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Sachverhalt ab Seite 27 BGE 134 III 27 S. 27 A. 24 in Deutschland domizilierte Investoren (Z. und Mitb.; Beschwerdegegner) klagen vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich auf Schadenersatz für ihre Verluste. Sie machen geltend, A. und B. hätten seit 1995 öffentlich Anlagen angeboten, zunächst über eine auf den British Virgin Islands eingetragene Gesellschaft und hernach über die von ihnen erworbene "YB., Inc." (YBI) mit Sitz in Chicago, Illinois, für welche X. (Beschwerdeführer), der in Lugano eine Anwaltskanzlei führt, als Anwalt und Notar mandatiert worden sei. Zahlreiche Personen hätten seit dem 28. Oktober 1996 Anlageverträge mit der YBI abgeschlossen, ihr Geld aber nicht oder nur zum Teil zurückerhalten, denn die YBI habe nach dem BGE 134 III 27 S. 28 Schneeballprinzip funktioniert: Die Einlagen seien für Ausschüttungen an andere Kunden, Vermittlerprovisionen, Akquisitionsspesen und einen aufwändigen Lebensstil verwendet worden. A. und B. sowie weitere Beteiligte seien im Frühjahr 2000 wegen gemeinschaftlichen Betrugs vom Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilt worden. B. Mit Klage vom 30. Oktober 2006 forderten die Beschwerdegegner vor dem Handelsgericht vom Beschwerdeführer sowie von der miteingeklagten V. Versicherungsgesellschaft (Beklagte 1), bei welcher der Beschwerdeführer gegen seine Berufshaftpflicht versichert ist, Ersatz für den jedem Einzelnen von ihnen aus seiner Anlage bei der YBI entstandenen Schaden. Die Beschwerdegegner begründen die Haftung der Beklagten 1 damit, dass es diese beim Abschluss der Berufshaftpflicht-Police mit dem Beschwerdeführer an der besonderen Sorgfalt habe fehlen lassen, die sie angesichts der möglichen Publikumsgefährdung im Interesse Dritter hätte aufwenden müssen. Darüber hinaus stützen sie sich auf eine Abtretung der Ansprüche des Beschwerdeführers auf Versicherungsdeckung für die ihnen diesem gegenüber bestehenden Haftungsansprüche sowie auf ihr gesetzliches Pfandrecht ( Art. 60 VVG ; SR 221.229.1). Die Schadenersatzpflicht des Beschwerdeführers führen sie auf die Übernahme des Mandats als solche zurück, und sie werfen ihm vor, seine Treue- und Sorgfaltspflichten als Rechtsanwalt und Notar verletzt zu haben. Zudem leiten sie seine Verantwortlichkeit aus dem Anlagefondsgesetz ab. Der Beschwerdeführer erhob die Einrede der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit, hauptsächlich wegen der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten 1 und wegen des fehlenden Sachzusammenhangs der Klagen. Er wie auch die Beklagte 1 verlangten, das Verfahren zunächst auf das Prozessthema der Passivlegitimation der Beklagten 1 zu beschränken. Diesen Antrag sowie die Einrede der fehlenden örtlichen Zuständigkeit wies das Handelsgericht am 29. März 2007 ab. Über die Frage der sachlichen Zuständigkeit wurde noch nicht entschieden. C. Der Beschwerdeführer hat den Beschluss des Handelsgerichts mit Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht angefochten. Er stellt das Rechtsbegehren, auf die gegen ihn gerichtete Klage nicht einzutreten, und ersucht um Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Die Beschwerdegegner beantragen im Wesentlichen, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventualiter diese wie auch das Gesuch um aufschiebende Wirkung abzuweisen. Der Beschwerde wurde am 29. Mai 2007 superprovisorisch die aufschiebende Wirkung erteilt. BGE 134 III 27 S. 29 Mit dem vorliegenden endgültigen Entscheid über die Beschwerde wird die Frage der aufschiebenden Wirkung obsolet. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die Beschwerdegegner wohnen in Deutschland, beide Beklagten haben ihren Sitz bzw. Wohnsitz in der Schweiz, womit ein internationales Verhältnis zur Beurteilung steht, für welches die Frage der internationalen Zuständigkeit vom Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ; SR 0.275.11) beherrscht wird. 2.1 Zu Recht unumstritten ist die sachliche und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts am Sitz der Beklagten 1 (KROPHOLLER, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Frankfurt a.M. 2005, N. 3 vor Art. 2 EuGVO), soweit sich die Klage gegen diese richtet. 2.2 Anders verhält es sich mit Bezug auf den Beschwerdeführer, der in F. (Kanton Tessin) wohnt und nicht im Handelsregister eingetragen ist. Wäre er allein eingeklagt worden, wäre das Handelsgericht Zürich weder örtlich noch sachlich zuständig, wie es zutreffend anführt. Indessen leitet die Vorinstanz ihre örtliche Zuständigkeit aus Art. 6 Ziff. 1 LugÜ (Gerichtsstand des Zusammenhangs) ab. In Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lehrmeinungen kommt sie zum Ergebnis, diese Bestimmung regle auch die innerstaatliche Zuständigkeit, wenn alle Beklagten im Gerichtsstaat Sitz oder Wohnsitz haben und dieser Staat - wie die Schweiz in Art. 7 Abs. 1 GestG (SR 272) - die passive subjektive Klagenhäufung kennt. Die Vorinstanz bejahte den nach der genannten Konventionsbestimmung erforderlichen Sachzusammenhang aus der Überlegung, dass der von den Beschwerdegegnern gestützt auf die behauptete Zession geltend gemachte Deckungsanspruch aus der Berufshaftpflichtversicherung dem Beschwerdeführer nur dann entstehe, wenn dieser den Beschwerdegegnern gegenüber aus mangelnder Sorgfalt hafte. Die Ausübung des angeblichen Pfandrechts gegenüber der Beklagten 1 sei ebenfalls nur unter dieser Voraussetzung möglich. Die Vorinstanz erachtete daher eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung über diese Ansprüche als geboten, so dass von Konnexität im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 LugÜ auszugehen sei. Dabei hob die Vorinstanz hervor, dass die Konnexität, mithin auch die Zuständigkeit, verneint werden müsste, sollte die Passivlegitimation der Beklagten 1 nicht gegeben sein. BGE 134 III 27 S. 30 2.3 Unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichts 4C.84/2004 vom 9. Juni 2004 lehnte es die Vorinstanz sodann ab, über die Rechtsfrage der "Passivlegitimation der Beklagten 1" (recte: Aktivlegitimation der Kläger und heutigen Beschwerdegegner) im Rahmen der Entscheidung über ihre Zuständigkeit zur Beurteilung der Klage gegen den Beschwerdeführer zu befinden und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen zu treffen. Sie erwog, der für das Fehlen der Passivlegitimation massgebliche Sachverhalt sei nicht unbestritten und ergebe sich nicht ohne Weiteres aus den Akten. Die Vorinstanz stellte aus diesen Gründen "einstweilen" auf die bestrittenen Behauptungen der Beschwerdegegner ab und merkte an, aufgrund der "jetzigen Aktenlage" könne "nicht leichthin gesagt werden", die Beschwerdegegner hätten den Gerichtsstand des Sachzusammenhangs nach Art. 6 Ziff. 1 LugÜ rechtsmissbräuchlich beansprucht. Dies führte zur Abweisung der Einrede der fehlenden örtlichen Zuständigkeit. (...) 5. Für den Fall, dass Art. 6 Ziff. 1 LugÜ zur Anwendung kommt, macht der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz habe der Rechtsprechung des EuGH entgegen den bundesgerichtlichen Vorgaben keine Beachtung geschenkt. Im Urteil vom 13. Juli 2006 in der Rechtssache C-539/03, Roche Nederland BV u.a. gegen Frederick Primus und Milton Goldberg , Slg. 2006, I-06535, habe der EuGH seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass widersprüchliche Urteile nunmehr dann vermieden werden müssten, wenn beiden Klagen dieselbe Sach- und Rechtslage zugrunde liege. Auch nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei Art. 6 Ziff. 1 LugÜ als Ausnahme von der Regel des Wohnsitzgerichtsstandes restriktiv auszulegen. 5.1 Art. 6 Ziff. 1 LugÜ enthält eine Zuständigkeitsbestimmung für die passive Streitgenossenschaft. Wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, auch vor dem Gericht belangt werden, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat. Diese Vorschrift regelt die internationale und, nach ihrem Wortlaut zu schliessen (Bezirk), auch die örtliche Zuständigkeit (KROPHOLLER, a.a.O., N. 3 vor Art. 2 EuGVO und N. 5 zu Art. 6 EuGVO; DONZALLAZ, La Convention de Lugano, Bd. 3, Rn. 5444 S. 490 mit Hinweisen). Der Streitfrage, ob Art. 6 Ziff. 1 LugÜ auch Anwendung findet, wenn mehrere Beklagte ihren Wohnsitz in demselben Staat haben BGE 134 III 27 S. 31 (vgl. SCHLOSSER, EU-Zivilprozessrecht, Kommentar, 2. Aufl., München 2003, N. 2 zu Art. 6 EuGVVO; KROPHOLLER, a.a.O., N. 2 zu Art. 6 EuGVO), kommt in der Schweiz keine massgebliche Bedeutung zu. In der Schweiz gilt nicht nur im Binnenverhältnis eine Art. 6 Ziff. 1 LugÜ nachempfundene Bestimmung ( Art. 7 Abs. 1 GestG ; vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen vom 18. November 1998, BBl 1999 S. 2848). Auch im internationalen Verhältnis steht für Klagen aus unerlaubter Handlung, sofern für mehrere Beklagte eine Zuständigkeit in der Schweiz gegeben ist, nach Art. 129 Abs. 3 IPRG der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft zur Verfügung, der wie Art. 6 Ziff. 1 LugÜ einen hinreichenden Konnex zwischen den verschiedenen Ansprüchen voraussetzt (vgl. VOLKEN, Zürcher Kommentar, 2. Aufl., N. 113 zu Art. 129 IPRG ; UMBRICHT/ZELLER, Basler Kommentar, 2. Aufl., N. 30 zu Art. 129 IPRG ). 5.2 Art. 6 Ziff. 1 LugÜ stellt einen weiteren, vom Grundsatz der Zuständigkeit am Wohnsitz des Beklagten abweichenden Gerichtsstand für Fälle zur Verfügung, in denen zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten (vgl. Art. 6 Nr. 1 der Verordnung [EG] 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 [EuGVO], dessen Wortlaut die zur früheren, Art. 6 Ziff. 1 LugÜ entsprechenden Fassung entwickelte Lehre und Rechtsprechung aufnimmt; KROPHOLLER, a.a.O., N. 8 zu Art. 6 EuGVO; CZERNICH/TIEFENTHALER/KODEK, Kurzkommentar Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht: EuGVO und Lugano-Übereinkommen, 2. Aufl., Wien 2003, N. 1 und 10 zu Art. 6 EuGVO). 5.3 Der Beschwerdeführer weist zu Recht darauf hin, dass im Bereich des Lugano-Übereinkommens den Urteilen des EuGH zum EuGVÜ gebührend Rechnung zu tragen ist ( BGE 133 III 282 E. 3.1 S. 285 mit Hinweisen). Der EuGH hat in der zitierten Rechtssache C-539/03 indessen nicht abschliessend beurteilt, wie weit der Begriff der widersprechenden Entscheidungen auszulegen sei. Er hielt vielmehr fest, selbst wenn der Begriff in einem weiten Sinn zu verstehen wäre, seien im zu beurteilenden Fall sich widersprechende Urteile nicht denkbar, da es dazu nicht genüge, wenn es zu einer abweichenden Entscheidung des Rechtsstreits komme. Diese Abweichung BGE 134 III 27 S. 32 müsse ausserdem bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten (zit. Urteil des EuGH C-539/03 Randnr. 26 f.). In der vom EuGH beurteilten Streitsache ging es um die Verletzung eines europäischen Patents. Den eingeklagten Personen wurden einerseits nicht dieselben Verletzungshandlungen vorgeworfen, so dass nach Auffassung des EuGH unterschiedliche Entscheide nicht dieselbe Sachlage betrafen. Andererseits unterliegt ein europäisches Patent weiterhin dem nationalen Recht der Vertragsstaaten, für die es erteilt worden ist, weshalb die Gerichte verschiedener Vertragsstaaten ihren Entscheiden nicht dieselbe Rechtslage zu Grunde legen, wie der EuGH weiter ausführte. 5.4 Mit der vom EuGH entschiedenen Rechtssache ist der zu beurteilende Fall nicht vergleichbar. Der Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, theoretische Überlegungen zur Rechtsprechung des EuGH und des Bundesgerichts anzustellen und zu behaupten, die Klagen gegenüber der Beklagten 1 müssten abgewiesen werden, unabhängig davon, ob die Klagen gegen den Beschwerdeführer begründet seien oder nicht. Damit zeigt er aber nicht auf, dass sich bezüglich der Ansprüche der Beschwerdegegner gegenüber der Versicherung nicht dieselben Sach- und Rechtsfragen stellen wie bei der Beurteilung seiner Haftpflicht. Er behauptet vielmehr sinngemäss, die Ansprüche gegenüber der Versicherung würden neben seiner Haftpflicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht von weiteren Voraussetzungen abhängen, die nicht gegeben seien. Die Gefahr sich widersprechender Urteile kann aber nur ausgeschlossen werden, falls dies zutreffen sollte. Die Vorbringen des Beschwerdeführers beschlagen die Frage, ob darüber schon im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung entschieden werden muss. Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den doppelrelevanten Tatsachen einstweilen auf die Behauptungen der Beschwerdegegner abgestellt und gestützt darauf die Gefahr sich widersprechender Urteile bejaht. Ob dieses Vorgehen richtig ist, bleibt nachfolgend zu prüfen. 6. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, fälschlicherweise angenommen zu haben, entscheidwesentliche Tatsachenbehauptungen seien umstritten. Der Beschwerdeführer habe keineswegs die Echtheit der von den Beschwerdegegnern eingereichten Unterlagen angezweifelt, sondern einzig die daraus von den Beschwerdegegnern abgeleitete Rechtsfolge der Zession bestritten. Dazu habe sich die Vorinstanz zu Unrecht nicht geäussert. Der Beschwerdeführer ist der Meinung, nach Art. 102 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 17. Juni BGE 134 III 27 S. 33 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) könne und müsse das Bundesgericht diese Rechtsfrage entscheiden. Im Einzelnen bringt er vor, es sei gerichtsnotorisch und ergebe sich aus den von den Beschwerdegegnern eingereichten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), dass die Ansprüche des Versicherungsnehmers ohne vorgängige Zustimmung des Versicherers nicht abgetreten werden könnten. Dieses pactum de non cedendo im Sinne von Art. 164 OR stehe der Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag entgegen, und das von den Beschwerdegegnern als Zustimmung gewertete Schreiben lasse sich nicht in diesem Sinne verstehen. Auch ihrem Inhalte nach stellten die von den Beschwerdegegnern eingereichten Urkunden keine rechtsgültigen Abtretungserklärungen dar, und bei gewissen als angebliche Zession ins Recht gelegten Aktenstücken handle es sich um Telefaxschreiben, auf denen die notwendige Unterschrift des Verfügungsberechtigten fehle. Zudem könne ein unbeteiligter Dritter nicht feststellen, wer Zessionar der Forderungen sei. Sei die Beklagte 1 demgemäss nicht als debitor cessus zu betrachten, entfalle der zuständigkeitsbegründende Konnex, was zum Nichteintreten auf die Klage gegen den Beschwerdeführer führen müsse. 6.1 Art. 6 Ziff. 2 LugÜ betreffend den Gerichtsstand der Streitverkündung enthält ein ausdrückliches Verbot des Rechtsmissbrauchs. Danach steht der betreffende Gerichtsstand nicht zur Verfügung, "wenn die Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen". Dieses Verbot des Gerichtsstandsmissbrauchs ist auch im Rahmen von Art. 6 Ziff. 1 LugÜ zu beachten (KROPHOLLER, a.a.O., N. 15 zu Art. 6 EuGVO; GEIMER/ SCHÜTZE, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., München 2004, N. 23 zu Art. 6 EuGVVO), zumal das Missbrauchspotential bei der gewählten Regelung manifest ist, bleibt es doch der Willkür des Klägers überlassen, sich unter mehreren international und örtlich in Betracht kommenden Gerichtsständen den ihm genehmen auszusuchen (SCHLOSSER, a.a.O., N. 2 zu Art. 6 EuGVVO). Gerade weil es zur Kompetenzbegründung im Grundsatz nicht darauf ankommt, ob die Klage gegen den im Gerichtskreis wohnenden Beklagten zulässig oder begründet ist (KROPHOLLER, a.a.O., N. 16 zu Art. 6 EuGVO), besteht die Gefahr, dass der Sachzusammenhang nur vorgeschoben wird, um den Gerichtsstand zu begründen (CZERNICH/ TIEFENTHALER/KODEK, a.a.O., N. 2 zu Art. 6 EuGVO). So dürfte es sich verhalten, wenn schon bei summarischer Prüfung der BGE 134 III 27 S. 34 behauptete Sachzusammenhang nicht gegeben sein kann (CZERNICH/TIEFENTHALER/KODEK, a.a.O., N. 2 zu Art. 6 EuGVO) oder wenn die Zuständigkeit durch den Wohnsitz jenes Streitgenossen begründet wird, dem gegenüber offensichtlich kein Anspruch besteht (SCHLOSSER, a.a.O., N. 3 zu Art. 6 EuGVVO). 6.2 Nach dem Gesagten können sich die Beschwerdegegner nicht auf Art. 6 Ziff. 1 LugÜ berufen, sofern sich die gegen die Beklagte 1 eingereichte Klage als offensichtlich unzulässig erweist. Nicht ausser Acht bleiben darf aber, dass sich der erforderliche Sachzusammenhang in der Regel aus einer doppelrelevanten Tatsache ergibt, einem Umstand, der sowohl für die Zuständigkeit als auch für die materielle Begründetheit der bzw. einer der Klage(n) von Bedeutung, mithin doppelrelevant ist, wie etwa Solidarität (CZERNICH/TIEFENTHALER/KODEK, a.a.O., N. 7 zu Art. 6 EuGVO). Das LugÜ enthält keine Regel, wie beim Vorliegen doppelrelevanter Tatsachen zu verfahren ist. Massgebend sind daher die für das nationale Gericht geltenden nationalen Rechtsvorschriften, auf welche zurückzugreifen ist, soweit deren Anwendung die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigt (Urteil des EuGH vom 7. März 1995 in der Rechtssache C-68/93, Fiona Shevill u.a. gegen Presse Alliance SA , Slg. 1995, I-415, Randnr. 35 f. mit Hinweis; vgl. auch BGE 122 III 249 ). 6.2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bei der Beurteilung der Zuständigkeit primär auf den eingeklagten Anspruch und dessen Begründung abzustellen; die diesbezüglichen Einwände der Gegenpartei sind in diesem Stadium grundsätzlich nicht zu prüfen. Das gilt indessen nur, wenn der Gerichtsstand von der Natur des eingeklagten Anspruchs abhängt. Ist eine Tatsache in dem Sinn doppelrelevant, dass sie sowohl für die Zulässigkeit der Klage als auch für deren Begründetheit von Bedeutung ist, wird sie nur einmal untersucht, und zwar im Moment der Prüfung des eingeklagten Anspruchs. Dieses Vorgehen dient dem Schutz der beklagten Partei und soll ihr ermöglichen, einer zweiten identischen Klage die Einrede der abgeurteilten Sache entgegenzuhalten, wenn sie sich ohnehin gegen die Richtigkeit einer bestimmten (doppelrelevanten) Sachbehauptung zur Wehr setzen muss. Erhebt die beklagte Partei hingegen die Einrede der Unzuständigkeit gestützt auf eine Behauptung, die allein mit Bezug auf die Frage der Zuständigkeit relevant ist, und stellt die Klagpartei diese Sachbehauptung in Abrede, muss darüber im Zeitpunkt der Zuständigkeitsprüfung Beweis geführt werden BGE 134 III 27 S. 35 ( BGE 133 III 295 E. 6.2 S. 298 f.; BGE 122 III 249 E. 3b/bb und cc S. 252 f. mit Hinweisen). 6.2.2 Beruft sich die nicht an ihrem ordentlichen Gerichtsstand belangte Partei auf Umstände, aus denen sich die Unbegründetheit der Klage gegen den Streitgenossen ergibt, kann es sich dabei um eine mit Bezug auf sie selbst exorbitante, d. h. ausschliesslich kompetenzbegründende, nicht doppelrelevante Tatsache handeln, über welche im Rahmen des Zuständigkeitsentscheides Beweis zu führen und zu befinden ist ( BGE 133 III 295 E. 6.2 S. 299; BGE 122 III 249 E. 3b/cc S. 252 f. mit Hinweisen). In BGE 124 III 382 E. 3b S. 387 erwog das Bundesgericht mit Bezug auf die gegen die Zuständigkeit eingewendete Immunität, es wäre mit dem Konzept der Immunität selbst kaum vereinbar, eine Prozesspartei zu zwingen, das Verfahren in der Sache durchzuführen, obwohl sich diese der staatlichen Zuständigkeit entzogen erachtet. 6.2.3 Analog präsentiert sich die Interessenlage im vorliegenden Fall. Wollte man die Klärung jener Tatsachen, welche die Unzulässigkeit der Klage ausschliesslich gegenüber der Beklagten 1 begründen könnten, im Stadium der Prüfung der vom Beschwerdeführer erhobenen Unzuständigkeitseinrede verweigern, wäre der Beschwerdeführer faktisch gezwungen, einen Prozess vor einem möglicherweise unzuständigen Gericht vollständig durchzuführen, was darauf hinausliefe, ihm das Recht, sich auf den ordentlichen Gerichtsstand zu berufen, zu verschliessen. Denn nach dem Grundsatz der perpetuatio fori bliebe das Gericht für die Klage gegen den Beschwerdeführer zuständig, auch wenn die Klage gegen die Streitgenossin mit Teilurteil abgewiesen werden sollte ( BGE 122 III 249 E. 3b/cc S. 253 mit Hinweis; vgl. auch SCHLOSSER, a.a.O., N. 3 zu Art. 6 EuGVVO; DONZALLAZ, a.a.O., Rn. 5485 S. 506, mit Hinweisen; KROPHOLLER, a.a.O., N. 16 zu Art. 6 EuGVO). 6.2.4 Bei einfacher passiver Streitgenossenschaft muss es dem nicht an seinem ordentlichen Gerichtsstand in Anspruch genommenen Belangten erlaubt sein, unter Berufung auf nicht doppelrelevante Tatsachen zur Bestreitung der Zuständigkeit die Unbegründetheit der gegen den Streitgenossen an dessen ordentlichem Gerichtsstand erhobenen Klage geltend zu machen, ohne sich bereits selbst auf die Sache einlassen zu müssen. Dieses Vorgehen erscheint umso eher angezeigt, als dadurch Missbräuche verhindert werden können, ohne dass der Klagpartei oder dem an seinem ordentlichen Gerichtsstand BGE 134 III 27 S. 36 eingeklagten Streitgenossen ein nennenswerter Nachteil erwächst. Erstere hat den entsprechenden Beweis ohnehin zu führen, der Streitgenosse sich ohnehin dagegen zu verteidigen. Faktisch wird lediglich die Durchführung des Verfahrens gegenüber der am ordentlichen Gerichtsstand verklagten Partei mit Bezug auf die vom Streitgenossen erhobenen Einwände vorgezogen, was übrigens auch die Beklagte 1 selbst beantragt hat. 6.3 Diese Grundsätze hat die Vorinstanz missachtet, indem sie unter Berufung auf eine angebliche Doppelrelevanz der Tatsache bezüglich der "Passivlegitimation" der Beklagten 1 einstweilen auf die Behauptungen der Beschwerdegegner abstellte. Für die materielle Beurteilung der gegenüber dem Beschwerdeführer geltend gemachten Ansprüche ist irrelevant, ob den Beschwerdegegnern auch noch Ansprüche gegenüber der Beklagten 1 zustehen. Alle Umstände, die nicht die Haftung des Beschwerdeführers betreffen, erweisen sich mit Bezug auf den Beschwerdeführer als exorbitant. Der Anspruch der Beschwerdegegner gegen die Beklagte 1 hängt namentlich von den Fragen ab, ob ihnen die Deckungsansprüche des Beschwerdeführers gegenüber der Beklagten 1 gültig abgetreten wurden oder ob der Beklagten 1 eine Sorgfaltspflichtsverletzung bei Abschluss der Versicherung vorgeworfen werden kann. Diese Fragen sind nur bedeutsam zur Beurteilung, ob die Gefahr sich widersprechender Urteile eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen lässt ( Art. 6 Ziff. 1 LugÜ ). Bezüglich dieser für den Beschwerdeführer nur mit Bezug auf den zuständigkeitsbegründenden Konnex massgebenden Aspekte kann nicht auf die Behauptungen der Beschwerdegegner abgestellt werden, sondern es sind bei der Beurteilung der Zuständigkeit die vom Beschwerdeführer erhobenen Einwände zu prüfen und falls nötig darüber Beweis abzunehmen. 6.4 Da die Vorinstanz zu den entsprechenden Fragen keine Stellung bezogen und auch keine Feststellungen getroffen hat, kann das Bundesgericht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers die Prüfung nicht selbst vornehmen. Der angefochtene Entscheid ist vielmehr aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz wird, um in der Terminologie der Parteien zu bleiben, vorab die "Passivlegitimation" der Beklagten 1 und die diesbezüglichen Einwände des Beschwerdeführers zu prüfen haben (beziehungsweise die Aktivlegitimation der Beschwerdegegner bezüglich der Deckungsansprüche einerseits und den Bestand des auf ein eigenes Fehlverhalten der Beklagten 1 gestützten Anspruchs andererseits). BGE 134 III 27 S. 37 Nur bezüglich der die Schadenersatzpflicht des Beschwerdeführers begründenden Tatsachen darf die Vorinstanz bei der Zuständigkeitsprüfung auf die von den Beschwerdegegnern erhobenen Behauptungen abstellen, sofern sich diese nicht als offensichtlich unzutreffend erweisen.
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Sachverhalt ab Seite 193 BGE 144 III 193 S. 193 A.
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3e7fc0ae-db09-43e5-b835-e9044980b053
Sachverhalt ab Seite 63 BGE 146 III 63 S. 63 A. Die B. GmbH (Klägerin, Beschwerdegegnerin) mietete von der A. AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) das Tenniscenter C. in U. Im Laufe des Mietverhältnisses kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. B. Am 1. September 2017 und am 24. November 2017 reichte die Klägerin bei der Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht des Bezirks Bremgarten je ein Schlichtungsgesuch gegen die Beklagte ein. Die Schlichtungsbehörde eröffnete für die beiden Gesuche je ein Verfahren und führte am 11. Dezember 2017 beide Schlichtungsverhandlungen durch. Da sich die Parteien in beiden Verfahren nicht einigten, stellte die Schlichtungsbehörde gleichentags für jedes Verfahren eine Klagebewilligung aus. Die Klägerin erhob am 11. Januar 2018 am Bezirksgericht Bremgarten Klage. Sie fasste dabei Ansprüche aus beiden Schlichtungsverfahren zusammen und beantragte in einer einzigen Klage das Folgende: BGE 146 III 63 S. 64 "1. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin infolge der Kosten der von letzterer getätigten Ersatzvornahmen CHF 24'338.45 zu bezahlen. 2. Es sei der monatliche Mietzins ab 2. Juni 2017 bis 10. Juli 2017 um 3 % zu reduzieren und die Beklagte folglich zu verpflichten, der Klägerin CHF 429.40 zu bezahlen. 3. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin infolge Ausfalls der Kühlanlage Schadenersatz von CHF 70.00 zu bezahlen. 4. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin den Zugang zur Werkstatt über die ordentliche Zufahrt zu gewähren. 5. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin entlang der Zufahrt zur Werkstatt einen Platz zum Deponieren einer Palette mit Reparatursand sowie zwei Grüncontainern einzuräumen. 6. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin das Trennnetz sowie die zwei Ständer für die Schleppnetze und Besen in der Traglufthalle wieder zur Verfügung zu stellen. 7. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin eine Parteientschädigung im Umfang dieser entstehenden Anwaltskosten zu bezahlen. 8. Die Gerichtskosten seien der Beklagten aufzuerlegen." Mit Eingabe vom 15. März 2018 ergänzte die Klägerin ihre Klagebegehren dahingehend, dass die bei der Gerichtskasse hinterlegten Mietzinse im Umfang der geltend gemachten Ansprüche zu Gunsten der Klägerin freizugeben seien. Mit Zwischenentscheid vom 13. Juli 2018 trat die Gerichtspräsidentin des Bezirksgerichts auf die Klage ein. Die dagegen von der Beklagten erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 19. Februar 2019 ab. C. Gegen den Entscheid des Obergerichts erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Sie beantragte, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und auf die Klage der Beschwerdegegnerin sei nicht einzutreten. Die Kosten der vorinstanzlichen Verfahren seien der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen und die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, der Beschwerdeführerin für die vorinstanzlichen Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...) Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. (Auszug) Erwägungen BGE 146 III 63 S. 65 Aus den Erwägungen: 4. 4.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Beschwerdegegnerin habe zunächst diverse Ansprüche mit ihrem ersten Schlichtungsgesuch vom 1. September 2017 rechtshängig gemacht und erst danach die Hinterlegung der Mietzinse angedroht und diese anschliessend hinterlegt. Die Vorinstanz gehe irrtümlich davon aus, dass es bei der Klage um eine Streitigkeit der Hinterlegung der Mietzinse nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO gehe. Es gehe aber nicht an, den Mietzins erst im Nachhinein zu hinterlegen und damit die Zuständigkeit des Handelsgerichts zu umgehen. Sonst könne die handelsgerichtliche Zuständigkeit bei jeder mietrechtlichen Streitigkeit jederzeit dadurch umgangen werden, dass ein einziger Mietzins hinterlegt werde. Da sämtliche Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 ZPO erfüllt seien und das vereinfachte Verfahren nach Art. 243 ZPO nicht zur Anwendung komme, sei für die Klage der Beschwerdegegnerin das Handelsgericht zuständig. Die Vorinstanz habe Art. 259g, Art. 259h und Art. 259i OR i.V.m. Art. 243 Abs. 2 lit. c und Art. 6 Abs. 2 ZPO verletzt. 4.2 Nach Art. 243 ZPO gilt das vereinfachte Verfahren einerseits für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von Fr. 30'000.- (Abs. 1). Andererseits kommt es nach Abs. 2 für bestimmte Streitigkeiten ohne Rücksicht auf den Streitwert zur Anwendung. Insbesondere gilt nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO das vereinfachte Verfahren ohne Rücksicht auf den Streitwert für Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht, sofern die Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen, der Schutz vor missbräuchlichen Miet- und Pachtzinsen, der Kündigungsschutz oder die Erstreckung des Miet- oder Pachtverhältnisses betroffen ist. Das Bundesgericht hat sich bereits mehrfach zum Begriff des "Kündigungsschutzes" nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO geäussert und dabei den Begriff zum Schutze des Mieters weit verstanden ( BGE 144 III 346 E. 1.2.2.1; BGE 142 III 278 E. 4, BGE 142 III 402 E. 2, 515 E. 2.2.4, 690 E. 3.1; BGE 139 III 457 E. 5). Vorliegend ist nun strittig, ob es sich bei der Klage der Beschwerdegegnerin um eine Streitigkeit handelt, bei der die "Hinterlegung von Mietzinsen" nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO betroffen ist. Dafür ist der Begriff der "Hinterlegung von Mietzinsen" zu klären, wozu das Bundesgericht bis anhin noch keine Gelegenheit hatte. BGE 146 III 63 S. 66 4.3 In der Lehre und kantonalen Rechtsprechung ist der Anwendungsbereich des Begriffs der Mietzinshinterlegung nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO umstritten. Nach einem Teil der Lehre fallen unabhängig vom Streitwert alle im Hinterlegungsverfahren geltend gemachten Mängelrechte nach Art. 259a OR darunter (MICHEL HEINZMANN, La procédure simplifiée, 2018, Rz. 118; STEPHAN MAZAN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 19b zu Art. 243 ZPO ; wohl auch BERND HAUCK, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 20 zu Art. 243 ZPO ). In diesem Sinn erwog das Obergericht des Kantons Zürich, dass der Begriff der Hinterlegung nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO so zu verstehen sei, dass davon sämtliche Mängelrechte nach Art. 259a OR umfasst würden, welche der Mieter im konkreten Fall zu haben glaube und im Rahmen des Hinterlegungsverfahrens durchsetzen wolle (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. November 2015 E. 4.4 insb. E. 4.4.3.b, in: ZR 115/2016 Nr. 6 S. 33 f.; zustimmend: BISANG/KOUMBARAKIS, Das schweizerische Mietrecht, 4. Aufl. 2018, N. 117 i.V.m. N. 90 zum Schlichtungsverfahren und gerichtlichen Verfahren in Mietsachen; BRÜLLHARDT/PÜNTENER, in: Mietrecht für die Praxis, 9. Aufl. 2016, S. 103 Fn. 30; THOMAS ENGLER, Das vereinfachte Verfahren im Zivilprozess, ZZZ 2016 S. 220 ff., 224 f.; ANDREAS MAAG, Urteil des Bundesgerichts 4A_270/2015 vom 14. April 2016, MietRecht Aktuell [MRA] 2016 S. 156 ff., 165; RICHARD PÜNTENER, Zivilprozessrecht für die Mietrechtspraxis, 2016, Rz. 891 Fn. 1179; PAOLA WULLSCHLEGER, Sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts in Mietsachen, ZZZ 2016 S. 178 ff., 182). Eine andere Lehrmeinung schränkt obige Definition ein. Erfasst seien Mängelrechte, die nach erfolgter Hinterlegung im Hinterlegungsverfahren geltend gemacht würden (PATRICIA DIETSCHY-MARTENET, Bail à loyer et procédure civile, 2018, Rz. 330; MANFRED STRIK, Das Verfahrensrecht bei der Wohn- und Geschäftsraummiete nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2018, Rz. 263;FRANÇOIS BOHNET, in: Droit du bail à loyer et à ferme, Bohnet/Carron/Montini [Hrsg.], 2. Aufl. 2017, N. 3 zu Art. 243-247 ZPO ; derselbe , Le droit du bail en procédure civile suisse, in: 16 e Séminaire sur le droit du bail, Bohnet/Wessner [Hrsg.], 2010, Rz. 111), oder Mängelrechte bzw. Schadenersatzansprüche, welche die Hinterlegung ergänzten oder rechtfertigten (CAROLE AUBERT, in: Droit du bail à BGE 146 III 63 S. 67 loyer et à ferme, Bohnet/Carron/Montini [Hrsg.], 2. Aufl. 2017, N. 2zu Art. 259h-259i OR ; DAVID LACHAT, Le bail à loyer, 2019, S. 173 Rz. 4.4.3; LACHAT/LACHAT, Procédure civile en matière de baux et loyers, 2019, S. 226 Rz. 3.2.1). HOFMANN/LÜSCHER sind schliesslich der Auffassung, dass als Hinterlegung nur die Mängelbeseitigung bzw. deren Ersatzvornahme gelte, nicht aber ein Schadenersatzanspruch von über Fr. 30'000.- (HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2. Aufl. 2015, S. 222 Fn. 609; offengelassen: LAURENT KILLIAS, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 51 zu Art. 243 ZPO ; Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 29. Juni 2016 E. III.1a.bb, in: Gerichts- und Verwaltungspraxis des Kantons St. Gallen [GVP] 2016 Nr. 57). 4.4 4.4.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen ( BGE 145 III 63 E. 2.1 mit Hinweisen). 4.4.2 Für Streitigkeiten des Miet- und Pachtrechts gilt für die Anwendbarkeit des vereinfachten Verfahrens grundsätzlich die Streitwertgrenze von Fr. 30'000.- nach Art. 243 Abs. 1 ZPO . Für "besonders sensible Materien des sozialen Privatrechts" wurde in Abs. 2 der Bestimmung aber vorgesehen, dass das vereinfachte Verfahren ohne Rücksicht auf den Streitwert zur Anwendung gelangt (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7221 ff., 7346). Währenddem der Entwurf des Bundesrats lediglich "im Kernbereich des Mieterschutzes (Kündigungsschutz und Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen)" eine Ausnahme von der Streitwertgrenze vorsah (Botschaft, a.a.O., S. 7347), erweiterten die Räte den Katalog um zwei weitere Materien, nämlich wenn die "Erstreckung des Miet- oder Pachtverhältnisses" und die "Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen" ("la consignation du BGE 146 III 63 S. 68 loyer ou du fermage", "deposito di pigioni o fitti") betroffen ist. Diese Ergänzung erfolgte ohne weitere Diskussion im Parlament (AB 2007 S 530; AB 2008 N 967; AB 2008 S 729). 4.4.3 Mit dem Begriff der Hinterlegung von Mietzinsen in Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO wird auf ein Rechtsinstitut im materiellen Recht Bezug genommen, nämlich auf die Hinterlegung im Mietrecht, die im Obligationenrecht in Art. 259g-259i OR normiert ist. Art. 259g Abs. 1 OR bestimmt, dass der Mieter einer unbeweglichen Sache dem Vermieter schriftlich eine angemessene Frist ansetzen muss, wenn er von ihm die Beseitigung eines Mangels verlangt. Er kann ihm androhen, dass er bei unbenütztem Ablauf der Frist Mietzinse, die künftig fällig werden, bei einer vom Kanton bezeichneten Stelle hinterlegen wird. Er muss die Hinterlegung dem Vermieter schriftlich ankündigen. Mit der Hinterlegung gelten die Mietzinse als bezahlt ( Art. 259g Abs. 2 OR ). Art. 259h Abs. 1 OR regelt, dass nicht schon mit der Hinterlegung des Mietzinses ein Verfahren um die Berechtigung der Hinterlegung eröffnet wird. Vielmehr ist der Mieter gehalten, seine Ansprüche gegenüber dem Vermieter innert 30 Tagen seit Fälligkeit des ersten hinterlegten Mietzinses geltend zu machen, ansonsten der hinterlegte Mietzins dem Vermieter zufällt. Gleichzeitig kann der Vermieter bei der zuständigen Schlichtungsbehörde die Herausgabe der zu Unrecht hinterlegten Mietzinse verlangen, sobald ihm der Mieter die Hinterlegung angezeigt hat ( Art. 259h Abs. 2 OR ). Art. 259i OR verweist für das Verfahren der Hinterlegung pauschal auf die Bestimmungen der Zivilprozessordnung. 4.4.4 Das Gesetz knüpft in Art. 259g Abs. 1 OR die Hinterlegung der Mietzinsen somit an die "Beseitigung eines Mangels" an (Urteil 4A_739/2011 vom 3. April 2012 E. 2.3). Schon aus dem Gesetzeswortlaut folgt daher, dass die Hinterlegung nur möglich ist, wenn ein Anspruch auf Mängelbeseitigung geltend gemacht wird ( BGE 142 III 557 E. 8.3.3 S. 565; Urteil 4A_163/2007 vom 8. August 2007 E. 4.2.1). Entsprechend dient die Hinterlegung unmittelbar der Verwirklichung des Anspruchs auf Mängelbeseitigung, indem sie dem Mieter ein Druckmittel für dessen Durchsetzung in die Hand gibt ( BGE 125 III 120 E. 2b S. 122; BGE 124 III 201 E. 2d S. 203; Urteile 4A_347/2013 vom 7. November 2013 E. 1.4.2; 4A_739/2011 vom 3. April 2012 E. 2.3; 4A_163/2007 vom 8. August 2007 E. 4.2.1; 4C.35/2003 vom 3. Juni 2003 E. 2.2). BGE 146 III 63 S. 69 Indes kann der Mieter im Hinterlegungsprozess zusammen mit dem Mängelbeseitigungsanspruch, der die Hinterlegung erst rechtfertigt, weitere Mängelrechte geltend machen. Er kann insbesondere die Herabsetzung des Mietzinses ( Art. 259d OR ) und Schadenersatz ( Art. 259e OR ) verlangen (Urteil 4C.319/2005 vom 8. Februar 2006 E. 2.4.1; HANS GIGER, Berner Kommentar, 2015, N. 11 zu Art. 259h OR ; HIGI/WILDISEN, Zürcher Kommentar, 5. Aufl. 2019, N. 8 zu Art. 259h OR ; LACHAT/RUBLI, Le bail à loyer, 2019, S. 342 Rz. 7.5.2; CLAUDE ROY, Mietrecht für die Praxis, 9. Aufl. 2016, S. 270 Rz. 11.7.7.2; MATTHIAS TSCHUDI, Das schweizerische Mietrecht, 4. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 259h OR ; vgl. auch ROGER WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 6. Aufl. 2015, N. 2 zu Art. 259h/259i OR). Mit der Hinterlegung steht dem Mieter somit ein Rechtsbehelf zu, die Beseitigung des Mangels zu bewirken, und kumulativ eine Klärung über weitere Mängelansprüche herbeizuführen (TSCHUDI, a.a.O., N. 6 zu Art. 259g OR ). Insoweit dient die Hinterlegung zusätzlich zur Mängelbeseitigung der Durchsetzung der weiteren, im Hinterlegungsverfahren geltend gemachten Mängelrechte (vgl. HIGI/WILDISEN, a.a.O., N. 9 zu Art. 259g OR ). In diesem Sinne kann die Hinterlegung auch für diese Mängelrechte als Druckmittel wirken (vgl. TERCIER/BIERI/CARRON, Les contracts spéciaux, 5. Aufl. 2016, Rz. 1805). Entsprechend wurde schon in der Botschaft zur Revision des Miet- und Pachtsrechts die Wirkung des Druckmittels der Hinterlegung nicht bloss auf den Mängelbeseitigungsanspruch eingeschränkt, sondern es wurde ausgeführt, dass dem Mieter mit der Hinterlegung ein Druckmittel "zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf Beseitigung von Mängeln, Herabsetzung des Mietzinses und Schadenersatz in die Hand gegeben" werde (Botschaft vom 27. März 1985 zur Volksinitiative "für Mieterschutz", zur Revision des Miet- und Pachtrechts im Obligationenrecht und zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen, BBl 1985 I 1389 ff., 1437, vgl. aber 1415 f.; zur Entwicklung der Bestimmung vgl. BGE 142 III 557 E. 8.3.2). 4.4.5 Diesem Ziel der Hinterlegung entsprechend ist auch der Begriff der "Hinterlegung von Mietzinsen" in Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO zu verstehen. Gemeint ist damit nicht nur die blosse Streitigkeit um den hinterlegten Mietzins und den damit unmittelbar zusammenhängenden Beseitigungsanspruch. Vielmehr umfassen die Streitigkeiten, bei denen die "Hinterlegung von Mietzinsen" betroffen ist, streitwertunabhängig alle Mängelrechte nach Art. 259a Abs. 1 OR , welche BGE 146 III 63 S. 70 der Mieter im Rahmen des Hinterlegungsverfahrens durchsetzen will und für die ihm die Hinterlegung als Druckmittel mittelbar dient. Wie bei der Definition des Begriffes des "Kündigungsschutzes" (dazu oben E. 4.2) der gleichen Verfahrensbestimmung ist der Begriff der Hinterlegung zum Schutze des Mieters somit weit zu verstehen. Denn es ist nicht ersichtlich, warum die Schutzfunktion des vereinfachten Verfahrens allein deshalb entfallen soll, weil der Mieter im Hinterlegungsprozess neben der Mängelbeseitigung noch von weiteren gesetzlichen Mängelrechten Gebrauch macht. Es wäre sodann prozessökonomisch nicht sinnvoll, über die weiteren Mängelrechte ein zweites Verfahren durchzuführen, zumal diesen in der Sache häufig die gleichen Mängel zu Grunde liegen dürften. 4.5 Die Beschwerdegegnerin fordert mit ihrer Klage gegenüber der Beschwerdeführerin die Übernahme der Kosten von getätigten Ersatzvornahmen, eine Mietzinsherabsetzung, Schadenersatz über Fr. 70.- und die Beseitigung von Mängeln. Sie hinterlegte dafür Mietzinse und verlangt vom Gericht in ihrer Klageergänzung ausdrücklich deren Freigabe. Diese von der Beschwerdegegnerin zusammen mit der Hinterlegung geltend gemachten Mängelrechte werden vom Begriff der "Hinterlegung von Mietzinsen" in Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO im oben genannten Sinn erfasst, was auch die Beschwerdeführerin nicht in Abrede stellt. Sie moniert hingegen, dass die Beschwerdegegnerin vorab verschiedene Mängelansprüche anhängig machte, und erst anschliessend Mietzinse hinterlegte, weshalb kein Hinterlegungsprozess vorliege. In der Tat wird der Mieter bei Mängeln an der Mietsache in aller Regel zunächst Mietzinse hinterlegen und erst anschliessend (innert der 30-tägigen Frist nach Art. 259h Abs. 1 OR ) zusammen mit der Prosequierung der Hinterlegung weitere Mängelrechte vor der Schlichtungsbehörde geltend machen. In diesem Sinne geht ein Teil der Lehre auch davon aus, dass die Hinterlegung der Mietzinse nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO Mängelrechte umfasse, die der Mieter nach erfolgter Hinterlegung im Hinterlegungsverfahren geltend macht (oben E. 4.3). Das bedeutet aber nicht, dass vorliegend keine Streitigkeit über die Hinterlegung von Mietzinsen im Sinne von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO vorliegen würde: Mit der Klagenhäufung fasste die Beschwerdegegnerin die Streitigkeit um die hinterlegten Mietzinse, die Beseitigungsansprüche und mehrere weitere Mängelrechte zulässigerweise in einer BGE 146 III 63 S. 71 Klage zusammen (dazu nicht publ. E. 3.4). Ob gewisse Mängelansprüche zeitlich vor der Hinterlegung anhängig gemacht wurden, ist nicht entscheidend, denn das Gericht hat aufgrund der Klagenhäufung in einem Verfahren über die Beseitigung von Mängeln, die hinterlegten Mietzinse und über weitere Mängelansprüche zu entscheiden. Wird die Klage als Gesamtes betrachtet, handelt es sich um eine Streitigkeit, bei der die Hinterlegung von Mietzinsen im Sinne von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO betroffen ist. Mit der Beschwerdeführerin ist aber davon auszugehen, dass es nicht angeht, in Mietstreitigkeiten einen Mietzins erst nach Stellung des Schlichtungsgesuches zu hinterlegen mit dem blossen Ziel die Zuständigkeit des Handelsgerichts zu umgehen. Ein solches Verhalten verdient keinen Rechtsschutz ( Art. 2 Abs. 2 ZGB ). Die Beschwerdeführerin vermag aber vorliegend nicht aufzuzeigen, dass die Beschwerdegegnerin in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich handelte (dazu bereits nicht publ. E. 3.6.2). 4.6 Zusammenfassend bilden die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Ansprüche Gegenstand des Hinterlegungsverfahrens im Sinne von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO . Damit kommt das vereinfachte Verfahren zur Anwendung, womit die ordentlichen Gerichte und nicht das Handelsgericht zuständig ist ( BGE 143 III 137 E. 2.2; BGE 142 III 788 E. 4.1). Bei dieser Sachlage braucht auf die von der Beschwerdeführerin angestellten Berechnungen zum Streitwert für die Zuständigkeit des Handelsgerichts nach Art. 6 ZPO nicht eingegangen zu werden.
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Sachverhalt ab Seite 466 BGE 107 II 465 S. 466 A.- Die Ehegatten S. wurden vom Bezirksgericht X. am 19. März 1970 geschieden. Die beiden aus der Ehe hervorgegangenen Söhne M., geboren 1958, und E., geboren 1961, wurden unter die elterliche Gewalt der Mutter gestellt. Über die Nebenfolgen der Scheidung hatten die Ehegatten eine vom Gericht genehmigte Konvention abgeschlossen. In deren Ziffer 3 wurde die Unterhaltspflicht des Ehemannes für die Söhne folgendermassen geregelt: "Der Beklagte verpflichtet sich, an den Unterhalt der Kinder Beiträge von monatlich Fr. 1'000.-- pro Kind, zahlbar pränumerando zu entrichten. Die Unterhaltspflicht dauert bis zur vollen Erwerbsfähigkeit, mindestens bis zum vollendeten 18., längstens bis zum vollendeten 20. Altersjahr. Erhält ein Kind eine Ausbildung, die über das 20. Altersjahr hinausdauert, und hat der Beklagte dieser Ausbildung zugestimmt, so verpflichtet er sich, die obigen Beiträge während der normalen Dauer der einmal gewählten Ausbildung (Verzögerungen durch Krankheit, Unfall und Militärdienst vorbehalten) weiter zu entrichten. Verweigert der Beklagte die Zustimmung zu einer vorgesehenen Ausbildung, so hat die Klägerin das Recht zu verlangen, dass ein gemeinsam bezeichneter Erziehungsfachmann sich über die Eignung des Kindes ausspricht. Können sich die Parteien auf den Fachmann nicht einigen, so bezeichnet diesen der Präsident des Bezirksgerichts X. Wird eine Ausbildung gewählt, welche der Fachmann befürwortet, so bezahlt der Beklagte die Unterhaltsbeiträge während der verlängerten Ausbildungszeit, wie wenn er zugestimmt hätte. Die Kosten des Fachmannes trägt der unterliegende Teil." Der Sohn M. beendete im April 1979 eine kaufmännische Lehre. Am 1. Dezember 1978 hatte ihm sein Vater mitgeteilt, dass er ihn auf den Frühling 1980 für drei Jahre zum Besuch der Hotelfachschule in Lausanne angemeldet habe. In der Folge verlangte S. von seiner geschiedenen Ehefrau, dass sie eine von ihm formulierte Erklärung vom 28. Februar 1979 unterzeichne, worin sie auf Unterhaltsbeiträge für M. verzichte. Dieser Verzicht sollte die Voraussetzung für das Einverständnis des Vaters mit dem Besuch der Hotelfachschule durch M. darstellen. Weder die Mutter noch der Sohn M. unterzeichneten eine derartige Erklärung. Daraufhin widerrief S. am 15. Mai 1979 die bereits erfolgte Anmeldung von M. bei der Hotelfachschule. Die geschiedene Ehefrau hielt die Anmeldung in der Folge in eigenem Namen aufrecht. M. besucht BGE 107 II 465 S. 467 seit Februar 1980 die Hotelfachschule, deren Kurse bis 1983 dauern werden. Auch der Sohn E. hatte im Frühjahr 1978 eine dreijährige kaufmännische Lehre begonnen, die er aber wegen ungenügender Leistungen nicht fortsetzen konnte. Indessen konnte er in derselben Firma eine zweijährige Bürolehre absolvieren. Doch bestand er die Lehrabschlussprüfung anfangs April 1980 nicht. Dies gelang ihm erst Ende August 1980. In der Zwischenzeit hatte er neben den Prüfungsvorbereitungen Teilzeitarbeit geleistet. Vom September bis Dezember 1980 besuchte er einen Englischkurs in Cambridge. B.- Die geschiedenen Ehegatten waren sich nicht einig über die Dauer der in Ziffer 3 der Scheidungsvereinbarung vorgesehenen Unterhaltspflicht des Ehemannes für die beiden Söhne. Die Ehefrau erhob deshalb am 28. Juni 1979 beim Bezirksgericht X. Klage auf Feststellung, dass ihr geschiedener Ehemann verpflichtet sei, für den Sohn M. ab 1. Februar 1980 aufgrund des Scheidungsurteils vom 19. März 1970 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'000.-- zuzüglich Indexzuschläge gemäss Urteil (zurzeit 50%) zu bezahlen und zwar so lange, als der Sohn die Hotelfachschule in Lausanne besuche.
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Sachverhalt ab Seite 170 BGE 140 V 169 S. 170 A. Der 1956 geborene L. war seit 1. Oktober 2005 bei der Pensionskasse comPlan berufsvorsorgeversichert. Diese wies Ende 2008 eine Unterdeckung auf (Deckungsgrad 93,9 %). Am 27. November 2009 beschloss der Stiftungsrat, das Altersguthaben von Versicherten, die während des Jahres 2010 aus der Pensionskasse austreten, wie bereits im Jahr 2009 nicht zu verzinsen. Versicherte, die während des Jahres in Pension gingen, waren davon nicht betroffen. Ende 2009 wies die comPlan wieder einen Deckungsgrad von 101 % auf. Am 30. November 2010 trat L. aus der comPlan aus. Entsprechend dem Beschluss des Stiftungsrats vom 27. November 2009 blieb sein Altersguthaben für die Zeit von Januar bis November 2010 unverzinst. B. Am 21. November 2011 reichte L. Klage beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern ein und beantragte, die comPlan sei zu verpflichten, sein Altersguthaben (Stand 1. Januar 2010 zuzüglich Einkaufssumme Valuta 13. Juli 2010) im Austrittsjahr 2010 pro rata bis 30. November 2010 mit 2,25 % zu verzinsen und den Zinsbetrag zusätzlich zur bereits ausgerichteten Freizügigkeitsleistung auszubezahlen (zuzüglich BVG-Mindestzins ab 1. Dezember 2010, sowie Verzugszins ab 15. Januar 2011). BGE 140 V 169 S. 171 Mit Entscheid vom 19. Dezember 2012 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, die Klage ab. C. Dagegen erhebt L. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt in Wiederholung des vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern gestellten Antrags, es sei dessen Entscheid vom 19. Dezember 2012 aufzuheben. Die comPlan beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf einen Antrag und vertritt die Meinung, dass eine Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei Überdeckung mit Zurückhaltung angewendet werden soll. D. Das Bundesgericht hat am 9. April 2014 eine öffentliche Beratung durchgeführt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 5. Als nächstes ist zu prüfen, ob die beschwerdegegnerische Verzinsungspraxis (nicht publ. E. 4) vor dem Rechtsgleichheitsgebot zu bestehen vermag. 5.1 Gewöhnlich befinden die Vorsorgeeinrichtungen frühestens im 4. Quartal über die Verzinsung des laufenden Kalenderjahrs ( BGE 132 V 278 E. 4.6 S. 284 Abs. 1; SVR 2013 BVG Nr. 19 S. 82, 9C_325/2012 E. 4.2). Tritt eine versicherte Person unterjährig aus, wird die Austrittsleistung mit dem Austritt fällig ( Art. 2 Abs. 3 FZG [SR 831. 42]), weshalb mit der Zinsgutschrift, wie die Vorinstanz zu Recht erwogen hat, nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres zugewartet werden kann. Indem die Pensionskasse prospektiv den Zins für Versicherte festlegt, die während des darauf folgenden Jahres austreten, schafft sie Klarheit und Transparenz. Insbesondere kommt sie einer allfälligen Ungleichbehandlung unter den Austretenden zuvor: Da sich die Performance nicht über das ganze Jahr gleich entwickelt, resultieren im jeweiligen Zeitpunkt der verschiedenen Austritte unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten, was verschiedene Zinssätze zur Folge hätte (nicht publ. E. 3.2). Eine Verpflichtung, den Zins zunächst nur provisorisch festzulegen und diesen nachträglich zu korrigieren (in Form einer Rück- oder Nachzahlung), lässt sich weder aus Gesetz noch Reglement ableiten. Ein solches Vorgehen ist schon - unabhängig von der Frage nach der BGE 140 V 169 S. 172 Zulässigkeit - aus Gründen der Zweckmässigkeit abzulehnen, verursacht es nämlich vor allem auf Seiten der involvierten Vorsorgeeinrichtungen erheblichen administrativen Mehraufwand und damit nicht unbedeutende Kosten. Schliesslich ist die zinsrechtliche Schlechterstellung der austretenden Versicherten gegenüber den verbleibenden, wie bereits erwähnt, im Ausschluss von (zusätzlichen) Sanierungslasten begründet (nicht publ. E. 4.2 Abs. 1 in fine). In diesem Sinne ist die ungleiche Verzinsung für austretende und verbleibende Versicherte objektiv motiviert. Entscheidend ist, dass innerhalb der beiden Gruppen keine Ungleichbehandlung stattfindet (ERICH PETER, Unterdeckung und Sanierung - Rechte und Pflichten der Vorsorgeeinrichtung, AJP 2009 S. 795 [nachfolgend: Vorsorgeeinrichtung]). Keine andere Sichtweise ergibt sich, wenn eine Kündigung per 31. Dezember erfolgt. Diese Konstellation unterscheidet sich insoweit von derjenigen der unterjährig austretenden Versicherten, als bei ihr das Sparkapital ganzjährig zur Erwirtschaftung der Rendite beiträgt. Ihre Bezugsgrösse bildet deshalb, wie dem Beschluss-Protokoll des Stiftungsrats vom 27. November 2009 zu Recht entnommen werden kann, die Gruppe der verbleibenden Versicherten (SVR 2013 BVG Nr. 19 S. 82, 9C_325/2012 E. 5.3). 5.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, bei seinem Austritt sei der rückwirkend geltende Zinssatz für die Versicherten, die im Jahr 2010 in der Vorsorgeeinrichtung verblieben, bereits festgelegt gewesen (2,25 %; nicht publ. E. 2). Das Argument der "unsicheren Finanzentwicklung", mit dem der unterschiedliche Zinssatz für unterjährig austretende Versicherte begründet werde, spiele bei ihm daher nicht. Es versteht sich von selbst, dass (relative) Gewissheit über die jährlichen Erträge auf den Anlagemärkten erst gegen Ende der Rechnungsperiode herrscht. Würde ab diesem Zeitpunkt das Alterskapital eines austretenden Versicherten nicht mit dem (im Vorjahr) prospektiv, sondern mit dem retrospektiv für das laufende Jahr festgelegten Zins (pro rata temporis) verzinst, entstände eine Ungleichbehandlung unter den austretenden Versicherten. Der Beschwerdeführer übersieht, dass diese die Vergleichsgruppe bilden und nicht die verbleibenden Versicherten (vgl. E. 5.1). Das kantonale Gericht durfte deshalb im vorliegenden Punkt auf eine weitergehende Prüfung verzichten und ihm kann diesbezüglich weder eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes noch eine solche des rechtlichen Gehörs vorgeworfen werden. Ebenso wenig kann in diesem BGE 140 V 169 S. 173 Zusammenhang von Willkür die Rede sein, soweit diese Rüge überhaupt den Begründungsanforderungen entspricht (nicht publ. E. 4.3). Wie das kantonale Gericht für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat (nicht publ. E. 1), machte der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren - wie im vorliegenden - nicht geltend, im Vergleich zu anderen Versicherten, die ebenfalls im Jahr 2010 aus der Vorsorgeeinrichtung ausgetreten sind, ungleich behandelt worden zu sein. 5.3 Demnach ist weder grundsätzlich noch im konkreten Fall eine Ungleichbehandlung in Bezug auf die unterschiedliche Verzinsung gegeben. 6. Eine andere Frage ist, ob und inwieweit eine Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei Überdeckung (nicht publ. E. 2) zulässig ist. Dabei soll zuerst das Anrechnungsprinzip näher beleuchtet werden. 6.1 Aufgrund der Umschreibung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1) stellen nur die Altersgutschriften gemäss Art. 16 BVG und die darauf gutgeschriebenen Zinsen das Altersguthaben nach BVG dar. Ebenfalls als Bestandteil des obligatorischen Altersguthabens gelten Zinsgutschriften aus der Anwendung eines über dem Mindestzinssatz liegenden Zinssatzes ( Art. 16 Abs. 2 BVV 2 ). Darüber hinaus kann der Versicherte durch die Bildung von Altersguthaben in der überobligatorischen Vorsorge (mittels überobligatorischen Altersgutschriften, Einkäufen etc.) "zusätzliche Vorteile" resp. weitergehende Leistungen erlangen (vgl. Art. 49 BVG ). Im Wesentlichen geht es darum, sich einen "zusätzlichen Schutz" aufzubauen, sei es, indem für einen Fall eine Leistung erhältlich gemacht werden kann, der nach dem blossen Obligatorium nicht versichert ist (z.B. Invalidenrentenanspruch bei Invaliditätsgrad von 25 %), oder um für eine bestimmte Leistung rein quantitativ über die zahlenmässige Grenze des Obligatoriums (z.B. höhere Altersrente) zu gelangen (Botschaft vom 19. Dezember 1975 zum Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, BBl 1976 I 149, 160 Ziff. 314, 219 oben zu Art. 1 Abs. 2 E-BVG und 254 Ziff. 531 zu Art. 47 E-BVG). In der Praxis werden drei verschiedene Modelle bezüglich der Behandlung der obligatorischen und überobligatorischen Vorsorgeleistungen unterschieden: die umhüllende Vorsorgeeinrichtung, die organisatorisch gesplittete Vorsorgeeinrichtung und die rechtlich BGE 140 V 169 S. 174 gesplittete Vorsorgeeinrichtung. Das Modell der umhüllenden Vorsorgeeinrichtung wird überwiegend durch autonome und halbautonome Vorsorgeeinrichtungen angewandt. Die reglementarischen Leistungen werden für die obligatorische und überobligatorische Vorsorge gesamthaft festgelegt. Für die Leistungsfestsetzung werden einheitliche Parameter (Umwandlungssatz, technischer Zinssatz) gewählt. Die obligatorischen Leistungen werden bei den Gesamtleistungen über die sogenannte Schattenrechnung angerechnet (Anrechnungsprinzip; vgl. dazu E. 8.2 nachfolgend). Das Modell der organisatorisch gesplitteten Vorsorge wenden vor allem die Lebensversicherer im Rahmen einer Vollversicherungslösung an. In diesem Modell werden die obligatorischen und die überobligatorischen Leistungen organisatorisch getrennt voneinander mit unterschiedlichen Parametern festgelegt. Die gesamten reglementarischen Leistungen ergeben sich aus der Summe der obligatorischen und überobligatorischen Leistungen. Die rechtlich gesplittete Vorsorge besteht in der Form zweier rechtlich voneinander unabhängiger Vorsorgeeinrichtungen, in der Regel BVG-Vorsorgeeinrichtung einerseits und überobligatorische Zusatz- oder Kadervorsorgeeinrichtung andererseits. Die beiden Vorsorgeeinrichtungen sind eigenständige Rechtssubjekte und eine gegenseitige Anrechnung von Leistungen kann nicht stattfinden (ARNOLD SCHNEITER, Das Modell der Versicherer mit Vollversicherung, Schweizer Personalvorsorge [SPV] 5/2012 S. 45; vgl. auch BGE 136 V 65 E. 3.7 S. 71). Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich unstreitig um eine umhüllende Vorsorgeeinrichtung. 6.2 In der Rechtsprechung des Bundesgerichts war das Anrechnungsprinzip bis anhin ebenfalls eine leistungsseitige Angelegenheit: In BGE 127 V 264 E. 4 S. 266 f. hat das Bundesgericht erwogen, dass für Hinterlassenen- und Invalidenrenten, die über das vom Gesetz vorgeschriebene Minimum hinausgehen, der Teuerungsausgleich nach Art. 36 Abs. 1 BVG insoweit nicht obligatorisch ist, als die Gesamtrente höher ist als die der Preisentwicklung angepasste BVG-Rente. Gemäss BGE 130 V 369 steht es den Vorsorgeeinrichtungen im überobligatorischen Bereich frei, eine Invalidenrente bei Erreichen des reglementarischen Rücktrittsalters in eine Altersrente von auch geringerer Höhe zu überführen. Entscheidend ist, dass in masslicher Hinsicht der gesetzliche Rahmen von Art. 26 Abs. 3 BVG - wonach die Invalidenrente lebenslänglich ausgerichtet wird bzw. die BGE 140 V 169 S. 175 Altersrente mindestens gleich hoch wie die bis zur Pensionierung gewährte Invalidenrente sein muss - gewahrt ist (BGE, a.a.O., E. 6.4 S. 376). Im Urteil B 77/06 vom 18. April 2007, zusammengefasst in: SZS 2007 S. 490 hat das Bundesgericht eine Reglementsbestimmung, wonach durch den Bezug eines einmaligen Kapitalbetrages der obligatorische und der überobligatorische Teil des vorhandenen Altersguthabens nach ihrem prozentualen Anteil am gesamten Altersguthaben gekürzt werden, als bundesrechtskonform bezeichnet. Es führte im Wesentlichen aus, in einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung würden die Ansprüche der versicherten Person in einem einzigen Reglement geregelt. Gleichzeitig sei eine Schattenrechnung zu führen, damit nachgeprüft werden könne, ob den Anforderungen des BVG-Obligatoriums Genüge getan werde. Soweit die reglementarischen Leistungen diejenigen gemäss Schattenrechnung überstiegen - welche Voraussetzung im konkret zu beurteilenden Fall erfüllt war -, kämen einzig Erstere zum Zuge (a.a.O., E. 5.1). Aus SVR 2008 BVG Nr. 19 S. 75, B 74/06, erhellt, dass eine umhüllende Vorsorgeeinrichtung die Rentenhöhe abweichend von Art. 24 Abs. 1 BVG festlegen kann, beispielsweise durch eine prozentuale Abstufung entsprechend dem exakten Invaliditätsgrad. Zu beachten hat sie dabei, dass die nach Obligatorium geschuldete Rentenhöhe in jedem Fall entrichtet werden muss, d.h. dass die Rente nach dem effektiven Grad der Invalidität betragsmässig mindestens die nach Obligatorium geschuldete Rentenhöhe zu erreichen hat (a.a.O., E. 2.1). In BGE 136 V 65 standen sich die gemäss Art. 23 BVG bestehende Pflicht der Vorsorgeeinrichtung, auch bei einer nachträglichen Erhöhung des Invaliditätsgrades eine entsprechende Rentenerhöhung vorzunehmen, und die davon abweichende Reglementsbestimmung gegenüber, wonach die Leistungspflicht an den Status des "Versichertseins" gebunden ist, den der Rentenbezüger im Zeitpunkt der Zunahme des Invaliditätsgrades nicht mehr aufwies. Das Bundesgericht entschied, dass auch in diesem Fall eine betragsmässige Anrechnung der reglementarischen Rente zu erfolgen hat, selbst wenn sich diese nach einem geringeren Invaliditätsgrad bemisst. Das Ergebnis entspreche dem gesetzlichen Konzept der überobligatorischen Vorsorge, welches eine weitgehende Gestaltungsfreiheit entsprechender Einrichtungen nicht nur in Bezug auf Invaliditätsbegriff und versichertes Risiko, sondern auch hinsichtlich weiterer BGE 140 V 169 S. 176 Tatbestände wie Rentenabstufung, versicherte Lohnbestandteile, Teuerungsausgleich oder Umwandlungssatz vorsehe (BGE, a.a.O., E. 3.8 S. 72 f.). In Änderung der Rechtsprechung hat das Bundesgericht sodann in BGE 136 V 313 entschieden, dass das Anrechnungsprinzip auch mit Bezug auf (akzessorische) Kinderrenten gilt. Es erwog: "il y a lieu (...) d'admettre que l'institution de prévoyance 'enveloppante' qui accorde, en lieu et place d'une rente d'invalidité et d'une rente complémentaire d'invalidité pour enfant, une rente d'invalidité unique dont le montant est supérieur au montant de la rente d'invalidité et de la rente complémentaire d'invalidité pour enfant prévues par la LPP, respecte le droit fédéral (BGE, a.a.O., E. 5.3.7 S. 321). Zu nennen ist ferner das Urteil 9C_37/2010 vom 4. August 2010. Demgemäss erachtete das Bundesgericht eine Reglementsbestimmung, welche die Überentschädigungsgrenze abweichend von Art. 34a Abs. 1 BVG bzw. Art. 24 Abs. 1 BVV 2 auf 100 % des letzten (indexierten) Jahresbezugs festlegte, wobei Bonuszahlungen nur teilweise zu berücksichtigen waren, als gesetzeskonform, weil die getroffene Regelung den obligatorischen Mindestanspruch wahrte (a.a.O., E. 2.3). Schliesslich hat das Bundesgericht in BGE 138 V 176 geurteilt, dass die Vorsorgeeinrichtungen im überobligatorischen Bereich frei sind, den Anspruch auf eine reglementarische Invalidenrente auf ein gegenüber dem ordentlichen Rentenalter tieferes Alter zu beschränken, wenn die vom BVG festgelegten Minimalanforderungen eingehalten werden (BGE, a.a.O., E. 8 S. 182 ff.). 7. Damit stellt sich die Anschlussfrage, ob und inwieweit das Anrechnungsprinzip auch auf der Kapitalseite - insbesondere in Bezug auf eine Nullverzinsung des gesamten Vorsorgekapitals - anwendbar ist. 7.1 Liegt per Bilanzstichtag, welcher regelmässig der 31. Dezember bildet, eine Unterdeckung vor (vgl. dazu Art. 44 Abs. 1 BVV 2 ), ist die umhüllende Vorsorgeeinrichtung grundsätzlich zu einer Minder- oder Nullverzinsung auf dem gesamten Altersguthaben nach dem Anrechnungsprinzip berechtigt (vgl. Art. 65d BVG und die diesbezüglichen Weisungen vom 27. Oktober 2004 über Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge, BBl 2004 6789, 6794 Ziff. 31; nicht publ. E. 3.3). BGE 140 V 169 S. 177 7.2 Was die hier zur Diskussion stehende Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei Überdeckung betrifft (vgl. E. 6), so lässt sich sowohl in der Rechtsprechung als auch Lehre Gegensätzliches ausmachen: 7.2.1 In BGE 132 V 278 E. 4.6 S. 285 oben und E. 4.7 S. 285 f. hat das Bundesgericht in Bezug auf die gegebenen Umstände des zu beurteilenden Falls eine zeitlich begrenzte Nullverzinsung des Altersguthabens (allein) in der weitergehenden beruflichen Vorsorge einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung als zulässig erklärt, ohne dass eine Unterdeckung vorlag; einerseits war eine reglementarische Grundlage vorhanden, anderseits konnten die notwendigen Erträge für die Verzinsung des gesamten Altersguthabens gemäss Mindestzinssatz auf dem Kapitalmarkt nicht erwirtschaftet werden und die Verzinsung wurde bereits während zweier Jahre aus den freien Mitteln finanziert. Im Urteil 9C_227/2009 vom 25. September 2009, u.a. in: SVR 2010 BVG Nr. 4 S. 12, hielt das Bundesgericht - ohne vertiefte Begründung - fest, die Vorsorgeeinrichtung könne den massgebenden Zinssatz für den überobligatorischen Teil frei festlegen, wobei dieser unter dem Mindestzinssatz liegen oder gar null betragen könne. Dieser Handlungsspielraum dürfe aber, ausser im Falle einer Unterdeckung, nicht zu einer sogenannten negativen Verzinsung des überobligatorischen Vorsorgeguthabens führen (a.a.O., E. 3.5). Der Gesetzgeber habe die Frage der Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen abschliessend regeln und den Vorsorgeeinrichtungen kein Recht einräumen wollen, vorzeitig Massnahmen gegen eine Unterdeckung einzuleiten (a.a.O., E. 3.4.5). Auf der anderen Seite hatte das Bundesgericht im Urteil 2A.562/2005 vom 28. Juni 2006, das den Zeitraum vor dem 1. Januar 2005 betraf (vor Inkrafttreten von Art. 65d BVG [vgl. E. 7.1]), erwogen, dass der in Art. 65 Abs. 1 BVG enthaltene elementare Grundsatz, jederzeit Sicherheit für die übernommenen Verpflichtungen zu bieten, eine Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip auch im Rahmen einer drohenden Unterdeckung rechtfertige, ohne dass es dafür einer Änderung des Reglements bedürfe (a.a.O., E. 4). 7.2.2 7.2.2.1 In der Lehre wird die Zulässigkeit einer Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip von PETER verneint. Er verweist vor allem auf den klaren Wortlaut der in E. 7.1 hievor BGE 140 V 169 S. 178 zitierten bundesrätlichen Weisungen und auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. E. 7.2.1 Abs. 2). Zudem meint er, verschiedene gesetzliche Neuerungen wie das Freizügigkeitsrecht und die Revision des Scheidungsrechts hätten dazu geführt, dass auch umhüllende Vorsorgeeinrichtungen eine gedankliche Trennung zwischen Obligatorium und Überobligatorium vornähmen (ERICH PETER, Unterdeckung und Sanierung - Minder-/Nullverzinsung und Rentnerbeiträge, AJP 2009 S. 1412-1414). Ferner vertritt er die Ansicht, dass eine Nullverzinsung wegen ihrer empfindlichen Auswirkung auf den Fall einer Unterdeckung beschränkt bleiben solle, handle es sich doch - durch die im Rahmen des Anrechnungsprinzips dort angewandte Negativverzinsung - um einen Eingriff in das überobligatorische Altersguthaben, das der Versicherte erworben hat. Diese Betrachtungsweise stehe auch im Einklang mit der Tatsache, dass bei einer besseren als der prognostizierten Performance ebenfalls kein Anspruch auf eine Gutschrift zu Gunsten des Altersguthabens bestehe. Eine bessere Performance werde von der Vorsorgeeinrichtung zunächst für die Äufnung der technischen Rückstellungen, der Wertschwankungsreserven und allenfalls der freien Mittel verwendet (PETER, Vorsorgeeinrichtung, a.a.O., S. 794, insbesondere Fn. 104). Der Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei Überdeckung ablehnend begegnet auch RUGGLI-WÜEST. Die Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip gehöre zu den gesetzlich nicht explizit erwähnten "anderen Massnahmen" im Sinne von Art. 65 Abs. 3 BVG und sei ausschliesslich in den Weisungen geregelt. Danach sei die Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip an das Vorliegen einer Unterdeckung geknüpft, weil das überobligatorische Altersguthaben geschmälert werde (CHRISTINA RUGGLI-WÜEST, Die Aufgaben der Aufsichtsbehörden bei Unterdeckung, SZS 2009 S. 564 f.). 7.2.2.2 Bejaht wird die Zulässigkeit der präventiven Nullverzinsung von KONRAD, welcher damit argumentiert, dass die umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen des BVG in der Gestaltung ihrer Leistungen frei seien und über die definierten Mindestleistungen hinausgehen könnten. Rechtlich gebe es immer nur einen einheitlichen Vorsorgeplan und ein einheitliches Altersguthaben. Gesetzeskonform sei diese Lösung, wenn im Leistungsfall im Rahmen der sogenannten Schattenrechnung der Nachweis erbracht werden könnte, dass die Vorsorgeleistungen mindestens so hoch seien wie die BVG-Mindestleistungen. Da es somit in einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung nur ein einziges reglementarisches Altersguthaben BGE 140 V 169 S. 179 gebe, könne im Fall einer Nullverzinsung nicht davon gesprochen werden, dass der überobligatorische Teil zu Gunsten des obligatorischen Teils abgebaut werde. Da das reglementarische Altersguthaben ungeschmälert bleibe, seien auch die durch die Gerichtspraxis geschützten wohlerworbenen Rechte der Versicherten nicht betroffen. Die Weisungen des Bundesrates seien nicht anwendbar, da sie - anders als die alte Fassung - inhaltlich zur hier aufgeworfenen Frage gerade nicht Stellung nähmen. Sie definierten nur mögliche Sanierungsmassnahmen (HANSPETER KONRAD, Minder- bzw. Nullverzinsung in Vorsorgeeinrichtungen: auch bei Überdeckung möglich, AJP 2010 S. 127 f.). Der gleichen Auffassung wie KONRAD ist MOSER, der sich ebenfalls dafür ausspricht, dass das Anrechnungsprinzip - mit Blick auf die Zinskomponente - auch beim Aufbau des den Leistungen zugrunde liegenden Kapitals gilt (MARKUS MOSER, Das Anrechnungsprinzip als Grundelement der umhüllenden beruflichen Vorsorge im "Zerrspiegel" der Rechtsprechung, SZS 2011 S. 70). Für die Zulässigkeit der Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip votieren ferner BRECHBÜHL, FURRER/LOMBARDI und WALSER. Während Erstere ihre Ansicht nicht weiter begründen (JÜRG BRECHBÜHL, Fragen der Stiftungsräte - Sanierung, Sicherung des finanziellen Gleichgewichts, SPV 3/2009 S. 4; FURRER/LOMBARDI, Sanierungsmassnahmen bei Unterdeckung - Risiken für Aktive, Rentner und Unternehmen, SPV 2/2009 S. 50), betont auch WALSER, dass es bei einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung nicht zwei verschiedene Vorsorgeteile gebe, den obligatorischen und den weitergehenden. Eine solche Betrachtungsweise entspreche nicht der Konzeption des BVG. Art. 6 dieses Gesetzes besage ausdrücklich, dass dessen zweiter Teil Mindestvorschriften enthält, und Art. 49 Abs. 1 und 2 halte fest, dass die Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen des BVG in der Gestaltung ihrer Leistungen frei sind und dabei über die Mindestleistungen hinausgehen können. Dies bedeute, dass es in einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung einen einheitlichen Vorsorgeplan und ein einheitliches Altersguthaben gebe, das dann gesetzeskonform sei, wenn die Mindestbedingungen des BVG eingehalten seien. Das Bundesgericht habe sich zudem deutlich dahin gehend geäussert, dass die Versicherten nicht erwarten könnten, auch bei eingetretenen Verlusten von nicht vorhandenen Kapitalrenditen zu profitieren, was selbstverständlich unabhängig davon zu gelten habe, ob sich die Vorsorgeeinrichtung in Unterdeckung befinde oder nicht BGE 140 V 169 S. 180 (HERMANN WALSER, Sanierungsmassnahmen von Vorsorgeeinrichtungen und die Rechtsstellung der beruflich noch aktiven Versicherten, SZS 2009 S. 603 f.). Schliesslich stellt auch FISCHER - wie KONRAD und WALSER - auf den Charakter umhüllender Vorsorgeeinrichtungen ab. Ausserdem weist er auf den Aspekt der Finanzierung im Kapitaldeckungsverfahren hin, weshalb eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bereits bei eingeschränkter Risikofähigkeit zulässig sein sollte. Das Altersguthaben werde zu einem bedeutenden Teil über die Vermögenserträge gebildet, welche den Vorsorgenehmern in Form von Zinsgutschriften weitergegeben würden. Genügten die Vermögenserträge nicht zur Deckung des Mindestzinssatzes, müsse die Vorsorgeeinrichtung diesen aus ihren Reserven decken. Mangels Reserven laufe die Vorsorgeeinrichtung Gefahr, in eine Unterdeckung zu geraten (SVEN FISCHER, Die Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen im Beitragsprimat, 2012, S. 263 und 265). 7.2.2.3 Die Frage offengelassen resp. nicht eindeutig beantwortet hat STAUFFER, der indessen verschiedene Rechenbeispiele illustriert (HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2012, S. 268 f., insbesondere Rz. 732 [nachfolgend: Berufliche Vorsorge]; derselbe , Anrechnungsprinzip und Schattenrechnung: Ihre Bedeutung in umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen [nachfolgend: Anrechnungsprinzip], in: BVG-Tagung 2010, Aktuelle Fragen der beruflichen Vorsorge, Schauffhauser/Stauffer [Hrsg.], S. 104-106). 7.3 Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (nachfolgend: OAK) nahm in ihrer Mitteilung vom 16. Mai 2012 (M-03/2012; abrufbar unter www.oak-bv.admin.ch/de/regulierung/mitteilungen ) die Haltung ein, dass eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip - sofern angezeigt und begründet - nicht erst bei Vorliegen einer Unterdeckung zulässig sei. Die Zulässigkeit entspreche dem Selbstständigkeitsbereich der Vorsorgeeinrichtung und dem Anrechnungsprinzip. Die OAK verzichtete bewusst darauf, fixe Grenzen zu setzen, da sich solche aus dem Gesetz nicht ableiten liessen. Aufgrund der Vielfalt der Vorsorgeeinrichtungen in Bezug auf Versichertenstruktur, technische Grundlagen und andere Parameter dürfte es auch kaum möglich sein, generell-abstrakte Grenzen zu definieren, die jedem Einzelfall gerecht würden. Es bleibe die anspruchsvolle Aufgabe des Stiftungsrats, BGE 140 V 169 S. 181 angemessene Lösungen zu finden und die nicht minder anspruchsvolle Aufgabe der Aufsichtsbehörden im Einzelfall zu entscheiden, ob der Stiftungsrat sein Ermessen pflichtgemäss ausgeübt oder missbraucht/überschritten habe. 8. Die voranstehende Auslegeordnung ist wie folgt zu würdigen: 8.1 Es ist richtig, dass die Weisungen des Bundesrates vom 27. Oktober 2004 über die Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge, gültig ab 1. Januar 2005 (vgl. E. 7.1), in erster Linie mögliche Sanierungsmassnahmen im Sinne von Art. 65d Abs. 2 BVG definieren, bevor - subsidiär - die gesetzlichen Massnahmen zur Anwendung gelangen (vgl. Art. 65d Abs. 3 und 4 BVG ). Es trifft auch zu, dass die alten Weisungen vom 21. Mai 2003, die bis Ende 2004 in Kraft standen (BBl 2003 4314), eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip als "nur zulässig" erachteten, "solange eine Unterdeckung besteht" (BBl 2003 4319 Ziff. 331 Abs. 1; französische Version: "n'est licite que [...] seulement durant la période pendant laquelle existe un découvert" [FF 2003 3868]; italienische Version: "è ammissibile unicamente nella misura in cui [...] sussiste una copertura insufficiente" [FF 2003 3724]). Dieser Wortlaut findet sich in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung nicht mehr. Zudem wurde die Formulierung in Ziff. 33 Abs. 1 der alten Weisungen, "(...) Vorsorgeeinrichtungen (...) können im Fall einer Unterdeckung auf dem gesamten Sparguthaben eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip durchführen" (BBl 2003 4319), ersetzt durch "(...) Vorsorgeeinrichtungen (...), die (...) im Fall einer Unterdeckung auf dem gesamten Sparguthaben eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip durchführen, haben die untenstehenden Schranken einzuhalten" (Ziff. 31 der neuen Weisungen [BBl 2004 6794]; Gleiches gilt in Bezug auf die französische und italienische Version). Wohl ergibt sich aus dem neu formulierten Titel "Minder- oder Nullverzinsung bei umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen im Beitragsprimat bei Unterdeckung " (BBl 2004 6794 Ziff. 31; in den alten Weisungen lautete er lediglich "Minder- oder Nullverzinsung bei umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen im Beitragsprimat" [BBl 2003 4319 Ziff. 33]; Gleiches gilt in Bezug auf die französische und italienische Version) nach wie vor, dass sich die aufgestellten Regeln auf die Situation im Falle einer Unterdeckung beziehen. Indes lässt sich - wie bereits die Vorinstanz dargelegt hat - aus den aktuellen Weisungen im Gegensatz zu den alten nicht mehr BGE 140 V 169 S. 182 e contrario der Schluss ziehen, bei fehlender Unterdeckung sei eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip nicht zulässig. Die Änderungen sprechen für die bewusste Vermeidung einer Aussage zur Überdeckung. So lässt sich auch der Botschaft vom 19. September 2003 über die Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge (BBl 2003 6399) - auch wenn einleitend präzisiert wurde, dass die Massnahmen, von welchen die Rede sei, eine bereits bestehende Unterdeckung beheben sollen - keine explizite Beschränkung der Minder- oder Nullverzinsung auf die Unterdeckung entnehmen. Im Gegenteil wurden die Grenzen dieser Massnahme ausdrücklich in Bezug auf die BVG-Schattenrechnung und nicht (mehr) hinsichtlich der fehlenden Unterdeckung thematisiert (BBl 2004 6409 Ziff. 1.3.4: "Diese Anrechnung ist jedoch nur solange möglich, als die reglementarischen Austrittsleistungen diejenigen nach Art. 17 FZG und der BVG-Schattenrechnung übersteigen. Sie findet somit nach der heutigen Rechtslage ihre gesetzliche Schranke in den Zinspflichten nach Artikel 17 Absätze 1 und 4 FZG beziehungsweise Artikel 6 Absatz 2 [...] FZV"). Auf kein anderes Resultat lassen die Beratungen in den national- und ständerätlichen Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit sowie im Parlament schliessen. In diesen wurde im Zusammenhang mit der Massnahme der Unterschreitung des Mindestzinssatzes gemäss Art. 65d Abs. 4 BVG (in der Vorlage des Bundesrates noch Art. 65b Abs. 3 lit. c BVG ) wiederholt bestätigt, dass eine Zinsnullrunde unabhängig von dieser Massnahme nach wie vor möglich sei, wenn eine Kasse das (obligatorische) Alterskapital plus Zins gewährleiste. Da die meisten Kassen im Überobligatorium seien, werde es damit weiterhin möglich sein, Zinsnullrunden zu fahren. Das Gesetz konzentriere sich auf den Schutz des obligatorischen Teils. Entsprechend wurde allein die Unterschreitung des Mindestzinssatzes ausdrücklich an die Voraussetzung einer Unterdeckung gekoppelt. Bezüglich des Überobligatoriums erfolgte keine solche kategorische Einschränkung. Auch der Hinweis des BSV auf die alten Weisungen, den es an der Einigungskonferenz angebracht hatte, erfolgte im Kontext mit der Unterschreitung des Mindestzinssatzes (vgl. zum Ganzen: Protokoll der nationalrätlichen Kommissions-Sitzung vom 15./16. Januar 2004 S. 37 oben; Protokoll der ständerätlichen Kommissions-Sitzung vom 3. März 2004 S. 5 unten; Votum David, AB 2004 S 61 unten; Protokoll der Einigungskonferenz vom 8. Juni 2004 S. 5 Mitte). Gleichermassen stützt sich übrigens das BGE 140 V 169 S. 183 in BGE 132 V 278 E. 4.6 S. 285 obiter dicta Gesagte, dass mit einer Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip der Mindestzinssatz unter Anrechnung von Gutschriften aus dem weitergehenden Bereich der beruflichen Vorsorge unterschritten würde, was im Fall einer Unterdeckung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig wäre, primär auf die alten Weisungen. Insgesamt lässt sich demnach aus den (neuen) Weisungen über die Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen in der beruflichen Vorsorge vom 27. Oktober 2004, die sich übrigens exklusiv an die Aufsichtsbehörden richten (vgl. Art. 64 BVG in der bis Ende 2011 gültigen Fassung; vgl. auch BBl 2004 6789 Ziff. 1), kein Verbot einer Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei Überdeckung ableiten. Soweit sich aus dem - wenig fundierten - Urteil 9C_227/2009 (vgl. E. 7.2.1 Abs. 2) eine gegenteilige Auffassung ergibt, kann daran nicht festgehalten werden. Dies gilt umso mehr, als der Bundesrat in seinem Entwurf des Berichts zuhanden der Bundesversammlung über die Zukunft der 2. Säule der diesbezüglichen Rechtsprechung zurückhaltend begegnete. So nahm er ausführlich auf die grosse Kritik Bezug, auf die das besagte Urteil in der Praxis gestossen ist, und hielt fest, es sei unklar, ob das darin Erwogene auch künftig Richtschnur bilde (Entwurf des Berichts des Bundesrates zuhanden der Bundesversammlung über die Zukunft der 2. Säule, S. 117 f.; abrufbar unter: www.bsv.admin.ch ). 8.2 Selbst wenn mit einem Teil der Lehre davon ausgegangen wird, dass (auch) die neuen Weisungen eine Minder- oder Nullverzinsung bei Überdeckung verbieten, geben sie keine genügende Basis ab, um zusätzliche einschränkende materiellrechtliche Anspruchserfordernisse aufzustellen, die im Gesetz nicht enthalten sind ( BGE 129 V 67 E. 1.1.1 in fine S. 68 mit weiteren Hinweisen): Der Umstand, dass die Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip unter die "anderen Massnahmen" bei Unterdeckung gemäss Art. 65d Abs. 3 BVG fällt, vermag keine gesetzliche Grundlage zur Beschränkung der Vorsorgeeinrichtungen im überobligatorischen Bereich zu bilden. Denn zu solchen "anderen Massnahmen" gehören auch die Reduktion von Mehrverzinsungen und von gesetzlich nicht vorgeschriebenen Erhöhungen laufender Renten sowie der Widerruf von Überbrückungsfinanzierungen, von Beitragspausen und von Beitragsreduktionen (BBl 2003 6408 Ziff. 1.3.4), allesamt Massnahmen, die grundsätzlich auch bei Überdeckung möglich sind (Protokoll der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und BGE 140 V 169 S. 184 Gesundheit, Sitzung vom 3. März 2004 S. 5 unten, Ausführungen seitens des BSV). 8.3 Das Anrechnungsprinzip basiert auf der Annahme, dass eine umhüllende Vorsorgeeinrichtung die gesetzlichen Leistungen auszurichten hat, sofern diese betraglich höher sind als der aufgrund des Reglements berechnete Anspruch. Andernfalls richtet sich die Leistung nach Massgabe des Reglements. Grundsätzlich wird dabei keine gesplittete Berechnung der Leistungen vorgenommen, indem je für den obligatorischen und überobligatorischen Vorsorgebereich isolierte Berechnungen angestellt und die Ergebnisse anschliessend addiert werden. Vielmehr wird lediglich in der Schattenrechnung eine Berechnung, die nur den obligatorischen BVG-Bereich berücksichtigt, einer solchen gegenübergestellt, die den reglementarischen (obligatorischen und überobligatorischen) Bereich gesamthaft erfasst. Dies entspricht der gesetzlichen Konzeption der überobligatorischen beruflichen Vorsorge, die umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen grundsätzlich eine weitgehende Gestaltungsfreiheit einräumt. Vorsorgeeinrichtungen können ihre reglementarischen Leistungen frei bestimmen, wobei Art. 7 bis 47 BVG lediglich dazu dienen, Mindestwerte zu definieren, die zur Erreichung des Vorsorgeziels in jedem Fall einzuhalten sind ( BGE 136 V 65 E. 3.7 S. 7, BGE 136 V 313 E. 4.4 S. 316 f.). Das Bundesgericht hat die Konzeption des Anrechnungsprinzips bei leistungsrechtlichen Fragestellungen konsequent umgesetzt. So ist es nach der jüngsten Rechtsprechung ( BGE 136 V 313 ) entgegen seiner früheren Auffassung auch zulässig, dass miteinander verbundene (akzessorische) gesetzliche Leistungen wie die Invalidenrente und die Invaliden-Kinderrente durch eine einzige reglementarische Leistung erfüllt werden (vgl. E. 6.2). Auch wenn die - bezüglich der Leistungsseite gefestigte - Rechtsprechung des Bundesgerichts in der Konstellation von BGE 136 V 65 von einem Teil der Lehre kritisiert worden ist (HANS-ULRICH STAUFFER, Anrechnungsprinzip, S. 95 und 121; UELI KIESER, Bemerkungen zu BGE 136 V 65 , AJP 2010 S. 939 f.; demgegenüber ausdrücklich begrüssend MOSER, a.a.O., S. 64), besteht kein Anlass für ein grundsätzliches Überdenken des Anrechnungsprinzips als solches (zu den Voraussetzungen einer Änderung der Rechtsprechung vgl. BGE 137 V 282 E. 4.2 S. 291 f. mit Hinweisen; vgl. auch E. 9.3 nachfolgend). Insbesondere entbehrt das Vorbringen von VAN DAM, mit dem Anrechnungsprinzip sei 2009 eine quasi-juristische Argumentation entwickelt worden, um den BGE 140 V 169 S. 185 BVG-Mindestzins unterlaufen zu können, jeglicher Grundlage (JAAP VAN DAM, 25 Jahre BVG - Der Wandel des schweizerischen Vorsorgesystems anhand von neun Dimensionen, Der Schweizer Treuhänder 2011 S. 327). Abgesehen davon, dass das Anrechnungsprinzip bereits im Jahr 2001 - mit BGE 127 V 264 - Eingang in die Rechtsprechung gefunden hat, war die Zinskomponente weder im damaligen Zeitpunkt noch in den (un-)mittelbaren Nachfolgefällen - ausser bei Vorliegen einer Unterdeckung, was allgemein anerkannt war - ein angesagter Diskussionspunkt. Erst anlässlich der Finanzkrise im Jahr 2008 ist die Frage aufgetaucht, ob eine Nullverzinsung im Anrechnungsprinzip auch schon dann durchgeführt werden kann, wenn die Vorsorgeeinrichtung sich (noch) nicht in einer Unterdeckung befindet (Entwurf des Berichts des Bundesrates zuhanden der Bundesversammlung über die Zukunft der 2. Säule, S. 117 oben). 8.4 Der Zins ist ein elementares Mittel, um das Verfassungsziel der beruflichen Vorsorge (vgl. Art. 113 BV ) zu erreichen (Protokoll der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, vom 15./16. Januar 2004 S. 33). Beim Vermögensertrag wird auch der Ausdruck "dritter Beitragszahler" verwendet (STAUFFER, Anrechnungsprinzip, S. 103; HAAG/RÜENAUFER, Unternehmensabschlüsse und Unterdeckungen bei Vorsorgeeinrichtungen, Wie wirken sich Sanierungsmassnahmen auf den Jahresabschluss des Unternehmens aus?, Der Schweizer Treuhänder 2013 S. 479). Genügen die Vermögenserträge nicht zur Deckung des Mindestzinssatzes, muss die Vorsorgeeinrichtung diesen aus ihren Reserven decken. Mangels Reserven läuft sie aber Gefahr, in eine Unterdeckung zu geraten. FISCHER weist in diesem Zusammenhang richtig darauf hin, dass Zinsen - mit Blick auf die Finanzierung der beruflichen Vorsorge im Kapitaldeckungsverfahren - letztendlich nur ausgerichtet werden können, soweit es die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtung und damit die Situation auf den Anlagemärkten zulässt (FISCHER, a.a.O., S. 263 f.). Wie alle Kapitaleigner können die Versicherten bei günstigen Finanzmarktverhältnissen von höheren als den geplanten Kapitalrenditen profitieren, was zu Leistungsverbesserungen führt. Umgekehrt sehen sie sich systemimmanent dem Risiko ausgesetzt, dass die Kapitalrendite kleiner ist als geplant. Es widerspräche dem Kapitaldeckungsprinzip und wäre systemwidrig, die Versicherten nur an den Gewinnchancen, nicht aber an den Verlustrisiken teilhaben zu lassen ( BGE 135 V 382 E. 10.5 S. 402). Eine Inkaufnahme der Verluste, bis sich eine nach Art. 44 Abs. 1 BVV 2 BGE 140 V 169 S. 186 berechnete Unterdeckung einstellt, dient weder ihnen noch der Vorsorgeeinrichtung. So erhöht sich bei einer Unterdeckung die Sollrendite, was angesichts der gesunkenen Anlageerträge eine zusätzliche Destabilisierung der finanziellen Lage bedeutet. Auf der anderen Seite müssten die Anlageerträge, die zur Deckung des Mindestzinssatzes fehlen, spätestens bei Eintritt einer Unterdeckung wettgemacht werden, wobei sich entsprechende Sanierungsbeiträge für die Versicherten allenfalls noch einschneidender auswirken können (vgl. Art. 65d Abs. 3 BVG ). Zudem hat das Zuwarten, bis sich eine Unterdeckung einstellt, insbesondere für die Aktiven eine weitaus gravierendere Konsequenz: Im Fall einer Teilliquidation werden die Austrittsleistungen nach Art. 53d Abs. 3 BVG gekürzt (FISCHER, a.a.O., S. 264 f.). 9. 9.1 Aus den vorgenannten Gründen ist die Zulässigkeit einer Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei Überdeckung grundsätzlich zu bejahen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb das Anrechnungsprinzip nicht auch hinsichtlich des Kapitals mit der gleichen Geradlinigkeit wie auf der Leistungsseite angewendet werden soll, zumal sein Aufbau letztlich die "Kehrseite der (Leistungs-) Medaille" ist. Zwar hatte das Bundesgericht im Urteil 9C_227/2009 - und ansatzweise bereits in BGE 132 V 278 (vgl. hievor E. 7.2.1 Abs. 1 und 2) - eine davon abweichende Betrachtung gewählt, indem es betreffend die Frage nach der Verzinsung (gedanklich) von einer Trennung von obligatorischem und überobligatorischem Altersguthaben ausging. Dieser Weg kann jedoch nicht weiter begangen werden, gilt es doch dem Charakter der umhüllenden Vorsorgeeinrichtung hinsichtlich des ganzen Gefüges Rechnung zu tragen. Daraus folgt, dass die umhüllende Vorsorgeeinrichtung für das gesamte Altersguthaben einen einheitlichen Zinssatz anwenden kann. Das Obligatorium ist dabei erfüllt, wenn im Ergebnis mindestens eine Verzinsung erfolgt, die betraglich der Zinsgutschrift unter Anwendung des BVG-Zinssatzes auf dem BVG-Altersguthaben entspricht, oder mit anderen Worten, wenn das reglementarische Altersguthaben letztlich mindestens so hoch ist wie das BVG-Altersguthaben, was anhand der Schattenrechnung überprüft wird (HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, S. 267 Rz. 729 f.; derselbe , Anrechnungsprinzip, S. 104). Damit gibt es in einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung - nebst einem einzigen Reglement (vgl. E. 6.2) - auch nur ein einziges Altersguthaben, das bei einer Minder- oder BGE 140 V 169 S. 187 Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip einfach weniger oder gar nicht anwächst. Davon, dass das überobligatorische Altersguthaben zu Gunsten des obligatorischen abgebaut wird, kann nicht die Rede sein. Gleichzeitig kann eine allfällige Verletzung wohlerworbener Rechte ausgeschlossen werden, weil bei einer Nullverzinsung der bisher erworbene Bestand des reglementarischen Guthabens weiterhin garantiert ist (vgl. SVR 2010 BVG Nr. 32 S. 120, 9C_808/2009 E. 5.3). 9.2 Indes ist eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip nicht beliebig durchführbar. Da es sich um eine Massnahme handelt, die ausschliesslich die aktiven Versicherten trifft - der Arbeitgeber wird nicht einbezogen -, und die Verzinsung des Sparkapitals im Prinzip zu den Verpflichtungen der Pensionskasse gehört (SVR 2013 BVG Nr. 19 S. 82, 9C_325/2012 E. 5.2; vgl. auch E. 8.4), sind ihr relativ rasch Grenzen gesetzt. (Erste) Voraussetzung bildet der Bestand eines überobligatorischen Altersguthabens, das heisst, eine Nullverzinsung ist nur solange zulässig, als das effektive Altersguthaben des Versicherten dasjenige der Schattenrechnung um den Betrag der Mindestverzinsung nach BVG übersteigt (FISCHER, a.a.O., S. 272). Eine weitere Schranke ist - nebst dem zu beachtenden Verbot der Rechtsungleichheit (vgl. E. 5) und der Willkür (vgl. nicht publ. E. 4.3, E. 5.2 und 10.2 Abs. 2) - durch das Verhältnismässigkeitsprinzip gegeben (nicht publ. E. 3.1). So hält auch die OAK fest, dass eine Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip angezeigt - zum Beispiel bei drohender Gefahr, in eine Unterdeckung zu fallen - und begründet sein muss (vgl. E. 7.3). Ob und inwieweit sie geeignet ist, zur Verbesserung der finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtung beizutragen, ergibt sich allenfalls aus der Versichertenstruktur. Bei einem hohen Anteil junger Vorsorgenehmer (mit in der Regel kleinen überobligatorischen Altersguthaben) oder Rentner ist der Effekt geringer als bei einem hohen Anteil älterer Aktivversicherter mit entsprechend hohen Altersguthaben (FISCHER, a.a.O., S. 267; anschaulich SIMON GLARDON, Sanierungsmassnahmen - Angemessenheit und Wirksamkeit, in: Risikominimierung bei Pensionskassen, GEWOS Schriftenreihe, Bd. 2, 2010, S. 47 f.). Dieser Umstand offenbart zugleich, dass vor allem eine Nullzinsrunde die älteren Versicherten mit höheren Altersguthaben härter trifft als die jüngeren Aktiven (Urteil 2A.562/2005 vom 28. Juni 2006 E. 5.3). Diese Ungleichbehandlung, die sich auch bei einer Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei Unterdeckung BGE 140 V 169 S. 188 findet, ist verfassungsrechtlich insoweit hinzunehmen, als sie systemimmanent ist und mit Blick auf das Leistungsziel der obligatorischen beruflichen Vorsorge (vgl. BGE 136 V 313 E. 5.3.6 S. 321) auf überwiegend sachlichen Gründen beruht. Dies gilt umso mehr, als es sich um eine Momentaufnahme handelt. Über die gesamte Dauer der Altersvorsorge kann im Durchschnitt trotz vorübergehender Zinsreduktion ein namhafter Ertrag resultieren, insbesondere wenn in wirtschaftlich guten Jahren von einer ansprechenden Mehrverzinsung profitiert werden kann resp. konnte (GLARDON, a.a.O., S. 49). Soweit die OAK darauf hinweist, dass mit einer Minder- oder Nullverzinsung keine unterfinanzierten Vorsorgepläne oder strukturelle Unterfinanzierungen behoben werden dürfen, fordert sie zudem Ursachenadäquanz (M-03/2012 S. 2 Ziff. 2 Abs. 1). Anzufügen bleibt, dass alle diese Limiten nicht zur irrigen Annahme führen dürfen, dass sich die Zulässigkeit einer Minder- oder Nullverzinsung schematisch taxieren lässt. Letztlich ist sie allein in Bezug auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen. 9.3 Es ist nachvollziehbar, dass es nicht im Interesse der Vorsorgenehmer ist, wenn die Anwendung des Anrechnungsprinzips zur Folge hat, dass das Überobligatorium im Ergebnis auf die Mindestvorschriften des BVG reduziert wird (FISCHER, a.a.O., S. 252 oben; STAUFFER, Anrechnungsprinzip, S. 95). So ist vor Augen zu (be-) halten, dass wer - über das Obligatorische hinaus - Beiträge entrichtet oder ergänzende Einkäufe tätigt, am Ende aber nicht mit einem (überobligatorischen) Mehr rechnen kann, sich in seinem Vertrauen in die zweite Säule getäuscht sieht. Indes ist ebenso Tatsache, dass sowohl der obligatorische Umwandlungssatz als auch der Mindestzins, welche beiden Parameter politisch und nicht rein sachlich hergeleitet sind (vgl. Art. 14 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 2 BVG sowie Art. 12 und 62c BVV 2 ), den effektiven Verhältnissen hinterher hinken. Die Lebenserwartung nimmt schneller zu und die Renditen verharrten längere Zeit auf einem relativ tiefen Niveau, was den Handlungsspielraum der Vorsorgeeinrichtung, die jederzeit Sicherheit dafür bieten muss, dass sie die übernommenen Verpflichtungen erfüllen kann ( Art. 65 Abs. 1 BVG ), einengt. Daran hat die verbesserte finanzielle Lage - 2012 und 2013 waren gute Aktienjahre - nichts geändert, zumal die Leistungsversprechen (zu) hoch bleiben. Es muss dem paritätisch besetzten ( Art. 51 BVG ) Stiftungsrat deshalb möglich sein, auch unpopuläre Massnahmen ergreifen zu können, wenn es die Situation erfordert (M-03/2012 S. 3). Soll bei der BGE 140 V 169 S. 189 Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip den Interessen der Versicherten gegenüber jenen der Vorsorgeeinrichtung an einer nachhaltigen Sicherstellung des Vorsorgezwecks ( Art. 65 Abs. 1 BVG ) und an ihrer grundsätzlichen Gestaltungsfreiheit in der weitergehenden beruflichen Vorsorge ( Art. 49 BVG ) der Vorzug gegeben werden, obliegt es dem Gesetzgeber, diesbezüglich Klarheit zu schaffen. 10. Abschliessend bleibt die Beurteilung des vorliegenden Falls mit Blick auf das in E. 9.2 Gesagte: 10.1 Einleitend ist festzuhalten, dass Art. 6 Abs. 2 des Reglements dem obersten Organ die Kompetenz einräumt, den jeweiligen Zins aufgrund des Jahresergebnisses resp. anhand der konkreten finanziellen Möglichkeiten festzulegen (nicht publ. E. 3.2). Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass bei der Erstellung des Reglements eine Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip bei Überdeckung ausgeschlossen werden sollte. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann solches nicht daraus abgeleitet werden, dass eine Nullverzinsung nur im Zusammenhang mit einer Unterdeckung erwähnt ist (nicht publ. E. 3.3). Denn eine Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip (bei Überdeckung) bedarf - anders als der Beschwerdeführer meint - keiner ausdrücklichen reglementarischen Erlaubnis (PETER, Vorsorgeeinrichtung, a.a.O., S. 794; RUGGLI-WÜEST, a.a.O., S. 565; WALSER, a.a.O., S. 604 f.; FISCHER, a.a.O., S. 243). Dies widerspräche dem Grundkonzept des BVG, wonach die Vorsorgeeinrichtung in der weitergehenden Vorsorge - auch in der Kapitalverzinsung - grundsätzlich frei ist (nicht publ. E. 3.1 und E. 6.2 hievor). Im Übrigen kann offenbleiben, ob und inwieweit der Vorsorgeeinrichtung bei einer Minder- oder Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip im Falle einer Überdeckung analog Ziff. 311 Abs. 1 der seit 1. Januar 2005 geltenden Weisungen eine Informationspflicht gegenüber den Versicherten obliegt (BBl 2004 6794). Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat (nicht publ. E. 1), wurde dem Beschwerdeführer die Nullverzinsung vorgängig mitgeteilt. 10.2 Die Nullverzinsung des gesamten Alterskapitals der Versicherten, die im Jahr 2010 ausgetreten sind, basiert auf einer prospektiven Einschätzung der Vorsorgeeinrichtung Ende November 2009. Diese Verzinsungspraxis ist nicht zu beanstanden (vgl. E. 5). Dabei BGE 140 V 169 S. 190 wies die Vorsorgeeinrichtung zu Beginn des Geschäftsjahres 2009 eine nicht unerhebliche Unterdeckung auf. Per 31. Dezember 2009 resultierte wohl wieder eine Überdeckung. Abgesehen davon, dass diese knapp ausfiel (101 %; nicht publ. E. 2), stand das Deckungsergebnis per 31. Dezember 2009 Ende November 2009 jedoch weder fest, noch war der dannzumal erreichte Deckungsgrad - soweit er überhaupt bereits grösser als 100 % war - unumstösslich (die Beschwerdegegnerin spricht von einem provisorischen Deckungsgrad per Ende Oktober 2009 in der Höhe von 98,5 %, welches Vorbringen neu und deswegen nicht zu hören ist [vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG ]; in Anbetracht des soeben Gesagten kommt diesem Umstand aber keine Entscheidrelevanz zu). Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, herrschte auf den Finanzmärkten in den hier massgebenden Jahren eine schwierige Lage und die Konjunkturerholung war begrenzt (vgl. Konjunkturtendenzen und Prognosen des Staatssekretariats für Wirtschaft [SECO] vom 2. Oktober 2008 bzw. 22. September 2009, abrufbar unter www.seco.admin.ch [Aktuell, Medienmitteilungen 2008 bzw. 2009]; vgl. auch E. 8.2 in fine). So waren denn auch gemäss Aktenlage die negativen Marktentwicklungen hauptsächliche Ursache der Unterdeckung. Der Beschwerdeführer macht nichts Gegenteiliges geltend. Mit dem Erreichen eines Deckungsgrades von 101 % Ende 2009 erfüllte die Vorsorgeeinrichtung zudem allein die gesetzlichen Vorgaben. Über die notwendige Risikofähigkeit verfügte sie deswegen nicht. Die entsprechende Wertschwankungsreserve belief sich gerademal auf 1 % bei einer Zielgrösse von 12,5 %. Wohl wurde die Massnahme nicht erstmals für das Jahr 2010, sondern bereits für das Jahr 2009 ergriffen. Dabei handelt es sich um eine milde Massnahme, die "nur" einen beschränkten Kreis von Versicherten erfasst, und zwar auch in zeitlicher Hinsicht, nämlich die während des betreffenden Geschäftsjahres austretenden, womit sich kein Versicherter mit einer fortgesetzten Nullverzinsung konfrontiert sah. Im Gegenteil profitierten die Versicherten, die in den Jahren 2009 und 2010 ausgetreten sind, in den jeweils vorangehenden Jahren 2008 und 2009 - gleichermassen wie alle übrigen Aktivversicherten - von einer Verzinsung, die trotz Unterdeckung und finanziellen Turbulenzen auf den Finanzmärkten dem BVG-Mindestzins entsprach (nicht publ. E. 3.3). Nach einem überdurchschnittlichen Renditeertrag lag sie sogar deutlich darüber (so im Jahr 2006: 3,25 %; vgl. Art. 12 BVV 2 ). Ebenso wenig ist der Einwand des BGE 140 V 169 S. 191 Beschwerdeführers stichhaltig, dass die Praxis der Vorsorgeeinrichtung willkürlich ist, weil - im Vergleich zum Geschäftsjahr 2009 - "bei fast identischem Deckungsgrad (Ende 2010) für die im Jahr 2011 unterjährigen Versicherten plötzlich wieder eine Verzinsung vorgesehen war". Eine einmal eingeleitete Massnahme darf sich nicht verselbständigen, sondern muss jederzeit resp. von neuem gerechtfertigt sein. Dass der Stiftungsrat die finanziellen Verhältnisse Ende 2010 als stabil(er) einschätzte und auch das Alterskapital unterjährig austretender Versicherter wieder verzinste, liegt in deren Interesse und entspricht dem Gebot der Verhältnismässigkeit. Dieses schreibt vor, dass getroffene Massnahmen bei verbesserter Lage zu lockern sind. Soweit der Beschwerdeführer die Wirksamkeit der getroffenen Massnahme einfach pauschal bezweifelt, da "lediglich ein Bruchteil des Versichertenbestandes unterjährig austritt und die Zinsen nur pro rata temporis geschuldet sind", so kommt er damit seiner Substanziierungspflicht nicht nach (vgl. BGE 138 V 86 E. 5.2.3 S. 97). Selbst wenn nur relativ wenige Aktivversicherte die Vorsorgeeinrichtung während eines laufenden Geschäftsjahres verlassen, kann eine gewisse Wirkung nicht von vornherein in Abrede gestellt werden, vor allem wenn - wie der Beschwerdeführer - ältere Versicherte mit hohem Altersguthaben gegen Ende Jahr austreten. Der Effekt einer Minder- oder Nullverzinsung auf den Deckungsgrad kann aus dem Verhältnis zwischen dem Vorsorgekapital der aktiven Versicherten und dem gesamten Vorsorgekapital bestimmt werden. Ein Wert von beispielsweise 0,5 % bedeutet, dass eine Minderverzinsung der Altersguthaben von 1 % den Deckungsgrad um rund 0,5 % erhöht (BETSCHART/WIEDMER, Eine Auslegeordnung: Risikokennzahlen als Führungsinstrument, SPV 1/2014 S. 26). Der Beschwerdeführer macht keine rechtserheblichen Angaben über das Vorsorgekapital der unterjährig ausgetretenen Versicherten. Die Information wäre bei der Pensionskasse leicht erhältlich gewesen. Gemäss Art. 86b Abs. 2 BVG hat die Vorsorgeeinrichtung auf Anfrage hin den Versicherten Informationen über den Deckungsgrad abzugeben. So oder anders: Es liegt in der Natur der Sache, dass eine zurückhaltende Massnahme - das Verhältnismässigkeitsgebot bedingt auch, dass die einzelne Massnahme nicht weiter geht als erforderlich - weniger effektiv ist, als wenn eine Nullverzinsung hinsichtlich des gesamten aktiven Versichertenbestands beschlossen worden wäre. 10.3 Zusammenfassend steht fest, dass die hier streitige Nullverzinsung nach dem Anrechnungsprinzip insgesamt als rechtsgleich, BGE 140 V 169 S. 192 sachlich begründet und verhältnismässig erscheint. Die vorinstanzliche Feststellung, dass das nullverzinste "umhüllende" Altersguthaben höher liegt als das BVG-Altersguthaben, wurde zu Recht nicht angefochten.
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28a3177d-21d7-4252-9b9e-e64708d35cb1
Sachverhalt ab Seite 404 BGE 118 II 404 S. 404 A.- Reto W. (Sohn von Kläger 1 und Klägerin 2, Bruder der Klägerin 3) erlitt am 12. April 1979 im Alter von fast sieben Jahren bei einem Verkehrsunfall eine schwere Hirnverletzung mit nachfolgender Tetraplegie. Der Unfall wurde von einem bei der S. versicherten BGE 118 II 404 S. 405 Lenker verursacht. Der Verunfallte wurde 1980 nach Hause entlassen und ab diesem Zeitpunkt von seiner Mutter gepflegt, welche deswegen ihren Beruf aufgegeben hatte. Die Versicherungsgesellschaft entschädigte die Mutter für diese Arbeit, übernahm die Heilungskosten sowie verschiedene andere Unkosten und bezahlte gemäss Vergleich vom 27. Juli/4. August 1982 u.a. eine Genugtuung, welche "definitiv auf Fr. 100'000.-- festgelegt" wurde. Über Genugtuungsansprüche der Eltern wurde damals offenbar nicht ausdrücklich gesprochen. Der heutige Rechtsvertreter der Kläger übernahm 1983 das Mandat und hat gegenüber der Versicherungsgesellschaft in mehreren Besprechungen die Frage erörtert, ob den Eltern als Angehörigen eines Schwerstverletzten auch Genugtuungsansprüche zustünden. Die Diskussionen dauerten bis zum November 1984 und führten zu keinem Ergebnis. Am 25. November 1987 forderte der Vertreter der Angehörigen von Reto W. die Versicherungsgesellschaft auf, den Eltern je eine Genugtuung von Fr. 50'000.-- zu bezahlen. Mit Hinweis auf die inzwischen eingetretene Verjährung wurden diese Ansprüche am 27. November 1987 abgelehnt. Am 19. November 1988 starb Reto W. an den Spätfolgen des Unfalls. B.- Armin, Monique und Martina W. klagten am 30. Oktober 1990 beim Appellationshof des Kantons Bern gegen die Versicherungsgesellschaft auf Zahlung von je Fr. 60'000.-- und Fr. 25'000.-- an Armin und Monique W. sowie von Fr. 30'000.-- und Fr. 15'000.-- nebst Zins an Martina W. Mit Urteil vom 7. November 1991 wies der Appellationshof die Klage ab. Er befand, dass die Genugtuungsansprüche der Angehörigen für die Verletzungen von Reto W. verjährt und überdies durch den Vergleich vom 27. Juli/4. August 1982 abgegolten seien; sodann fehle es an der nach der alten Fassung von Art. 49 OR noch vorausgesetzten Schwere des Verschuldens. Eine Genugtuung für die Tötung eines Angehörigen nach Art. 47 OR erachtete der Appellationshof als unbillig, weil die Eltern spätestens beim Ableben von Reto W. durch Erbgang in den Genuss seiner Genugtuung gekommen seien. C.- Armin, Monique und Martina W. haben gegen das Urteil des Appellationshofes Berufung eingereicht. Sie beantragen, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Beklagte zu folgenden Zahlungen zu verurteilen: a) An den Kläger 1: - Fr. 60'000.-- nebst Zins zu 5% seit 12.4.1979 - Fr. 25'000.-- nebst Zins zu 5% seit 19.11.1988 BGE 118 II 404 S. 406 b) An die Klägerin 2: - Fr. 60'000.-- nebst Zins zu 5% seit 12.4.1979 - Fr. 25'000.-- nebst Zins zu 5% seit 19.11.1988 c) An die Klägerin 3: - Fr. 15'000.-- nebst Zins zu 5% seit 19.11.1988. Die Versicherungsgesellschaft beantragt im wesentlichen Abweisung der Berufung, soweit darauf eingetreten werden könne, und Bestätigung des angefochtenen Urteils. Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut Erwägungen aus folgenden Erwägungen: 3. Der Appellationshof hat eine Genugtuung der Eltern für den späteren Tod ihres Sohnes Reto W. abgelehnt, weil die Hälfte der von der Versicherung im Jahre 1982 bezahlten Genugtuungssumme von Fr. 100'000.-- für die Eltern bestimmt gewesen sei. Er kam zum Schluss, dass die Eltern den für Reto W. ausbezahlten Teil der Genugtuungssumme entweder schon zu Lebzeiten des Kindes erhalten und für sich verwendet hätten, sei dies, dass sie diese Summe für seinen Unterhalt verbraucht und so Minderkosten gehabt hätten, oder dass sie diesen Betrag in ihr Haus verbaut und so einen ihnen zukommenden Mehrwert erzeugt hätten. Im Ergebnis hätten die Eltern - wird dann weiter ausgeführt - so oder anders von der Beklagten unter dem Titel Genugtuung die Summe erhalten, welche sie heute aus dem Todesfall geltend machten. Es würde daher Recht und Billigkeit widersprechen, wenn ihnen aus Todesfall noch eine weitere Genugtuung zugesprochen würde. Die Kläger rügen, der Appellationshof lasse die Frage offen, ob sich die Angehörigen die seinerzeit dem Verletzten ausbezahlte und nach dem Tod geerbte Genugtuungssumme anrechnen lassen müssen, gehe aber dennoch davon aus, dass diese Anrechnung stattfinden solle. Diese Auffassung sei dogmatisch unhaltbar und führe zu widersprüchlichen Ergebnissen. Wisse ein Verletzter um die Anrechnungspflicht, so werde er das Geld verprassen und den Haftpflichtigen zu einer kumulierten Entschädigung zwingen, während der Sparsame letzterem oder seinem Versicherer einen Gefallen tue. Der Einwand der Kläger, dass die Vorinstanz eine Anrechnung der für Reto W. bezahlten Genugtuung vorgenommen hat, trifft zu. Im folgenden ist zu prüfen, ob das zulässig ist. BGE 118 II 404 S. 407 a) Gemäss Art. 47 OR kann der Richter bei Tötung eines Menschen oder Körperverletzung unter Würdigung der besonderen Umstände dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen. Genugtuungsansprüche können vererbt werden, wenn der Berechtigte sie selbst noch geltend gemacht hat ( BGE 81 II 389 E. 2, BGE 88 II 462 ; statt vieler BREHM, N 123 ff. zu Art. 47 OR und die dort zitierte Lehre). Das Bundesgericht hatte bis heute die Frage nicht zu beurteilen, ob die Angehörigen, welche die dem Verletzten ausbezahlte oder von diesem bereits verlangte Entschädigung erben, beim Ableben des Angehörigen zusätzlich einen eigenen Anspruch geltend machen können. Nach OFTINGER haben die Angehörigen selber einen Anspruch aus eigenem Recht, wenn der Verletzte später an den Unfallfolgen stirbt; ohne Begründung versagt dieser Autor jedoch dem Getöteten für die noch zu Lebzeiten zugefügte Unbill einen eigenen Genugtuungsanspruch und erachtet damit nur die eine oder die andere Forderung für gerechtfertigt (Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, 4. Aufl., S. 294). HÜTTE (Die Genugtuung, 2. Aufl., I/20, Ziff. 1.11) hält dafür, dass ein vom Verletzten mit dem Haftpflichtigen abgeschlossener Vergleich beim späteren Tod des Verletzten keine neuen Ansprüche der hinterbliebenen Angehörigen entstehen lasse; durch die Abfindung seien sämtliche Ansprüche nach Art. 47 OR abgegolten. Beiden Auffassungen kann nicht gefolgt werden. Stirbt der Verletzte erst nach geraumer Zeit, so sind die Angehörigen genugtuungsberechtigt, wenn der Kausalzusammenhang feststeht und die Verjährung noch nicht eingetreten ist. Dass der Betroffene selbst schon eine Genugtuung erhalten hat, welche nun die Hinterbliebenen erben, ist nicht massgeblich; grundsätzlich haben beide Ansprüche nebeneinander Platz, wobei im Ergebnis jener des Verletzten auf die begrenzte Zeit seines Leidens abzustimmen ist (KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, S. 113; ähnlich auch BREHM, N 118 ff. zu Art. 47 OR , S. 326, und TERCIER, Die Genugtuung, in Strassenverkehrsrechts-Tagung 1988, S. 2, sowie BEAUVERD, L'action des proches en réparation de la perte de soutien et du tort moral, Diss. Freiburg 1986, S. 120 ff., Rz. 233). Abzulehnen ist eine Anrechnung der geerbten Genugtuung im Sinne BREHMS (N 120 zu Art. 47 OR ), denn die Ansprüche beruhen auf verschiedenen Rechtsgründen, was einer Kompensation grundsätzlich entgegensteht. Zudem handelt es sich bei der Genugtuung um einen Anspruch, der sich ziffernmässig nicht errechnen lässt BGE 118 II 404 S. 408 - wie etwa ein Invaliditäts- oder Versorgerschaden -, sondern der vom Richter nach seinem Ermessen "unter Würdigung der besonderen Umstände" bloss geschätzt werden kann. die Sach- und Rechtslage ist auch völlig anders als bei einer erbrechtlichen Vorteilsausgleichung im Rahmen eines Versorgerschadens, wo es um einen Bilanzausgleich geht. Hier ist nicht auszugleichen, sondern abzuwägen, inwieweit die Tatsache, dass die Angehörigen die Genugtuung des Verletzten erben, bei der Festsetzung ihrer eigenen Entschädigung mitberücksichtigt werden soll. So ist zu differenzieren, ob der Ansprecher ohnehin einmal Erbe geworden wäre oder ob den Angehörigen durch den Todesfall Vorteile erwachsen, die ihnen bei einem natürlichen Ableben des Geschädigten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zugefallen wären. Solche Umstände können im Rahmen des Ermessensentscheids bei der Festsetzung der Entschädigung mitberücksichtigt werden. b) Die Kläger verlangen für beide Elternteile eine Genugtuungssumme von je Fr. 25'000.--, für die Schwester eine solche von Fr. 15'000.--. aa) Die Genugtuung bezweckt ausschliesslich eine Abgeltung für erlittene Unbill, indem das Wohlbefinden anderweitig gesteigert oder dessen Beeinträchtigung erträglicher gemacht wird. Ob und in welcher Höhe Genugtuung zuzusprechen ist, hängt neben der Schwere der Unbill von der Aussicht ab, dass die Zahlung eines Geldbetrages den körperlichen oder seelischen Schmerz spürbar lindern wird ( BGE 115 II 158 E. 2 mit Hinweisen). Reto W. erlitt beim Unfall vom 12. April 1979 im Alter von fast sieben Jahren äusserst schwere Hirnverletzungen mit nachfolgender Tetraplegie. Er wurde 1980 nach Hause entlassen und von seiner Mutter gepflegt, welche deswegen ihren Beruf aufgegeben hatte. Der vollinvalide Sohn hat durch die Pflege im Kreise seiner Angehörigen mehr Zuwendung und Wärme erfahren als in einem Pflegeheim. Die räumliche Nähe und der grosse Schmerz, der den Eltern erwuchs, haben trotz der entstandenen Unannehmlichkeiten die persönliche Beziehung der Betroffenen zum Geschädigten ohne Zweifel noch vertieft. Es bedarf deshalb nicht vieler Worte, dass der Tod von Reto W. den hinterbliebenen seelisches Leid verursacht hat und dass eine Entschädigung für diese erlittene Unbill geschuldet ist. bb) Die Frage, ob und in welchem Ausmass eine Mitberücksichtigung in Betracht gezogen werden soll, hängt entscheidend von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab, wobei auch hier dem Richter - wie bei der Bemessung einer Genugtuung an sich - ein breiter BGE 118 II 404 S. 409 Ermessensspielraum zusteht ( BGE 117 II 60 E. 4a/aa). Vorliegend rechtfertigt es sich, den Eltern eine Genugtuung von je Fr. 15'000.-- nebst Zins zu 5% seit dem 19. November 1988 zuzusprechen. cc) Die Vorinstanz hat der Schwester von Reto W. eine solche Abfindung auch deshalb versagt, weil nach Aussagen der Eltern Retos Tod bei ihr nicht nur Betroffenheit ausgelöst habe. Dem Mädchen, das in diesem Zeitpunkt vierzehn Jahre alt gewesen war, sei damit eine jahrelange Last weggenommen worden. Dass Martina W. durch das Ableben ihres hilflosen Bruders, mit dessen Leid sie tagtäglich konfrontiert war, ihrerseits von einer seelischen Pein erlöst worden war, ist einfühlbar. Ebenso verständlich ist, dass ihre Lebensfreude während dieser Zeit eingeschränkt war. Diese Umstände allein erlauben indessen nicht, von der Zusprechung einer Genugtuung abzusehen. Vorweg sprechen ethische Gesichtspunkte klar dagegen, den Tod eines Menschen, für den ein Haftpflichtiger verantwortlich ist, als Erlösung zu betrachten und eine Betroffenheit der Hinterbliebenen leichthin zu verneinen. Martina W. hat gemäss dem angefochtenen Urteil Mühe bekundet, ihren invaliden Bruder zu akzeptieren, ist zu einem ruhigen Mädchen geworden und hat sich zurückgezogen. Diese Persönlichkeitsveränderungen hätten ohne Zweifel für die Zusprechung einer Entschädigung für seelische Unbill nach Art. 49 OR ausgereicht, wäre dieser Anspruch nicht verjährt gewesen (E. 2e). Die Schwierigkeiten, die Martina W. mit der psychischen Verarbeitung der Invalidität ihres Bruders hatte, und die in derartigen Fällen grösser als im Fall des Todes sein können ( Art. 49 OR ; vgl. BGE 112 II 223 E. c) und die mit dem Hinschied von Reto W. weggefallen sind, dürfen grundsätzlich nicht mit dem seelischen Schmerz für den Verlust ihres Bruders nach Art. 47 OR gegeneinander abgewogen werden, denn diese Ansprüche bestehen unabhängig voneinander. Martina W. wird sich zeitlebens an die mit ihrem Bruder verbrachte Kindheit erinnern, die durch den Unfall jäh abgebrochen wurde, und sein Tod hat sie nach dem angefochtenen Urteil erschüttert. Es erscheint deshalb angemessen, ihr für diesen Schmerz eine Genugtuung von Fr. 6'000.-- zuzubilligen, welche ab Todestag zu verzinsen ist.
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a57eecc5-b40c-41a0-b680-2337d70ab5d7
Sachverhalt ab Seite 591 BGE 134 III 591 S. 591 A. Am 1. März 1997 verursachte ein bei der X. Versicherungen AG (Beschwerdegegnerin) versicherter Lenker einen Unfall, bei welchem A. (Beschwerdeführerin) als Beifahrerin Verletzungen erlitt. Ein im Auftrag der SUVA erstelltes Abschlussgutachten vom 15. Juni 2000 über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin gelangte zum Endergebnis einer Erwerbsunfähigkeit von 70 % und einer noch vorhandenen Restarbeitsfähigkeit von 30 %, wobei medizinisch ein Endzustand erreicht sei. Am 9. Mai 2007 erhob die Beschwerdeführerin BGE 134 III 591 S. 592 Klage beim Handelsgericht Zürich und verlangte schliesslich im Sinne einer Teilklage Fr. 1'000'000.- nebst Zins. Die Beschwerdegegnerin verkündete der Y. und den Z. (Streitberufene) den Streit. Das Verfahren wurde auf die Frage der Verjährung beschränkt. Mit Urteil vom 19. März 2008 wies das Handelsgericht die Klage infolge Verjährung ab. B. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, es sei festzustellen, dass die Klage nicht verjährt sei, und die Sache zur Feststellung der Haftung und des Schadens an das Handelsgericht zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin schliesst auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde, während das Handelsgericht auf Vernehmlassung verzichtet. Die Streitberufenen haben sich nicht vernehmen lassen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur materiellen Entscheidung an das Handelsgericht zurück. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Die Beschwerdeführerin erhält sowohl von der AHV/IV als auch der SUVA und der Pensionskasse Renten aufgrund einer Beeinträchtigung von 70 %. Das Verfahren gegen die Pensionskasse fand erst am 2. November 2004 vor dem eidgenössischen Versicherungsgericht seinen Abschluss. Die Beschwerdegegnerin leistete der Beschwerdeführerin in den Jahren 1997-1999 Zahlungen für Behandlungskosten, den Haushaltschaden während bestimmter Zeiträume und Fr. 10'000.- Akonto Gesamtschaden. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2001 verlangte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin vorsorglich einen schriftlichen Verzicht auf die Einrede der Verjährung bis zum 31. Dezember 2003, da er der Beschwerdegegnerin noch keine abschliessende Schadenersatzforderung zustellen könne. Im Übrigen ersuchte er die Beschwerdegegnerin mit Blick auf die im Gutachten festgehaltene Erwerbsunfähigkeit von 70 % um einen Betrag von Fr. 100'000.- Akonto Gesamtschaden. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2001 antwortete die Beschwerdegegnerin, sie werde veranlassen, dass Fr. 100'000.- als Akonto-Zahlung überwiesen würden. Im Weiteren sei die Beschwerdegegnerin bereit, auf die Einrede der Verjährung bis zum 31. Dezember 2003 zu verzichten. Alle übrigen Rechte und Einwendungen müsse sie sich aber vorbehalten. Am 11. Januar 2002 erfolgte die Überweisung der Fr. 100'000.-. Die Beschwerdegegnerin verlängerte ihren Verjährungsverzicht am 5. BGE 134 III 591 S. 593 Dezember 2003 bis zum 31. Dezember 2005 und verzichtete am 6. Februar 2006 bis zum 1. März 2007 erneut auf die Erhebung der Einrede der Verjährung, soweit diese noch nicht eingetreten war. Am 6. September 2006 überwies sie im Sinne einer Schlusszahlung nochmals Fr. 100'000.-. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob die Verjährung im Zeitraum, der durch keine Verzichtserklärung gedeckt ist, eingetreten ist. (...) 5. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die für fahrlässige Körperverletzungen im Zeitpunkt des Unfalls vorgesehene strafrechtliche Verjährung von fünf Jahren, welche nach Art. 83 Abs. 1 SVG zu beachten ist, da sie die nach SVG vorgesehene Verjährungsfrist übersteigt (vgl. BGE 112 II 79 E. 4a S. 83 ff.). Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, diese Verjährungsfrist sei mit der Zahlung vom 11. Januar 2002 unterbrochen worden und ihre Forderung daher nicht verjährt. 5.1 Die Vorinstanz ging davon aus, unterbrechende Wirkung könne der Überweisung vom 11. Januar 2002 nur zukommen, wenn sie als Schuldanerkennung, respektive Abschlagszahlung im Sinne von Art. 135 Ziff. 1 OR qualifiziert werden könne. Als Abschlagszahlung gelte jede Teilzahlung, bei welcher der Schuldner zu erkennen gebe, dass eine Restschuld übrigbleiben soll. Sofern eine Abschlagszahlung unter Vorbehalt erfolge, liege darin keine Anerkennung der Schuld. Von der Abschlagszahlung zu unterscheiden sei die Akontozahlung. Dieser Begriff meine nicht eine Teil- oder eben Abschlagszahlung, sondern wolle zum Ausdruck bringen, dass bei definitiv feststehenden Ansprüchen (sei dies durch Übereinkunft oder Gerichtsurteil) die Zahlung in Anrechnung zu bringen ist. Ob allerdings Ansprüche bestehen und in welcher Höhe, darüber sage der Begriff nichts aus. Er habe auch die Bedeutung, dass für den Fall, dass der Anspruch nicht oder nur tiefer bestehe, ein vertraglicher Rückforderungsanspruch geltend gemacht werden könne. Wenn bereits eine unter Vorbehalt erbrachte Abschlagszahlung die Verjährung nicht unterbreche, so komme einer Akontozahlung umso weniger verjährungsunterbrechende Wirkung zu. 5.2 Die Vorinstanz betrachtete die Überweisung im Gesamtzusammenhang der Schreiben, die dieser vorangegangen waren, und kam zum Schluss, die Parteien hätten sowohl tatsächlich als auch im Rahmen der Auslegung nach dem Vertrauensprinzip eine BGE 134 III 591 S. 594 Akontozahlung und nicht eine Abschlagszahlung vereinbart. Sie hält mit Blick auf die Verjährungsverzichtserklärung fest, der Beschwerdeführerin sei bewusst gewesen, dass mit der Überweisung keine verjährungsunterbrechende Schuldanerkennung einhergehe. Aber auch zu diesem Schluss gelangt die Vorinstanz unter der Prämisse, eine Akontozahlung sei zur Unterbrechung der Verjährung nicht geeignet. Die Beschwerdeführerin stellt dies in Abrede. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, welche das Bundesgericht im Gegensatz zu den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz überprüfen kann. 5.2.1 Gemäss Art. 135 Ziff. 1 OR wird die Verjährung durch Anerkennung der Forderung von Seiten des Schuldners unterbrochen. Eine Anerkennungshandlung nach Art. 135 Ziff. 1 OR setzt keinen auf Unterbrechung der Verjährung gerichteten Willen voraus. Als Anerkennung mit Unterbrechungswirkung gilt jedes Verhalten des Schuldners, das vom Gläubiger nach Treu und Glauben im Verkehr als Bestätigung seiner rechtlichen Verpflichtung aufgefasst werden darf ( BGE 119 II 368 E. 7b S. 378 f.; BGE 110 II 176 E. 3 S. 180 f.). Die Anerkennungserklärung muss sich an den Gläubiger richten ( BGE 90 II 428 E. 11 S. 442). Für die Unterbrechung der Verjährung genügt es, dass der Schuldner erklärt, unter gewissen Voraussetzungen zur Leistung weiterer Zahlungen bereit zu sein und somit das Bestehen einer Restschuld nicht ausschliesst. Dass er über deren Höhe im Ungewissen ist, schadet nicht, denn die Anerkennung der grundsätzlichen Schuldpflicht genügt. Sie braucht sich nicht auf einen bestimmten Betrag zu beziehen ( BGE 110 II 176 E. 3 S. 181 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts 4A_276/2008 vom 31. Juli 2008, E. 4). 5.2.2 Dass der tatsächlich geschuldete Betrag noch nicht feststeht oder strittig ist, steht einer Anerkennung nicht entgegen. Auch eine grundsätzliche Anerkennung der Schuld unter gleichzeitiger Bestreitung eines bestimmten Betrages wirkt als verjährungsunterbrechende Schuldanerkennung (GRÄMIGER, Der Einfluss des schuldnerischen Verhaltens auf Verjährungsablauf und Verjährungseinrede, 1934, S. 25; KRAUSKOPF, Der Begriff, die Erscheinungsformen und die Bedeutung der Schuldanerkennung im Obligationenrecht, recht 23/2005 S. 169 ff., 181 f.). Die Wirkung der Unterbrechungshandlung tritt (im Gegensatz zum Verjährungsverzicht) unabhängig vom Willen des Gläubigers und des Schuldners ein (BUCHER, Verjährung: gute Schritte in guter Richtung, recht 24/2006 S. 186 ff., 195; vgl. auch GRÄMIGER, a.a.O., S. 30). BGE 134 III 591 S. 595 5.2.3 Mit "Akontozahlung" wird gemeinhin eine vorläufige Zahlung bezeichnet, wobei der Umfang der definitiv geschuldeten Leistung noch zu ermitteln ist. Akontozahlungen werden insbesondere vereinbart, wenn Einigkeit über den Grundsatz der Zahlungspflicht und Ungewissheit über die Höhe des tatsächlich geschuldeten Betrags besteht, wobei eine allfällige Differenz nachzuzahlen beziehungsweise zurückzuerstatten ist (vgl. BGE 126 III 119 E. 2b S. 120). Mit einer Akontozahlung bringt der Schuldner daher in der Regel zum Ausdruck, dass er seine Verpflichtung grundsätzlich anerkennt, unter gewissen Voraussetzungen zur Leistung weiterer Zahlungen bereit ist und somit das Bestehen einer Restschuld nicht ausschliesst. Dies genügt zur Unterbrechung der Verjährung ( BGE 110 II 176 E. 3 S. 181 mit Hinweisen). Dass dem Gläubiger bei hinreichender Akontozahlung eventuell gar keine weiteren Ansprüche mehr zustehen, vermag daran nichts zu ändern, da dies lediglich eine Folge der Ungewissheit über die Höhe der Forderung ist (zit. Urteil 4A_276/2008, E. 4.6). Allfällige Vorbehalte, die nicht den Grundsatz der Zahlungspflicht, sondern die Höhe der Forderung betreffen, stehen einer Unterbrechung der Verjährung nicht entgegen. Auch eine bedingte Anerkennung kann verjährungsunterbrechend wirken (SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I, 1975, S. 374). So verhielt es sich vorliegend, zumal die Höhe der Forderung der Beschwerdeführerin nicht feststand, solange über die Höhe der von den Sozialversicherungen übernommenen Leistungen nicht entschieden war. 5.2.4 Davon zu unterscheiden ist der Fall, in welchem der Schuldner anlässlich der Akontozahlung zu erkennen gibt, nach dieser Zahlung bestehe jedenfalls kein Anspruch des Gläubigers mehr, also eine Restforderung nicht für möglich hält, sondern bestreitet (vgl. schon BGE 17 S. 745 E. 4 S. 748; BERTI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2002, N. 25 zu Art. 135 OR ; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, 9. Aufl. 2008, S. 228 Rz. 3343). Von vornherein nicht zur Unterbrechung der Verjährung geeignet ist daher der von der Beschwerdegegnerin am 6. September 2006 im Sinne einer Schlusszahlung geleistete Betrag. Diese Bezeichnung erhellt, dass die Beschwerdegegnerin das Bestehen einer Restschuld ausschliesst. 5.2.5 Mit Bezug auf die Zahlung vom 11. Januar 2002 geht aus dem vorhergehenden Schreiben der Versicherung nichts Entsprechendes hervor. Die sowohl vor als auch nach dem 11. Januar 2002 BGE 134 III 591 S. 596 erbrachten Leistungen belegen, dass die Beschwerdegegnerin ihre Zahlungspflicht aus dem Schadensfall grundsätzlich anerkennt und sich die im Schreiben geäusserten Vorbehalte auf die Höhe der Forderung beziehen. Dies steht der Unterbrechung der Verjährung nicht entgegen. Die Beschwerdegegnerin betrachtete bei der Zahlung den Schadenfall noch nicht als abgeschlossen, sondern ging vom Bestehen eines der Bereinigung bedürftigen Forderungsverhältnisses aus (zit. Urteil 4A_276/2008, E. 4.5 mit Hinweis). Dies erkennt auch die Vorinstanz, wenn sie ausführt, die Parteien hätten eine Akontozahlung vereinbart, und mit Bezug auf diese auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung verweist, wonach es sich um eine vorläufige Zahlung handle, die einer Abrechnungspflicht unterliege, wobei die Differenz zwischen den geleisteten Akontozahlungen und dem später festgestellten tatsächlichen Anspruch auszugleichen sei. Nach den Feststellungen der Vorinstanz war der Beschwerdeführerin zwar bewusst, dass es sich bei der Zahlung vom 11. Januar 2002 nicht um eine "Abschlagszahlung", d.h. gemäss vorinstanzlicher Definition um eine Teilzahlung handelt, bei welcher der Schuldner zu erkennen gibt, dass eine Restschuld übrigbleiben soll. Die Beschwerdegegnerin hat demnach nicht anerkannt, dass zwingend ein über die Akontozahlung hinausgehender Anspruch besteht. Dies ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz aber auch nicht nötig, wenn aus dem Verhalten der Schuldnerin hervorgeht, dass sie das Bestehen einer Restschuld nicht ausschliesst und dass sie gegebenenfalls zu deren Zahlung bereit ist ( BGE 110 II 176 E. 3 S. 181 mit Hinweisen). Indem die Vorinstanz dies verkennt, verletzt sie Bundesrecht. Dass die Beschwerdegegnerin gleichzeitig eine Verjährungsverzichtserklärung abgegeben hat, ändert daran nichts, da die Verjährungsunterbrechung vom Schuldner nicht gewollt sein muss und selbst dann eintreten kann, wenn der Schuldner mit der verjährungsunterbrechenden Handlung ausdrücklich damit droht, sich auf die Verjährung zu berufen (GRÄMIGER, a.a.O., S. 36; vgl. auch SPIRO, a.a.O., S. 353, Fn. 3). Da die Aufzählung der Unterbrechungshandlungen in Art. 135 Ziff. 1 OR nicht abschliessend ist, kommt der Frage, ob der Begriff "Abschlagszahlung" grundsätzlich auch Akontozahlungen umfasst, wie die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den französischen und italienischen Gesetzestext darlegt, oder vielmehr das sichere Bestehen einer Restschuld voraussetzt, wie die Vorinstanz annimmt, keine Bedeutung zu. 5.3 Mit dem Einwand, die strafrechtliche Verjährung komme nicht zur Anwendung, weil alle Beteiligten auf die Stellung eines BGE 134 III 591 S. 597 Strafantrages verzichtet hätten und die Strafverfolgung damit nicht mehr offen sei, dringt die Beschwerdegegnerin nicht durch. Da der Strafantrag keine Strafbarkeitsbedingung, sondern eine Prozessvoraussetzung darstellt (vgl. schon BGE 69 IV 69 E. 5 S. 72 ff.; RIEDO, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 2. Aufl. 2007, N. 20 ff. vor Art. 30 StGB ), kommen die strafrechtlichen Verjährungsfristen nach konstanter Rechtsprechung auch dann zur Anwendung, wenn binnen der gesetzlichen Frist kein Strafantrag gestellt wurde (so schon BGE 77 II 314 E. 3a S. 317; 112 II 79 E. 4a S. 86 mit Hinweisen). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlass. Der Antragsberechtigte soll nicht gezwungen sein, einen an sich nicht gewünschten Strafantrag zu stellen, damit er sich auf die längere Verjährungsfrist berufen kann.
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816.1 1 Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG) vom 19. Juni 2015 (Stand am 1. Januar 2022) Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Artikel 95 Absatz 1 und 122 Absatz 1 der Bundesverfassung1, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrats vom 29. Mai 20132, beschliesst: 1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand und Zweck 1 Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen für die Bearbeitung der Daten des elek- tronischen Patientendossiers. 2 Es legt die Massnahmen fest, die die Einführung, Verbreitung und Weiterent- wicklung des elektronischen Patientendossiers unterstützen. 3 Mit dem elektronischen Patientendossier sollen die Qualität der medizinischen Behandlung gestärkt, die Behandlungsprozesse verbessert, die Patientensicherheit erhöht und die Effizienz des Gesundheitssystems gesteigert sowie die Gesundheits- kompetenz der Patientinnen und Patienten gefördert werden. 4 Die Haftung der Gemeinschaften, der Stammgemeinschaften, der Portale für den Zugang der Patientinnen und Patienten zu ihren Daten (Zugangsportale), der Her- ausgeber von Identifikationsmitteln, der Gesundheitsfachpersonen sowie der Patien- tinnen und Patienten richtet sich nach den auf sie anwendbaren Vorschriften. Art. 2 Begriffe In diesem Gesetz gelten als: a. elektronisches Patientendossier: virtuelles Dossier, über das dezentral abge- legte behandlungsrelevante Daten aus der Krankengeschichte einer Patientin oder eines Patienten oder ihre oder seine selber erfassten Daten in einem Ab- rufverfahren in einem konkreten Behandlungsfall zugänglich gemacht wer- den können; b. Gesundheitsfachperson: nach eidgenössischem oder kantonalem Recht an- erkannte Fachperson, die im Gesundheitsbereich Behandlungen durchführt oder anordnet oder im Zusammenhang mit einer Behandlung Heilmittel oder andere Produkte abgibt; AS 2017 2201 1 SR 101 2 BBl 2013 5321 816.1 Patientendossier 2 816.1 c. Behandlung: sämtliche Tätigkeiten einer Gesundheitsfachperson, die der Heilung oder Pflege einer Patientin oder eines Patienten oder der Vorbeu- gung, Früherkennung, Diagnostik oder Linderung einer Krankheit dienen; d. Gemeinschaft: organisatorische Einheit von Gesundheitsfachpersonen und deren Einrichtungen; e. Stammgemeinschaft: Gemeinschaft, die zusätzliche Aufgaben wahrnimmt. 2. Abschnitt: Erstellung eines elektronischen Patientendossiers Art. 3 Einwilligung 1 Für die Erstellung eines elektronischen Patientendossiers ist die schriftliche Ein- willigung der Patientin oder des Patienten erforderlich. Die Einwilligung ist nur gültig, sofern die betroffene Person sie nach angemessener Information über die Art und Weise der Datenbearbeitung und deren Auswirkungen freiwillig erteilt. 2 Liegt die Einwilligung vor, so wird im Behandlungsfall vermutet, dass die be- troffene Person damit einverstanden ist, dass die Gesundheitsfachpersonen Daten im elektronischen Patientendossier erfassen. Gesundheitsfachpersonen öffentlich-recht- licher Einrichtungen sowie von Einrichtungen, denen von einem Kanton oder einer Gemeinde die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe übertragen wurde, sind in die- sem Fall berechtigt, Daten im elektronischen Patientendossier zu erfassen und zu bearbeiten. 3 Die Patientin oder der Patient kann die Einwilligung jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen. 4 Sie oder er kann nicht dazu verpflichtet werden, Daten aus ihrem oder seinem elektronischen Patientendossier zugänglich zu machen. Art. 4 Patientenidentifikationsmerkmal 1 Liegt die Einwilligung nach Artikel 3 vor, so kann bei der zentralen Ausgleichs- stelle nach Artikel 71 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 19463 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) eine Nummer als Identifikationsmerkmal für das elektronische Patientendossier (Patientenidentifikationsnummer) beantragt werden. Die Patientenidentifikationsnummer wird zufällig generiert. 2 Die Patientenidentifikationsnummer wird in der Identifikationsdatenbank der zentralen Ausgleichsstelle gespeichert. 3 Die zentrale Ausgleichsstelle darf zur Qualitätssicherung die Patientenidentifika- tionsnummer mit der AHV-Nummer4 nach Artikel 50c AHVG verknüpfen. 3 SR 831.10 4 Ausdruck gemäss Anhang Ziff. 25 des BG vom 18. Dez. 2020 (Systematische Verwen- dung der AHV-Nummer durch Behörden), in Kraft seit 1. Jan. 2022 (AS 2021 758; BBl 2019 7359). Diese Änd. wurde in den in der AS genannten Bestimmungen vorge- nommen. Elektronisches Patientendossier. BG 3 816.1 4 Sie kann für den Aufwand, der ihr im Zusammenhang mit der Vergabe und der Verifizierung der Patientenidentifikationsnummer entsteht, Gebühren erheben. 5 Der Bundesrat bestimmt die technischen und organisatorischen Massnahmen zur sicheren Ausgabe und Nutzung der Patientenidentifikationsnummer. Art. 5 Identifikation von Patientinnen und Patienten 1 Gemeinschaften, Stammgemeinschaften und Zugangsportale verwenden die Pati- entenidentifikationsnummer als ein Merkmal zur Identifikation von Patientinnen und Patienten. 2 Sie können die AHV-Nummer nach Artikel 50c AHVG5 verwenden für: a. die Abfrage der Patientenidentifikationsnummer bei der zentralen Aus- gleichsstelle; b. die korrekte Zuordnung der Patientenidentifikationsnummer. Art. 6 Weitere Verwendungszwecke der Patientenidentifikationsnummer Die Verwendung der Patientenidentifikationsnummer ausserhalb des Anwendungs- bereiches dieses Gesetzes ist auf den Gesundheitsbereich beschränkt. Diese Nummer darf hierzu nur verwendet werden, wenn eine formelle gesetzliche Grundlage dies vorsieht sowie der Verwendungszweck und die Nutzungsberechtigten bestimmt sind. 3. Abschnitt: Zugang zum elektronischen Patientendossier Art. 7 Elektronische Identität 1 Für die Bearbeitung von Daten im elektronischen Patientendossier müssen über eine sichere elektronische Identität verfügen: a. Patientinnen und Patienten; b. Gesundheitsfachpersonen. 2 Der Bundesrat bestimmt die Anforderungen an die elektronische Identität und legt die Identifikationsmittel und das Verfahren für deren Ausgabe fest. Art. 8 Zugriffsmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten 1 Die Patientin oder der Patient kann auf ihre oder seine Daten zugreifen. 2 Sie oder er kann selber eigene Daten erfassen, insbesondere die Willensäusserung zur Organspende oder die Patientenverfügung. 5 SR 831.10 Patientendossier 4 816.1 Art. 9 Zugriffsrechte für Gesundheitsfachpersonen 1 Gesundheitsfachpersonen können auf die Daten von Patientinnen oder Patienten zugreifen, soweit diese ihnen Zugriffsrechte erteilt haben. 2 Der Bundesrat legt die nach der Erstellung eines elektronischen Patientendossiers gültige Grundeinstellung der Zugriffsrechte und der Vertraulichkeitsstufen fest. Die Patientin oder der Patient kann diese anpassen. 3 Die Patientin oder der Patient kann die Zugriffsrechte bestimmten Gesundheits- fachpersonen oder Gruppen von Gesundheitsfachpersonen zuweisen oder einzelne Gesundheitsfachpersonen generell vom Zugriffsrecht ausschliessen. 4 Sie oder er kann die Vertraulichkeitsstufen einzelner Daten anpassen. 5 In medizinischen Notfallsituationen können Gesundheitsfachpersonen auch ohne Zugriffsrechte auf Daten aus dem elektronischen Patientendossier zugreifen, soweit die Patientin oder der Patient dies nicht im Rahmen der Anpassung der Grundein- stellung ausgeschlossen hat. Die Patientin oder der Patient muss über den Zugriff informiert werden. 4. Abschnitt: Aufgaben der Gemeinschaften und der Stammgemeinschaften Art. 10 1 Gemeinschaften müssen sicherstellen, dass: a. Daten nach Artikel 3 Absatz 2 über das elektronische Patientendossier zu- gänglich sind; b. jede Bearbeitung von Daten protokolliert wird. 2 Stammgemeinschaften müssen zusätzlich: a. die Einwilligungen und Widerrufserklärungen nach Artikel 3 verwalten; b. den Patientinnen und Patienten die Möglichkeit geben: 1. die Zugriffsrechte für Gesundheitsfachpersonen nach Artikel 9 zu ver- geben und anzupassen, 2. auf ihre Daten zuzugreifen, 3. selber eigene Daten im elektronischen Patientendossier zu erfassen. 3 Die Protokolldaten sind zehn Jahre aufzubewahren. Elektronisches Patientendossier. BG 5 816.1 5. Abschnitt: Zertifizierung Art. 11 Zertifizierungspflicht Durch eine anerkannte Stelle zertifiziert sein müssen: a. die Gemeinschaften und Stammgemeinschaften; b. Zugangsportale; c. die Herausgeber von Identifikationsmitteln. Art. 12 Zertifizierungsvoraussetzungen 1 Der Bundesrat legt unter Berücksichtigung der entsprechenden internationalen Normen sowie des aktuellen Stands der Technik die Anforderungen für die Zertifi- zierung fest; insbesondere legt er fest: a. welche Normen, Standards und Integrationsprofile anzuwenden sind; b. wie der Datenschutz und die Datensicherheit zu gewährleisten sind; c. welche organisatorischen Voraussetzungen zu erfüllen sind. 2 Er kann das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ermächtigen, die Anforderungen nach Absatz 1 dem jeweiligen Stand der Technik anzupassen. Art. 13 Zertifizierungsverfahren 1 Der Bundesrat regelt das Zertifizierungsverfahren, namentlich: a. die Voraussetzungen für die Anerkennung der Zertifizierungsstellen; b. die Gültigkeitsdauer der Zertifizierung und die Voraussetzungen für deren Erneuerung; c. die Voraussetzungen für den Entzug der Zertifizierung; d. die Anerkennung von Zertifizierungsverfahren nach anderen Gesetzen. 2 Er kann Zertifizierungsverfahren für einzelne Elemente der Informatikinfrastruktur vorsehen, die für den Aufbau von Gemeinschaften, Stammgemeinschaften oder Zugangsportalen notwendig sind. 6. Abschnitt: Aufgaben des Bundes Art. 14 Technische Komponenten 1 Das BAG führt die Abfragedienste, welche die für die Kommunikation zwischen Gemeinschaften, Stammgemeinschaften und Zugangsportalen notwendigen Refe- renzdaten liefern. 2 Es betreibt einen nationalen Kontaktpunkt für den grenzüberschreitenden Abruf von Daten. Patientendossier 6 816.1 3 Der Bundesrat legt die Anforderungen an die Abfragedienste und den nationalen Kontaktpunkt sowie die Voraussetzungen für deren Betrieb fest. Art. 15 Information 1 Der Bund informiert die Bevölkerung, die Gesundheitsfachpersonen und weitere interessierte Kreise über das elektronische Patientendossier. 2 Er koordiniert seine Informationstätigkeiten mit denjenigen der Kantone. Art. 16 Koordination Der Bund fördert die Koordination zwischen den Kantonen und weiteren interessier- ten Kreisen, indem er den Wissenstransfer und den Erfahrungsaustausch unterstützt. Art. 17 Internationale Vereinbarungen Der Bundesrat kann internationale Vereinbarungen abschliessen über die Teilnahme an internationalen Programmen und Projekten zur Förderung der elektronischen Bearbeitung von Daten und der elektronischen Vernetzung im Gesundheitsbereich. Art. 18 Evaluation 1 Das Eidgenössische Departement des Innern sorgt dafür, dass Zweckmässigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Massnahmen nach diesem Gesetz perio- disch evaluiert werden. 2 Es erstattet dem Bundesrat nach Abschluss der Evaluation Bericht über die Resul- tate und unterbreitet ihm Vorschläge für das weitere Vorgehen. Art. 19 Übertragung von Aufgaben 1 Der Bundesrat kann das Führen der Abfragedienste und den Betrieb des nationalen Kontaktpunktes Dritten übertragen. Er beaufsichtigt die beauftragten Dritten. 2 Die beauftragten Dritten können von den Gemeinschaften, Stammgemeinschaften und Zugangsportalen für den Bezug von Referenzdaten oder für den grenzüber- schreitenden Abruf von Daten Gebühren erheben. 3 Soweit die Aufwendungen der beauftragten Dritten für die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben nicht durch Gebühren nach Absatz 2 gedeckt sind, gewährt der Bund eine Entschädigung. 4 Der Bundesrat setzt die Gebühren fest und regelt den Umfang und die Modalitäten der Entschädigung. Elektronisches Patientendossier. BG 7 816.1 7. Abschnitt: ... Art. 20–23 8. Abschnitt: Strafbestimmungen Art. 24 1 Sofern das Strafgesetzbuch6 nicht eine schwerere Strafe vorsieht, wird mit Busse bis zu 100 000 Franken bestraft, wer vorsätzlich ohne Zugriffsrecht auf ein elektro- nisches Patientendossier zugreift. 2 Wird die Tat fahrlässig begangen, so ist die Strafe Busse bis zu 10 000 Franken. 9. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 25 Änderung eines anderen Erlasses ...7 Art. 26 Übergangsbestimmung Die Artikel 20–23 bleiben auf die während ihrer Geltungsdauer nach Artikel 27 Absatz 3 eingereichten Gesuche anwendbar. Art. 27 Referendum, Inkrafttreten und Geltungsdauer 1 Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum. 2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten. 3 Die Artikel 20–23 gelten während drei Jahren ab ihrem Inkrafttreten. Datum des Inkrafttretens: 15. April 20178 6 SR 311.0 7 Die Änderung kann unter AS 2017 2201 konsultiert werden. 8 BRB vom 22. März 2017 Patientendossier 8 816.1 1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand und Zweck Art. 2 Begriffe 2. Abschnitt: Erstellung eines elektronischen Patientendossiers Art. 3 Einwilligung Art. 4 Patientenidentifikationsmerkmal Art. 5 Identifikation von Patientinnen und Patienten Art. 6 Weitere Verwendungszwecke der Patientenidentifikationsnummer 3. Abschnitt: Zugang zum elektronischen Patientendossier Art. 7 Elektronische Identität Art. 8 Zugriffsmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten Art. 9 Zugriffsrechte für Gesundheitsfachpersonen 4. Abschnitt: Aufgaben der Gemeinschaften und der Stammgemeinschaften Art. 10 5. Abschnitt: Zertifizierung Art. 11 Zertifizierungspflicht Art. 12 Zertifizierungsvoraussetzungen Art. 13 Zertifizierungsverfahren 6. Abschnitt: Aufgaben des Bundes Art. 14 Technische Komponenten Art. 15 Information Art. 16 Koordination Art. 17 Internationale Vereinbarungen Art. 18 Evaluation Art. 19 Übertragung von Aufgaben 7. Abschnitt: ... Art. 20–23 8. Abschnitt: Strafbestimmungen Art. 24 9. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 25 Änderung eines anderen Erlasses Art. 26 Übergangsbestimmung Art. 27 Referendum, Inkrafttreten und Geltungsdauer
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Sachverhalt ab Seite 37 BGE 90 III 36 S. 37 A.- Auf Grund eines Urteils der Cour supérieure de Montréal vom 28. März 1956 erhielt André Monney in der von ihm angehobenen Arrestbetreibung Nr. 2522 des Betreibungsamtes Zürich 1 definitive Rechtsöffnung für die Betreibungssumme von Fr. 21'051.-- (entsprechend 4'606.35 kanadischen Dollars), 5% Zins seit 30. März 1960, Fr. 24.80 Arrest- und Fr. 16.20 Zahlungsbefehlskosten sowie für die Rechtsöffnungskosten und für die ihm im Rechtsöffnungsverfahren zugesprochene Parteientschädigung von Fr. 1200.--. Die erwähnte Betreibung wurde mit einer andern Arrestbetreibung zu einer Gruppe vereinigt. Die Verwertung ergab keinen genügenden Erlös. Laut dem vom Betreibungsamt aufgestellten Kollokations- und Verteilungsplan erhält Monney vorweg den Betrag der Arrest- und Pfändungskosten von Fr. 107.90 zugeschieden. Die Kosten des Zahlungsbefehls und des Rechtsöffnungsverfahrens samt der für dieses Verfahren zuerkannten Parteientschädigung werden dagegen zur Hauptforderung (Kapital und Zinsen) geschlagen und damit der anteilsmässigen Verteilung unterworfen. Dem Gesamtbetrag dieser Guthaben von Fr. 26'424.20 steht ein Treffnis gegenüber von Fr. 8'139.85 so dass sich ein Verlust von Fr. 18'284.35 ergibt. B.- Über diese Zuteilung beschwerte sich Monney bei der Aufsichtsbehörde. Er verlangte eine Änderung der Verteilungsliste in dem Sinne, dass ihm ausser den Arrest- und Pfändungskosten ebenfalls vorweg die Kosten des Rechtsöffnungsverfahrens sowie die ihm für dieses Verfahren zuerkannte Parteientschädigung aus dem Verwertungserlöse zuzuweisen seien. C.- In beiden kantonalen Instanzen abgewiesen, hält Monney mit vorliegendem Rekurs an der Beschwerde fest. BGE 90 III 36 S. 38 Erwägungen Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung: 1. Den Anspruch, auch für die Kosten des Rechtsöffnungsverfahrens und insbesondere für die ihm aus diesem Verfahren zustehende Parteientschädigung vorweg aus dem Verwertungserlös gedeckt zu werden, leitet der Rekurrent in erster Linie aus Art. 68 Abs. 2 SchKG ab. Zu Unrecht. Diese Gesetzesnorm, wonach der Gläubiger berechtigt ist, von den Zahlungen des Schuldners vorab die Betreibungskosten zu erheben, besagt nur, wie der Gläubiger ein ihm zufallendes Treffnis auf seine Haupt- und Nebenforderungen mit Einschluss der Betreibungskosten anrechnen darf. Sie löst aber nicht die Frage, wieviel das Treffnis des einzelnen Gläubigers überhaupt beträgt, wenn ein Verwertungserlös unter mehrere zu einer Gruppe vereinigte Gläubiger zu verteilen ist. Insbesondere lässt sich, wie die Vorinstanz richtig ausführt, aus Art. 68 Abs. 2 SchKG nicht folgern, bei einem zur Befriedigung aller beteiligten Gläubiger gleichen Ranges ungenügenden Erlös seien die Betreibungskosten jedes einzelnen als bevorrechtet zu betrachten und vorweg aus dem Erlöse zu decken, so dass nur die Hauptforderungen (Kapital und Zinsen) den Ausfall zu tragen hätten. Mit der Frage der Verteilung des Verwertungsergebnisses befasst sich Art. 68 Abs. 2 SchKG in keiner Weise. Dafür sind die Artikel 144 ff. SchKG massgebend. Reicht der Erlös (worunter nach Art. 144 Abs. 4 der Reinerlös zu verstehen ist) nicht zur Befriedigung aller beteiligten Gläubiger hin, so hat das Betreibungsamt nach Art. 146 einen Kollokationsplan aufzustellen. Dabei sind die in Art. 219 SchKG für das Konkursverfahren vorgesehenen Klassen zu berücksichtigen. Gläubiger gleichen Ranges aber - womit man es im vorliegenden Falle zu tun hat - sind als gleichberechtigt zu betrachten. Und zwar ist die gesamte Forderung eines jeden, bestehend aus Kapital, Zinsen und Betreibungskosten, gemäss Art. 144 Abs. 4 als BGE 90 III 36 S. 39 einheitliches Gesamtguthaben in Rechnung zu stellen. Es ist nicht die Rede davon, dass dieses Gesamtguthaben in zwei Teile zu zerlegen wäre, einen bevorrechteten, die Betreibungskosten enthaltenden und einen nachgehenden, die Kapital- und Zinsforderungen umfassenden Teil. Vielmehr sind auf den verfügbaren Erlös (also auf den Reinerlös mit Abzug der Verteilungskosten gemäss der zuletzt angeführten Bestimmung, erläutert in Art. 20 der Verordnung I) die gesamten Forderungen - mit Einschluss der Betreibungskosten - der beteiligten Gläubiger anzuweisen, wie es denn auch das für den Kollokations- und Verteilungsplan der Pfändungsgläubiger geltende fakultative Formular Nr. 4 vorsieht. Nur für die Pfändungskosten gilt etwas Besonderes: es ist jedem beteiligten Gläubiger der Betrag seines für die Pfändungskosten geleisteten Vorschusses vorweg aus dem Reinerlös zurückzuerstatten (gemäss der mit dem Schlussabsatz von Art. 20 der Verordnung I übereinstimmenden Anleitung zur Zwangsverwertung von Grundstücken, S. 114 des Nachtrages zur Sammlung der Erlasse 1921, Bemerkung 2, worauf jenes Formular hinweist). Dies deshalb, weil es ein Gebot der Gerechtigkeit ist, diesen der ganzen Gruppe zugute kommenden Aufwand vorweg zu bereinigen. Nach alldem kann der Rekurrent - sofern sich aus dem einstweilen ausser Betracht gelassenen Art. 281 SchKG nichts Abweichendes ergibt - seine Betreibungskosten, also auch die Rechtsöffnungskosten und die ihm für das Rechtsöffnungsverfahren zuerkannte Parteientschädigung, nur auf gleicher Linie wie seine Hauptforderung bei der Verteilung des Erlöses zur Geltung bringen. 2. Was nun die besondere Stellung des Arrestgläubigers betrifft, so gewährt ihm Art. 281 Abs. 1 SchKG den provisorischen Anschluss an eine, nach Ausstellung des Arrestbefehls, für andere Gläubiger vollzogene Pfändung der arrestierten Gegenstände. Dadurch erhält der Arrestgläubiger die Möglichkeit, bei erfolgreicher Prosequierung des Arrestes und rechtzeitig gestelltem Pfändungsbegehren BGE 90 III 36 S. 40 (gemäss dem Kreisschreiben Nr. 27 vom 1. November 1910, dazu BGE 84 III 102 /3) der betreffenden Pfändungsgruppe anzugehören, was an und für sich nichts weiteres als die Gleichstellung mit den andern Gläubigern der Gruppe bedeutet. Ein Vorrecht gegenüber diesen Gläubigern steht ihm nach Abs. 2 daselbst nur insofern zu, als er "die vom Arreste herrührenden Kosten" aus dem Erlös der Arrestgegenstände vorwegnehmen darf. Das Schicksal der vorliegenden Beschwerde hängt somit davon ab, ob zu den "vom Arreste herrührenden Kosten" bloss die eigentlichen Arrestkosten, d.h. die Kosten der Arrestbewilligung und des Arrestvollzuges gehören (deren Betrag das Betreibungsamt neben demjenigen der vorgeschossenen Pfändungskosten dem Rekurrenten vorweg aus dem Verwertungserlöse zugewiesen hat) oder überdies, wie der Rekurrent es geltend macht, die Kosten der zur Prosequierung des Arrestes durchgeführten Betreibung und insbesondere die Rechtsöffnungskosten samt der bezüglichen Parteientschädigung. Der Gesetzeswortlaut lässt eine so weite Auslegung nicht zu. Vom Arreste rühren eben nur die Kosten der Arrestlegung, also der darauf gerichteten Massnahmen der Arrestbehörde und des vollziehenden Betreibungsamtes, her. Dem entspricht eindeutig auch der französische und der italienische Text ("les frais du séquestre", "le spese del sequestro"). Es ist nicht zulässig, diese speziell für die Arrestkosten getroffene Regelung auf die Kosten der anschliessenden Betreibung und namentlich eines Rechtsöffnungsverfahrens auszudehnen. Es handelt sich (im Unterschied zu Art. 68 Abs. 2 SchKG ) um ein Vorrecht des Arrestgläubigers, was schon der Natur der Sache nach eine einschränkende Auslegung gebietet. Dazu kommt, dass Art. 281 Abs. 3 SchKG ausdrücklich jedes weitere "Vorzugsrecht" versagt. In bezug auf die Betreibungs- und Rechtsöffnungskosten, wie sie auch einem sich nicht auf Arrestnahme stützenden Gläubiger erwachsen können, hat es daher bei BGE 90 III 36 S. 41 der Gleichstellung des Arrestgläubigers mit den andern Gläubigern der Gruppe sein Bewenden. Diese Entscheidung steht mit der herrschenden Lehre im Einklang (vgl. JAEGER, N. 5 zu Art. 281 SchKG ; BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 851, der auch die Kosten eines vom Arrestgläubiger siegreich durchgeführten Arrestaufhebungsprozesses dieses Vorrechtes teilhaftig werden lassen will - wasBGE 73 III 135ablehnt -, jedoch laut Fussnote 77 nicht auch die Kosten der nachfolgenden Betreibung; FRITZSCHE, SchK II 233; BRAND, Schweiz. jur. Kartothek 741, Arrest II, Ziff. IV, 5). Mit der Frage, was für Kosten nach Art. 97 Abs. 2/275 SchKG durch Arrest oder Pfändung zu decken sind (was den wesentlichen Gegenstand vonBGE 73 III 133ff. bildet), darf die Umgrenzung des Privileges nach Art. 281 Abs. 2 SchKG nicht vermengt werden. Daraus, dass der Arrest ebenso wie eine Pfändung (die er gewissermassen vorausnimmt) auch die Kosten der zu seiner Prosequierung durchzuführenden Betreibung decken soll, folgt nichts für eine Privilegierung dieser Kosten. Art. 275 SchKG verlangt lediglich die entsprechende Anwendung des Art. 97 Abs. 2, dem jede derartige Privilegierung fremd ist. Das in Art. 281 Abs. 2 vorgesehene Privileg aber hat, wie dargetan, ein enger umgrenztes Anwendungsgebiet.
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Erwägungen ab Seite 213 BGE 139 V 212 S. 213 Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG (SR 837.0) besteht ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nur dann, wenn die versicherte Person die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist. Die Beitragszeit hat nach Art. 13 Abs. 1 AVIG erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist ( Art. 9 Abs. 3 AVIG ) während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. BGE 139 V 212 S. 214 3.2 In Anwendung von Art. 23 Abs. 3 bis AVIG ist ein Verdienst, den eine Person durch Teilnahme an einer von der öffentlichen Hand finanzierten arbeitsmarktlichen Massnahme erzielt, nicht versichert. Ausgenommen sind Massnahmen nach den Art. 65 und 66a AVIG . Als arbeitsmarktliche Massnahmen nach Art. 23 Abs. 3 bis erster Satz AVIG gelten gemäss Art. 38 Abs. 1 AVIV (SR 837.02) alle voll oder teilweise durch die öffentliche Hand finanzierten Integrationsmassnahmen. 3.3 Obwohl Art. 23 Abs. 3 bis AVIG nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung lediglich die Ermittlung des versicherten Verdienstes beschlägt, ist zu Recht unbestritten, dass eine Person durch eine Tätigkeit, welche unter diese Bestimmung fällt, auch keine Beitragszeit im Sinne von Art. 13 Abs. 1 AVIG erfüllt (vgl. die Weisung des Staatssekretariats für Wirtschaft [SECO], ALE 023-AVIG-Praxis 2011/16; PIA BUSER, Gesetzgebung, Jahrbuch des Schweizerischen Arbeitsrechts [JAR] 2011, S. 1 ff., 67sowie die Botschaft vom 3. September 2008 zur Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, BBl 2008 7733, 7750 zu Art. 23 Abs. 3 bis AVIG ). 4. 4.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, entgegen den Erwägungen des kantonalen Gerichts sei Art. 23 Abs. 3 bis AVIG eng auszulegen. Der in dieser Norm verwendete Begriff der arbeitsmarktlichen Massnahme werde durch das Gesetz selber definiert. Demgemäss würden nur jene Personen unter diese Norm fallen, die an einer arbeitsmarktlichen Massnahme im Sinne von Art. 59 ff. AVIG teilnehmen würden. Dies treffe aber auf sie selber nicht zu. Das AVIG will unter anderem bestehende Arbeitslosigkeit bekämpfen und die rasche und dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt fördern ( Art. 1a Abs. 2 AVIG ). Damit verfolgen die Organe der Arbeitslosenversicherung die gleichen Ziele wie Sozialbehörden, welche in ihrem Zuständigkeitsbereich Beschäftigungsprogramme organisieren. Solche Programme sollen stets dazu dienen, Stellensuchende wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Allerdings sollen in verschiedenen Kantonen arbeitslose Personen zwölf Monate in ein vom Kanton finanziertes Programm aufgenommen worden sein, um alsdann wieder eine neue Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung auszulösen (vgl. Votum des Ständerats Schwaller, AB 2009 S 578). Art. 23 Abs. 3 bis AVIG soll verhindern, dass Sozialbehörden Beschäftigungsprogramme nicht zur Wiedereingliederung der BGE 139 V 212 S. 215 Stellensuchenden, sondern einzig zur Generierung von Beitragszeiten organisieren (Botschaft, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund erschiene es als wenig zielführend, die Norm eng auszulegen und lediglich auf arbeitsmarktliche Massnahmen im Sinne von Art. 59 ff. AVIG anzuwenden. Bei diesen Massnahmen besteht denn auch ein bedeutend geringeres Missbrauchspotenzial als bei den direkt von Sozialhilfebehörden organisierten Beschäftigungsprogrammen, bei denen die Arbeitslosenversicherung zunächst in keiner Weise involviert ist. Zudem beziehen die versicherten Personen, welche an einer arbeitsmarktlichen Massnahme im Sinne von Art. 59 ff. AVIG teilnehmen, in aller Regel keinen Lohn, sondern erhalten ein Taggeld nach Art. 59b Abs. 1 AVIG . Dass ein solches Taggeld weder in die Bemessung des versicherten Lohnes einfliesst noch Beitragszeiten generiert, ist auch ohne Art. 23 Abs. 3 bis AVIG selbstverständlich. Die von der Beschwerdeführerin postulierte enge Auslegung von Art. 23 Abs. 3 bis AVIG würde somit dazu führen, dass dem Absatz kaum mehr praktische Bedeutung zukommen würde. Eine Auslegung, welche einer Norm jeden Sinn raubt, ist aber in der Regel abzulehnen. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin erweist sich demnach Art. 38 Abs. 1 AVIV , wonach alle voll oder teilweise durch die öffentliche Hand finanzierten Integrationsmassnahmen in den Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 3 bis AVIG fallen, als gesetzeskonform. 4.2 Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, selbst bei einer weiten Auslegung von Art. 23 Abs. 3 bis AVIG falle ihre Tätigkeit nicht unter diese Norm, da sie als Küchenmitarbeiterin eine Tätigkeit ausgeübt habe, die gleichermassen in der freien Wirtschaft nachgefragt werde. Eine Ausübung einer solchen Tätigkeit könne aber nicht als Teilnahme an einer Integrationsmassnahme gewertet werden. Für den Entscheid, ob eine Tätigkeit als Teilnahme an einer Integrationsmassnahme zu qualifizieren ist, ist entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht entscheidend, ob die von ihr ausgeübte Tätigkeit auch in der freien Wirtschaft nachgefragt wird. Es ist vielmehr danach zu fragen, welchem Zweck die Beschäftigung dient. Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz führt der Verein Y. den Gastronomiebetrieb nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur beruflichen und sozialen Integration von Personen, die nur erschwert Zugang zum ersten Arbeitsmarkt haben. Damit diente auch der Einsatz der Versicherten als Küchenmitarbeiterin in erster BGE 139 V 212 S. 216 Linie ihrer beruflichen und sozialen Integration. Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht die Beschäftigung der Beschwerdeführerin beim Verein Y. als Teilnahme an einer Integrationsmassnahme gewertet hat.
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Sachverhalt ab Seite 149 BGE 134 IV 149 S. 149 A. Am 23. August 2003 veranstalteten X. und Y. ein Feuerlaufseminar, an dem die Unihockey-Damenmannschaft von A. teilnahm. Nachmittags wurden die Seminarteilnehmerinnen über die Risiken des Feuerlaufs, die Eigenverantwortung und den von ihnen unterzeichneten Haftungsausschluss aufgeklärt. Gegen Abend entfachten sie das Feuer. Unter Anleitung der Organisatorinnen führten sie noch verschiedene Vorbereitungsübungen durch, bevor X. das Feuer kurz vor Mitternacht freigab. A., die als erste lief, zog sich BGE 134 IV 149 S. 150 Verbrennungen zweiten Grades an den Fusssohlen zu. Auch andere Feuerläuferinnen haben sich die Füsse leicht verbrannt. B. Mit Urteil vom 23. September 2005 sprach das Kreisgericht Rheintal X. und Y. der fahrlässigen schweren Körperverletzung ( Art. 125 Abs. 2 StGB ) schuldig und verurteilte sie je zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von fünf Tagen sowie einer Busse von 1'000 Franken. Im Weiteren verpflichtete es sie unter solidarischer Haftung, A. eine Genugtuung von 1'000 Franken zu bezahlen. C. Das Kantonsgericht St. Gallen wies eine dagegen erhobene Berufung von X. sowie die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 22. November 2006 ab. Die Klägerin A. hat sich am Berufungsverfahren nicht mehr beteiligt. D. X. führt gegen das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und sie sei vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung vollumfänglich freizusprechen. Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde gut, soweit darauf einzutreten ist. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Der Beschwerdeführerin wird als Organisatorin und Leiterin des Feuerlaufseminars zusammenfassend vorgeworfen, sie habe die gebotenen Erste-Hilfe-Massnahmen unterlassen. Zum einen habe sie in Kenntnis der Risiken keine (genügenden) Vorkehrungen getroffen für den Fall, dass sich eine Teilnehmerin die Füsse verbrennen würde, und zum anderen nach Eintritt der Verbrennungen nicht umgehend ärztliche Hilfe angefordert. Darin erschöpft sich das inkriminierte Verhalten. Namentlich wird der Beschwerdeführerin nicht mehr zur Last gelegt, bei der Vorbereitung und Durchführung des Seminars (in Bezug auf Holzauswahl, Feuertemperatur, usw.) einen Fehler begangen zu haben. 3.2 Die Vorinstanz hält gestützt auf die Ausführungen des behandelnden Arztes fest, dass die Folgeschäden der Verbrennungen mit grösster Wahrscheinlichkeit geringer ausgefallen wären, wenn die Klägerin ihre Füsse konsequent und lange genug hätte kühlen können und ärztliche Versorgung rasch gewährleistet worden wäre. Die Beschwerdeführerin habe eine Garantenstellung innegehabt, die sich aus einer vertraglichen Nebenpflicht und dem Prinzip des BGE 134 IV 149 S. 151 gefährlichen Vorverhaltens (Ingerenz) ergebe. Infolge ihrer Garantenstellung wäre sie verpflichtet gewesen, Massnahmen für die erste Hilfe im Verletzungsfall zu treffen. Zwar habe sie einen Eimer Wasser zur Verfügung gestellt, in dem die Klägerin ihre Füsse während rund 15 Minuten habe kühlen können. Doch unbestrittenermassen sei dies die einzige Vorsichtsmassnahme gewesen, und sie habe sich als ungenügend erwiesen. Gemäss Arztbericht stelle nämlich das sofortige Kühlen mit kaltem Wasser - während mindestens 20-30 Minuten - eine zentrale Massnahme bei Verbrennungen dar, und anschliessend sollte die Patientin rasch einer ärztlichen Beurteilung zugeführt werden. Damit sei erstellt, dass das pflichtwidrige Unterlassen der Beschwerdeführerin für die Verletzungen der Klägerin kausal sei. Unerheblich sei dagegen, dass die Teilnehmerinnen einen sog. Haftungsausschluss unterzeichneten und auf die Freiwilligkeit und Gefährlichkeit des Feuerlaufs mehrfach hingewiesen worden waren, weil eine Garantenpflicht nicht wegbedungen werden könne. Eine rechtfertigende Einwilligung in die schwere Körperverletzung falle ebenfalls ausser Betracht, weil es an einem sittlichen oder ethischen Zweck fehle. 3.3 Die Beschwerdeführerin hält ihre Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung für bundesrechtswidrig. Sie wendet sich sowohl gegen die Annahme einer schweren Schädigung im Sinne von Art. 125 Abs. 2 StGB wie auch gegen den Fahrlässigkeitsvorwurf überhaupt, da die Teilnehmerinnen freiwillig und in Kenntnis der Verletzungsgefahr über die Glutbahn gingen. 4. 4.1 Die Beschwerdeführerin liess die Seminarteilnehmerinnen einen sog. Haftungsausschluss unterzeichnen. Darin erklärten sie, dass es keine "Garantie für die Sicherheit und Unversehrtheit während des Feuerlaufseminars" gebe, und versicherten, "völlig freiwillig" und "auf eigenes Risiko" teilzunehmen. Im Weiteren verzichteten sie auf jede Art von Schadenersatzansprüchen für den Fall von Verletzungen und übernahmen die "volle Verantwortung" für ihre Teilnahme. Die Beschwerdeführerin leitet hieraus eine rechtfertigende Einwilligung in den Tatbestand der (einfachen) Körperverletzung ab, während die Vorinstanz eine solche verneint, weil es an einem sittlichen oder ethischen Zweck für eine Einwilligung in eine (schwere) Körperverletzung fehle. 4.2 Das Bundesgericht hat bisher die Frage, ob die Einwilligung des Verletzten bei Fahrlässigkeitsdelikten begrifflich überhaupt möglich BGE 134 IV 149 S. 152 ist ( BGE 114 IV 100 E. 4) bzw. wie weit einer solchen bei Gefährdung durch einen Dritten Schranken gesetzt sind ( BGE 125 IV 189 E. 3a), nicht abschliessend geprüft. Ein unlängst ergangener Entscheid stellt indessen klar, dass sich die Einwilligung beim vorsätzlichen Verletzungsdelikt sowohl auf die Tathandlung als auch auf den tatbestandsmässigen Erfolg beziehen müsste ( BGE 131 IV 1 E. 3.1). Entsprechendes gilt auch für das Fahrlässigkeitsdelikt. Eine Einwilligung liegt nicht schon vor, wenn das um die Gefährdung wissende Opfer lediglich in das Risiko einwilligt, sondern es müsste zugleich den Verletzungserfolg in Kauf nehmen, was nur ausnahmsweise vorkommen dürfte. Denn in der Regel wird der Betroffene mindestens ebenso wie der unvorsätzlich handelnde Täter gerade darauf vertrauen, dass die Gefährdung für seine Rechtsgüter folgenlos bleiben wird (PHILIPPE WEISSENBERGER, Die Einwilligung des Verletzten bei den Delikten gegen Leib und Leben, Diss. Bern 1996, S. 144). Nach dem angefochtenen Entscheid haben alle beteiligten Personen, an erster Stelle die Klägerin, darauf vertraut, dass sich beim Feuerlauf niemand die Füsse verbrennen würde. Eine Einwilligung in den tatbestandsmässigen Erfolg der (schweren) Körperverletzung liegt deshalb nicht vor. Inwiefern rechtlich von Bedeutung ist, dass die Klägerin freiwillig und auf eigene Verantwortung am Feuerlauf teilgenommen hat, bleibt bei der Zurechnung des Verletzungserfolges zu prüfen. 4.3 Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die Tat darauf zurückzuführen ist, dass der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat ( Art. 18 Abs. 3 Satz 1 StGB ). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat ( Art. 18 Abs. 3 Satz 2 StGB ; BGE 130 IV 7 E. 3.2 mit Hinweisen). Die Bemessung der Sorgfaltspflicht macht eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche erforderlich. Das gilt namentlich dort, wo der Rechtsgutträger bewusst ein erhöhtes Risiko eingeht und sich einer Gefährdung aussetzt (siehe BGE 125 IV 189 ; BGE 115 IV 189 E. 3d und 5; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., Bern 2005, § 9 Rz. 39 S. 161). BGE 134 IV 149 S. 153 4.4 In diesem Zusammenhang unterscheidet die jüngere Rechtsprechung und Lehre zwischen Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung ( BGE 125 IV 189 E. 3a; BGE 131 IV 1 E. 3.2; ANDREA ESTHER HUBER, Die Selbstgefährdung des Verletzten, Diss. Zürich 2003, insbes. S. 46 ff.; WEISSENBERGER, a.a.O., S. 100 ff. und passim; CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl., München 2006, § 11 N. 107 ff.; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER/STERNBERG-LIEBEN, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl., München 2006, § 15 N. 165 ff.). Blosse Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung liegt vor, wenn der Rechtsgutträger sich bewusst und freiverantwortlich einer bestimmten Gefahr für seine Rechtsgüter aussetzt und der andere diese Selbstgefährdung lediglich ermöglicht, veranlasst oder unterstützt. Einverständliche Fremdgefährdung ist demgegenüber gegeben, wenn der Rechtsgutträger sich im Bewusstsein des Risikos durch einen anderen gefährden lässt ( BGE 125 IV 189 E. 3a). Die Abgrenzung erfolgt nach dem Kriterium der Tatherrschaft. Danach ist zu fragen, ob der Rechtsgutträger das Tatgeschehen derart beherrscht, dass er darin jederzeit und bis zuletzt steuernd einzugreifen vermag, oder aber das Gefährdungsgeschehen in den Händen des Dritten liegt ( BGE 131 IV 1 E. 3.2). Entscheidend ist insoweit die Herrschaft über den letzten, unmittelbar zur Verletzung führenden Akt (SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER/STERNBERG-LIEBEN, a.a.O., § 15 N. 165). 4.5 Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung fällt nicht unter den Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts. Wer lediglich eine solche Selbstgefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich grundsätzlich ebenfalls nicht strafbar, wenn das mit der Gefährdung bewusst eingegangene Risiko sich realisiert. Solche Erfolge werden nicht vom Schutzzweck der Tötungs- und Körperverletzungstatbestände gedeckt. Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung leitet sich ab aus der Straflosigkeit des Suizids und - vorbehältlich Art. 115 StGB - der Teilnahme hierzu. Wenn schon die Teilnahme an einer Selbsttötung und auch an einer vorsätzlichen Selbstverletzung straflos bleibt, kann umso weniger die Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung strafbar sein. Dahinter steht die normative Wertentscheidung, dass kein Grund besteht, die Handlungsfreiheit einzuschränken, solange niemand gegen seinen Willen gefährdet wird ( BGE 131 IV 1 E. 3.3 mit Hinweisen). Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung findet ihre Grenze jedoch dort, wo der Veranlasser oder Förderer das Risiko kraft überlegenen Sachwissens besser erfasst ( BGE 125 IV 189 BGE 134 IV 149 S. 154 E. 3a S. 194) oder erkennt, dass das Opfer die Tragweite seines Entschlusses nicht überblickt. In diesem Fall schafft er ein Risiko, das vom Willen des Opfers nicht mehr gedeckt und dessen Verwirklichung daher dem Mitwirkenden zuzurechnen ist ( BGE 131 IV 1 E. 3.3 mit Hinweisen). 5. 5.1 Im konkret zu beurteilenden Fall lag die Herrschaft über das unmittelbar zur Verletzung führende Geschehen bei der Klägerin (und jeder einzelnen Feuerläuferin), die "freiwillig und in grundsätzlicher Kenntnis der Verletzungsgefahr" über die Glut ging. Entscheidend ist, dass es ihr bis zuletzt offen stand, von ihrem Entschluss Abstand zu nehmen und auf den riskanten Feuerlauf zu verzichten. Demgegenüber war die Beschwerdeführerin am Gefährdungsgeschehen nur insoweit beteiligt, als sie das Feuerlaufseminar organisiert, geleitet und das Feuer zum Lauf freigegeben hat. Die Teilnehmerinnen hat sie dadurch nicht unmittelbar gefährdet, die Gefährdung vielmehr nur veranlasst und unterstützt. Die Gefahr, die in den Verletzungserfolg umschlug, ist nicht auf eine Unterlassung der Beschwerdeführerin zurückzuführen. Sie hat an der Selbstgefährdung durch aktives Tun mitgewirkt, und danach beurteilt sich der strafrechtliche Vorwurf (vgl. dazu BGE 120 IV 265 E. 2b S. 271; BGE 115 IV 199 E. 2a S. 203 f.). Deshalb braucht hier nicht entschieden zu werden, ob und inwieweit sie zugunsten der Teilnehmerinnen eine Garantenstellung (aus Vertrag) einnahm. Immerhin ist klarzustellen, dass dort, wo die Mitwirkung nach den dargelegten Grundsätzen straflos bleibt, auch der Umweg über ein gefährliches Vorverhalten (Ingerenz) nicht zur Erfolgsabwendungspflicht und Unterlassungshaftung des Mitwirkenden führen kann, was allgemein anerkannt ist (vgl. nur STRATENWERTH, a.a.O., § 14 Rz. 22 S. 430; ROXIN, a.a.O., § 11 N. 112; LACKNER/KÜHL, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl., München 2007, vor § 211 N. 26). Den Fahrlässigkeitsvorwurf begründet die Vorinstanz damit, dass die Klägerin ihre Füsse nur 15 Minuten (statt wie vom Arzt empfohlen mindestens 20-30 Minuten) im Wassereimer kühlen konnte. Dies genügt indessen nicht, um die eingetretenen Verletzungen der Beschwerdeführerin zuzurechnen. Denn einerseits führte das Bereitstellen des Wassereimers gerade nicht zu einer Risikoerhöhung während des Gefährdungsverlaufs, sondern diente der Verhütung und Linderung allfälliger Verbrennungen. Andererseits konnten die Teilnehmerinnen selbst erkennen, welche Kühlmöglichkeit für den Fall BGE 134 IV 149 S. 155 von Verbrennungen bereitstand. Die Vorsichtsmassnahme blieb somit ohne Einfluss auf das Gefährdungsgeschehen und das von den Feuerläuferinnen eingegangene Risiko. 5.2 Die Erfahrung lehrt, dass man sich an glühender Kohle leicht verbrennt und Kühlung mit Wasser Linderung bringen kann. Das Risiko, sich beim Lauf über das (rund vier Meter lange) Glutbeet die Fusssohlen verbrennen zu können, war offensichtlich und ohne weiteres überschaubar. Zudem steht fest, dass die Klägerin über die Risiken des Feuerlaufs eingehend - mündlich und schriftlich - aufgeklärt worden ist, was sie durch Unterzeichnung des erwähnten Haftungsausschlusses bekräftigte. Unter diesen Umständen ist nicht zu erkennen, inwiefern sie die Tragweite ihres Entschlusses nicht überblickt hätte oder ihre Willensbildung sonst wie mangelhaft gewesen wäre. Indem sie trotz Risikokenntnis und offenkundiger Gefahr über das Glutbeet lief, setzte sich die Klägerin willentlich und frei verantwortlich einer Selbstgefährdung aus. 5.3 Auf Seiten der Beschwerdeführerin ist nicht auszumachen, dass sie das Verbrennungsrisiko aufgrund überlegenen Sachwissens besser erfasst hätte. Das wäre etwa anzunehmen, wenn sie Holz in ungewöhnlicher Qualität verwendet hätte, dessen hohe Dichte oder Wärmeleitfähigkeit - wie ihr bekannt - das Risiko von Verbrennungen begünstigte. Doch solches wird von der Vorinstanz weder festgestellt noch zum Vorwurf erhoben. Gegenteils liegt ausser Streit, dass sich die Beschwerdeführerin bei der Vorbereitung und Durchführung des Feuerlaufs (in Bezug auf die verwendete Holzmischung, die Feuertemperatur, usw.) keinerlei Fehlverhalten zu Schulden kommen liess und insoweit unvermeidbar war, dass die Klägerin sich Verbrennungen an den Füssen zuzog. Hat sich demnach aber gerade das mit der Selbstgefährdung eingegangene Risiko realisiert, erscheint der Verletzungserfolg ausschliesslich durch die Klägerin selbst herbeigeführt. 5.4 Der Schuldspruch der Beschwerdeführerin wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung ( Art. 125 Abs. 2 StGB ) verletzt aus den dargelegten Gründen Bundesrecht. Der ebenfalls erhobene Einwand, die Verletzungen seien nicht als schwere Schädigung im Sinne von Art. 125 Abs. 2 StGB zu qualifizieren, wird damit gegenstandslos.
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Sachverhalt ab Seite 370 BGE 144 V 369 S. 370 A. A.a Die Gemeinde A. war zur Durchführung der beruflichen Vorsorge ihres Personals bei der BVK Personalvorsorge des Kantons Zürich (nachfolgend: BVK) angeschlossen. Sie kündigte den Anschlussvertrag auf Ende Dezember 2011, was eine Teilliquidation per 31. Dezember 2011 auslöste. Die BVK befand sich dannzumal in einer Unterdeckung (Deckungsgrad 83,4 %), welche die Gemeinde A. bezüglich ihres Abgangsbestandes per 8. Februar 2012 in der Höhe von Fr. 7'368'684.- ausfinanzierte. Die BVK ihrerseits leistete per 9. Februar 2012 eine Akonto-Zahlung von 40 Mio. Fr. an die übernehmende Vorsorgeeinrichtung, der sich die Gemeinde A. neu angeschlossen hatte, und beglich per 30. April 2013 den Restbetrag von Fr. 4'342'535.- (zuzüglich 2,5 % Verzugszins). Damit wurden das Vorsorgekapital und die anteilsmässigen Rückstellungen per 31. Dezember 2011 ungekürzt (zu 100 %) übertragen; weder freie Mittel noch Wertschwankungsreserven gelangten zur Verteilung. A.b Am 17. Januar 2014 ersuchten die Gemeinde A. und weitere Gesuchsteller die BVG- und Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich (BVS) um Überprüfung der Teilliquidation per 31. Dezember 2011, namentlich bezüglich der Frage, ob die Schlusszahlung in der Höhe von Fr. 4'342'535.- (vor Zins), die erst 16 Monate nach dem Stichtag erfolgte, der Vermögensveränderung der BVK anzupassen ist. Die BVS verneinte eine solche Anpassung wegen Änderungen der Aktiven und Passiven zwischen dem Stichtag der Teilliquidation und der Mittelübertragung bereits im Grundsatz und wies die Anträge der Gesuchsteller ab. Streitgegenstand sei nicht die Durchführung einer Teilliquidation, sondern die Höhe der Verzinsung. Die Teilliquidation sei zwei Monate nach dem Stichtag bereits abgewickelt gewesen und die Schlusszahlung mit Erfüllung der Ausfinanzierung per 8. Februar 2012 fällig geworden (Verfügung vom 21. Oktober 2016). B. Mit Entscheid vom 14. Dezember 2017 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Gemeinde A. teilweise gut. Es hob BGE 144 V 369 S. 371 die Verfügung der BVS vom 21. Oktober 2016 auf und wies die Sache im Sinne der Erwägungen an die Aufsichtsbehörde zurück; im Übrigen wies es die Beschwerde ab. Es war zum Schluss gelangt, dass die per Ende April 2013 überwiesenen Mittel im Betrag von Fr. 4'342'535.- sehr wohl den - im Rahmen einer Teilliquidation anwendbaren - berufsvorsorgerechtlichen Anpassungsregelungen unterliegen, demgegenüber aber auf den darin enthaltenen versicherungstechnischen Rückstellungen keine Verzugszinsen geschuldet sind. C. Die BVK führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2017 sei aufzuheben und die Verfügung der BVS vom 21. Oktober 2016 zu bestätigen. Eventuell sei die Angelegenheit an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt sie die aufschiebende Wirkung. Die Gemeinde A. schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die BVS, die Oberaufsichtskommission BVG und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. Zu prüfen ist einzig, ob die Höhe der Schlusszahlung per 30. April 2013 gestützt auf Art. 27g Abs. 2 und Art. 27h Abs. 4 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1) der positiven Vermögensentwicklung im Jahr 2012 und anfangs 2013 anzupassen ist. 4.1 4.1.1 Nach Art. 27g Abs. 2 bzw. Art. 27h Abs. 4 BVV 2 sind bei wesentlichen Änderungen der Aktiven oder der Passiven zwischen dem Stichtag der Teilliquidation oder der Gesamtliquidation und der Übertragung der Mittel die zuübertragenden freien Mittel (les fonds libres à transférer; i fondi liberi da trasferire) bzw. die zu übertragenden Rückstellungen und Schwankungsreserven (les provisions et les réserves de fluctuation à transférer; gli accantonamenti e le riserve di fluttuazione da trasferire) entsprechend anzupassen (adaptées en conséquence; adeguati di conseguenza) . BGE 144 V 369 S. 372 4.1.2 Diese Bestimmungen dienen der Sicherstellung, dass bei Auseinanderfallen von Stichtag und Übertragung der Grundsatz der Gleichbehandlung eingehalten wird (Mitteilungen Nr. 111 des BSV vom 6. April 2009 über die berufliche Vorsorge Ziff. 2.1). Nach dem (in allen drei Amtssprachen) klaren Wortlaut bezieht sich dieser Regelungsinhalt "nur" auf bestimmte Grössen, nämlich die freien Mittel sowie die Rückstellungen und die Wertschwankungsreserven. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass sich deren Mitgabe regelmässig anteilsmässig bemisst (vgl. Art. 27h Abs. 1 BVV 2 ; BGE 128 II 394 E. 3.2 S. 397: Die freien Mittel sollen denjenigen Versicherten zugute kommen, die zu ihrer Äufnung beigetragen haben; vgl. dazu auch SABINA WILSON, Die Erstellung des Teilliquidationsreglements einer Vorsorgeeinrichtung und weitere Einzelfragen zur Durchführung einer Teilliquidation, 2016, S. 83 Rz. 263 f.). Entsprechend wirken sich Veränderungen der Aktiven oder Passiven unmittelbar auf die Höhe der zu übertragenden Mittel aus (WILSON, a.a.O., S. 104 f. Rz. 332). Dabei geht es (wortlaut-)gemäss Art. 27g Abs. 2 und Art. 27h Abs. 4 BVV 2 "nur" um eine Neuberechnung und nicht um eine Neuverteilung der fraglichen Mittel (so auch vorinstanzliche E. 6.1.2). Wird als Kennzahl für die Veränderung auf die Änderung des Deckungsgrads in Prozentpunkten abgestellt, handelt es sich um eine entsprechende Addition resp. Subtraktion. Triftige Gründe, die ein anderes Verständnis nahelegen, sind nicht ersichtlich. 4.1.3 Nach Auffassung der Gemeinde A. beinhalten Art. 27g Abs. 2 und Art. 27h Abs. 4 BVV 2 ein "variables Zins-Surrogat". Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden: Rechtsprechungsgemäss ist auf dem Anteil an freien Mitteln, der im Rahmen einer Teilliquidation zu übertragen ist, für die Zeit zwischen dem Austritt der Versicherten und dem Zahlungstermin kein Zins geschuldet (SVR 2009 BVG Nr. 33 S. 124, 9C_98/2009 E. 5). Zwar bezieht sich dieses Urteil auf einen Sachverhalt, der sich vor Inkrafttreten der hier anwendbaren zitierten Verordnungsbestimmungen (seit 1. Januar 2005 Kann-Vorschriften bzw. ab 1. Juni 2009 Muss-Vorschriften; vgl. zu den Hintergründen BSV-Mitteilungen Nr. 111 vom 6. April 2009 Rz. 684) verwirklichte. Die im Urteil 9C_98/2009 enthaltenen grundsätzlichen Erwägungen - erst mit der Rechtskraft des Verteilungsplanes wandelt sich die bisherige Anwartschaft auf freie Mittel in Rechtsansprüche um, weder das BVG noch das FZG BGE 144 V 369 S. 373 (SR 831.42) sehen eine Verzinsungspflicht von freien Mitteln vor, es kann kein qualifiziertes Schweigen ausgemacht werden, freie Mittel sind per definitionem überobligatorische Ansprüche, bei denen von Gesetzes wegen überhaupt keine Verzinsungspflicht vorgeschrieben ist - haben ihre Gültigkeit jedoch bis heute bewahrt. Mithin sind freie Mittel vor ihrer Übertragung (weiterhin) nicht zu verzinsen. Da sich diese Rechtsprechung der Nichtverzinsung prinzipiell auch auf die Rückstellungen und die Wertschwankungsreserven transponieren lässt, hat sie für diese Mittel ebenfalls Gültigkeit (in diesem Sinne auch MARTINA STOCKER, Die Teilliquidation von Vorsorgeeinrichtungen, 2012, S. 164). Zu unterscheiden ist demgegenüber die Austrittsleistung, die mit dem Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung zu verzinsen ist ( Art. 2 Abs. 3 FZG ; vgl. dazu SVR 2009 BVG Nr. 33 S. 124, 9C_98/2009 E. 3.1 und BGE 141 V 597 E. 3.2 S. 601 f.). 4.2 4.2.1 Gemäss verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (vgl. nicht publ. E. 1) lag sowohl im Zeitpunkt des Stichtages der Teilliquidation am 31. Dezember 2011 als auch im Zeitpunkt der Schlussüberweisung am 30. April 2013 eine Unterdeckung vor. Letztere fiel wegen der positiven Performance im Geschäftsjahr 2012 (rund 8 %) und in den Monaten Januar bis April 2013 tiefer aus, wobei die Differenz zur Ersteren den Schwellenwert für Wesentlichkeit von 5 % gemäss dem für den fraglichen Zeitraum geltenden Teilliquidationsreglement übertraf (der Deckungsgrad per Ende April 2013 lag um 10,8 %-Punkte bzw. um 12,9 % über demjenigen per Ende 2011). 4.2.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht übersehen, dass eine Anpassung gemäss Art. 27g Abs. 2 BVV 2 freie Mittel der abgebenden Vorsorgeeinrichtung voraussetzt (vgl. E. 4.1.2 vorne und vorinstanzliche E. 6.1.3). Dies war bei der BVK im hier interessierenden Zeitraum (Anfang 2012 bis Ende April 2013) nach dem gerade Erläuterten nicht der Fall. Damit entfällt unter diesem Titel eine Mehrzahlungspflicht. 4.2.3 Das Bundesgericht hat nie ausdrücklich erwogen, dass auch eine wesentliche Änderung des versicherungstechnischen Fehlbetrages zwischen Stichtag der Teilliquidation und der Übertragung der Mittel zu einer Anpassung führen muss (implizit aber BGE 141 V 597 E. 3.2 S. 601 f.). Ziffer 7.4 des Teilliquidationsreglements (Anhang II zu § 81 der Statuten vom 17. Mai 2010) sieht eine solche - den Verordnungsbestimmungen entsprechend - ebenfalls nur BGE 144 V 369 S. 374 hinsichtlich der freien Mittel, der Rückstellungen und der Schwankungsreserven vor. In der Lehre wird die sinngemässe Anpassungspflicht hinsichtlich einer Unterdeckung mit dem zu beachtenden Gleichbehandlungsgebot (vgl. Art. 53d Abs. 1 BVG ) begründet (WILSON, a.a.O., S. 105 Rz. 334; LUCREZIA GLANZMANN-TARNUTZER, Aktuelle Problemfelder bei der Teilliquidation von Vorsorgeeinrichtungen, AJP 2014 S. 461 Ziff. 4.2 i.V.m. Ziff. 3.7.1; STOCKER, a.a.O., S. 152). So oder anders kann die Gemeinde A. daraus nichts zu Gunsten der Versicherten (vgl. nicht publ. E. 2.2 in fine) ableiten. Aufgrund seiner "Kehrseite" zu den freien Mitteln und den Wertschwankungsreserven kann allein der übertragene Fehlbetrag selber Anpassungsgrösse bilden. In concreto haben die Versicherten keinen Fehlbetrag übertragen erhalten. Die Austrittsleistungen, von welchen ein allfälliger Fehlbetrag abgezogen wird ( Art. 27g Abs. 3 BVV 2 ), wurden ungekürzt ausbezahlt. Art. 27g Abs. 2 BVV 2 kann daher nicht Grundlage für ein zusätzliches Mehr sein. Im Gegenteil stellt sich die Frage nach einer allfälligen Rückerstattung (der [ausfinanzierte] Fehlbetrag ist im April 2013 geringer ausgefallen; vgl. Art. 27g Abs. 3 BVV 2 ). Eine solche ist vorliegend aber nicht Prozessthema, zumal nicht eine Forderung der BVK gegenüber den Versicherten, sondern umgekehrt streitig ist. Die Frage nach einer allfälligen Rückerstattung stellt sich umso mehr, soweit der Gemeinde A. gar keine Ausfinanzierungspflicht obliegt. Auch darüber ist an dieser Stelle nicht zu befinden; anzufügen ist jedoch, dass die Gemeinde A. gegen die BVK gleichzeitig mit der Überweisung vom 8. Februar 2012 eine Rückforderungsklage betreffend die geleistete Ausfinanzierung anhängig gemacht hat (so gemäss vorinstanzlicher Sachverhaltsfeststellung lit. D; vgl. auch Verfügung der BVS vom 21. Oktober 2016 S. 8 Rz. 6). 4.2.4 Nicht anders verhält es sich in Bezug auf die Rückstellungen. Ihre Berechnung erfolgte zwar hauptsächlich bezogen auf das Spar- bzw. Deckungskapital. Dass sich hinsichtlich der versicherungstechnischen Risiken selber eine Veränderung ergeben hat, ist weder ersichtlich noch geltend gemacht. Indes zahlte die BVK den zu übertragenden Anteil ebenfalls ungekürzt aus. Es ist deshalb auch eine Mehrzahlung zu Gunsten der Versicherten gestützt auf Art. 27h Abs. 4 BVV 2 abzulehnen. 4.3 4.3.1 Zusammengefasst zeitigt die Ausfinanzierung der Deckungslücke per 8. Februar 2012 die Folge, dass im Zeitpunkt der Schlusszahlung BGE 144 V 369 S. 375 seitens der abtretenden Vorsorgeeinrichtung (per 30. April 2013) weder ein Tatbestand im Sinne von Art. 27g Abs. 2 noch ein solcher im Sinne von Art. 27h Abs. 4 BVV 2 gegeben ist. Dies ist angesichts der vom Gesetz- resp. Verordnungsgeber ausgestalteten Konzeption so hinzunehmen. 4.3.2 Soweit die Vorinstanz erkannte, es sei nicht mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar, dass das Kollektiv, das in der BVK verbleibt, von der Ausfinanzierung des austretenden Arbeitgebers mitprofitiert, indem die positive Vermögensentwicklung nach dem Stichtag der Teilliquidation alleine der eigenen Vorsorgeeinrichtung zugutekommt, obwohl Gelder, die wirtschaftlich dem Abgangsbestand gehören, dazu beigetragen haben (vorinstanzliche E. 6.3.2 und 6.3.3), ist darauf hinzuweisen, dass diese Sichtweise auf eine unzulässige Neuverteilung (im Sinne von Quasi-freien-Mitteln, die auf einem Teil des Vorsorgevermögens erzielt wurden) hinausläuft. Abgesehen davon sind bei (zeitlichem) Auseinanderfallen von Ausfinanzierung und (Schluss-)Überweisung die anderen Arbeitgeber massgebliche Vergleichsgrösse. Erweist sich ein (vor-)geleisteter Nachschuss nachträglich als zu hoch, wirkt sich die Senkung des BVG-Deckungsgrades primär zu deren Gunsten aus. Mit anderen Worten steht in concreto, soll dem Gleichbehandlungsgebot nachgelebt werden, die Frage nach einer Anpassung der Ausfinanzierung im Vordergrund. Dies gilt erst recht, als dem ganzen Abwicklungsmodus ein Vorbehalt über die endgültige Leistungspflicht immanent zu sein scheint (vgl. zum grundsätzlichen Charakter der Vorläufigkeit einer Akontozahlung Urteil 4C.397/2005 vom 1. März 2006 E. 2.1). Der Behauptung der BVK, die zu überweisenden Mittel hätten ab 8. Februar 2012 festgestanden und seien von beiden Parteien anerkannt worden, steht die Rückforderungsklage der Gemeinde A. (vgl. E. 4.2.3 in fine) entgegen. Ohne abschliessend darüber zu befinden, sieht es so aus, dass die Höhe der Ausfinanzierung ohnehin erst mit der Schlusszahlung per 30. April 2013 als definitiv gilt. Nachdem (auch) das Massliche der Nachschusspflicht (vgl. dazu BGE 140 V 420 sowie SVR 2017 BVG Nr. 37 S. 169, 9C_938/2015 und 9C_944/2015) das Verhältnis zwischen der BVK und der Gemeinde A. berührt, hat es im vorliegenden Verfahren mit dem Schluss, dass bei der gegebenen Konstellation kein Anlass zu einer Mehrzahlung gemäss Art. 27g Abs. 2 bzw. Art. 27h Abs. 4 BVV 2 besteht, sein Bewenden (vgl. SVR 2017 BVG Nr. 37 S. 169, 9C_938/2015 und 9C_944/2015 E. 6.2.3; die Ausfinanzierung war denn auch BGE 144 V 369 S. 376 richtigerweise vor der BVS nicht Überprüfungsgegenstand [Verfügung der BVS vom 21. Oktober 2016 S. 16 Rz. 59]).
