunkt, so verpflichtet sich die Versicherungsunternehmung, gleich- wohl Ersatzansprüche bis zum Entzug des Lufttüchtigkeitszeugnisses nach den Bestimmungen des Vertrages zu decken, längstens aber während 15 Ta- gen, nachdem das BAZL vom Ende des Vertrages benachrichtigt worden ist. Als Zeitpunkt des Entzugs gilt der Tag, an dem die Entzugsverfügung rechts- kräftig wird. 178 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 179 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 29. Mai 1996, in Kraft seit 1. Juli 1996 (AS 1996 1536). Luftfahrt 44 / 52 748.01 c. Überfliegt ein Luftfahrzeug die im Nachweis über die Sicherstellung genann- ten geografischen Grenzen ihres Geltungsbereiches, so ist die Versicherung zugunsten des geschädigten Dritten auf der Erde trotzdem wirksam, wenn der Flug ausserhalb dieser Grenzen durch höhere Gewalt, durch eine nach den Umständen gebotene Beistandsleistung oder durch fehlerhafte Lenkung, Füh- rung oder Navigation verursacht wurde. Art. 129 Verhältnis zum Nachweis der Sicherstellung Der Versicherungsvertrag muss bestimmen, dass zugunsten des geschädigten Dritten die Bedingungen massgebend sind, die sich aus dem Nachweis über die Sicherstellung ergeben, auch wenn sie mit dem Inhalt des abgeschlossenen Vertrages nicht überein- stimmen. Art. 130180 715 Versicherer und geschädigter Dritter Art. 131 1 Der Halter kann vom Versicherer verlangen, dass er, ohne Rücksicht auf allfällige Rückgriffsrechte, seine Ersatzleistung an den geschädigten Dritten ausrichte, auch wenn nach den Bestimmungen dieser Verordnung die Ansprüche des geschädigten Dritten gegen den Halter weiter gehen als die Ansprüche des Halters gegen den Ver- sicherer. 2 Dem geschädigten Dritten steht kein unmittelbarer Anspruch gegen den Versicherer zu, wohl aber im Umfang seiner Schadenersatzforderung ein Pfandrecht am Anspruch des Halters gegen den Versicherer. 716 Bescheinigung der Sicherstellung Art. 132 Die Bescheinigung über die Sicherstellung gibt Auskunft über – die Höhe der Garantiesumme, – die Geltungsdauer der geleisteten Sicherheit und – den geographischen Geltungsbereich. 180 Aufgehoben durch Anhang Ziff. II der V vom 17. Aug. 2005 über den Lufttransport, mit Wirkung seit 5. Sept. 2005 (AS 2005 4243). Luftfahrtverordnung 45 / 52 748.01 71a181 Haftpflicht des Luftfahrzeughalters gegenüber Reisenden Art. 132a Minimale Sicherstellung der Haftpflichtansprüche der Reisenden182 1 Die minimale Sicherstellung für Haftpflichtansprüche der Reisenden beträgt 250 000 Sonderziehungsrechte je Reisenden. Bei nichtgewerbsmässigen Flügen, die mit Luftfahrzeugen mit einem Abfluggewicht bis zu 2700 kg durchgeführt werden, kann die minimale Sicherstellung unter diesem Betrag liegen, muss aber mindestens 128 821 Sonderziehungsrechte je Reisenden betragen.183 2 Bei nichtgewerbsmässigen Flügen ohne Reisende kann auf die Sicherstellung für Haftpflichtansprüche der Reisenden verzichtet werden. 3 Die Artikel 123, 124 Absatz 1, 126 Absätze 1 und 4, 128 Buchstaben a und c, 129, 131 und 132 sind auf die Haftpflicht gegenüber Reisenden sinngemäss anwendbar. 4 Dieser Artikel gilt nicht für die Hängegleiter (Art. 132b).184 Art. 132b185 Haftpflicht von Hängegleiterpiloten für Reisende 1 Der Halter oder die Halterin eines Biplace-Hängegleiters ohne Antrieb oder mit elektrischem Antrieb haftet im Falle eines Unfalls für Tod und Körperverlet- zung der Reisenden nach den Bestimmungen des Obligationenrechts186. 2 Die Artikel 123, 124 Absatz 1, 126 Absätze 1 und 4, 128 Buchstaben a und c, 129, 131 und 132 sind sinngemäss anwendbar. 3 Das UVEK setzt die Mindestversicherungssumme fest. 72 Haftpflicht bei öffentlichen Flugveranstaltungen 721 Versicherungspflicht des Veranstalters Art. 133 1 Öffentliche Flugveranstaltungen nach den Artikeln 85–91 werden vom BAZL nur bewilligt, wenn der Gesuchsteller nachweist, dass der Veranstalter für seine Haft- pflicht versichert ist. 2 Die Haftpflichtansprüche sind für ein Schadenereignis (Personen- und Sachschäden zusammen) mindestens wie folgt sicherzustellen: 181 Eingefügt durch Anhang Ziff. II der V vom 17. Aug. 2005 über den Lufttransport, in Kraft seit 5. Sept. 2005 (AS 2005 4243). 182 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, in Kraft seit 1. April 2016 (AS 2016 739). 183 Fassung gemäss Ziff. II der V vom 12. Okt. 2022, in Kraft seit 1. Jan. 2023 (AS 2022 622). 184 Eingefügt Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, in Kraft seit 1. Jan. 2017 (AS 2016 739). 185 Eingefügt Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, in Kraft seit 1. Jan. 2017 (AS 2016 739). 186 SR 220 Luftfahrt 46 / 52 748.01 Garantiesumme Fr. a. bei öffentlichen Flugveranstaltungen ohne akrobatische Patrouillenflüge und ohne Tiefflugakrobatik 2 000 000 b. bei öffentlichen Flugveranstaltungen ohne akrobatische Patrouillenflüge, aber mit Tiefflugakrobatik 4 000 000 c. bei öffentlichen Flugveranstaltungen ohne Tiefflugakro- batik, aber mit akrobatischen Patrouillenflügen 4 000 000 d. bei öffentlichen Flugveranstaltungen mit akrobatischen Patrouillenflügen und mit Tiefflugakrobatik 10 000 000.187 3 Bei öffentlichen Flugveranstaltungen mit erhöhten Gefahren kann das BAZL diese Garantiesummen hinaufsetzen. 722 Versicherung für Ansprüche gegen die Halter Art. 134188 Die Versicherung nach Artikel 133 muss subsidiär die Haftpflichtansprüche gegen die Halter der an der Veranstaltung teilnehmenden Luftfahrzeuge decken, wenn die Si- cherstellung nach Artikel 125 für die Deckung der Ansprüche nicht ausreicht. 73 Ausländische Luftfahrzeuge 731 Sicherstellungs- und Nachweispflicht189 Art. 135190 1 Der Halter eines ausländischen Luftfahrzeuges muss, bevor er es im schweizerischen Luftraum verwendet, die Haftpflichtansprüche Dritter nach den Ansätzen des Artikels 125 sicherstellen. Er muss die Sicherstellung nachweisen können. 2 Verwendet ein Halter mehrere Luftfahrzeuge im schweizerischen Luftraum, so muss er nur die für das Luftfahrzeug mit dem höchsten Abfluggewicht vorgesehene Garan- tiesumme sicherstellen. 3 Das BAZL kann auf die Sicherstellung für Schäden, die durch Lärm oder radioaktive Verseuchung entstehen, verzichten. 187 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 188 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 29. Mai 1996, in Kraft seit 1. Juli 1996 (AS 1996 1536). 189 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988; in Kraft seit 1. April 1988 (AS 1988 534). 190 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988; in Kraft seit 1. April 1988 (AS 1988 534). Luftfahrtverordnung 47 / 52 748.01 4 Es kann gegenüber Staaten, die Halter von Luftfahrzeugen sind, auf die Sicherstel- lung verzichten. 5 Es kann von den Beteiligten die erforderlichen Auskünfte verlangen. 732 Entscheid191 Art. 136192 1 Das BAZL entscheidet über das Vorliegen einer ausreichenden Sicherstellung. Im nichtgewerbsmässigen Luftverkehr prüft es die Sicherstellung nur stichprobenweise. 2 Die Erklärung eines zum Geschäftsbetrieb in der Schweiz ermächtigten Versiche- rers, die Haftpflichtansprüche gegen den Halter eines ausländischen Luftfahrzeuges im Rahmen dieser Verordnung zu decken, genügt als Nachweis der Sicherstellung. 74 Haftpflicht des Luftfrachtführers Art. 137 1 Für entgeltliche Beförderungen mit Luftfahrzeugen sowie für unentgeltliche Beför- derungen, die von einem Luftverkehrsunternehmen mit Betriebsbewilligung ausge- führt werden, gelten die besonderen Haftungsbestimmungen der Verordnung vom 17. August 2005193 über den Lufttransport sowie die Voraussetzungen nach den Arti- keln 106 und 108.194 2 Für andere Beförderungen mit Luftfahrzeugen gelten die Bestimmungen des Obli- gationenrechts195 über die Haftpflicht. 8 Luftfahrtinformationen Art. 138 Das BAZL veröffentlicht folgende Luftfahrtinformationen: a. das Luftfahrthandbuch der Schweiz (AIP-Schweiz) mit Informationen von bleibender Geltung, die für den sicheren Betrieb der Luftfahrt wesentlich sind: 191 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988; in Kraft seit 1. April 1988 (AS 1988 534). 192 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 27. Jan. 1988; in Kraft seit 1. April 1988 (AS 1988 534). 193 SR 748.411 194 Fassung gemäss Anhang Ziff. II der V vom 17. Aug. 2005 über den Lufttransport, in Kraft seit 5. Sept. 2005 (AS 2005 4243). 195 SR 220 Luftfahrt 48 / 52 748.01 b. die Nachrichten für Luftfahrer (NOTAM) und die Luftfahrtinformationsblät- ter (AIC), die namentlich über Errichtung, Zustand oder Änderungen von Luftfahrtanlagen sowie über Verkehrsdienste, Verfahren und Gefahren für die Luftfahrt Auskunft geben, deren rechtzeitige Kenntnis für das Luftfahrtperso- nal wichtig ist. 8a196 Internationale technische Vorschriften Art. 138a 1 Das UVEK kann im Rahmen seiner Rechtsetzungsbefugnisse ausnahmsweise ein- zelne Anhänge, einschliesslich zugehöriger technischer Vorschriften, zum Überein- kommen vom 7. Dezember 1944197 über die internationale Zivilluftfahrt sowie tech- nische Vorschriften, welche im Rahmen der Zusammenarbeit der europäischen Luftfahrtbehörden festgelegt werden, als unmittelbar anwendbar erklären. 2 Es kann im Einvernehmen mit der Bundeskanzlei eine besondere Art der Veröffent- lichung solcher Bestimmungen vorschreiben und bestimmen, dass von einer Überset- zung ganz oder teilweise abzusehen ist. 3 Es entscheidet über die Ablehnung von Anhängen oder Anhangsänderungen im Sinne von Artikel 90 Buchstabe a zweiter Satz des Übereinkommens vom 7. Dezem- ber 1944 über die internationale Zivilluftfahrt.198 9 Administrative Bestimmungen Art. 139 Formulare 1 Versicherungsnachweise und Gesuche um Registereintragungen, Erteilung oder Er- neuerung von Konzessionen, Bewilligungen, Ausweisen und persönlichen Erlaubnis- sen sind auf den vom BAZL festgesetzten Formularen einzureichen. 2 Diese Formulare können beim BAZL oder bei den Flugplatzleitungen bezogen wer- den. 3 In dringlichen Fällen können Gesuche telefonisch, telegrafisch oder mit Fernschrei- ben gestellt werden. 196 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). 197 SR 0.748.0. Die Anhänge sind in der AS nicht veröffentlicht. 198 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 29. Mai 1996, in Kraft seit 1. Juli 1996 (AS 1996 1536). Luftfahrtverordnung 49 / 52 748.01 Art. 140 Gebühren Für die Amtshandlungen der Aufsichtsbehörden werden die in der Gebührenordnung zum Luftfahrtgesetz199 festgesetzten Gebühren erhoben. Art. 141 Statistik 1 Das BAZL führt und veröffentlicht die Luftfahrtstatistik. 2 Inhaber von Konzessionen und Bewilligungen sowie die Träger von Ausweisen sind verpflichtet, dem BAZL die zur Führung der Statistik erforderlichen Unterlagen zu liefern. 9a200 Strafbestimmungen Art. 141a Nach Artikel 91 Absatz 1 Buchstabe i LFG wird bestraft, wer: a. eine Pflicht nach den folgenden Bestimmungen verletzt: Artikel 2a Absatz 1, 2b Absatz 1, 26, 81, 83, 86 Absatz 1 erster Satz, 107 Absatz 2, 109 Buchsta- ben a oder b und 111 Absatz 1 erster oder zweiter Satz; b. eine akrobatische Vorführung an Luftfahrzeugen ohne Bewilligung des BAZL durchführt (Art. 84); c. Papiere, welche gestützt auf eine Bestimmung des Luftfahrtrechts an Bord des Luftfahrzeuges mitgeführt werden müssen, nicht mitführt; d.201 Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 376/2014202 verletzt. 10 Übergangs- und Schlussbestimmungen Art. 142203 199 [AS 1976 668, 1979 778. AS 1983 1526 Art. 35 Bst. a]. Heute: in der V vom 28. Sept. 2007 über die Gebühren des BAZL (SR 748.112.11). 200 Eingefügt durch Ziff. I 1 der V vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1139). 201 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 17. Febr. 2016, in Kraft seit 1. April 2016 (AS 2016 739). 202 Siehe Fussnote zu Art. 77 Abs. 1. 203 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994, mit Wirkung seit 1. Jan. 1995 (AS 1994 3028). Luftfahrt 50 / 52 748.01 Art. 143 Aufhebung früherer Erlasse Es werden aufgehoben: a. die Vollziehungsverordnung vom 5. Juni 1950204 zum Luftfahrtgesetz; b. die Verordnung vom 22. November 1966205 über photographische Aufnah- men aus der Luft. Art. 144 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1974 in Kraft. 204 [AS 1950 I 496; 1951 968 Art. 15; 1958 690; 1960 360 Art. 37 Abs. 2, 1257 Art. 45; 1964 329; 1966 1506 Art. 5 Abs. 2; 1967 873, 901 Art. 33 Ziff. 1; 1968 931 Art. 8 Abs. 2, 1341; 1969 1141] 205 [AS 1966 1506] Luftfahrtverordnung 51 / 52 748.01 Anhang206 (Art. 2 Abs. 1 und 23 Abs. 1) 206 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1994 (AS 1994 3028). Fassung gemäss Ziff. II der V vom 24. Juni 2015, in Kraft seit 15. Juli 2015 (AS 2015 2175). Luftfahrt 52 / 52 748.01 1 Luftfahrzeuge 11 … Art. 1 12 Einteilung Art. 2 12a Unbemannte Luftfahrzeuge Art. 2a 12b Verbot bestimmter bemannter Luftfahrzeuge Art. 2b 13 Luftfahrzeugregister Art. 3 Eintragung Art. 4 Eigentumsvoraussetzungen Art. 5 Treuhandschaft Art. 6 Anmeldung Art. 7 Art. 8 Inhalt des Eintrages Art. 9 Eintragungszeugnis Art. 10 Änderungen Art. 11 Löschung 14 Hoheits- und Eintragungszeichen Art. 12 15 Lufttüchtigkeit und Zulassung zum Verkehr Art. 13 Vorbehalt internationalen Rechts Art. 14 Art. 15 Gefahrentragung bei Prüfungen Art. 16 Lufttüchtigkeitszeugnis, eingeschränktes Lufttüchtigkeitszeugnis, Fluggenehmigung sowie Lärm- und Schadstoffzeugnis Art. 17 Ausländische Lufttüchtigkeitszeugnisse, eingeschränkte Lufttüchtigkeitszeugnisse, Fluggenehmigungen sowie Lärm- und Schadstoffzeugnisse Art. 18 Zulassung zum Verkehr Art. 19 Gültigkeitsdauer des Lufttüchtigkeitszeugnisses, des eingeschränkten Lufttüchtigkeitszeugnisses und der Fluggenehmigung Art. 20 Entzug des Lufttüchtigkeitszeugnisses, des eingeschränkten Lufttüchtigkeitszeugnisses und der Fluggenehmigung 16 Sonderregeln und andere Massnahmen Art. 21 2 Flugkörper Art. 22 Art. 23 3 Luftfahrtpersonal 31 Ausweis Art. 24 32 Vorschriften Art. 25 33 Ausbildung von Luftfahrtpersonal Art. 26 Grundsatz Art. 27 Art. 28 Aufsicht über zivile Ausbildungsorganisationen Art. 28a SPHAIR Art. 29 34 Schutz der Gesundheit von Luftfahrzeugbesatzungsmitgliedern 341 Allgemeine Bestimmungen Art. 30 Geltungsbereich und anwendbares Recht Art. 31 Information und Anleitung Art. 32 Anhörung Art. 33 Untersuchung des Gesundheitszustands 342 Schutz der Gesundheit bei Mutterschaft Art. 34 Anwendbarkeit der Schutzvorschriften bei Schwangerschaft Art. 35 Einsatz bei Mutterschaft Art. 36 Ersatzarbeit und Lohnersatz 343 Besatzungsmitglieder mit Familienpflichten Art. 37 35 Feststellung der Angetrunkenheit und anderer Zustände 351 Alkohol Art. 38 Angetrunkenheit und Dienstunfähigkeit Art. 39 Alkoholkontrollen bei Anzeichen der Angetrunkenheit Art. 40 Durchführung der anlasslosen Atemalkoholprobe Art. 41 Vorläufige Dienstunfähigkeit Art. 42 Anordnung und Durchführung eine Blutprobe 352 Betäubungsmittel oder psychotrope Substanzen Art. 43 Untersuchungen bei Anzeichen des Einflusses von Betäubungs-mitteln oder psychotropen Substanzen 4 … Art. 44–74 5 Verkehr, Betrieb und Unterhalt 51 Verkehrs- und Betriebsregeln Art. 75 Verkehrsregeln Art. 76 Betriebsregeln 52 Meldesystem für Ereignisse in der Luftfahrt Art. 77 Grundsätze Art. 77a–77c Art. 77d Meldestelle Art. 77e Streitigkeiten betreffend den Schutz der Informationsquelle Art. 77f und 77g Art. 78 53 … Art. 79 54 Luftaufnahmen Art. 80 55 Abwurf von Gegenständen Art. 81 56 Werbung Art. 82 an Luftfahrzeugen Art. 83 mit Luftfahrzeugen 57 Akrobatische Vorführungen an Luftfahrzeugen Art. 84 58 Öffentliche Flugveranstaltungen Art. 85 Begriff Art. 86 Bewilligungspflicht Art. 87 Gesuch Art. 88 Prüfung Art. 89 Bewilligung Art. 90 Leitung Art. 91 Überwachung 59 … Art. 92(98 510 Rückzug von Bewilligungen Art. 99 6 Gewerbsmässige Luftfahrt 61 Betriebsbewilligung Art. 100 Gewerbsmässigkeit Art. 101 Einschränkungen für gewerbsmässig eingesetzte Luftfahrzeuge Art. 102 Entzug der Betriebsbewilligung 611 Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Art. 103 Allgemeine Voraussetzungen für eine Betriebsbewilligung Art. 103a Sicherheitsmanagementsystem Art. 104 Ballone, Segelflugzeuge und Luftfahrzeuge besonderer Kategorien Art. 105 Einzelbewilligung Art. 106 Haftungssumme und Versicherungspflicht Art. 107 Auskunfts- und Meldepflicht 612 Unternehmen mit Sitz im Ausland Art. 108 Allgemeine Voraussetzungen für eine Betriebsbewilligung Art. 109 Auskunfts- und Meldepflicht 62 Streckenkonzession Art. 110 Linienverkehr Art. 111 Konzessionspflichten Art. 112 Entzug der Streckenkonzession Art. 113 621 Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Art. 114 Gesuch Art. 115 Entscheid Art. 116 Dauer der Streckenkonzession Art. 117 Änderung und Übertragung von Rechten und Pflichten aus Konzessionen Art. 118 Übertragung ungenutzter Streckenkonzessionen an Mitbewerber Art. 118a Heimfall unbenutzter Streckenkonzessionen 622 Unternehmen mit Sitz im Ausland Art. 119 Gesuch Art. 120 Verfahren Art. 121–122 6a Sicherheitsmassnahmen 1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 122a Sicherheitsmassnahmen auf Flugplätzen Art. 122b Sicherheitsmassnahmen der Luftverkehrsunternehmen Art. 122c Anwendbare Bestimmungen Art. 122d Vollzug 2. Abschnitt: Sicherheitsbeauftragte Art. 122e Grundsätze Art. 122f Aufgaben und Kompetenzen Art. 122g Ausbildung Art. 122h Einsatz Art. 122i Ausrüstung der Sicherheitsbeauftragten Art. 122j Unterstellung Art. 122k Risiko- und Bedrohungsanalyse Art. 122kbis Daten der möglichen Gefährder Art. 122kter Daten der Sicherheitsbeauftragten Art. 122l Unterhalt und Aufbewahrung von Schusswaffen Art. 122m Pflichten der Luftverkehrsunternehmen Art. 122n Vergütungen Art. 122o Verantwortlichkeit des Bundes 6b Erleichterungen in der Luftfahrt Art. 122p 7 Haftpflicht 71 des Luftfahrzeughalters gegenüber Dritten auf der Erde 711 Arten der Sicherstellung Art. 123 712 Nachweis der Sicherstellung Art. 124 713 Höhe der Sicherstellung Art. 125 714 Inhalt des Versicherungsvertrages Art. 126 Wechsel des Halters und Rücktritt Art. 127 Umfang der gesicherten Ersatzansprüche Art. 128 Dauer und örtlicher Geltungsbereich Art. 129 Verhältnis zum Nachweis der Sicherstellung Art. 130 715 Versicherer und geschädigter Dritter Art. 131 716 Bescheinigung der Sicherstellung Art. 132 71a Haftpflicht des Luftfahrzeughalters gegenüber Reisenden Art. 132a Minimale Sicherstellung der Haftpflichtansprüche der Reisenden Art. 132b Haftpflicht von Hängegleiterpiloten für Reisende 72 Haftpflicht bei öffentlichen Flugveranstaltungen 721 Versicherungspflicht des Veranstalters Art. 133 722 Versicherung für Ansprüche gegen die Halter Art. 134 73 Ausländische Luftfahrzeuge 731 Sicherstellungs- und Nachweispflicht Art. 135 732 Entscheid Art. 136 74 Haftpflicht des Luftfrachtführers Art. 137 8 Luftfahrtinformationen Art. 138 8a Internationale technische Vorschriften Art. 138a 9 Administrative Bestimmungen Art. 139 Formulare Art. 140 Gebühren Art. 141 Statistik 9a Strafbestimmungen Art. 141a 10 Übergangs- und Schlussbestimmungen Art. 142 Art. 143 Aufhebung früherer Erlasse Art. 144 Inkrafttreten Anhang | mixed |
d59b85fb-da14-450d-862d-42564f74b295 | RS 748.122 1 Ordinanza del DATEC sulle misure di sicurezza nell’aviazione (OMSA) del 20 luglio 2009 (Stato 15 maggio 2016) Il Dipartimento federale dell’ambiente, dei trasporti, dell’energia e delle comunicazioni (DATEC), d’intesa con il Dipartimento federale di giustizia e polizia, visti gli articoli 122a capoverso 4, 122b capoverso 1, 122c capoverso 1 e 122d dell’ordinanza del 14 novembre 19731 sulla navigazione aerea (ONA); in esecuzione del regolamento (CE) n. 300/2008, e dei regolamenti di esecuzione (UE) 2015/19982 e (UE) n. 1035/20113 nelle versioni vincolanti per la Svizzera conformemente ai numeri 4 e 5 dell’allegato all’Accordo del 21 giugno 19994 tra la Confederazione Svizzera e la Comunità europea sul trasporto aereo,5 ordina: Sezione 1: Campo d’applicazione e diritto applicabile Art. 1 1 La presente ordinanza disciplina, per le misure di sicurezza nell'aviazione secondo il regolamento (CE) n. 300/2008 in combinato disposto con il regolamento di esecu- zione (UE) 2015/1998 e secondo il regolamento di esecuzione (UE) n. 1035/2011 e gli articoli 122a–122d ONA:6 a. i compiti dell’Ufficio federale dell’aviazione civile (UFAC) e del comitato nazionale di sicurezza nell’aviazione; b. i requisiti per i programmi di sicurezza degli esercenti di aeroporto e delle imprese di trasporto aereo; bbis.7 i requisiti per il sistema di gestione della sicurezza dei fornitori di servizi della sicurezza aerea; RU 2009 3699 1 RS 748.01 2 Nuova espessione giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). Di detta mod. è stato tenuto conto in tutto il presente testo. 3 Nuova espessione giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). Di detta mod. è stato tenuto conto in tutto il presente testo. 4 RS 0.748.127.192.68 5 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 6 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 7 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 748.122 Aviazione 2 748.122 c.8 l’autorizzazione da parte dell’UFAC; d. i compiti degli organismi di controllo indipendenti; dbis.9 i compiti degli organismi di formazione esterni in relazione alla formazione dei responsabili della sicurezza o degli istruttori; e. le misure in caso di particolare minaccia; f. il finanziamento delle misure; g. le misure agevolate per determinati esercenti di aeroporto e imprese di tra- sporto aereo. 2 Nell’ambito della presente ordinanza il campo d’aviazione di San Gallo-Altenrhein viene considerato un aeroporto. Sezione 2: Autorità competente e comitato nazionale di sicurezza nell’aviazione Art. 210 Autorità competente L’UFAC è l’autorità competente per il coordinamento e il monitoraggio dell’attua- zione del programma nazionale di sicurezza nell’aviazione ai sensi dell’articolo 9 del regolamento (CE) n. 300/2008. Art. 3 Comitato nazionale di sicurezza nell’aviazione 1 Il comitato nazionale di sicurezza nell’aviazione (comitato) coordina le attività dei vari organismi che partecipano all’elaborazione e all’attuazione del programma nazionale di sicurezza nell’aviazione. Esso ha in particolare i seguenti compiti: a. esaminare l’entità della minaccia; b. definire le priorità in materia di controlli di sicurezza; c. esprimere un parere in merito al programma nazionale di sicurezza nell’aviazione e ad altre misure rilevanti per la sicurezza; d. valutare l’efficienza e gli effetti dei controlli di sicurezza adottati; e. garantire lo scambio di informazioni, in particolare sulle decisioni delle organizzazioni internazionali competenti in materia di sicurezza. 2 Il comitato è composto di rappresentanti: a. dell’UFAC; 8 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 9 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012 (RU 2012 5541). Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 10 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). Misure di sicurezza nell’aviazione. O del DATEC 3 748.122 b. dell’Ufficio federale di polizia; c. dell’Amministrazione federale delle dogane; d. dei competenti organi di polizia cantonali; e. degli esercenti di aeroporto interessati; f. delle imprese di trasporto aereo svizzere interessate; g. delle imprese di servizi di assistenza a terra; h. dei fornitori di servizi della sicurezza aerea; i.11 del Servizio di ricerca scientifica dell’Istituto forense di Zurigo; j.12 del settore del trasporto aereo. 13 3 L’UFAC nomina i membri d’intesa con l’Ufficio federale di polizia. A seconda dei temi trattati può prevedere la partecipazione di ulteriori persone. 4 L’UFAC dirige il comitato. 5 Il comitato si riunisce almeno una volta all’anno. Sezione 3: Obblighi degli esercenti di aeroporto, delle imprese di trasporto aereo e dei fornitori di servizi della sicurezza aerea14 Art. 4 Esercenti di aeroporto 1 Le misure volte a garantire la sicurezza degli aeroporti secondo l’allegato I al regolamento (CE) n. 300/2008 e l’allegato al regolamento di esecuzione (UE) 2015/1998 sono di competenza dell’esercente dell’aeroporto.15 2 Conformemente all’articolo 12 del regolamento (CE) n. 300/2008 e all’arti- colo 122a ONA, nel suo programma di sicurezza l’esercente dell’aeroporto prevede almeno:16 a. un organigramma dell’organizzazione di sicurezza in cui siano definiti com- piti e responsabilità; b. una descrizione del mandato e della composizione del comitato di sicurezza dell’aeroporto; 11 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 12 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 13 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 14 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 15 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 16 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). Aviazione 4 748.122 c.17 una descrizione delle procedure applicate per le misure di sicurezza; cbis.18 una descrizione delle procedure applicate per la designazione di fornitori conosciuti di forniture per aeroporti; d. un piano delle diverse aree dell’aeroporto; e. una descrizione delle misure atte a garantire la qualità nell’ambito dei prov- vedimenti indicati nel programma; f. i piani d’emergenza e le procedure da seguire in caso di azioni criminali, con particolare riferimento ai dirottamenti d’aeromobile, ai sabotaggi o alle minacce di attentato alla bomba; g. un programma di formazione per le persone incaricate di effettuare i con- trolli di sicurezza; h.19 una procedura per la notifica, entro il termine indicato, degli eventi rile- vanti per la sicurezza all’autorità competente conformemente al programma nazionale di sicurezza nell’aviazione. 3 L’esercente dell’aeroporto garantisce che tutto il personale attivo nell’area di sicurezza sia dotato di nullaosta di sicurezza.20 Art. 5 Imprese di trasporto aereo 1 Le misure volte a garantire la sicurezza degli aeromobili secondo l’allegato I al regolamento (CE) n. 300/2008 e l’allegato al regolamento di esecuzione (UE) 2015/1998 sono di competenza dell’impresa di trasporto aereo.21 2 Conformemente all’articolo 13 del regolamento (CE) n. 300/2008 e all’arti- colo 122b ONA, nel suo programma di sicurezza l’impresa di trasporto aereo pre- vede almeno:22 a.23 un organigramma dell’organizzazione di sicurezza in cui siano definiti com- piti e responsabilità; l’organizzazione di sicurezza deve garantire che in caso di eventi rilevanti per la sicurezza i responsabili siano a disposizione in Svizzera in qualsiasi momento; b.24 una descrizione delle procedure applicate per le misure di sicurezza; 17 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 18 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 19 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 20 Introdotto dal n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 21 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 22 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 23 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 24 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). Misure di sicurezza nell’aviazione. O del DATEC 5 748.122 c. una descrizione delle misure atte a garantire la qualità nell’ambito dei prov- vedimenti indicati nel programma; d. i piani d’emergenza e le procedure da seguire in caso di azioni criminali, con particolare riferimento ai dirottamenti, ai sabotaggi o alle minacce di atten- tato alla bomba; e. un programma di formazione per le persone incaricate di effettuare i control- li di sicurezza; f.25 una procedura per la notifica, entro il termine indicato, degli eventi rilevanti per la sicurezza all’autorità competente conformemente al programma nazionale di sicurezza nell’aviazione. Art. 5a26 Fornitori di servizi della sicurezza aerea 1 Le misure di sicurezza volte a proteggere da minacce alla sicurezza degli aeromo- bili secondo l’allegato I al regolamento di esecuzione (UE) n. 1035/2011 sono di competenza del fornitore di servizi della sicurezza aerea. 2 Conformemente al numero 4 dell’allegato 1 al regolamento di esecuzione (UE) n. 1035/2011 un sistema di gestione della sicurezza del fornitore di servizi della sicu- rezza aerea prevede almeno: a. un organigramma dell’organizzazione di sicurezza interna in cui siano defi- niti compiti e responsabilità; b. una descrizione delle procedure applicate per la sicurezza dei suoi impianti, del suo personale e dei suoi dati; c. una descrizione delle procedure applicate relative alla valutazione e alla riduzione del rischio nel settore della sicurezza, al controllo e al migliora- mento della sicurezza, alle valutazioni della sicurezza e alla diffusione degli insegnamenti tratti; d. una descrizione delle procedure applicate per individuare le infrazioni alle disposizioni di sicurezza e allertare il personale; e. una descrizione delle misure per contenere gli effetti delle infrazioni alle disposizioni di sicurezza e individuare le misure di ristabilimento del livello di sicurezza e le procedure per minimizzare tali eventi in modo da preve- nirne il ripetersi; f. un programma di formazione per le persone che hanno accesso a impianti, opere o sistemi critici; g. una procedura per la notifica, entro il termine indicato, degli eventi rilevanti per la sicurezza all’autorità competente conformemente al programma nazionale di sicurezza nell’aviazione. 25 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 26 Introdotto dal n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). Aviazione 6 748.122 3 Il fornitore di servizi della sicurezza aerea garantisce che tutto il personale che ha accesso a impianti, opere o sistemi critici sia dotato di nullaosta di sicurezza. Sezione 4:27 Autorizzazione Art. 6 L’UFAC è competente per l’autorizzazione di: a. agenti regolamentati per merci o posta ai sensi dell’articolo 3 paragrafo 26 del regolamento (CE) n. 300/2008 (n. 6.3.1 dell’all. al regolamento di esecu- zione (UE) 2015/1998); b. mittenti conosciuti di merci o di posta ai sensi dell’articolo 3 paragrafo 27 del regolamento (CE) n. 300/2008 (n. 6.4.1 dell’all. al regolamento di esecu- zione (UE) 2015/1998); c. fornitori regolamentati o conosciuti di provviste di bordo ai sensi del numero 8.0.2 dell’allegato al regolamento di esecuzione (UE) 2015/1998 (n. 8.1.3 dell’all. al regolamento di esecuzione (UE) 2015/1998); d. organismi di controllo indipendenti conformemente all’articolo 7; e. organismi di formazione esterni conformemente all’articolo 9a; f.28 coloro che utilizzano apparecchiature a raggi X o sistemi per il rilevamento di esplosivi (sistemi EDS) (n. 11.3.2 dell’all. al regolamento di esecuzione (UE) 2015/1998); g.29 istruttori (n. 11.5.1 dell’all. al regolamento di esecuzione (UE) 2015/1998). Sezione 5:30 Organismi di controllo indipendenti Art. 7 Attribuzione dell’incarico L’UFAC può incaricare organismi di controllo indipendenti di svolgere compiti di controllo e di formazione. Art. 8 Compiti e requisiti 1 Gli organismi di controllo indipendenti adempiono i seguenti compiti: 27 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 28 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 29 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 30 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). Misure di sicurezza nell’aviazione. O del DATEC 7 748.122 a.31 verificano i requisiti applicabili e stilano rapporti sulle verifiche svolte all’attenzione dell’UFAC; b. esaminano e sottopongono a perizia, all’attenzione dell’UFAC, i programmi di sicurezza; c. presentano all’UFAC la richiesta di autorizzazione per l’organo controllato. 2 Gli organismi di controllo indipendenti sottostanno alla vigilanza dell’UFAC. 3 L’UFAC incarica solo organismi di controllo che: a. in quanto organismi di controllo dei mittenti conosciuti sono indipendenti dagli agenti regolamentati e dai mittenti conosciuti; b.32 in quanto organismi di controllo dei fornitori conosciuti di provviste di bor- do o di forniture per l’aeroporto, sono indipendenti dai fornitori conosciuti e regolamentati di provviste di bordo o forniture per l’aeroporto; c. svolgono la propria attività di controllo in tutta la Svizzera a tariffe unitarie; d. dispongono di personale con sufficiente formazione ed esperienza nei settori rilevanti della sicurezza aerea; e. dispongono di almeno un responsabile delle ispezioni. Art. 9 Compiti del responsabile dell’ispezione Il responsabile dell’ispezione ha la responsabilità generale di tutte le attività dell’organismo di controllo. In particolare: a. forma e sorveglia le persone dell’organismo di controllo indipendente incari- cato della verifica; b. forma il responsabile della sicurezza dell’organo da controllare o incarica di questo compito persone qualificate; c. verifica se l’organo da controllare rispetta le prescrizioni; d. controlla che siano rispettate le disposizioni dell’UFAC relative alle ispe- zioni presso gli organi da controllare. 31 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 32 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). Aviazione 8 748.122 Sezione 5a:33 Organismi di formazione esterni Art. 9a34 Attribuzione dell’incarico L’UFAC può incaricare organismi di formazione esterni di formare i responsabili della sicurezza (n. 11.2.5 dell’all. del regolamento di esecuzione (UE) 2015/1998) o gli istruttori. Art. 9b Compiti e requisiti 1 Gli organismi di formazione esterni possono adempiere in particolare i seguenti compiti: a. preparano una propria documentazione destinata alla formazione dei respon- sabili della sicurezza o degli istruttori e la sottopongono per approvazione all’UFAC; b. istruiscono i responsabili della sicurezza o gli istruttori secondo le disposi- zioni dell’UFAC; c. esaminano i responsabili della sicurezza o gli istruttori al termine della for- mazione; d. presentano all’UFAC la richiesta di autorizzazione per i responsabili della sicurezza presso gli agenti regolamentati per merci o posta o per gli istrut- tori.35 2 Gli organismi di formazione esterni sottostanno alla vigilanza dell’UFAC. 3 L’UFAC incarica soltanto organismi di formazione che: a. dispongono di competenze nello svolgimento e nell’organizzazione di for- mazioni; b. svolgono la propria attività di formazione in tutta la Svizzera a tariffe unita- rie; 4 Gli istruttori incaricati della formazione devono: a. disporre di competenze nei settori rilevanti della sicurezza aerea; b. disporre di qualifiche e competenze nel settore della metodologia didattica; c. aver seguito un corso dell’UFAC destinato agli istruttori e superato il rela- tivo esame oppure disporre di una certificazione equivalente. 33 Introdotta dal n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 34 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 35 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). Misure di sicurezza nell’aviazione. O del DATEC 9 748.122 Sezione 6: Misure in caso di particolare minaccia Art. 10 1 In caso di una situazione generale di forte minaccia o su richiesta di un’impresa di trasporto aereo o di un esercente di aeroporto, l’UFAC può ordinare controlli di sicurezza supplementari per determinati voli o aerodromi particolarmente minac- ciati. 2 Nella sua decisione, l’UFAC si basa sull’analisi della minaccia svolta dall’Ufficio federale di polizia. 3 Se la situazione di minaccia lo richiede e in considerazione dell’urgenza, l’UFAC consulta preventivamente la competente polizia aeroportuale e l’esercente dell’aero- porto o l’impresa di trasporto aereo interessati e convoca il comitato nazionale di sicurezza nell’aviazione. Sezione 7: Assunzione dei costi Art. 11 1 Gli esercenti di aeroporto e le imprese di trasporto aereo sostengono i costi delle misure di sicurezza che devono adottare. 2 Eccezionalmente, la Confederazione può assumere una parte degli oneri e delle spese straordinari che contribuiscono in modo rilevante e duraturo al miglioramento della sicurezza. Sezione 8: Misure di sicurezza agevolate Art. 12 Esercenti di aeroporto Gli esercenti di aeroporto a cui l’UFAC accorda misure di sicurezza agevolate rispetto alle norme generali prevedono almeno: a. un organigramma dell’organizzazione di sicurezza in cui siano definiti com- piti e responsabilità; b. una descrizione delle misure atte a migliorare la consapevolezza della sicu- rezza; c. una descrizione delle misure volte a proteggere il terreno, garantire la sicu- rezza contro il furto e impedire altre interferenze illecite nell’aviazione civile; d. i piani d’emergenza e le procedure da seguire in caso di azioni criminali, con particolare riferimento ai dirottamenti d’aeromobile, ai sabotaggi o alle minacce di attentato alla bomba. Aviazione 10 748.122 Art. 13 Imprese di trasporto aereo 1 Le imprese di trasporto aereo a cui l’UFAC accorda misure di sicurezza agevolate rispetto alle norme generali prevedono almeno: a. un organigramma dell’organizzazione di sicurezza in cui siano definiti com- piti e responsabilità; b. una descrizione delle misure atte a migliorare la consapevolezza della sicu- rezza; c. una descrizione delle misure volte a proteggere l’aeromobile, garantire la sicurezza contro il furto e impedire altre interferenze illecite nell’aviazione civile; d. i piani d’emergenza e le procedure da seguire in caso di azioni criminali, con particolare riferimento ai dirottamenti d’aeromobile, ai sabotaggi o alle minacce di attentato alla bomba. 2 L’UFAC accorda tali agevolazioni a un’impresa di trasporto aereo solo se vengono soddisfatte le seguenti condizioni: a.36 l’impresa di trasporto aereo ha in esercizio solo aeromobili con un peso mas- simo al decollo inferiore alle 15 t o con meno di 20 posti. b. sulla base delle analisi della minaccia e dei rischi, per l’impresa di trasporto aereo sussiste un rischio ridotto tale da giustificare la deroga alle norme generali. Sezione 8a:37 Disposizione penale Art. 13a38 In virtù dell’articolo 91 capoverso 1 lettera i della legge federale del 21 dicembre 194839 sulla navigazione aerea, è punito chiunque: a. in quanto collaboratore di un esercente di aeroporto, di un’impresa di tra- sporto aereo, di un’impresa terza incaricata da un esercente di aeroporto o da un’impresa di trasporto aereo, di un fornitore di servizi della sicurezza aerea, di un agente regolamentato, di un mittente conosciuto o responsabile di mer- ci o di posta, di un fornitore regolamentato o conosciuto di provviste di bordo, di un fornitore conosciuto di forniture per l’aeroporto, di un organi- smo di controllo indipendente o di un organismo di formazione esterno: 40 36 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 37 Introdotta dal n. I 1 dell’O del DATEC del 4 mar. 2011, in vigore dal 1° apr. 2011 (RU 2011 1155). 38 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 16 ott. 2012, in vigore dal 1° nov. 2012 (RU 2012 5541). 39 RS 748.0 40 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). Misure di sicurezza nell’aviazione. O del DATEC 11 748.122 1. viola uno degli obblighi di cui agli articoli 4 capoverso 2, 5 capo- verso 2, 5a capoverso 2, 8 capoverso 1 lettera a, 9, 12 o 13 capoverso 1, 2. viola l’obbligo di esecuzione di controlli di sicurezza, 3. viola l’obbligo di proteggere o sorvegliare i passeggeri, il bagaglio a mano, il bagaglio da stiva, le merci o la posta, le provviste di bordo, le forniture dell’aeroporto oppure gli aeromobili protetti ai fini della sicu- rezza, 4.41 disattende l’obbligo di formare personale, 4bis.42 disattende l’obbligo di impiegare soltanto personale formato e, se necessario, certificato, 5. viola l’obbligo di eseguire controlli della qualità oppure di aggiornare i programmi di sicurezza, 6. viola l’obbligo di notificare eventi rilevanti per la sicurezza; b. esercita senza autorizzazione un’attività per la quale è necessaria un’auto- rizzazione conformemente all’articolo 6. Sezione 9: Disposizioni finali Art. 14 Abrogazione del diritto previgente L’ordinanza del DATEC del 31 marzo 199343 sulle misure di sicurezza nell’avia- zione è abrogata. Art. 15 Entrata in vigore La presente ordinanza entra in vigore il 1° agosto 2009. 41 Nuovo testo giusta il n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 42 Introdotto dal n. I dell’O del DATEC del 20 apr. 2016, in vigore dal 15 mag. 2016 (RU 2016 1269). 43 [RU 1993 1382, 1999 2458, 2005 663 1021] Aviazione 12 748.122 | mixed |
958571ef-46a3-4bc5-abdf-18c1ec916d08 | RS 748.122 1 Ordonnance du DETEC sur les mesures de sûreté dans l’aviation (OMSA) du 20 juillet 2009 (Etat le 15 mai 2016) Le Département fédéral de l’environnement, des transports, de l’énergie et de la communication (DETEC), d’entente avec le Département fédéral de justice et police, vu les art. 122a, al. 4, 122b, al. 1, 122c, al. 1, et 122d de l’ordonnance du 14 novembre 1973 sur l’aviation (OSAv)1, vu la version contraignante pour la Suisse du règlement (CE) no 300/2008, des règlements d’exécution (UE) 2015/19982 et (UE) no 1035/20113 conformément aux ch. 4 et 5 de l’annexe de l’accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse et la Communauté européenne sur le transport aérien4,5 arrête: Section 1 Champ d’application et droit applicable Art. 1 1 La présente ordonnance règle, dans le domaine des mesures de sûreté dans l’avia- tion prises conformément au règlement (CE) no 300/2008 en relation avec les dispo- sitions du règlement d’exécution (UE) 2015/1998 et conformément au règlement d’exécution (UE) no 1035/2011 et aux art. 122a à 122d OSAv:6 a. les tâches de l’Office fédéral de l’aviation civile (OFAC) et du comité natio- nal de sûreté de l’aviation; b. les exigences auxquelles sont soumis les programmes de sûreté des exploi- tants d’aéroports et des entreprises de transport aérien; bbis.7 les exigences auxquelles est soumis le système de gestion de la sûreté que les prestataires de services de navigation aérienne sont tenus d’établir; c.8 la certification par l’OFAC; RO 2009 3699 1 RS 748.01 2 Nouvelle expression selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). Il a été tenu compte de cette mod. dans tout le texte. 3 Nouvelle expression selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). Il a été tenu compte de cette mod. dans tout le texte. 4 RS 0.748.127.192.68 5 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 6 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 7 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 748.122 Aviation 2 748.122 d. les tâches des organes de contrôle indépendants; dbis.9 les tâches des organismes de formation externes assurant la formation des responsables de la sûreté ou des instructeurs; e. les mesures en cas de menace particulière; f. le financement des mesures; g. l’assouplissement des mesures dont bénéficient certains exploitants d’aéro- ports et entreprises de transports aérien. 2 Dans le cadre de la présente ordonnance, le champ d’aviation de Saint-Gall- Altenrhein est réputé aéroport. Section 2 Autorité compétente et comité national de sûreté de l’aviation Art. 210 Autorité compétente L’OFAC est l’autorité, visée à l’art. 9 du règlement (CE) no 300/2008, responsable de la coordination et de la surveillance de la mise en œuvre du programme national de sûreté de l’aviation. Art. 3 Comité national de sûreté de l’aviation 1 Le comité national de sûreté de l’aviation (comité) coordonne les activités des différents organismes qui participent à la conception et à l’application du pro- gramme national de sûreté de l’aviation. Il assume notamment les tâches suivantes: a. évaluer la menace; b. définir les priorités dans les contrôles de sûreté; c. donner son avis sur le programme national de sûreté et sur toute autre me- sure liée à la sûreté; d. évaluer la pertinence et l’efficacité des contrôles de sûreté mis en œuvre; e. assurer l’échange d’informations, notamment celles concernant les décisions des organisations internationales compétentes en matière de sûreté. 2 Sont représentés au sein du comité: a. l’OFAC; b. l’Office fédéral de la police; 8 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 9 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012 (RO 2012 5541). Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 10 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). Mesures de sûreté dans l’aviation. O du DETEC 3 748.122 c. l’Administration fédérale des douanes; d. les services compétents des polices cantonales; e. les exploitants d’aéroports concernés; f. les entreprises suisses de transport aérien concernées; g. les entreprises de services d’assistance en escale; h. les prestataires de services de navigation aérienne concernés; i.11 le service scientifique et de recherches de l’institut médico-légal de Zurich («Wissenschaftlicher Forschungsdienst des Forensischen Institutes Zürich»); j.12 le secteur du fret aérien.13 3 L’OFAC nomme les membres du comité en accord avec l’Office fédéral de la police. Il peut prévoir la participation d’autres personnes en fonction des théma- tiques traitées. 4 Il préside le comité. 5 Le comité siège au moins une fois par an. Section 3 Obligations des exploitants d’aéroports, des entreprises de transport aérien et des prestataires de services de navigation aérienne14 Art. 4 Exploitants d’aéroports 1 Les mesures destinées à garantir la sûreté des aéroports en vertu de l’annexe I du règlement (CE) no 300/2008 et de l’annexe au règlement d’exécution (UE) 2015/1998 sont du ressort de l’exploitant d’aéroport.15 2 Conformément à l’art. 12 du règlement (CE) no 300/2008 et à l’art. 122a OSAv, le programme de sûreté de l’exploitant d’aéroport comprend au moins:16 a. l’organigramme de l’organisation chargée de la sûreté, avec la description des tâches et des responsabilités; b. la description du mandat et de la composition du comité de sûreté de l’aéro- port; 11 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 12 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 13 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 14 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 15 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 16 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). Aviation 4 748.122 c.17 la description des procédures appliquées pour les mesures de sûreté; cbis.18 la description des procédures de nomination des fournisseurs connus de fournitures destinées aux aéroports; d. le plan des différentes zones de l’aéroport; e. la description des mesures de contrôle de qualité propres à garantir l’effi- cacité des dispositions de ce programme; f. les plans d’urgence et les procédures à suivre en cas d’activités criminelles, en particulier en cas de détournement d’un aéronef, de sabotage et de me- nace d’attentat à la bombe; g. le programme de formation pour les personnes chargées de la mise en œuvre des contrôles de sûreté; h.19 une procédure qui permet d’adresser en temps utile à l’autorité compétente des comptes rendus d’incidents liés à la sûreté conformément au programme national de sûreté de l’aviation. 3 L’exploitant d’aéroport assure l’habilitation de sûreté de l’ensemble du personnel qui exerce une activité dans la zone de sûreté à accès réglementé.20 Art. 5 Entreprises de transport aérien 1 Les mesures destinées à garantir la sûreté des aéronefs en vertu de l’annexe I du règlement (CE) no 300/2008 et de l’annexe au règlement d’exécution (UE) 2015/1998 sont du ressort de l’entreprise de transport aérien.21 2 Conformément à l’art. 13 du règlement (CE) no 300/2008 et à l’art. 122b OSAv, le programme de sûreté de l’entreprise de transport aérien comprend au moins:22 a.23 l’organigramme de l’organisation chargée de la sûreté, avec la description des tâches et des responsabilités; l’organisation chargée de la sûreté est tenue de garantir la disponibilité permanente des responsables en Suisse en cas d’incidents liés à la sûreté; b.24 la description des procédures appliquées pour les mesures de sûreté; 17 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 18 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 19 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 20 Introduit par le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 21 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 22 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 23 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 24 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). Mesures de sûreté dans l’aviation. O du DETEC 5 748.122 c. la description des mesures de contrôle de qualité propres à garantir l’efficacité des dispositions de ce programme; d. les plans d’urgence et les procédures à suivre en cas d’activités criminelles, en particulier en cas de détournement d’un aéronef, de sabotage et de menace d’attentat à la bombe; e. le programme de formation pour les personnes chargées d’exécuter les con- trôles de sûreté. f.25 une procédure qui permet d’adresser en temps utile à l’autorité compétente des comptes rendus d’incidents liés à la sûreté conformément au programme national de sûreté de l’aviation. Art. 5a26 Prestataires de services de navigation aérienne 1 Les mesures de sûreté visées à l’annexe I du règlement d’exécution (UE) no 1035/2011 sont du ressort du prestataire de services de navigation aérienne. 2 Conformément au chiffre 4 de l’annexe I du règlement d’exécution (UE) no 1035/2011, le système de gestion de la sûreté du prestataire de services de naviga- tion aérienne comprend au moins: a. l’organigramme de son organisation interne chargée de la sûreté, avec la description des tâches et des responsabilités; b. la description des procédures appliquées pour protéger ses installations, son personnel et ses données; c. la description des procédures relatives à l’évaluation et à l’atténuation des risques dans le domaine de la sûreté, au contrôle et à l’amélioration de la sûreté, aux évaluations de la sûreté et à la diffusion des enseignements; d. la description des procédures employées pour déceler les manquements à la sûreté et pour alerter le personnel; e. la description des mesures propres à limiter les effets des manquements à la sûreté et à identifier les mesures de rétablissement et les procédures permet- tant d’éviter la réapparition des manquements; f. le programme de formation des personnes qui ont accès aux installations, ouvrages ou systèmes critiques; g. une procédure qui permet d’adresser en temps utile à l’autorité compétente des comptes rendus d’incidents liés à la sûreté conformément au programme national de sûreté de l’aviation. 3 Le prestataire de services de navigation aérienne assure l’habilitation de sûreté de l’ensemble du personnel qui a accès aux installations, ouvrages ou systèmes critiques. 25 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 26 Introduit par le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). Aviation 6 748.122 Section 427 Certification Art. 6 Il incombe à l’OFAC de certifier: a. les agents habilités qui traitent du fret ou du courrier conformément à l’art. 3, par. 26, du règlement (CE) no 300/2008 (ch. 6.3.1 de l’annexe au règlement d’exécution (UE) 2015/1998); b. les chargeurs connus28 qui envoient du fret ou du courrier conformément à l’art. 3, par. 27, du règlement (CE) no 300/2008 (ch. 6.4.1 de l’annexe au règlement d’exécution (UE) 2015/1998); c. les fournisseurs habilités ou les fournisseurs connus d’approvisionnements de bord conformément au ch. 8.0.2 de l’annexe au règlement d’exécution (UE) 2015/1998 (ch. 8.1.3 de l’annexe au règlement d’exécution (UE) 2015/1998); d. les organes de contrôle indépendants conformément à l’art. 7; e. les organismes de formation externes conformément à l’art. 9a; f.29 les personnes qui font fonctionner des équipements d’imagerie radiosco- pique ou des systèmes de détection d’explosifs (EDS) (ch. 11.3.2 de l’annexe du règlement d’exécution (UE) 2015/1998); g.30 les instructeurs (ch. 11.5.1 de l’annexe du règlement d’exécution (UE) 2015/1998). Section 531 Organes de contrôle indépendants Art. 7 Délégation L’OFAC peut charger des organes de contrôle indépendants d’assumer des tâches de contrôle et de formation. Art. 8 Tâches et exigences 1 Les organes de contrôle indépendants assument les tâches suivantes: a.32 réaliser des contrôles et établir des rapports à l’intention de l’OFAC; 27 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 28 Nouvelle expression selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). Il a été tenu compte de cette mod. dans tout le texte. 29 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 30 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 31 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). Mesures de sûreté dans l’aviation. O du DETEC 7 748.122 b. contrôler et expertiser les programmes de sûreté pour le compte de l’OFAC; c. proposer à l’OFAC la certification des organismes qui ont été contrôlés. 2 Les organes de contrôle indépendants sont placés sous la surveillance de l’OFAC. 3 L’OFAC mandate uniquement les organes de contrôle qui: a. en tant que responsables du contrôle des chargeurs connus, sont indépen- dants de ces derniers et des agents habilités; b.33 en tant qu’organe de contrôle des fournisseurs connus d’approvisionnements de bord ou de fournitures destinées aux aéroports, sont indépendants desdits fournisseurs ainsi que des fournisseurs habilités d’approvisionnements de bord; c. exercent leur activité de contrôle sur l’ensemble du territoire suisse en pra- tiquant des tarifs uniformes; d. disposent de personnel suffisamment formé et expérimenté dans les do- maines pertinents de la sûreté de l’aviation; e. disposent au moins d’un responsable d’inspection. Art. 9 Tâches du responsable d’inspection Le responsable d’inspection répond de l’ensemble des activités de l’organe de con- trôle indépendant. En particulier, il: a. forme et supervise les personnes de l’organe de contrôle indépendant qui sont chargées des contrôles; b. forme le responsable de sûreté de l’organisme à contrôler ou confie cette tâche à des personnes qualifiées; c. s’assure que l’organisme à contrôler observe les prescriptions; d. vérifie le respect des prescriptions de l’OFAC en matière d’inspection des organismes à contrôler. 32 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 33 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). Aviation 8 748.122 Section 5a34 Organismes de formation externes Art. 9a35 Délégation L’OFAC peut charger des organismes de formation externes de former des respon- sables de la sûreté (ch. 11.2.5 de l’annexe du règlement d’exécution (UE) 2015/1998) ou des instructeurs. Art. 9b Tâches et exigences 1 Les organismes de formation externes peuvent en particulier assumer les tâches suivantes: a. établir et soumettre à l’approbation de l’OFAC leurs propres documents de formation destinés à la formation des responsables de la sûreté ou des ins- tructeurs; b. instruire, conformément aux prescriptions de l’OFAC, les responsables de la sûreté ou les instructeurs; c. tester, au terme de la formation, les connaissances des responsables de la sûreté ou des instructeurs; d. proposer à l’OFAC la certification des responsables de la sûreté d’agents habilités qui traitent du fret ou du courrier ou la certification des instruc- teurs.36 2 Ils sont placés sous la surveillance de l’OFAC. 3 L’OFAC mandate uniquement des organismes de formation externes qui: a. disposent de compétences dans la fourniture et l’organisation de formations; b. exercent leur activité de formation sur l’ensemble du territoire suisse en pra- tiquant des tarifs uniformes. 4 Les instructeurs chargés de la formation: a. disposent de compétences dans les domaines pertinents de la sûreté de l’aviation; b. disposent de qualifications et de compétences en matière de technique d’enseignement; c. ont suivi un cours de l’OFAC destiné aux instructeurs et réussi l’examen consécutif à ce cours ou sont titulaires d’un certificat de certification équi- valent. 34 Introduite par le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 35 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 36 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). Mesures de sûreté dans l’aviation. O du DETEC 9 748.122 Section 6 Mesures en cas de menace particulière Art. 10 1 En cas d’augmentation générale de la menace ou à la demande d’une entreprise de transport aérien ou d’un exploitant d’aéroport, l’OFAC peut ordonner que des vols ou des aérodromes particulièrement menacés fassent l’objet de contrôles de sûreté supplémentaires. 2 A cet égard, il se fonde sur l’analyse de la menace réalisée par l’Office fédéral de la police. 3 Si la menace l’exige et compte tenu de l’urgence, l’OFAC entend auparavant la police aéroportuaire compétente et l’exploitant d’aérodrome ou l’entreprise de transport aérien concernés et réunit le comité national de sûreté de l’aviation. Section 7 Imputation des frais Art. 11 1 Les exploitants d’aéroports et les entreprises de transport aérien supportent les frais des mesures de sûreté qu’il leur incombe de prendre. 2 La Confédération peut exceptionnellement participer aux frais et dépenses extra- ordinaires qui contribuent sensiblement à améliorer et à accroître la sûreté à long terme. Section 8 Assouplissement des mesures de sûreté Art. 12 Exploitants d’aéroports Les exploitants d’aéroports auxquels l’OFAC permet de prendre des mesures de sûreté assouplies par rapport à celles prévues par les règles générales prennent au moins les mesures de sûreté suivantes: a. établir l’organigramme de l’organisation chargée de la sûreté en décrivant les tâches et les responsabilités; b. décrire les mesures prises pour accroître la sensibilisation aux questions de sûreté; c. décrire les mesures prises pour protéger le périmètre, pour protéger l’instal- lation contre le vol et prévenir d’autres actes illicites dirigés contre l’aviation civile; d. établir les plans d’urgence et les procédures à suivre en cas d’activités crimi- nelles, en particulier en cas de détournement d’un aéronef, de sabotage et de menace d’attentat à la bombe. Aviation 10 748.122 Art. 13 Entreprises de transport aérien 1 Les entreprises de transport aérien auxquelles l’OFAC permet de prendre des mesures de sûreté assouplies par rapport à celles prévues par les règles générales prennent au moins les mesures de sûreté suivantes: a. établir l’organigramme de l’organisation chargée de la sûreté en décrivant les tâches et les responsabilités; b. décrire les mesures prises pour accroître la sensibilisation aux questions de sûreté; c. décrire les mesures prises pour protéger le périmètre, pour protéger l’installation contre le vol et prévenir d’autres actes illicites dirigés contre l’aviation civile; d. établir les plans d’urgence et les procédures à suivre en cas d’activités cri- minelles, en particulier en cas de détournement d’un aéronef, de sabotage et de menace d’attentat à la bombe. 2 Ces assouplissements sont accordés par l’OFAC à une entreprise de transport aérien aux conditions suivantes: a.37 l’entreprise exploite exclusivement des aéronefs d’un poids maximal au décollage inférieur à 15 tonnes ou d’une capacité de moins de 20 sièges; b. l’analyse des risques et des menaces montre qu’elle est exposée à un danger faible qui justifie la dérogation aux règles générales. Section 8a38 Disposition pénale Art. 13a39 Est puni conformément à l’art. 91, al. 1, let. i, de la loi fédérale du 21 décembre 1948 sur l’aviation40: a. quiconque en tant qu’employé d’un exploitant d’aéroport, d’une entreprise de transport aérien, d’une entreprise tierce mandatée par un exploitant d’aéroport ou par une entreprise de transport aérien, d’un prestataire de ser- vices de navigation aérienne, d’un agent habilité, d’un chargeur connu ou d’un client en compte qui traite du fret ou du courrier, d’un fournisseur habi- lité ou d’un fournisseur connu d’approvisionnements de bord, d’un fournis- 37 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 38 Introduite par le ch. I 1 de l’O du DETEC du 4 mars 2011, en vigueur depuis le 1er avril 2011 (RO 2011 1155). 39 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 16 oct. 2012, en vigueur depuis le 1er nov. 2012 (RO 2012 5541). 40 RS 748.0 Mesures de sûreté dans l’aviation. O du DETEC 11 748.122 seur connu de fournitures destinées aux aéroports, d’un organe de contrôle indépendant ou d’un organisme de formation externe:41 1. enfreint l’une des obligations prévues par les art. 4, al. 2, 5, al. 2, 5a, al. 2, 8, al. 1, let. a, 9, 12ou 13, al. 1, 2. enfreint une obligation d’exécuter des contrôles de sûreté, 3. enfreint une obligation de protéger ou de superviser les passagers filtrés de même que les bagages de cabine, les bagages de soute, les expédi- tions de fret ou de courrier, les approvisionnements de bord, les fourni- tures destinées aux aéroports ou les aéronefs, qui ont été sécurisés, 4.42 n’observe pas une obligation de former du personnel, 4bis.43 n’observe pas une obligation de n’employer que du personnel formé et si nécessaire certifié, 5. enfreint une obligation d’exécuter des contrôles de qualité ou de mettre à jour le programme de sûreté, 6. enfreint une obligation d’adresser un compte rendu d’incidents liés à la sûreté; b. quiconque exerce sans certification une activité pour laquelle une certifica- tion est obligatoire en vertu de l’art. 6. Section 9 Dispositions finales Art. 14 Abrogation du droit en vigueur L’ordonnance du DETEC du 31 mars 1993 sur les mesures de sûreté dans l’aviation44 est abrogée. Art. 15 Entrée en vigueur La présente ordonnance entre en vigueur le 1er août 2009. 41 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 42 Nouvelle teneur selon le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 43 Introduit par le ch. I de l’O du DETEC du 20 avr. 2016, en vigueur depuis le 15 mai 2016 (RO 2016 1269). 44 [RO 1993 1382, 1999 2458, 2005 663 1021] Aviation 12 748.122 | mixed |
7d81ca05-e13f-40c9-8008-ca8e01765f12 | SR 748.122 1 Verordnung des UVEK über Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr (VSL) vom 20. Juli 2009 (Stand am 15. Mai 2016) Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, gestützt auf die Artikel 122a Absatz 4, 122b Absatz 1, 122c Absatz 1 und 122d der Luftfahrtverordnung vom 14. November 19731 (LFV), in Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 und der Durchführungsverordnungen (EU) 2015/19982 und (EU) Nr. 1035/20113 in der für die Schweiz jeweils verbindlichen Fassung gemäss den Ziffern 4 und 5 des Anhangs zum Abkommen vom 21. Juni 19994 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr,5 verordnet: 1. Abschnitt: Geltungsbereich und anwendbares Recht Art. 1 1 Diese Verordnung regelt für die Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr nach der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 in Verbindung mit der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1998 sowie nach der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1035/2011 und den Artikeln 122a–122d LFV:6 a. die Aufgaben des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL) und des Nationa- len Sicherheitsausschusses Luftfahrt; b. die Anforderungen an die Sicherheitsprogramme der Flughafenhalter und der Luftverkehrsunternehmen; bbis.7 die Anforderungen an das durch die Erbringer von Flugsicherungsdiensten zu führende System zur Gefahrenabwehr; AS 2009 3699 1 SR 748.01 2 Ausdruck gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). Die Änd. wurde im ganzen Text vorgenommen. 3 Ausdruck gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). Die Änd. wurde im ganzen Text vorgenommen. 4 SR 0.748.127.192.68 5 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 6 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 7 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 748.122 Luftfahrt 2 748.122 c.8 die Zulassung durch das BAZL; d. die Aufgaben der unabhängigen Prüfstellen; dbis.9 die Aufgaben der externen Schulungsanbieter für die Ausbildung von Si- cherheitsverantwortlichen oder von Ausbildnerinnen und Ausbildnern; e. die Massnahmen bei besonderer Bedrohung; f. die Finanzierung der Massnahmen; g. die erleichterten Massnahmen für bestimmte Flughafenhalter und Luftver- kehrsunternehmen. 2 Das Flugfeld St. Gallen-Altenrhein gilt im Rahmen dieser Verordnung als Flug- hafen. 2. Abschnitt: Zuständige Behörde und Nationaler Sicherheitsausschuss Luftfahrt Art. 210 Zuständige Behörde Das BAZL ist die Behörde, die nach Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 für die Koordinierung und Überwachung der Durchführung des Nationalen Sicher- heitsprogramms Luftfahrt zuständig ist. Art. 3 Nationaler Sicherheitsausschuss Luftfahrt 1 Der Nationale Sicherheitsausschuss Luftfahrt (Ausschuss) koordiniert die Tätig- keiten der verschiedenen Stellen, die an der Ausarbeitung und der Durchführung des Nationalen Sicherheitsprogramms Luftfahrt beteiligt sind. Er hat insbesondere die folgenden Aufgaben: a. er überprüft die Bedrohungslage; b. er legt die Prioritäten bei den Sicherheitskontrollen fest; c. er nimmt Stellung zum Nationalen Sicherheitsprogramm Luftfahrt und zu weiteren sicherheitsrelevanten Massnahmen; d. er beurteilt Effizienz und Wirkung der getroffenen Sicherheitskontrollen; e. er besorgt den Austausch von Informationen, namentlich über die Ent- scheide der für die Sicherheit zuständigen internationalen Organisationen. 2 Der Ausschuss setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern: a. des BAZL; 8 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 9 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012 (AS 2012 5541). Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 10 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr. V des UVEK 3 748.122 b. des Bundesamtes für Polizei; c. der Eidgenössischen Zollverwaltung; d. der zuständigen kantonalen Polizeiorgane; e. der betroffenen Flughafenhalter; f. der betroffenen schweizerischen Luftverkehrsunternehmen; g. der Bodenabfertigungsunternehmen; h. der betroffenen Erbringer von Flugsicherungsdiensten; i. 11 des Wissenschaftlichen Forschungsdienstes des Forensischen Instituts Zü- rich; j.12 der Luftfrachtindustrie.13 3 Das BAZL ernennt die Mitglieder im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Polizei. Es kann je nach behandeltem Thema die Teilnahme weiterer Personen vorsehen. 4 Es leitet den Ausschuss. 5 Der Ausschuss tagt mindestens einmal pro Jahr. 3. Abschnitt: Pflichten der Flughafenhalter, der Luftverkehrsunternehmen und der Erbringer von Flugsicherungsdiensten14 Art. 4 Flughafenhalter 1 Die Massnahmen zur Wahrung der Flughafensicherheit nach Anhang I der Ver- ordnung (EG) Nr. 300/2008 sowie nach dem Anhang der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1998 sind Sache des Flughafenhalters.15 2 Der Flughafenhalter muss in sein Sicherheitsprogramm nach Artikel 12 der Ver- ordnung (EG) Nr. 300/2008 und nach Artikel 122a LFV mindestens aufnehmen:16 a. ein Organigramm der Sicherheitsorganisation mit der Bezeichnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten; 11 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 12 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 13 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 14 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 15 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 16 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). Luftfahrt 4 748.122 b. eine Beschreibung des Auftrages und der Zusammensetzung des Sicherheits- ausschusses des Flughafens; c.17 eine Beschreibung der angewendeten Verfahren für die Sicherheitsmass- nahmen; cbis.18 eine Beschreibung der angewendeten Verfahren für die Benennung von bekannten Lieferanten von Flughafenlieferungen; d. einen Plan der verschiedenen Bereiche des Flughafens; e. eine Beschreibung der Massnahmen zur Qualitätssicherung für die im Pro- gramm aufgeführten Massnahmen; f. die Notfallpläne und Verfahren, die im Falle von kriminellen Handlungen, insbesondere von Flugzeugentführungen, Sabotage oder Bombendrohungen, zu befolgen sind; g. ein Ausbildungsprogramm für die Personen, die mit der Durchführung von Sicherheitskontrollen betraut sind; h.19 ein Verfahren zur fristgemässen Meldung sicherheitsrelevanter Vorfälle an die zuständige Behörde gemäss dem Nationalen Sicherheitsprogramm Luft- fahrt. 3 Der Flughafenhalter gewährleistet, dass sämtliches im Sicherheitsbereich tätige Personal sicherheitsüberprüft ist.20 Art. 5 Luftverkehrsunternehmen 1 Die Massnahmen zur Wahrung der Sicherheit von Luftfahrzeugen nach Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 sowie nach dem Anhang der Durchführungsver- ordnung (EU) 2015/1998 sind Sache des Luftverkehrsunternehmens.21 2 Das Luftverkehrsunternehmen muss in sein Sicherheitsprogramm nach Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 und nach Artikel 122b LFV mindestens auf- nehmen:22 a.23 ein Organigramm der Sicherheitsorganisation mit der Bezeichnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten; die Sicherheitsorganisation muss si- 17 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 18 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 19 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 20 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 21 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 22 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 23 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr. V des UVEK 5 748.122 cherstellen, dass die Verantwortlichen bei sicherheitsrelevanten Vorfällen jederzeit in der Schweiz verfügbar sind; b.24 eine Beschreibung der angewendeten Verfahren für die Sicherheitsmass- nahmen; c. eine Beschreibung der Massnahmen zur Qualitätssicherung für die im Pro- gramm aufgeführten Massnahmen; d. die Notfallpläne und Verfahren, die im Falle von kriminellen Handlungen, insbesondere von Flugzeugentführungen, Sabotage oder Bombendrohungen, zu befolgen sind; e. ein Ausbildungsprogramm für die Personen, die mit der Durchführung von Sicherheitskontrollen betraut sind; f.25 ein Verfahren zur fristgemässen Meldung sicherheitsrelevanter Vorfälle an die zuständige Behörde gemäss dem Nationalen Sicherheitsprogramm Luft- fahrt. Art. 5a26 Erbringer von Flugsicherungsdiensten 1 Die Massnahmen zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs nach Anhang I der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1035/2011 sind Sache des Erbringers von Flugsicherungsdiensten. 2 Der Erbringer von Flugsicherungsdiensten muss in sein System zur Gefahren- abwehr nach Anhang I Ziffer 4 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1035/2011 mindestens aufnehmen: a. ein Organigramm seiner internen Sicherheitsorganisation mit der Bezeich- nung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten; b. eine Beschreibung der angewendeten Verfahren für den Schutz seiner Ein- richtungen, seines Personals und seiner Daten; c. eine Beschreibung der angewendeten Verfahren zur Bewertung des Gefähr- dungsrisikos und zu dessen Minderung, zur Überwachung und Verbesserung der Gefahrenabwehr, zur Überprüfung der Gefahrenabwehr und zur Verbrei- tung der daraus gezogenen Lehren; d. eine Beschreibung der angewendeten Verfahren zur Erkennung von Sicher- heitsmängeln und zur Alarmierung des Personals; e. eine Beschreibung der Massnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen von Sicherheitsmängeln und zur Ermittlung von Abhilfemassnahmen sowie der Verfahren, die verhindern sollen, dass sich die Mängel wiederholen; 24 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 25 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 26 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). Luftfahrt 6 748.122 f. ein Ausbildungsprogramm für Personen, die Zugang zu kritischen Einrich- tungen, Anlagen oder Systemen haben; g. ein Verfahren zur fristgemässen Meldung sicherheitsrelevanter Vorfälle an die zuständige Behörde gemäss dem Nationalen Sicherheitsprogramm Luft- fahrt. 3 Der Erbringer von Flugsicherungsdiensten gewährleistet, dass sämtliches Personal, das Zugang zu kritischen Einrichtungen, Anlagen oder Systemen hat, sicherheits- überprüft ist. 4. Abschnitt:27 Zulassung Art. 6 Das BAZL ist zuständig für die Zulassung von: a. reglementierten Beauftragten von Fracht oder Post nach Artikel 3 Absatz 26 der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 (Ziff. 6.3.1 des Anhangs der Durchfüh- rungsverordnung (EU) 2015/1998; b. bekannten Versendern von Fracht oder Post nach Artikel 3 Absatz 27 der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 (Ziff. 6.4.1 des Anhangs der Durchfüh- rungsverordnung (EU) 2015/1998; c. reglementierten oder bekannten Lieferanten von Bordvorräten nach Zif- fer 8.0.2 des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1998 (Ziff. 8.1.3 des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1998); d. unabhängigen Prüfstellen nach Artikel 7; e. externen Schulungsanbietern nach Artikel 9a; f.28 Personen, die Röntgen- oder EDS-Ausrüstungen bedienen (Ziff. 11.3.2 des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1998); g.29 Ausbildnerinnen und Ausbildnern (Ziff. 11.5.1 des Anhangs der Durchfüh- rungsverordnung (EU) 2015/1998). 27 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 28 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 29 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr. V des UVEK 7 748.122 5. Abschnitt:30 Unabhängige Prüfstellen Art. 7 Beauftragung Das BAZL kann unabhängige Prüfstellen mit Überprüfungs- und Ausbildungsauf- gaben beauftragen. Art. 8 Aufgaben und Anforderungen 1 Die unabhängigen Prüfstellen haben die folgenden Aufgaben: a.31 Sie überprüfen die relevanten Anforderungen und erstellen darüber Berichte zuhanden des BAZL. b. Sie überprüfen und begutachten zuhanden des BAZL die Sicherheitspro- gramme. c. Sie stellen dem BAZL Antrag auf Zulassung der geprüften Stelle. 2 Sie unterstehen der Aufsicht des BAZL. 3 Das BAZL beauftragt nur Prüfstellen, die: a. als Prüfstelle der bekannten Versender unabhängig sind von reglementierten Beauftragten und bekannten Versendern; b.32 als Prüfstelle der bekannten Lieferanten von Bordvorräten oder Flughafen- lieferungen unabhängig sind von den bekannten und den reglementierten Lieferanten von Bordvorräten oder Flughafenlieferungen; c. mit ihrer Prüftätigkeit die ganze Schweiz zu einheitlichen Preisen abdecken; d. über Personal mit ausreichender Ausbildung und Erfahrung in den relevan- ten Bereichen der Luftsicherheit verfügen; e. über mindestens eine Inspektionsleiterin oder einen Inspektionsleiter ver- fügen. Art. 9 Aufgaben der Inspektionsleiterinnen und -leiter Die Inspektionsleiterin oder der Inspektionsleiter trägt die Gesamtverantwortung für sämtliche Tätigkeiten der unabhängigen Prüfstelle. Sie oder er muss insbesondere: a. die mit der Prüfung beauftragten Personen der unabhängigen Prüfstelle aus- bilden und beaufsichtigen; b. die Sicherheitsverantwortliche oder den Sicherheitsverantwortlichen der zu überprüfenden Stelle ausbilden oder durch geeignete Personen ausbilden las- sen; 30 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 31 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 32 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). Luftfahrt 8 748.122 c. überprüfen, ob die zu überprüfende Stelle die Vorschriften einhält; d. kontrollieren, dass die Vorgaben des BAZL für die Inspektionen bei den zu überprüfenden Stellen eingehalten werden. 5a. Abschnitt:33 Externe Schulungsanbieter Art. 9a34 Beauftragung Das BAZL kann externe Schulungsanbieter mit der Ausbildung von Sicherheits- verantwortlichen (Ziff. 11.2.5 des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1998) oder von Ausbildnerinnen und Ausbildnern beauftragen. Art. 9b Aufgaben und Anforderungen 1 Die externen Schulungsanbieter können insbesondere folgende Aufgaben haben: a. Sie erstellen eigene Schulungsunterlagen für die Ausbildung von Sicher- heitsverantwortlichen oder von Ausbildnerinnen und Ausbildnern und rei- chen diese dem BAZL zur Genehmigung ein. b. Sie unterrichten die Sicherheitsverantwortlichen oder die Ausbildnerinnen Ausbildner nach den Vorgaben des BAZL. c. Sie prüfen die Sicherheitsverantwortlichen oder die Ausbildnerinnen und Ausbildner nach abgeschlossener Schulung. d. Sie stellen dem BAZL Antrag auf Zulassung der Sicherheitsverantwort- lichen von reglementierten Beauftragten von Fracht oder Post oder von Aus- bildnerinnen und Ausbildnern.35 2 Sie unterstehen der Aufsicht des BAZL. 3 Das BAZL beauftragt nur Schulungsanbieter, die: a. über Kompetenzen in der Durchführung und Organisation von Schulungen verfügen; b. mit ihrer Schulungstätigkeit die ganze Schweiz zu einheitlichen Preisen ab- decken. 4 Die mit der Schulung beauftragten Instruktorinnen und Instruktoren müssen: a. über Kompetenzen in den relevanten Bereichen der Luftsicherheit verfügen; b. über Qualifikationen und Kompetenzen im Bereich der Schulungstechniken verfügen; 33 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 34 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 35 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr. V des UVEK 9 748.122 c. einen Instruktorenkurs des BAZL mit anschliessender Prüfung erfolgreich absolviert haben oder über einen gleichwertigen Zertifizierungsnachweis verfügen. 6. Abschnitt: Massnahmen bei besonderer Bedrohung Art. 10 1 Im Fall einer allgemein erhöhten Bedrohungslage oder auf Antrag eines Luftver- kehrsunternehmens oder eines Flughafenhalters kann das BAZL für bestimmte besonders gefährdete Flüge oder Flugplätze zusätzliche Sicherheitskontrollen anord- nen. 2 Das BAZL stützt sich dabei auf die Bedrohungsanalyse des Bundesamtes für Polizei. 3 Ist es aufgrund der Bedrohungslage erforderlich und angesichts der Dringlichkeit möglich, so hört das BAZL vorgängig die zuständige Flughafenpolizei und den betroffenen Flughafenhalter oder das zuständige Luftverkehrsunternehmen an und beruft den Nationalen Sicherheitsausschuss Luftfahrt ein. 7. Abschnitt: Kostentragung Art. 11 1 Die Flughafenhalter und die Luftverkehrsunternehmen tragen die Kosten der von ihnen zu ergreifenden Sicherheitsmassnahmen. 2 Der Bund kann sich jedoch ausnahmsweise an ausserordentlichen Auslagen und Aufwendungen beteiligen, die erheblich und langfristig zur Verbesserung und Wei- terentwicklung der Sicherheit beitragen. 8. Abschnitt: Erleichterte Sicherheitsmassnahmen Art. 12 Flughafenhalter Flughafenhalter, denen das BAZL gegenüber den allgemeinen Regeln erleichterte Sicherheitsmassnahmen gewährt, müssen Sicherheitsmassnahmen treffen, die min- destens Folgendes umfassen: a. ein Organigramm der Sicherheitsorganisation mit der Bezeichnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten; b. eine Beschreibung der Massnahmen zur Erhöhung des Sicherheitsbewusst- seins; Luftfahrt 10 748.122 c. eine Beschreibung der Massnahmen zum Schutz des Geländes, zur Dieb- stahlsicherung und zur Verhinderung von anderen widerrechtlichen Ein- griffen in die Zivilluftfahrt; d. die Notfallpläne und Verfahren, die im Falle von kriminellen Handlungen, insbesondere von Flugzeugentführungen, Sabotage oder Bombendrohungen, zu befolgen sind. Art. 13 Luftverkehrsunternehmen 1 Luftverkehrsunternehmen, denen das BAZL gegenüber den allgemeinen Regeln erleichterte Sicherheitsmassnahmen gewährt, müssen Sicherheitsmassnahmen tref- fen, die mindestens Folgendes umfassen: a. ein Organigramm der Sicherheitsorganisation mit der Bezeichnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten; b. eine Beschreibung der Massnahmen zur Erhöhung des Sicherheitsbewusst- seins; c. eine Beschreibung der Massnahmen zum Schutz des Luftfahrzeugs, zur Diebstahlsicherung und zur Verhinderung von anderen widerrechtlichen Eingriffen in die Zivilluftfahrt; d. die Notfallpläne und Verfahren, die im Falle von kriminellen Handlungen, insbesondere von Flugzeugentführungen, Sabotage oder Bombendrohungen, zu befolgen sind. 2 Das BAZL gewährt solche Erleichterungen einem Luftverkehrsunternehmen nur unter den folgenden Voraussetzungen: a.36 Das Luftverkehrsunternehmen betreibt nur Luftfahrzeuge mit einem Start- höchstgewicht von weniger als 15 t oder mit weniger als 20 Sitzen. b. Für das Luftverkehrsunternehmen besteht aufgrund der Risiko- und Bedro- hungsanalyse eine geringe Gefährdung, die das Abweichen von den allge- meinen Regeln rechtfertigt. 8a. Abschnitt:37 Strafbestimmung Art. 13a38 Nach Artikel 91 Absatz 1 Buchstabe i des Luftfahrtgesetzes vom 21. Dezember 194839 wird bestraft, wer: 36 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 37 Eingefügt durch Ziff. I 1 der V des UVEK vom 4. März 2011, in Kraft seit 1. April 2011 (AS 2011 1155). 38 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 16. Okt. 2012, in Kraft seit 1. Nov. 2012 (AS 2012 5541). 39 SR 748.0 Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr. V des UVEK 11 748.122 a. als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines Flughafenhalters, eines Luftver- kehrsunternehmens, eines von einem Flughafenhalter oder einem Luftver- kehrsunternehmen beauftragten Drittunternehmens, eines Erbringers von Flugsicherungsdiensten, eines reglementierten Beauftragten, eines bekannten oder geschäftlichen Versenders von Fracht oder Post, eines reglementierten oder bekannten Lieferanten von Bordvorräten, eines bekannten Lieferanten von Flughafenlieferungen, einer unabhängigen Prüfstelle oder eines externen Schulungsanbieters:40 1. eine Pflicht nach den Artikeln 4 Absatz 2, 5 Absatz 2, 5a Absatz 2, 8 Absatz 1 Buchstabe a, 9, 12 oder 13 Absatz 1 verletzt, 2. eine Pflicht zur Durchführung von Sicherheitskontrollen verletzt, 3. eine Pflicht zum Schutz oder zur Überwachung von gesicherten Passa- gieren, gesichertem Handgepäck, aufgegebenem Gepäck, Fracht oder Postsendungen, Bordvorräten, Flughafenlieferungen oder Luftfahrzeu- gen verletzt, 4.41 eine Pflicht, Personal auszubilden, missachtet, 4bis.42 eine Pflicht, nur ausgebildetes und, wo erforderlich, zertifiziertes Per- sonal einzusetzen, missachtet, 5. eine Pflicht zur Durchführung von Qualitätskontrollen oder Nachfüh- rung von Sicherheitsprogrammen verletzt, 6. eine Pflicht zur Meldung von sicherheitsrelevanten Vorfällen verletzt; b. ohne Zulassung eine Tätigkeit ausübt, für die gemäss Artikel 6 eine Zulas- sung erforderlich ist. 9. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 14 Aufhebung bisherigen Rechts Die Verordnung des UVEK vom 31. März 199343 über Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr wird aufgehoben. Art. 15 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. August 2009 in Kraft. 40 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 41 Fassung gemäss Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 42 Eingefügt durch Ziff. I der V des UVEK vom 20. April 2016, in Kraft seit 15. Mai 2016 (AS 2016 1269). 43 [AS 1993 1382, 1999 2458, 2005 663 1021] Luftfahrt 12 748.122 | mixed |
deb12e2f-9c11-419e-a434-73884db0406c | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 131 II 13 S. 14
Am 26. März 2003 verlangte die TDC Switzerland AG, die unter dem Markennamen sunrise auftritt, von der Swisscom Fixnet AG die Aufnahme von Verhandlungen über ein Angebot über den gemeinsamen und vollständig entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss im Fernmeldebereich auf Festnetzen. Nach zwei Sitzungen vom 10. April und 19. Mai 2003 stellten die Parteien in einem gemeinsamen Protokoll vom 19. Mai 2003 das Scheitern der Verhandlungen fest.
Am 29. Juli 2003 reichte die TDC Switzerland AG beim Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) zuhanden der Eidgenössischen Kommunikationskommission (ComCom) ein Gesuch um Verfügung der Bedingungen für die Interkonnektionsdienste gemeinsamer Zugang (Shared Line Access) und vollständig entbündelter Zugang zum Teilnehmeranschluss (Full Access) im Sinne von Art. 11 Abs. 1 des Fernmeldegesetzes vom 30. April 1997 (FMG; SR 784.10) ein. Dabei stellte sie die folgenden Anträge:
"1. Swisscom Fixnet sei zu verpflichten, sunrise Interkonnektion für den Dienst "gemeinsamer Zugang zum Teilnehmeranschluss" zu transparenten und kostenorientierten Preisen auf nichtdiskriminierende Weise in der in Anhang A definierten Form zu gewähren. Dabei umfasst die Interkonnektion namentlich auch den Zugang zu den relevanten Betriebs- und Informationssystemen, zur Kollokation und der dazugehörenden Infrastruktur und die Erbringung von Übertragungsdiensten.
2. Swisscom Fixnet sei zu verpflichten, sunrise Interkonnektion für den Dienst "vollständig entbündelter Zugang zum Teilnehmeranschluss" zu transparenten und kostenorientierten Preisen auf nichtdiskriminierende Weise zu gewähren. Dabei umfasst die Interkonnektion namentlich auch den Zugang zu den relevanten Betriebs- und Informationssystemen, zur Kollokation und der dazugehörigen Infrastruktur und die Erbringung von Übertragungsdiensten.
...
7. Verfahrensantrag:
Es sei vorab in einem Teilentscheid festzustellen, dass sowohl der gemeinsame als auch der vollständig entbündelte Zugang zum Teilnehmeranschluss Anwendungsfälle der Interkonnektion sind, dass
BGE 131 II 13 S. 15
diese beiden Interkonnektionsdienste von marktbeherrschenden Anbieterinnen gemäss den Bedingungen von
Art. 11 Abs. 1 FMG
angeboten werden müssen, und dass für deren Unterstellung unter das Interkonnektionsregime eine genügende gesetzliche Grundlage besteht.
..."
Am 25. August 2003 entsprach das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) als instruierende Behörde dem Verfahrensantrag der TDC Switzerland AG und beschränkte das Verfahren auf die erwähnten Fragen, nachdem sich die Swisscom Fixnet AG ebenfalls dafür ausgesprochen hatte. Diese beantragte in der Folge die Abweisung des Interkonnektionsgesuchs.
Am 19. Februar 2004 traf die Kommunikationskommission (ComCom) die folgende Verfügung:
"1. Es wird festgestellt, dass sowohl der gemeinsame als auch der vollständig entbündelte Zugang zum Teilnehmeranschluss Anwendungsfälle der Interkonnektion sind, dass diese beiden Interkonnektionsdienste von marktbeherrschenden Anbieterinnen gemäss den Bedingungen von
Art. 11 Abs. 1 FMG
angeboten werden müssen, und dass für deren Unterstellung unter das Interkonnektionsregime eine genügende gesetzliche Grundlage besteht.
..."
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 22. März 2004 an das Bundesgericht stellt die Swisscom Fixnet AG das folgende Rechtsbegehren:
"Der Entscheid der Vorinstanz vom 19. Februar 2004 sei aufzuheben und das Gesuch der Beschwerdegegnerin vom 29. Juli 2003 um Verfügung der Bedingungen für die Interkonnektionsdienste gemeinsamer Zugang (Shared Line Access) und vollständig entbündelter Zugang zum Teilnehmeranschluss (Full Access) sei abzuweisen."
Zur Begründung führt die Swisscom Fixnet AG im Wesentlichen aus, die Kommunikationskommission (ComCom) habe gar keinen individuell-konkreten Entscheid getroffen; zudem habe sie den Anspruch der Swisscom Fixnet AG auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie ihr die Einsicht in den Verfügungsantrag des Bundesamts (BAKOM) sowie eine Stellungnahme dazu verweigert habe; sodann beruhe der angefochtene Entscheid nicht auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage.
Die TDC Switzerland AG und die Kommunikationskommission (ComCom) schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
BGE 131 II 13 S. 16 Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Nach
Art. 11 Abs. 1 FMG
müssen marktbeherrschende Anbieterinnen von Fernmeldediensten andern Anbieterinnen nach den Grundsätzen einer transparenten und kostenorientierten Preisgestaltung auf nichtdiskriminierende Weise Interkonnektion gewähren, wobei sie die Bedingungen und Preise für ihre einzelnen Interkonnektionsdienstleistungen gesondert auszuweisen haben.
1.2
Grundsätzlich werden die Bedingungen der Interkonnektion zwischen den beteiligten Unternehmungen direkt vereinbart. Eine behördliche Regelung ist gesetzlich nur subsidiär für den Fall vorgesehen, dass sich die Parteien nicht innert vernünftiger Frist einigen können (BBl 1996 III 1419, S. 1427; Urteil des Bundesgerichts 2A.503/2000 vom 3. Oktober 2001, jeweils auszugweise wiedergegeben in: ZBl 103/2002 S. 244, in: sic! 1/2002 S. 18, sowie in: RDAF 2003 I S. 595 [nachfolgend: Commcare-Entscheid], E. 2b;
BGE 127 II 132
E. 1a S. 135;
BGE 125 II 613
E. 1c S. 618, mit Literaturhinweisen). Gemäss
Art. 11 Abs. 3 FMG
verfügt die Eidgenössische Kommunikationskommission auf Antrag des Bundesamtes für Kommunikation die Interkonnektionsbedingungen nach markt- und branchenüblichen Grundsätzen, wenn innert drei Monaten zwischen dem zur Interkonnektion verpflichteten Anbieter und dem Anfrager keine Einigung zustande kommt. Art. 40 ff. der Verordnung vom 31. Oktober 2001 über Fernmeldedienste (Fernmeldediensteverordnung, FDV; SR 784.101.1) konkretisieren die gesetzliche Interkonnektionspflicht.
Art. 49 ff. FDV
regeln das Verfahren zum Abschluss von Interkonnektionsvereinbarungen,
Art. 54 ff. FDV
dasjenige zur Anordnung einer Verfügung auf Interkonnektion (vgl. den Commcare-Entscheid, E. 2b;
BGE 125 II 613
E. 1c S. 618 f., mit Literaturhinweisen). Ist die Frage der Marktbeherrschung zu beurteilen, so konsultiert das Bundesamt die Wettbewerbskommission (Art. 11 Abs. 3 dritter Satz FMG; vgl. auch
Art. 56 FDV
; vgl. zur Interkonnektion etwa PETER R. FISCHER/OLIVER SIDLER, Fernmelderecht, in: Rolf H. Weber [Hrsg.], Informations- und Kommunikationsrecht, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. V, Teil I, 2. Aufl., Basel/Genf/München 2003, Rz. 133 ff.; LEILA ROUSSIANOS-MOAYEDI, Les concessions de services de télécommunication, Bern 2002, S. 137 ff.).
1.3
Nach
Art. 11 Abs. 4 FMG
(ausdrücklich) sowie
Art. 61 Abs. 1 FMG
(implizit) unterliegen Verfügungen der
BGE 131 II 13 S. 17
Kommunikationskommission in Anwendung von
Art. 11 Abs. 3 FMG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Commcare-Entscheid, E. 2c;
BGE 127 II 132
E. 1b S. 136;
BGE 125 II 613
E. 1d und 2a).
2.
2.1
Die Beschwerdeführerin stellt in Abrede, dass es sich beim angefochtenen Entscheid um eine Verfügung handelt, und erhebt ihre Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass das Bundesgericht den Entscheid der Kommunikationskommission als rechtsgenügliches Anfechtungsobjekt erachte.
2.2
Nach
Art. 97 Abs. 1 OG
beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 5 VwVG
. Danach gelten unter anderem als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und die Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten und Pflichten zum Gegenstand haben (
Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG
).
Feststellungsverfügungen im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG
haben - gleich wie Gestaltungs- und Leistungsverfügungen - stets individuelle und konkrete Rechte und Pflichten, d.h. Rechtsfolgen zum Gegenstand. Nicht feststellungsfähig ist namentlich eine abstrakte Rechtslage, wie sie sich aus einem Rechtssatz für eine Vielzahl von Personen und Tatbeständen ergibt (ASA 71 S. 641, E. 1;
BGE 130 V 388
E. 2.5).
2.3 | mixed |
34a8321b-a0b6-476f-b311-739c0a8def7e | Sachverhalt
ab Seite 398
BGE 143 IV 397 S. 398
A.
X. suchte am 9. Dezember 2012 gegen 12.30 Uhr seine von ihm getrennt lebende Ehefrau A., die er Anfang des Jahres 2009 kennengelernt und im Sommer 2010 geheiratet hatte, in der ehelichen Wohnung in Basel zur Wahrnehmung seines Besuchsrechts gegenüber der gemeinsamen Tochter auf. In der Wohnung hielten sich im Wohnzimmer neben seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter auch seine Schwiegereltern B. und C. sowie die Grossmutter der
BGE 143 IV 397 S. 399
Ehefrau auf. X. trug eine mit 15 Patronen geladene Pistole und eine Handtasche mit 35 weiteren Patronen mit sich. Nach einem kurzen Aufenthalt im Badezimmer, wo er einen Telefonanruf entgegengenommen hatte, brachte er seine Tochter zur Schwiegergrossmutter ins Schlafzimmer. Hernach begab er sich wiederum ins Wohnzimmer und feuerte unvermittelt mehrere Schüsse auf seine Ehefrau und seine Schwiegereltern ab, wobei an der Waffe verschiedentlich technisch bedingte Zündstörungen auftraten. Durch die Schüsse erlitten der Schwiegervater Verletzungen in Brust, Bauchhöhle und Beinen, in deren Folge er durch inneres Verbluten noch am Tatort verstarb, und seine Ehefrau sowie seine Schwiegermutter multiple schwere Verletzungen am Ober- und Unterschenkel.
X. werden aufgrund dieses Sachverhalts Mord und mehrfacher versuchter Mord vorgeworfen. Darüber hinaus werden ihm verschiedene Drohungen und tätliche Übergriffe zum Nachteil seiner Ehefrau im Rahmen häuslicher Gewalt zur Last gelegt.
B.
Das Strafgericht Basel-Stadt erklärte X. mit Urteil vom 26. September 2014 des Mordes, des mehrfachen versuchten Mordes, der mehrfachen versuchten einfachen Körperverletzung, der Sachbeschädigung, der mehrfachen Drohung, der Nötigung, der versuchten Nötigung, des Vergehens gegen das Waffengesetz sowie der Übertretung des Waffengesetzes schuldig und verurteilte ihn zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe sowie einer Busse von CHF 500.-. Von der Anklage der wiederholten Tätlichkeiten zum Nachteil eines Ehegatten sprach es ihn frei. Ferner erklärte es eine am 20. Juni 2012 mit einer Probezeit von 2 Jahren bedingt ausgesprochene Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu CHF 30.- als vollziehbar. Schliesslich entschied es über die geltend gemachten Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen und die Einziehung bzw. Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände.
Gegen dieses Urteil erhoben der Beurteilte Berufung und dessen Ehefrau A., deren Bruder und Tochter sowie die Schwiegermutter C. Anschlussberufung. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte am 27. April 2016 das erstinstanzliche Urteil im Schuldpunkt und verurteilte X. zu 20 Jahren Freiheitsstrafe, unter Einrechnung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft seit dem 9. Dezember 2012 und des vorzeitigen Strafvollzugs seit dem 3. Dezember 2014, sowie zu einer Busse von CHF 500.-, bei schuldhafter Nichtbezahlung umwandelbar in 5 Tage Ersatzfreiheitsstrafe. Den
BGE 143 IV 397 S. 400
Vollzug der bedingt ausgesprochenen Geldstrafe bestätigte es. Ferner stellte es fest, dass das erstinstanzliche Urteil im Zivilpunkt infolge Rückzugs der Berufung und Dahinfallens der Anschlussberufung in Rechtskraft erwachsen war. Schliesslich entschied es über die Nebenpunkte.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur erneuten Beurteilung und zur Durchführung eines bundesrechts- und EMRK-konformen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er von der Anklage der mehrfachen Drohung zum Nachteil eines Ehegatten, der versuchten einfachen Körperverletzung, der Nötigung, der versuchten Nötigung, der Sachbeschädigung sowie von der Anklage des Mordes und des mehrfachen versuchten Mordes freizusprechen und demgegenüber des Vergehens und der Übertretung gegen das Waffengesetz sowie der fahrlässigen Tötung, eventualiter der eventualvorsätzlichen Tötung sowie der mehrfachen Gefährdung des Lebens, eventualiter der mehrfachen versuchten eventualvorsätzlichen Tötung schuldig zu sprechen und zu einer angemessenen Strafe zu verurteilen. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
D.
Mit Urteil vom 14. Dezember 2016 wies das Bundesgericht eine von X. gegen die Abweisung eines Ausstandsbegehrens gegen den Appellationsrichter Jeremy Stephenson geführte Beschwerde ab (Verfahren 1B_252/2016). Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Der Beschwerdeführer rügt weiter eine Verletzung seiner Teilnahmerechte als beschuldigte Person. Im Vorverfahren sei ihm an keiner einzigen Einvernahme oder Beweiserhebung sein Teilnahmerecht eingeräumt worden. Das Recht, an Einvernahmen von Mitbeschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen anwesend zu sein und Fragen zu stellen, stehe nicht nur der Verteidigung einer beschuldigten Person, sondern auch dieser selbst zu. Das Teilnahmerecht umfasse auch den Anspruch auf rechtzeitige Benachrichtigung, wobei der Termin der Beweiserhebung den Anwesenheitsberechtigten so früh wie möglich mitgeteilt werden müsse. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei nie direkt über die Einvernahmen Dritter im Vorverfahren orientiert worden. Es könne daher auch nicht angenommen werden, dass er auf das Teilnahmerecht verzichtet habe. Zudem sei
BGE 143 IV 397 S. 401
der Schluss der Vorinstanz, wonach sein früherer Rechtsvertreter zum Ausdruck gebracht habe, dass er an den Beweiserhebungen nicht teilnehmen werde, nicht haltbar. Im dem von der Vorinstanz zitierten Schreiben finde sich im Gegenteil explizit der Antrag auf Teilnahme an den Einvernahmen. Eine Einschränkung der Teilnahmerechte und die damit verbundene Beschränkung des rechtlichen Gehörs hätte formell mit einer begründeten Verfügung erfolgen müssen. Damit seien die Beweise, die in Verletzung von
Art. 147 StPO
erhoben worden seien, nicht zu seinen Lasten verwertbar.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, es seien auch die Teilnahmerechte der Verteidigung verletzt worden. Wenngleich dem früheren Verteidiger zumindest ab einem späteren Verfahrensstadium die Möglichkeit eingeräumt worden sei, bei gewissen Einvernahmen anwesend zu sein und Fragen zu stellen, sei ihm dieses Recht bei einer Vielzahl von Einvernahmen im Vorverfahren vorenthalten worden. Für die Gewährung der Teilnahmerechte sei von einem materiellen Begriff der Verfahrenseröffnung auszugehen. Aus dem Umstand, dass ein Tötungsdelikt in Frage gestanden habe und gegen ihn Zwangsmassnahmen ergriffen worden seien, ergebe sich, dass die staatsanwaltschaftliche Untersuchung bereits vor der ersten Befragung eröffnet worden sei. Die Staatsanwaltschaft wäre mit Blick auf die Schwere des Delikts gehalten gewesen, noch vor der ersten Befragung eine Pikettverteidigung zu organisieren. Die zahlreichen Einvernahmen ohne Anwesenheit eines Verteidigers dürften daher ebenfalls nicht zu seinen Lasten verwertet werden.
3.2
Die Vorinstanz nimmt an, der frühere Verteidiger des Beschwerdeführers, welcher bereits an dessen erster Einvernahme anwesend gewesen sei, habe von Anfang an erklärt, er werde selber an den Befragungen teilnehmen. Darüber hinaus habe er klargemacht, dass der Beschwerdeführer nicht persönlich an Einvernahmen teilnehmen werde. Dies stelle einen vom Verteidiger erklärten Verzicht auf die persönliche Teilnahme des Beschwerdeführers an den Einvernahmen dar. In Bezug auf die Verwertbarkeit der Ersteinvernahmen der Opferzeugen führt die Vorinstanz aus, es treffe zwar zu, dass angesichts der Schwere des in Frage stehenden Delikts sowie der Festnahme des Beschwerdeführers und der Anordnung von Untersuchungshaft die Voruntersuchung materiell eröffnet worden sei. Dies ändere jedoch nichts daran, dass zahlreiche Untersuchungshandlungen der Polizei durchzuführen gewesen seien. So habe der Tatort besichtigt und hätten die Anwesenden unverzüglich befragt werden
BGE 143 IV 397 S. 402
müssen. Diese Erstbefragungen stellten faktisch polizeiliche Ermittlungshandlungen dar, für welche kein gesetzliches Teilnahmerecht der Parteien bestehe. Für die Befragung der Opferzeuginnen versteht sich dies von selbst, zumal diese angesichts der Schwere der erlittenen Verletzungen und der zeitlichen Dringlichkeit vor den operativen Eingriffen so schnell wie möglich hätten durchgeführt werden müssen. Eine Absprache mit einem - zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bestimmten - Verteidiger der beschuldigten Person sei faktisch nicht möglich gewesen. Ebenso sei evident, dass angesichts des schwerwiegenden Tötungsdelikts sämtliche Personen im Umfeld des Tatortes bzw. des Arbeitsortes der beschuldigten Person unverzüglich hätten kontaktiert und erstmalig befragt werden müssen. Aus den Teilnahmerechten gemäss
Art. 147 StPO
könne kein Anspruch auf Zuwarten der Behörden mit den Ermittlungen am Tatort bzw. im näheren Täter- oder Opferumfeld abgeleitet werden. Angesichts der hohen Kollusionsgefahr bei einem Beziehungsdelikt in einem türkischen Familiensetting und in Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes sei es zudem unumgänglich gewesen, parallel zum Antrag auf Haft auch umgehend die nötigen Ersteinvernahmen durchzuführen. Im Übrigen seien alle anschliessenden Befragungen im Beisein der Verteidigung durchgeführt worden, soweit die Ermittlungshandlungen gezeigt hätten, dass die Personen überhaupt hätten Aussagen zur Sache machen können. Schliesslich sei dem Beschwerdeführer bereits am Morgen des 10. Dezember 2012 ein Türkisch sprechender Pikettanwalt als Verteidiger beigeordnet worden.
3.3
3.3.1
Gemäss
Art. 147 Abs. 1 StPO
haben die Parteien das Recht, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Bei polizeilichen Einvernahmen richtet sich die Anwesenheit der Verteidigung nach
Art. 159 StPO
. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung hat die beschuldigte Person das Recht, dass ihre Verteidigung, nicht aber sie selbst, bei Beweiserhebungen durch die Polizei, etwa bei polizeilichen Einvernahmen von Auskunftspersonen, anwesend sein und Fragen stellen kann (Urteile 6B_760/2016 vom 29. Juni 2017 E. 3.2.2; 6B_217/2015 vom 5. November 2015 E. 2.2, nicht publ. in:
BGE 141 IV 423
). Auf die Teilnahme kann vorgängig oder auch im Nachhinein ausdrücklich oder stillschweigend verzichtet werden, wobei der Verzicht des Beschuldigten auch von seinem Verteidiger ausgehen kann (SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen
BGE 143 IV 397 S. 403
Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, N. 824; DORRIT SCHLEIMINGER METTLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 11 zu
Art. 147 StPO
; OLIVIER THORMANN, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 14 zu
Art. 147 StPO
). Ein Verzicht ist auch anzunehmen, wenn die beschuldigte Person es unterlässt, rechtzeitig und formgerecht entsprechende Anträge zu stellen (zum Konfrontationsanspruch Urteil 6B_522/2016 vom 30. August 2016 E. 1.3 mit Hinweisen). Der Verzicht auf das Anwesenheitsrecht schliesst eine Wiederholung der Beweiserhebung aus (Urteil 6B_1178/2016 vom 21. April 2017 E. 4.3 mit Hinweisen). Das spezifische Teilnahme- und Mitwirkungsrecht fliesst aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (
Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO
). Es kann nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen (vgl.
Art. 108,
Art. 146 Abs. 4 und
Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO
; siehe auch
Art. 101 Abs. 1 StPO
) eingeschränkt werden. Beweise, die in Verletzung dieser Bestimmung erhoben worden sind, dürfen gemäss
Art. 147 Abs. 4 StPO
nicht zulasten der Partei verwertet werden, die nicht anwesend war.
3.3.2
Die Staatsanwaltschaft eröffnet gemäss
Art. 309 Abs. 1 StPO
eine Untersuchung unter den in lit. a-c genannten Voraussetzungen, mithin unter anderem dann, wenn sie Zwangsmassnahmen anordnet. Ab der Eröffnung der Untersuchung darf die Polizei keine selbstständigen Ermittlungen mehr vornehmen. Die Staatsanwaltschaft kann die Polizei aber auch nach Eröffnung der Untersuchung mit ergänzenden Ermittlungen beauftragen. Sie erteilt ihr dazu schriftliche, in dringenden Fällen mündliche Anweisungen, die sich auf konkret umschriebene Abklärungen beschränken (
Art. 312 Abs. 1 StPO
). Bei Einvernahmen, welche die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchführt, haben die Verfahrensbeteiligten die Verfahrensrechte, die ihnen bei Einvernahmen durch die Staatsanwaltschaft zukommen (
Art. 312 Abs. 2 StPO
). Daraus folgt, dass die Parteien das Recht haben, bei Einvernahmen, welche die Polizei nach Eröffnung der Untersuchung im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchführt, Fragen zu stellen (Urteile 6B_760/2016 vom 29. Juni 2017 E. 3.2.2; 6B_1023/2016 vom 30. März 2017 E. 1.2; 6B_217/2015 vom 5. November 2015 E. 2.2, nicht publ. in:
BGE 141 IV 423
, mit Hinweisen). Soweit es sich im polizeilichen Ermittlungsverfahren um selbstständige Ermittlungen im Sinne von
Art. 306 Abs. 2 lit. b StPO
handelt, besteht kein Anspruch auf Parteiöffentlichkeit (
BGE 139 IV 25
E. 5.4.3).
BGE 143 IV 397 S. 404
3.4
3.4.1
Der Beschwerdeführer wurde in seiner ersten Einvernahme vom 10. Dezember 2012 darauf hingewiesen, dass eine allfällige Teilnahme an Beweiserhebungen in der Untersuchung bei der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll beantragt werden müsse. Dass der Beschwerdeführer einen entsprechenden Antrag gestellt hätte, macht er nicht geltend. Der frühere Verteidiger des Beschwerdeführers ersuchte die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 nach den ersten Einvernahmen, an welchen er teilgenommen hatte, ihm die Möglichkeit zu geben, die Verteidigerrechte wahrzunehmen, namentlich an den weiteren Ermittlungshandlungen teilzunehmen und die Termine für die weiteren Beweiserhebungen mit ihm vorweg abzusprechen. Die Vorinstanz bezieht sich namentlich auf das Schreiben des Verteidigers vom 30. Januar 2013, mit welchem er der Untersuchungsbehörde mitgeteilt hat, er werde an der anberaumten Einvernahme von drei Auskunftspersonen aus dem Umfeld des Beschwerdeführers vom 1. Februar 2013 teilnehmen, nicht aber der Beschwerdeführer selbst. Die Einvernahmen vom 1. Februar 2013 fanden ohne den Beschwerdeführer statt, sein Verteidiger war anwesend bzw. hat die Einvernahmeprotokolle eingesehen. Die Abwesenheit des Beschwerdeführers wurde von seinem Verteidiger nicht beanstandet; er beantragte auch nicht die Teilnahme desselben. Für die weiteren Einvernahmen, zu welchen der Verteidiger eingeladen wurde, stellte dieser ebenfalls keinen Antrag auf Teilnahme des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz durfte aufgrund dieser Sachlage davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer auf sein Teilnahmerecht an den Einvernahmen verzichtet hat. Sie nimmt denn auch an, der frühere Verteidiger habe in Absprache mit dem Beschwerdeführer entschieden, die Teilnahmerechte ohne dessen Beisein wahrzunehmen. Dass diese Feststellung offensichtlich unhaltbar wäre, macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Soweit sich seine Rüge auf die Verweigerung der Teilnahme an den Erstbefragungen der Opferzeuginnen und der weiteren Personen im Zeitraum zwischen dem Tattag, dem 9. Dezember, bis 13. Dezember 2012 bezieht, ist sie unbegründet, weil der Staatsanwaltschaft nach der Rechtsprechung im Einzelfall die Prüfung zusteht, ob sachliche Gründe für eine Beschränkung der Parteiöffentlichkeit bestehen. Solche Gründe liegen namentlich vor, wenn im Hinblick auf noch nicht erfolgte Vorhalte eine konkrete Kollusionsgefahr gegeben ist (
BGE 139 IV 25
E. 5.5.4.1 mit Hinweisen).
BGE 143 IV 397 S. 405
3.4.2
In Bezug auf die Teilnahme des Verteidigers an den Erstbefragungen im Zeitraum vom 9. bis 13. Dezember 2012 nimmt die Vorinstanz zunächst zutreffend an, dass das Verfahren nach der Festnahme des Beschwerdeführers und der Anordnung von Untersuchungshaft materiell eröffnet worden ist. Die Strafuntersuchung gilt als eröffnet, sobald sich die Staatsanwaltschaft mit dem Straffall zu befassen beginnt, insbesondere wenn sie Zwangsmassnahmen anordnet (
BGE 141 IV 20
E. 1.1.4 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung kann die Polizei indessen auch nach Eröffnung der Untersuchung und ohne formelle Delegation durch die Staatsanwaltschaft einfache Erhebungen zur Klärung des Sachverhalts vornehmen; formelle polizeiliche Einvernahmen zur Sache können indes nur bei entsprechender Delegation durchgeführt werden (Urteil 6B_217/2015 vom 5. November 2015 E. 2.2, nicht publ. in
BGE 141 IV 423
). Einfache Erhebungen der Polizei zur Klärung des Sachverhalts, namentlich zur Ermittlung von Geschädigten und Zeugen etc. und deren informatorische Befragung, namentlich zur Abklärung, ob diese beweisrelevante Angaben zum Sachverhalt machen können, sind mithin weiterhin möglich (SCHMID/JOSITSCH, a.a.O., N. 1233 Fn. 81; vgl. auch ULRICH WEDER, Teilnahmerechte bei Beweiserhebungen, forumpoenale 2016 S. 284). Im Übrigen ist die Polizei nicht verpflichtet, von sich aus eine Verteidigung aufzubieten oder zur Einvernahme einzuladen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1194 zu Art. 156 Abs. 1 des Entwurfs; GUNDHILD GODENZI, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 13 zu
Art. 159 StPO
).
Die von der Verteidigung zitierten Befragungen stammen aus dem Zeitraum zwischen dem Tattag, dem 9. Dezember 2012, und dem 13. Dezember 2012. Die Erstbefragung des Beschwerdeführers fand in Anwesenheit des aufgebotenen Verteidigers am 10. Dezember 2012 statt. Die von der Vorinstanz genannten Ermittlungshandlungen am Tatort, d.h. dessen Besichtigung und die Befragung der anwesenden Personen, namentlich der Opferzeuginnen, wertet die Vorinstanz zu Recht als derartige polizeiliche Erhebungen, für welche kein gesetzliches Teilnahmerecht gilt. In Bezug auf die Einvernahme weiterer Personen, im Wesentlichen von Personen aus dem Umfeld des Beschwerdeführers, von Nachbarn seiner Ehefrau sowie deren Grossmutter, legt der Beschwerdeführer nicht dar, inwiefern die betreffenden Aussagen der befragten Personen zu seinen Lasten verwertet
BGE 143 IV 397 S. 406
worden wären. Zudem sind einzelne Nachbarn und D. in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung als Auskunftspersonen bzw. Zeugen einvernommen und mit dem Beschwerdeführer konfrontiert worden. Eine Verletzung der Teilnahmerechte des Beschwerdeführers und seines Verteidigers ist nicht ersichtlich.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz von Treu und Glauben, aus welchem sich das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ergibt, es verbietet, der Vorinstanz bekannte rechtserhebliche Einwände vorzuenthalten und diese erst nach einem ungünstigen Entscheid im anschliessenden Rechtsmittelverfahren zu erheben (
BGE 143 V 66
E. 4.3;
BGE 133 III 638
E. 2 S. 640;
BGE 117 Ia 491
E. 2a S. 495; Urteil 6B_100/2017 vom 9. März 2017 E. 3.4; je mit Hinweisen). Soweit sich der Beschwerdeführer im zu beurteilenden Fall gegen Verfahrenshandlungen der Behörden wendet, gegen welche er weder im Untersuchungs- noch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren opponiert bzw. auf welche er verzichtet hat, setzt er sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten. Dabei muss er sich das Verhalten seines früheren Verteidigers anrechnen lassen. Der blosse Umstand, dass nach Eröffnung des erstinstanzlichen Urteils mit Wirkung per 17. November 2014 ein neuer amtlicher Verteidiger eingesetzt worden ist, ändert hieran nichts. Soweit der frühere Verteidiger auf die Teilnahmerechte gültig verzichtet hat, widerspricht es mithin dem Gebot von Treu und Glauben, durch den neuen Verteidiger die Verletzung eben dieser formellen Rechte zu rügen (vgl.
BGE 138 I 97
E. 4.1.5; Urteil 6B_214/2011 vom 13. September 2011 E. 4.1.3). Dies gilt jedenfalls insoweit, als nicht ein eklatanter Verstoss gegen allgemein anerkannte Verteidigerpflichten vorliegt (vgl.
BGE 138 IV 161
E. 2.4; Urteil 6B_307/2016 vom 17. Juni 2016 E. 2.2), welche den Richter aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet, das zur Gewährleistung einer genügenden Verteidigung Erforderliche vorzukehren (Urteil 6B_89/2014 vom 1. Mai 2014 E. 1.5.1). Dass dem so wäre, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.
(...)
5.
5.1
Der Beschwerdeführer rügt sodann, die verschiedenen krassen Verletzungen des Teilnahmerechts hätten zur Konsequenz gehabt, dass keine rechtsgenügliche Konfrontation mit den befragten Personen im Sinne von
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
stattgefunden habe. Eine EMRK-konforme Konfrontation habe auch an der erstinstanzlichen Verhandlung nicht stattgefunden, da die Verfahrensleitung
BGE 143 IV 397 S. 407
sämtliche Zeugeneinvernahmen indirekt durchgeführt habe, wobei er (der Beschwerdeführer) die Befragungen nur aus einer Nebenkammer akustisch habe mitverfolgen können. Damit sei sein Anspruch auf Konfrontation verletzt worden. Eine lediglich akustische Verfolgung der Befragung aus einem Nebenraum sei - abgesehen von der Befragung der beiden Opfer - ohnehin nicht gerechtfertigt gewesen. Bei diesen Zeugen und Auskunftspersonen seien Schutzmassnahmen im Sinne von
Art. 149 StPO
nicht angezeigt gewesen. In Bezug auf den Schutz der Opferzeuginnen hätte als Konfrontationsersatzmassnahme einzig die Videosimultanübertragung eine effektive Teilhabe an der Zeugenbefragung ermöglicht.
