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Alle Indizien weisen darauf hin, dass der Italiener der ideale Nachfolger von Pep Guardiola beim FC Bayern ist. Er könnte die Aura des Weltvereins mit der bayerischen Dorfmentalität aufs Schönste vereinen. | Ob es das Wetter ist, das diese Entscheidung so logisch erscheinen lässt? Seit Tagen blickt man aus den Anhöhen und Hochhäusern Münchens hinüber auf die Alpen, bei 15 Grad dachte dabei niemand ans Skifahren, sondern an einen Cappuccino am Lago di Garda. Wo bisweilen mehr Autos mit Münchner Kennzeichen herumfahren als anderswo und von wo es nur noch 80 Kilometer sind bis zum Geburtsort des neuen Trainers. Carlo Ancelotti aus Reggiolo in der Emilia-Romagna wird im Sommer der neue Trainer des FC Bayern sein und damit schlagartig zu den wichtigsten Personen der Stadt gehören. Da kann es nur von Vorteil sein, dass der 56-Jährige in der Nähe eines Sehnsuchtsorts vieler Münchner aufgewachsen ist. Wenn er es sich nach einem Sieg beim De-Luxe-Italiener (von denen es reichlich gibt in seiner neuen Heimat) bei Wein und Tortellini gutgehen lässt, gehört er praktisch schon dazu. Alleine seine norditalienische Herkunft hätte den Bossen des FC Bayern aber nicht gereicht, um Carlo Ancelotti ihre edlen Fußballer anzuvertrauen. Schon gar nicht als Nachfolger für den Asketen Pep Guardiola, der irgendwo zwischen Genie, Tüftler und manischem Grübler wandelt. Das ist das Problem gewesen: Wer kann Pep Guardiola nachfolgen? Derzeit gibt es keinen Trainer, der seinen Spielern den Fußball so genau erklären kann wie Pep Guardiola. In seinem haarlosen Charakterkopf vereinen sich mehr Taktikideen als in einem Fußballlehrer-Seminar. Da muss der FC Bayern vermeiden, dass im kommenden Jahr die Spieler mehr wissen als ihr Trainer. Nun ist Carlo Ancelotti zwar kein führender Theoretiker des Fußballs, doch auch ihm kann man schwerlich etwas vormachen. Gelernt hat er als Spieler beim damaligen Trainer-Übervater Arrigo Sacchi. Der hatte wie heute Guardiola den Fußball umgekrempelt und mit dem AC Mailand eine Ära erschaffen. Ancelotti brachte die Anweisungen Sacchis im Mittelfeld auf den Platz. Hätten Trainer damals schon ihren Spielern taktische Neuerungen per Zettel übermittelt, Sacchi hätte ihn Ancelotti ausgehändigt. Als Trainer ist er durchaus auf dem neuesten Stand. Auch wenn der gemütliche Kaugummikauer gerne unterschätzt wird. Wer dreimal die Champions League gewonnen hat (zweimal mit Milan, einmal mit Real Madrid), gehört zu den erfolgreichsten und klügsten der Branche. Das weiß nicht zuletzt der FC Bayern. Das 4:0 von Real Madrid 2014 im Champions-League-Halbfinale in München war der härteste Schlag, den der Klub und sein Coach Guardiola je hinnehmen mussten. Zwar gab sich Guardiola dafür direkt nach dem Spiel selbst die Schuld, weil er sich von seinen Spielern eine falsche Taktik habe einflüstern lassen. Doch er vergaß dabei, Real-Trainer Ancelotti zu erwähnen, der vor allem die Stärken der eigenen Mannschaft heraushob und damit die Bayern überrannte. | https://www.sueddeutsche.de/sport/bundesliga-ancelotti-passt-verblueffend-gut-zum-fc-bayern-1.2792266 | mlsum-de-701 |
Arbeiterinnen in der Textilbranche in den südasiatischen Ländern müssen nach wie vor zu Hungerlöhnen schuften. | Die Schreckensbilder aus der Textilfabrik im Rana Plaza- längst verblasst. Die wenigsten Menschen erinnern sich noch an die immense Zahl der Todesopfer. Vier Jahre ist es her, dass das Hochhaus in Sabhar, Bangladesch, eingestürzt ist. Mehr als 1100 Arbeiterinnen und Arbeiter starben bei der Katastrophe. Einiges hat sich seither getan in den Fabriken im Süden Asiens, wo Heerscharen vor allem junger Frauen jene Kleidung nähen, die westliche Modelabels für ihre westlichen Kunden in die Filialen hängen. Mehr als 200 dieser Auftraggeber, darunter alle namhaften europäischen Marken, haben sich nach dem Unglück dazu verpflichtet, für Gebäudesicherheit und Brandschutz bei ihren Zulieferern zu garantieren. An den miserablen Arbeitsbedingungen der Näherinnen selbst aber hat sich wenig geändert. Regionale Gewerkschaften wollen das ändern. Rückendeckung gibt ihnen dabei die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Keine Unterstützung oder sogar Gegendwind erhalten sie dagegen angeblich von europäischen Modelabels, darunter die Kette Hennes & Mauritz (H&M). So zumindest lautet der Vorwurf, den Gewerkschafter von Verdi, aus Indien und Bangladesch am Freitag in Berlin vorgebracht haben. Noch immer würden Angestellte bei Zulieferern in Indien, Bangladesch aber auch Sri Lanka bedroht, wenn sie "Gewerkschaften gründen oder sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen", sagte Stefanie Nutzenberger, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. H&M und die anderen Modeunternehmen sieht sie in der Pflicht, "auf ihre Zulieferer Druck auszuüben", die Repressionen, wie zum Beispiel willkürliche Entlassungen, zu beenden und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Und die sind nach den Erzählungen der indischen Gewerkschaftsvorsitzenden Prathibha Ramanath zufolge erbärmlich. Der Lohn reiche gerade einmal für eine Blechhütte, sagte Ramanath, Grundfläche zehn Quadratmeter, ohne Küche, ohne Toilette. Mehr gäben die 108 Euro kaum her, die die Textilarbeiterinnen in Indien per Gesetz monatlich mindestens verdienen müssen. Bei zwölf bis 15 Stunden Plackerei täglich. In Bangladesch sei es nicht anders, dort betrage der Mindestlohn in der Textilbranche 59 Euro im Monat. "Elendslöhne" seien das, sagte Ramanath. Und um die zu steigern und das Arbeitsleben lebenswerter zu machen, davon ist Ramanaths Amtskollege aus Bangladesch überzeugt, müssen funktionierende gewerkschaftliche Strukturen her. Nur so könne dieser Elendszustand überwunden werden, sagte Amirul Haque Amin. Er erwarte von den westlichen Modeunternehmen, dass sie ihren "wohlklingenden Versprechungen" endlich Taten folgen lassen und "dafür sorgen, dass die Zulieferer unsere Rechte achten". Anfang vergangener Woche erreichte H&M Deutschland ein offener Brief, gezeichnet von Verdi und den Gewerkschaften aus Bangladesch und Indien. Darin äußerten die Verfasser den beschriebenen Vorwurf und fordern das Unternehmen auf, Verantwortung zu übernehmen. "Die Modemarken sind die entscheidenden Akteure in der Zuliefererkette", erklärte Amin. Mit der Art, wie sie ihre Bestellungen bei den Fabrikanten in seiner Heimat platzierten, könnten sie direkten Einfluss auf den Arbeitsalltag dort nehmen. Ein Beispiel: Wenn das Modelabel seine Vorgaben für die Produktion in Bangladesch herunterschraubt, also zum Beispiel weniger Hosen pro Tag genäht haben will, nimmt es automatisch den Leistungsdruck aus den Fabrikhallen, die Arbeitszeit könne somit sinken. H&M weist die Vorwürfe auf Anfrage zurück und lässt mitteilen, dass sich das Unternehmen "absolut bewusst" sei, "dass wir mit unseren Einkaufspraktiken die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben mitbeeinflussen". Deshalb überprüfe man zum Beispiel die Produktionskapazitäten, um sicherzustellen, dass faire Löhne gezahlt werden könnten. Zudem engagiere sich das Unternehmen "seit vielen Jahren für Arbeitnehmerrechte in Bangladesch", mit vielen Leuten im Produktionsbüro am Ort und auch in internationalen Initiativen. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/textilproduktion-fuer-mehr-als-eine-blechhuette-reicht-es-nicht-1.3559848 | mlsum-de-702 |
Weil sich die Kosten des Verbandes für Dopingkontrollen fast verdoppelt haben, werden nun die Athleten indirekt für die Tests zur Kasse gebeten. | Morgens schwimmen, abends grillen: Das hätte der Plan sein können am Erholungstag der Kanu-Nationalmannschaft im Trainingszentrum Kienbaum, östlich von Berlin. Sebastian Brendel, 30, stieg trotzdem in seinen Canadier. Ein dreimaliger Olympiasieger gönnt sich keine Pause, wenn einen Monat später eine Weltmeisterschaft ansteht; Kanu ist ein kräftezehrender, trainingsintensiver Sport. Zu erfahren, dass die Kanuten künftig persönlich für ihre Dopingkontrollen zur Kasse gebeten werden, hat die Tiefenentspannung Brendels an diesem Erholungstag dann aber auch nicht gefördert. "Kurios", nannte er die Nachricht. Und: "eine Farce". Am Dienstag mussten der Generalsekretär des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV), Wolfram Götz, und der Präsident, Thomas Konietzko, den Athleten eröffnen, dass der Anteil, den die Kanuten an die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) abzuführen haben, für dieses Jahr erheblich gestiegen ist: von 45 000 auf 88 000 Euro. Diese Summe muss, so ist es vorgeschrieben, aus den Eigenmitteln der olympischen Spitzensportverbände kommen, aber so viel Rücklagen hat der DKV nicht: Die Kanuten sind reich an Meriten - allein bei den Sommerspielen in Rio sammelten sie sieben Olympiamedaillen -, aber nicht reich an Geld. Und so hat die Verbandsführung nun beschlossen, dass sie für die Abgabe an die Nada zumindest teilweise Sponsorenbeträge verwenden will: Das sind Einnahmen, die der DKV bisher an seine Athleten weiterreichte, von denen keiner zu den Großverdienern im Sport gehört. Sebastian Brendel, angestellt bei der Bundespolizei als Polizeihauptmeister, verheiratet, zwei Kinder, hat in einer ersten Rechnung grob überschlagen, dass ihm im Jahr rund 300 Euro fehlen werden, wenn die Sponsoreneinnahmen an die Nada gehen. "Ich finde es sehr gut, dass wir kontrolliert werden und beweisen können, dass wir sauber sind", sagte er: "Aber wenn wir selber dafür bezahlen sollen - das geht gar nicht." Die Situation ist exemplarisch für einen kleinen Verband, und sie zeigt die Durchschlagskraft sportpolitischer Gremienentscheidungen bis hinunter an die paddelnde Basis. Denn über die Finanzierung der Nada wird debattiert, so lange es sie gibt. 2015 verständigten sich die im DOSB organisierten Sportverbände darauf, das komplette Management aller Trainings- und Wettkampfkontrollen an die Nada abzugeben und es anteilig zu finanzieren. Die Gesamtkosten für das Dopingkontrollsystem belaufen sich auf 5,5 Millionen Euro im Jahr; davon finanzierten die Sportverbände bislang eine Million, der Rest sind Bundesmittel. Nun wird die Beteiligung des Sports auf 1,25 Millionen Euro erhöht. Zugleich greift ein neuer Verteilungsschlüssel, der "auf ausdrücklichen Wunsch" der Sportverbände, wie die Nada erläutert, erarbeitet und im Juni bei einer Tagung in Berlin abgesegnet wurde. Das ist der Grund für die Kostensteigerung, die mehrere Verbände trifft, nicht nur die Kanuten. Der neue Verteiler sollte gerechter sein, weil er nach einer Formel berechnet wird, die sich auf die tatsächlich durch die Nada durchgeführten Trainings- und Wettkampfkontrollen der Jahre 2013 bis 2016 bezieht. Und bei den Kanuten wurde viel getestet, wie DKV-Präsident Konietzko bestätigt: "Wir haben Wert auf die Ausschöpfung der Kontrollmöglichkeiten gelegt, und wir wollen das auch weiter tun." Man könne es sich leicht machen und weniger Kontrollen anfordern, sagt er - "aber das ist das Letzte, was wir wollen". Allerdings sieht er nun die Gefahr, dass andere Sportverbände womöglich auf die Idee kommen könnten, Kosten zu senken, indem sie an Dopingkontrollen sparen. Das größere Problem aber, sagt Konietzko, sei der Umstand, dass die Nada "immer noch von Pontius zu Pilatus laufen muss, um sich zu finanzieren". Zuwendungen aus der Wirtschaft gab es 2017 nicht mehr. Den Unmut der Kanuten, die nun für ihre Dopingtests zahlen, könne er gut verstehen, sagt der DKV-Präsident. Sie hätten sich aber schließlich "zähneknirschend" gefügt, "und das zeigt ja auch Größe". Gegrillt wurde am Dienstag in Kienbaum übrigens trotzdem noch. | https://www.sueddeutsche.de/sport/kanu-eine-farce-1.4060548 | mlsum-de-703 |
Hamburg punktet mit digitalem Hafen, Berlin mit Elektrizität: Was hinter dem Begriff Smart City steckt, erklären Analysen und Reportagen in einer neuen Serie. Außerdem: Fußballerin Babett Peter im Interview. | Du öffnest die Post und findest: wieder eine Einladung zu einem Smart-City-Kongress. Smart City hier, Smart City da, mit einem Mal, ganz plötzlich, ist das Thema allgegenwärtig. Hamburg punktet mit einem digitalen Hafen, Berlin mit Elektrizität, international gilt Barcelona als das Maß vieler Dinge, und dann ist da natürlich noch China, wo immer alles eine Nummer größer und schneller läuft. Der Digital-Gipfel der Bundesregierung hat neulich mit Aplomb die deutsche Smart City des Jahres gekürt, und es wurde eine, auf die man im Leben nicht von selbst gekommen wäre: Darmstadt. Aber wie smart ist die Stadt wirklich? Schon seit einigen Jahren arbeiten viele Kommunen daran, neue und intelligente Lösungen für ihre Probleme und die Zukunft zu entwickeln. Der SZ-Wirtschaftsteil widmet diesem Thema eine neue Serie, sie beginnt mit dem nebenstehenden Samstagsessay. SZ-Autoren waren in Deutschland und weltweit unterwegs, sie haben Städte besucht, die in Teilen schon smart sind oder es sein wollen: Dresden mit einer neuartigen Verkehrssteuerung. London, das im Bankenviertel Canary Wharf den besten Gründern der Welt ein Zuhause geben will. Santander in Spanien, das seine Mitarbeiter im Grünflächenamt entlastet, weil sie die Bewässerung der Parks und Gärten automatisiert hat. Songdo in Südkorea, das sich für die "smarteste City überhaupt" hält: mit Sensoren vernetzt und einem Müllsystem, das ähnlich funktioniert wie unser Abwassernetz - Druck auf den Knopf, und der Müll wird mit Unterdruck über Rohre abgesagt. Die kolumbianische Stadt Medellín, einst Schlachtfeld der Drogenkartelle, die einen besonderen Weg der Vernetzung gefunden hat, um die Kriminalität zu bekämpfen - einige Beispiele von vielen. Die Serie "Smart City" soll einen Eindruck vermitteln, was möglich ist, was funktioniert oder was bisher überhaupt keinen Erfolg hat. Sie lässt Stadtplaner, Bewohner und Experten zu Wort kommen. Und sie soll entlarven, wo die Smart Citys mehr Werbeversprechen als Realität sind und den Interessen der Bürger nicht dienen. Die Texte erscheinen immer dienstags und mittwochs im Wirtschaftsteil. Anderes Thema, andere Branche: Eigentlich ist Christian Sewing bemüht, seine Mitarbeiter nur zu Kernzeiten anzurufen, also weder vor acht Uhr morgens noch nach 22 Uhr abends. Vergangenes Jahr jedoch machte der Privatkunden-Vorstand der Deutschen Bank einmal eine Ausnahme. Wann das war und warum es nötig war, erzählt der 47-jährige, der seit Kurzem auch Co-Chef von Deutschlands größtem Geldhaus ist, im Montagsinterview. Der Freitag wird sportlich. Babett Peter gehört zu den erfolgreichsten deutschen Fußballerinnen. Sie hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Ein Mann mit einer vergleichbaren Titelsammlung würde zu den Top-Verdienern gehören. Im Frauenfußball aber wird nach wie vor ungleich weniger verdient. Warum die Abwehrspielerin trotzdem nicht tauschen würde, erzählt sie im "Reden wir über Geld". Was noch? Was macht eigentlich ... Bärbel Höhn? Als die Flensburgerin, die im Mai 65 Jahre alt wurde, Ende der Achtzigerjahre in die große Politik einstieg, fristeten Umwelt- und Verbraucherschutz noch ein Schattendasein. Binnen weniger Jahre änderte sich das, auch wegen einer umtriebigen Ministerin namens Höhn. In Nordrhein-Westfalen kämpfte die Politikerin gegen Rinderwahnsinn und Braunkohle, später ging sie in den Bundestag. Diesen Herbst verlässt sie die Politik, und Michael Bauchmüller aus dem Berliner Parlamentsbüro zieht im Mittwochsporträt eine Bilanz. Eine gemischte Bilanz, sagt auch Höhn selbst. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/was-kommt-die-woche-im-sz-wirtschaftsteil-1.3587597 | mlsum-de-704 |
Seit Jahren wird die Gerhart-Hauptmann-Schule am Görlitzer Park besetzt, jetzt kommt der Gerichtsvollzieher. Die Flüchtlinge sollen einem sozialen Wohnprojekt weichen. | Roter Backstein, Bäume rundherum, auf eine Mauer hat jemand in großen schwarzen Buchstaben "Refugees Welcome" gesprayt. Ein Gebäude wie so viele in Berlin-Kreuzberg. Nur der hohe Zaun und der Wachmann, der erscheint, sobald man sich dem Tor nähert, deuten darauf hin, dass das kein gewöhnliches Gebäude ist. Und tatsächlich ist fast nichts mehr hier gewöhnlich. Hier ist einer der umstrittensten Orte Berlins: die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule. Seit fast fünf Jahren ist sie von Flüchtlingen besetzt. Die weigern sich auszuziehen, damit auf dem Gelände ein alternatives Wohnprojekt für Flüchtlinge, Obdachlose und Studenten entstehen kann. Mehrere Versuche, die Schule räumen zu lassen, sind gescheitert. Bis jetzt. Die Bezirksbehörden haben eine Räumungsklage gewonnen und den Gerichtsvollzieher eingeschaltet. Der soll demnächst am Zaun stehen. Einer größeren Öffentlichkeit ist das Gebäude bekannt, seit es im Jahr 2014 in die überregionalen Schlagzeilen katapultiert wurde. Damals lebten Hunderte Menschen in der aufgelassenen Schule, kampierten in alten Klassenzimmern, schliefen auf einem Matratzenlager in der Aula. Eigentlich sollte die leer stehende Schule nur als provisorische Unterkunft für Flüchtlinge dienen, die Ende 2012 bei einem Protestmarsch aus Würzburg nach Berlin gekommen waren. Der Bezirk hatte sie ihnen zur Verfügung gestellt, es war Winter. Symbol für die Flüchtlingskrise in Deutschland Nach und nach zogen immer mehr Leute in das Haus. Junge Männer aus Afrika, Roma-Familien, Obdachlose aus dem Görlitzer Park, Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. Es gab nur rudimentäre Sanitäranlagen, die Bewohner waren sich selbst überlassen, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es immer wieder. Bis die Situation eskalierte - und ein Flüchtling einem anderen beim Streit um die einzige Dusche ein Messer in den Bauch rammte. Daraufhin sollte die Schule geräumt werden, doch die Bewohner weigerten sich. Hunderte Polizisten marschierten auf, Tausende Berliner gingen aus Protest gegen die Räumung auf die Straße. Die Bilder der Männer, die auf das Dach der Schule kletterten und drohten, sich in die Tiefe zu stürzen, gingen um die Welt. Das war im Sommer 2014, lange bevor Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen und in den zuständigen Berliner Behörden das Chaos ausbrach. Und doch war die Berliner Schule ein erstes, frühes Symbol dafür, was passiert, wenn die Flüchtlingskrise die überforderten deutschen Kommunen trifft. Seither ist einiges passiert. Oder auch gar nichts, je nachdem, welche Perspektive man einnimmt. Da sind einmal die Bewohner, die sich bis heute im Südflügel der Schule eingerichtet haben. 22 Männer sind dort noch gemeldet, zehn gehören zum harten Kern. Die meisten sind aus Afrika und haben in Berlin kleine Jobs oder Familie, ein Mann aus dem Senegal verkauft im angrenzenden Görlitzer Park Sandwiches. Die vergangenen Jahre wurden sie von Aktivisten unterstützt und haben Kunstprojekte gemacht. | https://www.sueddeutsche.de/panorama/gerhart-hauptmann-schule-berlins-bekannteste-fluechtlingsunterkunft-soll-geraeumt-werden-1.3700747 | mlsum-de-705 |
Allgemeinplätze, Ausflüchte, Verweise auf andere Stellen: Zu mehr kann sich die Bundesregierung im Fall Puigdemont nicht durchringen - dabei war ihre Haltung stets klar. | Die Behörden haben zuverlässig gearbeitet. Das steht schon einmal fest. Der Tipp kam aus dem Ausland. Und dann hat die Informationskette bestens funktioniert, so hat es jedenfalls den Anschein. Der Gesuchte wurde von Polizeibeamten kurz nach der Einreise in Deutschland festgesetzt und befindet sich seither in Gewahrsam. Alles dürfte also nach Recht und Ordnung verlaufen sein. Wer aber am Montag die Sprecher der Bundesministerien bei ihren Routine-Auftritten vor den Hauptstadtjournalisten hört, bekommt den Eindruck: Nichts ist in Ordnung, gar nichts. Denn der Gefangene heißt Carles Puigdemont, ist 55 Jahre alt und ehemaliger katalanischer Regierungschef. Aus Sicht der Regierung in Madrid ist der Separatistenführer ein Verbrecher. In Belgien lebte er seit dem Herbst im Exil und konnte sich dort frei bewegen. In Finnland hatte er Ende vergangener Woche Redeauftritte und fuhr danach mit dem Auto ungehindert durch die EU-Mitgliedstaaten Schweden und Dänemark zurück Richtung Belgien. Und ausgerechnet wem geht der Mann dann ins Netz? Den Deutschen. "Schwierige Kiste", sagt ein Beamter aus dem Auswärtigen Amt, halb im Scherz, halb verzweifelt. Zu solch einer Aussage lässt sich natürlich keiner der Sprecher hinreißen. Ob aus dem Auswärtige Amt, dem Innen- oder Justizressort - jeder verweist lieber auf den jeweils anderen, wenn es um diese Frage geht: Und was kommt nun? Die Bundesregierung hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie auf Seiten der Zentralregierung in Madrid steht. Aber hineingezogen werden wollte Berlin in diesen Konflikt nicht. Der müsse in Spanien gelöst werden, hieß es. Als Vermittler wollten die Deutschen auch nicht auftreten, das hätte nur die Katalanen aufgewertet - so die Sorge in Berlin. Polizei in Schleswig-Holstein habe "in eigener Zuständigkeit" entschieden, heißt es Aber nun sitzt ausgerechnet einer der Hauptprotagonisten des Konfliktes in der Justizvollzugsanstalt Neumünster in Schleswig-Holstein. Und wie es mit ihm weitergeht, darüber entscheidet auch die Justiz in Schleswig-Holstein. Wer in Berlin Antworten haben möchte, etwa ob das deutsche Recht den Straftatbestand der Rebellion kenne, bekommt von den Sprechern zu hören: "Ich verweise auf Schleswig-Holstein." Die Polizei in Schleswig-Holstein habe "in eigener Zuständigkeit" entschieden, wird noch angemerkt. Der Tipp, dass Puigdemont vor der Einreise nach Deutschland stehe, sei über den deutschen Verbindungsbeamten des BKA in Madrid gekommen. Woher dieser seine Informationen hatte, blieb indes unklar. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, der spanische Geheimdienst habe Puigdemont beschattet. Die spanische Nachrichtenagentur Efe meldete am Montag unter Berufung auf Ermittler, dass die Agenten eine Wanze am Auto angebracht hätten. Regierungssprecher Steffen Seibert allerdings verlegte sich zunächst auf Allgemeinplätze: "Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat", sagte er. Was das für das Auslieferungsbegehren Madrids bedeutet, sagte er indes nicht. Würden die Deutschen Puigdemont nicht übergeben, würde das Madrid vor den Kopf stoßen. Würden sie ihn übergeben, gäbe es mit Sicherheit Massenproteste in Katalonien. Doch die Entscheidung trifft nicht die Bundesregierung. Deutschland steckt mittendrin im Konflikt. | https://www.sueddeutsche.de/politik/spannungen-mit-spanien-schwierige-kiste-fuer-berlin-1.3921694 | mlsum-de-706 |
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft überzeugt beim EM-Auftaktsieg gegen Montenegro besonders als Kollektiv und zeigt ihre vielfältigen Fähigkeiten. | Philipp Weber musste grinsen. "Ich finde das geil, wenn ich ausgepfiffen werde und mit guten Aktionen das Publikum ruhig stellen kann." Genau das war der deutschen Handball-Nationalmannschaft ja prognostiziert worden, ein Hexenkessel in der Arena zu Zagreb, voll mit heißblütigen montenegrinischen Fans, die ihre Mannschaft vom Außenseiter zum Überraschungssieger brüllen. Eine unberechenbare Mannschaft, mit feinen Einzelspielern, die über sich hinauswachsen und dem Favoriten Probleme bereiten. Doch nichts davon trat ein, "ich glaube es waren mehr deutsche Fans in der Halle", sagte Weber am Morgen danach. Die Auswahl des Deutschen Handballbunds (DHB) ist mit einem 32:19-Sieg ideal in das Turnier gestartet, nicht nur wegen des deutlichen Ergebnisses, sonder weil "wir die Vorgaben sehr diszipliniert umgesetzt haben", wie Bundestrainer Christian Prokop recht nüchtern feststellte. Mit den erwarteten Auswärtsspielen muss sich seine Mannschaft bis Montagabend gedulden, wenn Slowenien der Gegner ist. Dann "haben wir mehr Druck auf dem Kessel", wie es Uwe Gensheimer formulierte. Damit meinte der deutsche Spielführer sowohl die Gegenwehr von den Rängen, wie auch die vom Gegner, denn Slowenien sei "nominell die beste Mannschaft" der drei Kontrahenten in der Gruppe C. Was die deutsche Auswahl dann zu erwarten hat, durfte sie nach ihrem lockeren Aufgalopp in der riesigen Arena schon mal erfühlen. "Wir haben uns die erste Halbzeit angesehen", berichtete Gensheimer, letztlich verlor Slowenien in einem ungleich intensiveren Duell mit 24:25 Toren gegen Mazedonien. Damit steht der WM-Dritte schon gehörig unter Zugzwang. Der deutschen Mannschaft ist das einerlei, wie Trainer und Spieler unisono erklären. Gensheimer sagte sogar, dass ihm die Spielweise der slowenischen Mannschaft "sehr gefällt", was einen einfachen Grund habe. "Eine starke Abwehr, schnelles Umschaltspiel, einfache Kontertore", führte der Kapitän aus, "das ist unserem Spiel recht ähnlich." Speziell er sowie seine schnellen Mitspieler auf den Außenpositionen profitieren von diesem Tempospiel, Gensheimer war mit neun Treffern bester DHB-Schütze. Dennoch war es das Kollektiv, das besonders überzeugte, die deutsche Mannschaft gab einen beeindruckenden Beleg ihrer vielfältigen Fähigkeiten. Schon in den Anfangsminuten purzelten Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Maximilian Janke bei einem Abwehrversuch übereinander, unter ihnen war Vladan Lipovina begraben, der mit sieben Treffern bester Montenegriner war und beim Bundesliga-Aufsteiger Hüttenberg sein Geld verdient. Jedem Akteur mit einem roten Trikot war sofort klar, dass das Torewerfen gegen diese Abwehr schwer wird. Vor allem mit dem riesigen Kerl im Tor dahinter. Andreas Wolff war von der ersten Sekunde an im EM-Modus: "Wir hatten ihre starken Rückraumwerfer mit unserer aggressiven Abwehr sehr gut im Griff", gab er Lob an seine Vorderleute weiter. Was aufs Tor kam, fand dann sehr selten den Weg an ihm vorbei. Bis zum 3:4 hielt das Balkan-Team dagegen, dann entlud sich auch die offensive Wucht der DHB-Auswahl wie eine Lawine über den bedauernswerten Gegner. Auf 13:3 eilte der Europameister davon, ohne dabei große Mühen zu offenbaren. Drei Tore nach mehr als 20 gespielten Minuten, das ist auf diesem Niveau ein vernichtender Wert - für jede Offensive. Denn eine EM ist das unbestritten bestbesetzte Turnier, das der Handball zu bieten hat. Montenegros Trainer Dragan Djukic musste zudem erkennen, dass auch seine Abwehr diesem Gegner wenig entgegenzusetzen hatte. Zunächst versuchte er es mit seiner unorthodoxen und sehr offensiven Variante, die Weber und Steffen Weinhold mit ihren individuellen Fähigkeiten im Eins-gegen-eins-Spiel problemlos zu knacken wussten. "Wir fanden immer Lösungen", erklärte Bundestrainer Prokop, was auch dann zutraf, als Montenegro das Abwehrsystem defensiver ausrichtete. Dafür hat Prokop Shooter wie Julius Kühn, Kai Häfner oder Steffen Fäth im Kader, später bewies noch Paul Drux, mit fünf Treffern zweibester Torschütze, dass er beides kann. Es wirkte fast, als gebe der Kader eine Vorführung seiner enormen Flexibilität, jeder Spieler gab eine Probe seiner Stärken. Nur Hendrik Pekeler, Maximilian Janke und Bastian Roschek gelang kein Treffer, ihre primäre Aufgabe ist ohnehin, Tore zu verhindern. So will es das System des Bundestrainers, dem sich die Spieler unterzuordnen haben: "Die taktische Umsetzung und die Kampfbereitschaft, das sind die tragenden Säulen unseres Spiels". Dann gab Prokop noch zu bedenken, dass außer einem guten Start nichts gelungen sei, bloß nicht abheben. Auch da kann er recht beruhigt sein, bei seinem Personal auf offene Ohren zu stoßen. Patrick Wiencek etwa sagte, dass "wir Katar nicht vergessen haben". Bei der jüngsten WM war Deutschland im Gefühl der eigenen Überlegenheit gegen einen faktisch schwächeren Gegner aus dem Turnier geflogen. Dann sagte der Kreisläufer noch: "Slowenien hat gegen Mazedonien nicht schlecht gespielt." | https://www.sueddeutsche.de/sport/europameisterschaft-wie-eine-lawine-1.3824832 | mlsum-de-707 |
Ein 15-Jähriger soll in einer Gesamtschule einen 14-Jährigen erstochen haben. Er war polizeibekannt, galt als aggressiv und unbeschulbar. | Vor der Käthe-Kollwitz-Schule liegen Blumen und Kerzen. Am Tag nach der Gewalttat in Lünen hat der Unterricht planmäßig begonnen. Er soll auch nach Plan enden. Dazwischen liegen aber nicht Deutsch und Mathematik, sondern eine Schweigeminute und lange Gespräche zur Bewältigung des Schocks, wie die Gesamtschule mitteilt. Ein 15-Jähriger soll hier am Dienstag, kurz nach Schulbeginn, einen 14-jährigen Mitschüler erstochen haben. Gegen den Tatverdächtigen wurde am Mittwochnachmittag Haftbefehl wegen Mordes erlassen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Er sitzt nun in Untersuchungshaft. In Lünen ist das Entsetzen über den Messerangriff noch immer groß. "Die Stadt steht unter Schock", sagte Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns am Mittwoch dem WDR. Nach der Vernehmung des 15-Jährigen teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit: Der Jugendliche war offenbar der Meinung, dass seine Mutter von dem 14-jährigen Opfer provozierend angeschaut worden sei. Deshalb habe er das Messer gezückt. Ob der Streit um die angeblichen Blicke zur Mutter tatsächlich das abschließende Tatmotiv war, will die Staatsanwaltschaft nun ermitteln. Der 15-Jährige galt als aggressiv und unbeschulbar. Deshalb habe er vorübergehend eine andere Schule besucht, berichteten Polizei und Staatsanwaltschaft. Wegen einer Sachbeschädigung war er bereits polizeibekannt. Am Dienstag habe er in der Käthe-Kollwitz-Schule zusammen mit seiner Mutter auf einen Gesprächstermin bei einer Sozialarbeiterin gewartet, weil er zurück auf die Gesamtschule sollte. Dabei sei er auf den 14-Jährigen getroffen. Die beiden verband offenbar eine alte Abneigung. Nach der Tat flüchtete der Jugendliche, wurde aber nach kurzer Flucht gefasst. An diesem Mittwoch gab es in allen Schulen und im Lüner Rathaus um zwölf Uhr eine Schweigeminute. Im Rathaus versammelten sich etwa 200 Menschen. In der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule wurde ein Trauerraum eingerichtet und ein Kondolenzbuch ausgelegt. Schon davor haben die Schüler der Schule Gelegenheit bekommen, im Klassenverband mit den Lehrern über das Ereignis zu sprechen. "Den unterrichtlichen Rahmen möchten wir als Schulgemeinde nutzen, um gemeinsam das Erlebte und Geschehene aufzuarbeiten" teilte die Schule auf ihrer Homepage mit. In einem an die Eltern gerichteten Text betonte die Schulleitung, dass die vertrauten Schulstrukturen den Kindern Halt geben. Außerdem stünden Psychologen und Notfallseelsorger jederzeit für Gespräche und andere Hilfen bereit. Vor dem Unterricht fand am Mittwochmorgen eine Lehrerkonferenz an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule statt. Lehrer hätten mit Psychologen beraten, wie man in die Klassen gehe, sagte Lünens Bürgermeister. Die Betreuung der Schüler sei ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit der Tat. Aber er sagt auch: "Wir müssen überlegen, ob dieses Hilfsangebot ausreicht." Darüber wird auch auf anderen Ebenen diskutiert. Der Deutsche Lehrerverband fordert eine breitere Unterstützung im Kampf gegen Gewalt an Schulen. "Schule alleine und auf sich gestellt kann wenig bewirken", sagt Präsident Heinz-Peter Meidinger. Natürlich könne man mit Ordnungsmaßnahmen arbeiten. Es sei aber klar, dass Eltern mit den Lehrern an einem Strang ziehen und die Politik den Lehrern in solchen Fällen Rückendeckung geben müssten. Er forderte "eine Offensive für Werteerziehung in der Gesellschaft und an Schulen". Der Kriminologe Christian Pfeiffer spricht dagegen von einem extremen Ausnahmefall. Alle Statistiken zeigten, dass Gewaltdelikte an Schulen und auch Tötungsdelikte von Jugendlichen extrem rückläufig seien. Daran werde auch die Tat in Lünen nichts ändern, so Pfeiffer. Man werde vermutlich sehr auf den individuellen familiären Hintergrund des mutmaßlichen Täters achten müssen. "Mit der Schule dürfte das wenig zu tun haben, eher mit dem Elternhaus." | https://www.sueddeutsche.de/panorama/gewalttat-an-schule-haftbefehl-wegen-mordes-im-fall-luenen-erlassen-1.3838548 | mlsum-de-708 |
Die großen Tech-Firmen versuchen, mit ihren Sprachassistenten das Auto zu erobern. Je tiefer sie in das Fahrzeug eindringen, desto mehr Kundendaten müssen die Hersteller preisgeben. | Menschen, die mit Autos sprechen. Das ist ungefähr so mühsam, wie ein Pferd zu satteln. Jeder Gaul versteht besser, wo es hingehen soll, als ein Offline-Navigationssystem. Zumal das Tier die Sprachbefehle seines Reiters lernen kann. Noch immer werden Neuwagen mit Spatzenhirnen ausgeliefert, die dümmer sind als Toaster, Wanduhren oder Kühlschränke. Sie stammen aus einer Zeit, als Telefone noch Kabel hatten und Autos unvernetzte Blechbüchsen waren. Gefühlte hundert Jahre später ist "Hey Alexa" zum Schlachtruf der digitalen Revolution geworden: Mehr als 20 000 verschiedene Haushaltsgeräte gehorchen dank des Sprachassistenten aufs Wort, die Konkurrenzprodukte von Google Home oder Apple HomePod nicht eingerechnet. Was mit dem PC begann und in der Hosentasche per Smartphone weiterging, wurde 2014 zum freihändigen Surfen in Küchen, Kinder- und Wohnzimmern. Im März dieses Jahres zählten Experten mehr als 30 000 Funktionen, die sich mit Alexa steuern lassen - intuitiver und präziser als fast jedes Auto. Deshalb will Amazon jetzt auch einen CarPod auf den Markt bringen; entsprechende Produkte von Alibaba, JD.com und Baidu gibt es bisher nur in China. Eroberungsversuche des Autos per (Smartphone)-Apps von Android Auto oder Apple Carplay waren bislang wenig erfolgreich. Google Maps ist zwar immer noch das beste Kleinprogramm, um in Echtzeit durch verstaute Städte zu navigieren. Beliebt sind auch Onlineradios, doch die meisten Apps wirken auf dem Zentralbildschirm im Fahrzeug dröge oder sind gar nicht zugelassen, weil sie den Fahrer zu sehr ablenken könnten. Richtig nützlich wäre ein Sprachassistent, der nicht nur mit den Passagieren, sondern auch mit der Fahrzeugtechnik kommuniziert: Mit der Klimatisierung und dem Licht im Innenraum oder mit dem Discjockey, dem Telefon und dem Navigationssystem. In der neuen Mercedes A-Klasse ist die natürlichsprachliche Vernetzung weit gediehen: Sobald das Wort Mercedes ausgesprochen wird, meldet sich die Assistentin zum Dienst. Während das alte Command-System Einwürfe noch ignorierte und vom genervten Fahrer feste Eingaben forderte, versteht die neue Linguatronic die Frage "Scheint die Sonne morgen in Hamburg?" genauso gut wie "Wird das Wetter morgen schön?" Auch die Antworten sind abwechslungsreicher, als man es von Maschinen gewohnt ist. "Wir können nicht alles selbst erfinden" "Innovation und Partnerschaften sind der Schlüssel zur Digitalisierung", sagt Sajjad Khan, der die Elektronikentwicklung bei Daimler leitet: "Wir können nicht alles selbst erfinden, aber wir müssen auch nicht alles weggeben." Damit meint er die Kundenschnittstelle, die Daten aus dem Fahrzeug und die darauf aufbauenden Geschäftsmodelle, von denen sich die Autohersteller eine neue Einkommensquelle versprechen. "Trotzdem wollen wir nicht die Elektronikkomponenten neu erfinden, die es schon auf dem Markt gibt", erläuterte Khan auf dem Elektronikkongress 2018 in Ludwigsburg. Um die MBUX (Mercedes-Benz User Experience, englisch für Nutzererlebnis) in nur zweieinhalb Jahren zur Serienreife zu bringen, hat Daimler unter anderem Hochleistungs-Chips von Nvidia integriert, die brillante 3D-Grafiken in Echtzeit berechnen. Neue Bilder und Funktionen können jederzeit per Update über die Luftschnittstelle nachgereicht werden. Vernetzung ist auch bei der Linguatronic der Schlüssel zum Erfolg: Harman, der Spezialist für Infotainmentsysteme, und der Sprachexperte Nuance verarbeiten Wortmeldungen sowohl an Bord als auch per Server in der Cloud. Wo Großrechner die Daten mit dem Wissensvorrat des gesamten Internets vergleichen können, lässt sich trefflich über den Sinn des Lebens streiten. Mit freien Fragen und schlagfertigen Antworten will BMW im neuen 3er ab dem nächsten Jahr punkten. Bleibt abzuwarten, wie viel von der neuen Diskutierfreude übrig bleibt, wenn während der Fahrt keine Onlineverbindung mehr verfügbar ist. Anders als die Sprachassistenten der Techkonzerne sollen die hybriden Systeme der Autohersteller auch in Funklöchern weiter funktionieren. Zum Beispiel auf Zuruf die Komforteinstellungen im Auto ändern. Außerdem sollen sich die intelligenten Assistenten mit den Vorlieben ihrer Passagiere genauso gut auskennen wie mit den technischen Details im Fahrzeug. Das ist nützlich, wenn man bei Warnhinweisen im Cockpit nicht in der Betriebsanleitung nachschlagen will. | https://www.sueddeutsche.de/auto/digitalisierung-auto-google-android-1.4189485 | mlsum-de-709 |
Nach dem miserablen 1:3 gegen Heidenheim dürfen die Münchner Löwen keine Interviews mehr geben, stimmen aber gemeinsam an: "Lasst uns froh und munter sein!" | So ganz, wie sie sich das vorstellen, klappt es derzeit nie bei den Sechzigern: Um Punkt 18.60 Uhr sollte am Samstagabend Anstoß beziehungsweise Ansingen beim dritten Adventssingen der Münchner Löwen im Stadion an der Grünwalder Straße sein. Tatsächlich begonnen hat es dann um 19.03 Uhr, also 18.63 Uhr - mit dem "Sechzger Marsch", den Trainer Benno Möhlmann und seine Spieler vor den Fans angestimmt haben. Was ja schon eine etwas seltsame Situation in diesen Tagen ist, in denen die Spieler keine Interviews geben sollen. Das Giesinger Kontrastprogramm lautet: singen statt reden. Es ist eine eigene Art, mit einer bislang äußerst schwachen Saison umzugehen. Noch skurriler wird es dann, als Möhlmann, sein Team, eine Blaskapelle und ein paar Hundert Anhänger lächelnd im Kerzenschein das zweite Lied des Abends anstimmen: "Lasst uns froh und munter sein!" Zur Erinnerung: Der TSV 1860 München ist aktuell Vorletzter der 2. Bundesliga, sein Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz beträgt fünf Punkte, am Freitagabend spielte der Knabenchor des TSV richtig schlecht gegen den FC Heidenheim und verlor 1:3. Froh und munter dürften im Umfeld der schon wieder stark abstiegsbedrohten Münchner Löwen aktuell nicht mehr viele sein. Wieder verlor die Mannschaft ein Heimspiel, wieder wäre der Gegner schlagbar gewesen (wie in der Vorwoche der FSV Frankfurt) und wieder hat es der TSV 1860 dem Gegner durch eigene Fehler leicht gemacht. "Klare taktische Fehler - das darf nicht passieren" Ganz besonders gewurmt hat die Pleite Trainer Benno Möhlmann. Als ihn am Samstagvormittag vor dem Training ein Anhänger fragt, ob er sie denn schon verdaut habe, schaut Möhlmann in den Boden und knurrt: "Ne, noch nicht." Es hat gebrodelt im 61-Jährigen nach der Pleite, und es brodelt noch nach: "Die ersten beiden Tore sind durch klare taktische Fehler aufgetreten. Das darf nicht passieren", sagt er zerknirscht. Zweimal - jeweils zu Beginn der Halbzeiten - ließen seine Spieler die Heidenheimer frei durchlaufen, zweimal schlossen die stark ab, erst stand es 0:1, dann 1:2. "Wir müssen auf dem Platz enger zusammenrücken. Da muss man sehen, das ist ein Team, das mit allem was ihm zur Verfügung steht, die Liga halten will. Und das fehlt mir", sagt Möhlmann. Er zieht die Zügel an, beließ es am Samstag nicht beim obligatorischen Auslaufen. Ein Teil des Teams absolvierte eine Trainingseinheit am Morgen. Eine Standpauke hat er seiner Mannschaft aber nicht gehalten: "Die Jungs sind selber enttäuscht." Zögernd fügt er an: "Sie sind mental nicht auf der Höhe." Vorletzter! Was hilft da das Pokal-Achtelfinale? Anfangs zeigten die Löwen am Freitagabend noch Gegenwehr, kamen zum Ausgleich durch Rubin Okotie, in Halbzeit zwei ließen sie diese jedoch komplett vermissen - es war eine Offenbarung der Schwäche. Möhlmann musste sich erst einmal sammeln: "Ich habe gehofft, dass wir uns vielleicht in den beiden vergangenen Heimspielen von den direkten Abstiegsplätzen befreien können." Es hat nicht geklappt. Auch der neue und vor allem zweitligaerfahrene Coach vermag derzeit ein altes Problem der Sechziger nicht lösen: Sie sehen nur gegen spielerisch stärkere Gegner gut aus, gegen gleichwertige oder vermeintlich schlechtere blamieren sie sich immer wieder. Einem Tabellenvorletzten hilft es dann auch nicht viel, dass er zwei Bundesligisten (Hoffenheim und Mainz) aus dem DFB-Pokal gekickt hat und am Mittwoch das Achtelfinale gegen Bochum bestreitet - wenn er null Punkte gegen die direkten Liga-Konkurrenten Heidenheim und Frankfurt holt. Es hapert gewaltig. Aber es ist ja nicht so, dass es bei den Sechzigern nur an denen hapert, die da sind. Es hapert auch an denen, die (noch) nicht da sind. Möhlmann selbst weiß noch nicht, ob er im Winter Verstärkung für den Kader bekommt. Er glaubt fest daran, zwei bis drei Neuverpflichtungen zu tätigen. Sicher ist aber noch kein Transfer. Und wie lange das dauert mit den Zugängen beim TSV 1860, davon weiß Möhlmanns Vorgänger Torsten Fröhling das ein oder andere Lied zu singen. Er musste im Sommer wochenlang auf eine neue Offensivkraft warten: Michael Liendl kam dann kurz vor dem Einkaufsschluss aus Düsseldorf, seine Integration dauerte noch einmal Wochen. Möhlmann sagt schon mal vorsichtshalber: "Ich kann nicht versprechen, dass wir alles umsetzen." Dass gewisse Dinge geändert werden müssen, wüssten jedoch alle im Verein, und "wenn wir Neuverpflichtungen machen, brauchen wir da einfach Erfahrung, Typen". Typen, die den Münchner Knabenchor anführen sollen - also noch mehr Liendls. Und die benötigen sie dringend, sonst scheint die Negativserie schwer umzukehren zu sein. Den Sechzigern sollte daher ein Lied des Adventssingens Mahnung genug sein: "Es wird scho' glei' dumpa." Finster ist's beim Löwen. | https://www.sueddeutsche.de/sport/tsv-1860-im-abstiegskampf-singen-statt-siegen-singen-statt-reden-1.2778245 | mlsum-de-710 |
Das vorliegende Konzept von Regierung und Opposition ist unausgewogen und bedeutet den Anfang vom Ende des Solidarprinzips. | (SZ vom 25.07.2003) Kaum eine Woche ist vergangen, seit die Ministerin Ulla Schmidt (SPD) und der Verhandlungsführer der Union, Horst Seehofer, ihre Eckpunkte für die Gesundheitsreform präsentiert haben, voll des Lobes für ihr Werk. Doch weil die Kritiker nicht verstummen wollen, wird schon über Korrekturen nachgedacht. Nur ein Euro Praxis- oder Krankenhausgebühr für die Ärmeren unter den Versicherten und nicht mehr zehn? Müssen diese Patienten dann Steuererklärung oder Rentenbescheid vor der Sprechstundenhilfe ausbreiten, damit die Gebühr korrekt kassiert werden kann? Es bleibt dabei: Das Eckpunktepapier mag die größte Gesundheitsreform in der jüngeren Sozialgeschichte einleiten - um bei den Worten Seehofers zu bleiben -, vom Superlativ der besten Reform ist sie weit entfernt, und das nicht nur wegen der überbordenden Bürokratie. Der Entwurf bedeutet den Anfang vom Ende des Solidarprinzips. Bismarcks Sozialgesetze, die ersten der Welt, die soziale Gerechtigkeit schufen und sicherten, gelten im 21. Jahrhundert als veraltet, ungerecht und nicht mehr finanzierbar. Sind sie das? Die Reform der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen haben Regierung und Opposition auf unbestimmte Zeit verschoben, doch nur eine solche Reform kann das Solidarprinzip modernisieren und auf eine breite Basis stellen, etwa mit einer Bürgerversicherung. Sie lässt sich nicht von der Reform der Ausgaben trennen. Wettbewerb am falschen Platz Ob die Politik, trotz anders lautender Beschwörungen, nach diesem Konsenspapier die Solidarität verteidigen wird, ist jedoch fraglich. Die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird beim Krankengeld und beim Zahnersatz bereits aufgehoben. Mit welchen Argumenten will man künftig verhindern, dass weitere Kapitel aus dem Leistungskatalog gestrichen werden, Zahnbehandlung oder Freizeit-Unfälle zum Beispiel? Die Kassen werden mit dem Entwurf noch stärker den Privatversicherungen angeglichen, sei es mit flexibler Tarifgestaltung, mit Bonussystemen und Beitragsrückzahlungen. Dies aber widerspricht der solidarischen Finanzierung. Man macht sie zur Randerscheinung mit einem immer wirtschaftlicheren Konzept, mit der Förderung von Wettbewerb, mit dem sich die 350 Kassen - und an ihrer Zahl wird nicht gerüttelt - angesichts des Einheits-Leistungskatalogs schwer tun. Dort aber, wo Wettbewerb dem Markt gut täte, wird er zu wenig angeregt, zwischen den Ärzten zum Beispiel. Die Möglichkeit, Einzelverträge zwischen Ärzten und Kassen abzuschließen, fehlt fast völlig in dem Entwurf, obwohl von den Sachverständigen-Kommissionen genügend Vorschläge gemacht wurden, dies einzuführen, ohne ein Versorgungschaos auszulösen oder die freie Arztwahl einzuschränken. Regierung und Opposition haben eine Reform geschaffen, bei der sich die Waagschale mit den guten Gaben auf die Seite der Anbieter im Gesundheitswesen neigt, und sie haben dafür ihre Versprechen vergessen, beim Zahnersatz zum Beispiel wurden der Kanzler und Seehofer wortbrüchig. Die Pharmaindustrie muss sich am 23-Milliarden-Sparpaket nur mit einer Milliarde Euro beteiligen, die Apotheker werden einem ganz sanften Wettbewerb ausgesetzt, Internethandel und Apothekenfilialen werden streng reglementiert. Die Ärzte kommen mit einer Honorar-Nullrunde 2004 davon, in fast allen übrigen Streitpunkten haben sie ihren Willen durchgesetzt. Es bleiben die Versicherten. Ihnen haben Regierung und Politik die größte Last zugedacht, mehr als 18 Milliarden Euro. Die Summe der Zuzahlungen für jeden Einzelnen, das wurde bereits ausgerechnet, wird voraussichtlich das Geldgeschenk aus der Steuerreform aufzehren. Sicher, Zuzahlungen und Selbstbehalte sind notwendig, um das defizitäre Gesundheitssystem am Leben zu erhalten. Sie sind wichtig, weil sie Selbstbedienung verhindern, also steuernd in das System eingreifen können. Auch wenn die Zuzahlungen wie schon bisher zwei Prozent des Bruttogehalts -ein Prozent bei chronisch Kranken - nicht übersteigen werden: Diese Zuzahlungen werden ohne Augenmaß, ohne Gerechtigkeitssinn und ohne politischen Verstand verordnet, auch wenn Ulla Schmidt mit Härtefallregelungen nachbessern will. Sie verdrehen den Solidargedanken ins Gegenteil, weil Kranke für die Gesunden zahlen müssen. Sie überfordern jene, die nicht so viel verdienen: Zehn Euro Praxisgebühr im Quartal, ohne Überweisung bei jedem Arzt. Zehn Euro täglich im Krankenhaus, 28 Tage lang. Zehn Prozent für jede medizinische Leistung, wobei - wie vieles im Eckpunktepapier - noch unklar ist, was dies bedeutet. Fünf bis zehn Euro Zuzahlung bei Medikamenten. Arzneien, die nicht verschreibungspflichtig sind, werden nicht mehr erstattet, künstliche Befruchtung, Brillen oder Taxi-Fahrtkosten stark eingeschränkt, Sterbegeld, Entbindungsgeld, Sterilisation gestrichen, das Mutterschaftsgeld über die noch sehr vagen Einnahmen einer höheren Tabaksteuer finanziert. Dazu kommen Krankengeld und Zahnersatz. Für 7,50 Euro, wie es zunächst hieß, wird die Versicherung des Zahnersatzes nicht zu haben sein, das steht fest. Positivliste im Reißwolf Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Rezeptur sind noch nicht abzusehen. Mag sein, dass einige Versicherte das teure Ärzte-Hopping aufgeben, dass manche überflüssigen Arzneien und Hilfsmittel nicht mehr verlangt werden. Es kann aber geschehen, dass notwendige Arztbesuche aus Kostengründen unterbleiben oder die Prävention beim Zahnarzt. Die Patienten haben zu wenig Chancen, Kosten zu steuern, sie werden einfach abkassiert. Die Arztquittung gibt es nur auf Wunsch. Befürchtet wird, dass Ärzte künftig statt der billigen rezeptfreien Medikamente teure rezeptpflichtige Arzneien verordnen, solche Ausweichmanöver jedenfalls gab es in der Vergangenheit. Das geplante Qualitäts-Institut unter Leitung der Selbstverwaltung wird keine Kosten-Nutzen-Analysen von Arzneien vornehmen, die Positivliste wandert wie schon in den neunziger Jahren in den Reißwolf. Die positiven Kapitel des Entwurfs - die bessere Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten, die Gründung von Gesundheitszentren nach dem Vorbild der DDR-Polikliniken zum Beispiel - können die Reform nicht retten. Noch ist nicht einmal klar, ob die Versicherten wenigstens in den Genuss von Beitragssenkungen kommen werden, obwohl Ulla Schmidt dies durchsetzen will. Die Kassen pochen darauf, erst einmal ihre Schulden in Höhe von mindestens sieben, vielleicht auch zehn Milliarden Euro zu tilgen. Noch ist nicht klar, ob wirklich 23 Milliarden zusammengekommen werden. Welche Einbußen etwa bedeutet die Härtefallregelung. Schon heute sind fünfzig Prozent der Patienten von Zuzahlungen befreit. Vorgelegt wurde eine Reform, in der das Wichtigste versäumt wurde: die Unter-, Fehl- und Überversorgung im Gesundheitswesen zu beheben. Was der Sachverständigenrat vor Jahren gefordert hat, wurde von Regierung und Opposition vergessen. Ein großer Teil der 23 Milliarden wäre vorhanden, würde man allein die medizinische Versorgung in den Alten- und Pflegeheimen verändern. Drei Beispiele: Die Behandlung von Heimbewohnern nach einem Sturz verschlingen jährlich fünf Milliarden Euro, meist handelt es sich um Oberschenkelhalsbrüche. Sturzprophylaxe durch Bewegungstraining oder Hüftprotektoren findet aber nicht statt. Der Hüftschutz, der etwa 60 Euro kostet, verhindert nach Studien in fünfzig Prozent der Fälle eine Verletzung. Im Leistungskatalog der Kassen steht er nicht. Dekubitus-Prophylaxe wird von den Kassen nicht bezahlt. Ob sich das mit der Reform der Pflegeversicherung ändert, ist ungewiss. Die Behandlung eines Dekubitus-Patienten kostet zwischen 25000 und 45000 Euro, 2,6 Millionen Menschen erkranken jährlich an solchen Druckgeschwüren, 10000 sterben. Arzneien, auch Psychopharmaka zum Ruhigstellen, werden in Heimen reichlich verschrieben, in manchen Stationen für 30000 bis 125000 Euro. Verschwendung in Höhe von vielen Milliarden und immer zum Schaden von hilflosen Menschen: Die Gesundheitsreform ändert nichts daran. Auch das hat etwas zu tun mit dem langsamen Abschied von der Solidarität. | https://www.sueddeutsche.de/politik/gesundheit-rezeptur-mit-unbekannten-nebenwirkungen-1.884402 | mlsum-de-711 |