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Sachverhalt ab Seite 28 BGE 147 IV 27 S. 28 A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt eine Strafuntersuchung gegen A. wegen des Verdachts mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern. Am 14. Februar 2018 meldete der Hausarzt des Beschuldigten bei der Staatsanwaltschaft den dringenden Tatverdacht eines sexuellen Kindesmissbrauchs. Der Beschuldigte habe gegenüber seinem Hausarzt eingestanden, sich "in den letzten 2-3 Jahren mehrfach an seiner jüngsten Enkelin (9-jährig) vergangen" zu haben. Der Arzt habe es als seine Pflicht angesehen, dies zur Anzeige zu bringen. B. Nach einem zur Strafanzeige gebrachten Vorfall vom 31. Januar 2018 begab sich der Beschuldigte (gleichentags) bis zum 5. Februar 2018 in ärztliche Behandlung im Psychiatriezentrum Breitenau. Am 28. Juni 2019 erkundigte sich die Staatsanwaltschaft beim kantonalen Departement des Innern über von der Verteidigung (am Vortag) aufgeworfene Fragen der ärztlichen Schweigepflicht. In einer E-Mail vom 1. Juli 2019 erklärte der Stellvertretende Departementssekretär gegenüber der Staatsanwaltschaft, es handle sich hier um einen "Paradefall" der Anwendung von Artikel 15 Abs. 2 lit. c des kantonalen Gesundheitsgesetzes. Danach sei ärztliches Personal gegenüber den Strafverfolgungsbehörden "von der Schweigepflicht befreit" in Bezug auf Wahrnehmungen, die auf ein verübtes oder drohendes Verbrechen oder Vergehen gegen die sexuelle Integrität schliessen liessen. C. Am 27. Juni bzw. 26. Juli 2019 erfolgten staatsanwaltliche Befragungen der Stationsleiterin, welche während der ärztlichen Behandlung des Beschuldigten im genannten Psychiatriezentrum (zwischen dem 31. Januar und 5. Februar 2018) zuständig gewesen war. D. Aufgrund einer entsprechenden Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 9. August 2019 übermittelte das Psychiatriezentrum die Verlaufseinträge der ärztlichen Gespräche mit dem Beschuldigten während dessen stationärer psychiatrischer Behandlung vom 31. Januar bis 5. Februar 2018. Am 6. September 2019 stellte der Beschuldigte diesbezüglich ein Siegelungsbegehren. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 10. September 2019 beim kantonalen Zwangsmassnahmengericht die Entsiegelung der Unterlagen. BGE 147 IV 27 S. 29 E. Mit Verfügung vom 9. Oktober 2019 bewilligte das Kantonsgericht Schaffhausen, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichterin (ZMG), die Entsiegelung, indem es die fraglichen Verlaufseinträge des Psychiatriezentrums Breitenau zur Durchsuchung und weiteren Verwendung an die Staatsanwaltschaft freigab. F. Gegen den Entsiegelungsentscheid des ZMG gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde vom 13. November 2019 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Abweisung des Entsiegelungsgesuches. (...) Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zurück an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. (Auszug) Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden ( Art. 248 Abs. 1 StPO ). Nicht beschlagnahmt werden dürfen (ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden, und des Zeitpunktes, in welchem sie geschaffen worden sind) Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr der beschuldigten Person mit Personen, die nach den Art. 170-173 StPO das Zeugnis verweigern können und im gleichen Sachzusammenhang nicht selber beschuldigt sind ( Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO ). Macht eine berechtigte Person geltend, eine Beschlagnahme (oder Edition) von Gegenständen und Vermögenswerten sei wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht zulässig, so gehen die Strafbehörden nach den Vorschriften über die Siegelung vor (Art. 264 Abs. 3 und Art. 265 Abs. 2 lit. a-b StPO ). 3.2 Ärzte sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft ( Art. 321 Ziff. 1 StGB ). Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis auf Grund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Täters (Berufsgeheimnisträgers) erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde offenbart hat BGE 147 IV 27 S. 30 ( Art. 321 Ziff. 2 StGB ). Vorbehalten bleiben die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die "Zeugnispflicht" und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde ( Art. 321 Ziff. 3 StGB ). 3.3 Ärztinnen und Ärzte sowie ihre Hilfspersonen können das Zeugnis über Geheimnisse verweigern, die ihnen aufgrund ihres Berufes anvertraut worden sind oder die sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben ( Art. 171 Abs. 1 StPO ). Gemäss Art. 171 Abs. 2 StPO haben sie nur auszusagen, wenn sie einer Anzeigepflicht unterliegen (lit. a) oder (nach Art. 321 Ziff. 2 StGB ) von der Geheimnisherrin, dem Geheimnisherrn oder schriftlich von der zuständigen Stelle von der Geheimnispflicht entbunden worden sind (lit. b). Die Strafbehörde beachtet das Berufsgeheimnis auch bei Entbindung von der Geheimnispflicht, wenn die Geheimnisträgerin oder der Geheimnisträger glaubhaft macht, dass das Geheimhaltungsinteresse der Geheimnisherrin oder des Geheimnisherrn das Interesse an der Wahrheitsfindung überwiegt ( Art. 171 Abs. 3 StPO ). Die Kantone bestimmen, welche Medizinalpersonen verpflichtet sind, aussergewöhnliche Todesfälle den Strafbehörden zu melden ( Art. 253 Abs. 4 StPO ). 3.4 Das Gesundheitsgesetz des Kantons Schaffhausen vom 21. Mai 2012 (GesG/SH; SHR 810.100) regelt (unter dem Titel II. "Gesundheitsberufe") in Artikel 15 GesG/SH (Randtitel: "Berufsgeheimnis") Folgendes: 1 Personen, die einen Gesundheitsberuf ausüben, und ihre Hilfspersonen sind über alles, was ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, zur Verschwiegenheit verpflichtet. 2 Personen, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, sind von der Schweigepflicht befreit: a) mit Einwilligung der oder des Berechtigten, b) mit schriftlicher Bewilligung des zuständigen Departements, c) in Bezug auf Wahrnehmungen, die auf ein verübtes oder drohendes Verbrechen oder Vergehen gegen die öffentliche Gesundheit, gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität schliessen lassen, gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, d) soweit sie aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung zu einer Anzeige oder Meldung verpflichtet sind, e) in Bezug auf Angaben, die der Durchsetzung von Forderungen aus dem Behandlungsverhältnis dienen, gegenüber einer zur Eintreibung der Forderungen beauftragten Stelle und gegenüber den gesetzlich vorgesehenen Instanzen. BGE 147 IV 27 S. 31 Unter dem Randtitel "Anzeigepflicht" bestimmt Artikel 16 GesG/SH, was folgt: 1 Personen, die in einem bewilligungspflichtigen Bereich tätig sind, haben aussergewöhnliche Vorkommnisse in ihrem Bereich im Gesundheitswesen umgehend dem zuständigen Departement zu melden. 2 Die Meldung aussergewöhnlicher Todesfälle wird auf dem Verordnungsweg geregelt. 3 Vorbehalten bleiben weitere Anzeigen oder Meldungen aufgrund der Spezialgesetzgebung. In der regierungsrätlichen Verordnung vom 26. Februar 2013 zum Schaffhauser Gesundheitsgesetz (GesV/SH; SHR 810.102) wird Folgendes ergänzend geregelt: Das kantonale Departement des Innern nimmt alle Aufsichts- und Vollzugsaufgaben des Kantons gemäss dem GesG/SH wahr, soweit im Rahmen der GesV/SH oder anderer Erlasse keine abweichenden Regelungen bestehen (§ 1 Abs. 1 GesV/ SH). Es ordnet die erforderlichen Massnahmen an bei Organisationen und Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind, kontrolliert im Rahmen seiner Zuständigkeit Räumlichkeiten und Einrichtungen und ist berechtigt, Unterlagen und Aufzeichnungen einzusehen, Kopien zu erstellen und Proben zu ziehen (§ 1 Abs. 4 GesV/SH). Die in Art. 321 Ziff. 1 StGB genannten Personen unterliegen der Schweigepflicht (§ 38 Abs. 2 GesV/SH). Die Entbindung von der Schweigepflicht verpflichtet die entbundene Person nicht, ein Geheimnis zu offenbaren (§ 38 Abs. 3 GesV/SH). Über die Entbindung von der Schweigepflicht entscheidet das Departement des Innern aufgrund eines schriftlichen Gesuches der zu entbindenden Person (§ 38 Abs. 4 GesV/SH). 3.5 Art. 98 BGG gelangt bei strafprozessualen Zwangsmassnahmen nicht zur Anwendung ( BGE 143 IV 330 E. 2.1 S. 334 mit Hinweisen). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG ; BGE 143 IV 316 E. 3.3 S. 319, BGE 143 IV 330 E. 2.1 S. 334; je mit Hinweis). 4. Im vorliegenden Fall ist die Entsiegelung des von einer ärztlichen Klinik edierten Patientendossiers (betreffend eine mehrtägige stationäre psychiatrische Behandlung des Beschwerdeführers) streitig. Fest steht, dass der Beschwerdeführer als Geheimnisherr das ärztliche Personal der Klinik nicht vom Berufsgeheimnis entbunden BGE 147 IV 27 S. 32 hat. Streitig ist, ob eine gültige schriftliche Entbindung vom Berufsgeheimnis durch das zuständige kantonale Departement (gemäss Art. 171 Abs. 2 lit. b [zweiter Satzteil] StPO) vorliegt. 4.1 Die vom Beschwerdeführer zunächst erhobene Rüge, das Patientendossier sei unter Verletzung der Strafnormen von Art. 321 StGB zu den Untersuchungsakten genommen worden, erweist sich als unbegründet. Bei der prozessualen Erhebung der betreffenden Unterlagen wurde kein Berufsgeheimnis verletzt. Unbestrittenermassen hat die Untersuchungsbehörde das vom Psychiatriezentrum edierte Patientendossier auf Begehren des Beschwerdeführers unverzüglich gesiegelt. Auch die Organe der Vorinstanz haben keine Straftat begangen, indem sie als zuständiges ZMG über die von der Staatsanwaltschaft beantragte Entsiegelung der Unterlagen (unter dem Gesichtspunkt des Arztgeheimnisses) entschieden haben (vgl. Art. 14 StGB i.V.m. Art. 248 StPO ). Zu prüfen ist weiter, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Entsiegelung (materiell) bewilligte: 4.2 Zwar räumt die Vorinstanz in ihren Erwägungen ein, dass es vorliegend an einer "formellen Entbindung" auf Gesuch des betroffenen ärztlichen Personals hin fehlt. Eine E-Mail, welche der Stellvertretende Sekretär des kantonalen Departements des Innern am 1. Juli 2019 an die Staatsanwaltschaft sandte, sei jedoch einer solchen Entbindung "gleichzustellen". 4.3 Wie sich aus den Akten ergibt, hat das zuständige Departement keinen förmlichen Entscheid über die Entbindung vom Arztgeheimnis (gemäss Art. 171 Abs. 2 lit. b StPO i.V.m. Art. 321 Ziff. 2 StGB ) gefällt. In der betreffenden informellen E-Mail vom 1. Juli 2019 an die Staatsanwaltschaft vertritt der Stellvertretende Departementssekretär vielmehr - ausdrücklich - die Ansicht, ein Entbindungsgesuch der fraglichen Ärztinnen und Ärzte (und ein entsprechender förmlicher Entbindungsentscheid des Departementes) sei gar "nicht erforderlich", da das betroffene ärztliche Personal schon von Gesetzes wegen (nämlich aufgrund von Art. 15 Abs. 2 lit. c GesG/SH) "von der Schweigepflicht befreit" gewesen sei. 4.4 Entgegen der Ansicht der Entsiegelungsrichterin kann die fragliche E-Mail den gesetzlich vorgeschriebenen schriftlichen Entbindungsentscheid der zuständigen Behörde nicht ersetzen. Weder entspricht die E-Mail vom 1. Juli 2019 den gesetzlichen Formanforderungen an eine Verwaltungsverfügung (oder an einen BGE 147 IV 27 S. 33 strafprozessualen Zwischenentscheid, vgl. Art. 80 Abs. 2 und Art. 110 Abs. 1-2 StPO ), noch enthält sie eine gültige Unterschrift (vgl. Art. 86 StPO ). Hinzu kommt, dass es auch an dem gesetzlich vorgeschriebenen Entbindungsgesuch der betroffenen Ärztinnen und Ärzten als Geheimnisträger/innen fehlt ( Art. 321 Ziff. 2 StGB ; § 38 Abs. 4 GesV/SH). Die E-Mail vom 1. Juli 2019 ist keine hoheitliche Antwort auf ein Entbindungsgesuch des ärztlichen Personals, sondern eine informelle Antwort auf ein Rechtsauskunftsgesuch der Staatsanwaltschaft. Darüber hinaus wurde vor der Mitteilung des Stellvertretenden Departementssekretärs weder dem ärztlichen Personal (als Geheimnisträger) noch dem Beschuldigten (als Geheimnisherr) das rechtliche Gehör gewährt; ebenso wenig enthielt die E-Mail eine Rechtsmittelbelehrung. Sie dennoch als gültigen Entbindungsentscheid im Sinne von Art. 171 Abs. 2 lit. b StPO i.V.m. Art. 321 Ziff. 2 StGB einzustufen, hält vor dem Bundesrecht nicht stand. 4.5 Es fragt sich schliesslich noch, ob die Auffassung des Stellvertretenden Departementssekretärs und der Staatsanwaltschaft zutrifft, wonach das schaffhausische Verwaltungsrecht (GesG/SH) hier eine Ausnahme (bzw. eine gesetzliche Entbindung) vom Arztgeheimnis begründe: 4.6 Das strafbewehrte Arztgeheimnis ( Art. 321 StGB ) stellt ein wichtiges Rechtsinstitut des Bundesrechts dar. Es fliesst aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf Privatsphäre ( Art. 13 BV , Art. 8 EMRK ) und dient dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient. Das Berufsgeheimnis nach Art. 171 Abs. 1 StPO begründet eine Zeugnisverweigerungs pflicht . Ausnahmen vom Arztgeheimnis bedürfen daher einer klaren bundesgesetzlichen Regelung ( BGE 141 IV 77 E. 4.4 S. 82; BGE 117 Ia 341 E. 6a S. 348; je mit Hinweisen). Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafprozessrechts ist Sache des Bundes ( Art. 123 Abs. 1 BV ). Kantonale Verwaltungsnormen dürfen die bundesrechtlichen Vorschriften über den Schutz der Berufsgeheimnisse und über die strafprozessualen Editions- und Zeugnispflichten nicht unterlaufen (vgl. Art. 49 Abs. 1 BV ; Urteil des Bundesgerichtes 1B_96/2013 vom 20. August 2013 E. 5.1). 4.7 Im Bundesrecht und kantonalen Recht finden sich gesetzliche Bestimmungen, welche Ärzte und medizinisches Personal dazu verpflichten, den zuständigen Behörden spezifische Meldungen zu erstatten. Die gesetzlichen Meldepflichten über bestimmte Krankheits- und Behandlungfälle (oder spezifische andere Beobachtungen) dienen BGE 147 IV 27 S. 34 primär der Prävention und Erkennung von ansteckenden Krankheiten oder von gewissen schweren Straftaten (vgl. insb. Art. 12-14, Art. 26 Abs. 2 und Art. 38 Abs. 1 des Epidemiengesetzes [EpG; SR 818.101]; Art. 3 ff. der Verordnung vom 13. Januar 1999 über die Meldung übertragbarer Krankheiten des Menschen [AS 19991092]; Art. 120 Abs. 2 i.V.m Art. 119 Abs. 5 StGB ). Nach Art. 253 Abs. 4 StPO bestimmen die Kantone, welche Medizinalpersonen verpflichtet sind, aussergewöhnliche Todesfälle den Strafbehörden zu melden. Der fragliche Personenkreis ist kantonalrechtlich uneinheitlich geregelt (vgl. ZOLLINGER/KIPFER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 74-76 zu Art. 253 StPO ). 4.8 Falls das gesetzlich zu Meldungen verpflichtete ärztliche und medizinische Personal eine entsprechende Anzeige versäumt, läuft es Gefahr, sich wegen Verstosses gegen einschlägige Meldevorschriften bzw. gegebenenfalls wegen Begünstigung ( Art. 305 StGB ) strafbar zu machen (vgl. ZOLLINGER/KIPFER, a.a.O., N. 79 zu Art. 253 StPO ). Die Ausnahmeregelung von Art. 171 Abs. 2 lit. a StPO soll sicherstellen, dass den oben genannten gesetzlichen Meldevorschrifen auch im Strafverfahren Nachachtung verschafft wird und sich die betroffenen Ärzte und Medizinalpersonen für Meldefälle (und mangels Entbindung vom Berufsgeheimnis) auf eine ausdrückliche gesetzliche Ausnahme vom Arztgeheimnis berufen können. Gemäss der Botschaft zur StPO besteht die Ausnahme vom Arztgeheimnis nach Art. 171 Abs. 2 lit. a StPO nur bei "Personen mit einer Anzeigepflicht" und bezüglich Patienteninformationen "im Bereich dieser Anzeigepflicht". Dies gilt "etwa für Ärztinnen und Ärzte, soweit sie aussergewöhnliche Todesfälle zu melden haben". Darüber hinaus besteht eine Ausnahme vom Arztgeheimnis (nach Art. 171 Abs. 2 lit. b StPO ) lediglich im Falle einer Entbindung durch die betroffenen Patienten (Geheimnisherrin oder Geheimnisherr) oder durch die Aufsichtsbehörde. Und selbst bei einer solchen Entbindung gilt für eine allfällige Preisgabe des Arztgeheimnisses zusätzlich noch der Vorbehalt von Art. 171 Abs. 3 StPO (Urteil 1B_96/2013 vom 20. August 2013 E. 5.3 mit Hinweisen; Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff., 1202-1204). 4.9 Aus Art. 321 Ziff. 3 StGB lässt sich keine Kompetenz der Kantone ableiten, die strafprozessuale Zeugnispflicht abweichend von Art. 171 Abs. 1-2 StPO zu regeln oder das Arztgeheimnis (bei schwer wiegenden Straffällen) gar vollständig abzuschaffen (Art. 49 Abs. 1 BGE 147 IV 27 S. 35 i.V.m. Art. 123 Abs. 1 BV ; Urteil 1B_96/2013 vom 20. August 2013 E. 5.6). Art. 321 Ziff. 3 StGB ist gegenüber Art. 171 StPO der ältere und (betreffend strafprozessuale Zeugnis- und Editionspflichten) weniger spezifische Erlass. Art. 321 Ziff. 3 StGB wurde formuliert und in Kraft gesetzt, als noch die (dort erwähnten) kantonalen Strafprozessgesetze galten, denen die verfassungsrechtliche Praxis und Rechtslage eine grosse Gestaltungsfreiheit zugestand. Diese wurde seither durch Art. 123 BV und Art. 171 StPO beschnitten. Massgebliche kantonale Bestimmungen "über die Zeugnispflicht" existieren seit Inkrafttreten der StPO nicht mehr. 4.10 Das Schaffhauser Verwaltungsrecht regelt in Art. 16 GesG/SH die ärztliche Meldung von "aussergewöhnlichen Vorkommnissen" (Abs. 1) bzw. "aussergewöhnlichen Todesfällen" (Abs. 2). Es verweist für "weitere Anzeigen oder Meldungen" auf die Spezialgesetzgebung des Bundes und des Kantons (Abs. 3; vgl. näher oben, E. 3.4). Dabei handelt es sich um gesetzliche Anzeigepflichten (im Sinne von Art. 171 Abs. 2 lit. a und Art. 253 Abs. 4 StPO bzw. Art. 321 Ziff. 3 StGB ). Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Meldung einer mutmasslichen Straftat (oder anderer aussergewöhnlicher Vorkommnisse) durch das medizinische Personal der betroffenen psychiatrischen Klinik. Als die Staatsanwaltschaft das streitige Patientendossier des Psychiatriezentrums edieren liess und siegelte, hatte sie (nach eigener Darlegung) bereits konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht der untersuchten Sexualdelikte. Von der Durchsuchung des Patientendossiers über die stationäre Behandlung (und allfälligen Zeugenbefragungen des medizinischen Personals) verspricht sich die Staatsanwaltschaft vielmehr weitere Aufschlüsse über die (bereits zuvor bekannt gewordenen) untersuchten Straftaten. Nach der oben dargelegten Praxis des Bundesgerichtes dürfen kantonale Verwaltungsnormen die bundesgesetzlichen Bestimmungen über die Entbindung von den Berufsgeheimnissen nicht unterlaufen (vgl. zit. Urteil 1B_96/2013 E. 5.4-5.5, welches das baselstädtische Gesundheitsgesetz betraf). Der Vorinstanz und dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass auch Art. 15 Abs. 2 lit. c GesG/SH nicht (per se) als gesetzliche Grundlage für eine pauschale ärztliche Auskunfts- und Editionspflicht - ohne gültige Entbindung vom Arztgeheimnis auf ärztlichen Antrag hin - interpretiert werden kann. Eine solche Rechtsanwendung würde das Arztgeheimnis aushöhlen und wäre mit den bundesrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Berufsgeheimnisse nicht vereinbar ( Art. 13, Art. 49 Abs. 1 und BGE 147 IV 27 S. 36 Art. 123 Abs. 1 BV ; Art. 171 Abs. 2 lit. b StPO i.V.m. Art. 321 Ziff. 2 StGB ). Auch der schaffhausische Gesetzgeber scheint sich im Übrigen bewusst gewesen zu sein, dass er keine abweichenden strafprozessualen Normen zu erlassen hatte: Gemäss Art. 1 Abs. 1 regelt das GesG/SH "das öffentliche Gesundheitswesen sowie die Tätigkeit privater Leistungsanbieter im Gesundheitswesen auf dem Gebiet des Kantons Schaffhausen in Ergänzung zur speziellen Gesetzgebung über die Spitäler sowie die Altersbetreuung und Pflege". Gemäss Art. 13 Abs. 1 lit. f GesG/SH hat das verantwortliche ärztliche Personal das Berufsgeheimnis "nach Massgabe der einschlägigen Vorschriften" zu wahren. Auch die GesV/SH verweist auf die Anwendbarkeit von Art. 321 StGB (§ 38 Abs. 2 GesV/SH) bzw. auf die massgeblichen Regeln zur Entbindung von der Schweigepflicht (vgl. § 38 Abs. 3-4 GesV/SH). Das in der StPO abschliessend geregelte förmliche Entbindungsverfahren zum Schutz der Berufsgeheimnisse wird vom kantonalen Verwaltungsrecht folglich nicht tangiert. 4.11 Mangels einer gesetzeskonformen Entbindung vom Arztgeheimnis verletzt der angefochtene Entsiegelungsentscheid Bundesrecht. Er ist aufzuheben, und das Verfahren ist an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Das ZMG hat die Staatsanwaltschaft unverzüglich anzufragen, ob sie ihr Entsiegelungsgesuch zurückzieht. Falls sie am Gesuch festhält, hat das ZMG der Staatsanwaltschaft unter Beachtung des Beschleunigungsgebots ( Art. 5 Abs. 1 StPO ) eine Frist anzusetzen, um einen (allfälligen) rechtsgültigen Entscheid der zuständigen kantonalen Behörde betreffend Entbindung vom Arztgeheimnis ( Art. 171 Abs. 2 lit. b StPO i.V.m. Art. 321 Ziff. 2 StGB ) nachzureichen.
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Sachverhalt ab Seite 369 BGE 130 V 369 S. 369 A. Die 1939 geborene K. bezog von der Pensionskasse X. eine Invalidenrente, welche sich vor Erreichen der Altersgrenze im Jahre 2001 auf jährlich Fr. 17'209.- (gemäss Vertrag 10035, wobei Fr. 7968.- auf die obligatorische und Fr. 9241.- auf die weitergehende berufliche Vorsorge entfielen) bzw. Fr. 17'280.- (weitergehende berufliche Vorsorge gemäss Vertrag 20035) belief. Im Hinblick auf die Pensionierung teilte ihr die Vorsorgeeinrichtung mit BGE 130 V 369 S. 370 Schreiben vom 19. November 2001 mit, dass ihr gestützt auf den Vertrag 20035 eine Kapitalauszahlung in der Höhe von Fr. 68'522.- und gestützt auf den Vertrag 10035 eine jährliche Altersrente von Fr. 9943.- ausgerichtet würden. Daran hielt sie auch fest, als die Versicherte mit Schreiben vom 10. Januar 2002 erklärte, hiermit nicht einverstanden zu sein (Schreiben der Pensionskasse vom 16. Januar 2002). B. K. erhob Klage mit dem Rechtsbegehren, die Pensionskasse sei zu verpflichten, die gestützt auf die Verträge 10035 bzw. 20035 bisher geleisteten Invalidenrenten betraglich unverändert auch über die Altersgrenze hinaus auszurichten. Im Weitern seien die nachzuzahlenden Rentenbeträge ab Klageeinreichung mit 5 % zu verzinsen. Mit Entscheid vom 28. August 2002 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die Klage ab. C. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K. das im kantonalen Verfahren gestellte Rechtsbegehren erneuern. Während die Pensionskasse auf Abweisung des Rechtsmittels schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung. Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind ( BGE 128 II 389 Erw. 2.1.1, BGE 128 V 258 Erw. 2a, BGE 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen). 2. 2.1 Für den obligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge sieht Art. 26 Abs. 3 Satz 1 BVG vor, dass der Anspruch auf Invalidenleistungen mit dem Tode des Anspruchsberechtigten oder mit dem Wegfall der Invalidität erlischt. Im Gegensatz zur Rente der Invalidenversicherung ist demnach die BVG-Invalidenrente eine Leistung auf Lebenszeit; sie wird nicht durch die BVG-Altersrente abgelöst, wenn der Bezüger das gesetzliche Rücktrittsalter ( Art. 13 Abs. 1 BVG ) erreicht ( BGE 118 V 100 ; vgl. auch BGE 123 V 123 Erw. 3a; Urteile B. vom 23. März 2001, B 2/00, und M. vom 14. März 2001, B 69/99; JÜRG BRÜHWILER, Obligatorische berufliche Vorsorge, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 91; ERICH PETER, Die Koordination von BGE 130 V 369 S. 371 Invalidenrenten: unter besonderer Berücksichtigung der intersystemischen Problematik, Zürich 1997, S. 147). Hingegen kann reglementarisch vorgesehen werden, dass die Invalidenrente bei Erreichen des Rücktrittsalters in eine Altersrente überführt wird. In diesem Falle muss die sie ablösende Altersrente mindestens der bisherigen Invalidenleistung entsprechen, d.h. gleichwertig sein (Urteil B. vom 23. März 2001, B 2/00, Erw. 2b). 2.2 Den Grundsatz, dass die Invalidenrente lebenslänglich ausgerichtet wird beziehungsweise die Altersrente mindestens gleich hoch wie die bis zur Pensionierung gewährte Invalidenrente sein muss, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 127 V 259 auf den weitergehenden Bereich der beruflichen Vorsorge ausgedehnt. Dabei führte es zur Begründung an, dass die Ablösung der Invalidenrente durch eine niedrigere Altersrente dem Verständnis, das der Gesetzgeber vom System der beruflichen Vorsorge habe, widerspräche. Zum einen liesse sie sich nicht vereinbaren mit dem im Bereich der beruflichen Vorsorge allgemein geltenden Grundsatz, dass die versicherte Person bei Erreichen des Rentenalters ihre gewohnte Lebenshaltung solle fortsetzen können. Zum andern sei die Verminderung der Altersvorsorge auf die Invalidität selbst zurückzuführen, welche die weitere Finanzierung der Altersvorsorge verhindert habe, so dass es sich um eine Altersrente handelte, für welche die versicherte Person wegen ihrer Invalidität nicht in demselben Masse habe Beiträge entrichten können wie die anderen Versicherten, die bis zum Erreichen des Rentenalters gearbeitet hätten. 3. Die Leistungspflicht betreffend die Invalidenrente endet nach den statutarischen Bestimmungen der Beschwerdegegnerin - Art. 20.3 des Reglementes zum Vertrag 10035 und Art. 18.3 des Reglementes zum Vertrag 20035 - unter anderem "bei Erreichen des Rücktrittsalters". Gemäss den reglementarischen Bestimmungen zum Vertrag 10035 wird die Altersrente im Rücktrittsalter fällig und dem Versicherten lebenslänglich ausbezahlt (Art. 18.1). Hat der Versicherte im Rücktrittsalter Anspruch auf eine Voll- oder Teilinvalidenrente, die höher ist als die entsprechende Altersrente, wird letztere um die Differenz zwischen den beiden Renten oder Rententeilen angehoben (Besitzstandswahrung), wobei der das gesetzliche Minimum übersteigende Teil der Invalidenrente dabei unberücksichtigt bleibt; BGE 130 V 369 S. 372 vorbehalten bleibt Art. 17 (allfällige Kürzung der Leistungen) (Art. 18.4). Im Reglement zum Vertrag 20035 ist vorgesehen, dass die Pensionskasse bei Erreichen des Rücktrittsalters (unter anderem beim Plan B, welcher für die vorliegend am Recht stehende Versicherte gilt) das Alterskapital erbringt (Art. 14). Dieses wird fällig im Rücktrittsalter (Art. 9.2), sofern der Versicherte dieses erlebt (Art. 16.1). Seine Höhe ist abhängig vom Alter des Versicherten bei Beginn bzw. Änderung der Versicherung, vom gewählten Plan sowie von der Höhe des jeweils versicherten Jahreslohnes, allfälligen Einmaleinlagen und/oder Freizügigkeitsleistungen und der jeweiligen Verzinsung (Art. 16.2 Satz 1). 4. 4.1 Streitig und zu prüfen ist, ob im vorliegend allein streitigen Bereich der weitergehenden beruflichen Vorsorge die Invalidenrenten aus den Verträgen 10035 und 20035 bei Erreichen des Pensionsalters durch die reglementarisch vorgesehenen niedrigeren Altersleistungen (Rente, Kapitalauszahlung) ersetzt werden können. 4.2 Die Beschwerdegegnerin und die Vorinstanz bejahen diese Frage und versagen damit gleichzeitig der mit BGE 127 V 259 eingeleiteten Rechtsprechung, in welcher sie einen Eingriff in einen nach dem Gesetz der Regelungsautonomie der Vorsorgeeinrichtungen überlassenen Bereich erblicken, die Anwendung. Unter Hinweis auf die in der Literatur erhobene Kritik vertreten sie die Auffassung, dass eine Praxisänderung angezeigt sei. 5. 5.1 Sprechen keine entscheidenden Gründe zu Gunsten einer Praxisänderung, ist die bisherige Praxis beizubehalten. Gegenüber dem Postulat der Rechtssicherheit lässt sich eine Praxisänderung grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht. Nach der Rechtsprechung ist eine bisherige Praxis zu ändern, wenn sie als unrichtig erkannt oder wenn deren Verschärfung wegen veränderter Verhältnisse oder zufolge zunehmender Missbräuche für zweckmässig gehalten wird ( BGE 127 V 273 Erw. 4a, BGE 124 V 355 Erw. 3a, BGE 126 V 40 Erw. 5a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 125 I 471 Erw. 4a, BGE 124 V 124 Erw. 6a, BGE 124 V 387 Erw. 4c, je mit Hinweisen). BGE 130 V 369 S. 373 5.2 Da sich im vorliegenden Zusammenhang seit Fällung des in BGE 127 V 259 veröffentlichten Urteils vom 24. Juli 2001 weder die äusseren Verhältnisse verändert noch die allgemeinen Rechtsanschauungen gewandelt haben, ist fraglich und zu prüfen, ob es besserer Erkenntnis der ratio legis entspricht, es den Vorsorgeeinrichtungen zu überlassen, in ihren Reglementen zu bestimmen, ob (und gegebenenfalls in welchem Umfang) sie im weitergehenden Bereich eine Invalidenrente über die Altersgrenze hinaus ausrichten bzw. Altersleistungen erbringen, die geringer als die vor Erreichen des Pensionierungsalters ausgerichtete Invalidenrente sind. 6. 6.1 Soweit sich das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 127 V 259 auf einen allgemeinen Grundsatz der beruflichen Vorsorge, gemäss welchem die versicherte Person bei Erreichen des Rentenalters die gewohnte Lebenshaltung solle fortsetzen können, gestützt hat, vermag dies nicht zu überzeugen: Gemäss Art. 113 Abs. 1 BV erlässt der Bund Vorschriften über die berufliche Vorsorge. Er beachtet dabei gemäss Abs. 2 folgende Grundsätze: Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise (lit. a); die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch (lit. b erster Halbsatz). Die Bestimmung des Art. 113 BV - welche Art. 34 quater Abs. 3 der bis 31. Dezember 1999 geltenden Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 entspricht - verleiht dem Bund in Abs. 1 eine konkurrierende, nicht auf den Erlass von Grundsätzen beschränkte, umfassende Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der beruflichen Vorsorge. Welche Grundsätze der Bundesgesetzgeber bei der Ausgestaltung der beruflichen Vorsorge zu beachten hat, wird in Abs. 2 festgelegt, indem die Tragweite der Gesetzgebungskompetenz nach Abs. 1 verdeutlicht wird und dem Gesetzgeber gewisse Vorgaben - unter anderem betreffend das Leistungsziel - gemacht werden (vgl. dazu LUZIUS MADER, in: EHRENZELLER/MASTRONARDI/SCHWEIZER/ VALLENDER [Hrsg.], Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, St. Gallen 2002, Rz 2 ff. zu Art. 113; MEYER-BLASER, Einwirkungen der neuen Bundesverfassung auf das schweizerische Sozialrecht, in: Neue Bundesverfassung, Zürich 2002, S. 123; RENÉ RHINOW, Die Bundesverfassung 2000, eine Einführung, Basel 2000, BGE 130 V 369 S. 374 S. 348 ff.; ERWIN MURER, Wohnen, Arbeit, Soziale Sicherheit und Gesundheit, in: THÜRER/AUBERT/MÜLLER [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, S. 975; HANS PETER TSCHUDI, Die neue Bundesverfassung als Grundlage des Sozialversicherungsrechts, in: SZS 2001 S. 67 f.; PIERRE-YVES GREBER, in: JEAN-FRANÇOIS AUBERT et al. [Hrsg.], Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Basel 1987-1996, N 84 ff. zu Art. 34 quater aBV ). Dabei geht das in Art. 113 Abs. 2 lit. a BV festgeschriebene Leistungsziel der beruflichen Vorsorge - die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise - von einer vollständigen Beitrags- bzw. Versicherungsdauer in der ersten und der zweiten Säule aus (vgl. auch HERMANN WALSER, Ein Urteil mit Folgen für die Vorsorgepläne der beruflichen Vorsorge: Kommentar zum Urteil des EVG vom 24. Juli 2001, veröffentlicht in BGE 127 V 259 ff., in: SZS 2002 S. 165 unten f.). In BGE 127 V 259 wurde die in Art. 113 Abs. 2 lit. a BV verankerte Zielsetzung der beruflichen Vorsorge nicht etwa im Rahmen der Auslegung berücksichtigt (so beispielsweise BGE 126 V 475 Erw. 6c, ATF 108 V 239 Erw. 4), sondern als Grundlage für die Bejahung eines Leistungsanspruchs im Bereich der weitergehenden Vorsorge herangezogen. Dies geht schon deshalb nicht an, weil diese Verfassungsbestimmung einen blossen Auftrag an den Gesetzgeber beinhaltet, so dass daraus kein konkreter, klagbarer Leistungsanspruch auf eine Vorsorgeleistung abgeleitet werden kann (MOSER/STAUFFER/ VETTER, Das Urteil des EVG Nr. B 48/98 vom 24. Juli 2001 - Desaster oder einmalige "Entgleisung"?, in: AJP 2001 S. 1377 f.; JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER, ATF 127 V 259 : La fin du système de la biprimauté des prestations dans la prévoyance professionnelle?, in: SZS 2002 S. 208 ff.; HANS-ULRICH STAUFFER, Lebenslängliche Invalidenrente, Altersrentenkoordination und Zuständigkeitsbestimmung - schöpferische Rechtsprechung oder systemwidrige Eingriffe des EVG?, in: SCHAFFHAUSER/SCHLAURI [Hrsg.], Sozialversicherungsrechtstagung 2002, St. Gallen 2002, S. 54; WALSER, a.a.O., S. 164). 6.2 Nicht beigepflichtet werden kann BGE 127 V 259 aber auch insoweit, als darin zur Begründung ausgeführt wird, dass die Verminderung der Altersvorsorge auf die Invalidität selber zurückzuführen sei, welche die weitere Finanzierung der Altersvorsorge verhindert habe: Dieses Argument ist - wie in der Literatur zutreffend eingewendet wird (UELI KIESER, Die Ausrichtung von Invalidenrenten der BGE 130 V 369 S. 375 beruflichen Vorsorge im Alter als Problem der innersystemischen und der intersystemischen Leistungskoordination, in: SCHAFFHAUSER/ STAUFFER [Hrsg.], Berufliche Vorsorge 2002, Probleme, Lösungen, Perspektiven, St. Gallen 2002, S. 151; MOSER/STAUFFER/VETTER, a.a.O., S. 1379; WALSER, a.a.O., S. 166) - nicht stichhaltig. Denn die meisten Vorsorgepläne, die temporäre Invalidenrenten vorsehen, die bei Erreichen des reglementarischen Rücktrittsalters durch Altersleistungen abgelöst werden, kennen das Institut der so genannten Beitragsbefreiung, indem während der Dauer der Invalidität bis zum Erreichen des Rücktrittsalters auf dem im Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität versicherten Lohn die Beiträge für die Altersversicherung weiter geäufnet werden, so dass im selben Ausmass Beiträge für die Altersversicherung gutgeschrieben werden wie bei einem aktiven Vorsorgenehmer mit dem gleichen versicherten Lohn (vgl. auch Art. 34 Abs. 1 lit. b BVG in Verbindung mit Art. 14 BVV 2 für das Obligatorium). So verhält es sich denn auch bei der Beschwerdegegnerin, deren Reglemente eine Befreiung von der Beitragszahlung bei Erwerbsunfähigkeit vorsehen (Art. 10.3 in Verbindung mit Art. 20 des Reglementes zu Vertrag 10035; Art. 10.2 in Verbindung mit Art. 18 des Reglementes zu Vertrag 20035). 6.3 Mit Recht wird in der Literatur (vgl. insbesondere SCHNEIDER, a.a.O., S. 214 ff.) sodann darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung gemäss BGE 127 V 259 , indem sie die Vorsorgeeinrichtungen ohne entsprechende reglementarische Grundlage zur Ausrichtung von Leistungen verpflichtet, für welche in der Vergangenheit keine Beiträge bezahlt worden sind (laut Schätzungen des Pensionskassenverbandes handelt es sich um Mehrkosten von mehreren 100 Millionen Franken; vgl. Amtl. Bull. 2002 N 550, Votum Widrig), das Äquivalenzprinzip verletzt, welches das versicherungstechnische Gleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben zum Zweck hat (CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 7. Aufl., Bern 2000, S. 205 f.; THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., Bern 2003, S. 60). Die Berechnungsgrundlagen für die temporären Invalidenrenten (für welche je nach Vorsorgeeinrichtung das Beitrags- oder das Leistungsprimat gilt) beruhen stets auf der Annahme, dass mit Erreichen des Rücktrittsalters eine Ablösung durch in der Regel tiefere Altersleistungen (für welche oft das Beitragsprimat gilt) stattfindet. BGE 130 V 369 S. 376 6.4 Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob eine Vorsorgeeinrichtung in der weitergehenden Vorsorge eine Invalidenrente bei Erreichen des Pensionierungsalters durch niedrigere Altersleistungen ersetzen kann, bleibt der Grundsatz, dass die Vorsorgeeinrichtungen in diesem die Festsetzung der Leistungen beschlagenden Bereich im Rahmen von Art. 49 Abs. 2 BVG und der verfassungsmässigen Schranken (wie Rechtsgleichheit, Willkürverbot und Verhältnismässigkeit) hinsichtlich der Vertragsgestaltung grundsätzlich frei sind ( BGE 115 V 109 Erw. 4b; SZS 2000 S. 142 Erw. 6 in fine, BGE 115 V 1991 S. 203 Erw. 5b). Dieses Prinzip verbietet es, die Vorsorgeeinrichtungen auch im weitergehenden Bereich der beruflichen Vorsorge zu verpflichten, die Invalidenrente über das Erreichen des Rentenalters hinaus auszurichten bzw. Altersleistungen zu erbringen, die mindestens der vor Erreichen des Pensionierungsalters ausgerichteten Invalidenrente entsprechen (vgl. auch KIESER, a.a.O., S. 150; HANS MICHAEL RIEMER, Die überobligatorische berufliche Vorsorge im Schnittpunkt von BVG-Obligatorium und Vertragsrecht [zusätzliche Bemerkungen zu BGE 127 V 259 ff.], in: SZS 2002 S. 168; SCHNEIDER, a.a.O., S. 212 ff.; STAUFFER, a.a.O., S. 53 f.). In diesem Sinne ist die mit BGE 127 V 259 eingeleitete Rechtsprechung zu ändern. 6.5 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Art. 49 Abs. 1 BVG im Rahmen der 1. BVG-Revision mit folgendem Satz ergänzt wurde: "Sie (die Vorsorgeeinrichtungen) können im Reglement vorsehen, dass Leistungen, die über die gesetzlichen Mindestbestimmungen hinausgehen, nur bis zum Erreichen des Rentenalters ausgerichtet werden." (zur Entstehungsgeschichte vgl. Amtl. Bull. 2002 N 549 ff.). 7. Nicht streitig ist im letztinstanzlichen Verfahren, dass die Vorsorgeeinrichtung die Altersleistungen aufgrund der reglementarischen Bestimmungen zu den Verträgen 10035 und 20035 richtig ermittelt hat, weshalb sich Ausführungen dazu erübrigen. 8. (Gerichtskosten und Parteientschädigung)
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Sachverhalt ab Seite 1 BGE 103 V 1 S. 1 Aus dem Tatbestand: A.- Anlässlich einer Arbeitgeberkontrolle bei der L. AG stellte die Revisionsstelle fest, dass u.a. über die für die Jahre 1971-1974 an R. ausgerichteten "Tantiemen" (1971: Fr. 40'000.--, 1972: Fr. 50'000.--, 1973: Fr. 150'000.-- und 1974: Fr. 200'000.--) nicht abgerechnet worden war. Gestützt auf den Revisionsbericht vom 8. Juli 1975 erhob die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 13. August 1975 von der L. AG eine Nachforderung paritätischer Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt Fr. 38'365.30 einschliesslich Verwaltungskostenbeitrag. Die Verfügung enthielt u.a. den Vermerk: "Wir sind bereit, auf diese Verfügung zurückzukommen, insofern Sie uns für geldwerte Leistungen die erforderlichen Bestätigungen der Kantonalen Wehrsteuerbehörde auf dem vorgeschriebenen Formular einreichen." BGE 103 V 1 S. 2 B.- Beschwerdeweise beantragte die L. AG, es seien die ihrem Aktionär und Arbeitnehmer R. ausgerichteten Entschädigungen von der Beitragspflicht auszunehmen. Es handle sich dabei mangels entsprechender Bestimmung in den Statuten nicht um Tantiemen, sondern - auf Grund eines Konsortialvertrages vom 30. Oktober 1967 - um Zusatzgratifikationen an mitarbeitende Aktionäre. Es sei nicht entscheidend, ob der im Geschäft tätige Mitarbeiter als Aktionär auch Verwaltungsrat der Firma sei. Für seine Tätigkeit stehe einem solchen Arbeitnehmer ausser dem Salär vertraglich die Zusatzgratifikation zu. Wenn das der Arbeitslast und der Verantwortung des R. entsprechende Salär (1974 Fr. 200'000.--) zusammen mit der Zusatzgratifikation (1974 ebenfalls Fr. 200'000.--) eine Höhe erreiche, deren Unkostencharakter von der kantonalen Wehrsteuerverwaltung nicht anerkannt werden könnte, erscheine es sinnlos, die Gesamtleistung der AHV-pflichtigen Gesellschaft vorerst der Verlust- und Gewinnrechnung zu belasten, um über das Rückerstattungsverfahren die AHV-Beiträge wieder gutgeschrieben zu erhalten. Der von der Gesellschaft beschrittene Weg, zum vorneherein einen vertretbaren Teil der Gesamtvergütung der Verlust- und Gewinnrechnung zu belasten und einen andern ebenso vertretbaren Teil der Gesamtvergütung dem Reingewinn direkt zu entnehmen, erscheine nicht nur ehrlicher, sondern auch den in Frage stehenden Bestimmungen der Wehrsteuer einerseits und der AHV anderseits angepasst. Die kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen Basel-Stadt wies durch Entscheid vom 21. November 1975 die Beschwerde mit der Begründung ab, es sei AHV-rechtlich unerheblich, ob es sich bei den an R. ausbezahlten Beträgen um Tantiemen oder Zusatzgratifikationen handle, weil beide Leistungen Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 7 lit. c und h AHVV darstellten; der Beweis dafür, dass die fraglichen Zahlungen schon durch die Wehrsteuer erfasst worden seien, habe nicht erbracht werden können. C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt die L. AG den Antrag, der kantonale Entscheid sowie die angefochtene Kassenverfügung, soweit dadurch die an R. ausgerichteten Leistungen der Beitragspflicht unterstellt wurden, seien aufzuheben oder es sei die Rückerstattung dieser Beträge zu gewähren. BGE 103 V 1 S. 3 Während die Ausgleichskasse auf eine Stellungnahme verzichtet, schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Zusatzgratifikationen, welche die L. AG in den Jahren 1971-1974 ihrem mitarbeitenden Aktionär R. ausgerichtet habe, gehörten zum massgebenden Lohn, solange die kantonale Wehrsteuerverwaltung nicht auf vorgeschriebenem Formular bescheinige, dass die Leistungen zum Reinertrag der juristischen Person gerechnet und als solche der Wehrsteuer unterworfen worden seien; "eine allfällige Rückforderung bezahlter Lohnbeiträge im Umfang, der durch die Bescheinigung der Wehrsteuerbehörde gegeben wird", bleibe vorbehalten. Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. ... 2. a) Gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG umfasst der für die Beitragspflicht aus unselbständiger Erwerbstätigkeit massgebende Lohn jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen ( BGE 101 V 3 ). b) Bei Leistungen, Welche eine juristische Person an ihre Arbeitnehmer erbringt, die gleichzeitig Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte sind oder die Inhabern solcher Rechte nahestehen, kann sich bei der Festsetzung sowohl der Wehrsteuer als auch der Sozialversicherungsbeiträge die Frage stellen, ob und inwieweit es sich um Arbeitsentgelt bzw. massgebenden Lohn oder aber um verdeckte Gewinnausschüttung bzw. Kapitalertrag handelt. Bei der Wehrsteuer geht das wesentliche Interesse dahin, zu verhindern, dass Gewinne der Gesellschaft dadurch der Besteuerung entzogen werden, dass sie unter dem Titel Arbeitsentgelt ausgerichtet werden. Die Sozialversicherung dagegen ist daran interessiert, zu verhindern, dass massgebender Lohn fälschlicherweise als Kapitalertrag deklariert wird und dadurch der Beitragserhebung entgeht. BGE 103 V 1 S. 4 Nach der Rechtsprechung gehören nicht zum massgebenden Lohn Vergütungen, die als reiner Kapitalertrag zu bewerten sind (EVGE 1966 S. 205, 1969 S. 144). Ob dies zutrifft, ist nach Wesen und Funktion einer Zuwendung zu beurteilen. Deren rechtliche oder wirtschaftliche Bezeichnung ist nicht entscheidend und höchstens als Indiz zu werten. Zuwendungen aus dem Reingewinn einer juristischen Person können unter Umständen massgebender Lohn sein; dies gilt laut Art. 7 lit. h AHVV namentlich für Tantiemen. Es handelt sich dabei um Vergütungen, die im Arbeitsverhältnis ihren hinreichenden Grund haben. Zuwendungen aus dem Gewinn aber, die nicht durch das Arbeitsverhältnis gerechtfertigt werden, sind nicht massgebender Lohn. Solche Gewinnausschüttungen sind sog. geldwerte Leistungen, d.h. Leistungen, die eine Gesellschaft ihren Gesellschaftern oder ihr oder ihren Gesellschaftern nahestehenden Personen ohne entsprechende Gegenleistung zuwendet, aber unbeteiligten Dritten unter den gleichen Umständen nicht erbringen würde (EVGE 1969 S. 145 mit Hinweisen auf Literatur und Rechtsprechung). c) Gemäss Rz. 11 der ab 1. Januar 1974 gültigen Wegleitung über den massgebenden Lohn gehören Leistungen einer juristischen Person an ihre Arbeitnehmer, die gleichzeitig Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte sind oder Inhabern solcher Rechte nahestehen, soweit sie als geldwerte Leistungen der Wehrsteuer vom Reinertrag unterworfen sind, nicht zum massgebenden Lohn. Es handelt sich dabei laut der erwähnten Rz. "um Leistungen, die von Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften unter der Bezeichnung von Salären, Verwaltungshonoraren, Gratifikationen, Umsatzprovision, Lizenzgebühren usw. ausgerichtet und als Aufwand verbucht, jedoch von der Steuerbehörde nicht oder nur zum Teil als Löhne oder als andere geschäftsmässig begründete Unkosten (Art. 49 Abs. 1 WStB) anerkannt und daher dem Reinertrag zugerechnet werden". Nach dieser Weisung, welche sich laut dortigem Verweis auf EVGE 1969 S. 145 (ZAK 1970 S. 68) stützt, wäre anscheinend einzig auf die wehrsteuerrechtliche Beurteilung abzustellen. Im erwähnten Urteil wurde zwar unter Hinweis auf die sich aus Art. 23 AHVV ergebende Ordnung erklärt, dass sich die Ausgleichskassen, soweit es vertretbar sei, "um der Einfachheit BGE 103 V 1 S. 5 und der Widerspruchlosigkeit der gesamten Rechtsordnung willen", in der Regel an die wehrsteuerrechtliche Beurteilung halten sollen. Die absolute Verbindlichkeit der Angaben der Steuerbehörden für die Ausgleichskassen und die daraus abgeleitete relative Bindung des Sozialversicherungsrichters an die rechtskräftigen Steuertaxationen sind indessen auf die Bemessung des massgebenden Einkommens und des betrieblichen Eigenkapitals beschränkt ( Art. 23 Abs. 4 AHVV ; BGE 102 V 30 Erw. 3b, BGE 98 V 21 und 188). Das Eidg. Versicherungsgericht hat dagegen in dem in BGE 102 V 27 publizierten Urteil S. vom 6. Februar 1976 erklärt, dass die Ausgleichskassen selbständig zu beurteilen haben, ob ein Einkommensbestandteil als massgebender Lohn oder als Kapitalertrag zu qualifizieren ist; es sei selbstverständlich, dass diese Beurteilungskompetenz der Ausgleichskassen in gleichem Umfange auch dem Sozialversicherungsrichter zustehe. Es ist daher - unter Vorbehalt des nachstehend unter Erwägung 2e Gesagten - an dem in EVGE 1969 S. 145 aufgestellten Grundsatz festzuhalten, dass Zuwendungen aus dem Reingewinn einer juristischen Person dann zum Lohn im Sinne von Art. 5 AHVG gehören, wenn das Arbeitsverhältnis den ausschlaggebenden Grund der Vergütung bildet, und dass andernfalls in der Regel der Charakter des Kapitalertrages überwiegt, wobei aber, soweit vertretbar, von der wehrsteuerrechtlichen Beurteilung des Falles nicht abgewichen werden soll. d) Hinsichtlich der "Rückerstattung der Lohnbeiträge von Leistungen, die der Wehrsteuer vom Reinertrag der juristischen Personen unterliegen" (Wegleitung über den Bezug der Beiträge, Rz. 230a in Verbindung mit Rz. 220), ist daher zu beachten, dass die Qualifikation eines Einkommensbestandteils durch die Wehrsteuerbehörde als Kapitalertrag nicht zur Folge hat, dass die Ausgleichskasse die auf dem betreffenden Einkommen erhobenen Beiträge automatisch zurückzuerstatten hat. Vielmehr ist die Rückerstattung nur zu gewähren, falls die Wehrsteuerveranlagung der Ausgleichskasse - auf Grund ihrer selbständigen Beurteilungskompetenz - dazu Anlass gibt. e) Laut Rz. 11a der Wegleitung über den massgebenden Lohn sind Entgelte, die an Mitglieder der Verwaltung einer Aktiengesellschaft aus dem Reingewinn ausgerichtet werden (Gewinnanteile, Tantiemen) - unbekümmert um die gewählte BGE 103 V 1 S. 6 Bezeichnung - der Beitragserhebung unterworfen, obwohl sie als Bestandteil des Reinertrages der Wehrsteuer unterliegen. Diese Rz. basiert (gemäss Vermerk) auf ZAK 1973 S. 570 (vgl. auch ZAK 1973 S. 571). Die genannten Präjudizien gehen davon aus, dass die Regelung von Art. 7 lit. h AHVV gesetzmässig ist, laut welcher Tantiemen an Mitglieder der Verwaltung zum massgebenden Lohn gehören, und zwar unabhängig davon, ob sie bezwecken, die von einem Verwaltungsratsmitglied geleistete Arbeit und getragene Verantwortung in Form eines Entgeltes zu entschädigen, oder ob sie eher als eine besondere Art von Gewinnausschüttung gedacht sind. Die Bestimmung will verhindern, dass sich die Verwaltungsorgane der AHV und der Sozialversicherungsrichter mit wirtschaftlichen Zusammenhängen befassen müssen, deren Wertung je nach dem zu beurteilenden Sachverhalt wohl kaum zuverlässig vorgenommen werden könnte. Diese beitragsrechtliche Behandlung der Tantiemen entspricht insofern der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, als sie ihrem Wesen nach regelmässig als Entgelt für geleistete Dienste und übernommene Verantwortung gelten. An dieser Rechtsprechung hat das Eidg. Versicherungsgericht auch in jüngster Zeit in den nicht veröffentlichten Urteilen Heizungsbau AG vom 6. Januar 1976 und Omnipack AG vom 19. März 1976 festgehalten. f) Zu prüfen ist schliesslich die Bedeutung des im Zuge der 8. AHV-Revision neu eingeführten zweiten Satzes von Art. 16 Abs. 3 AHVG im Verhältnis zu der in Erw. 2c-e dargestellten Praxis. In der bis 31. Dezember 1972 gültigen Fassung lautete die Verjährungsbestimmung des Art. 16 Abs. 3 AHVG wie folgt: "Der Anspruch auf Rückerstattung zuviel bezahlter Beiträge erlischt mit Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Leistungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit Ablauf von 5 Jahren seit der Zahlung." Die im Rahmen der 8. AHV-Revision beschlossene Gesetzesnovelle vom 30. Juni 1972 liess die bisherige Fassung des Art. 16 Abs. 3 im wesentlichen bestehen, wobei allerdings die absolute Verjährungsfrist jetzt 5 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres eintritt, in dem die Beitragszahlung erfolgte. Sie fügte aber jener Fassung folgenden neuen, auf den 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Rechtssatz hinzu (AS 1972 II 2485): BGE 103 V 1 S. 7 "Sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge von Leistungen bezahlt worden, die der Wehrsteuer vom Reinertrag juristischer Personen unterliegen, so erlischt der Anspruch auf Rückerstattung mit Ablauf eines Jahres, nachdem die Steuerveranlagung rechtskräftig wurde." Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung könnte angenommen werden, es hänge - im Gegensatz zur dargestellten Rechtsprechung - einzig von der wehrsteuerrechtlichen Beurteilung ab, ob die auf den fraglichen Leistungen bezahlten Beiträge zurückerstattet werden können oder nicht. In der Botschaft vom 11. Oktober 1971 wird der neue Rechtssatz im Rahmen des allgemeinen Kommentars unter dem Titel "weitere Revisionspunkte" als eine der Änderungen "von untergeordneter Bedeutung" erwähnt (BBl 1971 II 1100). In den Erläuterungen zu Art. 16 Abs. 3 AHVG wird erklärt, die Bestimmung sei im Hinblick auf das Wehrsteuerveranlagungsverfahren ergänzt worden, damit nicht eine Verjährung der Rückerstattungsforderung eintrete, wenn die Wehrsteuerveranlagung erst nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist für die Rückforderung von Beiträgen vorgenommen werde. Zwar wird zudem gesagt: "Entrichten juristische Personen Lohnbeiträge von Leistungen, die nachträglich der Wehrsteuer vom Reinertrag juristischer Personen unterworfen werden, so sind diese Beiträge nicht geschuldet" (BBl 1971 II 1122). Damit ist aber offensichtlich nicht gemeint, dass im Widerspruch zur Rechtsprechung die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung solcher Leistungen von derjenigen der Steuerbehörden abhänge. Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass beabsichtigt wurde, auf dem indirekten Wege über eine Verjährungsbestimmung und ohne nähere Begründung eine der bisherigen Gerichtspraxis widersprechende, sowohl das materielle Recht (Qualifikation von Einkommen) als auch das Verfahren (Kompetenzabgrenzung zwischen AHV- und Wehrsteuerorganen) betreffende Bestimmung einzuführen. Vielmehr geht es beim neuen Rechtssatz um eine reine Verjährungs- bzw. Verwirkungsbestimmung (Urteil Gasser vom 30. November 1976 mit Hinweisen ( BGE 102 V 206 ), die gegebenenfalls anwendbar ist, falls die Ausgleichskasse auf Grund einer nachträglichen Wehrsteuertaxation im Wiedererwägungsverfahren auf eine frühere Beitragsverfügung zurückkommt oder falls sie anlässlich einer Arbeitgeberkontrolle unter Berücksichtigung der Wehrsteuertaxation BGE 103 V 1 S. 8 feststellt, dass vom Arbeitgeber (ohne vorgängige Kassenverfügung) zu hohe paritätische Beiträge bezahlt worden sind. 3. Im vorliegenden Fall gehen Verwaltung und Vorinstanz von der Voraussetzung aus, dass es sich um die Rückerstattung von sogenannten geldwerten Leistungen im Sinne von Rz. 230a-k der Wegleitung über den Bezug der Beiträge handle. Dies trifft indessen nicht zu. Denn die Beschwerdeführerin hat bisher keine Beiträge bezahlt, die nachträglich laut Rz. 11 der Wegleitung über den massgebenden Lohn zurückgefordert werden könnten. Sie wehrt sich vielmehr dagegen, dass gewisse ihrem Arbeitnehmer und Aktionär R. ausgerichtete und als Zusatzgratifikationen verbuchte Leistungen nachträglich der Beitragspflicht unterstellt werden. Es handelt sich somit um den normalen Fall einer auf Grund einer Arbeitgeberkontrolle erlassenen Nachzahlungsverfügung, bei der es darum geht, gewisse im Grenzbereich zwischen Erwerbs- und Kapitaleinkommen liegende Einkünfte unter weitgehender Koordination mit der wehrsteuerrechtlichen Beurteilung sozialversicherungsrechtlich richtig zu qualifizieren. Dieser nach Massgabe der Untersuchungsmaxime von Amtes wegen zu erfüllenden Aufgabe ist die Ausgleichskasse insofern nicht nachgekommen, als sie die Nachzahlung unter Ausklammerung des Problems der sogenannten geldwerten Leistungen verfügt und die Beschwerdeführerin auf den Weg der Rückerstattung verwiesen hat. Die Vorinstanz bejahte die Beitragspflicht mit der Begründung, es sei AHV-rechtlich gleichgültig, ob es sich bei den an R. ausgerichteten Entgelten um Tantiemen oder Zusatzgratifikationen handle, weil ohnehin massgebender Lohn gemäss Art. 7 lit. c oder h AHVV vorliege und weil der Beweis, dass diese Leistungen schon durch die Wehrsteuer erfasst worden seien, nicht erbracht Worden sei. Damit setzt der kantonale Richter stillschweigend voraus, dass jene Entgelte einzig im Sinne von lit. c oder h des Art. 7 AHVV qualifiziert werden könnten. Die Möglichkeit, dass es sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung bzw. um Kapitalertrag handeln könnte, lässt er insoweit ausser Betracht, als er sich mit der Behauptung begnügt, der Beweis für die Nichterfassung durch die Wehrsteuer sei nicht erbracht. In dieser Hinsicht geht die Vorinstanz also - wie auch Ausgleichskasse und Bundesamt BGE 103 V 1 S. 9 für Sozialversicherung - von der unzutreffenden Rechtsauffassung aus, dass die Wehrsteuerveranlagung auch für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung bindend sei. 4. Auf Grund der Akten lässt sich im Sinne des in Erwägung 2 Gesagten nicht beurteilen, ob die fraglichen Zusatzgratifikationen als massgebender Lohn oder als Kapitalertrag zu qualifizieren sind. Insoweit ist der Sachverhalt offensichtlich unvollständig festgestellt ( Art. 105 Abs. 2 OG ). a) Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen von Tantiemen im Sinne von Art. 7 lit. h AHVV mit der Begründung, mangels entsprechender Statutenbestimmung wäre die Ausrichtung solcher Leistungen an die Verwaltung gar nicht möglich gewesen; selbst wenn dies der Fall sein könnte, hätten Tantiemen nicht allein an R., der nicht einziger Verwaltungsrat der Gesellschaft sei, bezahlt werden dürfen; es habe sich um vertragliche Zusatzgratifikationen an in der Firma tätige Aktionäre laut Ziff. 5 des Konsortialvertrages vom 30. Oktober 1967 gehandelt. Diese Behauptung ist der Form nach zutreffend; ob indessen die Ausrichtung von Tantiemen dadurch ausgeschlossen ist, kann offen bleiben, wie sich aus dem Folgenden ergibt. Es muss nämlich auf Grund der tatbeständlichen Einzelheiten im konkreten Fall und in Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beurteilt werden, ob eine Zusatzgratifikation an in der Aktiengesellschaft mitarbeitende Aktionäre zu dem für die Berechnung der Beiträge massgebenden Lohn im Sinne von Art. 7 lit. h AHVV gehört oder aber nicht beitragspflichtigen Kapitalertrag darstellt. Befinden sich z.B. die Aktien in der Hand einer kleinen Zahl von Aktionären, die zudem vollzählig dem Verwaltungsrat angehören und in der Gesellschaft mitarbeiten, so haben solche Leistungen wirtschaftlich gesehen die gleiche Bedeutung wie eigentliche Tantiemen im Sinne von Art. 7 lit. h AHVV und sind damit unabhängig von der wehrsteuerrechtlichen Qualifikation beitragspflichtig. R. ist laut den Angaben der Beschwerdeführerin Verwaltungsratsmitglied, und zwar laut Regionenbuch 1972 und 1973 mit Einzelunterschrift, während M. L. Verwaltungsratspräsident war. Im Regionenbuch 1974 und 1975 ist er als Verwaltungsratspräsident aufgeführt neben S. L. Es fragt sich somit, ob er die Zusatzgratifikationen in der Eigenschaft als BGE 103 V 1 S. 10 Verwaltungsratsmitglied oder tatsächlich nur als mitarbeitender Aktionär erhielt. Sollte die - noch zu überprüfende - Behauptung der Beschwerdeführerin zutreffen, das jeweilige andere, in der Gesellschaft nicht mitarbeitende Mitglied des Verwaltungsrates habe keine solchen Leistungen erhalten, so muss deren Tantiemencharakter verneint werden. Andernfalls sind sie - ungeachtet der Benennung - als Tantiemen zu qualifizieren und als beitragspflichtig zu erklären (ZAK 1973 S. 570; bereits zitierte Urteile Heizungsbau AG und Omnipack AG). b) Sollte sich nach durchgeführter Abklärung ergeben, dass die Qualifikation der fraglichen Leistungen als Tantiemen ausscheidet, so ist - ebenfalls nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise - zu prüfen, ob es sich um beitragspflichtige Gratifikationen im Sinne von Art. 7 lit. c AHVV oder um beitragsfreien Kapitalertrag handelt. Auch in dieser Hinsicht bedarf es näherer Abklärungen, namentlich über die innere Struktur der beschwerdeführenden AG bzw. über die Stellung der einzelnen Aktionäre (und besonders des R.) im Verhältnis zur Gesellschaft und zu den übrigen Aktionären. Die Anzahl der Aktionäre, die Verteilung der Aktien, die Frage, welche Aktionäre in welchem Umfang und in Welcher Form mitarbeiten, könnten wesentliche Indizien liefern. Sollte sich beispielsweise ergeben, dass nicht alle Aktionäre Mitarbeiter sind und dass die Zusatzgratifikationen nur den mitarbeitenden Aktionären nach Massgabe ihrer Mitarbeit in unterschiedlicher Höhe ausgerichtet werden, so wiese dies eher auf massgebenden Lohn hin, wogegen eine Abstufung nach der Höhe des Aktienbesitzes bedeuten könnte, dass die mitarbeitenden Aktionäre als privilegierte Gewinnbezüger behandelt worden wären. Zudem muss im Sinne des in Erwägung 2c Gesagten die wehrsteuerrechtliche Beurteilung berücksichtigt werden. Nachdem für die ersten Jahre bereits rechtskräftige Wehrsteuerveranlagungen vorliegen, ist von Amtes wegen abzuklären, in welcher Weise die fraglichen Zusatzgratifikationen steuerrechtlich qualifiziert wurden und ob - gesamthaft betrachtet - Anlass besteht, von jener Beurteilung ganz oder teilweise abzuweichen. Es geht nicht an, diese Abklärungspflicht der Beschwerdeführerin aufzuerlegen unter Berufung auf die nur im Rückerstattungsverfahren anwendbare Rz. 230b BGE 103 V 1 S. 11 Abs. 2 der Wegleitung über den Bezug der Beiträge, wonach eine Bescheinigung der kantonalen Wehrsteuerbehörde auf vorgeschriebenem Formular verlangt wird ...
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Sachverhalt ab Seite 101 BGE 81 IV 101 S. 101 A.- Mit Strafklage vom 20. Mai 1954 beschuldigte Fräulein X Dorina Guerino der Körperverletzung, der BGE 81 IV 101 S. 102 Tätlichkeiten und der Sachbeschädigung. Am 26. Mai 1954 verhörte der Amtsstatthalter von Luzern-Stadt beide Parteien, wobei die Klägerin sich auf den verheirateten Y als Zeugen berief. Auf das hin telephonierte die Beklagte dem Y, um ihn davon abzuhalten, Zeugnis abzulegen. Sie erklärte ihm, wenn er als Zeuge erscheine, "packe sie alles aus". Darunter verstand sie, dass sie bekanntgeben werde, er unterhalte ehewidrige Beziehungen zu Fräulein X. Tatsächlich telephonierte sie am 28. Mai 1954 der Ehefrau des Y und sagte ihr, das Zeugnis ihres Ehemannes könne nicht gewertet werden, da er mit Fräulein X befreundet sei. Am gleichen Tage leistete Y der Vorladung vor den Amtsstatthalter Folge und sagte als Zeuge aus. Dorina Guerino schloss hierauf mit Fräulein X einen Vergleich, und letzteres zog den Strafantrag zurück. Das Strafverfahren gegen Dorina Guerino wurde wegen Nötigungsversuchs fortgesetzt. B.- Am 12. November 1954 erklärte das Amtsgericht Luzern-Stadt Dorina Guerino dieses Vergehens schuldig und büsste sie mit Fr. 20.-. C.- Dorina Guerino führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Amtsgericht zurückzuweisen. Sie macht geltend, es verletze Art. 181 StGB . Diese Bestimmung treffe nicht zu, weil sie sich gegen die Beschränkung der Handlungsfreiheit richte, Y jedoch nicht frei gewesen sei, als Zeuge zu erscheinen und auszusagen, sondern auf Grund einer Vorladung habe erscheinen müssen, deren Befolgung hätte erzwungen werden können. Die Beschwerdeführerin habe ihm auch nicht ernstliche Nachteile angedroht; die angedrohte Bekanntgabe eines ehewidrigen Verhältnisses sei kein ernstlicher Nachteil Wer solche Beziehungen unterhalte, müsse damit rechnen, dass sie bekannt werden. Es sei auch nicht abgeklärt, ob die Beziehungen des Y zu Fräulein X nicht tatsächlich schon bekannt gewesen seien, insbesondere seiner Ehefrau. Dazu komme, dass die Androhung ernstlicher Nachteile BGE 81 IV 101 S. 103 gleichbedeutend sei mit der schweren Drohung des Art. 180 StGB , eine solche hier aber fehle. Ferner sei nicht abgeklärt, wem gegenüber die Beschwerdeführerin ihre Aussagen über die Beziehungen des Y zu Fräulein X habe machen wollen. Gegenüber dem Amtsstatthalter wäre sie berechtigt gewesen, davon zu sprechen, um den Beweiswert der Aussagen des Y zu beanstanden. Das Telephongespräch mit Frau Y sei unerheblich, zumal die Beschwerdeführerin ihr nur erklärt habe, das Zeugnis ihres Ehemannes könne nicht gewertet werden, da er mit Fräulein X befreundet sei. Endlich habe die Beschwerdeführerin nicht rechtswidrig gehandelt, weil sie berechtigt gewesen sei, Y den angedrohten Nachteil zuzufügen. Es sei nämlich nicht verboten, Aussagen über ehewidrige Beziehungen einer Person zu machen. Die Androhung einer begründeten Strafklage sei schwerer, ohne den Tatbestand der Nötigung zu erfüllen. Umsoweniger könne die Androhung einer begründeten Aussage über ein nicht einwandfreies Verhalten darunter fallen. D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen. Erwägungen Der Kassationshof zieht in Erwägung: 1. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Freisprechung von der Anschuldigung des Nötigungsversuches lässt sich zum vornherein nicht damit begründen, Art. 181 StGB setze einen Angriff auf die Handlungsfreiheit voraus, das Erscheinen des Y als Zeuge habe aber nicht von dessen freien Willen abgehangen. Wäre die Überlegung der Beschwerdeführerin begründet, so läge ein untauglicher Versuch vor, weil der Gegenstand, woran die Beschwerdeführerin das Vergehen auszuführen versuchte, so gewesen wäre, dass die Tat an ihm überhaupt nicht ausgeführt werden konnte ( Art. 23 Abs. 1 StGB ). Untauglicher Versuch aber führt nicht zur Freisprechung, sondern berechtigt den Richter nur, die auf dem vollendeten Vergehen stehende Strafe nach freiem Ermessen zu mildern. BGE 81 IV 101 S. 104 Die Rüge der Beschwerdeführerin hält aber überhaupt nicht stand. Richtig ist zwar, dass Art. 181 StGB sich gegen die Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit richtet. Sie liegt aber im Falle der Androhung ernstlicher Nachteile darin, dass das Opfer durch die Aussicht, solche Nachteile zu erleiden, zu einem Tun oder Unterlassen bestimmt wird, zu dem es sich ohne die Androhung nicht entschlösse. Ob sein Verhalten, das der Täter herbeiführen will, unrechtmässig oder rechtmässig sei und ob der Staat es verhindern könne oder nicht, ist unerheblich. Wer einen anderen durch Androhung ernstlicher Nachteile z.B. zur Begehung einer strafbaren Handlung veranlasst, verübt das Vergehen des Art. 181 so gut, wie wenn er ihn zu einem erlaubten Tun nötigte, obschon die vom Täter begehrte Handlung vom Standpunkt der Rechtsordnung aus nicht im Belieben des Opfers steht, sondern rechtswidrig ist und vom Staate verhindert werden muss, wenn er sie voraussieht. Entsprechend verhält es sich, wenn jemand einen andern durch Androhung ernstlicher Nachteile von einer Handlung abhalten will, zu der er rechtlich verpflichtet ist und die, wenn er sie nicht freiwillig vornimmt, vom Staate erzwungen wird. Es wäre eine sonderbare Rechtsordnung, wenn sie nur die Nötigung zu einem erlaubten Verhalten mit Strafe bedrohte, nicht auch die Nötigung zu einem rechtswidrigen Tun oder Unterlassen. Wer einen anderen durch Androhung ernstlicher Nachteile zur Verletzung seiner Pflichten veranlasst, handelt besonders verwerflich. Der Bürger, der bereit ist, seine Pflichten zu erfüllen, soll davon nicht durch Androhung ernstlicher Nachteile abgehalten werden; in solchem Vorgehen liegt ein Angriff auf die Freiheit seines Willens. Der Versuch, den die Beschwerdeführerin unternommen hat, war daher nicht untauglich. 2. Die Beschwerdeführerin hat Y durch die Drohung, sie werde bekanntgeben, dass er zu Fräulein X ehewidrige Beziehungen unterhalte, gefügig zu machen versucht. Ob er solche Beziehungen tatsächlich unterhalten oder mit Fräulein X nur kameradschaftlich verkehrt hat, ist im BGE 81 IV 101 S. 105 angefochtenen Urteil offen gelassen worden. Darauf kommt, wie das Amtsgericht zutreffend annimmt, auch nichts an. Die Bekanntgabe ehewidriger Beziehungen - worunter die Beschwerdeführerin in erster Linie die Bekanntgabe an Frau Y verstand, an die sie sich dann auch telephonisch gewendet hat - war für Y im einen wie im anderen Falle ein Nachteil, weil sie einen Angriff auf seine Ehre enthielt, der als üble Nachrede oder Verleumdung sogar Strafe nach sich ziehen konnte. Daran würde selbst dann nichts geändert, wenn gewisse Drittpersonen schon gewusst oder sich eingebildet haben sollten, Y unterhalte mit Fräulein X ehewidrige Beziehungen; denn ein Angriff auf die Ehre einer Person wird nicht dadurch rechtmässig, dass der Ruf des Angegriffenen bereits, sei es begründeter-, sei es unbegründeterweise, gelitten hat. Ebensowenig kommt etwas darauf an, ob Y ohnehin damit rechnen musste, dass sein Umgang mit Fräulein X einmal bekannt und für ehewidrig gehalten werde, insbesondere von seiner Ehefrau. Was die Beschwerdeführerin ihm androhte, war nichtsdestoweniger eine seinen Ruf gefährdende und daher für ihn nachteilige Blossstellung. 3. Auch war der angedrohte Nachteil "ernstlich" im Sinne des Art. 181 StGB . Die Auffassung des Beschwerdeführers, dieses Merkmal sei nur erfüllt, wenn eine schwere Drohung im Sinne des Art. 180 StGB vorliege, ist vom Kassationshof bereits in einem Urteil vom 31. Dezember 1949 i.S. Peck widerlegt worden. Schon der Wortlaut des Gesetzes verbietet, die Androhung nach Art. 181 jener nach Art. 180 gleichzustellen. Eine "schwere Drohung" (Art. 180) setzt mehr voraus als eine "Androhung ernstlicher Nachteile" (Art. 181), da zwischen "schwer" und "ernstlich" ein gradueller Unterschied besteht. Er kommt auch im französischen Text zum Ausdruck, wo von "menace grave" (Art. 180) und "menaçant d'un dommage sérieux" (Art. 181) die Rede ist. Mit Rücksicht auf diese klare Abstufung in den beiden Texten kann nichts darauf ankommen, dass der italienische mit den Ausdrücken BGE 81 IV 101 S. 106 "grave minaccia" (Art. 180) und "minaccia di grave danno" (Art. 181) noch am ehesten für die Gleichstellung der beiden Androhungen angerufen werden könnte. Dazu kommt, dass auch die weiteren, von einander abweichenden Erfordernisse der beiden Tatbestände einen Unterschied in der Androhung erkennen lassen, der sich der Täter im einen und im anderen Falle bedient. Um jemanden "in Schrecken oder Angst" zu versetzen (Art. 180), braucht es mehr, als um ihn zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung zu nötigen, die er sonst nicht gewollt hätte (Art. 181). Die höhere Anforderung in Art. 180 ist auch sachlich gerechtfertigt durch den inneren Unterschied der beiden Tatbestände, indem die Drohung die Freiheit der Willensbildung lediglich gefährdet, die Nötigung dagegen sie verletzt; gegenüber blossen Gefährdungshandlungen ist das Strafgesetz zurückhaltender als gegenüber Verletzungen der gleichen Rechtsgüter. Art. 181 setzt nicht voraus, dass der angedrohte Nachteil so schwer sei, dass der Betroffene ob der Androhung in Schrecken oder Angst geraten könnte; es genügt, wenn der Nachteil ernstlich genug ist, um den Betroffenen in seiner Handlungsfreiheit wesentlich beeinträchtigen zu können. Das war hier der Fall. Dass Y sich nicht hat beeindrucken lassen, sondern seine Zeugenpflicht erfüllt hat, steht dieser Würdigung nicht im Wege. Die Ernstlichkeit des Nachteils hängt nicht vom tatsächlichen Erfolge der Androhung ab, sondern vom objektiven Ausmass des angedrohten Eingriffs. ...
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7af9b5c8-b65f-441c-a44f-f86de9d9a47d
Sachverhalt ab Seite 93 BGE 141 IV 93 S. 93 A. A.X. erklärte am 16. März 2010 gegenüber der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, sie habe im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren mehrfach sexuelle Übergriffe von ihrem Vater B.X. erlitten. Am 10. August 2010 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren infolge Verjährung ein. B. Die Staatsanwaltschaft verfügte am 5. Juli 2013 die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen B.X. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hob diesen Entscheid in Gutheissung einer Beschwerde von B.X. am 20. August 2014 auf. BGE 141 IV 93 S. 94 C. A.X. führt Beschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichtes sei aufzuheben. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. 1.1 Am 30. November 2008 nahmen Volk und Stände die Volksinitiative "Für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern" (Unverjährbarkeitsinitiative) an. Art. 123b BV schreibt seither vor, dass die Verfolgung sexueller oder pornografischer Straftaten an Kindern vor der Pubertät und die Strafe für solche Taten unverjährbar sind. Gestützt darauf erliess die Bundesversammlung Ausführungsbestimmungen, welche am 1. Januar 2013 in Kraft gesetzt wurden. Für verschiedene Sexualstraftaten tritt nunmehr keine Verjährung ein, wenn sie an Kindern unter 12 Jahren begangen wurden ( Art. 101 Abs. 1 lit. e StGB ). Dies gilt auch, wenn die Strafverfolgung oder die Strafe am 30. November 2008 nach dem bis zu jenem Zeitpunkt geltenden Recht noch nicht verjährt war ( Art. 101 Abs. 3 StGB ). 1.2 Als die Staatsanwaltschaft am 10. August 2010 das Verfahren gegen den Beschwerdegegner 2 (B.X.) infolge Verjährung einstellte, hatte die Bundesversammlung noch keine Ausführungsbestimmungen zu Art. 123b BV erlassen. Sie begründet die Wiederaufnahme des Verfahrens damit, dass mit dem Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen ( Art. 101 Abs. 1 lit. e und Abs. 3 StGB ) eine neue Tatsache bestehe, welche zum Zeitpunkt der Einstellungsverfügung noch nicht vorgelegen habe und dazu führe, dass allfällige Straftaten des Beschwerdegegners 2 zum Nachteil der Beschwerdeführerin zwischen dem 1. Dezember 1993 und dem 14. Mai 1995 nicht verjährt seien. Die Vorinstanz erwägt im Wesentlichen, dass die Umsetzung der Unverjährbarkeitsinitiative auf Gesetzesstufe keine neue Tatsache im Sinne von Art. 323 Abs. 1 StPO darstelle, weshalb die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Beschwerdegegner 2 nicht erfüllt seien. Sie fügt hinzu, es sei zum Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung voraussehbar gewesen, dass das Prozesshindernis der Verjährung in absehbarer Zeit hinweggefallen wäre. Es wäre deshalb angezeigt gewesen, das Verfahren zu sistieren, anstatt es einzustellen. Eine Wiederanhandnahme desselben wäre auf diese Weise möglich gewesen. BGE 141 IV 93 S. 95 2. 2.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Unverjährbarkeitsinitiative sei bereits im November 2008 angenommen worden. Dadurch, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt statt sistiert habe, könne sie nicht zu ihrem Recht kommen. Es sei nicht verständlich, dass keine Möglichkeit bestehe, diesen Fehler zu korrigieren. 2.2 Die Einstellung des Verfahrens gegen den Beschwerdegegner 2 im August 2010 erging in Anwendung des damals geltenden kantonalen Strafprozessrechts. Nach § 167 Abs. 1 aStPO/BS konnten Einstellungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft mittels Rekurs angefochten werden. Auf die Rekursmöglichkeit war im Einstellungsbeschluss hinzuweisen (§ 109 Abs. 3 aStPO/BS). Die Beschwerdeführerin hat die Einstellung nicht angefochten, womit diese nach Ablauf der zehntägigen Rekursfrist (§ 169 Abs. 1 aStPO/BS) in Rechtskraft erwachsen ist. Die Rüge, es bestehe keine Möglichkeit, den Fehler der Staatsanwaltschaft zu korrigieren, ist unbegründet. 2.3 Ab dem 1. Januar 2011 richten sich die Wirkungen von Einstellungsverfügungen, die vor diesem Datum in Anwendung kantonalen Rechts ergangen sind, nach der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO). Dies betrifft auch die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens (Urteil 6B_512/2012 vom 30. April 2013 E. 1.2 mit Hinweisen). Nach Art. 320 Abs. 4 StPO kommt eine rechtskräftige Einstellungsverfügung einem freisprechenden Endentscheid gleich. Art. 11 StPO verbietet in diesem Fall eine erneute Strafverfolgung wegen der gleichen Tat (Abs. 1); vorbehalten bleiben die Wiederaufnahme eines eingestellten oder nicht anhand genommenen Verfahrens und die Revision (Abs. 2). Art. 323 Abs. 1 StPO sieht die Wiederaufnahme des Verfahrens vor, wenn der Staatsanwaltschaft neue Beweismittel oder Tatsachen bekannt werden, die für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der beschuldigten Person sprechen und sich nicht aus den früheren Akten ergeben. Die Wiederaufnahme eines eingestellten Verfahrens ist grundsätzlich an geringere Voraussetzungen geknüpft als die Revision eines rechtskräftigen Urteils gemäss Art. 410 ff. StPO (Urteil 6B_92/2014 vom 8. Mai 2014 E. 3.1 mit Hinweisen). Gleichwohl stimmt der Begriff der neuen Beweismittel oder Tatsachen von Art. 323 Abs. 1 StPO mit demjenigen von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO überein. Unter Tatsachen sind Umstände zu verstehen, die im Rahmen des dem Urteil zu Grunde liegenden BGE 141 IV 93 S. 96 Sachverhalts von Bedeutung sind. Mit Beweismitteln wird der Nachweis von Tatsachen erbracht. Eine Meinung, eine persönliche Würdigung oder eine neue Rechtsauffassung vermag die Wiederaufnahme nicht zu rechtfertigen ( BGE 137 IV 59 E. 5.1.1; Urteile 6B_339/2012 vom 11. Oktober 2012 E. 2.2.2; 6B_658/2012 vom 2. Mai 2013 E. 1.3.2). Die am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Gesetzesänderung betrifft nicht den dem Beschwerdegegner 2 zur Last gelegten Sachverhalt, sondern dessen rechtliche Beurteilung. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von Art. 323 Abs. 1 StPO sind - wie die Vorinstanz zutreffend erwägt - nicht erfüllt.
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0c24d5e5-e605-43f9-99b9-edb266cb806b
Sachverhalt ab Seite 217 BGE 98 V 216 S. 217 A.- Die seit 1967 gerichtlich getrennten Ehegatten Rosa und Marcel Lipp wurden am 3. Juli 1970 durch das Bezirksgericht Zürich geschieden. Das Gericht stellte den 1956 geborenen Sohn Christoph Marcel unter die elterliche Gewalt seiner Mutter und verpflichtete den Ehemann, dieser "an die Kosten der Erziehung und des Unterhalts des Sohnes Christoph Marcel monatliche Beiträge von Fr. 150.--, zuzüglich allfällige gesetzliche oder vertragliche Kinderzulagen, zu entrichten...". B.- Der geschiedene Marcel Lipp bezog seit dem 1. Juni 1968 eine halbe einfache Invalidenrente. Seit dem 1. September 1970 erhält er wegen 70%iger Invalidität eine ganze Rente. Rosa Lipp und dem Sohn Christoph gewährte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich halbe einfache Zusatzrenten. Am 2. April 1969 ordnete die Kasse an, dass die Zusatzrenten rückwirkend ab 1. Juni 1968 Rosa Lipp ausgerichtet würden. Aber am 21. Dezember 1970 verfügte sie, dass die Zusatzrente für den Sohn Christoph ab 1. Dezember 1970 seinem Vater Marcel Lipp ausbezahlt werde, wie dieser im November 1970 verlangt hatte. Mit Verfügung vom 13. Januar 1971 eröffnete die Ausgleichskasse Rosa Lipp, dass die ihr gewährte Zusatzrente gestützt auf Art. 34 Abs. 2 IVG wegen der am 3. Juli 1970 erfolgten Ehescheidung auf den 31. Juli 1970 aufgehoben und dass die Zusatzrente für den Sohn Christoph dessen Vater Marcel Lipp direkt überwiesen würden. C.- Rosa Lipp beschwerte sich gegen diese Verfügung. Am 5. November 1971 hob die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich die angefochtene Verfügung auf. Sie entschied, dass die Kinderzusatzrente ab 1. Dezember 1970 weiterhin Rosa Lipp auszurichten sei und dass diese ihre eigene Zusatzrente auch noch für den Monat August 1970 erhalte. Die seit dem 1. Dezember 1970 an Marcel Lipp ausbezahlten Kinderzusatzrenten sowie die Differenz zwischen der halben und der ganzen Kinderzusatzrente für die Monate September bis November 1970 müssten Rosa Lipp noch ausgerichtet werden. BGE 98 V 216 S. 218 D.- Marcel Lipp zieht diesen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht weiter. Er beantragt, es sei die Kinderzusatzrente weiterhin ihm auszurichten, da er für deren richtige Verwendung jede Gewähr biete. Der Anspruch eines invaliden Rentenbezügers auf Kinderzusatzrente habe den Sinn, ihm zu ermöglichen, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen. Rosa Lipp und die Ausgleichskasse tragen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt ebenfalls die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bezüglich der Kinderzusatzrente. Erwägungen Aus den Erwägungen: a) Die Art. 34 und 35 IVG ordnen den Anspruch auf Zusatzrente für die Ehefrau und für Kinder. Sie enthalten aber keine Bestimmung darüber, an wen Kinderzusatzrenten im Sinn des Art. 35 IVG bei geschiedener Ehe auszuzahlen sind, wenn die elterliche Gewalt dem rentenberechtigten invaliden Mann entzogen wurde, die Kinder nicht bei ihm wohnen und seine allgemeine Unterhaltspflicht ( Art. 272 ZGB ) sich in einem Kostenbeitrag erschöpft. Anderseits stellt Art. 34 Abs. 2 IVG die geschiedene Frau bezüglich des Zusatzrentenanspruchs der Ehefrau gleich, "sofern sie für die ihr zugesprochenen Kinder überwiegend aufkommt und selbst keine Invalidenrente beanspruchen kann". Und Art. 34 Abs. 3 IVG räumt der getrennten oder geschiedenen Frau das Recht ein, die Zusatzrente an sich überweisen zu lassen. In EVGE 1964 S. 268 Erw. 4 hat das Gericht auf diese gesetzestechnisch bedingte Inkonsequenz aufmerksam gemacht und erklärt, dass es logisch gewesen wäre, für die Kinderzusatzrenten eine den Absätzen 2 und 3 des Art. 34 IVG analoge Regelung zu treffen. Im Rahmen der AHV hat dann das Gericht in dem in ZAK 1969 S. 124 publizierten Urteil darauf hingewiesen, dass das Gesetz die zweckgebundene Verwendung der Kinderzusatzrenten selbst für jene Fälle ausdrücklich vorschreibt, in denen der geschiedene Vater die elterliche Gewalt noch innehat; umso stärker müsse die Sicherung für das Kind sein, wenn der Vater die elterliche Gewalt nicht mehr auszuüben oder keine aktuelle Unterhaltspflicht mehr habe. Zwar sei die Kinderzusatzrente, welche dem Vater ausbezahlt werde, dem Kind nicht immer summenmässig zuzuwenden; sie sei dies aber dann, wenn der BGE 98 V 216 S. 219 Vater keinen Naturalunterhalt mehr leisten müsse und auch keinen mehr leiste oder wenn er bloss zu Unterhaltsbeiträgen in bar verpflichtet oder davon sogar befreit sei. Zu dem damals zu beurteilenden Fall eines geschiedenen Altersrentners, welcher für den in der elterlichen Gewalt der Mutter befindlichen Sohn Unterhaltsbeiträge bezahlen musste, führte das Gericht insbesondere aus, es wäre "sinnlos, die summenmässig zu vollziehende Zuwendung der Kinderzusatzrente derart zu gewährleisten, dass diese zunächst dem Vater ausbezahlt würde, der sie in der Folge ungeschmälert an das Kind bzw. den Inhaber der elterlichen Gewalt überweisen müsste". Es gehe nicht an, lediglich auf den (unvollkommenen) Wortlaut des Gesetzes abzustellen. Vielmehr habe der Richter auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts vor allem auf den Sinn der gesetzlichen Ordnung zu achten (vgl. IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 1, 4. Aufl., S. 120 ff.; ferner EVGE 1968 S. 142 Erw. 2b). Damit hiess das Gericht die Auszahlung der Kinderzusatzrente an die Mutter gut. b) Diese im Bereich der AHV angestellten Überlegungen gelten sinngemäss auch in der Invalidenversicherung, denn eine unterschiedliche Behandlung ein und desselben Problems, je nachdem ob es um AHV- oder IV-Renten geht, lässt sich sachlich nicht rechtfertigen. Die in EVGE 1964 S. 268 offen gelassene Frage nach der Auszahlung der Kinderzusatzrenten ist demnach dahin zu beantworten, dass diese auf Verlangen der getrennten oder geschiedenen Frau auszuzahlen sind, wenn sie die elterliche Gewalt besitzt, die Kinder nicht beim rentenberechtigten invaliden Mann wohnen und sich dessen Unterhaltspflicht in einem Kostenbeitrag erschöpft. Im vorliegenden Fall hat der Scheidungsrichter die elterliche Gewalt über Christoph Lipp dessen Mutter übertragen. Mutter und Sohn leben zusammen. Der Beschwerdeführer hat an den Unterhalt von Christoph lediglich einen monatlichen Unterhaltsbeitrag zu leisten. Mit Recht hat daher die Vorinstanz entschieden, dass die Kinderzusatzrente vom 1. Dezember 1970 hinweg weiterhin direkt Rosa Lipp auszurichten und dass ihr die Rentenbetreffnisse, welche der Beschwerdeführer seit September 1970 als Kinderzusatzrente erhalten hat, nachzuzahlen seien.
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089557a8-7a4f-4728-b545-d73bc97ec806
Sachverhalt ab Seite 371 BGE 109 II 371 S. 371 Die Ehe der Parteien wurde am 20. April 1983 vom Kantonsgericht Graubünden geschieden. Die elterliche Gewalt über die beiden Töchter, Daniela, geboren am 10. Juni 1963, und Eliane, geboren am 20. Juni 1973, wurde der Mutter zugesprochen. Der Vater wurde verpflichtet, "an den Unterhalt der Tochter Daniela bis zum ordentlichen Abschluss ihres Studiums oder einer anderen beruflichen Ausbildung beziehungsweise bis zur wirtschaftlichen Selbständigkeit, längstens aber bis zum erfüllten 25. Altersjahr, und an den Unterhalt der Tochter Eliane bis zu deren Mündigkeit BGE 109 II 371 S. 372 beziehungsweise wirtschaftlichen Selbständigkeit je einen im voraus zahlbaren Unterhaltsbeitrag von Fr. 800.-- pro Monat zuzüglich die gesetzlichen oder vertraglichen Kinderzulagen zu leisten". Mit Berufung beim Bundesgericht verlangt der Vater unter anderem die Abweisung der Unterhaltsansprüche an die Tochter Daniela, soweit diese über deren Mündigkeit hinaus zu leisten sind. Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. Beide kantonalen Instanzen haben den Beklagten verpflichtet, an den Unterhalt der beiden Töchter je Fr. 800.-- pro Monat zu bezahlen. Die Alimente für die Tochter Eliane sind nicht angefochten. Hingegen verwahrt sich der Beklagte dagegen, dass die Vorinstanz ihn in diesem Verfahren verpflichtet hat, über die Mündigkeit der 1963 geborenen, inzwischen bereits volljährig gewordenen Tochter Daniela hinaus an die Klägerin auch Unterhaltsbeiträge für diese zu bezahlen. Er ist der Auffassung, der angefochtene Entscheid verletze Art. 156 Abs. 2 ZGB . Diese Auffassung ist zutreffend. Nach Art. 156 Abs. 2 ZGB wird der Beitrag, den der nicht obhutsberechtigte Elternteil an die Kosten des Unterhalts seiner Kinder zu leisten hat, nach den Bestimmungen über die Wirkungen des Kindesverhältnisses geregelt. Damit wird auf die Art. 276 ff. ZGB und insbesondere auf Art. 285 ZGB verwiesen. Gemäss Art. 277 Abs. 2 haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, auch für den Unterhalt eines sich in der Ausbildung befindlichen mündigen Kindes aufzukommen, und zwar bis dessen Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann. Gläubiger dieser Geldleistungen ist das Kind, aber die Leistungen haben bis zu dessen Mündigkeit an den Inhaber der elterlichen Gewalt als gesetzlichen Vertreter zu erfolgen, der sie auch in eigenem Namen geltend machen kann. Dieser Grundsatz galt bereits unter der Herrschaft des alten Rechts ( BGE 69 II 68 , BGE 90 II 355 , BGE 98 IV 207 E. 1, BGE 102 Ia 102 E. 4; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 162/163) und ist im neuen Kindesrecht, das ganz allgemein die Stellung des Kindes verstärkt, ausdrücklich in Art. 289 Abs. 1 ZGB festgehalten worden. Das bedeutet, dass der obhutsberechtigte Elternteil im Scheidungsprozess, an welchem das Kind nicht als Partei teilnehmen kann, Kinderalimente in BGE 109 II 371 S. 373 eigenem Namen geltend machen kann, solange ihm die elterliche Gewalt über seine Kinder zusteht ( BGE 107 II 473 unten). Sobald aber Mündigkeit eintritt, entfällt diese Befugnis, und sie geht an den mündig Gewordenen über, der nunmehr selbst im Sinne des Art. 277 Abs. 2 ZGB tätig werden muss (HINDERLING, Zusatzband, S. 111, insbesondere auch Anmerkung 6; nach altem Recht: HEGNAUER, N. 74 zu Art. 272 aZGB; BGE 102 Ia 102 E. 4, BGE 107 II 474 ). Ausnahmen sind bisher nur zugelassen worden, wenn sich der pflichtige Elternteil in einer Ehescheidungs-Vereinbarung verpflichtet hat, über das 20. Altersjahr seiner Kinder hinaus an deren Unterhalt beizutragen ( BGE 102 Ia 102 /103; BGE 107 II 475 oben; HINDERLING, Zusatzband, a.a.O.). Das Kantonsgericht und die Klägerin stützen sich freilich unter anderem auf einen Entscheid des Bundesgerichts in BGE 104 II 296 . In diesem Entscheid, in dem es um Ansprüche des ausserehelichen Kindes ging, wurde ausgeführt, dass es sich empfehlen dürfte, im Urteilsdispositiv die Unterhaltsbeiträge auch für die Zeit nach Erreichen der Mündigkeit zu regeln, wenn ein Kind bei der Regelung seiner Unterhaltsbeiträge im Vaterschafts- oder Scheidungsprozess kurz vor der Erreichung seiner Mündigkeit stehe, es sich dabei in einer Ausbildung befinde, die aller Voraussicht nach über diesen Zeitpunkt hinaus dauern werde, und auch die Verhältnisse der Eltern hinreichend bekannt seien. Diese vor allem auf Gründen der Zweckmässigkeit und dem Gedanken der Prozessökonomie beruhende Äusserung, die im Widerspruch zu der in BGE 102 Ia 102 E. 4 vertretenen, noch auf altem Recht basierenden Auffassung steht, wurde in der Literatur teils als nicht unbedenklich empfunden oder abgelehnt (HINDERLING, Zusatzband, a.a.O.; BÜHLER/SPÜHLER, N. 244/245 zu Art. 156 ZGB ), zum Teil aber auch unterstützt (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 1983, S. 126; RUTH REUSSER, Unterhaltspflicht, Unterstützungspflicht, Kindesvermögen, in: Das neue Kindesrecht, Berner Tage für die juristische Praxis 1977, S. 68). Sie beruht auf einer extensiven Auslegung der neuen Ordnung des Kindesrechts, die nicht ganz unbedenklich ist. Art. 156 Abs. 2 ZGB verweist wohl ganz allgemein auf die Art. 276 ff. ZGB . Art. 279 ZGB , der das Klagerecht und die Zuständigkeit in bezug auf den Unterhaltsanspruch der Kinder gegenüber ihren Eltern regelt, behält seinerseits in Absatz 3 die Kompetenz des Richters nach den Bestimmungen über die Ehescheidung vor. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Befugnis des Scheidungsrichters in jedem Fall auf Art. 277 Abs. 2 ZGB BGE 109 II 371 S. 374 erstreckt. Der gegenseitige Verweis beziehungsweise Vorbehalt kann höchstens bedeuten, dass auch der Scheidungsrichter grundsätzlich die Schranke der Mündigkeit zu beachten hat, dass diese aber nicht in jedem Fall einer Regelung der Unterhaltspflicht entgegensteht, sondern ihm ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis bleibt, auf die gesamte Dauer der noch verbleibenden Unterhaltspflicht die erforderlichen Anordnungen zu treffen. Solche Voraussetzungen lägen beispielsweise - wie in BGE 104 II 296 ausgeführt - dann vor, wenn das unterhaltsberechtigte Kind im Zeitpunkt des Scheidungsurteils kurz vor der Mündigkeit steht oder schon während des Scheidungsverfahrens mündig geworden ist, bereits in Ausbildung steht und deren Dauer, die klarerweise über das Scheidungsverfahren hinaus gehen wird, bestimmbar ist. Das träfe z.B. zu, wenn das Kind im letzten Jahr vor der Maturität oder dem Lehrabschluss stünde. Bei derart klaren Verhältnissen wäre es wenig verständlich und läge es nicht im Interesse des Kindes und des Pflichtigen, wenn das Kind gezwungen würde, unter Umständen bereits neben dem Scheidungsprozess seiner Eltern oder kurz darnach seine Unterhaltsansprüche gegenüber dem pflichtigen Elternteil gerichtlich für eine relativ kurze Zeitdauer von einigen Monaten durchsetzen zu müssen. Ob indessen eine solche, an sich denkbare Ausnahme zugelassen werden soll und kann, braucht im vorliegenden Fall nicht abschliessend entschieden zu werden, denn die Voraussetzungen für eine solche Ausnahmeregelung liegen hier gerade nicht vor. Das Kantonsgericht hat festgestellt, dass Daniela die letzte Klasse des Gymnasiums besuche und Ende Juni 1983, also im Monat, in dem sie volljährig wird, das Maturitätszeugnis erwerben werde. Diese Stufe der Ausbildung wird daher noch während der Unmündigkeit abgeschlossen. Eine neue, definitiv zur wirtschaftlichen Selbständigkeit führende Ausbildung wurde noch nicht begonnen, ja deren Art und Dauer steht nach dem angefochtenen Urteil noch nicht einmal fest. Wohl werde Daniela aller Wahrscheinlichkeit nach ein Hochschulstudium im medizinischen Bereich aufnehmen bzw. eine andere mehrjährige Ausbildung ähnlicher Art oder auf sozialmedizinisch-pflegerischem Gebiet beginnen. Das ist jedoch zu unsicher, um im Scheidungsverfahren über die weitere Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber der mündig gewordenen Tochter entscheiden zu können. In Fällen der vorliegenden Art muss dem unterhaltsberechtigten, mündig Gewordenen vorbehalten bleiben, in einem BGE 109 II 371 S. 375 Verfahren, in dem er selbst Partei ist und in welchem er die eigenen, unter Umständen höheren Bedürfnisse geltend machen kann, seine Ansprüche durchzusetzen. Diese Folge des Kindesrechts entspricht nicht nur der gestärkten Stellung des Kindes, sondern auch der grösseren Eigenständigkeit, die den jungen Menschen heute zuerkannt wird. Wenn auch die Überlegungen der Vorinstanz vor allem im Hinblick auf das gespannte Verhältnis zwischen Vater und Tochter viel für sich haben mögen, ist nach dem Gesagten doch festzustellen, dass das Kantonsgericht Bundesrecht verletzt hat, wenn es der Klägerin für die inzwischen mündig gewordene, aber noch unterhaltsbedürftige Tochter bis zum 25. Altersjahr einen Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 800.-- zugesprochen hat.
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Sachverhalt ab Seite 85 BGE 97 IV 84 S. 85 A.- 1) Die fromme Laienhelferin Magdalena Kohler lernte mit 36 Jahren bei einer religiösen Veranstaltung den 43-jährigen Pallottiner-Pater Josef Stocker kennen und als Prediger schätzen. Sie erhielt die Bewilligung, für den Orden der Borromäerinnen in den Mittleren Osten zu reisen; mit Zustimmung seiner Ordensleitung begleitete sie Stocker als geistiger Betreuer. Zusammen wirkten sie erfolgreich in vielen Klöstern in Aegypten, im Libanon und in Jordanien. Stocker führte Exerzitien durch, Magdalena Kohler betrieb Gewissenserforschung und bereitete die Schwestern auf die Beichte vor. 1954 lernten die beiden Schwester Stella (Olga Endres) kennen, die seit geraumer Zeit "Heilandsbotschaften" zu vernehmen glaubte. Mit kirchlicher Gutheissung wurden diese Botschaften, die sich vorwiegend auf religiöse Fragen bezogen, veröffentlicht und mit Erfolg vertrieben. 2) Seit 1956 vermeinte Schwester Stella immer häufiger, der Heiland verkünde ihr, sie sei mit Magdalena Kohler und Josef Stocker als neue "heilige Familie" auserkoren, die Menschheit vor der Sünde zu erretten. Alle drei waren von der Echtheit dieser göttlichen Botschaften so überzeugt, dass sie sich durch die erwachende Opposition kirchlicher Kreise davon nicht abbringen liessen. Sie nahmen alle äusseren Nachteile auf sich, um ihrer vermeintlichen Berufung zu folgen; Stocker wurde in der Folge aus seinem Orden ausgeschlossen und exkommuniziert. Die "heiligen Eltern" Stocker und Kohler bildeten eine auch physisch konsumierte Ehegemeinschaft, während Schwester Stella die Rolle des Kindes spielte. Zusammen gründeten sie in Deutschland eine "Gemeinschaft des heiligen Werkes", dessen geistiges Fundament marianische Schriften und immer neue Heilandsbotschaften Schwester Stellas bildeten. Es gelang ihnen, im Laufe der Zeit eine grössere Zahl von Familien in Deutschland und in der Schweiz als Anhänger zu gewinnen. Von diesen Jüngern wurde vollständige Hingabe an das heilige Werk verlangt. Um den teils befürchteten teils tatsächlichen Massnahmen der katholischen Kirche zu entgehen, wurde die Gemeinschaft in einen Verein "Internationale Familiengemeinschaft BGE 97 IV 84 S. 86 zur Förderung des Friedens" umgewandelt, mit Josef Hasler aus Hellikon als Präsidenten. 3) Nachdem es kirchlichen Kreisen gelungen war, Schwester Stella von der Gemeinschaft zu lösen und in ein Kloster zu verbringen, und als gegen die "heiligen Eltern" in Deutschland Strafverfahren eingeleitet wurden, flohen diese in die Schweiz, wo sie sich von 1958-1965 in engsten räumlichen Verhältnissen im Hause Hasler in Hellikon versteckt hielten, völlig auf sich und den eigenen Anhängerkreis beschränkt. 1965 erwarb ein begütertes Mitglied der Gemeinschaft, Emilio Bettio, in Ringwil ein Chalet, wohin die "heiligen Eltern" übersiedelten. Von dort aus übten sie einen nachhaltigen Einfluss aufihre Anhänger aus, unter anderem auf die Familie Röller in Singen, wo Kinder von Anhängern der Gemeinschaft untergebracht und in strengster klösterlicher Disziplin erzogen wurden. Ab Frühjahr 1962 gehörten die beiden Töchter des Josef Hasler, Bernadette und Magdalena, zu den Zöglingen dieses Hauses. Zeitweise verbrachten die Kinder die Ferien in Ringwil, unter der direkten Obhut der "heiligen Eltern". 4) Im Herbst 1965 begannen Schwierigkeiten zwischen der damals 16-jährigen Bernadette Hasler und der Leitung der Gemeinschaft. Um die Unbotmässigkeit des heranwachsenden Mädchens zu brechen, sein Gewissen bis ins letzte zu erforschen und es - wie sie glaubten - so auf den rechten Weg zu bringen, nahmen die "heiligen Eltern" Bernadette in ihre besondere Obhut. Sie verboten jeden Besuch bei den Eltern, verhängten immer schwerere Strafen, verweigerten dem gläubigen Mädchen zu beichten, untersagten ihm die Ausübung der ihr lieben Musik und isolierten Bernadette vollständig von allen Kameradinnen. Das Mädchen wurde gezwungen, jede kleinste "sündige" Regung oder Handlung zu Papier zu bringen. In endlosen "Gewissenserforschungen" konnte sich besonders Magdalena Kohler nicht genug tun, in der Seele der Halbwüchsigen nach irgendwelchen uneingestandenen schmutzigen oder "unchristlichen" Gedanken herumzuspüren. Solange nicht die letzte Gefühlsregung seziert und die schwächste Anwandlung von Selbstsucht oder Sinnlichkeit bereut war, galt Bernadette als unwürdig und verworfen. Die Tagebücher geben den Gemütszustand des Mädchens wieder; tiefste Verzweiflung wechselt mit immer heftigerem Trotz, der dann Anlass zu neuen Massnahmen, Schlägen, Ohrfeigen usw. wurde. BGE 97 IV 84 S. 87 Nach Ostern 1966 spitzten sich die Dinge zu. Die "heiligen Eltern" verstärkten den Druck auf Bernadette, um sie vor Semesterbeginn auf den rechten Weg zu bringen. Bernadette schrieb die verlangten Sündenbekenntnisse, wobei sie die abartigsten angeblichen Missetaten "gestand", sich des Paktes mit dem Teufel, der sexuellen Buhlschaft mit diesem, aller nur möglichen schändlichen und blasphemischen Gedanken, Wünsche und Taten bezichtigte. In den folgenden mündlichen Auseinandersetzungen bekräftigte sie ihre Schilderungen, weigerte sich zu bereuen und erbitterte damit insbesondere Magdalena Kohler immer stärker. Sie erntete dafür Vorwürfe, Schläge, neue Zwangsmassnahmen. Da alles nichts fruchtete, zogen die "heiligen Eltern" andere Mitglieder bei, denen sie die krassesten Stellen der Sündenbekenntnisse vorlasen und sie veranlassten, Bernadette durch Schläge "den Teufel auszutreiben". 5) Am Nachmittag des 14. Mai 1966 erreichte die Spannung ihren Höhepunkt. Die zu Besuch eingetroffenen Brüder Barmettler und Bettio stellten das Mädchen wiederholt zur Rede. Trotzige Antworten wurden mit neuen Schlägen quittiert. Vor und während des späten Nachtessens wurde von nichts anderem als der angeblichen Unkeuschheit, dem Teufelsbündnis, der Unbotmässigkeit und der Renitenz Bernadettes gesprochen. Auf Geheiss von Bettio begab sich das Mädchen in sein Zimmer, wohin Bettio und die Brüder Barmettler folgten. Kurze Zeit danach kamen auch Stocker und Magdalena Kohler dazu. Das Mädchen musste bekleidet auf das Bett knien und wurde nun von den sechs erwachsenen Personen unbarmherzig verprügelt. Zuerst erhielt es mit einem dünnen Spazierstock und, als dieser zerbrach, mit einem dickeren Stock, nachher mit einer Reitpeitsche, einem Plastikrohr und dem abgebrochenen Spazierstock insgesamt gegen 100 brutale Schläge, vorwiegend auf das Gesäss, teilweise auch auf Rücken und Extremitäten. Nach etwa einer Stunde wurde das Mädchen unter entwürdigenden Demütigungen zu Bett geschickt. In der Nacht verschied Bernadette an einer Fettembolie, die als Folge der durch die brutale Züchtigung entstandenen schweren Zertrümmerung des Gewebes der Hinterbacken und ihrer Umgebung eingetreten war. 6) Um den "heiligen Eltern" Unannehmlichkeiten zu ersparen, verbrachten Bettio, die Brüder Barmettler und Mitglieder BGE 97 IV 84 S. 88 der Familie Hasler die Leiche am folgenden Tag in einem Auto nach Wangen bei Olten in die Wohnung des Heinrich Barmettler. Absprachegemäss berichtete dieser dem Arzt sowie der Polizei, er habe Bernadette als Ferienkind bei sich gehabt, er habe sie wiederholt wegen übermässiger Onanie geschlagen und sie am Morgen tot im Bette gefunden. B.- Mit Urteil des Geschworenengerichtes des Kantons Zürich vom 4. Februar 1969 wurden die Angeklagten Josef Stocker, Magdalena Kohler, Emilio Bettio, Hans Barmettler, Heinrich Barmettler und Paul Barmettler der vorsätzlichen schweren Körperverletzung mit voraussehbarer Todesfolge ( Art. 122 Ziff. 1 und 2 StGB ), die Angeklagten Bettio, Hans, Heinrich und Paul Barmettler ausserdem der Begünstigung ( Art. 305 Abs. 1 und 2 StGB ) schuldig erklärt und wie folgt bestraft: Josef Stocker und Magdalena Kohler mit je 10 Jahren Zuchthaus, Emilio Bettio mit 4 Jahren Gefängnis, Hans, Heinrich und Paul Barmettler mit je 3 1/2 Jahren Gefängnis. Josef Stocker und Magdalena Kohler wurden ausserdem für die Dauer von 5 Jahren in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit eingestellt und für die Dauer von 15 Jahren aus der Schweiz ausgewiesen. Einige der bisher nicht genannten beteiligten Personen wurden ausserhalb des schwurgerichtlichen Verfahrens abgeurteilt. C.- Alle sechs Angeklagten haben gegen das Urteil des Geschworenengerichts sowohl kantonale wie eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde erhoben. Mit Urteil vom 21. April 1970 hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich die kantonalen Nichtigkeitsbeschwerden, soweit es darauf eingetreten ist, abgewiesen. Der ausserordentliche Staatsanwalt des Kantons Zürich erhob ebenfalls Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht, zog sie jedoch wieder zurück. Er verzichtete auf Vernehmlassung zu den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten. Die Anträge der Beschwerdeführer lauten übereinstimmend dahin, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Geschworenengericht zurückzuweisen. Die Beschwerdebegründungen sind, soweit von Bedeutung, aus den nachfolgenden Erwägungen ersichtlich. Der Kassationshof weist die Beschwerden ab. BGE 97 IV 84 S. 89 Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. Alle Beschwerdeführer bestreiten, dass sie den Tod des Mädchens als Folge der Misshandlungen im Sinne von Art. 122 Ziff. 2 StGB hätten voraussehen können. Die Voraussehbarkeit der Todesfolge ist eine vom Kassationshof frei zu überprüfende Rechtsfrage ( BGE 83 IV 189 ). Dabei ist der Kassationshof an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden; die von den Beschwerdeführern daran geübte Kritik ist unbeachtlich. a) Bei der Körperverletzung mit voraussehbarer Todesfolge nach Art. 122 Ziff. 2 StGB handelt es sich (ähnlich wie bei den Tatbeständen der Art. 119 Ziff. 3 Abs. 3, 123 Ziff. 3, 134 Ziff. 1 Abs. 3 und 139 Ziff. 2 Abs. 5) um die Verbindung zwischen einer vorsätzlichen Haupttat und einem Fahrlässigkeitsdelikt. Der Täter hat die Haupttat gewollt und die weitergehende Folge seines Verhaltens, den Tod des Opfers, pflichtwidrig nicht bedacht, obwohl er sie hätte voraussehen können. Nicht erforderlich ist, dass der Täter die Möglichkeit des Todes tatsächlich vorausgesehen hat. Es genügt, dass er sie bei Anwendung der Vorsicht, zu der er nach den Umständen des Falles und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet war, hätte voraussehen können ( BGE 83 IV 189 f.). Unbewusste Fahrlässigkeit genügt ( BGE 74 IV 84 E 2; Urteil vom 23. September 1952 i.S. Odermatt S. 8/9). b) Angesichts der hohen Mindeststrafen gewisser qualifizierter Tatbestände hat das Bundesgericht erklärt, die Voraussehbarkeit der Todesfolge sei nicht schon bei jeder, auch der geringsten Fahrlässigkeit anzunehmen. Es müsse eine besonders erhebliche und naheliegende Gefahr bestanden haben, die der Täter erkennen konnte ( BGE 74 IV 84 f., BGE 69 IV 231 ). Die in jenen Entscheiden für die Einschränkung des Fahrlässigkeitsbegriffes gegebene Begründung vermag nicht voll zu überzeugen. Der Vergleich mit der Strafdrohung für die gewöhnliche fahrlässige Tötung (Art. 117 StBG) übersieht, dass dieser Tatbestand schon erfüllt ist, wenn der Täter überhaupt ohne deliktischen Vorsatz handelt. Bei Tatbeständen wie demjenigen des Art. 122 Ziff. 2 dagegen delinquiert der Täter vorsätzlich und lässt fahrlässig die mögliche Todesfolge seines Handelns ausser acht. Das rechtfertigt eine gegenüber der gewöhnlichen fahrlässigen Tötung verschärfte Strafdrohung. BGE 97 IV 84 S. 90 Das Bundesgericht hat denn auch in späteren Entscheiden erklärt, die Tragweite der Bestimmung würde zu stark eingeschränkt, wenn verlangt würde, dass die Möglichkeit des Todes sich dem Täter ganz besonders stark hätte aufdrängen sollen (Urteil Odermatt S. 9); es genüge, dass der Täter das Leben des Opfers in eine besonders erhebliche und naheliegende Gefahr brachte und er diese erkennen konnte (Urteil vom 10. November 1969 i.S. Périat S. 4/5). In Auslegung des Art. 134 Ziff. 1 Abs. 3 StGB hat ferner der Kassationshof festgestellt, es müsse genügen, dass der Täter den Tod des Kindes als nicht bloss ganz entfernte Möglichkeit voraussehen konnte ( BGE 89 IV 9 E 1). Zusammenfassend ist somit vom normalen Fahrlässigkeitsbegriff auszugehen. Als Gefahr kommt nur eine konkrete Gefahr in Frage, das heisst ein Zustand, aufgrund dessen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Verletzung des geschützten Rechtsgutes besteht, wobei nicht eine mathematische Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% vorausgesetzt ist. Der Eintritt der Rechtsgutverletzung, hier des Todes, muss nicht unausweichlich erscheinen, sonst würden die hier in Frage stehenden Fahrlässigkeitsdelikte zu Vorsatztaten ( BGE 94 IV 62 mit Hinweisen). Das gilt jedenfalls dort ohne Einschränkung, wo der Unterschied im Strafminimum zwischen der Haupttat und dem damit verbundenen Fahrlässigkeitsdelikt nicht sehr gross ist. Das trifft auf Art. 122 StGB zu. Auf schwere Körperverletzung ist eine Strafe von 6 Monaten Gefängnis bis zu 10 Jahren Zuchthaus angedroht. Bei voraussehbarer Todesfolge ist die Mindeststrafe ein Jahr Zuchthaus. Der Unterschied beträgt also lediglich 6 Monate Freiheitsentzug. c) Die Vorinstanz hat in ihrem Urteil die bundesgerichtliche Praxis richtig wiedergegeben und grundsätzlich zutreffende rechtliche Schlüsse gezogen. Insbesondere ist ihrer Erwägung zuzustimmen, dass an die Voraussehbarkeit des Todes bei Art. 122 keine allzu grossen Anforderungen gestellt werden dürfen, zumal wenn wie im vorliegenden Fall die schwere Körperverletzung gerade in einer lebensgefährlichen Verletzung bestand. Was die Beschwerdeführer in rechtlicher Beziehung dagegen vorbringen, schlägt nicht durch. Stocker fordert eine Abstufung der Anforderungen nicht BGE 97 IV 84 S. 91 nur nach den unterschiedlichen Strafminima, sondern nach dem Strafrahmen insgesamt. Dem ist nicht zuzustimmen. Nur der allzu grosse Sprung vom normalen auf das hohe Strafminimum des qualifizierten Tatbestandes kann allenfalls eine einschränkende Auslegung der Voraussetzungen der Fahrlässigkeit rechtfertigen. Dagegen ist die Festsetzung der Strafe über das Minimum hinaus im jeweiligen Strafrahmen weitgehend abhängig von den konkreten Strafzumessungsgründen. Kohler will die in BGE 89 IV 8 zu Art. 134 StGB entwickelte und seither vorgenommene Korrektur der Einschränkung nicht für den Fall des Art. 122 Ziff. 2 gelten lassen. Es ist nicht einzusehen, wieso die beiden Tatbestände verschieden behandelt werden sollten. Der Unterschied der Strafminima zwischen Art. 134 Ziff. 1 Abs. 1 und Abs. 2 ist zwar um einen Monat geringer als zwischen Art. 122 Ziff. 1 und 2, während der Unterschied zwischen Art. 134 Ziff. 1 Abs. 2 und Abs. 3 gleich hoch ist wie bei Art. 122. Bettio beruft sich darauf, dass zwischen einfacher und schwerer Körperverletzung kein grosser Unterschied vorhanden sei. Das trifft zwar für das Wissen um den Erfolg zu, nicht aber für die Strafdrohung. Einfache Körperverletzung ist Antragsdelikt, das mit Gefängnisstrafe ohne Minimum bedroht wird; in leichten Fällen kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern. Bei voraussehbarer Todesfolge ist die Mindeststrafe 1 Jahr Zuchtaus. Der Unterschied ist also viel erheblicher als zwischen Art. 122 Ziff. 1 und 2. Die Brüder Barmettler nehmen irrtümlich an, bei schwerer Körperverletzung dürfe die Voraussehbarkeit nur unter den erschwerten Voraussetzungen bejaht werden, die für Art. 123 mit seinem grossen Unterschied der Strafminima entwickelt worden sind. d) Die Vorinstanz kommt zum Schluss, bei normaler Vorsicht hätte vorausgesehen werden können, dass die schweren Misshandlungen zum Tode des Kindes führen konnten. Die Beschwerdeführer bestreiten dies. Das Bundesgericht hat zu prüfen, ob nach allgemeiner Lebenserfahrung der Tod des Mädchens mehr als nur eine ganz entfernte, unwahrscheinliche Folge der Misshandlungen war. Alle Beschwerdeführer berufen sich darauf, dass normalerweise niemand daran denkt, Schläge auf das bekleidete Gesäss BGE 97 IV 84 S. 92 eines nahezu dem Kindesalter entwachsenen Mädchens könnten zu dessen Tod führen, zumal dann, wenn die gezüchtigte Person keinen Schmerzenslaut von sich gibt. Züchtigungen durch Rutenschläge auf das Gesäss waren früher auch in der Schweiz ein alltägliches Erziehungsmittel und sind es immer noch weit herum in der Welt. Im Bereiche religiöser Betätigung kennt man das Flagellantentum, wobei sich die Beteiligten selbst oder gegenseitig mit Stecken, Peitschen, Riemen usw. bis aufs Blut schlagen. Auch die moderne Geschichte politisch-kriegerischer Auseinandersetzungen ist voll von Schreckensszenen, wo erwachsene Menschen unbarmherzig ausgepeitscht wurden. Kaum jemals hat man berichtet, dass ein Opfer an den Folgen dieser Misshandlung gestorben wäre. Demgegenüber ist bekannt, dass Schläge in die Nieren, Geschlechtsorgane usw. zu lebensgefährlichen Verletzungen oder zum Tod führen können. Vor der Publizität, die dem vorliegenden Fall zuteil wurde, war ausserhalb von medizinischen Fachkreisen in der Schweiz wohl kaum jemandem bekannt, dass heftige Schläge auf das bekleidete Gesäss durch die Möglichkeit einer Fettembolie gefährlicher sind als Schläge auf die nackte Haut, wobei diese aufspringt und das Blut die Fettkörperchen wegschwemmen kann. Was die Beschwerdeführer darüber vorbringen, ist an sich zutreffend. Das Geschworenengericht hat aber selbst nichts anderes behauptet. Dagegen macht es geltend, die eingeklagten Misshandlungen seien so schwer gewesen, dass mit dem Eintritt des Todes als naheliegender Folge habe gerechnet werden müssen. Denkt man dabei nur an die Fettembolie, so sind Zweifel nicht zu beseitigen, selbst wenn der Täter ihre Möglichkeit kannte. Den Beschwerdeführern ist nicht zuzumuten, dass sie an diese Möglichkeit gedacht hätten. Ihr Hinweis darauf, dass sie nach Weisung der "heiligen Eltern" darnach getrachtet hätten, dem Mädchen nur gerade auf den Hinterteil Schläge zu versetzen, nützt allerdings nichts; dies umso weniger, als bei der Autopsie auch Verletzungen auf Rücken, Beinen und Händen festgestellt wurden. Das angefochtene Urteil nimmt an, auch der Laie müsse mit der nicht entfernten Möglichkeit des Todes rechnen, wenn ein körperlich eher schwächliches Mädchen von sechs erwachsenen Menschen gegen hundert gezielte Hiebe erhalte; als Todesursachen kämen dabei auch etwa ein Schock mit anschliessender Herzlähmung, ein Herzschlag oder massive innere Blutungen BGE 97 IV 84 S. 93 in Frage. Das leuchtet ein. Die erwähnten Todesursachen liegen in der Tat auch für einen Laien näher. Dass andere Ursachen zum Tod geführt haben, ist bedeutungslos. Entscheidend ist, ob der Täter die Möglichkeit der Todesfolge als solche erkennen konnte. Im vorliegenden Fall ging es nicht um eine mehr oder weniger saftige Tracht Prügel, sondern um ein verheerendes Strafgericht, das von keinem Mitgefühl, geschweige denn von christlicher Nächstenliebe, gezügelt wurde. Die sechs Beschwerdeführer haben in ihrer religiös verbrämten brutalen Grausamkeit das junge Mädchen nach Leibeskräften verprügelt. Sie lösten sich reihum ab, sodass nach einer Serie von Schlägen der nächste Täter mit frischen Kräften auf das Opfer losging. Ein Spazierstock zerbrach unter der Wucht der Schläge. Die nächsten Peiniger nahmen einen dickeren Stock, ein Plastikrohr, eine Peitsche und wieder den abgebrochenen Rest des ersten Stockes. Hätten die Täter den Leibhaftigen vor sich gehabt, sie hätten nicht brutaler dreinschlagen können. Sie waren entschlossen, diesmal ganze Arbeit zu leisten. Es ist bezeichnend, dass sie nicht aus Erbarmen mit ihrem Opfer oder aus später Einsicht mit der Quälerei aufhörten, sondern nur, weil schliesslich dem gepeinigten Mädchen vor Schmerz der Stuhl abging und der sich verbreitende Geruch den Tätern unangenehm war. Dieses Unbehagen, keine menschlich-christliche Regung des Mitleids, veranlasste sie, die Tortur zu beenden. Vollzieht sich eine Misshandlung eines 17-jährigen geschwächten Mädchens aber unter solchen Umständen, dann müssen die Täter ernsthaft mit dem Tode des Opfers als einer nicht abwegigen Folge ihres Verhaltens rechnen. Dem Umstand, dass Bernadette keinen Ton von sich gab, kommt keine Bedeutung zu. Das Mädchen suchte sich in seinem Schmerz durch Vorhalten der Hände zu schützen, wobei es genau so unbarmherzig auf Handrücken und Finger Stockschläge erhielt. 5. Die Täter sind nur strafbar, wenn sie ein Verschulden trifft, das heisst wenn sie den Tod des Mädchens fahrlässig nicht vorausgesehen haben. Die Frage, ob die Angeklagten bei pflichtgemässer Vorsicht die Folge ihres Tuns hätten voraussehen können, ist vom Kassationshof frei zu überprüfen. Die Beschwerdeführer bestreiten jedes Verschulden. a) Stocker ist von allen Angeklagten der intelligenteste, gebildetste und der Mann mit der grössten Lebenserfahrung. Mit Recht verweist die Vorinstanz darauf, dass er als Priester und Erzieher die mit der Prügelstrafe verbundene Gefahr auch BGE 97 IV 84 S. 94 physischer Natur kannte. Die Vorinstanz stellt denn auch verbindlich fest, er habe die Fähigkeit besessen, sich über die Folgen einer solchen Züchtigung Rechenschaft abzulegen. Am Tatabend blieb er ausserhalb des "Affektsturmes", der den Mitangeklagten zugute gehalten wird. Dass Bernadette bekleidet war und keinen Schmerzenslaut von sich gab, entlastet Stocker wie erwähnt nicht. Art und Anzahl der Hiebe waren derart, dass die Kleider nicht mehr als Schutz zu werten waren. Dass Bernadette Schmerzen litt, hätte Stocker selbst dann nicht entgehen können, wenn das Mädchen sich nicht mit den Händen zu schützen gesucht hätte. Stocker beruft sich wie die Mitangeklagten darauf, dass er Bernadette nur vor dem Teufel retten wollte, dass er in neurotischer Fehlentwicklung gehandelt habe; da er sich immer um das Kind gekümmert habe, sei ihm auch nicht zuzumuten, dass er es allein im Zimmer hätte sterben lassen, wenn er vom nahen Tod Kenntnis gehabt hätte; als Verfolgter, der sich versteckt gehalten habe, hätte er zudem alles unterlassen, was zu einer Strafverfolgung hätte führen können. Auch diese Einwände gehen fehl. Selbst wenn man Stocker zubilligt, dass er nicht aus bewusstem Sadismus handelte, sondern an seine religiöse Motivation glaubt, ändert das nichts. Die Motive der Angeklagten sind nicht entscheidend für die Frage, welche Folgen ihres Verhaltens sie bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit voraussehen konnten. Dass Stocker den Tod als zwangsläufige Folge vorausgesehen oder nach Abbruch der Prügelei gewusst hätte, dass Bernadette tödlich verletzt war, wird weder vom Gesetz verlangt noch von der Anklage oder von der Vorinstanz behauptet. Stocker kann nichts daraus ableiten, dass Bernadette sich noch waschen und ihre Kleider reinigen konnte. Auch seine Berufung auf sein illegales Versteck nützt ihm nichts, war ihm doch im kritischen Zeitpunkt bekannt, dass die Strafverfolgung längst aufgehoben war, sodass er höchstens mit fremdenpolizeilichen Unannehmlichkeiten hätte rechnen müssen. b) Von Magdalena Kohler und den übrigen Angeklagten stellt die Vorinstanz fest, sie hätten bei den Misshandlungen vorsätzlich schwere Körperverletzungen begangen. Sie wussten, dass das Mädchen durch die Vielzahl heftiger Stockschläge körperliche Verletzungen erleiden könnte. Diese Feststellungen sind für den Kassationshof verbindlich. Wenn die Beschwerde Kohler im Zusammenhang mit der Frage der Voraussehbarkeit BGE 97 IV 84 S. 95 des Todes darzutun sucht, die Angeklagte habe überhaupt nicht an eine Verletzung des Mädchens gedacht, geschweige denn an eine schwere Verletzung, so sind diese Einwände nicht zu hören. Wie Magdalena Kohler der Umstand entlasten soll, dass sie erst nach Beginn der Prügelszene dazu gekommen sei, also nicht mehr die ganze erste Schlagserie angesehen habe, ist unerfindlich. Sie sah den Zustand des Mädchens, den entzweigebrochenen Spazierstock; sie selbst hatte die Mitangeklagten unter schweren seelischen Druck gesetzt, um sie zu der harten Bestrafung zu zwingen, sie kannte die Züchtigungsprozedur als Ganzes, nahm vorerst aktiv und anschliessend als zustimmender Zuschauer daran teil. Auch für sie gilt das oben über die Unerheblichkeit der Kleidung und der mangelnden Schmerzensäusserung Ausgeführte. Magdalena Kohler beruft sich aufihre neurotisch verdrängten triebhaften Aggressionen, auf die dadurch beeinträchtigte Denkfähigkeit in bezug auf die ethische Beurteilung der Misshandlungen und auf den Affektsturm, in dem sie sich während jenes Abends befand. Die Vorinstanz hat die neurotische Fehlentwicklung, die Beeinträchtigung des Urteilsvermögens und den Affektsturm bejaht und bei der Strafzumessung berücksichtigt. Weder das Gutachten noch die Vorinstanz haben aus dieser besonderen geistigen Verfassung jedoch abgeleitet, Magdalena Kohler sei nicht oder nicht völlig befähigt gewesen, sich über die möglichen Folgen ihres Tuns ein Bild zu machen. Beide verweisen auf die normale Intelligenz, die überdurchschnittliche Willenskraft und die gewohnheitsmässige Ausrichtung und Uebung ihres Denkens. Das Urteil hebt hervor, dass sie gerade angesichts ihrer durchschnittlichen Intelligenz, ihrer Menschenkenntnis und ihrer Lebenserfahrung hätte wissen müssen, dass eine solche Misshandlung zu inneren Verletzungen und zum Tode führen kann. Geht man von der in diesem Satz liegenden verbindlichen Feststellung aus, dass Intelligenz, Menschenkenntnis und Lebenserfahrung der Beschwerdeführerin jedenfalls hinsichtlich der Beurteilung der möglichen Tatfolgen ordnungsgemäss funktionierten, so erscheint auch die Schlussfolgerung berechtigt, dass die Beschwerdeführerin fahrlässig die mögliche Todesfolge ausser acht gelassen hat. Dass die Vorinstanz die Verantwortlichkeit der Magdalena Kohler für die Tat selbst anders beurteilt als die Ueberlegungen über allfällige Folgen der Tat, ist nicht zu bemängeln. Die neurotische Fehlentwicklung und der Affektsturm trübten zwar Wissen und Willen der Täterin, BGE 97 IV 84 S. 96 soweit es um den Entschluss zur Züchtigung des verhassten Mädchens ging, aber nicht auch notwendigerweise die an sich affektfreie Frage, welche Folgen solche Misshandlungen haben würden. c) Die Vorinstanz anerkennt, dass die Verhältnisse bei Bettio und den Brüdern Barmettler etwas anders liegen, vor allem für den geistig nicht vollwertigen Heinrich Barmettler. Sie sind geistig etwas primitiv, bildungsmässig unter dem Niveau der "heiligen Eltern" und waren diesen in blindem Glauben und Gehorsam ergeben. aa) Der Anwalt Bettios begründet ausführlich, warum sein Klient nicht in der Lage gewesen sei, den Tod des misshandelten Mädchens vorauszusehen. Er sei auch nach Meinung des Geschworenengerichts infantil, den "heiligen Eltern" in blindem Glauben ergeben und in einem Affektsturm gewesen. Sein Glaube an Stocker sei soweit gegangen, dass er von diesem erwartete, er könne das tote Mädchen wieder zum Leben erwecken. Eine solche Geisteshaltung, die zur Annahme verminderter Zurechnungsfähikeit führte, schliesse auch die Voraussehbarkeit des Todes aus. Dieser Argumentation ist nicht beizupflichten. Wo die verminderte Zurechnungsfähigkeit die Folge von Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ist, wird sie sich regelmässig auf allen Gebieten des Wissens und Wollens auswirken. Wo aber wie hier eine gewisse Primitivität und eine nur mittelmässige Intelligenz für sich allein die Zurechnungsfähigkeit nicht vermindern, sondern wo die Verminderung auf eine religiöse Fehlentwicklung und eine geradezu hörige Bindung an geistige Mentoren zurückgeht, wird sich die Beeinträchtigung nur auf Gebieten zeigen, wo diese Umstände eine Rolle spielen. Dass Bettio an die "Heilandsbotschaft" und die beinahe göttliche Sendung der "heiligen Eltern" glaubte, dass er ihre unsinnige Fehlbeurteilung und -leitung der anvertrauten Kinder kritiklos guthiess, beeinträchtigte zwar sicherlich seine Zurechnungsfähigkeit inbezug auf den Entschluss zur Züchtigung des Mädchens. Was für Folgen diese unmenschliche Züchtigung aber haben konnte, vermochte er nach seiner gewöhnlichen Intelligenz zu beurteilen, denn dies hatte mit seinem Glauben nichts zu tun. Das gilt selbst dann, wenn man auf die merkwürdige These der Verteidigung eingeht, Bettio habe geglaubt, Christus wolle diese Art der Züchtigung des Mädchens, lasse aber niemanden schwer verletzen oder gar töten. Akten und Urteil enthalten BGE 97 IV 84 S. 97 keine Grundlage für die Annahme, Bettio habe sich dermassen von christlicher Lehre und Lebenserfahrung entfernt, dass ihm einerseits abstossende Brutalität "als Christi Willen erschien", und er anderseits wirklich hätte glauben können - trotz gegenteiliger täglicher Erfahrung in der ganzen Welt - Christus lasse es nicht zu, dass Menschen andere Menschen töten würden. Bettio macht schliesslich geltend, er habe sich an der Prügelszene nicht bis zu deren Ende beteiligt, sondern sei vorher ins Nebenzimmer gegangen, um für das Mädchen zu beten. Der Einwand könnte für die Frage der Voraussehbarkeit des Todes von Bedeutung sein, wenn Bernadette während der Anwesenheit von Bettio nur leichte Schläge erhalten hätte und Bettio an der weiteren Entwicklung völlig unbeteiligt gewesen wäre. Beides trifft nicht zu. Bettio hat das Mädchen mit voller Kraft mit einem dicken Spazierstock geschlagen. Er wusste und billigte, dass alle sechs Personen sich reihum in der Misshandlung ablösten. Als er sich ins Nebenzimmer begab, glaubte er nicht etwa, die Prügelei sei zu Ende sondern wollte deren Fortsetzung und unternahm nichts zu deren Beendigung. Die Vorinstanz hat durchaus zutreffend alle Angeklagten für die Gesamtheit der Vorfälle als Mittäter behandelt. Bettio hatte sich zu überlegen, welche Folgen die gemeinsam ausgeübte Misshandlung haben werde, nicht nur derjenige Teil, bei dem er selbst den Stock schwang. bb) Der Verteidiger der Brüder Barmettler macht ebenfalls die geringe Intelligenz und völlige Abhängigkeit seiner Klienten von den "heiligen Eltern" geltend. Die Beschwerde behauptet, bei den Brüdern Barmettler habe die durch Primitivität und blinden Glauben bewirkte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit auch die Möglichkeit ausgeschaltet, in ihrem Tun eine Gefahr für das Leben des Opfers zu erkennen. Sie hätten die Möglichkeit des Todes im Affektrausch nicht voraussehen können. Dass auch diese Angeklagten um die Möglichkeit einer schweren Körperverletzung wussten und sie in Kauf nahmen, ist von der Vorinstanz verbindlich festgestellt. Aus dem Umstand aber, dass auch die Brüder Barmettler trotz der herabgesetzten Intelligenz und des akuten Affektsturms sich darüber Rechenschaft geben konnten, dem Mädchen mit ihrem Dreinschlagen möglicherweise schwere Verletzungen beizubringen, und dass sie ferner ihren Willen betätigen konnten, in Kenntnis dieser möglichen Folgen mit der Prügelei fortzufahren, ergibt BGE 97 IV 84 S. 98 sich zwangsläufig, dass sie auch im übrigen bei der Einschätzung der ganzen Sachlage vernünftiger Ueberlegungen fähig waren. Auch für sie gilt, dass sich zwar ihr irregeleitetes religiöses Gefühl, die blinde Gläubigkeit an die "heiligen Eltern" und der Affektsturm auf den Entschluss zur Tat und deren Fortsetzung auswirkten, dagegen schwerlich auf die Beurteilung möglicher Tatfolgen. Bei dieser ging es nicht um Glaubenssätze, die Bindung an die "heiligen Eltern" und um Affekte. Die Intelligenz und die Kenntnisse der Täter reichten aus, um sie bei pflichtgemässer Ueberlegung erkennen zu lassen, dass die Misshandlungen zum Tode des Opfers führen konnten. Was die Vorinstanz dazu ausführt, lässt sich jedenfalls vertreten. Die drei Brüder, besonders Heinrich, sind zwar keine "Kirchenlichter". Sie und Bettio haben aber durch ihren Erfolg im Leben bewiesen, dass es ihnen weder an Urteilsvermögen noch an einer gewissen Erfahrung mangelt. Alle vier Angeklagten haben sich nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz in ihrem Beruf mit grosser Tüchtigkeit emporgearbeitet und sich auch in ihrem privaten Leben bewährt; wären sie nicht mit dem "heiligen Werk" in Berührung gekommen, so hätte sich ihr weiteres Leben in geordneten Bahnen bewegt. Aus dem Umstand, dass vor allem Bettio und die Brüder Barmettler geschlagen haben und immerhin fähig waren, zu überlegen, wie die Schläge am meisten Wirkung haben, und so folgerichtig z.B. die Spazierstöcke am unteren Ende hielten, folgert die Vorinstanz, dass sie trotz ihres angeblichen rauschähnlichen Zustandes auch überlegen konnten, dass eine solche massive Schlägerei den Tod des Mädchens zur Folge haben konnte. Dazu seien weder höhere Bildung noch besondere medizinische Kenntnisse erforderlich gewesen. Der Ausdruck des "zu Tode Prügelns" sei auch einfachen Menschen geläufig. Dass aber tödliche Folgen einer eigentlichen Prügelorgie nicht bloss eine ganz entfernte Möglichkeit darstellten, hätten auch Bettio und die drei Brüder Barmettler voraussehen können. Einen anderen Schluss liessen weder ihre Primitivität noch ihre durchschnittliche Schulbildung noch ihre Angst vor den "heiligen Eltern" oder ihre Gemütserregung zu. Diese Ausführungen haben zu einem wesentlichen Teil tatsächlichen und damit verbindlichen Charakter. Geht man davon aus, dann erscheinen die rechtlichen Folgerungen zutreffend.
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Sachverhalt ab Seite 113 BGE 111 IV 113 S. 113 A.- Am 29. Februar 1984 gegen 11 Uhr kontrollierte M., Gefreiter der Kantonspolizei, in Ausübung seiner dienstlichen BGE 111 IV 113 S. 114 Funktion vor der in jenem Zeitpunkt nicht benützbaren Brücke in Büren a.A. einen ihm verdächtig erscheinenden Lenker eines Personenwagens Marke Audi quattro mit Genfer Schildern. Der berndeutsch sprechende Lenker des Fahrzeuges konnte die Wagenpapiere nicht finden; er erklärte schliesslich, er habe den Ausweis in Genf gelassen. M. verlangte dann irgendeinen Beleg über die Identität (Identitätskarte, Brief usw.) und versuchte Funkverbindung mit der Einsatzzentrale Biel herzustellen, um den verdächtigen Wagen überprüfen zu lassen. Der Lenker des Genfer Autos, der bisher ruhig nach dem gewünschten Papier gesucht hatte, gab nun plötzlich Gas und fuhr weg. Nach einem Warnruf gab M. aus seiner Dienstpistole vier Schüsse auf das rechte Hinterrad ab. Der Audi setzte die Flucht fort. M. verfolgte ihn mit einem requirierten Fahrzeug. Auch eine zweite Serie von Schüssen auf die Räder zeigte keine Wirkung. Schliesslich kam es zu einer dritten Schussabgabe von M., als der flüchtende Wagen vor dem Polizeibeamten eine Quartierstrasse überquerte. Jetzt zielte M. nicht mehr auf die Pneus, sondern auf den unteren Teil des Fahrzeuges im Bereich der Fahrertüre. Er rechnete damit, den Fahrer zu treffen, und wollte ihn so zum Anhalten zwingen. H., der Lenker des Audi quattro, erlitt Schussverletzungen an den Armen, seine Begleiterin, Frau W., wurde am linken Oberschenkel getroffen. Nach dem Arztbericht handelt es sich bei H. um schwere Verletzungen mit Invaliditätsfolgen (Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Arme). B.- M. wurde im Appellationsverfahren vom Obergericht des Kantons Bern der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung mit voraussehbarer schwerer Folge (zum Nachteil des H.) gemäss Art. 123 Ziff. 2 StGB sowie der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung mit Waffe (zum Nachteil der Frau W.) gemäss Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB schuldig erklärt und zu drei Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug (Probezeit 2 Jahre) verurteilt. C.- M. führt gegen diesen Entscheid des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass M. durch die dritte Serie von Schüssen, die er zur Verhinderung der Flucht des Audi BGE 111 IV 113 S. 115 abgab, die Körperverletzungen verursachte, und dass in dieser Phase der Vorsatz des Beschwerdeführers die Verursachung einfacher Körperverletzungen mitumfasste. Auch die Voraussehbarkeit der eingetretenen schweren Verletzungen von H. im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 StGB ist unbestritten. Die Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich ausschliesslich gegen die rechtliche Folgerung der Vorinstanz, bei der gegebenen Sachlage sei der Schusswaffengebrauch unangemessen gewesen, der Rechtfertigungsgrund der Amtspflicht liege daher nicht vor. 2. Inwiefern die Amtspflicht eines Polizeibeamten den Schusswaffengebrauch und die dadurch verursachten Verletzungen von Rechtsgütern zu rechtfertigen vermag ( Art. 32 StGB ), wird regelmässig in speziellen Bestimmungen (Dienstreglement, Verordnung, Polizeigesetz) genauer umschrieben (REHBERG, in Kriminalistik 1976 S. 563 ff., 1977 S. 35, 81, 128; TH. HUG, Schusswaffengebrauch durch die Polizei, Diss. Zürich 1980, S. 28; HARALD HUBER, in Mélanges Grisel S. 442 ff.). Im vorliegenden Fall ist das Obergericht richtigerweise von der Vorschrift ausgegangen, welche für das bernische Polizeikorps den Waffengebrauch regelt (Dienstreglement betreffend den Waffengebrauch für das Polizeikorps des Kantons Bern vom 2. November 1964 mit Änderung vom 1. Mai 1981, Art. 4): "Die Polizei hat, wenn andere verfügbare Mittel nicht ausreichen, in einer den Umständen angemessenen Weise von der Waffe Gebrauch zu machen, 1. wenn sie mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht oder gefährlich angegriffen wird, 2. wenn andere Personen mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht oder gefährlich angegriffen werden, 3. wenn die dienstlichen Aufgaben nicht anders als durch Waffengebrauch auszuführen sind, insbesondere a) wenn Personen, welche ein schweres Verbrechen oder ein schweres Vergehen begangen haben oder eines solchen dringend verdächtigt sind, sich der Festnahme oder einer bereits vollzogenen Verhaftung durch Flucht zu entziehen versuchen, b) wenn sie aufgrund erhaltener Informationen oder aufgrund persönlicher Feststellungen annehmen darf oder muss, dass Personen für andere eine unmittelbar drohende Gefahr an Leib und Leben darstellen und sich diese der Festnahme oder einer bereits vollzogenen Verhaftung durch Flucht zu entziehen versuchen, c) zur Befreiung von Geiseln, d) zur Verhinderung eines unmittelbar drohenden schweren Verbrechens oder schweren Vergehens an Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen oder die für die Allgemeinheit wegen ihrer Verletzlichkeit eine besondere BGE 111 IV 113 S. 116 Gefahr bilden." Diese Formulierung entspricht der von der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten gutgeheissenen Muster-Dienstanweisung über den Gebrauch der Schusswaffe durch die Polizei von 1976 (HUG, a.a.O., S. 78 f. sowie Anhang 4). Die Frage der Rechtfertigung durch Amtspflicht ist unter Beachtung der zitierten Regelung zu beurteilen, auch wenn grundsätzlich die Angemessenheit von Handlungen kantonaler Beamter unabhängig von kantonalen Vorschriften zu prüfen ist ( BGE 94 IV 8 , REHBERG, a.a.O., S. 566). 3. Von den möglichen Gründen zur Rechtfertigung des Schusswaffengebrauchs kommt im konkreten Fall nach den gesamten Umständen lediglich Ziff. 3 in Frage und zwar von den genauer umschriebenen typischen Beispielen lit. a, eventuell lit. b. Eine Notwehr- oder Notstandsituation (Ziff. 1/2) war in keiner Phase der Verfolgung vorhanden; auch die besonderen Voraussetzungen von Ziff. 3 lit. c und d fallen ausser Betracht. 4. Ob die Körperverletzungen durch die Amtspflicht im Sinne von Art. 4 Ziff. 3 lit. a oder b des einschlägigen Dienstreglementes gerechtfertigt sind, ist eine Rechtsfrage, deren Entscheidung auf Nichtigkeitsbeschwerde vom Bundesgericht frei überprüft wird. Es ist dabei an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden, nicht aber an deren Folgerungen hinsichtlich der Frage, ob die festgestellten Umstände die Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs gemäss lit. a oder b erfüllen und einen rechtfertigenden Anlass zu einer die Körperverletzung zumindest in Kauf nehmenden Schussabgabe bilden konnten. Entgegen der Auffassung des Generalprokurators in seiner Vernehmlassung ist daher in diesem Verfahren auf die Frage einzutreten, ob die festgestellten Tatsachen den konkreten Schusswaffengebrauch als durch die Amtspflicht gedeckt erscheinen lassen. 5. Der Beschwerdeführer kannte den Lenker des Audi mit Genfer Kennzeichen und dessen Begleiterin nicht. Er besass auch keine Informationen, welche ihn zur Annahme berechtigten, er habe eine Person vor sich, welche ein schweres Verbrechen oder ein schweres Vergehen begangen habe oder eines solchen dringend verdächtigt sei. Schliesslich fehlte auch jedes einigermassen schlüssige Indiz dafür, dass die Insassen des flüchtenden Audi für andere eine unmittelbar drohende Gefahr an Leib und Leben darstellen könnten; insbesondere besassen H. und seine Begleiterin, soweit der Beschwerdeführer dies feststellen konnte, keine Waffen. BGE 111 IV 113 S. 117 Der Beschwerdeführer traf den Entschluss zum Schusswaffengebrauch ausschliesslich aufgrund der persönlichen Feststellungen bei der konkreten Begegnung: Der Berner Mundart sprechende Lenker des Genfer Sportwagens, der dem Polizisten nicht recht in dieses Fahrzeug zu passen schien, gab offenbar den Anlass zur Überprüfung der Identität. Das Fehlen irgendwelcher Ausweispapiere war dann ein handfester Grund zum Verdacht, das Fahrzeug könnte gestohlen oder entwendet sein. Die Flucht und deren Fortsetzung trotz Warnung, wiederholter Schussabgabe und Behinderung durch andere Fahrzeuge bestätigte den Verdacht, dass mit dem Sportwagen und seinem Lenker etwas nicht in Ordnung sei. Die gezielte Schussabgabe auf die Pneus steht hier nicht in Frage und braucht auf ihre Berechtigung und Angemessenheit nicht untersucht zu werden. Es geht in diesem Verfahren ausschliesslich um die letzte Serie von Schüssen, welche nicht auf die Räder, sondern auf das Fahrzeug als solches gerichtet war, vor allem auch im Bereich des Führersitzes, und - dem Eventualvorsatz entsprechend - erhebliche Körperverletzungen verursachte. Im Zeitpunkt dieser Schüsse wusste der Beschwerdeführer über die Insassen des Audi nicht mehr als am Anfang der Begegnung. Dazu kam die Feststellung eines verbissenen Fluchtwillens. Dass ein Fahrer, der sich zur Flucht entschliesst, um der polizeilichen Kontrolle zu entkommen (z.B. wegen Angetrunkenheit, Fehlen eines Führerausweises, Entwendung des Fahrzeuges, Entweichung aus einer Erziehungs- oder Strafanstalt usw.), die Flucht nicht aufgibt, auch wenn (erfolglos) auf sein Fahrzeug geschossen wird, dürfte verhältnismässig häufig sein. Die Intensität des Fluchtwillens hängt vorwiegend von den persönlichen Eigenschaften des Lenkers ab, nicht von der Schwere der zu verbergenden Verfehlung. Es entwickelt sich in solchen Fällen eine Art Zweikampf zwischen Verfolger und Verfolgtem, wobei weniger vernunftmässige Überlegungen als instinktive, durch "sportlichen" Ehrgeiz und Krimi-Szenen geprägte Reaktionen das Verhalten bestimmen. Auf jeden Fall darf nicht - ohne weitere gewichtige Anhaltspunkte - aus der blossen Tatsache des Wegfahrens oder der hartnäckigen Fortsetzung einer einmal begonnenen, zuerst erfolgreichen Flucht auf schwere Delikte oder auf besondere Gefährlichkeit des Flüchtenden geschlossen werden (vgl. dazu REHBERG, a.a.O., 1977 S. 130 f.). Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer die Unrechtmässigkeit des Fahrzeug-Besitzes als höchstwahrscheinlich annehmen. Für andere Delikte fehlte jeder konkrete Hinweis. Die BGE 111 IV 113 S. 118 Wahrscheinlichkeit eines Auto-Diebstahls verbunden mit der Hartnäckigkeit der Flucht gab dem Beschwerdeführer aber keinen Grund zur Annahme, der mutmassliche Rechtsbrecher habe ein so schweres Verbrechen oder Vergehen begangen, dass er mit allen Mitteln - selbst mit dem Risiko einer schweren Körperverletzung oder gar Tötung - an der Flucht gehindert werden müsse. Der sehr gefährliche Einsatz der Schusswaffe bei der dritten Serie war nach den konkreten Umständen offensichtlich unverhältnismässig. Würde man der Argumentation des Beschwerdeführers folgen, dann wären stets, wenn ein Fahrzeuglenker sich der Identitätskontrolle zu entziehen versucht und die Flucht auch nach Schüssen gegen die Pneus nicht aufgibt, ohne weiteres Schüsse gegen den Fahrer zulässig mit dem Ziel, durch Körperverletzung die Weiterfahrt zu hindern. Selbst wenn der Verdacht eines schweren Deliktes vorliegt, muss der Gebrauch der Schusswaffe stets den Umständen angemessen, d.h. verhältnismässig sein. Auch die in Ziff. 3 (des zitierten Art. 4 des Berner Dienstreglementes) enthaltene Generalklausel, wonach Waffengebrauch erlaubt ist, wenn dienstliche Aufgaben nicht anders erfüllt werden können (Einleitungssatz), gilt selbstverständlich nur unter dem strikten Gebot der Verhältnismässigkeit. Das Risiko erheblicher Körperverletzungen steht beispielsweise in einem Missverhältnis zum Interesse an der raschen Abklärung des Verdachts von Vermögensdelikten, die ohne Gewalt oder Drohung erfolgten. Auch das Interesse an der Festnahme eines entwichenen Strafgefangenen, der unbewaffnet ist und nicht als gefährlich erscheint, wird in der Regel einen Schusswaffengebrauch mit Gefahr für Leib und Leben (des Betroffenen oder anderer Personen) nicht rechtfertigen. Lässt sich das Risiko schwerer Körperverletzungen praktisch ausschliessen (z.B. gezielte Schüsse auf Pneus), so dürfte der Einsatz der Schusswaffe auch bei blossen Vermögensdelikten eher zu verantworten sein. Der angefochtene Entscheid des Obergerichtes hat die Kriterien des polizeilichen Schusswaffengebrauchs in zutreffender Weise auf den konkreten Fall zur Anwendung gebracht und dabei Art. 32 StGB nicht verletzt. Überdies wurde bei der Strafzumessung den Besonderheiten der Situation im Rahmen von Art. 64/65 StGB sehr weitgehend Rechnung getragen. Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich als unbegründet.
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Erwägungen ab Seite 89 BGE 112 Ia 88 S. 89 Aus den Erwägungen: 1. b) Gemäss Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügung erlitten haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind die Eigentümer benachbarter Grundstücke befugt, eine Baubewilligung mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten, soweit sie die Verletzung von Bauvorschriften geltend machen, die ausser den Interessen der Allgemeinheit auch oder in erster Linie dem Schutz der Nachbarn dienen. Zusätzlich müssen sie dartun, dass sie sich im Schutzbereich der Vorschriften befinden und durch die behaupteten widerrechtlichen Auswirkungen der Bauten betroffen werden. Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde bestimmt sich dabei ausschliesslich nach Art. 88 OG . Der Umstand, dass ein Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung hatte, ist nicht entscheidend ( BGE 109 Ia 93 /94 E. b, 172 E. 4a; BGE 107 Ia 74 E. 2a mit Hinweisen). Zwar grenzt nur das Grundstück GB Nr. 2083 des Beschwerdeführers B. unmittelbar an die Bauparzelle an. Die Grundstücke GB Nrn. 1924 und 1944 der Beschwerdeführer A. und C. befinden sich auf der gegenüberliegenden Seite der Moosstrasse; das schliesst die Beschwerdelegitimation indessen nicht aus ( BGE 107 Ia 74 E. 2b), zumal die Parzellen nur rund 4 m beziehungsweise 8 m vom Baugrundstück entfernt sind. Damit liegen die drei genannten Parzellen im Schutzbereich der Vorschriften, deren willkürliche Anwendung beanstandet wird. Wie es sich in dieser Hinsicht mit dem rund 50 m von der Bauparzelle entfernten, auf der gegenüberliegenden Seite der Moosstrasse gelegenen Grundstück GB Nr. 1899 des Beschwerdeführers D. verhält, kann dahingestellt bleiben, da sich jedenfalls die Grundstücke der andern Beschwerdeführer im Schutzbereich der in Frage stehenden Normen befinden. Die Bestimmungen von § 40 Abs. 2 und § 41 Abs. 2 der Bauordnung der Gemeinde Y. (BauO), die das Verwaltungsgericht nach Ansicht der Beschwerdeführer willkürlich ausgelegt haben soll, stellen grundsätzlich immissionsbeschränkende Nutzungsvorschriften BGE 112 Ia 88 S. 90 für eine bestimmte Zone dar. Gleichzeitig bezwecken sie auch den Schutz der Nachbarn vor den als störend bezeichneten Einwirkungen. Insoweit ist daher auf die Beschwerde einzutreten. Auch die Vorschriften über die Baudichte dienen neben dem Schutz öffentlicher Interessen auch jenem der Nachbarn ( BGE 106 Ia 63 /64 E. 2). Auf die Beschwerde ist daher auch einzutreten, soweit die willkürliche Anwendung der Vorschriften über die Berechnung der Ausnützungsziffer von § 17 Abs. 3 der Zuger Vollziehungsverordnung zum Baugesetz vom 28. Dezember 1967 (BauV) geltend gemacht wird. Ebenfalls einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit die verfassungswidrige Anwendung von Art. 19 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) und § 27 Abs. 1 Ziff. 2 BauO gerügt wird. Diese Vorschriften über die Erschliessung dienen nicht ausschliesslich den Interessen der Allgemeinheit, sondern auch jenen Privater, namentlich der Nachbarn (vgl. BGE 109 Ia 173 E. 4b). Dagegen dienen die Vorschriften über die ästhetische Einordnung der Bauten ausschliesslich öffentlichen Interessen ( BGE 99 Ia 261 E. 6c mit Hinweisen). Ebenfalls keine nachbarschützende Funktion haben die Bestimmungen über die Schaffung und Anordnung privater Ein- und Abstellplätze auf privatem Grund; diese sollen das Strassen- und Trottoirgebiet vom rollenden Verkehr freihalten und einen ungehinderten Fahrzeug- und Fussgängerverkehr sicherstellen ( BGE 107 Ia 74 /75 E. 2b). Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit mit ihr eine verfassungswidrige Auslegung und Anwendung der Ästhetikvorschrift von § 20 Abs. 1 BauO sowie der Bestimmung über die Schaffung privater Autoabstellplätze von § 28 BauO und zugehörigem Reglement gerügt wird.
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Sachverhalt ab Seite 118 BGE 124 V 118 S. 118 A.- X arbeitet seit 6. April 1993 bei der Firma A. Zwischen dieser Firma und der Krankenkasse Y bestand ein Kollektivvertrag für Krankengeldversicherung. Am 19. Mai 1993 reichte X bei der Krankenkasse das Eintrittsformular ein und gab an, Diabetiker zu sein und deswegen dauernd in ärztlicher Behandlung zu stehen; die Frage, ob er augenblicklich gesund sei, bejahte er. Im Versicherungsantrag vom 4. Juni 1993 wurden die Fragen zum Gesundheitszustand nicht mehr beantwortet, sondern es wurde auf die Eintrittsmeldung verwiesen. Die Aufnahme in die Versicherung erfolgte mit einem Vorbehalt für Diabetes. Die Arbeitgeberin teilte der Krankenkasse mit Taggeldkarte vom 26. April 1994 mit, der Versicherte sei vom 18. bis 23. April 1994 arbeitsunfähig BGE 124 V 118 S. 119 gewesen. Der behandelnde Arzt gab als Ursache eine "Infektion" als vorbestandenes Leiden an. Hierauf ersuchte ihn die Krankenkasse um genauere Angaben hinsichtlich seiner Diagnose oder um einen Bericht an ihren Vertrauensarzt. Am 26. Juli 1994 berichtete der Vertrauensarzt der Kasse, dass sich die ärztlichen Behandlungen des Versicherten in letzter Zeit tatsächlich in erster Linie auf diese Infektion und weniger auf den Diabetes bezogen hätten. Am 27. Juli 1994 teilte die Krankenkasse X mit, es bestehe der Verdacht auf HIV-Seropositivität. Unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht wurde er aufgefordert, zu diesem Verdacht Stellung zu nehmen oder die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Nach (unbestrittener) Aussage der Kasse kam der Versicherte dieser Aufforderung nicht nach, worauf die Geschäftsleiterin telefonisch bei ihm nachfragte. Anlässlich dieses Telefongesprächs bestätigte der Versicherte seine Seropositivität hinsichtlich HIV und gab zu, dass er schon seit 1986 von dieser Infektion wisse. Der Aufforderung seitens der Krankenkasse, diese Aussage schriftlich zu bestätigen, kam X jedoch nicht nach. Mit Verfügung vom 14. September 1994 schloss die Kasse X rückwirkend aus der Krankentaggeldversicherung aus. Als Gründe für den Ausschluss wurden unvollständige Angaben über den Gesundheitszustand im Versicherungsantrag und die Verletzung der Mitwirkungspflicht angegeben. B.- Beschwerdeweise beantragte X, die Verfügung sei aufzuheben und die Kasse habe ihn in die Kollektiv-Krankengeldversicherung der Firma A aufzunehmen. Das kantonale Gericht bejahte das Vorliegen einer schuldhaften Anzeigepflichtverletzung, hielt jedoch fest, dass ein rückwirkender Ausschluss nicht zulässig sei. Demzufolge hiess das Gericht die Beschwerde teilweise gut, hob die Kassenverfügung auf und wies die Sache zum Erlass einer neuen Verfügung (Ausschluss nur pro futuro mit rückwirkendem Vorbehalt hinsichtlich HIV-Infektion und deren Folgen) an die Krankenkasse zurück (Entscheid vom 10. Februar 1995). C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt X die Anträge stellen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei er vorbehaltlos in die Kollektiv-Krankengeldversicherung der Firma A bei der Krankenkasse aufzunehmen; es sei ein Gutachten betreffend die Frage zu erstellen, ob HIV-Positivität mit der Aids-Krankheit gleichzusetzen sei. BGE 124 V 118 S. 120 Die Krankenkasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat keine Vernehmlassung eingereicht. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. a) Der Streit um die Mitgliedschaft (Kassenausschluss) oder einen Versicherungsvorbehalt betrifft nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen im Sinne des Art. 132 OG , weshalb das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen hat, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG ; BGE 108 V 247 Erw. 1b; RKUV 1986 Nr. K 687 S. 312 f. Erw. 1). b) Die Beurteilung der hier relevanten Rechtsfragen erfolgt nach den Bestimmungen des bis Ende 1995 gültig gewesenen KUVG. 3. a) Gemäss Art. 5bis Abs. 2 KUVG sind die Krankenkassen befugt, in Kollektiv-Versicherungsverträgen Versicherungsbedingungen zu vereinbaren, die von denjenigen der Einzelversicherung abweichen. Die Mitgliedschaftsrechte der Kollektivversicherten richten sich nach den Statuten der Kasse. Laut Ziffer (...) der Statuten der Krankenkasse sind die für die Vertragsparteien und die Versicherten gültigen Bestimmungen im Kollektivvertrag geregelt. Enthalten diese keine Regelungen, gelten die Statuten und die Allgemeinen Versicherungs-Bestimmungen (AVB). Ziffer (...) der AVB verpflichtet denjenigen, der ein Aufnahmegesuch stellt, die auf dem Formular gestellten Fragen vollständig und wahrheitsgemäss zu beantworten. b) Schuldhaft verletzt ein Aufnahmebewerber oder ein Versicherter die Anzeigepflicht, wenn er der Kasse auf deren Frage hin eine bestehende Krankheit oder eine vorher bestandene, zu Rückfällen neigende Krankheit nicht anzeigt, obwohl er darum wusste oder bei der ihm zumutbaren Aufmerksamkeit darum hätte wissen müssen ( BGE 111 V 28 Erw. 1b, BGE 110 V 310 Erw. 1 in fine). Nach der Rechtsprechung lässt sich der Krankheitsbegriff angesichts der Vielfalt möglicher krankhafter Erscheinungen schwerlich in eine genaue Definition fassen. Daher wird man die Frage, ob ein Versicherter an einer BGE 124 V 118 S. 121 Krankheit im Sinne des KUVG leidet oder nicht, nach den Besonderheiten des Einzelfalles beantworten. Zu betonen ist, dass es sich beim Begriff Krankheit um einen Rechtsbegriff handelt und dass er sich somit nicht notwendigerweise mit dem medizinischen Krankheitsbegriff deckt ( BGE 116 V 240 Erw. 3a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 121 V 293 Erw. 2b, 304 Erw. 3, BGE 116 IV 128 Erw. 2a). 4. Gemäss den für das Eidg. Versicherungsgericht verbindlichen (Erw. 1a) und im übrigen unbestrittenen Feststellungen des kantonalen Gerichts weiss der Beschwerdeführer seit 1986 von seiner HIV-Infektion. Zu prüfen ist, ob er zu einer entsprechenden Anzeige verpflichtet war, was davon abhängt, ob die HIV-Infektion sozialversicherungsrechtlich als Krankheit zu werten ist. Die Vorinstanz hat dies unter Hinweis auf die Rechtsprechung ( BGE 116 V 239 ) bejaht und erwogen, der Beschwerdeführer habe die Frage nach bestehenden Krankheiten im Beitrittsformular nicht wahrheitsgemäss beantwortet; unter den gegebenen Umständen sei von einer schuldhaften Verletzung der Anzeigepflicht auszugehen. Demgegenüber wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde festgehalten, die HIV-Infektion verursache an sich keine gesundheitlichen Störungen, die eine medizinische Behandlung erforderten oder zu einer Arbeitsunfähigkeit führten. Es sei nach den heutigen medizinischen Erkenntnissen überholt, die HIV-Infektion als Krankheit zu bezeichnen. 5. a) Das Eidg. Versicherungsgericht ist im bereits erwähnten Urteil vom 5. September 1990 ( BGE 116 V 239 ) - nach Beschreibung der verschiedenen Stadien von der HIV-Infektion bis zum Vollbild Aids und einer zusammenfassenden Darstellung der widerstreitenden Standpunkte - zum Schluss gelangt, dass der HIV-Infektion (positiver HIV-Befund) Krankheitswert im Rechtssinne zukommt. Ausschlaggebend waren zur Hauptsache folgende Gesichtspunkte: "Der im AIDS-Konzept FMH vertretenen Auffassung ist insofern beizupflichten, als kein Anlass besteht, die HIV-Erkrankung rechtlich anders zu bewerten als andere Infektionskrankheiten, die unmittelbar nach erfolgter Infektion behandlungsbedürftig sind und zu Leistungen der Krankenkassen Anlass geben. Die Besonderheit der HIV-Erkrankung besteht darin, dass die Infektion in der überwiegenden Zahl der Fälle asymptomatisch verläuft und auch im Falle einer akuten Infektion die Erkrankung nach den heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Methoden (Antikörper-Test) erst Wochen bis Monate nach erfolgter Infektion festgestellt werden kann (vgl. AIDS in der Schweiz, S. 48). Zudem folgt auf BGE 124 V 118 S. 122 die akute Erkrankung in der Regel eine längerdauernde symptomlose Zeit. Dies ändert indessen nichts daran, dass unmittelbar nach erfolgter Infektion eine behandlungsbedürftige Krankheit (und nicht eine blosse Krankheitsdisposition) besteht. Zwar gilt die Krankheit nach dem gegenwärtigen Stand der Medizin als unheilbar. Es bestehen indessen bereits heute therapeutische Möglichkeiten, wobei die Bestrebungen der Medizin dahin gehen, Therapien zu entwickeln, die unmittelbar nach festgestellter HIV-Infektion einsetzen (vgl. AIDS in der Schweiz, S. 53/54; AIDS-Konzept FMH, a.a.O., S. 1996). Auch im Hinblick auf bestehende bzw. künftige Behandlungsmöglichkeiten und entsprechende Leistungen der Krankenkassen rechtfertigt es sich daher, die HIV-Infektion sozialversicherungsrechtlich als Krankheit zu werten." (Erw. 3c/bb). Weiter hat das Gericht im gleichen Entscheid erkannt, dass ein Vorbehalt "HIV-Erkrankung mit Folgen" oder "Immunschwäche und Folgen" zulässig ist (Erw. 4). b) Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum auf nachhaltige Kritik gestossen, und zwar einerseits hinsichtlich der hier interessierenden Frage, ob einer HIV-Infektion Krankheitswert zukommt, und anderseits in bezug auf die im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter zu verfolgende Vorbehaltsproblematik (vgl. Erw. 7 hernach). Die wesentlichsten Kritikpunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen: MAX KELLER (Rechtliche Bedeutung des Status "HIV-positiv", Basel 1993) gelangte auf der Grundlage von Gutachten, welche die kausale Rolle von HIV für die Entstehung von Aids ablehnen, zum Ergebnis, dass der Status "HIV-positiv" noch nicht als Krankheit betrachtet werden dürfe (vgl. dazu die kritische Besprechung von Oberrichter CHRISTIAN HUBER in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med. RUEDI LÜTHY als medizinischem Konsiliar, in: SZS 90/1994 S. 33 f.). In einer Kurzfassung seines Standpunktes (Plädoyer 2/1994 S. 20) gab er zu bedenken, dass der fragliche Entscheid des Eidg. Versicherungsgerichts zahlreiche, teils schwerwiegende negative Auswirkungen, etwa bei der Aufnahme in die Grund- und Zusatzversicherung sowie im Bereich des Arbeitsrechts, zur Folge habe; ferner bringe die rechtliche Qualifikation der HIV-Infektion als Krankheit psychische und soziale Belastungen mit sich. Diese Nachteile würden durch die einzige positive Auswirkung, nämlich die grundsätzliche Leistungspflicht der Sozialversicherung, nicht aufgewogen, zumal die Arbeitsfähigkeit eines HIV-positiven Menschen im Normalfall nicht beeinträchtigt und der Nutzen (präventiver) medizinischer Massnahmen nach heutigem Erkenntnisstand höchst fraglich sei. BRIGITTE PFIFFNER (Plädoyer 6/1990 S. 30 f.) hielt fest, dass HIV-Infizierte in vielen Fällen während Jahren gesund blieben und somit von BGE 124 V 118 S. 123 einer behandlungsbedürftigen Krankheit unmittelbar nach der Ansteckung nicht die Rede sein könne. Wie MAX KELLER (a.a.O.) ist die Autorin der Auffassung, der Vorteil einer Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkassen vermöge die Nachteile (beim Eintritt in die Grundversicherung, beim Antrag auf Höherversicherung sowie bei der Suche und beim Antritt einer Arbeitsstelle) nicht auszugleichen. SUSANNE LEUZINGER-NAEF ("HIV-Infektion und Folgen" als vorbehaltsfähige Krankheit, in: SZS 1992 S. 65 ff.) konstatierte eine Abkehr der Rechtsprechung von den bisher für den Krankheitsbegriff herangezogenen Kriterien. Bei der Beschreibung des Verlaufs der HIV-Infektion stelle das Eidg. Versicherungsgericht zwar fest, dass nach dem Abheilen der akuten Infektion eine Latenzphase ohne Krankheitssymptome von in der Regel zwei bis fünf Jahren folge. Aus der Tatsache, dass abgesehen vom Vorhandensein des HI-Virus und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr der Körper in der Latenzphase nicht geschädigt und in seiner Funktion nicht gestört sei, ziehe das Gericht jedoch keine rechtlichen Schlüsse. Während die Rechtsprechung früher erst bei Störungen oder Schädigungen von einer Krankheit gesprochen habe, werde nun der Krankheitsbeginn unter Hinweis auf die Behandlungsbedürftigkeit auf den Zeitpunkt des Eintritts des Krankheitserregers in den Körper verlegt, auf einen Zeitpunkt also, in dem weder eine Störung vorliege noch - aufgrund des Standes der medizinischen Wissenschaft - die Krankheitsursache behandelbar sei. In ihrer Dissertation (Vorbestehender Gesundheitszustand und Versicherungsschutz in der Sozialversicherung, Zürich 1994) hielt die Autorin weiter fest, die Störungen im Stadium der Neuinfektion gingen ohne medizinische Behandlung vorüber, und eine solche werde in der Regel auch nicht in Anspruch genommen, weshalb das Stadium I nicht mit einem Krankheitsausbruch gleichgesetzt werden könne, ebensowenig die symptomlose Phase (II). Im Stadium III seien die Betroffenen noch voll leistungsfähig und bedürften regelmässig keiner medizinischen Behandlung, so dass auch in dieser Phase - wie zu Beginn des Stadiums IV - die Krankheit noch nicht ausgebrochen sei. Im übrigen werde durch die Charakterisierung der HIV-Infektion als Krankheit die soziale und psychische Situation der betroffenen Personen erschwert. Nach dem heutigen Wissensstand sei fraglich, ob der Ausbruch der Krankheit medikamentös hinausgezögert werden könne; die frühe Erkennung der Infektion sei deshalb kaum von therapeutischem Nutzen. OLIVIER GUILLOD (Tests génétiques et protection de la personnalité, in: Festschrift für BGE 124 V 118 S. 124 JACQUES-MICHEL GROSSEN, Basel 1992, S. 58 Fn. 15), bezeichnete den Entscheid des Eidg. Versicherungsgerichts ohne nähere Begründung als unrichtig und bedauerte ihn. Auch THOMAS LOCHER erachtete das fragliche Urteil für den Bereich der Krankenversicherung als "wohl nicht richtig"; denn ein positives HIV-Testergebnis bedeute für sich allein während der Latenzzeit noch keine aktuelle Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, welche eine medizinische Behandlung erfordere oder zur Arbeitsunfähigkeit führe (Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 1. Aufl., Bern 1994, S. 110). THOMAS MEILI (Falscher Stempel für HIV-Positive, Schweizer Versicherung 1995, S. 11 ff.) hielt das Urteil aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse und gesetzlicher Regelungen (KVG) für überholt und wies auf die psychosozialen Auswirkungen der rechtlichen Bewertung der HIV-Positivität als Krankheit hin. 6. a) Angesichts der beschwerdeweisen Vorbringen gegen die Qualifikation der HIV-Infektion als Krankheit und vor dem Hintergrund der an BGE 116 V 239 geübten Kritik stellt sich die Frage, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist. Gegenüber dem Postulat der Rechtssicherheit lässt sich eine Praxisänderung grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht ( BGE 122 V 129 Erw. 4, BGE 121 V 85 f. Erw. 6a, 92 Erw. 5b, BGE 119 V 260 f. Erw. 4a). b) Im Zentrum der Argumentation von BGE 116 V 239 stand die Feststellung, es rechtfertige sich im Hinblick auf bestehende und künftige Behandlungsmöglichkeiten, die HIV-Infektion sozialversicherungsrechtlich als Krankheit zu werten. Diese Auffassung wird durch die Ergebnisse der jüngeren Aids-Forschung keineswegs widerlegt, sondern vielmehr noch unterstrichen. Von wesentlicher Bedeutung ist zum einen die therapeutische Verfügbarkeit neuer antiretroviraler Kombinationstherapien. Zum anderen führte die Erkenntnis, dass während der klinisch stummen Phase eine rasche HIV-Replikation stattfindet und eine grosse Menge von Mutationen entsteht, welche für das spätere Auftreten von Resistenzen verantwortlich sind, sowie die Beobachtung, dass sich die HIV-Replikation unterdrücken lässt, zur breit akzeptierten Haltung, dass HIV möglichst früh und mit kombinierten Medikamenten angegangen werden muss. In diesem Zusammenhang sind die neuen Empfehlungen zur Behandlung der HIV-Infektion bei Erwachsenen der BGE 124 V 118 S. 125 Subkommission Klinik der Eidg. Kommission für Aids-Fragen zu erwähnen, wonach es das erklärte Ziel einer antiretroviralen Therapie ist, die HIV-Replikation in allen Kompartimenten des Organismus anhaltend und möglichst vollständig zu unterdrücken, und wonach die Indikation für eine entsprechende Behandlung grundsätzlich bereits beim Nachweis einer HIV-Infektion gegeben ist (Bulletin des Bundesamtes für Gesundheit Nr. 20/1997 S. 9 f.). Damit lassen sich die im Schrifttum verschiedentlich erhobenen Einwendungen, wonach eine (frühe) Behandlung der HIV-Infektion weder möglich noch geboten sei, nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht halten, auch wenn noch unklar ist, ob die Wirkung der Kombinationsbehandlungen anhält und ob sie sich auch in grösseren Kollektiven bestätigen lässt. Die Qualifikation der HIV-Infektion als Krankheit erscheint auch insoweit folgerichtig, als nach der Rechtsprechung nicht nur die bereits vorhandene Störung der Gesundheit als Krankheit gilt, sondern auch ein Zustand, der den Eintritt eines drohenden Gesundheitsschadens mit Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt ( BGE 118 V 117 Erw. 7c mit Hinweisen). Diese Betrachtungsweise findet im übrigen ihre Fortsetzung im neuen Krankenversicherungsrecht. Danach ist Krankheit jede Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat ( Art. 2 Abs. 1 KVG ; Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 29; LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl., Bern 1997, S. 67). Schliesslich sei hervorgehoben, dass mit der hier in Frage stehenden Rechtspraxis den spezifischen Besonderheiten der HIV-Infektion durch die Wertung als Krankheit und die damit verknüpfte grundsätzliche Leistungspflicht der Krankenkassen Rechnung getragen werden sollte (zum funktionalen Charakter des Krankheitsbegriffs vgl. LOCHER, a.a.O., S. 67). Der Umstand, dass diese Rechtsprechung darüber hinaus in anderen Bereichen (negative) Reflexwirkungen entfalten kann, wie sie verschiedentlich beschrieben wurden, vermag eine Praxisänderung nicht zu begründen. 7. Ohne dass es der beantragten Einholung eines Gutachtens bedürfte, steht nach dem Gesagten fest, dass der HIV-Infektion (bzw. einem positiven HIV-Befund) Krankheitswert zukommt. Somit beging der Beschwerdeführer eine Anzeigepflichtverletzung, wie Krankenkasse und Vorinstanz mit Recht dargelegt haben. Es fragt sich, welche Sanktion damit zu verbinden ist. BGE 124 V 118 S. 126 Die Vorinstanz hat im Gegensatz zur Krankenkasse erkannt, dass laut Ziffer (...) AVB ein rückwirkender Ausschluss nicht möglich ist, die Krankenkasse den Beschwerdeführer jedoch pro futuro hätte ausschliessen und ihm gestützt auf Ziffer (...) AVB rückwirkend einen Vorbehalt hinsichtlich der HIV-Infektion und deren Folgen hätte auferlegen müssen. Der Beschwerdeführer beantragt vor dem Eidg. Versicherungsgericht vorbehaltlose Aufnahme in die Kollektiv-Taggeldversicherung. Nachdem eine Anzeigepflichtverletzung vorliegt, kann diesem Antrag nicht entsprochen werden. Der Beschwerdeführer macht im übrigen nicht geltend, es sei statt des Ausschlusses eine mildere Sanktion anzuordnen oder der Vorbehalt sei unpräzis umschrieben. Es erübrigt sich somit, auf die in der Literatur erhobene Kritik hinsichtlich der Formulierung des Vorbehalts näher einzugehen. Hingegen ist von Amtes wegen zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen aufgrund der statutarischen Ordnung und der Rechtsprechung ein Kassenausschluss überhaupt verfügt werden kann. 8. a) Nach Ziffer (...) AVB kann ein Mitglied aus einem Versicherungszweig oder aus der Kasse ausgeschlossen werden, wenn sich sein Verhalten als missbräuchlich oder sonstwie als unentschuldbar erweist und der Kasse die Weiterführung der Mitgliedschaft nicht mehr zugemutet werden kann. Dies ist nach Ziffer (...) AVB insbesondere dann der Fall, wenn ein Mitglied eine statutarische oder reglementarische Anzeigepflicht unentschuldbar verletzt hat. Der Ausschluss wird nach vorgängiger Androhung dem Mitglied oder seinem gesetzlichen Vertreter mit eingeschriebenem Brief als Verfügung unter Angabe der Ausschlussgründe und mit Rechtsmittelbelehrung eröffnet. b) Statutarische Vorschriften einer Krankenkasse, wonach ein Mitglied bei Verletzung der Anzeigepflicht aus der Kasse ausgeschlossen werden kann, sind grundsätzlich nicht bundesrechtswidrig. Da es sich indessen um eine Sanktion handelt, ist im Einzelfall der allgemeine verwaltungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten, welcher verlangt, dass die Sanktion in einem angemessenen Verhältnis zu dem von der Kasse verfolgten Zweck und zum Verschulden des Versicherten steht ( BGE 108 V 248 Erw. 2a, BGE 106 V 173 Erw. 2; RKUV 1986 Nr. K 687 S. 315 Erw. 3a; siehe auch BGE 111 V 319 Erw. 2). Der Kassenausschluss ist die strengste Sanktion und für den Betroffenen meist mit einschneidenden Folgen verbunden. Daher setzt er ein besonders schweres Verschulden bzw. Umstände voraus, welche die fragliche BGE 124 V 118 S. 127 Mitgliedschaft für die Kasse schlechthin als unzumutbar erscheinen lassen ( BGE 118 V 267 Erw. 3a mit Hinweisen). c) Der Ausschluss eines Mitgliedes aus der Kasse darf praxisgemäss erst nach schriftlicher Androhung dieser Sanktion verfügt werden, es sei denn, eine solche Vorkehr könne vernünftigerweise nicht vorausgesetzt werden. Der Aufnahmebewerber ist auf dem Beitrittsformular an gut sichtbarer Stelle mit einem ausdrücklichen, von den andern Bestimmungen deutlich abgehobenen Hinweis auf die im Fall einer Anzeigepflichtverletzung möglichen schwersten Sanktionen, den Ausschluss aus der Kasse und den Entzug der Leistungen, aufmerksam zu machen ( BGE 111 V 322 Erw. 2a mit Hinweisen). Bezüglich des Inhalts der Androhung hat die Rechtsprechung klargestellt, dass die betreffende Sanktion unmissverständlich anzudrohen ist und der blosse Hinweis auf einen Statutenartikel nicht ausreicht ( BGE 118 V 267 Erw. 3a mit Hinweisen). d) Auf dem Beitritts- und dem Versicherungsantragsformular der Beschwerdegegnerin ist folgender, deutlich abgehobener Hinweis angebracht: "Für die Folgen bereits bestehender oder überstandener Krankheiten wird die Krankenkasse ausdrücklich aller Verpflichtungen enthoben, wenn das Mitglied sich bei der Ausfüllung dieses Formulars bewusst einer Unwahrheit schuldig gemacht hat." Damit steht einmal fest, dass der Hinweis auf die im Falle einer Anzeigepflichtverletzung mögliche schwerste Sanktion, den Kassenausschluss, fehlt. Den Akten kann im übrigen kein Hinweis entnommen werden, dass dem Beschwerdeführer der Ausschluss sonstwie schriftlich und unmissverständlich angedroht worden wäre. Fehlt es somit an einer vorgängigen rechtsgenüglichen Androhung des verfügten Kassenausschlusses, vermag das Vorgehen der Beschwerdegegnerin den formellen Erfordernissen nicht zu genügen. Nach dem Gesagten fällt die Beendigung der Kassenzugehörigkeit infolge Ausschlusses, wie sie die Vorinstanz in ihrem Entscheid pro futuro angedroht hat, ausser Betracht. e) Hingegen steht ohne weiteres fest, dass die Krankenkasse berechtigt ist, die statutarische Ordnung durch einen rückwirkenden Vorbehalt wiederherzustellen. Mit Recht hat die Vorinstanz die Krankenkasse diesbezüglich angewiesen, hierüber neu zu verfügen. In dieser Hinsicht ist der kantonale Entscheid richtig.
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Sachverhalt ab Seite 77 BGE 101 V 77 S. 77 A.- Z. ist bei der OSKA-Krankenversicherung kollektiv für 80% des entgangenen Lohnes versichert. Als Alkoholiker musste er sich in der Trinkerheilanstalt E. einer Entwöhnungskur unterziehen. Am 6. Juli 1973 teilte ihm die Krankenkasse verfügungsweise mit, dass sie ihm für die Dauer seines Anstaltsaufenthaltes ein tägliches Krankengeld von nur Fr. 2.-- ausrichte. Sie stützte sich dabei auf Art. 19 der allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kollektiv-Krankenversicherung. B.- Gegen diese Verfügung beschwerte sich Z. beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen. Dieses hat die Beschwerde mit Entscheid vom 13. Dezember 1973 abgewiesen: Zwar erlaube das KUVG den Krankenkassen nicht ausdrücklich, eine statutarische Regelung vorzusehen, wonach bei Aufenthalt in einer Trinkerheilanstalt nur das Minimal-Taggeld von Fr. 2.-- gewährt werde, verbiete dies aber auch nicht. Eine solche Reduktion verstosse insbesondere nicht gegen das Gegenseitigkeitsprinzip, Das Problem unter dem Gesichtspunkt des Selbstverschuldens zu beurteilen wäre nur dann möglich, wenn keine Statutenbestimmung bestände, die ausschliesslich auf das objektive Kriterium des Aufenthalts in einer Trinkerheilanstalt abstellt. Zudem wäre es oft sehr BGE 101 V 77 S. 78 schwierig oder gar unmöglich, die Verschuldensfrage zu beantworten. C.- Z. lässt diesen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht weiterziehen und beantragen, die Kasse sei zu verpflichten, ihm für die Dauer seines Anstaltsaufenthalts 80% des entgangenen Lohnes Zu bezahlen. Eine Statutenbestimmung, die das Taggeld bei Aufenthalt in einer Trinkerheilanstalt, ungeachtet des Verschuldens des Versicherten, auf Fr. 2.-- reduziere, verstosse gegen die Prinzipien der Verhältnismässigkeit und ... der Gegenseitigkeit. Die Kasse lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Der Gesetzgeber selber differenziere bewusst zwischen dem Alkoholismus und den "eigentlichen" Krankheiten. Art. 24 Abs. 3 Vo III über die Krankenversicherung enthalte jedenfalls eine Schlechterstellung des Entwöhnungspatienten. Eine Statutenbestimmung der streitigen Art sei sicherlich zulässig, nachdem weder das KUVG noch die entsprechenden Verordnungen eine Reduktion des Taggeldes bei Trinkerheilkuren auf Fr. 2.-- untersagen würden ... Auch das Bundesamt für Sozialversicherung stellt den Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Mit dem Hinweis auf das Urteil vom 19. März 1969 i.S. Kübler äussert sich das Amt dahin, dass das Eidg. Versicherungsgericht eine Statutenbestimmung, welche bei Kuren in Trinkerheilanstalten die Reduktion des Krankengeldes auf das gesetzliche Minimum vorsehe, offenbar als bundesrechtskonform betrachte. Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. Es ist streitig, ob die Beschwerdegegnerin berechtigt war, dem Versicherten für die Dauer seiner Alkoholentwöhnungskur in der Heilstätte E. anstelle des versicherten Taggeldes von 80% des Lohnes lediglich das durch Art. 12bis Abs. 1 KUVG vorgeschriebene minimale Krankengeld von täglich Fr. 2.-- zu gewähren. Die Kasse stützt sich auf Art. 19 der allgemeinen Versicherungsbedingungen ihrer Kollektiv-Krankenversicherung, der wie folgt lautet: "Hält sich ein Versicherter auf Anordnung des Arztes in einer Anstalt oder besondern Abteilung einer Anstalt auf, in denen ausschliesslich BGE 101 V 77 S. 79 Entwöhnungskuren für Trunksüchtige unter ärztlicher Leitung durchgeführt werden, so gewährt die OSKA ein tägliches Krankengeld von Fr. 2.--." a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in dem sowohl vom Beschwerdeführer als auch von der Kasse mehrfach zitierten Urteil i.S. Kübler klar dargelegt, dass Trunksucht an sich schon prinzipiell als Krankheit gilt und nicht erst dann, wenn sie Symptom oder Ursache einer andern Erkrankung ist (EVGE 1969 S. 12). Es kann auf jene Ausführungen verwiesen werden. Daraus, dass die Trunksucht eine Krankheit ist, ergibt sich entgegen der Auffassung der Kasse, dass sich der Beschwerdeführer wegen einer eigentlichen Krankheit in der Anstalt E. aufhält. b) Schon allein vom Zweck des Gesetzes her, der in der Förderung einer sozial gerechten Versicherung besteht, sind die Kassen im Bereich der über das gesetzliche Minimum hinausgehenden, statutarisch vorgesehenen Leistungen nicht absolut frei. Diesem Zweckgedanken widerspräche eine statutarische Bestimmung, wonach der Versicherungsschutz in dem Umfang, als er nicht durch das Gesetz verpflichtend vorgeschrieben ist, bei bestimmten Krankheiten einfach wegfällt. Eine solche Bestimmung würde aber auch direkt dem in Art. 3 Abs. 3 KUVG ausdrücklich verankerten Grundsatz der Gegenseitigkeit zuwiderlaufen. Dieses Prinzip beherrscht den Betrieb der Krankenkassen auch hinsichtlich jener Geldleistungen, die sie statutarisch über die zwingenden gesetzlichen Voraussetzungen und Ansätze hinaus gewähren ( BGE 98 V 84 ). Es schliesst aus, dass eine Kasse ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung ihre Leistungen nach verschiedenen Arten von Krankheiten differenziert. Sonst könnten es die Kassen zum vorneherein ablehnen, für Krankheiten, die erfahrungsgemäss eine länger dauernde Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben, wie beispielsweise Geisteskrankheiten und Krebs, ein höheres Taggeld als das gesetzliche Minimum von Fr. 2.-- zu gewähren. c) Die von der Kasse postulierte Lösung würde auch anderweitig zu krassen Ungleichheiten in der rechtlichen Behandlung der Versicherten führen, indem derjenige Versicherte, der sich zur Entwöhnungskur in einer Trinkerheilanstalt aufhält, nur das Minimalkrankengeld bekäme, währenddem jenem Alkoholkranken, welcher sich der gleichen Entwöhnungskur BGE 101 V 77 S. 80 in einer psychiatrischen Heilanstalt unterzieht, das volle versicherte Krankengeld ausbezahlt würde. 2. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass Art. 19 der allgemeinen Versicherungsbedingungen der Kollektiv-Krankenversicherung und die gestützt darauf verfügte Kürzung des Krankengeldes auf täglich Fr. 2.-- bundesrechtswidrig sind. Die Kasse hat daher dem Beschwerdeführer im Rahmen der übrigen kasseninternen Vorschriften und der gesetzlichen Ordnung das volle versicherte Krankengeld auszurichten. Vorbehalten bleibt eine allfällige Kürzung im Sinn der folgenden Erwägung 3. 3. Es kann sich fragen, ob die Beschwerdegegnerin unter dem Gesichtspunkt des Selbstverschuldens befugt wäre, das versicherte Krankengeld zu kürzen. Eine derartige Massnahme müsste jedenfalls mit dem Prinzip der Verhältnismässigkeit im Einklang stehen (vgl. EVGE 1969 S. 13 und BGE 98 V 31 ). Ob und gegebenenfalls in welchem Ausmass eine derartige Taggeldkürzung zulässig wäre, lässt sich anhand der Akten nicht beurteilen. Es ist der Krankenkasse anheimgestellt, darüber eine neue beschwerdefähige Verfügung zu erlassen.
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Sachverhalt ab Seite 84 BGE 95 III 83 S. 84 Aus dem Tatbestand: A.- Das Bankhaus Neuvians, Reuschel & Co. KG in München besass zwei Wechsel über zusammen Fr. 561 199.70, die von der Rofa AG in Zürich akzeptiert worden waren. Im Mai 1966 trat das Bankhaus diese Wechselforderungen an die Firma Gewerbehof GmbH in München ab. Diese schuldete der Rofa AG aus Darlehen DM 500 000 nebst Zinsen, zahlbar am 1. Juli 1970. Die Gewerbehof GmbH erklärte nun gegenüber BGE 95 III 83 S. 85 der Rofa AG die Verrechnung der Wechselforderungen mit ihrer Darlehensschuld. Am 7. Juli 1966 wurde über die Rofa AG der Konkurs eröffnet. B.- In der Folge erwirkte die Konkursmasse für eine Forderungssumme von Fr. 558 625.-- nebst Zinsen in Zürich einen Arrest auf Guthaben des Bankhauses Neuvians, Reuschel & Co. bei verschiedenen Zürcher Banken und prosequierte denselben auf erfolgten Rechtsvorschlag durch Klage beim Bezirksgericht Zürich mit dem Rechtsbegehren, das beklagte Bankhaus habe der Konkursmasse DM 512 000 nebst Zins und Betreibungskosten zu bezahlen. Die Klägerin machte geltend, die von der Gewerbehof GmbH vorgenommene Verrechnung sei gemäss Art. 285 ff. sowie Art. 214 SchKG anfechtbar. Nach dem für das Konkursverfahren geltenden Territorialitätsprinzip sei eine Anfechtungsklage gegen die Gewerbehof GmbH vor einem deutschen Gericht nicht möglich. Auf Grund der genannten Bestimmungen des SchKG könne aber auch das beklagte Bankhaus belangt werden, das in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Rofa AG seine Wechselforderungen zum Zwecke der Verrechnung an die Gewerbehof GmbH gegen Entgelt abgetreten und sich damit gegenüber den anderen Konkursgläubigern einen Vorteil verschafft habe. Schliesslich ergebe sich die Haftung der Beklagten auch auf Grund von Art. 41 und 50 OR . C.- Sowohl das Bezirksgericht Zürich als das Obergericht des Kantons Zürich haben die Klage abgewiesen. Mit der vorliegenden Berufung hält die Klägerin an ihren Rechtsbegehren fest. Die Beklagte beantragt Abweisung der Berufung. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. 3. - ... 4. Nach der Berufungsbegründung stützt die Klägerin ihre Klage in erster Linie auf die Bestimmungen des SchKG für die paulianische Anfechtung ( Art. 285 ff. SchKG ). Auch die Vorinstanz ist in Erw. 3 des angefochtenen Urteils davon ausgegangen, es handle sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch um eine solche Klage. Es ist daher vorab zu prüfen, ob die vorliegend streitige Abtretung der Wechselforderungen des beklagten Bankhauses an die Gewerbehof BGE 95 III 83 S. 86 GmbH und die nachfolgende Verrechnung dieser Forderungen mit der Darlehensschuld dieser Firma gegenüber der Rofa AG von den Art. 285 ff. SchKG erfasst werden. a) Bei allen im Gesetz umschriebenen Arten der Anfechtungsklage wird, wie sich aus dem Wortlaut der Art. 286, 287, 288 und 290 SchKG ergibt, vorausgesetzt, dass die anfechtbaren Rechtshandlungen vom Betreibungsschuldner vorgenommen worden sind (vgl. BLUMENSTEIN, Handbuch S. 862 f., 875; Komm. JAEGER, 3. Aufl., zu Art. 285 N. 1; VON OVERBECK, 2. Aufl., S. 223, 227; FAVRE, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, deutsche Ausgabe, S. 334; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweiz. Recht, II S. 274; HANGARTNER, Die Gläubigeranfechtung im schweiz. Recht, Zürcher Diss., S. 4 ff.; GAUGLER, Die paulianische Anfechtung, I S. 101; BERZ, Der paulianische Rückerstattungsanspruch, Zürcher Diss. S. 40 ff.). Der Begriff der Rechtshandlung ist dabei im weitesten Sinne des Wortes zu verstehen und geht wesentlich weiter als etwa der Begriff des Rechtsgeschäftes. Es muss jedoch stets ein Verhalten des Schuldners selbst oder eines von ihm bestellten Vertreters im Spiele sein, damit Anfechtungsansprüche im Sinne der Art. 285 ff. SchKG entstehen können. Handlungen von Dritten, die ohne jede Mitwirkung des Betreibungsschuldners erfolgen, bilden nach schweizerischem Recht keine genügende Voraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage (JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis, Band I, Art. 288 N 3 lit. D d und N 4; BERZ, S. 50; BGE 57 III 144 ). b) Es ist unbestritten und ergibt sich eindeutig aus den Akten, dass die Rofa AG an den von ihrer Konkursmasse als anfechtbar erachteten Rechtshandlungen in keiner Weise, weder direkt noch indirekt, beteiligt war. So ist seitens der Klägerin beispielsweise nie behauptet worden, die Rofa AG habe mitgewirkt, der Gewerbehof GmbH eine Verrechnungsmöglichkeit zu verschaffen. Fehlt es aber an einem Verhalten der Konkursschuldnerin, das Gegenstand einer Anfechtung gemäss Art. 285 ff. SchKG sein könnte, so erweist sich die Klage als unbegründet, soweit sie als paulianische Anfechtung im Sinne des schweizerischen Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes aufzufassen ist. 5. Im kantonalen Verfahren hat sich die Klägerin zur Begründung ihrer Klage ferner auf Art. 214 SchKG berufen. Diese Bestimmung gehört zum II. Abschnitt des 6. Titels des BGE 95 III 83 S. 87 Gesetzes über die Wirkungen des Konkurses auf die Rechte der Gläubiger. In Art. 213 Abs. 1 SchKG wird der Grundsatz aufgestellt, dass ein Konkursgläubiger seine Forderung mit einer dem Gemeinschuldner gegen ihn zustehenden Forderung verrechnen kann. Dieser Grundsatz wird dann in den folgenden Absätzen des gleichen Artikels eingeschränkt. Die Verrechnung wird in Abs. 2 Ziff. 1 und 2 insbesondere für den Fall ausgeschlossen, dass ein Schuldner des Gemeinschuldners erst nach der Konkurseröffnung Gläubiger, bzw. ein Gläubiger des Gemeinschuldners erst nach der Konkurseröffnung Schuldner desselben oder der Konkursmasse wird. Art. 214 SchKG regelt demgegenüber eine weniger weitgehende Einschränkung des Rechts der Verrechnung. Nach dieser Bestimmung ist eine Verrechnung dann anfechtbar, wenn ein Schuldner des Gemeinschuldners vor der Konkurseröffnung, aber in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners, eine Forderung an denselben erworben hat, um sich oder einem anderen durch die Verrechnung unter Beeinträchtigung der Konkursmasse einen Vorteil zuzuwenden. Eine fast gleichlautende Bestimmung war früher als Art. 137 im aoR enthalten (vgl. Komm. WEBER/BRÜSTLEIN zum SchKG, 2. Aufl. herausgeg. von A. REICHEL, zu Art. 214 N 1 ; BLUMENSTEIN a.a.O. S. 648 Anm. 76; FRITZSCHE a.a.O. S. 73; vgl. zu Art. 137 aoR BGE 14 S. 637 ff.). Nach der Auffassung der beiden letztgenannten Autoren handelt es sich bei Art. 214 SchKG um einen Sonderfall der in Art. 285 ff. geregelten Anfechtungsklage (BLUMENSTEIN S. 649, FRITZSCHE S. 74). Etwas zurückhaltender spricht der vorerwähnte Kommentar WEBER/BRÜSTLEIN von einem besonderen Anwendungsfall des Prinzips, das der paulianischen Anfechtungsklage zugrunde liegt (a.a.O. N 2). Die Unterschiede zwischen der in Art. 214 SchKG vorgesehenen Möglichkeit der Verrechnungsanfechtung im Konkursverfahren und der paulianischen Anfechtung werden demgegenüber von BERZ wie folgt hervorgehoben (S. 50 Anm. 64): "Wenn auch die Normen über die paulianische Anfechtung analoge Anwendung finden, soweit dies ihrer Natur nach möglich ist, so sind doch die Voraussetzungen zu dieser Anfechtung völlig andere. Es handelt sich deshalb um ein eigenes, neben der paulianischen Anfechtung bestehendes und dieses ergänzendes Rechtsinstitut." BGE 95 III 83 S. 88 Einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Anfechtungsmöglichkeiten stellt jedenfalls der Umstand dar, dass die paulianische Anfechtungsklage eine Rechtshandlung des Betreibungsschuldners zum Gegenstand hat, während Art. 214 SchKG Handlungen eines Schuldners des Gemeinschuldners voraussetzt, die völlig unabhängig sind von jeglicher Mitwirkung des letzteren. Mit seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung im Gesetzesabschnitt über die Wirkungen des Konkurses auf die Rechte der Gläubiger kann aus Art. 214 SchKG nur ein Anspruch gegen den Schuldner des Gemeinschuldners abgeleitet werden, der eine Forderung an denselben erworben und gestützt darauf die Verrechnung erklärt hat. Die vorliegend zu beurteilende Klage richtet sich jedoch gegen einen Gläubiger des Gemeinschuldners, der durch die Abtretung seiner Forderung an einen Schuldner die Verrechnung durch diesen ermöglicht hat. Es fragt sich somit, ob Art. 214 SchKG entgegen seinem klaren Wortlaut und seiner systematischen Stellung derart ausdehnend interpretiert werden darf, dass daraus auch ein Anspruch der Konkursmasse gegen denjenigen Gläubiger abgeleitet werden kann, der durch die Abtretung seiner Forderung die Voraussetzung für die Ausübung der Verrechnung hat schaffen helfen. Für eine solche Interpretation kann jedenfalls nicht die für die paulianische Anfechtung geltende Regelung angerufen und deren analoge Anwendung auf Klagen gemäss Art. 214 SchKG gefordert werden. Die Geltendmachung von Ansprüchen nach den Art. 285 ff. SchKG setzt, wie dargelegt wurde, eine Rechtshandlung des Schuldners voraus. An einer solchen fehlt es jedoch bei dem in Art. 214 SchKG geregelten Sachverhalt. Eine extensive Auslegung dieser Bestimmung verbietet sich auch mit Rücksicht darauf, dass es sich bei dieser um eine Ausnahmebestimmung handelt. Deren Tragweite erschöpft sich, wie auch die Übernahme dieser Regelung aus dem aoR zeigt, darin, dass die Verrechnung von Forderungen nach der Konkurseröffnung unter ganz bestimmten Voraussetzungen angefochten werden kann. Es handelt sich um eine Ergänzung des Art. 213 SchKG . Der Sinn dieser beiden Bestimmungen besteht darin, das Verrechnungsrecht im Konkurs zu beschränken. Die Einräumung eines Anspruches gegenüber dem Gläubiger des Gemeinschuldners, der durch die Abtretung seiner Forderung die Verrechnung ermöglicht hat, stellt demgegenüber etwas völlig anderes dar. BGE 95 III 83 S. 89 Eine solche Möglichkeit hätte im Gesetz ausdrücklich vorgesehen werden müssen, wenn sie vom Gesetzgeber hätte zugelassen werden wollen. In den weitaus meisten Fällen genügt es denn auch zur Erreichung des mit Art. 214 SchKG verfolgten Zweckes, wenn die Verrechnung als solche angefochten werden kann. Dadurch wird die Verminderung der Aktiven des Gemeinschuldners, bestehend im Wegfall der verrechneten Forderung, auf direkteste Weise verhindert, und es ist dann Sache des Schuldners des Gemeinschuldners, sich mit dem Zedenten der Forderung über die Folgen des Dahinfallens der Verrechnung auseinanderzusetzen. Wenn im vorliegenden Fall die Klägerin die Unbeachtlichkeit der von der Gewerbehof GmbH erklärten Verrechnung tatsächlich nicht sollte durchsetzen und die betreffende Forderung nicht einkassieren können, wäre dies eine Folge des heute noch allgemein geltenden Territorialitätsprinzips des Konkurses (vgl. über den Umfang der Geltung dieses Prinzips insbes. ALAIN HIRSCH, Aspects internationaux du droit suisse de la faillite, Recueil de travaux publié à l'occasion de l'assemblée de la Société Suisse des Juristes à Genève 1969, S. 70 ff.). Es kann nicht Sache der Rechtsprechung sein, unerwünschte Auswirkungen dieses Prinzips durch Schaffung einer gesetzlich nicht vorgesehenen und weit über die gesetzliche Ordnung hinausführenden Klagemöglichkeit zu beseitigen. Art. 214 SchKG kann daher als Grundlage des von der Klägerin geltend gemachten Anspruches nicht in Frage kommen. Aus den dargelegten Gründen ergibt sich, dass die Klage weder auf Grund der Art. 285 ff. noch des Art. 214 SchKG geschützt werden könnte. Unter beiden Titeln ist das beklagte Bankhaus nicht passivlegitimiert. Unter diesen Umständen braucht im Sinne der einleitend angestellten Überlegungen (Erw. 3) nicht entschieden zu werden, ob der Rechtsstreit materiell tatsächlich ausschliesslich nach schweizerischem Recht zu beurteilen ist, namentlich wo die zur Verrechnung gebrachte Darlehensforderung der Rofa AG gegenüber der Gewerbehof GmbH als gelegen zu gelten hätte und ob sie in die Konkursmasse der Rofa AG gefallen wäre; ebenso kann offen bleiben, ob der betreibungsrechtlichen Anfechtung im Ausland begangener Handlungen mit Rücksicht auf das ausländische Recht Grenzen gesetzt sind, wie die Vorinstanz unter Hinweis auf die von DOKA (ZSR NF Bd 64 S. 331) und GULDENER (Das internationale BGE 95 III 83 S. 90 und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 184 f) vertretenen Auffassungen angenommen hat. 6. Im kantonalen Verfahren hat die Klägerin die von ihr geltend gemachte Forderung schliesslich als eine solche auf Schadenersatz aus unerlaubter Handlung im Sinne von Art. 41 in Verbindung mit Art. 50 OR bezeichnet. Obwohl diese Bestimmungen im vorliegenden Berufungsverfahren nicht mehr angerufen wurden, hat das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen anzuwenden ( Art. 63 Abs. 1 OG ) und den zur Beurteilung stehenden Sachverhalt deshalb auch daraufhin zu prüfen, ob er eine Schadenersatzpflicht der Beklagten auf Grund von Art. 41 ff. OR auszulösen vermochte. a) Die ausservertragliche Verschuldenshaftung fällt kollisionsrechtlich unter den Begriff der unerlaubten Handlung, deren Voraussetzungen und Folgen sowohl dem Rechte des Ortes unterstehen, wo die Handlung ausgeführt wurde, als auch dem Rechte des Ortes, wo deren Erfolg eintritt. Der Verletzte hat die Wahl, den Verantwortlichen auf Grund der einen oder der anderen Rechtsordnung zu belangen ( BGE 87 II 115 mit Verweisungen; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Komm. OR, 3. Aufl., allg. Einleitung N 332 ff., insbes. N 335 und 336). Als Ort der Handlung kommt vorliegend nur Deutschland in Betracht. Hingegen ist wohl davon auszugehen, dass die von der Klägerin geltend gemachte Schädigung in der Schweiz eingetreten ist, denn hier wäre die von der Beklagten und der Gewerbehof GmbH verschuldete Verminderung der Aktiven der Rofa AG, bzw. der Konkursmasse erfolgt. Wäre aber die Schweiz als Erfolgsort der unerlaubten Handlung zu betrachten, hätte die Vorinstanz nur das schweizerische Recht zur Anwendung bringen und Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung nicht mit der Begründung verneinen dürfen, die Widerrechtlichkeit der in Frage stehenden Handlungen entfalle, weil diese Handlungen nach deutschem Recht nicht anfechtbar seien. Die Frage des anwendbaren Rechts kann jedoch wiederum offen bleiben, wenn sich ergeben sollte, dass auch bei alleiniger Anwendung des schweizerischen Rechts nicht von einer unerlaubten Handlung im Sinne von Art. 41 ff. OR gesprochen werden kann. b) Die Klägerin erblickt die Widerrechtlichkeit des Erwerbes der Wechselforderungen durch die Gewerbehof GmbH und der Verrechnung dieser Forderungen mit der Darlehensschuld gegenüber BGE 95 III 83 S. 91 der Rofa AG in der Verletzung von Art. 214 SchKG . Die Belangbarkeit der Beklagten leitet sie daraus ab, dass sich diese mit der Abtretung der Wechselforderungen an der widerrechtlichen Handlung der Gewerbehof GmbH beteiligt habe und somit gemäss Art. 50 OR solidarisch für den Schaden hafte. Ganz abgesehen davon jedoch, dass es rechtlich als problematisch erschiene, eine Haftbarkeit der Beklagten auf dem Umweg über Art. 41 ff. OR begründen zu wollen, nachdem das Gesetz in Art. 214 SchKG nur einen Anspruch gegen den die Verrechnung erklärenden Schuldner des Gemeinschuldners gewährt, ist die Voraussetzung der Widerrechtlichkeit aus folgenden Gründen zu verneinen. c) Die Widerrechtlichkeit einer Handlung setzt einen Verstoss gegen geschriebene oder ungeschriebene Gebote oder Verbote der Rechtsordnung voraus, die dem Schutze des verletzten Rechtsgutes dienen (so z.B. BGE 82 II 28 mit Verweisungen, BGE 88 II 280 E. 4). Ein Gebot oder Verbot der Rechtsordnung im Sinne des Begriffes der Widerrechtlichkeit kann in den Bestimmungen über die paulianische Anfechtung oder die Anfechtung einer Verrechnung gemäss Art. 214 SchKG nicht erblickt werden (vgl. BERZ S. 26 ff. und GAUGLER S. 203 ff.). Wenn das SchKG gewisse an sich rechtmässige Handlungenunter bestimmten Voraussetzungen als anfechtbar erklärt, werden sie dadurch nicht gleichzeitig zu widerrechtlichen. Bei Ausführung der nach dem SchKG anfechtbaren Handlungen steht ja gar nicht fest, ob es überhaupt jemals zu einer Anfechtung kommen wird, weil eine solche regelmässig vom Eintritt weiterer Voraussetzungen, wie der Konkurseröffnung, abhängt (Komm. JAEGER, zu Art. 285 N 1 ). Ein für die Bejahung der Widerrechtlichkeit genügendes Gebot oder Verbot der Rechtsordnung kann aber nicht in Vorschriften erblickt werden, von denen nicht feststeht, ob sie überhaupt zur Anwendung gelangen. Hätten die Anfechtungsbestimmungen des SchKG regelmässig widerrechtliche Handlungen zum Gegenstand, so wäre es unnötig gewesen, solche Vorschriften in das Gesetz aufzunehmen. d) Die Widerrechtlichkeit einer nach SchKG anfechtbaren Handlung kann sich hingegen aus deren Verstoss gegen eine andere Norm ergeben, so insbesondere wenn diese Handlung gleichzeitig einen Straftatbestand erfüllt (vgl. JAEGER zu Art. 285 N 1 ; FRITZSCHE II. S. 300). Vorliegend ist jedoch nicht ersichtlich, gegen welche Strafbestimmungen sich die Gewerbehof BGE 95 III 83 S. 92 GmbH und die Beklagte vergangen haben könnten; Art. 163 Ziff. 2 StGB (betrügerischer Konkurs) ist auf eine nach Art. 214 SchKG anfechtbare Verrechnung nicht anwendbar. e) Ebensowenig kommt eine Schadenersatzpflicht wegen absichtlicher Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise gemäss Art. 41 Abs. 2 OR in Frage, da eine Verletzung der guten Sitten im Sinne dieser Bestimmung nur ausnahmsweise und mit grösster Zurückhaltung bejaht werden kann (vgl. VON TUHR/SIEGWART, Allg. Teil OR, I S. 356; OSER/SCHÖNENBERGER, Komm. OR, zu Art. 41 N 91 und 98/99). Ergibt sich demnach, dass das Verhalten der Gewerbehof GmbH und damit auch dasjenige der Beklagten nicht als widerrechtlich oder gegen die guten Sitten verstossend im Sinne von Art. 41 Abs. 1 und 2 OR betrachtet werden kann und somit nach schweizerischem Recht keine Möglichkeit besteht, die Beklagte aus diesen Titeln zur Leistung von Schadenersatz zu verpflichten, so kann auch bezüglich der Ersatzpflicht aus unerlaubter Handlung die Frage nach dem anwendbaren Recht offen bleiben, nachdem die Vorinstanz bereits - für das Bundesgericht nicht überprüfbar - entschieden hat, dass eine solche Ersatzpflicht bei Anwendung des deutschen Rechtes nicht gegeben wäre.