5.2
Die Vorinstanz stellt fest, der Vorsitzende der ersten Instanz habe vor der Zeugenbefragung jeweils den Ablauf erläutert. Danach verfolgte der Beschwerdeführer zusammen mit einem Dolmetscher in einem Nebenraum die Befragung akustisch mit. Die Verteidigung erhielt im Anschluss daran Gelegenheit, Fragen zu stellen, mit dem Beschwerdeführer Rücksprache zu nehmen und hernach allenfalls weitere Fragen zu formulieren. Der Beschwerdeführer bzw. sein Verteidiger hätten von diesem Recht teilweise Gebrauch gemacht, teilweise darauf verzichtet. Weder der Beschwerdeführer selber noch sein damaliger Verteidiger hätten die Art der Konfrontation beanstandet, sondern seien vielmehr offensichtlich damit einverstanden gewesen, dass die meisten Auskunftspersonen resp. Zeugen indirekt konfrontiert worden seien. Bei dieser Sachlage nimmt die Vorinstanz zu Recht an, es bleibe im zweitinstanzlichen Verfahren für den neuen Verteidiger kein Raum für eine Kritik am Vorgehen des Strafgerichts.
Im Übrigen ist die indirekte Konfrontation auch in der Sache nicht zu beanstanden. Dies gilt nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz uneingeschränkt zunächst für die Opferzeuginnen, welche gemäss Art. 152 Abs. 3 i.V.m.
Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO
Anspruch auf indirekte Konfrontation haben (vgl. auch
Art. 153 Abs. 2 StPO
). Bei der Handhabung des Konfrontationsrechts sind die Interessen der Verteidigung und diejenigen des Opfers gegeneinander abzuwägen und ist in jedem Einzelfall zu prüfen, welche Vorgehensweisen und Ersatzmassnahmen infrage kommen, um die Verteidigungsrechte des Angeschuldigten so weit als möglich zu gewährleisten und gleichzeitig den Interessen des Opfers gerecht zu werden. Dabei steht dem Gericht bei der Wahl der Vorkehren zum Schutz der Opfer ein gewisser Ermessensspielraum zur Verfügung. Soweit dem Opfer eine
BGE 143 IV 397 S. 408
direkte Konfrontation nicht zumutbar ist und der Beschuldigte den Saal während der Zeugeneinvernahme verlassen muss, ist eine Videoübertragung nicht unter allen Umständen zwingend (
BGE 129 I 151
E. 5; Urteil 6B_492/2015 2. Dezember 2015 E. 1.3, nicht publ. in
BGE 141 IV 437
; ferner Urteile 6B_681/2012 vom 12. März 2013 E. 2.3.2; 6B_295/2012 vom 24. Oktober 2012 E. 1.2.2; 6B_207/2012 vom 17. Juli 2012 E. 3.3.3; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer konnte den Einvernahmen in einem anderen Raum akustisch folgen, über seinen Verteidiger Ergänzungsfragen stellen und anschliessend Stellung nehmen. Er hatte somit ausreichend Gelegenheit, die Glaubhaftigkeit der Aussagen in Zweifel zu ziehen. Die Vorgehensweise ist auch für die weiteren als Zeugen einvernommenen Personen nicht zu beanstanden. Es kann hierfür ohne weiteres auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden. Inwiefern hierfür die Wahrnehmung der Körpersprache während der Einvernahme unabdingbar gewesen wäre, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Eine Verletzung des Rechts auf Konfrontation mit den Belastungszeugen liegt nicht vor. | mixed |
a8753371-2912-4916-b128-59a891e7f816 | Sachverhalt
ab Seite 402
BGE 142 IV 401 S. 402
A.
X. wird vorgeworfen, Y. sei am 4. Dezember 2006 mit ihm in Kontakt getreten, weil jener einen Lieferanten für Heroin gesucht habe. In der Folge hätten sich die beiden in Aarau getroffen, um die Heroinlieferung zu besprechen. Unterdessen hätten sie Z. kontaktiert, der 250 Gramm Heroingemisch habe erwerben können. Daraufhin hätten Z. und X. das Heroingemisch nach Bern transportiert und dort in der A.-Bar an Y. übergeben. Durch die Vermittlung von X. seien am 15., 20., 22. und 26. Dezember 2006 in der A.-Bar in Bern sowie am 30. Dezember 2006 und 10. Januar 2007 an einer Tankstelle in B. weitere Heroinlieferungen von Z. an Y. zustande gekommen, wobei sich X. bei Schwierigkeiten zwischen den beiden immer wieder eingeschaltet und Z. auch zu Treffen mit Y. begleitet habe.
B.
Das Bezirksgericht Muri sprach X. am 2. Juli 2013 von den Vorwürfen des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises und der Nichtabgabe des Führerausweises trotz behördlicher Aufforderung frei. Es verurteilte ihn wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 4 i.V.m. aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG [AS 1975 1225]; Fassung in Kraft bis 30. Juni 2011) zu einer Freiheitsstrafe von 2 1⁄2 Jahren. Zudem erklärte es die gegen ihn vom Bezirksamt Muri bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von 2 Monaten für vollziehbar.
Auf Berufung von X. und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft erhöhte das Obergericht des Kantons Aargau am 15. Oktober 2015 die Freiheitsstrafe auf 3 1⁄2 Jahre und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche Urteil.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den sinngemässen Anträgen, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und ihn von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei er für die Herstellung des Kontakts zwischen Y. und Z. mit einer bedingten Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten zu bestrafen, unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren. Es sei ihm eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 5'000.- zu bezahlen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
D.
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichten unter Verweis auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 142 IV 401 S. 403 Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz verletze
Art. 2 Abs. 2 StGB
. Sie verkenne, dass das geltende BetmG vorliegend das mildere Recht sei. Das ihm vorgeworfene Vermitteln finde sich darin nicht mehr, weshalb das neue Recht als das mildere Recht zwingend Anwendung finden müsse. Mit der herrschenden Lehre sei davon auszugehen, dass das Vermitteln keine eigenständige Tathandlung mehr sei, sondern nur noch eine Form der Gehilfenschaft darstelle. Er sei daher freizusprechen.
3.2
Die Vorinstanz erwägt zum anwendbaren Recht, die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Handlungen solle dieser im Zeitraum vom 4. Dezember 2006 bis 10. Januar 2007 begangen haben. Fraglich sei, ob der Tatbestand des Vermittelns, der in der geltenden Fassung nicht mehr erwähnt werde, nach wie vor als selbstständige Handlung strafbar oder ob sie allenfalls straffrei oder nur als Gehilfenschaft zu bestrafen sei. Mit der Teilrevision des Betäubungsmittelgesetzes, die per 1. Juli 2011 in Kraft getreten sei, sei
Art. 19 BetmG
terminologisch überarbeitet und neu strukturiert, inhaltlich jedoch nur marginal geändert worden. Den Materialien könne nicht entnommen werden, dass das Vermitteln aus dem Gesetz gestrichen werden sollte. Aus den Materialien ergebe sich aber eindeutig, dass die Tatbestände inhaltlich eher weiter gefasst als eingegrenzt worden seien. Zwar halte ein Teil der Lehre dafür, dass das Vermitteln nach geltendem Recht nur noch als Gehilfenschaft strafbar sei, nach dem klaren Willen des Gesetzgebers sollten jedoch die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes im Rahmen der Teilrevision vom 20. März 2008 - abgesehen von den in den Materialien erwähnten geringfügigen Anpassungen - inhaltlich nicht verändert werden. Ferner bestätige auch das Bundesgericht, dass die revidierten Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes nicht milder seien. Die Handlung des Vermittelns könne nach neuem Recht deshalb unter die Tathandlung "auf andere Weise einem anderen Verschaffen" (
Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG
; SR 812.121) subsumiert werden. Daher erweise sich das geltende Recht in Bezug auf die angeklagten Delikte nicht als das mildere Recht im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 StGB
. Die Vorwürfe seien folglich nach der zur Tatzeit geltenden Fassung des Gesetzes zu beurteilen.
3.3
Art. 2 StGB
bestimmt, welches Gesetz zur Anwendung kommt, wenn das zur Tatzeit geltende Gesetz im Zeitpunkt der
BGE 142 IV 401 S. 404
Entscheidung formell ausser Geltung steht. Gemäss
Art. 2 Abs. 2 StGB
gelangt das neue Recht zur Anwendung, sofern es für den Täter milder ist. Ob das neue im Vergleich zum alten Gesetz milder ist, beurteilt sich aufgrund eines konkreten Vergleichs der Strafe. Der Richter hat zu prüfen, nach welchem der beiden Rechte der Täter besser wegkommt (
BGE 134 IV 82
E. 6.2.1 mit Hinweisen).
Das Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst heraus auszulegen, das heisst, nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen (
BGE 142 IV 1
E. 2.4.1;
BGE 141 III 195
E. 2.4;
BGE 140 III 206
E. 3.5.4; je mit Hinweisen).
3.3.1
Das Bundesgericht hat in einem obiter dictum zwar ausgeführt, in
Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG
werde das Anbieten, Verteilen, Verkaufen, Vermitteln oder Abgeben aus aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG durch die Tathandlung "veräussern" ersetzt (Urteil 6B_360/2011 vom 15. Dezember 2011 E. 2.2; kritischer Kommentar zum Entscheid PETER ALBRECHT, Strafbares Verpacken von Drogen, Digitaler Rechtsprechungskommentar [dRSK] 8. Februar 2012 Rz. 5 ff.). Es hat sich bisher aber nicht vertieft damit befasst, wie das Vermitteln nach der Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 20. März 2008 zu ahnden ist. Im Urteil 6B_518/2014 vom 4. Dezember 2014 konnte es diese Frage offenlassen (E. 10.5). Auch in den weiteren von der Vorinstanz angeführten Entscheiden hat das Bundesgericht nicht darüber befunden, ob bezüglich des Vermittelns das neue im Vergleich zum alten Betäubungsmittelgesetz milder ist (
BGE 138 IV 100
E. 3.2 zum Anstaltentreffen zur Einfuhr von Betäubungsmitteln, Urteile 6B_13/2012 vom 19. April 2012 E. 1.3.1 zur Qualifikation als mengenmässig schwerer Fall und 6B_643/2012 vom 11. März 2013 E. 2.2 zur
BGE 142 IV 401 S. 405
Mittäterschaft zu Erwerb, Transport, Lagerung und Verkauf von Betäubungsmitteln).
3.3.2
Nach aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG macht sich strafbar, wer unbefugt Betäubungsmittel anbietet, verteilt, verkauft, vermittelt, verschafft, verordnet, in Verkehr bringt oder abgibt. Die Vermittlertätigkeit nach altem Recht zeichnete sich dadurch aus, dass der Vermittler den Kontakt zwischen Personen, die Betäubungsmittel veräussern, und solchen, welche diese erlangen wollen, herstellte (
BGE 118 IV 403
E. 2a S. 404,
BGE 118 IV 200
E. 2.; Urteile 6B_205/2009 vom 6. August 2009 E. 5.2 mit Hinweisen und 6S.75/2002 vom 15. April 2003 E. 1.3), indem er z.B. ein Treffen organisierte oder einen Namen, eine Adresse oder eine Telefonnummer mitteilte. Weiter konnte der Vermittler teilweise für einen der Beteiligten verhandeln (Urteil 6B_908/2008 vom 5. Februar 2009 E. 4.1 mit Hinweis; vgl. FINGERHUTH/TSCHURR, Betäubungsmittelgesetz, 2007, N. 79 zu
Art. 19 BetmG
; siehe auch GUSTAV HUG-BEELI, Betäubungsmittelgesetz [BetmG], Kommentar [...], 2016, N. 466 und 469 ff. zu
Art. 19 BetmG
).
Nach der Rechtsprechung hat jede der in aArt. 19 Ziff. 1 BetmG aufgeführten Handlungen die Bedeutung eines selbstständigen Straftatbestandes, so dass Täter ist, wer in eigener Person einen dieser gesetzlichen Tatbestände objektiv und subjektiv erfüllt (
BGE 133 IV 187
E. 3.2;
BGE 119 IV 266
E. 3a;
BGE 118 IV 397
E. 2c).
3.3.3
Gemäss
Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG
macht sich strafbar, wer Betäubungsmittel unbefugt veräussert, verordnet, auf andere Weise einem andern verschafft oder in Verkehr bringt. Das Vermitteln wird nicht mehr ausdrücklich als strafbare Handlung erwähnt. Zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Handlungen trotzdem zu Recht unter diese Bestimmung, namentlich unter "auf andere Weise einem andern verschafft", subsumiert.
Die Materialien legen nahe, dass der Gesetzgeber das Vermitteln von Betäubungsmitteln nicht unerwähnt liess, weil er an dessen Strafbarkeit etwas ändern wollte. Anlässlich der Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 20. März 2008 wurde aArt. 19 Ziff. 1 BetmG in
Art. 19 Abs. 1 BetmG
terminologisch überarbeitet und besser strukturiert. Inhaltlich sollten - abgesehen von den in den Materialien erwähnten kleineren Anpassungen - keine Änderungen vorgenommen werden (Parlamentarische Initiative, Teilrevision des Betäubungsmittelgesetzes, Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 4. Mai 2006, BBl 2006 8573 ff., 8611
BGE 142 IV 401 S. 406
Ziff. 3.1.11.1; Botschaft vom 9. März 2001 über die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, BBl 2001 3715 ff., 3772 f. Ziff. 2.2.8.1). Sowohl in der Stellungnahme des Bundesrates (Stellungnahme des Bundesrates vom 29. September 2006 zur Parlamentarischen Initiative, Teilrevision des Betäubungsmittelgesetzes, Bericht vom 4. Mai 2006 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates, BBl 2006 8645 ff., 8651 Ziff. 2.2.8) als auch in den parlamentarischen Verhandlungen waren die terminologischen Anpassungen des Grundtatbestandes (
Art. 19 Abs. 1 BetmG
) kein Thema (AB 2006 N 1838, 1857 ff., 1869 ff., 2004 ff., insbesondere N 2014 zu Art. 19: der Nationalrat nahm den Antrag der Kommission mit 116 Stimmen diskussionslos an [Wortlaut von
Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG
: Betäubungsmittel unbefugt veräussert, verordnet, auf andere Weise einem andern verschafft oder in Verkehr bringt], wobei der Antrag von Nationalrat Christian Waber 58 Stimmen erhielt [gemäss seinem Antrag sollte
Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG
lauten: Betäubungsmittel unbefugt anbietet, abgibt, veräussert, vermittelt, verschafft, verordnet oder in Verkehr bringt], AB 2007 S 1147 ff., AB 2008 N 73 ff., AB 2008 S 189, S 207).
3.3.4
In der Lehre wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass das Vermitteln nicht mehr eigenständig strafbar ist, weil es unter keine andere im Gesetz aufgeführte Tathandlung subsumiert werden kann. Das Vermitteln könne demzufolge nur noch als eine Art der Gehilfenschaft strafrechtlich geahndet werden (HUG-BEELI, a.a.O., N. 463 zu
Art. 19 BetmG
; GERHARD FIOLKA, Die revidierten Strafbestimmungen des BetmG - Vier Säulen und einige Überraschungen, AJP 2011 S. 1275; PETER ALBRECHT, Die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes [
Art. 19-28l BetmG
], 3. Aufl. 2016, N. 63 zu
Art. 19 BetmG
; HANS MAURER, in: StGB Kommentar, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Donatsch/Flachsmann/Hug/Maurer/Riesen-Kupper/Weder [Hrsg.], 19. Aufl. 2013, N. 23 zu
Art. 19 BetmG
; wohl gl.M. GERHARD FIOLKA, Das Rechtsgut, Bd. 2, Niggli/ Amstutz/Bors [Hrsg.], 2006, S. 883 f.; wohl a.M. MARCEL KELLER, Der revidierte
Art. 19 BetmG
in der Fassung vom 20. März 2008, ZStrR 130/2012 S. 153).
Der Begriff "verschaffen" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch, (a) beschaffen, besorgen, (b) dafür sorgen, dass jemand etwas zuteil wird, jemand etwas bekommt (was nicht ohne Weiteres erreichbar ist), jemandem zu etwas verhelfen (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl. 2011; GERHARD WAHRIG, Deutsches
BGE 142 IV 401 S. 407
Wörterbuch, 1996; Duden, das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl. 2010). Der Wortlaut der mit der Teilrevision neu eingeführten Tatbestandsvariante "auf andere Weise einem andern verschafft", spricht sodann für einen Auffangtatbestand (gl.M. BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. II, 3. Aufl. 2010, N. 35 zu
Art. 19 BetmG
; HUG-BEELI, a.a.O., N. 497 zu
Art. 19 BetmG
). Der französische Gesetzestext lautet "en procure de toute autre manière à un tiers". Die italienische Version spricht von "procura in altro modo ad altri".
Vor der Teilrevision vom 20. März 2008 hatte das Verschaffen von Betäubungsmitteln, d.h. die Übergabe durch einen Mittelsmann (ALFRED SCHÜTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 in der Fassung vom 20. März 1975, 1980, S. 117), neben den Tathandlungen der Abgabe und der Vermittlung gemäss aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG bloss eine geringe praktische Bedeutung. Beim Verschaffen nach bisherigem Recht ging es darum, dass sich jemand die Betäubungsmittel nicht selber, sondern anderen Personen verschafft (FINGERHUTH/TSCHURR, a.a.O., N. 80 zu
Art. 19 BetmG
; PETER ALBRECHT, Die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes [
Art. 19-28 BetmG
], 2. Aufl. 2007, N. 71 zu
Art. 19 BetmG
). GUSTAV HUG-BEELI versteht unter Verschaffen nach neuem Recht das Zugänglichmachen oder das Einräumen der Sachherrschaft über Betäubungsmittel etwa durch einen Mittelsmann. Er subsumiert auch die Geldabgabe an eine süchtige Person, damit sich diese Drogen für den Eigenkonsum beschaffen kann, unter diese Tatbestandsvariante (HUG-BEELI, a.a.O., N. 498 und 500 zu
Art. 19 BetmG
). Ein Teil der Lehre ist der Meinung, dass derjenige, der verschafft, die Tatherrschaft über die Abgabe durch den Boten haben und diesem gegenüber verbindlich anordnen können muss, die Betäubungsmittel zu übergeben, was bei einem Vermittler nicht der Fall ist (MAURER, a.a.O., N. 21 zu
Art. 19 BetmG
; FIOLKA, a.a.O., S. 1275). BERNARD CORBOZ hingegen ist der Auffassung, die Formulierung "procure de toute autre manière" schliesse das im Gesetz nicht mehr ausdrücklich genannte Vermitteln, d.h. sämtliche Vermittlertätigkeit im Sinne der bisherigen Rechtsprechung (vgl. E. 3.3.2), mit ein (CORBOZ, a.a.O., N. 35 zu
Art. 19 BetmG
).
3.4
Angesichts des klaren gesetzgeberischen Willens, das Betäubungsmittelgesetz mit der Teilrevision vom 20. März 2008 inhaltlich prinzipiell nicht zu ändern, kann die vom Gesetzgeber gewählte, relativ offene Formulierung "auf andere Weise einem andern verschafft" nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass nur derjenige
BGE 142 IV 401 S. 408
verschaffen kann, der die Tatherrschaft über die Betäubungsmittel inne hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Tatbestandsvariante grundsätzlich die Vermittlertätigkeit im Sinne der bisherigen Rechtsprechung beinhaltet. Damit erklärt sich auch, weshalb das Vermitteln bei der Finanzierung gemäss
Art. 19 Abs. 1 lit. e BetmG
belassen und beim Betäubungsmittelhandel gestrichen wurde (FIOLKA, a.a.O., S. 1275). Ob gewisse bzw. welche vermittelnden Handlungsweisen im Einzelnen nicht mehr darunter fallen, kann hier offenbleiben. Durch die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tätigkeiten kamen (weitere) Heroinlieferungen von Z. an Y. zustande. Bei Schwierigkeiten zwischen den beiden schaltete sich der Beschwerdeführer immer wieder ein und begleitete den Lieferanten sogar zu Treffen. Mit diesen Handlungen hat er Y. Heroin verschafft. Folglich verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie zum Schluss gelangt, vorliegend sei das neue Recht nicht das mildere. (...) | mixed |
7794d20b-4191-488d-ba4e-8ca980b294d7 | Sachverhalt
ab Seite 334
BGE 120 IV 334 S. 334
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft erklärte W. mit Urteil vom 6. Dezember 1993 der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Raub schuldig und verurteilte ihn zu sechs Monaten Gefängnis (unbedingt), als Teilzusatzstrafe zum Strafbefehl der Überweisungsbehörde Basel-Landschaft vom 15. Oktober 1991, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von sechs Tagen. Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft bestätigte
BGE 120 IV 334 S. 335
auf Appellation der Staatsanwaltschaft hin mit Urteil vom 10. Mai 1994 den erstinstanzlichen Entscheid.
Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie beantragt, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von W. wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen versuchten qualifizierten Raubes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
W. liess sich innert Frist nicht vernehmen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz ging hinsichtlich der Betäubungsmitteldelikte davon aus, der Beschwerdegegner habe rund 100 Gramm Heroin von verschiedenen Personen bezogen. Von dieser Gesamtmenge habe er mindestens die Hälfte unentgeltlich an seine damalige Freundin M. abgegeben; weitere ca. 20 Gramm Heroin habe er an S. verkauft bzw. verschenkt und den Rest selber konsumiert. Insgesamt habe er somit rund 70 Gramm Heroin weitergegeben. Ferner habe er rund 30 Gramm Kokain gekauft, wovon er den grössten Teil gegen Heroin eingetauscht und eine geringe Menge selber konsumiert habe. Gestützt auf die Feststellungen des Strafgerichts nahm die Vorinstanz an, es habe sich beim Heroin - mit Ausnahme von 30 Gramm, die der Beschwerdegegner von R. erhalten habe und die von besserer Qualität gewesen seien - um Gassenware gehandelt. Sie liess jedoch offen, ob man - wie das Strafgericht - annehmen könne, das vom Beschwerdegegner weitergegebene Heroin habe lediglich 8 Gramm reines Heroin-Hydrochlorid enthalten und somit einen Reinheitsgrad von nur 11% aufgewiesen, da der Beschwerdegegner neben dem Heroin auch noch Kokain umgesetzt habe. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei es in einem solchen Fall nicht notwendig, dass die Grenzwerte für den qualifizierten Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
(SR 812.121) in bezug auf beide Betäubungsmittel erreicht würden; massgebend sei vielmehr die Gesamtmenge der umgesetzten Drogen, die bei der vom Strafgericht angenommenen Heroinmenge von 8 Gramm auch bei einem Reinheitsgrad des Kokains von bloss 20% umgerechnet 12 Gramm Heroin ergebe.
Obwohl angesichts der Menge der weitergegebenen Betäubungsmittel rein rechnerisch ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
BGE 120 IV 334 S. 336
vorliege, sei aufgrund der besonderen Umstände eine qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verneinen. Die bisherige restriktive Praxis mit ihren absoluten Untergrenzen führe zu höchst unbefriedigenden Ergebnissen, die die Realitäten in der Drogenszene verkenne. Dies gelte namentlich für die Gleichsetzung des Begriffs "viele Menschen" mit mindestens 20 Personen. Auf der Gasse tätige Kleinhändler erreichten schon nach kurzer Zeit und ohne grössere Anstrengungen die für den qualifizierten Tatbestand notwendige Betäubungsmittelmenge. Um Ungereimtheiten und Strafmassverzerrungen zu vermeiden, seien an die Erfüllung des qualifizierten Tatbestandes höhere Anforderungen zu stellen, als dies bisher geschehen sei. Insbesondere wenn sich die umgesetzte Drogenmenge im Bereich der bundesgerichtlichen Limiten bewege, sei eine differenzierende, nicht bloss auf die Menge abstellende Betrachtungsweise unerlässlich. Der Beschwerdegegner habe den Stoff im zu beurteilenden Fall an seine damalige Freundin und an S. weitergegeben. Andere Abnehmer für das Heroin seien nicht bekannt. In bezug auf das Kokain stehe sodann nur ein Abnehmer, nämlich R. fest, bei dem er den Stoff gegen Heroin eingetauscht habe. Stelle man das durch die Drogenabgabe bei lediglich drei Abnehmern konkret erzeugte Gefährdungspotential dem durch die Bundesgerichtspraxis erforderlichen abstrakten Gefährdungspotential bei mindestens zwanzig Personen gegenüber, falle das durch den Beschwerdegegner geschaffene Unrecht relativ gering aus. Dies müsse umso mehr gelten, als das Bundesgericht bei der Festlegung der Mindestmenge von einem Gefährdungspotential ausging, wie es bei den Abnehmern im konkreten Fall gerade nicht vorgelegen habe, denn diese seien keine drogenunerfahrenen Konsumenten gewesen. Der Beschwerdegegner habe dies gewusst, ja sei bei seiner damaligen Freundin sogar bestrebt gewesen, ihr aus ihrer verfahrenen Situation herauszuhelfen und sie mittels allmählicher Verminderung der Dosierung von ihrer Sucht zu befreien. Diese konkreten Umstände erlaubten nicht, von einem schweren Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
zu sprechen. Der Beschwerdegegner habe daher bloss den Grundtatbestand von Ziff. 1 der genannten Bestimmung erfüllt.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, der qualifizierte Tatbestand des
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
sei bereits mit der Abgabe von 70 Gramm Heroin erfüllt. Wohl habe es sich beim abgegebenen Heroin zumindest zum Teil um Gassenware gehandelt, die 30 Gramm Heroin, die der Beschwerdegegner im Tausch gegen Kokain von R. erhalten und später an Dritte weitergegeben habe, seien aber
BGE 120 IV 334 S. 337
von besserer Qualität gewesen. Angesichts dieser Umstände sei nicht von einem Reinheitsgehalt von bloss 11% sondern von einem solchen von mindestens 20% auszugehen. Der Beschwerdegegner habe somit mindestens 14 Gramm reines Heroin weitergegeben, so dass ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
vorliege. Der qualifizierte Tatbestand sei auch deshalb erfüllt, weil der Beschwerdegegner neben dem Heroin auch Kokain gehandelt habe. Auch wenn lediglich drei Abnehmer bekannt seien, ändere dies nichts daran, dass eine abstrakte Gefährdung von mehr als 20 Personen vorgelegen habe. Dass die Abnehmer keine drogenunerfahrenen Konsumenten gewesen seien und der Beschwerdegegner versucht habe, seine Freundin von der Sucht zu befreien, sei nicht von Belang.
2.
a)
Art. 19 BetmG
stellt den unbefugten Umgang mit Betäubungsmitteln unter Strafe, weil deren Genuss für die Gesundheit der Menschen als schädlich betrachtet wird. Der Gesetzgeber will dieser Gefahr für die menschliche Gesundheit unter anderem begegnen, indem er in den Abs. 1 bis 6 von Ziff. 1 der zitierten Bestimmung die Handlungen mit Strafe bedroht, die letztlich dazu führen oder führen können, dass Betäubungsmittel in Verkehr gebracht und damit für den potentiellen Konsumenten zugänglich werden (
BGE 117 IV 58
E. 2 mit Hinweis). Deshalb macht sich nach
Art. 19 Ziff. 1 BetmG
strafbar, wer Betäubungsmittel unter anderem unbefugt anbietet, verteilt, verkauft, vermittelt, verschafft, verordnet, in Verkehr bringt oder abgibt (Abs. 3). Nach Satz 2 derselben Bestimmung ist in schweren Fällen die Strafe Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter einem Jahr, womit eine Busse bis zu 1 Million Franken verbunden werden kann. Ein schwerer Fall liegt unter anderem vor, wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann (
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
). Ebenfalls schwere Fälle stellen das bandenmässige (lit. b) und das gewerbsmässige Handeln mit grossem Umsatz oder erheblichem Gewinn dar (lit. c).
In
BGE 108 IV 63
E. 2 erkannte das Bundesgericht unter Verweisung auf seine frühere Rechtsprechung, eine Vielzahl von Menschen im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
sei bei zwanzig Personen gegeben (
BGE 105 IV 73
E. 3d a.E.,
BGE 106 IV 227
E. 3c: 20-40 Personen; vgl. auch
BGE 103 IV 280
E. 1: 35 Personen). Es stützte sich hiefür auf den Zweckgedanken des BetmG, der es verbiete, bei der Anwendung von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
besondere
BGE 120 IV 334 S. 338
Rücksicht walten zu lassen und den unbestimmten Rechtsbegriff der Vielzahl von Menschen so zu fassen, dass die unterste Grenze hoch angesetzt werde, da im Kampf gegen den unbefugten Rauschgifthandel Strenge am Platz sei (
BGE 108 IV 63
E. 2a). Ferner hielt es fest, ein schwerer Fall liege nach dem Gesetz schon dann vor, wenn sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln beziehe, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen könne. In objektiver Hinsicht setze die Bestimmung nur voraus, dass die Widerhandlung mit einer Menge eines bestimmten Betäubungsmittels begangen werde, die geeignet sei, eine gesundheitliche Gefahr für viele herbeizuführen.
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
sei ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Es komme daher nicht darauf an, wieviele Personen durch die abgegebenen Drogen tatsächlich gefährdet worden seien, sondern allein darauf, wieviele hätten gefährdet werden können. Desgleichen spiele keine Rolle, ob durch die Tathandlung neue Abnehmerkreise von (noch) nicht süchtigen Personen erschlossen würden oder ob die vermittelten Abnehmer bereits Süchtige seien. Der Nachweis, dass die Gefahr tatsächlich eingetreten oder vom Täter gewollt gewesen sei, sei nicht erforderlich (
BGE 111 IV 31
E. 2 mit Hinweisen,
BGE 117 IV 58
E. 2,
BGE 118 IV 200
E. 3 f.).
In
BGE 109 IV 143
ff. legte das Bundesgericht nach Anhörung von Sachverständigen unter Beachtung der in konstanter Rechtsprechung entwickelten Kriterien (drogenunerfahrene Konsumenten, gefährlichste gebräuchliche Applikationsart) Grenzwerte für die Annahme des schweren Falles gemäss
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
fest. Es ging davon aus, die tägliche intravenöse Applikation von 10 mg Heroin-Hydrochlorid während 60 Tagen bzw. von 10 mg Kokain während 90 Tagen könne zur psychischen Abhängigkeit führen. Eine Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen (20 Personen) liege demnach bei einer Rauschgiftmenge von 12 Gramm Heroin bzw. 18 Gramm Kokain vor (vgl. auch
BGE 103 IV 280
E. 1,
BGE 105 IV 73
E. 3d; ebenso
BGE 106 IV 241
E. 2a). In
BGE 112 IV 109
E. 2a führte das Bundesgericht weiter aus, bei einem Täter, der mit verschiedenen Betäubungsmittelarten handle, seien nicht die Mengen der einzelnen umgesetzten Betäubungsmittelarten massgebend, sondern die Gesamtmenge aller Drogen. Könne durch die vom Täter verkaufte Menge von (verschiedenartigen) Drogen die Gesundheit von 20 Menschen gefährdet werden, liege ein schwerer Fall vor, auch wenn in bezug auf die einzelnen Betäubungsmittelarten die Grenzwerte nicht erreicht seien. Der Täter, der beispielsweise 6 Gramm Heroin (50% von 12 Gramm) und
BGE 120 IV 334 S. 339
9 Gramm Kokain (50% von 18 Gramm) verkaufe, sei wegen schwerer Widerhandlung im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
zu verurteilen, weil mit dieser Menge von Drogen die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr gebracht werden könne (112 IV 109 E. 2b).
Bei der Beurteilung des Konsums von Cannabis erkannte das Bundesgericht, die Gesundheitsgefahr gemäss
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
sei eng zu fassen und nicht schon zu bejahen, wenn der Gebrauch einer Droge geeignet sei, psychisch abhängig zu machen. Eine Gesundheitsgefahr liege erst vor, wenn der Gebrauch der Droge über die Gefahr psychischer Abhängigkeit an sich hinaus auch seelische oder körperliche Schäden verursachen könne. Die Gefahr für die Gesundheit vieler Menschen müsse daher eine naheliegende und ernstliche sein (
BGE 117 IV 314
E. 2d/cc).
In
BGE 119 IV 180
E. 2d entschied es sodann in Änderung seiner früheren Rechtsprechung (
BGE 111 IV 100
), dass sich die Gewichtsangaben beim qualifizierten Fall auf den reinen Drogenwirkstoff bezögen. Ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
sei demgemäss bei einem Heroingemisch erst dann anzunehmen, wenn der darin enthaltene reine Drogenwirkstoff mindestens 12 Gramm Heroin-Hydrochlorid betrage.
b) Die Vorinstanz ging davon aus, dass rein rechnerisch ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
vorliege, da die vom Beschwerdegegner weitergegebene Drogenmenge auch bei Annahme eines Reinheitsgrades von bloss 11% für das Heroin und eines solchen von lediglich 20% für das Kokain die Grenzmenge von 12 Gramm reinen Heroin-Hydrochlorids erreicht habe. Dennoch verneinte sie den schweren Fall und beurteilte den Sachverhalt aufgrund der besonderen Umstände bloss als einfache Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Dies ist - soweit es sich um die Weitergabe von Betäubungsmitteln an M. handelt - im Ergebnis nicht zu beanstanden.
aa) Das Bundesgericht entschied in einem Fall, in dem die Täter eine grössere Menge Kokain transportierten, um den Stoff in einen Abwasserschacht zu werfen und so zu vernichten, dass die durch das Befördern im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetmG
geschaffene geringfügige abstrakte Gefahr des Inverkehrbringens von Betäubungsmitteln unter den besonderen Umständen des Falles ein erlaubtes Risiko darstelle und es somit an einem strafwürdigen Unrecht mangle (
BGE 117 IV 58
E. 2). Der Nutzen einer Tätigkeit, die sonst gar nicht oder nur mit unverhältnismässig hohen materiellen oder anderen Aufwendungen möglich
BGE 120 IV 334 S. 340
wäre, könne das Eingehen eines gewissen Risikos rechtfertigen (BGE a.a.O., E. 2b mit Hinweis auf STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, § 10 N. 3 ff., 9). Bei der Abwägung von Nutzen und Risiko überwiege der mit dem praktisch sicheren Unschädlichmachen der Drogen erzielte Nutzen das in der entfernten Gefahr des Inverkehrbringens bestehende Risiko.
Diese Grundsätze sind analog auf den zu beurteilenden Fall zu übertragen. Wohl erweist sich das Handeln des Beschwerdegegners hier im Gegensatz zum Fall um die Beseitigung von Drogen als unrechtmässig, hingegen bestehen hinreichende Gründe, die Weitergabe von Betäubungsmitteln nicht als schweren Fall zu beurteilen. Dies jedenfalls insoweit, als der Beschwerdegegner nach den Feststellungen der Vorinstanz Drogen an seine Freundin M. geliefert hat, im Bestreben, ihr aus ihrer verfahrenen Situation herauszuhelfen, und in der Hoffnung, sie mittels allmählicher Reduzierung der Dosierung von ihrer Sucht zu befreien. Nach dem angefochtenen Urteil gab er dieser rund 50 Gramm (gestrecktes) Heroin ab, das sie selber konsumierte und wofür sie nichts bezahlen musste. Wesentlich ist, dass zwischen dem Beschwerdegegner und seiner drogensüchtigen Freundin eine enge Beziehung bestand und dass er ihr durch die Weitergabe von Heroin zum Konsum aus ihrer Situation heraushelfen wollte. Ausserdem war er von keinerlei finanziellen Interessen geleitet, vielmehr erlitt er selbst durch seine Geschäfte einen Verlust. Ins Gewicht fällt sodann, dass er selber begann, Drogen zu konsumieren und schliesslich ebenfalls abhängig wurde. Bei einer solchen Konstellation, bei der die Drogen lediglich an eine bereits süchtige Bezugsperson zum eigenen oder gemeinsamen Konsum abgegeben werden und bei der zudem die Gewissheit besteht, dass diese die Drogen selber konsumiert und nicht an Dritte weitergibt, kann die abstrakte Gefahr, dass Betäubungsmittel in die Hände unbestimmt vieler, unter Umständen auch gesunder Menschen gelangen, vernachlässigt werden. Jedenfalls ist der Umstand, dass die süchtige Person dadurch vor Beschaffungskriminalität, Prostitution und einem Abgleiten in Verwahrlosung bewahrt wird, stärker zu gewichten als die bloss abstrakte Gefahr des weiteren Inverkehrgelangens von Betäubungsmitteln. Die Weitergabe an den drogensüchtigen Partner unterscheidet sich wesentlich von der Tätigkeit des gefährlichen Drogenhändlers, der - sei es aus ausschliesslich finanziellen Motiven oder auch, um mit dem Erlös seine eigene Sucht zu befriedigen, - gegen Entgelt an mehrere oder gar unbestimmt viele Konsumenten Drogen
BGE 120 IV 334 S. 341
verkauft. Diesen wollte der Gesetzgeber mit der Bestimmung von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
treffen. Wo der Partner eines (drogensüchtigen) Paares Stoff für den Konsum des andern besorgt, erfüllt die Weitergabehandlung den schweren Fall hingegen nicht, auch wenn die weitergegebene Menge die Grenze von 12 Gramm überschreitet. Die Vorinstanz hat daher die Abgabe von Heroin an M. zu Recht nicht als schweren Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
, sondern als bloss einfache Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz gewertet. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.
bb) Neben den 50 Gramm Heroin an M. verkaufte bzw. verschenkte der Beschwerdegegner weitere 20 Gramm in mehreren Portionen an S. Ausserdem kaufte er rund 30 Gramm Kokain und gab sie ebenfalls in kleinen Portionen an R. weiter, wobei er den grössten Teil gegen Heroin tauschte, das er wiederum für den Eigenkonsum und den Konsum seiner Freundin verwendete. Da die Vorinstanz den tatsächlichen Reinheitsgrad der Drogen letztlich offenliess, steht nicht fest, ob die für den schweren Fall allein in Frage kommenden 20 Gramm Heroin und 30 Gramm Kokain den Grenzwert gemäss der Rechtsprechung erreichen. Nimmt man mit der Beschwerdeführerin für das Heroin einen Reinheitsgrad von mindestens 20% an, ergibt sich für die 20 Gramm an S. eine Menge von 4 Gramm reinem Heroin-Hydrochlorid. Für die Annahme des qualifizierten Falles müssten die an R. weitergegebenen 30 Gramm Kokain diesfalls 12 Gramm reines Kokain enthalten, was 8 Gramm Heroin entspricht, also einen Reinheitsgrad von mindestens 40% aufgewiesen haben. Wie es sich damit verhält, kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden, so dass in diesem Punkt die Gesetzesanwendung nicht überprüft werden kann und die Sache im Sinne von
Art. 277 BStP
an die kantonale Instanz zurückgewiesen werden muss. | mixed |
3ae017f8-5bb9-4556-b4ce-81192626811d | Sachverhalt
ab Seite 188
BGE 133 IV 187 S. 188
A.
Im August 2003 nahm B. in der Dominikanischen Republik Kontakt auf zu venezolanischen Staatsangehörigen, die im Drogenhandel tätig sind. Gemeinsam mit A. veranlasste sie eine Lieferung über 940 Gramm Kokain. Daraufhin wurde ein Drogenkurier (als
BGE 133 IV 187 S. 189
sog. Body-Packer) eingesetzt, welcher den in Fingerlingen abgefüllten Stoff schluckte und von Venezuela über Spanien in die Schweiz einführte, wo er am 18. September 2003 ankam. A. und C. holten den Kurier am Flughafen Zürich ab und brachten ihn in eine Wohnung, um die Fingerlinge mit dem Kokain auszuscheiden. Die Drogen wurden alsdann gewogen, getestet, abportioniert und später von A. - unter Mithilfe von B. und C. - an verschiedene Abnehmer verkauft. Der dabei erzielte Gewinn wurde zwischen A. und B. geteilt. C. wurde mit EUR 1500 entschädigt.
Am 16. November 2003 erfolgte auf Veranlassung von A. eine zweite Lieferung über 940 Gramm Kokain. Dabei wurde derselbe Drogenkurier und auf die gleiche Weise wie beim ersten Mal eingesetzt. Kurz nach dessen Eintreffen in A.s Wohnung erschien auch C., der über mehrere Stunden den Kurier beim Ausscheidevorgang betreute und für die Verpflegung sorgte. Bevor dieser mit dem Ausscheiden zu Ende kommen konnte, schritt die Polizei ein.
B.
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft erhob mit Anklageschrift vom 7. April 2006 unter anderem Anklage gegen A., B., und C. Den Angeklagten wird zur Hauptsache mengen-, banden- und gewerbsmässig qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG; SR 812.121) als Mittäter zur Last gelegt.
C.
Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts erklärte mit Urteil vom 22. August 2006 die Angeklagten A. und B. als Mittäter der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (
Art. 19 Ziff. 1 und 2 BetmG
) schuldig, begangen unter anderem durch Verkauf bzw. Einfuhr von je 940 Gramm Kokain. Den Angeklagten C. verurteilte sie wegen Gehilfenschaft zur qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (
Art. 19 Ziff. 1 und 2 BetmG
i.V.m.
Art. 25 StGB
), begangen durch Verkauf bzw. Anstaltentreffen zum Verkauf von je 940 Gramm Kokain. Vom Vorwurf weiterer Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz wurden die Angeklagten teilweise freigesprochen.
Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts bestrafte die Angeklagten A. und B. je mit 3 Jahren und 8 Monaten Zuchthaus, den Angeklagten C. mit 2 Jahren und 4 Monaten Zuchthaus. Vom Widerruf der mit Strafbefehl der Bezirksanwaltschaft Winterthur vom 10. Juli 2003 gegen C. ausgesprochenen Freiheitsstrafe sah die Strafkammer ab.
BGE 133 IV 187 S. 190
D.
Gegen das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts vom 22. August 2006 führt die Bundesanwaltschaft Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
E.
Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 8. Januar 2007 Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdegegner A. und B. wurden wegen Unzustellbarkeit durch öffentliche Publikation im Bundesblatt aufgefordert, zur Beschwerde Stellung zu nehmen, was sie innert Frist nicht getan haben. Das Bundesgericht hat ihnen mit Beschluss vom 4. April bzw. 7. Mai 2007 die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwältin Korinna Fröhlich bzw. Rechtsanwalt Jürg Federspiel als amtliche Verteidiger für das bundesgerichtliche Verfahren bezeichnet. Beide Rechtsvertreter stellen je den Antrag, die Beschwerde abzuweisen. Der Beschwerdegegner C. verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gut. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Gemäss
Art. 33 Abs. 3 lit. b SGG
ist "der Bundesanwalt" zur Beschwerde berechtigt. Die vorliegende Eingabe vom 28. November 2006, eingereicht als Nichtigkeitsbeschwerde der Schweizerischen Bundesanwaltschaft, ist von einem Staatsanwalt des Bundes unterzeichnet. Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts wirft in ihrer Vernehmlassung die Frage auf, ob die Staatsanwälte des Bundes zur Beschwerdeführung berechtigt seien, was im Lichte von
BGE 131 IV 142
zweifelhaft erscheine. In diesem Entscheid war zu beurteilen, wer im Kanton Wallis öffentlicher Ankläger im Sinne von
Art. 270 lit. c BStP
ist bzw. ob neben dem Generalstaatsanwalt auch Staatsanwälte mit beschränkten Regionalkompetenzen zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde befugt seien (BGE, a.a.O., E. 1). Für das Bundesstrafverfahren kann sich diese Frage jedoch nicht stellen, sondern einzig, ob die Staatsanwälte des Bundes Nichtigkeitsbeschwerde an Stelle des Bundesanwaltes (und nicht neben ihm) erheben können.
Der Bundesanwalt kann sich nach
Art. 16 Abs. 1 BStP
durch seine Stellvertreter vertreten lassen. Im Rahmen der sog.
BGE 133 IV 187 S. 191
Effizienzvorlage (Botschaft des Bundesrates vom 28. Juni 1998 zu den Massnahmen zur Verbesserung der Effizienz und der Rechtsstaatlichkeit in der Strafverfolgung; BBl 1998 II 1529) wurde zur Entlastung des Bundesanwaltes seine Stellvertretung erweitert und namentlich die Möglichkeit geschaffen, für jedes Sprachgebiet einen oder mehrere Vertreter zu bezeichnen (
Art. 16 Abs. 2 BStP
; BBl 1998 II 1553). In der Zusatzbotschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. September 2001 (BBl 2001 S. 6049) werden sodann die Staatsanwälte des Bundes ausdrücklich als Prozesspartei und Vertreter des Bundesanwaltes im Bundesstrafverfahren genannt (BBl 2001 S. 6054, 6057). Grundsätzlich muss jener Staatsanwalt, der das Ermittlungsverfahren geführt hat, auch die Anklage vor Bundesstrafgericht im Namen des Bundesanwaltes im Sinne von
Art. 125 ff. BStP
erheben und vertreten (BBl 2001 S. 6059), was er im vorliegenden Fall getan hat. Kommt den Staatsanwälten aber die Funktion des öffentlichen Anklägers des Bundes zu, sind sie befugt, für den Bundesanwalt nach
Art. 33 Abs. 3 lit. b SGG
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts zu erheben.
2.2
Gemäss
Art. 33 Abs. 3 lit. b SGG
findet der Vorbehalt zugunsten der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (
Art. 269 Abs. 2 BStP
) keine Anwendung. Das Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde steht schon deshalb nicht offen, weil es nur gegen kantonale Entscheide zulässig ist, nicht aber gegen Entscheide von Bundesbehörden (
Art. 84 ff. OG
). Wohl leitet die Rechtsprechung aus der Übergangsbestimmung ab, dass mit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des Bundesstrafgerichts die gleichen Beschwerdegründe angerufen werden können wie gegen kantonale Strafurteile (Entscheide des Bundesgerichts 6S.293/2005 vom 24. Februar 2006, E. 2.1 und 6S.150/ 2006 vom 21. Dezember 2006, E. 3.1). Das Bundesgericht hat jedoch betont, dass damit keine Erweiterung der Beschwerdebefugnis des Bundesanwaltes einhergehe, und er deshalb nicht befugt sei, eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte des Bürgers, einschliesslich des Rechts auf Schutz vor Willkür, zu rügen. Begründet wird dies zum einen damit, dass der öffentliche Ankläger nicht Grundrechtsträger sei, und zum anderen mit der Entstehungsgeschichte von
Art. 33 SGG
, die nicht erkennen lasse, dass der Gesetzgeber die Beschwerdebefugnis des Bundesanwaltes hätte erweitern wollen (Urteil 6S.150/2006, a.a.O., E. 3.2). Es besteht kein
BGE 133 IV 187 S. 192
Anlass, von dieser Rechtsprechung zu Inhalt und Tragweite der übergangsrechtlichen Regelung abzuweichen. Auf die Beschwerde der Bundesanwaltschaft ist daher nicht einzutreten, soweit sie einen Verstoss gegen das Willkürverbot (
Art. 9 BV
) im Zusammenhang mit den ergangenen Freisprüchen rügt.
3.
Die Bundesanwaltschaft wendet sich gegen die Verurteilung des Beschwerdegegners C. wegen Gehilfenschaft zur qualifzierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (
Art. 19 Ziff. 1 und 2 BetmG
i.V.m.
Art. 25 StGB
) und macht geltend, dieser habe sich als Mittäter schuldig gemacht.
3.1
Die Vorinstanz stellt folgenden Sachverhalt für den Kassationshof verbindlich fest (
Art. 277
bis
BStP
): Am 18. September 2003 wurden auf Bestellung von A. und B. erstmals 940 Gramm Kokain in die Schweiz eingeführt. Die Drogen wurden in die Wohnung von A. verbracht, dort gelagert und in der Folge an verschiedene Abnehmer verkauft. An diesen Vorgängen hat sich C. insofern beteiligt, als er den Drogenkurier am Flughafen Zürich abholte, auf Anweisung von A. das ausgeschiedene Kokain abportionierte, Verkäufe tätigte und dafür mit EUR 1500 entschädigt wurde. Auf Veranlassung von A. führte der Drogenkurier am 16. November 2003 abermals und auf die gleiche Weise 940 Gramm Kokain ein. C. erschien kurz nach dem Eintreffen des Kuriers in der Wohnung, betreute diesen beim Ausscheiden des Kokains und sorgte für die Verpflegung. Die Polizei schritt ein, noch bevor das Kokain vollständig ausgeschieden war.
Aufgrund dieses Sachverhalts erklärt die Vorinstanz den Beschwerdegegner C. der Gehilfenschaft zur qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 und 2 BetmG
i.V.m.
Art. 25 StGB
schuldig. Sie führt aus, der Tatbeitrag von C. hebe sich qualitativ von jenem der Hauptbeteiligten A. und B. ab. Er habe in untergeordneter Stellung Hilfe geleistet zum Verkauf von 940 Gramm Kokain (nach der ersten Einfuhr) sowie zum Anstaltentreffen zum Verkauf von 940 Gramm Kokain (nach der zweiten Einfuhr). Hinsichtlich der zweiten Drogenlieferung sei er nicht Gehilfe zur Einfuhr, da diese bei seinem Eintreffen abgeschlossen gewesen sei, sondern beim Ausscheiden, also beim Anstaltentreffen zur Drogenveräusserung.
3.2
Gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 4 BetmG
macht sich strafbar, wer unbefugt Betäubungsmittel lagert, versendet, ein-,
BGE 133 IV 187 S. 193
aus- oder durchführt bzw. unbefugt anbietet, verteilt, verkauft, vermittelt, verschafft, verordnet, in Verkehr bringt oder abgibt. Nach der Rechtsprechung hat jede der in
Art. 19 Ziff. 1 BetmG
aufgeführten Handlungen die Bedeutung eines selbständigen Straftatbestandes, so dass Täter ist und der vollen Strafdrohung untersteht, wer in eigener Person einen dieser gesetzlichen Tatbestände objektiv und subjektiv erfüllt (
BGE 119 IV 266
E. 3a S. 269;
BGE 118 IV 397
E. 2c S. 400;
BGE 106 IV 72
E. 2b S. 73).
Die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches finden auch im Betäubungsmittelstrafrecht Anwendung, soweit das Betäubungsmittelgesetz nicht selbst Bestimmungen aufstellt (
Art. 26 BetmG
). Die allgemeinen Regeln über Täter und Teilnahme gelten daher grundsätzlich auch im Bereich der Betäubungsmitteldelikte (PETER ALBRECHT, Die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes, 2. Aufl., Bern 2007,
Art. 19 BetmG
N. 160). In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass
Art. 19 Ziff. 1 BetmG
nahezu alle Unterstützungshandlungen als selbständige Handlungen umschreibt. Aufgrund der hier gegebenen hohen Regelungsdichte besteht kein Bedürfnis, unterstützende Tatbeiträge über die Regeln der Mittäterschaft, Anstiftung oder Gehilfenschaft in die eigentliche Tat einzubeziehen. Diese Dichte hat insbesondere eine starke Einschränkung des Anwendungsbereiches von
Art. 25 StGB
(Gehilfenschaft) zur Folge (
BGE 118 IV 397
E. 2c S. 400). Gehilfenschaft liegt nur vor, wenn die objektive Mitwirkung an der Tat eines anderen sich auf einen untergeordneten, vom Gesetz nicht als selbständiges Delikt erfassten Beitrag beschränkt (
BGE 119 IV 266
E. 3a S. 268;
BGE 113 IV 90
E. 2a S. 91).
Eine eigenständige Vorschrift, die von den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches abweicht, enthält das Betäubungsmittelgesetz in
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG
. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer zu einer Tat nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
Anstalten trifft. Damit werden zum einen der Versuch im Sinne von
Art. 21 ff. StGB
und zum anderen, darüber hinaus, gewisse qualifizierte Vorbereitungshandlungen erfasst und zu selbständigen Taten mit derselben Strafdrohung wie die übrigen verbotenen Verhaltensweisen aufgewertet (
BGE 130 IV 131
E. 2.1 S. 135;
BGE 121 IV 198
E. 2a S. 200). Im Sinne dieser Bestimmung Anstalten treffen kann nur, wer nach seinem Plan eine Straftat gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
selber als Täter oder zusammen mit anderen Personen als Mittäter verüben will. Wer diesen
BGE 133 IV 187 S. 194
Plan nicht hegt, trifft keine Anstalten zu einer Tat, da er diese weder versucht noch vorbereitet (
BGE 130 IV 131
E. 2.2.2 S. 136). Er ist allenfalls Gehilfe des anderen, zu dessen Tat im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
er durch sein Verhalten beiträgt (
BGE 130 IV 131
E. 2.2.2 und 2.5).
3.3
Nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid kümmerte sich der Beschwerdegegner C. nach der ersten Lieferung um das Abportionieren des ausgeschiedenen Kokains und verkaufte es. Damit hat er den gesetzlichen Tatbestand des Verkaufs, allenfalls auch der Verarbeitung von Betäubungsmitteln (
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 2 und 4 BetmG
), in eigener Person erfüllt. Bei dieser Sachlage bleibt entgegen der Auffassung der Vorinstanz kein Raum für die Annahme von Gehilfenschaft. Ob er die Tat ausschliesslich auf Weisung von A. begangen habe, ändert nichts daran, dass er die gesetzlich umschriebenen Handlungen ausgeführt und verwirklicht hat und somit als Täter verantwortlich ist (
BGE 106 IV 72
E. 2b S. 73). Unerheblich ist auch, ob er als (untergeordnetes) Mitglied der Bande um A. und B. anzusehen ist, was dem angefochtenen Entscheid nicht mit Sicherheit entnommen werden kann. Für die von ihm selber begangenen Handlungen hat er als Täter einzustehen, auch wenn er ohne Verfolgung eigener Interessen auf Geheiss gehandelt hat oder wenn er in der Organisation eine nur dienende Stellung einnahm und seinen Handlungen im Rahmen des ganzen Betäubungsmittelhandels nur untergeordnete Bedeutung zukam. Das Unterordnungsverhältnis macht ihn rechtlich nicht zum Gehilfen. Dieser Umstand ist gegebenenfalls bei der Strafzumessung im Rahmen von
Art. 63 StGB
zu berücksichtigen (
BGE 106 IV 72
E. 2b S. 73).
3.4
Nach der zweiten Lieferung stellte sich C. im Hinblick auf den geplanten Verkauf erneut zur Verfügung. Kurze Zeit nach der Ankunft des Drogenkuriers traf auch er in der Wohnung von A. ein und betreute den Kurier beim Ausscheiden des Kokains. Die Vorinstanz selbst nimmt an, dass das Betreuen des Kuriers unmittelbar dazu diente, die Drogen verfügbar zu machen und sicherzustellen, um sie dann in den Handel zu bringen. Ist das Verhalten aber klar erkennbar auf den Drogenhandel gerichtet, liegt darin ein Anstaltentreffen zum Verkauf von Betäubungsmitteln im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 BetmG und damit ein selbständig erfasstes Delikt. Die Auffassung der Vorinstanz, C. habe sich lediglich als Gehilfe zum Anstaltentreffen schuldig gemacht, käme
BGE 133 IV 187 S. 195
nur in Betracht, wenn davon auszugehen wäre, dass er nicht die Absicht gehabt habe, sich an einer strafbaren Handlung nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
als Täter oder in gemeinschaftlichem Zusammenwirken mit anderen als Mittäter zu beteiligen (
BGE 130 IV 131
E. 2.2.2 S. 136 mit ausführlichen Hinweisen). Nachdem indessen feststeht, dass er bereits vor wenigen Wochen sich gegen Entschädigung am Kokainhandel beteiligt hatte und sich abermals zur Verfügung stellte, lassen die gegebenen Umstände vernünftigerweise nur den Schluss zu, dass er beabsichtigte, sich erneut am geplanten Verkauf der Drogen als (Mit-)Täter zu beteiligen. Dass es nicht soweit kam, ist allein auf den Eingriff der Polizei zurückzuführen.
3.5
Zusammenfassend ergibt sich, dass der Beschwerdegegner C. sich des Tatbestandes des Verkaufs (
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG
) sowie des Anstaltentreffens zum Verkauf von Betäubungsmitteln (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 BetmG) schuldig gemacht hat und dafür zu bestrafen ist. Seine Verurteilung wegen Gehilfenschaft und die Anwendung des entsprechenden Strafmilderungsgrundes (
Art. 25 StGB
) verletzt somit Bundesrecht.
(...)
6.
Die Bundesanwaltschaft macht eine Verletzung von
Art. 172 Abs. 1 BStP
geltend. Diese erblickt sie darin, dass die Kosten der Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzuges nicht den Verurteilten überbunden, sondern dem Staat belassen werden.
6.1
Gemäss
Art. 246 Abs. 1 BStP
werden im Bundesstrafverfahren unter anderem für das Ermittlungsverfahren, die Voruntersuchung sowie die Anklageerhebung und -vertretung Verfahrenskosten erhoben (Satz 1). Diese bestehen aus Gebühren und Auslagen, die im Verfahren oder im Zusammenhang mit der Anklageerhebung und -vertretung entstehen (Satz 2). Der Begriff der Verfahrenskosten sowie die Festlegung der Gebühren und Auslagen werden in der Verordnung des Bundesrates vom 22. Oktober 2003 über die Kosten der Bundesstrafrechtspflege (SR 312.025) näher ausgeführt. Danach sind Gebühren für Untersuchungshandlungen geschuldet, die vom Bundesanwalt, von der Bundeskriminalpolizei und vom eidgenössischen Untersuchungsrichter durchgeführt oder angeordnet werden (Art. 1 Abs. 2 der Verordnung). Die Auslagen demgegenüber umfassen die vom Bund vorausbezahlten Beträge, namentlich die Kosten für die amtliche Verteidigung, die Untersuchungshaft, den Transport von Untersuchungsgefangenen, Reisen
BGE 133 IV 187 S. 196
und Unterkunft, Gutachten, Rechtshilfe, Postsendungen, Fernmeldeverkehr, die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs sowie die Entschädigung an Zeugen, Zeuginnen und Auskunftspersonen (Art. 1 Abs. 3 der Verordnung).
Das Gericht hat die Verfahrenskosten im Sinne von
Art. 246 BStP
nach den Regeln von
Art. 172 ff. BStP
zu verlegen. Dem Verurteilten werden in der Regel die Kosten des Strafverfahrens einschliesslich derjenigen des Ermittlungsverfahrens, der Voruntersuchung sowie der Anklageerhebung und -vertretung auferlegt. Aus besonderen Gründen kann ihn das Gericht ganz oder teilweise von der Kostentragung befreien (
Art. 172 Abs. 1 BStP
).
Dem Gericht steht bei der Entscheidung über die Kostenauflage ein weiter Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift auf Nichtigkeitsbeschwerde hin in das Ermessen nur ein, wenn das Gericht von einem unrichtigen Begriff der Kosten ausgeht oder die Kostenauflage mit rechtlich nicht massgebenden Argumenten begründet oder dabei wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht lässt beziehungsweise in Überschreitung oder Missbrauch seines Ermessens falsch gewichtet (vgl.
BGE 129 IV 6
E. 6.1 S. 20).
6.2
Die Vorinstanz führt aus, die Kosten des - allenfalls auch vorzeitigen - Vollzugs von Freiheitsstrafen seien vom Staat zu tragen. Die auf die Freiheitsstrafe anrechenbare Untersuchungshaft bewirke eine erzwungene Freiheitsentziehung, weshalb die Kosten der Untersuchungshaft den Kosten des Strafvollzuges gleichzustellen seien. Daher und "im Hinblick auf die soziale Wiedereingliederung" des Verurteilten erscheine es gerechtfertigt, die Haftkosten dem Staat zu belassen.
6.3
Nach
Art. 172 Abs. 1 Satz 1 BStP
gilt der Grundsatz, dass der Verurteilte die Verfahrenskosten in vollem Umfang zu tragen hat, wozu insbesondere die Auslagen für die Untersuchungshaft gehören. Die Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass der Verurteilte die Kosten zu Lasten der Allgemeinheit als Folge seiner Tat schuldhaft verursacht hat (
BGE 124 I 170
E. 3g S. 174; zu den Prinzipien THOMAS HANSJAKOB, Kostenarten, Kostenträger und Kostenhöhe im Strafprozess, Diss. St. Gallen 1988, S. 24 ff., 129 ff.; ausführlich zum deutschen Recht WILHELM DEGENER, Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, vor § 464 N. 8 ff.). Eine Reduktion bzw. Befreiung von der Kostentragungspflicht ist nur aus "besonderen Gründen" möglich (
Art. 172 Abs. 1 Satz 2 BStP
). In Entsprechung zum
BGE 133 IV 187 S. 197
Verursacher- bzw. Verschuldensprinzip sind solche anzunehmen, wenn dem Verurteilten die Entstehung der Kosten nicht mehr adäquat kausal zugerechnet werden kann (HANSJAKOB, a.a.O., S. 132 ff.). Das trifft zunächst zu für Kosten, die durch unzulässige oder offensichtlich unzweckmässige Prozesshandlungen verursacht worden sind, da die staatlichen Strafverfolgungsbehörden insoweit den Hauptgrund für den Kostenanfall setzten (HANSJAKOB, a.a.O., S. 132 ff.; vgl. DEGENER, a.a.O., § 465 N. 15). Es kommt sodann in Betracht, wenn durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter Umstände besondere Kosten bzw. Auslagen entstanden sind und das Untersuchungsergebnis insgesamt ausschliesslich zu Gunsten des Angeschuldigten ausging - sei es, dass die Umstände abtrennbare Straftaten betreffen, wegen deren der Angeschuldigte nicht verurteilt wird (z.B. bei teilweiser Einstellung des Verfahrens oder Teilfreisprüchen), sei es, dass sich die Umstände bei der Verurteilung (z.B. bei der Qualifikation der Tat) nur zu seinen Gunsten auswirken (DEGENER, a.a.O., § 465 N. 21 ff.; HANSJAKOB, a.a.O., S. 140). Ferner ist eine Kostenreduktion denkbar für den Fall, dass bestimmte Gründe vorliegen, die eine ernsthafte Gefährdung der Resozialisierung des Täters erkennen lassen und eine Reduktion für eine Wiedereingliederung unerlässlich ist (vgl.
BGE 106 IV 9
zu
Art. 59 Ziff. 2 StGB
) oder wenn die volle Kostenauflage sowohl im Verhältnis zur Tatschwere als auch zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit übermässig wäre (HANSJAKOB, a.a.O., S. 142 ff., 146 ff.). Allerdings ist zu beachten, dass den finanziellen Verhältnissen des Verurteilten - neben der Bedeutung des Falles und dem Zeit- und Arbeitsaufwand - bereits und in erster Linie bei der Festlegung der Pauschalgebühren angemessen Rechnung zu tragen ist, wofür weite Gebührenrahmen zur Verfügung stehen (Art. 3 und 4 der Verordnung). Die gesetzliche Regelung verlangt daher eine gewisse Zurückhaltung, den Verurteilten darüber hinaus wegen schlechter finanzieller Verhältnisse von der Kostentragung in Bezug auf einzelne Auslagen zu befreien. Ist vom Grundsatz der Kostentragungspflicht auszugehen, so ist ein Abweichen von der Regel im Urteil stets zu begründen und insbesondere darzulegen, inwiefern im konkreten Einzelfall "besondere Gründe" vorliegen.
Die Vorinstanz befreit die Verurteilten von den Haftkosten zur Hauptsache mit der Begründung, die Untersuchungshaft sei auf die Freiheitsstrafe anzurechnen und stelle wie diese eine erzwungene Freiheitsentziehung dar. Dass dem Untersuchungshäftling die Freiheit entzogen wird, kann indessen kein besonderer Grund im
BGE 133 IV 187 S. 198
Sinne von
Art. 172 Abs. 1 BStP
sein. Wäre dem so, dürften dem Verurteilten die Kosten für die Untersuchungshaft nie auferlegt werden, womit die gesetzliche Regelung ins Gegenteil verkehrt würde. Gleiches gilt für die praktisch ausnahmslos zu gewährende Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe (vgl. dazu
BGE 117 IV 404
E. 2). Ebenso wenig kann die Kostenbefreiung bloss damit begründet werden, die Haftkosten seien "im Hinblick auf die soziale Wiedereingliederung des Verurteilten" dem Staat zu belassen. Die Erwägung bleibt ohne jeglichen Bezug zu den Verhältnissen im konkreten Einzelfall. Die Vorinstanz scheint denn auch vielmehr die Auffassung zu vertreten, dass der Staat aus allgemeinen Überlegungen zur Resozialisierung die Haftkosten generell zu tragen habe, was in dieser Form mit dem Gesetz nicht vereinbar ist und auch nicht zutreffend sein kann, da die Untersuchungshaft der Beweissicherung dient und nicht dem Zwecke der Resozialisierung (
BGE 124 I 170
E. 3g S. 174). Indem die Vorinstanz die Verurteilten mit sachlich unzutreffenden Argumenten von der Kostentragung in Bezug auf die Untersuchungshaft befreit, verletzt sie Bundesrecht.
6.4
Art. 172 Abs. 1 BStP
regelt die Kostentragung nur für die Verfahrenskosten im Sinne von
Art. 246 BStP
, nicht hingegen für die Kosten des Straf- und Massnahmevollzugs. Die Vollzugskosten werden im Bundesstrafrechtspflegegesetz einzig in
Art. 241 Abs. 2 BStP
erwähnt, wonach der Bund dem Kanton, den er mit dem Vollzug beauftragt, die Kosten des Unterhalts der Gefangenen vergütet. Ob und inwieweit der Verurteilte die Vollzugskosten zu tragen hat, richtet sich nach
Art. 368 StGB
(in der hier anwendbaren Fassung gemäss Bundesgesetz vom 18. März 1971; heute
Art. 380 StGB
) bzw. nach kantonalem Recht. Die Kantone sehen regelmässig vor, dass der Staat die Vollzugskosten übernimmt (siehe FRANÇOIS CLERC/MICHELE RUSCA, Les frais d'exécution, in: L'homme dans son environnement, Freiburg 1980, S. 396; HANSJAKOB, a.a.O., S. 123). Diese Regelung schreibt das Bundesrecht neu in
Art. 380 StGB
(in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002, in Kraft seit 1. Januar 2007) verbindlich vor: Die Kantone tragen die Kosten des Straf- und Massnahmevollzugs, wobei der Verurteilte nur unter eingeschränkten Voraussetzungen und in angemessener Weise an den Kosten beteiligt wird (
Art. 380 Abs. 1 und 2 StGB
).
Der vorläufige Strafvollzug stellt seiner Natur nach eine Massnahme auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug dar
BGE 133 IV 187 S. 199
(
BGE 117 Ia 72
E. 1c S. 76; MARTIN SCHUBARTH, Zur Rechtsnatur des vorläufigen Strafvollzuges, ZStR 96/1979 S. 295 ff.). Er soll ermöglichen, dass dem Angeschuldigten bereits vor der rechtskräftigen Urteilsfällung verbesserte Chancen auf Resozialisierung im Rahmen des Strafvollzuges geboten werden können. Seine Grundlage hat er nicht in einem rechtskräftigen Urteil, sondern beruht auf einem Gesuch des Angeschuldigten (
BGE 117 Ia 72
E. 1d S. 79). Soweit es um den Schutz des Betroffenen vor ungerechtfertigter Freiheitsentziehung geht, finden auch während des vorläufigen Strafvollzuges die Regelung über die Untersuchungshaft Anwendung (
BGE 117 Ia 72
E. 1d S. 80; SCHUBARTH, a.a.O., S. 311). Was dagegen den eigentlichen Vollzug angeht, so ist der vorzeitige Strafantritt als Strafvollzug zu behandeln (SCHUBARTH, a.a.O., S. 311; THOMAS HANSJAKOB, a.a.O., S. 121). Kostenrechtlich bedeutet dies, dass die Kosten des vorzeitigen Strafantrittes nicht zu den Untersuchungskosten gehören (HANSJAKOB, a.a.O., S. 121; MATTHIAS HÄRRI, Zur Problematik des vorzeitigen Strafantritts, Diss. Bern 1987, S. 87 und 142). Das gilt unabhängig davon, ob für das Strafverfahren die kantonalen oder die eidgenössischen Strafverfolgungsbehörden zuständig sind. Wenn - wie hier - die verfahrenszuständigen Bundesbehörden dem Angeschuldigten den vorzeitigen Strafantritt bewilligen, erklären sie damit ihre Zustimmung, dass er in das Vollzugsregime übertritt, was zur Folge hat, dass der Bund dem Kanton die Gefangenschaftskosten nach
Art. 241 Abs. 2 BStP
vergüten muss. Handelt es sich bei den Kosten des vorzeitigen Strafvollzugs demzufolge nicht um Verfahrenskosten, sondern um Vollzugskosten, können sie dem Verurteilten auch nicht gestützt auf
Art. 172 Abs. 1 BStP
auferlegt werden. Die Vorinstanz sieht im angefochtenen Urteil zu Recht davon ab. | mixed |
95ca316f-f320-4dc7-8681-313998ad629b | Sachverhalt
ab Seite 101
BGE 138 IV 100 S. 101
A.
Die Staatsanwaltschaft legt X. zur Last, er habe zusammen mit A. vereinbart, mindestens einen Liter flüssiges Kokaingemisch von Spanien in die Schweiz einzuführen. Am 13. April 2006 sei er nach Madrid gereist, um die Betäubungsmittel von einem unbekannten Dritten zu übernehmen. Das Vorhaben sei aus unbekannten Gründen fehlgeschlagen (Anklage Ziff. 1). Weiter habe er zwischen Anfang 2005 und Ende Juni 2006 von A. insgesamt fünf Gramm Kokaingemisch zum Weiterverkauf erworben (Anklage Ziff. 2.1). Zwischen 2004 und Mitte 2006 habe er zehnmal je ein Gramm Kokaingemisch an ihm unbekannte Abnehmer verkauft (Anklage Ziff. 2.2). Zudem habe er im Juni 2006 trotz Führerausweisentzugs ein Motorfahrzeug gelenkt (Anklage Ziff. 3). Schliesslich habe er vom 5. August bis Anfang September 2006 Betäubungsmittel konsumiert (Anklage Ziff. 4).
B.
Der Amtsgerichtspräsident Bucheggberg-Wasseramt verurteilte X. am 26. November 2009 wegen einfacher Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (Anklage Ziff. 1 und 2), der Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes (Anklage Ziff. 4) und des mehrfachen Führens eines Personenwagens trotz Führerausweisentzugs (Anklage Ziff. 3) zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 70.- sowie zu einer Busse von Fr. 200.-, als Zusatzstrafe zum Urteil des Untersuchungsrichteramtes Emmental-Oberaargau vom 8. September 2006.
Die dagegen von der Staatsanwaltschaft erhobene Appellation hiess das Obergericht des Kantons Solothurn am 5. Mai 2011 gut. Es
BGE 138 IV 100 S. 102
sprach X. wegen mengenmässig qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Anklage Ziff. 1) schuldig und stellte die Rechtskraft der weiteren erstinstanzlichen Schuldsprüche fest. Das Obergericht bestrafte X. mit einer bedingten Geldstrafe von 330 Tagessätzen zu Fr. 110.- und mit einer Busse von Fr. 200.-. Es ging von einer qualifizierten Drogenmenge aus, weil die Auftraggeber bereit gewesen seien, einen erheblichen Aufwand zu betreiben. Sie hätten für X. ein Flugticket Zürich-Madrid und retour sowie ein Hotel für zwei Nächte gebucht und ihm Fr. 2'000.- für seine Dienste angeboten. Der Transport alleine hätte Fr. 3'000.- gekostet. Dieser Aufwand habe nur Sinn gemacht, wenn das Geschäft Gewinn abwerfe. Deshalb habe X. davon ausgehen müssen, dass er eine qualifizierte Menge Kokain hätte transportieren sollen.
C.
X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz freizusprechen. Die Strafsache sei zur Ausfällung einer schuldangemessenen Strafe und zur neuen Festsetzung der Kosten an die Vorinstanz zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Der Beschwerdeführer macht geltend, es liege keine qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 6 i.V.m. aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG (in der bis zum 30. Juni 2011 gültigen Fassung; AS 1975 1220) vor. Eine solche wäre nur erfüllt, wenn er mengenmässig tatsächlich eine qualifizierte Widerhandlung begangen hätte, was nicht zutreffe. Der blosse Versuch genüge nicht, da sich die Bestimmung von aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG ausschliesslich auf die Strafzumessung, nicht aber auf die Strafbarkeit beziehe.
3.2
Die seit dem 1. Juli 2011 revidierten Bestimmungen (
Art. 19 Abs. 1 lit. b und g BetmG
; SR 812.121) sind nicht milder, weshalb das alte Recht anzuwenden ist (
Art. 2 Abs. 2 StGB
).
Wer unbefugt Anstalten zur Einfuhr von Betäubungsmitteln trifft, wird (bei vorsätzlicher Tatbegehung) mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 6 BetmG). Abs. 6 erfasst sowohl den Versuch im Sinne von
Art. 22 StGB
wie auch gewisse qualifizierte Vorbereitungshandlungen und wertet sie zu selbstständigen Taten mit derselben Strafdrohung wie die
BGE 138 IV 100 S. 103
übrigen verbotenen Verhaltensweisen auf (
BGE 133 IV 187
E. 3.2 S. 193 mit Hinweisen). Die Rechtsprechung hat den Begriff des Anstaltentreffens eingegrenzt. Zu ahnden sind nur Fälle, in denen das Verhalten des Täters nicht ebenso gut einem gesetzmässigen Zweck dienen könnte, sondern seinem äussern Erscheinungsbild nach die deliktische Bestimmung klar erkennen lässt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich jemand mit der Absicht des Erwerbs von Betäubungsmitteln nach Bezugsquellen erkundigt (
BGE 117 IV 309
E. 1a S. 310 f. und E. 1d S. 312 f. mit Hinweisen). In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, womit eine Geldstrafe verbunden werden kann (aArt. 19 Ziff. 1 BetmG). Ein schwerer Fall liegt namentlich vor, wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann (aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG). Enthält das Kokaingemisch mindestens 18 Gramm reinen Wirkstoff, ist die Grenze zu aArt. 19 Ziff. 2 BetmG überschritten (
BGE 120 IV 334
E. 2a S. 338 mit Hinweisen;
BGE 109 IV 143
E. 3b S. 145).
3.3
Die bisherige Rechtsprechung, ob der mengenmässig schwere Fall als Versuch begangen werden kann, ist uneinheitlich.
In seiner publizierten Rechtsprechung erwog das Bundesgericht, die Annahme eines mengenmässig schweren Falles im Sinne von aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG sei an eine objektive und eine subjektive Voraussetzung geknüpft. Werde die Grenze von 18 Gramm Kokain unterschritten, fehle es an der objektiven Voraussetzung. Der Qualifikationsgrund nach Ziff. 2 lit. a scheide aus, auch wenn der Täter irrtümlicherweise meine, das gehandelte Kokain enthalte mindestens 18 Gramm reinen Wirkstoff. Die subjektive Vorstellung des Täters könne die fehlende objektive Voraussetzung nicht ersetzen. Es bestehe insoweit eine Analogie zum Wahndelikt (
BGE 122 IV 360
E. 2a S. 362 ff. mit Hinweisen). Bei aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG gehe es nicht um die Strafbarkeit, sondern um die Strafzumessung. Diese Bestimmung nenne nur Umstände, welche zur Anwendung des höheren Strafrahmens führten, nicht aber Tatbestandsmerkmale. Die Frage des Versuchs, welche sich gegebenenfalls bei der Tatbestandsmässigkeit stelle, könne in diesem Stadium der Bewertung nicht mehr aufgeworfen werden (
BGE 122 IV 360
E. 2b S. 363 f. mit Hinweisen, bestätigt in
BGE 124 IV 79
E. 2d S. 81; je mit Hinweisen; vgl. zur analogen Rechtsprechung betreffend aArt. 19 Ziff. 2 lit. c BetmG:
BGE 129 IV 188
E. 3.3 S. 195 f. mit Hinweisen).
BGE 138 IV 100 S. 104
Der Rechtsprechung von
BGE 122 IV 360
, S. 363 f. lag ein Sachverhalt zugrunde, in welchem der Täter 49,1 Gramm Kokaingemisch besass, der reine Wirkstoff aber weniger als 18 Gramm betrug. Deshalb durfte der Richter den Täter nicht wegen Versuchs bestrafen. Denn die Tat im Sinne von aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 5 BetmG war vollendet (
BGE 122 IV 360
a.a.O.). In einem anderen Fall, in welchem der Täter nach seiner Vorstellung eine grosse Menge Betäubungsmittel transportierte, welche die Polizei vorgängig ohne sein Wissen gegen einen harmlosen Stoff ausgetauscht hatte, schützte das Bundesgericht die Verurteilung wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz nach aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 6 ("Anstalten treffen") i.V.m. aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG (Urteil 6S.108/1997 vom 28. April 1997 E. 2b mit Hinweisen).
Im Gegensatz zu der in
BGE 122 IV 360
publizierten Rechtsprechung wertete das Bundesgericht in einem neueren Entscheid die Verurteilung wegen mengenmässig qualifiziertem Anstaltentreffen zum Betäubungsmittelhandel als bundesrechtskonform. Der Täter reiste nach Buenos Aires, um von dort ein Kilogramm Kokain gegen einen Lohn von Fr. 10'000.- nach Madrid zu bringen. Dieser Transport kam nicht zustande, da der Täter aus eigenem Antrieb ohne die Betäubungsmittel in die Schweiz zurückkehrte (Urteil 6B_96/2011 vom 7. Juni 2011 E. 3). Gegenstand dieses Entscheids war allerdings nur, ob der Täter die Schwelle zum Anstaltentreffen überschritten hatte, und nicht die Frage nach der qualifizierten Menge Drogen.
3.4
In der Lehre sind die Ansichten geteilt, ob es ein "Anstaltentreffen" zu einem mengenmässig schweren Fall nach aArt. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG i.V.m. aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG gibt. Einige Autoren betrachten Ziffer 2 als blosse Strafzumessungsregel, weil sie dasselbe Rechtsgut schütze wie Ziffer 1. Deshalb falle der Versuch nach aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 6 ausser Betracht (FINGERHUTH/TSCHURR, Betäubungsmittelgesetz, 2007, N. 181 zu aArt. 19 BetmG; GERHARD FIOLKA, Das Rechtsgut, Bd. II, 2006, S. 892, 896, 910; sinngemäss auch HANS SCHULZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1996, ZBJV 133/1997 S. 406: Der Kassationshof schliesse mit überzeugender Begründung die Möglichkeit jeder Versuchsstrafe aus. Bloss in Bezug auf den untauglichen Versuch gebe es Zweifel an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung). Obwohl auch CORBOZ von einer Strafzumessungsregel ausgeht, hält er ein Anstaltentreffen zum qualifizierten Fall für möglich (BERNARD CORBOZ,
BGE 138 IV 100 S. 105
La jurisprudence du Tribunal fédéral concernant les infractions à la loi fédérale sur les stupéfiants, SJ 1999 II S. 10).
Andere Autoren sind der Auffassung, der Täter könne Anstalten zu einem mengenmässig schweren Fall treffen (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, Die Straftat, 4. Aufl. 2011, § 12 N. 34 Fn. 67, worin er sich kritisch zur Bezeichnung von aArt. 19 Ziff. 2 BetmG als Strafzumessungsregel äussert; PETER ALBRECHT, in: Die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes [
Art. 19-28 BetmG
], 2. Aufl. 2007, N. 235 ff.;
ders.
, Untauglicher Versuch oder Wahndelikt?, AJP 1997 S. 752 ff; TRECHSEL/NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, 6. Aufl. 2004, § 30 S. 179; GUIDO JENNY, Die Strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1998, ZBJV 135/1999 S. 625 ff.). SCHÜTZ geht davon aus, es sei (lediglich) ein unvollendeter Versuch zum mengenmässig qualifizierten Betäubungsmitteldelikt denkbar, weil es sich um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt handle (ALFRED SCHÜTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 in der Fassung vom 20. März 1975, 1980, S. 160 f.).
3.5
Bei qualifizierten Delikten ist der strafbare Versuch nicht generell ausgeschlossen, sondern von Fall zu Fall zu prüfen (
BGE 123 IV 128
E. 2b S. 131 mit Hinweisen). Anders als im Entscheid
BGE 122 IV 360
, wo der Täter fälschlicherweise glaubte, eine qualifizierte Menge Drogen zu besitzen, ist der Täter beim Anstaltentreffen zum Betäubungsmittelhandel noch nicht in Kontakt mit den Drogen gelangt. Zusammen mit CORBOZ (vgl. E. 3.4) ist davon auszugehen, dass aus dem Fehlen der Drogen nicht geschlossen werden muss, es fehle an der objektiven Tatbestandsvoraussetzung. Es ist nach wie vor möglich, dass die bestellten Betäubungsmittel geliefert werden. Hinsichtlich der Menge des reinen Drogenwirkstoffs besteht jedoch ein Beweisproblem. Bei Vorbereitungshandlungen zum schweren Handel können die Ermittlungsbehörden in der Regel keine Betäubungsmittel sicherstellen und daher auch nicht den Reinheitsgrad zuverlässig nachweisen. Man darf aber vernünftigerweise davon ausgehen, dass die Drogen mittlerer Qualität seien, solange es keine Hinweise auf eine besonders reine oder gestreckte Substanz gibt (CORBOZ, a.a.O.). Für eine solche Auslegung spricht sowohl die neuere Rechtsprechung (Urteil 6B_96/2011 vom 7. Juni 2011 E. 3) als auch ein Teil der Lehre (vgl. oben E. 3.4, 2. Absatz).
BGE 138 IV 100 S. 106
3.6
Das zu beurteilende Delikt blieb unvollendet und der Transport einer qualifizierten Menge Kokain mit über 18 Gramm reinem Wirkstoff wäre an sich noch möglich. Die Tat beschränkte sich auf das Anstaltentreffen nach aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 6 BetmG, ohne dass tatsächlich Besitz im Sinne von aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 5 BetmG vorgelegen hätte. Der Beschwerdeführer hatte beabsichtigt, eine grosse Menge Drogen zu transportieren und in die Schweiz einzuführen. Die vorinstanzlichen Ausführungen hierzu sind unbestritten (vgl. Sachverhalt lit. B) bzw. vertretbar (vgl. nicht publ. E. 2). Seinen von der Vorinstanz festgestellten Tatwillen stellt der Beschwerdeführer nicht in Frage. Er hätte seinen Tatplan ohne Weiteres verwirklichen können. Somit erfüllt er den objektiven und subjektiven Tatbestand des Anstaltentreffens zum mengenmässig schweren Betäubungsmittelhandel. Die Verurteilung des Beschwerdeführers erweist sich deshalb als bundesrechtskonform. | mixed |
6afc9327-b7a4-494f-9bd3-3b55a09191dc | Sachverhalt
ab Seite 28
BGE 144 IV 28 S. 28
A.
X. wird vorgeworfen, am 10. April 2011 den Genitalbereich der damals ca. 9-jährigen A. fotografiert zu haben. Am 29. März 2014 soll er das damals ca. 12-jährige Mädchen in der Badewanne gefilmt und es aufgefordert haben, mit den Hüften Bewegungen zu machen. Schliesslich soll er zwischen dem 30. März 2014 und dem 13. Mai 2014 einen Datenträger mit den vorerwähnten Bildern sowie dem Video an Mitinsassen in der Strafanstalt weitergegeben haben.
B.
Am 9. Oktober 2015 sprach das Regionalgericht Berner Jura-Seeland X. der Pornografie, begangen durch Herstellung von kinderpornografischen Fotos, schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 12 Tagessätzen zu Fr. 30.- sowie einer Verbindungsbusse von Fr. 90.-. Von den weiteren Vorwürfen sprach es ihn frei. Es verfügte den Einzug verschiedener Datenträger zwecks Vernichtung.
BGE 144 IV 28 S. 29
Auf Berufung von X. hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern den regionalgerichtlichen Entscheid am 2. August 2016 im Schuld- und Strafpunkt.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X., er sei vollumfänglich freizusprechen. Die Verfahrenskosten seien dem Kanton aufzuerlegen und ihm sei für das kantonale Verfahren eine Entschädigung von Fr. 6'928.35 zuzusprechen. Die Datenträger seien ihm herauszugeben und dem für die Führung des Automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungssystems (AFIS) zuständigen Dienst sei die Zustimmung zur Löschung der biometrischen Daten zu erteilen. Allenfalls sei die Sache, insbesondere zur Festsetzung der Entschädigung, an das Obergericht zurückzuweisen. X. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.
Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Angelegenheit am 24. Oktober 2017 an einer öffentlichen Sitzung beraten.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Es hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer rügt, die Verurteilung basiere im Wesentlichen auf den Aussagen seiner als Auskunftsperson einvernommenen Ehefrau gegenüber der Polizei. Die Aussagen seien aber nicht verwertbar, weil die Ehefrau nicht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Angehörige hingewiesen worden sei.
1.1
Die Vorinstanz erwägt, die Ehefrau des Beschwerdeführers sei von der Polizei zu Recht als Auskunftsperson nach
Art. 178 lit. d StPO
befragt worden, da ihre Rolle bei der inkriminierten Tat zum damaligen Zeitpunkt unklar gewesen sei. Ihr habe daher zufolge
Art. 180 Abs. 1 StPO
ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zugestanden, worüber sie auch korrekt belehrt worden sei. Ein zusätzlicher Hinweis auf die Zeugnisverweigerungsrechte nach
Art. 168 ff. StPO
sei nicht erforderlich gewesen. Hierüber müsse nur die als Auskunftsperson einzuvernehmende Privatklägerschaft gemäss
Art. 178 lit. a StPO
belehrt werden, da nur diese eine Aussagepflicht treffe. Die Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers sei verwertbar.
1.2
1.2.1
Art. 178 und
Art. 179 StPO
regeln, wer als Auskunftsperson einvernommen wird. Auskunftsperson gemäss
Art. 178 lit. d StPO
ist,
BGE 144 IV 28 S. 30
wer, ohne selber beschuldigt zu sein, als Täterin, Täter, Teilnehmerin oder Teilnehmer der abzuklärenden Straftat oder einer anderen damit zusammenhängenden Straftat nicht ausgeschlossen werden kann. Die Polizei befragt eine Person, die nicht als beschuldigte Person in Betracht kommt, als Auskunftsperson (
Art. 179 Abs. 1 StPO
). Vorbehalten bleibt die Einvernahme als Zeugin oder Zeuge gemäss Artikel 142 Abs. 2 StPO (
Art. 179 Abs. 2 StPO
; ROLAND KERNER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 1 zu
Art. 179 StPO
).
Die Auskunftspersonen nach
Art. 178 lit. b-g StPO
sind nicht zur Aussage verpflichtet; für sie gelten sinngemäss die Bestimmungen über die Einvernahme der beschuldigten Person (
Art. 180 Abs. 1 StPO
). Demgegenüber ist die als Auskunftsperson einzuvernehmende Privatklägerschaft (
Art. 178 lit. a StPO
) vor der Staatsanwaltschaft, vor den Gerichten sowie vor der Polizei, die sie im Auftrag der Staatsanwaltschaft einvernimmt, zur Aussage verpflichtet. Im Übrigen sind die Bestimmungen über die Zeuginnen und Zeugen sinngemäss anwendbar, mit Ausnahme von Artikel 176 StPO (
Art. 180 Abs. 2 StPO
). Die Strafbehörden machen die Auskunftspersonen zu Beginn der Einvernahme auf ihre Aussagepflicht oder ihre Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechte aufmerksam (
Art. 181 Abs. 1 StPO
). Sie weisen Auskunftspersonen, die zur Aussage verpflichtet sind oder sich bereit erklären auszusagen, auf die möglichen Straffolgen einer falschen Anschuldigung, einer Irreführung der Rechtspflege und einer Begünstigung hin (
Art. 181 Abs. 2 StPO
).
1.2.2
Zeugin oder Zeuge ist eine an der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person, die der Aufklärung dienende Aussagen machen kann und nicht Auskunftsperson ist (
Art. 162 StPO
). Jede zeugnisfähige Person ist zum wahrheitsgemässen Zeugnis verpflichtet; vorbehalten bleiben die Zeugnisverweigerungsrechte (
Art. 162 Abs. 2 StPO
). Das Zeugnis können unter anderem verweigern: die Ehegattin oder der Ehegatte der beschuldigten Person oder wer mit dieser eine faktische Lebensgemeinschaft führt (
Art. 168 Abs. 1 lit. a StPO
).
Die einvernehmende Behörde macht die Zeugin oder den Zeugen zu Beginn jeder Einvernahme auf die Zeugnis- und die Wahrheitspflichten und auf die Strafbarkeit eines falschen Zeugnisses nach Artikel 307 StGB aufmerksam. Unterbleibt die Belehrung, so ist die Einvernahme ungültig (
Art. 177 Abs. 1 StPO
). Die einvernehmende Behörde befragt die Zeugin oder den Zeugen zu Beginn der ersten Einvernahme über ihre Beziehungen zu den Parteien sowie zu den
BGE 144 IV 28 S. 31
weiteren Umständen, die für ihre Glaubwürdigkeit von Bedeutung sein können (
Art. 177 Abs. 2 StPO
). Sie macht sie auf ihre Zeugnisverweigerungsrechte aufmerksam, sobald sie aufgrund der Befragung und der Akten solche Rechte erkennt. Unterbleibt der Hinweis und beruft sich die Zeugin oder der Zeuge nachträglich auf das Zeugnisverweigerungsrecht, so ist die Einvernahme nicht verwertbar (
Art. 177 Abs. 3 StPO
). Die Zeugin oder der Zeuge kann sich jederzeit auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen oder den Verzicht darauf widerrufen (
Art. 175 Abs. 1 StPO
). Aussagen, die eine Zeugin oder ein Zeuge nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht gemacht hat, können auch dann als Beweis verwertet werden, wenn sich die Zeugin oder der Zeuge zu einem späteren Zeitpunkt auf das Zeugnisverweigerungsrecht beruft oder den Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht widerruft (
Art. 175 Abs. 2 StPO
).
1.2.3
Als beschuldigte Person gilt die Person, die in einer Strafanzeige, einem Strafantrag oder von einer Strafbehörde in einer Verfahrenshandlung einer Straftat verdächtigt, beschuldigt oder angeklagt wird (
Art. 111 Abs. 1 StPO
). Die beschuldigte Person muss sich nicht selbst belasten. Sie hat namentlich das Recht, die Aussage und ihre Mitwirkung im Strafverfahren zu verweigern (Art. 113 Abs. 1 erster und zweiter Satz StPO). Polizei oder Staatsanwaltschaft weisen die beschuldigte Person zu Beginn der ersten Einvernahme in einer ihr verständlichen Sprache darauf hin, dass sie die Aussage und die Mitwirkung verweigern kann (
Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO
). Einvernahmen ohne die Hinweise gemäss Art. 158 Abs. 1 lit. a-d sind nicht verwertbar (
Art. 158 Abs. 2 StPO
).
1.3
Über welche Rechte und Pflichten die Auskunftsperson zu Beginn der Einvernahme zu belehren ist, hängt nach dem Gesagten davon ab, welche Stellung ihr im Verfahren zukommt.
1.3.1
In der gesetzlichen Konzeption nimmt die Auskunftsperson eine Stellung ein, welche zwischen derjenigen der beschuldigten Person und der Zeugin oder dem Zeugen anzusiedeln ist. Anders als die beschuldigte Person wird sie keiner Straftat konkret verdächtigt (vgl.
Art. 111 Abs. 1 StPO
), sie ist aber im Unterschied zur Zeugin oder zum Zeugen an der zu untersuchenden Straftat auch nicht völlig unbeteiligt (
Art. 162 StPO
). Bei der Befragung von Auskunftspersonen geht es um Konstellationen, in denen eine Mitwirkung an der Straftat nicht ausgeschlossen werden kann, in denen wegen der Konstituierung als Privatklägerschaft ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens naheliegen könnte oder in denen Zweifel an der
BGE 144 IV 28 S. 32
Aussagefähigkeit der zu befragenden Person bestehen (vgl.
Art. 178 StPO
). Dementsprechend sind die Mitwirkungspflichten der drei Beteiligten-Kategorien im Strafprozess unterschiedlich geregelt. Die beschuldigte Person kann nach dem Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" von vornherein nicht gezwungen werden, sich selbst zu belasten (
Art. 113 Abs. 1 StPO
). Die Auskunftsperson ist der beschuldigten Person diesbezüglich gleichgestellt. Sie ist generell nicht zur Aussage, geschweige denn zur wahrheitsgemässen Aussage verpflichtet.
Von den hier nicht interessierenden Konstellationen vermindert urteilsfähiger Personen gemäss
Art. 178 lit. b und c StPO
abgesehen, sollen somit auch Auskunftspersonen wegen ihrer tatsächlichen oder möglichen Involvierung in die abzuklärende Straftat nicht dem Druck ausgesetzt werden, sich selbst belasten zu müssen, falls sie als Täter oder Teilnehmer nicht ausgeschlossen werden können. Ebenso wenig sollen sie durch die Pflicht zur wahrheitsgemässen Aussage ihren Interessen im Strafverfahren schaden müssen, wenn sie sich als Privatklägerschaft konstituiert haben. Zur wahrheitsgemässen Aussage ist daher allein der Zeuge oder die Zeugin verpflichtet, der oder die definitionsgemäss an der abzuklärenden Straftat nicht beteiligt ist und deshalb im Hinblick auf den Gang des Strafverfahrens keine eigenen Interessen verfolgt. Daraus erhellt zugleich, dass das spezifisch geregelte, nur unter bestimmten Bedingungen zur Anwendung gelangende Aussageverweigerungsrecht der Zeugin oder des Zeugen nicht einfach als Ausfluss des allgemeinen Aussageverweigerungsrechts der Auskunftsperson verstanden werden kann. Die unterschiedlichen Mitwirkungsverweigerungsrechte der Auskunftsperson einerseits und der Zeugin oder des Zeugen andererseits beruhen vielmehr auf anderen Prämissen und verfolgen andere Ziele. Während das Aussageverweigerungsrecht der Auskunftsperson deren eigene Interessen im Verfahren schützt, betrifft das Aussageverweigerungsrecht des Zeugen nicht den Schutz der befragten, sondern den Schutz der beschuldigten Person. Dieser nahestehende Personen sollen aus Rücksichtnahme auf besonders enge persönliche Beziehungen zu ihr vor dem Interessenkonflikt bewahrt werden, entweder wahrheitsgemäss auszusagen und damit die persönliche Beziehung zur beschuldigten Person aufs Spiel zu setzen oder eine Verurteilung wegen falschen Zeugnisses in Kauf zu nehmen. Angesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen des allgemeinen Aussageverweigerungsrechts der Auskunftsperson und des spezifischen Aussageverweigerungsrechts der
BGE 144 IV 28 S. 33
Zeugin oder des Zeugen erscheint es unerlässlich, die zu befragende Person über beide Arten der Mitwirkungsverweigerungsrechte zu belehren, wenn ihr als Auskunftsperson zusätzlich zum allgemeinen Aussageverweigerungsrecht ein spezifisches Zeugnisverweigerungsrecht, z.B. als naher Angehöriger zukommt. Denn mit dem Hinweis auf das allgemeine Aussageverweigerungsrecht wird der zu befragenden Person lediglich signalisiert, dass sie nicht zu Auskünften verpflichtet ist, welche ihr möglicherweise schaden könnten. Geht es aber darum, dass sie auch nicht verpflichtet ist, zum Nachteil eines Dritten auszusagen, bedarf dies eines spezifischen Hinweises.
1.3.2
Dies gilt umso mehr, als der Begriff der Auskunftsperson im strafprozessualen Gesamtgefüge doppeldeutig ist. Nach der gesetzlichen Konzeption führt nicht die Polizei, sondern die Staatsanwaltschaft die Beweiserhebungen selber durch (
Art. 311 Abs. 1 StPO
). Einvernahmen werden denn auch in erster Linie von der Staatsanwaltschaft, den Übertretungsstrafbehörden und den Gerichten vorgenommen (
Art. 142 StPO
). Führt die Polizei Befragungen durch, kann sie grundsätzlich nur beschuldigte Personen und Auskunftspersonen befragen. Das Recht zur formellen Zeugeneinvernahme steht ihr hingegen - abgesehen von der hier nicht vorliegenden Ausnahme delegierter Befragung nach
Art. 142 Abs. 2 StPO
(vgl. KERNER, a.a.O., N. 1 zu
Art. 179 StPO
) - nicht zu. Während sich die Staatsanwaltschaft und die Gerichte somit zu entscheiden haben, in welcher Form die zu befragende Person einvernommen werden soll, nämlich als Beschuldigte(r), Zeuge/Zeugin oder Auskunftsperson, befragt die Polizei eine Person, die nicht als beschuldigte Person in Betracht kommt, generell als Auskunftsperson (
Art. 179 Abs. 1 StPO
), und zwar unabhängig davon, ob die spezifischen Voraussetzungen für die Einvernahme nach
Art. 178 StPO
erfüllt sind oder nicht. Diese "polizeiliche Auskunftsperson" wird in der Literatur als Auskunftsperson sui generis bezeichnet, weil sie mit derjenigen nach
Art. 178 StPO
nicht identisch ist (so NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, Schmid/Jositsch [Hrsg.], 3. Aufl. 2018, N. 1 zu
Art. 179 StPO
). Der vorgenannte Autor unterscheidet mit Bezug auf den Umfang der Belehrung folgerichtig zwei Kategorien von Auskunftspersonen. Demnach ist die einzuvernehmende Person auf sogleich erkennbare Zeugnisverweigerungsrechte gemäss
Art. 168 ff. StPO
aufmerksam zu machen, wenn, wie vorliegend, vor Einvernahmebeginn klar ist, dass es sich bei der einzuvernehmenden Person um eine Quasi-Zeugin handelt. Wird
BGE 144 IV 28 S. 34
hingegen klarerweise eine Auskunftsperson im Sinne von
Art. 178 StPO
befragt, ist die einzuvernehmende Person auf ein allfälliges Aussageverweigerungsrecht nach
Art. 180 Abs. 1 StPO
hinzuweisen (SCHMID, a.a.O., N. 3 zu
Art. 179 StPO
).
Im vorliegenden Verfahren wurde die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht deshalb als Auskunftsperson befragt, weil die Voraussetzungen gemäss
Art. 162 StPO
für eine Zeugeneinvernahme nicht erfüllt gewesen wären oder weil ein Anwendungsfall für die Einvernahme als Auskunftsperson nach
Art. 178 StPO
vorgelegen hätte. Die Befragung erfolgte allein deshalb als Auskunftsperson, weil es die organisationsrechtlichen Einvernahmebestimmungen der Polizei grundsätzlich verwehren, formelle Zeugeneinvernahmen durchzuführen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Ehefrau des Beschwerdeführers in materieller Hinsicht Zeugenstellung zukommt, weshalb sie auch im polizeilichen Verfahren zwingend über das Zeugnisverweigerungsrecht nach
Art. 177 StPO
zu belehren war.
1.3.3
Schliesslich erscheint es nicht zuletzt mit Blick auf die Verwertbarkeit der Einvernahme und das in
Art. 177 Abs. 3 StPO
statuierte Verwertungsverbot bei unterbliebenem Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht (oben E. 1.2.2) als unabdingbar, die von der Polizei einzuvernehmende Person, welcher später im Verfahren eventuell Zeugeneigenschaft zukommt, sowohl auf die Rechte und Pflichten einer Auskunftsperson als auch auf diejenigen eines Zeugen aufmerksam zu machen. Die Geltung der zentralen Aussage des Gesetzgebers zum Verwertungsverbot gemäss
Art. 177 Abs. 3 StPO
kann nicht davon abhängen, ob die Befragung einer Person, welcher Zeugenstellung zukommt und der ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, durch die Staatsanwaltschaft als Zeugin oder durch die Polizei als Auskunftsperson erfolgt. Früher gemachte Aussagen bleiben bei einer späteren Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrecht nur verwertbar, wenn der Zeuge schon bei der früheren Einvernahme hinreichend über seine Zeugnisverweigerungsrechte belehrt wurde.
Diese Auffassung vertritt auch die herrschende Lehre. So hält ANDREAS DONATSCH dafür, die einzuvernehmende Person kumulativ zu belehren, wenn und soweit im Zeitpunkt der Befragung durch die Polizei gestützt auf Art. 179 Abs. 1 nicht klar ist, ob die betreffende Person später durch die Staatsanwaltschaft als Auskunftsperson oder als Zeuge befragt wird (in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014,
BGE 144 IV 28 S. 35
N. 8 zu
Art. 179 StPO
). GUNHILD GODENZI und ANDREAS DONATSCH (in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 143 und N. 4 zu
Art. 179 StPO
) betrachten die Aussage einer Auskunftsperson, welche im späteren Verfahren als Zeuge befragt wird, nur dann für verwertbar, wenn die einzuvernehmende Person von der Polizei auf bestehende Zeugnisverweigerungsrechte aufmerksam gemacht wurde. Gleiches gilt für NIKLAUS SCHMID, welcher unter Hinweis auf die schon unter der Geltung des früheren kantonalen Rechts geübte Praxis ausführt, die Aussagen einer von der Polizei als Auskunftsperson befragten Person, die als Zeuge in Frage komme, seien beweismässig nur verwertbar, wenn anschliessend der Zeuge noch ordnungsgemäss von Staatsanwalt oder Gericht einvernommen und die Richtigkeit der polizeilichen Protokolle bestätigt würden (Handbuch des Schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, N. 919).
1.4
Nach dem Gesagten sind die Aussagen der Ehefrau des Beschwerdeführers anlässlich der polizeilichen Einvernahme als Auskunftsperson nicht verwertbar. Die Beschwerde ist begründet. Die Sache ist zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers braucht nicht eingegangen zu werden. | mixed |
f208dcfc-5b4a-4041-9e41-05f526b8c16e | Sachverhalt
ab Seite 127
BGE 130 I 126 S. 127
Mit Urteil vom 23. August 2001 erkannte das Bezirksgericht Bremgarten X. des Betruges, des Pfändungsbetruges, der Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte in zwei Fällen und des Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen in zwei Fällen für schuldig. Vom ebenfalls erhobenen Vorwurf der Vergewaltigung sprach es den Beschuldigten frei. Das Strafmass wurde auf 4 Monate Gefängnis, unter Anrechnung von 11 Tagen Untersuchungshaft, festgesetzt. Gleichzeitig wurde eine am 16. Dezember 1999 auf Bewährung ausgesprochene Strafe von 15 Monaten Gefängnis für vollstreckbar erklärt.
Gegen diesen Entscheid reichte die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau Berufung ein und beantragte unter anderem auch einen Schuldspruch wegen Vergewaltigung. Die Zivilklägerin verlangte ihrerseits die zusätzliche Verurteilung wegen Vergewaltigung zuzüglich einer Genugtuung von Fr. 8'000.-. Der Beschuldigte selber reichte ebenfalls Berufung ein und stellte insbesondere den Antrag, vom Vorwurf des Betruges freigesprochen zu werden.
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach den Beschuldigten am 21. August 2003 zusätzlich der Vergewaltigung für schuldig und verurteilte ihn zu einer Zuchthausstrafe von 18 Monaten (unter Anrechnung von 11 Tagen Untersuchungshaft, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom 16. Dezember 1999). Für diese Freiheitsstrafe wurde der bedingte Strafvollzug mit einer Probezeit von drei Jahren gewährt. Der Zivilklägerin wurde zu Lasten des Beschuldigten eine Genugtuung von Fr. 4'000.- zugesprochen.
Mit Eingabe vom 23. Oktober 2003 erhebt X. staatsrechtliche Beschwerde und beantragt die Aufhebung von Ziff. 1 bis 8 des obergerichtlichen Urteils vom 21. August 2003, unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Er macht sinngemäss geltend, bei seinen Einvernahmen sei er - in Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
, Art. 14 Ziff. 3 lit. g des Internationalen Paktes vom 16. Dezember
BGE 130 I 126 S. 128
1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) und
Art. 31 Abs. 2 BV
- weder von der Polizei noch vom Bezirksamt Bremgarten umfassend über seine Verteidigungsrechte informiert worden. Vor allem sei er nicht darauf aufmerksam gemacht worden, dass er das Recht habe, die Aussage zu verweigern. Seine Aussagen, insbesondere das kurz vor der Haftentlassung abgelegte Geständnis, seien deshalb grundsätzlich nicht verwertbar.
Das Obergericht, die Staatsanwaltschaft, wie auch die Beschwerdegegnerin verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer beruft sich auf
Art. 31 Abs. 2 und
Art. 32 Abs. 2 BV
,
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II
, wonach er bei den Einvernahmen von der Polizei und vom Bezirksamt auf sein Aussageverweigerungsrecht hätte aufmerksam gemacht werden müssen. Seine Aussagen, insbesondere das Geständnis vom 11. August 2000, seien infolge der unterlassenen Aufklärung nicht verwertbar.
2.1
Als allgemeiner, bisher aus
Art. 4 aBV
abgeleiteter Grundsatz des Strafprozessrechts ist anerkannt, dass niemand gehalten ist, zu seiner Belastung beizutragen. Der in einem Strafverfahren Beschuldigte ist demnach nicht zur Aussage verpflichtet. Vielmehr ist er aufgrund seines Aussageverweigerungsrechts berechtigt zu schweigen, ohne dass ihm daraus Nachteile erwachsen dürfen (Urteil 8G.55/2000 vom 14. März 2001;
BGE 121 II 273
E. 3a S. 281;
BGE 109 Ia 166
E. 2b S. 167;
BGE 106 Ia 7
E. 4 S. 8;
BGE 103 IV 8
E. 3a S. 10; ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Aufl., Basel/Genf/München 2002, § 39 N. 15). Eine ausdrückliche Garantie, dass der Beschuldigte nicht gezwungen werden darf, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, enthält
Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II
. Ferner leiten Lehre und Rechtsprechung das Recht des Beschuldigten, zu schweigen und sich nicht selbst belasten zu müssen, auch aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ab (
BGE 121 II 273
E. 3a S. 282; Urteil i.S.
John Murray gegen Grossbritannien
vom 8. Februar 1996,
Recueil CourEDH 1996-I S. 30
, Ziff. 45 und EuGRZ 1996 S. 587; zur Diskussion in der Lehre siehe etwa JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 561 Fn. 52; dazu auch Urteil 1P.641/2000
BGE 130 I 126 S. 129
vom 24. April 2001, publ. in: Pra 90/2001 Nr. 110, E. 3 S. 642; REGINA KIENER, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 2000 und 2001, in: ZBJV 138/2002 S. 671). Einstweilen kann indessen dahingestellt bleiben, ob das Aussageverweigerungsrecht Ausfluss der Unschuldsvermutung ist (
Art. 32 Abs. 1 BV
; so ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, Bern 2000, N. 1323) oder - wie dies der Beschwerdeführer geltend macht - sich aus den Verteidigungsrechten (
Art. 32 Abs. 2 BV
) der angeklagten Person ergibt (vgl. E. 3.3 hiernach).
2.2
Unbestritten ist, dass der verhaftete Beschuldigte weder von der Polizei noch vom Bezirksamt über sein Schweige- und Aussageverweigerungsrecht belehrt worden ist. Offen ist, ob überhaupt eine entsprechende Aufklärungspflicht der Behörden bestand und wenn ja, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus deren Nichtbeachtung ergeben.
2.3
Von Bedeutung ist in erster Linie, ob die Untersuchungsbehörden von Gesetzes wegen gehalten waren, den Beschwerdeführer auf sein Aussageverweigerungsrecht aufmerksam zu machen. Der - heute - massgebliche § 62 des Aargauer Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 11. November 1958 (Strafprozessordnung, StPO/ AG; AGS 251.100) ist erst am 1. Januar 2003 in Kraft getreten, also nach der beanstandeten Vernehmung. Die zitierte Bestimmung sieht vor, dass der Beschuldigte vor der ersten Einvernahme unter anderem darauf hinzuweisen ist, dass er die Aussage verweigern kann (
§ 62 Abs. 1 lit. b StPO
/AG). Demgegenüber bestand vor der Revision der Strafprozessordnung jedenfalls nach kantonalem Recht keine Verpflichtung, den Angeschuldigten auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern 1994, S. 136).
Indes ist am 1. Januar 2000 die neue Bundesverfassung in Kraft getreten. Im Entscheid 8G.55/2000 vom 14. März 2001 (E. 3-5, publ. in: Pra 90/2001 Nr. 94 S. 551 ff.) hat das Bundesgericht die Pflicht der Behörden, den Beschuldigten über sein Aussageverweigerungsrecht aufzuklären, direkt auf
Art. 31 Abs. 2 BV
gestützt (ebenso Urteil 6P.164/2001 vom 9. Januar 2002). Gemäss
Art. 31 Abs. 2 BV
hat jede Person, der die Freiheit entzogen wird, unter anderem Anspruch darauf, unverzüglich in einer ihr verständlichen Sprache über ihre Rechte unterrichtet zu werden; sie muss die
BGE 130 I 126 S. 130
Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Die Bestimmung gilt für alle Arten des Freiheitsentzuges. Sie lehnt sich, anders als die übrigen Verfahrensgarantien, nicht an die EMRK oder den UNO-Pakt II und die geltende Rechtsprechung dazu oder zu
Art. 4 aBV
an, sondern geht, wie in der Botschaft zur Nachführung der Bundesverfassung (BBl 1997 I 185) dargelegt, auf frühere Vorentwürfe zur Totalrevision der Bundesverfassung (VE 1977 Art. 21, VE MÜLLER/KÖLZ Art. 15 und Modell-Studie EJPD 1985 Art. 22) zurück. Die Schwere des Eingriffs liess eine Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in der Form eines Informationsanspruchs als gerechtfertigt erscheinen (BBl 1997 I 185), birgt doch die besondere Drucksituation des Freiheitsentzugs eine erhöhte Gefahr in sich, dass der Betroffene seine Rechte nicht oder nur unzureichend wahrzunehmen vermag (Urteil 8G.55/2000 vom 14. März 2001, E. 3b).
2.4
Art. 31 Abs. 2 BV
knüpft mit der Wendung "ihre Rechte" an die Ansprüche an, welche die betroffene Person nach der Bundesverfassung, den internationalen Abkommen und der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung geltend machen kann. Dabei beschränkt sich die Vorschrift aber auf die beispielhafte Erwähnung des Rechts, die nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen. Soweit sich die Lehre dazu äussert, zählt sie auch das Schweige- oder Aussageverweigerungsrecht der in einem Strafverfahren beschuldigten Person zu diesen Rechten (RENÉ RHINOW, Die Bundesverfassung 2000, Basel 2000, S. 220; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, a.a.O., N. 333; HANS VEST, St. Galler Kommentar zur BV, Rz. 16 ff. zu
Art. 31 Abs. 2 BV
; BENJAMIN SCHINDLER, Miranda Warning - bald auch in der Schweiz?, in: Strafrecht als Herausforderung [Hrsg. Jürg-Beat Ackermann], Zürich 1999, S. 467 ff., 472 f.; MARTIN PHILIPP WYSS, "Miranda Warnings" im schweizerischen Verfassungsrecht?, Inhalt und Tragweite von
Art. 31 Abs. 2 BV
, in: recht 19/2001 S. 132 ff.; STEFAN FLACHSMANN/STEFAN WEHRENBERG, Aussageverweigerungsrecht und Informationspflicht, in: SJZ 97/2001 S. 313 ff.; SVEN ZIMMERLIN, Miranda-Warning und andere Unterrichtungen nach
Art. 31 Abs. 2 BV
, in: ZStR 121/2003 S. 311 ff., 317 f.; MARC FORSTER, Gefangenenrechte und Polizeigewalt, in: Plädoyer 2003 6 S. 30 ff.). Der Kommentar zur bernischen Kantonsverfassung, dessen vor der neuen BV entstandener Art. 25 Abs. 2 im Wesentlichen gleich wie
Art. 31 Abs. 2 BV
lautet, nennt als Beispiel für die Rechte, über die zu informieren ist, jenes auf
BGE 130 I 126 S. 131
Aussageverweigerung (WALTER KÄLIN/URS BOLZ, Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, S. 295). Im Urteil 6P.164/2001 vom 9. Januar 2002, E. 3e, hat das Bundesgericht diese Auslegung von
Art. 31 Abs. 2 BV
denn auch bestätigt (siehe dazu FORSTER, a.a.O., S. 33).
2.5
Somit ist vorab festzuhalten, dass sich die Pflicht der Behörde, die festgenommene Person unverzüglich über ihr Aussageverweigerungsrecht aufzuklären, direkt aus dem seit 1. Januar 2000 geltenden
Art. 31 Abs. 2 BV
ergibt. Da die hier interessierenden Aussagen im August 2000 gemacht worden waren, waren die kantonalen Behörden gestützt auf
Art. 31 Abs. 2 BV
gehalten, den Beschwerdeführer über sein Schweige- und Aussageverweigerungsrecht zu belehren. Nicht relevant ist - entgegen der Meinung des Obergerichtes -, ob die bundesgerichtliche Praxis zum Zeitpunkt der Einvernahmen bereits bekannt war.
Zu prüfen bleibt, ob die unterlassene Unterrichtung zur Folge hat, dass die Aussagen des Beschuldigten unverwertbar sind.
3.
3.1
Die Aufklärungspflicht hat formellrechtlichen Charakter. Daher fragt sich, ob bei deren Verletzung ein Verwertungsverbot bestehe. Diese Frage wird von der Lehre unterschiedlich beantwortet. Einerseits wird die Ansicht vertreten, Aussagen, welche ohne Information über das Schweigerecht gemacht worden seien, seien unverwertbar, da der Hinweis nach
Art. 31 Abs. 2 BV
Gültigkeitserfordernis sei (SCHINDLER, a.a.O., S. 478; VEST, St. Galler Kommentar zur BV, Rz. 20 zu
Art. 31 Abs. 2 BV
; ROBERT HAUSER, Zum Schweigerecht des Beschuldigten, in: ZBJV 131/1995 S. 529 ff., 532; FLACHSMANN/WEHRENBERG, a.a.O., S. 320 f.). Differenzierter sind die Meinungen, wonach zwar grundsätzlich ein Beweisverwertungsverbot bestehe, Ausnahmen jedoch je nach konkretem Einzelfall möglich seien, etwa, wenn der Betroffene sein Schweigerecht kannte oder nach den Umständen des Falles noch kein Anlass bestand, den Befragten als Angeschuldigten zu behandeln (HAUSER/ SCHWERI, a.a.O., § 39 N. 15b; ZIMMERLIN, a.a.O., S. 332, der die Pflicht zur Unterrichtung über die Verfahrensrechte nicht als Folge des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern als eigenständige Verfahrensgarantie erachtet; KIENER, a.a.O., S. 671, bezeichnet den Informationsanspruch dagegen als Konkretisierung des rechtlichen Gehörs und will in - durch die Rechtsprechung zu entwickelnden -
BGE 130 I 126 S. 132
Ausnahmefällen eine Heilung der Gehörsverletzung zulassen; unentschieden: WYSS, a.a.O., S. 144; kritisch zum absoluten Beweisverwertungsverbot bei Verletzung von Gültigkeitsvorschriften auch NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1997, N. 608 f.).
