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In Zukunft werden sich immer mehr Arbeitnehmer neben dem Job um einen Pflegefall kümmern müssen - denn die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Doch die Unternehmen sind darauf nicht vorbereitet.
Für die Wirtschaft ist die digitale Revolution das Thema der Stunde. Das Thema ist allgegenwärtig. Kaum ein Kongress, der sich nicht mit den Schlagworten Digitalisierung und Wirtschaft 4.0 beschäftigt. Bei so viel Aufbruch gerät das andere "D", das die Gesellschaft und das Wirtschaftsleben auf Jahrzehnte prägen wird, schnell aus dem Blickfeld: die Demografie. Während die sozialen Sicherungssysteme schon seit Jahren mehr oder minder erfolgreich auf die alternde Gesellschaft vorbereitet werden, geschieht in den Unternehmen immer noch zu wenig. Dafür gibt es zahlreiche Indizien. Noch immer werden beispielsweise ältere Arbeitnehmer als potenziell weniger leistungsfähig eingestuft als jüngere. Dabei könnten gezielte Fortbildungen oder das Schaffen von Teams aus jungen und alten Mitarbeitern die Erfahrung und das Wissen dieser Beschäftigten aktuell halten oder nutzen. Doch auch für die jüngeren Mitarbeiter treffen die Unternehmen in punkto Demografie zu wenig Vorsorge. Denn diese werden in den nächsten Jahrzehnten häufiger als heute in die Situation kommen, ihrer Arbeit nachzugehen und gleichzeitig für ihre pflegebedürftigen Eltern sorgen zu müssen. Verdeutlicht wird dies durch eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Zentrums für die Qualität in der Pflege (ZQP), die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach halten zwar zwei Drittel der befragten Unternehmen die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege für wichtig (76 Prozent). Allerdings bietet der Großteil der Unternehmen (72 Prozent) keine Angebote an, um sie zu ermöglichen. Schlimmer noch: Sie wollen dies auch in Zukunft nicht tun. 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind derzeit etwa 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig, 70 Prozent davon werden zu Hause betreut, sehr häufig von Familienangehörigen. Nach den Angaben des Ministeriums wird die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten 15 Jahren um gut 700 000 steigen und 2040 bei 3,64 Millionen zu liegen. Entsprechend werden sich auch deutlich mehr Arbeitnehmer um einen Pflegefall kümmern müssen - und das wiederum muss die Unternehmen kümmern. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung pflegen derzeit schon fünf bis sechs Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung einen Angehörigen. Zwei Drittel davon sind berufstätig, Tendenz steigend. Laut Forsa-Umfrage (unter 200 Unternehmen) sind die größeren Firmen besser auf die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf eingestellt. 43 Prozent der Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern halten demnach betriebsinterne Angebote vor. Bei den Unternehmen zwischen 50 und 249 Mitarbeitern sind nur 13 Prozent für einen solchen Fall gerüstet. Unter den bestehenden Angeboten spielen die Nutzung von Arbeitszeitkonten, flexible Arbeitszeiten und individuelle Absprachen mit den Arbeitnehmern die größte Rolle. Die Möglichkeiten, von Zuhause zu arbeiten oder sich den Arbeitsplatz zu teilen, sind hingegen weitaus weniger ausgeprägt. Nur etwa ein Fünftel der Unternehmen schult seine Führungskräfte im Umgang mit dem Thema Pflege. Für ZQP-Vorstandschef Ralf Suhr ergibt die Umfrage eine gemischte Bilanz. Zwar habe die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege an Bedeutung gewonnen. "Jedoch zeigt unsere Untersuchung, dass noch ein weiter Weg zu gehen ist." Insbesondere die Führungskräfte in den Unternehmen müssten für das Thema Pflege deutlich stärker sensibilisiert werden als bisher. Kleinere Firmen tun sich schwer, den Ausfall eines Mitarbeiters zu kompensieren Einig sind sich die Unternehmen in ihrer Ablehnung der seit Anfang des Jahres geltenden Gesetze zur Pflegezeit. So schätzen 63 Prozent der Befragten die nun mögliche Arbeitszeitreduzierung als schlecht umsetzbar ein. Skepsis herrscht auch, wenn es um die Frage geht, ob ein Arbeitnehmer zur Sterbebegleitung eine Auszeit nehmen kann. 53 Prozent halten diese Regelung für wenig praktikabel. Selbst die maximal zehn Tage, die Arbeitnehmer im akuten Pflegefall frei nehmen können, um die nötigsten Dinge für ihre Angehörigen zu erledigen, bewertet ein Drittel der Arbeitgeber als problematisch - obwohl ihren Mitarbeitern in dieser Zeit ein Unterstützungsgeld von der Pflegeversicherung gewährt wird. Besonders kleinere Unternehmen von 16 bis 49 Mitarbeitern sehen sich demnach außer Stande, den vorübergehenden Ausfall eines Mitarbeiters zu kompensieren. Hier seien zusätzliche Unterstützungen notwendig, wolle man Konflikte vermeiden, sagte Suhr. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), glaubt hingegen, dass im Pflege-Notfall sehr häufig pragmatische Regelungen gefunden würden. "Ich bin überzeugt, dass die Menschen und damit auch Arbeitgeber und -nehmer in der Lebenswirklichkeit viel Rücksicht aufeinander nehmen", sagt Laumann. Jeder Arbeitgeber müsse wissen, dass ein Mitarbeiter häufig nicht die gewohnte Leistung bringen könne, wenn dieser einen Angehörigen pflege. "Darauf sollte und wird auch in der Regel geachtet - so ist meine Erfahrung. Der Gesetzgeber hat aber auch reagiert und die veränderte Lebenssituation der pflegenden Angehörigen gestärkt."