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Sachverhalt ab Seite 111 BGE 114 III 110 S. 111 Mit Verfügung vom 7. Oktober 1988 liess das Konkursamt des Kantons Glarus im Konkurs des L.R. die von der St. AG angemeldete Forderung von Fr. 165'000.-- zu und kollozierte sie in der 5. Klasse. Gleichzeitig wies es das von der Gläubigerin geltend gemachte Faustpfandrecht an einem Inhaberschuldbrief unter Hinweis auf Art. 287 SchKG ab. Die gegen diese Verfügung des Konkursamtes gerichtete Beschwerde wiesen die kantonalen Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs ab. Ebenso wies die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts den bei ihm erhobenen Rekurs ab mit den folgenden Erwägungen Erwägungen: 2. Zutreffend sind die Ausführungen der Rekurrentin insofern, als sie betont, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Frage geht, ob die Konkursverwaltung in einem Kollokationsprozess einredeweise Rechtshandlungen gemäss Art. 286 ff. SchKG als ungültig erklären lassen könne. Dass der Konkursverwaltung, welche gemäss Art. 285 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG zur Anfechtungsklage legitimiert ist, auch eine entsprechende Einrede im Prozess zusteht, ist unbestritten (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, § 52 N. 29; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs II, Zürich 1968, S. 286 f.; GILLIERON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, Lausanne 1985, S. 369, § 1 a.E.). Vielmehr geht es - wie die Rekurrentin weiter zutreffend festhält - um die Frage, ob die Konkursverwaltung eine als pfandgesichert angemeldete Forderung in der 5. Klasse kollozieren und das damit geltend gemachte Faustpfandrecht abweisen könne, wenn sie das Vorliegen eines Anfechtungstatbestandes behauptet. 3. Es gibt entgegen der Auffassung der Rekurrentin keinen Grund, diese Frage zu verneinen. a) Vorweg ist festzuhalten, dass die von der Rekurrentin angerufenen Art. 200 SchKG und 27 KOV die Feststellung der Konkursmasse (Konkursinventar) betreffen und in diesem Zusammenhang auf die Vermögenswerte verweisen, die Gegenstand der paulianischen Anfechtung bilden. Diese Bestimmungen sind im vorliegenden BGE 114 III 110 S. 112 Fall nicht anzuwenden; denn was Inhalt des Kollokationsplanes ist, bestimmt sich nach den Art. 247 und 248 SchKG , Art. 56 ff. KOV und, wenn ein Eigentümerpfandtitel als Faustpfand für eine Forderung haftet, Art. 126 VZG (AMONN, a.a.O., § 46 N. 13). b) Gemäss Art. 248 SchKG werden im Kollokationsplan auch die abgewiesenen Forderungen, mit Angabe des Abweisungsgrundes, vorgemerkt. Sodann bestimmt Art. 58 Abs. 1 KOV , dass jede Ansprache in derjenigen Klasse und in demjenigen Rang aufzunehmen ist, der ihr von der Konkursverwaltung oder vom Gläubigerausschuss zuerkannt wird. War nach der soeben angerufenen Vorschrift die Konkursverwaltung unzweifelhaft befugt, die von der Rekurrentin angemeldete Forderung nicht als faustpfandgesichert, sondern lediglich in der 5. Klasse zu kollozieren, so war es nicht anders als folgerichtig, dass sie zugleich das Pfandrecht abwies. Unzulässig sind lediglich bedingte Zulassungen oder Abweisungen ( Art. 59 Abs. 2 KOV ). c) Die Rechtslage ist so eindeutig, dass wohl deswegen Judikatur zu dem von der Rekurrentin aufgeworfenen Problem spärlich ist. Immerhin stützen die weit zurückliegenden Bundesgerichtsentscheide, welche die kantonale Aufsichtsbehörde zitiert hat, deren Standpunkt. Der Rekurrentin, die ihre Auffassung unter anderem damit begründet, durch das Vorgehen des Konkursamtes im vorliegenden Fall würden die Parteirollen in unzulässigerweise vertauscht, ist vor allem BGE 31 II 351 E. 2 entgegenzuhalten. Dort ist das Vorbringen der klagenden Gläubigerin zurückgewiesen worden, das eingeschlagene Verfahren sei unkorrekt, weil richtigerweise die beklagte Konkursverwaltung als Klägerin hätte auftreten müssen. Das Hauptgewicht in dieser kurzen Erwägung liegt zwar auf der Feststellung, dass die paulianische Anfechtung auch einredeweise zulässig ist; doch gehen aus dem angeführten Satz klar die Klägerrolle der Gläubigerin und die Beklagtenrolle der Konkursverwaltung hervor. Dem Sachverhalt des zweiten von der Vorinstanz zitierten Entscheides lässt sich entnehmen, dass das Konkursamt das Pfandrecht nicht zuliess und die Gläubigerin hierauf die Kollokationsklage anstrengte ( BGE 50 III 143 ). Ferner geht aus BGE 83 III 84 f. hervor, dass die Konkursverwaltung die Forderung einer Bank in der 5. Klasse kollozierte und das Pfandrecht gestützt auf die Art. 285 ff. SchKG abwies. Ebenso lässt sich eine Abweisung BGE 114 III 110 S. 113 des Pfandrechts aus dem Sachverhalt in BGE 93 II 84 (B.) herauslesen. d) Die Argumente, welche die Rekurrentin gegen diese von ihr übersehene Praxis vorbringt, gehen an der Sache vorbei. Insbesondere kann ihrer Behauptung nicht gefolgt werden, das Vorgehen des Konkursamtes sei in all jenen Fällen unzulässig, wo gegen die Konkursforderung keine materiellrechtlichen Einwendungen erhoben würden. Die Kollokationsverfügung der Konkursverwaltung ist immer eine materielle Entscheidung; und mit der Kollokationsklage wird stets eine materiellrechtliche Überprüfung des Kollokationsplans bezweckt (AMONN, a.a.O., § 46 N. 40). Von der Anfechtungsklage lässt sich sagen, sie sei betreibungsrechtlicher Natur, jedoch mit Reflexwirkung auf das materielle Recht (AMONN, a.a.O., § 52 N. 4; GILLIERON, a.a.O., S. 376, § 1 am Ende, mit Hinweis auf BGE 74 III 60 f., wo der Anfechtungstatbestand von Art. 287 SchKG zur Diskussion stand). Mit der von der Rekurrentin konstruierten Unterscheidung zwischen Forderungen, gegen welche keine materiellrechtlichen Einwendungen erhoben würden, und solchen, wo neben betreibungsrechtlichen auch materiellrechtliche Einwendungen vorgebracht würden, ist nichts gewonnen. 4. Nach dem Gesagten ist das Vorgehendes Konkursamtes des Kantons Glarus in keiner Weise zu beanstanden, und damit hält auch der angefochtene Entscheid vor Bundesrecht stand. Anders hätte die Konkursverwaltung nur vorgehen müssen, wenn die angemeldete Forderung bereits Gegenstand eines hängigen Kollokationsprozesses gebildet hätte. Sie hätte, gemäss Art. 63 Abs. 1 KOV , die Forderung ohne Verfügung lediglich pro memoria vormerken müssen ( BGE 112 III 38 f. E. 3). In der vorliegenden Streitsache hat die Rekurrentin nach ihren eigenen Ausführungen indessen erst nach Fällung des angefochtenen Entscheides, nämlich am 28. November 1988, Kollokationsklage erhoben. Dieser Umstand vermag daher auch nicht mehr das Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts zu beeinflussen.
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Sachverhalt ab Seite 105 BGE 120 III 105 S. 105 P. Sch. wurde am 8. August 1994 in der von der St. Gallischen Kantonalbank eingeleiteten ordentlichen Betreibung auf Pfändung oder Konkurs der Zahlungsbefehl zugestellt. Hierüber beschwerte sich der Schuldner beim BGE 120 III 105 S. 106 Obergericht von Appenzell A.Rh. mit dem Antrag, der Zahlungsbefehl sei aufzuheben und durch einen Zahlungsbefehl für die Betreibung auf Grundpfandverwertung zu ersetzen. Er machte im wesentlichen geltend, bei der betriebenen Forderung gehe es um eine fällige Kapitalabzahlung und somit um eine grundpfandgesicherte Forderung. Daher könne die Gläubigerin die Betreibungsart nicht frei wählen. Die kantonale Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs wies die Beschwerde ab. Auf den hierauf bei ihr erhobenen Rekurs trat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts wegen Fristversäumnisses nicht ein. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Während die Fortsetzung der Betreibung auf dem Wege der Pfändung anstatt des Konkurses (oder umgekehrt) einen jederzeit geltend zu machenden Nichtigkeitsgrund darstellt, ist dem nicht so, wenn eine ordentliche Betreibung auf Pfändung oder Konkurs eingeleitet wird anstelle der von Art. 41 Abs. 1 SchKG vorgesehenen Betreibung auf Pfandverwertung. Die Eintreibung einer pfandgesicherten Forderung auf andere Weise als durch Pfandverwertung ist nicht ohne weiteres ungültig, sondern bloss bei der Aufsichtsbehörde anfechtbar; denn die Vorausverwertung des Pfandes ist nicht zwingend ( BGE 117 III 74 E. 1, BGE 110 III 5 E. 2 mit Hinweisen, BGE 101 III 18 E. 2a; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Auflage Bern 1993, § 32 N. 9; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band I, Zürich 1984, § 10 Rz. 5, § 34 A 12 ; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3. Auflage Lausanne 1993, S. 110). Das bedeutet, dass Beschwerde innert der zehntägigen Frist des Art. 17 Abs. 2 SchKG ab Zustellung des Zahlungsbefehls erhoben werden muss ( Art. 85 Abs. 2 VZG ; SR 281.42) und dass auch der Weiterzug innert der zehntägigen Frist der Art. 18 Abs. 1 bzw. Art. 19 Abs. 1 SchKG zu erfolgen hat.
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Sachverhalt ab Seite 525 BGE 138 II 524 S. 525 A. X. und Y. teilten der Zollkreisdirektion Schaffhausen am 17. Juni 2008 mit, sie beabsichtigten, in der italienischen Gemeinde A. (Provinz Sondrio) landwirtschaftliche Grundstücke zu kaufen, um diese selbst zu bewirtschaften. Sie ersuchten um eine Bestätigung, dass diese Grundstücke in der sog. Parallelzone liegen, d.h. in einem beiderseits entlang der Grenzlinie parallel verlaufendem Streifen von etwa 10 Kilometern, innerhalb dessen für Waren des landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsverkehrs (insbesondere rohe Bodenerzeugnisse) die zollfreie Ein- und Ausfuhr gewährt ist (Art. 43 Abs. 2 des Zollgesetzes vom 18. März 2005 [ZG; SR 631.0] bzw. Art. 23 der Zollverordnung vom 1. November 2006 [ZV; SR 631.01]). B. Mit Schreiben vom 8. Januar 2009 beantwortete die Zollkreisdirektion Schaffhausen das Gesuch dahingehend, dass die betroffenen Grundstücke zwar nach nationalem Recht in der Parallelzone lägen, jedoch internationale Abkommen über den Grenzverkehr bestünden. Im einschlägigen Abkommen mit Italien werde die Grenzzone als Gebiet beidseitig der Grenze verstanden, welches - jeweils ab dem nächsten Grenzübergang gemessen - im Umkreis von etwa zehn Kilometern als sog. Radialzone die zollfreie Ein- und Ausfuhr für den Bewirtschaftungsverkehr zulasse. Gestützt auf die von X. und Y. eingereichten Unterlagen stellte die Zollkreisdirektion fest, dass die zum Erwerb beabsichtigten Grundstücke ausserhalb des im Staatsvertrag vorgesehenen begünstigten Grenzgebiets lägen: Zwar messe die Luftlinie zwischen der Landesgrenze und den betroffenen Grundstücken weniger als 8,5 Kilometer, doch betrage die massgebende Luftliniendistanz zwischen dem Grenzübergang B. und den Grundstücken mehr als zehn Kilometer. Die Zollkreisdirektion Schaffhausen bestätigte diesen Bescheid mit Verfügung vom 13. März 2009. Eine dagegen gerichtete Verwaltungsbeschwerde wies die Oberzolldirektion am 3. Juni 2010 ab. C. Mit Eingabe vom 1. Juli 2010 gelangten X. und Y. an das Bundesverwaltungsgericht und verlangten, die Verfügung der Oberzolldirektion aufzuheben. Sie beantragten, es sei festzustellen, dass sich die streitbetroffenen Grundstücke in der Grenzzone im Sinne von der in Art. 43 Abs. 2 ZG bzw. Art. 23 ZV definierten Parallelzone befänden; entsprechend seien die auf ihnen produzierten rohen Bodenerzeugnisse als zollbefreit anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht hiess ihre Beschwerde am 15. Juli 2011 gut, soweit es darauf eintrat; es hob den Entscheid der Oberzolldirektion auf und BGE 138 II 524 S. 526 begründete seinen Entscheid mit dem Vorrang des nationalen Rechts (Zollgesetz). D. Die Oberzolldirektion (OZD) beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und ihren Beschwerdeentscheid vom 3. Juni 2010 zu bestätigen. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz habe Bundes- resp. Völkerrecht verletzt, indem sie das Abkommen vom 2. Juli 1953 zwischen der Schweiz und Italien betreffend den Grenz- und Weideverkehr (SR 0.631.256.945.41; nachfolgend als Grenzabkommen bezeichnet) nicht berücksichtigt bzw. zu Unrecht die nur subsidiär geltenden Art. 8 Abs. 2 lit. j und Art. 43 ZG i.V.m. Art. 23 ZV angewendet habe. X. und Y. beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht hat darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das angefochtene Urteil auf und bestätigt den Entscheid der Oberzolldirektion vom 3. Juni 2010. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Streitig ist im vorliegenden Verfahren die Auslegung des Grenzabkommens zwischen der Schweiz und Italien sowie die damit verbundene Frage des anwendbaren Rechts. Die Beschwerdeführerin versteht das Abkommen in dem Sinn, dass es für die zollbefreiten Grenzgebiete Radialzonen vorsieht, welche die Zollvergünstigungen im Bereich von 10 Kilometern gemessen ab der nächsten Zollstrasse (wobei darunter auch kleinere Wege fallen) gewähren; sie erachtet eine gleichzeitige Anwendung des Zollgesetzes und der darin vorgesehenen Zollbefreiung über den gesamten Grenzverlauf (Parallelzone; Art. 43 Abs. 2 ZG ) als ausgeschlossen. Demgegenüber machen die Beschwerdegegner, insbesondere gestützt auf den Wortlaut des Grenzabkommens, geltend, dass dieses - in ähnlicher Weise wie Art. 43 Abs. 2 ZG - Zollbefreiungen im Rahmen von Parallelzonen 10 Kilometer entlang des gesamten Grenzverlaufs vorsehe. Bestehe eventuell zwischen dem Staatsvertrag und dem nationalen Recht tatsächlich ein die gleichzeitige Anwendung ausschliessender Normkonflikt, so gehe das nationale Recht vor. 3. 3.1 Die Auslegung von Staatsverträgen richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VRK; SR 0.111). Für die Schweiz ist BGE 138 II 524 S. 527 die Wiener Vertragsrechtskonvention am 6. Juni 1990 in Kraft getreten; als völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Interpretationshilfe entfalten die in ihr festgehaltenen Auslegungsregeln ( Art. 31 ff. VRK ) jedoch auch für die Zeitspanne vor ihrem Inkrafttreten gewohnheitsrechtliche Bindung ( Art. 4 VRK ; BGE 122 II 234 E. 4c S. 238; FRÉDÉRIC DOPAGNE, in: Les Conventions de Vienne sur le droit des traités, Commentaire article par article, Corten/Klein [Hrsg.], 2006, N. 21 zu Art. 4 VRK ; vgl. auch ANDREAS R. ZIEGLER, Einführung in das Völkerrecht, 2. Aufl. 2011, N. 249; KÄLIN/EPINEY/CARONI/KÜNZLI, Völkerrecht, 3. Aufl. 2010, S. 33). Gemäss Art. 31 Abs. 1 VRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach dem Vertragswortlaut auszulegen, d.h. nach Treu und Glauben, in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung sowie im Lichte seines Ziels und Zwecks. Dieser für die Sinnermittlung erforderliche Zusammenhang kann sich aus weiteren Übereinkünften und Urkunden ergeben ( Art. 31 Abs. 2 lit. a und b VRK ); für die Vertragsauslegung gleichermassen zu berücksichtigen ist die Übung, d.h. die Praxis zur Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über die Auslegung hervorgeht ( Art. 31 Abs. 3 lit. b VRK ; "authentische Interpretation"; vgl. ANNE PETERS, Völkerrecht, 2. Aufl. 2008, Kap. 7 N. 20; ZIEGLER, a.a.O., N. 251). 3.2 Im Grenzabkommen mit Italien findet sich - ebenso wie in den Grenzabkommen mit Deutschland und Frankreich - keine eindeutige Regelung des zollbefreiten Grenzzonengebiets als Radialzone; auch der Botschaft zum Grenzabkommen mit Italien lässt sich keine ausdrückliche Definition des Grenzgebiets als Radialzone entnehmen (Botschaft vom 14. Oktober 1955 betreffend die Genehmigung des zwischen Italien und der Schweiz vereinbarten Abkommens über den Grenz- und Weideverkehr, BBl 1955 II 738 ff.). Unter Bezugnahme auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 des Grenzabkommens wenden die Beschwerdegegner daher ein, dieses sehe keineswegs die Radialzone vor: Indem es von Gebietsstreifen beidseitig der gemeinsamen Grenze spreche ("strisce di territorio situato ai due lati del confine comune"), gehe es von einer über den Gesamtgrenzverlauf führenden Parallelzone als zollbefreiten Grenzzone aus, welche auch die zu erwerbenden Grundstücke erfasse. 3.3 Die von den Beschwerdegegnern angerufene Bestimmung könnte, isoliert betrachtet, auf ein parallel zur Landesgrenze verlaufendes BGE 138 II 524 S. 528 zollbefreites Grenzzonengebiet (Parallelzone) für den Bewirtschaftungsverkehr hinweisen. Der (weitere) Wortlaut, der Bedeutungszusammenhang (vgl. dazu insb. unten, E. 4.3) und die bisherige Übung stehen dieser Interpretation jedoch entgegen: Das Grenzabkommen definiert die Grenzzone zwar als Gebietsstreifen (Art. 1 Abs. 1), enthält jedoch gleichzeitig ein detailliertes Verzeichnis der zollbefreiten Gemeinden und Gemeindefraktionen (Anhang I), welches die allgemeinen Bestimmungen konkretisiert. Die dort berücksichtigten Gebiete erstrecken sich nicht über den Gesamtgrenzverlauf im Sinne einer Parallelzone, und die ausführliche Aufzählung im Anhang des Abkommens nimmt denn auch die mehr als zehn Kilometer vom nächsten Grenzübergang entfernte Gemeinde A. nicht in die zollbegünstigten Grenzgebiete der Provinz Sondrio auf. Hinweise darauf, dass die aufgelisteten Gemeinden in den Verzeichnissen nicht als abschliessend aufgezählt zu verstehen wären, finden sich in den von den Beschwerdegegnern angerufenen Textstellen des Staatsvertrags nicht. 3.4 Auch die mittlerweile mehr als 50-jährige, ständige Praxis der Vertragsparteien zur Auslegung der begünstigten Grenzgebiete, welche die Grenzzone als Kreise von rund 10 Kilometern vom jeweiligen Grenzübergang bemisst, steht dem Verständnis der Beschwerdegegner des begünstigten Grenzgebiets als Parallelzone entgegen ("authentische Interpretation"; vgl. oben E. 3.1); diese langjährige Übung wird von den von der Beschwerdeführerin herangezogenen Materialien zur nationalen Zollgesetzgebung bestätigt: Sowohl die Botschaft des Bundesrates zum Zollgesetz (BBl 2004 567 ff., 623 Ziff. 2.2.5) als auch die parlamentarischen Beratungen zur Zollgesetzgebung (dazu unten E. 5.3) weisen darauf hin, dass die Grenzverträge mit Italien, Deutschland und Frankreich als ein auf Radialzonen beschränktes zollbefreites Grenzgebiet zu verstehen sind. Hiervon geht auch die Doktrin aus (vgl. ROLF WÜTHRICH, in: Zollgesetz [ZG], Kocher/Clavadetscher [Hrsg.], 2009, N. 35 zu Art. 43 ZG ; REMO ARPAGAUS, Zollrecht, 2. Aufl. 2007, N. 435). Aufgrund des Bedeutungszusammenhangs und der langjährigen unbestrittenen Praxis zum Abkommen ist daher vom privilegierten Grenzgebiet als Radialzone auszugehen. Diese ist gemäss dem Wortlaut auf die im Anhang angeführten Gebiete beschränkt. Die Beschwerdegegner können sich demnach, wie dies auch zu Recht das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, nicht auf Zollvergünstigungen gestützt auf das Grenzabkommen berufen, da die relevanten Grundstücke von BGE 138 II 524 S. 529 dessen räumlichem Anwendungsbereich nicht erfasst sind (Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Anhang 1 Grenzabkommen). 4. 4.1 Die Beschwerdegegner machen weiter geltend, das Bundesrecht könne - selbst wenn das Abkommen die Zollbefreiung für Radialzonen vorsehe - ihnen die gewünschte Zollbefreiung gleichwohl gewähren: Sie erkennen keinen Normkonflikt zwischen dem Staatsvertrag und dem Bundesrecht, weil Art. 1 Abs. 2 des Abkommens einen "Vorbehalt zugunsten des Landesrechts" einräume, sodass die Vertragsparteien eine allgemeine Ausdehnung der Grenzzonen einseitig anordnen und damit prinzipiell auch - d.h. zusätzlich - Parallelzonen, wie sie Art. 43 Abs. 2 ZG vorsieht, einführen dürften. Damit stellt sich die Frage, ob das Grenzabkommen mit Italien tatsächlich eine grosszügigere Regelung nach nationalem Recht ausschliesst. Diese Frage ist im Rahmen der weiteren Auslegung zu prüfen: 4.2 Dem Vorbringen der Beschwerdegegner, gestützt auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 des Grenzabkommens eine einseitige allgemeine Ausdehnung des Grenzzonengebiets auf die Parallelzone vorzunehmen, kann bereits insofern nicht gefolgt werden, als diese Bestimmung nur aufgrund "örtlich bedingter Verhältnisse" Abweichungen zulässt; der Ausnahmecharakter dieser Abweichungen kommt im italienischen Originalwortlaut des Abkommens deutlich zum Ausdruck ("salvo casi eccezionali, giustificati da esigenze locali, in cui le due Parti Contraenti potranno fissare l'estensione"). Es steht demnach dem Wortlaut der von den Beschwerdegegnern angerufenen Bestimmung entgegen, in genereller Weise einseitig, gestützt auf das nationale Recht ( Art. 43 ZG ), Parallelzonen einzuführen. 4.3 Entgegen den Vorbringen der Beschwerdegegner widerspricht eine einseitige Ausdehnung der Grenzzone nach nationalem Recht auch dem Sinn und Zweck des Grenzabkommens: Das Zollgesetz regelt die Abgabebefreiung bei der Wareneinfuhr in die Schweiz ( Art. 43 Abs. 2 ZG ; Art. 8 Abs. 2 lit. j ZG i.V.m. Art. 23 ZV ) und sieht vor, dass Personen mit Wohnsitz in der inländischen Grenzzone rohe Bodenerzeugnisse von Grundstücken, die auf der ausländischen Grenzzone liegen, zollfrei in die Schweiz einführen können ( Art. 23 Abs. 1 lit. b ZV ). Entsprechende angestammte Gebiete sind zudem zu Direktzahlungen berechtigt (Art. 177 Abs. 1 des Landwirtschaftgesetzes vom 29. April 1998 [LwG; SR 910.1] i.V.m. Art. 17 Abs. 2 derVerordnung vom 7. Dezember 1998 über landwirtschaftliche Begrife und die Anerkennung von Betriebsformen [Landwirtschaftliche BGE 138 II 524 S. 530 Begriffsverordnung, LBV; SR 910.91] und Art. 4 Abs. 2 der Verordnung vom 7. Dezember 1998 über die Direktzahlungen an dieLandwirtschaft[Direktzahlungsverordnung, DZV; SR 910.13] ). Demgegenüber ist es Ziel des Abkommens mit Italien, die wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung beiderseits der Grenze zu sichern: Nach der Botschaft bezweckt das Abkommen, den "Verkehr nach Möglichkeit zu erleichtern und die lokalen Bedürfnisse der Grenzbewohner zu berücksichtigen" und so der "natürlichen wirtschaftlichen Verbundenheit der Grenzgebiete Rechnung" zu tragen. Zum Ausdruck kommt damit eine auf Reziprozität beruhende Grenzvereinbarung, welche - durch die beiderseitig gewährte Zollbefreiung in den relevanten Grenzgebieten - frühere Unstimmigkeiten in den grenznachbarlichen Beziehungen überwinden soll (Botschaft zum Grenzabkommen, a.a.O., 738 f.). Die einzelnen Bestimmungen sind denn auch im Lichte dieses Ziels und Zwecks auszulegen: Die Beschwerdegegner verlangen Zollerleichterungen für den Grenzverkehr, der in Art. 1 Abs. 5 des Grenzabkommens - in dieser Einschränkung vom Weideverkehr abweichend - als der sich zwischen "zwei gegenüberliegenden und anstossenden Zonen" abwickelnde Ein- und Ausfuhrverkehr zur Bewirtschaftung der Grundstücke definiert wird. Aus Art. 2 Ziff. II. lit. a des Abkommens geht hervor, dass die für entsprechende landwirtschaftliche Erzeugnisse vorgesehene Zollbefreiung dann erfolgen kann, wenn diese von Grundstücken innerhalb der Grenzzone (Art. 2 Ziff. I.) stammen und in die "andere Zone" verbracht werden ("trasportati nell'altra zona"). Zweck des Abkommens ist es entsprechend, dass die Grenzbewohner ihre Bodenbewirtschaftung im Rahmen dieser Beschränkung auf die übereingekommene Grenzzone beiderseitig ausüben können (Botschaft zum Grenzabkommen, a.a.O., 738); ersichtlich wird der Wille der Vertragsparteien, die Abgabebefreiung gegenseitig auf die so definierte gegenüberliegende und angrenzende (Radial-)Zone (E. 3.3 f.), nicht jedoch parallel entlang der gesamten Grenze, zuzulassen. Mit dem allgemeinen Einführen einer zusätzlichen Parallelzone wäre nicht nur ein Systemwechsel gegenüber der bisherigen Praxis verbunden, sondern es würde auch der Kreis der zollbefreiten Gebiete merklich erweitert: Mit der Parallelzone erfüllen sämtliche entlang der Grenze ansässige Bodenbewirtschafter die Voraussetzungen einer entsprechenden Zollvergünstigung, denn Voraussetzung ist einzig der Wohnsitz in der inländischen Grenzzone (vgl. Art. 23 Abs. 1 BGE 138 II 524 S. 531 lit. b ZV ); dagegen wird der Personenkreis durch die Radialzone nur schon aufgrund der maximalen Ausdehnung auf 10 Kilometer von der Grenzübertrittsstelle deutlich eingeschränkt. Indirekte Auswirkungen auf die italienische Grenzbevölkerung könnte die einseitige Ausdehnung der zollbefreiten Grenzzone für den Bewirtschaftungsverkehr insofern bewirken, als die schweizerischen Bewirtschafter der Grenzgebiete ihre Produkte zu den gegenüber dem italienischen Markt höheren Inlandpreisen absetzen könnten; die einseitig erweiterte Zollbefreiung könnte sich zudem negativ auf die Grundstück- und Pachtpreise auswirken und die italienische Grenzbevölkerung diesbezüglich benachteiligen. Aufgrund entsprechender Probleme im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet hatte das Land Baden-Württemberg nach einem Ausführungsgesetz zum deutschen Landpachtverkehrsgesetz (Gesetz vom 8. November 1985 über die Anzeige und Beanstandung von Landpachtverträgen; BGBl. I S. 2075) Massnahmen gegen die ungleichmässige Verteilung der Bodennutzung vorgesehen, indem die zuständige Behörde die Genehmigung von Pachtverträgen verweigern konnte, wenn durch die zollfreie Ausfuhr der landwirtschaftlichen Produkte in die Schweiz eine Wettbewerbsverzerrung erfolgte. Eine hierauf gestützte Ablehnung eines Pachtvertrags zugunsten eines Schweizer Bodenbewirtschafters durch das Landwirtschaftsamt Landkreis Waldshut hat der EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig erklärt (vgl. das Urteil des EuGH vom 6. Oktober 2011 C-506/10 Graf und Engel ); Deutschland wurde angehalten, sich an die Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens (Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [SR 0.142.112.681]) und das anwendbare Grenzabkommen (Schweizerisch-deutsches Abkommen vom 5. Februar 1958 über den Grenz- und Durchgangsverkehr [SR 0.631.256.913.61]) zu halten. Es zeigt sich demnach ein empfindliches wirtschaftliches Gleichgewicht in der Grenzzone, das weder durch einseitige ausländische Massnahmen noch durch eine Ausdehnung des zollbefreiten Grenzgebiets zugunsten der schweizerischen Bodenbewirtschafter beeinträchtigt werden soll. Vor diesem Hintergrund überzeugen die Ausführungen der Beschwerdegegner, wonach sich aus einer einseitigen Erweiterung der Grenzzone keinerlei negative wirtschaftliche Folgen für den Vertragspartner ergeben könnten, jedenfalls nicht. BGE 138 II 524 S. 532 Obwohl der Zweck von bi- und multilateralen Abkommen im Zollbereich üblicherweise darauf beschränkt ist, Zollschranken abzubauen (COTTIER/HERREN, in: Zollgesetz, a.a.O., N. 44 der Einleitung zum ZG; ARPAGAUS, a.a.O., N. 44 ff.), ergibt sich für das Grenzabkommen demnach ein weiterer, darüber hinausgehender Zweck, der darin besteht, grenznachbarliche Unstimmigkeiten zu vermeiden ( Art. 31 Abs. 1 VRK ). Diesem Sinn widerspricht die einseitig erweiterte nationale Abgabenbefreiung für den Grenzverkehr und das Abkommen enthält auch keinerlei Bestimmungen, welche Vorbehalte zugunsten oder Rückverweise auf eine nationale Regelung vorsehen würden. Entsprechend liegt ein echter Normkonflikt vor zwischen einer älteren staatsvertraglichen Verpflichtung der Schweiz und einer (einzelnen) Bestimmung des neueren Bundesgesetzes ( Art. 43 ZG ); gestützt auf das Ziel und den Zweck des Staatsvertrags können im vorliegenden Fall nicht gleichzeitig beide Grenzzonenregelungen zur Anwendung gelangen. 4.4 Ergänzend bringen die Beschwerdegegner vor, ihnen stehe die Gewährung eines "allgemeinen Günstigkeitsprinzips" zu: Wenn das schweizerische Zollrecht weitergehende Vergünstigungen vorsehe als das Grenzabkommen, so stünden ihnen diese gemäss den allgemeinen zollrechtlichen Grundsätzen zu; im Einzelfall sei immer die am weitesten gehende Vergünstigung zu gewähren. Die Beschwerdegegner verkennen, dass eine entsprechende Berücksichtigung nur dort denkbar ist, wo sich eine gleichzeitige Anwendung mehrerer begünstigender Bestimmungen nicht von vornherein ausschliesst. Steht die weitergehende Vergünstigung resp. die nationale Regelung dem anzuwendenden Recht entgegen, so kann sie nicht in allgemeiner Weise zusätzlich gewährt werden. Eine Begünstigung lässt sich entgegen der Ansicht der Beschwerdegegner auch nicht analog aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Amtshilferecht, durch das einem ausländischen Staat Hilfestellung bei der Durchführung seiner Aufgaben gewährt werden soll, für die zollrechtliche Besserstellung von schweizerischen Bodenbewirtschaftern (zum Nachteil der italienischen Grenzbevölkerung) herleiten. 5. 5.1 Besteht ein echter Normkonflikt zwischen Bundes- und Völkerrecht, so geht nach der Rechtsprechung grundsätzlich die völkerrechtliche Verpflichtung der Schweiz vor ( BGE 125 II 417 E. 4d S. 425; BGE 135 II 243 E. 3.1 S. 249); dies gilt ebenso für den Fall von Abkommen, die - wie dies hier der Fall ist - nicht Menschen- oder BGE 138 II 524 S. 533 Grundrechte zum Gegenstand haben ( BGE 136 II 241 E. 16.1 S. 255; BGE 122 II 485 E. 3a S. 487). Der dargelegte Vorrang besteht auch gegenüber späteren, d.h. nach der völkerrechtlichen Norm in Kraft getretenen Bundesgesetzen; die lex posterior-Regel kommt im Verhältnis zwischen Völker- und Landesrecht nicht zur Anwendung ( BGE 122 II 485 E. 3a S. 487). Die Schweiz kann sich insbesondere nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen ( Art. 5 Abs. 4 BV ; Art. 27 VRK ; vgl. BGE 125 II 417 E. 4d S. 424 f.; BGE 122 II 234 E. 4e S. 239; ferner BGE 116 IV 262 E. 3b/cc S. 269; BGE 117 IV 124 E. 4b S. 128). Entsprechend bleibt das entgegenstehende Bundesgesetz in solchen Konstellationen unanwendbar ( BGE 125 II 417 E. 4d S. 425; BGE 128 IV 201 E. 1.3 S. 205). 5.2 Das Zollgesetz enthält in Art. 2 Abs. 1 ausdrücklich eine analoge Konfliktlösungsregel: Völkerrechtliche Verträge bleiben gegenüber den zollgesetzlichen Bestimmungen vorbehalten. Da die staatsvertragliche Regelung vom Sinn und Zweck her eine gleichzeitige Anwendung der nationalen Bestimmungen ausschliesst (vgl. oben E. 4.3), ist die Schweiz im Bereich des landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsverkehrs weiterhin an Staatsverträge gebunden, wenn diese die Anwendung der Radialzone verlangen, sodass trotz der Einführung der Parallelzone in Art. 43 Abs. 2 ZG in diesen Fällen faktisch die bisherige Praxis fortgesetzt wird (vgl. auch WÜTHRICH, a.a.O., N. 28 und 34 zu Art. 43 ZG ; Botschaft zum Zollgesetz, a.a.O., 590; ARPAGAUS, a.a.O., N. 310 ff., 435). Solange keine einvernehmliche Praxis- oder Vertragsänderung zwischen den Parteien zustande gekommen ist, behält der in Kraft stehende Vertrag demnach seine völkerrechtliche Verbindlichkeit und seine umfassende landesrechtliche Wirkung, d.h. er ist für die rechtsanwendenden Behörden verbindlich (vgl. BGE 122 II 234 E. 4e S. 240). 5.3 5.3.1 Unter Bezugnahme auf die Wortprotokolle der Beratungen zu Art. 43 ZG hat die Vorinstanz die Bundesgesetzgebung daraufhin untersucht, ob sich Anhaltspunkte finden, um für den zugrunde liegenden Sachverhalt vom Vorrang der staatsvertraglichen Verpflichtung abzusehen. Sie begründet dies damit, dass das Bundesgericht vom Vorrang des Völkerrechts ausnahmsweise dann abgewichen sei, wenn die Bundesgesetzgebung die Völkerrechtsverletzung bewusst in Kauf genommen habe; erforderlich sei hierfür ein bewusstes Abweichen der Bundesgesetzgebung vom völkerrechtlichen Vertrag BGE 138 II 524 S. 534 ("con sapevole deroga"; sog. "Schubert-Praxis"; BGE 99 Ib 39 E. 3 S. 44; BGE 136 III 168 E. 3.3.4 S. 172 f.). Die Vorinstanz führt aus, dass sowohl der Ständerat als Erstrat als auch der Nationalrat sich mit den verschiedenen Reglementierungsmöglichkeiten der Grenzzonen als Radial- oder Parallelzonen intensiv auseinandergesetzt haben und dass die Gesetzgebung zu einer generellen Regelung der Grenzzone als Parallelzone übergehen wollte. Aus den von ihr herangezogenen Protokollen zu den Debatten in den Räten wird jedoch gleichermassen ersichtlich, dass sich die Beratungen im Wesentlichen auf die Frage beschränkten, welche Vor- und Nachteile, etwa hinsichtlich Transparenz und praktischer Handhabbarkeit, für die entsprechenden Regelungen der Grenzgebiete als Parallel- oder Radialzone aus nationaler Sicht bestehen würden; ebenso fokussierte sich die Diskussion auf Unstimmigkeiten, was genau unter einer Radialzone zu verstehen sei. 5.3.2 Für eine allfällige Abweichung vom Vorrang der staatsvertraglichen Verpflichtungen kann - in Abweichung zu den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts - jedoch nicht der Verweis auf eine allgemeine Diskussion zu den Vor- und Nachteilen der nationalen Regelung bzw. von Parallel- oder Radialzonen genügen; eine Kollision mit dem Staatsvertrag kann von vornherein nur in jenen Fällen "bewusst" oder beabsichtigt sein, in denen anlässlich der Beratung des Bundesgesetzes die völkerrechtlichen Aspekte und Auswirkungen ("riflessi e implicazioni"; BGE 99 Ib 39 E. 4 S. 44) resp. der mögliche Verstoss gegen Völkerrecht eingehend thematisiert wird (vgl. z.B. die herangezogene parlamentarische Debatte zu Fragen des Namensrechts und den diesbezüglichen völkerrechtlichen Auswirkungen in BGE 136 III 168 E. 3.3.3 S. 171 f.; vgl. YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 30 zu Art. 190 BV ; ebenso PIERRE TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl. 2011, § 9 N. 33; WALTER KÄLIN, Der Geltungsgrund des Grundsatzes "Völkerrecht bricht Landesrecht", ZBJV 124 bis /1988 S. 45, dort S. 63). Die parlamentarischen Beratungen zu Art. 43 ZG , welche die Vorinstanz ihrer Gutheissung zugrunde gelegt hat, beinhalten nur am Rande und kaum vertiefte Voten zu Fragen des Normkonflikts ("Wir brauchen keine Staatsvertragsänderung in unseren Beziehungen zu Deutschland" [Gerold Bührer, AB 2004 N 1385]). Sie erweisen sich hinsichtlich der Folgen des Normkonflikts zudem als BGE 138 II 524 S. 535 widersprüchlich ("Wir wissen auch, dass diese Erweiterung zwar in den [...] Nachbarländer[n] nicht gern gesehen wird, doch haben wir die Pflicht, die Interessen unserer eigenen landwirtschaftlichen Bevölkerung [...] zu vertreten. Es wird daher Aufgabe des Finanzministers sein, seinen Kollegen [...] unsere Haltung entsprechend zu kommunizieren" [Lucrezia Meier-Schatz, AB 2004 N 1385]), indem die Äusserungen gleichzeitig auch wieder die Vorrangstellung des Staatsvertrags bestätigen ("Die Regelung hat neben den Staatsverträgen subsidiären Charakter"; "Die vorliegende Bestimmung soll Lücken schliessen, weil Staatsverträge nicht alle Sachverhalte regeln" [Hans-Rudolf Merz, AB 2004 N 345]; "Die Parallelzone wird als Grundsatz nur insofern eingeführt - das muss man betonen -, als der Staatsvertrag mit dem Nachbarstaat nichts anderes vorsieht, und sie gilt daher für die ganze Grenzzone in der Schweiz" [Lucrezia Meier-Schatz, AB 2004 N 1385]). Eine bewusst gewollte Abweichung der Gesetzgebung von den völkerrechtlichen Verpflichtungen in klarer Auseinandersetzung mit den Folgen des hervorgerufenen Normverstosses lässt sich - entgegen der pauschalen Einschätzung der Vorinstanz - aus den Materialien demnach nicht entnehmen. Ihre diesbezüglichen Ausführungen können für den vorliegenden Fall nicht entscheidend sein; der Vorrang des Völkerrechts ergibt sich aus der Ermittlung des Normsinns, der Rechtsprechung und dem Zollgesetz selbst (vgl. oben E. 4, 5.1 und 5.2).
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Sachverhalt ab Seite 86 BGE 115 Ia 85 S. 86 Die Gemeindeversammlung von Pontresina beschloss am 30. April 1975 einen Strassenplan. Dieser sieht ab der Quartierstrasse "Via Muragls sur" eine Stichstrasse ("Via Godin") über eine Parzelle des H. bzw. jetzt der Erbengemeinschaft W. vor, um die hinterliegenden Parzellen zu erschliessen. Am 21. März 1988 beschloss die Gemeindeversammlung von Pontresina eine Totalrevision des Baugesetzes und des Zonenplanes. Gleichzeitig wurde der Strassenplan total revidiert. Im Rahmen dieser Ortsplanungsrevision hatte H. angeregt, die "Via Godin" aus dem Strassenplan herauszunehmen. Die Gemeindeversammlung entsprach diesem Begehren nicht, sondern übernahm die "Via Godin" als sogenannte "projektierte" Erschliessungsstrasse unverändert in den neuen Strassenplan vom 21. März 1988. Gegen diesen Gemeindeversammlungsbeschluss erhoben H., die Erbengemeinschaft W. sowie die Geschwister G. Beschwerde an die Regierung des Kantons Graubünden. Diese genehmigte am 5. Dezember 1988 den Strassenplan und wies die dagegen gerichteten Beschwerden ab. Dies wurde im wesentlichen damit begründet, dass das von der Gemeinde verabschiedete Konzept zur verkehrsmässigen Erschliessung des fraglichen Gebiets durch die jüngste Ortsplanungsrevision gar keine Änderung erfahren habe. Die Beschwerdeführer hätten somit keinen Anspruch auf eine volle Überprüfung des Strassenplanes. Gegen diesen Entscheid haben einerseits H. bzw. die Erbengemeinschaft W. und andererseits die Geschwister G. staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab. BGE 115 Ia 85 S. 87 Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. a) Eine Planänderung hat formelle und materielle Aspekte. Vorliegend beklagen sich die Beschwerdeführer nicht hinsichtlich des Verfahrens. Es geht ihnen weder um das rechtliche Gehör bei unveränderter Übernahme bisheriger Planinhalte ( BGE 104 Ia 67 f.; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 131), noch um einen individuellen Anspruch auf Auslösung eines Planänderungsverfahrens, d. h. das Recht eines Grundeigentümers, durch sein Begehren die Behörde zu verpflichten, einen Planentwurf zu erarbeiten, diesen öffentlich aufzulegen usw., also diejenigen Handlungen vorzunehmen, die insgesamt das Nutzungsplanverfahren ausmachen ZBl 81/1980, S. 548; JÜRG WISSMANN, Das Nutzungsplanverfahren nach st. gallischem Recht, Diss. Zürich 1988, S. 48 f., 82 ff.). Die Gemeinde hat das Verfahren von sich aus, d. h. von Amtes wegen, eröffnet und ebenso auf den ganzen Strassenplan, ja die Ortsplanung überhaupt, ausgedehnt. Von Anfang an lag eine Vorlage für eine Totalrevision auf. Ob die Gemeinde zu einer gesamthaften Revision raumplanungsrechtlich verpflichtet gewesen ist ( Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG ) oder nicht, wie die Regierung meint, spielt dabei keine Rolle. Streitig ist nur der Planinhalt, d. h. die Plananordnungen, die Ausdruck der raumplanerischen Ziele und Massnahmen sind. Freilich steht der Planinhalt ungewohnt zur Debatte: Die Grundeigentümer wehren sich hier nicht aus Gründen der Rechtssicherheit oder des Vertrauensschutzes gegen eine Planänderung ( BGE 114 Ia 33 f.), sondern wollen diese herbeiführen. b) aa) Ist wie hier ohnehin ein Verfahren auf Totalrevision eines Nutzungsplanes im Gange, so darf der Grundeigentümer jedenfalls im Rahmen der Berufung auf Art. 4 BV verlangen, dass die seine Parzelle betreffenden Anordnungen im Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse auf ihre materielle Verfassungsmässigkeit überprüft werden. Dieses Recht besitzt er auch, wenn er schon bisher derselben Ordnung unterworfen war, die jetzt (formell) einfach bestätigt, also beibehalten werden soll, und - entgegen der Auffassung der Regierung - sogar dann, wenn er seine Einwände schon im seinerzeitigen Planfestsetzungsverfahren hätte erheben können oder erhoben hat ( BGE 99 Ia 714 f. E. 4; ZBl 81/1980, S. 548 mit Verweisungen auf die bereits erwähnte gleichlautende Rechtsprechung zu den Prozessvoraussetzungen BGE 115 Ia 85 S. 88 und zum rechtlichen Gehör in BGE 92 I 282 f. E. 2 und BGE 104 Ia 67 f.). bb) Diese Prüfung der Verfassungsmässigkeit setzt nicht voraus, dass die Verhältnisse sich erheblich geändert haben. Trifft dies jedoch zu, so muss zwar der Nutzungsplan angepasst werden ( Art. 21 Abs. 2 RPG ; BGE 112 Ia 273 E. 3c), so lange keine Überwiegenden Rechtssicherheitsinteressen entgegenstehen (BGE BGE 114 Ia 33 f.; EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, S. 268 f.), Wenn aber die Gemeinde ihre Ortsplanung ohnehin revidiert, gilt diese Voraussetzung nicht als besondere, zusätzliche, spezifische Schranke. Vielmehr ist "ohne Rücksicht auf den früheren (Zonen-)Plan" ( BGE 99 Ia 715 ) wie bei einer erstmaligen oder Neuplanung zu entscheiden. Dies heisst durchaus, dass die dort gebotene Abstimmung und Abwägung ( Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 RPG ; BGE 113 Ib 230 f. E. 2c) wirklich umfassend vorgenommen wird, Damit ist eingeschlossen, dass die gegenwärtigen Verhältnisse, samt der Änderungen seit dem letzten Planbeschluss, berücksichtigt werden ( BGE 99 Ia 714 f.). Dies ist erneut Ausdruck des vom Bundesgericht mehrfach in verfahrensrechtlicher und inhaltlicher Richtung unterstrichenen Prinzips, dass die Sicherung eines wirksamen verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutzes eine umfassende Prüfung voraussetzt ( BGE 104 Ia 184 f. E. c/bb; BGE 107 Ia 91 f.). Anders entscheiden hiesse den Unterschied zwischen einer Gesamtrevision und einer erstmaligen Planung überschätzen: Auch ein "erstmaliger" Planerlass ergeht nicht im planerischen Niemandsland; schon vorher gilt von Bundesrechts wegen eine minimale Nutzungsordnung (Art. 36 Abs. 2 und 3 und Art. 24 RPG ). Ferner ist zu bedenken, dass, wenn es sich wie hier um einen Strassenplan handelt, die Erschliessung Folge der Zonenplanung ist ( Art. 15 lit. b und Art. 19 RPG ). Werden Zonenplanänderungen vorgesehen, bewirken diese potentiell immer, dass auch der zugehörige Erschliessungsplan in Frage gestellt wird. Solche Impulse können von Zonenplanänderungen in ganz anderen Gemeindeteilen ausgehen, weil sich die Gemeinde an ein konsequentes und rechtsgleich anzuwendendes Konzept halten muss. Die Streichung von Erschliessungsstrassen an einem Ort kann aus Konsequenzgründen die gleiche Massnahme in einer anderen Gegend, wo an sich zonenplanerisch keine Änderung vorgesehen ist, nach sich ziehen. Schliesslich kann der Entscheid, gegenüber dem bisherigen Plan nichts zu ändern, auch eine zusätzliche Belastung bedeuten, BGE 115 Ia 85 S. 89 gerade weil sich die Verhältnisse u.U. geändert haben oder schon nur deshalb, weil der Neuerlass des Planes seinen Inhalt wieder auf Jahre hinaus bekräftigt und Änderungen zumindest tatsächlich erschwert. cc) Die Regierung wendet ein, sie - und damit im Ergebnis auch die Gemeinde - zu einer derart umfassenden Prüfung zu verpflichten, laufe dem Gebot der Übersichtlichkeit und der Lesbarkeit der Pläne und dem Grundsatz der Rechtssicherheit diametral zuwider. Gemeinden, in denen sich Teilrevisionen aufdrängten, würden sich davor hüten, gerade eine neue Plangrundlage für die gesamte Gemeinde zu schaffen. Dem ist entgegenzuhalten, dass Teilrevisionen nicht beliebig weit oder eng angeordnet werden dürfen. Das Gebot der umfassenden Abstimmung und Abwägung verlangt, dass sie so weit gezogen werden, dass sie alle wesentlichen Gesichtspunkte umfassen. Sodann schliesst eine inhaltliche Überprüfung nicht aus, dass solche erneute, wiederholende Entscheidungsverfahren und Entscheide kurz gehalten werden. Man darf in verfahrensökonomischer Weise frühere materielle Überlegungen übernehmen und darauf verweisen. Im übrigen gerät, wie das Bundesgericht schon früher erklärt hat, keineswegs das gesamte Plangefüge aus den Fugen, wenn die Auswirkungen eines Nutzungsplanes auf einzelne Grundstücke als verfassungswidrig anerkannt werden ( BGE 107 Ia 92 ). Weiter sind die Übersichtlichkeit und die Lesbarkeit der Pläne nicht so wichtig, dass deswegen der Grundrechtsschutz einfach verweigert werden darf. c) Damit braucht auf die Auseinandersetzung darüber, ob sich die Verhältnisse seit 1975/1976 geändert haben, nicht eingegangen zu werden.
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Sachverhalt ab Seite 448 BGE 128 III 447 S. 448 A.- Die Hachette Filipacchi Presse SA (Klägerin) gibt seit 1976 die Kino-Zeitschrift mit dem Titel "PREMIERE" heraus, die auch in der Schweiz vertrieben wird. Die Klägerin ist Inhaberin der IR-Marke Nr. 650'865 "PREMIERE", die in Frankreich am 29. Juni 1995 hinterlegt wurde. In der Schweiz wurde der Marke der Schutz am 27. März 1997 provisorisch verweigert, dann aber mit Entscheid des Eidgenössischen Instituts für geistiges Eigentum (IGE) vom 8. Dezember 1999 für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 14, 18, 25, 28, 35, 38, 39, 41 und 42 definitiv gewährt. Die Paris Première SA (Beklagte) betreibt seit 1986 einen französischen Fernsehsender. Die Beklagte ist Inhaberin der IR-Marke Nr. 690'780 PARIS (darunter) PREMIERE (Schriftzüge in rotem bzw. schwarzem Balken), die in Frankreich am 2. Dezember 1997 hinterlegt wurde. In der Schweiz wurde der Marke der Schutz am 4. Mai 1999 provisorisch verweigert, dann aber vom IGE mit Entscheid vom 27. Juli 2000 für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 38, 41 und 42 definitiv gewährt. B.- Mit Klage vom 24. Januar 2001 beantragte die Klägerin dem Handelsgericht des Kantons Bern, der schweizerische Anteil der IR-Marke Nr. 690'780 sei nichtig zu erklären und das Nichtigkeitsurteil sei dem Eidgenössischen Institut für geistiges Eigentum gestützt auf Art. 54 des Bundesgesetzes vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (MSchG; SR 232.11) von Amtes wegen mitzuteilen. Mit Urteil vom 19. März 2002 hat das Handelsgericht des Kantons Bern die Klage gutgeheissen. C.- Mit Berufung beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das Bundesgericht hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. 1.1 Die Vorinstanz hat zunächst den Nichtigkeitseinwand der Beklagten verworfen, wonach das klägerische Zeichen PREMIERE als Hinweis auf die Qualität der in den Zeitschriften besprochenen BGE 128 III 447 S. 449 Produkte und als Hinweis auf Premièren zum Gemeingut gehöre. Die Vorinstanz führt aus, der Bezeichnung Première könnten verschiedene Bedeutungen zukommen. Der Ausdruck könne stehen für - etwas Erstmaliges oder Vorrangiges, - etwas Zuerstkommendes, wie z.B. das erste Fernsehprogramm, - Lehrmaterial, das für Erstklässler bestimmt sei. Der Zeitschriftentitel Première bedeute nicht, dass nur über Erstaufführungen berichtet werde, was tatsächlich beschreibend wäre. Er bedeute vielmehr, dass aus dem Gegenstand der Berichterstattung ein Teil herausgegriffen werde, um damit schlagwortartig in einem übertragenen Sinne über den breiteren Inhalt des Filmangebotes etwas auszusagen. Weil die Bezeichnung Première verschiedene Assoziationen wecke, sei sie fantasiehaft und nicht beschreibend. Sie könne auch nicht als geläufige Anpreisung verstanden werden, die freihaltebedürftig wäre. In den relevanten Klassen (38, 41 und 42) habe das IGE die klägerische Marke im Übrigen als durchgesetzte Marke eingetragen, wobei auch Indizien dafür bestünden, dass die Bezeichnung PREMIERE in der Schweiz seit 1984 als Titel für die gleichnamige Zeitschrift gebraucht werde. Die Verkehrsdurchsetzung brauche jedoch nicht geprüft zu werden, da PREMIERE nicht zum Gemeingut gehöre. 1.2 Die Beklagte macht geltend, die Vorinstanz habe ihren Nichtigkeitseinwand zu Unrecht verworfen. Am 27. März 1997 habe das IGE der klägerischen Marke IR 650'865 den Schutz provisorisch verweigert, weil PREMIERE zum Gemeingut gehöre. Die klägerische Marke sei sodann für die auch die Beklagte betreffenden Klassen 38, 41 und 42 am 8. Dezember 1999 lediglich als durchgesetzte Marke unter Schutz gestellt worden, wobei die Verkehrsdurchsetzung wegen unbestrittenem Nichtgebrauch der Marke von der Klägerin nicht bewiesen werden könne. Zur Beurteilung der Frage, ob PREMIERE zum Gemeingut gehöre, sei davon auszugehen, dass Französisch in der Schweiz - anders als in Deutschland - eine Amtssprache sei und dass PREMIERE im allgemeinen französischen Sprachgebrauch ein überaus geläufiges und jedermann bekanntes Wort sei. Seine Bedeutung als Adjektiv sei vergleichbar mit "prima, gut, fein, extra, super, unic" und weise primär auf "Erstmaliges, Erstklassiges, Vorrangiges" hin. Als Substantiv bedeute es Erstaufführung und sei ebenfalls verbreitet und beschreibend, denn ein Begriff sei auch dann beschreibend, wenn er direkte Rückschlüsse auf einzelne Waren oder Dienstleistungen zulasse welche unter einen allgemeinen Begriff fallen, für den Schutz beansprucht wird. BGE 128 III 447 S. 450 1.3 Die Klägerin macht geltend, der Begriff PREMIERE sei nicht direkt beschreibend. Weil ihm verschiedene Bedeutungen zukämen, seien verschiedene Assoziationen erforderlich, um aufgrund des Zeichens auf das Produkt zu schliessen. Allgemeine oder abstrakte Begriffe, die - wie das Wort Banquet oder Swissline - verschiedene Assoziationen zulassen und keinen unmittelbaren Bezug zu konkreten Waren und Dienstleistungen aufweisen, seien markenschutzfähig. Der Interpretationsspielraum des Begriffes PREMIERE sei derart breit, dass das Zeichen ohne weiteres als schutzfähig einzustufen sei. Der Markenschutz schliesse einen sachlichen Mitgebrauch nicht aus. In einem Parallelprozess in Deutschland habe man wie in der Schweiz davon ausgehen müssen, dass das Wort PREMIERE französischen Ursprung habe. Weder im Ursprungsland Frankreich noch in Deutschland sei wegen des französischen Sprachgebrauchs eine Markeneintragung verweigert worden. Selbst wenn das Zeichen PREMIERE zum Gemeingut gehören würde, spreche die auf seiner Verkehrsdurchsetzung beruhende Vermutung dafür, dass die Klägerin ihre Marke gebraucht habe. Diese Vermutung sei nicht widerlegt worden, weil die Beklagte den Nichtgebrauch der Marke nicht glaubhaft gemacht habe, weshalb die Klägerin den Gebrauch der Marke nicht habe unter Beweis stellen müssen. 1.4 Die Einrede der Schutzunfähigkeit gemäss Art. 2 MSchG ist trotz der Eintragung der Marke "PREMIERE" im Markenregister zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Schutzunfähigkeit einer registrierten Marke im Zivilprozess widerklage- oder einredeweise geltend gemacht werden ( BGE 74 II 183 ff. insbes. S. 186 mit Hinweisen; BGE 103 Ib 268 E. 3b S. 275; BGE 124 III 277 E. 3c S. 286; DAVID, Basler Kommentar, 2. Aufl., N. 1 zu Art. 2 MSchG ; MARBACH, Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht [SIWR], Bd. III, Kennzeichenrecht, S. 26 f.). 1.5 Gemäss Art. 2 lit. a MSchG sind Zeichen, die Gemeingut sind, vom Markenschutz ausgeschlossen, sofern sie sich nicht im Verkehr als Marke für bestimmte Waren oder Dienstleistungen durchgesetzt haben. Als Gemeingut gelten nach ständiger Praxis Hinweise auf Eigenschaften, die Beschaffenheit, die Zusammensetzung, die Zweckbestimmung oder die Wirkung der Ware oder Dienstleistung, welche die Marke kennzeichnet. Dass die Marke Gedankenassoziationen weckt oder Anspielungen enthält, die nur entfernt auf die Ware oder Dienstleistung hindeuten, reicht freilich nicht aus, sie zur Beschaffenheitsangabe werden zu lassen. Der gedankliche BGE 128 III 447 S. 451 Zusammenhang mit der Ware oder Dienstleistung muss vielmehr derart sein, dass der beschreibende Charakter der Marke ohne besonderen Aufwand an Fantasie zu erkennen ist. Dabei genügt, dass das Zeichen in einem einzigen Sprachgebiet der Schweiz als beschreibend verstanden wird ( BGE 127 III 160 E. 2b/aa mit Hinweisen). 1.6 Die Klägerin übersieht, dass ihre Marke für Waren und Dienstleistungen in den Bereichen Film, Fernsehen und Radio eingetragen ist und der Kennzeichnung einer diese Bereiche betreffenden Zeitschrift dient, die sich an Abnehmer richtet, welche ein besonderes Interesse an Filmen haben. Diesen Abnehmern ist die Bedeutung des Substantives Première (Erstaufführung), das im Theater- und im Filmwesen häufig vorkommt, ebenso vertraut, wie der Umstand, dass der Name der Zeitschrift auf ihren Inhalt anspielt und somit das Produkt beschreibt. Selbst wenn sich diese Zeitschrift nicht auf die Berichterstattung über Erstaufführungen beschränkt, wird doch die Erwartung geweckt, dass Erstaufführungen - der Aktualität halber - besonders einlässlich behandelt werden. Es bedarf keiner besonderen Denkarbeit und keines grossen Fantasieaufwandes, um die Bedeutung des Ausdruckes Première als Inhaltsangabe und damit als beschreibend und anpreisend zu erkennen. Der Markenadressat, dem die Bedeutung eines als Substantiv verwendeten Wortes im Verwendungszusammenhang ins Auge springt, wird sich kaum dadurch beunruhigen lassen, dass dasselbe Wort, als Adjektiv verwendet, eine andere Bedeutung haben kann. Diese andere Bedeutung lässt sich solange nicht zuverlässig ermitteln, als das Adjektiv in Alleinstellung verwendet wird, was hier nicht der Fall ist. Das weist wiederum darauf hin, dass die - sofort erkennbare - Bedeutung des als Substantiv verwendeten Wortes für den Adressaten die massgebende sein soll. Nicht jedes Wort, das mit wechselnder Bedeutung sowohl als Substantiv wie auch als Adjektiv verwendet werden kann, ist schutzfähig, weil es verschiedene Assoziationen hervorruft und daher fantasiehaft ist, wie die Vorinstanz unter Hinweis auf MARBACH (a.a.O., S. 44) dartut. Ergibt sich aus dem Verwendungszusammenhang unschwer die Absicht, ein Wort als Substantiv mit nahe liegender Bedeutung zu verwenden, kann unbeachtet bleiben, welche Assoziationen dieses Wort bei seiner Verwendung als Adjektiv sonst noch hervorrufen könnte. Jedenfalls dürfen Wörter, die mit wechselnder Bedeutung sowohl als Substantiv wie auch als Adjektiv verwendet werden können, nicht ohne Beachtung des Verwendungszusammenhanges dem Gemeingut entzogen werden. BGE 128 III 447 S. 452 Ein Vergleich mit andern Zeichen, die in der bisherigen Praxis zum Gemeingut gezählt worden sind, spricht ebenfalls gegen die Schutzfähigkeit der Marke der Klägerin (vgl. die Kasuistik bei DAVID, a.a.O., N. 13, 19 und 21 zu Art. 2 MSchG sowie MARBACH, a.a.O., S. 39 ff.). So hat das Bundesgericht erwogen, es sei kein Fantasieaufwand erforderlich, um die Bedeutung des Zeichens "BIODERMA" zu erfassen, das gleichzeitig auf die Qualität ("BIO") und auf den Anwendungsbereich ("DERMA") des Produktes anspielt, das es beschreibt. Die Bedeutung des Wortes sei für die Konsumenten, für die das damit bezeichnete Produkt bestimmt ist, offensichtlich (Urteil 4C.403/1999 vom 16. Februar 2000, publ. in: sic! 4/2000 S. 287, E. 3b). Ebenfalls zum Gemeingut gezählt wurde "AVANTGARDE", da weite Kreise der Bevölkerung sowohl in den deutschsprachigen als auch in den französischsprachigen Landesteilen darin eine reklamehafte Anpreisung mit der augenfälligen Werbebotschaft erblickten, das damit bezeichnete Erzeugnis sei der Zeit voraus und schreite von seiner technischen Konzeption oder modischen Formgebung her der Entwicklung voran. Dieser Aussagegehalt sei insbesondere dann sofort und leicht erkennbar, wenn das Zeichen "AVANTGARDE" im Zusammenhang mit Erzeugnissen verwendet werde, bei deren Vermarktung technische Neuerungen und ein im modischen Trend liegendes Erscheinungsbild - wie beim Automobil - wichtige Verkaufsargumente sind (Urteil 4A.7/1997 vom 23. März 1998, publ. in: sic! 4/1998 S. 397 und Pra 87/1998 Nr. 122 S. 683, E. 2). Schliesslich wurde auch die Marke "Creaton" als schutzunfähig betrachtet. Nach diesem Entscheid aus dem Jahre 2000 ist ausschlaggebend, dass neben dem auf "kreativ" anspielenden Bestandteil auch das Element "ton" als beschreibend zu verstehen ist, weil "Creaton" als Marke für Tonwaren eingetragen wurde und in diesem Zusammenhang der Sinn des an sich mehrdeutigen Bestandteiles "ton" festgelegt werde. Dass Baumaterial als solches nicht kreativ sein könne, ändere am beschreibenden Charakter nichts. Denn angesichts der Zweckbestimmung von Baumaterialien sei die Kreativität im Umgang damit oder in der Gestaltung der Materialien derart nahe liegend, dass der Sinngehalt der Wortverbindung ohne besonderen Fantasieaufwand erkennbar sei (Urteil 4C.42/2000 vom 18. Juli 2000, publ. in: sic! 7/2000 S. 590, E. 1b und Pra 90/2001 Nr. 13 S. 70). Diese Beispiele machen deutlich, dass für den Adressaten eines Zeichens der Aufwand an Fantasie zur Ermittlung seines Sinngehaltes je nach Verwendungszusammenhang wesentlich reduziert wird, so dass von BGE 128 III 447 S. 453 einem besonderen Fantasieaufwand - wie im hier vorliegenden Fall - gegebenenfalls keine Rede mehr sein kann. Weil das klägerische Zeichen zum Gemeingut gehört und insoweit vom Markenschutz ausgeschlossen ist, hat das IGE der klägerischen Marke den Schutz nur als im Verkehr durchgesetzte Marke im Sinne von Art. 2 lit. a MSchG gewährt. Die Vorinstanz hat indessen ausdrücklich offen gelassen, ob das IGE zu Recht eine Verkehrsdurchsetzung in der Schweiz angenommen hat. Sie hat zwar Indizien angeführt, die für eine Verkehrsdurchsetzung sprechen, die Frage aber letzten Endes nicht entschieden. Daran ändert nichts, dass die Klägerin in der Berufungsanwort behauptet, es sei bereits aus prozessualen Gründen von einer Verkehrsdurchsetzung auszugehen. So oder anders kann das Bundesgericht die Frage der Verkehrsdurchsetzung nicht selbst prüfen, weshalb das angefochtene Urteil aufgehoben und die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen werden muss. 2. Die Vorinstanz hat die Verwechslungsgefahr der Streitzeichen bejaht, indem sie Markenähnlichkeit sowie Waren- und Dienstleistungsgleichartigkeit angenommen hat. Für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist sie davon ausgegangen, bei der klägerischen Marke handle es sich um eine normale Marke, weder um ein besonders starkes noch um ein besonders schwaches Zeichen. Die Kennzeichnungskraft der Marke sei ein wenig geschwächt dadurch, dass PREMIERE nicht sehr fantasievoll sei und bei der Verwendung für gewisse Waren und Dienstleistungen Rückschlüsse zulassen könne. Zu beachten ist, dass Marken, die sich eng an Sachbegriffe des allgemeinen Sprachgebrauchs anlehnen, als schwach gelten. Stark sind demgegenüber Marken, die entweder aufgrund ihres fantasiehaften Gehalts auffallen oder aber sich im Verkehr durchgesetzt haben ( BGE 122 III 382 E. 2a S. 385; BGE 127 III 160 E. 2b/cc S. 168). Über die Frage der Verwechselbarkeit kann daher nur entschieden werden, wenn vorgängig geprüft wird, ob sich das Zeichen der Klägerin im Verkehr durchgesetzt hat, weshalb die Streitsache auch aus diesem Grunde an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.
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Sachverhalt ab Seite 257 BGE 109 II 256 S. 257 A.- Die Janssen Pharmaceutica N.V. in Beerse (Belgien) ist Inhaberin der international unter Nr. 455901 hinterlegten Wortmarke "OKT", bestimmt für verschiedene Chemikalien und chemische Erzeugnisse. Mit Verfügung vom 25. November 1981 verweigerte das Bundesamt für geistiges Eigentum vorläufig der Marke den Schutz für die Schweiz, weil sie der nötigen Unterscheidungskraft entbehre. Auf Einsprache der Markeninhaberin hielt das Amt daran fest, dass "OKT" eine geläufige Vorsilbe mit der Bedeutung von "acht" und damit eine simple Zahlenangabe sei, für die ein Freihaltebedürfnis bestehe. Am 22. Oktober 1982 wurde daher die vorläufige Schutzverweigerung als endgültig bestätigt. B.- Die Janssen Pharmaceutica N.V. führt gegen diese Verfügung Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, sie aufzuheben und das Amt anzuweisen, der Markeneintragung den Schutz in der Schweiz zu gewähren. Das Amt beantragt Abweisung der Beschwerde. Da es sich in seiner Vernehmlassung erstmals ausführlich auf den chemischen Sprachgebrauch berief, wurde der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu einer Replik gegeben. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Zwischen den Benelux-Staaten und der Schweiz gelten das Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken (MMA) sowie die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums (PVÜ) gemäss den am 14. Juli 1967 in Stockholm revidierten Fassungen (SR 0.232.112.3; 0.232.04). Nach Art. 5 Abs. 1 MMA in Verbindung mit Art. 6quinquies lit. B Ziff. 2 PVÜ darf die Eintragung in der Schweiz insbesondere verweigert werden, wenn die Marke jeder Unterscheidungskraft entbehrt oder ausschliesslich aus Zeichen oder Angaben zusammengesetzt ist, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des BGE 109 II 256 S. 258 Wertes, des Ursprungsortes der Erzeugnisse oder der Zeit der Erzeugung dienen können, oder die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten der Schweiz üblich sind. Dieser zwischenstaatlichen Regelung entspricht Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG , wonach die Eintragung u.a. dann zu verweigern ist, wenn die Marke als wesentlichen Bestandteil ein als Gemeingut anzusehendes Zeichen enthält ( BGE 104 Ib 65 E. 1 mit Hinweisen). 2. Als Gemeingut gelten Zeichen, die nicht unterscheidungskräftig sind, wie einfache geometrische Figuren, einzelne Buchstaben und Zahlen (Urteil des Bundesgerichts vom 21. November 1975 E. 1 mit Hinweisen, in PMMBl. 1976 I S. 26). Das Bundesgericht hat deshalb den Marken "61" und "3x3" den Schutz versagt (Urteil vom 12. November 1974, in PMMBl. 1975 I S. 9; Urteil vom 21. November 1975, in PMMBl. 1976 I S. 25). Das müsste ebenfalls für die Ziffer "8" oder auch das Zahlwort "acht" gelten. Anders aber wenn wie hier auf ein lateinisches oder griechisches Wort zurückgegriffen (octo, okto) und dieses überdies verstümmelt wird. BUSSE, Kommentar zum deutschen Warenzeichengesetz (5. A. S. 126), auf den das Amt in diesem Zusammenhang verweist, stellt Zahlwörter wie "Null" der Ziffer gleich, verneint aber schon für das französische "Zéro" ein Freihaltebedürfnis. Für schweizerische Verhältnisse mag sich das mit französischen Begriffen anders verhalten; wegen eines lateinischen oder griechischen Anklangs aber auch "OKT" als reines Zahlwort zu verstehen, geht indes zu weit. 3. Nach der Rechtsprechung gelten Hinweise auf Eigenschaften oder die Beschaffenheit der Erzeugnisse, für welche die Marke bestimmt ist, als Gemeingut. Blosse Gedankenassoziationen oder Anspielungen, die nur entfernt auf eine Ware hindeuten, genügen dafür aber nicht, vielmehr muss der gedankliche Zusammenhang derart sein, dass er ohne besondere Denkarbeit oder besonderen Phantasieaufwand zu erkennen ist ( BGE 106 II 246 E. 2 mit Hinweisen). Das Amt belegt an zahlreichen Beispielen die Verwendung von "Okt..." bzw. häufiger "Okto..." oder "Okta..." in Ausdrücken wie "Oktett", "Oktogon", "Oktave", "Oktober" usw. Dabei handelt es sich indes stets um eine Vorsilbe, deren Zahlenbedeutung aus der Verbindung mit dem Stammwort erkennbar wird. Wird dagegen "OKT" für sich allein als Warenzeichen verwendet, so entfällt eine derartige Verbindung und ist ein beschreibender BGE 109 II 256 S. 259 Charakter des Zeichens, selbst wenn darin ein Zahlwort erkannt wird, nicht mehr ersichtlich. Es verhält sich hier nicht anders als mit den Silben "VER" oder "ENT", die zwar als Vorsilben sehr häufig auftreten, als Wortmarke aber zweifellos Phantasiecharakter haben. 4. Die Marke "OKT" richtet sich unbestrittenermassen in erster Linie an Fachleute der Chemie. Der Schutz ist ihr daher schon dann zu verweigern, wenn sie in diesem Kreis als beschreibend verstanden wird ( BGE 104 Ib 66 E. 1). Das Amt belegt die zentrale Bedeutung der Silbe "Okt" mit der Bezeichnung "Oktan" für bestimmte Kohlenwasserstoffe und mit Beispielen wie "Octafluorocyclobutan" als Hinweis auf acht Fluoratome. Noch zahlreicher seien allerdings die chemischen Benennungen, bei welchen "Okt" nicht am Anfang, sondern in der Mitte der Formel stehe, z.B. "Cyclooktaschwefel". Die Beschwerdeführerin anerkennt das an sich, lässt es aber nicht gelten für die Bezeichnung "OKT", die alleinstehend in der Chemie nicht vorkomme und für sich allein auch vom Chemiker als Phantasiezeichen empfunden werde. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist dem zuzustimmen. Massgebend ist dabei weniger, dass die chemischen Bezeichnungen durchwegs "octo" oder "octa" lauten. Entscheidend ist vielmehr auch hier, dass sie stets in einem bestimmten Zusammenhang verwendet und nur so verständlich werden. Das gilt sogar beim Beispiel von "Octan", wo erst durch die Endung "-an" ersichtlich wird, dass es sich dabei um das achte Glied der Kohlenwasserstoffreihe handelt. Erst recht gilt das für die andern, weit komplizierteren Formeln, in welchen die Silbe "octo/octa" für den Chemiker aus dem Zusammenhang ihren Sinn bekommt. Dass ein Chemiker aber "OKT", wenn es für sich allein steht und als Warenzeichen verwendet wird, im spezifischbeschreibenden Sinn der chemischen Nomenklatur versteht, ist mit den Unterlagen des Amtes nicht belegt. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen.
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Sachverhalt ab Seite 515 BGE 129 III 514 S. 515 A.- Die LEGO System A/S (Beklagte) gehört zur dänischen LEGO-Gruppe, die seit mehreren Jahrzehnten die bekannten LEGO-Klemmbausteine herstellt. Sie hinterlegte beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) folgende schweizerische Formmarken: - am 1. April 1993 die Marke Nr. 411 469 für Spielbausteine (Kl. 28) (die eingereichte Abbildung zeigt einen quaderförmigen Stein mit acht aufgesetzten runden Noppen, je vier parallel in Längsrichtung angeordnet), - am 31. März 1995 die Marke Nr. 433 265 für Spielbausteine (Kl. 28) (dargestellt wird ein Quader mit sechs aufgesetzten runden Noppen, je drei parallel in Längsrichtung angeordnet), - am 31. März 1995 die Marke Nr. 433 266 für Spielbausteine (Kl. 28) (dargestellt wird ein länglicher Quader mit vier aufgesetzten runden Noppen, in einer Reihe in Längsrichtung angeordnet), - am 31. März 1995 die Marke Nr. 433 267 für Spielbausteine (Kl. 28) (dargestellt wird ein gleichseitiger Quader mit vier aufgesetzten runden Noppen, je in gleichem Abstand angeordnet), - am 31. März 1995 die Marke Nr. 433 268 für Spielbausteine (Kl. 28) (dargestellt wird ein länglicher Quader mit zwei aufgesetzten runden Noppen, in Längsrichtung angeordnet). Die Mega Bloks Inc. (Klägerin), vormals Ritvik Holdings Inc., gehört zur kanadischen Ritvik-Gruppe und vertreibt weltweit Spielzeuge. Sie produziert seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts unter anderem Klemmbausteine, die mit den LEGO-Bausteinen kompatibel sind. BGE 129 III 514 S. 516 B.- Am 9. März 2000 stellte die Klägerin beim Handelsgericht des Kantons Zürich das Rechtsbegehren, die vorstehend genannten Formmarken der Beklagten seien nichtig zu erklären. Das Handelsgericht kam diesem Begehren mit Urteil vom 17. Dezember 2002 nach. Es befand insbesondere, alle Merkmale der hinterlegten Formmarken seien funktional und es bestehe keine Differenz zwischen dem vom Publikum Erwarteten und der tatsächlichen Form, weshalb diese nicht kennzeichnungskräftig sei. Ausserdem stelle das Vorgehen der Beklagten einen Missbrauch des Instituts der Marke dar, das keinen Schutz verdiene, weil die Beklagte versuche, Konkurrenzprodukte vom Markt zu verdrängen, die berechtigterweise die gleiche Form und die selben Masse aufwiesen. C.- Die Beklagte führt eidgenössische Berufung mit den Anträgen, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und die Nichtigkeitsklage abzuweisen. Eventuell sei die Streitsache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie rügt eine Verletzung von Art. 2 lit. a und b MSchG und von Art. 2 Abs. 2 ZGB . Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung. Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Nach der Legaldefinition von Art. 1 Abs. 1 MSchG (SR 232.11) ist die Marke ein Zeichen, das geeignet ist, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von solchen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Marken können insbesondere in dreidimensionalen Formen bestehen ( Art. 1 Abs. 2 MSchG ). 2.1 Dreidimensionale Marken können einerseits plastische Kennzeichen sein, die zumindest gedanklich von Ware und Verpackung ohne Funktionsverlust getrennt werden können (Formmarken im weiteren Sinn). Anderseits kann es sich dabei um die kennzeichnende Formgebung der Ware selbst oder ihrer Verpackung handeln (eigentliche Formmarken oder Formmarken im engeren Sinn), d.h. um kennzeichnende Formen, die unmittelbar in der Ware oder in der Verpackung verkörpert sind (MARBACH, Markenrecht, in: von Büren/David [Hrsg.], Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. III, Kennzeichenrecht, Basel 1996, S. 20; MARTIN LUCHSINGER, Dreidimensionale Marken, Formmarken und Gemeingut, sic! 2/1999 S. 195). BGE 129 III 514 S. 517 Im vorliegenden Fall sind die Formen der LEGO-Spielbausteine als Formmarken eingetragen. Als Marke beansprucht wird die kennzeichnende Formgebung der Ware selbst, wie sie auf den beim IGE hinterlegten Abbildungen dargestellt wurde (vgl. vorstehend lit. A; BGE 120 II 307 E. 3a S. 310). 2.2 Vom Markenschutz absolut ausgeschlossen sind nach Art. 2 lit. a MSchG Zeichen, die Gemeingut sind, es sei denn, sie hätten sich für die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen im Verkehr durchgesetzt. Besonders für Formmarken (im engeren Sinn) gilt sodann der Schutzausschlussgrund des Art. 2 lit. b MSchG (vgl. BGE 120 II 307 E. 2a S. 308). Danach sind Formen vom Markenschutz ausgeschlossen, die das Wesen der Ware ausmachen, sowie Formen der Ware oder Verpackung, die technisch notwendig sind. Für Formen, die sich insbesondere aufgrund der Art, Bestimmung oder Verwendungsweise der Ware geradezu aufdrängen, soll damit ein absolutes Freihaltebedürfnis konkretisiert werden (Botschaft des Bundesrates zum Markenschutzgesetz vom 21. November 1990, BBl 1991 I 1, S. 20). Dies entspricht dem alleinigen rechtlich geschützten Zweck der Marke, die gekennzeichneten Waren zu individualisieren und von anderen Waren zu unterscheiden, um die Verbraucher in die Lage zu versetzen, ein einmal geschätztes Produkt in der Menge des Angebots wiederzufinden ( Art. 1 Abs. 1 MSchG ; vgl. BGE 122 III 382 E. 1 S. 383 f., 469 E. 5f S. 579). Der markenrechtliche Schutz einer Form soll die Konkurrenz einzig daran hindern, Ware in einer verwechselbaren äusseren Form auf den Markt zu bringen und damit die Individualisierungsfunktion der Marke zu verwässern. Ebenso wie der wettbewerbsrechtliche Ausstattungsschutz nach Art. 3 lit. d UWG (SR 241) darf er nicht dazu führen, dass technische Lehren, deren Gebrauch patentrechtlich statthaft ist, oder unerlässliche Formen, die Waren bestimmter Art charakterisieren, auf unbeschränkte Zeit monopolisiert werden (vgl. Art. 10 Abs. 2 MSchG und Art. 14 PatG [SR 232.14]; BGE 116 II 471 E. 3a/aa S. 472; BGE 88 IV 79 E. 2 S. 83; BGE 84 II 579 E. 2 S. 582; siehe auch BGE 120 II 307 E. 3a S. 309 f.; PETER HEINRICH/ANGELIKA RUF, Markenschutz für Produktformen?, sic! 5/2003 S. 395 ff., 396 und 400; vgl. auch PETER V. KUNZ, Grundsätze zum Immaterialgüterrecht - Illustration am Beispiel des neuen Designgesetzes, recht 3/2002 S. 85 ff., 96 f.). 2.3 Die besonderen Schutzausschlussgründe von Art. 2 lit. b MSchG konkretisieren spezifisch für Formmarken den Kern der absoluten Freihaltebedürftigkeit. Ihnen kommt gegenüber dem allgemeinen BGE 129 III 514 S. 518 Schutzausschlussgrund nach Art. 2 lit. a MSchG insoweit keine selbständige Bedeutung zu, als sie bloss für die Formmarken wiederholen, was in Art. 2 lit. a MSchG bereits allgemein gesagt wird. Eine technisch notwendige Waren- oder Verpackungsform ist für den Verkehr unentbehrlich und somit immer auch freihaltebedürftiges Gemeingut. Formen, die das Wesen der Ware ausmachen, sind entweder ebenfalls technisch notwendig, oder es fehlt ihnen die Unterscheidungskraft, weil sie nicht geeignet sind, ein Produkt zu individualisieren. Die Ausschlussgründe nach Art. 2 lit. b MSchG können daher als besondere Anwendungsfälle der allgemeinen Norm von Art. 2 lit. a MSchG betrachtet werden (vgl. dazu HEINRICH/RUF, a.a.O., S. 404 f. und 409). Die besondere Bedeutung der Ausschlussgründe nach Art. 2 lit. b MSchG liegt darin, dass das Schutzhindernis für die davon erfassten Formen nicht durch Verkehrsdurchsetzung überwunden werden kann und die markenrechtliche Monopolisierung der Formen daher auch ausgeschlossen ist, wenn sie sich im Verkehr durchgesetzt haben (vgl. MARBACH, a.a.O., S. 60 f.; RUTH ARNET, Die Formmarke, Diss. Zürich 1993, S. 62 und 118 ff.; MARKUS WANG, Die schutzfähige Formgebung, Diss. St. Gallen 1998, S. 376 f.; MARKUS INEICHEN, Das urheberrechtlich geschützte Werk als Zeichen für Waren und Dienstleistungen, Diss. Zürich 2002, S. 57 f. [nachfolgend zitiert als INEICHEN, Diss.]; STREULI-YOUSSEF, Zur Schutzfähigkeit von Formmarken, sic! 11/2002 S. 794 ff., 795). Ist dagegen allein der Ausschlussgrund des Gemeingebrauchs im Sinne von Art. 2 lit. a MSchG gegeben, kann auch eine Form mit der Durchsetzung im Verkehr Kennzeichenfähigkeit erlangen. In diesem Sinne ist das in BGE 120 II 307 publizierte Präjudiz in der Lehre auch zutreffend verstanden worden (vgl. ROLF AUF DER MAUR, AJP 1995 371 ff., 373; LUCHSINGER, a.a.O., S. 199; DAVID MEISSER/DANIEL BOHREN, Perpetuierter Patentschutz durch Formmarken?, SMI 1995 S. 225 ff., 227 f.). 2.4 Systematisch lassen sich aufgrund des Gesagten folgende Kategorien von markenschutzrelevanten Formen unterscheiden: 2.4.1 Formen, die das Wesen der Ware ausmachen ( Art. 2 lit. b MSchG ): Dabei handelt es sich um Formen, die schutzunfähig sind, weil sie das Publikum aufgrund der Funktion eines Produkts voraussetzt (z.B. ein rein quadratisch geformtes vierbeiniges Tabouret, ein herkömmlich geformter Tennisschläger, ein "traditioneller" [runder] Fussball, ein "amerikanischer" [ovaler] Fussball oder eine künstliche Rose [vgl. dazu die nachfolgende Erwägung 3.1.1]). BGE 129 III 514 S. 519 2.4.2 Die technisch notwendige Form im Sinn von Art. 2 lit. b MSchG : Eine solche ist gegeben, wenn dem Konkurrenten für ein Produkt der betreffenden Art (technisch) überhaupt keine alternative Form zur Verfügung steht oder im Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs nicht zugemutet werden kann (vgl. dazu die Erwägungen 3.2.1 und 3.2.2 hinten). Zu denken ist beispielsweise an die Form der Spitze eines herkömmlichen Kreuzschraubenziehers oder der vier- oder mehrkantigen Hülse eines Schraubenschlüssels, die dazu bestimmt ist, den Schraubenkopf zu umfassen. Technisch notwendige Formen in diesem Sinn sind absolut schutzunfähig. 2.4.3 Technisch bedingte Formen: Dabei handelt es sich um Formen, die durch den Verwendungszweck bestimmt sind, ohne dass sie aber zur Herstellung von Waren einer bestimmten Art im vorstehend (Erwägung 2.4.2) ausgeführten Sinne notwendig sind. Ihnen fehlt regelmässig die Unterscheidungskraft. Sie bilden daher grundsätzlich Gemeingut im Sinne von Art. 2 lit. a MSchG und sind als solches schutzunfähig. Ausnahmsweise kann eine technisch bedingte Form als Formmarke beansprucht werden, wenn sie aufgrund ihrer Originalität unterscheidungskräftig wirkt oder wenn sie sich im Verkehr als Kennzeichen durchgesetzt hat (vgl. dazu MARBACH, a.a.O., S. 62 f.). Die von MARBACH (a.a.O.) weiter genannte Schutzvoraussetzung, dass die Form frei variiert werden kann, ist dem Begriff der technisch (bloss) bedingten Form immanent; kann eine Form nicht in dem Sinn frei variiert werden, dass zumutbare Alternativen zur Verfügung stehen, handelt es sich nicht um eine technisch bedingte, sondern um eine absolut schutzunfähige, da technisch notwendige Form im vorstehenden Sinn. 2.4.4 Schliesslich lassen sich technisch mitbeeinflusste Formen unterscheiden. Darunter fallen Formgebungen, die zwar technisch nützlich, aber nicht technisch bestimmt sind (z.B. die Form der "Toblerone", die das Abbrechen der einzelnen Schokoladenstücke erleichtert, aber nicht darauf ausgelegt ist). Sie sind grundsätzlich schutzfähig; soweit sie sich allerdings in Formen des Gemeinguts erschöpfen, nur unter der Voraussetzung, dass sie sich im Verkehr durchgesetzt haben. 3. Im Folgenden ist zunächst zu prüfen, ob der Schutz der hier umstrittenen Warenformen nach Art. 2 lit. b MSchG absolut und ohne Rücksicht auf eine allfällige Verkehrsdurchsetzung ausgeschlossen ist (vgl. MARKUS INEICHEN, Die Formmarke im Lichte der absoluten Ausschlussgründe nach dem schweizerischen Markenschutzgesetz, BGE 129 III 514 S. 520 GRUR International 3/2003 S. 193 ff., 201; STREULI-YOUSSEF, a.a.O., S. 795). Die Vorinstanz hat angenommen, die Form der LEGO-Bausteine - insbesondere die Quaderform, aber auch die Anordnung, die Form und die Masse der aufgesetzten Noppen - ergebe sich aus dem Verwendungszweck als Baustein. Sie entspreche auch für Spielbausteine dem Gewohnten und Erwarteten. 3.1 Es stellt sich damit zunächst die Frage, ob die Form der LEGO-Bausteine nach Art. 2 lit. b MSchG vom Markenschutz absolut ausgeschlossen ist, weil sie das Wesen der Ware ausmacht. 3.1.1 Die Elemente einer Ware, die in der Anschauung des Publikums spezifisch Produkte dieser Gattung charakterisieren, haben keine Kennzeichnungskraft. Funktional oder ästhetisch notwendige Formen können ohne Veränderung der spezifischen Eigenschaft der Ware selbst nicht verändert oder ausgewechselt werden. Sie sind daher nicht zur Individualisierung der Ware gegenüber gleichartigen Produkten geeignet. Ihr Schutz würde zur Monopolisierung von Waren bestimmter Art als solchen führen, was dem Zweck des Kennzeichenschutzes durch das MSchG widerspricht. Es bedarf daher einer Differenz zwischen den vom Publikum funktional oder ästhetisch erwarteten Elementen einer Ware und der tatsächlichen Form; die in der ästhetischen Form verkörperte Idee und der Gebrauchszweck der Ware sind gemeinfrei und dürfen markenrechtlich von jedem Mitbewerber benützt werden ( BGE 120 II 307 E. 3b S. 310 f.; vgl. auch BGE 88 IV 79 E. 2 S. 83; MARBACH, a.a.O., S. 64 f.; DAVID, Basler Kommentar, Markenschutzgesetz, Muster- und Modellgesetz, 2. Aufl., Basel 1999, N. 46 zu Art. 2 MSchG ; WILLI, MSchG-Kommentar, Zürich 2002, N. 212 zu Art. 2 MSchG ; ARNET, a.a.O., S. 81 ff.; WANG, a.a.O., S. 358 und 363; INEICHEN, Diss., a.a.O., S. 198). 3.1.2 Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz zutreffend angenommen, dass die von der Beklagten für Spielbausteine beanspruchte Quader-Form den Erwartungen des Publikums an einen Spielbaustein entspricht. Quaderförmige Steine (Bauklötze) sind in verschiedensten Dimensionen als Spielzeug für Kinder verbreitet. Dass sich Bauten, wie die Beklagte geltend macht, auch mit Prismen errichten lassen oder mit Körpern, die beispielsweise Rundungen aufweisen, ändert daran nichts. Die traditionell verbreitetste und daher vom Publikum erwartete Form eines "Bausteines" für Mauern und insbesondere für Häuser ist auch in der Realität quaderförmig und wird daher in der Übertragung auf das Spiel erwartet. Die Auffassung BGE 129 III 514 S. 521 der Vorinstanz, wonach das Publikum von "Spielbausteinen" erwartet, dass sie eine quaderförmige Gestalt aufweisen, ist insoweit bundesrechtlich nicht zu beanstanden. 3.1.3 Der Vorinstanz kann dagegen nicht gefolgt werden, wenn sie ungeachtet der umstrittenen Markeneintragungen als "Spielbaustein" davon ausgeht, die Eigenschaft des Klemmens und damit auch die dieser Funktion dienenden Elemente der Form gehörten nicht nur im vorliegenden Fall, sondern allgemein zum Wesen des Spielbausteins. Von quaderförmigen Bausteinen wird bloss erwartet, dass sie nebeneinander gereiht und aufeinander geschichtet werden können. Dass sie auch gegeneinander fixierbar sind, gehört dagegen nicht zum Wesen der Ware Spielbaustein. Der Gebrauchszweck des "Zusammenbauens" ist für zum Spielen bestimmte "Bausteine" nicht wesentlich. Die Möglichkeit des gegenseitigen Fixierens und die dafür angebrachten, sich in der Form niederschlagenden "Vorrichtungen" können daher - wie die Beklagte zutreffend ausführt - Spielbausteine grundsätzlich individualisieren. Derartige Spiel-Bauelemente können zudem gerade wegen der gegenseitigen Fixierbarkeit in ihren Grundformen weit vielfältiger ausgestaltet werden als in blossen Quadern. Entsprechend erwartet das Publikum von solchen zum Zusammenbauen bestimmten Elementen keine Quaderform. 3.1.4 Die Formen, für welche die Beklagte Markenschutz beansprucht, gehen somit über das hinaus, was das Publikum bei einem Spielbaustein erwartet. Mit der Annahme, das Publikum erwarte als "Spielbaustein" einen Klemmstein in der hinterlegten Form eines bestimmt proportionierten Quaders mit aufgesetzten zylindrischen Noppen, die eine feste Verbindung der Steine ermöglicht, ist die Vorinstanz vielmehr einer rückblickenden Betrachtungsweise verfallen, die sie an anderer Stelle in ihrem Urteil selbst zutreffend als unzulässig bezeichnet. Mit der Klemmwirkung, die ein festes Zusammenbauen der Steine ermöglicht, eignet den Spielbausteinen in der hinterlegten Form vielmehr ein zusätzlicher Gebrauchszweck, den das Publikum von Waren der beanspruchten Art, das heisst von Spielbausteinen, nicht erwartet und der nur mittels Verwendung besonderer Formelemente erreicht werden kann. Zwar ist dieser zusätzliche Gebrauchszweck als solcher kennzeichenrechtlich nicht monopolisierbar und kann für die konkrete Form der Quader mit den aufgesetzten zylinderförmigen Noppen kein markenrechtlicher Schutz beansprucht werden, wenn sie zur Erreichung dieses Gebrauchszwecks erforderlich ist. Dies betrifft allerdings entgegen der Auffassung BGE 129 III 514 S. 522 der Vorinstanz ihre technische Notwendigkeit für die Funktion des gegenseitigen Ineinandergreifens der einzelnen Steine bzw. des Zusammenbauens, nicht aber die vom Publikum für Spielbausteine erwarteten grundlegenden Elemente. 3.1.5 Die Klemmwirkung gehört somit entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht zum vom Publikum erwarteten Wesen der Ware "Spielbaustein", während anderseits Spiel-Bauelemente mit Klemmwirkung nicht auf Quaderformen beschränkt sind. Die umstrittenen Formen für Spielbausteine setzen sich nicht ausschliesslich aus Elementen zusammen, die nach den Erwartungen des Publikums das Wesen der Ware ausmachen. Die von der Beklagten beanspruchten Formen sind daher nicht schon vom markenmässigen Schutz ausgeschlossen, weil sie im Sinne von Art. 2 lit. b MSchG das Wesen der Ware ausmachen würden. 3.2 Nach dem Gesagten kommt vorliegend als absoluter Schutzausschlussgrund gemäss Art. 2 lit. b MSchG allein die technische Notwendigkeit der beanspruchten Formen in Betracht. 3.2.1 Vor dem Erlass des geltenden MSchG, in dem die Formmarke erst eingeführt wurde, hatte die Praxis des Bundesgerichtes die Kennzeichnungskraft von Warenformen insbesondere im Zusammenhang mit dem wettbewerbsrechtlichen Ausstattungsschutz anerkannt ( BGE 88 IV 79 E. 1 S. 81 f.; BGE 79 II 316 E. 2c S. 321). Unlauterer Wettbewerb wurde jedoch erst bejaht, wenn die Gestaltung nicht "technisch bedingt" war, d.h. dem Konkurrenten die Wahl einer andern Gestaltung ohne Änderung der technischen Konstruktion und ohne Beeinträchtigung des Gebrauchszwecks möglich und auch zumutbar gewesen wäre, er dies aber vorsätzlich oder auch fahrlässig unterliess ( BGE 88 IV 79 E. 2 S. 82 f.; BGE 79 II 316 E. 2b S. 320, je mit Hinweisen). Unter Berücksichtigung der Anzahl anderer Gestaltungsmöglichkeiten ( BGE 108 II 69 E. 2b/c S. 73 ff.) wurde namentlich der Verzicht auf eine nahe liegende und zweckmässige Ausstattung als unzumutbar erachtet, wenn an deren Stelle eine weniger praktische, eine weniger solide oder eine mit grösseren Herstellungskosten verbundene Ausführung hätte gewählt werden müssen ( BGE 87 II 54 E. 3a S. 58). In BGE 113 II 77 E. 3c S. 80 f. mass das Bundesgericht dagegen unter Verweis auf einen vereinzelten früheren Entscheid ( BGE 92 II 205 ) dem Umstand keine Bedeutung zu, dass die technischen Funktionen mit andern Formen hätten verwirklicht werden können, und liess die Nachahmung eines Modells mit technisch bedingter Form zu, obwohl die technischen Funktionen auch mit einer anderen Gestaltung hätten erreicht werden BGE 129 III 514 S. 523 können. Es verstand das Erfordernis der technischen Bedingtheit hier nicht mehr im Sinne der früheren Rechtsprechung als technische Notwendigkeit (vgl. PATRICK TROLLER, Zum Schutz "technisch bedingter" Formen als Modelle, Ausstattungen oder Formmarken, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Dr. Rudolf Ernst Blum, Zürich 1989, S. 163 ff., 173). 3.2.2 Der Bundesrat hatte in der Botschaft zum Markenschutzgesetz (a.a.O.) vorgeschlagen, Formen vom Markenschutz auszuschliessen, die "technisch bedingt" sind (BBl 1991 I 1, S. 62). Der Ausdruck technisch bedingt wurde in der parlamentarischen Beratung auf Antrag der Nationalratskommission durch "technisch notwendig" ersetzt. Der deutschsprachige Berichterstatter bemerkte, mit der zwingenderen Formulierung werde eine Klärung der Rechtslage insbesondere im Blick auf die etwas unklare Rechtsprechung des Bundesgerichts angestrebt (Votum Stamm, AB 1992 N 398). Gleichzeitig wies der französischsprachige Berichterstatter darauf hin, es sei mit der Änderung eine Angleichung an das EU-Recht beabsichtigt (Votum Ducret, AB 1992 N 398). Die Berichterstatterin im Ständerat beantragte Zustimmung mit der Begründung, es handle sich um eine redaktionelle Änderung (Votum Meier, AB 1992 S 385); zuvor hatte sie im Sinne der bundesrätlichen Botschaft ausgeführt, die Konkretisierung, wann eine Form absolut schutzunfähig ist und nicht monopolisiert werden darf, werde weiterhin im Einzelfall durch die Rechtsprechung erfolgen müssen (AB 1992 S 24; vgl. auch BBl 1991 I 20). Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das Parlament mit der redaktionellen Änderung für die Schutzfähigkeit einer Form nach Art. 2 lit. b MSchG als entscheidend vorgeben wollte, ob der angestrebte technische Zweck - im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts zum wettbewerbsrechtlichen Ausstattungsschutz - durch andere zumutbare Gestaltungsmöglichkeiten erreicht werden kann (vgl. dazu MARBACH, a.a.O., S. 64; WILLI, a.a.O., N. 209 zu Art. 2 MSchG ; WANG, a.a.O., S. 382; PHILIPPE GILLIÉRON, Les divers régimes de protection des signes distinctifs et leurs rapports avec le droit des marques, Diss. Lausanne 1999, S. 229; ARNET, a.a.O., S. 106 f.). 3.2.3 Im vorliegenden Fall steht zur Lösung des technischen Problems der Verklemmung oder Verzahnung der einzelnen Bausteine gegeneinander eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung. Die Vorinstanz hat insofern festgestellt, dass zur Erzielung der Klemmwirkung andere technische Ausgestaltungen als (aufgesetzte) runde gefüllte Noppen möglich sind. Es ist unbestreitbar, dass die von der BGE 129 III 514 S. 524 Beklagten als Form beanspruchten, auf den Quadern der Spielbausteine aufgesetzten, zylinderförmigen Noppen nicht die einzige Möglichkeit bilden, um die Fixierung der Spielbausteine gegeneinander zu erreichen. Insbesondere sind technische Ausgestaltungen denkbar, die beim vertikalen Bau eine Verzahnung durch positiv vorstehende Elemente auf der Unterseite des Quaders mit Aussparungen auf der Oberseite der "Bausteine" bewirken. Neben zylindrischen, ausgefüllten Noppen kommen dafür eine Vielzahl anderer Elemente in Frage (anders geformte Aufsätze, aber auch durchgängig parallel geführte Erhebungen etc.). Es kann sich daher einzig fragen, ob der Klägerin die Wahl einer anderen technischen Möglichkeit zur Erreichung des stabilen Ineinandergreifens der Spielbausteine unzumutbar sei. 3.2.4 Diese Frage hat die Vorinstanz nicht abschliessend beurteilt. Sie hat zwar festgestellt, dass es praktikable Alternativen zu runden, gefüllten Noppen gibt. Ausgehend von der unzutreffenden Auffassung, das Publikum erwarte für Spielbausteine bzw. "Klemm"-Bausteine Quader mit aufgesetzten Noppen, hat sie jedoch nur geprüft, welches die nahe liegende und erwartete Form der Noppen sei. Die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil erlauben die Beurteilung nicht, ob die auf den bestimmt proportionierten Quadern aufgesetzten, in bestimmter Weise angeordneten, zylinderförmigen Noppen zur Erreichung der angestrebten Klemm- oder Stabilisierungswirkung beim Zusammenbau der Spielbausteine technisch notwendig sind. Dies wäre der Fall, wenn Mitbewerbern wie der Klägerin mit dem Verbot ihrer Verwendung der Verzicht auf eine nahe liegende und zweckmässige Ausstattung zugemutet würde, so dass sie an deren Stelle eine weniger praktische, eine weniger solide oder eine mit grösseren Herstellungskosten verbundene Ausführung wählen müssten. 4. Formen, die nicht im Sinne von Art. 2 lit. b MSchG das Wesen der Ware ausmachen oder technisch notwendig sind, können dennoch zum Gemeingut gehören. Gegebenenfalls sind sie nach Art. 2 lit. a MSchG vom Kennzeichenschutz ausgeschlossen, sofern sie sich nicht im Verkehr als Marke für die beanspruchte Ware durchgesetzt haben (vgl. die vorstehende Erwägung 2.3). 4.1 Als Gemeingut gelten nach ständiger Praxis Hinweise auf Eigenschaften, die Beschaffenheit, die Zusammensetzung, die Zweckbestimmung oder die Wirkung der Ware oder Dienstleistung, welche die Marke kennzeichnet. Dass die Marke Gedankenassoziationen BGE 129 III 514 S. 525 weckt oder Anspielungen enthält, die nur entfernt auf die Ware oder Dienstleistung hindeuten, reicht freilich nicht aus, sie zur Beschaffenheitsangabe werden zu lassen. Der gedankliche Zusammenhang mit der Ware oder Dienstleistung muss vielmehr derart sein, dass der beschreibende Charakter der Marke ohne besonderen Aufwand an Fantasie zu erkennen ist ( BGE 127 III 160 E. 2b/aa S. 166 f. mit Hinweisen). Zum Gemeingut gehören insbesondere Formen, die weder in ihren Elementen noch in ihrer Kombination vom Erwarteten und Gewohnten abweichen und daher mangels Originalität im Gedächtnis der Abnehmer nicht haften bleiben ( BGE 120 II 307 E. 3b; vgl. auch Urteil 4A.6/1999 vom 14. Oktober 1999, E. 3, sic! 4/2000 S. 286). 4.2 Bei den von der Beklagten als Marken hinterlegten Formen der LEGO-Bausteine handelt es sich, sofern sie nicht technisch notwendig sind, jedenfalls um technisch bedingte Formen, die nicht als originell und damit als unterscheidungskräftig betrachtet werden können: Das Formelement des Quaders ist als solches für Spielbausteine weder unerwartet noch überraschend. Auch die aufgesetzten, zylindrischen Noppen sind als solche für Spiel-Bauelemente übliche, gebräuchliche und daher nicht kennzeichnungskräftige, sondern gemeinfreie Elemente. Die Bestandteile hinterlassen beim Publikum weder je für sich allein noch in ihrer Kombination einen prägenden Eindruck der Spielbausteine, der im Gedächtnis haften bliebe. Die als Marke beanspruchten Formen sind daher nicht kennzeichnungskräftig und somit nur schutzfähig, wenn sie sich im Verkehr durchgesetzt haben (vgl. Erwägung 2.4.3 oben; zum Begriff der Verkehrsdurchsetzung vgl. DAVID, a.a.O., N. 38 f. zu Art. 2 MSchG ; MARBACH, a.a.O., S. 55 f.; HEINRICH/RUF, a.a.O., S. 403). Es kann insofern zwar als notorisch gelten, dass die LEGO-Bausteine in den von der Beklagten hinterlegten Formen beim schweizerischen Publikum seit langem allgemein bekannt sind (vgl. BGE 108 II 327 ; Urteil vom 8. November 1960, E. 5e, SMI 1961 S. 71 ff.). Die Klägerin bestreitet jedoch, dass sich die hinterlegten LEGO-Baustein-Formen im Verkehr rechtserheblich als Unterscheidungsmerkmal der Waren der Beklagten durchgesetzt haben, und die Beklagte beantragt die Rückweisung der Streitsache an die Vorinstanz. Da die Vorinstanz - aufgrund ihrer Rechtsauffassung folgerichtig - die Verkehrsdurchsetzung der hinterlegten Formmarke nicht geprüft hat, ist die Sache auch zur Beurteilung dieser Frage zurückzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 125 BGE 104 II 124 S. 125 A.- Im Winter 1974/75 liess die Haldemann & Rossignol Skis AG, Stans, periodisch in mehreren Zeitungen Inserate erscheinen, um für ihre Skimarke "Rossignol" zu werben. Sie gab darin "das inoffizielle Markenklassement des Weltcups 1974/75" wieder, bestehend aus einer Rangliste der verschiedenen Skimarken mit den jeweiligen Punktesummen, welche die Fahrer bereits erzielt hatten. An der Spitze der Liste stand stets die Marke "Rossignol", gefolgt von elf bis dreizehn weiteren Konkurrenzmarken, zu denen insbesondere die österreichischen Skimarken "Fischer", "Atomic", "Blizzard", "Kästle" und "Kneissl" gehörten. B.- Am 7. November 1975 klagten die Fischer GmbH, Ried im Innkreis (Österreich), sowie vier weitere Skifabrikanten, welche die österreichischen Marken vertreten, gegen die Haldemann & Rossignol Skis AG wegen unlauteren Wettbewerbs. Sie beantragten dem Kantonsgericht Nidwalden: 1. festzustellen, dass die Beklagte widerrechtlich Reklame mache, wenn sie in Zeitungen sogenannte inoffizielle Markenklassemente, d.h. Ranglisten von Skimarken veröffentliche und darin in irgend einer Form Bezug nehme auf Resultate, welche die Teilnehmer an Skisportveranstaltungen, wie dem Weltcup, unter Verwendung der verschiedenen Marken erzielen; 2. der Beklagten solche Reklame zu verbieten; 3. ihr für den Fall der Widerhandlung gegen dieses Verbot Strafe anzudrohen. Das Kantonsgericht und auf Appelation hin am 14. Juli 1977 auch das Obergericht Nidwalden wiesen die Klage ab. C.- Die Klägerinnen haben gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingelegt mit dem Antrag, ihre Klagebegehren gutzuheissen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. BGE 104 II 124 S. 126 Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Streitigkeiten aus unlauterem Wettbewerb unterstehen der Vorschrift des Art. 46 OG ; sie sind daher nur berufungsfähig, wenn der Streitwert wenigstens Fr. 8'000.- beträgt. Dies gilt selbst dann, wenn nicht auf Schadenersatz, sondern bloss auf Feststellung oder Unterlassung unlauteren Wettbewerbs geklagt wird ( BGE 103 II 213 , BGE 100 II 397 und dort angeführte Urteile). Die Klägerinnen bezifferten den Streitwert im kantonalen Verfahren auf je Fr. 30'000.-, was zusammen Fr. 150'000.- ergibt. Die Beklagte war dagegen der Meinung, von einem Streitwert könne überhaupt nicht die Rede sein, weil ihr Vorgehen weder rechtswidrig sei noch einen Tatbestand des UWG erfülle und die Klägerinnen keinen Schaden behaupteten; eventuell sei auf die für solche Fälle übliche Genugtuungssumme von Fr. 2'000.- abzustellen. Das Obergericht nahm an, der Streitwert übersteige mit Sicherheit nicht Fr. 100'000.-. Da die Parteien im Berufungsverfahren an ihren Auffassungen festhalten, hat das Bundesgericht den Streitwert von Amtes wegen summarisch und nach freiem Ermessen festzusetzen ( Art. 36 Abs. 2 OG ). Auszugehen ist dabei vom Anspruch der Klägerinnen auf Unterlassung der beanstandeten Werbung, und zwar unbekümmert darum, ob die Inserate der Beklagten als unlauter zu bezeichnen und ob die Klägerinnen dadurch bereits geschädigt worden sind. Nach der Erfahrung ist anzunehmen, dass mit solchen Inseraten die Marktstellung und der Umsatz eines Skifabrikanten zum Nachteil der Mitbewerber erheblich verbessert wird, was offensichtlich auch die Beklagte beabsichtigt hat. Angesichts der dabei auf dem Spiele stehenden wirtschaftlichen Interessen darf der Streitwert im vorliegenden Fall als beträchtlich bezeichnet werden; er übersteigt sicher Fr. 15'000.- und dürfte für die fünf Klägerinnen zusammen gegen Fr. 100'000.- ausmachen (vgl. BGE 87 II 114 , BGE 82 II 79 sowie Art. 47 Abs. 1 OG ). Auf die Berufung ist daher einzutreten. 2. Gemäss Art. 1 UWG gilt jeder Missbrauch des wirtschaftlichen Wettbewerbs durch täuschende oder andere Mittel, die gegen Treu und Glauben verstossen, als unlauterer Wettbewerb (Abs. 1). Solchen begeht insbesondere, wer Waren oder Leistungen von Mitbewerbern durch unrichtige, irreführende BGE 104 II 124 S. 127 oder unnötig verletzende Äusserungen herabsetzt (Abs. 2 lit. a) oder über eigene Waren oder Leistungen unrichtige oder irreführende Angaben macht (Abs. 2 lit. b). Nach diesen Regeln beurteilt sich auch die vergleichende Werbung, die schon vor Erlass des UWG grundsätzlich erlaubt war, wenn sie auf wahren Angaben beruhte und nicht darauf hinauslief, Mitbewerber anzuschwärzen ( BGE 55 II 181 mit Hinweisen; BGE 56 II 30 , BGE 58 II 460 , BGE 59 II 21 , BGE 61 II 345 ). Dem wurde in Art. 1 Abs. 2 lit. a und b UWG Rechnung getragen. Rechtsprechung und herrschende Lehre machen die Zulässigkeit vergleichender Reklame denn auch weiterhin davon abhängig, dass der Vergleich objektiv richtig, nicht irreführend und nicht unnötig herabsetzend ist ( BGE 102 II 290 /291 und 293, BGE 94 IV 38 , BGE 87 II 116 und dort angeführte Urteile; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2. Auflage, II S. 1083; GERMANN, in Wirtschaft und Recht 6/1954 S. 259, 20/1968 S. 154 und in Festschrift Walther Hug, S. 223; kritisch dagegen VON BÜREN, Kommentar zum UWG, S. 69 und in ZBJV 82/1946, S. 313). 3. Das Obergericht ist der Auffassung, bei dem von der Beklagten periodisch veröffentlichten "Markenklassement" handle es sich um ein erlaubtes, wenn auch neues und hartes Mittel moderner Werbung. Die Klägerinnen sind dagegen der Meinung, dass die beanstandeten Ranglisten unrichtige, irreführende und unnötig verletzende Äusserungen enthielten, folglich als unlauter zu würdigen seien. Die Vorinstanz stellt für das Bundesgericht verbindlich fest, dass die mit den Ranglisten publizierten Punktesummen stimmten, weil sie den Erfolgen entsprachen, welche Fahrer mit den angeführten Skimarken errangen. Die Ermittlung der Punkte und deren Addition, in denen die Aussage der Inserate sich erschöpfte, waren somit objektiv wahr; die Klägerinnen versuchen dies in der Berufung denn auch nicht zu widerlegen. Fragen kann sich bloss, ob der Punktevergleich unbekümmert darum, dass er der Wahrheit entsprochen hat, falsche Vorstellungen wecken und deshalb Leser irreführen konnte (VON BÜREN, a.a.O., S. 72). Das ist vom Bundesgericht als Rechtsfrage frei zu überprüfen ( BGE 94 IV 36 ). In diesem Sinne rügen die Klägerinnen auch in der Berufung, mit dem Beiwort "inoffiziel" habe die Beklagte ein nicht bestehendes offizielles Markenklassement vorausgesetzt, ihrer Rangliste folglich einen offiziösen und damit falschen Anstrich BGE 104 II 124 S. 128 verliehen. Diese Rüge ist jedoch unbegründet. Schon die Vorinstanzen hielten den Klägerinnen mit Recht entgegen, dass jedermann ein inoffizielles Klassement aufstellen dürfe, damit aber bloss zum Ausdruck bringe, dass es nicht offiziellen, sondern rein privaten Charakter habe. Nach dem angefochtenen Urteil sind die streitigen Inserate meistens nur in der Zeitung "Sport" erschienen, die sich nicht ausschliesslich, aber doch vorwiegend an ein sportinteressiertes Publikum wende. Die Klägerinnen erblicken darin eine Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften, ohne freilich zu sagen, inwiefern die Vorinstanz Art. 8 ZGB missachtet haben soll. Die von ihnen vermisste Feststellung, dass die gleichen Inserate auch im Sportteil von Tageszeitungen wiedergegeben worden sind, findet sich an anderer Stelle des angefochtenen Urteils. Entscheidend ist indes die Annahme des Obergerichts, dass die Inserate der Beklagten sich so oder anders an sportinteressierte Leser richteten und dass dies auch für die Werbung mit Sporterfolgen an sich gelte. Von einem kleinen Kreis eines eigentlichen Fachpublikums, wie in der Berufung behauptet wird, ist im angefochtenen Urteil nicht die Rede. Für die Beurteilung der Inserate ist daher auf den Sinn abzustellen, den ihnen das sportinteressierte Publikum in guten Treuen beilegen durfte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich angesichts des allgemeinen Interesses am Skisport gleichwohl um eine breite Volksschicht handelt, die solche Inserate erfahrungsgemäss schnell liest und nicht kritisch zu prüfen pflegt ( BGE 94 IV 36 ). 4. Als Skifabrikanten stehen die Parteien in einem Wirtschaftszweig, der sich durch besondere Werbegelegenheiten und Werbemethoden auszeichnet, in einem harten Wettbewerb miteinander. Da der olympische Amateurstatus offenbar zu Zurückhaltung in der Werbung mit Namen und Bildern erfolgreicher Skifahrer zwingt, wird umsomehr mit den Erfolgen selbst geworben, für die Medaillen, Meistertitel oder Weltcup-Punkte verliehen werden. Diese Werbung ist offensichtlich branchenüblich und wird nicht nur von der Beklagten, sondern auch von den Klägerinnen betrieben. a) Weil die Klägerinnen sich ebenfalls solcher Methoden bedienen, erblickt die Beklagte in der Klage einen Widerspruch zu deren eigenem Verhalten. Davon kann indes nicht die Rede sein, weil die Beklagte nicht behauptet, auch die Klägerinnen BGE 104 II 124 S. 129 hätten Markenklassemente wie die streitigen, veröffentlicht. Selbst wenn dies zuträfe würde der Beklagten die Einrede widersprüchlichen Verhaltens nicht helfen; sie hätte diesfalls vielmehr selber Klage einreichen müssen ( BGE 81 II 70 ). Ebensowenig lassen sich Werbeexzesse mit dem Hinweis auf das allgemeine Wettbewerbsklima rechtfertigen; die Beklagte übersieht, dass das UWG gerade erlassen worden ist, um solche Exzesse verhindern zu können ( BGE 102 II 294 , 94 IV 36 und 38, BGE 79 II 412 ). Dass auch die Klägerinnen mit Sporterfolgen werben, ist von der Vorinstanz verbindlich festgestellt und unbestritten, wenn sie die Feststellung auch als überflüssig und unverständlich rügen. Was sie gegen die umstrittene Auswertung von Sporterfolgen durch die Beklagte vorbringen, richtet sich im Grunde gegen die Erfolgswerbung überhaupt und ist daher unter diesem Gesichtspunkt zu würdigen. Gewiss sind die von einem Skifahrer erzielten Erfolge keine Eigenschaft der verwendeten Ausrüstung; sie hängen in ungleich höherem Masse von andern Faktoren, insbesondere dem Können und Einsatz des Fahrers ab. Dies darf, wie die Vorinstanz richtig bemerkt, jedenfalls bei einem sportinteressierten Publikum als bekannt vorausgesetzt werden, zumal die Skier, wie das Obergericht beifügt, nicht ohne Fahrer auf die Piste geschickt werden. Das schliesst aber nicht aus, dass auch die Qualität des Skis und das Material, aus dem er besteht, eine wichtige Rolle spielen und daher mit den Erfolgen des Fahrers in Beziehung gebracht werden dürfen, wie das z.B. auch im Automobilsport für Reifen, Motoren, Öle usw. zutrifft. b) Daraus folgt freilich nicht notwendig, dass der Erfolg eines Fahrers mit der Qualität der von ihm verwendeten Skier zusammenhange. Die Beklagte bestreitet denn auch, dass die von ihr veröffentlichten Ranglisten irgendwie Bezug genommen hätten auf die Qualität ihrer Erzeugnisse. Die Klägerinnen werfen ihr dagegen vor, sie habe mit ihrer Werbung den Anschein erwecken wollen, ihre Skier seien qualitativ besser, ohne aber so etwas im Prozess auch nur zu behaupten. Das Obergericht begnügte sich mit der Feststellung, die Beklagte habe mit den Inseraten nicht gesagt, ihre Erzeugnisse seien besser als jene der Konkurrenz. Damit ist die entscheidende Frage, ob mit der streitigen Werbung nicht doch dieser Eindruck erweckt werden sollte, aber nicht beantwortet. Das Kantonsgericht bejahte BGE 104 II 124 S. 130 sie mit der Begründung, dass dem Leser mit solchen Hinweisen auf erzielte Erfolge suggeriert werde, der an der Spitze des Klassements stehende Markenski sei auch der beste. Dass die Inserate der Beklagten solche Vorstellungen wecken konnten, leuchtet ein und schliesst auch das Obergericht nicht aus, bemerkt es doch, der Entscheid über die Qualität des Skis sei den Lesern überlassen worden. Mit der etwa drei Monate dauernden Werbeaktion wollte die Beklagte offensichtlich Kaufsinteressenten dazu bewegen, sich für "Rossignol" statt für eine andere Marke zu entscheiden. Für solche Interessenten wird man aber nicht die sportlichen Erfolge an sich, sondern eher die Skiqualität, die sie aus den angeführten Rängen und Punktesummen ableiten konnten, als Motiv eines Kaufes annehmen dürfen, zumal die Namen der Fahrer in den Inseraten verschwiegen wurden. Bei der sogenannten Image-Werbung mit dem Bild eines erfolgreichen Fahrers verhält es sich allerdings anders, weil dort die Interessenten dazu neigen, sich mit einem sportlichen Leitbild zu identifizieren und daher der Qualität des Erzeugnisses zwangsläufig eine untergeordnete Bedeutung beimessen. Ob die Erfolge, welche mit den von der Beklagten angeführten Markenskiern erzielt wurden, bloss ein Gradmesser für die Qualität der Erzeugnisse sein sollten oder auch als Image-Werbung zu verstehen waren, kann indes dahingestellt bleiben, da sie sich deswegen so oder anders nicht als irreführende Reklame ausgeben lassen. Dass für Sportartikel mit Erfolgen geworben wird, die mit ihrer Hilfe erzielt worden sind, liegt nahe und ist an sich nicht zu beanstanden. Eine andere Betrachtungsweise könnte allerdings eine häufig überbordende Reklame in diesem Bereiche mässigen, würde beliebte Veranstaltungen wie die Weltcup-Rennen aber auch ernstlich gefährden, weil diese weitgehend von den Sportartikelfabrikanten abhangen, die damit ihre Werbung bestreiten. Was für die individuelle Werbung mit eigenen Erfolgen als erlaubt anzusehen ist, muss grundsätzlich auch gelten, wenn von verschiedenen Personen oder Firmen erzielte Erfolge miteinander verglichen werden. Eine Rangliste ist insbesondere nicht schon deshalb irreführend, weil sie wie hier die Erfolge als einziges Merkmal herausgreift, solange das klar zum Ausdruck gebracht und daraus nicht eine weitergehende oder abschliessende Bewertung abgeleitet wird. In diesem Sinne hat sich das Bundesgericht BGE 104 II 124 S. 131 im Entscheid 55 II 181/182 bereits zu einer "Rangliste" von Mineralwassern geäussert, die darin ausschliesslich nach ihrem Mineralgehalt geordnet worden sind. Es ist deshalb auch nicht zu ersehen, weshalb die vergleichende Werbung mit sportlichen Erfolgen unnötig verletzend sein soll, wenn sie im übrigen nicht zu beanstanden ist. 5. Die Klägerinnen machen ferner geltend, die streitigen Ränge und Punktesummen der Skimarken hingen wesentlich davon ab, wieviele Fahrer jeder Markeninhaber in die Rennen schicke; die Beklagte als Grossunternehmen vermöge aber mehr Fahrer zu verpflichten als andere Firmen. Die Beklagte bestreitet ein solches zahlenmässiges Missverhältnis an sich nicht, hält es mit der Vorinstanz jedoch für unerheblich, weil die Rangliste gleichwohl richtig bleibe und es jeder Firma freistehe, wieviele Fahrer sie ausrüsten wolle. Die Richtigkeit der Ränge und Punkte schliesst eine Irreführung indes nicht aus. a) Für diese Beurteilung ist von den Weltcup-Regeln auszugehen. Danach erhalten die ersten zehn Fahrer eines Weltcup-Rennens zwischen 25 und 1 Punkte; diese werden für jeden Fahrer während einer Saison zusammengezählt, woraus sich nach jedem Rennen ein neues Klassement und am Ende der Saison das Schlussklassement ergibt. Von diesen unterschied das Markenklassement der Beklagten sich dadurch, dass jeweils die Punkte aller Fahrer der gleichen Skimarke addiert wurden. Im Markenklassement verbesserte sich daher das Resultat einer Marke nicht nur nach den Erfolgen der beteiligten, sondern auch nach der Anzahl der klassierten Fahrer. Bei gleichwertigen Fahrern und gleicher Skiqualität konnte somit ein Markeninhaber doppelt so viele Erfolge und Punkte erzielen als ein anderer, wenn er zum Beispiel vier, der andere dagegen nur zwei Fahrer einsetzte. Dass solche Resultate, die durch die Anzahl Fahrer mitbestimmt werden, keine richtigen Schlüsse über die Qualität eines Skis erlauben, liegt auf der Hand. Sie bieten auch keine Gewähr für eine einigermassen zuverlässige Beurteilung der tatsächlich erzielten Erfolge; im Rennsport wird das Publikum erfahrungsgemäss aber gerade durch die Spitzenresultate beeindruckt, was die sportliche Erfolgswerbung mit Medaillen und Rängen denn auch auszunützen sucht. Ein Anreiz zum Kauf und damit ein Werbeargument könnte freilich auch sein, dass BGE 104 II 124 S. 132 viele Spitzenfahrer Skier der gleichen Marke benützen. Dies würde indes voraussetzen, dass der Fahrer in der Wahl des Skis frei ist, was für den alpinen Skisport nicht zutrifft. Interessenten werden sich zudem eher durch beste Leistungen weniger Fahrer als durch schlechtere Leistungen vieler Fahrer zum Kauf eines bestimmten Skis bewegen lassen. Jedenfalls müssten Kaufsinteressenten gerade das selber beurteilen können, wozu sie aber nur imstande sind, wenn im Markenklassement neben den Punktesummen auch die Zahl der klassierten Fahrer angegeben wird. Diese Darstellung ist von der Beklagten in einem früheren Inserat vom 20. März 1974 beachtet worden; sie liegt ferner einem weiteren Markenklassement zugrunde, das im "Sport" vom 4. April 1975 veröffentlicht worden ist. Vergleicht man in diesem Klassement die Punktesumme je Marke mit der jeweiligen Anzahl der klassierten Fahrer, so ergibt sich eine völlig andere Rangliste, da diesfalls alle Marken der Klägerinnen derjenigen der Beklagten vorgehen. Das lässt sich nur damit erklären dass die Beklagte mit ihrer Skimarke im Durchschnitt schlechtere Resultate erzielt hat als die Klägerinnen. In den Ranglisten, die in den beanstandeten Inseraten vom Januar bis Ende März 1975 veröffentlicht wurden, verschwieg die Beklagte dagegen die Anzahl der Fahrer und damit auch die Tatsache, dass die Selbstberühmung als "erfolgreichste Skimarke" mehr quantitativ als qualitativ zu verstehen war. SO zeigte das letzte Inserat vom 24. März 1975 die Marke "Rossignol" mit 985 Punkten überlegen vor der Marke "Fischer" mit 634, der in kleineren Abständen im 4., 5. und 6. Rang die Marken "Atomic", "Blizzard", "Kästle" und im 9. Rang mit 235 Punkten "Kneissl" folgten. Dass diese Punkte, wie aus dem Schlussklassement des "Sport" vom 4. April 1975 erhellt, mit der zwei- bis fünffachen Anzahl klassierter Fahrer gesammelt worden sind, ist dem Inserat nicht zu entnehmen. Solche Ranglisten täuschen den Leser aber über einen wichtigen Faktor der Punktesummen und müssen daher als irreführend bezeichnet werden. b) Das gilt in gewissem Masse freilich auch für das offizielle Nationenklassement, wirkt sich dort aber weniger aus, weil höchstens zehn Fahrer je Nation zugelassen sind. Da das UWG hier keine Anwendung findet, versucht die Beklagte mit Recht nicht, daraus etwas zu ihren Gunsten abzuleiten. Die Werbung für geschäftliche Zwecke hat die Schranken des Art. 1 UWG zu BGE 104 II 124 S. 133 beachten und alles zu vermeiden, was falsche Vorstellungen wecken, Dritte also irreführen kann. Dies gilt namentlich dann, wenn nicht in allgemeinen Wendungen für eigene Artikel geworben wird, sondern diese anhand von Zahlen mit denjenigen eines Mitwerbers verglichen oder gar, wie hier, eigentliche Ranglisten aufgestellt werden. Von einer Rangliste war auch in dem in BGE 55 II 180 veröffentlichten Falle die Rede, der sich mit dem vorliegenden aber schon deshalb nicht vergleichen lässt, weil dort die "Rangliste" der Mineralwasser auf einer wissenschaftlichen Analyse beruhte und deren Ergebnisse genau wiedergab. Unerlässlich ist aber vor allem, dass bei solchen Darstellungen nur wirklich Vergleichbares miteinander in Beziehung gebracht wird. Das gilt namentlich für Preisvergleiche, die nur dann als zulässig gelten können, wenn gleiche Quantitäten und Qualitäten miteinander verglichen werden, wobei allenfalls sogar die Kalkulationsfaktoren anzugeben sind, um Täuschungen auszuschliessen ( BGE 79 II 413 ; H. TROXLER, Kritische Würdigung der Rechtsprechung zur vergleichenden Werbung in der Schweiz und im Ausland, Diss. Zürich 1970, S. 145; J.G. SCHMID, Die vergleichende Reklame, Diss. Zürich 1955, S. 88). Dieses Gebot versteht sich für Institute, die im Interesse der Konsumenten vergleichende Warenteste durchführen, denn auch von selbst (HEYDEN, Vergleichender Warentest, in SJZ 64/1968, S. 1 ff.; H. E. HUBER, Vergleichender Warentest und unlauterer Wettbewerb, Diss. Zürich 1970, S. 33 ff.). 6. Unlauter ist somit im vorliegenden Fall nicht die reklamemässige Verwendung des Markenklassements an sich, wie die Klägerinnen behaupten, sondern dass die Beklagte den massgebenden Einfluss der Fahrerzahlen auf die Punktesummen verschwiegen und dadurch den Ranglisten einen falschen Anschein gegeben hat. Die Klage ist daher teilweise gutzuheissen, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die Inserate deswegen auch unnötig verletzend seien; dieser Vorwurf deckt sich übrigens weitgehend mit dem der Irreführung. Mit dem Klagebegehren 1 wollen die Klägerinnen festgestellt wissen, dass die Beklagte widerrechtlich Reklame macht, mit den Begehren 2 und 3 diese Reklame bei Strafe verbieten lassen. Sie berufen sich dafür auf Art. 2 Abs. 1 UWG . Der in lit. a dieser Bestimmung vorgesehene Anspruch auf Feststellung der Widerrechtlichkeit gilt nicht schlechthin, sondern setzt ein BGE 104 II 124 S. 134 schutzwürdiges Interesse an der Feststellung voraus. Ein solches Interesse wird regelmässig bejaht, wenn das Feststellungsbegehren mit einem Antrag auf Veröffentlichung des Urteils verbunden wird, dagegen im allgemeinen verneint, wenn gleichzeitig auf Unterlassung geklagt wird ( BGE 90 II 58 , vgl. auch 92 II 267 und BGE 93 II 270 ). Die Beklagte bestritt im kantonalen Verfahren ein solches Interesse der Klägerinnen, die ihrerseits nur geltend machten, am beantragten Verbot interessiert zu sein. Ein zusätzliches Feststellungsinteresse haben die Klägerinnen auch im Berufungsverfahren nicht dargetan, weshalb es bei der Abweisung der Feststellungsklage bleiben muss. Die Beklagte bestritt im kantonalen Verfahren auch ein Interesse der Klägerinnen an der Unterlassungsklage, weil ein bereits entstandener Schaden nicht behauptet werde und ein künftiger nicht zu erwarten sei. Dass sie die beanstandete Werbung wiederholen könnte, blieb indes unbestritten. Sie hat auch nach einem entsprechenden Vorhalt in der Berufung nicht erklärt, künftig auf solche Werbung verzichten zu wollen. Die Beklagte beharrte vielmehr noch im Berufungsverfahren auf ihrem Standpunkt, dass es sich um zulässige Reklame handle und die Klage daher in vollem Umfange abzuweisen sei. Die Unterlassungsklage ist deshalb unbekümmert darum gutzuheissen, ob den Klägerinnen tatsächlich ein Schaden entstehen wird ( BGE 103 II 214 , BGE 102 II 124 , BGE 92 II 268 , BGE 90 II 59 ). Der Urteilsspruch, der das Verbot möglichst genau umschreiben soll ( BGE 93 II 59 E. 4), bringt zum Ausdruck, dass das beanstandete Markenklassement nicht schlechthin, sondern nur soweit untersagt wird, als es irreführend ist. Mit dem Verbot ist der Hinweis auf die Strafandrohung des Art. 292 StGB zu verbinden ( BGE 96 II 262 oben, BGE 92 II 268 ).
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66a44221-475a-4b5c-9626-a7da860ad153
Sachverhalt ab Seite 281 BGE 128 I 280 S. 281 B. war seit dem 1. September 1997 als angestellter Rechtsanwalt in Appenzell tätig; seit 1. Mai 2001 ist er daselbst Partner im Anwaltsbüro A. & B. Am 28. Februar 2001 ersuchte er um die Bewilligung für die öffentliche Beurkundung im Kanton Appenzell I.Rh. im Sinn von Art. 1 Abs. 2 der durch den Grossen Rat erlassenen Verordnung vom 1. Juni 1951 über die öffentliche Beurkundung im Kanton Appenzell I.Rh. Nach dieser Bestimmung kann die Standeskommission für die öffentliche Beurkundung der dort aufgeführten Rechtsgeschäfte im Kanton Appenzell I.Rh. wohnhafte Personen zulassen, welche das Appenzell-Innerrhodische Anwaltspatent erworben haben. Die Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. wies das Gesuch am 15. Mai 2001 ab mit der Begründung, B. habe nicht im Kanton Wohnsitz und erfülle somit die in der Verordnung festgelegten Voraussetzungen nicht. Das Kantonsgericht Appenzell I.Rh. wies eine gegen diesen Entscheid gerichtete Beschwerde am 20. November 2001 ab. Das Bundesgericht weist die von B. wegen Verletzung der Niederlassungsfreiheit erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Die öffentliche Beurkundung, die nach dem Bundeszivilrecht Gültigkeitserfordernis verschiedener Rechtsgeschäfte ist, stellt eine Handlung der sogenannten freiwilligen oder nichtstreitigen Gerichtsbarkeit dar. Ihre Organisation ist eine staatliche Aufgabe, die nach Art. 55 des Schlusstitels des Zivilgesetzbuches (ZGB) den Kantonen obliegt. Die öffentliche Beurkundung ist eine amtliche, hoheitliche Tätigkeit und die Urkundsperson ein staatliches Organ. Dies gilt unabhängig davon, ob mit der Beurkundung nach kantonalem Recht ein Beamter oder ein freierwerbender Notar oder Anwalt beauftragt ist (Urteil 2P.151/1995 vom 12. Dezember 1996, publ. in: RDAT 1997 II Nr. 10 S. 14, E. 3b; Urteil 2P.311/1993 vom 9. Mai 1994, publ. in: ZBGR 77/1996 S. 110, E. 3; BGE 90 II 274 E. 1 S. 277 f. mit Hinweisen; MAX GULDENER, Grundzüge der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz, Zürich 1954, S. 22 f.; HANS MARTI, Notariatsprozess, Bern 1989, S. 55; CHRISTIAN BRÜCKNER, Schweizerisches Beurkundungsrecht, Zürich 1993, S. 152 ff.). Da die vom Kanton verliehene Beurkundungsbefugnis den Charakter einer übertragenen hoheitlichen Funktion hat, steht diese BGE 128 I 280 S. 282 Tätigkeit nicht unter dem Schutz der Wirtschaftsfreiheit ( BGE 73 I 366 ff.; BGE 124 I 297 E. 3a S. 298; Urteil 2P.433/1997 vom 30. Juni 1998, publ. in: ZBGR 81/2000 S. 72 ff.; Urteil 2P.436/1997 vom 5. Februar 1999, publ. in: ZBGR 81/2000 S. 64 ff., je mit Hinweisen). Entsprechend ist darauf das Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über den Binnenmarkt (Binnenmarktgesetz, BGBM; SR 943.02) nicht anwendbar (vgl. Art. 1 Abs. 3 BGBM ; zitiertes Urteil vom 30. Juni 1998). Das Gleiche gilt für das am 1. Juni 2002 in Kraft getretene Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681). Dieses Abkommen belässt den Vertragsstaaten die Befugnis, nicht nur das Recht auf Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung zu verweigern, wenn diese die Ausübung hoheitlicher Befugnisse umfasst (Art. 10 Anhang I), sondern auch die selbständige Erwerbstätigkeit, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist (Art. 16 Anhang I). Dabei ist massgebend, dass die Tätigkeit für sich genommen eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt mit einschliesst. Das trifft für Urkundspersonen nach dem Gesagten zweifellos zu, hingegen nicht für Rechtsanwälte, denn diese sind privatwirtschaftlich tätig (Urteil des EuGH vom 21. Juni 1974 in der Rechtssache Rs. 2/74, Reyners, Slg. 1974, S. 631 ff.; vgl. FRITZ ROTHENBÜHLER, Freizügigkeit für Anwälte, Diss. Freiburg 1995, S. 167 f.). Der Beschwerdeführer beruft sich denn auch zu Recht nicht auf das Freizügigkeitsabkommen oder auf das Binnenmarktgesetz oder auf das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV . 4. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner verfassungsrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit. 4.1 4.1.1 Gemäss Art. 24 Abs. 1 BV haben Schweizerinnen und Schweizer das Recht, sich an jedem Ort des Landes niederzulassen. Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet damit die Möglichkeit persönlichen Verweilens an jedem beliebigen Ort der Schweiz; sie gebietet den Kantonen und Gemeinden, jedem Schweizerbürger die Niederlassung auf ihrem Gebiet zu erlauben, und verbietet ihnen gleichzeitig, die Verlegung des einmal gewählten Wohnsitzes zu verhindern oder zu erschweren ( BGE 108 Ia 248 E. 1 mit Hinweisen). BGE 128 I 280 S. 283 Dass der Beschwerdeführer verpflichtet wird, im Kanton Appenzell I.Rh. seinen Wohnsitz zu begründen, falls er dort als Notar zugelassen werden will, berührt somit seine Niederlassungsfreiheit, weshalb er insoweit zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert ist. 4.1.2 Die Niederlassungsfreiheit kann, wie andere Freiheitsrechte, unter den Voraussetzungen von Art. 36 BV eingeschränkt werden. Danach bedürfen Einschränkungen der gesetzlichen Grundlage (Abs. 1), müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig sein (Abs. 2 und 3); zudem ist der Kerngehalt des Grundrechts unantastbar (Abs. 4). Diese Voraussetzungen gelten auch in besonderen Rechtsverhältnissen ( BGE 111 Ia 214 E. 2a S. 216 mit Hinweisen). Vorliegend ist unbestritten, dass für den gerügten Eingriff mit der zitierten, vom innerrhodischen Grossen Rat erlassenen Verordnung vom 1. Juni 1951, welche die Wohnsitzpflicht ausdrücklich vorschreibt (vgl. Art. 1 Abs. 2), eine genügende gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Es liegt sodann auf der Hand, dass mit einer solchen Residenzpflicht die Niederlassungsfreiheit des Beschwerdeführers unter den gegebenen Umständen nur am Rande, keinesfalls in ihrem Kerngehalt betroffen sein kann. Der Beschwerdeführer wendet jedoch ein, es bestehe keinerlei öffentliches Interesse daran, die Zulassung zur Beurkundung an die Wohnsitznahme im Kanton zu knüpfen; zudem wäre eine solche Grundrechtsbeschränkung unverhältnismässig. 4.2 Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Niederlassungsfreiheit ist reich an Fällen, in welchen die Wohnsitzpflicht von Beamten im Lichte dieses Grundrechts zu beurteilen war. Das Bundesgericht erachtete es zunächst generell als unbedenklich, wenn der öffentlichrechtliche Arbeitgeber im Rahmen der gesetzlichen Regelung des Dienstverhältnisses Vorschriften über den Wohnsitz der Beamten aufstellt. Es sprächen hierfür, über rein dienstliche Erfordernisse hinaus, eine Reihe sachlicher Gründe. Nach schweizerischer Auffassung sei nämlich eine gewisse Verbundenheit des Beamten mit der Bevölkerung und dem Gemeinwesen anzustreben, dessen Probleme der Beamte nicht nur aus amtlicher, sondern auch aus privater Sicht kennen sollte ( BGE 103 Ia 455 ). In der Folge ging das Bundesgericht dazu über, die Wohnsitzpflicht an den Kriterien der dienstlichen Notwendigkeit und der Verbundenheit mit der Bevölkerung zu messen, wobei es zugleich rein fiskalische Gründe für eine Wohnsitzpflicht ausschloss ( BGE 118 Ia 410 mit Hinweisen; BGE 128 I 280 S. 284 vgl. auch BGE 120 Ia 203 E. 3a S. 205 mit Hinweisen). So wurde ein öffentliches Interesse an einer Residenzpflicht unter anderem bejaht für Beamte des Polizei- oder Feuerwehrkorps ( BGE 103 Ia 455 E. 4a S. 457), für Lehrer ( BGE 115 Ia 207 ; BGE 108 Ia 248 ), für den Chef einer kommunalen Einwohnerkontrolle (Urteil 2P.134/1991 vom 3. April 1992, auf welches in BGE 118 Ia 410 E. 2 verwiesen wird), für den Aufseher einer Strafanstalt ( BGE 116 Ia 382 ) sowie für den Gerichtsschreiber an einem Bezirksgericht (Urteil P.388/1986 vom 27. März 1987), nicht dagegen etwa bei einem Ambulanzfahrer ( BGE 118 Ia 410 ). Ist die Wohnsitzpflicht für eine bestimmte Kategorie Bediensteter grundsätzlich gerechtfertigt, so kann das Grundrecht der Niederlassungsfreiheit immer auch noch im konkreten Fall seine Wirkung entfalten, indem überwiegende (objektive oder subjektive) Gründe nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip eine Ausnahme erfordern ( BGE 118 Ia 410 E. 2 S. 412; BGE 115 Ia 207 E. 3c S. 211, je mit Hinweisen; siehe zum Ganzen: JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 162 ff.). In jüngsten Entscheiden erhielt das Bundesgericht Gelegenheit klarzustellen, dass von Beamten, die eine besonders wichtige, leitende Stellung ausüben, eine erhöhte Disponibilität gegenüber dem Arbeitgeber verlangt werden kann (verneint etwa für die Leiterin einer Fakultätsbibliothek: Urteil 2P.113/1996 vom 9. September 1996). Im Zusammenhang mit der Wahl eines Berner Regierungsstatthalters - die Wahl war in Missachtung der Wohnsitzpflicht erfolgt und wurde vom Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Stimmrechts hin aufgehoben - erachtete das Bundesgericht die Wohnsitzpflicht nicht nur wegen dienstlicher Erfordernisse als sachlich gerechtfertigt, sondern auch deshalb, weil bei einem solchen Amt eine enge Verbundenheit mit dem betreffenden Gemeinwesen vorausgesetzt werden kann ( BGE 128 I 34 ). 4.3 Der Kanton Appenzell I.Rh. hat die Beurkundungstätigkeit verschiedenen Behörden und Personen zugewiesen. Für bestimmte Rechtsgeschäfte kommen zugelassene Anwälte in Betracht, wenn sie im Kanton Appenzell I.Rh. Wohnsitz haben. Dieses Erfordernis kann nicht schon deshalb als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit qualifiziert werden, weil der Anwalt, dem die Urkundsbefugnis für bestimmte Rechtsgeschäfte übertragen ist, freiberuflich tätig ist. Von Bedeutung ist vielmehr, dass die Urkundsperson im Rahmen der freiwilligen bzw. nichtstreitigen Gerichtsbarkeit eine hoheitliche Tätigkeit ausübt. Die Urkundsperson übt die ihr BGE 128 I 280 S. 285 übertragene Funktion, anders als dies für zahlreiche Bedienstete des Gemeinwesens zutrifft, in eigener Verantwortung aus, ohne dass sie der Weisungsbefugnis einer vorgesetzten Behörde unterläge. Insofern - weitgehende Unabhängigkeit in der Ausübung der hoheitlichen Tätigkeit - ist die Tätigkeit vergleichbar mit richterlichen Funktionen oder hohen politischen Ämtern und leitenden Funktionen, für welche nicht ernsthaft bestritten werden kann, dass ein Gemeinwesen berechtigt ist, sie den eigenen Angehörigen vorzubehalten (REGINA KIENER, Richterliche Unabhängigkeit, Bern 2001, S. 268; HANGARTNER/KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, S. 628, Rz. 1576). Im Kern kommt hier der demokratische Grundgedanke zum Ausdruck, wonach die Staatsgewalt durch die Staatsunterworfenen selber ausgeübt wird. Auf diese Überzeugung ist auch zurückzuführen, dass in neueren Erlassen und Abkommen Tätigkeiten, die mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden sind, von den allgemeinen Freizügigkeitsgarantien, die im Übrigen auch für das öffentliche Dienstrecht gelten, ausgenommen sind (vgl. oben E. 3). Im schweizerischen Bundesstaat kommt Staatlichkeit auch den Kantonen zu. Wohl kann die Niederlassungsfreiheit als Grundrecht der Bundesverfassung gebieten, die Wohnsitzpflicht im öffentlichen Dienstrecht nicht allzu starr auszugestalten. Es mag auch sein, dass für bestimmte Kategorien von Bediensteten des Gemeinwesens, für welche in der Vergangenheit die Wohnsitzpflicht noch als vereinbar mit der Niederlassungsfreiheit betrachtet wurde, dies heute nicht mehr aufrechterhalten werden kann, namentlich, wo nicht eine eigentliche hoheitliche Tätigkeit vorliegt. Bei hoheitlichen Tätigkeiten, welche in grosser Unabhängigkeit ausgeübt werden, kann dem Gemeinwesen aber nicht verwehrt sein, an der Wohnsitzpflicht festzuhalten und solche Tätigkeiten nur Angehörigen des betroffenen Gemeinwesens zu übertragen. Mit Rücksicht auf die verfassungsmässige Kompetenzordnung im Bundesstaat ist es auch gerechtfertigt, dass das Bundesgericht in Grenzfällen eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem kantonalen Gesetzgeber übt, wenn es zu entscheiden hat, ob die getroffene Regelung mit der Niederlassungsfreiheit noch vereinbar ist (vgl. BGE 118 Ia 64 E. 2c S. 72 f. mit Hinweisen). 4.4 Nach diesem Massstab verstösst die zitierte Regelung des Kantons Appenzell I.Rh. nicht gegen die Niederlassungsfreiheit. Mit der Begründung, die Beurkundungstätigkeit erfordere eine BGE 128 I 280 S. 286 erhöhte Präsenz oder Disponibilität des Notars oder eine gewisse Verbundenheit mit der Bevölkerung, liesse sich zwar die Wohnsitzpflicht kaum rechtfertigen; ebenso wenig mit dem vom Kantonsgericht Appenzell I.Rh. vorgebrachten Argument, eine Urkundsperson müsse für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung mit den kantonalen, historisch gewachsenen Strukturen vertraut sein. Hingegen fällt entscheidend ins Gewicht, dass die Urkundsperson, wie oben ausgeführt, als staatliches Organ eine hoheitliche (wenn auch nicht leitende) Funktion wahrnimmt und die ihr übertragene Tätigkeit weitgehend weisungsunabhängig ausübt. Die Übertragung derartiger Staatsgewalt liegt grundsätzlich in der Regelungskompetenz der Kantone. Zahlreiche Kantone sehen heute vom Wohnsitzerfordernis für freiberufliche Notare ab (vgl. BRÜCKNER, a.a.O., S. 975, Rz. 3456). Es ist aber mit der Bundesverfassung und namentlich mit der Niederlassungsfreiheit auch vereinbar, wenn ein Kanton, wie vorliegend der Kanton Appenzell I.Rh., die hoheitliche Beurkundungsbefugnis Personen mit Wohnsitz im Kanton vorbehält. 4.5 Überwiegende Gründe, die im konkreten Fall eine Ausnahme von der Wohnsitzpflicht gebieten würden, werden nicht namhaft gemacht. Sie ergeben sich insbesondere nicht schon daraus, dass der Beschwerdeführer nahe der innerrhodischen Grenze wohnhaft ist. Das wäre allenfalls bedeutsam, wenn es aus Gründen der korrekten Amtsführung auf die örtliche Nähe ankäme, was vorliegend jedoch nicht zutrifft. Die geltend gemachten persönlichen Annehmlichkeiten, wenn der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz nicht wechseln müsste, vermögen das Interesse an der Wohnsitzpflicht nicht aufzuwiegen und lassen diese nicht als unverhältnismässig erscheinen.
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92184ab7-ba27-4c3e-b10d-956de7ccad92
Sachverhalt ab Seite 46 BGE 134 V 45 S. 46 A. Dr. med. N. ersuchte am 11. Oktober 2006 die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich um eine Ausnahmebewilligung gemäss Art. 3 der Verordnung vom 3. Juli 2002 über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Zulassungsverordnung; SR 832.103) . Die Gesundheitsdirektion wies das Gesuch mit Verfügung vom 11. April 2007 ab. B. Dr. med. N. erhob dagegen Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde mit Entscheid vom 23. August 2007 ab. C. Dr. med. N. erhebt entsprechend der Rechtsmittelbelehrung Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Das Verwaltungsgericht und die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich beantragen, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit von Amtes wegen ( Art. 29 Abs. 1 BGG ). 1.1 Der angefochtene Entscheid erging in Anwendung von Art. 55a KVG beziehungsweise der diese Bestimmung konkretisierenden Zulassungsverordnung und der kantonalen Einführungsverordnung zum Zulassungsstopp. Nach Art. 83 lit. r BGG ist die Beschwerde an das Bundesgericht unzulässig gegen Entscheide auf dem BGE 134 V 45 S. 47 Gebiet der Krankenversicherung, die das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf Art. 34 VGG getroffen hat. Nach Art. 34 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Beschwerden gegen Beschlüsse der Kantonsregierungen nach Art. 55a KVG . Wie sich insbesondere auch aus dem französischen und italienischen Wortlaut ("décisions" bzw. "decisioni") dieser Bestimmung ergibt, betrifft dies auch die Beschlüsse (Verfügungen), mit denen im Einzelfall über eine solche Zulassung entschieden wird. 1.2 Vorliegend ist die ursprünglich angefochtene Verfügung allerdings nicht - wie dies im Wortlaut von Art. 34 VGG vorgesehen ist - von einer Kantonsregierung, sondern von einer kantonalen Direktion ausgegangen. Es fragt sich, ob deswegen auf die Beschwerde einzutreten sei. 1.3 Die Regelung von Art. 34 VGG ist eine Abweichung vom Modellinstanzenzug, wonach Entscheide eidgenössischer Behörden beim Bundesverwaltungsgericht ( Art. 33 VGG ) und anschliessend beim Bundesgericht ( Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG ) angefochten werden können, Entscheide kantonaler Behörden jedoch bei kantonalen Verwaltungsgerichten ( Art. 86 Abs. 2 BGG ) und anschliessend beim Bundesgericht ( Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG ). Diese Abweichung wurde damit begründet, dass Entscheide der Kantonsregierungen in gesundheitspolitischen Fragen wie Spitallisten, Tarifverträge usw. früher ohne Weiterzugsmöglichkeit an ein Gericht ( BGE 132 V 6 , 299) beim Bundesrat anfechtbar waren (aArt. 53 KVG), was indessen der Aufgabe des Bundesrates nicht entspreche; es solle eine gerichtliche Überprüfung auf eidgenössischer Ebene eingeführt werden, wobei aber eine Öffnung des Beschwerdewegs an das Bundesgericht aus Gründen der Überlastung nicht in Frage komme (BBl 2001 S. 4391). Dass über die bisher in den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates fallenden Materien hinaus auch die Beschlüsse nach Art. 55a KVG in diese Aufzählung aufgenommen wurden (SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Kommentar BGG, N. 99 zu Art. 83 BGG ), wurde in der Botschaft nicht besonders begründet, entspricht aber der gesundheitspolitischen Bedeutung dieser Beschlüsse. Es wäre nun nicht zu rechtfertigen, wenn der Instanzenzug davon abhinge, ob die Zulassungen gemäss kantonaler Zuständigkeitsordnung durch die Kantonsregierung selber erteilt werden (wie dies in einigen Kantonen der Fall ist) oder ob dieser Entscheid an eine Direktion delegiert worden ist. Art. 34 VGG ist daher so auszulegen, dass auch Beschlüsse kantonaler Direktionen oder BGE 134 V 45 S. 48 Departemente nach Art. 55a KVG mit Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden können. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist somit unzulässig (Art. 83 lit. r sowie Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG ). 1.4 Die Sache ist an das Bundesverwaltungsgericht zu überweisen ( Art. 30 Abs. 2 BGG ).
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Sachverhalt ab Seite 232 BGE 101 Ib 231 S. 232 A.- Die Personalfürsorgestiftung der Firma Hälg & Co., St. Gallen (nachfolgend Stiftung genannt), bezweckt nach Art. 3 der Stiftungsurkunde vom 29. November 1943 "ganz allgemein die Fürsorge für das Personal der Stifterfirma in dem vom Stiftungsrat zu bestimmenden Umfang, insbesondere die Alters- und Hinterbliebenenfürsorge. Zur Errichtung des Stiftungszweckes kann die Stiftung Versicherungsverträge zugunsten der Destinatäre oder eines Teiles derselben abschliessen oder in solche bestehende Verträge eintreten". Seit dem Jahre 1972 richtet die Stiftung auch bei Invalidität Leistungen aus. Im Sinne dieser Zweckbestimmung hat die Stiftung mit der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt, Zürich (nachfolgend Rentenanstalt genannt), einen Kapitalversicherungs- und einen Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen und in zwei entsprechenden Stiftungsreglementen vom 31. Dezember 1965 die Beitragspflicht und die Versicherungsleistungen geregelt. Hinsichtlich der Kostendeckung der Versicherungsbeiträge bestimmt je Art. 8 der beiden Reglemente: "Die Kosten der Versicherung werden von der Firma bzw. der Stiftung und den Versicherten gemeinsam getragen. Der jährliche Beitrag der versicherten Personen beträgt 4% und derjenige der Firma bzw. Stiftung 6% der versicherten Besoldung. Der Beitrag der versicherten Personen wird in gleich hohen Raten bei der Lohnauszahlung in Abzug gebracht". Von Anfang an wurde der Arbeitgeberbeitrag jeweils der Stiftung belastet, während die Stifterfirma der Stiftung in den meisten Jahren Zuwendungen von unterschiedlicher Höhe machte. Diese Zuwendungen überstiegen in der Regel den Beitrag der "Firma bzw. der Stiftung" von 6% der versicherten BGE 101 Ib 231 S. 233 Besoldung. Seit dem Jahre 1969 liegen jedoch die Zuwendungen der Stifterfirma unter dem der Rentenanstalt geschuldeten Arbeitgeberanteil. Im Jahre 1970 erfolgte gar keine Zuwendung, und 1973 beispielsweise leistete die Firma einen Beitrag von Fr. 285'000.--, während sich der von der Stiftung der Rentenanstalt entrichtete Arbeitgeberanteil auf Fr. 440'197.45 belief. Am 31. Dezember 1973 hat die Stiftung ein Vermögen von Fr. 1'790'422.75 ausgewiesen, das ausschliesslich in einer Forderung gegen die Stifterfirma besteht. Der Rückkaufswert von 2,8 Millionen Franken der Gruppenversicherungen ist in der Bilanz nicht eingeschlossen. B.- Am 1. Januar 1972 trat das revidierte Arbeitsvertragsrecht in Kraft. Der neue Art. 331 Abs. 3 OR lautet: "Hat der Arbeitnehmer Beiträge an eine Personalfürsorgeeinrichtung zu leisten, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, zur gleichen Zeit mindestens die gleichen Beiträge zu entrichten". Am 14. Dezember 1972 teilte das Amt für Stiftungsaufsicht des Kantons St. Gallen (nachfolgend Amt für Stiftungsaufsicht genannt) in einem Kreisschreiben den Organen der Personalfürsorgestiftungen mit, dass das neue Recht ab 1. Januar 1973 Anwendung finden müsse. Bezüglich der Arbeitgeberbeiträge wurde ausgeführt: "Bei der statistischen Verarbeitung der Stiftungsrechnungen müssen wir immer wieder feststellen, dass Gewinnanteile von Versicherungen und sog. Abgangsgewinne mit den Arbeitgeberbeiträgen verrechnet werden. Da solche Verrechnungen einer indirekten Rückwandlung gleichkommen und letztere gemäss Bundesgerichtsentscheid unstatthaft sind, kann dies nicht zugelassen werden. Gemäss Art. 331 OR (neues Arbeitsvertragsrecht) hat ab 1. Januar 1972 jeder Arbeitgeber mindestens die gleichen Beiträge in die Personalvorsorge einzuzahlen wie die Arbeitnehmer! Viele Reglemente legen nur den prozentualen Beitragssatz der Arbeitnehmer fest und bestimmen dann, dass die Differenz von der Stiftung zu tragen sei. Solche Reglementsbestimmungen entbinden den Arbeitgeber nicht von seiner Beitragspflicht gemäss Art. 331 OR , da der Arbeitgeber die Stiftung in die Lage versetzen muss, dieser reglementarischen Pflicht nachzukommen. Es gibt Stifterfirmen, die bei guten Geschäftsabschlüssen zusätzlich freiwillige Beiträge in die Stiftung leisten, in der Absicht, später hievon bei schlechtem Geschäftsgang die laufenden Arbeitgeberbeiträge zu bezahlen. Ein solches Vorgehen ist nicht nur möglich, sondern empfehlenswert. Hingegen muss bei solchen freiwilligen Zuwendungen genau festgelegt werden, was für die BGE 101 Ib 231 S. 234 allgemeine Stiftungsrechnung und was für eine Prämien- oder Beitragsreserve bestimmt ist. Für diese Reserve muss aber ein eigenes Konto innerhalb der Stiftungsrechnung geführt werden, das jederzeit über den Stand der Reserve Aufschluss gibt. Wo ein solches Reservekonto fehlt, wird es später schwer sein, der Stiftungsaufsicht den Beweis darüber zu erbringen, dass die Stiftung berechtigt sei, für die Arbeitgeberbeiträge aufzukommen". Trotz dieser Weisungen hielt die Stiftung dafür, dass sie nach wie vor befugt sei, das gesamte Stiftungsvermögen zur Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zu verwenden. In der dem Amt für Stiftungsaufsicht zur Genehmigung vorgelegten Jahresrechnung 1973 wurde deshalb kein "Prämienreservekonto" ausgeschieden. Aus der Rechnung geht hervor, dass die Zuwendungen der Stifterfirma im Jahre 1973 die Höhe der Arbeitnehmerbeiträge erreichten, dass aber die Mehrleistung bis auf 6% der versicherten Lohnsumme aus dem Stiftungsvermögen erbracht wurde. Mit Verfügung vom 4. November 1974 verweigerte das Amt für Stiftungsaufsicht die Genehmigung der Jahresrechnung, stellte jedoch die Genehmigung in Aussicht für den Fall, dass die Prämienreserve nach folgender Berechnung ausgeschieden werde: "Gesamt-Prämienleistungen an Rentenanstalt ab 1943/44 Fr. 5'557'404.95 daran leisteten die Arbeitnehmer Fr. 2'015'650.-- ---------------- Verbleiben für den Arbeitgeber Fr. 3'541'754.95 - Gutschrift für Verbesserung der Versicherungsleistungen im Jahre 1965; solche Leistungen können dem freien Stiftungsvermögen entnommen werden Fr. 520'000.-- ---------------- Pflichtbeiträge des Arbeitgebers seit Errichtung der Stiftung Fr. 3'021'754.95 Effektive Leistungen des Arbeitgebers Fr. 3'578'000.-- ---------------- Somit verbleiben per 31. Dezember 1973 die als Prämienreserve des Arbeitgebers ausgeschieden und in der Bilanz als solche aufgeführt werden müssen!" Fr. 556'245.05 ================ Zur Begründung führte das Amt für Stiftungsaufsicht im wesentlichen aus, nach Art. 331 Abs. 3 OR sei die Firma verpflichtet, jährlich mindestens die gleichen Beiträge wie die BGE 101 Ib 231 S. 235 Arbeitnehmer zu leisten, wobei diese Beiträge vom Arbeitgeber direkt zu erbringen seien und nicht der Stiftung belastet werden dürften. Nur in dem Umfang, in dem die Stifterfirma früher zusätzliche Leistungen an die Stiftung erbracht und damit eine Prämienreserve geschaffen habe, dürften Arbeitgeberbeiträge aus dem Stiftungsvermögen bezahlt werden. Dagegen gehe es nicht an, diese Beiträge einfach aus dem freien Stiftungskapital zu entnehmen, das sich aus Kapitalerträgen, Gewinnanteilen von Versicherungsgesellschaften und Mutationsgewinnen zusammensetze und in erster Linie für die nichtversicherbaren Nebenzwecke oder für Verbesserungen der Versicherungsleistungen zu verwenden sei. Den gegen diese Verfügung gerichteten Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons St. Gallen am 4. Februar 1975 ab. C.- Die Stiftung hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Hauptantrag, der Rekursentscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 4. Februar 1975 sei aufzuheben und die Vorinstanz bzw. das Amt für Stiftungsaufsicht sei anzuhalten, die Jahresrechnung per 31. Dezember 1973 in der vorgelegten Form zu genehmigen. D.- Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat auf einen Antrag verzichtet. Es bezeichnet die angefochtene Verfügung als durchaus sinnvoll, hält jedoch dafür, dass die Ausscheidungsmethode und das Ausmass der "Prämienreserve" durch das Amt für Stiftungsaufsicht zu wenig abgeklärt worden sei. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. (Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde). 2. Nach Art. 84 Abs. 2 ZGB hat die Aufsichtsbehörde dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen nur zu den in der Stiftungsurkunde genannten und gesetzlich zulässigen Zwecken verwendet wird. Dies schliesst die Befugnis ein, darüber zu wachen, dass das Stiftungsvermögen nach Massgabe der Stiftungsurkunde sowie im Interesse der Destinatäre erhalten bleibt und nicht spekulativ oder allzu risikoreich angelegt oder seinem Zweck entfremdet wird. In diesem Rahmen ist die Aufsichtsbehörde befugt, den Stiftungsorganen bindende Weisungen BGE 101 Ib 231 S. 236 zu erteilen und bei deren Nichtbeachtung Sanktionen zu ergreifen ( BGE 100 Ib 144 , 99 Ib 258 f., je mit Hinweisen). Greift die Aufsichtsbehörde hingegen ohne gesetzliche Grundlage in den Autonomiebereich der Stiftungsorgane ein, so verletzt sie Bundesrecht. Vorliegend ist streitig, wie weit die Stiftungsorgane frei über das Stiftungsvermögen verfügen und welche Aufwendungen sie daraus bestreiten dürfen. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin kann nötigenfalls das ganze Stiftungsvermögen verwendet werden, um die vollen Arbeitgeberprämien für die von der Stiftung abgeschlossenen Gruppenversicherungen zu bezahlen. Demgegenüber vertreten das Amt für Stiftungsaufsicht und der Regierungsrat die Auffassung, für diese Leistungen dürfe nur ein rechnungsmässig ausgeschiedener Teil des Stiftungsvermögens, die sogenannte "Prämienreserve" - besser "Beitragsreserve" genannt - verwendet werden. Dagegen darf nach dieser Auffassung das übrige Stiftungsvermögen - wenig zutreffend auch "freies Stiftungsvermögen" genannt - zur Leistung von Arbeitgeberbeiträgen nicht angegriffen werden. Nicht streitig ist, dass das ganze Stiftungsvermögen, d.h. nicht nur die Beitragsreserve, für Leistungen des Arbeitgebers eingesetzt werden darf, die über die paritätischen Beitragsleistungen hinausgehen. 3. Das Amt für Stiftungsaufsicht anerkennt zwar, dass vor Inkrafttreten des revidierten Arbeitsvertragsrechtes - nach Auffassung beider Parteien für die Zeit vor dem 1. Januar 1973 - die Stifterfirma der Beschwerdeführerin trotz unterschiedlicher jährlicher Leistungen insgesamt genügend Mittel zur Bezahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Verfügung stellte. Die Aufsichtsbehörde ist aber der Meinung, dass die Beschwerdeführerin schon unter altem Recht nicht berechtigt gewesen wäre, für die Bezahlung der Arbeitgeberbeiträge auf das Stiftungsvermögen zu greifen. Bis Ende 1972 richtete sich die Verfügungsfreiheit der Stiftungsorgane nach den Vorschriften von Art. 89bis ZGB und Art. 343bis OR in der Fassung vom 21. März 1958, nach der Stiftungsurkunde und nach den beiden - für die Kapital- resp. die Rentenversicherung erlassenen - Versicherungsreglementen. Es ist zu prüfen, ob sich aus diesen Vorschriften eine Grundlage für die Auffassung der Aufsichtsbehörde ergibt. BGE 101 Ib 231 S. 237 a) Vor 1958 war den privaten Unternehmungen die rechtliche Ausgestaltung der betriebsinternen Wohlfahrtspflege freigestellt. Die Revision des Stiftungs- und des Dienstvertragsrechtes von 1958 bewahrte diese freiheitliche Ordnung und beschränkte sich darauf, einige wenige Grundsatzfragen zu ordnen. So wurde künftighin die rechtliche Verselbständigung des Stiftungsvermögens verlangt und seine Anlage in der Stifterfirma erschwert. Ferner wurden eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers und ein gewisses Mitspracherecht der Arbeitnehmer eingeführt, und endlich erhielten die Destinatäre dann einen Rechtsanspruch auf Stiftungsleistungen, wenn sie selber Beiträge entrichtet hatten. Der Anspruch blieb dabei auf die Summe der eigenen Beiträge beschränkt. Weitere Begehren der Arbeitnehmer wurden in der Gesetzesrevision mit Absicht zurückgestellt, so insbesondere ein im Nationalrat eingereichtes Postulat, mit dem verlangt wurde, dass dem Arbeitnehmer auch dann ein Anspruch auf die vom Arbeitgeber geleisteten Beiträge einzuräumen sei, wenn das Dienstverhältnis vor der Pensionierung beendigt werde (BBl 1956 II 828 f.; Sten.Bull. N. 1958 S. 65 f.). Die Stiftungsorgane waren deshalb nach den vor der Revision des Arbeitsvertragsrechtes geltenden gesetzlichen Vorschriften durchaus berechtigt, das gesamte Stiftungsvermögen im Rahmen des Stiftungszweckes zu verwenden. Sie durften aus dem Stiftungsvermögen insbesondere die aus Gruppenversicherungsverträgen geschuldeten paritätischen Arbeitgeberbeiträge bezahlen, sofern die Stiftungsurkunde dies erlaubte. b) Nach Art. 3 der Stiftungsurkunde bezweckt die Stiftung allgemein die Fürsorge für das Personal der Stifterfirma in dem vom Stiftungsrat zu bestimmenden Umfang, wobei die Stiftung zur Erreichung des Zweckes Versicherungsverträge zugunsten der Destinatäre abschliessen oder in solche Verträge eintreten kann. Der Abschluss und die Finanzierung von Versicherungsverträgen zugunsten des Personals gehört demnach mit zum Zweck der Stiftung, und diesem Zweck dient ohne Zweifel auch die Zahlung der der Rentenanstalt geschuldeten Arbeitgeberbeiträge. Nach der aus dem Jahre 1943 stammenden Stiftungsurkunde war die Beschwerdeführerin als reiner Fürsorge- oder Wohlfahrtsfonds konzipiert. Irgendwelche konkrete Ansprüche der einzelnen Destinatäre werden in der Urkunde BGE 101 Ib 231 S. 238 nicht vorgesehen, und die Freiheit des Stiftungsrates, zu bestimmen, wie der Stiftungszweck zu erreichen sei, wird in keiner Weise eingeschränkt. Da bereits ab 1944 Arbeitnehmerbeiträge einbezahlt und mit der Rentenanstalt Gruppenversicherungsverträge abgeschlossen wurden, wandelte sich die Beschwerdeführerin von einem patronalen Wohlfahrtsfonds zur Versicherungseinrichtung, und die Einzelheiten der Prämienpflicht und der Versicherungsleistungen wurden - wie in Art. 5 Abs. 2 der Stiftungsurkunde vorgesehen - in besonderen Reglementen geordnet. c) Die heute geltenden Reglemente vom 31. Dezember 1965 umschreiben Ansprüche der Arbeitnehmer auf ein Alterskapital oder eine Altersrente, auf eine Todesfallsumme und auf eine Abfindung bei Dienstaustritt, wobei diese Abfindungssumme gemäss Art. 343bis Abs. 3 OR in der Regel dem Total der vom Versicherten geleisteten Beiträge ohne Zins entspricht. Die genannten Versicherungsleistungen sind vertragliche Ansprüche der Destinatäre, denn mit der Bereitschaft, Arbeitnehmerbeiträge zu leisten, entsteht ein sogenannter Vorsorgevertrag zwischen der Stiftung und dem einzelnen Arbeitnehmer (RIEMER, Kommentar, Systematischer Teil, N. 338; SUTER, Untersuchungen zur Rechtsstellung des Destinatärs von Personalvorsorgeeinrichtungen - Geltendes und werdendes Recht, ZBJV 109/1973 S. 353). Durch den Vorsorgevertrag wird jedoch der Gruppenversicherungsvertrag nicht berührt; dieser besteht ausschliesslich zwischen der Stiftung und dem Versicherer, und die Stiftungsdestinatäre sind Versicherte, nicht aber Begünstigte aus diesem Vertrag. Die Beschwerdeführerin und die Rentenanstalt konnten deshalb im Versicherungsreglement die Beitragspflicht des Arbeitgebers im Rahmen der gesetzlichen und statutarischen Vorschriften vertraglich vereinbaren. Die in Art. 8 der beiden Reglemente getroffene Lösung, wonach der jährliche Beitrag der versicherten Personen 4% und derjenige der "Firma bzw. Stiftung" 6% der versicherten Besoldungen betrage, sprengt die Grenzen der unter altem Recht bestehenden Dispositionsfreiheit nicht und bringt klar zum Ausdruck, dass der Arbeitgeberbeitrag von der Stifterfirma oder der Beschwerdeführerin erbracht werden kann. d) Bis zum Inkrafttreten des neuen Art. 331 OR jedenfalls war somit die Beschwerdeführerin berechtigt, anstelle der Stifterfirma BGE 101 Ib 231 S. 239 die der Rentenanstalt geschuldeten Arbeitgeberbeiträge aus dem Stiftungsvermögen zu entrichten. Die Stifterfirma durfte ihre Zuwendungen an die Beschwerdeführerin unabhängig von der Höhe der jährlich geschuldeten Arbeitgeberbeiträge variieren. Sie musste nur dafür sorgen, dass die Stiftung in der Lage war, die aus den Versicherungsverträgen erwachsenden Aufwendungen zu bestreiten. Das gilt auch für die Jahre 1969-1972, in denen die Leistungen der Stifterfirma an die Beschwerdeführerin regelmässig hinter den der Rentenanstalt geschuldeten Arbeitgeberbeiträgen zurückblieben. Die Stiftungsurkunde und die Reglemente enthalten keinen Hinweis darauf, dass bestimmte Teile des Stiftungsvermögens für diesen Zweck nicht hätten verwendet werden dürfen, beispielsweise nicht die von der Stifterfirma entrichteten Schuldzinsen, die Mutationsgewinne oder die von der Rentenanstalt vergüteten Gewinnanteile. Auch steuerrechtlich stand der Inanspruchnahme des gesamten Stiftungsvermögens für die Bezahlung der Arbeitgeberbeiträge nichts entgegen. Damit eine Zuwendung nach Art. 49 Abs. 2 WStB und Art. 71 Abs. 3 des sanktgallischen Steuergesetzes von der Steuer befreit wird, genügt die Ausscheidung in einer Weise, die jede weitere zweckwidrige Verwendung ausschliesst. Die beiden Stiftungsreglemente entsprechen durchaus den Anschauungen, die zur Zeit ihres Erlasses herrschend waren. Bei den Arbeitgeberbeiträgen wurde unterschieden zwischen den "ordentlichen Beitragsleistungen" gemäss Reglement und den "effektiven Zuwendungen" der Stifterfirma, und es war üblich, die Arbeitgeberbeiträge aus dem freien Stiftungsvermögen zu leisten (HELBLING, Personalfürsorge, Bern 1964, S. 83). Wohl ist die Beschwerdeführerin eine Mehrzweckstiftung in dem Sinne, dass die Stiftungsorgane in der Lage sein müssen, aus dem Stiftungsvermögen andere Leistungen zu erbringen als die Arbeitgeberbeiträge an die Rentenanstalt, vor allem Fürsorgeleistungen für nicht versicherte Risiken. Weder die Stiftungsurkunde noch die Reglemente verpflichten indessen die Stiftungsorgane, für solche weitere Stiftungszwecke einen Teil des Stiftungsvermögens auszuscheiden. 4. Zu prüfen ist nun, ob mit der Anwendbarkeit des neuen Art. 331 Abs. 3 OR seit dem 1. Januar 1973 die Freiheit der Stiftungsorgane eingeschränkt und die Stifterfirma verpflichtet worden ist, jedes Jahr, zur gleichen Zeit wie die BGE 101 Ib 231 S. 240 Arbeitnehmer, mindestens die gleichen Beiträge an die Personalfürsorgeeinrichtung zu entrichten wie jene; ob also die Stifterfirma der Beschwerdeführerin jährlich 4% der versicherten Lohnsumme zur Deckung der bei der Rentenanstalt bestehenden Verbindlichkeiten überweisen muss. a) Für die Auffassung der Aufsichtsbehörden, wonach die paritätische Mindestprämie nunmehr jährlich von der Stifterfirma selber zu erbringen sei, spricht der Wortlaut von Art. 331 Abs. 3 OR , der festlegt, dass die Beiträge vom "Arbeitgeber" zu erbringen sind. Der Wortlaut einer Bestimmung ist jedoch nicht allein massgebend; von Bedeutung sind auch Wortsinn, Zweck und Tragweite einer Norm, ebenso in gewissen Fällen die Gesetzesmaterialien. Lässt der Wortlaut einer Bestimmung verschiedene, sich widersprechende Auslegungen zu, so kann es geradezu geboten sein, die Entstehungsgeschichte heranzuziehen, zumal wenn offen ist, ob der Gesetzgeber eine Neuerung oder Änderung befürwortet oder ausdrücklich abgelehnt habe und die Materialien auf diese Frage eine klare Antwort geben ( BGE 100 II 57 mit Hinweisen). b) Im vorliegenden Fall lässt sich aus den Gesetzesmaterialien der wahre Sinn der Vorschrift eindeutig ermitteln. Art. 331 Abs. 3 OR ist zusammen mit Art. 331a, 331b und 331c OR im wesentlichen ein Werk der Eidgenössischen Räte. Diese suchten die Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch Verbesserung der Rechtsstellung beim Übertritt in eine andere Firma und eine andere Personalvorsorgeeinrichtung zu vergrössern. Arbeitnehmern, die mindestens fünf Jahre in der gleichen Firma gearbeitet hatten, sollte mehr als nur ihre eigenen Beiträge zurückerstattet werden, also mehr als die bisher in Art. 343bis Abs. 3 OR vorgesehene Abfindung. Der Nationalrat als Prioritätsrat sah die Forderung auf eine Freizügigkeitsleistung vor, die bei Versicherungseinrichtungen einen angemessenen Teil des Deckungskapitals, bei Spareinrichtungen einen angemessenen Teil des durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer geäufneten Sparkapitals samt Zins umfassen sollte. Die ständerätliche Kommission hielt die nationalrätliche Lösung für verbesserungsbedürftig und beauftragte den Experten des Bundes, Professor Walter Hug, entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. In seinem Bericht vom 16. Juni 1970 führte der Experte aus, es könnten sich Schwierigkeiten BGE 101 Ib 231 S. 241 ergeben, wenn der Arbeitgeber völlig frei sei, ob und wann er seine Beiträge leisten wolle. Es sei festgestellt worden, dass die Arbeitgeberbeiträge häufig erst von einem gewissen Alter oder einer gewissen Anstellungsdauer der Versicherten an geleistet würden, zuweilen gar erst bei Erreichen der Altersgrenze oder beim Tod des Versicherten. Durch eine neue Bestimmung sollte deshalb verhindert werden, dass das Deckungskapital "von Seiten des Arbeitgebers" nicht geäufnet werde. Nach Auffassung des Experten sollte dafür gesorgt werden, dass der "Arbeitgeberbeitrag" gleichzeitig wie der Arbeitnehmerbeitrag geleistet werde. Der Vorschlag wurde in der ständerätlichen Kommission eingehend diskutiert und schliesslich mit acht zu zwei Stimmen angenommen. Dabei wurde teilweise von "Arbeitgeberbeitrag", teilweise von "Beitrag der Arbeitgeber" gesprochen. Doch wurde von keiner Seite die Frage aufgeworfen, ob bei Versicherungseinrichtungen die Arbeitgeberbeiträge weiterhin von den Vorsorgeeinrichtungen aufbracht werden könnten oder ob dies nicht mehr zulässig sein sollte. Einziges Ziel des Vorschlages war es, die Manipulation des Deckungskapitals von Arbeitgeberseite her zu verhindern (Protokoll der Kommission des Ständerats vom 6. Juli 1970, S. 3-25). In diesem Sinne stellte der Kommissionsreferent im Ständerat Antrag, und der Nationalrat stimmte diskussionslos ebenfalls zu (Amtl.Bull. 1971 N. S. 730, S S. 335). In beiden Räten wurde betont, dass die ganze Ordnung der Art. 331-331c OR als Übergangslösung bis zur Schaffung der Gesetzgebung über die zweite Säule zu verstehen sei. c) Der Werdegang der Bestimmung lässt deutlich werden, dass es dem historischen Gesetzgeber einzig darum ging, sicherzustellen, dass der Arbeitgeberbeitrag gleichzeitig mit dem Arbeitnehmerbeitrag geleistet werde. Nicht geregelt wurde dagegen die Frage, ob der Arbeitgeberbeitrag nur von der Stifterfirma der Versicherungsgesellschaft bezahlt werden könne oder ob die Verbindlichkeit auch von der Stiftung aus dem Stiftungsvermögen erfüllt werden dürfe. Dem gesetzgeberischen Anliegen, die rechtzeitige Äufnung des vollen Deckungskapitals zu gewährleisten, wird auch dann Rechnung getragen, wenn der Arbeitgeberbeitrag aus den Mitteln der Vorsorgeeinrichtung der Versicherungsgesellschaft oder einer von der Stiftung verschiedenen Spareinrichtung überwiesen wird. BGE 101 Ib 231 S. 242 d) Die Beschwerdeführerin hat mit Recht darauf hingewiesen, dass der von den Aufsichtsbehörden befürworteten Einschränkung der Freiheit der Stiftungsorgane wirtschaftlich eine weitreichende Bedeutung zukäme. Hätte der Gesetzgeber mit der Einfügung von Art. 331 Abs. 3 OR tatsächlich eine derartige Verfügungsbeschränkung einführen wollen, so hätte das in den Räten gesagt werden müssen; dies hätte mit Sicherheit zu einer eingehenden Auseinandersetzung über die Tunlichkeit der Anordnung geführt. Das Fehlen jeglicher Diskussion in den parlamentarischen Beratungen ist ein weiteres Indiz dafür, dass kein entsprechender Wille des Gesetzgebers vorlag. e) Nicht zu entscheiden ist, ob dieselbe Lösung im Lichte der historischen Auslegungsmethode auch für die sogenannten autonomen Kassen zulässig wäre, die selber versicherungstechnische Risiken tragen und lediglich rechnungsmässig zwischen Deckungskapital und freiem Stiftungsvermögen unterscheiden. Immerhin erscheint es höchst zweifelhaft, ob eine blosse Umbuchung vom freien Stiftungsvermögen in das Deckungskapital als Entrichtung des Arbeitgeberbeitrages im Sinne von Art. 331 Abs. 3 OR anerkannt werden könnte. 5. a) Geht aus der Entstehungsgeschichte von Art. 331 Abs. 3 OR hervor, dass sich der Gesetzgeber zu der heute zu entscheidenden Streitfrage nicht geäussert hat, so spricht die Vermutung dafür, dass das neue Recht die unter der früheren Ordnung bestehende Freiheit der Stiftungsorgane nicht eingeschränkt hat. Eine abweichende, weniger freiheitliche Auslegung käme nur dann in Betracht, wenn sich aus dem Gesetz und der gesamten Rechtsordnung eindeutige Hinweise auf weitere, von der Bestimmung zu erfüllende Funktionen ergäben, die dem historischen Gesetzgeber verborgen blieben. b) In diesem Sinne nimmt die Aufsichtsbehörde an, das Stiftungsrecht enthalte den Grundsatz, dass das Vermögen von Vorsorgeeinrichtungen im Interesse der Destinatäre möglichst zu schonen sei. Deshalb müsse angenommen werden, unter dem neuen Recht dürften die paritätischen Beiträge der Arbeitgeber nicht mehr dem Stiftungsvermögen entnommen werden. Die gleiche Auffassung wird ausdrücklich oder sinngemäss auch in der neueren, seit dem Inkrafttreten des neuen Arbeitsvertragsrechtes erschienenen Literatur vertreten (vgl. insbesondere BGE 101 Ib 231 S. 243 H. LÜTHY, Die rechtliche Regelung der freiwilligen Personalvorsorge, Diss. Basel 1974 (nicht gedruckt), S. 18 ff.; ferner RIEMER, Systematischer Teil, N. 328-330; SUTER, a.a.O., S. 364 f.). Da sich aber diese Autoren mit dem Zustandekommen von Art. 331 Abs. 3 OR nicht auseinandersetzen, sind ihre Ausführungen nicht geeignet, Entscheidendes zur Lösung des Falles beizutragen. c) Auf ein Verbot, nach neuem Recht Arbeitgeberbeiträge aus dem Stiftungsvermögen zu leisten, könnte nur dann geschlossen werden, wenn ein Wille des Gesetzgebers nachgewiesen werden könnte, die frühere Unterscheidung zwischen den "ordentlichen Beitragsleistungen" und den "effektiven Zuwendungen der Firma" aufzugeben. Bestünde von Gesetzes wegen eine nicht auf die Stiftung übertragbare Zahlungspflicht der Stifterfirma im Betrag der Arbeitgeberprämien, so bedeutete tatsächlich die Zahlung dieser Prämien aus dem Stiftungsvermögen im Ergebnis eine unzulässige Rückübertragung von Stiftungsmitteln an die Stifterfirma (RIEMER, Systematischer Teil, N. 30). Die bisherigen Ausführungen zeigen jedoch, dass der historische Gesetzgeber mit der Schaffung von Art. 331 Abs. 3 OR keine persönliche Leistungspflicht des Arbeitgebers begründen wollte. Dem Gesetz ist daher Genüge getan, wenn der "Arbeitgeberbeitrag" von irgend einer Seite an die Versicherungseinrichtung geleistet wird. Durfte die Beschwerdeführerin unter der Herrschaft des alten Rechtes diese Beiträge an die Rentenanstalt erbringen, so darf sie es auch nach neuem Recht tun, ohne dass eine Zweckentfremdung von Stiftungsmitteln vorliegt. 6. Zu prüfen bleibt, ob das ganze Vermögen der Beschwerdeführerin zur Bezahlung der Arbeitgeberbeiträge verwendet werden darf oder ob gewisse Teile davon ausgenommen werden müssen. Nach Ansicht des Amtes für Stiftungsaufsicht ist es unzulässig, Beitragszahlungen aus Mutationsgewinnen, aus Zinserträgen für das der Stifterfirma darlehensweise zur Verfügung gestellte Stiftungsvermögen sowie aus den von der Rentenanstalt ausgeschütteten Gewinnbeteiligungen zu leisten. Da sich - wie ausgeführt - aus Art. 331 Abs. 3 OR keine neue persönliche Leistungspflicht der Stifterfirma ergibt, richtet sich die Verwendung des gesamten Stiftungsvermögens ausschliesslich nach der Stiftungsurkunde und den Stiftungsreglementen. BGE 101 Ib 231 S. 244 Danach darf das Stiftungsvermögen verwendet werden, um Arbeitgeberbeiträge zu entrichten, ohne dass hinsichtlich der Herkunft der einzelnen Vermögensteile zu unterscheiden wäre. Im übrigen stammen die Zinserträge aus Leistungen der Stifterfirma, ebenso die Mutationsgewinne, bei welchen die Arbeitnehmerbeiträge und das Versicherungsrisiko in Abzug gebracht werden. Die Gewinnbeteiligungen stammen zwar aus dem ganzen Versicherungsverhältnis; allein, da auch die Vermögensteile, die von Arbeitnehmerseite stammen, wiederum im Arbeitnehmerinteresse dem Zweck der Stiftung entsprechend verwendet werden, liegt keine Verletzung der Statuten oder der Reglemente vor. Die Entlastung, die für die Stifterfirma resultiert, ist zulässig. 7. Das Amt für Stiftungsaufsicht hält schliesslich dafür, im Hinblick auf die Bundesgesetzgebung über die berufliche Vorsorge sei es wünschbar, dass das Stiftungsvermögen jedenfalls nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörden angegriffen werde, um die Mindestbeiträge der Arbeitgeber zu leisten. Eine solche Bewilligungspflicht findet nach Auffassung der Beschwerdeführerin keine Grundlage im Gesetz und würde dazu führen, dass die Stiftungsorgane und die Aufsichtsbehörden die wirtschaftliche Lage der Stifterfirma prüfen müssten, um entscheiden zu können, wann dieser die Bezahlung der Arbeitgeberbeiträge zugemutet werden könne. In Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten dürfte bei einzelnen Unternehmungen die Tendenz bestehen, auf Zuwendungen an die Vorsorgeeinrichtung zu verzichten oder jedenfalls die Leistungen zu vermindern, in der Meinung, dass die Stiftungsmittel gerade in solchen Zeiten die Firma im Bereich der Personalfürsorge entlasten sollten. Ist dieses Vorgehen zulässig, so kann ein rascher Abbau der in einer Vorsorgeeinrichtung vorhandenen freien Mittel die Folge sein. Dabei ist aber zu beachten, dass es sich bei den Mitteln, die so zulässigerweise zur Bezahlung von Arbeitgeberbeiträgen eingesetzt werden, um Vermögen handelt, das in den vergangenen Jahren durch die freiwillig geschaffene Stiftung mit Hilfe der Stifterfirma ohne jede gesetzliche Verpflichtung geäufnet wurde und unter anderem gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zur Beitragszahlung dienen sollte. Eine Vorschrift, die solche Leistungen verbieten würde oder aus der eine Pflicht zur Einholung einer besonderen Bewilligung der Aufsichtsbehörde abgeleitet BGE 101 Ib 231 S. 245 werden könnte, besteht nicht. Die Stiftungsorgane sind deshalb weiterhin frei, diejenigen Ausgaben zu beschliessen, die Stiftungsurkunde und Stiftungsreglemente zulassen. Die vom Regierungsrat bestätigte Verfügung des Amtes für Stiftungsaufsicht entbehrt somit der gesetzlichen Grundlage; die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen. Die Beschwerdeführerin hat Anspruch darauf, dass ihre Jahresrechnung in der eingereichten Form abgenommen wird.
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Sachverhalt ab Seite 375 BGE 119 Ib 374 S. 375 Das Bundesamt für Verkehr (Bundesamt; BAV) bezeichnete am 11. Juli 1990 19 Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe im Hauptbahnhof Zürich gemäss Mieterverzeichnis der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) vom 12. März 1990 als Nebenbetriebe im Sinne von Art. 39 Abs. 1 und 3 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 (EBG; SR 742.101). Es ordnete an, dass diese täglich zwischen 08.00 und 20.00 Uhr offenzuhalten seien. Für 29 Geschäfte sah es eine kommerzielle Nutzung nach Art. 39 Abs. 4 EBG im Rahmen der kantonalen und städtischen Öffnungs- und Schliessungszeiten vor. Auf verschiedene Beschwerden hin bestätigte das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement am 24. November 1992 die vorgesehenen Ladenöffnungszeiten, anerkannte insgesamt aber 38 Geschäfte und Dienstleistungsunternehmungen als Bahnnebenbetriebe. Fünf Einrichtungen bewertete es aufgrund der vorgelegten Geschäftskonzepte als kommerzielle Nutzungen. Soweit die Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) und der Kaufmännische Verband Zürich (KVZ) gegen den Entscheid des Bundesamtes Beschwerde geführt hatten, trat das Departement auf ihre Eingabe nicht ein. Die Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) und der Kaufmännische Verband Zürich (KVZ) machen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend, das Departement habe ihnen "mit einer völlig unhaltbaren Argumentation" die Beschwerdelegitimation nach Art. 48 VwVG abgesprochen: Die Zahl der Verbandsmitglieder, die im Hauptbahnhof Zürich tätig seien, könne für die Beschwerdeberechtigung nicht ausschlaggebend sein. Mit Blick auf den Verbandszweck und Art. 65 der Verordnung II vom 14. Januar 1966 zum Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Vo II zum ArG; SR 822.112) seien VHTL und BGE 119 Ib 374 S. 376 KVZ durch die Nebenbetriebsfrage besonders betroffen und daher beschwerdelegitimiert. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab Erwägungen aus folgenden Erwägungen: 2. Die Legitimation zur Verwaltungsbeschwerde gegen den Entscheid des Bundesamtes bestimmt sich nach Art. 48 VwVG (vgl. BGE 116 Ib 349 E. 2c; bestätigt im unveröffentlichten Entscheid vom 8. November 1990 i.S. Mietervereinigung Zentrum Hauptbahnhof Zürich u. Mitb. c. EVED, E. 2a). Nach dieser Bestimmung kann Beschwerde führen, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (lit. a), oder jede andere Person, Organisation oder Behörde, die das Bundesrecht als solche zur Beschwerde ermächtigt (lit. b). a) aa) Das schutzwürdige Interesse nach Art. 48 lit. a VwVG kann rechtlicher oder bloss tatsächlicher Natur sein und braucht mit dem Interesse, das durch die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Normen geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid stärker als jedermann betroffen ist und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Diese Anforderungen sollen die Popularbeschwerde ausschliessen. Ihnen kommt dann besondere Bedeutung zu, wenn, wie hier, nicht der Verfügungsadressat im materiellen Sinn, sondern ein Dritter den Entscheid anficht. Ist auch in einem solchen Fall ein unmittelbares Berührtsein, eine spezifische Beziehungsnähe gegeben, so hat der Beschwerdeführer ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse daran, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben oder abgeändert wird. Sein Interesse besteht im praktischen Nutzen, den ihm die erfolgreiche Beschwerde eintragen würde, das heisst in der Abwendung eines materiellen oder ideellen Nachteils, den der angefochtene Entscheid für ihn zur Folge hätte ( BGE 116 Ib 323 E. 2a). Einem Berufsverband steht die Beschwerdelegitimation nach Art. 48 lit. a VwVG zur Wahrung der Interessen seiner Mitglieder zu, wenn er als juristische Person konstituiert ist, die einzelnen Mitglieder BGE 119 Ib 374 S. 377 zur Beschwerde legitimiert wären, die Wahrung der Interessen der Mitglieder zu seinen statutarischen Aufgaben gehört und er tatsächlich ein Interesse der Mehrheit oder mindestens einer Grosszahl seiner Mitglieder vertritt ( BGE 113 Ib 365 E. 2a; ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Zürich 1993, Rz. 244; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, S. 159 ff.). bb) Die Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) ist ein Verein im Sinne von Art. 60 ZGB , der nach Art. 2 seiner Statuten als Arbeitnehmerorganisation die materiellen, beruflichen, sozialen und kulturellen Interessen seiner Mitglieder wahrnimmt und für eine gerechte Gesellschaft- und Wirtschaftsordnung kämpft. Die Verfügung des Bundesamtes für Verkehr über die Bahnnebenbetriebe und ihre Öffnungszeiten im Hauptbahnhof Zürich berührte ihn nicht unmittelbar in seiner eigenen rechtlichen oder tatsächlichen Stellung; mit der Beschwerde an das Departement hätte er bei einem Obsiegen weder einen materiellen noch einen ideellen Nachteil von sich selber abwenden können, weshalb das Departement ihm die Beschwerdelegitimation nacht Art. 48 lit. a VwVG zu Recht abgesprochen hat. Dasselbe gilt für den Kaufmännischen Verband Zürich (KVZ), der die "Sicherung und Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und rechtlichen Lage seiner Mitglieder" bezweckt. Dass beide Organisationen die Interessen des Verkaufspersonals zu schützen suchen und als Vertragspartner an einer Vielzahl von Gesamtarbeitsverträgen beteiligt sind, lässt sie durch den Entscheid des Bundesamtes noch nicht in einem schutzwürdigen, eigenen Interessen betroffen erscheinen. cc) Die Beschwerdeführer berufen sich sinngemäss auch auf ein Beschwerderecht zugunsten ihrer Mitglieder. Zu Unrecht: Wenn überhaupt, sind höchstens einige wenige der rund 25'000 VHTL- und der etwa 16'000 KVZ-Mitglieder durch den Entscheid des Bundesamtes für Verkehr betroffen. Ob diese selber zur Beschwerde legitimiert wären, braucht unter diesen Umständen nicht geprüft zu werden. Die Beschwerdeführer machen zwar geltend, es komme nicht darauf an, wie viele Gewerkschaftsmitglieder in den entsprechenden Betrieben beschäftigt würden, sondern allein darauf, dass "mit Sicherheit, mindestens mit grösster Wahrscheinlichkeit, immer wieder Mitglieder der beiden Arbeitnehmerverbände in den betroffenen Läden tätig sein" werden. Wenn nach den privaten Erhebungen der Beschwerdegegner (die Beschwerdeführer konnten keine entsprechenden Angaben liefern) von den 183 Angestellten im Hauptbahnhof BGE 119 Ib 374 S. 378 Zürich zurzeit nur gerade zwei Mitglieder des KVZ sind, hingegen keiner dem VHTL angehört, erscheint bereits jene Vorgabe zweifelhaft; unabhängig hiervon ist aber die Konstruktion einer virtuellen Betroffenheit, welche daraus abzuleiten wäre, dass die Mitglieder der beiden Verbände zumindest potentielles Verkaufspersonal im Hauptbahnhof Zürich bilden, der Beschwerdelegitimation nach Art. 48 lit. a VwVG und Art. 103 lit. a OG fremd. Das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement ist demnach auf die Eingabe der beiden Arbeitnehmerorganisationen auch unter diesem Gesichtswinkel zu Recht nicht eingetreten. b) Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdeführer allenfalls gestützt auf eine andere Bestimmung des Bundesrechts - insbesondere der Arbeitsgesetzgebung - zur Beschwerde legitimiert gewesen wären ( Art. 48 lit. b VwVG ). aa) Nach dem Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11) ist Nacht- und Sonntagsarbeit grundsätzlich verboten ( Art. 16 und Art. 18 ArG ). Die kantonale Behörde kann vorübergehende Nacht- und Sonntagsarbeit bewilligen, sofern ein dringendes Bedürfnis nachgewiesen ist; das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit bewilligt für industrielle, die kantonale Behörde für andere Betriebe die dauernde oder regelmässig wiederkehrende Nacht- oder Sonntagsarbeit, wenn eine solche aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unentbehrlich erscheint ( Art. 17 und Art. 19 ArG ). Die entsprechenden Entscheide können mit Beschwerde angefochten werden, wobei hierzu neben den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern auch "deren Verbände" legitimiert sind, ohne dass es darauf ankäme, ob die betroffenen Arbeitnehmer oder einzelne von ihnen Verbandsmitglieder sind ( Art. 58 Abs. 1 ArG ; BGE 116 Ib 271 E. 1a, 286 E. 1b). bb) Aus dieser Regelung lässt sich für das eisenbahnrechtliche Anstandsverfahren nichts ableiten. Die Verfügung des Bundesamtes für Verkehr ergeht weder in Anwendung des Arbeitsgesetzes noch durch eine der dort vorgesehenen Behörden. Wenn der eisenbahnrechtliche Entscheid über den Nebenbetriebsstatus und die Öffnungszeiten mit Blick auf Art. 65 ff. der Vo II zum ArG (Sonderbestimmungen für bestimmte Gruppen von Betrieben oder Arbeitnehmern) für Kioske und Betriebe, die den Bedürfnissen der Reisenden dienen, unter Umständen auch gewisse arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, rechtfertigt dies eine Ausdehnung der in Art. 58 ArG enthaltenen Verbandsbeschwerdebefugnis - über den direkten BGE 119 Ib 374 S. 379 Anwendungsbereich dieses Gesetzes hinaus - nicht: Bahnnebenbetriebe sind gerade wegen ihres besonderen, an die Bedürfnisse der Reisenden und des Bahnbetriebes geknüpften Status, über den die eisenbahnrechtlichen Aufsichtsbehörden zu befinden haben, von gewissen Regelungen des Arbeitsgesetzes ausgenommen; die nur dort vorgesehene Verbandsbeschwerde kann ohne besondere gesetzliche Grundlage nicht einfach auf das eisenbahnrechtliche Anstandsverfahren übertragen werden. Art. 39 EBG regelt als spezielleres Gesetz indirekt die Voraussetzungen, unter denen in Bahnnebenbetrieben Nacht- oder Sonntagsarbeit zulässig ist; gebieten die Bedürfnisse des Bahnbetriebes und der Reisenden abweichende Öffnungszeiten, rechtfertigt sich auch die Anwendung arbeitsrechtlicher Sonderbestimmungen. Art. 65 Vo II zum ArG behält in Abs. 4 die Verfügungen der Eisenbahnaufsichtsbehörden nach Art. 40 Abs. 1 lit. g EBG ausdrücklich vor. Das Bundesgesetz vom 8. Oktober 1971 über die Arbeit in Unternehmen des öffentlichen Verkehrs (Arbeitszeitgesetz, AZG; SR 822.21), dem gemäss dessen Art. 1 Abs. 4 durch Verordnung "Nebenbetriebe, die eine notwendige oder zweckmässige Ergänzung eines in Absatz 1 genannten Unternehmens bilden", unterstellt und damit im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse des Reiseverkehrs dem Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes ganz entzogen werden können ( Art. 2 Abs. 1 lit. b ArG ), sieht seinerseits die Möglichkeit einer - Art. 58 Abs. 1 ArG entsprechenden - Verbandsbeschwerde nicht vor (vgl. Art. 18 Abs. 2 und 3 AZG ). Kantonale Ladenschlussvorschriften dürfen heute nur noch der Sicherung der Nacht- und Feiertagsruhe und allenfalls dem Schutz der nicht dem Arbeitsgesetz unterstehenden Personen dienen; der Arbeitnehmerschutz als solcher ist durch das eidgenössische Arbeitsgesetz grundsätzlich abschliessend geregelt ( BGE 101 Ia 486 ff. E. 7). Geht es in Art. 39 Abs. 3 EBG nun aber primär um Abweichungen von kantonal- und kommunalrechtlichen Ladenschlussvorschriften, welche gerade nicht dem Schutz des Personals dienen, rechtfertigt sich eine Ausdehnung der Beschwerdebefugnis der Gewerkschaften auf das eisenbahnrechtliche Anstandsverfahren auch vor diesem Hintergrund nicht.