3.2
Im Urteil 8G.55/2000 vom 14. März 2001 hat das Bundesgericht offen gelassen, ob die mit einem solchen formellen Mangel behafteten Einvernahmeprotokolle als Beweismittel verwertbar sind. Der Sachrichter habe darüber im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung zu befinden. Ein absolutes Verwertungsverbot wurde im zitierten Entscheid indessen ausdrücklich verneint (Urteil 8G.55/2000, E. 3c). Im Fall 6P.164/2001 vom 9. Januar 2002 wurde in E. 3e festgehalten, dass nicht jedes Unterlassen als Verletzung von
Art. 31 Abs. 2 BV
zu werten sei. Eine Ausnahme sei insbesondere zu machen, wenn die festgenommene Person ihr Schweigerecht gekannt habe. Allerdings müsse diese Kenntnis im konkreten Fall hinreichend erwiesen sein. Davon sei beispielsweise auszugehen, wenn der Beschuldigte in Anwesenheit seines Anwaltes angehört worden sei (siehe dazu auch HAUSER, a.a.O., S. 533). Nach der Rechtsprechung können in Abwägung der entgegenstehenden Interessen auch gewisse unrechtmässig beschaffte Beweise zu Lasten eines Angeschuldigten verwendet werden. Je schwerer die zu beurteilende Straftat ist, umso eher überwiegt das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse des Angeklagten daran, dass der fragliche Beweis unverwertet bleibt (
BGE 109 Ia 244
E. 2b S. 246;
BGE 120 Ia 314
E. 2c S. 320; HAUSER/SCHWERI, a.a.O., § 60 N. 6). Mitzuberücksichtigen ist dabei auch, ob das rechtswidrig erlangte Beweismittel an sich zulässig und auf gesetzmässigem Weg erreichbar gewesen wäre (
BGE 96 I 437
E. 3b S. 440 f.).
3.3
In Bestätigung und Fortführung dieser Rechtsprechung ist bezüglich der Aufklärungspflicht von einer eigenständigen Verfahrensgarantie auszugehen, welche sich nicht nur aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ableiten lässt (ZIMMERLIN, a.a.O., S. 331). Soweit die festgenommene Person davor bewahrt werden soll, sich selber zu belasten, dient die Information über das Aussageverweigerungsrecht der Gewährleistung der Verteidigungsrechte. Aufgrund des formellrechtlichen Charakters dieser Verfahrensgarantie sind Aussagen, die in Unkenntnis des Schweigerechtes gemacht wurden, grundsätzlich nicht verwertbar. In Abwägung der entgegenstehenden Interessen können Einvernahmen jedoch ausnahmsweise unter den in E. 3.2 genannten Voraussetzungen trotz unterlassener
BGE 130 I 126 S. 133
Unterrichtung über das Aussageverweigerungsrecht verwertet werden.
3.4
Im vorliegenden Fall wurde zwar am 7. August 2000 ein amtlicher Verteidiger bestellt. Die umstrittenen Einvernahmen fanden jedoch - aus nicht näher bezeichneten Gründen - nicht in dessen Beisein statt. Es kann darum nicht wie im zitierten Entscheid 6P.164/2001 vom 9. Januar 2002 argumentiert werden, es liege gar keine Verletzung der Informationspflicht vor, weil die Anwesenheit des Verteidigers bei der Einvernahme auf eine Kenntnis des Aussageverweigerungsrechts schliessen lasse. Die aus
Art. 31 Abs. 2 BV
abgeleitete behördliche Informationspflicht wurde anlässlich der Befragungen durch die Polizei und das Bezirksamt Bremgarten verletzt. Gründe, die eine Ausnahme vom Verwertungsverbot zulassen würden (siehe E. 3.2 hiervor), sind vorliegend keine ersichtlich und wurden auch nicht geltend gemacht. Wie bereits gesehen, ist der Einwand des Obergerichtes, die Praxis des Bundesgerichtes zu
Art. 31 Abs. 2 BV
sei im Zeitpunkt der Einvernahmen noch nicht bekannt gewesen, unbehelflich. Selbst wenn die Rüge in einem früheren Verfahrensstadium hätte vorgebracht werden können, ändert dies nichts daran, dass den Aussagen, die ohne Hinweis auf das Schweigerecht gemacht wurden, der formelle Mangel dieser behördlichen Pflichtverletzung und damit das grundsätzliche Verwertungsverbot anhaftet. Der Beschwerdeführer hat sein Rügerecht nicht durch Zuwarten verwirkt.
Verwertbar sind indessen die Aussagen des Beschwerdeführers vor dem Bezirksgericht Bremgarten und vor Obergericht. Der Beschwerdeführer hat denn anlässlich der Berufungsverhandlung auch beantragt, es sei lediglich auf diese Aussagen abzustellen. Der Verwertung der Zeugenaussagen steht ebenfalls nichts entgegen. | mixed |
1b478d55-f8db-4b5a-8dd9-fd082a1fb4f0 | Sachverhalt
ab Seite 143
BGE 109 IV 143 S. 143
A.-
Von Anfang Oktober 1982 bis Mitte Dezember 1982 erwarb F. in Zürich ca. 2,2 bis 2,3 kg Haschisch und 21 g Kokain. Beide Rauschgifte portionierte er, um sie anschliessend durch Dritte weiterverkaufen zu lassen. Ausserdem vermittelte er einem anderen Dealer einen Abnehmer für ca. 500 g Haschisch. Mitte Dezember 1982 beschlossen F. und H. in Spanien eine grössere Menge Kokain zu kaufen und diese in der Schweiz abzusetzen. Während H. die Finanzierung des Ankaufs übernahm, organisierte F. den Transport und den Verkauf von 42 g Kokain.
B.-
Das Kantonsgericht von Graubünden verurteilte F. mit Entscheid vom 9. Mai 1983 wegen fortgesetzter Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 und 2 lit. a sowie gegen
Art. 19a Ziff. 1 BetmG
zu einer Zuchthausstrafe von 2 1/2 Jahren, abzüglich 113 Tage Untersuchungshaft.
C.-
Mit der gegen dieses Urteil gerichteten eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde beantragt F., der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die von ihm gehandelte Menge Kokain die Voraussetzungen des schweren
BGE 109 IV 143 S. 144
Falls im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
nicht erfülle. Er behauptete insbesondere, dass im Falle von Kokain eine Vielzahl von Menschen nicht schon bei zwanzig Personen vorliege. Seine Behauptung begründet er einzig mit dem Hinweis auf die frühere bundesgerichtliche Rechtsprechung, die von einer Anzahl von zwanzig bis vierzig Personen ausgegangen sei.
Das Bundesgericht hat sich in
BGE 108 IV 64
ff. eingehend mit der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes "viele Menschen" befasst und dabei festgelegt, dass, - unabhängig von der Art des Rauschgiftes - eine Vielzahl von Menschen im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
bei einer Anzahl von zwanzig Personen gegeben ist. Die in der Beschwerdeschrift geäusserte Kritik ist nicht geeignet, eine Änderung dieser Rechtsprechung herbeizuführen.
b) F. macht weiter geltend, aus
BGE 107 IV 61
ergebe sich, dass eine Gefährdung vieler Menschen erst bei einer Menge von 5,4 kg Kokain gegeben sei. Diese Behauptung stützt sich jedoch lediglich auf ein im genannten Entscheid zitiertes Parteigutachten, dessen Aussage der Kassationshof nicht übernommen hat. In
BGE 108 IV 66
/67 wurde festgelegt, dass im Falle von Kokain - ausgehend von einer Applikationsmenge vom 10 mg und einem regelmässigen Konsum von einem halben Jahr - 1,8 g dieses Rauschgiftes genügen, um eine Person in ihrer Gesundheit zu schädigen; demzufolge wurden 50 g Kokain als ausreichend betrachtet, um 27 Personen psychisch abhängig werden zu lassen. Schon nach dieser Rechtsprechung ist der Beschwerdeführer bei einer Kokainmenge von ca. 63 g von der Vorinstanz zu Recht der Widerhandlung im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
schuldig gesprochen worden.
Der Kassationshof führte am 5. Mai 1983 in Basel mit verschiedenen Experten (Prof. Dr. Kielholz, Basel, Prof. Dr. Ladewig, Basel, Dr. Rümmele, Basel, Prof. Dr. Burner, Lausanne, Dr. Caponi, Lausanne, Dr. Eichenberger, Genf, Dr. Harding, Genf, Prof. Dr. Cerletti, Basel, Dr. Hahn, Bern, T. Kamény, Bern, Prof. Dr. Uchtenhagen, Zürich) ein Hearing durch, an welchem u.a. auch die Frage des schweren Falles im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
zur Sprache kam. Nach der übereinstimmenden Ansicht der am Kolloquium teilnehmenden Experten darf nach dem heutigen Stand der Wissenschaft unter Beachtung der vom Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung entwickelten Kriterien (drogenunerfahrene Konsumenten, gefährlichste gebräuchliche Applikationsart) zur Berechnung der das Risiko einer psychischen
BGE 109 IV 143 S. 145
Abhängigkeit erzeugenden Betäubungsmittelmenge von folgenden Werten ausgegangen werden:
Heroin-Hydrochlorid:
Tägliche intravenöse Applikation von 10 mg während 60 Tagen.
Kokain:
Tägliche intravenöse Applikation von 10 mg während 90 Tagen.
Cannabis:
Regelmässiges Rauchen von insgesamt 200 Joints à 0,5-1 g Haschisch.
LSD:
Wirkstoffmenge von 10 Trips (1 Trip = 0,05-0,1 mg Wirkstoff).
Eine Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen (zwanzig Personen; vgl. lit. 3 a) liegt demnach bei Rauschgiftmengen von 12 g Heroin, 18 g Kokain, 4 kg Haschisch oder 200 Trips LSD vor. | mixed |
1077cc22-ad94-436d-a30b-5a429799ca69 | Sachverhalt
ab Seite 218
BGE 125 II 217 S. 218
Der aus dem Kosovo stammende, der albanischen Ethnie angehörende F. (geb. 1980) wurde am 26. Februar 1998 nach Belgrad ausgeschafft. Am 5. Mai 1998 reiste er erneut illegal in die Schweiz ein und ersuchte hier unter dem falschen Namen Arben Malushi (geb. 3.4.1981) um Asyl. Das Bundesamt für Flüchtlinge trat am 22. Mai 1998 auf sein Gesuch nicht ein und wies ihn weg; ab dem 6. Juni 1998 galt er an dem ihm zugewiesenen Aufenthaltsort als verschwunden. Am 26. Oktober 1998 wurde F. in Winterthur angehalten und in Untersuchungshaft genommen. Mit Strafbefehl vom 20. November 1998 verurteilte ihn die Bezirksanwaltschaft Winterthur wegen Verstosses gegen das Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 30 Tagen und einer Busse von Fr. 300.--. F. wurde anschliessend den für den Vollzug der Wegweisung zuständigen Berner Behörden übergeben, welche ihn mangels der für die Ausschaffung nötigen Dokumente am 21. November 1998 aus der Haft entliessen. Am 20. Februar 1999 hielt die Polizei F. erneut in Winterthur an; mit Strafbefehl vom 22. Februar 1999 wurde er wegen Vergehens gegen das Waffengesetz (Mitführen eines Schlagringmessers) und Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz (Nichtmitsichführen des Führerausweises) zu zehn Tagen Gefängnis bedingt und einer Busse von Fr. 300.-- verurteilt. Tags darauf nahm ihn die Fremdenpolizei des Kantons Bern in Ausschaffungshaft; das Haftgericht III Bern-Mittelland prüfte und bestätigte diese am 24./25. Februar 1999.
Am 23. März 1999 ersuchte F. um Haftentlassung, was das Haftgericht am 29./31. März 1999 ablehnte: Nach Auskunft des Bundesamts für Flüchtlinge vom 26. Februar und 26. März 1999 sei F. aufgrund seines strafrechtlich relevanten Verhaltens von der generellen Verlängerung der Ausreisefrist in den Kosovo ausgenommen; zwar seien für die Zeit vom 26. März 1999 bis 9. April 1999 alle geplanten Rückführungen in die Bundesrepublik Jugoslawien eingestellt, ohne anders lautende Verfügung würden diese hernach aber
BGE 125 II 217 S. 219
wieder aufgenommen. Im Hinblick hierauf sei die Haft nach wie vor zulässig, zumal die Situation durch das Bundesamt und die Fremdenpolizei «aufmerksam verfolgt» werde.
Hiergegen hat F. am 20. April 1999 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, diesen Entscheid aufzuheben und seinem Haftentlassungsgesuch zu entsprechen. Die Fremdenpolizei des Kantons Bern und das Bundesamt für Ausländerfragen (für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement) beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Haftgericht III Bern-Mittelland hat ohne ausdrücklichen Antrag Stellung genommen und ein am 21. April 1999 bei ihm eingegangenes weiteres Haftentlassungsgesuch von F. nachgereicht. Dieser liess sich seinerseits nicht mehr vernehmen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und ordnet die unverzügliche Haftentlassung an Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Die zuständige Behörde kann einen Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen von
Art. 13b ANAG
in Ausschaffungshaft nehmen bzw. dort belassen; diese waren vorliegend ursprünglich erfüllt: Der Beschwerdeführer wurde rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen (vgl.
Art. 13b Abs. 1 ANAG
;
BGE 121 II 59
E. 2 S. 61;
BGE 122 II 148
E. 1 S. 150). Sein bisheriges Verhalten (Untertauchen, Verwendung einer falschen Identität, Einreise trotz entsprechender Sperre) liess ohne weiteres den Schluss zu, dass er sich - ohne Haft - zu gegebener Zeit für den Vollzug der Wegweisung nicht zur Verfügung halten würde (
Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG
;
BGE 122 II 49
E. 2a S. 50 f.;
BGE 119 Ib 193
E. 2b S. 198). Die Behörden sind dem Beschleunigungsgebot nachgekommen (
Art. 13b Abs. 3 ANAG
;
BGE 124 II 49
ff.); die Haftbedingungen ihrerseits wurden nie beanstandet (vgl.
Art. 13c Abs. 3 sowie
Art. 13d Abs. 2 ANAG
;
BGE 123 I 221
ff.;
BGE 122 II 299
ff.;
BGE 122 II 49
E. 5 S. 52 ff.). Der angefochtene Entscheid ist deshalb bundesrechtskonform, falls die Aufrechterhaltung der Haft weiterhin verhältnismässig ist und der Vollzug der Wegweisung nicht - wie der Beschwerdeführer einwendet - aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen inzwischen als undurchführbar zu gelten hat; in diesem Fall liesse sich die Haft nicht mehr mit einem hängigen Ausweisungsverfahren rechtfertigen, und sie verstiesse deshalb gegen
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
(vgl.
Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG
;
BGE 119 Ib 193
E. 2c S. 198 f.;
BGE 125 II 217 S. 220
vgl. auch
BGE 122 II 148
E. 3 S. 152 f.; ausführlich: Urteil vom 24. Mai 1995 i.S. Troshupa, E. 4, veröffentlicht in: Praxis 85/1996 Nr. 118 S. 383 ff.).
2.
Der Umstand allein, dass die Ausreise nur schwer organisiert werden kann, lässt die Haft nicht bereits dahinfallen oder die Ausschaffung als undurchführbar erscheinen. Gerade wegen solcher Schwierigkeiten und Ungewissheiten hat der Gesetzgeber die Haftdauer erheblich erhöht und die Möglichkeit der Haftverlägerung geschaffen (BBl 1994 I 305ff. S. 316). Die Haft ist gestützt auf Art. 13c Abs. 5 lit. a (2. Halbsatz) ANAG, weil unverhältnismässig, nur dann aufzuheben, wenn für die Undurchführbarkeit des Vollzugs der Entfernungsmassnahme triftige Gründe sprechen oder praktisch feststeht, dass sich die Ausschaffung innert der gesetzlichen Frist kaum wird realisieren lassen (
BGE 122 II 148
E. 3 S. 152 f.). Dies ist in der Regel nur der Fall, wenn die Ausschaffung auch bei gesicherter Kenntnis der Identität oder der Nationalität des Betroffenen bzw. trotz seines Mitwirkens bei der Papierbeschaffung mit grosser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen erscheint. Zu denken ist etwa an eine längerdauernde Transportunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen bzw. an eine ausdrückliche oder zumindest klar erkennbare und konsequent gehandhabte Weigerung eines Staates, gewisse Staatsangehörige zurückzunehmen (Alain Wurzburger, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, in: RDAF 1997 I S. 330 f., so auch statt zahlreicher anderer unveröffentlichter Entscheide das Urteil vom 2. November 1998 i.S. Musa, E. 4b). Als rechtliche Gründe können der Ausschaffung das Gebot des Non-refoulements oder eine Unzumutbarkeit des Vollzugs entgegenstehen, weil der Ausländer im Heimatstaat einer konkreten Gefährdung ausgesetzt wäre (
Art. 14a Abs. 3 und 4 ANAG
). Diesbezüglich sind die Prüfungspflichten des Haftrich- ters allerdings beschränkt: Gegenstand seines Verfahrens bildet ausschliesslich die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Ausschaffungshaft als solcher (vgl.
Art. 13c Abs. 2 ANAG
), indessen nicht auch die Asyl- und Wegweisungsfrage; über diese entscheiden die zuständigen ausländerrechtlichen Behörden an sich abschliessend und verbindlich (vgl. Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 4 und 5 OG und
Art. 11 Abs. 2 lit. b AsylG
). Der Haftrichter hat die Haftgenehmigung deshalb nur zu verweigern, wenn sich der zu sichernde Wegweisungsentscheid als offensichtlich unzulässig erweist (vgl.
BGE 121 II 59
E. 2c S. 62). Dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn eine Wegweisung trotz Ausschaffungsstopps vollzogen wird, weil der
BGE 125 II 217 S. 221
Betroffene wegen seiner Straffälligkeit hiervon ausgenommen wurde. In solchen Situationen ist auf dem Rechtsmittelweg oder wiedererwägungsweise an die für die Wegweisung zuständigen (Asyl-)Behörden zu gelangen. Die Frage, welche Schwere die Delinquenz für einen Ausschluss vom Aufschub des Wegweisungsvollzugs erreichen muss und in welchem Verfahren hierüber zu entscheiden ist, bildet ebenso wenig Gegenstand der Haftprüfung wie jene, ob eine Wegweisung wegen nachträglich veränderter Umstände unzumutbar geworden sein könnte (so bezüglich des Kosovos die unveröffentlichten Entscheide vom 5. Oktober 1998 i.S. Salihi und vom 2. November 1998 i.S. Musa).
3.
a) Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann beim Bundesgericht die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Õberschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden (
Art. 104 lit. a OG
); das Bundesgericht überprüft den angefochtenen Entscheid in dieser Hinsicht frei. Soweit als Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden hat, ist es an deren Feststellung des Sachverhalts jedoch gebunden, falls dieser nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften ermittelt worden ist (
Art. 105 Abs. 2 OG
). Dies schliesst das Vorbringen von neuen tatsächlichen Behauptungen und Beweismitteln weitgehend aus (
BGE 114 Ib 27
E. 8b S. 33; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 286/287). Insbesondere können nachträgliche Veränderungen des Sachverhalts in der Regel nicht mehr berücksichtigt werden, denn einer Behörde ist nicht vorzuwerfen, sie habe den Sachverhalt im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG
fehlerhaft festgestellt, wenn sich dieser nach ihrem Entscheid verändert hat (
BGE 121 II 97
E. 1c S. 99 f.;
BGE 107 Ib 167
E. 1b S. 169). Das Bundesgericht prüft den Haftentscheid deshalb grundsätzlich lediglich aufgrund der Sachlage, wie sie sich dem Haftrichter präsentierte. Was der Beschwerdeführer dort nicht ausdrücklich vortrug oder was sich nicht offensichtlich aus den damals bekannten Akten ergab, darf es bei seinem Entscheid an sich nicht berücksichtigen. Neue Sachvorbringen sind durch den kantonalen Richter (soweit nicht allenfalls die Voraussetzungen einer Revision gegeben sind) bei der Prüfung eines Haftentlassungsgesuchs oder im Rahmen des nach dreimonatiger Dauer der Ausschaffungshaft fälligen Haftverlängerungsverfahrens zu berücksichtigen (so unveröffentlichte Urteile vom 20. Juni 1995 i.S. Miri, E. 3; vom 29. September 1995 i.S. Gavazi, E. 2; jüngst bestätigt im unveröffentlichten Entscheid vom 28. April 1999 i.S. Toth, E. 1b).
BGE 125 II 217 S. 222
b) aa) Unter dieser beschränkten Õberprüfungsbefugnis ist der angefochtene Entscheid nicht zu beanstanden: Der Haftrichter prüfte das Entlassungsgesuch des Beschwerdeführers am 29. März 1999 zu einem Zeitpunkt, als die Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien erst begonnen hatten und noch davon ausgegangen werden konnte, dass diese relativ kurzfristig abgeschlossen würden. Ihm lag ein Schreiben des Bundesamts für Flüchtlinge vom 26. Februar 1999 vor, wonach der Beschwerdeführer wegen seines strafrechtlich relevanten Verhaltens von der generellen Verlängerung der Ausreisefrist ausgenommen und die Wegweisung deshalb unverzüglich zu vollziehen sei; gestützt hierauf durfte er davon ausgehen, die Wegweisung sei nach wie vor nicht offensichtlich unzulässig. Am 26. März 1999 hatte das Bundesamt zwar mitgeteilt, dass für die Zeit vom 26. März bis 9. April 1999 alle geplanten Rückführungen in die Bundesrepublik Jugoslawien eingestellt seien, weil die Fluggesellschaft JAT derzeit nicht in der Lage sei, die Flüge mit Sicherheit durchzuführen; ohne anders lautende Verfügung würden die Rückführungen ab diesem Zeitpunkt aber wieder aufgenommen. Unter diesen Umständen konnte eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs (noch) ohne Verletzung von Bundesrecht verneint werden, war die Ausschaffung des Beschwerdeführers gestützt auf die Erklärungen des Bundesamts zu diesem Zeitpunkt doch nach wie vor absehbar.
bb) Heute hat die entsprechende Einschätzung indessen anders auszusehen: Der Bundesrat hat am 7. April 1999 die gruppenweise vorläufige Aufnahme jener jugoslawischen Staatsangehörigen beschlossen, «die in der Schweiz keine ordentliche fremdenrechtliche Aufenthaltsbewilligung erhalten können oder die ein Asylgesuch gestellt haben und bei denen feststeht, dass sie ihren letzten Wohnsitz in der Provinz Kosovo hatten»; er hat damit entsprechende Wegweisungsvollzüge als zurzeit unzumutbar bewertet. Zwar hat er diesen Beschluss am 28. April 1999 insofern präzisiert, als davon Personen ausgenommen sind, «bei denen festgestellt wird, dass sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung verletzt haben oder in schwerwiegender Weise gefährden oder sich der Gewaltanwendung oder massiver Drohungen gegen das Personal von Wohneinrichtungen für Asylsuchende sowie gegen Mitglieder und Angestellte der Fürsorgebehörden schuldig gemacht haben» (Ziff. 10 lit. c des BRB vom 28. April 1999; vgl.
Art. 14a Abs. 6 ANAG
). Gemäss der Vernehmlassung des Bundesamts für Ausländerfragen ist dabei an schwere oder wiederholte Zuwiderhandlungen gegen Strafbestimmungen
BGE 125 II 217 S. 223
des Betäubungsmittelgesetzes, des Strafgesetzbuches (insbesondere Delikte gegen Leib und Leben, Vermögensdelikte, Verbrechen und Vergehen gegen die Freiheit, strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität, gemeingefährliche Delikte, strafbare Handlungen gegen die öffentliche Gewalt usw.) sowie des Strassenverkehrsgesetzes zu denken; davon ausgenommen seien Bagatelldelikte (z.B. Entwendungen, geringfügige ANAG- oder SVG-Õbertretungen). Losgelöst von der Frage, ob das strafrechtlich relevante Verhalten des Beschwerdeführers diese Schwere erreicht - was, wie dargelegt nicht durch den Haftrichter, sondern die Asyl- bzw. Fremdenpolizeibehörden zu beurteilen ist -, hält das Bundesamt in seiner Vernehmlassung fest, dass zurzeit aufgrund der aktuellen Lage der angeordnete Wegweisungsvollzug «technisch nicht durchführbar» sei. Wie lange dieser Zustand dauern werde, sei momentan nicht absehbar. Sollte sich die Situation entspannen, bestehe die feste Absicht, möglichst rasch mit den Behörden der Bundesrepublik Jugoslawien Kontakt aufzunehmen, um die Rückführung von weg- und ausgewiesenen Personen gemäss Rücknahmeabkommen wieder aufzunehmen, selbst wenn nach den politischen und militärischen Auseinandersetzungen der letzten Tage eine solche Kontaktaufnahme nicht einfach sein werde. Es stehe somit noch nicht fest, dass der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers nicht bis zum Ende der längstmöglichen Ausschaffungshaft (23. November 1999) erfolgen könnte. Das Bundesamt übersieht dabei indessen, dass nach der Rechtsprechung der Vollzug der Wegweisung «absehbar» sein muss. Bei der hierfür erforderlichen Prognose ist - ohne besondere Gründe, wie etwa eine vom Betroffenen ausgehende ernsthafte Bedrohung oder erhebliche Gefährdung von Personen im Sinne des Haftgrunds von
Art. 13a lit. e ANAG
(in Verbindung mit
Art. 13b Abs. 1 lit. b ANAG
), welche die Verhältnismässigkeit der Aufrechterhaltung der Haft wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses in einem anderen Licht erscheinen lassen könnten - nicht zum Vornherein auf die maximal mögliche Haftdauer von neun Monaten abzustellen (vgl.
Art. 13b Abs. 2 ANAG
und
BGE 122 II 148
E. 3 S. 153). Die vage Möglichkeit, dass - wie das Bundesamt ausführt - nicht «völlig ausgeschlossen» ist, dass eine Rückschaffung in den Kosovo noch dieses Jahr wieder möglich sein könnte, genügt in Fällen wie dem vorliegenden zu einer Aufrechterhaltung der Haft trotz der aktuellen technischen Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs in den Kosovo nicht. Nach
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
muss das Ausweisungsverfahren
BGE 125 II 217 S. 224
«schwebend» sein, was voraussetzt, dass mit dem Vollzug der Wegweisung, zu deren Sicherstellung die Ausschaffungshaft ausschliesslich dient (vgl.
BGE 122 II 49
E. 5a S. 53; PETER UEBERSAX, Menschenrechtlicher Schutz bei fremdenpolizeilichen Einsperrungen, in: recht 1995 S. 62 f.), ernsthaft zu rechnen ist. Gestützt auf die aktuelle Situation kann dies hinsichtlich des Beschwerdeführers zurzeit nicht mehr angenommen werden, und die Haft erweist sich deshalb als unverhältnismässig.
c) Aufgrund der konkreten Verhältnisse des Einzelfalls und mit Blick auf
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
ist das Bundesgericht -im Gegensatz zur dargestellten Praxis (vgl. E. 3a) - vorliegend verfahrensrechtlich nicht an die Sachverhaltsfeststellungen des Haft-richters und an das Novenverbot gebunden; es kann deshalb den veränderten Umständen in seinem Urteil selber unmittelbar Rechnung tragen:
aa) Die Fremdenpolizei hat nach der Rechtsprechung die Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit der Haft fortlaufend zu prüfen und dabei insbesondere zu berücksichtigen, ob allenfalls einer der in
Art. 13c Abs. 5 ANAG
genannten Haftbeendigungsgründe eingetreten ist. Ihre jeweilige Beurteilung kann im Rahmen der vom Gesetz vorgesehenen, regelmässigen, obligatorischen und fakultativen Haftkontrollverfahren (zumindest) alle zwei Monate richterlich geprüft werden (
BGE 124 II 1
E. 2c S. 5). Der Haftrichter hat seinerseits ein innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen Sperrfristen eingereichtes Entlassungsgesuch an die Hand zu nehmen, wenn sich die Haft aufgrund neuer Umstände augenfällig als rechtswidrig erweist. Es geht - wie das Bundesgericht bereits festgestellt hat - nicht an, dass der inhaftierte Ausländer in solchen Fällen schutzlos bleibt und allenfalls lediglich aufsichtsrechtlich gegen die Fremdenpolizei vorgehen kann (
BGE 124 II 1
E. 3a S. 6; ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Verfahrensfragen und Rechtsschutz, in AJP 7/95 S. 863 f.).
bb) Die Fremdenpolizei des Kantons Bern hat sich geweigert, den Beschwerdeführer aus der Haft zu entlassen; dies solle der Haft- richter beurteilen. Dessen negativer Entscheid vom 29. März 1999 war - wie dargelegt - als solcher zwar nicht bundesrechtswidrig, doch wäre er es heute gestützt auf die inzwischen veränderten Verhältnisse. Der Beschwerdeführer hat am 21. April 1999 ein weiteres Haftentlassungsgesuch eingereicht, das der Haftrichter dem Bundesgericht mit seiner Vernehmlassung am 27. April 1999 übermittelt hat, da es innerhalb der Sperrfrist von
Art. 13c Abs. 4 ANAG
BGE 125 II 217 S. 225
eingereicht worden sei und ihn deshalb nicht betreffe. Auf dieses hätte er nach dem Gesagten aber eintreten und die nötigen Konsequenzen ziehen müssen (
BGE 124 II 1
E. 3a S. 6), weshalb es sich als überspitzt formalistisch erwiese, die vorliegende Beschwerde dennoch ab- und die Sache bzw. das zweite Haftentlassungsgesuch im Sinne der Erwägungen an die an sich zuständigen kantonalen Behörden zurückzuweisen. Im Sinne einer Kompetenzattraktion ist die vorliegende Beschwerde deshalb gutzuheissen und direkt die Haftentlassung des Beschwerdeführers anzuordnen. Den kantonalen Behörden steht es selbstverständlich frei, diesem Kontrollauflagen zu machen und ihn, sobald sich ein Wegweisungsvollzug in die Bundesrepublik Jugoslawien wieder hinreichend konkretisiert, gegebenenfalls erneut in Haft zu nehmen. In der Zwischenzeit wäre mit Blick auf sein bisheriges Verhalten allenfalls eine Ein- oder Ausgrenzung im Sinne von
Art. 13e ANAG
zu prüfen, deren Missachtung eine Gefängnis- oder Haftstrafe nach sich ziehen könnte (
Art. 23a ANAG
; vgl.
BGE 124 IV 280
ff.). | mixed |
4b8180f9-8cf2-4e8e-946b-56b1fae4ef73 | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 129 IV 53 S. 54
A.-
Mit Urteil vom 14. November 2001 sprach das Strafgericht Basel-Landschaft X. des mehrfachen (teilweise geringfügigen und teilweise versuchten) Diebstahls, des mehrfachen (teilweise versuchten) Betruges, der mehrfachen Tätlichkeit, der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der Widerhandlung gegen das Waffengesetz, der mehrfachen (einfachen bzw. groben) Verletzung von Verkehrsregeln, des mehrfachen (teilweise versuchten) Führens eines Motorfahrzeuges trotz Entzugs des Führerausweises und der versuchten Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch schuldig, und es verurteilte den Angeklagten zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten und einer Busse von Fr. 1'000.-. Vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung wurde er freigesprochen.
B.-
Gegen das Strafurteil erklärte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft die Appellation. Diese richtete sich gegen den erfolgten Freispruch von der Anklage der mehrfachen Urkundenfälschung und gegen die Qualifikation des betreffenden Anklagesachverhaltes als mehrfache Tätlichkeit (anstatt einfache Körperverletzung). Mit Urteil vom 9. April 2002 bestätigte das Kantonsgericht Basel-Landschaft (Abteilung Zivil- und Strafrecht) das erstinstanzliche Urteil. Insbesondere sprach es den Angeklagten vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung frei.
C.-
Dagegen gelangte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde vom 13. Juni 2002 an das Bundesgericht. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur zusätzlichen Verurteilung des Angeklagten wegen mehrfacher Urkundenfälschung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Kantonsgericht und X. beantragen je die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die kantonalen Gerichte haben den Angeklagten vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung freigesprochen, indem sie auf unechte Gesetzeskonkurrenz (bzw. Straflosigkeit der Urkundenfälschung neben der Verurteilung wegen Betruges) erkannten. Die Staatsanwaltschaft vertritt den Standpunkt, es bestehe echte Konkurrenz (Realkonkurrenz) zwischen
Art. 146 und
Art. 251 StGB
, und
BGE 129 IV 53 S. 55
der Angeklagte sei daher zusätzlich wegen mehrfacher Urkundenfälschung zu verurteilen und zu bestrafen.
2.1
Laut Anklageschrift hat der Beschwerdegegner im Juli/August 1999 in den Filialen der Fa. Y. in Sissach, Kaiseraugst und Allschwil (durch Kauf und anschliessende Rückgabe von Waren) zunächst die Ausstellung unterschriebener Warenretourscheine erwirkt. Von diesen Gutscheinen fertigte er anschliessend (mit Hilfe von "Tippex") "Blanko"-Kopien an, in die er eigenhändig Warenpreise (bzw. verschiedene Multiplikationszahlen über den Warenpreisen ["x 4", "x 6" bzw. "x 16"]) sowie gefälschte Unterschriften einsetzte. Auf diese Weise hat er vom Verkaufspersonal in 23 Fällen die ungerechtfertigte Auszahlung von Geldbeträgen (insgesamt gut Fr. 5'000.-) erschlichen. In einem weiteren Fall blieb es beim Versuch. Von diesem für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalt geht auch die Vorinstanz aus.
2.2
Nach
Art. 251 Ziff. 1 StGB
macht sich strafbar, wer in der Absicht, jemandem am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen oder sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, eine Urkunde fälscht oder verfälscht. Urkunden sind namentlich Schriften, die bestimmt und geeignet sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen (
Art. 110 Ziff. 5 StGB
). Die vom Angeklagten manipulierten Warenretourscheine hatten Beweiseignung und Beweisbestimmung im Rechtsverkehr (vgl.
BGE 126 IV 65
E. 2a S. 67 f.;
BGE 125 IV 17
E. 2a/aa S. 22 f., 273 E. 3a/aa S. 276 f.;
BGE 123 IV 61
E. 5a S. 63 f., je mit Hinweisen). Sie sollten insbesondere beweisen, dass ihr Inhaber Ware zu einem bestimmten Preis gekauft und die Ware retourniert hatte und dass er zur Rückforderung des Kaufpreises berechtigt war. Indem der Angeklagte die Warenretourscheine kopierte und abänderte (indem er eigenmächtig Preise bzw. Multiplikationszahlen sowie gefälschte Unterschriften einsetzte), fälschte bzw. verfälschte er die betreffenden (ursprünglich echten) Urkunden.
2.3
In den Urteilen der kantonalen Instanzen wird - mit Recht - nicht die Ansicht vertreten, die Tatbestandselemente der Urkundenfälschung seien nicht erfüllt oder es lägen Rechtfertigungs- oder Schuldausschliessungsgründe vor. Vielmehr wird argumentiert, der Betrugstatbestand decke den Unrechtsgehalt der Urkundenfälschung bereits ab, da die Urkundenfälschung lediglich der arglistigen Täuschung zum Zwecke des Betruges gedient habe. Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, "das durch die Urkundenfälschung bzw. durch den Betrug geschädigte Rechtsgut" sei "im Wesentlichen
BGE 129 IV 53 S. 56
dasselbe, nämlich das Vermögen der betroffenen Warenhauskette". Daher wirke die Begründung der Staatsanwaltschaft für die Annahme einer Realkonkurrenz zwischen
Art. 251 und
Art. 146 StGB
nicht überzeugend. Damit wird kein Fehlen der Tatbestandsmässigkeit der Urkundenfälschung begründet, sondern die Annahme so genannter unechter Gesetzeskonkurrenz zwischen Betrug und Urkundenfälschung. Diese führe zur "Konsumtion" der Urkundenfälschung durch den Betrugstatbestand und zum Freispruch vom Vorwurf der Urkundenfälschung als "mitbestrafter Vortat".
Es ist zu prüfen, ob zwischen den Tatbeständen des Betruges und der Urkundenfälschung echte oder unechte Gesetzeskonkurrenz besteht.
3.
Verwendet der Täter für einen Betrug gefälschte Urkunden, besteht nach der Praxis des Bundesgerichtes (und nach herrschender Lehre) zwischen
Art. 251 und
Art. 146 StGB
echte Gesetzeskonkurrenz (in der Form von "Realkonkurrenz",
BGE 122 I 257
E. 6a S. 263;
BGE 105 IV 242
E. 3b S. 247, je mit Hinweisen; s. auch
BGE 120 IV 122
E. 5-6 S. 129 ff.;
BGE 112 IV 19
E. 2f S. 25; vgl. für viele BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. I, Bern 2002, N. 49 zu
Art. 146 StGB
; Bd. II, N. 189 zu
Art. 251 StGB
; OSKAR A. GERMANN, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 9. Aufl., Zürich 1974, S. 387; JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID, Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, 7. Aufl., Zürich 1997, S. 187; JÖRG REHBERG, Strafrecht IV: Delikte gegen die Allgemeinheit, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 133 Ziff. 5; VITAL SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Zürich 1964, Rz. 704; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, 5. Aufl., Bern 1995, § 15 Rz. 67; PHILIPP THORMANN/ALFRED VON OVERBECK, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, Bd. II, Besondere Bestimmungen, Zürich 1941, N. 22 zu
Art. 251 StGB
; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, N. 20 zu
Art. 251 StGB
).
In einem obiter dictum von
BGE 105 IV 242
E. 3b S. 247 wurde erwogen, dass beim blossen Gebrauch einer von einem Dritten gefälschten Urkunde (im Sinne von
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
) die Frage der Konkurrenz zwischen Betrug und Urkundenfälschung nicht gleich klar geregelt erscheine wie bei einer eigenhändigen Fälschung oder Falschbeurkundung durch den Betrüger. Dennoch sei auch bei dieser Tatbestandsvariante von echter Gesetzeskonkurrenz (hier nämlich "Idealkonkurrenz") auszugehen. Das Vorliegen
BGE 129 IV 53 S. 57
echter Konkurrenz wird mit der Unterschiedlichkeit der betroffenen Rechtsgüter begründet.
Art. 146 StGB
schütze das Vermögen,
Art. 251 StGB
hingegen das Vertrauen in die Gültigkeit von Beweisurkunden (
BGE 105 IV 242
E. 3b S. 247 f. mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 123 IV 61
E. 5a S. 63; zur Konkurrenz zwischen Urkundenfälschung und Steuerdelikten s.
BGE 122 IV 25
E. 3 S. 30-32 mit Hinweisen).
Nachfolgend ist zu prüfen, ob sich im Sinne des angefochtenen Urteils eine Änderung der Bundesgerichtspraxis aufdrängt.
3.1
In
BGE 119 IV 154
E. 4a/aa S. 160 f. hat sich das Bundesgericht mit der Lehre von der so genannten "straflosen Vor- bzw. Nachtat" befasst. Stehen mehrere Straftaten so miteinander im Zusammenhang, dass die eine nur als Vorstufe des eigentlichen Angriffs auf das geschützte Rechtsgut oder nur als Ausnützen des durch die andere Straftat Erreichten erscheint, so nehme die herrschende Doktrin unechte Konkurrenz an (mit der Folge, dass bei unterschiedlichen Strafandrohungen jene Tat straflos bzw. "mitbestraft" sein solle, für die das Gesetz die niedrigere Strafe vorsieht). Das Bundesgericht erwog, dass es die Theorie der mitbestraften Vor- bzw. Nachtat weitgehend ablehne. Insbesondere bestehe echte Konkurrenz ("Realkonkurrenz") zwischen dem Einführen und dem In-Umlauf-Setzen von Falschgeld sowie zwischen Warenfälschung und Inverkehrbringen gefälschter Waren. Wer in diesen Fällen beide Delikte verübt, mache "sowohl unter dem Gesichtspunkt des Erfolges als auch unter dem der Schuld mehr als jemand, der nur entweder die Vortat oder die Nachtat begeht". Auf eine Verurteilung wegen beider Taten könne nur dann verzichtet werden, wenn sich "aus dem Gesetz deutlich" ergibt, dass die für die eine Tat ausgefällte Strafe auch die andere abgelten soll (
BGE 119 IV 154
E. 4a/aa S. 161 mit Hinweisen).
Das Bundesgericht stellte sodann fest, dass sowohl Geldfälschung als auch das In-Umlaufsetzen von Falschgeld "sich gegen dasselbe Rechtsgut" richten. Es liess in der Folge die Frage offen, ob "jedenfalls bei objektiv und subjektiv engem Zusammenhang" zwischen der Geldfälschung und dem In-Umlaufsetzen von Falschgeld durch den Fälscher letzteres als "mitbestrafte Nachtat" zu betrachten sei (
BGE 119 IV 154
E. 4a/bb und cc S. 161 f.).
3.2
Art. 146 StGB
(Betrug) ist im Zweiten Titel (Strafbare Handlungen gegen das Vermögen) im Zweiten Buch (Besondere Bestimmungen) des StGB systematisch eingereiht.
Art. 251 StGB
(Urkundenfälschung) umschreibt eines von mehreren Urkundendelikten im
BGE 129 IV 53 S. 58
weiteren Sinne, welche den Elften Titel (Urkundenfälschung) bilden. Die Urkundendelikte sind zwischen den Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Verkehr (Neunter Titel) bzw. der Fälschung von Geld, amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Zehnter Titel) und den Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden (Zwölfter Titel) eingereiht.
Art. 146 StGB
ist ein Erfolgsdelikt, welches das Vermögen schützt. Bei der Urkundenfälschung handelt es sich hingegen um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Geschütztes Rechtsgut von
Art. 251 StGB
ist das besondere Vertrauen, welches im Rechtsverkehr einer Urkunde als Beweismittel entgegengebracht wird bzw. Treu und Glauben im Geschäftsverkehr (
BGE 123 IV 61
E. 5a S. 63;
BGE 122 IV 332
E. 2a S. 335;
BGE 120 IV 122
E. 4c S. 126;
BGE 119 Ia 342
E. 2b S. 346;
BGE 105 IV 242
E. 3b S. 247 f.;
BGE 92 IV 44
E. 2 S. 45, je mit Hinweisen).
3.3
Der Tatbestand des (vollendeten) Betruges verlangt beim Täter die Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern sowie als deliktischen Erfolg den Eintritt eines Vermögensschadens beim Opfer. Bei der Urkundenfälschung handelt es sich hingegen um ein abstraktes Gefährdungsdelikt (
BGE 119 Ia 342
E. 2b S. 346). Neben der objektiven Tathandlung genügt die Absicht des Fälschers, "jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen". Die abstrakte Gefährdung, die mit
Art. 251 StGB
unter Strafe gestellt wird, ist somit nicht auf Vermögensschädigungen (oder auf Schädigungen an anderen Rechtspositionen) beschränkt. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kann der subjektive Tatbestand der Urkundenfälschung sich auf jede Art eines "unrechtmässigen Vorteils" für den Täter oder einen Dritten beziehen. Es genügt dabei grundsätzlich jede Besserstellung. Die Unrechtmässigkeit des Vorteils verlangt weder Schädigungsabsicht noch eine selbstständige Strafbarkeit der Vorteilserlangung (
BGE 121 IV 90
E. 2b S. 92 f.;
BGE 119 IV 234
E. 2c S. 236-238;
BGE 118 IV 254
E. 5 S. 259 f.;
BGE 114 IV 126
E. 2c S. 127 in fine, je mit Hinweisen). Ebenso wenig werden die Art der angestrebten Besserstellung oder die Person (bzw. Institution), welche daraus einen Nachteil erleiden könnte, vom Gesetz näher bestimmt.
Den Gesetzesmaterialien lassen sich keine Hinweise entnehmen, wonach der Gesetzgeber (in Widerspruch zur bisherigen Bundesgerichtspraxis) beabsichtigt hätte, Urkundendelikte, die in betrügerischer Absicht erfolgen, forthin allein der Strafdrohung von
Art. 146 StGB
zu unterstellen. Im Gegenteil wird auch in der Botschaft
BGE 129 IV 53 S. 59
des Bundesrates zur Revision des Vermögens- und Urkundenstrafrechtes bestätigt, dass zwischen Betrug und Urkundenfälschung grundsätzlich echte Konkurrenz bestehe (vgl. BBl 1991 II 969 ff., S. 1018 f.).
3.4
Dass nach der Konzeption des Gesetzgebers der Unrechtsgehalt von
Art. 251 StGB
durch die gleichzeitig erfüllten Vermögensstraftatbestände nicht vollständig abgedeckt wird, manifestiert sich sodann an der Tatsache, dass nur Art. 146 Abs. 3 bzw.
Art. 147 Abs. 3 StGB
als (privilegierende) Antragsdelikte ausgestaltet sind.
Art. 251 StGB
hingegen kennt das Antragsprivileg von Angehörigen und Familiengenossen nicht. Da
Art. 251 StGB
auch das besondere Vertrauen der Öffentlichkeit in die Gültigkeit von privaten und öffentlichen Beweisurkunden (bzw. Treu und Glauben im Rechtsverkehr) schützt, ist die Strafbarkeit nach
Art. 251 StGB
(im Gegensatz zu
Art. 146 Abs. 3 und
Art. 147 Abs. 3 StGB
) der prozessualen Disposition der unmittelbar geschädigten Angehörigen oder Familiengenossen entzogen. Hätte der Gesetzgeber die Urkundenfälschung zum Nachteil von Angehörigen oder Familiengenossen durch Art. 146 Abs. 3 bzw.
Art. 147 Abs. 3 StGB
abschliessend regeln wollen, wäre sie kons equenterweise in
Art. 251 StGB
ebenfalls als Antragsdelikt auszugestalten gewesen. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt, dass neben den direkt (etwa durch ein Vermögensdelikt) betroffenen Angehörigen oder Familiengenossen auch die übrigen Teilnehmer am Rechts- bzw. Geschäftsverkehr durch
Art. 251 StGB
geschützt werden sollen. Diese Dritten brauchen (nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes) nicht Opfer eines Vermögensdeliktes zu sein (vgl.
BGE 121 IV 90
E. 2b S. 92 f.;
BGE 118 IV 254
E. 5 S. 259 f.;
BGE 114 IV 126
E. 2c S. 127 in fine, je mit Hinweisen). Es handelt sich bei der Urkundenfälschung wie erwähnt um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das nicht nur den konkret von einem Vermögensdelikt Betroffenen schützt.
3.5
Zwar wird in einem Teil der Literatur die Frage aufgeworfen, ob das jeweilige Vermögensdelikt (Art. 146 bzw.
Art. 147 StGB
) nicht auch den Unrechtsgehalt der Urkundenfälschung umfasst, sofern diese nach dem Willen des Täters (allein) der Verwirklichung des Vermögensdeliktes diente (vgl. MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Bd.:
Art. 137-172 StGB
, N. 127 zu
Art. 148 StGB
; s. ferner TRECHSEL, a.a.O., N. 20 zu
Art. 251 StGB
, unter Berufung auf BBl 1991 II 995 [nur bezüglich
Art. 147 StGB
]; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 5. Aufl.,
BGE 129 IV 53 S. 60
Bern 2000, § 36 Rz. 58 [für den Fall der Falschbeurkundung bzw. den Gebrauch einer inhaltlich falschen Urkunde]; noch enger REHBERG, Strafrecht IV, S. 131 Ziff. 2.3). Auch für diese Auffassung würde allerdings (sinngemäss) vorausgesetzt, dass eine weitergehende Rechtsgütergefährdung durch die unechte bzw. unwahre Urkunde nicht ersichtlich ist.
Es entspricht gerade dem Wesen der abstrakten Gefährdungsdelikte, dass nicht zum Vornherein ersichtlich ist, in welcher Weise - d.h. bei welchen Personen und in welchem konkreten Sachzusammenhang - die dem Delikt innewohnende Gefahr sich auswirken kann. Die "abstrakte" Gefahr bzw. das Missbrauchsrisiko wird aber dennoch als derart hoch und schwerwiegend eingeschätzt, dass der Gesetzgeber bereits das gefährdende Verhalten als selbstständig strafbar beurteilt. Dass der ordnungsgemässe Gang des Rechtsverkehrs auch faktisch tangiert wäre, ist daher im Falle der Urkundenfälschung nicht erforderlich. Die Absichten des Fälschers können sich dabei auf einen vom Gesetz nicht näher bestimmten "unrechtmässigen Vorteil" zugunsten des Täters oder eines Dritten richten. Dabei genügt grundsätzlich jede Besserstellung (
BGE 121 IV 90
E. 2b S. 92 f.;
BGE 119 IV 234
E. 2c S. 236-238;
BGE 118 IV 254
E. 5 S. 259 f.;
BGE 114 IV 126
E. 2c S. 127 in fine, je mit Hinweisen; s. auch
BGE 115 IV 51
E. 7 S. 58).
Art. 251 StGB
schützt somit eine heterogene Vielzahl von möglicherweise betroffenen Rechtspositionen und Geschäftsverkehrsinteressen, welche im Einzelnen nicht konkretisiert werden müssen und auch regelmässig im Voraus nicht näher konkretisiert werden können (vgl. dazu CORBOZ, a.a.O., Bd. II, N. 179-183 zu
Art. 251 StGB
; STRATENWERTH, Besonderer Teil II, § 36 Rz. 21-24; ADOLF SCHÖNKE/HORST SCHRÖDER/PETER CRAMER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl., München 2001, § 267 N. 1-1a, 87b, 91-92; TRECHSEL, a.a.O., N. 15-16 zu
Art. 251 StGB
).
3.6
Wie dargelegt, hat der Gesetzgeber die Urkundenfälschung deutlich als abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutze des Rechtsverkehrs konzipiert. Käme er dennoch zur Auffassung, das jeweilige Vermögensdelikt umfasse auch den Unrechtsgehalt der Urkundenfälschung vollständig, sofern diese nach dem Willen des Täters (allein) der Verwirklichung des Vermögensdeliktes diente, dann wäre es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Verhältnis zwischen Urkunden- und Vermögensdelikten entsprechend neu und klar zu regeln (vgl. auch
BGE 122 I 253
E. 6a S. 263;
BGE 119 IV 154
E. 4a/aa in fine S. 161, je mit Hinweisen). Im hier zu beurteilenden Fall ist auch darauf hinzuweisen, dass dem Angeklagten nicht bloss der
BGE 129 IV 53 S. 61
täuschende Gebrauch einer unechten oder unwahren Urkunde (
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
) vorgeworfen wird, sondern die eigenhändige Fälschung bzw. Verfälschung von (ursprünglich echten) Urkunden (vgl.
BGE 105 IV 242
E. 3b S. 247 f.). Auch die Autoren REHBERG (Strafrecht IV, S. 131 Ziff. 2.3) und STRATENWERTH (Besonderer Teil II, § 36 Rz. 58) bejahen hier (im Einklang mit der herrschenden Lehre und Praxis) die echte Konkurrenz. Darüber hinaus verlangt
Art. 251 StGB
keine konkrete Vermögensgefährdung oder Vermögensschädigung eines Dritten. Das Anstreben eines (im Gesetz nicht näher bestimmten) "unrechtmässigen Vorteils" genügt.
Im hier zu beurteilenden Fall braucht auch nicht geprüft zu werden, ob sich in Bagatellfällen mit geringem Gefährdungspotential allenfalls eine andere Lösung bzw. eine Praxisänderung aufdrängen könnte. Insbesondere liegt hier kein geringfügiges Vermögensdelikt vor, welches auf Antrag mit Haft oder Busse zu bestrafen wäre (vgl.
Art. 172ter StGB
).
4.
Zusammenfassend ergibt sich, dass das angefochtene Urteil vor dem Bundesrecht nicht standhält. Das Urteil ist aufzuheben, und das Verfahren ist zur zusätzlichen Verurteilung und Bestrafung des Angeklagten wegen mehrfacher Urkundenfälschung (in Realkonkurrenz mit Betrug) an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...) | mixed |
07020edc-18e0-4416-b9bd-98cdc629cbd6 | Erwägungen
ab Seite 54
BGE 130 IV 54 S. 54
Extrait des considérants:
3.
3.3
Le recourant invoque enfin la violation du principe de la célérité consacré par les
art. 29 al. 1 Cst.
, 6 par. 1 CEDH et 14 par. 3 let. c Pacte ONU II (RS 0.103.2).
3.3.1
Le principe de la célérité impose aux autorités, dès le moment où l'accusé est informé des soupçons qui pèsent sur lui, de mener la procédure pénale sans désemparer, afin de ne pas maintenir inutilement l'accusé dans les angoisses qu'elle suscite (
ATF 124 I 139
consid. 2a p. 140). Il s'agit d'une exigence posée à l'égard des autorités pénales, qui se distingue de la circonstance atténuante du
BGE 130 IV 54 S. 55
temps relativement long (art. 64 avant-dernier al. CP), liée à l'approche de la prescription et qui suppose que l'accusé se soit bien comporté dans l'intervalle (WIPRÄCHTIGER, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, 2003, n. 31 ad
art. 64 CP
). Comme les retards dans la procédure pénale ne peuvent être guéris, le Tribunal fédéral a fait découler de la violation du principe de la célérité des conséquences sur le plan de la peine. Le plus souvent, la violation de ce principe conduira ainsi à une réduction de la peine, parfois même à la renonciation à toute peine ou encore à une ordonnance de non-lieu (en tant qu'ultima ratio dans des cas extrêmes;
ATF 117 IV 124
consid. 4d p. 129;
ATF 124 I 139
consid. 2a p. 140/141). La jurisprudence a ainsi créé
praeter legem
des sanctions autonomes de nature matérielle.
3.3.2
Selon la jurisprudence, la question de savoir si le principe de la célérité a été violé, qui relève de la
violation directe
de la Constitution et de la CEDH, doit être invoquée dans un recours de droit public. En revanche, l'accusé qui veut se plaindre de ce que l'autorité cantonale n'a pas tiré les conséquences que le droit fédéral fait découler de la violation du principe de la célérité, en particulier sur le plan de la peine, doit agir par le biais du pourvoi en nullité, car la détermination des conséquences d'une violation du principe de la célérité sur l'interprétation et l'application du droit pénal fédéral relève d'une
violation indirecte
de la Constitution et de la Convention (
ATF 119 IV 107
consid. 1b p. 109;
ATF 124 I 139
consid. 2a p. 141).
Cette jurisprudence ne précise cependant pas si, dans le cadre du pourvoi, la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral peut se prononcer, à titre préjudiciel, sur la violation du principe de la célérité ou si le recourant doit déposer au préalable un recours de droit public pour faire constater cette violation si celle-ci n'a pas déjà été constatée par l'autorité cantonale. Dans l'
ATF 119 IV 107
, le Tribunal fédéral a en effet examiné si la longueur de la procédure devait entraîner des sanctions particulières. Il n'est cependant pas entré en matière sur la question de savoir si l'autorité cantonale avait nié à tort la violation du principe de la célérité, question qui a été laissée ouverte dans un recours de droit public interjeté parallèlement (arrêt du Tribunal fédéral 6P.98/1992 du 19 mars 1993, consid. 3c).
L'accusé peut certes obtenir la constatation simplement déclaratoire de la violation du principe de la célérité qui constitue déjà une
BGE 130 IV 54 S. 56
forme de réparation (
ATF 129 V 411
consid. 1.3 p. 417;
ATF 122 IV 103
consid. I.4 p. 111; arrêt du Tribunal fédéral du 23 octobre 2000, publié in Pra 90/2001 n° 3 p. 12, consid. 4e) ou demander des dommages-intérêts (
ATF 107 Ib 160
), mais, en règle générale, le recourant qui fait grief à l'autorité cantonale d'avoir violé le principe de la célérité entend obtenir une réduction de la peine. Depuis une dizaine d'années, la violation du principe de la célérité est ainsi devenue, de fait, une circonstance atténuante de la peine à part entière. Vu les relations étroites qui existent entre la question de la violation du principe de la célérité et l'application de l'
art. 63 CP
, il apparaît dès lors inutilement compliqué, mais surtout artificiel, d'obliger l'accusé à déposer un recours de droit public pour faire constater la violation du principe de la célérité, puis un pourvoi pour obtenir une réduction de sa peine. Dans un tel cas, il faut admettre que la question de la violation du principe de la célérité puisse être traitée, dans le cadre d'un pourvoi, au titre de question préjudicielle à la question principale sur la fixation de la peine. L'accusé qui entend se plaindre que l'autorité cantonale n'a pas tenu compte de la violation du principe de la célérité lors de la fixation de la peine doit donc agir par la voie du pourvoi en nullité, sans égard au fait que l'autorité cantonale ait expressément admis ou nié la violation du principe de la célérité ou qu'elle ait ignoré la question (arrêt du Tribunal fédéral 6S.309/2001 du 23 août 2001).
Il s'ensuit que le grief du recourant est recevable, même si l'autorité cantonale n'a pas constaté formellement que le principe de la célérité avait été violé.
3.3.3
Le caractère raisonnable de la durée d'une procédure s'apprécie suivant les circonstances de la cause, lesquelles commandent généralement une évaluation globale, en tenant compte notamment de la complexité de l'affaire, du comportement de l'accusé et de celui des autorités compétentes (
ATF 124 I 139
consid. 2c p. 142 et les références citées). Comme on ne peut pas exiger de l'autorité pénale qu'elle s'occupe constamment d'une seule et unique affaire, il est inévitable qu'une procédure comporte quelques temps morts. Lorsqu'aucun d'eux n'est d'une durée vraiment choquante, c'est l'appréciation d'ensemble qui prévaut; des périodes d'activités intenses peuvent donc compenser le fait que le dossier a été laissé momentanément de côté en raison d'autres affaires (
ATF 124 I 139
consid. 2c p. 142). Selon la jurisprudence européenne, apparaissent comme des carences choquantes une inactivité de treize ou
BGE 130 IV 54 S. 57
quatorze mois au stade de l'instruction, un délai de quatre ans pour qu'il soit statué sur un recours contre l'acte d'accusation, un délai de dix ou onze mois pour que le dossier soit transmis à l'autorité de recours (
ATF 124 I 139
consid. 2c p. 144;
ATF 119 IV 107
consid. 1c p. 110). Le principe de la célérité peut être violé, même si les autorités pénales n'ont commis aucune faute; elles ne sauraient ainsi exciper des insuffisances de l'organisation judiciaire.
Le recourant estime que son affaire, qui remonte à 2000, aurait dû globalement être jugée plus rapidement. Il se plaint notamment du fait qu'il a dû attendre le début 2003 pour être présenté aux juges de première instance, alors que les faits le concernant auraient été établis et reconnus déjà deux mois après l'ouverture de l'action pénale à son encontre. Cette critique est infondée. Le dossier est relativement volumineux. L'enquête a été dirigée contre cinq accusés, qui ont commis des infractions variées (brigandage, incendie, escroquerie, faux dans les titres, etc.) et dont les rôles sont étroitement liés. Au vu de ces circonstances, une durée de trois ans entre l'ouverture de l'instruction et le jugement de première instance, puis d'une année entre le jugement de première instance et le jugement sur appel ne prête pas le flanc à la critique. Infondé, le grief du recourant doit donc être rejeté. | mixed |
1246fc32-ae42-4654-918b-17b686101c91 | ; Geldwäscherei, irrige Vorstellung über den Sachverhalt, Rechtsirrtum.
Wer fälschlicherweise der Überzeugung ist, aus dem Drogenhandel stammende Vermögenswerte seien wegen Zeitablaufs nicht mehr einziehbar, handelt in einem Sachverhaltsirrtum (E. 3).
Sachverhalt
ab Seite 238
BGE 129 IV 238 S. 238
A.-
X. war ab September 1976 bei der früheren Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) in Zürich als Kundenbetreuer im Anlagegeschäft für Spanien und Lateinamerika tätig. In dieser Funktion eröffnete er im Oktober 1978 eine Kundenverbindung mit dem Ehepaar A.-B., das im Drogenhandel tätig war. In der Folge wurden grosse Geldbeträge, die aus dem Drogenhandel stammten, auf die Konten des Ehepaars bei der SBG überwiesen. Ab dem 23. November 1984 war darüber nur noch B. verfügungsberechtigt. Von diesen Konten disponierte X. vom 1. August 1990 bis im Juli 1993 insgesamt rund 7 Mio. Franken ab und entzog sie dadurch dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden. Für diese Transaktionen erhielt er - neben seinem Salär und Provisionen bei der SBG - persönliche Zuwendungen in beträchtlichem Umfang, die ebenfalls aus dem Drogenhandel stammten.
BGE 129 IV 238 S. 239
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich klagte X. gestützt auf diesen Sachverhalt der gewerbsmässigen Geldwäscherei an. Das Bezirksgericht Zürich sprach ihn am 4. März 1997 von diesem Vorwurf frei, verpflichtete ihn jedoch, dem Kanton Zürich gestützt auf
Art. 59 Ziff. 2 StGB
den Betrag von Fr. 1'602'396.- für nicht mehr vorhandenen, unrechtmässigen Vermögensvorteil zu bezahlen. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 14. Juni 1999 den Freispruch von X. und sah ausserdem - in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils - von der Festsetzung einer Ersatzforderung für nicht mehr vorhandenen, unrechtmässigen Vermögensvorteil ab. Das von der Staatsanwaltschaft angerufene Bundesgericht hob am 29. November 2000 dieses Urteil auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück (
BGE 126 IV 255
ff.). Das Obergericht beurteilte die Sache am 3. April 2002 ein zweites Mal. Dabei trat es auf die Anklage, soweit sie Handlungen nach 1992 umfasst, infolge Eintritts der Verjährung nicht ein. Im Übrigen sprach es X. erneut von der Anklage der gewerbsmässigen Geldwäscherei frei, bestätigte indessen im Unterschied zu seinem ersten Urteil die vom Bezirksgericht festgesetzte Ersatzforderung.
B.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt wiederum eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie beantragt, das neue Urteil des Obergerichts sei wegen Verletzung von
Art. 19 StGB
aufzuheben, und die Sache sei zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ab. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz spricht den Beschwerdegegner von der Anklage der gewerbsmässigen Geldwäscherei im Sinne von
Art. 305bis Ziff. 2 lit. c StGB
frei. Sie nimmt an, er habe in einem Sachverhaltsirrtum gemäss
Art. 19 Abs. 1 StGB
gehandelt. Die Beschwerdeführerin hält diese Auffassung für bundesrechtswidrig. Nach ihrer Ansicht befand sich der Beschwerdegegner bei Vornahme der fraglichen Geldtransaktionen nicht in einem Sachverhalts-, sondern allenfalls in einem Rechtsirrtum. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet damit einzig die Frage, ob die Vorinstanz die festgestellte Fehlvorstellung des Beschwerdegegners zu Recht als Sachverhaltsirrtum qualifiziert.
BGE 129 IV 238 S. 240
2.
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wusste der Beschwerdegegner, dass die Konten, von denen er die fraglichen Abdispositionen vornahm, mit Erlös aus Drogenhandel im grossen Stil gespiesen worden waren. Er machte sich auch Gedanken zur Problematik der Geldwäscherei. In der Kundengeschichte zu einem der betroffenen Konten hielt er unter den Daten des 9. und 12. Juli 1993 unter anderem fest:
[Die Kundin] "ist sehr besorgt wegen Zeitungsmeldung in Kolumbien, dass Konti in der Schweiz blockiert werden. Transferiert $ 100 Mio. auf neues Konto einer Schwägerin, obwohl ihr grundsätzlich nichts passieren sollte (Konto erhielt seit über 10 Jahren kein Geld mehr, also keine Geldwäscherei gem. OBJ). Kundin insistiert trotzdem auf Operation."
Die Vorinstanz stellt gestützt auf diesen Vermerk fest, dass der Beschwerdegegner am 9. Juli 1993 davon ausging, mit den Vermögenswerten auf dem betreffenden Kundenkonto keine Geldwäscherei mehr begehen zu können, weil das Konto seit über zehn Jahren keinen Geldzufluss mehr erhalten hatte. Ebenso fehlte nach den vorinstanzlichen Feststellungen dem Beschwerdegegner hinsichtlich der Transaktionen, die vor dem 9. Juli 1993 stattfanden und Gegenstand der Anklage bilden, das Bewusstsein, mit den fraglichen Vermögenswerten eine Geldwäscherei begehen zu können.
Der Irrtum des Beschwerdegegners bezieht sich somit auf die Einziehbarkeit der Drogengelder, die im Tatzeitraum auf den Konten der SBG lagen und von ihm betreut wurden. Er nahm zu Unrecht an, diese Vermögenswerte könnten wegen des Zeitablaufs von über zehn Jahren seit der Überweisung vom Staat nicht mehr eingezogen werden.
3.
Die Qualifikation der dargestellten Fehlvorstellung als Sachverhalts- oder allenfalls als Rechtsirrtum richtet sich nach Art. 19 Abs. 1 bzw. nach
Art. 20 StGB
.
3.1
Einem Sachverhaltsirrtum (Tatbestandsirrtum) unterliegt, wer von einem Merkmal eines Straftatbestands keine oder eine falsche Vorstellung hat. In diesem Fall fehlt dem Irrenden der Vorsatz zur Erfüllung der fraglichen Strafnorm. Bei einer solchen Konstellation ist der Täter zu seinen Gunsten nach seiner irrigen Vorstellung zu beurteilen (
Art. 19 Abs. 1 StGB
). In Betracht kommt allenfalls die Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung, wenn der Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht hätte vermieden werden können und die fahrlässige Verübung der Tat mit Strafe bedroht ist (
Art. 19 Abs. 2 StGB
). Diese Regeln bringen im Wesentlichen nur zum
BGE 129 IV 238 S. 241
Ausdruck, was sich bereits aus der Konzeption des Vorsatzes gemäss
Art. 18 Abs. 2 StGB
und der allgemeinen Ordnung der Fahrlässigkeit in
Art. 18 Abs. 3 StGB
ergibt (vgl. GUIDO JENNY, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Basel 2003,
Art. 19 StGB
N. 8).
Im Unterschied zum Sachverhaltsirrtum betrifft der Rechtsirrtum (Verbotsirrtum) die Konstellation, bei welcher der Täter in Kenntnis aller Tatumstände und somit vorsätzlich handelt, aber sein Tun versehentlich für erlaubt hält. Der Irrtum bezieht sich in diesem Fall auf die Rechtswidrigkeit der konkreten Tat. Hat der Täter aus zureichenden Gründen angenommen, er sei zur Tat berechtigt, so kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von einer Bestrafung Umgang nehmen (
Art. 20 StGB
; zur Vermeidbarkeit des Irrtums vgl.
BGE 129 IV 6
E. 4 S. 18;
BGE 128 IV 201
E. 2 S. 210;
BGE 120 IV 208
E. 5b S. 215, je mit Hinweisen). Diese Regelung ist strenger als jene des Sachverhaltsirrtums. Sie beruht auf dem Gedanken, dass sich der Rechtsunterworfene um die Kenntnis der Gesetze zu bemühen hat und deren Unkenntnis nur in besonderen Fällen vor Strafe schützt (vgl. JENNY, a.a.O.,
Art. 20 StGB
N. 5; zum dogmengeschichtlichen Hintergrund GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Aufl., Bern 1996, § 11 N. 44 ff.; CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allg. Teil, 3. Aufl., München 1997, § 21 N. 5 ff.).
3.2
Nach der dargestellten Konzeption hängt die Abgrenzung zwischen Sachverhalts- und Rechtsirrtum nicht davon ab, ob die unzutreffende Vorstellung eine Rechtsfrage oder ausserrechtliche Tatsachen betrifft. Vielmehr gilt nach unangefochtener Lehre und Rechtsprechung nicht nur der Irrtum über beschreibende (deskriptive) Merkmale, sondern auch die falsche Vorstellung über Tatbestandsmerkmale rechtlicher (normativer) Natur als Sachverhalts- und nicht als Rechtsirrtum. Auch wer beispielsweise infolge fehlerhafter Rechtsvorstellungen verkennt, dass die von ihm unter Eigentumsvorbehalt erworbene Sache eine "fremde" bleibt, kann den Vorsatz der Veruntreuung (
Art. 138 StGB
) nicht haben, irrt also über den "Sachverhalt" im Sinne von
Art. 19 StGB
(
BGE 117 IV 270
E. 2a S. 272;
BGE 109 IV 65
E. 3 S. 67;
BGE 82 IV 198
E. 2 S. 202; JENNY, a.a.O.,
Art. 19 StGB
N. 11; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 75). Es kann deshalb nicht allein aus dem Umstand, dass der Beschwerdegegner von einer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung - hinsichtlich der Einziehbarkeit der von ihm verwalteten Vermögenswerte bei der SBG - ausging, auf das Vorliegen eines Rechtsirrtums geschlossen werden.
BGE 129 IV 238 S. 242
3.2.1
In seinem letzten publizierten Entscheid zur Abgrenzung zwischen den beiden Irrtumsformen erwog das Bundesgericht,
Art. 20 StGB
regle ausschliesslich den Rechtsirrtum, nicht aber den Irrtum über Tatbestandsmerkmale rechtlicher Natur, "welche in einem andern Rechtsgebiet (ausserhalb des Strafrechts) umschrieben werden" (
BGE 109 IV 65
E. 3 S. 67). Diese Formulierung, die unzutreffende Vorstellungen über strafrechtlich geprägte Tatbestandsmerkmale vom Sachverhaltsirrtum auszunehmen scheint, erinnert an die überkommene Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts. Diese unterschied zunächst zwischen Tat- und Rechtsirrtum und unterteilte den letzteren weiter in einen ausserstrafrechtlichen und einen strafrechtlichen Irrtum. Den ausserstrafrechtlichen Irrtum stellte es dem Tatirrtum gleich, den strafrechtlichen behandelte es als einen unbeachtlichen Subsumtionsirrtum (vgl. die Zusammenfassung in BGHSt 2 194, 197 f.; ferner ROXIN, a.a.O., § 12 N. 107). Diese Auffassung gründete auf der Vorstellung, dass das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit keine Voraussetzung der Strafbarkeit darstelle ("error iuris nocet"), es also keinen Rechtsirrtum im Sinne des
Art. 20 StGB
gebe (JENNY, a.a.O.,
Art. 20 StGB
N. 5; STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 45). Im Unterschied zu dieser Konzeption geht das schweizerische Strafgesetzbuch davon aus, dass für die Strafbarkeit einer Tat auch das Bewusstsein von deren Rechtswidrigkeit erforderlich ist. Dabei folgt die gesetzliche Regelung von
Art. 20 StGB
der Schuldtheorie, welche solches Bewusstsein als ein vom Vorsatz getrenntes selbständiges Schuldelement begreift (
BGE 115 IV 219
E. 4;
BGE 99 IV 57
E. 1a mit weiteren Nachweisen; vgl. schon
BGE 70 IV 97
E. 4 S. 98; STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 46 und 59; für das deutsche Recht BGHSt 2 194, 199 ff.; ROXIN, a.a.O., § 21 N. 5 ff.). Angesichts der heutigen gesetzlichen Normierung des Rechtsirrtums besteht kein Anlass, den Sachverhaltsirrtum in Anknüpfung an die frühere reichsgerichtliche Praxis auf ausserstrafrechtliche Tatbestandsmerkmale einzuschränken. Vielmehr handelt auch derjenige, der von einem strafrechtlichen Tatbestandsmerkmal eine unzutreffende Vorstellung hat, in einem Sachverhaltsirrtum und damit ohne Vorsatz. In Präzisierung des eingangs zitierten Entscheids ist daher festzuhalten, dass Irrtümer über sämtliche normativen Tatbestandselemente unter
Art. 19 StGB
fallen, unabhängig vom Rechtsgebiet, das sie beschlagen (vgl. statt vieler REHBERG/DONATSCH, Strafrecht I, 7. Aufl., Zürich 2001, S. 97; teilweise abweichend nur MARTIN KILLIAS, Précis de droit pénal général, 2. Aufl., Bern 2001, N. 315 ff.). Im Lichte dieser präzisierten Praxis scheidet im vorliegenden Fall
BGE 129 IV 238 S. 243
die Anwendung von
Art. 19 StGB
nicht bereits deshalb aus, weil der Beschwerdeführer sich über eine strafrechtliche Frage täuschte, nämlich die Einziehbarkeit der aus dem Drogenhandel stammenden Vermögenswerte gestützt auf
Art. 59 Ziff. 1 StGB
.
3.2.2
Unzutreffende Vorstellungen über rechtlich geprägte Tatbestandsmerkmale führen indes nicht in jedem Fall zum Ausschluss des Vorsatzes. Das für den Vorsatz notwendige Wissen (vgl.
Art. 18 Abs. 2 StGB
) verlangt, soweit es sich auf Tatbestandsmerkmale bezieht, deren Verständnis eine Wertung voraussetzt, nicht die juristisch exakte Erfassung des gesetzlichen Begriffs. Vielmehr genügt es, wenn der Täter den Tatbestand so verstanden hat, wie es der landläufigen Anschauung eines Laien entspricht (sog. Parallelwertung in der Laiensphäre). Er muss also die Tatbestandsmerkmale nicht in ihrem genauen rechtlichen Gehalt erfassen, sondern lediglich eine zutreffende Vorstellung von der sozialen Bedeutung seines Handelns haben. Die dem Merkmal innewohnende rechtliche Wertung muss bloss in dem Umfang vollzogen werden, als es für einen Nichtjuristen möglich ist. Mehr verlangen hiesse die Begehung vorsätzlicher Delikte Juristen und solchen Laien vorbehalten, die mehr oder weniger zufällige juristische Kenntnisse besitzen (
BGE 99 IV 57
E. 1a S. 59; vgl. auch JENNY, a.a.O.,
Art. 18 StGB
N. 23; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 69). Eine solche "Parallelwertung" kommt deshalb der für den Vorsatz erforderlichen Kenntnis gleich, weil Gegenstand des Vorsatzes nicht die rechtlichen Begriffe oder die Rechtswidrigkeit der Handlung, sondern die Tatumstände, d.h. die äusseren Gegebenheiten mitsamt ihrer sozialen Bedeutung, sind (ROXIN, a.a.O., § 12 N. 90). Versteht der Täter in laienhafter Anschauung den sozialen Gehalt des von ihm verwirklichten Sachverhalts - erkennt er z.B. den pornografischen Charakter einer Schrift -, handelt er mit Vorsatz, auch wenn er über die genaue rechtliche Qualifikation irrt, also z.B. meint, die von ihm vertriebene Schrift falle nicht unter den Straftatbestand der Pornografie gemäss
Art. 197 StGB
(
BGE 99 IV 57
E. 1b S. 59 f.;
BGE 112 IV 132
E. 4b S. 137 f.). In einem solchen Fall liegt ein unbeachtlicher Subsumtionsirrtum vor. Soweit der Täter dabei aufgrund einer falschen rechtlichen Ansicht - also z.B. aufgrund eines unzutreffenden rechtlichen Pornografiebegriffs - davon ausgeht, sein Handeln sei nicht rechtswidrig, kann daraus ein Verbotsirrtum im Sinne von
Art. 20 StGB
folgen (JENNY, a.a.O.,
Art. 18 StGB
N. 23 in fine; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 70).
BGE 129 IV 238 S. 244
3.3
Der Beschwerdegegner ging auf Grund unzureichender Rechtskenntnisse davon aus, dass die aus dem Drogenhandel des Ehepaars A.-B. herrührenden Vermögenswerte nach mehr als zehn Jahren vom Staat nicht mehr einziehbar seien und deshalb damit keine Geldwäscherei mehr begangen werden könne. Die Einziehbarkeit stellt, wie die Vorinstanzen zu Recht annehmen, ein normatives Tatbestandselement der Strafnorm der Geldwäscherei (
Art. 305bis StGB
) dar. Aus der Konzeption dieses Tatbestandes als Vereitelung der Einziehung folgt, dass Geldwäscherei nur an Vermögenswerten begangen werden kann, die einziehbar sind. Denn die Einziehung eines Vermögenswerts kann nicht vereitelt werden, wenn ein entsprechender Anspruch nicht mehr besteht (
BGE 126 IV 255
E. 3 b/bb).
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat freilich in einem früheren Entscheid unter Hinweis auf die Botschaft und die parlamentarischen Beratungen angenommen, den drei Tathandlungen der Vereitelung der Ermittlung der Herkunft, der Auffindung und der Einziehung von als Verbrechen herrührenden Vermögenswerten komme gleichrangige Bedeutung zu (
BGE 119 IV 59
E. 2a; vgl. auch
BGE 124 IV 274
E. 2). Dies hätte zur Folge, dass Geldwäscherei nicht allein mit Vermögenswerten begangen werden könnte, die einziehbar sind. In späteren Entscheiden hat das Bundesgericht indessen den Gesichtspunkt der Vereitelung der Einziehung in den Vordergrund gestellt, die es nunmehr als pars pro toto, die auch die Ermittlungs- und Auffindungsvereitelung mit einschliesst (
BGE 119 IV 242
E. 1a;
BGE 122 IV 211
E. 2;
BGE 126 IV 255
E. 3b/bb S. 262). Daran ist festzuhalten. Auch in der Literatur wird zu Recht hervorgehoben, dass nicht einzusehen sei, warum als Gegenstand von Geldwäschereihandlungen auch nicht (mehr) einziehbare Vermögenswerte in Betracht fallen sollten (MARK PIETH, Basler Kommentar,
Art. 305bis StGB
N. 29; vgl. auch URSULA CASSANI, Commentaire du droit pénal suisse, partie spéciale, Bd. 9,
Art. 305bis StGB
N. 28 ff.; JÜRG-BEAT ACKERMANN, Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Bd. I, Zürich 1998,
Art. 305bis StGB
N. 242; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil II, 5. Aufl., Bern 2000, § 55 N. 30; a.M. BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. II, Bern 2002,
art. 305bis StGB
N. 28 ff.).
3.4
Es bleibt zu prüfen, ob es sich bei der fraglichen rechtlichen Fehlbeurteilung des Beschwerdegegners um einen - allenfalls den Regeln des Rechtsirrtums unterstehenden - Subsumtionsirrtum oder um einen Sachverhaltsirrtum handelt. Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass der Beschwerdegegner den Tatbestand der
BGE 129 IV 238 S. 245
Geldwäscherei zum fraglichen Zeitpunkt kannte. Wie der zitierte Eintrag in der Kundengeschichte zeigt, machte er sich sogar im Zusammenhang mit den fraglichen finanziellen Transaktionen Gedanken zur Geldwäscherei. Bei dieser Sachlage liegt der Schluss nahe, dass sich der Beschwerdegegner zumindest in laienhafter Wertung bewusst gewesen sein könnte, die vorgenommenen Transaktionen stellten Geldwäschereihandlungen dar, was für das Vorliegen eines blossen Subsumtionsirrtums spräche. Die Vorinstanz hat dieses für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens entscheidende Bewusstsein des Beschwerdegegners indessen gerade nicht festgestellt. Nach ihren für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) war dieser vielmehr der festen Überzeugung, dass deliktisch erworbene Gelder, die vor mehr als zehn Jahren auf ein Bankkonto überwiesen wurden, von vornherein nicht mehr konfiszierbar seien und deshalb an diesen keine Geldwäscherei mehr begangen werden könne. Das bedeutet aber, dass der Beschwerdegegner die fraglichen Transaktionen auch nach Laienart nicht als Geldwäscherei erkannte. Er handelte somit im Irrtum über einen Tatumstand und mithin ohne Vorsatz.
Es liegt damit die gleiche Konstellation vor wie in einem Fall, den das Bundesgericht schon vor einiger Zeit beurteilte. Mehrere Personen stellten in der Schweiz saudiarabische Goldmünzen her und wurden deshalb der Geldfälschung (
Art. 240 StGB
) und des In-Umlauf-Setzens falschen Geldes (
Art. 242 StGB
) angeklagt. Sie gingen zu Unrecht davon aus, die hergestellten Münzen stellten in Saudiarabien kein allgemeines Zahlungsmittel mit einem gesetzlichen Kurswert - also kein Geld im Sinne der erwähnten Strafbestimmungen - dar. Da sie in gutem Glauben von dieser unzutreffenden Annahme ausgingen, nahm das Bundesgericht an, sie hätten in einem Sachverhaltsirrtum gehandelt. Es fügte bei, den Tätern müsse zwar vorgeworfen werden, sich nicht genügend über die gesetzliche Ordnung Saudiarabiens erkundigt zu haben. Doch ändere dies nichts am Vorliegen eines Sachverhaltsirrtums. Denn nach
Art. 19 Abs. 1 StGB
sei allein massgebend, was sich die Täter vorgestellt haben, und nicht, was sie sich hätten vorstellen sollen (
BGE 82 IV 198
E. 2 und 3). Im vorliegenden Fall verhält es sich gleich. Der Beschwerdegegner hätte sich über die Einziehbarkeit der von ihm abdisponierten Vermögenswerte genauer informieren müssen. Diese Unterlassung ändert aber nichts an seiner unzutreffenden Vorstellung und damit am Fehlen des Vorsatzes. Der Beschwerdegegner könnte deswegen strafrechtlich nur belangt werden, wenn auch die fahrlässige Geldwäscherei strafbar wäre. Dies ist indessen nicht der Fall. | mixed |
53967bf8-8f39-43ba-b4fe-4789c18998f1 | Sachverhalt
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BGE 128 IV 53 S. 54
A.-
En automne 1997, un débat public s'est engagé sur la modification des dispositions pénales sur l'avortement. X., vice-présidente de la commune de Sion, a pris publiquement position pour la "solution des délais" résultant d'un avant-projet de la Commission des affaires juridiques du Conseil national (CAJ). Y. et Z., députées au Grand Conseil valaisan, se sont prononcées publiquement en faveur du modèle dit "Riklin". Ce modèle se distingue de l'avant-projet en ce que le délai durant lequel l'interruption de grossesse n'est pas punissable est ramené à douze semaines (au lieu de 14 comme le propose la CAJ) et qu'une consultation auprès d'un centre reconnu est obligatoire.
Le parti démocrate-chrétien (PDC) suisse a adopté fin août 1997 le modèle Riklin, ce qui a suscité de vives réactions au sein de la section valaisanne de ce parti. Le groupe de travail Pro-Vie du PDC valaisan considère que le modèle Riklin revient à légaliser l'avortement durant 12 semaines et a préconisé le maintien des dispositions légales actuelles en la matière. A. défend la position du groupe Pro-Vie. La question devait être débattue à fin novembre 1997 par l'assemblée du parti cantonal.
BGE 128 IV 53 S. 55
Vers la mi-octobre 1997, A. a décidé de "faire bouger" le PDC sur sa position ambiguë au sujet de la solution des délais et de relancer, au moyen d'une campagne d'affichage, le débat en vue de la réunion de fin novembre. Sa stratégie consistait à cibler une attaque contre des femmes politiques, ces dernières étant, à ses dires, mises sur le devant de la scène politique par les partis pour faire accepter l'idée de l'avortement.
A. a demandé à B. de le documenter sur ce thème. Le second siège, sous la présidence du premier, au sein du comité de W., une association engagée dans la lutte contre la pornographie, l'occultisme et la drogue, où il est responsable du domaine de l'avortement. Il a fourni à A. la brochure "Ma chance d'exister et de vivre le don merveilleux de la vie" (ci-après: "La Vie"), éditée en 1985 par l'association française SOS futures mères, ainsi que, à sa demande, des coupures de journaux où figurent les photographies de X., de Y. et de Z.
A. a ensuite choisi les photographies et les textes, dont la traduction en allemand a été assurée par L. Il a remis le brouillon de l'affiche à C., caissier et responsable du Bulletin de W., qui a réalisé, au moyen de l'ordinateur et du scanner dont il disposait à domicile, la maquette de ce document, dont il connaissait la destination. A la demande de A., il a, en cours de composition, modifié le texte de l'affiche. Il était absent durant les trois semaines qui suivirent.
L'impression des affiches format 43 x 30 cm a été confiée par A. à M., éditeur, qui en a sous-traité l'exécution à son fils N., imprimeur. Deux milles affiches, dont huit cents en allemand, furent livrées à A. le 6 novembre 1997 pour le prix de 1'900 francs. Le haut de ces affiches en couleur était occupé par le texte "Elles veulent une culture de la mort en Suisse!"; en dessous figurait le terme "avortement". Au-dessus de la photographie centrale d'un foetus ensanglanté et dont l'âge de gestation est d'environ 20 semaines était écrit "Femmes du PDC ou du PS: même combat", puis sous l'image "L'empoisonner, le découper à la curette ou le laisser mourir dans une poubelle?". Enfin, une photographie, le nom et l'appartenance politique de Z., Y. et X. étaient suivis de la phrase "Chaque civilisation a l'ordure qu'elle mérite" en dessous de laquelle figurait le nom de P. Les affiches ne fournissaient aucune indication sur leur
BGE 128 IV 53 S. 56
auteur et n'indiquaient pas non plus qui en était l'éditeur ou l'imprimeur.
Une fois en possession des affiches, A. a pris contact avec une vingtaine de personnes pour en assurer la pose. B., D., E., F., G., H., I., J. et K. ont donné suite à cette demande et se sont retrouvés le dimanche 9 novembre 1997, vers 21 h 30, à Riddes. Tous membres ou sympathisants de W., ils ont déclaré vouloir contribuer par leur action à la lutte contre l'avortement. A. a réparti les régions du canton entre les personnes présentes, auxquelles il a distribué les affiches. C'est à ce moment qu'elles ont pris connaissance des affiches et de leur contenu.
Munies de colle d'amidon et d'environ 200 affiches, elles se sont rendues, seules ou en groupe, dans les régions qui leur avaient été attribuées: B. placarda la région de Monthey, J. et D. celle de l'Entremont, de Martigny et de St-Maurice, K. et H. la région entre Martigny et Sion, les Mayens de Riddes et Conthey, G. placarda les vallées latérales et villages entre Sion et Sierre, O. et F. la région de Sierre et du Val d'Anniviers, I. les vallées de Loèche et de Tourtemagne, E. la région de Brigue et Naters et leurs vallées latérales, A. la vallée de Conches. Ils placardèrent les affiches sur des supports leur paraissant intéressants, notamment les panneaux de la Société générale d'affichage (SGA) ou des abribus appartenant à cette société.
Le 10 novembre, vers 3 heures, l'opération était terminée. Conformément aux instructions de A., l'affichage s'est effectué de manière anonyme, chacun évitant de se faire surprendre et restant discret après l'opération. Interrogé le 11 novembre par un journaliste, A. a joué la surprise, déclarant ne pas avoir connaissance de cette affaire. Le 10 novembre, la plupart des affiches ont été enlevées par la gendarmerie.
B.-
X., Y. et Z. ont déposé plainte pour diffamation et calomnie. Elles se sont constituées parties civiles, concluant chacune au versement d'une indemnité pour tort moral de 3'000 francs. Différents propriétaires d'immeubles et d'installations sur lesquels les affiches avaient été apposées ont déposé plainte pour dommages à la propriété.
BGE 128 IV 53 S. 57
La procédure pénale ouverte fut dirigée contre A., B., C., D., E., F., G., H., I., O., J., K., N., M. et L.
C.-
Le 27 septembre 2000, le juge I du district de Sion a acquitté M. et N. ainsi que L.; il a reconnu A. coupable d'injure et de dommages à la propriété, C. de complicité d'injure et les autres accusés ainsi que O. de complicité d'injure et de dommages à la propriété. Il a prononcé des peines d'amende allant de 200 à 800 francs et condamné solidairement les accusés et O. à verser à la SGA un montant de 7'209.10 francs et à chacune des intimées une indemnité de 500 francs.
D.-
Sur appel des plaignantes et appel joint des accusés, la Cour d'appel pénale II du Tribunal cantonal valaisan a, le 17 septembre 2001, condamné A. pour diffamation et dommages à la propriété à 10 jours d'emprisonnement avec sursis pendant trois ans et à une amende de 2'000 francs. C. fut condamné pour complicité de diffamation à une amende de 1'000 francs. Les autres accusés furent condamnés pour complicité de diffamation et dommages à la propriété à une amende de 1'000 francs chacun. La Cour d'appel a par ailleurs maintenu la condamnation au versement d'une indemnité en faveur de la SGA et porté l'indemnité à verser à chacune des intimées à 4'000 francs. Elle a fixé le délai d'épreuve des amendes à une année et prononcé la confiscation des plaques d'aluminium séquestrées à l'imprimerie S..
E.-
Les condamnés se pourvoient en nullité contre ce jugement, concluant à son annulation et au renvoi de la cause au Tribunal cantonal pour nouvelle décision. Invitées à se déterminer sur le pourvoi, les intimées ont conclu à son rejet. Le Tribunal cantonal n'a pas formulé d'observations.
Le Tribunal fédéral a partiellement admis le pourvoi en nullité sur l'action pénale et a rejeté, dans la mesure où il était recevable, le pourvoi en nullité sur l'action civile. Erwägungen
Considérants:
I.
Pourvoi en nullité sur l'action pénale
A.
Pourvoi en nullité de A. (ci-après: recourant 1)
1.
a) L'
art. 173 ch. 1 CP
réprime le comportement de celui qui, en s'adressant à un tiers, aura accusé une personne ou jeté sur elle
BGE 128 IV 53 S. 58
le soupçon de tenir une conduite contraire à l'honneur, ou de tout autre fait propre à porter atteinte à sa considération, ou aura propagé une telle accusation ou un tel soupçon.
Cette disposition protège la réputation d'être une personne honorable, c'est-à-dire de se comporter comme une personne digne a coutume de le faire selon les conceptions généralement reçues. L'honneur protégé par le droit pénal est conçu de façon générale comme un droit au respect qui est lésé par toute assertion propre à exposer la personne visée au mépris en sa qualité d'homme.
Dans la discussion politique, l'atteinte à l'honneur punissable n'est admise qu'avec retenue (
ATF 118 IV 248
consid. 2b p. 251) et, en cas de doute, doit être niée (
ATF 116 IV 146
consid. 3c p. 150). La liberté d'expression indispensable à la démocratie implique que les acteurs de la lutte politique acceptent de s'exposer à une critique publique, parfois même violente, de leurs opinions (BERNARD CORBOZ, Les principales infractions, Berne 1997, n. 10 ad
art. 173 CP
). Il ne suffit pas d'abaisser une personne dans la bonne opinion qu'elle a d'elle-même ou dans les qualités politiques qu'elle croit avoir. Echappent ainsi à la répression les assertions qui, sans faire apparaître la personne comme méprisable, sont seulement propres à ternir la réputation dont elle jouit comme politicien ou à ébranler la confiance qu'elle a en elle-même par une critique la visant en tant que politicien (
ATF 119 IV 44
consid. 2a p. 47 et les arrêts cités). La critique ou l'attaque porte toutefois atteinte à l'honneur protégé par le droit pénal si, sur le fond ou dans la forme, elle ne se limite pas à rabaisser les qualités de l'homme politique et la valeur de son action, mais est également propre à l'exposer au mépris en tant qu'être humain (
ATF 105 IV 194
consid. 2a p. 196; BERNARD CORBOZ, loc. cit.).
Pour apprécier si une déclaration est attentatoire à l'honneur, il faut se fonder non pas sur le sens que lui donne la personne visée, mais sur une interprétation objective selon le sens qu'un destinataire non prévenu doit, dans les circonstances d'espèce, lui attribuer (
ATF 121 IV 76
consid. 2a/bb p. 82;
ATF 119 IV 44
consid. 2a p. 47;
ATF 118 IV 248
consid. 2b p. 251;
ATF 117 IV 27
consid. 2c p. 29 s.). S'agissant d'un texte, il doit être analysé non seulement en fonction des expressions utilisées, prises séparément, mais aussi selon le sens général qui se dégage du texte dans son ensemble (
ATF 117 IV 27
consid. 2c p. 30;
ATF 115 IV 42
consid. 1c p. 44; MARTIN SCHUBARTH, Grundfragen des Medienstrafrechtes im Lichte der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in RPS 113/1995, p. 155). Les propos que tiennent des adversaires politiques dans le cadre d'un débat engagé ne doivent
BGE 128 IV 53 S. 59
cependant pas toujours être pris au pied de la lettre, car ils dépassent souvent la pensée de leurs auteurs. Par ailleurs, le public concerné par le débat ne tire guère des tracts qu'il lit ou des discours qu'il entend de réels motifs de suspicion à l'endroit des personnes visées, à moins que ceux-ci soient énoncés avec clarté et fondés sur des accusations précises (
ATF 105 IV 194
consid. 2a p. 196).
b) La décision attaquée retient que les termes de l'affiche ne se bornaient pas à critiquer l'activité politique des intimées, mais s'en prenaient à la réputation de celles-ci, en tant que femmes dignes de considération. Le texte en caractères gras "Elles veulent une culture de la mort en Suisse!" évoque, dans l'esprit d'un lecteur non prévenu, l'accusation de violence et de meurtre. Cette accusation est renforcée par l'image en grand format d'un avorton bien développé, baignant dans le sang, dont la mort est attribuée à des méthodes effroyables, décrites de manière précise. L'ensemble de l'affiche suggère au lecteur non prévenu que les intimées souscrivent à une solution où le foetus, à un stade proche du terme, est empoisonné, découpé ou abandonné dans une poubelle. La proximité entre la citation ayant trait à l'ordure et la désignation des intimées rappelle le comportement indigne reproché à celles-ci. Ces éléments pris dans leur ensemble font comprendre que les intimées encouragent des traitements dégradants et sont, partant, dépourvues de sens moral, les rendant ainsi méprisables comme êtres humains.
c) Le recourant 1 fait valoir que les affiches ne portent pas atteinte à l'honneur des intimées (exception faite du terme "ordure" qu'il reconnaît être injurieux). Les indications figurant sur l'affiche (identité, appartenance politique des intimées, affirmation que celles-ci mènent le même combat, que ce combat se rapporte à l'avortement, ce qu'illustrent la photo du foetus et le mot "avortement", la description des méthodes d'avortement) sont des allégations de fait, qui ne sont ni fausses ni diffamantes. Seule la référence à "une culture de la mort", peut, selon le recourant 1, donner lieu à discussion au regard d'une éventuelle atteinte à l'honneur des intimées. Elle ne tend toutefois pas à accuser les intimées de pratiquer elles-mêmes les méthodes d'avortement décrites, mais indique que celles-ci sont prêtes à tolérer une culture qui permet l'application de ces méthodes. Cette affirmation résulte des prises de position publiques des intimées qui sont favorables à une opinion qui ne défend plus la vie aussi inconditionnellement que le fait l'
art. 120 CP
. Si elle peut choquer, cette affirmation n'est pas diffamatoire, en particulier pas lorsqu'elle est prononcée dans le cadre d'un débat politique ayant précisément trait à la protection de la vie.
BGE 128 IV 53 S. 60
d) Il a certes été établi que l'affiche s'inscrivait dans le cadre d'un débat politique, particulièrement animé en Valais, au sujet de la réglementation de l'interruption volontaire de grossesse (IVG). Le recourant 1 ne saurait toutefois, en l'espèce, se prévaloir de la jurisprudence qui ne sanctionne qu'avec retenue les excès de langage commis dans la discussion politique. Le débat public est l'âme de la démocratie directe. Il doit être mené de manière équitable ("fair"; cf. Rapport de la Commission des institutions politiques du Conseil national relatif à l'initiative parlementaire lancée par Judith Stamm visant à instituer une autorité de recours en matière de campagnes de votations, FF 2002 p. 382). Le déroulement d'un débat politique équitable implique notamment que l'identité des auteurs de tracts ou d'affiches apparaisse sur ces écrits (cf. MAX IMBODEN, Helvetisches Malaise, Zurich 1964, p. 41). Celui qui ne se tient pas à cette règle élémentaire du débat public et mène une campagne en se retranchant intentionnellement derrière l'anonymat n'est ainsi pas fondé à se prévaloir de la jurisprudence imposant une retenue dans la sanction des atteintes à l'honneur commises dans le débat politique.
Le recourant 1 a joué la surprise lorsqu'il a été interrogé par un journaliste au sujet des affiches qu'il avait conçues et dont il avait organisé la pose. Il est ainsi évident que si les affiches ne portent aucune trace de leur(s) auteur(s), ce n'est pas par oubli ou inadvertance, mais intentionnellement. Il convient donc d'examiner, sans retenue particulière, si le contenu de l'affiche est attentatoire à l'honneur des intimées.
e) Selon la jurisprudence rappelée ci-dessus (cf. supra, let. a), un texte doit être analysé non seulement en fonction des expressions utilisées, prises séparément, mais aussi selon le sens général qui se dégage du texte dans son ensemble. La phrase "elles veulent une culture de la mort" ne peut ainsi être examinée isolément, comme le voudrait le recourant 1. Elle doit être mise en relation avec les autres éléments de l'affiche, notamment la photographie en couleur d'un foetus ensanglanté. Selon les constatations de fait cantonales, qui lient la Cour de céans (
art. 277bis PPF
[RS 312.0]), il s'agit d'un foetus âgé de 20 semaines. Or, il ne ressort pas de l'état de fait que les trois politiciennes se seraient prononcées pour des IVG pratiquées à la 20ème semaine. La photo choisie et le texte l'accompagnant véhiculent le message que les intimées souscrivent à une "culture de mort" dans laquelle des foetus en âge de gestation avancé sont mis à mort par empoisonnement, découpage ou abandon dans une poubelle. L'affiche évoque la violence, la cruauté et l'accusation de consentir
BGE 128 IV 53 S. 61
à des traitements effroyables pratiqués sur des foetus bien développés. La référence à l'ordure souligne encore le caractère répugnant du comportement reproché. Ces accusations laissent apparaître les trois politiciennes comme des personnes cruelles et sans scrupule. Aussi, l'accusation de vouloir pour la Suisse une culture de la mort laisse-t-elle apparaître les intimées comme des personnes dépourvues de toute capacité ou volonté d'agir de manière responsable pour le bien commun. Affirmer, photographie d'un foetus sanguinolent à l'appui, qu'une politicienne mène un combat pour que soit instaurée une culture de la mort en Suisse, revient en effet à lui dénier tout sens de la responsabilité du bien commun dont la sauvegarde lui est confiée et à lui reprocher des tendances perverses, sinon meurtrières, la rendant certainement méprisable. Le contenu de l'affiche est par conséquent attentatoire à l'honneur des trois politiciennes visées.
f) Le recourant 1 estime que, dans l'hypothèse où l'atteinte à l'honneur devrait être retenue, le comportement reproché doit être qualifié d'injure et non de diffamation, l'affiche ne contenant pas d'allégations de fait attentatoires à l'honneur, mais tout au plus un jugement de valeur répréhensible.
aa) Alors que la diffamation ou la calomnie supposent une allégation de fait, un jugement de valeur, adressé à des tiers ou à la victime, peut constituer une injure au sens de l'
art. 177 CP
(
ATF 117 IV 27
consid. 2c p. 29 et les arrêts cités). Pour distinguer l'allégation de fait du jugement de valeur, il faut se demander, en fonction des circonstances, si les termes litigieux ont un rapport reconnaissable avec un fait ou sont employés pour exprimer le mépris (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, Berne 1995, n. 19 ad § 11). La notion de jugement de valeur doit être comprise dans un sens large; il s'agit d'une manifestation directe de mésestime ou de mépris, au moyen de mots blessants, de gestes ou de voies de fait (MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, vol. III, Berne 1984, n. 7 et 8 ad
art. 177 CP
). L'honneur protégé correspond alors à un droit au respect formel, ce qui conduit à la répression des injures dites formelles, tels l'expression outrageante, des termes de mépris ou des invectives (PAUL LOGOZ, Partie spéciale I, Neuchâtel 1955, p. 255; ALAIN STEULLET, La victime de l'atteinte à l'honneur, thèse Neuchâtel 1983, p. 35).
bb) L'accusation de vouloir une culture de la mort, à l'appui de la photo figurant sur l'affiche, revient à alléguer que les intimées souscrivent au découpage, à l'empoisonnement ou à l'abandon dans une poubelle de foetus bien développés. Par ailleurs, l'expression
BGE 128 IV 53 S. 62
"culture de la mort" ne contient pas d'invective et n'est pas non plus un terme grossier dont il conviendrait de déterminer s'il est propre à attaquer la victime dans son honneur. L'expression litigieuse constitue par conséquent une allégation de fait et non un jugement de valeur. Le recourant 1 reconnaît que les autres termes utilisés dans l'affiche sont des allégations de fait, à l'exception du terme "ordure" qu'il admet être injurieux. L'
art. 177 CP
étant subsidiaire par rapport à l'
art. 173 CP
(BERNARD CORBOZ, op. cit., n. 1 ad
art. 177 CP
), le terme injurieux d'ordure n'a pas de portée propre dans la diffamation commise en l'espèce.
g) Le Tribunal cantonal a, sans procéder à des enquêtes, fait état de documents scientifiques et gynécologiques pour décrire les méthodes d'IVG. Le recourant 1 en déduit qu'il s'agit d'éléments d'expérience générale de la vie, soit de questions de droit pouvant être revues par la Cour de céans. Selon lui, l'affiche ne contenait qu'une vulgarisation de termes scientifiques décrivant des méthodes d'avortement.
La question de savoir si la connaissance des différentes méthodes d'IVG fait partie des choses que l'expérience générale de la vie enseigne, peut rester indécise. D'une part, le recourant 1 n'expose pas en quoi les explications données à cet égard par l'arrêt querellé seraient erronées. D'autre part et vérification faite des ouvrages médicaux cités par l'autorité cantonale, il n'apparaît pas que les indications données par cette dernière soient incorrectes.
2.
a) L'
art. 173 ch. 2 CP
dispose que l'inculpé n'encourra aucune peine s'il prouve que les allégations qu'il a articulées ou propagées sont conformes à la vérité ou qu'il avait des raisons sérieuses de les tenir de bonne foi pour vraies. L'accusé apporte la preuve de sa bonne foi s'il démontre qu'il a accompli les actes que l'on pouvait exiger de lui pour contrôler la véracité de ce qu'il alléguait. Une prudence particulière doit être exigée de celui qui donne une large diffusion à ses allégations (
ATF 124 IV 149
consid. 3b p. 151;
ATF 116 IV 205
consid. 3b p. 208).
b) Le recourant 1 se réfère à la brochure "La Vie", qui relate les méthodes d'avortement figurant sur l'affiche; il fait valoir qu'il s'agit d'une revue sérieuse des opposants à l'avortement et qu'il pouvait, de bonne foi, tenir pour vrais les renseignements tirés de cette revue. Il se réfère également à la lettre encyclique du Pape Jean-Paul II "Evangelium Vitae" où l'expression "culture de la mort" est utilisée à plusieurs reprises et opposée à celle de "culture de vie"; il soutient que l'on ne saurait retenir, alors qu'il se fondait sur un document aussi important qu'une lettre encyclique papale, qu'il n'avait
BGE 128 IV 53 S. 63
pas de raisons sérieuses de tenir de bonne foi pour vraies les expressions qui lui sont reprochées.
c) Il résulte de l'arrêt cantonal que l'affiche contenait des indications contraires à la vérité. Cette constatation de fait lie la Cour de céans saisie d'un pourvoi en nullité et ne peut être contestée dans le cadre de cette voie de droit (art. 273 al. 1 let. b et 277bis al. 1 2ème phrase PPF). Le Tribunal cantonal retient également que le recourant 1 a choisi la photo et les textes parmi les plus violents de la brochure "La Vie". La photographie sélectionnée n'est en outre pas accompagnée d'une légende précisant l'âge du foetus.
Sur la base de ces constatations, aucune violation du droit fédéral ne peut être reprochée à l'autorité cantonale lorsqu'elle retient que le recourant 1 n'avait pas, de bonne foi, de raisons sérieuses de tenir les propos litigieux pour vrais.
Le recourant 1 erre en outre lorsqu'il estime avoir apporté la preuve de sa bonne foi en citant l'encyclique papale qui utilise l'expression de "culture de la mort". Il fait en effet abstraction du contexte dans lequel l'expression litigieuse est utilisée. Le terme "culture de la mort" a en effet un impact qui diffère selon qu'il est opposé à l'expression "culture de vie" dans un écrit à caractère religieux ou qu'il est associé à un foetus bien développé sanguinolent, pour lequel se pose la question de savoir s'il doit être découpé, empoisonné ou abandonné dans une poubelle, et que l'on y ajoute une référence à l'ordure.
La décision attaquée ne viole donc pas le droit fédéral en tant qu'elle considère que le recourant 1 n'a pas apporté la preuve de la vérité ni celle de sa bonne foi. Le grief, pour autant qu'il soit recevable, est par conséquent infondé.
3.
Le recourant 1 soutient encore qu'il doit être mis au bénéfice de la circonstance atténuante d'avoir cédé à un mobile honorable au sens de l'
art. 64 CP
.
a) Déterminer les mobiles de l'auteur est une question de fait (
ATF 107 IV 29
consid. 2a p. 30). Les constatations de l'autorité cantonale à cet égard lient donc la Cour de céans (
art. 277bis al. 1 PPF
). Savoir si les mobiles retenus sont honorables est en revanche une question de droit fédéral (
art. 64 CP
), qui peut être soulevée dans le cadre du pourvoi en nullité (
ATF 107 IV 29
consid. 2a p. 30).
Le caractère honorable des mobiles s'apprécie d'après l'échelle des valeurs éthiques reconnues par la collectivité dans son ensemble (
ATF 101 IV 387
consid. 2b p. 390 et les références citées). Pour être qualifié d'honorable, il ne suffit pas que le mobile ne soit pas critiquable sur le plan moral, il faut encore qu'il se situe dans la partie
BGE 128 IV 53 S. 64
supérieure des valeurs éthiques. Le mobile politique n'est pas en soi un mobile honorable; il peut l'être, mais il peut aussi être éthiquement neutre ou condamnable (
ATF 107 IV 29
consid. 2a p. 30). De toute façon, le mobile honorable n'est qu'un des éléments subjectifs de l'infraction; dans l'appréciation de la peine, il peut être rejeté complètement dans l'ombre par les autres circonstances de l'infraction comme, notamment, la manière dont celle-ci a été commise, le but visé, la perversité particulière. Le juge peut alors se borner à tenir compte du mobile honorable dans le cadre de l'
art. 63 CP
, sans appliquer l'
art. 64 CP
(arrêt Str. 311/1982 du 24 novembre 1982, reproduit in SJ 1983 p. 278).
b) Le recourant 1 soutient que son mobile était parfaitement honorable, puisqu'il s'agissait de défendre la vie prénatale. Aussi, son action n'était nullement disproportionnée au regard du meurtre d'innocents qu'il dénonce et de l'infraction qui lui est reprochée.
c) L'arrêt cantonal a exclu le bénéfice du mobile honorable au motif que le recourant 1 a agi de manière anonyme, procédant à une attaque ciblée sur les trois politiciennes et fondant sa campagne sur le mépris. Cette appréciation ne viole pas l'
art. 64 CP
. La manière d'agir relègue en l'occurrence à l'arrière-plan les mobiles, aussi honorables fussent-ils, ayant conduit le recourant 1 à entreprendre la campagne reprochée. Le fait de mener la campagne de manière anonyme révèle en effet une lâcheté qui rejette dans l'ombre les mobiles invoqués. Les personnes expressément visées par cette campagne étaient, de manière intentionnelle, privées de la possibilité de riposter à l'attaque, qui pourtant voulait s'inscrire dans le cadre du débat public; il est difficile de répondre à une personne ou à un groupement dont on ne connaît ni l'identité ni l'adresse. Le recourant aurait au demeurant pu interpeller l'opinion publique par des tracts choquants ou provocateurs sans y faire figurer ni le nom des intimées ni une photographie trompeuse laissant croire qu'il s'agissait d'un foetus de 12 ou 14 semaines. Au vu de ce qui précède, c'est à juste titre que l'autorité cantonale a refusé le bénéfice de la circonstance atténuante du mobile honorable.
B.
Pourvoi en nullité des autres recourants (ci-après: recourants 2 à 11)
4.
Ce qui a été exposé aux considérants 1 et 2 ci-dessus vaut mutatis mutandis pour les recourants 2 à 11, en ce qui concerne le caractère attentatoire à l'honneur des intimées et la réalisation des éléments constitutifs de la diffamation.
BGE 128 IV 53 S. 65
5.
a) De l'avis des recourants 2 à 11, auxquels il est reproché d'avoir collé les affiches incriminées, ils peuvent se prévaloir de l'
art. 27 CP
ainsi que de la doctrine et de la jurisprudence y relatives, qui admettent que les personnes indispensables à la diffusion d'un texte imprimé ne sont pas punissables.
Les intimées objectent qu'un délit de presse est consommé par la publication de l'écrit incriminé; l'atteinte à l'honneur n'a en l'espèce pas été réalisée par la seule publication des affiches; les colleurs d'affiches ont contribué de manière décisive à la réalisation de cette infraction et doivent ainsi être condamnés pour complicité de diffamation.
L'arrêt attaqué considère que l'
art. 27 CP
ne trouve pas application en l'espèce, dès lors que les recourants 2 à 11 ne travaillent pas au service d'une entreprise de presse et que l'infraction n'était pas consommée par la publication, mais par l'activité des colleurs d'affiches qui les ont diffusées dans le canton.
b) L'
art. 27 CP
, dans sa teneur applicable au moment des faits, prévoyait que "lorsqu'une infraction aura été commise par la voie de la presse et consommée par la publication elle-même, l'auteur de l'écrit en sera seul responsable, sous réserve des dispositions ci-après." Comme tant l'ancien que le nouvel
art. 27 CP
énoncent le principe d'un régime spécial de responsabilité pénale en matière de délits de presse (de media) et qu'il s'agit avant tout de déterminer si l'infraction en cause est soumise à ce régime, on peut se dispenser à ce stade d'examiner la question du droit le plus favorable aux recourants ayant collé les affiches.
c) Pour que l'
art. 27 CP
soit applicable, il faut que l'infraction en cause constitue un délit de presse, soit qu'elle ait été commise par la voie de la presse (par un media, selon le nouveau droit), qu'il y ait publication, puis que l'infraction soit consommée par la publication (
ATF 125 IV 206
consid. 3b p. 211).
La notion de presse doit être comprise dans un sens large (cf. DENIS BARRELET, Droit de la communication, Berne 1998, p. 332). Elle englobe tout écrit reproduit par un moyen mécanique permettant d'établir facilement un grand nombre d'exemplaires (
ATF 74 IV 129
consid. 2 p. 130). Des écrits tels que affiches, tracts, feuillets publicitaires et prospectus entrent dans cette définition (DENIS BARRELET, op. cit., p. 332;
ATF 117 IV 364
consid. 2b p. 365).
Par publication, il faut entendre que l'écrit soit mis à disposition du public. Il n'est cependant pas nécessaire qu'il ait effectivement été répandu de manière large. Un écrit est déjà publié lorsqu'il n'est répandu que dans un cercle limité, à condition qu'il ne soit pas remis
BGE 128 IV 53 S. 66
seulement à des personnes déterminées, mais, à l'intérieur du cercle, à quiconque s'y intéresse (
ATF 74 IV 129
consid. 2 p. 131;
ATF 82 IV 71
consid. 4 p. 80).
Les infractions commises par voie de presse ne constituent pas toutes un délit de presse. Seules les infractions consommées par la publication tombent sous le coup de l'
art. 27 CP
. Tel est notamment le cas de l'atteinte à l'honneur, qui est consommée au moment de la publication (
ATF 125 IV 206
consid. 3b p. 211 et la jurisprudence citée).
d) En l'espèce, les affiches ont été réalisées sur la base d'une maquette établie au moyen d'un ordinateur et d'un scanner, puis imprimées en 2'000 exemplaires par un imprimeur professionnel. Il s'agit donc bien d'écrits répondant à la notion de presse au sens de l'
art. 27 CP
. Les affiches ont été posées sur des supports de la SGA ou sur des abribus, soit aux endroits le mieux exposés au regard du public. Elles s'adressaient à une grande partie des habitants du canton du Valais ou en tout cas au plus grand nombre possible d'entre eux. L'infraction a été consommée au moment où les affiches ont été collées sur les supports; c'est alors qu'elles ont été rendues publiques. Peu importe que le jour suivant la plupart de celles-ci aient été enlevées par les patrouilles de gendarmerie. L'
art. 27 CP
est donc applicable.
e) Reste à examiner quel rôle chacun des recourants a joué, afin de déterminer s'il a agi en tant qu'auteur ou participant au délit de presse.
L'auteur d'un écrit est notamment celui qui le conçoit et le rédige lui-même ou le fait rédiger par un tiers ou encore le transmet à la presse pour publication comme étant l'expression de sa pensée (
ATF 73 IV 218
consid. 2 p. 220). Le traducteur, s'il ne modifie pas le sens du texte, n'est pas auteur (
ATF 82 IV 71
consid. 1 p. 76). Si l'écrit est le fruit d'une collaboration entre plusieurs auteurs, ils seront tous poursuivis (DENIS BARRELET, op. cit., p. 331). En principe, lorsque le ou les auteurs d'une infraction commise et consommée sous forme de publication par voie de presse (ou par un media;
art. 27 CP
) sont connus, ils sont seuls punissables (
art. 27 al. 1 CP
).
Le législateur a choisi le système de responsabilité particulière de l'
art. 27 CP
pour, d'une part, permettre à la presse de publier des articles anonymes et, d'autre part, protéger le lésé contre les conséquences de cet anonymat (Message relatif au projet de code pénal suisse du 23 juillet 1918, FF 1918 IV 12). L'expression d'opinions par voie de presse ne devait pas être paralysée par l'application des règles du droit commun sur la participation au délit de presse et il fallait éviter des poursuites lourdes et compliquées pour déterminer la responsabilité individuelle de chaque personne étant intervenue
BGE 128 IV 53 S. 67
dans la publication en cause (STEFAN TRECHSEL, Kurzkommentar, Zurich 1997, n. 1 ad
art. 27 CP
). Les poursuites devaient ainsi être concentrées sur une personne, qui répondrait seule et exclusivement. Si l'auteur n'était pas découvert, un coupable de remplacement était désigné par la loi; il était punissable indépendamment de sa faute (DENIS BARRELET, op. cit., p. 330; FRANZ RIKLIN, Schweizerisches Presserecht, Berne 1996, p. 150).