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/demographie-vereinbarkeit-von-beruf-und-pflege-scheitert-an-den-firmen-1.2379032
mlsum-de-801
Der Berliner Moritz Wagner hat sich bei den Michigan Wolverines prächtig entwickelt - nur die gegnerischen Fans "hassen" ihn, wie er sagt. Nun will er sich für die Profiliga NBA empfehlen.
John Beilein war in der vergangenen Woche derart verzweifelt, dass er die deutschen Basketballfans um Hilfe bat. Der Trainer der University of Michigan wollte Moritz Wagner mitteilen, dass der seiner Mannschaft nicht hilft, wenn er nach frühen Fouls ausgewechselt werden muss. "Ihm unterlaufen die tölpelhaftesten Fouls, die ich jemals gesehen habe. Ich muss ihm irgendwie auf Deutsch beibringen, dass das dumm ist", schrieb Beilein: "Vielleicht kann mir jemand bei Twitter sagen, wie ich das tun kann." Die Leute halfen, sie schrieben beim Kurznachrichtendienst zum Beispiel: "Wer später foult, ist länger gut." Natürlich ist Wagner auch der englischen Sprache mächtig, in seiner dritten Saison in den Vereinigten Staaten von Amerika kennt er die Basketball-Begriffe, vor allem aber kennt er die Eigenheiten seines Trainers. "Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich liebe diesen Burschen", sagt Beilein über Wagner. Er sei eben ein Trainer, der sich schon vor dem drohenden Abheben eines jungen Mannes mal vorsichtshalber an dessen Füße hänge: "Moritz kann mit dieser Kritik umgehen, das macht ihn besonders. Ich habe kaum jemanden so gerne trainiert wie ihn." Der 2,10 Meter große und 20 Jahre alte Wagner stammt aus Berlin, wie sein womöglich noch talentierterer jüngerer Bruder Franz ist er bei Alba Berlin ausgebildet worden. Vor zwei Jahren hat der Center auf eine Profikarriere in Deutschland verzichtet, um in Michigan zu studieren und zu einem noch besseren Basketballspieler geformt zu werden. Wagner hat sich prächtig entwickelt, nach dem Sieg beim Regionalturnier der Big Ten Conference ist er zum besten Akteur gewählt worden; nun soll er die nationale Meisterschaft prägen. Die erste Partie am Donnerstagabend gewann Michigan 61:47 gegen Montana, am Samstag findet bereits die nächste statt, gegen Houston. "March Madness" nennen die Amerikaner das, was da gerade in ihrem Land passiert: Wahnsinn des März. Im Hauptfeld des K.-o.-Turniers um die College-Meisterschaft im Basketball sind Teams von 64 Universitäten dabei. Es geht vom ersten Tag an um alles, wer verliert, scheidet aus. Offiziell ist es ein Amateurturnier von Studenten, doch dabei geht es um viel mehr. Zahlreiche Skandale der vergangenen Jahre zeigen, dass einige Unis dem Erfolg über indirekte Bezahlung von Spielern, gefälschte Prüfungsergebnisse oder Sexpartys für begehrte Akteure nachhelfen. Das Turnier bietet den Studenten einen Anlass, unter dem Vorwand einer Sportveranstaltung so richtig auszuflippen - zumal in dieser Woche die Dreifaltigkeit der College-Partys gefeiert wird: der irische Feiertag St. Patrick's Day, die Frühlingsferien der US-Universitäten und die ersten Runden des Wahnsinns im März. Bis zum Finale am 2. April in San Antonio werden die Amerikaner mehr als zehn Milliarden Dollar auf den Ausgang der Partien gewettet haben. Es ist, genau: ein Wahnsinn. "Kannst du mal einen Wurf treffen? Deine Mutter sieht zu!" Wagner freut sich darauf, auch wenn er von den gegnerischen Fans nun ausgebuht wird wie kaum ein anderer Akteur. "Die hassen mich überall, ich bin nun mal ein emotionaler Typ", sagt der Center, der schon mal einen Gegenspieler kernig vom Feld befördert oder sich gestenreich bei Schiedsrichtern beschwert: "Ich rede mir ein, dass mich die gegnerischen Fans hassen, weil ich so gut bin." Er muss sich das gar nicht einreden: Die offen zur Schau gestellte Antipathie ist eine Form der Anerkennung im Uni-Basketball der USA. Trainer Beilein weiß die Emotionen seines Lieblingsspielers freilich für seine Zwecke zu nutzen. Zur Big-Ten-Meisterschaft etwa reiste Wagners Mutter Beate aus Berlin an, und als der Sohn in der ersten Halbzeit des Endspiels punktlos blieb, raunte ihm Beilein zu: "Kannst du mal einen Wurf treffen? Deine Mutter