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Sachverhalt ab Seite 111 BGE 103 Ib 110 S. 111 Heinrich Schoch übernahm im Jahre 1947 den väterlichen Landwirtschaftsbetrieb mit der Fläche von ca. 5 Hektaren in Gattikon/Thalwil. Er führte diesen zunächst in herkömmlicher Weise weiter, stellte ihn aber in der Folge von der Grosstierhaltung auf Schweinezucht um. Im Jahre 1969 gab er auch die Schweinehaltung auf. In einem Quartierplanverfahren brachte er 2,3 Hektaren seines Landes in die Landumlegung ein und trat das bestehende Bauernhaus einem Nachbarn ab. Das durch die Quartierplanung gewonnene Bauland überbaute er mit Wohnhäusern, die er veräusserte oder vermietete. Er selbst bezog mit seiner Familie ein auf eigenem Land erbautes Zweifamilienhaus. Auf dem restlichen Land von 2,4 Hektaren, das ausserhalb des GKP im übrigen Gemeindegebiet von Thalwil liegt, beabsichtigte Schoch unter Hinzupachtung von ca. 2 Hektaren, einen Rindermastbetrieb für etwa 10 Mastrinder einzurichten und eine Obstkultur anzulegen. Im Jahre 1971 ersuchte er um die Bewilligung, für diesen Landwirtschaftsbetrieb ein Wohnhaus mit Nebenräumen errichten zu können. Am 24. September 1974 verweigerte das Amt für Gewässerschutz und Wasserbau des Kantons Zürich die Bewilligung. Eine Beschwerde Schochs wies der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 25. August 1976 ab, im wesentlichen mit der Begründung, es liege kein im Sinne von Art. 20 GSchG privilegierter Landwirtschaftsbetrieb vor. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt Schoch im wesentlichen, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass ein sachlich begründetes Bedürfnis für die Erstellung des projektierten Bauernhauses bestehe. Erwägungen Erwägungen: 1. (Feststellung, dass der geplante Landwirtschaftsbetrieb weder rentabel noch existenzsichernd sein würde und dass im projektierten Gebäude überwiegend Wohnräume vorgesehen sind.) BGE 103 Ib 110 S. 112 2. a) Nach Art. 20 GSchG dürfen Baubewilligungen für Gebäude und Anlagen ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojektes abgegrenzten Gebietes nur erteilt werden, sofern der Gesuchsteller dafür ein sachlich begründetes Bedürfnis nachweist. Die Baubewilligung wird auch bei Vorliegen eines solchen Bedürfnisses nur erteilt, wenn die Ableitung und Reinigung oder eine andere zweckmässige Beseitigung der Abwässer festgelegt ist und die Zustimmung der kantonalen Fachstelle für Gewässerschutz vorliegt. Der Begriff des sachlich begründeten Bedürfnisses wird in Art. 27 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 näher umschrieben. Ein Bedürfnis für die Errichtung eines Gebäudes ausserhalb der Bauzone gilt dann als sachlich begründet, wenn dessen Zweckbestimmung den beanspruchten Standort ausserhalb der Bauzone bzw. des GKP bedingt und dem Bauvorhaben keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Als solche standortgebundene Bauten gelten unter anderem Landwirtschaftsbetriebe. Für Landwirtschaftsbetriebe, die nicht über die erforderlichen Gebäulichkeiten verfügen, ist das sachliche Bedürfnis für einen Neubau zu bejahen, wenn das bewirtschaftete Areal ausserhalb der Bauzone liegt und der Betrieb nicht von innerhalb des Baugebietes liegenden Gebäulichkeiten aus geleitet werden kann. In der Regel stehen einem solchen Neubau auch keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegen, es sei denn, dass andere gewichtige Gründe, z.B. des Natur- und Landschafts- oder Heimatschutzes einen Neubau ausserhalb der Bauzone als unerwünscht erscheinen lassen ( BGE 102 Ib 70 , E. 5b). b) Das Bundesgericht hat in BGE 100 Ib 92 E. 5 und in einem nicht publizierten Entscheid Ottinger vom 8. März 1974 ausgeführt, ein Landwirtschaftsbetrieb müsse nicht unbedingt existenzsichernd sein, damit angenommen werden könne, es sei ein sachlicher Grund für ein dazugehöriges Wohnhaus im Sinne von Art. 20 GSchG gegeben. Es komme ferner nicht darauf an, ob ein Gesuchsteller die Landwirtschaft im Haupt- oder Nebenberuf betreiben wolle. Wie der Beschwerdeführer hervorhebt, weist der hier zu entscheidende Fall gewisse Parallelen zu den genannten Präjudizien auf. Die Ähnlichkeit beschränkt sich aber auf die Frage, ob ein Landwirtschaftsbetrieb existenzsichernd und BGE 103 Ib 110 S. 113 rentabel sein müsse, damit die Errichtung eines Wohnhauses ausserhalb der Bauzone bewilligt werden dürfe. Ein entscheidender Unterschied zwischen den genannten Entscheiden und dem vorliegenden Fall liegt aber darin, dass es dort um Ersatzbauten für baufällige Wohnhäuser ging, während der Beschwerdeführer ein neues Gebäude errichten will, das kein altes Wohnhaus auf dem selben Betrieb ersetzen soll. Ferner bestanden in den genannten, beurteilten Fällen die Landwirtschaftsbetriebe, deren Bewirtschaftung nicht ausschliesslich aus ökonomischen, sondern auch aus ideellen Gründen geplant war, bereits während längerer Zeit. Gemäss dem Projekt des Beschwerdeführers soll jedoch ein neuer, nicht existenzsichernder und unrentabler Landwirtschaftsbetrieb gegründet werden. (Im Fall von BGE 100 Ib 89 kann das neu zu erstellende Wohnhaus als Ersatzbaute betrachtet werden, weil die Bewilligung für dessen Bau mit der Auflage verbunden wurde, dass das zu ersetzende Haus, in dem noch die betagte Verkäuferin des Landwirtschaftsbetriebes wohnte, nach deren Ableben höchstens noch als Lagerraum und Keller benutzt werde.) Den beiden genannten Bundesgerichtsentscheiden liegt der Gedanke zugrunde, dass die Gewässerschutzgesetzgebung nicht bezweckt, bestehende Gebäude ausserhalb des GKP zum Verschwinden zu bringen ( BGE 102 Ib 215 ). Darum dürfen Wohnhäuser, die zu herkömmlichen landwirtschaftlichen Kleinbetrieben gehören, erneuert und ersetzt werden, selbst wenn diese Betriebe keine Grundlage für eine hauptberufliche Tätigkeit bieten und unrentabel sind. Voraussetzung ist nur, dass nicht geplant ist, mit dem Neubau bezüglich Grösse und Nutzungsart erheblich von der zu ersetzenden Baute abzuweichen. Eine andere Frage ist aber, ob das Gewässerschutzgesetz auch die Errichtung von Wohnhäusern auf neuen, nicht existenzsichernden und unrentabeln Landwirtschaftsbetrieben zulassen will. Bei der Schaffung von Art. 20 GSchG wurde unter anderem bewusst ein Ziel der Raumplanung verfolgt. Es sollte verhindert werden, dass ausserhalb des Baugebietes weit zerstreut zahlreiche Wohnhäuser, die nicht an einen solchen Standort gebunden sind, errichtet werden. Diese Zwecksetzung kann umgangen werden, wenn finanzkräftige Leute vorgeben, einen Landwirtschaftsbetrieb zu gründen und ein diesbezügliches BGE 103 Ib 110 S. 114 Projekt einreichen, sich aber in Wirklichkeit primär eine Wohnung ausserhalb des Baugebietes verschaffen wollen. An die Standortgebundenheit solcher Bauten sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen. Es stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Projekt als Landwirtschaftsbetrieb im Sinne der Gewässerschutzgesetzgebung anerkannt werden kann. Art. 27 AGSchV gibt darüber keine nähere Auskunft. Es kann aber kein Zweifel bestehen, dass die Errichtung einer Baute ausserhalb der Bauzone nur dann mit landwirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt werden kann, wenn gewährleistet ist, dass eine solche Baute primär landwirtschaftlichen Zwecken dienen wird, die nur an einem solchen Standort sinnvoll verfolgt werden können. Eine Baute darf darum nur als landwirtschaftliche Baute im Sinne von Art. 27 AGSchV bezeichnet werden, wenn sie in der Hauptsache für die agrarische Produktion verwendet wird. Sobald die landwirtschaftliche Produktion aber zu einer Nebensache wird und andere Nutzungen wie insbesondere das Wohnen den Hauptzweck eines Gebäudes bilden, kann nicht mehr von einem Landwirtschaftsbetrieb im Sinne der Gewässerschutzgesetzgebung gesprochen werden. Dieser Begriff des Landwirtschaftsbetriebes ergibt sich auch aus dem Landwirtschaftsrecht. Die Verordnung über Investitionskredite und Betriebshilfe in der Landwirtschaft vom 15. November 1972 (SR 914.11) bezeichnet in Art. 1 Abs. 1 einen Betrieb im allgemeinen dann als landwirtschaftlich, "wenn seine organisierte Gesamtheit von Nutzland, Bauten und Inventar der Erzeugung oder der Erzeugung und Verwertung von Bodenprodukten dient". c) Im vorliegenden Fall ist der projektierte Landwirtschaftsbetrieb weder existenzsichernd noch rentabel. Es ist daher ausgeschlossen, dass die geplante Baute in der Hauptsache der landwirtschaftlichen Produktion dienen würde. Der Beschwerdeführer muss vielmehr zu einem grossen Teil seinen Lebensunterhalt aus anderen Quellen decken. Bei dieser Lage ist er aber nicht auf ein Wohnhaus ausserhalb der Bauzone angewiesen. Der Schluss, dass die geplante Baute zur Hauptsache nicht für landwirtschaftliche Zwecke verwendet würde, ergibt sich auch aus der Aufteilung der Räumlichkeiten. Im Projekt des BGE 103 Ib 110 S. 115 Beschwerdeführers überwiegen die Wohnräume eindeutig, während die für die landwirtschaftliche Nutzung bestimmten Teile eine untergeordnete Rolle spielen. Die Baute, für die der Beschwerdeführer um eine Bewilligung nachgesucht hat, kann somit nicht als landwirtschaftlich im Sinne von Art. 27 Abs. 2 AGSchV betrachtet werden.
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Sachverhalt ab Seite 87 BGE 100 Ib 86 S. 87 Aus dem Tatbestand: A.- Die Eheleute Aldo und Silvia Secchi-Piazza, die in der Stadt Luzern wohnen, kauften am 28. Juli 1971 von Fräulein Josy Gut, geb. 1896, den grössten Teil des Gehöftes "Fürten", das in Udligenswil (Luzern) ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojekt dieser Gemeinde abgegrenzten Gebietes liegt. Sie erwarben rund 2,6 ha samt der Scheune. Die Verkäuferin behielt eine Parzelle von 424 m2 mit dem Wohnhaus, das sie weiterhin bewohnt. Den Eheleuten Secchi wurde ein Kaufsrecht an dieser Parzelle eingeräumt, das sie nach dem Tode von Fräulein Gut ausüben können. Sie schafften eine Baubaracke an, um sie auf "Fürten" aufzustellen und zu einem Wohngebäude für sich auszubauen. Sie betreiben auf dem gekauften Land selber Landwirtschaft. Aldo Secchi, der am Lehrerseminar in Luzern Biologieunterricht erteilt, will mit der Landwirtschaft wissenschaftliche Tierbeobachtungen (Verhaltensforschung) verbinden. Am 27. Januar 1972 erteilte der Gemeinderat von Udligenswil den Eheleuten Secchi die Baubewilligung für das Aufstellen der Wohnbaracke. Hiegegen rekurrierte das kantonale Amt für Gewässerschutz an den Regierungsrat mit der Begründung, die häuslichen Abwässer dürften nicht landwirtschaftlich verwertet werden. Am 10. April 1972 entschied das kantonale Polizeidepartement, für das Bauvorhaben der Eheleute Secchi könne eine Ausnahmebewilligung nach § 6 Abs. 1 des kantonalen Gewässerschutzgesetzes nicht erteilt werden. Diese Bestimmung sieht vor, dass eine solche Bewilligung erforderlich ist, wenn Abwässer aus nichtlandwirtschaftlichen Gebäuden und Betrieben nicht an eine Kanalisation angeschlossen werden sollen. Die Eheleute Secchi fochten den Entscheid des Departementes mit Beschwerde beim Regierungsrat an. Dieser wies die Beschwerde am 19. März 1973 ab. Er führte aus, ein sachlich begründetes Bedürfnis im Sinne des Art. 20 GSchG und des Art. 27 Allg.GSchV sei nicht nachgewiesen. Das Eidg. Amt BGE 100 Ib 86 S. 88 für Umweltschutz habe ein solches Bedürfnis für Neubauten auf landwirtschaftlichen Zwergbetrieben, die lediglich aus Liebhaberei geführt werden, stets verneint. Hier handle es sich um einen Fall dieser Art. Wohl übe Aldo Secchi auf "Fürten" eine landwirtschaftliche Tätigkeit aus, aber nur als "Hobby", das jederzeit aufgegeben werden könne. Die Beschwerdeführer seien auf das in Frage stehende neue Wohnhaus nicht dringend angewiesen. Auch sei der gewählte Standort der Baute weder durch deren Zweckbestimmung bedingt noch im öffentlichen Interesse erwünscht. Ein zusätzliches Wohnhaus sei für die Bewirtschaftung der Liegenschaft "Fürten" nicht erforderlich. Das alte Wohnhaus, das angeblich baufällig sei, werde immerhin noch bewohnt; nur genüge es den Ansprüchen der Beschwerdeführer nicht. B.- Aldo und Silvia Secchi-Piazza erheben Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben, und die Luzerner Behörden seien anzuweisen, ihnen die nachgesuchte Baubewilligung zu erteilen. Es wird geltend gemacht, die Beschwerdeführer übten auf "Fürten" eine eigentliche landwirtschaftliche Tätigkeit aus, und dazu sei ein neues Wohngebäude an Ort und Stelle erforderlich, da das alte ausfalle. Ob Aldo Secchi sich im Haupt- oder im Nebenberufals Landwirt betätige, sei gleichgültig. Die Beschwerdeführer hätten sich von Anfang an bereit erklärt, eine moderne Kläranlage für die häuslichen Abwässer einzurichten. C.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern beantragt Abweisung, das Eidg. Departement des Innern Gutheissung der Beschwerde. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Nach Art. 19 und 20 GSchG dürfen Baubewilligungen nur erteilt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Art. 19 betrifft Bauten innerhalb der Bauzonen oder, wo solche fehlen, innerhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes, Art. 20 Bauten ausserhalb dieses Gebietes. Hier ist Art. 20 anwendbar, da das Land, das die Beschwerdeführer gekauft haben, ausserhalb des Kanalisationsrayons der Gemeinde Udligenswil liegt. Art. 20 bestimmt im ersten Satz, dass Baubewilligungen für Gebäude und Anlagen ausserhalb des Kanalisationsbereiches nur erteilt werden dürfen, "sofern der Gesuchsteller BGE 100 Ib 86 S. 89 ein sachlich begründetes Bedürfnis nachweist". Der zweite Satz des Art. 20 schreibt vor, dass die Bewilligung erst erteilt werden darf, wenn die Ableitung und Reinigung oder eine andere zweckmässige Beseitigung der Abwässer festgelegt ist und die Zustimmung der kantonalen Fachstelle für Gewässerschutz vorliegt. Im gegenwärtigen Beschwerdeverfahren ist streitig und vom Bundesgericht zu prüfen, ob ein sachlich begründetes Bedürfnis nachgewiesen sei. Nach Art. 20 GSchG ist es Sache des Gesuchstellers, diesen Nachweis zu leisten. Der Gesuchsteller muss dartun, dass er selber ein genügendes Interesse an der Baute oder Anlage hat. Das Bedürfnis muss aber nach dem Gesetzestext auch "sachlich (objectivement, oggettivamente) begründet" sein. Dem Art. 20 GSchG liegt gemäss Botschaft des Bundesrates die Überlegung zugrunde, dass die ausserhalb des Kanalisationsrayons erstellten, "mit mehr oder weniger behelfsmässigen und schwer zu kontrollierenden Einzelkläreinrichtungen oder mit abflusslosen Abwassergruben versehenen Gebäude erfahrungsgemäss eine stetige Gefahr für ober- und unterirdische Gewässer bedeuten", und dass daher das nationale Werk der Abwassersanierung in Frage gestellt würde, "sofern Bauten mit derartigen als definitive Lösung gedachten Abwasserbeseitigungen überall uneingeschränkt bewilligt würden". Es soll der Tendenz, "die abseits der bestehenden Siedlungen gelegenen Gebiete unseres Landes mit Einfamillien- und Ferienhäusern zu überbauen", entgegengewirkt werden, weil sonst damit gerechnet werden müsste, "dass die Zahl der Verunreinigungs- und Gefahrenherde ins Unermessliche wachsen würde" (BBl 1970 II 543). Der Gesuchsteller, der ausserhalb des Kanalisationsbereiches bauen will, muss sich daher auf Gründe berufen können, die so gewichtig sind, dass sich eine Ausnahme von der zum Schutz der Gewässer aufgestellten Regel des Ausschlusses der Bewilligung abgelegener Bauten verantworten lässt (BGE 99 I/b 154 E. 2 a). Im ersten Satz des Art. 19 GSchG steht die Wendung "Neu- und Umbau von Bauten und Anlagen aller Art", während im folgenden Satz von "kleineren Gebäuden und Anlagen" und in Art. 20 einfach von "Gebäuden und Anlagen" die Rede ist. Zweifellos ist mit der kurzen Wendung "Gebäude und Anlagen" dasselbe gemeint wie mit der ausführlichen Umschreibung im ersten Satz des Art. 19. Es kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, dass Art. 20 im Gegensatz zu Art. 19 nur Neubauten und BGE 100 Ib 86 S. 90 nicht auch Umbauten erfasst. Der Zweck des Art. 20 erfordert, dass die Bestimmung auch auf Umbauten anwendbar ist. Offenbar wollte man bei der Redaktion der Art. 19 und 20 Wiederholungen jener ausführlichen Wendung vermeiden, um den Text nicht zu schwerfällig werden zu lassen. Es ist daher nicht gesetzwidrig, dass die Allg.GSchV in Art. 25 vom "Umbau im Sinne der Art. 19 und 20 des Gesetzes" spricht und in Art. 27 das von Art. 20 GschG geforderte sachlich begründete Bedürfnis in gleicher Weise für Neubauten wie für Umbauten umschreibt. 3. Nach dem ersten Satz des Art. 27 Abs. 1 Allg.GSchV gilt das Bedürfnis für einen Neu- oder Umbau ausserhalb der Bauzonen bzw. des durch das generelle Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes als sachlich begründet, "wenn der Gesuchsteller auf das geplante Gebäude oder eine Anlage dringend angewiesen ist und deren abgelegener Standort durch ihre Zweckbestimmung bedingt oder im öffentlichen Interesse erwünscht ist". Der Schlussatz des Art. 27 Abs. 1 Allg.GSchV bestimmt, dass die Möglichkeit des Anschlusses an eine Kanalisation in keinem Fall ein sachliches Bedürfnis begründet. Der nachfolgende Abs. 2 nennt Beispiele von Bauten oder Anlagen, für die ein sachlich begründetes Bedürfnis "bestehen kann" (Landwirtschaftsbetriebe usw.). Das Bundesgericht hat in BGE 99 I/b 153 ff. (E. 2) die in Art. 27 Allg.GSchV enthaltene Umschreibung des sachlich begründeten Bedürfnisses als gesetz- und verfassungsmässig befunden unter der Voraussetzung, dass die Bestimmung so verstanden wird, wie es sie ausgelegt hat. Es hat insbesondere ausgeführt (E. 2 b, Abs. 1), in subjektiver Beziehung entsprächen dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes der deutsche und der italienische Text des Art. 27 Abs. 1 Allg.GSchV ("dringend angewiesen", "necessità urgente"), während die französische Fassung ("nécessité absolue") dem Gesuchsteller zu viel zumute; der Nachweis eines bedeutenden, aktuellen und intensiven Interesses des Gesuchstellers genüge. Anderseits hat das Gericht dargelegt (E. 2 b, Abs. 2), in objektiver Beziehung hätten alle drei Fassungen des Art. 27 Abs. 1 Allg.GSchV - trotz gewissen Abweichungen - denselben Sinn; namentlich sei den im deutschen und im italienischen Text stehenden Ausdrücken "bedingt" und "condizionata" die gleiche Bedeutung beizumessen, die das im französischen Text gebrauchte Wort "justifié" habe. Nach Art. 25 Allg.GSchV gilt als Umbau im Sinne der Art. 19 BGE 100 Ib 86 S. 91 und 20 des Gesetzes "jede baupolizeilich wesentliche Veränderung an Bauten und Anlagen, die eine Vergrösserung des Nutzraumes, eine Erhöhung der Anzahl Wohnungen oder eine andere Art von Gebrauch oder Nutzung bezweckt". Auch diese Bestimmung ist als gesetz- und verfassungsmässig zu betrachten. Für die Beseitigung der Abwässer aus bestehenden Bauten und Anlagen ist Art. 18 GSchG massgebend (vgl. dazu Art. 24 Allg.GSchV). Es entspricht der gesetzlichen Ordnung, Art. 19 und 20 GSchG nur auf solche Umbauten anzuwenden, durch die der bestehende Zustand wesentlich - wie in Art. 25 Allg.GSchV umschrieben - verändert wird. Umbauten ausserhalb des Kanalisationsbereiches fallen demnach nicht unter Art. 20 GSchG , wenn keine der in Art. 25 Allg.GSchV genannten Voraussetzungen erfüllt ist. Wenn der Eigentümer eines Gebäudes findet, es genüge seinen Ansprüchen nicht oder nicht mehr, kann er sich veranlasst sehen, es durch einen Neubau zu ersetzen, statt es umzubauen. Mit der Erstellung einer Ersatzbaute kann unter Umständen im wesentlichen das gleiche Ergebnis wie mit einem Umbau erreicht werden. Man kann sich deshalb fragen, ob es sich nicht rechtfertige, Art. 25 Allg.GSchV auf Ersatzbauten analog anzuwenden. Die Frage kann indessen hier offengelassen werden, da das Urteil dann, wenn ihm ausschliesslich Art. 20 GSchG und Art. 27 Allg.GSchV zugrunde gelegt werden, nicht anders ausfällt als dann, wenn Art. 25 Allg. GSchV mitberücksichtigt wird. 4. Bei der Schaffung des Art. 20 GSchG wurde bewusst ein Ziel der Raumplanung verfolgt. Man wollte namentlich verhindern, dass ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes weit verstreut zahlreiche Wohnhäuser (insbesondere Wochenend- und Ferienhäuser), die nicht an einen solchen abgelegenen Standort gebunden sind, gebaut werden. Nichts deutet aber darauf hin, dass der Gesetzgeber mit Art. 20 GSchG auch eine allmähliche Verminderung der Zahl der ausserhalb des Kanalisationbereiches vorhandenen bäuerlichen Streusiedlungen habe anstreben wollen. Nach dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist ein sachlich begründetes Bedürfnis auf jeden Fall dann zu bejahen, wenn lediglich die bauliche Sanierung eines bestehenden landwirtschaftlichen Heimwesens geplant ist und keine nach der Art und Grösse des Betriebes nicht gerechtfertigten neuen Räume errichtet werden sollen. Es besteht jedoch die grosse Gefahr, dass finanzkräftige Leute BGE 100 Ib 86 S. 92 sich durch Kauf und entsprechende bauliche Umgestaltung landwirtschaftlicher Kleinheimwesen eine Wohnung ausserhalb des Baugebietes zu verschaffen suchen, ohne dass sie die Landwirtschaft ernstlich weiterzuführen gedenken. Die verkappte Errichtung von Dauerwohnungen und Ferienwohnungen ausserhalb des Baugebietes in Liegenschaften, die bisher der Landwirtschaft gedient haben, ihr aber voraussichtlich nicht mehr dienen werden, ist nicht zu bewilligen. Wegen dieser Gefahr von Missbräuchen darf aber nicht jede bauliche Sanierung eines landwirtschaftlichen Kleinbetriebes durch einen Liebhaber abgelehnt werden, sondern es ist im Einzelfall zu prüfen, ob nach den gesamten Umständen nur das Wohnen auf dem Land angestrebt wird oder ob die Führung des standortgebundenen Landwirtschaftsbtriebes beabsichtigt ist und lediglich die hiefür notwendigen Räumlichkeiten erstellt werden sollen. Um- oder Ersatzbauten, die mit einer offenen oder verborgenen Zweckentfremdung des Gebäudes verbunden sind und - ohne Zusammenhang mit der Landwirtschaft - unverkennbar nur der Schaffung schön gelegener Wohnungen dienen, stehen mit Art. 20 GSchG im Widerspruch und dürfen daher nicht bewilligt werden. 5. Das Gut "Fürten" wird von jeher landwirtschaftlich genutzt. Auch die Beschwerdeführer widmen sich dort der Landwirtschaft, was nicht bestritten ist; sie halten auf "Fürten" Gross- und Kleinvieh. Darauf, ob die Landwirtschaft im Haupt- oder im Nebenberuf und ausschliesslich oder vorwiegend aus ökonomischen oder ideellen Gründen (aus Liebhaberei, zu Forschungszwecken) betrieben wird, kommt es nicht an. Damit ein landwirtschaftliches Gewerbe, insbesondere wenn Vieh gehalten wird, in gehöriger Weise betrieben werden kann, ist aber erforderlich, dass sich die Wohnung des Betriebsinhabers auf dem Gehöft oder doch in dessen unmittelbarer Nähe befindet. Freilich ist auf "Fürten" bereits ein Wohnhaus vorhanden, doch konnten die Beschwerdeführer es aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, vorläufig nicht erwerben. Die betagte Verkäuferin des Landes, Fräulein Gut, wollte sich von ihrer angestammten Wohnung nicht mehr trennen. Den Beschwerdeführern wurde deshalb lediglich ein Kaufsrecht an der Wohnhausparzelle eingeräumt, das sie nach dem Tode von Fräulein Gut ausüben können. Sie sind daher auf die Errichtung eines neuen Wohnhauses angewiesen; sie haben daran ein bedeutendes, aktuelles und intensives Interesse. BGE 100 Ib 86 S. 93 Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es den Beschwerdeführern darum geht, später auf "Fürten" zwei Wohnhäuser zu besitzen, das eine als Bestandteil des Landwirtschaftsbetriebes und das andere zum Zwecke der Vermietung (z.B. als Ferienwohnung). Wie der Gemeinderat von Udligenswil in einem Bericht an das kantonale Gewässerschutzamt feststellt, ist das alte Bauernhaus baufällig und könnte nach dem Ableben derjetzigen Eigentümerin nicht mehr bewohnt werden, wenn nicht wesentliche bauliche Veränderungen vorgenommen würden; nach der Auffassung des Gemeinderates sollte aber dannzumal eine Bewilligung für den Umbau nicht erteilt werden. Immerhin erscheint es nicht als völlig ausgeschlossen, dass das Gebäude nach dem Tode von Fräulein Gut doch wieder zu Wohnzwecken verwendet werden könnte. Indessen haben die Beschwerdeführer sich im Verfahren vor dem Regierungsrat ausdrücklich bereit erklärt, die Verpflichtung zu übernehmen, das Kaufsrecht auszuüben und dann die alte Baute nicht mehr als Wohnhaus, sondern höchstens noch als Lagerraum und Keller zu benützen. Sie sind bei dieser Erklärung zu behaften; durch eine Auflage in geeigneter Form ist dafür zu sorgen, dass das alte Haus nach dem Tode der jetzigen Eigentümerin nicht mehr zu Wohnzwecken verwendet werden kann. Unter den gegebenen Umständen lässt sich nicht mit Grund bestreiten, dass die Beschwerdeführer ein dringendes Bedürfnis für die Errichtung der projektierten Baute haben. 6. Als Standort der Baute ist das Land vorgesehen, das die Beschwerdeführer gekauft haben. Er ist durch die Zweckbestimmung der Baute gerechtfertigt. Da das neue Wohnhaus dem Betrieb der Landwirtschaft dienen muss, gehört es wenn immer möglich auf das Gehöft. Ein anderer Standort käme angesichts der Zweckbestimmung des Hauses nur in Betracht, wenn es in der Nähe der Scheune und zugleich in der Bauzone oder im Kanalisationsbereich erstellt werden könnte. Dass ein solcher Standort möglich wäre, wird aber von keiner Seite geltend gemacht und lässt sich den Akten nicht entnehmen. Es besteht auch kein Grund zur Annahme, dass das Bauprojekt den Umfang einer angemessenen baulichen Sanierung des von den Beschwerdeführern gekauften landwirtschaftlichen Kleinbetriebes überschreitet. 7. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass für den in Frage stehenden Bau ein sachlich begründetes Bedürfnis BGE 100 Ib 86 S. 94 im Sinne des Art. 20 GSchG und des Art. 27 Allg.GSchV besteht. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die geplante Ersatzbaute schon auf Grund einer analogen Anwendung des Art. 25 Allg.GSchV zuzulassen wäre... 8. Dagegen stellt sich noch die Frage, in welcher Form dafür zu sorgen ist, dass das alte Bauernhaus nach dem Tode der jetzigen Eigentümerin nicht mehr zu Wohnzwecken benützt wird. Ferner ist noch zu untersuchen, wie die aus dem neuen Haus anfallenden Abwässer beseitigt werden sollen. Es ist Sache der kantonalen Behörden, die von den Beschwerdeführern vorgeschlagenen Lösungen zu beurteilen und die erforderlichen Anordnungen zu treffen. Die Angelegenheit ist deshalb an den Regierungsrat zurückzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 406 BGE 135 II 405 S. 406 A. X. und Y. arbeiten als Forscher am Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich und der ETH. Sie ersuchten am 31. Januar 2006 das Veterinäramt des Kantons Zürich, ihnen einen Tierversuch zu bewilligen, der Teil eines Nationalfondprojekts bildet. (...) Im Rahmen des Versuchs soll untersucht werden, wie das visuelle System lernt und wie es seine Leistung verbessern kann. Während des Lernens wird die Aktivität einzelner Neuronen in verschiedenen Arealen der visuellen Hirnrinde gemessen, um einerseits die Struktur zu lokalisieren, wo die Verbesserung stattfindet, und andererseits die neuronalen Mechanismen zu untersuchen, die zu einer Leistungssteigerung führen. Die Forscher sehen vor, vier Rhesusaffen (...) in zwei unter Narkose durchgeführten Operationen je eine Kopfhalterung auf dem Schädelknochen zu montieren und eine Ableitungskammer, durch welche die Messelektroden eingeführt werden, unter dem Schädeldach einzusetzen. In einer Trainingsphase von 3 bis 12 Monaten sollen die Affen an den Primatenstuhl und das Lösen visueller Aufgaben gewöhnt werden. Hierauf folgt die eigentliche Versuchsphase von einem Jahr. Die einzelnen Versuchssitzungen dauern - sofern das Versuchstier die Mitarbeit nicht verweigert - zweieinhalb bis drei, höchstens vier Stunden. Während der Sitzung müssen die Tiere, die am Kopf im Primatenstuhl so fixiert sind, dass sie diesen nicht mehr bewegen können, Aufgaben zur Bestimmung der sogenannten Vernier-Sehschärfe lösen: Zu diesem Zweck werden auf einem Bildschirm jeweils zwei vertikale Linien dargestellt, von denen die untere seitlich etwas verschoben ist. Die Affen können durch Ziehen eines vor dem Stuhl angebrachten Hebels angeben, ob die Linie nach links oder rechts verschoben ist. Für eine richtige Antwort erhalten sie einige Tropfen verdünnten Fruchtsaft. An den Tagen der Versuchssitzungen wird den Tieren der freie Zugang zum Wasser entzogen, um sie zur Mitarbeit zu motivieren. Kann ein Versuchstier seinen Flüssigkeitsbedarf bei den Tests nicht decken, wird BGE 135 II 405 S. 407 ihm einige Stunden später zusätzliche Flüssigkeit verabreicht. Ein Tier wird etwa eineinhalb bis zwei Jahre in dieser Versuchsanordnung eingesetzt, bis es für eine genauere anatomische Lokalisation der vorgenommenen Ableitungen eingeschläfert wird. B. Das Veterinäramt des Kantons Zürich legte das Gesuch der kantonalen Tierversuchskommission zur Prüfung vor. Nach Einholung ergänzender Auskünfte und dreier Gutachten beantragte diese dem Veterinäramt, das Gesuch abzulehnen. Das Veterinäramt bewilligte am 16. Oktober 2006 den Tierversuch mit Auflagen. Dagegen erhoben die Tierversuchskommission und sechs ihrer Mitglieder Rekurs bei der Gesundheitsdirektion. Diese hiess am 26. Februar 2007 den Rekurs gut und hob die Tierversuchsbewilligung auf. Gegen diesen Entscheid gelangten die beiden Gesuchsteller erfolglos an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. C. Mit Eingabe vom 4. Juni 2008 beantragen X. und Y., den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 27. März 2008 aufzuheben und die Verfügung des Veterinäramtes zu bestätigen. Die Tierversuchskommission und sechs ihrer Mitglieder beantragen, die Beschwerde abzuweisen und den Entscheid des Verwaltungsgerichts zu bestätigen. (...) Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. (Auszug) Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. Vorliegend ist die Frage zu beantworten, ob gestützt auf Art. 61 Abs. 3 lit. d der Tierschutzverordnung vom 27. Mai 1981 (aTSchV; AS 1981 572; 1986 1408; 1991 2349; 1997 1121; 1998 2303; 2001 1337 Anhang Ziff. 1, 2063; 2006 1427, 5217 Anhang Ziff. 2; 2007 1847 Anhang 3 Ziff. 1) der strittige Tierversuch bewilligt werden kann. Da dabei eine umfassende Güterabwägung (nicht publ. E. 3.2.3) vorzunehmen ist, müssen die beiden, bereits vom Verordnungsgeber bezeichneten Güter - Kenntnisgewinn oder Ergebnis des konkreten Tierversuchs einerseits sowie Tierschmerzen, -schäden oder -leiden andererseits - zunächst gewichtet (E. 4.3.1-4.3.3) und anschliessend gegeneinander abgewogen werden (E. 4.3.4). 4.1 4.1.1 Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich hielt in ihrem Entscheid fest, dass es sich beim geplanten Tierversuch um BGE 135 II 405 S. 408 Grundlagenforschung handle. Die entsprechenden Forschungsergebnisse müssten allerdings mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet sein, später in angewandter Form und allenfalls in Kombination mit anderen Erkenntnissen dem Leben oder der Gesundheit von Mensch und Tier zu dienen. Je weniger sie dies tun würden, desto weniger würden sie Tierversuche zur Erlangung dieser Kenntnis rechtfertigen und desto weniger belastend dürften diese für die Tiere sein. Vor allem die spätere klinische Verwendbarkeit der erzielten Grundlagenkenntnisse, insbesondere zur Verbesserung der Rehabilitationsmassnahmen bei Schlaganfallpatienten sei sehr ungewiss. Damit reduziere sich die Bedeutung des Kenntnisgewinns. Die Flüssigkeitsbeschränkungen, welche 24 Stunden dauern könnten, das Stress- und Leidensverhalten, welche aufgrund der Nähe der Affen zum Menschen ähnlich wie bei diesen beurteilt werden müssten, sowie die lange tägliche und monatliche Fixierung des Kopfes und das Sitzen im Primatenstuhl, welches eine schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens darstelle, kämen dem höchsten Schweregrad (Schweregrad 3) gleich. Da nicht-menschlichen Primaten aufgrund ihrer Nähe zum Menschen eine Sonderstellung zukomme, sei unter diesen Umständen das Interesse der Versuchstiere an Belastungsfreiheit höher zu gewichten als das menschliche Interesse am Versuchsergebnis. 4.1.2 Das Verwaltungsgericht hat die Argumente und die Gewichtung der Gesundheitsdirektion geschützt. Nach Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV verlange die Güterabwägung eine konkrete, umfassende, nicht schematische Bestimmung des Forschungsnutzens, weshalb auch die klinische Anwendbarkeit der Versuchsergebnisse mitzuberücksichtigen sei; dies sähen etwa auch die ethischen Grundsätze und Richtlinien für Tierversuche der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) vor. Im Übrigen hätten die Beschwerdeführer selbst und auch die Gutachter den zukünftigen klinischen Nutzen hervorgehoben; zudem sei das übergeordnete Forschungsprojekt klar auf eine klinische Anwendung ausgerichtet. Der zu erwartende Kenntnisgewinn sei für den zukünftigen klinischen Nutzen sehr ungewiss. Die Belastung der Tiere ergebe sich aus zwei Faktoren: der "Flüssigkeitsrestriktion" und der Arbeit am Bildschirm im Primatenstuhl unter Fixierung des Kopfes. Alle sachkundigen Behörden seien davon ausgegangen, dass die Flüssigkeitsrestriktionen mindestens Schweregrad 2 aufweisen würden. Zwischen diesen, BGE 135 II 405 S. 409 innerhalb der Tierversuchskommission und in der Literatur sei strittig, ob die Fixierung des Kopfes, das Sitzen im Primatenstuhl und die Konzentration während der Versuchsarbeit als schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens zu werten sei und damit der Schweregrad 2 auf 3 erhöht werden müsste. Angesichts dessen habe die Gesundheitsdirektion ihren Beurteilungsspielraum sachlich nicht überschritten, wenn sie die Belastungen dem Schweregrad 3 zugewiesen habe. In der eigentlichen Abwägung sei zu Recht die Nähe der nicht-menschlichen Primaten zum Menschen und deren Sonderstellung in der Hierarchie der Tiere berücksichtigt worden, wie dies das Tierschutzgesetzes vom 9. März 1978 (aTSchG; AS 1981 562; 1991 2345; 1995 1469 Art. 59 Ziff. 1; 2003 4181, 4803 Anhang Ziff. 3; 2006 2197 Anhang Ziff. 45) und die aTSchV verlange. 4.2 Die Beschwerdeführer rügen, dass das Verwaltungsgericht eine unzulässige, da über die gesetzlichen Entscheidungen hinausgehende Differenzierung zwischen der Grundlagen- und der angewandten Forschung vorgenommen habe. Es setze bei jener zu Unrecht strengere Massstäbe als bei dieser. Die Abstützung auf die Richtlinien der SAMW und der SCNAT habe gegenüber Dritten lediglich empfehlenden Charakter und stehe in Widerspruch zum Verfassungs- und Bundesverwaltungsrecht. Nach der Auffassung der Beschwerdeführer würden Tierversuche - gestützt auf Art. 12 aTSchG - dazu dienen, wissenschaftliche Annahmen zu prüfen oder Informationen zu erlangen. Ein darüber hinausgehender Zweck sei nicht erforderlich und auch einer zusätzlichen Rechtfertigung, um einen Tierversuch zu bewilligen, bedürfe es nicht. Demzufolge unterscheide das aTSchG bei der Forschung nicht zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung. Der Gesetzgeber habe bewusst auf eine Wertung verzichtet und konsequenterweise keinen strengeren Prüfungsmassstab für die Grundlagenforschung statuiert. Gesuche für Tierversuche müssten unabhängig von den jeweiligen Forschungstypen an den gleichen abstrakten Massstäben gemessen werden. Da die Grundlagenforschung für die allgemeine wissenschaftliche Erkenntnis wichtig sei, sei es unbestritten, dass sie per se dem Gebot der finalen Unerlässlichkeit eines Tierversuchs genüge und deshalb nicht zusätzlich die künftige praktische Verwendbarkeit eines Erkenntnisgewinns geprüft werden dürfe. 4.3 4.3.1 Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV (AS 1991 2353) verlangt, dass der erwartete Kenntnisgewinn den Schmerzen, Leiden oder Schäden BGE 135 II 405 S. 410 der Tiere gegenübergestellt wird. Strittig ist zunächst, ob neben dem Zweck der Erkennung grundlegender Lebensvorgänge auch ein späterer Anwendungsnutzen des vorliegenden Versuchs zu berücksichtigen ist. Die Beschwerdeführer verneinen dies; ihr Standpunkt macht aber nur Sinn, wenn es auf eine Gewichtung des Kenntnisgewinns gar nicht ankäme. Ihm kann nicht beigepflichtet werden: Es trifft nicht zu, dass die zu erwartenden Forschungsergebnisse überhaupt nicht gewichtet werden müssten, für sich allein genügen und in jedem Fall stärker wögen als die gegenläufigen Interessen des Tierschutzes. Die Vorschriften über Tierversuche sind Ausdruck sowohl der Forschungsfreiheit ( Art. 20 BV ) als auch des Verfassungsinteresses des Tierschutzes ( Art. 80 Abs. 2 lit. b BV ). Dabei ist eine generell-abstrakte Regelung über die abgewogenen Interessen auf Gesetzes- und grundsätzlich auch auf Verordnungsstufe unterblieben, da für die Beurteilung des Einzelfalles spezifisches Fachwissen notwendig ist (vgl. Botschaft vom 30. Januar 1989 über die Volksinitiative "zur drastischen und schrittweisen Einschränkung der Tierversuche [Weg vom Tierversuch!]" [nachfolgend: Botschaft Volksinitiative], BBl 1989 I 1003, 1021 Ziff. 42). Deshalb wurde der Verwaltung die Aufgabe übertragen, diese Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei hat weder die Forschungsfreiheit noch der Tierschutz Vorrang. Vielmehr sind beide gleichrangig (vgl. THOMAS FLEINER-GERSTER, in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, 1987 ff. [nachfolgend: Kommentar aBV], N. 23 zu Art. 25 bis aBV ; CHRISTOPH ANDREAS ZENGER, Das "unerlässliche Mass" an Tierversuchen, Beihefte zur ZSR Nr. 8, 1989, S. 42, 52 ff.), und es ist im Einzelfall das jeweilige Gewicht des Forschungsinteresses und des Tierschutzinteresses zu bestimmen und diese sind hernach gegeneinander abzuwägen. Würde der Auffassung der Beschwerdeführer gefolgt, wäre dem Tierschutz nicht hinreichend Rechnung getragen und dem Forschungsinteresse in verfassungswidriger Weise per se ein höherer Rang zugesprochen worden. Es wäre zudem auch nicht einsichtig, eine Bewilligungspflicht einzuführen, da solche grundsätzlich dann vorgesehen werden, wenn präventiv abzuklären ist, ob mit einer Tätigkeit andere Rechtsgüter beeinträchtigt werden (vgl. PETER SALADIN, Die Kunst der Verfassungserneuerung, hrsg. von Walter Kälin und anderen, 1998, S. 333). Unter diesen Umständen ist es für das Forschungsprojekt auch vorteilhafter, wenn einem Kenntnisgewinn im Bereich der Grundlagenforschung ein klinischer Nutzen hinzukommt. Abgesehen davon kann ohnehin nicht BGE 135 II 405 S. 411 apodiktisch zwischen der Grundlagen- und angewandter Forschung differenziert werden, da nicht lediglich zwischen diesen, sondern zwischen "reiner Grundlagenforschung" einerseits und "anwendungsorientierter Grundlagenforschung" oder "gerichteter" bzw. "angewandter Grundlagenforschung" andererseits unterschieden wird (BEAT KÖNIG, Grundlagen der staatlichen Forschungsförderung, 2007, S. 33). Diese soll die wissenschaftliche Grundlage für spezielle weiterführende Forschungen schaffen und weist deshalb auch eine spezifische praktische Orientierung auf (KÖNIG, a.a.O., S. 33). 4.3.2 Tatsächlich gehen auch die Beschwerdeführer in ihrem Gesuch vom 31. Januar 2006 von einem doppelten Ziel ihres Tierversuchs aus: erstens sollen "grundlagenwissenschaftliche" Erkenntnisse auf dem Gebiet der Neuroinformatik gewonnen werden; zweitens sollen diese Erkenntnisse in einer späteren Phase als Wissensgrundlage für bessere Rehabilitationsmethoden für Schlaganfallpatienten in der Klinik Anwendung finden (Ziff. 63). Der zweite Grund steht auch in Einklang mit dem übergeordneten Forschungsprogramm ("Project 5 of the National Center for Competence in Research [NCCR]"), das klar auf eine klinische Anwendung ausgerichtet ist. Wie sich ferner aus den Akten ergibt, ging auch das Veterinäramt zusammen mit den Beschwerdeführern von diesem erwarteten doppelten Kenntnisgewinn für die Bestimmung der fachlichen Gutachter und für die Evaluation des Tierversuchs aus. Dass die Beschwerdeführer auch eine mögliche klinische Anwendbarkeit als Erkenntnisgewinn erwarteten, ist zudem auch deshalb nicht abwegig, weil - wie die beiden befürwortenden Gutachter (K.; L.) festhalten - nur Menschen und Affen diese spezielle Form des Wahrnehmungslernens aufweisen und somit die Tierversuchsresultate auf den Menschen übertragen werden können. Das Verwaltungsgericht hat deshalb kein Bundesrecht verletzt, wenn es - auch zugunsten der Beschwerdeführer - den späteren klinischen Nutzen des Versuchs in den erwarteten Kenntnisgewinn einbezogen hat. Angesichts dieses Ergebnisses kann dahingestellt bleiben, ob die Vorinstanz sich auch auf die gemeinsamen "Ethischen Grundsätze und Richtlinien für Tierversuche" (3. Aufl. 2005; www.samw.ch, ) der SAMW und des SCNAT stützen durfte. Für die Gewichtung des Kenntnisgewinns stellt Art. 61 Abs. 3 lit. b aTSchV selbst Wertungsgesichtspunkte zur Verfügung. Danach verfolgen Tierversuche unterschiedliche Zwecke. Diese haben entsprechend der verfassungsrechtlichen Gewichtung der verschiedenen BGE 135 II 405 S. 412 Interessen (ZENGER, a.a.O., S. 102 ff., 104 ff., 115 ff.; FLEINER-GERSTER, a.a.O., N. 25 zu Art. 25 bis aBV ) nicht alle das gleiche Gewicht. So ist die Erhaltung oder der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Menschen gewichtiger als die Erkenntnisse über grundlegende Lebensvorgänge: Ein Tierversuch, der nur rudimentäre Erkenntnisse für die menschliche Gesundheit erwarten lässt, hat deshalb ein geringeres Gewicht als ein solcher, der eine höhere Erkenntnis für die menschliche Gesundheit aufweist. Und ein Tierversuch, der "nur" Erkenntnisse über grundlegende Lebensvorgänge ohne Bezug zur menschlichen Gesundheit vorsieht, hat weniger Gewicht als ein solcher, der rudimentäre Erkenntnisse über die menschliche Gesundheit oder über Verringerungen menschlichen Leidens anstrebt. Der vorliegende Tierversuch ist - wie die beiden, das Projekt befürwortenden Gutachter (K., L.) ausführen - "von einiger Bedeutung" bzw. von "erhebliche[m] Erkenntnisgewinn"; allerdings ist der klinische Nutzen des Versuchs äusserst ungewiss. Von diesen Schlussfolgerungen abzuweichen, besteht kein Anlass. Sie decken sich auch mit den Angaben der Beschwerdeführer selbst, den Einschätzungen der Tierversuchskommission, des kantonalen Veterinäramtes und den beiden kantonalen Rechtsmittelinstanzen. Gesamthaft gesehen, verliert damit der erwartete Kenntnisgewinn - wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat - an Gewicht. 4.3.3 Dem erwarteten Erkenntnisgewinn oder Ergebnis sind nach Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV die Schmerzen, Leiden oder Schäden gegenüber zu stellen. Diese Bestimmung ist - (...) - eine Konkretisierung von Art. 13 Abs. 1 aTSchG. Allerdings ist sie - wie die Vorinstanz zu Recht festgehalten hat - unvollständig, fehlt doch die Passage "es [d.h. das Tier] in schwere Angst versetzen oder sein Allgemeinbefinden erheblich beeinträchtigen können". Für die Beurteilung der Belastung ist demnach auch der fehlende Passus zu berücksichtigen, andernfalls der Verordnungsgeber in unzulässiger Weise den vom Gesetzgeber gewünschten Normsinn verändert hätte. Für die Gewichtung der Schmerzen werden vier Schweregrade von 0 bis 3 verwendet (dazu BVET, Einteilung von Tierversuchen nach Schweregraden vor Versuchsbeginn [Belastungskategorien], Information Tierschutz 1.04, 1995). Die von der Vorinstanz in Auseinandersetzung mit den beiden Fachbehörden und den Parteien festgestellten Schmerzen, Leiden, Schäden oder erheblichen Beeinträchtigungen des Allgemeinbefindens sind als massgebender Sachverhalt für das Bundesgericht verbindlich ( Art. 105 BGE 135 II 405 S. 413 Abs. 1 BGG ). Die Gesundheitsdirektion hat in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Tierversuchskommission die Belastung der nicht-menschlichen Primaten durch den Tierversuch mit dem Schweregrad 3 bewertet. Das Verwaltungsgericht hat diese Gewichtung geschützt: die Gesundheitsdirektion habe damit ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten und somit kein Bundesrecht verletzt. Es hat zudem festgehalten, dass "auch eine Subsumtion unter Schweregrad 2 nicht ohne weiteres dazu führen [würde], dass die Belastung der Versuchstiere in der Güterabwägung gegenüber dem Interesse am Nutzen der Forschung unterliegen würde". Das Verwaltungsgericht ist somit vom Schweregrad 3 - allenfalls 2 - ausgegangen. Das Bundesgericht sieht keinen Anlass, diese Gewichtung in Frage zu stellen. 4.3.4 Abschliessend ist zu prüfen, ob der Versuch, "gemessen am erwarteten Kenntnisgewinn oder Ergebnis", den nicht-menschlichen Primaten "unverhältnismässige Schmerzen, Leiden oder Schäden bereitet" (Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV). Hierfür sind die beiden gewichteten Elemente (erwarteter Erkenntnisgewinn einerseits und Belastung der nicht-menschlichen Primaten andererseits) gegeneinander abzuwägen. Der Gesetzgeber hat für diese Interessenabwägung auf Vorgaben verzichtet, weil für die Beurteilung des Einzelfalles spezifisches Fachwissen nötig sei und es schwer falle, griffige allgemeinverbindliche Kriterien zu formulieren; letztlich bleibe immer ein erheblicher Ermessensspielraum (vgl. Botschaft Volksinitiative, BBl 1989 I 1021; siehe auch Bericht der Kommission des Nationalrates vom 16. Januar 1990 über einen Gegenentwurf auf Gesetzesstufe [Änderung des Tierschutzgesetzes], BBl 1990 III 1257, 1266 f.). Bei der Prüfung der Frage, ob bei der eigentlichen Interessenabwägung die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, ist von folgendem Grundsatz auszugehen: Je gewichtiger das eine und je weniger gewichtig das andere Interesse ist, desto eher ist die Interessenabwägung verhältnismässig bzw. unverhältnismässig (ZENGER, a.a.O., S. 124 f.). Im vorliegenden Fall muss berücksichtigt werden, dass der Nutzen des zu erwartenden Erkenntnisgewinns insgesamt aufgrund der äusserst ungewissen klinischen Verwendbarkeit relativ tief ist. Auf der anderen Seite ist die Belastung hoch (Schweregrad 3, allenfalls 2). Da es sich nicht um quantitative, nummerische Werte handelt, lässt sich daraus noch nicht ohne Weiteres schliessen, dass der Tierversuch unverhältnismässig wäre und daher nicht bewilligt werden BGE 135 II 405 S. 414 könnte. Für ein Verbot des beantragten Tierversuchs spricht indes, dass die nicht-menschlichen Primaten eine sehr starke genetische und sinnesphysiologische Nähe zum Menschen aufweisen (ALMUTH HIRT UND ANDERE, Tierschutzgesetz, 2. Aufl., München 2007, N. 74 zu § 7 TierSchG; ROMAN KOLAR, L'expérimentation animale, in: Le bien-être animal, Conseil de l'Europe [Hrsg.], 2006, S. 71 ff., 84). Diese besondere Nähe ist rechtlich von Bedeutung: So nimmt bereits Art. 1 aTSchG selbst eine rudimentäre Hierarchisierung zwischen Wirbeltieren und wirbellosen Tieren vor (zu dieser Unterteilung aus geschichtlichen Gründen KOLAR, a.a.O., S. 73); nur jene sind grundsätzlich schutzwürdig, diese nur dann, wenn der Bundesrat eine Verordnungsvorschrift erlassen hat. Detaillierter und konkreter wird auf die Entwicklungsstufe bzw. Hierarchie der Tiere für den Tierversuch in Art. 16 Abs. 3 aTSchG und in Art. 61 Abs. 1 lit. d aTSchV Bezug genommen: Je höher ein Tier in der Hierarchiestufe ist, d.h. je näher es dem Menschen genetisch und sinnesphysiologisch steht, desto mehr Gewicht kommt der Belastung der Tiere zu und desto wahrscheinlicher ist die Unverhältnismässigkeit des Versuchs. Auch andere Bestimmungen verlangen, dass die hierarchische Stellung zu berücksichtigen ist: Nach Art. 120 Abs. 2 BV sind abgestufte Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen zu erlassen (dazu SALADIN/SCHWEIZER, in: Kommentar aBV, a.a.O., N. 107, 114, 116 zu Art. 24 novies Abs. 3 aBV ). Für die Achtung der Würde der Kreatur von Tieren und Pflanzen nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 des Gentechnikgesetzes vom 21. März 2003 (GTG; SR 814.91) sind etwa die artspezifischen Eigenschaften und Funktionen zu berücksichtigen, und bei der Bewertung der Beeinträchtigung ist dem Unterschied zwischen Tieren und Pflanzen (Satz 3) Rechnung zu tragen (dazu etwa Botschaft vom 1. März 2000 zu einer Änderung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz, BBl 2000 2391, 2405 zu Abs. 2 Satz 2). Auch Art. 74 BV und das Umweltschutzgesetz (SR 814.1) tragen der Rangordnung innerhalb der natürlichen Umwelt Rechnung (dazu etwa JÖRG LEIMBACHER, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2. Aufl. 2003, N. 63 ff. ad Art. 26 USG ). Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ist zudem die Würde der Kreatur zu berücksichtigen (nicht publ. E. 3.1 am Ende). Auch wenn sie nicht mit der Menschenwürde gleichgesetzt werden kann und darf, so verlangt jene doch, dass über Lebewesen der Natur, jedenfalls in gewisser Hinsicht, gleich reflektiert und gewertet wird wie über Menschen BGE 135 II 405 S. 415 (STEIGER/SCHWEIZER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, 2. Aufl. 2008 [nachfolgend: Kommentar BV], N. 8 zu Art. 80 BV mit Hinweis auf RAINER J. SCHWEIZER, in: Kommentar BV, a.a.O., N. 16 zu Art. 120 BV ). Diese Nähe zwischen der Würde der Kreatur und der Menschenwürde zeigt sich besonders bei nicht-menschlichen Primaten, wenn in der Literatur ausdrücklich auf die Differenzen zum Menschen hingewiesen wird (vgl. RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, Rz. 169; siehe auch KOLAR, a.a.O., S. 84). Während somit zugunsten der nicht-menschlichen Primaten deren starke genetische und sinnesphysiologische Nähe zum Menschen (siehe auch HIRT UND ANDERE, a.a.O., N. 74 zu § 7 TierSchG; für die EU vgl. den Vorschlag der Kommission vom 5.11.2008 für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere, KOM [2008] 543 endg. [ http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm ], passim) sowie die Würde der Kreatur von nicht-menschlichen Primaten besonders ins Gewicht fallen, sprechen keine zusätzlichen Argumente zugunsten einer stärkeren Gewichtung des erwarteten Kenntnisgewinns. Insbesondere wurde von den Beschwerdeführern zu Recht nicht geltend gemacht, das Nationalfondprojekt insgesamt sei zu berücksichtigen. Denn für die Interessenabwägung verlangt Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV, auf den Kenntnisgewinn des konkreten Tierversuchs und nicht irgendeines abstrakten Projekts abzustellen (dazu ZENGER, a.a.O., S. 102 ff., 118 f., 123 ff.; FLEINER-GERSTER, a.a.O., N. 25 zu Art. 25 bis aBV ; STEIGER/SCHWEIZER, a.a.O., N. 18 zu Art. 80 BV ). Aufgrund der ganz besonderen Nähe dieser nicht-menschlichen Primaten zum Menschen bereitet der vorliegende Tierversuch, gemessen am erwarteten Kenntnisgewinn, den Versuchstieren unverhältnismässige Schmerzen, Leiden, Schäden, Angst oder Beeinträchtigungen ihres Allgemeinbefindens. Die Vorinstanz hat deshalb zu Recht das Interesse der Versuchstiere an der Belastungsfreiheit höher gewichtet als das menschliche Interesse am Versuchsergebnis.
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Sachverhalt ab Seite 147 BGE 98 IV 147 S. 147 A.- Der Untersuchungsrichter von Balsthal eröffnete am 1. März 1971 gegen Walter Bracher eine Voruntersuchung wegen fortgesetzter Veruntreuung von Fleisch, die der Beschuldigte vom Frühling 1968 bis im Februar 1971 zum Nachteil seiner Arbeitgeberin, der Hermann Grieder AG in Balsthal, begangen haben soll. Am 6. März 1971 dehnte er das Verfahren auf Roland Eggenschwiler und Eugen Ackermann aus, denen BGE 98 IV 147 S. 148 er ebenfalls in mehreren Fällen Veruntreuung von Fleisch zum Nachteil ihrer Arbeitgeber vorwirft. Am 11. März 1971 wurde ferner Werner Friedli, der in Hägendorf wohnt, als Hehler in das Verfahren embezogen. Am 9. Juni 1971 liess die Hermann Grieder AG durch einen Anwalt beim Kantonsgericht von Glarus gegen den in Diesbach (Glarus) niedergelassenen Metzger und Fleischgrosshändler Albert Eicher eine Strafanzeige einreichen mit dem Vorwurf, er habe Bracher von der veruntreuten Ware abgekauft im Bewusstsein, dass sie unrechtmässig erworben worden sei. B.- Am 27. Dezember 1971 ersuchte das Verhöramt des Kantons Glarus den Untersuchungsrichter von Balsthal, die Strafuntersuchung gegen Eicher zu übernehmen. Der Untersuchungsrichter von Balsthal lehnte dies am 14. Juni 1971 mit der Begründung ab, die Strafanzeige gegen Eicher betreffe den Vorwurf der Hehlerei und es beständen keinerlei Anhaltspunkte für eine Gehilfenschaft des Beschuldigten bei den Veruntreuungen. C.- Mit Eingabe vom 19./23. Juni 1972 beantragt das Verhöramt des Kantons Glarus der Anklagekammer des Bundesgerichtes, für die Verfolgung und Beurteilung Eichers das Richteramt Balsthal zuständig zu erklären. Erwägungen Die Anklagekammer zieht in Erwägung: 1. Wer eine Sache erwirbt, von der er weiss oder annehmen muss, dass sie durch eine strafbare Handlung erlangt worden ist, macht sich der Hehlerei schuldig ( Art. 144 StGB ). Dieses Verbrechen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht eine Form der Teilnahme an der Vortat ( BGE 69 IV 74 Erw. 6, BGE 73 IV 99 , BGE 81 IV 91 Erw. 1, BGE 90 IV 16 Erw. 1) und daher nicht am Gerichtsstand des Vortäters zu verfolgen (nicht veröffentlichte Entscheide der Anklagekammer vom 15. Mai 1945 i.S. Schaffhausen c. Zürich, vom 4. Dezember 1945 i.S. Bezirksamt Alttoggenburg c. Appenzell I.Rh. und Thurgau und vom 8. März 1946 i.S. Uri c. Bern, fernerBGE 77 IV 123). Der Hehler hat sich an dem durch seine eigene Tat begründeten Gerichtsstand zu verantworten, also in der Regel dort, wo er sie ausgeführt hat ( Art. 346 StGB ). An dieser Rechtsprechung, die übrigens von keiner Seite angefochten wird, ist festzuhalten. 2. Der Hehler kann zur Vortat angestiftet haben und ist dann ausser wegen Hehlerei auch wegen dieser Anstiftung zu BGE 98 IV 147 S. 149 verfolgen und zu bestrafen, z.B. wegen Anstiftung zu Veruntreuung ( BGE 70 IV 69 Erw. 4, BGE 73 IV 21 ff.). In der Strafanzeige vom 9. Juni 1971 wird die Auffassung vertreten, Eicher sei "wegen Hehlerei, ev. sogar wegen Anstiftung oder anderer Mittäterschaft" zu verfolgen. Die Anzeige sagt jedoch mit keinem Wort, worin die allfällige Anstiftungshandlung bestanden hätte. Auch aus den Akten ergibt sich nicht, dass Eicher im Sinne des Art. 24 StGB den Anstoss zu den Veruntreuungen Brachers oder eines Mitbeschuldigten gegeben habe. Das Verhöramt Glarus wirft denn auch Eicher Anstiftung nicht vor. Es sagt im Gegenteil, er habe "den zur Tat entschlossenen Bracher" unterstützt, nämlich dadurch, dass er jederzeit bereit gewesen sei, diesem das veruntreute Fleisch abzunehmen. Eine Verfolgung Eichers als Anstifter am Gerichtsstand der Haupttäter ( Art. 349 Abs. 1 StGB ) kommt daher nach der heutigen Aktenlage nicht in Frage. 3. Der Hehler kann im Sinne des Art. 25 StGB zur Vortat Hilfe leisten. Ob das Verhöramt Glarus, das im Schreiben vom 27. Dezember 1971 die Auffassung vertrat, die Untersuchung gegen Eicher sei auf den Tatbestand der Gehilfenschaft auszudehnen, diesen Beschuldigten auch heute noch als Gehilfen betrachtet, ist fraglich. Es hält der Auffassung des Untersuchungsrichters von Balsthal, die Akten enthielten keine Anhaltspunkte für eine Gehilfenschaft, bloss entgegen, Eicher habe "sich nicht nur der Gehilfenschaft und der Hehlerei, sondern sogar der Mittäterschaft schuldig gemacht". Es scheint also die Behauptung der Gehilfenschaft durch jene der Mittäterschaft ersetzen zu wollen. Wie dem auch sei, sagt es jedoch mit keinem Worte, aus welcher Aktenstelle sich ergebe, dass und bei welcher Gelegenheit Eicher zur Begehung der Veruntreuungen Hand angelegt oder dieses Vergehen auch bloss psychisch gefördert habe, z.B. durch die Erklärung gegenüber Bracher, dieser solle weitere Mengen Fleisch veruntreuen und sie liefern. Es begnügt sich mit der allgemeinen Behauptung, nach der bisherigen Untersuchung durch das Richteramt Balsthal bestehe "der dringende Verdacht, dass Albert Eicher bei den deliktischen Handlungen der Mitbeteiligten Bracher und Konsorten eine entscheidende Rolle spielte"; durch sein Verhalten habe er ihnen die sozusagen unbeschränkten Veruntreuungen ermöglicht, BGE 98 IV 147 S. 150 sie gefördert, erleichtert und entscheidend beeinflusst, denn für die Veruntreuung grosser Mengen Fleisch sei wegen der Verderblichkeit der Ware ein sicherer Abnehmer nötig. So allgemeine Verdächtigungen genügen nicht, in Eicher einen mutmasslichen Gehilfen zu sehen und ihn statt am Orte seiner Hehlerei am Gerichtsstand der Vortäter zu verfolgen, umso weniger, als das gesuchstellende Verhöramt sich nicht einmal bemüht hat, Eicher einzuvernehmen, um Abklärung zu schaffen. Auch die Strafanzeige vom 9. Juni 1971 substanziert den Verdacht des Verhöramtes nicht. Sie verwendet zwar den Ausdruck "Mittäterschaft" neben jenem der Hehlerei, wirft aber Eicher nur vor, Bracher veruntreute Ware abgekauft zu haben, und stellt die Indizien zusammen, die angeblich für das Wissen Eichers um ihre Erlangung durch strafbare Handlung sprechen. Die durch einen Anwalt beratene Anzeigerin ging übrigens vom Gerichtsstand Glarus aus, weshalb sie die Anzeige in diesem Kanton, nicht in Balsthal einreichte. 4. Eine Veruntreuung kann nur begehen, wer das ihm geschenkte Vertrauen missbraucht, indem er sich eine ihm anvertraute fremde Sache aneignet oder anvertrautes Gut unrechtmässig verwendet ( Art. 140 StGB ). Das Verhöramt behauptet nicht, das veruntreute Fleisch sei dem Eicher mitanvertraut worden. Er kann es nicht veruntreut haben. Er hat es vom Veruntreuer Bracher erworben. Gerade deshalb wird ihm die Hehlerei vorgeworfen. Eine Verfolgung Eichers wegen Veruntreuung kommt daher nicht in Frage. Sie lässt sich auch nicht mit der Konstruktion einer psychischen Förderung des Vergehens des Bracher, d.h. einer Mittäterschaft rechtfertigen, mag fortgesetzte Hehlerei auch auf ein enges Zusammenwirken mit dem Veruntreuer schliessen lassen. Es verhält sich anders als z.B. bei Mittäterschaft zu Diebstahl. Jedermann kann fremde Sachen stehlen. Veruntreuen, sei es auch als Mittäter, kann sie aber nur der, dem sie anvertraut oder mitanvertraut sind. Der Vorwurf der Mittäterschaft ist übrigens nicht besser substanziert als jener der Gehilfenschaft. Das Verhöramt nennt keine Aktenstelle, aus der sich ergäbe, dass und bei welchen Gelegenheiten Eicher auf Bracher eingewirkt und damit dessen Entschluss zur Begehung von Veruntreuungen gefördert habe. Der Hinweis darauf, dass Eicher im Bewusstsein der strafbaren Herkunft der Ware immer wieder als Abnehmer aufgetreten sei, BGE 98 IV 147 S. 151 genügt nicht, denn indem das Gesetz solches Verhalten als Hehlerei bestraft wissen will, schliesst es aus, es auch noch als Mittäterschaft bei Begehung der Vortat zu sühnen. Die Mittäterschaft müsste in einem anderen, nicht schon von Art. 144 StGB erfassten Tun bestehen, um für den Hehler Strafe auf Grund der Bestimmung über die Vortat nach sich zu ziehen. 5. Hehlerei ist mit schwererer Strafe bedroht als Veruntreuung, Anstiftung oder Gehilfenschaft hiezu. Könnte man Eicher Anstiftung oder Gehilfenschaft zu Veruntreuung oder Mittäterschaft vorwerfen, so wäre er deshalb gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB gleichwohl am Orte der Hehlerei zu verfolgen ( BGE 95 IV 40 Erw. 2). Art. 349 StGB könnte nicht zur Folge haben, dass das schwerste Verbrechen, die Hehlerei, dem Gerichtsstand der Veruntreuung unterstände. Eine Abweichung von diesem Grundsatz gestützt auf Art. 263 BStP würde sich im vorliegenden Falle umso weniger rechtfertigen, als die Untersuchung in Balsthal weitgehend abgeschlossen und jene in Glarus noch in keiner Weise gefördert worden ist. Ob nicht gegenteils Bracher ebenfalls im Kanton Glarus zu verfolgen wäre, kann offen bleiben, denn dies wird weder vom gesuchstellenden Verhöramt noch vom Untersuchungsrichter von Balsthal verlangt.
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Sachverhalt ab Seite 474 BGE 133 III 473 S. 474 A. Die ProLitteris (Beklagte) ist eine konzessionierte Verwertungsgesellschaft im Sinn von Art. 40 ff. des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG; SR 231.1). Mit Verfügung des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum wurde ihr die Bewilligung zur Geltendmachung der sich aus den Art. 13, 20 und 22 URG ergebenden Ansprüche, soweit sie die Werke der Literatur, der bildenden Kunst und der Fotografie betreffen, für die Zeit vom 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2008 erteilt. Der gemeinsame Tarif (im Folgenden: GT) 8 regelt in diesem Zusammenhang das Fotokopieren von Werkausschnitten für den Eigengebrauch in Betrieben, der GT 9 das Speichern und Weiterverbreiten von digitalen Kopien von Werkausschnitten in einem internen Netzwerk eines Betriebes. Die Beklagte zieht für elektronische Vervielfältigungen von Presseausschnitt- und Dokumentationslieferdiensten gestützt auf den GT 8/VI seit dem 1. Januar 2002 und für interne elektronische Pressespiegel gestützt auf den GT 9/VI seit dem 1. Januar 2004 Vergütungen ein. B. Mit Klageschrift vom 15. Januar 2004 machten die Aargauer Zeitung AG, die Berner Zeitung AG, die Edipresse Publications SA, die Handelszeitung und Finanzrundschau AG, Le Temps, die Neue Zürcher Zeitung AG, die Ringier AG und die Tamedia AG (Klägerinnen) beim Obergericht des Kantons Zürich folgende Rechtsbegehren anhängig: "1. Es sei der Beklagten zu verbieten, gegenüber Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen Vergütungsansprüche geltend zu machen für die elektronische Vervielfältigung und Verbreitung von journalistischen Beiträgen festangestellter Journalistinnen und Journalisten der Klägerinnen, die in den Printmedien und/oder in den Online-Medien der Klägerinnen veröffentlicht worden sind, soweit die Vervielfältigung und Verbreitung zur Herstellung interner elektronischer Pressespiegel (Zusammenstellung von journalistischen Beiträgen aus Zeitungen und/oder Zeitschriften in elektronischer Form) erfolgen. Eventualiter: Es sei festzustellen, dass die Beklagte Urheberrechte der Klägerinnen verletzt, indem sie gegenüber Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen Vergütungsansprüche geltend macht für die elektronische Vervielfältigung und Verbreitung von journalistischen Beiträgen festangestellter Journalistinnen und Journalisten der Klägerinnen, die in den Printmedien und/oder in den Online-Medien der Klägerinnen BGE 133 III 473 S. 475 veröffentlicht worden sind, soweit die Vervielfältigung und Verbreitung zur Herstellung interner elektronischer Pressespiegel (Zusammenstellung von journalistischen Beiträgen aus Zeitungen und/oder Zeitschriften in elektronischer Form) erfolgen. 2. Es sei der Beklagten zu verbieten, gegenüber Presseausschnitt- und Dokumentationslieferdiensten Vergütungsansprüche geltend zu machen für die elektronische Vervielfältigung und Verbreitung von journalistischen Beiträgen festangestellter Journalistinnen und Journalisten der Klägerinnen, die in den Printmedien und/oder in den Online-Medien der Klägerinnen veröffentlicht worden sind. Eventualiter: Es sei festzustellen, dass die Beklagte Urheberrechte der Klägerinnen verletzt, indem sie gegenüber Presseausschnitt- und Dokumentationslieferdiensten Vergütungsansprüche geltend macht für die elektronische Vervielfältigung und Verbreitung von journalistischen Beiträgen festangestellter Journalistinnen und Journalisten der Klägerinnen, die in den Printmedien und/oder in den Online-Medien der Klägerinnen veröffentlicht worden sind." C.
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Sachverhalt ab Seite 23 BGE 100 IV 23 S. 23 A.- Am 1. Januar 1966 wurde A. Verwalter der Filiale B. der Bank C. Das Geschäftsreglement verpflichtete ihn, der Generaldirektion alle wichtigen Geschäftsvorfälle zu melden und ihr Kontokorrentkredit- und Vorschussbegehren sowie Vorschläge für die Festsetzung von Diskont-, Akkreditiv- und Garantie-Limiten zu unterbreiten. In eigener Kompetenz durfte er sog. unkurante Kredite bis Fr. 50 000.-- und kurante Kredite bis Fr. 150 000.--, ab 1. Januar 1969 bis Fr. 200 000.-- gewähren. In Überschreitung seiner Kompetenzen gewährte A. ohne Genehmigung der Generaldirektion zwischen Juli 1967 und Juli 1969 mehreren Personen in die Millionenbeträge gehende Bankgarantien. Dadurch und durch die pflichtwidrige Gewährung von Krediten erlitt die Bank grossen Schaden. A. verbuchte BGE 100 IV 23 S. 24 weder die Garantien im Skontro der Garantieverpflichtungen noch die Garantiekommissionen in den Konten der Kunden. Als im Juni 1969 eine Revision durchgeführt wurde, legte er den Inspektoren die Kopien der Bankgarantien nicht vor, sondern hielt sie in seinem Pult in der Bank versorgt. B.- Das Obergericht des Kantons Thurgau erklärte A. am 15. Januar 1974 der wiederholten ungetreuen Geschäftsführung, der wiederholten Urkundenfälschung und der wiederholten Unterdrückung von Urkunden schuldig und verurteilte ihn zu 3 Jahren Gefängnis. C.- A. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Freisprechung von der Anklage der wiederholten Urkundenfälschung und der wiederholten Urkundenunterdrückung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der Beschwerde. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Die Urkundenfälschung bestreitet der Beschwerdeführer mit der Begründung, einzig die unterzeichnete Garantieurkunde sei Beweismittel im Sinne des Gesetzes. Diese Eingenschaft gehe den als Skontri bezeichneten Zusammenstellungen über die von einer Bankfiliale gegebenen Garantieerklärungen ab, da sie bloss bankinterne Funktionen erfüllten. Sie seien weder Bestandteil der Buchhaltung noch besässen sie Beweisfunktion für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Garantieverpflichtung. Mit diesem Einwand lässt sich die Verurteilung wegen Urkundenfälschung nicht zu Fall bringen, denn die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer unangefochten auch wegen Nichtverbuchung der Garantiekommissionen in den Kundenkonten dieses Verbrechens schuldig erklärt. Zudem ist er unbegründet. Schriften sind Urkunden, wenn sie bestimmt oder geeignet sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen ( Art. 110 Ziff. 5 StGB ). Dazu gehören insbesondere die kaufmännische Buchhaltung und ihre Bestandteile sowie die Bilanz ( BGE 79 IV 163 , BGE 91 IV 7 ; BGE 81 IV 240 , BGE 91 IV 191 E 4). Nicht BGE 100 IV 23 S. 25 erforderlich ist, dass der Urkunde erhöhte Beweiskraft zukommt. Es genügt, dass sie sich im Zusammenwirken mit andern Mitteln dazu eignet, eine Tatsache zu beweisen. So kommt beispielsweise den Kontrollstreifen einer Registrierkasse Urkundencharakter zu, weil wegen der Buchführungspflicht des Geschäftsinhabers vermutet wird, der Kassastreifen gebe wahrheitsgemäss und lückenlos Aufschluss, und zwar unabhängig davon ob er allein oder nur zusammen mit andern Unterlagen zum Beweis taugt ( BGE 97 IV 213 E 3 a, BGE 91 IV 7 ). Das Skontro ist ein meist in Kontoform geführtes Hilfsmittel der Buchhaltung zur Kontrolle der Bestandesmengen, deren Zu- und Abnahme laufend festgehalten wird (Schweizer Lexikon). Es ist somit Bestandteil der Buchhaltung (vgl. KÄFER, Die Betriebsrechnung, S. 73, 75, 80 f.). Was im besondern Bankgarantien ("Kautionen") betrifft, ist ihr Betrag gemäss Art. 19 Ziff. 1 der zur Zeit der eingeklagten Vorfälle geltenden BankV vom 30. August 1961 und gemäss der Wegleitung im Anhang II zur BankV (im wesentlichen übereinstimmend mit Art. 670 Abs. 1 OR ) als ergänzende Angabe der Jahresbilanz beizufügen, entweder unter dem Bilanzstrich oder in einem Geschäftsbericht. Die ergänzenden Angaben sind zusammen mit der Bilanz gemäss Art. 22 Abs. 2 BankV zu veröffentlichen. Ähnlich wie der Kassastreifen hat daher das Skontro der Garantieverpflichtungen Urkundencharakter, weil wegen der Bilanzierungspflicht zu vermuten ist, es gebe wahrheitsgemäss und lückenlos Aufschluss, und zwar unabhängig davon, ob es allein oder nur zusammen mit den Garantieerklärungen beweistauglich ist. Durch das Weglassen der fraglichen Garantieverpflichtungen auf dem Skontro hat der Beschwerdeführer daher eine Falschbeurkundung nach Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB begangen. Dass er, wie die Vorinstanz feststellt, die pflichtwidrigen Bankgarantien gegenüber den internen Kontrollorganen verheimlichen wollte, somit in unrechtmässiger Vorteilsabsicht handelte, stellt er nicht in Abrede. 2. Hinsichtlich der Verurteilung wegen Urkundenunterdrückung wirft der Beschwerdeführer beiläufig die Frage auf, ob Kopien von Garantieerklärungen, also blosse Briefkopien überhaupt Urkunden im Sinne des Gesetzes seien. In seinen Ausführungen zur Urkundenfälschung hat er, wie erwähnt, mit Recht anerkannt, dass "die unterzeichnete Garantieurkunde", BGE 100 IV 23 S. 26 also das Original Urkunde ist. Dass aber Kopien von Urkunden ebenfalls Urkundencharakter besitzen, ist nicht zweifelhaft ( BGE 70 IV 170 , vgl; Art. 962 Abs. 2 OR ). Hauptsächlich macht der Beschwerdeführer geltend, das Verwahren einer Urkunde in einem der Bank gehörenden, dem Angestellten als Arbeitsgerät überlassenen Pult könne nicht als "Beiseiteschaffen" qualifiziert werden. Wegen Urkundenunterdrückung nach Art. 254 StGB macht sich unter anderm strafbar, wer eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf, beiseiteschafft in der Absicht, sich einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Beiseitegeschafft ist eine Urkunde, wenn der Berechtigte oder Mitberechtigte ausserstande ist, sie als Beweismittel zu benützen, weil sie ihm unzugänglich gemacht wurde, oder wenn durch Verstecken oder ähnliche Vorkehren verhindert wird, dass die Schrift in ihrer Existenz und Beweiskraft zur Geltung kommt ( BGE 90 IV 136 ). Beides trifft hier zu. Die Garantieerklärungen waren den Revisoren der Bank, die als Vertreter der Generaldirektion an ihnen mitberechtigt waren, unzugänglich, weil der Beschwerdeführer sie aus den übrigen Geschäftsakten entfernt und in seinem Pult aufbewahrt hatte. Er hatte sie beiseitegeschafft. Dem steht BGE 90 IV 135 f., auf den der Beschwerdeführer sich beruft, nicht entgegen; im Gegenteil. In diesem Entscheid ging es um Buchhaltungsbelege, die der Täter mit Wissen des Berechtigten besass, während der Beschwerdeführer bis hin zur Urkundenfälschung alles unternahm, um das Bestehen der pflichtwidrigen Garantien und der darauf bezüglichen Belege vor den mitberechtigten Revisoren zu verheimlichen. Deshalb genügte es auch, dass er die Kopien der Garantien während der Revision in seinem Arbeitspult statt etwa zu Hause oder an einem dritten Ort verwahrte. Da der BeschWerdeführer unbestrittenermassen in derselben unrechtmässigen Vorteilsabsicht handelte wie bei der Urkundenfälschung, ist er zu Recht der Unterdrückung von Urkunden schuldig erklärt worden.
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Sachverhalt ab Seite 398 BGE 119 Ib 397 S. 398 Die Alpen Rotwald und Wasen, die etwa 800 m voneinander entfernt liegen, gehören zur Politischen Gemeinde Ried-Brig. Sie liegen im Simplongebiet, östlich der Simplonpassstrasse, von der aus sie über eine schmale Strasse erreichbar sind, auf ca. 1900 und 2000 m. ü. M. Mit Verfügung vom 9. August 1971 erteilte das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) der Geteilschaft Wasen die Rodungsbewilligung für 23'700 m2 Wald am unteren Rand des Jochtwaldes im oberen Rotwald für die Überbauung "Rotwald" in der Gemeinde Ried-Brig. Nachdem in der Angelegenheit zunächst nichts weiter unternommen worden war, erliess das EDI am 29. Oktober 1980 eine Änderungsverfügung, in der es (u.a.) die Bewilligung bis Ende 1983 befristete. Mit Verfügung vom 12. Februar 1982 hob das EDI die Anordnungen vom 9. August 1971 und 29. Oktober 1980 auf und erteilte der Geteilschaft Wasen eine neue Rodungsbewilligung im Zusammenhang mit der Überbauung "Rotwald" im Ausmass von 23'700 m2 Waldareal. Gemäss Ziff. 23 der neuen Verfügung wurde die Geltung dieser Rodungsbewilligung für je einen Drittel BGE 119 Ib 397 S. 399 der Fläche auf Ende 1984, 1986 und 1988 befristet. Ein erstes Projekt für die Ausscheidung einer Ferienhauszone wurde von der Urversammlung Ried-Brig im Jahre 1982 abgelehnt. Am 16. Dezember 1987 wurden die Quartierpläne Rotwald und Wasen vom Staatsrat des Kantons Wallis im Vorprüfungsverfahren genehmigt. Am 28. April 1988 nahm die Urversammlung der Gemeinde diese Pläne an. Der diesbezügliche Genehmigungsentscheid durch den Staatsrat erging am 21. Juni 1989, wurde vom kantonalen Verwaltungsgericht aber auf Beschwerde hin am 26. November 1989 aufgehoben und zur Neubeurteilung an den Staatsrat zurückgewiesen. Mit Verfügung vom 3. März 1989 wurde die Rodungsbewilligung vom 12. Februar 1982 in dem Sinne geändert, dass ihre Geltung "für je einen Drittel der Fläche auf Ende 1984, 1986 und 1989 befristet" wurde. Gegen diese Verfügung erhob A. mit Eingabe vom 18. August 1989 ein Wiedererwägungsgesuch und am 2. Oktober 1989 ein Revisionsbegehren. Gestützt auf die am 10. Januar 1991 mit der Geteilschaft Wasen abgeschlossenen Vereinbarungen zogen X. und Z. ihre gegen die Genehmigung der Quartierplanung erhobenen Einsprachen zurück. Mit Beschluss vom 10. April 1991 wurde die von der Urversammlung der Gemeinde Ried-Brig am 28. April 1988 angenommene Quartierplanung "Rotwald-Wasen" gemäss Dossier vom März 1991 durch den Staatsrat homologiert. Am 24. August 1992 ordnete das EDI abermals eine Abänderung der Rodungsverfügung an, dies gestützt auf das von der Geteilschaft Wasen und der Gemeinde Ried-Brig am 5. Dezember 1989 eingereichte Gesuch. Dabei wurde die Rodungsbewilligung für die in der Quartierplanung "Rotwald-Wasen" enthaltene Rodungsfläche bis Ende 1994 befristet, die vom Staatsrat am 10. April 1991 genehmigte Quartierplanung zum integrierenden Bestandteil der Verfügung erklärt und das von A. am 18. August 1989 eingereichte Wiedererwägungsgesuch abgewiesen. Die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege (SL), der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN) und die Stiftung World Wildlife Fund (WWF) Schweiz sowie A. und S. erhoben Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, die Verfügung vom 24. August 1992 sei aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut und hebt die Verfügungen des EDI vom 24. August 1992 auf; das Rodungsgesuch vom 5. Dezember 1989 wird abgewiesen. BGE 119 Ib 397 S. 400 Erwägungen Aus den Erwägungen: 5. a) Am 1. Januar 1993 sind das neue Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über den Wald (Waldgesetz [WaG], AS 1992 2521, später SR 921.0) mit Ausnahme hier nicht bedeutsamer Bestimmungen über die Investitionskredite sowie die zu diesem Gesetz gehörende Verordnung vom 30. November 1992 (Waldverordnung [WaV], AS 1992 2538, später SR 921.01) in Kraft getreten. Nach der Übergangsbestimmung von Art. 56 WaG ist für die beim Inkrafttreten des Gesetzes hängigen Verfahren - also nunmehr auch auf den vorliegenden Fall bezogen - das neue Recht anzuwenden (s. Urteil des Bundesgerichts vom 21. Januar 1993 i.S. Gemeinde Sumvitg und hierzu ZBJV 129/1993 397 ff.). b) Gemäss der Bestimmung von Art. 3 WaG , die sich u.a. auf Art. 24 BV stützt, soll die Waldfläche der Schweiz nicht vermindert werden, wie das auch schon Art. 31 Abs. 1 des bisherigen Bundesgesetzes vom 11. Oktober 1902 betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei (FPolG) vorsah. Das Waldgesetz soll den Wald in seiner Fläche und seiner räumlichen Verteilung erhalten sowie als naturnahe Lebensgemeinschaft schützen ( Art. 1 Abs. 1 lit. a und b WaG ). Weiter soll das Waldgesetz dafür sorgen, dass der Wald seine Funktionen, namentlich seine Schutz-, Wohlfahrts- und Nutzfunktion (Waldfunktionen) erfüllen kann ( Art. 1 Abs. 1 lit. c WaG ). Nach dem früheren Recht waren die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rodung in Art. 26 der eidgenössischen Forstpolizeiverordnung vom 1. Oktober 1965 (FPolV) geregelt. Anders als im bisherigen Recht ist in der neuen Gesetzgebung nicht mehr einfach von der "Rodungsbewilligung" die Rede. Vielmehr sind Rodungen nach dem neuen Art. 5 WaG , der anstelle von Art. 26 FPolV getreten ist, ausdrücklich verboten (Abs. 1) und nur im Falle der Erteilung einer Ausnahmebewilligung zulässig (Abs. 2). Die diesbezüglichen Voraussetzungen entsprechen indes weitgehend den bisherigen, bewährten Voraussetzungen von Art. 26 FPolV und der dazu entwickelten Rechtsprechung (s. das schon genannte Urteil vom 21. Januar 1993, zudem BGE 117 Ib 325 ff. mit weiteren Hinweisen), wobei diese bisherigen Voraussetzungen um die Erfüllung raumplanerischer Kriterien (s. Art. 5 Abs. 2 lit. b und Art. 11 ff. WaG ) ergänzt worden sind (Botschaft des Bundesrates zum neuen Waldgesetz in BBl 1988 III 191). So darf eine Ausnahmebewilligung nur erteilt werden, wenn der Gesuchsteller nachweist, dass für die BGE 119 Ib 397 S. 401 Rodung wichtige Gründe bestehen, die das Interesse an der Walderhaltung überwiegen ( Art. 5 Abs. 2 WaG ), und wenn zudem die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind; das Werk, für das gerodet werden soll, muss auf den vorgesehenen Standort angewiesen sein ( Art. 5 Abs. 2 lit. a WaG ), es muss - wie schon angetönt worden ist - die Voraussetzungen der Raumplanung sachlich erfüllen ( Art. 5 Abs. 2 lit. b WaG ), und die Rodung darf gemäss der neuen Waldgesetzgebung ( Art. 5 Abs. 2 lit. c WaG ) zu keiner erheblichen Gefährdung der Umwelt führen (während der Rodung gemäss bisheriger Regelung - weniger umfassend - lediglich keine polizeilichen Gründe entgegenstehen durften, Art. 26 Abs. 2 FPolV ). Sodann ist dem Natur- und Heimatschutz Rechnung zu tragen ( Art. 5 Abs. 4 WaG ). Nicht als wichtige Gründe gelten finanzielle Interessen, wie die möglichst einträgliche Nutzung des Bodens oder die billige Beschaffung von Land für nicht landwirtschaftliche Zwecke ( Art. 5 Abs. 3 WaG ). Jede Rodungsbewilligung bedeutet somit eine Ausnahme, deren Gewährung an die strikte Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen gebunden ist. Diese Voraussetzungen werden zumeist mit unbestimmten Gesetzesbegriffen umschrieben; ob sie im Einzelfall erfüllt seien, prüft das Bundesgericht in dem Sinne zurückhaltend, als es den Vorinstanzen insoweit einen Beurteilungsspielraum zugesteht. c) Die vorliegenden Beschwerden richten sich nicht gegen eine erstmals erteilte Bewilligung, sondern gegen die Verlängerung einer schon mehrmals abgeänderten und erstreckten Bewilligung, die ursprünglich am 9. August 1971 erteilt worden war. Wie schon das bisherige Bundesrecht (vgl. BGE 112 Ib 133 f.), so schreibt auch die neue Waldgesetzgebung nicht vor, dass Fristverlängerungsgesuche stets zu einer neuerlichen Durchführung des ganzen Bewilligungsverfahrens führen müssen. Der Sinn einer Befristung, wie sie auch nach dem neuen Recht vorgesehen ist ( Art. 5 Abs. 5 WaG ), liegt darin, dass die fragliche Angelegenheit am Ende der Frist neu überprüft wird und gegebenenfalls neuen Verhältnissen angepasst werden kann. Entsprechend vermag auch eine mehrfache, bloss routinemässige Erneuerung dem Bewilligungsinhaber grundsätzlich keinen Anspruch auf unveränderte Fortsetzung des Bewilligungsverhältnisses bei Ablauf der Bewilligungsdauer einzuräumen. Vielmehr hat er je nach den Umständen damit zu rechnen, dass die Bewilligung möglicherweise aufgrund neuer rechtlicher oder tatsächlicher Verhältnisse angepasst oder nicht mehr verlängert wird ( BGE 112 Ib 133 BGE 119 Ib 397 S. 402 mit Hinweisen, s. auch BGE 116 Ib 185 ff.). Nach Art. 56 WaG bleibt bei der Verlängerung einer altrechtlichen Bewilligung die Anpassung der Verfügung an das neue Recht vorbehalten. Die Bewilligungsbehörde hat dabei zu prüfen, ob auf seiten des Bewilligungsinhabers ein Interesse oder Vertrauen besteht, welches das öffentliche Interesse an einer Abänderung oder Nichtverlängerung der Bewilligung überwiegt ( BGE 112 Ib 133 f.). Die Prüfung hat sich somit nach Massgabe der abzuwägenden Interessen zu richten. Nur wenn die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse unter umfassender Abwägung und Würdigung der Interessen bereits geprüft worden sind, kann gegebenenfalls auf eine erneute Prüfung verzichtet werden. Anders verhält es sich, wenn Anhaltspunkte bestehen, welche die schon früher vorgenommene Abklärung in Frage stellen und eine neue Beurteilung verlangen. Denn ist eine Anpassung bzw. ein Widerruf eines Verwaltungsaktes unter bestimmten Umständen möglich, so müssen die Voraussetzungen bei der Erneuerung einer Bewilligung um so mehr geprüft werden, wenn begründete Bedenken dafür bestehen, dass der Verwaltungsakt mit dem Gesetz oder mit den in Frage stehenden öffentlichen Interessen nicht oder nicht mehr in Einklang steht. Derartige Bedenken bestehen im vorliegenden Fall. Mit seiner Verfügung vom 9. August 1971 erteilte das EDI die Rodungsbewilligung, weil diese die Regelung eines bereits bestehenden Zustandes und früher erfolgter Versprechungen darstelle. In der Abänderungsbewilligung vom 29. Oktober 1980 wurde die genannte Verfügung als umstrittene Ausnahmebewilligung bezeichnet und festgestellt, dass einer nochmaligen Verlängerung der Rodungsfrist über das Jahr 1983 hinaus nicht mehr zugestimmt würde. Diese Bewilligung wurde aber in der Folge durch eine neue Rodungsbewilligung vom 12. Februar 1982 ersetzt, wobei die Rodungsfristen für je einen Drittel der Fläche gestaffelt festgesetzt wurden im wesentlichen mit der Begründung, dass mit der gestaffelten Befristung einem unerwünschten Bauboom vorgebeugt und mit der neuen Bewilligung dem gesetzlichen Gebot an der Walderhaltung ebenso wie den berechtigten regionalen Interessen an einer massvollen touristischen Entwicklung Rechnung getragen werden könne. Mit der weiteren Abänderungsbewilligung vom 3. März 1989 wurde die Befristung in bezug auf den bis 1988 befristeten Drittel neu bis Ende 1989 festgesetzt. Diese Abänderungsbewilligung wurde den beschwerdeführenden Umweltschutzorganisationen zugestellt, im weiteren aber nicht publiziert. Der Beschwerdeführer A. wandte sich BGE 119 Ib 397 S. 403 deshalb mit der Begründung, dass er vom Abänderungsverfahren und -entscheid erst im nachhinein erfahren habe, mit Wiedererwägungs- und Revisionsbegehren an das EDI. Dieses ist gemäss Ziff. 4 seiner Erwägungen in der angefochtenen Verfügung auf das Wiedererwägungsgesuch eingetreten, weshalb die Anordnung vom 3. März 1989 jedenfalls dem Beschwerdeführer A. nicht als materiell verbindlich entgegengehalten werden kann. Eine neue Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen rechtfertigt sich aber insbesondere auch, weil - wie den Akten zu entnehmen ist - schon im Hinblick auf die Abänderungsverfügung vom 3. März 1989 eine Beurteilung der Interessenlage nicht vorgenommen wurde. In dem von der Geteilschaft Wasen am 13. Dezember 1988 gestellten Gesuch um Verlängerung der auf Ende 1988 auslaufenden Frist betreffend die Rodung von 7500 m2 Waldareal wurde die Notwendigkeit der beantragten Erstreckung mit der Verzögerung begründet, die durch das kantonale Homologierungsverfahren bzw. die im betreffenden Verfahren erhobenen Beschwerden entstanden war. Im weiteren wurde darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit der touristischen Weiterentwicklung der Region Rotwald ein wirtschaftliches Interesse an der Realisierung der Quartierplanung "Rotwald-Wasen" bestehe. Zu dieser Quartierplanung seien im übrigen von den verschiedenen kantonalen Amtsstellen positive Vormeinungen abgegeben worden, und die Urversammlung Ried-Brig habe die Quartierpläne Rotwald/Wasen am 28. April 1988 mit grosser Mehrheit angenommen. Im Hinblick auf die Realisierung der Quartierpläne seien auch schon erhebliche Investitionen in Planungs- und Projektierungsarbeiten getätigt worden. Diesen Ausführungen ist indes entgegenzuhalten, dass eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen, welche die - die öffentlichen Interessen an der touristischen Entwicklung mit zunehmender Zurückhaltung beurteilende - Rechtsprechung für Rodungen zur Schaffung von Bauland umschreibt (s. BGE 113 Ib 411 E. 2c), und insbesondere auch mit den ortsplanerischen Gesichtspunkten nicht stattgefunden hat, was namentlich dem vom kantonalen Amt für Raumplanung am 9. Dezember 1987 erstatteten Bericht über die Vorprüfung der Quartierpläne Rotwald/Wasen zu entnehmen ist. Der vom Staatsrat am 21. Juni 1989 gefällte Genehmigungsentscheid ist denn auch aufgrund der von X. erhobenen Beschwerde mit Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts vom 10. Mai 1990 aufgehoben und zum Neuentscheid an den Staatsrat zurückgewiesen worden. Eine umfassende Prüfung ist somit vor der Abänderungsverfügung vom 3. März 1989 nicht vorgenommen worden. BGE 119 Ib 397 S. 404 Eine solche Prüfung lässt sich den Akten aber auch schon hinsichtlich der im Jahre 1982 erteilten Rodungsbewilligung nicht entnehmen. In der bloss routinemässigen Bewilligungsverlängerung, wie sie im vorliegenden Fall jeweils angeordnet worden ist, ist keine solche Prüfung zu erblicken. Demnach ist festzustellen, dass im vorliegend in Frage stehenden, sich über Jahrzehnte hinziehenden Rodungsbewilligungsverfahren weder die forstlichen mit den raumplanerischen und naturschützerischen Interessen koordiniert wurden, noch unter rein forstlichen Gesichtspunkten je eine umfassende Interessenabwägung erfolgte. Im Grunde genommen beruhte bereits die erste Bewilligung im Jahre 1971 auf Billigkeitsgründen. Das hat sich bis hin zur hier angefochtenen Verfügung vom 24. August 1992 nicht geändert, wie das EDI in seiner im bundesgerichtlichen Verfahren erstatteten Vernehmlassung denn auch selber zugesteht. Ob die Voraussetzungen zur Rodung für das Quartierplangebiet Rotwald vorliegen, ist somit nachfolgend zu prüfen. 6. a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein überwiegendes Interesse an einer Waldrodung für ein öffentliches Werk erst dargetan, wenn dieses wenigstens als generelles Projekt von der zuständigen Behörde geprüft und positiv beurteilt worden ist ( BGE 116 Ib 469 E. 2b, BGE 113 Ib 148 E. 3b, Urteil vom 11. März 1981 in ZBl 83/1982 74 ff.). Steht die Rodung im Hinblick auf die Schaffung eines bestimmten Nutzungsplanes in Frage, müssen das raumplanungsrechtliche und das forstpolizeiliche Verfahren koordiniert werden (s. Art. 12 WaG sowie BGE 117 Ib 325 E. 2b, BGE 116 Ib 321 E. 4 und 469 E. 2b, BGE 114 Ib 224 E. 8 mit weiteren Hinweisen, zudem das bereits erwähnte Urteil vom 21. Januar 1993 i.S. Gemeinde Sumvitg und nicht publ. Urteil vom 19. März 1992 i.S. Gemeinde Ringgenberg; s. auch PETER M. KELLER, Rechtliche Aspekte der neuen Waldgesetzgebung, AJP 2/1993, S. 148; LUKAS BÜHLMANN, Zur Bedeutung des neuen Waldgesetzes für die Raumplanung, Information der VLP-Dokumentationsstelle Raumplanungs- und Umweltrecht, Bern 1992, S. 3 f.; VERA SONANINI, Das neue Waldgesetz und die Raumplanung, BR 4/1992, S. 86 f., je mit weiteren Hinweisen). Die richtige Anwendung von Art. 5 WaG verlangt somit - wie das in bezug auf Art. 26 FPolV der Fall war ( BGE 117 Ib 325 E. 2a mit Hinweisen) und mit der Interessenabwägung nach Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG verglichen werden kann - die Beurteilung eines Projektes als Ganzes; sie schliesst es aus, dass für die Interessenabwägung massgebende Einzelfragen separaten Verfahren vorbehalten werden. BGE 119 Ib 397 S. 405 Wird bei der Beurteilung einer Rodungsbewilligung in Missachtung des Grundsatzes der umfassenden Interessenabwägung durch die nämliche Behörde ein wesentlicher Gesichtspunkt ausser acht gelassen, so liegt darin in der Regel nicht nur eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung, sondern auch eine Verletzung des materiellen Waldrechts ( Art. 5 WaG bzw. vormals Art. 26 FPolV ; BGE 117 Ib 325 E. 2a, s. auch die schon zitierten Urteile vom 21. Januar 1993 i.S. Gemeinde Sumvitg und vom 19. März 1992 i.S. Gemeinde Ringgenberg). Wie erwähnt, muss das Werk nach Art. 5 Abs. 2 lit. b WaG namentlich auch die Voraussetzungen der Raumplanung sachlich erfüllen (s. auch Art. 11 ff. WaG ). Art. 18 Abs. 3 RPG hält in bezug auf die Ortsplanung fest, dass das Waldareal durch die Forstgesetzgebung umschrieben und geschützt ist. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung schliesst die Respektierung des Waldes bei der Ortsplanung den Einbezug von Waldareal in eine Bauzone nicht zum vornherein absolut aus. Doch kann Waldareal nur dann Bauland werden, wenn eine Rodungsbewilligung erteilt wird; wird Wald gesetzwidrig, d.h. entgegen der Vorschrift von Art. 12 WaG ohne Rodungsbewilligung in eine Bauzone einbezogen, so bleibt er Wald im Rechtssinn (s. BGE 108 Ib 377 E. 2 und 509 E. 6, s. auch das genannte Urteil vom 21. Januar 1993 i. S. Gemeinde Sumvitg und Urteil vom 18. Februar 1987 in ZBl 88/1987 502). Dass das Werk bzw. Bauland auf den vorgesehenen Standort strikte angewiesen und nur gerade an diesem Ort möglich ist, gilt - wie erwähnt - nicht absolut, ist doch die Frage der Standortgebundenheit lediglich einer der Gesichtspunkte, die bei der nach Art. 5 WaG vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung im konkreten Fall zu berücksichtigen sind. So kann im Sinne einer relativen Standortgebundenheit das öffentliche Interesse dasjenige an der Walderhaltung in einem konkreten Fall überwiegen, wenn das Werk Planvorstellungen entspricht, die sich auf eine Mehrzahl von Grundstücken beziehen, die nicht dem Waldrecht unterstehen ( BGE 113 Ib 340 E. 3, BGE 108 Ib 167 E. 5b, BGE 98 Ib 489 E. 6). Die Bejahung der relativen Standortgebundenheit setzt indessen voraus, dass eine umfassende Abklärung von Alternativstandorten stattgefunden hat (s. das genannte Urteil vom 21. Januar 1993 i.S. Gemeinde Sumvitg und nicht publ. Urteil vom 31. Mai 1989 i.S. Gemeinde Uors-Peiden). Wird eine Bauzone festgesetzt und dafür auf einem Teil davon die Rodung verlangt, so hat nicht nur die Rodungsfläche in ihrem Zusammenhang mit der unbewaldeten Fläche, sondern die Bauzone insgesamt BGE 119 Ib 397 S. 406 einem die Rodung rechtfertigenden öffentlichen Interesse zu entsprechen. Im übrigen ist bei der Bewilligung solcher Rodungen besondere Zurückhaltung angezeigt, da es sich bei einer Rodung für Bauland um eine Ausnahme vom Grundsatz der Walderhaltung handelt, der in besonderem Masse präjudizielle Wirkung zukommt. Eine Rodungsbewilligung kann deshalb lediglich in Betracht gezogen werden, wenn die strengen Voraussetzungen, welche die Rechtsprechung für die Rodungen zur Schaffung von Bauland umschreibt, erfüllt sind. Das kann etwa in Gemeinden mit sehr grossem Waldanteil und wenig offenem Land zutreffen, wenn sich aufgrund einer abgeschlossenen rechtskräftigen Ortsplanung ergibt, dass ohne Inanspruchnahme von Waldboden eine den Anforderungen der Raumplanung entsprechende bauliche Entwicklung verhindert würde (s. BGE vom 18. Februar 1987 in ZBl 88/1987 502 f. sowie die bereits genannten Urteile vom 21. Januar 1993 i.S. Gemeinde Sumvitg und vom 31. Mai 1989 i.S. Gemeinde Uors-Peiden; HANS DUBS, Rechtsfragen der Waldrodung in der Praxis des Bundesgerichts, Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 1974, Separatdruck S. 13; AEMISEGGER/WETZEL, Wald und Raumplanung, VLP-Schriftenreihe Nr. 38, S. 145). Dieser vorausgegangene Nutzungsplanentscheid muss sodann inhaltlich den raumplanerischen Zielen und Grundsätzen entsprechen ( Art. 1 und 3 RPG ) sowie auf einer umfassenden Abstimmung und Abwägung beruhen ( Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 RPG ). Das Interesse, Wald zu beanspruchen, muss somit durch die Ortsplanung überzeugend nachgewiesen worden sein ( BGE 103 Ib 50 E. 5a, s. auch die schon genannten Urteile vom 21. Januar 1993 i.S. Gemeinde Sumvitg und vom 31. Mai 1989 i.S. Gemeinde Uors-Peiden). Diese raumplanungsrechtlichen Gesichtspunkte dürfen im Rodungsverfahren grundsätzlich nicht frei überprüft werden. Die Prüfung durch die Rodungsbehörden bezieht sich hauptsächlich auf das Verhältnis der Walderhaltungs- und Raumplanungsinteressen insgesamt. Die raumplanerischen Voraussetzungen in Zweifel zu ziehen, rechtfertigt sich nur, wenn die Planungsbehörden das Gebot der Walderhaltung bei ihren Abklärungen ungenügend in Rechnung gestellt haben oder sich von unsachgemässen Überlegungen haben leiten lassen ( BGE 113 Ib 403 E. 4b/aa, s. auch die schon genannten Urteile vom 21. Januar 1993 i.S. Gemeinde Sumvitg und vom 31. Mai 1989 i.S. Gemeinde Uors-Peiden). b) Die angestrebte Rodung wurde bereits im Hinblick auf die im Jahre 1971 erteilte Bewilligung mit der Förderung der touristischen BGE 119 Ib 397 S. 407 Entwicklung, der besseren Auslastung der Skianlagen und u.a. der Schaffung von Ferienhäusern für Mitglieder der Geteilschaft begründet. Gleichzeitig wurde auf die damit erleichterte Finanzierung der Waldstrassen hingewiesen. Schon in der Bewilligung vom 9. August 1971 wurde indes durch das EDI zum Ausdruck gebracht, dass die nachgesuchte Rodung forstpolizeilichen Grundsätzen kaum mehr zu entsprechen vermöge und nur bewilligt werde, um einen bereits bestehenden Zustand zu regeln und früher gemachte Versprechungen einzulösen. Gleichartige Erwägungen finden sich in der Rodungsverfügung vom 12. Februar 1982, verbunden mit dem Hinweis, dass mit der Ersatzverfügung sowohl dem gesetzlichen Gebot der Walderhaltung als auch den berechtigten Interessen der Region an einer touristischen Entwicklung Rechnung getragen werden solle. In der Abänderungsbewilligung vom 3. März 1989 und der angefochtenen Verfügung vom 24. August 1992 ist festgestellt worden, dass ein Interesse an der ursprünglich bewilligten, während der Befristung jedoch nicht durchgeführten Rodung nach wie vor bestehe und dass dieses Interesse jenes an der Walderhaltung übersteige. Zudem ist in der angefochtenen Verfügung festgestellt worden, dass der Rodung entgegenstehende polizeiliche Gründe wegen allfälliger Lawinengefährdung nicht bestünden. c) Nach den in der angefochtenen Verfügung übernommenen Ausführungen des zuständigen kantonalen Kreisforstamtes scheinen der strittigen Rodung jedenfalls polizeiliche Gründe - wie die vom Beschwerdeführer A. geltend gemachte Lawinengefahr - nicht entgegenzustehen. d) Als fragwürdig erscheint indessen, ob und inwieweit für die vom Quartierplanbereich Rotwald beanspruchte Bauzone ein die Rodung rechtfertigendes Interesse besteht. Die Geteilschaft Wasen hält dafür, beim fraglichen Gebiet handle es sich um das einzige touristische Entwicklungsgebiet der Gemeinde Ried-Brig. Mit der Ausscheidung der Ferienhauszone soll das Beherbergungsangebot ausgebaut und versucht werden, die vorhandenen Skianlagen zumindest kostendeckend für Einheimische und Gäste offenzuhalten. Der Erwerb eines Chalets oder einer Berghütte für Freizeit und Ferien sei vorab bei der Bevölkerung des Rhonetals nach wie vor gefragt. Zudem liessen sich solche Objekte in der Zwischenzeit gut vermieten, was der einheimischen Bevölkerung zu einem angenehmen Nebenerwerb verhelfe. Auch sei das einheimische Gewerbe an Bauaufträgen interessiert. Durch eine Verlagerung der vorgesehenen Überbauungen auf die waldfreien Flächen BGE 119 Ib 397 S. 408 würde im übrigen der freie Viehgang behindert. Dazu komme, dass die Geteilschaft im Rotwald nur eine kleine waldfreie Fläche besitze, welche zudem mit einem Bauverbot belastet sei. SBN und WWF machen geltend, dass die Notwendigkeit der vorgesehenen Rodung nicht gegeben sei und dass es im vorliegenden Fall lediglich um eine nicht statthafte billige Beschaffung von Bauland gehe; mit der Rodung würde einer der höchst gelegenen Lärchenwälder Europas empfindlich beeinträchtigt. Die SL hält zudem dafür, dass die in der Quartierplanung enthaltenen Auflagen die beabsichtigte Überbauung in Frage stellten. Werden die vorgebrachten Interessen an der Durchführung der nachgesuchten Rodung in Betracht gezogen, so ergibt sich, dass kein das Gebot der Walderhaltung überwiegendes Interesse an einer Einzonung und Rodung im Quartierplangebiet "Rotwald-Wasen" nachgewiesen ist. Vorab ist schwer einzusehen, inwieweit die geplanten 17 Chaletbauten zur touristischen Entwicklung in der Gemeinde Ried-Brig oder regional massgeblich beitragen könnten. Zudem erscheint die dezentrale Kleinbauzone als problematisch, zumal die Zufahrt nicht ganzjährig sichergestellt ist. Sodann ist auch die Entsorgung nicht definitiv gelöst und auf einen Standort ausserhalb des Planungsgebietes angewiesen. Ferner vermögen selbst die sich aus der Schaffung von Bauland ergebenden finanziellen Vorteile die Bauzone im Waldareal nicht zu rechtfertigen, wie ebenfalls die Interessen des Baugewerbes für die Rodung nicht bestimmend sein können ( BGE 101 Ib 313 E. 2b, s. auch BGE 117 Ib 325 E. 2, BGE 116 Ib 321 E. 4 und BGE 113 Ib 411 E. 2a/aa und 3c, mit weiteren Hinweisen; Art. 5 Abs. 3 WaG [vormals Art. 26 Abs. 3 FPolV ]). Dass sich eine andere Lösung viehwirtschaftlich negativ ausgewirkt hätte, setzt das planerische Interesse an einer Ferienhauszone voraus. Ein solches ist aber sachlich und ortsplanerisch nicht ausgewiesen. Sowohl der vom kantonalen Amt für Raumplanung am 9. Dezember 1987 erstattete Bericht über die Vorprüfung der Quartierplanung "Rotwald-Wasen" als auch der Genehmigungsbeschluss des Staatsrates vom 10. April 1991 und die angefochtene Verfügung des EDI vom 24. August 1992 befassen sich denn auch nicht mit den raumplanerischen Grundlagen, dem Bedarf an einer Ferienhauszone, den erschliessungsmässigen Voraussetzungen und ihrer Lage im projektierten Quartierplangebiet und Waldareal; von einer inhaltlich den raumplanerischen Anforderungen genügenden, umfassenden nutzungsplanerischen Abstimmung und Abwägung aller durch das Vorhaben betroffenen Aspekte ( Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 sowie BGE 119 Ib 397 S. 409 Art. 3 RPG ; s. auch oben E. 5c und 6a) kann dabei offensichtlich nicht die Rede sein. Unter diesen Umständen erweist sich das Rodungsgesuch vom 5. Dezember 1989 und damit auch die vom EDI mit dem angefochtenen Entscheid erteilte Rodungsbewilligung als unbegründet und im Lichte von Art. 5 WaG nicht haltbar. e) An diesem Ergebnis vermögen auch Vertrauensgesichtspunkte nichts zu ändern. Dass die nachgesuchte Rodung "den heutigen forstlichen Grundsätzen nicht mehr entspricht", wurde vom EDI bereits im Bewilligungsentscheid vom 9. August 1971 und in der Folge auch in der Verfügung vom 12. Februar 1982 festgestellt. Abgesehen davon hat die Rechtsprechung die mit der touristischen Entwicklung begründeten Rodungsinteressen jedenfalls in neuerer Zeit mit vermehrter Zurückhaltung beurteilt ( BGE 113 Ib 411 E. 2c mit Hinweisen). Wie das Bundesgericht übrigens schon wiederholt entschieden hat, schliesst die Änderung der rechtlichen Verhältnisse, wie sie sich mit der im Jahre 1971 erfolgten Änderung der früheren bundesrechtlichen Regelung im Forstpolizeiwesen ergeben hat, zum vornherein aus, dass jemand unter Berufung auf Tatsachen, die schon vor 1971 eingetreten sind, Anspruch auf Vertrauensschutz erheben kann ( BGE 109 Ib 210 ff., BGE 104 Ib 232 ff.). Damit ein Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens mit Erfolg geltend gemacht werden kann, müssen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein ( BGE 119 Ib 145 ; BGE 118 Ib 341 E. 4d; BGE 117 Ib 497 ff.; BGE 116 Ib 185 ff.; BGE 114 Ia 209 E. 3a je mit weiteren Hinweisen). So wird (u.a.) namentlich verlangt, dass im Vertrauen auf eine behördliche Zusicherung Dispositionen getroffen worden sind, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können. Aber selbst dann, wenn die Voraussetzungen ansonsten erfüllt sind, vermag eine Berufung auf Vertrauensschutzinteressen nur dann durchzudringen, wenn nicht das Interesse an der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechts überwiegt ( BGE 119 Ib 145 ; 116 Ib 185 E. 3c; s. im übrigen auch vorstehende E. 5c). Wenn die Geteilschaft Wasen geltend macht, es seien bereits erhebliche Investitionen (insbesondere für Planungs- und Projektarbeiten, rechtliche Abklärungen, eine Informationsbroschüre für die Urversammlung usw.) getätigt worden, so vermag dies im Lichte der genannten Rechtsprechung zur Bekräftigung eines Vertrauensschutzinteresses nicht zu genügen. Denn diese Aufwendungen sind im wesentlichen erforderlich gewesen, um in der Streitsache - sowohl in der Nutzungsplanungs- als auch in der Rodungsfrage - überhaupt zu einer BGE 119 Ib 397 S. 410 umfassenden Interessenabwägung und Beurteilung gelangen zu können. Zu diesen Investitionen, die sich übrigens im üblichen Rahmen hielten, ist die Geteilschaft somit von Gesetzes wegen verpflichtet gewesen. Demgemäss vermögen sie der Anwendung des geltenden Rechts nicht entgegenzustehen. Würden solche Aufwendungen für sich alleine als vertrauensbildende Dispositionen eingestuft, so würde ein positiver Rodungsentscheid schon durch die für die Beurteilung eines Rodungsgesuchs notwendigen Massnahmen vorweggenommen. Dass sich dies mit der vorstehend aufgezeigten Rechtslage und wiedergegebenen Rechtsprechung nicht vereinbaren lässt, ist offenkundig und braucht nicht weiter erörtert zu werden. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch unter besonderer Würdigung der Vorgeschichte nicht. Wohl kann die Vorgeschichte für eine bestimmte Zoneneinteilung unter Umständen eine erhebliche Bedeutung belegen ( BGE 115 Ia 350 E. 3f/cc S. 356 mit Hinweis). Dabei fällt aber im vorliegenden Fall in Betracht, dass die Urversammlung der Gemeinde Ried-Brig eine Bau- und Zonenordnung bereits am 29. Oktober 1982 ablehnte und eine umfassende Abklärung und Abwägung der nach dem Raumplanungsgesetz massgeblichen Gesichtspunkte sowohl im Hinblick auf diesen Ablehnungs- als auch den späteren Quartierplanentscheid vom 28. April 1988 nicht auszumachen ist. Schliesslich wird auch durch den im bisherigen wie im heute geltenden Recht verankerten Grundsatz der Walderhaltung sowie durch das aus präjudiziellen Gründen entscheidende Interesse an der Wahrung der von Gesetz und Rechtsprechung vorgesehenen Bewilligungsvoraussetzungen verlangt, dass eine unwiederbringliche Massnahme, wie sie die Waldrodung darstellt, grundsätzlich gesetzeskonform zur Anwendung gelangt. Dass die betreffenden Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind, ist vorstehend dargelegt worden. Demgemäss lässt sich die angefochtene Verfügung vom 24. August 1992 auch nicht auf Vertrauensschutzinteressen abstützen. 7. Somit ergibt sich zusammenfassend, dass ein gewichtiges, das Interesse an der Walderhaltung überwiegendes Bedürfnis an der fraglichen Ferienhauszone und der dafür vorgesehenen Rodung im Quartierplangebiet "Rotwald und Wasen" nicht nachgewiesen ist. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden sind daher gutzuheissen, und entsprechend ist die Verfügung des EDI vom 24. August 1992 aufzuheben. Unter den gegebenen Umständen ist davon abzusehen, die Sache zur Abweisung des der angefochtenen Verfügung zugrundeliegenden Rodungsgesuchs vom 5. Dezember 1989 zunächst an die BGE 119 Ib 397 S. 411 Vorinstanz zurückzuweisen. Vielmehr steht mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen nichts entgegen, dass das Bundesgericht das Gesuch sogleich selber abweist ( Art. 114 OG ).
de
4c1ab4ba-fbd2-41ec-9f63-c3226c41e123
Sachverhalt ab Seite 408 BGE 142 V 407 S. 408 A. A.a A.A., geboren 1999, lebt seit Oktober 2010 in der Pflegefamilie von B.A. und B.B. (behördliche Fremdplatzierung nach Art. 310 ZGB , Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 15. Februar 2011). Sie erhält eine IV-Kinderrente zur Rente des Vaters und bezieht Ergänzungsleistungen (EL). Laut Pflegevertrag vom 28. Oktober 2010 war ein monatliches Pflegegeld von Fr. 2'244.- nach den Richtlinien des Departements für Justiz und Sicherheit (DJS) des Kantons Thurgau zur Bemessung des Pflegegeldes für Kinder und Jugendliche in privaten Pflegefamilien vereinbart worden. Ziffer 4.3 des Pflegevertrags sieht vor, dass, falls das Pflegekind in eine andere Altersstufe wechselt oder sich der Umfang des Betreuungsangebots der Pflegeeltern ändert, die Höhe des Pflegegeldes gemäss Ziffer 4.2 neu vereinbart wird. Ausgehend von jährlichen anrechenbaren Ausgaben von Fr. 32'699.- (Pflegegeld von Fr. 26'927.- [bzw. Tagesansatz von Fr. 73.77] plus persönliche Ausgaben von Fr. 4'764.-) und anrechenbaren (Kinderrenten-) Einnahmen von Fr. 8'352.- bezifferte die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau den monatlichen Anspruch von A.A. auf Ergänzungsleistungen für das Jahr 2012 auf Fr. 2'029.- (Verfügung vom 25. April 2012). A.b Am 17. August 2011 wurde für A.A. überdies eine Beistandschaft gestützt auf Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB u.a. im Hinblick auf die Regelung und Überwachung des persönlichen Verkehrs errichtet. Die Vormundschaftsbehörde hatte im Fremdplatzierungsbeschluss vom 15. Februar 2011 u.a. erwähnt, die Pflegemutter B.A. sei ausgebildete Sozialpädagogin und könne die Kinder daher professionell BGE 142 V 407 S. 409 betreuen. Sie besuche einmal im Monat eine Supervision, um die anstehenden Probleme zu diskutieren. Mit Entscheid vom 12. Januar 2015 bestätigte das DJS als Aufsichtsorgan im Bereich der ausserfamiliären Kinderbetreuung die Eignung der Pflegefamilie B. und verlängerte die Bewilligung "im Rahmen einer Dauerpflege oder Krisenintervention". Das Departement erwog insbesondere, das Pflegeverhältnis werde durch die Familienplatzierungsorganisation C. fachlich begleitet; zudem verfüge B.A. über eine abgeschlossene Ausbildung als Sozialpädagogin. Die besonderen Anforderungen zur Aufnahme von Pflegekindern im Rahmen von Kriseninterventionen seien deshalb erfüllt. A.c Die zuständige Berufsbeistandschaft teilte der AHV-Zweigstelle mit Schreiben vom 18. März 2013 mit, die Platzierung von A.A. (und ihrem Bruder A.B.) bei der Pflegefamilie B. laufe ab 1. Februar 2013 "über die Organisation C., der Fachstelle für Familienplatzierungen & Krisenintervention". Dies habe eine Erhöhung der Tagestaxe zur Folge. Beigelegt war ein Schreiben der Organisation C. vom 28. Februar 2013, wonach bei A.A. nunmehr eine Tagestaxe von Fr. 126.- angewendet werde. Die Ausgleichskasse setzte die Ergänzungsleistungen in der Folge ab Februar 2013 entsprechend der Erhöhung der Tagestaxe auf Fr. 3'616.- monatlich fest (Verfügung vom 21. März 2013). A.d Im Rahmen einer periodischen EL-Revision im April 2014 unterbreitete die Ausgleichskasse der AHV-Gemeindezweigstelle die Frage, ob eine professionelle und kostenintensivere Begleitung durch eine "heimähnliche Institution" notwendig sei. Dazu würden Arztberichte über den Gesundheitszustand des Kindes benötigt. Die Beiständin D., welche auch die Anmeldung und die Platzierungsvereinbarung im Namen der "platzierenden Instanz" (Berufsbeistandschaft Region E., Organisation C.) unterzeichnet hatte, äusserte sich dazu am 2. Juni 2014 dahingehend, dass die Platzierung über die Organisation C. weder eine professionelle noch eine kostenintensive Begleitung durch eine heimähnliche Institution, sondern eine normale Familienplatzierung über eine Organisation darstelle. Diese sei notwendig, da die Pflegeeltern auf Grund der schwierigen und aufwändigen Zusammenarbeit mit den Kindseltern professionelle Unterstützung benötigten. Mit Verfügung vom 1. August 2014 nahm die Ausgleichskasse eine neue Berechnung der Ergänzungsleistungen für A.A. vor, wobei sie die geltend gemachte höhere Tagestaxe nicht berücksichtigte; ab 1. August 2014 belaufe sich der Anspruch auf BGE 142 V 407 S. 410 Ergänzungsleistungen auf Fr. 1'803.- monatlich, was einer Tagestaxe für den Aufenthalt bei den Pflegeeltern von Fr. 76.- entspreche (Tagestaxe von Fr. 126.- abzüglich Taxe der Organisation C. von Fr. 50.-). A.e Am 1. Oktober 2014 sprach die IV-Stelle des Kantons Thurgau A.C. für seine Tochter A.A. rückwirkend ab 1. November 2012 eine erhöhte Kinderrente im Betrag von Fr. 928.- (2012) bzw. Fr. 936.- (2013) monatlich zu. Gestützt darauf verfügte die Ausgleichskasse am 5. Oktober 2014 die Rückforderung von im Zeitraum vom 1. November 2012 bis 31. Oktober 2014 ausgerichteten Ergänzungsleistungen in der Höhe von Fr. 5'012.-. Ab 1. August 2014 belaufe sich der EL-Anspruch auf Fr. 1'683.- (Tagestaxe von Fr. 76.-, Rentenleistungen von Fr. 11'232.-). A.f Die Beiständin D. erhob Einsprache gegen die Verfügung der Ausgleichskasse vom 1. August 2014 und brachte im Wesentlichen vor, die Unterbringung von A.A. bei der Pflegefamilie B. der Organisation C. sei von der Vormundschaftsbehörde angeordnet worden und daher für den Kostenträger verbindlich. Die Ausgleichskasse sei nicht befugt, Kindesschutzmassnahmen abzuändern. Die sich auf Fr. 126.- belaufenden Tageskosten seien folglich bis zur maximalen Tagestaxe von Fr. 120.- in der EL-Berechnung zu berücksichtigen. Die Ausgleichskasse ging in der Folge davon aus, die Verfügung vom 5. Oktober 2014 sei von der Einsprache der Beiständin miterfasst. Mit Entscheid vom 26. Januar 2015 hiess sie die Rechtsvorkehr in Bezug auf die Tagestaxe für Hotellerie und Betreuung der Versicherten in der Pflegefamilie teilweise gut und erhöhte diese für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 2014 auf Fr. 80.-. Bezüglich der geltend gemachten Pauschale für die Organisation C. von zusätzlichen Fr. 46.- pro Tag wurde die Einsprache abgewiesen. A.g Mit Verfügung vom 23. Dezember 2014 setzte die Ausgleichskasse den EL-Anspruch von A.A. ab 1. Januar 2015 unter Berücksichtigung einer Tagestaxe von Fr. 76.- auf Fr. 1'681.- monatlich fest. B. Mit Entscheid vom 25. November 2015 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die gegen den Einspracheentscheid der Ausgleichskasse vom 26. Januar 2015 erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. C. A.A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen BGE 142 V 407 S. 411 Entscheids seien ihr für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 2014 die gesondert berechneten Ergänzungsleistungen unter Anrechnung der vollen Tagestaxe von Fr. 126.- auszurichten; für Januar 2015 sei ihr eine Tagestaxe von Fr. 140.- anzurechnen. Ferner sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) zu gewähren. Die Vorinstanz und die Ausgleichskasse schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Die Beschwerdeführerin beanstandet auch vor dem Bundesgericht die Höhe des Pflegetaggeldes für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 31. Januar 2015. Betreffend den Monat Januar 2015 hat indessen bereits das kantonale Gericht zutreffend erwogen, dass die Verfügung vom 23. Dezember 2014, mit welcher die Beschwerdegegnerin den Anspruch auf Ergänzungsleistung ab 1. Januar 2015 festgelegt hat, unangefochten geblieben und folglich rechtskräftig geworden ist. Nicht näher einzugehen ist letztinstanzlich daher auf den erneut vorgebrachten Einwand der Beschwerdeführerin, der Einspracheentscheid (betreffend Ergänzungsleistungen vom 1. August bis 31. Dezember 2014) sei erst am 26. Januar 2015 ergangen und erfasse damit, da EL-Verfügungen über das Kalenderjahr hinaus Rechtsbeständigkeit entfalteten, auch den Zeitraum ab 1. Januar 2015. Angemerkt sei lediglich, dass entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin auf Grund seines aleatorischen Charakters nicht das Erlassdatum Kriterium für die Rechtsbeständigkeit einer EL-Verfügung sein kann. Überdies beschlägt der dem gerichtlichen Verfahren zugrunde liegende Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 26. Januar 2015 ausschliesslich den Anspruch auf Ergänzungsleistungen für die Monate August bis Ende Dezember 2014. Ist die Vorinstanz insoweit somit zu Recht auf die Rechtsvorkehr nicht eingetreten, erweist sich die letztinstanzliche Beschwerde in diesem Punkt als unbegründet und ist abzuweisen. 2. 2.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an ( Art. 106 Abs. 1 BGG ). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den BGE 142 V 407 S. 412 die Vorinstanz festgestellt hat ( Art. 105 Abs. 1 BGG ), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann ( Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ). Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ) prüft es nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr aufgegriffen werden ( BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f. und 313 E. 2 S. 315, je mit Hinweisen). 2.2 Die Verletzung von kantonalrechtlichen Bestimmungen kann - vorbehältlich politische Rechte umschreibender Normen ( Art. 95 lit. d BGG ) - lediglich in Form der Verletzung von kantonalen verfassungsmässigen Rechten ( Art. 95 lit. c BGG ) oder für den Fall gerügt werden, dass damit gleichzeitig Bundesrecht oder Völkerrecht verletzt wird ( BGE 138 III 471 E. 5.2 S. 482; BGE 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53; je mit Hinweisen; Urteil 8C_840/2015 vom 17. Mai 2016 E. 2.1; vgl. auch MARKUS SCHOTT, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 55 zu Art. 95 BGG ). Es gilt diesbezüglich somit eine qualifizierte Rügepflicht ( Art. 106 Abs. 2 BGG ). 3. Die Vorinstanz hat die bundesrechtlichen Grundlagen über die ausgabenseitige Anrechnung von Tagestaxen in Heimen nach Art. 10 Abs. 2 lit. a Teilsatz 1 ELG (SR 831.30) sowie den Heimbegriff gemäss Art. 25a Abs. 1 ELV (SR 831.301) korrekt dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu konkretisieren ist, dass die bundesrätliche Verordnung vom 19. Oktober 1977 über die Aufnahme von Pflegekindern (Pflegekinderverordnung, PAVO; SR 211.222.338) eine Bewilligungspflicht für Familienpflege (Art. 4 ff.), für Tagespflege (Art. 12) und für Heimpflege (Art. 13) vorschreibt. Art. 3 Abs. 1 PAVO überlässt es den Kantonen, zum Schutz von Minderjährigen, die ausserhalb des Elternhauses aufwachsen, Bestimmungen zu erlassen, die über die Verordnung hinausgehen. Gemäss Art. 10 Abs. 2 lit. a Teilsatz 2 ELG können die Kantone die Kosten der Tagestaxen begrenzen. Zudem besteht nach Art. 25a Abs. 1 ELV eine kantonale Zuständigkeit für die Zulassung einer Einrichtung als Heim. 4. 4.1 Umstritten unter den Parteien ist die Frage, ob die Pflegefamilie der Beschwerdeführerin als Heim gemäss kantonaler Zulassung BGE 142 V 407 S. 413 zu qualifizieren ist oder nicht. Bejahendenfalls gälte, wie die Vorinstanz in Anwendung kantonalen Rechts zutreffend ausgeführt hat, eine maximale Tagestaxe von Fr. 205.-. Andernfalls würde eine Taxe von höchstens Fr. 120.- anerkannt (gemäss § 6 Abs. 1 Ziff. 1 und 4 der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 11. Dezember 2007 zum Gesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [ELV/TG; RB 831. 31]). Uneinig sind sich die Verfahrensbeteiligten ferner darüber, ob das kantonale Gericht die Tagestaxe zu Recht nur um die Hotellerie und die Betreuungskosten, nicht aber um die durch die Unterstützung der Organisation C. bedingte zusätzliche Pauschale erhöht hat. 4.2 Die Vorinstanz begründete die Ausserachtlassung der Pauschale für die Organisation C. von Fr. 46.- pro Tag damit, dass die Pflegefamilie, bei der sich die Beschwerdeführerin aufhalte, kein anerkanntes Heim bzw. keine heimähnliche Institution nach Massgabe der einschlägigen Rechtsgrundlagen darstelle. Es liege zudem auch keine subjektive Heimbedürftigkeit der Versicherten vor. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Betreuungsaufwand für die Beschwerdeführerin just im Moment des Beizugs der Organisation C. im Februar 2013 geändert haben solle, gebe es sodann keine. Es sei vielmehr aktenkundig, dass sie vor allem zu Beginn der Fremdplatzierung schwierige Verhaltensweisen gezeigt habe. Es könne deshalb nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit auf die Notwendigkeit des Beizugs der Organisation C. geschlossen werden; dies umso weniger, als die Pflegemutter selber ausgebildete Sozialpädagogin sei. Überdies sei die Beratung/Unterstützung der Pflegeeltern Aufgabe der Heimaufsicht. Lediglich die Kosten für "Hotellerie und Betreuung" seien zu ersetzen, worunter die fragliche Unterstützung der Pflegemutter im Alltag nicht falle. Unter Bezugnahme auf das bundesgerichtliche Urteil 5A_634/2014 vom 3. September 2015 (amtlich publiziert in BGE 141 III 401 ) führte das kantonale Gericht im Weiteren aus, es bedürfe nicht zusätzlich des Aufbaus eines Netzwerks von Pflegefamilien sowie deren Begleitung und Beaufsichtigung durch private Vermittlungsorganisationen. Dies gehöre vielmehr von Gesetzes wegen zum staatlichen Aufgabenbereich. Sowohl die regelmässigen Besuche bei den Pflegefamilien als auch deren Beratung und Beaufsichtigung würden durch die PAVO ausdrücklich der zuständigen Behörde übertragen. Was die Beschwerdeführerin bezogen auf BGE 142 V 407 S. 414 das Tätigkeitsprofil der Organisation C. vorbringe, entspreche in weiten Teilen den Pflichten der staatlichen Pflegekinderfachstelle. Eine (formelle) Übertragung dieser von der (staatlichen) Fachstelle zu erfüllenden Aufgaben an die Organisation C. werde nicht geltend gemacht. Soweit sich die private Organisation C. insbesondere im Zusammenhang mit dem (schwierigen) Kontakt zu den leiblichen Eltern auf für das Pflegekind zu erbringende Leistungen berufe, handle es sich wiederum um Aufgaben, die Sache der Beistände wären; eine Delegation an Private sei diesbezüglich nicht vorgesehen. Selbst wenn von einer entsprechenden Delegation auszugehen wäre - so das kantonale Gericht im Weiteren -, hätte jenes Gemeinwesen für die Zusatzkosten aufzukommen, welches diese veranlasst hätte. Die durch den Beizug der Organisation C. entstandenen Zusatzkosten seien zudem unverhältnismässig hoch. 4.3 Die Beschwerdeführerin bringt dagegen zur Hauptsache vor, für eine "Heimberechnung" der Ergänzungsleistungen nach Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Ziff. 1 ELV /TG komme es nicht (mehr) auf das überholte Kriterium der Heimbedürftigkeit sondern einzig auf die Anerkennung der Pflegefamilie als Heim gemäss Art. 25a Abs. 1 ELV an. Der am 1. Januar 2015 in Kraft getretene § 5b Abs. 1 Ziff. 5 ELV /TG regle rechtsverbindlich, dass im Kanton Thurgau u.a. Pflegefamilien mit Bewilligung gemäss Art. 4 PAVO als Heime im Sinne von Art. 25a Abs. 1 ELV zu qualifizieren seien. Für die vorangegangene Zeit (d.h. bis Ende Dezember 2014) bestimme der seit 1. Januar 2008 in Kraft stehende § 4 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Thurgau vom 25. April 2007 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG/TG; RB 831.3) in Ausführung der bundesrechtlichen Regelung von Art. 25a Abs. 1 ELV , dass besondere Formen der Unterbringung den Heimen gleichgestellt seien. Somit sei die Pflegefamilie B., welche unbestrittenermassen seit Beginn des Pflegeverhältnisses über eine Pflegekinderbewilligung nach Art. 4 und 8 PAVO verfüge, EL-rechtlich auch im vorliegend massgeblichen Zeitraum (August bis Dezember 2014) als "Heim" im Sinne von Art. 25a Abs. 1 ELV anzuerkennen. Überdies seien die Pflegeeltern seit dem 1. Februar 2013 bei der Organisation C. angestellt, welche beim DJS bzw. bei der dort angegliederten Pflegekinder- und Heimaufsicht als Familienplatzierungsorganisation gemeldet sei. Bei der Organisation C. bzw. bei der Pflegefamilie handle es sich, wie dargelegt, um eine heimähnliche Institution, die eine BGE 142 V 407 S. 415 professionelle Betreuung von Kindern gewährleiste. Schliesslich seien die Entscheide betreffend Fremdplatzierung verbindlich. Es stehe der Beschwerdegegnerin nicht zu, Notwendigkeit, Angemessenheit und Nutzen der behördlich angeordneten konkreten Fremdplatzierung eines Kindes nach Art. 310 ZGB in Frage zu stellen oder gar zu bestreiten. Die Beschwerdeführerin sei - neben einer langfristigen Psychotherapie - zweifelsohne auf die professionelle Betreuung in der Pflegefamilie der Organisation C., d.h. einer heimähnlichen Institution im Sinne von § 6 Abs. 1 Ziff. 1 ELV /TG, angewiesen. Im Übrigen nehme die Pflegefamilie nicht erst seit dem 1. Februar 2013 (dem Zeitpunkt des Vertragsverhältnisses mit der Organisation C.) eine externe fachliche Unterstützung in Anspruch. Vorliegend sei auf Grund der ernsthaften Entwicklungsgefährdung der Beschwerdeführerin eine professionelle Betreuung unabdingbar und die maximal anrechenbare Heimtagestaxe von Fr. 205.- bei Weitem nicht erreicht. Weder die kantonale Pflegekinder- und Heimaufsicht noch die Beiständin seien in der Lage, derartige zeitnahe Unterstützung zu leisten. 5. 5.1 Unstreitig verfügt die Pflegefamilie der Versicherten über eine Pflegekinderbewilligung. Ob zusätzlich eine Heimanerkennung vorliegt, bestimmt sich, wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat (vgl. E. 4.2 hiervor), nach den kantonalen Vorgaben. Das Gesetz des Kantons Thurgau vom 29. März 1984 über die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfegesetz, SHG/TG; RB 850.1) definiert in § 6a "Heime" wie folgt: "Unter einem Heim ist ein von einer oder mehreren Personen geleiteter Kollektivhaushalt zu verstehen, der bezweckt, mehr als vier Personen für die Dauer von mindestens fünf Tagen in der Woche, in der Regel gegen Entgelt, Unterkunft, Verpflegung, Betreuung oder weitere Dienstleistungen zu gewähren." Nach § 6b Abs. 1 SHG/TG bedarf die Errichtung und der Betrieb eines solchen Heimes einer Bewilligung des Departementes. § 6c Abs. 1 SHG/TG regelt sodann die Betreuungs- und Pflegeangebote, in denen bis zu vier volljährige Personen leben. Gestützt allein auf das kantonale Sozialhilfegesetz müsste vorliegend davon ausgegangen werden, dass die Pflegefamilie der Versicherten den Heimbegriff im Sinne der kantonalen Zulassungsvorgaben nicht erfüllt. 5.2 Im Unterschied zu der Regelung im Sozialhilfegesetz definiert die regierungsrätliche ELV/TG in § 5b - in Kraft seit 1. Januar 2015 BGE 142 V 407 S. 416 - anerkannte Heime im Sinne von Art. 25a Abs. 1 ELV weitergehend: "Anerkannte Heime im Kanton Thurgau im Sinne von Artikel 25a Abs. 1 der Verordnung über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV) sind: (1.-3.) 4. Einrichtungen mit Betriebsbewilligung gemäss Artikel 13 Abs. 1 Buchstabe a der Verordnung über die Aufnahme von Pflegekindern (PAVO); 5. Pflegefamilien mit Bewilligung gemäss Artikel 4 PAVO; (6.)" Im nachfolgenden § 6 der ELV/TG mit dem Titel "Maximal anrechenbare Tagestaxe" sind folgende Höchsttaxen vorgesehen: " 1 Bei Aufenthalt in einem anderen inner- oder ausserkantonal anerkannten Heim werden höchstens folgende Tagestaxen für Hotellerie und Betreuung angerechnet: 1. Kinderheim oder heimähnliche Institution wie Pflegefamilie, die eine professionelle Betreuung von Kindern garantiert: Fr. 205.- 2. andere Pflegefamilie: Fr. 85.- 3. (...) 4. von der Politischen Gemeinde bewilligtes Betreuungs- und Pflegeangebot: Fr. 120.-." 5.3 Bezogen auf die vorliegende Streitfrage - Höhe der Tagestaxe für die Zeit von August bis und mit Dezember 2014 - ist Folgendes festzuhalten: Die Feststellung im angefochtenen Entscheid, wonach die Pflegefamilie der Beschwerdeführerin im Rahmen einer Dauerpflege oder Krisenintervention maximal drei Pflegekinder aufnimmt und über keine Bewilligung zur Aufnahme von mehr als vier Personen verfügt, ist für das Bundesgericht infolge Fehlens offensichtlicher Mängel verbindlich (E. 2.1 hiervor). Zutreffend ist ferner die rechtliche Würdigung der Vorinstanz, dass die Erweiterung des Heimbegriffs gemäss der vorerwähnten ELV/TG erst seit Januar 2015 gilt und auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt demnach nicht anwendbar ist. Die Pflegefamilie B. kann deshalb (noch) nicht als Heim bzw. heimähnliche Institution angesehen werden. Eine nähere Auslegung der (unterschiedlichen) kantonalen Heimdefinitionen erübrigt sich vor diesem Hintergrund. Liegt für den massgeblichen Zeitraum kein Heim bzw. keine Heimanerkennung im Sinne der kantonalen Regelung vor, erweisen sich auch weitere BGE 142 V 407 S. 417 Ausführungen zur Frage, ob zusätzlich eine subjektive Heimbedürftigkeit erforderlich ist, damit erst von einem Heim oder einer heimähnlichen Institution gesprochen werden kann, als unnötig. Ebenso wenig ist nach dem Gesagten auf den Einwand der Beschwerdeführerin einzugehen, bereits gestützt auf den seit 1. Januar 2011 in Kraft stehenden § 6 Abs. 1 Ziff. 1 ELV /TG sei die Pflegefamilie als heimähnliche Institution zu qualifizieren. 5.4 Somit ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass vorliegend nach der kantonalen Umschreibung eines Heims gemäss SHG/TG nicht die maximale Heim-Tagestaxe von Fr. 205.-, sondern eine Höchsttaxe von Fr. 120.- zur Anwendung gelangt (vgl. E. 4.1 und 5.2 hiervor). Dies wurde im vorinstanzlichen Entscheid zutreffend dargelegt. Der gegenteiligen Auffassung der Beschwerdeführerin kann, soweit die entsprechenden Vorbringen überhaupt den qualifizierten Begründungsanforderungen genügen (vgl. E. 2.2 hiervor), aus den genannten Gründen nicht gefolgt werden. 6. 6.1 Damit ist die Frage noch nicht beantwortet, ob, wie beantragt, die Pauschale von Fr. 46.- für die Organisation C. in der Berechnung der Ergänzungsleistung berücksichtigt werden kann. Im Schreiben der Organisation C. vom 8. Januar 2015 wird dieser Betrag begründet mit "Weiterbildung Pflegeeltern und Koordinator, Coaching und Beratung Pflegefamilie, Besuchsbegleitung Herkunftskontakte, Supervision, Lohnkosten, Kilometerentschädigung etc.". Hierzu erwogen Vorinstanz und Beschwerdegegnerin (Einspracheentscheid vom 26. Januar 2015), es handle sich nicht um persönliche Auslagen für die Beschwerdeführerin und folglich nicht um anerkannte Ausgaben nach Art. 10 Abs. 2 ELG und § 6 ELV /TG. Diese Betrachtungsweise trifft zu. Zu ergänzen ist, dass Ziffer 4.3 des Pflegevertrags vom 28. Oktober 2010 eine Erhöhung der Pflegetaxe nur vorsieht bei Änderung der Altersstufe des Pflegekindes und/oder bei Änderung des Umfangs des Betreuungsangebots der Pflegeeltern. Wie die Vorinstanz überzeugend - und für das Bundesgericht daher verbindlich ( Art. 105 Abs. 1 BGG ) - festgestellt hat, ist weder dargetan noch ersichtlich, weshalb der Umfang des Betreuungsangebots für die Beschwerdeführerin just im Februar 2013, dem Zeitpunkt des Beginns der Unterstützung durch die Organisation C., erheblich geändert haben sollte. Bereits im Pflegevertrag ist die besondere Qualifikation der Pflegemutter als Sozialpädagogin hervorgehoben worden, die ihre Tätigkeit zudem regelmässig im Rahmen BGE 142 V 407 S. 418 einer Supervision reflektiert. Ebenso standen die erhöhten Anforderungen im Zusammenhang mit dem (minimalen) Besuchsrecht der leiblichen Eltern von je einem zweistündigen Mittagessen pro Monat schon bei Beginn des Pflegeverhältnisses fest, gleichermassen die notwendige Psychotherapie für die Beschwerdeführerin. Zu erwähnen ist ferner das Bestehen der Beistandschaft, welche eine Hilfestellung und Beratung der Beschwerdeführerin gerade auch im Bereich der Überwachung des persönlichen Verkehrs zum Inhalt hat. Bei all diesen Massnahmen vermag nicht einzuleuchten, weshalb es einer zusätzlichen Koordination der Hilfestellungen und ergänzender Unterstützung der Pflegeeltern bedarf (so in der Einsprache vom 9. September 2014: "Koordination zwischen Pflegeeltern, Beistand und Herkunftseltern. Der weitaus grössere Teil ihrer Arbeit [Organisation C.] betrifft jedoch die Unterstützung und Beratung der Pflegefamilien im Umgang mit den Pflegekindern."). Die Erhöhung der Tagestaxe wurde sodann auch nicht mit dem Eintritt der Beschwerdeführerin in eine veränderte Altersstufe begründet. 6.2 Stellt die fragliche Pauschale demnach keine persönliche Auslage für die Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 10 Abs. 2 ELG dar und sind notwendig gewordene Änderungen des Betreuungsangebots weder geltend gemacht noch erkennbar, bilden die geforderten Pauschalkosten von Fr. 46.- pro Monat, wie die Vorinstanz im Ergebnis zutreffend erkannt hat, keinen Bestandteil der zu verrechnenden Tagestaxe. Die Beschwerde ist daher auch in diesem Punkt abzuweisen. 7. Schliesslich geht der Vorwurf der Beschwerdeführerin, die Beschwerdegegnerin sei nicht befugt, Kindesschutzmassnahmen "abzuändern", an der Sache vorbei. Zu beurteilen ist vorliegend einzig, ob die angeführten Kosten unter die bundesgesetzliche bzw. kantonalrechtliche Vorgabe gemäss Art. 10 Abs. 2 lit. a ELG in Verbindung mit § 6 ELV /TG zu subsumieren sind. (...)
de
7d18d90e-0b95-4f35-94d8-fc75d00de6af
Sachverhalt ab Seite 19 BGE 100 III 19 S. 19 A.- Am 11. Januar 1972 wurde in Bern als Verein im Sinne von Art. 60 ZGB die Tiefkühlvereinigung Bern und Umgebung (im folgenden TKV genannt) gegründet. Die Statuten BGE 100 III 19 S. 20 des Vereins enthalten unter anderem folgende Bestimmungen: "II. Vereinszweck Art. 2 Die "Tiefkühlvereinigung Bern und Umgebung" bezweckt die Aufklärung ihrer Mitglieder über die wirtschaftlichen Vorteile der Gefrierkonservierung. Ganz besonders soll darauf geachtet werden, dass möglichst breite Bevölkerungskreise auch schnellverderbliche Nahrungsmittel wie Frischfleisch, Gemüse, Früchte und Fertigmahlzeiten als Notvorrat anlegen. Die "Tiefkühlvereinigung Bern und Umgebung" wird ihre Mitglieder ständig über die neuesten Erkenntnisse der Gefrierkonservierung auf dem laufenden halten. Die Mitglieder der "Tiefkühlvereinigung Bern und Umgebung" werden auch über die Haltung der geeigneten Kühlgeräte durch neutrale Fachleute beraten. Es soll insbesondere auch minderbemittelten Mitgliedern ermöglicht werden, eigene Tiefkühlgeräte zu halten. III. Mittel Art. 3 Vereinszweck: Um die in Art. 2 umschriebenen Vereinszwecke besser erfüllen zu können, wird die "Tiefkühlvereinigung Bern und Umgebung" Lebensmittel, die sich nach Sorte und Qualität besonders gut für die Gefrierkonservierung eignen, in grösseren Mengen einkaufen und diese preisgünstig an seine Mitglieder abgeben." Die TKV betrieb in der Folge einen bedeutenden Handel mit Fleisch und Fleischprodukten sowie Tiefkühlgeräten. Sie eröffnete vier Metzgereifilialen in Oberwangen, Bern, Lyss und Burgdorf, die von qualifizierten Metzgern geführt wurden. Der monatliche Umsatz dieser Filialen betrug ca. Fr. 80 000.-- bis 100 000.--. Gemäss Art. 20 der Statuten sollte der Verein ins Handelsregister eingetragen werden. Das Handelsregisteramt Bern lehnte es jedoch ab, den Eintrag vorzunehmen. Ende 1972 hatte die TKV ungefähr 700 Mitglieder. B.- Am 29. Januar 1973 meldete die TKV beim Konkursrichter Bern den Konkurs an mit der Begründung, es bestehe eine Unterbilanz in der Höhe von ungefähr Fr. 110 000.--. Mit Schreiben vom gleichen Tag machte die Vieh-und Fleischhandels AG (im folgenden als VFH bezeichnet), eine Gläubigerin der TKV, den Konkursrichter darauf aufmerksam, dass die TKV ausschliesslich kommerzielle Zwecke verfolge, dass sie daher als einfache Gesellschaft zu betrachten sei und dass BGE 100 III 19 S. 21 demzufolge ein Konkurs über sie nicht in Frage komme. Trotzdem wurde am 31. Januar 1973 in Anwendung von Art. 191 SchKG über die TKV der Konkurs eröffnet. Das Konkursamt Bern begann sogleich mit der Durchführung des Konkurses. Es verkaufte die leicht verderblichen Waren ( Art. 243 Abs. 2 SchKG ), führte die Inventaraufnahme durch, publizierte die Konkurseröffnung, lud auf den 13. März 1973 zur ersten Gläubigerversammlung ein, welche jedoch nicht beschlussfähig war, und liess sich ermächtigen, die übrigen Aktiven sofort zu verwerten, was in der Folge zum Teil auch geschah. C.- Mit Eingabe vom 5. April 1973 führte die VFH bei der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern Beschwerde mit dem Begehren, der gestützt auf das Konkurserkenntnis vom 31. Januar 1973 über die TKV durchgeführte Konkurs sei als nichtig zu erklären. Die Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 25. April 1973 gut und hob den Konkurs auf. D.- Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt die TKV, der Entscheid der Aufsichtsbehörde sei aufzuheben und das Konkursamt Bern sei anzuweisen, den Konkurs fortzuführen. Die VFH stellt in ihrer Vernehmlassung den Antrag, auf den Rekurs sei nicht einzutreten; eventuell sei er abzuweisen. Erwägungen Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung: 1. Die VFH macht in erster Linie geltend, die Rekurrentin sei nicht prozessfähig, weil ihr keine Rechtspersönlichkeit zukomme, und es sei daher auf den Rekurs nicht einzutreten. Dieser Einwand geht indessen fehl. Die Vorinstanz hat in der Begründung ihres Entscheides zwar ausgeführt, die TKV sei nicht rechtsfähig, weil sie einen wirtschaftlichen Zweck verfolge. Ein Verein wie übrigens auch eine Stiftung muss aber als partei- und prozessfähig angesehen werden, wenn Gegenstand des Prozesses gerade die Frage seiner Rechtsfähigkeit ist; andernfalls könnte ein kantonaler Entscheid in einer solchen Frage nicht ans Bundesgericht weitergezogen werden ( BGE 90 II 333 ff., BGE 88 II 209 ff., BGE 96 II 277 /278; vgl. auch BGE 99 III 8 ). Auf den Rekurs ist daher einzutreten. BGE 100 III 19 S. 22 2. Nach der allerdings seit längerer Zeit nicht mehr bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichts sind die Konkursbehörden (Konkursbeamter und Aufsichtsbehörde) befugt, ein Konkurserkenntnis auf seine Gesetzmässigkeit zu überprüfen und die Durchführung eines Konkurses abzulehnen, wenn sie es für gesetzwidrig oder doch für offenbar gesetzwidrig halten ( BGE 49 III 248 Erw. 3, BGE 45 I 53 , BGE 30 I 849 Erw. 2; Entscheid vom 15. Juli 1907 i.S. Levy-Sonneborn, teilweise veröffentlicht in Archiv SchK 1908 S. 6/7 und in Monatsblätter für Betreibungs- und Konkursrecht 1908 S. 109/110; vgl. auch den Entscheid vom 4. Oktober 1907 i.S. Bernasconi, veröffentlicht in Archiv SchK 1908 S. 96/97). Im gleichen Sinne hatte bereits der Bundesrat entschieden, als er noch die Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen ausübte (Archiv SchK 1893 S. 4 ff. und S. 39 ff.; vgl. auch JAEGER, N. 4 zu Art. 176 sowie N. 1 und 2 zu Art. 221 SchKG ; BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechts, S. 579 N. 56). Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten sei, ist fraglich. Wohl kommen bei der Beurteilung von Konkursbegehren auch den Aufsichtsbehörden gewisse Kompetenzen zu. Sie haben insbesondere darüber zu entscheiden, ob die Vorschriften über den Betreibungsort eingehalten seien ( BGE 96 III 33 f.), ob der Schuldner der Konkursbetreibung unterliege oder ob ein nicht handlungsfähiger Schuldner in gesetzwidriger Weise betrieben werde ( Art. 173 Abs. 2 SchKG ). Der Konkursrichter hat in solchen Fällen den Entscheid über das Konkursbegehren auszusetzen und die Sache den Aufsichtsbehörden zu überweisen. Die Verantwortung für die Konkurseröffnung trägt aber allein der Richter (FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., II, S. 106 N. 171). Wären nun die Konkursbehörden entsprechend der bisherigen Praxis befugt, das Konkurserkenntnis auf seine Gesetzmässigkeit zu überprüfen, so würde der Entscheid über das Konkursbegehren letztlich den Aufsichtsbehörden zugeschoben, was mit der im Gesetz vorgesehenen Verteilung der Kompetenzen zwischen Konkursrichter und Aufsichtsbehörden wohl kaum vereinbar sein dürfte (JAEGER, N. 1 zu Art. 221 SchKG ; JAEGER-DAENIKER, N. 3 zu Art. 176 SchKG ; FRITZSCHE, a.a.O.). Wie es sich damit im einzelnen verhält, kann indessen offen bleiben. Eine Überprüfungsbefugnis der Konkursbehörden BGE 100 III 19 S. 23 dürfte jedenfalls - wenn überhaupt - höchstens dann in Frage kommen, wenn das Konkurserkenntnis offensichtlich gesetzwidrig wäre (FRITZSCHE, a.a.O.). Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Die Annahme des Konkursrichters, die Rekurrentin sei ein rechtsfähiger Verein, mag unrichtig sein; schlechthin unhaltbar ist sie nicht. Immerhin ist die Rekurrentin während eines ganzen Jahres im Rechtsleben als Verein aufgetreten. Aus ihren Statuten allein ergibt sich sodann nicht ohne weiteres, dass sie einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt. Schliesslich lässt sich auch daraus nichts ableiten, dass sie nicht im Handelsregister eingetragen ist. Ein Verein, der für seinen (idealen) Zweck ein kaufmännisches Gewerbe betreibt, hat sich zwar gemäss Art. 61 Abs. 2 ZGB im Handelsregister eintragen zu lassen; der Eintrag ist jedoch entgegen der Ansicht der Vorinstanz und der VFH lediglich deklaratorischer Natur, so dass die Erlangung der Rechtsfähigkeit nicht davon abhängt ( BGE 88 II 219 /220; TUOR/SCHNYDER/JÄGGI, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, 8. Aufl., S. 113; EGGER, N. 4 zu Art. 61 ZGB ; HEINI, in Schweizerisches Privatrecht, II, S. 535/536). Entscheidend aber ist, dass sich auch nach der bisherigen Praxis des Bundesgerichts die Befugnis der Konkursbehörden, das Konkurserkenntnis auf seine Gesetzmässigkeit zu überprüfen, auf die Einleitung des Konkursverfahrens beschränkt. Hat der Konkursbeamte die Durchführung des Konkurses einmal an die Hand genommen, so kann er bzw. die Aufsichtsbehörde demzufolge nicht mehr auf das Konkurserkenntnis zurückkommen, auch wenn dieses an einem Mangel leiden sollte (Entscheid vom 15. Juli 1907 i.S. Levy-Sonneborn, Archiv SchK 1908 S. 6; JAEGER, N. 4 zu Art. 176 SchKG ). Im vorliegenden Fall hat das Konkursamt Bern mit der Durchführung des Konkurses bereits begonnen. Es hat das Inventar aufgenommen, die Konkurseröffnung publiziert und eine Gläubigerversammlung abgehalten. Insbesondere hat es bereits Aktiven verwertet. Das Begehren der VFH, der Konkurs sei nichtig zu erklären, ging erst 65 Tage nach der Konkurseröffnung ein. In diesem Stadium des Verfahrens konnte die Aufsichtsbehörde keinesfalls mehr auf das Konkurserkenntnis zurückkommen, auch wenn man ihr im übrigen ein Prüfungsrecht zugestehen wollte. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben und das Konkursamt Bern anzuweisen, BGE 100 III 19 S. 24 das Konkursverfahren über die Rekurrentin weiterzuführen. Für dieses Ergebnis sprechen auch praktische Überlegungen. Nachdem bereits Verwertungshandlungen vorgenommen worden sind, gibt es keine andere Lösung, als den Verwertungserlös konkursmässig an die Gläubiger zu verteilen. Wollte man mit der VFH annehmen, es liege ein Vermögen ohne hinreichende Verwaltung vor und es müsse daher ein Beistand bestellt werden ( Art. 393 ZGB ), so würde dies ebenfalls zum Konkurs führen, denn der Beistand könnte nichts anderes tun, als beim Konkursrichter die Insolvenzerklärung abgeben (vgl. BGE 51 II 265 /266). 3. Die VFH macht geltend, ein Urteil, das gegenüber einer nicht rechtsfähigen Partei ergehe, sei nichtig. Das Konkurserkenntnis vom 31. Januar 1973 sei daher ein "Nichturteil", das nicht zu beachten sei. Nach der Rechtsprechung sind Betreibungshandlungen, die von einem nicht existierenden Gläubiger ausgehen oder die sich gegen einen nicht existierenden Schuldner richten, als nichtig zu betrachten ( BGE 73 III 62 , BGE 72 III 43 , BGE 62 III 135 , BGE 51 III 58 , 66, BGE 43 III 177 , BGE 41 III 2 /3; V. SCHWANDER, Nichtige Betreibungshandlungen, BlSchK 1954 S. 8; FRITZSCHE, a.a.O., I, S. 53). Im vorliegenden Fall fehlt es indessen nicht an einem tauglichen Konkurssubjekt. Der Konkursrichter, der durch die Eingabe der VFH darauf aufmerksam gemacht worden war, dass die Rekurrentin möglicherweise wirtschaftliche Zwecke verfolge und daher nicht rechtsfähig sei, hat in seinem Entscheid deren Rechtsfähigkeit bejaht. Dieser Entscheid ist nach dem Gesagten für das Konkursamt und die Aufsichtsbehörden verbindlich, nachdem mit der Durchführung des Konkurses bereits begonnen worden ist. Es handelt sich dabei keineswegs um ein Nichturteil (vgl. dazu GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 227 N. 3, 71 N. 1), mag die Ansicht des Konkursrichters auch unzutreffend sein. Für das vorliegende Konkursverfahren ist daher davon auszugehen, der Rekurrentin komme die Rechtspersönlichkeit zu. Demzufolge müssen die Gläubiger, die eine Forderung gegen die Rekurrentin haben, kolloziert werden, obwohl sich ihre Forderung in Wirklichkeit möglicherweise gegen die einzelnen Vereinsmitglieder richtet. Umgekehrt kann die Konkursverwaltung, die von Gesetzes wegen befugt ist, alle zur Erhaltung und Verwertung der Konkursmasse gehörenden Geschäfte zu BGE 100 III 19 S. 25 besorgen ( Art. 240 SchKG ), die liquiden Guthaben der Masse einziehen, ohne dass eingewendet werden könnte, die Rekurrentin sei nicht rechtsfähig. Im übrigen ist aber die Frage, ob der Rekurrentin die Rechtspersönlichkeit zukomme, nicht rechtskräftig entschieden. Sollten die Gläubiger einzelne Vereinsmitglieder für die Schulden der Rekurrentin belangen, so könnte der Zivilrichter frei darüber befinden, ob diese als Verein oder in Anwendung von Art. 62 ZGB als einfache Gesellschaft zu betrachten sei, für deren Verbindlichkeiten die Gesellschafter persönlich und solidarisch haften ( Art. 544 Abs. 3 OR ). Daraus ergibt sich übrigens, dass die VFH durch den Konkurs über die Rekurrentin in keiner Weise beschwert ist, da ihr die Möglichkeit, gegen die einzelnen Vereinsmitglieder vorzugehen, gewahrt bleibt.
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642.118.3 1 Verordnung des EFD über den Abzug besonderer Berufskosten von Expatriates bei der direkten Bundessteuer1 (Expatriates-Verordnung, ExpaV) vom 3. Oktober 2000 (Stand am 1. Januar 2021) Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD), gestützt auf Artikel 26 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19902 über die direkte Bundessteuer (DBG) sowie Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung vom 18. Dezember 19913 über Kompetenzzuweisungen bei der direkten Bundessteuer an das Finanzdepartement, verordnet: Art. 14 Grundsatz 1 Leitende Angestellte sowie Spezialistinnen und Spezialisten mit besonderer beruf- licher Qualifikation, die von ihrem ausländischen Arbeitgeber vorübergehend in die Schweiz entsandt werden (Expatriates), können bei der direkten Bundessteuer zusätzlich zu den Berufskosten nach der Berufskostenverordnung vom 10. Februar 19935 besondere Berufskosten abziehen. Diese besonderen Berufskosten gelten als übrige Berufskosten im Sinne von Artikel 26 Absatz 1 Buchstabe c DBG. 2 Als vorübergehend gilt eine auf höchstens fünf Jahre befristete Erwerbstätigkeit. 3 Die Abziehbarkeit besonderer Berufskosten endet in jedem Fall, wenn die befristete durch eine dauernde Erwerbstätigkeit abgelöst wird. Art. 2 Besondere Berufskosten 1 Besondere Berufskosten von im Ausland wohnhaften Expatriates sind: a. die notwendigen Kosten für Reisen zwischen dem ausländischen Wohnsitz und der Schweiz; b. die angemessenen Wohnkosten in der Schweiz bei Beibehaltung einer stän- dig für den Eigengebrauch zur Verfügung stehenden Wohnung im Ausland.6 AS 2000 2792 1 Fassung gemäss Ziff. I der V des EFD vom 9. Jan. 2015, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 311). 2 SR 642.11 3 SR 642.118 4 Fassung gemäss Ziff. I der V des EFD vom 9. Jan. 2015, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 311). 5 SR 642.118.1 6 Fassung gemäss Ziff. I der V des EFD vom 9. Jan. 2015, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 311). 642.118.3 Steuern 2 642.118.3 2 Besondere Berufskosten von in der Schweiz wohnhaften Expatriates sind: a. die notwendigen Kosten für den Umzug in die Schweiz und zurück in den früheren ausländischen Wohnsitzstaat sowie die notwendigen Hin- und Rückreisekosten des Expatriate und seiner Familie bei Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses; b. die angemessenen Wohnkosten in der Schweiz bei Beibehaltung einer stän- dig für den Eigengebrauch zur Verfügung stehenden Wohnung im Ausland; c. die Kosten für den Unterricht der minderjährigen fremdsprachigen Kinder an fremdsprachigen Privatschulen, sofern die öffentlichen Schulen keinen Unterricht in deren Sprache anbieten.7 3 Der Abzug besonderer Berufskosten nach den Absätzen 1 und 2 ist zulässig, wenn sie vom Expatriate selbst bezahlt und vom Arbeitgeber: a. nicht zurückerstattet werden; b. in Form einer Pauschale zurückerstattet werden. Diese Pauschale ist zum steuerbaren Bruttolohn hinzuzurechnen. 4 Kein Abzug besonderer Berufskosten nach den Absätzen 1 und 2 ist zulässig, wenn sie: a. direkt vom Arbeitgeber bezahlt werden; b. vorerst vom Expatriate selbst bezahlt und dann vom Arbeitgeber gegen Vor- lage der Belege effektiv zurückerstattet werden. 5 Die Abgeltung besonderer Berufskosten durch den Arbeitgeber ist im Lohnausweis zu bescheinigen. Art. 3 Nicht abzugsfähige Kosten Nicht als abzugsfähige Berufskosten gelten insbesondere: a. die Kosten der ständigen Wohnung im Ausland; b. die Auslagen für die Wohnungseinrichtung und für Wohnnebenkosten in der Schweiz; c. die Mehraufwendungen wegen des höheren Preisniveaus oder der höheren Steuerbelastung in der Schweiz; d. die Kosten für Rechts- und Steuerberatung. Art. 48 Geltendmachung der besonderen Berufskosten 1 Besteht ein Anspruch auf Abzug der Wohnkosten nach Artikel 2 Absatz 1 Buch- stabe b oder Absatz 2 Buchstabe b, so kann anstelle der Kosten nach Artikel 2 7 Fassung gemäss Ziff. I der V des EFD vom 9. Jan. 2015, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 311). 8 Fassung gemäss Ziff. I der V des EFD vom 9. Jan. 2015, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 311). Expatriates-Verordnung. 3 642.118.3 Absatz 1 oder Absatz 2 Buchstaben a und b ein Pauschalbetrag von monatlich 1500 Franken abgezogen werden. 2 Im Quellensteuerverfahren kürzt der Arbeitgeber den für die Steuerberechnung massgebenden Bruttolohn um den Pauschalabzug nach Absatz 1. Höhere tatsächli- che Kosten können vom Expatriate mittels einer nachträglichen ordentlichen Veran- lagung geltend gemacht werden (Art. 89, 89a und 99a DBG).9 Art. 4a10 Übergangsbestimmung zur Änderung vom 9. Januar 2015 Personen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung vom 9. Januar 2015 als Expatriates nach Artikel 1 Absatz 1 in der Fassung vom 3. Oktober 200011 gelten, behalten diesen Status bis zum Ende der befristeten Erwerbstätigkeit. Art. 5 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2001 in Kraft. 9 Fassung des zweiten Satzes gemäss Art. 26 der Quellensteuerverordnung vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2018 1829). 10 Eingefügt durch Ziff. I der V des EFD vom 9. Jan. 2015, in Kraft seit 1. Jan. 2016 (AS 2015 311). 11 AS 2000 2792 Steuern 4 642.118.3 Art. 1 Grundsatz Art. 2 Besondere Berufskosten Art. 3 Nicht abzugsfähige Kosten Art. 4 Geltendmachung der besonderen Berufskosten Art. 4a Übergangsbestimmung zur Änderung vom 9. Januar 2015 Art. 5 Inkrafttreten
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Sachverhalt ab Seite 263 BGE 116 IV 262 S. 263 X. und Y. haben in den Jahren 1979 bis 1983 als Gesellschafter der Kollektivgesellschaft Z. & Co. und in den Jahren 1983 bis 1985 als Verantwortliche der Z. & Co. AG gewisse Geschäftseinnahmen nicht verbucht und die entsprechenden Beträge in den Steuererklärungen nicht aufgeführt. Sie bedienten sich gegenüber dem Steueramt dabei inhaltlich unwahrer Urkunden (insbesondere Bilanzen und Erfolgsrechnungen). Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X. und Y. mit Urteil vom 13. November 1987 zweitinstanzlich wegen fortgesetzten Steuerbetruges und des Versuches dazu im Sinne von § 192 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes über die direkten Steuern und wegen fortgesetzten Steuerbetruges im Sinne von Art. 130bis Abs. 1 des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt; SR 642.11) mit je 90 Tagen Gefängnis und Fr. 7'500.-- Busse sowie 45 Tagen Gefängnis als Zusatzstrafe gemäss Art. 133bis Abs. 1 lit. a BdBSt . Beiden Verurteilten wurde der bedingte Strafvollzug gewährt. Unabhängig vom gerichtlichen Strafverfahren wurde auch durch die Finanzdirektion ein Nach- und Strafsteuerverfahren durchgeführt, in welchem X. und Y. erhebliche Strafsteuern auferlegt wurden. Diese Verfügungen sind unangefochten geblieben und in Rechtskraft erwachsen. Eine gegen das Urteil des Obergerichts vom 13. November 1987 eingereichte kantonale Kassationsbeschwerde hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 12. Oktober 1989 abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden konnte. X. und Y. erheben eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, sie seien vom Vorwurf des fortgesetzten Steuerbetruges im Sinne von Art. 130bis Abs. 1 BdBSt freizusprechen und es sei die Zusatzstrafe von 45 Tagen Gefängnis gemäss Art. 133bis Abs. 1 lit. a BdBSt aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist. BGE 116 IV 262 S. 264 Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Steuerbetrug gemäss Art. 130bis Abs. 1 BdBSt begeht, wer bei einer Hinterziehung ( Art. 129 BdBSt ) gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Geschäftsbücher, Bilanzen, Erfolgsrechnungen oder Lohnausweise und andere Bescheinigungen Dritter zur Täuschung gebraucht. Die Strafe ist Gefängnis oder Busse bis zu Fr. 30'000.--; die Bestrafung wegen Steuerhinterziehung bleibt vorbehalten. Die Steuerhinterziehung ist gemäss Art. 129 Abs. 1 BdBSt mit einer Busse bis zum Vierfachen des entzogenen Steuerbetrages bedroht. Ausser der Busse ist der entzogene Steuerbetrag zu bezahlen. Gemäss Art. 133bis Abs. 1 lit. a BdBSt gilt folgende Regelung: Ist die kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer der Ansicht, es sei bei einer Hinterziehung auch Steuerbetrug begangen worden und ist die Handlung zugleich nach kantonalem Steuerstrafrecht ein Vergehen, so hat die kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer der für die Verfolgung des kantonalen Steuervergehens zuständigen Behörde Anzeige zu erstatten. Diese Behörde hat dann auch das Vergehen gegen die direkte Bundessteuer zu verfolgen. Wird der Täter für das kantonale Steuervergehen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, so ist eine Freiheitsstrafe für das Vergehen gegen die direkte Bundessteuer als Zusatzstrafe zu verhängen; gegen das letztinstanzliche kantonale Urteil über diese Zusatzstrafe kann Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 BStP erhoben werden. 3. Die Beschwerdeführer machen geltend, durch die Verfolgung sowohl der Steuerhinterziehung wie auch des Steuerbetruges sei das Prinzip ne bis in idem verletzt. Die ihnen auferlegten Strafsteuern hätten im kantonalen Hinterziehungsverfahren rund Fr. 30'000.-- resp. rund Fr. 24'000.-- betragen. Dazu seien noch der Gemeindeanteil und die Bussen für die direkte Bundessteuer zu rechnen, was mindestens das Zweifache, wahrscheinlich jedoch das Dreifache des erwähnten Betrages ergebe. Es handle sich bei diesen Bussen um nichts anderes als eine verkappte, in Geld umgelegte Vergehensstrafe. a) Das Prinzip ne bis in idem ist gemäss ständiger Rechtsprechung ein Grundsatz des materiellen eidgenössischen Strafrechtes ( BGE 112 II 85 ; BGE 107 IV 82 ; BGE 86 IV 52 ; BGE 56 I 77 ; BGE 51 I 45 ). Daraus folgt, dass seine Verletzung prinzipiell mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Das Prinzip BGE 116 IV 262 S. 265 besagt, dass niemand wegen der gleichen Straftat zweimal verfolgt werden darf oder dass mit anderen Worten einem zweiten Strafverfahren respektive einer zweiten Beurteilung der gleichen Tat der Verbrauch der Strafklage aufgrund des ersten Urteils entgegensteht. Mutatis mutandis gelten die gleichen Grundsätze für den Bereich des Zivilrechtes: Ein zivilrechtlicher Anspruch, der sich aus eidgenössischem Recht herleitet, kann nach seiner rechtskräftigen Beurteilung nicht ein zweites Mal in einem gerichtlichen Verfahren zur Diskussion gestellt werden. Die materielle Rechtskraft von Zivilurteilen ist eine Einrichtung des Privatrechts ( BGE 95 II 643 E. 4a; 112 II 271 E. 1; STEPHEN BERTI, Zum Einfluss ungeschriebenen Bundesrechts auf den kantonalen Zivilprozess im Lichte der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts, Zürich 1989, S. 69 ff.). Das Prinzip ne bis in idem hat überdies verfassungsrechtlichen Rang, wobei es sich aus Art. 4 BV herleitet. Einer nach kantonalem Recht vorgenommenen rechtskräftigen Beurteilung in einem Kanton steht deshalb eine erneute Beurteilung auch in einem anderen Kanton entgegen ( BGE 102 Ia 28 ff.; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 205; G. MÜLLER, Komm. BV, Art. 4 N. 56). Entgegen der Auffassung des Kassationsgerichtes kann aus BGE 108 Ia 231 E. 2 nicht hergeleitet werden, der Grundsatz ne bis in idem sei keine Garantie des Bundesverfassungsrechts. BGE 108 Ia 230 ff. hat einzig zugelassen, dass ein Anwalt kumulativ in zwei verschiedenen Kantonen diszipliniert wird, wenn es um die Einstellung der Berufsausübung geht und diese den Anwalt im ersten Kanton praktisch nicht trifft, weil er dort nur ausnahmsweise praktiziert. Dies bedeutet eine Einschränkung des Grundsatzes ne bis in idem für disziplinarische Massnahmen, nicht aber für strafrechtliche Sanktionen, wie sie hier zur Diskussion stehen. Im übrigen findet der Grundsatz ne bis in idem neuerdings seine Grundlage in Art. 4 des siebten Zusatzprotokolls (7. ZP) zur EMRK (SR 0.101.07; dazu Botschaft des Bundesrates in BBl 1986 II 603 f. sowie STEFAN TRECHSEL, Das verflixte Siebente? Bemerkungen zum 7. Zusatzprotokoll zur EMRK, Festschrift Ermacora, Kehl 1988, S. 207 f.). Dieses ist am 1. November 1988 für die Schweiz in Kraft getreten. Ziff. 1 von Art. 4 des 7. ZP lautet wie folgt: BGE 116 IV 262 S. 266 Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden. b) Die Beschwerdeführer machen geltend, sie seien wegen des ihnen vorgeworfenen Verhaltens bereits rechtskräftig zu Hinterziehungsbussen gemäss Art. 129 BdBSt verurteilt worden. Eine zusätzliche Verurteilung wegen Steuerbetruges aufgrund des gleichen Verhaltens sei deshalb mit dem Grundsatz ne bis in idem nicht zu vereinbaren. aa) Von einer Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem könnte vorliegend nur dann gesprochen werden, wenn die verhängten Hinterziehungsbussen eine Strafe darstellen. Gemäss Art. 129 BdBSt ist die Sanktion für eine Steuerhinterziehung eine Busse bis zum Vierfachen des entzogenen Steuerbetrages. Ausser der Busse ist der entzogene Steuerbetrag zu bezahlen. Eine Verzinsung des im Nachsteuerverfahren festgesetzten Steuerbetrages ist hingegen nicht vorgesehen. Der Verspätung der Steuerleistung ist bei der Bemessung der Busse Rechnung zu tragen (MASSHARD, Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2. A. 1985, Art. 129 N. 17). Daraus folgt, dass die Hinterziehungsbusse nur insoweit Strafe sein kann, als sie den Verspätungszins übersteigt, was allerdings in der Regel für den grösseren Teil der Sanktion der Fall sein dürfte. Die Rechtsnatur der Hinterziehungsbusse ist umstritten. Doch wird in neuerer Zeit ihr Strafcharakter zunehmend und zu Recht bejaht (MARTIN ZWEIFEL, Die Strafsteuer als Strafe, ASA 58, S. 4 ff.; WALTER KÄLIN/LISBETH SIDLER, Die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK auf kantonale Steuerhinterziehungsverfahren, ASA 57, S. 529-547; PETER BÖCKLI, Harmonisierung des Steuerstrafrechts, ASA 51, S. 107; Verwaltungsgericht Zürich, ZBl 84/1983, S. 327, und SJZ 86/1990, S. 48; abweichend ANDREAS VON ALBERTINI, Der Steuerbetrug im System der Steuerstrafnormen, Diss. Bern 1967, S. 19 und 21; widersprüchlich REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Bern 1966, § 188 N. 5 und 192 N. 63). Die Auffassung der Vorinstanz (im Anschluss an REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRER), die Strafsteuer als eigentliche Verwaltungsstrafe verfolge nicht ausschliesslich einen Strafzweck, sondern ihr komme zusätzlich Schadenersatzfunktion zu, ist - unter Vorbehalt des in ihr enthaltenen Verspätungszinses - abzulehnen. Das Argument, erfahrungsgemäss würden die Steuerausfälle durch die für eine beschränkte Anzahl von Jahren BGE 116 IV 262 S. 267 erhobene Nachsteuer nicht gedeckt, weshalb die Strafsteuer eine ihr wesensfremde Funktion übernehmen müsse, überzeugt in keiner Weise. Denn nach den grundlegenden Rechtsprinzipien der schweizerischen Rechtsordnung kann Schadenersatz nur in dem Umfang verlangt werden, wie der Schaden vom Belangten zugefügt wurde. Ausfälle, die nicht oder nicht rechtzeitig entdeckt werden, können nicht dadurch ausgeglichen werden, dass ein Täter zu einem Mehrfachen des ihm nachgewiesenen Schadens verurteilt wird. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer mit den ihnen auferlegten Hinterziehungsbussen gemäss Art. 129 BdBSt bereits eine Strafe erlitten haben. bb) Zu fragen ist somit, ob die Bestrafung wegen Hinterziehung und die nachfolgende Bestrafung wegen Steuerbetruges auf das gleiche Verhalten zurückzuführen ist. Die Vorinstanz nimmt an, die Tatbestände der Steuerhinterziehung und des Steuerbetruges stellten zwei verschiedene Verhaltensweisen unter Strafe, die unabhängig voneinander gegeben sein könnten. Während bei der Steuerhinterziehung die durch Verschulden des Steuerpflichtigen bewirkte finanzielle Schädigung des Gemeinwesens an sich sanktioniert werde, stelle der Steuerbetrugstatbestand die Täuschungshandlung mittels einer gefälschten Urkunde unter Strafe. Die folgenden Ausführungen machen jedoch deutlich, dass auch die Vorinstanz von einer Verhaltensweise ausgeht, indem sie Idealkonkurrenz zwischen den beiden Tatbeständen annimmt. Die Annahme von Idealkonkurrenz ist schon deshalb unzutreffend, weil der Steuerbetrug der Sache nach offensichtlich einen qualifizierten Fall der Hinterziehung darstellt. Der Unterschied zwischen einfacher Steuerhinterziehung und Steuerbetrug liegt darin, dass beim Steuerbetrug die Täuschungshandlung mittels gefälschten Urkunden vorgenommen wird, während für die Hinterziehung jedes Vorenthalten eines Steuerbetrages unter den Voraussetzungen von Art. 129 Abs. 1 lit. a oder b BdBSt ausreicht. Ein Steuerbetrug gemäss Art. 130bis BdBSt ohne gleichzeitige Begehung einer Hinterziehung ist nicht denkbar. Überdies ergibt sich schon aus dem Wortlaut ("wer bei einer Hinterziehung ..."), dass Art. 130bis wie ein qualifizierter Tatbestand auf dem Grundtatbestand der Hinterziehung aufbaut. Unzutreffend ist überdies die Auffassung der Vorinstanz, die beiden Strafbestimmungen schützten verschiedene Rechtsgüter. In beiden Fällen geht es um den Schutz des staatlichen Vermögens. Dass beim Steuerbetrug der BGE 116 IV 262 S. 268 Angriff auf das Vermögen in qualifizierter Form erfolgt, ändert daran nichts (vgl. dazu MEINRAD BETSCHART, Steuerbetrug: "Urkundenmodell", "Arglistmodell" oder dritter Weg?, ASA 58, S. 546-576). cc) Es fragt sich deshalb, ob eine Bestrafung wegen Steuerbetruges für ein Verhalten, das bereits unter dem Gesichtspunkt der Hinterziehung beurteilt worden ist, eine mit dem Grundsatz ne bis in idem unvereinbare Doppelverfolgung darstellt. Die Frage ist, soweit es um den aus dem eidgenössischen materiellen Recht hergeleiteten Grundsatz ne bis in idem geht, zu verneinen, weil das Bundesgesetz ausdrücklich zwei verschiedene Verfahren für Steuerhinterziehung und Steuerbetrug vorsieht. Durch diese gesetzliche Regelung wird die Tragweite des bundesrechtlichen Prinzips im streitigen Bereich konkretisiert, und eine allfällige Doppelbestrafung hat daher als vom Bundesgesetzgeber gewollt zu gelten. Soweit sich das Prinzip ne bis in idem aus Art. 4 BV herleitet, ist das Bundesgericht an die gesetzliche Regelung gebunden ( Art. 113 Abs. 3 BV ). Es könnte nur feststellen, dass die Regelung im Widerspruch zu diesem Grundsatz steht, sie aber nicht korrigieren, weshalb die Frage offengelassen werden kann. Soweit sich die Beschwerdeführer auf Art. 4 des 7. ZP berufen, ist festzuhalten, dass dieses ratione temporis auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar ist. Denn das angefochtene Urteil ist am 13. November 1987 ergangen, also vor Inkrafttreten des 7. ZP am 1. November 1988. Im vorliegenden Verfahren ist nur zu prüfen, ob das angefochtene Urteil nach der Rechtslage, wie sie zum Zeitpunkt der Urteilsfällung bestand, an einem Mangel leidet. Deshalb kann offenbleiben, ob auf eine Rüge der unmittelbaren - im Gegensatz zur mittelbaren, wo dies der Fall ist ( BGE 114 Ia 377 , BGE 112 IV 139 E. 1), - Verletzung dieses Zusatzprotokolls zur EMRK im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde eingetreten werden könnte (wozu sich das Bundesgericht bisher nicht äusserte; vgl. dazu SCHUBARTH, Plädoyer 1990, S. 44 ff.) und ob die genannte Bestimmung des ZP selbst als jüngeres Recht der in Art. 129 und 130bis BdBSt getroffenen Regelung vorgeht. Immerhin ist zu letzterem darauf hinzuweisen, dass nach der Schubert-Rechtsprechung ( BGE 99 Ib 39 ff.; bestätigt in BGE 112 II 13 ) zu vermuten ist, dass der eidgenössische Gesetzgeber staatsvertragliche Verpflichtungen beachten wollte, es sei denn, er habe einen Widerspruch zum internationalen Recht bewusst in Kauf genommen. BGE 116 IV 262 S. 269 Überdies bestimmt Art. 27 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge, dass sich eine Vertragspartei nicht auf die Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts als Rechtfertigung für die Nichtigkeit einer Vertragsverletzung berufen darf (BBl 1989 II 811; für die Schweiz in Kraft getreten am 6. Juni 1990, AS 1990 S. 1144; vgl. im übrigen die gemeinsame Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz und der Direktion für Völkerrecht zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht, VPB 1989 Nr. 54). c) Die Beschwerdeführer bringen vor, weil sie den ihnen vorgeworfenen Steuerbetrug im Rahmen einer Aktiengesellschaft begangen hätten, würden sie noch zusätzlich aufgrund des gleichen Verhaltens wegen Abgabebetrugs nach Art. 14 Abs. 2 VStrR verfolgt. Soweit sie damit geltend machen sollten, die bereits erfolgte Verurteilung wegen Steuerbetruges sei aufzuheben, wäre ihr Begehren schon deshalb abzuweisen, weil ein Verstoss gegen das Prinzip ne bis in idem insoweit nicht in ihrer Verurteilung wegen Steuerbetruges liegen kann, sondern allenfalls darin, dass sie wegen des gleichen Verhaltens einer weiteren Strafuntersuchung unterzogen werden. Das Prinzip ne bis in idem könnte deshalb gegebenenfalls dieser zusätzlichen Untersuchung entgegenstehen. Ob es sich auch insoweit um eine verbindliche gesetzgeberische Entscheidung handelt, an die das Bundesgericht gebunden ist, und welche Konsequenzen sich aus Art. 4 des 7. ZP ergeben, kann deshalb vorliegend offenbleiben. Entsprechendes gilt in bezug auf die später erfolgte Verurteilung wegen Hinterziehung der Warenumsatzsteuer. 4. Bei der Strafzumessung bezeichnete die Vorinstanz das Verschulden der Beschwerdeführer als nicht leicht, da sie während einer relativ langen Zeit gegenüber der Steuerbehörde Bruttoeinkommen in erheblichem Ausmass verheimlicht hätten. Mit der Errichtung eines besonderen Bankkontos für die nicht deklarierten Einkommensbeträge hätten sie eine Überprüfung seitens der Steuerbehörde verunmöglicht. Es habe einer Bücherrevision bedurft, um der Sache auf die Spur zu kommen. Im übrigen liege ein recht grosser Deliktsbetrag vor, da die hinterzogenen Steuern insgesamt etwa 35 bis 40% der verheimlichten Einkommen ausgemacht hätten. Zu berücksichtigen seien schliesslich die fortgesetzte Tatbegehung und die den Beschwerdeführern in der Zwischenzeit auferlegten Strafsteuern. Es ist nicht zu sehen, inwieweit diese Strafzumessungserwägungen gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstossen sollten. Die BGE 116 IV 262 S. 270 Beschwerdeführer verweisen in diesem Zusammenhang nur auf die Verfügung der Finanzdirektion des Kantons Zürich, worin in bezug auf die Höhe der Nachsteuer festgehalten werde, die fortgesetzte wissentliche Verwendung unrichtiger Urkunden wirke sich strafschärfend aus; diese Erwägung (der Finanzdirektion) erachten die Beschwerdeführer unter Berufung auf BÖCKLI (ASA 51 S. 115 f.) als besonders stossend, da "die steuerbetrügerische Handlung zweimal (einmal als Strafschärfungsgrund, einmal als Vergehen) bestraft" worden sei. Auf diese Rüge kann im vorliegenden Verfahren von vornherein nicht eingetreten werden. Sie hätte, wie die Vorinstanz zu Recht feststellt, auf dem Rechtsweg gegen den Bussenentscheid der Finanzdirektion vorgebracht werden müssen, denn es wird ja die Frage aufgeworfen, ob die Finanzdirektion bei ihrer Bussenbemessung die wissentliche Verwendung unrichtiger Urkunden strafschärfend berücksichtigen durfte, obwohl genau dieses Vorgehen des Betroffenen nach der gesetzlichen Regelung (zusätzlich zum Straf- und Nachsteuerverfahren) noch zu einem gesonderten Strafverfahren wegen Steuerbetruges führt. Im Verfahren wegen Steuerbetruges kann die Rüge deshalb nicht vorgebracht werden, da es ja gerade um die Verwendung unrichtiger Urkunden geht.
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Sachverhalt ab Seite 68 BGE 129 I 68 S. 68 A.- A. ist in der luzernischen Gemeinde B. wohnhaft. Mit schriftlicher Eingabe vom 9. Dezember 2000 an den Kirchenrat der katholischen Kirchgemeinde B. mit dem Betreff "Partieller Kirchenaustritt" erklärte sie, aus der erwähnten Kirchgemeinde auszutreten. BGE 129 I 68 S. 69 Gleichzeitig hielt sie aber fest, "dass dieser Austritt nur die Staatskirche des Kantons Luzern betrifft und nicht etwa die Röm.-Kath. Kirche, zu der ich mich als Katholikin nach wie vor zugehörig fühle". Der Präsident des Kirchenrates antwortete am 21. Dezember 2000, ihre Mitgliedschaft in der Kirchgemeinde B. bestehe fort, nachdem sie sich nach wie vor zur römisch-katholischen Kirche bekenne; ein "partieller Kirchenaustritt" sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Er verwies hiezu auf folgende Bestimmungen der Verfassung der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern vom 25. März 1969 (im Folgenden: Kirchenverfassung/LU): § 12 Katholikinnen und Katholiken Wer nach kirchlicher Ordnung der römisch-katholischen Kirche angehört, gilt für Landeskirche und Kirchgemeinden als Katholikin oder Katholik, solange sie oder er dem zuständigen Kirchenrat am gesetzlich geregelten Wohnsitz nicht schriftlich erklärt hat, der römisch-katholischen Konfession nicht mehr anzugehören. § 13 Mitgliedschaft (1) Mitglied der Kirchgemeinde ist jede Katholikin und jeder Katholik, die oder der in ihrem Gemeindegebiet den gesetzlich geregelten Wohnsitz hat. (2) Wer einer Kirchgemeinde angehört, ist zugleich Mitglied der Landeskirche. Im Anschluss daran wechselten A. und der Kirchenrat mehrfach Korrespondenz. Mit als "Gemeindebeschwerde" bezeichneter Rechtsschrift vom 31. Juli 2001 (Postaufgabe 2. August 2001) gelangte A. schliesslich erfolglos an den Synodalrat der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern mit dem Antrag festzustellen, "dass die Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 10. Dezember 2000 nicht mehr Mitglied der Römisch-katholischen Kirchgemeinde B. ist". B.- Mit Postaufgabe vom 19. Januar 2002 hat A. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde mit folgendem Antrag eingereicht: 1. Es sei der Entscheid der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern vom 19. Dezember 2001 aufzuheben. 2. Es sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin mit Wirkung ab Empfang der Austrittserklärung, d.h. ab 10. Dezember 2000, eventuell ab 21. Dezember 2000, nicht mehr Mitglied der Römisch-katholischen Kirchgemeinde B. ist. Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. BGE 129 I 68 S. 70 Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, die Kirchenbehörden würden von ihr "eine Erklärung betreffend Austritt aus der Konfession" verlangen, sie solle "ihren Glauben verleugnen". Ein solches Begehren sei ein "Anti-Bekenntnis". Dies dürfe von ihr aber nicht verlangt werden, denn es sei "eine Form des Glaubensabfalls und aus christlicher Sicht verboten". Nach kanonischem Recht sei ein Austritt "aus der Kirche Jesu Christi nicht möglich, nicht einmal mit einer schriftlichen Erklärung". Letztlich würden die Kirchenbehörden von ihr also etwas Unmögliches fordern. Dadurch werde die Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt. 3.2 Das Bundesgericht hat sich bisher nicht ausdrücklich zu der hier interessierenden Frage geäussert. Immerhin hat es bereits in BGE 2 S. 388 festgehalten und darauf auch in einem neueren Urteil vom 19. April 2002 ( BGE 128 I 317 E. 2.2.2 S. 322) Bezug genommen, dass Art. 49 aBV nur von "Religionsgenossenschaften" ( Art. 15 BV von "Religionsgemeinschaft") spricht und dass die Befreiung von den Kirchensteuern den Austritt aus der Religionsgenossenschaft selbst bedingt, wohingegen der Austritt aus der Kirchgemeinde allein nicht genügt (BGE 2 S. 388 E. 5 S. 396). In BGE 34 I 41 hat es sodann eine kantonale Regelung, die für die steuerrechtliche Anerkennung einen Austritt nicht nur aus der Kirchgemeinde, sondern aus der Landeskirche oder Religionsgenossenschaft überhaupt forderte, als nicht gegen Art. 49 aBV verstossend betrachtet (E. 11 und 12 S. 52 f.). 3.3 Die Doktrin ist gespalten: die Möglichkeit eines sog. partiellen Kirchenaustritts wird teilweise bejaht (vgl. in diesem Sinne MARTIN GRICHTING, Kirche oder Kirchenwesen?, Diss. Freiburg 1997, S. 185 ff.; DIETER KRAUS, Schweizerisches Staatskirchenrecht, Diss. Tübingen 1993, S. 93 f.; FELIX HAFNER, Kirchen im Kontext der Grund- und Menschenrechte, Habilitationsschrift Basel 1991, S. 339, Fn. 171; PETER KARLEN, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, Diss. Zürich 1988, S. 338 f.; JOHANNES GEORG FUCHS, Zugehörigkeit zu den Schweizer evangelisch-reformierten Volkskirchen, in: Louis Carlen [Hrsg.], Austritt aus der Kirche, 1982, S. 183 ff., insbes. S. 187; HANS SCHMID, Die rechtliche Stellung der römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich, Diss. Zürich 1973, S. 235; FRITZ ROHR, Organisation und rechtliche Stellung der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde des Kantons BGE 129 I 68 S. 71 Aargau, Diss. Zürich 1951, S. 94); zum Teil wird sie abgelehnt (URS JOSEF CAVELTI, Kirchenrecht im demokratischen Umfeld, 1999, S. 188 f.; ders., Der Kirchenaustritt nach staatlichem Recht, in: Louis Carlen [Hrsg.], a.a.O., S. 91; ADRIAN LORETAN, Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit - oder ist der Kirchenaustritt Privatsache?, in: Pastoralsoziologisches Institut [Hrsg.], Jenseits der Kirchen, 1998, S. 125 ff.; GIUSEP NAY, Leitlinien der neueren Praxis des Bundesgerichts zur Religionsfreiheit, in: René Pahud de Mortanges, Religiöse Minderheiten und Recht, 1998, S. 37 f.; EUGEN ISELE, Die Gliedschaft in der Kirche und die Mitgliedschaft in der Kirchgemeinde, Rechtsgutachten, Freiburg 1971; HEINZ BACHTLER, Rechtsgutachten über die Auslegung von § 4 des Gesetzes über das katholische Kirchenwesen vom 7. Juli 1963, in: Informationsblatt für die katholischen Kirchgemeinden des Kantons Zürich, Heft 3, Zürich 1971, S. 25 ff., insbes. S. 39; HANS BEAT NOSER, Pfarrei und Kirchgemeinde, 1957, S. 131; ALOIS SCHWEGLER, Die Kirchgemeinde im Kanton Luzern, Diss. Freiburg 1935, S. 77 f.; ULRICH LAMPERT, Kirche und Staat in der Schweiz, Bd. I, 1929, S. 331; wohl auch WALTHER BURCKHARDT, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, 3. Aufl., 1931, S. 454). 3.4 Die in Art. 15 BV und Art. 9 EMRK garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit umfasst unter anderem das Recht, die Religion frei zu wählen, einer Religionsgemeinschaft beizutreten, anzugehören, aus ihr aber auch jederzeit auszutreten (vgl. BGE 125 I 347 E. 3a S. 354; BGE 104 Ia 79 E. 3 S. 84; URS JOSEF CAVELTI, in: Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender [Hrsg.], Die Schweizerische Bundesverfassung, 2002, N. 28-30 zu Art. 15 BV ; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., 1999, S. 383, N. 594 f.). § 2 der Staatsverfassung des Kantons Luzern vom 29. Januar 1875, der für die Glaubens- und Gewissensfreiheit auf die Bundesverfassung verweist, hat keinen weiter gehenden Inhalt. Die von den kantonalen Kirchenbehörden mit Blick auf die Kirchenverfassung/LU vertretene Position respektiert diese Freiheit. Der Beschwerdeführerin steht es nämlich frei, der römisch-katholischen Religionsgemeinschaft weiterhin anzugehören oder aus ihr auszutreten. Von der Beschwerdeführerin wird nicht verlangt, dass sie sich gegen die römisch-katholische Religion ausspricht ("Anti-Bekenntnis"). Bekennt sie sich aber zu dieser Religionsgemeinschaft, die im Kanton Luzern als öffentlichrechtliche Institution anerkannt ist, ist sie auch an die insoweit vorgesehene Organisation gebunden. Denn BGE 129 I 68 S. 72 nach dem schweizerischen Verfassungsverständnis können die Kantone gestützt auf Art. 72 Abs. 1 BV die Organisation und die Mitgliedschaft in den von ihnen anerkannten Kirchen regeln (vgl. BGE 120 Ia 194 E. 2c S. 201; WILLY SPIELER, Staatskirchenrecht als Kirchennotrecht, in: Dietmar Mieth/René Pahud de Mortanges [Hrsg.], Recht - Ethik - Religion, Festgabe zum 60. Geburtstag von Giusep Nay, 2002, S. 73 ff.; ADRIAN HUNGERBÜHLER/MICHEL FÉRAUD, Rechtsprechung der Verfassungsgerichte im Bereich der Bekenntnisfreiheit, in: Constitutional jurisprudence, XI. Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte, Warschau 2000, S. 821; ULRICH HÄFELIN, Kommentar zur Bundesverfassung, N. 23 zu Art. 49 aBV ; UELI FRIEDERICH, Kirchen und Glaubensgemeinschaften im pluralistischen Staat, Diss. Bern 1993, S. 374 ff.; DIETER KRAUS, a.a.O., S. 367 ff., insbes. S. 368 und 404 f.; ders., Die Kirchgemeinde in der Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts, in: Urban Fink/René Zihlmann [Hrsg.], Kirche, Kultur, Kommunikation, Peter Henrici zum 70. Geburtstag, 1998, S. 579). Dies ist hier durch das Luzerner Gesetz vom 21. Dezember 1964 über die Kirchenverfassung (als Rahmengesetz) sowie durch die vom Grossen Rat des Kantons Luzern genehmigte Kirchenverfassung/LU geschehen. Die Kirchenverfassung/LU (§§ 12 und 13) verknüpft für die im Kanton Luzern wohnhaften Personen das Bekenntnis zur römisch-katholischen Religionsgemeinschaft bzw. Konfession mit der Mitgliedschaft in der römisch-katholischen Landeskirche und der entsprechenden Kirchgemeinde (sog. Nexus). Eine solche Verknüpfung ist verfassungsrechtlich zwar nicht geboten; der Kanton kann das Verhältnis zwischen kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts und Religionsgemeinschaft auch dualistisch regeln. Der Nexus, eine Regelung, die die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft und zu ihren lokalen Verbänden als Einheit betrachtet, ist aber grundsätzlich zulässig. Dies muss jedenfalls solange gelten, als die Organe der Religionsgemeinschaft eine Verknüpfung nicht ablehnen, sondern sie - allenfalls stillschweigend - akzeptieren, wovon hier auszugehen ist. Es wäre auch in gewissem Sinne widersprüchlich, der Kirchgemeinde seines Wohnsitzes nicht angehören zu wollen, wohl aber der entsprechenden kirchlichen Dachorganisation. Denn beiden ist das gleiche Bekenntnis eigen, und die Organe vor Ort sind zugleich Organe der Dachorganisation bzw. handeln in ihrem Interesse und Auftrag. Persönliche Konflikte verleihen noch nicht von Verfassungs wegen das Recht, aus einem Verband nur teilweise auszutreten; das gilt im Bereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit BGE 129 I 68 S. 73 nicht anders als in anderen Grundrechtsbereichen. Auch unter Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs wäre nur schwer zu rechtfertigen, weshalb eine aus der Kirchgemeinde und der Landeskirche ausgetretene Person weiterhin die Dienste der Kirchenorgane beanspruchen können sollte, nachdem sie mit ihrem Austritt bewirkt hat, dass sie an diese Leistungen nichts mehr beizusteuern hat (vgl. BGE 10 S. 320 E. 3 S. 324). Ein verfassungsrechtlicher Schutz für solches Verhalten erscheint jedenfalls nicht als geboten. Es ist weder von der Beschwerdeführerin dargelegt worden noch ersichtlich, dass das im Kanton Luzern geregelte Mitgliedschaftsverhältnis die Beschwerdeführerin in ihrem Bekenntnis und ihrer Religionsausübung in unzulässiger Weise beeinträchtigen würde. Wenn die Beschwerdeführerin den in BGE 104 Ia 79 publizierten Entscheid des Bundesgerichts anführt, ist ihr entgegenzuhalten, dass es dort nur um Formalitäten des Kirchenaustritts ging; zum partiellen Kirchenaustritt hatte sich das Bundesgericht nicht geäussert. Soweit es schliesslich um das Recht geht, seine religiöse Überzeugung zu verschweigen, verzichtet eine förmlich den Austritt aus den lokalen kirchlichen Körperschaften erklärende Person von sich aus auf absolute Geheimhaltung; der Austritt ohne derartige Erklärung ist im System der Mitgliedschaftspräsumption, welches das Bundesgericht seit langem anerkannt hat (vgl. BGE 31 I 81 E. 2 S. 88; BGE 55 I 113 E. 2 S. 126; Urteil vom 14. November 1978, ZBl 80/1979 S. 78 ff. E. 2), gar nicht möglich. Gewiss kann die Person von den Behörden nicht verpflichtet werden, auch eine Austrittserklärung bezüglich der Religionsgemeinschaft abzugeben. Es ist jedoch auf dem Boden von rechtlichen Grundlagen wie den im Kanton Luzern geltenden auch nicht verfassungswidrig, wenn die Behörden eine Austrittserklärung wie die vorliegende als unvollständig und damit unbeachtlich betrachten (vgl. BGE 52 I 108 E. 3 S. 118 f.).
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Sachverhalt ab Seite 532 BGE 137 III 531 S. 532 X. ist gestützt auf Art. 392 Ziff. 1 und Art. 393 Ziff. 2 ZGB verbeiständet. Das Amt des Beistandes wird zurzeit von einer Mitarbeiterin der Vormundschaftsbehörde Winterthur ausgeübt. Die Vormundschaftsbehörde Winterthur wies das Gesuch von X. und Y. um Wechsel des Beistandes ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde gestützt auf Art. 420 Abs. 2 ZGB von X. und Y. wies der Bezirksrat Winterthur (als untere Aufsichtsbehörde) ab, soweit er darauf eintrat. Er belehrte X. und Y. dahingehend, dass gegen seinen Beschluss innert 10 Tagen seit dessen Zustellung beim Obergericht des Kantons Zürich schriftlich Berufung erhoben werden könne. X. und Y. gelangten gegen diesen Beschluss an das Obergericht des Kantons Zürich mit den Begehren, statt der zehntägigen Berufungsfrist laut § 188 des Gesetzes vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG/ZH; LS 211.1) sei die dreissigtägige Frist gemäss Art. 311 ZPO (SR 272) für anwendbar zu erklären und der Bezirksrat Winterthur anzuweisen, einen neuen Beschluss mit der berichtigten Rechtsmittelbelehrung und einer neuen Fristansetzung zu erlassen. Das Obergericht wies die "Beschwerde" ab. X. und Y. haben gegen das obergerichtliche Urteil beim Bundesgericht Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.3 Entscheidend ist vielmehr, dass die Zivilprozessordnung lediglich auf Verfahren für gerichtliche Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit anwendbar ist ( Art. 1 lit. b ZPO ). Sie gilt mit anderen Worten nicht für Verfahren, die - wie im konkreten Fall - in die Zuständigkeit einer kantonalen Verwaltungsbehörde (der Vormundschaftsbehörde) fallen (SUTTER-SOMM/KLINGLER, Kommentar zur schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, N. 6 zu Art. 1ZPO), wobei den Kantonen allerdings im Rahmen des Zivilgesetzbuches unbenommen bleibt, auch solche Verfahren der ZPO zu unterstellen (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO]vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7257 Ziff. 5.1). Das ab dem 1. Januar 2013 geltende Erwachsenenschutzrecht enthält in den Art. 443 bis BGE 137 III 531 S. 533 450e eigene Verfahrensvorschriften und erklärt in Art. 450f die Bestimmungen der Zivilprozessordnung "im Übrigen" für sinngemäss anwendbar, soweit die Kantone nichts anderes vorsehen. Sodann stellt das geltende schweizerische Zivilgesetzbuch ebenso Verfahrensnormen (wie z.B. Art. 420 ZGB ) auf, die bis zum 31. Dezember 2012 weiter gelten. Die Lehre geht davon aus, dass die Bestellung der Beistandschaft gemäss Art. 392 und 393 ZGB mit der Vormundschaftsbeschwerde ( Art. 420 ZGB ) angefochten werden kann (DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 4. Aufl. 2001, S. 422 Rz. 1127). Folgerichtig darf angenommen werden, dass auch die Weigerung der Vormundschaftsbehörde, dem beantragten Wechsel des Beistands zuzustimmen, mit diesem Rechtsmittel anzufechten ist. Mit Bezug auf den hier ausschliesslich strittigen Umfang der Rechtsmittelfrist sieht das Bundesrecht in Art. 420 Abs. 2 ZGB vor, dass gegen Beschlüsse der Vormundschaftsbehörde binnen zehn Tagen nach deren Mitteilung bei der Aufsichtsbehörde Beschwerde geführt werden kann. Die darin erwähnte zehntägige Frist ist nach herrschender Auffassung auch auf Beschwerden gegen Entscheide der unteren Aufsichtsbehörde anwendbar, sofern der Kanton gestützt auf Art. 361 Abs. 2 ZGB ein solches Rechtsmittel vorsieht (THOMAS GEISER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 4. Aufl. 2010, N. 38 zu Art. 420 ZGB ; ANDREAS SCHWARZ, Die Vormundschaftsbeschwerde Art. 420 ZGB , 1968, S. 111 f.). Gemäss Art. 75 des Einführungsgesetzes vom 2. April 1911 zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EG zum ZGB; LS 230; nachfolgend: EGZGB/ZH) ist der Bezirksrat Aufsichtsbehörde erster Instanz; als Aufsichtsbehörde zweiter Instanz amtet die vom Regierungsrat bezeichnete Direktion (§ 44 Ziff. 9), wobei die Zuständigkeit des Obergerichts zur Behandlung von Rechtsmitteln ausdrücklich vorbehalten bleibt (§§ 50 und 187 ff. GOG/ZH). Gestützt auf diesen Vorbehalt entscheidet das Obergericht namentlich Rechtsmittel gegen familienrechtliche Entscheide des Bezirksrats in Familienrechtssachen gemäss den Art. 90-455 ZGB (§ 56b EGZGB/ZH; § 50 lit. a GOG/ZH).