Selon l'art. 27 aCP, les personnes répondant ainsi en cascade étaient le rédacteur, l'imprimeur, la personne responsable des annonces ou l'éditeur. La révision a maintenu le principe de la responsabilité exclusive de l'auteur, mais abandonné le système de la victime "expiatoire"; en principe, le responsable subsidiaire n'est désormais punissable que s'il ne s'est pas, intentionnellement ou par négligence, opposé à la publication (cf.
art. 322bis CP
). Désormais, seuls le rédacteur ou le responsable de la publication peuvent être recherchés à titre subsidiaire. La personne responsable de la publication est celle qui, au sein de l'entreprise de media, exerce effectivement une responsabilité la mettant en mesure d'exercer une surveillance et d'intervenir si nécessaire (Message concernant la modification du code pénal suisse du 17 juin 1996, FF 1996 IV 560). Tant sous l'empire de l'ancien que du nouveau droit, celui qui se limite à distribuer dans le public un écrit constitutif d'une infraction comme le libraire, le kiosquier, le vendeur de journaux, le distributeur de tracts, le colleur d'affiches, le facteur, etc., ne saurait répondre à titre subsidiaire de l'infraction commise. Cela n'implique cependant pas que cette personne devrait répondre selon les règles de droit commun, comme le soutiennent certains auteurs (FRANZ RIKLIN, Kaskadenhaftung - Quo vadis?, in Medialex 2000 p. 207 et les références citées). L'
art. 27 CP
limite en effet la responsabilité pour infractions commises par voie de presse (de media) au seul auteur de la publication litigieuse et, à titre subsidiaire, à un cercle limité de personnes. La Cour de cassation a précisé que ce privilège s'appliquait aux personnes contribuant dans l'exercice de leurs fonctions à la production ou à la diffusion de l'écrit (
ATF 73 IV 65
p. 67). Il n'est pas nécessaire qu'elles fassent partie d'une entreprise de media (
ATF 74 IV 129
consid. 2 p. 131). Pour CARL LUDWIG (Schweizerisches Presserecht, Bâle 1964, p. 100, 108 s.), le privilège de l'
art. 27 CP
s'applique également à ceux qui rendent concrètement accessible au public un écrit ("Verbreiter"). HANS SCHULTZ (Strafrecht, Allgemeiner Teil, vol. I, Berne 1982, p. 310) voit dans le fait de distribuer un écrit constitutif d'une infraction une contribution à
BGE 128 IV 53 S. 68
l'activité de la presse ("pressemässiges Mitwirken") qui, en tant que telle, n'est pas punissable. Ces opinions doivent être suivies; elles sont d'ailleurs conformes à la volonté du législateur de ne pas étendre les poursuites à tous ceux qui ont contribué au délit de presse (de media), mais au contraire de les restreindre à certaines personnes désignées à l'
art. 27 CP
. Demeure réservée la possibilité que celui qui agit en dehors du cadre de sa fonction dans la chaîne de production et de diffusion soit condamné comme coauteur, instigateur ou complice d'un délit de presse (
ATF 86 IV 145
consid. 1 p. 147;
ATF 73 IV 218
consid. 2 p. 221;
ATF 73 IV 65
p. 68). Le nouveau droit ne diffère pas sur ce point de l'ancien (FF 1996 IV 560).
f) aa) Il est incontesté que le recourant 1 est l'auteur de l'affiche qu'il a composée et dont il a sélectionné les textes et les photographies. A ce titre, il répond de l'infraction commise par voie de presse, que l'
art. 27 CP
soit applicable dans son ancienne ou dans sa nouvelle teneur (cf. FF 1996 IV 559).
bb) Le recourant 3 a réalisé la maquette de l'affiche en suivant les instructions du recourant 1 qui lui avait remis les documents et les textes. Il n'est pas établi que le recourant 3 aurait participé à la conception de la maquette ni que son activité aurait dépassé ce qui était nécessaire pour réaliser techniquement l'affiche ou qu'il serait intervenu dans le contenu de celle-ci. Son activité était indispensable à la production technique de l'affiche; elle s'est limitée à celle d'une personne intervenant dans la production d'un écrit publié par voie de presse. Le recourant 3 n'est par conséquent pas punissable (
art. 27 al. 1 CP
). Son pourvoi est donc admis sur ce point.
cc) Le recourant 2 a fourni au concepteur de l'affiche et à la demande de celui-ci la brochure "La Vie" et des coupures de presse où figuraient les photographies des trois politiciennes. Se pose donc la question de savoir si le recourant 2 s'est rendu coupable de complicité de diffamation. Selon l'
art. 25 CP
, le complice est "celui qui aura intentionnellement prêté assistance pour commettre un crime ou un délit". La complicité, qui est une forme de participation accessoire à l'infraction, suppose que le complice apporte à l'auteur principal une contribution causale à la réalisation de l'infraction, de telle sorte que les événements ne se seraient pas déroulés de la même manière sans cet acte de favorisation; il n'est toutefois pas nécessaire que l'assistance du complice soit une condition sine qua non à la réalisation de l'infraction (
ATF 119 IV 289
consid. 2c p. 292). Subjectivement, il faut que le complice sache ou se rende compte qu'il apporte son concours à un acte délictueux déterminé et qu'il le
BGE 128 IV 53 S. 69
veuille ou l'accepte; à cet égard, il suffit qu'il connaisse les principaux traits de l'activité délictueuse qu'aura l'auteur, lequel doit donc avoir pris la décision de l'acte (
ATF 117 IV 186
consid. 3 p. 188). Le dol éventuel suffit pour la complicité (
ATF 118 IV 309
consid. 1a p. 312).
L'arrêt cantonal ne contient pas de constatations de fait quant à ce que le recourant 2 acceptait ou savait de l'infraction que le recourant 1 entendait commettre à l'aide du matériel qu'il lui avait remis. L'arrêt attaqué ne permet donc pas de déterminer quelle était la volonté du recourant 2. Les constatations de fait cantonales sont ainsi insuffisantes pour que la Cour de céans puisse trancher la question de savoir si le recourant 2 s'est rendu complice de la diffamation. Sur ce point, le pourvoi doit par conséquent être admis et l'arrêt attaqué annulé, la cause étant renvoyée à l'autorité cantonale pour qu'elle statue à nouveau après avoir complété l'état de fait de sa décision.
dd) Les poseurs d'affiches, tous membres ou sympathisants de "W.", sont intervenus au stade de la diffusion des affiches diffamatoires. Ils n'ont eu aucune emprise sur le contenu de celles-ci, qui leur ont été remises imprimées en 2'000 exemplaires. Sans leur intervention toutefois, les affiches n'auraient pas été portées à la connaissance de l'opinion publique. Leur rôle a été essentiel dans la publication des affiches: ils étaient partie intégrante de l'organisation mise en place par le recourant 1 et indispensables à la diffusion des affiches. Ainsi, quand bien même leur intervention est plutôt atypique de la diffusion habituelle d'un écrit, elle s'insère dans la chaîne de diffusion de celui-ci. Sans leur contribution, l'infraction n'aurait pas été consommée. Contrairement à ce qu'a retenu le Tribunal cantonal, le régime spécial de l'
art. 27 CP
leur est donc applicable. Les colleurs d'affiches se sont limités à la tâche qui leur était assignée (la pose d'affiches) et n'ont pas excédé le cadre de celle-ci. Ils ne sont par conséquent pas punissables et le pourvoi est, sur ce point, bien fondé.
II.
Pourvoi en nullité sur l'action civile
A.
Responsabilité civile de A.
6.
a) Lorsque le pourvoi sur l'action pénale est rejeté, le pourvoi sur l'action civile n'est recevable que si la valeur litigieuse de la prétention civile atteint le montant exigé par les dispositions applicables au recours en réforme en matière civile (
art. 46 OJ
;
art. 271 al. 2 PPF
;
ATF 127 IV 203
consid. 8 p. 208). La valeur litigieuse est
BGE 128 IV 53 S. 70
fixée d'après les prétentions civiles encore contestées devant la dernière juridiction cantonale. Les divers chefs de conclusions formés dans une contestation pécuniaire par le demandeur ou les consorts sont additionnés s'ils ont effectivement été réunis en instance cantonale et ont fait l'objet d'une décision unique dans le cadre d'une même procédure (cf.
art. 47 al. 1 OJ
;
ATF 116 II 587
consid. 1 p. 589 et les références citées). En cas de cumul subjectif d'actions, il faut en outre que les demandeurs ou les défendeurs aient qualité de consorts au sens de l'
art. 24 al. 2 PCF
(RS 273;
ATF 103 II 41
consid. 1c p. 45; JEAN-FRANÇOIS POUDRET/SUZETTE SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Berne 1990, n. 1.4 ad
art. 47 OJ
; GEORG MESSMER/HERMANN IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zurich 1992, n. 63, p. 87/88). A teneur de l'
art. 24 al. 2 let. b PCF
, plusieurs personnes peuvent notamment agir comme demandeurs ou être actionnées comme défendeurs par la même demande si des prétentions de même nature et reposant sur une cause matérielle et juridique essentiellement de même nature forment l'objet du litige.
A moins que la valeur litigieuse puisse être déterminée aisément et avec certitude, le recourant doit fournir, sous peine d'irrecevabilité, les indications nécessaires pour que la Cour de cassation puisse déterminer si les droits contestés devant la dernière instance cantonale atteignent la valeur litigieuse requise (
ATF 127 IV 141
consid. 1b p. 143). Dans un pourvoi en nullité sur les conclusions civiles, le recourant doit en outre prendre des conclusions concrètes; une conclusion tendant simplement à l'annulation de la décision attaquée est en règle générale insuffisante et entraîne l'irrecevabilité du pourvoi. Cela vaut également lorsque le pourvoi est dirigé en même temps contre l'action pénale (
ATF 127 IV 141
consid. 1d p. 143). Si le recourant ne prend pas de conclusions chiffrées, le pourvoi en nullité est irrecevable, à moins que la motivation du pourvoi, en relation avec l'arrêt attaqué, permette de discerner de manière certaine quels sont les montants contestés par le recourant (
ATF 127 IV 141
consid. 1c p. 143;
ATF 125 III 412
consid. 1b p. 414).
b) Les intimées ont fait valoir en dernière instance cantonale, chacune, une indemnité pour tort moral de 5'000 francs. La cour cantonale a instruit les conclusions civiles des plaignantes dans le cadre de la même procédure qui a donné lieu à un seul jugement. Les conclusions des plaignantes ont le même fondement juridique: elles tendent à obtenir la réparation du tort moral subi à raison de la campagne d'affiches diffamatoire. Leurs prétentions ont donc la
BGE 128 IV 53 S. 71
même cause matérielle. Le recourant 1 est ainsi recevable à diriger son recours contre les intimées, quand bien même leurs conclusions prises isolément n'atteindraient pas la valeur litigieuse de 8'000 francs. Cela étant, il ne ressort pas du pourvoi en nullité quelles sont les conclusions du recourant 1 sur le plan civil, de sorte que la recevabilité de ce grief est douteuse. L'on pourrait déduire de ses explications qu'il reconnaît les prétentions des trois politiciennes à concurrence d'un franc symbolique et conclut au rejet des 3'999 francs restant, voire qu'il s'en rapporte à justice pour la fixation d'un montant moins élevé que celui qui a été attribué à chaque intimée. Quoi qu'il en soit, le pourvoi en nullité du recourant 1 est, comme cela sera démontré ci-après, infondé.
7.
a) Conformément à l'
art. 49 CO
(par renvoi de l'
art. 28a al. 3 CC
), celui qui subit une atteinte illicite à sa personnalité a droit à une somme d'argent à titre de réparation morale pour autant que la gravité de l'atteinte le justifie et que l'auteur ne lui ait pas donné satisfaction autrement. La gravité objective de l'atteinte doit être ressentie par le demandeur comme une souffrance morale. Pour apprécier cette souffrance, le juge se fondera sur la réaction de l'homme moyen dans un cas pareil, présentant les mêmes circonstances (
ATF 120 II 97
consid. 2b p. 99).
La fixation de l'indemnité pour tort moral est une question d'application du droit fédéral que le Tribunal fédéral examine donc librement. Dans la mesure où cette question relève pour une partie importante de l'appréciation des circonstances, le Tribunal fédéral intervient avec retenue, notamment si l'autorité cantonale a mésusé de son pouvoir d'appréciation en se fondant sur des considérations étrangères à la disposition applicable, en omettant de tenir compte d'éléments pertinents ou encore en fixant une indemnité inéquitable parce que manifestement trop faible ou trop élevée; comme il s'agit cependant d'une question d'équité, le Tribunal fédéral examine librement si la somme allouée tient suffisamment compte de la gravité de l'atteinte ou si elle est disproportionnée par rapport à l'intensité des souffrances morales causées à la victime (
ATF 125 III 269
consid. 2a p. 274 et les arrêts cités).
b) Selon les constatations de fait cantonales, les intimées ont toutes souffert de manière importante de la campagne d'affiches. X. a ressenti cette campagne comme une agression d'une extrême violence, qui a également mis sa famille à l'épreuve. Y. s'est montrée très affectée par cette opération, faisant état de sentiments de peur et de tristesse. L'attaque a multiplié
BGE 128 IV 53 S. 72
le nombre d'appels anonymes la traitant d'assassin. Elle a également souffert des perturbations causées à sa famille et aux élèves du collège où elle enseigne. Z. a évoqué sa souffrance, particulièrement en raison des conséquences de cette campagne diffamatoire pour sa famille et dans l'exercice de sa profession d'infirmière.
Le Tribunal cantonal a retenu que l'atteinte était objectivement grave puisqu'elle était excessivement outrageante pour les trois femmes, que l'opération, menée de nuit et sous le couvert de l'anonymat, avait été massive, bien organisée et dirigée contre des personnes exerçant des professions (secrétaire, enseignante, infirmière) quotidiennement en contact avec ceux qui avaient pu prendre connaissance de l'affiche. L'arrêt cantonal tient également compte du fait que le large soutien que les intimées ont reçu, notamment par les médias qui leur furent généralement favorables, a quelque peu adouci la souffrance subie qui reste néanmoins sévère.
Au vu de ces considérations, le montant de 4'000 francs alloué à chaque intimée au titre d'indemnité pour tort moral ne viole pas le droit fédéral. L'autorité cantonale s'est en effet fondée sur des considérations prévues par l'
art. 49 CO
, a tenu compte de tous les éléments pertinents et le montant ne prête pas à la critique au regard de ceux qui ont été alloués dans des cas similaires (cf. HÜTTE/DUKSCH, Die Genugtuung, Zurich 1999, XII/6).
Pour autant qu'il soit recevable, le grief du recourant 1 est donc infondé.
B.
Responsabilité civile des autres recourants
8.
Le considérant 6 ci-dessus concernant la recevabilité de l'action civile du recourant 1 vaut également pour celle des recourants 2 à 11. Par ailleurs et quand bien même ils ont plaidé le bénéfice de l'
art. 27 CP
, qui leur a été reconnu, les recourants 2 à 11 n'en tirent aucune conclusion sur le plan de leur responsabilité civile. En vertu de l'
art. 273 al. 1 let. b PPF
, ils y étaient cependant tenus. Cette disposition prévoit en effet que le recourant doit exposer quelle règle de droit fédéral a été violée et en quoi consiste cette violation. La conclusion civile tendant uniquement à l'annulation de l'arrêt entrepris n'est recevable que lorsque le Tribunal fédéral admet le pourvoi en nullité, ne peut toutefois prononcer un jugement final, mais doit renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle complète l'état de fait (
ATF 125 III 412
consid. 1b p. 414).
BGE 128 IV 53 S. 73
Cela étant, le régime spécial institué par l'
art. 27 CP
concernant la responsabilité pénale en matière de délits de presse est sans incidence sur les prétentions civiles de la victime (
ATF 124 IV 188
consid. 1b/bb p. 191). Le fait de ne pas être punissables n'exonère ainsi nullement les recourants 2 à 11 de leur responsabilité civile. La campagne d'affiche était illicite, puisque diffamatoire. Le dommage subi par les victimes (tort moral) a été exposé au consid. 6a ci-dessus. Le rapport de causalité tant naturelle qu'adéquate entre l'acte illicite et l'atteinte à la personnalité des victimes ne fait aucun doute. La faute doit également être retenue à charge des recourants 2 à 11. Le recourant 3, responsable du Bulletin de W. et à ce titre formé au contrôle des informations, n'a procédé à aucune vérification quant au contenu de l'affiche, bien qu'il eût quelques réserves à cet égard. Les colleurs d'affiches n'ont pas non plus démontré quels faits auraient fondé leur conviction que le contenu de l'affiche était conforme à la vérité et, partant, non attentatoire à l'honneur des intimées. Quand bien même ils ont tous reconnu la grossièreté de l'affiche et ont jugé son contenu un peu "dur", "fort", voire diffamatoire, ils ne se sont pas interrogés sur l'admissibilité de cette campagne anonyme et ont ainsi pris le risque qu'elle porte atteinte à l'honneur des intimées. Par conséquent, ils ont agi, à tout le moins, par dol éventuel. Les conditions de l'
art. 49 CO
(en relation avec les
art. 28 ss CC
) sont donc réalisées et la responsabilité civile des recourants 2 à 11 engagée. Comme cela a été démontré au consid. 7 ci-dessus, le montant de l'indemnité pour tort moral ne prête pas le flanc à la critique. | mixed |
10866878-c4a0-4a63-9e2c-86f1ec3c722d | Sachverhalt
ab Seite 314
BGE 144 IV 313 S. 314
A.
Par jugement du 24 novembre 2015, complété le 30 novembre 2015, le Tribunal correctionnel de l'arrondissement de Lausanne a reconnu X. coupable de lésions corporelles simples qualifiées, de falsification de marchandises par métier, de violation de l'obligation de tenir une comptabilité, de violation d'une obligation d'entretien, de violation du droit à la marque par métier, de concurrence déloyale, de violation simple des règles de la circulation routière et de conduite d'un véhicule automobile malgré le refus, le retrait ou l'interdiction de l'usage du permis. Cette autorité a prononcé une peine privative de liberté de 24 mois - 12 mois ferme et 12 mois avec sursis pendant 5 ans -, une peine pécuniaire de 45 jours-amende à 30 fr. le jour - 15 jours ferme et 30 jours avec sursis pendant 5 ans - peine partiellement complémentaire à celle de 15 jours-amende
BGE 144 IV 313 S. 315
à 50 fr. le jour infligée le 21 septembre 2011, et une amende de 800 francs. Elle a dit qu'en cas de non-paiement fautif de l'amende la peine privative de liberté de substitution sera de 8 jours. Elle a révoqué le sursis octroyé le 21 septembre 2011 et ordonné l'exécution de la peine pécuniaire.
B.
Par jugement du 19 mai 2016, la Cour d'appel pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud a admis partiellement l'appel formé par X. Elle a réformé le jugement du 24 novembre 2015 en ce sens que X. est libéré de l'accusation de concurrence déloyale. La Cour d'appel a maintenu les autres chefs de culpabilité ainsi que les peines ordonnées, la peine pécuniaire étant toutefois déclarée complémentaire non seulement à celle prononcée le 21 septembre 2011, mais également à celles infligées les 1
er
novembre 2011 et 21 août 2012.
C.
Par jugement 6B_984/2016 du 13 septembre 2017, le Tribunal fédéral a admis le recours en matière pénale formé par X. et annulé le jugement du 19 mai 2016 pour, en substance, défaut de motivation s'agissant de la nature et de la quotité des peines prononcées et pour violation du droit d'être entendu s'agissant du refus du sursis intégral.
D.
Par jugement du 8 mars 2018, la Cour d'appel pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud a admis partiellement l'appel formé par X. Elle a réformé le jugement du 24 novembre 2015 en ce sens que X. est libéré de l'accusation de concurrence déloyale et de violation de l'obligation d'entretien. La Cour d'appel a maintenu les autres chefs de culpabilité. Elle a ordonné une peine privative de liberté de 20 mois, dont 8 mois ferme et 12 mois avec sursis pendant 5 ans, ainsi qu'une peine pécuniaire de 45 jours-amende à 30 fr. le jour avec sursis pendant 5 ans, peine partiellement complémentaire à celles infligées le 21 septembre 2011 par le Tribunal de police de l'arrondissement de Lausanne, le 1
er
novembre 2011 par le Ministère public de l'arrondissement de Lausanne et le 21 août 2012 par le Ministère public de Neuchâtel, et à une amende de 800 fr., la peine privative de liberté de substitution en cas de non-paiement fautif de cette amende étant fixée à 8 jours. La Cour d'appel a de plus révoqué le sursis octroyé le 21 septembre 2011.
E.
X. forme un recours en matière pénale auprès du Tribunal fédéral contre le jugement du 8 mars 2018. Il conclut à sa réforme en ce sens qu'il n'est condamné qu'à une peine pécuniaire égale ou inférieure à 360 jours-amende, avec sursis. A titre subsidiaire, il
BGE 144 IV 313 S. 316
sollicite l'annulation du jugement précité et le renvoi de la cause à l'autorité précédente pour nouvelle décision. Il requiert le bénéfice de l'assistance judiciaire.
Invités à se déterminer, l'autorité précédente et le Ministère public y ont renoncé.
Le Tribunal fédéral a admis le recours, annulé le jugement attaqué et renvoyé la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision. Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le recourant invoque notamment une violation des règles en matière de fixation de la peine en cas de concours (
art. 49 CP
) ainsi qu'une motivation insuffisante, non conforme à l'
art. 41 al. 2 CP
.
1.1
Aux termes de l'
art. 49 al. 1 CP
, si, en raison d'un ou de plusieurs actes, l'auteur remplit les conditions de plusieurs peines de même genre, le juge le condamne à la peine de l'infraction la plus grave et l'augmente dans une juste proportion. Il ne peut toutefois excéder de plus de la moitié le maximum de la peine prévue pour cette infraction. Il est en outre lié par le maximum légal de chaque genre de peine.
1.1.1
L'exigence, pour appliquer l'
art. 49 al. 1 CP
, que les peines soient de même genre, implique que le juge examine, pour chaque infraction commise, la nature de la peine à prononcer pour chacune d'elle. Le prononcé d'une peine d'ensemble en application du principe de l'aggravation contenu à l'
art. 49 CP
n'est ensuite possible que si le juge choisit, dans le cas concret, le même genre de peine pour sanctionner chaque infraction commise (
ATF 144 IV 217
consid. 2.2 p. 219;
ATF 142 IV 265
IV 2.3.2, traduit au JdT 2017 IV p. 129;
ATF 138 IV 120
consid. 5.2 p. 122, traduit au JdT 2013 IV p. 43). Que les dispositions pénales applicables prévoient abstraitement des peines de même genre ne suffit pas (
ATF 144 IV 217
consid. 2.2 p. 219;
ATF 138 IV 120
consid. 5.2 p. 123; plus récemment arrêt 6B_1394/2017 du 2 août 2018 consid. 8.3.1). Si les sanctions envisagées concrètement ne sont pas du même genre, elles doivent être prononcées cumulativement (
ATF 142 IV 265
consid. 2.3.2;
ATF 138 IV 120
consid. 5.2 p. 122;
ATF 137 IV 57
consid. 4.3.1 p. 58). La peine privative de liberté et la peine pécuniaire ne sont pas des sanctions du même genre (
ATF 144 IV 217
consid. 2.2 p. 219;
ATF 137 IV 57
consid. 4.3.1 p. 58).
BGE 144 IV 313 S. 317
La peine pécuniaire constitue la sanction principale dans le domaine de la petite et moyenne criminalité, les peines privatives de liberté ne devant être prononcées que lorsque l'Etat ne peut garantir d'une autre manière la sécurité publique. Lorsque tant une peine pécuniaire qu'une peine privative de liberté entrent en considération et que toutes deux apparaissent sanctionner de manière équivalente la faute commise, il y a en règle générale lieu, conformément au principe de la proportionnalité, d'accorder la priorité à la première, qui porte atteinte au patrimoine de l'intéressé et constitue donc une sanction plus clémente qu'une peine privative de liberté, qui l'atteint dans sa liberté personnelle (
ATF 134 IV 97
consid. 4.2.2 p. 100 s.). Le choix de la sanction doit être opéré en tenant compte au premier chef de l'adéquation de la peine, de ses effets sur l'auteur et sur sa situation sociale ainsi que de son efficacité du point de vue de la prévention (
ATF 137 II 297
consid. 2.3.4 p. 301;
ATF 134 IV 97
consid. 4.2 p. 100). La faute de l'auteur n'est en revanche pas déterminante (
ATF 137 II 297
consid. 2.3.4 p. 301; plus récemment arrêt 6B_420/2017 du 15 novembre 2017 consid. 2.1).
1.1.2
Lorsqu'il s'avère que les peines envisagées concrètement sont de même genre, l'
art. 49 al. 1 CP
impose au juge, dans un premier temps, de fixer la peine pour l'infraction abstraitement - d'après le cadre légal fixé pour chaque infraction à sanctionner - la plus grave, en tenant compte de tous les éléments pertinents, parmi lesquels les circonstances aggravantes ou atténuantes. Dans un second temps, il augmentera cette peine pour sanctionner chacune des autres infractions, en tenant là aussi compte de toutes les circonstances y relatives (cf.
ATF 127 IV 101
consid. 2b p. 104; arrêt 6B_688/2014 du 22 décembre 2017 consid. 27.2.1; plus récemment arrêt 6B_1175/2017 du 11 avril 2018 consid. 2.1).
La jurisprudence avait admis que le juge puisse s'écarter de cette méthode concrète dans plusieurs configurations (cf.
ATF 144 IV 217
consid. 2.4 p. 222), notamment lorsque les différentes infractions étaient étroitement liées sur les plans matériel et temporel, de sorte qu'elles ne pouvaient être séparées et être jugées pour elles seules (arrêt 6B_1216/2017 du 11 juin 2018 consid. 1.1.1). Le Tribunal fédéral avait également considéré, exceptionnellement, conforme à l'
art. 49 al. 1 CP
une peine d'ensemble fixée sans qu'une peine hypothétique ait été préalablement arrêtée pour chaque infraction commise, dans un cas où aucune des infractions à trancher n'était clairement plus grave que les autres (
ATF 144 IV 217
consid. 2.4 p. 222
BGE 144 IV 313 S. 318
se référant à l'arrêt 6B_499/2013 du 22 octobre 2013 consid. 1.8). Au vu des critiques formulées quant à l'insécurité que ces exceptions créaient et afin d'assurer une application uniforme de l'
art. 49 al. 1 CP
, le Tribunal fédéral est toutefois revenu sur ce point en soulignant que cette disposition ne prévoyait aucune exception (cf.
ATF 144 IV 217
consid. 3.5.4 p. 235).
1.1.3
L'auteur ne doit pas être condamné plus sévèrement lorsque plusieurs infractions sont jugées en même temps que si ces infractions étaient jugées séparément (
ATF 144 IV 217
consid. 3.3.3 p. 227). Les peines pécuniaires et les peines privatives de liberté ne sont pas équivalentes, les secondes impactant plus fortement que les premières la liberté de l'auteur. On ne saurait dès lors convertir en une peine privative de liberté une peine pécuniaire parce que la quotité de celle-ci est augmentée à cause d'une autre peine pécuniaire hypothétique destinée à sanctionner une autre infraction moins grave jugée en même temps et parce qu'elle dépasse en conséquence le nombre maximal prévu par l'
art. 34 al. 1 CP
. Une telle conversion n'est pas prévue par l'
art. 49 al. 1 CP
et est contraire à l'art. 49 al. 1, 3
e
phrase, CP qui prescrit que le juge est lié par le maximum légal de la peine (cf.
ATF 144 IV 217
consid. 3.3.3 p. 227; ACKERMANN/EGLI, Die Strafartschärfung - eine gesetzesgelöste Figur, Forumpoenale 3/2015 p. 156 ss, 161; MARKO CESAROV, Zur Gesamtstrafenbildung nach der konkreten Methode, Forumpoenale 2/2016 p. 97 ss, 99; GÜNTER STRATENWERTH, Gesamtstrafenbildung nach neuem Recht, Forumpoenale 6/2008 p. 356 ss, 358). L'admettre signifierait de plus revenir de manière générale à la méthode abstraite, dans le cadre de laquelle le genre de peine n'est fixé qu'après que la quotité de la peine d'ensemble l'ait été (cf. CESAROV, op. cit., p. 99). Or cette solution n'est pas celle choisie par le législateur. Ainsi, selon l'
art. 49 CP
dans sa teneur actuelle, une personne jugée pour trois infractions, méritant aux yeux du juge concrètement chacune une peine pécuniaire, ne peut être condamnée à une peine privative de liberté d'ensemble au motif que l'aggravation de la peine pécuniaire de base conduit à augmenter celle-ci au-delà du maximum prévu par l'
art. 34 al. 1 CP
. La solution légale actuellement en vigueur et notamment l'art. 49 al. 1, 3
e
phrase, CP peuvent ainsi conduire à des résultats discutables: une personne qui aurait commis trois infractions ne justifiant chacune d'elles hypothétiquement qu'une peine pécuniaire, par exemple de 180 jours chacune compte tenu de la faute de l'auteur, ne pourrait être condamnée, si ces trois infractions sont jugées
BGE 144 IV 313 S. 319
ensemble, qu'à une peine pécuniaire d'ensemble de 360 jours maximum sous l'ancien droit et de 180 jours maximum à la lumière de l'
art. 34 al. 1 CP
dans sa teneur entrée en vigueur au 1
er
janvier 2018 (cf. problématique déjà abordée dans l'
ATF 144 IV 217
consid. 3.6 p. 237).
1.2
Le juge dispose d'un large pouvoir d'appréciation dans la fixation de la peine. Le Tribunal fédéral n'intervient que lorsque l'autorité cantonale a fixé une peine en dehors du cadre légal, si elle s'est fondée sur des critères étrangers à l'
art. 47 CP
, si des éléments d'appréciation importants n'ont pas été pris en compte ou, enfin, si la peine prononcée est exagérément sévère ou clémente au point de constituer un abus du pouvoir d'appréciation. L'exercice de ce contrôle suppose que le juge exprime, dans sa décision, les éléments essentiels relatifs à l'acte ou à l'auteur qu'il prend en compte, de manière à ce que l'on puisse constater que tous les aspects pertinents ont été pris en considération et comment ils ont été appréciés, que ce soit dans un sens aggravant ou atténuant (
art. 50 CP
). La motivation doit ainsi justifier la peine prononcée, en permettant de suivre le raisonnement adopté, même si le juge n'est pas tenu d'exprimer en chiffres ou en pourcentages l'importance qu'il accorde à chacun des éléments qu'il cite (
ATF 136 IV 55
consid. 5.6 p. 61;
ATF 134 IV 17
consid. 2.1 p. 19 s.; plus récemment arrêt 6B_335/2016 du 24 janvier 2017 consid. 3.1). Plus la peine est élevée, plus la motivation doit être complète (
ATF 127 IV 101
consid. 2c p. 105; plus récemment arrêts 6B_1141/2017 du 7 juin 2018 consid. 4.1; 6B_659/2014 du 22 décembre 2017 consid. 19.3). Conformément à l'
art. 41 al. 2 CP
, entré en vigueur le 1
er
janvier 2018, lorsque le juge choisit de prononcer à la place d'une peine pécuniaire une peine privative de liberté, il doit de plus motiver le choix de cette dernière peine de manière circonstanciée.
1.3
En l'espèce, s'agissant de la nature des peines prononcées, l'autorité précédente a relevé que conformément à l'
art. 61 al. 3 LPM
(RS 232.11), qui sanctionne la violation du droit à la marque par métier, lorsqu'une peine privative de liberté était prononcée, une peine pécuniaire devait l'être également. Elle a ensuite cité l'
art. 34 al. 1 CP
dans sa version en vigueur au moment des faits, qui prévoyait, à sa première phrase, que sauf disposition contraire de la loi, la peine pécuniaire ne pouvait excéder 360 jours-amende. Elle a ensuite retenu que dès lors que la quotité de la sanction excédait en l'espèce ce qui était compatible avec les seuls jours-amende, l'
art. 61 al. 3 LPM
ne laissait pas la possibilité de choisir entre l'une ou l'autre peine mais imposait de prononcer les deux cumulativement. S'agissant de
BGE 144 IV 313 S. 320
la quotité des sanctions prononcées, l'autorité précédente a ensuite relevé la culpabilité très lourde du recourant, l'existence d'un concours d'infractions, le nombre considérable d'intérêts juridiquement protégés lésés, le fait que le recourant ne respectait ni le patrimoine, ni la propriété intellectuelle ni l'intégrité physique d'autrui, les nombreuses récidives commises en cours d'enquête, citant les infractions pour lesquelles le recourant était condamné, ses dénégations ainsi que son absence de prise de conscience ou de regret. Elle a également pris en compte le fait que le recourant n'avait pas récidivé depuis le jugement du 24 novembre 2015, le temps écoulé plaidant ainsi en sa faveur, que la plainte pour violation d'une obligation d'entretien avait été retirée et que le recourant avait gagné son appel sur un point, soit celui du concours imparfait, cet élément n'emportant toutefois pas de réduction de peine. Sur la base de ces éléments, l'autorité précédente a estimé adéquate une peine privative de liberté de 20 mois, une peine pécuniaire de 45 jours-amende ainsi qu'une amende de 800 francs.
1.4
Ce raisonnement ne peut être suivi. Face à plusieurs infractions à sanctionner, l'autorité précédente aurait dû, conformément à la jurisprudence, fixer une peine de base pour l'une des violations du droit à la marque par métier (
art. 61 al. 3 LPM
) ou l'une des falsifications de marchandises par métier (
art. 155 ch. 2 CP
) - infractions abstraitement les plus graves -, en tenant compte de l'ensemble des circonstances aggravantes et atténuantes. Elle devait parallèlement trancher, s'agissant de cette peine de base, de la nature de cette sanction - peine privative de liberté et (cf. art. 61 al. 3, 3
e
phrase, LPM) ou peine pécuniaire - et motiver son choix.
Dans un deuxième temps, elle devait examiner pour chacune des autres infractions commises si elle justifiait concrètement une peine pécuniaire ou une peine privative de liberté ou cas échéant une amende et la quotité hypothétique de dite sanction. Comme le relève le recourant, l'infraction de lésions corporelles simples qualifiées a été commise en avril 2012. Compte tenu de la peine prévue par l'
art. 123 ch. 2 CP
, la prescription était de sept ans (
art. 97 al. 1 let
. c CP dans sa teneur au moment des faits). L'autorité précédente aurait donc dû tenir compte dans la quotité de cette peine hypothétique (et in fine, dans l'éventuelle peine d'ensemble) de la circonstance atténuante prévue par l'
art. 48 al. 1 let
. e CP, disposition non mentionnée dans le jugement entrepris (sur cette disposition et son application par l'autorité d'appel, cf.
ATF 140 IV 145
consid. 3.1 p. 147 s. et les références citées).
BGE 144 IV 313 S. 321
Ce n'est que si les peines hypothétiques pour ces infractions étaient de même nature que la ou l'une des (art. 61 al. 3, 3
e
phrase, LPM) peine(s) de base envisagée(s), que l'autorité précédente pouvait faire application de l'
art. 49 al. 1 CP
et prononcer une peine d'ensemble pour toutes les infractions justifiant une sanction de même nature. Elle ne pouvait en revanche faire l'économie de ce raisonnement - choix et fixation de la peine de base puis, cas échéant, fixation d'une peine d'ensemble -, en arrêtant directement une peine unique pour en déduire que vu sa quotité seule une peine privative de liberté globale pouvait être prononcée. Au vu de ce qui précède (cf. supra consid. 1.1.3), il n'aurait pas non plus été admissible de sanctionner hypothétiquement les différentes infractions de peines pécuniaires et, au motif que leur somme, après aggravation, dépasse le maximum prévu par l'
art. 34 al. 1 CP
, transformer celles-ci en une peine privative de liberté. | mixed |
5958d9eb-2ebe-402b-ac45-94037df1cbbf | Sachverhalt
ab Seite 124
BGE 117 IV 124 S. 124
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach K. am 28. Juni 1989 des Betruges, betrügerischen Konkurses, der fortgesetzten Urkundenfälschung und der fortgesetzten Erschleichung einer falschen Beurkundung schuldig und bestrafte ihn mit 15 Monaten Gefängnis, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren. Der Verurteilung liegen Ereignisse aus den Jahren 1976 bis 1978 zugrunde. Die Strafuntersuchung war im Juli 1977 eröffnet worden.
BGE 117 IV 124 S. 125
Gegen diesen Entscheid führte K. kantonale Nichtigkeitsbeschwerde. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hiess diese am 17. Dezember 1990 gut, hob das Urteil des Obergerichts auf und trat wegen der den Strafverfolgungsbehörden anzulastenden Verfahrensverzögerung auf die Anklage gegen K. nicht ein (Wiedergabe des Urteils in SJZ 1991 S. 154 ff.).
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt dagegen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Auflage, dass auf die Anklage einzutreten sei. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der angefochtene Entscheid lautet auf Nichteintreten auf eine Anklage. Der Sache nach handelt es sich dabei um einen Einstellungsbeschluss im Sinne von
Art. 268 Ziff. 2 BStP
. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist damit zulässig.
b) Die Beschwerdeführerin rügt, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht, da das Kassationsgericht - im Gegensatz zum Obergericht - die massgebenden Verfahrensvorschriften der
Art. 70, 71 und 72 StGB
nicht angewendet habe; es könne nicht Aufgabe des Richters sein, jedes Bundesgesetz auf seine Übereinstimmung mit der EMRK zu überprüfen. Die Vorinstanz ging in der Tat davon aus, es gehe letztlich um die materiellrechtliche Frage, in welchem Ausmass sich die Verfahrensverzögerung auf die weitere Verfolgung des staatlichen Strafanspruchs auswirke und gegebenenfalls den staatlichen Strafanspruch "zum Untergang bringen" könne.
Im Ergebnis hat die Vorinstanz die Strafbestimmungen des eidgenössischen Rechts, deren Verletzung dem Beschwerdegegner angelastet wird, nicht angewendet mit der Begründung, unter den konkreten Umständen ergebe sich die Pflicht zur Verfahrenseinstellung aus höherrangigem Recht. Damit steht die Anwendung bzw. Nichtanwendung von Bundesrecht zur Diskussion. Die Frage, ob eine kantonale Instanz eine bundesrechtliche Strafbestimmung zu Recht nicht angewendet hat, weil eine Verurteilung mit der EMRK nicht zu vereinbaren wäre, kann daher mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde aufgeworfen werden (vgl.
BGE 114 IV 119
E. bb). Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten.
BGE 117 IV 124 S. 126
2.
Nach der von der Beschwerdeführerin geteilten Ansicht der Vorinstanz dauerte das gegen den Beschwerdegegner geführte Verfahren zu lange, und hat dieser die Verzögerung nicht zu vertreten. Die Strafuntersuchung wurde im Juli 1977 eröffnet, die Anklage im Dezember 1984 erhoben und am 19. Februar 1986 zur Änderung und Ergänzung an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Nach Eingang der verbesserten Anklage führte das Obergericht die Hauptverhandlung im April 1988 durch und fällte sein Urteil am 28. Juni 1989. Das begründete Urteil wurde am 9. November 1989 zugestellt. Das Kassationsgericht entschied weitere eineinhalb Jahre nach dem erstinstanzlichen Urteil.
3.
Gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache innert einer angemessenen Frist gehört wird. Dieses sogenannte Beschleunigungsgebot gilt insbesondere auch im Strafverfahren. Die Frist, deren Angemessenheit zu beachten ist, beginnt mit der offiziellen amtlichen Mitteilung der zuständigen Behörde an den Betroffenen, dass ihm die Begehung einer Straftat angelastet werde (vgl. den Fall Eckle, Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 15. Juli 1982, Publications de la Cour européenne des Droits de l'homme, Série A Vol. 51 = EuGRZ 1983, S. 371 ff.; MIEHSLER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1986,
Art. 6 N 313
). Es ist sachgerecht, auf diesen Zeitpunkt abzustellen, da der Betroffene von der Bekanntgabe des Schuldvorwurfes an dem Druck und den Belastungen strafprozessualer Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt ist (MIEHSLER/VOGLER, a.a.O.).
Der Endzeitpunkt, auf welchen es für die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ankommen soll, ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die letzte Entscheidung in der Sache; insbesondere sollen auch alle Verfahren vor Rechtsmittelinstanzen, einschliesslich Rückweisungen und Kassationen, mitberücksichtigt werden (MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 314 mit Hinweisen). Ob dies in dieser allgemeinen Form zutreffend ist, erscheint fraglich (vgl. MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. zur abweichenden deutschen Praxis, wonach nur die Verfahrensdauer bis zur erstinstanzlichen Entscheidung in Betracht gezogen wird und insbesondere Verfassungsbeschwerden die relevante Verfahrensdauer nicht verlängern).
Nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe gibt es keine bestimmte Zeitgrenzen, deren Überschreitung ohne weiteres eine
BGE 117 IV 124 S. 127
Verletzung des Beschleunigungsgebotes zur Folge hat (MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 317). Im vorliegenden Fall haben beide kantonalen Instanzen unangefochten eine Verletzung der angemessenen Verfahrensdauer zum Zeitpunkt des obergerichtlichen, erstinstanzlichen Urteils bejaht. Davon ist auszugehen.
4.
a) Das Bundesrecht kennt keine ausdrückliche Bestimmung, wie der Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Strafsachen Rechnung zu tragen ist. Auf den Zeitablauf nehmen Bezug das Institut der Verjährung (
Art. 70 ff. StGB
) sowie die Möglichkeit der Strafmilderung, wenn verhältnismässig lange Dauer seit der Tat verstrichen ist und der Täter sich überdies wohlverhalten hat (
Art. 64 Abs. 8 StGB
). Das Kriterium der angemessenen Dauer des Verfahrens wird dabei nicht berücksichtigt. Zu Recht hat deshalb die Vorinstanz angenommen, dass das Institut der Verjährung, welche ausschliesslich auf die Dauer seit der Tat abstellt, nicht auf die Verletzung des Beschleunigungsgebotes zugeschnitten ist. Dasselbe gilt für den Strafmilderungsgrund der verhältnismässig langen Dauer seit der Tat, der ebenfalls nicht Rücksicht nimmt auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer, nur bei Wohlverhalten des Täters in Betracht kommt und nach der Rechtsprechung überdies nur dann anwendbar ist, wenn die relative Verjährung nahe ist (
BGE 115 IV 96
mit Hinweis). Diese beiden Gesichtspunkte haben mit der unangemessenen Verfahrensdauer nichts zu tun, denn ein Verfahren kann auch unzulässig verzögert worden sein, wenn sich der Täter in der Zwischenzeit nicht wohlverhalten hat, und ohne dass die Verjährung nahe ist.
Die EMRK selbst sieht eine eigenständige Sanktion für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes ebenfalls nicht vor. Mit der Individualbeschwerde kann der Betroffene nur die deklaratorische Feststellung einer Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und die Festsetzung einer Entschädigung erwirken (MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 327). Zu Recht wird jedoch angenommen, dass die Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht folgenlos bleiben soll.
Die Schweiz ist jedenfalls zur Wiedergutmachung im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten verpflichtet (vgl. MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 328). Wie dargelegt, bestehen jedoch in dieser Hinsicht, beschränkt man sich auf die ausdrücklich geregelten Rechtsfolgen, bundesrechtlich keine ausreichenden Sanktionsmöglichkeiten, soweit nicht im Einzelfall zufolge Eintritts der absoluten Verjährung das Verfahren ohnehin einzustellen ist oder
BGE 117 IV 124 S. 128
im Rahmen der Strafzumessung der durch die Verfahrensverzögerung eingetretenen Unbill ausreichend Rechnung getragen werden kann.
b) Es stellt sich deshalb die Frage, ob aufgrund der EMRK von Bundesrechts wegen in freier Rechtsfindung praeter legem weitere Sanktionsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist zu vermuten, dass der eidgenössische Gesetzgeber staatsvertragliche Verpflichtungen beachten wollte, es sei denn, er habe einen Widerspruch zum internationalen Recht bewusst in Kauf genommen (
BGE 99 Ib 39
ff.; bestätigt in
BGE 112 II 13
,
BGE 116 IV 268
E. 3cc). Hinzu kommt, dass sich die Eidgenossenschaft gemäss Art. 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (SR 0.111) nicht auf ihr innerstaatliches Recht als Rechtfertigung einer Vertragsverletzung berufen darf (
BGE 116 IV 269
mit Hinweisen).
Mit der Ratifikation der europäischen Menschenrechtskonvention ist die Schweiz die Verpflichtung eingegangen, primär eine überlange Verfahrensdauer zu vermeiden und sekundär im Falle einer Verletzung dieser Pflicht die dem Betroffenen entstandenen Nachteile soweit wie möglich auszugleichen. Es ist nicht anzunehmen, dass der eidgenössische Gesetzgeber sich in Widerspruch zu diesen Pflichten stellen wollte. Soweit also im Einzelfall einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht dadurch Rechnung getragen werden kann, dass das Verfahren wegen Verjährung eingestellt oder die Strafe wegen des Zeitablaufes gemildert wird, ist es prinzipiell zulässig, aus der EMRK ergänzende Rechtsgrundsätze herzuleiten.
c) Nach Auffassung der europäischen Menschenrechtskommission ist ein Recht auf Verfahrenseinstellung aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht grundsätzlich auszuschliessen, doch kommt es, wenn überhaupt, nur in ganz aussergewöhnlichen Fällen in Betracht (MIEHSLER/VOGLER, a.a.O. N 329; ebenso das deutsche Bundesverfassungsgericht, EuGRZ 1984, S. 94). MIEHSLER/VOGLER stellen die Rechtslage wie folgt dar: In Fällen, in denen das Ausmass der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiege und in denen die Dauer des Verfahrens zudem mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten (beispielsweise mit Untersuchungshaft von längerer Dauer) verbunden gewesen sei, könne aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden. Ein solches komme jedoch erst dann in Betracht, wenn in Anwendung und Auslegung des Straf- und Strafverfahrensrechts
BGE 117 IV 124 S. 129
kein hinreichender Ausgleich für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes gefunden werden könne. Die Autoren verweisen auf das Absehen von Strafe sowie auf die Möglichkeit, bei der Strafzumessung und gegebenenfalls bei der Gewährung des bedingten Strafvollzuges die Verletzung des Beschleunigungsgebotes angemessen zu berücksichtigen. Eine floskelhafte Wendung in den Urteilsgründen zur Strafzumessung oder die blosse Erwähnung der zu langen Zeitspanne als eines von mehreren Strafmilderungsgründen reiche allerdings nicht aus; vielmehr sei die Verletzung des Beschleunigungsgebotes ausdrücklich festzustellen und näher darzulegen, in welchem Ausmass dieser Umstand berücksichtigt wurde.
d) Zusammenfassend sind bei einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes folgende Sanktionen möglich:
- Berücksichtigung der Verfahrensverzögerung im Rahmen der Strafzumessung,
- Einstellung des Verfahrens zufolge eingetretener Verjährung,
- Schuldigsprechung des Täters unter gleichzeitigem Verzicht auf Strafe sowie
- Verfahrenseinstellung (als ultima ratio in extremen Fällen).
Überdies ist der Richter verpflichtet, die Verletzung des Beschleunigungsgebotes in seinem Urteil ausdrücklich festzuhalten und gegebenenfalls darzulegen, in welchem Ausmass er diesen Umstand berücksichtigt hat.
e) Nach dem Gesagten erscheint die Auffassung der Vorinstanz, in extremen Fällen komme als Sanktion für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes nur noch die Verfahrenseinstellung in Betracht, nicht als bundesrechtswidrig. Allerdings kann diese Möglichkeit nur als ultima ratio in Erwägung gezogen werden. Nur wenn dargelegt und begründet wird, weshalb der Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht auch auf dem Wege der Strafzumessung oder gegebenenfalls dadurch Rechnung getragen werden kann, dass der Betroffene zwar schuldig gesprochen, von Strafe aber Umgang genommen wird, darf von der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung Gebrauch gemacht werden.
Bei der Frage nach der Sanktion einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist überdies folgenden Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Zu berücksichtigen ist einerseits, wie schwer der Beschuldigte durch die Verfahrensverzögerung getroffen wurde, andererseits, wie gravierend die ihm vorgeworfenen Straftaten sind und welche Strafe ausgesprochen werden müsste, wenn keine
BGE 117 IV 124 S. 130
Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliegen würde. Nicht ausser acht gelassen werden dürfen auch die Interessen der Geschädigten, die gestützt auf eine rechtskräftige Verurteilung des Beschuldigten ihre Schadenersatzbegehren wesentlich leichter geltend machen können als ohne eine solche; die Geschädigten haben aber ebensowenig wie der Angeschuldigte zu vertreten, dass die Strafverfolgungsbehörden das Beschleunigungsgebot missachtet haben. Gerade die neueren Bestrebungen, die Interessen des Opfers im Strafverfahren stärker zu berücksichtigen (vgl.
Art. 64ter BV
sowie Botschaft und Entwurf eines Opferhilfegesetzes, BBl 1990 II 961 ff., III 1008), sind ein Zeichen dafür, dass eine Verfahrenseinstellung ohne Verurteilung jedenfalls dann problematisch ist, wenn unerledigte Geschädigtenansprüche bestehen.
f) Im Lichte dieser Grundsätze erweist sich die angefochtene Entscheidung als bundesrechtswidrig. Sie betont zwar, dass die Sanktion der Verfahrenseinstellung nur als ultima ratio in Betracht komme, ohne jedoch zu begründen, weshalb eine weniger weitgehende Sanktion im vorliegenden Fall zum Ausgleich der erlittenen Unbill nicht ausreicht. Ebenso geht sie nicht darauf ein, ob und inwieweit Geschädigteninteressen auf dem Spiel stehen. Sie legt auch nicht über abstrakte Erwägungen hinausgehend dar, dass und inwieweit der Beschwerdegegner durch die Verfahrensverzögerung konkret betroffen wurde. Die Vorinstanz geht schliesslich nicht darauf ein, dass nach Auffassung des Obergerichtes für die Straftaten des Beschwerdegegners an sich eine mehrjährige Zuchthausstrafe hätte ausgesprochen werden müssen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht zu prüfen erlauben, ob im vorliegenden Fall eine Verfahrenseinstellung als Sanktion für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes angezeigt war. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb gutzuheissen und das Urteil des Kassationsgerichtes aufzuheben. | mixed |
acc29a2d-eb99-4c84-bea7-9d7a9d96ef0e | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 130 IV 58 S. 58
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern erklärte mit Urteil vom 15. März 2002 schuldig
X. der mehrfachen (eventual-) vorsätzlichen Tötung, des Nichtbeherrschens des Fahrzeuges, der mehrfachen Überschreitung der gesetzlichen und signalisierten Höchstgeschwindigkeit innerorts und ausserorts sowie des Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die Strassen- und Verkehrsverhältnisse, des mehrfachen ungenügenden Abstandhaltens beim Hintereinanderfahren sowie des mehrfachen vorschriftswidrigen Überholens,
Y. der mehrfachen (eventual-) vorsätzlichen Tötung, der mehrfachen Überschreitung der gesetzlichen und signalisierten Höchstgeschwindigkeit innerorts und ausserorts sowie des Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die Strassen- und Verkehrsverhältnisse, des ungenügenden Abstandhaltens beim Hintereinanderfahren, des vorschriftswidrigen Überholens sowie des pflichtwidrigen Verhaltens bei Verkehrsunfall.
Es verurteilte beide Angeklagten zu je 6 1/2 Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft, sowie zu 5 Jahren Landesverweisung, mit bedingtem Strafvollzug bei einer Probezeit von 4 Jahren. Hinsichtlich Y. sprach es die Strafe als Zusatzstrafe zum Urteil des Amtsstatthalteramtes Luzern vom 21. Oktober 2002 aus und widerrief im Weiteren den ihm gemäss Strafverfügung des Bezirksamtes Kulm vom 10. August 1999 für eine Strafe von 14 Tagen Gefängnis gewährten bedingten Strafvollzug.
Die von X. und Y. gegen diesen Entscheid geführten Appellationen wies das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 16. Juni 2003 ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
BGE 130 IV 58 S. 59
Die Verurteilten führen sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Dem zu beurteilenden Fall liegt ein Verkehrsunfall zugrunde. Das Obergericht geht gestützt auf die Aussagen der verschiedenen Augenzeugen und der Beteiligten sowie auf ein verkehrstechnisches Unfallgutachten von folgendem Geschehen aus:
Der Beschwerdeführer 1 fuhr am Abend des 3. September 1999 um ca. 22.30 Uhr mit seinem Personenwagen VW Corrado von Hochdorf in Richtung Gelfingen. Beim Kreisel in Hochdorf schloss ein zweiter VW Corrado, der vom Beschwerdeführer 2 gesteuert wurde, zum Auto des Beschwerdeführers 1 auf. Die beiden Fahrzeuglenker kannten sich nicht. Beide führten in ihren Personenwagen Mitfahrer mit.
Der Beschwerdeführer 1 fühlte sich offenbar vom dicht hinter ihm herfahrenden Beschwerdeführer 2 provoziert. Er beschleunigte deshalb ausserhalb von Hochdorf seine Fahrt und fuhr mit übersetzter Geschwindigkeit in Richtung Gelfingen. Dabei wurde er vom Beschwerdeführer 2 in geringem Abstand verfolgt. In der Folge entwickelte sich zwischen den beiden Lenkern ein spontanes Autorennen. Nach der Ortschaft Baldegg überholte der Beschwerdeführer 2 mit einer Geschwindigkeit im Bereich von 100-140 km/h zunächst den Wagen des Beschwerdeführers 1 und hernach weitere, in Richtung Gelfingen fahrende unbeteiligte Personenwagen. Daraufhin fuhr der Beschwerdeführer 1 seinem Kontrahenten mit massiv übersetzter Geschwindigkeit dicht hinterher. Vor dem Ortseingang von Gelfingen setzte der Beschwerdeführer 1 seinerseits zu einem Überholmanöver an und fuhr auf die linke Fahrspur. Beide Beschwerdeführer rasten eng hintereinander bzw. teilweise nebeneinander mit einer Geschwindigkeit von rund 120-140 km/h in das Dorf Gelfingen hinein.
Als der Beschwerdeführer 1 gegen Ende des Überholmanövers vor der unübersichtlichen Linkskurve innerorts auf die rechte Fahrspur einzuschwenken begann, verlor er rund 150 Meter nach der Ortstafel die Herrschaft über seinen Wagen und geriet ins Schleudern. Sein Auto drehte sich um die eigene Achse und kollidierte mehrfach mit einer Mauer an der linken Strassenseite. Schliesslich erfasste das Fahrzeug auf dem Trottoir zwei jugendliche Fussgänger
BGE 130 IV 58 S. 60
und schleuderte sie rund 30 Meter weit nach vorne weg. Dabei erlitten beide Opfer schwerste Verletzungen, denen sie noch auf der Unfallstelle bzw. kurz nach der Einlieferung ins Spital erlagen.
Der Beschwerdeführer 2 setzte nach dem Ortsbeginn von Gelfingen seine Geschwindigkeit insoweit geringfügig herab, als er etwas Gas wegnahm. Er bremste seine Fahrt erst ab, als er erkannte, dass der Wagen des Beschwerdeführers 1 ins Schleudern geriet. In der Folge fuhr er mit einer Geschwindigkeit von ca. 20-30 km/h am Unfallauto vorbei, ohne sich weiter um das Unfallgeschehen zu kümmern.
(...)
7.
In rechtlicher Hinsicht wenden sich die Beschwerdeführer gegen den Schuldspruch der (eventual-)vorsätzlichen Tötung. Sie machen geltend, der tödliche Verkehrsunfall sei auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen. Der Beschwerdeführer 1 habe sich daher lediglich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht.
(...)
8.
Gemäss
Art. 18 Abs. 2 StGB
verübt ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich, wer die Tat mit Wissen und Wollen ausführt.
8.1
Der Vorsatz erfordert auf der Wissensseite ein aktuelles Wissen um die Tatumstände (für Einzelheiten vgl. GUIDO JENNY, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I,
Art. 18 StGB
N. 21; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Aufl., Bern 1996, § 9 N. 71 f.). Bei Delikten, die den Eintritt eines Erfolges erfordern, gehört zur Wissensseite des Vorsatzes eine Vorstellung über den Zusammenhang zwischen dem eigenen Handeln und dem Erfolg. Der Vorsatz bezieht sich nicht nur auf Tatumstände, deren Vorhandensein oder Eintreten der Täter für sicher hält. Er kann sich auch auf solche erstrecken, deren Vorhandensein oder Eintreten er nur für möglich hält (
BGE 125 IV 242
E. 3c S. 251;
BGE 103 IV 65
E. I.2 S. 67 f.; vgl. schon
BGE 69 IV 75
E. 5 S. 79 f.; JENNY, a.a.O.,
Art.18 StGB
N. 22; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 73).
8.2
Neben dem Wissen um die reale Möglichkeit der Tatbestandserfüllung verlangt der Vorsatz auch den Willen, den Tatbestand zu verwirklichen. Der Täter muss sich gegen das rechtlich geschützte Gut entscheiden (STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 58 f.; SCHÖNKE/ SCHRÖDER/CRAMER/STERNBERG-LIEBEN, Strafgesetzbuch, Kommentar,
BGE 130 IV 58 S. 61
26. Aufl., 2001, § 15 N. 80). Dieser Wille ist gegeben, wenn die Verwirklichung des Tatbestandes das eigentliche Handlungsziel des Täters ist oder ihm als eine notwendige Voraussetzung zur Erreichung seines Zieles erscheint. Dasselbe gilt, wenn die Verwirklichung des Tatbestandes für den Täter eine notwendige Nebenfolge darstellt, mag sie ihm auch gleichgültig oder gar unerwünscht sein (JENNY, a.a.O.,
Art.18 StGB
N. 39 f./42; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 93 ff.).
Neben diesem direkten Vorsatz erfasst
Art. 18 Abs. 2 StGB
auch den Eventualvorsatz. Hier strebt der Täter den Erfolg nicht an, sondern weiss lediglich, dass dieser möglicherweise mit der willentlich vollzogenen Handlung verbunden ist. Die Rechtsprechung bejaht Eventualvorsatz, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs bzw. die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (
BGE 125 IV 242
E. 3c S. 251;
BGE 121 IV 249
E. 3a/aa;
BGE 119 IV 1
E. 5a, je mit Hinweisen).
8.3
Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit kann im Einzelfall schwierig sein (vgl. nur STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 61; CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, 3. Aufl., 1997, § 12 N. 27). Sowohl der eventualvorsätzlich als auch der fahrlässig handelnde Täter wissen um die Möglichkeit oder das Risiko der Tatbestandsverwirklichung. Hinsichtlich der Wissensseite stimmen somit beide Erscheinungsformen des subjektiven Tatbestandes überein. Unterschiede bestehen jedoch beim Willensmoment.
Der bewusst fahrlässig handelnde Täter vertraut (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintrete, sich das Risiko der Tatbestandserfüllung mithin nicht verwirklichen werde. Das gilt selbst für den Täter, der sich leichtfertig bzw. frivol (
BGE 69 IV 75
E. 5 a.E. S. 80) über die Möglichkeit der Tatbestandserfüllung hinwegsetzt und mit der Einstellung handelt, es werde schon nichts passieren.
Demgegenüber nimmt der eventualvorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab. Wer den Erfolg derart in Kauf nimmt, "will" ihn im Sinne von
Art. 18 Abs. 2 StGB
. Nicht erforderlich ist, dass der Täter den Erfolg "billigt" (eingehend
BGE 96 IV 99
S. 101;
BGE 103 IV 65
E I.2 S. 68; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 104)
BGE 130 IV 58 S. 62
.
8.4
Für den Nachweis des Vorsatzes kann sich der Richter - soweit der Täter nicht geständig ist - regelmässig nur auf äusserlich feststellbare Indizien und auf Erfahrungsregeln stützen, die ihm Rückschlüsse von den äusseren Umständen auf die innere Einstellung des Täters erlauben. Nach der Rechtsprechung darf er vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter die Verwirklichung der Gefahr als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, sie als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolges ausgelegt werden kann (
BGE 109 IV 140
mit Hinweisen; so schon
BGE 69 IV 75
E. 5 S. 80; JENNY, a.a.O.,
Art. 18 StGB
N. 48/53; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 61/101 ff.).
Zu den äusseren Umständen, aus denen der Schluss gezogen werden kann, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen, zählt die Rechtsprechung unter anderem auch die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung und die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die tatsächliche Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen (
BGE 125 IV 242
E. 3c S. 252;
BGE 119 IV 1
E. 5a). Zu den relevanten Umständen können aber auch die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung gehören (
BGE 125 IV 242
E. 3c S. 252 mit Hinweisen). Der Schluss, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen, darf aber jedenfalls nicht allein aus der Tatsache gezogen werden, dass sich dieser des Risikos der Tatbestandsverwirklichung bewusst war und dennoch handelte. Denn dieses Wissen um das Risiko der Tatbestandsverwirklichung wird - wie ausgeführt - auch bei der bewussten Fahrlässigkeit vorausgesetzt.
8.5
Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft so genannte innere Tatsachen, ist damit Tatfrage (
BGE 125 IV 242
E. 3c S. 251 mit Hinweisen;
BGE 121 IV 249
E. 2a/aa;
BGE 119 IV 1
E. 5a;
BGE 110 IV 20
E. 2,
BGE 110 IV 74
E. 1c;
BGE 109 IV 46
E. 1;
BGE 104 IV 35
E. 1, je mit Hinweisen) und kann daher im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht zur Entscheidung gestellt werden (
Art. 273 Abs. 1 lit. b,
Art. 277
bis
Abs. 1 BStP
). Rechtsfrage ist demgegenüber, ob im Lichte der von der kantonalen Instanz festgestellten Tatsachen der Schluss auf Eventualvorsatz berechtigt erscheint. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn bei Fehlen eines Geständnisses
BGE 130 IV 58 S. 63
des Täters aus äusseren Umständen auf jene inneren Tatsachen geschlossen werden muss. Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass sich Tat- und Rechtsfragen insoweit teilweise überschneiden (
BGE 119 IV 1
E. 5a und 242 E. 2, je mit Hinweisen). Die kantonale Instanz hat deshalb, wenn es um die Frage des Eventualdolus geht, die in diesem Zusammenhang relevanten Tatsachen so erschöpfend wie möglich festzustellen, damit erkennbar wird, aus welchen Umständen sie die Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung ableitet. Denn der Sinngehalt der zum Eventualdolus entwickelten Formeln lässt sich nur im Lichte der tatsächlichen Umstände des Falles erschliessen. Das Bundesgericht kann daher in einem gewissen Ausmass die richtige Bewertung dieser Umstände im Hinblick auf den Rechtsbegriff des Eventualvorsatzes überprüfen (
BGE 125 IV 242
E. 3c S. 252;
BGE 119 IV 242
E. 2c S. 248).
9.
9.1
Im Folgenden ist vorerst hinsichtlich des Beschwerdeführers 1, der den Unfall unmittelbar verursacht hat, zu prüfen, ob der Schluss auf ein Handeln mit Eventualvorsatz vor Bundesrecht standhält.
9.1.1
Nicht zu beanstanden ist zunächst, dass die Vorinstanz das Wissenselement des Vorsatzes als erfüllt erachtet. Der Beschwerdeführer 1 hat sich mit dem Beschwerdeführer 2 ein eigentliches, wenn auch nicht im Voraus abgesprochenes Autorennen geliefert, bei welchem beide Fahrer danach trachteten, sich gegenseitig in ihrer fahrerischen Stärke und der Leistungskraft des eigenen Wagens zu überbieten. Dabei musste er, als er kurz vor dem Dorfeingang mit einer Geschwindigkeit von rund 120-140 km/h zu einem Überholmanöver ansetzte, damit rechnen, dass ein Einbiegen auf die rechte Spur und ein Abbremsen innerhalb kurzer Zeit ohne den Verlust der Herrschaft über den Wagen nicht möglich sein würde. Die Vorinstanz nimmt in diesem Zusammenhang zu Recht an, dass die Folgen einer derart halsbrecherischen Fahrweise jedem Verkehrsteilnehmer in klarer Weise vor Augen stehen. Der Beschwerdeführer 1 musste auch davon ausgehen, dass sich an einem späteren Freitagabend im Spätsommer noch Fussgänger oder andere Verkehrsteilnehmer auf der Strasse befinden bzw. dass diese die Strasse auf dem Fussgängerstreifen überqueren könnten. Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verkehrsunfalles war aufgrund der örtlichen Situation und seiner Fahrweise derart hoch, dass er sie spätestens im Zeitpunkt des Überholmanövers erkannt haben musste.
BGE 130 IV 58 S. 64
Dies wird im Grunde auch vom Beschwerdeführer 1 nicht bestritten.
Als erfüllt erweist sich beim Beschwerdeführer 1 auch das Wil lenselement des Vorsatzes. Wie die Vorinstanz zu Recht annimmt, haben es ihm die konkreten Umstände nicht mehr erlaubt, ernsthaft darauf zu vertrauen, er werde den als möglich erkannten Erfolg durch seine Fahrgeschicklichkeit vermeiden können. Wer im Rahmen eines fahrerischen Kräftemessens kurz vor einem Dorfeingang mit einem Tempo von 120-140 km/h zu einem Überholmanöver ansetzt und sich nicht davon abbringen lässt, obwohl er voraussieht, dass es sich bis in den Innerortsbereich hinziehen wird, wo er die höchstzulässige Geschwindigkeit mithin um bis zu 90 km/h überschreitet, kann gar nicht anders, als den Deliktserfolg ernstlich in Rechnung zu stellen. Er lässt es offensichtlich "drauf ankommen" (vgl. ROXIN, a.a.O., § 12 N. 27 a.E.). Der Beschwerdeführer 1 hat sich daher mit seiner Fahrweise für die mögliche Rechtsgüterverletzung entschieden. Denn die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts musste sich ihm als so gross aufdrängen, dass der Umstand, dass er - anstatt seine Fahrt vor der Ortschaft Gelfingen abzubremsen und das Rennen aufzugeben - trotz der massiv übersetzten Geschwindigkeit seines Gegners noch zu einem Überholmanöver angesetzt hat, nicht anders denn als Inkaufnahme des als möglich erkannten Erfolgs ausgelegt werden kann. Seine Fahrweise hat dem Beschwerdeführer 1 mit anderen Worten nurmehr die
Hoffnung
erlaubt, die Sache werde glimpflich ausgehen. Er musste es letztlich Glück oder Zufall überlassen, ob sich die Gefahr verwirklichen werde oder nicht. Die blosse Hoffnung auf das Ausbleiben des tatbestandsmässigen Erfolgs schliesst eine Inkaufnahme im Sinne eventualvorsätzlicher Tatbegehung anders als das - auch bloss leichtsinnige - Vertrauen jedoch nicht aus. Es bedeutet lediglich, dass der Erfolgseintritt als solcher unerwünscht ist (
BGE 125 IV 242
E. 3f S. 254; vgl. auch ROXIN, a.a.O., § 12 N. 27).
Zwar trifft zu, dass ein Fahrzeuglenker durch sein gewagtes Fahrverhalten selbst zum Opfer zu werden droht. Man wird daher einem Autofahrer bei einer riskanten Fahrweise, z.B. bei einem waghalsigen Überholmanöver, auch wenn ihm die möglichen Folgen bewusst sind und er auf sie gar ausdrücklich hingewiesen worden ist, in der Regel zugestehen, dass er - wenn auch oftmals rational nicht begründbar - leichtfertig darauf vertrauen wird, es werde schon nicht zu einem Unfall kommen. Die Annahme, der
BGE 130 IV 58 S. 65
Fahrzeug lenker habe sich gegen das Rechtsgut entschieden und nicht mehr im Sinne der bewussten Fahrlässigkeit auf einen guten Ausgang vertraut, darf daher nicht leichthin getroffen werden (ROXIN, a.a.O., § 12 N. 23; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER/STERNBERG-LIEBEN, a.a.O., § 15 N. 75). Aus diesem Grund hat der von den kantonalen Instanzen angeführte nicht publizierte Entscheid des Bundesgerichts, in welchem es die Verurteilung eines Fahrzeuglenkers wegen eventualvorsätzlicher Tötung schützte, der mit seinem Lamborghini nachts auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von mindestens 240 km/h auf ein auf der Fahrbahn liegen gebliebenes Unfallauto aufgefahren war und dabei zwei Personen tödlich verletzt hatte, Anlass zu Kritik gegeben (Urteil des Kassationshofs Str. 61/86 vom 6. Oktober 1986, auszugsweise zit. bei HANS SCHULTZ, Rechtsprechung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren 1983-1987, Bern 1990, S. 92 ff.; vgl. die Kritik bei SCHULTZ, a.a.O., S. 94 f.; JEAN-PIERRE GUIGNARD, Note sur l'arrêt X., JdT 1988 IV S. 131 ff.). Der jenem Entscheid zu Grunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich von demjenigen im vorliegenden Fall jedoch wesentlich, so dass sich weitere Erörterungen hiezu erübrigen.
Im zu beurteilenden Fall kann das Verhalten des Beschwerdeführers 1 jedenfalls nicht mehr als bloss verantwortungslose riskante Fahrweise bzw. als unverantwortlicher Leichtsinn gewürdigt werden. Aus dem ganzen Ablauf des Geschehens, der gegenseitigen Anstachelung der beiden Fahrzeuglenker beim ersten Aufeinandertreffen bis zum letzten, sich bis in den Innerortsbereich von Gelfingen erstreckenden Überholmanöver ergibt sich, dass primäres Ziel des Beschwerdeführers 1 war, dem Rivalen die eigene fahrerische Überlegenheit zu beweisen und um keinen Preis das Gesicht zu verlieren. Dieses Ziel hat er höher bewertet als die drohenden Folgen, mithin als den Tod der beiden Opfer. Diesem hat er selbst die eigene Sicherheit und diejenige seiner Mitfahrer untergeordnet. Dadurch, dass er sich durch nichts davon abbringen liess, das Überholmanöver bis zuletzt durchzuziehen, hat er zum Ausdruck gebracht, dass ihm der als möglich erkannte Erfolg völlig gleichgültig war.
9.1.2
Was der Beschwerdeführer 1 hiegegen vorbringt, dringt nicht durch. Soweit er geltend macht, der Unfall sei das Resultat einer unkontrollierten Schleuderfahrt gewesen, deren Ursache nicht hinreichend abgeklärt worden sei, wendet er sich gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, an welche der Kassationshof
BGE 130 IV 58 S. 66
im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde gebunden ist (
Art. 277
bis
Abs. 1 BStP
). Insofern kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
Unbegründet ist seine Beschwerde, soweit er sich auf den Standpunkt stellt, das Unfallgeschehen, insbesondere das initiale Schleudern, sei in dieser Form nicht vorhersehbar gewesen. Wie die Vorinstanz zu Recht erkennt, erfordert die Annahme des Vorsatzes keine sichere Voraussicht des genauen Geschehensablaufs. Es genügt, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung ernsthaft und tatsächlich für möglich hält (STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 73). Dies ist hier, wie sich aus den obstehenden Erwägungen ergibt (E. 9.1.1), ohne weiteres zu bejahen.
9.1.3
Die Bejahung des Eventualvorsatzes beim Beschwerdeführer 1 verletzt aus diesen Gründen Bundesrecht nicht. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Beschwerdeführers 1 erweist sich daher in diesem Punkt als unbegründet.
9.2
Bei diesem Ergebnis ist nunmehr zu prüfen, ob die Annahme der Vorinstanz, der Beschwerdeführer 2 habe sich als Mittäter ebenfalls der eventualvorsätzlichen Tötung schuldig gemacht, mit dem Bundesrecht im Einklang steht.
9.2.1
Nach der Rechtsprechung ist Mittäter, wer bei der Ent schliessung, Planung oder Ausführung eines Deliktes vorsätzlich und in massgebender Weise mit anderen Tätern zusammenwirkt, so dass er als Hauptbeteiligter dasteht. Dabei kommt es darauf an, ob der Tatbeitrag nach den Umständen des konkreten Falles und dem Tatplan für die Ausführung des Deliktes so wesentlich ist, dass sie mit ihm steht oder fällt. Das blosse Wollen der Tat, der subjektive Wille allein genügt zur Begründung von Mittäterschaft jedoch nicht. Der Mittäter muss vielmehr bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung der Tat auch tatsächlich mitwirken. Daraus folgt aber nicht, dass Mittäter nur ist, wer an der eigentlichen Tatausführung beteiligt ist oder sie zu beeinflussen vermag. Dass der Mittäter bei der Fassung des gemeinsamen Tatentschlusses mitwirkt, ist nicht erforderlich; es genügt, dass er sich später den Vorsatz seiner Mittäter zu eigen macht (vgl.
BGE 125 IV 134
E. 3a mit Hinweisen).
9.2.2
Der Beschwerdeführer 2 hat sich am spontanen Autorennen im selben Masse beteiligt wie der den Unfall unmittelbar verursachende Beschwerdeführer 1. Beide Fahrzeuglenker haben sich durch die gegenseitigen Provokationen zu einem Duell auf der Strasse
BGE 130 IV 58 S. 67
herausgefordert und durch das dichte Hintereinanderherjagen bei stetig steigender Geschwindigkeit konkludent zum Ausdruck gebracht, dass sie sich auf das Kräftemessen einlassen und dem Gegner die eigene Überlegenheit aufzeigen wollten.
Die Vorinstanz erkennt zu Recht, dass der Beschwerdeführer 2 bei diesem Geschehen als Hauptbeteiligter erscheint, auch wenn er den Unfall nicht direkt verursacht hat. Sein Tatbeitrag liegt darin, dass er sich überhaupt am Rennen beteiligt hat, vor allem aber darin, dass er im Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer 1 vor der Ortschaft Gelfingen zu seinem Überholmanöver angesetzt hat, seine Fahrt mit gleichbleibender, massiv überhöhter Geschwindigkeit bis in den Innerortsbereich fortgesetzt hat. Insofern gilt für ihn dasselbe, was hinsichtlich des Beschwerdeführers 1 ausgeführt worden ist (vgl. oben E. 9.1.1). Auch ihm mussten die Folgen einer solchen Fahrweise klar vor Augen stehen. Dennoch liess er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. Aus dem Umstand, dass er sein Tempo während des Überholmanövers seines Gegners trotz des nahenden Dorfeinganges nicht reduziert hat, lässt sich nur schliessen, dass er den Konkurrenten um keinen Preis an sich vorbeiziehen lassen und ihm das Überholen, wohl in der Absicht, ihn zum Aufgeben zu bewegen, so schwer wie möglich machen wollte. Dadurch hat er verhindert, dass der Beschwerdeführer 1, der ebenfalls unter keinen Umständen klein beigeben wollte, das Überholen vor dem Ortsbeginn abschliessen konnte. Auch der Beschwerdeführer 2 hat damit offensichtlich sein Bestreben, um jeden Preis als Gewinner aus der Auseinandersetzung hervorzugehen, über alles gestellt und die Gefahr eines drohenden Unfalls beiseite geschoben. Daraus lässt sich nur schliessen, dass er es ebenfalls "drauf ankommen" liess und ihm alles andere als der Ausgang des Rennens vollkommen gleichgültig war.
9.2.3
Was der Beschwerdeführer 2 hiegegen einwendet, führt zu keinem anderen Ergebnis.
Soweit er zunächst geltend macht, er habe nicht voraussehen können, dass der Beschwerdeführer 1 aufgrund einer Unachtsamkeit plötzlich ins Schleudern geraten könnte, ist er nicht zu hören. Insoweit geht er von einem Sachverhalt aus, der von den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweicht (vgl.
Art. 273 Abs. 1 lit. b und
Art. 277
bis
Abs. 1 BStP
).
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers 2 schliesst die Vorinstanz sodann nicht vom blossen Wissen um das Risiko der
BGE 130 IV 58 S. 68
Tatbestandsverwirklichung auf deren Inkaufnahme. Vielmehr erachtet sie auf Grund verschiedener Anzeichen die Willensseite des Vorsatzes als erfüllt. Diesem Schluss steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer 2 nach dem Ortsbeginn seine Fahrt leicht verlangsamt hat, indem er etwas Gas wegnahm. Dass er den Erfolg nicht wollte, liesse sich nur annehmen, wenn er vor der Ortschaft seine Fahrt abgebremst und damit dem Beschwerdeführer 1 erlaubt hätte, sein Überholmanöver rechtzeitig zu vollenden.
9.2.4
Der Schluss der Vorinstanz, der Beschwerdeführer 2 habe sich als Mittäter der eventualvorsätzlichen Tötung schuldig gemacht, verletzt daher Bundesrecht nicht. Dasselbe gilt hinsichtlich der von ihm beanstandeten Schuldsprüche wegen Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz, namentlich wegen Überschreitens der Höchstgeschwindigkeit innerorts (
Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV
i.V.m.
Art. 32 Abs. 2 SVG
). Die Nichtigkeitsbeschwerde des Beschwerdeführers 2 erweist sich ebenfalls als unbegründet. | mixed |
331f99bb-ca36-49f1-910d-36e57cb5c089 | Sachverhalt
ab Seite 188
BGE 136 IV 188 S. 188
A.
Par arrêt du 18 septembre 2008 et complément du 18 mai 2009, la Cour des affaires pénales du Tribunal pénal fédéral a notamment condamné X. pour blanchiment d'argent à une peine privative de liberté de 486 jours, avec sursis pendant trois ans, à une peine pécuniaire ferme de 54 jours-amende de 400 fr. par jour et au paiement des frais de la cause à hauteur de 59'073 fr.
Cette condamnation repose, en résumé et pour l'essentiel, sur les éléments suivants.
A.a
En 1999, le gouvernement de l'Etat de Rio de Janeiro a constitué une nouvelle entité de contrôle fiscal des grandes sociétés implantées dans l'Etat, soit l'Inspectorat des grands contribuables, qui était dirigé par A. et chargé du redressement fiscal desdites entreprises, comprenant tant l'encaissement des impôts soustraits que les amendes y relatives. Cette structure rapportait plus de 80 % de la recette fiscale de l'Etat précité.
Les agents de cette structure ont rapidement mis en place un système pour obtenir des sociétés inspectées qu'elles versassent des pots-de-vin en échange d'arrangements sur les amendes et redressements à encaisser par l'administration. En bref, ils désignaient un inspecteur qui se rendait dans les locaux de l'entreprise et lui demandait de produire divers documents à bref délai, sous peine d'amende. La brièveté du délai imparti avait pour but et conséquence de mettre l'entreprise dans l'impossibilité de l'observer, ce qui entraînait une série d'amendes et, avec la mise sous pression de la société, créait les conditions utiles au chantage. Apparaissait alors un intermédiaire étranger à l'administration fiscale, venant proposer à la société un
BGE 136 IV 188 S. 189
accord de clôture d'inspection et/ou de remise finale d'amende contre paiement d'un pot-de-vin. Par l'acceptation de cet accord, l'entreprise voyait l'inspection clôturée, ce qui lui permettait, d'une part, d'éviter de payer de nouvelles amendes et, d'autre part, d'échapper à un redressement fiscal plus important.
Par arrêt du 19 septembre 2007, le Tribunal régional fédéral de la 2
e
région, statuant en appel, a confirmé la condamnation des trois agents fiscaux A., B. et C., pour corruption passive notamment.
A.b
A., B. et C. ont transféré, par le biais des services d'un changeur, l'argent issu du système de corruption exposé ci-dessus sur des comptes ouverts auprès de la banque D. dont le siège était à Genève et qui disposait de succursales à Zurich et Lugano.
Cette banque a été dissoute sans liquidation le 26 juin 2002, la banque E. en ayant repris l'actif et le passif. Elle comprenait un Conseil d'administration et son Comité du Conseil, un Comité de Direction générale, un Comité de Direction locale pour chacune des succursales, un Comité de conformité, un organe de révision interne, des services juridiques et de compliance auprès du siège comme des succursales, ainsi que des chefs de groupe, des gestionnaires et des assistants gestionnaires. La banque D. agissait également par ses Bureaux de représentation à l'étranger, fonctionnant notamment comme pourvoyeurs d'affaires.
A.c
Le Comité de Direction locale de la succursale de Zurich était notamment composé de X., directeur du 1
er
janvier 2000 au 19 juin 2002, et de F., directeur adjoint et chef du groupe Amérique latine et Brésil I du 1
er
janvier 1991 au 19 juin 2002. G. en était le secrétaire.
Le 30 mai 2000, ce dernier a attiré l'attention du Comité de Direction locale sur le fait que A. était mentionné comme auditeur fiscal pour deux comptes et vendeur de machines agricoles pour un troisième. La question de la possibilité de l'exercice d'une activité accessoire pour un agent public PEP était ainsi posée. De même, l'existence de transferts internes exécutés en faveur d'autres fonctionnaires fiscaux et l'importance des avoirs en compte étaient également relevées. Lors de sa séance du 4 août 2000, le Comité de conformité a chargé X. d'enquêter sur place sur la compatibilité de l'activité publique de A. avec le maintien de ses comptes auprès de la banque D. et de lui adresser un rapport.
Le 9 février 2001, le Comité de Direction locale a pris connaissance du tableau établi par G. montrant l'accroissement des avoirs des
BGE 136 IV 188 S. 190
clients "fonctions publiques" entre le 1
er
janvier 2000 et le 5 février 2001. Ainsi, les avoirs de B. avaient augmenté de 330.10 % à près de 6'000'000 USD, ceux de A. de 257 % à plus de 10'000'000 USD sur un compte, son deuxième compte présentant un solde supérieur à 1'000'000 USD et le troisième un montant dépassant 400'000 USD. Les avoirs de C., déposés sur deux comptes, dépassaient 2'300'000 USD. Les membres du Comité de la Direction locale ont alors chargé F. de contacter le représentant à Rio de Janeiro pour lui demander des informations complémentaires sur A. Les éléments disponibles laissaient pourtant déjà présumer que les fonds des agents brésiliens pouvaient avoir une origine criminelle.
Lors des quatre séances suivantes, soit les 13, 20, 27 février et 6 mars 2001, les membres du Comité de la Direction locale n'ont pas abordé la question des comptes des fiscalistes brésiliens. A l'occasion de la séance du 13 mars 2001, ils ne pouvaient que constater qu'ils n'avaient reçu aucune réponse aux questions soulevées par les comptes des agents susmentionnés. Ils devaient par conséquent soumettre ces cas au Comité de Direction générale, ce qu'ils n'ont toutefois pas fait, violant leurs obligations et empêchant de la sorte que les comptes fussent annoncés au Bureau de communication et les avoirs bloqués. Ces manquements se sont perpétués jusqu'à la fusion de la banque D. avec la banque E., le 19 juin 2002.
B.
X. a déposé un recours en matière pénale au Tribunal fédéral. Il a conclu, principalement, à son acquittement et, subsidiairement, au renvoi de la cause à la Cour des affaires pénales pour nouvelle décision dans le sens des considérants. Il a également requis l'effet suspensif. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il a été recevable. Erwägungen
Extrait des considérants:
6.
Invoquant une violation des
art. 11 et 305
bis
CP
, 9 al. 1 et 10 al. 1 de la loi fédérale du 10 octobre 1997 concernant la lutte contre le blanchiment d'argent et le financement du terrorisme dans le secteur financier (loi sur le blanchiment d'argent, LBA; RS 955.0), le recourant conteste sa condamnation pour blanchiment d'argent. Il nie avoir eu une position de garant au sein de la banque (cf. infra consid. 6.2) et soutient qu'aucune omission ne saurait lui être reprochée (cf. infra consid. 6.3).
6.1
Aux termes de l'
art. 305
bis
CP
, celui qui aura commis un acte propre à entraver l'identification de l'origine, la découverte ou la
BGE 136 IV 188 S. 191
confiscation de valeurs patrimoniales dont il savait ou devait présumer qu'elles provenaient d'un crime, sera puni d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une peine pécuniaire.
Le blanchiment d'argent peut être commis par n'importe qui, la disposition précitée n'apportant aucune restriction quant à l'auteur de l'infraction. Si cette dernière a été commise au sein d'une entreprise, il convient d'examiner les responsabilités individuelles compte tenu de la division et de la répartition interne des tâches.
Le blanchiment d'argent est une infraction de mise en danger abstraite, et non pas de résultat (
ATF 128 IV 117
consid. 7a p. 131;
ATF 127 IV 20
consid. 3a p. 25 s.). Le comportement délictueux consiste à entraver l'accès de l'autorité pénale au butin d'un crime, en rendant plus difficile l'établissement du lien de provenance entre la valeur patrimoniale et le crime. Il peut être réalisé par n'importe quel acte propre à entraver l'identification de l'origine, la découverte ou la confiscation de la valeur patrimoniale provenant d'un crime (
ATF 122 IV 211
consid. 2 p. 215;
ATF 119 IV 242
consid. 1a p. 243). Ainsi, le fait de transférer des fonds de provenance criminelle d'un pays à un autre constitue un acte d'entrave (
ATF 127 IV 20
consid. 2b/cc p. 24 et 3b p. 26). De même, le recours au change est un moyen de parvenir à la dissimulation de l'origine criminelle de fonds en espèces, qu'il s'agisse de convertir les billets dans une monnaie étrangère ou d'obtenir des coupures de montants différents (cf. URSULA CASSANI, Commentaire du droit pénal suisse, partie spéciale, vol. 9, 1996, n° 37 ad
art. 305
bis
CP
).
6.2
Le blanchiment d'argent peut aussi être réalisé par omission si l'auteur se trouvait dans une position de garant qui entraînait pour lui une obligation juridique d'agir (cf. Message du 12 juin 1989 concernant la modification du code pénal suisse, FF 1989 II 983 ch. 231.1; JÜRG-BEAT ACKERMANN, in Kommentar Einziehung, organisiertes Verbrechen, Schmid [éd.], Geldwäscherei, vol. I, 1998, n° 371 et les références citées). En effet, selon l'
art. 11 al. 1 CP
, un crime ou un délit peut aussi être commis par un comportement passif contraire à une obligation d'agir. Tel est le cas, d'après l'alinéa 2 de cette disposition, lorsque l'auteur n'empêche pas la mise en danger ou la lésion du bien juridique protégé, bien qu'il y soit tenu à raison de sa situation juridique, notamment en vertu de la loi, d'un contrat, d'une communauté de risques ou de la création d'un risque. N'importe quelle obligation juridique ne suffit pas. Il faut qu'elle ait découlé d'une position de garant, c'est-à-dire que l'auteur se soit trouvé dans une
BGE 136 IV 188 S. 192
situation qui l'obligeait à ce point à protéger un bien déterminé contre des dangers indéterminés (devoir de protection), ou à empêcher la réalisation de risques connus auxquels des biens indéterminés étaient exposés (devoir de surveillance), que son omission peut être assimilée au fait de provoquer le résultat par un comportement actif (
ATF 134 IV 255
consid. 4.2.1 p. 259 s.).
Ainsi, pour déterminer si un délit de commission par omission a été réalisé, il faut rechercher si la personne à laquelle l'infraction est imputée se trouvait dans une situation de garant. La question de savoir si un intermédiaire financier peut, de par sa seule passivité et indépendamment de tout autre acte, se rendre coupable d'une violation de l'
art. 305
bis
CP
n'a encore jamais été tranchée par le Tribunal fédéral et est controversée en doctrine.
6.2.1
Avant l'entrée en vigueur de la nouvelle loi fédérale sur le blanchiment d'argent, les auteurs ont, de manière générale, répondu négativement à cette question. Se référant à l'
ATF 106 IV 276
- qui exclut qu'un témoin puisse se rendre coupable d'entrave à l'action pénale sous la forme d'un délit par omission improprement dit, en refusant de nommer un inconnu suspecté d'avoir commis une infraction aux règles de la circulation et qui l'a chargé de réparer le dommage causé lors d'un accident dans lequel il était seul impliqué - ARZT estime que la violation de l'obligation d'annonce ne crée pas une responsabilité pénale du banquier, seul un fonctionnaire pouvant être reconnu coupable de blanchiment par omission (GUNTHER ARZT, Das schweizerische Geldwäschereiverbot im Lichte amerikanischer Erfahrungen, RPS 106/1989 p. 192). GRABER suit l'avis précité, estimant que l'infraction de blanchiment par omission ne peut être commise que par un fonctionnaire et non un employé de banque qui viole l'obligation d'annonce contenue dans son cahier des charges (CHRISTOPH K. GRABER, Geldwäscherei, 1990, p. 137). Il admet toutefois, comme d'autres auteurs, que le supérieur hiérarchique qui sait que ses employés commettent des actes de blanchiment et ne fait rien pour les en empêcher, peut se rendre coupable de blanchiment par omission, son devoir d'agir découlant alors de son devoir de surveillance (cf. GRABER, op. cit., p. 138; CASSANI, op. cit., n° 44 ad
art. 305
bis
CP
; STEFAN TRECHSEL ET AL., Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, n° 20 ad
art. 305
bis
CP
). Selon CASSANI, n'importe quel citoyen, fût-il un professionnel de la finance, n'a pas un devoir juridique spécial d'agir pour sauvegarder les intérêts de la justice. En matière bancaire, le réviseur a toutefois,
BGE 136 IV 188 S. 193
en application de l'ancienne loi sur les banques, le devoir de dénoncer l'infraction constatée à la Commission fédérale des banques (ancien art. 21 al. 4 de la loi fédérale du 8 novembre 1934 sur les banques et les caisses d'épargne [loi sur les banques, LB; RS 952.0]), qui a elle-même le devoir d'avertir les autorités pénales compétentes en application de l'ancien art. 23
ter
al. 4 LB. Lorsque les personnes physiques agissant au sein de l'organe de révision ou de la Commission fédérale des banques s'abstiennent de dénoncer les actes de blanchiment constatés, la question d'une violation par abstention de l'
art. 305
bis
CP
peut alors se poser (CASSANI, op. cit., n° 43 ad
art. 305
bis
CP
).
Suite à l'entrée en vigueur de la LBA, une partie des auteurs répond toujours négativement à la question de savoir si un intermédiaire financier peut se rendre coupable d'une violation de l'
art. 305
bis
CP
par omission. Ainsi, PIETH estime que l'obligation de communiquer au sens de l'
art. 9 LBA
, dont la violation est sanctionnée séparément à l'
art. 37 LBA
, ne fonde pas un devoir juridique d'agir du financier (MARK PIETH, in Basler Kommentar, Strafrecht, vol. II, 2
e
éd 2007, n° 45 ad
art. 305
bis
CP
p. 2217). EGGER TANNER soutient le même avis, relevant que si les intermédiaires financiers doivent, par le biais de l'
art. 9 LBA
, participer à la lutte de l'Etat contre le blanchiment, le devoir d'annonce ne fait pas partie intégrante de leurs obligations professionnelles (CHRISTINE EGGER TANNER, Die strafrechtliche Erfassung der Geldwäscherei, Ein Rechtsvergleich zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland, 1999, p. 137). En revanche, CORBOZ admet que, selon la LBA, les intermédiaires financiers sont, dans une certaine mesure, tenus de collaborer à la lutte contre le blanchiment et, dans cette limite, ont une position de garant (BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, vol. II, 3
e
éd. 2010, n° 23 ad
art. 305
bis
CP
). ACKERMANN considère également que celui qui est responsable, selon l'organigramme de la banque, des questions de blanchiment et qui n'annonce pas le cas, viole son contrat de travail et son cahier des charges et peut ainsi se rendre coupable de blanchiment par omission (ACKERMANN, op. cit., n° 385 ad
art. 305
bis
CP
).
6.2.1.1
La LBA, en vigueur depuis le 1
er
avril 1998, définit les règles auxquelles sont astreints les intermédiaires financiers en matière de lutte contre le blanchiment d'argent. Ceux-ci ont désormais des obligations de diligence (art. 3 à 8 LBA) et des devoirs en cas de soupçons de blanchiment d'argent (art. 9 à 11 LBA).
BGE 136 IV 188 S. 194
Ainsi, en application de l'
art. 6 al. 1 LBA
, l'intermédiaire financier est tenu d'identifier l'objet et le but de la relation d'affaires souhaitée par le cocontractant. L'étendue des informations à collecter est fonction du risque que représente le cocontractant. L'
art. 7 LBA
prévoit une obligation d'établir et de conserver les documents relatifs aux transactions effectuées ainsi qu'aux clarifications requises. L'
art. 8 LBA
précise que les intermédiaires financiers prennent dans leur domaine les mesures nécessaires pour empêcher le blanchiment d'argent et le financement du terrorisme. Ils veillent notamment à ce que leur personnel reçoive une formation suffisante et à ce que des contrôles soient effectués. Selon l'
art. 9 al. 1 let. a LBA
, l'intermédiaire financier informe immédiatement le Bureau de communication en matière de blanchiment d'argent au sens de l'
art. 23 LBA
(bureau de communication), s'il sait ou présume, sur la base de soupçons fondés, que les valeurs patrimoniales impliquées dans la relation d'affaires ont un rapport avec une des infractions mentionnées aux art. 260
ter
ch. 1 ou 305
bis
CP, proviennent d'un crime, sont soumises au pouvoir de disposition d'une organisation criminelle ou servent au financement du terrorisme (art. 260
quinquies
al. 1 CP). Aux termes de l'
art. 10 LBA
, l'intermédiaire financier doit bloquer immédiatement les valeurs patrimoniales qui lui sont confiées si elles ont un lien avec les informations communiquées en vertu de l'art. 9 (al. 1). Il maintient le blocage des avoirs jusqu'à la réception d'une décision de l'autorité de poursuite pénale compétente, mais au maximum durant cinq jours ouvrables à compter du moment où il a informé le bureau de communication (al. 2).
6.2.1.2
La Commission fédérale des banques (ci-après: CFB) a établi des directives relatives à la prévention et à la lutte contre le blanchiment de capitaux du 26 mars 1998 (ci-après: Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux). Ces directives, applicables à la période concernée, prévoient notamment ce qui suit:
Les intermédiaires financiers ne doivent pas accepter d'avoirs d'origine criminelle. Les organes ou les employés desdits intermédiaires financiers se rendent coupables de blanchiment de capitaux s'ils acceptent, gardent en dépôt ou aident à placer ou à transférer des valeurs patrimoniales, dont ils savent ou doivent présumer qu'elles proviennent d'un crime (
art. 305
bis
CP
). Les intermédiaires financiers ne doivent pas accepter des fonds dont ils savent ou doivent présumer qu'ils proviennent de la corruption ou de détournements de fonds
BGE 136 IV 188 S. 195
publics. Ils doivent dès lors examiner avec une attention particulière s'ils veulent entrer en relations d'affaires, accepter et garder des avoirs appartenant, directement ou indirectement, à des personnes exerçant des fonctions publiques importantes pour un Etat étranger ou à des personnes et sociétés qui, de manière reconnaissable, leur sont proches. Les intermédiaires financiers doivent, dans le cadre des conditions fixées par la circulaire, éclaircir l'arrière-plan économique et le but d'une transaction ou d'une relation d'affaires lorsque, d'une part, elles paraissent inhabituelles ou, d'autre part, des indices permettent de soupçonner que des valeurs patrimoniales proviennent d'un crime ou qu'une organisation criminelle exerce un pouvoir de disposition sur ces valeurs. Lorsque l'intermédiaire financier sait ou présume, sur la base de soupçons fondés, que les valeurs patrimoniales impliquées dans la relation d'affaires ont un rapport avec une infraction au sens de l'
art. 305
bis
CP
, qu'elles proviennent d'un crime ou qu'une organisation criminelle exerce un pouvoir de disposition sur ces valeurs, il doit en informer sans délai le Bureau de communication en matière de blanchiment d'argent. L'obligation de communiquer vaut également si un client refuse de coopérer aux clarifications exigées par les directives (cf. Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux p. 6 ss).
6.2.1.3
Les Directives internes de la banque D. relatives à la prévention et à la lutte contre le blanchiment de capitaux du 29 juin 1998, entrées en vigueur le 1
er
juillet 1998, prévoyaient que l'entrée en relation d'affaires avec des personnes exerçant des fonctions publiques importantes pour l'Etat suisse ou un Etat étranger, ou avec des personnes ou sociétés qui, de manière reconnaissable, leur étaient proches, était de la compétence du Comité de Direction du siège, respectivement de chaque succursale, en application des directives y relatives du Comité de Direction générale. Le Comité de Direction locale concerné s'assurait, avant d'autoriser l'entrée en relations, que les fonds ne provenaient pas de corruption ou du détournement de biens publics. Si l'entrée en relation était autorisée, le gestionnaire du compte s'assurait, sur base continue, que le compte n'était pas utilisé à des fins illicites, respectivement que les fonds parvenant sur le compte n'avaient pas une origine illicite. En cas de doute, il soumettait immédiatement le cas au Comité de Direction locale. Celui-ci examinait au moins une fois par année les comptes dont il avait autorisé l'ouverture.
BGE 136 IV 188 S. 196
6.2.1.4
Le 6 juillet 1998, le Comité de Direction générale de la banque D. a adopté des Directives sur les clients potentiels ou les clients existants, qui exercent des fonctions publiques dans leurs pays, fixant notamment les principes suivants:
1. Il était formellement interdit d'accepter des fonds provenant de la corruption ou du détournement de biens publics, que ce fût au détriment de l'Etat suisse ou d'un Etat étranger.
2. Par décision de principe, la banque n'ouvre pas de comptes à des chefs d'Etat ou à leurs proches ni à des membres de gouvernement ou à leurs proches (PEP I), sauf accord exprès du Comité de Direction générale.
3. La banque pouvait ouvrir des comptes à des fonctionnaires ou d'autres personnes n'exerçant que des fonctions publiques subalternes et à leurs proches (PEP II). Dans ce cas, les Comités de Direction visaient l'ouverture et chargeaient le gestionnaire de chaque compte de s'assurer, sur base continue, que le compte n'était pas utilisé à des fins illicites, respectivement que les fonds parvenant sur le compte n'avaient pas une origine illicite. Cette exigence s'appliquait également aux comptes déjà existants.
Au moins une fois par année, les Comités de Direction demandaient aux gestionnaires concernés de leur remettre un rapport écrit sur l'évolution du compte, notamment au niveau des entrées/sorties. Si ce rapport (ou la relation en tant que telle) ne soulevait pas de doutes, ils le visaient et le remettaient au fichier central pour conservation dans le dossier du client. Si le rapport (ou la relation en tant que telle) soulevait des doutes que des clarifications complémentaires éventuelles n'avaient pas permis de lever, les Comités de Direction soumettaient le cas au Comité de Direction générale pour décision, en concours avec le Comité de conformité s'il y avait lieu.
6.2.2
Il convient d'admettre, avec la doctrine minoritaire (cf. supra consid. 6.2.1) et conformément à la théorie générale exposée ci-dessus (cf. supra consid. 6.2), que les intermédiaires financiers se trouvent, depuis l'entrée en vigueur de la LBA, dans une situation juridique particulière qui les oblige notamment à clarifier l'arrière-plan économique et le but d'une relation d'affaires lorsque des indices laissent supposer que des valeurs patrimoniales proviennent d'un crime et à informer immédiatement le Bureau de communication en matière de blanchiment d'argent s'ils savent ou présument, sur la base de soupçons fondés, que les valeurs patrimoniales
BGE 136 IV 188 S. 197
impliquées dans la relation d'affaires ont un rapport avec un acte de blanchiment ou proviennent d'un crime, ce en application des
art. 6 et 9 LBA
et des directives de la CFB. Il résulte désormais des normes concernant la lutte contre le blanchiment d'argent que les intermédiaires financiers doivent, dans les limites fixées par la loi (cf. art. 3 à 10 LBA), collaborer avec les autorités compétentes. Ces obligations légales créent une position de garant.
En l'espèce, le recourant était membre du Comité de Direction locale en qualité de directeur de la succursale de Zurich. En tant que tel, il occupait une position de garant, ses obligations en matière de blanchiment découlant non seulement de la LBA et de la Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux, mais également des directives internes de la banque D. et par conséquent de son propre cahier des charges.
6.3
Lorsque l'auteur a un devoir de garant, il faut encore déterminer l'étendue du devoir de diligence découlant de cette position et les actes concrets qu'il était tenu d'accomplir.
6.3.1
Le recourant avait tout d'abord des obligations d'analyse des comptes, puis de clarification en cas d'indices de blanchiment.
En application des Directives internes de la banque D. relatives à la prévention et à la lutte contre le blanchiment de capitaux du 29 juin 1998, il devait effectivement examiner, au moins une fois par année, les comptes dont le Comité avait autorisé l'ouverture afin notamment de s'assurer que les fonds parvenant sur ceux-ci n'avaient pas une origine illicite. Il devait aussi, en vertu des Directives sur les clients potentiels ou les clients existants qui exercent des fonctions publiques dans leurs pays du 6 juillet 1998, demander, au moins une fois par année, aux gestionnaires concernés de lui remettre un rapport écrit sur l'évolution de ces comptes, notamment au niveau des entrées et sorties.
Conformément à la LBA et à la Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux, l'intermédiaire financier doit clarifier l'arrière-plan économique et le but d'une transaction ou d'une relation d'affaires lorsque celles-ci paraissent inhabituelles ou lorsque des indices laissent supposer que des valeurs patrimoniales proviennent d'un crime (cf.
art. 6 LBA
; Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux p. 3). Cette obligation de clarification est accrue lorsque l'intermédiaire financier ouvre et administre des comptes ouverts pour des personnes exerçant des fonctions publiques. Ces clarifications sont notamment nécessaires
BGE 136 IV 188 S. 198
lorsque, au cours d'une relation d'affaires, le montant d'une transaction ou le nombre de transactions apparaît anormalement élevé eu égard à l'activité et à la situation financière connue du client et/ou lorsque l'intermédiaire financier constate l'existence d'indices de blanchiment de capitaux au sens de l'annexe aux directives de la CFB et/ou constate l'existence d'autres indices lui faisant soupçonner que des valeurs patrimoniales sont d'origine criminelle (cf.
art. 6 LBA
; Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux p. 6).
Des transactions présentent des risques particuliers de blanchiment, par exemples, lorsque leur construction indique un but illicite, lorsque leur but économique n'est pas reconnaissable, voire lorsqu'elles apparaissent absurdes d'un point de vue économique ou encore lorsqu'elles ne sont pas compatibles avec les informations et les expériences de l'intermédiaire financier concernant le client ou le but de la relation d'affaires. Doit également être considéré comme suspect tout client qui donne à l'intermédiaire financier des renseignements faux ou fallacieux ou qui, sans raison plausible, refuse de lui fournir les informations et les documents nécessaires, admis par les usages de l'activité concernée (cf. Annexe n° 1 ch. II à la Cir-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux).
L'intermédiaire financier doit exiger du cocontractant qu'il fournisse les informations propres à clarifier toutes situations inusuelles ou à dissiper tous doutes raisonnables. Il doit se procurer les informations, dont il doit vérifier la plausibilité et qui puissent lui permettre de porter une appréciation suffisante de l'arrière-plan économique des transactions (cf. Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux p. 6). Ainsi, il ne peut accepter n'importe quelles explications de son cocontractant et, nonobstant le rapport de confiance qu'il entretient avec son client, il doit procéder, avec un esprit critique, à un examen de la vraisemblance de ses dires. Le degré de cette analyse dépend en particulier de la nature de la relation d'affaires et des motifs ayant justifié la clarification. Celle-ci doit en particulier porter sur la provenance des fonds déposés, sur l'activité professionnelle ou commerciale du cocontractant ainsi que sur sa situation financière (cf. Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux p. 6).
6.3.2
Le recourant avait ensuite une obligation d'informer la Direction générale de l'existence des cas PEP susceptibles de faire l'objet d'une communication ou d'un blocage.
Il lui incombait en effet de soumettre les cas suspects, soit lorsque le rapport (ou la relation en tant que telle) soulevait des doutes que
BGE 136 IV 188 S. 199
des clarifications complémentaires éventuelles n'avaient pas permis de lever, au Comité de Direction générale pour décision quant à la communication de ces comptes ou à leur blocage (cf. Directives du 6 juillet 1998 sur les clients potentiels ou les clients existants qui exercent des fonctions publiques dans leurs pays;
art. 9 LBA
; Circ.-CFB 98/1 Blanchiment de capitaux p. 6).
6.3.3
Selon les faits établis, en décembre 1998, le Comité de Direction locale de la succursale de Zurich a décidé que les comptes des clients exerçant des fonctions publiques devaient être analysés au moins deux fois par an. Aussi, le 1
er
mars 1999, G. lui a adressé un bilan des transactions sur les comptes en question entre le 1
er
juillet 1998 et le 13 février 1999. Parmi ceux-ci, ceux de C. et A. présentaient, pour le premier, des sorties de 66'890 USD et des entrées de 161'622 USD entre le 20 juillet et le 24 décembre 1998 et un solde de 1'165'470 USD au 23 février 1999 et, pour le second, des entrées de 689'789 USD entre le 1
er
octobre et le 26 novembre 1998 et un solde de 2'179'165 au 23 février 1999.
Le 29 février 2000, K. SA, réviseur externe de la banque D., a adressé à la Direction locale de Zurich des recommandations relatives notamment à la nécessité de mieux documenter l'arrière-plan économique des fonds déposés et des transactions et d'actualiser de manière périodique la liste des relations dont l'ayant droit économique était une personne exerçant des fonctions publiques et de la faire approuver par la Direction générale.
Par courrier électronique du 30 mai 2000, adressé notamment au recourant, G. a rappelé que A. était mentionné sous différentes professions sur ses comptes, à savoir comme auditeur fiscal pour deux comptes et vendeur de machines agricoles pour un troisième. Il avait déjà demandé, à plusieurs reprises, comment et même s'il était possible qu'un agent public exerçât une activité accessoire. Il rappelait aussi qu'en janvier de cette année-là des transferts importants avaient été exécutés en faveur d'autres fonctionnaires fiscaux, soit B. et C., qui avaient également des comptes auprès de la banque, et demandait comment cela devait être interprété. Il mentionnait enfin l'importance des montants déposés.
Le 9 février 2001, le recourant a pris connaissance d'un tableau montrant l'accroissement considérable des avoirs des clients PEP entre le 1
er
janvier 2000 et le 5 janvier 2001. Ainsi, les avoirs de B. avaient augmenté de 330.10 % à près de 6'000'000 USD, ceux de A. de
BGE 136 IV 188 S. 200
257 % à plus de 10'000'000 USD sur un compte, alors que ses deux autres comptes présentaient des soldes supérieurs à 1'000'000 USD et 400'000 USD. Les avoirs de C. déposés sur deux comptes dépassaient 2'300'000 USD.
Le 26 novembre 2001, le recourant a reçu en copie le courrier électronique envoyé par L. à M. contenant les rapports sur les comptes PEP établis par les gestionnaires, aux termes duquel elle précisait qu'à son avis la plupart des rapports sur les comptes qui avaient enregistré des transactions du 1
er
janvier au 31 octobre 2001 étaient peu significatifs et qu'elle était disposée à demander aux gestionnaires des informations qui le seraient plus.
Dans un courrier électronique du 31 mai 2002, adressé notamment au recourant, G. a indiqué que 499'900 USD étaient arrivés sur l'un des comptes de A., via le changeur. Depuis le début de l'année, ce compte avait été crédité de 2'638'848 USD, alors que, selon les informations transmises, les entrées normales ne devaient pas excéder 50'000 USD par mois. Le recourant a répondu à G. que cette situation était hautement problématique. Si la fusion aboutissait, ce compte devrait de toute façon être fermé. En l'absence de fusion, ils devraient en discuter sérieusement.
6.3.4
Au regard de l'ensemble de ces éléments, le recourant devait prendre les mesures nécessaires pour clarifier, dans les plus brefs délais, la situation des agents brésiliens et déterminer si leurs fonds avaient une origine illicite, dès lors que les indices étaient suffisants pour douter de la provenance desdits avoirs. Par ailleurs, il ne pouvait manifestement se contenter des renseignements obtenus du Bureau de représentation, ceux-ci n'étant pas documentés et ne permettant en aucune manière d'écarter les doutes existant, les montants entrés sur les comptes de A. ne correspondant d'ailleurs pas aux indications transmises par F. dans son rapport du 10 juillet 2001. Enfin, le recourant n'a pas davantage alerté le Comité de Direction générale et ne lui a pas non plus soumis les cas pour décision, alors que les informations collectées au sujet des comptes étaient clairement insuffisantes et que les éléments disponibles laissaient déjà présumer que les fonds en question pouvaient avoir une origine criminelle. Ainsi, le recourant a omis l'accomplissement d'actes qu'il était tenu juridiquement d'accomplir. Il a par conséquent violé, par omission, les devoirs qui lui incombaient. | mixed |
4bec7e32-ae25-4c71-8669-8243368b5962 | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 125 IV 134 S. 134
Le matin du 20 décembre 1996, X. et son amant Y., accompagnés de Z., ont attendu M., qui sortait de son domicile pour se rendre à son travail. Après avoir été attirée dans le véhicule de Y., M. a été conduite de force au domicile de celui-ci, où elle a été enfermée dans le salon. Y. a alors demandé aux deux femmes de se déshabiller; X. s'est exécutée sur le champ; M., qui refusait et pleurait, y a été contrainte par Y. Ce dernier a ensuite forcé M. à se coucher sur le canapé; il l'a alors violée, changeant de positions à de nombreuses reprises, la mordant violemment au- dessus du sein gauche et la pénétrant encore par derrière, avant de tenter d'obtenir d'elle des fellations; ces actes se sont poursuivis durant approximativement trois heures. Tout au long de cette scène, X., toujours déshabillée, était présente, fumant des cigarettes et stimulant son amant par des caresses pendant qu'il agissait. Le forfait accompli, Y. et X. sont
BGE 125 IV 134 S. 135
sortis de la pièce, laissant la victime seule et prostrée, avant que Z. n'entre dans le salon, où il a à son tour violé la victime pendant une demi-heure environ.
Le 5 septembre 1998, la Cour d'assises de Genève a notamment condamné X., pour viol en commun ainsi que pour enlèvement et séquestration, commis en qualité de coauteur, à la peine de 5 ans de réclusion et à 10 ans d'expulsion du territoire suisse. Le recours formé par la condamnée contre ce jugement a été rejeté par arrêt de la Cour de cassation genevoise du 16 avril 1999.
X. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Contestant sa condamnation pour viol en tant que coauteur, elle conclut à l'annulation de l'arrêt attaqué.
Le Tribunal fédéral a rejeté le pourvoi dans la mesure où il était recevable. Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La recourante fait d'abord valoir que le viol est un délit «personnalissime» (eigenhändiges Delikt), de sorte que cette infraction ne peut être retenue à sa charge.
La question de savoir s'il existe des délits personnalissimes et, en particulier, si, le cas échéant, le viol entre dans cette catégorie de délits est controversée en doctrine (cf. TRECHSEL/NOLL, AT I, 4ème éd., Zurich 1994, p. 183; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7ème éd. 1997, p. 397; JENNY, Angriffe auf die sexuelle Freiheit, Bâle 1977, p. 31 ss; ANNIK NICOD-PASCHOUD, Le viol, thèse Lausanne 1983, p. 102 ss; PHILIPP MAIER, Die Nötigungsdelikte im neuen Sexualstrafrecht, Zürich 1994, p. 347 s.; SCHUBARTH, Eigenhändiges Delikt und mittelbare Täterschaft, RPS 1996 p. 325 ss, 329; STRATENWERTH, Gibt es eigenhändige Delikte?, RPS 1997 p. 86 ss, 91; SCHUBARTH, Binnenstrafrechtsdogmatik und ihre Grenzen, ZStW 1998, p. 827 ss, 839 ss). Quoi qu'il en soit, et c'est ce qui est ici déterminant, il est très généralement admis que, même si seul celui qui, en usant de contrainte, fait subir l'acte sexuel à une personne de sexe féminin et, partant, un homme, peut être l'auteur direct d'un viol, une autre personne, aussi une femme, peut également se rendre coupable de cette infraction comme auteur médiat ou comme coauteur (cf. STRATENWERTH, BT I, 5ème éd. Berne 1995, p. 158 no 5; TRECHSEL, Kurzkommentar, 2ème éd.,
art. 190 CP
no 8; JENNY, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, BT IV, p. 75; PHILIPP MAIER, op.cit., loc.cit.; SCHUBARTH, RPS 1996, p. 335/336).
BGE 125 IV 134 S. 136
Dans son message relatif à la modification du code pénal et du code pénal militaire du 26 juin 1985 (FF 1985 II 1021ss), le Conseil fédéral, au passage cité par la recourante (FF 1985 II 1112/1113), ne se réfère aux
ATF 89 IV 85
ss et
ATF 98 IV 97
ss que pour souligner que le nouvel
art. 200 CP
doit permettre de considérer tous les cas de viol en commun comme des viols qualifiés. Dans ces arrêts, le Tribunal fédéral ne s'est d'ailleurs pas du tout prononcé sur la question, qui ne lui était pas soumise, du degré de participation de l'auteur, qui, dans les deux cas, avait, entre autres, été reconnu coupable de complicité de viol aggravé en instance cantonale. La recourante ne peut donc rien en tirer à l'appui de sa thèse.
Il n'y a dès lors pas lieu de s'écarter de l'avis de la doctrine majoritaire, selon laquelle peut également se rendre coupable de viol celui qui participe à cette infraction en tant que coauteur.
3.
La recourante soutient ensuite que, de toute manière, elle n'a pas agi en tant que coauteur.
a) Est un coauteur celui qui collabore, intentionnellement et de manière déterminante, avec d'autres personnes à la décision de commettre une infraction, à son organisation ou à son exécution, au point d'apparaître comme l'un des participants principaux; il faut que, d'après les circonstances du cas concret, la contribution du coauteur apparaisse essentielle à l'exécution de l'infraction. La seule volonté quant à l'acte ne suffit pas; il n'est toutefois pas nécessaire que le coauteur ait effectivement participé à l'exécution de l'acte ou qu'il ait pu l'influencer. La coactivité suppose une décision commune, qui ne doit cependant pas obligatoirement être expresse, mais peut aussi résulter d'actes concluants, le dol éventuel quant au résultat étant suffisant. Il n'est pas nécessaire que le coauteur participe à la conception du projet; il peut y adhérer ultérieurement. Il n'est pas non plus nécessaire que l'acte soit prémédité; le coauteur peut s'y associer en cours d'exécution. Ce qui est déterminant c'est que le coauteur se soit associé à la décision dont est issue l'infraction ou à la réalisation de cette dernière, dans des conditions ou dans une mesure qui le font apparaître comme un participant non pas secondaire, mais principal (
ATF 120 IV 136
consid. 2b p. 141, 265 consid. 2c/aa p. 271 s. et les arrêts cités).
b) L'arrêt attaqué constate que, le soir du 19 décembre 1996, la recourante a tenté à trois reprises, de concert avec Y., d'amener la victime à les rejoindre et que, n'y étant pas parvenue, elle est allée le lendemain matin, accompagnée de ses comparses, attendre la victime à l'entrée de son domicile, sachant que celle-ci en sortirait vers
BGE 125 IV 134 S. 137
7 heures pour se rendre à son travail; la recourante a alors attiré la victime dans le véhicule sous le prétexte de la conduire à son travail; par la suite et alors que la victime était conduite de force au domicile de Y., la recourante l'a menacée en lui disant qu'elle allait payer pour ce qu'elle avait fait; toujours pendant le trajet, la recourante s'est notamment opposée fermement à la suggestion de libérer la victime; sur place, la victime a été conduite dans le salon, dont la recourante a fermé la porte à clef à la demande de Y. Ce comportement démontre clairement que la recourante savait qu'il s'agissait de conduire la victime dans l'appartement de Y. pour y violer celle-ci et qu'elle adhérait pleinement à ce projet, aux préparatifs duquel elle a en outre apporté une contribution essentielle, notamment en attirant la victime dans le véhicule et en exigeant que celle-ci soit conduite sans désemparer chez Y. L'arrêt attaqué constate du reste que la recourante a fait sienne la volonté délictueuse de Y., mue par l'antagonisme qui l'opposait à la victime; ce mobile, comme le fait que la recourante a menacé la victime en lui disant qu'elle allait payer pour ce qu'elle avait fait tendent au demeurant à démontrer que la recourante avait personnellement un intérêt au viol de la victime aux fins de l'humilier pour la punir.
Pendant les quelque trois heures durant lesquelles la victime a été violée par Y., la recourante, contrairement à ce qu'elle allègue, n'est pas restée «purement passive». Certes, elle n'a pas elle-même usé de contrainte physique à l'encontre de la victime. Elle a en revanche non seulement assisté à toute la scène sans aucunement protester et en fumant des cigarettes, mais aussi et surtout en stimulant son amant par des caresses pendant qu'il violait la victime. Un tel comportement était de nature à accroître le sentiment d'humiliation et d'impuissance de la victime; l'arrêt attaqué relève du reste que la victime a souligné devant le médecin qui l'avait prise en charge à quel point le comportement de la recourante avait été incompréhensible et insupportable pour elle; plus est, le fait de stimuler le violeur par des caresses était propre à encourager et à renforcer celui-ci dans l'accomplissement de sa volonté délictueuse. Le comportement de la recourante confirme en tout cas que cette dernière a, en toute connaissance de cause, adhéré pleinement à la décision de Y. de violer la victime.
c) Il résulte de ce qui précède, que la recourante, qui avait manifestement un intérêt personnel au viol de la victime, qu'elle voulait voir humiliée et ainsi punie, s'est non seulement associée pleinement et en toute connaissance de cause à la décision de Y. de violer
BGE 125 IV 134 S. 138
la victime mais qu'elle a en outre participé activement et de manière prépondérante aux préparatifs de cette infraction, qu'elle a de surcroît encouragée par son comportement durant le viol, contribuant en outre personnellement à l'humiliation de la victime. La recourante a ainsi collaboré intentionnellement au viol commis par Y., dans des conditions et dans une mesure qui la font apparaître comme un participant principal, et non pas secondaire. On ne voit dès lors pas que la cour cantonale ait violé le droit fédéral en considérant que la recourante avait agi en tant que coauteur du viol.
d) Les arguments avancés par la recourante pour le contester sont impropres à l'infirmer.