Dass sich manche afrikanische Staatschefs gerne teure Auslandsaufenthalte leisten, ist nicht neu. Doch Peter Mutharika aus Malawi fehlt schon knapp einen Monat. Seine notleidende Bevölkerung wird unruhig. | Anfangs hat sich keiner etwas dabei gedacht. Ein paar Tage Urlaub an eine Dienstreise dranhängen: wer tut das nicht, gerade wenn der dienstliche Termin in New York stattfindet? Doch die paar Tage dauern nun schon fast einen Monat, so langsam machen sich die Menschen in Malawi Sorgen. Ihr Präsident, der Mitte September zur UN-Generalversammlung nach New York aufgebrochen war, ist offenkundig verloren gegangen. Bis heute ist Peter Mutharika nicht wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Zum letzten Mal gesehen haben ihn die Malawier, als er seine Rede vor der Generalversammlung hielt, das war am 20. September. Seither ist der 76-Jährige, der das Land im Südosten Afrikas seit 2014 regiert, verschwunden - und in seinem Land brodelt es. Ist Mutharika krank? Lässt er sich in den guten amerikanischen Krankenhäusern behandeln? Oder macht er nur Urlaub auf Staatskosten, bei seinen in den USA lebenden Kindern? Nun ist es nicht so, dass im kleinen Malawi gerade nichts los wäre. Die Dürre, die das Wetterphänomen El Nino in Teilen Afrikas auslöste, hat hier zu einer schweren Hungersnot geführt. Die Regierung hat eigentlich alle Hände voll zu tun. Was macht da der Staatschef so lange im Ausland? Ganze drei Wochen nach dem Verschwinden gab die malawische Regierung ein Statement heraus: Er nehme an wichtigen Meetings in den USA zum Wohle aller Malawier teil, dafür sei während der UN-Generalversammlung nicht genug Zeit gewesen. Und: Der Präsident sei bei bester, robuster Gesundheit. Wer anderslautende Gerüchte verbreite, mache sich strafbar. Man kann es den Malawiern nicht verdenken, dass sie sich von der Mitteilung nicht abspeisen lassen. Erst 2012 war Mutharikas Vorgänger (und Bruder) an einem Herzinfarkt gestorben. Vom Tod erfuhren die Malawier allerdings erst Tage später. #BringBackMutharika Noch nehmen sie es mit Humor: Auf Twitter fahnden sie nach ihrem Präsidenten, unter dem Hashtag #BringBackMutharika posten sie Ideen, wo er stecken könnte. Hi President Obama @POTUS, President Mutharika of #Malawi came to the US for #UNGA but has gone missing Please help #BringBackMutharika — Idriss Ali Nassah (@mynassah) 30. September 2016 Peter Mutharika ist nicht der einzige afrikanische Staatschef, der ohne Ankündigung wochenlang verschwindet. Einige Präsidenten des Kontinents verbringen erstaunlich wenig Zeit in dem Land, das sie regieren. Statt sich um die Probleme zu Hause zu kümmern, nutzen sie lieber die Möglichkeit, dem Elend mit Hilfe von Regierungsressourcen zu entfliehen. Die Betagten unter ihnen reisen gerne nach Paris, Deutschland oder die Schweiz, um sich medizinisch behandeln zu lassen - den maroden Gesundheitssystemen in ihren eigenen Ländern vertrauen sie in der Regel wenig. So ließ sich Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita dieses Frühjahr in der Nähe von Paris operieren; in den vergangenen Jahren unterzogen sich auch seine Kollegen aus Gabun und der Elfenbeinküste medizinischen Eingriffen in Frankreich. Immerhin: Sie informierten die Menschen zu Hause über den Grund ihrer Abwesenheit. Kameruns Präsident Paul Biya, 83 Jahre alt und seit mehr als drei Jahrzehnten Staatschef, verbringt mehr als die Hälfte des Jahres in der Schweiz. Genauer: im teuren Hotel Intercontinental in Genf. Die Kameruner erfahren meist erst nach seiner Rückkehr, warum ihr Präsident über Wochen abwesend war. Meist lautet die knappe Mitteilung: "Familienangelegenheiten". Biyas Frau Chantal verbringt in dem Hotel noch mehr Zeit als er, seine Kinder sind in der Schweiz zur Schule gegangen. Auch Biya nutzte die Gunst der Stunde und hängte an die Reise zur UN-Generalversammlung noch eine Woche in Genf dran. Mugabe: Ich war tot und bin wiederauferstanden Reiselustig ist auch Robert Mugabe, 92. Der simbabwische Präsident (inzwischen der älteste Staatschef der Welt) verschwindet häufig nach Singapur, um sich ärztlichen Rat zu holen. An diese teuren Trips sind die Simbabwer schon gewöhnt. Als der Präsident aber Anfang September wieder einmal verschwunden war und die Online-Flugverfolgung zeigte, dass seine Maschine Dubai statt Singapur ansteuerte, brodelte die Gerüchteküche. Warum Dubai, warum heimlich? War der Präsident so schwer krank, dass er es nicht nach Singapur geschafft hat? Wenn Staatschefs alle Macht in ihren Händen konzentrieren, entscheiden solche Fragen über das Schicksal eines ganzen Landes. Wenige Tage später landete ein quicklebendiger Mugabe in Simbabwe. Er hätte in Dubai Familienangelegenheiten zu regeln gehabt, erzählte er Reportern freimütig am Flughafen. Und ja, er sei tot gewesen, aber dann wiederauferstanden - "wie ich es immer mache". Ob auch der malawische Präsident über solche Fähigkeiten verfügt, muss sich zeigen. Zumindest gibt es inzwischen einen Termin für seine Rückkehr: Am kommenden Sonntag um 13 Uhr soll er in der Hauptstadt landen, kündigte die Regierung vor wenigen Tagen auf Facebook an. | https://www.sueddeutsche.de/politik/malawi-peter-mutharika-der-verschwundene-praesident-1.3207046 | mlsum-de-712 |
Niko Kovac trifft auf seinen neuen Arbeitgeber, ein Boateng-Bruder auf den anderen: Eintracht Frankfurt steht dank eines 1:0-Siegs gegen Schalke 04 erneut im DFB-Pokal-Finale. | Das wird ein paar aufregende Begegnungen geben am 19. Mai im Berliner Olympiastadion. Der Trainer Niko Kovac trifft auf seinen künftigen Klub, der Angreifer Kevin-Prince Boateng auf seinen Bruder Jérôme, und droben auf der Tribüne der Funktionär Fredi Bobic auf den Funktionär Uli Hoeneß. Da dürfte es funken und blitzen. Nicht begegnen werden hingegen Hoeneß seinem Schalker Freund Clemens Tönnies, der Schalker Mittelfeldmann Leon Goretzka seinem künftigen Arbeitgeber und der Schalker Abwehrspieler Naldo jenem Pokal, den er 2009 mit Bremen und 2015 mit Wolfsburg gewann. Schöne Geschichten liefert der DFB- Pokal ja immer, und so wird es auch im Finale sein, in dem Eintracht Frankfurt auf den FC Bayern München trifft. Nach der 1:2-Niederlage im Vorjahr gegen Borussia Dortmund stehen die Frankfurter zum zweiten Mal nacheinander im Endspiel. Die Hessen haben am Mittwochabend im Halbfinale den Gastgeber Schalke 04 äußerst mühsam mit 1:0 (0:0) besiegt und ihrem scheidenden Trainer Kovac zum nahenden Abschied eine große Freude gemacht. Kovac darf es in Berlin mit seinen künftigen Bayern aufnehmen und die Boatengs miteinander. Der "Prince von Frankfurt" hatte vor dem Halbfinale gegen Schalke bereits tüchtig gestänkert und seine zwei Jahre dort als "Faustschlag ins Gesicht" abgetan. Natürlich haben die Schalker Fans ihn dafür ordentlich ausgepfiffen, das gehört im Fußball zum guten Ton. Die Fangruppen beiderseits diktierten den Spielauftakt mit ihren Gesängen, sie waren damit durchaus emotionaler als die Spieler drunten auf dem Feld mit ihrer ausgeprägten Positions- und Taktiktreue. Während Kovac seinen Pulli lässig über die Schultern geworfen hatte, quittierte sein Gegenüber Domenico Tedesco jede Aktion seiner Spieler mit erhobenen Daumen (gelungene Aktion) oder Applaus (misslungene Aktion) und hatte abwechselnd damit ganz schön zu tun. Strafraumszenen waren rar, im Mittelfeld war die Partie heftig umkämpft. Beide Trainer übten parallel auch die Fachkonversation mit dem vierten Offiziellen Robert Kampka; erstmals brisant wurde das Spiel in der 32. Minute. Da fälschte Frankfurts David Abraham zunächst einen Daniel-Caligiuri-Schuss ganz knapp neben das Tor ab, und nach der darauffolgenden Ecke parierte Eintracht- Torwart Lukas Hradecky sehr ansehnlich einen Kopfball von Guido Burgstaller. Kovacs Pulli hing schon auf Halbmast In der 41. Minute steckte das Frankfurter Trainerteam die Köpfe zusammen, während sich Mijat Gacinovic das Trikot überzog. Er ersetzte zwei Minuten vor der Pause den humpelnden Boateng, aber er brachte vorerst keine zusätzlichen Drehmomente in den mauen Frankfurter Frontantrieb. Nach genau einer Stunde schlug Jetro Willems die erste Eintracht-Ecke in den Strafraum - ohne Wirkung. Der überragende Torwart Hradecky hielt die Frankfurter im Spiel, als er artistisch gegen Burgstaller (67.) und Jewgeni Konopljanka (68.) rettete. Nun war aber endlich Zunder im Spiel, und das Ticket ins Endspiel lösten die Frankfurter durch eine Sternstunde des Stürmers Luka Jovic, der in der 75. Minute eine Ecke von Jonathan de Guzman im Sprung mit der Hacke ins lange Eck des Schalker Tors verlängerte. Der Pulli von Niko Kovac hatte schon ein bisschen auf Halbmast gehangen, als der Trainer eine Viertelstunde vor Schluss unverhofft jubeln durfte. Kovac selbst und auch der Manager Bobic hatten gerade nach der Niederlage in Leverkusen die Moral der Mannschaft wiederholt gelobt, und an diesem Mittwochabend sollte sich zeigen, dass sie damit so ganz falsch nicht gelegen haben. Aus einem Spiel ohne eigene Chancen ging die Eintracht als Sieger hervor. Schalker Jubel in der Nachspielzeit erstarb, als ein vermeintliches Tor von Di Santo strittigerweise abgepfiffen wurde. "Für genau so eine Situation wurde der Videobeweis eingeführt", sagte Leon Goretzka verständnislos. Den Frankfurtern war das herzlich egal. "Heute war es einfach eine Willensleistung", sagte Eintracht-Sportchef Fredi Bobic erleichtert in der ARD. Für die Frankfurter ergibt sich nun die Option, erstmals seit 1988 wieder im Pokal zu triumphieren. Dass sie zuletzt 1:4 bei jenen Leverkusenern verloren hatten, die im Pokal 2:6 gegen München untergingen, müssen sie am 19. Mai irgendwie aus den Köpfen bringen. Sonst laufen sie in Berlin gar noch mit Furcht auf. Niko Kovac wird das gewiss zu verhindern versuchen. Er will den Münchnern doch noch mal zeigen, was für einen Trainer sie da verpflichtet haben. | https://www.sueddeutsche.de/sport/dfb-pokal-das-finale-der-aufregenden-begegnungen-1.3950587 | mlsum-de-713 |
Ist eine Vereinbarung rechtens, die festlegt, dass ein Bonus für Betriebstreue erst nach fünf Jahren in der Firma ausgezahlt wird? Darf der Betriebsrat mitreden, wenn es um Gegenmaßnahmen zur Überlastung des Personals in einem Krankenhaus geht? | Treuebonus muss gezahlt werden. Eine Bonusvereinbarung für Betriebstreue ist unwirksam, wenn sie Arbeitnehmer in ihrer Freiheit einschränkt. In einer Firma hatten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einen Treuebonus geeinigt, der jedes Jahr angespart, aber erst nach fünf Jahren Betriebstreue ausgezahlt werden sollte. Kündigt ein Mitarbeiter vor Ablauf der fünf Jahre, sollte der Bonus entfallen. Ein Mitarbeiter kündigte, weil er über mehrere Monate keinen Lohn erhalten hatte. Zum Zeitpunkt der Kündigung war er noch keine fünf Jahre im Betrieb. Ein Anrecht auf den Treuebonus habe er damit nicht, argumentierte der Arbeitgeber. Der Mann klagte dagegen vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg - mit Erfolg. Bis zur Kündigung habe er sich betriebstreu verhalten, so die Richter. Die Bindung der Zahlung an einen Stichtag, der im Extremfall fünf Jahre nach Entstehen des Anspruchs liege, benachteilige den Mann unangemessen. Er sei in seiner Berufsfreiheit eingeschränkt. Außerdem unterscheide die Vereinbarung nicht nach Kündigungsgrund: Der Kläger habe gekündigt, weil der Arbeitgeber seiner Lohnzahlungspflicht nicht nachgekommen sei. Der Verlust des Treuebonus sei daher unangemessen. (Az.: 3 Sa 426/15) Betriebsrat darf mitreden. Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Mitarbeiter vor Überlastung zu schützen. Das hat das Arbeitsgericht Kiel entschieden. Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, mit wie vielen Pflegekräften eine Klinikstation mindestens besetzt sein muss. Obwohl drei Gutachten festgestellt hatten, dass die physische und psychische Belastung des Personals eine kritische Grenze erreicht hatte, konnten sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht auf eine Regelung einigen, um das Problem zu lösen. Daher entschied eine Mehrheit einer eingesetzten Einigungsstelle, für bestimmte Belegungssituationen eine Mindestzahl von Pflegekräften vorzuschreiben. Der Arbeitgeber sah dadurch seine Entscheidungsfreiheit eingeschränkt und zog vor Gericht - erfolglos. Der Spruch der Einigungsstelle sei rechtmäßig, so das Arbeitsgericht. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beziehe sich auch auf Regelungen zum Gesundheitsschutz, inklusive Schutzmaßnahmen bei konkreten Gefährdungen. (Az.: 7 BV 67c/16) | https://www.sueddeutsche.de/karriere/neue-urteile-recht-so-1.3751989 | mlsum-de-714 |
Weil die Förderung umgestellt wird, haben viele Firmen in letzter Minute neue Projekte genehmigen lassen. Nun werden wohl Tausende Windräder zusätzlich gebaut - und die Verbraucher zahlen jedes einzelne mit. | Keine acht Monate ist es her, da demonstrierte die Windbranche in Berlin. "Warnminute 5 vor 12", lautete das Motto der Proteste im Mai, "Energiewende retten!" Ein neues Gesetz war in Arbeit, es sollte die Förderung der Windparks komplett umstellen. Die Windmüller wähnten ihr Ende. Doch es kam anders. Denn offensichtlich führt die Umstellung der Förderung in nächster Zeit zum schieren Gegenteil. Weil um 5 vor 12 noch besonders viele neue Windparks genehmigt wurden, werden nicht weniger, sondern mehr neue Windräder gebaut. Die Pipeline, so gab Energie-Staatssekretär Rainer Baake jetzt beim SZ-Führungstreffen Energie in Essen bekannt, umfasse satte 8500 Megawatt. Das entspricht mehr als 2000 neuen Windrädern oder der Leistung von sechs Atomkraftwerken. "Wir bewegen uns am oberen Rand der Ausbaukorridore", sagt Baake. Die Koalition hatte ursprünglich bis 2025 einen Ökostrom-Anteil von 40 bis 45 Prozent angepeilt. Experten schließen nicht aus, dass der Anteil von Wind, Sonne und Co bis dahin sogar über den 45 Prozent liegen könnte. Derzeit sind es knapp 30 Prozent. Auch für die Branche ist der Jammer vom vergangenen Mai mittlerweile vergessen. "Wir können zufrieden sein", sagt Hermann Albers, Chef des Wind-Verbands BWE. Insgesamt habe sich der Zubau stabilisiert und konzentriere sich nicht mehr allein auf die windreichen Regionen des Nordens. Das legen auch neue Zahlen der Branche nahe. Demnach wurden im vorigen Jahr bundesweit knapp 1300 neue Windräder angeschlossen, mit einer Gesamtleistung von 4260 Megawatt - der zweitbeste Wert in der Geschichte, nur 2014 wurden mehr Windräder errichtet. Neben den Küstenländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein legte die Windkraft aber auch im Hinterland zu, etwa in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Thüringen. Bundesweit drehen sich mittlerweile 27 000 Windräder mit einer Gesamtleistung von 46 000 Megawatt. Im laufenden Jahr dürfte nun der nächste Rekord folgen. "Wir erwarten für 2017 einen Bruttozubau zwischen 4500 und 5000 Megawatt", sagt Matthias Zelinger, Geschäftsführer des Maschinenbau-Verbands VDMA Power System. "Es können aber auch mehr sein." Schließlich gebe es ja auch Vorzieheffekte. "Es war klar, dass es einen Run geben wird", so Zelinger. Allerdings hat die Branche den Run unterschätzt: Ihre Zahlen basieren auf Last-Minute-Genehmigungen im Umfang von 6100 Megawatt. Die restlichen 2400 Megawatt müssen in der allerletzten Minute hinzugekommen sein, womöglich auch wegen eifriger Behörden in Bundesländern, in denen Grüne mit an der Regierung sind. Wer noch eine Genehmigung erhalten hat, steht nun allerdings vor einer schwierigen Entscheidung. Denn er kann nach alten oder neuen Vorgaben bauen. Er hat also die Wahl zwischen den gesetzlich vorgegebenen Vergütungssätzen, wie sie bis Ende vorigen Jahres galten - oder dem neuen Verfahren, per Ausschreibung. Für jedes Windrad zahlen die Verbraucher mit Erstmals zum 1. Mai können sich Betreiber hier mit ihren Projekten beteiligen. Den Zuschlag erhält, wer zu den niedrigsten Fördersätzen baut, der Rest geht leer aus. Die Gesamtmenge je Ausschreibungsrunde ist begrenzt. Für die Betreiber ist es ein Pokerspiel: Setzen sie auf das alte Förderregime, müssen sie sich nämlich beeilen. Erstens muss der genehmigte Windpark bis Ende 2018 am Netz sein. Zweitens schmilzt die Förderung schnell dahin. Wer etwa diesen Februar den ersten Strom einspeist, erhält dafür noch mehr als acht Cent je Kilowattstunde. In einem Jahr sind es 7,5 Cent, Ende 2018 7 Cent. Ein Cent Unterschied bei der Förderung, das macht je Windrad um die 50 000 Euro aus - im Jahr. Wie viele der Projekte deshalb tatsächlich nach den alten Fördersätzen gebaut werden, wie viele stattdessen ihr Glück in Ausschreibungen suchen - niemand weiß es. Noch bis Ende dieses Monats haben die Betreiber Zeit, sich zu entscheiden. "Ich vermute, dass die Genehmigungen am Ende auch genutzt werden", sagt Wind-Verbands-Chef Albers. "Alle werden bemüht sein, so früh wie möglich ihre Projekte umzusetzen." Doch der neue Boom verspricht auch neue Strompreis-Diskussionen im Wahljahr. Denn die Stromverbraucher zahlen über die Ökostrom-Umlage für jedes Windrad mit. Wie viel sie aber für den neuen Windboom draufzahlen, hängt vor allem von der Höhe der Fördersätze ab - und die, so erwartet Energie-Staatssekretär Baake, dürften durch die Ausschreibung in Zukunft ordentlich unter Druck kommen. Das jedenfalls zeigten die Erfahrungen aus der Solarförderung, wo der Bund seit 2015 mit Ausschreibungen arbeitet. "Bei den Pilotausschreibungen für Photovoltaik ist in kurzer Zeit die Vergütung um 30 Prozent gesunken", sagt Baake. Dies wiederum komme den Stromkunden zugute - die "positive Folge von Wettbewerb". Auch die Branche selbst sieht den wachsenden Wettbewerb mittlerweile weitaus gelassener. "Wir sind auf Kostensenkungskurs", sagt Matthias Zelinger vom VDMA. Und selbst, wenn alle 5-vor-12-Genehmigungen irgendwann zu Windrädern geworden sind, gibt es noch genug zu tun: Zwei Drittel der Anlagen werden exportiert. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/boom-bei-windraedern-stuermische-zeiten-1.3367630 | mlsum-de-715 |
Die Großraumkonzepte der Sechzigerjahre haben ausgedient. Wie eine moderne Arbeitsumgebung aussehen kann, erklärt der Architekt Karim El-Ishmawi, Mitgründer des Architekturbüros Kinzo. | Karim El-Ishmawi ist Mitbegründer und Geschäftsführer bei Kinzo, einem Berliner Architekturbüro, das sich auf Innenarchitektur für Arbeitsumgebungen spezialisiert hat. Herr El-Ishmawi, worin unterscheiden sich die neuen Arbeitsräume von Großraumbüros? Karim El-Ishmawi: Die Großraumstrukturen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren waren sehr monofunktional. Sie wurden dem Mitarbeiter nicht gerecht. Die Open-Floor-Konzepte von heute sind viel strukturierter. Sie ermöglichen unterschiedliche Arten der Arbeit an unterschiedlichen Orten im Büro. Sie haben offene und geschlossene Bereiche, die den Raum gliedern. Auf diese Weise entstehen Bereiche, die nicht größer sind als für vielleicht zwölf Personen. Das ist zwar offen, aber es ist gleichzeitig auch überschaubar für den einzelnen Mitarbeiter. Wozu dienen moderne Bürowelten? Es geht darum, die Kommunikation unter den Mitarbeitern zu verbessern. Das geht einher mit der Vorstellung, dass dies mit einem offeneren Grundriss leichter möglich ist. Die Arbeitsweise muss sich in einem Raumbild spiegeln. Gleichzeitig spielt die Identifikation mit einem Unternehmen eine große Rolle, vor allem bei der Mitarbeiterbindung. Der Mitarbeiter rückt mehr in den Fokus, weil er auch nicht mehr so leicht zu bekommen ist. Der Anreiz für die großen Unternehmen ist es, sich so aufzustellen, dass sie in der heutigen Zeit auch als moderne Unternehmen wahrgenommen werden. Sind solche Bürolandschaften eigentlich teurer als die üblichen Standardeinrichtungen? Man muss sich vor Augen halten, welche Kosten im Büro anfallen. Die Personalkosten machen den größten Teil aus. Die Immobilie und die Ausstattung sind im Verhältnis dazu eher gering. Wenn man ein gut funktionierendes Büro hat, in dem sich die Mitarbeiter wohlfühlen und gerne arbeiten, dann spart man Kosten an anderer Stelle ein. Etwa bei der Rekrutierung von Personal oder auch durch einen niedrigeren Krankenstand, weil alle Mitarbeiter viel zufriedener sind. Mehrkosten für die Büroeinrichtung amortisieren sich schnell. Braucht man für die veränderte Arbeitswelt besondere Büromöbel? In einem offenen Bürokonzept hat man per se weniger Abschirmungen, weniger Trennwände, weniger Struktur und damit einen höheren Anspruch an den Raum in puncto Akustik, aber auch Intimsphäre, Gemütlichkeit. Es sind mehr Menschen pro Quadratmeter auf einer Fläche. Daraus folgt auch, dass die Möbel deutlich mehr können müssen, als in einem Zellenbüro. Zum Beispiel? Wir haben einen Kran entwickelt, der in einem gelben Schaft die nötige Verkabelung an jeden Punkt in einem Raum bringt. Er ist entstanden aus der Einsicht, dass sich die Arbeitsplatzkonfiguration in einem bestimmten Bereich oft ändert. Ein Tisch auf Rollen wird im Raum zu immer neuen Konfigurationen zusammengestellt. Man braucht überall Strom, und Netzwerkverkabelung. Der Kran ist schwenkbar, hat einen bestimmten Radius und hält den Boden frei von Kabeln. Der Kran ist auch ein Identifikationsmerkmal. Er gibt dem Raum einen besonderen Charakter. Bei klassischen Unterflursystemen ist man immer darauf angewiesen, die Steckdose an der einmal festgelegten Stelle zu haben. Das ist keine echte Flexibilität. | https://www.sueddeutsche.de/geld/architekt-der-mitarbeiter-rueckt-mehr-in-den-fokus-1.2998431 | mlsum-de-716 |
Der führende Formel-1-Rennstall als PS-Sozialist: Mercedes stimmt einer Lockerung der Regeln zu und riskiert, seinen Vorsprung einzubüßen. | Verglichen mit den Rennwagen, um die es geht, bewegen sich die Regelhüter der Formel 1 im Schneckentempo. Was auch daran liegt, dass die beteiligten Teams das Reglement selbst mitbestimmen dürfen. Und da gönnt keiner dem anderen auch nur ein Schräubchen mehr, das diesem zum Vorteil gereichen könnte. Deshalb kommt das jüngste Sitzungsergebnis der zuständigen Kommission einer Revolution gleich. Beschlossen wurde, die Beschränkungen bei der Weiterentwicklung der Hybrid-Antriebsstränge schon jetzt und nicht erst 2017 aufzuheben. Weil Einstimmigkeit gefordert ist, bedeutet das, dass Branchenführer Mercedes zugestimmt haben muss - und somit vielleicht seinen Entwicklungsvorsprung riskiert. Renault wurde von höchster Konzernebene Hilfe angeboten "Wir können keine Hardliner sein und das Regelwerk immer nur in unsere Richtung optimieren. Insofern ist eine Lockerung der Regularien im Sinne der Formel 1 und im Sinne von Mercedes", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Das Kalkül der Gegner: Dann könne man aufholen. Die Absicht von Formel-1-Chef Bernie Ecclestone: Dann werden die Rennen wieder spannender. Wolff gibt sich offiziell als PS-Sozialist: "Wir müssen den anderen Luft zum Atmen geben." Dem Rivalen Renault hat man sogar auf höchster Daimler-Konzernebene Entwicklungshilfe angeboten, damit die Franzosen sich leichter entscheiden können, wieder mit einem eigenen Werksrennstall anzutreten - und damit dem gesamten Grand-Prix-Sport weiterhin Wertigkeit geben. Vielleicht ist die Geste auch so großzügig nicht, denn angesichts der Überlegenheit von Mercedes in den letzten anderthalb Rennjahren kann man intern davon ausgehen, sich selbst von einem hohen Level aus weiterzuentwickeln und dominant zu bleiben. Möglich, dass man in diesem Jahr nicht immer die Leistungsreserven voll ausgeschöpft hat. Nach Austin, zum viertletzten Lauf der WM, reist die Silberpfeil-Truppe bereits als Konstrukteurs-Weltmeister an, und beim Großen Preis der USA könnte bereits auch die Titelverteidigung in der Fahrerwertung perfekt gemacht werden. Lewis Hamilton müsste dazu neun Punkte mehr holen als Sebastian Vettel und zwei mehr als sein direkter Gegenspieler Nico Rosberg. Der dritte Titel für den Briten ist, unabhängig von den in Texas drohenden Schlechtwetter-Kapriolen, wohl nur eine Frage der Zeit. | https://www.sueddeutsche.de/sport/formel-1-mercedes-riskiert-entwicklungsvorsprung-1.2704315 | mlsum-de-717 |
Die SpVgg Unterhaching wird ihrer Favoritenrolle beim 0:1 in Chemnitz nur anfangs gerecht. Dann fällt ihr gegen das Hoch-und-Weit der Sachsen nicht mehr viel ein. | Man könnte es den Winkler-Koeffizienten nennen. Alexander Winkler ist Verteidiger bei der SpVgg Unterhaching, eher der Typ rustikal, weshalb er in der aktuellen Drittliga-Saison schon zehn gelbe Karten gesammelt hat. Der 26-Jährige steht damit auf Platz zwei im Gelb-Ranking, nur Robert Andrich vom SV Wehen Wiesbaden hat eine mehr. Die zehnte Verwarnung holte sich Winkler vergangenen Samstag beim FC Chemnitz ab. Weil auch sein Trainer Claus Schromm diese Ausbeute für "rekordverdächtig" hält, sei das nun etwas, woran man arbeiten müsse. Freilich nicht am nächsten Samstag zu Hause gegen die Sportfreunde Lotte. Denn da wird Winkler zum zweiten Mal gesperrt fehlen. Hachings Problemzone ist ohne Zweifel die Abwehr, das wurde auch bei der 1:2 (1:1)-Niederlage beim Drittletzten deutlich. "Wir kommen gut ins Spiel, kontrollieren es eigentlich. Und gehen auch noch in Führung", sagte Schromm. Dann aber "haben wir schlecht verteidigt und einen großen Teil dazu beigetragen", die Führung aus der Hand zu geben. Wenn Winkler eine gelbe Karte bekommt, ist das ein Indiz: Erst zweimal hat Unterhaching gewonnen, wenn er den Karton gesehen hat. Und in den fünf Spielen seit der Winterpause sah er schon viermal Gelb, davor in neun Partien nur einmal (bei der 0:3-Niederlage gegen Rostock). Mit anderen Worten: Sobald Unterhachings Abwehr gezwungen ist, ruppiger zu spielen, springen meist auch keine Punkte heraus. Auch wenn Winklers Foul in Chemnitz (37.) nicht ruppig, sondern eher taktischer Natur war. "Den kann man schon halten", sagt Trainer Claus Schromm über den Chemnitzer Siegtreffer Die Gäste wurden zunächst ihrer Favoritenrolle gerecht. Sie nutzten die Räume, die der Gastgeber anbot, das Team konnte sich zudem auch diesmal auf sein Umschaltspiel verlassen. Winkler war es, der in der 16. Minute im Mittelfeld einen Zweikampf gewann - die Chemnitzer wollten an dieser Stelle ein Foul gesehen haben. Dann ging es schnell nach vorne, Sascha Bigalke flankte von links, der Ball erreichte den mitgelaufenen Finn Porath inmitten dreier Gegenspieler. Porath, der am vergangenen Sonntag gegen den Halleschen FC (1:1) sein erstes Tor für Haching erzielte hatte, legte sogleich nach und spitzelte den Ball an Chemnitz' Keeper Kevin Tittel vorbei zur Führung (16.). "Chemnitz hatte eigentlich nur ein Stilmittel", sagte Schromm: weite Bälle auf die Stürmer, die dann für einen Mitspieler ablegen. Und Schromm ärgerte sich, dass seine Abwehr diese eindimensionale Spielweise nicht in den Griff bekam. Elf Minuten nach der Führung stand so Florian Hansch frei, wenngleich eigentlich aus sehr spitzem Winkel. Doch dann ließ Torwart Korbinian Müller den Ball überraschend passieren, er prallte ihm im Fallen an die rechte Hand und flog ins Netz. "Den kann man schon haben", so der Kommentar des Trainers. Schromm pflegt auf vielen Positionen einen vitalen Konkurrenzkampf, vor allem im Mittelfeld. Auf der Torwartposition ist die Situation eine andere. Auch wenn Müller in den vergangenen Wochen in mehreren Situationen nicht gerade souverän agierte, so habe man sich im Trainerteam noch nicht damit befasst, dem zweiten Torwart Lukas Königshofer eine Chance zu geben, erklärte Schromm. Kurz danach hätte Dominik Stahl mit einem abgefälschten Schuss beinahe die erneute Führung erzielt (35.), insgesamt blieb Haching diesmal aber auch im Angriff zu harmlos. Beim zweiten Gegentreffer kurz nach dem Seitenwechsel war Torhüter Müller machtlos: Dennis Grote kam am Sechzehner frei zum Schuss. Er traf zwar nur den Pfosten, doch der Abpraller landete direkt vor dem Fuß von Tom Baumgart, der mühelos einschob (50.). Es folgten noch ein Weitschuss des eingewechselten Orestis Kiomourtzoglou (77.) sowie eine gelb-rote Karte für den Chemnitzer Alexander Dartsch (82.). Die Überzahl nutzte Haching nicht, zumal es auch im Angriff einen starkes Indiz für Hachinger Erfolg oder Misserfolg gibt: Stephan Hain vertändelte kurz vor Schluss einen Ball. Sein letztes Tor, Anfang Dezember gegen Bremen II, markiert auch den bis dato letzten Hachinger Sieg. | https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/fussball-machtlos-in-der-ersten-dimension-1.3872338 | mlsum-de-718 |
Aus Furcht vor starken Kursschwankungen im kommenden Jahr gehen die Anleger am letzen Handelstag auf Nummer sicher und setzen auf Gold. | Die Furcht vor einem länger dauernden Regierungsstillstand in den USA hat den US-Dollar am Freitag weiter belastet und im Gegenzug den Euro unterstützt. Der Kurs der Gemeinschaftswährung stieg bis auf 1,1476 Dollar. Der teilweise Stillstand der Regierungsgeschäfte in den USA wird sich wohl bis ins neue Jahr hinziehen. Nur wenige Minuten nach Sitzungsbeginn vertagte sich der US-Kongress in Washington am Donnerstag (Ortszeit) auf kommende Woche, wie US-Medien berichteten. Nur wenige Abgeordnete seien nach den Weihnachtsferien überhaupt in Washington erschienen. US-Medien gehen nun davon aus, dass frühestens Anfang Januar eine Einigung über den Haushalt und die Grenzsicherung zu Mexiko gefunden und damit der "Shutdown" beendet werden könne. Kurz vor dem Ende eines turbulenten Jahres zogen die Ölpreise am Freitag wieder etwas an. Nordseeöl der Sorte Brent verteuerte sich zeitweise um 3,1 Prozent auf 53,80 Dollar je Barre. US-Leichtöl WTI kostete mit 45,80 Dollar 2,7 Prozent mehr. Händler sprachen von einer technischen Bewegung, nachdem die Preise in den vergangenen Wochen stark unter Druck geraten waren. An den fundamentalen Gründen für die Preisentwicklung habe sich in den vergangenen Tagen nichts geändert. Zum einen hat der Handelsstreit zwischen China und den USA seit Beginn des vierten Quartals Spekulationen auf eine Konjunkturabschwächung mit sinkender Nachfrage nach Öl ausgelöst. Zum anderen fördern die USA wieder mehr Öl und könnten 2019 trotz Förderkürzungen der Opec und ihrer Partner für ein Überangebot sorgen. Wegen der Turbulenzen an den weltweiten Aktienmärkten und der Furcht vor weiteren Schwankungen im neuen Jahr haben sich Anleger am letzten Handelstag 2018 verstärkt mit Gold eingedeckt. Der Preis für das Edelmetall kletterte um bis zu 0,6 Prozent auf ein Sechs-Monats-Hoch von 1282 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm). | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/rohstoffe-und-devisen-oel-und-goldpreis-steigen-1.4268095 | mlsum-de-719 |
Schlechte Nachrichten für Borussia Mönchengladbach: Bei Champions-League-Gegner Manchester City ist Kevin De Bruyne noch imposanter unterwegs als sonst. | Es gibt Mysterien, die ewig ihrer Entzifferung harren. Und in den Büroräumen von Manchester City, an diesem Dienstag Gegner von Borussia Mönchengladbach in der Champions League (20.45 Uhr, live bei Sky), gibt es eine Frage, auf die sie seit nun schon zweieinhalb Jahren keine Antwort finden. Sie lautet: Wie konnte José Mourinho als Chelsea-Trainer den Belgier Kevin De Bruyne, 25, im Winter 2014 nur wieder ziehen lassen? Damals war De Bruyne nach Wolfsburg gezogen, zur Enttäuschung von Citys Sportdirektor Txiki Begiristain. Er hätte De Bruyne schon 2014 gern geholt, aber die Konkurrenzsituation zwischen City und Chelsea machte eine solche Operation unmöglich; anderthalb Jahre später löste er ihn für 75 Millionen Euro in Wolfsburg aus. Aktuell wurde das Rätsel nun deshalb wieder, weil City am Samstag beim Stadtrivalen Manchester United vorspielte, wo Mourinho mittlerweile Trainer ist, und es einen Spieler gab, der entscheidenden Einfluss auf die Partie nahm: De Bruyne. Beim 2:1-Sieg von Old Trafford erzielte der belgische Nationalspieler das 1:0 und bereitete das 2:0 vor, der Nigerianer Kelechi Iheanacho hatte einen Pfostenschuss De Bruynes abgestaubt. In der zweiten Halbzeit traf De Bruyne nochmals den Pfosten. "Er hat eine fantastische Mentalität" Doch wenn das Spiel eine Szene hergab, die etwas über den Charakter De Bruynes erzählte, war es eine, die sich kurz vor dem Ende der Partie ereignete: De Bruyne bat - von Krämpfen gepeinigt - um Auswechslung. Der Wechsel verzögerte sich, De Bruyne erhielt noch einen Pass, und obwohl der Körper nahezu streikte, suchte er erneut den direkten Weg zum Tor und kam zum Abschluss. "Er hat eine fantastische Mentalität", sagt Guardiola. Und das Tabloid The Sun streute Salz in Mourinhos Wunde: "Wir müssen über Kevin reden, José". Wer De Bruyne in der Endphase der vorigen Saison und bei der EM in Frankreich sah, hätte am Samstag leicht ins Zweifeln kommen können, ob der Mann, der beim City-Gastspiel bei United so brillierte, wirklich De Bruyne ist. Er kam stockend in die neue Saison, die holprige Vorbereitung zollte ihren Tribut. Zum wahrscheinlich ersten Mal seit seiner Verpflichtung durch Manchester City im Sommer 2015 erinnerte er am Samstag an den kolossalen Spieler, der er in seiner Zeit in Deutschland war. In der Spielzeit 2014/15 wurde De Bruyne mit zehn Toren und 21 Vorlagen zum Scorerkönig der Saison, mit dem VfL holte er den DFB-Pokal und Platz zwei in der Meisterschaft hinter dem FC Bayern. Guardiola weist nun kokett jede Verantwortung für die Verwandlung des Belgiers in den Giganten von einst zurück. "Ich habe ihn nicht entdeckt, er hat schon im vergangenen Jahr brillante Spiele geliefert", sagte der frühere Bayern-Coach am Vorabend der Gladbach-Visite. Doch De Bruyne behauptet das Gegenteil: "Das System, das wir spielen, ist das Beste für mich." | https://www.sueddeutsche.de/sport/manchester-city-guardiola-macht-de-bruyne-noch-besser-1.3158780 | mlsum-de-720 |
Borussia Dortmund bleibt in der Bundesliga ungeschlagen. Doch gegen starke Darmstädter muss der BVB kurz vor dem Ende noch das 2:2 hinnehmen. Auch Hertha verdirbt Frankfurt das Heimspiel. | Darmstadts Sulu schockt den BVB Borussia Dortmund hat vor dem Gipfeltreffen beim FC Bayern ein bösen Erwachen erlebt und den Kontakt zum Meister ein wenig abreißen lassen. Durch den Ausgleichstreffer von Aytac Sulu in der letzten Minute kamen die Westfalen am Sonntag trotz deutlicher Überlegenheit nicht über ein 2:2 (0:1) gegen den krassen Außenseiter SV Darmstadt 98 hinaus und liegen damit vor dem Gastspiel in München schon vier Punkte hinter der Spitze. Der BVB, der mit elf Pflichtspielsiegen in die Saison gestartet war, gab nach dem 1:1 bei 1899 Hoffenheim am Mittwoch schon zum zweiten Mal nacheinander zwei wichtige Zähler ab. Dabei hatte Pierre-Emerick Aubameyang mit seinen Saisontoren Nummer acht und neun den BVB auf die Siegerstraße gebracht (63. und 71.), ehe Sulu für den Schock sorgte. Darmstadt war in der ersten Hälfte durch Marcel Heller in Führung gegangen und hatte den Aufsteiger vom ersten Sieg gegen den BVB seit dem 7. Oktober 1978 träumen lassen. Die Elf von Darmstadts Trainer Dirk Schuster liegt mit zehn Punkten damit bestens im Rennen. Heller bringt Darmstadt in Führung "Hoffenheim war schon ärgerlich, hier das Spiel genauso. Wir wissen aber auch, dass die erste Halbzeit nicht unseren Ansprüchen genügt", sagte Ilkay Gündogan und Kapitän Mats Hummels ärgerte sich über die "Einstellung" beim späten Gegentor. "Fünf, sechs Spieler stehen 20 Meter vor dem Tor. Das ist keine Verteidigung", schimpfte Hummels und ergänzte: "Das ist ein Spiel, dass du normalerweise klar gewinnst. Das war Glück pur von Darmstadt. Wir haben jetzt zwei unnötige Punktverluste hinnehmen müssen."Darmstadts Peter Niemeyer war dagegen überglücklich: "Mentalität schlägt Qualität. Das leben wir brutal. Bis jetzt haben wir aber noch nichts erreicht." Dortmund war zwar klar spielbestimmend und besaß hohe Ballbesitz-Anteile, doch gegen die tief stehende Abwehr der Lilien fehlten den Schwarz-Gelben die Ideen. Erst recht, nachdem die Hessen überraschend in Führung gegangen waren. Nach einem blitzschnellen Konter über Konstantin Rausch und Jerome Gondorf traf Heller mit einem sehenswerten Volleyschuss zur Führung. Für den Mittelfeldspieler war es das dritte Saisontor. Schon fünf Minuten zuvor hatte Luca Caldirola eine gute Gelegenheit für den Aufsteiger, nachdem BVB-Keeper Roman Bürki einen Schuss nur abklatschen ließ. Die Dortmunder reagierten nach dem Rückstand mit wütenden Angriffen. Die beste Gelegenheit hatte dabei Aubameyang, der nach einer scharfen Hereingabe von Marco Reus den Ball gut einen Meter vor dem Tor nicht richtig traf und somit das Ziel knapp verfehlte (20.). Danach setzte Marcel Schmelzer einen Schuss über das Tor (24.), ehe Julian Weigl den Darmstädter Keeper Christian Mathenia prüfte (31.). Aubameyang dreht zunächst das Spiel Vor allem in den ersten 45 Minuten waren die Dortmunder von ihrer Bestform weit entfernt. Von dem zuletzt so überragenden Henrich Mchitarjan war diesmal wenig zu sehen, Reus verfing sich häufig in Zweikämpfen und wurde in der 59. Minute bereits ausgewechselt. Dazu leistete sich der Japaner Shinji Kagawa einige Fehlpässe. Ein unverändertes Bild bot auch die zweite Hälfte. Der BVB drängte, Darmstadt verteidigte zum Teil mit zehn Feldspielern den eigenen Strafraum. So kamen die Gastgeber nur mühsam zu Chancen, wie etwa durch Mchitarjan, der an Mathenia scheiterte (60.). Dann platzte aber doch der Knoten: Nach einer Kombination über Kagawa und Matthias Ginter war Aubameyang zur Stelle. Und der Torjäger setzte mit einer Einzelaktion noch einen drauf. In der 78. Minute hätte Aubameyang bei einer weiteren Großchance gar seinen Hattrick perfekt machen können. | https://www.sueddeutsche.de/sport/darmstadts-2-2-in-dortmund-und-am-ende-trifft-sulu-1.2667633 | mlsum-de-721 |
Der US-Präsident soll nun auch persönlich im Visier von Sonderermittler Mueller stehen. Dieser hat mit dem Leak an die US-Medien wohl seinen eigenen Arbeitsplatz gesichert. | Es ist natürlich reiner Zufall, dass sich der Einbruch im Hauptquartier der Demokraten, mit dem einst der Watergate-Skandal begann, in diesen Tagen zum 45. Mal jährt. Mitarbeiter des republikanischen Präsidenten Richard Nixon hatten damals einige Handlanger angeheuert, die Abhörgeräte in den Büros der Demokraten im Watergate-Gebäude in Washington einbauen sollten. Am 17. Juni 1972 brachen sie ein, wurden aber entdeckt und verhaftet. Am Ende der Geschichte stand der Rücktritt von Präsident Nixon am 9. August 1974, der so seiner Amtsenthebung durch den Kongress zuvorkam. Nun hat - zumindest nach allem, was man bisher weiß - jene als das "Russlandding" bekannte Affäre, in die der heutige republikanische Präsident Donald Trump verstrickt ist, noch nicht die Dimension des Watergate-Skandals erreicht. Es gibt keine Belege für illegale Machenschaften des Präsidenten. Aber das könnte mittlerweile zweitrangig sein. Denn wenn es eine Lehre aus Watergate gibt, dann ist es diese: Manchmal richtet der Versuch, einen Skandal zu vertuschen, mehr Schaden an, als der Skandal selbst. Es war nicht der Einbruch, der Nixon und etliche seiner Mitarbeiter in den Abgrund riss. Es waren die Lügen, die Nixons Leute später dem FBI erzählten. Verurteilt wurden sie in den meisten Fällen für zwei Straftaten: perjury sowie obstruction of justice - Meineid und Behinderung der Justiz. Insofern war es ein Donnerschlag, als die Washington Post am Mittwoch berichtete, dass der Sonderermittler Robert Mueller, der das "Russlandding" aufklären soll, nun auch gegen Präsident Trump persönlich ermittelt. Der Verdacht: Trump könnte sich der Behinderung der Justiz schuldig gemacht haben. Bewiesen ist nichts, ob je genug belastendes Material zusammenkommt, weiß niemand. Offensichtlich jedoch hat Mueller, ein erfahrener Ermittler und ehemaliger FBI-Direktor, genügend Indizien, um den amtierenden Präsidenten ins Fadenkreuz zu nehmen. Das "Russlandding" begann im Herbst vorigen Jahres als außenpolitische Affäre. Die US-Geheimdienste kamen damals zu dem Schluss, dass Moskau versucht hatte, die amerikanische Präsidentschaftswahl zu sabotieren, der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton durch Hackerangriffe zu schaden, und Trump, der als russlandfreundlicher galt, zu helfen. Der frühere Präsident Barack Obama verhängte deswegen Sanktionen gegen Moskau. Kurz nach Trumps Sieg kam dann die Frage auf, ob Leute in seinem Wahlkampfteam über die russischen Sabotageversuche Bescheid gewusst oder sogar dabei geholfen hatten. Das würde den Tatbestand der Kollusion erfüllen - einer geheimen, illegalen Zusammenarbeit zum Schaden Dritter -, wenn nicht sogar des Landesverrats. Aus der außenpolitischen Affäre wurde auf diese Weise eine innenpolitische, das FBI begann zu ermitteln. Dabei wurden allerlei Kontakte zwischen Trump-Leuten und diversen Russen bekannt, für manche gab es plausible Erklärungen, für manche nicht. Und immer wieder fiel der Name Michael Flynn, ein ehemaliger General, der Trump im Wahlkampf unterstützt hatte und von diesem nach dem Sieg für die Treue mit dem Posten des Nationalen Sicherheitsberaters belohnt wurde. Flynns Problem: Er hatte das FBI sowie Vizepräsident Mike Pence über seine Kontakte mit Vertretern der russischen Regierung belogen. Trump musste ihn deswegen Mitte Februar entlassen. Flynn als Bauernopfer, das hätte vielleicht funktioniert Der Präsident hätte die Sache danach auf sich beruhen lassen können - Flynn als Bauernopfer, das hätte vielleicht funktioniert. Doch Trump tat einige Dinge, die Mueller nun offenbar als mögliche Behinderung der Justiz wertet - aus der innenpolitischen wurde so eine Trump-Affäre. So nahm der Präsident im Februar den damaligen FBI-Direktor James Comey nach einem Treffen im Weißen Haus zur Seite und sagte, er "hoffe", dass die Ermittlungen gegen Flynn fallengelassen werden könnten. Gegenüber NSA-Direktor Michael Rogers und Geheimdienstkoordinator Dan Coats, die Mueller beide nächste Woche befragen will, soll Trump den Wunsch geäußert haben, dass diese zu Flynns Gunsten auf das FBI einwirken. Zudem soll er sie dazu aufgefordert haben, öffentlich zu bestreiten, dass es eine Kollusion zwischen ihm und Russland gegeben habe. Comey war nach eigenen Angaben geschockt von den Äußerungen des Präsidenten, die er weniger als vagen Ausdruck der Hoffnung denn als Befehl des Präsidenten verstand, ein laufendes Ermittlungsverfahren gegen einen Freund zu beenden. Als der FBI-Direktor sich weigerte, feuerte Trump ihn Anfang Mai. Kurz darauf ließ er in einem Interview durchblicken, dass die Ermittlungen gegen Flynn - das "Russlandding", wie Trump sagte - einer der Gründe für Comeys Rauswurf waren. Reicht das, um Trump Behinderung der Justiz vorzuwerfen? Und wenn ja, was folgt daraus? Die Antwort ist offen. Das FBI wird vermutlich keinen amtierenden Präsidenten anklagen wollen. Und um im Kongress genügend Stimmen für ein Impeachment zu bekommen, ein Amtsenthebungsverfahren wegen einer Straftat, müssten sehr viele Republikaner mit ihrem Präsidenten brechen. Das ist bisher nicht abzusehen. Im Gegenteil: Beide Seiten, sowohl Gegner als auch Unterstützer von Trump, graben sich derzeit ein. Auf jeden Fall hat sich Mueller mit der an die Washington Post durchgestochenen Nachricht, dass er gegen Trump persönlich ermittele, eine Art Arbeitsplatzgarantie verschafft. Und vielleicht war das der Zweck. In den vergangenen Tagen hatte es Berichte gegeben, wonach Trump drauf und dran sei, wegen der Russland-Ermittlungen nach Comey nun auch Mueller zu feuern. Ob der Präsident das tatsächlich tun wollte, ist unklar. Angeblich musste ihn eine ganze Riege von Beratern von diesem provokanten Schritt abhalten. Jetzt jedoch, wo er selbst Ziel der Ermittlungen ist, ist es weit schwieriger für Trump, Mueller loszuwerden. Der Verdacht der Justizbehinderung würde durch Muellers Rauswurf zur Gewissheit. Wie sehr die Ermittlungen Trump jedoch in Rage versetzen, wurde am Donnerstag klar. Er sei das Opfer einer "Hexenjagd", twitterte er wütend, die von "sehr schlechten Leuten" angeführt werde. Auch Trumps enger Vertrauter und Schwiegersohn, Jared Kushner, steht inzwischen im Fokus der Ermittlungen. | https://www.sueddeutsche.de/politik/russland-affaere-trump-im-fadenkreuz-1.3546367 | mlsum-de-722 |
Während in der Schuldenkrise ein Gipfel den nächsten jagte, agiere die EU in der Flüchtlingspolitik zu langsam, klagt Österreichs Chefdiplomat Kurz. EU-Parlamentspräsident Schulz attestiert einigen EU-Ländern "eklatantes Versagen". | Österreichs Außenminister Kurz kritisiert Tatenlosigkeit Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz sagte der New York Times, er verlange ein sofortiges Treffen europäischer Regierungschefs. "Bei der Schuldenkrise in Griechenland folgte ein Treffen dem nächsten", sagte Kurz: Beim Thema Flüchtlinge "vergehen Wochen, Monate, ohne dass sich etwas tut." Kurz forderte eine gemeinsame europäische Antwort, "Europa muss aufwachen und verstehen, dass es ein großes Problem hat", sagte er. Der grausige Fund von 71 toten Flüchtlingen, die im Kühlraum eines Lastwagens in Österreich entdeckt wurden, schockiert das Land noch immer. An diesem Samstag wurden vier verdächtige Schlepper in Ungarn in Untersuchungshaft genommen. Schulz: EU-Länder stehlen sich aus Verantwortung Im Streit über die Verteilung von Flüchtlingen hat der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), zahlreichen EU-Ländern ein "unwürdiges Spiel" und "Versagen" vorgeworfen. Schulz sagte der Welt: "Wir haben es nicht mit einem Versagen der EU zu tun, sondern mit einem eklatanten Versagen einiger Regierungen, die sich aus der Verantwortung stehlen, indem sie eine gemeinsame europäische Lösung verhindern." Schulz forderte die betreffenden Staaten auf, mehr Migranten aufzunehmen: "Die Regierungen einiger Mitgliedsstaaten müssen endlich ihre Blockade beheben und dieses unwürdige Spiel beenden." Er betonte, dass bereits Vorschläge für mehr europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage vorlägen. "EU-Kommission und EU-Parlament haben bereits seit langem praktikable Vorschläge auf den Tisch gelegt. Diese sind aber am Unwillen einiger nationaler Regierungen gescheitert, denen das europäische Interesse egal ist", sagte er. Ban will Schleppern das Handwerk legen UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte in seinem am Freitag in New York verbreiteten Statement, trotz aller Rettungsaktionen der Europäischen Union "bleibt das Mittelmeer eine Todesfalle für Flüchtlinge und Migranten". Die hohen Flüchtlingszahlen seien Ausdruck tiefer liegender Probleme wie Krieg, Gewalt und Unterdrückung. "Es ist eine Krise der Solidarität, nicht der Zahlen", sagte Ban. Er forderte mit Nachdruck, Menschenschmugglern das Handwerk zu legen sowie legale und sichere Fluchtwege zu schaffen. Nach UN-Angaben haben in diesem Jahr bereits mehr als 300 000 Migranten den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa gewagt. Davon kamen 200 000 in Griechenland an, 110 000 in Italien. Schätzungen zufolge starben bei der Überfahrt in diesem Jahr bereits 2500 Menschen. Am Freitag wurde befürchtet, dass weitere 200 Bootsflüchtlinge vor der libyschen Küste ums Leben gekommen sind. Bouffier rechnet mit mehr Flüchtlingen als prognostiziert Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier rechnet für dieses Jahr mit deutlich mehr Flüchtlingen in Deutschland als vom Bund prognostiziert. Er gehe von einer Million Asylsuchenden und Flüchtlingen aus, sagte der CDU-Politiker in einem Fernsehinterview des Hessischen Rundfunks. Das wären noch einmal 200 000 mehr als in der von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere präsentierten neuen Schätzung. Bouffier sagte, die Herausforderung werde die Deutschen "auf Jahre" in einer Weise fordern, wie sie bisher nicht dagewesen sei. Deutschland werde das aber nicht überfordern. Außerdem kündigte Bouffier ein hartes Vorgehen gegen rechtsextremistische Gewalt an. "Dafür stehe ich auch persönlich." | https://www.sueddeutsche.de/politik/oesterreichs-aussenminister-ueber-fluechtlingskrise-es-vergehen-wochen-und-monate-ohne-dass-sich-etwas-tut-1.2626659 | mlsum-de-723 |
Das Verfassungsgericht hatte sowohl den Feiertag als auch das Referendum darüber verboten. In der Region wächst die Sorge vor einem Wiederaufleben der ethnischen Spannungen. | Ungeachtet eines Verfassungsgerichtsverbots haben die bosnischen Serben offenbar fast einstimmig für das Beibehalten ihres umstrittenen Nationalfeiertags am 9. Januar gestimmt. In dem umstrittenenen Referendum sprachen sich nach Auszählung von etwa drei Viertel der Stimmen 99,8 Prozent der Bewohner der Teilrepublik Srpska dafür aus, wie die Behörden am Abend mitteilten. Damit sei das Votum der Bevölkerung eindeutig, sagte der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, vor Journalisten im Parlament von Banja Luka. Dodik hatte die Volksabstimmung trotz eines Verbots des bosnischen Verfassungsgerichts angesetzt. Dieses hatte zuvor den Feiertag für illegal erklärt, weil er die muslimischen (bosniakischen) und kroatischen Bewohner in der Teilrepublik ausgrenze. Auch das Referendum selbst hatten die Verfassungsrichter untersagt. Auch die USA und die EU hatten vergeblich versucht, das Referendum zu unterbinden und nicht näher bezeichnete Sanktionen angedroht. Gedroht wurde damit, Projekte in dem kleinen Teilstaat auf Eis zu legen, Einreiseverbote gegen Vertreter der Regierung zu verhängen und deren Vermögen einzufrieren. Die bosnischen Serben werden allerdings von Russland unterstützt. Den Stimmberechtigten wurde die Frage gestellt, ob sie den 9. Januar als einen Feiertag in der Republika Srpska beibehalten wollten oder nicht. Zur Wahl aufgerufen waren etwa 1,2 Millionen Menschen. Die Wahlbeteiligung lag nach Behördenangaben zwischen 56 und 60 Prozent. Sorge vor Abspaltung der Republika Srpska 1992 hatten die bosnischen Serben an diesem Tag - einem serbisch-orthodoxen Feiertag - ihren eigenen Staat "Republika Srpska" innerhalb Bosnien-Herzegowinas ausgerufen. Das löste den jahrelangen Bosnienkrieg aus, der mindestens 100 000 Menschen das Leben kostete und Millionen Menschen vertrieb. Beobachter sehen in dem Referendum ein Signal, dass sich die Teilrepublik von Bosnien-Herzegowina abspalten will. Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Krieges wächst die Sorge vor einer weiteren Verschärfung der ethnischen Spannungen und vor neuer Gewalt. Bosnien-Herzegowina ist seit dem Dayton-Friedensabkommen von 1995, mit dem der Bosnienkrieg beendet wurde, ein Bundesstaat, zu der die Republika Srpska als eine sogenannte Entität neben der Föderation Bosnien und Herzegowina gehört. Viele bosnische Serben betrachten sich aber nicht als Bosnier, sondern als Serben. Der Zusammenhalt des Landes scheint daher zunehmend gefährdet. | https://www.sueddeutsche.de/politik/referendum-bosnische-serben-stimmen-fuer-umstrittenen-nationalfeiertag-1.3179080 | mlsum-de-724 |
Lewis Hamilton gewinnt den Großen Preis von Russland. Das WM-Rennen scheint entschieden, weil sein ärgster Rivale Nico Rosberg wegen eines technischen Defekts aufgeben muss. | Nico Rosberg muss aufgeben Nico Rosberg und Sebastian Vettel können Lewis Hamilton im WM-Rennen kaum noch stoppen. Dank seines Siegs beim Großen Preis von Russland kann der britische Mercedes-Pilot im Optimalfall sogar schon in zwei Wochen in den USA vorzeitig seinen insgesamt dritten Titeltriumph feiern. Hamilton profitierte am Sonntag in Sotschi aber auch vom Riesenpech seines Formel-1-Teamkollegen Nico Rosberg, der wegen eines gebrochenen Gaspedals früh aufgeben musste. Ferrari-Rivale Vettel feierte als Zweiter zwar seinen nächsten Podestplatz, verlor im WM-Kampf aber weitere wertvolle Punkte. Hamilton holt seinen neuen Saisonsieg Hamilton durfte sich nach dem vor allem in der Anfangsphase spannenden und ereignisreichen 15. WM-Lauf schon über seinen neuen Saisonsieg freuen. Er wiederholte damit auch seinen Erfolg bei der Russland-Premiere im Sotschi-Autodrom vor einem Jahr. Vettel hatte zu keinem Zeitpunkt eine Siegchance. Der Mexikaner Sergio Perez holte als überraschender Dritter den ersten Podestplatz für Force India in diesem Jahr. Er profitierte dabei vom harten Zweikampf in der Schlussrunde zwischen Kimi Räikkönen und Valtteri Bottas. Bottas krachte dabei in die Reifenstapel. Rosberg fällt auf Rang drei in der WM-Wertung zurück In der WM-Wertung eilt der Titelverteidiger der Konkurrenz quasi uneinholbar davon. Hamilton weist mit 302 Punkten nun 66 Zähler Vorsprung vor dem neuen Gesamtzweiten Vettel (236) auf. Rosberg (229) fiel durch seinen Nuller auf Rang drei zurück. Für Nico Rosberg endete das Russland-Rennen mit einer "Riesenenttäuschung" und dem wahrscheinlichen Ende seines WM-Traums. "Wenn normale Sachen brechen, kann ich nicht Weltmeister werden", wies er frustriert auf ein gebrochenes Gaspedal als Grund für sein Aus in der neunten Runde auf dem 5,848 Kilometer langen Kurs hin. Rosberg glückte dieses Mal ein guter Start. Im Gegensatz zum zurückliegenden Grand Prix in Suzuka und dem letztjährigen Russland-Rennen verteidigte er die Pole-Position gegen seinen hart attackierenden Teamkollegen. Allerdings musste das Rennen Sekunden später neutralisiert werden. Nico Hülkenberg (Emmerich) drehte sich ohne Fremdverschulden und der Schwede Marcus Ericsson krachte in den Force India des Deutschen. Für beide war der Grand Prix damit nach nicht einmal einer Runde vorbei. "Meine Hinterreifen blockierten beim Anbremsen", sagte Hülkenberg nach seinem vierten Ausfall in den zurückliegenden sechs WM-Läufen. Auch nach dem Neustart nach drei Runden hinter dem Safety Car verteidigte Rosberg die Führung gegen Hamilton. Aber wenig später klagte der Deutsche per Boxenfunk über ein "gebrochenes Gaspedal". Die Ingenieure gaben zwar zunächst Entwarnung, aber Rosberg hatte sichtlich Probleme. Erst zog Hamilton locker an ihm vorbei, dann auch Valtteri Bottas im Williams. Rosberg musste in der neunten Runde in die Box und aufgeben. Das Gaspedal hängt "Das Gaspedal hing", schilderte Rosberg den technischen Defekt. "Das ist nicht lustig, das ist gefährlich." Am Schluss habe er nichts mehr machen können. Durch den Ausfall sind seine Chancen, Hamilton im WM-Rennen noch überholen zu können, praktisch auf den Nullpunkt gesunken. In der 13. von 53 Runden folgte dann ein spektakulärer Unfall von Romain Grosjean. Der Franzose krachte mit schätzungsweise 250 km/h in eine Streckenbarriere. Grosjean konnte aber aus dem demolierten Lotus steigen. Wieder musste das Safety Car ausrücken. Danach lieferten sich Vettel und Räikkönen zeitweise ein erbittertes teaminternes Duell um Rang drei. Hamilton fuhr ungefährdet vorne weg. Aber Bottas blieb für das Ferrari-Duo in Reichweite. Als der Finne im 27. Umlauf frische Reifen holte, drückte Vettel mächtig aufs Tempo und zog vorbei. Den zweiten Platz gab der vierfache Weltmeister aus Heppenheim danach nicht mehr ab. Verunglückter Sainz am Start Carlos Sainz schied in der 47. Runde wegen eines Bremsproblems aus. Der Toro-Rosso-Pilot durfte trotz seines schweren Unfalls im Samstagstraining und der deshalb verpassten Qualifikation antreten. Die Streckenärzte und sein Team erlaubten dem Spanier den Start, nachdem er alle medizinischen Tests bestanden hatte. Sainz war am Samstag mit hoher Geschwindigkeit in eine Streckenbarriere gerast und danach ins Krankenhaus gebracht worden. Er hatte sich dabei aber keine ernsthaften Verletzungen zugezogen. | https://www.sueddeutsche.de/sport/grosser-preis-von-russland-blockiertes-gaspedal-schenkt-hamilton-den-sieg-1.2686980 | mlsum-de-725 |