sieht zu!" Wagner kam danach noch auf 17 Punkte und führte sein Team zum 75:66 gegen Purdue. Mit beeindruckenden Statistiken (14,5 Punkte und 7,1 Rebounds pro Partie) empfiehlt sich Wagner für die Profiliga NBA. Er ist für seine Größe erstaunlich beweglich und auch aus der Distanz treffsicher, mittlerweile hat er gelernt, beim Dribbeln nicht mehr nur auf Ball oder Gegenspieler zu achten, sondern auch Mitspieler zu entdecken. Er könnte noch eine Saison in Michigan spielen oder darauf hoffen, bei der Draft am 21. Juni von einem NBA-Klub gewählt zu werden. Derzeit wird er aufgrund seiner Vielseitigkeit sogar als mögliche Erstrunden-Wahl gehandelt, allerdings dürfte die Rangliste durch den Wahnsinn des März noch mal neu geordnet werden. Im besten Fall könnte Wagner in der kommenden Saison neben Dirk Nowitzki, Maxi Kleber (beide Dallas Mavericks), Dennis Schröder (Atlanta Hawks), Daniel Theis (Boston Celtics) und Paul Zipser (Chicago Bulls) der aktuell sechste deutsche NBA-Profi werden. Über seine Zukunft will er erst nach dem Turnier entscheiden: "Es hilft mir jetzt, all das von mir fernzuhalten. Ich will Spiele gewinnen und möglichst weit kommen, da lenkt alles andere nur ab." Solche Sätze hört Trainer Beilein freilich gerne - zur Sicherheit hat sie Wagner auch auf Englisch gesagt.
https://www.sueddeutsche.de/sport/college-basketball-ausgebuht-aus-bewunderung-1.3909666
mlsum-de-802
Die Verteidigungsministerin kritisiert die Bundeswehr - und steht nun selbst für ihren Umgang mit dem Bundeswehrskandal in der Kritik. Die kommt nicht nur von der Opposition.
Nach ihrer Kritik an der Bundeswehr steht nun Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen selbst in der Kritik für ihren Umgang mit der Truppe. Von der Leyen hatte der Bundeswehr ein "Haltungsproblem" und "Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen" vorgeworfen. Am Mittwoch besuchte sie außerdem die Kaserne in Illkirch, Frankreich, wo der mutmaßlich rechtsextreme Oberleutnant stationiert war, der sich eine zweite Identität als syrischer Flüchtling zugelegt und vermutlich einen fremdenfeindlichen Anschlag geplant hatte. Dabei hatte sie erklärt, die Wehrmacht sei in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr. Politiker der Opposition, aber auch des Koalitionspartners SPD erheben nun heftige Vorwürfe. So habe sie "nur schöne Bilder produziert, aber kein einziges Problem der Bundeswehr gelöst", sagt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, Wolfgang Hellmich von der SPD, kritisiert den medienwirksamen Besuch der Ministerin in Illkirch. Er sagt, es dränge sich der Verdacht auf, es gehe der Ministerin um eine Inszenierung von Handlungsfähigkeit. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley spricht sogar von "klebriger Selbstinszenierung". Grüne und Linke fordern Sondersitzung Grüne und Linke fordern eine persönliche Befragung der Verteidigungsministerin zu der Affäre. Dazu solle eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses anberaumt werden, sagt ein Mitarbeiter der Grünen-Fraktion in Berlin. Die Verteidigungsexpertin der Grünen, Agnieszka Brugger, wirft der Ministerin vor, sich vor der Verantwortung für Missstände in der Bundeswehr zu drücken. "Wir erwarten, dass die Ministerin den Abgeordneten rasch, umfassend und persönlich Bericht zum Fortgang der Ermittlungen und zu ergreifenden Konsequenzen erstattet", fordert Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. Ein Antrag auf eine Sondersitzung ist bei Bundestagspräsident Norbert Lammert bereits eingegangen. Kritik kommt auch aus der eigenen Partei. Der Baden-Württembergische Innenminister Thomas Strobl kritisiert die Aussage der Verteidigungsministerin, dass der Fall ein grundsätzliches Problem der Bundeswehr offenbare. Er sagt: "Das ist nicht die Bundeswehr, die ich kenne, sondern das sind einzelne Fälle. Die muss man aufklären. Aber wir haben mit unserer Bundeswehr eine gute Truppe." Detailansicht öffnen Bundewehrangehörige auf dem Weg ins Verteidigungsministerium. Angesichts der Selbstinszenierungsvorwürfe will die Ministerin bei dem heutigen Termin auf Pressefotos