Contrairement à ce qu'elle semble penser, il n'est pas nécessaire que le coauteur soit le maître de la situation de fait, mais qu'il ait «une certaine maîtrise des opérations», c'est-à-dire qu'il apporte une contribution déterminante à la survenance du résultat (cf.
ATF 118 IV 397
consid. 2b p. 400, auquel renvoie notamment l'
ATF 120 IV 136
consid. 2b p. 141 cité par la recourante). En l'espèce, ainsi qu'on l'a vu, c'est la recourante qui a attiré la victime dans la voiture et qui a ensuite fait en sorte que celle-ci soit conduite sans désemparer chez Y., où elle a encore assisté au viol en s'employant à accroître l'humiliation de la victime et en stimulant son amant pendant qu'il agissait; elle ne s'est pas bornée à favoriser l'infraction voulue par l'auteur principal, mais a fait pleinement siennes la décision et la volonté de ce dernier de commettre cette infraction et l'a manifesté par des actes, contribuant de manière prépondérante aux préparatifs et encourageant l'auteur principal dans l'accomplissement de l'acte délictueux.
Le fait que ce soit à la demande de Y. que la recourante s'est elle aussi déshabillée ne permet nullement de conclure qu'elle était «totalement soumise» à ce dernier. Outre qu'elle a donné suite immédiatement et sans la moindre réticence à ce fantasme, sa prétendue soumission à Y. est clairement infirmée par l'ensemble de son comportement.
Pour les motifs exposés ci-dessus (cf. supra, consid. 2), c'est en vain que la recourante tente de tirer argument de l'
ATF 98 IV 97
ss.
Pour le surplus, l'argumentation de la recourante se réduit à une rediscussion des faits retenus dans l'arrêt attaqué, de sorte qu'il n'y a pas lieu d'entrer en matière. | mixed |
a6713def-a7a3-4415-9c22-50352d7750dc | Sachverhalt
ab Seite 374
BGE 143 IV 373 S. 374
A.
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft verurteilte X. am 16. April 2015 wegen gewerbsmässigen Diebstahls, räuberischen Diebstahls, mehrfachen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs, vollendeten sowie mehrfach versuchten betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage, Entwendung eines Fahrzeugs zum Gebrauch, mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs ohne Haftpflichtversicherung und mehrfachen Missbrauchs von Kontrollschildern zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie zu einer Geldstrafe von drei Tagessätzen zu Fr. 70.-. Es ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme für junge Erwachsene an und schob den Vollzug der Freiheitsstrafe auf. Gleichzeitig stellte es fest, X. sei ab dem 21. März 2011 im vorzeitigen Massnahmenvollzug gewesen und am 27. Februar 2015 bedingt daraus entlassen worden. Es verzichtete auf den Vollzug der bedingten Freiheitsstrafe von 60 Tagen, die das Jugendstrafgericht des Kantons Basel-Stadt am 12. März 2008 gegen X. verhängt hatte. Schliesslich
BGE 143 IV 373 S. 375
entschied es über diverse beschlagnahmte Gegenstände und auferlegte X. die Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 31'931.05.
B.
Am 29. März 2016 wies das Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft die dagegen gerichtete Berufung von X. und die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft ab, bestätigte das strafgerichtliche Urteil und auferlegte X. die Kosten des Berufungsverfahrens zu einem Drittel.
C.
X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, die ihm vom Strafgericht auferlegten Verfahrenskosten seien wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots um 30 % zu reduzieren. Für das Berufungsverfahren vor Kantonsgericht seien ihm keine Kosten aufzuerlegen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Angelegenheit am 13. Juli 2017 an einer öffentlichen Sitzung beraten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Die Vorinstanz stellt fest, zwischen der Verhaftung des Beschwerdeführers am 8. Juli 2010 und der Anklageerhebung am 19. Mai 2014 seien fast vier Jahre vergangen. Die Staatsanwaltschaft nenne als Grund für diese Dauer, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer habe zu einem Komplex mit 27 beschuldigten Personen und 200 Vorfällen gehört, wobei die Delikte in wechselnden Zusammensetzungen begangen worden seien und ein Hauptbeschuldigter die Untersuchung mit irreführenden Angaben erschwert habe.
Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer und sein Komplize seien früh im Vorverfahren geständig gewesen. Der ihnen vorgeworfene Sachverhalt habe bereits nach kurzer Zeit festgestellt werden können, weshalb die gegen den Beschwerdeführer und dessen Komplizen geführten Strafverfahren hätten abgetrennt werden können. Denn gemeinsam mit den Drahtziehern des grösseren Komplexes seien der Beschwerdeführer und sein Komplize nur vom 23. auf den 24. Mai 2010 straffällig geworden, wobei eine gemeinsame Anklage nicht erforderlich gewesen sei. Der Komplize sei im Mai 2011 einvernommen worden und der Beschwerdeführer im Februar 2011 sowie im Dezember 2011, nachdem er im vorzeitigen Massnahmenvollzug erneut delinquiert habe. Die Akten zu diesen Straftaten des
BGE 143 IV 373 S. 376
Beschwerdeführers seien der Staatsanwaltschaft von den Thurgauer Behörden am 13. Februar und 2. März 2012 übermittelt worden. Am 19. Mai 2014 sei Anklage erhoben worden. Angesichts des überschaubaren Umfangs der Akten des Vorverfahrens von neun Bundesordnern und des Anklagevorwurfs von 25 Sachverhalten durchschnittlicher Komplexität erscheine die Dauer von über zwei Jahren zwischen der Beendigung der wesentlichen Beweiserhebungen mit dem Erhalt der Strafakten aus dem Kanton Thurgau und der Anklageerhebung als zu lange. Auch die Gesamtverfahrensdauer von über fünfeinhalb Jahren bis zum Berufungsurteil sei übermässig. Dies umso mehr, als die Unsicherheit eines laufenden Strafverfahrens für die berufliche und persönliche Weiterentwicklung des im jungen Erwachsenenalter stehenden Beschwerdeführers enorm belastend gewesen sei. Aus diesen Gründen sei eine Verletzung des Beschleunigungsgebots zu bejahen und die Freiheitsstrafe des Beschwerdeführers um sechs Monate zu reduzieren.
In der Folge prüft die Vorinstanz, ob die Verfahrenskosten, welche die erste Instanz dem Beschwerdeführer auferlegte, zu 30 % auf die Staatskasse zu nehmen sind, weil das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Sie erwägt, die erste Instanz habe der Verletzung des Beschleunigungsgebots bereits mit einer Reduktion der Freiheitsstrafe Rechnung getragen, womit die dem Beschwerdeführer entstandenen Nachteile genügend ausgeglichen seien. Eine Reduktion der erstinstanzlichen Verfahrenskosten sei daher nicht angezeigt.
Zu den Kosten des Berufungsverfahrens erwägt die Vorinstanz, der Beschwerdeführer und sein Komplize unterlägen mit ihren Berufungen und die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anschlussberufung. Deshalb würden die Kosten zu je einem Drittel dem Beschwerdeführer, seinem Komplizen und der Staatskasse belastet.
1.2
Der Beschwerdeführer fordert für die Verletzung des Beschleunigungsgebots eine Reduktion der Verfahrenskosten. Die Vorinstanz führe aus, die Verfahrensverzögerung sei für ihn enorm belastend gewesen. Unter Berücksichtigung dieser Formulierung müsse davon ausgegangen werden, dass ihm ein Schaden in aussergewöhnlicher Schwere entstanden sei. Aus diesem Grund sei nicht nachvollziehbar und geradezu widersprüchlich, wenn die Vorinstanz lediglich eine Strafreduktion von sechs Monaten vornehme. Der Beschwerdeführer habe sich vom 21. März 2011 bis 27. Februar 2015 im vorzeitigen Massnahmenvollzug befunden. Insofern habe er eine Strafe
BGE 143 IV 373 S. 377
von rund vier Jahren bereits verbüsst. Eine Reduktion der Strafe von zweieinhalb auf zwei Jahre könne somit keine Wiedergutmachung darstellen, sondern erfolge nur "auf dem Papier". Die Strafreduktion sei faktisch nicht mehr möglich. Daher müsse die Wiedergutmachung zwingend in Form einer finanziellen Entschädigung erfolgen.
1.3
1.3.1
Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (
Art. 29 Abs. 1 BV
).
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
vermittelt diesbezüglich keinen weitergehenden Schutz als
Art. 29 Abs. 1 BV
(
BGE 130 I 269
E. 2.3 S. 272 f.,
BGE 130 I 312
E. 5.1 S. 332; je mit Hinweis). Gemäss
Art. 5 Abs. 1 StPO
nehmen die Strafbehörden die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss. Das Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, ein Strafverfahren mit der gebotenen Beförderung zu behandeln, nachdem die beschuldigte Person darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Sie soll nicht länger als notwendig den Belastungen eines Strafverfahrens ausgesetzt sein (
BGE 133 IV 158
E. 8 S. 170). Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln. Ob sich die Dauer als angemessen erweist, ist in jedem Einzelfall unter Würdigung aller konkreten Umstände zu prüfen (
BGE 130 I 312
E. 5.2 S. 332 mit Hinweisen).
1.3.2
Vorliegend ist unbestritten, dass das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Die Vorinstanz erachtet die Dauer zwischen der Verhaftung des Beschwerdeführers am 8. Juli 2010 und der Anklageerhebung am 19. Mai 2014 zu Recht als zu lang (vgl. oben, E. 1.1).
1.4
1.4.1
Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots sind meistens die Strafreduktion, manchmal der Verzicht auf Strafe oder, als ultima ratio in Extremfällen, die Einstellung des Verfahrens (
BGE 135 IV 12
E. 3.6 S. 26;
BGE 133 IV 158
E. 8 S. 170;
BGE 130 I 312
E. 5.3 S. 333;
BGE 130 IV 54
E. 3.3.1 S. 55;
BGE 117 IV 124
E. 4d S. 129; Urteil 6B_462/2014 vom 27. August 2015 E. 1.3, nicht publ. in:
BGE 141 IV 369
; je mit Hinweisen). Bei der Frage nach der sachgerechten Folge ist zu berücksichtigen, wie schwer die beschuldigte Person durch die Verfahrensverzögerung getroffen wurde, wie gravierend die ihr vorgeworfenen Taten sind und welche Strafe ausgesprochen werden müsste, wenn das Beschleunigungsgebot nicht verletzt worden wäre. Rechnung zu tragen ist auch den Interessen der Geschädigten und
BGE 143 IV 373 S. 378
der Komplexität des Falls. Schliesslich ist in Betracht zu ziehen, wer die Verfahrensverzögerung zu vertreten hat (
BGE 117 IV 124
E. 4e S. 129 f.). Das Bundesgericht greift in die Beurteilung der Sanktion für die Verletzung des Beschleunigungsgebots nur ein, wenn das Gericht sein Ermessen über- oder unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat (Urteil 6B_660/2016 vom 23. November 2016 E. 1.2.4).
1.4.2
Erstrangige Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots sind die Strafreduktion und allenfalls der Verzicht auf Strafe. Eine Verfahrenseinstellung kommt nur in Extremfällen in Betracht, wenn die Verfahrensverzögerung dem Betroffenen einen Schaden von aussergewöhnlicher Schwere verursachte (
BGE 133 IV 158
E. 8 S. 170 mit Hinweis). Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers lässt sich aus der vorinstanzlichen Formulierung, die Verfahrensverzögerung sei "enorm belastend" gewesen, nicht herauslesen, ihm sei ein solcher Schaden in aussergewöhnlicher Schwere erwachsen.
Selbst der Beschwerdeführer argumentiert an anderer Stelle, ob ein Extremfall vorliege, der eine Verfahrenseinstellung rechtfertige, könne offenbleiben, weil er lediglich eine Reduktion der erstinstanzlichen Verfahrenskosten verlange. Dass ein solcher Extremfall vorliegen könnte, zogen die erste Instanz und die Vorinstanz angesichts der Gesamtumstände zu Recht überhaupt nicht in Erwägung. Dementsprechend kamen ein Strafverzicht oder gar eine Einstellung des Verfahrens nie in Frage. Nur bei einer Verfahrenseinstellung wäre aber daran zu denken gewesen, dem Beschwerdeführer keine oder reduzierte Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 423 Abs. 1 i.V.m. Art. 426 Abs. 1 e contrario StPO; vgl. auch
Art. 426 Abs. 2 StPO
). Auch ein finanzieller Ausgleich im Sinne einer Genugtuung kommt nur bei Freispruch oder Verfahrenseinstellung in Frage (
Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO
). Ein Abweichen von diesen Grundsätzen hätte die Abkehr vom Prinzip der Akzessorietät der Kosten zur Folge. Ebenso wenig liegt eine "fehlerhafte Verfahrenshandlung" gemäss Art. 426 Abs. 3 lit. a bzw.
Art. 417 StPO
vor, was eine teilweise Kostenauflage an den Kanton erlauben würde. Solches setzt im Übrigen ein Verschulden voraus, während die Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots von einem Verschulden unabhängig sind.
Die von den Vorinstanzen vorgenommene Reduktion der Freiheitsstrafe von zweieinhalb auf zwei Jahre hält sich innerhalb des
BGE 143 IV 373 S. 379
weiten sachrichterlichen Ermessens. Dem Beschwerdeführer kann nicht gefolgt werden, wenn er ausführt, diese Reduktion werde den Auswirkungen der Verfahrensverzögerung in keiner Weise gerecht. Zwar trifft zu, dass er sich im vorzeitigen Massnahmenvollzug befand. Sein daraus gezogener Schluss, er habe "eine Strafe von rund 4 Jahren bereits verbüsst", ist aber unzulässig. Strafen und Massnahmen sind verschiedene Sanktionen (
Art. 57 Abs. 1 StGB
). Sie dienen unterschiedlichen Zwecken und können bei erfüllten Voraussetzungen kumulativ angeordnet werden. An ihrer Andersartigkeit ändert nichts, dass der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug auf die Strafe anzurechnen ist (
Art. 57 Abs. 3 StGB
). So beziehen sich Massnahmen anders als Strafen, welche schuldangemessen zu sein haben, weder vom Grundsatz her noch in Bezug auf ihr Mass auf eine Schuld des Täters (MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2013, N. 1 f. zu Vor
Art. 56 StPO
). Eine Massnahme kann durchaus auch kürzer sein als die ausgesprochene Strafe. Dennoch wird von deren Vollzug bei Erfolg der Massnahme abgesehen (
Art. 62b Abs. 3 StGB
). Demgegenüber kann die Massnahme auch länger sein als die Strafe. Dies folgt aus dem ihr zugrunde liegenden Zweck, welcher nicht in der Sanktionierung eines verpönten Verhaltens, sondern in der Gefahrenabwehr besteht (HEER, a.a.O.). | mixed |
897166a0-7d7d-44eb-9bb3-e4ca41693922 | Erwägungen
ab Seite 2
BGE 136 IV 1 S. 2
Aus den Erwägungen:
2.6
2.6.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorstrafenlosigkeit sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz strafmindernd zu werten.
2.6.2
Nach der bisher publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das Fehlen von Vorstrafen zwingend strafmindernd zu berücksichtigen (
BGE 98 IV 124
E. 11 S. 131; 96 IV 155 E. III.2 S. 179;
BGE 92 IV 118
S.121). Auch die neuere unpublizierte Praxis tendiert zur Bejahung dieser Frage (beispielsweise: Urteile 6B_460/2008 vom 26. Dezember 2008 E. 5.3; 6B_455/2008 vom 26. Dezember 2008 E. 5.3; 6B_521/2008 vom 26. November 2008 E. 6.2 und 6.4; 6B_507/2008 vom 26. November 2008 E. 6.2 und 6.4). Es findet sich in der Vergangenheit zumindest vereinzelt aber auch die gegenteilige Ansicht (Urteile 6S.85/2006 vom 27. Juni 2006 E. 2.4; 6S.467/2004 vom 11. Februar 2005 E. 2.2.1; 6S.62/2001 vom 14. Juni 2001 E. 1d; 6S.684/2000 vom 22. März 2001 E. 3c/cc).
Weist ein Täter Vorstrafen auf, wird dies straferhöhend gewichtet (
BGE 121 IV 3
E. 1b S. 5 und 1c/dd S. 8 ff.; Urteile 6B_765/2008 vom 7. April 2009 E. 2.1.2; 6B_538/2007 vom 2. Juni 2008 E 3.2.3.1, nicht publ. in:
BGE 134 IV 42
; 6S.263/2002 vom 27. Oktober 2003 E. 6.2.4, nicht publ. in:
BGE 129 IV 338
). Die bisherige Rechtsprechung bedeutet, dass eine Vorstrafe grundsätzlich automatisch zu einer Straferhöhung, deren Fehlen dagegen zu einer Strafminderung führt. Eine neutrale Gewichtung fehlt, was an sich wenig überzeugend ist. Unbefriedigend erweist sich überdies, dass die Vorstrafenlosigkeit in der Regel undifferenziert berücksichtigt wird. Bei einem Straftäter, der eben erst mündig geworden ist, stellt sie keine besondere Leistung dar, wogegen der Umstand, nie verurteilt worden zu sein, bei einer älteren Person durchaus anzuerkennen ist. Das Beispiel zeigt, dass Vorstrafen bzw. deren Fehlen nicht ohne Bezug auf die konkreten Umstände bewertet werden sollten. Ist von einem Straftäter kein Strafregisterauszug erhältlich, so wird er als Ersttäter verurteilt, auch wenn er in der Vergangenheit bereits bestraft werden musste. Damit kommt er in den Genuss einer nicht gerechtfertigten Privilegierung, sofern die verschuldensangemessene Strafe wegen Vorstrafenlosigkeit reduziert wird.
2.6.3
Die bisherige Rechtsprechung (vgl. E. 2.6.2) zur Berücksichtigung von Vorstrafen in der Strafzumessung wird durch den
BGE 136 IV 1 S. 3
revidierten allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches zusätzlich in Frage gestellt.
Einträge im Strafregister sind nach einer gewissen Zeit aus dem Strafregister zu entfernen. Diese Fristen betragen je nach Deliktsschwere zwischen 10 und 20 Jahren (
Art. 369 Abs. 1 StGB
). Nach der Entfernung darf die Eintragung nicht mehr rekonstruierbar sein und das entfernte Urteil dem Betroffenen nicht mehr entgegengehalten werden (
Art. 369 Abs. 7 StGB
). Das Bundesgericht hat sich deshalb entgegen seiner früheren Rechtsprechung für ein Verwertungsverbot gelöschter Strafregistereinträge im Rahmen der Strafzumessung und der Prognosebeurteilung ausgesprochen (
BGE 135 IV 87
E. 2.4 S. 91 f. mit Hinweisen). Diese Verwertungseinschränkung ist gerechtfertigt, da die Vortaten aufgrund der grosszügig bemessenen Entfernungsfristen (vgl.
Art. 369 Abs. 1 StGB
) Jahrzehnte zurückliegen. Nach Ablauf dieser Fristen sind die Rehabilitierungs- und Resozialisierungsinteressen des Betroffenen von Gesetzes wegen schwerer zu gewichten als die öffentlichen Informations- und Strafbedürfnisse (
BGE 135 IV 87
E. 2.4 S. 92 mit Hinweisen). Personen, deren Vorstrafen im Strafregister gelöscht wurden, gelten somit als nicht vorbestraft. Dies führt zum unbefriedigenden Ergebnis, dass der Täter gleich behandelt werden müsste wie derjenige, der sich tatsächlich noch nie vor Gericht zu verantworten hatte. Er erhielte eine niedrigere Strafe mit der an sich unzutreffenden Begründung, noch nie bestraft worden zu sein. Das registerrechtliche Fehlen von Vorstrafen ist deshalb nach neuem Recht alleine nicht mehr aussagekräftig genug, um eine Privilegierung im Strafmass zu rechtfertigen.
2.6.4
Unter diesen Umständen kann an der bisherigen Rechtsprechung nicht festgehalten werden. In der Bevölkerung hat es als Normalfall zu gelten, (kriminell) nicht vorbestraft zu sein. Die Vorstrafenlosigkeit ist deshalb neutral zu behandeln, also bei der Strafzumessung nicht zwingend strafmindernd zu berücksichtigen. Dies schliesst nicht aus, sie ausnahmsweise und im Einzelfall in die Gesamtbeurteilung der Täterpersönlichkeit einzubeziehen, was sich allenfalls strafmindernd auswirken kann. Vorausgesetzt ist jedoch, dass die Straffreiheit auf eine aussergewöhnliche Gesetzestreue hinweist. Eine solche darf wegen der Gefahr ungleicher Behandlung nicht leichthin angenommen werden, sondern hat sich auf besondere Umstände zu beschränken. Zu denken ist beispielsweise an den Berufschauffeur, der sich als Ersttäter wegen eines
BGE 136 IV 1 S. 4
Strassenverkehrsdeliktes strafrechtlich zu verantworten hat, obschon er seit vielen Jahren täglich mit seinem Fahrzeug unterwegs ist.
Derartige Umstände werden im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht und liegen offensichtlich auch nicht vor. Dass die Beschwerdeführerin nicht vorbestraft ist, kann ihr deshalb nicht strafmindernd angerechnet werden. Die entsprechende Rüge ist unbegründet. | mixed |
ef5de358-3859-44a9-9de8-2fee0bc1496f | Sachverhalt
ab Seite 266
BGE 128 IV 265 S. 266
A.-
A.a Im Oktober 1989 eröffnete die Bezirksanwaltschaft Zürich gegen Y. eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts des Menschenhandels, der Förderung der Prostitution, der Ausnützung der Notlage und der kriminellen Organisation. Die Strafuntersuchung wurde am 14. Mai 1992 auf X. und in einem späteren Zeitpunkt auf zwei weitere Personen ausgedehnt. In der Zeit vom 23. Mai 1995 bis zum 5. Juli 1995 befand sich X. in Untersuchungshaft.
Die Bezirksanwaltschaft Hinwil stellte mit Verfügung vom 12. Januar 2000 die Strafuntersuchung wegen Menschenhandels, Förderung der Prostitution, Ausnützung der Notlage, krimineller Organisation, (altrechtlichen) gewerbsmässigen Frauenhandels und (altrechtlicher) gewerbsmässiger Kuppelei gegen die vier Beschuldigten ein.
A.b Mit Strafbefehl vom 12. Januar 2000 verurteilte die Bezirksanwaltschaft Hinwil X. wegen mehrfacher Urkundenfälschung im
BGE 128 IV 265 S. 267
Sinne von
Art. 251 Ziff. 1 StGB
zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von drei Monaten unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von 42 Tagen.
Dagegen erhob X. Einsprache.
A.c Am 25. Mai 2000 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich X. vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung frei. Das Gericht vertrat die Auffassung, zwar sei der objektive Tatbestand der Urkundenfälschung im engeren Sinne, d.h. der Herstellung einer unechten Urkunde, erfüllt, doch habe die Beschuldigte nicht in der Absicht gehandelt, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen.
Dagegen erklärte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Berufung.
A.d Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 8. November 2001 der mehrfachen Urkundenfälschung im Sinne von
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB
schuldig und verurteilte sie zu einer Busse von 1'500 Franken, wobei es die festgestellte Verletzung des Beschleunigungsgebotes erheblich strafmildernd berücksichtigte.
A.e X. wird zur Last gelegt, sie habe als Geschäftspartnerin in der Z., Agentur für Show, Artistik und Musik, Y. & Partner, welche unter anderem ausländische Striptease-Tänzerinnen an Nachtclubs vermittelte, ab einem unbestimmten Zeitpunkt zirka im Jahr 1990 bis spätestens Mai 1995 am Geschäftssitz der Agentur in Zürich immer wieder eine gesamthaft nicht genau bekannte Anzahl von Engagementverträgen zwischen den Nachtclubs und den Tänzerinnen anstelle der - mit diesem Vorgehen allerdings einverstandenen - Tänzerinnen selber mit deren Namen oder Künstlernamen unterzeichnet, ohne aber deren Unterschriften etwa nachzuahmen. Sie habe dies in Fällen, in denen die zu engagierenden Tänzerinnen wegen anderweitiger Engagements nicht ohne weiteres erreichbar gewesen seien, getan, um die Verträge möglichst frühzeitig bei der kantonalen Fremdenpolizei, welche Unterschriften der Tänzerinnen selbst verlangt habe, einreichen zu können, damit die erforderlichen Arbeits-/Aufenthaltsbewilligungen noch rechtzeitig für die vermittelten Engagements erteilt wurden; dadurch habe ein allfälliger Ausfall von Tänzerinnen-Engagements bei den Nachtclubs sowie der damit verbundene Provisionsverlust der Agentur vermieden werden können.
B.-
X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.
BGE 128 IV 265 S. 268
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Urkundenfälschung macht sich unter anderem schuldig, wer in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, eine Urkunde fälscht.
1.1
1.1.1
Fälschen ist Herstellen einer unechten Urkunde, deren wirklicher Aussteller nicht mit dem aus ihr ersichtlichen Aussteller identisch ist (
BGE 123 IV 17
E. 2 mit Hinweisen). Wirklicher Aussteller einer Urkunde ist derjenige, welchem sie im Rechtsverkehr als von ihm autorisierte Erklärung zugerechnet wird. Dies ist gemäss der heute insoweit vorherrschenden so genannten "Geistigkeitstheorie" derjenige, auf dessen Willen die Urkunde nach Existenz und Inhalt zurückgeht (STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Besonderer Teil II, 5. Aufl. 2000, § 36 N. 5, mit Hinweisen).
1.1.2
Bei Vertretungsverhältnissen ist somit wirklicher Aussteller der Urkunde der Vertretene, welcher den Vertreter zu der in der Urkunde enthaltenen Erklärung ermächtigt. Dies gilt zum einen bei der offenen Stellvertretung, bei welcher der Beauftragte mit seinem eigenen Namen, allenfalls mit einem das Auftragsverhältnis hervorhebenden Zusatz ("i.A.", "i.V." etc.), die vom Auftraggeber nach Existenz und Inhalt gewollte Urkunde unterzeichnet. Es gilt grundsätzlich aber auch bei der so genannten verdeckten Stellvertretung, bei welcher der Vertreter die vom Vertretenen nach Existenz und Inhalt gewollte Urkunde mit dessen Einverständnis mit dem Namen des Vertretenen unterzeichnet und ein Hinweis auf das tatsächlich bestehende Vertretungsverhältnis fehlt (HANS WALDER, Falsche schriftliche Erklärungen im Strafrecht, insbesondere die so genannte "Falschbeurkundung" nach
Art. 251 StGB
, in: ZStrR 99/1982 S. 70 ff., 81; STRATENWERTH, a.a.O., § 36 N. 8, mit Hinweisen; KLAUS SCHWAIGHOFER, Die Strafbarkeit des "Unterschreibens für andere", in: Juristische Blätter 116/1994 S. 223 ff., 228, 230). Die vom Vertreter im Einverständnis des Vertretenen mit dem Namen des Letzteren unterzeichnete Erklärung, die der Vertretene nach Existenz und Inhalt gewollt hat, ist somit, auch wenn das Vertretungsverhältnis nicht erkennbar und damit verdeckt ist, grundsätzlich echt, da der aus der Urkunde ersichtliche Aussteller, d.h. der Vertretene, mit dem gemäss der "Geistigkeitstheorie" wirklichen
BGE 128 IV 265 S. 269
Aussteller, auf dessen Willen die Urkunde nach Existenz und Inhalt zurückgeht, identisch ist.
1.1.3
Vorbehalten bleiben indessen die Fälle der eigenhändigen Urkunden. Bei der eigenhändig zu errichtenden Urkunde ist derjenige als wirklicher Aussteller anzusehen, von dessen Hand sie herrührt, der sie mithin tatsächlich niedergeschrieben bzw. zumindest tatsächlich unterzeichnet hat (STRATENWERTH, a.a.O., § 36 N. 9, mit Hinweisen). Dies gilt nicht nur, wenn die eigenhändige Errichtung der Urkunde, wie etwa bei der eigenhändigen letztwilligen Verfügung, gesetzlich vorgeschrieben ist (siehe STRATENWERTH, a.a.O., § 36 N. 9), sondern grundsätzlich auch in den Fällen, in denen die eigenhändige Errichtung nach Herkommen oder sonst nach den Umständen vorausgesetzt oder im Rechtsverkehr erwartet wird (GÜNTER GRIBBOHM, Leipziger Kommentar, 11. Aufl. 2001, § 267 [dt.]StGB N. 40; DIETHART ZIELINSKI, Urkundenfälschung durch Computer, in: Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 605 ff., 610 Fn. 25), mithin insbesondere auch, wenn eine Behörde die eigenhändige Unterzeichnung einer ihr vorzulegenden Erklärung verlangt.
1.2
Mit Rücksicht auf diese Erwägungen hat die Vorinstanz den objektiven Tatbestand der Urkundenfälschung im engeren Sinne durch Herstellung von unechten Urkunden im vorliegenden Fall im Ergebnis zu Recht als erfüllt erachtet.
Die Beschwerdeführerin hat die von ihr vermittelten Engagementverträge zwischen den Nachtclubs und den Tänzerinnen mit den Namen bzw. Künstlernamen der Tänzerinnen unterzeichnet. In tatsächlicher Hinsicht ist dabei aufgrund der Feststellungen der Vorinstanz davon auszugehen, dass die Tänzerinnen mit diesem Vorgehen einverstanden waren. Aus dem angefochtenen Urteil geht allerdings nicht eindeutig hervor, ob die Tänzerinnen ihr Einverständnis jeweils in Kenntnis des Vertragsinhalts gaben. Auch wenn man dies bejaht und daher davon ausgeht, dass die aus den Verträgen als Ausstellerinnen der Urkunden ersichtlichen Tänzerinnen auch die "geistigen" Urheberinnen und damit gemäss der "Geistigkeitstheorie" die wirklichen Ausstellerinnen seien, da die Existenz und der Inhalt der unstreitig als Urkunden zu qualifizierenden Verträge auf ihren Willen zurückgingen, sind die Urkunden unecht. Denn die Fremdenpolizei verlangte, wie die Beschwerdeführerin wusste, dass die zwecks Erteilung der Aufenthalts-/Arbeitsbewilligungen vorgelegten Engagementverträge von den Tänzerinnen selbst unterzeichnet wurden. Die Fremdenpolizei forderte mithin - übrigens aus guten Gründen - die eigenhändige Errichtung der Urkunden durch die
BGE 128 IV 265 S. 270
Tänzerinnen. Bei eigenhändig zu errichtenden Urkunden wird aber, wie dargelegt, im Rechtsverkehr als wirklicher Aussteller betrachtet, wer die Urkunde tatsächlich unterzeichnet hat. Die der Fremdenpolizei vorgelegten Engagementverträge wurden von der Beschwerdeführerin selbst mit den Namen bzw. den Künstlernamen der Tänzerinnen unterzeichnet; die Beschwerdeführerin ist somit die wirkliche Ausstellerin. Sie ist mit den Tänzerinnen, die aus den Verträgen als Ausstellerinnen ersichtlich sind, nicht identisch.
Die Beschwerdeführerin hat die der Fremdenpolizei vorgelegten Engagementverträge mit den Namen bzw. Künstlernamen der Tänzerinnen unterschrieben, um vorzutäuschen, dass - wie es die Fremdenpolizei verlangte - die Tänzerinnen die Verträge eigenhändig unterzeichnet hätten. Damit hat die Beschwerdeführerin unechte Urkunden hergestellt (siehe
BGE 102 IV 191
E. 1;
BGE 75 IV 166
E. 1).
Dass die Tänzerinnen mit diesem Vorgehen einverstanden waren, bedeutet nur, dass sie der Herstellung von unechten Urkunden durch die Beschwerdeführerin zustimmten. Die Beschwerdeführerin macht mit Recht nicht geltend, diese Zustimmung sei als eine die Straftat der Urkundenfälschung rechtfertigende Einwilligung zu qualifizieren.
Art. 251 StGB
schützt das Vertrauen, welches im Rechtsverkehr sowohl der Echtheit als auch der Wahrheit von Urkunden entgegengebracht wird. Daher kann in die Herstellung einer unechten Urkunde nicht rechtswirksam eingewilligt werden, auch nicht durch diejenige, deren Namen zur Herstellung der unechten Urkunde verwendet wird.
2.
2.1
Die Beschwerdeführerin hat die Verträge gemäss den Feststellungen im angefochtenen Urteil aus zeitlichen Gründen und aus Bequemlichkeit selber mit den Namen bzw. den Künstlernamen der Tänzerinnen unterzeichnet. Es ging darum, Zeit zu sparen bzw. keine Zeit zu verlieren. Die Tänzerinnen waren nicht ohne weiteres erreichbar. Daher bestand stets das Risiko, dass ein von einer Tänzerin selbst unterzeichneter Vertrag nicht mehr so rechtzeitig der Fremdenpolizei vorgelegt werden konnte, dass die erforderlichen Bewilligungen noch vor dem Antritt des vermittelten Engagements in einem bestimmten Nachtclub vorlagen. Solches wäre für die Agentur, für welche die Beschwerdeführerin tätig war, mit Nachteilen (Umtrieben, Verlust oder Kürzung der Provision, Schmälerung des Goodwill) verbunden gewesen.
2.2
Die Vermeidung solcher Risiken stellt einen Vorteil im Sinne von
Art. 251 StGB
dar. Dieser Vorteil ist unrechtmässig, da er durch
BGE 128 IV 265 S. 271
die Vorlage von gefälschten Urkunden erlangt wurde. Der angestrebte Vorteil im Sinne von
Art. 251 StGB
muss entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht schon als solcher unrechtmässig sein. Strafbar ist auch, wer mit der gefälschten Urkunde einen rechtmässigen Anspruch durchsetzen oder einen ungerechtfertigten Nachteil abwenden will (
BGE 119 IV 234
E. 2c;
BGE 121 IV 90
E. 2).
Es ist daher unerheblich, dass die Beschwerdeführerin durch die Einreichung der gefälschten Urkunden die Fremdenpolizei nicht über die Identität der Tänzerinnen täuschen und somit auch nicht den behördlichen Entscheid als solchen, sondern einzig den Zeitpunkt der Erteilung der erforderlichen Bewilligungen beeinflussen wollte.
3.
3.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, es liege ein besonders leichter Fall im Sinne von
Art. 251 Ziff. 2 StGB
vor. Die Urkunden seien objektiv wahr gewesen. Die Fremdenpolizei wäre bei Vorlage der von den Tänzerinnen selbst unterzeichneten Urkunden zu keinen andern Entscheiden betreffend die Bewilligungen gelangt. Der von der Beschwerdeführerin angestrebte und erreichte Vorteil sei gering gewesen. Es sei lediglich um eine schnellere, unkompliziertere Abwicklung des Bewilligungsverfahrens gegangen. Ein Vermögensvorteil sei nicht erlangt worden.
3.2
Ein besonders leichter Fall im Sinne von
Art. 251 Ziff. 2 StGB
ist gegeben, wenn das inkriminierte Verhalten in objektiver und in subjektiver Hinsicht Bagatellcharakter aufweist. Da lediglich besonders leichte Fälle (cas de très peu de gravité) privilegiert sind, ist ein strenger Masstab anzulegen. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs steht dem kantonalen Richter ein dem Ermessen ähnlicher Beurteilungsspielraum zu, in den der Kassationshof nicht eingreift (
BGE 114 IV 126
betreffend Art. 251 Ziff. 3 aStGB, dem
Art. 251 Ziff. 2 StGB
entspricht).
Die Beschwerdeführerin fälschte in der Zeit von 1990 bis 1995 im Rahmen der Ausübung ihres Berufes eine unbestimmte Vielzahl von Formularverträgen in der Weise, dass sie die von ihr vermittelten Engagementverträge zwischen den Nachtclubs und den Tänzerinnen selber mit den Namen bzw. den Künstlernamen der Letzteren unterschrieb, womit diese einverstanden waren. Sie tat dies, um sicherzustellen, dass die Fremdenpolizei, welche eine Unterzeichnung der Verträge durch die Tänzerinnen selbst verlangte, die erforderlichen Aufenthalts-/Arbeitsbewilligungen an die Tänzerinnen, die nicht ohne weiteres erreichbar waren, rechtzeitig vor Antritt der
BGE 128 IV 265 S. 272
vermittelten Engagements erteilte; dadurch konnte das Risiko von wirtschaftlichen Nachteilen für die Agentur, welche sich aus einer verspäteten Erteilung der Bewilligungen ergeben konnten, vermindert werden. In Anbetracht des langen Zeitraums der deliktischen Tätigkeit, der - allerdings unbestimmten - Vielzahl von Fälschungen, der Begehung dieser Taten im Rahmen der Berufsausübung und der letztlich auch finanziellen Beweggründe durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht einen besonders leichten Fall im Sinne von
Art. 251 Ziff. 2 StGB
verneinen. | mixed |
5446e400-ba75-4530-b7fd-6b0a1cec9b56 | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 138 IV 209 S. 209
A.
X. befand sich in den 90er-Jahren in einer schwierigen finanziellen Situation, die sich stetig verschlechterte und desolate Ausmasse annahm. Es wird ihm vorgeworfen, er habe ab Ende 1998 bis ins Jahr 2008 bei insgesamt 34 Geschädigten bzw. Geschädigten-Gruppen, namentlich bei Arbeitskollegen, Militärkameraden, Verwandten und Bekannten, auf deliktische Weise Darlehen in der Höhe von insgesamt Fr. 6'285'227.89 und USD 35'000.- erhältlich gemacht. Dabei habe er den Geschädigten vorgespiegelt, er habe im Jahr 1995 die Möglichkeit erhalten, eine Restforderung aus einem Kontrakt zwischen der nationalen nigerianischen Ölgesellschaft und einem schottischen Konglomerat namens A./S. zu erwerben. Der Vertrag hätte Arbeiten an nigerianischen Ölpipelines und Raffinerien umfassen sollen und die Gesamtsumme habe sich auf insgesamt USD 65 Mio. belaufen,
BGE 138 IV 209 S. 210
wobei USD 21,5 Mio. aufgrund des Konkurses des schottischen Konsortiums nicht mehr hätten bezogen werden können. X. habe angegeben, den Vertrag und damit auch die Restforderung von USD 21,5 Mio. für GBP 50'000.- von der englischen Firma A. gekauft und zur Durchsetzung der Forderung Geld für die Bezahlung von Anwälten, Treuhändern, Bankgebühren und Spesen etc. benötigt zu haben. In Wirklichkeit habe der betreffende Vertrag nie existiert. X. habe einen Teil der erlangten Gelder für angebliche Gebühren, Steuern und Bestechungen etc. mittels Überweisung oder in bar an die nigerianischen Mittäter weitergeleitet, den anderen Teil habe er zur Finanzierung seines aufwändigen Lebenswandels verwendet.
X. hat während des gesamten Verfahrens den Sachverhalt bestritten und geltend gemacht, er habe an die Existenz des betreffenden Geschäfts geglaubt.
B.
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft erklärte X. mit Urteil vom 5. Februar 2010 des gewerbsmässigen Betruges, der Veruntreuung sowie der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom 6. Mai 2003 und zum Urteil des Amtsstatthalteramtes Hochdorf vom 4. Februar 2004, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft. In verschiedenen Punkten sprach es X. von der Anklage des gewerbsmässigen Betruges, des einfachen Betruges, der Veruntreuung, der mehrfachen Urkundenfälschung sowie der ungetreuen Geschäftsführung frei. In weiteren Punkten gab es dem Verfahren infolge Verletzung des Anklagegrundsatzes keine Folge. Ferner erklärte es die mit Urteil des Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom 6. Mai 2003 bedingt ausgesprochene Strafe von 4 Monaten Gefängnis als vollziehbar. Schliesslich entschied es über die Zivilforderungen und die übrigen Nebenpunkte.
In teilweiser Gutheissung einer Appellation des Beurteilten und einer Anschlussappellation der Staatsanwaltschaft erklärte das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft X. mit Urteil vom 21. Juni 2011 des gewerbsmässigen Betruges, der Veruntreuung, der mehrfachen Urkundenfälschung sowie der Zechprellerei schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 4 1⁄2 Jahren, teilweise als Zusatzstrafe zu den Urteilen des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 6. Oktober 2009, des Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom 6. Mai 2003 sowie des Amtsstatthalteramtes Hochdorf vom 4. Februar 2004, und unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft. In einem Punkt
BGE 138 IV 209 S. 211
sprach es ihn von der Anklage des Betruges frei, in zwei weiteren Punkten gab es dem Verfahren infolge Verletzung des Anklageprinzips keine Folge. Ferner entschied es über die Nebenpunkte.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner sei die mit Urteil vom 21. Juni 2011 ausgefällte Zusatzstrafe zu den Urteilen des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 6. Oktober 2009, des Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom 6. Mai 2003 und des Amtsstatthalteramtes Hochdorf vom 4. Februar 2004 von 4 1⁄2 Jahren Freiheitsstrafe bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils aufzuschieben. X. ersucht überdies um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
D.
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
5.1
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch wegen Urkundenfälschung. Er stellt sich auf den Standpunkt, E-Mails ohne elektronische Signatur stellten keine Urkunden dar. Selbst wenn diese als Urkunden betrachtet würden, ginge deren Fälschung als Teil des Arglistelements im Tatbestand des Betruges auf. Die Fälschung könne daher nicht als selbstständiges Delikt angesehen werden.
5.2
Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer habe bei sich zu Hause mehrfach an ihn gerichtete E-Mails von Drittpersonen inhaltlich abgeändert und diese zu Beweiszwecken an verschiedene Geschädigte weitergeleitet. Er habe somit Urkunden Dritter verfälscht, indem er diesen Aussagen unterschoben habe, welche sie nie gemacht hätten, um sich einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. E-Mails stellten Beweisurkunden dar, wobei es nicht darauf ankommen könne, ob sie mit einer elektronischen Signatur versehen seien oder nicht.
Die erste Instanz war demgegenüber zum Schluss gelangt, ein E-Mail, welches nicht mit einer elektronischen Signatur versehen und damit beliebig veränderbar sei, fehle sowohl der Beweiswert als auch die Beweiseignung und erfülle die Voraussetzungen für eine Urkunde im Sinne von
Art. 110 Abs. 4 StGB
nicht. In Bezug auf die in der Anklageschrift genannten E-Mails erachtete sie daher den Tatbestand von
Art. 251 Ziff. 1 StGB
als nicht erfüllt.
BGE 138 IV 209 S. 212
5.3
Gemäss
Art. 110 Abs. 4 StGB
sind Urkunden u.a. Schriften, die bestimmt und geeignet sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die Aufzeichnungen auf Bild- oder Datenträgern stehen der Schrifturkunde gleich, sofern sie demselben Zweck dienen. Bei einem E-Mail handelt es sich um eine elektronisch gespeicherte Information, welche als solche in codierter Form vorliegt und nicht direkt lesbar ist.
Die Urkundenfälschung im engeren Sinne erfasst das Herstellen einer unechten Urkunde, deren wirklicher Aussteller mit dem aus ihr ersichtlichen Urheber nicht übereinstimmt. Demgegenüber betrifft die Falschbeurkundung die Errichtung einer echten, aber unwahren Urkunde, bei der der wirkliche und der in der Urkunde enthaltene Sachverhalt nicht übereinstimmen. Die Falschbeurkundung erfordert eine qualifizierte schriftliche Lüge. Eine solche wird nur angenommen, wenn dem Schriftstück eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt und der Adressat ihm daher ein besonderes Vertrauen entgegenbringt, so wenn allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gegenüber Dritten gewährleisten, die gerade den Inhalt bestimmter Schriftstücke näher festlegen (
BGE 138 IV 130
E. 2.1 mit Hinweisen). Im zu beurteilenden Fall wird dem Beschwerdeführer die Abänderung verschiedener von Drittpersonen verfasster E-Mails vorgeworfen. Dies betrifft die Echtheit der Urkunden. Soweit die Handlungen unter den Tatbestand der Urkundenfälschung im engeren Sinne fallen, stellt sich die Frage, ob die E-Mails darüber hinaus inhaltlich unwahr waren, nicht mehr (
BGE 131 IV 125
E. 4.3).
5.4
Der Schuldspruch wegen Urkundenfälschung verletzt kein Bundesrecht. Ausser Frage steht zunächst, dass E-Mails Urkunden darstellen, wenn sie beim Empfänger ausgedruckt werden, d.h. wenn die Daten sichtbar gemacht werden, sofern der Aussteller erkennbar ist (vgl.
BGE 116 IV 343
E. 3; FRANK ZIESCHANG, in: Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl., Berlin 2009, N. 130/133 zu § 267 D-StGB). Wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, kommt aber auch dem noch nicht ausgedruckten E-Mail grundsätzlich der Charakter einer (Computer-)Urkunde zu. Dabei erfüllt die Verfälschung eines E-Mails ohne weiteres den Tatbestand der Urkundenfälschung, soweit dieses nach der Manipulation weiterversendet wird und seinen Adressaten erreicht. Der Täter setzt dadurch einen Prozess in Gang, der die Speicherung der Datenurkunde zur Folge hat (NILS HÖINGHAUS, Der hypothetische Vergleich des § 269 unter Berücksichtigung der tatsächlichen und normativen Vergleichbarkeit von Schrifturkunde
BGE 138 IV 209 S. 213
und moderner (Computer-)Datenurkunde, Diss. Hannover 2006, S. 135). Die Erkennbarkeit des Ausstellers ergibt sich hier in der Regel, wenn nicht schon aus der Absenderadresse (krit. hiezu HÖINGHAUS, a.a.O., S. 136 f.; HILGENDORF/FRANK/VALERIUS, Computer- und Internetstrafrecht, Berlin 2005, N. 177), jedenfalls aus dem Inhalt des E-Mails. Dieses wird dem Empfänger auf seinem E-Mail-Account zugestellt und gespeichert, auf welchen nur mittels Passwort zugegriffen werden kann. Hieraus folgen Beständigkeit und Beweisfunktion der Erklärung. Beweiseignung und -bestimmung ergeben sich darüber hinaus auch aus dem Umstand, dass E-Mails im regulären Geschäftsverkehr weit verbreitet sind (DANIEL STUCKI, Die Strafbarkeit von "Phishing" nach StGB, Jusletter 9. Januar 2012 Rz 3.1.1 und 3.1.2; MATTHIAS AMMANN, Sind Phishing-Mails strafbar?, AJP 2006 S. 202; MARKUS GISIN, Phishing, Kriminalistik 2008 S. 199). Die Auffassung, wonach nur eine elektronische Signatur die Authentizität des Absenders zu bestätigen vermöge, beruht auf einem Missverständnis des Kriteriums der Beweiseignung, welche nicht mit Beweiskraft oder Beweisdienlichkeit gleichgesetzt werden darf (so CARL-FRIEDRICH STUCKENBERG, Zur Strafbarkeit des "Phishing", Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft [ZStW] 2006 S. 887 f.).
5.5
Kein Erfolg ist der Beschwerde auch beschieden, soweit der Beschwerdeführer geltend macht, der Urkundenfälschung komme neben dem mittels falschen Urkunden begangenen Betrug keine eigenständige Bedeutung zu. Nach der Rechtsprechung besteht zwischen Betrug und Urkundenfälschung wegen der Verschiedenartigkeit der Rechtsgüter echte Konkurrenz (
BGE 129 IV 53
E. 3 und 3.6; Urteil des Bundesgerichts 6B_772/2011 vom 26. März 2012 E. 1.3). | mixed |
f884848b-93ea-436f-a3cb-41cb65eceb76 | Sachverhalt
ab Seite 160
BGE 141 III 159 S. 160
A.
A. (Beklagte, Beschwerdeführerin) verpachtet der B. AG (Klägerin, Beschwerdegegnerin) mehrere Parzellen, welche diese zum Betrieb einer Pferdesportanlage nutzt. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob A. den Pachtvertrag mit der B. AG gekündigt hat.
B.
Am 27. Dezember 2012 reichte die B. AG beim Friedensrichteramt N. ein Schlichtungsgesuch ein. Die Schlichtungsverhandlung fand am 26. April 2013 statt. Seitens der Klägerschaft erschien D., die Mutter von E.; E. ist einziges Mitglied des Verwaltungsrates der B. AG. An der Schlichtungsverhandlung wurde der B. AG die Klagebewilligung ausgestellt.
Am 27. Mai 2013 reichte die B. AG beim Bezirksgericht Arlesheim Klage ein mit dem Hauptantrag, es sei festzustellen, dass die Kündigung durch A. unwirksam sei. A. bestritt in ihrer Klageantwort das Vorliegen einer gültigen Klagebewilligung. Sie machte geltend, D. habe die B. AG bei der Schlichtungsverhandlung nicht vertreten können, weshalb die B. AG säumig gewesen sei und die Schlichtungsbehörde das Verfahren als gegenstandslos hätte abschreiben müssen. Mit Entscheid vom 16. Januar 2014 stellte die Bezirksgerichtspräsidentin Arlesheim die Ungültigkeit der Kündigung fest. Sie kam zum Schluss, die Klagebewilligung sei gültig.
Die dagegen erhobene Berufung der A. wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 15. Juli 2014 ab. Auch das Kantonsgericht ging von der Gültigkeit der Klagebewilligung aus, weil D. faktisches Organ der B. AG sei und durch ihre Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach
Art. 204 Abs. 1 ZPO
erfüllt worden sei.
BGE 141 III 159 S. 161
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 15. September 2014 beantragt A. dem Bundesgericht, es sei der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Klagebewilligung vom 26. April 2013 ungültig sei. Auf die Klage der B. AG sei nicht einzutreten.
Das Bundesgericht tritt auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht ein; es heisst die Beschwerde in Zivilsachen teilweise gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
(Zusammenfassung) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(...)
1.2
Bei der zu beurteilenden Streitsache handelt es sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit und es liegt - da Streitigkeiten aus Pachtrecht nicht als mietrechtliche Fälle zu qualifizieren sind (
BGE 136 III 196
E. 1.1 S. 197) - weder ein arbeits- noch ein mietrechtlicher Fall vor. Diesfalls ist die Beschwerde in Zivilsachen nur zulässig, sofern der Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt (
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
). Der Streitwert bestimmt sich nach den Begehren, die vor der Vorinstanz strittig geblieben sind (
Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG
). Vorliegend beträgt der Streitwert nach Angaben der Vorinstanz und der Parteien Fr. 15'000.-, womit der von
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
geforderte Mindestbetrag nicht erreicht wird.
Erreicht der Streitwert den massgebenden Betrag nicht, ist die Beschwerde in Zivilsachen u.a. dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
). Dies ist der Fall, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen (
BGE 139 III 209
E. 1.2 S. 210,
BGE 139 III 182
E. 1.2 S. 185;
BGE 138 I 232
E. 2.3 S. 236;
BGE 134 III 354
E. 1.3 S. 357).
1.2.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob es für das Erfordernis des "persönlichen Erscheinens" zu einer Schlichtungsverhandlung ausreiche, wenn die Aktiengesellschaft durch ein "faktisches Organ" vertreten werde, oder ob es zur Rechtssicherheit nicht eines Handelsregistereintrags bedürfe.
BGE 141 III 159 S. 162
1.2.2
Nach
Art. 197 ZPO
geht dem Entscheidverfahren - abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen (vgl. Art. 198 f. ZPO) - ein Schlichtungsversuch vor einer Schlichtungsbehörde voraus. Zur Schlichtungsverhandlung müssen die Parteien persönlich erscheinen (
Art. 204 Abs. 1 ZPO
). Das Bundesgericht hat in
BGE 140 III 70
entschieden, diese Pflicht zum persönlichen Erscheinen gelte auch für juristische Personen (E. 4.3 S. 70 ff.). Eine juristische Person habe sich an der Schlichtungsverhandlung durch ein Organ oder zumindest durch eine mit einer (kaufmännischen) Handlungsvollmacht ausgestattete und zur Prozessführung befugte Person, die überdies mit dem Streitgegenstand vertraut sei, vertreten zu lassen (E. 4.3 S. 72). Nicht geklärt ist damit, ob zu den Organen, die zur Vertretung der juristischen Person an der Schlichtungsverhandlung befugt sind, auch faktische Organe gehören. Faktische Organe sind Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen (
BGE 128 III 29
E. 3a S. 30 mit Hinweisen).
Mit
BGE 141 III 80
hat sich das Bundesgericht allgemein dazu geäussert, welche Personen dazu befugt sind, für eine Aktiengesellschaft rechtsgeschäftlich zu handeln und vor Gericht zu erscheinen; es sind dies erstens die Mitglieder des Verwaltungsrates (
Art. 718 Abs. 1 OR
), bei Übertragung der Vertretung nach
Art. 718 Abs. 2 OR
zweitens Delegierte oder Direktoren, drittens Prokuristen (
Art. 458 OR
) und viertens Handlungsbevollmächtigte i.S.v.
Art. 462 OR
(E. 1.3 S. 82). Die faktischen Organe werden in dieser Aufzählung nicht erwähnt. Ob zur Vertretung an der Schlichtungsverhandlung, für welche
Art. 204 Abs. 1 ZPO
mit der Voraussetzung des persönlichen Erscheinens eine Sonderregelung aufstellt, auch lediglich die aufgezählten Personen befugt sind, ist nicht ausdrücklich geklärt.
1.2.3
In der Lehre ist die Frage der Zulässigkeit einer Vertretung an der Schlichtungsverhandlung durch faktische Organe umstritten (Zulässigkeit bejahend: URS EGLI, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 5 zu
Art. 204 ZPO
; Zulässigkeit verneinend: DAVID EGGER, Die Stellung der Organe im Zivilprozess, 2014, N. 151 ff., 165; implizit verneinend durch Voraussetzung eines Handelsregistereintrags: ALVAREZ/PETER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 2 zu
Art. 204 ZPO
; ADRIAN STAEHELIN UND ANDERE, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 20 N. 19;
BGE 141 III 159 S. 163
ALEXANDER WYSS, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 2 zu
Art. 204 ZPO
).
1.2.4
Die Frage, wie eine juristische Person das Erfordernis des persönlichen Erscheinens an der Schlichtungsverhandlung korrekt umsetzt, ist von erheblicher praktischer Tragweite. Ob auch ein faktisches Organ die juristische Person vertreten kann, wovon die Vorinstanz ausging, ist durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht geklärt und in der Lehre umstritten. Vor diesem Hintergrund ist ein Klärungsbedürfnis und damit das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu bejahen. Die Beschwerde in Zivilsachen erweist sich damit gestützt auf
Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG
als zulässig. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist demnach nicht einzutreten (
Art. 113 BGG
).
2.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von
Art. 204 Abs. 1 ZPO
. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz habe die Beschwerdegegnerin das Erfordernis des persönlichen Erscheinens nicht durch das Erscheinen eines faktischen Organs erfüllen können, als welches D. qualifiziert worden sei. Die Klagebewilligung sei somit ungültig, weshalb die Klage abzuweisen sei.
2.1
Die Klagebewilligung stellt - abgesehen vom Spruch über die Kosten (vgl. Urteil 4D_68/2013 vom 12. November 2013 E. 3) - keinen anfechtbaren Entscheid dar (
BGE 139 III 273
E. 2.3 mit Hinweisen). Die beklagte Partei kann ihre Gültigkeit aber im erstinstanzlichen Klageverfahren bestreiten. Das Vorliegen der gültigen Klagebewilligung der Schlichtungsbehörde nach
Art. 209 ZPO
ist, wo dem Prozess überhaupt ein Schlichtungsversuch vorauszugehen hat, eine Prozessvoraussetzung, die das Gericht von Amtes wegen zu prüfen hat (
BGE 139 III 273
E. 2.1 mit Hinweisen). Ungültig ist die Klagebewilligung etwa, wenn die Schlichtungsbehörde mangels persönlichen Erscheinens der klagenden Partei (
Art. 204 Abs. 1 ZPO
) das Verfahren hätte abschreiben müssen, weil bei Säumnis der klagenden Partei das Schlichtungsgesuch nach
Art. 206 Abs. 1 ZPO
als zurückgezogen gilt (
BGE 140 III 70
E. 5 S. 74).
2.2
Die Vorinstanz hat ausgeführt, D. sei nicht als Organ im Handelsregister eingetragen. Nach dem funktionellen Organbegriff sei als Organ aber nicht nur anzusehen, wer de forma zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben berufen werde (formelles Organ), sondern auch, wer de facto Leitungsfunktionen wahrnehme bzw. effektiv und in entscheidender Weise an der Bildung des Verbandswillens teilhabe,
BGE 141 III 159 S. 164
indem er Organen vorbehaltene Entscheide treffe oder die eigentliche Geschäftsführung besorge und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimme (faktisches Organ). Die Vorinstanz kam zum Schluss, D. sei ein solches faktisches Organ der klägerischen Aktiengesellschaft und durch ihre Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung sei die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens gemäss
Art. 204 Abs. 1 ZPO
erfüllt.
2.3
Art. 204 Abs. 1 ZPO
verlangt, dass die für eine juristische Person als Partei an der Schlichtungsverhandlung anwesende Vertreterin vorbehaltlos und gültig handeln kann. So muss sie insbesondere zum Vergleichsabschluss ermächtigt sein (
BGE 140 III 70
E. 4.4 S. 73). In der Lehre ist umstritten, ob die Figur des faktischen Organs lediglich als Haftungstatbestand für sich einmischende Personen dient oder ob das faktische Organ tatsächliche Organqualität hat und (über die Grundsätze der Anscheins- oder Duldungsvollmacht hinausgehend) durch sein Handeln die juristische Person aktiv binden kann (dazu ausführlich und kritisch MICHAEL WYTTENBACH, Formelle, materielle und faktische Organe - einheitlicher Organbegriff?, 2012, S. 247 ff., 267 f. mit zahlreichen Hinweisen auf die Literatur; kritisch auch EGGER, a.a.O., N. 152 ff., 164; vgl. zu den Folgen faktischer Organschaft auch PETER V. KUNZ, Materielle Organschaft ["faktische VR"]: Voraussetzung sowie Folgen im Aktienrecht, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht IX, 2014, S. 173 ff., 183 ff.).
Das Bundesgericht hat die Figur des faktischen Organs bisher primär im Zusammenhang mit der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit (des faktischen Organs) nach
Art. 754 OR
angewendet (
BGE 136 III 14
E. 2.4 S. 20 f.;
BGE 128 III 92
E. 3a S. 93 f.,
BGE 128 III 29
E. 3a S. 30 f.;
BGE 119 II 255
E. 4 S. 257 ff.;
BGE 117 II 570
E. 3 S. 571;
BGE 107 II 349
E. 5b S. 355; Urteil 4A_306/2009 vom 8. Februar 2010 E. 7), weiter im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit der Organe einer Aktiengesellschaft für Nichtleistung der Sozialversicherungsbeiträge (
BGE 132 III 523
E. 4.5 S. 528 f.), im Zusammenhang mit der Geschäftsherrenhaftung nach
Art. 55 OR
(
BGE 122 III 225
E. 4b S. 227; vgl. auch Urteil 4A_544/2008 vom 10. Februar 2009 E. 2.2 f.) und im Zusammenhang mit einer auf Rechtsschein beruhenden Vollmacht (
BGE 124 III 418
E. 1b S. 420 f. und E. 1c S. 421 f.). In einem nicht publizierten Urteil aus dem Jahr 2001 hat das Bundesgericht zwar ausgeführt, auch das faktische Organ könne die Gesellschaft nach aussen vertreten, wobei sich die Vertretungsmacht aus dem Umstand ergebe, dass die entsprechenden Personen in gleicher Weise wie ein gewähltes
BGE 141 III 159 S. 165
Organ an der Meinungsbildung der juristischen Person beteiligt seien und nach aussen auftreten würden (Urteil 4C.307/2001 vom 14. März 2002 E. 2b). In diesem Urteil ging es indessen nicht um eine aktive Handlung, sondern (ähnlich einer Wissenszurechnung) um die Zurechnung der Entgegennahme von Arbeit (vgl.
Art. 320 Abs. 2 OR
).
2.4
Es kann hier offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein faktisches Organ aktiv für die juristische Person materiell bindende Rechtshandlungen vornehmen kann, selbst wenn - wie hier - die Gegenpartei eine gültige Vertretung der juristischen Person bestreitet. Denn vorliegend gilt es den prozessrechtlichen Kontext zu beachten. Die Schlichtungsbehörde muss an der Schlichtungsverhandlung prüfen, ob die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach
Art. 204 Abs. 1 ZPO
erfüllt ist. Von dieser Frage hängt das weitere Vorgehen ab. Erscheint eine Partei nicht persönlich, ohne dass ein Dispensationsgrund nach
Art. 204 Abs. 3 ZPO
vorliegt, so ist sie säumig. Dies hat bei der klagenden Partei zur Folge, dass das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen gilt und das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben wird (
Art. 206 Abs. 1 ZPO
). Bei Säumnis der beklagten Partei verfährt die Schlichtungsbehörde gemäss
Art. 206 Abs. 2 ZPO
, wie wenn keine Einigung zustande gekommen wäre (Erteilung der Klagebewilligung, Unterbreitung eines Urteilsvorschlags oder Entscheid). Die Schlichtungsbehörde muss somit an der Schlichtungsverhandlung möglichst rasch und gestützt auf Urkunden (vgl.
Art. 203 Abs. 2 ZPO
) darüber befinden können, ob die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach
Art. 204 Abs. 1 ZPO
erfüllt ist oder ob sie aufgrund von Säumnis das Verfahren abschreiben (Säumnis der klagenden Partei) bzw. nach
Art. 209-212 ZPO
verfahren soll (Säumnis der beklagten Partei).
Erscheint nun für eine juristische Person eine natürliche Person zur Schlichtungsverhandlung, die sich als faktisches Organ ausgibt, so lässt sich deren Stellung innerhalb der juristischen Person durch die Schlichtungsbehörde nur schwer verifizieren (vgl. auch EGGER, a.a.O., N. 162). Ein faktisches Organ ist gerade nicht im Handelsregister eingetragen. Es spricht für sich, dass vorliegend das erstinstanzliche Gericht ein Beweisverfahren durchführen und mehrere Personen befragen musste, um zur Auffassung zu gelangen, es liege eine faktische Organschaft vor. Solche Beweismassnahmen sind im Schlichtungsverfahren nicht möglich (vgl.
Art. 203 Abs. 2 ZPO
). Jedenfalls könnte nicht bereits aus der Tatsache des Erscheinens zur Schlichtungsverhandlung für die juristische Person auf eine faktische
BGE 141 III 159 S. 166
Organschaft geschlossen werden, da so eine beliebige Person zum faktischen Organ werden könnte und das Erfordernis des persönlichen Erscheinens nach
Art. 204 Abs. 1 ZPO
völlig ausgehöhlt würde. Ein weiteres Problem würde sich auch mit der Zeichnungsberechtigung ergeben. Bei einem faktischen Organ lässt sich nicht wie bei im Handelsregister eingetragenen Organen aus diesem ablesen, ob eine Einzel- oder eine Kollektivzeichnungsberechtigung besteht.
2.5
Ist die Schlichtungsbehörde mit so vielen Unklarheiten konfrontiert, die sie nicht oder jedenfalls nicht ohne einigen Aufwand beseitigen kann, so hätte sie bei Zulassung des faktischen Organs als Vertreterin der juristischen Person zwei Möglichkeiten. Entweder erachtet sie die Ausführungen des angeblichen faktischen Organs als glaubwürdig und führt die Schlichtung durch, dies mit dem Risiko, dass der zur Verhandlung erschienene Vertreter in Wirklichkeit kein faktisches Organ ist und eine erteilte Klagebewilligung ungültig oder ein abgeschlossener Vergleich in Frage gestellt wäre. Oder aber sie erachtet die korrekte Vertretung der juristischen Person als nicht erwiesen und schreibt bei Säumnis der Klägerin das Verfahren als gegenstandslos ab oder erteilt bei Säumnis der Beklagten die Klagebewilligung bzw. unterbreitet einen Urteilsvorschlag oder Entscheid.
Im ersten Fall wird eine allfällige Einigung der Parteien nachträglich wieder in Frage gestellt, was der Rechtssicherheit abträglich ist. Im zweiten Fall wird die Schlichtungsverhandlung gar nicht erst durchgeführt, womit eine durch die Schlichtungsbehörde herbeigeführte Einigung nicht möglich ist. In beiden Fällen besteht die Gefahr, die Versöhnung der Parteien als Zweck des Schlichtungsverfahrens (
Art. 201 Abs. 1 ZPO
) zu vereiteln. Zudem ist es der Prozessökonomie abträglich, wenn die Frage des korrekten persönlichen Erscheinens i.S.v.
Art. 204 Abs. 1 ZPO
in das erstinstanzliche Gerichtsverfahren verlagert wird und - wie vorliegend - mittels Durchführung eines Beweisverfahrens geklärt werden muss (vgl. EGGER, a.a.O., N. 162 und 131).
2.6
Der Schlichtungsbehörde muss nach dem Gesagten ermöglicht werden, rasch und einfach zu prüfen, ob eine juristische Person korrekt vertreten zur Schlichtungsverhandlung erschienen ist. Die im Handelsregister eingetragenen Organe und die Prokuristen haben zu diesem Zweck einen Handelsregisterauszug vorzuweisen; die (kaufmännischen) Handlungsbevollmächtigten haben eine Vollmacht zur Prozessführung in dieser Angelegenheit i.S.v.
Art. 462 Abs. 2 OR
BGE 141 III 159 S. 167
vorzuweisen, aus der sich zudem ihre Handlungsvollmacht i.S.v.
Art. 462 OR
ergibt (vgl.
BGE 141 III 80
E. 1.3 S. 82; Urteil 4D_2/2013 vom 1. Mai 2013 E. 2.2.1). Faktische Organe vermögen nichts Derartiges vorzuweisen. Eine juristische Person kann sich daher im Schlichtungsverfahren nicht von faktischen Organen vertreten lassen.
3.
Um die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach
Art. 204 Abs. 1 ZPO
zu erfüllen, kann sich eine juristische Person an der Schlichtungsverhandlung auch durch eine mit einer (kaufmännischen) Handlungsvollmacht ausgestattete, zur Prozessführung befugte und mit dem Streitgegenstand vertraute Person vertreten lassen (
BGE 140 III 70
E. 4.3 S. 72). Die Vorinstanz hat denn auch in einer Eventualbegründung geltend gemacht, D. sei zumindest als Handlungsbevollmächtigte i.S.v.
Art. 462 OR
zu qualifizieren.
3.1
Die Vorinstanz hat ausgeführt, die einzelzeichnungsberechtigte Verwaltungsrätin E. habe ihrer Mutter D. am 22. April 2013 eine Vollmacht ausgestellt. Darin habe sie D. bevollmächtigt, die Interessen von E. und diejenigen der Beschwerdegegnerin an der Verhandlung vor dem Friedensrichteramt N. vom 26. April 2013 in Sachen Klage Nr. x zu vertreten. Es liege somit eine gültige Handlungsvollmacht im Sinne von
Art. 462 Abs. 2 OR
für D. zur Vertretung an der Schlichtungsverhandlung vor. Es könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass diese Vollmacht dem Friedensrichter vorgelegen habe, sei doch auf der Klagebewilligung hinter dem Namen von D. der Zusatz "bevollmächtigt" vermerkt.
3.2
Unter einer kaufmännischen Handlungsvollmacht sind die Prokura nach
Art. 458 ff. OR
sowie die "andere Handlungsvollmacht" nach
Art. 462 OR
zu verstehen. Eine Handlungsvollmacht i.S.v.
Art. 462 OR
liegt vor, wenn der Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes jemanden ohne Erteilung der Prokura, sei es zum Betriebe des ganzen Gewerbes, sei es zu bestimmten Geschäften in seinem Gewerbe als Vertreter bestellt; die Vollmacht erstreckt sich dabei auf alle Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Gewerbes oder die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt (
Art. 462 Abs. 1 OR
). Zur Prozessführung ist der Handlungsbevollmächtigte hingegen nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis ausdrücklich erteilt worden ist (
Art. 462 Abs. 2 OR
). Wenn das Bundesgericht eine
kaufmännische
Handlungsvollmacht voraussetzt, so ergibt sich daraus, dass eine bloss
bürgerliche
Bevollmächtigung (
Art. 32 ff. OR
) nicht ausreicht.
BGE 141 III 159 S. 168
3.3
Wird wie vorliegend eine Person schriftlich bevollmächtigt, eine Partei an der Schlichtungsverhandlung zu vertreten, so stellt sich die Frage, ob lediglich eine (unzureichende) bürgerliche Bevollmächtigung nach
Art. 32 OR
oder ob eine nach
Art. 462 Abs. 2 OR
erforderliche, einem Handlungsbevollmächtigten i.S.v.
Art. 462 OR
ausdrücklich erteilte Befugnis zur Prozessführung vorliegt. Eine Handlungsvollmacht i.S.v.
Art. 462 OR
setzt voraus, dass eine Person nicht für ein einzelnes Rechtsgeschäft gezielt bevollmächtigt, sondern für alle Rechtshandlungen als Vertreter bestellt wird, die der Betrieb eines ganzen Gewerbes oder die Ausführung bestimmter Geschäfte in einem Gewerbe mit sich bringt; die Ermächtigung zur Prozessführung nach
Art. 462 Abs. 2 OR
kann demnach nur einer Person erteilt werden, die (bereits) Handlungsbevollmächtigte i.S.v.
Art. 462 Abs. 1 OR
ist (vgl. WYSS, a.a.O., N. 2 zu
Art. 204 ZPO
: "Die Anwesenheit eines Handlungsbevollmächtigten nach
Art. 462 Abs. 1 OR
ist nur ausreichend, wenn dieser ausdrücklich zur Prozessführung ermächtigt worden ist [
Art. 462 Abs. 2 OR
]."). Aus der Vollmacht zur Prozessführung (
Art. 462 Abs. 2 OR
) muss sich mithin gleichzeitig ergeben, dass eine Handlungsvollmacht i.S.v.
Art. 462 OR
vorliegt (vgl. oben E. 2.6).
3.4
Vorliegend hat sich die Vorinstanz zur Begründung der Handlungsvollmacht i.S.v.
Art. 462 Abs. 1 OR
auf die Vollmacht zur Vertretung im Prozess gestützt. Aus der Vollmacht ergibt sich indessen nicht, dass D. eine (kaufmännische) Handlungsbevollmächtigte i.S.v.
Art. 462 Abs. 1 OR
der Beschwerdegegnerin war. Damit wären die Voraussetzungen für eine gültige Vertretung der Beschwerdegegnerin durch eine (kaufmännische) Handlungsbevollmächtigte an sich nicht erfüllt. Das Bundesgericht hat diese Voraussetzungen vorliegend allerdings erstmals konkretisiert. Sollte D. von E. daher tatsächlich als Handlungsbevollmächtigte nach
Art. 462 OR
bestellt und sollte dies auch der Beschwerdeführerin bekannt gewesen sein, so könnte im vorliegenden Fall aus Gründen des Vertrauensschutzes noch eine gültige Vertretung an der Schlichtungsverhandlung angenommen werden.
Die Vorinstanz hat im Rahmen ihrer Ausführungen zur Frage einer faktischen Organschaft festgestellt, D. habe aktiv bei der Beschwerdegegnerin mitgearbeitet und habe sich um die Administration und das Personal gekümmert. Sie habe etwa auch einen Kontrollrapport des Tierschutzes unterzeichnet. Zudem sei sie auch an einer Besprechung mit den Söhnen der Beschwerdeführerin dabei gewesen.
BGE 141 III 159 S. 169
Es bestehen somit Indizien dafür, dass D. nicht nur faktisch, sondern auch formell zur Vornahme aller Rechtshandlungen bevollmächtigt war, die der Betrieb des Gewerbes der Beschwerdegegnerin oder die Ausführung bestimmter Geschäfte in diesem Gewerbe gewöhnlich mit sich brachte. Die Sache ist somit an die Vorinstanz zur Ergänzung des Sachverhalts dahingehend zurückzuweisen, ob eine solche formelle (kaufmännische) Handlungsvollmacht i.S.v.
Art. 462 Abs. 1 OR
bestand und ob die damit verbundene Vertretungsmacht auch der Beschwerdeführerin bekannt war oder bekannt gewesen sein musste. | mixed |
e97d84f0-92ce-4dad-aa5c-04a069cf1036 | Sachverhalt
ab Seite 405
BGE 134 V 405 S. 405
A.
Il 4 ottobre 2004 la Cassa di compensazione del Cantone Ticino ha emesso il conguaglio (fr. 16'776.15, quale differenza tra l'importo totale [fr. 18'272.55] e gli acconti versati [fr. 1'496.40]) dei contributi personali dovuti da G. in qualità di indipendente per l'anno 2001. Allo stesso modo, la Cassa ha proceduto il 28 giugno 2005 a fissare in fr. 6'474.50 i contributi personali e le spese per il 2002. Da questo importo ha poi dedotto l'acconto di fr. 1'496.40 e chiesto all'interessato il pagamento del saldo di fr. 4'978.10. I chiesti importi sono stati accreditati all'amministrazione il 10 novembre 2004 (per il saldo contributivo 2001) e il 12 luglio 2005 (per il saldo contributivo 2002).
BGE 134 V 405 S. 406
Con separate decisioni del 5 dicembre 2006, sostanzialmente confermate il 13 marzo 2007 anche in seguito all'opposizione dell'interessato, la Cassa ha quindi provveduto a conteggiare gli interessi di mora e chiesto a G. il pagamento di fr. 1'561.10 sui contributi del 2001 (5 % su fr. 16'776.15 per 670 giorni, vale a dire per il periodo dal 1° gennaio 2003 al 10 novembre 2004) e di fr. 381.65 sui contributi del 2002 (5 % su fr. 4'978.10 per 552 giorni, e più precisamente per il periodo dal 1° gennaio 2004 al 12 luglio 2005).
B.
Per pronuncia del 17 settembre 2007 il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino ha respinto il ricorso dell'interessato.
C.
L'assicurato ha presentato al Tribunale federale un ricorso in materia di diritto pubblico, con il quale ha chiesto di annullare il giudizio cantonale. Dei motivi si dirà, per quanto occorra, nei considerandi.
La Cassa ha proposto la reiezione del gravame, al pari dell'Ufficio federale delle assicurazioni sociali (UFAS).
Il ricorso è stato respinto. Erwägungen
Dai considerandi:
4.
4.1
Gli interessi di mora in lite riguardano il periodo dal 1° gennaio 2003 al 10 novembre 2004, rispettivamente dal 1° gennaio 2004 al 12 luglio 2005, e concernono pertanto un periodo successivo all'entrata in vigore della LPGA (RS 830.1). Contrariamente a quanto ritenuto dalla Corte cantonale, non è di conseguenza più l'art. 14 cpv. 4 lett. e LAVS, abrogato il 31 dicembre 2002, a costituire la base legale formale per la riscossione degli interessi di mora in ambito AVS. Dal 1° gennaio 2003, la competenza, per l'autore dell'ordinanza, di disciplinare la questione degli interessi di mora in ambito AVS deriva dall'
art. 26 cpv. 1 LPGA
. Da allora, le disposizioni sugli interessi di mora si fondano direttamente su quest'ultimo articolo. Questa novità non ha tuttavia provocato effetti particolari sulla regolamentazione specifica degli art. 41
bis
segg. OAVS (RS 831.101), sicché i principi sviluppati in relazione ad essi mantengono la loro validità (sentenze del Tribunale federale delle assicurazioni H 20/04 del 19 agosto 2004, pubblicata in: VSI 2004 pag. 257, consid. 1; H 157/04 del 14 dicembre 2004, consid. 2; v. pure UELI KIESER, ATSG-Kommentar, Zurigo 2003, n. 6 seg. e n. 27 all'
art. 26 LPGA
).
4.2
Giusta l'
art. 26 cpv. 1 LPGA
, i crediti di contributi dovuti o di contributi indebitamente riscossi sottostanno rispettivamente a
BGE 134 V 405 S. 407
interessi di mora o rimunerativi. Per l'art. 41
bis
cpv. 1 lett. f OAVS - in vigore dal 1° gennaio 2001 e applicabile per i contributi che sono dovuti dopo questa data (v. cpv. 5 disposizioni finali della modifica del 1° marzo 2000 OAVS), come si avvera in concreto -, devono segnatamente pagare gli interessi di mora le persone che esercitano un'attività lucrativa indipendente sui contributi da compensare, qualora i contributi d'acconto siano almeno il 25 per cento inferiori ai contributi effettivamente dovuti e non vengano versati fino al 1° gennaio dopo il termine dell'anno civile seguente l'anno di contribuzione, a partire dal 1° gennaio dopo tale termine.
Gli interessi cessano di decorrere in tale evenienza con il pagamento completo dei contributi (
art. 41
bis
cpv. 2 OAVS
; v. sentenza del Tribunale federale delle assicurazioni H 106/04 del 30 dicembre 2004, consid. 3; cfr. inoltre cifra 2032 del supplemento 4 alla Circolare dell'UFAS sugli interessi di mora e compensativi [CIM] nell'AVS, AI e IPG, valida dal 1° gennaio 2006). A norma dell'
art. 42 OAVS
i contributi sono considerati pagati con la ricezione del pagamento da parte della cassa di compensazione (cpv. 1; v. pure VSI 2003 pag. 143, consid. 3.3, H 93/02, che ha decretato la legalità e la costituzionalità del disposto). Il tasso per gli interessi di mora e per gli interessi compensativi è del 5 per cento all'anno (cpv. 2). Gli interessi sono calcolati in giorni, ritenuto che i mesi interi sono calcolati come 30 giorni (cpv. 3).
5.
5.1
Per quanto concerne la pretesa violazione del principio di legalità, ravvisata dal ricorrente nel fatto che la regolamentazione dell'art. 41
bis
cpv. 1 lett. f OAVS non sarebbe sorretta da una sufficiente base legale, di natura formale, la censura si dimostra infondata.
5.2
Proprio recentemente il Tribunale federale si è occupato del tema. In
DTF 134 V 202
questa Corte ha infatti statuito, a conferma della precedente prassi (VSI 2004 pag. 257, H 20/04), che l'
art. 41
bis
cpv. 1 OAVS
è conforme alla legge e rimane applicabile anche in seguito all'entrata in vigore dell'
art. 26 cpv. 1 LPGA
. Ha ricordato a tal proposito che già prima dell'entrata in vigore, il 1° gennaio 2003, della LPGA esisteva, grazie all'abrogato art. 14 cpv. 4 lett. e LAVS, una base legale formale per la percezione di interessi di mora. Per il periodo successivo, ha osservato che la LPGA non si pronuncia in nessun modo sulla scadenza dei crediti contributivi e che pertanto questo momento va determinato come prima sulla base dell'
art. 41
bis
OAVS
poiché le disposizioni esecutive della OAVS sono
BGE 134 V 405 S. 408
rimaste in vigore anche dopo il 1° gennaio 2003 (sentenza citata, consid. 3.1).
5.3
Per rispondere alle varie censure e perplessità espresse nel presente come peraltro pure in altri ricorsi, tuttora pendenti dinanzi a questa Corte e presentati - con argomentazioni analoghe - da alcuni liberi professionisti contro l'agire della Cassa cantonale di compensazione (procedure 9C_623/2007, 9C_632/2007 e 9C_709/2007), occorre poi ricordare che, come in passato, la funzione degli interessi di mora e compensativi consiste nel compensare il fatto che in caso di pagamento tardivo il debitore può trarre un beneficio d'interesse mentre il creditore subisce uno svantaggio.
5.3.1
L'UFAS rileva giustamente che lo scopo dell'art. 41
bis
cpv. 1 lett. f OAVS consiste nel prevenire possibili abusi e nell'evitare che alcuni assicurati sottovalutino deliberatamente il loro reddito oppure non informino la cassa sulle variazioni considerevoli di quest'ultimo allo scopo di ridurre gli acconti da pagare e per trattenere così importi considerevoli fino al momento in cui le casse di compensazione sono finalmente in grado, sulla base delle comunicazioni fiscali, di stabilire i contributi definitivi e di chiedere quindi il pagamento della differenza. Intervallo di tempo che a seconda delle situazioni può del resto anche essere di qualche anno, come dimostra il caso - accertato in maniera vincolante dalla Corte cantonale - del Cantone Ticino durante la fase di transizione dalla tassazione fiscale biennale a quella annuale. Motivo per cui, sebbene in generale non vengano riscossi interessi moratori sulla differenza tra gli acconti e i contributi effettivi, il Consiglio federale ha introdotto la soglia del 25 % per garantire agli interessi moratori la loro funzione compensatrice laddove la differenza del saldo è troppo grande. Soglia che se viene superata obbliga l'amministrazione a riscuotere gli interessi di mora in virtù della lett. f dell'
art. 41
bis
cpv. 1 OAVS
e a non applicare per contro la sua lett. e, che impone sì anche segnatamente al lavoratore indipendente il pagamento di interessi sui contributi personali da compensare, ma solo se non paga entro 30 giorni dalla fatturazione, e comunque solo a partire da tale fatturazione (cfr. il commento alle modifiche in esame della OAVS, pubblicato in: VSI 2000 pag. 107 segg., nonché CIM cifra 2031; sul significato e la portata, non vincolante per il giudice, delle direttive amministrative cfr.
DTF 132 V 200
consid. 5.1.2 pag. 203;
DTF 131 V 42
consid. 2.3 pag. 45 e sentenze ivi citate).
BGE 134 V 405 S. 409
5.3.2
Per quanto concerne poi la decorrenza degli interessi, l'UFAS fa pure giustamente notare che, contrariamente ai datori di lavoro, gli indipendenti non possono generalmente fissare con precisione il loro reddito durante l'anno di contribuzione in corso e fino alla chiusura dell'esercizio (che si effettua normalmente soltanto l'anno seguente quello di contribuzione). Da qui la decisione di fare decorrere gli interessi moratori solo a partire dal 1° gennaio dopo la fine dell'anno civile seguente l'anno di contribuzione per permettere ai debitori di versare i contributi supplementari dopo la chiusura dell'esercizio (VSI 2000 pag. 132).
5.3.3
Il ricorrente critica tra le altre cose che il sistema creato dall'
art. 41
bis
OAVS
, introducendo l'"innovazione giuridica del conteggio degli interessi moratori con decorrenza retroattiva", differirebbe radicalmente dal sistema generale dell'ordinamento giuridico svizzero che fissa la data d'inizio per la decorrenza degli interessi di mora dal momento in cui il debito diventa esigibile e che subordina tale obbligo anche alla messa in mora del debitore. Orbene, aggiunge l'interessato, in virtù di questi principi la differenza tra l'importo dei contributi d'acconto e il contributo definitivo sarebbe unicamente esigibile nel momento in cui essa viene determinata e diviene oggetto di una decisione formale. A sostegno della sua tesi invoca l'applicazione dei principi della parte generale del Codice delle obbligazioni.
A prescindere dal fatto che le condizioni per obbligare un assicurato al versamento di interessi moratori sui contributi AVS da compensare sono sufficientemente regolate dalle specifiche norme in materia e non giustificano, in assenza di lacune (che sono per contro state rilevate e colmate in
DTF 129 V 345
per stabilire il termine di perenzione degli interessi di mora su contributi AVS/AI/IPG non pagati), il richiamo e l'applicazione per analogia dei principi di diritto privato (cfr. pure KIESER, op. cit., n. 8 all'
art. 26 LPGA
, che ricorda come l'obbligo di versare interessi di mora sulla base dell'
art. 26 LPGA
non è in particolare subordinato alla messa in mora del debitore), l'insorgente sembra misconoscere, da un lato, che la riscossione retroattiva di interessi moratori non costituisce una novità (v. VSI 2004 pag. 56, consid. 5.2, H 268/02) e, dall'altro, che in realtà né il debito contributivo né l'esigibilità dipendono dalla notifica di una fattura o da una decisione di tassazione della cassa. Il debito contributivo nasce piuttosto per legge con la realizzazione del reddito da lavoro e diventa esigibile alla scadenza
BGE 134 V 405 S. 410
del periodo di pagamento, anche se i contributi possono essere richiesti solo dopo l'assegnazione di un termine di pagamento (sentenza H 154/06 del 5 aprile 2007, consid. 6.1.1; cfr. inoltre pure la sentenza del Tribunale federale delle assicurazioni H 52/05 dell'8 agosto 2005, consid. 3.2 e 3.3).
(...)
7.
Né egli può validamente liberarsi dal suo obbligo di pagamento tentando di invocare l'irreprensibilità del suo agire e addebitando all'amministrazione un comportamento negligente.
7.1
Innanzitutto va precisato che l'interesse moratorio non ha carattere penale e matura indipendentemente da ogni colpa. Per l'obbligo di prestare interessi di mora in ambito contributivo non è pertanto decisivo se il ritardo nella fissazione o nel pagamento dei contributi sia imputabile al contribuente oppure alla cassa di compensazione (
DTF 134 V 202
consid. 3.3.1 pag. 206 con riferimenti).
Alla luce di questa giurisprudenza, gli argomenti proposti con il ri corso sono irrilevanti. Dal momento che l'obbligo di versamento degli interessi moratori è indipendente dall'esistenza o meno di una colpa, esso si giustificherebbe anche qualora la Cassa (o l'autorità fiscale) dovesse avere - per ipotesi - trascinato in maniera dilatoria la fissazione definitiva dei contributi (
DTF 134 V 202
consid. 3.3.2 pag. 206; v. inoltre sentenza citata H 157/04, consid. 3.4.2 con riferimento a RCC 1992 pag. 177, consid. 4c, H 221/90). Il ricorrente avrebbe infatti potuto, durante questa attesa, fare fruttare il debito contributivo non ancora fatturato né saldato. È per contro irrilevante il fatto che durante questo tempo egli abbia effettivamente o meno tratto vantaggio in misura equivalente al tasso di interesse moratorio di legge. L'obbligo di pagamento dell'interesse si fonda infatti sulla finzione di un guadagno di interessi del contribuente e di una perdita corrispondente della Cassa. Finzione che del resto si ritrova ugualmente nell'evenienza contraria del versamento di interessi compensativi per contributi non dovuti che vengono restituiti o compensati dalle casse di compensazione (art. 41
ter
cpv. 1 OAVS).
7.2
Inoltre si osserva che per il chiaro tenore dell'
art. 24 cpv. 4 OAVS
(desumibile in tutte e tre le versioni linguistiche), i contribuenti devono - e non soltanto su richiesta come erroneamente sostenuto dall'interessato - tra le altre cose segnalare alle casse di
BGE 134 V 405 S. 411
compensazione le divergenze sostanziali dal reddito presumibile. Pertanto, se risulta che il reddito diverge sostanzialmente dal reddito presumibile, i contribuenti sono tenuti a segnalarlo alle casse di compensazione, le quali adeguano poi i contributi d'acconto (
art. 24 cpv. 3 OAVS
). In questo modo si registra una stretta relazione tra questo disposto e l'art. 41
bis
cpv. 1 lett. f OAVS. Gli interessi iniziano a decorrere relativamente tardi, sicché le persone tenute a pagare i contributi possono valutare il loro reddito effettivo sulla base del bilancio di esercizio e segnalare un'eventuale divergenza alle casse di compensazione. In questo modo, i contribuenti dispongono del tempo necessario per pagare un'eventuale differenza prima ancora che inizino a decorrere gli interessi moratori (VSI 2000 pag. 119).
7.3
Giustificata, poiché tiene adeguatamente conto dei contrapposti interessi e obblighi delle parti in causa, appare in questo contesto anche la decisione di subordinare l'obbligo di pagamento degli interessi moratori a un superamento sostanziale del 25 %, limitandolo così alle situazioni in cui la persona interessata, come il ricorrente in concreto, deve rendersi conto della divergenza e deve quindi anche assumersi le conseguenze se, ciò malgrado, non segnala la differenza o non procede a un adeguato versamento supplementare di acconti nei termini di rispetto concessigli dall'ordinanza. Questa normativa non crea, contrariamente a quanto pretende il ricorrente, un'inammissibile disparità di trattamento. Anzi, come giustamente osservato dal Tribunale cantonale, proprio la percezione di interessi moratori a fronte di situazioni come quelle in discussione tende a ristabilire la parità di trattamento tra gli assicurati e ad evitare che alcuni possano trarre ingiustificati benefici dal sistema di fissazione dei contributi.
7.4
L'obbligo di prestare (retroattivamente) interessi moratori ai sensi dell'art. 41
bis
lett. f OAVS interviene così, per quanto detto, soltanto se il contribuente - come nel caso concreto - ha mancato di segnalare tempestivamente il maggior reddito all'amministrazione (
DTF 134 V 202
consid. 3.4 pag. 206). Per contro, come ha segnalato il 28 febbraio 2007 il Consiglio federale in risposta al postulato, poi ritirato, del 18 dicembre 2006 del Consigliere agli Stati Maximilian Reimann (06.3736) - con il quale si chiedeva di verificare se le casse di compensazione non dovessero condonare gli interessi di mora in caso di ritardo non imputabile al contribuente -, se il contribuente adempie ai suoi obblighi legali, la riscossione di interessi di mora è praticamente esclusa.
BGE 134 V 405 S. 412
Va pertanto prestata piena adesione al giudice cantonale laddove, dopo avere osservato che il ricorrente doveva disporre dei dati necessari e della possibilità concreta di trasmettere alla Cassa le indicazioni relative ai redditi definitivi conseguiti nel 2001 e nel 2002 (ben) prima che venissero emesse le due decisioni di conguaglio, ha pertinentemente concluso che se egli avesse provveduto alla loro tempestiva segnalazione, avrebbe certamente evitato di trovarsi in una situazione di mora. | mixed |
2b3646b7-4cee-48f9-b819-772d367aea2c | Sachverhalt
ab Seite 203
BGE 134 V 202 S. 203
A.
Der 1948 geborene D. ist selbstständig erwerbstätig. Mit Verfügung vom 5. Mai 2006 verpflichtete ihn die Ausgleichskasse des Kantons Aargau zur Bezahlung der persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge für das Jahr 2003 in der Höhe von Fr. 41'077.20, einschliesslich Verwaltungskosten. Nach Anrechnung der geleisteten Akontobeiträge wurde ihm gleichentags ein Betrag von noch Fr. 14'198.- in Rechnung gestellt. Diesen Ausstand beglich D. am 31. Mai 2006. Am 9. Juni 2006 erliess die Ausgleichskasse eine Verzugszinsverfügung über Fr. 1'005.70, entsprechend einem Zins zu 5 % auf dem Betrag von Fr. 14'198.- für 510 Tage. Auf Einsprache des Versicherten hin hielt die Ausgleichskasse mit Entscheid vom 27. Juni 2006 an der Verzugszinspflicht fest.
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher der Versicherte die Aufhebung des Einspracheentscheides hatte beantragen lassen, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 27. Februar 2007).
C.
D. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid seien aufzuheben.
Während die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme verzichten, lässt sich das Versicherungsgericht in ablehnendem Sinne zur Beschwerde vernehmen.
D.
Am 9. April 2008 hat das Bundesgericht eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt und die Beschwerde abgewiesen. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 26 Abs. 1 Satz 1 ATSG
(SR 830.1) sind für fällige Beitragsforderungen und Beitragsrückerstattungsansprüche Verzugs- und Vergütungszinsen zu leisten. Verzugszinsen zu entrichten haben nach
Art. 41
bis
Abs. 1 lit. f AHVV
(SR 831.101) u.a. Selbstständigerwerbende auf auszugleichenden persönlichen Beiträgen, falls die Akontobeiträge mindestens 25 % unter den tatsächlich
BGE 134 V 202 S. 204
geschuldeten Beiträgen liegen und nicht bis zum 1. Januar nach Ablauf des dem Beitragsjahr folgenden Kalenderjahres entrichtet werden, ab dem 1. Januar nach Ablauf des dem Beitragsjahr folgenden Kalenderjahres. Gemäss
Art. 41
bis
Abs. 2 AHVV
endet der Zinsenlauf mit der vollständigen Bezahlung der Beiträge, mit Einreichung der ordnungsgemässen Abrechnung oder bei deren Fehlen mit der Rechnungsstellung. Bei Beitragsnachforderungen endet der Zinsenlauf mit der Rechnungsstellung, sofern die Beiträge innert Frist bezahlt werden. Laut
Art. 42 Abs. 2 AHVV
beträgt der Verzugszinssatz 5 % im Jahr, wobei die Zinsen tageweise berechnet und ganze Monate zu 30 Tagen gerechnet werden (
Art. 42 Abs. 3 AHVV
). Nach der Rechtsprechung (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 20/04 vom 19. August 2004, publ. in: AHI 2004 S. 257) sind die zitierten Ausführungsbestimmungen der AHVV nach Inkrafttreten des ATSG weiterhin anwendbar.
2.
Der am 9. Juni 2006 verfügte Verzugszins von Fr. 1'005.70 wird in masslicher Hinsicht zu Recht nicht beanstandet. Der Beschwerdeführer macht vielmehr geltend, nach
Art. 26 Abs. 1 ATSG
setze die Verzugszinsforderung im Gegensatz zur altrechtlichen Regelung auf Verordnungsstufe voraus, dass die Beitragsforderung der Ausgleichskasse fällig ist. Im Übrigen sei der angefochtene Entscheid stossend. Der Ausgleichskasse würde aufgrund des Versäumnisses des Steueramtes nicht bloss ein Schadensausgleich, sondern ein massiv überhöhter Vorteil zufliessen. Auch die öffentliche Hand sei in der fraglichen Zeit nicht in der Lage gewesen, auf vergleichbaren Beträgen Renditen von über einem Prozent zu erzielen. Die Forderung eines Verzugszinses von 5 % sei daher überrissen.
3.
3.1
Der Auffassung des Beschwerdeführers kann nicht beigepflichtet werden. Wie das kantonale Gericht zutreffend festhält, bestand schon vor Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003 in
Art. 14 Abs. 4 lit. e AHVG
eine formell-gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Verzugszinsen.
Art. 26 Abs. 1 ATSG
verdeutlicht zwar, dass Verzugszinsen nur für fällige Beitragsforderungen zu leisten sind, was schon unter altem Recht selbstverständlich war. Zum Eintritt der Fälligkeit äussert sich das ATSG jedoch nirgends. Weil die Ausführungsbestimmungen der AHVV auch nach dem 1. Januar 2003 in Kraft bleiben (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 20/04 vom 19. August 2004, publ. in: AHI 2004 S. 257), ist für die Fälligkeit weiterhin
Art. 41
bis
AHVV
massgebend. Im
BGE 134 V 202 S. 205
vorliegenden Fall anwendbar ist, wie im angefochtenen Entscheid richtig dargelegt,
Art. 41
bis
Abs. 1 lit. f AHVV
. Danach haben u.a. Selbstständigerwerbende auf auszugleichenden Beiträgen, falls die Akontobeiträge mindestens 25 % unter den tatsächlich geschuldeten Beiträgen liegen und nicht bis zum 1. Januar nach Ablauf des dem Beitragsjahr folgenden Kalenderjahres entrichtet werden, ab dem 1. Januar nach Ablauf des dem Beitragsjahr folgenden Kalenderjahres Verzugszinsen zu entrichten. Die Ausgleichskasse hat gestützt auf diese Verordnungsbestimmung den Verzugszins für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2006 gefordert, was die Vorinstanz zu Recht bestätigt hat. Inwiefern diese die Entstehung einer Forderung mit ihrer Fälligkeit verwechselt haben soll, wie in der Beschwerde geltend gemacht wird, ist nicht ersichtlich, nachdem der Beginn der Verzugszinspflicht auf nicht bezahlten Beiträgen in
Art. 41
bis
AHVV
umfassend geregelt ist.
3.2
Im Übrigen würde auch eine von der bisherigen Rechtsprechung losgelöste, an den anerkannten Kriterien (Wortlaut der Bestimmung, Entstehungsgeschichte, Normzweck innerhalb des Normengefüges:
BGE 131 I 394
E. 3.2 S. 396;
BGE 131 II 697
E. 4.1 S. 703;
BGE 131 V 90
E. 4.1 S. 93 und 286 E. 5.2 S. 292) orientierte Auslegung von
Art. 26 Abs. 1 ATSG
kein abweichendes Resultat zeitigen. Der Gesetzeswortlaut ("Für fällige Beitragsforderungen sind Verzugszinsen zu leisten"; "les créances des cotisations échues sont soumises à la perception d'intérêts moratoires"; "i crediti di contributi dovuti sottostanno a interessi di mora") steht der Anwendbarkeit der Ausführungsbestimmungen der AHVV über den 1. Januar 2003 hinaus nicht entgegen. Im Gegenteil: Die italienische Version, welche das Adjektiv "fällig", das mit
Art. 26 Abs. 1 ATSG
in der deutschen und der französischen Fassung Eingang ins AHV-Verzugszinsrecht gefunden hat, nicht verwendet, unterstützt die Auffassung, die im erwähnten Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 20/04 vom 19. August 2004 zum Ausdruck kommt. In den für die Auslegung namentlich bei neuen Gesetzen bedeutungsvollen Materialien (
BGE 131 V 286
E. 5.2 S. 292) finden sich sodann zu
Art. 26 Abs. 1 ATSG
keine Anhaltspunkte, die für die Ansicht des Beschwerdeführers und damit gegen die weitere Anwendbarkeit der Verzugszinsordnung des
Art. 41
bis
AHVV
und des im Zusammenhang damit stehenden
Art. 42 Abs. 2 und 3 AHVV
sprechen würden.
BGE 134 V 202 S. 206
3.3
3.3.1
Mit der Vorinstanz ist des Weiteren daran zu erinnern, dass dem Verzugszins die Funktion eines Vorteilsausgleichs wegen verspäteter Zahlung der Hauptschuld zukommt (
BGE 129 V 345
E. 4.2.1 S. 347). Die Verzugszinsen bezwecken unbekümmert um den tatsächlichen Nutzen und Schaden, den Zinsverlust des Gläubigers und den Zinsgewinn des Schuldners in pauschalierter Form auszugleichen. Hingegen weist der Verzugszins nicht pönalen Charakter auf und ist unabhängig von einem Verschulden am Verzug geschuldet. Für die Verzugszinspflicht im Beitragsbereich ist nicht massgebend, ob den Beitragspflichtigen oder die Ausgleichskasse ein Verschulden an der Verzögerung der Beitragsfestsetzung oder -zahlung trifft (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 221/90 vom 24. Januar 1992, E. 4b, publ. in: ZAK 1992 S. 167 f.).
3.3.2
Im Lichte dieser Rechtsprechung sind die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente unerheblich. Nachdem die Verzugszinspflicht auch besteht, wenn der Verzug einem Verschulden der Ausgleichskasse zuzuschreiben ist, hat die Zinspflicht erst recht zu gelten, wenn, wie vom Beschwerdeführer behauptet, ein Versäumnis einer anderen Amtsstelle, namentlich des Steueramtes, vorliegen sollte, wozu sich dem angefochtenen Entscheid keinerlei Feststellungen tatsächlicher Natur entnehmen lassen, welche für das Bundesgericht im Rahmen von Art. 97 Abs. 1 sowie
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
verbindlich wären. Da es ohne Belang ist, ob die Steuerbehörde ein Verschulden trifft, braucht nicht geprüft zu werden, ob eine offensichtlich unrichtige oder auf einer Bundesrechtsverletzung beruhende Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 BGG
gegeben ist, welche nach dieser Bestimmung einer Ergänzung zugänglich wäre.
3.4
Hingewiesen sei zu guter Letzt darauf, dass die Beitragspflichtigen den Ausgleichskassen nach
Art. 24 Abs. 4 AHVV
die für die Festsetzung der Akontobeiträge erforderlichen Auskünfte zu erteilen, Unterlagen auf Verlangen einzureichen und wesentliche Abweichungen vom voraussichtlichen Einkommen zu melden haben. Damit hat es die beitragspflichtige Person in der Hand, Verzugszinsen gemäss
Art. 41
bis
lit. f AHVV
zu vermeiden, indem die Ausgleichskasse dank rechtzeitiger Meldung des höheren Erwerbseinkommens die Akontobeiträge heraufsetzt, womit diese weniger als 25 % unter den tatsächlich geschuldeten Beiträgen liegen. Die (rückwirkende) Verzugszinspflicht nach Massgabe von
Art. 41
bis
lit. f AHVV
BGE 134 V 202 S. 207
setzt somit nur ein, wenn die beitragspflichtige Person es - wie hier - versäumt, der Verwaltung das höhere Einkommen rechtzeitig zu melden.
3.5
Ob die öffentliche Hand in den fraglichen Jahren (2005 und 2006) in der Lage gewesen wäre, mit der geschuldeten Summe Erträge von über einem Prozent im Jahr zu erwirtschaften, ist entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung unerheblich, da der Verzugszins nicht exakt den der Verwaltung durch den Verzug der beitragspflichtigen Person entstandenen Schaden auszugleichen hat (E. 3.3.1 hievor) und die Höhe des Verzugszinses (seinerzeit 6 %) als gesetzeskonform erachtet wurde (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 170/89 vom 5. März 1990, publ. in: ZAK 1990 S. 284). | mixed |
8e551ec8-2e19-4f85-9999-a54735ac56ec | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 110 V 48 S. 49
A.-
Dem deutschen Staatsangehörigen Walter Peter ist mit Verfügung der Schweizerischen Ausgleichskasse vom 3. März 1982 eine ganze Invalidenrente ab 1. März 1979 zugesprochen worden, dies in Form einer ordentlichen Teilrente nach Skala 33. Der Versicherte erhob Beschwerde an die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen mit dem Wortlaut: "Möchte das Gericht bitten, die Verfügung vom 3. März 1982 zu überprüfen. Ich habe 25 Jahre in Basel und Münchenstein/BL gearbeitet. Mit dieser kleinen Rente kann ich meine Familie nicht unterhalten." Die Rekurskommission hob mit Entscheid vom 31. Januar 1983 die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache zwecks näherer Abklärung an die Verwaltung zurück, weil die invaliditätsmässigen Anspruchsvoraussetzungen nach der Aktenlage nicht schlüssig beurteilt werden könnten.
B.-
Die Schweizerische Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen:
"1. das angefochtene Urteil sei aufzuheben;
2. der Invalidenversicherungs-Kommission Basel-Stadt sei die
Möglichkeit zu geben, ihre Akten vorzubringen und eine Vernehmlassung
einzureichen;
3. was die Berechnung der Rente betrifft, sei aus den in unserer
Vernehmlassung vom 20. Juli 1982 zuhanden der Rekurskommission
dargestellten Gründen die Richtigkeit unserer Verfügung vom 3. März 1982 zu
bestätigen, es sei denn, Ihr Gericht würde den Eintritt der Invalidität auf
ein anderes Datum als dasjenige festsetzen, das die
Invalidenversicherungs-Kommission Basel-Stadt angenommen hat."
Zur Begründung macht die Schweizerische Ausgleichskasse im wesentlichen geltend, streitig sei lediglich die Rentenberechnung (Höhe des Rentenbetrages), nicht aber die Bemessung der Invalidität noch das Datum des Invaliditätseintritts; aus diesem Grunde habe sie sich am 20. Juli 1982 gegenüber der Vorinstanz lediglich zur Frage der Rentenberechnung ausgesprochen, ohne eine
BGE 110 V 48 S. 50
Stellungnahme der Invalidenversicherungs-Kommission zu den mit der Invalidität zusammenhängenden Punkten einzuholen und der Vernehmlassung beizulegen. Die Rekurskommission habe "nicht über die streitige Frage der Berechnung der Rente entschieden", sondern "das von der Invalidenversicherungs-Kommission Basel-Stadt angenommene Datum des Eintritts der Invalidität in Frage gestellt", ohne die vorhandenen Kommissionsakten eingeholt zu haben. Die Rekurskommission habe somit ohne Kenntnis des genauen Sachverhaltes entschieden, was allein schon die Aufhebung ihres Entscheides rechtfertige.
Walter Peter lässt sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht vernehmen. Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst sich den Anträgen und Ausführungen der Schweizerischen Ausgleichskasse an; insbesondere sei die Rente richtig berechnet sowie der Rentenbeginn zutreffend festgelegt worden, und es seien auch die versicherungsmässigen Voraussetzungen zur Rentengewährung erfüllt. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Mit der Verfügung vom 3. März 1982 ist dem Beschwerdegegner eine ganze Invalidenrente zugesprochen worden. Er hat somit unter dem Gesichtspunkt der für den Rentenanspruch wesentlichen Anspruchsvoraussetzung der Invalidität die höchstmögliche Leistung erhalten (vgl.
Art. 28 Abs. 1 IVG
). Bei dieser Sachlage erscheint der Einwand der Schweizerischen Ausgleichskasse als richtig, dass das eingangs wiedergegebene, äusserst knapp formulierte vorinstanzliche Rechtsbegehren des Versicherten nur dahin verstanden werden kann, dass er die Rentenverfügung vom 3. März 1982 weder in bezug auf den Invaliditätsgrad als solchen noch hinsichtlich des mit der Art der Invalidität aufs engste verknüpften Rentenbeginns, sondern einzig unter dem Gesichtswinkel der Rentenberechnung anfocht. Diese Interpretation wird durch die vom Versicherten zum Ausdruck gebrachte Absicht, eine für den Unterhalt der Familie ausreichende, somit eben betragsmässig höhere Invalidenrente zu erhalten, bestätigt. Die Rekurskommission hat jedoch die angefochtene Rentenverfügung in bezug auf die Rentenberechnung nicht geprüft; vielmehr hat sie die Sache zwecks näherer Abklärung an die Verwaltung zurückgewiesen, weil die invaliditätsmässigen Anspruchsvoraussetzungen nach der Aktenlage nicht schlüssig beurteilt werden könnten. Zu prüfen ist, ob die Vorinstanz durch diesen Entscheid in unzulässiger
BGE 110 V 48 S. 51
Weise über den Streitgegenstand hinausgegangen ist, wie die Schweizerische Ausgleichskasse sinngemäss behauptet.
b) Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen und zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und insoweit keine Verfügung ergangen ist (vgl.
BGE 105 V 276
Erw. 1 mit Hinweisen; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 44 unten; SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 170).
Nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts kann das verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren aus prozessökonomischen Gründen auf eine ausserhalb des Anfechtungsgegenstandes, d.h. ausserhalb des durch die Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses liegende spruchreife Frage ausgedehnt werden, wenn diese mit dem bisherigen Streitgegenstand derart eng zusammenhängt, dass von einer Tatbestandsgesamtheit gesprochen werden kann, und wenn sich die Verwaltung zu dieser Streitfrage mindestens in Form einer Prozesserklärung geäussert hat (vgl.
BGE 106 V 25
Erw. 3a mit Hinweisen).
c) Vom Anfechtungsgegenstand zu unterscheiden ist der Begriff des Streitgegenstandes. Streitgegenstand im System der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege ist das Rechtsverhältnis, welches - im Rahmen des durch die Verfügung bestimmten Anfechtungsgegenstandes - den aufgrund der Beschwerdebegehren effektiv angefochtenen Verfügungsgegenstand bildet (GYGI, a.a.O., S. 46; KÖLZ, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, S. 131 f. N. 19). Nach dieser Begriffsumschreibung sind Anfechtungsgegenstand und Streitgegenstand identisch, wenn die Verwaltungsverfügung insgesamt angefochten wird. Bezieht sich demgegenüber die Beschwerde nur auf einen Teil des durch die Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses, gehören die nicht beanstandeten Teilaspekte des verfügungsweise festgelegten Rechtsverhältnisses zwar wohl zum Anfechtungs-, nicht aber zum Streitgegenstand.
In der Verwaltungsverfügung festgelegte - somit Teil des Anfechtungsgegenstandes bildende -, aber aufgrund der Beschwerdebegehren nicht mehr streitige - somit nicht zum Streitgegenstand
BGE 110 V 48 S. 52
zählende - Fragen prüft der Richter nur, wenn die nichtbeanstandeten Punkte in engem Sachzusammenhang mit dem Streitgegenstand stehen (
BGE 101 V 116
Erw. 1 mit Hinweis,
BGE 98 V 139
; ZAK 1968 S. 628).
Nicht zum Streitgegenstand gehören blosse Differenzen bezüglich der Begründung einer Verfügung, weil nur das Verfügungsdispositiv, nicht aber die Begründung anfechtbar ist (vgl.
BGE 106 V 92
Erw. 1). | mixed |
6057f1a8-7f7d-4716-9917-a2c6fed536e2 | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 142 III 131 S. 131
A.
Am 25. August 2014 reichte A. (Kläger, Beschwerdeführer) beim Bezirksgericht Dietikon eine Forderungsklage aus einem Personenschaden im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall gegen die Versicherungsgesellschaft B. AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) ein. Gleichzeitig ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und um Bestellung von Rechtsanwalt Massimo Aliotta als unentgeltlichen Rechtsbeistand.
Mit Beschluss vom 25. September 2014 bewilligte das Bezirksgericht beides unter der Voraussetzung, dass der Kläger innert 20 Tagen eine Abtretungserklärung unterzeichne, mit der er einen
BGE 142 III 131 S. 132
allfälligen Prozessgewinn - ausgenommen Genugtuungsansprüche - im vorliegenden Forderungsprozess gegen die Beklagte bis zur Höhe der auf ihn entfallenden Gerichtskosten und der Kosten der anwaltlichen Vertretung der Kasse des Bezirksgerichts abtrete. Bei Nichtunterzeichnung bzw. Nichteinhaltung der Frist werde die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung verweigert.
B.
Eine gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde des Klägers wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 21. Mai 2015 ab und setzte ihm eine Frist von 10 Tagen ab Zustellung des Entscheids an, um dem Bezirksgericht die Abtretungserklärung einzureichen.
C.
Gegen das Urteil des Obergerichts erhob der Kläger Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde ans Bundesgericht und beantragte unter anderem, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und es sei das Bezirksgericht zu verpflichten, ihm für das zivilrechtliche Verfahren vor dem Bezirksgericht die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und in der Person seines jetzigen Rechtsvertreters einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu bestellen, ohne Auferlegung der Bedingung der Unterzeichnung einer Abtretungserklärung.
Am 9. Februar 2016 führte das Bundesgericht eine öffentliche Urteilsberatung durch. Es trat auf die subsidäre Verfassungsbeschwerde nicht ein und wies die Beschwerde in Zivilsachen ab, soweit es darauf eintrat.
(Zusammenfassung) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Im Streit liegt die Rechtsfrage, ob die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege davon abhängig gemacht werden darf, dass der Beschwerdeführer einen allfälligen Prozessgewinn im Forderungsprozess gegen die Beschwerdegegnerin bis zur Höhe der auf ihn entfallenden Gerichtskosten und der Kosten seiner anwaltlichen Vertretung an die Gerichtskasse des Bezirksgerichts abtritt.
2.1
Vor Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) bestand zumindest in den Kantonen Zürich und St. Gallen eine gefestigte Praxis, wonach die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege davon abhängig gemacht werden konnte, dass die gesuchstellende Partei die strittigen Ansprüche bis zu einem bestimmten Höchstbetrag dem Staat abtrat (vgl. Urteil der Präsidentin der
BGE 142 III 131 S. 133
III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen vom 22. Mai 1998, in: St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 1998 Nr. 66 E. 3; Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. April 1987, in: ZR 86/1987 Nr. 94 E. 1; vom 25. Februar 1956, in: ZR 55/1956 Nr. 106 S. 220 und vom 19. Oktober 1950, in: ZR 53/1954 Nr. 45 S. 117 f.). Dabei wurde teilweise ausdrücklich festgehalten, dass die genannte Abtretung dem Staat nur in den Schranken des gesetzlichen Rückforderungsanspruchs zustehe, d.h. nur rechtswirksam werde, wenn das Rückforderungsrecht entstehe und die Rückforderung vom zuständigen Gericht angeordnet werde (Urteil der Präsidentin der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen, a.a.O., E. 3b S. 171 f.; Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. April 1987, a.a.O., E. 1; vgl. ALFRED BÜHLER, Die Prozessarmut, in: Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, 2001, S. 183 f.; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, 1999, N. 7 zu
Art. 281 ZPO
/SG).
2.2
Die Vorinstanz erwog, dass es auch unter der Geltung der ZPO zulässig sei, die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege von der Abtretung eines allfälligen Prozessgewinns abhängig zu machen. Die Auflage, einen allfälligen Prozessgewinn abzutreten, stehe im Einklang mit dem öffentlichen Interesse des haushälterischen Umgangs mit den Staatsfinanzen. Sie stelle für den Beschwerdeführer keinen ungerechtfertigten Eingriff dar, denn die Prozesspartei, der die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt werde, fahre damit nicht schlechter als diejenige Partei, die den Prozess selber finanziere, da ihr der Nettoprozessgewinn verbleibe, der sich aus der zugesprochenen Forderung abzüglich der von der Partei zu tragenden Prozesskosten ergebe. Für diese Abtretung spreche auch, dass dem Gesuchsteller, der die unentgeltliche Rechtspflege anbegehre, im Allgemeinen zugemutet werde, sämtliche Möglichkeiten zur Liquiditätsbeschaffung auszuschöpfen, bevor ihm die unentgeltliche Rechtspflege gewährt werde. Es sei ihm daher auch zumutbar, die genannte Abtretung vorzunehmen.
2.3
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 117 ff. ZPO
,
Art. 26 BV
,
Art. 29 BV
und von
Art. 6 EMRK
. Er bringt vor, die Abtretung des Prozessgewinns sei seit Inkrafttreten der ZPO bundesrechtswidrig, weil die unentgeltliche Rechtspflege nicht mehr ein kantonales Institut der Justizverwaltung sei und sich deren Umfang und Entzug ausschliesslich nach der ZPO richte. Die
Art. 117-123 ZPO
BGE 142 III 131 S. 134
sähen keine solche Abtretung vor. Die Nachzahlungspflicht sei bundesrechtlich vielmehr abschliessend in
Art. 123 ZPO
geregelt. Danach entstehe die Nachzahlungspflicht erst, sobald die unentgeltlich prozessierende Partei dazu in der Lage sei, was vor der Anordnung der Nachzahlung zu prüfen sei. Er und seine Familie lebe seit neun Jahren vom Sozialamt der Stadt Winterthur. Gestützt auf § 19 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zürich vom 14. Juni 1981 (SHG; LS 851.1) sei die Leistung wirtschaftlicher Hilfe von der Abtretung künftiger Ansprüche gegen Dritte an die Fürsorgebehörde abhängig gemacht worden. Sollte er im Forderungsprozess gegen die Beschwerdegegnerin obsiegen, würden die Ansprüche der Stadt Winterthur und der Gerichtskasse konkurrenzieren. Die Vorinstanz beschränke sich daher lediglich auf das öffentliche Interesse der Gerichtskasse des Bezirksgerichts Dietikon, nicht jedoch auf dasjenige der Stadt Winterthur.
3.
3.1
Mit Inkrafttreten der ZPO werden die Voraussetzungen und Wirkungen der unentgeltlichen Rechtspflege vor kantonalen Instanzen in Zivilrechtsprozessen (
Art. 1 ZPO
) abschliessend durch
Art. 117-123 ZPO
geregelt (ALFRED BÜHLER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 5 zu Vorb. zu
Art. 117-123 ZPO
[nachfolgend: BÜHLER, Berner Kommentar]; FRANK EMMEL, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 1 zu
Art. 117 ZPO
; DENIS TAPPY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 4 f. zu
Art. 117 ZPO
). Die Verpflichtung zur Unterzeichnung einer entsprechenden Abtretungserklärung ist daher nur statthaft, soweit die ZPO dies zulässt. Die ZPO enthält keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für ein solches Abtretungserfordernis. Daraus folgt aber nicht zwingend dessen Unzulässigkeit. Vielmehr ist zu prüfen, ob sich die Zulässigkeit des Abtretungserfordernisses implizit aus den Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege ableiten lässt, namentlich aus deren Sinn und Zweck.