Sie sind seit Jahren beliebt, weil sie Schutz vor Verlusten versprechen. Doch die hohen Erwartungen können Mischfonds oft nicht erfüllen. | Die Kunden von Thomas Soltau glauben zu wissen, was sie tun. Sie entscheiden selbst, welche Wertpapiere sie kaufen, anstatt sich von Banken oder Anlageberatern welche empfehlen zu lassen. Soltau betreibt von Berlin aus die Webseite Fondsdiscount, eines der größeren Online-Portale in Deutschland, auf dem Privatanleger günstig Fondsanteile kaufen und Sparpläne abschließen können. Er sieht in Echtzeit, wie die mehr als 23 000 Sparer auf seiner Plattform investieren. Aber seit einiger Zeit gefällt ihm nicht mehr, was er beobachtet. Jahrelang schon gehören Mischfonds zu den beliebtesten Produkten, ob in den Filialen von Banken und Sparkassen, in Verkaufsgesprächen mit dem Finanzberater am Wohnzimmertisch oder auf Soltaus Plattform. "Die meisten Anleger investieren in Mischfonds in der Hoffnung, dass die eine Anlageklasse die Verluste der anderen ausgleicht, wenn es zu einem Kurssturz kommt", sagt der Fondsexperte. "So war das früher auch. Aber dieser Zusammenhang gilt derzeit nicht mehr." Klassische Mischfonds teilen das Vermögen der Anleger überwiegend in Aktien und Anleihen auf. Sie sind weniger riskant als reine Aktienfonds, deren Kurse stärker schwanken. Sie versprechen mehr Rendite als reine Rentenfonds, die wegen der niedrigen Zinsen kaum noch etwas abwerfen. Je nach Produkt mischen die Fondsmanager noch ein wenig Währungen, Rohstoffe oder Zertifikate dazu, um das Beste aller Welten zu vereinen. Das lässt sich dann prima vermarkten, vor allem an risikoscheue deutsche Bankkunden: Ende August hatten Sparer hierzulande mehr als 251 Milliarden Euro in Mischfonds angelegt; allein 2017 flossen bisher 22 Milliarden in diese Produkte. Detailansicht öffnen Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage. Das Sicherheitsversprechen zieht also noch. Aber die Zweifel an den Produkten wachsen, je länger die Phase hoher Aktienkurse und zugleich niedriger Anleiherenditen andauert. Der britische Economist hat die aktuelle Lage Anfang Oktober als "The Bull Market in Everything" beschrieben, der Bullenmarkt in allem: Vom Aufschwung an den Finanzmärkten blieb in den vergangenen Jahren nahezu keine Anlageklasse verschont. Genau das wird Mischfonds jetzt zum Verhängnis, denn sowohl bei Aktien, als auch bei Rentenpapieren besteht gleichermaßen ein Risiko fallender Kurse, wenn die Notenbanken ihre lockere Geldpolitik allmählich beenden. "Mischfonds allein schützen heute nicht mehr ausreichend vor möglichen Verlusten", befürchtet Soltau. Aktien und Anleihen in einem Fonds zu vereinen und die Aufteilung zwischen beiden einem findigen Manager anzuvertrauen, ist eine gereifte Idee. Im Jahr 1950 legte der Vorläufer des zweitgrößten deutschen Vermögensverwalters Allianz Global Investors den ersten klassischen Mischfonds auf. Lange verharrten die Produkte in einer Nische. Das änderte sich nach der Finanzkrise: Seitdem haben Fondshäuser immer neue Mischfonds aufgelegt, die das Anlegergeld flexibel zwischen verschiedenen Anlageklassen hin- und herschieben. So sollen die Fonds in einem steigenden Markt profitieren und bei negativen Marktentwicklungen größere Verluste vermeiden. Den Käufern solcher Fonds müsse aber klar sein, dass Mischfonds "kaum noch Aufwärtspotenzial haben", sagt Frank Wieser, Geschäftsführer von PMP Vermögensmanagement in Düsseldorf. Zur Auswahl geeigneter Fonds sind immer zunächst die Kosten wichtig. In der Regel zahlen Anleger zwischen einem und zwei Prozent Gebühren pro Jahr, die ein Mischfonds erst einmal wieder erwirtschaften muss. Derzeit sei es schon schwierig geworden, überhaupt die internen Fondskosten auszugleichen, sagt Wieser. Hinzu kommt in den meisten Fällen noch ein Ausgabeaufschlag von drei bis fünf Prozent, den die Banken berechnen. Fondsbanken wie die FIL Fondsbank oder Ebase und Online-Vermittler wie Fondsdiscount oder Fondssupermarkt verlangen die zusätzliche Gebühr dagegen nicht. Mit niedrigen Kosten allein lässt sich aber noch kein Geld verdienen. Denn oft laufen sogar die eher teuren Fonds gut. Die 15 größten Mischfonds in Deutschland haben der Analysefirma Morningstar zufolge in den vergangenen fünf Jahren eine durchschnittliche Rendite von etwa 4,3 Prozent pro Jahr nach Kosten erwirtschaftet, wobei der Spitzenreiter sogar 7,82 Prozent verbuchen konnte. Wie bei allen Fonds gilt auch hier: Die Rendite der Vergangenheit ist ein erster Hinweis, lässt aber nicht auf die künftige Kursentwicklung schließen. Fonds-Ranglisten helfen Anlegern, den Überblick zu behalten. Die Ratingagentur Scope vergibt ihre Bestnoten derzeit unter anderem an den "Deutsche Concept Kaldemorgen" von der Deutschen Bank, den "Allianz Strategy 50" oder den "Privat Fonds Kontrolliert" von Union Investment. Berühmt, aber zuletzt schwächelnd ist der "Multiple Opportunities" des Kölner Vermögensverwalters Flossbach von Storch. Rein auf Europa fokussierte Fonds dürften kaum noch Potenzial haben Die Anlagestrategien unterscheiden sich teilweise erheblich. Gemeinsam haben die genannten Fonds den globalen Fokus: Alle investieren weltweit in Aktien- und Anleihemärkte. Vermögensexperte Wieser empfiehlt Sparern erstens, auf Fonds mit einem solch breiten Anlagespektrum zu setzen. "Weltweit anlegende Fonds können gerade in Märkten oder Währungen wie Asien oder dem Dollarbereich noch vernünftige Renditen erzielen", sagt er. Rein auf Europa fokussierte Fonds dürften kaum noch Potenzial haben. Bei einem weltweiten Fokus sei es entscheidend, wie der Fondsmanager arbeite: Steckt echtes Teamwork dahinter, oder trifft der Manager viele Entscheidungen allein? Es ist ein klassisches Problem der Geldanlage in Fonds: Man vertraut sein Geld einem Fondsmanager an, von dem man nicht genau weiß, wie er arbeitet - und der das Sicherheitsversprechen seines Produktes vielleicht bald nicht mehr einlösen kann. Anlegern muss bewusst sein, dass sie mit einem Mischfonds immer einen Kompromiss eingehen. Sie verzichten auf Risiken, aber auch auf Chancen am Aktienmarkt und zahlen Gebühren für die Bequemlichkeit, kein eigenes Depot zusammenstellen zu müssen. Beim nächsten Verkaufsgespräch in der Bank sollten Kunden genau hinschauen, was ihnen warum empfohlen wird - und bedenken: Ein Mischfonds ist noch keine Absicherung. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geldwerkstatt-zweifel-an-mischfonds-1.3729020 | mlsum-de-726 |
Die 2016 eingeführte EU-Richtlinie verändert die Arbeit des Berufsstandes - vor allem bei Versicherern. Das könnte die Prüfer Mandate kosten. | Sie gelten als diskret, öffentlichkeitsscheu und hoch professionell. Die auf Versicherungsgesellschaften spezialisierten Wirtschaftsprüfer haben in der Branche einen guten Ruf. Nicht umsonst werden immer wieder leitende Mitarbeiter der Prüfungsgesellschaften abgeworben, viele machen Karriere bis in die Vorstände der Versicherer. Doch seit zwei Jahren gibt es erhebliche Unruhe in der Branche. Grund ist die seit 2016 geltende EU-Richtlinie, nach der börsennotierte und bestimmte andere Unternehmen - dazu gehören auch Versicherer - ihre Wirtschaftsprüfungsfirmen alle zehn Jahre wechseln müssen. Zwischen dem Wechsel und der erneuten Beauftragung der einstigen Prüfer müssen mindestens vier Jahre liegen. Diese externe Rotation führte die EU zusätzlich zur bereits bestehenden internen Rotation ein. Schon länger müssen die prüfenden Personen alle sieben Jahre wechseln, auch wenn das Prüfungsunternehmen dasselbe bleibt. In der Versicherungswirtschaft sind die Auswirkungen besonders drastisch. Denn dort hatte bisher der Marktführer KPMG einen Marktanteil bei der Prüfung deutscher Versicherer vonrund 70 Prozent. Das Unternehmen bestätigt diese Zahl nicht ausdrücklich, dementiert sie aber auch nicht. Rivale PwC dürfte bislang auf knapp 20 Prozent kommen, den Rest teilen sich kleinere Anbieter wie EY, Deloitte und Mazars (Susat). Die Folge der EU-Richtlinie: KPMG muss eine erhebliche Anzahl an Mandaten abgeben. Darunter sind Prestigemandate wie das der Allianz, die seit 1890 von KPMG und den Vorläuferorganisationen geprüft wird. Jetzt hat das Unternehmen PwC als Abschlussprüfer bestellt. Auch die HUK-Coburg hat sich für PwC entschieden. Dass Versicherer den zweitgrößten Anbieter auswählen, hat gute Gründe: Für die Prüfung eines so komplexen Unternehmens müssen Wirtschaftsprüfer vergleichsweise große Teams aus Profis mit entsprechendem Know-how einsetzen können. Dabei geht es um erhebliche Summen für die Mandate. KPMG hat einen Jahresumsatz aus der Assekuranz von knapp über 100 Millionen Euro. Rund die Hälfte davon kam bisher aus der Beratung, die alle Wirtschaftsprüfer anbieten, die andere Hälfte aus Prüfungen. Die Erwartung bei KPMG: 20 Millionen bis 25 Millionen Euro werden davon wegen der neuen Rechtslage in den kommenden Jahren wegfallen. Das Unternehmen versucht, das durch Beratungsmandate auszugleichen. Das könnte gelingen, denn die EU-Richtlinie hat auch die Regeln für das Zusammenspiel von Prüfung und Beratung verändert. Wer künftig Versicherer prüft, darf sie nicht mehr so einfach beraten. Bislang war das möglich, es mussten nur die Geschäftsbereiche klar getrennt sein. Künftig ist die Beratung durch dieselbe Gesellschaft kaum noch erlaubt - und der Beratungsmarkt wächst kräftig. Das sind neue Chancen für KPMG. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirtschaftspruefer-angst-vor-auftragsflaute-1.3941291 | mlsum-de-727 |
In Bremen übernimmt der Stürmer vor dem Duell gegen den Ex-Klub immer mehr Verantwortung. Beim VfL Wolfsburg galt er als Störfaktor - nur zu einem Spieler hat er noch Kontakt. | Es ist erst gut sechs Monate her, dass Max Kruse, 28, die psychologische Hilfe, die ihm der damalige Wolfsburger Manager Klaus Allofs angeboten hatte, in den Wind schlug und die Flucht aus der Autostadt ergriff. Innerhalb eines Jahres war sein Marktwert von zwölf Millionen Euro, die der VfL Wolfsburg 2015 als Ablöse noch an Borussia Mönchengladbach bezahlt hatte, auf 7,5 Millionen Euro geschrumpft. Das war die Summe, die der neue Werder-Geschäftsführer Frank Baumann im August 2016 aushandelte in den Gesprächen mit seinen alten Bremer Freunden Allofs (13 Jahre Werder-Manager) und dessen Assistenten Olaf Rebbe (acht Jahre in verschiedenen Tätigkeiten bei Werder). Inzwischen ist Rebbe bekanntlich der Nachfolger von Allofs geworden. Er gucke nur nach vorn, sagt Max Kruse. Und schweigt zum VfL Es waren ja auch in wenigen Monaten eine Menge unerfreulicher Dinge passiert in der Karriere des bei Werder ausgebildeten Kruse. Er hatte in einem Taxi 75 000 Euro liegen lassen, was nicht gerade auf sorgsamen Umgang mit Geld schließen ließ. Er hatte Ärger mit einer Bild-Fotografin, die ihn nachts um zwei Uhr bei seiner Geburtstagsfeier in Berlin ablichtete; und im Internet tauchte auch noch ein intimes Video auf. Am Ende dieser Fettnäpfchen-Farce warf Bundestrainer Joachim Löw den 14-maligen Nationalspieler aus dem Kader. Und für Kruse stand fest, er bräuchte einen Neubeginn, bei dem "das Geld nicht an erster Stelle" stehen sollte, sondern der Wohlfühlfaktor. Und da dachte er trotz anderer Angebote an seine erste Profistation: Bremen. An diesem Freitag taucht Kruse erstmals wieder in Wolfsburg auf. Es steht ein Abstiegskampf-Nordderby zwischen dem VfL und Werder an. Denn auch die Wolfsburger sind inzwischen vom Champions-League-Teilnehmer zu einem Klub geworden, zu dem die auf Relegationsplatz 16 liegenden Bremer mit einem Sieg aufschließen können. Und die Hoffnung der Hansestädter heißt - Max Kruse. Anders als in Wolfsburg, wo man den Offensivspieler trotz seiner Qualitäten als Störfaktor empfand, sieht man ihn in Bremen auch mit seinen Eigenwilligkeiten als absolute Führungskraft. Er habe nach seiner dreimonatigen Verletzungspause im Herbst "unsere Qualität deutlich erhöht", lobt Manager Baumann. Trainer Alexander Nouri hält ihn sogar außerhalb des Spielfeldes für eine Führungspersönlichkeit, hebt aber besonders hervor: "Max hat für uns diesen besonderen Mehrwert, sich auf dem Platz in viele Dinge reindenken zu können." Und Kruse selber sagt bezüglich des Ausfalls von Kapitän Clemens Fritz und des neuen Spielgestalters Thomas Delaney in Wolfsburg: "Das müssen eben andere auffangen, und ich gehöre dazu." Nur über seine Wolfsburger Vergangenheit sagt Kruse nichts. Er gucke immer nur nach vorn, sagt er. Interviews, in denen die Vergangenheit zur Sprache kommen soll, lehnen er und sein Management ab. Zur anstehenden Partie sagt er so gleichgültig wie möglich: "Gegen einen Ex-Verein zu spielen, ist immer etwas Besonderes. Aber in erster Linie geht es darum, drei Punkte zu holen." Und was die Verbindungen zu seinem ehemaligen Klub angeht, fällt ihm bloß ein: "Der Kontakt zu Yannick Gerhardt ist weiterhin vorhanden." Das ist ein Kollege, der erst im Juli aus Köln nach Wolfsburg wechselte und mit ihm nur die Saisonvorbereitung absolvierte. Vielleicht hätte Kruse erwähnen können, dass die Begegnung in der Champions League mit Real Madrid (der VfL scheiterte im Viertelfinale nur knapp) ein Highlight seiner 13 Monate in Wolfsburg gewesen sei. Aber das ist öffentlich ebenso wenig ein Inhalt wie die Tatsache, dass er zwei seiner sechs Ligatore für den VfL vergangene Saison beim 6:0 gegen Werder schoss. Sollte Wolfsburg verlieren, dürfte der Trainer gefährdet sein Dass man trotz der sportlichen Rivalität noch befreundet sein kann, zeigt hingegen das Verhältnis von Frank Baumann zum Wolfsburger Trainer Valérien Ismaël. Die beiden gewannen als Profis 2004 zusammen das Double, was noch auf mehreren großformatigen Fotos in der Geschäftsstelle zu bestaunen ist. Da ist auch das Motiv dabei, wie Ismaël die Meisterschale in die Höhe reckt. Baumann droht spaßeshalber: "Wenn Valérien gewinnt, müssen wir uns ernsthaft überlegen, ob die Bilder hängen bleiben." Bei einer Niederlage des Franzosen könnte dagegen eine Freundschaft zerbrechen, nämlich die zu seinem Sportdirektor. "Ich weiß, was zu tun ist. Wir werden alle Möglichkeiten, die wir haben, voll ausschöpfen", sagt der frühere Bremer Rebbe. Diese Äußerung lässt viel Spielraum bis hin zur Trennung vom Coach. Denn auch Olaf Rebbe glaubt: "Am Ende zählen nur die Ergebnisse." | https://www.sueddeutsche.de/sport/bundesliga-kellerduell-fuehrungskraft-max-kruse-1.3393048 | mlsum-de-728 |
Die tödlichen Schüsse auf Israels Premierminister Jitzchak Rabin vor 20 Jahren stürzten Israels hoffnungsfrohe Linke in eine lange Depression. Der Jahrestag gerät nun zum nationalen Großereignis. | Drei Schüsse sind es gewesen. Jitzchak Rabin kommt die Treppe herunter nach einer viel umjubelten Rede auf dem Tel Aviver "Platz der Könige Israels", die Leibwächter geleiten ihn zum Auto, die letzen Bilder zeigen ihn beschwingt und winkend. Seit 20 Jahren lebt Israel im Konjunktiv Dann feuert der Attentäter jene drei Schüsse ab aus einer Pistole, es ist eine Beretta 84F, Rabin sinkt zu Boden. Jigal Amir, ein 25 Jahre alter jüdischer Jura-Student, hat den Premierminister erschossen. Es ist der 4. November 1995 - und seitdem lebt Israel im Konjunktiv: Was wäre gewesen, wenn . . . Dass mit dem 73-jährigen Rabin die Hoffnung auf den Frieden begraben wurde, ist eine Weisheit, die bis heute in viele Gedenksteine gemeißelt wurde. Sein Tod gilt als eines jener singulären Ereignisse, die den Lauf der Geschichte verändert haben. Zum 20. Jahrestag gedenkt das ganze Land, und deutlich wird dabei zweierlei: dass es einen wie ihn nicht mehr gegeben hat. Und dass die Wunden dieser Tat bis heute nicht verheilt sind. Ein Held war Rabin ja auf vielen Feldern: Von der Staatsgründung 1948 an hatte er in allen Kriegen gekämpft, im Sechstagekrieg von 1967 stand er als Generalstabschef der Armee vor und marschierte vorneweg an der Seite von Verteidigungsminister Mosche Dajan in die eroberte Jerusalemer Altstadt ein. In der ersten Intifada Ende der Achtzigerjahre drohte er als Verteidigungsminister den palästinensischen Steinewerfern noch, "ihre Hände und Beine zu brechen". Doch 1993 unterzeichnete er zusammen mit Jassir Arafat die Friedensverträge von Oslo, die den Weg zur Zwei-Staaten-Lösung vorzeichneten. Die Welt ehrte ihn zusammen mit Arafat und Schimon Peres mit dem Friedensnobelpreis, seinem Volk verhieß er noch in seiner letzten Rede, unmittelbar vor den drei Schüssen, eine bessere Zukunft: "Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch das als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war." Rabin ist allgegenwärtig, seine Politik aber auf dem Abstellgleis Wer sich heute auf die Suche macht nach seinem Vermächtnis in einem Land, das gemeinhin im Schatten der Vergangenheit immer nur nach vorne stürmt, der findet Rabin überall. Eine Autobahn ist nach ihm benannt, keine Stadt blieb ohne Rabin-Straße, und natürlich trägt auch der Tel Aviver Platz , auf dem der Mord geschah, heute seinen Namen. Allein in Tel Aviv finden derzeit drei Fotoausstellungen über sein Leben, sein Werk und seinen Tod statt. Und natürlich gibt es auch noch das "Rabin Center" im Norden von Tel Aviv, in dem seine Tochter Dalia das Erbe verwaltet. Der wuchtige Museumsbau gleicht in diesen Tagen einem Taubenschlag. Alte und Junge, Soldaten und Schüler pilgern hierher zum Schwelgen und Schaudern. Die Vergangenheit wird am Leben gehalten in 180 Dokumentarfilmen, 1500 Bildern und Hunderten von Andenken bis hin zu seinen geliebten Time-100-Zigaretten. So ist Jitzchak Rabin zum ubiquitären Säulen- und Posterheiligen des Friedens veredelt worden - doch seine Politik ist auf dem Abstellgleis gelandet. Seine einst ruhmreiche Arbeitspartei hat die Orientierung verloren und darbt in der Opposition, seine Osloer Verträge werden höchstens noch im Zusammenhang mit Schimpftiraden zitiert. Bei der jüngsten Vollversammlung der Vereinten Nationen hat sie Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas de facto aufgekündigt - und damit höchstens noch ein Schulterzucken ausgelöst nach zwei Jahrzehnten der Stagnation. Beim offiziellen Staatsakt zum 20. Todestag, der nach dem jüdischen Kalender schon in dieser Woche begangen wurde, schwang sich sogar Premierminister Benjamin Netanjahu auf, Rabin für dessen Politik der eisernen Faust gegenüber den Palästinensern in Dienst zu stellen. "Wir müssen heute den Terrorismus so bekämpfen wie es Rabin tat", sagte er. Der Rest war Schweigen. Schließlich war es Netanjahu, der 1995 als Oppositionsführer an der Spitze des Kampfes gegen Oslo und die Friedenspolitik gestanden hatte, in dem Rabin von jüdischen Extremisten als Verräter geschmäht, auf Fotomontagen in SS-Uniform gezeigt und mit dem Tod bedroht wurde. Rabins Witwe Leah hatte Netanjahu deshalb am Grab den Handschlag verweigert, und auf einer der zahlreichen Gedenkfeiern klagte in diesen Tagen Adi Eldar, Bürgermeister der Kleinstadt Carmiel und ein Gefolgsmann des Ermordeten, dass nun die "Partner des Attentäters" das Land regierten. "Es gab einen Idioten, der es ausgeführt hat", sagte er. "Aber man muss sich immer daran erinnern, dass es neben dem Finger, der den Abzug gedrückt hat, noch viele andere Finger gibt, die heute in Israel an der Macht sind." Lebendig ist sein Erbe in den Nischen der Gesellschaft So tief also sind die Gräben, die diese Tat gerissen hat, Rabins Erbe steckt zwischen Verklärung und Vorwürfen. Lebendig ist es vor allem noch in den Nischen der Gesellschaft, bei den alt gewordenen Friedensaktivisten und auch bei ein paar jungen Leuten wie Aja Zohar. 26 Jahre ist sie alt. "Als ich klein war, haben meine Eltern gedacht, dass ich später nicht mehr zur Armee muss, weil es dann Frieden gibt", sagt sie. Doch natürlich hat auch sie noch gedient für zwei Jahre, wie alle jungen Frauen. Für Männer dauert der Armeedienst gar drei Jahre. Mit Freunden von der "Jugendorganisation für Arbeiter und Studenten" hat sie zum 20. Todestag landesweit 30 Zelte aufgebaut, eines steht auch auf dem Tel Aviver Rabin-Platz. Hier wird Theater gespielt und debattiert über die Vergangenheit, die Aja Zohar als "Warnzeichen" sieht für Israels Gesellschaft. "Der Mord an Rabin zeigt, dass aus Worten Taten werden können", sagt sie - und verweist auf eine jüngste Umfrage, wonach 70 Prozent der Israelis glauben, dass auch heute wieder ein politischer Mord aus den eigenen Reihen möglich sei. Präsident Rivlin sagt, dass eher seine "Hand verdorren" solle, als dass er den Mörder begnadigt So wie einst Rabin wird heute Präsident Reuven Rivlin als Verräter geschmäht, wenn er einen friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern anmahnt - dabei gehört der Likud-Politiker eigentlich selbst zum rechten Lager. Sogar der Attentäter Jigal Amir, der eine lebenslange Haftstrafe absitzt, gilt manchen noch als Held. Fans des Jerusalemer Fußballklubs Beitar skandierten vor wenigen Tagen seinen Namen bei einem Auswärtsspiel in Tel Aviv, im Internet kursieren wüste Verschwörungstheorien. Als Rivlin in dieser Woche klarstellte, dass eher seine "rechte Hand verdorren" solle, als dass er eine Begnadigung des Mörders unterzeichnen würde, bekam er per Facebook Antwort von Hagai Amir, dem Bruder des Attentäters. Den Mord an Rabin nannte er darin als "vorherbestimmt von Gott", und Gott würde auch dafür sorgen, dass "Rivlin aus der Welt verschwindet". An diesem Samstag soll in Tel Aviv noch einmal Flagge gezeigt werden gegen solchen Hass und solche Hetze. Bei einer Großdemonstration auf dem Rabin-Platz werden Rivlin reden und der frühere US-Präsident Bill Clinton, der damals Pate stand im Friedensprozess. Auch Aja Zohar wird da sein, die jungen Aktivistin mit dem Zelt. Sie weiß, dass viele in Israel nach Rabins Tod den Glauben an den Frieden verloren haben, doch jetzt hofft sie auf großen Zulauf, auf einen neuen Aufbruch. "Ich vertraue nicht auf die israelische Regierung", sagt sie, "aber ich vertraue auf das israelische Volk." | https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-ins-herz-getroffen-1.2715709 | mlsum-de-729 |
Gabriele Pauli schafft es auf Sylt in die Stichwahl fürs Bürgermeisteramt. Die bayerische Politikerin und die friesische Promi-Insel - kann das gutgehen? Immerhin bringt die Ex-Landrätin mehrere wichtige Kompetenzen mit. | Am Morgen nach der Wahl klingt Bürgermeisterkandidat Lars Schmidt etwas matt, was einerseits mit dem Schnupfen zu tun hat, den er sich in diesen lauen Dezembertagen auf Sylt geholt hat. Vor allem aber hat es damit zu tun, dass er sich zum Schnupfen auch noch eine heftige Niederlage im Kampf um den höchsten Verwaltungsposten im Westerländer Rathaus eingefangen hat. Nur 5,5 Prozent der Stimmen hat er bekommen für seine kantigen Gedanken, mit denen er als gebürtiger, parteiloser Sylter gegen den Ausverkauf der Insel kämpfte. Er hatte keine Chance gegen die charmanteren Wahlgewinner, die frühere Fürther Landrätin Gabriele Pauli (30,6 Prozent) und den Kronshagener Bauamtsleiter Nikolas Häckel (27,0). Und auch wenn die beiden erst am 11. Januar zur Stichwahl antreten - die Hoffnung, dass demnächst ein Einheimischer die Probleme der Sylter anpacken kann, sieht er in Scherben. Wenn es um die Nachfolge der scheidenden Petra Reiber geht, die 1991 aus Frankfurt am Main ins Amt kam, führt an Frau Pauli aus seiner Sicht kein Weg mehr vorbei. "Die wird am Ende auch gewinnen", sagt Schmidt. Vorsicht vor Klischees Gabriele Pauli und Sylt. Die bayerische Populär-Politikerin und die norddeutsche Prominenten-Ferieninsel. Das dürfte nun also doch eine längere Geschichte werden, und man muss aufpassen, dass man sich dabei nicht in Klischees verfängt. Das geht bei Gabriele Pauli nämlich ganz schnell, weil das Medienland sie in erster Linie unter dem Schlagwort "CSU-Rebellin" sowie wegen einschlägiger Fotostrecken in Erinnerung behalten hat. In Wirklichkeit hat sie ein paar Facetten mehr - und zwar auch welche, aus denen man schließen darf, dass Sylt nicht umgehend unterginge, sollte Gabriele Pauli tatsächlich ins Rathaus von Westerland einziehen. Die CSU-Rebellin Gabriele Pauli, 57, setzte bei ihrer Kandidatur auf ihre unbestreitbare Sachkompetenz als Kommunalpolitikerin - immerhin war die promovierte Politologin 18 Jahre lang Landrätin für die CSU in Fürth. Bundesweit bekannt geworden war sie allerdings als "CSU-Rebellin". Im Jahr 2006 stellte sie sich öffentlich gegen CSU-Chef Edmund Stoiber - und beschleunigte so das Ende von Stoibers immerhin 14 Jahre währenden Amtszeit als Ministerpräsident in Bayern. Nach einer gescheiterten Kandidatur als CSU-Vorsitzende ("Ich will durchstarten") ging Pauli zu den Freien Wählern, zog für sie in den bayerischen Landtag ein und in den Europawahlkampf - und überwarf sich mit ihnen. Bis 2013 blieb sie als fraktionslose Abgeordnete Mitglied des Landtags in München. Ihrer 2009 von ihr selbst gegründeten Partei, der Freien Union, war kein Erfolg beschieden. Seit 2010 ist Pauli parteilos. SZ Von 1990 an war sie Landrätin, 18 Jahre lang, diese Erfahrung spricht für sie. Belastbar ist die 57-Jährige auch. Wer als meinungsfeste Frau dem Gegenwind der CSU-Männergesellschaft standgehalten hat wie sie, als sie vor Jahren gegen den damaligen Parteichef und Ministerpräsidenten Edmund Stoiber aufbegehrte, muss über stählerne Nerven verfügen. Wenn man mit ihr über Sylt spricht, erlebt man eine Zugezogene, die sich wirklich befasst hat mit den Problemen der Insel im Spannungsfeld von Viel-Sterne-Tourismus, Platznot für Einheimische und Abwanderung aufs Festland. Selbst Lars Schmidt findet sie in dieser Hinsicht überzeugender als Nikolas Häckel, der auf Sylt geboren ist. Schmidt sagt: "Die Frau Pauli hat sich in der kurzen Zeit mehr mit den Inselthemen beschäftigt." Gesicht oder 10-Punkte-Programm? Kompetenz von außen kann hilfreich sein für eine Insel, die den Spagat schaffen muss zwischen modernem Fremdenverkehr und lokaler Identität. Die Idee für ihre Kandidatur als Parteilose kam aus Sylt, der Koch Rainer Zerwas hat sich längst dazu bekannt. Und doch fragt man sich, was genau die Sylter eigentlich wählen, wenn sie Pauli wählen. Ein Gesicht? Eine Medienfigur? Oder doch dieses Zehn-Punkte-Programm, nach dem Pauli mehr Wohnraum schaffen und eine Stiftung für eine neue Geburtenstation anschieben will? Gabriele Pauli hat in ihrem Wahlkampf auch wieder eine ihrer berüchtigten Ideen eingebracht, bei denen man nie so genau weiß, ob sie ernst gemeint oder ein Scherz sind. Sie wolle einheimischen Eltern für jedes Neugeborene ein "Babywillkommensgeld" von 5000 Euro auszahlen, kündigte sie an. Das brachte sicher Sympathiepunkte, zielte allerdings auch an ihren Gestaltungsmöglichkeiten vorbei. In Schleswig-Holstein tickt die Kommunalpolitik anders als in Bayern, wo Bürgermeister auf der Basis der Fraktionsmehrheit im lokalen Parlament regieren. Auf Sylt würde Gabriele Pauli als Bürgermeisterin eine Art Geschäftsführerposten bekleiden, sie wäre daran gebunden, was die ehrenamtlichen Fraktionsmitglieder mit Bürgervorsteher Peter Schnittgard (CDU) in der Gemeindevertretung entscheiden. "Wahlversprechen zu Dingen, die nicht vorhanden sind, von wem auch immer, sind Fragen, die von der Politik gewollt, beraten und beschlossen werden müssen", sagt Schnittgard. Im Klartext: Sie sind nichts wert. Trend "in Richtung Freizeitpark" Im Mediengewitter um Gabriele Pauli gehen solche Widersprüche unter. Auch Lars Schmidt muss zugeben, dass einer wie er oder der Sylter Rechtsfachwirt Bernd Reinartz (CDU, 17,9 Prozent) gegen den Promistatus einer Pauli keine Chance haben. "Das ist kostenlose PR", sagt er und sorgt sich weiter um seine Insel. Nur 53,5 Prozent der 12 824 Wahlberechtigten in der größten Sylter Gemeinde gaben am Sonntag ihre Stimme ab. "Große Resignation bei den Leuten", schließt Schmidt daraus und zählt wenig später auf, wer aus seinem Bekanntenkreis zuletzt wieder weggezogen ist. Die Frau Pauli findet er im Grunde gar nicht so schlecht. Trotzdem: Wegen ihres Profils als prominente Nicht-Sylterin beschleicht Lars Schmidt auch die leise Ahnung, dass sich der Trend der vergangenen Jahre auf seiner Insel mit ihr fortsetzen wird: "In Richtung Freizeitpark." | https://www.sueddeutsche.de/politik/gabriele-pauli-auf-sylt-sturmerprobt-1.2267994 | mlsum-de-730 |
In Wien rollt ein Untersuchungsausschuss die dubiose Razzia beim Verfassungsschutz auf. Mit dabei: ein Security-Mann, der erst jetzt als Vertrauter eines Holocaust-Leugners entlarvt wurde. | In Österreich sorgt eine besondere Personalie für Aufsehen. Es geht um einen Security-Mann namens K., der bis vor kurzem Dienst bei einem Untersuchungsausschuss verrichtete - und von der Tageszeitung Standard und vom Magazin profil als hart gesottener Rechtsextremist entlarvt wurde. K. ist Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma, deren Dienste das Parlament in Anspruch nimmt. Er gilt als Vertrauter von Gottfried Küssel, einem berüchtigten Neonazi, deutschnationalen Burschenschaftler und Holocaust-Leugner. K. hatte als Sicherheitsmitarbeiter die Möglichkeit, an heikle Daten zu gelangen, etwa an Privatadressen von Journalisten, die wegen ihrer Arbeit bedroht werden. Und er könnte auch an brisantes Geheimwissen gelangen. Denn dieses Parlamentsgremium rollt die dubiose Razzia auf, die sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Februar 2018 zugetragen hat. Inzwischen steht fest: Die Durchsuchungen waren unverhältnismäßig, die Vorwürfe windig, Suspendierungen von BVT-Mitarbeitern mussten rückgängig gemacht werden. Initiator der Aktion war das Innenministerium, das erst zwei Monate zuvor von der radikal rechten Partei FPÖ übernommen wurde. Die Razzia wurde von einem Beamten geleitet, der auch FPÖ-Lokalpolitiker ist, in sozialen Medien rechtsextreme Inhalte teilt und entsprechende Kontakte pflegt. Vertreter der deutschnationalen Burschenschaften bekleiden in der FPÖ entscheidende Positionen. Kennzeichnend für die Gruppierungen ist die Auffassung, dass Menschen mit Migrationshintergrund keine "echten" Deutschen seien, das Gleiche gilt für Juden. In Österreich zählen die deutschnationalen Burschenschaftler nur wenige Tausend Mitglieder. Security-Mann K. ist Teil dieses Milieus. Während er im Untersuchungsausschuss arbeitete, reiste er nach Sachsen, um an einem Neonazi-Event teilzunehmen. Fotos zeigen ihn mit einem T-Shirt, auf dem der Schriftzug "Alpen-Donau.Info" prangt, so hieß eine rechtsextreme Hetzplattform, wegen der Gottfried Küssel derzeit im Gefängnis sitzt. K. war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Die Nachricht von dem rechtsextremen Security-Mitarbeiter empört alle österreichischen Parlamentsfraktionen. Wer hat Schuld daran, dass der Mann nicht davon abgehalten wurde, seinen Job im Parlament anzutreten? Die Parlamentsverwaltung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und dem FPÖ-geführten Innenministerium schieben die Verantwortung hin und her. Aus der FPÖ ist zu hören: "Uns geht die Sache nichts an". Aus dem Innenministerium verlautet, das BVT habe den Mann nicht überprüft, weil die Parlamentsdirektion dies nicht beantragt habe. Die Landespolizeidirektion Wien habe allerdings eine Zulässigkeitsüberprüfung durchgeführt. Die Parlamentsdirektion wiederum reagierte verschnupft. Übrig bleibe, erklärte ein Sprecher, dass eine Sicherheitsbehörde nach einer Prüfung eine Zuverlässigkeit" bestätigt habe". Darauf, sagte der Sprecher der Nachrichtenagentur APA, habe sich das Parlament verlassen. Der Nationalratspräsident werde eine "Sonderpräsidiale" einberufen, das Gremium solle beraten, wie man solche Fälle in Zukunft verhindert kann. Aus Regierungskreisen verlautete auf Anfrage, dass der Fall momentan "mit hoher Priorität" beim Innenministerium liege. Das alles ist eine bemerkenswert schnelle Reaktion auf die Causa, die am Freitagabend hochkochte. "Besonderes Nähe-Verhältnis": Fotos zeigen Küssel bei Freigängen mit K. Mehrere Szene-Kenner beschrieben K. im Gespräch mit der SZ schon 2017 als eine Person, die ein "besonderes Nähe-Verhältnis" zum inhaftierten Küssel habe. Fotos zeigen Küssel bei Freigängen zusammen mit K. Über den jungen Burschenschaftler soll die Neonazi-Größe vom Gefängnis aus auch Kontakt gehalten haben zu alten und neuen rechtsextremen Gruppen. Küssel wollte sich damals auf Anfrage nicht äußern. Küssel kennt Personal aus der FPÖ gut und lange. Da ist etwa seine Bekannte aus Jugendtagen, die im Parlamentsclub der Regierungspartei arbeitet und früher als Sekretärin von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache fungierte. Die Frau rief Küssel sogar 2010 zu Hilfe, als ihr Mann bei einer Schlägerei verletzt wurde. Auch der heutige Vizekanzler Strache traf schon als junger Mann auf Küssel: Der Neonazi gründete in den Achtzigerjahren eine paramilitärische Truppe, die einen faschistischen Staat nach NS-Vorbild errichten wollte. Dazu veranstaltete er zwischen 1987 und 1992 Wehrsportübungen in Niederösterreich. Dorthin ist Strache mindestens einmal gefahren, als er noch Teil der Neonazi-Szene war. Im Januar 2019 endet Küssels Haftstrafe, dann ist er ein freier Mann. | https://www.sueddeutsche.de/politik/oesterreich-parlament-kuessel-rechtsextremist-wachmann-fpoe-bvt-1.4215649 | mlsum-de-731 |
Die Bewegung missbrauche den Ruf der DDR-Bürgerrechtler. Zugleich warnt er vor einer Überforderung Deutschlands durch die Aufnahme von Flüchtlingen. | Gauck bezeichnet "Wir sind das Volk"-Rufe durch Pegida als "Missbrauch" Bundespräsident Gauck sagt, er ärgere sich darüber, dass Teilnehmer von Pegida-Demonstrationen "Wir sind das Volk" riefen. Der Sächsischen Zeitung sagte der frühere DDR-Bürgerrechtler, er sei "ärgerlich, manchmal auch wütend" darüber und empfinde es als "eine Art Missbrauch", dass Pegida mit dem historischen Ruf der friedlichen Revolution in der DDR demonstriere. Mit dem Satz sei ein emanzipatorischer Anspruch verbunden, sagte Gauck. Nun werde er von Menschen verwendet, die sich vielfach demokratischer Beteiligung verweigert hätten und nun diffuse Ängste äußerten. "Sie machen sich aber nicht klar, dass es keine Verurteilung zur Ohnmacht gibt und dass Enthaltung auch Folgen hat." Skeptisch zeigte sich Gauck in der Frage, ob Pegida-Demonstranten noch mit Gesprächsangeboten zu erreichen sind. "Wer sich von Vorurteilen nicht lösen will, wer so gründlich und ausdauernd seinen Frust pflegt, dass er nicht mehr zuhört, den erreicht man auch mit noch so vielen Angeboten für Gespräche nicht." Politiker sollen sich Sorgen der Menschen annehmen Zugleich warnte Gauck vor einer Überforderung Deutschlands, wenn zu viele Flüchtlinge aufgenommen würden. Er "verstehe sehr gut, dass Menschen auch vor Armut nach Europa fliehen", sagte Gauck. "Aber alle aufnehmen zu wollen, die kommen, das wäre ein gewagter Kurs in Richtung der reinen Moral." Die Aufnahme sämtlicher Migranten "würde schlicht nicht funktionieren". "Auf eine Überforderung der Hilfsbereiten" würden "zu häufig Abwehr, Entsolidarisierung und Aggression folgen", sagte er. "Und es könnte eine bedrohliche Entwicklung verstärken, die wir schon jetzt beobachten - dass der rechte Rand an Zulauf gewinnt." Gauck sprach sich für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen aus. Es sei "richtig, dass wir darüber diskutieren, wie wir diesen Schutz verbessern können". Dies sei aber nur zu "akzeptieren, wenn wir Europäer auch Möglichkeiten des legalen Zugangs zu unserem Kontinent schaffen und wenn wir das fundamentale Recht auf Asyl nicht zur Disposition stellen". Politiker sollten sich der Sorgen der Menschen etwa in der Flüchtlingskrise annehmen und sie benennen. "Auch und gerade wir Repräsentanten des Staates und Politiker" seien dafür verantwortlich. Denn auch in der aufgeklärten Mitte der Gesellschaft wüchsen die Sorgen, ob und wie sich die Herausforderung bewältigen lasse. "Und da kann ich nur sagen: Ja, raus mit der Sprache! Benennt, was Euch bedrückt, überlasst das Sorgenpotenzial nicht dem rechten", sagte Gauck. | https://www.sueddeutsche.de/politik/bundespraesident-gauck-aergert-sich-ueber-wir-sind-das-volk-rufe-bei-pegida-1.2780068 | mlsum-de-732 |
Auf der ganzen Welt sitzen Menschen vor ihren Rechnern und aktualisieren im Kartendienst Open Street Map Daten zu Nepal. Für die Einsatzkräfte ist das eine große Hilfe. | 2222 Menschen sind derzeit damit beschäftigt, sich im Internet Karten von Städten in Nepal anzuschauen. Bei dem Erdbeben sind nach aktuellen Informationen 4485 Menschen ums Leben gekommen, nach Schätzungen der UN sollen insgesamt acht Millionen Menschen im Himalaya vom Erdbeben betroffen sein. Das Land benötigt Hilfe, sagte Ministerpräsident Sushil Koirala, zum Beispiel in Form von Zelten und Medikamenten. Die Unterstützer sorgen dafür, dass diese Hilfe die Betroffenen erreicht. Sie nutzen dafür Open Street Map, einen Kartendienst, vergleichbar mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Die Karte entsteht durch Eingaben von Nutzern, die sämtliche Gebiete kartieren; also eintragen, an welcher Stelle sich beispielsweise Häuser und Straßen befinden. Mitmachen kann jeder, der sich ein kostenloses Nutzerkonto anlegt. Open Street Map hat sich auf Krisensituationen spezialisiert. Hilfsorganisationen vor Ort entscheiden auch anhand dieser Karten, wie sie die Hilfsbedürftigen erreichen können. Der Dienst bekommt das Bildmaterial in hochauflösender Qualität, von Satelliten aufgenommen. Firmen wie Digital Globe stellen diese Bilder in Krisenfällen kostenlos zur Verfügung. Auf einer Sonderseite wird angezeigt, welche Gegenden kartiert werden müssen, sortiert nach Priorität. Dabei wird eine Gegend in zahlreiche Quadrate aufgeteilt. Ist das Quadrat grün, wurde es bereits kartiert und ebenfalls durch erfahrene Mitarbeiter geprüft. Ist das Quadrat gelb, steht die Prüfung noch aus. Transparente Quadrate müssen noch bearbeitet werden. "Grundsätzlich funktioniert es sehr gut" Bei International Search and Rescue (ISAR) greift man, zusammen mit anderen Kartendiensten, schon standardmäßig auf Open Street Map zurück. Die deutsche Hilfsorganisation hat momentan 52 Helfer in Nepal. "Etabliert hat sich das bei dem Einsatz in Haiti", berichtet der freiwillige Helfer Dominik Behet aus der Zentrale in Moers. Bei dem verheerenden Erdbeben 2010 waren mehr als 250 000 Menschen ums Leben gekommen. Zehn Tage lang suchten die Einsatzkräfte nach Verschütteten - und konnten auch deshalb schneller helfen, weil die Community zerstörte oder gesperrte Straßen markierte. "Wir verifizieren solche Infos dann auch mit Quellen vor Ort, aber grundsätzlich funktioniert es sehr gut", sagt Behet. Falls das Mobilfunknetz schlecht ist oder ausfällt, laden die Einsatzkräfte die Karten über Satelliten herunter. Auch das Deutsche Rote Kreuz greift auf sie zurück, vor allem in den Lagezentren, wo die Routen geplant werden, sagte ein Pressesprecher. Wie hochauflösend ist hochauflösend genug? 2014 hat das Rote Kreuz in den USA einen Zwischenbericht zur Nützlichkeit der Karten vorgelegt. Auf den Philippinen hat die Organisation 2013 mit Open Street Map zusammengearbeitet. Taifun Hayan hatte dort mehr als eine Million Häuser beschädigt, vier Millionen Menschen waren obdachlos. Die Freiwilligen sollten die betroffenen Gebäude als "komplett", "weitgehend" oder "teilweise zerstört" markieren. Das habe insgesamt gut geklappt - aber nicht in allen Fällen. Schuld war das Satellitenmaterial. So seien die Behausungen der Ärmsten - die besonders klein sind - auf dem Material nicht erkennbar gewesen. Das Rote Kreuz koordinierte die Bemühungen, indem es die Freiwilligen auf die besonders betroffenen Gebiete aufmerksam machte. Tacloban City zum Beispiel, die größte Stadt der Region, wurde intensiv bearbeitet, doch andernorts habe es Lücken gegeben. Dennoch: Mehr als 1700 Freiwillige haben damals mit etwa 4,5 Millionen Einträgen dabei geholfen, "eine reichhaltige Karte der Inselgruppe der Visayas" zu erstellen, sowie "einen stetig wachsenden Datenbestand über die zerstörten Behausungen", heißt es in dem Bericht. Das Rote Kreuz empfiehlt deshalb, das Kartensystem für den Katastrophenschutz zu nutzen und zu verbessern. Die Community müsse unterstützt werden, etwa mit hochwertigen Satellitenaufnahmen, Schulungen für die Kartierer und routinierten Gegenchecks der Einträge. Der Einsatz auf den Philippinen ist jetzt schon zwei Jahre her und Satellitenaufnahmen werden stetig besser. Alex Barth arbeitet für Mapbox, einen kommerziellen Kartendienst, der auf Open Street Map aufbaut. Momentan seien Mapbox-Mitarbeiter damit beschäftigt, Nutzereingaben aus dem Katastrophengebiet in Nepal zu überprüfen: "Es ist erstaunlich, wie viele Menschen helfen wollen und ihre Zeit investieren." Laut eigenen Angaben haben die 2222 Menschen knapp 250 000 Objekte in die Karten eingetragen - innerhalb von vier Tagen. Die überwiegende Mehrheit der Helfer sind Anfänger, durch das Prüfsystem versuche man, so akkurat möglich zu arbeiten. Auch die Helfer vor Ort würden die Karten aktualisieren. "Es ist erstaunlich, wie schnell Karten mit Open Street Map entstehen können", sagt Barth. In Haiti war die Zahl der Helfer noch deutlich niedriger - rund 500. | https://www.sueddeutsche.de/digital/erdbeben-im-himalaya-hilfe-fuer-nepal-per-mausklick-1.2458242 | mlsum-de-733 |
Volkswagen will mit dem indischen Autohersteller Tata Motors kooperieren. Das Ziel: ein supergünstiges Fahrzeug für Kunden in Schwellenländern. | VW-Chef Matthias Müller jongliert in diesen Tagen mit Vergangenheit und Zukunft. Die Vergangenheit, das ist die Dieselaffäre, die Volkswagen immer noch nicht ausgestanden hat. Am späten Freitagabend sollte in den USA ein "Monitor" bestimmt werden - also eine Art externer Aufpasser, der in den nächsten drei Jahren die Geschäfte des Konzerns überwacht. Ein Kindermädchen von den Behörden, wenn man so will. Das ist die Voraussetzung dafür, dass das Unternehmen von den Behörden in den USA nicht noch härter bestraft wird. Gleichzeitig versucht der Vorstandschef, VW bereit zu machen für die Zeit nach der Dieselaffäre. Am Freitag gab der Konzern bekannt, künftig mit dem indischen Autokonzern Tata Motors kooperieren zu wollen. Die Details sind noch nicht ausverhandelt, bisher haben beide Unternehmen lediglich eine Absichtserklärung unterschrieben. Es solle ausgelotet werden, welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit es gebe, hieß es. Konkret ist offenbar sowohl die Entwicklung von gemeinsamen Fahrzeugkomponenten bis hin zu gemeinsamen Autos denkbar. Zunächst vor allem für den indischen Markt, später sollen gemeinsame Projekte auch in anderen Ländern angeboten werden. Innerhalb des VW-Konzerns ist die Kooperation bei Škoda angesiedelt, also einer Marke, deren Käufer preisbewusster sind als etwa die Zielgruppe von VW oder Audi. Tata Motors ist in Europa als Muttergesellschaft der zugekauften Luxusmarken Jaguar und Land Rover bekannt. In Indien bietet der Kleinwagenspezialist unter anderem das Billigauto Nano an, das schon für 3000 Dollar zu haben ist. Mit der Partnerschaft wolle man Voraussetzungen schaffen, um in neuen, schnell wachsenden Märkten "kundenadäquate" Lösungen anbieten zu können, sagte Müller. Mit der strategischen Überlegung ist Volkswagen nicht allein: Auch viele andere Autohersteller kokettieren mit der Idee extrem günstiger Autos, die sie in Indien und anderen Schwellenländern in Asien und in Lateinamerika anbieten wollen. Renault etwa hat seit 2015 das supergünstige Modell Kwid in Indien auf dem Markt und verzeichnet damit große Erfolge, außerdem gehört die Günstig-Marke Dacia zum Konzern. Peugeot, GM und Toyota versuchen ebenfalls über Kooperationen in den Markt zu kommen. Für Volkswagen dagegen ist es nicht der erste Versuch, die indischen Käufer zu gewinnen. Vor einigen Jahren hatte sich das Unternehmen mit dem japanischen Autohersteller Suzuki zusammengetan, der mit der Marke Maruti in Indien erfolgreich ist. Die Allianz scheiterte jedoch: Suzuki fand de Wolfsburger zu dominant. In Indien leben 1,2 Milliarden Menschen, bislang ist die Zahl der Autos vergleichsweise gering. Viel Potenzial für die Autoindustrie also. Allerdings kosten zwei Drittel der in Indien verkauften Fahrzeuge weniger als 5000 Dollar. Wenn Unternehmen wie VW also vom Wachstum dort profitieren wollen, müssen sie ihr Angebot anpassen. Laut Prognosen sollen in Indien im Jahr 2025 etwa 4,7 Millionen Autos verkauft werden, das Land wäre dann der drittgrößte Markt der Welt - hinter China und den USA. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/volkswagen-die-lust-am-billigauto-1.3413825 | mlsum-de-734 |
In Hamburgs Bürgerschaft sitzen sechs verschiedene Parteien. Der Verwaltungsaufwand für ein zersplittertes Parlament ist enorm, die Opposition hat es schwer. | Der Sonderausschuss zum Hamburger G-20-Gipfel wird anstrengend, das ist Cansu Özdemir klar. Die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft hat viele Fragen, und sie weiß, dass diese Fragen anders sind als die der übrigen Oppositionsparteien, CDU, FDP und AfD. Die politischen Gegner der rot-grünen Regierung sind zu unterschiedlich, als dass sie sich auf eine Stoßrichtung bei der Aufarbeitung des G-20-Geschehens einigen könnten. Das hat Cansu Özdemir auch am 31. August wieder gespürt, als der Sonderausschuss sich nach einem Antrag von SPD, Grünen, CDU und FDP konstituierte. Die Linken brachten einen Zusatzantrag ein, auf dass der Ausschuss den Polizeieinsatz deutlicher zum Thema mache. Damit kamen sie nicht durch. Und daraus folgt nun für Cansu Özdemir, dass die Linke mit besonderer Hartnäckigkeit vorgehen muss, wenn der Ausschuss am 21. September und dann alle zwei bis drei Wochen zusammentritt: "Wir werden Sitzung für Sitzung um jede unserer Fragen kämpfen müssen", sagt sie. Eine zersplitterte Opposition ist nicht immer hilfreich Seit einer halben Legislaturperiode weist die Hamburgische Bürgerschaft nun schon sechs Fraktionen auf und eine Sitzverteilung, die es dort so noch nie gab. Sie erfährt damit, was bald auch im Bundestag Wirklichkeit sein könnte. Noch herrschen dort einigermaßen aufgeräumte Verhältnisse mit den Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD sowie einer Opposition aus Grünen und Linken. Aber die Wahl am 24. September könnte auch AfD und FDP in den Bundestag bringen und das Berliner Plenum markant verändern. Auch drei Wochen später bei der Niedersachsen-Wahl könnte aus einem Landtag mit zwei Lagern, mit Rot-Grün in der Regierung und Schwarz-Gelb in der Opposition, eine bunte Mischung mit AfD und Linken werden. Und wer wissen will, was das bedeutet, kann nach Hamburg schauen, wo der G-20-Gipfel vom Juli mit all seinen Begleiterscheinungen die Politik vor eine besondere Herausforderung gestellt hat. Eine zersplitterte Opposition gehört zu den Symptomen eines Sechser-Parlaments mit AfD und Linken - und die ist nicht immer hilfreich. Zur Aufarbeitung des G-20-Geschehens wäre ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, kurz PUA, im Grunde geeigneter gewesen als ein von der Regierung eingerichteter Sonderausschuss. Ein PUA gewährt Oppositionsparteien weitreichende Akteneinsicht, er ist ein schärferes Instrument zur Wahrheitsfindung. Allerdings braucht es für einen solchen PUA 25 Prozent der Abgeordneten-Stimmen (in Hamburg sind das 31) und einen einheitlichen Antrag. CDU und FDP hätten sich mit Linken und der AfD verständigen müssen. Aber die inhaltlichen Unterschiede sind riesig. In Gesprächen mit SPD und Grünen sondierten CDU und FDP dann die Kontrollmöglichkeiten des Sonderausschusses und waren zufrieden. Während die Linke weiterhin einen PUA bevorzugen würde und sich jetzt als eine Art Opposition in der Opposition fühlt. Eine nie gesehene Flut Kleiner Anfragen "Die Grünen waren früher ein verlässlicher Partner in der Oppositionsarbeit", sagt Cansu Özdemir. Jetzt sitzen die Grünen im Kabinett, und die AfD-Abgeordneten fallen mehr durch Facebook-Einträge auf als durch Mitarbeit in den Ausschüssen. Mit CDU und FDP zu streiten, ergibt für Cansu Özdemir Sinn. Bei den Erzkonservativen ist das anders: "Die AfD will auf eine Art und Weise über Themen sprechen, wie wir nicht über Themen sprechen wollen." Außerdem ist ihr nach diversen Tiraden des fraktionslosen AfD-Mannes Ludwig Flocken aufgefallen, dass der Ältestenrat mehr denn je gefordert ist. "Das hat eine andere Dimension als früher." Aber auch die Verwaltung spürt die neue Vielfalt. Jede Fraktion ringt nach Aufmerksamkeit für ihre Botschaften. Schriftliche Kleine Anfragen sind dafür ein gutes Mittel, weil die Antworten viel erzählen über Zu- und mögliche Missstände. Und so erreicht die Behörden seit Beginn dieser Legislaturperiode eine nie gesehene Flut solcher Anfragen. Jene der FDP-Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein vom 1. August mit dem Titel "Brennpunkt Santa Fu - Sicherheitsrisiko in Hamburg" war Anfrage Nummer 7056 und die 10 000. Drucksache seit der Bürgerschaftswahl im Februar 2015. Allein 2016 gab es 3327 Anfragen, das ist Rekord. Abgeordnete verursachen auch mal doppelte Arbeit Das Parlament lebt, Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) lobt das "große Engagement der 121 Abgeordneten aller sechs Fraktionen, die auch mit Themen aus ihren Stadtteilen die Hamburger Landespolitik beleben". Aber der Aufwand für die Behörden ist enorm, zum Beispiel in der Sozialbehörde. Die Antwort auf eine Anfrage zur Jugendberufsagentur zum Beispiel erfordert Absprachen mit fünf weiteren Stellen. In Urlaubszeiten fehlen manchmal die richtigen Fachleute. Und im Ringen um Aufmerksamkeit verursachen Abgeordnete auch mal doppelte Arbeit. Manche Referatsleiter beantworten in Ausschusssitzungen ausführlich Oppositionsfragen, um tags darauf eine Schriftliche Kleine Anfrage zum gleichen Thema auf dem Schreibtisch zu haben - von einem Abgeordneten, der bei der Sitzung fehlte. "Ärgerlich", sagt Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde, und hält sich mit Kritik trotzdem zurück. Der Wähler wollte es schließlich, dass so viele Parteien im Parlament sitzen. | https://www.sueddeutsche.de/politik/parlament-mit-sechs-fraktionen-zersplittert-1.3655782 | mlsum-de-735 |