verzichten. (Foto: dpa) Angesichts des Falles erklärt der Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker die "Selbstreinigungskräfte" in den Streitkräften für unzureichend. Er habe die Sorge, dass diese "nicht so zur Wirkung gelangen, wie wir uns das alle wünschen", sagt Wieker. Daher müsse nun aufgeklärt werden, ob es bei der Bundeswehr einen "übertrieben Korpsgeist" gebe oder "Zielkonflikte im Loyalitätsverhältnis." Auch ob der betroffene Offizier Teil eines rechtsextremen Netzwerkes sei, müsse noch untersucht werden. Inzwischen hat das Bundeskriminalamt die Ermittlungen an sich gezogen. Die Linksfraktion im Bundestag fordert nun eine Umbenennung von Kasernen. "Der Wehrmachtsverherrlichungs-Saustall in der Bundeswehr muss aufgeräumt werden", sagt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. "Wenn sich die Bundeswehr tatsächlich von der Wehrmacht distanzieren will, dann sollte sie beispielsweise endlich ihre Kasernennamen entnazifizieren." Ihre Nähe zur Wehrmacht bekunde die Bundeswehr etwa durch die Kasernennamen Marseille (Wehrmachts-Jagdflieger) in Appen-Uetersen, Dirk Lilienthal (Ritterkreuzträger) in Delmenhorst und Adelbert Schulz (Generalmajor an der Ostfront) in Munster. Jelpke fordert eine Offenlegung aller 280 rechtsextremen Verdachtsfälle, denen der Militärgeheimdienst MAD derzeit nachgehe. Angesichts der scharfen Vorwürfe hat von der Leyen angekündigt, auf Fotos zu verzichten, wenn sie sich heute Nachmittag in Berlin mit rund 100 Generälen und Admiralen trifft.
https://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehrskandal-vorwuerfe-gegen-von-der-leyen-klebrige-selbstinszenierung-1.3490830
mlsum-de-803
Der Schritt erfolgt gegen den Wunsch des geistlichen Oberhaupts von Iran, Ayatollah Ali Khamenei. Ahmadinedschad sagt jedoch, seine Kandidatur diene nur der Unterstützung eines anderen Bewerbers.
Der ehemalige iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad lässt sich als erneut als Kandidat für das Amt registrieren. Der frühere iranische Staatschef Mahmud Ahmadinedschad hat überraschend seine Bewerbung für die Präsidentenwahl eingereicht. Zusammen mit seinem langjährigen Stellvertreter Hamid Baghai ließ er sich im Innenministerium registrieren. Das berichteten iranische Staatsmedien. Reporter der Nachrichtenagentur AP beobachteten am Mittwoch, wie verblüffte Vertreter der Wahlbehörde die Unterlagen des früheren Präsidenten bearbeiteten. Ahmadinedschad hatte eigentlich zuvor erklärt, nicht erneut für das Amt zu kandidieren, nachdem das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, ihm empfohlen hatte, sich nicht aufstellen zu lassen. Ahmadinedschad war bereits von 2005 bis 2013 Präsident des Landes. Vergangene Woche gab der 60-Jährige bekannt, dass er den eher unerfahrenen Baghai im Kampf gegen Amtsinhaber Hassan Rohani - laut Beobachtern als "graue Eminenz" - unterstützen werde. Warum der Ex-Präsident nun doch selbst antreten will, blieb zunächst unklar. Ahmadinedschad sagte, seine Registrierung als Kandidat diene "lediglich der Unterstützung Baghais". Zur vorherigen Empfehlung Khameneis, er solle nicht antreten, sagte er, diese sei "nur ein Ratschlag" gewesen. Wächterrat hat das letzte Wort Seit Dienstag und bis einschließlich Samstag können sich Kandidaten für die am 19. Mai stattfindende Wahl registrieren lassen. Mehr als 120 voraussichtliche Bewerber haben das bereits getan. Alle Kandidaten müssen sich noch einer Überprüfung durch den Wächterrat stellen, der in der Vergangenheit häufig Kandidaten ausgeschlossen hatte. Am 27. April will der Rat die endgültige Bewerberliste bekanntgeben. Amtsinhaber Hassan Rohani, der mit den USA den Atom-Deal ausgehandelt hatte, ist bereits für eine erneute Kandidatur qualifiziert. Viele Konservative in Iran erhoffen sich jedoch einen Kandidaten, der dem US-Präsidenten Donald Trump mit starken Worten die Stirn bieten kann. Der Hardliner Ahmadinedschad hatte in seiner Amtszeit für kontinuierliche Spannungen mit dem Westen und Israel gesorgt. Er baute das Atomwaffenprogramm des Landes aus, rief zur Zerstörung Israels auf und leugnete den Holocaust.