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Sachverhalt ab Seite 121 BGE 133 II 120 S. 121 Vor Erlass des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt (SIL) führt das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) eine Vorabklärung, den so genannten Koordinationsprozess, durch. Im Zusammenhang mit den SIL-Koordinationsgesprächen zum Flughafen Zürich ersuchte der Kanton Thurgau wiederholt um direkte Teilnahme daran. Mit Verfügung vom 1. Mai 2006 stellte das BAZL fest, der Kanton Thurgau habe keinen Anspruch darauf, an den fraglichen Gesprächen teilzunehmen. Dagegen gelangte der Kanton Thurgau an die damalige Eidgenössische Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt (REKO/ INUM; heute Abteilung I des Bundesverwaltungsgerichts) und beantragte die Feststellung, dass er Anspruch auf eine Teilnahme an den SIL-Koordinationsgesprächen habe. BGE 133 II 120 S. 122 Die REKO/INUM wies die Beschwerde am 8. Dezember 2006 ab. Dagegen erhob der Kanton Thurgau am 25. Januar 2007 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Er beantragte, der Entscheid vom 8. Dezember 2006 sei aufzuheben und das BAZL sei zu verpflichten, ihn als direkten Teilnehmer an den SIL-Koordinationsgesprächen für den Flughafen Zürich zuzulassen. Das Bundesgericht hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Der Beschwerdeführer hält an seiner Auffassung fest, wonach er einen Rechtsanspruch auf Teilnahme an den SIL-Koordinationsgesprächen habe. Er macht geltend, das BAZL habe Art. 4 und 13 RPG (SR 700) sowie Art. 18 RPV (SR 700.1) falsch ausgelegt und damit Bundesrecht verletzt. Auch die REKO/INUM habe festgestellt, dass bereits vor dem gesetzlich geregelten Sachplanverfahren eine gesetzliche Pflicht der Bundesbehörde zur Zusammenarbeit mit den Kantonen bestehe, soweit eine Betroffenheit gegeben sei. Insbesondere ist der Beschwerdeführer nicht einverstanden mit dem Vorgehen des BAZL zur Bestimmung dieser raumplanerischen Betroffenheit. Er billigt dem BAZL zwar zu, dass mit Blick auf ein schnelles und geordnetes Verfahren die Festlegung gewisser Abgrenzungskriterien für die Teilnahme am Koordinationsprozess Sinn machen könne. Vor dem Hintergrund der erwähnten Zusammenarbeitspflicht hätten sich diese Kriterien seiner Meinung nach aber an der tatsächlichen Betroffenheit und nicht an rein technokratischen Gesichtspunkten zu orientieren. 2.1 Gemäss Art. 37 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1948 über die Luftfahrt (LFG; SR 748.0) i.V.m. Art. 13 RPG und Art. 14 ff. RPV erstellt das BAZL den SIL. Dieser legt nach Art. 3a Abs. 1 der Verordnung vom 23. November 1994 über die Infrastruktur der Luftfahrt (VIL; SR 748.131.1) die Ziele und Vorgaben für die Infrastruktur der Zivilluftfahrt der Schweiz für die Behörden verbindlich fest. Er bestimmt für die einzelnen dem zivilen Betrieb von Luftfahrzeugen dienenden Infrastrukturanlagen insbesondere den Zweck, das beanspruchte Areal, die Grundzüge der Nutzung, die Erschliessung sowie die Rahmenbedingungen zum Betrieb ( Art. 3a Abs. 2 VIL ). Für jeden Flugplatz wird gestützt auf diese Normen ein so genanntes Objektblatt erstellt, das die entsprechenden Angaben für jede Flugplatzanlage enthält. Im Sinne von Art. 19 RPV wird BGE 133 II 120 S. 123 im Sachplanverfahren in einem ersten Schritt ein Entwurf des Objektblatts ausgearbeitet, welcher gemäss Praxis des BAZL auf dem vorgängig durchgeführten Koordinationsprozess basiert. 2.2 Nach Art. 13 Abs. 2 RPG arbeitet der Bund bei der Erstellung von Grundlagen für die Erfüllung seiner raumwirksamen Aufgaben mit den Kantonen zusammen und gibt diesen seine Konzepte, Sachpläne und Bauvorhaben rechtzeitig bzw. möglichst frühzeitig bekannt (vgl. Art. 18 Abs. 1 RPV ). Die Sachpläne des Bundes werden zwar sowohl in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden wie auch unter Mitwirkung der Bevölkerung erstellt (vgl. Art. 4 Abs. 2 RPG , Art. 17-19 RPV ), doch mündet dieses Anhörungsverfahren nicht in ein Rechtsmittelverfahren (vgl. auch BERNHARD WALDMANN/PETER HÄNNI, Kommentar zum RPG, Bern 2006, N. 43 zu Art. 13 RPG ). Die Sachpläne sind einzig für die Behörden sowie für die mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betrauten Personen und Organisationen, nicht dagegen für Private rechtlich verbindlich ( Art. 22 RPV ; Urteil des Bundesgerichts 1A.64/2003 vom 8. Juli 2003, E. 6.1.3). 3. Die REKO/INUM hat zunächst festgestellt, die Koordinationsgespräche lägen als Vorstufe zum Entwurf des Objektblattes ausserhalb des gesetzlich geregelten Sachplanverfahrens und stellten insoweit informelles Verwaltungshandeln dar. Die Verwaltung sei auch im Rahmen des informellen Handelns an das Gesetzmässigkeitsprinzip und die rechtsstaatlichen Garantien wie Verfahrensrechte, Gleichheitsgebot und Interessenabwägung gebunden. Sodann hat die Vorinstanz geprüft, ob Art. 4 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 RPG , Art. 18 RPV und/oder Art. 1 Abs. 2 USG (SR 814.01) dem Beschwerdeführer einen Anspruch auf direkte Teilnahme an den Gesprächen einräumen. 3.1 Bei der Prüfung eines Anspruchs aus Art. 4 Abs. 2 RPG hat die Vorinstanz in Erwägung gezogen, die allgemeine Mitwirkung im Sinne dieser Bestimmung stelle eine institutionelle Einflussmöglichkeit dar und bewirke keine rechtliche Bindung für die Beteiligten, sondern lediglich eine politische Einflussnahme. Sie ermögliche die notwendige Breite der Interessenabwägung und bilde damit eine wichtige Grundlage für den sachgerechten Planungsentscheid. Dies verlange nach einer Mitwirkung zu einem Zeitpunkt, in welchem die abschliessende Interessenabwägung und damit der Planentscheid noch offen seien. Gegenstand der Information und BGE 133 II 120 S. 124 Mitwirkung seien Planungen gestützt auf das RPG, also auch Sachpläne des Bundes. Von Bedeutung war für die REKO/INUM, dass der SIL-Koordinationsprozess eine Vorstufe des Entwurfes des SIL darstellt. Die Ausarbeitung des Entwurfes folge auf die Koordinationsgespräche, welche mit dem Koordinationsprotokoll ihren Abschluss fänden. Da der Mitwirkungsanspruch gemäss Art. 4 Abs. 2 RPG sich nur auf Planungen gemäss RPG beziehe und die Mitwirkung erst im Entwurfsstadium gewährleiste, könne der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf direkte Teilnahme an den SIL-Koordinationsgesprächen aus Art. 4 Abs. 2 RPG ableiten. Vorliegend sei dies aber insofern nicht weiter von Bedeutung, als die Mitwirkung nach Art. 4 Abs. 2 RPG ohnehin erfüllt sei. Diese gehe weiter als ein blosses Äusserungsrecht und verlange, dass eigene Meinungen und Vorschläge im Entwurfsstadium eingebracht werden könnten, dass sich die planende Behörde mit den Vorschlägen materiell auseinandersetze und dazu mindestens summarisch Stellung nehme. Im laufenden SIL-Verfahren werde der Beschwerdeführer vom BAZL über den Verlauf der Gespräche informiert, er habe ein Recht zur Stellungnahme und das BAZL gehe auf die ihm vorgelegten Eingaben ein, was offensichtlich einer Mitwirkung im Sinne des Gesetzes genüge. 3.2 Den zuständigen Behörden steht bei der Anwendung von Art. 4 Abs. 2 RPG ein weiter Handlungsspielraum zu. Das gilt insbesondere auch für die Bestimmung des Kreises, welcher in ein Mitwirkungsverfahren einzubeziehen ist. Eine stärkere Berücksichtigung der Mitwirkungsbegehren des Beschwerdeführers wäre vor diesem Hintergrund nicht bundesrechtswidrig gewesen. Aber auch die Art und Weise, wie das Mitwirkungsverfahren im vorliegenden Fall gehandhabt wurde, kann nicht als bundesrechtswidrig bezeichnet werden. Mit diesem Vorgehen haben die zuständigen Behörden den ihnen nach Art. 4 Abs. 2 RPG zustehenden Spielraum jedenfalls nicht überschritten. Als Mindestgarantie fordert Art. 4 RPG , dass die Planungsbehörden neben der Freigabe der Entwürfe zur allgemeinen Ansichtsäusserung Vorschläge und Einwände nicht nur entgegennehmen, sondern auch materiell beantworten ( BGE 111 Ia 164 E. 2d S. 168). Im Bereich der Sachplanung stellt die zuständige Bundesstelle den Entwurf eines Konzepts oder Sachplans den betroffenen Kantonen zu und teilt ihnen gleichzeitig mit, wie die Information und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung in den amtlichen Publikationsorganen anzuzeigen sind ( Art. 19 Abs. 1 RPV ). Diesen BGE 133 II 120 S. 125 Anforderungen kommt das BAZL im vorliegenden Fall weitgehend nach, obwohl sich das Verfahren noch nicht im Entwurfsstadium befindet, sondern - wie die REKO/INUM zu Recht festgestellt hat - auf einer Vorstufe informeller Gespräche. Der Beschwerdeführer erhält regelmässig Informationen zum Koordinationsprozess, an welchem der Flughafen als Konzessionär, der Standortkanton Zürich sowie die Nachbarkantone Aargau und Schaffhausen beteiligt sind, auf deren Gebiet gemäss BAZL raumplanungsrelevante Auswirkungen aus dem Flughafenbetrieb zu erwarten sind. Zudem kann sich der Beschwerdeführer zu den Zwischenergebnissen des Koordinationsprozesses vernehmen lassen und Erläuterungen verlangen. Damit tut das BAZL den gesetzlichen Anforderungen von Art. 4 Abs. 2 RPG bereits im Vorstadium des Sachplanverfahrens Genüge. 4. 4.1 In einem weiteren Schritt hat die Vorinstanz sich mit der Frage auseinandergesetzt, ab wann das Recht auf Mitwirkung besteht. Auch in dieser Hinsicht verfügen die rechtsanwendenden Behörden über einen Handlungsspielraum. Wie die folgenden Erörterungen zeigen, haben sie diesen nicht in bundesrechtswidriger Weise überschritten. In Auslegung von Art. 13 Abs. 2 RPG und Art. 18 RPV führt die REKO/INUM aus, alleine aus dem Umstand, dass sich die Erarbeitung des SIL erst im informellen Verfahrensstadium befinde, dürfe nicht gefolgert werden, der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf direkte Teilnahme an den Gesprächen. Die Zusammenarbeit der Bundesbehörde mit den Kantonen habe ohne weiteres bereits vor dem eigentlichen, gesetzlich geregelten Sachplanverfahren zu erfolgen, wenn eine Betroffenheit der Kantone gegeben sei. Mit den Formulierungen in Art. 18 Abs. 1 RPV werde den rechtsanwendenden Behörden ein gewisser Entscheidungsspielraum eingeräumt, da die Begriffe des "möglichst frühzeitigen Einbezugs" und der "betroffenen Behörden des Kantons" auslegungsbedürftig seien. Weil den Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens Rechnung zu tragen sei, bestehe ein Bedarf nach Handlungsspielraum. 4.2 Das BAZL hatte den Ablauf und Inhalt des Koordinationsprozesses im vorinstanzlichen Verfahren wie folgt geschildert: Am Koordinationsprozess zum Flughafen Zürich nehmen neben dem BAZL der Flughafen als Konzessionär sowie der Standortkanton Zürich teil. Die Nachbarkantone Aargau und Schaffhausen, auf deren BGE 133 II 120 S. 126 Gebiet raumplanungsrelevante Auswirkungen aus dem Flughafenbetrieb zu erwarten seien, würden in dem Umfang miteinbezogen, wie es ihre Betroffenheit erfordere. Zudem sind diverse Bundesstellen sowie die Flugsicherungsgesellschaft Skyguide involviert. Der Beschwerdeführer und die anderen Nachbarkantone Schwyz, St. Gallen und Zug seien in ihrer Raumplanung nicht betroffen, gälten aber als Beteiligte im Prozess. Sie würden informiert und hätten das Recht zur Stellungnahme. In einer ersten Phase, welche in der Zwischenzeit bis Mitte 2007 verlängert worden sei, würden die fachtechnischen Grundlagen erarbeitet, indem mögliche Betriebsvarianten entwickelt und geprüft würden. In den anschliessenden Koordinationsgesprächen würden etwaige Konflikte zwischen den Planungsträgern ermittelt und zu bereinigen versucht. In der zweiten Phase ab Mitte 2007 fänden das Anhörungs- und Mitwirkungsverfahren sowie unter Umständen das Bereinigungsverfahren nach RPG und RPV statt. Zur Prüfung verschiedener Betriebsvarianten würden 15 Arbeitspakete bzw. -gruppen gebildet. Die in ihrer Raumplanung betroffenen Kantone Aargau und Schaffhausen wirkten lediglich in der Arbeitsgruppe "Recht und Verfahren" mit, würden einige Male pro Jahr im Rahmen eines Fachaustausches auf Projektleitungsstufe über die Planungsarbeiten orientiert und nähmen an den Koordinationsgesprächen selbst teil. Das erste Koordinationsgespräch habe am 25. Oktober 2005 stattgefunden, das zweite werde in zwei Teilen durchgeführt: Bis Ende des Jahres 2006 sei die Präsentation der Unterlagen vorgesehen, die eigentliche Diskussion darüber solle im Frühjahr 2007 stattfinden. Danach werde die Optimierung der Varianten vorgenommen und Mitte 2007 ein drittes Koordinationsgespräch durchgeführt. Über den Verlauf und das Endergebnis werde schliesslich ein Koordinationsprotokoll erstellt, mit welchem der SIL-Koordinationsprozess seinen Abschluss finden und das Verfahren gemäss RPV beginnen werde. Im Vernehmlassungsverfahren vor Bundesgericht hat das BAZL präzisiert, dass der 2. Teil des Koordinationsgesprächs II voraussichtlich im Juni 2007 stattfinden werde und das Ende des Koordinationsprozesses erst gegen Ende Jahr vorgesehen sei. Anlässlich der Koordinationsgespräche würden die Zwischen- oder Endergebnisse öffentlich bekannt gegeben und die Auswirkungen auf die kantonalen Richtplanungen könnten politisch bewertet werden. Der Beschwerdeführer und die übrigen nicht in ihrer Richtplanung betroffenen Nachbarkantone würden einen Tag nach den BGE 133 II 120 S. 127 Koordinationsgesprächen bei einem separaten Anlass informiert. Alle Nachbarkantone, sowohl die raumplanerisch betroffenen wie auch die anderen, hätten anschliessend die Möglichkeit, mit Fragen ans BAZL zu gelangen. Zu den aufgeworfenen Themen werde im Anschluss eine Informationsveranstaltung auf Fachebene stattfinden. Die Kantone würden danach nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Dieser Verfahrensablauf zeigt, dass die Mitwirkungs- und Informationsrechte des Beschwerdeführers bundesrechtskonform gehandhabt wurden. 4.3 Bei der Beurteilung, welche Kantone als "Betroffene" mit einzubeziehen sind, stellt das BAZL auf das Kriterium der raumplanerischen Betroffenheit ab. Wenn der potenzielle Objektblattentwurf auch Anpassungen eines kantonalen Richtplans erforderlich machen könnte, wird der betreffende Kanton in den Koordinationsprozess einbezogen. Dies ist nach Auffassung des BAZL dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass in gewissen Gebieten keine Wohnzonen der Empfindlichkeitsstufe (ES) II gemäss Anhang 5 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) mehr ausgeschieden werden könnten (57 dB[A] tagsüber und 50 dB[A] nachts). Weitere Auswirkungen, welche die Beeinflussung der Richtplanung in den Nachbarkantonen erwarten lassen würden, bestehen nach Meinung des BAZL aufgrund der Distanz zum Flughafen Zürich nicht. 4.4 Die REKO/INUM hat dieses Vorgehen als praktikabel und sachgerecht eingeschätzt. Auch das vom BAZL gewählte Abgrenzungskriterium zur Bestimmung der raumplanerischen Betroffenheit sei nicht zu beanstanden und werde vom Beschwerdeführer grundsätzlich anerkannt. Es gewährleiste bei einheitlicher Anwendung eine rechtsgleiche Behandlung aller Nachbarkantone. Diese Ausführungen der Vorinstanz sind bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer bringt im bundesgerichtlichen Verfahren keine Argumente vor, welche zu einer anderen Beurteilung Anlass geben würden. Insbesondere erscheint das vom BAZL benutzte Abgrenzungskriterium als geeignetes Mittel, um den Kreis der Gesprächsteilnehmer zu definieren. Sobald die Bundesfachstelle bei der Erarbeitung des Sachplans feststellt, dass die von ihr vorgesehenen Festlegungen raumwirksame Tätigkeiten anderer Behörden ausschliessen, behindern, bedingen oder ergänzen, hat sie die BGE 133 II 120 S. 128 betroffenen Behörden zu unterrichten und unverzüglich die Zusammenarbeit einzuleiten (Bundesamt für Raumentwicklung [ARE], Neues Raumplanungsrecht - Erläuterungen zur RPV, Bern 2001, Art. 18 S. 21). Es ist daher sinnvoll, bereits im Vorverfahren jene Kantone in den Koordinationsprozess miteinzubeziehen, bei welchen Auswirkungen des Sachplans auf die Richtplanung zu befürchten sind. Als Indiz dafür durfte das BAZL auf die Möglichkeit zur künftigen Wohnzonen-Ausscheidung abstellen, welche u.a. von den Lärmimmissionen abhängig ist. Eine Verletzung von Bundesrecht ist darin nicht zu erblicken. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer bereits in dieses Vor-Verfahren eingebunden ist, indem er über die Gesprächsergebnisse umgehend informiert wird und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt wird. 5. Schon im vorinstanzlichen Verfahren rügte der Beschwerdeführer, das BAZL stelle bei der Bestimmung der raumplanerischen Betroffenheit auf Daten des bestehenden provisorischen Betriebsreglements ab, obwohl künftige Betriebsvarianten zur Diskussion stünden. 5.1 Nach den Ausführungen des BAZL in seiner Vernehmlassung an die Vorinstanz ist hinsichtlich der Lärmberechnung zwischen Betriebsvarianten einerseits und Betriebskonzepten andererseits zu unterscheiden. Letztere seien An-/Abflugkombinationen, nach welchen ein Flughafen zu einem bestimmten Zeitpunkt betrieben werde. Eine Betriebsvariante indessen sei die Summe aller regelmässig eingesetzten Betriebskonzepte auf einem Flughafen. Jede Variante bestehe somit aus mehreren Konzepten. Zur Berechnung der Lärmbelastung bei einem Flughafen sei jeweils auf die ganze Variante abzustellen; es seien also sämtliche bei der Variante angewandten Konzepte mit einzubeziehen, nicht nur einzelne davon. Vorliegend seien die Lärmberechnungen zu den Betriebsvarianten zwar noch nicht abgeschlossen. Jedoch würden die Daten für die rund 50 Betriebskonzepte bereits vorliegen, und aus diesen liessen sich Rückschlüsse auf die Lärmbelastung ziehen. Wenn die für eine Region lärmmässig ungünstigsten Konzepte herangezogen würden, könne die maximal mögliche Ausdehnung der Lärmkurven abgelesen werden. Diese werde mit Sicherheit auch von den Varianten-Lärmberechnungen nicht übertroffen. Im Falle des Beschwerdeführers würden die Ost-Konzepte zur höchsten Lärmbelastung führen. Hierbei seien die Berechnungen für Tag und Nacht gesondert vorzunehmen. BGE 133 II 120 S. 129 Beide Lärmbelastungen würden nicht über den Planungswerten der ES II zu liegen kommen. 5.2 Die REKO/INUM hat dem Beschwerdeführer entgegengehalten, schon in den Anfängen auf die Betroffenheit aufgrund der künftigen Betriebsvarianten abzustellen, wäre einerseits schwer möglich. Andererseits käme dies, so die Vorinstanz, einer Vorwegnahme der Variantenausarbeitung gleich. Folglich sei dem BAZL nicht vorzuwerfen, dass es zu Beginn des Koordinationsprozesses auf das bestehende provisorische Betriebsreglement abgestellt habe, um die raumplanerische Betroffenheit zu ermitteln. Auch dies ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Die vom Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren nachgereichten Lärmmessungen vermögen daran nichts zu ändern. Sollten für den Beschwerdeführer dennoch raumplanerisch relevante Belastungen auftreten, sieht das BAZL gemäss den Ausführungen im angefochtenen Entscheid vor, ihn nachträglich ins Verfahren mit einzubeziehen. 6. Insgesamt vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun, weshalb die Vorinstanz Bundesrecht verletzt haben soll. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb abzuweisen. In Beachtung von Art. 156 Abs. 2 OG sind keine Kosten zu erheben.
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SR 748.132.3 1 Verordnung über das Abfliegen und Landen mit Luftfahrzeugen ausserhalb von Flugplätzen (Aussenlandeverordnung, AuLaV) vom 14. Mai 2014 (Stand am 15. Juli 2015) Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf Artikel 8 Absätze 2 und 6 des Luftfahrtgesetzes vom 21. Dezember 19481 (LFG) und auf Artikel 112 Absatz 4 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 20052, verordnet: 1. Titel: Gegenstand, Geltungsbereich und Begriffe Art. 1 Gegenstand und Geltungsbereich 1 Diese Verordnung regelt, unter welchen Voraussetzungen Aussenlandungen und diesen dienende Bauten und Anlagen zulässig sind. 2 Als Aussenlandung gilt das Abfliegen oder Landen ausserhalb von Flugplätzen sowie das Aufnehmen oder Absetzen von Personen oder Sachen ausserhalb von Flugplätzen, wenn das Luftfahrzeug keinen Bodenkontakt hat. 3 Diese Verordnung gilt nur für zivile, bemannte Luftfahrzeuge. 4 Für den Bau und Betrieb folgender Landestellen sowie für das Abfliegen und Landen auf ihnen gilt diese Verordnung nicht: a. Landestellen bei Spitälern sowie andere Landestellen zur Hilfeleistung; es gilt Artikel 56 der Verordnung vom 23. November 19943 über die Infra- struktur der Luftfahrt (VIL); b. Gebirgslandeplätze; es gelten Artikel 8 Absätze 3–5 LFG und Artikel 54 VIL. 5 Sie gilt auch nicht für Aussenlandungen im Rahmen von öffentlichen Flugveran- staltungen; es gelten die Artikel 85–91 der Luftfahrtverordnung vom 14. November 19734 (LFV). Art. 2 Begriffe In dieser Verordnung bedeuten: AS 2014 1339 1 SR 748.0 2 SR 173.110 3 SR 748.131.1 4 SR 748.01 748.132.3 Luftfahrt 2 748.132.3 a. Gewerbsmässiger Flug: Flug nach Artikel 100 Absätze 1 und 2 LFV5; b. Personentransporte zu touristischen oder sportlichen Zwecken: gewerbs- mässige Personentransporte, die: 1. der Ausübung einer Freizeitaktivität mit überwiegendem Vergnügungs- charakter dienen, oder 2. keinen engen Bezug zum Ort aufweisen, an dem die Aussenlandungen stattfinden, und deren Ausgangspunkt oder Ziel oberhalb von 1100 m über Meer liegt; c. Flüge zu Arbeitszwecken: gewerbsmässige Flüge unter Ausschluss der Per- sonentransporte zu touristischen und sportlichen Zwecken; Flüge, die von Unternehmen zu eigenen Zwecken durchgeführt werden, werden dabei als gewerbsmässige Flüge behandelt; d. Nacht: Zeit zwischen dem Ende der bürgerlichen Abenddämmerung und dem Beginn der bürgerlichen Morgendämmerung;6 e. Feiertage: Neujahr, Auffahrt, 1. August und Weihnachtstag sowie die nach dem jeweiligen kantonalen Recht den Sonntagen gleichgestellten Tage; f. Wohngebiet: Siedlungsgebiet oder Gruppe von mindestens zehn bewohnten Gebäuden, einschliesslich des Gebiets im Umkreis von 100 m um die Häu- ser. 2. Titel: Gemeinsame Bestimmungen für Aussenlandungen bei allen Kategorien von Flügen 1. Kapitel: Zulässigkeit Art. 3 Grundsatz 1 Aussenlandungen sind zulässig, sofern diese Verordnung keine Einschränkungen vorsieht. 2 Sie bedürfen einer Bewilligung der jeweils zuständigen Stelle, sofern diese Ver- ordnung dies allgemein (2. Titel) oder für einzelne Kategorien von Flügen (3. Titel) vorsieht. Art. 4 Vorbehaltenes Privatrecht Die Rechte der an einem Grundstück Berechtigten insbesondere auf Abwehr von Besitzesstörungen und Ersatz ihres Schadens bleiben vorbehalten. 5 SR 748.01 6 Die Tag-Nacht-Grenzen werden jährlich im Luftfahrthandbuch (Aeronautical Information Publication, AIP) publiziert. Das AIP kann gegen Bezahlung bezogen werden bei Skyguide unter www.skyguide.ch oder gratis eingesehen werden beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), Mühlestrasse 2, 3063 Ittigen, www.bazl.admin.ch. Aussenlandeverordnung 3 748.132.3 Art. 5 Verbot von Aussenlandungen bei Unfallstellen Aussenlandungen im Umkreis von 500 m um Unfallstellen aller Art sind so lange untersagt, bis die Rettungs- und Untersuchungsarbeiten abgeschlossen sind. 2. Kapitel: Bewilligungen 1. Abschnitt: Allgemeines Bewilligungsregime Art. 6 Bewilligungspflicht 1 Aussenlandungen mit den folgenden Luftfahrzeugkategorien sind nur mit einer Bewilligung des Bundesamts für Zivilluftfahrt (BAZL) zulässig: a. Flugzeuge und Tragschrauber, es sei denn, sie werden bei Notlandeübungen in Begleitung einer Fluglehrerin oder eines Fluglehrers eingesetzt; b. Luftschiffe; c.7 Hubschrauber, die nicht im schweizerischen Luftfahrzeugregister eingetra- gen sind (ausländische Hubschrauber), es sei denn, sie werden von einem Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz eingesetzt; d.8 Hängegleiter mit elektrischem Antrieb. 2 Aussenlandungen auf öffentlichen Gewässern mit motorisierten Luftfahrzeugen sind nur mit einer Bewilligung des BAZL zulässig. 3 Für Aussenlandungen bei grenzüberschreitenden Flügen gilt Artikel 142 der Zoll- verordnung vom 1. November 20069. Art. 7 Bewilligungen für einzelne Luftfahrzeugkategorien 1 Bewilligungen für Flugzeuge, Tragschrauber, Luftschiffe und Hängegleiter mit elektrischem Antrieb werden erteilt, wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuch- steller nachweist, dass sachliche Gründe vorliegen, warum die Aussenlandung nur an einer bestimmten Stelle ausserhalb eines Flugplatzes oder Gebirgslandeplatzes erfolgen kann.10 2 Bewilligungen für ausländische Hubschrauber werden erteilt, wenn die Gesuch- stellerin oder der Gesuchsteller: a. nachweist, dass die Kommandantin oder der Kommandant über die nötige fliegerische Erfahrung oder Ausbildung für Aussenlandungen in topogra- fisch anspruchsvollem Gelände, insbesondere im Gebirge, verfügt; und 7 Die Berichtigung vom 23. Dez. 2014 betrifft nur den französischen Text (AS 2014 4717). 8 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 24. Juni 2015, in Kraft seit 15. Juli 2015 (AS 2015 2179). 9 SR 631.01 10 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 24. Juni 2015, in Kraft seit 15. Juli 2015 (AS 2015 2179). Luftfahrt 4 748.132.3 b. bestätigt, dass die Kommandantin oder der Kommandant die massgeblichen gesetzlichen Grundlagen kennt und mit den massgeblichen öffentlichen Luftfahrtpublikationen vertraut ist. 3 Bewilligungen für ausländische Flugzeuge, Tragschrauber und Luftschiffe werden erteilt, wenn die Voraussetzungen sowohl von Absatz 1 als auch von Absatz 2 erfüllt sind. Art. 8 Bewilligungen für Aussenlandungen auf öffentlichen Gewässern 1 Bewilligungen für Aussenlandungen auf öffentlichen Gewässern mit motorisierten Luftfahrzeugen werden erteilt, wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller nachweist, dass: a. die Aussenlandung für die Aufrechterhaltung einer fliegerischen Berechti- gung notwendig ist; und b. die zuständige kantonale Behörde die Einhaltung der gewässerschutz-, fischerei-, umwelt- und naturschutzrechtlichen Vorgaben geprüft und bejaht hat und keine Einwände aufgrund weiterer öffentlicher Interessen erhebt. 2 Für Aussenlandungen, die zur Aus- oder Weiterbildung für Rettungs- und Lösch- einsätze notwendig sind, ist nur eine Bewilligung der zuständigen kantonalen Be- hörde erforderlich. Die kantonale Behörde kann dabei von den gewässerschutz-, fischerei-, umwelt- und naturschutzrechtlichen Vorgaben abweichen, wenn das Interesse der Aus- oder Weiterbildung überwiegt. Die kantonale Behörde informiert das BAZL über erteilte Bewilligungen. Art. 9 Verhältnis zu den Bestimmungen des 3.–6. Titels Auch bei Aussenlandungen, die nach Artikel 6 bewilligungspflichtig sind, gelten die Bestimmungen des 3.–6. Titels. 2. Abschnitt: Ausnahmebewilligungen Art. 10 1 In begründeten Einzelfällen kann das BAZL Abweichungen von den Vorausset- zungen nach Artikel 8 Absatz 1 und von den Einschränkungen der Artikel 25, 27 Absatz 1 Buchstaben a und c, 32 und 34 bewilligen. 2 Für Personentransporte zu touristischen und sportlichen Zwecken über 1100 m über Meer sind ausschliesslich die in Artikel 26 Absatz 1 vorgesehenen Ausnahmen zulässig. Aussenlandeverordnung 5 748.132.3 3. Abschnitt: Geltungsbereich von Bewilligungen Art. 11 Zeitlicher und räumlicher Geltungsbereich der Bewilligungen 1 Bewilligungen gelten für eine bestimmte Anzahl von Aussenlandungen in einem bestimmten Zeitraum an einer bestimmten Stelle. 2 Für Aussenlandungen mit ausländischen Hubschraubern können Bewilligungen mit Geltung für das gesamte Gebiet der Schweiz oder für ein Teilgebiet erteilt wer- den. Diese Bewilligungen werden für die Dauer von höchstens einem Jahr erteilt. Art. 12 Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich der Bewilligungen 1 Bewilligungen werden der Kommandantin oder dem Kommandanten oder dem Flugbetriebsunternehmen erteilt. Bewilligungen für ausländische Luftfahrzeuge (Art. 7 Abs. 2 und 3) werden der Kommandantin oder dem Kommandanten erteilt. 2 Die Bewilligung kann auf bestimmte Luftfahrzeuge beschränkt werden. 3 Kantonale Bewilligungen für Aussenlandungen auf öffentlichen Gewässern, die zur Aus- oder Weiterbildung für Rettungs- und Löscheinsätze notwendig sind (Art. 8 Abs. 2), werden dem Flugbetriebsunternehmen erteilt, das die Aussenlan- dungen zu Aus- und Weiterbildungszwecken durchführt. 4 Bewilligungen für mehrtägige Grossanlässe von internationaler Bedeutung (Art. 16 Abs. 3, 29 und 39 Abs. 4) werden der Betreiberin oder dem Betreiber der Lande- stelle erteilt. 4. Abschnitt: Verfahren Art. 13 Gesuch 1 Das BAZL erteilt Bewilligungen auf schriftliches Gesuch hin. 2 Es entscheidet so rasch als möglich, in der Regel aber spätestens innerhalb von zehn Arbeitstagen ab Einreichung des vollständigen Gesuchs. Wird diese Ordnungs- frist überschritten, so kann die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller vom BAZL verlangen, dass dieses die Überschreitung der Frist schriftlich begründet und ihr oder ihm mitteilt, bis wann der Entscheid voraussichtlich zu erwarten ist. Art. 14 Veröffentlichung der Bewilligungen Das BAZL veröffentlicht die Anzahl und die Art der Bewilligungen periodisch im Internet11. 11 www.bazl.admin.ch Luftfahrt 6 748.132.3 Art. 15 Mitteilung an die Oberzolldirektion Das BAZL stellt der Oberzolldirektion Kopien aller Bewilligungen für ausländische Luftfahrzeuge (Art. 7 Abs. 2 und 3) zu. 3. Kapitel: Stationieren von Luftfahrzeugen ausserhalb von Flugplätzen Art. 16 1 Luftfahrzeuge dürfen ausserhalb von Flugplätzen nicht länger als 48 Stunden am Ort des Abflugs oder der Landung stationiert werden. 2 Für Flüge zu Arbeitszwecken ist eine längere Stationierung so lange erlaubt, wie die Flüge im Rahmen desselben Auftrags in derselben Region durchgeführt werden. 3 Für mehrtägige Grossanlässe von internationaler Bedeutung kann das BAZL eine längere Stationierung bewilligen. 4. Kapitel: Verantwortlichkeit für die Aussenlandung Art. 17 1 Für die Sicherheit einer Aussenlandung ist die Kommandantin oder der Komman- dant des Luftfahrzeugs nach den Bestimmungen der Verordnung vom 22. Januar 196012 über die Rechte und Pflichten des Kommandanten eines Luftfahrzeuges verantwortlich. 2 Sollen mehr als zwei Luftfahrzeuge im gleichen Zeitraum an derselben Stelle Aussenlandungen durchführen, so müssen die Nutzerinnen und Nutzer gemeinsam ein Sicherheits- und Betriebskonzept erstellen.13 3 In Bewilligungen, die das BAZL für mehrtägige Grossanlässe von internationaler Bedeutung erteilt (Art. 16 Abs. 3, 29 und 39 Abs. 4), bestimmt es für die betreffende Landestelle eine verantwortliche Betreiberin oder einen verantwortlichen Betreiber. 5. Kapitel: Umweltvorschriften Art. 18 Rücksichtnahme Die Kommandantin oder der Kommandant hat im Zusammenhang mit Aussenlan- dungen Flugwege und Flughöhen unter Wahrung der Flugsicherheit so festzulegen, dass Wohngebiete, Spitäler und Schulen sowie Schutzgebiete nach Artikel 19 nicht übermässig gestört werden. 12 SR 748.225.1 13 Die Berichtigung vom 23. Dez. 2014 betrifft nur den französischen Text (AS 2014 4717). Aussenlandeverordnung 7 748.132.3 Art. 19 Aussenlandungen in Schutzgebieten 1 Aussenlandungen sind in den folgenden Gebieten unter Vorbehalt von Absatz 3 sowie Artikel 28 nicht zulässig: a. Kernzonen von Nationalparks nach Artikel 23f Absatz 3 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 1. Juli 196614 über den Natur- und Heimatschutz; b. Hoch- und Übergangsmoore von nationaler Bedeutung nach Artikel 1 der Hochmoorverordnung vom 21. Januar 199115; c. Wasser- und Zugvogelreservate von internationaler und nationaler Bedeu- tung nach Artikel 2 der Verordnung vom 21. Januar 199116 über die Wasser- und Zugvogelreservate von internationaler und nationaler Bedeutung; d. Flachmoore von nationaler Bedeutung nach Artikel 1 der Flachmoorverord- nung vom 7. September 199417; e. Auengebiete von nationaler Bedeutung nach Artikel 1 der Auenverordnung vom 28. Oktober 199218; f. eidgenössische Jagdbanngebiete nach Artikel 2 der Verordnung vom 30. September 199119 über die eidgenössischen Jagdbanngebiete. 2 Das eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunika- tion (UVEK) kann in weiteren, besonders empfindlichen Gebieten Einschränkungen für Aussenlandungen erlassen. Es hört vorgängig die interessierten Kreise an. 3 Für Aussenlandungen zu Arbeitszwecken gelten die folgenden Ausnahmen: a. In den Schutzgebieten nach Absatz 1 gilt das Verbot nicht für Flüge im Auf- trag der zuständigen kantonalen Behörden sowie für Flüge für den Bau oder Unterhalt von Bauten und Anlagen, die vom Kanton bewilligt worden sind. b. In eidgenössischen Jagdbanngebieten gilt das Verbot nicht für Flüge für die Wald- und Landwirtschaft, die Abwehr von Naturgefahren, die Versorgung öffentlich zugänglicher Hütten und den Bau oder den Unterhalt von Bauten und Anlagen im öffentlichen Interesse; für Flüge zu anderen Arbeitszwecken gilt das Verbot nur vom 1. November bis zum 31. Juli. c. In den Auengebieten gilt das Verbot nicht für Flüge für die Abwehr von Naturgefahren und den Bau oder den Unterhalt von Bauten und Anlagen im öffentlichen Interesse. 4 Die Schutzgebiete mit den dazugehörigen Einschränkungen werden in den öffent- lichen Luftfahrtpublikationen der Schweiz publiziert. 14 SR 451 15 SR 451.32 16 SR 922.32 17 SR 451.33 18 SR 451.31 19 SR 922.31 Luftfahrt 8 748.132.3 Art. 20 Überflüge über Schutzgebiete Das UVEK kann zum Schutz der Natur in Schutzgebieten nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 für bestimmte Kategorien von Luftfahrzeugen Einschränkungen für Überflüge im Zusammenhang mit Aussenlandungen erlassen. 6. Kapitel: Nichtmotorisierte Luftfahrzeuge Art. 21 Anwendbare Bestimmungen 1 Für Aussenlandungen mit Ballonen, Fallschirmen, Hängegleitern und Segelflug- zeugen gelten nur die Artikel 4, 5, 17, 19, 20 und 22 sowie der 5. und 6. Titel dieser Verordnung; für grenzüberschreitende Flüge gilt zudem Artikel 142 der Zollverord- nung vom 1. November 200620. 2 Für Ballone gelten zudem der 4. Titel, für Hängegleiter Artikel 23 sowie der 4. Titel. Art. 22 Aussenlandungen aus Sicherheitsgründen Kann zu einer sicheren Landung kein Flugplatz erreicht werden, so ist eine Aussen- landung ohne zeitliche und räumliche Einschränkungen zulässig. Art. 23 Betriebsregeln für Hängegleiter Das BAZL und das Bundesamt für Umwelt (BAFU) unterstützen die gesamtschwei- zerischen Hängegleiterverbände bei der Erarbeitung von freiwilligen Betriebsregeln zum Schutz der Natur. 3. Titel: Aussenlandungen bei einzelnen Kategorien von Flügen 1. Kapitel: Kategorien Art. 24 Alle Aussenlandungen werden in eine der folgenden Kategorien eingeteilt: a. gewerbsmässige Flüge (2. Kapitel): 1. Aussenlandungen bei Personentransporten zu touristischen oder sportli- chen Zwecken (1. Abschnitt), 2. Aussenlandungen bei Flügen zu Arbeitszwecken (2. Abschnitt); b. nichtgewerbsmässige Flüge (3. Kapitel); c. besondere Kategorien (4. Kapitel): 1. Aussenlandungen bei Ausbildungsflügen (1. Abschnitt), 20 SR 631.01 Aussenlandeverordnung 9 748.132.3 2. Aussenlandungen zur Notfallhilfe sowie bei Polizeiflügen und Dienst- flügen des Bundes (2. Abschnitt). 2. Kapitel: Gewerbsmässige Flüge 1. Abschnitt: Personentransporte zu touristischen oder sportlichen Zwecken Art. 25 Einschränkungen Zu folgenden Zeiten und an folgenden Orten sind Aussenlandungen bei Personen- transporten zu touristischen oder sportlichen Zwecken nicht zulässig: a. oberhalb von 1100 m über Meer; b. in Wohngebieten; c. nachts, mindestens jedoch von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr; d. im Umkreis von 100 m um Gaststätten und um Menschenansammlungen im Freien; e. in einem Abstand von weniger als 1000 m von den Pisten eines Flughafens oder von weniger als 500 m von den Pisten eines zivilen Flugfeldes oder eines militärischen Flugplatzes. Art. 26 Bewilligungen für Aussenlandungen oberhalb von 1100 m über Meer 1 Das BAZL kann Aussenlandungen bei Personentransporten zu touristischen oder sportlichen Zwecken oberhalb von 1100 m über Meer für folgende Zwecke bewil- ligen: a. für Sportanlässe von nationaler oder internationaler Bedeutung; b. für traditionelle, kulturelle oder religiöse Feierlichkeiten mit regionaler Bedeutung, sofern sie ortsgebunden sind; c. bei unvorhergesehenen Ausfällen von Transportanlagen zur Personenbeför- derung, sofern die Anlagen eine touristische Bedeutung haben. 2 Es entscheidet nach Anhörung der zuständigen kantonalen Behörden und der Standortgemeinde. 3 Die Bewilligungen werden in der Regel für höchstens drei Tage erteilt. 2. Abschnitt: Flüge zu Arbeitszwecken Art. 27 Einschränkungen 1 Zu folgenden Zeiten und an folgenden Orten sind Aussenlandungen zu Arbeits- zwecken nicht zulässig: Luftfahrt 10 748.132.3 a. oberhalb von 1100 m über Meer, sofern Fluggäste zu touristischen oder sportlichen Zwecken mitgeführt werden; b. an Sonn- und Feiertagen; c. nachts. 2 An Sonn- und Feiertagen sowie von Beginn der bürgerlichen Morgendämmerung bis 6.00 Uhr sind Aussenlandungen zu Arbeitszwecken nur zulässig, sofern sie dringlich sind. Die Kommandantin oder der Kommandant muss sie dem BAZL spätestens am folgenden Arbeitstag unter Angabe der Gründe melden. 3 An Sonn- und Feiertagen sowie nachts sind Aussenlandungen zu Arbeitszwecken zudem zulässig, sofern sie im Auftrag von konzessionierten Radio- und Fernsehver- anstaltern durchgeführt werden und für die Erfüllung des Programmauftrags nötig sind. Die Kommandantin oder der Kommandant muss sie dem BAZL spätestens am folgenden Arbeitstag unter Angabe der Gründe melden.21 Art. 28 Bewilligungen für Aussenlandungen in Schutzgebieten 1 Das BAZL bewilligt Aussenlandungen zu Arbeitszwecken in Schutzgebieten nach Artikel 19 Absätze 1 und 2, wenn das Arbeitsziel nicht mit anderen Mitteln scho- nender und mit zumutbarem Aufwand erfüllt werden kann und das Interesse am Arbeitsziel gegenüber dem Schutzinteresse überwiegt. 2 Dem Gesuch ist die Stellungnahme der zuständigen kantonalen Behörde beizule- gen. Die kantonale Behörde nimmt darin Stellung zur Frage, ob das jeweilige Schutzziel verletzt wird und ob der Aussenlandung überwiegende Interessen ent- gegenstehen. 3 Das BAZL erteilt die Bewilligung dem Flugbetriebsunternehmen für eine be- stimmte Anzahl von Aussenlandungen oder für eine unbestimmte Anzahl Aussen- landungen in einem bestimmten Zeitraum. Für Aussenlandungen zu Arbeitszwe- cken, die ausschliesslich dem Bau oder dem Unterhalt von Bauten und Anlagen im öffentlichen Interesse dienen, kann die Bewilligung der Besitzerin oder dem Besitzer der Anlage erteilt werden. 4 Das BAZL entscheidet nach Anhörung des BAFU und des Bundesamts für Raum- entwicklung (ARE). Es stellt ihnen Kopien der Bewilligung zu. 5 Die Bewilligung wird im Bundesblatt publiziert, wenn das betreffende Schutzziel beeinträchtigt wird. Art. 29 Bewilligungen für Aussenlandungen bei mehrtägigen Grossanlässen von internationaler Bedeutung Das BAZL kann für Aussenlandungen zu Arbeitszwecken bei mehrtägigen Gross- anlässen von internationaler Bedeutung Abweichungen von Artikel 27 Absatz 1 bewilligen. 21 Die Berichtigung vom 23. Dez. 2014 betrifft nur den französischen Text (AS 2014 4717). Aussenlandeverordnung 11 748.132.3 Art. 30 Aussenlandungen in der Nähe von Flugplätzen In einem Abstand von weniger als 1000 m von den Pisten eines Flughafens oder von weniger als 500 m von den Pisten eines zivilen Flugfeldes oder eines militärischen Flugplatzes sind Aussenlandungen zu Arbeitszwecken nur mit dem Einverständnis der Flugplatzleiterin oder des Flugplatzleiters zulässig. Art. 31 Aussenlandungen in Wohngebieten 1 Aussenlandungen zu Arbeitszwecken in Wohngebieten muss das Flugbetriebs- unternehmen mit der nach kantonalem Recht zuständigen Behörde im Voraus absprechen. 2 Können sich die Parteien nicht einigen, so entscheidet das BAZL auf Antrag des Unternehmens oder der Behörde. Das BAZL berücksichtigt bei seinem Entscheid die Flugsicherheit und wägt das öffentliche gegenüber dem privaten Interesse ab. 3. Kapitel: Nichtgewerbsmässige Flüge Art. 32 Einschränkungen Zu folgenden Zeiten und an folgenden Orten sind Aussenlandungen bei nichtge- werbsmässigen Flügen nicht zulässig: a. oberhalb von 1100 m über Meer; b. in Wohngebieten; c. an Sonn- und Feiertagen; d. von 12.15 Uhr bis 13.15 Uhr; ausgenommen sind Landungen aus Sicher- heitsgründen; e.22 nachts, mindestens jedoch von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr; f. im Umkreis von 100 m um Gaststätten und um Menschenansammlungen im Freien; g. für mehr als vier Bewegungen innert 30 Tagen pro Kommandantin oder Kommandanten im Umkreis von 500 m um eine bestimmte Stelle; h. in Moorlandschaften von besonderer Schönheit und nationaler Bedeutung nach Artikel 1 der Moorlandschaftsverordnung vom 1. Mai 199623; i. in einem Abstand von weniger als 1000 m von den Pisten eines Flughafens oder von weniger als 500 m von den Pisten eines zivilen Flugfeldes oder eines militärischen Flugplatzes. 22 Die Berichtigung vom 23. Dez. 2014 betrifft nur den französischen Text (AS 2014 4717). 23 SR 451.35 Luftfahrt 12 748.132.3 4. Kapitel: Besondere Kategorien 1. Abschnitt: Ausbildungsflüge Art. 33 Begriff und Geltungsbereich 1 In dieser Verordnung gelten als Ausbildungsflüge: a. Flüge unter Aufsicht einer zur Ausbildung berechtigten Person, die zum Erwerb, zur Erweiterung oder zur Wiedererlangung eines Ausweises oder einer fliegerischen Berechtigung notwendig sind; b. Trainingsflüge unter Begleitung einer zur Ausbildung berechtigten Person; c. Flüge im Rahmen von Prüfungen, die von durch das BAZL anerkannten Expertinnen und Experten abgenommen werden. 2 Ausbildungsflüge für Personen, die im Dienst von Rettungsorganisationen oder der Polizei stehen, unterstehen diesem Abschnitt und nicht dem 2. Abschnitt dieses Kapitels. Art. 34 Einschränkungen 1 Aussenlandungen bei Ausbildungsflügen sind nicht zulässig: a. oberhalb von 2000 m über Meer; b. in Wohngebieten; c. an Sonn- und Feiertagen; d. von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr; e. im Umkreis von 100 m um Gaststätten und um Menschenansammlungen im Freien; f. sofern Fluggäste gegen Entgelt mitgeführt werden. 2 In Schutzgebieten nach Artikel 19 dürfen keine Schwebeflüge zu Ausbildungs- zwecken durchgeführt werden. Art. 35 Zulässige Aussenlandungen 1 An Sonn- und Feiertagen sowie von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr sind Aussenlandungen für die Ausbildung von Personen, die im Dienste von Rettungsorganisationen oder der Polizei stehen, zulässig, wenn die Ausbildung sonst unverhältnismässig erschwert würde. 2 Von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr sind Aussenlandungen bei Ausbildungsflügen zuläs- sig, wenn sie von Hubschrauberpilotinnen und Hubschrauberpiloten im Dienste von Rettungsorganisationen durchgeführt werden und zur Aufrechterhaltung fliegeri- scher Berechtigungen dienen. 3 Oberhalb von 2000 m über Meer sind Aussenlandungen für die Ausbildung von Hubschrauberpilotinnen und Hubschrauberpiloten in den vom UVEK bezeichneten Aussenlandeverordnung 13 748.132.3 Gebieten zulässig. Vor deren Bezeichnung hört das UVEK die interessierten Kreise an. 4 Oberhalb von 2000 m über Meer sind Aussenlandungen zudem bei Flügen im Rahmen von Prüfungen zulässig, die von durch das BAZL anerkannten Expertinnen und Experten abgenommen werden. Art. 36 Bewilligungen für Aussenlandungen Das BAZL kann Aussenlandungen oberhalb von 2000 m über Meer oder in Schutz- gebieten nach Artikel 19 bewilligen, wenn sie für die Ausbildung von Personen notwendig sind, die im Dienste von Rettungsorganisationen oder der Polizei stehen. Es erteilt die Bewilligung an die Rettungsorganisation oder die Polizei. Art. 37 Aussenlandungen in der Nähe von Flugplätzen In einem Abstand von weniger als 1000 m von den Pisten eines Flughafens oder von weniger als 500 m von den Pisten eines zivilen Flugfeldes oder eines militärischen Flugplatzes sind Aussenlandungen bei Ausbildungsflügen nur mit dem Einverständ- nis der Flugplatzleiterin oder des Flugplatzleiters zulässig. 2. Abschnitt: Notfallhilfe, Polizeiflüge und Dienstflüge des Bundes Art. 38 Aussenlandungen, die für die folgenden Flüge erforderlich sind, sind ohne zeitliche und räumliche Einschränkungen zulässig und bedürfen keiner Bewilligung: a. Hilfs-, Ambulanz- Rettungs- sowie Suchflüge zum Zweck der Hilfe bei Unfällen oder Not; b. Polizeiflüge; c. Flüge der Grenzwache; d. Dienstflüge des BAZL; e. Dienstflüge der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle. 4. Titel: Raumplanung und Baubewilligung Art. 39 Luftfahrtrechtliche Einschränkungen für Bauten und Anlagen auf Landestellen 1 Eine für Aussenlandungen vorgesehene Stelle darf nicht wie ein Flugplatz einge- richtet sein. 2 Zulässig sind untergeordnete Einrichtungen wie insbesondere: a. optische Hilfen wie Markierungen oder Befeuerungen; Luftfahrt 14 748.132.3 b. Windsäcke; c.24 kleinere befestigte Aufsetzflächen und kleinere Geländeanpassungen. 3 Nicht zulässig sind insbesondere: a. ganz oder teilweise der Luftfahrt dienende Gebäude; b. fest installierte Tankstellen; c. Plattformen für Personentransporte zu touristischen oder sportlichen Zwe- cken; d. befestigte Pisten. 4 Das BAZL kann für mehrtägige Grossanlässe von internationaler Bedeutung vorübergehend Abweichungen von den Absätzen 1 und 3 bewilligen. Es hört den Standortkanton an. Eine allfällige Baubewilligungspflicht bleibt vorbehalten. Art. 40 Baubewilligungs- und Planungspflicht 1 Das Erfordernis einer Baubewilligung richtet sich nach Artikel 22 Absatz 1 des Raumplanungsgesetzes vom 22. Juni 197925 (RPG) und dessen kantonalen Ausfüh- rungsbestimmungen. 2 Der Planungspflicht nach Artikel 2 RPG unterstehen für Aussenlandungen vorge- sehene Stellen insbesondere dann, wenn sie während mehr als einem Jahr wiederholt und intensiv genutzt werden sollen: a. für die Schulung; oder b. für das Aufnehmen und Absetzen von Lasten. Art. 41 Baubewilligungsverfahren 1 Die Baubewilligungsbehörde prüft, ob das Bauprojekt dieser Verordnung ent- spricht. Darüber hinaus findet keine luftfahrtspezifische Prüfung des Baugesuchs statt. Die Baubewilligungsbehörde holt jedoch eine Stellungnahme des BAZL ein, wenn für das Bauprojekt auch eine Bewilligung des BAZL nach Artikel 39 Absatz 4 erforderlich ist. 2 Die Baubewilligung bedarf der Zustimmung der Grundeigentümerin oder des Grundeigentümers und der Standortgemeinde. 3 Die Baubewilligungsbehörde eröffnet ihre Entscheide dem BAZL, dem BAFU und dem ARE. 24 Die Berichtigung vom 23. Dez. 2014 betrifft nur den französischen Text (AS 2014 4717). 25 SR 700 Aussenlandeverordnung 15 748.132.3 5. Titel: Strafbestimmungen Art. 42 Nach Artikel 91 Absatz 1 Buchstabe i LFG wird bestraft: a. die Kommandantin oder der Kommandant, die oder der eine der Bestimmun- gen in den Artikeln 5, 6, 8 Absatz 2, 16 Absätze 1 und 2, 18, 19 Absätze 1 und 2, 20, 25, 27, 30, 31 Absatz 1, 32, 34 und 37 verletzt; b. wer eine der Bestimmungen in Artikel 39 Absätze 1 und 3 verletzt. 6. Titel: Schlussbestimmungen Art. 43 Richtlinie Das BAZL hält die Grundsätze für den Vollzug dieser Verordnung, insbesondere der Artikel 10 Absatz 1, 16 Absatz 3, 28, 29 und 39 Absatz 4, im Einvernehmen mit dem BAFU und dem ARE in einer Richtlinie fest. Art. 44 Rechtsmittel des BAZL Das BAZL kann die Rechtsmittel des kantonalen und des eidgenössischen Rechts ergreifen. Art. 45 Änderung anderer Erlasse Die Änderung anderer Erlasse wird im Anhang geregelt. Art. 46 Übergangsbestimmungen 1 Nach bisherigem Recht für Aussenlandungen erteilte Bewilligungen gelten, soweit die erfassten Aussenlandungen auch nach neuem Recht bewilligungspflichtig sind, bis zu ihrem Ablaufdatum weiter, längstens aber bis zum 30. November 2014. 2 Wird ein vollständiges Gesuch für eine entsprechende Bewilligung nach neuem Recht spätestens einen Monat vor dem nach Absatz 1 bestimmten Zeitpunkt ein- gereicht und kann das BAZL nicht rechtzeitig rechtskräftig darüber entscheiden, so verlängert es die bisherige Bewilligung für die Dauer des Verfahrens. 3 Der 4. Titel gilt auch für bestehende Bauten und Anlagen, die zum Zweck von Aussenlandungen erstellt wurden. Bestehende Baubewilligungen, welche die Vor- gaben der Artikel 39 und 40 bereits erfüllen, bleiben rechtsgültig. Ein Verfahren nach dem 4. Titel ist einzuleiten für: a. Bauten und Anlagen mit einer bestehenden Baubewilligung, die die Vorga- ben der Artikel 39 und 40 nicht erfüllt; b. Bauten und Anlagen ohne bestehende Baubewilligung. Luftfahrt 16 748.132.3 4 Bei Ausbildungsflügen sind Aussenlandungen und Schwebeflüge in den eidge- nössischen Jagdbanngebieten abweichend von den Artikeln 19 und 34 Absatz 2 zulässig, bis das UVEK die in Artikel 35 Absatz 3 genannten Schulungsgebiete bezeichnet hat. Art. 47 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. September 2014 in Kraft. Aussenlandeverordnung 17 748.132.3 Anhang (Art. 45) Änderung anderer Erlasse Die nachstehenden Erlasse werden wie folgt geändert: …26 26 Die Änderungen können unter AS 2014 1339 konsultiert werden. Luftfahrt 18 748.132.3
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Sachverhalt ab Seite 24 BGE 102 Ia 23 S. 24 Gegen Dr. med. Richard Schindler wurden ab Ende 1971 verschiedene Ehrverletzungsprozesse angehoben. Anlass dazu boten Äusserungen, mit denen Dr. Schindler seinem Unmut darüber Ausdruck gab, dass der Regierungsrat des Kantons Schwyz oder eines seiner Departemente sich in einen vor dem Kantonsgericht hängigen Zivilprozess - in welchem Dr. Schindler Partei war - eingemischt hätten. Am 5. Mai 1975 urteilte das Bezirksgericht Höfe über die Ehrverletzungssache in erster Instanz. Am 28. August 1975 stellte Dr. Schindler bei diesem Gericht ein Gesuch um Erläuterung und Berichtigung jenes Entscheids. Das Gesuch wurde mit Beschluss vom 4. September 1975 abgewiesen. Dagegen erhob Dr. Schindler am 29. September 1975 Beschwerde an das Kantonsgericht. Er beantragte u.a., der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und das Bezirksgericht sei anzuweisen, den Entscheid vom 5. Mai 1975 zu erläutern und zu berichtigen. Eventuell seien die im angefochtenen Beschluss festgesetzten Kosten zu reduzieren. Die Beschwerde wurde Dr. Schindler am 30. September 1975 unbehandelt zurückgesandt. Im Begleitschreiben führte der Kantonsgerichtsschreiber aus, persönliche Eingaben von Dr. Schindler würden nicht behandelt. Ihm sei für den Ehrverletzungsprozess ein amtlicher Verteidiger bestellt worden, der das Nötige vorzukehren habe. Künftige Eingaben Dr. Schindlers würden unbehandelt ad acta gelegt. - Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde Dr. Schindlers gutgeheissen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. § 61 Abs. 2 des Gesetzes vom 10. Dezember 1956 über die Strafprozessordnung im Kanton Schwyz (aStPO) lautet: "Dem Angeklagten, der nicht selber einen Verteidiger bestellt, ist ein amtlicher Verteidiger beizugeben: a) in kriminalgerichtlichen Fällen, b) in den übrigen Fällen, wenn besondere Umstände dies erfordern, namentlich wenn der Angeschuldigte wegen seiner Jugend oder Unerfahrenheit oder aus anderen Gründen nicht im Stande ist, seine Rechte zu wahren, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder eine Verwahrung oder Versorgung in Frage steht oder wenn die Bedeutung der Strafsache dies rechtfertigt." Das Bezirksgericht hat dem Beschwerdeführer gestützt auf lit. b der angeführten Bestimmung einen amtlichen Verteidiger BGE 102 Ia 23 S. 25 bestellt und dies folgendermassen begründet: Der Angeklagte sei zwar als beruflich hervorragend qualifizierter Chirurg und Arzt bekannt; er sei jedoch in juristischer Hinsicht ein Laie und, wie das Gericht bei der Behandlung der zivilprozessualen Ehrverletzungsklage habe feststellen müssen, kaum in der Lage, seine Rechte gehörig zu wahren. Er kenne sich insbesondere in den Verfahrensvorschriften nicht genügend aus und könne die wesentlichen von den unerheblichen Faktoren nicht trennen. Angesichts der Bedeutung der Strafsache dränge sich deshalb im Interesse des Angeklagten und eines geordneten Verfahrens auf, dem Angeklagten einen amtlichen Verteidiger zu geben. Weder das Bezirksgericht noch das Kantonsgericht haben angenommen, dass dem Beschwerdeführer die notwendige Urteils- und damit die prozessuale Handlungsfähigkeit fehle. Das Kantonsgericht stützte die Rückweisung der von Dr. Schindler persönlich eingereichten Rechtsschrift einzig auf die Tatsache, dass dem Beschwerdeführer ein amtlicher Verteidiger bestellt worden sei. Streitig ist demnach, ob durch die amtliche Verteidigung die Postulationsfähigkeit des Beschwerdeführers, also die Befähigung, prozessuale Parteihandlungen persönlich vorzunehmen, aufgehoben worden ist. Nach § 17 lit. a der Verordnung vom 28. August 1974 über den Strafprozess im Kanton Schwyz (nStPO) ist der Angeschuldigte oder Angeklagte Partei im Strafverfahren. Gemäss § 18 Abs. 1 hat er das Recht, einen Verteidiger zu bestellen. Ist der Angeschuldigte nicht handlungsfähig, so steht dieses Recht auch seinem gesetzlichen Vertreter zu. § 135 Abs. 1 nStPO lautet: "Die Rechtsmittel stehen zu: a) den Parteien und ihren gesetzlichen Vertretern, b) dem Verteidiger, sofern der Vertretene nicht ausdrücklich auf das Rechtsmittel verzichtet, c) ...." Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht nicht hervor, dass der formell verteidigte Beschuldigte lediglich darüber zu entscheiden hätte, ob ein Rechtsmittel zu ergreifen sei, dass er ein Rechtsmittel selbständig jedoch nicht einreichen könne. Die entsprechende Auffassung des Kantonsgerichts lässt sich demnach nicht auf den ausdrücklichen Gesetzestext stützen; sie wird vom Gesetzestext aber auch nicht geradezu ausgeschlossen. BGE 102 Ia 23 S. 26 Für die streitige Frage ergibt sich auch aus der Systematik von § 135 nStPO und aus lit. b dieser Bestimmung nichts eindeutiges. Wohl werden die Parteien in der Aufzählung der Personen, denen die Rechtsmittel "zustehen", an erster Stelle, vor dem Verteidiger genannt. Doch lässt sich dies hinreichend damit begründen, die Bestimmung gehe vorerst vom Fall aus, dass einer Partei kein Verteidiger zur Seite stehe; § 135 nStPO hat zudem nicht nur die Rechtsmittelbefugnis des Angeklagten, sondern auch die der übrigen am Strafverfahren Beteiligten zu regeln. Dass dem Verteidiger ein Rechtsmittel schliesslich nur dann zusteht, wenn der Vertretene nicht ausdrücklich darauf verzichtet hat, ergibt für die zu beurteilende Frage ebenfalls keinen eindeutigen Hinweis. Nach § 92 nStPO haben die "Richter, die Parteien und der Verteidiger" das Recht, an die Zeugen und Sachverständigen Fragen stellen zu lassen. Weiter setzt § 94 nStPO fest, dass dem Angeklagten das letzte Wort zusteht (vgl. ferner § 66 nStPO). Aus diesen beiden Bestimmungen ergibt sich in klarer Weise, dass dem amtlich verteidigten Angeklagten die Fähigkeit, prozessuale Parteihandlungen selbständig vorzunehmen, jedenfalls nicht vollständig entzogen ist. Allerdings lässt sich auch daraus die Frage, ob auf ein vom Angeklagten selbständig verfasstes und eingereichtes Rechtsmittel eingetreten werden muss, nicht eindeutig beantworten. Es kann demnach nicht gesagt werden, das Kantonsgericht habe mit seiner Verfügung die einschlägigen Bestimmungen des schwyzerischen Strafprozessrechts in geradezu willkürlicher Weise ausgelegt. Zu prüfen bleibt jedoch, ob die Rückweisung der von Dr. Schindler eingereichten Beschwerde vor dem aus Art. 4 BV fliessenden Gehörsanspruch standhält. Das Bundesgericht prüft diese Frage mit freier Kognition. Das schwyzerische Recht kennt für den Strafprozess - in Übereinstimmung mit den Regelungen der anderen Kantone - keinen eigentlichen Anwaltszwang. Vielmehr geht es davon aus, dass der prozessfähige Beschuldigte befugt ist, seine prozessualen Rechte entweder selbständig auszuüben oder dafür einen Verteidiger seiner Wahl beizuziehen. In den Fällen hingegen, die § 61 Abs. 2 nStPO umschreibt, ist dem Angeklagten, der nicht selber einen Vertreter bestellt hat, ein amtlicher Verteidiger beizugeben. Nach der heute vorherrschenden Rechtsauffassung ist die formelle Verteidigung eines Beschuldigten BGE 102 Ia 23 S. 27 im öffentlichen Interesse geboten, wenn kein blosser Bagatellfall zu beurteilen ist und der Anklagesachverhalt in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen der Beschuldigte nicht gewachsen ist. Damit wird nicht nur bezweckt, einen geordneten Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten; die formelle Verteidigung soll vor allem dazu dienen, das materielle Ziel des Verfahrens zu erreichen; sie soll es dem Gericht ermöglichen, die Wahrheit zu finden und ein gerechtes Urteil zu fällen ( BGE 95 I 361 ; BGE 100 Ia 186 ff.). Ob und inwieweit auf einzelne, vom amtlich verteidigten Angeklagten selbständig verfasste und eingereichte Eingaben eingetreten werden muss, ist im vorliegenden Fall nicht umfassend zu prüfen (vgl. immerhin BGE 95 I 362 : vgl. zum Rückzug eines Rechtsmittels ferner: nicht veröffentlichtes Urteil Studer vom 3. Februar 1976). Es genügt die Feststellung, dass in einem Strafprozess jedenfalls nicht ein förmliches Rechtsmittel, das vom Angeklagten eingereicht worden ist, von der Hand gewiesen werden kann, wenn der amtliche Verteidiger selber nicht innert Frist gehandelt hat. Gerade so stellt sich der Sachverhalt dar, der hier zu beurteilen ist. Wie es sich verhält, wenn in einem Strafprozess sowohl der amtliche Verteidiger wie auch der Angeklagte ein Rechtsmittel eingereicht haben, kann demgegenüber offen bleiben. Ebenso muss in diesem Verfahren nicht beurteilt werden, wie es sich mit Eingaben verhält, die nicht in gleicher Weise wie ein förmliches Rechtsmittel unter Verwirkungsfolge innert einer bestimmten Frist eingereicht werden müssen, sondern dem Gericht jederzeit neu vorgelegt werden können. Wollte man auf eine förmliche Beschwerde des amtlich verteidigten Angeklagten nicht eintreten, wenn sein Beistand selber nicht gehandelt hat, so würden die Verteidigungsrechte des Beschuldigten in schwerwiegender Weise verkürzt. Dies verletzt den verfassungsmässigen Gehörsanspruch und verfehlt den Sinn und Geist der amtlichen Verteidigung. Das Kantonsgericht hat demnach dem Beschwerdeführer das Recht verweigert, indem es seine persönlich verfasste und eingereichte Rechtsschrift ohne nähere Prüfung zurückwies.
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Sachverhalt ab Seite 202 BGE 139 III 201 S. 202 A. X. (Darlehensnehmer, Beschwerdeführer) schloss zur Finanzierung seines Studiums im September bzw. Oktober 2003 mit der Bank Y. (Darlehensgeberin, Beschwerdegegnerin) einen Basisvertrag und einen "Bildung plus-Kreditvertrag" über eine Summe von Fr. 20'000.- ab. Der Kredit sollte gemäss Vereinbarung ausschliesslich der Finanzierung der mehrjährigen Hochschulausbildung dienen. Der Zins von 3,25 bzw. 3 % wurde gemäss Vertrag bis zum Ende der Ausbildung kapitalisiert. Im November 2004 wurde der Kredit auf Fr. 35'000.- und im Januar 2007 auf Fr. 37'000.- erhöht. Die Darlehensgeberin nahm unbestrittenermassen nie eine Kreditfähigkeitsprüfung nach den Regeln von Art. 28 des Bundesgesetzes vom 23. März 2001 über den Konsumkredit (KKG; SR 221.214.1) vor, verlangte aber vor der ersten Anhebung der Kreditlimite im Jahr 2004 ein detailliertes Budget. Nach dem vertraglich vorgesehenen Ausbildungsende teilte der Darlehensnehmer der Darlehensgeberin mit, er sei übermässig überschuldet und studiere noch. Da der Abschluss einer Abzahlungsvereinbarung scheiterte, kündigte die Darlehensgeberin mit Schreiben vom 7. August 2009 den "Bildung plus-Kreditvertrag" und verlangte die Rückzahlung von Fr. 37'939.78 bis zum 31. August 2009. Diese blieb aus, worauf die Darlehensgeberin die Betreibung einleitete. Gegen den Zahlungsbefehl erhob der Darlehensnehmer Rechtsvorschlag. B. Mit Klage vom 5. Oktober 2010 beim Gerichtskreis VIII Bern-Laupen (neu: Regionalgericht Bern-Mittelland) beantragte die Darlehensgeberin, der Darlehensnehmer sei zur Zahlung eines Betrags von Fr. 37'939.80 zu verurteilen und der Rechtsvorschlag in der gegen ihn eingeleiteten Betreibung sei zu beseitigen. Der Darlehensnehmer beantragte widerklageweise, die Darlehensgeberin sei zur Rückzahlung der durch ihn bereits geleisteten Zinszahlungen zu verurteilen. Mit Entscheid vom 26. Oktober 2011 hiess der Gerichtspräsident des Regionalgerichts Bern-Mittelland die Klage teilweise gut, verurteilte den Darlehensnehmer zur Zahlung von Fr. 37'000.- und beseitigte den Rechtsvorschlag in diesem Umfang. Die Widerklage wurde abgewiesen. Die dagegen vom Darlehensnehmer erhobene Berufung wies das Obergericht das Kantons Bern mit Entscheid vom 3. September 2012 ab. C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 28. September 2012 beantragt der Darlehensnehmer dem Bundesgericht, es sei der Entscheid BGE 139 III 201 S. 203 des Obergerichts aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Darlehensgeberin zur Zahlung von Fr. 4'686.85 zu verurteilen. Eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Zwischen den Parteien ist streitig, ob das KKG auf den von ihnen abgeschlossenen Vertrag anwendbar sei. Die Vorinstanz ist mit der Beschwerdegegnerin der Auffassung, der Beschwerdeführer sei nicht als Konsument im Sinne von Art. 3 KKG zu qualifizieren, womit das KKG keine Anwendung finde. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe diese Bestimmung falsch ausgelegt. Bei richtiger Auslegung sei das KKG anwendbar, womit die Beschwerdegegnerin wegen unterlassener Prüfung seiner Kreditfähigkeit die gewährte Kreditsumme samt Zinsen und Kosten verloren habe. 2.1 Ein Konsumkreditvertrag nach KKG liegt vor, wenn eine kreditgebende Person einem Konsumenten einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht ( Art. 1 Abs. 1 KKG ). Nach Art. 3 KKG gilt als Konsument jede natürliche Person, die einen Konsumkreditvertrag zu einem Zweck abschliesst, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Vor Abschluss eines Konsumkreditvertrags muss die Kreditgeberin die Kreditfähigkeit des Konsumenten prüfen ( Art. 28 Abs. 1 KKG ). Dabei muss von einer Amortisation des Konsumkredits innerhalb von 36 Monaten ausgegangen werden, selbst wenn vertraglich eine längere Laufzeit vereinbart worden ist ( Art. 28 Abs. 4 KKG ). Verstösst die Kreditgeberin in schwerwiegender Weise gegen diese Prüfungspflicht, so verliert sie die von ihr gewährte Kreditsumme samt Zinsen und Kosten ( Art. 32 Abs. 1 Satz 1 KKG ). 2.2 Die Vorinstanz hat ausgeführt, der Wortlaut von Art. 3 KKG sei nicht klar. Den Materialien lasse sich hierzu nichts entnehmen. Das historische Element helfe daher nur insofern weiter, als bei der teleologischen Auslegung die Wertungen und Zielsetzungen des historischen Gesetzgebers zu berücksichtigen seien. Bereits mit dem aKKG habe der Gesetzgeber zur Hauptsache die Privathaushalte vor Überschuldung schützen wollen. Unter diesem Aspekt erscheine eine Ausnahme von der Unterstellung unter das KKG für Kredite im BGE 139 III 201 S. 204 Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn diese auf die Erzielung eines Einkommens gerichtet sei, aus welchem der Kredit zurückbezahlt werden könne. Bei einem Ausbildungskredit handle es sich weiter nicht um einen klassischen Konsumkredit, der nach dem Motto "heute kaufen, morgen bezahlen" aufgenommen werde. Ausschlaggebend erscheine aber letztlich, dass eine Unterstellung unter das KKG die Gewährung von Ausbildungsdarlehen an Studenten regelmässig verunmöglichen würde, da eine Amortisation dieser Kredite innert 36 Monaten ( Art. 28 Abs. 4 KKG ) angesichts der durchschnittlichen Dauer eines Studiums in den wenigsten Fällen möglich wäre. Es könne nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, solche bildungspolitisch sehr sinnvollen und wünschenswerten Finanzierungsmöglichkeiten zu verunmöglichen. Eine Abwägung der (Überschuldungs-)Risiken mit dem (Bildungs-)Nutzen solcher Darlehen ergebe daher, dass Ausbildungskredite dem KKG nicht unterstünden. 2.3 Der Beschwerdeführer bringt vor, nach dem Wortlaut von Art. 3 KKG sei die Konsumenteneigenschaft zu bejahen, wenn nicht eine bereits bestehende berufliche oder gewerbliche Tätigkeit vorliege. Das KKG sei nicht bzw. nicht in erster Linie bildungspolitischen Zielen verpflichtet, sondern diene dem Schutz des Konsumenten vor Überschuldung. Sofern eine solche drohe, was die Vorinstanz bezüglich Ausbildungskrediten selbst bejaht habe, sei das KKG nach der Absicht des Gesetzgebers anzuwenden. Eine Abschwächung des Geltungsbereichs des KKG sei nur sehr zurückhaltend anzunehmen. Würde man Ausbildungskredite als bildungspolitisch sinnvolle und wünschenswerte Finanzierungsmöglichkeiten vom Geltungsbereich des KKG ausnehmen wollen, so müsste eine entsprechende ausdrückliche Ausnahme ins Gesetz aufgenommen werden. 2.4 Das Bundesgericht hat die Frage noch nicht entschieden. Auch in der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie über Verbraucherkredite bzw. Verbraucherkreditverträge, der das aKKG vom 8. Oktober 1993 angeglichen worden war und die denselben Wortlaut zur Definition des Verbrauchers verwendet wie Art. 3 KKG , findet sich dazu kein Urteil (Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. L 42 vom 12. Februar 1987 S. 48 ff.; ersetzt durch Richtlinie 2008/48/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über BGE 139 III 201 S. 205 Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22. Mai 2008 S. 66 ff.). In der Lehre ist die Frage umstritten (für Anwendung des KKG: BERND STAUDER, Der vertragliche Konsumentenschutz, Konsumkreditrecht, in: Konsumentenschutz im Privatrecht, SPR Bd. X, 2008, S. 233 Fn. 53; XAVIER FAVRE-BULLE, Les opérations de crédit à l'épreuve de la nouvelle législation, in: Journée 2003 de droit bancaire et financier, 2004, S. 138; wohl auch EMCH/RENZ/ARPAGAUS, Das Schweizerische Bankgeschäft, 7. Aufl. 2011, N. 957; dagegen: ROLAND HASELBACH, Überziehungskredit auf laufendem Konto gemäss neuem Konsumkreditgesetz, in: Das neue Konsumkreditgesetz, Hess/Simmen [Hrsg.], 2002, S. 122; bei engem Zusammenhang der Ausbildungs- und Weiterbildungskredite mit der geplanten Berufskarriere HANS GIGER, Berner Kommentar, Der Konsumkredit, 2007, N. 534 S. 455 und ROBERT SIMMEN, Barkredit und Teilzahlungsverträge unter dem neuen Konsumkreditgesetz, in: Das neue Konsumkreditgesetz, Hess/Simmen [Hrsg.], 2002, S. 42; im Ergebnis auch MARLIS KOLLER-TUMLER, Konsumkreditverträge nach revidiertem KKG - eine Einführung [nachfolgend: Konsumkreditverträge], in: Jahrbuch des Schweizerischen Konsumentenrechts [JKR] 2002 S. 26). 2.5 2.5.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben ( BGE 137 V 434 E. 3.2; BGE 137 IV 249 E. 3.2; BGE 136 III 23 E. 6.6.2.1; BGE 135 III 112 E. 3.3.2). 2.5.2 Nach Art. 3 KKG gilt als Konsument wie bereits ausgeführt (E. 2.1) jede natürliche Person, die einen Konsumkreditvertrag zu einem Zweck abschliesst, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (dans un but pouvant être considéré comme étranger à son activité commerciale ou BGE 139 III 201 S. 206 professionnelle; per uno scopo che può considerarsi estraneo alla sua attività commerciale o professionale). Diesem Wortlaut lässt sich nicht klar entnehmen, ob als Konsument auch gilt, wer einen Kredit zur Finanzierung seines Studiums aufnimmt. Voraussetzung für die Verneinung dieser Frage wäre, dass die Absolvierung eines Studiums der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Studenten zugerechnet werden kann. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers schliesst der Wortlaut dies jedenfalls nicht dadurch aus, dass er eine bereits bestehende solche Tätigkeit voraussetzen würde (so auch GIGER, a.a.O., N. 534 S. 455; MARLIS KOLLER-TUMLER, in: Basler Kommentar, Abzahlungsrecht und Konsumkreditrecht, Sonderedition aus dem Kommentar zum Obligationenrecht [nachfolgend: Basler Kommentar], Bd. I, 1996, N. 2 zu Art. 3 KKG ; SIMMEN, a.a.O., S. 42; HASELBACH, a.a.O., S. 122). Die herrschende Lehre rechnet denn auch Existenzgründungsdarlehen (bereits) der beruflichen bzw. gewerblichen Tätigkeit zu (STAUDER, a.a.O., S. 233 Fn. 53; GIGER, a.a.O., N. 534 S. 455; KOLLER-TUMLER, Basler Kommentar, a.a.O., N. 2 zu Art. 3 KKG ; dies. , Konsumkredite - eine kleine Tour d'Horizon mit Blick auch auf die EU, in: Kreditrecht, Schweizerische Bankrechtstagung 2010, S. 29 Fn. 27; SIMMEN, a.a.O., S. 42; HASELBACH, a.a.O., S. 122). 2.5.3 Der Gesetzgeber wollte im Bereich des Konsumkredits namentlich jene Konsumenten schützen, die nicht in der Lage sind, ihre wirtschaftliche Situation richtig einzuschätzen, bzw. die nicht der Versuchung widerstehen können, einen für sie ruinösen Konsumkredit zu beanspruchen (so Botschaft vom 14. Dezember 1999 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über den Konsumkredit, BBl 1998 3165 Ziff. 131). In den parlamentarischen Beratungen zum KKG wurde ausgeführt, nach den Werbebotschaften in den Tageszeitungen würden sich Konsumwünsche rasch, einfach und diskret erfüllen lassen (Votum Goll, AB 1999 N 1878). Die Folgekosten des kreditfinanzierten Konsums zahle die öffentliche Hand. Gleichzeitig würden Banken und Kreditinstitute mittels Wucherzinsen horrende Gewinne einstreichen. 2.5.4 Der Abschluss eines Kreditvertrags zur Finanzierung des Studiums unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von der umschriebenen Konstellation. Wie die Vorinstanz richtig ausgeführt hat, handelt es sich dabei nicht um klassische Konsumkredite nach dem Motto "heute kaufen, morgen bezahlen". Die Entscheidung für ein (kreditfinanziertes) Studium wird kaum je überstürzt erfolgen, geht BGE 139 III 201 S. 207 es dabei doch einerseits um die Planung einer über mehrere Jahre dauernden Ausbildung und andererseits um die künftige berufliche Ausrichtung. Zudem zeigt sich gerade beim von der Beschwerdegegnerin angebotenen "Bildung plus-Kreditvertrag", dass es für Ausbildungskredite spezifische Angebote mit vorteilhaften Konditionen wie tiefem Zins und Kapitalisierung der Zinsen bis zum Ende des Studiums gibt. Mit der Unterstellung solcher Kredite unter das KKG werden diese faktisch beinahe verunmöglicht (so auch KOLLER-TUMLER, Konsumkreditverträge, a.a.O., S. 26). Denn ein Konsument muss nach Art. 28 Abs. 4 KKG in der Lage sein, den Konsumkredit innerhalb von 36 Monaten zu amortisieren, ansonsten die Kreditfähigkeit zu verneinen ist und der Kredit folglich nicht gewährt werden darf. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die Amortisation eines Kredits zur Finanzierung des Studiums angesichts der durchschnittlichen Studiendauer in den wenigsten Fällen möglich wäre. Die Kredite zur Finanzierung eines Studiums weisen somit in verschiedener Hinsicht Besonderheiten auf gegenüber denjenigen Krediten, auf die das KKG gemäss den Materialien zugeschnitten wurde. 2.5.5 Auf der anderen Seite bestehen Gemeinsamkeiten zu den Existenzgründungsdarlehen. In beiden Fällen dient der Kredit einer Investition mit dem Zweck der Ermöglichung der (späteren) beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit. Die Investition schlägt sich nach absolviertem Studium denn auch in einem (höheren) Einkommen nieder. Anders etwa als der Besuch eines Sprachkurses im Hinblick auf einen Ferienaufenthalt ist der in der Lehre teilweise geforderte enge Zusammenhang des Kredits mit der geplanten Berufskarriere (vgl. oben E. 2.4) bei einem Studium in der Regel zu bejahen. Angesichts der Dauer und Kosten eines Studiums wird dieses kaum lediglich zum Zweck der Allgemeinbildung absolviert werden. Vielmehr wird damit (wie bei einem Existenzgründungsdarlehen) der Grundstein für eine bestimmte berufliche Laufbahn gelegt. Der mit dem Abschluss eines Kreditvertrags zur Finanzierung des Studiums verfolgte Zweck ist daher eher der beruflichen Tätigkeit zuzurechnen. 2.5.6 Aus diesen Erwägungen ergibt sich insgesamt, dass das KKG nicht auf das dem Beschwerdeführer gewährte Darlehen zur Finanzierung seines Studiums anwendbar ist. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet.
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7c98a09d-b6ab-4e46-a52f-4677890174ac
Sachverhalt ab Seite 15 BGE 105 IV 14 S. 15 A.- Am 26. Februar 1975 verurteilte der Gerichtspräsident von Laufen S. wegen Verletzung von Verkehrsvorschriften (Führen eines nichtbetriebssicheren Motorfahrzeugs und Fahren mit übersetzter Geschwindigkeit) zu Fr. 220.-- Busse. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft. Am 5. Oktober 1976 beantragte die Amtsschaffnerei Delsberg dem Richteramt Laufen die Umwandlung der Busse in Haft, weil sie wegen unbekannten Aufenthalts des S. nicht eingetrieben werden konnte. Nachdem S. durch Publikation im Amtsblatt des Kantons Bern vom 20. Oktober 1976 erfolglos Gelegenheit zur Vernehmlassung gegeben worden war, verfügte der Gerichtspräsident von Laufen am 16. November 1976 die Umwandlung der Busse in acht Tage Haft. Dieser Entscheid wurde im Amtsblatt vom 27. November 1976 veröffentlicht. Zuvor, am 18. November 1976, hatte der Regierungsstatthalter von Laufen als Vollstreckungsbehörde S. zum Vollzug der Haftstrafe im Fahndungsblatt ausschreiben lassen, worauf dieser am 11. Oktober 1978 verhaftet wurde. Auf Einsprache der S. erklärte das Obergericht des Kantons Bern mit Beschluss vom 24. November 1978 die vom Gerichtspräsidenten von Laufen ausgesprochene Umwandlung der Busse von Fr. 220.-- als nicht verjährt. B.- S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichtes aufzuheben. Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Die Vorinstanz geht zutreffend davon aus, dass bei Übertretungen, wie sie dem Beschwerdeführer vorgeworfen wurden, die absolute Vollstreckungsverjährung nach drei Jahren eintritt ( Art. 75 Ziff. 2 Abs. 2, 109 StGB ) und dass sie mit dem Tag beginnt, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird ( Art. 74 StGB ). Sie nimmt aber an, "Urteil" im Sinne dieser Bestimmung sei im vorliegenden Fall nicht der Entscheid vom 26. Februar 1975, mit welchem die Busse ausgefällt, sondern jener vom 16. November 1976, mit dem sie in Haft umgewandelt wurde. Das ergebe sich einerseits aus Art. 74 StGB selber, wonach beim bedingten Strafvollzug und im Falle des Strafaufschubs BGE 105 IV 14 S. 16 zugunsten einer Massnahme die Vollstreckungsverjährung auch nicht bereits mit dem Datum des Haupturteils beginne, sondern erst mit dem Tag, an dem der nachträgliche Vollzug der Strafe angeordnet werde. Anderseits folge aus BGE 74 IV 60 , dass die Umwandlung einer Busse in Haft keine blosse Vollzugsmassnahme, sondern ein selbständiger materieller Entscheid sei. Im vorliegenden Fall sei die Verjährung der am 16. November 1976 ausgesprochenen Strafe von acht Tagen Haft erstmals am 18. November 1976 und ein weiteres Mal am 11. Oktober 1978 unterbrochen worden. Die absolute Verjährung würde deshalb erst am 16. November 1979 eintreten. Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, die Vollstreckungsverjährung habe mit der rechtskräftigen Ausfällung der Busse begonnen und sei deshalb vor dem obergerichtlichen Entscheid endgültig abgelaufen. 2. Wie schon in BGE 63 I 189 und BGE 64 I 64 erkannt wurde, ist der Umwandlungsentscheid eine Ergänzung des Bussenentscheides und bezweckt, diesen in anderer Form vollziehbar zu machen, damit er nicht überhaupt unvollzogen bleibt. Die Umwandlungsstrafe ist nur Ersatz für die eigentlich zu leistende Geldstrafe ( BGE 103 Ib 190 ). Deshalb muss der Vollzug der Umwandlungsstrafe entfallen, wenn ihm eine nachträgliche Zahlung der Busse zuvorkommt, denn mit der Geldleistung ist das Bussenurteil erfüllt und bedarf keines Ersatzes mehr ( BGE 69 IV 155 , BGE 64 I 65 ). Den behelfsmässigen Charakter der Umwandlungsstrafe und ihre Abhängigkeit vom Bussenentscheid zeigt auch der Umstand, dass der Richter ihre auf drei Monate begrenzte Dauer nach der Höhe der Busse zu bestimmen hat ( Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 StGB ) und keine neue Wertung gemäss dem für Freiheitsstrafen sonst geltenden Art. 63 StGB vornehmen kann. Da der auf Geldleistung gerichtete Strafanspruch des Staates aber mit der Ausfällung des Bussenurteils und dessen Nichtanfechtung rechtskräftig festgestellt wird und der Grund der Umwandlung nicht darin liegt, dass das Bussenurteil nicht rechtlich vollstreckbar wäre, sondern nur darin, dass es faktisch nicht durchsetzbar ist, weil sich der Verurteilte seiner Zahlungspflicht entzieht (s. SCHULTZ, Einführung in den Allg. Teil des Strafrechts, 2. Aufl. S. 208), steht der Beginn der Vollstreckungsverjährung fest. Diese setzt gemäss Art. 74 StGB mit dem Tag ein, an dem das Bussenurteil rechtlich vollstreckbar wird. Die in dieser Bestimmung für den Fall des bedingten Strafvollzuges BGE 105 IV 14 S. 17 und des Aufschubs der Strafe zugunsten einer Massnahme vorgesehene abweichende Ordnung kann nicht analog auf den Fall der Umwandlung einer Busse in Haft angewendet werden. Das Gesetz enthält hier eine ausdrücklich auf diese beiden Fälle beschränkte Ausnahme von der Regel (vgl. zum alten Art. 74 StGB : BGE 90 IV 6 ; zum rev. StGB: BBl I 583 unten). Zudem ist Analogie im Strafrecht nur zugunsten des Angeklagten bzw. Verurteilten zulässig, nicht zu seinem Nachteil ( BGE 103 IV 130 mit Verweisungen). Die Tatsache schliesslich, dass der Umwandlungsentscheid prozessual kein Vollzugs-, sondern ein materieller Entscheid ist, der als solcher mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden kann ( BGE 74 IV 60 ), ändert nichts daran, dass die Umwandlung eine blosse Ergänzung des Bussenentscheides darstellt, dessen rechtliche Vollstreckbarkeit allein massgebend ist für den Beginn der Verjährungsfrist. 3. Begann aber die Vollstreckungsverjährung nicht erst mit dem Umwandlungsentscheid, sondern bereits mit der nach kantonalem Prozessrecht zu bestimmenden (Schultz, a.a.O.) rechtlichen Vollstreckbarkeit des Bussenurteils, so war die Busse schon im Zeitpunkt des obergerichtlichen Entscheides vom 24. November 1978 absolut verjährt, und zwar selbst dann, wenn man neben der Appellationsfrist von 10 Tagen (Art. 298 Abs. 3 bern. StrV), die am 26. Februar 1975 mit der mündlichen Eröffnung des Urteils begann, noch die in Art. 361 bern. StrV für die Mitteilung des Strafurteils an die Vollstreckungsbehörden vorgeschriebene Höchstfrist von fünf Tagen einbezieht.
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84061888-fecc-47ab-b30b-079c0ca58079
Sachverhalt ab Seite 206 BGE 135 IV 206 S. 206 A. Am 3. August 2006 bzw. 9. Januar 2007 eröffnete der Ermittlungsrichter der Jugendstrafkammer des Kantons Freiburg je eine Strafuntersuchung gegen X. Der am 22. November 1988 geborene Angeschuldigte war im Zeitpunkt der betreffenden untersuchten Delikte (Angriff, evtl. Raub, sowie Vergewaltigung) noch minderjährig. Am 22. November 2007 eröffnete das (ordentliche) kantonale Untersuchungsrichteramt gegen denselben Angeschuldigten ein BGE 135 IV 206 S. 207 weiteres Strafverfahren wegen neuen mutmasslichen Delikten (Erpressung, evtl. Raub), die dieser nach Vollendung des 18. Altersjahrs verübt habe. B. Am 21. Dezember 2007 anerkannte der Jugendermittlungsrichter seine sachliche Zuständigkeit auch für die am 22. November 2007 eröffnete Strafuntersuchung. Auf dessen Anfrage hin teilte ihm der Präsident der Strafkammer des Kantonsgerichtes des Kantons Freiburg am 29. Januar 2008 mit, dass das Jugendstrafrecht anwendbar bleibe, wenn gegen eine Person, gegen die bereits ein Jugendstrafverfahren hängig ist, vom ordentlichen Untersuchungsrichter ein Strafverfahren eröffnet wird wegen mutmasslichen Delikten, die nach dem vollendeten 18. Lebensjahr verübt wurden. (...) C. Mit Verfügung vom 4. August 2008 trat der Jugendermittlungsrichter die Strafuntersuchungen an das kantonale Untersuchungsrichteramt ab. Dagegen erhob der Angeschuldigte am 12. August 2008 Beschwerde beim Kantonsgericht. Mit Urteil vom 11. November 2008 hob dessen Strafkammer die Verfügung des Jugendermittlungsrichters vom 4. August 2008 von Amtes wegen auf und überwies die Beschwerdesache zuständigkeitshalber dem Präsidenten der Strafkammer. Mit Urteil vom 13. November 2008 erklärte dieser den Jugendermittlungsrichter als zuständig für die Durchführung der fraglichen Strafuntersuchungen. D. Gegen den Entscheid vom 13. November 2008 des Präsidenten der Strafkammer des Kantonsgerichtes gelangte die kantonale Staatsanwaltschaft mit Beschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und das kantonale Untersuchungsrichteramt sei für die Weiterführung der hängigen Verfahren als zuständig zu erklären. (... ) Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. (Auszug) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Seit 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 20. Juni 2003 über das Jugendstrafrecht (JStG; SR 311.1) in Kraft. Bis zum Inkrafttreten der Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung vom 20. März 2009 (JStPO) enthält das JStG auch jugendstrafprozessuale Rahmenbestimmungen bzw. Regeln zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche des Jugend- und Erwachsenenstrafprozesses. Das JStG gilt für Personen, die zwischen dem vollendeten 10. und dem vollendeten 18. Altersjahr eine mit Strafe bedrohte Tat BGE 135 IV 206 S. 208 begangen haben ( Art. 3 Abs. 1 JStG ). Sind gleichzeitig eine vor und eine nach Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat zu beurteilen, so ist hinsichtlich der Strafen nur das StGB anwendbar ( Art. 3 Abs. 2 Satz 1 JStG ). Dies gilt auch für die Zusatzstrafe ( Art. 49 Abs. 2 StGB ), die für eine Tat auszusprechen ist, welche vor Vollendung des 18. Altersjahres begangen wurde ( Art. 3 Abs. 2 Satz 2 JStG ). Bedarf der Täter einer Massnahme, so ist diejenige Massnahme nach dem StGB oder nach dem JStG anzuordnen, die nach den Umständen erforderlich ist ( Art. 3 Abs. 2 Satz 3 JStG ). Wurde ein Verfahren gegen Jugendliche eingeleitet, bevor die nach Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat bekannt wurde, so bleibt dieses Verfahren anwendbar ( Art. 3 Abs. 2 Satz 4 JStG ). Andernfalls ist das Verfahren gegen Erwachsene anwendbar ( Art. 3 Abs. 2 Satz 5 JStG ). Im französischen Gesetzeswortlaut von Art. 3 Abs. 2 Satz 4 JStG heisst es analog: "Lorsqu'une procédure pénale des mineurs est introduite avant la connaissance d'un acte commis après l'âge de 18 ans, cette procédure reste applicable". Der italienischsprachige Gesetzestext lautet demgegenüber: "In questi casi rimane applicabile la procedura penale minorile avviata prima di essere venuti a conoscenza dell'atto commesso dopo il compimento del 18° anno di età". 3. Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, dass hängige Jugendstrafverfahren bei Übergangstätern nicht nur bei deren Massnahmebedürftigkeit beizubehalten seien. Der deutsche und französische Gesetzeswortlaut sei diesbezüglich genügend klar, und weder die Entstehungsgeschichte noch der anders lautende italienische Gesetzestext sprächen für eine abweichende Lösung. 4. Die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft macht geltend, gemäss dem italienischsprachigen Gesetzestext von Art. 3 Abs. 2 Satz 4 JStG ("in questi casi") bleibe das Jugendstrafverfahren nur in den Fällen anwendbar, in denen Massnahmen anzuordnen sind. Der deutsche und der französische Gesetzeswortlaut beruhten insofern auf einem redaktionellen Versehen. Dies ergebe sich insbesondere aus den Materialien. Im vorliegenden Fall habe das psychiatrische Gutachten vom 4. Juni 2008 zwar die Massnahmenbedürftigkeit des Angeschuldigten festgestellt. Es fehle jedoch an seiner Massnahmenfähigkeit, zumal er unterdessen ausgeschafft worden sei. Da dem Angeschuldigten im Falle einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe drohe, sei das Erwachsenen-Strafprozessrecht anwendbar. BGE 135 IV 206 S. 209 5. Wie sich aus den Akten ergibt, war gegen den Angeschuldigten bereits ein Jugendstrafverfahren hängig, bevor die nach Vollendung des 18. Altersjahres mutmasslich begangene Tat bekannt wurde. 5.1 Nach dem deutschen und französischen Wortlaut und dem Wortsinn von Art. 3 Abs. 2 Sätze 4-5 JStG bliebe hier somit das Jugendstrafverfahren anwendbar, und zwar unabhängig davon, ob eine Massnahme (nach StGB oder JStG) in Frage kommt. Die Auslegung, welche die Staatsanwaltschaft der italienischen Sprachfassung zuteil werden lässt, würde nicht nur zu einem Widerspruch gegenüber dem deutschen und französischen Gesetzestext führen. Die von ihr vertretene restriktive Interpretation erscheint (schon im Rahmen der grammatikalischen Auslegung) auch nicht zwingend: Art. 3 JStG regelt den persönlichen Geltungsbereich des Jugendstraf- und Strafprozessrechtes in den sogenannten "gemischten Fällen", bei denen gleichzeitig Straftaten zu verfolgen sind, die der Angeschuldigte vor und nach Vollendung seines 18. Altersjahrs verübt haben soll (vgl. MICHEL DUPUIS ET AL. [Hrsg.], Code pénal 1, Petit commentaire, 2008, N. 42 zu Art. 3 JStG ; GÜRBER/HUG/SCHLÄFLI, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 12 ff. zu Art. 3 JStG ; DIETER HEBEISEN, Das neue materielle Jugendstrafrecht, in: Bänziger/Hubschmid/Sollberger [Hrsg.], Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, 2006, S. 187 ff., 189; MARCEL RIESEN, Das neue Jugendstrafgesetz, ZStrR 123/2005 S. 18 ff., 21). Der Ausdruck "in questi casi" kann sich sprachlogisch-syntaktisch auch auf die generelle Problematik der (in Art. 3 Abs. 2 Sätze 1-3 JStG genannten) " gemischten " Fälle beziehen, anstatt ausschliesslich auf die (in Art. 3 Abs. 2 Satz 3 JStG genannten) Massnahmenfälle . Bei dieser Auslegung ergäbe sich auch kein Widerspruch zum deutschen und französischen Gesetzestext. 5.2 Den Gesetzesmaterialien lässt sich Folgendes entnehmen: Die neue verfahrensrechtliche Regelung der "gemischten Fälle" (Art. 3 Abs. 2 Sätze 4-5 JStG) wurde erst im Zuge der nationalrätlichen Beratungen in die Gesetzesvorlage aufgenommen (vgl. Botschaft und Entwurf zum JStG vom 21. September 1998, BBl 1999 1979 ff., 2216 ff. Ziff. 411 ff., 2400 ff., 2401). Der Vorentwurf JStG (1993) und der Entwurf des Bundesrates (1998) hatten (für sogenannte "Übergangstäter") sanktionenrechtlich die ausschliessliche Anwendbarkeit des StGB vorgesehen (vgl. BBl 1999 2401). Diesen BGE 135 IV 206 S. 210 Entwürfen erwuchs breite Kritik in der jugendstrafrechtlichen Doktrin, weil sie den Anwendungsbereich des Jugendstrafrechtes erheblich eingeschränkt und in vielen Fällen aufwändige Bemühungen der Jugendstrafbehörden (etwa im Rahmen vorsorglicher stationärer Platzierungen) unterlaufen hätten (vgl. GÜRBER/HUG/SCHLÄFLI, a.a.O., N. 13 zu Art. 3 JStG ). Während die ständerätliche vorberatende Kommission bei "gemischten Fällen" sowohl sanktions- als auch verfahrensrechtlich weiterhin auf das Erwachsenenstrafrecht hatte abstellen wollen, machte sich die nationalrätliche Kommission mit Erfolg für einen "Mittelweg" stark. In der Version der ersten Lesung im Nationalrat wurde Art. 3 Abs. 2 Satz 4 JStG noch mit der Formulierung "in diesen Fällen" ("dans ces cas"/"in questi casi") eingeleitet. Die Kommissionssprecherin schlug daraufhin folgende Regelung vor: "Gelangt das Gericht zur Ansicht, es müsse für die Tat eine Strafe ausgefällt werden, kommt das Strafensystem des Erwachsenenstrafrechtes zur Anwendung. Entscheidet sich das Gericht für eine Massnahme, so stehen die Massnahmen sowohl dieses Gesetzes, als auch des Erwachsenenstrafrechts zur Verfügung. Ist bereits ein Verfahren pendent, dann bleiben die Jugendstrafrechtsbehörden zuständig" (Kommissionssprecherin Anita Thanei, AB 2002 N 128 f.). Diese vom Nationalrat verabschiedete Version wurde vom Ständerat diskussionslos genehmigt (AB 2002 S 303). Weshalb der italienischsprachige Gesetzestext der (nach der ersten Lesung des Nationalrates geänderten) deutschen und französischen Fassung nicht angepasst wurde, lässt sich den Materialien nicht entnehmen (insofern a.M. GÜRBER/HUG/SCHLÄFLI, a.a.O., N. 18 zu Art. 3 JStG ). 5.3 Sinn und Zweck des Gesetzes ist es, in "gemischten Fällen" eine sachfragenorientierte, differenzierte und verfahrenseffiziente Lösung anzustreben, anstatt pauschal und nach einem starren Kriterium entweder das Sanktionsrecht des StGB bzw. das Verfahrensrecht für Erwachsene oder das JStG bzw. das Jugendstrafprozessrecht für anwendbar zu erklären. Die aus dem deutsch- und französischsprachigen Gesetzestext (und aus den Materialien) sich ergebende Grundregel erscheint sachgerecht und dient auch der Verfahrenseffizienz. Ein Jugendstrafverfahren, das vor Bekanntwerden von Straftaten eingeleitet wurde, die nach Vollendung des 18. Altersjahres verübt wurden, bleibt zwar grundsätzlich anwendbar ( Art. 3 Abs. 2 Satz 4 JStG ). Für die Festlegung von Strafen (auch von Zusatzstrafen für Straftaten, die vor der Volljährigkeit verübt wurden) ist jedoch BGE 135 IV 206 S. 211 ausschliesslich das StGB massgeblich (Art. 3 Abs. 2 Sätze 1-2 JStG). Eine Ausnahme von der ausschliesslichen Anwendbarkeit des StGB greift Platz, wenn der Täter einer Massnahme bedarf; in diesem Fall ist diejenige Massnahme nach dem StGB oder nach dem JStG anzuordnen, die nach den Umständen erforderlich ist ( Art. 3 Abs. 2 Satz 3 JStG ). Diese differenzierte Regelung in "gemischten Fällen" trägt dem Umstand, dass der bei der Verfolgung bzw. Beurteilung volljährige Täter bei den ersten Straftaten noch minderjährig war, in zweifacher Hinsicht Rechnung: Zum einen bleibt (trotz Anwendung des StGB bei der Festlegung von Strafen oder StGB-Massnahmen) das Jugendstrafprozessrecht anwendbar. Zum anderen können bei "Übergangstätern" auch noch Massnahmen nach JStG angeordnet werden, wenn diese sich sachlich aufdrängen. Im Interesse der Verfahrensökonomie verhindert diese Lösung auch unnötige Prozessleerläufe, indem von einem bereits pendenten Jugendstrafverfahren in den Erwachsenenstrafprozess gewechselt werden müsste, wodurch andere Behörden sich in den Fall einarbeiten müssten, auf die sich auch die Parteien neu einzustellen hätten. In diesem Zusammenhang könnte nicht zuletzt die Wiederholung von aufwändigen Untersuchungshandlungen drohen. Ein abrupter Wechsel vom Jugend- zum Erwachsenenstrafprozess erschiene bei "gemischten Fällen" in der Regel umso störender, als die hängigen Jugendstrafverfahren oft bereits weit vorangeschritten sind, wenn neue Straftaten bekannt werden, die erst nach Vollendung des 18. Altersjahres begangen wurden (vgl. GÜRBER/HUG/SCHLÄFLI, a.a.O., N. 19 zu Art. 3 JStG ). Demgegenüber sind kaum überzeugende Gründe erkennbar, das Jugendstrafverfahren nur dann beizubehalten, wenn Massnahmen nach StGB oder JStG in Frage kommen. Allerdings wird die gesetzliche Regelung von Art. 3 Abs. 2 JStG mit Recht als teilweise widersprüchlich bzw. lückenhaft kritisiert (vgl. GÜRBER/HUG/SCHLÄFLI, a.a.O., N. 17-19 zu Art. 3 JStG ). So sind besondere Fälle von Schwerstkriminalität denkbar, bei denen sich de lege lata stossende Konsequenzen ergeben könnten. Beispielsweise erschiene es kaum sinnvoll, wenn Jugendstrafbehörden, die einen Diebstahl verfolgen, auch ein Tötungsdelikt beurteilen müssten, welches der Täter nach Vollendung des 18. Altersjahres begangen hat. Solche Fälle, bei denen sich ausnahmsweise die Anwendung des Erwachsenen-Strafprozessrechts aufdrängen könnte, sind BGE 135 IV 206 S. 212 allerdings eher selten. Bis zum Erlass einer konsistenteren gesetzlichen Regelung ist die Gerichtspraxis gehalten, auslegungsweise (und nötigenfalls durch Lückenfüllung) für sachgerechte Lösungen zu sorgen. Im vorliegenden Fall erweist sich die Beibehaltung des eingeleiteten Jugendstrafprozesses als sinnvoll und gesetzeskonform. 5.4 Nach dem Gesagten hält der angefochtene Entscheid, der den vorliegenden "gemischten Fall" dem Jugendermittlungsrichter zur Weiterführung des Jugendstrafverfahrens zuweist, vor dem Bundesrecht stand. Es kann offenbleiben, ob dem Angeschuldigten im Falle einer Verurteilung eine Massnahme oder eine Freiheitsstrafe droht.
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Sachverhalt ab Seite 167 BGE 115 Ib 166 S. 167 Am 13. Januar 1986 beschloss der Gemeinderat Rafz die Einleitung eines amtlichen Quartierplanverfahrens für das Gebiet "Industrie- und Gewerbezone". In den Perimeter wurde auch die ca. 32 000 m2 umfassende Parzelle Nr. 4814 der Schweizerischen Bundesbahnen einbezogen, auf der sich die Stations- und Geleiseanlagen befinden. Eine Teilfläche dieser Parzelle von ca. 2000 m2 wird von den SBB an Jürg Sigg vermietet, welchem der Gemeinderat Rafz mit Baubewilligungen vom 2. Oktober 1979 und 9. Februar 1982 die Errichtung eines Lagerplatzes mit Lagerboxen, Bürogebäude und Einstellhalle sowie die Anlage eines Mustergartens und eines Steinlagers gestattet hatte. Gegen den Beschluss des Gemeinderates vom 13. Januar 1986, mit dem auch das Quartierplangebiet abgegrenzt wurde, erhoben die SBB bei der kantonalen Baurekurskommission Rekurs mit dem Antrag, das Beizugsgebiet sei derart festzulegen, dass das BGE 115 Ib 166 S. 168 Eisenbahnbetriebsgebiet der Station Rafz (Parzelle Nr. 4814) nicht berührt werde. Die Baurekurskommission I des Kantons Zürich wies den Rekurs am 24. Oktober 1986 ab, worauf die SBB an das kantonale Verwaltungsgericht gelangten. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde am 26. Mai 1987 ebenfalls ab, weil der neue Art. 18a des Eisenbahngesetzes die Unterstellung von Bahnbetriebsgrundstücken unter das kommunale Planungsrecht zulasse. Diesen Entscheid haben die SBB beim Bundesgericht angefochten. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Das Zürcher Verwaltungsgericht hat sich bei seinem Entscheid über den Einbezug der Parzelle Nr. 4814 in das Quartierplanverfahren in erster Linie auf Art. 18a des Eisenbahngesetzes in der Fassung vom 8. Oktober 1982 (EBG; SR 742.101) und im übrigen auf die Bestimmungen des zürcherischen Planungs- und Baugesetzes vom 7. September 1975 (PBG) gestützt. Nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen ist das Eisenbahngesetz teils willkürlich angewandt, teils missachtet worden und hätte das kantonale Recht überhaupt nicht zum Zuge kommen dürfen. Ob öffentliches Recht des Bundes durch unrichtige Auslegung oder Anwendung verletzt oder zu Unrecht übergangen worden sei, ist nach ständiger Rechtsprechung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu prüfen, sofern keiner der in Art. 99-101 OG oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen Ausschlussgründe gegeben ist ( BGE 114 Ib 83 E. 1a; BGE 113 Ib 397 ; BGE 112 Ib 165 f., 237 E. 2a). Dabei kann auch die Verletzung von Bundesverfassungsrecht, insbesondere der Verstoss gegen Art. 4 BV , mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht werden ( BGE 114 Ib 83 E. 1a; BGE 112 Ib 237 E. 2a). Die Rechtsmitteleingabe der Beschwerdeführerinnen ist daher als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln. 2. Nach § 147 PBG wird das amtliche Quartierplanverfahren auf Gesuch eines Grundeigentümers oder durch den Gemeinderat von Amtes wegen eingeleitet. Im Beschluss über die Verfahrenseinleitung ist gemäss § 23 der Quartierplanverordnung vom 18. Januar 1978 insbesondere über die Zulässigkeit und die Zweckmässigkeit der Gebietsabgrenzung zu entscheiden. Mit dem Rekurs gegen die Einleitung des Quartierplanverfahrens oder dessen Verweigerung kann nach der Vorschrift von § 148 Abs. 2 PBG nur geltend gemacht werden, die Voraussetzungen für die Durchführung des Verfahrens fehlten oder sie seien gegeben; Einwendungen BGE 115 Ib 166 S. 169 dieser Art können später nicht mehr erhoben werden. Gemäss der Praxis der Zürcher Rechtsmittelinstanzen wird allerdings mit Rücksicht auf § 23 der Quartierplanverordnung auch die Rüge zugelassen, das Beizugsgebiet sei nicht richtig abgegrenzt worden und müsse durch Entlassung von Grundstücken verkleinert werden (RB des Verwaltungsgerichtes 1980 Nr. 106, Entscheid der Baurekurskommission I Nr. 8/1983, publ. in Baurechtsentscheide 1984 Nr. 13; MÜLLER/ROSENSTOCK/WIPFLI/ZUPPINGER, Kommentar zum PBG, N. 2 zu § 148). Über diese Einwendung wird indessen nicht endgültig entschieden, kann doch der Grundeigentümer später, während der zweiten Auflage des Quartierplanentwurfes, noch um Entlassung aus dem Quartierplanverfahren ersuchen ( § 155 Abs. 1 lit. b PBG ). Das Verwaltungsgericht bemerkt denn auch in seiner Vernehmlassung zur vorliegenden Beschwerde, es stehe einstweilen noch nicht fest, ob der Quartierplan in seiner endgültigen Ausgestaltung überhaupt Bahnbetriebsgebiet erfasse. Es stellt sich daher die Frage, ob es sich beim angefochtenen Urteil um einen Teil- oder um einen blossen Zwischenentscheid handle. Einerseits wird in der Praxis die im Einleitungsbeschluss getroffene Gebietsabgrenzung als Vorentscheid bezeichnet (vgl. zit. Entscheid der Baurekurskommission I E. 2c). Andererseits hat hier das Verwaltungsgericht in abschliessender Weise festgestellt, dass nach dem neuen Eisenbahngesetz auch Bahnbetriebsgrundstücke in ein kantonalrechtliches Quartierplanverfahren einbezogen werden könnten. Insofern ist das Urteil wohl als Teilentscheid zu betrachten (vgl. BGE 107 Ib 343 E. 1). Die Frage braucht jedoch nicht endgültig beantwortet zu werden, da die Beschwerdeführerinnen jedenfalls die für die Anfechtung von Zwischenentscheiden geltende zehntägige Beschwerdefrist eingehalten und ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen Aufhebung des Entscheides haben, durch den sie grundsätzlich der Quartierplanpflicht unterstellt worden sind (vgl. BGE 112 Ib 422 E. 2c, BGE 109 Ib 132 ). Damit ist auch gesagt, dass sie zur Beschwerdeführung legitimiert sind ( Art. 103 lit. a OG ). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. 3. a) Das Verwaltungsgericht räumt im angefochtenen Entscheid zu Recht ein, dass aufgrund von Art. 26 BV , Art. 14 des Eisenbahngesetzes von 1872 und Art. 18 des Eisenbahngesetzes von 1957 vorwiegend die Auffassung galt, die Bahnbetriebsgrundstücke unterstünden hinsichtlich ihrer Nutzung ausschliesslich den bundesrechtlichen Bestimmungen. BGE 115 Ib 166 S. 170 Art. 18 EBG in der Fassung vom 20. Dezember 1957 lautete: "1 Die Pläne für die Erstellung und Änderung der dem Bahnbetrieb dienenden Anlagen und Fahrzeuge sind, soweit der Bundesrat nichts anderes bestimmt, vor ihrer Ausführung von der Aufsichtsbehörde zu genehmigen. Der Genehmigung bedürfen ferner Abweichungen von genehmigten Plänen sowie Bauvorhaben Dritter, welche dem Bahnbetrieb dienende Grundstücke beanspruchen oder die Sicherheit der Bahn und ihres Betriebes oder den Ausbau von Bahnanlagen beeinträchtigen können. 2 Die beteiligten Bundesbehörden und die Kantone sind vor der Genehmigung der Pläne für Bahnanlagen anzuhören. Die Anhörung der Gemeinden ist Sache der Kantone. 3 Die auf die kantonale Gesetzgebung, namentlich über die Bau-, Feuer- und Gesundheitspolizei gestützten Anträge sind bei der Plangenehmigung zu berücksichtigen, soweit sie mit der Bundesgesetzgebung und den Bedürfnissen des Eisenbahnbaues und -betriebes vereinbar sind. 4 Unter Vorbehalt der Bundesgesetzgebung über die Enteignung ist mit der rechtskräftigen Genehmigung über alle gegen die Pläne erhobenen Einwendungen entschieden." In Auslegung dieser Vorschrift wurde in der Lehre - ähnlich wie bei der Interpretation von Art. 14 des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1972 mit im wesentlichen gleichem Inhalt - festgestellt, dass auf Bauten, Anlagen und Grundstücke, die ausschliesslich dem Bahnbetrieb dienen, das kantonale Bau- und Planungsrecht grundsätzlich nicht anwendbar sei, dieses aber nach Möglichkeit im bundesrechtlichen Bewilligungsverfahren berücksichtigt werden solle; betriebsfremde Bauten und betriebsfremd genutzte Areale unterstünden dagegen dem kantonalen Recht. Bei "gemischten" Bauten sei neben dem eisenbahnrechtlichen Plangenehmigungs- auch ein kantonales Baubewilligungsverfahren durchzuführen, soweit eine getrennte Behandlung der verschiedenen Bauteile möglich sei (vgl. KÄLIN, Das Eisenbahnpolizeirecht, Diss. Zürich 1976, S. 46 ff., 106; MEYLAN, Le domaine ferroviaire en droit comparé, Diss. Lausanne 1966, S. 345; HAUSER EDWIN, Die Bindungen des Bundes an das kantonale Recht, Diss. Zürich 1962 S. 56 f.; zu Art. 14 EBG von 1872 vgl. TINNER, Rechtsbeziehungen zwischen Bund und Kantonen im Eisenbahnwesen, Diss. Zürich 1941, S. 68 ff., 122 ff. und dort zitierte Literatur; s. auch BURCKHARDT, Kommentar zu Art. 26 BV S. 194 f.). An dieser Auffassung ist hinsichtlich des Verhältnisses des Eisenbahngesetzes zum kantonalen Planungsrecht auch nach der Aufnahme von Art. 22quater in die Bundesverfassung und nach Einführung des Bundesgesetzes über die Raumplanung festgehalten worden (vgl. KÄLIN, a.a.O., S. 46 ff.; EJPD/BRP, Erläuterungen zum RPG, Einleitung N. 81). BGE 115 Ib 166 S. 171 Auch nach der Rechtsprechung zu den genannten Bestimmungen sind Grundstücke und Bauten, die tatsächlich dem Eisenbahnbetrieb dienen, von der Anwendung kantonaler Bauvorschriften ausgenommen, und wird die Eisenbahnhoheit nur dort ausgeschlossen, wo Bahnareal zu anderen Zwecken benutzt wird. So ist noch unter der Herrschaft des Eisenbahngesetzes von 1872 entschieden worden, der SBB dürften keine Perimeterbeiträge für den Bau oder Ausbau von Gemeindestrassen auferlegt werden (Entscheide des Regierungsrates des Kantons Aargau und des Kleinen Rates des Kantons Graubünden aus den Jahren 1931/32, zusammengefasst in HESS, Die neuere Eisenbahngesetzgebung des Bundes, Bd. I S. 50 f.). Für die Errichtung eines nicht dem Bahnbetrieb dienenden Lagerplatzes mit Schuppen auf Grundeigentum der SBB bedürfe es dagegen einer kantonalen Baubewilligung (Obergericht des Kantons Zürich, 27. Mai 1930, SJZ 27 S. 103 f.; Regierungsrat des Kantons Zürich, 8. Mai 1930, ZBl 30/1931 S. 389 ff.). Parzellen der SBB, deren Verwendungsart noch nicht feststehe und die aller Voraussicht nach nicht für Betriebszwecke bestimmt seien, dürften in einen kommunalen Bebauungsplan einbezogen werden; würden auf dem Areal später dennoch Betriebsanlagen erstellt, so verlören die auf kantonalem Recht beruhenden Verfügungen der Gemeindebehörden ohne weiteres ihre Rechtswirksamkeit (Regierungsrat des Kantons Luzern, 28. April 1949, ZBl 51/1950 S. 505 ff.; Stadtrat von St. Gallen, 16. August/ 4. September 1956, ZBl 59/1958 S. 112 ff.). Nach dem Inkrafttreten des Eisenbahngesetzes von 1957 hat der Aargauer Regierungsrat (allerdings noch gestützt auf Art. 14 des alten Gesetzes) erwogen, die Abstandsvorschriften der Gemeinde könnten beim Bau eines Einstellraumes für Velos und Motorräder auf dem Stationsareal keine Geltung beanspruchen (ZBl 63/1962 S. 42 ff.), während der Berner Regierungsrat die Auffassung vertrat, nach Art. 18 Abs. 3 EBG sei das kantonale Baurecht grundsätzlich ebenfalls für die dem Bahnbetrieb dienenden Bauten zu beachten (Entscheid vom 16. April 1969, MBV 67/1969 Nr. 34). Der Bundesrat hielt auch in Anwendung von Art. 18 EBG daran fest, dass eine kommunale Ortsplanung für Bahnbetriebsgrundstücke nicht verbindlich sei, solange sie von der zuständigen Bundesbehörde nicht genehmigt worden sei (VPB 32 Nr. 142). b) Das Verwaltungsgericht vertritt die Meinung, durch die Änderung des Eisenbahngesetzes vom 8. Oktober 1982 (in Kraft seit 1. Januar 1985), insbesondere durch die Einführung von Art. 18a, BGE 115 Ib 166 S. 172 seien hinsichtlich der Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen neue Verhältnisse geschaffen und sei der Einflussbereich des kantonalen Rechts vergrössert worden. Die neuen Bestimmungen sehen, soweit sie hier in Betracht fallen, folgendes vor: " Art. 18 1 Die Pläne für die Erstellung und Änderung von Bauten, Anlagen und Fahrzeugen, die ganz oder überwiegend dem Bahnbetrieb dienen, sind vor ihrer Ausführung allein von der Aufsichtsbehörde zu genehmigen. 2 Die beteiligten Bundesstellen, Kantone, Gemeinden und die betroffenen Grundeigentümer sind vor der Genehmigung der Pläne für Bauten und Anlagen anzuhören. Die Anhörung von Gemeinden und betroffenen Grundeigentümern ist Sache der Kantone. 3 Die auf kantonales Recht gestützten Anträge sind soweit zu berücksichtigen, als ihre Anwendung die Bahnunternehmung in der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht unverhältnismässig einschränkt. 4 (Vorbehalt der Enteignung.) 5 (Kompetenz des Bundesrates zur Ordnung des Verfahrens) Art. 18a 1 Die Erstellung und die Änderung von anderen Bauten und Anlagen unterstehen dem kantonalen Recht. Sie bedürfen jedoch der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde, wenn: a. sie Bahngrundstücke beanspruchen oder an solche angrenzen; b. das Baugrundstück von einer Projektierungszone oder Baulinie erfasst ist; c. die Betriebssicherheit in Frage steht; d. sie den künftigen Ausbau von Bahnanlagen verunmöglichen oder erheblich erschweren. 2-5 (Einzelheiten der Erteilung der Genehmigung)." Der Vergleich der neuen gesetzlichen Regelung mit der alten ergibt, dass über die vorgesehene Nutzung von eigentlichen Bahnbetriebsgrundstücken weiterhin ausschliesslich im bundesrechtlichen Plangenehmigungsverfahren entschieden wird. Das gilt - wie neu präzisiert wird - auch für Bauten und Anlagen, die "überwiegend" dem Bahnbetrieb dienen. Die auf kantonales Recht gestützten Anträge sind allerdings nicht nur dann zu berücksichtigen, wenn sie mit den Bedürfnissen des Eisenbahnbetriebes vereinbar sind, sondern schon, wenn durch dessen Anwendung die Bahn in der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht unverhältnismässig eingeschränkt wird. Damit soll, wie in der bundesrätlichen Botschaft zur Gesetzesänderung ausgeführt wird (BBl 1981 I S. 331), dem Verhältnismässigkeitsprinzip vermehrt Rechnung getragen werden. In Art. 18a wird nun in Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis ausdrücklich festgehalten, dass betriebsfremde BGE 115 Ib 166 S. 173 Bauten und Anlagen dem kantonalen Recht unterstehen. Neben dieser Klarstellung dient Art. 18a gemäss der bundesrätlichen Botschaft vor allem der Verfahrensregelung (a.a.O., S. 332; vgl. auch GAUDERON, L'approbation des plans en matière ferroviaire, Revue de droit administratif et de droit fiscal 42/1986 S. 346 ff.), Somit zeigt sich, dass die neuen Gesetzesbestimmungen - was das Bundesgericht bereits in BGE 111 Ib 41 f. E. 5 erwähnt hat - nichts Wesentliches an der rechtlichen Situation von Bahngrundstücken ändern. Wie in jenem Entscheid dargelegt worden ist, hängt auch nach neuem Recht die Beantwortung der Frage, ob Bauten oder Anlagen bzw. die entsprechenden Grundstücke grundsätzlich dem Eisenbahnrecht des Bundes oder auch dem kantonalen Bau- und Planungsrecht unterliegen, davon ab, ob sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bahnbetrieb stehen bzw. unmittelbar diesem dienen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, die Bahnbetriebs-Anlagen seien gemäss neuem Recht auch in formeller Hinsicht nicht mehr von der Anwendung kantonalen Rechts befreit, erweist sich damit als unrichtig. c) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes kann der Einbezug des gesamten Stations-Areals in das Quartierplanverfahren gestützt auf Art. 18a Abs. 1 EBG verfügt werden, nämlich in Auslegung dieser Vorschrift in dem Sinne, dass das Quartierplanunternehmen als "Anlage" gelten könne, welche ein Bahngrundstück beanspruche (Art. 18a Abs. 1 lit. a). Eine solche Interpretation geht jedoch fehl. Der Quartierplan nach zürcherischem Recht ist ein planungsrechtliches Institut, ein Mittel zur Realisierung der Nutzungsplanung mit dem Zweck, aus Rohbauland durch Landumlegung einerseits und durch Feinerschliessung andererseits unmittelbar nutzungsfähigen Boden zu schaffen (vgl. MÜLLER/ ROSENSTOCK/WIPFLI/ZUPPINGER, Vorbemerkungen zu § § 123-202 PBG N. 1-3). Ein solcher Plan sieht zwar in der Regel (Erschliessungs-) Anlagen vor, doch kann weder er selbst noch das zu ihm führende Verfahren als baubewilligungspflichtige Anlage im Sinne von Art. 18a EBG und Art. 22 oder 24 RPG verstanden werden. Unhaltbar ist übrigens auch, Grundstücke mit ausschliesslich dem Bahnbetrieb dienenden Anlagen und Bauten Art. 18a statt Art. 18 EBG unterstellen zu wollen, obschon sich jene Bestimmung nach dem Gesagten gerade auf betriebsfremde Nutzungen bezieht. Insofern verstösst der angefochtene Entscheid gegen Bundesrecht. 4. Es ist unbestritten, dass die Parzelle Nr. 4814, mit Ausnahme der an Jürg Sigg vermieteten Fläche, ausschliesslich dem Bahnbetrieb BGE 115 Ib 166 S. 174 dient. Sie untersteht daher, wie sich aus dem Sinn von Art. 18 EBG ergibt, der Eisenbahnhoheit des Bundes und bleibt der Anwendung kantonaler und kommunaler Bau- und Planungsvorschriften entzogen, soweit diese nicht in allfälligen bundesrechtlichen Plangenehmigungsverfahren zu berücksichtigen sind. Daran ändert nichts, dass das Stations-Grundstück im Rahmen der Nutzungsplanung der Gemeinde Rafz offenbar teils der Gewerbe-, teils der Industriezone zugeschlagen worden ist, ist doch der Zonenplan insofern bundesrechtswidrig und könnte nur für allfällige weitere betriebsfremde Nutzungen des Bodens Wirkungen entfalten. Das Bahnbetriebsgrundstück ist somit von der Quartierplanpflicht befreit. Es läge denn auch nicht im öffentlichen Interesse, eine solche Parzelle, die allein dem öffentlichen Verkehr und damit selbst der Erschliessung dient, gleich zu behandeln wie die zu privater Nutzung bestimmten Grundstücke, denen die Vorteile der Quartierplanung, insbesondere der verbesserten Erschliessung, in Form von Wertsteigerungen zugute kommen. Zudem erscheint der Einbezug des betriebsnotwendigen Bahnareals in eine Landumlegung als wenig zweckmässig, müsste doch der Bahn dieser Boden praktisch unverändert wieder zugeteilt werden oder könnte sich die Unternehmung bei Veränderung ihres Areals gezwungen sehen, von ihrem Enteignungsrecht Gebrauch zu machen. Das will nun allerdings nicht heissen, dass die mitten im Quartierplangebiet liegende Parzelle Nr. 4814 für Erschliessungsanlagen wie etwa Kanalisationsleitungen nicht beansprucht werden dürfte, doch muss sich diese Inanspruchnahme nach den bundesrechtlichen Vorschriften, insbesondere nach den Artikeln 24-32 EBG, richten. Ist übrigens der Bahnhof Rafz, wie die Gemeinde geltend macht, tatsächlich strassenmässig nur ungenügend erschlossen, werden sich die SBB wohl kaum weigern, den für einen Strassenausbau ab Parzelle Nr. 4814 benötigten Boden zur Verfügung zu stellen. Diese Erwägungen gelten nur für das eigentliche Bahnbetriebsgebiet, treffen aber für die ab Parzelle Nr. 4814 an Jürg Sigg vermietete Fläche nicht zu. Die auf diesem Teil des Bahngrundstücks erstellten Bauten und Anlagen - das Steinlager, der Mustergarten, das Bürogebäude, die Einstellhalle usw. - stehen nur in mittelbarem Zusammenhang mit dem Bahnbetrieb; dementsprechend ist für sie seinerzeit auch eine Baubewilligung der Gemeinde eingeholt worden. Soweit die Parzelle Nr. 4814 dauernd oder für längere Zeit für betriebsfremde Zwecke verwendet wird, BGE 115 Ib 166 S. 175 untersteht sie grundsätzlich dem kantonalen Planungsrecht und damit der Quartierplanpflicht. Nun geht aber aus den Akten nicht hervor, wie lange der Mietvertrag noch dauert, ob eine Weitervermietung vorgesehen ist oder ob die SBB die fragliche Fläche in absehbarer Zukunft.für bahneigene Zwecke zu nutzen gedenken. Im weiteren ist unklar, welche Teilfläche der insgesamt über 32 000 m2 umfassenden Parzelle vermietet wird - im angefochtenen Entscheid wird von rund 3500 bzw. 2000 m2 gesprochen - und ist offen, ob der Einbezug des relativ kleinen Teilgrundstücks in das Quartierplanverfahren überhaupt sinnvoll sei. Da es nicht Aufgabe des Bundesgerichtes sein kann, diese Fragen im Verwaltungsgerichtsverfahren praktisch erstinstanzlich zu prüfen, ist die Sache in teilweiser Gutheissung der Beschwerde zur Abklärung dieser noch offenen Punkte an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 129 BGE 107 III 128 S. 129 Die Horta Konzernleitung AG in Aarau und die Horta Generalunternehmung AG in Zürich sind beide im Konkurs. Die Schweizerische Kreditanstalt, der Schweizerische Bankverein, die Schweizerische Bankgesellschaft, die Schweizerische Volksbank und die Allgemeine Aargauische Ersparniskasse hatten der Horta Konzernleitung AG ein Darlehen gewährt, welches die Horta Generalunternehmung AG dadurch sicherstellte, dass sie dem Bankenkonsortium in ihrem Eigentum stehende auf den Inhaber lautende Eigentümerschuldbriefe zu Faustpfand übergab. Das Faustpfandrecht wurde von der Konkursverwaltung der Horta Generalunternehmung AG anerkannt; bei der Verwertung der mit den Schuldbriefen belasteten Liegenschaften ergab sich indessen für das Bankenkonsortium ein Pfandausfall. Dessen Begehren, diesen Pfandausfall im Konkurs der Horta Generalunternehmung AG als Fünftklassforderung zu kollozieren, lehnte die Konkursverwaltung ab, worauf die Banken eine entsprechende Kollokationsklage erhoben. Der Einzelrichter im beschleunigten Verfahren des Bezirks Zürich wies die Klage mit Urteil vom 27. November 1980 ab, und das Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich bestätigte diesen Entscheid mit Urteil vom 22. Mai 1981. Mit ihrer Berufung ans Bundesgericht beantragen die Klägerinnen die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und die Gutheissung ihrer Kollokationsklage. Das Bundesgericht weist die Berufung ab aus folgenden Erwägungen Erwägungen: 1. Hat ein in Konkurs gefallener Grundeigentümer in seinem Eigentum stehende Eigentümerschuldbriefe, die sein Grundstück belasten, zu Faustpfand gegeben, so ist die Forderung des Faustpfandgläubigers gemäss Art. 126 Abs. 1 VZG als faustpfandgesichert zu kollozieren und die verpfändeten Pfandtitel sind unter Hinweis auf die Faustpfandkollokation mit dem Betrag der zugelassenen Faustpfandforderung unter die grundpfandversicherten Forderungen aufzunehmen. Art. 76 KOV bestimmt sodann, dass vom Gemeinschuldner verpfändete Eigentümerpfandtitel nicht BGE 107 III 128 S. 130 separat versteigert werden dürfen, sondern bei der Versteigerung der Liegenschaft in der Weise zu liquidieren sind, dass in den Steigerungsbedingungen für den auf die Titel entfallenden Steigerungserlös Barzahlung zu verlangen ist und die Titel nach der Versteigerung zu entkräften sind. Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass zuerst der Faustpfandgläubiger die Masse für die bei der Versteigerung der Titel sich allenfalls ergebende Ausfallforderung belangen kann und nachher der Ersteigerer der Titel, wenn die Verwertung des Grundstückes diese nicht vollständig deckt, auch noch für diesen Ausfall mit seiner Forderung zugelassen werden muss ( BGE 106 III 73 E. 4 mit Hinweisen). Den erwähnten Vorschriften hat die Konkursverwaltung im vorliegenden Fall nachgelebt. 2. Die Klägerinnen stehen auf dem Standpunkt, sie könnten den auf ihren Faustpfandforderungen erlittenen Ausfall vorerst als Fünftklassforderung gegenüber der Beklagten, der Konkursmasse der Horta Generalunternehmung AG, geltend machen und müssten anschliessend mit dem noch verbleibenden Ausfall im Konkurs der Horta Konzernleitung AG, ihrer eigentlichen Darlehensschuldnerin, in der fünften Klasse kolloziert werden. Sie räumen zwar ein, dass die Horta Generalunternehmung AG ihnen nicht als Darlehensnehmerin haftet, sondern lediglich als Dritte ihnen ein Pfand zur Sicherstellung des Darlehens an die Horta Konzernleitung AG bestellt hat. Indessen sind sie der Auffassung, Gegenstand ihres Faustpfandrechtes sei nicht nur die in den Schuldbriefen verurkundete Grundpfandsicherheit, sondern in erster Linie die darin verbriefte Schuldbriefforderung. Deshalb müsse vorerst im Konkurs des Drittpfandbestellers diese Forderung, soweit sie nicht durch die Grundpfandverwertung gedeckt worden sei, als Fünftklassforderung behandelt werden, und erst der noch verbleibende Ausfall sei dann als Fahrnispfandausfall im Konkurs des Darlehensschuldners in der fünften Klasse zu kollozieren. Demgegenüber hält die Beklagte dafür, sie hafte als Drittpfandbestellerin lediglich mit dem Erlös, der aus der Verwertung des Grundpfandes auf die Schuldbriefe entfalle; soweit die Grundstückverwertung keine Deckung für die Schuldbriefe biete, handle es sich um eine Pfandausfallforderung, die nicht gegenüber dem Drittpfandbesteller, sondern allein gegenüber dem Schuldner der Darlehensforderung, im vorliegenden Falle der Horta Konzernleitung AG, als Forderung in der fünften Klasse geltend gemacht werden könne. BGE 107 III 128 S. 131 3. Das Obergericht hat die Klage mit zwei voneinander unabhängigen Begründungen abgewiesen und ausserdem auf die Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils verwiesen. Alle drei Begründungen werden von den Klägerinnen als bundesrechtswidrig angefochten: a) Vorerst wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, die Klägerinnen hätten zu keinem Zeitpunkt eine persönliche Forderung gegenüber der Horta Generalunternehmung AG bzw. der Beklagten erworben. Durch die Hingabe der Schuldbriefe zu Faustpfand an die Klägerinnen habe die Horta Generalunternehmung AG vielmehr lediglich die Schuld eines Dritten, der Horta Konzernleitung AG, sichergestellt; eine persönliche Schuldpflicht sei damit nicht begründet worden. Eine solche wäre erst entstanden, wenn die Klägerinnen die Schuldbriefe vor Konkurseröffnung auf dem Wege der Faustpfandverwertung realisiert hätten; in diesem Falle hätte der Ersteigerer die Titel zu vollem Eigentum erworben und damit auch eine selbständige Forderung aus dem Schuldbrief gegenüber der Horta Generalunternehmung AG als Grundeigentümerin erhalten. Nach der Konkurseröffnung sei aber eine solche Faustpfandverwertung der Schuldbriefe wegen der Vorschrift von Art. 76 KOV nicht mehr zulässig gewesen. Daraus ergebe sich, dass den Klägerinnen als Faustpfandgläubigerinnen bis zur Konkurseröffnung gegenüber der Horta Generalunternehmung AG nur ein Pfandrecht, aber keine Pfandforderung (gemeint ist offensichtlich eine Forderung aus dem Schuldbrief) zugestanden habe; das Bestehen einer solchen Pfandforderung wäre aber Voraussetzung für eine Pfandausfallforderung gegenüber der Beklagten. Diese Überlegungen sind an sich zutreffend. Es wird dabei jedoch übersehen, dass die Klägerinnen ihren Anspruch auf Kollozierung einer Pfandausfallforderung gegenüber der Beklagten nicht damit begründen, sie hätten mit den Schuldbriefen gleichzeitig ein direktes Forderungsrecht gegen die Horta Generalunternehmung AG erworben. Vielmehr stehen sie auf dem Standpunkt, mit der Verpfändung der Schuldbriefe sei ihnen ausser dem darin verurkundeten Grundpfandrecht auch die in den Titeln verbriefte persönliche Schuld mitverpfändet worden. Das habe zur Folge, dass ihnen, für den aus der Verwertung des Grundpfandes nicht gedeckten Teil ihrer Forderung die im Schuldbrief verbriefte und mit dem Schuldbrief mitverpfändete persönliche Schuld der Beklagten, d.h. der Horta Generalunternehmung AG, ebenfalls noch BGE 107 III 128 S. 132 als Faustpfand hafte. Die Realisierung dieses Teils des Pfandrechtes könne nur durch Kollozierung der entsprechenden Ausfallforderung in der fünften Klasse erfolgen. Erst der alsdann noch verbleibende Teil ihrer, der Klägerinnen, persönlichen Forderung gegenüber der Horta Konzernleitung AG sei dann in deren Konkurs als Faustpfandausfallforderung in der fünften Klasse zu kollozieren. b) In zweiter Linie hat die Vorinstanz festgehalten, das Pfandrecht an einem Eigentümerschuldbrief könne nicht konsequent als Fahrnispfandrecht aufgefasst werden; teilweise müssten auch Grundsätze des Grundpfandrechtes zur Anwendung kommen. Im Einzelfall sei durch Interessenabwägung abzuklären, welche Rechte dem Pfandgläubiger zustünden. Dabei müsse nach der Vertrauenstheorie angenommen werden, dass derjenige, der einen Eigentümerschuldbrief für die Schuld eines Dritten zu Faustpfand gebe, nicht damit rechnen müsse, dass er neben der Haftung mit dem Grundstückwert auch noch eine persönliche Schuldverpflichtung eingehe. Den Interessen des Faustpfandgläubigers werde in solchen Fällen dadurch genügend Rechnung getragen, dass er die Möglichkeit habe, den Pfandtitel im Konkursfall zu ersteigern, d. h. zu Eigentum zu erwerben, und so die Rechte eines Grundpfandgläubigers zu erlangen. Die zuletzt erwähnte Überlegung des Obergerichts ist unzutreffend, weil ja im Konkursfall Art. 76 KOV eine separate Versteigerung von Eigentümerpfandtiteln gerade ausschliesst. Im übrigen läuft auch diese Erwägung des Obergerichts letzten Endes auf die Frage hinaus, ob das Faustpfand am Schuldbrief nur den Grundstückwert oder auch die Schuldbriefforderung umfasse. c) Das erstinstanzliche Urteil, auf welches das Obergericht ergänzend verweist, war davon ausgegangen, die Klägerinnen hätten durch die Faustpfandbestellung lediglich das Recht erworben, aus dem Verwertungserlös des Grundpfandes befriedigt zu werden; Gläubigerrechte hätten ihnen nicht erwachsen können. Dass sie vor der Konkurseröffnung die Möglichkeit gehabt hätten, Betreibung auf Faustpfandverwertung einzuleiten, bei der Versteigerung der Schuldbriefe diese zu erwerben und dadurch volle Eigentumsrechte mit einer persönlichen Forderung gegenüber dem Grundeigentümer zu erlangen, habe nicht ein Recht der Klägerinnen, sondern lediglich eine tatsächliche Chance dargestellt. Mit der Konkurseröffnung sei diese aufgrund der Art. 76 KOV und 126 VZG dahingefallen. BGE 107 III 128 S. 133 Damit ist im Ergebnis wiederum die Frage gestellt, ob die Klägerinnen mit dem Schuldbrief ein Faustpfandrecht nur am Grundpfand oder aber auch an der Schuldbriefforderung erworben haben. 4. Solange sich der Eigentümerschuldbrief im Besitze des Grundeigentümers befindet, führen sowohl das darin verbriefte Grundpfandrecht wie die durch das Grundpfand sichergestellte Forderung lediglich eine formelle Buch- bzw. Papierexistenz. Da der Inhaber des Schuldbriefes am Grundstück gleichzeitig das Eigentum und ein Pfandrecht hat und mit Bezug auf die Schuldbriefforderung gleichzeitig Schuldner und Gläubiger ist, ist die Geltendmachung sowohl von Gläubigerrechten wie auch des Grundpfandrechtes ausgeschlossen. Erst wenn der Schuldbrief in die Hand eines Dritten gerät, fallen Schuldner- und Gläubigereigenschaft einerseits, Grundeigentum und Grundpfandrecht andererseits auseinander und können praktische Bedeutung erlangen. Wird der Schuldbrief jemandem zu Eigentum übertragen, so erwirbt der Betreffende mit dem Schuldbrief zusammen das Forderungsrecht, das darin verbrieft ist, und er wird zum Grundpfandgläubiger, dem der im Schuldbrief verselbständigte Grundstückwert als Grundpfand haftet. Es fragt sich nun, ob dies auch dann zutrifft, wenn der Grundeigentümer den Eigentümerschuldbrief lediglich zu Faustpfand überträgt, oder ob nicht das Faustpfandrecht an einem solchen Schuldbrief dem Inhaber weniger Rechte verleiht als das Eigentum. 5. Vom Ergebnis her betrachtet, würde die klägerische These dazu führen, dass die Beklagte, d.h. die Horta Generalunternehmung AG, mit der Bestellung des Faustpfandes genau die gleiche Haftung übernommen hätte, wie wenn sie die Inhaberschuldbriefe den Klägerinnen zu Eigentum übertragen hätte. Demgegenüber beschränkt die von der Beklagten vertretene Lösung ihre Haftung auf den Wertteil des Grundstückes, der in den Grundpfandtiteln verkörpert ist. Letzteres dürfte dem mutmasslichen Parteiwillen bei der Pfandbestellung besser entsprechen. Wer einen Grundpfandtitel zu Faustpfand gibt, um damit die Schuld eines Dritten sicherzustellen, ist sich wohl bewusst, dass er damit eine Haftung mit dem entsprechenden Wertteil seines Grundstückes begründet. Er denkt aber kaum daran, dass die Pfandbestellung auch dazu führen könnte, dass er persönlich darüber hinaus noch für einen allfälligen Pfandausfall einzustehen haben würde. Billigerweise erwartet der Pfandgläubiger das denn wohl auch nicht. BGE 107 III 128 S. 134 Diese Auslegung lässt sich rechtsdogmatisch mit der Überlegung rechtfertigen, solange der Grundeigentümer den Eigentümerpfandtitel nicht an einen Dritten zu vollem Recht übertragen habe, bestehe noch gar keine Forderung aus dem Titel. Inhaber einer solchen Forderung könnte jedenfalls nicht der Faustpfandgläubiger sein; denn er hat ja den Titel nicht zu Eigentum, sondern lediglich zu Pfand erhalten. Titular der Forderung würde also der Grundeigentümer selbst bleiben, der gleichzeitig Schuldner wäre. Eine Forderung, die jemand gegen sich selbst hat, kann aber nur eine Papierexistenz führen und keinen wirklichen Wert besitzen. Mit der Übergabe eines Eigentümertitels zu Faustpfand erwirkt der Pfandgläubiger daher lediglich ein Pfandrecht am Wertanteil des Grundstückes, der Gegenstand des Pfandtitels bildet. Hinzu kommt freilich die Befugnis, auf dem Weg der Faustpfandverwertung die Übertragung des Titels zu Eigentum zu erwirken und dadurch die darin verbriefte Forderung entstehen zu lassen. Insofern hat der Faustpfandgläubiger die Möglichkeit, neben der betreffenden Wertquote des Grundstückes auch die erwähnte Forderung als Objekt seines Pfandrechtes zu realisieren. Fällt aber - wie im vorliegenden Fall - der Grundeigentümer in Konkurs, bevor der Faustpfandgläubiger diese Realisierung erwirkt hat, so bleibt es aufgrund der Vorschriften der Art. 76 KOV und 126 VZG dabei, dass die Forderung noch nicht entstanden ist und sich das Pfandrecht demzufolge lediglich auf die im Grundpfand verselbständigte Wertquote des Grundstückes bezieht. Entgegen der Ansicht von Zobl (Probleme bei der Verpfändung von Eigentümerschuldbriefen, in: ZBGR 59/1978, S. 214) bezweckt die Regelung von Art. 76 KOV und Art. 126 VZG nicht, den Faustpfandgläubiger gleich zu stellen, wie wenn er den Eigentümerschuldbrief schon vor der Konkurseröffnung zu vollem Recht erworben hätte ( BGE 106 III 74 ). Vielmehr wollen diese beiden Bestimmungen einerseits dem Faustpfandgläubiger die Haftung des Grundpfandes sichern, andererseits aber verhindern, dass die andern Gläubiger dadurch geschädigt werden, dass jener vorerst den Titel verwerten lässt und hierauf für einen allfälligen Ausfall aus dieser Faustpfandverwertung in der fünften Klasse kolloziert wird, sowie dass anschliessend der Erwerber des Titels (der wieder der Faustpfandgläubiger sein könnte) die Verwertung des Grundpfandes verlangt und abermals für einen allfälligen Ausfall in der fünften Klasse kolloziert wird. Die privatrechtliche Stellung des Faustpfandgläubigers wollen diese Vorschriften nicht abändern; sie könnten es auch nicht (BGE BGE 107 III 128 S. 135 102 III 94). Den Faustpfandgläubiger gleich stellen, wie wenn er das Faustpfand schon vor der Konkurseröffnung verwertet hätte, hiesse aber seine privatrechtliche Stellung ändern. 6. Die Vorinstanz hat die Kollokationsklage nach dem Gesagten zu Recht abgewiesen. Daran vermögen auch die weiteren Vorbringen der Klägerinnen nichts zu ändern: a) Dass die Rechtsprechung einzelne der für das Grundpfand geltenden Grundsätze auch auf das Pfandrecht an einem Eigentümerpfandtitel anwende (vgl. OFTINGER/BÄR, N. 140 zu Art. 901 ZGB ), ist hier ohne Bedeutung. Denn auch ein Grundeigentümer, der sein Grundstück für die Schuld eines Dritten verpfändet, haftet nur mit dem verpfändeten Grundstückwert, und nicht auch persönlich. b) Der Faustpfandgläubiger kann - unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften - bis zur Konkurseröffnung jederzeit die Faustpfandverwertung des Titels verlangen, wobei der Erwerber des Titels (auch wenn das der Faustpfandgläubiger selbst ist) die im Titel verbriefte Forderung erwirbt. Damit aber gelangt die Forderung - wie bereits dargelegt - erst zur Entstehung, und eine solche konnte vor diesem Zeitpunkt demnach nicht Gegenstand einer Pfandverwertung bilden. Durch die Konkurseröffnung wird daher dem Faustpfandgläubiger kein Recht entzogen, das ihm vorher zugestanden hätte, sondern es wird lediglich bewirkt, dass die Situation, wie sie bei Konkurseröffnung bestand, erhalten bleibt. Das entspricht dem Grundsatz, dass mit Konkurseröffnung jegliche Ansprüche der Gläubiger auf Durchführung von Spezialexekutionsmassnahmen untergehen. c) Zur Stützung seines von den Klägerinnen vertretenen Standpunktes beruft sich ZOBL (Die Rechtsstellung des Fahrnispfandgläubigers an einem Eigentümer-Wertpapier, insbesondere im Konkurs des Verpfänders, in: ZBGR 61/1980, S. 129 ff.) unter anderem auch auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung. Es ist einzuräumen, dass sich in verschiedenen bundesgerichtlichen Urteilen die Feststellung findet, Pfandobjekt sei bei der Verpfändung eines Eigentümerpfandtitels die darin verbriefte Forderung (vgl. BGE 104 III 35 ; BGE 93 II 86 E. 3; BGE 68 II 87 ), und in BGE 63 II 230 wurde ausgeführt, dass durch die Verpfändung (oder Veräusserung) eines Eigentümerschuldbriefes die persönliche Schuldpflicht aus dem Schuldbrief zur Entstehung gelange. Andererseits wurde jedoch in BGE 64 II 417 festgehalten, dem Faustpfandgläubiger stehe kein aus dem Pfandtitel fliessendes Gläubigerrecht BGE 107 III 128 S. 136 gegen den Schuldner des Titels zu; sein Recht beschränke sich darauf, sich aus dem Erlös des Grundpfandes bezahlt zu machen. Die hier zu beurteilende Frage war jedoch in keinem dieser Fälle ausdrücklich gestellt, so dass sich eine Auseinandersetzung mit der erwähnten Rechtsprechung nicht aufdrängt. Es ergibt sich daraus jedenfalls nichts, was dagegen sprechen würde, der Auffassung der Beklagten den Vorzug zu geben.
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223b5d9a-f132-4f76-b703-e189e9c02672
Sachverhalt ab Seite 758 BGE 142 III 758 S. 758 A. A.a Der Schweizerische Baumeisterverband (SBV), die GBI Gewerkschaft Bau & Industrie (heute: Unia) sowie die Gewerkschaft SYNA schlossen am 12. November 2002 einen Gesamtarbeitsvertrag für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (GAV FAR), mit dessen Vollzug die Stiftung für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (Stiftung FAR) betraut ist. Durch BGE 142 III 758 S. 759 Beschluss des Bundesrates vom 5. Juni 2003 wurde der GAV FAR erstmals teilweise allgemeinverbindlich erklärt. A.b Die A. AG war Mitglied des ASTAG Schweizerischen Nutzfahrzeugverbandes, nicht aber des SBV. Laut Handelsregister bezweckte sie insbesondere die Übernahme und Durchführung von Materialtransporten, speziell im Baugewerbe sowie Bauschutt-Recycling. Ende Dezember 2010 teilte die Stiftung FAR der A. AG mit, sie gehe davon aus, dass die Unternehmung "wahrscheinlich" unter den Geltungsbereich des GAV FAR falle und beitragspflichtig sei. Die A. AG weigerte sich, die verlangten Auskünfte zu erteilen, und stellte sich auf den Standpunkt, als reines Transportunternehmen unterstehe sie nicht dem GAV FAR. Die Stiftung FAR kam in ihrem Schreiben vom 14. Juni 2011 zum gegenteiligen Schluss. In der Folge konnte keine Einigkeit über die Unterstellung gefunden werden. B. Mit Klage vom 21. November 2014 und Eingabe vom 17. Juli 2015 liess die Stiftung FAR beantragen, die A. AG sei zu verpflichten, ihr Beiträge von 5,3 % der noch zu beziffernden AHV-pflichtigen Lohnsumme vom 1. Juli bis 31. Dezember 2011 resp. 5 % der noch zu beziffernden AHV-pflichtigen Lohnsumme vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2014 aller Mitarbeiter, soweit diese im genannten Zeitraum unter den persönlichen Anwendungsbereich des Bundesratsbeschlusses über die Allgemeinverbindlicherklärung des GAV FAR (AVE GAV FAR) gefallen sind, nebst 5 % Zins ab dem auf das jeweilige Abrechnungsjahr folgenden 1. Januar zu bezahlen. Es sei ihr Gelegenheit zu geben, diese Begehren nach Abschluss des Beweisverfahrens innert angemessener Frist definitiv zu beziffern. In Abweisung der Klage stellte das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 23. Mai 2016 fest, dass die A. AG nicht in den betrieblichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlich erklärten GAV FAR falle und dementsprechend keine FAR-Beiträge zu entrichten habe. C. Die Stiftung FAR lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Aufhebung des Entscheids vom 23. Mai 2016 beantragen und die vorinstanzlichen Rechtsbegehren erneuern; eventualiter sei die Angelegenheit zu neuer Entscheidung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Die A. AG schliesst auf Abweisung des Rechtsmittels. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. BGE 142 III 758 S. 760 Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Der Bundesratsbeschluss vom 5. Juni 2003 über die AVE GAV FAR (BBl 2003 4039) wurde durch Beschlüsse vom 8. August und 26. Oktober 2006, 1. November 2007, 6. Dezember 2012, 10. November 2015 und 14. Juni 2016 verlängert resp. angepasst (BBl 2006 6751, 8865; 2007 7881; 2012 9763; 2015 8307; 2016 5033). 2.2 Die allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen des GAV FAR gelten für die Arbeitgeber resp. Betriebe, Betriebsteile und selbständigen Akkordanten insbesondere der Bereiche Hoch-, Tief-, Untertag- und Strassenbau (einschliesslich Belagseinbau) sowie Aushub, Abbruch, Deponie- und Recyclingbetriebe (Art. 2 Abs. 4 lit. a und b AVE GAV FAR; sowohl in der ursprünglichen Fassung als auch in den jüngsten Versionen). Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem betrieblichen Geltungsbereich gemäss Art. 2 Abs. 1 GAV FAR. Massgebliches Kriterium für den betrieblichen Geltungsbereich ist somit die Branche, der ein Betrieb zuzuordnen ist. Dafür ausschlaggebend sind die Tätigkeiten, die ihm das Gepräge geben, nicht hingegen der Handelsregistereintrag oder die Art und Weise, wie die Tätigkeiten ausgeführt resp. welche Hilfsmittel dabei eingesetzt werden ( BGE 139 III 165 E. 3.1 S. 167; BGE 134 III 11 E. 2.1 S. 13 mit weiteren Hinweisen). 2.3 Tatfrage ist, welche Tätigkeiten in einem Betrieb oder selbstständigen Betriebsteil in welchem Ausmass vorkommen. Hingegen ist frei überprüfbare Rechtsfrage, welche der festgestellten Tätigkeiten dem Betrieb das Gepräge geben resp. nach welchen Gesichtspunkten die Zuordnung zu einem bestimmten Wirtschaftszweig erfolgt ( BGE 139 III 165 E. 3.3 S. 168 mit Hinweisen). 3. 3.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, die Beschwerdegegnerin erbringe u.a. Transportdienstleistungen für das Baugewerbe. Darüber hinaus ist sie implizite (und im Einklang mit den Parteien) davon ausgegangen, dass es sich bei der Beschwerdegegnerin in dem Sinn um ein reines Transportunternehmen handle, als sie "nur Transporttätigkeiten" ausführe. Diese Feststellungen sind für das Bundesgericht verbindlich (nicht publ. E. 1.2). Weiter hat das kantonale Gericht auf das Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 betreffend den betrieblichen Geltungsbereich BGE 142 III 758 S. 761 gemäss Ziff. II Art. 2 Abs. 3 des Bundesratsbeschlusses vom 22. August 2003 über die Allgemeinverbindlicherklärung des Landesmantelvertrages für das Bauhauptgewerbe (LMV) 2003-2005 (AVE LMV; BBl 2003 6070) verwiesen und erwogen, Transporte mit Baumaterialien könnten nur dann unter die allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen des LMV fallen, wenn die Grundleistung eines Betriebs (wie im Fall 4A_377/2009) vom betrieblichen Geltungsbereich des LMV erfasst sei. Die Grundleistung eines reinen Transportunternehmens liege indessen im Transportwesen und nicht im Baugewerbe; die Dienstleistungen eines solchen Unternehmens könnten demnach nicht dem allgemeinverbindlich erklärten LMV unterstellt werden. Das könne auch nicht die Meinung des Bundesgerichts gewesen sein, andernfalls es sich mit der Tatsache, dass der Bundesrat die "Transporte von und zu Baustellen" (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. k LMV ) stets von der Allgemeinverbindlichkeit ausnahm, auseinandergesetzt hätte. Das Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 sei deshalb für reine Transportbetriebe nicht massgebend, weshalb solche nicht vom Geltungsbereich gemäss AVE LMV erfasst seien. Nichts anderes könne für den allgemeinverbindlich erklärten GAV FAR, der den LMV in einem Teilbereich ergänze, gelten. Somit falle die Beschwerdegegnerin nicht unter den betrieblichen Geltungsbereich gemäss Art. 2 Abs. 4 AVE GAV FAR, weshalb sie auch nicht verpflichtet sei, entsprechende Beiträge zu leisten. 3.2 Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, das Bundesgericht habe im Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 entschieden, dass der Transport von Aushub- oder Abbruchmaterial, Kies, Deponiegut oder Recyclingmaterial als integrierender Bestandteil einer bauhauptgewerblichen Grundleistung (wie Aushub, Abbruch etc.) erfolge. Deshalb würden auch die auf solche Transporte spezialisierten Betriebe, selbst wenn sie die Bauleistung an sich nicht selber erbringen, vom betrieblichen Geltungsbereich gemäss AVE LMV und AVE GAV FAR erfasst. Die Bau- und Transportleistungen würden auf dem Markt als Einheit wahrgenommen, weshalb die Nichtunterstellung von reinen Transportunternehmen im genannten Sinn Wettbewerbsnachteile für Baubetriebe, die das Material selber transportieren, zur Folge hätte. 4. 4.1 Fraglich ist, ob ein reines Transportunternehmen, das Leistungen für das Baugewerbe erbringt, vom betrieblichen Geltungsbereich gemäss Art. 2 Abs. 4 AVE GAV FAR erfasst wird. BGE 142 III 758 S. 762 4.2 Das Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 betrifft den Geltungsbereich gemäss AVE LMV und handelt von einem unechten Mischbetrieb (vgl. zu diesem Begriff den seit 1. Mai 2008 geltenden Art. 2 bis LMV [abrufbar unter www.svk-bau.ch/landesmantelvertrag ]),der sowohl Bau- als auch Transportleistungen erbrachte. Das Bundesgericht erwog dazu, dass die Grundleistungen (Aushub, Abbruch, Kieslieferung, Deponie und Recycling) zusammen mit den entsprechenden Transportleistungen auf dem Markt als einheitliche Leistungen angeboten werden, auch wenn die Transportleistungen von Fall zu Fall an selbstständige Unterakkordanten weitervergeben werden. Wer sich, wie der betroffene (unechte) Mischbetrieb, schwergewichtig auf diesem Markt betätigt, unterliegt deshalb dem LMV, und zwar unabhängig sowohl vom Ausmass der Grund- resp. Transportleistungen als auch davon, ob der Transport für den Eigenbedarf oder als Unterakkordant geleistet wird (Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 E. 5.2). Dem Urteil lässt sich nicht (klar) entnehmen, ob auch ein reines Transportunternehmen, das selber keine "Misch-Leistung" (bestehend aus Grund- resp. Bauleistung und entsprechender Transportleistung) anbietet, sondern ausschliesslich Transporte von Baumaterialien wie Aushub- oder Abbruchmaterial, Kies, Deponie- und Recyclinggut (nachfolgend: Bautransporte) ausführt, dem LMV (soweit allgemeinverbindlich) untersteht. Diese Möglichkeit wird zwar in E. 5.2 des Urteils 4A_377/2009 angedeutet, indessen setzte sich das Bundesgericht mit der besonderen Situation eines reinen Transportunternehmens nicht näher auseinander. Solches war auch nicht erforderlich, lag doch der Fokus des genannten Urteils stets auf dem konkret betroffenen (unechten) Mischbetrieb. In diesem Sinn lässt sich daraus - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - nicht ableiten, dass Bautransporte in jedem Fall resp. automatisch dem Bauhauptgewerbe zuzurechnen sind (vgl. auch vorinstanzliche Erwägung 4.3). 4.3 4.3.1 Bei einem reinen Transportunternehmen lassen sich zunächst zwei Konstellationen unterscheiden: Entweder es bietet seine Leistungen direkt dem Auftraggeber selber an und tritt in diesem Sinn eigenständig auf, oder aber es führt die Transporte als Unterakkordant (auch Subunternehmer genannt; zu diesen Begriffen vgl. Urteil 9C_782/2014 vom 25. August 2015 E. 6.1.1) des Auftragnehmers aus. BGE 142 III 758 S. 763 4.3.2 Die hier interessierenden (Arbeits-)Leistungen können in einem Wirtschaftszweig der Produktion (2. Sektor) oder der Dienstleistungen (3. Sektor) angesiedelt sein. Typischerweise gehört das Baugewerbe zur Produktion und wird Verkehr/Transport zu Dienstleistungen gezählt (so auch in der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik [LSE] 2012, z.B. TA1 Ziff. 41-43 resp. 49-52). Dass das Transportgewerbe eine eigenständige Branche ist, hat auch das Bundesgericht in E. 5.2 des Urteils 4A_377/2009 erkannt. Damit ist offensichtlich, dass ein reines Transportunternehmen, das seine Leistungen autonom dem Endabnehmer anbietet, in einem anderen Wirtschaftszweig als der Anbieter der Grundleistung tätig ist. Dass in einer solchen Konstellation unternehmensübergreifende Tarifeinheit bestehen soll, ist sachlich nicht gerechtfertigt, zumal diese auch innerhalb eines echten Mischbetriebs mit eigenständigen Betriebsteilen durchbrochen wird (so auch Art. 2 bis Abs. 5 und 6 LMV ). 4.3.3 Operiert ein reines Transportunternehmen als Subunternehmer, so tritt es wohl gegenüber dem Endabnehmer nicht in Erscheinung. Dieser Umstand ändert indessen nichts daran, dass es sich bei der Transport- und Grundleistung um verschiedenartige Leistungen handelt (vgl. BGE 141 V 657 E. 4.5.2.2 S. 665). Wie die Vorinstanz zu Recht erwogen hat, besteht auch bei einem subunternehmerisch tätigen (reinen) Transportbetrieb kein unmittelbares Konkurrenzverhältnis zum Auftragnehmer der Grundleistung. Ein solcher Transportbetrieb gelangt mit seiner (eigenständigen) Dienstleistung - sofern er u.a. Bautransporte durchführt - an Betriebe der Baubranche selber, während sich diese mit ihren Produkten und Erzeugnissen an die Bauherren richten (vorinstanzliche Erwägung 3.4.3). Es ist schwer nachvollziehbar, weshalb Bautransporte, die von einem (reinen) eigenständigen Transportunternehmen erbracht werden, abweichend eingeordnet werden sollen, nur weil sie zusammen mit der baulichen Grundleistung aus einer Hand resp. einheitlich angeboten werden. In der Konsequenz müsste dem Transportwesen jegliche Bedeutung als selbstständiger Wirtschaftszweig abgesprochen werden, denn (Güter-)Transporte erfolgen nie zum Selbstzweck, sondern sind regelmässig Hilfstätigkeit im Zusammenhang mit einer Produktions- oder (anderen) Dienstleistung. Insofern erscheint eine Unterscheidung in Bautransporte einerseits und übrige (Güter-)Transporte anderseits mit Zuordnung der einen zum Bauhauptgewerbe und der anderen zur Transportbranche auch im vorliegenden Punkt sachlich weder geboten noch gerechtfertigt. Dies gilt umso mehr, wenn - wie in BGE 142 III 758 S. 764 concreto - keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass das Transportunternehmen nur zum Zweck der Umgehung von gesamtarbeitsvertraglichen Verpflichtungen (vgl. Art. 2 ZGB ) aus einem Bauunternehmen ausgegliedert wurde. Im Übrigen verfügt ein reines (Bau-)Transportunternehmen, selbst wenn von einem direkten Konkurrenzverhältnis zu einem (unecht) gemischten Bauunternehmen auszugehen wäre, im Fall einer Nichtunterstellung unter den AVE LMV nicht per se über einen Wettbewerbsvorteil. Denn die gesellschaftsrechtliche Eigenständigkeit ist nicht gratis zu haben, fallen doch erhöhte Kosten infolge separater Organisation und Rechnungsführung etc. an. 4.3.4 Wie es sich letztlich genau verhält bzw. das Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 zu verstehen ist, kann offenbleiben (vgl. die nachfolgende E. 4.4). Eine Koordination mit der I. zivilrechtlichen Abteilung (vgl. Art. 23 Abs. 1 BGG ) erübrigt sich deshalb. 4.4 4.4.1 Die Bestimmungen über den betrieblichen Geltungsbereich gemäss AVE GAV FAR und nach AVE LMV sind bereits im Wortlaut nicht identisch: Abweichend von Art. 2 Abs. 4 AVE GAV FAR wurden in der seit 1. Oktober 2003 geltenden Fassung von Art. 2 Abs. 3 AVE LMV Betriebe der Sand- und Kiesgewinnung sowie Betonbohr- und Betonschneidunternehmen genannt; Fassadenbau- und Fassadenisolationsbetriebe wurden ohne Einschränkung aufgeführt. In der seit 1. Februar 2013 geltenden Fassung finden sich immer noch Betonbohr- und Betonschneidunternehmen; ausserdem wird der Begriff Tiefbau insofern präzisiert, als er explizit Spezialtiefbau (vgl. BGE 139 III 165 E. 4.3.2 S. 172) umfasst. Hingegen werden und wurden die in Art. 2 Abs. 4 lit. h AVE GAV FAR genannten Betriebe, die gesamtbetrieblich mehrheitlich Geleisebau- und Bahnunterhaltsarbeiten ausführen, in der AVE LMV nicht erwähnt. Dazu kommt, dass die betroffenen Verträge, d.h. der LMV und der GAV FAR, zwar zwischen den gleichen Parteien geschlossen wurden. Indessen regelt dieser ausschliesslich die Sonderfrage nach dem flexiblen Altersrücktritt. Demgegenüber enthält der LMV eine umfassende gesamtarbeitsvertragliche (Rahmen-)Regelung (vgl. Art. 356 OR ; vgl. auch STEFAN KELLER, Der flexible Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe, 2008, S. 367 f.). Daher braucht - anders als die Vorinstanz anzunehmen scheint - der (betriebliche) Geltungsbereich gemäss AVE GAV FAR, der hier entscheidend ist (E. 4.1), nicht zwingend mit jenem nach AVE LMV übereinzustimmen. BGE 142 III 758 S. 765 4.4.2 Die Allgemeinverbindlicherklärung eines GAV bezweckt die Ausweitung seines Geltungsbereichs auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer des betreffenden Wirtschaftszweiges oder Berufes ( Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 28. September 1956 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen [AVEG; SR 221.215.311] ). Nur in diesem Sinn kann die AVE über die Vorgaben des GAV hinausgehen; Verpflichtungen, die von den am GAV beteiligten Sozialpartnern nicht vorgesehen waren, sind der Allgemeinverbindlichkeit nicht zugänglich (Urteil 9C_374/2012 vom 7. Dezember 2012 E. 2.7.2.1). Massgeblich für die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 GAV FAR ist der übereinstimmende wirkliche Wille der Vertragsparteien und in zweiter Linie, falls ein solcher nicht festgestellt werden kann, die Auslegung der Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips ( BGE 141 V 657 E. 3.5.2 S. 662). 4.4.3 4.4.3.1 Auch in den hier interessierenden GAV selber wurde der jeweilige betriebliche Geltungsbereich unterschiedlich definiert: Über die in die jeweilige AVE übernommenen Differenzen (E. 4.4.1) hinaus ist im Vergleich zum GAV FAR einerseits die Liste der vom LMV erfassten Bereiche umfassender, werden doch in Art. 2 Abs. 2 LMV (in der ab 1. Mai 2008 resp. ab 1. April 2012 geltenden Fassung) beispielsweise das Marmor- und Granitgewerbe, Gerüstbetriebe, bestimmte Gartenbaufirmen sowie der Transport von und zu Baustellen aufgeführt. Anderseits finden sich im Anhang 7 LMV (Protokollvereinbarung zum betrieblichen Geltungsbereich gemäss Art. 2 LMV ; vgl. Art. 2 Abs. 2 resp. 3 LMV [in der ab 1. Mai 2008 resp. ab 1. April 2012 geltenden Fassung]) weitergehende Präzisierungen; insbesondere wird eine Reihe betrieblicher Tätigkeiten aufgeführt, die auf eine LMV-Unterstellung schliessen lassen. Daraus, wie auch aus Art. 2 Abs. 3 GAV FAR, geht hervor, dass der betriebliche Geltungsbereich des GAV FAR nicht mit jenem des LMV übereinstimmt (vgl. auch SZS 2010 S. 453, 9C_1033/2009 E. 2.4). Angesichts der detaillierten Aufzählungen liegt auf der Hand, dass ausserhalb des jeweiligen Katalogs eine GAV-Unterstellung nur aufgrund einer ausdrücklichen Äusserung oder eines formellen Anschlusses erfolgt (SZS 2010 S. 453, 9C_1033/2009 E. 2.5), was in concreto nicht zutrifft. 4.4.3.2 Die Vertragsparteien schlossen den "Transport von und zu Baustellen" explizit und zunächst ohne Einschränkung in den BGE 142 III 758 S. 766 betrieblichen Geltungsbereich des LMV ein (vgl. Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 E. 3.2 Abs. 1 und 2). Die entsprechende Bestimmung von Art. 2 Abs. 2 lit. k LMV wurde in der ab 1. April 2012 geltenden Fassung insofern modifiziert, als seither die Anlieferung von industriell hergestellten Baumaterialien (z.B. Backsteine, Betonwaren, Armierungseisen, Transportbeton und Strassenbeläge usw.) ausgenommen ist. Indessen erwähnten die Sozialpartner den Transport in Art. 2 Abs. 1 GAV FAR in keiner Weise; insbesondere nahmen sie auch die Zusatzvereinbarung VIII zum GAV FAR vom 7. Oktober 2013, mit welcher die zuletzt genannte Bestimmung geändert wurde, nicht zum Anlass, die Transporttätigkeit resp. die damit befassten Betriebe in die Regelung des (betrieblichen) Geltungsbereichs aufzunehmen. Hinzu kommt, dass der GAV FAR laut dessen Präambel der körperlichen Belastung der Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe Rechnung tragen soll. Dass Chauffeure, die ausschliesslich im Transportbereich tätig sind, grundsätzlich der gleichen gesundheitlichen Beanspruchung wie das Baustellenpersonal ausgesetzt sind, wird von keiner Seite weiter ausgeführt. 4.4.3.3 Mit Blick auf das Gesagte, auf die erheblichen Kosten des flexiblen Altersrücktritts (vgl. Art. 8 GAV FAR) und die prinzipielle Zugehörigkeit von Transportleistungen zum Transportgewerbe (vgl. E. 4.3) lässt die fehlende Erwähnung der Transporte von und zu Baustellen in Art. 2 Abs. 1 GAV FAR einzig den Schluss zu, dass die Sozialpartner reine (Bau-)Transportbetriebe nicht dem GAV FAR unterstellen wollten. 4.4.4 Steht demnach fest, dass reine Transportunternehmen vom betrieblichen Geltungsbereich nach Art. 2 Abs. 1 GAV FAR nicht erfasst werden, ist die Unterstellung solcher Betriebe mittels Allgemeinverbindlicherklärung ausgeschlossen (E. 4.4.2). Chauffeure werden nur (aber immerhin) als Spezialisten in den Geltungsbereich des GAV FAR miteinbezogen, soweit sie in einem Betrieb resp. Betriebsteil tätig sind, der hauptsächlich Bauleistungen im klar und abschliessend umrissenen Sinne von Art. 2 Abs. 1 GAV FAR erbringt (Art. 3 Abs. 1 lit. e GAV FAR; vgl. auch Art. 2 Abs. 5 lit. e AVE GAV FAR). Im Ergebnis hat die Vorinstanz die Beitragspflicht der Beschwerdegegnerin zu Recht verneint; die Beschwerde ist unbegründet. (...)
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57150f96-dd07-4a58-ba69-05bae29ccde8
Sachverhalt ab Seite 201 BGE 141 III 201 S. 201 A. A.a A. (Mieter, Beklagter, Beschwerdeführer) schloss am 30. Oktober 1997 mit der Gesellschaft B. (Vermieterin, Klägerin, Beschwerdegegnerin) einen Mietvertrag über eine 10-Zimmer-Villa ab. Die Parteien vereinbarten einen monatlichen Mietzins von Fr. 7'900.- und erklärten eine vom 17. Oktober 1997 datierende BGE 141 III 201 S. 202 Zusatzvereinbarung zum integrierenden Bestandteil des Mietvertrags. Darin wird unter anderem festgehalten, dass dem Mieter ein zweimaliges Optionsrecht auf Verlängerung des Vertrags um je fünf Jahre, d.h. bis 31. März 2013 bzw. 31. März 2018 zusteht. Wird das Optionsrecht ausgeübt, haben die Parteien das Recht, auf den 1. April 2008 bzw. 1. April 2013 die Anpassung des Mietzinses an die dannzumal herrschenden orts- und quartierüblichen Marktverhältnisse zu verlangen. Für den Fall, dass sich die Parteien über die Mietzinsanpassung nicht einigen können, soll der massgebende Betrag durch ein Schiedsgutachten der Schatzungsabteilung des Hauseigentümerverbands (HEV) Zürich festgesetzt werden. A.b Mit Schreiben vom 15. Juni 2012 teilte der Mieter der Vermieterin mit, er übe das ihm zustehende Optionsrecht aus und verlängere den Mietvertrag um fünf Jahre bis 31. März 2018. Nachdem sich die Parteien in der Folge nicht über die Anpassung des Mietzinses hatten einigen können, teilte die Vermieterin dem Mieter am 24. Oktober 2012 mit, dass der Mietzins gestützt auf ein Schiedsgutachten der Schatzungsabteilung des Hauseigentümerverbands Zürich per 1. April 2013 auf Fr. 10'255.- erhöht werde. Die entsprechende Mitteilung auf amtlich genehmigtem Formular erfolgte am gleichen Tag. Mit Eingabe vom 21. November 2012 focht der Mieter die erklärte Mietzinserhöhung bei der Schlichtungsbehörde in Mietsachen des Bezirks Meilen an. Mit Beschluss vom 18. Dezember 2012 stellte die Schlichtungsbehörde Meilen fest, dass anlässlich der an diesem Tag erfolgten Schlichtungsverhandlung keine Einigung erzielt worden sei, und stellte der Vermieterin die Klagebewilligung aus. B. B.a Mit Eingabe vom 31. Januar 2013 erhob die Vermieterin beim Mietgericht des Bezirksgerichts Meilen Klage mit dem Hauptbegehren, es sei festzustellen, dass die Mietzinserhöhung vom 24. Oktober 2012 gültig sei und der ab 1. April 2013 für das fragliche Mietobjekt geltende Mietzins Fr. 10'255.- pro Monat betrage. Mit Urteil vom 4. Februar 2014 stellte das Mietgericht fest, dass die Mietzinserhöhung vom 24. Oktober 2012 teilweise gültig sei und der ab 1. April 2013 geltende Nettomietzins Fr. 9'655.- pro Monat betrage. B.b Auf Berufung des Beklagten hin wies das Obergericht des Kantons Zürich den Antrag auf Durchführung eines Augenscheins im BGE 141 III 201 S. 203 Berufungsverfahren mit Beschluss vom 6. Januar 2015 ab. Mit Urteil vom gleichen Tag wies das Obergericht die Berufung ab und bestätigte das Urteil des Mietgerichts vom 4. Februar 2014. C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beklagte dem Bundesgericht, es seien der Beschluss und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. Januar 2015 aufzuheben und es sei festzustellen, dass die mit amtlichem Formular vom 24. Oktober 2012 angezeigte Mietzinserhöhung missbräuchlich sei und daher der geschuldete Monatsmietzins Fr. 7'400.- betrage. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht hebt den angefochtenen Entscheid in teilweiser Gutheissung der Beschwerde auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Der Beschwerdeführer bringt vor, es sei nach Art. 189 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit Art. 361 Abs. 4 ZPO entgegen dem angefochtenen Entscheid nicht zulässig, hinsichtlich der vertraglich vereinbarten Anpassung des Mietzinses an die orts- und quartierüblichen Marktverhältnisse ein Schiedsgutachten einzuholen, das für das Gericht verbindlich ist. 3.1 Die Vorinstanz erwog, durch die Vereinbarung eines Schiedsgutachtens verpflichteten sich die Vertragsparteien, bestimmte Tatsachen statt vom mit dem Streit befassten Gericht von einem privaten Gutachter feststellen zu lassen. Ein für das angerufene Gericht verbindliches Schiedsgutachten könne nach Art. 189 Abs. 3 lit. a ZPO vereinbart werden, wenn die Parteien über das Rechtsverhältnis frei verfügen könnten. Der Begriff der freien Verfügbarkeit sei mit demjenigen von Art. 354 ZPO betreffend die Zulässigkeit der Vereinbarung eines Schiedsgerichts identisch. Frei verfügbar sei ein Anspruch, wenn die Parteien darauf verzichten oder sich durch Vergleich einigen und den Anspruch somit - in einem Gerichtsverfahren - anerkennen oder zum Gegenstand eines Vergleichs machen könnten. Dies treffe auch bei Ansprüchen aus einem Mietvertrag zu. Entgegen der Ansicht der Erstinstanz seien Ansprüche aus Miete und Pacht von Wohnräumen auch dann frei verfügbar im Sinne von Art. 354 ZPO , wenn im Entscheidfall die Bestimmungen über den Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen ( Art. 269 ff. OR ) zur Anwendung gelangten, weil der BGE 141 III 201 S. 204 Streit auch in diesen Fällen durch Vergleich oder Klageanerkennung erledigt werden könne. Entsprechend sei die strittige Anpassung der Mietzinsen schiedsfähig. Gemäss Art. 361 Abs. 4 ZPO könnten die Parteien in Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen zwar einzig die Schlichtungsbehörde als Schiedsgericht einsetzen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung werde jedoch nicht die Schiedsfähigkeit, sondern lediglich die Wahlmöglichkeit der Schiedsrichter eingeschränkt. Der Lehrmeinung, nach der aus Art. 361 Abs. 4 ZPO abzuleiten sei, dass die Schiedsfähigkeit bei Ansprüchen aus der Miete und Pacht von Wohnräumen nicht bloss beschränkt, sondern gar nicht erst gegeben sei, könne nicht gefolgt werden. Das Argument, dass die freie Wahl der Schiedsrichter ein zentraler Bestandteil der Schiedsgerichtsbarkeit darstelle, sei zwar zutreffend, vermöge am klaren Wortlaut von Art. 361 Abs. 4 ZPO , wonach die Schiedsfähigkeit gegeben und nur die Wahl der Schiedsrichter eingeschränkt sei, aber nichts zu ändern. Selbst wenn zutreffe, dass die Bestimmung dogmatisch nicht zu überzeugen vermöge oder gar als gesetzgeberische Fehlleistung zu bezeichnen sei, stehe es den Gerichten aufgrund der Gewaltenteilung nicht zu, einen dogmatischen Grundsatz über das Gesetz zu stellen; vielmehr seien sie nach Art. 190 BV an das Gesetz gebunden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass auch in Bezug auf Ansprüche aus Miete und Pacht von Wohnräumen die Schiedsfähigkeit zu bejahen und lediglich die Wahl der Schiedsrichter eingeschränkt sei. Die Vorinstanz erwog weiter, nach Art. 361 Abs. 4 ZPO könne ein von den Parteien gewählter Dritter zwar nicht Schiedsrichter, nach zutreffender Auffassung aber Schiedsgutachter sein. Ein Schiedsgutachten sei nämlich kein Schiedsurteil, sondern erfülle bloss eine schiedsrichterliche Teilfunktion. Mit der Vereinbarung eines Schiedsgutachtens würden sich die Parteien somit weniger weitgehend binden als mit der Vereinbarung eines Schiedsgerichts. Ohne besondere gesetzliche Grundlage könne die Vereinbarung eines Schiedsgutachtens in Bezug auf ein schiedsfähiges Rechtsverhältnis nicht als unzulässig betrachtet werden. Eine solche Grundlage bestehe nicht und liege insbesondere nicht in Art. 361 Abs. 4 ZPO , da diese Bestimmung nur die Wahl der Schiedsrichter beschränke, nicht aber die Vereinbarung eines Schiedsgutachtens für unzulässig erkläre; bezüglich der Person des Schiedsgutachters bestehe keine Einschränkung. Dies mit gutem Grund, ansonsten die Schlichtungsbehörde die einzige in Frage kommende Gutachterin wäre. Ein Gericht eigne sich in den BGE 141 III 201 S. 205 meisten Fällen aber nicht als Gutachter, da ihm die nötige Fachkompetenz in der Regel fehle. Entsprechend sei auch in Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen von der Zulässigkeit von Schiedsgutachten auszugehen. 3.2 3.2.1 Nach Art. 189 Abs. 1 ZPO können die Parteien vereinbaren, über streitige Tatsachen ein Schiedsgutachten einzuholen. Dieses bindet das Gericht nach Art. 189 Abs. 3 ZPO hinsichtlich der darin festgestellten Tatsachen, wenn - zusätzlich zu den beiden weiteren Voraussetzungen (lit. b und c) - die Parteien über das Rechtsverhältnis frei verfügen können (lit. a). Im Gegensatz zum Schiedsspruch, dem die Wirkung eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheids zukommt ( Art. 387 ZPO ), wird mit dem Schiedsgutachten zwar nicht über Klageanträge autoritativ entschieden, aber es werden immerhin einzelne Fragen - für das Gericht verbindlich - geklärt (vgl. zur Unterscheidung zwischen Schiedsspruch und Schiedsgutachten das Urteil 4A_254/2011 vom 5. Juli 2011 E. 4.1, das zudem offenlässt, ob Art. 189 Abs. 3 ZPO ["hinsichtlich der darin festgestellten Tatsachen"] ein Schiedsgutachten über bestimmte Rechtsfragen - im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung [ BGE 129 III 535 E. 2 S. 537] - in jedem Fall ausschliesst). Insoweit erfüllt das Schiedsgutachten - wie die Vorinstanz zutreffend festhält - eine schiedsrichterliche Teilaufgabe (HANS SCHMID, in: ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 5 zu Art. 189 ZPO ; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, Rz. 9.122; vgl. auch HOCHSTRASSER/FUCHS, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 2013, N. 295 Einl. 12. Kap. IPRG). Mit der überwiegenden Lehre stellt die Vorinstanz für die Voraussetzung nach Art. 189 Abs. 3 lit. a ZPO daher grundsätzlich zu Recht darauf ab, ob der streitige Anspruch nach Art. 354 ZPO schiedsfähig ist (BERNHARD BERGER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 17 zu Art. 189 ZPO ; ANNETTE DOLGE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 21 f. zu Art. 189 ZPO ; THOMAS WEIBEL, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 12 zu Art. 189 ZPO ; HEINRICH ANDREAS MÜLLER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 23 zu Art. 189 ZPO ; JEAN-BAPTISTE ZUFFEREY, Das Schiedsgutachten, 2013, S. 12; KILIAN PERROULAZ, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker BGE 141 III 201 S. 206 & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 4 zu Art. 189 ZPO ; FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC] del 19 dicembre 2008, 2011, S. 891; TARKAN GÖKSU, Schiedsgerichtsbarkeit, 2014, Rz. 106). Schiedsgutachtenfähigkeit und Schiedsfähigkeit sind insoweit deckungsgleich, weshalb ein Schiedsgutachten immer dann angeordnet werden kann, wenn auch ein Schiedsgericht zur Beurteilung des entsprechenden Anspruchs eingesetzt werden könnte (GÖKSU, a.a.O., Rz. 106; vgl. bereits FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1997, N. 4 zu § 258 ZPO /ZH). 3.2.2 Die Möglichkeit, Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen den staatlichen Gerichten durch Vereinbarung zu entziehen und stattdessen von einem Schiedsgericht entscheiden zu lassen, ist nach geltendem Recht stark eingeschränkt. Selbst wenn es sich um einen Anspruch handelt, über den die Parteien frei verfügen können ( Art. 354 ZPO ), dürfen die Parteien in Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen nach Art. 361 Abs. 4 ZPO einzig die Schlichtungsbehörde als Schiedsgericht einsetzen. Diese Bestimmung ersetzt den mit der Einführung der Schweizerischen Zivilprozessordnung aufgehobenen aArt. 274c OR (AS 1990 821), der vorsah, dass die Parteien bei der Miete von Wohnräumen die Zuständigkeit der Schlichtungsbehörden und der richterlichen Behörden nicht durch vertraglich vereinbarte Schiedsgerichte ausschliessen durften; den Parteien stand im Sinne einer Ausnahme lediglich die Möglichkeit offen, solche Mietstreitigkeiten nach aArt. 274a Abs. 1 lit. e OR der Schlichtungsbehörde als Schiedsgericht zu unterbreiten. Die Gesetzesbestimmung dehnte die bis dahin auf Fragen der Mietzinsanfechtung beschränkte Regelung zur Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 22 des damaligen Bundesbeschlusses vom 30. Juni 1972 über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen [AS 1972 1507]; vgl. auch aArt. 267e Abs. 1 OR [AS 1970 1277] betr. Erstreckung des Mietverhältnisses) auf sämtliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Miete von Wohnräumen aus (vgl. RAYMOND BISANG UND ANDERE, Das schweizerische Mietrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2008, N. 1 zu aArt. 274c OR; DAVID LACHAT, Le bail à loyer, 2008, S. 135 Fn. 18). Erfasst wurde grundsätzlich jeder Raum, der nach dem übereinstimmend erklärten Willen der Vertragsparteien dem Mieter zum Wohnen dienen soll, mithin auch Luxuswohnungen (PETER HIGI, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 1996, N. 11 zu aArt. 274c OR i.V.m. N. 21 f. Vorb. zu aArt. 271-273c OR). BGE 141 III 201 S. 207 Die Bestimmung von aArt. 274c OR sah demnach aus Mieterschutzgründen vor, dass Streitfälle aus der Miete von Wohnräumen grundsätzlich nicht schiedsfähig sind (HIGI, a.a.O., N. 6 und 16 zu aArt. 274c OR). Vom strengen Grundsatz der Schiedsunfähigkeit wurde im 2. Satz immerhin zugunsten einer Ausnahme bei der Miete unbeweglicher Sachen abgewichen, indem den Parteien die Wahl vorbehalten wurde, sich zwischen den ordentlichen Gerichten und der Schlichtungsbehörde als Schiedsgericht (aArt. 274a Abs. 1 lit. e OR) zu entscheiden (HIGI, a.a.O., N. 19 zu aArt. 274c OR). Eine Abrede der Parteien, allfällige Streitigkeiten aus der Wohnraummiete von einem privaten Dritten entscheiden zu lassen, war demzufolge rechtswidrig und nichtig (HIGI, a.a.O., N. 16 zu aArt. 274c OR). Tat- und Rechtsfragen in diesem Bereich waren vielmehr zwingend von einer der beiden staatlichen Behörden zu entscheiden. 3.2.3 Ungeachtet der abweichenden Formulierung in Art. 361 Abs. 4 ZPO wurde mit dieser Bestimmung keine Änderung der bisherigen Rechtslage angestrebt (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7395 Ziff. 5.25.4 zu Art. 359 E-ZPO). Auch wenn die Parteien über strittige Ansprüche aus der Miete von Wohnräumen grundsätzlich frei verfügen können (vgl. Art. 354 ZPO ), bleibt es ihnen verwehrt, entsprechende Streitigkeiten privaten Dritten anstatt den vorgesehenen staatlichen Behörden zu unterbreiten. Ob unter diesen Umständen überhaupt von Schiedsgerichtsbarkeit gesprochen werden kann, bei der die Wahl der Schiedsrichter durch die Parteien wesensmässig dazugehört, braucht nicht vertieft zu werden (WERNER WENGER, Schiedsgerichtsbarkeit, ZZZ 2007 S. 405; PHILIPP HABEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 39 zu Art. 361 ZPO ; URS WEBER-STECHER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 38 zu Art. 354 ZPO gehen davon aus, dass die Schiedsfähigkeit von Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen nicht bloss beschränkt, sondern gar nicht erst gegeben ist, während andere Autoren entsprechende Ansprüche als bloss "formell schiedsfähig" betrachten: MARCO STACHER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 12 zu Art. 354 ZPO ; FELIX DASSER, in: ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 14 zu Art. 354 ZPO ; BOOG/STARK-TRABER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. III, 2014, N. 57 zu Art. 361 ZPO . Eine weitere Lehrmeinung geht von einer beschränkten Schiedsfähigkeit solcher BGE 141 III 201 S. 208 Streitigkeiten aus: STEFAN GRUNDMANN, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 35 zu Art. 361 ZPO ; JOACHIM FRICK, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 7 zu Art. 354 ZPO ; STEFANIE PFISTERER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. III, 2014, N. 24 zu Art. 354 ZPO ). Zu kurz greift jedenfalls die vorinstanzliche Erwägung, nach dem Wortlaut von Art. 361 Abs. 4 ZPO werde nicht die Schiedsfähigkeit, sondern einzig die Wahlmöglichkeit der Schiedsrichter eingeschränkt. Entscheidend ist, dass den Parteien bei Angelegenheiten von Miete und Pacht von Wohnräumen nach Art. 361 Abs. 4 ZPO keine freie Wahl des Entscheidorgans zusteht, sondern entsprechende Streitigkeiten (in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht) zwingend entweder vom ordentlichen Gericht oder von der Schlichtungsbehörde zu beurteilen sind. Darauf, dass nach dem Willen des Gesetzgebers von dieser besonderen Mieterschutzregelung hinsichtlich einzelner Fragen - wie etwa der Orts- und Quartierüblichkeit von Mietzinsen - durch Vereinbarung eines Schiedsgutachtens sollte abgewichen werden können, bestehen keine Hinweise. Art. 361 Abs. 4 ZPO entspricht im Gegenteil dem klaren gesetzgeberischen Willen, zum Schutz des Mieters sämtliche Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen umfassend von staatlichen Behörden entscheiden zu lassen, weshalb diese mietrechtliche Sonderbestimmung - über den Wortlaut der allgemeinen Regelung von Art. 189 Abs. 3 lit. a ZPO hinaus - auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Schiedsgutachtens zu beachten ist. Entsprechend ist es bei der Miete und Pacht von Wohnräumen aufgrund der strengen Einschränkung der Wahl des Entscheidorgans ausgeschlossen, bestimmte Fragen im Streitfall an einen privaten Dritten als Schiedsgutachter zu delegieren (so zutreffend GÖKSU, a.a.O., Rz. 108; DOLGE, a.a.O., N. 24 zu Art. 189 ZPO ; vgl. bereits BEAT ROHRER, Luxusobjekt - Objet de luxe, MietRecht aktuell 2004 S. 129; wohl auch BISANG UND ANDERE, a.a.O., N. 1 zu aArt. 274c OR; a.M. MÜLLER, a.a.O., N. 25 zu Art. 189 ZPO ). Sollte es dem Gericht an der nötigen Fachkompetenz fehlen, wie die Vorinstanz befürchtet, ist nicht ausgeschlossen, dass es im Einzelfall eine sachverständige Privatperson als gerichtliche Gutachterin einsetzt ( Art. 183 Abs. 1 ZPO ). Im Gegensatz zur Miete und Pacht von Wohnräumen ist ausserdem bei allen übrigen Miet- und Pachtverhältnissen (so insbesondere bei der Geschäftsmiete und BGE 141 III 201 S. 209 -pacht) sowohl die Vereinbarung von Schiedsgutachten ( Art. 189 ZPO ) als auch die Streiterledigung durch ein frei wählbares Schiedsgericht zulässig (DOLGE, a.a.O., N. 24 zu Art. 189 ZPO ; GÖKSU, a.a.O., Rz. 108; HABEGGER, a.a.O., N. 41 zu Art. 361 ZPO ; PFISTERER, a.a.O., N. 24 zu Art. 354 ZPO ; LACHAT, Procédure civile en matière de baux et loyers, 2011, S. 78 Ziff. 11.6; vgl. auch BISANG UND ANDERE, a.a.O., N. 20 zu aArt. 274a OR und N. 1 zu aArt. 274c OR). 4. Die Vorinstanz ist in Verletzung von Bundesrecht von der Zulässigkeit von Schiedsgutachten privater Dritter in Angelegenheiten von Miete und Pacht von Wohnräumen ausgegangen und hat sich daher zu Unrecht nach Art. 189 Abs. 3 ZPO an das vom Hauseigentümerverband erstellte Gutachten gebunden erachtet. Die vertraglich vereinbarte Mietzinsanpassung an die orts- und quartierüblichen Marktverhältnisse wird nach erfolgter Rückweisung erneut zu beurteilen sein. Dabei wird darüber zu befinden sein, welche Beweismassnahmen hierzu erforderlich sind, so unter anderem, ob es gegebenenfalls der Durchführung eines weiteren Augenscheins bedarf.
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db8ac537-9ee4-4fa4-8218-c15d92890fc2
Sachverhalt ab Seite 192 BGE 131 V 191 S. 192 A. O. war seit 1. Januar 2001 bis zu ihrem Tod am 10. Oktober 2002 bei der Assura, Kranken- und Unfallversicherung (nachfolgend: Assura), obligatorisch krankenpflegeversichert. Während dieser Zeit hielt sich die zuvor im Kanton Freiburg Wohnende im Alters- und Pflegeheim P. (nachfolgend: Pflegeheim) im Kanton Bern auf. Sie war dort der Pflegebedarfsstufe 4 zugeteilt. Das Heim stellte der Assura für Pflegeleistungen täglich Fr. 68.- im Jahr 2001 und Fr. 70.- im Jahr 2002 in Rechnung. O. stellte es unter den Positionen Grundtarif und Pflegeleistung jeweils ebenfalls Rechnung. Dabei zog es die Leistungen der Krankenkasse ab. Die Hinterbliebenen sahen in einer solchen Inrechnungstellung der Pflegekosten einen Verstoss gegen das Krankenversicherungsgesetz. Die Erbengemeinschaft O. (nachfolgend: Erbengemeinschaft) gelangte an die Assura und forderte sie auf, im Leistungsstreit gegen das Pflegeheim die Vertretung vor dem kantonalen Schiedsgericht gemäss Art. 89 KVG zu übernehmen. Mit Verfügung vom 18. Februar 2003 lehnte die Assura das Begehren ab und bestätigte dies mit Einspracheentscheid vom 16. Mai 2003. B. Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg mit Entscheid vom 22. April 2004 gut. Es verpflichtete die Assura, die Erbengemeinschaft vor dem Schiedsgericht zu vertreten. C. Die Assura führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des kantonalen Entscheides. Die Erbengemeinschaft und das Bundesamt für Gesundheit schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. (Eingeschränkte Kognition; vgl. BGE 130 V 480 f. Erw. 2, BGE 130 V 561 Erw. 1) 2. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin die Beschwerdegegnerin vor dem kantonalen Schiedsgericht im Streit gegen das Pflegeheim zu vertreten hat. Dazu bedarf es nach Art. 89 KVG im Wesentlichen zweier Voraussetzungen: Es muss sich bei BGE 131 V 191 S. 193 der zu beurteilenden Streitigkeit um eine solche zwischen Versicherer und Leistungserbringer handeln (Abs. 1) und für den Vertretungsanspruch der versicherten Person ist zusätzlich erforderlich, dass sie dem Leistungserbringer direkt die Vergütung schuldet (Abs. 3). Dazu wird ausdrücklich auf das in Art. 42 Abs. 1 KVG geregelte System des Tiers garant verwiesen. Die Bestimmung über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts geht als lex specialis derjenigen über das kantonale Versicherungsgericht vor ( BGE 127 V 467 Erw. 1, BGE 121 V 366 Erw. 1b; KIESER, ATSG-Kommentar, Rz 7 zu Art. 57; EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 415; MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 172; vgl. zum alten Recht BGE 121 V 314 Erw. 2b, BGE 116 V 128 Erw. 2c mit Hinweis). Gesetz (KVG) und Verordnung (KVV) umschreiben nicht näher, was unter Streitigkeiten im Sinne von Art. 89 Abs. 1 KVG zu verstehen ist. Nach Rechtsprechung (RKUV 2001 Nr. KV 166 S. 243 Erw. 3b/aa mit Hinweis) und Lehre (KIESER, a.a.O., Rz 7 zu Art. 57; EUGSTER, a.a.O., Rz 413; MAURER, a.a.O., S. 172) setzt die sachliche Zuständigkeit des Schiedsgerichts voraus, dass die Streitigkeit Rechtsbeziehungen zum Gegenstand hat, die sich aus dem KVG ergeben oder auf Grund des KVG eingegangen worden sind. Die Schiedsgerichte sind zur Beurteilung von Streitigkeiten zwischen Versicherungsträgern und leistungserbringenden Personen zuständig. Die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bestimmt sich danach, welche Parteien einander in Wirklichkeit gegenüberstehen (RKUV 2004 Nr. KV 287 S. 301 Erw. 2.2). Der Streitgegenstand muss die besondere Stellung der Versicherer oder Leistungserbringer im Rahmen des KVG betreffen. Liegen der Streitigkeit keine solchen Rechtsbeziehungen zu Grunde, ist sie nicht nach sozialversicherungsrechtlichen Kriterien zu beurteilen, mit der Folge, dass nicht die Schiedsgerichte, sondern allenfalls die Zivilgerichte zum Entscheid sachlich zuständig sind ( BGE 121 V 314 Erw. 2b). Als Streitigkeiten im Rahmen des KVG fallen z.B. Honorar- und Tariffragen in Betracht (RKUV 2004 Nr. KV 286 S. 295 Erw. 3 und 4). 3. Seitens der Erbengemeinschaft ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin keinen höheren Beitrag zu leisten hatte als denjenigen, den sie (im System des Tiers payant) direkt an das Pflegeheim bezahlte. Sie macht aber geltend, dass das Heim der Versicherten nicht noch einen über die beim Versicherer direkt eingeforderten Kosten hinausgehenden Beitrag hätte fakturieren dürfen. Da diese BGE 131 V 191 S. 194 den Mehrbetrag selber bezahlt habe, bestehe nach Art. 89 Abs. 3 KVG ein Anspruch auf Vertretung vor dem Schiedsgericht durch den Versicherer. Die Beschwerdeführerin hält sinngemäss dagegen, dass das Schiedsgericht nach dem klaren Wortlaut von Art. 89 Abs. 1 KVG zuständig sei zur Beurteilung von Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern. Eine solche liege nicht vor, weil die Versicherung die ihr vom Pflegeheim gemäss Art. 9a Abs. 2 lit. d KLV in Rechnung gestellten Pflegekosten der Bedarfsstufe 4 so wie dort vorgesehen übernommen habe. Die Vorinstanz hat als kantonales Versicherungsgericht gemäss Art. 57 ATSG erwogen, die Abrechnung der Pflegeheimkosten sei gemäss Vereinbarung nach dem System des Tiers payant erfolgt. Es stelle sich damit die Frage, ob ein Anrecht auf Vertretung nach Art. 89 Abs. 3 KVG überhaupt bestehe, sei doch dort von einem solchen Anspruch der Versicherten im System des Tiers garant die Rede. Da die von der Erbengemeinschaft eingenommene Position nicht von vornherein als aussichtslos erscheine, sei es am Schiedsgericht, die im Zusammenhang mit der behaupteten Tarifschutzproblematik aufgeworfenen formell- und materiellrechtlichen Fragen zu prüfen und zu beurteilen, weshalb es die Versicherung zur Vertretung der Erbengemeinschaft vor dieser Instanz verpflichtete. Wie die Parteien geht auch das Bundesamt für Gesundheit in seiner Vernehmlassung davon aus, dass das Pflegeheim gegenüber der Versicherten im System des Tiers garant zusätzlich Rechnung gestellt habe, weshalb die Erbengemeinschaft gestützt auf Art. 89 Abs. 3 KVG zwingend Anspruch darauf habe, vor Schiedsgericht vertreten zu werden. Es liege in Tat und Wahrheit eine Streitigkeit zwischen dem Pflegeheim und der Versicherung vor, da sich die beiden uneinig seien, in welcher Höhe die an der Versicherten erbrachten Pflegeleistungen in Rechnung zu stellen seien. 4. Der Interpretation des Bundesamtes, es liege eine Streitigkeit im Sinne von Art. 89 Abs. 1 KVG zwischen Versicherer und Leistungserbringer vor, ist nicht zu folgen. Hier haben die beiden Vertragsparteien im System des Tiers payant die eingegangenen Verpflichtungen erfüllt. Wenn sie dabei die Rechtslage unterschiedlich einschätzen, lässt sich daraus nicht ableiten, sie stünden im Streit zueinander. Die Streitsache berührt das Rechtsverhältnis zwischen Leistungserbringer und Versicherer nicht, denn selbst wenn sich BGE 131 V 191 S. 195 herausstellen sollte, dass das Pflegeheim der Versicherten zu hohe Kosten in Rechnung gestellt hat, bliebe die Beschwerdeführerin nur im Rahmen der bereits ausgerichteten Vergütungen kostenpflichtig. Es liegt damit keine Streitigkeit zwischen Versicherer und Leistungserbringer vor, was allein gemäss Art. 89 Abs. 1 KVG die Zuständigkeit eines kantonalen Schiedsgerichtes überhaupt begründen könnte (vgl. oben Erw. 2). Fehlt es an der Zuständigkeit des Schiedsgerichtes nach Art. 89 Abs. 1 KVG , bleibt auch kein Raum für eine Vertretung nach Art. 89 Abs. 3 KVG . Der kantonale Entscheid erweist sich in diesem Punkt als bundesrechtswidrig und ist deshalb aufzuheben. 5. Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass die Parteien und das Bundesamt den in den Art. 42 Abs. 1 und 89 Abs. 3 KVG verwendeten Begriff des "Tiers garant" nicht korrekt auslegen. Von einer Rechnungstellung nach dem System des Tiers garant kann nicht schon dann die Rede sein, wenn Leistungserbringer Versicherten direkt Rechnung stellen und diese damit zu (Teil-)Honorarschuldnern machen. Unter dem "Tiers" ist der Versicherer gemeint (MAURER, a.a.O., S. 77) und eine Rechnungstellung nach dem System des Tiers garant bedeutet gemäss dem klaren Wortlaut von Art. 42 Abs. 1 KVG , dass die Versicherten den Leistungserbringern die Vergütung der Leistung schulden, weil Versicherer und Leistungserbringer nicht vereinbart haben, dass der Versicherer diese im System des Tiers payant direkt schuldet. Die Versicherten haben in diesem Fall gegenüber dem Versicherer einen Anspruch auf Rückerstattung. Vorliegend haben Versicherer und Leistungserbringer vereinbart, dass der Versicherer die Vergütung schuldet, weshalb man sich im System des Tiers payant befunden hat ( Art. 42 Abs. 2 KVG ). Dabei ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin dem Pflegeheim den in Art. 9a Abs. 2 lit. d KLV vorgesehenen Höchstansatz des Rahmentarifs für die Pflegebedarfsstufe 4 wie zwischen Versicherern und Pflegeheimen vertraglich vereinbart direkt und voll vergütet hat. Das Gesetz bietet keinen Interpretationsspielraum etwa in dem Sinne, dass dieselbe Leistung nebeneinander sowohl nach dem System des Tiers payant wie auch des Tiers garant eingefordert und (teil-)vergütet werden kann. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 89 Abs. 3 KVG hat der Versicherer die versicherte Person nur dann vor Schiedsgericht zu vertreten, wenn diese im System des Tiers garant die Vergütung schuldet. Dies ist dann nicht der Fall, wenn wie vorliegend eine Direktvergütung durch den Versicherer BGE 131 V 191 S. 196 ver einbart worden ist. Die Vorinstanz erkannte diesen Widerspruch in der Argumentation der Parteien ebenfalls, liess die Frage jedoch bewusst offen, um das Schiedsgericht seine Zuständigkeit selber beurteilen zu lassen. Für diese mangelt es jedoch bereits an den Voraussetzungen gemäss Art. 89 Abs. 1 KVG , weil keine Streitigkeit zwischen Versicherer und Leistungserbringer zu beurteilen ist (vgl. oben Erw. 4). 6. (Kosten, Parteientschädigung)
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Sachverhalt ab Seite 70 BGE 102 IV 70 S. 70 A.- X. ist bereits dreimal verwahrt worden, letztmals durch das Amtsgericht Aarwangen am 4. Februar 1969. Am 5. Februar 1973 wurde er bedingt entlassen, unter Ansetzung einer dreijährigen Probezeit. In diesem Zeitabschnitt wechselte X. oft die Stelle, hielt sich wegen Alkoholismus in der psychiatrischen Universitätsklinik Bern auf und wurde in die Trinkerheilanstalt Tannenhof versetzt. Neue Plazierungsversuche blieben wegen des übermässigen Alkoholgenusses erfolglos. Die letzte Stelle trat X. am 11. März 1975 bei den Gebrüdern I. in Auswil an. Am 28. April 1975 lief er davon, nachdem er im Zimmer von I. nach Geld gesucht und solches auch an sich genommen hatte. Am 30. April 1975 stahl er einem Bauern in Auswil Bargeld im Betrage von Fr. 2'500.--. B.- Wegen dieses letztern Diebstahls verurteilte das Amtsgericht von Aarwangen X. am 20. Oktober 1975 zu acht Monaten Gefängnis, abzüglich 36 Tage Untersuchungshaft. Anstelle des Vollzuges der Gefängnisstrafe ordnete es die Verwahrung an. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 29. Januar 1976 das erstinstanzliche Urteil. C.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, von der Anordnung der Verwahrung abzusehen. BGE 102 IV 70 S. 71 Erwägungen Aus den Erwägungen: Die frühere Rechtsprechung hatte Art. 42 Ziff. 1 Abs. 1 StGB dahin ausgelegt, dass ein neues vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen nur dann Anlass zur Verwahrung geben könne, wenn die neue Tat nach Ablauf der Bewährungszeit für frühere Taten verübt wurde. Werde die neue Tat in der Anstalt, auf der Flucht aus der Anstalt oder während der Probezeit verübt, könne sie nicht zu neuer Verwahrung Anlass geben. Für diese Auslegung spreche der Wortlaut des Gesetzes ("innert fünf Jahren seit der endgültigen Entlassung") und die Überlegung, dass der noch nicht endgültig Entlassene nicht die volle Wirkung der vorangehenden Strafe oder Massnahme an sich erfahren habe, sodass der Rückfall noch nicht ohne weiteres als Beweis der Erfolglosigkeit der frühern Sanktion angesehen werden könne ( BGE 98 IV 3 E. 3). Diese Praxis hat das Bundesgericht geändert mit der Begründung, der Entstehungsgeschichte könne entnommen werden, dass das Gesetz mit der Wendung "innert fünf Jahren seit der endgültigen Entlassung" nur den Endtermin, nicht den Anfang der Zeit bestimmen wollte, innert welcher die neue Tat begangen sein muss, um zu einer Verwahrung führen zu können ( BGE 100 IV 138 ff.). Es wurde hervorgehoben, eine solche Änderung sei angezeigt, weil sonst die Verwahrung nach Art. 42 StGB selbst in Fällen nicht verhängt werden könnte, in denen sie sich aufdränge, der Täter aber seinen verbrecherischen Hang jeweils schon vor einer endgültigen Entlassung aus dem Vollzug einer Freiheitsstrafe kundgetan habe. Dass der Praxisänderung in jenen Fällen in der Regel keine grosse Bedeutung zukommt, in denen der Täter aus der Verwahrung bedingt entlassen wurde und daher eine Rückversetzung nach Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 42 Ziff. 4 Abs. 3 StGB erfolgt, wurde nicht verkannt. Aber auch für diesen Fall sieht der erwähnte Entscheid die Möglichkeit vor, dass der Richter eine neue Verwahrung verhängt, wird doch ausgeführt: "Das gleiche würde gelten, wenn er (der Täter) die neue Tat beginge, nachdem er bedingt aus einer Verwahrung oder Arbeitserziehung entlassen worden wäre. Dem Umstand, dass der noch nicht endgültig Entlassene noch nicht die volle Wirkung des Vollzugs erfahren hat, kann beim Entscheid Rechnung getragen werden, ob für die neue Tat von BGE 102 IV 70 S. 72 einer Verwahrung abgesehen werden kann, weil begründete Erwartung besteht, auch der Vollzug der Freiheitsstrafe werde den Täter bessern" ( BGE 100 IV 141 , vor Erw. 4). An dieser Praxis, dass selbst eine Rückversetzung in die Verwahrung durch die Vollzugsbehörde den Richter nicht hindert, auch seinerseits eine neue Verwahrung anzuordnen, ist festzuhalten. Dafür spricht einmal der Umstand, dass das Gesetz selber keinen Unterschied zwischen jenen Fällen macht, in denen die Vollzugsbehörde bereits eine Rückversetzung in die Verwahrung angeordnet hat oder noch anordnen wird, und jenen, in denen dies nicht zutrifft. Sodann sind die Voraussetzungen für eine Rückversetzung in die Verwahrungsanstalt und die Anordnung einer neuen Verwahrung nicht identisch. So kann eine Rückversetzung nur angeordnet werden, wenn der Täter bedingt entlassen wurde. Hat er hingegen die neue Tat während der Phase des Anstaltsvollzugs verübt, ist eine Rückversetzung ausgeschlossen. Die vom Richter allenfalls neu angeordnete Verwahrung setzt alsdann der frühesten bedingten Entlassung aus der Verwahrung einen neuen, spätern Termin. Eine Rückversetzung in die Verwahrung muss die Vollzugsbehörde sodann nur anordnen, wenn der Entlassene während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen verübt hat, für das er zu einer drei Monate übersteigenden und unbedingt zu vollziehenden Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ist der Entlassene zu einer mildern oder zu einer bedingt zu vollziehenden Strafe verurteilt worden, so liegt die Rückversetzung im Ermessen der Vollzugsbehörde. Der Richter, der die neue Tat zu beurteilen hat, ist an diese Beschränkung nicht gebunden. Fällt somit der Richter, welcher die neue Tat zu beurteilen hat, eine Strafe unter drei Monaten aus, so kann er es doch für angezeigt finden, selber eine neue Verwahrung anzuordnen, wenn er glaubt, diese Massnahme sei wegen der Gefährlichkeit des Täters notwendig. Denn wie die Vollzugsbehörden, welche den richterlichen Entscheid abwarten, urteilen werden, kann er nicht immer voraussehen. Umgekehrt können in solchen Fällen Erwägungen, welche den Richter von einer neuen Verwahrung absehen lassen, der Vollzugsbehörde den Ermessensentscheid nach Art. 45 Ziff. 3 Abs. 2 StGB und den Entlassungsentscheid erleichtern. Auch sonst kann eine neue richterliche Überprüfung der Notwendigkeit des Massnahmeregimes nützlich sein. So kann sie z.B. BGE 102 IV 70 S. 73 Anlass sein, eine Verwahrung nach Art. 43 StGB anzuordnen, die dann in der Regel dem Vollzug der Verwahrung nach Art. 42 StGB vorgehen wird ( Art. 2 Abs. 8 VStGB 1 ). Es kann auch nicht gesagt werden, die Kumulierung der Rückversetzung durch die Vollzugsbehörde in die Verwahrung wegen Nichtbewährung und die Anordnung einer erneuten Verwahrung wegen neuer Delikte durch den Richter widerspreche der Rechtslogik und der Systematik der Rechtsordnung. Die frühere Verwahrung wurde angeordnet, weil der damals urteilende Richter fand, sie sei nötig, um die Gesellschaft vor dem Täter wegen seines Hangs zu Verbrechen zu schützen. Die gleiche Überlegung müssen im Hinblick auf einen späteren Zeitpunkt oft jene Richter machen, welche die neuen Taten zu beurteilen haben. Dass deshalb beide Richter die gleiche sichernde Massnahme anordnen, entspricht in einem solchen Fall der Logik der Dinge und widerspricht ihr keineswegs, wie der Beschwerdeführer meint. Es verbleibt alsdann das Problem der Überschneidung, wenn die erste Verwahrung noch nicht endgültig dahingefallen ist, bevor die zweite Verwahrung angeordnet wurde. Dass aber Richter und Verwaltungsbehörden, zu denen auch die Strafvollzugsbehörden zählen, je unter verschiedenen Gesichtspunkten und bei ungleichen Voraussetzungen auf demselben Gebiete Entscheidungen zu treffen haben, ist eine häufige Erscheinung. Es sei nur an die Nebenstrafen, die sichernden, die andern Massnahmen und die Massnahmen des Jugendstrafrechts erinnert, welchen ähnliche Eingriffe des öffentlichen und des privaten Rechts entsprechen. Es widerspricht daher weder dem Prinzip der Gewaltentrennung noch der Systematik des schweizerischen Rechts, wenn Urteile des Richters und Verfügungen der Vollzugsbehörden nebeneinander bestehen. Daraus kann der Beschwerdeführer umso weniger etwas ableiten, als das Zusammentreffen mehrerer Verwahrungen eine Erscheinung ist, welche schon seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches bekannt ist. Sie belastet den Täter nicht mehr, als es das Gesetz im Interesse gerechter Sühne und der Sicherheit der Gesellschaft verlangt (vgl. Art. 2 Abs. 7 VStGB 1 ). Der Gesetzgeber fand daher trotz verschiedener Gesetzesrevisionen keinen Anlass, daran etwas zu ändern.