"Tötet sie alle und beendet das Problem": Der neue Präsident der Philippinen führt den Anti-Drogen-Kampf mit fragwürdiger Härte. Juristen warnen vor ungezügelter Selbstjustiz. | Nach jeder Nacht, in der die Kugeln pfeifen, wird nun gezählt. Und täglich kommen weitere Tote auf die Liste. Seitdem der neue philippinische Präsident Rodrigo Duterte einen Feldzug gegen das Verbrechen ausgerufen hat, befolgen die Sicherheitskräfte offenbar konsequent seinen gnadenlosen Schießbefehl. Einwände von Rechtsexperten, die vor unkontrollierbaren Gewaltexzessen im asiatischen Inselstaat warnen, beeindrucken den Präsidenten und seine Anhänger nicht. "Tötet sie alle und beendet das Problem", tönte Dutete schon im Wahlkampf. Dieser Spruch hat ihm geholfen zu siegen. Und nun setzt er alles daran, seine Vollstrecker-Fantasien durchziehen. Dutertes Bilanz nach einem Monat im Präsidentenamt ist blutig, das zeigen Auswertungen der Polizeiberichte durch lokale Medien. Bei Schießereien und Razzien starben demnach seit Anfang Juli mehr als 400 Menschen, die vor allem dem Drogenmilieu zugerechnet werden. Während viele Philippiner darüber jubeln, verharren andere in Schreckstarre. Der Staatschef betont, dass er einen "Krieg" gegen die Drogenmafia führe. Und um ihn zu gewinnen, müsse er deren "Apparat auslöschen." Dass die Philippinen mit wachsenden Suchtproblemen und organisierter Kriminalität zu kämpfen haben, ist unbestritten. Doch die Methoden Dutertes provozieren nicht nur Beifall. Jene Philippiner, die noch auf die Gültigkeit von Gesetzen pochen, sind alarmiert: "Hier werden Menschenrechte brutal verletzt," warnt die prominente Anwältin Josalee Neidla. Täglich Berichte über Tote mit Verbindungen zum Drogenhandel Fast täglich sind Meldungen wie diese zu lesen: "Drei Männer wegen offenkundiger Verbindungen zum Drogenhandel getötet", berichtet der Philippine Enquirer Mittwochnacht von der Insel Luzon. Zwei Verdächtige traf es angeblich im Feuergefecht mit der Polizei, der dritte starb, als zwei unbekannte Männer von einem Motorrad aus feuerten. Das Opfer, der Dreirad-Taxi-Fahrer Renato Enricez, habe wohl auf einer Drogenüberwachungsliste gestanden. "Wir erfahren nicht, wer hinter solchen Tötungen steckt", sagt Juristin Neidla im Interview mit der SZ. "So ist es schwer zu sagen, ob die Killer im Auftrag der Polizei töten, ob sie andere Bosse haben oder eigenmächtig handeln, um Rechnungen zu begleichen." Neidla und andere Menschenrechtler wollen durchsetzen, dass die Gewalt unabhängig untersucht wird. "Es gibt Gesetze, die im Kampf gegen das Verbrechen zu befolgen sind." Die Polizei könne sich schwerlich selbst in dieser heiklen Sache überprüfen. "Der Eindruck drängst sich auf, dass viele der jüngsten Einsätze weniger darauf gerichtet sind, jemanden festzunehmen als ihn gleich vor Ort zu erschießen." Mit rechtsstaatlichen Verfahren habe das nichts zu tun. Und Neidla will wissen: "Wer prüft eigentlich, ob diese Leute tatsächlich schuldig sind"? Juristin Neidla warnt vor ungezügelter Selbstjustiz Wenn solche Entwicklungen weitergingen, befürchtet die Juristin das Schlimmste. Sie warnt vor ungezügelter Selbstjustiz und Vergeltungsmorden. "Irgendwann wird das kaum noch zu kontrollieren sein und dann ist der Staat nicht stärker geworden, sondern schwächer". Das Problem der Kriminalität wäre dann nicht beendet, wie Duterte verspricht, sondern würde neue Dimensionen annehmen. "Das Drogenproblem ist mit Kugeln nicht in den Griff zu bekommen". Zwar sei Strafverfolgung wichtig, doch erforderten die Suchtprobleme ein umfassendes politisches Paket, in dem auch Rehabilitationsprogramme für Betroffene aufgebaut werden. "Der philippinische Staat ist dafür nicht gerüstet", sagt Neidla. Das Drogenproblem betrachtet sie als Symptom einer sozialen Malaise, der mit staatlicher Gewalt alleine nicht beizukommen sei - schon gar nicht außerhalb der Gesetze. Staatschef Duterte setzt auf andere Botschaften. Gerade hat er ausgebreitet, dass eines der gefährlichsten Drogenkartelle Mexikos die Philippinen als Brückenkopf nutzte, um Märkte in den USA zu bedienen. Das schürt Angst, dass sich mexikanische Verhältnisse über den Pazifik hinweg ausbreiten könnten, dass Drogenbosse die Philippinen in einen weiteren Narco-Staat verwandeln, in dem Kartelle nicht mehr in den Griff zu bekommen sind. Solche Szenarien dienen Duterte als Munition für seine Kampagnen. Jetzt, im Angesicht der ausgemachten mexikanischen Bedrohung, setzt er erst recht auf Härte. Doch dieser Weg ist hochumstritten. "Es sieht nicht danach aus, als würden hier die großen Fische ausgeschaltet", klagt Anwältin Neidla. "Meistens trifft es die Kleinen, die ganz unten leben, in den Slums." | https://www.sueddeutsche.de/politik/rodrigo-duterte-auf-den-philippinen-machen-killerkommandos-jagd-auf-dealer-1.3107720 | mlsum-de-736 |
Zahlreiche Männer in der Türkei zeigen Bein. Nach dem Mord an der Studentin Özgecan Aslan protestieren sie damit gegen Gewalt an Frauen. | Mit dem Tragen eines Minirocks setzen sich Männer in der Türkei für Frauenrechte ein. "Trag' einen Minirock für Özgecan" (#ozgecanicinminietekgiy) heißt die Kampagne, der sich in den vergangenen Tagen Tausende angeschlossen haben. Am Wochenende schließlich gingen Männer in Istanbul auf die Straße. "Wir marschieren in unseren Miniröcken für alle Frauen". So lautete der Aufruf zu der Demonstration, der unter anderem über Facebook und Twitter verbreitet wurde. Es ist schon die zweite Internet-Kampagne nach dem brutalen Mord an der 20-jährigen Studentin Özgecan Aslan im südtürkischen Tarsus. Sie war von einem Minibusfahrer nach einem Vergewaltigungsversuch getötet worden. Der Hashtag #sendeanlat ("Erzähl auch du es") hat sich inzwischen zum türkischen #Aufschrei entwickelt. Unter diesem Stichwort twitterten vor allem türkische Frauen über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Nun waren die Männer an der Reihe, ein Zeichen zu setzen. Im Minirock. Das Kleidungsstück ist ins Zentrum des Protests gerückt, da von konservativen Kreisen Frauen vorgeworfen wird, dass sie durch Tragen aufreizender Kleidung für die Gewalttaten mitverantwortlich seien. Der Slogan der Kampagne lautet auf Facebook: "Wenn ein Minirock für alles verantwortlich ist, wenn das Tragen eines Minirocks unmoralisch sein soll und eine Frau damit eine Einladung sendet für jene Dinge, die geschehen sind, dann senden wir diese Einladung auch!" We need women and men for the change. Brave ones! #ozgecanicinminietekgiy pic.twitter.com/3j97nJGkZD — LES EMsfc FM (@DomandoAlLobo) 22. Februar 2015 Vergangenen Mittwoch tauchte der Hashtag #ozgecanicinminietekgiy zum ersten Mal auf - nicht in der Türkei sondern im benachbarten Aserbaidschan, wo die meisten Menschen Türkisch beherrschen. Von dort aus breitete er sich rasch aus und gewann auch in der Türkei viele Anhänger. Wie die BBC schreibt, sind nicht alle von der Kampagne überzeugt. "Was soll das bringen? Was für eine unpassende Aktion!" tweetete ein Mann Aserbaidschan und erklärte der BBC auf Nachfrage seine Skepsis. "Anstatt Frauen im echten Leben zu unterstützen, ganz praktisch, wird das Tragen eines Rocks oder einer Perücke keinerlei Wirkung haben", so der Mann. "In konservativen Gesellschaften wie in Aserbaidschan oder der Türkei wird diese Kampagne niemandem helfen. Vielleicht in Europa, aber nicht hier." Nichtsdestotrotz hat die Kampagne öffentliches Bewusstsein für das Problem der Gewalt gegen Frauen geschaffen. Zahlreiche Accounts großer türkischer Medienhäuser haben die Tweets aufgegriffen und weiterverbreitet. | https://www.sueddeutsche.de/panorama/proteste-nach-mord-an-oezgecan-aslan-wenn-istanbuls-maenner-minirock-tragen-1.2363378 | mlsum-de-737 |
Von der Bundesagentur für Arbeit geförderte Existenzgründer sind nicht nur vorübergehend selbständig, sondern oft noch 18 Monate nach Beginn der staatlichen Förderung. | Von der Bundesagentur für Arbeit geförderte Existenzgründer sind nicht nur vorübergehend selbständig. Knapp 90 Prozent derjenigen, die einen Gründungszuschuss erhielten, arbeiteten auch noch 18 Monate nach dem Beginn der Förderung auf eigene Rechnung. 7,5 Prozent der ehemals Geförderten wechselten ins Angestelltenlager und waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Weniger als 2,5 Prozent wurden arbeitslos. Dies geht aus einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Früher gab es einen Rechtsanspruch auf den Gründungszuschuss. Unter der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wurde seit Ende 2011 aus der Muss- jedoch eine Kann-Leistung. Gründungswillige müssen seitdem die Vermittler davon überzeugen, dass ihre Geschäftsidee auch wirklich Erfolg versprechend ist. Geld soll es außerdem nur geben, wenn eine Vermittlung in Arbeit oder eine Ausbildung nicht aussichtsreich erscheint. Die schwarz-gelbe Bundesregierung wollte so bei der Bundesagentur Geld einsparen und Mitnahmeeffekte bei Arbeitslosen reduzieren, die sich sowieso auch ohne Zuschuss selbständig gemacht hätten. Seitdem ist die Zahl der Geförderten stark von mehr als 130 000 auf etwa 20 000 zurückgegangen. Die Ausgaben für den Gründungszuschuss verringerten sich laut IAB von 1,7 Milliarden auf etwa 220 Millionen Euro im Jahr 2013. Ob die Rechtsänderungen der alten Regierung dazu beigetragen haben, dass Gründer länger selbständig bleiben, ist unklar: Vor der Reform waren etwa 80 Prozent der Geförderten nach 18 Monaten noch selbständig, also weniger als jetzt. Dass Gründungen nun länger Bestand haben, könnte auch auf die günstige konjunkturelle Lage zurückzuführen sein, so die IAB-Forscher. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/start-ups-gefoerderte-gruender-bleiben-lange-selbstaendig-1.2728475 | mlsum-de-738 |
Gegen den Ermittler in den Fällen Wulff und Edathy wird nun selbst ermittelt. Der Celler Generalstaatsanwalt Lüttig steht unter Verdacht, vertrauliche Informationen verraten zu haben. | Ermittlungsverfahren gegen Celler Generalstaatsanwalt Wegen Geheimnisverrats in den Fällen Wulff und Edathy hat die Staatsanwaltschaft Göttingen Ermittlungen gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig eingeleitet. Er soll in insgesamt acht Fällen in "strafbarer Weise" Dritte über Geheimnisse informiert haben, sagte Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) im Landtag in Hannover. Neben Lüttig stehe noch eine zweite Person im Fokus der Ermittlungen. Den Namen könne sie aus "ermittlungstaktischen Gründen jedoch nicht nennen", betonte Niewisch-Lennartz. Sieben Fälle beträfen die Weitergabe von geheimen Informationen aus dem Korruptionsverfahren gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Ein Fall bezöge sich auf das noch laufende Verfahren gegen den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. In beiden Fällen waren wiederholt interne Ermittlungsergebnisse bis hin zu kompletten Vernehmungsprotokollen und anderen brisanten Details über verschiedene Medien in die Öffentlichkeit gelangt. Lüttig war im fraglichen Zeitraum zunächst Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium unter Niewisch-Lennartz' Vorgänger Bernd Busemann (CDU) und übernahm dann 2012 etwa drei Monate nach Aufnahme der Ermittlungen gegen Wulff durch die Staatsanwaltschaft Hannover die Leitung der Generalstaatsanwaltschaft in Celle. Diese leitet die Ermittler in Hannover als direkt vorgesetzte Behörde. Lüttig war damit so etwas wie der Chefermittler sowohl im Fall Wulff als auch im späteren Verfahren gegen Edathy, das ebenfalls von der Staatsanwaltschaft in Hannover geführt wird. "Es gilt die Unschuldsvermutung" Bereits im Verlauf des Wulff-Prozesses hat es demnach interne Ermittlungen innerhalb der federführenden Staatsanwaltschaft Hannover gegeben, diese waren jedoch ohne Ergebnis eingestellt worden. Vor einigen Monaten hatte schließlich die Staatsanwaltschaft Göttingen zunächst ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Verletzungen von Dienstgeheimnissen in der Causa Wulff eingeleitet. Im Dezember wurden die Ermittlungen in gleicher Sache auf das Edathy-Verfahren ausgeweitet. "In diesem, wie in jedem anderen Ermittlungsverfahren gilt die Unschuldsvermutung - also auch hier", betonte Niewisch-Lennartz. "So schwer der Vorwurf auch heute auf den Schultern der Justiz lastet, so wichtig ist die vollständige und lückenlose Aufklärung der Vorwürfe." Der Prozess gegen Wulff endete bereits vor etwa einem Jahr mit einem Freispruch, der Prozess gegen Edathy beginnt am Montag am Landgericht Verden. Ihm wird vorgeworfen, verbotene Kinderpornos über das Internet heruntergeladen zu haben. | https://www.sueddeutsche.de/politik/mutmasslicher-geheimnisverrat-staatsanwalt-soll-interna-zu-wulff-und-edathy-weitergegeben-haben-1.2359820 | mlsum-de-739 |
Der scheidende Parlamentspräsident Schulz wendet sich in einem Brief an Ratspräsident Tusk - und droht mit drastischen Konsequenzen. | Das Europaparlament verlangt eine Mitsprache bei den Brexit-Verhandlungen mit der britischen Regierung. Das schreibt der scheidende Präsident Martin Schulz (SPD) im Namen der Fraktionschefs in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk. Die Parlamentarier hatten demnach zuvor vom Entwurf einer Erklärung erfahren, die die 27 EU-Staats- und Regierungschefs unter Ausschluss Großbritanniens nach dem EU-Gipfel am Donnerstag abgeben wollen. In dem Entwurf ist den Informationen zufolge für das Parlament lediglich eine "Nebenrolle" im Brexit-Prozess vorgesehen. Schulz äußerte sich in seinem Schreiben "enttäuscht" über den Entwurf und drohte zugleich mit Konsequenzen, sollte es dabei bleiben. "Das wäre der härteste Brexit" Zum einen werde er dann seine eigenen "Arrangements" zur "Interaktion" mit dem Verhandlungsführer der EU-Kommission, Michel Barnier, und der britischen Regierung treffen, erklärte der deutsche Sozialdemokrat. Zum anderen schließe er nicht aus, dass die Europaabgeordneten das Endergebnis der Brexit-Verhandlungen ablehnen könnten. Dies würde bedeuten, dass "de facto die EU-Verträge nach zwei Jahren einfach aufhören würden, auf Großbritannien anwendbar zu sein", folgerte Schulz. "Das wäre der härteste Brexit und zum Nachteil aller", warnte der EU-Parlamentspräsident. Der Austrittsprozess ist auf zwei Jahre angelegt, er beginnt aber erst, wenn London das Ausscheiden aus der EU nach Artikel 50 beantragt hat.Die 28 EU-Staats- und Regierungschefs kommen am Donnerstag zu ihrem letzten Gipfel in diesem Jahr zusammen, bei dem es um die Flüchtlingskrise und die Ukraine gehen wird. Nach Gipfelende tagen die EU-Staats- und Regierungschefs am Abend dann ohne Großbritannien, um sich über das Vorgehen beim EU-Austritt des Landes abzustimmen. | https://www.sueddeutsche.de/politik/europaeische-union-eu-parlament-verlangt-mitsprache-bei-brexit-verhandlungen-1.3295827 | mlsum-de-740 |
Franchise kann erfolgreich sein, wenn sich die Unternehmen ihre Partner genau ansehen. Denn der falsche kann den Ruf der ganzen Firma schädigen. | Bubble Tea war Kult im deutschen Sommer 2012. Vor allem junge Menschen waren ganz wild auf das aus Taiwan stammende süße, klebrige Getränk. Im Wochentakt eröffneten neue Läden. Marktführer Bobo Q dirigierte ein Netz von 100 Filialen - in Windeseile per Franchise aufgebaut. Dann machten Meldungen die Runde, der Konsum der bunten Perlen sei wenig gesund, und der Absturz der Anbieter begann. Bald war klar: Bubble-Tee war einer der kürzesten Trends im deutschen Einzelhandel. Die Umsätze schrumpften, viele Läden schlossen, und ihre Betreiber rutschten in die Insolvenz. Im Moment sind Frozen Yogurt und Waffeln gefragt. Wie lange dieser Hype währt, kann niemand sagen. Klar ist, dass die Trends im Gastronomiebereich immer schneller wechseln. Kaum entwickeln die Verbraucher eine neue Vorliebe, schießen neue Läden aus dem Boden. In der überwiegenden Zahl der Fälle werden sie im Franchise betrieben. Die Leiter der Filialen sind keine Angestellten, sondern selbständige Unternehmer. Sie betreiben den Standort auf eigene Rechnung. Konzept und Marke stellt ein Franchisegeber. Dafür zahlen die Existenzgründer eine Einstiegsgebühr meist in Höhe eines mittleren fünfstelligen Betrages und einen monatlichen Betrag, der sich am Umsatz orientiert. Ihre Hoffnung: mit einem bewährten Geschäftsmodell und einem starken Partner im Rücken sehr viel risikoloser Geld zu verdienen als mit einer eigenen Geschäftsidee. Für Unternehmen, die expandieren wollen, ist Franchise eine interessante Alternative zum klassischen Filialsystem. Sie müssen die Läden nicht alleine finanzieren und fallen nicht so tief, wenn es schiefgeht. Immer mehr Firmen nutzen deshalb das Franchise-System, um ihr Geschäftsmodell zu multiplizieren. Nach Angaben des Deutschen Franchise-Verbandes (DFV) gibt es derzeit etwa 950 Franchisegeber. Sie beschäftigen in mehr als 162 000 Partnerbetrieben gut 710 000 Mitarbeiter. Meist handelt es sich um Dienstleister, Händler oder Gastronomiebetriebe - allesamt Branchen, in denen die Insolvenzanfälligkeit nach Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform überdurchschnittlich hoch ist. Immer öfter versuchen aber auch Handwerksbetriebe und Immobilienanbieter, über Franchise zu wachsen. Insgesamt gehen in jedem Jahr etwa 150 neue Franchisesysteme an den Start. Im selben Zeitraum verschwindet etwa die gleiche Zahl vom Markt - weil sie insolvent sind oder weil Unternehmen entschieden haben, künftig mit eigenen Filialen statt mit Franchise zu wachsen. Auch unter den Anbietern gibt es schwarze Schafe Vor allem Händler und Systemgastronomen, die mehr als die Hälfte aller Franchisesysteme ausmachen, haben es schwer: Seit es den Mindestlohn gibt, müssen sie ihre Mitarbeiter meist höher bezahlen als früher. Das hat ihre ohnehin knappe Marge weiter gedrückt, zudem gehen die Besucherzahlen in Shoppingcentern und Einkaufsstraßen, wo sie mit ihren Läden vertreten sind, vielerorts zurück. Nach Schätzung des Branchenexperten Felix Peckert, der den Markt seit vielen Jahren beobachtet und Firmen berät, ermöglichen allenfalls 200 bis 250 Systeme Firmengründern auch langfristig eine sichere Existenz: weil sie ein ausgereiftes Konzept anbieten und weil sie ihre Partner gezielt unterstützen, wenn es mal nicht so gut läuft. Etwa, indem sie eine gezielte Beratung durchführen oder Innovationen anbieten. "Es gibt viele Anbieter, die nur die Gebühren kassieren und sich sonst wenig um ihre Franchisenehmer kümmern", sagt Peckert. Früher habe es oft lange gedauert, bis schwarze Schafe identifiziert worden seien. Heute gelinge dies dank der sozialen Netzwerke sehr viel schneller. "Oft genügt schon eine kurze Recherche per Facebook, Google oder Youtube." Auffällig ist, dass offenbar ein Zusammenhang zwischen der erforderlichen Investitionssumme eines potenziellen Partners und der Insolvenzanfälligkeit besteht: Systeme, bei denen Franchisenehmer weniger als 100 000 Euro mitbringen müssen (das sind nach Angaben des Branchendienstes "Forum Franchise und Systeme" etwa 70 Prozent aller Systeme), scheitern mit einer Wahrscheinlichkeit von 7,5 bis zehn Prozent. Bei Systemen mit höheren Investitionssummen beträgt die Ausfallquote nur fünf Prozent. Und dann gibt es nach Auskunft von Experte Peckert Systeme mit sehr hohem Einsatz wie McDonald's, "bei denen ein Franchisenehmer selbst schuld ist, wenn er scheitert". Ein Grund für diese Spreizung ist, dass sich erfolgreiche und etablierte Systeme potenzielle Partner genau anschauen. Sie interessieren sich nicht nur dafür, ob ein Bewerber das nötige Startkapital aufbringen kann. Sondern sie prüfen auch dessen kaufmännisches Know-how. Sie möchten wissen, ob er Führungserfahrung besitzt und ob er Spaß daran hat, sich in eine möglicherweise völlig neue Branche einzuarbeiten. Schließlich kann das Missmanagement eines einzelnen Partners schnell das ganze System in Verruf bringen. So ist es in der Gastronomie schon häufiger vorgekommen, dass ein Franchisenehmer gegen die Qualitätsvorschriften verstieß und damit neben seinem eigenen Laden auch die Marke schädigte. In Zeiten, in denen viele Firmen händeringend qualifizierte Mitarbeiter suchen, fällt es der Franchisewirtschaft besonders schwer, geeignete Partner zu finden. "Die Branche hat ein Imageproblem, weil viele Systeme in der Vergangenheit falsche Erwartungen geweckt haben", stellt Peckert fest. Seiner Meinung nach müsste die Franchisewirtschaft deutlich mehr investieren, um ihre Reputation zu verbessern und neue, kluge Köpfe für sich zu gewinnen. Hoffnung macht eine neue Klientel: Mitarbeiter aus dem mittleren Management, die von Konzernen gegen hohe Abfindungen aussortiert wurden und nun eine Existenzgründung prüfen. Für sie könnte Franchise eine Option sein. Gestandene Manager, die einen erheblichen finanziellen Einsatz leisten, dürften besonders kritisch hinterfragen, wie leistungs- und zukunftsfähig ein System ist. Und wie groß der Einsatz der Zentrale ist, wenn einmal wirtschaftliche Klippen zu umschiffen sind. Nicht selten kommt es zu Streitigkeiten zwischen Franchisegebern und Partnern, weil beide uneins sind, was die jeweils andere Seite zu leisten versprochen hat. Fachzeitschriften sind voll von entsprechenden Schilderungen. Und in den sozialen Netzwerken wettern enttäuschte Partner gegen Systeme, die viel kassiert und wenig geleistet haben. Es kommt vor, dass ein Franchisegeber die Vertriebsgebiete so eng schneidet, dass die Partner nicht auf die Beine kommen. Oder er verlängert einen Vertrag nicht, weil er einen gut laufenden Standort selbst betreiben will. Zentralen wiederum führen häufig Klage darüber, dass Partner Qualitätsvereinbarungen nicht beachten oder die erstbeste Gelegenheit nutzen, um aus dem Vertrag auszusteigen, die Geschäftsidee kopieren und einen eigenen Laden aufmachen. Bei Bubble Tea bestand dieses Risiko nicht. Als viele Franchisenehmer ihren Laden eröffneten, war der Trend bereits vorbei. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/franchise-unternehmen-das-system-1.3748757 | mlsum-de-741 |
Nimmt der DFB den Confed Cup in Russland überhaupt ernst? Teammanager Oliver Bierhoff sendet vor dem Turnierstart zwei klare Signale ans Publikum. | Die Pressekonferenz läuft gut 20 Minuten, da muss Oliver Bierhoff kurz etwas klarstellen. Ein britischer Journalist sagt, er, Bierhoff, habe ja eben Sandro Wagner mit Zlatan Ibrahimovic verglichen. Wie er das gemeint habe? Woraufhin der deutsche Teammanager Bierhoff entgegnete, er habe Wagner nicht mit Ibrahimovic verglichen, "ich habe nur gesagt, dass große Spieler oft kritisiert werden." Es ist eine seltsame Mission, die der Deutsche Fußball-Bund angetreten hat, da können schon mal Missverständnisse auftreten. Bierhoff weiß, dass das DFB-Team gegen den Verdacht anspielt, diesen Confed Cup in Russland nicht allzu ernst zu nehmen. Es gab ein paar Indizien dafür: Da waren die Nominierungen des Bundestrainers, der seinen wichtigsten Spielern einen terminfreien Sommer gönnte, der ohne gestandene Profis wie Toni Kroos, Mesut Özil oder Mats Hummels nach Russland reiste. Da war Russlands WM-Cheforganisator Alexej Sorokin, der sagte, "dem Fußball-Fan blutet das Herz, wenn der amtierende Weltmeister ohne seine Stars antritt". Und da waren all die Fragen auf der Pressekonferenz am Freitag, vorgetragen oft von internationalen Journalisten. Ob Deutschland eigentlich Favorit sei? Warum so viele junge Spieler im Kader stehen? Bierhoff war so gesehen als Diplomat zu dieser Pressekonferenz gekommen, er hatte eine Botschaft mitgebracht. Sie lautete, grob gesagt: Jetzt, wo das DFB-Team schon mal da ist in Russland, wollen sie halt das Beste draus machen. Trotz allem. Ein "sportlich enorm wichtiges Turnier" sei der Confed Cup, sagte Bierhoff also. Und: "Wir vertreten hier auch den deutschen Fußball. Das sind nicht nur 20 Weltmeisterspieler, sondern auch welche, die in der Zwischenzeit dazugekommen sind - und da möchten wir eine gute Figur abgeben." Natürlich sei man auch in den vergangenen Wochen "über den Termin nicht glücklicher geworden - ein Grund, warum der Bundestrainer den Stammspielern ihre Pause gönne. Aber, so sagte es Bierhoff, das Team begreife dieses Spiel auch als Chance. "Für jeden von uns ist das eine überragende Plattform" Es gehe darum, die Mannschaft zu entwickeln. Im Training spüre er den Konkurrenzkampf und dass sich die Spieler selbst anspornen. Sie könnten internationale Erfahrung sammeln, und auf lange Sicht sei dieser Ansatz erfolgreicher, als wenn der DFB mit seinem aktuell besten Personal angereist wäre. Und dann fügte Bierhoff noch diesen Satz an: dass sie hier seien, "um das Turnier zu gewinnen". Einer der vielen jungen Spieler ist Joshua Kimmich, auch er kam zur Pressekonferenz. Wobei: Beim Confed Cup gehört er fast schon zu den Erfahrenen in der deutschen Reisegruppe, er hat für den FC Bayern in der Champions League gespielt, bei Löw ist er als Rechtsverteidiger gesetzt. Er sprach über die Bedingungen vor Ort, den Trainingsplatz, der in einem "super Zustand" sei, und darüber, dass er zumindest ein paar Worte Russisch spreche ("aber nichts, was man auf der PK sagen sollte"). Aber es ging auch um seine Rolle in der Nationalelf und beim FC Bayern, wo er zuletzt unzufrieden war, weil Carlo Ancelotti ihn nicht oft genug aufgestellt habe. Ob er es seinem Trainer zeigen wolle, fragte also ein Journalist, und Kimmich antwortete: "Für jeden von uns ist das eine überragende Plattform, eine super Möglichkeit, sich zu zeigen." Und fügte an: "Wir bekommen mit jedem Training, mit jedem Spiel Sicherheit und können Automatismen umsetzen." Auch der Leverkusener Außenangreifer Julian Brandt hofft, "mich noch mehr in die Mannschaft reinzuspielen und einen guten, bleibenden Eindruck zu hinterlassen". Sein Stürmertrainer ist Miroslav Klose, DFB-Rekordtorschütze und bester in der WM-Torjägerliste. Er wisse, dass er "zu wenig Tore aus Torchancen" mache, sagte Brandt. Mit Klose habe er viel geredet über sein Stellungsspiel im Strafraum, "es ist wichtig, dass gerade ich Kontakt mit ihm habe". Das alles klang nach einem Lernerfolg. Am Montag (17 Uhr/ZDF) kann er dann gegen Australien erstmals zeigen, was Klose ihm beigebracht hat. | https://www.sueddeutsche.de/sport/dfb-team-beim-confed-cup-gekommen-um-zu-lernen-1.3547932 | mlsum-de-742 |
Einst hetzte die Grazer FPÖ-Abgeordnete Susanne Winter gegen Muslime und wurde dafür verurteilt. Nun sie lobt einen Facebook-Kommentar, der die Flüchtlingskrise als Werk von "Zionistischen Geld-Juden weltweit" sieht. | Susanne Winter lobt umstrittenen Facebook-Post Österreich hat einen neuen Antisemitismus-Skandal. Mal wieder geht es um die Freiheitliche Partei FPÖ. Mal wieder geht es um Susanne Winter. Die promovierte Juristin hetzte in der Vergangenheit gegen Muslime. Nun lobte Winter einen klar antisemitischen Kommentar bei Facebook. Auf ihrem Profil bei der Online-Plattform hatte die Grazerin einen Text verlinkt. Thema: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der den Investor George Soros und die Finanzindustrie für die Flüchtlingskrise verantwortlich macht. Soros stammt aus Ungarn, seine Vorfahren waren orthodoxe Juden. Der Kommentator "Oehlmann Hans-Jörg" schrieb unter Winters Eintrag in holprigem, fehlerhaftem Deutsch: "Die Zionistischen Geld - Juden Weltweit sind das Problem. Europa und Deutschland im speziellen bekommt nun von den Zionistischen Juden und speziell von den Reichen Zionistischen Juden in den USA die Quittung für Jahrhundertelange Judenverfolgung in Europa. Europa und im Besonderen Deutschland sollen nach dem Willen der zionistischen Juden als wirtschaftliche Konkurenz gegenüber den USA ein für alle mal ausgeschaltet werden". Der Beitrag enthält die unter Antisemiten übliche krude Verschwörungstheorie: Juden sind demnach Drahtzieher hinter allen Krisen und Kriegen, immer auf den Gewinn aus, Regierungen und Presse sind ferngesteuert. Die Versionen der Antisemiten variieren, allen gemeinsam ist, dass sie mächtige Juden hinter allem Schlechten in der Welt vermuten. So auch - wie im Kommentar auf Susanne Winters Facebookprofil ersichtlich - an der Flüchtlingskrise. "Schön, dass Sie mir die Worte aus dem Mund nehmen ;-)" Nationalratsabgeordnete Winter antwortete mit folgenden Worten: "Schön, dass Sie mir die Worte aus dem Mund nehmen ;-). Vieles darf ich nicht schreiben, daher freue ich mich um so mehr über mutige, unabhängige Menschen!" Über die sozialen Netzwerke verbreiteten sich die Tiraden, die Empörung wuchs. Bis die Kommentare gelöscht wurden, wurden unzählige Screenshots gemacht, die nun im Internet kursieren. Die österreichischen Grünen forderten Winter auf, als Abgeordnete des Bundesparlaments zurückzutreten. Die SPÖ pocht darauf, dass FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die Abgeordnete aus der Fraktion "entfernt". Der freiheitliche Generalsekretär Harald Vilimsky twitterte inzwischen, die "Causa Winter-Posting" werde geprüft. Auch die FPÖ selbst hat inzwischen reagiert. FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl erklärte, Winters Posting sei "genauso absolut inakzeptabel wie jener Eintrag, auf den sich die getätigte Zustimmung bezieht", und: "Bei einer Bestätigung der Vorwürfe wäre selbstverständlich der Ausschluss aus der FPÖ eine logische Konsequenz." | https://www.sueddeutsche.de/politik/oesterreich-fpoe-politikerin-zeigt-sympathien-fuer-antisemitismus-1.2718162 | mlsum-de-743 |
Spiegelbild einer Saison: Auch beim 3:2 gegen Hannover lässt Bayer 04 zu viele Chancen aus. Das kostet den Werksklub die Champions League. | Um 17.12 Uhr schien plötzlich alles möglich zu sein. Es gab Elfmeter für Bayer Leverkusen in dieser 83. Minute, und der, der ihn schießen sollte, wurde genau in diesem Moment zu seinem 403. und letzten Bundesligaspiel eingewechselt. Stefan Kießling, 34, war bereit, zur 4:0-Führung für Leverkusen einzuschießen und danach noch sieben plus vier Minuten lang zu versuchen, mit dem fünften Treffer die Qualifikation für die Champions League klarzumachen. Kießling stand am Elfmeterpunkt, doch der Schiedsrichter Guido Winkmann nahm den Elfmeter nach Videoansicht wieder zurück, und damit war auch das Märchen für Leverkusen und Kießling zu Ende. Kein Elfmeter, kein viertes Tor, stattdessen noch zwei Treffer für Hannover 96 in der Nachspielzeit. Am Ende stand es 3:2 (2:0), Leverkusen war nur Fünfter - keine Champions League in der kommenden Saison, bloß Europa League. Sie spielten dramatisch-traurige Musik ein in der Arena, Marke: "Herr der Ringe nach der verlorenen Schlacht". "Es hätte zwischenzeitlich sechs, sieben null für uns stehen können", sagte der Angreifer Kai Havertz traurig, "aber wir freuen uns jetzt auch über die Europa League." Havertz ist 18, er darf das sagen. Durch die Emotionen anlässlich des Abschieds von Kießling sah sich auch Abwehrspieler Jonathan Tah halbwegs versöhnt. "Wir sind einerseits enttäuscht, andererseits war die Atmosphäre nach dem Spiel tröstlich. Am Ende war das mit der Champions League den Fans irgendwo egal. Da stand Kies im Vordergrund." Die Hoffnung hatte bis zuletzt gelebt. In der Blitztabelle waren die Leverkusener am Samstagnachmittag insgesamt 28 Minuten lang Tabellenvierter und damit zwischenzeitlich doch für die Champions League qualifiziert gewesen: Für 24 Minuten in der ersten Halbzeit und noch einmal für vier Minuten in der zweiten, als Dortmund in Hoffenheim ausgeglichen hatte. Am Ende aber übernahm die Abschlusstabelle für die Blitztabelle, und darin stand Leverkusen nur auf Platz fünf. Dass Kießling nach dem Spiel weinte, hatte nicht dies zum Grund. Er verabschiedete sich nach zwölf Spielzeiten in Leverkusen von den Fans. Es war ein erhebender Moment an einem versauten Nachmittag für Leverkusen. "Wir brauchen uns nicht zu schämen" "Dieses Märchen hätte man eigentlich mal zulassen müssen", sagte Trainer Heiko Herrlich nach dem Spiel über jenen Moment, als Kießling auf den Elfmeter wartete und ihn nicht bekam. Die Debatten um den Videobeweis hätten eine neue Komponente bekommen, wenn man künftig auch noch märchenhafte Einflüsse berücksichtigen wollte. Aber aus Herrlich sprach die doppelte Traurigkeit nach dem Verpassen der Champions League und dem Abschied von einem großen Stürmer. "Die Champions League haben wir nicht heute vergeigt, sondern in den Spielen davor", sagte Herrlich. Er fand Leverkusens Saison trotzdem "sehr gut" und beschloss: "Für den fünften Platz brauchen wir uns nicht zu schämen." Sportchef Rudi Völler bilanzierte: "Es war eine gute Saison - aber mit Platz vier wäre es eine sehr gute gewesen." Ihren ersehnten Fünf-Tore-Vorsprung hätten die Leverkusener zur Pause bereits erzielt haben müssen. Die Hannoveraner spielten wie Basketballer - körperlos. In der 3. Minute schoss Lucas Alario das 1:0, in der 6. Minute schoss Wendell einen Foulelfmeter (Sebastian Maier an Julian Baumgartlinger) am Tor vorbei, in der 18. Minute erhöhte Alario (nach haarsträubendem Fehlpass von Matthias Ostrzolek) auf 2:0, und bis zum 3:0 durch Julian Brandt (55.) hatten die Gastgeber noch zahlreiche Einschussmöglichkeiten. Hannover schien weder willig noch fähig, sich mit einer ordentlichen Leistung aus der Saison zu verabschieden. Doch als die Kunde von Hoffenheims Toren zum 3:1 gegen Dortmund die Runde machte, ließ der Schwung der Leverkusener nach. Und als Kießling das Abschiedsgeschenk verwehrt wurde, war das Spiel für Bayer irgendwie vorzeitig vorbei. Niclas Füllkrug und Martin Harnik trafen gegen völlig erschöpfte Leverkusener. "Das Ergebnis war natürlich schmeichelhaft", gestand Füllkrug später. "Wir wollten uns nichts vorwerfen lassen", sagte der Trainer André Breitenreiter, dabei hatte die Leistung von 96 wirklich nur in den letzten zehn Minuten gestimmt In den letzten zehn Minuten der Karriere von Stefan Kießling, der weinend auf dem Zaun stand und sich von den Fans verabschiedete. "Ich weiß gar nicht, wie spät es ist", sagte der 34-Jährige, als er endlich in die Katakomben kam: "Ich bin fix und fertig. Es war überwältigend, aber jetzt freu ich mich, mich mal fünf Minuten hinzusetzen und eine Cola zu trinken." | https://www.sueddeutsche.de/sport/leverkusen-nur-in-europa-league-28-minuten-maerchen-1.3976970 | mlsum-de-744 |
Sie sollen wie der Attentäter von Sousse in Libyen ausgebildet worden sein: Ermittler haben acht Verdächtige festgenommen. Es bestehe ein Zusammenhang zu einem weiteren Terroranschlag. | Festnahmen im Zusammenhang mit Terroranschlag Nach dem Terroranschlag auf Urlauber im tunesischen Badeort Sousse hat die Polizei in dem nordafrikanischen Land insgesamt acht Verdächtige festgenommen, darunter eine Frau. Aus dem tunesischen Innenministerium hieß es, im Zuge der Ermittlungen seien weitere Festnahmen möglich. Die Verdächtigen sollen ebenso wie der Attentäter von Sousse in Terrorlagern im Nachbarland Libyen ausgebildet worden sein, teilte der tunesische Minister Lazhar Akremi mit. Nach Angaben der französischen Zeitung Le Monde sehen die tunesischen Behörden einen Zusammenhang zwischen dem Attentat in Sousse und dem Anschlag auf das Nationalmuseum Bardo, bei dem im März mehr als 20 Menschen getötet worden waren. "Es handelt sich um eine Gruppe, die in Libyen trainiert hat und die dasselbe Ziel teilen. Zwei haben das Bardo angegriffen, einer hat Sousse angegriffen", zitiert das Blatt Akremi. Was ist passiert Ein 24 Jahre alter Student hatte am vergangenen Freitag am Badestrand in Sousse 38 Touristen getötet, bevor er selbst erschossen wurde (ein Porträt lesen Sie hier). Zu dem Angriff bekannten sich Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in einer nicht verifizierbaren Twitter-Mitteilung. Im libyschen Bürgerkriegschaos haben Extremisten mehrere Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. 30 der Opfer in Sousse waren Briten. Auch zwei Deutsche kamen ums Leben. Die tunesische Regierung hatte bereits am Montag die Festnahme mehrerer Verdächtiger gemeldet, die den Attentäter unterstützt haben sollen. Eine Zahl nannte sie nicht. | https://www.sueddeutsche.de/politik/terroranschlag-in-sousse-tunesische-polizei-nimmt-zwoelf-verdaechtige-fest-1.2547970 | mlsum-de-745 |
Ein indischer Hacker entdeckte eine Sicherheitslücke, die den Zugriff auf alle 1,6 Milliarden Profile erlaubt. Er hätte das missbrauchen können, tat es aber nicht. | Sicherheitslücken gehören zu Computerprogrammen dazu. In praktisch jeder Software finden sich Fehler, die mehr oder weniger schwerwiegende Folgen haben können. Besonders unangenehm für Nutzer sind Sicherheitslücken in Online-Diensten, die persönliche Informationen wie Passwörter oder Kreditkartendaten für Fremde offenlegen. So eine Lücke hat der indische Hacker Anand Prakash entdeckt. Er fand einen Fehler bei Facebook, mit dem er jedes der 1,59 Milliarden Facebook-Profile hätte kapern können, wie er auf seinem Blog berichtet. "Ich hatte vollen Zugriff auf die Accounts anderer Nutzer durch die Erstellung eines neuen Passwortes", schreibt Prakash. "Ich konnte Nachrichten lesen, Kreditkartendaten einsehen, die im Menü unter Bezahlinformationen gespeichert waren, persönliche Fotos anschauen und so weiter." Die gute Nachricht ist, dass Prakash die Lücke nicht ausnutzte. Er verkaufte sein Wissen auch nicht an andere weiter, die die Informationen hätten missbrauchen können. Stattdessen meldete er den Fehler an Facebook. Das Unternehmen schloss die Lücke am nächsten Tag und versprach ihm für seine Entdeckung eine Belohnung von 15 000 Dollar (knapp 13 800 Euro). Andere nutzen die Schwachstellen und verkaufen ihr Wissen auf dem Schwarzmarkt Zum Glück für die 1,5 Milliarden Facebook-Nutzer ist er ein sogenannter "White Hat"-Hacker. Findet er eine Sicherheitslücke, weist er Firmen darauf hin. Sie können dann die Schwachstellen schließen. Andere Hacker, die als "Black Hats" bezeichnet werden, nutzen neu entdeckte Sicherheitslücken selbst aus oder verkaufen ihr Wissen auf dem Schwarzmarkt. Um das zu verhindern, loben viele IT-Unternehmen Belohnungen für Hacker wie Prakash aus. Die Schwachstelle hatte der IT-Sicherheitsingenieur in Facebooks Login-Prozess gefunden. Verlieren Nutzer ihr Passwort, können sie Handynummer oder E-Mail-Adresse eingeben, die sie mit ihrem Facebook-Profil verknüpft haben. Facebook verschickt dann an diesen Kontakt eine sechsstellige Zahl. Die Nutzer tippen die Zahl auf der Seite oder der App ein und können ein neues Passwort festlegen. Das soll sicherstellen, dass kein Fremder das Passwort zurücksetzt und den Account kapert. Computer können sechsstellige Codes leicht überwinden. Richtig programmiert, probieren sie so viele Kombinationen durch, bis die richtige Zahlenfolge dabei ist. Genau das versuchte Prakash zuerst. Allerdings hatte Facebook diese Möglichkeit bedacht und solche Einbruchsversuche mit der digitalen Brechstange blockiert. Nach zehn bis zwölf Versuchen mit falschen Codes habe er keine weiteren Zahlenkombinationen mehr eingeben können. Das galt allerdings nur für die reguläre Facebook-Seite. Prakash bemerkte, dass er auf den Seiten beta.facebook.com und mbasic.beta.facebook.com so viele Zahlencodes eingeben konnte, wie er wollte. Beide sind Testseiten, auf denen Facebook Funktionen ausprobiert, die noch nicht für alle freigeschaltet sind. Prakash testete das Code-Raten mit seinem eigenen Profil und siehe da: Es funktionierte. "Ich konnte erfolgreich ein neues Passwort für mein Profil erstellen", schreibt er. Prakash ist als "White Hat" ziemlich erfolgreich. Er meldete bereits Schwachstellen an den IT-Dienstleister Red Hat, den Datenspeicherdienst Dropbox, das Online-Netzwerk Twitter oder den Zahlungsdienst Paypal. Regelmäßig sammelt er dafür Prämien ein und wird von den Unternehmen lobend auf ihren Webseiten erwähnt. Es geht also um Geld und Ehre. Auch sein eigentlicher Job hat mit Sicherheit zu tun. Prakash arbeitet als Sicherheitsingenieur beim Online-Händler Flipkart in der Millionenstadt Bangalore. Sie zählt zu den beliebtesten Webseiten Indiens, dort gibt es von Fernsehern über Mode bis hin zu Möbeln fast alles. Schon als Jugendlicher habe er sich intensiv mit Computern beschäftigt, heißt es in einem Porträt der indischen Webseite Yourstory. Während seines Studiums am Vellore Institute of Technology im Süden des Landes habe er anderen Studenten geholfen, Daten-Höchstgrenzen im Uni-Netzwerk zu umgehen. Einen schlechten Eindruck hat er deswegen nicht hinterlassen: Die Hochschule berichtet stolz von der Prämie, die ihr Absolvent von Facebook bekommen hat. Seinen allerersten Fehlerbericht hatte Prakash übrigens auch an Facebook geschickt und dafür 500 Dollar bekommen. Überhaupt tut er einiges, um dessen Nutzer vor anderen Hackern zu schützen. Schon in den vergangenen drei Jahren meldete er dem Netzwerk Schwachstellen. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/luecke-bei-facebook-zugriff-auf-die-welt-1.2901048 | mlsum-de-746 |
Achtung, Paketwelle: Am heftigsten ist immer der Donnerstag vor Weihnachten. Ein Besuch im DPD-Depot Melle bei Osnabrück. | So ein Paket ist flott unterwegs hier in Melle östlich von Osnabrück. Am Ortsrand durchquert es die Halle des DPD in anderthalb bis dreieinhalb Minuten. Es rollt erst langsam auf einem Transportband vom Lkw in die Halle, wird unter einem Scanner aus fünf Richtungen fotografiert und beschleunigt dann auf 2,5 Meter pro Sekunde. Es wird dann von der großen feuerroten Maschine, um die das ganze Gebäude herum gebaut worden ist, auf eine von vier Sortierebenen verschickt.Dort wird es in voller Fahrt ausgerichtet, ebenso wie alle anderen Pakete. Detailansicht öffnen Obwohl bei DPD fast alles automatisch abläuft, werden noch etliche Mitarbeiter benötigt. Sie erneuern Etiketten oder bugsieren sperrige Kartons durch die Halle. (Foto: obs) Es wirkt alles ein wenig wie bei einer Modelleisenbahn, sagt Volker Scholz, 45, der Leiter des DPD-Depots 149. Mehr als 100.000 Pakete können in dieser Halle am Tag sortiert werden. Der U-förmig gebaute Betrieb startete 2007 als eines der leistungsfähigsten Paketverteilzentren Europas. Es gibt 30 Entladetore an der schmalen Stirnseite und 101 Verladetore an den beiden langen Flügeln. Auf ihrem kurzen Weg durch Melle fotografiert der DPD seine Pakete zehn- bis fünfzehnmal. Das war schon immer so, lange vor den Terrorsendungen der jüngsten Zeit. Seit etwa fünf Jahren gibt es EDV-Systeme, die mit den dabei anfallenden riesigen Datenmengen klarkommen. Die Ladungen im Fernverkehr werden in verplombten Behältern übergeben an denjenigen, der die weitere Beförderung und damit auch die Haftung für das Paket übernimmt. "Alle Pakete, die die EU verlassen, werden geröngt, um zu sehen, ob etwas Auffälliges drin ist", sagt DPD-Chef Arnold Schroven. "Wir kennen ganz klar den Lebenslauf jedes Paketes und stellen den auch jedem Kunden zur Verfügung." Der Niedersachse Schroven, 55, ist seit 18 Jahren dabei und hat eine in der Logistik ungewöhnliche Laufbahn hinter sich. Als Diplom-Mathematiker war er zunächst für die EDV zuständig, nach zwei Jahren dann für das ganze Unternehmen. Der DPD Deutsche Paketdienst war damals noch ein Zusammenschluss von mittelständischen Spediteuren. Die meisten von ihnen verkauften vor neun Jahren an die französische Post. Heute heißt die Firma DPD Dynamic Parcel Distribution GmbH & Co. KG. Sie hat ihren Hauptsitz in Aschaffenburg. An mehr als 800 Standorten in mehr als 40 Ländern sind 24.000 Mitarbeiter und 18.000 Fahrzeuge im Einsatz. Davon arbeiten 7500 Beschäftigte in Deutschland in 75 Depots, von denen das in Melle am größten ist. DPD sieht sich hierzulande als der führende Transporteur bei den Standardpaketen für Geschäftskunden. Der DPD setzt dabei anders als etliche Wettbewerber auf ein Netzwerk, in dem möglichst viele Depots direkt verbunden werden und kein zentraler Stern zum Umladen angesteuert wird. Die 101 Ausgangstore in Melle stehen für solche Direktverkehre mit Lastwagen. Diese dezentrale Struktur, der Transport auf der Straße und große Paketmengen ermöglichen eine kostengünstige Steuerung sich schnell verändernder Paketströme, erläutert der DPD sein bodennahes System. Bei dem wird "auf den Einsatz von emissionsintensiven Flugzeugen in Europa weitestgehend verzichtet". Die Begründung: "Der innereuropäische Lufttransport eines Paketes verursacht achtmal mehr Kohlendioxid als auf der Straße und fünfmal höhere Kosten." Angesichts dieser Vorteile sei die etwas längere Laufzeit für viele Geschäftskunden kein Problem. Im Gegenteil, findet Schroven: "Etwas Entschleunigung wäre nicht schlecht. Es ließe sich einiges an Verkehr vermeiden, wenn man etwas Geschwindigkeit aus dem Transport herausnehmen würde. Nicht jedes Paket muss unbedingt am nächsten Werktag beim Empfänger sein."Der Mann, dessen Lkw in Europa allein bei den täglich 500 grenzüberschreitenden Diensten 235.000 Kilometer zurücklegen, ist mit dem Zustand vieler Straßen unzufrieden. Er testet seit kurzem eine Bahnverbindung als Alternative zwischen Hamburg und Nürnberg. Für 2011 hat sich der DPD-Chef einiges vorgenommen: Das Unternehmen soll schneller als der Markt wachsen, für den man mit zwei Prozent Plus rechnet, und es soll sich dabei um ein profitables Wachstum handeln. "Es ist unser Anspruch, in Europa flächendeckend der beste Straßendienst-Paket-Dienstleister zu sein." In jedem Land soll DPD zu den Top drei gehören, auch in Südosteuropa, wo der B2B-Spezialist gerade erst anfängt. Das ist ein anspruchsvolles Ziel angesichts von gleich sechs großen Wettbewerbern bei den Kurier-, Express- und Paketdiensten: DHL, Fedex, GLS, Hermes, TNT und UPS. Die Grausamkeit der Pakete Schroven will im kommenden Jahr in Deutschland 80 Millionen Euro investieren. Ein Zehntel geht in die Informationstechnologie, der größte Teil in drei neue Knotenpunkte von der Größe des Depots in Melle. "Alles muss sortierbar sein", sagt Volker Scholz, der Chef des Drehkreuzes bei Osnabrück. Obwohl so vieles automatisch abläuft, arbeiten dennoch im Depot 149 bis zu 140 Leute an den roten Bändern. Wenn ein Paket Glück hat, rutscht es gleich bei der Eingangskontrolle aus dem gleichförmigen Strom auf die unterste schiefe Ebene und wird dann individuell behandelt: Mitarbeiter erneuern Etiketten oder bugsieren sperrige Kartons durch die Halle, die von der großen Maschine abgewiesen werden. "Ganz groß oder sehr schwer, das sind die grausamen Pakete." Es sind nur wenige ausgesonderte Sendungen, aber doch eine ganze Menge vor allem in der Weihnachtszeit, wenn eine Paketlawine das Depot Melle überschwemmt. Am heftigsten ist immer der Donnerstag vor Weihnachten, das lehrt die Erfahrung. Für eine Weihnachtsfeier haben die DPD-Leute im Dezember keine Zeit. Die holen sie Mitte Januar nach. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pakete-zu-weihnachten-fotografiert-und-durchleuchtet-1.1038085 | mlsum-de-747 |
Janet Yellen, Chefin der US-Notenbank Federal Reserve, sollte die Wirtschaft allmählich vom süßen Gift des Nullzinses befreien. Es gibt keinen Grund mehr, mit Zinserhöhungen zu zögern. | Geldwertstabilität, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit. Das sind die Prinzipien guter Geldpolitik. Sie schaffen die Basis für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze. Leider sind die Notenbankchefs der Welt drauf und dran, ihr wichtigstes Gut zu verspielen: die Glaubwürdigkeit. Als die Welt 2008 zu wackeln begann, schafften es die Währungshüter, den Kollaps abzuwenden. Dafür gebührt ihnen aller Respekt. Aber nun finden sie kein Ende ihrer lockeren Geldpolitik. Mehr als 700 Mal haben die Zentralbanken rund um den Globus seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 die Zinsen gesenkt. Seit Beginn der Geschichtsschreibung gab es noch nie für so lange Zeit so tiefe Zinsen wie heute. Und es gab noch nie so aktive Notenbanken, die für viele Billionen Dollar Staatsanleihen und allerhand andere Wertpapiere kaufen. In den USA ist der Realzins weit unter die Wachstumsrate gesunken, das ist ökonomisch grotesk und gefährlich. Es drohen Übertreibungen bei Aktien, Immobilien und anderen Vermögenspreisen. Das wissen auch die Währungshüter. Verzweifelt versucht Fed-Chefin Janet Yellen deshalb, ein wenig Normalität einkehren zu lassen. Ende 2015 erhöhte sie nach langem Zögern den amerikanischen Leitzins um 25 Basispunkte. Doch seither geschah nichts. Von Sitzung zu Sitzung bekräftigte Yellen ihre Absicht, die Zinsen wieder auf ein normales Maß anheben zu wollen. Immer wieder aber verließ sie der Mut, eine einmal beschlossene Politik auch gegen die Zweifel am Markt durchzusetzen. Die Gründe, die sie für ihre Tatenlosigkeit anführte, sind wenig überzeugend: Mal waren es schlechte Arbeitsmarktzahlen, dann Sorgen um China und schließlich der Brexit. Die amerikanische Wirtschaft kann höhere Leitzinsen gut vertragen Die Zentralbank muss die Märkte schleunigst vom süßen Gift des billigen Geldes entwöhnen und sich wieder auf ihre ursprüngliche Aufgabe besinnen: für Preisstabilität zu sorgen. Das dürfte das alles bestimmende Thema auf dem Notenbanker-Treffen in Jackson Hole dieser Tage sein. Die gute Nachricht ist: Gerade in der Führungsriege der Fed gibt es prominente Stimmen, die für eine Normalisierung der Geldpolitik werben - mit guten Argumenten. Die amerikanische Wirtschaft kann höhere Leitzinsen gut vertragen. Worauf es für die Fed ankommt, sind Preisstabilität und Vollbeschäftigung. Bei beiden Zielen sieht es gut aus. Die Verbraucherpreise ohne Energie steigen um 2,2 Prozent, von Deflation kann keine Rede sein. Und die Arbeitslosenquote ist seit ihrem Hoch von 9,9 Prozent im Dezember 2009 stetig auf zuletzt 4,9 Prozent gesunken. Nicht ganz so überzeugend sind die Wachstumszahlen, allerdings wird erwartet, dass sie in den nächsten Quartalen anziehen. Von konjunktureller Seite steht einer Zinserhöhung also nichts im Weg. Leitzinsen nahe null laden zum Zocken ein Verschiebt Fed-Chefin Yellen die Zinswende weiter, riskiert sie nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der Notenbank. Es gibt heute eine junge Anlegergeneration, die eine Politik des Gelddruckens für normal hält, und die blind darauf setzt, dass im Falle des Falles die Fed die Kurse stützen wird. Leitzinsen nahe null laden zum Zocken ein und steigern so die Blasengefahr. Je länger die Fed wartet, desto größer wird das Wagnis. Es ist höchste Zeit, dass Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinne wieder über Anlageentscheidungen bestimmen - und nicht die Nullzinsen. Yellen darf sich nicht länger von den Märkten diktieren lassen, was zu tun ist. Gerade jetzt muss sie Führungsstärke beweisen. Einen guten Zeitpunkt für Zinserhöhungen gibt es nicht. Genauso wenig wie für einen Zahnarztbesuch. Just do it! | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-hoehere-zinsen-just-do-it-1.3137104 | mlsum-de-748 |