https://www.sueddeutsche.de/politik/iran-ahmadinedschad-bewirbt-sich-erneut-um-praesidentenamt-1.3462110
mlsum-de-804
Die Geschäfte in China laufen schlecht. Der Gewinn des Textilkonzerns wird wohl schrumpfen, die Anleger reagierten auf die Nachricht unerbittlich.
Es war das große Wachstumsvorhaben für die Schneiderfirma Hugo Boss: Gerade in China hofften die Schwaben auf eine weitere Expansion. Dort würden die Anzüge der recht traditionsreichen deutschen Marke immer häufiger gekauft und auch zu weit höheren Preisen als in der Heimat, erklärte der Vorstandsvorsitzende Claus-Dietrich Lahrs vor nicht allzu langer Zeit im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Nun allerdings scheint klar: Der Plan von der großen Expansion in China scheint nicht aufzugehen. Am Dienstagabend kündigte das Unternehmen mit Sitz im schwäbischen Metzingen einen Gewinnrückgang an. Im bisherigen Jahresverlauf habe sich das Einzelhandelsgeschäft in China, aber auch in den USA schwächer entwickelt als erwartet. Das um Sondereffekte bereinigte operative Ergebnis werde deshalb in diesem Jahr um eine niedrige zweistellige Prozentzahl schrumpfen. In der Konsequenz verabschiedet sich die Premiummarke von ihrer Hochpreisstrategie in Asien. Die "Preisarchitektur" vor allem in China werde "umfassender als bislang" den Niveaus in Europa und Amerika angeglichen, heißt es jedenfalls vom Unternehmen. Die Aktionäre waren trotz der Gegenstrategie verunsichert. Die Titel stürzten um beinahe 20 Prozent auf 56 Euro ab. Das ist der niedrigste Stand seit Januar 2012 - und ein neuerlicher Rückschlag für den Konzern, eines der wichtigsten deutschen Textilunternehmen. Bereits im Herbst hatte Boss seine Ziele gekippt und hohe Kursverluste hinnehmen müssen. Damit wird auch der Traum vom Dax erst einmal unwahrscheinlicher: Es ist ja noch nicht lange her, da wurde Boss noch als heißer Kandidat für den Aufstieg in den Dax gehandelt, die oberste Börsenliga in Deutschland.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/boss-aktie-stuerzt-ab-1.2877522
mlsum-de-805
Heute muss der SPD-Politiker Hartmann erneut vor den Edathy-Ausschuss. Vor knapp sieben Wochen bestritt er, Edathy auf die Kinderporno-Ermittlungen hingewiesen zu haben. Daran gibt es inzwischen erhebliche Zweifel.