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Sachverhalt ab Seite 244 BGE 95 I 243 S. 244 A.- Nach § 1 des thurg. Gesetzes vom 21. Mai 1895 betreffend die Korrektion und den Unterhalt der öffentlichen Gewässer (GKG) stehen alle öffentlichen Gewässer, zu denen neben dem Bodensee auch mehrere Flüsse, darunter die Aach, gehören, unter der Aufsicht des Staates. Ferner bestimmt das GKG in § 2. Bauten und Anlagen, welche auf die Höhe des Wasserstandes, den Lauf der Gewässer oder die Sicherheit der Ufer und des Bettes Einfluss haben, oder die bestehenden Uferlinien verändern, dürfen nur mit Bewilligung des Regierungsrates ausgeführt werden. § 4. Wer ein Wasserwerk neu errichten, eine Stauvorrichtung in einem öffentlichen Gewässer anbringen oder von demselben Wasser ableiten will, hat auf dem Bauplatz den Ort der Auffassung des Wassers sowie die Höhe der Schwellung auszustecken, Plan und Baubeschrieb beim Gemeindeammann einzugeben und durch letzteren die beabsichtigte Baute in den öffentlichen Blättern auskünden zu lassen; sodann, wenn alle Privateinsprachen gegen dieselbe beseitigt sind, sich beim Regierungsrat um die Konzession zu bewerben. Am 9. Dezember 1946 erliess der Regierungsrat des Kantons Thurgau eine Vollziehungsverordnung (VV) zum GKG, die u.a. folgende Bestimmungen enthält: § 3 Abs. 1: Der Regierungsrat ordnet die Nutzung dieser öffentlichen Wasservorkommen und setzt auch die Bedingungen fest, unter denen Grundstücke, welche dauernd oder vorübergehend ganz oder teilweise vom öffentlichen Gewässer überflutet sind, für Bauten und Anlagen aller Art in Anspruch genommen werden können. § 5 Abs. 1: Zur Nutzung von Wasser aus öffentlichen Seen, Flüssen, Bächen, Grundwasserströmen und Grundwasserbecken in einer über den Gemeingebrauch hinausgehenden Weise ist eine Verleihung (Konzession) des Regierungsrates gemäss § 4 des Gesetzes erforderlich. § 18 VV, der vom Grossen Rate am 2. April 1947 genehmigt wurde, bestimmt, dass für die Verleihung von Wasserrechten, Konzessionen und Bewilligungen eine Verleihungsgebühr zu entrichten ist, und setzt diese Gebühren für die Wasserkraftnutzungsrechte und für die Nutzung von Grundwasser fest. B.- Im Frühjahr 1963 kaufte der Beschwerdeführer Adolf Weder die 2106 m2 haltende Parzelle Nr. 2165 in der Gemeinde Egnach. Es handelt sich um ein längliches, unregelmässig geformtes Grundstück, das sich in abnehmender Breite von Süden nach Norden bis zur Mitte der Aach erstreckt und von deren Mündung in den Bodensee etwa 160 m entfernt ist. Auf BGE 95 I 243 S. 245 dem Grundstück befand sich ein früher während einiger Zeit als Gondelhafen benützter Tümpel als Überrest des früheren Laufs der heute in einen Kanal gefassten Aach. Am 20. Januar 1963 kam Weder beim kantonalen Wasserwirtschaftsamt um die Bewilligung ein, auf der Parzelle Nr. 2165 durch Ausbaggerung von ca. 1000 m3 einen Bootshafen zu erstellen; ferner ersuchte er um die Bewilligung zum Bau einer ca. 26 m langen Ufermauer als Anlegeplatz für Boote und um die Konzession "für ev. später zu erstellende 15 Schiffsboxen". Der Regierungsrat entschied über dieses Gesuch durch Beschluss vom 23. September 1963, indem er Weder eine Konzession "für die Nutzung von öffentlichem Wasser für den Schiffsbetrieb im Gondelhafen und dem Gewässergebiet (Aach) für die Dauer von 20 Jahren" erteilte (Ziff. 1) und die jährliche Konzessionsgebühr auf Fr. 200.--, zu entrichten durch einmalige Zahlung von Fr. 4000.--, festsetzte (Ziff. 5). C.- Am 18. Oktober 1963 stellte Weder beim Regierungsrat ein Wiedererwägungsgesuch mit dem Antrag, Ziff. 1 und 5 des Beschlusses vom 23. September 1963 aufzuheben. In der Folge erstellte er den Bootshafen und am Südende desselben ein Bootshaus. Am 9. Juli 1968 hiess der Regierungsrat das Wiedererwägungsgesuch dahin teilweise gut, dass er anordnete, Weder habe für die Dauer der Konzession nach seiner Wahl entweder eine einmalige Gebühr von Fr. 2625.-- oder (vom Jahre 1963 an) eine jährliche Gebühr von Fr. 200.-- zu bezahlen. Den Erwägungen dieses Entscheids ist zu entnehmen: Wenn und soweit ein öffentliches Gewässer privaten Strandboden überdecke, stehe die Wasserfläche über diesem Boden dem Gemeingebrauch offen, so u.a. der Kleinschiffahrt. Die ständige Beanspruchung eines öffentlichen Gewässers durch Stationieren von Booten im Wasser gehe über den Gemeingebrauch hinaus und bedürfe grundsätzlich einer Gebrauchserlaubnis. In diesem Sinne sei Weder konzessionspflichtig. Bei der von ihm erhobenen Konzessionsgebühr handle es sich nicht um eine Steuer, sondern um eine Gebühr für Sondernutzung. Da der Staat nicht verpflichtet sei, eine Konzession zu erteilen, sei er berechtigt, Bedingungen und Auflagen, also auch die Benutzungsgebühren, frei und ohne besondere gesetzliche Grundlage festzusetzen. Die Gebühr sei keineswegs übersetzt, sondern vielmehr äusserst bescheiden, da in der Hafenanlage 12 Boote stationiert werden könnten, die BGE 95 I 243 S. 246 jährliche Gebühr also pro Boot nur Fr. 17.- betrage. Dagegen sei die Einmalgebühr von Fr. 4000.-- durch Berücksichtigung der Verzinsung auf Fr. 2625.-- herabzusetzen. D.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt Adolf Weder den Antrag, der Wiedererwägungsentscheid des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 9. Juli 1968 sei wegen Verletzung des Art. 4 BV und des § 19 KV (Gewaltentrennung) aufzuheben. Zur Begründung macht er u.a. geltend: Da die Parzelle Nr. 2165 im Privateigentum stehe, sei ein Gemeingebrauch am darüber befindlichen Wasser ausgeschlossen und liege darin, dass er dort Boote stationiere, auch kein gesteigerter Gemeingebrauch, gleichgültig ob das Wasser als öffentliches Gewässer zu gelten habe oder nicht. Infolgedessen fehle die Voraussetzung für eine Konzession und damit auch für eine Konzessionsgebühr. Selbst wenn man im Stationieren der Boote auf dem Wasser über dem Grundstück des Beschwerdeführers einen gesteigerten Gemeingebrauch erblicken wollte, sei die verlangte Gebühr verfassungswidrig, weil es eindeutig an einer gesetzlichen Grundlage für ihre Erhebung fehle und der Regierungsrat dadurch, dass er in der VV eine solche Gebühr vorsehe, sein Verordnungsrecht überschritten und damit den Grundsatz der Gewaltentrennung sowie Art. 4 BV verletzt habe. E.- Der Regierungsrat des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der Beschwerde. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. (Prozessuales). 2. Im Entscheid vom 23. September 1963 hat der Regierungsrat die streitige Konzession "für die Nutzung von öffentlichem Wasser für den Schiffsbetrieb im Gondelhafen und dem Gewässergebiet (Aach)" erteilt und die Konzessionspflicht in den Erwägungen damit begründet, dass "die Nutzung des Wassers für diesen privaten Gondelhafen aus dem See und dem Aachlauf" zweifellos über den Gemeingebrauch hinausgehe. Aus diesen Wendungen könnte man schliessen, dass der Regierungsrat das Hineinfliessenlassen von Wasser aus der Aach in das auf dem Grundstück des Beschwerdeführers ausgehobene Hafenbecken als konzessionspflichtige Sondernutzung eines öffentlichen Gewässers betrachtete. Aus dem Wiedererwägungsentscheid vom 9. Juli 1968 ergibt sich indes, dass BGE 95 I 243 S. 247 sich die Konzessionspflicht nicht hierauf, sondern auf das "ständige Stationieren der Boote auf dem Wasser eines öffentlichen Gewässers" bezieht und auf der Annahme beruht, dass das im Hafenbecken befindliche Wasser als öffentliches Gewässer bzw. Teil eines solchen im Gemeingebrauch stehe. Der Beschwerdeführer verweist demgegenüber auf sein unbestrittenes Privateigentum am Grundstück, auf dem sich der Hafen befindet, und macht geltend, dieses Privateigentum schliesse einen Gemeingebrauch an dem das Hafenbecken ausfüllenden Wasser aus, gleichgültig ob das Wasser als öffentliches Gewässer zu gelten habe oder nicht. Diese nicht näher begründete Behauptung ist jedoch nicht geeignet, die gegenteilige Annahme des Regierungsrates zu widerlegen. Einmal schliessen sich Privateigentum an einem Grundstück und Gemeingebrauch nicht von vornherein aus, wie das Bundesgericht erst kürzlich für ein Strassengrundstück festgestellt hat ( BGE 94 I 574 Erw. 2 a). Sodann ist die Umschreibung der öffentlichen Gewässer, die gemäss Art. 664 ZBG unter der Hoheit des Kantons stehen, Sache des kantonalen Rechts; dieses kann auch ein im Privateigentum stehendes Gewässer als öffentlich erklären (HAAB N. 26 und MEIER-HAYOZ N. 108 zu Art. 664 ZGB ) und kann daher auch bestimmen, dass Privatgrundstücke insoweit, als sie vom Wasser eines öffentlichen Gewässers überflutet werden, den besondern, aufgrund der Gewässerhoheit erlassenen Normen unterstehen. Es fragt sich, wie die Rechtslage in dieser Beziehung im Kanton Thurgau ist. Der Regierungsrat hat für den Strand des Bodensees bereits im Jahre 1929 den Standpunkt eingenommen, dass, wenn und soweit der See den privaten Strandboden bedecke, sich das öffentliche Gewässer über diesen Boden erstrecke und die Wasserfläche über demselben dann als Teil des öffentlichen Gewässers dem Gemeingebrauch (Kleinschiffahrt, Baden, Fischen usw.) offen stehe. Das Bundesgericht hat dieser Auffassung in BGE 56 I 266 ff. beigepflichtet und festgestellt, dass demnach die Befugnisse des Eigentümers am privaten Strandboden, wenn und soweit dieser vom öffentlichen Gewässer überspült sei, sehr abgeschwächt seien und er dort nichts unternehmen dürfe, was geeignet sei, den Gemeingebrauch zu hindern oder zu stören. Nun lässt sich der private Strandboden des Bodensees freilich nicht ohne weiteres mit Grundstücken an Flussufern und BGE 95 I 243 S. 248 den auf solchen Grundstücken erstellten Hafenanlagen vergleichen. Gleichwohl ist die Rechtslage bei ihnen jedenfalls im fraglichen Gebiet der Aach eine ähnliche. In den meisten Kantonen steht das Bett eines fliessenden öffentlichen Gewässers im Eigentum des Gemeinwesens und bestimmt das kantonale Recht, ob der mittlere oder der höchste Wasserstand die Grenze zwischen dem öffentlichen Gewässer und den privaten Ufergrundstücken bilde (vgl. BGE 93 II 177 /78 und dort angeführtes Schrifttum). Im Kanton Thurgau dagegen ist das Gewässerbett häufig privates Eigentum der Anstösser und gehört nur das darüberfliessende Wasser zum öffentlichen Gewässer, steht also das Gewässerbett unter privatem, das Gewässer selbst unter öffentlichem Recht (ZÜLLIG, ZBGR 26/1945 S. 236/7). Diese Rechtslage, die im Kanton Appenzell A. Rh. die Regel bildet (ZBGR 8/1927 S. 32) und als mit dem Bundeszivilrecht vereinbar betrachtet wird (MEIER-HAYOZ N. 154 zu Art. 664 ZGB ), gilt auch für die Aach. Obwohl diese nach § 1 GKG zu den öffentlichen Gewässern gehört, ist ihr Bett privates Eigentum der Anstösser, wobei die Mitte die Grenze bildet. Nach dem bei den Akten befindlichen Auszug aus dem Grundbuchplan erstreckt sich denn auch die Parzelle Nr. 2165 des Beschwerdeführers in nördlicher Richtung bis zur Mitte der Aach. Dieses sein privates Eigentum am Gewässerbett schliesst zweifellos den Gemeingebrauch am darüber fliessenden Wasser der Aach nicht aus. Dann ist es aber, wenn ein Anstösser durch Abgraben des Ufers oder, wie hier, durch Ausbaggerung eines Hafenbeckens, weitere Teile seines Grundstücks unter Wasser setzt, folgerichtig, dieses Wasser ebenfalls als Teil des öffentlichen Gewässers zu betrachten und anzunehmen, dass es ungeachtet des privaten Eigentums am darunter befindlichen Boden im Gemeingebrauch stehe und der Anstösser auf eine über diesen hinausgehende Nutzung ebensowenig Anspruch habe als ein Dritter. Man könnte sich fragen, ob diese Annahme sich im vorliegenden Falle nicht schon deshalb rechtfertige, weil es sich beim Hafenbecken des Beschwerdeführers nicht um eine völlig neue Anlage handelt, befand sich doch dort schon früher ein Tümpel, der ein Überrest des früheren Aachlaufs war, mit dem neuen Lauf in Verbindung stand und daher als Teil der Aach, d.h. eines öffentlichen Gewässers gelten konnte. Wie dem auch sei, konnte der Beschwerdeführer den nun bestehenden Bootshafen nur dadurch schaffen, dass er BGE 95 I 243 S. 249 Wasser der Aach in das ausgebaggerte Becken fliessen liess, was nach dem Gesagten zur Folge hatte, dass dieses sein Privateigentum bedeckende Wasser als Teil eines öffentlichen Gewässers im Gemeingebrauch steht und unter das GKG und die darauf beruhenden Vorschriften der VV fällt. Diese sich aus dem thurgauischen Recht ergebende Folge verstösst nicht gegen die Eigentumsgarantie, da der Beschwerdeführer diese Beschränkung seines Eigentums durch Ausbaggerung seines Grundstücks und Überflutung desselben mit Wasser aus einem öffentlichen Gewässer selber herbeigeführt, also freiwillig auf sich genommen hat. 3. Geht man davon aus, dass das Wasser im Hafenbecken des Beschwerdeführers Teil eines öffentlichen Gewässers ist und im Gemeingebrauch steht, so ist die Annahme des Regierungsrates nicht zu beanstanden, dass das ständige Stationieren von Booten in diesem Hafen über den Gemeingebrauch hinausgehe und einer Bewilligung bedürfe. Der Beschwerdeführer bestreitet denn auch für den Fall, dass das Hafenbecken im Gemeingebrauch stehen sollte, nicht, dass das ständige Stationieren von Booten über diesen hinausgehe, noch dass es sich dabei nicht bloss um gesteigerten Gemeingebrauch, sondern um Sondernutzung handle und daher dafür eine Verleihung (Konzession) erforderlich sei. Ebensowenig macht er geltend, dass die Konzessionspflicht, die der Regierungsrat im Entscheid vom 23. September 1963 aus § 5, in der Beschwerdeantwort überdies aus § 3 VV ableitet, einer gesetzlichen Grundlage ermangle. Diese Rüge wäre übrigens, obwohl sich die §§ 3 und 5 VV kaum auf § 4 GKG stützen können, der sich nur auf Wasserwerke bezieht, unbegründet, denn das Bundesgericht hat stets angenommen, dass die Kantonsregierung, welche die staatliche Aufsicht über die öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch ausübe, auch ohne besondere gesetzliche Grundlage befugt sei, zu prüfen, ob eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung mit diesem vereinbar sei, und die für eine solche Nutzung erforderliche Bewilligung oder Konzession zu erteilen (vgl. BGE 73 I 217 , BGE 75 I 15 , BGE 81 I 86 , BGE 88 I 25 Erw. 7 a.E.). Dagegen ficht er die Zulässigkeit der vom Regierungsrat auf Fr. 200.-- jährlich festgesetzten Konzessionsgebühr an. 4. Er bestreitet die Verfassungsmässigkeit dieser Gebühr aus verschiedenen Gründen. Es ist angezeigt, in erster Linie den grundsätzlichen Einwand zu prüfen, dass eine solche BGE 95 I 243 S. 250 Gebühr einer gesetzlichen Grundlage bedürfe, eine solche aber nicht vorhanden sei. a) Im angefochtenen Entscheid wird zur Begründung des Standpunkts, eine solche Grundlage sei nicht erforderlich, ausgeführt, das Bundesgericht habe im Urteil BGE 93 I 638 ff. "durchblicken lassen", dass es nicht einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedürfe, um Gebühren für die Sondernutzung öffentlicher Gewässer bzw. aller öffentlichen Sachen im engern Sinne zu erheben. In der Beschwerdeantwort wird diese Behauptung zu Recht nicht mehr aufgestellt, denn es ist nicht ersichtlich, wo in jenem Urteil etwas derartiges angedeutet worden wäre. Dagegen wird die Befreiung vom Erfordernis der gesetzlichen Grundlage in der Beschwerdeantwort aus der Rechtsnatur der Konzession, d.h. daraus abgeleitet, dass deren "Vertragscharakter - namentlich der Sondernutzungskonzession - unverkennbar und allgemein anerkannt" sei; ferner wird in der Beschwerdeantwort, wie schon im angefochtenen Entscheid, behauptet, daraus, dass der Staat zur Erteilung einer Konzession nicht verpflichtet sei, folge sein Recht, Bedingungen und Auflagen, also auch die Benutzungsgebühren, frei festzusetzen. Dem kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Die in BGE 80 I 246 (und BGE 81 I 86 ) enthaltenen Bemerkungen über das vertragliche Element innerhalb der Konzession beziehen sich auf diejenigen Konzessionsbestimmungen, in denen gegenseitige Rechte und Pflichten in freier Vereinbarung festgelegt worden sind, im Gegensatz zu solchen, die einseitig durch die Behörde verfügt worden sind. Nur unter dieser Voraussetzung, d.h. soweit gegenseitige Rechte und Pflichten in freier Vereinbarung festgelegt werden, messen die vom Regierungsrat zitierten Ausführungen IMBODENS (Der verwaltungsrechtliche Vertrag, ZSR 1958 S. 167a ff., insbesondere 170/71a) den durch die Konzession begründeten Beziehungen vertraglichen Charakter zu. Hieraus lässt sich für die streitige Konzessionsgebühr nichts zur Stütze des angefochtenen Entscheids ableiten, da der Regierungsrat diese Gebühr einseitig festgesetzt hat. Für den verfügungsmässig begründeten Inhalt der Konzession aber gilt, ohne Rücksicht darauf, ob ein Anspruch auf Erteilung der Konzession besteht, der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung. Danach bedürfen die einem Verwaltungsakt beigefügten Bedingungen und Auflagen einer gesetzlichen Grundlage BGE 95 I 243 S. 251 ( BGE 88 I 215 , BGE 93 I 258 ) und dürfen insbesondere öffentliche Abgaben, mit Ausnahme blosser Kanzleitaxen, nur beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und lediglich in dem vom Gesetz festgelegten Umfange erhoben werden. Das Bundesgericht hat nicht nur für Steuern, sondern auch für Gebühren stets eine gesetzliche Grundlage gefordert ( BGE 82 I 27 , BGE 83 I 87 , BGE 93 I 634 ) und erklärt, die Bestimmung ihrer Höhe dürfe im Rechtsstaat nicht der Entscheidung von Fall zu Fall überlassen bleiben ( BGE 83 I 87 ). Das gilt nicht nur für Verwaltungsgebühren, auf die sich die angeführten Urteile beziehen, sondern auch für Benutzungsgebühren, wie sie hier in Frage stehen; auch diese bedürfen stets einer gesetzlichen Grundlage (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl. Nr. 412 IV). b) Für den Fall, dass es einer gesetzlichen Grundlage bedürfe, behauptet der Regierungsrat zu Unrecht, sie sei vorhanden. Das GKG enthält, wie die Beschwerdeantwort anerkennt, keine Bestimmung, die den Regierungsrat als Vollzugsbehörde ermächtigen würde, Konzessionsgebühren oder Gebühren für eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung öffentlicher Gewässer zu erheben. Die Verordnung des Grossen Rates vom 26. Januar 1948 über die Gebühren der Verwaltungsbehörden, nach deren § 2 der Regierungsrat für "Entscheide, Beschlüsse, Verfügungen und andere Verrichtungen in Verwaltungssachen und Verwaltungsstreitigkeiten" Gebühren von Fr. 10 bis 1000 erheben kann, wird von ihm mit Recht nicht angerufen, denn sie bezieht sich nur auf Gebühren für solche Amtshandlungen, nicht auf Konzessions- oder Benutzungsgebühren. Der Regierungsrat stützt sich auf § 18 VV und erblickt die gesetzliche Grundlage dieser Bestimmung im Gesetz vom 16. Januar 1919 betreffend das kantonale Besoldungs- und Gebührenwesen. Nach § 1 dieses Gesetzes ist der Grosse Rat allgemein ermächtigt, auf Antrag des Regierungsrates "die in die Staatskasse fallenden Gebühren festzusetzen". Im Hinblick hierauf hat der Regierungsrat den § 18 der VV vom 9. Dezember 1946 zum GKG, der die Erhebung von Gebühren vorsieht, dem Grossen Rat zur Genehmigung unterbreitet, die am 2. April 1947 erteilt wurde. Nach § 18 Abs. 3 und 4 beträgt die einmalige Verleihungsgebühr für Wasserkraftnutzungsrechte 10 bis 20 Franken pro Brutto-Pferdekraft und diejenige für die Nutzung von Grundwasser 1 bis 5 Franken pro Minutenliter. Diese BGE 95 I 243 S. 252 Gebühren haben infolge der Genehmigung des § 18 VV durch den Grossen Rat und der diesem in § 1 des Gesetzes vom 16. Januar 1919 erteilten Befugnis eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Dagegen fehlt es an einer solchen für die Erhebung weiterer Gebühren. § 18 Abs. 2 VV bestimmt zwar, für die Verleihung neuer und die Erweiterung bestehender Wasserrechte, Konzessionen und Bewilligungen sei eine Verleihungsgebühr zu entrichten, bei deren Festsetzung Zweck, volkswirtschaftliche Bedeutung und wirtschaftliches Interesse an der Nutzung zu berücksichtigen seien. Diese Bestimmung genügt aber trotz ihrer Genehmigung durch den Grossen Rat den Anforderungen an eine gesetzliche Grundlage nicht, da, wie in BGE 83 I 87 ausgeführt ist, das Gesetz oder die von ihm abgezweigte Verordnung auch den Gebührentarif festzusetzen hat und die Bestimmung der Höhe der Gebühr nicht der Entscheidung von Fall zu Fall überlassen darf. Sofern der Regierungsrat für das ständige Stationieren von Booten in öffentlichen Gewässern Benutzungsgebühren erheben will, hat er diese in der VV oder in einem besondern Erlass ziffernmässig festzusetzen und hierauf die Genehmigung des Grossen Rates einzuholen. Bis diese vorliegt, besteht keine gesetzliche Grundlage für die Erhebung derartiger Gebühren, weshalb der angefochtene Entscheid insoweit, als er den Beschwerdeführer zur Bezahlung einer solchen Gebühr verpflichtet, wegen Verletzung des Art. 4 BV und des Grundsatzes der Gewaltentrennung aufzuheben ist.
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Sachverhalt ab Seite 18 BGE 88 I 18 S. 18 Aus dem Tatbestand: A.- Aus der Gesetzgebung des Kantons Zürich sind folgende, für die Benutzung öffentlicher Gewässer geltenden Bestimmungen hervorzuheben: a) Gesetz betreffend die Korrektion, den Unterhalt und die Benutzung der Gewässer (Wasserbaugesetz = WBG) vom 15. Dezember 1901: "IV. Polizeiliche Vorschriften. § 64. Jedermann ist berechtigt, innerhalb der Schranken der polizeilichen Ordnung das öffentliche Gewässer zur Schiffahrt, zum Wasserschöpfen, Baden, Tränken, Schwemmen, Waschen usw. zu benutzen; jedoch darf dadurch die Beschaffenheit des Wassers nicht so verändert werden, dass Schaden für das öffentliche Wohl entsteht oder die allgemeine Benutzung in erheblicher Weise beeinträchtigt wird. BGE 88 I 18 S. 19 V. Vollziehungs- und Strafbestimmungen. § 75. Die Oberaufsicht über das gesamte Wasserbauwesen des Kantons steht dem Regierungsrat beziehungsweise der Direktion der öffentlichen Bauten zu." b) Einführungsgesetz zum Schweiz. ZGB (EG/ZGB) vom 2. April 1911: "§ 137. Die Anlegung, Abänderung oder Erweiterung, sowie der Betrieb von Wasserbenutzungsanlagen (Kraftwerken, Wiesenbewässerungen und dgl.) an öffentlichen und privaten Gewässern unterliegen der staatlichen Aufsicht. Für die über den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung öffentlicher Gewässer ist eine besondere staatliche Verleihung erforderlich ..." c) Gesetz betreffend die Fischerei vom 29. März 1885: "§ 1. Das Recht des Fischfangs in den öffentlichen Gewässern des Kantons Zürich ... steht dem Staate zu ..." Für die fliessenden Gewässer wird die Bewilligung zum Fischfang durch Verpachtung bestimmter Gewässerstrecken als geschlossene Reviere erteilt (§ 5 lit. b in Verbindung mit § 12 Abs. 3). B.- Der stadtzürcherische Abschnitt der Limmat von der Badeanstalt unterer Letten flussabwärts bis zur Gemeindegrenze wird in den Monaten März bis September an den Werktagen zwischen 18 und 21 Uhr sowie an den Sonntagvormittagen von mehreren Wasserfahrvereinen zu Übungs- und Wettfahrten mit Pontons und Weidlingen benutzt. Anderseits ist der gleiche Abschnitt in drei Teilstrecken als Fischereirevier verpachtet; die drei Pächter haben insgesamt 42 Fischereikarten ausgegeben an Personen, die den Fischfang als Sport betreiben. Seit dem Bau des Lettenwerkes um 1950 beklagten sich die Fischer darüber, dass sie durch die Übungsfahrten der Wasserfahrvereine in der Ausübung ihrer Fischereirechte gestört und beeinträchtigt würden. Im Jahre 1952 kam zwischen den verschiedenen Beteiligten eine Vereinbarung zustande, die den Streit hätte beilegen sollen, aber in der Folge nicht eingehalten wurde. Die Fischer ersuchten daher den Regierungsrat, eine ihre Interessen berücksichtigende Regelung zu treffen. BGE 88 I 18 S. 20 Der Regierungsrat beschloss am 2. April 1959, dass das Befahren der Limmat auf der in Frage stehenden Strecke durch Wasserfahrvereine und andere Private mit Pontons und Weidlingen zu sportlichen Zwecken am Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag zwischen 18 und 21 Uhr sowie am ersten und dritten Sonntag jedes Monats zwischen 6 und 13 Uhr ohne besondere Bewilligung, im übrigen aber nur mit Bewilligung der Direktion der öffentlichen Bauten gestattet sei, wogegen die Durchfahrt mit Pontons und Weidlingen, sofern Ausgangs- und Endpunkt der Fahrt ausserhalb der fraglichen Flussstrecke liegen, keinen zeitlichen Beschränkungen unterliegen. Der Begründung dieses Beschlusses ist zu entnehmen: a) Seitens der Sportfischer werde geltend gemacht und von den Wasserfahrern nicht bestritten, dass die Fahrübungen mit Pontons und Weidlingen die fragliche Flussstrecke ausschliesslich beanspruchen und auf dieser namentlich das Fischen praktisch verunmöglichen. Dagegen gebe das Befahren des Flusses mit andern Schiffen (wie Kanus, Paddelbooten usw.) zu keinen Klagen Anlass und habe die bloss gelegentliche Durchfahrt mit grösseren Wasserfahrzeugen keine ins Gewicht fallende Behinderung der Sportfischer zur Folge. b) Das Befahren öffentlicher Gewässer mit Schiffen gehöre grundsätzlich zu den Benutzungsarten, die unter den keiner Bewilligung bedürftigen Gemeingebrauch fallen. Da die kantonale Gesetzgebung den Begriff des Gemeingebrauchs zwar kenne, aber nirgends allgemeingültig umschreibe, sei die Abgrenzung des Gemeingebrauchs vom gesteigerten Gemeingebrauch und dieser Gebrauchsart von der Sondernutzung nach den von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätzen und Kriterien vorzunehmen. Danach erschöpfe sich der Gemeingebrauch in den Benutzungsmöglichkeiten, von denen eine unbestimmte Zahl von Benutzern gleichzeitig Gebrauch machen könne, ohne einander erheblich zu behindern. Diese Auffassung liege auch § 64 WBG zugrunde. Sei aber die erhebliche BGE 88 I 18 S. 21 Behinderung anderer Benutzer der öffentlichen Sache ein entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung des einfachen vom gesteigerten Gemeingebrauch, so könne das übungs- und wettkampfmässige Wasserfahren mit Pontons und Weidlingen auf der Limmat nicht mehr als einfacher Gemeingebrauch gelten, da es die gleichzeitige Benutzung des Gewässers durch Dritte, insbesondere zum Fischfang, geradezu ausschliesse. Anderseits stelle es auch keine (konzessionspflichtige) Sondernutzung im Sinne von § 137 EG/ZGB dar. Es sei daher dem gesteigerten Gemeingebrauch zuzurechnen und könne infolgedessen behördlichen Beschränkungen, insbesondere der Bewilligungspflicht unterworfen werden. Die Befugnis zu solchen Anordnungen stehe dem Regierungsrat auch ohne besondere gesetzliche Ermächtigung zu; sie ergebe sich aus dem allgemeinen Aufsichtsrecht des Staates über die dem Gemeingebrauch überlassenen öffentlichen Sachen (vgl. BGE 75 I 15 ) und aus der dem Regierungsrat zustehenden Oberaufsicht über das gesamte Wasserbauwesen des Kantons (§ 75 des Wasserbaugesetzes). c) Die Wasserfahrübungen im Sinne eines Polizeiverbots mit Erlaubnisvorbehalt einer umfassenden Bewilligungspflicht zu unterstellen, erscheine wenig sinnvoll. Die Interessenkollision zwischen Fischern und Wasserfahrern lasse sich zweckmässig durch eine Regelung lösen, welche das Wasserfahren zu bestimmten Zeiten ohne besondere Bewilligung zulasse und nur ausserhalb dieser Zeiten von einer solchen abhängig mache. C.- Gegen diesen Beschluss haben der Kantonalzürcherische Verband der Wasserfahrer und 5 ihm angeschlossenen Wasserfahrvereine (nach Abweisung eines Wiedererwägungsgesuchs) staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie machen Verletzung der Art. 4 und 24 ter BV geltend. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist. BGE 88 I 18 S. 22 Erwägungen Aus den Erwägungen: 1/4. - (Prozessuales; Rüge der Verletzung des Art. 24 ter BV ). 5. Der angefochtene Entscheid beruht auf der Annahme, dass während der Wasserfahrübungen mit Pontons und Weidlingen auf der fraglichen Flussstrecke das Fischen unmöglich sei. In der Beschwerde wird diese Beeinträchtigung der Fischerei bestritten. Indessen handelt es sich um eine Würdigung tatsächlicher Verhältnisse, die das Bundesgericht bindet, sofern sie nicht willkürlich ist ( BGE 67 I 68 und 328, BGE 78 I 302 , BGE 79 I 122 Erw. 1 und BGE 80 I 136 Erw. 3). Die Beschwerdeführer machen aber nicht geltend und versuchen noch weniger darzutun, dass jene Annahme willkürlich sei, weshalb auch das Bundesgericht von ihr auszugehen hat. 6. Inhalt und Umfang der jedermann ohne besondere Bewilligung offenstehenden Benutzung, des sog. Gemeingebrauchs, werden für öffentliche Gewässer in § 64 WBG umschrieben. Dass das Fischen, das in der hier enthaltenen Aufzählung verschiedener Benutzungsarten nicht erwähnt ist, nicht zum Gemeingebrauch gehört, ist unbestritten. Das Recht des Fischfangs in öffentlichen Gewässern steht als Regal dem Staate zu, der es bei fliessenden Gewässern durch Verpachtung bestimmter Gewässerstrecken als Fischereireviere nutzt (§§ 1, 5 und 12 des zürch. Fischereigesetzes). Diese Verpachtung ist rechtlich kein zivilrechtlicher Vertrag, sondern eine öffentlichrechtliche Verleihung oder Konzession, durch welche ein Sondernutzungsrecht des Fischpächters am öffentlichen Gewässer begründet wird (vgl. BGE 63 II 48 Erw. 1 und FLEINER, Institutionen S. 379). Im Gegensatz zum Fischen gehört die Schiffahrt auf den öffentlichen Gewässern grundsätzlich zum Gemeingebrauch. Die Aufzählung in § 64 WBG erwähnt sie ausdrücklich und an erster Stelle. Der Regierungsrat nimmt indessen an, das übungs- und wettkampfmässige Befahren der in BGE 88 I 18 S. 23 Frage stehenden Limmatstrecke mit Pontons und Weidlingen gehe über den Gemeingebrauch hinaus und dürfe als gesteigerter Gemeingebrauch behördlichen Beschränkungen wie der Bewilligungspflicht unterworfen werden. Die Beschwerdeführer bezeichnen diese Betrachtungsweise als willkürlich und machen geltend, ihre Benutzung halte sich im Rahmen des einfachen Gemeingebrauchs und dürfe nicht deshalb als gesteigerter Gemeingebrauch bezeichnet werden, weil sie das Fischen, d.h. die Ausübung eines Sondernutzungsrechts, beeinträchtige. 7. Das Recht auf die nach § 64 WBG zum Gemeingebrauch gehörenden Benutzungsarten ist nicht unbegrenzt. § 64 WBG lässt sie ausdrücklich nur "innerhalb der Schranken der polizeilichen Ordnung" zu, was offenbar dahin zu verstehen ist, dass der Gemeingebrauch aus polizeilichen Gründen, zum Schutze der öffentlichen Ordnung, Ruhe, Sicherheit, Sittlichkeit und Gesundheit beschränkt werden darf. Ferner bestimmt § 64 WBG , dass die Beschaffenheit des Wassers durch die Benutzung nicht so verändert werden darf, dass dadurch Schaden für das öffentliche Wohl entsteht oder die allgemeine Benutzung in erheblicher Weise beeinträchtigt wird. Diese Bestimmung kann ohne Willkür in dem Sinne ausdehnend ausgelegt werden, dass nicht nur eine die Beschaffenheit des Wassers ändernde, sondern jede Benutzung, welche die allgemeine Benutzung in erheblicher Weise beeinträchtigt, über den Gemeingebrauch hinausgehe und zu unterbleiben habe. Diese sich aus § 64 WBG ergebende Schranke ist jedoch nicht das einzige Kriterium dafür, ob eine Benutzung sich im Rahmen des Gemeingebrauchs hält oder über ihn hinausgeht. Unter Umständen darf auch eine nicht durch ausdrückliche Vorschrift verpönte, aber über die gewöhnliche Benützung hinausgehende Inanspruchnahme einer öffentlichen Sache als gesteigerter Gemeingebrauch betrachtet werden. Wenn der Verkehr einzelner Personen zu Fuss zum Gemeingebrauch an öffentlichen Strassen gehört, so gilt dies nicht ohne weiteres auch für Prozessionen, BGE 88 I 18 S. 24 politische Umzüge, verbandsmässige Marschübungen usw. Solche Veranstaltungen dürfen ohne Willkür als gesteigerter Gemeingebrauch behandelt werden (vgl. BGE 61 I 110 , BGE 49 I 148 /49). Ähnlich verhält es sich mit dem Verkehr auf öffentlichen Gewässern. Wenn nach § 64 WBG
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Sachverhalt ab Seite 233 BGE 84 II 232 S. 233 A.- Die Scheidungsklage des Ehemannes wurde in erster Instanz abgewiesen, weil er an der vom Bezirksgericht bejahten tiefen Zerrüttung der Ehe vorwiegend schuldig und daher zur Klage nicht berechtigt sei ( Art. 142 Abs. 2 ZGB ). Die Ehefrau hatte sich der Scheidung widersetzt. Vor Obergericht, an das der Kläger appellierte, schlossen die Parteien dann aber folgende Vereinbarung: "1. Die Parteien stellen ein gemeinsames Scheidungsbegehren gestützt auf Art. 142 ZGB . 2. Der Kläger verpflichtet sich, die Liegenschaft ... der Beklagten zu übertragen. 3. Die Beklagte übernimmt die Bezahlung der heute noch ausstehenden Rechnungen für die Erstellung der Schwemmkanalisation im Maximalbetrag von Fr. 1200.--. 4. ... bis 9. ..." (Hausrat, Wohnungsräumung, Entschädigungsrente, Prozesskosten). BGE 84 II 232 S. 234 B.- Das Obergericht, dem die Parteien diese Vereinbarung unterbreiteten, fällte am 24. März 1958 folgendes Urteil: "1. Die Ehe der Parteien wird auf Grund von Art. 142 ZGB geschieden. 2. Der Kläger ist verpflichtet, die Liegenschaft ... der Beklagten zu Eigentum zu übertragen. 3. Im übrigen wird die Vereinbarung der Parteien ... genehmigt. 4. ... bis 6. ..." (Prozesskosten und Mitteilung). C.- Das Urteil wurde den Parteien am 14. April 1958 zugestellt. Am 3. Mai reichte der Kläger beim Obergericht zu Handen des Bundesgerichts eine "Berufung" ein, mit dem Antrag,
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Sachverhalt ab Seite 640 BGE 99 Ia 638 S. 640 A.- Am 29. Juni 1972 reichte die Sozialdemokratische Partei des Kantons Basel-Landschaft bei der Landeskanzlei eine von 2447 Stimmberechtigten unterzeichnete formulierte Volksinitiative ein, mit welcher sie den Erlass eines Gesetzes über die befristete Besteuerung von Steuereinkommen über 80 000 Franken (Reichtumsteuergesetz) bezweckte. Mit Bericht vom 15. August 1972 beantragte der Regierungsrat dem Landrat, dem Volk die Ablehnung dieser formulierten Gesetzesinitiative zu empfehlen. Gestützt auf § 12 KV entsprach der Landrat diesem Antrag, indem er am 25. September 1972 beschloss, den Stimmberechtigten die Verwerfung der Gesetzesinitiative zu empfehlen. Über die Gründe dieses Beschlusses wurden die Stimmbürger in der Folge mit "erläuternden Bemerkungen" des Regierungsrats orientiert ("Abstimmungsvorlagen Nr. 4/1972"). In der Volksabstimmung vom 3. Dezember 1972 wurde die Initiative jedoch entgegen dem Antrag von Regierungsrat und Landrat mit 37 093 Ja gegen 29 565 Nein angenommen. Die Stimmbeteiligung betrug 55,41%. Dieses Abstimmungsergebnis wurde im kantonalen Amtsblatt Nr. 49 vom 7. Dezember 1972 veröffentlicht. Das angenommene Gesetz als solches wurde in der Beilage zum Amtsblatt vom 21. Dezember 1972 öffentlich bekanntgemacht. Es hat folgenden Wortlaut: "Gesetz über die befristete Besteuerung von Steuereinkommen über 80 000 Franken (Reichtumsteuer-Gesetz) vom 3. Dezember 1972. § 1 Bis zum Inkrafttreten eines neuen Steuergesetzes wird auf dem steuerbaren Einkommen der natürlichen Personen sowie auf dem steuerbaren Gewinn oder Ertrag der juristischen Personen eine Reichtumsteuer erhoben. Diese fliesst zu neun Zehntel dem Staat zu, der restliche Zehntel geht gemäss Verteilungsschlüssel der jährlichen Gemeindehilfe (§ 138 Absätze 2 und 3 des Gesetzes über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952) an die Gemeinden. BGE 99 Ia 638 S. 641 § 2 Die Reichtumsteuer wird jeweils zu der gemäss § 16 des Gesetzes über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952 durch den Landrat festgelegten Staatssteuer erhoben. § 3 Die Reichtumsteuer der natürlichen Personen beträgt vom Steuerbetrag bei einem Einkommen von 80 001 Franken 0,5 Prozent und erhöht sich nach je 1000 Franken Mehreinkommen gleichmässig um 0,5 Prozent bis auf 40 Prozent bei 160 000 Franken. Für jedes um 1000 Franken höhere Einkommen erhöht sich der Reichtumsteuersatz in entsprechender Weise, und zwar von Einkommen von 160 001 bis 200 000 Franken um je 1 Prozent bis auf 80 Prozent, 200 001 bis 500 000 Franken um je 0,2 Prozent bis auf 140 Prozent. Für Einkommen über 500 000 Franken beträgt die Reichtumsteuer einheitlich 140 Prozent vom Steuerbetrag. Steuerbare Einkommen bis 80 000 Franken sind von der Reichtumsteuer befreit. § 4 Die Reichtumsteuer der juristischen Personen beträgt einheitlich 10 Prozent der Steuer auf dem Gewinn oder Ertrag. Davon sind Wohngenossenschaften ausgenommen. § 5 Die Reichtumsteuer wird als Teil der Staatssteuer erhoben. § 6 § 23 Absatz 3 des Gesetzes über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952 wird wie folgt geändert: AHV- und IV-Renten sowie die entsprechenden Ergänzungsleistungen werden als Einkommen nur zur Hälfte angerechnet. § 7 Dieses Gesetz tritt vorbehältlich der Annahme durch das Volk auf den 1. Januar 1973 in Kraft." B.- Gegen das Reichtumsteuergesetz vom 3. Dezember 1972 sind beim Bundesgericht folgende staatsrechtliche Beschwerden erhoben worden: - Beschwerde P 206/72 des Dr. Darius Weber, Reinach, vom 27. Dezember 1972, mit welcher eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit ( Art. 4 BV ) und der Eigentumsgarantie ( Art. 22ter BV ) gerügt wird; - Beschwerde P 5/73 des Curt Ciapparelli, Reinach, vom 30. Dezember 1972, mit welcher ebenfalls ein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit sowie eine Verletzung des Willkürverbots ( Art. 4 BV ) geltend gemacht wird; BGE 99 Ia 638 S. 642 - Beschwerde P 9/73 des Dr. Hans Steiner, Oberwil, des Dr. Albert Rossi, Oberwil, und des Dr. Georg Huber, Allschwil, vom 12. Januar 1973 mit folgenden Verfassungsrügen: Widersprüchlichkeit des Gesetzestextes, rechtsungleiche Behandlung der Steuerpflichtigen, Verstoss gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung, Willkür, Verletzung des Prinzips der Verhältnismässigkeit; - Beschwerde P 12/73 des Edwin Frei-Schneider, Sissach, und weiterer sechs im Kanton Basel-Landschaft steuerpflichtiger Bürger vom 18. Januar 1973, mit welcher eine Verletzung der Rechtsgleichheit, des Grundsatzes der Allgemeinheit und Verhältnismässigkeit der Besteuerung, der Eigentumsgarantie ( Art. 22 ter BV ), der Handels- und Gewerbefreiheit ( Art. 31 Abs. 1 BV ) und der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV) gerügt wird; - Beschwerde P 13/73 des Dr. Leo Fromer, Binningen, und weiterer zwölf Steuerpflichtiger vom 18. Januar 1973 wegen angeblicher Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV) und des Art. 4 BV ; - Beschwerde P 14/73 des Dr. Peter Böckli, Binningen, vom 11. Januar 1973 (Postaufgabe 19. Januar 1973) wegen angeblicher Verletzung von Art. 4 BV (irreführende Bezeichnung der Volksinitiative) und des politischen Stimmrechts ( Art. 85 lit. a OG , fehlende Einheit der Materie). Sämtliche Beschwerdeführer beantragen, das Reichtumsteuergesetz vom 3. Dezember 1972 aufzuheben. Die Begründung der von ihnen erhobenen Verfassungsrügen ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden Erwägungen. C.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft hat unter Hinweis auf seine Ausführungen in der Erläuterung der Abstimmungsvorlagen vom 3. Dezember 1972 auf Gegenbemerkungen verzichtet. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: I. Formelles 1. Sämtliche Beschwerden richten sich gegen den nämlichen Erlass (Reichtumsteuergesetz vom 3. Dezember 1972). Sie enthalten zudem teilweise übereinstimmende Verfassungsrügen. BGE 99 Ia 638 S. 643 Es rechtfertigt sich daher, die hängigen Verfahren zu vereinigen und über sämtliche Beschwerden in einem einzigen Urteil zu entscheiden. 2. Richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Erlass, so beginnt die Beschwerdefrist mit dessen Veröffentlichung im Amtsblatt zu laufen ( Art. 89 OG , BGE 99 Ia 180 /1, BGE 91 I 83 /4 Erw. 1). Das angefochtene Gesetz wurde im Amtsblatt vom 21. Dezember 1972 bekanntgemacht. Die Veröffentlichung fiel demnach in eine Zeit, während welcher die Fristen von Gesetzes wegen stillstanden ( Art. 34 Abs. 1 lit. c OG ). Die Anfechtungsfrist begann somit erst am 2. Januar 1973 zu laufen und endigte am 1. Februar 1973 (Art. 34 in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 OG ; vgl. auch BIRCHMEIER, Handbuch der Bundesrechtspflege, S. 37). Sämtliche Beschwerden sind somit unter diesem Gesichtswinkel rechtzeitig eingereicht worden. Dass die Beschwerde P 206/72 (Dr. Darius Weber) bereits am 27. Dezelnber 1972 erhoben wurde, schadet in diesem Zusammenhang nichts ( BGE 98 Ia 204 ). Offen bleibt jedoch die Frage, ob die Beschwerde P 14/73 (Dr. Peter Böckli) nicht in Anbetracht der darin erhobenen Rügen (irreführende Bezeichnung der Volksinitiative, fehlende Einheit der Materie) wegen Verwirkung als verspätet bezeichnet werden muss (vgl. dazu unten Erw. 5 a). 3. Die Beschwerde P 13/73 (Dr. Leo Fromer und Mitbeteiligte) enthält eine Reihe von unzulänglichen Parteibezeichnungen, indem als Beschwerdeführer die "Gesellschafter" einzelner Personengesellschaften angegeben werden (Beschwerdeführer Ziff. 3, 4, 6, 10, 12). Insoweit liegt nur seitens jener Personen eine gültige Beschwerde vor, die sich aufgrund der vorhandenen Prozessvollmachten identifizieren lassen. Dies ist nur für die in Ziff. 12 genannten Beschwerdeführer (Hans und Peter Rosenmund) zweifelsfrei möglich. 4. Zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen Erlass ist legitimiert, wer durch die darin enthaltenen Vorschriften aktuell oder virtuell betroffen wird ( BGE 98 Ia 511 /12 Erw. 2, BGE 88 I 175 Erw. 1, BGE 85 I 52 Erw. 2; Urteil vom 2. April 1969 i.S. H., abgedruckt in ZBl 70/1969 S. 549 Erw. 1). Mit Ausnahme jener Personen, deren Identität nach dem Gesagten nicht eindeutig feststeht (vgl. oben Erw. 3), sind sämtliche Beschwerdeführer im Kanton Basel-Landschaft steuerpflichtig. Sie sind demnach unbekümmert darum, ob sie bereits heute ein mit der angefochtenen BGE 99 Ia 638 S. 644 Reichtumsteuer zu erfassendes Einkommen erzielen, zur Beschwerde gegen das Reichtumsteuergesetz als solches legitimiert. Der Beschwerdeführer Dr. Peter Böckli ist unbestrittenermassen im Kanton Basel-Landschaft stimmberechtigt. Er ist deshalb befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss Art. 85 lit. a OG Mängel des Abstimmungsverfahrens und der Volksinitiative zu rügen. II. Zur Kritik an der Initiative 5. Der Beschwerdeführer Dr. Peter Böckli macht geltend, dass dem Stimmbürger eine irreführende Frage gestellt worden sei, weil aus dem Titel des auf dem Wege einer formulierten Volksinitiative zu erlassenden Gesetzes nicht hervorgehe, dass neben der Einführung der Reichtumsteuer auch eine teilweise Steuerbefreiung für AHV- und IV-Renten (§ 6 des Gesetzes) zur Diskussion gestanden habe. Er erblickt darin einen Verstoss gegen Art. 4 BV . Weiter bringt er vor, die erwähnte Verknüpfung von zwei sachlich verschiedenen Postulaten in einer einzigen Abstimmungsvorlage verstosse gegen den Grundsatz der Einheit der Materie und sei deshalb verfassungswidrig. a) Beide Rügen enthalten sinngemäss eine Kritik an der Ausgestaltung der Volksinitiative und richten sich im einzelnen gegen die Fragestellung an den Stimmbürger. Solche Beanstandungen sind in der Regel sofort und vor der Abstimmung vorzubringen, denn nach der Rechtsprechung verwirkt ein Stimmberechtigter grundsätzlich das Recht zur Anfechtung eines Abstimmungsergebnisses, wenn er es unterlässt, Fehler bei der Vorbereitung des Urnengangs sofort durch Einsprache oder Beschwerde zu rügen, damit der Mangel noch vor der Abstimmung behoben werden kann und diese nicht wiederholt zu werden braucht ( BGE 98 Ia 620 Erw. 2 mit Verweisungen). Zu den sofort zu rügenden Mängeln bei der Vorbereitung einer Volksabstimmung gehören insbesondere auch Fehler bei der Formulierung der Abstimmungsfrage (vgl. BGE 89 I 400 ) und eine Missachtung des Grundsatzes der Einheit der Materie (vgl. dazu auch BGE 99 Ia 177 ff.). Unter diesen Umständen scheint fraglich, ob auf die Beschwerde des Dr. Peter Böckli überhaupt eingetreten werden kann, da sie erst nach der Volksabstimmung über die angefochtene Initiative und nach der Veröffentlichung des Reichtumsteuergesetzes eingereicht wurde. Wie es sich damit verhält, mag indessen offenbleiben, da sich die von Dr. Peter BGE 99 Ia 638 S. 645 Böckli erhobenen Verfassungsrügen, wie im folgenden näher auszuführen ist, ohnehin als unbegründet erweisen. b) Der Beschwerdeführer Dr. Peter Böckli macht geltend, der Stimmbürger sei durch die Volksinitiative irregeführt worden, weil aus dem Titel des Reichtumsteuergesetzes nicht hervorgehe, dass es auch eine Abänderung des kantonalen Steuergesetzes vom 7. Juli 1952 enthalte und eine teilweise Steuerbefreiung der AHV- und IV-Renten einführe. Damit rügt der Beschwerdeführer sinngemäss eine unzulässige Verknüpfung von zwei Volksbegehren in einer einzigen Vorlage. Neben dem zusätzlich erhobenen Vorwurf, die fragliche Vorlage verstosse gegen den Grundsatz der Einheit der Materie und verletze damit das Stimmrecht der Bürger ( Art. 85 lit. a OG ), kommt der soeben erwähnten Rüge der Irreführung mithin keine selbständige Bedeutung zu. Sie wäre im übrigen von vorneherein unbegründet. Die Erläuterungen des Regierungsrats zur Abstimmungsvorlage vom 3. Dezember 1972 enthielten für jeden durchschnittlich aufmerksamen Stimmbürger klare Angaben über den Gegenstand der Volksinitiative; jeder Stimmberechtigte war gestützt darauf ohne weiteres in der Lage zu erkennen, was die Initiative bezweckte. Der Grundsatz der Einheit der Materie ist in der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft nicht ausdrücklich verankert. Er gilt jedoch von Bundesrechts wegen und ergibt sich aus dem verfassungsmässigen Anspruch des Bürgers darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt werde, das den Willen der Stimmberechtigten nicht unverfälscht und zuverlässig zum Ausdruck bringe (vgl. BGE 96 I 652 Erw. 7 sowie BGE 99 Ia 183 mit weiteren Hinweisen). Auf dem Gebiet des Finanzreferendums hat dies zur Folge, dass sich die dem Stimmbürger vorzulegende Frage nur auf einen einzigen Gegenstand beziehen darf, es sei denn, dass sich mehrere Ausgaben gegenseitig bedingen oder aber einem gemeinsamen Zweck dienen, der zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft ( BGE 99 Ia 183 ). Ähnlich verhält es sich bei Verfassungsrevisionen, wo sich der Grundsatz der Einheit der Materie geradezu aus der Natur der Sache und aus dem Wesen der Partialrevision ergibt ( BGE 96 I 652 Erw. 7). Er gewährleistet dem Stimmbürger namentlich die unverfälschte Kundgabe seines Willens bei der Unterzeichnung einer Initiative und bei der Abstimmung darüber (vgl. BGE 96 I 652 /3 mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung). Immerhin dürfen an die Einheit der Materie, zumal wo der Grundsatz (wie im Kanton BGE 99 Ia 638 S. 646 Basel-Landschaft) nicht ausdrücklich aufgestellt ist und überdies die Verfassungsinitiative nur die Bedeutung einer allgemeinen Anregung hat, keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn zwischen den verschiedenen Vorschlägen im Falle von Neuerungen vor allem im Hinblick auf ihren Zweck, bei Änderungen auch im Hinblick auf die bisherige Regelung ein Zusammenhang besteht, der die Verbindung zu einer Initiative und zu einer Abstimmungsfrage als sachlich gerechtfertigt erscheinen lässt ( BGE 96 I 653 ). Wohl ist richtig, dass sich die Frage nach der Einheit der Materie grundsätzlich bei allen Vorlagen stellt, die einer Volksabstimmung unterliegen ( BGE 99 Ia 182 mit Verweisungen). Auf dem Gebiet der Gesetzesinitiative sind die soeben dargestellten Grundsätze jedoch nur beschränkt anwendbar. Dass hier an die Einheit der Materie weniger hohe Anforderungen zu stellen sind als bei der Verfassungsinitiative, liegt im Wesen der Gesetzesinitiative selbst begründet. Sofern sich die Vorlage nicht von vorneherein als verfassungswidrig erweist (vgl. BGE 98 Ia 640 ), so werden Exekutive und Legislative durch eine formulierte Gesetzesinitiative zur Anordnung einer entsprechenden Volksbefragung verpflichtet, wobei dem Gesetzesentwurf der Initianten ein behördlicher Gegenvorschlag gegenübergestellt werden darf (vgl. § 12 Abs. 5 KV; BGE 91 I 193 Erw. 2). Gleich wie bei Referendumsabstimmungen über behördliche Gesetzesvorlagen ist dabei der Grundsatz der Einheit der Materie gewahrt, sofern mit dem fraglichen Gesetz (oder mit dem behördlichen Gegenvorschlag) eine bestimmte Materie geregelt werden soll und die einzelnen, zu diesem Zweck aufgestellten Vorschriften zueinander in einer sachlichen Beziehung stehen. Der Stimmbürger hat mithin keinen verfassungsmässigen Anspruch darauf, dass ihm einzelne, allenfalls besonders wichtige Vorschriften eines Gesetzes, das eine bestimmte Materie regelt, gesondert zur Abstimmung vorgelegt werden. Er muss sich vielmehr auch dann für die Gutheissung oder Ablehnung der ganzen Gesetzesvorlage entscheiden, wenn er mit einzelnen Vorschriften nicht einverstanden ist ( BGE 97 I 672 ; J.-F. AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Nr. 1133 S. 423). Auch im vorliegenden Fall beschlägt das angefochtene Gesetz eine bestimmte Materie: die Erhebung von kantonalen direkten Steuern. Nichts hinderte deshalb die Initianten, dem Stimmbürger im Zusammenhang mit der Einführung der Reichtumsteuer auch eine teilweise Steuerbefreiung von AHV- und IV-Renten zu BGE 99 Ia 638 S. 647 beantragen. Dass dieser Teil der Vorlage aus dem Titel des Gesetzes nicht hervorgeht, ändert daran nichts. Unter dem Gesichtswinkel der Einheit der Materie ist nach dem Gesagten vielmehr bloss massgebend, ob alle Vorschriften des angefochtenen Reichtumsteuergesetzes das materielle oder formelle Recht der direkten Steuern angehen. Dass dies zutrifft, kann nicht bestritten werden. Die Beschwerde des Dr. Peter Böckli ist daher abzuweisen. III. Zur Kritik am Gesetz als solchem 6. In der Beschwerde P 12/73 (Edwin Frei-Schneider und Mitbeteiligte) wird unter anderem gerügt, die Reichtumsteuer verletze die Handels- und Gewerbefreiheit ( Art. 31 Abs. 1 BV ), weil sie eine sogenannte Klassensteuer sei, die einer verfassungswidrigen prohibitiven, besonderen Gewerbesteuer gleichkomme. Diese Rüge ist unbegründet. Die Reichtumsteuer wird sowohl von natürlichen wie auch von juristischen Personen als Teil der Staatssteuer erhoben (§ 5 des Gesetzes). Sie ist demnach ihrem Wesen nach eine Einkommens- bzw. Gewinnsteuer und gehört als solche zu den allgemeinen Steuern (Hauptsteuern), die mit Rücksicht auf ihren regelmässigen Fortbestand Gewähr bieten sollen für eine ergiebige und gleichmässig fortdauernde Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs (E. BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3. Aufl., S. 130). Daran ändert nichts, dass die Reichtumsteuer nicht direkt vom Einkommen bzw. Gewinn, sondern vielmehr als zusätzlicher Teil oder als Vielfaches des Staatssteuerbetrags erhoben wird (vgl. zur Würdigung dieser Besonderheit unten Erw. 9 b). Nach ständiger Rechtsprechung bietet die Handels- und Gewerbefreiheit indessen keinen Schutz gegen eine allgemeine Steuer, und zwar selbst dann nicht, wenn mit der Belastung durch diese allgemeine Steuer eine Erschwerung des Konkurrenzkampfs verbunden ist ( BGE 96 I 572 mit Verweisungen; W. BURCKHARDT, Kommentar zur Bundesverfassung, 3. Aufl., S. 247; J. HENSEL, Die Verfassung als Schranke des Steuerrechts, Bern 1973, S. 167/8). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Damit kann von einem Verstoss gegen die Handels- und Gewerbefreiheit von vorneherein nicht die Rede sein. Eine Verletzung dieses verfassungsmässigen Freiheitsrechts käme vielmehr nur dann in Betracht, wenn in der Reichtumsteuer eine besondere Gewerbesteuer zu erblicken wäre (vgl. BGE 96 I 572 ). So verhält es sich jedoch nach dem Gesagten nicht. Ob die Reichtumsteuer eine unzulässige "Klassensteuer" BGE 99 Ia 638 S. 648 darstelle, wie die Beschwerdeführer annehmen, ist mithin nicht unter dem Blickwinkel der Handels- und Gewerbefreiheit, sondern allenfalls unter jenem der Eigentumsgarantie und in erster Linie in Würdigung der allgemeinen verfassungsmässigen Grundsätze der Besteuerung (Prinzip der Allgemeinheit der Steuer, Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) zu entscheiden. 7. Ein Teil der Beschwerdeführer macht geltend, die Reichtumsteuer verletze die Eigentumsgarantie ( Art. 22ter BV ), weil sich die Initianten vorgenommen hätten, die Bildung neuen Vermögens zu verhindern und durch andauernde Einkommens- und Vermögensabschöpfung eine soziale Umschichtung zu bewerkstelligen. Ferner bringen sie vor, die Reichtumsteuer schränke die private Nutzung des Eigentums in prohibitiver Weise ein und wirke konfiskatorisch, weshalb sie auch unter diesem Gesichtspunkt gegen die Eigentumsgarantie in ihrer Erscheinungsform als Institutsgarantie verstosse. Einzelne Vertreter der Rechtslehre nehmen in der Tat an, die Eigentumsgarantie sei geeignet, als Schranke für die Belastung mit öffentlichen Abgaben zu dienen, indem sie einer sogenannten konfiskatorischen Besteuerung entgegenstehe (vgl. insbesondere WACKERNAGEL, Über die Steuergerechtigkeit, 1956, S. 16 ff., M. IMBODEN, Die verfassungsmässige Gewährleistung des Privateigentums als Schranke der Besteuerung, ASA Bd. 29, S. 2 ff., ferner HANS HUBER, Berner Kommentar, Einleitungsband, N. 231 zu Art. 6 ZGB , sowie neuerdings auch P. SALADIN, Grundrechte im Wandel, S. 140 ff. und J. HENSEL, a.a.O., S. 138 ff.). Ein solcher Schutz vor übermässiger Besteuerung wäre der Eigentumsgarantie vorab in ihrer Erscheinungsform als Institutsgarantie zuzuordnen (in diesem Sinne auch P. SALADIN, a.a.O., S. 144 und J. HENSEL, a.a.O., S. 145 ff.; vgl. dazu auch BGE 99 Ia 37 und BGE 96 I 558 sowie HANS HUBER in ZBJV 107/1971, S. 396). Das Bundesgericht hat bisher jedoch offengelassen, ob die Eigentumsgarantie einer sogenannten konfiskatorischen Besteuerung grundsätzlich entgegenstehe ( BGE 94 I 116 ). Auch im vorliegenden Fall braucht nicht entschieden zu werden, ob neben den anerkannten, unmittelbar aus dem ungeschriebenen oder expliziten Verfassungsrecht sich ergebenden Besteuerungsprinzipien (Grundsatz der Gesetzmässigkeit, der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) auch die Eigentumsgarantie zum Tragen kommen kann, wenn die Verfassungsmässigkeit BGE 99 Ia 638 S. 649 einer allgemeinen Steuer in Frage steht, denn wie im folgenden näher auszuführen ist, verstiesse die angefochtene Reichtumsteuer nicht gegen die in diesem Sinne verstandene Eigentumsgarantie. Wie bereits erwähnt, könnte sich aus der Eigentumsgarantie höchstens ein Schutz vor sogenannter konfiskatorischer Besteuerung ergeben. Unzulässig wäre demnach eine allgemeine Steuer, die durch die Höhe ihres Satzes zu einem ausserordentlich schwerwiegenden Eingriff in das private Vermögen eines Steuerpflichtigen führt, die Substanz des Steuerobjekts weitgehend aufzehrt und die Vermögensverhältnisse des Pflichtigen derart erschüttert, dass ihm wesentliche Eigentumsrechte faktisch entzogen werden (vgl. J. HENSEL, a.a.O., S. 144). Beim Entscheid darüber, ob dies zutreffe, müsste im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle abgeklärt werden, wie sich die gesetzlich vorgesehene Belastung auf die betroffene Gruppe von Steuerpflichtigen - gesamthaft betrachtet - auswirkt. Entscheidend wäre somit, ob die Reichtumsteuer - zusammen mit den übrigen allgemeinen (direkten) Steuern - geeignet ist, bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen und unter normalen Umständen derart weitreichend in die Vermögensverhältnisse der Pflichtigen einzugreifen, dass diesen angesichts der hohen Steuerbelastung wesentliche Eigentümerbefugnisse zwangsläufig verloren gehen (vgl. dazu auch J. HENSEL, a.a.O., S. 155). Was die proportionale Reichtumsteuer der juristischen Personen anbelangt (10% der Staatssteuer auf dem Gewinn oder Ertrag gemäss § 4 des Gesetzes), so könnte von einer konfiskatorischen Besteuerung im soeben umschriebenen Sinn von vorneherein nicht die Rede sein. Die Reichtumsteuer der natürlichen Personen verläuft dagegen progressiv bis zu einem steuerbaren Einkommen von Fr. 500 000 (140% des Staatssteuerbetrags als Maximalsatz). Damit ergibt sich bei einem steuerbaren reinen Erwerbseinkommen von Fr. 500 000 folgende Belastung für das Steuerjahr 1973: Staatssteuer normal: Fr. 71 500.-- Reichtumsteuer 140%: Fr. 100 100.-- Gemeindesteuer (3%): Fr. 15 000.-- Eidg. Wehrsteuer gemäss Tarif 1972: Fr. 45 065.-- Total: Fr. 231 665.-- oder 46,3% BGE 99 Ia 638 S. 650 Selbst wenn berücksichtigt wird, dass sich diese Steuerbelastung noch erhöht, wenn das Einkommen ganz oder teilweise aus Vermögensertrag stammt, weil diesfalls zusätzlich die Vermögenssteuer entrichtet werden muss, könnte indessen das Vorliegen einer konfiskatorischen Besteuerung nicht bejaht werden; denn im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle besteht auch in solchen Fällen kein Grund zur Annahme, dass dem Steuerpflichtigen, der seine finanziellen Bedürfnisse allein aus dem Ertrag seines Vermögens befriedigt, infolge der Steuerbelastung die wesentlichen Eigentumsrechte verloren gehen. Ob in Einzelfällen eine solche Wirkung eintreten könnte, müsste der Prüfung im Rahmen der konkreten Normenkontrolle vorbehalten bleiben. Die Rüge, die angefochtene Reichtumsteuer verstosse angesichts der Belastung mit anderen Hauptsteuern gegen die Eigentumsgarantie, erwiese sich daher als unbegründet. 8. Einzelne Beschwerdeführer bringen vor, das Reichtumsteuergesetz verstosse gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV), indem es den Inhaber einer ertragsstarken Einzelfirma oder die Gesellschafter einer entsprechenden Personengesellschaft faktisch dazu zwinge, ihre Unternehmung in eine juristische Person umzuwandeln. Sie machen geltend, damit werde das aus dem Bundesprivatrecht sich ergebende freie Wahlrecht unter den gesetzlich vorgesehenen Unternehmungsformen in unzulässiger Weise beschränkt. Richtig ist, dass kantonale öffentlichrechtliche Bestimmungen - und damit auch Vorschriften über die Ausgestaltung der kantonalen Steuern - vor Art. 2 Üb. Best. BV nur standhalten, wenn sie dem Sinn und Geist des Bundeszivilrechts nicht widersprechen und seine Anwendung nicht vereiteln ( BGE 98 Ia 495 Erw. 3 a, BGE 91 I 198 ). Von vorneherein unbehelflich ist jedoch in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Steuerbelastung von Einzelfirmeninhabern und Personengesellschaftern nach dem ausserkantonalen Recht. Ein Verstoss gegen den Vorrang des Bundesrechts könnte vielmehr nur durch den direkten Nachweis eines Widerspruchs zwischen dem basel-landschaftlichen Reichtumsteuergesetz und dem Bundesprivatrecht dargetan werden. Allein hierzu reichen die Vorbringen der Beschwerdeführer nicht aus. Wohl wird die Wahl der privatrechtlichen Unternehmungsform durch das Mass der zu erwartenden Steuerbelastung beeinflusst. Insbesondere bei grösseren und ertragsstarken Betrieben sind daneben aber auch betriebswirtschaftliche und rein privatrechtliche BGE 99 Ia 638 S. 651 (v.a. gesellschaftsrechtliche und erbrechtliche) Gesichtspunkte massgebend. Nach den Erkenntnissen der modernen Unternehmungsplanung dürfte sich für solche Betriebe die Rechtsform der Einzelfirma oder der Personengesellschaft wohl nur in Ausnahmefällen als - gesamthaft betrachtet - zweckmässig anbieten. Damit hat der Einwand, die Reichtumsteuer schränke die freie Wahl der privatrechtlichen Unternehmungsform in unzulässiger Weise ein, bereits entscheidend an Gewicht verloren. Dass die Beschwerdeführer damit zumindest im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nicht durchdringen können, ergibt sich sodann auch aus dem Umstand, dass sie selber nicht nachzuweisen versuchen, dass die Reichtumsteuer im Einkommensbereich zwischen Fr. 80 000 und Fr. 500 000 zu einer Vereitelung des Bundeszivilrechts führe. Sie beschränken sich vielmehr auf eine Würdigung von Belastungsvergleichen im Bereich des Maximalsatzes, d.h. bei steuerbaren Einkommen von über Fr. 500 000. Nach der Steuerstatistik 1968 (Basellandschaftliche Steuerpraxis 1971, S. 447), welche die Beschwerdeführer selber als Beweismittel zu den Akten gegeben haben, geht hervor, dass 377 Steuerpflichtige ein Einkommen von mehr als Fr. 200 000 erzielten, während nur 74 Pflichtige ein solches von mehr als Fr. 500 000 versteuerten. Im Jahre 1970 betrug die Zahl der Steuerpflichtigen mit einem Einkommen von über Fr. 200 000 452 (Steuerfaktoren 1970 der kantonalen Steuerverwaltung). Nimmt man an, dass höchstens ein Drittel von ihnen ein Einkommen von mehr als Fr. 500 000 erzielt und daher zum Maximalsatz besteuert wird, und berücksichtigt man, dass nur eine kleine Minderheit Inhaber einer Einzelfirma oder Teilhaber an einer Personengesellschaft sein dürfte, so wird augenfällig, dass die Zahl der Steuerpflichtigen, die dem in der Beschwerde behaupteten Zwang ausgesetzt sein könnten, verschwindend klein sein muss. Nach den gesamten Umständen, insbesondere in Würdigung der erwähnten anderen, rechtlichen Gesichtspunkte, welche die Wahl der Unternehmungsform beeinflussen, besteht deshalb kein Grund zur Annahme, dass die Reichtumsteuer dem Bundesprivatrecht zuwiderlaufe. Auch die auf Art. 2 Üb. Best. BV gestützte Verfassungsrüge erweist sich daher als unbegründet. 9. Die Mehrheit der Beschwerdeführer rügt ferner, die Reichtumsteuer verstosse gegen die anerkannten Grundsätze der Allgemeinheit, der Gleichmässigkeit und der Verhältnismässigkeit BGE 99 Ia 638 S. 652 der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, weil sie eine als Klassensteuer ausgestaltete Sondersteuer darstelle, die bloss von 2,3% der Steuerpflichtigen erhoben werde, die bereits rund 40% des Gesamtertrags der allgemeinen Einkommenssteuer aufzubringen hätten. Die moderne Finanzwissenschaft erblickt im Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung ein ethisch-sozialpolitisches Gerechtigkeitspostulat, wonach alle natürlichen und juristischen Personen, die über ein bestimmtes Mindestmass an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verfügen, grundsätzlich ohne Rücksicht auf ausserökonomische Gesichtspunkte zur Steuer heranzuziehen sind, wobei Ausnahmen von der objektiven und subjektiven Steuerpflicht nur insoweit zugelassen werden sollen, als sie aus gesamtwirtschafts-, sozial-, kultur- und gesundheitspolitischen oder steuertechnischen Gründen als geboten erscheinen (vgl. F. NEUMARK, Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik, 1970, S. 75). Desgleichen anerkennt die Rechtslehre den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung als Prinzip einer rechtsstaatlichen Steuergesetzgebung, und zwar in dem Sinn, dass eine sachlich unbegründete Ausnahme einzelner Personen oder Personenkreise von der Besteuerung als unzulässig bezeichnet wird (vgl. E. BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3. Aufl., S. 136; J. HENSEL, a.a.O., S. 51 ff.). Das Prinzip der Allgemeinheit der Besteuerung stellt eine auf das Gebiet des Steuerwesens zugeschnittene Konkretisierung des in Art. 4 BV verankerten Grundsatzes der Rechtsgleichheit dar und steht in engem Zusammenhang mit dem auf der gleichen verfassungsrechtlichen Grundlage beruhenden Prinzip der Lastengleichheit der Bürger, wonach der Finanzaufwand für die allgemeinen öffentlichen Aufgaben bzw. die Kosten des Aufwands für das Gemeinwohl grundsätzlich von der Gesamtheit der Bürger getragen werden soll (vgl. dazu J. HENSEL, a.a.O., S. 39 ff. sowie B. WEBER-DURLER, Die Rechtsgleichheit in ihrer Bedeutung für die Rechtsetzung, Diss. Zürich 1973, S. 134 ff.). Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung der Bürger ergibt sich sodann auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Besteuerung. Dieser verlangt, dass sich die Steuerbelastung nach den einem Steuerpflichtigen zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zur Verfügung stehenden Wirtschaftsgütern und nach seinen persönlichen Verhältnissen richtet. Da mithin von Verfassungs wegen auf die BGE 99 Ia 638 S. 653 wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen Rücksicht zu nehmen ist, müssen wesentlich verschiedene Verhältnisse auch zu einer unterschiedlichen Steuerbelastung führen, zumal nach dem allgemeinen Gleichheitssatz der Bundesverfassung Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit dagegen ungleich zu behandeln ist (vgl. z.B. BGE 94 I 654 Erw. 5). Daraus ergibt sich die grundsätzliche Zulässigkeit einer progressiven Besteuerung (vgl. bereits BGE 38 I 378 sowie E. BLUMENSTEIN, a.a.O., S. 253/4 und J. HENSEL, a.a.O., S. 53). Das Bundesgericht hat wiederholt ausdrücklich anerkannt, dass Art. 4 BV die Allgemeinheit und Gleichheit der Besteuerung gewährleistet ( BGE 90 I 162 Erw. 2, 243; ASA Bd. 39 S. 300 Erw. 5), indem nicht einzelne Personen oder Personengruppen trotz im wesentlichen gleichen tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten von der Besteuerung ausgenommen werden dürfen. Das bedeutet, dass zu einer Einkommens- und Gewinnsteuer (d.h. zu einer Hauptsteuer, vgl. oben Erw. 6) grundsätzlich alle Personen nach Massgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit heranzuziehen sind, sofern sie tatsächlich Einkommen und Gewinn erzielen. Einkommens- und Gewinnsteuern dürfen somit nicht in Form einer Sondersteuer nur von einzelnen, wirtschaftlich besonders starken Steuerpflichtigen erhoben werden. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung verbietet ferner, einer kleinen Gruppe von Steuerpflichtigen im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit erheblich grössere Lasten aufzuerlegen als der Masse der übrigen Steuerpflichtigen (ASA Bd. 39 S. 300 Erw. 5 mit Verweisungen). In diesem Sinn enthält der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung auch einen verfassungsmässigen Minderheitenschutz. Nach dem Gesagten schliesst Art. 4 BV indessen eine progressive Besteuerung nicht aus, sofern dabei nur der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen angemessen Rechnung getragen wird. Gerade in diesem Zusammenhang steht dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum der Gestaltungsfreiheit offen, zumal sich aus Art. 4 BV keine bestimmte Methode der Besteuerung ableiten lässt (vgl. BGE 96 I 567 mit Verweisungen) und die Ausgestaltung des Steuertarifs in besonderem Mass von politischen Wertungen abhängt (vgl. H. HALLER, Die Steuern, Grundlinien eines rationalen Systems öffentlicher Abgaben, Tübingen 1964, S. 332, ferner J. HENSEL, a.a.O., S. 105). Bei der Überprüfung von BGE 99 Ia 638 S. 654 Steuertarifen - insbesondere bei der Würdigung des Progressionssatzes - hat sich der Verfassungsrichter daher Zurückhaltung aufzuerlegen. Er hat in diesem Zusammenhang bloss zu untersuchen, ob sich die fragliche Ordnung auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt und ob damit rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht zu finden ist. Ob ein Steuergesetz diesen Anforderungen genüge, kann nicht aufgrund formaler Kriterien entschieden werden, sondern fällt letzlich zusammen mit der Frage, ob das Gesetz gerecht sei. Gerechtigkeit aber ist ein relativer Begriff, der sich mit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen wandelt. Das gilt insbesondere mit Bezug auf die Verteilung der Steuerlasten und die Ausgestaltung der Steuern ( BGE 96 I 567 a). Im Lichte dieser Grundsätze ist im folgenden zu prüfen, ob die angefochtene Reichtumsteuer vor Art. 4 BV standhält. a) Die Reichtumsteuer der natürlichen Personen wird gestützt auf einen besonderen Erlass bloss von jenen Personen erhoben, die ein der gewöhnlichen Staatssteuer unterliegendes steuerbares Einkommen von mehr als Fr. 80 000 erzielt haben, wobei die Steuer aufgrund eines progressiven Prozentsatzes vom verfallenen Staatssteuerbetrag berechnet wird. Mit Rücksicht darauf liesse sich bei formeller Betrachtungsweise allenfalls die Auffassung vertreten, die Reichtumsteuer stelle nach dem Gesagten eine unzulässige Sondersteuer dar, weil sie als Hauptsteuer (vgl. oben Erw. 6) nicht von sämtlichen Steuerpflichtigen erhoben werde. Allein ihre enge Verknüpfung mit der Staatssteuer (Einkommenssteuer) spricht gegen eine solche formelle Betrachtungsweise. Der Umstand, dass die Reichtumsteuer nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes (§ 5) als Teil der Staatssteuer erhoben wird, lässt vielmehr den Schluss zu, dass mit der formell selbständigen Erhebung der Reichtumsteuer sinngemäss bloss im Rahmen der gewöhnlichen Einkommenssteuerpflicht die hohen Einkommen stärker als bisher belastet werden sollen. Der angefochtene Erlass bezweckt demnach sinngemäss nichts anderes als eine bestimmt umschriebene Verschärfung des Progressionstarifs für die staatliche Einkommenssteuer. Die angefochtene Reichtumsteuer ist deshalb nach der hier vorliegenden Ausgestaltung noch keine echte Sondersteuer und verstösst daher unter diesem Gesichtswinkel nicht gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung. BGE 99 Ia 638 S. 655 b) Näher zu prüfen ist jedoch, ob die materielle Ausgestaltung der Reichtumsteuer, d.h. insbesondere der ihr zugrunde liegende Progressionstarif selbst gegen die in Art. 4 BV verankerten und soeben umschriebenen Besteuerungsprinzipien verstösst. Die Reichtumsteuerpflicht setzt bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 80 001 ein. Die Berechnung der Steuer erfolgt nach einem Progressionssatz, der mit 0,5% des Staatssteuerbetrags beginnt, sich bis zu einem steuerbaren Einkommen von Fr. 160 000 um je 0,5% pro Fr. 1000 Mehreinkommen in regelmässigen Stufen bis auf 40% erhöht, hernach bis zu einem steuerbaren Einkommen von Fr. 200 000 auf je 1% pro Fr. 1000 Mehreinkommen ansteigt (was für ein steuerbares Einkommen von Fr. 200 000 einen Steuerbetrag von 80% der Staatssteuer ergibt) und anschliessend, d.h. von einem steuerbaren Einkommen von Fr. 200 001 an auf je 0,2% pro Fr. 1000 Mehreinkommen absinkt und bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 500 000 (Steuerbetrag= 140% der Staatssteuer) endigt. Für schweizerische Verhältnisse ist diese Art der Besteuerung in zweifacher Hinsicht ungewöhnlich: Zunächst fällt auf, dass die Reichtumsteuer als Prozentsatz einer anderen Steuer (Einkommenssteuer) erhoben wird und damit ein Phänomen darstellt, das dem schweizerischen Steuerrecht bisher fremd war. Sodann kann nicht übersehen werden, dass die Progression im Einkommensbereich zwischen Fr. 160 001 und Fr. 200 000 ausserordentlich stark ansteigt (1% des Staatssteuerbetrags mehr je Fr. 1000 Mehreinkommen) und damit einer verhältnismässig geringen Zahl von Steuerpflichtigen eine relativ grosse Steuerbelastung auferlegt. Wenn auch zuzugeben ist, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bürgers mit zunehmendem Einkommen vor allem in bestimmten höheren Einkommensbereichen progressiv ansteigt, so leuchtet diese schematische Art der Besteuerung doch nicht ohne weiteres ein. Anderseits kann nicht gesagt werden, dass es bar jeder vernünftigen Begründung sei, die Progression zunächst weniger stark, dann stärker ansteigen zu lassen, um für die sehr hohen Einkommen ab Fr. 200 000 offensichtlich aus der Furcht vor steuerlich bedingter Abwanderung wieder zu einem flacheren Verlauf der Progressionskurve überzugehen. Wird sodann berücksichtigt, dass der Verfassungsrichter bei der Überprüfung des Progressionsverlaufs nach dem Gesagten nur eingreifen darf, wenn rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, die offensichtlich sinnwidrig sind und dem BGE 99 Ia 638 S. 656 Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit klarerweise widersprechen, so kann aufgrund einer gesamthaften Würdigung sowohl des gewählten Steuersystems als auch des gesetzlich vorgesehenen Progressionsverlaufs nicht gesagt werden, dass es sich bei der angefochtenen Reichtumsteuer so verhalte. Mit ihrer Rüge, die Reichtumsteuer verstosse als solche gegen die in Art. 4 BV verankerten Besteuerungsprinzipien, vermögen die Beschwerdeführer somit nicht durchzudringen, zumal auch berücksichtigt werden mag, dass die angefochtene Reichtumsteuer ein Provisorium darstellt und nach der unmittelbar bevorstehenden Totalrevision des kantonalen Steuergesetzes wiederum wegfallen soll. Für einzelne Einkommenskategorien liegen der Progressionsverlauf und die Steuerbelastung freilich an der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen. Es erscheint ferner nicht als ausgeschlossen, dass gegen Steuern von der Art und Ausgestaltung der basel-landschaftlichen Reichtumsteuer volkswirtschaftliche und finanzpolitische Bedenken vorgebracht werden können. Ob solche Einwendungen begründet seien, hat jedoch vorab der Gesetzgeber und nicht der Verfassungsrichter zu entscheiden. Wenn die angefochtene Reichtumsteuer auch - gesamthaft betrachtet - vor Art. 4 BV standhält, so muss doch festgestellt werden, dass die Anwendung des gesetzlichen Progressionstarifs in einem Einzelfall offensichtlich gegen die Verfassung verstösst, nämlich im Grenzbereich bei jener Einkommenserhöhung, die gleichzeitig eine Verschärfung der Progression auslöst. Bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 160 000 betragen Staatssteuer und Reichtumsteuer zusammen Fr. 32 032.-- (Staatssteuer: Fr. 22 880.--, Reichtumsteuer: 40%=Fr. 9152.--). Bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 160 100 erhöht sich die Gesamtbelastung aber bereits auf Fr. 32 281.15 (Staatssteuer: Fr. 22 894.43; Reichtumsteuer: 41%=Fr. 9386.72). In diesem Grenzbereich führt eine Einkommenserhöhung um Fr. 100 somit zu einer steuerlichen Mehrbelastung von nicht weniger als Fr. 249.15 oder rund 250% des Mehreinkommens, so dass dem Steuerpflichtigen mit einem Einkommen von Fr. 160 100 nach Abzug der gesetzmässig berechneten Steuer weniger verbleibt als dem Empfänger eines Einkommens von Fr. 160 000. Eine solche Besteuerung ist sinn- und zweckwidrig und hält vor Art. 4 BV nicht stand. In diesem Fall darf mit der Reichtumsteuer höchstens das Mehreinkommen von Fr. 100 abgeschöpft werden. BGE 99 Ia 638 S. 657 10. In der Beschwerde P 9/73 (Dr. Hans Steiner und Mitbeteiligte) wird geltend gemacht, das angefochtene Reichtumsteuergesetz sei in sich widersprüchlich und verstosse auch aus diesem Grund gegen Art. 4 BV , weil bei einer Erhöhung des Steuersatzes für je Fr. 1000 Mehreinkommen der nächsthöhere Progressionstarif nicht schon bei Fr. 160 000, sondern erst bei Fr. 161 000 anwendbar sei, was der Regelung in § 3 des Gesetzes selber widerspreche. Auch dieser Vorwurf hält indessen einer näheren Prüfung nicht stand, denn es ist zwanglos eine vernünftige Auslegung des Gesetzes in dem Sinne möglich, dass die für den Steuersatz massgebenden Einkommensklassen je bis zum nächsten vollen Tausend reichen (Fr. 80 001 bis Fr. 81 000, Fr. 81 001 bis Fr. 82 000 usw.) und dass der Wechsel zum höheren Progressionstarif (1% statt 0,5%) bei Fr. 160 000/160 001 stattfindet, wie dies im Gesetz vorgesehen ist. 11. Zu prüfen bleibt, ob mit dem Inkrafttreten des Reichtumsteuergesetzes auf den 1. Januar 1973 eine unzulässige Rückwirkung verbunden ist, wie in der Beschwerde P 13/73 (Dr. Leo Fromer und Mitbeteiligte) vorgebracht wird. Die Beschwerdeführer machen geltend, eine unzulässige Rückwirkung des Reichtumsteuergesetzes ergebe sich daraus, dass das Vorjahreseinkommen für selbständig Erwerbstätige endgültige und unabänderliche Bemessungsgrundlage bilde. Ferner bestehe hinsichtlich dieser Rückwirkung eine Rechtsungleichheit insofern, als auf Grundstückgewinnen keine Reichtumsteuer erhoben werden, wohl aber auf den Vermögensgewinnen, die im Jahre 1972 erzielt worden seien und der Veranlagung für 1973 zugrunde gelegt würden. Das Reichtumsteuergesetz ordnet selbst keine echte Rückwirkung an (vgl. BGE 97 I 340 Erw. 2 mit Verweisungen), sondern setzt gegenteils das Inkrafttreten ausdrücklich auf den 1. Januar 1973 fest (§ 7). Die Rüge der unzulässigen Rückwirkung wird denn auch nicht unter Berufung auf das Reichtumsteuergesetz selbst, sondern unter Hinweis auf die Praxis zu §§ 11, 67 und 68 des kantonalen Steuergesetzes vom 7. Juli 1952 begründet. Diese Bestimmungen bilden indessen nicht Bestandteil des angefochtenen Gesetzes. Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle hinsichtlich des Reichtumsteuergesetzes kann demnach auf diese Beschwerdevorbringen nicht näher eingegangen werden. Es steht den Beschwerdeführern indessen frei, mit staatsrechtlicher Beschwerde BGE 99 Ia 638 S. 658 eine konkrete Reichtumsteuerveranlagung anzufechten, sofern diese unter unzulässiger Berufung auf die Praxis zu §§ 11, 67 und 68 des kantonalen Steuergesetzes erfolgen sollte (vgl. BGE 97 I 340 Erw. 1). Im übrigen scheint durchaus denkbar, dass § 7 des Reichtumsteuergesetzes eine Auslegung zulässt, die im Ergebnis zu keiner verfassungswidrigen Rückwirkung führt, so dass die Beschwerde insoweit ohnehin als unbegründet abzuweisen ist (vgl. BGE 91 I 85 Erw. 2; F. GYGI, Mittelbare Verfassungsverletzung als Beschwerdegrund im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, in: Der Staat als Aufgabe, Gedenkschrift für M. Imboden, S. 169). - Endlich liegt auch im Umstand, dass die Grundstückgewinne nicht mit der Reichtumsteuer, sondern bloss mit der Grundstückgewinnsteuer (§ 56 ff. des kantonalen Steuergesetzes) erfasst werden, kein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit, denn dieser Ordnung wohnt keine sinn- und zweckwidrige Unterscheidung inne, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich wäre (vgl. oben Erw. 9).
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Sachverhalt ab Seite 473 BGE 140 III 473 S. 473 A. Vom 13. bis zum 17. Dezember 2008 trafen sich Vertreter der A. AG (Sitz in der Schweiz; Klägerin, Beschwerdeführerin) in Hongkong mit Vertretern der B. Ltd. (Sitz in Hongkong; Beklagte, Beschwerdegegnerin). Hintergrund des Treffens war ein Streit der Parteien über die Frage, wem zwei Patentanmeldungen betreffend Kaffeekapseln und eine Patentanmeldung betreffend einen Mechanismus zum Aufstechen der Kaffeekapseln zustehen würden. Als Inhaberin war in allen drei Patentanmeldungen die B. Ltd. angegeben. Die Parteien sind sich nicht einig über das Ergebnis des Treffens in Hongkong. Die B. Ltd. macht geltend, die Parteien hätten sich darauf geeinigt, dass sie der A. AG die Patentanmeldung betreffend den Aufstechmechanismus abtrete und demgegenüber die BGE 140 III 473 S. 474 Patentanmeldungen betreffend die Kaffeekapseln behalte. Die A. AG bestreitet das Zustandekommen einer Vereinbarung. Am 19. Dezember 2008 trat die B. Ltd. der A. AG die Patentanmeldung betreffend den Aufstechmechanismus ab. B. Am 21. Juni 2010 reichte die A. AG beim Handelsgericht des Kantons Bern gegen die B. Ltd. Klage ein auf Abtretung der Patentanmeldungen betreffend die Kaffeekapseln. Das Handelsgericht beschränkte das Verfahren auf die Frage des Zustandekommens und des Inhalts der in der Zeit vom 13. bis zum 17. Dezember 2008 in Hongkong allenfalls getroffenen Vereinbarung der Parteien und auf deren allfällige rechtliche Bedeutung. Mit Entscheid vom 2. Juli 2013 wies das Handelsgericht des Kantons Bern die Klage ab. C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 28. April 2014 beantragt die A. AG dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben und es sei die Klage gutzuheissen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Handelsgericht zurückzuweisen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt den vorinstanzlichen Entscheid auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob auf ihre Streitigkeit Schweizer Recht oder das Recht von Hongkong anwendbar sei. Da die Beschwerdeführerin ihren Sitz in U. (Schweiz) und die Beschwerdegegnerin den ihren in Hongkong hat, liegt ein internationaler Sachverhalt vor ( BGE 140 III 115 E. 3 S. 117; BGE 137 III 481 E. 2.1 S. 483). Das anwendbare Recht ist somit nach dem IPRG zu ermitteln ( Art. 1 Abs. 1 lit. b IPRG [SR 291]). 2.1 Die Vorinstanz hat ausgeführt, die Frage des Zustandekommens eines Vertrags sei nach der lex causae, d.h. nach dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht zu beurteilen. Da die Parteien keine Rechtswahl getroffen hätten, unterstehe der Vertrag nach Art. 117 Abs. 1 IPRG dem Recht des Staates, mit dem er am engsten zusammenhänge. Nach Art. 117 Abs. 2 IPRG werde vermutet, der engste Zusammenhang bestehe mit dem Staat, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringen solle, ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe oder, wenn sie den Vertrag aufgrund einer beruflichen BGE 140 III 473 S. 475 oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen habe, in dem sich ihre Niederlassung befinde. Eine charakteristische Leistung sei vorliegend nicht auszumachen. Massgebend sei somit jenes Recht, welches in Würdigung aller bei Vertragsabschluss erkennbarer Umstände am engsten mit dem Vertragsinhalt zusammenhänge. Gegenstand des in Hongkong allenfalls abgeschlossenen Vertrags seien drei Patentanmeldungen. Für alle drei Anmeldungen werde Schutz auf dem Gebiet der Schweiz beantragt, jedoch nur für zwei Anmeldungen gleichzeitig Schutz in China bzw. in Hongkong. Aufgrund des territorialen Schutzbereichs überwiege gesamtheitlich betrachtet der Zusammenhang mit der Schweiz, weshalb Schweizer Recht anwendbar sei. 2.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe durch die Anwendung von Schweizer Recht Art. 117 IPRG und Art. 9 BV verletzt. Da keine charakteristische Leistung auszumachen sei und kaum Indizien für die Wahl des anwendbaren Rechts ersichtlich seien, müsse auf den Ort abgestellt werden, an dem über mehrere Tage verhandelt worden sei. Entsprechend sei auf den angeblich geschlossenen Vertrag bzw. auf die Frage, ob ein solcher überhaupt geschlossen worden sei, das Recht von Hongkong anwendbar. 2.3 Art. 116 f. IPRG regeln das auf Verträge anwendbare Recht im Allgemeinen. Für Verträge über Immaterialgüterrechte besteht jedoch mit Art. 122 IPRG eine Sonderbestimmung. Danach unterstehen solche Verträge dem Recht des Staates, in dem derjenige, der das Immaterialgüterrecht überträgt oder die Benutzung an ihm einräumt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat ( Art. 122 Abs. 1 IPRG ). Für juristische Personen ist anstelle des gewöhnlichen Aufenthalts der Niederlassungsort massgebend (PHILIPPE DUCOR, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, N. 7 zu Art. 122 IPRG ; JEGHER/VASELLA, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 2013, N. 16 zu Art. 122 IPRG ; SCHNYDER/DOSS, in: Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2012, N. 6 zu Art. 122 IPRG ; FRANK VISCHER, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 14 zu Art. 122 IPRG ). Dieser befindet sich in dem Staat, in dem der Sitz liegt ( Art. 21 Abs. 4 IPRG ). Zu den Immaterialgüterrechten i.S. von Art. 122 IPRG gehören Patentrechte, aber auch bereits Rechte aus Schutzrechtsanmeldungen (JEGHER/VASELLA, a.a.O., N. 4 zu Art. 110 IPRG mit Hinweisen; SCHNYDER/DOSS, a.a.O., N. 2 zu Art. 122 IPRG ). Patent anmeldungen sind somit von dieser Bestimmung erfasst. Im Gegensatz zu Art. 110 IPRG , BGE 140 III 473 S. 476 der das Immaterialgüterstatut regelt, befasst sich Art. 122 IPRG mit dem Vertragsstatut. Dieses bestimmt u.a. über den Abschluss, Inhalt und die Gültigkeit eines Vertrags (DUCOR, a.a.O., N. 5 zu Art. 122 IPRG ; JEGHER/VASELLA, a.a.O., N. 13 zu Art. 122 IPRG ; SCHNYDER/DOSS, a.a.O., N. 5 zu Art. 122 IPRG ; VISCHER, a.a.O., N. 11 zu Art. 122 IPRG ). Eine Abweichung von der in Art. 122 IPRG vorgesehenen ordentlichen Anknüpfung ist gemäss Art. 15 Abs. 1 IPRG möglich, wennder Sachverhalt mit einem anderen Recht in viel engerem Zusammenhang steht (vgl. DUCOR, a.a.O., N. 8 ff. zu Art. 122 IPRG ; JEGHER/VASELLA, a.a.O., N. 15 zu Art. 122 IPRG mit Hinweisen; SCHNYDER/DOSS, a.a.O., N. 14 zu Art. 122 IPRG ). Teilweise wird vertreten, eine Korrektur der Anknüpfung habe über Art. 117 Abs. 1 IPRG zu erfolgen, wobei auch hier ein eindeutig engerer Zusammenhang mit einem anderen als dem nach Art. 122 Abs. 1 IPRG anwendbaren Recht gefordert wird (so etwa VISCHER, a.a.O., N. 18 zu Art. 122 IPRG ). 2.4 Mit dem von den Parteien in Hongkong allenfalls abgeschlossenen Vertrag sollte die Frage der Übertragung von drei Patentanmeldungen geregelt werden, als deren Inhaberin jeweils die Beschwerdegegnerin angegeben war. Patentanmeldungen stellen Immaterialgüterrechte i.S. von Art. 122 IPRG dar. Da vorliegend umstritten ist, ob ein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist und gegebenenfalls mit welchem Inhalt, ist das Vertragsstatut nach Art. 122 IPRG und nicht das Immaterialgüterstatut nach Art. 110 IPRG anwendbar. Anwendbar ist mithin das Recht des Staates, in dem die Beschwerdegegnerin als die das Immaterialgüterrecht allenfalls übertragende Partei ihren Sitz hat. Die Beschwerdegegnerin hat und hatte auch im Zeitpunkt des allfälligen Vertragsschlusses ihren Sitz in Hongkong. Damit ist nach Art. 122 Abs. 1 IPRG das Recht von Hongkong anzuwenden. Ein eindeutig engerer Zusammenhang des Vertrags mit dem Schweizer Recht liegt nicht vor. Es kann damit offenbleiben, ob für eine Abweichung von der Anknüpfung Art. 15 IPRG oder Art. 117 Abs. 1 IPRG massgebend wäre. Die Vorinstanz hat somit Bundesrecht verletzt, indem sie Schweizer Recht angewendet hat. Der vorinstanzliche Entscheid ist daher aufzuheben und die Sache ist zu neuer Entscheidung auf der Basis des Rechts von Hongkong an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Inhalt des anzuwendenden ausländischen Rechts ist nach Art. 16 Abs. 1 IPRG BGE 140 III 473 S. 477 grundsätzlich von Amtes wegen festzustellen, der Nachweis kann aber bei vermögensrechtlichen Ansprüchen den Parteien überbunden werden.
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Sachverhalt ab Seite 38 BGE 116 Ib 37 S. 38 Am 25. November 1988 strahlte das Fernsehen der deutschen und rätoromanischen Schweiz (DRS) eine Folge der Sendung "Grell-Pastell" aus, die dem Thema "Sex" gewidmet war. Die Folge bestand aus zwei Teilen: einer unterhaltenden und das Thema kaleidoskopartig abhandelnden TV-Show um 20.10 Uhr bis etwa 21.25 Uhr und einer das Thema vertiefenden Diskussion nach Mitternacht. Im Rahmen des Show-Blocks wurde unter anderem am Beispiel des "Blick" das Verhältnis der Boulevard-Presse zum Thema "Sex" dargestellt, wobei - nebst einem Gespräch zwischen dem Moderator A. und dem stellvertretenden Chefredaktor BGE 116 Ib 37 S. 39 des "Blick" - auch drei "Seite-3-Girls" dieses Blattes Gelegenheit erhielten, sich zu Fragen im Zusammenhang mit ihrem Engagement als Pin-ups bei "Blick" zu äussern. Ferner unterhielt sich der Moderator im Show-Block zuerst mit Frau Ranke-Heinemann als Studiogast; anschliessend führte er mit Pater Trauffer als Vertreter der katholischen Kirche ein Telefongespräch. Gegen diese Sendung reichte Frau X. am 5. Dezember 1988 im Namen von 92 Bürgerinnen und Bürgern, deren Unterschriften sie beilegte, bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (im folgenden: Unabhängige Beschwerdeinstanz) eine Beanstandung ein. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz holte zunächst eine Vernehmlassung sowie eine zusätzliche Stellungnahme bezüglich des ebenfalls beanstandeten Zeitpunktes der Ausstrahlung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft ein. Am 9. März 1989 forderte die Unabhängige Beschwerdeinstanz die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft zudem auf, über die organisatorischen Vorkehren für die Vorbereitung und während der Dauer der Sendung Auskunft zu geben. Mit Entscheid vom 5. Juli 1989 stellte die Unabhängige Beschwerdeinstanz fest, dass die Sendung "Grell-Pastell" des Fernsehens DRS vom 25. November 1988 Art. 4 der Konzession für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft verletzt habe; die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft wurde aufgefordert, der Beschwerdeinstanz innert zwei Monaten seit Eröffnung dieses Entscheides schriftlichen Bericht über die im Sinne von Art. 22 Abs. 1 des Bundesbeschlusses über die unabhängige Beschwerdeinstanz vom 7. Oktober 1983 (BB; SR 784.45) getroffenen Vorkehren zu erstatten. Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz vom 5. Juli 1989 sei aufzuheben; eventualiter sei der Entscheid aufzuheben und die Programmbeanstandung zur Neubeurteilung an die Unabhängige Beschwerdeinstanz zurückzuweisen; der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gut und stellt fest, dass die Sequenz über "Blick" in der Sendung "Grell-Pastell" vom 25. November 1988 keine Konzessionsverletzung darstellt. Im übrigen weist es die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab. BGE 116 Ib 37 S. 40 Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. a) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden ( Art. 104 lit. a OG ). Soweit das Bundesgericht prüft, ob der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt, stellt sich ihm dieselbe Rechtsfrage, die von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz zu entscheiden war, nämlich, ob mit der beanstandeten Sendung die Konzession der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft verletzt worden ist. Dabei haben Bundesgericht und Unabhängige Beschwerdeinstanz in gleicher Weise zu beachten, dass Art. 55bis Abs. 3 BV - im Rahmen der in Abs. 2 aufgestellten Erfordernisse - die Autonomie in der Gestaltung der Programme garantiert. Die Beschwerdeinstanzen, die eine Sendung auf Konzessionsverletzungen zu überprüfen haben, können auf zwei verschiedene Arten vorgehen. Sie können die Programmautonomie des Veranstalters bereits berücksichtigen, indem sie ihrerseits einen grosszügigen Massstab anlegen. Sie können aber auch in einem ersten Schritt die Sendung auf allfällige Mängel untersuchen und in einem zweiten Schritt prüfen, ob diese Mängel unter Berücksichtigung der dem Veranstalter und den Medienschaffenden eingeräumten Gestaltungsfreiheit eine Konzessionsverletzung darstellen (Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 1989 i.S. Einwohnergemeinde Zug, E. 1d). Bei der Grenzziehung zwischen dem, was im Rahmen dieser Gestaltungsfreiheit noch erlaubt ist und was gegen die Konzession verstösst, kann sich für die Unabhängige Beschwerdeinstanz ein Beurteilungsspielraum ergeben, dem das Bundesgericht Rechnung zu tragen hat. b) Gerügt werden kann ferner die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhaltes ( Art. 104 lit. b OG ). Die Feststellung des Sachverhalts bindet das Bundesgericht, wenn Rekurskommissionen oder kantonale Gerichte als Vorinstanzen entschieden und den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt haben ( Art. 105 Abs. 2 OG ). Die Unabhängige Beschwerdeinstanz trifft ihre Feststellungen über behauptete Konzessionsverletzungen der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft, entgegen ihrem Namen, nicht auf Beschwerde hin, sondern in erster Instanz. Art. 105 Abs. 2 OG findet folglich nicht Anwendung, BGE 116 Ib 37 S. 41 und das Bundesgericht kann die Feststellung des Sachverhaltes von Amtes wegen überprüfen ( BGE 114 Ib 337 E. 1c, mit Hinweis; Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 1989 i.S. Einwohnergemeinde Zug, E. 1c). 3. a) In formellrechtlicher Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin zunächst, die Unabhängige Beschwerdeinstanz sei auf die Beanstandung eingetreten, ohne die Eintretensvoraussetzungen (Legitimation) zu überprüfen. Ein Missbrauch des Instrumentes der Beanstandung durch Vortäuschung der Legitimation im Sinne von Art. 14 lit. a BB sei nicht ausgeschlossen. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz hätte deshalb von mindestens 20 Personen die Bestätigung einholen müssen, dass sie die Beanstandung sowohl unterstützen als auch ihrerseits die Voraussetzungen bezüglich Alter, Bürgerrecht oder Niederlassung erfüllen. b) Nach Art. 14 lit. a BB kann jeder mindestens 18 Jahre alte Schweizer Bürger oder Ausländer mit Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung eine Beanstandung einreichen, wenn diese von weiteren 20 mindestens 18 Jahre alten Schweizer Bürgern oder Ausländern mit Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung unterstützt wird. Im vorliegenden Fall ergaben sich weder aus den Vorbringen der Verfahrensbeteiligten noch aufgrund der Akten konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchlich erhobene Beanstandung, welche die Unabhängige Beschwerdeinstanz hätten veranlassen müssen, die in Art. 14 lit. a BB verlangten Voraussetzungen näher abzuklären. In einer Eingabe vom 15. Oktober 1989 an die Unabhängige Beschwerdeinstanz haben zwei der Mitunterzeichner, Y. und Z., die Umstände der Unterschriftensammlung dargelegt: Anlässlich eines Urnenganges in der Gemeinde K. seien die Stimmbürger durch ein in der Vorhalle angebrachtes Plakat auf ein dort aufgelegtes Schreiben an die Unabhängige Beschwerdeinstanz betreffend die Sendung "Grell-Pastell" aufmerksam gemacht worden; die Mitunterzeichner des Schreibens vom 29. Oktober 1988, alles stimmberechtigte Schweizer Bürger, hätten die Gelegenheit benutzt, ohne auf irgendwelche Weise beeinflusst oder dazu angehalten worden zu sein, ihren Unwillen über die umstrittene Sendung mit ihrer Unterschrift, auf dafür bereitliegenden Papierbogen, zum Ausdruck zu bringen. Was die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang noch weiter vorbringt, insbesondere ihre Berufung auf einen Zeitungsartikel, vermag nichts daran zu ändern, dass die Legitimationserfordernisse BGE 116 Ib 37 S. 42 des Art. 14 lit. a BB zwar vielleicht nicht in der Person aller 92 Mitunterzeichner, jedenfalls aber, wie durch diese Bestimmung gefordert, bei mindestens 20 Mitunterzeichnern erfüllt sind. 4. a) In formellrechtlicher Hinsicht bestreitet die Beschwerdeführerin ferner, dass die von X. eingereichte Beanstandung die Anforderungen von Art. 15 Abs. 2 BB erfülle. Bei der Eingabe habe es sich eigentlich um eine Strafanzeige gehandelt, die von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz an die zuständigen Behörden hätte weitergeleitet werden müssen. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz sei zudem in unzulässiger Weise über den durch die Beanstandung festgelegten Streitgegenstand hinausgegangen, indem sie die in der Eingabe nicht beanstandete Sequenz über den "Blick" beurteilt und auch in dieser Beziehung eine Konzessionsverletzung festgestellt habe. b) Nach Art. 15 Abs. 2 BB muss die Beanstandung die Sendung genau bezeichnen und mit kurzer Begründung angeben, wodurch Programmbestimmungen der Konzession verletzt worden sind. Gemäss Art. 17 und 21 BB stellt die Beschwerdeinstanz in ihrem Entscheid fest, ob eine oder mehrere beanstandete Sendungen Programmbestimmungen der Konzession verletzt haben (Art. 21 Abs. 1 BB). Sie ist an die Vorbringen der Parteien nicht gebunden (Art. 21 Abs. 2 BB). c) Aus der Eingabe von X. geht hervor, dass die Unterzeichner die darin genannte Sendung als mit der Rolle des Fernsehens unvereinbar und damit konzessionswidrig halten. Es kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass es sich dabei um eine rechtswirksame Beanstandung im Sinne von Art. 15 Abs. 2 BB handelt, welche geeignet ist, vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz ein Verfahren zu veranlassen. Wohl weist die Eingabe auch Züge einer Strafanzeige auf, zu deren Behandlung die Unabhängige Beschwerdeinstanz nicht zuständig ist (VPB 1986 Nr. 52 S. 345 E. 4). Das ändert jedoch nichts an ihrer Zuständigkeit, die Eingabe als Beanstandung zu behandeln. d) Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin sodann darin, dass die Unabhängige Beschwerdeinstanz sich darauf zu beschränken habe, die Frage einer Verletzung der Programmbestimmungen der Konzession einzig aufgrund der Vorbringen der Beschwerdeführer zu prüfen. Diese Auffassung ist mit dem klaren Wortlaut der erwähnten Verfahrensbestimmungen nicht vereinbar. Soweit eine Sendung thematisch, das heisst vom behandelten Gegenstand her, in sich ein geschlossenes Ganzes bildet, ist die BGE 116 Ib 37 S. 43 Unabhängige Beschwerdeinstanz nach Art. 21 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 17 BB befugt, die Frage der Verletzung der Programmbestimmungen der Konzession unter jedem aufgrund der Aktenlage in Betracht fallenden Gesichtspunkt zu prüfen, und nicht nur beschränkt auf die Vorbringen in der ihr unterbreiteten Beanstandung. e) Auch wenn gemäss Art. 26 BB in Verbindung mit Art. 3 lit. ebis VwVG das Verwaltungsverfahrensgesetz für das Verfahren über die Beanstandung von Radio- und Fernsehsendungen vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz nicht anwendbar ist, gelten im Verfahren vor dieser dennoch die aus Art. 4 BV abgeleiteten minimalen Garantien gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Insbesondere besteht ein Anspruch auf rechtliches Gehör. Art. 4 BV gibt den Beteiligten grundsätzlich Anspruch auf Akteneinsicht und auf Anhörung durch die entscheidende Behörde, bevor ein für sie nachteiliger Entscheid gefällt wird. Die Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör bestimmt sich nach der Situation und Interessenlage im Einzelfall. Einerseits dient dieser Anspruch der Sachaufklärung, anderseits stellt er ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht dar ( BGE 113 Ia 288 E. 2b). Die Behörde hat das rechtliche Gehör vor allem zu gewähren, wenn sie im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amtes wegen Beweise erhebt (vgl. BGE 112 Ia 5 ); ebenso besteht der Anspruch besonders dann, wenn sie ihrem Entscheid einen von der betroffenen Partei nicht voraussehbaren Rechtsgrund unterlegt (vgl. BGE 115 Ia 96 E. 1b). Aufgrund der eingereichten Beanstandung musste die Beschwerdeführerin als Gegenpartei im vorinstanzlichen Verfahren keinesfalls damit rechnen, die Unabhängige Beschwerdeinstanz würde die mit keinem Wort und auch nicht dem Sinne nach in der Beanstandung erwähnte Sequenz über den "Blick" zum Gegenstand ihrer Beurteilung machen. Die Beschwerdeführerin hatte umso weniger Grund, dies anzunehmen, als die Unabhängige Beschwerdeinstanz selber mit den eingangs erwähnten Instruktionsmassnahmen in der Folge das Verfahren, soweit es für die Verfahrensbeteiligten und damit auch für die Beschwerdeführerin feststellbar war, auf die in der Beanstandung vorgetragenen Punkte beschränkte. Die Beschwerdeführerin hatte im vorinstanzlichen Verfahren nie die Gelegenheit, sich mit dem erst im angefochtenen Entscheid erhobenen Vorwurf auseinanderzusetzen, mit der "Blick"-Sequenz sei die Sendung als werbespotähnliche Plattform BGE 116 Ib 37 S. 44 für eigene Zwecke des "Blick" beziehungsweise der "Seite-3-Girls" missbraucht worden. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz verletzte somit in dieser Beziehung den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör. Da diese sich aber in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch dazu umfassend - rechtlich und tatsächlich - äussern konnte und das Bundesgericht die Feststellung des Sachverhalts durch die Unabhängige Beschwerdeinstanz frei überprüft (E. 2b), kann die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör praxisgemäss als geheilt gelten ( BGE 112 Ib 175 E. 5e, BGE 110 Ia 82 E. 5d, BGE 107 V 249 E. 3, 103 V 131 E. 1, BGE 99 V 60 ). 5. a) Die Beschwerdeführerin strahlte die beanstandete Sendung am 25. November 1988 aus. Folglich beurteilt sich ihre Verträglichkeit mit den Programmbestimmungen nach der seit dem 1. Januar 1988 geltenden Konzession für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft vom 5. Oktober 1987 (Konzession; BBl 1987 III 813), welche die frühere Konzession der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft vom 27. Oktober 1964/22. Dezember 1980 (BBl 1981 I 285) abgelöst hat. Gemäss Art. 13 Abs. 1 der alten Konzession haben die Programme eine objektive, umfassende und rasche Information zu vermitteln; sie sollen die nationale Einheit und Zusammengehörigkeit stärken. Das Gebot der Objektivität verlangt nach der Praxis, dass sich der Hörer oder Zuschauer durch die in einer Sendung vermittelten Fakten und Meinungen ein möglichst zuverlässiges Bild über einen Sachverhalt machen kann und damit in die Lage versetzt wird, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das setzt Ausgewogenheit voraus (Urteil des Bundesgerichts vom 17. Oktober 1980, ZBl 83/1982 S. 219 ff.). Diese Erfordernisse ergeben sich neuerdings aus Abs. 2 des in der Volksabstimmung vom 2. Dezember 1984 angenommenen Art. 55bis BV , wonach Radio und Fernsehen zur kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung sowie zur Unterhaltung der Zuhörer und Zuschauer beizutragen haben. Radio und Fernsehen berücksichtigen die Eigenheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck. Diese Verfassungsvorschrift wurde inhaltlich in Art. 4 der neuen Konzession übernommen, war aber schon unter der alten Konzession wirksam. Massgebend waren und sind die Erfordernisse der Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit als Kriterien der im BGE 116 Ib 37 S. 45 Meinungsbildungsprozess möglichen Objektivität (Urteil vom 23. Juni 1989 in Sachen Einwohnergemeinde Zug, S. 7 f.). Ferner ist nicht nur die Pflicht zur Wahrhaftigkeit der vorgetragenen Fakten zu respektieren, sondern es ist auch die nötige Sorgfalt zu wahren bei der Art und Weise, wie die Fakten und die darüber bestehenden Meinungen präsentiert werden. Neben der Würdigung jeder einzelnen Information für sich allein muss auch der allgemeine Eindruck beurteilt werden, der sich aus einer Sendung als Ganzes ergibt ( BGE 114 Ib 206 E. 3a). Bei dieser Rechtslage bestreitet die Beschwerdeführerin zu Unrecht die Zulässigkeit von Programmbestimmungen in der Konzession und deren Konkretisierung durch die Unabhängige Beschwerdeinstanz. Diese hat vielmehr in ihrer Praxis den Programmauftrag, wie er in Art. 4 der neuen Konzession umschrieben ist, im Sinne der sich aus Art. 55bis Abs. 2 BV ergebenden verfassungsrechtlichen Richtlinien einerseits und im Rahmen der in Abs. 3 der gleichen Bestimmung garantierten Programmautonomie anderseits auszulegen und anzuwenden. b) Die Unabhängige Beschwerdeinstanz betrachtete die Sequenz über den "Blick" als werbende Selbstdarstellung der Zeitung. Zur Beurteilung der Zulässigkeit der Werbung sind die Kompetenzen der Unabhängigen Beschwerdeinstanz von jenen des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements zu unterscheiden, wenn es sich um eine Ausstrahlung innerhalb des Programmteils handelt. Steht dabei die Verletzung finanz- und betriebsrechtlicher Vorschriften in Frage, so ist das Departement zum Entscheid zuständig (Urteil des Bundesgerichts vom 10. Juni 1988 i.S. Radio Basilisk, E. 2b). Ist die im Programmteil ausgestrahlte (unbezahlte) Werbung jedoch geeignet, die Programmvorschriften der Konzession zu verletzen, stellt sich die Frage nach der Zuständigkeit der Unabhängigen Beschwerdeinstanz. Aus dem Werbeverbot in Art. 15 der Konzession lässt sich für den Programmauftrag in Art. 4 der Konzession ableiten, dass die Programme nicht zu unbezahlter Werbung missbraucht werden dürfen. Das Programm dient der Information und Unterhaltung, nicht aber der Werbung. Es würde die Konzession verletzen, wenn die Programmgestalter zuliessen, dass Programme als Plattform für (unbezahlte) Werbung benützt werden. Ob solches zutrifft, gehört zur Programmbeurteilung. Mit dem Bundesbeschluss sollte die Programmbeurteilung der Verwaltungsbehörde (dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement) BGE 116 Ib 37 S. 46 entzogen werden. Zuständig zur Feststellung von Konzessionsverletzungen durch unbezahlte indirekte Werbung ist deshalb die Unabhängige Beschwerdeinstanz. Da es sich bei der umstrittenen Sequenz über den "Blick" höchstens um unbezahlte Werbung handelte, hatte die Unabhängige Beschwerdeinstanz darüber zu entscheiden. 6. Ein Verstoss gegen die Programmforderungen, wie sie sich aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 der neuen Konzession ergeben und wie sie die Rechtsprechung schon unter der alten Konzession umschrieben hat (E. 5a), setzt stets eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht seitens der Medienschaffenden voraus, dies zwar nicht im Sinne eines subjektiv vorwerfbaren Verhaltens, jedoch im Sinne eines objektiven Verstosses gegen die Pflicht zu Sorgfalt und Lauterkeit (CORBOZ, Le contrôle populaire des émissions de la radio et de la télévision, in: Mélanges Robert Patry 1988, S. 292). Qualität und Mass dieser journalistischen Sorgfaltspflicht können nicht allgemein formuliert werden, sondern nur unter Berücksichtigung des Charakters und der Eigenheiten des Sendegefässes. Das hat die Rechtsprechung beispielsweise in bezug auf tägliche Nachrichtensendungen anerkannt ( BGE 114 Ib 208 E. 3e). Wo es um Informationssendungen geht, gelten bezüglich Objektivität und sachgerechter Darstellung besondere Anforderungen (VPB 1986 Nr. 80 S. 485 E. 2 mit Hinweisen und Nr. 81 S. 489 E. 8; BGE 114 Ib 206 ff. E. 3a-e; ZBl 83/1982 S. 225 ff. E. 4). Die persönlichen Meinungsäusserungen zugezogener Sendungsteilnehmer (Studiogäste) dagegen unterliegen konzessionsrechtlich nicht jenen Massstäben, wie sie für Aussagen des Mediums selber gelten (VPB 1986 Nr. 52 S. 347 E. 6 am Anfang). Hier sind, von der Natur der Sache her, andere Erfordernisse verlangt. Wo nicht die Medienschaffenden die Fachleute und Hauptauskunftquellen sind, sondern eingeladene Sendungsteilnehmer, gebietet die journalistische Sorgfaltspflicht unter anderem eine umsichtige Vorbereitung der Sendung (zum Beispiel genügende Vorarbeiten technischer, personeller und konzeptioneller Art, wenn nötig rechtzeitige und ernsthafte Einladung, in zumutbarem Rahmen Gegenposition zu vertreten) und, sofern notwendig, die Intervention im Laufe der Sendung (VPB 1986 S. 490 f. E. 9a, c). Bei direkt übertragenen Diskussionssendungen bestehen gewisse Risiken, die sich nicht ganz vermeiden lassen; heikle oder brennende Themen sollen deshalb aber nicht vom Fernsehen verbannt werden (VPB 1986 Nr. 81 S. 491 E. 9e). Hat sich indessen ein von aussen beigezogener BGE 116 Ib 37 S. 47 Sendungsteilnehmer in offensichtlich unzulässiger Weise geäussert oder verhalten, so hat der Veranstalter noch in der Sendung für Ausgleich oder Richtigstellung zu sorgen. Auf welche Weise der Veranstalter eingreift, liegt in seinem, ihm durch die Programmautonomie gewährleisteten Handlungsspielraum. Konzessionsrechtlich erforderlich ist, dass Ausgleich oder Richtigstellung in der Gesamtwirkung der Sendung effektiv zum Ausdruck gelangen und dass er die Waffengleichheit unter den beigezogenen Diskussionsteilnehmern gewährleistet, also nicht zum Beispiel die eine Seite ungebührlich bevorteilt und die andere Seite der Lächerlichkeit preisgibt (in diesem Sinne das bereits erwähnte Urteil vom 25. November 1988 in Sachen EOS). 7. a) Bezüglich der "Blick"-Sequenz sieht die Unabhängige Beschwerdeinstanz eine Konzessionsverletzung darin, dass der Moderator nicht reagierte, als die Sendung zu einer werbenden Selbstdarstellung des "Blick" bzw. der drei "Seite-3-Girls" zu entgleiten drohte. Es gehe nicht an, einer Zeitung im Rahmen einer Programmsendung eine Plattform zu bieten, von der aus sie, weitgehend unwidersprochen, einen Teil ihres redaktionellen und journalistischen Selbstverständnisses werbespotähnlich präsentieren könne. b) Tatsächlich hat der von drei "Blick"-Girls begleitete stellvertretende Chefredaktor den zur Diskussion stehenden Aspekt journalistischer Strategie seines Blattes in einer Weise unter das Publikum gebracht, dass die Sequenz wohl zu einer effektvollen Selbstdarstellung des "Blick" geriet. Ein entschiedeneres und früheres Eingreifen wäre sicherlich wünschbar gewesen. Wie die Erfordernisse der Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit als Kriterien der Objektivität (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 1989 i.S. Einwohnergemeinde Zug, S. 11 f.), darf aber auch die Verpflichtung zur Intervention nicht derart streng gehandhabt werden, dass die Freiheit und Spontaneität der Programmgestalter verloren gehen, zumal es die besonders schwierigen Randbedingungen einer Publikums-Direktsendung zu berücksichtigen gilt. Ob der "Blick" sich in dieser Sendung wirklich werbewirksam darstellen konnte, ist zudem fraglich. Praxisgemäss verbietet es sich jedenfalls, bereits einzugreifen, wenn eine Sendung nicht in jeder Hinsicht zu befriedigen vermag (Urteil i.S. Einwohnergemeinde Zug, S. 12). Die in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 der Konzession festgelegten Programmanforderungen sind somit nicht verletzt. Das angefochtene BGE 116 Ib 37 S. 48 Urteil der Unabhängigen Beschwerdeinstanz ist deshalb aufzuheben, soweit darin festgestellt wird, die Sequenz über den "Blick" habe die Konzession für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft verletzt. 8. a) In Bezug auf die Sequenz mit Frau Ranke-Heinemann ist einzuräumen, dass an Radio und Fernsehen auch extreme Meinungen geäussert werden dürfen, die nur von wenigen geteilt werden. Es dürfen also auch Personen in Sendungen auftreten, von welchen bekannt ist, dass sie provozieren oder ihre Anliegen polemisch vertreten. Ferner weckt das Konzept einer Sendung wie "Grell-Pastell", welches mit dem Anspruch auftritt, als Informations- und Diskussionsforum mit Unterhaltungscharakter schwergewichtige Themen in lockerer Form und unter Einbezug des Publikums aufzuarbeiten, an sich konzessionsrechtlich keine Bedenken. Bezieht aber der Veranstalter so ausgesprochen heikle und empfindliche Themen wie zum Beispiel die katholische Sexuallehre in eine Sendung unterhaltenden Charakters mit ein, so ergeben sich daraus qualifizierte Anforderungen an die Sorgfaltspflichten bezüglich Konzeption und Moderation der Sendung. b) Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin allein mit der Einladung von Frau Ranke-Heinemann in "Grell-Pastell" die Konzession nicht verletzte. Auch ist der Veranstalterin zugute zu halten, dass der angegriffenen Institution, hier der katholischen Kirche, durch einen Vertreter, Pater Trauffer von der Schweizerischen Bischofskonferenz, Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, welche dieser auch wahrnahm. Insbesondere hatte Pater Trauffer in der umstrittenen Passage das letzte Wort, und nach seinen telefonischen Ausführungen wurden beim anwesenden Publikum doch Stille und eine gewisse Nachdenklichkeit spürbar. Dieser Versuch zu einem Ausgleich reicht indessen unter den vorliegenden Umständen nicht aus, um dem Vorwurf der Konzessionsverletzung zu entgehen. Denn es darf nicht - und dies ist entscheidend - die Art und Weise ausser acht gelassen werden, wie sich die beanstandete Sendung, zumindest bis zur Sequenz mit Frau Ranke-Heinemann, abwickelte. Die Sendung verlief von Anfang an so leichtgeschürzt und in einer - am Fernsehen DRS sonst ungewohnten - Atmosphäre banalen Sexamüsements, dass in diesem Rahmen eine sachliche Diskussion über heikle Lebensfragen und ethisch-religiöse Grundwerte nicht möglich war. Aufgrund der Sendungsvorbereitungen war den Programmschaffenden klar, dass sich Frau BGE 116 Ib 37 S. 49 Ranke-Heinemann zu der auch innerhalb der katholischen Kirche kontrovers diskutierten und umstrittenen Sexuallehre äussern würde. Aus ihren Schriften war ferner bekannt, dass sie sich in äusserst polemischer Art auszudrücken pflegt. Das ist denn auch in der Sendung geschehen. Dabei ging es aber um ein für viele Katholiken zentrales Glaubensanliegen. So bedeutungsvolle Fragen können nicht gleichsam zur Schau gestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Im Rahmen dieser Sendung Frau Ranke-Heinemann gleichwohl auftreten zu lassen, konnte zu nichts anderem beitragen, als die unversöhnliche, allen anderen Auffassungen gegenüber völlig rücksichtslose Stimmung des Publikums noch mehr anzuheizen. Daher bleibt im Gesamteindruck der Sendung die kabarettistisch wirkende Verunglimpfung von Institution und Oberhaupt der katholischen Kirche haften, woran die Intervention des Pater Trauffer nichts ändert. Wenn aber schon die Beschwerdeführerin die katholische Morallehre in eine dem Thema Sex gewidmete "Grell-Pastell"-Sendung aufnahm, dann hätte dies in einem Rahmen und unter organisatorischen Vorkehren geschehen müssen, welche diesem Gegenstand angemessen waren. c) Vorliegend wäre das mit einem Auftritt der Frau Ranke-Heinemann im zweiten Sendeteil ohne weiteres oder - bei besserer Strukturierung des Showteiles, welcher diesfalls verschiedene, je themengerechte, auffangende Stilebenen der Darstellung und des Gespräches umfasst hätte - auch vorher möglich gewesen. So wie die Sendung aber vorliegend konzipiert war, ist es unerfindlich, warum das heikelste, mit grösstem Takt und geistigem Anspruch zu behandelnde Thema mitten in den Show-Teil plaziert wurde. Das ist konzessionsrechtlich unhaltbar. Das führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit diese die Sequenz mit Frau Ranke-Heinemann betrifft.
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0961f30e-6373-4603-9ad7-51201f7b0ce7
Sachverhalt ab Seite 82 BGE 139 V 82 S. 82 A. Nachdem mit Urteil 9C_702/2010 vom 21. Dezember 2010 ein Anspruch ihres Ehemannes auf täglich 2,82 Stunden Pflege ab 9. Februar 2005 im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung feststand, bezahlte die CONCORDIA Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG (nachfolgend: Concordia) K. als Erbringerin der entsprechenden Leistungen im Februar 2011 den Betrag von Fr. 351'638.-. Die Concordia weigerte sich indessen, auf diese Entschädigung den verlangten Verzugszins von 5 % seit 9. Februar 2005 zu entrichten. BGE 139 V 82 S. 83 B. K. liess Klage beim Kantonalen Schiedsgericht für Streitigkeiten gemäss Art. 89 KVG des Kantons Glarus erheben mit dem Antrag, die Concordia sei zu verpflichten, folgende Verzugszinsen zu bezahlen: 5 % für den Betrag von Fr. 175'819.- vom 9. Februar 2005 bis 31. Dezember 2010 und 5 % für den Betrag von Fr. 351'638.- vom 1. Januar bis 20. Februar 2011. Das Schiedsgericht wies die Klage mit Entscheid vom 5. April 2012 ab. C. K. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der Entscheid vom 5. April 2012 sei aufzuheben und im Sinne der Erwägungen an das Schiedsgericht zurückzuweisen. Die Concordia und das Schiedsgericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 3.1.1 Das Rechtsverhältnis zwischen der Leistungserbringerin und der Krankenversicherung ist grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Natur (vgl. GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 659 Rz. 786; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, S. 246 Rz. 1089). Im hier zu beurteilenden Fall bestimmt es sich nach dem Vertrag vom 23. Mai 1997 zwischen dem Konkordat der Schweizerischen Krankenversicherer und dem Schweizer Berufsverband der Krankenschwestern und Krankenpfleger (in Kraft seit 1. Januar 1998). Unter "H. Vergütung der Leistungen" bestimmt der Vertrag, dass die Vertragsparteien das System des Tiers payant vereinbaren, wobei der Leistungserbringer dem Versicherten eine Kopie der Rechnung zustellt (Ziff. 1). Die Zahlung erfolgt durch den Versicherer innert 45 Tagen nach Erhalt sämtlicher Angaben und der Rechnung (Ziff. 3). Eine Regelung bezüglich der Verzugszinspflicht besteht nicht (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 4/06 vom 15. November 2006 E. 3.1). 3.1.2 Die Auslegung eines verwaltungsrechtlichen Vertrags erfolgt grundsätzlich wie jene von privatrechtlichen Verträgen. Mangels eines übereinstimmenden tatsächlichen Willens (vgl. Art. 18 OR ) BGE 139 V 82 S. 84 müssen allfällige Unklarheiten und Lücken nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt oder gefüllt werden. Im Zweifelsfalle ist dem öffentlichen Interesse Vorrang einzuräumen und der Vertrag gesetzeskonform auszulegen ( BGE 135 V 237 E. 3.6 S. 241 f.; Urteil 2C_258/2011 vom 30. August 2012 E. 4.1; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 250 Rz. 1103 f.). 3.1.3 Das Schiedsgericht hat erwogen, im Vertrag seien Verzugszinsen "bewusst nicht vorgesehen" worden. Ob dies zutrifft (nicht publizierte E. 1) und damit davon auszugehen ist, die Parteien hätten ein Verzugszinsverbot vereinbart, kann offenbleiben. Sowohl im Sinne einer Feststellung des Parteiwillens als auch in jenem einer Vertragsergänzung wäre es im konkreten Fall unzulässig, abweichend von der gesetzlichen Regelung (vgl. E. 3.2 und 3.3) eine vertragliche Verzugszinspflicht anzunehmen. 3.2 3.2.1 Sofern die versicherte Person ihrer Mitwirkungspflicht vollumfänglich nachgekommen ist, werden die Sozialversicherungen für ihre Leistungen nach Ablauf von 24 Monaten nach der Entstehung des Anspruchs, frühestens aber 12 Monate nach dessen Geltendmachung verzugszinspflichtig ( Art. 26 Abs. 2 ATSG [SR 830.1]). Gemäss Art. 1 Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art. 2 ATSG sind die Bestimmungen des ATSG auf die Krankenversicherung anwendbar, soweit das KVG nicht ausdrücklich eine Abweichung davon vorsieht. Sie finden nach Art. 1 Abs. 2 KVG keine Anwendung in folgenden Bereichen: (a) Zulassung und Ausschluss von Leistungserbringern (Art. 35-40 und 59); (b) Tarife, Preise und Globalbudget (Art. 43-55); (c) Ausrichtung der Prämienverbilligung nach den Artikeln 65, 65a und 66a sowie Beiträge des Bundes an die Kantone nach Artikel 66; (d) Streitigkeiten der Versicherer unter sich (Art. 87); (e) Verfahren vor dem kantonalen Schiedsgericht (Art. 89). 3.2.2 Die Auslegung des Gesetzes ist auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die von ihm erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten. Ausgangspunkt der Auslegung einer Norm bildet ihr Wortlaut. Vom daraus abgeleiteten Sinne ist jedoch abzuweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass der Gesetzgeber diesen nicht gewollt haben kann (vgl. BGE 136 V 84 E. 4.3.2.1 S. 92). Solche Gründe können sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben ( BGE 135 IV 113 E. 2.4.2 S. 116; BGE 139 V 82 S. 85 BGE 135 V 382 E. 11.4.1 S. 404). Insoweit wird vom historischen, teleologischen und systematischen Auslegungselement gesprochen. Bei der Auslegung einer Norm sind daher neben dem Wortlaut diese herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen ( BGE 135 V 319 E. 2.4 S. 321; BGE 134 III 273 E. 4 S. 277 mit Hinweisen). 3.2.3 Der angefochtene Entscheid beschlägt eine Streitigkeit zwischen Versicherer und Leistungserbringer und wurde von einem kantonalen Schiedsgericht im Verfahren nach Art. 89 KVG getroffen. Nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. e KVG ist im Bereich solcher Verfahren das ATSG nicht anwendbar. Materiell-rechtlich steht die umstrittene Verzugszinspflicht in engem Zusammenhang mit dem Tarifvertrag ( Art. 46 KVG ), weshalb auch Art. 1 Abs. 2 lit. b KVG gegen die Anwendung der Bestimmungen des ATSG spricht. Das ATSG ist primär auf das Verhältnis Versicherte-Versicherer zugeschnitten, und mit Art. 1 Abs. 2 KVG sollten diejenigen Bereiche vom Geltungsbereich des ATSG ausgenommen werden, für welche das ATSG-Verfahren nicht geeignet ist (Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999 "Parlamentarische Initiative Sozialversicherungsrecht"; BBl 1999 4673 Ziff. 62; BGE 130 V 215 E. 5.2 S. 221). Dementsprechend entschied das Eidg. Versicherungsgericht, Art. 26 Abs. 2 ATSG habe das Versicherungsverhältnis zum Gegenstand, weshalb die Bestimmung auf den Fall der Forderung eines Leistungserbringers nicht anwendbar sei (Urteil K 4/06 vom 15. November 2006 E. 2.2). Dem pflichtet auch die Lehre bei (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 16, 26 und 29 zu Art. 2 ATSG ; derselbe , Bundesgesetz über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 242 Rz. 16; EUGSTER, ebenda, S. 619 Rz. 666; derselbe , Bundesgesetz über die Krankenversicherung [KVG], 2010, N. 94 zu Art. 25a KVG ; derselbe , ATSG und Krankenversicherung: Streifzug durch Art. 1-55 ATSG , SZS 2003 S. 225). Gründe für eine von der Rechtsprechung abweichende (vgl. BGE 136 III 6 E. 3 S. 8; BGE 135 I 79 E. 3 S. 82; BGE 134 V 72 E. 3.3 S. 76) Auslegung von Art. 1 Abs. 2 KVG sind nicht ersichtlich. Einerseits ist es Sache der am Tarifvertrag beteiligten Parteien, bei den Vertragsverhandlungen die (allenfalls fehlende) Verzugszinspflicht und deren wirtschaftliche Folgen zu berücksichtigen. Anderseits trifft die Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach die versicherte Person für die von der Leistungserbringerin geforderten Verzugszinsen BGE 139 V 82 S. 86 aufzukommen habe, nicht zu: Bei einem Tarifvertrag mit der Vereinbarung des Systems des "Tiers payant" ( Art. 42 Abs. 2 KVG ) wirdeine pauschale Schuldübernahme (vgl. Art. 176 Abs. 1 OR ) des Versicherers stipuliert (EUGSTER, in: SBVR, a.a.O., S. 732 Rz. 986). Dadurch wird die versicherte Person von vornherein von der Schuld gegenüber der Leistungserbringerin befreit und eine damit zusammenhängende Verzugszinspflicht kann sie nicht treffen. Schliesslich ist es Sinn und Zweck von Art. 26 Abs. 2-4 ATSG , die versicherte Person vor den Folgen einer dem Versicherer anzulastenden erheblichen Leistungsverzögerung zu schützen (Botschaft vom 22. Juni2005 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [5. Revision], BBl 2005 4543 f. Ziff. 1.6.3.4) und nicht, wie geltend gemacht wird, eine Bereicherung des Krankenversicherers zu vermeiden. 3.2.4 Nach dem Gesagten bildet Art. 26 Abs. 2 ATSG im Verhältnis zwischen sozialer Krankenversicherung und Leistungserbringer gemäss Art. 35 KVG keine (direkte) Grundlage für die Verpflichtung zur Leistung von Verzugszinsen. 3.3 3.3.1 Das Bundesgericht hat die Frage, ob mit Inkrafttreten des ATSG auch im Sozialversicherungsrecht analog zu Art. 104 Abs. 1 OR eine allgemeine Pflicht zur Leistung von Verzugszins eingeführt resp. das bisher in diesem Bereich grundsätzlich geltende Verzugszinsverbot aufgehoben worden ist, bislang nicht beantwortet (SVR 2006 KV Nr. 23 S. 75, K 40/05 E. 4.3; Urteil K 4/06 vom 15. November 2006 E. 3.2 in fine). Gegen eine solche Auffassung spricht, dass andernfalls die Bedeutung von Art. 26 ATSG im Wesentlichen nur noch darin bestände, gewisse Forderungen ausdrücklich von der allgemeinen Verzugszinspflicht auszunehmen oder diese abzuschwächen, während der Grundsatz selber lediglich implizite neu statuiert worden wäre. Eine Verzugszinspflicht, wie sie im übrigen öffentlichen Recht die Regel ist (vgl. IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband zur 5. und unveränderten 6. Aufl., 1990, S. 92; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 175 Rz. 755 f.), lässt sich daher im Lichte der kontextuell massgeblichen Gesetzeslage nicht begründen. 3.3.2 Soweit die Beschwerdeführerin eine Bereicherung der Concordia moniert, kann sie nichts für sich ableiten: Zwar gilt auch im BGE 139 V 82 S. 87 Sozialversicherungsrecht analog zu den privatrechtlichen Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung ( Art. 62 ff. OR ) als allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass Zuwendungen, die aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund erfolgen, zurückzuerstatten sind ( BGE 124 II 570 E. 4b S. 578 f. mit Hinweisen; vgl. auch Art. 25 ATSG ). Daraus lässt sich indessen kein Anspruch auf Verzugszins herleiten. Ausserdem ist namentlich nicht ersichtlich und wird auch nicht dargelegt, in welchem Umfang die Beschwerdeführerin zu Unrecht eine Zuwendung geleistet haben resp. entreichert sein (vgl. HERMANN SCHULIN, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 8 zu Art. 62 OR ) soll. Darauf ist nicht weiter einzugehen. 3.3.3 Der von der Leistungserbringerin gegen die Krankenversicherung geltend gemachte Anspruch auf Verzugszinsen lässt sich somit auch nicht aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz herleiten. 3.4 Was das Vorliegen besonderer Umstände (vgl. BGE 131 V 358 E. 1.2 S. 359; Urteil K 4/06 vom 15. November 2006 E. 4.1) anbelangt, so hat die Vorinstanz festgestellt, es sei nicht allein der Concordia anzulasten, dass zwischen dem Begehren des Versicherten und der Bezahlung der Pflegekosten knapp sechs Jahre vergangen seien; zudem sei der anerkannte Pflegeaufwand von täglich 0,38 Stunden stets entschädigt worden. Diese Feststellungen, wie auch der daraus gezogene Schluss, die Beschwerdegegnerin habe sich somit weder trölerisch noch rechtsmissbräuchlich verhalten, sind nicht offensichtlich unrichtig und beruhen auch nicht auf einer Rechtsverletzung. Sie bleiben daher für das Bundesgericht verbindlich (nicht publizierte E. 1). Insbesondere ist es nicht grundsätzlich rechtsmissbräuchlich, wenn der Krankenversicherer in Bezug auf den Umfang des täglichen Pflegebedarfs und der daraus folgenden Leistungspflicht eine andere Meinung vertritt als die versicherte Person. Dies trifft erst recht auf den konkreten Fall zu, wo zuvor streitig war, ob täglich über bereits abgegoltene Pflegeleistungen von 3,5 Stunden hinaus weitere 6,66 oder lediglich 0,38 Stunden zusätzlich zu übernehmen seien (vgl. Urteil 9C_702/2010 vom 21. Dezember 2010). Es sind keine weiteren Umstände aktenkundig, die als besonders stossend erscheinen und daher eine Verzugszinspflicht nach sich ziehen könnten. Die Beschwerde ist unbegründet.
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079cabe7-504d-479d-a5e1-4a81e3928192
Sachverhalt ab Seite 274 BGE 134 III 273 S. 274 A. Am 5. Oktober 2001 wurde der Swissair Schweizerische Luftverkehr-Aktiengesellschaft die provisorische Nachlassstundung gewährt, und am 16. Juni 2003 wurde die Bestätigung des von der Schuldnerin mit den Gläubigern geschlossenen Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung rechtskräftig. B. Am 23. Mai 2005 leitete die Swissair Schweizerische Luftverkehr-Aktiengesellschaft in Nachlassliquidation (Klägerin) bei den Friedensrichterämtern Klage gegen ExxonMobil Aviation International Limited und 8 Mitbeteiligte (Beklagte) ein. Die Klägerin focht gestützt auf Art. 287 und Art. 288 SchKG eine von der Schuldnerin am 5. Oktober 2001 (am Tag der provisorischen Nachlassstundung) veranlasste und von der UBS AG ausgeführte Überweisung von USD 2'500'000.- an die ExxonMobil Aviation International Limited an, welche vermutlich an die übrigen Beklagten weitergeleitet worden sei. Am 2. November 2005 reichte sie beim Handelsgericht Zürich Klage ein mit dem Rechtsbegehren, dass die Erstbeklagte zu verpflichten sei, ihr USD 2'500'000.- zuzüglich Zinsen zu bezahlen; eventualiter seien die übrigen Beklagten zu (bestimmten) Teilzahlungen zu verpflichten, wobei sämtliche Beträge eventuell in Schweizer Franken zu bezahlen seien. C. Das Handelsgericht Zürich beschränkte das Verfahren auf die Frage, ob mit der Anfechtungsklage die Verwirkungsfrist gemäss Art. 331 SchKG gewahrt worden sei. Mit Vorurteil vom 22. Juni 2007 stellte das Handelsgericht fest, dass die Klägerin die zweijährige Verwirkungsfrist des Art. 331 i.V.m. Art. 292 SchKG bezüglich ihrer Anfechtungsklage gegen die Beklagten gewahrt hat. D. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 26. Juli 2007 beantragen die ExxonMobil Aviation International Limited und die 8 Mitbeteiligten (Beschwerdeführer) dem Bundesgericht, es sei das Vorurteil des Handelsgerichts vom 22. Juni 2007 aufzuheben und es sei die Anfechtungsklage abzuweisen. Die Swissair Schweizerische Luftverkehr-Aktiengesellschaft in Nachlassliquidation (Beschwerdegegnerin) beantragt die Abweisung der Beschwerde. Gegen das Gesuch der Beschwerdeführer um aufschiebende Wirkung hat sie keine Einwände erhoben. Das Handelsgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Mit Präsidialverfügung vom 21. August 2007 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. BGE 134 III 273 S. 275 Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Das Handelsgericht ist zur Auffassung gelangt, dass das Anfechtungsrecht nach Ablauf von zwei Jahren seit der Bestätigung des Nachlassvertrages verwirke. Dies ergebe sich aus der Anwendung der Grundsätze nach Art. 285-292 SchKG , wie sie gemäss Art. 331 Abs. 1 SchKG für die Anfechtung von Rechtshandlungen beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung massgebend seien; Art. 331 Abs. 2 SchKG sei einzig für die Verdachtsfristen massgebend. Die vorliegende Klage sei fristgerecht erhoben worden. Die Beschwerdeführer machen im Wesentlichen geltend, dass das Anfechtungsrecht nach Ablauf von zwei Jahren seit der Bewilligung der Nachlassstundung verwirke und deshalb die vorliegende Klage verwirkt sei. Dabei stützen sie sich in erster Linie auf den Wortlaut von Art. 331 Abs. 2 SchKG , welcher die Berechnung der Fristen betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen regle. Nach dieser Bestimmung werde nicht zwischen Verdachts- und Klagefristen unterschieden. Wo immer in den Art. 285-292 SchKG eine Frist an den Zeitpunkt der Pfändung oder Konkurseröffnung anknüpfe, laufe diese Frist im Falle der Anfechtung im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung seit der Bewilligung der Nachlassstundung oder des Konkursaufschubs, wenn ein solcher der Nachlassstundung vorangegangen sei. Es gebe keinen triftigen Grund, vom Wortlaut des Gesetzes abzuweichen, weshalb die Klage als verwirkt betrachtet werden müsse. Die Beschwerdegegnerin bestätigt die Auffassung des Handelsgerichts. Beide Parteien haben zur Begründung ihrer Standpunkte verschiedene Gutachten eingereicht. 3. Umstritten ist, wann das Recht zur Anfechtung von Rechtshandlungen nach Art. 286 ff. SchKG beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung verwirkt ist. Gemäss Art. 292 SchKG verwirkt das Anfechtungsrecht nach Ablauf von zwei Jahren seit Zustellung des Pfändungsverlustscheines bzw. seit der Konkurseröffnung. Gemäss Art. 331 Abs. 1 SchKG unterliegen die vom Schuldner vor der Bestätigung des Nachlassvertrages vorgenommenen Rechtshandlungen der Anfechtung nach den Grundsätzen der Art. 285-292 SchKG . Gemäss Art. 331 Abs. 2 SchKG ist für die Berechnung der Fristen anstelle der Pfändung oder der Konkurseröffnung die Bewilligung der Nachlassstundung oder des Konkursaufschubes (Art. 725a, 764, 817 oder 903 OR), wenn ein solcher der Nachlassstundung vorausgegangen ist, massgebend. BGE 134 III 273 S. 276 3.1 In der Lehre hat die Frage des Beginns der Verwirkungsfrist gemäss Art. 292 SchKG beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung Anlass zu Stellungnahmen gegeben. Bereits im Jahre 1996 hielt FRIDOLIN WALTHER in seiner Untersuchung zu den Fristen im teilrevidierten SchKG (Inkrafttreten am 1. Januar 1997) fest, dass Art. 331 Abs. 2 SchKG unklar sei (Neue und angepasste Fristen im revidierten Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, AJP 1996 S. 1392 Fn. 174). HENRI-ROBERT SCHÜPBACH kommt nach eingehender Auseinandersetzung zum Schluss, dass Wortlaut und Systematik von Art. 331 Abs. 2 SchKG fehlerhaft seien und nichts rechtfertige, von der Parallelität zum Konkurs abzuweichen, weshalb die Bestätigung des Nachlassvertrages die Verwirkungsfrist des Art. 292 SchKG auslöse. Wäre die Bewilligung der Nachlassstundung, oder erst recht ein vorausgegangener Konkursaufschub fristauslösend, könne das Anfechtungsrecht von der Nachlassmasse nicht innert nützlicher Frist ausgeübt werden (Droit et action révocatoires, Basel 1997, N. 60 f., N. 68 ff. zu Art. 292 SchKG ). Die ganz überwiegende Lehre teilt diese Meinung (THOMAS BAUER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 9 zu Art. 292 SchKG ; ALAIN WINKELMANN et al., in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 10 zu Art. 331 SchKG ; FRANCO LORANDI, Genehmigungsbedürftige Geschäfte während der Nachlassstundung [ Art. 298 Abs. 2 SchKG ], Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht [ZZZ] 2004 S. 77, S. 116 Fn. 253; HENRY PETER, in: Commentaire Romand, Poursuite et faillite, N. 8 zu Art. 292 SchKG ; DOMINIQUE JUNOD MOSER/LOUIS GAILLARD, in: Commentaire Romand, Poursuite et faillite, N. 19 zu Art. 331 SchKG ; PAULINE ERARD-GILLIOZ, Die Anfechtung, SJK 742, Stand: 1999, Ziff. I.E.2; THOMAS REBSAMEN, Die Gleichbehandlung der Gläubiger durch die Aktiengesellschaft, Diss. Freiburg 2004, S. 97 Rz. 314; STEFAN KNOBLOCH, Die zivilrechtlichen Risiken der Banken in der sanierungsbedürftigen Unternehmung, Diss. Zürich 2006, S. 106). PIERRE-ROBERT GILLIÉRON hält die Ansicht, dass Art. 331 Abs. 2 SchKG nur für Verdachtsfristen gilt, für vernünftig und fragt sich, ob die negativen Folgen vom Gesetzgeber gewollt seien, wenn die Bewilligung der Nachlassstundung massgebend sei; dennoch hält er die Anordnung der (provisorischen) Nachlassstundung für den fristauslösenden Zeitpunkt (Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 17 zu Art. 292 SchKG ). RUDOLF TSCHÄNI BGE 134 III 273 S. 277 schliesst aus Art. 331 Abs. 2 SchKG ohne weitere Begründung, dass die Anfechtungsfrist mit Bewilligung der Nachlassstundung beginnt (M&A-Transaktionen nach Schweizer Recht, Zürich 2003, S. 122 Fn. 354); ebenso CHARLES JAQUES (Le "rang" des créances dans l'exécution forcée: Le cas des subordinations de créance [postpositions], Diss. Lausanne 1999, S. 731 Rz. 1786). Widersprüchlich äussern sich schliesslich KURT AMONN/FRIDOLIN WALTHER sowie KURT AMONN/DOMINIK GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl. 2003 bzw. 6. Aufl. 1997, § 52 Rz. 34 bzw. § 55 Rz. 34). 3.2 Das Bundesgericht hat bis anhin keine Gelegenheit gehabt, über den Beginn der Verwirkungsfrist gemäss Art. 292 SchKG für die Anfechtung beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung zu entscheiden. In BGE 125 III 154 wurde unter anderem auf Art. 331 Abs. 2 SchKG Bezug genommen, als es um die Frage ging, ob im Nachlassverfahren eine Forderung nach der alt- oder neurechtlichen Privilegienordnung zu kollozieren sei, und in diesem Zusammenhang die Wirkungen von Konkurseröffnung und Bewilligung der Nachlassstundung zu vergleichen waren (E. 3b S. 158). Über den Beginn der Verwirkungsfrist für die Anfechtung beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung wurde damit nicht entschieden. 4. Die Auslegung des Gesetzes ist auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die von ihm erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten ( BGE 128 I 34 E. 3b S. 41). Ausgangspunkt der Auslegung einer Norm bildet ihr Wortlaut. Vom daraus abgeleiteten Sinne ist jedoch abzuweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass der Gesetzgeber diesen nicht gewollt haben kann. Solche Gründe können sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Insoweit wird vom historischen, teleologischen und systematischen Auslegungselement gesprochen. Bei der Auslegung einer Norm sind daher neben dem Wortlaut diese herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen ( BGE 133 III 257 E. 2.4 S. 265 mit Hinweisen). 4.1 Nach dem Wortlaut von Art. 331 Abs. 2 SchKG , der sich in den drei Amtssprachen nicht unterscheidet, ist "für die Berechnung der Fristen anstelle der Pfändung oder der Konkurseröffnung die Bewilligung der Nachlassstundung oder des Konkursaufschubes, wenn ein solcher der Nachlassstundung vorausgegangen ist, BGE 134 III 273 S. 278 massgebend". Die Bestimmung spricht - wie die Beschwerdeführer zu Recht festhalten - einzig von "Fristen", ohne zwischen Verdachts- oder Klagefristen zu unterscheiden. Nach dem Wortlaut der Norm und der darin enthaltenen Verweisung wird die "Pfändung" oder "Konkurseröffnung" in Art. 286-288 SchKG durch die Bewilligung der Nachlassstundung oder des Konkursaufschubes, wenn ein solcher der Nachlassstundung vorausgegangen ist, ersetzt, um den Beginn der Verdachtsfristen zu bestimmen. Für den Beginn der Verwirkungsfrist gilt gemäss Art. 292 SchKG die "Zustellung des Pfändungsverlustscheines" (Ziff. 1) oder die "Konkurseröffnung" (Ziff. 2). Da Art. 331 Abs. 2 SchKG nicht von der "Zustellung des Pfändungsverlustscheines" spricht, sondern nur von der "Pfändung" bzw. "Konkurseröffnung", passt der Wortlaut im Rahmen der Verweisung einzig auf Art. 292 Ziff. 2 SchKG . Wird hier "Konkurseröffnung" entsprechend Art. 331 Abs. 2 SchKG ersetzt, so führen Wortlaut und Verweisung zum Ergebnis, dass die Anfechtungsfrist im Falle der Anfechtung im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung ab der Bewilligung der Nachlassstundung oder des Konkursaufschubs, wenn ein solcher der Nachlassstundung vorangegangen sei, läuft. 4.2 Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass Art. 331 SchKG nur teilweise mit aArt. 316s SchKG übereinstimmt. Während Abs. 1 die Regelung von aArt. 316s Abs. 1 erster Satz SchKG übernommen hat, sind die Änderungen in Abs. 3 redaktioneller Art und betreffen nur den französischen Text. Die Botschaft über die Änderung des SchKG hält fest (BBl 1991 III 194 Ziff. 210.69): "Die Berechnung der Verdachtsfristen wird in Absatz 2 geregelt. Im Übrigen wird dieser Absatz redaktionell nur geringfügig geändert." In den eidgenössischen Räten hat die vom Bundesrat vorgeschlagene Bestimmung so wenig als diejenige von Art. 292 SchKG Anlass zu Voten gegeben (AB 1993 N S. 39, 46; AB 1993 S S. 655, 657). Zu Art. 292 SchKG hält die Botschaft allerdings fest, dass die bei der Anfechtung relevanten zwei Zeitfragen klar getrennt würden: Die Verdachtsperiode in den Anfechtungstatbeständen ( Art. 286 ff. SchKG ) sage, wann der Schuldner die Handlung vorgenommen haben muss, damit sie anfechtbar ist; währenddem Art. 292 SchKG nur noch sage, innert welcher Zeit die Anfechtbarkeit geltend zu machen sei. Diese Frist begrenze das Anfechtungsrecht; ihr Ablauf bedeute Verwirkung desselben (Botschaft, a.a.O., S. 179 Ziff. 209.5). Dennoch spricht die Botschaft zu Art. 331 Abs. 2 SchKG einzig BGE 134 III 273 S. 279 von der Regelung der Verdachtsfristen . Die Erklärung hierfür liegt in der Grundlage, auf welche sich die Formulierung in der Botschaft stützt. Der Wortlaut von Art. 331 Abs. 2 SchKG wurde praktisch unverändert vom Vorentwurf der Expertenkommission übernommen (vgl. Art. 331 Abs. 2 des Vorentwurfes für die Gesamtüberprüfung des SchKG vom Dezember 1981). Die Verweisung in Art. 331 Abs. 2 SchKG des Vorentwurfs bezog sich allerdings auf die mit Pfändung und Konkurseröffnung beginnenden Verdachtsfristen, da im Vorentwurf keine Verwirkungsfristen vorgesehen waren, welche ab Zustellung des Pfändungsverlustscheines bzw. Konkurseröffnung zu laufen beginnen (vgl. Art. 292 des Vorentwurfes; Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission, S. 102 f.). Zu Recht hält WALTHER (a.a.O.) fest, dass sich Art. 331 Abs. 2 SchKG gemäss Botschaft nur auf die Verdachtsfristen und nicht auf die Verwirkungsfrist bezieht. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer bietet die Entstehungsgeschichte einen triftigen Anhaltspunkt für die Annahme, dass Art. 331 Abs. 2 SchKG nur für die Verdachtsfristen, und nicht auch für die Verwirkungsfristen gemäss Art. 292 SchKG gelten soll. 4.3 In der Lehre wird - in systematischer Hinsicht - darauf hingewiesen, dass bei Annahme, die Verwirkungsfrist beginne im Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung oder des vorausgegangenen Konkursaufschubs, das Anfechtungsrecht verwirkt wäre, bevor es überhaupt geltend gemacht werden könne (u.a. WINKELMANN et al., a.a.O., N. 10 zu Art. 331 SchKG ). 4.3.1 Die Beschwerdeführer bringen in diesem Zusammenhang vor, dass auch Konkurse länger als zwei Jahre dauern und auch hier Anfechtungsansprüche verwirken könnten, bevor sie entstehen würden, nämlich wenn sie zwei Jahre nach Konkurseröffnung vorgenommen würden. Das Vorbringen geht an der Sache vorbei. Rechtshandlungen nach Konkurseröffnung können nicht angefochten werden, weil sich die Verdachtsperioden von der Konkurseröffnung an rückwärts berechnen ( Art. 286 ff. SchKG ); sodann gehen Handlungen während des Konkurses nicht vom Gemeinschuldner (dessen Rechtshandlungen nach Konkurseröffnung ungültig sind; Art. 204 SchKG ), sondern von der Konkursverwaltung aus (FRANCO LORANDI, Die Wirkungen des Konkursaufschubs, in: Festschrift für Karl Spühler, Zürich 2005, S. 223). Die Vorbringen sind nicht geeignet, um darzulegen, dass der Gesetzgeber in Art. 292 SchKG BGE 134 III 273 S. 280 die Verwirkung von Anfechtungsansprüchen hinnehme, bevor sie überhaupt geltend gemacht werden können. 4.3.2 Eine Nachlassstundung kann für maximal 24 Monate gewährt werden ( Art. 295 Abs. 4 SchKG ). Diese Frist kann sich verlängern, einerseits um die vorausgegangenen zwei Monate einer provisorischen Nachlassstundung (Art. 293 Abs. 3 und 4, Art. 295 Abs. 1 SchKG ), andererseits um die Dauer des Verfahrens für die gerichtlichen Verfahren zur Bestätigung des Nachlassvertrages ( Art. 308 Abs. 2 SchKG ). Die Nachlassstundung kann demnach länger als zwei Jahre dauern. Sodann fehlen für die Dauer des Konkursaufschubes nach Art. 725a OR Minimal- oder Maximalfristen, sondern ist einzig das richterliche Ermessen aufgrund des Sanierungsplanes massgebend (HANS ULRICH HARDMEIER, Zürcher Kommentar, N. 1324 zu Art. 725a OR ). Würde die zweijährige Verwirkungsfrist gemäss Art. 292 SchKG mit der Bewilligung der Nachlassstundung oder dem vorangegangenen Konkursaufschub zu laufen beginnen, könnte sie abgelaufen sein, bevor der Nachlassvertrag bestätigt wird. Dieses Ergebnis steht in Widerspruch zu Art. 331 Abs. 1 SchKG , wonach die vom Schuldner vor der Bestätigung des Nachlassvertrages vorgenommenen Handlungen der Anfechtung unterliegen ( Art. 331 Abs. 1 SchKG ): Die während der Dauer der Nachlassstundung vorgenommenen Handlungen sind anfechtbar, wobei die Anfechtung auch möglich ist, wenn während der Stundung sowohl der Sachwalter als auch der Nachlassrichter einem Geschäft zugestimmt haben (LORANDI, Genehmigungsbedürftige Geschäfte während der Nachlassstundung [ Art. 298 Abs. 2 SchKG ], ZZZ 2004 S. 105 und106). Folgte man der Auffassung der Beschwerdeführer, könnten Handlungen während der Nachlassstundung zwar anfechtbar sein, aber nicht angefochten werden, weil die Klage bereits verwirkt ist; überdies würden Gläubiger in einem Nachlassverfahren mit vorangegangenem Konkursaufschub benachteiligt. Dieses aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften fliessende Ergebnis stellt einen triftigen Grund für die Annahme dar, dass Art. 331 Abs. 2 SchKG die Verwirkungsfrist nicht regelt. 4.3.3 Die Beschwerdeführer halten demgegenüber fest, dass die Nachlassstundung nur in Extremfällen die Maximaldauer erreichen würde; in der Praxis würden sich bei einem Beginn der Anfechtungsfrist im Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung keine Probleme stellen; die Berücksichtigung von Extremfällen sei BGE 134 III 273 S. 281 nicht ein gesetzessystematisches, sondern rechtspolitisches Argument. Der Einwand geht fehl. Zum einen ist notorisch, dass durch das Verfahren zur Bestätigung des Nachlassvertrages die effektive Stundungsdauer erheblich länger als die formell bewilligte sein kann (DANIEL HUNKELER, Streiflichter durch das gerichtliche Nachlassverfahren, ZZZ 2004 S. 300). Zum anderen hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der Verlängerung der Stundungsdauer gerade für "besonders komplexe Fälle" vorgesehen ( Art. 295 Abs. 4 SchKG ). Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Nachlassstundung in "besonders komplexen Fällen" regeln, jedoch in diesen Fällen oder den Fällen mit vorausgegangenem Konkursaufschub die faktische Unanfechtbarkeit von Rechtshandlungen als "Extremfälle" hinnehmen wollte. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer sprechen nicht rechtspolitische, sondern gesetzessystematische Überlegungen für die Annahme, dass die Anfechtungsfrist nicht mit Bewilligung der Nachlassstundung oder mit dem vorausgegangenen Konkursaufschub zu laufen beginnt bzw. Art. 331 Abs. 2 SchKG sich nicht auf die Verwirkungsfrist bezieht. 4.4 Was den Zweck der Norm anbelangt, machen die Beschwerdeführer geltend, dass die Anfechtungsklage einerseits dem Gläubigerschutz, andererseits der Rechtssicherheit und dem Schutz der Vertragspartner des Schuldners diene. Wegen der gegenläufigen Interessen könnten aus dem Zweck der Norm keine Rückschlüsse für ein überzeugendes Ergebnis gezogen werden. 4.4.1 Mit der Anfechtung sollen Vermögenswerte der Zwangsvollstreckung zugeführt werden, die ihr durch eine Rechtshandlung nach den Art. 286-288 SchKG entzogen worden sind ( Art. 285 Abs. 1 SchKG ), und mit der Verwirkung des Anfechtungsrechts nach Ablauf von zwei Jahren ( Art. 292 SchKG ) soll der Zustand der Rechtsunsicherheit begrenzt werden (BAUER, a.a.O., N. 1 zu Art. 292 SchKG ). Wenn Art. 331 Abs. 2 SchKG auch für die Verwirkungsfrist gelten würde bzw. die Bewilligung der Nachlassstundung fristauslösend wäre, hätten die Liquidatoren, welche nach Bestätigung des Nachlassvertrages das abgetretene Vermögen zu liquidieren haben ( Art. 319 Abs. 3 und 4 SchKG ), weniger als zwei Jahre Zeit, um durch Anfechtung Vermögenswerte der Zwangsvollstreckung zuzuführen, sofern das Anfechtungsrecht nicht bereits im Zeitpunkt der Bestätigung des Nachlassvertrages verwirkt ist. Das Gleiche gilt für die Gläubiger, wenn ihnen - nach einem Verzicht auf Geltendmachung des Anspruchs durch die Liquidatoren BGE 134 III 273 S. 282 und des Gläubigerausschusses - der Anfechtungsanspruch nach Art. 260 SchKG abgetreten wird ( Art. 325 SchKG ). Noch weniger Zeit hätten die Liquidatoren (bzw. die Abtretungsgläubiger), wenn der Nachlassstundung ein Konkursaufschub vorausgegangen ist. Dies ist mit dem Zweck der Anfechtung nicht vereinbar. Diese soll nicht nur Vermögenswerte der Zwangsvollstreckung zuführen, die ihr durch eine anfechtbare Rechtshandlung entzogen worden sind, sondern auch - unter Vorbehalt gesetzlicher Ausnahmen - die Gleichbehandlung der Gläubiger gewährleisten. Im Konkurs gilt grundsätzlich das Prinzip der Gleichbehandlung der Gläubiger, ebenso im gerichtlichen Nachlassvertrag als einem Konkurssurrogat ( BGE 50 II 501 E. 2 S. 504; BGE 105 III 92 E. 2a S. 94; vgl. AMONN/WALTHER, a.a.O., § 35 Rz. 3, § 53 Rz. 12). Es gibt keinen sachlichen Grund, die Gläubiger beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung schlechter zu stellen als die Gläubiger im Konkurs oder - umgekehrt formuliert - die Anfechtungsgegner beim Nachlassvertrag günstiger zu stellen als die Anfechtungsgegner beim Konkurs. Vielmehr ergibt sich aus dem Zweck des Gesetzes, dass dem Liquidator beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung - wie der Konkursverwaltung im Konkurs - ebenfalls zwei volle Jahre zur Verfügung stehen sollen (vgl. SCHÜPBACH, a.a.O., N. 70 zu Art. 292 SchKG ), um die Anfechtungsansprüche geltend zu machen. Der Zweck der Norm spricht gegen die Auffassung, dass Art. 331 Abs. 2 SchKG auch auf die Verwirkungsfrist gemäss Art. 292 SchKG verweist. 4.4.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, dass nicht erst der Liquidator nach Bestätigung des Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung, sondern nach Bewilligung der Nachlassstundung bereits der Sachwalter berechtigt sei, eine Anfechtungsklage zu führen; der Sachwalter könne bei Erkennen eines Anfechtungstatbestandes an den Nachlassrichter gelangen und sich zur Anfechtungsklage ermächtigen lassen. Die während der Dauer der Nachlassstundung vorgenommenen Handlungen unterliegen - wie dargelegt (E. 4.3.2) - der Anfechtung ( Art. 331 Abs. 1 SchKG ); dies gilt auch dann, wenn der Sachwalter oder der Nachlassrichter einem Rechtsgeschäft zugestimmt haben ( Art. 298 Abs. 2 SchKG ). Eine Anfechtung ist verfahrensrechtlich jedoch nur möglich, sofern es zu einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung kommt ( Art. 331 SchKG ). Während der BGE 134 III 273 S. 283 Nachlassstundung (oder bei einem ordentlichen Nachlassvertrag) können Anfechtungsansprüche nicht geltend gemacht werden (FRANCO LORANDI, Sicherungsgeschäfte in der Insolvenz des Sicherungsgebers, AJP 2005 S. 1301). Mangels einer verselbständigten Liquidationsmasse besteht während der Nachlassstundung (wie beim ordentlichen Nachlassvertrag) keine Anfechtungsmöglichkeit (vgl. AMONN/WALTHER, a.a.O., § 55 Rz. 34 a.E.). Im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung stehen hingegen die Anfechtungsansprüche der Nachlassmasse zu; diese ist berechtigt, die Ansprüche geltend zu machen, wobei zunächst nur die Liquidatoren ( Art. 319 Abs. 3 und 4 SchKG ) Anfechtungsklage erheben können (Gilliéron, a.a.O., N. 45 zu Art. 285, N. 16 zu Art. 317 SchKG ). Wenn die Liquidatoren und der Gläubigerausschuss auf die Geltendmachung verzichten und es zur Abtretung gemäss Art. 260 SchKG (i.V.m. Art. 325 SchKG ) kommt, so ist derjenige Nachlassgläubiger zum Abtretungsbegehren legitimiert, der im Kollokationsplan berücksichtigt worden ist ( BGE 128 III 291 E. 4c S. 292). Einen Kollokationsplan ( Art. 321 SchKG ) gibt es indessen erst nach Bestätigung des Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung. Im Übrigen hat das Bundesgericht bereits aufgrund der Rechtslage vor 1997 entschieden, dass im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung die Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs den Liquidatoren zusteht, welche die Klage nach Bestätigung des Nachlassvertrages einreichen können ( BGE 106 III 40 E. 4 S. 45). Sodann behaupten die Beschwerdeführer selber nicht, dass bereits während des Konkursaufschubs gemäss Art. 725a OR Anfechtungsansprüche geltend gemacht werden könnten (LORANDI, Die Wirkungen des Konkursaufschubs, a.a.O., S. 224 f., mit Hinweisen). Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführer ist demnach eine Anfechtung erst möglich, wenn es nachfolgend zu einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung kommt. Mit Blick auf den Zweck der Norm ergibt sich, dass Art. 331 Abs. 2 SchKG nicht die Verwirkungsfrist regelt. 4.5 Nach dem Dargelegten ist festzuhalten, dass der Wortlaut von Art. 331 Abs. 2 SchKG die Anwendung auf die Verwirkungsfrist gemäss Art. 292 SchKG wohl zulässt. Aus der Entstehungsgeschichte, dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften und dem Zweck ergeben sich jedoch triftige Gründe, dass der Gesetzgeber dies nicht gewollt haben kann, sondern dass sich Art. 331 Abs. 2 SchKG nur auf die Verdachtsfristen bezieht. BGE 134 III 273 S. 284 4.6 Gemäss Art. 331 Abs. 1 SchKG unterliegen die vom Schuldner vor der Bestätigung des Nachlassvertrages vorgenommenen Rechtshandlungen der Anfechtung "nach den Grundsätzen der Art. 285-292 SchKG ". Da sich Art. 331 Abs. 2 SchKG - wie dargelegt (E. 4.1-4.5) - nur auf die Verdachts-, nicht aber auf die Verwirkungsfristen bezieht, ist in Anwendung der für die Anfechtung massgebenden Grundsätze zu prüfen, in welchem Zeitpunkt die Anfechtungsfrist gemäss Art. 292 SchKG ausgelöst wird. 4.6.1 Der Hinweis der Beschwerdeführer auf BGE 125 III 154 führt nicht weiter. Im erwähnten Urteil entschied das Bundesgericht, der Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung und nicht jener der Bestätigung des Nachlassvertrages sei entscheidend, ob eine Forderung nach der alten oder neuen Privilegienordnung zu kollozieren ist ( BGE 125 III 154 E. 3b und 3c S. 156 ff.). Entscheidend hierfür war der Vergleich der Wirkungen der Konkurseröffnung und der Bewilligung der Nachlassstundung. Daraus kann indessen nicht abgeleitet werden, dass einzig die Bewilligung der Nachlassstundung gleichartige Wirkungen wie die Konkurseröffnung zeitige. Notwendig ist vielmehr ein Vergleich mit der Konkurseröffnung, um zu erkennen, wann die Anfechtungsfrist beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung zu laufen beginnt. 4.6.2 Beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung handelt es sich um eine konkursähnliche Generalliquidation des Schuldnervermögens ( BGE 108 III 83 E. 3 S. 87; BGE 114 III 120 f.); wie im Konkurs wird das Schuldnervermögen verselbständigt und bildet die Nachlassmasse ( BGE 106 Ib 357 E. 3c S. 367; AMONN/WALTHER, a.a.O., § 55 Rz. 22). So wie der Konkursmasse stehen die Anfechtungsansprüche beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung der Nachlassmasse zu; so wie die Konkursverwaltung sind die Liquidatoren berechtigt, die Anfechtungsansprüche geltend zu machen, wobei nur die Konkursverwaltung bzw. Liquidatoren, subsidiär die Konkursgläubiger bzw. Nachlassgläubiger ( Art. 325 SchKG ) Anfechtungsklage erheben können ( Art. 285 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG ; GILLIÉRON, a.a.O., N. 45 zu Art. 285 SchKG ). Während die Konkursmasse mit der Konkurseröffnung entsteht ( Art. 197 Abs. 1 SchKG ), bildet sich die Nachlassmasse mit Bestätigung des Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung ( Art. 319 SchKG ). 4.6.3 Aus dem Dargelegten ergibt sich der Schluss, dass die zweijährige Verwirkungsfrist von Art. 292 SchKG - in Parallelität zum BGE 134 III 273 S. 285 Konkurs (SCHÜPBACH, a.a.O., N. 60 zu Art. 292 SchKG ) - mit der rechtskräftigen Bestätigung des Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung zu laufen beginnt. 5. Vorliegend ist unstrittig, dass der Liquidator vor Ablauf von zwei Jahren seit der rechtskräftigen Bestätigung des Nachlassvertrages Anfechtungsklage gegen die Beschwerdeführer eingereicht hat. Wenn das Handelsgericht festgestellt hat, dass die Klägerin die Verwirkungsfrist gemäss Art. 331 i.V.m. Art. 292 SchKG gewahrt hat, stellt dies keine Verletzung von Bundesrecht dar.