Die Aufgaben werden mehr, die Bewerber weniger: In Deutschland fehlen Schulleiter. Ein Fernstudiengang soll Kandidaten auf den stressigen Job vorbereiten. | Einer von den wenigen Anwärtern: Martin Wüller, stellvertretender Schulleiter im Gymnasium Alsdorf, während einer sogenannten "Dalton-Stunde" - Das Besondere: Während dieser Unterrichtszeit wählen die Schüler den Lehrinhalt selbst. Wenn Peter Danz aus seinem Alltag erzählt, klingt das nicht nach einem Traumberuf. Ein Schulleiter muss es aushalten, nicht gemocht zu werden, sagt er. Er muss psychische Belastungen ertragen, er muss lernen, es nicht allen recht machen zu können. Dazu kommt der Arbeitsdruck: "Es wird immer noch mehr draufgepackt", sagt Danz. Am Ende des Tages sei seine To-do-Liste länger als am Morgen. "Obwohl ich den ganzen Tag etwas gemacht habe." Trotzdem macht Danz, Leiter des Berliner Friedrich-Ebert-Gymnasiums, seinen Beruf gerne. Und nicht nur das: Inzwischen bereitet er angehende Schulleiter auf die Herausforderungen vor: "Schulmanagement" heißt der berufsbegleitende Studiengang der Technischen Universität Kaiserslautern. Danz hat ihn vor zehn Jahren selbst absolviert, jetzt ist er Dozent. Wer sich für das Masterstudium eingeschrieben hat, will Rektor einer Schule werden. Oder zunächst prüfen, ob er sich den Posten zutraut - und zumuten möchte. Sonntagmittag, ein Hotel am Stadtrand von Kaiserslautern. Die Erstsemester packen ihre Sachen zusammen, am nächsten Tag werden sie wieder unterrichten. An diesem Wochenende aber waren sie selbst die Lernenden, haben sich mit Managementtheorien und Schulorganisation befasst. Auf die Frage, ob sie selbst einmal Rektorin oder Rektor werden wollen, antworten die Studierenden dennoch eher zögernd. Die Arbeit stelle sie sich spannend und abwechslungsreich vor, sagt Isabell Simon, Lehrerin an einer Freiburger Realschule, die gerade eine berufliche Pause für das Studium nutzt. "Aber es ist auch sehr zeitintensiv und die Anerkennung nicht so hoch, wie sie vielleicht sein sollte." Es geht um einen Job, um den immer mehr Pädagogen einen Bogen machen: In Deutschland gibt es zu wenige Rektoren. Während der Mangel in Bayern noch als vergleichsweise gering gilt, waren in Nordrhein-Westfalen zu Beginn dieses Schuljahres 784 Rektoren- und 971 Stellvertreter-Posten vakant. In Baden-Württemberg waren 231 Schulen ohne Leitung. Viele dieser Stellen wurden und werden im Laufe des Schuljahres besetzt, aber nicht alle. Betroffen sind vor allem Grundschulen. Der Deutsche Lehrerverband geht davon aus, dass bundesweit mehr als 1000 Grundschulen keine Leiterin oder keinen Leiter haben. Schulleiter müssen auch unterrichten Viele Bundesländer haben ihren Schulen mehr Autonomie eingeräumt, damit ist auch die Aufgabenfülle in den Schulleiterbüros gewachsen. Vor allem der Verwaltungsaufwand für alle möglichen Statistiken, die eine Schule zu führen hat, gilt als hoch. Ein Rektor ist zudem etwa für Stellenausschreibungen oder Baumaßnahmen verantwortlich, muss in Konflikten vermitteln. Und nicht zu vergessen: Jeder Schulleiter muss unterrichten - in welchem Umfang, hängt von der Schülerzahl ab. Die Anforderungen seien also gestiegen, zumal der Trend zu größeren Schulen gehe, sagt Mandy Schiefner-Rohs, Juniorprofessorin an der TU Kaiserslautern und fachliche Leiterin des Studiengangs. Wichtig sei, nicht alles selbst erledigen zu wollen: "Ein guter Schulleiter hat Menschenkenntnis und weiß, welche Aufgaben er an welche Kollegen übertragen kann." | https://www.sueddeutsche.de/bildung/rektorat-leiten-lernen-1.3861273 | mlsum-de-749 |
Kerbers Gegnerin im Finale der US Open verblüfft: An Karolina Pliskova prallen sogar die Einschüchterungsversuche von Serena Williams ab. | Es gibt einen Sinnspruch im Buddhismus, nach dem ein Mensch beim Betreten eines Zimmers die Lautstärke der Anwesenden überprüfen sollte: Der Lauteste im Raum ist der Schwächste, so heißt es. Im amerikanischen Sport freilich, da interessieren sie sich nicht besonders für Buddhismus und Schwäche, es wird bereits Kindern beim Schulsport eingetrichtert, sich gefälligst breitschultrig zu präsentieren und den Gegner für den Erfolg notfalls auch mal über den Haufen zu rennen. Schwäche und Schweigen, das ist was für Verlierer und Buddhisten. Das Schauspiel zwischen Serena Williams und Karolina Pliskova am Donnerstagabend war deshalb besonders beeindruckend, weil beide 86 Minuten lang diese unterschiedlichen Philosophien vorführten. Zu Beginn des zweiten Satzes, Pliskova hatte den ersten Durchgang über präzise Spieleröffnung, das Vermeiden leichter Fehler und mutige Grundschläge gewonnen, da sicherte sich Williams einen spektakulären Ballwechsel. Sie brüllte so laut, dass wahrscheinlich ein paar Menschen in Manhattan die Polizei gerufen haben in der Gewissheit, dass da jemand um sein Leben fürchtet. Diese martialische Geste schüchtert Williams' Gegnerinnen gewöhnlich ein - Pliskova beachtete Williams jedoch gar nicht, sie schritt gelassen zur Grundlinie zurück, als hätte sie unsichtbare Kopfhörer im Ohr. Ein böser Blick, ein Starren auf die Linie, ein Bewegen in Zeitlupe Williams gewann dieses Spiel, und selbst ihr Laufweg danach gehörte zur Inszenierung eines Comebacks. Gewöhnlich geht sie nach dem ersten Spiel eines Satzes nicht zu ihrer Bank, sondern auf der anderen Seite am Netz vorbei. Diesmal nicht. Sie schritt auf Pliskova zu und ließ sie nicht aus den Augen, als wäre ihre Gegnerin die Beute, die sie nun erlegen muss. Guck mal her, sagte ihr Blick, du magst vielleicht größer sein, die breiteren Schultern jedoch, die habe ich! Normalerweise halten Kontrahentinnen dann kurz inne, blicken schüchtern zu Williams und lassen ihr den Vortritt. Pliskova ging einfach weiter, als wäre sie alleine auf dem Platz. Es hat in den vergangenen Jahren, gerade bei Grand-Slam-Turnieren, einige Partien gegeben, in denen Williams schrecklich gespielt hat. Es gab dann immer dieses Ritual: ein Blick, mit dem sie ihr Gegenüber geradezu verschlingen wollte - wahlweise für Gegnerin oder Schiedsrichter. Ein langes Starren auf die Linie nach knappen Schlägen. Ein Bewegen in Zeitlupe zwischen Ballwechseln. Ein schriller Schrei nach prägenden Punkten, die sie gewonnen hat. Über diese Aktionen zog sie sich selbst aus diesen Löchern heraus - und schubste die verschreckten und verunsicherten Gegnerinnen hinein. Sie betont immer wieder, dass sie zwar ein nettes Mädchen sei, jedoch jeden hasse, der den Tennisplatz mit ihr teile. Selbst ihre Schwester Venus. | https://www.sueddeutsche.de/sport/tennis-bei-den-us-open-als-waere-pliskova-allein-auf-dem-platz-1.3155249 | mlsum-de-750 |
Das urteilt das US-Berufungsgericht, das sich in den Prozess zwischen Peta und einem Wildtierfotografen eingeschaltet hatte. Die Tierschutzorganisation habe das Tier als "ahnungslose Marionette" missbraucht. | Nach sieben Jahren ist die Entscheidung gefallen: Affen können kein Urheberrecht am eigenen Bild geltend machen - und auch niemand sonst in ihrem Namen. Ein US-Berufungsgericht in San Francisco hat am Dienstag so geurteilt. Die Tierschutzorganisation Peta hatte den Wildtierfotografen David Slater im Namen des Schopfmakaken Naruto verklagt. "Ich bin hocherfreut, dass das Gericht diesen Fall nun endlich beendet hat", schriebt Slater in einer Mail an die SZ am Dienstag. Die Entscheidung sei schlecht für die Urheberrechte von Tieren, aber verbessere die Rechtssicherheit für die Arbeit von Fotografen. Slater war es bei einer Indonesienreise 2011 gelungen, den schwarzen Makaken Naruto, dessen Art vom Aussterben bedroht ist, ganz nahe vor die Linse zu bekommen. Er lockte das Tier mit Futter und brachte es so dazu, selbst den Auslöser zu drücken. Das Foto eines breit grinsenden Affen - große weißgelbe Schneidezähne, bernsteinfarbene Augen - befand sich von da an auf Slaters Speicherkarte. Das Affen-Selfie ging um die Welt, wurde tausendfach in sozialen Netzwerken geteilt. Vergleich mit Peta wieder aufgehoben, weil Affe nicht als Zeuge vor Gericht erschien So wurden auch Tierschützer von Peta auf den technisch begabten Affen aufmerksam. Sie nahmen das Foto zum Anlass, in einen erbitterten Rechtsstreit mit dem Fotografen zu treten: Slater habe den Affen in seinen Rechten übergangen. Es wurde also auch die Frage verhandelt: Kann ein Tier Bildrechte besitzen? Kann eine Organisation im Namen von Tieren klagen? Hat der Schopfmakak Anspruch auf die Erlöse des Fotos? Nein, urteilte jetzt das US-Berufungsgericht, das sich in den Fall eingeschalten hatte. Vor einem halben Jahr war zunächst ein Vergleich geschlossen worden: Slater sollte 25 Prozent der Selfie-Erlöse für den Erhalt der Lebensräume von Affen in Indonesien spenden. Narutos Aussage konnte mangels Anwesenheit und wegen Kommunikationshindernissen damals nicht gehört werden. Unter anderem deshalb hob das Berufungsgericht den Vergleich kürzlich auf und sprach dem Makaken die Bildrechte an seinem Selbstporträt ab. Affen unterschieden sich von menschlichen Wesen, hätten nicht den Status, um auf ihr Urheberrecht zu klagen, verkündete das Gericht. Im Namen von Tieren könne außerdem nur dann geklagt werden, wenn dies ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist. Das Gericht betonte, dass Peta im rechtlichen Sinn kein "enger Freund" des Affen sei. Die Organisation habe das Tier stattdessen wie eine "ahnungslose Marionette" zu ihren eigenen Zwecken missbraucht. Der Anwalt der Tierschutzorganisation sagte dagegen, die Verweigerung der Urheberrechte würde die Einschätzung von Peta erneut stützen, dass Affen diskriminiert würden, nur weil sie Tiere sind. Er hoffe sehr, schrieb David Slater in seiner Mail, dass sich die Aufmerksamkeit für bedrohte Tierarten durch den Prozess erhöht habe. Und er wünsche sich, dass "fundamentale Rechte der Tiere auf Würde und einen artgerechten Lebensraum" zukünftig besser geschützt würden. Dann hätte dieser seltsame, jahrelange Prozess doch einen Nutzen - trotz des finanziellen Schadens, den Slater in dieser Zeit erlitten habe, wie er einmal sagte. Immerhin verfügte das Gericht, dass Peta auch Slaters Anwaltskosten zu tragen habe. | https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozess-um-affen-selfie-makake-naruto-hat-kein-recht-am-eigenen-bild-1.3956896 | mlsum-de-751 |
Darunter sind Soldaten, Polizisten und Universitätsangestellte. Auch Hunderte türkische Vereine und mehrere Zeitungen müssen schließen. | Die Listen, die die türkische Regierung seit dem gescheiterten Putschversuch regelmäßig im offiziellen Amtsblatt Resmî Gazete veröffentlicht, sehen nicht so aus, als enthielten sie Brisantes: Endlose Tabellen mit Namen, Nummern, Funktionen. Doch die Listen sind umstritten. Jeder, dessen Name sich hier wiederfindet, verliert seine Anstellung - ohne dass dem Betroffenen der Prozess gemacht wurde. Am Dienstag hat Präsident Erdoğan erneut mehr als 15 000 türkische Beamte, Soldaten und Polizisten aus dem Dienst entlassen. Darunter sind 9977 Angehörige der Sicherheitskräfte und 5419 zivile Staatsbedienstete. Auch 942 Universitätsmitarbeiter und 119 Lehrer dürfen nicht länger unterrichten. Das offizielle Dekret gibt zudem die Schließung von 500 Instituten, Wohltätigkeitseinrichtungen und Medien bekannt. Gleichzeitig werden 155 zuvor entlassene Staatsbedienstete wieder eingestellt, 18 Stiftungen und ein Gesundheitszentrum dürfen wieder öffnen. Wie immer werden die Entlassungen mit dem gescheiterten Militärputsch am 15. Juli begründet. Den mehr als 110 000 Staatsbediensteten, die seither ihre Jobs verloren haben oder suspendiert wurden, werden Verbindungen zum Prediger Fethullah Gülen zur Last gelegt. Die türkische Führung beschuldigt Gülen, Drahtzieher des versuchten Putsches zu sein. Gülen weist dies zurück. Dass die Entlassenen mit ihrem Namen und Dienstort benannt werden, ist besonders umstritten. Sie werden damit öffentlich an den Pranger gestellt, ohne von einem Gericht verurteilt worden zu sein. Seit Verhängung des Ausnahmezustands kann Erdoğan per Dekret regieren. Die Dekrete haben Gesetzeskraft und gelten ab ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt. Das Parlament muss sie nur nachträglich bestätigen. Der bereits einmal verlängerte Notstand gilt mindestens bis Mitte Januar. | https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-erdogan-entlaesst-weitere-15-000-beschaeftigte-aus-dem-staatsdienst-1.3260740 | mlsum-de-752 |
Die Spieler des griechischen Meisters Olympiakos Piräus sollen für ihre Misserfolge zahlen. In der NBA wird James Harden nach einem Tritt gegen LeBron James gesperrt. Juventus Turin und der AS Rom trennen sich unentschieden. | Fußball in Griechenland: Die Spieler des griechischen Fußball-Meisters Olympiakos Piräus müssen für ihre zuletzt schwachen Leistungen bezahlen. Klub-Präsident Evangelos Marinakis sprach für das Team am Montag eine Geldstrafe in Höhe von 500.000 Euro aus und forderte in aller Deutlichkeit den Gewinn von Meisterschaft und Pokal. "Olympiakos ist der größte Klub in Griechenland. Für jeden von Euch ist es eine Ehre, für dieses Team zu spielen. Ihr müsst Olympiakos Respekt erweisen", sagte Marinakis den Spielern. Jeder, der ein Problem damit habe, müsse Manns genug sein, den Verein zu verlassen. "So lange ihr für Olympiakos spielt, werdet ihr alles geben und Opfer für dieses Trikot erbringen", so Marinakis: "Ihr werdet die Meisterschaft und den Pokal gewinnen." Olympiakos scheiterte zuletzt in der Zwischenrunde der Europa League am ukrainischen Vertreter Dnjpr Dnjpropetrowsk. In der Liga hatte der Titelverteidiger das Skandalspiel bei Panathinaikos Athen verloren (1:2), im Pokal kam Piräus nicht über ein Remis gegen Zweitligist AEK Athen hinaus (1:1). Der Spielbetrieb in den beiden Fußball-Profiligen ist in Griechenland für unbestimmte Zeit unterbrochen. Mit dieser Maßnahme hatte die griechische Regierung auf Ausschreitungen während des Athener Derbys zwischen Panathinaikos und Olympiakos reagiert. Fußball in Italien: Auf dem Weg zur 31. Meisterschaft hat Italiens Fußball-Rekordchampion Juventus Turin seinen ärgsten Verfolger AS Rom auf Distanz gehalten. Am 25. Spieltag kam der Spitzenreiter im direkten Duell beim Tabellenzweiten zwar trotz einer knapp 30-minütigen Überzahl nur zu einem 1:1 (0:0), in der Tabelle hat die Mannschaft von Trainer Massimiliano Allegri aber weiter neun Punkte Vorsprung. Torjäger Carlos Tevez (64.) brachte Borussia Dortmunds Achtelfinal-Gegner in der Champions League mit einem sehenswerten Freistoßtreffer in Führung, Roms Rechtsverteidiger Vassilios Torosidis hatte zuvor nach einem wiederholten Foulspiel die Gelb-Rote Karte gesehen (62.). In Unterzahl gelang Seydou Keita (78.) letztlich noch der Ausgleich. Der 35-Jährige traf nach einem Standard per Kopf. Fußball in Ägypten: Der Argentinier Hector Cuper ist neuer Trainer der ägyptischen Fußball-Nationalmannschaft. Das teilte der nationale Verband EFA am Montag mit. Der 59-jährige Cuper, der 2001 als Coach des FC Valencia das Champions-League-Finale gegen Bayern München verlor, tritt die Nachfolge von Shawki Gharib an. Gharib hatte seinen Posten im vergangenen November räumen müssen. Cupers Vertrag beim siebenmaligen Afrikameister soll eng an die Qualifikation für die WM-Endrunde 2018 in Russland gekoppelt sein. Basketball, NBA: Dirk Nowitzki (36) hat mit den Dallas Mavericks die Mini-Krise im Kampf um die Play-off-Plätze beendet und einen 102:93-Sieg gegen die zuvor fünfmal erfolgreichen New Orleans Pelicans gefeiert. Dallas, das zuletzt zweimal verloren hatte, liegt in der Western Conference der nordamerikanischen Profiliga NBA damit weiter auf dem sechsten Rang, die Pelicans verpassten es dagegen, mit den achtplatzierten Oklahoma City Thunder gleichzuziehen. "Es war ein wichtiger Sieg. Bei dem Programm, das auf uns zukommt, will man keine drei Spiele in Serie verlieren", sagte Nowitzki: "Im dritten Viertel haben wir in der Defensive stark gespielt. Jetzt haben wir zwei Tage frei, das brauchen wir." Dallas tritt am Donnerstag bei den Portland Trail Blazers um Chris Kaman an und hat vier Spiele innerhalb von sechs Tagen vor der Brust. Nowitzki zeigte mit 14 Punkten und acht Rebounds eine solide Vorstellung. Bei den defensiv überzeugenden Mavericks, die weiter auf die verletzten Stammspieler Tyson Chandler und Chandler Parsons verzichten mussten, punkteten gleich sechs Spieler zweistellig. Monta Ellis kam auf 20 Zähler, Spielmacher Rajon Rondo steuerte 19 bei. Ohne NBA-Topscorer James Harden (25) müssen die Houston Rockets am Mittwoch zum Spitzenspiel der nordamerikanischen Basketball-Profiliga gegen die Atlanta Hawks um Nationalspieler Dennis Schröder (21) antreten. Shooting Guard Harden wurde von der Liga mit einem Spiel Sperre belegt, nachdem er am Sonntag im Duell gegen die Cleveland Cavaliers (105:103 n.V.) LeBron James (30) in die Leistengegend getreten hatte. Bundesliga, Hertha BSC: Angreifer Julian Schieber vom Fußball-Bundesligisten Hertha BSC droht das vorzeitige Saison-Aus. Der 26-Jährige muss sich am Mittwoch einer Operation am linken Knie unterziehen und wird den Berlinern im Abstiegskampf in den kommenden Wochen fehlen. Schieber, mit sieben Treffern bislang erfolgreichste Torjäger der Hauptstädter, fehlte bereits im letzten Heimspiel gegen den FC Augsburg (1:0) am Samstag. Der Ex-Dortmunder war in der Vorwoche im Training auf das Kniegelenk gefallen. | https://www.sueddeutsche.de/sport/olympiakos-piraeus-500-000-euro-strafe-fuer-schwache-leistungen-1.2375138 | mlsum-de-753 |
Die dritte Liga der Balltreter lockt fast doppelt so viele Zuschauer an wie die Basketball-Bundesliga. | Mir ist das Herz so froh erschrocken, das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich höre fern her Kirchenglocken, mich lieblich heimatlich verlocken, in märchenstille Herrlichkeit. Selbst der deutscher Schriftsteller und Lyriker Hans Theodor Woldsen Storm, der seine Prosa in norddeutschen Realismus zu kleiden pflegte, konnte sich zur Weihnachtszeit einer gewissen romantischen Entrücktheit nicht entziehen. Weihnachten, Zeit der Besinnung, der inneren Einkehr, der Ruhe. Und eine Zeit, in der sich angesichts des nahenden Jahresendes ein jeder irgendwie bemüßigt fühlt, Bilanz zu ziehen. Auch im Sport. Was weniger mit den Ereignissen vor mehr als 2000 Jahren in einem Stall im fernen Betlehem zu tun hat, als damit, dass sich selbst der professionell Sporttreibende der kirchlich verordneten Pause zu unterwerfen hat. Eishockey und Basketball mal ausgenommen - was nicht heißen darf, dass dort gottloses Volk am Werke ist. Allein der proppenvolle Spielplan lässt nichts anderes zu. Apropos proppenvoll: Das sind die Hallen trotz des mageren Weihnachtsangebots mitnichten. Das liegt weniger an den hochheiligen Tagen, als an der Sportart. Der erschreckende Schluss: Nichts funktioniert außer Fußball. Beispiel Eishockey: Das nicht zu Unrecht als weltschnellstes Spiel geltende eisige Vergnügen lockt nur gute 6000 Zuschauer im Schnitt in die kalten Hallen der höchsten Liga. Oder Handball: Zu einem Spiel in der nachgewiesener Maßen weltbesten Liga kommen hierzulande im Schnitt 4500 Menschen. Basketball, der Shootingstar? Pfff, noch weniger. Sportarten wie Tischtennis, Wasserball oder Volleyball bleiben aus vorweihnachtlicher Rücksichtnahme besser unerwähnt. Und dann das: Im Fußball reicht schon die dritte Liga, um fast doppelt so viele Zuschauer in die Stadien zu locken. Im TV, das uns traditionell zum Fest der Liebe mit jährlich wiederkehrenden Vierteilern oder uralten Blockbustern quält, ist alles noch schlimmer. Ein Fußball-Regionalligaspiel - das ist die vierte (!) Liga - wollen im Schnitt 340 000 Menschen sehen. Im Internet wird längst die Bayernliga übertragen, aus Quotengründen überlegt man bestimmt bald, auch Bezirksliga-Spitzenspiele live zu zeigen. Das kleine Derby zwischen Sechzig und Bayern - das Grünwalder Stadion war natürlich ausverkauft-, wollten fast eine halbe Million Zuschauer sehen: Rekord. Das war an Ostern. | https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/linksaussen-leise-rieselt-der-fussball-1.2781430 | mlsum-de-754 |
Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un droht dem Süden mit einem "Überraschungsangriff". Anlass ist Kritik, die per Lautsprecher über die Grenze schallt. | Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un hat die Grenztruppen seines Landes in Kampfbereitschaft versetzt und den "quasi-Kriegszustand" erklärt, berichteten die Staatsmedien am Freitag. Was "quasi" bedeutet, erklärten sie nicht. Falls Südkorea seine Propaganda-Lautsprecher bis 17 Uhr an diesem Samstag nicht abschalte, droht der Norden, werde er einen "Überraschungsangriff starten". In der Provinz Süd-Pyöngan, fern der Grenze, mussten Landwirtschaftsarbeiter die Ernte für Evakuierungsübungen unterbrechen. Der Jung-Diktator rasselt mit den Säbeln. Zur Antwort besuchte Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye im Kampfanzug ein Armee-Hauptquartier unweit Seoul. Mit steinerner Miene befahl sie "gründliche und strenge Vergeltung", falls Nordkorea wieder provoziert. 2000 Menschen ließ sie aus der Grenznähe in Sicherheit bringen. Beide Koreas haben sich gegenseitig hochgeschaukelt, bis es am Donnerstag zum Feuerwechsel kam: Soldaten des Nordens schossen auf eine Lautsprecheranlage des Südens. Dessen Truppen antworteten mit 26 Artilleriesalven. Verletzt wurde niemand und auch nichts beschädigt. Yang Moo Jin, Professor für Nordkorea-Studien in Seoul, nannte das ein "klares Zeichen, dass es nur Warnschüsse waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Krieg kommt, ist sehr, sehr gering", sagte er im Arirang-Fernsehen. Es wäre ein Krieg, den keine Seite will. Warnschüsse, Landminen und Artillieriesalven. Aber keiner sagt Genaues Bis vor elf Jahren plärrte auf beiden Seiten der innerkoreanischen Grenze Propaganda aus Lautsprecherbatterien. Dann einigten sich Seoul und Pjöngjang, den Lärm einzustellen, den ohnehin nur Soldaten und wenige Anwohner hörten. Diese entmilitarisierte Zone (DMZ) ist ein vier Kilometer breiter Streifen Wildnis quer durch die koreanische Halbinsel. In der Mitte verläuft die Demarkationslinie, auf die sich 1953 Nordkorea und China mit den USA einigten. Südkorea war keine Waffenstillstandspartei. Die DMZ untersteht den UN, vertreten von einer neutralen Überwachungskommission. Soldaten auf Patrouille dürfen ihr Sturmgewehr mittragen, andere Waffen sind in der DMZ verboten. In Südkorea kursieren allerhand Geschichten, was in der DMZ so alles passiere. Ein früherer Soldat, der dort Dienst tat, sagte der SZ einmal, Südkoreaner würden nordkoreanischen Soldaten schon mal Zigaretten schenken. Der Schweizer Delegationschef der Überwachungskommission bezweifelte das aber, denn das sei genau, was man nicht wolle: Das Risiko, dass etwas schieflaufe, sei viel zu groß, selbst ein kleiner Zwischenfall könnte eskalieren. Am 4. August verletzte die Explosion dreier Landminen in der DMZ zwei südkoreanische Soldaten. Einem mussten beide Beine amputiert werden, der andere verlor eine Hand. Landminen in der DMZ verstoßen gegen den Waffenstillstand. Seoul warf Pjöngjang vor, die Minen bewusst gelegt zu haben. Pjöngjang wies jede Verantwortung zurück. Was wirklich passiert ist, weiß man nicht. Ausdrücklich zur Vergeltung schaltete Südkoreas Armee am 10. August erstmals seit 2004, an elf Grenzstationen ihre Propaganda-Lautsprecher wieder ein. Und Pjöngjang reagiert auf nichts so empfindlich wie auf Regimekritik. Kim und Park könnten mit einer Öffnung Geschichte schreiben Der junge Kim hat zaghaft begonnen, vorerst die Landwirtschaft zu dezentralisieren. Er möchte sein Land wirtschaftlich etwas öffnen. Deshalb hat er zugleich die Repression verstärkt, - die Lockerung der Wirtschaft solle keine politischen Folgen haben. So wird hart bestraft, wer südkoreanische Filme auf USB-Sticks sieht, die kursieren. Aktivisten aus Südkorea jedoch lassen Ballone mit Flugblättern, USB-Sticks, Schokolade und 100-Dollar-Scheine über die Grenze fliegen. Park lässt sie gewähren, ihr Vorgänger stoppte sie. Der Norden hat Seoul mehrmals aufgefordert, die Lautsprecher wieder abzuschalten. Dann sei er zum Dialog bereit. Der Süden sagt, Pjöngjang sollte sich für die Minen entschuldigen, dann könne man reden. Doch inzwischen hat der Norden seine Lautsprecher auch wieder aufgedreht. Beide Seiten werfen einander fehlende Ernsthaftigkeit vor. Kim braucht Stabilität, Wirtschaftshilfe, Investitionen. Park einen Erfolg. Ihre Amtszeitprägen Skandale und Ineffizienz, kein Wahlversprechen ist realisiert, die Wirtschaft schlingert. Beide könnten mit einer Öffnung Geschichte schreiben. Doch beide befürchten, Schwäche zu zeigen. Kims Vater Kim Jong Il pokerte hart, spielte seine schlechten Karten geschickt, war berechenbar. Wie sein Sohn tickt, weiß man nicht. Auch Parks Vater war Diktator, regierte Südkorea in den Sechzigerjahren. Seine Tochter wird "Sphinx" genannt, weil sie nie zeigt, was sie denkt und wem sie sich verpflichtet fühlt. Kims Vater stoppte eskalierende Provokationen rechtzeitig. Im Nachhinein wirken einige wie Vorboten für Gespräche mit dem Süden. Kim Jong Il wollte Stärke zeigen, vor allem nach innen, ehe er verhandeln ließ. Ob Kim und Park fähig sind, rechtzeitig von ihren Bluffs abzulassen, muss sich zeigen. Seoul rechnet mit einer Provokation des Nordens, wenn an diesem Samstag das Ultimatum abläuft. | https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikt-zwischen-nord-und-suedkorea-krieg-der-lautsprecher-1.2616304 | mlsum-de-755 |
Der 20-Jährige setzt sich kritisch mit seiner Zeit beim FC Bayern auseinander. Vor Schalkes Europapokalspiel gibt es einen Zwischenfall mit 30 Saloniki-Fans. | Fußball, Lucas Scholl: Lucas Scholl, Sohn von Bayern Münchens Ex-Profi Mehmet Scholl, hat sich mit seiner Zeit beim deutschen Fußball-Rekordmeister kritisch auseinandergesetzt. "Es ging alles rasend schnell und ich war auf Wolke sieben. Aber genauso schnell bin ich auch wieder runtergefallen. Das zu verkraften, ist alles andere als leicht", sagte der 20-Jährige in einem Interview mit dem TV-Sender Sport1. Scholl trainierte in der Ära Pep Guardiola längere Zeit bei den Bayern-Profis mit, zu einem Einsatz kam er aber nicht. "Es wird immer schnell mit dem Finger auf dich gezeigt. Genau diese Leute sollten wissen, dass es nicht so leicht ist, sich als Profi bei Bayern München durchzusetzen", sagte er nun .Zuletzt hatte sich Scholl aber auch in der U19 und der zweiten Mannschaft der Münchner nicht mehr durchsetzen können. "Ich hatte das Gefühl, regelmäßig drei Tore machen zu müssen. Das war eindeutig zu viel Druck für mich. Das hat mich fertig gemacht", sagte Scholl. Inzwischen spielt er in der Regionalliga für Wacker Nordhausen. Dort wolle er sich "durchsetzen, so dass mein Weg wieder nach oben führt. Es ist immer noch alles drin in meiner Karriere." Wert legt er auch darauf, nicht ständig mit seinem berühmten Vater verglichen zu werden: "Natürlich war mein Papa ein überragender Fußballer. Aber ich bin ein eigener Mensch und Spieler." Europa League, Sicherheit: Am Abend vor dem Duell zwischen Schalke 04 und PAOK Saloniki ist es in der Nähe des Gelsenkirchener Hauptbahnhofs zu Auseinandersetzungen zwischen 30 griechischen Fußball-Fans und einem Schalke-Anhänger gekommen. Das teilte die Gelsenkirchener Polizei am Mittwochmorgen mit. Das Rückspiel um den Einzug ins Achtelfinale (Hinspiel: 3:0 für Schalke) am Mittwoch (18.00 Uhr) war von der Polizei zum "Hochrisikospiel" erklärt worden.Bei dem Zwischenfall am Dienstagabend sei es gegen 22.00 Uhr zu einer köperlichen Auseinandersetzung zwischen den rund 30 PAOK-Anhängern und "einer männlichen Person, die der Gelsenkirchener Fußballszene zugeordnet werden kann" gekommen, heißt es in der polizeilichen Mitteilung. Durch das Einschreiten der Beamten, die Platzverbote aussprach, sei die Situation jedoch aufgelöst worden, "noch bevor" zur Unterstützung des einzelnen Schalke-Fans "ca. 40 teilweise vermummte Personen eintrafen".Zwischen beiden Fanlagern hatte es bereits beim Hinspiel in der Vorwoche Spannungen gegeben. So begrüßten die PAOK-Anhänger ihre Gäste auf einem riesigen Transparent im Stadion als "Nazis", Schalker Ultras verwüsteten im Vorfeld der Partie ein Café.Schon im August 2013 hatten sich zudem beim damaligen Champions-League-Qualifikationsspiel die Fans aus Griechenland durch eine mazedonische Flagge im Schalker Block provoziert gefühlt. Beim umstrittenen Polizeieinsatz in der Nordkurve wurden daraufhin 89 Personen verletzt. Basketball, LA Lakers: Legende Magic Johnson wird neuer starker Mann bei den Los Angeles Lakers. Wie der Verein am Dienstag mitteilte, wird der 57 Jahre alte Olympiasieger ab sofort Präsident der Basketball-Abteilung beim 16-maligen Meister in der NBA. Die bisherigen Verantwortlichen Jim Buss (Vizepräsident) und Mitch Kupchak (General Manager) wurden von Präsidentin Jeanie Buss mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Für den langjährigen Personalchef Kupchak soll in Kürze ein Nachfolger vorgestellt werden. Die LA Lakers stehen in ihrer ersten Saison nach dem Karriereende von Vereinslegende Kobe Bryant derzeit auf dem 14. von 15 Plätzen in der Western Conference. Der ehemalige Aufbauspieler Johnson, der mit den Lakers fünf NBA-Titel gewann, soll die Kalifornier nun wieder auf Kurs bringen. "Es ist ein Traum, als Präsident zu den Lakers zurückzukehren und ganz eng mit der Buss-Familie zusammenarbeiten zu können", sagte Johnson in einem Statement des Vereins. | https://www.sueddeutsche.de/sport/europa-league-hochrisikospiel-auf-schalke-zwischenfall-mit-30-saloniki-fans-1.3390949 | mlsum-de-756 |
Die Gewerkschaft wirft Nordsee vor, seine Angestellten zu übervorteilen. Hinter den Kulissen läuft derweil die Suche nach einem neuen Eigentümer. Schon wieder. | Natürlich ist Schönheit ein dehnbarer Begriff, das gilt auch dann, wenn er die Attraktivität eines Unternehmens beschreiben soll. Bei der Gewerkschaft NGG zum Beispiel vermutet man in diesen Tagen, dass die Gastronomie-Kette Nordsee gerade "hübsch" gemacht werden solle. Und dass das Unternehmen deshalb einen Teil seiner Mitarbeiter übervorteilen wolle. Ob das wirklich jemand sexy findet? Anlass des Streits ist die Vergütung der Überstunden von Mitarbeitern, die in Teilzeit arbeiten. Bei der Abrechnung der Jahresarbeitszeit hätten diese Mitarbeiter für ihre über das vertragliche Maß geleisteten Arbeitsstunden einen Aufschlag von 33 Prozent bezahlt bekommen müssen, sagt die Gewerkschaft. So stünde es im Tarifvertrag, dem sich Nordsee Anfang des Jahres angeschlossen hat. Das Unternehmen allerdings weigere sich, den Zuschlag auszuzahlen. Nordsee selbst interpretiert die Paragrafen allerdings anders: Die Kette will nur dann den Überstundenzuschlag bezahlen, wenn eine Teilzeitkraft mehr gearbeitet hat, als es für einen Mitarbeiter, der Vollzeit beschäftigt ist, vertraglich vorgesehen ist. Denn andernfalls wäre ja etwa die 30. Arbeitsstunde einer Vollzeitkraft weniger wert als die einer Teilzeitkraft. Das ist die Argumentationslinie des Unternehmens und offenbar auch des Bundesverbands der Systemgastronomie, in dem Nordsee Mitglied ist. Viele andere Unternehmen, für der Tarifvertrag auch gilt, rechnen die Arbeitszeit monatlich ab, wie etwa Burger King oder McDonald's. Bei ihnen ist der Überstunden-Aufschlag deshalb kein Streitpunkt - denn in diesem Fall ist die Regelung unstrittig. Bei der Jahresabrechnung, wie Nordsee sie macht, nicht. Die Gewerkschaft versuche wohl, "offensiv auf Neumitgliederakquise zu gehen", ließ sich der Nordsee-Chef Holger Schmitt zitieren. Anders könne er sich "das Verhalten der NGG nicht erklären". Auch bei der Gewerkschaft vermutet man hinter dem Streit ein taktisches Manöver, allerdings von Seiten des Unternehmens: Nordsee wolle auf Kosten der Mitarbeiter seine Zahlen schönen, glaubt der NGG-Gewerkschaftssekretär Christian Wechselbaum - um für einen potenziellen Käufer interessanter zu sein. 200 000 Euro soll Nordsee durch die nicht bezahlten Zuschläge sparen, schätzt die Gewerkschaft, etwa 3000 meist weibliche Mitarbeiter seien betroffen. Für eine Küchenkraft mit einem Stundenlohn von 8,65 Euro, die 45 Überstunden angesammelt habe, sei das ein Verlust von etwa 130 Euro, rechnet die NGG vor. Gerade für Menschen mit ohnehin geringem Einkommen sei so ein Verlust "kaum zu verkraften", sagt Wechselbaum. Die Gewerkschaft gibt sich angriffslustig: In den kommenden Wochen wolle man alles tun, um die Ansprüche der Mitarbeiter doch noch durchzusetzen, heißt es. Die ersten Interessenten sollen Finanzinvestoren sein. Für die Mitarbeiter wäre das nichts Neues In den kommenden Wochen könnten sich bei Nordsee allerdings noch weitaus umfangreichere Veränderungen ergeben: Hinter den Kulissen wird offenbar intensiv nach einem neuen Eigentümer für das Unternehmen gesucht. Nordsee gehört derzeit zum Molkereiunternehmen Theo Müller (Müllermilch), auch der frühere Bäckerei-Unternehmer Heiner Kamps ist beteiligt. Nun hätten die beiden die Investmentbank GCA Altium beauftragt, einen Käufer für das Unternehmen zu finden, raunt man in der Branche schon seit ein paar Wochen. Bei Müller kommentiert man die Verkaufsgerüchte offiziell nicht, räumt aber ein, dass Nordsee als Gastronomie-Kette innerhalb des Müller-Imperiums "eine Sonderstellung" habe. Kerngeschäft von Müller sei schließlich die Herstellung von Lebensmitteln. Wird GCA Altium fündig, könnte ein neuer Eigentümer etwa 300 Millionen Euro für Nordsee bezahlen, erwarten Beobachter. 2015 machte das Unternehmen mit knapp 5000 Mitarbeitern 350 Millionen Euro Umsatz und erwirtschaftete damit 30 Millionen Euro operativen Gewinn. Erste Interessenten soll es schon geben, darunter seien vor allem Finanzinvestoren, heißt es. Für Nordsee wäre das zumindest kein Novum, das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren mehrere Eigentümerwechsel erlebt. Bevor Kamps 2005 bei Nordsee einstieg, gehörte das Unternehmen dem Finanzinvestor Apax. Es war Apax, der den Lebensmittelhersteller Deutsche See 1998 von Nordsee abspaltete. Jüngst träumte Robert Jung, der Nordsee gemeinsam mit Holger Schmitt leitet, öffentlich von einer Wiedervereinigung. Nordsee hat sich in der jüngeren Vergangenheit jedenfalls alle Mühe gegeben, an Attraktivität zu gewinnen: So bietet das Unternehmen seit kurzem auch vegane Snacks an und hofft damit, auch eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Zudem wurde das Filialkonzept überarbeitet und einige Läden bereits renoviert. Wie teuer die noch ausstehenden Erneuerungen in den insgesamt 372 Restaurants sein werden, wird wohl maßgeblich Einfluss auf den potenziellen Verkaufserlös haben. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gastronomie-bitte-nimm-mich-1.3231366 | mlsum-de-757 |
Viele Lehrer können von 40-Stunden-Wochen nur träumen - und von einer gerechteren Arbeitsteilung im Kollegium. | Es ist nicht so lange her, da wäre der Ruf nach gerechteren Arbeitszeiten für Lehrer gleichgesetzt worden mit der Forderung, den Pädagogen weniger Ferien und Freizeit zu gestatten. Wer den vermeintlichen "Halbtagsjobbern" Beine machen wollte, brachte zwar die Lehrerlobby gegen sich auf, konnte aber mit dem Einverständnis vieler Bürger rechnen, die sich abends vom Büro nach Hause schleppen und dann ihrem Studienrats-Nachbarn begegnen, der im Freizeitdress die Hecke schneidet. Gäbe es eine Hitliste der meistzitierten Politikersätze läge Gerhard Schröders auf Lehrer gemünzter "Faule Säcke"-Ausrutscher sicher auf einem guten Platz. Der Spruch hat Schröder Mitte der neunziger Jahre nicht nur geschadet. Manch einer bewunderte den Mut für klare Worte. Detailansicht öffnen Lastesel der Schule: Im Schnitt arbeiten Lehrer mehr als 50 Stunden die Woche. Besonders hart trifft es Lehrer in Korrektur-Fächern wie Deutsch und Mathematik. (Foto: Foto: ddp) Pauschale Lehrerschelte ist heute nur noch selten zu hören. Wie hart die Arbeit im Klassenzimmer sein kann, hat die Öffentlichkeit in all den Pisa- und Rütlischul-Debatten gelernt. Außerdem räumen mittlerweile mehrere Studien mit dem Vorurteil auf, Lehrer arbeiteten zu wenig. Der Potsdamer Psychologe Uwe Schaarschmidt zeigte in seinem Buch "Halbtagsjobber?", wie belastend der Beruf ist. Im nun veröffentlichten Folgeband "Gerüstet für den Schulalltag" (Beltz Verlag) präsentiert sein Team einen "Belastung-Check" für Lehrer und beziffert deren durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 52,9 Stunden. Würden die Ferien abgezogen, arbeiteten die Pädagogen immer noch länger als im öffentlichen Dienst nötig. Und nicht einmal Teilzeitkräfte hätten einen echten Halbtagsjob, heißt es in der Studie. Schaarschmidts Team ließ 527 Lehrer Tagebuch führen. Dass es auf Selbstauskünfte vertraute und zudem vom Beamtenbund unterstützt wurde, sollte erwähnt werden. Doch kommen andere zu ähnlichen Ergebnissen. Der Freiburger Mediziner Joachim Bauer befragte 950 Pädagogen: Sie kamen im Schnitt auf eine 51-Stunden-Woche. Flexibles Zeitkonto Eine Studie der Unternehmensberatung Mummert und Partner, erstellt im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung, zeigte bereits 1999 den hohen Einsatz vieler Lehrer. 6500 Pädagogen wurden untersucht, die durchschnittlichen Jahresarbeitszeiten lagen je nach Schulform zwischen 1750 und 1980 Stunden. Auffällig war die große Streuung der Werte: Einige Gymnasiallehrer kamen auf 3500, manche ihrer Vollzeit-Kollegen auf weniger als 1000 Stunden. Die Arbeit in der Schule ist offenbar alles andere als gleich verteilt. "Wie lange noch wollen Sie der Lastesel der Schule sein?", fragt provokativ die Vereinigung der Korrekturfachlehrer. Abseits der etablierten Lehrerverbände haben sich Lehrer korrekturintensiver Kernfächer wie Deutsch, Englisch oder Mathematik verbündet. Sie argumentieren, wer Sport unterrichte, brauche viel weniger Vor- und Nachbereitungszeit. Die Bezahlung sei aber die gleiche, und das herkömmliche Pflichtstunden-Modell schaffe auch keinen zeitlichen Ausgleich. Wer mit seinen Fächern wenig zu tun hat, könne selbst entscheiden, ob er sich anderweitig für die Schule einsetze. "Wie er sich entscheidet? Schauen Sie sich in Ihrem Kollegium um", sagen die Korrekturfachlehrer, und bei solchen Appellen muss man nun doch wieder an den Gartenliebhaber aus der Nachbarschaft denken. Die CDU-FDP-Koalition in Nordrhein-Westfalen hat einen Antrag für "gerechtere und flexiblere Lehrerarbeitszeiten" in den Landtag eingebracht. Es müsse Vergleichbarkeit und Transparenz hergestellt werden, Aufgaben außerhalb des Unterrichts sollen besser berücksichtigt werden. "Wir müssen die Lehrerarbeitszeit endlich als Ganzes betrachten", sagt Schulministerin Barbara Sommer (CDU). Und der Landesrechnungshof empfiehlt Jahreszeitkonten, um dem Unterrichtsausfall zu begegnen. Ein Vorbild aus Sicht der Landesregierung ist das "Mindener Modell". Am Freiherr-vom-Stein-Berufskolleg in Minden gibt es bereits Zeitkonten; die Unterrichtsstunden zählen je nach veranschlagtem Aufwand unterschiedlich viel. Die Schule orientiert sich dabei an Hamburg, wo die flexibleren Berechnungen bereits vor vier Jahren eingeführt wurden. Für eine Deutsch-Stunde im gymnasialen Leistungskurs beispielsweise werden den Lehrern 108 Minuten gutgeschrieben, für eine Sportstunde nur 75 Minuten. Gesondert erfasst werden Organisationsarbeiten, zum Beispiel für Klassenfahrten oder Elterngespräche. In Hamburg ist das Modell trotz zunächst starker Widerstände mittlerweile etabliert, in Nordrhein-Westfalen sind viele Schulleiter aufgeschlossen, die Lehrerverbände jedoch reagierten bei einer Anhörung in der vergangenen Woche gereizt. Ständig würden den Schulen neue Aufgaben zugewiesen, das Hauptproblem sei die Überlastung der Lehrerschaft, klagte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Der Philologenverband verlangte eine insgesamt geringere Zahl an Pflichtstunden, die bloße Umverteilung der Arbeit greife zu kurz. Jeder Versuch, Lasten zu messen und gerechter zu verteilen, wirft auch neue Fragen und Probleme auf. Erschöpft der Lärm in der Turnhalle den Sportlehrer stärker als der Chor den Musiklehrer? Warum braucht Kollege Schmidt eigentlich so viel länger für die Korrektur als Kollege Meier? Ist die Pausenaufsicht genauso viel wert wie die Planung eines Wandertages? Und je präziser die Lehrer ihre Tätigkeiten erfassen wollen, desto mehr Zeit verbringen sie mit der Dokumentation. | https://www.sueddeutsche.de/karriere/lehrer-faul-von-wegen-1.591612 | mlsum-de-758 |
Sie starb, weil sie anderen zu Hilfe kam. Nun erweisen 1500 Trauergäste im hessischen Wächtersbach der Studentin Tuğçe A. die letzte Ehre. Die Anteilnahme ist überwältigend. | Bewegende Trauerfeier Der traurige Abschied von Tuğçe A. beginnt in einem schmucklosen Gewerbegebiet in Wächtersbach. Dort steht neben einer Holzwerkstatt und Bahngleisen das gelbe Moschee-Gebäude des Türkisch-Islamischen Kulturvereins (Ditib). Im Freien bahren Helfer den dunkelbraunen, geschmückten Sarg mit dem Leichnam auf. Viele der etwa 1500 Trauergäste weinen, als ein Gebet für Tuğçe gesprochen wird. Die junge Frau war nach einer Prügelattacke vor einem McDonald's in Offenbach ins Koma gefallen und nicht mehr erwacht. Auf zwei Tischen vor dem Moschee-Gebäude liegen nun zahlreiche Blumengebinde, mit denen die Menschen ihre Anteilnahme und Trauer ausdrücken. Ein Gesteck aus rosa und weißen Rosen trägt ein Band mit der Aufschrift: "Es hätte auch meine Tochter sein können." An einem anderen steht: "Unser Engel, Du wirst immer in unseren Herzen bleiben." Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der türkische Botschafter in Deutschland, Hüseyin Avni Karslioglu, erweisen Tuğçe die letzte Ehre. Nach der Zeremonie wurde der Leichnam auf dem Friedhof ihrer Geburtsstadt Bad Soden-Salmünster beigesetzt. Mehrere Busse transportierten die Trauergäste von der Moschee zur Beerdigung, die Landstraße wurde zeitweilig für den Verkehr gesperrt. Die tragische Geschichte der Lehramtsstudentin hat zahlreiche Menschen bewegt, viele drücken Entsetzen und Trauer über die sozialen Netzwerke im Internet aus. Egi Deidda und ihre Tochter Alicia sind aus dem nahen Maintal zur Trauerfeier nach Wächtersbach gekommen. "Nicht jeder hat solch einen Mut wie sie. Ich hätte wahrscheinlich wie viele andere weggeschaut", sagt die Mutter über Tuğçe. Staatsanwaltschaft will Untersuchungen schnell voranbringen Die junge Frau war nach bisherigen Erkenntnissen in dem Fastfood-Restaurant zwei Mädchen zur Hilfe gekommen, die von Männern belästigt worden sein sollen. Unter ihnen auch der 18-Jährige, der später auf dem Parkplatz zugeschlagen haben soll. Er sitzt seither in Untersuchungshaft. Noch ist unklar, ob der Schlag oder Tuğçes Sturz, bei dem sie mit ihrem Kopf heftig auf den Boden prallte, die letztlich tödlichen Verletzungen verursacht hat. Für einen Tötungsvorsatz gebe es keine Anhaltspunkte, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Offenbach. Die Ermittlungen könnten in den ersten Monaten 2015 zu Ende gebracht werden. "In Haftsachen, insbesondere mit Jugendlichen, sollte möglichst innerhalb von sechs Monaten angeklagt werden und die Hauptverhandlung beginnen", sagte er. Mit dem Ergebnis der Obduktionsberichte sei im Januar zu rechnen. Zur Ermittlungsarbeit gehöre auch, die Qualität des Videos vom Tatgeschehen auf dem Parkplatz verbessern zu lassen. Bundesregierung begrüßt Idee eines Verdienstordens Schon am vergangenen Freitag war es vor der Klinik in Offenbach, in der die Studentin behandelt wurde, zu sehr bewegenden Szenen gekommen. Es war Tuğçes 23. Geburtstag. Am Abend, als die lebenserhaltenden Maschinen abgestellt wurden, harrten rund 1500 Menschen vor dem Krankenhaus aus. Bundespräsident Joachim Gauck will prüfen lassen, ob die junge Frau für ihre Zivilcourage posthum geehrt werden soll. Regierung und Bundeskanzlerin Angela Merkel hätten "große Sympathie" für die Gedanken, "die der Bundespräsident da geäußert hat", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. | https://www.sueddeutsche.de/panorama/abschied-von-tugce-nicht-jeder-hat-solch-einen-mut-wie-sie-1.2250353 | mlsum-de-759 |
Die EU-Regierungen tragen Mitschuld am griechischen Desaster, sagt der Generaldirektor des Europäischen Statistikamtes, Walter Radermacher. | Der Generaldirektor des Europäischen Statistikamtes, Walter Radermacher, wirft den EU-Regierungen vor, an der griechischen Krise mitschuldig zu sein. Bereits in den Jahren 2004 und 2005 habe es Probleme mit den aus Athen gelieferten Daten gegeben. Eurostat habe schon damals mehr Rechte und Kompetenzen gefordert, um zu prüfen, wie die Daten erhoben wurden. Einem entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission hätten die nationalen Regierungen aber nicht vollständig zugestimmt, sagte Radermacher der Süddeutschen Zeitung. "Die Mitgliedsstaaten haben uns nicht die Instrumente gegeben, mit denen wir die Krise hätten verhindern können." Jahrelang gefälschte Daten, permanente Misswirtschaft, verschleppte Reformen und Korruption gelten als Hauptgründe für das unübersehbare Finanzdesaster, in dem sich Griechenland befindet. Die Regierung in Athen muss immer höhere Zinsen zahlen, um ihre Schulden zu refinanzieren. Ein Konkurs des größten Schuldners in der Währungsunion würde den Euro bedrohen. Die EU hat das Land unter Zwangsaufsicht gestellt. Europas oberstem Statistiker zufolge sind ausschließlich die Mitgliedsstaaten für die Qualität der gelieferten Daten verantwortlich. Eurostat prüfe diese nur. "Wir sind der Daten-TÜV." Radermacher räumte zwar ein, dass auch andere EU-Länder gelegentlich "Zahlen mit gewissen Unschärfen" übermittelten. Gravierende Fälschungen seien jedoch in keinem anderen Land vorgekommen. "Griechenland ist ein singulärer Fall." Die Schlamperei mit den Daten Radermacher fordert nun erneut, sein Amt als unabhängiger Aufseher auszubauen. "Wir müssen nicht nur die Daten prüfen, die geliefert werden, sondern den Weg der Daten von der Erhebung vor Ort bis zu uns", sagte er. Quelle allen Übels in Griechenland sei, "dass sie kein ordentliches Rechnungswesen haben". Öffentlich finanzierte Krankenhäuser, aber auch Gemeinden führten über ihre Finanzen kaum Buch, weshalb praktisch keine Daten erfasst würden. Das zentrale Statistikamt in Athen könne diese fehlenden Daten später auch nur durch Schätzungen ausgleichen. Ob Eurostat tatsächlich mit den geforderten weitreichenden Kontrollrechten ausgestattet wird, ist ungewiss. Die Einführung neuer Methoden stoße in einem "so komplexen System wie der EU schnell an ihre Grenzen", sagte Radermacher. Die Europäische Kommission habe erneut einen Vorschlag vorgelegt, dieser gehe nun durch die europäischen Gremien. Unterdessen verschärft sich der Ton zwischen Griechenland und Deutschland. Eine griechische Verbrauerschutzorganisation forderte am Freitag, deutsche Waren zu boykottieren. Und Premier Giorgos Papandreou sagte, die Frage deutscher Reparationszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg sei offen, solle aber während der derzeitigen Krise nicht diskutiert werden. Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, genügend materielle Entschädigung geleistet zu haben. Am nächsten Freitag kommt Papandreou nach Berlin. Große deutsche Banken wollen wegen der Finanzlage in Griechenland nicht mehr in Staatsanleihen des Landes investieren. Hintergrund der Verstimmung zwischen Berlin und Athen sind die restriktive Haltung Deutschlands zu EU-Hilfen für Griechenland und Berichte deutscher Medien über die dortigen Zustände. | https://www.sueddeutsche.de/geld/griechenland-schwere-vorwuerfe-gegen-europas-regierungen-1.14806 | mlsum-de-760 |
Der Staat verkauft seine letzten Anteile an der Bank Lloyds. Der Steuerzahler erhält sogar sein Geld zurück. | Wie viele Frauen haben hier etwas zu sagen? Blick über eine Fußgängerbrücke auf Canary Wharf, den Finanzdistrikt der Londoner City. Investmentfonds, die auf Frauenförderung setzen, interessiert zum Beispiel die Zahl der weiblichen Führungskräfte, bevor sie ihr Geld in einem Unternehmen anlegen. Retten lohnt sich: 894 Millionen Pfund Gewinn soll die britische Regierung mit ihrer Beteiligung an der Bank Lloyds gemacht haben. Das Londoner Institut gab am Mittwoch bekannt, dass der Staat in den vergangenen Tagen seine letzten Lloyds-Aktien an der Börse verkauft hat. Nach Berechnungen von Lloyds fiel dabei insgesamt ein Gewinn ab. Der Steuerzahler musste den Konzern 2008, in der Finanzkrise, mit einer Kapitalspritze vor dem Untergang bewahren. Die Regierung steckte 20,3 Milliarden Pfund in das marode Institut und hielt zeitweise 43,4 Prozent der Anteile. Seit September 2013 trennt sich die Regierung schrittweise von ihren Papieren, vorige Woche betrug der Anteil nur noch 0,25 Prozent. Für die Finanzbranche im Königreich ist es geradezu ein historischer Moment, dass die erste vom Staat gerettete Bank nun wieder komplett in privater Hand ist. Lloyds zufolge nahm der Staat durch die Verkäufe und Dividendenzahlungen 21,2 Milliarden Pfund ein, also mehr, als er in der Krise investierte. Vorstandschef António Horta Osório sagte, als er vor sechs Jahren bei dem Institut anfing, sei es in einer "sehr schwierigen Situation" gewesen. Jetzt hingegen sei Lloyds "eine der stärksten Banken" der Welt. Das leidvolle Kapitel Bankenrettung ist allerdings für die britische Regierung noch lange nicht abgeschlossen. An der Royal Bank of Scotland hält der Staat weiter 72 Prozent der Anteile. Daneben verwaltet UK Asset Resolution, die Bad Bank der Regierung, Hypotheken im Wert von 22 Milliarden Pfund. Die Darlehen stammen von den Hypothekenbanken Bradford & Bingley und Northern Rock, die in der Krise verstaatlicht wurden. Die USA sind da weiter. Dort verkaufte der Rettungsfonds Tarp schon vor zweieinhalb Jahren seine letzte nennenswerte Beteiligung an einer Bank. Insgesamt investierte Tarp während der Krise 426 Milliarden Dollar in marode Finanz- und Autokonzerne. Da 441 Milliarden Dollar durch Verkäufe, Zins- und Dividendenzahlungen hereinkamen, erzielte das Programm 15 Milliarden Dollar Gewinn. Bundesländer, die Förderbank KfW und der Rettungsfonds investierten Milliarden In Deutschland hingegen wird die Krisenhilfe aller Voraussicht nach zum Minusgeschäft. Allein beim Rettungsfonds Soffin liefen bis Ende 2016 Verluste von 22,5 Milliarden Euro auf. Die stammen aus den Staatshilfen für Commerzbank, WestLB und Hypo Real Estate. Daneben steckten auch die Bundesländer Milliarden in ihre Landesbanken, und die Förderbank KfW stützte das Institut IKB. Die Finanzminister müssen sich darauf einstellen, viele dieser Milliarden nicht wiederzusehen. Zumal auch die Erfolgsbilanz in den USA von Kritikern angezweifelt wird. Geld gibt es nicht umsonst: Investoren erwarten Zinsen, und der amerikanische Staat musste sich die Milliarden, die er an Banken ausreichte, selbst erst leihen. Dazu kommt die Inflation. Ein Dollar heute ist weniger wert als ein Dollar, der 2009 an eine Bank überwiesen wurde. Werden solche Finanzierungskosten auf die ausgezahlten 426 Milliarden Dollar draufgeschlagen, bleibt von den schönen 15 Milliarden Dollar Gewinn nichts übrig. Ähnliches gilt für die 894 Millionen Pfund Gewinn, die der britische Staat angeblich mit der Rettung von Lloyds macht. Der frühere Schatzkanzler George Osborne präsentierte schon vor zwei Jahren eine Studie, die belegen sollte, dass die Regierung mit der Bankenrettung insgesamt einen Milliardengewinn erzielen werde. Auch hier bemängelten Kritiker, dass dieser Gewinn verschwinde, sobald Finanzierungskosten berücksichtigt werden. Eine große Belastung für die Bilanz der Bankenrettung ist die Royal Bank of Scotland (RBS). Der Staat investierte 2008 und 2009 etwa 45 Milliarden Pfund in das Institut und hält nun 72 Prozent der Aktien. Seit dem Einstieg hat das Edinburgher Geldhaus jedes Jahr einen Verlust ausgewiesen, im vergangenen Jahr lag der Fehlbetrag bei sieben Milliarden Pfund. Der Staat zahlte einen Durchschnittspreis von 502 Pence pro Aktie. Jetzt notiert das Papier etwa bei der Hälfte. Der konservative Schatzkanzler Philip Hammond, Osbornes Nachfolger, geht deswegen nicht davon aus, bei einer Privatisierung Gewinn zu erzielen. Im Parlament sagte er jüngst, die Regierung plane im Moment keine Verkäufe, halte aber am Ziel fest, die Bank wieder in private Hände zu geben. Er wolle einen "fairen Preis für die Aktien" bekommen, doch "der faire Preis könnte durchaus unter dem liegen, was die frühere Regierung für die Aktien gezahlt hat". Die RBS hat weiter mit Altlasten zu kämpfen. Für Skandale aus der Vergangenheit fielen bereits Strafen in Milliardenhöhe an. Und eine weitere Strafe in den USA steht noch aus. Für Betrügereien beim Verkauf von Hypothekenpapieren vor der Finanzkrise könnte der Konzern bis zu 13 Milliarden Dollar zahlen müssen. Der Rivale Lloyds wurde ebenfalls zu diversen Strafen verdonnert, doch drohen nun keine hohen Belastungen mehr. Das Unternehmen hat sich gesundgeschrumpft, sich von Sparten und Filialen getrennt. Die Zahl der Mitarbeiter sank um 57 000. Den Gewinn konnte der Konzern 2016 kräftig steigern. Davon profitieren von nun an ausschließlich private Investoren, nicht mehr der Staat. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/grossbritannien-fertig-mit-retten-1.3509509 | mlsum-de-761 |