Für Michael Hartmann geht es an diesem Donnerstag um viel, man könnte sogar sagen: Es geht um alles. Am Nachmittag muss der SPD-Abgeordnete ein zweites Mal vor dem Edathy-Untersuchungsausschuss erscheinen. Die Aussage könnte über seine politische Zukunft entscheiden - und sich auch auf die SPD auswirken. Im Ausschuss soll geklärt werden, auf welche Weise der frühere SPD-Politiker Sebastian Edathy frühzeitig von den Kinderporno-Ermittlungen gegen ihn erfahren hat. Edathy gab sein Bundestagsmandat vor einem Jahr überraschend auf, offiziell aufgrund gesundheitlicher Probleme. Erst danach wurden die Hintergründe deutlich: Edathy soll beim kanadischen Filmhandel Azov Fotosets und Filme nackter Jungen bestellt haben. Und es kam heraus, dass neben Edathy auch die SPD-Parteispitze sehr früh über den Verdacht im Bilde war. Erster Showdown: Zwei Versionen einer Geschichte Vor knapp sieben Wochen, am 18. Dezember, gibt es im Untersuchungsausschuss einen ersten Showdown: Sebastian Edathy und Michael Hartmann werden beide zum ersten Mal zur Sache befragt. Nach dem Ende der Marathon-Sitzung gibt es zwei Versionen der Geschichte. Edathys Fassung geht so: Michael Hartmann habe ihn am Rande des SPD-Parteitags in Leipzig im November 2013 mit der Frage "Bereit für eine schlechte Nachricht?" auf mögliche bevorstehende Ermittlungen gegen ihn hingewiesen. Quelle der Informationen sei Jörg Ziercke, der damalige Präsident des Bundeskriminalamts (BKA). Michael Hartmann indes erzählt etwas völlig anderes: Auf dem besagten Parteitag habe sich Edathy ihm offenbart, nicht umgekehrt. Von Thomas Oppermann, damals parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, habe Hartmann den Auftrag erhalten, sich um Edathy zu kümmern - nicht wegen der Causa Azov, sondern wegen dessen Gesundheitszustand. Aussage gegen Aussage Es steht nun Aussage gegen Aussage. "Ich weiß nicht, ob wir jemals herausbekommen, wie es tatsächlich gewesen ist", sagt die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Eva Högl (SPD), in einer Sitzungspause am 15. Januar. Zuvor hatte Jörg Ziercke, inzwischen pensioniert, gerade jede Beteiligung an der Affäre abgestritten. Auch der CSU-Abgeordnete Michael Frieser sagt, er "befürchte, dass die Widersprüche auf Dauer nur schwer aufklärbar bleiben". Bei dieser Bewertung wäre es vielleicht geblieben, hätte Edathy in derselben Sitzung nicht noch einmal ausgesagt. Irene Mihalic, Obfrau der Grünen, würdigt seine Darstellung hinterher als "sehr plausibel, sehr schlüssig, sehr stringent". Die SPD habe versucht, "Widersprüche herbeizukonstruieren", doch das sei ihr nicht gelungen, so Mihalic. Am Ende, wieder ist es spät am Abend, benennt Edathy überraschend eine Reihe von Zeugen, die seine Darstellung bestätigen sollen. Mehrere Zeugen stützen Edathys Glaubwürdigkeit Es ist ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung der Affäre, denn ebendiese Zeugen bringen zumindest vorläufig die Wende: Am vergangenen Donnerstag sagen erst zwei frühere Büroleiter aus, dass Edathy sie frühzeitig über die Ankündigung Hartmanns informiert habe - das stützt dessen Glaubwürdigkeit, ein Beweis sind die Aussagen aber nicht. Anders ist es offenbar bei der Vernehmung einer Person aus dem privaten Umfeld Edathys: In nichtöffentlicher Sitzung legt der Zeuge laut Teilnehmerangaben dar, dass Michael Hartmann auch ihn auf dem besagten SPD-Parteitag in Leipzig mit den bevorstehenden Porno-Ermittlungen gegen Edathy konfrontiert habe - das wäre die erste unabhängige Bestätigung für die Schilderung Edathys. Als dann auch noch der rheinland-pfälzische LKA-Präsident Wolfgang Hertinger im Ausschuss davon berichtet, dass Michael Hartmann ihn im Januar 2014 binnen weniger Tage gleich drei Mal telefonisch um Auskunft über den Stand der Azov-Ermittlungen gebeten habe, nimmt der Druck auf Hartmann massiv zu. Für viele Mitglieder des Edathy-Untersuchungsausschusses steht es seitdem nicht mehr Aussage gegen Aussage. "Ich halte Sebastian Edathy für glaubwürdig und Michael Hartmann für unglaubwürdig", sagt Irene Mihalic (Grüne). Von "drängenden Fragen an Michael Hartmann" spricht am Mittwoch Eva Högl (SPD). Und Michael Frieser (CSU) fordert Hartmann gar zum Verzicht auf sein Bundestagsmandat auf: Er, Frieser, würde es vorziehen, wenn Hartmann an diesem Donnerstag "nicht mehr als Abgeordneter, sondern als einfacher Bürger" seine Aussage machte. Schicksalstag für Hartmann und die SPD Dieser Donnerstag ist ein Schicksalstag für Hartmann, der vor einer Weile wegen einer Drogen-Geschichte schon kurz vor dem Ende seiner politischen Karriere stand. Und auch für die SPD. Denn sollte Hartmann seine Aussage korrigieren müssen, wäre automatisch die nächste Frage, ob Partei- und Fraktionsspitze nicht doch tiefer verwickelt sind, als bisher angenommen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/edathy-affaere-schicksalstag-fuer-hartmann-und-die-spd-1.2336021
mlsum-de-806
Seit zehn Jahren kann die Hamburger Polizei Teile der Stadt zum Gefahrengebiet erklären, wenn schwere Straftaten drohen. Doch das Oberverwaltungsgericht hat nun geurteilt: Die Regelung verstößt gegen das Grundgesetz.