3.2
In der Lehre bestehen unterschiedliche Meinungen. Ein Teil der Autoren hält die Verpflichtung zur Abtretung des Prozessgewinns seit Inkrafttreten der ZPO für bundesrechtswidrig (BÜHLER, Berner Kommentar, a.a.O., N. 135 zu
Art. 118 ZPO
; VIKTOR RÜEGG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 3 zu
Art. 118 ZPO
; wohl auch LUKAS HUBER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander
BGE 142 III 131 S. 135
[Hrsg.], Online Ausgabe [Stand: 16. April 2012], N. 22 zu
Art. 118 ZPO
). Begründet wird diese Auffassung damit, dass die unentgeltliche Rechtspflege zu einem Institut des Bundeszivilprozessrechts geworden sei, für deren Voraussetzungen und Einschränkungsmöglichkeiten nunmehr ausschliesslich Bundesrecht gelte. Das Bundesrecht sehe weder eine Legalzession für die streitige oder andere Forderungen der unentgeltlich prozessführenden Partei vor, noch sei die Sicherstellung der Nachzahlungsforderung vor ihrer Fälligkeit durch ein anderes als das Sicherungsmittel des Arrests vorgesehen. Es fehle damit an einer gesetzlichen Grundlage für ein solches Abtretungserfordernis (BÜHLER, Berner Kommentar, a.a.O., N. 135 zu
Art. 118 ZPO
; RÜEGG, a.a.O., N. 3 zu
Art. 118 ZPO
).
Ein anderer Teil der Lehre ist demgegenüber der Auffassung, dass es auch unter der Geltung der ZPO möglich sei, die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege von der Abtretung des Prozessgewinns abhängig zu machen (EMMEL, a.a.O., N. 4 zu
Art. 123 ZPO
; INGRID JENT-SØRENSEN, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 5 zu
Art. 123 ZPO
; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 16 N. 74; DANIEL WUFFLI, Die unentgeltliche Rechtspflege in der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2015, Rz. 138, 594 f., 600 ff. und 961). Einschränkend wird von diesen Autoren aber gefordert, dass die Abtretung nur zulässig sei, sofern sie unter die Suspensivbedingung gestellt werde, dass eine Pflicht zur Nachzahlung entstehe (EMMEL, a.a.O., N. 4 zu
Art. 123 ZPO
; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, a.a.O., § 16 N. 74; wohl auch WUFFLI, a.a.O, Rz. 961) bzw. die Voraussetzungen der Nachzahlungspflicht nicht unterlaufen würden (JENT-SØRENSEN, a.a.O., N. 5 zu
Art. 123 ZPO
).
3.3
Die Zulässigkeit der Abtretung lässt sich nicht aus
Art. 118 Abs. 2 ZPO
ableiten (a.A. JENT-SØRENSEN, a.a.O., N. 5 zu
Art. 123 ZPO
; WUFFLI, a.a.O, Rz. 604 f.). Mit
Art. 118 Abs. 2 ZPO
wird der Unteilbarkeit der unentgeltlichen Rechtspflege eine Absage erteilt und gesetzlich geregelt, dass die unentgeltliche Rechtspflege nicht nur vollständig gewährt oder abgewiesen, sondern auch teilweise gewährt werden kann. In diesem Sinn hat sich das Bundesgericht kürzlich dazu geäussert, wie bei teilweiser Bedürftigkeit (vgl.
BGE 141 III 369
E. 4.2 ff. mit Hinweisen) bzw. teilweiser Aussichtslosigkeit (vgl.
BGE 142 III 138
E. 5 S. 139 mit Hinweisen) zu verfahren ist.
BGE 142 III 131 S. 136
Dem Beschwerdeführer wurden für den Forderungsprozess gegen die Beschwerdegegnerin die einzelnen Teilansprüche der unentgeltlichen Rechtspflege nach
Art. 118 Abs. 1 lit. a-c ZPO
vollständig gewährt. Dieser Umfang der Ansprüche der unentgeltlichen Rechtspflege ändert sich mit dem Abtretungserfordernis nicht. Entsprechend kann die Verpflichtung zur Unterzeichnung der Abtretungserklärung nicht als Teilgewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von
Art. 118 Abs. 2 ZPO
aufgefasst werden.
4.
4.1
Nach
Art. 29 Abs. 3 BV
hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit zur Wahrung ihrer Rechte notwendig, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Mit
Art. 117 ff. ZPO
wird der als verfassungsrechtliche Minimalgarantie in
Art. 29 Abs. 3 BV
verankerte Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung auf Gesetzesstufe geregelt (
BGE 138 III 217
E. 2.2.3). Die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 117 f. ZPO stimmen dabei mit denjenigen der Minimalgarantie von
Art. 29 Abs. 3 BV
überein, deren Einhaltung das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition prüft (Urteil 4D_62/2015 vom 9. März 2016 E. 3, nicht publ. in:
BGE 142 III 138
, mit Hinweisen).
Die unentgeltliche Rechtspflege nach
Art. 29 Abs. 3 BV
und
Art. 117 ff. ZPO
dient dem Zugang zum Gericht. Mit dem Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege soll eine nicht über genügend finanzielle Mittel verfügende Partei in den Stand versetzt werden, zur Durchsetzung ihrer Rechte einen Prozess zu führen. Es soll ihr, gleich wie einer vermögenden Partei, der Zugang zum Gericht ungeachtet ihrer Bedürftigkeit gewährleistet sein (
BGE 140 III 12
E. 3.3.1;
BGE 139 I 138
E. 4.2;
BGE 135 I 91
E. 2.4.2.3; je mit Hinweisen).
Die unentgeltliche Rechtspflege garantiert der bedürftigen Person aber keine definitive Übernahme der Kosten des Prozesses durch den Staat (
BGE 135 I 91
E. 2.4.2.2 ff.;
BGE 122 I 322
E. 2c S. 324,
BGE 122 I 5
E. 4a S. 6; je mit Hinweisen). Vielmehr hat die bedürftige Person die Prozesskosten selbst zu tragen, soweit es ihre wirtschaftliche Situation zulässt. So kann der Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, diese wieder entzogen werden, wenn sie während des Verfahrens zu den erforderlichen finanziellen Mitteln kommt (
Art. 120 ZPO
; vgl.
BGE 141 I 241
E. 3). Sodann ist die Partei, der die
BGE 142 III 131 S. 137
unentgeltliche Rechtspflege gewährleistet wurde, nach Erledigung des Verfahrens gemäss
Art. 123 Abs. 1 ZPO
zur Nachzahlung der Prozesskosten verpflichtet, "sobald sie dazu in der Lage ist". Die Kosten des Verfahrens können demnach vom Staat zurückverlangt werden, wenn die finanzielle Leistungsfähigkeit des Begünstigten erst nach Erledigung des Prozesses eintritt (
BGE 122 I 322
E. 2c S. 324,
BGE 122 I 5
E. 4a S. 6). Es bleibt aber garantiert, dass die bedürftige Partei nicht zur Nachzahlung der staatlich bevorschussten Prozesskosten herangezogen wird, solange sie dazu wirtschaftlich nicht in der Lage ist (vgl.
Art. 123 Abs. 1 ZPO
;
BGE 135 I 91
E. 2.4.2.3;
BGE 122 I 322
E. 2c S. 324,
BGE 122 I 5
E. 4a S. 6).
Aus dem Zweck, dass der Staat bei der unentgeltlichen Rechtspflege die Prozesskosten lediglich bevorschusst und die bedürftige Person diese Kosten im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit selbst zu tragen hat, ergibt sich die Zulässigkeit der Abtretung. Sie erleichtert die Durchsetzung des staatlichen Nachzahlungsanspruchs, indem schon bei Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege geregelt wird, dass der Staat für seine mögliche Nachzahlungsforderung nach
Art. 123 Abs. 1 ZPO
statt auf die bedürftige Partei direkt auf deren Prozessgegner, in casu eine Versicherungsgesellschaft, greifen kann.
4.2
Soweit der Beschwerdeführer meint, mit der vorliegenden Abtretung werde
Art. 123 Abs. 1 ZPO
umgangen, sind seine Bedenken unbegründet. Die Abtretung bezweckt nicht, dass der Staat die Nachzahlung fordern könnte, obschon der Beschwerdeführer zur Nachzahlung wirtschaftlich nicht in der Lage wäre. Vielmehr soll die Abtretung die Nachforderung der staatlich bevorschussten Prozesskosten erleichtern, wenn die Voraussetzungen nach
Art. 123 Abs. 1 ZPO
gegeben sind und die bedürftige Partei zur Nachzahlung der bevorschussten Prozesskosten rechtskräftig verpflichtet wurde. Die Abtretung steht damit in den Schranken von
Art. 123 Abs. 1 ZPO
. Dass dies in der Abtretungserklärung nicht ausdrücklich vorbehalten wird, schadet nicht, ergibt sich dies doch aus dem gesetzlichen Rahmen, in dem die Abtretung erfolgt.
4.3
Die unentgeltliche Rechtspflege wurde dem Beschwerdeführer vollständig gewährt. Er ist somit trotz seiner finanziellen Bedürftigkeit im Stande, zur Durchsetzung seiner Rechte den Prozess gegen die Beschwerdegegnerin zu führen. Sein Zugang zum Gericht wird durch die Unterzeichnung der Abtretungserklärung nicht
BGE 142 III 131 S. 138
beeinträchtigt. Ungeachtet der Abtretung kann die Nachforderung der vom Staat bevorschussten Prozesskosten sodann nur unter den Voraussetzungen von
Art. 123 Abs. 1 ZPO
gefordert werden. Vor diesem Hintergrund verletzt das Abtretungserfordernis die Rechte des Beschwerdeführers nicht.
4.4
Es ist nach dem Gesagten auch unter der Geltung der ZPO zulässig, die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege von der Abtretung eines allfälligen Prozessgewinns bis zur Höhe der auf den Gesuchsteller entfallenden Gerichtskosten und der Kosten der anwaltlichen Vertretung abhängig zu machen. (...) | mixed |
684b60eb-58dd-4cdf-b3fc-ac8680e075ac | Sachverhalt
ab Seite 363
BGE 136 V 362 S. 363
A.
Die 1951 geborene B. erlitt am 1. August 2003 einen Verkehrsunfall. Am 25. Juni 2004 meldete sie sich wegen der Unfallfolgen ("Rückenprobleme, Brustkorb und Halswirbel") bei der IV-Stelle des Kantons Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) zum Rentenbezug an. Gestützt auf einen Bericht des Universitätsspitals X. vom 7. August 2004 verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 5. Januar 2005 den Anspruch auf eine Invalidenrente (Invaliditätsgrad 20 %). B. erhob dagegen Einsprache, worin sie geltend machte, nicht nur an physischen, sondern auch an psychischen Unfallfolgen zu leiden. Im Rahmen des Einspracheverfahrens liess die Invalidenversicherung die Versicherte durch das Institut Y. polydisziplinär begutachten. Gestützt auf das Gutachten vom 20. März 2006 hiess die IV-Stelle mit Einspracheentscheid und Verfügungen vom 25. Oktober 2007 die Einsprache teilweise gut und sprach der Versicherten eine ganze Invalidenrente von August 2004 bis September 2005, eine
BGE 136 V 362 S. 364
Dreiviertelsrente von Oktober 2005 bis Mai 2006 und eine halbe Rente ab Juni 2006 zu.
B.
B. erhob dagegen Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Dieses hiess mit Urteil vom 23. November 2009 die Beschwerde gut und sprach der Versicherten auch nach dem 30. September 2005 eine ganze Rente zu.
C.
Die IV-Stelle erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts sei aufzuheben und die auszurichtenden Rentenleistungen seien um 30 % zu kürzen. B. beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat keine Vernehmlassung eingereicht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Zu beurteilen bleibt der Antrag der Beschwerdeführerin, die Rente sei um 30 % zu kürzen. Sie begründet dieses Begehren damit, dass die Beschwerdegegnerin den Unfall, der zur Invalidität führte, selber in alkoholisiertem Zustand verursacht hatte und deshalb wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand bestraft worden sei. Dies rechtfertige gemäss
Art. 21 Abs. 1 ATSG
(SR 830.1) eine Kürzung der Rente. Die Beschwerdegegnerin bringt vor, dieser Antrag beruhe auf unzulässigen neuen Tatsachen und stelle ein unzulässiges neues Begehren dar.
3.2
Im Verfahren vor Bundesgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (
Art. 99 Abs. 1 BGG
). Neue Begehren sind unzulässig (
Art. 99 Abs. 2 BGG
).
3.3
3.3.1
Neue Tatsachen und Beweismittel im Sinne von
Art. 99 Abs. 1 BGG
sind Tatsachen, die weder im vorangegangenen Verfahren vorgebracht noch von der Vorinstanz festgestellt worden sind (BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 13 zu
Art. 99 BGG
). Eine Tatsache, die sich aus den vorinstanzlichen Akten ergibt, ist nicht neu (ULRICH MEYER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 20 zu
Art. 99 BGG
). Das gilt auch dann, wenn die Vorinstanz diese Tatsache in ihrem Entscheid nicht
BGE 136 V 362 S. 365
ausdrücklich festgestellt hat, wäre doch sonst von vornherein die Rüge unzulässig, die Vorinstanz habe den Sachverhalt unter Missachtung vorhandener Akten festgestellt (siehe auch e contrario
BGE 135 V 194
E. 3.1 S. 196, wo ein Vorbringen als unzulässiges Novum betrachtet wurde, weil es sich auf einen Bericht stützte, der sich nicht in den Akten befand).
3.3.2
In diesem Sinne ist die sachverhaltliche Grundlage für den Antrag der Beschwerdeführerin nicht ein unzulässiges Novum: Die Polizei- und Strafakten über den Unfall befinden sich in den IV-Akten und die Beschwerdeführerin hat bereits in ihrem Feststellungsblatt vom 4. Januar 2005 festgehalten, dass die Beschwerdegegnerin den Unfall selber in angetrunkenem Zustand verursacht hatte.
3.4
Fraglich ist demgegenüber, ob ein unzulässiges neues Begehren im Sinne von
Art. 99 Abs. 2 BGG
vorliegt.
3.4.1
Weder in ihrer Verfügung noch in ihrem Einspracheentscheid hat die Beschwerdeführerin eine auf
Art. 21 Abs. 1 ATSG
gestützte Rentenkürzung angeordnet. Auch im Verfahren vor der Vorinstanz hat sie keine solche Kürzung geltend gemacht. Erst in ihrer Beschwerde vor Bundesgericht beantragt sie die Kürzung, unter Hinweis auf die von der heutigen Beschwerdegegnerin am Schluss des vorinstanzlichen Verfahrens eingereichte Verfügung des Unfallversicherers, der eine analoge Kürzung vorgenommen hatte.
3.4.2
Die Neuheit eines Begehrens bezieht sich auf den Streitgegenstand: Dieser kann vor Bundesgericht nur noch eingeschränkt (minus), aber nicht ausgeweitet (plus) oder geändert (aliud) werden (MEYER, a.a.O., N. 60-62 zu
Art. 99 BGG
; CORBOZ, a.a.O., N. 32 f. zu
Art. 99 BGG
; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, 2008, N. 4069 zu
Art. 99 BGG
).
3.4.3 | mixed |
8ea8af57-7eae-436a-8a8b-1f86368e3519 | Sachverhalt
ab Seite 140
BGE 139 I 138 S. 140
A.
Am 5. März 2012 erliess der Universitätsrat der Universität Zürich die Verordnung über die Studiengebühren an der Universität Zürich (GebV UZH), die am 9. März 2012 im Amtsblatt publiziert wurde und auf den 1. Mai 2012 in Kraft trat (LS 415.321). Nach § 2 Abs. 1 lit. a GebV UZH beträgt die Kollegiengeldpauschale für ordentliche Studierende einheitlich Fr. 720.- pro Semester.
B.
Am 20. April 2012 erhoben der Fachverein Medizin sowie der Medizinstudent X. Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass der Universitätsratsbeschluss vom 5. März 2012 resp. die Verordnung über die Studiengebühren an der Universität Zürich im Sinne der Beschwerdebegründung unvollständig sei. Weiter sei - entweder vom Gericht oder auf dessen Anordnung hin durch den Universitätsrat - eine Regelung im Sinne der Beschwerdebegründung zu erlassen, die den gesetzlichen Anforderungen übergeordneten Rechts standhalte. Zudem wurde für X. die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege beantragt. Mit Urteil vom 20. September 2012 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat; zugleich wies es das Gesuch von X. um unentgeltliche Rechtspflege ab. Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 8'140.- wurden den Beschwerdeführern je zur Hälfte unter solidarischer Haftung für den Gesamtbetrag auferlegt.
C.
X. erhebt mit Eingabe vom 14. November 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und wiederholt die vorinstanzlich gestellten Anträge. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, subeventualiter die angefochtene Verordnung über die Studiengebühren ganz aufzuheben. Zudem sei die Sache zur Neubeurteilung und Bewilligung des Gesuchs um unentgeltliche Prozessführung an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintritt, und hebt den angefochtenen Entscheid insoweit auf, als das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen und ihm eine Gerichtsgebühr auferlegt wurde. Im Übrigen weist es die Beschwerde ab.
(Auszug) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Der Beschwerdeführer beanstandet nicht die Erhöhung der Gebühr an sich, ist aber der Meinung, dass im Wahlstudienjahr keine
BGE 139 I 138 S. 141
oder höchstens eine reduzierte Kollegiengeldpauschale zulässig sei, wobei aus der Begründung der Beschwerde hervorgeht, dass er eine Gebühr in der Höhe von maximal Fr. 150.- pro Semester als zulässig erachtet. Er rügt eine Verletzung des Legalitätsprinzips im Abgaberecht (
Art. 5 Abs. 1 BV
; recte:
Art. 127 Abs. 1 BV
) und des Äquivalenzprinzips (Verhältnismässigkeitsprinzip;
Art. 5 Abs. 2 BV
). Er ist der Meinung, dass die Kollegiengeldpauschale zumindest im Umfang von Fr. 570.- (Fr. 720.- minus Fr. 150.-) eine Steuer darstellt. Die Studierenden würden während des Wahlstudienjahrs keine Lehrveranstaltungen besuchen oder andere universitäre Einrichtungen benützen, so dass die Universität praktisch keine Leistung erbringe. Die Höhe der Semestergebühr verletze daher das Äquivalenzprinzip, so dass die Gebühr nicht mehr eine Kausalabgabe, sondern eine Steuer sei; für eine Steuer fehle aber eine genügend bestimmte formellgesetzliche Grundlage, was
Art. 5 Abs. 1 BV
(recte:
Art. 127 Abs. 1 BV
) verletze. Zudem seien die Vorgaben gemäss § 41 Abs. 1 des Universitätsgesetzes vom 15. März 1998 (UniG; LS 415.11) verletzt: Nach dieser Bestimmung seien die Gebühren unter Berücksichtigung der an den andern Universitäten geltenden Ansätze zu bemessen. Schliesslich sei die Rechtsgleichheit (
Art. 8 Abs. 1 BV
) verletzt, weil die Studierenden im Wahlstudienjahr kaum an der Universität Lehrveranstaltungen besuchten und von dieser nicht betreut würden, aber trotzdem die gleichen Gebühren entrichten müssten wie Studierende, die täglich Lehrveranstaltungen besuchten.
3.2
Es ist unbestritten, dass § 41 UniG keine Grundlage bietet für die Erhebung einer Steuer. Der Beschwerdeführer bestreitet aber nicht, dass § 41 UniG eine genügende gesetzliche Grundlage darstellt für die Erhebung einer Kollegiengeldpauschale, welche das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip einhält (vgl. dazu
BGE 120 Ia 1
;
BGE 121 I 273
;
BGE 123 I 254
;
BGE 130 I 113
). Ebenso wenig rügt er eine Verletzung des Kostendeckungsprinzips, wohl aber eine Verletzung des Äquivalenzprinzips. Dieses verlangt als abgabenrechtliche Konkretisierung des Verhältnismässigkeitsprinzips, dass eine Gebühr nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der bezogenen Leistung stehen darf und sich in vernünftigen Grenzen bewegen muss; sie soll nach sachlich vertretbaren, objektiven Kriterien bemessen werden (
BGE 138 II 70
E. 7.2 S. 76;
BGE 132 II 47
E. 4.1 S. 55 f.; je mit Hinweisen).
3.3
Das Verwaltungsgericht hat dazu erwogen, das Medizinstudium sei als eine Einheit zu betrachten, so dass die Gebühren nicht semesterweise, sondern gesamthaft zu beurteilen seien. Das
BGE 139 I 138 S. 142
Wahlstudienjahr bilde Teil des Medizinstudiums. Die Kosten für die Medizinausbildung würden über 40'000.- Franken pro Semester und gesamthaft rund 490'000.- Franken betragen. Demgegenüber würden die Studierenden mit ihren Semestergebühren pro Semester Fr. 720.- bzw. für das ganze Studium nur Fr. 8'660.- bezahlen, so dass kein Verstoss gegen das Äquivalenzprinzip vorliege; zudem bewegten sich die Gebühren im Bereich der an anderen Hochschulen geltenden Ansätze.
3.4
Der Beschwerdeführer stellt diese Zahlen als solche nicht in Frage und beanstandet auch nicht grundsätzlich, dass die Semestergebühren zu hoch seien. Die für die Leistungserbringung erforderlichen Kosten können denn auch durchaus als Indiz für den objektiven Wert der Leistung betrachtet werden (vgl. Urteile 2P.7/2007 vom 26. Juni 2007 E. 4.5; 1P.645/2004 vom 1. Juni 2005 E. 4, in: ZBl 107/2006 S. 478). Der Beschwerdeführer ist jedoch der Meinung, das Äquivalenzprinzip enthalte auch ein zeitliches Element. Es müsse ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Leistung und der Gegenleistung bestehen, zumal die Gebühren semesterweise erhoben würden. Da die Universität im Wahlstudienjahr keine kongruente Gegenleistung erbringe, sei die in diesem Jahr zu bezahlende Kollegiengeldpauschale zu hoch.
3.5
Eine Benützungsgebühr darf grundsätzlich nur erhoben werden, wenn effektiv Leistungen in Anspruch genommen bzw. erbracht werden, ausser wenn die Inanspruchnahme der Leistung obligatorisch ist (Urteile 2P.223/2005 vom 8. Mai 2006 E. 4.1, in: ZBl 108/2007 S. 493; 2P.117/2003 vom 29. August 2003 E. 4.3.1, in: ZBl 104/2003 S. 533; 2P.178/1995 vom 23. Dezember 1996 E. 5d, in: ZBl 99/1998 S. 239). Die Argumentation des Beschwerdeführers ist insoweit verständlich. In der vorliegenden Konstellation ist aber zu berücksichtigen, dass das Wahlstudienjahr nicht isoliert, sondern nur als obligatorischer Teil des Gesamtstudiums absolviert werden kann. Der Studierende kommt also nicht in die Lage, bloss ein Wahlstudienjahr zu absolvieren und einzig dafür eine Gebühr zu bezahlen, ohne eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten. Sodann wird die Semestergebühr ohnehin nicht nach Massgabe der von den einzelnen Studierenden bezogenen Leistungen, sondern als Pauschale erhoben. Da der Nutzen einer staatlichen Leistung nicht immer ohne weiteres klar bemessen werden kann, ist ein derartiger Schematismus in gewissen Grenzen zulässig (vgl.
BGE 128 I 46
E. 5b/bb S. 55 f.;
BGE 126 I 180
E. 3a/bb S. 188), auch wenn in der Folge die erhobene Gebühr nicht genau mit der Dauer der Benützung korreliert
BGE 139 I 138 S. 143
(Urteil 2P.191/2004 vom 10. August 2005 E. 4.6, in: ZBl 107/2006 S. 254). Dies gilt zumindest, solange die schematisch erhobene Gebühr immer noch deutlich unter den effektiven Kosten bzw. dem objektiven Nutzen liegt (vgl. Urteile 2C_275/2009 vom 26. Oktober 2010 E. 7.2, nicht publ. in:
BGE 137 I 107
, aber in: ZBl 113/2012 S. 92; 2P.266/2003 vom 5. März 2004 E. 3.4). Unter diesen Umständen ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gesamtbetrachtung über das ganze Studium durchaus sachgerecht und verletzt das Äquivalenzprinzip nicht, jedenfalls solange die gesamthaft erhobene Gebühr deutlich unter den Gesamtkosten des Studiums liegt, wie das hier der Fall ist.
3.6
Aus analogen Gründen ist auch die Rechtsgleichheit nicht verletzt: Nach den vom Beschwerdeführer angelegten Massstäben müsste die Studiengebühr nach Massgabe der im Einzelfall effektiv bezogenen Leistungen erhoben werden. Dies hätte zur Folge, dass die einheitliche Kollegiengeldpauschale für alle Studierenden schon im Grundsatz unzulässig wäre. Gerade für Medizinstudierende wie den Beschwerdeführer müssten die Studiengebühren deutlich höher sein als für Studierende anderer Fakultäten, da gerichtsnotorisch die Studienkosten in der Medizin erheblich höher sind als die durchschnittlichen Studienkosten. Wenn der zuständige Gesetz- und Verordnungsgeber stattdessen die Gebühren einheitlich und nicht nach Massgabe der konkret festgelegten Leistungen festsetzt, so hält sich das im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen, zumindest solange als auch für diejenigen, welche wenig Leistungen beziehen, die Gebühr nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der von ihnen bezogenen Leistung steht.
3.7
Ist somit das Äquivalenzprinzip nicht verletzt, so ist die streitige Gebühr als Kausalabgabe zulässig. Eine gesetzliche Grundlage für eine Steuer ist deshalb nicht erforderlich und damit auch das Legalitätsprinzip nicht verletzt.
3.8
In Bezug auf § 41 Abs. 1 Satz 2 UniG hat das Verwaltungsgericht erwogen, der Zweck dieser Bestimmung liege darin, den Zugang zum Medizinstudium an der Universität gegenüber anderen Universitäten im Bereich der Semestergebühren nicht erheblich zu erschweren; damit müsste aber die Gebührengestaltung anderer Universitäten nicht für jeden Ausnahmefall und einzelne Semester berücksichtigt werden. Diese Auslegung des kantonalen Rechts durch das Verwaltungsgericht kann vom Bundesgericht nur auf Willkür hin überprüft werden (vgl. nicht publ. E. 1.4). Der Beschwerdeführer
BGE 139 I 138 S. 144
erhebt jedoch bloss appellatorische Kritik gegen die Betrachtung der Vorinstanz, bringt aber nichts vor, was diese als willkürlich erscheinen liesse.
4.
(...)
4.2
Mit dem Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach
Art. 29 Abs. 3 BV
soll eine nicht über genügend finanzielle Mittel verfügende Partei in den Stand versetzt werden, zur Durchsetzung ihrer Rechte einen Prozess zu führen, und es soll ihr, gleich wie einer vermögenden Partei, der Zugang zum Gericht ungeachtet ihrer Bedürftigkeit möglich sein. Die Aufgabe des Staates beschränkt sich darauf, den Einzelnen dann zu unterstützen, wenn er ohne diese Unterstützung eines Rechts verlustig ginge oder sich gegen einen als unzulässig erachteten Eingriff nicht wehren könnte. Der Anspruch besteht deshalb in der Regel nicht in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, weil derartige Nachteile in der Regel nicht bereits dann unmittelbar drohen, wenn eine Norm erlassen wird; erst die Anwendung einer Norm im Einzelfall führt zu einem massgeblichen Eingriff in Rechte, und es genügt, wenn einer betroffenen bedürftigen Partei die unentgeltliche Prozessführung in jenem Zeitpunkt bewilligt wird. Nur ausnahmsweise wird es sich anders verhalten und ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bereits für die präventive Anfechtung einer generell-abstrakten Norm zu bejahen sein, nämlich dann etwa, wenn aufgrund der Umstände mit einem sofortigen Anwendungsakt zu rechnen ist und der Betroffene sich gegenüber den rechtsanwendenden Behörden, zum Beispiel mangels förmlicher Anfechtungsmöglichkeiten, nicht wirksam wird wehren können (
BGE 121 I 314
E. 3b S. 317; Urteile 2P.108/2005 vom 5. Juli 2006 E. 2; 2P.184/1999 vom 25. Mai 2000 E. 6; 2P.273/1999 vom 18. November 1999 E. 2; STEFAN MEICHSSNER, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege [
Art. 29 Abs. 3 BV
], 2008, S. 66).
4.3
Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes: Es handelt sich hier zwar um eine abstrakte Normenkontrolle einer kantonalen Verordnung. Gemäss der oben erwähnten Praxis ist aber im Sinne einer Ausnahme der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bereits für die präventive Anfechtung der Studiengebührenverordnung zu bejahen, da aufgrund der Umstände mit einem sofortigen Anwendungsakt zu rechnen ist. Auch wenn der Beschwerdeführer sich allenfalls noch gegen den Anwendungsakt als solchen (Studiengebührenrechnung) mit einem Rechtsmittel wehren könnte, wäre es im Rahmen der Prüfung der unentgeltlichen Rechtspflege überspitzt
BGE 139 I 138 S. 145
formalistisch, ihn auf den (hier sofort folgenden) Anwendungsakt zu verweisen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Beschwerdeführer die Studiengebührenverordnung zur Wahrung seiner aktuellen individuellen Rechte - und nicht bloss aus virtueller Betroffenheit - angefochten hat. | mixed |
9291d95a-82de-4787-b70c-d3be57572a65 | Sachverhalt
ab Seite 127
BGE 143 III 127 S. 127
A.
A.a
Christian Louboutin, Paris, Frankreich, (Gesuchsteller, Beschwerdeführer) ist Inhaber der internationalen Registrierung Nr. 1'031'242 "rote (Pantone No. 18.1663TP) Damenschuhsohle (Positionsmarke)" mit Basiseintragung im Vereinigten Königreich.
Am 25. März 2010 notifizierte die Organisation Mondiale de la Propriété Intellectuelle (OMPI) diese Registrierung für die Schutzausdehnung auf das Gebiet der Schweiz. Das Warenverzeichnis umfasst nach einer Einschränkung nunmehr die Ware
chaussures pour dames à talons hauts
der Klasse 25. Die Positionsmarke sieht wie folgt aus:
BGE 143 III 127 S. 128
A.b
Gegen diese Schutzausdehnung erliess das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE, Beschwerdegegner) am 15. März 2011 eine vorläufige vollständige Schutzverweigerung mit der Begründung, die rote Farbe auf der Schuhsohle der an sich banalen Warendarstellung werde als rein dekoratives Element wahrgenommen. Dem Zeichen fehle es somit an der konkreten Unterscheidungskraft und es gehöre zum Gemeingut.
A.c
Mit Stellungnahme vom 15. Dezember 2011 reichte der Gesuchsteller etliche Unterlagen ein, um die Verkehrsdurchsetzung des Zeichens glaubhaft zu machen.
Das IGE hielt jedoch an der Schutzverweigerung fest, da es eine Verkehrsdurchsetzung als nicht gegeben erachtete.
A.d
Mit Entscheid vom 1. September 2013 verweigerte das IGE der internationalen Markenregistrierung Nr. 1'031'242 für die beanspruchte Ware der Klasse 25 den Schutz in der Schweiz infolge fehlender Unterscheidungskraft.
B.
Der Gesuchsteller erhob am 1. November 2013 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen die Verfügung des IGE vom 1. September 2013. Er beantragte, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und es sei der internationalen Markenregistrierung Nr. 1'031'242 in der Schweiz Markenschutz zu gewähren. Dabei hielt er fest, dass er keinen Markenschutz mehr gestützt auf eine Verkehrsdurchsetzung des Zeichens beantrage.
Mit B-6219/2013 Urteil vom 27. April 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt Christian Louboutin dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2016 aufzuheben und es sei der internationalen Markenregistrierung Nr. 1'031'242 der Schutz in der Schweiz zu erteilen. Eventualiter sei das Verfahren zur Ergänzung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(
Zusammenfassung
) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, sie habe dem angemeldeten Zeichen zu Unrecht die originäre Unterscheidungskraft abgesprochen.
BGE 143 III 127 S. 129
3.1
Die Vorinstanz erwog, für die Frage der Unterscheidungskraft sei ohne Belang, welcher Markenart ein Zeichen zuzuordnen sei. Die zu klärende Rechtsfrage bleibe grundsätzlich dieselbe, wobei Besonderheiten in der Wahrnehmung einer Markenart durch das Publikum grundsätzlich berücksichtigt werden könnten. Positionsmarken, wie die beanspruchte, seien Marken, deren Schutzgegenstand zusätzlich aus der spezifischen Positionierung eines oder mehrerer gleichbleibender zwei- oder dreidimensionaler Zeichenelemente auf der Ware oder auf einem Warenteil hervorgehe. Die Unterscheidungskraft einer Positionsmarke werde dabei durch eine Gesamtbetrachtung der beanspruchten Position und dem oder den zusätzlichen Zeichenelementen eruiert. Das Positionselement trage im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung dann zur Unterscheidungskraft bei, wenn die Markierungsstelle bei den beanspruchten Waren oder deren Verpackung als ungewöhnlich bzw. auffallend erscheine oder sich die Position im Verkehr durchgesetzt habe. Funktional naheliegende Positionen seien freihaltebedürftig. Die Position eines grafischen Elementes auf einem Produkt sei häufig banal und wirke nur dekorativ. Dekorative bzw. banale Elemente könnten nicht originär unterscheidungskräftig sein. Daraus folge, dass insbesondere der für eine bestimmte Ware gängige Gestaltungsschatz ebendieser Ware als nicht unterscheidungskräftig gelten müsse.
Hinsichtlich der für die Beurteilung der Unterscheidungskraft massgeblichen Verkehrskreise führte die Vorinstanz aus, hochhackige Schuhe wiesen keine inhärent grösseren Produktionskosten als andere Schuhe auf und könnten somit in allen Preissegmenten angeboten werden, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass hochhackige Schuhe ausschliesslich oder vorwiegend von finanziell bessergestellten Personen erworben bzw. nachgefragt würden. Bezüglich des Alters von Abnehmern hochhackiger Damenschuhe könne aus der vorliegenden Warenliste wohl ausser der physischen Einschränkung bei sehr jungen und sehr alten Trägerinnen hochhackiger Schuhe keine weitere Limitierung des Alters entnommen werden. Entsprechend reiche das Alter der relevanten Verkehrskreise von ziemlich jung bis ziemlich alt. Weiter sei davon auszugehen, dass Schuhe vor dem Kauf zuerst anprobiert würden, womit vornehmlich Frauen zu den relevanten Verkehrskreisen zu zählen seien. Zudem sei anzumerken, dass hochhackige Schuhe vor allem zu festlichen oder formelleren Anlässen getragen würden, bei denen das modische Aussehen eine massgebliche Bedeutung habe; insoweit
BGE 143 III 127 S. 130
bestünden die Verkehrskreise aus Personen mit einem zumindest leicht erhöhten Modebewusstsein.
Das zur Diskussion stehende Zeichen beanspruche Markenschutz für die Farbe Rot (Pantone No. 18.1663TP), jeweils angebracht an der ganzen Unterseite der Sohle von hochhackigen Damenschuhen. Die Farbe sei durch die Pantone-Skala eindeutig bestimmt, die Grösse des Zeichens ergebe sich aus den Konturen der Untersohle des Schuhs. Diese sei wohl nicht bei jedem Damenschuh genau gleich gross, sie ergebe sich aus funktionalen Gründen aber stets aus dem Verhältnis zum Oberschuh und sei somit klar definiert. Die in der Abbildung dargestellte Unterseite der Sohle als Positionsanspruch sei ebenfalls nicht interpretationsbedürftig, da Schuhe nur auf eine Art getragen werden könnten und die Unterseite somit unstreitig festzumachen sei. Weiter sei die Untersohle gemäss Abbildung leicht geschwungen und weise ein gewisses dreidimensionales Element auf. Nicht beansprucht sei der in der Abbildung gestrichelt dargestellte Oberschuh; dieser diene lediglich zur Illustration und dem besseren Verständnis des beanspruchten Gegenstands.
Die Unterseite einer Damenschuhsohle sei grundsätzlich keine Position, an der das Anbringen einer Marke als ungewöhnlich oder auffallend erscheine, da aus ästhetischen Gründen fast nur die Innen- und Aussensohle von hochhackigen Damenschuhen überhaupt als Ort für eine Platzierung einer Marke in Frage komme. Entsprechend oft finde sich eine Marke an der Unterseite eines hochhackigen Damenschuhs. Bei der beanspruchten Farbe Rot (Pantone No. 18.1663TP), angebracht auf der durch die Sohle definierten Fläche, handle es sich zwar nicht um einen konturlosen Farbanspruch, der nur mittels Verkehrsdurchsetzung schutzfähig wäre, die Konturen einer Schuhsohle erschienen aber im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren (hochhackige Damenschuhe) als banal und beschreibend; zudem gehöre rot - auch in einem etwas grelleren Ton wie Pantone No. 18.1663TP - zu den Grundfarben und werde, insbesondere bei Waren aus der Modebranche, oft als dekoratives Element verwendet. Das sich aus einer durch die bei den Zehen beginnende, hin zu der Ferse hochgeschwungenen Fläche ergebende Formelement sei durch die Funktion eines hochhackigen Damenschuhs, wie er vorliegend beansprucht werde, bedingt. Die vom IGE vorgelegten Beweise zeigten, dass hochhackige Damenschuhe mit farblich bearbeiteter Aussensohle von verschiedenen gewerblichen Schuhverkäufern angeboten werden und diese Schuhe im
BGE 143 III 127 S. 131
schweizerischen Markt nicht nur vereinzelt auftauchen. Eine farbige und damit auch eine rote Aussensohle bei Damenschuhen weiche nicht vom üblichen bzw. gängigen Gestaltungsschatz im strittigen Warensegment ab. Aufgrund einer Gesamtbetrachtung sei davon auszugehen, dass die massgebenden Verkehrskreise (vornehmlich weibliche Abnehmerinnen mit leicht erhöhtem Modebewusstsein) farbliche bzw. im vorliegenden Fall rote Schuhsohlen bei hochhackigen Damenschuhen primär als dekoratives Element und nicht als Marke wahrnehmen. Dem strittigen Zeichen fehle es daher an der originären Unterscheidungskraft, weshalb es nicht als Marke schutzfähig sei.
3.2
Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, die Vorinstanz habe bei der Prüfung der originären Unterscheidungskraft des fraglichen Zeichens nicht auf den Gesamteindruck abgestellt, sondern bloss auf die Details der einzelnen Elemente. Seine Positionsmarke, die in einer leuchtend roten Aussensohle an High Heels bestehe, sei gänzlich ungewöhnlich gewesen, als die ersten Schuhe damit markiert worden seien und sie sei es bis heute geblieben. Dies möge erklären, weshalb das IGE und die Vorinstanz zögerlich seien, die Positionsmarke in der Schweiz zum Markenschutz zuzulassen. Trete man aber einen Schritt zurück und betrachte die Marke unter objektiven Gesichtspunkten, so zeige sich, dass es sich bei seiner Positionsmarke im Vergleich zur üblichen Art, Schuhe zu markieren, um eine der innovativsten und einzigartigsten Schuhmarken handle, die in den letzten 25 Jahre geschaffen worden seien. Die leuchtend rote Aussensohle weiche vom Üblichen in bedeutendem Umfang ab und stelle eine unerwartete und originelle Art der Kennzeichnung von High Heels dar. Deswegen hätten die Durchschnittskonsumentinnen diese Kennzeichnung der Produkte des Beschwerdeführers bei ihrer ersten Verwendung als Marke wahrgenommen und nähmen sie auch heute unverändert als Marke wahr.
Aus diesen Gründen sei seine Positionsmarke originär unterscheidungskräftig und ins Schweizer Markenregister einzutragen.
3.3
3.3.1
Sowohl Art. 5 Abs. 2 des Madrider Abkommens über die internationale Registrierung von Marken (MMA; SR 0.232.112.3; revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967) als auch Art. 5 Abs. 1 des vorliegend anwendbaren Protokolls vom 27. Juni 1989 zum MMA (MMP; SR 0.232.112.4) verweisen bezüglich der zulässigen
BGE 143 III 127 S. 132
Gründe für eine Schutzverweigerung auf die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 (PVÜ; SR 0.232.04). Nach
Art. 6quinquies lit. B Ziff. 2 PVÜ
ist eine Schutzverweigerung unter anderem in Fällen statthaft, in denen die Marke jeder Unterscheidungskraft entbehrt bzw. als Gemeingut anzusehen ist. Diese zwischenstaatliche Regelung entspricht den in
Art. 2 MSchG
(SR 232.11) vorgesehenen Ablehnungsgründen, wonach namentlich Zeichen, die zum Gemeingut gehören (lit. a), vom Markenschutz ausgeschlossen sind (
BGE 135 III 359
E. 2.5.1;
BGE 128 III 454
E. 2; je mit Hinweisen).
3.3.2
Die Gründe für den Schutzausschluss von Zeichen, die dem Gemeingut angehören (
Art. 2 lit. a MSchG
), liegen entweder im Freihaltebedürfnis oder in der fehlenden Unterscheidungskraft, wobei sich Überschneidungen ergeben können (
BGE 139 III 176
E. 2 S. 178;
BGE 131 III 121
E. 4.1 S. 126; je mit Hinweisen). Freihaltebedürftig sind Zeichen, auf deren Verwendung der Wirtschaftsverkehr angewiesen ist. Die Unterscheidungskraft geht Zeichen ab, die aufgrund ihres Erscheinungsbildes oder ihres sachlichen resp. beschreibenden Gehalts die markenspezifische Unterscheidungsfunktion nicht erfüllen können (
BGE 139 III 176
E. 2 S. 178 mit Hinweis). Nicht schutzfähig sind demnach unter anderem Zeichen, denen in Bezug auf die konkret beanspruchten Produkte die Unterscheidungskraft fehlt, indem sie weder von Anfang an (originär) auf ein bestimmtes - wenn auch dem Publikum nicht unbedingt namentlich bekanntes - Unternehmen hinweisen, noch (derivativ) infolge ihrer Durchsetzung im Verkehr (
BGE 137 III 403
E. 3.3.2; vgl. auch
BGE 140 III 109
E. 5.3.2 S. 112 f.).
Ob ein Zeichen als Marke in Frage kommt, beurteilt sich nach dem Gesamteindruck, den es bei den massgebenden Adressaten in der Erinnerung hinterlässt (
BGE 134 III 547
E. 2.3.1 S. 551;
BGE 133 III 342
E. 4 S. 346). Es genügt daher, wenn der Marke als Ganzes (in Kombination aller Einzelelemente) Unterscheidungskraft zukommt bzw. dem Verkehr nicht freihaltebedürftig ist (Urteil 4A_528/2013 vom 21. März 2014 E. 5.1 mit Hinweisen, nicht publ. in:
BGE 140 III 109
ff.). Ob die massgebenden Adressaten ein Zeichen für die beanspruchten Produkte als Hinweis auf ein Unternehmen wahrnehmen, ist dabei vor dem Hintergrund der gesamten Umstände zu beurteilen (
BGE 137 III 403
E. 3.3.2 S. 409;
BGE 134 III 547
E. 2.3 S. 551). Als originär unterscheidungskräftig ist ein Zeichen schützbar, wenn
BGE 143 III 127 S. 133
es aufgrund einer minimalen ursprünglichen Unterscheidungskraft geeignet ist, die mit ihr gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu individualisieren, und es dem Verbraucher dadurch ermöglicht, diese im allgemeinen Angebot gleichartiger Waren und Dienstleistungen wiederzuerkennen (
BGE 140 III 109
E. 5.3.2 S. 112;
BGE 137 III 403
E. 3.3.2; je mit Hinweisen). Bei der Prüfung, ob diese Schutzvoraussetzung erfüllt ist, ist das Zeichen so zu betrachten, wie es vom Hinterleger angemeldet worden ist. Die Auswirkungen des bereits erfolgten oder künftigen Zeichengebrauchs auf die Wahrnehmung durch die massgeblichen Verkehrskreise müssen ausser Betracht bleiben. Das Zeichen muss aus sich selbst heraus und unabhängig von seinem Gebrauch geeignet sein, die Waren und Dienstleistungen des Markeninhabers von denjenigen anderer Anbieter zu unterscheiden (
BGE 140 III 109
E. 5.3.2 S. 112 mit Hinweisen).
Das Bundesgericht prüft grundsätzlich als Rechtsfrage frei, wie der massgebende Adressatenkreis für die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen abzugrenzen ist und - bei Gütern des allgemeinen Bedarfs - wie die Adressaten aufgrund der erwarteten Aufmerksamkeit das Zeichen wahrnehmen (
BGE 139 III 176
E. 2 S. 179;
BGE 137 III 403
E. 3.3.2 S. 409;
BGE 134 III 547
E. 2.3 S. 551;
BGE 133 III 342
E. 4 S. 347).
3.3.3
Positionsmarken sind im Markenschutzgesetz nicht als eigene Markenkategorie vorgesehen. Nach der Legaldefinition von
Art. 1 Abs. 1 MSchG
ist jedes Zeichen als Marke schützbar, das geeignet ist, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von solchen anderer Unternehmen zu unterscheiden; bei der Bestimmung von
Art. 1 Abs. 2 MSchG
handelt es sich nicht um eine abschliessende Aufzählung zulässiger Markenformen (
BGE 135 III 359
E. 2.4 S. 364). Eine Positionsmarke wird charakterisiert durch ein stets gleichbleibendes Zeichenelement, das immer an derselben genau bezeichneten Warenposition angebracht wird. Bei solchen Marken führt die besondere Art und Weise der Anbringung oder Anordnung eines zwei- oder dreidimensionalen Zeichenelements auf einem Produkt zur Markenfähigkeit (vgl. MATTHIAS STÄDELI, in: Basler Kommentar, Markenschutzgesetz, Wappenschutzgesetz, 3. Aufl. 2017, N. 60 zu
Art. 1 MSchG
; EUGEN MARBACH, Markenrecht, SIWR Bd. III/1, 2. Aufl. 2009, Rz. 149; IRMGARD KIRSCHNECK, in: Markengesetz, Ströbele/Hacker [Hrsg.], 11. Aufl., Köln 2015, § 3 Rz. 81; PAUL STRÖBELE, in: Markengesetz, Ströbele/Hacker [Hrsg.], 11. Aufl., Köln 2015, § 8 Rz. 323). Gegenstand der Positionsmarke ist nicht die
BGE 143 III 127 S. 134
Position allein oder das isolierte Zeichen selbst, sondern die Kombination eines Zeichenelements mit einer bestimmten Position (NOTH/THOUVENIN, in: Markenschutzgesetz [MSchG], Michael Noth und andere [Hrsg.], 2009, N. 62 zu
Art. 1 MSchG
). Der Schutzbereich ist entsprechend auf die Verbindung des graphischen oder kombinierten Zeichenelements mit der Warenposition beschränkt (STÄDELI, a.a.O., N. 60 zu
Art. 1 MSchG
; PHILIPPE GILLIÉRON, in: Commentaire romand, Propriété intellectuelle, 2013, N. 39 zu
Art. 1 MSchG
).
Neben der Unterscheidungskraft des Basiszeichens ist demnach die Stärke der Position zu berücksichtigen. Nicht jedem positionierten Zeichen kommt Unterscheidungskraft zu; die Position kann hierzu lediglich beitragen, sofern sie in der Wahrnehmung der massgebenden Verkehrskreise ein hinreichend charakteristisches Element darstellt, mithin stark genug ist, um das Zeichen in einen anderen Kontext zu setzen. Ebenso wie nicht jede beliebige Einfärbung oder grafische Gestaltung ein schutzunfähiges Zeichen hinreichend verändern kann, vermag dies jede beliebige Position zu erreichen. Die Position muss auch tatsächlich ein Verständnis als Herkunftshinweis vermitteln; das positionierte Zeichen muss im Gegensatz zu seinem unpositionierten Gegenstück ein Rätsel aufgeben, das nicht anders gelöst werden kann als durch die Zuordnung der Bedeutung als Herkunftshinweis (FABIAN KLEIN, Schutzvoraussetzungen und Schutzumfang der Positionsmarke, Tübingen 2012, S. 295 f. mit Hinweis). Besteht auf dem betreffenden Warengebiet eine Kennzeichnungsgewohnheit, dürften die dieser Gewohnheit entsprechenden Positionen leichter als Herkunftshinweise verstanden werden. Zudem ist die Position umso stärker einzustufen, je prominenter sie auf dem jeweiligen Positionsträger in den Vordergrund rückt (KLEIN, a.a.O., S. 299 ff. und 311). Ob die massgeblichen Verkehrskreise ein Zeichenelement an einer bestimmten Position der Ware als Kennzeichen - und nicht etwa als technisch bedingtes Element oder blosse Zierde - auffassen, ist im Rahmen der Prüfung der Unterscheidungskraft im konkreten Einzelfall zu bestimmen (STÄDELI, a.a.O., N. 61 zu
Art. 1 MSchG
; NOTH/THOUVENIN, a.a.O., N. 62 zu
Art. 1 MSchG
).
Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, ist die Einordnung der Positionsmarke (etwa als Bild-, Form- oder sonstige Marke) für die Beurteilung der Unterscheidungskraft unerheblich (vgl. auch Beschluss des EuGH vom 16. Mai 2011 C-429/10 P
BGE 143 III 127 S. 135
X Technology Swiss GmbH
, Slg. 2011 I-00076 Randnrn. 36 f. mit Verweis auf das Urteil des EuG vom 15. Juni 2010 T-547/08
X Technology Swiss GmbH
, Slg. 2010 II-02409 Randnrn. 21 und 26). Für die Beurteilung der absoluten Schutzfähigkeit von Positionsmarken gelten in dieser Hinsicht keine Sonderregelungen (STRÖBELE, a.a.O., § 8 Rz. 325; KLEIN, a.a.O., S. 282). Die Wahrnehmung der massgeblichen Verkehrskreise kann jedoch durch die Art des Zeichens beeinflusst werden; so wird insbesondere von Zeichen, die im Erscheinungsbild der Ware selbst bestehen, gewöhnlich nicht auf die betriebliche Herkunft dieser Waren geschlossen (vgl.
BGE 137 III 403
E. 3.3.3 und 3.3.4 mit Hinweisen).
3.3.4
Das eingetragene Basiszeichen besteht unabhängig von seiner Position, die gleichzeitig die Kontur der gewählten Farbe (Pantone No. 18.1663TP) bestimmt, indem sie die gesamte Fläche der Schuhsohle umfasst, lediglich in einem bestimmten Farbton, der als solcher für die beanspruchten Damenschuhe mit hohen Absätzen nicht originär unterscheidungskräftig ist (vgl. zur Farbmarke etwa STÄDELI, a.a.O, N. 52 ff. zu
Art. 1 MSchG
). Dabei handelt es sich um einen äusserst schwachen Zeichenbestandteil, zumal dem Basiszeichen als solchem keinerlei konkrete Gestaltung zukommt, die originär als Herkunftshinweis verstanden werden könnte. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, steht zwar nicht ein konturloser Farbanspruch zur Diskussion; die Umrisse von Schuhsohlen sind jedoch als Zeichen für Schuhe banal und beschreibend, indem sie im Erscheinungsbild eines Teils der Ware selbst bestehen. Es wird nicht etwa ein Wort- oder Bildelement auf der Schuhsohle positioniert, wofür auf dem Schuhmarkt eine gewisse Übung und eine entsprechende Gewöhnung der Konsumenten bestehen dürfte. Vielmehr besteht das Zeichen aus einer einfarbigen Darstellung der Unterseite eines hochhackigen Damenschuhs, wodurch es mit dem Erscheinungsbild der Ware selbst verschmilzt. Zeichen, die im Erscheinungsbild der Ware selbst bestehen, werden jedoch gewöhnlich nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft dieser Waren, sondern lediglich als besondere Gestaltung wahrgenommen (vgl.
BGE 137 III 403
E. 3.3.3 mit Hinweisen). Ähnlich der Formmarke kann es im Hinblick auf die originäre Unterscheidungskraft nicht ausreichen, dass sich ein solches Zeichen lediglich nach seiner gefälligen Gestaltung unterscheidet; vielmehr muss es sich von sämtlichen im beanspruchten Warensegment im Zeitpunkt des Entscheids über die Markeneintragung üblichen Gestaltungen auffällig unterscheiden, damit ein
BGE 143 III 127 S. 136
Verständnis als Herkunftshinweis in Betracht kommen kann (zur Formmarke:
BGE 137 III 403
E. 3.3.3;
BGE 134 III 547
E. 2.3.4;
BGE 133 III 342
E. 3.3). Die massgebende Vergleichsmenge besteht dabei in den auf dem betroffenen Warensegment tatsächlich vorhandenen Gestaltungen und nicht etwa in erfolgten Markenanmeldungen vergleichbarer Zeichen, wie der Beschwerdeführer anzunehmen scheint.
Die Eigenart des zu beurteilenden Zeichens besteht weder in einer charakteristischen Form noch in einer für sich betrachtet auffälligen Gestaltung, sondern beschränkt sich auf die Wahl einer bestimmten Farbe für einen funktional unabdingbaren und flächenmässig bedeutsamen Teil der beanspruchten Ware. Dass diese Farbe im Gegensatz zu den in der Beschwerde erwähnten schwarzen, braunen oder beigen Aussensohlen für Damenschuhe mit hohen Absätzen nicht gebräuchlich ist, reicht nicht aus, um dem Zeichen in der Gesamtbetrachtung Unterscheidungskraft zu verleihen. Der Beschwerdeführer stellt zu Recht nicht in Abrede, dass die rote Farbe auch in einem etwas grelleren Ton, wie von ihm beansprucht, insbesondere bei Waren aus der Modebranche oft als dekoratives Element verwendet wird. Wie sich aus den vorinstanzlichen Feststellungen ergibt, kommen zudem etwa hochhackige Damenschuhe, deren Aussensohle in grün, gelb, blau, violett oder pink gehalten sind, durchaus vor. Der Umstand, dass ein solcher Damenschuh eine farbige Aussensohle aufweist, kann daher nicht als derart aussergewöhnlich betrachtet werden, dass sich dieses Merkmal in einer Weise von den üblichen Gestaltungen abheben würde, um in seiner auffälligen Eigenart (originär) als Herkunftshinweis in Betracht zu kommen. Die Modebranche zeichnet sich auch bezüglich der beanspruchten Damenschuhe mit hohen Absätzen durch eine grosse Gestaltungsvielfalt aus und schöpferische Entwicklungen werden geradezu erwartet, weshalb die blosse Einfärbung eines Teils der Produktoberfläche in Form der Aussensohle von den angesprochenen Abnehmern der Ware zugeschlagen und nicht als Herkunftshinweis aufgefasst wird.
Die rote Einfärbung (Pantone No. 18.1663TP) der Sohlenunterseite stellt ein ästhetisches Stilelement dar, das sich - losgelöst betrachtet von der bereits erfolgten Benutzung bzw. einer allfälligen Bekanntheit der vom Beschwerdeführer entworfenen und vertriebenen Designerschuhe - von der modischen Gestaltung von Damenschuhen mit hohen Absätzen auch aus Sicht der in der Beschwerde als massgebend erachteten Verkehrskreise (modeorientierte und
BGE 143 III 127 S. 137
zahlungskräftige Frauen zwischen 20 und 65 Jahren) gedanklich nicht derart abhebt, dass sie (originär) als zusätzliches Element im Sinne eines Herkunftshinweises aufgefasst würde. Es braucht daher nicht vertieft zu werden, ob die Vorinstanz den massgebenden Verkehrskreis zu weit gefasst hat, wie in der Beschwerde geltend gemacht wird.
3.3.5
Der Vorinstanz ist keine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen, indem sie das strittige Zeichen als nicht originär unterscheidungskräftig erachtete. Dass dem Zeichen infolge ihrer Durchsetzung im Verkehr Unterscheidungskraft zukommen würde, steht im vorliegenden Verfahren nicht zur Diskussion. Die Vorinstanz hat unter diesen Umständen zu Recht offengelassen, ob am fraglichen Zeichen gegebenenfalls ein Freihaltebedürfnis besteht. (...) | mixed |
dc44bf82-3905-4c5a-8815-89acd7ac1024 | Sachverhalt
ab Seite 470
BGE 137 III 470 S. 470
Im Rahmen eines Scheidungsverfahrens vor dem Kantonsgericht Schaffhausen reichte X. am 15. November 2010 ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ein. Mit Verfügung vom 20. Januar 2011 wies das Kantonsgericht das Gesuch mangels Bedürftigkeit von X. ab.
Dagegen erhob X. am 31. Januar 2011 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Schaffhausen. Er beantragte zudem die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das Beschwerdeverfahren. Mit Entscheid vom 13. Mai 2011 wies das Obergericht die Beschwerde gegen die kantonsgerichtliche Verfügung ab. Ebenso wies es das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das Beschwerdeverfahren wegen Aussichtslosigkeit der
BGE 137 III 470 S. 471
Beschwerde ab. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 500.- auferlegte es X.
Die von X. (nachfolgend Beschwerdeführer) am 16. Juni 2011 gegen den obergerichtlichen Entscheid erhobene Beschwerde in Zivilsachen weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
6.1
Schliesslich hat das Obergericht dem Beschwerdeführer unter Hinweis auf
Art. 106 Abs. 1 ZPO
(SR 272) für das Beschwerdeverfahren (Art. 121 i.V.m.
Art. 319 ff. ZPO
; vgl. nicht publ. E. 4.1.1) die Kosten von Fr. 500.- auferlegt. Für das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung vor dem Obergericht hat es hingegen keine Kosten erhoben.
6.2
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von
Art. 119 Abs. 6 ZPO
geltend, wonach das Verfahren um die unentgeltliche Rechtspflege kostenlos sei.
6.3
Gemäss
Art. 119 Abs. 6 ZPO
werden ausser bei Bös- und Mutwilligkeit im Verfahren um die unentgeltliche Rechtspflege keine Gerichtskosten erhoben.
In der Lehre und kantonalen Praxis wird dies teilweise dahingehend verstanden, dass auch das Beschwerdeverfahren gegen einen Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege der ersten Instanz kostenlos sei (Beschluss der Zivilabteilung des Obergerichts des Kantons Bern vom 14. Juli 2011; HUBER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, 2011, N. 27 zu
Art. 119 ZPO
und N. 10 zu
Art. 121 ZPO
; TAPPY, in: Code de procédure civile commenté, 2011, N. 26 zu
Art. 119 ZPO
, wobei teilweise nicht ganz klar ist, ob sich der Hinweis auf das kostenlose Rechtsmittelverfahren auf ein neues Gesuch vor der Rechtsmittelinstanz oder das eigentliche Beschwerdeverfahren bezieht). Nach anderer Ansicht betrifft
Art. 119 Abs. 6 ZPO
einzig das Gesuchsverfahren (Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 16. Mai 2011, Ziff. II N. 9).
6.4
Das Bundesgericht hatte seit dem Inkrafttreten der eidgenössischen Zivilprozessordnung noch keine Möglichkeit, sich zu dieser Frage zu äussern. Die Gesetzesauslegung hat deshalb zu beantworten, ob sich die in
Art. 119 Abs. 6 ZPO
statuierte Kostenlosigkeit auch auf das Beschwerdeverfahren gegen einen ablehnenden oder entziehenden Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege bezieht.
BGE 137 III 470 S. 472
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinns und der dem Text zu Grunde liegenden Wertungen. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, das heisst eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (
BGE 137 V 167
E. 3.1 S. 169 f.;
BGE 137 IV 99
E. 1.2 S. 100;
BGE 136 III 373
E. 2.3 S. 376).
6.5
6.5.1
Nach dem Gesetzeswortlaut von
Art. 119 Abs. 6 ZPO
werden abgesehen von Bös- oder Mutwilligkeit "im Verfahren um die unentgeltliche Rechtspflege keine Gerichtskosten erhoben" ("il n'est pas perçu de frais judiciaires pour la procédure d'assistance judiciaire"; "nella procedura di gratuito patrocinio non vengono prelevate spese processuali").
Art. 119 Abs. 6 ZPO
bestimmt nicht näher, ob unter Verfahren nur das Gesuchs- oder auch das Beschwerdeverfahren zu verstehen ist.
6.5.2
Zu prüfen ist, ob die Materialien zuverlässigen Aufschluss über die Auslegung von
Art. 119 Abs. 6 ZPO
geben. Nach ständiger Rechtsprechung stellen sie, gerade bei jüngeren Gesetzen, ein wichtiges Erkenntnismittel dar, von dem im Rahmen der Auslegung stets Gebrauch zu machen ist (
BGE 137 V 167
E. 3.2 S. 170;
BGE 126 V 435
E. 3b S. 439). Im Vorentwurf der Expertenkommission vom Juni 2003 wurde die Kostenlosigkeit im Zusammenhang mit dem summarischen Verfahren, in dem der Entscheid über das Gesuch zu ergehen hat, geregelt. Der damalige Art. 108 Abs. 1 VE-ZPO lautete wie folgt: "Das Gericht entscheidet über das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung im summarischen Verfahren; ausser bei Bös- und Mutwilligkeit werden keine Prozesskosten erhoben." Auch der Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission zu Art. 108 VE-ZPO spricht von der Kostenlosigkeit im Zusammenhang mit dem summarischen Verfahren.
Der Entwurf des Bundesrats (Art. 117 Abs. 6 des Entwurfs; BBl 2006 7439) enthielt bereits den heutigen Wortlaut von
Art. 119 Abs. 6 ZPO
.
BGE 137 III 470 S. 473
Die Botschaft zur ZPO präzisiert insofern einzig, die Kostenlosigkeit gelte auch dann, wenn "das Gesuch" abgewiesen werde (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7303 Ziff. 5.8.4). Die vorberatende Kommission des Ständerats diskutierte den Grundsatz der Kostenlosigkeit des Gesuchsverfahrens, jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Rechtsmittelverfahren. Dabei wurde auch auf die Rechtslage in den Kantonen hingewiesen und ausgeführt, in der Regel sähen die Kantone keine Kostenlosigkeit vor, sofern das Gesuch abgewiesen werde. Zwei Kantone sähen jedoch die Kostenlosigkeit in der Regel vor und vier Kantone hätten die gleiche Regelung wie im bundesrätlichen Entwurf.
Die vorberatende Kommission des Nationalrats diskutierte die fragliche Bestimmung nicht weiter. In der parlamentarischen Beratung wurde die Norm unverändert und ohne Diskussionen gemäss dem bundesrätlichen Entwurf angenommen (AB 2007 S 513 sowie AB 2008 N 944).
Aus der Entstehungsgeschichte ergeben sich damit keine klaren Rückschlüsse auf die vorliegende Frage. Festzuhalten bleibt jedoch immerhin, dass die Kostenlosigkeit einzig im Zusammenhang mit dem (summarischen) Gesuchsverfahren diskutiert wurde. Hinweise, dass die Kostenlosigkeit auch für das Beschwerdeverfahren gemäss
Art. 121 ZPO
gelten sollte, finden sich keine.
6.5.3
Aus systematischer Sicht regelt
Art. 119 ZPO
das Gesuch (und dessen Verfahren). Daran ändert auch die Bestimmung von
Art. 119 Abs. 5 ZPO
nichts, die ebenfalls das Gesuchsverfahren (im Rechtsmittelverfahren) betrifft, da keine Weitergeltung eines vor erster Instanz bewilligten Gesuchs besteht. Die Regelung des Rechtsmittels (und damit auch des Rechtsmittelverfahrens) gegen einen ablehnenden oder entziehenden Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege folgt erst in
Art. 121 ZPO
(i.V.m.
Art. 319 ff. ZPO
).
Mit anderen Worten sind das Gesuch(sverfahren) gemäss
Art. 119 ZPO
einerseits und das Rechtsmittel(verfahren) gemäss
Art. 121 ZPO
andererseits in unterschiedlichen Bestimmungen und chronologisch geregelt.
Das Beschwerdeverfahren (
Art. 319 ff. ZPO
) im Einzelnen beziehungsweise das Rechtsmittelverfahren im Allgemeinen (mit Ausnahme von
Art. 318 Abs. 3 ZPO
) enthalten keine speziellen Kostenvorschriften. Vielmehr gelten die allgemeinen Regeln gemäss
Art. 104 ff. ZPO
(beziehungsweise gemäss
Art. 95 ff. ZPO
) grundsätzlich auch
BGE 137 III 470 S. 474
für die Rechtsmittelinstanz (Botschaft zur ZPO, BBl 2006 7296 Ziff. 5.8.2; SEILER, Die Berufung nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2011, N. 1560; TAPPY, Les voies de droit du nouveau Code de procédure civile, JdT 2010 III S. 150 und 162; FREIBURGHAUS/AFELDT, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2010, N. 24 zu
Art. 327 ZPO
; MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 525 f.).
6.5.4
Ziel der unentgeltlichen Rechtspflege ist es, eine gewisse Waffengleichheit zu gewährleisten. Jeder Betroffene soll grundsätzlich ohne Rücksicht auf seine finanzielle Situation unter den von der Rechtsprechung umschriebenen Voraussetzungen Zugang zum Gericht und Anspruch auf Vertretung durch einen Rechtskundigen haben (
BGE 131 I 350
E. 3.1 S. 355). Es handelt sich beim fraglichen Institut um einen eigentlichen Pfeiler des Rechtsstaates (
BGE 132 I 201
E. 8.2 S. 214).
Mit Blick auf diese Grundsätze dürfte sich auch die gewählte Normierung in
Art. 119 Abs. 6 ZPO
einordnen lassen. In der vorberatenden Kommission des Ständerats wurde darauf hingewiesen, die unentgeltliche Rechtspflege habe "mit sozialem Grundrecht zu tun" und es würden für das Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege regelmässig nicht hohe Kosten anfallen. Die fragliche Bestimmung bezweckt damit einerseits die Wahrung des Rechts auf unentgeltliche Rechtspflege in dem Sinne, dass der Betroffene nicht soll befürchten müssen, dass ihm bereits für ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege Kosten auferlegt werden können. Andererseits sind wohl auch prozessökonomische und vollstreckungsrechtliche Gesichtspunkte von Bedeutung, wobei diese nur eine Rolle spielen, wenn das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen wird.
Diese Betrachtungsweise könnte auch in einem Rechtsmittelverfahren gegen einen abweisenden Entscheid eine gewisse Berechtigung haben.
6.5.5
Als Auslegungsergebnis kann festgehalten werden, dass sich aus dem Wortlaut von
Art. 119 Abs. 6 ZPO
nicht ergibt, ob die Kostenlosigkeit auch für das Rechtsmittelverfahren gelten soll. Aus der Entstehungsgeschichte und insbesondere der systematischen Stellung der Bestimmung folgt jedoch, dass sie einzig das Gesuchsverfahren vor der ersten oder zweiten Instanz betrifft. Daran vermag auch der Sinn und Zweck der Norm nichts zu ändern (so ist beispielsweise auch vor dem Bundesgericht unter der Geltung des
BGE 137 III 470 S. 475
Bundesgerichtsgesetzes das Beschwerdeverfahren gegen einen abweisenden kantonalen Entscheid betreffend unentgeltliche Rechtspflege grundsätzlich kostenpflichtig, vgl.
Art. 65 BGG
und CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 24 zu
Art. 65 BGG
; beispielsweise Urteile 5A_382/2010 vom 22. September 2010 E. 5.1; 5A_551/2008 vom 18. Dezember 2008 E. 4, nicht publ. in:
BGE 135 I 102
).
6.6
Die obergerichtliche Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren ist damit nicht zu beanstanden. Ist
Art. 119 Abs. 6 ZPO
auf das Beschwerdeverfahren nicht anwendbar, braucht auf die vom Obergericht mit dessen Vernehmlassung vom 23. August 2011 vorgebrachte Motivsubstitution (mutwillige Beschwerde) nicht weiter eingegangen zu werden und erübrigen sich Ausführungen zu deren Zulässigkeit. | mixed |
666e9204-c733-452a-a9b2-cb1d9cb0efc4 | Wenn das Bundesgericht eine Sache zur Vervollständigung des Sachverhaltes in bestimmten Punkten zurückweist, darf die kantonale Behörde neue Tatsachen - soweit das kantonale Recht dies erlaubt - nur mit Bezug auf die betreffenden Punkte berücksichtigen (E. 5).
Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 131 III 91 S. 91
Par jugement du 7 juin 2001, le Tribunal de première instance de Genève a notamment prononcé le divorce des époux Y., attribué à la mère (défenderesse) l'autorité parentale et la garde de l'enfant Z.,
BGE 131 III 91 S. 92
né le 10 décembre 1990, réglé le droit de visite et condamné le demandeur à payer une contribution mensuelle à l'entretien de son fils de 850 fr. jusqu'à l'âge de 12 ans, 950 fr. de 12 à 15 ans et 1'000 fr. de 15 ans à sa majorité, voire au-delà en cas d'études suivies et sérieuses (ch. 4), ainsi qu'une contribution à l'entretien de sa femme de 700 fr. par mois jusqu'au 31 décembre 2002, puis de 600 fr. par mois jusqu'au 31 décembre 2004 (ch. 5).
Le 14 décembre 2001, la Cour de justice a augmenté les pensions en faveur de l'enfant et de l'épouse, à savoir, pour le premier, 950 fr., 1'250 fr. et 1'400 fr., échelonnées selon les mêmes âges que ceux retenus par le premier juge, et, pour la seconde, 1'000 fr. jusqu'au 31 décembre 2002, puis 700 fr. jusqu'au 31 décembre 2004.
En séance du 27 juin 2002, la II
e
Cour civile du Tribunal fédéral a partiellement admis le recours en réforme interjeté par le demandeur, annulé l'arrêt attaqué et renvoyé la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants. En bref, elle a considéré que, dans le cas particulier, l'autorité cantonale avait violé la maxime inquisitoire de l'
art. 145 al. 1 CC
sur trois points, soit en omettant de rechercher si la défenderesse avait droit à des subsides d'assurance-maladie et d'allocations de logement et en ne déterminant pas d'office le montant exact des impôts à sa charge (arrêt 5C.44/2002 du 27 juin 2002, consid. 4 et 5 non publiés aux
ATF 128 III 411
).
Dans le cadre de ce renvoi, la Cour de justice a ordonné une instruction écrite au terme de laquelle les trois points susmentionnés ont été clarifiés. Elle a par ailleurs procédé à une "instruction complémentaire" portant sur le fait nouveau allégué par la défenderesse dans ses écritures postérieures à l'arrêt du Tribunal fédéral, à savoir l'incapacité de gain consécutive à la rechute, le 15 octobre 2001, de l'épilepsie dont la crédirentière avait souffert dans sa jeunesse.
Dame Y. a conclu à la confirmation des contributions arrêtées dans l'arrêt de la Cour de justice du 14 décembre 2001, réservant toutefois - au vu du fait nouveau - la suppression de la limitation dans le temps de la pension de 1'000 fr. allouée en sa faveur. Son ex-mari s'est opposé à la recevabilité du fait et des conclusions nouveaux et a demandé la confirmation des montants fixés dans le jugement de première instance.
Statuant le 19 mars 2004, la cour cantonale - après avoir déclaré recevables le fait nouveau et les conclusions en résultant -
BGE 131 III 91 S. 93
a annulé les chiffres 4 et 5 du jugement de première instance du 7 juin 2001. Elle a condamné Y. à verser, en faveur de l'enfant, 950 fr. jusqu'à l'âge de 12 ans, 1'250 fr. de 12 à 15 ans et 1'400 fr. de 15 ans à la majorité, voire au-delà, mais jusqu'à 25 ans au plus tard, en cas d'études suivies et sérieuses, et, en faveur de sa femme, 700 fr. dès l'entrée en force de son jugement.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours en réforme exercé par Y. Il a réformé le chiffre 5 du dispositif de l'arrêt entrepris en ce sens que le demandeur a été condamné à verser à la défenderesse, par mois, d'avance, une contribution d'entretien de 700 fr. jusqu'au 31 décembre 2004. Erwägungen
Extrait des considérants:
5.
Le demandeur reproche à la cour cantonale d'avoir outrepassé le cadre strict de l'arrêt de renvoi en déclarant recevable le fait nouveau invoqué par la défenderesse (l'incapacité de gain consécutive à la rechute imprévisible de l'épilepsie de cette dernière le 15 octobre 2001) et en admettant les conclusions nouvelles que la prénommée en a tirées quant à la durée de la contribution en sa faveur. Il se plaint à cet égard d'une violation des
art. 66 OJ
, 125, 138 et 145 CC.
Plus spécialement, il soutient que la contribution en faveur de son ex-épouse ne pouvait plus être augmentée ni remise en question dans sa durée. Non seulement le Tribunal fédéral a renvoyé la cause avec des instructions précises quant aux faits à instruire, lesquels étaient soumis à la maxime inquisitoire, mais il a aussi posé le principe selon lequel la modification de la rente du conjoint n'intervient que par "ricochet", c'est-à-dire pour éviter que la modification de la contribution de l'enfant ne conduise à un résultat choquant si la première était définitivement fixée en raison de sa soumission à la maxime des débats. L'
art. 138 CC
devrait être considéré au regard de ces directives, sous peine de violer l'
art. 66 OJ
. En d'autres termes, la "nouvelle" instruction de la cause serait limitée par les directives de l'arrêt de renvoi, en ce sens que des faits nouveaux ne seraient plus recevables. En outre, l'
art. 125 CC
prohiberait la prise en considération de circonstances nouvelles intervenues après le prononcé du divorce, soit, en l'espèce, après le 7 juin 2001.
5.1
La Cour de justice a considéré que le demandeur contestait à tort la recevabilité du fait nouveau invoqué par la défenderesse et,
BGE 131 III 91 S. 94
partant, des conclusions nouvelles que cette dernière en tirait. Se référant aux commentateurs de la loi de procédure civile genevoise du 10 avril 1987 (LPC/GE; RS/GE E 3 05), elle a en bref jugé que, nonobstant l'
art. 319 LPC
, ce nouvel élément pouvait être introduit dans le procès après renvoi, dans la mesure où celui-ci n'était assorti d'aucune instruction particulière. Dans un tel cas, la cause était en effet reprise devant la juridiction cantonale dans l'état où elle se trouvait avant la décision cassée, annulée ou modifiée. Or, en l'espèce, avant l'arrêt rendu le 14 décembre 2001 par la Cour de justice, c'est-à-dire pendant l'instruction de l'appel formé contre le jugement de première instance, la règle de l'
art. 394 al. 4 LPC
prévalait, selon laquelle les conclusions nouvelles sont recevables pour autant qu'elles soient fondées sur des faits ou des moyens de preuve nouveaux. Il s'agissait là d'une dérogation au régime procédural ordinaire découlant de l'
art. 312 LPC
, qui s'imposait en application de l'
art. 138 al. 1 CC
. La cour cantonale a en outre relevé que, dans les litiges régis par la "maxime d'office", des circonstances nouvelles survenues depuis le premier arrêt cantonal devaient, de toute manière, être prises en considération.
5.2
Selon l'
art. 66 al. 1 OJ
, l'autorité cantonale à laquelle une affaire est renvoyée peut tenir compte de nouveaux allégués en tant que la procédure civile cantonale le permet, mais elle est tenue de fonder sa nouvelle décision sur les considérants de droit de l'arrêt du Tribunal fédéral. Le juge auquel la cause est renvoyée voit donc sa cognition limitée par les motifs de l'arrêt de renvoi, en ce sens qu'il est lié par ce qui a été déjà tranché définitivement par le Tribunal fédéral (
ATF 104 IV 276
consid. 3b p. 277;
ATF 103 IV 73
consid. 1 p. 74) et par les constatations de fait qui n'ont pas été attaquées devant lui (
ATF 104 IV 276
consid. 3d p. 278). Des faits nouveaux ne peuvent être pris en considération que sur les points qui ont fait l'objet du renvoi. Ceux-ci ne peuvent être ni étendus ni fixés sur une base juridique nouvelle. Il en découle aussi que le recourant qui a obtenu gain de cause en instance de réforme ne peut, dans la nouvelle procédure cantonale, subir une aggravation de sa position juridique; dans l'éventualité la plus désavantageuse pour lui, il devra s'accommoder du résultat que la partie adverse n'a pas attaqué (
ATF 116 II 220
consid. 4a p. 222).
5.2.1
En l'espèce, le Tribunal fédéral, qui était saisi d'un recours en réforme du demandeur portant sur les contributions allouées à l'enfant et à l'ex-épouse, a jugé que la maxime inquisitoire de
BGE 131 III 91 S. 95
l'
art. 145 al. 1 CC
profite aussi au débiteur d'entretien, qui peut dès lors s'en prévaloir pour demander une diminution de la contribution en faveur de l'enfant (
ATF 128 III 411
consid. 3.2.1 p. 412 ss). Il a par ailleurs examiné les conséquences de la violation de cette maxime sur les contributions de l'enfant et du conjoint, posant à cet égard le principe selon lequel, lorsque le recours porte tant sur les deux types de rentes que sur celle du seul conjoint (
art. 148 al. 1 CC
), l'une et l'autre doivent être calculées et fixées à nouveau (ATF précité consid. 3.2.2 p. 414 s.). Il a enfin considéré que, dans le cas d'espèce, l'autorité cantonale avait violé cette maxime inquisitoire en omettant d'instruire d'office trois points relatifs aux dépenses de la défenderesse (subsides d'assurance-maladie et d'allocations de logement, montant exact de la charge fiscale); l'arrêt cantonal devait ainsi être annulé et la cause renvoyée pour complément de l'état de fait sur ces questions (
art. 64 al. 1 OJ
; arrêt 5C.44/2002 du 27 juin 2002, consid. 4 non publié aux
ATF 128 III 411
).
5.2.2
Sur renvoi, la cour cantonale n'était autorisée à tenir compte - dans la mesure où le droit cantonal le permettait - que des faits nouveaux en relation avec les trois points susmentionnés. Les autres constatations - dont celles relatives aux revenus et à la capacité de gain future de l'épouse - qui n'avaient pas été attaquées devant le Tribunal fédéral la liaient. Admettre le contraire reviendrait à permettre à une partie de faire valoir - à la suite d'un renvoi - des circonstances que la juridiction de réforme n'aurait pas pu prendre en considération. Si la défenderesse avait mentionné le fait litigieux dans sa réponse au premier recours en réforme, elle ne l'avait pas soulevé en instance cantonale. D'ailleurs, comme le relève le demandeur, ce n'est que par "ricochet" - et non pour elle-même - que la pension du conjoint peut être revue, afin d'éviter qu'en dépit d'une violation de la maxime inquisitoire de l'
art. 145 al. 1 CC
, le montant de la pension en faveur de l'enfant soit anormalement réduit pour ne pas porter atteinte au minimum vital du débiteur, parce que la contribution due au conjoint aurait été définitivement fixée en dernière instance cantonale (
ATF 128 III 411
consid. 3.2.2 p. 415). Le recours contre l'arrêt rendu sur renvoi n'a pour but que de vérifier si le droit fédéral a été appliqué correctement et non de statuer sur une nouvelle cause.
Quant à l'
art. 138 CC
, il a été introduit pour mettre fin à l'incertitude qui régnait quant à l'admissibilité des circonstances nouvelles devant l'instance supérieure, quelques cantons connaissant encore
BGE 131 III 91 S. 96
une maxime éventuelle stricte, laquelle n'a pas sa place dans le procès en divorce, dès lors qu'il s'agit, la plupart du temps, de prétentions de caractère existentiel pour les intéressés (FF 1996 I 141). Il impose à l'autorité cantonale d'instruire les points renvoyés en tenant compte de faits nouveaux dans l'hypothèse où le droit cantonal s'opposerait à leur recevabilité. Il ne lui confère pas le droit d'ouvrir une instruction sur des questions qui n'ont pas été remises en cause dans le précédent recours cantonal.
5.2.3
Vu ce qui précède, la cour cantonale a outrepassé le cadre strict de l'arrêt de renvoi en ouvrant une "nouvelle instruction" sur les ressources actuelles et les perspectives de gain futures de la défenderesse; elle devait s'en tenir aux constatations selon lesquelles cette dernière réalise un revenu de 2'317 fr. par mois (2'117 fr., allocations familiales de 200 fr. en sus) et pourra, dès que son fils aura atteint 14 ans, soit en décembre 2004, occuper un emploi à plein temps et augmenter ainsi ses revenus. En outre, elle n'avait pas le droit d'aggraver la position juridique du demandeur en prévoyant une contribution à l'entretien de la défenderesse non limitée dans le temps. | mixed |
d777c5e3-a46e-4263-8204-f867d33d2ddf | Sachverhalt
ab Seite 23
BGE 141 III 23 S. 23
A.
A.a
B. a été engagé, par contrat de travail du 31 août/1
er
septembre 2005, en qualité de Compliance Manager, par la société A. SA (ci-après: A. ou l'employeur), qui est active notamment dans le domaine du conseil en matière de constitution, contrôle et gestion de trusts, fondations et sociétés dans différentes juridictions. (...)
A.b
A. a licencié son employé par lettre du 7 janvier 2013, avec effet au 30 avril 2013, tout en le libérant de son obligation de travailler avec effet immédiat. (...)
L'employeur soutient que l'employé ne lui a jamais remis aucun document concernant ses contacts avec l'Etude C. et/ou ses clients. L'employé a admis avoir pris contact avec les adversaires de son employeur et les avoir rencontrés, selon lui, afin de se disculper de toute faute dans un montage financier.
A.c
L'employé a saisi le Tribunal des prud'hommes de Genève par une requête de citation en conciliation du 25 mars 2013, contestant le motif de son licenciement. La cause est pendante.
BGE 141 III 23 S. 24
De son côté, l'employeur a déposé contre son employé, le 18 avril 2013, une requête de mesures superprovisionnelles et provisionnelles devant le Tribunal des prudhommes, en vue de "faire cesser les agissements déloyaux et en violation de la clause de concurrence". Par décision de mesures superprovisionnelles du 19 avril 2013, confirmées par décision de mesures provisionnelles du 4 juillet 2014, la présidente du tribunal a fait interdiction à l'employé de communiquer à tout tiers, notamment tout document directement ou indirectement en lien avec son travail pour son employeur, sous menace des peines et sanctions prévues par l'
art. 292 CP
. Le 4 octobre 2013, l'employeur a ouvert action en validation des mesures provisionnelles, ainsi qu'en paiement de dommages-intérêts de 347'169 fr. 05, en particulier du fait de la remise de documents confidentiels et d'informations erronées à Me D.
A. a aussi déposé plainte pénale contre inconnu le 11 janvier 2013, du fait des fuites qu'elles a constatées.
B.
Le 13 août 2013, A. a déposé une requête de protection dans les cas clairs au sens de l'
art. 257 CPC
contre B. devant le Tribunal des prud'hommes de Genève. Elle y prend des conclusions sur trois pages tendant, en substance, à la restitution de documents que celui-ci a remis à des tiers ou a reçus de tiers, notamment à ou de Me D., que ce soit avant la date de la fin du contrat de travail, à cette date ou ultérieurement, et à la reddition de compte pour toutes les informations concernant ses affaires ou ses clients, qu'il a transmises notamment à Me D., ainsi que pour tous les entretiens qu'il a eus, que ce soit avant ou après la date de la fin du contrat de travail. (...) Selon elle, le seul fait pertinent à prouver est le contrat de travail, sur la base duquel se fonde sa requête.
Le défendeur a conclu à l'irrecevabilité de la requête. A l'audience de débats, il a ajouté que la procédure pénale pendante permettrait d'apporter plus de clarté à l'état de fait. Il a contesté avoir en sa possession des documents appartenant à l'employeur; il possède uniquement les documents contractuels qui lui appartiennent et il n'a rien emporté illégalement. (...)
Le tribunal a déclaré la requête irrecevable par jugement du 10 décembre 2013, l'état de fait étant contesté et n'étant pas susceptible d'être immédiatement prouvé comme l'exige l'
art. 257 al. 1 CPC
.
Statuant sur appel de l'employeur, la Chambre des prud'hommes de la Cour de justice du canton de Genève a rejeté l'appel et confirmé le jugement attaqué. (...)
BGE 141 III 23 S. 25
C.
Contre cet arrêt, A. a interjeté un recours en matière civile au Tribunal fédéral le 3 juin 2014. Elle conclut à sa réforme en reprenant les conclusions de trois pages de sa requête et, à titre subsidiaire, à son annulation et au renvoi de la cause à la cour cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
L'employé a conclu à l'irrecevabilité du recours, subsidiairement à son rejet. (...)
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
(extrait) Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
Selon l'
art. 339a al. 1 CO
(qui est de droit absolument impératif en vertu de l'
art. 361 CO
), au moment où le contrat de travail prend fin, les parties se rendent tout ce qu'elles se sont remis pour la durée du contrat, de même que tout ce que l'une d'elles pourrait avoir reçu de tiers pour le compte de l'autre.
Pour le travailleur, cette obligation de restitution découle de son devoir de fidélité (
art. 321a CO
). Déjà en cours de contrat, ce devoir oblige l'employé à rendre compte et à remettre à son employeur notamment tous les documents qu'il reçoit pour le compte de celui-ci (
art. 321b al. 1 CO
; JEAN-PHILIPPE DUNAND, in Commentaire du contrat de travail, 2013, n° 8 ad
art. 321b CO
), de même que tous les documents qu'il produit dans le cadre de son travail, le résultat de son activité professionnelle appartenant à l'employeur (
art. 321b al. 2 CO
; DUNAND, op. cit., n° 13 ad
art. 321b CO
; arrêt 4A_310/2007 du 4 décembre 2007 consid. 5.1). Puis, après la fin du contrat, le devoir de confidentialité, qui perdure après la fin des rapports de travail (
art. 321a al. 4 CO
), impose au travailleur la même obligation de restitution, laquelle s'étend aux copies de documents, afin notamment de prévenir un risque de violation de secrets d'affaires ou de détournement de la clientèle de l'employeur. Une telle prétention peut exister indépendamment de l'éventuel droit d'interdire à l'ex-employé d'exercer une activité concurrente (cf.
art. 340b al. 3 CO
) (RÉMY WYLER, Droit du travail, 2
e
éd. 2008, p. 584; cf. l'arrêt 4A_611/2011 du 3 janvier 2012 consid. 4.3, rendu en application de l'
art. 98 LTF
).
3.2
La procédure de protection dans les cas clairs prévue par l'
art. 257 CPC
permet à la partie demanderesse d'obtenir rapidement une
BGE 141 III 23 S. 26
décision ayant l'autorité de la chose jugée et la force exécutoire, lorsque la situation de fait et de droit n'est pas équivoque (Message du 28 juin 2006 relatif au code de procédure civile suisse [CPC], FF 2006 6959 ch. 5.18;
ATF 138 III 620
consid. 5.1.1). Cette procédure n'est ainsi recevable que lorsque l'état de fait n'est pas litigieux ou est susceptible d'être immédiatement prouvé (
art. 257 al. 1 let. a CPC
) et que la situation juridique est claire (
art. 257 al. 1 let. b CPC
).
Selon la jurisprudence, l'état de fait n'est pas litigieux lorsqu'il n'est pas contesté par le défendeur; il est susceptible d'être immédiatement prouvé lorsque les faits peuvent être établis sans retard et sans trop de frais. En règle générale, la preuve est rapportée par la production de titres, conformément à l'
art. 254 al. 1 CPC
. La preuve n'est pas facilitée: le demandeur doit ainsi apporter la preuve certaine ("
voller Beweis
") des faits justifiant sa prétention; la simple vraisemblance ("
Glaubhaftmachen
") ne suffit pas. Si le défendeur fait valoir des objections et exceptions motivées et concluantes ("
substanziiert und schlüssig
"), qui ne peuvent être écartées immédiatement et qui sont de nature à ébranler la conviction du juge, la procédure du cas clair est par conséquent irrecevable (
ATF 138 III 620
consid. 5.1.1 et les arrêts cités).
La situation juridique est claire lorsque l'application de la norme au cas concret s'impose de façon évidente au regard du texte légal ou sur la base d'une doctrine et d'une jurisprudence éprouvées (
ATF 138 III 123
consid. 2.1.2,
ATF 138 III 620
consid. 5.1.2, 728 consid. 3.3). En règle générale, la situation juridique n'est pas claire si l'application d'une norme nécessite l'exercice d'un certain pouvoir d'appréciation de la part du juge ou que celui-ci doit rendre une décision en équité, en tenant compte des circonstances concrètes de l'espèce (
ATF 138 III 123
consid. 2.1.2; arrêt 4A_273/2012 du 30 octobre 2012 consid. 5.1.2, non publié in
ATF 138 III 620
).
3.3
Lorsque les conditions de l'
art. 257 CPC
en sont remplies, l'employeur peut obtenir du travailleur, par cette procédure rapide, la restitution des documents qui lui appartiennent ou qui lui reviennent au sens de l'
art. 339a al. 1 et 2 CO
, la cause n'étant pas soumise à la maxime d'office (arrêt 4A_611/2011 du 3 janvier 2012 consid. 4.5 in fine). Lorsque les documents qui sont réclamés par l'employeur sont clairement identifiables pour l'employé, il n'y a pas lieu de poser des exigences trop élevées en ce qui concerne les conclusions à prendre par l'employeur.
BGE 141 III 23 S. 27
En revanche, il n'appartient pas au juge, saisi d'une telle requête, d'instruire et de faire un tri entre les faits allégués pour déterminer ce qui doit être admis ou rejeté, les conclusions devant en effet pouvoir être admises dans leur intégralité, sous peine d'irrecevabilité (arrêt 5A_768/2012 du 17 mai 2013 consid. 4.3, in SJ 2014 I p. 27).
3.4
En l'espèce, l'employeur peut certes faire valoir un droit à la restitution et à la reddition de compte en ce qui concerne les documents reçus par l'employé pour son compte (art. 339a al. 1 en relation avec l'
art. 321b al. 1 CO
) ou les documents que celui-ci a produits (art. 339a al. 1 en relation avec l'
art. 321b al. 2 CO
), et ce pendant la durée des rapports de travail. En revanche, il ne dispose pas d'un tel droit pour les documents ou informations obtenues par l'employé après la fin des rapports de travail.
En tant qu'il invoque des faits dont certains concernent des documents et informations postérieurs à la fin des rapports de travail et formule des conclusions globales "que ce soit avant la date de fin du contrat de travail..., à cette date, ou ultérieurement", qui portent donc également sur de tels documents et informations postérieurs, ni la situation de fait, ni la situation juridique ne sont clairs. Le juge est dans l'impossibilité d'admettre les conclusions de la requête dans leur intégralité. Le requérant ne saurait exiger de lui qu'il fasse un tri entre ce qui pourrait être admis et ce qui devrait être rejeté. Il s'ensuit que la requête déposée par l'employeur est irrecevable. | mixed |
aad3811b-5c1b-4d27-9339-eaa0748febc9 | Sachverhalt
ab Seite 124
BGE 138 III 123 S. 124
A.
Mit Vertrag vom 11. April 2008 vermietete die X. AG (Vermieterin) A. (Mieter) per 1. Mai 2008 im Erdgeschoss des Centers Y. in Z. ein 188 m
2
umfassendes Restaurant. Der Vertrag sah eine feste Vertragsdauer von drei Jahren und im Anhang I Ziff. 11 folgende Verlängerungsoption vor:
"Bis Ende April 2010 kann der Mieter dem Vermieter schriftlich anzeigen, dass er das Mietobjekt für weitere drei Jahre mietet. Die Miete endet dann Ende April 2014."
Am 13. März 2010 übergab der Mieter in den Büroräumlichkeiten der Vermieterin ihrem Buchhalter G. ein nicht unterzeichnetes Schreiben vom 18. Februar 2010, in welchem der Mieter erklärte, den Vertrag bis Ende April 2014 zu verlängern.
B.
Mit Eingabe vom 6. Mai 2011 beantragte die Vermieterin dem Bezirksgericht Dielsdorf im summarischen Verfahren, es sei dem Mieter unter Androhung des Zwangsvollzugs im Widerhandlungsfall zu befehlen, 188 m
2
Restauranträumlichkeiten im Erdgeschoss des Centers Y. unverzüglich zu räumen und ordnungsgemäss zurückzugeben. Anlässlich der Gerichtsverhandlung vom 27. Juni 2011 machte die Vermieterin geltend, das Mietverhältnis habe mit Ablauf der festen Vertragsdauer am 30. April 2011 geendet, da die Verlängerungserklärung im Schreiben vom 18. Februar 2010 mangels Unterschrift nicht formgültig erfolgt sei. Ihr Buchhalter, G., habe dem Mieter bereits bei der Übergabe des Schreibens am 13. März 2010 seine Bedenken bezüglich der Einhaltung der Formvorschrift geäussert, da die Unterschrift gefehlt habe. Der Mieter bestritt, von G. auf die fehlende Unterschrift hingewiesen worden zu sein. Das Bezirksgericht vernahm zu dieser Frage den von der Vermieterin an die Verhandlung mitgebrachten G. als Zeugen und hiess das Ausweisungsbegehren der Vermieterin mit Urteil vom 27. Juni 2011 gut. In Gutheissung einer dagegen gerichteten Berufung des Mieters hob das Obergericht des Kantons Zürich das erstinstanzliche Urteil am 8. September 2011 auf und trat auf das Ausweisungsbegehren nicht ein.
BGE 138 III 123 S. 125
C.
Die Vermieterin (Beschwerdeführerin) beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Obergerichts vom 8. September 2011 aufzuheben und das Urteil des Bezirksgerichts Dielsdorf vom 27. Juni 2011 zu bestätigen.
Der Mieter (Beschwerdegegner) schliesst auf Abweisung der Beschwerde und auf Bestätigung des angefochtenen Urteils. Die Vorinstanz hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Als Nachfolgeinstitut des so genannten "Befehlsverfahrens", wie es verschiedene Kantone kannten, hat der Gesetzgeber in Art. 257 der Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO; SR 272) den "Rechtsschutz in klaren Fällen" als besonderes Summarverfahren vorgesehen (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7351 Ziff. 5.18). Dieses Verfahren setzt gemäss
Art. 257 Abs. 1 ZPO
voraus, dass der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar (lit. a) und die Rechtslage klar ist (lit. b). Fehlt eine dieser beiden Voraussetzungen, ist auf das Gesuch um Gewährung des Rechtsschutzes in klaren Fällen nicht einzutreten (
Art. 257 Abs. 3 ZPO
).
2.1.1
Ein klarer Fall setzt demnach zum einen voraus, dass der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar ist (
Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO
). In der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung wird dazu dem Sinne nach ausgeführt, ein bestrittener Sachverhalt sei nur dann sofort beweisbar bzw. liquid, wenn er durch Urkunden oder allenfalls einen Augenschein an einem mitgebrachten Objekt bewiesen werden könne. Dagegen fielen Beweise durch Expertisen, Zeugen- sowie auch Parteiaussagen grundsätzlich ausser Betracht, da im Zweifel die Angelegenheit in einem einlässlichen Prozess auszutragen sei (BBl 2006 7352 Ziff. 5.18). Diese Beweismittelbeschränkung wird von einem Teil der Lehre befürwortet (TARKAN GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, Alexander Brunner und andere [Hrsg.], 2010, N. 8 zu
Art. 257 ZPO
, der die sofortige Beweisbarkeit bei einer anspruchsvollen Beweiswürdigung verneint; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 5
BGE 138 III 123 S. 126
zu
Art. 257 ZPO
; FRANO KOSLAR, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 10 ff. zu
Art. 257 ZPO
). Dagegen vertritt ein anderer Teil der Lehre die Meinung, für den Rechtsschutz in klaren Fällen sei die für das summarische Verfahren allgemein geltende Regelung gemäss
Art. 254 ZPO
anwendbar, die neben Urkunden andere Beweismittel zulasse, wenn diese das Verfahren nicht wesentlich verzögern (
Art. 254 Abs. 2 lit. a ZPO
). Dies treffe bei der Einvernahme von direkt zur angezeigten mündlichen Verhandlung mitgebrachten Zeugen zu (DIETER HOFMANN, in: Basler Kommentar, ZPO, 2010, N. 13 zu
Art. 257 ZPO
; FRANÇOIS BOHNET, in: Code de procédure civile commenté, François Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 11 zu
Art. 257 ZPO
; vgl. auch STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2008, § 21 Rz. 54 S. 357; INGRID JENT-SØRENSEN, in: ZPO, Schweizerische Zivilprozessordnung, Paul Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 12 zu
Art. 257 ZPO
).
2.1.2
Zum anderen setzt ein klarer Fall voraus, dass die Rechtslage klar ist (
Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO
). Dies trifft zu, wenn sich die Rechtsfolge bei der Anwendung des Gesetzes unter Berücksichtigung der Lehre und Rechtsprechung ohne Weiteres ergibt und damit die Rechtsanwendung zu einem eindeutigen Ergebnis führt (Botschaft zur ZPO, BBl 2006 7352 Ziff. 5.18; vgl. auch
BGE 118 II 302
E. 3 S. 304). Dagegen ist die Rechtslage in der Regel nicht klar, wenn die Anwendung einer Norm einen Ermessens- oder Billigkeitsentscheid des Gerichts mit wertender Berücksichtigung der gesamten Umstände erfordert, wie dies namentlich bei der Beurteilung von Treu und Glauben zutrifft (HOFMANN, a.a.O., N. 11 zu
Art. 257 ZPO
; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, a.a.O., N. 11 zu
Art. 257 ZGB
; KOSLAR, a.a.O., N. 14 zu
Art. 257 ZPO
; GÖKSU, a.a.O., N. 11 zu
Art. 257 ZPO
; JENT-SØRENSEN, a.a.O., N. 7 zu
Art. 257 ZPO
; vgl. auch: BOHNET, a.a.O., N. 14 zu
Art. 257 ZPO
).
2.2
Die Vorinstanz folgte der Lehrmeinung, wonach beim Rechtsschutz in klaren Fällen Zeugenbefragungen grundsätzlich ausgeschlossen sind. Sie kam zum Ergebnis, die Liquidität bzw. sofortige Beweisbarkeit des Sachverhalts fehle in Bezug auf die bestrittene Behauptung der Beschwerdeführerin, ihr Buchhalter habe den Beschwerdegegner am 13. März 2010 auf das Fehlen der Unterschrift auf dem ihm übergebenen Schreiben vom 18. Februar 2010 hingewiesen, zumal die erste Instanz insoweit eine eingehende Würdigung der Zeugenaussage und eine Abwägung gegen die Angaben des Beschwerdegegners habe vornehmen müssen. Zur
BGE 138 III 123 S. 127
Rechtserheblichkeit dieser Behauptung erwog die Vorinstanz, das Optionsrecht sei zufolge der hierfür vereinbarten Schriftform mangels Unterzeichnung des streitgegenständlichen Schreibens vom 18. Februar 2010 nicht formgültig ausgeübt worden. Indessen sei auch der Beschwerdeführerin klar gewesen, dass der Beschwerdegegner die Verlängerungsoption vorbehaltlos habe ausüben wollen, nachdem dieser das Schreiben nicht nur rechtzeitig, sondern sogar höchstpersönlich am 13. März 2010 ins Büro der Beschwerdeführerin gebracht und G. übergeben habe. Dass der Beschwerdegegner die Restauranträumlichkeiten für weitere drei Jahre habe mieten wollen, sei ihr somit bekannt gewesen, und sie habe auch das Fehlen der Unterschrift ohne Weiteres erkennen können. Ihre Berufung darauf und damit auf die Nichtausübung der Verlängerungsoption im Rahmen des rund ein Jahr nach Erhalt des genannten Schreibens gestellten Ausweisungsbegehrens erscheine vor diesem Hintergrund grundsätzlich als Verstoss gegen das Rechtsmissbrauchsverbot. Anders verhielte es sich allerdings, wenn die Beschwerdeführerin den Beschwerdegegner auf die fehlende Unterschrift aufmerksam gemacht hätte. Diesfalls könnte ihr keine Verletzung des Gebots des Handelns nach Treu und Glauben vorgeworfen werden, und es hätte im Risikobereich des Beschwerdegegners gelegen, den Formfehler fristgerecht zu beheben.
2.3
Die Beschwerdeführerin rügt, diese Argumentation verletze
Art. 2 ZGB
, da keine Umstände vorlägen, welche ihre Berufung auf die Ungültigkeit der Optionsausübung als offenbar rechtsmissbräuchlich erscheinen lasse. Dass sie aus dem nicht unterzeichneten Schreiben vom 18. Februar 2010 habe erkennen können, dass der Beschwerdegegner sein Verlängerungsrecht habe geltend machen wollen, spiele keine Rolle, da keine Partei verpflichtet sei, den Vertragspartner auf formelle Fehler hinzuweisen. So sei gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 121 III 156
E. 1c/bb) ein Mieter bei formnichtiger oder unwirksamer Kündigung weder zur Anfechtung der Kündigung noch zu einer sonstigen Reaktion verpflichtet, sondern dürfe schweigen und die Ungültigkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung erst im Ausweisungsverfahren geltend machen.
2.4
2.4.1
Ein Vertrag, für den die schriftliche Form vorgeschrieben ist, muss die Unterschrift aller Personen tragen, die durch ihn verpflichtet werden sollen (
Art. 13 Abs. 1 OR
). Die Anbringung der Unterschrift dient dazu, die Person des Erklärenden zu identifizieren und
BGE 138 III 123 S. 128
den festgehaltenen Inhalt anzuerkennen (
BGE 119 III 4
E. 3 S. 6 mit Hinweisen). Nach
Art. 16 Abs. 1 OR
wird vermutet, dass die Parteien eines an keine gesetzliche Form gebundenen Vertrages, welche die Anwendung einer Form vereinbart haben, vor Erfüllung der Form nicht verpflichtet sein wollen. Diese Vermutung kann durch den Beweis widerlegt werden, dass die Parteien die Form bloss zu Beweiszwecken vereinbart haben (vgl.
BGE 112 II 326
E. 3). Die Vermutung gemäss
Art. 16 Abs. 1 OR
bezweckt den Schutz der Partei, die zum Zustandekommen einer rechtlichen Bindung eine Erklärung abzugeben hat. Es wird zu ihrem Schutz vermutet, sie wolle an ihre Willenserklärung nur gebunden sein, wenn sie schriftlich erfolgt. Dieser Grundsatz gilt nach Lehre und Rechtsprechung auch für die Fälle, in denen jemand ein vertraglich eingeräumtes Gestaltungsrecht ausübt, z.B. einen Vertrag kündigt oder von ihm zurücktritt. Ist für eine Gestaltungserklärung, mit der ein Erklärender ein Rechtsverhältnis umformt, die Schriftlichkeit vereinbart, so ist zu vermuten, dass der Erklärende die sich daraus ergebenden Verpflichtungen und Verzichte erst auf sich nehmen will, wenn er seinen Willen in der vorbehaltenen Form geäussert hat (
BGE 95 II 43
E. 2a S. 46 f. mit Hinweisen; vgl. auch INGEBORG SCHWENZER, in: Basler Kommentar, OR, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 8 zu
Art. 16 OR
).
2.4.2
Das Bundesgericht hält die Berufung auf die Formungültigkeit eines Vertrages für unstatthaft, wenn sie - etwa wegen widersprüchlichen Verhaltens - gegen Treu und Glauben verstösst und damit einen offenbaren Rechtsmissbrauch gemäss
Art. 2 Abs. 2 ZGB
darstellt. Ob dies zutrifft, hat das Gericht in Würdigung aller Umstände des konkreten Falles zu prüfen, wobei namentlich das Verhalten der Parteien bei und nach Abschluss des Vertrags zu würdigen ist (
BGE 116 II 700
E. 3b;
BGE 112 II 107
E. 3b S. 111 f.,
BGE 112 II 330
E. 2a S. 333 f.; vgl. auch
BGE 127 III 506
E. 4a S. 513). Zu berücksichtigen ist auch, ob der Schutzzweck einer Formvorschrift bezüglich der Partei verletzt wurde, die sich auf den Formmangel beruft (
BGE 112 II 330
E. 3b S. 336 f. mit Hinweisen). Zwar darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts der Mieter nach dem Erhalt einer unwirksamen Kündigung schweigen und sich nachträglich auf deren Unwirksamkeit berufen. Er handelt jedoch rechtsmissbräuchlich, wenn er durch sein Schweigen bei seinem Vertragspartner den Eindruck erweckt, er anerkenne die Gültigkeit der Kündigung (
BGE 121 III 156
E. 1c/bb S. 161 f. mit Hinweis).
BGE 138 III 123 S. 129
2.5
Die Beschwerdeführerin wirft mit ihrer Rüge der Verletzung von
Art. 2 ZGB
die Frage auf, ob bezüglich der Anwendung dieser Norm die Voraussetzung der klaren Rechtslage im Sinne von
Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO
gegeben ist. Dabei ist zu beachten, dass bei der Prüfung der Rechtsfrage, ob die Berufung der Beschwerdeführerin auf die fehlende Unterschrift auf dem Schreiben des Beschwerdegegners betreffend die Vertragsverlängerung rechtsmissbräuchlich ist, nicht nur die Geschehnisse bei Übergabe dieses Schreibens, sondern auch das darauf folgende Verhalten der Parteien berücksichtigt werden müsste. Selbst wenn davon ausgegangen würde, der Buchhalter der Beschwerdeführerin habe den Beschwerdegegner bei der Übergabe dieses Schreibens auf die fehlende Unterschrift aufmerksam gemacht, müsste somit geklärt werden, ob die Beschwerdeführerin durch das nachträgliche Zuwarten oder ihr sonstiges Verhalten beim Beschwerdegegner den berechtigten Eindruck erweckte, die Vertragsverlängerung zu anerkennen. Insoweit wäre auch seine Behauptung zu prüfen, wonach die Parteien nach Ablauf der Optionsfrist über die Miete zusätzlicher Räume für Hochzeitsanlässe diskutiert hätten. Weiter müsste untersucht werden, ob der Schutzzweck des Erfordernisses der Unterschrift in Bezug auf die Beschwerdeführerin nicht bereits dadurch erreicht wurde, dass für sie aufgrund der persönlichen Übergabe des Schreibens die Zuordnung zum Beschwerdegegner und seine Anerkennung der Erklärung der Vertragsverlängerung ohne Weiteres erkennbar war (vgl. E. 2.4.1 hiervor). Demnach erfordert die Rechtsanwendung im vorliegenden Fall auch dann, wenn von der Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin ausgegangen würde, eine wertende Betrachtung der gesamten Umstände, ohne dass von einem eindeutigen Ergebnis gesprochen werden kann. Damit ist die Voraussetzung der klaren Rechtslage gemäss
Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO
offensichtlich nicht erfüllt (vgl. E. 2.1.2 hiervor).
2.6
Die Vorinstanz hat daher bereits aus diesem Grund kein Bundesrecht verletzt, wenn sie den Rechtsschutz in klaren Fällen verweigerte. Daraus folgt, dass ihre Verneinung der liquiden tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von
Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO
nicht entscheiderheblich ist, weshalb auf die dagegen gerichtete Kritik der Beschwerdeführerin nicht einzutreten ist und eine Auseinandersetzung mit der Frage der Zulässigkeit des Zeugenbeweises unterbleiben kann. | mixed |
25750880-a5ba-4457-b3d8-dfd2af92b838 | Erwägungen
ab Seite 621
BGE 138 III 620 S. 621
Aus den Erwägungen:
5.
Art. 257 Abs. 1 ZPO
(SR 272) sieht unter dem Titel "Rechtsschutz in klaren Fällen" vor, dass das Gericht Rechtsschutz im summarischen (raschen) Verfahren gewährt, wenn zum einen der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar (lit. a) und zum anderen die Rechtslage klar ist (lit. b).
Die Anwendung dieser bundesrechtlichen Bestimmung wird frei geprüft (
Art. 95 lit. a und
Art. 106 Abs. 1 BGG
). Die Beweiswürdigung selbst hingegen ist eine Frage der Feststellung des Sachverhalts, die der Überprüfung grundsätzlich entzogen ist (
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
; vgl. nicht publ. E. 2.2).
5.1.1
Ein Sachverhalt ist dann sofort beweisbar im Sinne von
Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO
, wenn er ohne zeitliche Verzögerung und ohne besonderen Aufwand nachgewiesen werden kann. Der Beweis ist in der Regel durch Urkunden zu erbringen (
BGE 138 III 123
E. 2.1.1 S. 125 mit Hinweisen). Der Rechtsschutz in klaren Fällen unterliegt keiner Beweisstrengebeschränkung. Blosses Glaubhaftmachen genügt für die Geltendmachung des Anspruchs nicht, sondern der Kläger hat den vollen Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen zu erbringen (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7221, 7351 Ziff. 5.18 zu Art. 253 E-ZPO; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 6 zu
Art. 257 ZPO
; DIETER HOFMANN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 10 zu
Art. 257 ZPO
; INGRID JENT-SØRENSEN, in: ZPO, Kurzkommentar, Paul Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 10 zu
Art. 257 ZPO
; ISAAK MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 375).
Bestreitet die Gegenpartei die Tatsachen glaubhaft, kann der schnelle Rechtsschutz in klaren Fällen nicht gewährt werden, da kein liquider Sachverhalt vorliegt (BBl 2006 7352 Ziff. 5.18 zu Art. 253 E-ZPO; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, a.a.O., N. 7 zu
Art. 257 ZPO
; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kurzkommentar, 2010, N. 7 zu
Art. 257 ZPO
; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2008, § 21 Rz. 54; JENT-SØRENSEN, a.a.O., N. 11
BGE 138 III 620 S. 622
zu
Art. 257 ZPO
mit Hinweisen; FRANO KOSLAR, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 13 zu
Art. 257 ZPO
). Anders als eine glaubhafte Bestreitung genügen nach Rechtsprechung und einhelliger Lehre offensichtlich unbegründete oder haltlose Bestreitungen, über die sofort entschieden werden kann, nicht, um einen klaren Fall auszuschliessen (Urteil 5A_645/2011 vom 17. November 2011 E. 1.2 mit Hinweisen). Ein - wohl überwiegender - Teil der Lehre vertritt die Auffassung, der Rechtsschutz in klaren Fällen sei dagegen mangels Liquidität des Sachverhalts auszuschliessen, wenn die Gegenpartei konsistent und vollständig erhebliche Einwendungen oder Einreden geltend macht, die nicht haltlos erscheinen und umfangreicher beweismässiger Abklärungen bedürfen (FRANÇOIS BOHNET, in: CPC, Code de procédure civile commenté, François Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 12 zu
Art. 257 ZPO
; HOFMANN, a.a.O., N. 10 zu
Art. 257 ZPO
; TARKAN GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 8 zu
Art. 257 ZPO
; KOSLAR, a.a.O., N. 13 zu
Art. 257 ZPO
; vgl. auch die Hinweise bei JENT-SØRENSEN, a.a.O., N. 11 zu
Art. 257 ZPO
; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, Rz. 11.180; vgl. in diesem Sinne für die Gewährung raschen Rechtsschutzes gemäss
Art. 197 lit. a ZPO
/SG: Urteil 4P.6/2005 vom 30. März 2005 E. 3.4). Andere Autoren fordern gestützt auf die Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, in der von "glaubhaftem Vorbringen der Einwände" die Rede ist (BBl 2006 7352 Ziff. 5.18 zu Art. 253 E-ZPO), dass der Beklagte seine Einwendungen wie bei der provisorischen Rechtsöffnung nach
Art. 82 Abs. 2 SchKG
glaubhaft macht (STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, a.a.O., § 21 Rz. 54; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 7 zu
Art. 257 ZPO
).
Die Vorinstanz liess es vorliegend für ihre Verneinung eines klaren Falles genügen, dass die Beschwerdegegnerin Einwendungen vorbrachte, die ihr "nicht haltlos" erschienen. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz hätte verlangen müssen, dass die Beschwerdegegnerin ihre Einreden bzw. deren tatsächliche Grundlagen glaubhaft macht.
Der Rechtsschutz in klaren Fällen nach
Art. 257 ZPO
erlaubt es der klagenden Partei, bei eindeutiger Sach- und Rechtslage rasch, d.h. ohne einlässlichen Prozess im ordentlichen Verfahren, zu einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid zu kommen (BBl 2006 7351 Ziff. 5.18 zu Art. 253 E-ZPO). Bei Gewährung des
BGE 138 III 620 S. 623
Rechtsschutzes ergeht mithin ein definitives, der materiellen Rechtskraft fähiges Urteil, das einer neuen Beurteilung der Sache wegen der res iudicata-Wirkung entgegensteht. Mit Blick auf diese Wirkung ist vom Kläger mit der einhelligen Lehre zu verlangen, dass er sofort (
Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO
) den vollen Beweis (vgl.
BGE 133 III 153
E. 3.3 S. 162;
BGE 128 III 271
E. 2b/aa S. 275) für die anspruchsbegründenden Tatsachen erbringt, so dass klare Verhältnisse herrschen (vgl. die vorstehend zitierten Autoren; vgl. dazu auch
BGE 119 II 141
E. 4a S. 143 f. und E. 4c). Dies allein ist der relevante gesetzliche Massstab und nicht, ob der Beklagte seine Einwendungen glaubhaft gemacht hat oder nicht (HOFMANN, a.a.O., N. 10 zu
Art. 257 ZPO
). Demnach muss es für die Verneinung eines klaren Falles genügen, dass der Beklagte substanziiert und schlüssig Einwendungen vorträgt, die in tatsächlicher Hinsicht nicht sofort widerlegt werden können und die geeignet sind, die bereits gebildete richterliche Überzeugung zu erschüttern (vgl. Urteil 4P.6/2005 vom 30. März 2005 E. 3.4). Die Ausführungen in der Botschaft, in denen "glaubhaftes Vorbringen der Einwände" verlangt wird, können zwangslos in diesem Sinne verstanden werden (in diesem Sinn wohl auch SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, a.a.O., N. 7 zu
Art. 257 ZPO
, wo von "glaubhaften Einreden" gesprochen wird; s. ferner KOSLAR, a.a.O., N. 13 zu
Art. 257 ZPO
). Demgegenüber ist ein klarer Fall zu bejahen, wenn das Gericht aufgrund der Aktenlage zur Überzeugung gelangt, der Anspruch des Klägers sei ausgewiesen und eine eingehende Abklärung der beklagtischen Einwände könne daran nichts ändern.
Somit kann den Lehrmeinungen nicht gefolgt werden, nach denen vom Beklagten gefordert wird, dass er seine Einwendungen wie bei der provisorischen Rechtsöffnung nach
Art. 82 Abs. 2 SchKG
glaubhaft macht. Damit wird die Eigenart des Rechtsschutzes in klaren Fällen nach
Art. 257 ZPO
verkannt, der es dem Kläger gestattet, rasch zu einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid zu kommen. Nach der Regel von
Art. 8 ZGB
trüge der Beklagte, der Einreden oder Einwendungen vorbringt, dafür an sich die Beweislast. Im Verfahren nach
Art. 257 ZPO
ist es ihm aber unter Umständen nicht möglich, seine Einwände unter den darin geltenden Beweismittelbeschränkungen (vgl. dazu
BGE 138 III 123
E. 2.1.1 und 2.6) bzw. mit sofort verfügbaren Beweismitteln glaubhaft zu machen, während ihm der Beweis in einem einlässlichen ordentlichen Verfahren gelingen könnte. Würde ungeachtet substanziiert und schlüssig vorgetragener, erheblicher Einwände ein klarer Fall
BGE 138 III 620 S. 624
bejaht und im Verfahren nach
Art. 257 ZPO
ein rechtskräftiger Entscheid zu Ungunsten des Beklagten gefällt, blieben dessen Einreden für immer unberücksichtigt, ohne dass er jemals zum ordentlichen Beweis derselben zugelassen würde. Diese Situation ist mit derjenigen im Rechtsöffnungsverfahren nicht vergleichbar, in dessen Rahmen auch bei Gutheissung des Rechtsöffnungsbegehrens kein rechtskräftiger Entscheid über den erhobenen Anspruch ergeht, sondern einzig entschieden wird, dass die Betreibung - unter Vorbehalt einer Aberkennungsklage - weitergeführt werden kann. In der Aberkennungsklage, auf die hin erst ein rechtskräftiges Urteil ergeht, kann sich der Schuldner nachträglich mit allen Mitteln gegen die Forderung zur Wehr setzen (vgl. dazu
BGE 133 III 645
E. 5.3;
BGE 120 Ia 82
E. 6c S. 84 f.;
BGE 100 III 48
E. 3 S. 50), mithin seine Einwendungen, die er im Rechtsöffnungsverfahren nicht glaubhaft machen konnte, noch beweisen (vgl. zum Ganzen: GÖKSU, a.a.O., N. 8 Fn. 14 zu
Art. 257 ZPO
). Dies ist dem im Verfahren nach
Art. 257 ZPO
unterlegenen Beklagten verwehrt.