Vor einem Millionenpublikum bekommt der Bayern-Trainer plötzlich Nasenbluten. Stress gilt als einer der Gründe für diese Neigung. | Friedrich der Große konnte Erste Hilfe leisten. Als sein Vertrauter Hans Karl von Winterfeldt während einer Unterredung starkes Nasenbluten bekam, wollte sich dieser entfernen, doch der König hielt ihn zurück, ließ den General seine Ärmel hochkrempeln, löste dessen Zopfband und wickelte es ihm fest um den Arm. "Augenblicklich hörte das Nasenbluten auf", vermerkt der Chronist. Die ungewöhnliche Behandlung des Alten Fritz ist zwar nicht in medizinische Lehrbücher eingegangen, weist jedoch darauf hin, was heute noch gilt: Nasenbluten ist zwar lästig, aber fast immer harmlos - und hört meist von allein wieder auf. Insofern muss man sich kaum Sorgen um Jupp Heynckes machen. Der 72-jährige Bayern-Trainer bekam schon in der ersten Halbzeit des Pokal-Krimis gegen Leipzig heftiges Nasenbluten. Sein helles Hemd war blutbesprenkelt. Heynckes hatte nicht nur, wie üblich, gerötete Wangen, sondern auch rote Flecken auf dem Hemd. In der Pause wechselte er die Wäsche und versuchte fortan, den Blutfluss mit Wattestopfen zu unterbinden. Bergsteiger, Piloten oder Fahrstuhlführer sind oft betroffen Meist ist eine Verletzung der Schleimhaut der Grund für Nasenbluten. Erkältungsleiden, mechanische Reizung - etwa durch Nasebohren -, aber auch die trockene Luft in klimatisierten Räumen machen die dünne Schutzschicht noch empfindlicher. In der vorderen Nasenscheidewand befindet sich zudem der Locus Kiesselbachi, ein stark durchblutetes Gefäßgeflecht, in dem ohne erkennbare Ursache feinste Kapillaren platzen und zu Nasenbluten führen können. Wer als Bergsteiger, Pilot oder Fahrstuhlführer immer wieder wechselndem Luftdruck ausgesetzt ist, blutet zumeist aus dieser Quelle - wer Stimmungsschwankungen beim FC Bayern auszuhalten hat, womöglich auch. Krankheiten wie Grippe, Masern und Diabetes können ebenfalls die Blutungsneigung aus der Nase erhöhen, genauso wie Stress, Bluthochdruck und die Einnahme von Blutverdünnern. Es gibt eine Reihe seltener Leiden, bei denen Blutungen leichter auftreten oder die Gefäße krankhaft erweitert sind. Bis dieser Verdacht aufkommt, müssen die Beschwerden allerdings ausgeprägt sein. Ansonsten gilt: Häufiges ist häufig, Seltenes selten - oder wie Ärzte es ausdrücken: Wer in Europa Hufgetrappel hört, sollte nicht an Zebras denken. Die oft beobachtete Praxis, den Kopf in den Nacken zu legen, ist übrigens falsch. Nicht nur hört die Blutung dann nicht eher auf, vielmehr besteht die Gefahr, dass Blut verschluckt wird und in den Magen gelangt. Dies führt bei vielen Menschen zu Übelkeit. In der Unruhe, die Nasenbluten gerade bei Kindern häufig auslöst, trägt Erbrechen nicht unbedingt zur Beruhigung der Situation bei. Ratsamer ist es, zu stehen oder zu sitzen, den Kopf gerade zu halten oder nach vorn zu beugen. Eiswürfel zu lutschen sowie ein kalter Waschlappen im Nacken lindern die Beschwerden, Tamponaden in den Nasenlöchern verhindern größere Sauereien. Für Heynckes ist es durchaus von Vorteil, dass ihm das Malheur nicht während einer Asienreise des FC Bayern passiert ist. Medizinisch ist das zwar unsinnig, aber in Japan gilt Nasenbluten als kulturelle Chiffre für Lüsternheit und starke Triebe. | https://www.sueddeutsche.de/sport/trainer-des-fc-bayern-rotes-tuch-bei-jupp-heynckes-1.3725316 | mlsum-de-762 |
800 000 VW-Kunden drohten wegen zu niedriger Herstellerangaben über den CO2-Ausstoß ihrer Autos Zusatzkosten. Nun sollen die Finanzämter sich das Geld vom Konzern holen. | Hunderttausende VW-Fahrer haben zumindest eine Sorge weniger: Volkswagen will für seine Kunden mögliche Nachzahlungen bei der Kfz-Steuer wegen falscher CO2-Angaben bezahlen. Das schrieb VW-Konzernchef Matthias Müller am Freitag in einem Brief an die 28 Finanzminister der Europäischen Union. Vom CO2-Ausstoß hängt bei Pkw mit Erstzulassung ab 1. Juli 2009 die Höhe der Kfz-Steuer ab. Das eigentliche Problem ist damit aber noch nicht gelöst: Rund 800 000 VW-Fahrzeuge stoßen mehr Kohlendioxid (CO2) aus und verbrauchen damit mehr Sprit als angegeben. VW hatte Anfang der Woche mitgeteilt, bei rund 800 000 Fahrzeugen im Konzern sei der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxid (CO2) und damit der Spritverbrauch zu niedrig angegeben worden. In Deutschland betrifft dies 200 000 Autos. Damit hatte sich der Skandal ausgeweitet. VW-Chef Müller schrieb nun in dem Brief an die EU-Finanzminister: "Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn auch Sie bereit wären, nötigenfalls durch entsprechende rechtliche oder administrative Vorkehrungen sicherzustellen, dass die zuständigen Steuerbehörden nicht unsere Kunden, sondern Volkswagen direkt mit etwaigen Mehrsteuern belasten." Müller geht in dem Schreiben an die Finanzminister auch auf die Abweichungen ein und warum es lange dauert, konkrete Angaben zu machen: "Eine verlässliche Bewertung der Abweichungen ist auf Grund der Komplexität der Thematik derzeit noch nicht möglich. Volkswagen ist bestrebt, schnellstmöglich eine korrekte Einstufung der CO2-Werte bei den relevanten Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorzunehmen." Die falschen CO2-Angaben sind entweder über Manipulationen im Messvorgang auf dem Prüfstand selber oder über manipulierte Testwagen zustande gekommen, wie ein Konzernsprecher am Freitag sagte. Damit aktualisierte der Sprecher anfängliche Angaben, wonach offenbar bloß auf dem Papier zu niedrige CO2-Werte angegeben wurden. Wer für die falschen Angaben verantwortlich ist, ist aber nach wie vor ungewiss. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/co2-ausstoss-vw-verspricht-nachzahlungen-von-kfz-steuer-zu-uebernehmen-1.2726727 | mlsum-de-763 |
Oliver Bierhoff hat das Verhalten der beiden Teambetreuer gegen Schweden verurteilt. Sie werden um eine offizielle Strafe aber nicht herumkommen - dabei werden sie von manchen Spielern schon als Bud Spencer und Terrence Hill gefeiert. | Rudelbildung am Spielfeldrand: Der Leiter des Büros der deutschen Nationalmannschaft, Gregor Behlau (links im hellen Hemd), hat die Schweden nach dem deutschen Siegtreffer provoziert. Diese lassen sich das nicht gefallen. Einen "absoluten Weltklasse-Job" versehe das sogenannte Team hinter dem Team, hat Mats Hummels neulich in Sotschi gelobt. Er meinte damit die Arbeit von Ärzten, Physiotherapeuten, Servicekräften, Sicherheitsleuten und anderen Bediensteten im riesigen Begleiter-Tross. Auch der langjährige TV-Chef der Medienabteilung, Uli Voigt, 65, genießt im Kreis der Spieler große Beliebtheit, und das hat sich am Wochenende auch dadurch nicht geändert, dass der Nebendarsteller Voigt beim gewonnenen Spiel gegen Schweden fast so viel Aufsehen erregt hat wie die siegreichen Akteure. Der Fernsehmenschenbetreuer Voigt und der Büroleiter des DFB-Managers Oliver Bierhoff, Georg Behlau, hatten ihrer Freude über Toni Kroos' späten Siegtreffer ein wenig zu leidenschaftlich Ausdruck verliehen und damit bei der schwedischen Delegation schweren Ärger hervorgerufen. Wobei sich die Schweden nicht über den Jubel an sich aufregten, sondern über die Tatsache, dass ihnen die beiden Deutschen ihre Jubelfäuste aus mehr oder weniger unmittelbarer Nähe unter die Nase hielten und dazu auch alles andere als freundliche Gesichter aufsetzten. Davon konnte sich die ganze Welt ein Bild machen - es gab gestochen scharfe Fernsehaufnahmen von dem Vorstoß der DFB-Rabauken am Spielfeldrand, und die Bilder dieser Entgleisung werden nun rauf und runter gesendet. Während sich die Führung des DFB alles andere als amüsiert zeigte über den Vorfall und es hausintern zu massiven Diskussionen kam, sorgte die Geschichte unter den Nationalspielern für Erheiterung. Von Bud Spencer und Terrence Hill war die Rede. Womöglich hat mancher Fußballer die Aktion als familiäre Solidarität gedeutet. Oliver Bierhoff kam allerdings nicht umhin, das Verhalten seiner vertrauten Mitarbeiter zu verurteilen: So etwas dürfe "nicht passieren. Das haben wir auch intern gesagt: Das ist nicht unsere Art von Fairplay und Sportgeist", sagte Bierhoff in der ARD zu den Provokationen: "Wir haben uns entschuldigt. Sie haben die Entschuldigung auch angenommen." Uli Voigt zeigte sich am Montag im Medienzentrum in Watutinki reuig. Dass er den Gefühlsausbruch für "eine bescheuerte Aktion" hielt, hatte er am Sonntag bereits dem Bonner General-Anzeiger gestanden. Begründung: "Ich hatte mein Gehirn ausgeschaltet." Immerhin meldete sich der Verstand zügig zurück: Nach dem Spiel ging Voigt in die Kabine der Schweden und entschuldigte sich bei allen, die er dort vorfand: Trainerteam, Betreuer, Spieler. Was machte der Büroleiter unten auf dem Rasen? Eine Strafe wird ihm und Behlau aber kaum erspart bleiben, im deutschen Lager wird mit einer Innenraum-Sperre durch den Weltverband gerechnet. Am Montag teilte der DFB schon mal mit, dass weder Voigt noch Behlau im nächsten Spiel "Funktionen im Stadion-Innenraum wahrnehmen werden" - unabhängig von der Entscheidung der Fifa-Disziplinarkommission. Zuvor hatte der DFB dem Weltverband fristgerecht eine Stellungnahme zu den Vorfällen übermittelt und erneut versichert, dass er sie "ausdrücklich bedauert". Bleibt noch die Frage, welcher spezifischen Aufgabe der Büroleiter Behlau, 49, am Spielfeldrand in Sotschi nachgegangen war. Voigts Anwesenheit beim Nationalteam in Rasennähe ist Routine, aber die meisten DFB-Bediensteten sitzen während der Spiele oben auf der Tribüne. Nur ein kleiner Teil darf auf der Bank oder an der Bank Platz nehmen. Laut WM-Regel 45, Absatz 8 der Fifa sind nicht mehr als 23 Leute dort erlaubt: zwölf Ersatzspieler und elf Offizielle. | https://www.sueddeutsche.de/sport/deutsche-nationalmannschaft-dfb-arbeitet-rabauken-affaere-auf-1.4029452 | mlsum-de-764 |
Hochzeitsfotos, Familienrezepte - die Internetplattform Houshamadyan versucht den Alltag der osmanischen Armenier vor 100 Jahren zu rekonstruieren. Das Projekt offenbart einen verlorenen Schatz. | Vor zehn Jahren schockte ein Türke in Istanbul seine Landsleute mit alten Ansichtskarten. Staunend und stumm standen die Menschen in einer Ausstellung mit Hunderten Karten, die ihr Land abbildeten, so wie sie es zuvor noch nie gesehen hatten: mit armenischen Kirchen und Klöstern, armenischen Handwerkern und Honoratioren. Da erst begriffen viele, was fehlt in ihrem Land und wie gründlich die Erinnerung ausgelöscht wurde. Nun, im 100. Jahr der Erinnerung an den Völkermord an den osmanischen Armeniern, gibt es ein digitales Geschichtsbuch, ein Archiv der anatolisch-armenischen Alltagsgeschichte im Internet. Dreisprachig: Englisch, Armenisch, Türkisch. Schon dies ist ein Statement. Gemacht wird www.houshamadyan.org von jungen Armeniern, die Wert darauf legen, dass ihr "Memory Book" nicht als Wunsch nach "Wiedereroberung" einer verlorenen Heimat missverstanden wird. Sie wollen nichts zu tun haben mit radikalen politischen Forderungen, die es in der armenischen Diaspora auch gibt. Im Gegenteil: Sie laden auch Türken und Kurden ein, sich an der "Rekonstruktion" der gemeinsamen anatolischen Geschichte zu beteiligen. Dies ist so außergewöhnlich wie das gesamte Projekt, für das schon im Jahr 2010 ein gemeinnütziger Förderverein gegründet wurde - in Berlin. Weil in Berlin Vahé Tachjian und Silvina Der-Meguerditchian leben. Der Sozialwissenschaftler Tachjian betreut die Inhalte der Seite, Meguerditchian, geboren 1967 in Argentinien, zeichnet für das Design verantwortlich. "In meiner Familie wurde Spanisch, gemixt mit Türkisch und Armenisch gesprochen", erzählt die Künstlerin, deren Familie Wurzeln in Anatolien hat. 2005 war sie erstmals in Istanbul, mit der "Angst der Großeltern" im Kopf. "Alles, was du siehst, was du tust, der Duft, das Licht", alles war erzählte Erinnerung, und damit Quelle von Verstörung. Dann sah sie eben jene Postkartenausstellung des Türken Osman Köker. "Das hat mich sehr berührt", sagt Meguerditchian. Ohne die alten Karten von Köker gäbe es also wohl auch nicht das Erinnerungsbuch im Web, dessen Umfang stetig wächst, gefüttert von privaten Nachlässen, Zufallsfunden, wissenschaftlicher Forschung. Armenier lebten vor ihrer Vertreibung im Osmanischen Reich in etwa 3 000 Siedlungen, kleinen Dörfern wie großen Städten. Entsprechend reichhaltig und vielfältig sind die kulturellen Zeugnisse, von der Architektur christlicher Sakralbauten bis zum Liedgut. Es gibt Fotos, Filme, Familienalben, Musikaufnahmen. Dokumentiert wird auch die Alltagskultur. Kinderspiele wie Kochrezepte, medizinische Hausmittelchen und Hochzeitsbräuche in einer konservativen Gesellschaft, in der Paare sich vor der Eheschließung nicht in die Augen sehen durften. Ob Christen oder Muslime, so unterschiedlich waren die Kulturen einst gar nicht. Wie sähe die Türkei heute aus, hätte sie noch große christliche Minderheiten, eine armenische und eine griechische? Sie wäre ein anderes Land. Houshamadyan ist ein digitales Denkmal für einen großen verlorenen Schatz. | https://www.sueddeutsche.de/politik/voelkermord-an-den-armeniern-digitales-denkmal-1.2447271 | mlsum-de-765 |
Starker Auftritt von Bayer Leverkusen in der Champions League: Nach der Auftaktniederlage gegen Monaco schlägt das Team Benfica Lissabon mit 3:1. Nur Hakan Calhanoglu grämt sich - weil er aus einem Meter das Tor verfehlt. | Benfica bleibt chancenlos Bayer Leverkusen hat sich im Rennen um das Achtelfinale in der Champions League eindrucksvoll zurückgemeldet. Nach dem 0:1-Fehlstart vor vierzehn Tagen bei AS Monaco gelang der Werkself am zweiten Spieltag ein verdienter 3:1 (2:0)-Sieg gegen den portugiesischen Rekordmeister Benfica Lissabon. Dank der Treffer von Stefan Kießling (28.), Heung-Min Son (34.) und Hakan Calhanoglou (64., Foulelfmeter) hat der Bundesliga-Vierte der vergangenen Saison in der Gruppe C mit drei Zählern als Tabellendritter nun wieder gute Chancen auf einen der ersten beiden Plätze. "Wir haben ein sehr gutes Spiel gemacht und hochverdient gewonnen. Wir haben ihnen schnell die Lust am Fußball genommen, das zweite Tor war dabei natürlich sehr viel wert", sagte Kapitän Lars Bender bei Sky: "Der Sieg heute war für uns extrem wichtig, da wir die Heimspiele gewinnen müssen." Julio Cesar hilft Kießling Gegen Portugals Rekordchampion, der sein erstes Match in der Königsklasse zu Hause 0:2 gegen St. Petersburg in den Sand gesetzt hatte, spielte Bayer vor 25.202 Zuschauern von Beginn an beherzt auf und war um eine schnelle Führung bemüht. Zunächst agierten die Hausherren bis auf wenige Ausnahmen aber zu überhastet, um Benfica ernsthaft in Verlegenheit zu bringen. Die beste Möglichkeit vor dem Führungstreffer für Bayer vergab Ersatzkapitän Lars Bender, der in der 14. Minute nur das Aluminium traf. Gäste-Torwart Julio Cesar wäre in dieser Situation chancenlos gewesen, nachdem er zwei Minuten zuvor noch einen eher harmlosen Weitschuss von Nationalmannschafts-Aspirant Karim Bellarabi mühelos entschärft hatte. In der 28. Minute begünstigte der brasilianische Nationaltorwart aber die Führung der Gastgeber, als er einen Schuss von Son abklatschen ließ und sich Kießling die Chance vom Fünfmeterraum nicht entgehen ließ. Für Kießling war es bereits der insgesamt zehnte Saisontreffer und sein vierter in der Königsklasse. Anschließend erhöhte Son auf Vorarbeit von Bellarabi ebenfalls aus kurzer Distanz. Calhanoglu vergibt aus einem Meter Kurz nach der Pause hätte Bayer bereits auf 3:0 erhöhen müssen, aber der neben Son und Bellarabi herausragende Calhanoglu verfehlte in der 52. Minute freistehend aus einem Meter das leere Tor. "Zur Bestrafung werde ich wohl die Mannschaft einladen müssen", sagte der türkische Nationalspieler nach der Partie. Calhanoglu konnte sich aber doch noch über seinen ersten Treffer in der Champions League freuen, als er den von Jardel an Kießling verursachten Strafstoß sicher verwandelte. Ein Minute zuvor hatte Eduardo Salvio die Gäste mit einem Treffer aus dem Nichts kurzfristig wieder ins Spiel gebracht. Bayer ließ sich davon aber nicht irritieren und beherrschte das mit vielen südamerikanischen Profis gespickte Benfica-Team insgesamt fast nach Belieben und brachte den Sieg sicher über die Zeit. Die Gäste, die in der portugiesischen Meisterschaft fünf von sechs Spielen gewonnen haben, warteten ausschließlich auf Konter, konnten die Abwehr vor Bayer-Schlussmann Bernd Leno aber nur beim Anschlusstreffer düpieren. Bayer konnte seinerseits über weite Strecken schalten und walten wie es wollte und hätte noch das ein oder andere Tor mehr erzielen können. | https://www.sueddeutsche.de/sport/sieg-gegen-lissabon-leverkusen-wirbelt-ueber-benfica-hinweg-1.2156721 | mlsum-de-766 |
Die Wahl zeigt, wie groß die Empörung über Italiens Eliten ist. Nun könnten bald die Protestpartei Fünf Sterne oder ein Rechtsbündnis regieren. Beiden fehlen aber entscheidende Prozente. | Natürlich passt nun wieder das alte Bild des politischen Erdbebens, diesmal ist es nicht einmal überzeichnet. Die Parlamentswahl 2018 erschüttert die italienische Politik so nachhaltig, dass man bereits von der Niederkunft der "Terza Repubblica" spricht, der Geburt der Dritten Republik. Ein Zeitenwechsel, eine neue Geschichte. Es gibt nun zwei Italien, scharf voneinander getrennt. Als gehörten sie nicht mehr zusammen. Dabei spiegeln sie sich ineinander. Es eint sie der Protest gegen den Status quo, gegen das System, dieses diffuse Gefühl, dass es nur besser wird, wenn sich alles verändert. Und zwar radikal. Ein Blick auf die Landkarte nach den Wahlen genügt. Die Trennung verläuft entlang der geografischen Falllinie. Da der Norden, der wirtschaftliche Motor des Landes, blau koloriert, in den Farben der Rechten und vor allem der rechtsnationalen Lega, die mit der Angst vor der Zuwanderung und mit dem Versprechen sinkender Steuern warben. Dort der Süden, abgehängt und chronisch hinkend, fast ganz gelb, in der Farbe der Cinque Stelle, die den vielen Arbeits- und Perspektivlosen im Mezzogiorno ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine bessere Pension versprachen. Es ist, als wäre das politische Italien bipolar Dazwischen etwas rot in den alten Hochburgen der Linken. Es sind nur noch einige Sprengsel. Deutlicher geht es kaum. Matteo Renzi, der Vorsitzende des sozialdemokratischen Partito Democratico und ehemaliger Premier, erklärte deshalb am Montagabend seinen Rücktritt. Vor gar nicht so langer Zeit war er die große Hoffnungsfigur der italienischen Politik. Einer, von dem es hieß, wer, wenn nicht er, werde das Land reformieren und modernisieren. Es ist, als wäre das politische Italien nicht mehr tripolar, sondern bipolar mit einigen Zaungästen. Zählt man die Stimmen der Fünf Sterne und der Lega zusammen, kommt man auf fast 50 Prozent. Oder anders gesagt: Halb Italien erträgt das Establishment nicht mehr. Ein Drittel der Wähler hat sich für eine Partei entschieden, die bisher erst in Stadtverwaltungen regiert hat, in Rom zum Beispiel seit bald zwei Jahren, und das auch noch schlecht. Das Resultat zeigt, dass die Empörung über die alten, kungelhaften und korrupten Eliten noch viel größer ist, viel tiefer sitzt, als man es angenommen hatte. Besonders im Süden des Landes. Die Zeitung Corriere della Sera schreibt von einer "toxischen Wut", die den Mezzogiorno zersetze. Die Beschäftigungsquote? Sie liegt nirgendwo in Europa niedriger als in Süditalien. Die Kinderarmut? Hat zugenommen. Die Vorstädte? In katastrophalem Zustand. Die Jugendlichen? Wenn sie können, ziehen sie weg. Fünf Sterne - das ist das Versprechen eines Systembruchs. Sie haben landesweit mehr als 32 Prozent der Stimmen gewonnen. Keines der beiden Lager hat eine Mehrheit Im Norden dagegen fürchtet man um die Früchte des Aufschwungs. Der hat nämlich schon lange eingesetzt, man steht wieder besser da als vor der Wirtschaftskrise. Die Lega schaffte es, den Norditalienern einzureden, dass es da ein großes Problem mit der inneren Sicherheit gebe, und dass dieses Problem vor allem mit den "Schiffsladungen mit Migranten" zusammenhänge. Mit Silvio Berlusconis Forza Italia schwadronierten sie von einer "fiskalischen Revolution", einer Flat Tax für Bürger und Unternehmer, deren Sätze so tief angesetzt würden, 15 oder 23 Prozent nämlich, dass viele schon träumten. Das Rechtsbündnis, dem auch die postfaschistischen Fratelli d'Italia angehören, brachte es auf 37 Prozent. Zu einer Parlamentsmehrheit fehlen jedoch beiden Lagern, der Rechten und den Cinque Stelle, einige Prozentpunkte Stimmen und folglich eine stattliche Zahl an Sitzen in der Abgeordnetenkammer und im Senat. Das ist entscheidend. Italien ist eine parlamentarische Demokratie. Die Regierung stellt jenes Lager, das in beiden Kammern eine Mehrheit hinter sich hat. Wenn die nicht auf natürlich Weise zustande kommt, braucht es etwas Geburtshilfe. | https://www.sueddeutsche.de/politik/italien-die-parlamentswahl-spaltet-das-land-1.3892859 | mlsum-de-767 |
Im Streik bei der Post darf der Konzern Beamte einteilen, um die Folgen abzufedern - vorausgesetzt die tun das freiwillig. Damit ist die Gewerkschaft Verdi vorerst vor Gericht gescheitert. | Die Gewerkschaft Verdi ist sauer, weil die Post Beamte einsetzt, um die Folgen des Streiks abzumildern. Richter sehen Beamte nicht als "Streikbrecher" Die Gewerkschaft Verdi ist mit einer Klage gegen die Deutsche Post vor dem Arbeitsgericht Bonn gescheitert. Verdi hatte juristisch erzwingen wollen, dass die Post keine Beamten einsetzen darf, um die Folgen von Streiks der Angestellten abzumildern. Die entsprechenden Anträge seien zurückgewiesen worden, teilte das Gericht in Bonn mit. Die Gewerkschaft könne aber vor dem Landesarbeitsgericht in Köln in Berufung gehen. Bei dem ehemaligen Staatsmonopolisten Post sind noch rund 38 000 Beamte beschäftigt. In dem Bonner Verfahren hatte Verdi kritisiert, dass die Post besonders in Frankfurt und Wiesbaden massiv Beamte auf bestreikte Angestellten-Stellen abgeordnet und diese so als "Streikbrecher" eingesetzt habe. Die Post wies dies energisch zurück und betonte, sie halte alle geltenden Regeln ein. Gericht wertet Einsatz als freiwillig Laut Verdi ließ das Bonner Gericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Streitfalls Berufung gegen seine Entscheidung zu. In dem Verfahren habe die Post einen Vergleichsvorschlag abgelehnt, erklärte die Gewerkschaft weiter. "Ein Vergleich hätte für beide Seiten Rechtssicherheit geschaffen." Das Gericht sei davon ausgegangen, dass der Einsatz von Beamten freiwillig erfolgt sei und daher kein Rechtsverstoß aus der Vergangenheit vorliege. Die Rechtsauffassung von Verdi sei hingegen, dass ein Einsatz auf vermeintlich freiwilliger Basis nicht zulässig sei. Die Post begrüßte die Entscheidung: "Wir freuen uns, dass das Gericht unsere Rechtsauffassung bestätigt hat", sagte Post-Vorstand Jürgen Gerdes. Verdi setzte im Streit um höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten die Streiks bei der Post fort. Post will wieder verhandeln Gerdes rief Verdi zudem auf, nun am Verhandlungstisch konstruktiv an einer Lösung des Tarifstreits zu arbeiten. Die Gespräche mit der Post sollen am 1. und 2. Juni in Berlin fortgesetzt werden. Verdi will für die 140 000 Tarifbeschäftigten des Konzerns 5,5 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten sowie eine Verkürzung der Wochen-Arbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich durchsetzen. Die Gewerkschaft hat ihre Forderungen bereits mit mehreren bundesweiten Warnstreikwellen unterstrichen. Auch am Dienstag beteiligten sich Verdi zufolge rund 2000 Post-Angestellte an den Protesten. Einen Tag vor der Hauptversammlung des Konzerns in Frankfurt sei es in fast allen Bundesländern zu Streiks gekommen. Bei dem Aktionärstreffen will die Gewerkschaft ebenfalls demonstrieren. Verdi-Chef Frank Bsirske soll vor der Halle bei einer Kundgebung sprechen. Streit um Stellen in neuen Tochtergesellschaften Der Post zufolge legten bis zum Mittag rund 1600 Beschäftigte die Arbeit nieder. Für die Kunden seien "keine größeren Folgen" der Proteste zu erwarten, betonte der Konzern. Das Klima zwischen Post und Verdi ist bereits seit Monaten vergiftet. Die Post hat angekündigt, Tausende neue unbefristete Stellen schaffen zu wollen, allerdings in 49 neuen Gesellschaften, für die niedrigere Löhne als im Konzern gelten. Verdi sieht dies als Bruch geltender Verträge. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/streit-vor-dem-arbeitsgericht-verdi-muss-einsatz-von-post-beamten-dulden-1.2494747 | mlsum-de-768 |
Überall triumphiert die Digitalisierung, nur nicht an den deutschen Schulen. Fürs E-Learning fehlt es sogar an Steckdosen. | Eltern schauen ihren Kindern nur ungern dabei zu, wenn sie den Ranzen für den nächsten Schultag packen. Ein ganzer Berg von Büchern, der irgendwie in den Rucksack gestopft werden soll - ist das nicht etwas viel für einen zarten Kinderrücken? Und nicht nur überängstliche Eltern fragen sich, wieso ihre Kinder überhaupt noch so viel schleppen müssen, wenn es doch sonst schon fast alle Bücher und Nachschlagewerke digital gibt. Nur in den Schulen nicht. Da, wo man die Bücher täglich braucht. Wo also bleiben die digitalen Schulbücher? Gibt es sie schon? Oder doch nicht? Ein Problem ist da sicherlich, dass einige sagen, es gibt sie schon, und andere das Gegenteil behaupten. Dass es digitale Schulbücher schon gebe, das sehen die großen Schulbuchverlage so. Tatsächlich bieten viele seit einigen Jahren an, dass beim Kauf des gedruckten Buches auch eine PDF-Version desselben genutzt werden kann. Manchmal beinhaltet sie zusätzlich interaktive Übungen. Außerdem gibt es Plattformen wie "Scook", auf denen diverse Verlage digitales Lernmaterial anbieten. Nur genutzt werden die Angebote kaum, sagen die Verlage. Nur wenige Schulen haben zudem ein eigenes Wlan-Netz, noch weniger Schulen besitzen Laptops oder Tablets für alle Schüler. Auch an noch banaleren Dingen wie genügend Steckdosen in den Klassenzimmern mangelt es. Viele Schulen sind derzeit also rein technisch gar nicht in der Lage, aufwendige digitale Angebote anzunehmen. Das hat zuletzt auch die Pisa-Studie bestätigt: In Sachen Computerausstattung liegt Deutschland unter 34 OECD-Ländern an 28. Stelle - auf einer Höhe mit Rumänien, Chile und Israel. Während sich an deutschen Schulen vier Neuntklässler einen Rechner teilen müssen, gibt es in Großbritannien, Norwegen und Estland für fast jeden Jugendlichen einen Computer. Ein gutes digitales Schulbuch muss mehr sein als ein PDF-Format Dass es vor allem eine Definitionsfrage ist, was mit einem digitalen Schulbuch gemeint ist, merkt man, wenn man mit Medienpädagogen und Lehrern spricht. Viele sagen dann, es gebe noch keine digitalen Schulbücher - zumindest keine guten. Denn die müssten mehr sein als bloße Schulbücher im PDF-Format. Auch Lernpsychologen wie Frank Fischer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München halten diese für wenig sinnvoll: Es sei schließlich erwiesen, dass digitale Medien nur dann das Lernen und den Unterricht verbesserten, wenn mit ihnen ein Mehrwert erzielt wird; wenn sie mehr leisten als das klassische Schulbuch. Und genau das ist ja das eigentliche Ziel des Einsatzes digitaler Medien an Schulen: die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Dass Schüler nicht mehr schleppen müssten, ist nur ein angenehmer Nebeneffekt. | https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitale-schule-wie-es-im-buche-steht-1.2661216 | mlsum-de-769 |
Die Entscheidung ist getroffen: Die EZB wird Staatsanleihen ankaufen. In der Folge erreicht der Dax ein Rekordhoch. Deutsche Finanzinstitute halten den Plan dagegen für unnötig und übertrieben. | Der Euro bricht ein Der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat die Anleger nicht enttäuscht. Nach seiner Bekanntgabe, dass die EZB ab März bis September 2016 jeden Monat im Umfang von 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere von Euro-Ländern aufkaufen will, schnellte der Dax in der Spitze um ein Prozent nach oben - auf ein Rekordhoch von 10 399,67 Punkten. Der Euro brach hingegen um mehr als ein Prozent ein und fiel unter die Marke von 1,15 Dollar. Die Reaktionen auf die Entscheidung der EZB gehen in eine klare Richtung, bei vielen stößt das Vorhaben der Zentralbank auf starke Kritik: Der Schritt der EZB ist eine Zumutung", sagte Alexander Erdland, Präsident des Versicherungsverbands GDV. Es sei ungewiss, ob das Programm der EZB wie erhofft zu mehr Investitionen und steigenden Preisen führe. "Sicher ist hingegen, dass weiterer Schaden für die Sparkultur in Deutschland angerichtet wird", so Erdland weiter. "Denn das Ankaufprogramm verstärkt den Druck auf festverzinsliche Wertpapiere, die eine Säule der privaten Altersvorsorge sind." Die großen deutschen Bankenverbände halten das EZB-Vorgehen ebenfalls für übertrieben. Die EZB dramatisiere die Preis- und Wirtschaftsentwicklung im Euroraum unnötig, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Michael Kemmer. Es sei zu befürchten, dass das zusätzliche Geld vor allem in die Finanzmärkte fließe. Dadurch steige die Gefahr von Vermögenspreisblasen und fehlgelenkten Investitionen. Der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, warf der EZB eine "aktionistische" Politik vor. Die Unabhängigkeit der EZB steht auf dem Spiel "Ich kann auf breiter Front keine wirklichen Deflationsgefahren erkennen, die es zu bekämpfen gilt", sagte auch Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon. Durch den Aufkauf von Staatsanleihen setze sich die Notenbank zudem immer mehr der Gefahr aus, nicht nur Geldpolitik zu betreiben, für die sie eigentlich zuständig ist. "Damit setzt sie ihre Unabhängigkeit aufs Spiel. Fahrenschon fürchtet genau wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann, dass durch das Vorgehen der EZB der Druck auf schwächelnde südeuropäische Länder sinkt, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen zu stärken. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo, äußerte sich ganz ähnlich: Er sagte, die EZB könne die Erholung im Euroraum nicht allein vorantreiben: "Nur konsequente Strukturreformen können die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken." | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/reaktionen-auf-ezb-entscheidung-freude-bei-anlegern-aerger-bei-banken-1.2317170 | mlsum-de-770 |
Erstmals haben Piraten im Indischen Ozean US-Bürger getötet. Wenige Tage nach Entführung einer Segelyacht brachten sie die Besatzung um. | Somalische Piraten haben nach Angaben des US-Militärs vier amerikanische Geiseln an Bord der gekaperten Jacht Quest erschossen. Wie das in Tampa ansässige US-Zentralkommando am Dienstag mitteilte, waren gerade Verhandlungen um die Freilassung der Geiseln im Gange, als die Streitkräfte der US-Marine plötzlich Schüsse hörten. Daraufhin hätten sie die Quest geentert, die verwundeten Amerikaner trotz sofort geleisteter erster Hilfe aber nicht mehr retten können. Detailansicht öffnen Phyllis Macay and Bob Riggle (auf dem Foto) gehören zu den Opfern der Piraten. (Foto: AP) Es handelt sich um die ersten US-Bürger, die im Indischen Ozean von Piraten getötet wurden. Bei dem anschließenden Kampf seien zwei Piraten getötet und 13 weitere festgenommen worden, hieß es weiter. Dabei seien die Leichen zweier weiterer Piraten entdeckt worden, die bereits vor geraumer Zeit gestorben waren. Deren Todesursache wurde zunächst nicht bekannt. Die Quest gehört einer Website zufolge einem Ehepaar, das seit Dezember rund um die Welt segelte. Geplant sei eine acht bis zehn Jahre dauernde Reise, heißt es auf der Website. Bei dem Paar handelte es sich der Website zufolge um Prediger, die Bibeln an Schulen und Kirchen in abgelegenen Orten auf den Fidschi-Inseln, in Alaska, Neuseeland, Mittelamerika und Französisch Polynesien verteilten. Somalia hat seit 1991 keine funktionierende Regierung mehr. Seit einigen Jahren nimmt die Piraterie stetig zu. Die Piraten fordern Lösegeld für die Schiffe und ihre Besatzungen. Sie haben zur Zeit mindestens 29 Schiffe und 660 Geiseln in ihrer Gewalt. | https://www.sueddeutsche.de/panorama/indischer-ozean-piraten-toeten-vier-us-geiseln-1.1063703 | mlsum-de-771 |
Sehr zögerlich beginnt Hillary Clintons Partei, ihre Niederlage aufzuarbeiten. Zwei Lager bringen sich in Stellung: Clinton-Leute gegen linke Aktivisten. | "Wie konnte das nur geschehen", so lautete der erste Satz eines Vortrags, den die einflussreiche Senatorin Elizabeth Warren neulich vor einer Gruppe Demokraten hielt. "Gegen einen solchen Kandidaten hätten wir nicht verlieren dürfen", schrieb Bernie Sanders in einem viel beachteten Meinungsstück in der New York Times. Eine Woche ist vergangen, seit Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Für die Demokraten beginnt nun die Zeit der Schadensanalyse - in den USA auch Autopsie genannt. "Wir müssen uns ein paar grundlegende Fragen stellen", sagte Barack Obama in der ersten Pressekonferenz nach der Niederlage seiner Partei. Die Republikaner haben mit Trump nicht nur das Rennen um das Weiße Haus gewonnen, sie dominieren zumindest in den kommenden zwei Jahren auch den Kongress und werden versuchen, alle ihre Anliegen durchzuboxen: von der Neubesetzung des Obersten Gerichtshofs über strengere Migrationsgesetze bis zur teilweisen Abschaffung von Obamas Gesundheitsreform. Angesichts dieser eher düsteren Aussichten sei es im Lager der Demokraten erstaunlich ruhig, schrieb das Wall Street Journal. "Als würden sich alle in einer Schockstarre befinden." Was die Niederlage in der Präsidentschaftswahl betrifft, scheint es, als hätten sich die Parteigrößen in dieser frühen Phase der Autopsie auf eine Ursache geeinigt: "Wir haben die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes nicht ernst genommen", sagte Elizabeth Warren, Senatorin aus Massachusetts. Trump habe mit seiner Antiglobalisierungs-Rhetorik einen Nerv getroffen. "Es waren Wirtschaftsfragen, mit denen Trump die Wahl gewann", sagte Warren und fügte selbstkritisch hinzu: "Wir hatten für Stahlarbeiter, die keinen Job mehr finden, oder für alleinerziehende Mütter, die gegen Monatsende kaum über die Runden kommen, einfach keine Botschaften." Trump als Held der Arbeiterklasse Bernie Sanders kommt zu einer ähnlicher Einschätzung. Trump sei es gelungen, sich als Held der Arbeiterklasse zu positionieren, eine Rolle, die historisch eher den Demokraten zugedacht war. "Wir sind zu sehr eine Partei der Eliten geworden", sagte Sanders, der mit seinem neuen Buch "Our Revolution" durch die Fernseh-Talkshows tingelt. Mit seiner Revolutionsrhetorik löste er im Vorwahlkampf Begeisterung aus und brachte Hillary Clinton an den Rand einer Niederlage. "Statt auf die großen Firmen zu hören, die unseren Wahlkampf finanzieren, sollten wir auf die Anliegen der Jungen hören und uns wieder vermehrt um die Probleme des Mittelstands und der Arbeiter kümmern", so Sanders. Das Wichtigste aber sei, nicht "in eine Art Winterschlaf zu verfallen", sagte der Senator aus Vermont. "Der Widerstand gegen die Republikaner beginnt jetzt." Wie dieser Widerstand aussieht, hängt aber erst davon ab, welcher Flügel der Partei sich durchsetzen und welchen Weg man nach der Ära Clinton einschlagen wird. Die Demokratische Partei stehe heute vor einer ähnlichen Zerreißprobe wie die Republikaner nach ihrer verlorenen Wahl 2012, sagt Robert Reich, der unter Bill Clinton US-Arbeitsminister war. "Damals kämpfte das Parteiestablishment gegen den radikaleren Flügel. Gemäßigtere Politiker rangen mit der ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung um Einfluss." Dieser Kampf stehe nun auch den Demokraten bevor, so Reich. Dasselbe Spiel, nur auf der politisch anderen Seite. "Die gemäßigten Clinton-Leute gegen die Progressiven und linken Aktivisten, die ihre Partei kaum mehr wiedererkennen." Neuer Vorsitzender soll ein afroamerikanischer Muslim werden Ein erster parteiinterner Machtkampf zeichnet sich bereits ab. Geht es nach Bernie Sanders und den Progressiven, soll Keith Ellison, Abgeordneter aus Minnesota, neuer Vorsitzender des Democratic National Committee (DNC) werden, der nationalen Organisation der Partei. Ellison ist Afroamerikaner und Muslim - und wäre, auch von der Symbolik her, so ziemlich das Gegenteil von Donald Trump. "Es reicht nicht, wenn Demokraten ihre Wähler alle Jahre wieder um ihre Stimme bitten. Wir sollten uns alle wieder in Aktivisten verwandeln", forderte Ellison am Wochenende. "Wir müssen in Stadtvierteln für Sicherheit sorgen. Wir müssen da sein, wenn Arbeiter ihre Stelle verlieren. Es muss allen klar sein, welche Politik wir Demokraten vertreten." Würde Ellison gewählt, wäre er der Nachfolger von Debbie Wassermann-Schultz, die kurz vor dem Nominierungsparteitag im Juli zurücktreten musste. Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte E-Mails des DNC veröffentlicht, die belegen, dass die Parteiführung Hillary Clinton im Vorwahlverfahren gegenüber Bernie Sanders bevorzugte. Die Enthüllungen hatten bei Wählern viel Unmut verursacht. Sie warfen ein schlechtes Licht auf eine Partei, der es offenbar nie darum ging, dem Außenseiter Sanders eine Chance zu geben. "Die Demokratische Partei hat sich in der vergangenen Zeit in eine Organisation verwandelt, die zwar gut ist im Sammeln von Spendengeldern, aber nicht weiß, wofür sie steht", schrieb James Carvill, ein politischer Berater, in der Washington Post. "Ein bisschen Wall Street, ein bisschen Arbeiterklasse, ein bisschen Familien", die Botschaften seien austauschbar. "Wenn man versucht, es allen recht zu machen", so Carville, "erreicht man plötzlich niemanden mehr." | https://www.sueddeutsche.de/politik/us-demokraten-auf-der-suche-nach-der-neuen-botschaft-1.3250654 | mlsum-de-772 |
Im NSU-Prozess kommt nach zähem Widerstand der Verteidigung ein psychiatrischer Sachverständiger zu Wort. Schnell wird deutlich: Es wird nicht gut ausfallen für die Hauptangeklagte. | Die Angeklagte Beate Zschäpe setzt sich am 10. Januar im Verhandlungssaal im Oberlandesgericht in München zwischen ihre Anwälte Hermann Borchert (links) und Mathias Grasel. Beate Zschäpe wirkt recht unbekümmert. Sie plaudert auf der Anklagebank angeregt mit ihren beiden Verteidigern Hermann Borchert und Mathias Grasel. Sie scherzt und lacht. Eine besondere Nervosität ist ihr am Dienstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München nicht anzumerken. Dabei geht es für sie um einiges. Denn nach mehrtägigen Verzögerungen beginnt der psychiatrische Sachverständige am Nachmittag, sein Gutachten über Zschäpe vorzutragen. Schnell wird deutlich: Es wird für sie nicht gut ausfallen. Psychiater Henning Saß hatte die Aufgabe, Zschäpes Schuldfähigkeit zu prüfen, eine Gefährlichkeitsprognose abzugeben und sich zu einer möglichen Sicherungsverwahrung zu äußern. Zschäpe muss sich wegen des Vorwurfs der Mittäterschaft an unter anderem zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen vor Gericht verantworten. Bei einer Verurteilung und der Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld droht ihr eine lebenslange Freiheitsstrafe. Sie bestreitet die Vorwürfe. Ihre Anwälte verlasen an früheren Verhandlungstagen mehrere Erklärungen in ihrem Namen. Die 42-Jährige bestreitet nicht, dass ihre Lebensgefährten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sämtliche in der Anklage aufgeführten Verbrechen des NSU begangen haben. Doch sie behauptet, dass Mundlos und Böhnhardt ihr immer erst hinterher von den Taten berichtet hätten. Zschäpe selbst will weder an der Planung noch an der Durchführung der Taten beteiligt gewesen sein. Worauf der Experte sein Gutachten stützt Es ist ein Blick zurück auf fast vier Jahre NSU-Prozess, den Psychiater Saß an diesem 336. Verhandlungstag zunächst vornimmt. Er referiert noch einmal das Leben der Angeklagten. Ihren rumänischen Vater hat Zschäpe nie kennengelernt, mit ihrer Mutter gab es früh Probleme. Ihre besonderen Bezugspersonen seien ihre Großmutter sowie Mundlos und Böhnhardt gewesen. Der Psychiater erinnert auch an Aussagen von Zeugen, die Zschäpe als selbstbewusste Frau und starke Persönlichkeit beschrieben haben. Sie habe ihre beiden Gefährten "im Griff gehabt". Dies spreche für "Stärke und Selbstbewusstsein nach außen und gegenüber männlichen Partnern". Saß hat mit Zschäpe selbst nicht gesprochen. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass Angeklagte bei einer drohenden Sicherungsverwahrung das Gespräch mit dem Gutachter verweigern. Darauf weist auch Saß am Dienstag hin. Ihm blieb das Studium der umfangreichen Akten, die Aussagen zahlreicher Zeugen, Zschäpes eigene Angaben und ihr Verhalten vor Gericht. | https://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-psychiater-glaubt-zschaepe-nicht-1.3337037 | mlsum-de-773 |
Deutschlands größter Energieversorger Eon hat eine Klage gegen die Brennelementesteuer angekündigt. Doch wie aussichtsreich ist ein solcher Schritt? sueddeutsche.de untersucht einige mögliche juristische Argumente. | Die großen Energiekonzerne sind in Aufregung. Nach dem Atomausstiegsbeschluss der Bundesregierung nehmen Eon, RWE & Co. viele Milliarden Euro weniger ein als geplant. Täglich attackieren sie deshalb die Politik - und wissen mittlerweile sogar einige Mitglieder der Koalitionsfraktionen auf ihrer Seite. Formal agieren die Konzerne dabei auf zwei Feldern: Zum einen möchten sie Ausgleichszahlungen für die Verluste, die aus der Laufzeitverkürzung resultieren, zum anderen kämpfen sie gegen die sogenannte Brennelementesteuer. Detailansicht öffnen Eon ist der Betreiber des schleswig-holsteinischen Atomkraftwerkes Brokdorf. Der Konzern will wegen des Festhaltens der Bundesregierung an der Brennelementesteuer Klage einreichen. (Foto: dpa) Rein finanziell ist die Laufzeitverkürzung für die Atomkonzerne der fatalere Einschnitt, die Rede ist von bis zu 22 Milliarden Euro. Bei der Brennelementesteuer geht es um jährlich 1,3 Milliarden Euro bis 2016. Doch während die Konzerne noch überlegen, wie sie mit den finanziellen Folgen der Laufzeitverkürzung umgehen, sind sie bei der Steuer schon einen Schritt weiter. Vor einer Woche kündigte Eon Klage gegen die Erhebung an: Der Konzern muss demnächst eines seiner Kraftwerke mit neuen Brennstäben befüllen - genau dann wird die Steuer fällig. Etwas kurios ist das schon: Denn die Entscheidung für eine Brennelementesteuer fiel schon im Jahr 2010 - im Zuge der Laufzeitverlängerung. Zwar erklären Konzernvertreter heute, schon damals auf die rechtlichen Probleme verwiesen zu haben. Doch damals verzichteten sie auf rechtliche Schritte. Nun klagen sie, obwohl der Ausstiegsbeschluss an der juristischen Grundlage nichts geändert hat. Doch wie groß sind die Erfolgsaussichten einer Klage? Darüber debattieren nun die Juristen. sueddeutsche.de erklärt, wieso sich die Konzerne Hoffnungen machen können. [] Der Ausstiegsbeschluss des Jahres 2000 Im Juni 2000 ist die rot-grüne Bundesregierung voller Freude. Mit der "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen" bringt sie eines ihrer zentralen politischen Vorhaben auf einen guten Weg: den Atomausstieg. Doch der Vertrag, den die Öffentlichkeit damals als eindeutige Niederlage für die Stromkonzerne wertete, kommt diesen heute womöglich zugute. Denn ihn ihm steht, dass die Bundesregierung keine Initiativen ergreifen wird, welche die Atomenergieerzeuger einseitig belasten - auch nicht im Steuerrecht. Und nun führt ein Jahrzehnt später die Bundesregierung die Brennelementesteuer ein. "Die Betreiber haben einer Verkürzung der Laufzeiten nur zugestimmt, weil gleichzeitig eine künftige Diskriminierung über eine zusätzliche Steuer ausgeschlossen wurde", sagt Christopher Bremme von der Kanzlei Linklaters, die auf die Beratung von Energieunternehmen spezialisiert ist, in der Causa Brennelementesteuer aber über kein Mandat eines großen Stromkonzerns verfügt. "Wenn nun die Steuer trotz Laufzeitverkürzung kommt, kann man das schon so sehen, dass dies unverhältnismäßg ist." Allerdings stellt sich die Frage, ob sich die Energiekonzerne überhaupt auf diesen Vertrag aus dem Jahr 2000 berufen können. Zum einen "ist es verfassungsrechtlich fragwürdig, ob sich der Gesetzgeber überhaupt in dieser Art und Weise binden darf", sagt der atomkraftkritische Marburger Energierechtsanwalt Peter Becker. Zum anderen lag zwischen dem damaligen Ausstiegsbeschluss und dem heutigen Ausstiegsbeschluss immerhin die Entscheidung, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern - inklusive etlicher Detailbeschlüsse. Damals hieß es, die Brennelementesteuer diene als Beitrag der Energiekonzerne zur Konsolidierung des Haushalts und zur Sanierung von Asse. Und an der Lage des Haushaltes und in der Asse hat sich ja nichts geändert. [] Der Charakter der Steuer Das Steuerrecht kennt zwei verschiedene Steuern: direkte und indirekte Steuern. Direkte Steuern wie etwa die Einkommensteuer zahlt der Steuerschuldner selbst, indirekte wie zum Beispiel die Umsatzsteuer gibt er an einen Dritten weiter. Die ernstgenannte Steuer auf Brennelemente zu erheben, ist nicht möglich, weil in Europa nach dem Euratom-Vertrag von 1957 Brennelemente von direkten Steuern zu befreien sind. Die Bundesregierung deklariert die Brennelementesteuer als indirekte Verbrauchssteuer. Doch manche Juristen zweifeln diese Charakterisierung an. Denn zum einen kann die Verbrauchssteuer nur auf bestimmte Güter angewandt werden und zum Zweiten muss sie vom Erzeuger auf den Verbraucher übertragbar sein. Das heißt im Klartext: Als unmittelbare Folge der Steuer müsste der Strompreis um x Cent pro Kilowattstunde steigen. Bei der Brennelementesteuer ist das nach Meinung von Bremme nicht so: "Die Steuer auf Kernbrennstoffe lässt sich nur schwer unter diese Definition fassen." | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/atomausstieg-brennelementesteuer-vier-waffen-fuer-die-konzerne-1.1106605 | mlsum-de-774 |
Eine Silvesterfeier in Shanghai endet in einer Massenpanik mit 36 Toten und vielen Verletzten. Nun gesteht die Polizei Fehler ein - und weist zugleich Berichte zurück, wonach nachgemachte Dollar-Scheine das tödliche Gedränge ausgelöst hätten. | Massenpanik in Shanghai - 35 Menschen tot Bei einer Massenpanik am Silvesterabend in Shanghai sind mindestens 36 Menschen ums Leben gekommen. 49 weitere wurden verletzt. Dies teilte die Regierung der ostchinesischen Hafenstadt Medienberichten zufolge mit. Das Unglück passierte 25 Minuten vor dem Jahreswechsel um Mitternacht Ortszeit (16.35 Uhr MEZ) an dem von Menschenmassen überfüllten Chen-Yi-Platz auf dem Bund, der berühmten Uferpromenade der Metropole am Huangpu-Fluss. Die Menschen wurden zu Tode getrampelt. In Fotos auf Twitter war zu sehen, wie Passanten regungslos auf der Straße lagen. Nach einer vorläufigen Liste mit 32 Getöteten, die am Freitag veröffentlicht wurde, waren die Opfer zwischen 12 und 37 Jahre alt. Insgesamt 49 Menschen wurden verletzt, 13 von ihnen schwer. Polizei gesteht Fehler ein Die Polizei hat inzwischen Fehler eingeräumt. Es seien am Silvesterabend viel mehr Feiernde gekommen als erwartet, erklärte ein Sprecher. Zugleich wies er Berichte zurück, wonach nachgemachte Geldscheine, die aus einem Fenster geworfen wurden, das tödliche Gedränge auf der Uferpromenade der Hafenstadt ausgelöst hätten. Dies sei erst nach der Massenpanik erfolgt. Überwachungsvideos zeigen nach Angaben der Polizei, dass die Scheine um 23.47 Uhr an der Adresse eines Nachtclubs am Bund 18 in der Luft segelten. Das tödliche Gedränge auf den völlig überfüllten Treppen der Uferterrasse habe aber schon um 23.35 Uhr begonnen. Die Menschen seien gestürzt, als die Menge hoch drängte, während andere hinunter wollten, berichteten Polizei und Augenzeugen übereinstimmend. Viele wurden niedergetrampelt, eingequetscht und erstickten. "Die Polizei hat sich verschätzt" Die Menschenmassen waren nach offizieller Darstellung viel größer als erwartet, während die Präsenz der Sicherheitskräfte vergleichsweise gering war. "Die Polizei hat sich verschätzt, wie viele Menschen zu diesem Ereignis kommen", sagte der Vizekommandeur der zuständigen Polizeikräfte, Cai Lixin, der Nachrichtenagentur China News. "Die Polizei bedauerte ihr Versagen, wirksam einzugreifen, als der Strom der Menschen um 23.30 Uhr ungewöhnlich anschwoll", zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua den Vizekommandeur. Erst zu diesem Zeitpunkt seien weitere 500 Polizisten geschickt worden, um die Menge zu kontrollieren oder aufzulösen. An Silvester seien an den Uferterrassen am Huangpu-Fluss weniger Sicherheitskräfte mobilisiert worden als etwa am Nationalfeiertag, hieß es in Medienberichten. Die geringere Polizeipräsenz wurde damit erklärt, dass eine ursprünglich geplante Lasershow mit Feuerwerk um Mitternacht eine Woche vorher abgesagt worden war. Der Grund war, dass ein zu großer Andrang und ein Verkehrschaos befürchtet worden waren. Im Vorjahr waren 300 000 Menschen gekommen. Wie das Nachrichtenportal Shangai Daily berichtet, hatte die Bezirksregierung die Feier in diesem Jahr verlegt um die Menschenmassen besser kanalisieren zu können. Viele Shanghaier legten Blumen in der chinesischen Trauerfarbe Weiß am Unglücksort am Chen-Yi-Platz nahe dem historischen Peace Hotel nieder, um der Opfer der Massenpanik zu gedenken. Der Platz ist die berühmteste Aussichtsplattform gegenüber der Skyline mit den Hochhäusern von Pudong. | https://www.sueddeutsche.de/panorama/nach-massenpanik-an-silvester-polizei-in-shanghai-raeumt-fehler-ein-1.2287511 | mlsum-de-775 |