Gericht urteilt gegen Gefahrenzonen Die Einrichtung sogenannter Gefahrengebiete durch die Hamburger Polizei ist einem Urteil des Hamburger Oberverwaltungsgerichts zufolge verfassungswidrig. Die gesetzliche Regelung erlaubt der Polizei bei drohenden schweren Straftaten verdachtsunabhängige Kontrollen von Bürgern. Sie verstoße aber gegen das Grundgesetz, erklärte das Oberverwaltungsgericht am Mittwoch. Eine Revision gegen die Entscheidung wurde nicht zugelassen. Die Innenbehörde kann aber gegen die Nichtzulassung innerhalb eines Monats Beschwerde einlegen. Frau klagte nach Festnahme am 1. Mai Geklagt hatte eine Bewohnerin des Hamburger Schanzenviertels, die in der Nacht zum 1. Mai 2011 in einem damals eingerichteten Gefahrengebiet von der Polizei in Gewahrsam genommen worden war. Bereits in erster Instanz stellten die Richter fest, dass sie zu Unrecht mehrere Stunden lang festgehalten worden war. Auch die Feststellung ihrer Identität und die Durchsuchung ihres Rucksacks seien rechtswidrig gewesen, urteilte das Oberverwaltungsgericht nun. Gericht sieht "relativ diffuse Anhaltspunkte" für Polizeikontrollen Das Gesetz verletze zudem das sogenannte rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine polizeiliche Lagebeurteilung sei kein Maßstab für Grundrechtseingriffe. Es bestehe die Gefahr, dass Personenkontrollen an "relativ diffuse Anhaltspunkte" geknüpft würden. Die Benennung der "linken Szene" als Zielgruppe für die Kontrollen verstoße gegen das Diskriminierungsverbot und den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Eine diffuse Definition einer Personengruppe nach dem äußeren Erscheinungsbild sei unzulässig. "Zweifelhaft kann das nicht zuletzt dann sein, wenn eine bestimmte szenetypische Kleidung oder andere in der Szene verbreitete Äußerlichkeiten auch in einem szenefernen Umfeld aufgrund schlichter Modeerscheinungen verbreitet sind", erklärte der Vorsitzende Richter Joachim Pradel. Gefahrengebiete in Hamburg Das Gericht bemängelte auch, dass die Ausweisung von Gefahrengebieten in dem Gesetz zeitlich nicht beschränkt wird. Die Hamburger Gefahrengebiete waren in der Vergangenheit auf wenig Kritik gestoßen, wenn es etwa um die Bekämpfung der Drogenkriminalität ging. Für bundesweite Proteste sorgten jedoch Anfang 2014 größere Gefahrengebiete in St. Pauli, im Schanzenviertel und in Altona, von denen etwa 50 000 Einwohner betroffen waren. Zuvor hatte es Angriffe auf Polizeieinrichtungen im Zusammenhang mit Demonstrationen von Linksextremisten gegeben.
https://www.sueddeutsche.de/politik/urteil-gefahrengebiete-in-hamburg-sind-verfassungswidrig-1.2477876
mlsum-de-807
Der Maler Costantino de' Servi stand in Diensten der Medici, verkuppelte Adelige - und spionierte Königshäuser aus.