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3747652b-d9a6-4b4d-b363-09f1a5251965
944.0 1 Bundesgesetz über die Information der Konsumentinnen und Konsumenten (Konsumenteninformationsgesetz, KIG) vom 5. Oktober 1990 (Stand am 1. Januar 2013) Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 31sexies Absatz 1 der Bundesverfassung1,2 nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 7. Mai 19863, beschliesst: 1. Abschnitt: Zweck Art. 1 Dieses Gesetz bezweckt, die objektive Information der Konsumentinnen und Kon- sumenten (Konsumenten) zu fördern durch: a. Vorschriften über die Waren- und Dienstleistungsdeklaration; b. Finanzhilfen an Konsumentenorganisationen. 2. Abschnitt: Waren- und Dienstleistungsdeklaration Art. 2 Grundsätze 1 Liegt es im Interesse der Konsumenten, so sind in vergleichbarer Form zu dekla- rieren: a. die wesentlichen Eigenschaften der zum Kauf oder Gebrauch angebotenen Waren; b. der wesentliche Inhalt der vom Bundesrat bezeichneten Dienstleistungen. 2 Wer solche Waren in Verkehr bringt oder solche Dienstleistungen anbietet, ist zur Deklaration verpflichtet. 3 Ausländische Deklarationen sind anzuerkennen, wenn sie mit den inländischen vergleichbar sind. 4 Das Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnis bleibt gewahrt. AS 1992 910 1 [BS 1 3; AS 1981 1244]. Der genannten Bestimmung entspricht heute Art. 97 der BV vom 18. April 1999 (SR 101). 2 Fassung gemäss Anhang Ziff. II 10 des Heilmittelgesetzes vom 15. Dez. 2000, in Kraft seit 1. Jan. 2002 (AS 2001 2790; BBl 1999 3453). 3 BBl 1986 II 354 944.0 Konsumentenschutz 2 944.0 5 Vorbehalten bleibt die Kennzeichnungspflicht nach andern Bundesvorschriften.4 6 Die Deklarationen erfolgen in den Amtssprachen des Bundes. Art. 3 Privatrechtliche Vereinbarungen Die betroffenen Organisationen der Wirtschaft und der Konsumenten vereinbaren, welche Waren deklariert werden müssen. Sie vereinbaren auch die Anforderungen an Form und Inhalt der Deklarationen über diese Waren und die vom Bundesrat bezeichneten Dienstleistungen. Sie berücksichtigen dabei die internationalen Nor- men sowie den Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Art. 4 Verordnungen des Bundesrates Der Bundesrat kann nach Anhören der betroffenen Organisationen der Wirtschaft und der Konsumenten die Deklaration durch Verordnung regeln, wenn: a. innert angemessener Frist keine Vereinbarung zustande gekommen ist oder b. eine Vereinbarung unzureichend erfüllt wird. 3. Abschnitt: Finanzhilfe an Konsumentenorganisationen Art. 5 Grundsätze 1 Der Bund kann Konsumentenorganisationen, deren Tätigkeit von gesamtschwei- zerischer Bedeutung ist und die sich statutengemäss ausschliesslich dem Konsumen- tenschutz widmen, im Rahmen der bewilligten Kredite Finanzhilfe von höchstens 50 Prozent der anrechenbaren Kosten gewähren für: a. die objektive und fachgerechte Information in gedruckten oder in elektroni- schen Medien; b. die Durchführung vergleichender Tests über wesentliche und eindeutig er- fassbare Eigenschaften von Waren und über den wesentlichen Inhalt von Dienstleistungen; c. das Aushandeln von Vereinbarungen über Deklarationen. 2 Der Bund kann Finanzhilfe nach Absatz 1 Buchstabe a auch andern Organisationen gewähren, deren Tätigkeit von gesamtschweizerischer Bedeutung ist und die sich statutengemäss der Konsumenteninformation widmen. Art. 6 Finanzhilfe an die Durchführung vergleichender Tests 1 Finanzhilfe an die Durchführung vergleichender Tests gewährt der Bund nur, wenn die Konsumentenorganisation in ihrer gesamten Testtätigkeit: 4 Fassung gemäss Anhang Ziff. II 10 des Heilmittelgesetzes vom 15. Dez. 2000, in Kraft seit 1. Jan. 2002 (AS 2001 2790; BBl 1999 3453). Konsumenteninformationsgesetz 3 944.0 a. bei der Auswahl der Testthemen und bei der Durchführung der Tests auf das Informationsbedürfnis der Konsumenten abstellt; b. die Tests nach wissenschaftlichen Prinzipien durchführt; c. eine technisch einwandfreie, fachkundige und neutrale Durchführung der Tests sicherstellt; d. den betroffenen Anbietern ein Anhörungsrecht einräumt; 2 Die zuständige Bundesstelle sorgt für die Koordination der Testtätigkeit der um Finanzhilfe nachsuchenden Konsumentenorganisationen. Art. 7 Unabhängigkeit bei der Durchführung von Tests Eine Organisation, welche für die Durchführung vergleichender Tests gemäss Arti- kel 5 Absatz 1 Buchstabe b Finanzhilfe erhält, muss so unabhängig sein, dass die objektive Durchführung der Tests gewährleistet ist. 4. Abschnitt: Auskunftspflicht Art. 8 1 Organisationen, die Finanzhilfe beanspruchen, müssen der zuständigen Verwal- tungseinheit alle erforderlichen Auskünfte erteilen und Einblick in die Unterlagen gewähren. 2 Die betroffenen Organisationen der Wirtschaft und der Konsumenten sowie die Anbieter von Waren und Dienstleistungen müssen der zuständigen Verwaltungsein- heit alle Auskünfte erteilen, die für den Vollzug von Vorschriften des Bundesrates über die Waren- und Dienstleistungsdeklaration (Art. 4) erforderlich sind. 5. Abschnitt: Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen Art. 9 1 Der Bundesrat bestellt eine Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen, in der die Konsumenten, die Wirtschaft und die Wissenschaft vertreten sind. 2 Die Kommission berät den Bundesrat und die Departemente in Angelegenheiten, die die Konsumenten betreffen. 3 Die Kommission fördert die partnerschaftliche Lösung von Konsumentenfragen. Konsumentenschutz 4 944.0 6. Abschnitt: Verfahren und Strafbestimmungen Art. 10 Rechtsschutz Der Rechtsschutz richtet sich nach den Bestimmungen über die Bundesverwaltungs- rechtspflege. Art. 11 Strafbare Handlungen 1 Mit Busse wird bestraft, wer vorsätzlich: a. gegen eine Vorschrift des Bundesrates über die Waren- und Dienstleistungs- deklaration (Art. 4) verstösst, die eine Strafandrohung enthält; b. die Auskunftspflicht nach Artikel 8 Absatz 2 nicht erfüllt. 2 Handelt der Täter fahrlässig, so beträgt die Busse bis zu 2000 Franken. 3 In besonders leichten Fällen kann auf die Bestrafung verzichtet werden. Art. 12 Verhältnis zum Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht 1 Für die Strafverfolgung und die Beurteilung der strafbaren Handlungen gilt das Verwaltungsstrafrechtsgesetz5. 2 Verfolgende und urteilende Verwaltungseinheit ist das Eidgenössische Departe- ment für Wirtschaft, Bildung und Forschung6. 7. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 13 Vollzug 1 Der Bundesrat vollzieht dieses Gesetz. Er erlässt die Ausführungsbestimmungen. 2 Er kann für den Vollzug der Vorschriften die betroffenen Organisationen der Wirt- schaft und der Konsumenten beiziehen. Art. 14 Referendum und Inkrafttreten 1 Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum. 2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten. Datum des Inkrafttretens: 1. Mai 19927 5 SR 313.0 6 Ausdruck gemäss Ziff. I 34 der V vom 15. Juni 2012 (Neugliederung der Departemente), in Kraft seit 1. Jan. 2013 (AS 2012 3655). 7 BRB vom 1. April 1992 1. Abschnitt: Zweck Art. 1 2. Abschnitt: Waren- und Dienstleistungsdeklaration Art. 2 Grundsätze Art. 3 Privatrechtliche Vereinbarungen Art. 4 Verordnungen des Bundesrates 3. Abschnitt: Finanzhilfe an Konsumentenorganisationen Art. 5 Grundsätze Art. 6 Finanzhilfe an die Durchführung vergleichender Tests Art. 7 Unabhängigkeit bei der Durchführung von Tests 4. Abschnitt: Auskunftspflicht Art. 8 5. Abschnitt: Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen Art. 9 6. Abschnitt: Verfahren und Strafbestimmungen Art. 10 Rechtsschutz Art. 11 Strafbare Handlungen Art. 12 Verhältnis zum Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht 7. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 13 Vollzug Art. 14 Referendum und Inkrafttreten
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64dba539-e409-4c46-990e-1a8944cf0bef
Sachverhalt ab Seite 260 BGE 118 Ia 259 S. 260 Am 6./7. April 1991 fand im Kanton Zürich die Erneuerungswahl für die Mitglieder des Regierungsrates für die Amtsdauer 1991-1995 statt und ergab (gemäss Feststellung des Kantonsrates) folgendes Wahlresultat: Absolutes Mehr 104 837 Gewählt sind: Honegger Eric mit 178 133 Stimmen Lang Hedi mit 163 306 " Hofmann Hans mit 163 296 " Wiederkehr Peter mit 152 325 " Leuenberger Moritz mit 149 267 " Homberger Ernst mit 145 618 " Gilgen Alfred mit 137 797 " Ferner erhielten Stimmen: Maurer Ueli 136 259 Stimmen Diener Verena 110 711 " Wiederkehr Roland 100 116 " Molinari Lorenzo 4 035 " Vereinzelte Stimmen 26 846 " In der Folge erhob Sch. in verschiedenen Eingaben staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG und verlangte die Aufhebung der Regierungsratswahl. Er rügt hierfür u.a. eine Verletzung des Stimmrechts und macht insbesondere geltend, eine einseitige Wahlempfehlung im "Kirchenboten" vom 28. März 1991 und weitere Vorkommnisse stellten Unregelmässigkeiten dar, welche das Wahlergebnis verfälscht hätten. Das Bundesgericht weist die Stimmrechtsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt. BGE 118 Ia 259 S. 261 Erwägungen Auszug aus den Erwägungen: 2. Der Beschwerdeführer bezieht sich in seiner Beschwerde in erster Linie auf eine Ausgabe Nr. 7 des "Kirchenboten" vom 28. März 1991, mit der in unzulässiger Weise auf den Wählerwillen eingewirkt worden sein soll. In einem Kommentar zu den Kantons- und Regierungsratswahlen stellte der Chefredaktor des "Kirchenboten" Überlegungen an zum Thema: "Sind Realpolitiker illusionär und Visionäre realistisch?". Er kommt dabei zum Schluss, dass eine sogenannte Realpolitik, die nicht visionär ist und nicht langfristig und global denkt, oft illusionär sei. Umgekehrt seien visionäre Politiker, die sich an Leitwerten und langfristigen Zielen orientieren, wohl die besten Realpolitiker. Wir brauchten Politiker mit einer Vision der Zukunft. - In derselben Ausgabe des "Kirchenboten" erschien weiter ein Auszug aus einer Ansprache, die Nationalrat und Regierungsratskandidat Moritz Leuenberger an einer Maturitätsfeier gehalten hatte, zusätzlich mit einem Bild und einer redaktionellen Anmerkung, wonach sich dieser für Benachteiligte einsetze, etwa als Anwalt für die Rückgabe der Marcos-Millionen an das philippinische Volk oder für die Anliegen der Mieter. - Der Beschwerdeführer macht diesbezüglich geltend, der Artikel im "Kirchenboten" stelle eine einseitige Wahlaufforderung dar. Die andern Kandidaten hätten nicht mehr rechtzeitig reagieren können, da der "Kirchenbote" am Gründonnerstag, dem 28. März 1991, und damit lediglich vier Arbeitstage vor der Wahl zugestellt worden sei. Der "Kirchenbote" sei mit einer Auflage von 320 000 Exemplaren unzweifelhaft von einer grossen Zahl von Stimmbürgern gelesen und beachtet worden und habe damit sicher Auswirkungen auf das Wahlergebnis gezeitigt; das zeige sich auch daran, dass in den Fahrzeugen der Verkehrsbetriebe der Städte Zürich und Winterthur mittels Werbung auf den "Kirchenboten" hingewiesen worden sei. Da der "Kirchenbote" das Presseorgan der reformierten Landeskirche und zugleich Publikationsorgan der Kirchgemeinden des Kantons Zürich sei und überdies durch Steuergelder finanziert werde, handle es sich bei der beanstandeten Veröffentlichung um eine unzulässige staatliche Einflussnahme auf die Wahlen... 3. Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete Stimm- und Wahlrecht räumt dem Bürger allgemein den Anspruch darauf ein, dass kein Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass BGE 118 Ia 259 S. 262 jeder Stimmbürger seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen kann ( BGE 117 Ia 46 , 455 E. a, mit Hinweisen). Das Ergebnis eines Urnenganges kann unter anderem durch eine unzulässige Beeinflussung der Willensbildung der Stimmbürger verfälscht werden. Dies trifft insbesondere bei gewissen Informationen im Vorfeld von Urnengängen zu. Die Praxis hat die Zulässigkeit von solchen Informationen in verschiedener Hinsicht differenziert. In bezug auf Sachabstimmungen hat das Bundesgericht erkannt, dass behördliche Informationen in Form von Abstimmungserläuterungen zulässig sind und dass die Behörden im Sinne einer Ausnahme zum Eingreifen in den Abstimmungskampf befugt sind, soweit besondere triftige Gründe für eine solche Intervention gegeben sind. Jede darüber hinausgehende Beeinflussung ist hingegen unzulässig; es stellt insbesondere eine unerlaubte Beeinflussung dar, wenn die Behörde ihre Pflicht zu objektiver Information verletzt und über den Zweck und die Tragweite der Vorlage falsch orientiert oder wenn sie in unzulässiger Weise in den Abstimmungskampf eingreift und positive, zur Sicherung der Freiheit der Stimmbürger aufgestellte Vorschriften missachtet oder sich sonstwie verwerflicher Mittel bedient ( BGE 117 Ia 455 E. b, mit Hinweisen). - Auch private Informationen im Vorfeld von Sachabstimmungen können nach der Rechtsprechung die Willensbildung der Stimmbürger verfälschen und werden dann als unzulässig bezeichnet, wenn mit ihnen in einem so späten Zeitpunkt mit offensichtlich unwahren und irreführenden Angaben in den Abstimmungskampf eingegriffen wird, dass es dem Bürger nach den Umständen nicht mehr möglich ist, sich aus andern Quellen ein zuverlässiges Bild von den tatsächlichen Verhältnissen zu machen ( BGE 117 Ia 456 f., mit Hinweisen). In bezug auf Wahlen hat das Bundesgericht ein behördliches Eingreifen in den Wahlkampf grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. zum ganzen BGE 117 Ia 457 , mit Hinweisen). Bei den Wahlen kommt den Behörden keine Beratungsfunktion zu wie bei Sachentscheiden. Hier haben sie nicht von Rechts wegen mitzuwirken und ihre Auffassung der öffentlichen Interessen zu wahren. Es ist zu verhindern, dass sich der Staat im Wahlkampf auch nur indirekt in den Dienst parteiischer Interessen stellt. Eine Intervention kommt daher höchstens dann in Frage, wenn sie im Interesse der freien und unverfälschten Willensbildung und Willensbetätigung der Wähler als unerlässlich erscheint. So kann z.B. eine Richtigstellung BGE 118 Ia 259 S. 263 offensichtlich falscher Informationen, die im Verlaufe eines Wahlkampfes verbreitet werden, als zulässig erscheinen; indessen dürfte die Behörde bei einer solchen Gelegenheit nicht selber Wahlpropaganda betreiben oder einen Kandidaten verunglimpfen ( BGE 113 Ia 296 f., BGE 114 Ia 433 ). Eine allfällige mittelbare Hilfeleistung des Gemeinwesens vor einem Wahlgang fällt nur in Betracht, wenn sie sich als neutral erweist; dies war zu beurteilen in einem Fall, in dem das Gemeinwesen mittels öffentlicher Gelder gewisse Insertionskosten übernommen hatte ( BGE 113 Ia 294 ). Stellt das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel der politischen Rechte solche Mängel fest, so hebt es die Wahl nach den gleichen Grundsätzen auf wie im Falle von mangelhaften Abstimmungen infolge unzulässiger Informationen. Die Wahl wird demnach nur aufgehoben, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Die Auswirkung braucht vom Beschwerdeführer nicht nachgewiesen zu werden; vielmehr genügt es, wenn eine derartige Beeinflussung im Bereiche des Möglichen liegt. Mangels einer ziffernmässigen Feststellung der Auswirkung eines Verfahrensmangels ist dessen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nach den gesamten Umständen und grundsätzlich mit freier Kognition zu beurteilen. Dabei wird namentlich auf die Schwere des festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten Abstimmung sowie auf die Grösse des Stimmenunterschiedes abgestellt. Erscheint die Möglichkeit, dass die Wahl ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, nach den gesamten Umständen als derart gering, dass sie nicht mehr ernsthaft in Betracht fällt, so kann von der Aufhebung des Urnenganges abgesehen werden ( BGE 117 Ia 456 und 457, 113 Ia 59, 112 Ia 338, mit Hinweisen). Schliesslich hat das Bundesgericht schon Angelegenheiten beurteilt, in denen die Rechtmässigkeit von Einwirkungen auf Wahlen von privater Seite in Frage standen (vgl. zum Ganzen BGE 117 Ia 457 f. sowie BGE 117 Ia 46 f., mit Hinweisen). Es hat dazu allgemein festgehalten, dass gewisse unsachliche, übertreibende oder gar unwahre Behauptungen im Wahlkampf kaum vermieden werden könnten und diese trotz ihrer Verwerflichkeit die nachträgliche Kassation einer Wahl in der Regel nicht rechtfertigten. Private Äusserungen stehen grundsätzlich unter der Meinungsäusserungs- und der Pressefreiheit. Insbesondere bei Medien mit nationaler, regionaler oder lokaler Monopolstellung ist erwünscht, dass sie den jeweiligen politischen Gegnern ebenfalls Gelegenheit zur Äusserung einräumen. Immerhin BGE 118 Ia 259 S. 264 darf den Stimmbürgern zugetraut werden, zwischen verschiedenen bekundeten Meinungen zu unterscheiden, offensichtliche Übertreibungen als solche zu erkennen und sich aufgrund ihrer eigenen Überzeugung zu entscheiden. Aus praktischen Gründen ist auch hier für die Aufhebung einer Wahl grösste Zurückhaltung geboten. Eine Wiederholung kann daher - gleich wie bei Abstimmungen - nur bei ganz schwerwiegenden Verstössen verlangt werden und unter der Voraussetzung, dass die Auswirkung des Mangels auf den Ausgang der Wahl ausser Zweifel steht oder zumindest als sehr wahrscheinlich erscheint ( BGE 102 Ia 269 , BGE 98 Ia 79 , vgl. auch BGE 113 Ia 302 ). Eine derartige schwerwiegende Beeinflussung einer Wahl auf Gemeindeebene hat das Bundesgericht darin erblickt, dass ein Kandidat in letzter Stunde des Stimmenkaufs beschuldigt worden war, und dementsprechend hat es die Wahl aufgehoben (Urteil vom 3. Februar 1939 i.S. Thomann, in einer Zusammenfassung wiedergegeben in: ZBl 40/1939 S. 249). 4. Im folgenden ist zu prüfen, welches im Kanton Zürich die Stellung der Evangelisch-reformierten Landeskirche ist und ob und in welchem Ausmasse sie - entsprechend den Rügen des Beschwerdeführers - in den Wahlkampf um die Regierungsratswahl eingreifen durfte. a) Nach der Verfassung des Kantons Zürich ist die Evangelisch-reformierte Landeskirche eine staatlich anerkannte Person des öffentlichen Rechts (Art. 64 Abs. 2 KV; § 2 Abs. 2 Kirchengesetz). Sie ordnet ihre innerkirchlichen Angelegenheiten selbständig, untersteht im übrigen aber der Oberaufsicht des Staates. Ihre Organisation und ihr Verhältnis zum Staat wird durch das Gesetz über die Evangelisch-reformierte Landeskirche (KG) geordnet (vgl. Art. 64 Abs. 3 KV). In diesem Gesetz wird u.a. die Art der durch den Regierungsrat und den Kantonsrat auszuübenden Oberaufsicht umschrieben (§ 4 im allgemeinen und zahlreiche Hinweise bei speziellen Bestimmungen). Es wird die (demokratische) Organisation von Kirchgemeinden, der kirchlichen Bezirke sowie von Kirchensynode und Kirchenrat festgelegt. Der Staat übernimmt die Besoldung der Pfarrer und leistet einen Beitrag an die Aufwendungen der kirchlichen Organe ( § 5 KG ); hierfür erheben die Kirchgemeinden eine Kirchensteuer (§ 150 des Gesetzes über die direkten Steuern). Für ihre innerkirchlichen Angelegenheiten geniesst die Landeskirche Autonomie und gibt sich hierfür eine Kirchenordnung (Kirchenordnung der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Kirchenordnung). Darin ist u.a. ihr Bekenntnis BGE 118 Ia 259 S. 265 sowie ihr Verständnis als Volkskirche umschrieben (Art. 4 und 5 Kirchenordnung). In Ausführung von § 8 KG , wonach grundsätzlich jeder evangelische Einwohner des Kantons als Glied betrachtet wird, setzt die Kirchenordnung in Art. 7 ff. die Einzelheiten der Mitgliedschaft fest. Als eigentliche innerkirchliche Angelegenheit wird in Art. 44 ff. der Kirchenordnung der Gottesdienst (Sonntags-, Feiertags- und Wochengottesdienste, Taufe und Abendmahl, Trauung und Abdankung, Sonntagsschule und Jugendgottesdienst), der Unterricht und die Konfirmation und das kirchliche Gemeindeleben geordnet. b) In der Rechtslehre wird die Frage, ob und in welchem Ausmasse Kirchen in einem Wahl- oder Abstimmungskampf Partei nehmen dürfen, unterschiedlich beurteilt. Es wird etwa die Auffassung vertreten, die Kirchen hätten ihre Anliegen in den öffentlichen und demokratischen Meinungsbildungsprozess einzubringen und sie dürften sich bei Fragen von erheblicher ethischer Relevanz nicht auf eine Neutralität verpflichten lassen, wenn sie ihr Wesen als Kirche nicht aufgeben wollten (vgl. PETER SALADIN, Die Beteiligung der Kirchen an politischen Entscheidungsprozessen, in: Festschrift für Kurt Eichenberger, Basel 1982, S. 473; FELIX HAFNER, Die Beteiligung der Kirchen an der politischen Gestaltung des pluralistischen Gemeinwesens, Diss. Basel 1985, S. 184; STEPHAN WIDMER, Wahl- und Abstimmungsfreiheit, Diss. Zürich 1989, S. 292 f.; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, Kirche - Gewissen des Staates?, Bern 1991, S. 93 ff., 202 ff., sowie in der Kurzfassung "Staat, Kirche und Politik", S. 45 und 56 f.). Weiter wird in der Doktrin ausgeführt, dass nur die Kirche selber, nicht aber der Staat, über die Grenzen der öffentlichen und damit politischen Tätigkeit zu befinden habe (HANS KLEIN, Die Beeinflussung politischer Wahlen durch Verbände, insbesondere die Kirchen, in: DÖV 1967 S. 615 ff., 620 f.); der Kirche als gesellschaftliche Kraft komme ein Raum für die Beteiligung zu (DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, a.a.O., S. 252 f., 258 f.). Auch Befürworter kirchlichen Engagements anerkennen als Grenze, wo Kirchenangehörigen allfällige Nachteile angedroht werden (vgl. KLEIN, a.a.O., S. 621 f.; Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 14. Februar 1962, in: JZ 1962 S. 767, zitiert bei WIDMER, a.a.O., S. 291 f.). Zusätzlich stellt sich die Frage, wer oder welches Organ innerhalb einer Kirche zu entsprechenden Stellungnahmen berufen wäre (vgl. SALADIN, a.a.O., S. 475; HAFNER, a.a.O., S. 58 f.; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, a.a.O., S. 215 ff. sowie Kurzfassung S. 45 f.). Auf der andern Seite gibt es Stimmen, die öffentlichrechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften BGE 118 Ia 259 S. 266 in gleicher Weise wie Behörden auf eine weitgehende Neutralität verpflichten und sie gleich wie diese behandeln möchten (CHRISTOPH HILLER, Die Stimmrechtsbeschwerde, Diss. Zürich 1990, S. 118 Fn. 131). Es kommt bisweilen vor, dass Kirchen und ihre Vertreter vor Urnengängen Stellungnahmen abgeben oder klar Position beziehen, welche in der Öffentlichkeit zuweilen zu Diskussionen Anlass gaben (vgl. die Hinweise bei SALADIN, a.a.O., S. 461 ff. und HAFNER, a.a.O., S. 183 Fn. 9 mit schweizerischen Beispielen zu Volksabstimmungen; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, a.a.O., S. 11-114, Kurzfassung S. 11, 17, 21; vgl. ferner die Hinweise bei WIDMER, a.a.O., S. 291 f. mit einem deutschen Beispiel betreffend eine Wahl). - Die Gerichte in der Schweiz haben sich mit derartigen Fragen - soweit ersichtlich - noch nie befasst; bekannt ist aus Deutschland das erwähnte Beispiel des Oberverwaltungsgerichts Münster. c) Im vorliegenden Fall steht keine offizielle Äusserung eines Organes der Evangelisch-reformierten Landeskirche zur Diskussion. Stein des Anstosses bildet vielmehr ein Artikel, den der Chefredaktor im "Kirchenboten" erscheinen liess. Der Kirchenrat des Kantons Zürich verwahrt sich denn auch ausdrücklich gegen die Annahme, er bzw. die Evangelisch-reformierte Landeskirche sei für die Publikation verantwortlich. Träger des "Kirchenboten" ist der Zürcher Pfarrverein, welcher als eigene juristische Person nach Art. 60 ZGB organisiert ist. Auf der Zeitung steht denn auch ausdrücklich aufgedruckt: "Herausgeber: Reformierter Pfarrverein". Auf die Gestaltung und Ausrichtung des "Kirchenboten" kann daher ausschliesslich der Zürcher Pfarrverein Einfluss nehmen. Es handelt sich somit beim "Kirchenboten" grundsätzlich um ein privates Periodikum, das nicht offizielles Organ der Landeskirche ist. Aus der Sicht des Bürgers erscheint die Trennung zwischen der Landeskirche bzw. den Kirchgemeinden einerseits und dem "Kirchenboten" andererseits weniger eindeutig. Der Vermerk, dass der Reformierte Pfarrverein Herausgeber ist, vermag die Annahme nicht ohne weiteres zu beseitigen, dass es sich um ein mehr oder weniger offizielles Organ der Landeskirche handeln könnte. Die relativ grosse Verbreitung und der Vermerk "Kirchenbote für den Kanton Zürich" mögen diese Auffassung noch verstärken. Der Kirchenbote wird grundsätzlich durch Kollektivabonnemente allen reformierten Haushaltungen zugestellt; wer die Zustellung nicht wünscht, kann den "Kirchenboten" abbestellen. Weiter kommt dazu, dass der BGE 118 Ia 259 S. 267 "Kirchenbote" tatsächlich als offizielles Organ verwendet wird, indem zahlreiche Kirchgemeinden - entsprechend der Empfehlung in Art. 103 der Kirchenordnung - dem "Kirchenboten" ein Einlageblatt mit ihren amtlichen Verlautbarungen beifügen. Die Finanzierung erfolgt im wesentlichen über die Kirchgemeinden und durch die freiwillige Bezahlung der Abonnementsgebühr. Bei dieser Sachlage kann der "Kirchenbote" aus der Sicht des Bürgers und unter dem Gesichtswinkel des Stimmrechts nicht als rein private Zeitung betrachtet werden. Er hat vielmehr in dieser Hinsicht einen offiziösen Charakter. Und dementsprechend müssen sich die Landeskirche bzw. die Kirchgemeinden den Inhalt des "Kirchenboten" und insbesondere auch die streitigen Artikel grundsätzlich selber zurechnen lassen, weshalb deren Zulässigkeit und Einfluss auf das Wahlresultat im folgenden zu prüfen ist. Immerhin kann die juristische und journalistische Selbständigkeit des "Kirchenboten" bei der Abwägung im einzelnen mitberücksichtigt werden. d) Die Prüfung der im "Kirchenboten" erschienenen Artikel im einzelnen ergibt, dass der abgedruckte Maturanden-Vortrag des Regierungsratskandidaten Leuenberger keinerlei Hinweise auf die Wahlen enthält. Der Kandidat erschien mit einem Bild. Andere Anwärter auf einen Regierungsratssitz sind nicht vorgestellt worden. Darüber hinaus ist Moritz Leuenberger in einer redaktionellen Anmerkung als derjenige dargestellt worden, der sich für Benachteiligte einsetze, zum Beispiel als Anwalt für die Rückgabe der Marcos-Millionen an das philippinische Volk und für die Anliegen der Mieter. Auch die Ausführungen über die visionären Politiker stehen in engem Zusammenhang mit dem einzig vorgestellten Kandidaten. All dies kann nicht anders als klare Wahlempfehlung zugunsten von Moritz Leuenberger verstanden werden. Die Aufmachung und der Zeitpunkt des Erscheinens kurz vor der Regierungsratswahl lassen die Absicht des Chefredaktors erkennen, die Leser auf diesen einen Kandidaten hinzuweisen und ihn zur Wahl zu empfehlen. Nach den obigen Ausführungen muss sich die Landeskirche diese Wahlpropaganda zugunsten von Moritz Leuenberger als eigene Stellungnahme zurechnen lassen. Es ist bereits oben dargelegt worden, dass die Landeskirche des Kantons Zürich öffentlichrechtlich anerkannt ist. In ihrem eigenen Selbstverständnis stellt sie eine Volkskirche dar; sie will ihren Dienst nach ihrer eigenen Ordnung als Gesamtkirche in der Offenheit gegenüber dem ganzen Volke leisten (Art. 5 Kirchenordnung). So ist denn auch die Kirchenzugehörigkeit "volkskirchlich" umschrieben. BGE 118 Ia 259 S. 268 Als Glied der Landeskirche wird jeder evangelische Einwohner des Kantons betrachtet, der die in der Kirchenordnung umschriebenen kirchlichen Erfordernisse erfüllt und nicht ausdrücklich seinen Austritt oder seine Nichtzugehörigkeit erklärt hat ( § 8 KG , Art. 7 Kirchenordnung; JOHANNES GEORG FUCHS, Zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Schweiz, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, in: Aus der Praxis eines Kirchenjuristen, Zürich 1979, S. 125; JOHANNES GEORG FUCHS, Offenheit der Schweizerischen Volkskirchen, a.a.O., S. 146 f. und 149 f.; JOHANNES GEORG FUCHS, Kirche und Staat in demokratischer Verbindung, a.a.O., S. 302 f.). Angesichts dieser volkskirchlichen Offenheit und zusätzlich der demokratischen Ausrichtung (vgl. FUCHS, a.a.O., S. 123) erscheint eine partei-politische Stellung- und Parteinahme in einem Wahlkampf, wie sie vom Beschwerdeführer beanstandet wird, als unhaltbar. Es liegt darin ein Verstoss gegen die innere Kirchenordnung, wie sie oben dargestellt worden ist. Ein solcher stellt gleichzeitig die öffentlichrechtliche Stellung der Landeskirche in Frage. Mit der öffentlichrechtlichen Anerkennung der Landeskirche wird diese zu einer "Potenz des öffentlichen Rechts" (vgl. FUCHS, a.a.O., S. 116 und 302; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, a.a.O., S. 236). Sie ist in der Lage, erheblichen Einfluss auch hinsichtlich politischer Fragen auszuüben und damit das Stimmverhalten der Bürger zu beeinflussen bzw. das Ergebnis eines Urnenganges zu verfälschen. Aus der Sicht des Stimmrechts gebietet demnach die rechtliche Stellung der Landeskirche mindestens für Wahlen Zurückhaltung. Wie es sich mit politischen Stellungnahmen der Landeskirche oder ihrer Exponenten im Vorfeld insbesondere von Sachabstimmungen verhält, braucht nicht in grundsätzlicher Hinsicht geklärt zu werden. Besonders problematisch erscheint das kirchliche Eingreifen in den Wahlkampf im vorliegenden Fall aus dem besondern Umstand, dass die Wahl des Regierungsrates in Frage stand. Der Regierungsrat ist nämlich in vielfacher Weise direkte Aufsichtsbehörde der Landeskirche und gestaltet die Ordnung der Landeskirche - in Absprache mit den kirchlichen Gremien - wesentlich mit. So genehmigt er etwa das Verfahren bei Neuwahlen von Pfarrern ( § 16 KG ), setzt die Mitgliederzahl der Bezirkskirchenpflegen fest ( § 25 KG ), erteilt seine Zustimmung zur Besoldung von Vikaren im Falle von Urlauben und zur Besoldung bei Einstellungen im Amt ( § 41 und 47 KG ), kann Pfarrämter für besondere Dienste schaffen ( § 45 KG ), setzt die Besoldung der Pfarrer mittels Verordnung fest ( § 51 KG ) BGE 118 Ia 259 S. 269 und erlässt eine Verordnung über die Amtswohnungen der Pfarrer ( § 53 KG ). Angesichts dieser Rechtslage kann es den Staatsbürger in besonderem Masse befremden, dass die Kirche direkt und gewissermassen aus einer besonders gelagerten Interessenlage heraus in die Wahl der Aufsichtsbehörde eingreift und Propaganda betreibt. Damit erweist sich der im "Kirchenboten" erschienene und klare Wahlpropaganda betreibende Artikel unter dem Gesichtswinkel der politischen Rechte entsprechend der Auffassung des Beschwerdeführers tatsächlich als fragwürdig. Es stellt sich daher die Frage, welche Folgen daran zu knüpfen sind (vgl. oben E. 3). e) Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich in einem Punkte wesentlich von andern Stimmrechtsbeschwerden, mit denen Wahlen wegen unzulässiger Beeinflussung angefochten werden. In den meisten Fällen stehen Benachteiligungen der Bewerber (vgl. BGE 113 Ia 291 ) oder aber negative Äusserungen in Frage, mit denen einzelne Kandidaten in einem oftmals späten Zeitpunkt verunglimpft werden (vgl. BGE 117 Ia 452 , BGE 102 Ia 264 , mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall sind in keiner Weise gegenüber einzelnen Kandidaten oder Parteien negative Äusserungen gemacht, sondern ohne jeglichen Bezug auf eine bestimmte Partei einzig zugunsten von Moritz Leuenberger Wahlpropaganda betrieben worden. Ein solches Eingreifen hat bei einer Vielzahl von Bewerbern und beim grossen Bekanntheitsgrad des Kandidaten Leuenberger zum vornherein eher geringe Auswirkungen auf das Wahlergebnis. Der "Kirchenbote" mit dem streitigen Artikel ist eine gute Woche vor den Wahlen erschienen; zwischen dem Erscheinen und dem Wahlwochenende lagen zusätzlich noch der Karfreitag und der Ostermontag. Das Blatt erreichte die Leser daher in einem Zeitpunkt, in dem eine allfällige Richtigstellung im "Kirchenboten" selber, der lediglich alle zwei Wochen herausgegeben wird, nicht mehr möglich war. Der Zeitpunkt war indessen nicht so spät, dass die betroffenen Kreise nicht mehr hätten reagieren können. Zum einen hat sich der Kirchenrat mit einer Richtigstellung an die Medien gewandt, den einseitigen Artikel und die Wahlpropaganda im "Kirchenboten" bedauert und missbilligt und zusätzlich auf die Verantwortlichkeit der Herausgabe des "Kirchenboten" hingewiesen. Die Medien haben dem Vorfall sowie der Berichtigung eine grosse Publizität eingeräumt. Wie der Kantonsrat unwidersprochen ausführt, haben auch die politischen Parteien rasch und mit erheblicher Publizität reagiert. Der "Kirchenbote" ist somit nicht so spät herausgekommen, dass eine Reaktion nicht mehr möglich gewesen wäre. Angesichts dieser BGE 118 Ia 259 S. 270 Reaktionen kann der Einfluss der im "Kirchenboten" erschienenen Wahlempfehlung nicht sehr gross veranschlagt werden. Es wäre umgekehrt sogar denkbar, dass der Artikel dem Regierungsratskandidaten Leuenberger nicht nur genützt, sondern sogar geschadet haben könnte. Es ist oben ausgeführt worden, dass aus den gesamten Umständen heraus der streitige Artikel der Landeskirche zugerechnet werden muss. Trotz dieses Umstandes ist anzunehmen, dass eine Reihe von Wählern zwischen der Landeskirche und dem Pfarrverein als Herausgeber des "Kirchenboten" sowie der Redaktion des Blattes zu unterscheiden wussten; dem kommt um so grössere Bedeutung zu, weil darauf insbesondere in den Reaktionen und der Mitteilung der Landeskirche hingewiesen worden ist. Demnach kann auch unter diesem Gesichtswinkel der Einfluss des "Kirchenboten" nicht als sehr erheblich bezeichnet werden. Moritz Leuenberger (SP) erzielte 149 267 Stimmen, der erste Nichtgewählte, Ueli Maurer (SVP), 136 259, d.h. 13 008 (rund 8,7%) Stimmen weniger. Angesichts des grossen Bekanntheitsgrades Leuenbergers schon vor der Wahl und der oben angeführten Umstände kann nicht angenommen werden, diese Stimmendifferenz sei allein auf die Wahlpropaganda im "Kirchenboten" zurückzuführen. Wenig einleuchtend ist in dieser Hinsicht die Meinung des Beschwerdeführers, ohne den streitigen Artikel hätten viele Wähler statt für Moritz Leuenberger für Ueli Maurer gestimmt und diesem damit ermöglicht, den letzten der Gewählten, den parteilosen Alfred Gilgen (mit 137 797 Stimmen und einem Stimmenunterschied zu Ueli Maurer von 1538) zu schlagen. Dieser Zusammenhang zwischen den beiden Kandidaten Leuenberger und Maurer erscheint recht spekulativ und unter dem Gesichtswinkel der politischen Rechte als wenig wahrscheinlich. Gesamthaft gesehen zeigt sich somit, dass die gerügten Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit dem "Kirchenboten" den Wahlausgang nicht entscheidend beeinflusst haben. Die Möglichkeit, dass die Wahl von Moritz Leuenberger bzw. das Wahlresultat von Ueli Maurer ohne den streitigen Artikel anders ausgefallen wäre, erscheint in Anbetracht der gesamten Umstände als derart gering, dass unter diesem Gesichtswinkel eine Aufhebung des Wahlganges ausser Betracht fällt.
de
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Sachverhalt ab Seite 57 BGE 123 II 56 S. 57 Die Stadt St. Gallen erhebt auf den Eintrittspreisen für Kinoveranstaltungen die Vergnügungssteuer (Reglement der Stadt St. Gallen über die Vergnügungssteuer vom 15. Mai 1990). Sodann erhebt auch der Kanton St. Gallen auf den Billetteinnahmen eine Taxe für "regelmässige öffentliche Filmvorführungen" und die Stadt St. Gallen einen Zuschlag von 50% auf dieser Taxe (Art. 18 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 des kantonalen Gesetzes über Filmvorführungen vom 21. Mai 1976). Die Kinounternehmung X. AG und Frau A. - diese als "gelegentliche Kinobesucherin" - führen verwaltungsrechtliche Klage gegen Stadt und Kanton St. Gallen. Die Klägerinnen beantragen festzustellen, dass die von der Stadt erhobene Vergnügungssteuer und die von Kanton und Stadt erhobene Taxe für Filmvorführungen bzw. der Zuschlag darauf zufolge Gleichartigkeit mit der Mehrwertsteuer gegen Art. 41ter Abs. 2 BV verstossen. Stadt und Kanton seien zu verpflichten, diese Abgaben nicht mehr zu erheben und bereits bezogene Steuerbetreffnisse zurückzuerstatten. Das Bundesgericht tritt auf die verwaltungsrechtliche Klage nicht ein und nimmt sie auch nicht als Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder staatsrechtliche Beschwerde entgegen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Gemäss Art. 41ter Abs. 1 lit. a und b der Bundesverfassung (BV) kann der Bund ausser den ihm nach Art. 41bis zustehenden Steuern eine Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) sowie besondere Verbrauchssteuern auf Waren erheben. Umsätze, die der Bund nach diesen Vorschriften mit einer Steuer belastet oder steuerfrei erklärt, dürfen von den Kantonen und Gemeinden keiner gleichgearteten Steuer unterstellt werden ( Art. 41ter Abs. 2 BV ). Art. 2 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV, SR 641.201) konkretisiert diesen Grundsatz wie folgt: "Was diese Verordnung als Gegenstand der Mehrwertsteuer oder als steuerbefreit erklärt, ist der Belastung durch gleichgeartete Kantons- und Gemeindesteuern entzogen; Anstände, die sich aufgrund dieser Bestimmung ergeben, beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz (Art. 116 des Bundesrechtspflegegesetzes [OG])." BGE 123 II 56 S. 58 2. Gemäss Art. 116 lit. f des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, in der Fassung gemäss Gesetz vom 20. Dezember 1968 (AS 1969 767), konnten Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes über die Befreiung von kantonalen Abgaben mit verwaltungsrechtlicher Klage dem Bundesgericht als einziger Instanz unterbreitet werden. Mit Änderung der Bundesrechtspflege vom 4. Oktober 1991 (AS 1992 288) wurde indessen lit. f von Art. 116 OG mit Wirkung auf den 1. Januar 1994 aufgehoben, so dass die verwaltungsrechtliche Klage für solche Streitigkeiten nicht mehr offensteht. Das Bundesgericht hat in BGE 122 II 241 E. 2c daraus abgeleitet, dass die verwaltungsrechtliche Klage auch dann nicht mehr zulässig sei, wenn sich ein Privater über die Verletzung von Art. 41ter Abs. 2 BV und Art. 2 MWSTV (Verbot gleichgearteter kantonaler und kommunaler Steuern) beschwere; der Verweis in Art. 2 MWSTV auf die verwaltungsrechtliche Klage betreffe - sofern er nicht auf einem Versehen beruhe - seitdem nur Streitigkeiten zwischen Behörden (vgl. Art. 116 lit. a und b OG ). Nach dieser Rechtsprechung ist es aber ausgeschlossen, Entscheide über die Belastung mit angeblich gleichgearteten kantonalen Steuern mit verwaltungsrechtlicher Klage anzufechten. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen handelt es sich bei diesen Ausführungen des Bundesgerichts nicht um ein obiter dictum: Über die Frage, ob die damalige Eingabe als verwaltungsrechtliche Klage entgegenzunehmen war, musste das Bundesgericht entscheiden. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Prozessvoraussetzungen - und damit die Frage des zulässigen Rechtsmittels - von Amtes wegen und frei zu prüfen sind (vgl. BGE 122 II 241 E. 1). Was die Klägerinnen des weitern vorbringen, kann nicht zu einer Änderung dieser Rechtsprechung führen. 3. Die Klägerinnen machen geltend, bei der Mehrwertsteuerverordnung handle es sich um kompetenzgerecht erlassenes Übergangsrecht, das seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 8 ÜbBest. BV finde. Insofern besitze die Mehrwertsteuerverordnung gesetzesvertretenden Charakter. Das gelte auch für die Bestimmung über den Rechtsschutz ( Art. 2 MWSTV ). Diese Vorschrift gehe als lex specialis und lex posterior dem neuen Art. 116 OG vor. Art. 116 OG in der revidierten Fassung schliesse nach seinem Wortlaut die verwaltungsrechtliche Klage für Private nicht aus. a) Das Schwergewicht der Revision der Bundesrechtspflege von 1991 lag erklärtermassen auf Entlastungsmassnahmen zugunsten des Bundesgerichts. Eine dieser Massnahmen bestand darin, die BGE 123 II 56 S. 59 verwaltungsrechtliche Klage künftig auf jene Fälle zu beschränken, die sich für das Verfügungsverfahren nicht eignen. Das sind vor allem Verfahren über das bundesstaatliche Verhältnis, also zwischen Bund und Kantonen oder zwischen den Kantonen, für die aus Gründen der föderalistischen Rücksichtnahme der Klageweg noch beibehalten wurde (vgl. Art. 116 lit. a und b OG ). In allen anderen Fällen aus dem Bereich des Bundesverwaltungsrechts sollte zunächst auf eine Verfügung der dafür zuständigen Bundesverwaltungsbehörde hin eine Eidgenössische Rekurskommission entscheiden. Dass dies der Sinn der neuen Vorschrift in Art. 116 OG ist, ergibt sich eindeutig aus der Botschaft des Bundesrates vom 18. März 1991 (BBl 1991 II 497 Ziff. 241.3; siehe daselbst auch den Hinweis auf MARKUS METZ, Der direkte Verwaltungsprozess in der Bundesrechtspflege, Basel und Stuttgart 1980, S. 181). Diese Neuerung war bereits in der - vom Volk am 1. April 1990 verworfenen - Teilrevision der Bundesrechtspflege enthalten (Botschaft des Bundesrates vom 29. Mai 1985, BBl 1985 II 947) und gab auch damals, mit einer kleinen Ausnahme betreffend lit. b, zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass (vgl. Amtl.Bull. N 1987 376, S 1988 259). Die dem Bundesrat gemäss Art. 8 ÜbBest. BV in Sachen Mehrwertsteuer zum Erlass der Ausführungsbestimmungen eingeräumte Kompetenz kann daher nicht dahingehend verstanden werden, sie umfasse auch die Befugnis, von der vom Parlament erst kürzlich in die Bundesrechtspflege eingeführten Regelung abzuweichen. Art. 2 MWSTV selbst lässt nicht darauf schliessen, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Wenn daher Art. 2 MWSTV für Anstände, die sich aus der Anwendung dieser Bestimmung ergeben, auf den Weg der verwaltungsrechtlichen Klage verweist, so kann diese Vorschrift - insofern sie nicht auf einem Versehen beruht, was offenbleiben kann - nur dahingehend ausgelegt werden, dass es sich um Streitigkeiten zwischen Behörden handeln muss (vgl. Art. 116 lit. a und b OG ; BGE 122 II 241 E. 2c; ähnlich KUHN/SPINNLER, Mehrwertsteuer, Ergänzungsband, Bern 1994, S. 17). b) Die Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Klage lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch nicht aus den Schlussbestimmungen zur OG-Revision 1991 oder aus der Verordnung des Bundesrates vom 3. Februar 1993 über Vorinstanzen des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (SR 173.51) ableiten. Gemäss Ziff. 1 Abs. 3 lit. b der Schlussbestimmungen zur OG-Revision 1991 erlässt der Bundesrat Ausführungsbestimmungen u.a. BGE 123 II 56 S. 60 über "die Zuständigkeit für den Entscheid in den Fällen, in denen bisher das Bundesgericht oder das Eidgenössische Versicherungsgericht als einzige Instanz auf verwaltungsrechtliche Klage zu entscheiden hatte und diese Klage nach den Artikeln 116 und 130 dieses Gesetzes nicht mehr zulässig ist". In der zitierten Verordnung über die Vorinstanzen des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ist der Bundesrat diesem Auftrag nachgekommen: In jenen Fällen, wo die verwaltungsrechtliche Klage nicht mehr zulässig ist, hat er diejenige Bundesverwaltungsbehörde als zuständig erklärt, die mit dem Vollzug des in der Sache anwendbaren Erlasses betraut ist (unter Vorbehalt der Bestimmungen von Bundesgesetzen, die den Entscheid einer kantonalen Behörde übertragen, vgl. Art. 2 Abs. 1). Gegen Verfügungen solcher Bundesverwaltungsbehörden ist grundsätzlich die Beschwerde an eine eidgenössische Rekurskommission vorgesehen (vgl. Art. 3). Gemäss Art. 1 lit. g der Verordnung gilt diese Zuständigkeit namentlich auch für Fälle, wo "ein Bundesgesetz die verwaltungsrechtliche Klage in Abweichung von Art. 116 OG vorsieht". Aus dieser Regelung ist ersichtlich, dass der Bundesrat den Klageweg auf die in Art. 116 OG erwähnten Fälle beschränken wollte. Die von den Klägerinnen gezogene Schlussfolgerung, dass gerade die Verordnung über Vorinstanzen des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts die massgebliche Grundlage für die in Art. 2 MWSTV getroffene Zuständigkeitsordnung enthalte, trifft daher nicht zu. Die Verordnung ist im vorliegenden Fall, wo es um die Erhebung kantonaler bzw. kommunaler Abgaben geht, auch nicht anwendbar. Dieser Erlass regelt die Zuständigkeit für jene Fälle, wo eine Bundesverwaltungsbehörde "mit dem Vollzug des in der Sache anwendbaren Erlasses betraut" ist (vgl. Art. 2 Abs. 1). Es gibt keine Bundesbehörde, welcher der Vollzug der hier in Frage stehenden kantonalen Erlasse obliegt. c) Unbegründet sind auch die weiteren Argumente der Klägerinnen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Grundsatz der Prozessökonomie in Frage gestellt sein soll, wenn keine Bundesbehörde erstinstanzlich über die Zulässigkeit der hier in Frage stehenden kommunalen und kantonalen Abgaben befindet. Es erscheint vielmehr sinnvoll, dass zuerst die kantonalen Instanzen sich zur Zulässigkeit der in Frage stehenden Steuern unter dem Gesichtswinkel von Art. 41ter Abs. 2 BV und Art. 2 MWSTV äussern. Auf diese Weise können unnötige Prozesse vor Bundesgericht vermieden werden, was einer Zielsetzung bei der Revision der Bundesrechtspflege BGE 123 II 56 S. 61 von 1991 entspricht. Wenn zuerst die kantonalen Instanzen entscheiden, ist auch die einheitliche Rechtsprechung für das Gebiet der Schweiz nicht in Frage gestellt. Es geht vorliegend um die Frage, ob die Abgaben, welche die Stadt und der Kanton St. Gallen hier erheben, "gleichgeartete" Steuern darstellen. Für Steuern anderer Kantone stellt sich die Frage neu. 4. Es bleibt zu prüfen, ob die Eingabe der Klägerinnen die Voraussetzungen eines anderen Rechtsmittels erfüllt. a) Die Klägerinnen machen zu Recht nicht geltend, dass ihre Eingabe eventuell als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen sei. Gemäss Art. 97 OG und 5 VwVG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen, von einer der in Art. 98 OG genannten Vorinstanz ausgehen und keinem Ausschlussgrund nach Art. 99-102 OG unterliegen. Wie das Bundesgericht in BGE 122 II 241 ausführlich begründet hat, beruhen Verfügungen betreffend die Veranlagung kantonaler Steuern - in der Regel ausschliesslich - auf öffentlichem Recht der Kantone. Im vorliegenden Fall ergeben sich die streitigen Abgaben aus kantonalem und kommunalem Recht (kantonales Gesetz über Filmvorführungen vom 21. Mai 1976; Reglement der Stadt St. Gallen über die Vergnügungssteuer vom 15. Mai 1990). Auch wenn sich die Klägerinnen auf die Vorschriften der Art. 41ter Abs. 2 BV und Art. 2 MWSTV berufen, um die Unvereinbarkeit der in Frage stehenden Besteuerung mit Bundesrecht darzutun, so beruht die Besteuerung nicht auf Bundesrecht. Der Vorschrift in Art. 2 MWSTV kommt nur der Rang einer Grundsatz- oder Rahmenbestimmung zu. Sie bildet aber nicht unmittelbar anwendbares Bundesverwaltungsrecht in dem Sinne, dass eine letztinstanzliche kantonale Verfügung über die Besteuerung sich in dieser Hinsicht auf öffentliches Recht des Bundes stützt oder stützten müsste ( Art. 5 VwVG ). b) Eine Verletzung der Art. 41ter Abs. 2 BV und Art. 2 MWSTV kann folglich nur mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes des Vorrangs des Bundesrechts, der in Art. 2 ÜbBest. BV verankert ist und dem Bürger ein direkt mit staatsrechtlicher Beschwerde durchsetzbares verfassungsmässiges Recht einräumt, geltend gemacht werden ( BGE 122 II 241 E. 2a und b). Diese ist gegenüber den anderen Rechtsmitteln an das Bundesgericht subsidiär, das heisst sie kommt dann zum Zug, wenn kein anderes Rechtsmittel gegeben ist. Sie setzt jedoch voraus, dass von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist ( Art. 86 Abs. 1 BGE 123 II 56 S. 62 OG ). An dieser Voraussetzung fehlt es hier, weshalb die Eingabe der Klägerinnen auch nicht als staatsrechtliche Beschwerde entgegengenommen werden kann. c) Geht es nicht um unmittelbar anwendbares Verwaltungsrecht des Bundes, so kommt entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch eine Rückweisung der Sache an eine "geeignete erstinstanzliche Bundesstelle" nicht in Frage; das drängt sich schon deshalb nicht auf, weil gegen die Verfügung der letzten kantonalen Instanz das subsidiäre Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde offensteht. Ebenso erübrigt sich der Meinungsaustausch mit dem Bundesrat über die Schaffung einer solchen "Bundesstelle".
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Sachverhalt ab Seite 63 BGE 101 IV 62 S. 63 A.- T. stand unter dem Verdacht, widerrechtlich konzessionspflichtige radioelektrische Sende- und Empfangseinrichtungen zur Lautübertragung betrieben zu haben. Tatsächlich hatte er, wie sich später ergab, dies seit November 1971 wiederholt getan. Am 16. Juni 1972 wollten die Beamten N. und B. im Auftrag der Generaldirektion PTT am Wohnort T.'s eine sog. Installationskontrolle durchführen, zu der sie den Kantonspolizisten Z. beizogen, da T. bei früheren Ermittlungen erhebliche Schwierigkeiten bereitet hatte. Sie wiesen sich gegenüber T.'s Mutter aus, worauf diese sie in die Wohnung eintreten liess und ihrem Sohn rief, es seien zwei Herren von der PTT und die Polizei da. Als T. nach einiger Zeit widerwillig erschien, fragte er die Beamten, was sie wollten, und bemerkte, nachdem sie ihm von ihrem Auftrag Kenntnis gegeben hatten, sie sollten verschwinden, ansonst er die Polizei benachrichtigen werde. Z. erwiderte, diese sei schon anwesend. Obschon sich alle drei bereits ausgewiesen hatten, verlangte T., nochmals den Ausweis des Z. zu sehen, worauf dieser ihn dem T. vor die Augen hielt. T. verlangte, den Ausweis in die Hand nehmen zu können, was der Polizist unter Hinweis auf einen entsprechenden Dienstbefehl verweigerte. T. begehrte daraufhin den Dienstbefehl zu sehen, was Z. zur Bemerkung veranlasste, er solle sich anständig benehmen. Darauf entriss ihm T. den Ausweis. Als Z. versuchte wieder in dessen Besitz zu gelangen, schlug T. um sich und versetzte dem Polizisten einen Fusstritt in den Unterleib. Mit Hilfe der beiden PTT-Beamten konnte T. schliesslich festgehalten und ihm der Ausweis weggenommen werden. Z. versuchte dann polizeiliche Verstärkung anzufordern. Obschon ihm Vater T. erlaubt hatte, das Telephon zu benutzen, hinderte der Sohn T. ihn daran und schlug wieder zu, ohne indessen zu treffen. Als Z. ihn aufforderte, mit auf den Polizeiposten zu kommen, und ihn am Arm fasste, setzte sich T. erneut zur Wehr und beruhigte sich erst, nachdem die von der Nachbarwohnung aus angeforderte polizeiliche Verstärkung eingetroffen war. Die beabsichtigte Kontrolle konnte dann durchgeführt werden. BGE 101 IV 62 S. 64 B.- Das Bezirksgericht Bülach verurteilte T. am 20. Dezember 1973 wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte ( Art. 285 Ziff. 1 StGB ) sowie wegen wiederholter und fortgesetzter Widerhandlung gegen Art. 42 Abs. 1 lit. a des BG betr. den Telegraphen- und Telephonverkehr vom 14. Oktober 1922 (TVG) zu 21 Tagen Gefängnis. Am 10. September 1974 bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich den erstinstanzlichen Entscheid. C.- T. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung von der Anklage der Gewalt und Drohung gegen Beamte an die Vorinstanz zurückzuweisen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Hinsichtlich der Anklage der Gewalt gegen Beamte ist unbestritten, dass die von den PTT-Beamten und dem beigezogenen Polizisten beabsichtigte Installationskontrolle eine rechtmässige Amtshandlung war und dass alle drei Beamten, insbesondere auch der Polizist befugt waren, sie vorzunehmen. Der Beschwerdeführer bestreitet einzig, Gewalt angewendet bzw. den Polizisten tätlich angegriffen und vorsätzlich gehandelt zu haben. a) Die Gewaltanwendung stellt T. mit der Begründung in Abrede, es fehlten Anhaltspunkte dafür, dass das Entreissen des Ausweises mit irgendwelcher Gewalt geschehen sei. Damit beschränkt er den dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt in unzulässiger Weise. Die Vorinstanz hat die Gewaltanwendung darin gesehen, dass der Beschwerdeführer auf den Polizisten einschlug und ihm einen Fusstritt in den Unterleib versetzte, als dieser ihn festhielt und versuchte, den ihm entrissenen Ausweis wieder an sich zu nehmen. Inwiefern das Obergericht bei diesem allein massgeblichen Sachverhalt den Begriff der Gewalt im Sinne des Art. 285 Ziff. 1 StGB verkannt haben sollte, legt T. nicht dar. b) Der Beschwerdeführer wendet sodann ein, er habe den Polizisten nicht angegriffen; ein Angriff setze voraus, dass der körperliche Kontakt vom Täter ausgehe. Das treffe hier nicht zu. Der Polizist habe ihn zuvor festgehalten, womit der körperliche Kontakt hergestellt gewesen sei. BGE 101 IV 62 S. 65 Das Obergericht hat den Beschwerdeführer wegen gewalttätiger Hinderung einer Amtshandlung schuldig gesprochen und bloss subsidiär angenommen, er wäre auch bei Verneinung dieses Tatbestandes zu bestrafen, weil er den Polizisten während einer Amtshandlung tätlich angegriffen habe. Wie dargetan, hält das vorinstanzliche Urteil im Hauptpunkt stand, soweit es überhaupt zu überprüfen war. Ein dem Obergericht in der Eventualbegründung unterlaufener Irrtum würde deshalb dem Beschwerdeführer nicht helfen. Im übrigen wäre ihm entgegenzuhalten, dass Art. 285 Ziff. 1 StGB nicht bloss von Angreifen, sondern von tätlichem Angreifen spricht. Verb und Adjektiv sind dabei als Einheit zu verstehen. Ein solcher Angriff aber ist entgegen der Meinung des Beschwerdeführers durchaus denkbar, auch wenn bereits vor dem tätlichen Angriff ein körperlicher Kontakt zwischen dem Angreifer und dem Angegriffenen bestanden hat; denn nicht jeder körperliche Kontakt schliesst einen tätlichen Angriff ein. Wäre dem anders, dann müsste immer dann, wenn die Polizei in Ausübung einer amtlichen Verrichtung gegenüber einem Widerspenstigen physische Gewalt anwendet (z.B. Festhalten beim Abführen auf den Polizeiposten; zwangsweises Räumen eines Wirtshauses zur Polizeistunde: ZBJV 88 S. 87, SJZ 59 S. 42 f.) und der Festgehaltene plötzlich auf die Polizeibeamten einzuschlagen beginnt, ein solcher Angriff verneint werden, weil die Beamten zuvor notwendigerweise mit dem Täter in körperlichen Kontakt gekommen waren. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein. Entscheidend ist einzig, dass der Täter als erster gegen den Beamten während einer Amtshandlung tätlich wird. c) Weiter wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht vor, zu Unrecht den Vorsatz bejaht zu haben. Es sei unbestritten, dass er keinen Anlass gehabt habe, die Installationskontrolle zu verhindern oder zu verzögern. Diese sei schliesslich von ihm gestattet worden und erfolglos verlaufen. Zudem halte das Obergericht dafür, dass die Auseinandersetzung auf eine Kleinigkeit, nämlich die Weigerung des Polizisten, den Ausweis aus der Hand zu geben, zurückzuführen sei. Daraus ziehe es jedoch den unzutreffenden Schluss, dass diese Umstände unerheblich seien, weil auf das Motiv nichts ankomme; es verkenne, dass mit dem Motiv auch der Vorsatz entfalle und dass er deswegen hätte freigesprochen werden müssen. Die Behauptung, es sei "unbestritten", dass er keinen BGE 101 IV 62 S. 66 Anlass gehabt habe, die Kontrolle zu verhindern oder zu verzögern, ist schon deswegen nicht zu hören, weil sie dem Obergericht nicht vorgetragen wurde und dieses deshalb mit keinem Wort dazu Stellung bezogen hat. Es geht daher nicht an, das heutige Vorbringen als unbestritten zu bezeichnen. Sodann verwechselt der Beschwerdeführer Handlungsmotiv und Handlungsentschluss ( BGE 100 IV 181 ). Der von Art. 285 Ziff. 1 StGB geforderte Handlungsentschluss (Vorsatz) erschöpft sich im Wissen des Täters, dass er durch die Gewaltanwendung oder Drohung gegenüber einer Person, von der er weiss, dass sie in amtlicher Eigenschaft auftritt, eine Amtshandlung tatsächlich bzw. möglicherweise hindert, und im Wollen oder Inkaufnehmen dieses Erfolges. Ein bestimmter Beweggrund ist nicht Tatbestandserfordernis. Dieser kann denn auch ausserhalb des Vorsatzes liegen (z.B. Schikane, Rache, Verheimlichen bestimmter Tatsachen usw.) und wurde deshalb von der Vorinstanz mit Recht als unerheblich bezeichnet (LOGOZ, N 3 C zu Art. 285). Anders wäre es nur, wenn Art. 285 Ziff. 1 StGB ein Absichtsdelikt wäre (HAFTER, AT S. 118, III 1; SCHWANDER, S. 92), was jedoch nicht zutrifft. Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichtes hat T. die amtliche Eigenschaft der drei Beamten und ihren Auftrag gekannt. Auch hat er gewusst, dass die gewalttätige Widersetzlichkeit eine Hinderung der Amtshandlung zur Folge haben könnte, und dies in Kauf genommen. Dass er eine Amtshandlung nicht verhindern wollte, ist unbehelflich, weil ein Verhindern nicht Tatbestandsmerkmal ist ( BGE 71 IV 101 , BGE 90 IV 139 ). Das Obergericht hat somit den Vorsatz zu Recht bejaht.
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Sachverhalt ab Seite 428 BGE 117 IV 427 S. 428 Am 22. Juni 1990 beraubten I. und G. den S. in dessen Wohnung in Zürich. I. nahm den S. in den "Schwitzkasten" und drohte, wenn er nicht ruhig sei, "kriege er bald keine Luft mehr". Gleichzeitig hielt er ihm ein Messer an die Kehle. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach die Täter unter anderem des qualifizierten Raubes im Sinne von Art. 139 Ziff. 3 StGB (In-Lebensgefahr-Bringen des Opfers) schuldig. Das Bundesgericht weist eine gegen diesen Schuldspruch gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des I. ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. b) aa) Gemäss Art. 139 Ziff. 3 StGB ist die Strafe unter anderem dann Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, wenn der Täter das Opfer in Lebensgefahr bringt. Erforderlich ist eine naheliegende, konkrete, eine unmittelbare, akute, eine hochgradige Lebensgefahr. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, bestimmt sich nach objektiven Kriterien, und es ist unerheblich, inwieweit der Täter seine Drohung auch verwirklichen würde. In subjektiver Hinsicht muss er aber erkennen, dass er das Opfer mit seinem Vorgehen in Lebensgefahr bringt. Sein Vorsatz muss sich also auf die Verwirklichung der Todesgefahr richten. Dabei genügt Eventualvorsatz ( BGE 117 IV 426 E. d). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann der Einsatz einer Stichwaffe geeignet sein, eine solche Lebensgefahr zu schaffen, wenn beispielsweise ein Dolch mit einer scharfen Spitze in einem Abstand von einigen Zentimetern gegen den Hals oder quer dazu gehalten wird und deshalb die Gefahr besteht, dass wegen eines Handgemenges oder einer geringfügigen Bewegung des Opfers oder des Täters eine lebensgefährliche Verletzung eintritt (vgl. BGE 114 IV 9 ff.). BGE 117 IV 427 S. 429 bb) Die Vorinstanz ging davon aus, bei einem Raub lasse sich das Geschehen, namentlich wenn es zu einem Gerangel zwischen Tätern und Opfer komme, nicht kontrollieren; auch wenn im vorliegenden Fall nur die stumpfe Seite der Schneide gegen die Kehle des Opfers gerichtet gewesen sei, habe es lediglich einer Reflexbewegung eines Beteiligten bedurft, "um das Messer bzw. die Klinge mit der Spitze in den Hals eindringen zu lassen und dabei die Schlagader des Opfers zu verletzen"; zudem habe der Geschädigte im Schlafzimmer "kaum ausreichend Luft zum Atmen" gehabt; es liege auf der Hand, dass in einer solchen Situation mit "dem Eindringen der Klinge in die Kehle bei einer Reflexbewegung" zu rechnen gewesen sei. In Anwendung der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Lebensgefahr ist im vorliegenden Fall der Schuldspruch gemäss Art. 139 Ziff. 3 StGB nicht zu beanstanden. Lebensgefahr bestand ganz klar insbesondere in der letzten Phase des Geschehens, als der Geschädigte nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz "kaum ausreichend Luft zum Atmen" hatte und ihm der Beschwerdeführer erneut das Messer an die Kehle hielt; dass eine solche Situation für einen um Luft Ringenden unmittelbar und hochgradig lebensgefährlich ist, kann im Ernst nicht bezweifelt werden. Gegen diese Betrachtungsweise vermag die Beschwerde denn auch nichts vorzubringen. In subjektiver Hinsicht ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die durch sein Verhalten eingetretene Lebensgefahr für das Opfer erkannte. Folglich sprach ihn die Vorinstanz zu Recht wegen lebensgefährlichen Raubes im Sinne von Art. 139 Ziff. 3 StGB schuldig.
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Sachverhalt ab Seite 10 BGE 122 III 10 S. 10 A.- Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 24. November 1971 verkaufte Willy Schuchter der Ulrich Steinemann AG ein Grundstück, welches Teil eines zur gewerblichen Nutzung vorgesehenen Geländes bildet, das zwei weitere Parzellen umfasst, wovon eine immer noch im Eigentum des Verkäufers steht. Im Kaufvertrag wurde unter der Überschrift "Industriegeleise" festgehalten: "Die Käuferin hat Kenntnis vom Situationsplan 1:1000 des Architekturbüros W. Schuchter und vom Projektplan Nr. 71.38.25.3 des Ingenieurbüros Zähner + Wenk vom Juni/Juli 1971 für die Erstellung einer Industriegeleiseanlage sowie vom Schreiben der Kreisdirektion III SBB an Willy Schuchter vom 9. Juli 1971. Die Anlage besteht aus einem Stammgeleise als gemeinsame Verbindung zur Station St. Gallen-Winkeln und einem parallel dazu verlaufenden Anschlussgeleise mit den erforderlichen Weichen und Verbindungsstücken für den individuellen Anschluss der Anlieger. BGE 122 III 10 S. 11 Die Käuferin verpflichtet sich, auf erstes Verlangen eines Hinterliegers das Stammgeleise auf ihrem Teilstück in eigenen Kosten projektgemäss auszuführen und dasselbe zur Mitbenützung durch die Hinterlieger freizugeben. Verzinsung, Amortisation und Unterhalt der Stammgeleiseanlage sind jährlich nach Massgabe der Jahresachskilometer zwischen den Beteiligten aufzuteilen. ... Erstellung, Verzinsung, Amortisation und Unterhalt des Anschlussgeleises mit den erforderlichen Weichen und Verbindungsstücken gehen vollständig zulasten der betreffenden Anschliesser. Der Bau und die Benützung der Stammgeleiseanlage ist durch die Begründung einer Dienstbarkeit zugunsten aller Beteiligten sicherzustellen. Überdies verpflichtet sich die Käuferin, die sich aus diesen Abmachungen ergebenden Verpflichtungen ihren allfälligen Rechtsnachfolgern zu überbinden." Im Dienstbarkeitsvertrag vom 24. November 1971, aufgrund dessen entsprechende Dienstbarkeiten im Grundbuch eingetragen wurden, räumten sich die Eigentümer der betroffenen Grundstücke soweit nötig das Recht ein, die Geleiseanlage mitzubenützen, und legten - in Übereinstimmung mit den Abmachungen des Kaufvertrags - die Einzelheiten der Ausübung der Dienstbarkeit fest. In diesem Zusammenhang wurde namentlich festgehalten, die Eigentümer der belasteten Grundstücke verpflichteten sich, auf erstes Verlangen eines Hinterliegers das Stammgeleise auf eigene Kosten zu erstellen. B.- Nachdem rund achtzehn Jahre vergangen waren, berief sich Willy Schuchter mit Brief vom 12. März 1990 gegenüber der Ulrich Steinemann AG unter Hinweis auf den Kaufvertrag vom 24. November 1971 auf sein Recht, die Erstellung des Stammgeleises zu verlangen, das er jetzt auszuüben erklärte. Die Ulrich Steinemann AG anerkannte in ihrem Antwortschreiben vom 4. April 1990 grundsätzlich den Anspruch Schuchters, machte die Erstellung des Stammgeleises aber von dessen Beteiligung an den Kosten abhängig, die eine damit nötig werdende Gewässersanierung auf ihrem Grundstück mit sich bringe. An diesem von der Gegenseite abgelehnten Standpunkt hielt sie in der Folge fest, was dazu führte, dass die von Willy Schuchter für die Erstellung der Geleiseanlage eingereichten Baugesuche vorläufig erfolglos blieben. Am 30. September 1992 erhob Willy Schuchter beim Bezirksgericht St. Gallen Klage gegen die Ulrich Steinemann AG. Mit den Rechtsbegehren verlangte der Kläger im wesentlichen, die Beklagte sei zur Erstellung der Geleiseanlage auf ihrem Grundstück auf eigene Kosten sowie zur Unterzeichnung der Baugesuche zu verpflichten. Die Beklagte widersetzte sich der Klage unter BGE 122 III 10 S. 12 anderem mit der Begründung, der Erfüllungsanspruch des Klägers sei gemäss Art. 127 OR verjährt. Mit Urteil vom 19. August 1993 hiess das Bezirksgericht die Klage vollumfänglich gut. Die Beklagte reichte beim Kantonsgericht St. Gallen Berufung ein, mit der sie lediglich noch die Verjährungseinrede erhob. Das Kantonsgericht verwarf die Einrede und verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 9. November 1994 in teilweiser Gutheissung der Klage, die Geleiseanlage auf ihrem Grundstück nach erfolgter rechtskräftiger Baubewilligung auf eigene Kosten unverzüglich zu erstellen sowie die Baugesuche zu unterzeichnen und alle Handlungen vorzunehmen, die für den Fortgang des Baubewilligungsverfahrens notwendig seien. C.- Mit ihrer Berufung beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie macht auch im bundesgerichtlichen Verfahren geltend, die Forderung des Klägers sei verjährt, weil sie der zehnjährigen Verjährungsfrist von Art. 127 OR unterliege, die mit Abschluss des Kaufvertrags vom 24. November 1971 zu laufen begonnen habe und unbenutzt verstrichen sei. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut Erwägungen Aus folgenden Erwägungen: 1. Die Vorinstanz hat die Frage geprüft, ob die Forderung des Klägers nicht verjähre, weil sie als nebensächliche Leistungspflicht im Sinne von Art. 730 Abs. 2 ZGB aufzufassen sei, welche wie die Grunddienstbarkeit selbst nicht verjähren könne (vgl. zur Unverjährbarkeit von Grunddienstbarkeiten: LIVER, Zürcher Kommentar, N. 186 ff. zu Art. 734 ZGB ). Eine solche Pflicht zur Vornahme von Handlungen darf mit der Dienstbarkeit nur verbunden werden, wenn jene im Verhältnis zur Dienstbarkeit sowohl dem Inhalt wie dem Umfang nach von nebensächlicher Bedeutung sind. Dem Inhalt nach ist eine Handlung dann von nebensächlicher Bedeutung, wenn sie lediglich dazu dient, die Ausübung der Dienstbarkeit zu ermöglichen, zu erleichtern oder zu sichern. Dem Umfang nach ist sie es, wenn die Leistungspflicht nicht die hauptsächliche Last darstellt ( BGE 106 II 315 E. 2e S. 320; vgl. LIVER, Zürcher Kommentar, N. 194 ff. zu Art. 730 ZGB ; REY, Berner Kommentar, N. 171 ff. zu Art. 730 ZGB ). Die zweite dieser Voraussetzungen ist jedenfalls nicht gegeben, da der Bau des Stammgeleises im Vergleich zur Duldung der Benützung durch die Hinterlieger nicht als nebensächliche Last betrachtet werden kann. Dazu kommt, dass auf BGE 122 III 10 S. 13 Forderungen aus einer nebensächlichen Leistungspflicht die gewöhnlichen Verjährungsregeln anzuwenden sind. Es handelt sich um realobligatorische Forderungen, deren Erfüllung sich nach Art. 97 ff. OR richtet und für welche das Grundstück nicht haftet, weshalb sie verjährungsrechtlich ausschliesslich Art. 127 ff. OR , nicht aber Art. 807 ZGB unterstehen (LIVER, Zürcher Kommentar, N. 225 ff. zu Art. 730 ZGB ). Die Vorinstanz ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass die Forderung des Klägers den gewöhnlichen Verjährungsregeln unterliege. 2. Die kantonalen Gerichte haben die Verjährungseinrede mit unterschiedlichen Begründungen verworfen. Das Bezirksgericht ging von einem zeitlich unbefristeten Optionsvertrag aus, welcher dem Kläger aufgrund eines unverjährbaren Gestaltungsrechts die Befugnis verleihe, von der Beklagten die Erstellung des Stammgeleises zu verlangen. Die Fälligkeit der Forderung trat nach seiner Auffassung erst mit der Ausübung des Gestaltungsrechts ein. Das Kantonsgericht vertrat seinerseits die Meinung, die auf begrifflicher Unterscheidung beruhende, unter den Parteien streitige Frage, ob durch die Gestaltungserklärung eine bestehende Forderung fällig geworden sei, oder ob dadurch erst eine Forderung entstanden sei, führe zu keiner tauglichen Lösung. Es hielt im weitern fest, zwar gelte der Grundsatz, dass die Verjährung beginne, sobald die Forderung fällig oder die Fälligkeit herbeizuführen dem Gläubiger überlassen sei ( Art. 130 OR ). Im zweiten Fall sei indessen auch zu berücksichtigen, ob der Gläubiger Anlass habe, die Leistung zu verlangen. Daraus ergebe sich ein gewisser Ermessensspielraum, um im Einzelfall den Interessen von Gläubiger und Schuldner Rechnung tragen zu können. Im vorliegenden Fall zeige der Passus im Kaufvertrag, Bau und Benützung des Stammgeleises seien durch die Begründung einer Dienstbarkeit zugunsten aller Beteiligten sicherzustellen, den Willen der Parteien, den Bau ebenso wie die Benützung nicht auf zehn Jahre nach Vertragsunterzeichnung, sondern auf unbegrenzte Zeit zu sichern. Mit der komplizierten vertraglichen Regelung habe offenbar einer bei Vertragsschluss noch nicht im einzelnen bestimmbaren wirtschaftlichen Entwicklung des ganzen Industriegeländes Rechnung getragen werden sollen. Würde man in solchen Fällen Art. 130 Abs. 1 OR ohne weiteres anwenden, nähme man den Parteien die Möglichkeit, vertraglich auf solche wirtschaftlichen Entwicklungen Rücksicht nehmen zu können, da mit Vertragsschluss die Zehnjahresfrist zu laufen begänne und eine Abänderung zum voraus nicht möglich sei ( Art. 129 OR ). BGE 122 III 10 S. 14 3. Nicht geäussert haben sich die kantonalen Gerichte zur rechtlichen Einordnung der vertraglichen Abmachung, womit sich die Beklagte verpflichtet hat, auf erstes Verlangen eines Hinterliegers das Stammgeleise auf ihrem Grundstück auf eigene Kosten zu erstellen. Die Frage, welchem Vertragstypus eine solche Vereinbarung zugehört, ist zwar für den Ausgang des Verfahrens letztlich nicht von Bedeutung. Die Einordnung vermag jedoch die Interessenlage der Parteien zu verdeutlichen. Nach dem Gegenstand des Vertrages, der Verpflichtung zum Bau des Stammgeleises, würde die Einordnung beim Werkvertrag naheliegen. Gesetzliches Merkmal des Werkvertrags ist indessen die Entgeltlichkeit ( Art. 363 OR ), wobei zwischen der Leistung des Bestellers, dem Werklohn, und der Gegenleistung des Unternehmers, der Herstellung des Werkes, ein Austauschverhältnis bestehen muss. Aufgrund der vertraglichen Abmachungen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger die Beklagte für den Bau des Stammgeleises entschädigen wollte. Die Beklagte hat zwar im kantonalen Verfahren behauptet, der Verpflichtung zur Erstellung des Stammgeleises sei durch eine Herabsetzung des Grundstückkaufpreises Rechnung getragen worden. Eine entsprechende tatsächliche Feststellung fehlt jedoch im vorinstanzlichen Urteil, so dass im bundesgerichtlichen Verfahren davon ausgegangen werden muss, die Beklagte habe sich zur unentgeltlichen Erstellung des Stammgeleises verpflichtet ( Art. 63 Abs. 2 OG ). Das steht denn auch im Einklang mit den kaufvertraglichen Vereinbarungen in bezug auf die projektierte Geleiseanlage, die mit jenen im Dienstbarkeitsvertrag übereinstimmen. Daraus lässt sich die Vorstellung entnehmen, dass jeder der betroffenen Grundeigentümer das Stammgeleise auf seinem Grundstück zunächst auf eigene Kosten erstellen sollte und erst die danach mit der Stammgeleisbenützung anfallenden Aufwendungen nach einem bestimmten Verteilschlüssel auf die Grundeigentümer aufzuteilen waren. Dieser Gesichtspunkt zeigt auch die Richtung der gegenseitigen Interessen auf, die mit jenen der an einem Werkvertrag beteiligten Parteien nicht übereinstimmen. Die eigene Leistung des Klägers sollte nicht aus einem Entgelt für die Erstellung des Stammgeleises bestehen, sondern darin, dass er seinerseits das Stammgeleise auf seinem Grundstück als Teil der gesamten Geleiseanlage bauen würde. Charakteristisch für die Vertragskonstellation ist der Umstand, dass die Interessen und Leistungen der Grundeigentümer in die gleiche Richtung gehen, weil sie wenigstens teilweise einen gemeinsamen Zweck verfolgen. Neben werkvertraglichen enthält der Vertrag, der keinem BGE 122 III 10 S. 15 gesetzlichen Vertragstypus entspricht, demnach auch gesellschaftsrechtliche Bestandteile. Es handelt sich um einen werkvertragsähnlichen Innominatvertrag mit gesellschaftsrechtlichen Elementen. 4. Zu prüfen bleibt die Rechtsnatur der dem Kläger vertraglich eingeräumten Befugnis, von der Beklagten die Erstellung des Stammgeleises auf ihrem Grundstück zu verlangen. a) Ausser Betracht fällt die Annahme, diese Befugnis bilde Teil eines blossen Vorvertrags im Sinne von Art. 22 Abs. 1 OR . Nach den insoweit klaren vertraglichen Vereinbarungen der Parteien besteht die Verpflichtung der Beklagten in der unmittelbaren Erbringung der versprochenen Leistung und nicht darin, mit dem Kläger vorgängig einen Vertrag darüber abzuschliessen. b) Fraglich ist sodann, ob die Befugnis des Klägers als Optionsrecht verstanden werden kann. Ein solches Recht gibt der betreffenden Partei die Möglichkeit, durch einseitige Willenserklärung unmittelbar ein inhaltlich bereits festgelegtes Vertragsverhältnis herbeizuführen oder zu verlängern ( BGE 113 II 31 E. 2a S. 34 f. mit Zitaten). Ein optionsbelasteter Vertrag ist ein aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft (BUCHER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, N. 22 zu Art. 22 OR ; BUCHER, Die verschiedenen Bedeutungsstufen des Vorvertrages, in: Berner Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1979, S. 169 ff., S. 170). Die Geltung eines solchen Vertrages hängt von der blossen, später erfolgenden Willenserklärung einer der am Vertrag beteiligten Partei ab, ihn gelten zu lassen. Die Lehre sieht darin eine besondere Form der Potestativbedingung, die als Wollensbedingung bezeichnet wird (GAUCH/SCHLUEP, Schweiz. Obligationenrecht, Allg. Teil, Bd. II, 6. Auflage, Rz. 4099 f.; von TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, S. 257 f.; MERZ, in: Schweiz. Privatrecht, Bd. VI/1, S. 154 f.; EHRAT, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, N. 8 Vorbemerkungen zu Art. 151-157 OR ; BUCHER, Schweiz. Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Auflage, S. 507; vgl. zur deutschen Lehre: LARENZ, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Auflage, S. 494; FLUME, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band, Das Rechtsgeschäft, S. 684 ff.; MünchKomm-WESTERMANN, N. 21 ff. zu § 158 BGB). Bedingt ist ein Vertrag, wenn seine Wirksamkeit oder einzelne seiner Wirkungen von einer nach den Vorstellungen der Parteien ungewissen Tatsache abhängen, wenn die Verpflichtung des Schuldners im Grundsatz und nicht BGE 122 III 10 S. 16 bloss hinsichtlich des Erfüllungszeitpunkts noch ungewiss ist (BUCHER, Schweiz. Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Auflage, S. 507; GUHL/MERZ/KOLLER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Auflage, S. 50; VON TUHR/ESCHER, a.a.O., S. 154 f.; EHRAT, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, N. 1 Vorbemerkungen zu Art. 151-157 OR ). Steht dagegen die Vertragswirkung fest und ist bloss der Zeitpunkt noch ungewiss, in welchem die Leistung zu bewirken ist, liegt keine Bedingung vor. Weder den Feststellungen der Vorinstanz noch den Parteivorbringen ist zu entnehmen, dass die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen sind, die Erstellung der Geleiseanlage sei im Grundsatz noch ungewiss und ihre diesbezüglichen Vereinbarungen seien im erwähnten rechtlichen Sinne bedingt. Der Wortlaut des Kaufvertrags deutet in die gleiche Richtung. Dort wird auf einen Situationsplan und einen Projektplan betreffend die Erstellung der Geleiseanlage sowie ein Schreiben der Eisenbahnverwaltung Bezug genommen, das sich zu Detailfragen des Projekts äussert. Daraus kann abgeleitet werden, dass den Vereinbarungen die gemeinsame Vorstellung der Parteien zugrunde lag, die Anlage werde in näherer Zukunft verwirklicht werden. Entsprechendes ergibt sich denn auch aus dem Umstand, dass es die Parteien für nötig hielten, die Benützung der Geleiseanlage sofort durch den Eintrag von Grunddienstbarkeiten im Grundbuch zu sichern. Auch daraus kann geschlossen werden, die Parteien hätten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Erstellung der Anlage als sicher angenommen. c) Eine Suspensivbedingung mit der damit verbundenen Aufschiebung der Fälligkeit der Forderung (BUCHER, Schweiz. Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Auflage, S. 461; VON TUHR/ESCHER, a.a.O., S. 218) steht somit ausser Frage (vgl. aber E. 6 hinten). Auszugehen ist vielmehr von einer auf Abruf oder Fälligkeitskündigung gestellten unbedingten Pflicht der Beklagten, das Stammgeleise auf ihrem Grundstück auf eigene Kosten zu erstellen. Die Pflicht als solche wurde mit dem Kauf- und Dienstbarkeitsvertrag wirksam und unbedingt begründet, lediglich die Bestimmung der Fälligkeit wurde in den Willensentschluss des Klägers gestellt. 5. Ist eine Forderung auf Kündigung gestellt, so beginnt die Verjährung mit dem Tag zu laufen, auf den die Kündigung zulässig ist ( Art. 130 Abs. 2 OR ). Die Bestimmung gilt grundsätzlich für alle Forderungen, die bereits BGE 122 III 10 S. 17 bestehen und bei denen lediglich die Fälligkeit von einer einseitigen Erklärung des Gläubigers abhängt ( BGE 91 II 442 E. 5b S. 451 unten). Sie bezieht sich sowohl auf Fälligkeits- wie auf Beendigungskündigungen (BERTI, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, N. 12 zu Art. 130 OR mit Hinweisen). Forderungen, welche nach ins Belieben des Gläubigers gestellter Aufforderung zu erfüllen sind, beginnen sogleich mit ihrer Entstehung zu verjähren. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die nach dem Vertragsschluss vom 24. November 1971 beginnende zehnjährige Verjährungsfrist ( Art. 127 OR ) bereits abgelaufen war, als der Kläger die Beklagte zum Bau des Stammgeleises aufforderte. a) Aus BGE 91 II 442 ff., auf welchen die Vorinstanz Bezug nimmt, lässt sich für den hier zu beurteilenden Sachverhalt, der wesentlich anders gelagert ist, nichts Gegenteiliges ableiten. Dort ging es um den Rückerstattungsanspruch des Auftraggebers im Fall der treuhänderischen Vermögensverwaltung. Bei solchen Verträgen liegt der eigentliche Vertragszweck in der Bewahrung und Verwaltung des anvertrauten Vermögens. Typischer Vertragsinhalt ist daher die auf die Erreichung dieses Zweckes gerichtete Tätigkeit des Beauftragten und nicht dessen Verpflichtung zur Rückerstattung. Die Erstattungspflicht entsteht erst mit der Beendigung des Dauerschuldverhältnisses und ist nicht Gegenstand der vorher erfolgenden Geschäftsbesorgung. Die im vorliegenden Fall zu beurteilende Erstellungspflicht kann dagegen nicht in den Rahmen der Rückabwicklung eines Dauerschuldverhältnisses gestellt werden. Mit dem Bau des Stammgeleises wäre die schuldnerische Leistung erbracht und der Anspruch erfüllt worden. Mit einem Vertragsverhältnis, wie es in BGE 91 II 442 ff. zu beurteilen war, hat dies nichts zu tun. Damit erübrigt sich hier auch eine Auseinandersetzung mit der Kritik, die in der Literatur gegen diesen Entscheid erhoben worden ist (vgl. insbesondere SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I, S. 55 ff.). b) Durch die Bezugnahme auf BGE 91 II 442 ff. wollte die Vorinstanz allerdings vor allem ihrer Auffassung Ausdruck geben, dass im vorliegenden Fall der mutmassliche Parteiwille entscheiderheblich sein müsse, wonach die Leistungspflicht der Beklagten auf Dauer begründet werden sollte, was sich aus den Umständen und der Verknüpfung mit der Dienstbarkeit ergebe. Auch unter diesem Gesichtspunkt besteht indessen ein wesentlicher Unterschied zu den Fällen der Rückerstattung bei der treuhänderischen Vermögensverwaltung. Dort lässt sich die Beurteilung der Verjährungsfrage BGE 122 III 10 S. 18 auf den allgemeinen Grundsatz stützen, dass einem befriedigten Anspruch keine Verjährung läuft. Das zeigt sich am deutlichsten bei negativen Ansprüchen, die auf ein Unterlassen gerichtet sind, und bei positiven, die auf das Bewirken eines dauernden Zustands ausgelegt sind. Solange der vom Anspruch geforderte tatsächliche Zustand andauert, unterliegt er keiner Verjährung (SPIRO, a.a.O., S. 91 ff.; WINDSCHEID/KIPP, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 8. Auflage, S. 476). Dieser Grundsatz lässt sich zwangslos auf die treuhänderische Vermögensverwaltung anwenden, wo der nach Vertrag vorgeschriebene Zustand besteht, solange das Vermögen vertragskonform fremdverwahrt und fremdverwaltet wird. Deshalb unterliegt der Rückerstattungsanspruch während der Dauer dieses Zustandes keiner Verjährung. Demgegenüber kann im vorliegenden Fall von einem befriedigten Anspruch bis zum Abruf der Leistung keine Rede sein. Der Umstand sodann, dass im vorliegenden Fall das durch die Dienstbarkeit gesicherte Recht auf Benützung des Stammgeleises auf Dauer ausgelegt ist, macht die Erstellungspflicht nicht zu einem Dauerschuldverhältnis. Zum einen ist in Erinnerung zu rufen, dass die Geleiserstellung eine von der Dienstbarkeit unabhängige obligatorische Verpflichtung darstellt. Zum andern ist darauf hinzuweisen, dass auch auf Dauer angelegte Ansprüche verjähren können, wenn sie nicht rechtzeitig geltend gemacht werden. Verspricht beispielsweise der Schuldner, dem Gläubiger auf erstes Begehren ein Darlehen für die Dauer von zwanzig Jahren zu gewähren oder ihm für die gleiche Zeit eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, so verjährt der Anspruch des Gläubigers auf Hingabe des Geldes oder Bereitstellung der Wohnung nach zehn Jahren seit seiner Entstehung, falls in der Zwischenzeit keine Unterbrechungshandlungen im Sinne von Art. 135 OR erfolgen. Das gilt trotz des Umstandes, dass die Darlehens- oder Benützungsdauer eine längere ist. Diese Befristung kommt erst mit dem Abruf der Leistung zum Zuge und hat mit der erwähnten Verjährungsfrist nichts zu tun. Schliesslich ist festzuhalten, dass im angefochtenen Urteil tatsächliche Feststellungen fehlen, welche den Willen oder die Absicht der Parteien belegen würden, für die Ausübung des Rechts auf Erstellung des Stammgeleises eine längere als die zehnjährige Verjährungsfrist von Art. 127 OR festzusetzen. Ein solcher Wille lässt sich auch nicht aus den vertraglichen Abmachungen der Parteien ableiten, wie die Vorinstanz anzunehmen scheint. Der Umstand, dass es die Parteien für nötig hielten, die Benützung der Geleiseanlagen sofort durch den Eintrag von BGE 122 III 10 S. 19 Grunddienstbarkeiten zu sichern, deutet nicht zwingend auf einen gemeinsamen Willen hin, die zehnjährige Verjährungsfrist zu verlängern (vgl. dazu vorangehende E. 4b). Die Annahme einer nach dem mutmasslichen Parteiwillen zu füllenden Vertragslücke fällt aus diesem Grund ausser Betracht (vgl. dazu BGE 115 II 484 E. 4 S. 487 ff.). Nicht geprüft zu werden braucht zudem die Frage, ob ein Vertrag, in welchem dem Gläubiger die Befugnis eingeräumt wird, die Leistung zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der nächsten 20 oder 25 Jahre zu verlangen, vor Art. 129 OR standzuhalten vermöchte, sofern das Gesetz eine solche Möglichkeit nicht ausdrücklich vorsieht (vgl. Art. 216a OR : Vorkaufs- und Rückkaufsrecht). 6. An diesem Ergebnis würde sich auch dann nichts ändern, wenn anzunehmen wäre, es liege eine suspensive Potestativbedingung in der Form der Wollensbedingung vor. Bei Verträgen, die einer solchen Bedingung unterstehen, beginnen die vertraglichen Forderungen bereits mit Vertragsschluss zu verjähren, da es wegen der unhaltbaren Folgen nicht ins Belieben des Gläubigers gestellt sein darf, über den Verjährungsbeginn zu bestimmen (SPIRO, a.a.O., S. 69 ff.; GUHL/MERZ/KOLLER, a.a.O., S. 295; MERZ, Zur zeitlichen Begrenzung der Kaufs-, Vorkaufs- und Rückkaufsrechte, in: Ausgewählte Abhandlungen, S. 199 ff.; WINDSCHEID/KIPP, a.a.O., S. 480; anders die heutige deutsche Lehre und Rechtsprechung: BGHZ 47 Nr. 57; STAUDINGER/PETERS, N. 4 f. zu § 198 BGB; BGB-RGRK/JOHANNSEN, N. 5 zu § 198 BGB; SOERGEL/WOLF, N. 71 vor § 145 BGB: Optionsrecht). Die Interessenlage ist im übrigen dieselbe, ob der Gläubiger die bereits wirksame Forderung durch Kündigung zur Fälligkeit oder die schwebende Forderung durch Ausübung der Wollensbedingung zur Entstehung bringen kann. Entsprechend sind die beiden Tatbestände auch rechtlich gleich zu behandeln. Ein nicht befristeter vertraglicher Anspruch, der vom Eintritt einer voraussetzungslosen Wollensbedingung abhängt, verjährt deshalb im Regelfall mit Ablauf von zehn Jahren seit dem Vertragsschluss. 7. Die anwendbare Verjährungsfrist von Art. 127 OR , die unstreitig in den zehn Jahren nach Vertragsschluss nicht unterbrochen worden ist, endete im November 1981. Der Kläger wendet zwar ein, die Verjährung sei am 4. April 1990 durch Anerkennung von seiten der Beklagten unterbrochen worden. Unterbrochen werden kann indessen nur die laufende, nicht aber die bereits eingetretene Verjährung. Das gilt auch für die schuldnerseitige Unterbrechung durch Anerkennung (GAUCH, Der Werkvertrag, 3. Auflage, Rz. BGE 122 III 10 S. 20 1637). Eine spätere Anerkennung der Forderung kann daher höchstens als neue Schuldbegründung oder als Einredeverzicht Bedeutung erlangen (vgl. GAUCH, a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind jedoch hier nicht gegeben. Die Beklagte hat ihre Erklärung, den Anspruch des Klägers anzuerkennen, nicht unbedingt abgegeben, sondern ihre Leistungspflicht von der gleichzeitigen Gewässersanierung auf ihrem Grundstück mit Kostenbeteiligung des Klägers abhängig gemacht. Von einer unbedingten Schuldanerkennung oder einem unbedingten Einredeverzicht kann daher nicht die Rede sein, so dass sich die Beklagte unter den heute gegebenen Umständen erfolgreich auf die Verjährungseinrede beruft. 8. Aus diesen Gründen ist die Berufung gutzuheissen, das Urteil des Kantonsgericht St. Gallen vom 9. November 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Dem Verfahrensausgang entsprechend ist die Gerichtsgebühr dem Kläger aufzuerlegen ( Art. 156 Abs. 1 OG ). Er hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen ( Art. 159 Abs. 2 OG ).
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Sachverhalt ab Seite 271 BGE 146 V 271 S. 271 A. Die 1967 geborene A. war vom 1. April 2001 bis 31. August 2008 jeweils sechs Stunden pro Woche für den Verein X. als Haushilfe tätig. Am 29. Januar 2008 hatte sie sich unter Hinweis auf Handgelenksbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons Zürich verneinte mit Verfügung vom 19. September 2014 einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung. Die hiergegen erhobene Beschwerde der A. hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich in dem BGE 146 V 271 S. 272 Sinne gut, dass es die Sache in Aufhebung des Verwaltungsaktes zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurückwies. Daraufhin klärte die IV-Stelle die medizinische und erwerbliche Situation erneut ab und holte in diesem Rahmen namentlich ein polydisziplinäres Gutachten beim BEGAZ Begutachtungszentrum BL, Binningen, vom 17. November 2016 ein. Am 17. November 2017 erteilte sie ausserdem Kostengutsprache für eine Potenzialabklärung bei der Werkstätte Y., die vom 15. November bis 14. Dezember 2017 dauerte. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte sie mit Verfügung vom 23. Februar 2018 einen Anspruch auf ein IV-Taggeld während der Potenzialabklärung. B. In Gutheissung der dagegen eingereichten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Verwaltungsakt vom 23. Februar 2018 auf und stellte fest, A. habe für die Zeit der Potenzialabklärung bei der Werkstätte Y. Anspruch auf Taggelder der Invalidenversicherung (Entscheid vom 3. Juni 2019). C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der kantonalgerichtliche Entscheid vom 3. Juni 2019 sei aufzuheben und die Verfügung vom 23. Februar 2018 sei zu bestätigen. Zudem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu gewähren. Während A. auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichtet die Vorinstanz auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) stellt das Rechtsbegehren, die Beschwerde der IV-Stelle sei unter Aufhebung des kantonalgerichtlichen Entscheids vollumfänglich gutzuheissen. Mit Schreiben vom 28. November 2019 hat A. eine kurze Stellungnahme zur Vernehmlassung des BSV einreichen lassen. D. Der Instruktionsrichter hat der Beschwerde mit Verfügung vom 16. Oktober 2019 die aufschiebende Wirkung gewährt. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 3.1.1 Gemäss Art. 22 Abs. 1 IVG in der vorliegend geltenden, seit 1. Januar 2008 in Kraft stehenden Fassung (5. IV-Revision; AS 2007 5129) haben Versicherte während der Durchführung von BGE 146 V 271 S. 273 Eingliederungsmassnahmen nach Art. 8 Abs. 3 IVG Anspruch auf ein Taggeld, wenn sie an wenigstens drei aufeinander folgenden Tagen wegen der Massnahmen verhindert sind, einer Arbeit nachzugehen, oder in ihrer gewohnten Tätigkeit zu mindestens 50 Prozent arbeitsunfähig ( Art. 6 ATSG ) sind. Nach dem französischen Wortlaut endet die Bestimmung so: "(...) si ces mesures l'empêchent d'exercer une activité lucrative durant trois jours consécutifs au moins, ou s'il présente, dans son activité habituelle, une incapacité de travail (art. 6 LPGA) de 50 % au moins." Italienisch ist derselbe Text folgendermassen formuliert: "(...) se questi provvedimenti gli impediscono di esercitare un'attività lucrativa per almeno tre giorni consecutivi o se presenta, nella sua attività abituale, un'incapacità al lavoro (art. 6 LPGA) almeno del 50 per cento." Neben den Anspruchsberechtigten gemäss Art. 22 Abs. 1 IVG haben auch Versicherte in der erstmaligen beruflichen Ausbildung und solche, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben und noch nicht erwerbstätig gewesen sind, Anspruch auf ein Taggeld, wenn sie ihre Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise einbüssen ( Art. 22 Abs. 1 bis IVG ). Bezieht eine versicherte Person eine Rente, so wird ihr diese während der Durchführung von Integrationsmassnahmen nach Art. 14a IVG und von Massnahmen zur Wiedereingliederung nach Art. 8a IVG anstelle eines Taggeldes weiter ausgerichtet ( Art. 22 Abs. 5 bis IVG ) und zusätzlich zur Rente ein Taggeld, falls sie infolge der Durchführung einer Massnahme einen Erwerbsausfall erleidet oder das Taggeld einer anderen Versicherung verliert ( Art. 22 Abs. 5 ter IVG ). 3.1.2 Art. 23 IVG legt die Grundentschädigung fest. Gemäss Art. 23 Abs. 1 IVG in der seit 1. Januar 2008 geltenden Fassung beträgt die Grundentschädigung 80 Prozent des letzten ohne gesundheitliche Einschränkung erzielten Erwerbseinkommens, jedoch nicht mehr als 80 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes nach Art. 24 Abs. 1 IVG . Bei Massnahmen zur Wiedereingliederung nach Art. 8a IVG beträgt sie 80 Prozent des Erwerbseinkommens, das die versicherte Person unmittelbar vor Beginn der Massnahme erzielt hat, jedoch nicht mehr als 80 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes (Abs. 1 bis ). Sie beträgt 30 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes nach Art. 24 Abs. 1 IVG für Versicherte, die das 20. Altersjahr vollendet haben und ohne Invalidität nach abgeschlossener Ausbildung eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hätten (Abs. 2). Nach Art. 23 Abs. 2 bis IVG beträgt sie höchstens 30 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes BGE 146 V 271 S. 274 nach Art. 24 Abs. 1 IVG für Versicherte in der erstmaligen beruflichen Ausbildung und für Versicherte, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben und noch nicht erwerbstätig gewesen sind. Der Bundesrat setzt die Höhe der Grundentschädigung fest. Bis Ende 2007 sah Art. 23 aAbs. 1 IVG (AS 2003 3837, 3853; BBl 2001 3205) zudem vor, dass die Grundentschädigung nicht weniger als 30 Prozent und nicht mehr als 80 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes nach Art. 24 Abs. 1 IVG beträgt. Für Versicherte, die vor der Eingliederung nicht erwerbstätig waren, war gemäss dem alten, bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Art. 23 aAbs. 2 IVG eine Grundentschädigung im Umfang von 30 Prozent des Höchstbetrages des Taggeldes nach Art. 24 Abs. 1 IVG vorgesehen. Diese sogenannte Taggeld-Mindestgarantie ist im Rahmen der 5. IV-Revision weggefallen (vgl. dazu E. 6.2 hiernach). 3.2 Nach Art. 20 sexies Abs. 1 IVV (SR 831.201; in Kraft seit 1. Januar 2008) gelten Versicherte als erwerbstätig, die unmittelbar vor Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit ( Art. 6 ATSG ) eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben (lit. a) oder glaubhaft machen, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten (lit. b). Lit. b der Verordnungsbestimmung lautet in der französischen Version: "(...) peuvent rendre vraisemblable que, après la survenance de l'incapacité de travail, ils auraient entamé une activité lucrative d'une assez longue durée." Und in der italienischen Fassung: "(...) possono affermare plausibilmente che avrebbero successivamente intrapreso un'attività lucrativa di una certa durata se non fosse insorta l'incapacità al lavoro." Art. 20 sexies Abs. 2 IVV stellt den erwerbstätigen Versicherten gleich: arbeitslose Versicherte, die Anspruch auf eine Leistung der Arbeitslosenversicherung haben oder mindestens bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hatten (lit. a), und Versicherte, die nach krankheits- oder unfallbedingter Aufgabe der Erwerbstätigkeit Taggelder als Ersatzeinkommen beziehen (lit. b). 4. 4.1 Das kantonale Gericht hielt gestützt auf die Akten fest, dass die Beschwerdegegnerin durchgehend angegeben habe, sie würde im Gesundheitsfall vollzeitlich erwerbstätig sein. Per September 2008 habe sie eine Stelle im Rahmen eines 80 %-Pensums auf Provisionsbasis angenommen, diese aber im Oktober 2008 bereits wieder aufgeben müssen. Zudem habe die IV-Stelle die Versicherte im Rahmen der Invaliditätsbemessung als zu 70 % Erwerbstätige qualifiziert und die gemischte Methode angewendet. Die Verwaltung sei demnach BGE 146 V 271 S. 275 im Mai 2017 selbst davon ausgegangen, die Beschwerdegegnerin würde im Gesundheitsfall in einem 70 %-Pensum erwerbstätig sein. Wenn sie daher im Rahmen der Invaliditätsbemessung eine 70%ige Erwerbstätigkeit annehme, bei der Prüfung des Taggeldanspruchs jedoch zum Schluss gelange, die Beschwerdegegnerin wäre im Gesundheitsfall nicht erwerbstätig, so erscheine dies widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Den Akten könnten zudem keine Hinweise entnommen werden, dass die Versicherte eine Erwerbstätigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erst lange nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wieder aufgenommen hätte. Es erscheine folglich glaubhaft, dass sie im Gesundheitsfall erwerbstätig wäre, womit sie Anspruch auf IV-Taggelder während der Potenzialabklärung habe. 4.2 Die IV-Stelle wendet dagegen unter Hinweis auf die Verwaltungspraxis (Kreisschreiben des BSV über die Taggelder der Invalidenversicherung [KSTI], gültig ab 1. Januar 2017) ein, Anspruch aufdas IV-Taggeld komme nur jenen versicherten Personen zu, die unmittelbar vor ihrer Arbeitsunfähigkeit erwerbstätig gewesen seien, oder die glaubhaft machten, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten (Rz. 1003.1 f. KSTI). Der Beweis im Sinne des Glaubhaftmachens gelte als geleistet, wenn die IV-Stelle die Überzeugung gewinne, die versicherte Person hätte ohne Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen (Rz. 1003.3 KSTI). Die Vorinstanz habe richtigerweise festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Ende 2010 nicht erwerbstätig gewesen sei und deshalb glaubhaft machen müsse, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätte. Ob eine versicherte Person als ganztägig oder zeitweilig Erwerbstätige oder als Nichterwerbstätige einzustufen sei (Qualifikation), ergebe sich aus der Prüfung, was sie bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Bei der Qualifikation gehe es lediglich um eine hypothetische Annahme unter Berücksichtigung aller Kriterien des Einzelfalls. Ob die versicherte Person eine solche (Teil-)Erwerbstätigkeit dann tatsächlich aufnehme oder auch nur aufnehmen möchte, spiele für die Qualifikation keine Rolle. Bei der für den Taggeldanspruch massgebenden Erwerbstätigkeit gehe es hingegen um eine tatsächliche Anstellung mit einem effektiv erzielten Lohn. Dies zeige bereits Rz. 1003.2 KSTI, wonach für die Prüfung des BGE 146 V 271 S. 276 Taggeldanspruchs als erwerbstätig gelte, wer unmittelbar vor der Arbeitsunfähigkeit ein der AHV-Beitragspflicht unterstelltes Erwerbseinkommen erzielt habe. Diese Anstellung müsse zudem von längerer Dauer sein. Dazu verweise Rz. 1003.2 KSTI auf das Kreisschreiben des BSV über die Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art (KSBE), gültig ab 1. Januar 2014 (Stand 1. Januar 2019). Dort sei nach Rz. 2005 und 3005.1 vorausgesetzt, dass ein während mindestens sechs Monaten erzieltes, ökonomisch bedeutsames Erwerbseinkommen vorliegen müsse. Diese Ausführungen in den Kreisschreiben müssten zweifellos auch für Art. 20 sexies Abs. 1 IVV gelten. Demzufolge habe eine versicherte Person für einen Taggeldanspruch nach Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV glaubhaft zu machen, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Arbeitsstelle mit einem AHV-beitragspflichtigen Einkommen von mindestens sechs Monaten aufgenommen hätte. Weder die Vorinstanz noch die Beschwerdegegnerin würden nun aber geltend machen, dass Letztere bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Ende 2010 eine konkrete Arbeitsstelle in Aussicht gehabt hätte. Auch in den Akten gebe es keine Hinweise für die Aufnahme einer solchen konkreten Tätigkeit. Deshalb sei es rechtmässig, dass die IV-Stelle die Voraussetzungen von Art. 20 sexies IVV als nicht erfüllt erachtet und den Anspruch auf Taggelder verneint habe. 4.3 Die Beschwerdegegnerin lässt vorbringen, Kreisschreiben seien für gerichtliche Instanzen nicht verbindlich. Das KSTI verändere das Beweismass, indem nicht mehr Glaubhaftmachen, sondern überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich sein solle. Wenn der "Gesetzgeber" aber das Beweismass des Glaubhaftmachens verlange, sei es nicht zulässig, dass die Rechtsunterworfene diese materiellrechtliche Grundlage mit einem Kreisschreiben unterlaufe. Es sei richtig, dass im Rahmen der 5. IV-Revision die Taggeld-Mindestgarantie weggefallen sei. Ersetzt worden sei sie mit den Erfordernissen von Art. 20 sexies IVV . Der "Gesetzgeber" habe Personen, die glaubhaft machen würden, dass sie im Gesundheitsfall erwerbstätig wären, Anspruch auf Taggelder einräumen wollen. Dies ergebe sich aus einer wörtlichen Auslegung der Verordnungsbestimmung klar und eindeutig. Deshalb würden sich spekulative Überlegungen zum Willen des "Gesetzgebers" erübrigen. Die Versicherte sei während der Ehe erkrankt, habe aber immer angegeben, dass sie im Gesundheitsfall erwerbstätig bzw. infolge der Scheidung gezwungen wäre, einer vollen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Solche Erwerbsbiografien seien BGE 146 V 271 S. 277 für Frauen typisch. Überspannte Anforderungen an den Nachweis einer Erwerbstätigkeit würden also auf eine indirekte Frauendiskriminierung hinauslaufen. Entgegen den Ausführungen der IV-Stelle müsse die Versicherte nicht beweisen, dass sie Ende 2010 eine konkrete Arbeitsstelle in Aussicht gehabt habe. Sie habe lediglich glaubhaft zu machen, dass sie im Gesundheitsfall im Zeitraum vom 15. November bis 14. Dezember 2017 einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre. Die Vorinstanz habe anhand einer konkreten Beweiswürdigung eine Sachverhaltsfeststellung in diesem Sinn getroffen. Daran sei das Bundesgericht grundsätzlich gebunden. 4.4 Das BSV betont, dass der Gesetzgeber bei der 5. IV-Revision im Taggeldbereich die Absicht verfolgt habe, das negative Anreizsystem im Zusammenhang mit der Eingliederung zu beseitigen. Dies habe zur Aufhebung der Mindestgarantie geführt. Ein Taggeldanspruch solle gemäss Ziel dieser Revision nur noch jenen Personen zustehen, die vor der Arbeitsunfähigkeit erwerbstätig gewesen seien. Die Bestimmung von Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV sei in der Praxis auch früher schon zu extensiv ausgelegt worden. Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen sei eine blosse Absichtserklärung der versicherten Person nicht ausreichend, um die Eigenschaft als Erwerbstätige zu erlangen. Bei Nichterwerbstätigen würde dies nämlich dazu führen, dass der Taggeldbemessung ein hypothetisches Erwerbseinkommen zugrunde gelegt werden müsste. Deshalb habe die Annahme, die versicherte Person wäre ohne Gesundheitsschaden wieder erwerbstätig geworden, mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt zu sein. Der Beweis im Sinne des Glaubhaftmachens gemäss Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV gelte daher erst als erbracht, wenn die Verwaltung aufgrund der Akten die Überzeugung gewinne, die versicherte Person hätte ohne Gesundheitsschaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die nach Erfahrungssätzen indizierte Erwerbstätigkeit aufgenommen. Unter Würdigung der Akten könne im konkreten Fall festgestellt werden, dass die Versicherte unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Ende 2010 nicht erwerbstätig gewesen sei. Sie könne den Beweis im Sinne des Glaubhaftmachens nicht erbringen, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätte. Weil nicht von einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden könne, habe die IV-Stelle den BGE 146 V 271 S. 278 Taggeldanspruch aufgrund der Nichterfüllung der Kriterien von Art. 20 sexies IVV zu Recht verneint. 5. 5.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich zur Auslegung neuerer Texte, die noch auf wenig veränderte Umstände und ein kaum gewandeltes Rechtsverständnis treffen, kommt den Materialien eine besondere Bedeutung zu. Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht. Allerdings findet auch eine verfassungskonforme Auslegung ihre Grenzen im klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung ( BGE 142 V 442 E. 5.1 S. 445 mit Hinweisen). 5.2 Verordnungsrecht ist gesetzeskonform auszulegen. Es sind die gesetzgeberischen Anordnungen, Wertungen und der in der Delegationsnorm eröffnete Gestaltungsspielraum mit seinen Grenzen zu berücksichtigen ( BGE 145 V 289 E. 4.2 S. 296; BGE 144 V 327 E. 3 S. 331; BGE 142 V 466 E. 3.2 S. 471; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht kann Verordnungen des Bundesrates vorfrageweise auf ihre Gesetz- und Verfassungsmässigkeit prüfen. Bei unselbstständigen Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz eingeräumten Befugnisse gehalten hat. Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen, befindet das Gericht auch über die Verfassungsmässigkeit der unselbstständigen Verordnung. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Ermessensspielraum für die Regelung auf Verordnungsstufe eingeräumt, so ist dieser Spielraum nach Art. 190 BV (Fassung gemäss Justizreform, vormals Art. 191 BV ) für das Bundesgericht verbindlich; es darf in diesem Falle bei der Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die BGE 146 V 271 S. 279 Stelle desjenigen des Bundesrates setzen, sondern es beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig ist. Es kann dabei namentlich prüfen, ob sich eine Verordnungsbestimmung auf ernsthafte Gründe stützen lässt oder ob sie Art. 9 BV widerspricht, weil sie sinn- und zwecklos ist, rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die richtigerweise hätten getroffen werden müssen. Für die Zweckmässigkeit der angeordneten Massnahme trägt der Bundesrat die Verantwortung; es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, sich zu deren wirtschaftlichen oder politischen Sachgerechtigkeit zu äussern ( BGE 145 V 278 E. 4.1 S. 282 f.; BGE 143 V 208 E. 4 S. 212; BGE 141 V 473 E. 8.3 S. 478 mit Hinweisen). 6. 6.1 Art. 22 Abs. 1 IVG (vgl. E. 3.1.1) sieht zwei Tatbestandsvarianten vor. Nach der ersten Variante entsteht der Taggeldanspruch, wenn (arbeitsfähige) Versicherte wegen der Teilnahme an Eingliederungsmassnahmen an wenigstens drei aufeinander folgenden Tagen tatsächlich verhindert sind, einer Arbeit nachzugehen. Die zweite Variante betrifft Versicherte, die während der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen in ihrer gewohnten Tätigkeit gesundheitsbedingt zu mindestens 50 Prozent arbeitsunfähig sind oder werden (vgl. ERWIN MURER, Invalidenversicherungsgesetz [ Art. 1-27 bis IVG ], 2014, N. 30 zu Art. 22 IVG ). Der Vergleich der deutschen Version des Art. 22 Abs. 1 IVG mit den zwei weiteren Sprachfassungen zeigt auf, dass mit dem Begriff "Arbeit" ("activité lucrative"; "attività lucrativa")eine Erwerbstätigkeit gemeint ist. Die "gewohnte Tätigkeit" ("activité habituelle"; "attività abituale") bezeichnet demgegenüber nicht etwa die Tätigkeit im Aufgabenbereich gemäss Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 8 Abs. 3 ATSG , sondern ebenfalls Erwerbstätigkeit (vgl. MURER, a.a.O., N. 76 zu Art. 22 IVG ; MEYER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 3. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 22 IVG ; MICHEL VALTERIO, Loi fédérale sur l'assurance-invalidité [LAI], Commentaire, 2018, N. 9 f. zu Art. 22 IVG ). Versicherte, die im Aufgabenbereich tätig sind, haben keinen Anspruch (mehr) auf Taggelder (vgl. MURER, a.a.O., N. 37 zu Art. 22 IVG ; VALTERIO, a.a.O., N. 1 zu Art. 22 IVG ). BGE 146 V 271 S. 280 Die Erwerbstätigkeit wird in Art. 20 sexies IVV definiert: Nebst den Versicherten, die unmittelbar vor Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben (Abs. 1 lit. a), sind auch diejenigen Personen als erwerbstätig zu qualifizieren, die glaubhaft machen, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten (Abs. 1 lit. b). Der hier im Vordergrund stehende Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV , insbesondere das darin enthaltene Erfordernis der Glaubhaftmachung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von längerer Dauer, wird in allen Sprachfassungen identisch formuliert (vgl. E. 3.2 hiervor). 6.2 6.2.1 6.2.1.1 Gemäss der bundesrätlichen Botschaft vom 22. Juni 2005 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (5. IV-Revision; BBl 2005 4459 [nachfolgend: Botschaft]) sollte mit der 5. IV-Revision unter anderem eine Anpassung des IV-Taggeldsystems erfolgen, um negative Anreizwirkungen zu beseitigen. Als Besonderheit wurde namentlich die Mindestgarantie für Personen mit kleinen Einkommen und für Nichterwerbstätige erwähnt, die bisher dazu führen konnte, dass Versicherte, die ein Taggeld bezogen, finanziell besser gestellt waren als vor dem Taggeldbezug. Grundsätzlich sei der Zweck des IV-Taggeldes nun auf einen Ersatz für effektives Einkommen zu beschränken, das wegen der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen nicht erzielt werden könne (BBl 2005 4537 Ziff. 1.6.2.1 "Anpassung des IV-Taggeldsystems"). Die Aufhebung der Mindestgarantie habe zur Folge, dass Nichterwerbstätige in Zukunft während der Teilnahme an Eingliederungsmassnahmen kein IV-Taggeld mehr beanspruchen könnten. Die untere Grenze für die Kürzung des Taggeldes werde ebenfalls aufgehoben. Künftig sei das IV-Taggeld zu kürzen, soweit es das massgebende Erwerbseinkommen einschliesslich der gesetzlichen Kinder- und Ausbildungszulagen übersteige (BBl 2005 4538). Art. 22 Abs. 1 IVG erfuhr im Rahmen dieser Korrekturen die Präzisierung, dass ein Anspruch auf Taggelder nur dann bestehen soll, wenn Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung nach Art. 8 Abs. 3 IVG durchgeführt werden. Mit der Änderung von Art. 23 Abs. 2 IVG wurde die Aufhebung der Mindestgarantie von 30 % des Höchstbetrages des Taggeldes nach Art. 24 Abs. 1 IVG für Versicherte umgesetzt, die vor der Eingliederung nicht erwerbstätig waren (genannt werden in der Botschaft in einer beispielhaften BGE 146 V 271 S. 281 Aufzählung im Haushalt tätige Versicherte und Studierende; vgl. BBl 2005 4566 f. zu Art. 22 und 23 IVG ; vgl. E. 3.1.2, zweiter Absatz, hiervor). 6.2.1.2 Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates diskutierte über die Abschaffung des Mindesttaggeldes durch Neuformulierung von Art. 23 Abs. 2 IVG und insbesondere über die Auswirkungen auf Hausfrauen, die allenfalls mit Taggeldzahlungen zur Eingliederung in eine Erwerbstätigkeit motiviert werden könnten. Hingewiesen wurde in diesem Zusammenhang aber auch auf Art. 11a IVG , wonach die Entschädigung für Betreuungskosten einen teilweisen Ersatz für die Streichung des Mindesttaggeldes darstellen würde, obwohl es sich dabei nicht um ein Nullsummenspiel handle. Die Aufhebung des Mindesttaggeldes sei nicht nur durch die Beseitigung einer falschen Anreizwirkung begründet, sondern es sei in der neuen Bestimmung auch ein vertretbares Sparelement enthalten (Protokoll der Sitzungen vom 11., 12. und 13. Januar 2006, S. 55 ff.). Im Rahmen der Sitzungen der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates gab der damals zuständige Bundesrat zu bedenken, dass es nicht darum gehen könne, Personen, die bisher keinem Erwerb nachgegangen seien, zu entlöhnen, damit sie sich für eine Eingliederung motivieren liessen, sondern es müsse vielmehr garantiert werden, dass während der Teilnahme der Versicherten an Eingliederungsmassnahmen zum Beispiel die zusätzlichen Betreuungskosten für die Kinder übernommen würden (Protokoll der Sitzungen vom 29. und 30. Mai 2006, S. 23 ff.). Im National- als Erstrat wurde die Beseitigung von falschen Anreizen einleitend vom Kommissionssprecher als zweite Massnahme der 5. IV-Revision bezeichnet. Es solle namentlich nicht mehr vorkommen, dass die IV-Leistungen höher seien als der versicherte Lohn (AB 2006 N 318). Auch weitere Mitglieder des Nationalrates äusserten die Auffassung, dass negative Anreize im Zusammenhang mit der Eingliederung korrigiert werden müssten. Das bisherige IV-System könne zur paradoxen Situation führen, dass gesundheitlich beeinträchtigte Personen nach Eintritt der Invalidität finanziell besser dastehen würden als vorher. Das dürfe nicht sein (AB 2006 N 324 f.). In der Detailberatung wurde die Problematik einer Geschlechtsdiskriminierung von im Haushalt tätigen Frauen durch die Aufhebung der Mindestgarantie von 30 % des Höchstbetrages des Taggeldes BGE 146 V 271 S. 282 explizit angesprochen und vorgeschlagen, anstelle einer Aufhebung lediglicheine Senkung der Mindestgarantie von 30 auf 25 % vorzunehmen, was jedoch mehrheitlich abgelehnt wurde (AB 2006 N 366).Von einer Minderheit wurde eingeworfen, dass die Aufhebung derMindestgarantie auch das Gegenteil bewirken könnte, indem dieMotivation für eine Integration schwinde, wenn kein Mindesttaggeldausbezahlt werde (AB 2006 N 367). Seitens des Bundesrates wurdeim Laufe der Beratung zwar darauf hingewiesen, dass die Invalidenversicherunguniversell sei, "qui couvre aussi bien les salariés que les non-salariés" (AB 2006 N 326; vgl. auch AB 2006 S 599). Andererseits stellte er klar, dass man mit der Aufhebung des Mindesttaggeldes für Personen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, eineGleichbehandlung anstreben wolle im Vergleich zur Lösung in derArbeitslosenversicherung und in der Unfallversicherung, wo Nichterwerbstätige ebenfalls keine Leistungen erhalten würden (AB 2006N 367). Die Aufhebung der Mindestgarantie wurde in beiden Rätenmehrheitlich gutgeheissen, wobei im Ständerat als Zweitrat keine Diskussion darüber stattfand (AB 2006 N 368; AB 2006 S 607). 6.2.2 Nach Art. 86 Abs. 2 IVG ist der Bundesrat mit dem Vollzug beauftragt und erlässt die hierzu erforderlichen Verordnungen. Gestützt auf diese allgemeine Vollzugskompetenz sowie auf einzelne explizite Delegationsnormen hatte der Bundesrat am 17. Januar 1961 die IVV erlassen. Im Rahmen der 5. IV-Revision setzte er die vom Gesetzgeber vorgenommenen Korrekturen im IVG durch diverse Verordnungsanpassungen um. So wurde auch Art. 20 sexies IVV geschaffen und auf den 1. Januar 2008 in Kraft gesetzt. Der Inhalt von Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV war aber entgegen der Annahme der Beschwerdegegnerin nicht neu und er kann keineswegs als Ersatz für den Wegfall der Mindestgarantie in Art. 23 aAbs. 2 IVG (in der bis 31. Dezember 2007 in Kraft gestandenen Fassung) gelten. Die Bestimmung wurde leicht abgeändert aus dem ehemaligen Art. 21 aAbs. 1 lit. b IVV in der von 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung übernommen, der vorsah, dass Versicherte als erwerbstätig gelten, die glaubhaft machen, dass sie während der Eingliederung eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten. Als Vorbild dieses Art. 21 aAbs. 1 lit. b IVV hatte unter anderem Art. 1 Abs. 2 der Verordnung vom 24. Dezember 1959 zur Erwerbsersatzordnung (EOV; AS 1959 2143; in Kraft vom 1. Januar 1960 bis 30. Juni 2005) gedient, wonach Arbeitslose sowie Dienstleistende, die glaubhaft machen, dass sie eine Erwerbstätigkeit BGE 146 V 271 S. 283 von längerer Dauer aufgenommen hätten, wenn sie nicht in den Dienst eingerückt wären, den Erwerbstätigen gleichgestellt sind. Zudem war sie auch von der älteren Rechtsprechung beeinflusst worden, so namentlich durch das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts (heute: sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) I 493/89 vom 17. Juli 1990 E. 2c, wonach als Erwerbstätige auch Versicherte gelten, die einzig wegen ihrer Gesundheitsschädigung keine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben (vgl. MEYER/REICHMUTH, a.a.O., N. 2 zu Art. 23 IVG ). 6.3 6.3.1 In systematischer Hinsicht stellt Art. 22 IVG mit dem Titel "Anspruch" innerhalb des Kapitels VI, "Die Taggelder", die Grundnorm dar, welche die Voraussetzungen für den Anspruch auf Taggelder regelt. Die nachfolgenden Gesetzesartikel befassen sich mit der "Grundentschädigung" ( Art. 23 IVG ), dem "Kindergeld" ( Art. 23 bis IVG ), der "Höhe des Taggeldes" ( Art. 24 IVG ), dem "Abzug bei Unterkunft und Verpflegung auf Kosten der Invalidenversicherung" ( Art. 24 bis IVG ) und Art. 25 IVG regelt die auf dem Taggeld geschuldeten "Beiträge an Sozialversicherungen". Art. 23 aAbs. 2 IVG (in der bis 31. Dezember 2007 in Kraft stehenden Fassung), wonach die Grundentschädigung für Versicherte, die vor der Eingliederung nicht erwerbstätig waren, 30 % des Höchstbetrages des Taggeldes nach Art. 24 Abs. 1 IVG beträgt, wurde im Rahmen der 5. IV-Revision ersatzlos aufgehoben (vgl. zu Art. 23 aAbs. 2 IVG: E. 3.1.2 hiervor). Der systematische Aufbau der seither geltenden Gesetzesbestimmungen zeigt, dass das IV-Taggeld nur noch Ersatz für ein aktuelles, tatsächliches Einkommen der versicherten Person bilden und die Höhe - limitiert durch den Höchstbetrag des versicherten Tagesverdienstes nach dem UVG ( Art. 24 Abs. 1 IVG ) - auch auf diesem Einkommen basieren soll. Wie Art. 23 Abs. 1 IVG vorschreibt, richtet sich die Grundentschädigung nach dem letzten ohne gesundheitliche Einschränkung erzielten Erwerbseinkommen. Grundlage für die Ermittlung des Erwerbseinkommens bildet dabei das durchschnittliche Einkommen, von dem Beiträge nach dem AHVG erhoben werden (massgebendes Einkommen; Art. 23 Abs. 3 IVG ). Taggelder für Nichterwerbstätige werden in Art. 23 Abs. 2 und 2 bis IVG nur für Versicherte vorgesehen, die das 20. Altersjahr vollendet haben und ohne Invalidität nach abgeschlossener Ausbildung eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hätten, und für Versicherte, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben und noch nicht erwerbstätig BGE 146 V 271 S. 284 gewesen sind (sowie im Übrigen für solche in der erstmaligen beruflichen Ausbildung). Für die Konstellationen des Art. 23 Abs. 2 bis IVG hat der Bundesrat vom Gesetzgeber eine explizite Regelungsbefugnis in Bezug auf die Höhe der Grundentschädigung erhalten (Art. 23 Abs. 2 bis letzter Satz IVG). Bemerkenswert ist, dass die Grundentschädigung und gleichzeitig auch die entsprechende Bemessungsregel für Taggelder von Nichterwerbstätigen (Art. 23 aAbs. 2 IVG) per 31. Dezember 2007 ersatzlos aufgehoben wurden. Unter dem systematischen Aspekt darf somit nicht unberücksichtigt bleiben, dass - abgesehen von den Ausnahmekonstellationen nach Art. 22 Abs. 1 bis in Verbindung mit Art. 23 Abs. 2 und 2 bis IVG und Art. 22 Abs. 5 bis f. IVG - allein noch die Regel des Art. 23 Abs. 1 IVG in Kraft steht, die vorsieht, dass die Grundentschädigung 80 % des letzten ohne gesundheitliche Einschränkung erzielten Erwerbseinkommens beträgt. Da es bei Nichterwerbstätigen kein anrechenbares Erwerbseinkommen gibt, entfällt für diese Versicherten deshalb nach rein systematischen Gesichtspunkten ein Taggeldanspruch (gleicher Meinung: SILVIA BUCHER, Eingliederungsrecht der Invalidenversicherung, 2011, S. 462 ff. Rz. 942 ff.). 6.3.2 Im zweiten Abschnitt "Eingliederung", unter dem Titel "E. Die Taggelder" definiert die Verordnung in Art. 20 sexies IVV (neben einer entsprechenden Marginalie) die erwerbstätigen Versicherten (Abs. 1) und die den erwerbstätigen Versicherten gleichgestellten Personen (Abs. 2). In den nachfolgenden Artikeln werden die Bemessungsgrundlagen zur Ermittlung des massgebenden Einkommens geregelt ( Art. 21 IVV ); in diesem Rahmen wird präzisiert, welche Personen als Versicherte mit regelmässigem ( Art. 21 bis IVV ) bzw. unregelmässigem Einkommen gelten ( Art. 21 ter IVV ). Ausserdem enthält die Verordnung Vorgaben für die Bemessung des Taggeldes bei Selbstständigerwerbenden ( Art. 21 quater IVV ) und bei Versicherten, die gleichzeitig Arbeitnehmende und Selbstständigerwerbende sind ( Art. 21 quinquies IVV ). Der Bundesrat verzichtete darauf, Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV im Zuge der 5. IV-Revision zu überarbeiten. Er übernahm die Bestimmung mit einer marginalen Korrektur aus Art. 21 aAbs. 1 lit. b IVV (vgl. E. 6.2.2 hiervor). Hingegen hob er Art. 20 bis IVV auf den 31. Dezember 2007 ersatzlos auf. Diese Bestimmung sah vor, dass nichterwerbstätigen Versicherten, die während der Eingliederung noch in ihrem BGE 146 V 271 S. 285 Aufgabenbereich tätig sein konnten, das halbe Taggeld gewährt wurde, wenn sie mindestens zur Hälfte, jedoch zu weniger als zwei Dritteln arbeitsunfähig waren, und das ganze Taggeld, wenn sie zu mindestens zwei Dritteln arbeitsunfähig waren. Betrachtet man den Aufbau des IVG zum Taggeld nach der 5. IV-Revision (vgl. E. 6.3.1 hiervor), fällt auf, dass sich Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV , wonach Versicherte als erwerbstätig gelten, die glaubhaft machen, dass sie nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit von längerer Dauer aufgenommen hätten, nicht mehr auf eine genügende gesetzliche Grundlage stützen kann, nachdem die allgemeine Mindestgarantie für Nichterwerbstätige auf Gesetzesstufe (Art. 23 aAbs. 2 IVG) aufgehoben worden ist. Für die Bemessung des Taggeldes von Nichterwerbstätigen, die gemäss Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV als Erwerbstätige gelten, fehlt eine gesetzliche Vorgabe und eine an den Bundesrat delegierte Regelungsbefugnis ist ebenfalls nicht vorhanden (vgl. demgegenüber die ausdrückliche Delegation für Versicherte in der erstmaligen beruflichen Ausbildung und für diejenigen, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben, in Art. 23 Abs. 2 bis letzter Satz IVG). Art. 22 Abs. 6 IVG , wonach der Bundesrat bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Taggelder ausgerichtet werden für nicht aufeinanderfolgende Tage, für Abklärungs- und Wartezeiten, für Arbeitsversuche und für Unterbrüche von Eingliederungsmassnahmen wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft, fällt jedenfalls als Delegation an den Verordnungsgeber für die Bemessung der Taggelder von Nichterwerbstätigen ausser Betracht. Art. 21 Abs. 3 IVV sieht zwar vor, dass bei einer versicherten Person, die vor mehr als zwei Jahren zum letzten Mal eine Erwerbstätigkeit ohne gesundheitliche Einschränkung ausgeübt hat, auf das Erwerbseinkommen abzustellen ist, das sie durch die gleiche Tätigkeit unmittelbar vor der Eingliederung erzielt hätte, wenn sie nicht invalid geworden wäre. Abstrahiert vom Gesetz, einzig aufgrund der Systematik auf Verordnungsebene kann davon ausgegangen werden, dass diese Bemessungsgrundlage für Erwerbstätige im Sinne von Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV zur Ermittlung eines hypothetischen Erwerbseinkommens als Basis für die Festsetzung des Taggeldes beizuziehen ist. Mangels einer speziellen gesetzlichen Bemessungsregel bzw. mangels einer entsprechenden Delegation an den Verordnungsgeber muss das Taggeld für Erwerbstätige im Sinne von Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV nach Massgabe der Grundregel von Art. 23 Abs. 1 IVG berechnet werden. Da aus dem Gesetz aber für die Konstellation des Art. 20 sexies BGE 146 V 271 S. 286 Abs. 1 lit. b IVV mangels einer anderen Gesetzesgrundlage nur mehr die Regel des Art. 23 Abs. 1 IVG (letztes erzieltes Einkommen als Bemessungsgrundlage) gelten kann, ergibt sich bei einem fehlenden tatsächlich erzielten Einkommen ein Taggeldanspruch von Fr. 0.-. Für die Anwendung des Art. 21 Abs. 3 IVV und somit den Beizug eines hypothetischen (nie realisierten) Erwerbseinkommens fehlt die gesetzliche Grundlage. Das so ermittelte Erwerbseinkommen würde sich auf Fr. 0.- belaufen, da diesfalls nicht auf ein gegebenenfalls vor einer Phase der Nichterwerbstätigkeit erzieltes tatsächliches Erwerbseinkommen gemäss Art. 23 Abs. 1 IVG (letztes erzieltes Einkommen als Bemessungsgrundlage) zurückgegriffen werden könnte (vgl. dazu für Nichterwerbstätige im Allgemeinen: BUCHER, a.a.O., S. 462 Rz. 942 f.). 6.4 Sinn und Zweck des in Art. 22 f. IVG vorgesehenen Taggeldanspruchs während der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen ist seit der 5. IV-Revision einzig noch der Ersatz für ein effektives Einkommen, das infolge der Massnahmen nicht mehr erzielt werden kann. Die auf Gesetzesstufe durch Streichung des Mindesttaggeldes für Nichterwerbstätige in Art. 23 IVG vorgenommene Einschränkung des Taggeldanspruchs auf Erwerbstätige soll einerseits negative Anreizwirkungen für Personen ohne Erwerbseinkommen verhindern und andererseits zu den mit der Gesetzesrevision verfolgten Sparzielen beitragen. Das Gesetz regelt präzis umschriebene Ausnahmen vom Grundsatz (Art. 22 Abs. 1 bis in Verbindung mit Art. 23 Abs. 2 und 2 bis IVG und Art. 22 Abs. 5 bis f. IVG). Für die Taggeldbemessung von Nichterwerbstätigen enthält es abgesehen von diesen Ausnahmen weder weitere Regelungen noch eine Delegation an den Verordnungsgeber. Während das Mindesttaggeld für Nichterwerbstätige weggefallen ist, besteht nach wie vor Anspruch auf eine Entschädigung für Betreuungskosten für nicht erwerbstätige Versicherte, die an Eingliederungsmassnahmen teilnehmen und die mit Kindern unter 16 Jahren oder mit Familienangehörigen im gemeinsamen Haushalt leben ( Art. 11a IVG ). Der Gesetzgeber hat bewusst aus Spargründen darauf verzichtet, über diese Entschädigung hinaus weitere Vergütungen für Nichterwerbstätige in der Form von Taggeldern während der Teilnahme an Eingliederungsmassnahmen vorzusehen. Mit dieser neuen Regelung im IVG wird schliesslich auch eine Angleichung an Arbeitslosen- und Unfallversicherung angestrebt, indem die Taggelder hier wie dort einzig noch tatsächlich weggefallenes Erwerbseinkommen ersetzen sollen. In den BGE 146 V 271 S. 287 Verordnungsbestimmungen findet die im Rahmen der 5. IV-Revision erfolgte Aufhebung des Mindesttaggeldes für Nichterwerbstätige keinen Niederschlag. 7. Zusammenfassend ergibt sich, ausgehend vom Wortlaut des Gesetzes (E. 3.1 und 6.1 hiervor), dass Art. 22 IVG keinen Taggeldanspruch für im Aufgabenbereich tätige Personen vorsieht. Bemessungsgrundlage für das Taggeld der Anspruchsberechtigten bildet nur noch das letzte ohne gesundheitliche Einschränkung tatsächlich erzielte Erwerbseinkommen (vgl. Art. 23 Abs. 1 IVG ). Die Ausnahmen dazu werden im Gesetz präzise umschrieben ( Art. 23 Abs. 2 und 2 bis IVG ; vgl. auch Art. 22 Abs. 5 bis f. IVG). Da die Gesetzesänderung jüngeren Datums ist, kommt der Entstehungsgeschichte ein besonderes Gewicht zu. Dabei zeigen die Materialien auf, dass die Abschaffung des Mindesttaggeldes für Nichterwerbstätige gezielt erfolgte, um negative Anreize zu beseitigen und das mit der 5. IV-Revision verbundene Sparziel zu erreichen. Eine finanzielle Schlechterstellung der Nichterwerbstätigen während der Teilnahme an Eingliederungsmassnahmen wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern sogar angestrebt. Denn künftig sollte ausgeschlossen werden, dass gesundheitlich beeinträchtigte Personen nach Eintritt der Invalidität finanziell besser dastehen als vorher. Eine Minderheit des Nationalrates befürchtete im Laufe des Gesetzgebungsprozesses eine Geschlechterdiskriminierung, da von der Aufhebung des Mindesttaggeldes mehrheitlich Hausfrauen betroffen seien. Diese Bedenken bewogen die Ratsmehrheit allerdings nicht dazu, von der Streichung des Mindesttaggeldes für Nichterwerbstätige abzusehen. Hingegen wurde auf die Bestrebung zur Gleichbehandlung im Vergleich zur Taggeldlösung bei Arbeitslosen- und Unfallversicherung verwiesen (E. 6.2.1 hiervor). Der Bundesrat setzte die Aufhebung des Mindesttaggeldes für Nichterwerbstätige in der Verordnung nicht um. Art. 20 sexies IVV , der neu in die Verordnung eingefügt und im Zuge der 5. IV-Revision ebenfalls auf den 1. Januar 2008 in Kraft gesetzt worden war, erweckt auf den ersten Blick den Anschein einer (neuen) Anspruchsgrundlage für Versicherte, die ihre Tätigkeit im Aufgabenbereich verlassen und eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen (vgl. dazu: MURER, a.a.O., N. 63 zu Art. 22 IVG ). Namentlich der hier im Vordergrund stehende Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV war jedoch nicht neu, sondern wurde aus Art. 21 aAbs. 1 lit. b IVV übernommen (E. 6.2.2 hiervor). Der Verordnungsgeber übersah dabei, dass die Grundlage für diese Verordnungsbestimmung mit der Neuformulierung BGE 146 V 271 S. 288 des Art. 23 IVG im Rahmen der 5. IV-Revision weggefallen war. Für Nichterwerbstätige ist auf Gesetzesstufe kein Mindesttaggeld mehr vorgesehen. Die Verordnung stellt nicht nur Nichterwerbstätige unter bestimmten Umständen erwerbstätigen Versicherten gleich ( Art. 20 sexies Abs. 2 IVV ), sondern definiert in Art. 20 sexies Abs. 1 IVV Nichterwerbstätige, die bestimmte Anforderungen erfüllen, als Erwerbstätige. Damit unterläuft sie das Gesetz, das für Nichterwerbstätige - von den im Gesetz genannten Ausnahmen abgesehen - keine Bemessungsgrundlagen für Taggelder während der Durchführung der Eingliederungsmassnahmen mehr enthält. Die Gesetzessystematik macht deutlich, dass eine Regelung für die Bemessung des Taggeldes für Nichterwerbstätige nicht mehr existiert. Die Streichung der Grundentschädigung für Nichterwerbstätige im Rahmen der 5. IV-Revision fand in den Räten eine Mehrheit und wurde durch Anpassung des Art. 23 IVG umgesetzt (vgl. E. 6.3.1 hiervor). Allein gestützt auf die Verordnung und deren Gliederung liesse sich ein Anspruch von Nichterwerbstätigen auf Taggelder zwar herleiten. Denn mittels der Definition in Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV werden Nichterwerbstätige zu erwerbstätigen Versicherten und unter Beizug von Art. 21 Abs. 3 IVV wäre ein hypothetisches Erwerbseinkommen ermittelbar, das als Basis für die Taggeldfestsetzung dienen könnte (vgl. E. 6.3.2 hiervor). Die isolierte Anwendung dieser Verordnungsbestimmungen - ohne gesetzliche Grundlage - verbietet sich jedoch. Denn die Definition der Erwerbstätigkeit in Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV negiert den Gesetzeszweck. Dieser besteht vorrangig darin, durch Streichung des Mindesttaggeldes für Nichterwerbstätige negative Anreizwirkungen zu beseitigen und zu den mit der 5. IV-Revision anvisierten Sparzielen beizutragen (E. 6.4 hiervor). Jedenfalls für die Zeit nach Inkrafttreten der mit der 5. IV-Revision vorgenommenen Gesetzesänderungen auf den 1. Januar 2008 muss die Verordnungsbestimmung als gesetzwidrig qualifiziert werden, weil sie die dem Bundesrat delegierten Kompetenzen sprengt (vgl. dazu E. 5.2 hiervor). Mit der gesetzlich nicht abgestützten Anwendung von Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV würde nämlich nicht nur - von neuem - eine Grundentschädigung für Nichterwerbstätige, sondern sogar ein voller "Erwerbsersatz" gleichsam durch die Hintertür wieder eingeführt, nachdem der Gesetzgeber das Mindesttaggeld für Nichterwerbstätige gestrichen hat. Ein solches Verständnis widerspricht dem Auslegungsergebnis. BGE 146 V 271 S. 289 8. 8.1 Bei einer mangelnden Gesetzesgrundlage für einen Taggeldanspruch Nichterwerbstätiger erübrigen sich Erörterungen zum unter den Parteien im Fokus stehenden Thema der Beweisanforderungen an die Glaubhaftmachung im Sinne von Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV . Denn der Verordnungsbestimmung muss die Anwendung versagt bleiben. Die Beschwerdegegnerin war unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Ende 2010 nicht erwerbstätig. Sie fällt unbestrittenermassen nicht unter die Ausnahmeregelungen des Art. 23 Abs. 2 oder 2 bis IVG. Im Ergebnis ist deshalb der Beschwerdeführerin beizupflichten, dass ein Taggeldanspruch während der Potenzialabklärung vom 15. November bis 14. Dezember 2017 entfällt. 8.2 Die schweizerische Rechtsordnung kennt keine Verfassungsgerichtsbarkeit für Bundesgesetze. Diese sind laut Art. 190 BV für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend (vgl. auch BGE 143 V 9 E. 6.2 S. 15 f. mit Hinweisen; BGE 139 I 257 E. 4.1 S. 259 f.); für Art. 22 f. IVG gilt somit ein Anwendungsgebot (vgl. BGE 136 II 120 E. 3.5.1 S. 130; Pra 2017 Nr. 65 S. 633, 2C_150/2016 E. 5; Urteil 9C_659/2019 vom 15. November 2019 E. 4.2; ASTRID EPINEY, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 8 und 21 f. zu Art. 190 BV ). Soweit die Beschwerdegegnerin letztinstanzlich rügt, die Interpretation des Art. 20 sexies Abs. 1 lit. b IVV durch die IV-Stelle verstosse gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 8 Abs. 2 BV , ist darauf bereits infolge des Anwendungsgebotes von Bundesgesetzen nicht weiter einzugehen. Im Übrigen kann an den aus der Entstehungsgeschichte herauszulesenden Willen des Gesetzgebers erinnert werden, mit der Abschaffung der Taggeld-Mindestgarantie für Nichterwerbstätige in der Invalidenversicherung eine Gleichbehandlung namentlich mit der Arbeitslosen- und der Unfallversicherung zu erreichen.
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8b63e741-51fb-43a8-ab46-fd389971a3c2
Sachverhalt ab Seite 215 BGE 134 III 214 S. 215 A. Die ProLitteris (Beschwerdeführerin) ist die Schweizerische Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst, eine der konzessionierten schweizerischen Verwertungsgesellschaften im Sinne der Art. 40 ff. des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG; SR 231.1) . A. (Beschwerdegegner) ist Inhaber einer Anwaltskanzlei. B. Am 12. März 2007 reichte die Beschwerdeführerin beim Obergericht des Kantons Zürich Klage gegen den Beschwerdegegner ein mit dem Rechtsbegehren, dieser sei zu verpflichten, ihr Fr. 302.05 nebst 5 % Zins seit 4. Dezember 2006 zu bezahlen. Sie machte damit Reprographieentschädigungen gemäss Gemeinsamem Tarif 8/VI für die Jahre 2002 bis 2006 und Netzwerkentschädigungen gemäss Gemeinsamem Tarif 9/VI für die Jahre 2004 bis 2006 geltend. Mit Beschluss vom 20. November 2007 trat das Obergericht auf die Klage nicht ein. Es kam zum Schluss, die Nichtleistung einer nach Art. 20 Abs. 2 URG geschuldeten Vergütung sei nicht als unerlaubte Handlung im Sinn von Art. 25 GestG zu qualifizieren, weshalb gestützt auf Art. 3 lit. b GestG die Gerichte am Sitz des Beschwerdegegners örtlich zuständig seien. C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 7. Dezember 2007 (ergänzt am 11. Dezember 2007) beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. November 2007 sei aufzuheben und es sei auf die Klage einzutreten. Sie rügt eine Verletzung von Art. 25 GestG sowie die unrichtige Anwendung der Art. 20 Abs. 2 und Art. 45 Abs. 1 URG . Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Nach Art. 3 Abs. 1 GestG (SR 272) ist - in Übereinstimmung mit Art. 30 Abs. 2 BV - das Gericht am Wohnsitz bzw. am Sitz des Beklagten örtlich zuständig, sofern das Gesetz nicht etwas anderes vorsieht. Im Rahmen der besonderen Gerichtsstände bestimmt Art. 25 GestG , dass für Klagen aus unerlaubter Handlung das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der geschädigten Person oder der beklagten Partei oder am Handlungs- oder Erfolgsort zuständig ist. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin liegt eine unerlaubte Handlung im Sinn dieser Bestimmung vor, wenn ein Nutzer die nach Art. 20 Abs. 2 URG geschuldete Vergütung nicht bezahlt. BGE 134 III 214 S. 216 2.1 Art. 19 Abs. 1 URG erlaubt die Verwendung veröffentlichter Werke zum Eigengebrauch. Das Vervielfältigen von Werkexemplaren in Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen für die interne Information oder Dokumentation ist allerdings gestützt auf Art. 20 Abs. 2 URG vergütungspflichtig; nach Abs. 4 der Norm werden die Vergütungsansprüche von den zugelassenen Verwertungsgesellschaften geltend gemacht. Durch diese Vergütungspflicht soll die gesetzlich statuierte Beschränkung des Urheberrechts im Bereich des Eigengebrauchs ausgeglichen werden. Der Anspruch auf Zahlung der Vergütung beruht auf Gesetz; er ist nicht Folge einer unerlaubten Handlung im haftpflichtrechtlichen Sinn, lässt das Gesetz die Verwendung des Werks zum Eigengebrauch in Art. 19 URG doch ausdrücklich zu (vgl. BGE 124 III 370 E. 3b/bb S. 373). Daran ändert auch nichts, dass der Nutzer gegen Art. 20 Abs. 2 URG verstösst, wenn er seiner Vergütungspflicht nicht nachkommt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin handelt es sich bei Art. 20 Abs. 2 URG nicht um eine haftpflichtrelevante Schutznorm, da die Bestimmung nicht dem Schutz des Vermögens des Urhebers dient, sondern dem Urheber einen Anspruch auf Vergütung einräumt. Es geht vorliegend also nicht darum, einen Anspruch nach Art. 41 OR durchzusetzen. 2.2 Nach der Botschaft vom 18. November 1998 zum Gerichtsstandsgesetz ist der Begriff der unerlaubten Handlung im Sinn von Art. 25 GestG weit auszulegen; darunter sind nicht nur die klassischen Delikte nach Art. 41 ff. OR und die Tatbestände der Kausal- oder Gefährdungshaftungen, sondern alle ausservertraglichen Rechtsverletzungen zu verstehen (BBl 1999 S. 2864). Art. 25 GestG kommt allerdings selbst dann nicht zum Zug, wenn man die Nichtzahlung einer nach Art. 20 Abs. 2 URG geschuldeten Vergütung mit der Beschwerdeführerin als eine solche Rechtsverletzung ansieht. Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Klage nämlich nicht Ansprüche aus dieser Rechtsverletzung geltend, sondern will ihren gesetzlichen Anspruch auf Leistung der Vergütung durchsetzen. Das Fundament der Klage liegt mit anderen Worten nicht in der unerlaubten Handlung (vgl. auch Botschaft, a.a.O., S. 2865). Die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass sämtliche nichtvertraglichen Ausgleichsansprüche unter Art. 25 GestG fallen, findet keine Stütze in der Entstehungsgeschichte der Norm, subsumiert doch die Botschaft namentlich die Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung oder aus (echter) Geschäftsführung ohne Auftrag nicht unter den Begriff der BGE 134 III 214 S. 217 unerlaubten Handlung (Botschaft, a.a.O., S. 2865). Auch in der Lehre werden gewisse ausservertragliche Ansprüche vom Anwendungsbereich des Art. 25 GestG ausgenommen (vgl. etwa KURTH/BERNET, in: Kellerhals/von Werdt/Güngerich [Hrsg.], Gerichtsstandsgesetz, 2. Aufl. 2005, N. 6 und 20 ff. zu Art. 25 GestG ; ROMERIO, in: Müller/Wirth [Hrsg.], Gerichtsstandsgesetz, N. 34 ff. zu Art. 25 GestG ; VOCK, Besondere Gerichtsstände im Gerichtsstandsgesetz [GestG], in: Das Gerichtsstandsgesetz, La loi sur les fors, Bern 2001, S. 43). 2.3 Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung steht diese Auslegung von Art. 25 GestG der angestrebten Angleichung an die eurointernationale Ordnung nicht entgegen (vgl. dazu die Botschaft, a.a.O., S. 2863). Auch die eurointernationalen Bestimmungen verlangen nämlich als Klagefundament eine unerlaubte Handlung bzw. ein Quasidelikt. So begründet der (autonom auszulegende) Art. 5 Ziff. 3 LugÜ (SR 0.275.11) den Gerichtsstand am Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, "wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden". Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht es um Ansprüche, die eine Haftung des angeblichen Schädigers begründen würden ( BGE 133 III 282 E. 4 S. 289; BGE 125 III 346 E. 4a S. 348). Gemäss ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt der entsprechende Art. 5 Ziff. 3 EuGVÜ (bzw. EuGVVO) eine Klage voraus, mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird (Urteil des EuGH vom 20. Januar 2005 in der Rechtssache C-27/02, Engler gegen Janus Versand GmbH , Slg. 2005, I-481, Randnr. 29 mit zahlreichen Hinweisen; vgl. in diesem Zusammenhang auch SEBASTIAN KUBIS, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, Diss. Bielefeld 1999, S. 110, wonach der Tatortgerichtsstand nicht zu einem "Auffanggerichtsstand" für alle nichtvertraglichen Ansprüche und damit konturenlos werden dürfe). Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die fremdsprachigen Fassungen dieser Rechtsprechung ist unbehelflich, ergibt sich doch aus den Begriffen "responsabilité", "liability" bzw. "responsabilità" nichts anderes. 2.4 Auch aus der in Art. 45 Abs. 2 URG statuierten Pflicht der Verwertungsgesellschaften, die Verwertung nach festen Regeln und nach dem Gebot der Gleichbehandlung zu besorgen, kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten ableiten. Dass sie aufgrund von Art. 3 GestG in nahezu allen Kantonen der Schweiz klagen muss, um BGE 134 III 214 S. 218 die Vergütungsansprüche gegenüber säumigen Nutzern durchzusetzen, mag zwar dem Gebot der wirtschaftlichen Verwertung und dem Sinn und Zweck der Pauschalierung in den Gemeinsamen Tarifen zuwiderlaufen. Dies lässt sich aber nur durch die Einführung eines speziellen Gerichtsstands am Sitz der Verwertungsgesellschaft verhindern. Eine örtliche Zuständigkeit gestützt auf Art. 25 GestG lässt sich damit nicht begründen. Weiter ist nicht ersichtlich, wieso es den Verwertungsgesellschaften unmöglich sein soll, die Verwertung nach dem Gebot der Gleichbehandlung zu besorgen, wenn sie die Klage auf Leistung der Vergütung am Wohnsitz des jeweiligen Beklagten einreichen müssen. 2.5 Das Obergericht hat nach dem Gesagten kein Bundesrecht verletzt, als es auf die Klage der Beschwerdeführerin mangels örtlicher Zuständigkeit nicht eintrat.
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Sachverhalt ab Seite 347 BGE 125 III 346 S. 347 A.- Der Kläger beriet im Jahre 1982 als deren Verwaltungsrat die Bank X. in Zusammenhang mit einem italienischen Rechtshilfebegehren um Einzahlungen zu Gunsten des Beklagten, korrespondierte in der Angelegenheit mit der Bezirksanwaltschaft Zürich und sagte vor ihr als Zeuge aus. Der Beklagte erachtete sich dadurch als rechtswidrig geschädigt und machte erstmals im Jahre 1990 dem Kläger gegenüber An- sprüche im Betrage von US$ 150 Mio. geltend. In den Jahren 1992-1996 betrieb er ihn jeweils über rund Fr. 195 Mio. B.- Am 29. November 1995 belangte der Kläger den Beklagten vor Bezirksgericht Meilen mit folgenden Rechtsbegehren: «Es sei festzustellen, dass der Kläger dem Beklagten nichts schuldet. Eventuell, es sei festzustellen, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger keine Forderungen aus unerlaubter Handlung hat; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Beklagten.» Mit Beschluss vom 8. August 1996 trat das Bezirksgericht Meilen auf die Klage nicht ein und überwies den Prozess an das Bezirksgericht Zürich. Dem Kläger auferlegte es die Gerichtsgebühr von Fr. 15'000.- sowie eine Parteientschädigung an den Beklagten von Fr. 26'625.-. Mit Beschluss vom 2. Dezember 1996 wies das Obergericht des Kantons Zürich einen Rekurs des Klägers ab, erhöhte die Gerichtsgebühr des erstinstanzlichen Verfahrens auf Fr. 53'351.- sowie die Parteientschädigung an den Beklagten auf Anschlussrekurs hin auf Fr. 50'000.- zuzüglich Mehrwertsteuer von Fr. 3'250.- und auferlegte dem Kläger die Verfahrenskosten vor oberer Instanz mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 18'210.- und einer Parteientschädigung von Fr. 16'600.-. Beide kantonalen Instanzen hielten dafür, die vom Kläger angestrengte negative Feststellungsklage diene der Abwehr der gegen ihn vom Beklagten geltend gemachten Ansprüche aus unerlaubter Handlung und sei daher nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ (Lugano-Übereinkommen) am Deliktsort, d.h. am Begehungsort der dem Kläger vorgeworfenen Handlungen anzubringen. Handlungsort im Sinne dieser Bestimmung aber sei nicht der Wohnsitz des Klägers in A., Bezirk Meilen, sondern dessen Geschäftssitz in der Stadt Zürich. C.- Eine Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers hiess das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 23. April 1999 teilweise gut, indem es eine Passage in den obergerichtlichen Erwägungen strich; im Übrigen wies es sie ab, soweit es darauf eintrat. BGE 125 III 346 S. 348 D.- Der Kläger hat gegen den obergerichtlichen Beschluss ebenfalls eidgenössische Berufung eingelegt. Er beantragt dem Bundesgericht, ihn aufzuheben und das Bezirksgericht Meilen anzuweisen, auf die Klage einzutreten, eventuell die Sache zur Ergänzung des Tatbestandes an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit da-rauf einzutreten sei. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. Vorbehältlich der vom Kläger rechtsirrtümlich aus Art. 85a SchKG , Art. 2 oder Art. 16 Ziff. 5 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ; SR 0.275.11) beanspruchten Zuständigkeit ist zu Recht unstreitig, dass sie sich für die Beurteilung der vorliegenden Klage internationalprozessrechtlich aus Art. 5 Ziff. 3 LugÜ ergibt. a) Im Streit stehen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, im Sinne des autonom zu interpretierenden Art. 5 Ziff. 3 LugÜ , d.h. An- sprüche, welche eine Haftung des angeblichen Schädigers begründen würden, die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ anknüpft (KROPHOLLER, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., N. 56 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; GEIMER/SCHÜTZE, Europäisches Zivilverfahrensrecht, N. 147 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, EuGVÜ, N. 16 zu Art. 5 EuGVÜ). Sie können beim Gericht des Ortes eingeklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist ( Art. 5 Ziff. 3 LugÜ ). Deliktsort in diesem Sinne sind sowohl der Handlungs- wie der Erfolgsort (KROPHOLLER, a.a.O., N. 62 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 f. zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 5 EuGVÜ, je mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall streitig ist der Handlungsort. b) Art. 5 Ziff. 3 LugÜ regelt für Deliktsklagen nicht nur die internationale, sondern weitergehend die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit, bezeichnet damit unabhängig von den dazu bestehenden nationalen Vorschriften unmittelbar den massgebenden Gerichtsstand (POUDRET, Les règles de compétences de la Convention de Lugano confrontées à celles du droit fédéral, en particulier à l'article 59 de la Constitution, in: Gillard [Hrsg.], L'espace judiciaire européen, S. 57 f., 59 f.; GERHARD WALTER, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 2. Aufl., S. 166 f.; VOGEL, Grundriss des BGE 125 III 346 S. 349 Zivilprozessrechts, 5. Aufl., S. 103 Rz. 44r; DONZALLAZ, La Convention de Lugano, Volume II, S. 58 Rz. 1794; KROPHOLLER, a.a.O., N. 4 vor Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; Schlosser, EuGVÜ, N. 1 vor Art. 5; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 113 f. zu Art. 2 EuGVÜ/LugÜ). Die Klage auf Feststellung, dass der Kläger für einen vom Beklagten zum Ersatz beanspruchten Schaden nicht hafte, betrifft im Lichte von Art. 21 LugÜ denselben Anspruch wie die spiegelbildliche Klage der Gegenpartei auf Feststellung, dass der Kläger für diesen Schaden hafte ( BGE 123 III 414 E. 5; Urteil des EuGH vom 6. Dezember 1994 i.S. Tatry c. Maciej Rataj, Slg. 1994 I 5439, rezensiert in IPRax 1996 108 f.; GION JEGHER, Mit schweizerischer negativer Feststellungsklage ins europäische Forum Running, ZSR 118/1999 I S. 31 f., 34 f.). Folgerichtig ist die negative Feststellungsklage, sofern der besondere Gerichtsstand von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ gewählt wird, dort anzubringen, wo der bestrittene Anspruch nach Massgabe dieser Bestimmung auf positive Leistungsklage hin zu beurteilen wäre (DONZALLAZ, a.a.O., Volume III, S. 369 f. Rz. 5121; KROPHOLLER, a.a.O., N. 71 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 15 zu Art. 5 EuGVÜ; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 180 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ). Zwar mag zufolge der Ubiquität des Deliktsorts, welche nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ einen Gerichtsstand sowohl am Handlungs- wie am Erfolgsort begründet nicht unbedenklich erscheinen, den präsumptiven Schädiger das an sich dem Geschädigten zustehende Wahlrecht zwischen mehreren in Betracht fallenden örtlichen Zuständigkeiten ausüben zu lassen, doch ist dies jedenfalls dann unbedenklich, wenn das angerufene Gericht in besonderer Beweis- und Sachnähe zu den zu beurteilenden Handlungen steht (JEGHER, a.a.O., S. 39 f. mit weiteren Hinweisen, insb. in Fn. 38). Negative Feststellungsklage in diesem Sinne ist auch die hier zu beurteilende. Sie verfolgt nach ihrer Ausgestaltung ausschliesslich defensiv-vermögensrechtliche Ziele, will der Kläger mit seinen Begehren doch einzig festgestellt haben, dem Beklagten nichts zu schulden, jedenfalls nicht aus unerlaubter Handlung. Streitiger Anspruch ist damit allein derjenige des Beklagten auf Schadenersatz. Sein Entstehungs- oder Rechtsgrund ergibt sich aus den dem Kläger unterstellten rechtswidrigen Handlungen. Dieser Rechtsgrund aber bestimmt allein die Zuständigkeit gemäss Art. 5 Ziff. 3 LugÜ und zwar unbesehen des Motivs zum gerichtlichen Vorgehen. Die Wirkung des angestrebten Urteils, die sich wie in jedem Feststellungsprozess auf die Rechtskraft beschränkt (ROSENBERG/ BGE 125 III 346 S. 350 SCHWAB/GOTTWALD, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., S. 518), erfasst nach den gestellten Begehren unabhängig von der zufälligen Verteilung der Parteirollen nur den streitigen Anspruch des Beklagten aus den behaupteten unerlaubten Handlungen des Klägers ( BGE 105 II 229 E. 1b; BGE 123 III 414 E. 5; KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, Bern 1954, S. 81). Anders verhielte es sich, wenn der Kläger nicht den Nichtbestand der gegen ihn geltend gemachten Forderung, sondern die Widerrechtlichkeit, sie zu behaupten oder in Betreibung zu setzen festzustellen begehrt und so Schutz vor Rechtsgefährdung im Persönlichkeitsbereich angestrebt hätte (KUMMER, a.a.O., S. 90; ders., Der zivilprozessrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechtes, ZBJV 103/1967, S. 106 f., 109 f.). Solcher Schutz des Klägers aus Art. 28a ZGB , Art. 41 OR oder anderen Haftungsnormen lässt sich indessen mit den gestellten Begehren urteilsmässig nicht bewirken, höchstens mittelbar durch die Reflexwirkungen einer die Nichtschuld feststellenden Entscheidung im Haftpflichtprozess über den behaupteten Vermögensschaden des Beklagten. Diese möglichen Reflexwirkungen bleiben indessen ohne Einfluss auf die streitige Zuständigkeit. Bundesrechtskonform hat daher die Vorinstanz erkannt, diese bestimme sich im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ nach dem Ort der Prozessgegenstand bildenden Handlungen des Klägers. c) Die Vorinstanz hat als Handlungsort Zürich, den Geschäftssitz des Klägers bestimmt und damit die Rückweisung der Klage am Gerichtsstand dessen Wohnsitzes bestätigt. aa) Handlungsort im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ ist der Ort, an dem eine unter diese Bestimmung fallende Handlung ausgeführt wurde, der Ort des dem Schaden zu Grunde liegenden ursächlichen Geschehens, le lieu du fait générateur (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 zu Art. 5 EuGVü/ LugÜ; KROPHOLLER, a.a.O., N. 62 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 5 EuGVÜ; GAUDEMET-TALLON, Les conventions de Bruxelles et de Lugano, 2e éd., Paris 1996, S. 140 f.; BEATRICE BRANDENBERG BRANDL, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, Diss. St. Gallen 1991, S. 312). Bei räumlich auseinanderliegenden Teilhandlungen multizipliert Art. 5 Ziff. 3 LugÜ die örtlichen Zuständigkeiten, indem jedes Gericht, in dessen Bezirk eine Handlung begangen wurde, konkurrierend örtlich zuständig ist. Blosse Vorbereitungshandlungen begründen allerdings den Gerichtstand des Handlungsortes noch nicht (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 181 und 187 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; BRANDENBERG BRANDL, a.a.O., S. 312). BGE 125 III 346 S. 351 In Lehre und Rechtsprechung ist umstritten, ob das Gericht im Rahmen seines Zuständigkeitsentscheids über eine am Gerichtstand von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ angehobene positive Leistungs- oder Feststellungsklage im Bestreitungsfalle auch zu prüfen hat, ob der dem Schädiger vorgeworfene Geschehensablauf tatsächlich stattgefunden hat, um zu vermeiden, dass ein Gerichtsstand des Deliktsorts allein durch willkürliche Behauptungen des Klägers begründet werden kann (bejahend GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 198 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ mit Hinweisen auf abweichende Auffassungen). Klagt allerdings der praesumptive Schädiger auf negative Feststellung seiner Verantwortlichkeit, muss zur Begründung der Zuständigkeit ausreichen, dass die ihm vom Beklagten vorgeworfenen Handlungen angeblich im Bezirk des angerufenen Gerichts vorgenommen wurden oder - im Falle des Unterlassungsdelikts - hätten vorgenommen werden müssen, andernfalls der diese Handlungen bestreitende praesumptive Schädiger als Kläger von einem Gerichtsstand nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ ausgeschlossen wäre. Zu prüfen ist dagegen in jedem Fall, ob der behauptete Anspruch im Falle seiner Begründetheit ein solcher aus unerlaubter Handlung im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ wäre (E. 4a hievor). Umgekehrt ist nicht im Rahmen des Zuständigkeitsentscheids zu prüfen, ob der dem Schädiger unterstellte Sachverhalt ihn haftbar machte. Dies ist keine Frage der Zulässigkeit der Klage, sondern deren Begründetheit (GEIMER/SCHÜTZE, N. 198 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; WALTER, a.a.O, S. 183). Daher bleibt der Einwand des Klägers, die ihm unterstellten Handlungen begründeten mangels Rechtswidrigkeit keine Haftung, für die Bestimmung der Zuständigkeit unbeachtlich. bb) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wirft der Beklagte dem Kläger vor, im Rechtshilfeverfahren von 1982 rechtswidrige und ausserhalb jenes Verfahrens liegende Aussagen gemacht zu haben. Der Handlungsort für derartige Äusserungen liegt dort, wo sie Dritten gegenüber mündlich abgegeben oder schriftlich abgesandt werden (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ). Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, der Kläger habe im Zusammenhang mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen in seinem Anwaltsbureau in Zürich Briefe unterzeichnet und von dort aus abgesandt sowie sich telefonisch mit dem zuständigen Staatsanwalt unterhalten und in der Rechtshilfesache ebenfalls in Zürich als Zeuge ausgesagt. Offen blieb nach der Streichung einer obergerichtlichen Erwägung durch das Kassationsgericht, ob der BGE 125 III 346 S. 352 Kläger ein Telefongespräch mit dem Anwalt der Bank X.von seinem Domizil in A. oder seinem Bureau in Zürich aus geführt hatte, doch erachtete das Obergericht diese Frage für den Zuständigkeitsentscheid nicht als wesentlich, da es die entscheidenden Handlungen so oder anders in Zürich lokalisierte. Der Beklagte leitet den streitigen Anspruch nach den Feststellungen der Vorinstanz aus mündlichen und schriftlichen Äusserungen des Klägers im Rechtshilfeverfahren ab. Als angeblich unerlaubte Handlungen werden demnach Kundgaben gegenüber den Rechtshilfebehörden ausgegeben. Solche Kundgaben aber erfolgten nach den Feststellungen der Vorinstanz ausschliesslich in Zürich. Dass der Kläger allenfalls einzelne darauf bezügliche Vorbereitungshandlungen an seinem Domizil in A. vornahm, insbesondere dort Briefe und Aktennotizen diktierte, ist nach dem Gesagten zuständigkeitsbegründend. Das nicht lokalisierte Telefongespräch mit dem Anwalt der Bank X. sodann fällt ausser Betracht, weil es vom Vorwurf rechtswidriger Äusserungen gegenüber den Rechtshilfebehörden nicht erfasst wird. Das Obergericht hat daher bundesrechtskonform Zürich als Handlungsort bestimmt und demzufolge die Rückweisung der Klage durch das Bezirksgericht Meilen bestätigt. Damit erweist sich die Berufung als unbegründet und wird abgewiesen.
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Sachverhalt ab Seite 779 BGE 132 III 778 S. 779 A. Die A. AG (Klägerin 1) und die B. AG (Klägerin 2) sind in Zürich domiziliert, die C. GmbH (Klägerin 3), die D. GmbH (Klägerin 4), die E. GmbH (Klägerin 5) und die F. AG (Klägerin 6) sind in Deutschland ansässig. Die Klägerinnen stellen das Produkt M. her oder vertreiben es. Die G. GmbH (Beklagte) hat ihren Sitz in Deutschland. Sie ist Inhaberin des europäischen Patents X. Sie beansprucht dieses Patent für mehrere Vertragsstaaten. B. Am 25. Mai 2005 stellten die Klägerinnen beim Handelsgericht des Kantons Zürich folgende Rechtsbegehren: "1. Der schweizerische Teil des europäischen Patents X. sei nichtig zu erklären, eventualiter sei gerichtlich festzustellen, dass die Klägerinnen mit dem Produkt M. den schweizerischen Teil des europäischen Patents X. der Beklagten nicht verletzen oder verletzt haben. BGE 132 III 778 S. 780 2. Es sei gerichtlich festzustellen, dass die Klägerinnen mit dem Produkt M. weder den deutschen noch den französischen Teil des europäischen Patents X. verletzen oder verletzt haben, insbesondere weil a) das beklagtische Patent X. ungültig oder nicht durchsetzbar ist; oder b) das Herstellen, Feilhalten, Vertreiben und in Verkehr bringen des Produktes M. durch die Klägerinnen weder in der Schweiz noch im Ausland das europäische Patent der Beklagten verletzt oder verletzt hat. 3. Es sei gerichtlich festzustellen, dass der Beklagten gegenüber den Klägerinnen keinerlei durchsetzbare Forderungen, insbesondere weder Schadenersatz-, Gewinnherausgabe- oder Genugtuungsansprüche im Zusammenhang mit dem klägerischen Produkt M. oder mit den beklagtischen Patenten oder Patentanteilen zustehen." Die Beklagte schloss auf Nichteintreten bzw. Abweisung der Klage und erhob Widerklage im Wesentlichen mit den Rechtsbegehren, es sei den Klägerinnen 1, 2 und 5 zu verbieten, in der Schweiz bestimmte Produkte, insbesondere die unter der Bezeichnung M. vertriebenen, herzustellen, anzubieten, zu verkaufen oder anderweitig in Verkehr zu bringen, in die Schweiz einzuführen sowie aus der Schweiz auszuführen oder zu solchen Handlungen Dritter anzustiften, bei ihnen mitzuwirken oder ihre Begehung zu begünstigen, und die Klägerinnen 1, 2 und 5 seien für entsprechend patentverletzende Handlungen zur Rechnungslegung sowie zu Schadenersatz oder Gewinnherausgabe zu verpflichten. Auf Antrag der Beklagten beschränkte das Handelsgericht das Verfahren mit Verfügung vom 30. September 2005 vorerst auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit bzw. des Rechtsschutzinteresses. C. Mit Beschluss vom 3. April 2006 trat das Handelsgericht auf die Klage der Klägerinnen 1 und 2 ein (Ziffer 1a); auf die Klage der Klägerinnen 3, 4 und 6 trat es nicht ein (Ziffer 1b). Auf die Klage der Klägerin 5 wurde bezüglich Rechtsbegehren 1 eingetreten, bezüglich Rechtsbegehren 2 nicht eingetreten und bezüglich Rechtsbegehren 3 insoweit eingetreten, als es um Forderungen aus Verletzung des schweizerischen Teils des Streitpatents geht, und nicht eingetreten insoweit, als es um Forderungen aus Verletzung ausländischer Teile des Streitpatents geht. Das Gericht führte aus, dass das LugÜ zur Anwendung gelangt. Zum Rechtsbegehren 1 stellte das Gericht fest, dass die Klägerinnen 3, 4 und 6 in der Schweiz am BGE 132 III 778 S. 781 Markt nicht aufträten und auch nicht behaupteten, dass sie dies beabsichtigten, weshalb sie kein Rechtsschutzinteresse an der beantragten Feststellung der Patentnichtigkeit hätten. Die örtliche Zuständigkeit zur Beurteilung des Rechtsbegehrens 2 bejahte das Gericht für die Klägerinnen 1 und 2 mit der Begründung, sie hätten ihren Sitz in der Schweiz und Art. 2 LugÜ schütze nicht den formell, sondern den materiell Beklagten. Die Zuständigkeit nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ verneinte das Gericht mit der Begründung, die Klägerinnen 1 und 2 könnten sich darauf nicht berufen, weil sie ihren Sitz in der Schweiz haben und die Klägerinnen 3-6 nicht, weil die Verletzung ausländischer Patente zur Diskussion stehe. Die Zuständigkeit gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 LugÜ , auf die sich die Klägerinnen 3-6 beriefen, verneinte das Gericht. Für das Rechtsbegehren 3 bejahte das Gericht die Zuständigkeit nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ insoweit, als es um die Verletzung des schweizerischen Teils des europäischen Patents geht, wobei es das Feststellungsinteresse nur für die Klägerinnen 1, 2 und 5 bejahte. Aus Art. 2 LugÜ bejahte das Gericht die örtliche Zuständigkeit für die Klägerinnen 1 und 2 sowohl für Ansprüche aus Verletzung des schweizerischen als auch aus Verletzung ausländischer Teile des Streitpatents. D.
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Sachverhalt ab Seite 90 A. A.a Am 29. November 2017 erhob die B. GmbH (Klägerin, Beschwerdegegnerin) am Bundespatentgericht eine Patentverletzungsklage gegen die A. AG (Beklagte, Beschwerdeführerin). Die Klägerin macht darin eine Verletzung der Schweizer Teile von drei europäischen Patenten (x, y und z) durch die Einweg-Injektionspens "C." der Beklagten geltend. Sie verlangt zusammengefasst die Unterlassung der weiteren Herstellung und des weiteren Vertriebs der "C." sowie Auskunft, Rechnungslegung und finanziellen Ausgleich. In diesem Verfahren mit der Verfahrensnummer O2017_022 setzt sich der Spruchkörper des Bundespatentgerichts aus den Richtern Christoph Gasser (Instruktionsrichter), Tobias Bremi (Referent) und Kurt Sutter zusammen. A.b Das Bundespatentgericht beschränkte das Verfahren vorerst auf die Unterlassung sowie Auskunft und Rechnungslegung. Nach durchgeführter Instruktionsverhandlung und doppeltem Schriftenwechsel mit anschliessenden Noveneingaben der Beklagten wurde den Parteien am 7. Januar 2020 das Fachrichtervotum von Richter Tobias Bremi zur Stellungnahme zugestellt. Im Fachrichtervotum kommt Richter Bremi zum Schluss, dass die "C." Injektionspens der Beklagten die Klagepatente y und z verletzten, nicht aber das Patent x. Die Klagepatente x und z seien rechtsbeständig, nicht aber das Patent y. Entsprechend sei das Klagepatent z rechtsbeständig und verletzt und das sich auf dieses Klagepatent stützende Rechtsbegehren sei gutzuheissen. A.c Am 13. Januar 2020 ging am Bundespatentgericht eine weitere Patentverletzungsklage gegen die Beklagte ein (Verfahren Nr. O2020_001). In diesem Verfahren wird durch eine Drittgesellschaft die Verletzung ihres Patents durch die gleichen "C." Injektionspens der Beklagten geltend gemacht, die auch Anfechtungsgegenstand des ersten Verfahrens O2017_022 sind. Die Klägerin des zweiten Patentverletzungsverfahrens wird von der Kanzlei D. AG anwaltlich vertreten und patentanwaltlich unterstützt durch eine bei dieser Kanzlei angestellte europäische Patentanwältin. B. Am 14. Februar 2020 stellte die Beklagte das Gesuch, Richter Tobias Bremi habe im ersten Patentverletzungsverfahren O2017_022 in den Ausstand zu treten. Die Arbeitgeberin von Richter Bremi, die Kanzlei E. AG, sei als Vertreterin von Patenten der Klägerin des zweiten Verfahrens O2020_001 gegenüber dem Eidgenössischen BGE 147 III 89 S. 91 Institut für Geistiges Eigentum eingetragen. Die zweite Klage im Verfahren O2020_001 richte sich gegen die gleichen "C." Injektionspens der Beklagten wie im ersten Verfahren O2017_022, weshalb das erste Verfahren für das zweite eine erhebliche präjudizielle Bedeutung habe. Mit Beschluss vom 8. April 2020 wies die Verwaltungskommission des Bundespatentgerichts das Ausstandsgesuch ab. Sie erachtete es als rechtzeitig im Sinne von Art. 49 Abs. 1 ZPO gestellt, kam aber zusammengefasst zum Ergebnis, dass ein Angestellter einer Arbeitgeberin, die für eine Drittpartei administrative Hilfstätigkeiten erledige, die aus einem anderen Rechtsgrund gegen die Beklagte in einem Verfahrenklage, in dem der Angestellte als nebenamtlicher Richter tätig sei, objektiv kein Misstrauen in die Unparteilichkeit des nebenamtlichen Richters erwecken könne. C. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Sie beantragte, der Beschluss des Bundespatentgerichts sei aufzuheben und Fachrichter Tobias Bremi sei in den Ausstand zu versetzen. (...) Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. (Auszug) Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. 4.1 Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch darauf, dass ihre Streitsache von einem unbefangenen, unvoreingenommenen und unparteiischen Richter beurteilt wird. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, die ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen ( BGE 144 I 159 E. 4.3 S. 162; 142 III 732 E. 4.2.2 S. 736; 140 III 221 E. 4.1). Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird bereits verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Voreingenommenheit und Befangenheit BGE 147 III 89 S. 92 in diesem Sinne werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn im Einzelfall anhand aller tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten aufscheinen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit hervorrufen. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist ( BGE 142 III 732 E. 4.2.2; BGE 140 III 221 E. 4.1; BGE 139 III 433 E. 2.1.2 S. 436). 4.2 Das Bundesgericht hatte sich wiederholt mit Fällen zu befassen, in denen ein nebenamtlicher Richter (oder Schiedsrichter) wegen seiner hauptamtlichen Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei mit einer Prozesspartei besonders verbunden war. 4.2.1 Die Garantie des verfassungsmässigen Richters gilt für amtliche und nebenamtliche Richter gleichermassen. Der Umstand, dass beim Einsatz nebenamtlicher Richter die Wahrscheinlichkeit beruflicher Beziehungen zu einer der Verfahrensparteien zunimmt im Vergleich zu vollamtlichen Richtern, die keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgehen, rechtfertigt keine unterschiedliche Anwendung der verfassungsrechtlichen Vorgaben ( BGE 139 III 433 E. 2.1.3 S. 436). Übt der Richter neben seiner gerichtlichen Tätigkeit eine weitere Funktion als (Patent)anwalt aus, ist der Schutz der Rechtsunterworfenen besonders gefordert. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters ( Art. 30 Abs. 1 BV ) hat ihren eigentlichen Zweck zu erfüllen, auch in Anbetracht solcher Verbindungen einen korrekten und fairen Prozess sicherzustellen ( BGE 139 III 433 E. 2.1.3 S. 436 f.). Das gilt insbesondere bei dem für das Bundespatentgericht gewählten Modell der Gerichtsorganisation mit zwei hauptamtlichen Richtern und einer überwiegenden Mehrzahl von nebenamtlichen Richtern ( Art. 8 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 20. März 2009 über das Bundespatentgericht [PatGG; SR 173.41] ). Im Interesse der Glaubwürdigkeit des Gerichts muss ganz besonders auf die richterliche Unabhängigkeit geachtet werden (CYRILL P. RIGAMONTI, Ein Jahr schweizerisches Bundespatentgericht, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 112/2013, S. 293 ff., 300). Umgekehrt hat der Gesetzgeber die Organisation eines auf Patentrecht spezialisierten Fachgerichts bewusst gewollt und es mit Fachrichtern bestückt, die hauptberuflich ebenfalls Bezüge zum Patentrecht aufweisen. Auch dies ist zu berücksichtigen. BGE 147 III 89 S. 93 4.2.2 Nach ständiger Rechtsprechung erscheint ein als Richter amtender Anwalt als befangen, wenn zu einer Partei ein noch offenes Mandat besteht oder er für eine Partei in dem Sinne mehrmals anwaltlich tätig geworden ist, dass zwischen ihnen eine Art Dauerbeziehung besteht. Das gilt unabhängig davon, ob das Mandat in einem Sachzusammenhang mit dem zu beurteilenden Streitgegenstand steht oder nicht ( BGE 140 III 221 E. 4.3.1; BGE 139 III 433 E. 2.1.4 S. 437; BGE 138 I 406 E. 5.3 S. 407; BGE 135 I 14 E. 4.1 S. 15 f.). Der als Richter amtierende Anwalt kann in einer solchen Situation, wenn auch unbewusst, versucht sein, seinen Mandanten nicht durch einen für diesen ungünstigen Entscheid vergrämen zu wollen ( BGE 135 I 14 E. 4.3 S. 18). Darüber hinaus hat das Bundesgericht anerkannt, dass ein als Richter bzw. Schiedsrichter amtierender Anwalt nicht nur dann als befangen erscheint, wenn er in einem anderen Verfahren eine der Prozessparteien vertritt oder kurz vorher vertreten hat, sondern auch dann, wenn im anderen Verfahren ein solches Vertretungsverhältnis zur Gegenpartei einer der Prozessparteien besteht bzw. bestanden hat ( BGE 139 III 433 E. 2.1.4 S. 437; BGE 138 I 406 E. 5.3 S. 407 f. ; 135 I 14 E. 4.1-4.3; vgl. auch BGE 139 I 121 E. 5.1 S. 126 und BGE 139 III 120 E. 3.2.1 S. 124). Das Bundesgericht erwog dazu, in Fällen, in denen der Richter in anderen Verfahren zwar nicht die Prozesspartei selbst, sondern deren Gegenpartei vertritt oder vertrat, bestehe insofern ein Anschein der Befangenheit, als die Prozesspartei objektiv gesehen befürchten könne, der Richter könnte nicht zu ihren Gunsten entscheiden wollen, weil sie im anderen Verfahren Gegenpartei seines Mandanten sei. Daran ändere nichts, dass von einem Anwalt, der als (nebenamtlicher) Richter oder als Schiedsrichter tätig sei, erwartet werden können sollte, dass er in einem zu beurteilenden Fall beiden Prozessparteien gleichermassen Gerechtigkeit widerfahren lässt, unabhängig davon, dass er in einem anderen Verfahren als Anwalt gegen eine der Prozessparteien auftritt oder auftrat. Das Bundesgericht wies dazu auf die Erfahrungstatsache hin, dass eine Prozesspartei ihre negativen Gefühle gegenüber der Gegenpartei oft auf deren anwaltlichen Vertreter überträgt, da dieser die Gegenpartei in der Auseinandersetzung mit ihr unterstützt. Für viele Parteien gelte der Anwalt der Gegenpartei ebenso als Gegner wie die Gegenpartei selbst, umso mehr, als er als der eigentliche Stratege im Prozess wahrgenommen werde. Es sei deshalb nachvollziehbar, dass eine Partei von einem Richter, der sie in einem anderen Verfahren als Vertreter BGE 147 III 89 S. 94 der dortigen Gegenpartei bekämpft(e) und sie - aus ihrer Sicht - möglicherweise um ihr Recht bringen wird oder gebracht hat, nicht erwartet, er werde ihr plötzlich völlig unbefangen gegenübertreten ( BGE 138 I 406 E. 5.3; BGE 135 I 14 E. 4.3 S. 18). Das gelte unabhängig davon, ob das Mandat des Anwalts in einem Sachzusammenhang mit dem als Richter zu beurteilenden Streitgegenstand stehe oder nicht ( BGE 138 I 406 E. 5.4.1 S. 409). In solchen Fällen geht das Bundesgericht ungeachtet der weiteren konkreten Umstände, also abstrakt ohne eine konkrete fallbezogene Prüfung, von einem Anschein der Befangenheit aus ( BGE 139 III 433 E. 2.1.4 S. 437; BGE 138 I 406 E. 5.4.1). Insbesondere kann es etwa bei einem offenen Auftragsverhältnis zu einer Verfahrenspartei aufgrund der damit einhergehenden Interessenbindungen und Loyalitätspflichten des nebenamtlich als Richter tätigen Anwalts nicht darauf ankommen, ob das wahrgenommene Mandat von der Partei bzw. vom Anwalt als wichtig oder weniger bedeutsam erachtet wird ( BGE 139 III 433 E. 2.1.4 S. 437 f.). 4.2.3 Ein Anschein der Befangenheit ergibt sich nach der Rechtsprechung auch daraus, dass nicht der nebenamtliche Richter selbst, sondern ein anderer Anwalt seiner Kanzlei ein Mandat mit einer Prozesspartei unterhält bzw. kurz zuvor oder im Sinn eines Dauerverhältnisses mehrmals unterhalten hat. Der Mandant erwartet nicht nur von seinem Ansprechpartner innerhalb der Anwaltskanzlei, sondern von deren Gesamtheit Solidarität. Die einheitliche Betrachtung entspricht auch dem anwaltlichen Berufsrecht, das im Hinblick auf einen Interessenkonflikt alle in einer Kanzleigemeinschaft zusammengefassten Anwälte wie einen Anwalt behandelt ( BGE 140 III 221 E. 4.3.2; BGE 139 III 433 E. 2.1.5 S. 438). 4.2.4 Zur Annahme einer besonderen Verbundenheit des Richters mit einer Verfahrenspartei, die den Anschein der Befangenheit erweckt, kommt auch eine andere Beziehung als ein direktes Mandatsverhältnis zu dieser Partei oder deren Gegenpartei in Betracht. So hat das Bundesgericht es etwa als unzulässig erachtet, dass ein Anwalt als Richter in einer Sache mitwirkt, die für ein gleichgelagertes Verfahren, in dem er eine Drittpartei als Anwalt vertritt, eine erhebliche präjudizielle Bedeutung haben kann ( BGE 139 III 433 E. 2.1.6 S. 439). So bestünde ein Anschein der Befangenheit, wenn ein nebenamtlicher Richter in einer Sache zur Entscheidung berufen wird, in der sich die gleichen Rechtsfragen stellen wie in einem anderen hängigen Verfahren, in dem er als Anwalt auftritt BGE 147 III 89 S. 95 ( BGE 128 V 82 E. 2a S. 85 und E. 3d; BGE 124 I 121 E. 3). Unter Verweis auf diese beiden Entscheide hat das Bundesgericht später erwogen, dass sich die Ausstandsfrage stellen könne, wenn ein Richter in einem parallelen Verfahren ohne Bezug zu den Parteien eine Drittperson vertrete, welche die gleichen Interessen wie eine der Verfahrensparteien verfolge. Damit solle vermieden werden, dass der Richter in einer Weise über eine Streitfrage entscheide, die seine anwaltliche Stellung im Parallelverfahren verbessern könnte ( BGE 133 I 1 E. 6.4.3 S. 8). 5. 5.1 Bei der zitierten Rechtsprechung bezüglich des Anscheins der Befangenheit von nebenamtlichen Richtern geht es um Befangenheiten, die aufgrund einer anwaltlichen Tätigkeit eines Richters entstehen können. Damit sind Situationen angesprochen, in denen eine anwaltliche Mandatsbeziehung im Sinne der eigentlichen, berufsspezifischen Rechtsanwaltstätigkeit zwischen den oben genannten Personen besteht oder bestanden hat. Zur typischen Anwaltstätigkeit gehört die Wahrung von Klienteninteressen im Rahmen der Rechtsberatung, das Abfassen von juristischen Eingaben und die Vertretung vor einer Verwaltungsbehörde oder vor Gericht (vgl. BGE 135 III 410 E. 3.3 S. 414, BGE 135 III 597 E. 3.3 S. 601). Für solche Anwaltstätigkeiten rechtfertigt sich bezüglich der richterlichen Unabhängigkeit eine strikte Haltung: Denn dabei hat der Anwalt für die Wahrung der Klienteninteressen den Standpunkt seines Klienten in einem gewissen Masse zu seinem eigenen zu machen, was den Anschein erwecken kann, dass er einen gleichgelagerten Fall als Richter nicht unbefangen beurteilen könnte. Sodann können die Parteien in solchen Mandaten oft nicht eindeutig zwischen der Partei und dem Rechtsvertreter unterscheiden und nehmen jenen als eigentlichen Prozessstrategen wahr. 5.2 Das bedeutet aber nicht, dass rein administrative Tätigkeiten des als nebenamtlicher Richter tätigen Anwalts bzw. seiner Kanzlei für eine Verfahrenspartei per se unbedenklich wären. Aber nicht jede irgendwie geartete Beziehung wirtschaftlicher, beruflicher oder persönlicher Natur begründet für sich allein den Anschein der Befangenheit (vgl. BGE 125 II 541 E. 4b). Damit eine solche Beziehung Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermag, müssen objektive Umstände auf eine gewisse Intensität der Beziehung hindeuten (Urteile 9C_257/2016 vom 29. Juni 2016 E. 4.2.1; 8C_467/2014 vom 29. Mai 2015 E. 4; 4A_256/2010 vom 26. Juli 2010 E. 2.4). Ob eine Beziehung diesen Grad der Intensität erreicht, beurteilt sich aufgrund der BGE 147 III 89 S. 96 konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. etwa Urteil 4A_256/2010 vom 26. Juli 2010 E. 2.5 bezüglich einer Patentanmeldung). Besteht die beanstandete Beziehung nicht zu einer Verfahrenspartei sondern zu deren Gegenpartei oder einer Drittpartei in einem anderen Verfahren, ist auch die Wirkung der beiden Verfahren aufeinander beim Entscheid über den Ausstand zu berücksichtigen. 6. 6.1 Vorliegend steht nach den Feststellungen der Vorinstanz keine berufsspezifische rechtsanwaltliche Tätigkeit der Kanzlei von Richter Tobias Bremi für die Klägerin des zweiten Patentverletzungsprozesses O2020_001 im Raum. Insbesondere vertritt die Kanzlei E. AG die Klägerin des zweiten Verfahrens nicht als Rechtsvertreterin. Aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich auch nicht, dass eine berufsspezifische, patentanwaltliche Mandatsbeziehung vorliegen würde, indem die Kanzlei E. AG für die Klägerin des zweiten Verfahrens etwa den Erfindungsschutz vorbereitet oder sie bei der Patentanmeldung oder bei der Durchsetzung ihrer Patente vertreten hätte. 6.2 Nach den Feststellungen der Vorinstanz beschränkt sich die Tätigkeit der Kanzlei E. AG für die Klägerin des zweiten Patentverletzungsverfahrens auf die rein administrative Vertretung gegenüber dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE). Die Kanzlei ist mithin einzig als (administrative) Vertreterin von Schweizer Teilen von europäischen Patenten im Patentregister eingetragen, d.h. von Patenten, die durch das europäische Patentamt geprüft und erteilt wurden und in der Schweiz auf entsprechenden Antrag und gegen Bezahlung der Jahresgebühr im Patentregister eingetragen werden ( Art. 117 und Art. 118a der Verordnung vom 19. Oktober 1977 über die Erfindungspatente[PatV; SR 232.141] ). Die Aufgabe des Vertreters eines nationalen Teils eines europäischen Patents gegenüber dem nationalen Patentamt erschöpft sich darin, als Zustelladresse zu fungieren und Mitteilungen des nationalen Patentamtes an den Patentinhaber weiterzuleiten. Je nach Umfang des Auftrages kann auch die rechtzeitige Bezahlung fälliger Gebühren zum Auftrag hinzukommen. Es handelt sich damit bei der Tätigkeit als administrative Zustelladresse um eine blosse passive Übermittlerrolle. Diese ist notwendig, weil Parteien, die keinen Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz haben, ein Zustellungsdomizil in der Schweiz bezeichnen müssen (Art. 13 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente [PatG; SR 232.14]). BGE 147 III 89 S. 97 Damit soll vermieden werden, dass das IGE Schriftstücke ins Ausland senden muss (MARK SCHWEIZER, in: Patentgesetz [PatG], Schweizer/Zech [Hrsg.], 2019, N. 2 zu Art. 13 PatG ). Diese gesetzliche Regelung führt dazu, dass grössere Patentanwaltskanzleien oftmals bei mehreren Tausend Patenten als Vertreter gegenüber dem IGE eingetragen sind (vgl. Beschluss der Gerichtsleistung des Bundespatentgerichts vom 9. Juni 2016, O2014_013, E. 7; MARCO ZARDI, I problemi pratici di applicazione delle Direttive sull'indipendenza del Tribunale federale dei brevetti, Justice - Justiz - Giustizia 2012/3 Rz. 28). Ein solches Mandat als Zustelladresse kann nicht mit einer aktiven Vertretung im Rahmen eines typischen (Patent)anwaltsmandats verglichen werden. Während der (Patent)anwalt sich für eine wirkungsvolle Vertretung die Standpunkte seines Klienten bis zu einem gewissen Grad zu eigen machen muss, vertritt der nationale Vertreter gegenüber dem Patentamt keine anderen Interessen des Patentinhabers als diejenigen, die Mitteilungen des Patentamtes zu erhalten (und eventuell fällige Gebühren zu bezahlen). Aufgrund dieser Unterschiede rechtfertigt es sich bei rein administrativen Tätigkeiten wie dem Zurverfügungstellen einer Zustelladresse nicht, für den Ausstand die gleiche, strenge Haltung wie bei einem (patent)anwaltlichen Mandat anzuwenden. Die Anwendung der oben genannten, für die anwaltliche Tätigkeit entwickelte strenge Rechtsprechung zum Ausstand kommt damit vorliegend nicht zum Tragen (E. 5.1). 6.3 Auch das Bundespatentgericht setzt in seinen internen Richtlinien zur Unabhängigkeit die administrative Tätigkeit und das Zurverfügungstellen einer Zustelladresse nicht mit der (patent)anwaltlichen Tätigkeit gleich (Richtlinien zur Unabhängigkeit des Bundespatentgerichts, revidiert am 5. Dezember 2014). Das Bundespatentgericht geht aber auch nicht davon aus, dass solche Tätigkeiten bezüglich des Anscheins der Befangenheit in jedem Fall unproblematisch wären. Gemäss Art. 4 lit. f der Richtlinien tritt der Richter in der Ausstand, wenn er oder das Unternehmen, bei dem er tätig ist, als Zustelladressat des den Streitgegenstand bildenden Patents administrativ tätig ist oder war. Nach lit. g des gleichen Artikels tritt der Richter sodann in den Ausstand, wenn er oder das Unternehmen, bei dem er tätig ist, innerhalb des Jahres oder regelmässig von der Streitpartei direkt als Zustelladressat und zur Aufrechterhaltung der Wirksamkeit ihrer Schutzrechte mandatiert ist oder war. Nach diesen internen Richtlinien darf Richter Bremi aufgrund der von der Vorinstanz festgestellten administrativen Beziehung seiner BGE 147 III 89 S. 98 Kanzlei zur Klägerin des zweiten Verfahrens in diesem zweiten Patentverletzungsprozess O2020_001 nicht als Richter mitwirken (Art. 4 lit. g der Richtlinien). Umgekehrt besteht nach diesen Richtlinien für den ersten Patentverletzungsprozess keine Befangenheit von Richter Bremi, da seine Kanzlei nicht von einer "Streitpartei direkt" als Zustelladressatin und zur Aufrechterhaltung der Wirksamkeit ihrer Schutzrechte mandatiert wurde. Die Kanzlei wurde von einer Drittpartei mandatiert, nämlich von der Klägerin des zweiten Verfahrens O2020_001, die nicht Partei im ersten Patentverletzungsverfahren O2017_022 ist. Solche generellen, gerichtsinternen Richtlinien können dem betroffenen Richter helfen, seine Befangenheit im konkreten Fall besser einzuschätzen. Ihnen kommt aber keine normative Geltung zu ( BGE 139 III 433 E. 2.2 S. 441). Insbesondere sollen sie nicht zum Schluss verleiten, dass ein Richter bei administrativen Arbeiten, abgesehen von den in Art. 4 lit. f und g geregelten Konstellationen, kategorisch nicht befangen wäre. Ob ein Ausstandsgrund vorliegt, beurteilt sich nach Art. 47 ZPO unter Berücksichtigung der aus Art. 30 Abs. 1 BV fliessenden Grundsätzen nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Es ist entsprechend auch bei rein administrativen Tätigkeiten in jedem Fall eine konkrete und fallbezogene Prüfung vorzunehmen, ob ein Grund für eine Befangenheit vorliegt (DAVID RÜETSCHI, in: Patentgerichtsgesetz [PatGG] - Kommentar, Calame/Hess-Blumer/Stieger [Hrsg.], 2013, N. 33 zu Art. 28 PatGG ).
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Sachverhalt ab Seite 91 BGE 125 IV 90 S. 91 G. handelte in der Zeit von Herbst 1994 bis Frühling 1995 mit insgesamt mindestens 1'350 Ecstasy-Tabletten. Überdies konsumierte er 6 Ecstasy-Tabletten und 4,5 g Haschisch. Am 3. September 1996 verurteilte ihn das Bezirksgericht Baden wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 11 Monaten Gefängnis, bedingt bei einer Probezeit von 3 Jahren, und zu Fr. 800.-- Busse. Eine dagegen erhobene Berufung der Staatsanwaltschaft wies das Obergericht des Kantons Aargau am 23. Oktober 1997 ab. Von Amtes wegen setzte es die Gefängnisstrafe auf 9 Monate fest. Die Staatsanwaltschaft führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben; die Sache sei zur Verurteilung wegen eines mengenmässig schweren Falles gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG und zur Ausfällung einer Strafe von über 12 Monaten Gefängnis an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Ecstasy wird vollsynthetisch aus Methamphetamin (3,4-Methylendioxymethamphetamin MDMA) hergestellt. Als Ecstasy werden auch die verwandten Stoffe MDA und MDEA oder MDE bezeichnet. Diese weisen eine vergleichbare Wirkung auf. BGE 125 IV 90 S. 92 Ecstasy wird vom Betäubungsmittelgesetz erfasst. Die Bestrafung des Handels mit diesem Stoff verletzt den Grundsatz «nulla poena sine lege» nicht ( BGE 124 IV 286 E. 1). 2. a) Die Vorinstanz legt dar, der Beschwerdegegner habe unstreitig weder banden- noch gewerbsmässig nach Art. 19 Ziff. 2 lit. b und c BetmG gehandelt. Sie verneint die Anwendbarkeit auch des Qualifikationsgrundes der Menge nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG . Ecstasy mache nicht im eigentlichen Sinne süchtig. Ein chronischer Missbrauch der Droge und Entzugserscheinungen (wie bei Opiaten) seien nicht bekannt. Es sei offenbar ohne Probleme und Folgen möglich, den Ecstasy-Konsum einzustellen. Die Droge werde von gesellschaftlich integrierten jungen Leuten konsumiert. Anders als bei Heroin und Kokain seien keine Verelendungsmechanismen zu beobachten, und es sei keine Folge- oder Beschaffungskriminalität bekannt. Auch diese äusseren Erscheinungsformen des Konsums deuteten darauf hin, dass Ecstasy in die Kategorie der weichen Drogen einzuordnen und jedenfalls nicht mit den harten Drogen wie Heroin oder Kokain gleichzusetzen sei. Entsprechend hätten die kantonalen Gerichte, soweit bekannt, mit Ecstasy begangene Betäubungsmitteldelikte als Verstoss gegen Art. 19 Ziff. 1 BetmG geahndet. Bei der Strafzumessung bemerkt die Vorinstanz, der Umstand, dass Ziff. 2 lit. a entfalle, bedeute selbstverständlich nicht, dass Ecstasy ein harmloser Stoff sei und damit begangene Delikte als Bagatelle abgetan werden könnten. Die Beimengung anderer Stoffe sowie die Unsicherheit bezüglich der Dosierung stellten ein Gefahrenpotential für die Konsumenten dar. Ecstasy könne, was die gesundheitliche Problematik betreffe, zwar nicht bei Stoffen wie Heroin und Kokain angesiedelt werden. Ecstasy dürfe aber auch nicht dem Haschisch zugesellt werden. Da aufgrund der heute vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse der Nachweis nicht erbracht sei, dass Ecstasy eine schwer gesundheitsgefährdende Droge sei, und dieser Stoff näher bei den weichen als den harten Drogen anzusiedeln sei, sei die vom Bezirksgericht ausgesprochene Strafe etwas zu hoch. Angemessen seien 9 Monate Gefängnis. b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei ein mengenmässig schwerer Fall nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG anzunehmen. Nach den Empfehlungen des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern vom 6. Juni 1996 sei bei MDMA ein schwerer Fall ab 58 g gegeben. Gehe man von einem Wirkstoffgehalt von 100 mg pro Tablette aus, liege der Grenzwert bei 580 Tabletten. ULRICH WEDER (Die Designer-Drogen aus rechtlicher Sicht, unter besonderer BGE 125 IV 90 S. 93 Berücksichtigung des Amphetaminderivats MDMA [«Ecstasy»], ZStrR 115/1997, S. 445) nehme einen Grenzwert von 625 Tabletten à 80 mg an. Beide Werte habe der Beschwerdegegner überschritten. 3. a) Art. 19 Ziff. 1 BetmG stellt den unbefugten Handel mit Betäubungsmitteln in allen seinen Formen unter Strafe. Für die einfache Tatbegehung droht das Gesetz Gefängnis bis zu 3 Jahren ( Art. 36 StGB ) oder Busse bis zu Fr. 40'000.-- ( Art. 48 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ) an. Die Gefängnisstrafe und die Busse können miteinander verbunden werden ( Art. 50 Abs. 2 StGB ). In schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu 20 Jahre ( Art. 35 StGB ) oder Gefängnis nicht unter einem Jahr, womit eine Busse bis zu 1 Million Franken verbunden werden kann. Ein schwerer Fall liegt gemäss Art. 19 Ziff. 2 BetmG insbesondere vor, wenn der Täter a) weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann; b) als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs zusammengefunden hat; c) durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt. Nach der Rechtsprechung ist angesichts der erheblichen Verschärfung der Strafdrohung für einen schweren Fall Ziff. 2 lit. a restriktiv auszulegen und die darin genannte Gesundheitsgefahr für viele Menschen nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Die Gesundheitsgefahr nach Ziff. 2 lit. a ist nicht schon zu bejahen, wenn der Gebrauch einer Droge psychisch abhängig machen, sondern erst, wenn er seelische oder körperliche Schäden verursachen kann; diese Gefahr für die Gesundheit muss ausserdem eine naheliegende und ernstliche sein. Ob das der Fall ist, ist unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Wissenschaft zu prüfen ( BGE 117 IV 314 E. 2d). Wie das Bundesgericht in BGE 117 IV 314 entschieden hat, ist Cannabis auch in grossen Mengen nicht geeignet, die körperliche und seelische Gesundheit vieler Menschen in eine naheliegende und ernstliche Gefahr zu bringen. Ziff. 2 lit. a ist deshalb bei dieser Droge nicht anwendbar. Wie es sich damit bei Ecstasy verhält, ist im Folgenden näher zu prüfen. b) aa) Im Gutachten des Pharmazeutischen Instituts der Universität Bern vom 4. Februar 1994 (Prof. Dr. Rudolf Brenneisen/ dipl.pharm. Hans-Jörg Helmlin) wird ausgeführt, ein chronischer BGE 125 IV 90 S. 94 Missbrauch von MDMA sei bis heute nicht bekannt. Ein Grund dafür sei die Tatsache, dass offenbar die «positiven» psychotropen Effekte bei wiederholter, täglicher Applikation abnähmen, die «negativen» (Neben)-Effekte dagegen zunähmen. Eine Dosiserhöhung wirke selbstlimitierend, indem ab rund 200 mg MDMA keine Steigerung der erwünschten psychotropen Effekte, sondern nur noch der unerwünschten Nebeneffekte eintrete. Entzugserscheinungen (wie bei Opiaten) seien bei MDMA bisher nicht beobachtet worden. Die amphetaminartigen, primär vegetativen Nebenwirkungen äusserten sich in Form von Ruhelosigkeit, Blutdruck-, Herzfrequenz- und Pulserhöhung, Appetithemmung und Flüssigkeitsverlust durch exzessives Schwitzen. Die Hyperthermie (Überhitzung), welche nicht zuletzt auch die Folge der im Disco-Setting üblichen körperlichen Hyperaktivität und der oft ungenügenden Flüssigkeitskompensation sei, könne im Extremfall zu lebensbedrohlichen Kreislaufstörungen führen. Gemäss Tox-Zentrum seien bisher in der Schweiz keine Todesfälle nach MDMA-Abusus dokumentiert. Das Risiko einer akuten und chronischen Intoxikation bzw. das Abhängigkeitspotential von MDMA könne als gering eingestuft werden. bb) Im Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Lausanne vom 23. Juni 1994 (Dr. Christian Giroud) wird dargelegt, beim Konsum von Ecstasy seien zwei Arten von Gefahren gegeben, nämlich: - die eigene Toxizität dieser Amphetaminderivate und ihrer Metaboliten (neurotoxische Wirkungen mit möglicherweise dauernden Langzeitfolgen); - die Toxizität der mehr oder weniger grossen Verunreinigungen dieser Drogen, welche mit handwerklichen Methoden heimlich hergestellt würden. Ecstasy werde zu Unrecht verharmlost. Mit psychiatrischen Störungen verbundene «bad trips» seien nicht selten. Vergiftungen könnten eintreten, wenn gleichzeitig mit Ecstasy andere Drogen konsumiert würden. Die minimale tödliche Dosis für MDA betrage ungefähr 0,5 g. Bei MDMA seien nach gleichzeitigem Konsum von Alkohol und Ecstasy Todesfälle eingetreten nach einer «Standard»-Einnahme von nur 150 mg MDMA. Die gemessene Alkoholkonzentration sei im Bereich von 0,4 Gewichtspromille gelegen. In der wissenschaftlichen Literatur sei über mehrere Todesfälle bei Tanzanlässen («rave parties») berichtet worden. Der Tod trete im Allgemeinen ein nach BGE 125 IV 90 S. 95 einer Hyperthermie (Überhitzung), einer fulminanten Tachykardie (Herzjagen) und Krämpfen, einer Herzarrhythmie, einer intravasalen Koagulation (Gerinnung), einer Rhabdomyolyse (Schädigung der Herz- und Skelettmuskulatur) oder nach einem Unfall infolge eines Risikoverhaltens. Der Tod könne auch herbeigeführt werden durch eine Bronchialaspiration des Mageninhalts oder infolge einer Nierendysfunktion. MDMA sei ebenfalls lebertoxisch. Eine jüngere Studie habe gezeigt, dass MDMA die Entwicklung des Embryos und die Lebensfähigkeit der Neugeborenen beeinträchtigen könne. Die Autoren der Studie führten aus, es sei dringend nötig, dass sich die Öffentlichkeit der Gefahren bewusst werde, die für den Foetus beim Konsum von Ecstasy durch die Mutter bestünden. Da MDMA bestimmte Fähigkeiten beeinflusse (Einschätzung einer Situation, Koordination der Bewegung, Konzentrationsgrad), werde empfohlen, dass Handlungen, welche diese Fähigkeiten voraussetzen (z.B. Autofahren), nicht von Personen ausgeführt würden, die unter dem Einfluss von MDMA stehen. Ein entscheidender Punkt betreffe die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Toxizitätssymptomen oder des Todes nach dem Konsum einer «Standard»-Dosis MDMA. Angesichts der sehr grossen Zahl konsumierter Dosen erschienen Morbidität (Krankheitshäufigkeit) und Mortalität (Sterblichkeit) gering. Bis jetzt sei nach Wissen des Gutachters in der Schweiz kein Todesfall eingetreten, bei dem MDMA oder MDEA allein im Spiel gewesen seien. Die langfristigen Auswirkungen der neurotoxischen Eigenschaften von Ecstasy auf die Morbidität und Mortalität seien allerdings noch unbekannt. In einigen Jahrzehnten werde man zweifellos mehr darüber wissen. cc) Nach dem Gutachten des Gerichtschemischen Laboratoriums Basel-Stadt vom 29. September 1994 (Dr. T. Briellmann) sind bei MDMA keine direkt durch die Wirksubstanz verursachten Todesfälle bekannt. Todesfälle nach Einnahme von Ecstasy seien vor allem aufgrund von Hitzestaus (Hyperthermie) nach nächtelangem Tanzen bei Techno-Parties aufgetreten. Personen mit Herzkrankheiten seien dabei anfälliger. Ein Beweis für langfristige psychische Auswirkungen von MDMA auf den Menschen liege bisher nicht vor. dd) In den Empfehlungen des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern vom Februar 1997 zur Beurteilung von MDA, MDMA und MDEA als «schwerer Drogenfall» (Werner Bernhard und Jacqueline Huber) wird dargelegt, obwohl die Angaben über die chronische Toxizität im Humanbereich lückenhaft seien, könnten BGE 125 IV 90 S. 96 diese Stoffe keineswegs als harmlos eingestuft werden. Es lägen Hinweise vor über: - Neurotoxizität; - Rhabdomyolyse (Schädigung der Herz- und Skelettmuskulatur); - fulminantes Leberversagen; - akutes Nierenversagen; - Depersonalitätsphänomene. Bei chronischem Konsum könnten psychotoxische Wirkungen auftreten: - Chronische Psychosen; - Depression mit Suizidgedanken; - Panikerkrankungen; - «Flash-back»-Fälle. ee) Im Gutachten der Forschungsabteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich vom 2. Mai 1997 (Dr. med. F.X. Vollenweider) wird ausgeführt, die Ergebnisse der Psychotherapieforschung mit MDMA aus den 80er-Jahren zeigten, dass bei mässigem Einsatz von MDMA (4-6 mal ca. 120 mg pro Jahr) der therapeutische Prozess habe beschleunigt werden können, ohne dass seelische oder körperliche Schäden aufgetreten seien. Hingegen sei zu vermuten - obwohl dazu noch keine aktuellen Studien vorlägen -, dass der häufige Gebrauch von MDMA (definiert als 1 mal pro Woche) zu depressiven Verstimmungen, Demotivation, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und Anorexie führen könne. Wieweit diese Symptome, die vereinzelt bei psychiatrisch behandelten Ecstasy-Konsumenten beobachtet worden seien, direkt von Ecstasy ausgelöst würden oder im Zusammenhang mit den Lebensgewohnheiten der Patienten (nächtelanges Tanzen über das ganze Wochenende) und der Einnahme weiterer legaler und illegaler psychotroper Substanzen stünden, sei unklar. In der Regel seien die erwähnten Symptome mit dem Absetzen von MDMA und entsprechenden therapeutischen Massnahmen (Psychotherapie, vorübergehende medikamentöse Behandlung) reversibel. Vereinzelt werde in der Literatur auch über das Auftreten von Angst- und Panikattacken sowie paranoiden und psychotischen Episoden berichtet. Die Analyse der dokumentierten Fälle weise darauf hin, dass solche psychiatrischen Syndrome vorwiegend bei Ecstasy-Konsumenten mit einer psychiatrischen Vorgeschichte oder familiären Belastung sowie häufig bei multiplem Substanzmissbrauch und länger dauerndem Ecstasy-Konsum aufträten. In wenigen Einzelfällen würden BGE 125 IV 90 S. 97 auch nach einem einmaligen oder auf wenige Tage beschränkten, relativ niedrig dosierten Konsum von Ecstasy paranoide oder psychotische Entgleisungen beschrieben. Die Ursache dafür sei unklar. Komplizierend komme hinzu, dass in der Regel die Reinheit und Zusammensetzung der verwendeten Substanzen unbekannt seien und ein multipler Substanzmissbrauch vorliege, was eine kausale Zuordnung erschwere. Aufgrund der relativ geringen Fallzahl dokumentierter neuropsychiatrischer Folgen im Verhältnis zur grossen Zahl der Ecstasy-Konsumenten könne vorsichtig geschlossen werden, dass schwerwiegende psychiatrische Störungen eher bei einer Minderheit von MDMA-Konsumenten aufträten. Beim heutigen Wissensstand könnten noch keine klaren Schlüsse über das neurotoxische Potential von MDMA und das damit verbundene psychiatrische Langzeitrisiko gezogen werden. Personen mit einer psychiatrischen Vorgeschichte oder einer positiven Familienanamnese könnten als prädisponiert betrachtet werden, psychotisch zu entgleisen. Sehr selten könne dies jedoch auch bei völlig unauffälligen Ecstasy-Konsumenten beobachtet werden. Verlässliche Prädiktoren, die ein Auftreten psychiatrischer Störungen nach MDMA-Missbrauch wahrscheinlich erscheinen liessen, existierten nicht. Die tierexperimentellen Daten liessen vermuten, dass kumulative Dosen MDMA, die 1400 mg übersteigen, zu neurotoxischen Schäden führen könnten. Um mehr Klarheit über das neurotoxische Potential und die damit verbundenen psychiatrischen Langzeitrisiken von MDMA beim Menschen zu gewinnen, bedürfe es weiterer Forschungsanstrengungen. Aus kontrollierten klinischen Studien mit MDMA seien keine Todesfälle oder schwerwiegende, nicht beherrschbare somatische und psychische Komplikationen bekannt. Hingegen würden im Zusammenhang mit der Einnahme von Ecstasy Todesfälle in der medizinischen Literatur erwähnt. Als schwerwiegende Komplikationen würden Rhabdomyolyse, intravasale Gerinnung und akutes Nierenversagen mit Todesfolge beschrieben. Dabei werde angenommen, dass diese Komplikationen auf einer von MDMA ausgelösten Hyperthermie beruhen könnten, die zusätzlich durch ungünstige Faktoren - wie eine erhöhte Umgebungstemperatur, körperliche Anstrengung und Wasserverlust - verstärkt werde. Weiter werde über das Auftreten von cerebralen Insulten (Hirnschlägen) mit Todesfolge berichtet, wobei man annehme, dass die Todesfolgen auf einem Zusammenspiel von MDMA-ausgelöster Hypertension oder Arrhythmie sowie einer vorbestehenden BGE 125 IV 90 S. 98 Koagulopathie (Gerinnungsstörung) beruhen dürften. Die Frage nach einer direkten Kausalität zwischen Ecstasy-Einnahme und den beschriebenen Todesfällen sei schwierig zu beurteilen, da es sich dabei um einen illegalen Konsum handle und Dosis und Qualität der eingenommenen Substanzen unbekannt seien. Solche schwerwiegenden Komplikationen seien sehr selten. Bis 1995 seien weltweit 42 Todesfälle im Zusammenhang mit Ecstasy beschrieben worden bei einem geschätzten Konsum von mindestens 500 Mio. Ecstasy-Tabletten. Die genaue und aktuelle Zahl der bis 1997 aufgetretenen Todesfälle sei nicht bekannt. Die Gefahr eines atypischen Wirkungsverlaufs werde als gering eingestuft. In relativ seltenen Fällen würden Panikattacken und psychotische Entgleisungen auch bei einmaligen Einnahmen von Ecstasy beschrieben. Soweit man das heute abschätzen könne, liege die Gefahr von Ecstasy vor allem in der Überdosierung. Mit höherer Dosierung nähmen sowohl die hypertensiven wie auch hyperthermen Effekte von Ecstasy zu, welche vorwiegend im Zusammenhang mit weiteren ungünstigen Faktoren (z.B. vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankung) zu den oben erwähnten Komplikationen, allenfalls mit Todesfolge, führen könnten. Einzelne Falldarstellungen in der medizinischen Literatur beschrieben jedoch auch psychische und somatische Komplikationen, die nach einer einmaligen Dosis von Ecstasy aufgetreten seien, wobei jedoch anzunehmen sei, dass diese Fälle im Verhältnis zum Ecstasy-Konsum extrem selten seien. ff) Das Bundesamt für Gesundheit legt in seiner Fachinformation zu Ecstasy vom 9. Oktober 1997 dar, Tierversuche bestätigten einen Einfluss von MDMA auf den Botenstoff Serotonin; bei Gabe höherer Dosen seien (reversible und irreversible) Schädigungen an Nervenzellen festgestellt worden. Rückschlüsse von Resultaten aus Tierversuchen auf die Humantoxizität seien zurzeit jedoch nicht sinnvoll. Tödliche Komplikationen mit MDMA seien meist auf Unkenntnis der Nebenwirkungen (z.B. erhöhte Körpertemperatur) zurückzuführen. Die akute Toxizität sei gering. Eine gewisse Gefahr gehe von der Tatsache aus, dass die Zusammensetzung und Dosierung von Ecstasy-Tabletten meist unbekannt seien. Ausserdem sei die zusätzliche Einnahme von Alkoholika, Medikamenten usw. wegen allenfalls synergistischen Effekten gefährlich. Der Einfluss von MDMA auf die Psyche und das soziale Verhalten von Jugendlichen bei häufigem Konsum sei gegeben. Meist würden neben MDMA weitere illegale Drogen, vor allem Cannabis, konsumiert. BGE 125 IV 90 S. 99 MDMA führe nicht zum Konsum harter Drogen wie Heroin oder Kokain, sei also keine Einstiegsdroge. Der Vergleich von MDMA mit LSD-25 sei schwierig aufgrund anderer Konsumweisen, Dosierungen und Wirkungen; jede Droge habe ihr eigenes Gefahrenpotential, das insgesamt jedoch geringer sei als die Gefährlichkeit von Amphetamin, Heroin oder Kokain. gg) Im Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich-Irchel vom 8. November 1997 (Prof. Dr. A. Pasi) wird dargelegt, dem Käufer sei es nicht möglich, die qualitative und quantitative Zusammensetzung der Präparate zu prüfen. Sehen Ecstasy-Präparate gleich aus, so bedeute das nicht, dass ihre Zusammensetzung identisch sei. Vor Ort durchgeführte Pillentests schützten den Konsumenten nicht, da sie unzuverlässig seien. Das mache den Konsum von Ecstasy zu einer Lotterie mit ungewissem Ausgang für die Gesundheit. Die Wirkung von Ecstasy auf die Körpertemperatur werde auf die durch das MDMA induzierte Störung des Serotonin-Haushaltes im Gehirn zurückgeführt. In einer kontrollierten Studie seien bei einer MDMA-Dosierung von 0,2 mg bis 1 mg/kg Körpergewicht keine konsistenten Temperaturerhöhungen festgestellt worden. Bei einer durchschnittlichen oralen Dosierung von 120 mg bis 140 mg habe MDMA bei gesunden Probanden unter Ruhebedingungen eine diskrete, nicht signifikante Temperaturerhöhung (0,2oC bis 0,5oC) bewirkt. Verschiedene tierexperimentelle Studien wiesen darauf hin, dass MDMA bei einer Dosierung von 5mg/kg Körpergewicht in Verbindung mit Faktoren, die seine Wirkung verstärken, zu einer gefährlichen Erhöhung der Körpertemperatur bis 43oC, d.h. zu Überhitzung (Hyperthermie), führe. Es handle sich dabei um Faktoren, wie sie an Techno-Parties gegeben seien, nämlich um geringe Belüftung und hohe Temperatur der überfüllten Lokale, erhöhte Körperaktivität (stundenlanges Tanzen) und mangelhafter Wassergehalt des Organismus. Zu letzterem komme es infolge vermehrten Schwitzens und verminderter Flüssigkeitszufuhr. Diese beruhe ihrerseits auf der den Durst hemmenden Wirkung des MDMA. Die Kombination der thermogenen MDMA-Wirkung und der sie potenzierenden Faktoren erkläre das in einzelnen klinischen Fallberichten bei Ecstasy-Konsumenten beschriebene Auftreten eines Hitzschlages. Nach Einnahme von MDMA in einer Dosis von 80 mg bis 140 mg erhöhe sich die Herzfrequenz für mehrere Stunden. MDMA könne auch Störungen des Herzrhythmus (Herzarrhythmien) hervorrufen. BGE 125 IV 90 S. 100 Bei entsprechender Prädisposition (z.B. vorbestehender Erkrankung des Herzens) könnten solche Störungen fulminant zum Tod führen. Neben der erwähnten Änderung der Herzfrequenz stelle sich bei der Einnahme von MDMA in der angegebenen Dosis auch eine mehrere Stunden dauernde mässige Erhöhung des Blutdruckes im Masse von 10 mm bis 30 mm Quecksilber ein. Bei höheren MDMA-Dosen könne eine intensivere Blutdrucksteigerung eintreten, die besonders bei Personen mit labiler Blutdruckerhöhung zu ernsthaften Komplikationen führen könne. Vereinzelt könne MDMA schon bei einer einzelnen Dosierung von 120 mg bis 140 mg eine überschiessende, den Blutdruck erhöhende (hypertensive) Reaktion, d.h. eine hypertensive Krise, auslösen. Tödlich verlaufende Hirnschläge (Insulte, Apoplexien) und Hirnblutungen seien im Zusammenhang mit einer solchen Krise vereinzelt beschrieben worden. Im Rahmen eines atypischen Verlaufes der psychischen Wirkung von Ecstasy - eine Gefahr, die als gering eingestuft werde - könnten «bad trips» sowie die folgenden psychiatrischen Situationen auftreten: In seltenen Fällen - sie kämen besonders bei der Einnahme grösserer Ecstasy-Mengen vor (z.B. nach 3-4 Dosen zu je 150 mg innert 24 Stunden) - träten im Zusammenhang mit der Lockerung der Ich-Du-Grenze und mit dem damit verbundenen Verlust der Selbstkontrolle zunehmende Angst sowie vom Gefühl des bevorstehenden Todes begleitete Angst- und Panikattacken auf. Vereinzelt könnten - besonders beim Vorliegen psychiatrischer Belastungsfaktoren in der persönlichen und/oder familiären Vorgeschichte des Konsumenten - nach einmaligem oder auf wenige Tage beschränktem, relativ niedrig dosiertem Ecstasy-Konsum Episoden von paranoiden, allenfalls von Halluzinationen begleiteten psychotischen Entgleisungen auftreten. Es sei anzunehmen, dass Personen, welche solche Komplikationen erleiden, neben sich selbst gegebenenfalls sekundär (z.B. im Strassenverkehr) auch andere gefährdeten. Wegen der genannten belastenden Faktoren sowie der Möglichkeit der Exposition des Ecstasy-Konsumenten zu multiplen psychotropen Substanzen sei die kausale Zuordnung der angeführten psychiatrischen Probleme entweder nur schwer oder manchmal überhaupt nicht durchführbar. Die Gefahr von Ecstasy liege vor allem in der Überdosierung. Mit zunehmender Dosierung des MDMA nehme seine den Blutdruck und die Körpertemperatur erhöhende Wirkung zu. Diese Effekte führten zu lebensgefährlichen bzw. tödlichen Komplikationen. BGE 125 IV 90 S. 101 Die Frage, ob beim Menschen ein Kausalzusammenhang zwischen der Degeneration des serotonergen Hirnsystems und dem Ecstasy-Konsum besteht, sei nach wie vor ungeklärt. Sie bilde Gegenstand einer zur Zeit noch nicht entschiedenen wissenschaftlichen Debatte. Von ihrer Beantwortung hänge auch die Antwort zu zwei weiteren Fragen ab, nämlich zur Frage, ob die erwähnten Schäden bei längerem MDMA-Gebrauch verhältnismässig rasch oder erst nach geraumer Zeit in Erscheinung träten, und zur Frage, ob einmal eingetretene degenerative Schädigungen irreversibel wären. Ob der bei MDMA-Konsumenten vorkommenden chronischen Paranoidpsychose derartige Schäden zugrunde liegen, sei nach wie vor unbekannt. Einerseits werde mit der Möglichkeit gerechnet, dass mit einer persönlichen und/oder familiären psychiatrischen Vorgeschichte belastete Individuen zu psychotischen Entgleisungen prädisponiert seien; anderseits würden solche Entgleisungen, wenn auch nur sehr selten, auch schon bei Ecstasy-Konsumenten beobachtet, die vor dem Ecstasy-Konsum noch unauffällig waren. Für den Menschen kenne man derzeit keine zuverlässigen Zeichen der neurotoxischen Wirkung des Ecstasy, die es ermöglichen würden, vorauszusagen, ob dessen Konsum zu neurodegenerativen Hirnschäden und zu psychiatrischen Störungen führe. Aus dem Vereinigten Königreich (UK) - nicht aber aus den USA - lägen Berichte von Patienten vor, die im Zusammenhang mit dem Ecstasy-Konsum auf noch nicht geklärte Weise eine Leberentzündung (Hepatitis) entwickelten. Bei zwei Patienten, die sich davon völlig erholten, zeige die histologische Untersuchung der bioptisch gewonnenen Leberproben so unterschiedliche Befunde, dass sich daraus die Frage, ob Ecstasy zu einer Leberentzündung führe, nicht beantworten lasse. Beim fortgesetzten Ecstasy-Gebrauch komme es in der Regel nicht zu einer Eskalation der Dosis. Entzugserscheinungen seien bis heute nicht beschrieben worden. Das Risiko, an Ecstasy zu sterben, ausgedrückt durch das Verhältnis der Zahl der Todesfälle zu jener der Ecstasy-Konsumenten, sei sehr klein. Es reiche von minimal einem Todesfall auf 17 Millionen Konsumenten bis maximal einem auf eine Million. Beim Reiten betrügen die entsprechenden Zahlen 1 zu 3,3 Mio; beim Fischen 1 zu 4,5 Mio. Das Skifahren sei mindestens 2-mal und das Fallschirmspringen 10-170-mal so riskant wie der Ecstasy-Konsum. Abschliessend wird bemerkt, es lägen derzeit keine schlüssigen Beweise vor, wonach Ecstasy permanent seelische (psychische) BGE 125 IV 90 S. 102 und/oder organische Schäden verursacht. Die allfälligen Gefahren, die vom Ecstasy-Konsum für die Gesundheit ausgehen, seien geringer als die des Heroins. Insbesondere habe Ecstasy ein bedeutend schwächeres Abhängigkeitspotential. Umgekehrt sei das vom Ecstasy-Konsum ausgehende Gesundheitsrisiko grösser als das von Cannabis. Die Gefahr des LSD, dem ein viel höheres halluzinogenes Potential als Ecstasy zukomme, wird höher eingeschätzt als die von Ecstasy. Auch die Gefahr des Alkohols wird höher eingeschätzt als die von Ecstasy. hh) Nach einer Mitteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich vom 19. März 1999 (Dr. med. F.X. Vollenweider) verdichten sich die Hinweise, dass der häufige Konsum von Ecstasy in hohen Dosen zu einer Beeinträchtigung höherer Gedächtnisfunktionen führen kann. c) Gestützt darauf kann beim heutigen Wissensstand zusammenfassend Folgendes gesagt werden: Ecstasy ist keine Einstiegsdroge. Ein chronischer Missbrauch dieser Substanz ist nicht bekannt. Entzugserscheinungen wurden nicht beobachtet. Schwerwiegende psychiatrische Störungen treten, soweit man das heute beurteilen kann, eher bei einer Minderheit der Konsumenten auf. Über das neurotoxische Potential von Ecstasy kann noch keine klare Aussage gemacht werden. Rückschlüsse von Tierversuchen auf die Humantoxizität sind zurzeit nicht sinnvoll. Der häufige Konsum hoher Dosen Ecstasy kann gegebenenfalls zu einer Beeinträchtigung höherer Gedächtnisfunktionen führen. Schwerwiegende Komplikationen (Rhabdomyolyse, intravasale Gerinnung, akutes Nierenversagen, Hirnschläge) sind - soweit Ecstasy dafür überhaupt kausal ist - sehr selten. Die Frage, ob Ecstasy zu einer Leberentzündung führen kann, kann noch nicht beantwortet werden. Ein Risiko besteht darin, dass die Zusammensetzung und Dosierung der Tabletten in der Regel unbekannt ist. Gefährlich ist insbesondere die Überdosierung. Mit zunehmender Dosierung nimmt die den Blutdruck und die Körpertemperatur erhöhende Wirkung zu, was - namentlich unter den Bedingungen der Tanzparties - zu tödlichen Komplikationen führen kann. Das Todesrisiko ist jedoch sehr klein. Die Gefahr des atypischen Wirkungsverlaufs ist überdies gering. d) Ecstasy ist danach keinesfalls eine harmlose Substanz. Die Droge ist als gefährlicher einzustufen als Cannabis, das auch bei akuter Vergiftung nicht lebensgefährlich ist (vgl. BGE 117 IV 314 E. 2g/aa). Das Gefahrenpotential von Ecstasy liegt jedoch deutlich unter dem der harten Drogen wie Kokain und Heroin, deren Konsum BGE 125 IV 90 S. 103 regelmässig zu erheblichen gesundheitlichen Belastungen mit den entsprechenden sozialen Folgeproblemen führt. Mit diesen Stoffen darf Ecstasy nicht gleichgestellt werden. Nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz liegt Ecstasy näher bei den weichen Drogen. Ecstasy wird überwiegend von sozial integrierten Personen konsumiert. Eine Verelendung der Konsumenten und damit im Zusammenhang stehende Folge- und Beschaffungskriminalität sind nicht zu beobachten. Schwerwiegende psychische oder physische Schädigungen aufgrund des Gebrauchs von Ecstasy sind - dies bei weltweit massenhaftem Konsum - selten. Nach dem heutigen Wissensstand kann nicht gesagt werden, dass Ecstasy geeignet sei, die körperliche oder seelische Gesundheit in eine naheliegende und ernstliche Gefahr zu bringen. Aufgrund der mit BGE 117 IV 314 begründeten restriktiven Rechtsprechung ist Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG deshalb bei Ecstasy nicht anwendbar. Soweit der Kassationshof im unveröffentlichten Urteil vom 13. September 1993 in Sachen I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis - wo die Frage nicht vertieft behandelt wurde - eine andere Auffassung vertreten hat, kann daran nicht festgehalten werden. Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht. Gleich wie die Vorinstanz hat auch die Zürcher Rechtsprechung entschieden (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. Oktober 1997 in Sachen C.). e) Zu betonen bleibt Folgendes: Wie sich aus den Aussagen der Sachverständigen ergibt, ist die Forschung zu den Gesundheitsgefahren von Ecstasy noch nicht abgeschlossen. Sollten wesentliche neue Erkenntnisse - insbesondere zur Neurotoxizität - gewonnen werden, die zu einer abweichenden Beurteilung der Gesundheitsgefahren führen, wird zu überprüfen sein, ob Ecstasy nicht doch unter Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG falle. f) Scheidet Ziff. 2 lit. a bei Ecstasy aus, so bedeutet das nicht, dass die Annahme eines schweren Falles insoweit ausgeschlossen sei. Die banden- oder gewerbsmässige Tatbegehung stellt gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. b und c BetmG auch beim Handel mit Ecstasy einen schweren Fall dar (vgl. BGE 124 IV 286 , wo das Bundesgericht Bandenmässigkeit bejaht und die Strafe von 2 1/2 Jahren Zuchthaus als bundesrechtmässig beurteilt hat [E. 2 und 4]). Art. 19 Ziff. 2 BetmG umschreibt ausserdem den schweren Fall nicht abschliessend. Diese Bestimmung nennt, wie sich aus dem Wort «insbesondere» ergibt, dafür vielmehr Beispiele. Sind erschwerende Umstände gegeben, welche für die Anwendung des Strafrahmens von 1 Jahr Gefängnis bis zu BGE 125 IV 90 S. 104 20 Jahren Zuchthaus sprechen, kann gegebenenfalls auch bei Ecstasy ein schwerer Fall angenommen werden, obwohl Ziff. 2 lit. a-c nicht anwendbar sind. Im Übrigen reicht auch beim Grundtatbestand der Strafrahmen bis 3 Jahre Gefängnis und Fr. 40'000.-- Busse. Damit kann das Verschulden beim Handel mit Ecstasy, sofern weder Banden- noch Gewerbsmässigkeit noch andere entsprechend erschwerende Umstände vorliegen, regelmässig hinreichend abgegolten werden.