Die Vorinstanz verletzte mithin kein Bundesrecht, indem sie es für die Verweigerung des Rechtsschutzes nach
Art. 257 ZPO
genügen liess, dass die Beschwerdegegnerin Einwendungen erhob, die ihr "nicht als haltlos" erschienen.
(...)
6.
(...)
6.2
Fehl geht die Beschwerdeführerin sodann auch, wenn sie vorbringt, der Beweis, dass das Benutzungsrecht der Beschwerdegegnerin am streitbetroffenen Grundstück trotz ordentlicher Kündigung der Gebrauchsleihe nach wie vor bestehe, sei durch die Beschwerdegegnerin zu erbringen. Wie vorstehend (E. 5.1.1) ausgeführt, genügt es im Verfahren betreffend Rechtsschutz in klaren Fällen gemäss
Art. 257 ZPO
, dass die beklagte Partei substanziiert und schlüssig Einwendungen vorträgt, die der Durchsetzung des eingeklagten Anspruchs (in casu: Besitzeinräumungsanspruch) entgegenstünden, wenn sie tatsächlich und rechtlich begründet wären. Der Frage der Beweislastverteilung kommt in einem solchen Verfahren keine entscheiderhebliche Bedeutung zu (Urteil 4P.6/2005 vom 30. März 2005 E. 3.4). Immerhin lässt sich sagen, dass die Rechtslage, nach welcher der Kläger die anspruchsbegründenden Tatsachen voll zu beweisen hat und sich der Beklagte mit substanziierten und schlüssigen Einwendungen begnügen kann, dazu führt, dass der Kläger auch
BGE 138 III 620 S. 625
den Beweis für den Nichtbestand des diesen zugrunde gelegten Tatsachenfundaments erbringen muss, wenn er liquide Verhältnisse schaffen will (vgl. JENT-SØRENSEN, a.a.O., N. 11 zu
Art. 257 ZPO
). | mixed |
44e4fd90-af4f-49c0-8509-66a8b5b5bc70 | Sachverhalt
ab Seite 349
BGE 134 II 349 S. 349
Le 2 décembre 2005, l'Administration fiscale du canton de Genève (ci-après: l'Administration cantonale) a ouvert à l'encontre de X. une procédure en rappel et soustraction d'impôt portant sur l'impôt
BGE 134 II 349 S. 350
cantonal et communal des périodes 2000 et 2001-A (revenus extraordinaires 2000). Le 13 décembre 2005, elle a notifié à l'intéressé un bordereau de rappel d'impôt d'un montant de 1'796'219 fr. 95 pour l'impôt cantonal et communal 2000 et, le 20 décembre 2006, un bordereau de rappel d'impôt d'un montant de 1'524'250 fr. 10 pour l'impôt 2001-A.
Par décision du 28 septembre 2007, l'Administration cantonale a notifié à X. une demande de sûretés portant sur la somme de 1'812'447 fr. 25, sans intérêts, en vue de garantir le paiement des impôts cantonal et communal 2000 et 2001-A.
Le 22 avril 2008, le Tribunal administratif du canton de Genève a rejeté le recours de l'intéressé contre la décision précitée. Il a considéré pour l'essentiel que l'existence des créances fiscales pour les impôts cantonal et communal 2000 et 2001-A était vraisemblable et que celles-ci n'étaient pas prescrites. Il apparaissait par ailleurs que les droits du fisc à l'encontre du contribuable étaient menacés et que le montant de la sûreté requise n'était en outre pas disproportionné.
Le Tribunal fédéral a déclaré irrecevable le recours en matière de droit public déposé par X. contre cet arrêt. Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
1.2
L'autorité fiscale est chargée d'encaisser les impôts dus. En cas de besoin, elle peut exiger des garanties de la part du contribuable, sous la forme notamment d'une demande de sûretés, assimilable à une ordonnance de séquestre (cf. pour l'impôt fédéral direct art. 169 et 170 de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'impôt fédéral direct [LIFD; RS 642.11] et, pour les impôts cantonaux, art. 78 de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes [LHID; RS 642.14] ainsi qu'
art. 371A al. 1 de la loi générale genevoise du 9 novembre 1887 sur les contributions publiques [LCP/GE; RSG D 3 05]
). De par sa nature, la demande de sûretés en matière d'impôt constitue une mesure provisionnelle de droit public (cf. PIERRE MOOR, Droit administratif, vol. II, Les actes administratifs et leur contrôle, 2
e
éd. 2002, p. 269 ss; BENOÎT BOVAY, Procédure administrative, 2000, p. 409 ss), qu'elle règle une situation de façon temporaire en attente d'une décision principale ultérieure ou qu'elle intervienne une fois la décision de taxation entrée en force (cf. PIERRE CURCHOD, in Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, n. 5 et 29 ad
art. 169 LIFD
p. 1448 et 1450; FERDINAND
BGE 134 II 349 S. 351
FESSLER, in Martin Zweifel/Peter Athanas, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, I/1, StHG, 2
e
éd. 2002, n. 12 ad
art. 78 LHID
p. 1069).
1.3
Les mesures provisionnelles sont tantôt des décisions finales au sens de l'
art. 90 LTF
, lorsqu'elles sont prises dans une procédure autonome, tantôt des décisions incidentes lorsqu'elles sont prononcées au cours d'une procédure conduisant à une décision finale ultérieure (cf.
ATF 134 I 83
consid. 3.1 p. 86 s. et les nombreuses références). En droit administratif, il est généralement admis que des mesures provisionnelles, qui doivent régler une situation de manière provisoire, soient ordonnées dans une procédure accessoire, indépendante de celle qui aboutira à la décision principale (arrêt 1C_283/2007 du 20 février 2008; cf. notamment ISABELLE HÄNER, Vorsorgliche Massnahmen im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, RDS 116/1997 II p. 280 ss). Dans ces cas, elles ont un caractère final.
1.4
Comme la procédure relative aux mesures de sûretés vise uniquement à garantir, à titre provisoire, le paiement de l'impôt, elle est indépendante de la procédure au fond, soit de l'imposition proprement dite (assujettissement, calcul de l'impôt, etc.). Le fisc peut en effet exiger des sûretés en tout temps, même avant d'avoir notifié une décision de taxation, et cette mesure ne préjuge en rien du fond. On peut ainsi considérer que la demande de sûretés intervient dans une procédure accessoire, distincte de celle qui aboutira à la décision principale. L'arrêt attaqué, en tant qu'il met fin à la procédure en matière de sûretés sur le plan cantonal, est donc une décision finale au sens de l'
art. 90 LTF
.
(...)
3.
Sous réserve des cas visés à l'
art. 95 let
. c à e LTF, le grief de violation du droit cantonal ne peut pas être soulevé dans un recours devant le Tribunal fédéral. En revanche, il est toujours possible de faire valoir que la mauvaise application du droit cantonal constitue une violation du droit fédéral, en particulier qu'elle est arbitraire au sens de l'
art. 9 Cst.
(
ATF 133 III 462
consid. 2.3 p. 466). En outre, dans le cas d'un recours dirigé, comme en l'espèce, contre une décision portant sur une mesure provisionnelle au sens de l'
art. 98 LTF
, seule peut être invoquée la violation des droits constitutionnels (cf.
ATF 134 I 83
consid. 3.2 p. 88;
ATF 133 III 589
consid. 2 p. 591).
A cet égard, le Tribunal fédéral n'examinera les moyens fondés sur la violation d'un droit constitutionnel que s'ils ont été invoqués et
BGE 134 II 349 S. 352
motivés de manière précise (
art. 42 al. 2 et
art. 106 al. 2 LTF
). L'acte de recours doit, à peine d'irrecevabilité, contenir un exposé succinct des droits constitutionnels ou des principes juridiques violés et préciser en quoi consiste la violation (
ATF 134 I 83
consid. 3.2 p. 88;
ATF 133 II 249
consid. 1.4.2 p. 254;
ATF 133 IV 286
consid. 1.4 p. 287). Ainsi, si le recourant se plaint d'arbitraire, il ne peut se contenter de critiquer la décision attaquée comme il le ferait en instance d'appel, où la juridiction supérieure jouit d'une libre cognition; en particulier, il ne saurait se limiter à opposer son opinion à celle de l'autorité cantonale, mais il doit démontrer par une argumentation précise que cette décision se fonde sur une application de la loi ou une appréciation des preuves manifestement insoutenables (cf.
ATF 133 II 396
consid. 3.2 p. 400 et la jurisprudence citée). Enfin, se prononçant sur le bien-fondé d'une mesure provisionnelle, le Tribunal fédéral a déjà fait sous l'empire de la loi fédérale d'organisation judiciaire du 16 décembre 1943 preuve d'une grande retenue, assimilable à un contrôle sous l'angle restreint de l'arbitraire (THOMAS MERKLI, Vorsorgliche Massnahmen und die aufschiebende Wirkung bei Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiären Verfassungsbeschwerden, ZBl 109/2008 p. 416 ss, 431 s.). | mixed |
3b901049-b2ec-45c6-b23d-abed0f5d14be | Sachverhalt
ab Seite 144
BGE 137 V 143 S. 144
A.
Der Sanitätsdienst Schutz & Rettung (eine Dienstabteilung des Polizeidepartements der Stadt Zürich) transportierte die 1956 geborene, in Bern wohnhafte M. am 31. Januar 2009 notfallmässig von der Strasse X. zum Spital Y., was Kosten in der Höhe von Fr. 592.50 verursachte. Am 26. Februar 2009 ersuchte der Sanitätsdienst das Sozialamt des Kantons Zürich vorsorglich um Kostengutsprache für diesen Transport. Nachdem die Forderung über Fr. 592.50 bei M. nicht einbringlich war, da am 15. Dezember 2009 aus dem Betreibungsverfahren ein Verlustschein resultierte, bat der Sanitätsdienst das Sozialamt um definitive Kostenübernahme (Schreiben vom 21. Dezember 2009). Dieses zeigte den Unterstützungsfall mit dem Gesuch um Erstattung der Kosten für den Sanitätstransport am 15. Januar 2010 dem Kanton Bern an.
Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern erhob Einsprache gegen das Kostenersatzgesuch des Kantons Zürich mit der Begründung, der Kanton Bern sei hinsichtlich dieses Transports nicht kostenersatzpflichtig. Zwar sei M. im Kanton Bern wohnhaft, sie sei jedoch weder zum Zeitpunkt des Sanitätseinsatzes noch zum Zeitpunkt der Unterstützungsanzeige noch zum jetzigen Zeitpunkt bedürftig. Die Anspruchsvoraussetzungen zum Bezug von Sozialhilfe seien nicht erfüllt, weshalb sie vom Sozialdienst der Stadt Bern auch nicht unterstützt werde. In Abweisung der Einsprache bejahte die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich mit Verfügung vom 1. Juni 2010 die Kostenersatzpflicht des Kantons Bern.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des Kantons Bern wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 22. September 2010 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der Kanton Bern die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und der Verfügung vom 1. Juni 2010.
Der Kanton Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 137 V 143 S. 145 Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Wenn ein Kanton als Gemeinwesen gestützt auf
Art. 89 Abs. 1 BGG
als Rechtsmittelträger handeln will, obliegt seine prozessuale Vertretung in der Regel dem Regierungsrat als oberster Exekutivbehörde, welche den Kanton von Verfassungs wegen nach aussen vertritt. Will eine nachgeordnete Behörde namens des Kantons Beschwerde führen, hat sie ihre Vertretungsbefugnis explizit darzutun, sei es durch einen entsprechenden speziellen Ermächtigungsbeschluss der Kantonsregierung oder durch Angabe der sie zur Prozessführung namens des Kantons berechtigenden kantonalen Vorschriften (
BGE 135 II 12
E. 1.2.3 S. 16;
BGE 134 II 45
E. 2.2.3 S. 48; vgl. auch Urteil 2C_805/2008 vom 3. Februar 2009 E. 2.2.1). Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern ist gestützt auf die in der Beschwerde genannten Art. 47 Abs. 1 und Art. 28 des Gesetzes vom 20. Juni 1995 über die Organisation des Regierungsrates und der Verwaltung (OrG; BSG 152.01) zur prozessualen Vertretung des Kantons berechtigt (vgl.
BGE 136 V 351
E. 2.4 mit Hinweisen).
1.2
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (
Art. 95 lit. a BGG
). Soweit sich der angefochtene Entscheid auf Quellen des kantonalen Rechts stützt, welche nicht in
Art. 95 lit. c-e BGG
genannt werden, beschränkt sich die Überprüfung durch das Bundesgericht demgegenüber thematisch auf die erhobenen und begründeten Rügen (
Art. 106 Abs. 2 BGG
) und inhaltlich auf die Frage, ob die Anwendung des kantonalen Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Im Vordergrund steht dabei eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte, insbesondere des Willkürverbots nach
Art. 9 BV
. Was die Feststellung des Sachverhalts anbelangt, kann gemäss
Art. 97 Abs. 1 BGG
nur gerügt werden, diese sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung nach
Art. 95 BGG
(
BGE 135 V 94
E. 1 S. 95 mit Hinweis).
1.3
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze direkt und durch eine fehlerhafte Anwendung von kantonalem Recht Bundesrecht (Art. 2 des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1] in Verbindung mit § 14 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zürich vom 14. Juni 1981 [SHG; LS 851.1] sowie Art. 13 in Verbindung mit
Art. 30 ZUG
). Diese Rügen sind
BGE 137 V 143 S. 146
zulässig und werden - soweit sie eine Verletzung kantonalen Rechts betreffen - in einer den Anforderungen an die qualifizierte Rügepflicht nach
Art. 106 Abs. 2 BGG
genügenden Weise substanziiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1
Bedürftige werden von ihrem Wohnkanton unterstützt (Art. 115 erster Satz BV). Der Bund regelt die Ausnahmen und Zuständigkeiten (Art. 115 zweiter Satz BV). Dabei kann er insbesondere den Rückgriff auf einen früheren Wohnkanton oder den Heimatkanton regeln (so noch ausdrücklich
Art. 48 Abs. 2 aBV
).
2.2
Das Zuständigkeitsgesetz bestimmt, welcher Kanton für die Unterstützung eines Bedürftigen, der sich in der Schweiz aufhält, zuständig ist. Es regelt den Ersatz von Unterstützungskosten unter den Kantonen (
Art. 1 Abs. 1 und 2 ZUG
). Bedürftig ist, wer für seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann. Die Bedürftigkeit wird nach den am Unterstützungsort geltenden Vorschriften und Grundsätzen beurteilt (
Art. 2 Abs. 1 und 2 ZUG
). Ist ein Schweizer Bürger ausserhalb seines Wohnkantons auf sofortige Hilfe angewiesen, so muss der Aufenthaltskanton ihm diese leisten (
Art. 13 Abs. 1 ZUG
). Ferner vergütet der Wohnkanton dem Aufenthaltskanton, der einen Bedürftigen im Notfall unterstützt, die Kosten der notwendigen und der in seinem Auftrag ausgerichteten weiteren Unterstützung sowie die Kosten der Rückkehr des Unterstützten an den Wohnort (
Art. 14 Abs. 1 ZUG
). Schliesslich muss der Aufenthaltskanton, der einen Bedürftigen im Notfall unterstützt und dafür vom Wohnkanton die Erstattung der Kosten verlangt, diesem den Unterstützungsfall sobald als möglich anzeigen (
Art. 30 Abs. 1 ZUG
).
3.
3.1
Nicht streitig ist, dass M. am 31. Januar 2009 auf sofortige Nothilfe angewiesen war, welche der Aufenthaltskanton Zürich in Form des Sanitätstransports geleistet hatte, und dass die Unterstützung Bedürftiger im Notfall die Kostenersatzpflicht des Wohnkantons auslöst (
Art. 14 Abs. 1 ZUG
). Uneins sind die Parteien hingegen hinsichtlich der Frage, ob M. dannzumal als bedürftig im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 ZUG
galt, sowie über den Umfang der diesbezüglichen Abklärungspflicht des Aufenthaltskantons.
3.2
Vorinstanz und Beschwerdegegner stellen sich auf den Standpunkt, der Aufenthaltskanton habe nicht sämtliche denkbaren
BGE 137 V 143 S. 147
Drittansprüche am Wohnort der unterstützten Person zu überprüfen, zumal die Behörden eines Kantons oftmals keine Handhabe hätten, Drittansprüche (in Form von Versicherungs- oder Ergänzungsleistungen) in einem andern Kanton durchzusetzen. Die Uneinbringlichkeit der Forderung über Fr. 592.50 sei mit dem ausgestellten Verlustschein hinreichend belegt und es sei mit dem Sozialhilferecht des Kantons Zürich vereinbar, diesfalls von der Bedürftigkeit einer unterstützten Person auszugehen.
3.3
Demgegenüber erachtet der Beschwerdeführer die sozialhilferechtlichen Grundsätze und Vorschriften des Kantons Zürich, namentlich § 14 SHG in Verbindung mit
Art. 2 Abs. 2 ZUG
verletzt, indem der Kanton Zürich für die Annahme der Bedürftigkeit die Ausstellung des entsprechenden Verlustscheins im betreibungsrechtlichen Verfahren genügen liess und insbesondere keine Beurteilung der Bedürftigkeit in Form eines Ausgaben- und Einnahmenvergleichs nach den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) vorgenommen habe. Aus dem Subsidiaritätsprinzip der Sozialhilfe ergäbe sich im Weiteren, dass den fallführenden Aufenthaltskanton auch hinsichtlich der möglichen Versicherungs- oder Ergänzungsleistungsansprüche von M. auf Übernahme der medizinischen Rettungskosten eine Abklärungspflicht treffe, die hier verletzt sei.
3.4
Das Zuständigkeitsgesetz legt nicht fest, welche Aufwandpositionen unter welchen Umständen und in welcher Höhe innerkantonal über die wirtschaftliche Sozialhilfe abzudecken sind, was auch nicht geltend gemacht wird. Indem sich die Beurteilung der Bedürftigkeit nach den geltenden Vorschriften und Grundsätzen des Unterstützungsortes richtet (
Art. 2 Abs. 2 ZUG
), wird die Einwendung des kostenersatzpflichtigen Kantons, nach seinen Vorschriften und Grundsätzen werde die unterstützte Person nicht als bedürftig betrachtet oder gehöre die in Frage stehende Leistung nicht zum Aufgabenkreis der öffentlichen Sozialhilfe, ausgeschlossen (vgl. WERNER THOMET, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG], 2. Aufl. 1994, N. 66 zu
Art. 2 ZUG
). Die betreffende Bestimmung erlaubt dem in Anspruch genommenen Kanton anderseits, die Beteiligung an einer Leistung abzulehnen, wenn der unterstützende Kanton bei der Beurteilung der Bedürftigkeit seine eigenen Vorschriften oder Grundsätze missachtet hat (THOMET, a.a.O., N. 66 zu
Art. 2 ZUG
), wovon - wie erwähnt - der Kanton Bern ausgeht.
BGE 137 V 143 S. 148
3.5
§ 14 SHG in Verbindung mit § 16 der Sozialhilfeverordnung des Kantons Zürich vom 21. Oktober 1981 (SHV; LS 851.11) sieht vor, dass, wer für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen mit gleichem Wohnsitz nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann, Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe hat. Die wirtschaftliche Hilfe soll das soziale Existenzminimum gewährleisten, das neben den üblichen Aufwendungen für den Lebensunterhalt auch individuelle Bedürfnisse angemessen berücksichtigt. Sie hat die notwendige ärztliche oder therapeutische Behandlung und die notwendige Pflege in einem Spital, in einem Heim oder zu Hause sicherzustellen (§ 15 Abs. 1 und 2 SHG). Sind Leistungen Dritter sicherzustellen, erteilt die Fürsorgebehörde in der Regel Gutsprache (§ 16 Abs. 3 erster Satz SHG), wobei sich die zuständige Behörde mit der Gutsprache verpflichtet, die Kosten notwendiger Leistungen zu übernehmen, soweit dafür keine Kostendeckung besteht (§ 19 Abs. 1 SHV).
3.6
3.6.1
Die Hilfe richtet sich nach den Besonderheiten und Bedürfnissen des Einzelfalls und den örtlichen Verhältnissen, wobei sie andere gesetzliche Leistungen sowie die Leistungen Dritter und sozialer Institutionen berücksichtigt (§ 2 Abs. 1 und 2 SHG). Grundlage für die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe bilden gemäss § 17 SHV die SKOS-Richtlinien in der 4. überarbeiteten Ausgabe April 2005 mit den Ergänzungen 12/05, 12/07 und 12/08. Vorbehalten bleiben begründete Abweichungen im Einzelfall (§ 17 Abs. 1 SHV).
3.6.2
Wie die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe einleitend zu ihren Richtlinien festhält, gelten diese für alle längerfristig unterstützten Personen (einschliesslich anerkannte Flüchtlinge), die in Privathaushalten leben und die fähig sind, den damit verbundenen Verpflichtungen nachzukommen. Sie können daher auf nur vorübergehend unterstützte Personen oder auf Personen ohne eigenen Haushalt lediglich sinngemäss und entsprechend der individuellen Situation angewendet werden. Insoweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von § 14 SHG auf eine fehlende Beurteilung der Bedürftigkeit der unterstützten Person durch die Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben nach den SKOS-Richtlinien geltend macht, ist dies demnach nicht stichhaltig, da in der vorliegenden Situation sowohl die SKOS-Richtlinien als auch das kantonale Sozialhilfegesetz (§ 2 Abs. 1 SHG) Spielraum für eine situationsbezogene, individuelle Hilfe zulassen. Der Beschwerdeführer legt denn auch
BGE 137 V 143 S. 149
nicht näher dar, inwiefern der Beschwerdegegner sein diesbezügliches, auf kantonalem Recht beruhendes Ermessen in bundesrechtswidriger Weise überschritten hat.
3.7
3.7.1
Mit Blick auf die weiter geltend gemachte Verletzung des Subsidiaritätsprinzips und der damit zusammenhängenden Frage der Abklärung bestehender Ansprüche der unterstützten Person Dritten gegenüber ist unbestritten, dass sowohl hinsichtlich der Nothilfe nach
Art. 12 BV
als auch im Rahmen der kantonal geregelten Sozialhilfe der Grundsatz der Subsidiarität gilt (vgl. etwa
BGE 131 I 166
E. 4.1 S. 173 mit Hinweisen sowie CHRISTOPH HÄFELI, Prinzipien der Sozialhilfe, in: Das Schweizerische Sozialhilferecht,
derselbe
[Hrsg.], 2008, S. 73 ff.). Die unterstützte Person ist in Ausschöpfung des Subsidiaritätsprinzips verpflichtet, Leistungsansprüche Dritten gegenüber geltend zu machen. Auch Leistungen Dritter, auf welche kein durchsetzbarer Rechtsanspruch besteht, die aber tatsächlich erbracht werden, gehen dem Leistungsanspruch gegenüber dem Staat vor (vgl. HÄFELI, a.a.O., S. 73). Nach den (vorliegend, wie dargelegt [E. 3.6.2], nur sinngemäss anwendbaren) SKOS-Richtlinien (Ziff. E. 2.1 "Grundsatz und Freibeträge") ist - dementsprechend - die Verwertung von Bank- und Postcheckguthaben, Aktien, Obligationen, Forderungen, Wertgegenständen, Liegenschaften und anderen Vermögenswerten Voraussetzung für die Gewährung von materieller Hilfe. Für die Beurteilung der Bedürftigkeit sind die tatsächlich verfügbaren oder kurzfristig realisierbaren Mittel massgebend.
3.7.2
Der Vorstand der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe hat sich, worauf das kantonale Gericht bereits hinwies, im April 2004 hinsichtlich der Frage der Kostendeckung im Rahmen der Sozialhilfe bei Rettungseinsätzen dahingehend geäussert, dass nur Unterstützungen im Notfall gemäss
Art. 30 ZUG
angezeigt werden solen, die die Sozialhilfe betreffen. Es müsse zuerst abgeklärt werden, ob Versicherungen etc. den medizinischen Notfall abdecken würden. Der Aufenthaltskanton habe dem Wohnkanton eine Unterstützungsanzeige in Notfällen erst dann zuzustellen, wenn aufgrund eines Notfalls eine Unterstützung mittels Sozialhilfe tatsächlich erfolgen müsse und somit Bedürftigkeit bestehe (Zeitschrift für Sozialhilfe [ZeSo] 2004 S. 75 f.).
3.8
3.8.1
Hinsichtlich dieses Einwands der unterlassenen Abklärung, ob Ansprüche gegenüber Dritten zur Kostenvergütung des
BGE 137 V 143 S. 150
Sanitätstransports bestünden, ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass Behörden im Aufenthaltskanton oftmals nicht legitimiert sein dürften und auch keine weitere Handhabe vorliegt, von Dritten Zahlungen zu verlangen oder gar durchzusetzen. Zudem sieht sich der im Notfall handelnde Kanton einer Situation gegenüber, in der er meist kurzfristig handeln muss, zumal die Notfallhilfe ausserhalb des Wohnkantons regelmässig nur auf kurze Zeit ausgerichtet ist (THOMET, a.a.O., S. 125 N. 189 zu
Art. 13 ZUG
), weshalb dieser - zumindest vor Erteilung der zur Übernahme der notfallbedingten Krankheitskosten verpflichtenden Gutsprache gemäss § 19 SHV - kaum die Möglichkeit umfassender Abklärungen über die Leistungspflicht Dritter haben wird (vgl. Urteil 2A.485/2005 vom 17. Januar 2006 E. 2.5).
Damit übereinstimmend hat die Vorinstanz in einem von ihr zu beurteilenden Fall (Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2005.00530 vom 11. Januar 2006), bei dem sich innerkantonal zwei Gemeinden über die Ersatzpflicht der Kosten einer am Aufenthaltsort medizinisch betreuten Person stritten, die erfolglose Mahnung und Betreibung mit Erhalt eines Verlustscheins als genügenden Nachweis der Bedürftigkeit gewertet, was die Kostenersatzpflicht der Heimatgemeinde begründete. Mit dem Vorgehen des Sozialamtes des Kantons Zürich, jeweils dann definitiv Gutsprache zu erteilen, wenn der Leistungserbringer die Uneinbringlichkeit seiner Forderung nachweist, da es diesfalls zugunsten des Leistungserbringers, welcher die Notfallhilfe nicht verweigern kann, die Bedürftigkeit der unterstützten Person annimmt, wird weder Bundesrecht verletzt noch kantonales Recht willkürlich angewendet.
3.8.2
Mit dem Sinn und Zweck einer vom Aufenthaltskanton geleisteten - zeitlich und sachlich dringenden - Hilfe nach
Art. 13 Abs. 1 ZUG
ist es daher vereinbar, wenn das kantonale Gericht vorliegend zum Schluss gelangte, die weitergehende Abklärungspflicht über das Bestehen allfälliger Drittansprüche obliege dem kostenersatzpflichtigen Wohnkanton. In die gleiche Richtung zielt die Bestimmung von
Art. 26 Abs. 1 ZUG
. Danach ist es Sache der Behörden und Gerichte des Kantons, der zur Zeit der Unterstützung Wohnkanton war, Rückerstattungsansprüche gegenüber dem Unterstützten und seinen Erben geltend zu machen.
Ob hier allenfalls Dritte zur entsprechenden Kostenvergütung verpflichtet werden können, hat demnach in Anlehnung an
Art. 26 Abs. 1
BGE 137 V 143 S. 151
ZUG
der Kanton Bern als Wohnkanton abzuklären, wobei er hinsichtlich der entsprechenden Ansprüche im Umfang seines gegenüber dem Kanton Zürich geleisteten Kostenersatzes beim Versicherer die Auszahlung an ihn verlangen kann (vgl. Art. 40 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Bern vom 11. Juni 2001 über die öffentliche Sozialhilfe [Sozialhilfegesetz, SHG; BSG 860.1]).
4.
Es steht nach dem Gesagten in Einklang mit dem bundesrechtlichen (und kantonalen) Begriff der Bedürftigkeit, wenn davon ausgegangen wird, dass die unterstützte Person bei Vorliegen eines Verlustscheins zumindest nicht rechtzeitig aus (tatsächlich verfügbaren oder kurzfristig realisierbaren) eigenen Mitteln zur Begleichung der Unterstützungskosten aufkommen kann, was die Kostenersatzpflicht des Wohnkantons nach
Art. 14 Abs. 1 ZUG
begründet. Die erbrachten Leistungen sind somit - auch im Lichte des Umstands, dass das im materiellen Sozialhilferecht vorherrschende Individualisierungsprinzip der zuständigen Sozialhilfebehörde einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum verleiht (zur Voraussetzung der relativ erheblichen Entscheidungsfreiheit im Bereich der Sozialhilfe vgl. Urteile 2P.16/2006 vom 1. Juni 2006 E. 2.2 und 2P.230/2005 vom 10. Juli 2006 E. 2.3) - gesetzeskonform. Mithin hat der Beschwerdegegner dem Grundsatz der Subsidiarität staatlicher Unterstützungsleistungen mit dem erfolglosen Versuch des Leistungserbringers, die Transportkosten bei der Unterstützten auf dem betreibungsrechtlichen Weg einzubringen, hinreichend Rechnung getragen, zumal als Ergebnis des Pfändungsvollzugs angegeben wurde, dass kein pfändbares Vermögen vorliege sowie kein künftiger Lohn gepfändet werden könne und die ledige Schuldnerin einzig eine unpfändbare Rente der Invalidenversicherung von monatlich Fr. 1'550.- beziehe sowie von ihren Eltern unterstützt werde. Bei der hier offensichtlich fehlenden Liquidität und Bonität der unterstützten Person wird auch den Darlegungen der Sozialhilfekonferenz von April 2004 insoweit entsprochen, als damit die Bedürftigkeit zu bejahen ist und die Notfallanzeige nicht bloss rein vorsorglich ohne nähere Abklärung zur Bedürftigkeit der Notfallhilfe beanspruchenden Person erfolgte.
Der Wohnkanton Bern hat dem Aufenthaltskanton Zürich somit die Kosten der Notfallunterstützung nach der im Zuständigkeitsgesetz enthaltenen Regelung zu vergüten. | mixed |
b7e63c59-eac2-4fec-b615-2cf5da13f767 | Sachverhalt
ab Seite 304
BGE 134 I 303 S. 304
Die Shell (Switzerland) AG mit Sitz in Baar (ZG) verkauft ihr Benzin im Kanton Aargau an 28 Standorten. Während 13 dieser Tankstellen ihr selber gehören, aber von selbständigen Vertragspartnern betrieben werden (sog. "Company Stations"), stehen die 15 übrigen Tankstellen im Eigentum des jeweiligen Betreibers und werden von der Shell (Switzerland) AG nur beliefert (sog. "Dealer Stations"). Die Verträge, welche die Shell (Switzerland) AG mit den Betreibern ihrer "Company Stations" abschliesst, übertragen diesen - gegen eine Vergütung - das Recht, die Installationen und Gerätschaften zu bewirtschaften, wobei die Tankstellenbetreiber selbständige Unternehmer bleiben und auf eigene Rechnung und Gefahr arbeiten (vgl. E. 3.1).
Mit Feststellungsverfügung vom 22. April 2005 erklärte das Steueramt des Kantons Aargau die 13 "Company Stations" ab dem Steuerjahr 2003 zu Betriebsstätten der Shell (Switzerland) AG, welche der (beschränkten) Steuerpflicht im Kanton unterstünden. Nach erfolglosem Einspracheverfahren gelangte die Shell (Switzerland) AG an das Steuerrekursgericht des Kantons Aargau, welches den "Company Stations" den Charakter von Betriebsstätten absprach und in Gutheissung des Rekurses sowohl die Feststellungsverfügung als auch den Einspracheentscheid aufhob (Entscheid vom 27. April 2006). Das vom Steueramt des Kantons Aargau angerufene kantonale Verwaltungsgericht schützte diesen Entscheid am 20. Juni 2007.
Am 1. Oktober 2007 hat das Steueramt des Kantons Aargau beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass die Shell (Switzerland) AG ab 1. Januar 2003 für ihre 13 Betriebsstätten im Kanton Aargau beschränkt steuerpflichtig sei.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Bestreitet die zur Veranlagung herangezogene Person die Steuerhoheit des Kantons, so muss grundsätzlich in einem "Vorentscheid"
BGE 134 I 303 S. 305
rechtskräftig über die Steuerpflicht entschieden werden, bevor das Veranlagungsverfahren fortgesetzt werden kann. Hier liegt ein solcher letztinstanzlicher Steuerdomizilentscheid und mithin ein verfahrensabschliessender Endentscheid einer oberen Gerichtsbehörde im Sinne von Art. 90 in Verbindung mit
Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG
vor. Bei einer derartigen Doppelbesteuerungssache handelt es sich um eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts, wobei keiner der Ausschlussgründe gemäss
Art. 83 BGG
erfüllt ist, so dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist (vgl.
Art. 82 lit. a BGG
).
1.2
Es fragt sich allerdings, ob das Steueramt des Kantons Aargau zur Ergreifung dieses Rechtsmittels legitimiert ist, war es doch den Behörden bis anhin verwehrt, die in Doppelbesteuerungssachen allein zur Verfügung stehende staatsrechtliche Beschwerde zu erheben; auch mit Blick auf die Regelung des Beschwerderechts im geltenden Recht (vgl.
Art. 89 BGG
) liegt die Beschwerdebefugnis des Steueramts nicht auf der Hand. Allerdings ist zu bedenken, dass es kaum noch Doppelbesteuerungsstreitigkeiten gibt, in denen sich nur reine Doppelbesteuerungsfragen stellen, ohne dass nicht zusätzlich auch die Handhabung des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) umstritten wäre. Hier verhält es sich nicht anders, zumal - selbst wenn sich das Steueramt selber vorab auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu
Art. 127 Abs. 3 BV
beruft - ebenfalls die Tragweite von
Art. 21 Abs. 1 lit. b StHG
in Frage steht. Auf diese Bestimmung (bzw. auf die sie umsetzende Regelung des Aargauer Steuergesetzes vom 15. Dezember 1998 [StG/AG; SAR 651.100]; vgl.
§ 12 und 63 StG
/AG) - welche für juristische Personen mit Sitz (oder tatsächlicher Verwaltung) ausserhalb des Kantons die beschränkte Steuerpflicht aufgrund wirtschaftlicher Zugehörigkeit vorsieht, wenn sie im Kanton Betriebsstätten unterhalten - geht der vorliegende Rechtsstreit letztlich zurück. Die enge Verzahnung von Doppelbesteuerungs- und Steuerharmonisierungsrecht zeigt sich vorliegend weiter im Umstand, dass
Art. 21 StHG
selber den Begriff der Betriebsstätte nicht näher definiert, so dass insoweit auf die gesetzesvertretende Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Doppelbesteuerung zurückzugreifen ist (vgl. MAJA BAUER-BALMELLI/MARKUS NYFFENEGGER, in: Zweifel/Athanas [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/1: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, 2. Aufl.,
BGE 134 I 303 S. 306
Basel 2002, N. 5 zu
Art. 4 StHG
). Bei diesen Gegebenheiten muss auch ein bloss formaler Bezug zum Steuerharmonisierungsrecht, wie er bei Fragen der subjektiven Steuerpflicht letztlich immer gegeben ist, genügen, um der nach kantonalem Recht zuständigen Behörde die Beschwerdelegitimation gemäss
Art. 73 Abs. 2 StHG
zu verleihen. Mit der Ablösung der staatsrechtlichen Beschwerde in Doppelbesteuerungssachen (vgl.
Art. 86 Abs. 2 OG
) einerseits und der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Steuerharmonisierungsangelegenheiten (
Art. 73 Abs. 1 StHG
in seiner ursprünglichen Fassung) andererseits durch die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten drängt sich eine neue, dem vereinheitlichten Rechtsmittelzug Rechnung tragende Sichtweise auf. Das Steueramt des Kantons Aargau ist mithin - als die nach kantonalem Recht zuständige Behörde - gestützt auf diese neue Rechtslage zur Beschwerdeführung legitimiert (
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
in Verbindung mit
Art. 73 Abs. 1 und 2 StHG
in der Fassung vom 17. Juni 2005).
1.3
Gemäss
Art. 42 Abs. 1 BGG
hat die Beschwerdeschrift die Begehren und deren Begründung zu enthalten; im Rahmen der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (
Art. 42 Abs. 2 BGG
). Die Vorbringen müssen sachbezogen sein, damit aus der Beschwerdeschrift ersichtlich ist, in welchen Punkten und weshalb der angefochtene Entscheid beanstandet wird (vgl. zum alten Recht:
BGE 118 Ib 134
;
BGE 131 II 449
E. 1.3 S. 452), wobei pauschale Verweisungen auf Rechtsschriften in anderen Verfahren den Begründungsanforderungen nicht zu genügen vermögen (vgl.
BGE 123 V 335
E. 1b S. 337 f.;
BGE 113 Ib 287
E. 1 S. 287 f.). Ob die Beschwerdeschrift diesen Voraussetzungen entspricht, ist zweifelhaft: Sie enthält konfuse Ausführungen und ist über weite Strecken nur schwer verständlich. Immerhin lässt sich erkennen, dass das Steueramt einen Teil des Gewinns steuerlich bei den Tankstellenbetreibern und den Rest bei der Beschwerdegegnerin erfassen will (vgl. E. 3.5). Letztlich kann aber offenbleiben, ob eine den Begründungsanforderungen genügende Eingabe vorliegt, weil die Beschwerde in der Sache ohnehin abzuweisen ist.
2.
2.1
Eine gegen
Art. 127 Abs. 3 BV
verstossende Doppelbesteuerung liegt vor, wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine
BGE 134 I 303 S. 307
Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem darf ein Kanton eine steuerpflichtige Person grundsätzlich nicht deshalb stärker belasten, weil sie nicht in vollem Umfang seiner Steuerhoheit untersteht, sondern zufolge ihrer territorialen Beziehungen auch noch in einem anderen Kanton steuerpflichtig ist (Schlechterstellungsverbot;
BGE 132 I 29
E. 2.1 S. 31 f.;
BGE 130 I 205
E. 4.1 S. 210). Hier steht eine aktuelle Doppelbesteuerung in Frage: Das Steueramt des Kantons Aargau greift in die Steuerhoheit des (Sitz-)Kantons Zug ein, in welchem die Beschwerdegegnerin bereits besteuert wird; es geht neu von sekundären Steuerdomizilen der Beschwerdegegnerin aus, indem es die "Company Stations" als deren Betriebsstätten betrachtet und - aufgrund der entsprechenden wirtschaftlichen Anknüpfung - ab dem Jahr 2003 eine teilweise Steuerpflicht geltend macht.
2.2
Gewinn und Kapital einer Kapitalgesellschaft sind praxisgemäss am Ort zu versteuern, an dem sich deren Hauptsteuerdomizil befindet; vorbehalten bleiben sekundäre Steuerdomizile in anderen Kantonen, die sich aufgrund von dort unterhaltenen Betriebsstätten ergeben (vgl. Urteil 2P.9/1994 vom 6. Juni 1995, publ. in: SJ 1996 S. 100, E. 3a; vgl. auch PETER LOCHER, Einführung in das interkantonale Steuerrecht, 2. Aufl., Bern 2003, S. 46 f.). Als Betriebsstätte gilt gemäss
§ 12 Abs. 1 StG
/AG eine feste Geschäftseinrichtung, in der die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Diese Umschreibung entspricht im Ergebnis jener des Steuerharmonisierungsgesetzes, dessen Art. 21 Abs. 1 lit. b - mangels einer eigenen Begriffsdefinition - auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Doppelbesteuerungsverbot verweist (vgl. E. 1.2). Demnach setzt eine Betriebsstätte eine ständige körperliche Anlage voraus, die Teil des ausserkantonalen Unternehmens bildet und in der dieses eine qualitativ und quantitativ erhebliche Tätigkeit entfaltet (vgl. zit. Urteil, publ. in: SJ 1996 S. 100, E. 3a; vgl. auch PETER LOCHER, a.a.O., S. 66).
2.3
Das Bundesgericht hatte sich bereits früher mit der doppelsteuerrechtlichen Behandlung von Tankstellen zu befassen, wobei es verneinte, dass von selbständigen Garagisten im Wallis betriebene Tankstellen Betriebsstätten jener Erdölgesellschaft darstellten, welche sie aus der Waadt mit Benzin belieferte. In den Vordergrund stellte es dabei nicht die rechtlichen, sondern die wirtschaftlichen Elemente des Verhältnisses zwischen den Beteiligten und erwog insbesondere, eine Betriebsstätte liege dann vor, wenn ein gleiches Ausmass von
BGE 134 I 303 S. 308
Abhängigkeit wie bei einem Organ- oder Anstellungsverhältnis erreicht werde. Im betreffenden Verfahren erachtete es als ausschlaggebend, dass die Garagisten auf eigenes Risiko tätig waren, nicht aber das Bestehen einer Preisbindung oder die Vereinbarung eines Konkurrenzverbots (
BGE 79 I 218
E. 3 S. 222 ff.; zum Tankstellenvertrag vgl. auch ERIC KALTENRIEDER, Les contrats de station-service, Diss. Lausanne 1998; MARIEL HOCH CLASSEN, Vertikale Wettbewerbsabreden im Kartellrecht, Diss. Zürich 2002, S. 37).
3.
Hier ist zunächst zu untersuchen, wie der "Shell Service-Stations Vertrag", den die Beschwerdegegnerin mit ihren "Company Stations" abschliesst, einzuordnen ist, und insbesondere zu prüfen, ob sich daraus klare steuerrechtliche Konsequenzen ergeben:
3.1
Mit dem "Shell Service-Stations Vertrag" wird den Tankstellenbetreibern vertraglich das Recht eingeräumt, die der Beschwerdegegnerin gehörenden Gebäude, Installationen und Gerätschaften zu bewirtschaften; sie tun dies als selbständige Unternehmer auf eigene Rechnung und Gefahr und haben insbesondere das erforderliche Betriebskapital selber einzubringen. Weiter finanzieren sie den Lagerbestand und tragen die laufenden Kosten des Betriebs (für Personal, Unterhaltsarbeiten, Versicherungen etc.). Hinsichtlich der eigenen Produkte der Beschwerdegegnerin unterliegen die Tankstellenbetreiber einer exklusiven Abnahme- und Vertriebsverpflichtung, gekoppelt mit einer Preisbindung für den Weiterverkauf. Die übrigen Waren sind grundsätzlich bei von der Beschwerdegegnerin bestimmten Vertragslieferanten zu beziehen. Die Betreiber verpflichten sich ferner, dafür zu sorgen, dass das Erscheinungsbild der Tankstelle den Richtlinien der Beschwerdegegnerin entspricht. Diese legt auch für rund 90 Prozent der Waren die Platzierung im zugehörigen Tankstellen-Shop fest, nimmt Einblick in alle Geschäftsunterlagen des Betreibers und regelt die Grundsätze, nach denen die Buchhaltung zu führen ist. Für die Überlassung der Tankstelle zur Bewirtschaftung leistet der Betreiber eine monatliche Akonto-Zahlung, wobei sich die effektiv geschuldete Vergütung - gleich wie die Gewinnbeteiligung beider Vertragspartner - teils aufgrund eines im vornherein vereinbarten Budgets und teils aufgrund des tatsächlichen Betriebsergebnisses bestimmt.
3.2
Vergleichbare Abmachungen über den Absatz von Waren oder Dienstleistungen hat das Bundesgericht als Franchiseverträge qualifiziert. Der Franchisegeber stellt die Waren oder Dienstleistungen
BGE 134 I 303 S. 309
bereit, welche der (selbständige) Franchisenehmer auf eigene Rechnung und Gefahr vertreibt. Der Franchisenehmer wird dabei im Rahmen der Vertriebskonzeption des Franchisegebers tätig, die ein einheitliches Absatz- und Werbekonzept umfasst und ihm zudem Namen, Marken, Ausstattungen und Schutzrechte zur Nutzung überlässt; der Franchisegeber leistet ferner Beistand, erteilt Rat und übernimmt regelmässig auch die Schulung des Franchisenehmers (
BGE 118 II 157
E. 2a S. 159 f.; vgl. auch Urteil 4C.228/2000 vom 11. Oktober 2000, E. 3).
3.3
Allerdings kommen solche Franchiseverträge in derart vielen verschiedenen Formen vor, dass weder eine hinreichend scharfe begriffliche Qualifikation des Vertragstypus möglich ist, noch verbindlich, ein für allemal, festgelegt werden kann, welche steuerrechtlichen Konsequenzen sich aus Franchiseverträgen ergeben. Diese werden meist von mehreren verschiedenartigen Komponenten geprägt und weisen so namentlich Elemente eines Nutzungs- und Gebrauchsüberlassungsvertrags (Überlassung des Franchisepakets - einschliesslich der immateriellen Rechte - durch den Franchisegeber), eines Arbeitsleistungsvertrags (Absatzförderungspflicht des Franchisenehmers) und häufig auch solche eines Warenlieferungsvertrags auf. Ferner kann im gemeinsamen Ziel der Maximierung des Umsatzes - ähnlich wie bei einem Alleinvertretungsvertrag - ein gesellschaftsvertraglicher Einschlag erblickt werden. Besteht zwischen den Parteien dementsprechend nicht ein Unterordnungs-, sondern ein partnerschaftliches Verhältnis (sog. Partnerschaftsfranchising), kann auch dieser Umstand die Heranziehung von Normen des Gesellschaftsrechts rechtfertigen. Ist hingegen der Franchisenehmer, wie dies typischerweise - und auch hier - der Fall ist, dem Franchisegeber untergeordnet (sog. Subordinationsfranchising), so stellt sich eher die Frage nach einer analogen Anwendung arbeitsvertrags- oder agenturvertragsrechtlicher Schutzvorschriften (
BGE 118 II 157
E. 2c S. 160 f.).
3.4
Rückgriffe auf andere Vertragstypen taugen jedoch nur zur Lösung von punktuellen Rechtsproblemen; angesichts der Eigenheiten des Franchiseverhältnisses ist eine ganzheitliche Unterstellung eines konkreten Vertrags unter die Regeln eines anderen Typs regelmässig ausgeschlossen: So scheitert eine breitere Anwendung des Arbeitsvertragsrechts an der bloss teilweisen Subordination und der wirtschaftlichen Selbständigkeit des Franchisenehmers, während eine Unterstellung unter die Regeln des Agenturvertrags darum
BGE 134 I 303 S. 310
ausgeschlossen ist, weil der Franchisenehmer in eigenem Namen und auf eigene Rechnung handelt. Ebenso wenig kann eine ganzheitliche Subsumtion unter den Lizenzvertrag erfolgen, zumal das Franchisepaket ein ganzes Bündel von Rechten und Pflichten umfasst, das nur zum Teil auf einer Nutzung von Immaterialgütern beruht (vgl. MICHAEL KULL, Der Franchisevertrag im schweizerischen Recht, in: Insolvenz- und Wirtschaftsrecht 2002, S. 101 f.). Mithin lässt sich aus der rechtlichen Qualifikation des Vertrags zwischen der Beschwerdegegnerin und ihren "Company Stations" für die steuerrechtliche Anknüpfung letztlich nichts Entscheidendes gewinnen.
3.5
Immerhin ist festzuhalten, dass die "Company Stations" aufgrund des Gesagten als selbständige Unternehmen im Kanton Aargau unbeschränkt steuerpflichtig sind, was auch vom Steueramt nicht in Frage gestellt wird. Neben einer solchen unbeschränkten Steuerpflicht der Tankstellenbetreiber ist aber eine zusätzliche beschränkte Steuerpflicht der Beschwerdegegnerin mit Bezug auf die selben "Company Stations" unmöglich, würde dies doch auf eine unzulässige Doppelbesteuerung hinauslaufen. Allerdings möchte das Steueramt insoweit nicht dasselbe Substrat zweimal besteuern, sondern wie folgt vorgehen: Der unbeschränkten Steuerpflicht im Kanton Aargau soll nur das relativ bescheidene Einkommen der Tankstellenbetreiber unterstehen und der Kanton neu mittels beschränkter Steuerpflicht - wegen des Unterhalts von Betriebsstätten - am grösseren Gewinn der Beschwerdegegnerin teilhaben (der bisher aus dem Kanton abgeflossen ist). Im Folgenden ist deshalb noch zu prüfen, ob die Beschwerdegegnerin an den Standorten der selbständig steuerpflichtigen "Company Stations" ihrerseits - aufgrund der zur Verfügung gestellten Einrichtungen - Betriebsstätten unterhält und damit sekundäre Steuerdomizile begründet.
4.
4.1
Wie gesehen, setzt das Bestehen einer Betriebsstätte der Beschwerdegegnerin voraus, dass diese über eine feste Geschäftseinrichtung verfügen kann (vgl. E. 2.2). Das Steueramt hält dafür, es sei unbestritten, dass die "Company Stations" solche Einrichtungen darstellen. Es verkennt dabei, dass sich diese - dem angefochtenen Entscheid entnommene - Aussage auf die hier nicht mehr interessierende Fragestellung bezieht, ob die "Company Stations" selber Betriebsstätten der Beschwerdegegnerin seien. Nach dem Gesagten ist jedoch nur noch zu prüfen, ob die den Tankstellenbetreibern zur Nutzung überlassenen Grundstücke und Installationen immer noch als feste
BGE 134 I 303 S. 311
Geschäftseinrichtungen der Beschwerdegegnerin gelten können. Diese Frage ist zu verneinen: Wohl hat die Beschwerdegegnerin weiterhin das Eigentum an den betreffenden Einrichtungen; sie kann über Letztere jedoch nicht mehr nach Belieben verfügen, weil die Nutzungsberechtigung den Tankstellenbetreibern, mithin anderen Rechtsträgern, zukommt. Steht eine Geschäftseinrichtung zwar im Eigentum eines Unternehmens, verfügt über sie aber ein anderer für eigene Zwecke (also nicht für solche der Eigentümerin), so liegt keine Betriebsstätte des betreffenden Unternehmens vor (vgl. MAXIMILIAN GÖRL, in: Vogel/Lehner [Hrsg.], Doppelbesteuerungsabkommen der BRD auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen, Kommentar auf der Grundlage der Musterabkommen, 5. Aufl., München 2008, Rz. 16 zu Art. 5 DBA). Auch wenn kein spezifisches Nutzungsentgelt vereinbart wurde, enthält der "Shell Service-Stations Vertrag" zweifellos Elemente eines Miet- oder Pachtvertrags (mithin einer Gebrauchsüberlassung), so dass die Verfügungsmacht über die Anlagen nicht (mehr) bei der Beschwerdegegnerin, sondern beim die Tankstelle betreibenden Vertragspartner liegt. Damit fehlt es hier bereits an der ersten Voraussetzung für eine Betriebsstätte im Sinne von
§ 12 Abs. 1 StG
/AG und
Art. 21 Abs. 1 lit. b StHG
.
4.2
Eine weitere Voraussetzung für das Bestehen einer Betriebsstätte wäre, dass die Beschwerdegegnerin dort eine Geschäftstätigkeit ausübt. Inwiefern diese Voraussetzung hier erfüllt sein soll, legt das Steueramt nicht substantiiert dar. Es begnügt sich insoweit mit einem allgemeinen Hinweis auf die schwache Stellung des Tankstellenbetreibers, der einen Grossteil des von ihm erzielten Betriebsergebnisses an die Beschwerdegegnerin weiterleiten müsse. In diesem Umstand allein kann indessen keine Geschäftstätigkeit der Beschwerdegegnerin begründet sein: Zunächst ist auszuschliessen, dass zwischen den Tankstellenbetreibern und der Beschwerdegegnerin ein Gesellschaftsverhältnis besteht; zwar mag eine gewisse Gleichrichtung der Interessen vorliegen, es mangelt aber - gerade bei einem Subordinationsfranchising - an einer eigentlichen Interessen
gemeinschaft
und an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit (vgl. MARC AMSTUTZ/WALTER SCHLUEP, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 4. Aufl., Basel 2007, N. 153 vor
Art. 184 ff. OR
). Auch wenn ein Grossteil der Einkünfte der Beschwerdegegnerin als Lizenzeinnahmen zu betrachten sein mögen und nach Ziff. 8 des Kommentars zum OECD-Musterabkommen (in der Fassung vom 15. Juli 2005) theoretisch auch die blosse Vermietung von Einrichtungen,
BGE 134 I 303 S. 312
Immaterialgütern oder Grundeigentum eine Betriebsstätte begründen könnte (vgl. GÖRL, a.a.O., S. 469 f.), fehlt es hier an einer eigentlichen Geschäftstätigkeit der Beschwerdegegnerin. Diese beschränkt sich am Ort der Tankstellen auf eine blosse Kontroll- und Überwachungstätigkeit, weshalb keine qualitativ und quantitativ erhebliche Tätigkeit vorliegt, wie sie der schweizerische Betriebsstättenbegriff - im Unterschied zu jenem des OECD-Musterabkommens - voraussetzt (vgl. STEFAN G. WIDMER, Die Betriebsstättebegründung des Principals nach der allgemeinen Betriebsstättedefinition, in: IFF Forum für Steuerrecht 2005, S. 97 Fn. 20).
4.3
Schliesslich kann - entgegen den Vorbringen des Steueramts - auch keine "Vertreterbetriebsstätte" vorliegen (zum Begriff: vgl. GÖRL, a.a.O., Rz. 144 ff.; vgl. auch PETER ATHANAS/GIUSEPPE GIGLIO, in: Zweifel/Athanas [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Band I/2a: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 2. Aufl., Basel 2008, N. 33 f. zu
Art. 51 DBG
). Die "Company Stations" bzw. die Tankstellenbetreiber handeln in eigenem Namen und auf eigene Gefahr und sind weder direkte noch indirekte Stellvertreter der Beschwerdegegnerin. Deshalb ist auch der Hinweis auf den Begriff der Betriebsstätte gemäss Ziff. 4.2 des Kreisschreibens Nr. 23 der Schweizerischen Steuerkonferenz über die Steuerausscheidung von Versicherungsgesellschaften, erlassen am 21. November 2006, von vornherein unbehelflich.
4.4
Mithin steht fest, dass die Beschwerdegegnerin an den Standorten der (selbständigen) "Company Stations" keine Betriebsstätten im Sinne von
§ 12 Abs. 1 StG
/AG und
Art. 21 Abs. 1 lit. b StHG
unterhält. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erweist sich deshalb als unbegründet. | mixed |
537ce0d0-a545-4c6c-99a0-5caf3ed032e8 | Sachverhalt
ab Seite 461
BGE 139 II 460 S. 461
A.
Die Stiftung X.-Pensionskasse mit Sitz in A./ZH bezweckt statutengemäss die berufliche Vorsorge im Rahmen des BVG (...). Die Y. AG mit Sitz am selben Ort ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stiftung. Ihr Zweck liegt in der Verwaltung und gegebenenfalls auch der umfassenden Betreuung von (...) Immobilien (...), insbesondere auch für institutionelle Anleger. Die Stiftung und die Aktiengesellschaft bilden zusammen die Mehrwertsteuergruppe "X.-Pensionskasse", die auf den 1. Januar 1995 ins Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen wurde. Gruppenträgerin ist die Stiftung.
BGE 139 II 460 S. 462
B.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) orientierte am 10. Juni 2011 die beiden Mitglieder über die bevorstehende Löschung der Gruppe aus dem Register der Mehrwertsteuerpflichtigen. Sie begründete dies damit, dass Einrichtungen der beruflichen Vorsorge nach Art. 16 Abs. 3 der Anfang 2010 in Kraft getretenen Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 von der Teilhabe an einer Mehrwertsteuergruppe ausgeschlossen seien. Mit Verfügung vom 21. November 2011 löschte die ESTV die Gruppe per Ende 2011. Einer möglichen Einsprache entzog sie die aufschiebende Wirkung. Im Einspracheentscheid vom 25. Mai 2012 bestätigte sie die Anordnung und ordnete den Entzug der aufschiebenden Wirkung einer möglichen Beschwerde an. Die hierauf von den Gruppenmitgliedern erhobene Beschwerde hiess das Bundesverwaltungsgericht (...) mit Urteil (...) vom 8. Januar 2013 gut, soweit es darauf eintrat, hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und versagte der streitbetroffenen Verordnungsbestimmung im konkreten Fall die Anwendung.
C.
Die ESTV erhebt mit Eingabe vom 8. Februar 2013 beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es seien der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Januar 2013 aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 25. Mai 2012 zu bestätigen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Ist der Bundesrat unmittelbar durch eine Delegationsnorm im Gesetz (
Art. 164 Abs. 2 BV
) dazu ermächtigt, erlässt er rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Rechtsverordnung (
Art. 182 Abs. 1 BV
; sog. unselbständige Rechtsverordnungen). Auch wenn der Gesetzgeber davon abgesehen hat, der Exekutive derartige (beschränkte) Legislativfunktionen zu übertragen, obliegt es dem Bundesrat, die Gesetzgebung zu vollziehen (
Art. 182 Abs. 2 BV
). Zu diesem Zweck kann er verfassungsunmittelbar die erforderlichen rechtsvollziehenden Rechtsverordnungen erlassen. Der Anwendungsbereich von Ausführungs- und Vollziehungsverordnungen ist indes darauf beschränkt, die Bestimmungen des betreffenden Bundesgesetzes durch Detailvorschriften näher auszuführen und mithin zur
BGE 139 II 460 S. 463
verbesserten Anwendbarkeit des Gesetzes beizutragen. Ausgangspunkt sind Sinn und Zweck des Gesetzes; sie kommen in grundsätzlicher Weise durch die Bestimmung im formellen Gesetz zum Ausdruck (vgl.
BGE 133 II 331
E. 7.2.2 S. 348;
BGE 126 II 283
E. 3b S. 291;
BGE 124 I 127
E. 3b S. 132 f.;
BGE 117 IV 349
E. 3c S. 354 f.;
BGE 103 IV 192
E. 2a S. 194;
BGE 99 Ib 159
E. 1a S. 165). Auch im Steuerrecht, das einem strengen Legalitätsprinzip unterliegt (
Art. 127 Abs. 1 BV
;
BGE 138 V 32
E. 3.1.1 S. 35;
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348 f.;
BGE 132 I 157
E. 2.2 S. 159;
BGE 131 II 562
E. 3.1 S. 565), darf die Exekutive die zum Vollzug des Gesetzes benötigten Verordnungen erlassen (Urteil 2P.157/1992 vom 21. September 1993 E. 5a).
2.2
Bestimmungen, welche die auszuführende Gesetzesbestimmung abändern oder aufheben, sind nicht vollziehender Natur und fallen aus dem geschilderten Kompetenzrahmen. Die Vollziehungsverordnung darf insbesondere weder die Rechte der Bürgerinnen und Bürger (zusätzlich) beschränken noch ihnen (weitere) Pflichten auferlegen, und zwar selbst dann nicht, wenn dies durch den Gesetzeszweck gedeckt wäre (
BGE 136 I 29
E. 3.3 S. 33;
BGE 130 I 140
E. 5.1 S. 149 mit Hinweisen). Ebenso wenig kann eine gesetzgeberisch gewollte Unbestimmtheit des Gesetzes mittels einer Vollziehungsverordnung bereinigt werden. Demgegenüber dürfen praxisgemäss (untergeordnete) Gesetzeslücken im Rahmen der gesetzlichen Zielsetzung geschlossen werden (
BGE 124 I 127
E. 3c S. 133;
BGE 112 Ia 107
E. 3c/ee S. 116).
2.3
Vor dem Hintergrund dieser Kompetenzausscheidung kann das Bundesgericht Rechtsverordnungen des Bundesrates vorfrageweise (inzident, im Einzelfall), aber inhaltlich eingeschränkt auf ihre Rechtmässigkeit prüfen. Während bei selbständigen (rechtsetzenden verfassungsunmittelbaren) Rechtsverordnungen nur eine Überprüfung der Verfassungsmässigkeit in Betracht fällt, sind unselbständige Rechtsverordnungen und Vollziehungsverordnungen zunächst auf ihre Gesetzmässigkeit (
BGE 137 III 217
E. 2.3 S. 220 f.;
BGE 137 V 321
E. 3.3.2 S. 331;
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348 f.) und hernach, soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Bundesverfassung abzuweichen, auf ihre Verfassungsmässigkeit (
BGE 137 V 321
E. 3.3.2 S. 331;
BGE 131 II 271
E. 4 S. 276;
BGE 128 II 247
E. 3.3 S. 252;
BGE 126 II 283
E. 3b S. 290) zu prüfen (so schon
BGE 100 Ib 318
E. 3 S. 319 f.;
BGE 99 Ib 165
E. 1a S. 165). Die Zweckmässigkeit der getroffenen Anordnung entzieht sich der gerichtlichen Kontrolle
BGE 139 II 460 S. 464
(
BGE 137 III 217
E. 2.3 S. 220 f.;
BGE 137 V 321
E. 3.3.2 S. 331;
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348 f.). Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, sich zur politischen, wirtschaftlichen oder anderweitigen Sachgerechtigkeit einer Verordnungsbestimmung zu äussern (
BGE 136 II 337
E. 5.1 S. 348 f.;
BGE 133 V 569
E. 5.1 S. 571;
BGE 131 II 562
E. 3.2 S. 566).
2.4
Das Institut der Gruppenbesteuerung ist in der Schweiz mit Art. 17 Abs. 3 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV 1994; AS 1994 1464) eingeführt worden, welche Bestimmung verfassungsmässig ist (
BGE 125 II 326
). Mit dem Institut sollen gruppenintern die Auswirkungen der steuerausgenommenen Umsätze ("taxe occulte") behoben und zugleich administrative Vereinfachungen herbeigeführt werden (Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartements vom 22. Juni 1994 über das Vernehmlassungsverfahren zum Verordnungsentwurf über die Mehrwertsteuer vom 28. Oktober 1993, S. 14). Erreicht wird dies dadurch, dass die eng miteinander verbundenen Unternehmen gemeinsam als eine einzige steuerpflichtige Person behandelt werden. Dementsprechend sind die Umsätze zwischen den Gruppenmitgliedern ("Innenumsätze") nicht zu besteuern, mit der Folge, dass die Auswirkungen, die steuerausgenommene Umsätze (Art. 13 MWSTV 1994) zwangsläufig auf den Vorsteuerabzug haben (Art. 29 Abs. 2 MWSTV 1994 e contrario), im Innenverhältnis ausbleiben. Die "Aussenumsätze" der Gruppenmitglieder werden unmittelbar der Gruppe zugerechnet und begründen von Gesetzes wegen die solidarische Haftung der Mitglieder für sämtliche von der Gruppe geschuldeten Steuern (Art. 25 Abs. 1 lit. f MWSTV 1994). Der ESTV gegenüber wird die Gruppe unter Verordnungsrecht durch die Gruppenträgerin vertreten (dazu Urteil 2C_642/2007 vom 3. März 2008 E. 3.2, in: ASA 77 S. 267;
BGE 125 II 326
E. 9a/aa S. 339 f.). Das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (MWSTG 1999; AS 2000 1300) übernahm im Wesentlichen die bisherige Konzeption (materielle Regelung in Art. 22, Solidarhaftung in Art. 31 Abs. 1 lit. e MWSTG 1999; Urteil 2C_124/2009 vom 10. März 2010 E. 2.2, in: ASA 79 S. 580, RDAF 67/2011 II S. 168).
2.5
Das geltende Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG 2009; SR 641.20) setzt abermals das vorrevidierte Recht fort. Unter dem Titel "Gruppenbesteuerung" enthält Art. 13 Abs. 1 folgende Bestimmung:
BGE 139 II 460 S. 465
"Rechtsträger mit Sitz oder Betriebsstätte in der Schweiz, die unter einheitlicher Leitung eines Rechtsträgers miteinander verbunden sind, können sich auf Antrag zu einem einzigen Steuersubjekt zusammenschliessen (Mehrwertsteuergruppe). In die Gruppe können auch Rechtsträger, die kein Unternehmen betreiben, und natürliche Personen einbezogen werden."
Nach der bundesrätlichen Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer (BBl 2008 6885, insb. 6953 f. zu Art. 13) ist zwar bei natürlichen Personen fraglich, ob sie im Einzelfall durch einen Beherrschungsvertrag als unter einheitlicher Leitung stehend betrachtet werden können. Als "vorstellbar" bezeichnet der Bundesrat hingegen den Einbezug zum Beispiel eines für eine Versicherung tätigen Generalagenten oder einer Pensionskasse in die Gruppe.
Aufgrund von Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG 2009 haftet auch neurechtlich mit der steuerpflichtigen Person solidarisch jede zu einer Mehrwertsteuergruppe (Art. 13) gehörende Person oder Personengesellschaft für sämtliche von der Gruppe geschuldeten Steuern; tritt eine Person oder Personengesellschaft aus der Gruppe aus, so haftet sie nur noch für die Steuerforderungen, die sich aus ihren eigenen unternehmerischen Tätigkeiten ergeben haben. Im Anschluss daran bestimmt Art. 16 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 (MWSTV 2009; SR 641.201):
1
Nicht rechtsfähige Personengesellschaften sind Rechtsträgern im Sinn von
Art. 13 MWSTG
gleichgestellt.
2
Versicherungsvertreter und Versicherungsvertreterinnen können Mitglieder einer Gruppe sein.
3
Einrichtungen der beruflichen Vorsorge können nicht Mitglied einer Gruppe sein.
In den Erläuterungen vom 27. November 2009 zur Mehrwertsteuerverordnung (nur online einsehbar) kommentiert der Bundesrat Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 zwar dahingehend, dass botschaftsgemäss der Einbezug einer Pensionskasse in eine Gruppe vorstellbar sei. Da die Mitglieder einer Gruppe jedoch nach
Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG
für sämtliche Mehrwertsteuerschulden der anderen Gruppenmitglieder solidarisch hafteten, würde die Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in eine Gruppe einen Verstoss gegen die sozialversicherungsrechtliche Verselbstständigungspflicht darstellen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen habe sich entschieden gegen die Möglichkeit einer Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in Mehrwertsteuergruppen ausgesprochen, was nun in Absatz 3 ausdrücklich festgehalten werde.
BGE 139 II 460 S. 466
2.6
Das Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) findet auf die registrierten Vorsorgeeinrichtungen Anwendung (
Art. 5 Abs. 2 BVG
). In der Folge bestimmt
Art. 11 Abs. 1 BVG
, der Arbeitgeber, der obligatorisch zu versichernde Arbeitnehmer beschäftigt, müsse eine in das Register für die berufliche Vorsorge eingetragene Vorsorgeeinrichtung errichten oder sich einer solchen anschliessen (vgl.
BGE 129 V 387
E. 5.2 S. 391). Das Hauptanliegen von
Art. 11 Abs. 1 BVG
- dies in Einklang mit
Art. 331 Abs. 1 OR
in der weitergehenden (ausserobligatorischen) Vorsorge - besteht darin, die Vorsorgemittel dauerhaft dem Vorsorgezweck zu widmen und dem Zugriff des Arbeitgebers oder Dritter (z.B. zur Deckung von Verbindlichkeiten der operativen Gesellschaften) wirksam zu entziehen ("Verselbständigungspflicht";
BGE 126 V 314
E. 3b S. 316). Dies schliesst aus, dass der Arbeitgeber das für die Personalvorsorge bestimmte Vermögen in seinen eigenen Büchern weiterführt und es als besonderen Passivposten ausweist ("Ausscheidungspflicht"; dazu JÜRG BRÜHWILER, Berufsvorsorgerechtliche Verselbständigungspflicht, SZS 41/1997 S. 497, insb. 498 f.). Über diesen Schutzgedanken hinaus erlaubt die Aussonderung des Vorsorgevermögens und dessen Übertragung auf einen unabhängigen Rechtsträger eine wirkungsvollere Beaufsichtigung und einfachere Prüfung (CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 8. Aufl. 2006, S. 82). Im Rahmen der übrigen gesetzlichen Vorgaben - zum Beispiel numerus clausus der Rechtsformen gemäss
Art. 48 Abs. 2 BVG
- sind die Vorsorgeeinrichtungen befugt, die Gestaltung ihrer Leistungen, deren Finanzierung und ihre Organisation frei zu bestimmen. Sie verfügen über einen Selbständigkeitsbereich (
Art. 49 Abs. 1 BVG
bzw. Art. 80 i.V.m. 89a Abs. 1 ZGB in der weitergehenden beruflichen Vorsorge).
3.
3.1
Mit der Vorinstanz geht die ESTV davon aus, dass Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 auf keiner gesetzlichen Delegationsnorm beruhe. In der Tat lässt sich eine solche weder Art. 13 noch Art. 107 MWSTG 2009 entnehmen. Damit fragt sich, ob die streitbetroffene Norm als Vollziehungsverordnung betrachtet werden kann, deren Grundlage sich unmittelbar aus
Art. 182 Abs. 2 BV
(bzw. dem rein deklaratorisch gehaltenen Art. 107 Abs. 3 MWSTG 2009) herleiten lässt.
3.2
Während die Botschaft vom 25. Juni 2008 zum Gesetzesentwurf noch davon spricht, der Einbezug von Pensionskassen in die
BGE 139 II 460 S. 467
Gruppe sei "vorstellbar", schliessen die Erläuterungen vom 27. November 2009 zur Verordnung dies ausdrücklich aus. Die Begründung geht dahin, die Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in eine Gruppe würde die vorsorgerechtliche Verselbständigungspflicht verletzen. Das Berufsvorsorgegesetz ist zwar älteres Recht als die heutige Mehrwertsteuergesetzgebung, in Bezug auf den Aspekt der Verselbständigungspflicht aber das speziellere Recht. Die Stossrichtung, die
Art. 11 Abs. 1 BVG
verfolgt, ist überdies von unverminderter Aktualität. Die ESTV geht davon aus, Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG 2009 stehe insgesamt in unlösbarem Widerspruch zu
Art. 11 Abs. 1 BVG
. Sie folgert sinngemäss,
Art. 11 Abs. 1 BVG
beanspruche deswegen den Vorrang gegenüber
Art. 13 Abs. 1 MWSTG
, sodass der Bundesrat Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 mit Recht erlassen habe.
3.3
Dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kommt gerade im Steuerrecht, das regelmässig auf fremdrechtliche Sachverhalte anzuwenden ist, erhebliche Bedeutung zu (vgl.
BGE 138 II 300
E. 3.6.2 S. 308 [DBG/ZGB]). Dementsprechend stellen sich im Steuerrecht häufig Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten (Urteil 2C_566/2008 vom 16. Dezember 2008 E. 4.1, in: StE 2009 B 22.3 Nr. 99, StR 64/2009 S. 561;
BGE 131 III 546
E. 2.3 S. 551; vgl. auch
BGE 139 II 233
E. 5.4.2 S. 240 f.; je mit Hinweisen), was nach einer einheitlichen Beantwortung ruft. Auch innerhalb der verschiedenen Steuerarten ist eine Harmonisierung wünschbar (
BGE 138 II 251
E. 2.4 S. 256 ff. [DBG/MWSTG]). Dies alles gilt für die Rechtsprechung, ebenso aber auch für die Rechtsetzung. So ist es durchaus sinnvoll, wenn schon der Verordnungsgeber im Abgaberecht auf die zivilrechtliche Regelung abstellt (
BGE 136 V 258
E. 4.7 S. 266 f. [AHVV/OR]). Die interdisziplinäre Harmonisierung findet ihre Grenzen dort, wo ein Harmonisierungsbedürfnis fehlt. Wie zu zeigen ist, bestehen unter den vorliegenden Umständen keine fremdrechtlichen (hier: vorsorgerechtlichen) Gründe, die gebieten würden, Personalvorsorgeeinrichtungen in jeder möglichen Konstellation von der Teilnahme an der Mehrwertsteuergruppe auszuschliessen.
3.4
Einrichtungen der beruflichen Vorsorge verfügen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben über einen Selbständigkeitsbereich. In diesem Umfang kommt ihnen die Organisationshoheit zu (
Art. 49 Abs. 1 BVG
bzw. Art. 80 i.V.m.
Art. 89a Abs. 1 ZGB
). Die Ausgliederung von Aufgaben der Personalvorsorgeeinrichtung auf eine hundertprozentige oder qualifiziert mehrheitlich gehaltene
BGE 139 II 460 S. 468
Tochtergesellschaft muss nicht in zwangsläufigem Widerspruch zum Hauptanliegen von
Art. 11 Abs. 1 BVG
(und von
Art. 331 Abs. 1 OR
) stehen. Mit Blick auf die regulatorischen Vorgaben von
Art. 11 Abs. 1 BVG
gilt es zwar zu vermeiden, dass eine Personalvorsorgeeinrichtung unter Leitung namentlich der Stifterunternehmung steht. Nichts spricht hingegen von vornherein dagegen, dass umgekehrt eine oder mehrere operative Gesellschaften unter der "einheitlichen Leitung" (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 MWSTG 2009) einer solchen Personalvorsorgeeinrichtung stehen. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten kann es gegenteils sinnvoll sein, bestimmte Tätigkeiten (etwa die Verwaltung und Betreuung von Grundstücken oder anderem Anlagevermögen) von der Vorsorgeeinrichtung auf eine dafür spezialisierte Beteiligung zu übertragen. Zumindest solange, als es sich um eine hundertprozentige oder eine qualifiziert mehrheitlich gehaltene Tochtergesellschaft handelt, ist die gesellschaftsrechtliche Einflussnahme und Kontrolle (im Verwaltungsrat, an der Generalversammlung, durch die Revisionsstelle) durch die paritätisch besetzte Personalvorsorgeeinrichtung (
Art. 51 BVG
) grundsätzlich gewährleistet. Im Ergebnis wird das ökonomische Risiko bei Auslagerung (Outsourcing) einer Aufgabe von der Personalvorsorgeeinrichtung an eine derartige Tochtergesellschaft mit dem Risiko vergleichbar sein, das bestünde, würde die Einrichtung der beruflichen Vorsorge diese Aufgabe selber bewältigen.
3.5
Das Mehrwertsteuerrecht schafft bei Gruppenangehörigkeit eine solidarische Haftung, wo zivil- und vorsorgerechtlich von Gesetzes wegen keine solche besteht. Bei einer hundertprozentigen oder qualifiziert mehrheitlich gehaltenen Tochtergesellschaft, soweit vorsorgerechtlich überhaupt zulässig, vermag die mehrwertsteuerliche Solidarhaftung im Regelfall freilich kein zusätzliches ökonomisches Risiko der Personalvorsorgeeinrichtung (Aktionärin) zu begründen. Die Aktionärin könnte als solidarisch Haftende lediglich dann belangt werden, wenn die Tochtergesellschaft Aussenumsätze erbringt, ohne über diese mehrwertsteuerlich abzurechnen. Wie gezeigt, verfügt die Vorsorgeeinrichtung in Fällen qualifizierter Beteiligungen jedoch über alle gesellschaftsrechtlich erforderlichen Steuerungs- und Kontrollmittel, um einer solchen Gefahr rechtzeitig zu begegnen. In ihrer Eigenschaft als Gruppenvertretung (Art. 18 Abs. 3 MWSTV 2009) hat sie überdies die interne Mehrwertsteuerabrechnung der Tochtergesellschaft zu konsolidieren (Art. 21 Abs. 2 MWSTV 2009), was ihr jederzeit den Überblick über die
BGE 139 II 460 S. 469
Steuerforderung (Umsatzsteuer minus Vorsteuer, sog. Saldoprinzip; Art. 36 Abs. 2, Art. 86 Abs. 1 MWSTG 2009) verschafft. Dem potentiellen ökonomischen (Rest-)Risiko steht freilich ein aktueller ökonomischer Vorteil gegenüber. So liegt der Hauptzweck der Mehrwertsteuergruppe gerade darin, die unerwünschte "taxe occulte" zu beseitigen, die sich auf Ebene der Vorsorgeeinrichtung infolge der beschränkten Vorsteuerabzugsberechtigung zwangsläufig einstellt. Die Schattensteuerbelastung ginge zulasten des Vorsorgevermögens. Bildet die Personalvorsorgeeinrichtung eine Gruppe, entfällt der Schattensteuereffekt auf gruppenintern bezogenen Leistungen. Der (restriktiven) Haltung von Bundesrat und Verwaltung ist denn auch Kritik erwachsen (PETER LANG, Aspekte der Versicherung im schweizerischen Mehrwertsteuerrecht, ASA 77 S. 121, insb. 146; zustimmend CLAUDE RUFF, L'imposition de groupe, ASA 74 S. 379, insb. 383).
3.6
In einer Konstellation wie der vorliegenden steht die Personalvorsorgeeinrichtung nicht unter einer "einheitlichen Leitung". Es ist damit kein vorsorgerechtliches (Schutz-)Bedürfnis ersichtlich, das einen Ausschluss der Personalvorsorgeeinrichtung von der Teilhabe an der Mehrwertsteuergruppe erfordert. Die Ausnahmebestimmung von Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 lässt keine Gegenausnahme zu. Damit geht sie über eine Konkretisierung des Gesetzes hinaus. Sie schränkt den Begriff der "einheitlichen Leitung" bzw. der subjektiven Möglichkeit, an einer Mehrwertsteuergruppe teilzuhaben, in einer Weise ein, die der vorliegenden Struktur nicht gerecht wird. Wäre der Normkonflikt dem Gesetzgeber bewusst gewesen, hätte er dessen Lösung im Gesetz herbeiführen oder zumindest eine Delegationsnorm schaffen müssen. Nachdem dies unterblieben ist, kann dem Anliegen nicht im Wege einer blossen Vollzugsverordnung Rechnung getragen werden. Der verordnete Eingriff in die gesetzlich umschriebenen Voraussetzungen der Gruppenbildung entbehrt damit im vorliegenden Fall der gesetzlichen Grundlage. Wie es sich mit anderen denkbaren Strukturen verhält, kann im vorliegenden Verfahren der vorfrageweisen Normenkontrolle offenbleiben. Im Übrigen ist es Sache der BVG-Aufsicht (
Art. 61 ff. BVG
), die vorsorgerechtliche Zulässigkeit von Tochtergesellschaften zu beurteilen.
4.
4.1
Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 wird damit einer Konstellation wie der vorliegenden nicht gerecht. Der Norm fehlt für den Fall, dass die
BGE 139 II 460 S. 470
Personalvorsorgeeinrichtung an der Spitze der Mehrwertsteuergruppe steht und hundertprozentige Tochtergesellschaften oder qualifiziert mehrheitlich gehaltene Beteiligungen hält, die gesetzliche oder verfassungsrechtliche Grundlage. Insofern verletzt sie das Gewaltenteilungsprinzip. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen. | mixed |
a638223d-a8ed-45c8-9285-76286d68e5eb | Sachverhalt
ab Seite 321
BGE 140 I 320 S. 321
A.
A. war am Schulzentrum X. als Sportlehrer angestellt. Er wurde im Juni 2011 mit Vorwürfen (...) einer weiblichen Schülerin konfrontiert. Am 21. Juni 2011 unterzeichnete er eine Vereinbarung mit der Schulleitung, welche insbesondere sein Verhalten gegenüber weiblichen Lernenden im Sportunterricht zum Gegenstand hatte.
Am 23. September 2011 erteilte A. eine selbstbestimmte Sportlektion (...). Am 30. September 2011 beanstandete die Schulklasse sein Verhalten (...). Nach den Herbstferien führte der Rektor am 20. Oktober 2011 eine Anhörung der betroffenen Lernenden durch und gab A. am 31. Oktober 2011 Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äussern. Nachdem dieser die Vorwürfe bestritten hatte, schlug ihm die Schulleitung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis spätestens Ende Januar 2012 vor und gab ihm eine Bedenkzeit bis zum 4. November 2011. A. lehnte am 4. November 2011 eine vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses ab, worauf dieses gleichentags schriftlich fristlos gekündigt wurde.
B.
Eine gegen die fristlose Kündigung eingereichte Beschwerde lehnten das Bildungs- und Kulturdepartement Obwalden am 1. März 2012 und der Regierungsrat des Kantons Obwalden am 23. Oktober 2012 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden mit Entscheid vom 12. März 2014 ebenfalls ab.
C.
A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG, insbesondere wegen Verletzung von Bundesrecht (
Art. 95 lit. a BGG
), erhoben werden. Die Verletzung kantonaler Bestimmungen bildet - abgesehen von den hier nicht gegebenen Fällen gemäss
Art. 95 lit. c-e BGG
- nur dann einen zulässigen Beschwerdegrund, wenn eine derartige Rechtsverletzung einen Verstoss gegen Bundesrecht im Sinne von
Art. 95 lit. a BGG
oder gegen Völkerrecht im Sinne von
Art. 95 lit. b BGG
zur Folge hat (
BGE 133 II 249
E. 1.2.1 S. 251; vgl. auch
BGE 136 I 241
E. 2.4 S. 249).
BGE 140 I 320 S. 322
3.2
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (
Art. 106 Abs. 1 BGG
). Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG
). Sachverhaltsfeststellungen können nur berichtigt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruhen (
Art. 105 Abs. 2 BGG
).
3.3
Gelten durch Verweis im kantonalen öffentlichen Recht ergänzend die Bestimmungen des Obligationenrechts, wird durch die im öffentlichen Recht vorgenommene Verweisung auf das Privatrecht dieses zum öffentlichen Recht des betreffenden Gemeinwesens. Es ist nach dessen Regeln anzuwenden und auszulegen. Die übernommenen Normen des Obligationenrechts gelten nicht als Bundesprivatrecht, sondern als subsidiäres Recht des Kantons. Entsprechend ist die Bundesrechtsrüge gemäss
Art. 95 lit. a BGG
auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte beschränkt. Die Rüge der Verletzung des Obligationenrechts - angewandt als kantonales öffentliches Recht - kann nicht vorgebracht werden (
BGE 138 I 232
E. 2.4 S. 236; vgl. auch Urteil 8C_294/2011 vom 29. Dezember 2011 E. 3.4, nicht publ. in:
BGE 138 I 113
, sowie Urteil 8C_451/2013 vom 20. November 2013 E. 2.2).
4.
Streitig und zu prüfen ist die Bundesrechtskonformität der fristlosen Kündigung vom 4. November 2011. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, negiert das Vorliegen eines wichtigen Grundes und macht schliesslich geltend, die Gewährung einer Sozialfrist schliesse die fristlose Kündigung aus.
(...)
7.
7.1
Die Schulleitung hat dem Beschwerdeführer nach Gewährung des rechtlichen Gehörs am 31. Oktober 2011 mitgeteilt, das Arbeitsverhältnis könne nicht fortgesetzt werden. Im Sinne eines Entgegenkommens könne es aber noch längstens bis Ende Januar 2012 erstreckt werden. Dem Beschwerdeführer wurde demnach eine sogenannte Sozialfrist eingeräumt.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Einräumung dieser Frist beweise, dass kein wichtiger Grund für die sofortige Kündigung vorgelegen habe. Indem das Dienstverhältnis auch aus Sicht des
BGE 140 I 320 S. 323
Arbeitgebers noch habe fortgesetzt werden können, belege dies, dass die Weiterbeschäftigung für beide Seiten zumutbar und daher nur eine ordentliche Kündigung zulässig gewesen wäre.
7.2
Das Bundesgericht hatte sich bis anhin - soweit ersichtlich - noch nie zur Zulässigkeit einer Sozialfrist im öffentlichen Personalrecht zu äussern. Im Urteil 8C_594/2010 vom 25. August 2011 hat es einen kantonalen Entscheid, der die ordentliche Kündigung ohne Einhaltung der entsprechenden Voraussetzungen mit der Begründung schützte, es wäre auch eine fristlose Entlassung zulässig gewesen, als willkürlich qualifiziert, da das kantonale Recht keine solche Möglichkeit vorsah. Zur Frage der Zulässigkeit einer Sozialfrist hatte das Bundesgericht aber nicht Stellung zu beziehen.
Für das Zivilrecht hat das Bundesgericht die Gewährung einer Sozialfrist jedenfalls dann als zulässig erachtet, wenn die Frist nicht gleich lang wie die der ordentlichen Kündigung dauert und in erster Linie im Interesse des Arbeitnehmenden und nicht in demjenigen des Arbeitgebers liegt (Urteil 4C.174/2003 vom 27. Oktober 2003 E. 3.2.1).
7.3
Die Lehre äussert sich zur Zulässigkeit bzw. den Voraussetzungen für die Gewährung einer Sozialfrist im Kontext mit der fristlosen Entlassung im Arbeitsvertragsrecht (
Art. 337 OR
). MANFRED REHBINDER (Berner Kommentar, 1992, N. 19 zu
Art. 337 OR
) hält die Gewährung der Sozialfrist für zulässig, verlangt aber, dass der Kündigende erkennbar erklärt, dass er ausserordentlich kündigen will; die Sozialfrist dürfe nicht die Frist für eine ordentliche Kündigung erreichen. SUBILIA/DUC (Droit du travail, 2. Aufl. 2010, N. 36 zu
Art. 337 OR
) schliessen sich der Ansicht von REHBINDER an. VISCHER/MÜLLER (Der Arbeitsvertrag, 4. Aufl. 2014, S. 349 § 24 Rz. 168) halten eine Schonfrist für beachtlich, sofern in der Gewährung dieser Frist nicht zum Ausdruck komme, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar sei. STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH (Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 14 zu
Art. 337 OR
) erachten die Gewährung der Frist hingegen für unzulässig, da damit zum Ausdruck gebracht werde, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei zumutbar und es sei demnach gar kein Grund für eine fristlose Kündigung gegeben. Dem hält WOLFGANG PORTMANN (in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 7 zu
Art. 337 OR
) entgegen, die Einräumung einer Sozialfrist erfolge ausschliesslich im Interesse des Gekündeten und entspreche dem Grundsatz "in maiore minus":
BGE 140 I 320 S. 324
Wenn eine fristlose Entlassung möglich sei, müsse dies auch für eine mildere Massnahme gelten. Auch ADRIAN STAEHELIN (in: Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2014, N. 40 zu
Art. 337 OR
) hält die Gewährung einer Sozialfrist im Interesse des Gekündigten für zulässig. FRANK EMMEL (in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. 2012, N. 1 zu
Art. 337 OR
) geht von der Zulässigkeit der Gewährung einer Sozialfrist aus, sofern darin ein Entgegenkommen für die gekündigte Partei liegt.
7.4
Insgesamt sprechen keine Gründe gegen die grundsätzliche Zulässigkeit einer Sozialfrist. Sind die Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung gegeben und wäre eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtmässig, ist nicht einzusehen, weshalb ein Entgegenkommen unstatthaft sein soll. Praktisch gesehen entspricht es den Interessen des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber für ein solches Entgegenkommen nicht abgestraft wird. Sozial sein sollte nicht schaden (vgl. MERKER/DOLD, Kurze Reaktionszeit für fristlose Kündigung, Zeitschrift des Zentralverbandes Öffentliches Personal Schweiz [ZVinfo] September 2007 S. 12).
7.5
Mit der Gewährung einer solchen Frist wird die fristlose Entlassung abgefedert. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Unterscheidung zwischen ordentlicher und ausserordentlicher Kündigung relativiert oder gar unklar wird. Es sind daher die Voraussetzungen zu prüfen, unter welchen eine solche Frist rechtmässig erscheint.
7.5.1
Die Überlegung, dass die Sozialfrist die Länge der ordentlichen Kündigungsfrist nicht erreichen darf, erweist sich selbstredend auch im öffentlichen Personalrecht als zutreffend: Es wäre widersprüchlich anzunehmen, die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten, indessen dürfe dem Arbeitnehmer eine gleich lange Zeitdauer bis zum Weggang aus sozialen Gründen zugebilligt werden. Dadurch würde der wichtige Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einer Weise relativiert, welche der ratio legis einer fristlosen Entlassung widerspricht.
7.5.2
Ähnliches gilt für die Erwägung, die Gewährung einer Sozialfrist sei dann unzulässig, wenn sie einzig oder vorwiegend dem Interesse des Arbeitgebers diene. Allerdings kann im öffentlichen Personalrecht nicht vom (privaten) Interesse des Arbeitgebers gesprochen werden. An dessen Stelle tritt das öffentliche Interesse, dem grundsätzlich jedes staatliche Handeln unterworfen ist.
BGE 140 I 320 S. 325
Diesem Interesse darf die Gewährung einer Sozialfrist nicht widersprechen. Dies träfe etwa dann zu, wenn sie einzig dazu diente, die zur fristlosen Kündigung führenden Gründe, die allenfalls auch den Arbeitgeber in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen könnten, durch Stillschweigen der öffentlichen Meinungsbildung bzw. Kritik zu entziehen. Ebenso dürfte sich die Gewährung einer Sozialfrist verbieten, wenn von einer Weiterbeschäftigung eine erhebliche Gefährdung Dritter oder des Gemeinwohles ausginge oder ein rechtskonformes Verwaltungshandeln bzw. eine Dienstleistung nicht sichergestellt werden könnte.
7.5.3
Vielmehr muss die Sozialfrist im primären Interesse des Mitarbeiters, der Anlass zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses geboten hat, stehen. Sie wird aus sozialen Gründen etwa dann gewährt werden können, wenn die persönliche Situation für eine betroffene Person besonders schwierig ist und angenommen werden darf, sie finde dank der eingeräumten Frist eher wieder eine Anstellung.
7.6
Zusammenfassend erweist sich demnach die Gewährung einer Sozialfrist auch im öffentlichen Recht dann als zulässig, wenn Gründe für eine fristlose Entlassung ausgewiesen sind, die Frist für die ordentliche Kündigung klar unterschritten wird und keine Verletzung öffentlicher Interessen gegeben ist, vielmehr die Gewährung der Sozialfrist in erster Linie im Interesse des Dienstnehmers liegt. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Einzelfall anhand der konkreten Umstände zu prüfen.
8.
In casu liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung vor (nicht publ. E. 6), weshalb die Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Sozialfrist erfüllt ist. Die Vorinstanz hat die weiteren Voraussetzungen für den vorliegenden Fall geprüft und bejaht. Der Beschwerdeführer stellt diese Ausführungen nicht in Frage, weshalb es dabei sein Bewenden hat (vgl. E. 3.2). Die Beschwerde ist abzuweisen. | mixed |
b9dd3cd3-a0ab-4b5a-881e-98aac9ea0d49 | Sachverhalt
ab Seite 311
BGE 138 II 311 S. 311
A.
A.X. und B.X., geb. 1973 bzw. 1976, verpflichteten sich mit Leibrentenvertrag vom 20. Februar 2007 zugunsten der Eltern der
BGE 138 II 311 S. 312
Ehefrau, C.X. und D.X., beide geb. 1942, gegen eine Einmalleistung von Fr. 205'000.- und ab dem 1. Januar 2008 bis zum Todestag der zuletzt sterbenden Person bzw. bis spätestens 31. Dezember 2027, eine monatliche Rente von Fr. 1'100.- auszurichten. Im Jahr 2008 leisteten die Eheleute X. Rentenzahlungen von total Fr. 13'200.-.
B.
A.X. und B.X. beantragten für die Steuerperiode 2008 in Bezug auf die Staatssteuer und das Leibrentenverhältnis, dass Fr. 5'280.- (d.h. 40 % von Fr. 13'200.-) von ihrem steuerbaren Einkommen und Fr. 194'062.- (d.h. der Rückkaufswert bzw. die Rentenstammschuld per Ende 2008) von ihrem steuerbaren Vermögen abzuziehen seien. Ersteres gewährte ihnen das kantonale Steueramt Zürich mit Einschätzungsverfügung vom 12. November 2009, nicht aber Letzteres, weil nur die jährliche Rente geschuldet sei und nicht das Kapital. Diese Einschätzung wurde von den kantonalen Rechtsmittelinstanzen geschützt, zuletzt vom Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 23. Februar 2011.
C.
Am 26. April 2011 haben die Ehegatten X. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragen sinngemäss, das verwaltungsgerichtliche Urteil aufzuheben und ihr steuerbares Vermögen für die Staatssteuer 2008 unter Abzug von Fr. 194'000.- auf Fr. 1'124'000.- festzusetzen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Auszug) Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Hier geht es um eine temporäre und rückkaufsfähige Leibrente. Diese Begriffe sind kurz zu erläutern (vgl. unten E. 2.1-2.4) und anhand des umstrittenen Sachverhalts zu konkretisieren (E. 2.5).
2.1
Eine Rente kann auf einer gesetzlichen Grundlage oder auf einer letztwilligen Verfügung beruhen. Sie kann aber auch durch Vertrag begründet werden, in erster Linie in Form einer Leibrente im Sinne von
Art. 516 ff. OR
: Diese ist eine periodisch wiederkehrende, in der Regel gleichbleibende und an das Leben einer (oder mehrerer) Person(en) geknüpfte Verpflichtung zur Leistung zeitlich wiederkehrender Zahlungen zumeist in Form von Geld an den Rentengläubiger; stirbt die versicherte Person, endet die Rentenverpflichtung und fällt ein noch vorhandenes Kapital an den Rentenschuldner, sofern keine Rückgewähr verabredet ist. Nebst der Leibrente kann eine vertraglich vereinbarte Rente auf einen Vertrag zurückzuführen sein, der
BGE 138 II 311 S. 313
dem Bundesgesetzes vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1) untersteht.
2.2
Bei den Rentenversicherungen ist das versicherte Risiko das hohe Alter (Langleberisiko). Das Risikoereignis tritt ein, wenn die versicherte Person nach Ablauf der erwarteten Lebensdauer stirbt (nachzeitiger Tod). Renten aus Versicherungen setzen sich daher im Wesentlichen aus einer Kapitalrückzahlungs- und einer Vermögensertrags- bzw. Zinskomponente zusammen. Diese Komponenten verändern sich während der Rentendauer stark. Zudem ist ihre Zusammensetzung je nach Ausgestaltung des Versicherungsvertrags und nach Alter bei Rentenbeginn unterschiedlich (vgl.
BGE 135 II 183
E. 4.1 S. 187 f.;
BGE 131 I 409
E. 5.2 S. 415; ASA 79 S. 364 E. 4.2 und 5.1; StR 65/2010 S. 783 E. 2.1; StE 2002 B 26.12 Nr. 6 E. 2b; RDAF 2008 II S. 390 E. 3.1).
Der Rentenschuldner tilgt mit jeder Rentenzahlung nach und nach (teilweise) seine Stammschuld gegenüber dem Gläubiger. Solche Schuldamortisationen sind beim Schuldner grundsätzlich nicht vom Roheinkommen absetzbar, weil sie einen erfolgsneutralen Vorgang bilden (vgl.
Art. 33 Abs. 1 lit. b DBG
[SR 642.11]). Auf Gläubigerseite darf derjenige Anteil der Versicherungsleistung, welcher auf die bezahlten Prämien zurückzuführen ist und vom Versicherungsnehmer bereits einmal als Einkommen versteuert wurde, grundsätzlich nicht nochmals der Einkommenssteuer unterliegen. Er stellt lediglich eine Vermögensumschichtung und keinen echten Reinvermögenszufluss dar (vgl.
BGE 131 I 409
E. 5.4 S. 416 ff.;
BGE 130 I 205
E. 7.6.5 S. 219 f.; StR 59/2004 S. 346 E. 4.1; RDAF 2008 II S. 390 E. 4.3; siehe auch schon
BGE 110 Ib 234
E. 3d S. 238; sowie PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, 1. Teil [nachfolgend: Kommentar DBG 2001], 2001, N. 49 zu
Art. 22 DBG
; MARKUS REICH, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/1: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG] [nachfolgend: Kommentar StHG 2002], 2. Aufl. 2002, N. 69 zu Art. 7 und N. 36 zu
Art. 9 StHG
; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2a: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG] [nachfolgend: Kommentar DBG 2008], 2. Aufl. 2008, N. 14 zu
Art. 33 DBG
; MARTIN STEINER, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 21 zu
Art. 22 DBG
; JUNGO/MAUTE, Lebensversicherungen und Steuern, 2003, S. 68 f.; zum Fall der unentgeltlich begründeten Rentenversicherungen: vgl. insb. LOCHER, Kommentar DBG 2001, a.a.O., N. 27 zu
Art. 33 DBG
;
BGE 138 II 311 S. 314
ders.
, Besteuerung von Renten und rentenähnlichen Rechtsverhältnissen in der Schweiz [nachfolgend: Besteuerung 1991], SJZ 87/1991 S. 181 ff., 208 ff., insb. 183 f.; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 15 zu
Art. 33 DBG
; HANS-JÜRG NEUHAUS, Die steuerlichen Massnahmen im Bundesgesetz vom 19. März 1999 über das Stabilisierungsprogramm 1998, ASA 68 S. 293).
2.3
Bei temporären Leibrenten endet die Rentenpflicht an einem bestimmten Termin, wenn der Tod des Berechtigten nicht schon vorher erfolgt. Je unwahrscheinlicher der Tod des Berechtigten während der vereinbarten Laufzeit (und je geringer somit das aleatorische Element), desto mehr kommt die temporäre Leibrente in die Nähe einer Zeitrente; mit dieser wird ein verzinsliches Kapital innert einem bestimmten Zeitraum ratenweise und in grundsätzlich gleichbleibenden Beträgen (sog. Annuitäten) zurückbezahlt, aber ohne jeglichen aleatorischen Charakter, wie er für Leibrenten erforderlich ist (vgl.
BGE 135 II 183
E. 3.2 S. 186; ASA 79 S. 364 E. 4.2; StR 65/2010 S. 783 E. 2.1; StE 2002 B 26.12 Nr. 6 E. 2b; RDAF 2010 II S. 463 E. 3.2; 2008 II S. 390 E. 3.4).
2.4
Stirbt die versicherte Person, so endet die Rentenverpflichtung und fällt ein noch vorhandenes Kapital an den Rentenschuldner, wenn keine Rückgewähr verabredet ist. Lebensversicherungen können sowohl in Kapital- wie auch in Rentenform rückkaufsfähig sein. Nicht rückkaufsfähig sind solche Versicherungen, bei denen kein Kapital angespart wird, sondern ein reines Risiko versichert wird; tritt das versicherte Ereignis nicht ein, hat der Versicherer keine Leistung zu erbringen. Im Gegensatz dazu ist bei den rückkaufsfähigen Lebensversicherungen der Eintritt eines versicherten Ereignisses sicher (und hat der Versicherer somit immer eine Leistung zu erbringen, sei es in Form der vollen Rente oder eine Kapitalleistung im Umfang der Rückgewährssumme). Rückkaufsfähige Versicherungen sind mit einem Sparvorgang verbunden und sammeln ein Deckungskapital an, das über die Zeit durch Rentenzahlungen amortisiert oder durch einen Rückkauf getilgt wird (vgl.
BGE 136 II 256
E. 2 S. 258; RDAF 2008 II S. 390 E. 3.3.1; FELIX RICHNER UND ANDERE, Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, 2. Aufl. 2006, N. 3 zu
§ 45 StG
/ZH; LOCHER, Kommentar DBG, 2001, a.a.O., N. 51 zu
Art. 22 DBG
; JUNGO/MAUTE, a.a.O., S. 155, 164 und 179).
2.5
Die hier zu beurteilende Leibrente ist entgeltlich, durch Bezahlung einer Einmalprämie, gewährt worden. Laut Vertrag war die
BGE 138 II 311 S. 315
Rentenzahlung bis Ende 2007 aufgeschoben und läuft erst ab 2008. Es besteht eine jederzeitige (drei Monate vorher anzukündigende) Rückkaufsmöglichkeit und beim Tod der zuletzt verstorbenen Person vor Ende 2027 fällt die Rückgewährssumme in den Nachlass (vgl. "Allgemeine Vertragsbedingungen" Art. 5 und 6; siehe zum theoretischen Hintergrund dieser Rentenvariante auch JUNGO/MAUTE, a.a.O., S. 164 ff.).
Vereinbart ist eine Zahlung von monatlich Fr. 1'100.-, d.h. jährlich Fr. 13'200.- während maximal 20 Jahren (2008 bis Ende 2027). Der dieser Gesamtdauer entsprechende Totalbetrag beläuft sich also auf Fr. 264'000.-, mithin Fr. 59'000.- mehr als von den Beschwerdeführern ursprünglich erhalten. Diese Zusatzsumme entspricht der Ertragskomponente der Rente (vgl. oben E. 2.2), während der Betrag der anfänglichen Einmalprämie von Fr. 205'000.- die Kapitalrückzahlungsquote darstellt, rechtfertigt es sich doch im vorliegenden Fall, anders als bei Verträgen mit Versicherungsgesellschaften, Abschluss-, Vertriebs- und Stornokosten zu vernachlässigen (vgl. zur Berechnung des Rückkaufswertes KARL MICHAEL ORTMANN, Praktische Lebensversicherungsmathematik, 2009, S. 224 ff.; KURT WOLFSDORF, Versicherungsmathematik, Teil 1: Personenversicherung, 1997, S. 216 ff.; GRUNDMANN/LUDERER, Finanzmathematik, Versicherungsmathematik, Wertpapieranalyse, Formeln und Begriffe, 3. Aufl. 2009, S. 86 f.). Im Vertrag ist der Rückkaufswert per 31.12. jeden Jahres im Voraus genau festgelegt: Für Ende 2008 betrug er Fr. 194'062.-, zum Abschluss des Jahres 2009 Fr. 183'040.-. Aus dem Unterschied zwischen den sich folgenden jährlichen Rückkaufswerten lässt sich jener Teil der jährlichen Rente berechnen, welcher jeweils der Kapitalrückzahlungs- und der Zinsquote entspricht. Wenn der Rückkaufswert sich Ende 2007 auf Fr. 205'000.-, Ende 2008 auf Fr. 194'062.-, und Ende 2009 auf Fr. 183'040.- belief, dann entsprach die im Jahr 2008 geleistete Kapitalrückzahlung Fr. 10'938.-, diejenige des nachfolgenden Jahres Fr. 11'022.-. Weil in beiden Jahren eine Rente von je Fr. 13'200.- ausgerichtet wurde, betrug die Ertragsquote 2008 Fr. 2262.- und diejenige für 2009 Fr. 2'178.-.
3.
3.1
§ 38 Abs. 1 des Zürcher Steuergesetzes vom 8. Juni 1997 (StG/ZH; LS 631.1) bestimmt im Einklang mit
Art. 13 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der
BGE 138 II 311 S. 316
direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14)
, dass das gesamte Reinvermögen der Vermögenssteuer unterliegt.
3.1.1
Steuerbar sind danach alle Aktiven, soweit sie nicht durch besondere gesetzliche Vorgabe von der objektiven Steuerpflicht ausgenommen sind. Es gilt somit ein Vermögensbegriff, der vom Grundsatz der Gesamtvermögenssteuer geprägt ist und dem Gedanken der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspricht; er umfasst sämtliche einer Person zivilrechtlich zustehenden und rechtlich realisierbaren geldwerten Rechte an Sachen sowie an Forderungen und Beteiligungen, seien sie dinglicher oder obligatorischer Natur, unabhängig davon, ob es sich um privates oder geschäftliches, bewegliches oder unbewegliches Vermögen handelt (vgl.
BGE 136 II 256
E. 3.4 S. 260; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 12 und 13 zu §§ 38-47 sowie N. 1-3 zu
§ 38 StG
/ZH; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 2 zu
Art. 13 StHG
).
3.1.2
Steuerfrei ist nur, was keinen rechtlich realisierbaren Anspruch auf geldwerte Rechte darstellt oder was vom Gesetz ausdrücklich als steuerfrei bezeichnet wird, nämlich der Hausrat und die persönlichen Gebrauchsgegenstände. Vermögenswerte ohne eigentlichen Geldwert sind namentlich Erinnerungsstücke mit bloss subjektivem Wert. Ebenfalls nicht steuerbar sind Vermögenswerte, deren Geldwert zu ungewiss ist, z.B. selbstgeschaffener, nicht aktivierbarer Goodwill (vgl. u.a. ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 2, 18 und 23 zu
Art. 13 StHG
; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 5 zu §§ 38-47 und N. 4 zu
§ 38 StG
/ZH).
3.1.3
Ebenfalls keine steuerbaren geldwerten Rechte sind blosse Anwartschaften, d.h. ungewisse Aussichten auf einen künftigen Rechtserwerb, z.B. solche auf künftige Vorsorgeleistungen oder auf künftige Erbschaft, auf eine Nacherbschaft oder andere aufschiebend bedingte Rechte. Das Gleiche gilt für den auf einem Sperrkonto sichergestellten Preis zum Erwerb einer Liegenschaft, solange die Eigentumsübertragung nicht stattgefunden hat (vgl. dazu, mit weiteren Beispielen, ASA 75 S. 159 E. 2.3.3; 74 S. 152 E. 2.2; 64 S. 493 E. 4a; StR 61/2006 S. 353 E. 4.2; StE 2008 B 21.2 Nr. 25 E. 5; RDAF 2009 II S. 474 E. 2.3.3; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 5 zu
§ 38 StG
/ZH; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 22 zu
Art. 13 StHG
).
3.2
Gemäss
§ 45 StG
/ZH unterliegen Lebensversicherungen mit ihrem Rückkaufswert der Vermögenssteuer. Ihnen gleichgestellt sind rückkaufsfähige Rentenversicherungen, solange der Bezug der Rente aufgeschoben ist.
BGE 138 II 311 S. 317
3.2.1
Diese Bestimmung bezieht sich auf rückkaufsfähige "Lebens- und Rentenversicherungen". Gemeint sind aber Kapital- und Rentenversicherungen, denn nur Lebensversicherungen sind rückkaufsfähig, während das Gegenstück zur Rentenversicherung nicht die Lebens-, sondern die Kapitalversicherung ist (vgl. RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 5 zu
§ 45 StG
/ZH; PETER LANG, Die Vermögensbesteuerung von rückkaufsfähigen Rentenversicherungen am Beispiel des Kantons Zürich [nachfolgend: Vermögensbesteuerung], StR 55/2000 S. 639).
3.2.2
Negativ ergibt sich aus
§ 45 StG
/ZH (wie auch aus
Art. 13 Abs. 1 StHG
), dass die nicht rückkaufsfähigen Risikoversicherungen (seien sie als Kapital- oder als Rentenversicherungen ausgestaltet) vor dem Eintritt des versicherten Ereignisses nicht der Vermögenssteuer unterliegen, da mit einer Risikoversicherung lediglich eine Anwartschaft begründet wird (vgl. zu diesem Begriff oben E. 3.1.3). Steuerfrei sind damit insbesondere die nichtrückkaufsfähigen Stammrechte auf periodische Leistungen wie Zeit- oder Leibrenten, Unterhaltsbeiträge (Alimente) an Ehegatten oder Kinder, Pfrundleistungen oder Wohnrechte, weil sich der Wert der Stammrechte bei ihnen im Anspruch auf die einzelnen periodischen Leistungen erschöpft (vgl. oben E. 2.4 sowie
BGE 136 II 256
E. 3.2 und 3.3 S. 259 f.; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 6 zu
§ 45 StG
/ZH; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 22 zu Art. 13 und N. 20 zu
Art. 14 StHG
; siehe auch
BGE 136 II 256
E. 5.2 S. 261 ff. in Bezug auf die gesetzliche Regelung im Kanton Genf).
3.2.3
Hat dagegen der Versicherte einen Anspruch auf den Rückkaufswert bei Auflösung des Versicherungsvertrags, so steht ihm ein fester Rechtsanspruch in der entsprechenden Höhe gegen den Versicherer zu (vgl. oben E. 2.4). Dieser Rückkaufswert unterliegt gemäss
§ 45 StG
/ZH während der Aufschubszeit vollumfänglich der Vermögenssteuer (wie übrigens das anlässlich des Eintritts des versicherten Ereignisses ausbezahlte Kapital aus einer Kapitalversicherung). Die Erfassung mit der Vermögenssteuer gilt allerdings für rückkaufsfähige Rentenversicherungen laut der genannten Bestimmung nur vor Beginn des Rentenlaufs (d.h. vor Eintritt des versicherten Ereignisses). Danach unterliegen sie nur noch der Einkommenssteuer, und zwar selbst dann, wenn die Rentenversicherung nach Eintritt des versicherten Ereignisses weiterhin rückkaufsfähig bleibt (vgl. RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 7, 9 und 10 zu § 45 sowie
BGE 138 II 311 S. 318
N. 14 zu
§ 46 StG
/ZH; JUNGO/MAUTE, a.a.O., S. 68 f.; LANG, Vermögensbesteuerung, a.a.O., S. 640 ff.;
ders.
, Die private Rentenversicherung der Säule 3b im Einkommens- und Vermögenssteuerrecht [nachfolgend: Rentenversicherung], 2010, S. 211 ff.).
Die eben dargestellte Zürcher Regelung hinsichtlich des Rückkaufswerts von Leibrenten während deren Laufzeit entspricht derjenigen, wie sie in mehreren anderen Kantonen auch gilt. In ungefähr gleich vielen Kantonen gilt jedoch, dass das Rentenstammrecht nach Eintritt des versicherten Ereignisses weiterhin - wie während der Aufschubszeit - mit der Vermögenssteuer erfasst werden kann und muss (vgl. die Übersicht aller kantonalen Regelungen bei LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 220 f.; PETRA HELFENSTEIN, Die Besteuerung der privaten Rentenversicherungen in der Schweiz - eine systematische Darstellung der kantonalen Unterschiede, StR 59/2004 S. 83; im Weiteren: WOLFGANG MAUTE UND ANDERE, Steuern und Versicherungen, 3. Aufl. 2011, S. 374; JUNGO/MAUTE, a.a.O., S. 69 f.; zu einer früheren Rechtslage: u.a.
BGE 76 I 211
ff.).
3.3
Gemäss
§ 46 StG
/ZH sind Schulden, für die der Steuerpflichtige allein haftet, voll (vom Bruttovermögen) abziehbar; andere Schulden, wie Solidar- und Bürgschaftsschulden, nur insoweit, als sie vom Steuerpflichtigen getragen werden müssen.
3.3.1
Diese Bestimmung steht im Einklang mit
§ 38 Abs. 1 StG
/ZH und
Art. 13 Abs. 1 StHG
, wonach der Vermögenssteuer das gesamte Reinvermögen, d.h. der Überschuss der Aktiven über die Passiven, unterworfen ist (vgl. oben E. 3.1.1). Der Pflichtige kann somit von den Aktiven seine Schulden und die Schulden aller anderen Personen abziehen, deren Vermögen er zu versteuern hat (vgl. StR 66/2011 S. 606 E. 2.2; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 8 zu
Art. 13 StHG
; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 14 zu
§
§ 38-47 StG
/ZH).
3.3.2
Aus
§ 46 StG
/ZH ergibt sich, dass nur die effektiven, d.h. am Stichtag tatsächlich bestehenden Schulden des Steuerpflichtigen abgezogen werden können. Der Rechts- und Entstehungsgrund der Schuld muss im für die Vermögensbesteuerung massgebenden Zeitpunkt erfüllt sein. Dementsprechend sind verjährte Schulden grundsätzlich nicht abzugsfähig. Ebenfalls nicht abziehbar sind bloss mögliche, zukünftige bzw. anwartschaftliche Schulden (zum Begriff der Anwartschaft: vgl. oben E. 3.1.3). Dazu werden z. B. Schulden aus einem aufschiebend bedingten Rechtsgeschäft (OR 151) gerechnet,
BGE 138 II 311 S. 319
zumindest solange die Bedingung nicht eingetreten und der Schuldner noch nicht leistungspflichtig ist. Dagegen bildet die Fälligkeit der Schuld keine Voraussetzung für den Schuldenabzug (vgl. StR 66/2011 S. 606 E. 2.2; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 3, 4, 10 und 11 zu
§ 46 StG
/ZH; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 9 zu
Art. 13 StHG
).
4.
4.1
In Anwendung von
§
§ 38, 45 und 46 StG
/ZH hat die Vorinstanz erwogen, dass der Versicherungsnehmer eines rückkaufsfähigen Leibrentenvertrags nicht gleichzeitig die Rente beziehen und über den Rückkaufswert verfügen könne. Bei laufender Rente habe er lediglich Anspruch auf die einzelnen Rentenleistungen. Erst mit der Ausübung des Kündigungsrechts als Gestaltungsrecht entstehe eine Forderung auf Auszahlung der Rückkaufssumme. Solange sei die Auszahlung dieser Summe für den Verpflichteten eine bloss anwartschaftliche Schuld, deren Bestand sowie Höhe unsicher seien und die somit nicht von dessen steuerbarem Vermögen abgezogen werden könne (vgl. auch MAUTE UND ANDERE, a.a.O., S. 374; HELFENSTEIN, a.a.O., S. 83 f.; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 9 zu
§ 45 StG
/ZH; LANG, Vermögensbesteuerung, a.a.O., S. 642 ff.;
ders.
, Rentenversicherung, a.a.O., S. 215 ff.).
4.2
Bei der hier den Rentengläubigern eingeräumten Möglichkeit, jederzeit (bzw. innerhalb einer Frist von drei Monaten) die Auszahlung der gesamten verbleibenden (und vertraglich für jedes Jahr genau festgelegten, vgl. oben E. 2.5) Rückgewährssumme zu verlangen, handelt es sich - wie vom Verwaltungsgericht hervorgehoben - um ein Gestaltungsrecht im Sinne der gängigen Definition. Sie entspricht also der Befugnis, innerhalb zeitlicher Grenzen durch einseitige rechtsgeschäftliche Willenserklärung und unabhängig vom Willen des Verpflichteten eine Veränderung der bisherigen Rechtslage herbeizuführen (vgl.
BGE 135 III 441
E. 3.3 S. 444;
BGE 133 III 360
E. 8.1.1 S. 364;
BGE 128 III 129
E. 2a S. 135; ASA 68 S. 739 E. 5a; AJP 2008 S. 1583 E. 3.1).
Wenn hier die Rückerstattung des verbleibenden Rentenstammrechtes jederzeit (innert der genannten Frist von drei Monaten) und bedingungslos verlangt werden kann, so liegt darin ein bedeutender Unterschied z.B. zu Mitarbeiteroptionen mit Bezugssperre, wo mit der sog. Vestingperiode ein Zeitraum festgelegt wird, während welchem der Mitarbeiter die Optionen "verdienen" muss und der
BGE 138 II 311 S. 320
Rechtserwerb aufschiebend bedingt ist, so dass eine blosse Anwartschaft besteht (vgl. StE 2010 B 22.2 Nr. 21 E. 2.2 m.w.H.). Abzugrenzen ist die zu beurteilende Konstellation auch gegenüber solchen Fällen, in denen durch die Ausübung des Gestaltungsrechts der vorherige Rechtszustand aufgehoben wird (so z.B. durch den Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen, vgl.