Mit Vanguard drängt eine der mächtigsten Investmentfirmen nach Deutschland. Etablierte Vermögensverwalter geraten so noch mehr unter Druck | Das Städtchen Malvern in Pennsylvania könnte ein ganz normaler Vorort sein, wie es so viele gibt in den USA. Etwa 3000 Einwohner, ein paar Kirchen, ein paar kleine Geschäfte, wenig Aufregung. Aber Malvern ist ein außergewöhnlicher Ort. Dort, eine gute halbe Autostunde nordwestlich von Philadelphia, residiert eine der mächtigsten Firmen der Finanzindustrie, einer der größten Gewinner der Finanzkrise, eine Firma, die der Welt des Geldes eine der wichtigsten Veränderungen seit dem Zweiten Weltkrieg gebracht hat. Es ist die Firma von John Bogle, 88, einer Investoren-Legende, dessen Selbstverständnis bis heute das Unternehmen prägt, obwohl er längst nicht mehr Chef ist. Schon 1951 beschrieb Bogle in seiner Abschlussarbeit an der Elite-Universität Princeton ein Phänomen, das später für seinen Erfolg ausnutzte. Die meisten Fondsmanager schnitten damals schon schlechter ab als US-Index S&P 500. Lief ein Fonds doch einmal besser als der Markt, machten meist die hohen Gebühren die Rendite wieder zunichte. "Der Aktienmarkt ist ein Spiel für Verlierer", blieb immer eines seiner Mottos. Fast ein Vierteljahrhundert später gründete Bogle Vanguard, 1975, als den Finanzmärkten die Computerisierung erst noch bevorstand. Kurz danach legte er den ersten Indexfonds auf. Zum ersten Mal entschied nicht mehr ein Manager, welche Wertpapiere er kauft. Der Fonds bildete einfach nur den S&P 500 nach. Stieg dieser, stieg auch der Wert des Fonds, und umgekehrt. Aus dieser anfangs skeptisch beäugten Idee hat sich mit den Jahren eine Multi-Billionen-Industrie entwickelt, die immer mehr Geld von Investoren einsammelt. Vanguard gilt derzeit als stärkster Geld-Magnet der Welt. Allein Vanguard verwaltet mehr als 4,7 Billionen Dollar. Und jeden Tag wird es mehr Lange hatte sich die Firma dabei fast ausschließlich auf die USA konzentriert. Seit einigen Jahren aber greift Vanguard auch in Europa an, bietet seine börsengehandelten Indexfonds (ETF) nach und nach auch hiesigen Anlegern an und verschärft damit den ohnehin heftigen Konkurrenzkampf in der Fondsbranche. Am heutigen Donnerstag startet Vanguard nach längerem Zögern in Deutschland: 23 Fonds der Amerikaner sind künftig an der Frankfurter Börse gelistet. "Natürlich steht die Fondsbranche schon unter einem gewissen Kostendruck", sagt Sebastian Külps, ein besonnener, freundlich lächelnder Ex-Banker, der seit dem Frühjahr das Deutschland-Geschäft von Vanguard aufbaut. "Aber wir lösen diesen Druck auch aus, das tun wir bewusst", sagt er. Weniger Gebühren zu verlangen als andere, das hatte bei Vanguard schon immer Tradition. Vor allem der Siegeszug der ETFs hat die Vermögensverwaltung schneller verändert als jede andere Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Dank der Produkte kontrollieren allein die drei größten Fondsverwalter inzwischen mehr als 12 Billionen Dollar an Vermögen. Davon entfallen allein 4,7 Billionen auf Vanguard. Zum Vergleich: Das ist ein Drittel mehr als der Gegenwert der Wirtschaftsleistung Deutschlands in einem Jahr. Nur Konkurrent Blackrock verwaltet noch mehr als Bogles Erben, wächst aber nicht so schnell: Bis Ende September sammelte Vanguard in diesem Jahr fast so viel Geld ein wie im gesamten Jahr 2016 - weit mehr als eine Milliarde Dollar pro Tag. Gute zwei Drittel der Vanguard-Gelder stecken in sogenannten passiven Produkten, zu denen auch ETFs zählen. In den USA ist der Markt für die börsengehandelten Fonds schon sehr groß, gute 40 Prozent der Gelder werden dort inzwischen passiv verwaltet. In Deutschland ist es erst als ein Viertel. Anders als aktiv verwaltete Fonds kommen klassische ETFs ohne Analysten aus, ohne hoch bezahlte Manager und ohne komplizierte Vertriebsmodelle. Das macht die Produkte fast konkurrenzlos günstig: Im Durchschnitt des gesamten Angebots zahlen Anleger bei Vanguard nur 0,12 Prozent der Anlagesumme an Gebühren pro Jahr. Bei den größten ETFs der Gesellschaft ist es bereits deutlich weniger. Zwar sinken auch die Gebühren für klassische, aktive Investmentfonds allmählich, doch sie liegen immer noch im niedrigen einstelligen Prozentbereich und damit immer bei einem Vielfachen dessen, was ETF-Anbieter verlangen. Bei Vanguard kommt noch eine Besonderheit hinzu: Die Firma ist genossenschaftlich aufgebaut, sie gehört den Fonds, die sie selbst auflegt und damit letzten Endes den Anlegern. Sobald ein wenig Spielraum entsteht, die Kosten weiter zu drücken, nutzt Vanguard das aus. Spielraum gibt es immer wieder, solange die Firma weiter wächst: Im Jahr 2007, bevor die Finanzkrise losbrach, hatte Vanguard etwa 12 000 Mitarbeiter und verwaltete eine Billion Dollar. Heute kümmern sich 15 000 Angestellte um das bald Fünffache. "Wir versuchen immer, kostenneutral zu arbeiten", sagt Thomas Merz, Vanguard-Vertriebschef für Europa. Von Konkurrenten, die wie Blackrock oder State Street selbst börsennotiert sind und damit gleichzeitig ihren Aktionären verpflichtet, wird man solche Sätze nicht hören. Für den Druck auf die Gebühren in der Fondsbranche hat sich auch der Begriff "Vanguard-Effekt" etabliert. Diesen Effekt will Vanguard jetzt weltweit exportieren, denn erst etwa ein Zehntel des Anlagevermögens stammt aus Ländern außerhalb des USA. In Deutschland dürften vor allem die etablierten deutschen Fondsgesellschaften den Effekt spüren: Weil auch die Banken mehr als früher auf ihre Vermögensverwaltung setzen, ist der gesamte Markt so umkämpft wie nie. Den Markt für ETFs teilen sich bislang vor allem drei Anbieter. Aber in dieser Kategorie, so sieht es Vanguard, geht es ja gerade erst so richtig los. Nicht wenigen wird bei dem neuen Gigantismus der Fondsfirmen mulmig. Und John Bogle beklagt, was die Wall Street aus seiner Erfindung gemacht hat: Inzwischen gibt es ETFs auf kleine Teilmärkte, solche, die bestimmten Trend folgen sollen, exotische ETFs auf Währungen oder Rohstoffe. Nicht unwahrscheinlich, dass die nächste Finanzkrise auch mit Bogles Erfindung zu tun haben wird. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/frankfurt-angriff-eines-geld-giganten-1.3723765 | mlsum-de-776 |
Der Außenminister betont, dass der Westen nun geschlossen auftreten müsse. Bundeskanzlerin Merkel schloss im Vorfeld eine militärische Beteiligung Deutschlands aus. | Bundesaußenminister Heiko Maas plädiert nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien dafür, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. "Ich bin der Meinung, dass das, was dort geschehen ist, nicht ohne Konsequenzen bleiben kann", sagte Maas am Freitag bei einem Treffen mit seinem belgischen Kollegen Didier Reynders. Die enge Abstimmung von Frankreich, Großbritannien und den USA sei ein Hinweis darauf, dass man mit der Situation verantwortungsvoll umgehe und keine Eskalationsspirale in Gang setzten wolle. "Es ist wichtig, dass die westliche Staatengemeinschaft geschlossen auftritt und den Druck auf Russland erhöht." Nur mit Russland könne der Konflikt gelöst werden. Die Nato-Verbündeten USA, Frankreich und Großbritannien erwägen einen militärischen Vergeltungsschlag gegen Syrien für den mutmaßlichen Giftgas-Einsatz in der Stadt Duma. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine Beteiligung der Bundeswehr allerdings klar ausgeschlossen. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff hat sie dafür kritisiert. "Ich finde es bedauerlich, dass die Bundeskanzlerin in ihrer Äußerung sofort jede Unterstützung an dieser Stelle ausgeschlossen hat", sagte der Außenpolitiker im Bundestag. "Sollten unsere Partner Unterstützung brauchen und eventuell anfordern, dann sollte das zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen sein." Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) bezeichnete die Konfrontation der Großmächte USA und Russland im Nahen Osten als "besorgniserregend". "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht wieder in einem Kalten Krieg mit immer neuen Brandherden landen", sagte Kauder der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die EU müsse sich in der Weltpolitik mehr engagieren. Sie sei derzeit "viel zu wenig präsent", sagte Kauder. Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, sieht keine Rechtfertigung für einen Militärschlag gegen Syrien. Indem man ohne eine Untersuchung des mutmaßlichen Giftgasangriffs Syriens Machthaber Baschar al-Assad und Russland die Schuld gebe, werde "einfach ein Vorurteil gepflegt, und das soll man dann glauben", sagte Gysi in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hingegen sagte, er habe den Beweis dafür, dass Chemiewaffen eingesetzt worden seien - und das von der syrischen Regierung. Auf die Frage, ob die Bundesregierung diese Beweise kenne, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, es gebe "schwere Indizien", die auf einen Chemiewaffen-Einsatz der syrischen Regierung hindeuten. Russland hingegen behauptet nun, es könne nachweisen, dass der Angriff mit Hilfe eines ausländischen Geheimdienstes inszeniert wurde. "Wir haben unwiderlegbare Beweise dafür, dass dies ein weiterer inszenierter Vorfall war", sagte Außenminister Sergej Lawrow am Freitag. Der Geheimdienst eines "bestimmten Staates, der jetzt an vorderster Front einer antirussischen Kampagne" stehe, sei in die Inszenierung verwickelt. Moskau setze weiter auf die Kommunikation mit Washington zur Vorbeugung militärischer Vorfälle. "Die Militärs sind über die verbleibenden Kanäle, die noch nicht eingefroren sind, in Verbindung", sagte Lawrow. Die Leitung werde regelmäßig genutzt. Dies hatte zuvor auch der Kremlsprecher Dmitri Peskow bestätigt. Auch Präsident Wladimir Putin und sein US-Kollege Donald Trump hätten erst vor Kurzem telefoniert. "Wir sind immer offen für derartige Kontakte, sie sorgen dafür, dass man sich gegenseitig besser versteht", sagte Lawrow der Agentur Interfax zufolge. Downing Street: Chemiewaffeneinsatz "nicht unbeantwortet" lassen Ein Militäreinsatz gegen Syrien ist trotz anhaltender Drohungen offensichtlich noch nicht beschlossen. Trumps Sprecherin Sarah Huckabee Sanders erklärte: "Wir werten weiter Geheimdiensterkentnisse aus und sind in engen Abstimmungen mit unseren Partnern und Alliierten." Trump telefonierte noch in der Nacht zum Freitag mit der britischen Premierministerin Theresa May. In einer Mitteilung der Downing Street hieß es, Trump und May seien sich einig, dass der Einsatz von Chemiewaffen durch das syrische Militär "nicht unbeantwortet" bleiben könne und dass ein weiterer Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime verhindert werden müsse. Was genau damit gemeint ist, blieb offen. Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, rechnet fest mit einem Militärschlag Trumps. "Nach der massiven Warnung wird Trump nicht mehr hinter seine Drohungen zurückkönnen", sagte Kornblum den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Jetzt gar nichts zu machen, käme einem Gesichtsverlust gleich. Ich gehe davon aus, dass es eine US-Militäraktion in der einen oder anderen Form geben wird." Bei einem am Samstag gemeldeten Giftgasangriff auf die von Rebellen kontrollierte Stadt Duma in Ost-Ghouta sollen nach unterschiedlichen Angaben zwischen 42 und 85 Menschen getötet worden sein. Ermittler der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) sind auf dem Weg nach Syrien. Sie sollen dort am Samstag mit Untersuchungen beginnen. Als Option für eine Reaktion gelten gezielte Raketenangriffe auf ein Objekt oder mehrere ausgewählte Ziele. Sehr heikel daran wäre, dass in Syrien stationierte russische Truppen getroffen werden könnten. Syriens Schutzmacht Russland weist die Vorwürfe gegen Damaskus zurück. | https://www.sueddeutsche.de/politik/syrien-maas-giftgaseinsatz-konsequenzen-1.3942700 | mlsum-de-777 |
Ein oppositioneller Politiker warf dem venezolanischen Präsidenten den Einsatz von Chemiewaffen vor. Maduro wittert Umsturzpläne der USA hinter den Protesten. | Roter Rauch wabert vor einem Polizeifahrzeug durch die Straßen von Caracas. Ein Oppositioneller warf der Regierung hier den Einsatz von Chemiewaffen vor. Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro fordert Ermittlungen gegen einen führenden Oppositionspolitiker, der im Netz schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben hatte. Bei Regierung und Opposition in Venezuela sind hitzige Rhetorik und überzogene Vorwürfe beliebt. David Smolansky hatte am Samstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter behauptet, Maduro beginne, "Chemiewaffen" gegen die Demonstranten auf den Straßen der Hauptstadt Caracas einzusetzen. Anlass für den Tweet war ein rotes Gas, mit dem eine Menschenmenge auseinander getrieben worden sei. Typ und Zusammensetzung des Gases oder Rauches waren zunächst unklar. In sozialen Netzwerken berichteten Demonstranten, der Kontakt mit der roten Substanz habe Brechreiz und Sehstörungen ausgelöst. 4:08 PM El "Gas Rojo" que utilizó la GN tiene un químico para que las personas se descompensen, vomiten y hasta puedan perder la vista pic.twitter.com/htpD4XIknO — David Smolansky (@dsmolansky) 8. April 2017 Unterstützer der Regierung sagten, es sei Leuchtgeschossen ähnlich, die in Spanien zur Kontrolle von Menschenmassen eingesetzt würden. Herausstellen eines Einzelnen häufig Zeichen für rechtliche Schritte Maduro gab im Staatsfernsehen bekannt, gegen Smolansky müssten deshalb Ermittlungen mit "eiserner Hand" erfolgen. Wenn der venezolanische Präsident einen einzelnen Kritiker so deutlich herausstellt, ist dies häufig ein Zeichen für rechtliche Schritte. Am Freitag war dem führenden Oppositionspolitiker Henrique Capriles verboten worden, in den kommenden 15 Jahren für politische Ämter zu kandidieren. Hinter Smolanskys Vorwurf witterte Maduro den Versuch, die Grundlage für eine Militärintervention der USA in Venezuela zu legen."Venezuela hat in seiner Geschichte nie biologische, chemische oder nukleare Waffen gehabt", erklärte er. Die Anschuldigungen seien von "radikalen Kreisen" im US-Verteidigungsministerium, im Kommando der Streitkräfte und im Außenministerium gestreut. Schwere Wirtschaftskrise führt zu Protesten gegen die Regierung Das sozialistische Venezuela durchlebt derzeit eine schwere Wirtschaftskrise, die heftige Bürgerproteste ausgelöst hat. Sie fordern Neuwahlen und prangern die Zustände in dem Land an, das wegen teurer Auslandskredite in Milliardenhöhe kaum Geld für Lebensmittel und Medikamente hat. Am Wochenende waren in Caracas Tausende auf die Straße gegangen, die Polizei ging mit Gummigeschossen und Tränengas gegen sie vor. Dutzende Demonstranten wurden verletzt und festgenommen. | https://www.sueddeutsche.de/politik/venezuela-unruhen-in-venezuela-maduro-kuendigt-ermittlungen-an-1.3458659 | mlsum-de-778 |
Hinrunden-Erster der zweiten Bundesliga ist der Hamburger SV, der FC St.Pauli folgt auf Platz vier. | An den Zuschauerzahlen kann man in Hamburg normalerweise kaum erkennen, ob dort gerade guter oder gruseliger Fußball gespielt wird. Selbst in den schlimmsten Erstliga-Zeiten des HSV sank die Zahl der leidensfähigen Fans selten unter 50 000. Und doch sagt es etwas aus, dass im Volksparkstadion auch in Liga zwei fast die gleiche Zahl an Unterstützern dabei ist - und dass der FC St. Pauli beim 2:0 über Greuther Fürth zum siebten Mal in dieser Saison ein ausverkauftes Millerntorstadion mit 29 546 Besuchern vermelden konnte. Das hat zumindest ein bisschen auch damit zu tun, dass derzeit ein besserer Fußball in der Hansestadt gespielt wird als zuletzt. Am Freitag wurde der HSV mit einem 2:1 beim MSV Duisburg vorzeitig Herbstmeister. Es war der siebte Sieg im achten Auswärtsspiel bei einem Remis. Das ist ein Rekord in dieser Spielklasse, der die Heimblamagen gegen Kiel (0:3) und Regensburg (0:5) als Missgeschicke erscheinen lässt. Und mit Trainer Hannes Wolf bleibt der HSV unbesiegt. Selbst der 1. FC Köln kann mit einem Sieg gegen Magdeburg zum Abschluss der Hinrunde am Montag nicht mehr rankommen. St. Pauli wiederum ist punktgleich mit dem Tabellendritten Union Berlin, der beim 2:0 gegen Bochum auch das 17. Vorrunden-Spiel ohne Niederlage überstand. Das schaffte ansonsten im deutschen Profifußball nur Dortmund. Detailansicht öffnen Grüße vom Kiez: St. Pauli-Trainer Markus Kauczinski. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa) Das heißt: Neben den großen Favoriten HSV und Köln rangeln vor allem der Lokalrivale St. Pauli und der zweite Berliner Klub Union um die begehrten Aufstiegsplätze. Hamburg bestätigte damit an diesem Wochenende seinen neuen Ruf als "Fußball-Hauptstadt", wenn auch eine Klasse tiefer als es der ehrwürdige ehemalige Europapokalsieger HSV gern hätte. HSV-Stürmer Arp schickt unhöfliche Grüße ans Millerntor Anders als der HSV, der nach jahrelangem Abstiegskampf in Liga eins "das Siegen erst wieder lernen musste", wie Sportvorstand Ralf Becker zuletzt philosophierte, ist das Auf und Ab für die Profis vom Kiez alltäglich. 2015 und im Frühling 2018 ging es für St. Pauli nur darum, den Sturz in die dritte Liga zu verhindern, dazwischen schnupperte man schon mal an den Bundesliga-Aufstiegsplätzen. Und selbst in dieser Saison gab es nach drei Niederlagen in den ersten fünf Spielen schon Zweifel an Trainer Markus Kauczinski. Inzwischen wurde der Vertrag des gebürtigen Gelsenkircheners um ein Jahr verlängert. Kauczinski profitiert davon, dass er das Team nicht nur sehr fit gemacht hat, es ist auch eine sehr eingespielte Gruppe. Bis auf den kampfstarken Marvin Knoll (Regensburg) im Mittelfeld und den Stürmerriesen Henk Veerman, der vom niederländischen SC Heerenveen kam, ist das St. Pauli-Team schon länger zusammen. Und je mehr Erfolge zu feiern sind, desto deutlicher wird, wie viele gute Fußballer mit möglichem Erstliga-Niveau im braunweißen Dress spielen: zum Beispiel Mats Möller-Daehli, dem allein das Tor-Gen fehlt, Jeremy Dudziak, der einst in Dortmund geformt wurde, oder der beim FC Arsenal ausgebildete Japaner Rio Miyaichi, der nach seinem Kreuzbandriss endlich gesund ist und gegen Fürth das 2:0 erzielte. Auch Christopher Buchtmann (derzeit verletzt) oder die Verteidiger Christopher Avevor und Philipp Ziereis zählen zu diesem Kreis. Detailansicht öffnen Ungeschlagen mit dem Hamburger SV: Trainer Hannes Wolf. (Foto: Armin Weigel/dpa) Je mehr sich der HSV und St. Pauli wieder auf ähnlichem Niveau bewegen, desto mehr Frotzeleien gibt es auch. Zwar gibt es vorerst keine neuen T-Shirts wie 2011, als der Außenseiter vom Kiez seinen 1:0-Sieg im Volksparkstadion mit dem Aufdruck "Derbysieger" unters Volk brachte. Aber der wenig geschmackvolle Beitrag des HSV-Talents Jann-Fiete Arp, der dem Nachbarn übers Internet ein "Fuck FCSP" zurief, verschärfte die Rivalität wieder. Die beiden Niederländer van Drongelen (HSV) und Veerman (Pauli) haben zwar Kontakt, doch Veerman spottete, sein Landsmann spiele ja für den anderen Hamburger Klub - das sei "sein Pech, nicht meines". Und als St. Paulis Präsident Oke Göttlich gefragt wurde, was er gerne vom anderen Klub hätte, sagte er: die Punkte - aber der HSV dürfte sich vermutlich "unsere positiven wirtschaftlichen Bilanzen wünschen". Die Finanzen bleiben das große HSV-Problem, auch wenn Vorstandschef Bernd Hoffmann kürzlich verkündete, man sei dabei "den HSV aus der Intensivstation zu führen". Vermutlich ist die Auffrischung der zwischendurch abgekühlten Kontakte zu Anteilseigner Klaus-Michael Kühne immer noch lebensnotwendig, um die Lizenz zu bekommen. Beim FC St. Pauli versucht man sich dagegen mit einem Stück Sozialismus im kapitalistischen Profifußball. Man möchte mit einer Genossenschaft Geld einsammeln, um zumindest einen kleinen Ausgleich zu schaffen gegenüber jenen Vereinen, die Investoren haben oder den Stadionnamen verkaufen. | https://www.sueddeutsche.de/sport/zweite-liga-kiezkicker-im-nacken-1.4255993 | mlsum-de-779 |
Der ersatzgeschwächte Drittligist TuS Fürstenfeldbruck verliert unglücklich beim Tabellenführer Kornwestheim und fällt auf den siebten Platz zurück. | Im ersten Moment war die gute Laune von Martin Wild ein wenig verwunderlich. Seine Mannschaft hatte gerade beim Tabellenführer Salamander Kornwestheim verloren, sehr knapp, reichlich unglücklich, mit 23:24 Toren. Den entscheidenden Treffer kassierte der TuS vier Sekunden vor der Schlusssirene, Wild wähnte den Ball vorher im Aus. Und dann hatte Fürstenfeldbruck gar noch selbst die gute Chance auf den Ausgleich, den ein technischer Fehler verhinderte, sonst hätte Gianni Huber freie Fahrt zum Salamander-Gehäuse gehabt. So aber blieb es bei der knappen Niederlage, in einem Spiel, in dem sich die Brucker wenig ausgerechnet hatten, in dem ein Punkt "Gold wert" gewesen wäre, und auch die Unparteiischen Anteil hatten - zumindest aus Trainersicht. Detaillierter wollte sich Wild nicht äußern: "Ich habe das letzte Mal über die Schiedsrichter gesprochen, das lasse ich lieber." Das "letzte Mal" endete in einer 25:27-Heimniederlage gegen Oppenweiler, die neuerliche nun bringt das Ziel der Brucker in Gefahr. Das ist bekanntlich das Erreichen der ersten DHB-Pokalrunde, die einen attraktiven Gegner aus der Bundesliga verspricht. Die ersten Vier sind dazu berechtigt, dem TuS würde der sechste Platz genügen, weil die Reserven der Rhein-Neckar Löwen und Balingen ob ihrer ersten Mannschaften aus dem Ranking fallen. Nach der Niederlage in Kornwestheim nun steht der TuS auf Platz sieben, hat es aber noch selbst in der Hand, den notwendigen Platz in der Tabelle zu klettern. Dafür muss der TuS seine beiden letzten Spiele gewinnen, ganz einfach. Einfach gewinnen? Beim Primus musste Wild in Gianni Huber und Ole Schwagerus zwei Akteure aus der Landesliga-Reserve verpflichten, um überhaupt einen quantitativ wettbewerbsfähigen Kader auf das Parkett zu bringen. Denn neben den Kreuzband-Patienten Leindl und Engelmann fehlten noch Maximilian Lentner, Philip Ball und Tobias Prestele berufs- oder studienbedingt, Tizian Maier riss im Training ein Band im Sprunggelenk, seine Saison ist beendet. Das Notteam erwies sich wider aller Befürchtungen auch qualitativ als konkurrenzfähig, was vor allem an feinen Leistungen von Johannes Stumpf (7 Tore), Korbinian Lex (5) und Neuling Matthias Hild (4) lag. Sowie an dem in Glanzform agierenden Torhüter Michael Luderschmid. Der Gegner konnte über so viel Elend nur staunen, Kornwestheim hat einen derart üppig besetzten Kader, dass Trainer Alexander Schurr blockweise auswechselt - ohne signifikanten Qualitätsverlust. Kornwestheim, früher jahrelang in der zweiten Bundesliga notiert und nach einigen Fusionsabenteuern mit Blickrichtung erste Liga abgestürzt, ist nun auf dem Weg zurück in den Profi-Handball. Jedenfalls ist der Klub mit seiner traditionell guten Jugendarbeit erster Anwärter auf den Aufstieg. Der TuS wusste dies trotz aller Probleme in Gefahr zu bringen: Nach einer starken Anfangsphase des Tabellenführers (7:3, 12. Minute) drehte Bruck das Spiel, führte zur Halbzeit 12:11 und zwischenzeitlich gar mit vier Treffern (16:12, 36.). Letztendlich reichte es trotz Leidenschaft und Einsatz nicht, es fehlte Glück - und Kraft, denn alle Stammspieler mussten 60 Minuten durchackern. Weshalb Wild von "gemischten Gefühlen" sprach, einerseits war er stolz auf die Leistung seines letzten Aufgebots, andererseits hätte ein Remis die Ausgangslage für die beiden finalen Spiele entspannt. "Wir haben Moral gezeigt", sagte er trotzig, man könne angesichts der widrigen Voraussetzungen "einiges Positives aus dem Spiel ziehen". Ein Satz, den man von ihm schon öfter gehört hat. | https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/handball-gemischte-gefuehle-1.3955706 | mlsum-de-780 |
München würdigt seine erfolgreichsten Sportler - unter anderem für 60 deutsche, 15 Welt- und sechs Europameistertitel | Willem-Alexander, König der Niederlande, ist ein großer Freund des Sports. 1992 nahm er am New-York-City-Marathon teil, seit 1998 ist er Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees. Zu seinen sportlichen Vorlieben zählen Skifahren, Tennis und Segeln. Am Mittwoch war er mit seiner Gattin Máxima zu Besuch in München und absolvierte auch dort sprichwörtlich einen Marathon: Alte Pinakothek, BMW-Welt, Viktualienmarkt, Deutsches Museum und Besuch im Rathaus. Pflichttermine eben. Die Veranstaltung, die keine 24 Stunden gleich nebenan im Alten Rathaus folgte, hätte das sportbegeisterte Königspaar womöglich auch interessiert. Die Stadt München hatte ihre erfolgreichsten Athleten des vergangenen Jahres zur alljährlichen Sportlerehrung in den Festsaal eingeladen. Ein wichtiger Abend. Speziell für diejenigen, die sonst eher ein Schattendasein führen: Rosina Neuerer zum Beispiel. Die 16-Jährige, die häufig am Eisbach anzutreffen ist, gewann trotz ihrer erst 16 Jahre den deutschen U-18-Meistertitel im Wellenreiten. Aber auch Elektro-Rollstuhlhockeyspieler, Trampolinspringer, Rollstuhl-Basketballer und Schnellschachspieler waren gekommen. Und noch ein paar mehr. Der festlich geschmückte Saal mit den Holzschnitzereien an der Decke war gefüllt bis auf den letzten Platz. Insgesamt wurden bei der Veranstaltung 270 Sportler geehrt, unter anderem für 15 WM- und sechs EM-Titel, 26 Silber- und Bronzemedaillen bei Welt- und Europameisterschaften sowie 60 deutsche Einzel- und 23 Mannschaftsmeisterschaften. "Für uns ist es etwas ganz Besonderes, dabei zu sein", sagte Rollstuhl-Basketballerin Johanna Welin, die ihren ein Jahr alten Sohn Ilja mitgebracht hatte. Im vergangenen Jahr gewann sie mit der deutschen Nationalmannschaft den EM-Titel. Zum Team zählte damals auch Laura Fürst, die die Ehrung zusätzlich motivierte: "Es ist schön, wenn die eigene Leistung anerkannt wird, mich spornt das an." Münchens Dritte Bürgermeisterin Christine Strobl eröffnete den Abend und dankte den Haupt- und Ehrenamtlichen sowie den Kollegen des Stadtrats für deren Einsatz. Die Einwohnerzahl Münchens sei in den vergangenen fünf Jahren um 130 000 Menschen gestiegen, darunter auch viele Sportler, die es nun zu fördern gilt. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Infrastruktur. Beispielhaft nannte sie den Sportpark Freiham, der behindertengerecht ausgebaut wird. Zudem eröffnet in Kürze im Münchner Norden eine Eliteschule des Sports, die "etwa 65 Millionen Euro" kosten wird. Auch eine Multifunktionshalle im Olympiapark sei geplant, allerdings ist noch offen, "ob es hinhaut". Durch den Abend führte BR-Moderator Markus Othmer, der sich vornahm, nicht länger als 90 Minuten zu brauchen, "wie ein gutes Fußballspiel". Zahlreich geehrt wurden die Leichtathleten der LG Stadtwerke. Unter ihnen 800-Meter-Läuferin Christina Hering, die bei der U-23-EM erfolgreich war: "Als gebürtige Münchnerin ist es natürlich toll, auch mal von Münchner Seite geehrt zu werden." Das fanden auch die Lacrosse-Spieler des deutschen Meisters HLC Rot-Weiß. Der Verein in unmittelbarer Nähe des Audi Domes - wo bekanntermaßen die Bayern-Basketballer beheimatet sind - nutzte die Gunst der Stunde für Abwerbungsversuche: "Bei uns ist man jederzeit willkommen - auch die Basketballer." Die bleiben ihrer Sportart ob des Erfolges in der Vorsaison wohl treu: U19 und U14 sicherten sich die deutsche Meisterschaft. Im Beisein von Präsident Karl Hopfner wurden auch die übrigen Sportler des FC Bayern geehrt, der Großverein war nämlich der erfolgreichste Klub der Stadt. Staunen und Schmunzeln rief gegen Ende der Gala Hans Dieter Wunderlich hervor, Weltmeister im Fernschach: "Ich habe fünf Tage für einen Zug, spiele aber manchmal 30 bis 40 Partien gleichzeitig." Insgesamt wurde es ein kurzweiligen Abend, der tatsächlich kaum länger dauerte als 90 Minuten. | https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/ehrung-im-licht-des-festsaals-1.2952077 | mlsum-de-781 |
Robert Tönnies, Mitinhaber des Fleischkonzerns, will mit dem Leasing von Elektroautos Geld verdienen. Dafür lässt er Oldtimer umrüsten. | Hemd, Jeans, Turnschuhe - auf den ersten Blick wirkt Robert Tönnies, 39, wie einer dieser vielen Start-up-Unternehmer. Und so fühlt er sich an diesem Montag auch, obwohl er aus einem alteingesessen Konzern kommt. Ihm gehören 50 Prozent der Anteile an der Tönnies-Gruppe, einem der größten deutschen Betriebe für Schlachtung und Fleischverarbeitung. Die Familie gehört zu den wohlhabendsten in Deutschland. Vor einigen Wochen erst hat er sich nach einem harten und langen juristischen Streit mit seinem Onkel Clemens auf eine Neuordnung des westfälischen Konzerns geeinigt. Aber all das lastet Tönnies offenbar nicht aus. Anfang 2016 hat er ein weiteres Unternehmen gegründet. Und er hat große Pläne damit. Die Electrify GmbH mit Sitz in Bielefeld beschäftigt sich mit Elektromobilität. Derzeit wird bereits eine Flotte betrieben. Gewerbliche und private Nutzer leasen die rund 150 E-Autos, vor allem Pflegedienste sind Kunden. Es handelt sich Tönnies' Angaben zufolge um das erste reine Elektro-Fahrzeugleasing in Deutschland. Der Start sei erfolgreich, das Wachstum gut, sagt Tönnies. Demnächst sollen weitere Niederlassungen folgen, neben Bielefeld auch in Dortmund und Osnabrück. Detailansicht öffnen Sonst handelt er mit Fleisch, nun will er mit nachhaltigerer Mobilität Geld verdienen: Unternehmer Robert Tönnies (re.) in einem umgerüsteten VW Käfer-Cabrio. Aber das ist nur der Anfang. Nun erweitert Tönnies das Angebot. Zusammen mit seinem Partner Dennis Murschel und einem Team von 15 Ingenieuren hat er in Renningen in der Nähe von Stuttgart eine Art Auto-Manufaktur aufgebaut. Dort werden teilweise 40 Jahre alte VW Käfer-Cabrio aufwendig umgebaut und mit Elektromotoren ausgestattet. Tönnies glaubt, dass dies ein großer Markt werden kann. "Wir wollten ein besonderes Elektro-Auto bauen", sagt er bei einer Präsentation in Kitzbühel. Und: "Wir wollen die Historie mit der Zukunft verbinden." Bei der Überlegung, alten Stil und neue Technik zu verbinden, sind er und seine Mitarbeiter auf den Käfer-Cabrio gekommen. Rund 1500 historische Käfer-Cabrio-Modelle gebe es in Deutschland pro Jahr zu kaufen, sagt Tönnies. Für Nachschub sei also immer gesorgt. Einige Oldtimer werden in einer Halle bei Stuttgart eingelagert und dann aufwendig auseinandergebaut. Die Einzelteile werden bearbeitet und neu zusammengesetzt. Am Ende steht ein Retro-Modell mit Elektro-Antrieb. Dafür sind einige Schritte notwendig: Es wird ein doppelter Boden eingezogen, um Platz für die Batterie zu schaffen. Auch bei den Tesla-Modellen ist die Batterie dort verbaut. Dadurch habe das Auto einen sehr tiefen Schwerpunkt und lasse sich besonders gut fahren, schwärmt Tönnies. Ansonsten wird der Wagen möglichst originalgetreu restauriert, hat zwar auch einen berührungsempfindlichen Bildschirm, verfügt aber zum Beispiel nicht über Servolenkung. Detailansicht öffnen Weitere Artikel aus der SZ-Serie Gipfelstürmer finden Sie hier. "Das ist kein Hobby. Wir wollen damit Geld verdienen", betont Tönnies. Es gebe seiner Ansicht nach einen Markt von Liebhabern, die sich solche Fahrzeuge leisten können. Zunächst sollen bis zu 25 Fahrzeuge mit dem - übrigens nicht geschützten - Namen "Retro-Käfer" im Jahr hergestellt werden. Der Stückpreis soll bei mehr als 100 000 Euro liegen, dafür werde eine Garantie von bis zu zehn Jahren gewährt. Kunden zu finden, sei einfach, sagt Tönnies, der offenbar bereits den Markt sondiert hat. Um das Projekt bekannt zu machen, werden zunächst Fahrzeuge an bekannte Hotels gegeben, wo diese tageweise für etwa 220 Euro ausgeliehen werden können. Das erste Modell bekommt die Nobelherberge "Stanglwirt" in der Nähe von Kitzbühel. So soll die kaufkräftige Kundschaft in Kontakt mit den Retro-Modellen kommen, sagt Tönnies. "Wir müssen zu nachhaltigem Wirtschaften kommen", betont der Unternehmer. Die Vorurteile gegen E-Mobilität müssten abgebaut, die Popularität gesteigert werden. Schon seit einigen Jahren fährt Oldtimer-Liebhaber Tönnies bereits ein Model S von Tesla. Die Fahreigenschaften hätten ihn begeistert, sagt er, Elektroautos gehören seiner Ansicht nach die Zukunft. Ob das Konzept auch auf andere Oldtimer ausgedehnt werde, sei offen. Kapital dafür wäre vorhanden. Die Tönnies-Holding, wegen ihrer Geschäftspraktiken umstritten, machte zuletzt mit mehr als 10 000 Beschäftigten einen Umsatz von rund sechs Milliarden Euro - und gute Gewinne, die in Start-up-Firmen investiert werden können. Mit dem Gipfelstürmer-Wettbewerb zeichnet der SZ-Wirtschaftsgipfel am 19. November deutsche Gründer aus. Die Serie begleitet den Wettbewerb. Bewerbungen und weitere Infos unter: www.sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstuermer. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gipfelstuermer-strom-statt-wurst-1.3581497 | mlsum-de-782 |
Das bestätigt ein Sprecher vor dem Abstiegsendspiel zwischen dem HSV und Wolfsburg. Heftige Kritik an der Ansetzung kommt von den früheren Referees Merk und Heynemann. | Auch nach der Kritik an der Schiedsrichteransetzung für das Bundesligaspiel zwischen dem Hamburger SV und dem VfL Wolfsburg hält der Deutsche Fußball-Bund (DFB) an Referee Manuel Gräfe fest. Eine mögliche Auswechslung des Schiedsrichtergespanns stehe "in keiner Weise zur Debatte", sagte ein DFB-Sprecher am Freitag der Süddeutschen Zeitung. Es sei zwar theoretisch immer denkbar, Änderungen vorzunehmen - etwa bei Verletzungen oder Krankheit von Schiedsrichtern. Es bestehe aber keinerlei Notwendigkeit. Der DFB-Sprecher verwies auf die öffentlichen Äußerungen von Verantwortlichen des HSV und des VfL Wolfsburg. Beide Vereine hätten sich positiv über die Auswahl Gräfes als Schiedsrichter des brisantesten Duells des 34. Spieltags (Samstag, 15.30 Uhr) geäußert. Der HSV und Wolfsburg kämpfen am letzte Spieltag der Saison dagegen, die Spielzeit als Tabellen-16. und damit auf dem Relegationsplatz zu beenden. Gräfe steht deswegen im Blickpunkt, weil er vor zwei Jahren im zweiten Relegationsspiel des HSV beim Karlsruher SC in der Nachspielzeit einen umstrittenen Freistoß für die Hamburger gab, den Marcelo Díaz dann zum 1:1 verwandelte. Nach dem Hinspiel-1:1 ging es dadurch noch in die Verlängerung, in der Nicolai Müller den HSV mit dem 2:1 zum Klassenverbleib schoss. Merk und Heynemann kritisieren den DFB Gräfes Freistoß-Entscheidung wird seitdem kontrovers diskutiert, oft heißt es "kann, aber muss man nicht geben". Bei jeder Ansetzung von Fifa-Referee Gräfe für ein HSV-Spiel kocht dieses Thema wieder hoch. Vor diesem Hintergrund kritisierten auch zwei frühere deutsche Top-Referees, Markus Merk und Bernd Heynemann, den DFB scharf. "Hätte man mich gefragt, welcher Schiedsrichter für dieses Spiel nicht in Frage kommt, wäre ich auf genau einen Namen gekommen", sagte Merk der Hamburger Morgenpost in Anspielung auf Gräfe. "Das Wichtigste ist immer, dass der Schiedsrichter nicht im Fokus steht - sondern das Spiel! Das ist hier, bei aller unbestrittenen Kompetenz von Manuel Gräfe, nicht möglich", monierte der 55-Jährige. Heynemann, 63, nannte die Schiedsrichteransetzung, die erst am Donnerstag publik wurde, "unglücklich", da Gräfe angesichts der Bedeutung des Spiels für den HSV und Wolfsburg enorm unter Druck geraten kann. "Man kann nur hoffen, dass nichts passiert. Wenn in einer entscheidenden Szene etwas passieren sollte, hat der DFB ein Problem", sagte Heynemann bei Sport1. Mit Material von dpa | https://www.sueddeutsche.de/sport/hsv-gegen-wolfsburg-dfb-haelt-an-schiedsrichter-graefe-fest-1.3513272 | mlsum-de-783 |
Berlin und die verbündeten Europäer suchen regelmäßige Gespräche mit Iran, um künftig Krisen besser vorbeugen zu können. | Mit einem "strukturierten Dialog" zu Regionalthemen wollen Deutschland und seine europäischen Verbündeten eine neue Krise mit Iran vermeiden. "Wir Europäer teilen die Kritik und die Sorge unserer amerikanischen Verbündeten mit Blick auf die hochproblematische Rolle Irans in der Region und auf das iranische Raketenprogramm", sagte der amtierende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel der Süddeutschen Zeitung. Gleichzeitig wolle man aber "die unbestreitbaren Errungenschaften" des Atomabkommens mit Iran nicht infrage stellen. In München fand am Wochenende am Rande der Sicherheitskonferenz ein erstes Treffen in diesem neuen Format statt, an dem neben Frankreich, Großbritannien und Deutschland auch Italien und die EU als Vorsitz beteiligt sind. Künftig sollen sich die Vizeaußenminister oder politischen Direktoren der Ministerien mindestens alle drei Monate treffen. US-Präsident Donald Trump droht damit, das Abkommen zu kündigen, sollte es nicht in entscheidenden Punkten Verbesserungen geben - etwa die bislang befristete Laufzeit für Beschränkungen bei der Urananreicherung umzuwandeln in eine permanente Regelung. Die USA haben über ihre Botschaften in Paris, London und Berlin die Regierungen dazu aufgefordert, an der "Beseitigung der signifikanten Schwachstellen des Abkommen" mitzuarbeiten, entweder durch ein Ergänzungs- oder ein Folgeabkommen. Zugleich verlangen die Amerikaner mehr Druck der Europäer vor allem wegen des Raketenprogramms und der Revolutionsgarden. Gabriel warnt hingegen, dass man einem Abbau der Spannungen nur näherkomme, "wenn wir neben anhaltendem spürbarem Druck in einen Gesprächsprozess mit Iran einsteigen, um Lösungsansätze zu finden". Das müsse ein echter Dialog sein mit einer offenen Auseinandersetzung über die verschiedenen Interessen und Bedrohungswahrnehmungen. Bei dem Gespräch in München ging es etwa um Jemen, wo Iran die Huthi-Milizen gegen die international anerkannte Regierung unterstützt. Man erwarte "von der iranischen Seite die Bereitschaft, sich auf diesen Prozess einzulassen", sagte Gabriel - bei weiteren Sitzungen soll etwa die iranische Politik in Syrien thematisiert werden. Laut Diplomaten geht es explizit nicht darum, bis zum Ablauf der Frist von Präsident Trump im Mai konkrete Ergebnisse zu liefern. Gabriel und seine europäischen Kollegen wollen das Format bewusst für weitere Teilnehmer offenhalten - auch bei den Atomverhandlungen seien die Amerikaner erst später dazugestoßen, sagen an den neuen Gesprächen beteiligte Personen. Italien wurde dazugebeten, weil es gute Beziehungen zu Teheran pflegt - aber auch um jeden Anschein zu vermeiden, es handle sich bei dem neuen Gesprächsformat um einen Versuch, das Atomabkommen nachzuverhandeln. Die Europäer haben das bisher ebenso wie Iran kategorisch ausgeschlossen, Russland und China, ebenfalls Vertragsparteien, teilen diese Position. Wie die USA sich zur neuen Initiative verhalten werden, ist noch offen. | https://www.sueddeutsche.de/politik/diplomatie-neues-iran-format-1.3875422 | mlsum-de-784 |
Eilat am Roten Meer ist für israelische Urlauber ein Zufluchtsort. Jetzt sollen auch mehr Gäste aus Europa angelockt werden. | Am "Dolphin Reef" können Gäste mit Delfinen tauchen. Berührt werden dürfen die Tiere allerdings nur im Beisein der Trainerin, zu therapeutischen Zwecken. Ganz nahe kommen die Delfine heran - aber nur, wenn sie Lust haben. Das Dolphin Reef ist das größte Meeresgehege der Welt; zum Golf von Akaba hin ist es offen, sodass die Tiere jederzeit ins offene Gewässer schwimmen können. So hat, wer sich mit Schnorchel oder Taucherausrüstung ins Wasser wagt, keine Garantie, dass tatsächlich ein Delfin auftaucht. Einer der vier Meeressäuger aber kommt eigentlich immer, wenn Tal Fisher ihren Bund voller Metallringe ins Wasser hält, um die Delfine anzulocken. Von den Stegen und Plattformen ringsum kann man die Trainerin und die Tiere beobachten, antrainierte Kunststücke gibt es allerdings keine: "Delfine sind keine Zirkustiere", sagte Fisher, während sie den Meeressäugern den Bauch krault. Das 1990 eröffnete Dolphin Reef ist eine der Hauptattraktionen von Eilat. Einen Kilometer weiter Richtung Westen liegt schon die nächste: das Unterwasserobservatorium. Hier gibt es das mit 600 Quadratmetern größte Haifischbecken im Nahen Osten. Zwanzig verschiedene Haiarten leben hier, die zwei Mal täglich von Tauchern gefüttert werden - ein besonderes Spektakel für die Zuschauer. Und die sollen noch mehr werden, hofft man in Eilat. Die Tourismusverantwortlichen werben vor allem um Gäste aus Europa und sehen als Vorteil an, dass der Sinai und die Türkei wegen der politischen Entwicklungen von manchen Urlaubern gemieden werden. So wird in neue Hotels investiert, der Staat lockt Fluglinien mit Subventionen und im Herbst soll der neue Flughafen Ramon eröffnet werden. Detailansicht öffnen Wer aus der Wüste kommt und plötzlich vor den Hochhäusern steht, glaubt an eine Fata Morgana. (Foto: Dafna Tal) Die Vielzahl an Wassersportmöglichkeiten und die leicht zugänglichen Korallenriffe sind bislang für viele Besucher der Hauptgrund, nach Eilat zu kommen. Abkühlung kann man hier fast immer brauchen: Es gibt 360 Sonnentage pro Jahr, kälter als 20 Grad wird es praktisch nie. Für Europäer, denen der Winter auf die Nerven geht, ist Eilat ein ideales Ziel. Im Sommer kann es jedoch in der Stadt schon 40 Grad und mehr im Schatten haben. Eilat ist Israels Pforte zum Roten Meer. Der von Jordanien beanspruchte Landstrich wurde 1949 von israelischen Soldaten in der Operation Ovda für den damals noch nicht einmal ein Jahr alten Staat Israel in Besitz genommen. Gerade mal zwölf Kilometer breit ist der Meereszugang, ein schmaler Streifen, eingezwängt zwischen Jordanien und Ägypten. Wer den Blick über die jordanische Nachbarstadt Akaba hinaus schweifen lässt, kann im Dunst Saudi-Arabien erahnen, das rund 30 Kilometer entfernt liegt. Die Kriegsschiffe, die gelegentlich aufkreuzen, erinnern daran, dass hier einer der Brennpunkte der Weltpolitik liegt und es in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer ruhig war. Ab und an donnern Jets über die Köpfe der Touristen hinweg. Wobei das Wort Ruhe zu Eilat auch jetzt nicht passt. Wer sich, von Tel Aviv oder Jerusalem kommend, nach stundenlanger Autofahrt durch die Wüste nähert, glaubt eine Fata Morgana zu sehen. Aus dem Wüstensand erhebt sich eine glitzernde Häuseransammlung. Eilat sieht gar nicht aus wie eine israelische Stadt, es erinnert mit seinen Bettenburgen und weithin sichtbaren Vergnügungsparks an US-Städte. Als "Las Vegas des Negevs" oder "Mallorca am Roten Meer" wurde es schon bezeichnet. Das Licht, die Wärme des Südens, das kann man genießen in Eilat. In den Minuten rund um den Sonnenuntergang, wenn sich das Meer verdunkelt und die umliegenden Berge blassrosa, kaminrot oder auch kräftig violett leuchten, hat das etwas Magisches. Die Stimmung verschwindet, sobald die Unterhaltungseinrichtungen ihre grellen Lichter einschalten. Die Stadt bietet alle Annehmlichkeiten, die Gäste sich wünschen mögen, sogar eine Eislaufhalle. Allerdings gibt es auch Begleiterscheinungen eines touristischen Rummelplatzes wie Karaoke-Veranstaltungen. Besonders die russischen Urlauber, die gern nach Eilat kommen, sind hier zu finden. Abseits der Hotels aber gibt es ruhige Plätze: eine Vogelbeobachtungsstelle nahe des Grenzübergangs zu Jordanien etwa, auf die man über eine rumpelige Schotterpiste kommt. Hier ist ein beliebter Rastplatz für Zugvögel auf dem Weg von und nach Europa. 25 Kilometer außerhalb von Eilat liegt der Timna-Park, der beeindruckende Einblicke in die Wüste bietet, die aus der Nähe viel farbenfroher und lebendiger ist, als sich dies die meisten Touristen vorstellen. Der Sand und die Gesteinsformationen leuchten in der Sonne in allen Farbnuancen von Ocker bis zu sattem Dunkelbraun. Hier findet man Stille, an die man sich erst gewöhnen muss. Detailansicht öffnen Touristen mögen die Strände vor allem im Winter, die Temperatur fällt hier selten unter 20 Grad. (Foto: Menahem Kahana/AFP) Israelis kommen auch deshalb gerne her, weil man hier im Süden so weit weg scheint vom Rest des Landes und den auch im Alltag spürbaren Spannungen. Hier verfällt jeder in einen langsamen Trott beim Flanieren über die Strandpromenade. "Hier vergisst man alle Sorgen", ist einer der Werbeslogans, mit denen Eilat Besucher aus dem eigenen Land anlockt. Der Großteil der rund drei Millionen Gäste pro Jahr kommt aus Israel, Potenzial sehen die Tourismusmanager noch bei ausländischen Urlaubern. Die südlichste Stadt des Landes mit rund 60 000 Einwohnern kann auch mit der höchsten Bettendichte Israels aufwarten: 12 000 Übernachtungsmöglichkeiten gibt es in den rund 60 Hotels entlang des Strands und an der Lagune. "Die Auslastung liegt bei durchschnittlich 70 Prozent", erklärt Shabtai Shay, der Generaldirektor der Hotelvereinigung. 1250 weitere Betten sollen in den nächsten drei Jahren vor allem durch Hotel-Neubauten im Osten der Stadt, wo sich die Wüste Richtung Jordanien ausbreitet, dazu kommen. Es sollen auch Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen geschaffen werden, die im Billigflieger ankommen und kein All-inclusive-Paket gebucht haben. Die meisten Hotels sind schon zwanzig Jahre und älter. Aber innen sind sie renoviert und entsprechen, was in Israel nicht überall der Fall ist, jenem internationalen Standard, den die Sterne-Kategorisierung erwarten lässt. Detailansicht öffnen Mit seiner Hochhaus-Skyline sieht Eilat eher aus wie eine amerikanische Stadt. (Foto: Dafna Tal) Für viele Israelis und auch für ausländische Touristen sind auch die Einkaufsmöglichkeiten ein Grund, nach Eilat zu reisen. Die ganze Stadt ist eine riesige Duty-Free-Zone, wovon auch die zahlreichen Einkaufszentren zeugen. Die zollfreie Zone wird sich künftig auch auf den 18 Kilometer entfernten Ramon-Flughafen erstrecken. Der neue Flughafen wächst gerade weithin sichtbar aus dem Wüstensand. Noch landen die meisten Flugzeuge auf dem auch vom Militär genutzten Flughafen Ovda, 54 Kilometer von der Stadt entfernt. Für inländische Flüge und kleinere Maschinen werden die Pisten mitten in der Stadt benutzt, die Eilat durchscheiden und eine lästige Lärmquelle darstellen. Ab der Wintersaison 2018/19 soll der Ramon-Airport nach fünf Jahren Bauzeit betriebsbereit sein und die beiden anderen Flughäfen ersetzen. "Hoffentlich klappt es. Aber wir sind zuversichtlich", sagt Projektmanagerin Taal Goldman. Vor drei Jahren haben nur sechs Flugzeuge pro Woche Touristen aus dem Ausland nach Eilat gebracht. Die Aufstände der Palästinenser und die Berichte über Attentate schreckten ab, der letzte Gazakrieg war 2014. "Es hat immer lange gedauert, Reiseveranstalter zu überzeugen, Eilat wieder ins Programm aufzunehmen. Es war ein Schritt vor, einer zurück", schildert Tourismusmanager Shay die Bemühungen. Die nunmehr dritte Saison setzt man auf Subventionen für Airlines, damit sie israelische Destinationen anfliegen. Mit Erfolg: Die Touristenzahl ist 2017 mit 3,6 Millionen auf Rekordniveau gestiegen. In diesem Jahr werden im April und im Mai wegen der Feiern zum 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels noch mehr Gäste erwartet. In Eilat starten und landen inzwischen pro Woche 54 Flugzeuge - ein Großteil davon gehört Billiganbietern. Für jeden Passagier, den sie nach Eilat bringen, erhalten sie Subventionen in Höhe von 60 Euro; Landegebühren werden nicht erhoben. Der israelische Staat übernimmt den größten Teil des Betrags, 15 Euro zahlt die Hotelvereinigung dazu. So soll die Zahl der nach Eilat eingeflogenen Touristen 2018 bei 250 000 liegen. Für 2025 ist eine Million angepeilt. Für den Chef der Hotelvereinigung ist die Eröffnung des neuen Flughafens denn auch ein "Meilenstein". Shabtai Shay hofft, "an die besten Tage von Eilat" anknüpfen zu können. Das waren nicht die Anfänge der Stadt, über die man mehr in der interessanten Ausstellung im Stadtmuseum erfährt. Das waren die 1990er Jahre, als Frieden im Nahen Osten zum Greifen nahe schien. Damals träumte man von einer offenen Dreiländerregion, einem Urlaubsparadies, wo jeder vom anderen profitiert: Eilat hat die nötige Infrastruktur, Akaba und Taba haben weite Strände - und alle haben Zugang zum Roten Meer. Aber das bleibt wohl bis auf weiteres ein Traum: Derzeit können nur die Delfine grenzenlose Freiheit genießen. Reiseinformationen Anreise: Ryanair bietet ab Herbst wieder günstige Direktflüge nach Eilat, ab Berlin-Schönefeld, Karlsruhe / Baden-Baden, Bremen, Frankfurt-Hahn und Düsseldorf-Weeze, einfach ab 20 Euro, www.ryanair.com. Vom Flughafen Ovda fährt ein Bus für 8 Euro nach Eilat. Mit dem Mietauto vom Flughafen Ben Gurion (Tel Aviv) dauert die Fahrt rund vier Stunden. Übernachtung: Caesar Premier, ab 115 Euro für ein DZ, www.caesarhotels.co.il Weitere Auskünfte: Allgemeine Informationen unter https://new.goisrael.com und www.eilat.city/en. Zu den Attraktionen im Meer führen www.dolphinreef.co.il und www.coralworld.co.il. Mehr über die Wüste gibt es unter www.parktimna.co.il und über Vögel unter www.eilatbirds.com | https://www.sueddeutsche.de/reise/israel-der-traum-von-freiheit-1.3929314 | mlsum-de-785 |