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Sachverhalt ab Seite 165 BGE 114 IV 164 S. 165 A.- X. verkaufte von 1982 bis Februar 1986 verschiedenen Personen insgesamt ca. 150 g Haschisch. Von Dezember 1984 bis Juli 1985, als er neben Haschisch auch harte Drogen konsumierte, verkaufte er verschiedenen Personen insgesamt 4 g Heroin; 1 g Heroin schenkte er seiner Freundin. Anfang 1985 verkaufte er 33 LSD-Trips; 3 LSD-Trips schenkte er seiner Freundin. Im Januar 1986 war er als Mittäter beim Transport von 3,5 kg Haschisch aus Amsterdam beteiligt. B.- Das Obergericht des Kantons Schaffhausen verurteilte X. am 18. März 1988 wegen wiederholter und fortgesetzter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 4 und Ziff. 4) zu einer Gefängnisstrafe von zehn Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, und verpflichtete ihn gestützt auf Art. 58 Abs. 4 StGB zur Zahlung von Fr. 5'000.-- an den Staat. C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache sei zur Verurteilung von X. wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a und zur Neufestsetzung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen. X. beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde. BGE 114 IV 164 S. 166 Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Das Obergericht geht davon aus, dass zwischen den Tatkomplexen - Verkauf und Abgabe von 5 g Heroin, - Verkauf und Abgabe von 36 LSD-Trips, - Verkauf von 150 g Haschisch, - Transport von 3,5 kg Haschisch Wiederholungszusammenhang besteht. Es vertritt unter Berufung auf SCHULTZ (in ZBJV 124/1988 S. 15) die Auffassung, dass bei Vorliegen von Wiederholungszusammenhang zwischen den einzelnen Tathandlungen die dabei umgesetzten Betäubungsmittelmengen entgegen der vom Kassationshof in BGE 112 IV 113 E. 2b vertretenen Meinung nicht zusammengezählt werden dürfen. Die durch eine solche Addition der Betäubungsmittelmengen geschaffene Möglichkeit der Anwendung von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG führt nach Ansicht des Obergerichts im übrigen zu einer sachlich nicht gerechtfertigten doppelten Strafschärfung, da die Strafe beim wiederholt handelnden Delinquenten, anders als beim fortgesetzt handelnden, gemäss Art. 68 StGB geschärft werden kann. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass zwischen den genannten Tatkomplexen Wiederholungszusammenhang besteht. Sie verlangt, dass die Betäubungsmittelmengen dennoch in Befolgung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung addiert werden, und dass der Beschwerdegegner demzufolge in Anwendung von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG bestraft werde, da bei Addition der Mengen unbestrittenermassen ein schwerer Fall im Sinne dieser Bestimmung gegeben sei (vgl. dazu BGE 109 IV 143 , BGE 112 IV 112 E. 2a). Sie weist darauf hin, dass sich vorliegend angesichts des relativ dichten tatsächlichen Zusammenhangs zwischen den vier Tatkomplexen ein Eventualdolus in bezug auf die umgesetzte Gesamtmenge noch eher als im BGE 112 IV 109 ff. zugrunde liegenden Fall begründen lässt. 2. Nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG liegt "insbesondere" dann ein schwerer Fall vor, wenn der Täter "weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann". Diese Menge ist objektives Tatbestandsmerkmal und muss daher vom Vorsatz des Täters erfasst sein. a) Es ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner mit einer Menge von Betäubungsmitteln handelte, welche zusammengezählt BGE 114 IV 164 S. 167 die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Läge fortgesetzte Tatbegehung vor, dann hätte sich die (fortgesetzte) Widerhandlung auf eine vom Gesamtvorsatz erfasste Menge von Betäubungsmitteln bezogen, welche zur Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen geeignet ist, und wäre somit der Tatbestand von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG erfüllt. Nach der von der Staatsanwaltschaft nicht angefochtenen Auffassung der Vorinstanz ist vorliegend jedoch nicht Fortsetzungs-, sondern Wiederholungszusammenhang gegeben. Keine der eingeklagten einzelnen Taten (d.h. keine Widerhandlung) bezog sich auf eine Menge von Betäubungsmitteln, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Die durch die einzelnen, rechtlich selbständigen Widerhandlungen in Verkehr gebrachte Gesamtmenge aber wird nicht von einem Gesamtvorsatz erfasst. Daher liegt nach den insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil kein schwerer Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG vor. Bei wiederholter Tatbegehung kann es entgegen den Erwägungen in BGE 112 IV 113 E. 2b keinen wenigstens auf die in Verkehr gebrachte Gesamtmenge bezogenen "(Eventual)-Vorsatz" geben. b) Die Aufzählung der schweren Fälle in Art. 19 Ziff. 2 BetmG ist indessen nicht abschliessend, sondern nur beispielhaft, wie sich aus dem Begriff "insbesondere" ergibt. Es ist deshalb nicht zulässig, die Annahme eines schweren Falles bei wiederholter Tatbegehung grundsätzlich auszuschliessen, wenn keine der einzelnen Widerhandlungen sich auf eine Menge bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen gefährden kann. Wenn schon eine (einzelne oder fortgesetzte) Widerhandlung einen schweren Fall darstellt, sofern die gehandelte Menge von Betäubungsmitteln die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann, dann müssen a fortiori unter derselben Voraussetzung auch mehrere Widerhandlungen einen schweren Fall bilden können. Nach dem Sinn des Gesetzes sollen jene Taten als schwere Fälle gewertet werden, die objektiv und subjektiv schwer wiegen. Unter dem objektiven Gesichtspunkt ist unerheblich, ob der Täter die Betäubungsmittel in einer einzigen grossen Portion oder in vielen kleinen Teilmengen, ob er sie gestützt auf einen einzigen Willensentschluss oder gestützt auf mehrere Willensentschlüsse in Verkehr bringe. Entscheidend ist allein, dass er gesamthaft eine Menge von Betäubungsmitteln umsetzt, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. In subjektiver Hinsicht, verschuldensmässig, wiegt die wiederholte BGE 114 IV 164 S. 168 Tatbegehung regelmässig nicht leichter als die fortgesetzte (vgl. Art. 68 StGB ); wenn ein Täter wiederholt nur mit kleinen Drogenmengen handelt, kann und muss er von einem gewissen Zeitpunkt an auch wissen oder annehmen, dass seine verschiedenen Handlungen zusammen sich auf eine Menge von Betäubungsmitteln beziehen, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Ein schwerer Fall liegt somit bei wiederholter Tatbegehung vor, sofern der Täter durch seine wiederholten Handlungen insgesamt eine Betäubungsmittelmenge umsetzt, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Dabei handelt es sich allerdings, anders als bei fortgesetzter Tatbegehung, nicht um einen schweren Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG , sondern um einen in der beispielhaften Aufzählung in Art. 19 Ziff. 2 BetmG nicht ausdrücklich geregelten schweren Fall. BGE 112 IV 113 E. 2b und BGE 105 IV 73 E. 3a sind in diesem Sinne zu präzisieren. 3. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 18. März 1988 ist daher in Gutheissung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdegegner die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen und ist ihm keine Entschädigung auszurichten.
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Sachverhalt ab Seite 37 BGE 139 V 37 S. 37 A. M., geboren 1949, ist verheiratet und Mutter von Zwillingen (Geburtsjahr 2002). Ihr Ehemann wurde am 31. Dezember 2010 bei der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert. Sie hatte seit über sieben BGE 139 V 37 S. 38 Jahren keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt, als sie sich am 25. Januar 2011 zur Arbeitsvermittlung anmeldete und Antrag auf Arbeitslosenentschädigung stellte. Mit Verfügung vom 6. Oktober 2011 verneinte die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen einen Anspruch auf Arbeitslosentaggelder ab 25. Januar 2011 mit der Begründung, M. erfülle weder die Beitragszeit noch sei sie von der Erfüllung der Beitragszeit befreit. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 1. Dezember 2011 fest. B. In teilweiser Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur weiteren Abklärung und Neuverfügung im Sinne der Erwägungen an die Arbeitslosenkasse zurück (Entscheid vom 16. August 2012). C. Die Arbeitslosenkasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass M. nicht von der Erfüllung der Beitragszeit befreit werden könne. M. lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) stellt das Rechtsbegehren, in Gutheissung der Beschwerde sei der angefochtene Gerichtsentscheid zumindest insofern aufzuheben, als darin die Aussteuerung des Ehepartners als Befreiungsgrund im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG
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Sachverhalt ab Seite 235 BGE 116 Ib 235 S. 235 Am 9. Juni 1980 stimmten die Stimmbürger der Stadt Chur einer Zonenplan- und Baugesetzesrevision zu, die von der BGE 116 Ib 235 S. 236 Regierung mit Beschluss vom 10./28. November 1980 genehmigt wurde. Von dieser Revision erfasst ist unter anderem auch die im Eigentum der Stiftung Priesterseminar St. Luzi stehende Parzelle Nr. 1856 im Halte von insgesamt 126'304,7 m2, indem hievon 36'540 m2 von der Industriezone, 2. Etappe, in die Grünzone umgeteilt wurden. Die Stiftung machte mit Schreiben vom 23. Januar 1981 gegenüber der Stadt Chur eine Entschädigung aus materieller Enteignung geltend und wies diese darauf hin, dass ihr voraussichtlich das Heimschlagsrecht zustehen dürfte. In der Folge stellte die Stadt Chur am 30. März 1982 bei der Enteignungskommission VIII das Begehren, die umgezonte Teilfläche im Halte von 36'540 m2 sei in ihr Eigentum zu übertragen und die Entschädigung auf insgesamt Fr. 4'019'400.-- festzusetzen. Die Stadt Chur anerkannte dabei ausdrücklich, dass die Umzonung den Tatbestand der materiellen Enteignung erfülle. Daraufhin führten die Parteien über Jahre hinweg Verhandlungen, ohne sich einigen zu können. Ab Oktober 1985 ruhten die Verhandlungen. Am 9. September 1987 gelangte die Stiftung Priesterseminar St. Luzi erneut an die Enteignungskommission VIII mit dem Gesuch um Fortsetzung des hängigen Verfahrens, wobei sie mit "neu formulierte(n), modifizierte(n)" Rechtsbegehren die Schätzung des ihr aus materieller Enteignung entstandenen Schadens bzw. der Inkonvenienzen forderte. In ihrer Vernehmlassung vom 5. Oktober 1987 stellte die Stadt Chur die Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass sie ihr Gesuch vom 30. März 1982 auf Eigentumsübertragung der in die Grünzone umgezonten Teilfläche von 36'540 m2 aus der Parzelle Nr. 1856 zurückgezogen habe, dass das Vorliegen einer materiellen Enteignung von der Stadt Chur bestritten werde und dass die Akten dem Verwaltungsgericht zum Entscheid über das Vorliegen einer materiellen Enteignung zu überweisen seien. Mit Entscheid vom 12. April 1988 kam der Präsident der Enteignungskommission VIII zum Schluss, die Bestreitung des Vorliegens einer materiellen Enteignung durch die Stadt Chur sei als widersprüchliches Verhalten zu qualifizieren und verstosse gegen Treu und Glauben. Gegen diesen Entscheid ergriff die Stadt Chur verschiedene Rechtsmittel, unter anderem Einsprache bei der Enteignungskommission und Rekurs beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. BGE 116 Ib 235 S. 237 Am 16. Mai 1988 hob die Enteignungskommission in Gutheissung der Einsprache der Stadt Chur die angefochtene Präsidialverfügung auf und überwies die Akten gemäss Art. 22 Abs. 3 des Enteignungsgesetzes des Kantons Graubünden vom 26. Oktober 1958 (kEntG) dem Verwaltungsgericht zum Entscheid über das Vorliegen einer materiellen Enteignung. In der Folge ordnete der verwaltungsgerichtliche Instruktionsrichter einen zweiten Schriftenwechsel zur Frage der materiellen Enteignung an, indem er der Stiftung Gelegenheit gab, eine Klageschrift einzureichen. Die Stiftung verlangte in ihrer Eingabe vom 8. Juli 1988 die Feststellung, dass das Verfahren vor der Enteignungskommission VIII fortzusetzen sei, da eine gültige Bestreitung des Tatbestandes der materiellen Enteignung nicht vorliege; eventuell sei der Tatbestand der materiellen Enteignung als gegeben festzustellen, so dass das Verfahren vor der Enteignungskommission VIII seinen Fortgang nehmen könne. Das Verwaltungsgericht stellte mit Entscheid vom 23. Januar 1990 fest, dass die Stadt Chur den Tatbestand der materiellen Enteignung nicht gültig bestritten habe. Es wies daher die Enteignungskommission VIII an, das Schätzungsverfahren fortzusetzen. Die Stadt Chur führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit dem Begehren, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 1990 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Stadt Chur keine Entschädigung aus materieller Enteignung schulde. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. a) Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen, ob auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingetreten werden kann ( BGE 115 Ib 459 mit Hinweisen). b) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Frage, ob die im Jahre 1980 durch die Churer Stimmbürger beschlossene Zonenplanänderung zu Lasten der Stiftung Priesterseminar St. Luzi eine materielle Enteignung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) bewirkt hat. Der Begriff der materiellen Enteignung ist bundesrechtlich abschliessend geregelt und für die Kantone verbindlich ( BGE 112 Ib 496 ; BGE 110 Ib 31 ; Urteil des Bundesgerichts vom BGE 116 Ib 235 S. 238 18. August 1989 i.S. Stiftung Priesterseminar St. Luzi, E. 1a). Insofern liegt in materieller Hinsicht eine bundesrechtliche Streitsache vor, welche grundsätzlich der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegt. Daran ändert nichts, dass der angefochtene Entscheid auch auf kantonalem Recht beruht. Nach der Rechtsprechung ist auch der Verstoss gegen kantonales Recht aus dem Bereich von Art. 5 Abs. 2 RPG - unabhängig davon, ob es sich um unselbständige Ausführungsvorschriften oder um selbständiges Ergänzungsrecht handelt - mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend zu machen ( BGE 114 Ib 348 mit Hinweisen). Soweit selbständiges kantonales Recht in Frage steht, beschränkt sich das Bundesgericht indessen auf Willkürprüfung ( BGE 112 Ib 96 f.). 2. Mit dem angefochtenen Entscheid ist das Enteignungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Entschieden wurde einzig die Frage, ob die Stadt Chur den Tatbestand der materiellen Enteignung nachträglich gültig bestritten habe. Das Verwaltungsgericht hat diese Frage verneint und die Sache der Enteignungskommission zugewiesen mit dem Auftrag, das Schätzungsverfahren durchzuführen. Es handelt sich somit um einen letztinstanzlichen Zwischenentscheid, der bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellt ( BGE 108 Ib 381 ). Dieser Zwischenentscheid kann nur dann selbständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht weitergezogen werden, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann ( Art. 97 OG i.V.m. Art. 5 und 45 VwVG ). Diese Voraussetzung ist anders als im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren schon als erfüllt zu betrachten, wenn der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen Aufhebung oder Abänderung des Entscheides hat ( BGE 112 Ib 421 f. mit Hinweisen). Ob ein solcher Nachteil vorliegt, ist im folgenden zu prüfen. a) Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid festgestellt, dass die Stadt Chur den Tatbestand der materiellen Enteignung nicht gültig bestritten hat. Die Anerkennung oder Bestreitung einer materiellen Enteignung wirkt sich gemäss kantonalem Enteignungsgesetz auf den Fortgang des Verfahrens aus. Art. 22 Abs. 3 kEntG regelt dazu folgendes: "Hält das belangte Gemeinwesen eine Forderung aus materieller Enteignung für unbegründet, überweist der Präsident der Enteignungskommission die Akten an das Verwaltungsgericht zum Entscheid über das Vorliegen einer BGE 116 Ib 235 S. 239 materiellen Enteignung." Bestreitet demnach das Gemeinwesen das Vorliegen einer materiellen Enteignung, so wird die Sache dem Verwaltungsgericht überwiesen. Dieses hat alsdann in einem (selbständig anfechtbaren) Entscheid festzustellen, ob eine materielle Enteignung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 RPG vorliege oder nicht. Wird diese Frage verneint, weist es die Klage ab. Kommt das Gericht hingegen zum gegenteiligen Schluss, sind die Akten der Enteignungskommission zuzuweisen, damit sie das Schätzungsverfahren gemäss Art. 11 ff. der Vollziehungsverordnung vom 29. Mai 1958 zum Enteignungsgesetz (VVkEntG) einleite (Art. 22 Abs. 4 kEntG). Der Entscheid der Enteignungskommission über die Höhe der geschuldeten Entschädigung - nicht mehr aber über die bereits rechtskräftig bejahte Frage des Vorliegens einer materiellen Enteignung an sich - ist in der Folge an das Verwaltungsgericht weiterziehbar (Art. 20 lit. k i.V.m. Art. 22 Abs. 1 kEntG). b) Ist das Gemeinwesen - mit dem Forderungskläger - der Auffassung, dass der Tatbestand der materiellen Enteignung erfüllt ist, so erübrigt sich gemäss Art. 22 Abs. 3 kEntG e contrario eine Überweisung der Streitsache an das Verwaltungsgericht; die Enteignungskommission hat in diesen Fällen direkt das Schätzungsverfahren gemäss Art. 11 ff. VVkEntG einzuleiten. Anders als indessen aus dem Wortlaut von Art. 22 Abs. 3 kEntG geschlossen werden könnte, ist die Kommission an die übereinstimmenden Erklärungen der Parteien nicht gebunden. Vielmehr ist von Bundesrechts wegen auch in diesen Fällen zu fordern, dass die Enteignungskommission das Vorliegen einer materiellen Enteignung von Amtes wegen im Schätzungsverfahren prüft (vgl. auch Art. 15 Abs. 1 VVkEntG). Kommt sie dabei zum Schluss, dass trotz übereinstimmender (den Tatbestand der materiellen Enteignung bejahender) Parteierklärungen keine materielle Enteignung vorliegt, so ist keine Entschädigung zuzusprechen. Denn mit der Verneinung des Vorliegens einer materiellen Enteignung ist zugleich ausgesagt, dass keine zu entschädigende Vermögenseinbusse beim Kläger entstanden ist (vgl. ENRICO RIVA, Hauptfragen der materiellen Enteignung, Bern 1990, S. 252 ff.). Die Frage, ob im Einzelfall eine materielle Enteignung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 RPG vorliegt, darf deshalb im Rahmen eines förmlichen staatlichen Verfahrens nicht allein der Disposition der Parteien überlassen werden. Anders entscheiden hiesse, auf kantonaler Ebene Abweichungen vom Begriff der materiellen Enteignung zu gestatten, was angesichts seiner bundesrechtlichen Natur nicht zulässig BGE 116 Ib 235 S. 240 ist. Der Entscheid der Enteignungskommission ist gemäss Art. 20 lit. k i.V.m. Art. 22 Abs. 1 kEntG an das Verwaltungsgericht weiterziehbar; dieses hat - entgegen der in der Präsidialverfügung vom 5. Mai 1988 geäusserten Meinung - nicht nur die Höhe der Entschädigung, sondern vorab auch die in diesem Verfahrensstadium noch nicht entschiedene Frage des Vorliegens einer materiellen Enteignung an sich zu prüfen. Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass die Frage, ob eine materielle Enteignung vorliege, von Amtes wegen abzuklären ist, selbst wenn die Parteien diesen Tatbestand anerkennen. c) Aus diesen Erwägungen folgt für den vorliegenden Fall, dass der angefochtene Entscheid nicht bedeutet, die Frage, ob eine materielle Enteignung vorliege, müsse nicht mehr geprüft werden. Das Verwaltungsgericht hat "vorfrageweise" festgestellt, dass die Stadt Chur den Tatbestand der materiellen Enteignung nicht gültig bestritten habe, weshalb die Enteignungskommission das Schätzungsverfahren gemäss Art. 11 ff. VVkEntG einzuleiten habe. Es hat indessen nicht darüber entschieden, ob eine materielle Enteignung vorliege oder nicht. Dies hat - wie dargelegt - zur Folge, dass die Enteignungskommission über diese Frage im Schätzungsverfahren zu befinden haben wird, da sie bisher nicht rechtskräftig beurteilt wurde. Der Entscheid der Kommission kann gemäss Art. 20 lit. k i.V.m. Art. 22 Abs. 1 kEntG sowohl bezüglich der Frage des Vorliegens einer materiellen Enteignung als auch bezüglich der Höhe einer allfälligen Entschädigung beim Verwaltungsgericht und anschliessend beim Bundesgericht angefochten werden. Daraus folgt aber, dass der Stadt Chur kein nicht wiedergutzumachender Nachteil erwächst, wenn die vorliegende Beschwerde nicht unverzüglich behandelt wird. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach nicht einzutreten.
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Sachverhalt ab Seite 809 BGE 97 I 809 S. 809 Auszug aus dem Sachverhalt: A.- Die Einwohnergemeinde Muri bei Bern beschloss am 25. Mai 1956 einen Alignementsplan mit Sonderbauvorschriften, einen neuen Bauzonenplan und eine Revision des Baureglementes. Durch den am 2. Oktober 1956 vom Regierungsrat des Kantons Bern genehmigten Alignementsplan "Halden" mit Sonderbauvorschriften wurden die Parzelle Nr. 56 des Rudolf Gerber vollständig und die Parzelle Nr. 175 des Wilhelm Wimmer teilweise mit einem Bauverbot belegt. Im Genehmigungsbeschluss des Regierungsrates wird festgestellt, die Gemeinde Muri anerkenne, dass es sich um eine Massnahme der Zwangsenteignung handle, und habe sich zum Ankauf des vom BGE 97 I 809 S. 810 Bauverbot betroffenen Terrains bereit erklärt. Ein Kaufvertrag kam jedoch in der Folge nicht zustande. B.- Mit Eingabe vom 10. Oktober 1966 ersuchten die beiden Grundeigentümer Gerber und Wimmer die zuständige Enteignungs-Schätzungskommission Kreis 2 um Festsetzung der ihnen von der Gemeinde Muri geschuldeten Enteignungsentschädigungen für die Parzellen Nr. 56 und 175. Mit Entscheid vom 15. April 1969 entsprach die Kommission diesem Begehren. Für die Bewertung teilte sie die in Frage stehenden Grundstücke in vier verschiedene Zonen ein: Waldabstandszone, Bauzone, Hangzone, Lischland. Sie zog sodann in Erwägung, dass bei einer Überbauung die Grundeigentümer zweifellos zur Leistung von Beiträgen an den Ausbau der Haldenstrasse verpflichtet worden wären und brachte den dafür mutmasslich geschuldeten Betrag vom Verkehrswert in Abzug. Die Schätzungskommission kam auf diesem Wege zu folgenden Entschädigungen: a) für Rudolf Gerber: 3350 m2 Waldabstandsland à Fr. 45.- FR. 150'750.-- 3810 m2 Bauland "" 130.-- " 495'300.-- 2660 m2 Hangland "" 20.- " 53'200.-- 3247 m2 Lischland "" 1.- " 3'247.-- FR. 702'497.-- abzüglich mutmasslicher Grundeigentümerbeitrag an den Ausbau der Erschliessungsstrasse Fr. 18'000.-- Total Fr. 684'497.-- b) für Wilhelm Wimmer: 1890 m2 Waldabstandsland à Fr. 45.- FR. 85'050.-- 2950 m2 Bauland "" 130.-- " 383'500.-- 1500 m2 Hangland "" 20.- " 30'000.-- 2530 m2 Lischland "" 1.- " 2'530.-- FR. 501'080.-- abzüglich Grundeigentümerbeitrag an den Ausbau der Erschliessungsstrasse Fr. 12'000.-- Total = Fr. 489'080.-- BGE 97 I 809 S. 811 C.- Den Entscheid der Schätzungskommission zog die Gemeinde Muri an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern weiter. Dieses ging davon aus, dass der Einbezug der beiden Parzellen in die Grün- und Landschaftsschutzzone und ihre Belegung mit einem Bauverbot eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung darstelle, die nach den Grundsätzen der materiellen Enteignung zu entschädigen sei. Es entschied, im vorliegenden Falle setze sich die Entschädigung aus dem Verkehrswert der Parzellen per 2. Oktober 1956 (Genehmigung des Alignementsplanes) und der Steigerung des Kulturlandwertes vom 2. Oktober 1956 bis 15. April 1969 (Entscheid der Schätzungskommission) zusammen. Gestützt auf eine gerichtliche Expertise setzte es folgende Entschädigungen fest: R. Gerber: Verkehrswert der Parzelle Nr. 56 als Bauland per 2. Oktober 1956: Fr. 509'300.-- zuzüglich Wertsteigerung des Kulturlandes entsprechend der Verkehrswertdifferenz vom 2. Oktober 1956 bis 15. April 1969 (Fr. 32'700.-- minus Fr. 23'600.--): Fr. 9'100.-- Enteignungsentschädigung: Fr. 518'400.-- W. Wimmer: Verkehrswert der Parzelle Nr. 175 als Bauland per 2. Oktober 1956: Fr. 303'900.-- zuzüglich Wertsteigerung des Kulturlandes entsprechend der Verkehrswertdifferenz vom 2. Oktober 1956 bis 15. April 1969 (Fr. 20'100.-- minus Fr. 14'600.--): Fr. 5'500.-- Enteignungsentschädigung: Fr. 309'400.-- Das Verwaltungsgericht bestimmte überdies, dass jener Teil der Enteignungsentschädigung, der als Schadenersatz für das Bauverbot zu betrachten sei, von dem Zeitpunkt an zu 5% verzinst werden müsse, in welchem die Enteigneten ihre Ansprüche gegenüber dem Gemeinwesen erstmals in aller Form geltend gemacht hätten. BGE 97 I 809 S. 812 D.- Rudolf Gerber und Wilhelm Wimmer reichten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen Verletzung von Art. 4 und Art. 22 ter BV staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, die Entschädigungen im Sinne der in der Beschwerde enthaltenen Erwägungen neu festzusetzen. Die Begründung der Beschwerde geht soweit wesentlich aus den nachfolgenden Erwägungen hervor. E.- Die Einwohnergemeinde Muri beantragt die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde. In gleichem Sinne liess sich das Verwaltungsgericht des Kantons Bern vernehmen, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Zwischen den Beschwerdeführern einerseits und der Einwohnergemeinde Muri anderseits ist in erster Linie der Bemessungszeitpunkt für die unbestrittenermassen geschuldete Entschädigung streitig. Die These, es sei auf den Zeitpunkt des Entscheides der Schätzungskommission, nicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung abzustellen, wird in der Beschwerde alternativ auf zwei Argumente gestützt: Einerseits wird geltend gemacht, zur Zeit der Beschlussfassung über dieses Bauverbot (1956) habe man im Kanton Bern zwischen formeller und materieller Enteignung gar nicht unterschieden und in jedem Fall die Entschädigung nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Schätzung bemessen. Anderseits wird für den Fall der Unterscheidung zwischen formeller und materieller Enteignung die Auffassung vertreten, es handle sich hier um eine formelle, nicht um eine materielle Enteignung, da die Beschwerdeführer von Anfang an (gemäss § 13 Abs. 2 Ziff. 2 des Alignementsgesetzes) die Übernahme der mit Bauverbot belegten Parzellen verlangt hätten und die Einwohnergemeinde sich zur Übernahme bereit erklärt habe. a) Als die hier in Frage stehende Grünzone geschaffen wurde, galt im Kanton Bern noch das sogenannte Alignementsgesetz von 1894 (Gesetz betreffend die Aufstellung von Alignementsplänen und von baupolizeilichen Vorschriften durch die Gemeinden vom 15. Juli 1894). Weder dieses Gesetz noch das damals geltende Enteignungsgesetz vom 2. September 1868 enthalten allgemeine Vorschriften über den Tatbestand, der BGE 97 I 809 S. 813 heute als materielle Enteignung bezeichnet wird. Das alte Enteignungsgesetz geht dort, wo es von Eigentumsbeschränkungen spricht, davon aus, dass es sich um die formelle Einräumung von Rechten (Dienstbarkeiten) handelt, nicht um öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen im heutigen Sinne. In § 13 Abs. 2 Ziff. 3 des Alignementsgesetzes - 1894 - wird ein Sonderfall der materiellen Enteignung geregelt: "Wenn die Gemeinde vorschreibt, dass eine Strasse nur auf einer Seite bebaut werden dürfe, so können die Eigentümer solcher auf der andern Seite gelegener Grundstücke, welche sich sonst zum Bauen eignen würden, von der Gemeinde sofortige Übernahme der Grundstücke gegen Vergütung ihres Wertes vor der Beschränkung oder Ersatz für den durch die Beschränkung entstehenden Minderwert verlangen." In Abs. 1 von § 13 wird der Grundsatz aufgestellt, dass - abgesehen von den in Abs. 2 geregelten Ausnahmen - "wegen der in diesem Gesetz auferlegten Beschränkung der Baufreiheit" eine Entschädigung nicht verlangt werden könne. In Art. 30 des Gesetzes über die Bauvorschriften vom 26. Januar 1958, welches das Alignementsgesetz von 1894 aufhob, wurde dann die Frage der Entschädigungspflicht für Grün- oder Freiflächen folgendermassen geregelt: "Der Eigentümer kann verlangen, dass die Gemeinde nach ihrer Wahl entweder das Grundstück sofort erwerbe oder ihm für den Entzug der Baufreiheit Schadenersatz leiste, wenn das Land für eine Grün- oder Freifläche (Art. 9) beansprucht wird." Weder diesen gesetzlichen Vorschriften noch den von den Beschwerdeführern zitierten Entscheidungen lässt sich entnehmen, dass im Kanton Bern 1956 bei materieller Enteignung die Schätzung als Bemessungszeitpunkt betrachtet worden sei. Soweit eine Entschädigungspflicht anerkannt wurde, ist von sofortiger Übernahme bzw. von "Ersatz für den durch die Beschränkung entstehenden Minderwert" die Rede. Die Frage von Preisschwankungen zwischen dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Beschränkung und der Schätzung ist in diesen Vorschriften nicht ausdrücklich geregelt; aus dem Wortlaut ist aber doch eher zu schliessen, dass das Inkrafttreten der Beschränkung massgebend sein soll. Fehlt für die gegenteilige Ansicht jeder konkrete Anhaltspunkt, so verstösst die mit der heute herrschenden Auffassung übereinstimmende Lösung des bernischen Verwaltungsgerichts, wonach grundsätzlich BGE 97 I 809 S. 814 bei materieller Enteignung - auch wenn sie 1956 erfolgt ist, - für die Bemessung der Entschädigung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung abzustellen ist, weder gegen Art. 4 BV noch gegen die Eigentumsgarantie. Dass das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit der Wahl dieses Bemessungszeitpunktes im Widerspruch zu einer konstanten Praxis der Berner Enteignungsbehörden stehe und daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstosse, ist in keiner Weise belegt. b) Die Beschwerdeführer bestreiten an sich nicht, dass bei materieller Enteignung heute richtigerweise in der Regel die Verhältnisse im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung für die Bemessung der Entschädigung massgebend sind ( BGE 93 I 144 ; bern. Enteignungsgesetz 1965 Art. 21 Abs. 2). Sie vertreten jedoch die Auffassung, diese Regel komme im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, weil es sich gar nicht um eine materielle Enteignung handle. Aus den Akten ergibt sich, dass die Gemeinde schon 1956 die Bereitschaft erklärte, die mit einem Bauverbot belegten Flächen zu übernehmen. Dieser Umstand macht die materielle Enteignung jedoch nicht zu einer formellen Enteignung. Das Wesen der sogenannten materiellen Enteignung besteht darin, dass die Folgen öffentlich-rechtlicher Eigentumsbeschränkungen nachträglich entschädigt werden, weil sie als enteignungsähnlich zu qualifizieren sind. Die formelle Enteignung hingegen schafft die Voraussetzungen für den Übergang von Rechten auf den Enteigner. Die formelle Enteignung steht nach ihrer Struktur und Funktion dem Vertrag näher; sie geht grundsätzlich der zwangsweisen Übertragung des Rechtes voran, während bei der sogenannten materiellen Enteignung der durch den enteignungsähnlichen Eingriff bewirkte Schaden hinterher - nach Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung - festgesetzt und vergütet wird (vgl. hiezu BGE 93 I 143 ). - Bringt man diese Kriterien auf den vorliegenden Fall zur Anwendung, so lässt sich nicht bezweifeln, dass das durch den Alignementsplan geschaffene Bauverbot unter den Begriff der materiellen Enteignung zu subsumieren ist: Es geht nicht um den Erwerb eines Rechtes auf dem Wege der formellen Enteignung, sondern um die Frage der Entschädigung des durch die öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung bewirkten enteignungsähnlichen Eingriffs. Dass das entschädigungspflichtige Gemeinwesen und die BGE 97 I 809 S. 815 Grundeigentümer übereingekommen sind, statt der blossen Entschädigung des Minderwertes solle die Übernahme der Parzellen erfolgen, ändert an der rechtlichen Natur des die Entschädigungspflicht auslösenden Eingriffs und an der Bemessung des dadurch bewirkten Schadens nichts (anderer Auffassung WIEDERKEHR, Expropriationsentschädigung S. 165). Die materielle Enteignung wird durch die Übernahme des Grundstückes nicht in eine formelle Enteignung umgewandelt, sondern lediglich allenfalls durch eine formelle Expropriation ergänzt, soweit es um die Bewertung und Übernahme des bereits durch die Eigentumsbeschränkung belasteten, auf den Kulturlandwert reduzierten Grundstückes geht. Das Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung hat aber in jedem Falle den Minderwert verursacht und eine nachfolgende Wertsteigerung als Bauland verhindert. Insoweit ist eine formelle Enteignung weder nötig noch möglich. Die Argumente, welche bei materieller Enteignung im allgemeinen für die Bemessung der Entschädigung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Beschränkung sprechen, gelten, inbezug auf die Feststellung des infolge eines Bauverbotes eingetretenen Minderwertes auch für den Fall der spätern Übernahme des belasteten Grundstückes durch das entschädigungspflichtige Gemeinwesen, immer unter der Voraussetzung, dass die enteignungsähnliche Wirkung der Eigentumsbeschränkung im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens erkennbar ist und dass der Betroffene seinen Entschädigungsanspruch sofort geltend machen kann ( BGE 93 I 146 ). Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die enteignungsähnliche Wirkung des Bauverbotes sogleich erkennbar war und dass den Grundeigentümern ein Rechtsweg zur Geltendmachung ihrer Entschädigungsansprüche offen stand. Da die enteignungsähnliche Beschränkung unabhängig von der Festsetzung und Bezahlung einer Entschädigung in Kraft tritt, hat das den Eingriff bewirkende Gemeinwesen kein Interesse daran, das Entschädigungsverfahren in Gang zu setzen, sondern wird die Initiative weitgehend dem betroffenen Grundeigentümer überlassen, der zu beurteilen hat, ob der Eingriff für ihn enteignungsähnlich wirkt und ob er deshalb eine Entschädigung beanspruchen will. Bei dieser Situation soll der Betroffene nicht durch spekulatives Zuwarten die Bemessung der Entschädigung beeinflussen können. Ob das entschädigungspflichtige Gemeinwesen schliesslich das Grundstück übernimmt oder ob es nur den durch die BGE 97 I 809 S. 816 Eigentumsbeschränkung verursachten Minderwert vergütet, vermag die Bemessung des primär verursachten Minderwertes nicht zu beeinflussen. Aus der dogmatischen Erwägung, dass die Eigentumsbeschränkung als solche eine gewisse Verwendungsmöglichkeit eo ipso beseitigt und dass daher spätere Preissteigerungen, welche sich auf diese bereits beseitigte Verwendungsmöglichkeit beziehen, für die Entschädigung unbeachtlich sind sowie aus der praktischen Überlegung, dass der Bemessungszeitpunkt fest und spekulativen Manipulationen entzogen sein muss, erscheint der Entscheid der Vorinstanz als richtig. Sie hat den Minderwert nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bauverbotes (1956) bemessen und beim verbleibenden Kulturlandwert die Preissteigerung bis zum Datum der Schätzung berücksichtigt. Dieses Vorgehen entspricht dem verfassungsmässigen Grundsatz der vollen Entschädigung. Eine Einschränkung wäre nur zu machen, sofern die betroffenen Grundeigentümer nicht von Anfang an die Möglichkeit zur Geltendmachung ihrer Ansprüche gehabt hätten oder wenn sie vom entschädigungspflichtigen Gemeinwesen gegen Treu und Glauben von der formellen Einleitung eines Schätzungsverfahrens abgehalten worden wären. Das wird nun aber im vorliegenden Verfahren nicht behauptet. Im Beschluss des Regierungsrates vom 2. Oktober 1956 über die Genehmigung des Alignementsplanes heisst es ausdrücklich, dass Entschädigungsansprüche von den Einsprechern gegebenenfalls vor dem Expropriationsrichter geltend zu machen seien. Dieser Weg wurde trotzdem zunächst nicht eingeschlagen. Es fanden angeblich mündliche Verhandlungen statt, die aber nicht zu einer Einigung führten. Erst im Jahre 1963 wandten die Beschwerdeführer sich schriftlich an die Gemeinde. - Es besteht somit kein Anlass, im vorliegenden Falle von dem grundsätzlich als zweckmässig und richtig erkannten Bemessungszeitpunkt bei materieller Enteignung abzuweichen. Ob die Beschwerdeführer tatsächlich aus spekulativen Gründen zunächst von der formellen Durchsetzung ihrer Ansprüche absahen oder ob andere Überlegungen zur Verzögerung führten, ist hier ohne Belang. Auf jeden Fall fehlt der Nachweis einer tatsächlichen oder rechtlichen Behinderung, welche das Abstellen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bauverbotes als unbegründet erscheinen liesse. 2. -- ... BGE 97 I 809 S. 817 3. Im angefochtenen Entscheid wird festgestellt, dass die Beschwerdeführer im Rahmen ihres gesetzlichen Anspruchs auf volle Entschädigung auch Anspruch auf einen Zins auf jenem Teil der Enteignungsentschädigung haben, der als Schadenersatz für das Bauverbot zu betrachten ist. Der Zinsanspruch beginnt - nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts - in dem Zeitpunkt, "in welchem der Enteignete seinen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Gemeinwesen in aller Form geltend macht". Demgegenüber bringen die Beschwerdeführer vor, richtigerweise sei der Zins vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung an zu zahlen. Auf dieses Vorbringen ist einzutreten, obschon die Beschwerdeführer im Verfahren vor Verwaltungsgericht keinen Zins verlangt haben; das Verwaltungsgericht hatte das Recht von Amtes wegen anzuwenden und neue rechtliche Vorbringen sind daher in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht ausgeschlossen ( BGE 95 I 132 Erw. 5 und 655 Erw. 5). a) Zunächst ist zu prüfen, ob die vom Verwaltungsgericht in Ermangelung einer gesetzlichen Ordnung aufgestellte Regel mit der Eigentumsgarantie im Einklang steht. In der Ausgestaltung der Einzelheiten ihres Enteigungsrechtes sind die Kantone im Rahmen der Eigentumsgarantie frei. Das Bundesgericht auferlegt sich dementsprechend bei der Überprüfung kantonaler Entscheide eine gewisse Zurückhaltung, wenn, wie im vorliegenden Falle inbezug auf die Verzinsung der Entschädigungssumme, diese Gestaltungsfreiheit der Kantone in Frage steht. Unter dem Aspekt des Verfassungsrechtes ist bei solchen Fragen nicht eine "allein richtige Lösung" zu bestimmen, sondern lediglich festzustellen, ob die vom Kanton gewählte Ordnung mit der Eigentumsgarantie vereinbar ist. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf volle Entschädigung darf nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass das entschädigungspflichtige Gemeinwesen die Zahlung der Entschädigung verzögert und so den Anspruchsberechtigten hindert, die ihm zustehende Entschädigungsleistung zu nutzen. Als Ausgleich eines solchen zusätzlichen Schadens durch die zeitliche Hinausschiebung der Zahlung kann ein Zins zugesprochen werden. Der verfassungsmässigen Eigentumsgarantie könnte auch eine andere Form des angemessenen Ausgleichs gerecht werden. Mit der Zusprechung eines Zinses von 5% - analog dem Ansatz in OR Art. 73 und Art. 104 - hat das Verwaltungsgericht eine BGE 97 I 809 S. 818 Lösung getroffen, welche mit der verfassungsmässigen Eigentumsgarantie vereinbar ist. Das gleiche gilt für die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Beginn des Zinsenlaufs setze eine gewisse Aktivität des betroffenen Grundeigentümers voraus. Enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkungen, die eine Entschädigungspflicht des Gemeinwesens nach sich ziehen, können nicht ohne weiteres zivilrechtlicher Schadensverursachung oder dem formellen Entzug einer Eigentümerbefugnis gleichgestellt werden. Die Eigentumsbeschränkung beeinträchtigt unter Umständen die vom Eigentümer gewollte Nutzung des Landes nicht und wird von ihm entschädigungslos akzeptiert. Während im Haftpflichtrecht kurze Verjährungsfristen ( Art. 60 OR : 1 Jahr; Art. 83 SVG : 2 Jahre) den Anspruchsberechtigten zwingen, seine Forderungen geltend zu machen, fehlen inbezug auf die materielle Enteignung entsprechende Vorschriften; der Eigentümer hat Zeit, um sich zu überlegen, ob er eine Entschädigung verlangen will. Dass allenfalls nach zehn Jahren die Verjährung eintritt (vgl. BGE 97 I 624 ff.), ist hier ohne Belang; die Verjährung des Anspruches wird nicht behauptet. Kann bei der materiellen Enteignung der Anspruchsberechtigte den Zeitpunkt der Geltendmachung seiner Forderung in einem weiten Rahmen frei wählen, so muss die durch sein Abwarten verursachte Verzögerung der Entschädigungszahlung nicht unbedingt zu einem Anspruch auf Verzinsung führen. Es ist mit der Eigentumsgarantie vereinbar, dass der Grundeigentümer, solange er sich mit der verbleibenden (bisherigen) Nutzung seines Landes begnügt und keine Entschädigungsforderung stellt, auch keine Verzinsung des später allenfalls eruierten Minderwertes beanspruchen kann, und dass die Pflicht zur Verzinsung der Entschädigung erst in dem Zeitpunkt beginnt, wo der Entschädigungsanspruch gegenüber dem Gemeinwesen in unverkennbarer Weise geltend gemacht wird. b) Erweist sich somit die von der Vorinstanz aufgestellte Regel als verfassungskonform, so bleibt zu prüfen, ob ihre Anwendung im konkreten Falle vor dem Willkürverbot standhält. Aus den Akten ergibt sich, dass offenbar vor der Genehmigung des Alignementsplanes durch den Regierungsrat von der Entschädigungspflicht der Einwohnergemeinde die Rede war und dass damals die Gemeinde sich zur Übernahme der mit einem Bauverbot belegten Grundstücke bereit erklärt hat. BGE 97 I 809 S. 819 Es mag sein, dass in der Folge zwischen den Organen der Gemeinde und den Beschwerdeführern gewisse mündliche Verhandlungen stattfanden, ohne dass es zu einer Einigung über den Preis der Parzellen kam. Die Beschwerdeführer liessen aber dann die Angelegenheit längere Zeit ruhen. Für die Zeit von 1956 bis Frühling 1963 fehlt jeder Beleg dafür, dass die Beschwerdeführer eine Entschädigung ernstlich verlangten. Aus welchen Gründen sie zuwarteten, kann offen bleiben. Sie behaupten selber nicht, die Einwohnergemeinde habe sie wider Treu und Glauben von der Geltendmachung der Ansprüche und von der Einleitung eines richterlichen Schätzungsverfahrens abgehalten. Erst durch Brief vom 15. März 1963 (Gerber) und 16. Juni 1963 (Wimmer) verlangten sie formell eine Entschädigung bezw. die Übernahme der Grundstücke. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts läuft die Verzinsung ab 9. November 1964; unter diesem Datum wurde der Gemeinde Muri vom Anwalt der Beschwerdeführer ein Gesuch mit konkreten Angaben über die Höhe der Ansprüche unterbreitet. Diese Festsetzung des Beginns der Verzinsung verstösst gegen Art. 4 BV . In seinem Brief vom 15. März 1963 verlangte der Beschwerdeführer Gerber unmissverständlich, dass ihm ein Vorschlag über die Höhe der Entschädigung unterbreitet werde; der Beschwerdeführer Wimmer hat am 14. Juni 1963 sogar ein detailliertes Angebot für die Erledigung seiner Entschädigungsansprüche unterbreitet. Nach dem Eingang dieser beiden Schreiben wusste der Gemeinderat, dass die beiden Grundeigentümer Ansprüche stellten und eine baldige Erledigung der Angelegenheit wünschten. Nachdem die Gemeinde sich in der Beschwerdeantwort zu diesem Punkte nicht geäussert hat, ist anzunehmen, dass die erwähnten Briefe der Grundeigentümer - gemäss der Darstellung in der Beschwerde - tatsächlich unbeantwortet blieben. Ein Schreiben des Anwaltes der Beschwerdeführer vom 10. Dezember 1963 blieb ebenfalls unbeantwortet, und auf ein weiteres Schreiben des Anwaltes vom 26. August 1964 erteilte der Gemeinderat Muri am 8. September 1964 eine ausweichende vorläufige Antwort. Diesen Schriftstücken ist zu entnehmen, dass die Verzögerung der Erledigung der Entschädigungsfrage spätestens vom 15. Juni 1963 an auf das Verhalten der Gemeindeorgane zurückzuführen ist. Dass die Beschwerdeführer nicht sogleich das Schätzungsverfahren einleiteten, sondern auf dem Verhandlungswege zu einer Einigung zu kommen suchten, kann ihnen nicht zur Last BGE 97 I 809 S. 820 gelegt werden. Die den Beschwerdeführern für das Bauverbot zugesprochenen Entschädigungen von Fr. 485'700.-- (Gerber) und Fr. 289'300.-- (Wimmer) sind somit spätestens ab 15. Juni 1963 zu verzinsen.
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Sachverhalt ab Seite 255 BGE 110 Ib 255 S. 255 Im Jahre 1976 leitete die Gemeinde Savognin im Zusammenhang mit dem Ausbau der Strasse Sandeilas-Grava das BGE 110 Ib 255 S. 256 Enteignungsverfahren für einen Teil des Grundstücks Nr. 305 in Barnagn (Gemeinde Savognin) ein. Eigentümerin dieser Parzelle im Halte von insgesamt 9834 m2 ist Tina Philipp. Das Ausmass der Landabtretung sowie Art und Höhe der von der Gemeinde Savognin zu leistenden Entschädigung blieben im kantonalen Enteignungsverfahren umstritten. Auf staatsrechtliche Beschwerde von Tina Philipp hob das Schweizerische Bundesgericht den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid mit Urteil vom 25. Februar 1981 auf und wies die Gemeinde darauf hin, dass sie ein neues Enteignungsverfahren für den Erwerb des zum Strassenbau benötigten Landes einleiten oder gestützt auf Art. 27 Abs. 3 des bündnerischen Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 (kant. RPG) die Übertragung der ganzen Parzelle verlangen könne, welche inzwischen im Rahmen einer neuen Ortsplanung der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugewiesen worden war. Auf Rat der Regierung leitete die Gemeinde Savognin in der Folge das Verfahren nach Art. 27 Abs. 3 kant. RPG ein und ersuchte die zuständige Enteignungskommission um Durchführung des Schätzungsverfahrens, nachdem Tina Philipp die angebotene Entschädigung von Fr. 7.--/m2 abgelehnt und Fr. 105.--/m2 verlangt hatte. Mit Entscheid vom 29. September 1982 setzte die Enteignungskommission V die Entschädigung für die Übernahme der ganzen Parzelle Nr. 305 durch die Gemeinde Savognin auf Fr. 68'838.-- (= Fr. 7.--/m2) nebst Zins zu 5% seit 4. Juni 1976 (Datum der vorzeitigen Besitzeinweisung) fest. Massgebender Zeitpunkt für die Wertbestimmung sei die Genehmigung der Ortsplanung durch die Kantonsregierung (12. Juli 1976). Vor der Zuweisung zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen habe das Grundstück zum sog. "Reserve-Baugebiet" gehört, das jedoch wie "übriges Gemeindegebiet" zu behandeln sei. Die Wertbemessung richte sich deshalb nach den für landwirtschaftliches Land gültigen Kriterien. Der seinerzeit im Enteignungsverfahren festgesetzte Landwert von Fr. 7.--/m2 sei nach wie vor angemessen, weil sich die Verhältnisse seither nicht geändert hätten. Gegen diesen Entscheid erhob Tina Philipp erneut Beschwerde beim Verwaltungsgericht, das die Entschädigung mit Urteil vom 31. Mai 1983 auf Fr. 10.50/m2 erhöhte. Hiegegen hat die Grundeigentümerin staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV eingereicht. BGE 110 Ib 255 S. 257 Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden als kantonal letztinstanzliches Enteignungsgericht die von der Gemeinde Savognin zu leistende Entschädigung für die Übernahme des Grundstücks Nr. 305 festgesetzt. Das Übernahmebegehren stützt sich auf Art. 27 Abs. 3 kant. RPG, wonach sowohl der Grundeigentümer als auch die Gemeinde verlangen können, dass eine der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugewiesene Parzelle der Gemeinde zu Eigentum übertragen werde (sog. Heimschlag). Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, das angefochtene Urteil beruhe ausschliesslich auf kantonalem Recht, weshalb dagegen nicht eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Massgabe von Art. 97 ff. OG , wohl aber eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger ( Art. 84 Abs. 1 lit. a OG ) zulässig sei. Wie es sich damit verhält, ist von Amtes wegen zu prüfen ( BGE 107 Ib 229 ). Die staatsrechtliche Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn die behauptete Rechtsverletzung mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden kann ( Art. 84 Abs. 2 OG ). Diesfalls übernimmt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde, weil die behauptete Missachtung von Bundesverfassungsrecht ohne weiteres Gegenstand der Rechtskontrolle im Rahmen des in Art. 104 lit. a OG ("Verletzung von Bundesrecht") vorgesehenen Beschwerdegrundes bildet (vgl. statt vieler BGE 104 Ib 120 , mit weiteren Hinweisen). Dies gilt insbesondere auch für den von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorwurf, mit dem angefochtenen Entscheid sei ihr in Verletzung von Art. 22ter Abs. 3 BV keine volle Entschädigung zuerkannt worden. Nach Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG . Nach dieser Vorschrift gelten als Verfügungen behördliche Anordnungen im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen müssen ( BGE 103 Ib 314 E. 2b). Wird ein Grundstück der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (Art. 27 kant. RPG) zugewiesen, so liegt darin eine Planungsmassnahme im Sinne des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG), auch wenn sie - wie im vorliegenden Fall - vor dem 1. Januar 1980 (Datum des Inkrafttretens des RPG) getroffen wurde ( BGE 107 Ib 229 ff.). Daraus BGE 110 Ib 255 S. 258 folgt, dass gegen Entscheide über die Festsetzung der Entschädigung für die Ausübung des Heimschlagsrechts jedenfalls dann die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben ist, wenn der kantonale Gesetzgeber das Heimschlagsrecht als Folge einer Planungsmassnahme gemäss RPG gewährt, in welcher eine enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkung liegt oder liegen könnte, und wenn - zumindest unter anderem - umstritten ist, ob und in welchem Masse eine Entschädigung für den planerischen Eingriff geschuldet sei (Art. 5 in Verbindung mit Art. 34 RPG ; BGE 109 Ib 261 E. 1; BGE 108 Ib 334 nicht publ. E. 1, Urteil i.S. Blaser/Lüthi vom 17. Februar 1982, auszugsweise publ. in ZBl 83/1982 S. 207 ff.). Dies gilt auch dann, wenn sich diese Frage im Rahmen eines formellen Enteignungsverfahrens stellt bzw. wenn die materielle durch eine formelle Enteignung ergänzt wird (vgl. zit. Urteile). Die Voraussetzungen zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind im vorliegenden Fall erfüllt: Art. 27 kant. RPG ermächtigt die bündnerischen Gemeinden, Zonen für öffentliche Bauten und Anlagen zu schaffen. Nach Art. 27 Abs. 3 können die betroffenen Grundeigentümer durch schriftliche Bekanntgabe ihres Angebotes die Übertragung des Eigentums an die Gemeinde verlangen. Der Gemeinde steht das gleiche Recht zu. In Anwendung dieser Vorschrift hat die Gemeinde Savognin die Parzelle Nr. 305 an sich gezogen und das Schätzungsverfahren durchführen lassen. Was die Einwendungen der Grundeigentümerin anbelangt, so wird bezeichnenderweise nicht in erster Linie vorgebracht, für das bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstück sei von den kantonalen Instanzen ein zu niedriger Verkehrswert festgesetzt worden. Die Beschwerdeführerin bringt vielmehr zur Hauptsache vor, das Verwaltungsgericht habe entgegen Art. 11 Abs. 1 des kantonalen Enteignungsgesetzes keine "bessere Verwendungsmöglichkeiten" (als künftiges Bauland) in Rechnung gestellt, und macht damit sinngemäss geltend, die im Jahre 1976 erfolgte Zuweisung des Grundstücks Nr. 305 zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen habe eine reale, private Überbauungsmöglichkeit zunichte gemacht. Der wahre Streitgegenstand betrifft mithin die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch die Zonenplanrevision 1976 enteignungsähnlich betroffen worden sei. Die form- und fristgerecht eingereichte staatsrechtliche Beschwerde ist demnach als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln. BGE 110 Ib 255 S. 259 2. Die Beschwerdeführerin rügt, für die Festsetzung der Heimschlagsentschädigung seien - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nicht die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Jahre 1976 massgebend. Mit dem auf Art. 27 Abs. 3 kant. RPG gestützten Schätzungsbegehren vom 15. Juni 1982 habe die Gemeinde Savognin bei der zuständigen Enteignungskommission ein neues Verfahren eingeleitet, das keineswegs als blosse Fortsetzung des früheren formellen Teilenteignungsverfahrens für den Strassenbau Sandeilas-Grava angesehen werden dürfe. Richtig ist, dass das seinerzeit angehobene Verfahren zur Festsetzung der Entschädigung für eine formelle Teilenteignung der Parzelle Nr. 305 wegen des am 15. Juni 1982 gestellten (und grundsätzlich unbestrittenen) Übernahmebegehrens gegenstandslos geworden ist. Die kantonalen Enteignungsgerichte hatten in der Tat nur noch darüber zu befinden, welche Entschädigung der Beschwerdeführerin für die Übernahme der ganzen Parzelle Nr. 305 zusteht. Das bedeutet jedoch nicht, dass für die Beurteilung aller hier interessierenden Rechtsfragen notwendigerweise die Verhältnisse im Jahre 1982 massgebend seien, wie die Beschwerdeführerin meint. Anlass für die Ausübung des Heimschlagsrechts gab die Zuweisung des Grundstücks Nr. 305 zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen im Rahmen der Zonenplanrevision 1976, die mit der regierungsrätlichen Genehmigung vom 12. Juli 1976 rechtskräftig wurde. Weil die Beschwerdeführerin behauptet, mit dieser Planungsmassnahme seien private Überbauungschancen vernichtet worden, muss für die Bemessung der so begründeten vollen Entschädigung für den Heimschlag auf den Sommer 1976 abgestellt werden, denn Streitgegenstand ist - wie schon erwähnt - in diesem Zusammenhang, ob der Zonenplan 1976 für die Beschwerdeführerin eine materielle Enteignung bewirkt habe. Für diese Frage ist aber seit jeher auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung abzustellen ( BGE 108 Ib 338 /339, BGE 109 Ib 16 E. 3, mit Hinweisen). Eine Ausnahme gilt lediglich mit Bezug auf den landwirtschaftlichen Restwert, da die planerische Eigentumsbeschränkung eine Preisentwicklung für landwirtschaftlichen Boden nicht ausschliesst. Die Beschwerdeführerin hat demnach Anspruch darauf, dass für die Bemessung des landwirtschaftlichen Verkehrswerts des Grundstücks Nr. 305 auf die Verhältnisse im Jahre 1982 abgestellt wird, falls die Zuweisung zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen keine materielle Enteignung bewirkt BGE 110 Ib 255 S. 260 hat. Insoweit ist die Begründung des angefochtenen Entscheids nicht klar. Es bleibt aber dabei, dass aufgrund der Verhältnisse im Sommer 1976 zu entscheiden ist, ob die Zuweisung der Parzelle Nr. 305 zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen die Beschwerdeführerin enteignungsähnlich getroffen hat. Soweit diese etwas anderes behauptet, erweist sich ihre Beschwerde als offensichtlich unbegründet. Insbesondere vermag die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang aus BGE 97 I 603 ff. sowie aus dem unveröffentlichten Urteil vom 15. Dezember 1982 i.S. Viamala Garage AG nichts zu ihren Gunsten abzuleiten.
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Sachverhalt ab Seite 265 BGE 144 V 264 S. 265 A. A.a Die Pensionskasse B. verzeichnete Ende 2012 eine Reduktion von 452 Aktivversicherten, weil die Stifterfirma einen grossen Dienstleistungsvertrag verloren hatte. Diese Aktivversicherten wechselten mehrheitlich (kollektiv) zu zwei neuen Arbeitgebern und deren Vorsorgeeinrichtungen (Pensionskasse A. bzw. Sammelstiftung C.). In der Folge beschloss der Stiftungsrat der Pensionskasse B. die Durchführung einer Teilliquidation per Stichtag 31. Dezember 2012. A.b 24 ausgetretene Aktivversicherte und die übernehmende Pensionskasse A. liessen den Verteilplan bei der BVG- und Stiftungsaufsicht beider Basel (BSABB) überprüfen. Im Fokus standen die Umstellung der technischen Grundlagen per 31. Dezember 2012 und die Rückstellung "Rentnerdeckungskapital", die per 31. Dezember 2014 in die Rückstellung "Rentnerkasse" umgewandelt wurde. Hintergrund dieser Umwandlung bildete - wegen eines weiteren Abgangs von Aktivversicherten - eine zweite Teilliquidation per 31. Dezember 2014.
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Erwägungen ab Seite 472 BGE 113 II 472 S. 472 Erwägungen: 1. Das Obergericht hat im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, dass Art. 120 Ziff. 4 ZGB aufgrund der Revision des Bürgerrechtsgesetzes im Jahre 1952 in das ZGB aufgenommen worden sei. Vorher sei eine sog. Bürgerrechtsehe wegen Rechtsmissbrauchs als nichtig betrachtet worden. Das Bundesgericht habe seine Rechtsprechung auf Art. 2 ZGB abgestützt und dem bösgläubigen Ehemann, der eine Bürgerrechtsehe eingegangen sei, das Klagerecht abgesprochen ( BGE 66 II 226 und BGE 70 II 5 ). Da Art. 120 Ziff. 4 ZGB im wesentlichen aus dieser früheren Bundesgerichtspraxis entstanden sei, müsse die neue Bestimmung im Lichte dieser Rechtsprechung ausgelegt werden. BGE 113 II 472 S. 473 Auch nach Auffassung des Obergerichts ist es heute zwar nicht mehr zulässig, die Nichtigkeit einer Bürgerrechtsehe aufgrund von Art. 2 ZGB zu beurteilen, nachdem der Gesetzgeber eine klare Regelung getroffen hat. Damit sei aber noch nicht gesagt, dass der bösgläubige Ehemann zur Klage berechtigt sei. Die Frage, ob eine Klage gegen Art. 2 ZGB verstosse, könne sich immer stellen. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Bestimmung, wonach der offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz findet, bei der Nichtigkeitsklage nach Art. 120 Ziff. 4 ZGB nicht anzuwenden wäre. In diesem Rahmen habe die frühere Bundesgerichtspraxis nach wie vor ihre Gültigkeit. Wie das Obergericht festhält, hat der Kläger im vorliegenden Fall zugegeben, zum Abschluss einer reinen Bürgerrechtsehe Hand geboten zu haben. ... Ein Liebesverhältnis sei ... nie entstanden. Sodann habe die Beklagte den Kläger noch vor dem Eheabschluss schriftlich von jeglicher Verpflichtung aus der Ehe entbunden. Es sei weder je ein Zusammenleben aufgenommen worden, noch sei es je zu sexuellen Beziehungen gekommen. Die Heirat habe einzig und allein dazu gedient, der Beklagten das Schweizer Bürgerrecht zu verschaffen, um ihr das Verbleiben in der Schweiz zu ermöglichen. Wenn der Kläger heute verlange, dass seine Ehe gestützt auf Art. 120 Ziff. 4 ZGB für ungültig erklärt werde, berufe er sich auf sein eigenes Unrecht, was rechtsmissbräuchlich sei. Sein Interesse an der Nichtigkeit der Ehe verdiene keinen Rechtsschutz. 2. Zur Begründung ihres Urteils stützt sich die Vorinstanz u.a. auf MERZ, N. 295 zu Art. 2 ZGB , und auf HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 7 Anm. 5. Der letztgenannte Autor nimmt indessen nicht Stellung zu der Frage, ob dem Ehegatten, der zum Abschluss einer Bürgerrechtsehe Hand geboten hat, die Nichtigkeitsklage verwehrt bleiben müsse, weil er sich auf das eigene Unrecht beruft. Er bemerkt vielmehr nur unter Hinweis auf BGE 87 II 277 und MERZ, N. 296 zu Art. 2 ZGB , dass bei einer Bürgerrechtsehe die Ehegatten nicht unter allen Umständen mit der Berufung darauf, ihr Scheidungsbegehren sei rechtsmissbräuchlich, in ihrer inhaltlosen Ehe gegen ihren Willen festgehalten werden sollten. Die Scheidung sollte ihnen offenstehen, wenn die Möglichkeit einer sinnvollen Weiterführung der ehelichen Gemeinschaft zu verneinen sei. Auch bei MERZ, N. 292 ff. zu Art. 2 ZGB , vermag das Obergericht für seine Betrachtungsweise keine Stütze zu finden. Dieser Autor äussert sich nicht zur gesetzlichen Regelung von Art. 120 Ziff. 4 ZGB als solcher. BGE 113 II 472 S. 474 Er beschränkt sich darauf, die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Bürgerrechtsehe, die sich auf Art. 2 ZGB stützte, zu kritisieren, und zwar weil er glaubt, dass diese Rechtsprechung in anderem Zusammenhang weiterhin von Bedeutung sein könne. MERZ bezeichnet es in N. 295 zu Art. 2 ZGB als bedenklich, dass der dem Schutz von privaten Interessen dienende Art. 2 ZGB hier zur Wahrung ausschliesslich öffentlicher Interessen eingesetzt werde. Nach seiner Vorstellung (N. 296) sollte nur die Erschleichung des Bürgerrechts für rechtsmissbräuchlich erklärt werden, während die Ehe aufrechtzuerhalten wäre. Diese könnte dann aus andern Gründen nichtig erklärt oder geschieden werden. Die Verweigerung der Scheidung einer Bürgerrechtsehe unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 ZGB erscheint MERZ dann selber wieder als rechtsmissbräuchlich (N. 296 zu Art. 2 ZGB ). Dass dieser Autor nicht der Auffassung ist, dem bösgläubigen Ehegatten sollte die Nichtigkeitsklage aus Art. 120 Ziff. 4 ZGB nicht zustehen, ergibt sich auch aus seiner Äusserung in N. 551 zu Art. 2 ZGB . An dieser Stelle kritisiert MERZ die Meinung von PIOTET, die tatsächlich getrennt lebende Ehefrau könne sich nicht darauf berufen, dass sie mangels Berechtigung zum Getrenntleben keinen eigenen Wohnsitz begründet habe. Er bemerkt dazu, dieser Vorschlag von PIOTET sei nicht unbedenklich, weil auch die Interessen des Ehemannes und der öffentlichen Ordnung zu berücksichtigen seien. Das Verbot der Berufung auf eigenes Unrecht hat demnach gemäss der Auffassung von MERZ vor den Interessen der öffentlichen Ordnung zu weichen. Um diese Frage geht es aber auch im Zusammenhang mit der Klage auf Nichtigerklärung der Bürgerrechtsehe. Das Obergericht beruft sich somit zu Unrecht auf die beiden Autoren MERZ und HINDERLING zur Stützung seiner Auffassung, dass das Rechtsmissbrauchsverbot nicht nur beim Schutz privater, sondern auch bei der Berücksichtigung öffentlicher Interessen gelten müsse. 3. Man kann sich fragen, ob Art. 120 Ziff. 4 ZGB dadurch, dass er die Ehe als solche als nichtig erklärt, obwohl an sich nur der Bürgerrechtserwerb der Ausländerin, die einen Schweizer heiratet, wegen Rechtsmissbrauchs dahinfallen sollte, nicht zu weit geht. Auch MERZ, N. 296 zu Art. 2 ZGB , äussert Zweifel an dieser Verknüpfung von Ehe und Bürgerrecht in Art. 120 Ziff. 4 ZGB . Solche Zweifel legen die gesonderte Behandlung dieser beiden Gesichtspunkte nahe. Nach der dargelegten Auffassung von MERZ BGE 113 II 472 S. 475 sollte die Ehe, die allein zum Erwerb des Schweizer Bürgerrechts durch die Ehefrau eingegangen wurde, bestehen bleiben, bis sie rechtsgültig geschieden wird, während das durch die Ehe erworbene Bürgerrecht der ausländischen Ehefrau dieser schon vorher wieder entzogen werden sollte. Indessen kann auch diese Betrachtungsweise nichts daran ändern, dass in einer ausschliesslich zum Erwerb des Bürgerrechts eingegangenen Ehe von Anfang an kein Ehewille vorhanden war. Dieser ist nicht erst im Laufe der Ehe erloschen, wie dies normalerweise im Scheidungsverfahren mit Rücksicht auf mindestens eine Partei geltend zu machen ist. Müsste nun die Scheidung der Bürgerrechtsehe zugelassen werden, wie die beiden Autoren es nahelegen, so stellte sich die Frage des Rechtsmissbrauchs erst recht. Das Verbot, sich auf eigenes Unrecht zu berufen, würde dem bösgläubigen Ehegatten verunmöglichen, den von Anfang an fehlenden Ehewillen zum Scheidungsgrund zu erheben, was zur Folge hätte, dass eine Bürgerrechtsehe auch nicht geschieden werden könnte. Diese Schlussfolgerung wird aber sowohl von MERZ als auch von HINDERLING als formalistisch und damit selber wieder als rechtsmissbräuchlich abgelehnt. Im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsehe steht somit doch nicht allein der Bestand des Bürgerrechts der bis zur Heirat ausländischen Ehefrau, sondern auch der Bestand der Ehe selber in Frage. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint aber die Absicht des Gesetzgebers, in Art. 120 Ziff. 4 ZGB im öffentlichen Interesse eine Nichtigkeitsklage zuzulassen, die von den Behörden von Amtes wegen zu erheben ist und die nicht nur auf den Bestand des erschlichenen Bürgerrechts, sondern auch der allein zu diesem Zweck eingegangenen Ehe gerichtet ist, nicht mehr so befremdlich, wie es auf den ersten Blick der Fall sein mag. Den Meinungsäusserungen der beiden Autoren, auf die sich die Vorinstanz beruft, lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass das grundsätzlich als begründet erscheinende Verbot der Berufung auf eigenes Unrecht dazu dienen soll, das unbestreitbare öffentliche Interesse am Verlust eines durch die Ausländerin erschlichenen Schweizer Bürgerrechts zu durchkreuzen. Darauf läuft aber die vom Obergericht im angefochtenen Entscheid vertretene Auffassung im Ergebnis hinaus, wonach die Berufung auf eigenes Unrecht auch dann ausgeschlossen bleiben müsse, wenn nicht nur private, sondern auch öffentliche Interessen auf dem Spiele stehen. Der Ehegatte, der bewusst zur reinen Bürgerrechtsehe Hand geboten hat, sollte ja bei seinem BGE 113 II 472 S. 476 Unrecht behaftet werden, so dass mit der Ehe mindestens vorerst auch das erschlichene Bürgerrecht weiterbesteht. Ein solches Ergebnis ist um so weniger sinnvoll, als der Richter, der die Berufung des Ehemannes auf eigenes Unrecht nicht zulassen will, dann doch gestützt auf Art. 121 ZGB dafür zu sorgen hat, dass die Nichtigkeitsklage gemäss Art. 120 Ziff. 4 ZGB von Amtes wegen erhoben wird. Aber auch dem Ehemann, dem das Obergericht die Legitimation zur Nichtigkeitsklage abgesprochen hat, müsste es unbenommen bleiben, die zuständige Behörde zu dieser Klage zu veranlassen. In diesem Fall würde aber eine Berufung auf Rechtsmissbrauch zum vornherein entfallen, weil die zuständige Behörde immer im öffentlichen Interesse tätig werden muss, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage gegeben sind (vgl. BGE 113 II 64 E. 4d im Zusammenhang mit Art. 218 ff. OR ). Es ist deshalb auch nicht einzusehen, weshalb der Ehemann nur auf die Scheidungsklage verwiesen werden sollte, die übrigens gutzuheissen wäre, wenn eine echte eheliche Gemeinschaft von allem Anfang an nie gewollt war und ihre Aufnahme auch für die Zukunft nicht als zumutbar erschiene. Dass schliesslich die das Schweizer Bürgerrecht erschleichende Ehefrau eines besondern Schutzes bedürfte, will nicht einleuchten, muss doch auch ihr ein vom Gesetzgeber verpöntes Verhalten zur Last gelegt werden, wovon auch Art. 120 Ziff. 4 ZGB ausgeht. 4. Das Obergericht hat somit Bundesrecht verletzt, indem es dem Kläger die Legitimation zur Nichtigkeitsklage gemäss Art. 120 Ziff. 4 ZGB abgesprochen hat. Die Berufung ist demzufolge gutzuheissen und die Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, nachdem diese die Klage nicht materiell geprüft und sich über deren Nebenwirkungen überhaupt nicht ausgesprochen hat.
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Sachverhalt ab Seite 166 BGE 145 III 165 S. 166 Am 5. November 2009 führte die Junge SVP Thurgau in Frauenfeld eine Kundgebung für die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" durch. Die S.-Stiftung (fortan: Stiftung) berichtete über die Veranstaltung und über die von X. gehaltene Rede. Der Bericht wurde auf der Website der Stiftung in der Rubrik "Chronologie", Kategorie "Verbaler Rassismus" aufgeschaltet. Auf Klage von X. hin erliess das Obergericht gegen die Stiftung das Verbot, den Eintrag über X. auf ihrer Internetseite sowie in ihren anderen Publikationsmitteln unter dem Titel oder in der Rubrik "Verbaler Rassismus" zu publizieren. Das Verbot wurde der Androhung der Bestrafung im Widerhandlungsfall gemäss Art. 292 StGB unterstellt. Die Stiftung legte dagegen Beschwerde ein, die das Bundesgericht abwies, soweit darauf eingetreten werden konnte (Urteil 5A_82/2012 vom 29. August 2012, teilweise veröffentlicht in BGE 138 III 641 ). Am 13. März 2013 reichte die Stiftung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Individualbeschwerde wegen Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit ein. Der EGMR stellte am 9. Januar 2018 einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK
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Sachverhalt ab Seite 201 BGE 113 Ia 200 S. 201 Unter dem Namen "Zweckverband Regionale Wasserversorgung Gäu" besteht im Kanton Solothurn ein öffentlichrechtlicher Zweckverband mit eigener Rechtspersönlichkeit im Sinne von § 10 des solothurnischen Gemeindegesetzes. Neben andern Einwohnergemeinden gehört dem Zweckverband als Mitglied die Einwohnergemeinde Egerkingen an. Der Verband bezweckt den Bau und Betrieb einer gemeinsamen Grundwasserfassungsanlage mit Pumpwerk und Trafostation in Neuendorf und die Versorgung der Verbandsgemeinden mit Wasser gemäss den in den Statuten enthaltenen Bestimmungen. Die Statuten des Zweckverbandes wurden vom Regierungsrat des Kantons Solothurn mit Beschluss vom 24. Januar 1975 genehmigt. Sie regeln im einzelnen die Organisation des Verbandes (Art. 7 ff.), den Bau, Unterhalt, Betrieb und Wasserbezug (Art. 26 ff.), die Finanzierung, Kostenverteilung und Haftung (Art. 36 ff.), Staatsaufsicht und Streitigkeiten (Art. 47 ff.), Auflösung, Liquidation und Austritt (Art. 50 f.) und enthalten verschiedene Schlussbestimmungen (Art. 53 ff.). Hinsichtlich der Änderung der Statuten ist vorgesehen, dass eine solche der Zustimmung BGE 113 Ia 200 S. 202 von zwei Dritteln der Delegierten in der Delegiertenversammlung sowie der Zustimmung von zwei Dritteln der Verbandsgemeinden bedarf (Art. 55 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 50 Ziff. 1 und 2 und Art. 6b Abs. 2). Aufgrund massgeblicher Projektänderungen und infolge der Redimensionierung des Planungszieles hat der Zweckverband Regionale Wasserversorgung Gäu eine Revision der Statuten durchgeführt. Die Delegiertenversammlung hat der Revision am 23. Januar 1985 mit der erforderlichen Zweidrittels-Mehrheit zugestimmt. Die Zustimmung erteilten ferner alle Verbandsgemeinden ausser der Einwohnergemeinde Egerkingen. In der Folge genehmigte der Regierungsrat des Kantons Solothurn die revidierten Statuten mit Beschluss vom 15. April 1986. Im Genehmigungsbeschluss führte der Regierungsrat aus, dass die Revision angesichts der Art. 55 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 50 Ziff. 2 der Statuten trotz der fehlenden Zustimmung der Einwohnergemeinde Egerkingen rechtsgültig zustande gekommen sei. Gegen diesen Genehmigungsbeschluss des Regierungsrates reichte die Einwohnergemeinde beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie ein. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen Auszug aus den Erwägungen: 1. a) Der Zweckverband Regionale Wasserversorgung Gäu ist nach Art. 1 Abs. 1 der Statuten eine öffentlichrechtliche Körperschaft im Sinne von § 10 des Gemeindegesetzes des Kantons Solothurn vom 27. März 1949 (GG). Den beteiligten Verbandsgemeinden obliegen nach den Statuten Verpflichtungen auf dem Gebiete der Grundwasserfassung und der Wasserversorgung. Mit der Revision der Statuten werden diese Verpflichtungen geändert. Der Beschluss des Regierungsrates, die Statutenrevision zu genehmigen, trifft die beschwerdeführende Gemeinde damit in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt. Die Beschwerdeführerin ist daher legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung ihrer Autonomie zu rügen. Ob ihr im betreffenden Bereich tatsächlich Autonomie zusteht, ist keine Frage der Legitimation, sondern bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung ( BGE 111 Ia 252 E. 2, 110 a 198 E. 1, mit Hinweisen). Unter diesem Gesichtswinkel steht dem Eintreten auf die Beschwerde nichts entgegen. BGE 113 Ia 200 S. 203 b) Das Bau-Departement macht in seiner Vernehmlassung in verschiedener Hinsicht geltend, auf die Beschwerde könne nicht eingetreten werden. Zum einen führt es aus, die Einwohnergemeinde Egerkingen habe keinen förmlichen Entscheid über die von der Delegiertenversammlung verabschiedete Statutenrevision nach Art. 6a der Statuten getroffen; es könne daher nicht behauptet werden, die Beschwerdeführerin habe den neuen Statuten nicht zugestimmt. Das Bau-Departement übersieht indessen, dass tatsächlich keine Zustimmung von Seiten der Beschwerdeführerin vorliegt. Der Regierungsrat hat denn die Statutenrevision auch ungeachtet der Form der Nichtzustimmung genehmigt und keinen vorgängigen Entscheid der Einwohnergemeinde Egerkingen verlangt. Bei dieser Sachlage steht der Einwand des Bau-Departementes dem Eintreten nicht entgegen. Zum andern wendet das Departement ein, die Beschwerdeführerin hätte vorgängig beim Regierungsrat Beschwerde nach Art. 49 der Statuten erheben müssen. Nach Art. 49 Abs. 1 der Statuten sind Beschwerden u.a. gegen Beschlüsse der Delegiertenversammlung innert zehn Tagen beim Regierungsrat einzureichen, sofern sich aus den Statuten nichts anderes ergibt. Es ist indessen fraglich, ob der Regierungsrat auf eine Beschwerde der Einwohnergemeinde Egerkingen überhaupt eingetreten wäre, welche sich gegen die Beschlussfassung über die Statutenrevision gerichtet hätte und mit welcher eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend gemacht worden wäre. Denn unmittelbar im Anschluss an den Beschluss der Delegiertenversammlung stand noch keineswegs fest, ob eine den Statuten entsprechende Mehrheit der Mitglieder-Gemeinden die neuen Statuten tatsächlich genehmigen würde, und demnach konnte sich die Beschwerdeführerin in jenem Zeitpunkt auch noch nicht über eine Autonomieverletzung beschweren. Die gerügte Autonomieverletzung kam aus der Sicht der Beschwerdeführerin vielmehr erst mit der regierungsrätlichen Genehmigung der neuen Statuten zustande. Bestanden demnach an der Zulässigkeit der Beschwerde nach Art. 49 Abs. 1 der Statuten ernstliche Zweifel, so brauchte dieses Rechtsmittel nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unter dem Gesichtswinkel von Art. 86 Abs. 2 und Art. 87 OG nicht ergriffen zu werden ( BGE 110 Ia 213 E. 1, BGE 106 Ia 58 oben, mit Hinweisen). Demnach kann auch in dieser Hinsicht auf die Beschwerde eingetreten werden. BGE 113 Ia 200 S. 204 c) Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, der Regierungsrat habe die Statutenbestimmungen betreffend die Statutenrevision in verfassungswidriger Weise angewendet und sie dadurch in ihrer Autonomie verletzt. Sie behauptet vielmehr, die Statutenbestimmungen stünden in diesem Punkte mit § 10 GG im Widerspruch; deren Anwendung verletzte sie daher in ihrer Autonomie. Damit verlangt sie ausdrücklich eine vorfrageweise Überprüfung der Statutenbestimmungen auf ihre Gesetzmässigkeit. Es fragt sich daher, ob das Bundesgericht eine solche vorfrageweise Überprüfung der Statuten vornehmen kann. Der Zweckverband Regionale Wasserversorgung Gäu ist, wie oben dargelegt, eine öffentlichrechtliche Körperschaft. Die Statuten bilden gewissermassen die Verfassung des Zweckverbandes und haben rechtssatzähnlichen Charakter mit bindender Wirkung für die beteiligten Gemeinden (vgl. MARCEL SCHENKER, Das Recht der Gemeindeverbände, Diss. St. Gallen 1986, S. 113; HANS-MARTIN ALLEMANN, Gemeinde- und Regionalverband im bündnerischen Recht, Diss. Basel 1983, S. 147; THOMAS PFISTERER, Das Recht der Abwasserzweckverbände, Diss. Bern 1968, S. 107). In dieser Hinsicht steht einer vorfrageweisen Überprüfung der Statuten nichts entgegen. Die Zulässigkeit der Überprüfung wird auch nicht durch den Umstand ausgeschlossen, dass die Beschwerdeführerin bei der Gründung des Zweckverbandes den Statuten und den darin enthaltenen Bestimmungen über die Statutenrevision zugestimmt hatte. Die Gemeinde Egerkingen brauchte sich damals nicht Rechenschaft darüber zu geben, wie die streitigen Statutenbestimmungen sie eines Tages treffen würden; die Tragweite dieser Bestimmungen konnte vielmehr erst im Laufe der Zeit und mit den wachsenden Aufgaben des Zweckverbandes erfasst werden (vgl. BGE 107 Ia 95 , BGE 104 Ia 175 ). Für sie bestand daher im Gründungsstadium kein Anlass, den Statuten nicht zuzustimmen oder eine entsprechende Beschwerde zu erheben. Die vorliegende Situation unterscheidet sich damit nicht grundlegend von derjenigen, in der ein Bürger eine vorfrageweise Überprüfung eines kantonalen Gesetzes oder einer kantonalen Verordnung verlangt (vgl. BGE 111 Ia 185 f.). Demnach erweist sich die vorliegende Beschwerde auch unter diesem Gesichtswinkel als zulässig. Schreitet das Bundesgericht indessen zu einer inzidenten Normenkontrolle, so stellt es lediglich eine allfällige Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Norm fest, mit der Folge, dass die entsprechende Norm im konkreten BGE 113 Ia 200 S. 205 Fall nicht angewendet und der angefochtene Entscheid aufgehoben wird; die Gutheissung führt nicht zur formellen Aufhebung der als verfassungswidrig erkannten Bestimmung ( BGE 111 Ia 185 f., BGE 107 Ia 54 E. a, 129 E. 1a, mit Hinweisen). Analog verhält es sich im vorliegenden Fall, in dem die Beschwerdeführerin eine vorfrageweise Überprüfung der Statuten verlangt. Aus diesem Grunde kann auf den Antrag der Beschwerdeführerin, Art. 6b Abs. 2 und Art. 55 Abs. 1 der alten Statuten seien aufzuheben, nicht eingetreten werden ( BGE 107 Ia 235 ). 2. a) Eine Gemeinde ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht dafür keine abschliessende Ordnung trifft, sondern diese ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt ( BGE 111 Ia 253 , BGE 110 Ia 199 E. 2, BGE 109 Ia 45 E. b, mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall zieht das Bau-Departement die Autonomie der Einwohnergemeinde Egerkingen auf dem Gebiete der Wasserversorgung in Zweifel. Art. 54 der solothurnischen Kantonsverfassung und § 3 GG garantieren den solothurnischen Gemeinden in allgemeiner Weise Autonomie und bestimmen, dass die Gemeinden ihre Angelegenheiten im Rahmen von Verfassung und Gesetzgebung selbständig ordnen. In bezug auf die Wasserversorgung sieht § 28 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechte am Wasser (Wasserrechtsgesetz, WRG) vor, dass diese im Rahmen des Gesetzes den Gemeinden obliegt. Nach § 10 GG können sich die Gemeinden zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu Zweckverbänden zusammenschliessen. Diese Ordnung zeigt, dass die Einwohnergemeinden die Aufgabe der Wasserversorgung selbständig erfüllen und dass ihnen dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukommt. Daran ändert der Umstand nichts, dass der Regierungsrat unter Umständen zugunsten von Gruppenwasserversorgungen Massnahmen anordnen und mehrere Gemeinden zu gemeinsamer Wasserversorgung verpflichten kann ( § 28 Abs. 3 WRG sowie § 3 der Verordnung über Gruppenwasserversorgungen; unveröffentlichtes Urteil vom 18. November 1977 i.S. Gemeinde Senèdes, E. 3). Auch wird der Grundsatz der Autonomie der Gemeinde nicht dadurch beeinträchtigt, dass mit der Gründung eines Zweckverbandes die beteiligten Gemeinden tatsächlich einen Teil ihrer Autonomie auf den Zweckverband übertragen; die Gemeinden sind grundsätzlich frei, im BGE 113 Ia 200 S. 206 Rahmen der restriktiven Bestimmungen der Statuten aus einem Zweckverband wieder auszutreten. Bei dieser Sachlage ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin auf dem Gebiete der Wasserversorgung tatsächlich Autonomie im Sinne der Rechtsprechung zukommt. b) Ist eine Gemeinde in einem Sachbereich autonom, so kann sie sich mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass die kantonale Behörde im Genehmigungs- oder Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet. Die Gemeinde kann sodann verlangen, dass die kantonale Behörde materiell die kommunalen, kantonalen und bundesrechtlichen Vorschriften nicht verletze, die den Sachbereich, in dem Autonomie besteht, ordnen. Das Bundesgericht prüft den Entscheid der kantonalen Behörden auf Willkür hin, soweit Gesetzes- oder Verordnungsrecht in Frage steht; mit freier Kognition entscheidet es, wenn es sich um Verfassungsrecht des Bundes oder der Kantone handelt ( BGE 111 Ia 132 E. 4a, 253 E.3, BGE 110 Ia 200 E. b, BGE 109 Ia 45 E. b, mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall macht die Beschwerdeführerin nicht geltend, der Regierungsrat habe mit seinem Entscheid seine Überprüfungsbefugnis in formeller Hinsicht überschritten. Sie wirft ihm vielmehr vor, ihre Autonomie in materieller Hinsicht zu verletzen. Der Umfang der Gemeindeautonomie ist nicht bundesverfassungsrechtlich garantiert (vgl. BGE 100 Ia 274 , ZBl 82/1981 S. 550); Art. 54 der solothurnischen Kantonsverfassung gewährt den Gemeinden Autonomie lediglich im Rahmen der Gesetzgebung. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage nach der Auslegung und Anwendung von § 10 GG und damit von Gesetzesrecht. Nach dem Gesagten ist daher die Beschwerde entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin lediglich unter dem Gesichtswinkel der Willkür zu prüfen. Den weitern Rügen der Beschwerdeführerin, der angefochtene Beschluss verletze auch das Willkürverbot und das Legalitätsprinzip, kommt daher keine eigenständige Bedeutung zu. 3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihre Autonomie werde verletzt, wenn eine Statutenrevision nach dem in den Statuten vorgesehenen Mehrheitsverfahren entgegen ihrem Willen zustande kommt und genehmigt werde. Die Statutenbestimmungen stünden demnach insoweit im Widerspruch zur Garantie der Gemeindeautonomie und insbesondere zu § 10 GG. Die einschlägigen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut. BGE 113 Ia 200 S. 207 Statuten des Zweckverbandes Art. 55 - Revision der Statuten 1.) Für die Änderung der Statuten gelten die Erfordernisse von Art. 50 Ziff. 1-3 ... Art. 50 - Auflösung oder Fusion des Verbandes Für die Auflösung oder Fusion des Verbandes sind erforderlich: 1. Ein mit den Stimmen von zwei Dritteln der anwesenden Delegierten gefasster Beschluss der Delegiertenversammlung; 2. Die Zustimmung von zwei Dritteln der Verbandsgemeinden; 3. Die Genehmigung durch den Regierungsrat des Kantons Solothurn. Gemeindegesetz (GG) § 10 - Zweckverbände der Gemeinden 1 Gemeinden, die besondere Aufgaben gemeinsam erfüllen wollen, können sich zu einem öffentlich-rechtlichen Zweckverband zusammenschliessen oder eine gemeinsame Anstalt gründen. 2 Organisationsstatut und Reglemente des Zweckverbandes müssen von jeder der beteiligten Gemeinden wie alle andern Gemeindereglemente behandelt und beschlossen werden. Dabei finden die entsprechenden Bestimmungen dieses Gesetzes Anwendung. 3 Wenn eine Einigung über das Statut oder ein Reglement durch die angeschlossenen Gemeinden nicht erfolgt, wird ein Schiedsgericht bestellt. Jede der beteiligten Gemeinden wählt einen Schiedsrichter. Die Schiedsrichter bestimmen den Obmann; wenn sie sich nicht einigen können, wird der Obmann vom Regierungsrat bezeichnet. 4 Das von allen beteiligten Gemeinden eines Zweckverbandes angenommene Organisationsstatut muss vom Regierungsrat genehmigt werden. Er kann die Genehmigung verweigern, wenn die Vorschriften des Statuts über den Austritt und die Haftung keinen genügenden Schutz des Verbandszweckes und des Verbandsvermögens gewährleisten. 5 Der Regierungsrat löst einen Zweckverband oder eine Anstalt auf, wenn der Zweck unerreichbar geworden ist oder wenn seine Verfolgung vom Staat unmittelbar übernommen wird. 6 Die Zweckverbände unterstehen der Aufsicht des Regierungsrates. a) Im vorliegenden Fall ist nicht streitig, dass nach dem Wortlaut der Statuten des Zweckverbandes eine Statutenrevision u.a. dann gültig zustandekommen kann, wenn ihr zwei Drittel der Verbandsgemeinden zustimmen. In dieser Hinsicht wirft die Beschwerdeführerin dem Regierungsrat keine unrichtige oder willkürliche Anwendung der Statuten vor. BGE 113 Ia 200 S. 208 b) Nach Abs. 2 von § 10 GG bedarf das Organisationsstatut des Zweckverbandes der Zustimmung aller beteiligten Gemeinden. Es steht ausser Zweifel, dass diese Bestimmung für die Gründung des Zweckverbandes sowie für den erstmaligen Erlass der Statuten gilt. Sie will verhindern, dass einer Gemeinde entgegen ihrem Willen von andern Gemeinden der Beitritt zu einem Zweckverband und ihr nicht genehme Statuten aufgezwungen werden. Mit dem Einstimmigkeitsprinzip dient diese Bestimmung dem Schutze der Autonomie der Gemeinden. Daran vermag auch das in § 10 Abs. 3 GG vorgesehene Schiedsverfahren nichts zu ändern. c) Es stellt sich nun aber die Frage, ob Einstimmigkeit auch für die Revision der Statuten erforderlich ist. Während das Bau-Departement die Auffassung vertritt, für die Revision der Statuten genüge - sofern von den Statuten wie im vorliegenden Fall vorgesehen - ein Mehrheitsentscheid, macht die Beschwerdeführerin geltend, eine solche könne nach § 10 GG lediglich bei Einstimmigkeit zustande kommen. Für die Auffassung des Bau-Departements spricht vorerst der Umstand, dass § 10 Abs. 1 GG vom Zusammenschluss von Gemeinden und damit von der Gründung von Zweckverbänden handelt. Demnach kann der folgende Abs. 2 von § 10 GG, in dem Zustimmung aller beteiligten Gemeinden verlangt wird, ebenfalls als eine die Gründung und den erstmaligen Erlass der Statuten betreffende Bestimmung verstanden werden. Es ist darin nicht vom Verfahren der Statutenrevision die Rede. So wie den beteiligten Gemeinden bei der Gestaltung der Statutenbestimmungen grosse Freiheit eingeräumt wird, kann auch gesagt werden, der Gesetzgeber habe es ihnen überlassen, in den Statuten über das Revisionsverfahren zu befinden und allenfalls ein Verfahren mit Mehrheitsentscheid vorzusehen. Auf der andern Seite lassen sich für die Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach für eine Statutenrevision grundsätzlich Einstimmigkeit der Verbandsgemeinden erforderlich sei, haltbare Gründe vorbringen. § 10 Abs. 2 GG verlangt für die Statuten Einstimmigkeit, ohne zwischen dem Gründungsstadium und dem Verfahren der Statutenrevision zu differenzieren. Der oben erwähnte Schutz der Gemeinden im Zusammenhang mit der Gründung eines Zweckverbandes kann bis zu einem gewissen Grade illusorisch werden, wenn die Statuten mit einer (allenfalls qualifizierten) Mehrheit der beteiligten Gemeinden revidiert werden können. Auch das in § 10 Abs. 3 GG vorgesehene Schiedsverfahren BGE 113 Ia 200 S. 209 spricht insofern eher für das Einstimmigkeitsprinzip, als es darum geht, unter Aufrechterhaltung des Zweckverbandes eine notwendig erscheinende Statutenrevision zu ermöglichen. Ähnlich wie bei der Revision von Erlassen kann auch im Hinblick auf Statuten die Meinung vertreten werden, eine Revision sei grundsätzlich im gleichen Verfahren wie der Erlass der Statuten selbst vorzunehmen (vgl. PFISTERER, a.a.O., S. 116 oben; ALLEMANN, a.a.O., S. 149). Schliesslich wird in der Literatur die Auffassung vertreten, das Einstimmigkeitsprinzip gelte nach § 10 Abs. 2 GG implizit auch für Statutenrevisionen (SCHENKER, a.a.O., S. 121 mit Fn. 50). Es lassen sich demnach für beide Standpunkte gute Gründe anführen. Eine kantonale Praxis zu dieser Auslegungsfrage scheint nicht zu bestehen, und auch den Materialien zum Gemeindegesetz lassen sich, soweit ersichtlich, keine Hinweise entnehmen. Bei dieser Sachlage kann trotz der gewichtigen Einwendungen der Beschwerdeführerin nicht gesagt werden, die Auffassung des Bau-Departementes sei geradezu unhaltbar und damit willkürlich im Sinne der Rechtsprechung. Die Frage, ob nach § 10 GG für Statutenrevisionen Einstimmigkeit erforderlich ist oder ob diese Bestimmung es zulasse, dass in den Statuten ein Revisionsverfahren mit Mehrheitsentscheid vorgesehen wird, braucht indessen nicht in allgemeiner und abstrakter Weise beantwortet zu werden. Angesichts des Umstandes, dass im vorliegenden Fall eine inzidente Kontrolle der Statuten vorzunehmen ist, gilt es vielmehr zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Beschluss im Hinblick auf die konkret streitige Statutenrevision in ihrer Autonomie verletzt worden ist. Für die Beurteilung dieser Frage gilt es vorerst, die sich gegenüberstehenden Interessen aufzuzeigen. d) Das Erfordernis der Einstimmigkeit für Statutenrevisionen auf der einen Seite vermag den Schutz der einzelnen beteiligten Gemeinde in optimaler Weise zu garantieren. Es können ihr von der (allenfalls qualifizierten) Mehrheit keine ihr nicht genehme Statuten aufgezwungen werden, und das Vertrauen der Verbandsgemeinden in den Verband und dessen Tätigkeit kann gestärkt werden. Auf der anderen Seite kann das Einstimmigkeitsprinzip die Handlungsfähigkeit des Verbandes lähmen. Deshalb erleichtert ein Mehrheitsverfahren etwa eine Anpassung an veränderte Umstände oder eine Weiterentwicklung der Aufgaben (vgl. SCHENKER, a.a.O., S. 120; PFISTERER, a.a.O., S. 114). Dieser Grundkonflikt zwischen Schutzbedürfnis der einzelnen Gemeinden und der Handlungsfähigkeit des Verbandes wird in den einzelnen Kantonen BGE 113 Ia 200 S. 210 etwa in dem Sinne gelöst, dass grundlegende Bestimmungen der Statuten nur unter Zustimmung aller beteiligten Gemeinden revidiert werden können, während Statutenbestimmungen von untergeordneter Bedeutung mit (einfacher oder qualifizierter) Mehrheit einer Revision unterzogen werden dürfen. Zu den grundlegenden Statutenbestimmungen können etwa solche gezählt werden, welche die Stellung der Verbandsgemeinden grundsätzlich und unmittelbar betreffen wie die Umschreibung des Verbandszweckes, des Kostenverteilers, der Haftung und Auflösung und ähnliches mehr. In die gleiche Richtung weist auch die Literatur, welche in bezug auf die Frage des Einstimmigkeits- bzw. Mehrheitsprinzips bei Statutenrevisionen eine Differenzierung nach deren Bedeutung befürwortet (vgl. SCHENKER, a.a.O., S. 121 ff.; PFISTERER, a.a.O., S. 114 ff.; ALLEMANN, a.a.O., S. 149; BARBARA SCHELLENBERG, Die Organisation der Zweckverbände, Diss. Zürich 1975, S. 89 ff.; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, Neuchâtel 1984, S. 275; je mit Hinweisen auf die Regelung in verschiedenen Kantonen). Unter diesem Gesichtswinkel ist im folgenden zu prüfen, ob der Regierungsrat mit der Genehmigung der ohne die Zustimmung der Beschwerdeführerin zustande gekommenen, konkreten Statutenrevision die Gemeindeautonomie verletzt hat. e) Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Beschwerde geltend, sie werde durch die neuen Statuten in erheblichem Ausmass stärker belastet, indem sie einen grösseren Anteil der Anlagekosten und diverse Bauten übernehmen sowie einen Kostenanteil an neu zu bauende Anlagen entrichten müsse. Im einzelnen begründet sie das Ausmass der Mehrbelastung nicht. Demgegenüber legt der Zweckverband in seiner Vernehmlassung aufgrund einer detaillierten Rechnung dar, dass die Einwohnergemeinde Egerkingen nach den neuen Statuten finanziell weniger belastet werde. Aufgrund eines Vergleiches der alten mit den neuen Statuten und nach den eingereichten Unterlagen ergibt sich folgendes Bild. Die alten Statuten des Zweckverbandes Regionale Wasserversorgung Gäu basieren auf einem generellen Projekt des Ingenieur Büros Emch + Berger aus dem Jahre 1972 (vgl. Art. 11 der alten Statuten). Diesem Projekt lag ein Planungsziel zugrunde, das sich als überdimensioniert erwies. Aufgrund eines neu festgelegten Planungszieles arbeitete das Ingenieur Büro Emch + Berger im Jahre 1982 ein neues allgemeines Projekt aus, auf das die neuen Statuten abstellen (vgl. Art. 11 der neuen Statuten). Dieses neue Projekt und BGE 113 Ia 200 S. 211 eine etwas modifizierte Konzeption führten zur Änderung der Statuten. Dabei bleibt der Zweck des Verbandes im wesentlichen der gleiche (Art. 2 in alter und neuer Fassung). Entsprechend dem Ziel der Redimensionierung des Projektes wurden die Wasserbezugsrechte der einzelnen Gemeinden neu umschrieben (Art. 33). Der Umfang der Verbandsanlagen wird in den neuen Statuten gegenüber der alten Regelung ausgedehnt (Art. 26); hinzu kommt, dass der Verband in erweitertem Ausmass bestehende Anlagen - gegen entsprechende Abgeltung - übernimmt (Art. 29 sowie Art. 41 Ziff. 4 der revidierten Statuten). Wie bisher sind die Gemeinden verpflichtet, Einzelanlagen selbst zu erstellen (Art. 27); darüber hinaus werden die Gemeinden an einzelnen Verbandsanlagen direkt beteiligt (Art. 41 Ziff. 3 sowie Art. 33bis der revidierten Statuten). Die Verteilung der Anlagekosten auf die Verbandsgemeinden wird nach einem neuen Schlüssel für den Grossteil gemäss Art. 41 Ziff. 1 der revidierten Statuten vorgenommen; danach hat die Einwohnergemeinde Egerkingen anstatt 24,90% neu lediglich noch 22,60% zu übernehmen. Im übrigen ist die Revision organisatorischer Natur und sieht u.a. vor, dass gewisse Beschlüsse und Statutenrevisionen nur noch mit Einstimmigkeit beschlossen werden können (Art. 6bis, Art. 6ter sowie Art. 50 Ziff. 2 der neuen Statuten). Gesamthaft gesehen zeigt ein Vergleich der alten mit den neuen Statuten, dass die Grundordnung nicht in grundlegender Weise verändert worden ist. Der Zweck des Verbandes ist im wesentlichen gleich geblieben. Die neue Kostenverteilung stellt für die Beschwerdeführerin keinen einschneidenden Eingriff dar: Einer allenfalls grösseren Belastung in bezug auf einzelne Verbandsanlagen und Einzelanlagen steht die geringere Beteiligung der Einwohnergemeinde Egerkingen nach Art. 41 Ziff. 1 der revidierten Statuten gegenüber; darüber hinaus ist unter diesem Gesichtspunkt zu berücksichtigen, dass mit dem reduzierten Projekt die Gesamtkosten niedriger gehalten werden sollen (vgl. Kostenvoranschlag vom 16. August 1984 und den überarbeiteten technischen Bericht vom Dezember 1984 des Ingenieur Büros Emch + Berger). Angesichts des Umstandes, dass neu für gewisse Beschlüsse und für eine Statutenrevision Einstimmigkeit der Verbandsgemeinden gefordert wird, wird die Beschwerdeführerin in ihren Mitwirkungsrechten nicht beeinträchtigt, sondern erhält mehr Rechte. Die Statutenrevision betrifft damit im wesentlichen eine Anpassung an die veränderten Umstände und hält im einzelnen in detaillierter Weise BGE 113 Ia 200 S. 212 die technischen Angaben über die zu erstellenden Angaben fest. Sie verändert die Struktur des Zweckverbandes nicht tiefgreifend und ist somit nicht von grundlegender Bedeutung. f) Die streitige Statutenrevision des Zweckverbandes Regionale Wasserversorgung Gäu ist demnach nicht von grundlegender Bedeutung. Sie trifft daher die Beschwerdeführerin nicht in zentraler Weise in ihrem Autonomiebereich. Trotz der fehlenden Zustimmung der Beschwerdeführerin durfte der Regierungsrat im Hinblick auf § 10 GG gestützt auf die geltenden Statutenbestimmungen die streitige Statutenrevision als gültig zustande gekommen betrachten und genehmigen, ohne in Willkür zu verfallen. Aus diesen Gründen hat der Regierungsrat die Autonomie der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Demnach erweist sich die Rüge der Autonomieverletzung als unbegründet.
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Sachverhalt ab Seite 436 BGE 93 II 436 S. 436 A.- Die Firma Jo. Wolter & Co. stellte am 7. März 1967 an die eigene Order einen auf die Sunfona AG gezogenen Wechsel über DM 100 000.-- aus, der von der Bezogenen angenommen wurde. Da der Wechsel nach Verfall nicht bezahlt wurde, leitete die Firma Jo. Wolter & Co. mit Zahlungsbefehl vom 3. Juli 1967 gegen die Sunfona AG die Wechselbetreibung für eine Forderung von Fr. 32 931.60 nebst Zinsen und Kosten ein. Die Sunfona AG erhob Rechtsvorschlag. BGE 93 II 436 S. 437 B.- Der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirkes Zürich verweigerte am 20. Juli 1967 die Bewilligung des Rechtsvorschlages. Der von der Klägerin gegen die einzelrichterliche Verfügung eingereichte Rekurs wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 21. September 1967 abgewiesen. Die Klägerin führte gegen den Entscheid des Obergerichts kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 10. November 1967 abgewiesen wurde. C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und den Rechtsvorschlag zu bewilligen. Die Beklagte beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten, eventuell das angefochtene Urteil zu bestätigen und den Rechtsvorschlag zu verweigern. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Die Berufung an das Bundesgericht ist von hier nicht zutreffenden Ausnahmen ( Art. 44 lit. a-c, 45 lit. b OG ) abgesehen, nur in Zivilrechtsstreitigkeiten zulässig (Art. 44 eingangs und 46 OG). Darunter ist ein Zweiparteienverfahren zu verstehen, das auf die endgültige, dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse durch behördlichen Entscheid abzielt (vgl. BGE 91 II 54 und 396 sowie dort erwähnte frühere Entscheide). In den vom Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz vorgesehenen Prozessen ist dies dahin zu verstehen, dass auch die bloss für das betreffende Vollstreckungsverfahren geltenden Entscheidungen in Betracht fallen. Gegenstand der Entscheidung muss jedoch der Bestand zivilrechtlicher Ansprüche oder eine Beschränkung ihrer Geltendmachung oder endlich ein Eingriff in solche Ansprüche sein (was abgesehen von den Kollokationsklagen auch bei den im ordentlichen Verfahren zu erledigenden Widerspruchs-, Aussonderungs- und Admassierungs- sowie Anfechtungsprozessen zutrifft, Art. 106 ff., 240, 242, 285 ff. SchKG) ( BGE 81 II 83 Erw. 1). 2. Entscheide im Rechtsöffnungsverfahren sind nicht solche in Zivilsachen, sondern reine Vollstreckungserkenntnisse, und zwar auch dann, wenn vorfrageweise materielles Recht zu prüfen ist. Der Rechtsöffnungsrichter befindet auch im letztern Fall nicht über den Bestand der in Betreibung gesetzten Forderung, BGE 93 II 436 S. 438 sondern nur über deren Vollstreckbarkeit. Die Berufung ist daher gegen Rechtsöffnungsentscheide nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BGE 72 II 54 und dort erwähnte Entscheide, BGE 76 I 48 ) und fast einhelligem Schrifttum (vgl. FAVRE, Droit des poursuites, 2. Aufl., 1967, S. 145, Ziff. 4 und FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs I, 2. Aufl., 1967, S. 136, BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 125, a. M. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 36, N. 43, der allerdings die öffentlichrechtliche Natur der betreibungsrechtlichen Klagen anerkennt) nicht zulässig. Es besteht kein Grund, Entscheide über die Bewilligung des Rechtsvorschlages in der Wechselbetreibung anders zu behandeln als Rechtsöffnungsentscheide. Auch sie sind bloss vollstreckungsrechtlicher Art, betreffen als solche nicht die im Streite liegenden Ansprüche, sondern bloss den Gang des Verfahrens. Demzufolge räumt Art. 187 SchKG dem Schuldner, der infolge Unterlassung oder Nichtbewilligung eines Rechtsvorschlages eine Nichtschuld bezahlt hat, das Recht ein, auf dem ordentlichen Prozessweg den bezahlten Betrag zurückzufordern. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung bereits unter der Herrschaft des alten Organisationsgesetzes entschieden (vgl. BGE 19/161 und 162). Da der angefochtene Entscheid nicht eine Zivilsache betrifft, ist auf die Berufung nicht einzutreten und braucht nicht geprüft zu werden, ob die Voraussetzungen eines Endentscheides nach Art. 48 OG vorliegen, wie die Klägerin geltend macht.
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Erwägungen ab Seite 121 BGE 131 V 120 S. 121 Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) hat am 25. September 2001 zunächst einen Betätigungsvergleich vorgenommen. Dabei hat sie die Anteile der vom Versicherten versehenen Funktionen an der Gesamttätigkeit prozentual festgelegt und anschliessend die jeweilige Behinderung in den einzelnen Funktionen bestimmt. Diese Werte addiert ergaben bezogen auf die Gesamttätigkeit eine Minderleistung von 50 %. In der Annahme, dass sich diese 50 %ige Minderleistung erwerblich im selben Ausmass auswirkt, setzte sie darauf den Invaliditätsgrad auf ebenfalls 50 % fest. 3.2 Die Beschwerde führende IV-Stelle stellt sich auf den Standpunkt, die von der SUVA ermittelte Invalidität beruhe auf einem von den Parteien getroffenen Vergleich; weiter habe es die SUVA unterlassen, die mittels Betätigungsvergleich eruierte leidensbedingte Behinderung im Hinblick auf ihre erwerbliche Auswirkung zu gewichten. Damit lägen triftige Gründe im Sinne der Rechtsprechung in BGE 126 V 293 f. Erw. 2d vor, die es ihr ermöglichten, von der Invaliditätsbemessung der SUVA abzuweichen. Den von der SUVA vorgenommenen Betätigungsvergleich hat die IV-Stelle in ihrem 'Abklärungsbericht für In- bzw. Teilhaber Aktiengesellschaften' vom 21. Februar 2002 lediglich insofern ergänzt, als sie die einzelnen Funktionen des Versicherten etwas präziser und ausführlicher umschrieb. Die für die einzelnen Positionen eingesetzten prozentualen Werte hingegen hat sie unverändert von der SUVA übernommen. Im Unterschied zum Unfallversicherer hat sie die so ermittelte 50 %ige Minderleistung resp. die verbliebene Leistungsfähigkeit anschliessend indessen im Sinne einer erwerblichen Gewichtung unter Zuhilfenahme der vom Bundesamt für Statistik gestützt auf die für das Jahr 2000 vorgenommene Lohnstrukturerhebung (LSE 2000) erstellten Lohntabellen wirtschaftlich zu bewerten versucht. Damit hat sie sich, zumindest vom Ansatzpunkt her, zwar an das in BGE 128 V 29 für einen konkreten Anwendungsfall dargestellte Vorgehen beim ausserordentlichen BGE 131 V 120 S. 122 Invaliditätsbemessungsverfahren gehalten ( BGE 128 V 32 ff. Erw. 4). Eine genauere Kontrolle der im Einzelnen aus der LSE 2000 abgelesenen Werte und der gestützt darauf durchgeführten Berechnungen kann an dieser Stelle allerdings unterbleiben, sofern - wie vom kantonalen Gericht und mit ihm auch vom Beschwerdegegner angenommen - die Voraussetzungen für ein Abweichen von der Invaliditätsbemessung der SUVA gar nicht gegeben sind. 3.3 3.3.1 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann daraus, dass die SUVA den Betätigungsvergleich vom 25. September 2001 zusammen mit dem Versicherten vorgenommen hat und dieser mit der ermittelten 50 %igen Einschränkung einverstanden war, nicht auf eine Einigung im Sinne eines (aussergerichtlichen) Vergleichs geschlossen werden. Die SUVA hat vielmehr die Invaliditätsbemessung in Anwendung der von ihr als massgebend befundenen gesetzlichen Regelung und unter Beachtung der dazu ergangenen Rechtsprechung durchgeführt. Wenn der Versicherte mit dem daraus resultierenden Ergebnis einverstanden war, heisst dies keineswegs, dass die Bestimmung des Invaliditätsgrades im Sinne von BGE 126 V 292 Erw. 2b vergleichsweise zustande gekommen wäre. Dafür, dass die SUVA ohne das Einverständnis des Versicherten an dem ihrer Ansicht nach korrekt ermittelten Invaliditätsgrad nicht festgehalten hätte, liegen jedenfalls keine Anhaltspunkte vor. 3.3.2 Der Beschwerdeführerin kann aber auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie geltend macht, die SUVA habe nicht die richtige Invaliditätsbemessungsmethode gewählt, indem sie statt des ausserordentlichen Verfahrens die lediglich bei Nichterwerbstätigen in Betracht fallende spezifische Methode angewendet habe. Es trifft zwar zu, dass von einer erwerblichen Gewichtung der anlässlich des Betätigungsvergleichs vom 25. September 2001 ermittelten 50 %igen Minderleistung in den Akten der SUVA nirgends die Rede ist. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass sich die SUVA der Notwendigkeit einer solchen Gewichtung bewusst war und bei deren Vornahme zur Erkenntnis gelangt ist, dass die leidensbedingte Beeinträchtigung und deren erwerbliche Auswirkungen in ihrem Ausmass ungefähr deckungsgleich sind, was im Rahmen der Ermittlung eines Invaliditätsgrades im ausserordentlichen Bemessungsverfahren durchaus möglich ist. Dass die Invaliditätsbemessung der SUVA einen gravierenden Mangel aufweisen BGE 131 V 120 S. 123 würde, kann daher nicht gesagt werden, zumal von einer detaillierten Prüfung der bereits in Rechtskraft erwachsenen Rentenverfügung der Unfallversicherung erst im invalidenversicherungsrechtlichen Rechtsmittelverfahren ohnehin abzusehen ist. Kommt hinzu, dass auch der zuständige Sachbearbeiter der Invalidenversicherung die heute streitige Invaliditätsbemessung erst auf Insistieren der IV-Stelle vorgenommen hat, nachdem er am 17. Dezember 2001 noch zum Schluss gelangt ist, dass in diesem Fall eine Rentenanpassung analog an die Invaliditätsbemessung der SUVA vorzunehmen sei, da diese zahlreiche Untersuchungen, insbesondere in der Klinik E. durchgeführt und einen aussagekräftigen Betätigungsvergleich durch ihren Inspektor (Bericht vom 25. September 2001) veranlasst habe, worauf im Sinne eines so genannten Prozentvergleichs für Erwerbstätige abgestellt werden könne; weiter gehende Abklärungen würden sich erübrigen. Die IV-Stelle kann im Übrigen keine hinreichend triftigen Argumente im Sinne von BGE 126 V 294 Erw. 2d anführen, weshalb es ihr versagt bleibt, von der Invaliditätsbemessung der SUVA abzuweichen. 3.3.3 Die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zur Koordination der Invaliditätsbemessung in der Invaliden- und in der Unfallversicherung verfolgt das Ziel, unterschiedliche Festlegungen des Invaliditätsgrades durch verschiedene Sozialversicherungsträger zu vermeiden, was der Rechtssicherheit dient und damit sowohl im Interesse der Versicherer als auch der betroffenen Bürger liegt. Um dies zu erreichen, muss das Abweichen von bereits rechtskräftigen Invaliditätsbemessungen anderer Versicherer die Ausnahme bleiben. Die Voraussetzungen dazu sind daher einer strengen Prüfung zu unterziehen und dürfen nur mit der gebotenen Zurückhaltung bejaht werden. Fällt - wie vorliegend - im Rahmen der Invaliditätsbemessung der Beizug von Tabellenlöhnen wie jenen der LSE in Betracht, hat der jeweils zuständige Sozialversicherer bei der Auswahl der im konkreten Anwendungsfall in Frage kommenden Tabellenwerte zahlreiche Einzelentscheide zu fällen, bei welchen er jeweils über einen grossen Ermessensspielraum verfügt. Es liegt deshalb auf der Hand, dass die von verschiedenen Versicherern gewonnenen Endresultate nicht immer und zwangsläufig identisch ausfallen, sondern im Rahmen einer gewissen Bandbreite divergieren können; dies insbesondere, wenn, wie vorliegend, die Gesamttätigkeit in zahlreiche einzelne BGE 131 V 120 S. 124 Funktionen, für welche verschiedene hypothetische Lohnansätze in Frage kommen, aufzuteilen ist. Solche Ergebnisse stellen denn auch nicht in dem Sinne exakte, gesicherte Werte dar, dass sie von vornherein jeglicher Kritik entzogen und einer Bemängelung nicht zugänglich wären. Es geht daher nicht an, einen vom einen Sozialversicherungsträger im ausserordentlichen Bemessungsverfahren in vertretbarer Weise ermittelten Invaliditätsgrad durch den von einem andern Versicherer nach dem in BGE 128 V 29 dargelegten, an sich präziseren und genaueren Vorgehen festgestellten zu ersetzen. Um dieser Konsequenz zu entgehen, hätte die IV-Stelle vorliegend die Verfügung der SUVA vom 4. Februar 2002 anfechten können, womit eine genauere gerichtliche Prüfung der Rentenverfügung des Unfallversicherers möglich geworden wäre. Davon hat sie aber abgesehen, obschon sie - wie in der der Vorinstanz eingereichten Beschwerdeschrift ausführlich dargelegt - dazu hinreichend Gelegenheit gehabt hätte.
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Sachverhalt ab Seite 514 BGE 145 IV 513 S. 514 A. X. wird vorgeworfen, als Inhaber der A. GmbH zwischen 1. Juli 2011 und Mitte Mai 2013 im Umgang mit Hanf (mindestens 1,0 % THC; "Drogenhanf") mehrfach gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben. Er sei im Besitz von rund 519 kg Marihuana/ Hanfblüten und 588 kg Hanfsamen gewesen. Zudem habe er rund 2'900 Hanfpflanzen und ca. 2'100 Hanfpflanzenstecklinge angebaut. Aus dem von ihm produzierten Hanf habe er alle zwei Monate Sirup hergestellt, diesen zu Hanflikör verarbeiten lassen und damit einen monatlichen Gewinn von Fr. 22'000.- bis Fr. 25'000.- erzielt. B. Das Kantonsgericht St. Gallen erklärte X. am 23. April 2018 im Berufungsverfahren gegen ein Urteil des Kreisgerichts Toggenburg vom 1. April 2016 zweitinstanzlich der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig. Vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Waffengesetz sprach es ihn frei. Das Verfahren betreffend fahrlässige Körperverletzung stellte das Kantonsgericht ein. Es bestrafte X. mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 80.- bei einer Probezeit von zwei Jahren und verzichtete auf den Widerruf des bedingten Vollzugs einer Geldstrafe aus dem Jahre 2010. Ferner verpflichtete es ihn, dem Staat eine Ersatzforderung von Fr. 100'000.- zu bezahlen. C. X. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. BGE 145 IV 513 S. 515 D. Der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung hat am 26. September 2018 der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 1 StGB , Art. 9 BV , Art. 7 EMRK und Art. 15 UNO-Pakt II (SR 0.103.2). Regeln zur Bestimmung des Wirkstoffgehaltes Tetrahydrocannabinol (nachfolgend: THC) seien weder in der Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) noch sonst in einem Gesetz oder einer Verordnung festgelegt. Cannabis sei erst ab einem Gesamt-THC-Gehalt von 1 % ein verbotenes Betäubungsmittel. Tetrahydrocannabinolsäure (THC-A, nachfolgend: THC-Carbonsäure) dürfe mit THC nicht zusammengerechnet werden, weil die THC-Carbonsäure erst durch Einflüsse von aussen in eine psychoaktive Substanz überführt werde. Eine genügende gesetzliche Grundlage, wie der durchschnittliche Gesamt-THC-Gehalt zu bestimmen sei, fehle. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes "nulla poena sine lege". 2.2 Die Vorinstanz erwägt, der Gesetzgeber habe entschieden, den Umgang mit Drogenhanf - unabhängig vom Verwendungszweck - grundsätzlich zu verbieten und die Grenze auf 1 % THC festzusetzen. Die Messung könne deshalb nur noch eine Zielsetzung haben, nämlich die Bekämpfung des Drogenhanfs. Mit der Gesetzesänderung sei nur noch die Messmethode massgebend, mit welcher getestet werde, ob Drogenhanf vorliege. Deshalb komme einzig in Betracht, die psychoaktiven Stoffe derart zu messen, wie sie beim Konsum ihre Wirkung entfalten. Eine Detailnorm, welche die Berücksichtigung der decarboxylierten THC-Carbonsäure bei der Messung ausdrücklich festhalte, sei mit Blick auf das Legalitätsprinzip und das Bestimmtheitsgebot nicht notwendig. Die Miterfassung der decarboxylierten THC-Carbonsäure stehe auch im Einklang mit der einschlägigen Publikation der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM), den "Richtlinien für die Probenahme und -aufarbeitung von Hanfpflanzen, Marihuana und Haschisch - Empfehlungen für die Analyse" vom 27. Februar 2001 (nachfolgend: SGRM-Richtlinien). Auch in den Erläuterungen des EDI zur Verordnung vom 30. Mai 2011 über die Verzeichnisse der BGE 145 IV 513 S. 516 Betäubungsmittel, psychotropen Stoffe, Vorläuferstoffe und Hilfschemikalien (Betäubungsmittelverzeichnisverordnung, BetmVV-EDI; SR 812. 121.11) werde auf die SGRM-Richtlinien verwiesen. Schliesslich werde auch im "Handbuch für nationale Drogenanalyselabore des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNDOC) - Empfohlene Methoden zur Identifikation und Analyse von Cannabis und Cannabisprodukten" (nachfolgend: UNDOC-Handbuch) vorgeschlagen, den Gesamt-THC-Gehalt durch Addition des freien THC mit der decarboxylierten THC-Carbonsäure zu bestimmen. 2.3 2.3.1 Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt ( Art. 1 StGB ). Der Grundsatz der Legalität ("nulla poena sine lege") ist ebenfalls in Art. 7 EMRK ausdrücklich verankert. Er ergibt sich auch aus Art. 5 Abs. 1, Art. 9 und Art. 164 Abs. 1 lit. c BV . Der Grundsatz ist verletzt, wenn jemand wegen eines Verhaltens strafrechtlich verfolgt wird, das im Gesetz überhaupt nicht als strafbar bezeichnet wird, wenn das Gericht ein Verhalten unter eine Strafnorm subsumiert, unter welche es auch bei weitestgehender Auslegung der Bestimmung nach den massgebenden Grundsätzen nicht subsumiert werden kann, oder wenn jemand in Anwendung einer Strafbestimmung verfolgt wird, die rechtlich keinen Bestand hat. Als Teilgehalt des Legalitätsprinzips verlangt das Bestimmtheitsgebot ("nulla poena sine lege certa") eine hinreichend genaue Umschreibung der Straftatbestände. Das Gesetz muss so präzise formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann ( BGE 144 I 242 E. 3.1.2 S. 251 mit Hinweisen). 2.3.2 Nach dem Betäubungsmittelgesetz gelten als Betäubungsmittel unter anderem abhängigkeitserzeugende Stoffe des Wirkungstyps Cannabis ( Art. 2 lit. a BetmG [SR 812.121]). Sie dürfen weder angebaut, eingeführt, hergestellt noch in Verkehr gebracht werden ( Art. 8 Abs. 1 lit. d BetmG ). Nach Art. 2a BetmG führt das EDI ein Verzeichnis der Betäubungsmittel, der psychotropen Stoffe sowie der Vorläuferstoffe und der Hilfschemikalien. Es stützt sich hierbei in der Regel auf die Empfehlungen der zuständigen internationalen Organisationen. Gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit dem Verzeichnis d (Anhang 5) der BetmVV-EDI fallen unter BGE 145 IV 513 S. 517 Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes Hanfpflanzen oder Teile davon, welche einen durchschnittlichen Gesamt-THC-Gehalt von mindestens 1,0 % aufweisen, und sämtliche Gegenstände und Präparate, welche einen Gesamt-THC-Gehalt von mindestens 1,0 % aufweisen oder aus Hanf mit einem Gesamt-THC-Gehalt von mindestens 1,0 % hergestellt werden. Die Erläuterungen zur BetmVV-EDI halten fest, die im Rahmen der Revision des Betäubungsmittelgesetzes erfolgte Streichung des Zwecknachweises habe zur Folge, dass jeder Hanf und jedes Hanfprodukt als Betäubungsmittel gelte. Da Hanf auch industriell bzw. in Lebensmitteln verwendet werde, solle ein Kriterium eingeführt werden, das klar definiere, welcher Hanf im Sinne des revidierten Betäubungsmittelgesetzes ein Betäubungsmittel sei. Als Unterscheidungsmerkmal habe sich die Definition eines oberen THC-Gehalts etabliert. Dieses Kriterium scheine logisch, da THC der Hauptwirkstoff mit psychoaktiver Wirkung im Hanf sei. Auch eigne sich der THC-Gehalt als Definitionsgrösse, da dieser objektiv messbar sei. Die Gruppe Forensische Chemie der SGRM spreche sich für einen Grenzwert von 1 % THC aus. Dieser Wert beruhe auf einem über Jahre ermittelten Erfahrungswert zwischen Faserhanf und dem sogenannten Drogenhanf. Insgesamt garantiere ein Grenzwert von 1 % Gesamt-THC eine höhere Rechtssicherheit. Gemessen werde unter Hinweis auf die SGRM-Richtlinien der Gesamt-THC-Gehalt der Hanfpflanzen. Dieser setze sich zusammen aus dem Gehalt des frei vorliegenden THC sowie der Summe aller im Hanf vorkommenden Delta-9-THC-Säuren (siehe Erläuterungen zur BetmVV-EDI, Ziff. 3). Das Bundesgericht erwog, das EDI habe mit der Festsetzung des Gesamt-THC-Gehalts auf 1 % die ihm mit Art. 2a BetmG eingeräumte Kompetenz nicht überschritten (Urteil 6B_1113/2013 vom 30. Juni 2014 E. 4.2.2). 2.3.3 Die Verurteilung des Beschwerdeführers stützt sich auf Art. 19 Abs. 1 lit. a und d BetmG . Das Betäubungsmittelgesetz stellt den unbefugten Anbau und Besitz sowie die unbefugte Herstellung von Betäubungsmitteln ausdrücklich unter Strafe. Dazu gehören abhängigkeitserzeugende Stoffe des Wirkungstyps Cannabis ( Art. 2 lit. a BetmG ). Der Beschwerdeführer wurde mithin wegen eines Verhaltens strafrechtlich verfolgt und verurteilt, welches das Gesetz grundsätzlich als strafbar bezeichnet. Unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots ("nulla poena sine lege certa") ist zudem unbedenklich, dass Betäubungsmittel im BGE 145 IV 513 S. 518 Sinne des Betäubungsmittelgesetzes unter anderem als abhängigkeitserzeugende Stoffe des Wirkungstyps Cannabis bezeichnet werden und der Gesetzgeber im Übrigen zur Konkretisierung auf ein Verzeichnis des EDI verweist (vgl. Art. 2 lit. a und Art. 2a BetmG ). Das Bestimmtheitsgebot als Teilgehalt des Legalitätsprinzips verlangt eine derart präzise Formulierung, dass der Bürger sein Verhalten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann ( BGE 144 I 242 E. 3.1.2 S. 251 mit Hinweis). Welche Anforderungen an eine Strafnorm zu stellen sind, hängt unter anderem von der Komplexität der Regelungsmaterie und der angedrohten Strafe ab ( BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20). Ein genaues Kriterium liegt hier vor. Hanfpflanzen, die einen durchschnittlichen Gesamt-THC-Gehalt von mindestens 1 % aufweisen, sind als verbotene Betäubungsmittel zu qualifizieren (Art. 1 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit dem Verzeichnis d [Anhang 5] der BetmVV-EDI). Damit wird - mit Ausnahme von Cannabisharz (Haschisch), für das eine spezielle Regelung gilt - klar festgehalten, wann Cannabis als Betäubungsmittel zu gelten hat (Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 4. Mai 2006 [nachfolgend: Bericht Komm. NR], BBl 2006 8573, 8608 Ziff. 3.1.10.2). Keine Verletzung des Legalitätsprinzips und des Bestimmtheitsgebots liegt darin, dass Gesetz und Verordnung die Messart des Gesamt-THC-Gehalts nicht festlegen. Bereits aus dem Wortlaut der BetmVV-EDI (Verzeichnis d) ist zu folgern, dass es den THC-Gehalt zu analysieren gilt (FINGERHUTH/SCHLEGEL/JUCKER, BetmG Kommentar, 3. Aufl. 2016, N. 24 zu Art. 8 BetmG ). Das Betäubungsmittelgesetz will unter anderem dem unbefugten Konsum vorbeugen ( Art. 1 lit. a BetmG ). Die Vier-Säulen-Politik des Bundes (vgl. Art. 1a BetmG ) bezweckt den Gesundheitsschutz der Bevölkerung (vgl. Bericht Komm. NR, BBl 2006 8573, 8586 f. Ziff. 2.1.3). Damit kommt nach den zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen einzig in Betracht, die psychoaktiven Stoffe auch so zu messen, wie sie beim Konsum ihre Wirkung entfalten. Die Gruppe Forensische Chemie der SGRM, deren Empfehlung für den Grenzwert von 1 % für den Gesamt-THC-Gehalt in die BetmVV-EDI einfloss, hält fest, der im Rahmen der forensischen Bestimmung angegebene Gesamt-THC-Gehalt setze sich zusammen aus dem Gehalt des frei vorliegenden THC sowie der im Hanf vorkommenden THC-Säuren. Diese Säuren liessen sich durch eine Decarboxylierung in psychotropes THC BGE 145 IV 513 S. 519 umwandeln. Dies sei ein Prozess, der auch beim Rauchen von Marihuana praktisch vollständig ablaufe (vgl. SGRM-Richtlinien, Teil I). In die gleiche Richtung geht mit der Vorinstanz das UNDOC-Handbuch. Danach werde davon ausgegangen, dass THC aus THC-Carbonsäure durch nicht enzymatische Decarboxylierung während der Lagerung und des Verbrauchs (zum Beispiel durch das Rauchen) künstlich erzeugt werde. Das Gesamt-THC aus THC und THC-Carbonsäure repräsentiere die pharmakologische Aktivität des Materials am besten (UNDOC-Handbuch, S. 31). Der Gesamt-THC-Gehalt ist damit ein konkretes, objektiv messbares und - nachdem insbesondere durch das Rauchen von Marihuana/Haschisch psychotrop wirksames THC entsteht - ein sachgerechtes Kriterium. Beim Gesamt-THC-Gehalt handelt es sich mithin um die Summe von THC und THC-Carbonsäure (GUSTAV HUG-BEELI, Betäubungsmittelgesetz [BetmG], Kommentar, 2016, N. 465 zu Art. 2 BetmG Fn. 2117). Der Beschwerdeführer kritisiert darüber hinaus die forensische Messmethode mit dem Hinweis, es sei nicht geregelt, was von der Pflanze und in welchem Zustand diese zu analysieren sei. Diesbezüglich kann auf die vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen werden, mit denen sich der Beschwerdeführer nicht auseinandersetzt ( Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG ). 2.3.4 Die Rüge des Beschwerdeführers, die Berücksichtigung der (decarboxylierten) THC-Carbonsäure beim Gesamt-THC-Gehalt verletze das Legalitätsprinzip, ist unbegründet.
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Sachverhalt ab Seite 263 BGE 114 Ia 263 S. 263 Am 17./18. Oktober 1987 fand im Kanton Appenzell A.Rh. die Ständeratswahl statt; ihr Ergebnis wurde im Amtsblatt vom 21. Oktober 1987 publiziert. Wählbar und wahlberechtigt war jeder im Kanton wohnhafte, handlungsfähige und stimmberechtigte Schweizer Bürger männlichen Geschlechts. Der Ausschluss der Frauen vom aktiven und passiven Wahlrecht ergab sich aus BGE 114 Ia 263 S. 264 Art. 19 und 20 der Verfassung für den Kanton Appenzell A.Rh. (KV). Mit Stimmrechtsbeschwerden vom 16. und 18. November 1987 verlangen zahlreiche im Kanton Appenzell A.Rh. wohnhafte volljährige Frauen sowie die Kantonalpartei Appenzell A.Rh. des Landesrings der Unabhängigen, die Ständeratswahl sei ungültig zu erklären und der Kanton sei anzuweisen, die Wahlen in Berücksichtigung des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen zu wiederholen. Das Bundesgericht tritt auf die Stimmrechtsbeschwerde nicht ein. Erwägungen Erwägungen: 1. a) Die privaten Beschwerdeführerinnen sind unbestrittenermassen volljährige, im Kanton wohnhafte Kantonsbürger oder niedergelassene Schweizer Bürger, denen wie allen im Kanton wohnhaften Frauen gemäss Art. 19 und 20 der Kantonsverfassung das aktive und passive Stimm- und Wahlrecht in kantonalen Angelegenheiten nicht zusteht. Nur bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen ( Art. 74 BV ) sowie in Gemeindeangelegenheiten (Art. 19 Abs. 3 und 20 Abs. 2 KV) sind die Frauen in gleicher Weise stimm- und wahlberechtigt wie die Männer. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, ihr Ausschluss von der politischen Stimmberechtigung in kantonalen Angelegenheiten verstosse gegen das Rechtsgleichheitsgebot von Art. 4 BV , insbesondere gegen die in Art. 4 Abs. 2 BV ausdrücklich angeordnete Gleichberechtigung von Mann und Frau, sowie gegen das ungeschriebene Verfassungsrecht der persönlichen Freiheit. b) Die Legitimation zur Stimmrechtsbeschwerde bestimmt sich nicht nach Massgabe von Art. 88 OG , sondern ausschliesslich aufgrund von Art. 85 lit. a OG ( BGE 105 Ia 360 E. 4a mit Verweisungen). Gemäss konstanter Praxis bezeichnet das Bundesgericht die stimmberechtigten Einwohner zur Erhebung der Stimmrechtsbeschwerde befugt ( BGE 113 Ia 149 E. 1b, 395 E. 2b bb, je mit Hinweisen). Das politische Stimmrecht ist ein vom Bundesrecht gewährleistetes verfassungsmässiges Recht. Es gibt dem Stimmbürger unter anderem Anspruch darauf, dass kein Wahl- oder Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt ( BGE 113 Ia 294 E. 3a mit Hinweisen). Damit dieses verfassungsmässige Recht zum Tragen kommen BGE 114 Ia 263 S. 265 kann, muss es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Wahlberechtigung der Beschwerdeführerinnen als solche umstritten ist, für ihre Legitimation genügen, dass sie Adressatinnen des Hoheitsaktes sind, mit welchem ihnen die kantonale Behörde das Wahlrecht abspricht ( BGE 83 I 173 ff.; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 262). Die privaten Beschwerdeführerinnen sind demnach legitimiert, ihren Ausschluss von der Teilnahme an kantonalen Wahlen mit Stimmrechtsbeschwerde zu rügen. c) Die Kantonalpartei des Landesrings der Unabhängigen ist ebenfalls zur Stimmrechtsbeschwerde befugt. Dass sie als politische Partei im Kanton Appenzell A.Rh. tätig ist und sich als juristische Person konstituiert hat, ist unbestritten. Sie erfüllt damit die Voraussetzungen der Beschwerdelegitimation ( BGE 112 Ia 211 E. la mit Verweisung). 2. Stimmrechtsbeschwerden gemäss Art. 85 lit. a OG sind, wie Art. 86 Abs. 1 OG ausdrücklich festhält, nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig (sog. relative Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde). a) Sowohl die privaten Beschwerdeführerinnen als auch die Kantonalpartei des Landesrings der Unabhängigen haben ausdrücklich darauf verzichtet, zunächst das im kantonalen Recht vorgesehene Beschwerderecht auszuüben. Gemäss Art. 47 der Verordnung vom 6. November 1978 über die politischen Rechte kann wegen Verletzung des Stimmrechts sowie wegen Unregelmässigkeiten bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen und Abstimmungen beim Regierungsrat Beschwerde geführt werden. Die Beschwerde ist innert drei Tagen seit der Entdeckung des Beschwerdegrundes, spätestens jedoch am dritten Tag nach der amtlichen Veröffentlichung der Ergebnisse einzureichen (Art. 46 Abs. 2). Weil keine solche Beschwerde eingereicht wurde, beantragt der Regierungsrat, wegen Nichterschöpfung des kantonalen Instanzenzuges auf die Beschwerden nicht einzutreten. b) Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann vom Erfordernis der Ausschöpfung der kantonalen Instanzen abgesehen werden, wenn ernsthafte Zweifel über die Zulässigkeit eines kantonalen Rechtsmittels bestehen ( BGE 110 Ia 213 E. 1, mit Hinweisen). Dies trifft in der vorliegenden Sache nicht zu und wird auch nicht geltend gemacht. Eine zweite Ausnahme lässt die Rechtsprechung zu, wenn die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges eine leere, zwecklose Formalität wäre ( BGE 103 Ia 363 BGE 114 Ia 263 S. 266 E. 1a). Auf diese Ausnahme berufen sich die Beschwerdeführerinnen, indem sie geltend machen, in der Wegleitung des Regierungsrates für die Ständeratswahl sei in Ziffer 1 festgehalten worden, dass nur im Kanton wohnhafte Schweizerbürger männlichen Geschlechts wählbar und wahlberechtigt seien. Nach ihrer Meinung hat damit der Regierungsrat seine Auffassung in der umstrittenen Frage bereits eindeutig zum Ausdruck gebracht, so dass eine Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges sinnlos gewesen wäre. c) Eine Ausnahme vom Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges darf nicht leichthin angenommen werden. Der Grundsatz der relativen Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde bezweckt nicht nur die Entlastung des Bundesgerichts, sondern dient auch der Schonung der kantonalen Souveränität (KÄLIN, a.a.O., S. 277). Der praktisch wichtigste Anwendungsfall des Verzichtes auf die Ausschöpfung des Instanzenzuges ist dann gegeben, wenn eine untere Instanz nach Weisungen der Rechtsmittelinstanz entschieden hat ( BGE 105 Ia 56 E. 1a, mit Hinweisen). So verhält es sich bei Anfechtung von Vorbereitungshandlungen für eine kantonale Abstimmung oder bei Beschwerden gegen das Abstimmungsergebnis nicht. Bei Anfechtung von Vorbereitungsmassnahmen - etwa von amtlichen Abstimmungserläuterungen - hat das Bundesgericht vom Erfordernis einer förmlichen Beschwerde an den Regierungsrat als Beschwerdeinstanz in einem Falle abgesehen, in welchem die Beschwerdeführer ihre Rügen in einem Schreiben vorgebracht hatten, die vom Regierungsrat noch vor dem Abstimmungstermin ebenfalls mit einem Schreiben zurückgewiesen wurden (Urteil vom 4. Oktober 1978 i.S. POCH c. Solothurn, in: ZBl 80/1979 S. 529 E. 2b). Im vorliegenden Falle gibt die amtliche Wegleitung für die Ständeratswahl einzig die gemäss der Kantonsverfassung geltende Rechtslage hinsichtlich des Ausschlusses der Frauen von der politischen Wahlberechtigung in kantonalen Angelegenheiten wieder. Eine Stellungnahme des Regierungsrates als Beschwerdeinstanz zu der in beiden Beschwerden aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die in den Artikeln 19 und 20 der Kantonsverfassung am 30. April 1972 getroffene Regelung gegen den im Jahre 1981 auf eidgenössischer Ebene angenommenen Artikel 4 Abs. 2 BV betreffend gleiche Rechte für Mann und Frau sowie allenfalls gegen weitere Grundrechte verstösst, ist darin nicht enthalten. BGE 114 Ia 263 S. 267 d) Selbst wenn anzunehmen ist, der Regierungsrat werde als Beschwerdeinstanz die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerinnen ablehnen, so ändert dies nichts daran, dass er als kantonale Rechtsmittelinstanz darauf bestehen darf, in dieser Eigenschaft sich in dem ihm obliegenden Entscheid mit den Vorbringen der Beschwerdeführerinnen auseinanderzusetzen. Für den Verzicht auf die Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges genügt es nicht, dass vorausgesehen werden kann, wie der Entscheid der Rechtsmittelinstanz ausfällt (KÄLIN, a.a.O., S. 279 in Anm. 108). Nur wenn die oberste Instanz in der gleichen Sache ihre Meinung bereits klar zum Ausdruck gebracht hat, kann hierauf verzichtet werden ( BGE 96 I 644 E. 1). So verhält es sich in der vorliegenden Auseinandersetzung nicht. Es ist nicht dasselbe, ob sich der Regierungsrat erstmals in einer Stellungnahme auf eine Stimmrechtsbeschwerde zuhanden des Bundesgerichts zu den erhobenen Rügen äussert, oder ob er als Staatsorgan, dem die Beurteilung von Beschwerden wegen Verletzung des Stimmrechts in kantonalen Angelegenheiten obliegt, als Entscheidungsinstanz urteilt. Zu Recht durfte er sich in seiner Vernehmlassung damit begnügen, lediglich der Vollständigkeit halber einige Bemerkungen in materieller Hinsicht anzubringen, primär jedoch darauf zu bestehen, Nichteintreten zu beantragen, weil der kantonale Instanzenzug nicht ausgeschöpft wurde. Nach PETER LUDWIG (Endentscheid, Zwischenentscheid und Letztinstanzlichkeit im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, in: ZBJV 110/1974 S. 194) ist es in diesem Falle ausgeschlossen, auf die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges zu verzichten, auch wenn die Rechtsmittelinstanz in ihrer Vernehmlassung zu erkennen gibt, dass sie gegen den Beschwerdeführer entschieden hätte.
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Sachverhalt ab Seite 462 BGE 123 III 461 S. 462 Am 1. Februar 1947 verstarb Johann R. und hinterliess als gesetzliche Erben seine drei Söhne Walter R., Max R. und Ernst R. Mit öffentlich beurkundetem Kauf- und Pfandvertrag vom 30. September 1950 verkaufte die aus den drei Söhnen bestehende Erbengemeinschaft die Liegenschaft X zum Preis von Fr. 70'000.-- an den Miterben Ernst R. In Ziff. 9 des erwähnten Vertrages wurde ein Wohnrecht an der Parterrewohnung der betreffenden Liegenschaft vereinbart mit folgendem Wortlaut: "Dienstbarkeitserrichtung, im Nachgang zum Pfandrecht von Fr. 30'000.--. Der Mitverkäufer, Herr Walter R., behält sich auf Lebenszeit vor und zwar für sich, seine Ehefrau und seine beiden Kinder Peter R. und Suzanna R. das Wohnrecht in der Parterrewohnung im vorbeschriebenen Hause, bestehend aus drei Zimmern, Küche, Bad und übrige Dependenzen, wie auch die Gartenbenützung. Dieses Recht ist als Dienstbarkeit ins Grundbuch einzutragen, wozu die Bewilligung erteilt wird." Gestützt darauf wurde die Dienstbarkeit am 2. November 1950 mit folgendem Wortlaut im Grundbuch eingetragen: "Wohnrecht zG Walter R., Gertrud R. & Peter & Susanna R." In der Folge wurde vom Wohnrecht kein Gebrauch gemacht. Am 24. Januar 1963 verkaufte Ernst R. das betreffende Grundstück an Paul B. Nach dessen Tod wurde die Liegenschaft am 21. Dezember 1988 von Christine Z.-B. aus dem Nachlass übernommen. Mit Schreiben vom 18. Juli 1995 wurden Gertrud R., Peter R. sowie Susanne S.-R. - früher Susanne R. - im Zusammenhang mit der Neuerrichtung von Grundpfandrechten ersucht, gegenüber den bestehenden und den neu zu errichtenden Pfandrechten für das Wohnrecht den Nachgang zu erklären; der ebenfalls im Grundbuch eingetragene Walter R. war bereits im Jahr 1987 verstorben. Mit Schreiben vom 7. August 1995 liess Susanna S.-R. mitteilen, dass sie sowie Gertrud R. und Peter R. sich vorbehielten, in die in Frage stehende Parterre Wohnung einzuziehen und dort Wohnsitz zu BGE 123 III 461 S. 463 begründen bzw. die Wohnung als Ferienwohnung zu benützen; sie seien allerdings auch bereit, über eine Löschung des Wohnrechtes im Grundbuch gegen Entschädigung zu verhandeln. Nachdem Verhandlungen zwischen den Beteiligten zu keinem Ergebnis geführt hatten, erhoben Susanne S.-R. und Peter R. am 15. Juli 1996 gegen Christine Z.-B. Klage beim Appellationshof des Kantons Bern; sie beantragten im wesentlichen, das Bestehen des Wohnrechtes an der erwähnten Wohnung sei festzustellen und Christine Z.-B. zu verpflichten, die Parterrewohnung samt Gartenanteil innert richterlich zu bestimmender Frist zu räumen und ihnen zur Verfügung zu stellen. Mit Urteil vom 30. April 1997 hiess der Appellationshof des Kantons Bern die Klage gut und stellte fest, dass Susanne S.-R. und Peter R. das umstrittene Wohnrecht zustehe; Christine Z.-B. wurde verpflichtet, die Wohnung bis spätestens 1. November 1997 zu räumen und den Klägern zur freien Verfügung zu stellen. Eine von Christine Z.-B. dagegen erhobene Berufung wies das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintrat. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Der Appellationshof des Kantons Bern ist in seinem Urteil vom 30. April 1997 im wesentlichen davon ausgegangen, dass mit dem am 30. September 1950 vereinbarten und am 2. November 1950 im Grundbuch eingetragenen Wohnrecht nicht nur zugunsten von Walter R. - und seiner Ehefrau -, sondern auch zugunsten ihrer beiden Kinder - den heutigen Klägern - je ein Wohnrecht an der Parterrewohnung in der Liegenschaft der Beklagten auf Lebenszeiten errichtet worden sei. Dieses Wohnrecht sei nicht untergegangen; weder könne aus dem Nichtausüben des Rechtes während längerer Zeit auf einen Verzicht auf das Wohnrecht geschlossen werden, noch könne die Geltendmachung des Wohnrechtes durch die Kläger als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden, da ein Interesse der nicht mehr erwerbstätigen Kläger bestehe, zumindest zeitweise im Haus zu wohnen. Die Beklagte hält diese Begründung in verschiedener Hinsicht für bundesrechtswidrig. 2. In erster Linie stellt sich die Beklagte auf den Standpunkt, dass das vertraglich begründete und im Grundbuch eingetragene Wohnrecht nur zu Gunsten von Walter R. und nicht auch zugunsten von dessen beiden Kindern - den heutigen Klägern - begründet worden sei. BGE 123 III 461 S. 464 a) Gemäss Art. 738 Abs. 1 ZGB ist der Grundbucheintrag für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend, soweit sich Rechte und Pflichten daraus deutlich ergeben. Art. 738 Abs. 2 ZGB bestimmt sodann, dass sich im Rahmen des Eintrages der Inhalt der Dienstbarkeit aus ihrem Erwerbsgrund oder aus der Art ergeben kann, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist. Der Appellationshof hat es unterlassen zu prüfen, ob sich der Inhalt der Dienstbarkeit nicht bereits aus dem Wortlaut des Grundbucheintrages deutlich ergebe; vielmehr kam er mittels Auslegung von Ziff. 9 des öffentlich beurkundeten Kauf- und Pfandrechtsvertrags vom 30. September 1950 zum Schluss, dass den Klägern ein Wohnrecht zustehe. b) Die vom Appellationshof vorgenommene Auslegung der Dienstbarkeit nach dem Erwerbsgrund erweist sich als unzulässig, weil sich der Inhalt der Dienstbarkeit aus dem Grundbucheintrag deutlich ergibt ( Art. 738 Abs. 1 ZGB ) und der Eintrag infolgedessen ausschliesslich massgebend ist. Einerseits ist der Kreis der benutzungsberechtigten Personen eindeutig umschrieben. Dem Grundbucheintrag ist klar zu entnehmen, das ein Wohnrecht Walter R., Gertrud R. sowie deren Kinder Peter R. und Susanne S.-R. eingeräumt wurde. Bei den Klägern handelt es sich demnach nicht einfach um vom Aufnahmerecht eines Wohnberechtigten profitierende Familienmitglieder ( Art. 777 Abs. 2 ZGB ), denen aber kein Wohnrecht zusteht; vielmehr haben sie aufgrund des Eintrages selber als Wohnberechtigte zu gelten, denen je ein selbständiges dingliches Recht zusteht. Andrerseits ist der Grundbucheintrag nicht nur bezüglich des Kreises der berechtigten Personen, sondern auch hinsichtlich der Dauer der Wohnrechte eindeutig. Die zeitliche Beschränkung eines Wohnrechtes wäre zwar ohne weiteres möglich, doch ergibt sich dafür aus dem Grundbucheintrag nicht der mindeste Hinweis; vielmehr wird den vier berechtigten Personen unterschiedslos ein Wohnrecht ohne zeitliche Befristung eingeräumt. Damit gelangt aber die gesetzliche Regelung zur Anwendung, dass das Wohnrecht - ohne gegenteilige Anordnung - mit dem Tod des Berechtigten endigt ( Art. 776 Abs. 2 ZGB und Art. 776 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 749 Abs. 1 ZGB ). Ist aber der Grundbucheintrag sowohl hinsichtlich des Kreises der begünstigten Personen als auch hinsichtlich der Dauer der ihnen eingeräumten Wohnrechte klar, bleibt kein Raum, um für die Ermittlung des Inhaltes der Dienstbarkeit auf ihren Erwerbsgrund zurückzugreifen. BGE 123 III 461 S. 465 c) Nun kann aber auch ein deutlicher Eintrag unrichtig sein. Dies macht die Beklagte sinngemäss geltend, wenn sie behauptet, aus dem Erwerbsgrund ergebe sich, dass nur dem Vater der beiden Kläger, Walter R., ein eigenständiges bzw. auf Lebenszeit errichtetes Wohnrecht eingeräumt worden sei. Während im Verhältnis zwischen den Parteien, die einander zur Zeit der Begründung der Dienstbarkeit gegenübergestanden haben, nicht der Eintrag, sondern der Erwerbsgrund, d.h. der vertragliche Begründungsakt die Wirkung inhaltlicher Gestaltung hat (PETER LIVER, Zürcher Kommentar, N. 23 zu Art. 738 ZGB ), ist in Fällen wie dem vorliegenden, wo sich nicht mehr die ursprünglichen Vertragsparteien gegenüberstehen, die Auslegung des Erwerbsgrundes an die Schranke des Eintrags gebunden (LIVER, a.a.O., N. 91 zu Art. 738 ZGB ): Ergeben sich aus diesem Rechte und Pflichten deutlich, ist er allein massgebend. Der Dritterwerber kann sich dagegen wehren, dass einer im Grundbuch klar umschriebenen Dienstbarkeit mittels Auslegung des Erwerbsgrundes ein anderer Inhalt beigemessen wird; umgekehrt ist ihm aber auch verwehrt, sich auf den Erwerbsgrund zu berufen, um daraus einen für ihn vorteilhaften Inhalt einer Dienstbarkeit abzuleiten, der dem Grundbucheintrag widerspricht. In einem solchen Fall wäre vielmehr gestützt auf Art. 975 ZGB mittels Grundbuchberichtigungsklage die Löschung oder Abänderung des Eintrages zu verlangen, falls der Grundbucheintrag unter Berücksichtigung des Erwerbsgrundes als ungerechtfertigt erscheint (LIVER, a.a.O., N. 26 zu Art. 738 ZGB ). Eine Grundbuchberichtigungsklage zur Löschung des nach Auffassung der Beklagten zu Unrecht eingetragenen Wohnrechtes der Kläger wurde im vorliegenden Fall indessen nicht erhoben. d) Aus diesen Gründen ergibt sich, dass der Einwand der Beklagten unbegründet ist, dass das Wohnrecht nur zu Gunsten von Walter R. und nicht auch zugunsten von dessen beiden Kindern - den heutigen Klägern - begründet worden sei.
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Sachverhalt ab Seite 34 BGE 136 II 33 S. 34 Die X. AG ist auf dem Geld- und Kapitalmarkt sowie in damit verwandten Bereichen als Vermittlerin tätig. Ihr Aktienkapital beträgt Fr. 1,5 Mio. (1'500 Namenaktien à je Fr. 1'000.-). Es ist vollständig liberiert. Die Übertragbarkeit der Aktien ist nach Massgabe der Statuten beschränkt. Die X. AG besass am 31. Dezember 2000 50 eigene Aktien; im März 2001 erwarb sie weitere 275 hinzu, worauf sie in der Jahresrechnung per 31. Dezember 2001 325 eigene Papiere auswies (21,67 % des Aktienkapitals). Im März 2002 veräusserte sie 125 Aktien, womit sie Ende 2002 noch deren 200 (13,33 % des Aktienkapitals) besass. Am 30. März 2003 befanden sich noch 190 eigene Aktien in ihrem Besitz (12,66 % des Aktienkapitals). Ende 2003 verfügte die X. AG noch über 185 Aktien, welche sie per Ende 2005 auf 70 reduzierte. Am 2. Mai 2005 teilte die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) der X. AG mit, dass per 30. März 2003 eine Verrechnungssteuerforderung von Fr. 60'200.- aus einer Teilliquidation entstanden sei, da sie zu diesem Zeitpunkt die 10 %-Limite von eigenen Aktien für eine Dauer von zwei Jahren überschritten habe (Art. 4a Abs. 1 [in der Fassung vom 10. Oktober 1997] des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer [VStG; SR 642.21] in BGE 136 II 33 S. 35 Verbindung mit Art. 659 Abs. 2 OR [in der Fassung vom 4. Oktober 1991]). Die Eidgenössische Steuerverwaltung bestätigte ihre Forderung am 13. Juni 2005 und 23. Mai 2007 (Einspracheentscheid). Mit Urteil vom 19. März 2009 wies das Bundesverwaltungsgericht die von der X. AG hiergegen eingereichte Beschwerde ab. Es begründete seinen Entscheid im Wesentlichen damit, dass sich aus dem Verweis in Art. 4a Abs. 1 VStG auf Art. 659 Abs. 1 und 2 OR eine Art "Teilliquidationsfiktion" ergebe, weshalb nicht mehr zu prüfen sei, ob das Vorgehen tatsächlich zu einer Entreicherung der Gesellschaft geführt habe. Die Überschreitung des handelsrechtlich Zulässigen beim Rückkauf der eigenen Aktien der X. AG ergebe sich aus ihrer Jahresrechnung bzw. den Anhängen dazu; die Vorinstanz habe deshalb zum Schluss kommen dürfen und müssen, dass die Gesellschaft zumindest in der Zeitspanne vom 30. März 2001 bis zum 30. März 2003 gegen die handelsrechtlichen Vorschriften verstossen habe und insofern verrechnungssteuerpflichtig geworden sei. Das Bundesgericht weist die von der X. AG hiergegen gerichtete Beschwerde ab. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Der Bund erhebt gestützt auf Art. 132 Abs. 2 BV unter anderem eine Verrechnungssteuer auf dem Ertrag beweglichen Kapitalvermögens ( Art. 1 Abs. 1 VStG ) und insbesondere auf Zinsen, Renten, Gewinnanteilen und sonstigen Erträgen der von einem Inländer ausgegebenen Aktien ( Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG ). Der Erwerb eigener Beteiligungsrechte galt bis zur Unternehmenssteuerreform von 1997 als verrechnungssteuerpflichtige direkte Teilliquidation, soweit damit im Hinblick auf eine beabsichtigte Kapitalherabsetzung über den Nennwert der Titel hinaus eine Entreicherung der Gesellschaft (Ausschüttung von Reserven einschliesslich zurückbehaltener Gewinne) verbunden war (vgl. zum Begriff der Teilliquidation auch: MARKUS REICH, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2a: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 2. Aufl. 2008, N. 87 ff. zu Art. 20 DBG ). Den bestehenden Beweisschwierigkeiten bei "verkappten" Teilliquidationen, d.h. solchen, bei denen die Gesellschaft darauf verzichtet, das in der Bilanz ausgewiesene Kapital ihrem Rückkauf entsprechend auf den de facto reduzierten Stand herabzusetzen, trug die Praxis mit der Einführung von Haltefristen Rechnung: Die Eidgenössische Steuerverwaltung behandelte den Erwerb eigener Beteiligungsrechte verrechnungssteuerrechtlich als Teilliquidation, BGE 136 II 33 S. 36 wenn diese nicht innert Jahresfrist mindestens zum Anschaffungspreis wieder veräussert wurden. Im Jahre 1995 dehnte sie den Zeitraum auf zwei Jahre aus; bei Publikumsgesellschaften, die regelmässig mit eigenen Beteiligungsrechten handelten und während mehreren aufeinanderfolgenden Jahren eine derartige Bilanzposition auswiesen, sah sie zudem von der Besteuerung ab, falls gestützt auf den Anhang zur Bilanz ein tatsächlicher Handel nachgewiesen war (vgl. BBl 1997 II 1164 Ziff. 251 S. 1197 f.; Kreisschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung [KS EStV] Nr. 25: Direkte Bundessteuer, Besteuerung kollektiver Kapitalanlagen und ihrer Anleger, Ziff. 2.2; CONRAD STOCKAR, Gesetzliche Regelung des Erwerbs eigener Aktien, in: ASA 66 S. 685 ff.; VON AH/DUSS, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. II/2: Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer, 2005, N. 8 ff. zu Art. 4a VStG ). 2.2 2.2.1 Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform von 1997 regelte der Gesetzgeber die Problematik der verrechnungssteuerrechtlichen Folgen des Erwerbs eigener Beteiligungsrechte neu: Nach Art. 4a VStG unterliegt seither die Differenz zwischen dem Erwerbspreis und dem einbezahlten Nennwert der eigenen Beteiligungsrechte der Verrechnungssteuer, falls eine Gesellschaft sie gestützt auf einen Beschluss über die Herabsetzung des Kapitals oder im Hinblick auf eine Herabsetzung ihres Kapitals erwirbt; dasselbe gilt, "soweit der Erwerb eigener Beteiligungsrechte den Rahmen von Art. 659 oder 783 des Obligationenrechts überschreitet" ( Art. 4a Abs. 1 VStG ). Erwirbt die Gesellschaft im Rahmen von Art. 659 (bzw. Art. 783) des Obligationenrechts eigene Beteiligungsrechte, ohne anschliessend ihr Kapital herabzusetzen, gilt Art. 4a Absatz 1 VStG, "wenn die Gesellschaft oder die Genossenschaft diese Beteiligungsrechte nicht innerhalb von sechs Jahren wieder veräussert" und damit einen negotiablen Gegenwert realisiert ( Art. 4a Abs. 2 VStG ; STOCKAR, a.a.O., S. 687 f.; REICH, a.a.O., N. 87 ff. zu Art. 20 DBG ). Nach Art. 659 OR darf eine Gesellschaft eigene Aktien erwerben, wenn frei verwendbares Eigenkapital in der Höhe der dafür nötigen Mittel vorhanden ist und der gesamte Nennwert dieser Aktien 10 Prozent des Aktienkapitals nicht übersteigt (Abs. 1). Werden im Zusammenhang mit einer Übertragungsbeschränkung Namenaktien erworben, so beträgt die Höchstgrenze 20 Prozent. Die über 10 Prozent des Aktienkapitals hinaus erworbenen Aktien sind in diesem Fall innert zweier Jahre zu veräussern oder durch eine Kapitalherabsetzung zu vernichten (Abs. 2). BGE 136 II 33 S. 37 2.2.2 Beim Rückkauf eigener Beteiligungsrechte bestehen steuerrechtlich demnach zwei unterschiedlich geregelte Situationen: Der Erwerb eigener Beteiligungsrechte stellt immer eine unmittelbare bzw. unbedingte Teilliquidation dar, falls die Gesellschaft die Beteiligungsrechte zum Zweck der (zivilrechtlichen) Kapitalherabsetzung zurückkauft oder die prozentual zulässigen Limiten von Art. 659 Abs. 1 und 2 OR überschreitet, d.h. mehr als 10 Prozent und bei vinkulierten Namenaktien mehr als 20 Prozent der Beteiligungsrechte kauft ( Art. 4a Abs. 1 VStG ; JAUSSI/GHIELMETTI, Die eidg. Verrechnungssteuer, 2007, S. 41; VON AH/DUSS, a.a.O, N. 28 ff. zu Art. 4a VStG ). Was diese Werte übersteigt, löst unverzüglich, d.h. bereits im Zeitpunkt des Rückkaufs, die Steuerfolgen einer Teilliquidation aus (KS EStV Nr. 5: Unternehmenssteuerreform 1997 - Neuregelung des Erwerbs eigener Beteiligungsrechte, Ziff. 2.1). Eine mittel bare bzw. suspensiv bedingte Teilliquidation liegt vor, falls die zurückkaufende Gesellschaft oder Genossenschaft zwar die Prozentlimiten von Art. 659 OR respektiert, die Beteiligungsrechte jedoch nicht innerhalb der steuerlich zulässigen Haltefristen wieder veräussert (VON AH/DUSS, a.a.O., N. 50 ff. zu Art. 4a VStG ). Diese betragen nach Ansicht der Eidgenössischen Steuerverwaltung für die ersten 10 Prozent der zurückgekauften Beteiligungsrechte sechs Jahre und bei vinkulierten Aktien für den Anteil von 10 bis 20 Prozent zwei Jahre. Zu den vinkulierten Namenaktien hält das Kreisschreiben Nr. 5 als Konsequenz hieraus fest, dass deren Rückkauf im Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung immer zur Besteuerung nach Art. 4a Abs. 1 VStG führe. Komme es zu keiner Kapitalherabsetzung, unterliege der Erwerb der ersten zehn Prozent der Regelung von Art. 4a Abs. 2 VStG , womit eine Besteuerung erst nach Ablauf der Haltefrist von sechs Jahren vorzunehmen sei. Für den Erwerb weiterer vinkulierter Namenaktien gelte es hingegen zu unterscheiden: Die zweiten zehn Prozent gelangten nach Ablauf der zweijährigen Frist gemäss Art. 659 Abs. 2 OR zur Besteuerung, während bei jedem Erwerb, der 20 Prozent übersteige, unverzüglich, d.h. bereits im Zeitpunkt des Rückkaufs, gestützt auf Art. 4a Abs. 1 VStG die Verrechnungssteuer geschuldet sei (Ziff. 2.1). 3. 3.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sie am 30. März 2003 über 190 eigene vinkulierte Aktien (12,66 % des Aktienkapitals) verfügt und damit nicht innerhalb der nach Art. 659 Abs. 2 OR gebotenen zwei Jahren (ab März 2001) ihren Eigenbestand auf BGE 136 II 33 S. 38 weniger als 10 Prozent reduziert hat. Sie macht indessen geltend, für die Praxis der EStV, dass zwischen 10 und 20 Prozent der im Eigenbestand gehaltenen vinkulierten Aktien die obligationenrechtliche Haltefrist von zwei Jahren gelte, fehle eine gesetzliche Grundlage. Wortlaut und Systematik von Art. 4a VStG zeigten klar, dass mit "Rahmen von Art. 659 OR " (nur) die quantitativen Schranken beim Erwerb der eigenen Aktien gemeint seien, d.h. die 10 %- bzw. die 20 %-Schranke. Würden diese Quoten eingehalten, gelte Art. 4a Abs. 2 VStG . Die Limitierung auf die aktienrechtliche Zweijahresfrist zum Abbau der selbstgehaltenen vinkulierten Namenaktien auf 10 Prozent lasse sich Art. 4a Abs. 2 VStG nicht entnehmen. Aus den Materialien ergäben sich keine Hinweise darauf, dass steuerrechtlich diesbezüglich ein Unterschied zwischen den "normalen" Aktien und den vinkulierten Namenaktien gemacht werden sollte. Die Länge der Haltefrist von sechs Jahren beruhe auf praktischen und wirtschaftlichen Erwägungen. Da sich weder im Wortlaut von Art. 4a VStG noch in den Materialien ein Hinweis auf die handelsrechtliche Zweijahresfrist finde, sei diese vom Normzweck nicht gedeckt. Der Steuergesetzgeber habe autonom - ohne Rückgriff auf das Zivilrecht - entschieden, wann von einer Teilliquidationsfiktion auszugehen sei, solange sich der Bestand an eigenen Aktien innerhalb der aktienrechtlichen Quoten bewege. Die für Steuerzwecke massgebliche Haltefrist sei mithin "abschliessend" in Art. 4a Abs. 2 VStG geregelt. 3.2 3.2.1 Die Argumentation überzeugt nicht: Zwar wird - wie das Bundesgericht bereits ausgeführt hat (Urteil 2A.9/2005 vom 27. Oktober 2005 E. 2.2, in: RDAF 2008 II 266 ff.) - die undifferenzierte steuerliche "Teilliquidations- bzw. Entreicherungsfiktion" von Art. 4a Abs. 1 VStG (bzw. von Art. 20 Abs. 1 lit. c des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11]) in der Doktrin kritisiert, doch hat der Gesetzgeber das Überschreiten der obligationenrechtlichen Obergrenzen "als unbedingten Teilliquidationstatbestand" gesetzlich verankert (VON AH/DUSS, a.a.O., N. 39 zu Art. 4a VStG ; vgl. zu den Kritiken: VON AH/DUSS, a.a.O., N. 28 ff. zu Art. 4a VStG ; BUCHSER/JAUSSI, Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und indirekten Rückkauf eigener Aktien, in: ASA 70 S. 619 ff., insbesondere S. 642 ff.). Er hat bei der steuerrechtlichen Regelung des Erwerbs eigener Aktien, der aus seiner Sicht immer eine "Entreicherung der AG" bewirkt (Botschaft vom 26. März 1997 zur Reform der Unternehmensbesteuerung 1997, BBl 1997 II BGE 136 II 33 S. 39 1164 ff., 1197 Ziff. 251), eine einfache Lösung angestrebt, die den Bedürfnissen der Wirtschaft Rechnung trägt, gleichzeitig aber auch dem Interesse der Steuerbehörden an einem effizienten Vollzug entgegenkommt. Der Gesetzgeber hat es in diesem Rahmen - abweichend von gewissen Vorschlägen im Vernehmlassungsverfahren - abgelehnt, auf die Motive für den Rückkauf abzustellen, da dies mit "heiklen Abgrenzungsfragen" verbunden wäre, den Vollzug "sehr aufwendig" gestalten würde und der Rechtssicherheit nicht dienlich erschiene (vgl. BBl 1997 II 1198 Ziff. 251). Bei der Anwendung von Art. 4a VStG ist deshalb nicht noch einmal zu prüfen, ob das gewählte Vorgehen wirtschaftlich tatsächlich zu einer Entreicherung der Gesellschaft führt und aus welchen Gründen es zum Rückkauf der eigenen Aktien gekommen ist (Urteil 2A.9/2005 vom 27. Oktober 2005 E. 2.2, in: RDAF 2008 II S. 266 ff.). 3.2.2 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin regelt Art. 4a Abs. 1 VStG die verrechnungssteuerrechtliche Rechtsfolge aller Tatbestände, bei denen die handelsrechtlichen Vorgaben von Art. 659 OR nicht eingehalten sind, da die Gesellschaft mit dem Rückkauf der eigenen Aktien - so der Bundesrat in seiner Botschaft - nichts erwirbt, "das nicht schon ihr gehörte" (BBl 1997 1197 Ziff. 251). Die Bestimmung erfasst nicht nur den Erwerb der eigenen Papiere, sondern auch deren anschliessendes Halten. Ein Verstoss gegen die entsprechenden Vorgaben löst die (unwiderlegbare) steuerrechtliche Fiktion der Teilliquidation aus. Der Verweis in Absatz 2 von Art. 4a VStG , wonach Absatz 1 "sinngemäss" gilt, verdeutlicht das Prinzip von Grundsatz und Ausnahme: Absatz 1 sieht die sofortige Besteuerung vor, falls der Rahmen von Art. 659 OR nicht eingehalten ist; Absatz 2 erfasst jene Fälle, in denen der Erwerb der eigenen Aktien zwar handelsrechtlich korrekt erfolgt ist und die Titel auch handelsrechtskonform gehalten werden, es - in Abweichung vom OR - nach Ablauf der 6-jährigen Haltedauer dennoch zur Besteuerung kommen soll (so auch PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 4 N. 322 und 326; JAUSSI/GHIELMETTI, a.a.O., S. 41 f. und 100 f.; OBERSON/MERLINO, Le traitement fiscal du rachat par une société de ses propres actions, in: Journée 1999 de droit bancaire et financier, 2000, S. 77 ff., dort S. 84 f.). 3.2.3 Die verrechnungssteuerrechtliche Regelung in Art. 4a VStG verweist generell auf Art. 659 OR , somit auch auf die dort verankerte Pflicht, die über 10 Prozent des Aktienkapitals hinaus erworbenen eigenen Aktien mit Übertragungsbeschränkungen innert zweier BGE 136 II 33 S. 40 Jahre zu veräussern oder durch Kapitalherabsetzung zu vernichten. Für die von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, Art. 4a VStG verweise nur teilweise, nämlich bezüglich der Quoten, nicht jedoch bezüglich des in Art. 659 Abs. 2 Satz 2 OR vorgesehenen Abbaus, auf die handelsrechtliche Regelung, bestehen keine Anhaltspunkte. Der Wortlaut von Art. 4a VStG spricht eher hiergegen. Zwar vertreten VON AH/DUSS die Ansicht, dass Art. 4a Abs. 2 VStG die Zweijahresfrist nicht erwähne und gerade nicht auf Art. 659 Abs. 2 OR verweise, woraus sie ableiten, dass deren Verletzung keinen suspensiv bedingten Teilliquidationstatbestand bilde, weshalb ausschliesslich die sechsjährige Haltefrist zur Anwendung komme (a.a.O., N. 54 zu Art. 4a VStG ). Die Argumentation ist indessen nicht zwingend: Indem der Gesetzgeber generell auf Art. 659 OR verwiesen hat, ist vielmehr davon auszugehen, dass er damit auch dessen Satz 2 von Absatz 2 in die steuerrechtliche Gesetzgebung einbezogen und zu deren Bestandteil gemacht hat. Hätte der Gesetzgeber in diesem Punkt abweichend von der handelsrechtlichen Regelung entscheiden wollen, hätte er dies ausdrücklich so formuliert, nachdem er grundsätzlich davon ausgegangen ist, dass aus steuerrechtlicher Sicht jeder Rückkauf eigener Aktien eine Entreicherung der Gesellschaft und steuerrechtlich dementsprechend eine Teilliquidation darstellt (vgl. BBl 1997 1197 Ziff. 251). Trotz der von der Beschwerdeführerin beanstandeten Regelung im Kreisschreiben Nr. 5 der Eidgenössischen Steuerverwaltung hat der Gesetzgeber im Rahmen der Anpassung von Art. 4a VStG bei der Revision des GmbH-Rechts vom 16. Dezember 2005 (in Kraft seit 1. Januar 2008) denn auch keine Veranlassung gesehen, hinsichtlich der verrechnungssteuerrechtlichen Konsequenzen bei der Missachtung der Rückführungspflicht auf 10 % die Praxis der Steuerverwaltung zu korrigieren (vgl. BBl 2002 3148 ff., 3183 Ziff. 2.1.1.13). 3.2.4 Für deren kritisierte Auslegung sprechen neben dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte auch Sinn und Zweck der Regelung sowie die Einheitlichkeit der Rechtsordnung: Art. 4a VStG erfasst grundsätzlich verrechnungssteuerrechtlich die Teilliquidation im Zeitpunkt der effektiven Entreicherung der Gesellschaft, d.h. beim Erwerb der eigenen Aktien. Sofern handelsrechtlich grosszügigere Regeln bestehen, sollen diese auch verrechnungssteuerrechtlich gelten. Sind deren Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, treten die verrechnungssteuerrechtlichen Folgen - bis zur Wiederherstellung des handelsrechtlich Gebotenen - sofort ein (Abs. 1). BGE 136 II 33 S. 41 Es entspricht nicht dem Zweck von Art. 4a VStG , einen handelsrechtswidrigen Sachverhalt, der ohne Sonderreglung eine unmittelbare steuerrechtliche Teilliquidation auslösen würde, trotz ausdrücklichen Hinweises auf die Regelungen in Art. 659 bzw. Art. 783 OR fortgelten und während zusätzlicher 4 Jahre ohne steuerrechtliche Konsequenzen zu lassen. Hieran ändert nichts, dass Art. 659 OR handelsrechtlich lediglich als Ordnungsvorschrift gilt und seine Verletzung in der Praxis oft sanktionslos bleibt bzw. lediglich haftungsrechtliche Folgen seitens des Verwaltungsrats nach sich zieht (vgl. MYRIAM SENN, Gesellschaftsrecht, 2001, S. 164; RITA TRIGO TRINDADE, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, Tercier/Amstutz [Hrsg.], 2008, N. 26 zu Art. 659-659a OR ). Art. 4aVStG lehnt sich mit dem Hinweis auf Art. 659 OR umfassend an die handelsrechtlichen Bestimmungen an und verankert nicht in Abweichung von diesen eine steuerrechtlich günstigere eigene Regelung. Im Umfang, in dem die Beschwerdeführerin nach zwei Jahren ihre zurückgekauften vinkulierten Namenaktien über 10 Prozent des Aktienkapitals nicht weiter veräussert hat, schuldet sie deshalb hierauf die von ihr eingeforderte Verrechnungssteuer (vgl. auch BÖCKLI, a.a.O., § 4 N. 322; BUCHSER/JAUSSI, a.a.O., S. 648).
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60955ce1-7ef4-4067-921a-f11f70ff0370
Sachverhalt ab Seite 238 BGE 116 Ia 237 S. 238 F., Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland, ist in der Schweiz aufgewachsen und studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Am 25. Oktober 1989 ersuchte er das Obergericht des Kantons Bern um rechtsverbindliche Feststellung, ob er als deutscher Staatsangehöriger bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen zum Anwaltsberuf zugelassen werde. Mit Verfügung vom 24. Januar 1990 stellte das Obergericht des Kantons Bern fest, F. könne nicht zum Anwaltsberuf zugelassen werden. Das Obergericht verwies auf die Art. 3 und 7 Abs. 1 des bernischen Gesetzes über die Fürsprecher vom 6. Februar 1984 (Fürsprechergesetz), wonach die Ausübung des Anwaltsberufs Schweizer Bürgern vorbehalten wird. Diese Regelung halte vor dem Bundesverfassungsrecht stand. Eine gegen diese Feststellungsverfügung erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. a) Nach der früheren Rechtsprechung konnte sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit nur berufen, wer Schweizer Bürger ist ( BGE 55 I 223 E. 1; BGE 48 I 285 E. 1; BGE 47 I 50 E. 1). In BGE 108 Ia 148 hat das Bundesgericht seine Praxis präzisiert. Danach kann sich auch der Ausländer auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen, soweit er nicht gerade wegen seiner Ausländerqualität besonderen wirtschaftspolizeilichen Einschränkungen unterworfen ist (bestätigt im Urteil vom 24. Februar 1984, E. 1, in: ZBl 85/1984 S. 458). b) Der Ausländer kann damit persönlich Grundrechtsträger sein, er ist es nur in bestimmten sachlich abgegrenzten Bereichen nicht. Das Bundesgericht hat mit dieser Präzisierung der Rechtsprechung den persönlichen Schutzbereich der Handels- und Gewerbefreiheit in enge Beziehung zum sachlichen gebracht. In BGE 114 Ia 311 E. 3b ging es noch einen Schritt weiter. Hinsichtlich der fremdenpolizeilichen Zulassung ausländischer Arbeitskräfte fasste BGE 116 Ia 237 S. 239 es den Schutzbereich der Handels- und Gewerbefreiheit rein sachlich, nicht mehr in Abhängigkeit von der Person des Beschwerdeführers. Es erklärte, weder der Ausländer selbst noch sein schweizerischer Arbeitgeber könnten sich bei Anwendung des Fremdenpolizeirechts auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen. Die früher ( BGE 106 Ib 133 ) in Erwägung gezogene Konzeption, wonach es darauf ankäme, ob Beschwerdeführer ein Ausländer oder ein Schweizer sei, hat das Bundesgericht damit verworfen. Das deckt sich mit der in der Literatur neuerdings von MARKUS HUG (Der Ausländer als Grundrechtsträger, Diss. Zürich 1989, insbesondere S. 118-127) vertretenen Auffassung, nach der nicht der Ausländer als Person von der Anrufung eines bestimmten Grundrechts allgemein ausgeschlossen sein soll, sondern bestimmte ausländerspezifische Sachfragen den Schutzbereich des Grundrechts nicht betreffen. c) In BGE 108 Ia 148 hat das Bundesgericht ausländerspezifische Einschränkungen der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit generell vom Schutz durch die Handels- und Gewerbefreiheit ausgenommen. Das ist insofern nicht unproblematisch, als damit der Geltungsbereich eines verfassungsmässigen Rechts nicht durch die Bundesverfassung selbst, sondern - von Kanton zu Kanton verschieden - durch Gesetz und Verordnung bestimmt würde (HUG, a.a.O., S. 240; ALFRED KÖLZ, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1982, ZBJV 120/1984 S. 336 f.). In BGE 114 Ia 312 konkretisierte das Bundesgericht den Schutzbereich der Handels- und Gewerbefreiheit indessen im Lichte der Bundesverfassung. So steht nach Art. 69ter Abs. 1 BV die Gesetzgebung über Ein- und Ausreise, Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer dem Bunde zu. Neben der Fernhaltung unerwünschter Personen hat diese Verfassungsnorm auch eine demographische und arbeitsmarktpolitische Zielsetzung (MALINVERNI, Kommentar BV, N. 20 zu Art. 69ter). Das lässt bei Anwendung des Fremdenpolizeirechts für einen grundrechtlichen Schutz der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit keinen Raum. Sowohl Art. 69ter BV wie das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG; SR 142.20) unterscheiden zwischen Niederlassung und Aufenthalt. Die Aufenthaltsbewilligung ist befristet und kann mit Bedingungen verbunden werden ( Art. 5 Abs. 1 ANAG ); die Niederlassungsbewilligung ist demgegenüber unbefristet und bedingungsfeindlich ( Art. 6 Abs. 1 ANAG ). Können dem Niedergelassenen keine BGE 116 Ia 237 S. 240 Bedingungen auferlegt werden, so unterliegt er insbesondere hinsichtlich seiner Erwerbstätigkeit keinerlei fremdenpolizeilichen Schranken. Das heisst zwar nicht, dass es zum vornherein unzulässig wäre, bestimmte Berufe Schweizer Bürgern vorzubehalten. Wenn aber der Ausländer unter arbeitsmarktlichen und demographischen Gesichtspunkten ohne jede Einschränkung zur Erwerbstätigkeit zugelassen ist, so ist kein verfassungsrechtlicher Grund ersichtlich, der es gebieten würde, den Ausländer vom Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit auszunehmen. Vielmehr müssen sich Einschränkungen seiner Erwerbstätigkeit, die nicht auf dem Fremdenpolizeirecht des Bundes beruhen und sich auf Art. 69ter BV stützen lassen, an der Handels- und Gewerbefreiheit messen. Das heisst, sie müssen auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. d) Die Berufung des Ausländers auf die Handels- und Gewerbefreiheit zuzulassen, soweit er auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt fremdenpolizeilich zugelassen ist, rechtfertigt sich auch aufgrund des menschenrechtlichen Teilgehalts von Art. 31 BV . Neben der wirtschaftspolitischen Grundentscheidung für ein System des freien Wettbewerbs und der Schaffung eines einheitlichen schweizerischen Wirtschaftsraums garantiert die Handels- und Gewerbefreiheit die freie Wahl und Ausübung eines Berufs. Ist es zwar verfassungsrechtlich nicht vorgezeichnet, in welcher Beziehung der schweizerische Wirtschaftsraum zum ausländischen steht, und kann sich der Ausländer hinsichtlich der fremdenpolizeilichen Zulassung insoweit nicht auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen, so ist doch beim niedergelassenen Ausländer hinsichtlich seiner beruflichen Entfaltung ein Unterschied zum Schweizer Bürger nicht auszumachen. Ob der Ausländer (anders als der Schweizer) auf Grundlage des kantonalen Rechts von der Ausübung eines bestimmten Berufes ausgeschlossen werden kann, ist nicht Frage seiner Legitimation zur Ergreifung der staatsrechtlichen Beschwerde, sondern der materiellen Schranken des Grundrechts der Handels- und Gewerbefreiheit. 3. a) Die Erteilung des Fürsprecherpatents und der Berufsausübungsbewilligung bei ausserkantonalem Ausweis ist im Kanton Bern an die Voraussetzung des Schweizerbürgerrechts geknüpft (Art. 3 und Art. 7 Abs. 1 Fürsprechergesetz). Die gesetzliche Grundlage für die Verweigerung der Zulassung zur BGE 116 Ia 237 S. 241 Fürsprecherprüfung zieht der Beschwerdeführer denn auch nicht in Zweifel. b) Im zitierten Urteil vom 24. Februar 1984, in dem das Bundesgericht - von Härtefällen abgesehen - den Ausschluss der Ausländer vom Anwaltsberuf als zulässig erklärt hat, ist das Bürgerrechtserfordernis (unter dem Gesichtswinkel von Art. 4 BV ) mit dem Schutz der einheimischen Anwälte vor ausländischer Konkurrenz sowie der nötigen Vertrautheit mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen des Landes gerechtfertigt worden. Soweit das Bürgerrechtserfordernis dem Konkurrenzschutz dient, lässt es sich zum vornherein nicht mehr aufrechterhalten, wenn sich (wie in E. 2 dargetan) der Ausländer auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen kann. Im Unterschied zu Art. 4 BV verbietet dieses Grundrecht den Kantonen wirtschafts- und standespolitische Massnahmen, die lediglich der Abschirmung gegen Konkurrenz dienen ( BGE 114 Ia 36 ; BGE 113 Ia 282 ; je mit Hinweisen). Das Argument der engen Vertrautheit mit den Verhältnissen des Landes ist bei einem in der Schweiz aufgewachsenen Ausländer, der hier die Schulen besucht und überdies an einer hiesigen Universität studiert hat, nicht von grossem Gewicht. Unterschiede zu einem Schweizer Bürger sind diesbezüglich nicht erheblich, auch wenn sie bei anderen Ausländern von grösserer Bedeutung sein mögen. c) Zu beachten gilt es allerdings, dass nach Art. 64 Abs. 3 und Art. 64bis Abs. 2 BV die Kantone die Gerichtsorganisation, das gerichtliche Verfahren und die Rechtsprechung ordnen. Mit der kantonalen Verfahrenshoheit steht die Regelung des Anwaltsberufs in enger Verbindung. Der Anwalt ist "Mitarbeiter der Rechtspflege" ( BGE 106 Ia 104 /5). Er steht in dieser Funktion in enger Beziehung zum Staat und nimmt eine für den Rechtsstaat tragende Aufgabe wahr. Es entspricht daher jedenfalls zurzeit herrschender Rechtsanschauung, dass der Anwalt mit diesem Staat durch das Bürgerrecht verbunden sein soll. Das gilt sowohl für einen Grossteil der Kantone wie auch für zahlreiche Staaten des Auslands. Der Staat erwartet vom Anwalt, der vor seinen Gerichten das Recht für die Klienten erstreiten soll, dass er sich als Bürger in die Rechtsordnung einfügt und sich an deren Fortbildung beteiligt. Der Klient erwartet, dass der Anwalt, den er mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt, dem Richter oder (im Verwaltungsverfahren) dem Beamten als Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten gegenübertreten kann. Vor allem diese Erwartungshaltung BGE 116 Ia 237 S. 242 nicht zu enttäuschen, kann für den kantonalen Gesetzgeber Anlass sein, den Ausländer vom Anwaltsberuf auszuschliessen. Insoweit liegt die bernische Regelung im öffentlichen Interesse. d) Sie trifft auch den schon längere Zeit in der Schweiz weilenden Ausländer nicht in unverhältnismässiger Weise, soweit ihm die Möglichkeit offen steht, das Schweizer Bürgerrecht zu erlangen. Im Falle des Beschwerdeführers, der erklärtermassen das Bürgerrecht erwerben könnte, nicht aber erwerben will, ist sie keinesfalls unverhältnismässig. e) Der Ausschluss vom Anwaltsberuf lässt sich aus diesen Gründen mit der Handels- und Gewerbefreiheit vereinbaren.
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Erwägungen ab Seite 72 BGE 137 IV 72 S. 72 Aus den Erwägungen: 2. Das Bundesgericht hat die Frage, ob ein Fahrverbot gemäss Art. 67b StGB auch bei SVG-Widerhandlungen angeordnet werden kann, bisher nicht entschieden. Es konnte sie im Urteil 6B_32/2008 vom 13. Mai 2008 offenlassen. Die Frage muss vorliegend beantwortet werden. 2.1 In der Lehre ist der Anwendungsbereich von Art. 67b StGB umstritten. Nach der einen Auffassung ist diese Bestimmung bei allen Verbrechen und Vergehen anwendbar, mithin grundsätzlich auch bei den als Vergehen umschriebenen SVG-Widerhandlungen (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Teil 2: Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 13 N. 31; STRATENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 2. Aufl. 2009, N. 1 f. zu Art. 67b StGB ; FELIX BOMMER, Die Sanktionen im neuen AT StGB - Ein Überblick, in: Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, 2007, S. 11 ff. und 53). Allerdings sei Art. 67b StGB , auch wenn dies wenig sinnvoll erscheine, wohl nur bei Vorsatzdelikten anwendbar, mithin nicht beispielsweise bei fahrlässiger BGE 137 IV 72 S. 73 grober Verkehrsregelverletzung, da bei einem fahrlässigen Delikt kaum gesagt werden könne, der Täter habe das Fahrzeug zu diesem Delikt verwendet . Ferner sei es fraglich, ob beispielsweise bei einervorsätzlichen Trunkenheitsfahrt oder Führerflucht der Täter das Motorfahrzeug zur Begehung dieser Straftat verwendet habe (STRATENWERTH, a.a.O., § 13 N. 32). Ausserdem wird dem Strafrichter Zurückhaltung bei der Anordnung eines Fahrverbots im Sinne vonArt. 67b StGB bei SVG-Widerhandlungen empfohlen, wenn ein administrativer Warnungsentzug gemäss Art. 16 ff. SVG in Betracht fällt (BOMMER, a.a.O., S. 53). Nach der andern, wohl überwiegenden Auffassung ist Art. 67b StGB bei SVG-Widerhandlungen nicht anwendbar. Diese Bestimmung betreffe Fälle, in denen das Motorfahrzeug als Hilfsmittel zur Verübung eines Delikts eingesetzt werde, beispielsweise als Mittel zum Transport der Täter zu abgelegenen Tatorten oder zum Transport der Beute oder zur Beförderung von Betäubungsmitteln oder Schmuggelware. Art. 67b StGB diene der Bekämpfung von Straftaten, die durch die Verwendung eines Motorfahrzeugs als Hilfsmittel überhaupt erst ermöglicht oder zumindest erleichtert würden. Zwischen der Verwendung des Motorfahrzeugs und der Straftat müsse ein finaler Zusammenhang bestehen. Die Straftat müsse unter Ausnützung der speziellen Möglichkeiten des Motorfahrzeugs begangen worden sein, wozu unter anderem dessen Schnelligkeit, Tragkraft und die Abgeschlossenheit des Wageninnern gehörten. Dies ergebe sich auch aus der Entstehungsgeschichte. Der Entzugsgrund der Verwendung eines Motorfahrzeugs zur Begehung von Delikten sei früher in Art. 16 Abs. 3 lit. f SVG geregelt gewesen. Da er indessen nichts mit der Verkehrssicherheit zu tun habe, sei er zu Unrecht im SVG verankert gewesen. Im Rahmen der weitgehend parallel verlaufenen Gesetzgebungsarbeiten betreffend die Teilrevision des SVG einerseits und die Revision des Allgemeinen Teils des StGB andererseits habe der Gesetzgeber daher diesen Entzugsgrund aus dem SVG entfernt und, mit gewissen Modifikationen, neu im StGB geregelt. Die in der Rechtsprechung zu aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG entwickelten Grundsätze seien deshalb weiterhin gültig (zum Ganzen ARQUINT/HEIMGARTNER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 11 f., 18 und 22 f. zu Art. 67b StGB ; TRECHSEL/JEAN-RICHARD, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, N. 1 f. zu Art. 67b StGB ; SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, Strafen und Massnahmen, 8. Aufl. 2007, S. 197 f.; FRANZ RIKLIN, Die BGE 137 IV 72 S. 74 Sanktionierung von Verkehrsdelikten nach der Strafrechtsreform, ZStrR 122/2004 S. 169 ff. und 187 f.; YVAN JEANNERET, Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 5 ff. zu Art. 67b CP; CÉDRIC MIZEL, Nature et mise en oeuvre des nouvelles déchéances pénales et administratives du droit de conduire, ZStrR 125/2007 S. 72 ff. und 74 f.). 2.2 Der Wortlaut von Art. 67b StGB schliesst dessen Anwendung auf SVG-Widerhandlungen nicht schlechthin aus. Er spricht allerdings eher für die Auffassung, dass die Bestimmung bei SVG- Widerhandlungen nicht anwendbar ist. Voraussetzung für ein Fahrverbot gemäss Art. 67b StGB ist unter anderem, dass der Täter "ein Motorfahrzeug zur Begehung eines Verbrechens oder Vergehens verwendet" hat. Der Täter hat mit anderen Worten ein Motorfahrzeug verwendet, um ein Verbrechen oder Vergehen zu begehen ("pour commettre un crime ou un délit"; "per commettere un crimine o un delitto"). Wer als Führer eines Motorfahrzeugs Verkehrsregeln verletzt, beispielsweise die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet, oder wer ein Motorfahrzeug unzulässigerweise führt, weil er nicht fahrfähig oder das Fahrzeug nicht betriebssicher ist, verwendet das Fahrzeug nicht, um ein Delikt zu begehen. Vielmehr begeht er das Delikt als Führer des Motorfahrzeugs in und mit diesem durch sein verkehrsregelwidriges Verhalten oder dadurch, dass er das Fahrzeug überhaupt führt. Ferner wird die in Art. 67b StGB zudem vorausgesetzte "Wiederholungsgefahr" als Gefahr eines weiteren Missbrauchs des Fahrzeugs verstanden, wie sich aus dem französischen und italienischen Gesetzeswortlaut ergibt ("... s'il y a lieu de craindre de nouveaux abus"; "... e sussiste il rischio di un ulteriore abuso ..."). Auch dies spricht gegen die Anwendung von Art. 67b StGB bei SVG-Widerhandlungen, da beispielsweise bei einer Verkehrsregelverletzung schwerlich von einem Missbrauch ("abus", "abuso") des Fahrzeugs gesprochen werden kann. 2.3 Die Entstehungsgeschichte und der daraus ersichtliche Sinn und Zweck von Art. 67b StGB sprechen deutlich gegen die Anwendung dieser Bestimmung bei SVG-Widerhandlungen. 2.3.1 Der Vorentwurf der Expertenkommission von 1993 zu einem neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches sah vor, den Warnungsentzug des Führerausweises bei SVG-Widerhandlungen neu als eine vom Gericht auszufällende Hauptstrafe im StGB zu regeln (Art. 45-48 VE). Die Bestimmungen im SVG betreffend den Warnungsentzug sollten folgerichtig gestrichen werden. Der Sicherungsentzug des Führerausweises sollte demgegenüber weiterhin in die BGE 137 IV 72 S. 75 Kompetenz der Administrativbehörden fallen und im SVG geregelt bleiben. Diese Vorschläge der Expertenkommission stiessen insbesondere bei den Fachorganisationen und Fachstellen auf Ablehnung. Der Bundesrat erachtete die Argumente der Expertenkommission als nicht überzeugend und lehnte eine Regelung des Führerausweisentzugs beziehungsweise eines Fahrverbots im StGB aus verschiedenen Gründen ab (Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [...], BBl 1999 1979 ff., 2058 ff.). Der bundesrätliche Entwurf enthielt daher keinerlei Bestimmungen betreffend den Führerausweisentzug oder ein Fahrverbot. Die Frage, ob der Führerausweisentzug beziehungsweise ein Fahrverbot im StGB geregelt werden sollte, wurde in den Kommissionen des Ständerats und des Nationalrats ausgiebig und kontrovers diskutiert. Auf Antrag der Kommission des Ständerats, welcher die Vorlage als Erstrat behandelte, wurde Art. 67b betreffend Fahrverbot in das StGB aufgenommen. Der Antrag einer Minderheit der nationalrätlichen Kommission, die Bestimmung zu streichen, wurde vom Nationalrat abgelehnt. Aus den Voten im Parlament ergibt sich, dass Art. 67b StGB bei SVG-Widerhandlungen nicht anwendbar ist und insoweit nach wie vor allein der administrative Führerausweisentzug gemäss Art. 16 ff. SVG angeordnet werden soll. Art. 67b StGB betreffe die Fälle, in welchen das Motorfahrzeug als Tatmittel verwendet werde, etwa zu Diebes- und Einbruchstouren. Art. 67b StGB entspreche weitgehend Art. 16 Abs. 3 lit. f SVG , welcher im Rahmen der laufenden SVG-Revision gestrichen werden sollte, da der Entzugsgrund der Verwendung eines Motorfahrzeugs zur Begehung von Straftaten nichts mit der Verkehrssicherheit zu tun habe und daher nicht im SVG, sondern im StGB zu regeln sei. Der Entzugstatbestand gemäss Art. 67b sei eigentlich nichts Neues (zum Ganzen AB 1999 S 1104 ff., 1128 f.; AB 2001 N 560 ff., 584). 2.3.2 Art. 67b StGB entspricht im Wesentlichen aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG, der im Rahmen der Teilrevision des SVG durch Bundesgesetz vom 14. Dezember 2001, in Kraft seit 1. Januar 2005, gestrichen wurde. Gemäss aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG musste der Führer- oder Lernfahrausweis entzogen werden, wenn der Führer ein Motorfahrzeug zur Begehung eines Verbrechens oder mehrmals zu vorsätzlichen Vergehen verwendet hat. Dieser Entzugsgrund war erst im Rahmen der Teilrevision des SVG durch Bundesgesetz vom 20. März 1975 den in Art. 16 Abs. 3 SVG aufgezählten Entzugsgründen BGE 137 IV 72 S. 76 beigefügt worden. Es wurde als unverantwortlich erachtet, einen Straftäter, der sich mit einem Motorfahrzeug die Begehung von Straftaten erleichterte, im Besitz des Führerausweises zu belassen (siehe die Botschaft des Bundesrates vom 14. November 1973, BBl 1973 II 1173 ff., 1183 zu Art. 16). Schon vor der Einfügung dieses Entzugsgrundes in das SVG im Jahre 1975 wurde in der Praxis dem Fahrzeugführer, der ein Motorfahrzeug zur Begehung von Verbrechen oder Vergehen verwendete, mitunter der Führerausweis entzogen, und zwar in der Form eines Sicherungsentzugs wegen eines Charakterfehlers, was allerdings fragwürdig war (siehe dazu BGE 104 Ib 95 E. 2; Kreisschreiben der Eidgenössischen Polizeiabteilung an die zuständigen kantonalen Behörden und Beschwerdeinstanzen vom 21. Juli 1975, VPB 1975 Nr. 126 S. 62; RENÉ SCHAFFHAUSER, Die Administrativmassnahmen, 1995, N. 2130 ff.). Gemäss dem zitierten Kreisschreiben der Eidgenössischen Polizeiabteilung vom 21. Juli 1975 betraf aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG den deliktischen Missbrauch eines Motorfahrzeugs als Hilfsmittel zur Verübung von Verbrechen und Vergehen unter Ausnützung der besonderen Möglichkeiten eines Motorfahrzeugs wie Schnelligkeit, Tragkraft, Abgeschlossenheit des Wageninnern und gewisse technische Einrichtungen. Führerausweisentzüge gestützt auf aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG wurden angeordnet etwa bei der Verwendung eines Motorfahrzeugs im Zusammenhang mit der Begehung von Diebstählen (vgl. BGE 104 Ib 95 ; BGE 105 Ib 205 ; BGE 108 Ib 137 ) oder dem Transport von Betäubungsmitteln (siehe BGE 106 Ib 395 ; Urteil 6A.136/1989 vom 16. Januar 1990), aber offensichtlich nicht bei SVG-Widerhandlungen wie beispielsweise grober Verkehrsregelverletzung oder Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzug (siehe die Übersichten über die Rechtsprechung des Bundesgerichts und der kantonalen Gerichte zu aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG bei HANS SCHULTZ, Rechtsprechung und Praxis im Strassenverkehr in den Jahren 1973-1977, 1979, S. 110 f., derselbe , Rechtsprechung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren 1978-1982, 1984, S. 160 ff.; derselbe , Rechtsprechung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren 1983-1987, 1990, S. 153; SCHAFFHAUSER, a.a.O., N. 2487). Der Entzugsgrund gemäss aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG diente der Bekämpfung von Verbrechen und Vergehen. Er beruhte auf dem Gedanken, dass manche Straftat nicht begangen würde, wenn kein Motorfahrzeug zur Verfügung stünde, mit welchem beispielsweise zu abgelegenen Tatorten gefahren oder die Beute transportiert werden kann. Dem Täter sollte der Führerausweis entzogen werden in der Überlegung, dass er während der BGE 137 IV 72 S. 77 Entzugsdauer kein Motorfahrzeug lenken und somit auch keine Verbrechen und Vergehen unter Verwendung eines Motorfahrzeugs begehen werde. Darin lag der Sinn und Zweck von aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG. Dieser Entzugsgrund hat mit der Verkehrssicherheit nichts zu tun. Er wurde deshalb im Rahmen der Änderung des Strassenverkehrsgesetzes durch Gesetz vom 14. Dezember 2001 (in Kraft seit 1. Januar 2005) aus dem SVG entfernt. Die diesbezügliche Botschaft des Bundesrates vom 31. März 1999 hält dazu ausdrücklich fest, dass der Entzugsgrund der Verwendung eines Motorfahrzeugs zur Begehung eines Verbrechens oder mehrmaliger vorsätzlicher Vergehen im Sinne von aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG in keinem Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit steht und deshalb aus dem SVG entfernt werden soll (BBl 1999 4462 ff., 4490 zu Art. 16c). Der Entzugsgrund der Verwendung eines Motorfahrzeugs zur Begehung von Verbrechen oder Vergehen ist stattdessen nunmehr, mit gewissen Modifikationen, in Art. 67b StGB geregelt. Der Anwendungsbereich dieses Entzugstatbestands wird dadurch, dass er mangels eines Bezugs zur Verkehrssicherheit nicht mehr systemwidrig im SVG, sondern systematisch zutreffend im StGB geregelt ist, nicht auf SVG-Widerhandlungen erweitert. Bei SVG-Widerhandlungen ist Art. 67b StGB so wie vormals aArt. 16 Abs. 3 lit. f SVG, an dessen Stelle er getreten ist, nach seinem aus der Entstehungsgeschichte sich ergebenden Zweck nicht anwendbar. 2.4 Die Beschwerdeführerin ist allerdings der Auffassung, ein solches Auslegungsergebnis verstosse gegen das Gleichbehandlungsgebot. Dem Täter könne im Falle der Verurteilung zu einer bedingt vollziehbaren Strafe wegen SVG-Widerhandlungen in Form einer Weisung ein Fahrverbot auferlegt werden. Folglich müsse ihm im Falle der Verurteilung zu einer unbedingt vollziehbaren Strafe wegen SVG-Widerhandlungen gestützt auf Art. 67b StGB ein Fahrverbot auferlegt werden können. Das Gericht kann dem zu einer bedingten Strafe verurteilten Täter für die Probezeit Weisungen erteilen ( Art. 44 Abs. 2 StGB ). Diese können unter anderem das Führen eines Motorfahrzeugs betreffen ( Art. 94 StGB ). Solche Weisungen konnte der Richter nach der Praxis auch schon unter der Herrschaft des früheren Rechts erteilen, obschon dieses (siehe aArt. 41 Ziff. 2 Abs. 1 StGB) Weisungen betreffend das Führen von Motorfahrzeugen nicht ausdrücklich vorsah. Durch derartige Weisungen kann das Führen von Motorfahrzeugen bestimmter Kategorien, aber auch das Führen von Motorfahrzeugen BGE 137 IV 72 S. 78 schlechthin verboten werden. Eine Weisung betreffend Fahrverbot kann auch und gerade bei einer Verurteilung zu einer bedingten Strafe wegen SVG-Widerhandlungen erteilt werden, auch wenn dem Täter wegen der SVG-Widerhandlung von den Administrativbehörden gemäss Art. 16 ff. SVG der Führerausweis entzogen wird; denn dieWeisung betreffend Fahrverbot im Rahmen des bedingten Strafvollzugs einerseits und der Führerausweisentzug gemäss Art. 16 ff. SVGandererseits dienen verschiedenen Zwecken ( BGE 94 IV 11 E. 2; 100IV 252 E. 2; Urteile 6S.79/2001 vom 26. Februar 2001 E. 2; 6B_32/2008 vom 13. März 2008 E. 3.4). Daraus folgt jedoch entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht, dass dem Täter, der wegen SVG-Widerhandlungen zu einer unbedingten Strafe verurteilt wurde, ein Fahrverbot in Form eines Führerausweisentzugs gemäss Art. 67b StGB erteilt werden können muss. Die unbedingte Strafe unterscheidet sich wesentlich von der bedingten, und aus dem Gleichbehandlungsgebot ergibt sich kein Anspruch darauf, dass Ungleiches gleich behandelt werde. Nach dem Gesetz können nur bedingte Strafen mit Weisungen verbunden werden, deren Zweck gerade auch darin besteht, im wohlverstandenen Interesse des Verurteilten dessen Bewährungsaussichten zu begünstigen. Solche Weisungen jedwelchen Inhalts können zwar vom davon Betroffenen subjektiv unter Umständen als ein grösseres Übel empfunden werden als eine unbedingte Strafe. Gleichwohl ist nach der Konzeption des Gesetzes die mit einer Weisung verbundene bedingte Strafe objektiv eine weniger schwerwiegende Sanktion als die unbedingte Strafe (siehe Urteil 6S.79/2001 vom 26. Februar 2001 E. 1b). Dass dem wegen einer SVG-Widerhandlung zu einer bedingten Strafe verurteilten Täter gestützt auf Art. 44 Abs. 2 und Art. 94 StGB in Form einer Weisung ein Fahrverbot erteilt werden kann, legt daher nicht den Schluss nahe, dass dem wegen einer SVG-Widerhandlung zu einer unbedingten Strafe verurteilten Täter gestützt auf Art. 67b StGB in Form eines Führerausweisentzugs ein Fahrverbot auferlegt werden können muss und aus diesem Grunde Art. 67b StGB auch auf SVG-Widerhandlungen anwendbar ist. 2.5 Art. 67b StGB betreffend Fahrverbot ist somit auf SVG-Widerhandlungen nicht anwendbar. Dies ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes sowie aus der Entstehungsgeschichte und aus dem Zweck der Bestimmung. An diesem Auslegungsergebnis ändert nichts, dass das Gericht dem wegen einer SVG-Widerhandlung zu einer bedingten Strafe verurteilten Täter gestützt auf Art. 44 Abs. 2 und Art. 94 StGB in Form einer Weisung ein Fahrverbot auferlegen kann. BGE 137 IV 72 S. 79 2.6 Die Auffassung der Vorinstanz, dass die dem Beschwerdegegner zur Last gelegten SVG-Widerhandlungen der groben Verletzung von Verkehrsregeln ( Art. 90 Ziff. 2 SVG ) und des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzug ( Art. 95 Ziff. 2 SVG ) keine Anknüpfungstaten im Sinne von Art. 67b StGB sind und daher dem Beschwerdegegner der Führerausweis nicht gestützt auf Art. 67b StGB entzogen werden kann, ist demnach im Ergebnis zutreffend. Ob sich diese Auffassung entsprechend den vorinstanzlichen Erwägungen auch damit begründen liesse, dass die genannten SVG-Widerhandlungen mit einem administrativen Führerausweisentzug gemäss Art. 16 ff. SVG geahndet werden und diese spezialgesetzliche Regelung insoweit abschliessend ist, kann dahingestellt bleiben. Die Beschwerde ist somit abzuweisen.
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