BGE 137 III 243
E. 4.5 S. 252 ff.); zwischen der Rentenlaufzeit und der nach der Ausübung des Rückkaufsrechts bestehenden Sach- und Rechtslage ändert sich demgegenüber wohl die Form der Auszahlung (in Rente oder Kapital) bzw. deren zeitliche Gestaltung (in jährlichen Teilbeträgen oder in einer einmaligen Gesamtbegleichung); unverändert bleibt jedoch der Rechtsgegenstand (nämlich das Rentenstammrecht bzw. die Kapitalrückzahlungsquote), und zwar sowohl in betraglicher Hinsicht (gemäss der von vornherein im Vertrag für das Ende jeden Jahres verbindlich festgelegten Summe, z.B. Fr. 194'032.- per 31.12.2008) als auch in Bezug auf die rechtliche Durchsetzbarkeit (in die gleiche Richtung schon RDAF 2008 II S. 390 E. 3.3, insb. 3.3.1): Während bei nicht rückkaufsfähigen Rentenversicherungen das Stammrecht als bloss anwartschaftlicher Anspruch auf künftige Leistungen zu betrachten ist, weil künftige Zahlungen ungewiss sind, ist dagegen bei rückkaufsfähigen Rentenversicherungen der Eintritt des versicherten Ereignisses, sei es nun in Form von Renten- oder Kapitalbezug, gewiss (vgl. oben E. 2.4). Was nach der Ausübung des Rückkaufsrechts wegfällt, ist die Ertragsquote: Diese über das Stammrecht hinausgehende Quote beläuft sich hier bei vollständigem Rentenlauf (bis Ende 2027) auf Fr. 59'000.-; sie hätte sich aber per Ende 2008 auf Fr. 2'262.- beschränkt (vgl. oben E. 2.5).
4.3
Insbesondere im vorliegenden Fall kann also nicht gesagt werden, wie die Vorinstanz dies tut, dass die von den Beschwerdeführern geschuldete Rückkaufssumme vor Geltendmachung des Rückkaufsrechts durch die Gläubiger in Bestand und Höhe nicht feststehe.
Weiter trifft nicht zu, dass der Übergang von der Aufschubs- zur Laufzeit im umstrittenen Zusammenhang einen wesentlichen Wendepunkt darstellen würde (vgl. dazu HELFENSTEIN, a.a.O., S. 84; LANG, Vermögensbesteuerung, a.a.O., S. 638). Wie eben erwogen, wird die Sach- und Rechtslage in Bezug auf die Kapitalquote bei rückkaufsfähigen Leibrenten schon durch die Ausübung des Rückkaufsrechts nicht entscheidend verändert; umso weniger geschieht dies durch den blossen Übergang von der Aufschubs- zur Rentenlaufzeit.
BGE 138 II 311 S. 321
Ebenso wenig erweist es sich als sachgerecht, wenn aus dem - oberflächlich betrachtet tatsächlich gegebenen, aber nicht massgeblichen - Umstand, dass der Rentenbezug und der Rückkauf sich (von der Zahlungsform und der zeitlichen Gestaltung der Schuldbegleichung) gegenseitig ausschliessen (vgl. RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 9 zu
§ 45 StG
/ZH), gefolgert wird, die gleichzeitige Besteuerung von Renteneinkünften mit der Einkommenssteuer und des Stammrechtes mit der Vermögenssteuer stelle einen unauflösbaren Widerspruch dar (vgl. insb. LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 217) oder eine fiskalistische Ausdehnung des Vermögensbegriffs (vgl. LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 219). Diese Auffassung übersieht, dass mit der Vermögenssteuer lediglich das verbleibende Stammrecht, nach Abzug der als Einkommen in der massgebenden Periode besteuerten Rentenzahlung, erfasst wird.
4.4
Im Urteil
BGE 134 III 348
hat die I. zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in Bezug auf rückkaufsfähige Leibrentenversicherungen während der Rentenlaufzeit Folgendes festgehalten: Mit dem vollständigen Rückkauf wird der Vertrag aufgelöst und der Rückkaufswert ausgezahlt. Damit erlischt die Pflicht zur Ausrichtung von Renten. Das Vertragsverhältnis weist daher Analogien zu einer Wahlobligation (
Art. 72 OR
) bzw. zu einer alternativen Ermächtigung auf. Massgebend ist, dass nach dem Vertrag in Abhängigkeit des dem Versicherungsnehmer eingeräumten Gestaltungsrechts verschiedene Leistungen alternativ geschuldet sind. Dieselbe Forderung hat alternativ unterschiedliche Leistungen zum Gegenstand (vgl. E. 5.2.3 S. 351 f.).
Aus dem genannten Urteil ist einerseits zu schliessen, dass die unterschiedlichen Leistungen nicht kumulativ zu erbringen sind. Andererseits handelt es sich um dieselbe Forderung, die den verschiedenen Leistungen zugrunde liegt. Dabei ist das Merkmal der alternativen Ermächtigung bzw. Verpflichtung unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten deswegen in den Vordergrund gerückt worden, weil es um die Frage ging, ob die Vertragspartei, die nach Wahl des Gläubigers alternativ verschiedene Leistungen schuldet, bei unverschuldeter Ungewissheit über die Person des Gläubigers sämtliche wahlweise geschuldeten Leistungen hinterlegen kann, was bejaht wurde. Einer solchen Beurteilung steht nicht entgegen, wenn hier in steuerrechtlicher Hinsicht und unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht die Unterschiede, sondern die
BGE 138 II 311 S. 322
Gemeinsamkeiten zwischen der Sach- sowie Rechtslage vor und nach Ausübung des Rückkaufsrechts als wesentlich qualifiziert werden.
4.5
Die vorausgehenden Erwägungen sprechen somit dafür, dass das Rentenstammrecht rückkaufsfähiger Leibrenten während der Laufzeit mit der Vermögensbesteuerung zu erfassen ist (vgl. im gleichen Sinne: u.a. LOCHER, Besteuerung 1991, a.a.O., S. 182; Stellungnahme der Schweizerischen Steuerkonferenz, zusammengefasst in
BGE 136 II 256
E. 3.3 S. 259 f.) und der hier den Gläubigern zugestandene Rückkauf nicht nur eine zukünftige bzw. bloss voraussehbare Schuld, sondern eine durchaus effektive sowie durchsetzbare Verbindlichkeit darstellt.
4.6
Gegen eine solche Beurteilung werden in der Lehre indessen noch mehrere Argumente allgemeiner(er) Art vorgebracht, die in der Folge zu prüfen sind: So wird die Auffassung vertreten, dem Rückkaufsrecht könne als solchem - und nicht bloss während der Rentenlaufzeit - kein rechtlich realisierbarer Vermögenswert zukommen (vgl. unten E. 5). Ausserdem müsse eine Vermögensbesteuerung der Leibrenten schon deshalb ausser Betracht fallen, weil sie - zusätzlich zu deren Erfassung mit der Einkommenssteuer - zu einer Überbesteuerung führen würde (E. 6). Schliesslich belasse die harmonisierungsrechtliche Regelung den Kantonen Freiräume, die es dem Kanton Zürich weiterhin ermöglichen würden, die Rückkaufssumme während der Laufzeit bei der Vermögenssteuer unberücksichtigt zu lassen (E. 7).
5.
Es trifft wohl zu, dass das Leibrentenstammrecht, im Gegensatz zu den einzelnen daraus fliessenden, periodisch fälligen Forderungsrechten, weder abtretbar noch vererbbar oder pfändbar ist und auch nicht in die Konkursmasse des Rentengläubigers fällt (vgl. dazu schon
BGE 64 III 179
ff.; siehe auch RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 2. Aufl. 2009, N. 51 zu
Art. 22 DBG
). Soweit daraus geschlossen wird, diesem Stammrecht komme kein steuerbarer Geldwert zu, welcher beim Rentengläubiger zum Vermögen gerechnet werden müsse und beim Schuldner davon abziehbar wäre (vgl. HELFENSTEIN, a.a.O., S. 83 f.; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 18 zu
§ 39 StG
/ZH), so vermag diese Sichtweise nicht zu überzeugen. Entscheidend ist, dass das Stammrecht durch Rückkauf realisierbar ist.
Nach dem eben Gesagten kann der genannte Gegensatz zwischen Stammrecht und Einzelrenten nicht massgeblich sein. Entscheidend
BGE 138 II 311 S. 323
ist vielmehr die Übereinstimmung in Bezug auf Rechtsgegenstand, Betrag und Durchsetzbarkeit (vgl. in diesem Sinne schon StR 21/1966 S. 250 ff. sowie LOCHER, Besteuerung 1991, a.a.O., S. 182). Wenn die Rechtsordnung die Abtretbarkeit usw. des Rentenstammrechts ausschliesst, so erfolgt dies ausserdem nicht deshalb, weil dem Stammrecht kein Geldwert zukäme, sondern aus anderen Gründen, u.a. deswegen, weil die Gefahr besteht, dass der Berechtigte über diesen Geldwert in unangemessener (z.B. selbstschädigender) Weise verfügen könnte.
6.
Es wird weiter argumentiert, während der Rentenlaufzeit könne der Rückkaufswert beim Gläubiger darum nicht zum steuerbaren Vermögen gerechnet und beim Schuldner nicht abgezogen werden, weil das systemwidrig sei und namentlich Widersprüche zwischen der Einkommens- sowie der Vermögenssteuer hervorrufe. Dieses Argument ist vorab im Zusammenhang mit der ursprünglichen Regelung der Leibrentenbesteuerung im Harmonisierungsrecht bzw. im Recht der direkten Bundessteuer zu prüfen (vgl. unten E. 6.1) und danach in Bezug auf die heute geltende Fassung (E. 6.2).
6.1
Die anfängliche Fassung von
Art. 22 Abs. 3 DBG
bzw.
Art. 7 Abs. 2 StHG
schrieb vor, dass die aus Leibrenten fliessenden Einkünfte zu 60 % zu versteuern waren (vgl. REICH, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 70 zu
Art. 7 StHG
; LOCHER, Besteuerung 1991, a.a.O., S. 183 f.;
ders.
, Kommentar DBG 2001, a.a.O., N. 52 zu
Art. 22 DBG
; STEINER, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 19 zu
Art. 22 DBG
; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 53 zu
Art. 22 DBG
; zum Rechtszustand vor dem DBG und dem StHG: vgl. u.a.
BGE 131 I 409
E. 5.4.3 S. 417 f.;
BGE 110 Ib 234
E. 3d S. 238 ff.; ASA 79 S. 364 E. 4.1; NEUHAUS, a.a.O., S. 293 f.). Dagegen waren die dafür geleisteten Prämien und Einlagen nur unter bestimmten Voraussetzungen (je nach Finanzierungsart), dann aber vollumfänglich, vom steuerbaren Einkommen abziehbar (vgl.
BGE 131 I 409
E. 5.3 S. 415 f.;
BGE 130 I 205
E. 7.6.1 S. 216; ASA 79 S. 364 E. 4.1; 74 S. 161 E. 4.1; StE 2002 B 26.12 Nr. 6 E. 2a; RDAF 2008 II S. 390 E. 4.3; LOCHER, Kommentar DBG 2001, a.a.O., N. 28 zu
Art. 33 DBG
;
ders.
, Besteuerung 1991, a.a.O., S. 184; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 14 zu
Art. 33 DBG
; REICH, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 35 zu
Art. 9 DBG
; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 44 zu
Art. 33 DBG
).
BGE 138 II 311 S. 324
6.1.1
Gegen den Pauschalwert von 60 % wurde in der Lehre indessen vorgebracht, er sei in der überwiegenden Zahl der Fälle zu hoch und führe dazu, dass ein Anteil Kapitalrückzahlung noch einmal besteuert werde (vgl. zu dieser Kritik
BGE 131 I 409
E. 5.4.3 S. 417 f.; ASA 74 S. 161 E. 4.1; RDAF 2008 II S. 390 E. 4.3; LOCHER, Besteuerung 1991, a.a.O., S. 183 f.; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 15 zu
Art. 33 DBG
; NEUHAUS, a.a.O., S. 294; REICH, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 71 zu
Art. 7 StHG
; LANG, Rentenversicherung, a.a.O. S. 217 f.; WILLI BERGER, Wann kommt die gerechte Besteuerung der privaten Rentenversicherungen?, StR 51/1996 S. 377, 379; ETIENNE VON STRENG UND ANDERE, Loi fédérale sur le programme de stabilisation 1998, Schweizer Treuhänder [ST] 1999 S. 764).
6.1.2
Auf diese Überbesteuerung bei der Einkommenssteuer wurde regelmässig verwiesen, um zu rechtfertigen, dass der Rückkaufwert in der Rentenphase bei der Vermögensbesteuerung unberücksichtigt bleiben sollte. Es wurden also zwei an sich wenig zufriedenstellende Regelungen wesentlich durch die Mängel der jeweils anderen Regelung gerechtfertigt (vgl. dazu u.a. LOCHER, Besteuerung 1991, a.a.O., S. 184 f.; NEUHAUS, a.a.O., S. 293 f.; LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 217 f.).
6.2
Die 60 %-Regelung galt bis zur Revision von
Art. 22 Abs. 3 DBG
und
Art. 7 Abs. 2 StHG
durch das Bundesgesetz vom 19. März 1999 über das Stabilisierungsprogramm 1998 (AS 1999 2374), in Kraft seit 1. Januar 2001 (vgl. dazu
BGE 131 I 409
E. 5.4.3 S. 417 f.;
BGE 130 I 205
E. 7.6.5 S. 219 f.; ASA 74 S. 161 E. 4.1; 70 S. 581 E. 3a; StR 59/2004 S. 346, E. 4.1; StE 2002 B 26.12 Nr. 6 E. 2a; RDAF 2008 II S. 390 E. 4.3).
6.2.1
Die Ertragskomponente, die beim Gläubiger ausschliesslich (und im Gegensatz zur Kapitalrückzahlungsquote) besteuert werden soll (vgl. oben E. 2.2), ist mit der neuen Regelung auf 40 % der Renteneinkünfte begrenzt worden. Diese reduzierte Pauschalbesteuerung ist entgegen der früheren Ordnung nicht mehr von der Art der Finanzierung abhängig (vgl. STEINER, a.a.O., N. 19 zu
Art. 22 DBG
; LOCHER, Kommentar DBG 2001, a.a.O., N. 52 zu
Art. 22 DBG
; REICH, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 72 zu
Art. 7 StHG
). In konsequenter Umsetzung des Korrespondenzprinzips wird neu auch auf der Abzugsseite das Rentenmodell verwirklicht, und zwar so, dass der (private) Rentenschuldner in gleicher Weise und schon ab
BGE 138 II 311 S. 325
der ersten Rentenzahlung 40 % dieser Rente von seinem steuerbaren Einkommen absetzen kann (vgl. ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 15 und 16 zu
Art. 33 DBG
; NEUHAUS, a.a.O., S. 295; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 44 zu
Art. 33 DBG
; STEINER, a.a.O., N. 22 zu
Art. 22 DBG
; LOCHER, in: Kommentar DBG 2001, a.a.O., N. 31 zu
Art. 33 DBG
; GLADYS LAFFELY MAILLARD, Commentaire romand de la LIFD, 2008, N. 28 und 29 zu
Art. 22 DBG
; REICH, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 36 zu
Art. 9 DBG
).
6.2.2
Der 40 %-Satz für die Erfassung der Renteneinkünfte mit der Einkommenssteuer wird von einem Teil der Lehre als noch immer generell zu hoch betrachtet oder es wird dessen Anwendung auf Kapitalzahlungen aus Rentenversicherungen oder in bestimmten Einzelfällen kritisiert (vgl. HÖHN/WALDBURGER, Steuerrecht, 9. Aufl. 2001, Bd. I, Rz. 103 S. 339, Bd. II, Rz. 54 S. 822; LAFFELY MAILLARD, a.a.O., N. 27 und 30 zu
Art. 22 DBG
; URS BEHNISCH, Die steuerrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 2005 [zu
BGE 131 I 409
], ZBJV 143/2007 S. 435). Wieder andere Stimmen in der Lehre betonen, der Gesetzgeber habe diese schematische Lösung nach dem Korrespondenzprinzip gewollt; ob in concreto die Kapitalrückzahlungsquote nun tatsächlich 60 % erreiche, könne nicht relevant sein; in Anbetracht der klaren Regelung von
Art. 22 Abs. 3 DBG
bzw.
Art. 7 Abs. 2 StHG
bestehe kein Spielraum für die Kantone, die Ertragskomponente anders anzusetzen; allenfalls könne nur eine bundesrechtliche Gesetzesänderung Abhilfe schaffen (vgl.
BGE 135 II 183
E. 4.3 S. 189 f.; ASA 79 S. 364 E. 5.3; RDAF 2008 II S. 390 E. 4.5; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 52 zu Art. 22 und N. 46 zu
Art. 33 DBG
; REICH, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 71 zu
Art. 7 StHG
; LAFFELY MAILLARD, a.a.O., N. 31 zu
Art. 22 DBG
).
6.2.3
Es wird in der Lehre weiter vorgebracht, mit der überhöhten Quote von 40 % habe der Bundesrat die fehlende Vermögenssteuer kompensieren wollen (vgl. RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 52 zu
Art. 22 DBG
unter Hinweis auf BBl 1999 87). Damit wird das der ursprünglichen DBG/StHG-Regelung entgegengehaltene Argument (vgl. oben E. 6.1.2) auch auf die jetzige Fassung von
Art. 22 Abs. 3 DBG
bzw.
Art. 7 Abs. 2 StHG
übertragen, allerdings in doppeltem Sinne zu Unrecht: Einerseits bezieht sich die zitierte Stelle der Botschaft nicht auf die geplante Neuregelung, sondern auf die Einführung der zuvor gültigen Pauschalquote von 60 %.
BGE 138 II 311 S. 326
Andererseits gibt eine solche Sichtweise die Systematik der Neufassung und den hinter ihr stehenden Willen des Gesetzgebers auch sonst nicht zutreffend wieder:
Wie ein Teil der Lehre richtig erkennt, hat die Senkung der Pauschale die Problematik einer möglichen Überbesteuerung (deutlich) entschärft (vgl.
BGE 135 II 183
E. 4.3 und 4.4 S. 189 ff.;
BGE 131 I 409
E. 5.4.3 S. 417 f.; ASA 79 S. 364 E. 5.4; StR 59/2004 S. 346, E. 4.1; RDAF 2008 II S. 390 E. 4.4 und 4.5; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 15 zu
Art. 33 DBG
; NEUHAUS, a.a.O., S. 294; LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 217 f.; BEHNISCH, Zur steuerlichen Behandlung des Rückkaufs und der Prämienrückgewähr von Rentenversicherungen, ASA 74 S. 104 f. Fn. 30).
Diese Senkung der Pauschalquote - und nicht die in bestimmten Fällen verbleibende Überbesteuerung - stellt den Hintergrund dar, vor dem zwei zusätzliche Neuerungen im Rahmen des Stabilisierungsprogramms zu sehen sind, die zu einer höheren Besteuerung des Einkommens führen (können): Zum einen wurde bei der Reduzierung der Abzugsberechtigung von 60 % auf 40 % aus Praktikabilitätsgründen auf eine gesetzliche Übergangsregelung verzichtet, was zu problematischen Fällen Anlass geben konnte (vgl. ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 15 zu
Art. 33 DBG
; NEUHAUS, a.a.O., S. 294 f.; REICH, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 36 zu
Art. 9 DBG
; LAFFELY MAILLARD, a.a.O., N. 18 zu
Art. 33 DBG
; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 47 zu
Art. 33 DBG
), aber bewusst hingenommen wurde. Zum anderen wurde auf eine weiterhin reduzierte Besteuerung für Einkünfte aus Wohnrecht und Nutzniessung verzichtet, um diese fortan mit 100 % zu versteuern (vgl. ASA 70 S. 581 E. 3a mit weiteren Hinweisen; STEINER, in: Kommentar DBG 2008, a.a.O., N. 19 zu
Art. 22 DBG
; VON STRENG UND ANDERE, a.a.O., S. 764 f.).
Seit der Neuordnung durch das Stabilisierungsprogramm können nicht mehr zwei an sich wenig zufriedenstellende Regelungen durch die Mängel der jeweils anderen Regelung gerechtfertigt werden (vgl. dazu oben E. 6.1.2). Wie der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (zitiert bei LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 221 Fn. 867) zu Recht erkannt hat, war die vermögenssteuerliche Nichterfassung der rückkaufsfähigen Leibrentenversicherungen während der Rentenlaufzeit eine historisch bedingte Ausnahmeregelung, weil früher die Leibrenten bei der Einkommenssteuer bedeutend höher besteuert wurden
BGE 138 II 311 S. 327
als heute; diese Steuerbefreiung hat jedoch seit der Senkung der Pauschalquote keine Weiterberechtigung mehr; zudem würde sie gegen das Rechtsgleichheitsgebot verstossen, denn es besteht kein Grund, solche Rentenversicherungen nicht zu besteuern, hingegen alle anderen rückkaufsfähigen Lebensversicherungen (so die aufgeschobene Rentenversicherungen oder die Kapitalversicherungen, vgl. oben E. 3.2.3) der Vermögenssteuer zu unterstellen.
6.2.4
Im vorliegenden Fall beträgt die Ertragsquote - wie dargestellt (vgl. oben E. 2.5) - gesamthaft 22,35 % (d.h. Fr. 59'000.- von total Fr. 264'000.- gegenüber einem Kapitalbetrag von ursprünglich Fr. 205'000.-). Bis Ende 2025 schwankt der jährliche Kapitalanteil ausnahmslos zwischen Fr. 10'938.- (2008) und Fr. 11'687.- (2025), bei einem gleichbleibenden Rentenbetrag von Fr. 13'200.-, so dass in all diesen Jahren die Zinsquote deutlich unter 40 % liegt (zwischen 17,14 % für 2008 und 11,46 % für 2025). Das kommt den Rentenschuldnern zugute, können sie doch bei der Einkommenssteuer einen Anteil von 40 % der jährlich geleisteten Rente abziehen und gleichzeitig den tatsächlichen Rückkaufswert von ihrem steuerbaren Vermögen (das aber den ursprünglich erhaltenen Betrag von Fr. 205'000.- umfassen muss) abziehen. Die Rentengläubiger haben 40 % der jährlichen Rente (sowie der allenfalls verlangten Rückgewährssumme, gemäss der im Urteil StE 1999 B 28 Nr. 6 E. 4 festgehaltenen Logik) als Einkommen zu versteuern, während die gesamte vertraglich festgelegte Rückkaufssumme der Vermögenssteuer zu unterliegen hat. Diese Besserstellung der Schuldner gegenüber den Gläubigern scheint im konkreten Fall in Kenntnis der Steuerfolgen bewusst gewählt worden zu sein.
Selbst über den hier zu beurteilenden Einzelfall hinaus kann eine solche Überbesteuerung des Gläubigers nicht dazu führen, dass die auf tatsächlichen, nicht pauschalierten Werten beruhende Vermögensbesteuerung wegzufallen hätte (vgl. oben E. 6.2.2 und 6.2.3).
7.
Zu prüfen bleibt, ob die den Kantonen durch die Harmonisierungsgesetzgebung des Bundes in gewissen Bereichen des Vermögenssteuerrechts belassenen Freiräume dazu führen müssen, dass der Kanton Zürich an seiner Regelung bzw. Praxis festhalten kann, die Rückkaufssumme von Leibrenten während der Laufzeit bei der Vermögenssteuer unerfasst zu lassen.
7.1
Das Harmonisierungsrecht zur Vermögenssteuer beschränkt sich auf die Vorgabe einiger weniger Prinzipien, die in nur gerade zwei
BGE 138 II 311 S. 328
Artikeln (
Art. 13 und 14 StHG
) festgehalten sind. Zudem arbeitet es mit Generalklauseln und Begriffen, zu denen in Rechtsprechung und Literatur teils unterschiedliche Auslegungen bestehen und die in der Rechtswirklichkeit zu voneinander abweichenden Ordnungen geführt haben. In
Art. 14 Abs. 1 und 2 StHG
werden den Kantonen mehrere, zum Teil grundsätzlich verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten ausdrücklich zugestanden: Die Bewertung zum Verkehrswert ist für die Kantone bindend; nach welchen Regeln der Verkehrswert zu ermitteln ist, schreibt das Steuerharmonisierungsgesetz indessen nicht vor; ebenso wenig wird die Kann-Vorschrift der angemessenen Berücksichtigung des Ertragswertes näher geregelt (vgl.
BGE 134 II 207
E. 2 S. 210 und E. 3.6 S. 214;
BGE 131 I 291
E. 2.5.2 S. 300; RDAF 2010 II S. 463 E. 5.2; StR 64/2009 S. 910 E. 2.1; StR 64/2009 S. 755 E. 3.1; siehe auch
BGE 128 I 240
E. 3.2.3 und 3.2.4 S. 249 f.;
BGE 124 I 145
E. 6b und 6c S. 159 f.; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 2 zu
Art. 14 StHG
). Daraus wird geschlossen, dass den Kantonen weiterhin erhebliche Freiräume offenstehen würden. Die kantonalen Steuerordnungen könnten deshalb auch inskünftig voneinander abweichen, zumal sich die Frage der vertikalen Harmonisierung nicht stelle, seit das Recht der direkten Bundessteuer für natürliche Personen keine Vermögenssteuer mehr kenne (vgl. zum Ganzen u.a. ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 5 zu Art. 13 f. StHG; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 2 zu
§
§ 38-47 StG
/ZH).
7.2
Dadurch, dass
Art. 13 StHG
der Vermögenssteuer das gesamte Reinvermögen unterwirft, ist den Kantonen aber vorgeschrieben, alle geldwerten Rechte, und nur diese, der Vermögenssteuer zu unterstellen (vgl.
BGE 136 II 256
E. 3.4 S. 260). Obwohl sich das StHG nicht ausdrücklich zum Schuldenabzug äussert, ordnet es diesen doch zwingend an, denn ein Reinvermögen liegt nur dann vor, wenn der Steuerwert der Aktiven den Betrag der Passiven übersteigt. Die Reinvermögenssteuer ist eine Subjektsteuer, die im Gegensatz zu einer Objektsteuer auf die subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen abstellt und daher neben den Aktiven auch dessen Schulden berücksichtigt. Allfällige Einschränkungen des Schuldenabzugs durch die Kantone sind demzufolge grundsätzlich als harmonisierungswidrig zu qualifizieren (vgl. StR 66/2011 S. 606 E. 2.2; RICHNER UND ANDERE, a.a.O., N. 1 zu
§ 46 StG
/ZH; ZIGERLIG/JUD, in: Kommentar StHG 2002, a.a.O., N. 1 und 8 zu
Art. 13 StHG
).
BGE 138 II 311 S. 329
7.3
Vor diesem Hintergrund vermag es nicht zu überzeugen, wenn eine bestimmte Lehrmeinung wie folgt argumentiert: Mit der Einführung des StHG sei keine Änderung des Verständnisses hinsichtlich der kantonalen Vermögensbegriffe angestrebt worden; vielmehr sei die Weiterführung der bisher herrschenden Ordnungen angestrebt worden; somit stehe den kantonalen Gesetzgebern im Bereich der Rentenversicherungen grundsätzlich ein Spielraum zu, um sich für eines der beiden in der Schweiz anzutreffenden Besteuerungsmodelle (vgl. dazu oben E. 3.2.3 in fine) zu entscheiden; die überwiegende Mehrzahl der Kantone verfolge bereits seit Jahrzehnten dieselbe Rentenbesteuerungssystematik, und es sei zu schliessen, dass durch das StHG kein Anpassungsbedarf entstanden sei (vgl. LANG, Vermögensbesteuerung, a.a.O., S. 644 f.;
ders.
, Rentenversicherung, a.a.O., S. 210 f.).
An dieser Sichtweise mag wohl richtig sein, dass insbesondere die Regelung bzw. Praxis des Kantons Zürich zur vermögenssteuerrechtlichen Behandlung rückkaufsfähiger Leibrenten während der Laufzeit seit Geltung der Harmonisierungsgesetzgebung des Bundes noch nicht in Frage gestellt worden ist. Das liegt jedoch daran, dass das Bundesgericht bislang nicht Gelegenheit hatte, sich zu dieser Frage zu äussern. Aus der hier vorgenommenen Beurteilung ergibt sich indessen, wie dargestellt, dass die genannte Regelung bzw. Praxis den harmonisierungsrechtlichen Vorgaben nicht zu genügen vermag und insbesondere von der zwingend vorgeschriebenen Konzeption des Reinvermögensbegriffes sowie von derjenigen des notwendigen Abzugs der effektiv am Stichtag bestehenden Schulden abweicht.
Die besagte Meinung lässt zudem ausser Acht, dass wohl die harmonisierungsrechtlichen Bestimmungen zur Vermögenssteuer seit Erlass des StHG unverändert geblieben sind, nicht jedoch diejenigen zur einkommenssteuerrechtlichen Erfassung der Leibrenten. Diese Veränderung hat dazu geführt, dass die Berücksichtigung der hier umstrittenen Renten bei der Vermögenssteuer nicht mehr mit dem Hinweis auf deren allfällige Überbesteuerung bei der Einkommenssteuer verweigert werden kann. Soweit diese Überbesteuerung unter der neugefassten Regelung weiterbesteht, so ist dem jedenfalls nicht dadurch entgegenzuwirken, dass auf eine Berücksichtigung bei der Vermögenssteuer zu verzichten wäre. Übrigens vertreten zumindest einige der Stimmen, welche die Besteuerung rückkaufsfähiger
BGE 138 II 311 S. 330
Leibrenten während deren Laufzeit kritisieren, gleichzeitig die Auffassung, dass sich die Vermögenssteuer weder steuersystematisch noch verfassungsrechtlich halten lasse (vgl. LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 209 und 223; FELIX RICHNER, Ist die Vermögenssteuer gerechtfertigt?, Zürcher Steuerpraxis [ZStP] 3/1999 S. 182 ff.). Dagegen sind die kantonalen Behörden sowie das Bundesgericht (vgl.
Art. 190 BV
) durch die Harmonisierungsgesetzgebung des Bundes - und damit auch das Gebot der Erhebung einer Staatssteuer auf dem Vermögen - gebunden.
7.4
Das Gleiche muss auf zwischenkantonaler Ebene gelten. Vorliegend sind die Rentengläubiger im Kanton Thurgau wohnhaft. Gemäss § 48 des thurgauischen Gesetzes vom 14. September 1992 über die Staats- und Gemeindesteuern (in der hier massgebenden Fassung vor dem 1. Januar 2011) unterlag der Rückkaufswert auch während der Rentenlaufzeit der Vermögenssteuer (vgl. LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 220 f.). Diese Regelung stimmt mit der hier erfolgten Beurteilung überein. Inzwischen hat der Kanton Thurgau im Rahmen einer Steuergesetzrevision aber vorgesehen, die bislang gültige Regelung so umzugestalten, dass laufende Rentenversicherungen nicht mehr der Vermögenssteuer unterliegen sollen (vgl. LANG, Rentenversicherung, a.a.O., S. 220 f.; JUNGO/MAUTE, a.a.O., S. 70). Diese Neuregelung vermag nach dem hier Gesagten vor dem Harmonisierungsrecht des Bundes nicht standzuhalten. | mixed |
8406a084-e057-4060-bc20-5064b6317d26 | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 143 II 8 S. 10
A.
Mit Entscheid der Europäischen Kommission vom 11. November 2009 wurde die X. AG zu einer Busse in Höhe von Euro 348'000.- verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass die X. AG gegen Entgelt administrative Tätigkeiten im Umfeld von Kartellabsprachen vorgenommen hat. Insbesondere organisierte sie Zusammenkünfte der Kartellmitglieder, stellte hierfür Besprechungsräume zur Verfügung, erstellte Protokolle und Statistiken, errechnete und überwachte Liefermengen bzw. Quotenabsprachen und stand bei Spannungen unter den Kartellmitgliedern als Moderatorin zur Verfügung.
Aufgrund dieser Verurteilung bildete die X. AG per 31. Dezember 2009 Rückstellungen in Höhe von Fr. 456'937.77, welche per 31. Dezember 2011 als Teil der längerfristigen Rückstellungen unverändert bilanziert blieben.
Mit Verfügungen vom 7. Mai 2013 schätzte das kantonale Steueramt Zürich die X. AG für die Staats- und Gemeindesteuern der Periode 2011 mit einem steuerbaren Reingewinn von Fr. 848'700.- und einem steuerbaren Eigenkapital von Fr. 1'044'000.- ein. Bei der direkten Bundessteuer veranlagte das kantonale Steueramt ebenfalls einen steuerbaren Reingewinn von Fr. 848'700.- bei einem steuerlich massgebenden Eigenkapital von Fr. 1'044'433.-. Sowohl bei den Kantons- und Gemeindesteuern als auch bei der direkten Bundessteuer rechnete das kantonale Steueramt in Abweichung von der Selbstschatzung der Pflichtigen die erwähnten Rückstellungen beim Reingewinn und beim Eigenkapital auf, da es sie als geschäftsmässig nicht begründet erachtete.
Die gegen die Veranlagungsverfügungen erhobenen Einsprachen wies das kantonale Steueramt am 23. Juli 2013 ab.
BGE 143 II 8 S. 11
B.
Hiergegen führte die X. AG Rekurs bzw. Beschwerde beim Steuerrekursgericht des Kantons Zürich. Dieses hiess die Rechtsmittel mit Entscheid vom 20. Dezember 2013 gut und liess die im Streit liegenden Rückstellungen sowohl beim Reingewinn als auch beim steuerbaren Eigenkapital zu. Entsprechend schätzte es die Pflichtige für die Staats- und Gemeindesteuern 2011 neu mit einem steuerbaren Reingewinn von Fr. 391'700.- bei einem steuerbaren Eigenkapital von Fr. 587'000.- ein. Bei der direkten Bundessteuer derselben Steuerperiode wurde neu ein Reingewinn von Fr. 391'700.- bei einem steuerlich massgeblichen Eigenkapital von Fr. 587'495.- veranlagt. Dem Protokoll lässt sich ein Minderheitsantrag des Gerichtsschreibers auf Abweisung der Rechtsmittel entnehmen.
Gegen diesen Entscheid beschwerte sich das kantonale Steueramt ohne Erfolg beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich: Dieses wies die Beschwerde mit Urteil vom 9. Juli 2014 sowohl betreffend die Staats- und Gemeindesteuern als auch betreffend die direkte Bundessteuer ab. Dem Urteil ist eine abweichende Meinung einer Minderheit der Kammer beigefügt.
C.
Mit Eingabe vom 3. Oktober 2014 führt das kantonale Steueramt Zürich Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Es beantragt die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichtes des Kantons Zürich und die Bestätigung der Einschätzung gemäss den Einspracheentscheiden vom 23. Juli 2013.
Während das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und die X. AG die Abweisung der Beschwerde beantragen, schliesst die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) auf Gutheissung derselben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Angelegenheit zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
II. Direkte Bundessteuer
3.
Ausgangslage für die Bemessung des steuerbaren Reingewinns juristischer Personen ist gemäss
Art. 58 Abs. 1 lit. a DBG
(SR 642. 11) der Saldo der Erfolgsrechnung unter Berücksichtigung des Saldovortrages des Vorjahres. Dieser Saldo wird gemäss
Art. 58 Abs. 1 lit. b DBG
u.a. ergänzt durch alle vor Berechnung des Saldos der Erfolgsrechnung ausgeschiedenen Teile des Geschäftsergebnisses, die
BGE 143 II 8 S. 12
nicht zur Deckung des geschäftsmässig begründeten Aufwandes verwendet werden. Als Beispiel hierfür führt die genannte Bestimmung insbesondere die geschäftsmässig nicht begründeten Abschreibungen und Rückstellungen auf. Dieser Bestimmung entspricht inhaltlich die Regelung bei natürlichen Personen in
Art. 27 DBG
, wonach bei selbständiger Erwerbstätigkeit die geschäfts- oder berufsmässig begründeten Kosten abgezogen werden.
Die von der Beschwerdegegnerin gebildeten Rückstellungen im Zusammenhang mit der gegen sie ausgesprochenen Busse sind demnach dann zum steuerbaren Reingewinn aufzurechnen, wenn sie sich als geschäftsmässig nicht begründet erweisen. Was genau bei juristischen Personen zum geschäftsmässig begründeten Aufwand gehört, wird vom Gesetz nicht abschliessend festgelegt; es finden sich lediglich beispielhafte Aufzählungen von geschäftsmässig begründeten oder unbegründeten Aufwendungen. Immerhin besagt
Art. 59 Abs. 1 lit. a DBG
, dass unter den Begriff des geschäftsmässig begründeten Aufwands auch die eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Steuern, nicht aber Steuerbussen fallen. Bezüglich der Letzteren hat das Bundesgericht festgehalten, dass darunter auch
ausländische
Steuerbussen und Strafsteuern fallen (in concreto an Grossbritannien entrichtete "Penalties"; Urteil 2P.306/2003 / 2A.574/ 2003 vom 26. Oktober 2004 E. 5.4, in: StE 2005 B 71.33 Nr. 1; RDAF 2006 II S. 121; Pra 2005 Nr. 146 S. 987). Zu anderen Arten von Bussen äussert sich
Art. 59 Abs. 1 lit. a DBG
nicht explizit. Nach der Rechtsprechung gelten Aufwendungen indessen grundsätzlich als geschäftsmässig begründet, wenn sie mit dem erzielten Erwerb unternehmungswirtschaftlich in einem unmittelbaren und direkten (organischen) Zusammenhang stehen (
BGE 113 Ib 114
E. 2c S. 118; Urteil 2C_273/2013 vom 16. Juli 2013 E. 3.2 m.w.H., in: StE 2013 B 93.5 Nr. 27).
Betreffend selbständige
natürliche
Personen hat das Bundesgericht bereits mit Urteil vom 6. Oktober 1944 festgehalten, dass sowohl eine Busse als auch die übrigen mit einem Strafverfahren zusammenhängenden Kosten nicht geschäftsmässig begründeten Aufwand darstellen (
BGE 70 I 250
E. 4 S. 256). Dieser Entscheid wurde mit weiteren bundesgerichtlichen Urteilen vom 31. Mai 1946 und vom 30. Mai 1952 (vgl. ASA 21 S. 74 f.) bestätigt.
Noch nicht geäussert hat sich das Bundesgericht demgegenüber zur geschäftsmässigen Begründetheit von Bussen und anderen pönalen
BGE 143 II 8 S. 13
Sanktionen, welche gegen
juristische
Personen verhängt wurden. Im Nachfolgenden ist daher zu prüfen, ob der gegen die Beschwerdegegnerin verhängten Busse der Europäischen Kommission resp. den in diesem Zusammenhang gebildeten Rückstellungen entsprechend den in
Art. 59 Abs. 1 lit. a DBG
explizit genannten Steuerbussen die geschäftsmässige Begründetheit abzusprechen ist, oder ob - e contrario - andere Bussen als Steuerbussen geschäftsmässig begründet sein können, wenn sie die allgemeinen Voraussetzungen hierfür erfüllen.
4.
4.1
Diesbezüglich führt die Vorinstanz aus, dass die von der Beschwerdegegnerin erbrachten Leistungen im Zusammenhang mit den wettbewerbswidrigen Absprachen von der im Handelsregister eingetragenen Unternehmenstätigkeit abgedeckt seien, weswegen sich die von der Europäischen Kommission ausgesprochene Busse als direkte Folge der Geschäftstätigkeit erweise. Die Busse stehe somit unternehmungswirtschaftlich in unmittelbarem und direktem (organischem) Zusammenhang mit dem erzielten Erwerb.
Die erbrachten Dienstleistungen seien zum damaligen Zeitpunkt zumindest in der Schweiz (noch) nicht strafbar gewesen. Ohnehin entspreche es aber dem allgemein anerkannten Grundsatz der Wertneutralität des Steuerrechts, dass zwischen illegalen und erlaubten Geschäften nicht unterschieden werde. Auf diese Weise werde vermieden, dass sich die Steuerbehörden unzulässigerweise in fremde Zuständigkeitsbereiche einmischten und beispielsweise anstelle oder zusätzlich zu den sanktionierenden Strafbehörden pönal wirkende Steuern festsetzten. Es sei vielmehr ausschliesslich Sache der zuständigen Verwaltungs- oder Strafbehörden, anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die Strafempfindlichkeit von gebüssten juristischen oder natürlichen Personen zu prüfen. Aufgrund der Wertneutralität des Steuerrechts würden deshalb auch widerrechtliche oder unsittliche Ausgaben wie Schmiergelder oder verdeckte Kommissionen von der Lehre und Praxis zum Abzug zugelassen und damit als wirtschaftlich begründet erachtet, sofern der Empfänger genannt und eine plausible Schilderung der die Vergütung veranlassenden Umstände gemacht werde; lediglich aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Korrekturvorschrift in
Art. 59 Abs. 2 DBG
gehöre die Bezahlung von Bestechungsgeldern im Sinne des schweizerischen Strafrechts nicht mehr zum abzugsfähigen geschäftsmässig begründeten Aufwand. Das seitens der europäischen
BGE 143 II 8 S. 14
Wettbewerbsbehörde sanktionierte Verhalten der Beschwerdegegnerin hätte nach schweizerischen Straf-/Wettbewerbsrecht zum Tatzeitpunkt nicht zur Ausfällung einer Geldstrafe ausgereicht, weswegen es vorliegend umso weniger Aufgabe des schweizerischen Steuerrechts sei, die seitens einer ausländischen Behörde verhängte Sanktion weiter zu qualifizieren. Die von der Beschwerdegegnerin vorgenommene Rückstellung sei demnach geschäftsmässig begründet und folglich zu Recht in die Handelsbilanz der Gesellschaft aufgenommen worden. Die steuerrechtliche Gewinnermittlung bei juristischen Personen folge dem Grundsatz der Massgeblichkeit der Handelsbilanz: Die kaufmännische Bilanz und Erfolgsrechnung bildeten Ausgangspunkt und Grundlage der steuerrechtlichen Gewinnermittlung, sofern nicht steuerrechtliche Korrekturvorschriften ein Abweichen vom handelsrechtlichen Ergebnis erlaubten.
Im vorliegenden Fall gelangte das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass nach der gegenwärtigen Rechtslage keine solche steuerrechtliche Korrekturvorschrift vorhanden sei, sodass auch keine gesetzliche Grundlage für ein Abzugsverbot der im Streit liegenden Wettbewerbsbusse bestehe: Die Gesetzesmaterialien sowie die jüngsten Vorstösse zur Gesetzgebung liessen keinen eindeutigen Schluss betreffend die hier interessierende Fragestellung zu. Auch aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung könne diesbezüglich nichts abgeleitet werden. Unbedeutend sei sodann, dass sich de lege lata die steuerliche Behandlung von Bussen bei juristischen Personen einerseits und selbständig erwerbstätigen natürlichen Personen andererseits unterschiedlich präsentiere, zumal dies sachlich gerechtfertigt sei.
4.2
Das beschwerdeführende Steueramt des Kantons Zürich bringt demgegenüber vor, jedenfalls der pönale Anteil von Bussen wegen widerrechtlicher Handlungen stelle grundsätzlich keine geschäftsmässig begründete Aufwendung und mithin keine abziehbaren Gewinnungskosten dar. Im Interesse der Einheit der Rechtsordnung dürften die Folgen widerrechtlicher Handlungen nie Gewinnungskostencharakter haben. Eine Busse solle die handelnde Person direkt treffen und nicht nur als Gewinnungskosten im Zusammenhang mit einem Ertrag. Dies gelte nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für Unternehmungen, da nach der neueren Entwicklung die Strafbarkeit von Unternehmen bzw. juristischen Personen klar bejaht werde. Die Sanktion für den Bruch der Rechtsordnung sei daher
BGE 143 II 8 S. 15
dem Bereich der Gewinnverwendung und nicht dem Bereich des abziehbaren geschäftsmässig begründeten Aufwands zuzuordnen; ein steuerlicher Abzug der Busse würde dazu führen, dass ein Teil der Busse auf den Fiskus bzw. den Staat abgewälzt würde, was eine faktische Strafmilderung zur Folge hätte. Sodann würden durch eine steuerrechtliche Absetzbarkeit von Bussen falsche Anreize gesetzt, indem der Steuerpflichtige zur bewussten Eingehung von potenziell widerrechtlichen Geschäften animiert würde, da die drohende Busse wie ein üblicher Aufwand in Kauf genommen werden könnte.
Weiter führt das kantonale Steueramt aus, die steuerlichen Korrekturvorschriften, die ein Abweichen von der Handelsbilanz gebieten, seien im Gesetz nicht abschliessend aufgezählt. Dass der Wortlaut von
Art. 59 Abs. 1 lit. a DBG
lediglich die Steuerbussen explizit benenne, lasse somit nicht darauf schliessen, dass andere Bussen abzugsfähig wären. Vielmehr erkläre sich der Gesetzeswortlaut damit, dass die genannte Bestimmung Steuern allgemein als abzugsfähig bezeichne, weswegen sich ohne die Präzisierung betreffend die Steuerbussen die Frage stellen würde, ob die Steuerbussen vom Begriff "Steuern" mitumfasst und damit absetzbar seien, auch wenn Bussen allgemein steuerrechtlich als nicht abzugsfähig angesehen würden. Insofern spreche die gesetzliche Präzisierung betreffend Steuerbussen sogar eher dafür, dass der Gesetzgeber für Bussen grundsätzlich keine Rückabwälzung auf den Fiskus bzw. auf die Allgemeinheit zulassen möchte.
Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, die Nichtabzugsfähigkeit von Bussen, mit Ausnahme des Gewinnabschöpfungsanteils, entspreche auch der Praxis des Kantons Zürich. Diese decke sich mit der Steuerpraxis anderer Kantone: Eine durch das kantonale Steueramt Zürich im Jahre 2009 im Rahmen der sog. Bodenseekonferenz initiierte Umfrage bei den Steuerverwaltungen der Kantone Aargau, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Glarus, Graubünden, St. Gallen, Schaffhausen und Thurgau habe ergeben, dass in keinem dieser Kantone Bussen von juristischen Personen als generell abzugsfähig erachtet würden; in den Kantonen Thurgau, Graubünden und Aargau sei - wie in Zürich - immerhin die Abzugsfähigkeit für den Gewinnabschöpfungsanteil der Busse bejaht worden.
5.
Der Lehre lassen sich zur hier interessierenden Fragestellung unterschiedliche Ansätze entnehmen:
BGE 143 II 8 S. 16
5.1
BRÜLISAUER/HELBING und RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER weisen einerseits darauf hin, dass die Nichtabsetzbarkeit von Steuerbussen die Folge des pönalen Charakters solcher Abgaben sei: Könnten diese steuerlich in Abzug gebracht werden, so würde die bestrafte steuerpflichtige Person einen Teil der Belastung auf den Fiskus zurück überwälzen. Andererseits erachten es die genannten Autoren als wesentlich, dass der Gesetzeswortlaut nur die Steuerbussen ausdrücklich von der Absetzbarkeit ausnehme; zudem würde es gegen die grundsätzliche Wertneutralität des Steuerrechts verstossen, die Abzugsfähigkeit von anderen Bussen oder Geldstrafen ausschliessen zu wollen (RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 3. Aufl. 2016, N. 5 zu
Art. 59 DBG
; BRÜLISAUER/HELBING in: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG] [nachfolgend: Zweifel/Athanas (Hrsg.)], Zweifel/Athanas [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2a: Art. 1-82, 2. Aufl. 2008, N. 3 zu
Art. 59 DBG
). Im selben Sinne äussern sich LENZIN/RAMELLA MATTA NASSIF, welche neben der Wertneutralität des Steuerrechts ebenso den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hervorheben (LENZIN/RAMELLA MATTA NASSIF, Erubescitne fiscus? La deducibilità fiscale delle "penalties" comminate alle banche svizzere, Novità fiscali 2016 Nr. 4 S. 9-15, insb. 12).
Auch OPEL verweist in einer sehr ausführlichen Stellungnahme zur vorliegenden Thematik auf den Leistungsfähigkeitsgrundsatz, woraus sich ergebe, dass Einnahmen und Ausgaben steuerlich grundsätzlich gleich zu behandeln seien. Zwar könnten juristischen Personen strafrechtliche Sanktionen aus eigener Verantwortung auferlegt werden, doch verfügten juristische Personen im Unterschied zu natürlichen Personen nicht über eine private Sphäre, welcher sich die Busse zuweisen liesse. Zu unterscheiden seien lediglich die Sphäre des Unternehmens und jene der Anteilsinhaber. Aufwendungen seien somit immer einer dieser beiden Sphären zuzuweisen, eine dritte Kategorie gebe es nicht. Was der Unternehmenssphäre zugewiesen werde, sei stets geschäftsmässig begründet und somit abzugsfähig; hierzu zählten auch die den juristischen Personen auferlegten Bussen (ANDREA OPEL, Ist Besteuerung von Unrecht rechtens?, ASA 84 S. 187 ff., insb. 204 ff.).
Der exakt gleichen Argumentation bedient sich auch SIMONEK im Rahmen eines Rechtsgutachtens vom 23. April 2011 betreffend eine Einzelinitiative im Kanton Zürich zur Änderung des kantonalen Steuergesetzes. Sie unterscheidet bezüglich der Absetzbarkeit von
BGE 143 II 8 S. 17
Bussen die nachfolgenden drei Kategorien: (1) Bussen mit strafrechtlichem Charakter, welche gegenüber natürlichen Personen für im Geschäftsbetrieb einer juristischen Person begangene widerrechtliche Handlungen ausgesprochen werden, beruhten auf einem individuellen Schuldvorwurf und seien höchstpersönlicher Natur. Aus diesem Grund verbiete sich auch aus steuerrechtlicher Sicht eine Übertragung der Busse auf die juristische Person. Konsequenterweise könne die Übernahme einer solchen Busse durch das Unternehmen auch keinen geschäftsmässig begründeten Aufwand bilden. (2) Bussen mit strafrechtlichem Charakter, welche einem Unternehmen aus eigener Verantwortung auferlegt werden, gingen dagegen stets auf Widerhandlungen zurück, die die juristische Person selbst im Zusammenhang mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit begangen habe. In Ermangelung einer privaten oder höchstpersönlichen Sphäre bei juristischen Personen könne eine ihnen auferlegte Busse nie einem aussergeschäftlichen Bereich zugewiesen werden. Aus diesem Grund entspreche der Abzug von Bussen hier einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, denn die Busse reduziere zweifelsohne den tatsächlichen Gewinn der juristischen Person und damit ihre Leistungsfähigkeit. Unter dem Blickwinkel des Nettoprinzips seien entsprechende Bussen als geschäftsmässig begründeter Aufwand zu qualifizieren. (3) Bussen ohne strafrechtlichen Charakter gegenüber der juristischen Person seien schuldunabhängig ausgestaltet und könnten der juristischen Person bereits beim Vorliegen eines objektiven Rechtsverstosses auferlegt werden. Diese Art von Sanktionen, zu welcher auch Gewinnabschöpfungen zählten, könnten ohne Weiteres als geschäftsmässig begründeter Aufwand vom steuerbaren Gewinn der juristischen Person in Abzug gebracht werden (MADELEINE SIMONEK, Rechtsgutachten betreffend die Einzelinitiative KR-Nr. 20/2010 zur Abzugsfähigkeit von Bussen vom steuerbaren Gewinn [nachfolgend: Gutachten], 2011, Rz. 5.7.3, S. 32 ff.).
OPEL und SIMONEK anerkennen zwar beide, dass eine steuerliche Absetzbarkeit von Bussen und Sanktionen mit pönalem Charakter deren Abgeltungs- und Präventionswirkung schmälere, zumal die steuerliche Abzugsfähigkeit dazu führe, dass die ausgefällte Busse milder ausfalle und die strafrechtlichen Wertungen demnach in einem gewissen Ausmass konterkariert würden. Dieser Konflikt sei jedoch vom Gesetzgeber zu lösen (OPEL, a.a.O., S. 212; SIMONEK, Gutachten, a.a.O., Rz. 5.7.3.2, S. 33 f.). OPEL wendet zudem ein, dass ein
BGE 143 II 8 S. 18
Wertungswiderspruch zwischen Straf- und Steuerrecht nicht zwingend auf steuerrechtlicher Ebene ausgeräumt werden müsse; möglich sei auch, dass die steuerliche Abzugsfähigkeit bei der strafrechtlichen Bussgeldbemessung berücksichtigt werde (OPEL, a.a.O., S. 211 in fine).
5.2
AGNER/JUNG/STEINMANN argumentieren, bei einer fehlenden Abzugsfähigkeit ergebe sich eine indirekte Verschärfung der Busse, zumal diese dann nur noch wie eine Gewinnverwendung behandelt würde. Dennoch kommen die Autoren zum Schluss, dass der Ausschluss des Abzugs nicht nur die Steuerbussen, sondern auch andere Bussen (z.B. Zollbussen) betreffen soll; es lasse sich rechtfertigen, den Folgen widerrechtlicher Handlungen ganz allgemein den Gewinnungskostencharakter abzuerkennen (AGNER/JUNG/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, 1995, N. 1 zu
Art. 59 DBG
). Dieser Lehrmeinung schliesst sich DANON an (ROBERT DANON, in: Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, N. 11 zu
Art. 59 DBG
). Auch LOCHER schliesst aus den selben Überlegungen auf die Nichtabziehbarkeit sämtlicher Bussen: Im Interesse der Einheit der Rechtsordnung dürften die Folgen widerrechtlicher Handlungen nie Gewinnungskostencharakter haben: Wenn die Rechtsordnung im Steuerrecht Bussen zum Abzug zuliesse, die nach ihrem strafrechtlichen Zweck einzig den Täter (und nicht auch den Fiskus) belasten sollen, so würde sie zu sich selbst in Widerspruch geraten. Anders als AGNER/JUNG/STEINMANN sieht LOCHER in der Nichtabsetzbarkeit auch keine "indirekte Verschärfung" der Strafe; es sei wohl naheliegender, die Nichtzulassung des Abzugs als "Vereitelung einer faktischen Strafmilderung" aufzufassen (PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, II. Teil, 2004, N. 70 zu
Art. 59 DBG
).
Im gleichen Sinne betonen auch MOLO und GIOVANOLI im Rahmen einer Abhandlung zum Programm zur Beilegung des Steuerstreits der Schweizer Banken mit den Vereinigten Staaten, dass der von den Banken geltend gemachten Wertneutralität des Steuerrechts der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung entgegenstehe. Dieser verlange, dass die Abgeltungs- und Präventionswirkung einer Busse nicht durch deren steuerliche Abzugsfähigkeit reduziert werde. Namentlich bestehe diesbezüglich auch kein vernünftiger Grund für die unterschiedliche Behandlung von juristischen und natürlichen Personen, sodass eine Bejahung der Abzugsfähigkeit von Bussen juristischer Personen auch das Gleichbehandlungsgebot verletzen
BGE 143 II 8 S. 19
würde. Überhaupt sei es in einem Rechtsstaat offensichtlich, dass nur rechtmässige Aufwendungen, die sachlich kausal mit einem legalen Unternehmenszweck und der legalen geschäftlichen Tätigkeit des Unternehmens im Zusammenhang stünden, als geschäftsmässig begründeter Aufwand angesehen und daher vom steuerbaren Gewinn abgezogen werden dürften. Kohärenterweise würden denn gemäss
Art. 59 Abs. 1 lit. a DBG
und
Art. 25 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14)
auch nur die eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Steuern, nicht aber die Steuerbussen und Strafsteuern als geschäftsmässig begründeter Aufwand gelten. Somit sei auszuschliessen, dass Bussen und Verwaltungssanktionen mit strafrechtlichem Charakter, die juristischen Personen aus eigener Verantwortung auferlegt wurden, bei der Festsetzung des steuerbaren Gewinns als geschäftsmässig begründeter Aufwand in Abzug gebracht werden könnten (MOLO/GIOVANOLI, Das US-Programm aus Schweizer Sicht, Jusletter 16. Dezember 2013 Rz. 30 ff.).
6.
Die hier interessierende Frage bildete sodann Gegenstand verschiedener parlamentarischer Vorstösse und eines laufenden Gesetzgebungsprozesses:
Mit der Motion 14.3450 vom 16. Juni 2014 will Ständerat Werner Luginbühl den Bundesrat beauftragen, dem Parlament eine Änderung von
Art. 59 DBG
und
Art. 25 StHG
zu unterbreiten, welche vorsieht, dass im In- und Ausland ausgesprochene Bussen und andere finanzielle Sanktionen mit Strafcharakter nicht zum geschäftsmässig begründeten Aufwand gehören. In Beantwortung eines bereits früher eingereichten Postulates von Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer vom 12. März 2014 (14.3087) erging am 12. September 2014 der Bericht des Bundesrates zur steuerlichen Abziehbarkeit von Bussen und finanziellen Verwaltungssanktionen. Darin führt der Bundesrat aus, die steuerlich abziehbaren Kosten bei natürlichen Personen mit selbständiger Erwerbstätigkeit und bei juristischen Personen würden im DBG und StHG lediglich exemplarisch aufgezählt, weswegen die steuerliche Behandlung von Bussen (andere als Steuerbussen), Geldstrafen und finanziellen Verwaltungssanktionen mit Strafzweck davon abhänge, ob sie als geschäftsmässig begründete Aufwendungen im Sinne der Generalklauseln von Art. 27 Abs. 1 resp.
Art. 58 Abs. 1 lit. b DBG
qualifiziert werden könnten. Nach kaufmännischer Auffassung könnten (nur) Kosten, die in guten
BGE 143 II 8 S. 20
Treuen entstanden sind, vom Gewinn abgezogen werden. Strafrechtlich relevantes Geschäftsverhalten könne zu einem höheren Unternehmensgewinn führen, indem der Umsatz gesteigert oder Kosten eingespart würden. Diesfalls bestehe zwar ein gewisser unternehmungswirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Geschäftstätigkeit und der pönalen Sanktion. Indessen müsse die Kausalität zwischen Betrieb und Aufwendung sachlicher Natur sein. Ob die Sachlichkeit der Aufwendungen gegeben sei, werde mit Hilfe des handelsrechtlichen Begriffs der objektivierten Sorgfaltspflicht des ordentlichen Geschäftsführers bestimmt: Wer zu einer Busse, einer Geldstrafe oder einer finanziellen Verwaltungssanktion mit Strafzweck verurteilt werde, habe seine gesetzlichen Pflichten und damit auch die Sorgfaltspflicht nicht erfüllt. Strafrechtlich relevantes Geschäftsverhalten entspreche daher nicht einem kaufmännischen Verhalten nach Treu und Glauben, und die notwendige sachliche Kausalität zwischen Betrieb und Aufwendung sei bei einer Busse, Geldstrafe resp. finanziellen Verwaltungssanktion mit Strafzweck somit nicht gegeben. Würden finanzielle Sanktionen mit Strafzweck zum Abzug zugelassen, hätte dies zur Folge, dass deren Strafwirkung über das Steuerrecht reduziert würde, zumal die übrigen Steuerzahler dann indirekt einen Teil der Strafe mitbezahlen würden. Dies könne jedoch gerade nicht Zweck der Sanktion sein, welche nur zum Nachteil des Täters, nicht aber der Allgemeinheit verfügt werde.
Aus den genannten Überlegungen gelangte der Bundesrat in seinem Bericht vom 12. September 2014 zum Ergebnis, dass Bussen, Geldstrafen und finanzielle Verwaltungssanktionen mit pönalem Charakter bereits de lege lata steuerlich nicht abzugsfähig seien (
www. admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-54440.html
). Insofern bedürfe es aus rechtlicher Sicht keiner gesetzgeberischen Massnahmen. Dennoch erachtete es der Bundesrat in Anbetracht der Bedeutung der vorliegenden Frage und zwecks Herstellung einer erhöhten Transparenz als denkbar, eine entsprechende Regelung explizit in die Steuergesetze aufzunehmen, und er beantragte ebenfalls mit Datum vom 12. September 2014 die Annahme der Motion Luginbühl. Am 15. September 2014 wurde die Motion daraufhin vom Ständerat und am 2. März 2015 auch vom Nationalrat angenommen.
In Umsetzung der Motion Luginbühl erging der Entwurf für ein Bundesgesetz über die steuerliche Behandlung finanzieller Sanktionen. Dieser Entwurf sieht u.a. vor,
Art. 27 und
Art. 59 DBG
sowie
Art. 10
BGE 143 II 8 S. 21
und
Art. 25 StHG
so zu modifizieren, dass finanzielle Verwaltungssanktionen - soweit sie einen Strafzweck haben - und die damit zusammenhängenden Prozesskosten explizit als nicht abziehbar bzw. als nicht zum geschäftsmässig begründeten Aufwand gehörend bezeichnet werden. Gewinnabschöpfende Sanktionen werden demgegenüber, soweit sie keinen Strafzweck haben, ausdrücklich als abziehbar bezeichnet bzw. dem geschäftsmässig begründeten Aufwand zugeordnet (vgl. hierzu auch den erläuternden Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartements [EFD] vom 18. Dezember 2015 zur Vernehmlassungsvorlage zum Bundesgesetz über die steuerliche Behandlung finanzieller Sanktionen). Die Vernehmlassungsfrist zu dieser Vorlage ist am 11. April 2016 abgelaufen.
7.
7.1
Gemäss
Art. 127 Abs. 2 BV
ist namentlich der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten, soweit es die Art der Steuer zulässt.
Im Bereich der Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen wird das Leistungsfähigkeitsprinzip durch die Reinvermögenszugangstheorie ("théorie de l'accroissement du patrimoine" bzw. "imposition du revenu global net") ausgedrückt (vgl.
Art. 16 DBG
), wonach der Begriff der steuerbaren Einkunft dem Überschuss aller Vermögenszugänge gegenüber den Vermögensabgängen innerhalb einer Steuerperiode entspricht (
BGE 139 II 363
E. 2.2 S. 366; Urteil 2C_188/2015 vom 23. Oktober 2015). Als Unterprinzip aus der Reinvermögenszugangstheorie wird von einem Teil der Lehre das sog. "Nettoprinzip" vertreten, wonach bei der Besteuerung von natürlichen Personen sämtliche Gewinnungskosten vom Bruttoeinkommen abgezogen werden müssten, selbst wenn diese in den
Art. 26-33a DBG
nicht ausdrücklich erwähnt seien (MARKUS REICH, Steuerrecht, 2. Aufl. 2012, S. 219 ff. m.w.H.;
derselbe
, in: Zweifel/Athanas [Hrsg.], a.a.O., N. 12 zu
Art. 25 DBG
; RENÉ MATTEOTTI, Steuergerechtigkeit und Rechtsfortbildung, 2007, S. 30 f.; vgl. Urteil 2C_929/ 2014 vom 10. August 2015 E. 3.2).
Im vorliegenden Fall lässt sich aus dem von der Lehre und der Vorinstanz herbeigezogenen "Nettoprinzip" jedoch nichts direkt herleiten: Anders als bei natürlichen Personen steht bei juristischen Personen nicht das Bruttoeinkommen, sondern der nach kaufmännischen Vorschriften ermittelte Reingewinn gemäss Erfolgsrechnung am Ausgangspunkt der Bemessung der Gewinnsteuer
BGE 143 II 8 S. 22
(Massgeblichkeitsprinzip;
Art. 58 Abs. 1 lit. a DBG
). Dem Leistungsfähigkeitsprinzip von
Art. 127 Abs. 2 BV
wird bei der Gewinnsteuer juristischer Personen somit dadurch Rechnung getragen, dass (sämtliche) geschäftsmässig begründeten Aufwendungen in der Erfolgsrechnung berücksichtigt werden können. Zur Ermittlung des steuerbaren Reingewinns kennt das Gesetz sodann Korrekturvorschriften, welche Aufrechnungen zum Reingewinn gemäss Erfolgsrechnung vorsehen (vgl.
Art. 58 Abs. 1 lit. b und lit. c DBG
). Diese formell-gesetzlichen Korrekturvorschriften würden das Bundesgericht selbst dann binden, wenn man darin einen Verstoss gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip sehen wollte (
Art. 190 BV
). Soweit
Art. 58 Abs. 1 lit. b DBG
lediglich die Aufrechnung von geschäftsmässig nicht begründeten Aufwendungen oder Rückstellungen vorsieht, hat diese Korrekturvorschrift jedoch keinen konstitutiven, sondern lediglich deklaratorischen Charakter, zumal nicht geschäftsmässig begründeter Aufwand bereits nach den kaufmännischen Buchführungsvorschriften nicht berücksichtigt werden darf (vgl. DANON, a.a.O., N. 62 zu
Art. 57-58 DBG
; RICHNER/ FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 75 zu
Art. 58 DBG
). Ob sich die vorliegend im Streit liegende Busse der Europäischen Kommission als geschäftsmässig begründeter Aufwand erweist, ist nachfolgend durch Auslegung zu ermitteln; das Leistungsfähigkeitsprinzip bleibt aber so oder anders gewahrt.
Gleiches gilt nach dem Gesagten hinsichtlich des in
Art. 127 Abs. 1 BV
enthaltenen Legalitätsprinzips im Abgaberecht, demgemäss die Ausgestaltung der Steuern, namentlich der Kreis der Steuerpflichtigen, der Gegenstand der Steuer und deren Bemessung, in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln ist: Führt die Auslegung vorliegend zum Ergebnis, dass neben den explizit genannten Steuerbussen auch andere Bussen nicht geschäftsmässig begründet sind, so ist mit
Art. 58 Abs. 1 lit. b DBG
eine formell-gesetzliche Grundlage für die Aufrechnung der im Streit liegenden Rückstellung vorhanden (vgl. SIMONEK, Gutachten, a.a.O., Rz. 5.1, S. 20).
7.2
Aus dem Umstand, dass
Art. 59 Abs. 1 lit. a DBG
vom Wortlaut her lediglich die Steuerbussen ausdrücklich vom geschäftsmässig begründeten Aufwand ausnimmt, kann nicht bereits e contrario geschlossen werden, dass die übrigen Bussen und pönalen Verwaltungssanktionen geschäftsmässig begründeten Aufwand darstellten. Wie der Bundesrat in seinem Bericht vom 12. September 2014 zutreffend darlegt, ist die genannte Bestimmung am 1. Januar 1995 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die Strafbarkeit von
BGE 143 II 8 S. 23
Unternehmen im Kernstrafrecht (
Art. 102 StGB
) gesetzlich noch nicht vorgesehen. Aus damaliger Perspektive standen bei selbstverantworteten Bussen juristischer Personen deshalb die Steuerbussen im Vordergrund, was erklärt, weshalb sich der Gesetzeswortlaut auf diese beschränkte. Ebenso erscheint in diesem Zusammenhang der Einwand des beschwerdeführenden Steueramtes als beachtlich, dass der gesetzliche Ausschluss der Steuerbussen im gleichen Satz erfolgt, mit dem die eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Steuern ausdrücklich als geschäftsmässig begründeter Aufwand bezeichnet werden; insofern kann die Beschränkung des Gesetzeswortlauts auf die Steuerbussen durchaus als Präzisierung interpretiert werden, dass die Steuerbussen nicht zu den abzugsfähigen Steuern zählen, sondern eben den Bussen zuzuordnen sind. Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber betreffend die geschäftsmässige Begründetheit von Aufwendungen gerade nicht eine Differenzierung zwischen Steuerbussen und anderen Bussen, sondern vielmehr eine Unterscheidung zwischen regulärem Aufwand und pönalen Sanktionen vornehmen wollte. Insofern deutet eine grammatikalisch-historische Auslegung des Gesetzestextes darauf hin, dass Bussen mit pönalem Charakter vom Gesetzgeber generell als nicht geschäftsmässig begründet und mithin als nicht abzugsfähig erachtet wurden. Hierfür spricht auch, dass der Bundesrat im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsverfahrens davon ausgeht, der vorgesehene Ausschluss der Abzugsfähigkeit sämtlicher Bussen stelle nur eine explizite Festschreibung der bereits heute geltenden Regelung dar (E. 6 hiervor).
7.3
Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gebietet, sich widersprechende Entscheide im Rahmen des Möglichen zu vermeiden. Daraus abgeleitet wird beispielsweise, dass die Verwaltungsbehörde nicht ohne gewichtigen Grund von den Sachverhaltsfeststellungen oder den rechtlichen Würdigungen des Strafrichters abweichen soll (
BGE 136 II 447
E. 3.1 S. 451; Urteile 1C_402/2015 vom 10. Februar 2016 E. 2.3; 1C_171/2015 vom 28. Oktober 2015 E. 3.5 f.). Dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kommt namentlich im Schnittstellenbereich verschiedenartiger Rechtsgebiete Bedeutung zu. Dort können sich fremdrechtliche Vorfragen stellen, welche nach einer einheitlichen, harmonisierenden Beantwortung rufen (Urteile 2C_771/2014 vom 27. August 2015 E. 2.1; 2C_628/2013 vom 27. November 2013 E. 2.2.2, in: ASA 82 S. 382, 83 S. 677; StR 69/2014 S. 677). Im Abgaberecht, welches in enger Wechselwirkung zu anderen Rechtsgebieten steht, ist dies häufig der Fall. Bei Anwendung
BGE 143 II 8 S. 24
des Bundessteuerrechts können (und müssen) deshalb die Praxis und Doktrin zur ähnlich gelagerten fremdrechtlichen Frage herangezogen werden, solange keine triftigen Gründe ersichtlich sind, die eine unterschiedliche Behandlung nahelegen (
BGE 140 I 153
E. 2.2 S. 155 f. m.w.H.).
Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht direkt um eine strafrechtliche Vorfrage, welche es im Steuerrecht einheitlich bzw. harmonisierend zu beantworten gelten würde. Wie vom beschwerdeführenden Steueramt und von Teilen der Lehre zu Recht moniert wird, würde eine Bejahung der geschäftsmässigen Begründetheit und damit der Abzugsfähigkeit von Bussen jedoch dazu führen, dass eine verhängte Sanktion durch das Steuerrecht faktisch abgemildert würde. Die Verringerung des steuerbaren Reingewinns und der darauf entfallenden Gewinnsteuer hätte zur Folge, dass ein Teil der Busse mittelbar vom Gemeinwesen übernommen würde. Es erhellt ohne Weiteres, dass hierdurch die von der sanktionierenden Behörde beabsichtigte strafende Wirkung der Busse unterlaufen bzw. teilweise aufgehoben würde. Eine derartige Beeinflussung des Strafrechts bzw. der pönalen Bestimmungen anderer Rechtsgebiete durch das Steuerrecht erscheint unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung grundsätzlich unerwünscht, zumal so ein faktischer Widerspruch zwischen Straf- und Steuerentscheid geschaffen würde; die beiden Entscheide würden sich vielmehr (teilweise) gegenseitig neutralisieren. Es wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber sich ausdrücklich geäussert hätte, falls diese bedeutsame Konsequenz von ihm tatsächlich gewollt gewesen wäre. Eine solche Äusserung liegt jedoch - wie bereits ausgeführt - gerade nicht vor. In Bezug auf die Steuerbussen hat der Gesetzgeber sogar explizit das Gegenteil erklärt.
Zwar ist es an sich denkbar, dass dieser Problematik auch bei der Strafzumessung Rechnung getragen werden könnte, indem eine allfällige Abzugsmöglichkeit der Busse berücksichtigt und die Strafe im entsprechenden Umfang erhöht würde (vgl. OPEL, a.a.O., S. 211; E. 5.1 hiervor); diesfalls fände jedenfalls auf Seite der fehlbaren juristischen Person keine unerwünschte Strafmilderung statt. Soweit die sanktionierende Gebietskörperschaft jedoch nicht dem Steuerdomizil der juristischen Person entspricht, verbliebe bei Annahme einer steuerlichen Absetzbarkeit aber dennoch die ungewollte Wirkung, dass seitens des Gemeinwesens am Steuerdomizil Einbussen beim Steuersubstrat entstehen würden und das Steuerdomizil insofern indirekt die Busse der juristischen Person mittragen müsste.
BGE 143 II 8 S. 25
Auch wäre eine Berücksichtigung der steuerlichen Absetzbarkeit bei der Strafhöhe für die sanktionierende Behörde mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden: Wie bereits in der Begründung des abweichenden Antrags im Urteil des Steuerrekursgerichts vom 20. Dezember 2013 zutreffend festgehalten wurde, müsste der (möglicherweise auch ausländische) Strafrichter über fundierte Kenntnisse des schweizerischen Steuerrechts (Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern) verfügen, um die finanziellen Auswirkungen der Busse auf den Umfang der Steuerlast einer in der Schweiz domizilierten juristischen Person berechnen zu können, wobei gegebenenfalls auch noch internationale resp. interkantonale Steuerausscheidungen vorzunehmen wären; andernfalls verbliebe die konkrete Steuerbelastung eine unbekannte Grösse, welche nicht korrekt in die Strafzumessung miteinbezogen werden könnte. Dass eine solche Lösung sich demnach als nicht praktikabel erweist, ist offensichtlich (vgl. SIMONEK, Gutachten, a.a.O, Rz. 5.7.3.3 in fine, S. 34). Im vorliegenden Fall gibt es denn auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die europäische Wettbewerbsbehörde bei der Bemessung der Busse von einer steuerlichen Absetzbarkeit derselben ausgegangen wäre und diesen Faktor bei der Strafzumessung berücksichtigt hätte; selbst die Beschwerdegegnerin behauptet nichts dergleichen.
Das Ausgeführte berücksichtigend, steht eine systematische Gesetzesauslegung, welche dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und eines möglichst widerspruchsfreien Zusammenwirkens der verschiedenen Rechtsgebiete Rechnung trägt, der geschäftsmässigen Begründetheit resp. einer Abzugsfähigkeit von Bussen resp. finanziellen Verwaltungssanktionen mit pönalem Charakter entgegen.
7.4
Zum selben Ergebnis führt ein Einbezug der gesetzlichen Bestimmungen zur Behandlung von Bestechungszahlungen:
Mit Bundesgesetz vom 22. Dezember 1999 über die Unzulässigkeit steuerlicher Abzüge von Bestechungsgeldern (in Kraft seit 1. Januar 2001; AS 2000 2147; BBl 1997 II 1037, IV 1336) wurde
Art. 59 Abs. 2 DBG
eingefügt. Diese Norm sieht ausdrücklich vor, dass Zahlungen von Bestechungsgeldern im Sinne des schweizerischen Strafrechts an schweizerische oder fremde Amtsträger nicht zum geschäftsmässig begründeten Aufwand gehören. Gemäss
Art. 322
ter
und
Art. 322
septies
StGB
(jeweils in Verbindung mit
Art. 102 Abs. 1 und Abs. 2 StGB
) ist ein Bestechen schweizerischer und fremder Amtsträger zudem strafbar: Dabei wird ein Unternehmen unabhängig von der
BGE 143 II 8 S. 26
Strafbarkeit natürlicher Personen mit Busse bis zu 5 Millionen Franken bestraft, wenn ihm vorzuwerfen ist, dass es nicht alle erforderlichenund zumutbaren organisatorischen Vorkehren getroffen hat, um einesolche Straftat zu verhindern. Ginge man mit der Vorinstanz davon aus, dass Bussen und finanzielle Verwaltungssanktionen mit pönalem Charakter (mit Ausnahme von Steuerbussen) zum geschäftsmässig begründeten Aufwand gehörten, so hätte dies die paradoxe Konsequenz, dass zwar die bezahlten Bestechungsgelder vom Unternehmen nicht zum Abzug gebracht werden könnten, eine demselben Unternehmen auferlegte strafrechtliche Busse für die Bestechung jedoch schon.
Auch in diesem Zusammenhang spricht eine systematische Betrachtungsweise gegen die Absetzbarkeit von Bussen und finanziellen Verwaltungssanktionen bei juristischen Personen.
7.5
Wie bereits ausgeführt, hat das Bundesgericht betreffend selbständig erwerbstätige natürliche Personen bereits entschieden, dass Bussen nicht geschäftsmässig begründet und mithin nicht abzugsfähig sind (E. 3 hiervor). Auch die Lehre erachtet Bussen und andere finanzielle Sanktionen mit pönalem Charakter bei selbständig erwerbstätigen natürlichen Personen als nicht geschäftsmässig begründeten Aufwand (SIMONEK, Gutachten, a.a.O., Rz. 5.7.3.1, S. 32; OPEL, a.a.O., S. 206 m.w.H.; REICH/ZÜGER, in: Zweifel/Athanas [Hrsg.], a.a.O., N. 14 zu
Art. 27 DBG
; YVES NOËL, in: Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, N. 18 zu
Art. 27 DBG
; PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, I. Teil, 2001, N. 35 zu
Art. 27 DBG
; vgl. MOLO/GIOVANOLI, a.a.O., Rz. 33 f.; teilw. a.M.: HONGLER/ LIMACHER, Die Abzugsfähigkeit von DoJ-Bussen für Schweizer Banken im Recht der direkten Bundessteuer und aus steuerharmonisierungsrechtlicher Sicht, Jusletter 10. Februar 2014 Rz. 39). Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob es derart wesentliche Unterschiede zwischen natürlichen und juristischen Personen gibt, dass sich eine Ungleichbehandlung rechtfertigen würde.
Nach schweizerischem Rechtsverständnis stellt eine juristische Person kein fingiertes Gebilde, sondern eine reale, tatsächlich existierende Person dar, die sich von der natürlichen Person grundsätzlich bloss dadurch unterscheidet, dass sie nicht durch körperliche Organe, sondern durch Organe im Rechtssinne handelt (sog. "Realitätstheorie"; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. Aufl. 2012, § 2 Rz. 17 f.). Ebenso besitzt die juristische
BGE 143 II 8 S. 27
Person einen eigenen, originären Willen (vgl.
Art. 55 Abs. 1 ZGB
). Wie dargelegt, kann der juristischen Person namentlich auch aufgrund eigener Verantwortung eine Busse oder eine finanzielle Verwaltungssanktion auferlegt werden; wie die selbständig erwerbstätige natürliche Person wird auch die juristische Person diesfalls für ein eigenes Verhalten bestraft. Soweit hier interessierend, stehen sich die juristische und die natürliche Person demnach im Wesentlichen gleichwertig gegenüber.
Zwar weisen die Vorinstanz sowie Teile der Lehre diesbezüglich darauf hin, dass eine juristische Person - anders als natürliche Personen - keine von der geschäftlichen Sphäre abgrenzbare private oder höchstpersönliche Sphäre habe, weshalb eine Busse bei juristischen Personen von vornherein nicht einem aussergeschäftlichen Bereich zugewiesen werden könne (OPEL, a.a.O., S. 210; SIMONEK, Gutachten, a.a.O., Rz. 5.7.3.2, S. 33; HONGLER/LIMACHER, a.a.O., Rz. 35 ff.; E. 5.1 hiervor). Unterschieden werden könnten lediglich Aufwendungen, die in die Sphäre des Unternehmens fielen, und solche, die der Sphäre der Anteilsinhaber zuzuordnen seien; erstere seien geschäftsmässig begründet, letztere nicht. Dieser Einwand vermag jedoch nicht zu überzeugen: Wohl trifft es formal betrachtet zu, dass sich bei juristischen Personen naturgemäss eine Unterscheidung zwischen einer privaten und einer geschäftlichen "Sphäre" erübrigt. Daraus kann jedoch nicht bereits abgeleitet werden, dass die der juristischen Person aufgebürdeten monetären Sanktionen stets als geschäftsmässig begründeter Aufwand zu behandeln wären. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Unterschiede zwischen selbständigen natürlichen Personen und juristischen Personen auch hinreichend bedeutsam wären, um das Herbeiführen ungleicher Rechtsfolgen zu rechtfertigen, was in Anbetracht der hiervor aufgezeigten Gemeinsamkeiten indes sehr zweifelhaft erscheint.
Im vorliegenden Zusammenhang stellt das beschwerdeführende Steueramt zudem einen treffenden Vergleich zu den vom schweizerischen Recht vorgesehenen Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen an (
Art. 49a des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen [Kartellgesetz, KG; SR 251]
): Demgemäss wird ein
Unternehmen
, das an einer unzulässigen Abrede beteiligt ist oder sich unzulässig verhält, mit einem Betrag bis zu 10 Prozent des in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielten Umsatzes belastet. Als "Unternehmen" gelten dabei sämtliche Nachfrager oder Anbieter von
BGE 143 II 8 S. 28
Gütern und Dienstleistungen im Wirtschaftsprozess, unabhängig von ihrer Rechts- oder Organisationsform (
Art. 2 Abs. 1
bis
KG
). Wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, wäre es mit dem in
Art. 8 Abs. 1 BV
festgeschriebenen Gleichbehandlungsgebot nicht zu vereinbaren, wenn eine derartige Verwaltungssanktion für eine identische Rechtsverletzung bei einem Unternehmen in Form einer juristischen Person als geschäftsmässig begründeter Aufwand zum Abzug zugelassen würde, beim Unternehmen einer selbständig erwerbstätigen natürlichen Person dagegen nicht.
Gleiches muss mangels erkennbarer wesentlicher Unterschiede der Sanktionsarten auch für die hier streitbetroffene Wettbewerbsbusse der Europäischen Kommission sowie generell für Bussen und finanzielle Verwaltungssanktionen mit pönalem Charakter gelten. Auch hier rechtfertigen es die von der Lehre sowie der Mehrheitsmeinung der Vorinstanz ins Feld geführten dogmatischen Unterschiede zwischen juristischen Personen und selbständigen natürlichen Personen nicht, juristische Personen betreffend die genau gleiche Art von Busse zu privilegieren resp. anders zu behandeln als selbständige natürliche Personen. Eine verfassungskonforme Auslegung von
Art. 58 Abs. 1 lit. a und lit. b sowie
Art. 59 Abs. 1 lit. a DBG
, welche insbesondere die Rechtsgleichheit wahrt, führt daher ebenfalls zum Ergebnis, Bussen und andere finanzielle Verwaltungssanktionen mit pönalem Charakter auch dann nicht als geschäftsmässig begründeter Aufwand zu qualifizieren, wenn sie juristischen Personen aus eigener Verantwortung auferlegt wurden.
7.6
Nichts anderes ergibt sich aus der von der Vorinstanz und Teilen der Lehre hervorgehobenen Wertneutralität des Steuerrechts (E. 4.1 und 5.1 hiervor; OPEL, a.a.O., S. 189 ff.; SIMONEK, Gutachten, a.a.O., Rz. 5.3, S. 21 f.; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O, N. 5 zu
Art. 59 DBG
):
Gemäss diesem Grundsatz ist nicht zwischen illegalen und erlaubten Geschäften zu unterscheiden (Urteile 2C_94/2010 vom 10. Februar 2011 E. 3.4.1, in: RDAF 2012 II S. 17; 2C_520/2009 vom 31. Mai 2010 E. 2.4.3; 2C_426/2008 und 2C_430/2008 je vom 18. Februar 2009 je E. 3.4; 2C_17/2008 vom 16. Mai 2008 E. 6.2; 2C_16/ 2008 vom 16. Mai 2008 E. 5.2, in: RDAF 2009 II S. 177; ASA 78 S. 243). Allerdings wendete das Bundesgericht diesen Grundsatz in den aufgeführten Fällen stets im Zusammenhang mit rechtswidrig erzielten Einkünften bzw. mehrwertsteuerrechtlichen Umsätzen an
BGE 143 II 8 S. 29
und nicht betreffend Kosten oder Auslagen. Das Gericht argumentierte dabei stets, es widerspreche dem Prinzip von "nemo auditur propriam turpitudinem allegans" ("niemand wird gehört, wenn er sich auf eigene Sittenwidrigkeit beruft") und damit auch dem Rechtsmissbrauchsverbot und dem Grundsatz von Treu und Glauben (
Art. 5 Abs. 3 BV
und
Art. 2 Abs. 2 ZGB
), wenn durch die Berufung auf gesetzwidriges Handeln steuerliche Befreiung verlangt werden könnte. Somit wollte das Bundesgericht mit seinem Hinweis auf die Wertneutralität des Steuerrechts in den genannten Fällen gerade verhindern, dass Steuerpflichtige aufgrund der Rechtswidrigkeit ihres Handelns letztlich begünstigt werden bzw. dass diejenigen, die zulässige Geschäfte abschliessen, benachteiligt würden. Aus diesem Grund ist fraglich, ob betreffend die Wertneutralität des Steuerrechts bzw. betreffend die steuerliche Behandlung rechtswidriger Geschäftsaktivitäten tatsächlich von einer strikten Parallelität zwischen Einkommenserzielung und Gewinnungskosten auszugehen ist, wie das die Vorinstanz und die genannten Lehrmeinungen implizieren. Im Urteil 2C_566/2008 vom 16. Dezember 2008 E. 4.3 (in: StE 2009 B 22.3 Nr. 99; StR 64/2009 S. 561) hat das Bundesgericht diese Frage bei selbständig erwerbstätigen natürlichen Personen als nicht entscheidwesentlich erachtet, zumal dort die zulässigen Abzüge in den
Art. 26-33a DBG
grundsätzlich abschliessend aufgezählt sind (
Art. 25 DBG
; vgl. E. 7.1 hiervor) und jeweils nur zu prüfen ist, ob die vom Gesetz für einen Steuerabzug vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt sind oder nicht.
Wie es sich hiermit im Einzelnen verhält, muss auch im vorliegenden Fall nicht abschliessend beurteilt werden. Die Vorinstanz leitet aus dem Grundsatz der Wertneutralität nämlich primär ab, dass bei einer Besteuerung deliktischer Einkünfte konsequenterweise auch die dafür erforderlichen Gewinnungskosten steuerlich in Abzug gebracht werden müssten. Wie der Beschwerdeführer zutreffend einwendet, wurde dieser Schlussfolgerung aber bei der Veranlagung grundsätzlich entsprochen: Die Aufwendungen der Beschwerdegegnerin für die im Zusammenhang mit den wettbewerbswidrigen Absprachen erbrachten Dienstleistungen bestehend z.B. aus dem Lohn der Angestellten, der Miete von Besprechungsräumen für die Kartellmitglieder etc. wurden zum Abzug zugelassen. Gleiches gilt gemäss dem kantonalen Steueramt für die angefallenen Prozesskosten im Zusammenhang mit der streitbetroffenen Wettbewerbsbusse, was die Beschwerdegegnerin nicht in Abrede stellt. Somit geht es
BGE 143 II 8 S. 30
vorliegend gerade nicht um die Frage, ob die mit einem rechts- oder sittenwidrig erzielten Einkommen zusammenhängenden Gewinnungskosten abzugsfähig sind, sondern eben darum, ob eine Busse bzw. eine monetäre Verwaltungssanktion mit pönalem Charakter gleich den übrigen genannten Aufwendungen zu den ordentlichen Gewinnungskosten zählt oder nicht. Dies ist nach dem Obenstehenden zu verneinen.
7.7
Neben den bereits behandelten Sanktionen mit pönalem Charakter existieren auch monetäre Sanktionen, welche der Gewinnabschöpfung dienen. Diese sind in der Regel schuldunabhängiger Natur und können einer juristischen Person bereits beim Vorliegen eines objektiven Rechtsverstosses auferlegt werden (SIMONEK, Gutachten, a.a.O., Rz. 5.7.3.3, S. 34; E. 5.1 hiervor). Sie bezwecken demnach auch nicht eine Sühne, sondern die blosse Korrektur eines durch Rechtsverletzung entstandenen Zustands; dabei soll der rechtmässige Zustand wiederhergestellt werden, indem jener Anteil des Gewinns abgeschöpft wird, welcher aus dem Rechtsverstoss resultiert. Bei dieser Art von Sanktion besteht von vornherein kein Spannungsverhältnis zwischen der steuerrechtlichen und der strafrechtlichen Würdigung bzw. zwischen dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit: Einerseits besteht eben kein subjektiver (Schuld-)Vorwurf gegenüber der juristischen Person, andererseits besteht aufgrund der integralen Abschöpfung des unrechtmässigen Gewinnanteils keine Veranlassung mehr zur Besteuerung desselben. Aus diesem Grund werden gewinnabschöpfende Sanktionen ohne pönalen Charakter von der Lehre überzeugend als geschäftsmässig begründeter Aufwand und mithin als steuerlich abziehbar bezeichnet (SIMONEK, Gutachten, a.a.O., Rz. 5.7.3.3, S. 34; HONGLER/LIMACHER, a.a.O., Rz. 41), was von der Vorinstanz zutreffend erkannt wird. Auch der Bundesrat hat sich in seinem bereits erwähnten Bericht vom 12. September 2014 über die steuerliche Abziehbarkeit von Bussen und finanziellen Verwaltungssanktionen in gleicher Weise geäussert (Ziff. 3.3.2 S. 10 f. des Berichts; vgl. E. 6 hiervor) und im ebenfalls bereits thematisierten Entwurf eines Bundesgesetzes über die steuerliche Behandlung finanzieller Sanktionen wird vorgesehen, die geschäftsmässige Begründetheit gewinnabschöpfender Sanktionen ohne Strafzweck ausdrücklich im DBG festzuschreiben (Art. 27 Abs. 2 lit. f. und Art. 59 Abs. 1 lit. f E-DBG). Aufgrund der vorstehenden Ausführungen gilt dies jedoch bereits de lege lata.
BGE 143 II 8 S. 31
7.8
Zusammenfassend ergibt sich, dass Bussen und monetäre Verwaltungssanktionen mit pönalem Charakter, welche juristischen Personen aus eigener Verantwortung auferlegt werden, grundsätzlich als nicht geschäftsmässig begründeter Aufwand gelten und deshalb steuerlich nicht absetzbar sind. Rückstellungen und Abschreibungen, welche im Hinblick auf solche Aufwendungen getätigt wurden, sind gemäss
Art. 58 Abs. 1 lit. b DBG
zum steuerbaren Reingewinn gemäss Erfolgsrechnung hinzuzurechnen. Geschäftsmässig begründet und mithin steuerlich absetzbar sind demgegenüber gewinnabschöpfende Sanktionen, soweit sie keinen pönalen Zweck verfolgen.
8.
Im vorliegenden Fall konnte die Vorinstanz angesichts der von ihr (mehrheitlich) vertretenen Rechtsauffassung offenlassen, inwieweit der von der europäischen Kommission ausgesprochenen Busse allenfalls auch ein über pönale Zwecke hinausgehender Gewinnabschöpfungsanteil zukommt. Das beschwerdeführende Steueramt führt hierzu aus, ein Gewinnabschöpfungsanteil der Busse sei von der Steuerpflichtigen nicht nachgewiesen worden. Da die Beschwerdegegnerin nur als Beraterin an den Wettbewerbsabsprachen teilgenommen habe und selber in den von den Zuwiderhandlungen betroffenen Märkten nicht tätig gewesen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass die Busse rein pönalen Charakter habe und keinen Gewinnabschöpfungsanteil enthalte (vgl. im selben Sinne auch die Minderheitsmeinung der Vorinstanz). Die Beschwerdegegnerin führt demgegenüber ins Feld, sie habe zu diesem Punkt insbesondere im Rekursschreiben vom 23. August 2013 sowie in früheren Eingaben Ausführungen gemacht, auf welche die Vorinstanzen bisher nicht eingegangen seien bzw. aufgrund der gefällten Urteile auch nicht haben eingehen müssen. Somit seien die Vorbringen weder geprüft noch in die Entscheidfindung miteinbezogen worden: Nicht gehört worden seien insbesondere die Ausführungen, weshalb die vorliegende Busse gleichwohl einen Gewinnabschöpfungsanteil enthalte, obwohl sie als Anteil am Umsatz (und nicht am Gewinn) festgelegt worden sei.
Mangels entsprechender sachverhaltlicher Feststellungen der Vorinstanzen ist es dem Bundesgericht nicht möglich, sich direkt und abschliessend zur Zusammensetzung resp. zur Rechtsnatur der im Streit liegenden Busse der Europäischen Kommission zu äussern. Ebenso erfordert der Anspruch der Beschwerdegegnerin auf rechtliches Gehör (
Art. 29 Abs. 2 BV
), dass sich das Verwaltungsgericht mit den entsprechenden Vorbringen im kantonalen Verfahren
BGE 143 II 8 S. 32
auseinandersetzt. Aus diesem Grund ist die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen, zur Prüfung, ob die gegen die Beschwerdegegnerin ausgesprochene Busse einen rein pönalen Charakter hat, oder ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie (auch) einen Gewinnabschöpfungsanteil enthält. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Nachweis eines allfälligen Gewinnabschöpfungsanteils als steuermindernde Tatsache der steuerpflichtigen Person obliegt (
BGE 140 II 248
E. 3.5 S. 252).
III. Staats- und Gemeindesteuern
9.
Die Rechtslage ist bei den Staats- und Gemeindesteuern im Wesentlichen identisch wie bei der direkten Bundessteuer (
Art. 24 Abs. 1 lit. a und
Art. 25 Abs. 1 lit. a StHG
sowie
§ 64 Abs. 1 und
§ 65 Abs. 1 lit. a StG
/ZH [LS 631.1]).
Der Begriff des "geschäftsmässig begründeten Aufwands" stellt ein sachliches Bemessungselement dar, welches der Ermittlung des steuerbaren Gewinns dient. Es handelt sich dabei um einen Terminus, der im DBG und im StHG in gleicher Art verwendet wird. In Beachtung der vertikalen Harmonisierungsfunktion des Steuerharmonisierungsgesetzes wäre eine uneinheitliche Verwendung dieses Begriffs in den Kantonen nicht zu vertreten. Der Begriff des geschäftsmässig begründeten Aufwands ist damit einheitlich und harmonisiert anzuwenden, was einen Gestaltungsspielraum der Kantone ausschliesst.
Aus diesen Gründen gelten die vorstehenden Erwägungen für die direkte Bundessteuer auch bei den Staats- und Gemeindesteuern, weshalb auf das bereits Ausgeführte verwiesen werden kann. (...) | mixed |
d4ec606a-37b4-4ffd-8efc-b5bc2c19dafb | Sachverhalt
ab Seite 366
BGE 136 III 365 S. 366
A.
X., né en 1970, et Y., née en 1973, ont fait ménage commun de 1994 à mai 2006. Un enfant est issu de leur union: A., née le 26 avril 2006 à Genève. La mère exerce l'autorité parentale et la garde de l'enfant.
Par convention du 30 janvier 2007, le père s'est engagé à verser mensuellement en faveur de sa fille, allocations familiales non comprises, la somme de 2'700 fr. du 1
er
janvier 2007 jusqu'aux 18 ans révolus de l'enfant et au-delà en cas d'études sérieuses et suivies.
Les parents ont, par convention du 18 juillet 2008 [recte: 2007], réduit le montant de la contribution d'entretien à 1'700 fr. par mois du 1
er
août 2007 jusqu'aux 18 ans révolus de l'enfant et au-delà en cas d'études sérieuses et suivies. Il était précisé que ladite contribution pourrait être revue si la situation d'une des parties devait se modifier de façon durable et importante.
Cette seconde convention a été approuvée par le Tribunal tutélaire du canton de Genève le 8 août 2007.
B.
Le 30 décembre 2008, le père a requis - en dirigeant son action exclusivement contre Y. - la modification de la contribution alimentaire, proposant de verser mensuellement en faveur de sa fille, dès le 1
er
janvier 2009, une contribution d'entretien de 1'000 fr. jusqu'à l'âge de 5 ans, 1'100 fr. jusqu'à l'âge de 10 ans, 1'200 fr. jusqu'à l'âge de 15 ans et 1'300 fr. jusqu'à la majorité, voire au-delà en cas d'études.
Le Tribunal de première instance de Genève l'a débouté de ses conclusions le 14 mai 2009. Ce jugement a été confirmé le 24 septembre suivant par la Cour de justice du canton de Genève, qui a cependant rectifié la dénomination des parties en ce sens que la défenderesse est l'enfant, A., représentée par sa mère, Y.
C.
Par arrêt du 30 avril 2010, le Tribunal fédéral a rejeté, dans la mesure de sa recevabilité, le recours en matière civile interjeté par le père contre l'arrêt de la Cour de justice du 24 septembre 2009.
(résumé) Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
En première instance cantonale, le recourant a dirigé sa "requête en fixation d'une pension alimentaire" contre la mère de l'enfant. Dans son mémoire de réponse, celle-ci a indiqué qu'elle s'en rapportait à justice quant à la légitimation passive, l'enfant étant en réalité le créancier de la contribution d'entretien et donc le titulaire des droits dont le
BGE 136 III 365 S. 367
demandeur souhaitait la modification. Le Tribunal de première instance ne s'est pas prononcé sur ce point. Quant à la Cour de justice, elle a, de son propre chef et sans aucune motivation, modifié la dénomination des parties, tant dans le rubrum que dans le corps de l'arrêt, en ce sens que la demande est dirigée contre l'enfant représenté par sa mère. Dans sa réponse au présent recours, l'enfant rappelle, à titre liminaire, que le Tribunal de première instance a été requis de se prononcer sur la question de la légitimation passive, dès lors que la demande a été déposée contre sa mère alors qu'elle-même est créancière de la contribution d'entretien et, partant, titulaire des droits dont le demandeur souhaite la modification.
2.1
La qualité pour agir et la qualité pour défendre appartiennent aux conditions matérielles de la prétention litigieuse. Elles se déterminent selon le droit au fond et leur défaut conduit au rejet de l'action, qui intervient indépendamment de la réalisation des éléments objectifs de la prétention litigieuse. Ainsi, l'admission de la qualité pour défendre signifie que le demandeur peut faire valoir sa prétention contre le défendeur, en tant que sujet passif de l'obligation en cause. Cette question, qui ressortit au droit fédéral (
ATF 130 III 417
consid. 3.1 p. 424), doit en particulier être examinée d'office et librement (
ATF 130 III 550
consid. 2 p. 551 s.;
ATF 126 III 59
consid. 1a p. 63).
2.2
Selon l'
art. 318 al. 1 CC
, les père et mère administrent les biens de l'enfant aussi longtemps qu'ils ont l'autorité parentale. La jurisprudence en a déduit que le détenteur de l'autorité parentale, qui a l'administration et la jouissance des biens de l'enfant mineur en vertu d'un droit propre, peut protéger en son nom les droits patrimoniaux de l'enfant et les faire valoir en justice en agissant personnellement comme partie (
ATF 84 II 241
p. 245, relatif à l'ancien
art. 290 al. 1 CC
, dont la teneur est identique à l'actuel
art. 318 al. 1 CC
;
ATF 90 II 351
consid. 3 p. 355/356). La doctrine partage majoritairement ce point de vue, considérant par exemple que la demande de modification de la contribution à l'entretien de l'enfant fixée par le jugement de divorce peut être dirigée contre le détenteur de l'autorité parentale en tant que "Prozessstandschafter", disposant de la faculté d'être poursuivi en justice pour le droit d'autrui (cf. par exemple BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar [3
e
éd. 1980] et Ergänzungsband, [1980], n
os
59 et 279 ad ancien
art. 156 CC
; HEGNAUER, Berner Kommentar, 3
e
éd. 1964, n° 63 ad
art. 286 CC
). Le Tribunal fédéral en a jugé de même dans le contexte d'une procédure de modification du jugement de divorce tendant également à la restitution de contributions d'entretien payées en
BGE 136 III 365 S. 368
trop, estimant que celles-ci faisaient partie de la fortune de l'enfant et que la faculté du détenteur de l'autorité parentale de conduire un procès en son propre nom et comme partie à la place de l'enfant obligé concerne la fortune de celui-ci considérée dans son ensemble (arrêt 5C.314/2001 du 20 juin 2002 consid. 7 et 9, non publiés in
ATF 128 III 305
).
Le principe selon lequel, en vertu de l'
art. 318 al. 1 CC
, le détenteur de l'autorité parentale a qualité pour exercer en son nom les droits de l'enfant mineur et pour les faire valoir en justice ou dans une poursuite en agissant personnellement comme partie doit finalement valoir pour toutes les questions de nature pécuniaire et, par conséquent aussi, d'une manière générale, pour celles relatives à des contributions d'entretien. Il s'ensuit que la légitimation active ou passive doit être reconnue aussi bien au détenteur de l'autorité parentale qu'à l'enfant mineur (cf.
ATF 90 II 351
précité). Tel est également le cas lorsque, comme en l'espèce, le litige porte sur la modification d'une contribution d'entretien fixée par convention approuvée par l'autorité tutélaire pour un enfant né hors mariage. Dès lors, la jurisprudence contraire de l'arrêt 5A_104/2009 du 19 mars 2009 ne saurait être maintenue. La légitimation passive de la mère, contre qui l'action a été dirigée, doit donc être admise. Il convient, par conséquent, de modifier dans ce sens la dénomination des parties telle qu'elle ressort de l'arrêt déféré. | mixed |
ba5331a3-6c75-4dd9-b691-923f01eb0bfe | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 126 III 95 S. 95
A.-
Con istanza 10 luglio 1998 inoltrata nei confronti di A., la B. GmbH, con sede in Germania, ha chiesto al Pretore di Locarno-Città di sequestrare presso la banca X. di Locarno "i beni di ogni genere, siano essi titoli, depositi, conti, carte valori, somme in
BGE 126 III 95 S. 96
contanti, opzioni o altri diritti, crediti in qualsiasi valuta, metalli o altri averi in deposito aperto o chiuso, crediti risultanti da affari fiduciari, appartenenti al debitore, siano essi intestati a suo nome o che la banca sa, pur essendo intestati a terzi, essere di pertinenza del debitore, inoltre beni direttamente o indirettamente in nome proprio del debitore o su conti cifrati, sotto rubrica convenzionale, in cassette di sicurezza o in qualunque altro modo" fino a concorrenza di un credito di fr. 50'000'000.-, oltre accessori, derivante da responsabilità contrattuali e da atto illecito in relazione alla vendita della E. GmbH. La richiedente ha indicato quali cause del sequestro quelle previste nell'
art. 271 cpv. 1 n. 2 e 4 LEF
. Il 13 luglio 1998 il Segretario assessore della Pretura ha ordinato il sequestro così come chiesto e il medesimo giorno l'Ufficio d'esecuzione e fallimenti di Locarno lo ha attuato presso la banca. In seguito all'opposizione del debitore, il Pretore, con decisione 18 dicembre 1998, ha annullato il sequestro ed ha respinto l'istanza di prestazione di garanzia formulata dal debitore per un importo di fr. 25'000'000.-.
B.-
Il 5 luglio 1999 la Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale d'appello del Cantone Ticino ha parzialmente accolto un ricorso della creditrice nel senso che i beni sequestrati sono quelli appartenenti al debitore ad esclusione di quelli intestati a terzi, obbligando tuttavia la sequestrante a versare entro 30 giorni dall'intimazione della sentenza una garanzia di fr. 5'000'000.-, valida almeno fino ad un anno dopo l'eventuale revoca risp. decadenza del sequestro.
C.-
Con ricorso di diritto pubblico datato 11 luglio 1999 e completato il 9 agosto seguente la B. GmbH postula l'annullamento della sentenza cantonale e il rinvio degli atti al Tribunale d'appello affinché sia accolta integralmente la domanda di sequestro presentata; chiede inoltre di aumentare a 60 giorni il termine per prestare la garanzia, da ridurre da fr. 5'000'000.- a fr. 50'000.-, e valida al massimo fino alla crescita in giudicato della decisione concernente un'eventuale causa di responsabilità per sequestro infondato. Con risposta 31 agosto 1999, la controparte propone la reiezione del gravame. Il Tribunale federale ha parzialmente accolto il ricorso. Erwägungen
Dai considerandi:
4.
a) L'
art. 272 cpv. 1 n. 3 LEF
nel suo testo entrato in vigore il 1o gennaio 1997 prevede che il sequestro viene concesso qualora il
BGE 126 III 95 S. 97
creditore renda verosimile l'esistenza di beni appartenenti al debitore. Con il Messaggio concernente la revisione della legge federale sulla esecuzione e sul fallimento dell'8 maggio 1991, il Consiglio federale precisa che con ciò si è voluto ostacolare efficacemente i sequestri generici ed investigativi e che, con questa innovazione, il creditore potrà chiedere il sequestro di beni che si trovano in possesso di terzi o che figurano a nome di un terzo soltanto se riesce a rendere verosimile che questi beni appartengono in realtà al debitore (FF 1991 III 119). Lo stesso Messaggio fa al proposito riferimento alla sentenza
DTF 107 III 33
consid. 2, nella quale si è ricordato che, già in base al vecchio testo di legge, il creditore non poteva sottrarsi all'obbligo di rendere verosimile il diritto di proprietà del debitore sui beni da sequestrare specie se gli stessi sembrano appartenere a terzi in virtù del possesso, dell'iscrizione a registro fondiario, del contenuto del titolo o della titolarietà del conto o del deposito bancario. Una rinuncia a questo onere probatorio semplificato abbandonerebbe i terzi all' arbitrio del creditore, che il più delle volte nemmeno dispone di un titolo esecutivo contro il debitore. Non può quindi essere revocato il dubbio che con l'introduzione dell'
art. 272 cpv. 1 n. 3 LEF
si è voluto esigere che il creditore sequestrante non solo indichi nella sua domanda di sequestro i beni di cui chiede il sequestro, ma che pure renda verosimile l'appartenenza di questi beni al debitore se essi sono formalmente intestati a un terzo. L'indicazione del terzo appare in queste circostanze indispensabile e il creditore sequestrante non potrà limitarsi ad indicare, come in concreto, tutti i beni appartenenti al debitore e, in modo generico, a questi intestati o a terzi: per poter procedere al sequestro occorre invece che in caso di beni formalmente appartenenti a terzi il nome del terzo sia perlomeno indicato, specie se trattasi di crediti (cfr.
DTF 109 III 120
consid. 4 pag. 125).
A questa conclusione sembra d'altra parte approdare anche la dottrina più recente (D. GASSER, Das Abwehrdispositiv der Arrestbetroffenen nach revidiertem SchKG, in: ZBJV 1994/130 pag. 595; R. OTTOMAN, Der Arrest, in RDS 115/1996 I pag. 253; B. REEB, Les mesures provisoires dans la procédure de poursuite; in: RDS 116/1997 II pag. 464; W. STOFFEL, Le séquestre, in: La LP révisée, quaderno Cedidac n. 35, 1997, pag. 260). Esigere l'indicazione del terzo titolare del credito da sequestrare non significa ancora proteggere coloro che si sottraggono ai creditori cedendo i loro beni a uomini di paglia, società di comodo, o mandatari professionali che dispongono di depositi collettivi: in questi casi, evidentemente, il grado di verosimiglianza sull'appartenenza dei beni al debitore richiesto dal giudice dovrà
BGE 126 III 95 S. 98
tenere conto della situazione fraudolenta e ogni indizio in tal senso dovrà essere tenuto in debita considerazione (cfr. GILLIÉRON, Le séquestre dans la LP révisée, in: BlSchK 1995 pag. 132).
b) I giudici cantonali hanno rilevato che la creditrice sequestrante non ha portato nessun elemento atto a sostanziare l'esistenza di conti intestati a terze persone di pertinenza del debitore: non solo non è stato indicato il cognome, ma neppure è stato fornito un indizio che permetta di concludere in termini di mera verosimiglianza che gli averi su un conto intestato a terzi siano in realtà di pertinenza del debitore. L'onere del creditore sequestrante di indicare sufficienti elementi atti a rendere verosimigliante l'esistenza di beni a nome di terzi di pertinenza del debitore non può evidentemente essere sostituito, sempre secondo i giudici cantonali, con l'invito alla banca di indicare eventuali terzi che dispongono di averi di cui il debitore è avente diritto economico. La sentenza impugnata infine rileva che nulla lascia intravedere in concreto un abuso di diritto del debitore, ossia un cosiddetto "Durchgriff" da parte dello stesso mediante costituzione di società o altre persone giuridiche.
c) Orbene, in assenza del nome di terzi che potrebbero detenere beni di pertinenza del debitore e senza altri elementi che possano in qualche modo rendere verosimigliante l'appartenenza al debitore di beni intestati a terzi, i giudici cantonali ben potevano rifiutare la richiesta della creditrice nella misura in cui chiedeva il sequestro di beni appartenenti al debitore intestati a suo nome o, genericamente, a nome di terzi, e ciò senza cadere nell'arbitrio, ossia senza emanare una decisione manifestamente insostenibile, destituita di fondamento serio o oggettivo, o in urto palese con il senso della giustizia e dell'equità (cfr. d'altra parte per una prassi restrittiva la giurisprudenza del Canton Zurigo illustrata da BREITSCHMID, Übersicht zur Arrestbewilligungspraxis nach revidiertem SchKG, in: AJP 1999 pag. 1007 segg. n. 2.4.1). (...)
5.
Giusta l'
art. 273 cpv. 1 LEF
, il creditore è responsabile sia nei confronti del debitore, sia di terzi, dei danni cagionati con un sequestro infondato. Il giudice può obbligarlo a prestare garanzia. Il contenuto e le condizioni di tale garanzia sono disciplinate dal diritto federale. Il creditore sequestrante può essere costretto - anche d'ufficio - a prestare una garanzia se la pretesa o il caso di sequestro invocati non sono del tutto certi (
DTF 112 III 112
consid. 2a). L'autorità del sequestro apprezza liberamente le circostanze che danno luogo alla prestazione di garanzia, fatto salvo il divieto di arbitrio
BGE 126 III 95 S. 99
(SJ 1987 pag. 586 consid. 4, non pubblicato nella
DTF 113 III 94
;
DTF 112 III 112
consid. 2c); per principio la decisione impugnata sarà quindi annullata solo se l'importo della garanzia stabilita vada oltre ogni misura ragionevole.
a) Il credito della sequestrante non si fonda su un giudizio esecutivo o su almeno un riconoscimento di debito, ma solamente su una pretesa che forma oggetto di una procedura giudiziaria pendente in Germania. In linea di principio, pertanto, una garanzia a copertura di eventuali danni che il sequestro potrebbe determinare non appare esclusa a priori. Fondandosi su questo fatto e sulla richiesta del debitore, secondo il quale la causa in Germania costerà sicuramente oltre 10'000'000.- di marchi per spese legali e tasse di giustizia e l'indisponibilità dei beni sequestrati durerà ancora a lungo e potrà creare al proprietario numerosi pregiudizi, sia nei confronti di terzi, sia nella gestione dei suoi affari, la Corte cantonale ha ritenuto che la garanzia va alla fin fine fissata tenendo presente l'importo del credito invocato ai fini del sequestro. I giudici cantonali hanno quindi stabilito che la creditrice sequestrante dovrà prestare, entro 30 giorni dall'intimazione della decisione, una garanzia di fr. 5'000'000.- in favore del debitore per eventuali danni da questi subiti a dipendenza del sequestro, qualora lo stesso risultasse ingiustificato.
b) Secondo la ricorrente, che non sembra criticare il principio della prestazione della garanzia come tale, ma piuttosto il suo importo, la decisione cantonale è arbitraria per più versi: anzitutto perché non tiene conto degli oneri che essa stessa deve sostenere nella causa in Germania e che potrebbero finire a carico del debitore. Inoltre, quel processo è iniziato nel 1990 e tutti gli oneri da esso derivanti a tutt'oggi non stanno in nessun rapporto di causa ed effetto con l'istanza di sequestro all'esame. Inoltre, i giudici cantonali hanno completamente disatteso l' alto grado di verosimiglianza delle cause di sequestro e la natura dei beni sequestrati. Infine, il debitore non ha mai sostenuto l'esistenza di un danno particolare derivantegli dal sequestro e i giudici cantonali hanno completamente ignorato che in concreto non si sa se il sequestro abbia dato esito positivo e in quale misura. Si tratta di un elemento di giudizio indispensabile ai fini della valutazione dell'eventuale, possibile danno. Il debitore, a sua volta, ribadisce la necessità di poter disporre di una garanzia dell'importo stabilito. La somma di fr. 5'000'000.- fissata dai giudici cantonali tiene conto del credito per il quale si procede (fr. 50'000'000.-), della durata della causa e della situazione economica delle parti.
BGE 126 III 95 S. 100
c) Questa conclusione, ripresa dalla sentenza impugnata, è arbitraria. Il Tribunale federale ha più volte ricordato che la garanzia va calcolata valutando il danno eventuale che il sequestro determina o può determinare per il debitore e non invece nella base dell'importo del credito invocato a sostegno del sequestro (
DTF 113 III 94
consid. 12 pag. 104). Le garanzie previste dall'
art. 273 cpv. 1 LEF
sono infatti destinate ad assicurare le pretese di risarcimento danni del debitore sequestrato (
DTF 113 III 94
consid. 9 pag. 100). Nel concreto caso, come già rilevato dal Pretore, non è però dato di sapere se il sequestro abbia dato esito positivo e, in caso affermativo, quale importo sia stato sequestrato: manca quindi una delle basi essenziali per stabilire se vi è stato in concreto un blocco di beni del debitore e, in caso affermativo, di quale entità; si tratta in effetti di un elemento essenziale per stabilire un eventuale danno che il sequestro come tale può causare al debitore (sentenze inedite della II Corte civile del 21 luglio 1994 in re K. e 23 agosto 1994 in re C.; REEB, op. cit., pag. 467 nota 291). Orbene, in concreto, il debitore, pur chiedendo la prestazione di una garanzia di fr. 25'000'000.-, non ha reso per nulla verosimile un eventuale danno derivante dal sequestro. Gli sarebbe però stato facilissimo autorizzare la banca a comunicare se il sequestro aveva dato esito positivo e, se sì, in quale misura. Egli ha invece rifiutato ogni informazione al proposito, limitandosi poi a dire in sede di ricorso di diritto pubblico che una garanzia pari al 10% dell'importo posto a fondamento del sequestro appare senz'altro equa. Anche sull'entità delle spese future per la causa pendente in Germania il debitore non si è particolarmente sforzato di offrire i necessari elementi atti a valutare l'eventuale entità del danno. Né egli ha preteso di dover far capo a prestiti per rimediare al blocco dei suoi averi (
DTF 113 III 94
consid. 11b pag. 103) o di aver perso o di perdere in futuro eventuali affari in seguito a questo blocco (
DTF 113 III 94
consid. 12 pag. 104). Si tratta di una serie di elementi, specie con riferimento all'entità dell'importo sequestrato, che il debitore - senza particolare impegno o perizia - avrebbe potuto rendere verosimili e che avrebbero permesso ai giudici di determinare l'importo della garanzia.
È ben vero che la valutazione a priori dell'eventuale danno che il debitore sequestrato può subire non è di agevole attuazione, ma è altrettanto vero che il debitore richiedente la garanzia non può rifiutarsi di fornire gli elementi essenziali atti a sostanziare la verosimiglianza dell'eventuale, possibile danno connesso all'istanza di sequestro. Non si può infine dimenticare che le eventuali spese giudiziarie
BGE 126 III 95 S. 101
e legali derivanti all'azione di convalida del sequestro, ove lo stesso dovesse risultare infruttuoso, non sarebbero causate soltanto dal creditore sequestrante, ma anche dal debitore che si rifiuta di acconsentire a una tempestiva comunicazione dell'esito del sequestro. Quest'ultimo problema, con la nuova legge entrata in vigore il 1o gennaio 1997, si pone nondimeno in termini piuttosto mitigati, poiché, in caso di mancata opposizione o a conclusione della procedura di opposizione, il terzo detentore di beni del debitore sarà tenuto a dare tutte le necessarie informazioni per l'esecuzione del sequestro sotto le comminatorie dell'art. 324 cifra 5 CP (
DTF 125 III 391
), di guisa che la causa di convalida non dovrà essere avviata o se già lo è stata potrà essere interrotta, se il sequestro non ha dato esito.
Da quanto precede risulta pertanto che, in assenza di ogni e qualsiasi dato sull'ammontare dei beni sequestrati, i giudici cantonali non potevano procedere - senza cadere nell'arbitrio - alla determinazione dell'importo della garanzia richiesta dal debitore e contestata nel suo importo dalla creditrice. La decisione impugnata va pertanto annullata sui punti concernenti la prestazione della garanzia. In queste circostanze deve pure essere annullato il dispositivo sulle spese processuali della sentenza impugnata. | mixed |