Dem FC Schweinfurt 05 gelingt ein kleines Fußballwunder, nun darf der Klub doch noch in die Relegation. Die Queens Park Rangers steigen in die Premier League auf. Russlands Eishockey-Auswahl trifft im WM-Finale auf Finnland. | Fußball, Regionalliga: Fußball-Regionalligist FC Schweinfurt 05 darf dank eines kleines Wunders weiter auf den Klassenerhalt hoffen. Der ehemalige Zweitligist gewann am letzten Spieltag durch drei Tore in der Schlussphase gegen den SV Heimstetten 4:3 (1:1) und rettete sich in die Relegation. Peter Heyer (87.), Tom Jäckel (88.) und Florian Hetzel (89.) sorgten für den nötigen Sieg. Leidtragender des Endspurts war Bayern Hof, die als sicherer Absteiger feststehen. Schweinfurt trifft nun in der Relegation auf einen Vertreter aus der fünftklassigen Bayernliga. Fußball, Daniel Van Buyten: Der belgische Fußball-Nationalspieler Daniel Van Buyten wird seine Nationalmannschaftskarriere nach der Weltmeisterschaft in Brasilien beenden. "Die WM wird mein letztes Turnier als Roter Teufel sein", sagte der Abwehrspieler des FC Bayern München am Samstag im Trainingslager der Belgier. "Meine internationale Karriere hat mit einer WM begonnen und sie wird mit einer WM enden. Da schließt sich ein Kreis", erklärte der 36 Jahre alte Innenverteidiger. Van Buyten gehörte bereits 2002 bei der bislang letzten WM-Teilnahme Belgiens zum Kader. In Brasilien will der Profi noch einmal seine ganze Erfahrung einbringen, ehe er das Feld für den Nachwuchs räumt. "Ich spreche viel mit den anderen Spielern. Es ist wichtig, dass sie wissen, dass viel von Details abhängen wird", meinte van Buyten. Zu seiner Zukunft in München konnte der Kicker noch nichts Neues sagen. "Ich habe mit dem Verein die Verabredung, dass ich mich zunächst vollkommen auf die WM konzentrieren kann." Sein Vertrag bei den Bayern läuft aus. Fußball in England, Playoffs: Die Queens Park Rangers haben als drittes und letztes Team den Aufstieg in die englische Premier League geschafft. Die "Super Hoops" gewannen im entscheidenden Aufstiegsspiel im Londoner Wembley-Stadion durch einen Treffer in der letzten Minute von Bobby Zamora 1:0 (0:0) gegen Derby County und kehren nach nur einem Jahr in der zweitklassigen Championship in Englands Fußball-Oberhaus zurück. Zuvor hatten Leicester City und der FC Burnley den Aufstieg geschafft. Der Siegtreffer gelang den Rangers von Teammanager Harry Redknapp in Unterzahl, Gary O'Neil hatte in der 58. Minute die Rote Karte gesehen. Pferdesport, Totilas: Beim internationalen Drei-Sterne-Dressurturnier in Kapellen/Belgien hat Matthias Alexander Rath auf Totilas den Grand Prix Special gewonnen. Mit 82,271 Prozentpunkten fiel der Sieg für das Paar am Samstag eindeutig aus. Kapellen war der erste Turnierstart für den Dressurhengst seit zwei Jahren. Zuerst hatte Rath wegen einer Erkrankung pausieren müssen, danach hatte sich der Hengst verletzt. Bereits am Donnerstag hatten Totilas und Rath im Kapellener Grand Prix gesiegt. Platz zwei im Grand Prix Special ging an den Belgier Jeroen Devroe auf Eres, Dritte wurde die Schwedin Jennie Larsson im Sattel von Spring Flower. Wasserball, Spandau Berlin: Wasserball-Seriensieger Spandau Berlin hat sich nach einem Jahr Unterbrechung erneut die deutsche Meisterschaft gesichert. Der Rekord-Champion gewann das fünfte und entscheidende Finalspiel der best-of-five-Serie 7:5 gegen den Titelverteidiger ASC Duisburg und feierte seine 33. Meisterschaft. Vor zwei Wochen hatte das Team von Interimstrainer und Ex-Nationaltorwart Peter Röhle bereits den Pokal gewonnen, insgesamt war es für Deutschlands beste Vereinsmannschaft der 80. Titel. "Toll, was meine Mannschaft in dieser Saison geleistet hat", sagte Röhle. Eishockey, WM: Russland und Finnland bestreiten das Endspiel der Eishockey-Weltmeisterschaft 2014. Die russische Auswahl entthronte am Samstag im WM-Halbfinale im weißrussischen Minsk Titelverteidiger Schweden mit 3:1 (2:1, 1:0, 0:0) und greift damit am Sonntag nach dem 27. WM-Titel. Finnland siegte anschließend im zweiten Vorschlussrundenduell gegen Tschechien mit 3:0 (1:0, 1:0, 1:0). Damit bietet sich den Russen nochmals die Chance zur Revanche für den bitteren Viertelfinal-K.o. vor gut drei Monaten bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi, als Finnland mit einem 3:1 den Goldhoffnungen der Gastgeber ein jähes Ende bereitet hatte. Bereits in der Vorrunde der WM waren beide Teams aufeinandergetroffen. Russland hatte sich da mit 4:2 durchgesetzt. Ohnehin ist die Sbornaja bislang mit neun Siegen in neun Spielen souverän durch das Turnier gegangen. Die Finnen dürfen indes auf ihren dritten WM-Titel hoffen, letztmals hatten sie 2011 triumphiert. Dem neunmaligen Weltmeister Schweden, der vor einem Jahr im Finale gegen die Schweiz triumphiert hatte, nutzte in der Minsk-Arena auch ein Blitzstart nichts. Oscar Moller brachte die Skandinavier nach gerade einmal 19 Sekunden in Führung. Doch schon im ersten Drittel drehte Topfavorit Russland die Partie und ging durch Sergej Plotnikow (14. Minute) und Sergej Schirokow (18.) mit 2:1 in Führung. Im zweiten Abschnitt baute Anton Below (32.) den Vorsprung für die Sbornaja weiter aus. Finnland kam durch Tore von zweimal Jori Lehtera (9. und 60.) sowie Jarkko Immonen (32.) zum Sieg über die Tschechen und zeigte erneut eine starke Leistung. Tennis, Düsseldorf: Tennis-Profi Philipp Kohlschreiber hat das ATP-Turnier in Düsseldorf gewonnen. Der 30 Jahre alte Augsburger setzte sich am Samstag im Finale im Rochusclub klar mit 6:2, 7:6 (7:4) gegen den Kroaten Ivo Karlovic durch und feierte seinen ersten Titel auf der Tour seit mehr als zwei Jahren. 2012 gewann der in Düsseldorf an Nummer eins gesetzte Kohlschreiber das Sandplatzturnier in München. Für seinen Erfolg einen Tag vor dem Beginn der French Open in Paris kassierte Kohlschreiber 77 315 Euro Preisgeld und holte 250 Weltranglistenpunkte. Tennis, Nürnberg: Die Kanadierin Eugenie Bouchard hat das WTA-Tunier in Nürnberg gewonnen. Die 20-Jährige setzte sich am Samstag im Finale gegen Karolina Pliskova aus Tschechien mit 6:2, 4:6, 6:3 durch und feierte damit ihren ersten Titel auf der Elite-Tour im Damen-Tennis. Bouchard, die mit ihrem Halbfinal-Einzug bei den Australian Open im Januar für Furore gesorgt hatte, musste gegen die Bezwingerin der topgesetzten Angelique Kerber lange kämpfen, ehe nach 1:53 Stunden der Sieg feststand. Sie ist die zweite Gewinnerin nach Simona Halep im Vorjahr bei dem mit 250 000 Dollar dotierten Event. Golf, Surrey: Die beiden Profigolfer Martin Kaymer und Marcel Siem haben vor dem Schlusstag der PGA Championship im englischen Surrey alle Chancen auf eine Top-Ten-Platzierung. Der Mettmanner Kaymer holte mit einer starken 69er-Runde auf und spielte sich bei der mit 4,75 Millionen Euro dotierten Top-Veranstaltung der European Tour zunächst auf den geteilten 18. Rang. Dort steht auch der Ratinger Siem, der auf seiner Par-Runde (72 Schläge) aber mit zwei Bogeys auf den letzten vier Löchern eine bessere Ausgangslage verspielte und neun Positionen zurückfiel. Der Rückstand auf Rang sieben beträgt für die beiden Deutschen nur drei Schläge, allerdings waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Teilnehmer wieder im Klubhaus. Der dritte deutsche Starter Maximilian Kieffer war am Cut gescheitert. Radsport, Giro d'Italia: Der italienische Radprofi Enrico Battaglin hat sich den Sieg auf der 14. Etappe des Giro d'Italia gesichert. Der 24-Jährige vom Team Bardiani gewann nach 164 Kilometern die Bergankunft in Oropa, im Zielsprint schob sich Battaglin an seinem Landsmann Dario Cataldo (Sky) und Jarlinson Pantano (Kolumbien/Colombia) vorbei. Auf dem bis zu 13 Prozent steilen Schlussanstieg machte der Kolumbianer Rigoberto Urán als Träger des Rosa Trikots keinen guten Eindruck. Den Attacken seines Landsmanns Nairo Quintana (Movistar) und des italienischen Hoffnungsträgers Domenico Pozzovivo (AG2R) konnte Urán nicht folgen und büßte jeweils rund 20 Sekunden ein. Der ehemalige Tour-Sieger Cadel Evans (Australien/BMC) verkürzte als Gesamtzweiter dank eines Sprints auf der Zielgeraden seinen Rückstand auf insgesamt 32 Sekunden. Turnen, EM: Fabian Hambüchen hat die deutschen Turner am Samstag bei den Europameisterschaften in Sofia auf Platz vier der Team-Konkurrenz geführt. Gegenüber dem völlig verkorksten Vorkampf, in dem sich die Deutschen nur dank Hambüchens starker Leistung auf Platz sieben ins Finale gezittert hatten, steigerte sich das Team und verbuchte mit 260,711 Punkten über sechseinhalb Zähler mehr als vor zwei Tagen. Den Titel holte sich zum fünften Mal in der EM-Historie das Team Russlands (267,959 Punkte) vor Titelverteidiger Großbritannien (265,953) und der Ukraine (262,087). Fußball, Bundesliga: Hertha BSC rechnet nach den Worten seines Managers Michael Preetz für die kommende Saison fest mit Pierre-Michel Lasogga und will den Vertrag mit dem Torjäger verlängern. Der in dieser Spielzeit an den Hamburger SV ausgeliehene Stürmer soll in der Sturmspitze Adrian Ramos ersetzen, der zu Borussia Dortmund wechselt. "Wir planen mit ihm, wollen nach Ramos nicht noch den zweiten Top-Stürmer abgeben und mit ihm verlängern", sagte Preetz über den 22-jährigen Lasogga in einem Interview der "Bild"-Zeitung (Samstag). Der Spieler habe seit Monaten ein Angebot vorliegen, so der Manager. Um Lasogga aus seinem bis 2015 laufenden Vertrag in Berlin zu entlassen, müsste "ein Club ein Angebot machen, das wir unmöglich ablehnen können. Das gibt es aber nicht", stellte Preetz klar. Der Angreifer, der in der abgelaufenen Spielzeit den HSV mit seinem Treffer zum 1:1 in der Relegation bei der SpVgg Greuther Fürth vor dem erstmaligen Sturz in die Zweitklassigkeit bewahrte, hatte vor wenigen Tagen überraschend sein Interesse an einem Wechsel nach England bekundet. | https://www.sueddeutsche.de/sport/fussball-regionalliga-drei-toren-in-drei-minuten-1.1974290 | mlsum-de-786 |
"Das ist ein neuer Tag", twittert eine Aktivistin zu den Kommunalwahlen in Saudi-Arabien. Erstmals durften Frauen im Königreich wählen und gewählt werden. Letzteres schafften mindestens drei von ihnen. | Bei den Kommunalwahlen in Saudi-Arabien haben am Samstag überraschend erstmals mindestens drei Frauen ein Mandat errungen; nach anderen Meldungen wurden sogar mindestens sechs Frauen in dem ultrakonservativen Königreich gewählt. Wie die amtliche Nachrichtenagentur SNA unter Berufung auf die Wahlkommission berichtete, gewann Salma bint Hizab al-Oteibi einen Sitz im Rat der Kommune Madrakah in der Provinz Mekka. Sie setzte sich demnach gegen zwei weibliche und sieben männliche Konkurrenten durch. Die Bewerberin Lama al-Suleiman errang demnach einen Sitz in Dschidda, der zweitgrößten Stadt des Landes. Eine dritte Kandidatin namens Hinauf al-Hasmi wurde in Al-Dschauf im Norden des Landes gewählt. Die Auszählung dauerte am Sonntag noch an. Es waren die ersten Wahlen überhaupt in Saudi-Arabien, bei denen Frauen sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht hatten. Unter den 6900 Kandidaten waren laut der Wahlkommission etwa 980 Frauen. Unter den registrierten Wählern gab es 130 000 Frauen, aber fast 1,5 Millionen Männer. Hatoon al-Fassi, eine saudische Aktivistin, die sich für Frauenrechte einsetzt, schrieb in einer ersten Reaktion auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Das ist ein neuer Tag. Der Tag der saudischen Frau." Während internationale Analysten die Wahl überwiegend als symbolischen Schritt gewertet hatten, der an der grundlegenden Benachteiligung von Frauen in vielen Lebensbereichen ebenso wenig ändere wie an ihrer Abhängigkeit von einem männlichen Vormund, hatten sich saudische Frauen in Interviews mit westlichen Medien zuversichtlich gezeigt, dass die Wahlen ein erster Schritt seien. Die Beteiligung von Frauen hatte noch der im Januar gestorbene König Abdullah durchgesetzt. Sein Nachfolger Salman, der in gesellschaftspolitischen Fragen als konservativer gilt, hatte die Reformen trotz Protesten konservativer Kleriker nicht rückgängig gemacht. | https://www.sueddeutsche.de/politik/saudi-arabien-erstmals-frauen-gewaehlt-1.2780675 | mlsum-de-787 |
Hört ihr Fraktionschef auf? Oder entschließt er sich doch, noch einmal anzutreten? Die Linke wartet gespannt auf die Entscheidung Gregor Gysis. Der ist bester Laune und lässt sich alle Optionen offen. | Wer Gregor Gysi so reden hört in diesen Tagen, kann den Eindruck gewinnen, dass da einer bester Laune ist, geradezu gelöst. Am Mittwoch etwa sitzt der Fraktionschef der Linken beim Pressefrühstück im Bundestag. Normalerweise plaudern hier nur ein paar Journalisten über Tagespolitik. Diesmal aber ist kaum ein Stuhl leer, und fast alle wollen nur eines wissen: Hört Gysi im Herbst als Fraktionsvorsitzender auf? Wird er beim Parteitag der Linken im Juni mit großer Geste den Hut nehmen, wie etliche seiner Unterstützer inzwischen befürchten? Und wenn ja, wer soll den Vormann der Linken eigentlich beerben? Eine Rückschau, die sich fast wie ein Abschied anhört Gysi weiß natürlich, was alle wissen wollen, und es gefällt ihm, aber er schimpft ein bisschen über den NSA-Skandal, macht einen Abstecher zum Lokführerstreik, bevor er zum Ende kommt, "ich will, dass Sie Fragen stellen". Es kommen dann Fragen, nur eben keine klaren Antworten. Ob stimme, dass Gysi noch einmal als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf ziehen wolle, um nach der Wahl aufzuhören? Gysis Freunde hätten das erzählt, behauptet ein Journalist. Der Fraktionschef blinzelt amüsiert. Abwarten, sagt er und meint seine Rede beim Parteitag im Juni. Die könnte historisch werden für die Partei, falls Gysi den Abschied ankündigt. Die Presseleute bohren weiter. "Wenn ich Ihnen sage, ich sage dazu nichts, dann sage ich nichts", frotzelt Gysi zurück - um doch weiterzureden. Was dann kommt, ist eine Rückschau, die sich fast wie ein Abschied anhört. Er freue sich, sagt Gysi, wie viel Akzeptanz seine Partei heute erfahre im Vergleich zu den ersten Jahren im Bundestag, "auch was meine Person angeht". Kein Wort zu Stasi-Vorwürfen, sie scheinen Lichtjahre zurückzuliegen. "Wie Aussätzige" seien PDS-Abgeordnete einst behandelt worden, das habe sich geändert. "Wenn Sie eine Bilanz haben wollen, dann heißt sie, dass ich ein bisschen stolz darauf bin." Das klingt nach Abschluss, bemerkt eine Journalistin. "Das kann man so verstehen", sagt Gysi. Aber er äußere sich dazu nicht. Gysis Nachfolge im Bundestag ist nicht geregelt Es äußern sich dafür andere. Gysi, der 67 sei und drei Herzinfarkte hinter sich habe, schwanke, hadere, lasse sich bitten, habe aber eigentlich längst beschlossen aufzuhören, ist aus Parteikreisen zu hören. Die ostdeutschen Landesfürsten der Linken sollen Gysi jetzt angefleht haben weiterzumachen. In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wird 2016 gewählt. Wenn Gysi aufhöre und sein Stellvertreter Dietmar Bartsch übernehme - unter eher chaotischen Umständen -, dürften neue Flügelkämpfe im Bundestag ausbrechen und die Chancen bei den Landtagswahlen schwinden, warnten die linken Führungsleute der neuen Länder. Hauptproblem: Gysis Nachfolge im Bundestag ist nicht geregelt. Seitdem die Parteilinke Sahra Wagenknecht nicht mehr wie geplant mit dem Reformer Dietmar Bartsch die Fraktion führen will, fehlt eine geeignete Partnerin vom linken Flügel für eine Doppelspitze. Sollte Bartsch dennoch Fraktionschef werden, dürfte er Mühe haben, für stabile Mehrheiten zu sorgen. Aber auch neue Namen sind im Gespräch, etwa die Innenexpertin der Linksfaktion, Martina Renner, eine zupackende Pragmatikerin. Ob sie kandidiert, bleibt ungewiss, solange Gysi schweigt. Es warten jetzt alle in der Linken: auf ein Wort des Vorsitzenden. Gregor Gysi und die angebliche Stasi-Vergangenheit: Lesen Sie den ausführlichen Artikel mit SZ plus. | https://www.sueddeutsche.de/politik/linke-auf-ein-wort-1.2487160 | mlsum-de-788 |
Neidisch schaut der Wanderer nach oben. Scheinbar schwerelos ziehen die Segelflieger elegant ihre Kreise. Ob man das wirklich lernen kann? | Die Wanderer, die an schönen Tagen am Segelflugplatz in Geitau vorbeigehen, kommen oft aus dem Schauen nicht mehr raus. Natürlich, an einem schönen Sommertag durch die idyllische Landschaft unterhalb von Aiplspitz und Miesing - mit der imposanten Berggestalt des Wendelsteins im Rücken - auf den Soinsee zu wandern, das ist schön. Aber die mit ihren Segelflugzeugen sehen das alles aus der Luft, wenn sie sanft und beinahe lautlos über den Bergen dahingleiten. Der Wanderer bleibt stehen und blickt neidisch nach oben. So hat manche Segelfliegerkarriere sozusagen en passant angefangen. Detailansicht öffnen Ruhe vor dem Start (Foto: Foto: Moritz Attenberger) Und so mancher hat, ehe er wusste, wie ihm geschah, plötzlich das erste Mal im Flugzeug gesessen, hinter einem der erfahrenen Flieger des Luftsportclubs Schliersee. Sicherheitsgurte angelegt, der Fallschirm ist dran. Der Windenstart Dann geht alles sehr schnell: Ein Helfer gibt den Start frei, der Flieger wird immer schneller von einer Seilwinde über die Startbahn gezogen. Plötzlich ist er in der Luft. Die Beschleunigung drückt einen in den Sitz, man sieht im steilen Aufwärtsflug nur den blauen Himmel, im Magen wird es flau. Dann klinkt der Pilot das Seil aus und der Haken schwebt mit einem kleinen Fallschirm zur Erde. Das Flugzeug bleibt in der Luft und fliegt. Einen Windenstart nennen das Eingeweihte. Bald schon versucht der Pilot, sich in der Thermik über den nahen Hängen des Seebergs höher zu schrauben. Ziemlich nahe kreist er an den Baumwipfeln vorbei. Irgendwie klappt es nicht so recht, die Thermik reicht nicht aus und wir sind zu zweit zu schwer, um über den Gipfeln fliegen zu können. Macht gar nichts, man sieht die Welt trotzdem von oben. Bauernhöfe, Kühe, winzige Menschen. Höher kommen wir diesmal nicht und so drehen wir noch eine letzte kleine Schleife, dann beginnt der Landeanflug. Sich an genauen Referenzpunkten orientierend, steuert der Pilot auf die Landewiese zu und setzt butterweich auf, weicher fast als in einer großen Verkehrsmaschine. Und ohne Motor. | https://www.sueddeutsche.de/reise/segelfliegen-fliegen-ist-halt-schoener-1.221501 | mlsum-de-789 |
Die Eltern des todkranken Babys Charlie geben ihren monatelangen juristischen Kampf gegen ein Ende der Behandlung auf. Sie glauben nun auch, dass es besser für ihr Kind ist, wenn es sterben darf. | Still und leise haben die Eltern am vergangenen Freitag ihre Entscheidung gefällt. Wenigstens ein Wochenende wollten sie noch gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Charlie verbringen, bevor ihr Anwalt Grant Armstrong am Montag der Öffentlichkeit verkündete: Die Eltern, die sich für ihr Kind mit den höchsten irdischen Mächten anlegten, geben auf. Connie Yates und Chris Gard wollen nicht mehr um das Leben ihres Babys kämpfen; sie glauben nun auch, dass es besser für ihr Kind ist, wenn es sterben darf. Eigentlich hätte der Londoner High Court an diesem Dienstag erneut über Charlies Schicksal urteilen sollen. Zahlreiche Gerichte hatten die Eltern bis dahin schon angerufen, hatten sich an alles geklammert, was ihre Hoffnung nähren konnte. Ihr schwer krankes Baby sollte leben, und dafür schöpften sie alle erdenklichen Möglichkeiten aus. Umgerechnet 1,5 Millionen Euro hatten die Eltern gesammelt, um ihr Kind in die USA zu bringen und dort mit einer experimentellen Therapie behandeln zu lassen. Doch Charlies Ärzte am Londoner Great Ormond Street Hospital hatten stets betont, dass Charlies seltene genetische Erkrankung, ein mitochondriales DNA-Depletionssyndrom (MDDS), schon zu schwere irreparable Schäden an seinem Gehirn hinterlassen habe. Selbst wenn die Therapie anschlagen würde, könnte sie Charlies Zustand kaum noch verbessern. Eine weitere Behandlung würde nur unnötiges Leid für das Kind bedeuten. Schon im Juni hatte das höchste Gericht Großbritanniens, der Supreme Court, den Ärzten zugestimmt, dass es besser sei, die Geräte abzustellen, an denen das Leben des mittlerweile blinden und tauben Jungen hing. Anders als in Deutschland können britische Gerichte als oberste Erziehungsberechtigte über solche fundamentalen Fragen entscheiden. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte das Urteil. Derweil nahmen Menschen in aller Welt Anteil am Schicksal des Kindes und seiner unermüdlichen Eltern. Auch der Papst und US-Präsident Donald Trump schalteten sich ein. Nun darf Charlie, wie es ihm seine Ärzte seit Monaten wünschen, tatsächlich sterben. Die schlimmsten Befürchtungen der Eltern zu Charlies Gesundheitszustand hätten sich bestätigt, sagte Anwalt Armstrong. Deshalb hätten sie "die schmerzhafteste Entscheidung getroffen, die Eltern nur treffen können". Der Anwalt machte die Dauer des Kampfes dafür verantwortlich, dass Charlie nicht mehr zu helfen sei. Der US-Experte schloss eine Therapie aus Zum Umdenken brachten die Eltern offenbar weitere Untersuchungen von Charlies Gehirn. Nachdem er die neuesten Kernspinaufnahmen und Elektroenzephalogramme gesehen hatte, zog auch der US-Experte, der Charlie behandeln wollte, seine bisherigen Prognosen zurück. Aus der Ferne hatte er stets behauptet, seine experimentelle Therapie könne Charlies Zustand mit zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit verbessern. Als er Charlie nun nach Aufforderung des Londoner Gerichts erstmals persönlich untersuchte und die Bilder aus seinem Gehirn betrachtete, schloss er eine Therapie aus. Richter Francis, der am Dienstag sein Urteil hätte sprechen sollen, nahm die Entscheidung der Eltern an. Er lobte sie für "die Liebe und Fürsorge", die sie Charlie stets gaben. Aber er kritisierte auch die Aufregung in den sozialen Medien: "Viele Dinge wurden gesagt durch Menschen, die fast nichts über diesen Fall wussten", so Richter Francis. | https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozess-in-grossbritannien-die-schmerzhafteste-entscheidung-die-eltern-nur-treffen-koennen-1.3601877 | mlsum-de-790 |
Von "beleidigt" bis "verantwortungslos": Die internationale Presse kritisiert Köhlers Rücktritt. Die Kommentatoren sind sich einig, dass die Reaktion überzogen war. | Spiegel Online: "Das Amt und Horst Köhler passten nicht zusammen. Sie waren nicht füreinander gemacht. Er hat das gemerkt, schon lange vor diesem Montag. Deshalb war er ein unglücklicher Präsident, deshalb hat ihn die Kritik an seinen Afghanistan-Äußerungen aus der vorigen Woche zu dieser Reaktion gebracht. Deshalb muss es ihn so gekränkt haben, dass niemand aus dem eigenen Lager von Union und FDP ihm danach wirklich zur Hilfe eilte, ihn unterstützte, verteidigte. Auch Angela Merkel nicht." Detailansicht öffnen Die Kritik hätte er aushalten müssen, finden deutsche Zeitungen. Köhlers Rückzug war überstürzt, sind sich die Kommentatoren einig. (Foto: AP) Focus: "Er suchte sich keine Felder, auf denen er Zeichen setzte. Er trat in Zeiten der ersten großen Finanzkrise nicht als der Mutmacher und Erklärer auf, den sich viele ersehnten. Er gab der Republik nicht das Gefühl, er wache darüber, dass das, was geschieht, zum Besten laufe. Im Gegenteil: Der Mann, der als ehemaliger Direktor des Internationalen Währungsfonds das internationale Finanzwesen besser kannte als die meisten in der Regierung, schürte noch die Angst vor dem schwer Nachvollziehbaren an den internationalen Börsen, indem er die Banken als 'Monster' bezeichnete." Welt: "Diesem Bundespräsidenten, so kann man jetzt erkennen, wäre es besser bekommen, er hätte auf eine zweite Amtszeit verzichtet. Mit der ersten hatte er sich verausgabt, hatte sein Themenfeld abgesteckt. Sein größtes Problem bestand in einem inneren Widerspruch seines Amtsverständnisses. Er war der höchste Repräsentant des Landes, und als solcher hatte er sein Amt nicht direkt dem Souverän, sondern der politischen Klasse zu verdanken. Horst Köhler wollte aber ein Volkspräsident sein, und dieses Anliegen bekam schon ziemlich bald nach seinem Amtsantritt einen Drall ins Volkstümliche, ja ins Anti-Politische. Es passt aber nicht, wenn der Präsident mit der Rolle des Gegenpapstes spielt. Mit der Rolle dessen auch, der sich im Geiste mit dem Souverän gegen Politik und Wirtschaft zusammentut." | https://www.sueddeutsche.de/politik/die-presse-zum-ruecktritt-von-koehler-der-bundespraesident-ist-kein-luxusposten-1.952688 | mlsum-de-791 |
Betrug, Geldwäsche, Unterstützung von Terrororganisationen: Die Vorwürfe gegen die islamische Gemeinschaft Milli Görüs wiegen schwer. Doch die Ermittlungen wurden eingestellt. | Die Staatsanwaltschaft München hat die schweren Vorwürfe gegen Spitzenfunktionäre der Vereinigung "Milli Görüs" und weiterer Muslim-Verbände fallengelassen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wurden die Ermittlungen vollständig eingestellt. Die Staatsanwälte hatten sechs Funktionären unter anderem Betrug, Geldwäsche, die Unterstützung terroristischer Organisationen und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Im Frühjahr vergangenen Jahres hatte es deshalb umfangreiche Razzien gegeben, die ein großes Medienecho hervorriefen. Aufgrund der massiven Vorwürfe entschied Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) damals, Milli Görüs und den von der Vereinigung dominierten Islamrat von der deutschen Islamkonferenz vorerst auszuschließen. In dem Gremium beraten Vertreter von Bund, Ländern, Gemeinden und Muslim-Verbänden über die Integration der vier Millionen Muslime in Deutschland. Der türkisch geprägten Milli Görüs gehören bundesweit gut 300 Moscheegemeinden an. Der Generalsekretär des Verbandes, Oguz Ücüncü, gegen den ermittelt worden war, kritisierte das Vorgehen der Behörden. "Das Verfahren hatte offenbar einen politischen Hintergrund", sagt er der SZ. Die Ermittler hätten trotz intensiver Suche über 19 Monate hinweg "nichts gefunden". "Da fragt man sich schon, ob nicht mehr im Spiel ist." Milli Görüs wird vom Verfassungsschutz als größte islamistische Organisation in Deutschland eingestuft und gilt Kritikern als integrationsfeindlich. Die Beobachtung des Verbandes durch Sicherheitsbehörden hat immer wieder zu Ermittlungsverfahren geführt. Derzeit läuft ein Steuerverfahren in Köln, bei dem Milli Görüs Steuernachzahlungen und Strafen in zweistelliger Millionenhöhe drohen. "Der Versuch, uns zu kriminalisieren, wird ins Leere gehen", sagte Ücüncü. Der 42-Jährige erwägt, wegen des Ermittlungsverfahrens Schadenersatz vom Staat zu fordern. Ähnlich äußerte sich der frühere Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland, Ibrahim el-Zayat, der ebenfalls zu den Beschuldigten zählte. "Der Rechtsstaat hat hier gesiegt", sagte er. Der Staat müsse "missliebigen Stimmen" künftig mit anderen Mitteln begegnen als mit Razzien. Ücüncü sagte, Milli Görüs wolle trotz des Endes der Ermittlungen nicht mehr an der Islamkonferenz teilnehmen. Deren Konzept gehe "ins Leere". Das Bundesinnenministerium erklärte, es wolle den von Milli Görüs dominierten Islamrat weiterhin nicht zur Islamkonferenz einladen. Ein Sprecher verwies auf das Verfahren in Köln sowie auf den Milli-Görüs-nahen Verein IHH, der im Juni wegen Unterstützung der Hamas verboten worden war. | https://www.sueddeutsche.de/politik/islamische-vereinigung-in-deutschland-verfahren-gegen-milli-goerus-eingestellt-1.1002731 | mlsum-de-792 |
Millionen für mittelmäßige Spieler statt Förderung junger Talente: SZ-Leser diskutieren zum Rauswurf von Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann. | "Gescheitert ist nicht nur Klinsmann, sondern auch die Mannschaft, die in ihrer derzeitigen Zusammensetzung zu besseren Leistungen nicht mehr fähig ist. Und gescheitert ist vor allem der ausgebrannte Vorstand. Hoeneß und Rummenigge (wie er zu diesem Posten kam, ist ein Bayern-Rätsel) sollten endlich dem Dampfplauderer Franz Beckenbauer ins Austragsstüberl folgen. Doch geradezu devot liegt die Münchner Sportpresse Hoeneß und Rummenigge weiter zu Füßen. Die werden also weiter wursteln, Talente wie Jansen und Kroos ziehen lassen, dafür für teures Geld Kicker wie den Durchschnittsfußballer Borowski oder den abgehalfterten Weltmeister Oddo verpflichten." Detailansicht öffnen Als die Münchner Fußballwelt noch in Ordnung war: Ex-Trainer Jürgen Klinsmann im April beim Dauerlauf mit der Mannschaft vom FC Bayern. (Foto: Foto: getty) Peter Kühn München Dem Boulevard ein Stück näher gekommen "Egal wie man zum Fußball steht, der Trainerwechsel bei einem Fußballclub ist kein weltbewegendes Ereignis. Es gibt Dinge aus der Welt des Sports, die in den Sportteil gehören, wozu dieser ja da ist. Wieder einmal wurde dem Unterhaltungsbedürfnis dem gelangweilten Teil Ihrer Leserschaft Rechnung getragen und dem Boulevard ein Stück näher gerückt. In einer Zeit, in der globale Ereignisse den Planeten ins Schwitzen bringen, kann einem der Werdegang eines Fußballvereins egal sein. Dass die Frankfurter Allgemeine heute ins gleiche Horn stößt, wirft ein fahles Licht auf Nivellierung- und Verflachungstendenzen in der Presselandschaft." Georg Wanke Freiburg Hasenfüßig und inkonsequent "Dieser Wechsel ist ein Offenbarungseid. Nicht von Klinsmann, sondern von der Bayern-Führung. Haben sie sich Anfang der Saison aufgemacht in Richtung Europas modernem Fußball, so waren diese Herren und auch die Spieler auf der halben Wegstrecke zu kleinmütig, um Klinsmanns Weg weiter mit zu gehen. Jetzt soll ein abgehalfterter Trainer retten, was noch zu retten ist: Den lahmen Gäulen in den Hintern treten - für die Qualifikation in der Champions-Leage. Das kann er, dafür ist, war er berühmt. Diese Personalie ist nicht nur ein Rückfall in die Fußball-Steinzeit, sondern gleichzeitig ein weiteres bedauernswertes Zeugnis für die Kompetenz in der Führungsetage des FC Bayern München. Leider macht diese den Verein nun auch noch - über das Sportliche hinaus - international lächerlich. Hasenfüßig und inkonsequent sind sie ihren alten Pfaden gefolgt: Früher entlassene und dabei gedemütigte Trainer werden nach Jahren wieder verpflichtet. Freuen wir uns also auf eine erneute Trainerschaft von Klinsmann beim FC Bayern München in einigen Jahren. Doch Voraussetzung wäre: Die bisherige Führungsriege ist noch am Ruder - und Klinsmann würde ein ganz normaler Trainer, der bereit ist, sein Gesicht zu verlieren. Beides darf und wird nicht passieren." Dr. Hans Gerd Reiter Weitersweiler Machtspiele statt Spiele "Es zeigt schon eine gehörige Portion Arroganz, einen Trainer zu entlassen, obwohl man auf dem 3. Tabellenplatz steht und mit einem Spiel die Führung übernehmen kann. (Bei den Bayern hat das Tradition; Otto Rehagel wurde entlassen, als der Verein auf dem 2. Platz stand.) Die Erklärung der Vereinsführung zum Rauswurf von Jürgen Klinsmann ist entlarvend: Es sei ihm nicht gelungen die Liga zu dominieren. Das genau macht die Bayern so unsympathisch, dass sie nicht nur gewinnen, sondern dominieren wollen. Was ihnen auf dem Platz nicht gelingt tun sie mit Psychospielchen, Lockangebote und durch eine destruktive 'Wegkauf-Politik' bei Vereinen die ihnen gefährlich werden könnten. Diese Art von Dominanzstreben wie sie der FC-Bayern seit Jahren demonstriert, läuft dem sportlichen Gedanken des Fairplays entgegen und ist eine der Gründe, warum der deutsche Fußball im internationalen Vergleich relativ schlecht aussieht." Franziskus Wendels Köln Vorstand ohne Schuldgefühle "Wer hat eigentlich den aktuellen Kader von Bayern München zusammen gekauft? Doch wohl der aktuelle Vorstand, der aber für die Bayern-Misere keine Verantwortung trägt; Schuld kennt er gar nicht. Der Kader ist einfach zu durchschnittlich mit einer Reihe von Spielern besetzt, die teilweise völlig überschätzt werden: Rensing, Lell, Oddo, Ottl, van Bommel, Borowski, Toni. Es glaubt doch keiner, dass etwa ein Top-Trainer wie Arsene Wenger ausgerechnet nach München geht, wo ihm einer wie Uli Hoeneß nicht nur auf der Bank immer dazwischen quatscht. Der erfolgreiche Manager Hoeneß hat überhaupt keine Reputation als Trainer oder Berater; dies gilt für seine Vorstandskollegen genauso. Der Fisch stinkt nämlich immer zuerst am Kopf. Aber träume schön weiter Bayern München, die Bundesliga freut sich!" Manfred Jaeger Kamen Der neue Messias "Der FC Bayern war für Klinsmanns Philosophie von Fußball einfach noch nicht reif. Deshalb war es vom 'Hosianna!' bis zum 'Kreuzige ihn!' nur ein kleiner Schritt. Jetzt steht der FC Bayern vor einem Scherbenhaufen. Ich persönlich halte deshalb den 'blonden Engel' Bernd Schuster für den neuen Messias des FC Bayern." Roland Klose Bad Fredeburg/Hochsauerland | https://www.sueddeutsche.de/service/04-mai-2009-muenchens-zweite-liga-1.463151 | mlsum-de-793 |
Die Fifa-Ethikkommission präsentiert ihren Abschlussbericht zu den Korruptionsvorwürfen bei der WM-Vergabe erst im Frühjahr. Angelique Kerber erreicht in Tokio das Halbfinale. Fernando Alonso ist im Training in Singapur überraschend schneller als die Mercedes-Fahrer. | Fußball, Fifa: Die Fifa-Ethikkommission wird ein abschließendes Urteil zu Korruptionsvorwürfen bei den Vergaben der Fußball- Weltmeisterschaften 2018 und 2022 nicht vor Frühjahr 2015 fällen. Ihr Vorsitzender Joachim Eckert nannte diesen Termin am Freitag bei einer Konferenz über Sportethik in Zürich. Nach Angaben des deutschen Richters solle ein Urteil nur Einzelpersonen wie Mitglieder der Fifa-Exekutive betreffen. Anfang September hatte Chefermittler Michael Garcia seinen Bericht der Ethikkommission vorgelegt. Unklar blieb, ob Garcia nach der einjährigen Untersuchung die Vergabe der WM 2018 an Russland oder des Turniers an 2022 an Katar infrage stellt. Formel 1, Singapur: Ferrari-Pilot Fernando Alonso hat im ersten Freien Training zum Nachtrennen in Singapur die Bestzeit aufgestellt. Der Sieger der Formel-1-Premiere in dem Stadtstaat 2008 und von 2010 verwies am Freitag das Mercedes-Duo auf die folgenden Plätze. Lewis Hamilton wurde mit 0,122 Sekunden Rückstand auf Alonso (1:49,056 Minuten) Zweiter. WM-Spitzenreiter Nico Rosberg, der im WM-Klassement 22 Punkte Vorsprung auf Hamilton hat, kam auf Rang drei (+0,149). Auf den vierten Platz fuhr Sebastian Vettel im Red Bull. Der viermalige Weltmeister hatte die vergangenen drei Rennen auf dem Marina Bay Street Circuit gewonnen. In diesem Jahr wartet der Heppenheimer aber noch immer auf seinen ersten Grand-Prix-Sieg. Vierter wurde beim ersten Einfahren auf dem 5,065 Kilometer langen Kurs Vettels Teamkollege Daniel Ricciardo. Die weiteren deutschen Piloten, Nico Hülkenberg von Force India und Adrian Sutil von Sauber, kamen auf die Ränge 12 und 17. Fußball, Sperre: Wegen seines brutalen Kopfstoßes ist der Brasilianer Brandão vom französischen Fußball-Erstligisten SC Bastia von der Liga für sechs Monate gesperrt worden. Das bestätigte der Klub des 34-Jährigen. Demnach kann Brandao, der im August nach dem Punktspiel bei Meister Paris St. Germain (0:2) seinen brasilianischen Gegenspieler Thiago Motta bei einer Rangelei im Spielertunnel durch seine Attacke die Nase gebrochen hatte, frühestens am 21. Februar wieder für Bastia zum Einsatz kommen. Brandaos Anwalt kündigte Einspruch gegen die Sperre an und forderte erneut ein Spielverbot für lediglich acht Begegnungen. Außer den sportlichen Konsequenzen drohen Brandao allerdings auch strafrechtliche Folgen. Am 3. November muss sich der Südamerikaner wegen vorsätzlicher Körperverletzung in einem Stadion vor Gericht verantworten. Im Falle eines Schuldspruches kann der Stürmer zu Gefängnis oder einer Geldstrafe verurteilt werden. Radsport, John Degenkolb: Der Start des erkrankten Radprofis John Degenkolb bei der am Sonntag beginnenden WM in Ponferrada/Spanien ist weiter stark gefährdet. Nach Auskunft seines Managers Jörg Werner wird sich erst am Montag entscheiden, ob der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft zum Finale der Titelkämpfe am 28. September beim Straßenrennen an den Start gehen kann. Der 25-Jährige befindet sich wegen eines angeschwollenen Lymphknotens im Lendenbereich weiter im Krankenhaus in Frankfurt/Main. "Frühestens morgen kann er das Krankenhaus verlassen - wenn es seine Blutwerte zulassen. Zur Überwachung der Wirkung der verabreichten Antibiotika müsste er dann bis Montag noch zweimal kurz zurück", sagte Werner der Nachrichtenagentur dpa am Freitag. Wenn die Werte am Montag keine Auffälligkeiten mehr zeigen sollten, könnte Degenkolb mit leichtem Training beginnen und am Mittwoch nach Ponferrada fliegen. Vor seiner Erkrankung zählte der vierfache Etappensieger der Vuelta zum Favoritenkreis. Ein fast auf Tischtennisballgröße angeschwollener Lymphknoten als Folge einer verschmutzten Schürfwunde hatte Degenkolb nach der Rückkehr aus Spanien zur sofortigen Arztvisite gezwungen. Tennis, WTA-Turnier in Tokio: Deutschlands beste Tennis-Spielerin Angelique Kerber ist beim WTA-Turnier in Tokio im Schnelldurchgang ins Halbfinale eingezogen. In der japanischen Hauptstadt brauchte die an Nummer eins gesetzte Weltranglisten-Achte nur 62 Minuten zum 6:3, 6:0 gegen die Slowakin Dominika Cibulkova. Damit setzte sich die Linkshänderin zum dritten Mal in Folge gegen die Weltranglisten-13. durch. Bei ihrem ersten Turnier nach der enttäuschenden Drittrunden-Niederlage bei den US Open gegen die erst 17 Jahre alte Schweizerin Belinda Bencic trifft Kerber in der Vorschlussrunde auf die frühere Nummer eins Ana Ivanovic (Serbien/Nr. 3) oder Lucie Safarova (Tschechien/Nr. 7). Sabine Lisicki (Berlin) war in Tokio unmittelbar nach ihrem Turniersieg in Hongkong bereits in der ersten Runde ausgeschieden. Die 24-Jährige, Nummer drei der deutschen Rangliste und Nummer 24 der Welt, verlor gegen die Australierin Casey Dellacqua. | https://www.sueddeutsche.de/sport/bericht-der-ethikkommission-fifa-laesst-sich-zeit-mit-korruptionsbericht-1.2137298 | mlsum-de-794 |
War's das mit dem Hamburger Aufbruch? Beim Abstiegskampf-Dino lassen sich einige vom kurzzeitigen Aufschwung im Winter blenden - ein Brasilianer soll nun Sicherheit bringen. | An Flugmeilen gemessen war die Verzweiflung schon vor diesem Spiel recht groß gewesen, Jens Todt war vergangene Woche immerhin schon bis nach Brasilien geflogen. Der neue Sportdirektor des Hamburger SV hatte noch Bedarf gesehen, den Kader zu verbessern. Gute defensive Mittelfeldspieler sind auf dem hiesigen Markt derzeit offensichtlich nicht zu haben. Am vergangenen Samstag, zurück im kalten Ingolstadt, musste Todt dann mit ansehen, wie dringend der Bedarf tatsächlich ist. Seine Elf wurde vom Tabellennachbarn FC Ingolstadt in die eigene Hälfte gedrückt und hochverdient 3:1 besiegt. Trainer Markus Gisdol sagte nach der Schmach: "Wir waren in der ersten Halbzeit auf der Sechser-Position überhaupt nicht da, überhaupt nicht vorhanden." Er hätten auch sagen können: Jens, sieh bitte zu, dass das noch klappt. Der Hamburger SV ist mittlerweile schon so etwas wie ein Abstiegskampf-Dino, er vegetiert schon länger am Tabellenende herum, als der 1. FC Ingolstadt in der ersten Liga spielt. Doch eigentlich dachte man nach einem guten Dezember und einem lobumhudelten Trainingslager, dass diese Zeiten endgültig vorbei wären. Jetzt aber wurde die Mannschaft vom 16. auf den 17. Platz geschickt. Da würde bekanntlich nicht mal die Relegation helfen. Eigentlich ist so vieles neu beim Hamburger SV des Jahres 2017. Doch nach einer schlechten Halbzeit sind die altbekannten Probleme trotzdem wieder da. Die Oberbayern hatten den Hamburgern den Schneid abgekauft, und weil die Mannschaft von Maik Walpurgis diesmal auch ihre wenigen Chancen so gut nutzte, sah es in der 47. Minute sogar nach einer richtigen Abreibung aus, als Almog Cohen per Foulelfmeter das 3:0 erzielte. Selbst dem Glücksschuss der Ingolstädter zum 2:0 durch Markus Suttner (22.) konnte HSV-Coach Gisdol noch etwas Schlechtes abgewinnen: Vor diesem abgefälschten Freistoß habe man sich wieder einmal selbst in die Situation gebracht, überhaupt ein Foul vor dem Strafraum begehen zu müssen. Auf der Doppelsechs begannen diesmal Lewis Holtby und Matthias Ostrzolek, Letzterer nur bis zur Pause. Insofern dürfte klar sein, wem die Hauptkritik an jenem Nachmittag galt. Doch nach einer passablen Anfangsviertelstunde waren alle Mannschaftsteile von Verunsicherung betroffen, Bälle versprangen, selbst simple, lange Pässe landeten im Seitenaus. "Das war nicht nur vom Ergebnis enttäuschend", fand der neue Sportdirektor Todt. Es sei in einem Mannschaftssport natürlich "schwer, wenn nur einige die Verantwortung übernehmen", sagte der neue Innenverteidiger Mergim Mavraj. | https://www.sueddeutsche.de/sport/bundesliga-beim-hsv-broeckelt-der-teamgeist-1.3355102 | mlsum-de-795 |
Schöner laden mit dem Kombi namens Tourer. Geblieben sind die Gleichmut und Gelassenheit eines eleganten Franzosen. | Saft und Kraft Wir leben in Downsizing-Zeiten: Hubräume werden kleiner, dank Turboaufladungen steigt die Leistung weiter und der Verbrauch sinkt trotzdem. Da mutet es fast ein wenig anachronistisch an, einen V6-Diesel mit 150 kW/204 PS zu bewegen. Eigentlich wundert es uns nicht wirklich: Der Motor wuchtet den schon leer 1877 Kilogramm schweren Kombi so behände um die Kurven, als ob nur eine Vogelfeder weggepustet werden müsste. Und dabei bleibt er leise und sparsam: Mehr als 8,2 Liter waren es im Testmittel nie - und da war ein hoher Anteil an Stadtfahrten mit dabei. Damit, und das ist eine echte Überraschung, liegt der C5 Tourer (Warum bloß darf das schöne Wort Break nicht mehr sein?) sogar unter dem vom Hersteller offiziell angegebenen Wert von 8,5 Litern. Zurück bleibt der Verdacht, dass es auch ein kleinerer Motor ganz wunderbar getan hätte. Detailansicht öffnen Wie heißt es so treffend: Ein schöner Rücken kann immer ... (Foto: Foto: Citroën) Die Sechsgangautomatik schaltet in der Stadt und auf der Autobahn immer gleich, das heißt: butterweich, und verführt zum entspannten Dahincruisen. Das Gleiten ist ohnehin die größte Stärke des C5 Tourer (wie auch der Limousine): Das seit Jahrzehnten verwendete und immer weiter verfeinerte hydropneumatische Fahrwerk mit Hydrauliköl statt Federn (in der Exklusive-Ausstattung natürlich serienmäßig mit dabei) lässt den C5 Tourer über jede Unebenheit ungerührt hinwegschweben. Wenn es doch mal leise rüttelt, dann ist es im Sitz und mit Sicherheit der Spurassistent (optional). Stuss und Genuss Schöne Kombis heißen nicht mehr länger nur Avant (Audi). Das gleich mal vorweg. Und zur Schönheit gehört Komfort: Dank eines längeren Radstandes haben die Passagiere im Fond mehr Beinfreiheit. Sie laufen auch nicht länger Gefahr, sich wie beim schräg abfallenden Dach der Limousine ab und zu den Kopf zu stoßen. Design und Verarbeitung lassen kaum noch einen Unterschied zu deutschen Mitbewerbern erkennen. Im Gegenteil: Der Tourer streckt sich auf 4,8 Meter und muss auch auf die konkave Heckscheibe der Limousine verzichten. Einzige Reminiszenz an frühere Extravaganzen im Innenraum: die feststehende Lenkradnabe mit ihrem Knöpfchenparadies. Aber wir haben es schon nach der Ausfahrt mit der Limousine prophezeit: Man gewöhnt sich daran sehr schnell und dann findet man es prima. Die Getränkehalter sind noch immer keine Diskussion wert, dafür sind die Taschen in den Türen so schlau, bei Dunkelheit automatisch ein Lichtlein anzuknipsen, wenn sich eine Hand nähert. | https://www.sueddeutsche.de/auto/citroen-c5-tourer-v6-hdi-205-biturbo-das-gute-mass-der-mitte-1.690149 | mlsum-de-796 |
Je unruhiger die Börsen, desto größer die Sehnsucht der Anleger nach Stabilität. Wer die im "sicheren Hafen" Gold sucht, sitzt aber womöglich einem Irrtum auf. | Je unruhiger es an den Börsen zugeht, umso größer wird offenbar die Sehnsucht der Anleger nach der ältesten Währung der Welt. Der Goldpreis ist seit Anfang des Jahres stark gestiegen. Am Freitag kostete eine Feinunze (31 Gramm) fast 1268 Dollar. Das sind 20 Prozent mehr als im Dezember 2015. Die Kurve läuft konträr zu den Aktienmärkten, die um bis zu 20 Prozent eingebrochen sind. Der Zusammenhang zwischen Aktien und Gold ist schon länger zu beobachten: Als nach Ausbruch der Finanzkrise die Unsicherheit am größten war, erreichte der Goldpreis im Jahr 2011 seinen historischen Höchststand von 1921 Dollar. Danach beruhigten sich die Aktienmärkte, vor allem durch die Zusicherung von Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, alles zu tun, um den Euro zu retten. Es folgte ein jahrelanger Aktienboom, der im Gegenzug den Goldpreis schmelzen ließ. Wegen der starken Schwankungen an den Aktienmärkten geht es mit Gold wieder aufwärts. Der Wert von Gold hängt nicht an einem Staat oder einer Zentralbank In dieser Situation fragen sich viele Anleger, ob sie in Gold einsteigen sollen, um das Depot ausgeglichener zu gestalten. Leicht zu beantworten ist die Frage nicht, denn Gold ist ein besonderer Stoff. Zunächst die Argumente dafür: Gold ist, anders als Geld, nicht unbegrenzt vermehrbar. Das Metall hat über Jahrtausende seine Werthaltigkeit bewiesen. Bei Geld dagegen hat sich in der Geschichte nicht selten gezeigt, dass sein Wert auch gegen null gehen kann. Gold steht auch für sich, es ist nicht an das Zahlungsversprechen einer Bank oder eines Staates gekoppelt. Die wichtigste Voraussetzung sowohl für den Wert von Gold als auch von Geld ist das Vertrauen der Investoren darauf, dass beide ihren Wert erhalten. Beim Geld geht es vor allem um das Vertrauen in die Notenbanken, die Preise stabil zu halten und die Wirtschaft zu einem stabilen Wachstum zu lenken. Dieses Vertrauen hat seit Ausbruch der Finanzkrise gelitten. "Die Experimente der Notenbanken mit der Schuldenfinanzierung von Staaten machen viele Menschen nachdenklich", sagt Andreas Beck, Vorstand des Instituts für Vermögensaufbau, einer Münchner Vermögensverwaltung. In der Geschichte habe das noch nie funktioniert. "Gold ist eine der wenigen Anlageklassen, mit der man sich gegen solche Ängste absichern kann", sagt Beck. Es spreche daher viel dafür, einen gewissen Anteil seines verfügbaren Geldes in Gold zu halten. Der Goldpreis schwankt heftig und führt "ein starkes Eigenleben" Manche Experten empfehlen, fünf bis zehn Prozent des Vermögens in Gold zu investieren, entweder physisch in Form von Barren und Münzen oder über Indexfonds (ETF). Dabei sollten Anleger aber auch an den Nachteil von Gold denken: Der Preis schwankt stark, wie der jüngste Anstieg um ein Fünftel binnen weniger Wochen und die vorherige Halbierung binnen weniger Jahre zeigt. "Der Goldpreis führt ein starkes Eigenleben, es ist nicht zu durchschauen, wie er zustande kommt", sagt Anlageexperte Beck. Den Begriff "sicherer Hafen", der häufig für Gold gebraucht wird, hält er bei so starken Schwankungen für irreführend. Die Entscheidung eines Anlegers für oder gegen Gold hat viel mit Vertrauen und Emotionen zu tun. Im Internet wird die Debatte oft leidenschaftlich geführt, bis hin zu Weltuntergangsszenarien, wonach man Geld sicher nur noch in Acker und Edelmetallen anlegen könne. "Von solchen Szenarien als Basis für eine Anlagestrategie halte ich nichts", sagt Beck. Wer glaube, dass die staatliche Infrastruktur zusammenbricht, für den sei jede Art von Planung sinnlos. "Es hilft dann auch nichts, fünf Prozent seines Vermögens in Gold zu halten." Panik sei ein schlechter Ratgeber. | https://www.sueddeutsche.de/geld/gold-als-geldanlage-gehoert-gold-jetzt-ins-depot-1.2894592 | mlsum-de-797 |
Frankreichs Rechtspartei bekommt einen Teil von beschlagnahmten Finanzhilfen zurück - die Ermittlungen gehen aber weiter. | Frankreichs Rechtsradikale bekommen eine Million Euro ihres beschlagnahmten Parteivermögens zurückerstattet. Die französische Justiz verringerte mit der Entscheidung vom Mittwoch den finanziellen Druck auf die Partei von Marine Le Pen, früher Front National, heute Rassemblement National (RN). Le Pen wird vorgeworfen, ihrer Partei durch Scheinbeschäftigungsverträge bis zu sieben Millionen Euro Finanzierungshilfe vom Europaparlament erschlichen zu haben. Die europäische Anti-Betrugsbehörde Olaf ermittelt in dieser Sache seit 2015 gegen den damaligen FN. Im Juli entschied die französische Justiz, zwei Millionen Euro der öffentlichen Hilfe für die Partei einzubehalten. Dem RN stehen 4,5 Millionen Euro Parteifinanzierung zu. Das einbehaltene Geld sollte sicherstellen, dass eventuell anfallende Bußzahlungen von Le Pens Partei tatsächlich gezahlt werden. Le Pen nannte das Verfahren gegen ihre Partei einen "Anschlag auf die Demokratie". Die Justiz sei dafür verantwortlich, dass der RN kurz vor dem Bankrott stehe. Die Entscheidung vom Mittwoch bezeichnete Le Pens Anwalt nun als "einen ersten Sieg". Die Partei weise jedoch weiterhin alle Vorwürfe von sich. Obwohl die Richter eine Million Euro der Finanzhilfe freigaben, halten sie an der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen fest. Die Ermittlungen wegen Scheinbeschäftigung sind nur eines von mehreren Verfahren, die gegen Le Pen laufen. Ihr wird auch vorgeworfen, das Wohl von Minderjährigen gefährdet zu haben, weil sie auf Twitter drastische Gewaltbilder verbreitet hat. Le Pen hatte im Dezember 2015 Fotos der Terrormiliz Islamischer Staat veröffentlicht. Sie selbst sagt, sie habe damit auf die Verbrechen der Terroristen aufmerksam machen wollen. In dem laufenden Verfahren haben die Richter vergangene Woche angeordnet, dass Le Pen sich einer psychiatrischen Begutachtung unterziehen lassen soll. Eine Psychiaterin solle prüfen, ob die Politikerin zurechnungsfähig gewesen sei, als sie die Bilder veröffentlichte, und ob ihr "geistiger Zustand die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit von Personen bedroht". Le Pen reagierte empört. "Dieses Regime macht langsam Angst", schrieb sie auf Twitter. Es gehört zu ihren Standardvorwürfen, dass Präsident Emmanuel Macron das Land in eine "Diktatur" verwandele, in der die Justiz nicht mehr frei sei und in der ihre Partei "verfolgt" werde. Derweil können weder finanzielle Nöte noch juristische Vorwürfe den Rassemblement Nationale schwächen. In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Odaxa gaben 21 Prozent der Befragten an, bei der Europawahl 2019 RN wählen zu wollen. Der RN ist damit die zweitstärkste Partei in den Umfragen. Der Vorsprung von Macrons Partei La République en Marche (LRM) ist auf einen halben Prozentpunkt geschrumpft, 21,5 Prozent der Befragten wollen LRM wählen. Bei der Eröffnung ihres Europawahlkampfs vor zehn Tagen in Fréjus konzentrierte sich Le Pen nur auf ein Thema: Migration. | https://www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-eine-million-euro-fuer-le-pen-1.4146296 | mlsum-de-798 |
Wegen des Nationalfeiertags am 1. Oktober gibt es in China eine Woche Ferien. 600 Millionen Chinesen sind auf Reisen, fast die Hälfte der Bevölkerung. Warum die Führung dies einführte, dürfte allerdings manchen überraschen. | Peking ist dieser Tage eine andere Stadt: Millionen Einwohner sind in den Urlaub gefahren. Aufs Land, besser noch in ferne Gefilde. Nach Südkorea, Thailand oder Japan. Hauptsache weit weg. Angereist sind dafür Millionen Touristen aus dem Rest des Landes, viele von ihnen sind zum ersten Mal in der Hauptstadt, die Hotels sind ausgebucht, die Züge noch voller als sonst, und alle Orte, die sich Urlauber auch nur im entferntesten ansehen könnten, sollte man auf jeden Fall meiden. Pünktlich zum Nationalfeiertag am 1. Oktober macht sich das Land auf die Reise. Eine Woche Ferien für alle. Nach amtlichen Schätzungen sind derzeit knapp 600 Millionen Menschen auf Achse, fast die Hälfte der Bevölkerung. Besonders eng ist es dieser Tage in der Verbotenen Stadt. In nur zwei Stunden sind alle Tickets für den Tag ausverkauft und durch die Gänge des ehemaligen Kaiserpalasts schieben sich die Massen. Noch weniger Platz hat man wohl nur auf der Chinesischen Mauer: Mit Bussen herangekarrt, werden die Touristen über das Gemäuer gelotst - eine Fahrt zur Rushhour in der Tokioter U-Bahn dürfte entspannter sein, als eine solche Tour. Im Netz kursieren Fotos, die den Wahnsinn zeigen - fast ein Wunder, dass es bislang während der Oktoberferien noch nicht zu einer Massenpanik auf der Mauer gekommen ist, so nah stehen alle beisammen. "Goldene Woche" nennen die Chinesen diesen Reiseirrsinn. Eingeführt wurde er 1999, damals machten sich etwa 28 Millionen Menschen auf den Weg. Der Grund für die Nationalferien ist nicht etwa die Erholung der Bevölkerung, sondern der Wunsch der Führung, an das Ersparte zu kommen. Die Chinesen sollen konsumieren, Geld ausgeben für Eintrittskarten, Zugtickets, Hotelübernachtungen und Restaurantbesuche. Mit Erfolg, Hunderte Milliarden bringt die Woche ein. Und kaum ein Unternehmen murrt: Büros sind zwar eine Woche geschlossen, um das auszugleichen wurde vorgearbeitet, vergangenen Samstag und Sonntag waren reguläre Werktage. 2006 beschloss die Regierung eine zweite "Goldene Woche": Zum Tag der Arbeit am 1. Mai verreist das ganze Land ein zweites Mal. | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bei-uns-in-peking-china-macht-ferien-1.4155966 | mlsum-de-799 |
Zählen zu den Mitgliedern des sogenannten Islamischen Staates auch Frauen, die einen Kämpfer heiraten? Nein, hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die Entscheidung ist eine Niederlage für die Bundesregierung. | Der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat die generelle Strafverfolgung von Frauen, die sich dem sogenannten Islamischen Staat angeschlossen haben, abgelehnt. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR argumentieren die Richter, dass es nicht reiche, sich am "Alltagsleben im Herrschaftsgebiet" des IS zu beteiligen; damit werde man nicht automatisch Mitglied der terroristischen Vereinigung. Vielmehr brauche es eine direkte Unterstützung des IS. Mit dieser Begründung lehnte der BGH einen Haftbefehl gegen die aus Offenbach stammende Islamistin Sibel H. ab. Sie war bereits im April aus der irakischen Hauptstadt Bagdad nach Frankfurt ausgeflogen worden und ist seither auf freiem Fuß. Generalbundesanwalt Peter Frank hatte in seinem Antrag dagegen argumentiert, dass Frauen wie Sibel H. die einen Kämpfer heiraten, Kinder bekommen und diese im Sinne des IS erziehen die Organisation von "innen heraus stärken." Auch Frauen würden "Teil des Staatsvolkes" des Islamischen Staates. Zudem habe ihr Ehemann eine Art Gehalt vom IS bezogen, mit einem Zuschlag für Sibel H. Sowohl bei der Bundesanwaltschaft als auch innerhalb der Bundesregierung gab es die Hoffnung, mit einem Haftbefehl gegen Sibel H. einen Präzedenz-Fall zu erwirken. Die Entscheidung gilt daher als Niederlage. Konkrete Kampfhandlungen Die 30-jährige Deutsch-Türkin Sibel H. gilt als überzeugte Islamistin, 2013 ging sie mit ihrem Mann zum IS, nach dessen Tod kehrte sie nach Deutschland zurück. Auf ihrem Handy fand die Polizei ein Video, auf dem ihr verstorbener Mann dabei zu sehen ist, wie er eine Kalaschnikow abfeuert. Es ist der Satz zu hören: "Merkel, du bis die Nächste". 2016 ging die Frau nach Syrien zurück, begleitet von ihrem neuen Mann, der ebenfalls aus der hessischen Salafisten-Szene stammt. Mit dem Zerfall des IS wurde das Paar verhaftet, Sibel H. wurde im Frauengefängnis im irakischen Erbil inhaftiert - hochschwanger und mit einem kleinen Kind. Das 14 Monate alte Kind war bereits im Januar vom Großvater abgeholt worden; nach der Entbindung entschied das Auswärtige Amt, nun auch Sibel H. und den Säugling nach Deutschland zu holen. Die Islamistin wurde auf der Reise von Beamten des Bundeskriminalamtes begleitet. Mit der jetzigen Entscheidung wird die Strafverfolgung von Frauen, die sich dem IS angeschlossen haben, erheblich erschwert. Ihnen müssen konkrete Unterstützungs- oder Kampfhandlungen nachgewiesen werden können, ansonsten bleiben sie straffrei. In den Sicherheitsbehörden wird die Entscheidung daher mit Sorge gesehen. In Gefangenenlagern und Haftanstalten in Syrien und dem Irak sitzen Dutzende Frauen, die auf ihre Rückkehr nach Deutschland warten. Auch sie dürften nun in den meisten Fällen straffrei ausgehen. | https://www.sueddeutsche.de/politik/terrorabwehr-bgh-erschwert-strafverfolgung-von-is-heimkehrerinnen-1.3991688 | mlsum-de-800 |
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