Ein guter Geheimagent muss unsichtbar sein. Oder zumindest so gut getarnt, dass er kaum auffällt. Das gelingt mal besser und mal schlechter. Im Falle von James Bond eher schlechter, denn der hat mittlerweile so viele Frauen verführt und so viele Agentenregeln gebrochen, dass ihn Gott und die Welt kennt und eine Reihe von Superschurken ihn zum Erzfeind erklärt hat. Besser funktioniert hat die Methode von Costantino de' Servi. Unbekannt? Recht so, dann hat der gute Mann alles richtig gemacht. Denn von dem Italiener, der 1554 in Florenz geboren wurde, existieren kaum offizielle Unterlagen, keine Porträts. Aber es finden sich eben doch so viele belegte Informationen, dass kürzlich Davide Martino, Historiker am St. Johns College in Cambridge, in einem Aufsatz die Schlussfolgerung zog, de' Servi könnte ein Spion für niemand Geringeren als eine der mächtigsten Familien der europäischen Geschichte gewesen sein, die Medici. Diesen Zusammenhang rekonstruierte er aus den Briefen, die Costantino de' Servi von seinen Reisen regelmäßig an die großherzoglichen Sekretäre in Florenz sandte. Er folgte den Reisebewegungen de' Servis auf der Suche nach verschollenen Kunstwerken, stieß jedoch auf die Verbindung zu den Medici und die vielen Besuche an Europas Königshäusern. Zahllose Briefe im Florentiner Staatsarchiv legen nahe, dass der Italiener nicht nur Künstler war Dass Spionage im 16. Jahrhundert etwas anders aussah als heutige Geheimdienstaktivitäten, ist klar. Doch legen unzählige im Staatsarchiv in Florenz erhaltene Briefe nahe, dass Costantino de' Servi nicht nur der Maler, Bildhauer und Landschaftsarchitekt war, als der er in ganz Europa auftrat. Denn hätte er nur als Künstler für die Medici gearbeitet, die als Mäzene die Renaissance prägten, müssten mehr Werke von ihm erhalten sein: ein Porträt von Eleonora de' Medici in den Uffizien, eine Mariendarstellung im Cleveland Museum of Art und die Pläne für einen Garten in England - das ist etwas dürftig. Natürlich: Die Bilder und Statuen könnten auch zerstört worden sein. Daher hat sich bislang niemand so recht darüber gewundert, zumal de' Servi nicht zu den großen Meistern zählt. Doch folgt man den unzähligen Reisen, die er bis zu seinem Lebensende 1622 unternahm, stellt man fest: Das waren keine reinen Geschäftsreisen als Künstler. Vielmehr waren es gezielte diplomatische Unternehmungen, die den Einfluss der Medici in Europa festigen sollten. In eine gute florentiner Familie hineingeboren, sollte de' Servi das Tuchgewerbe erlernen, eine Künstlerlaufbahn war zunächst nicht vorgesehen. Ein Baron nahm ihn 1572 mit nach Sachsen, um Geschenke der Medici an den dortigen Herzog zu überbringen. Der erste Kontakt mit der Botentätigkeit für die Medici war hergestellt. Seine künstlerische Begabung brachte erste Aufträge ein. Spätere Briefe legen nahe, dass er mindestens einmal nach Wien reiste und als Haus- und Hofmaler des böhmischen Oberkanzlers Vratislav von Pernstein arbeitete, der im Geheimen Rat des Habsburgerkaisers Rudolf II. diente. De' Servi hatte also früh Zugang zum engen Kreis des europäischen Adels. Weitere Reisen nach Madrid, Rom, Innsbruck und Turin folgten, teilweise als Begleiter von Piero de' Medici, meist aber wegen angeblicher künstlerischer Auftragsarbeiten, aus denen oft nichts wurde. Spätestens seit 1586 wurde er von den Medici auf der Gehaltsliste geführt, was den Schluss nahelegt, dass seine Briefe auch im Dienste der Geldgeber entstanden. Er bereiste Europa als Informant und versorgte die Medici mit politischen Nachrichten: Wer war im inneren Kreis der Herrscherhäuser? Wer warb um wessen Hand? Welche Allianzen kündigten sich an? Und de' Servi ließ keine Gelegenheit aus, direkt im Sinne seiner Auftraggeber auf andere Herrscher einzuwirken. Er nutzte sein Wissen, um sich als unverzichtbarer Informant zu inszenieren Als er 1609 an den englischen Hof beordert wurde, um für Thronfolger Henry den Richmond Palast aus- und umzubauen, griff er sogar in den Heiratsmarkt der Adligen ein. Prinz Henry wurde die Hand der florentinischen Prinzessin Caterina angetragen - auch eine Medici, jedoch nicht zu verwechseln mit der Caterina de Medici, die Mitte des 16. Jahrhunderts Königin von Frankreich wurde. Henry wollte zuerst ein Porträt der potenziellen Braut sehen. Dies wurde ihm vom florentinischen Botschafter verwehrt. De' Servi ließ aber beiläufig ein selbstgemaltes Porträt der Prinzessin so liegen, dass Henry es finden konnte und anschließend in die Heirat einwilligte. So berichtet er es in einem Brief in die Heimat - Costantino de' Servi, Amors Agent Provocateur oder ein gewiefter Match Maker im Dienste pan-europäischer Politik? Dass Henry kurz darauf an Typhus starb und de' Servis Bemühen sich nicht mehr auf die gesamteuropäischen Beziehungen auswirken konnte, ist ein tragischer Begleitumstand - Henrys Bruder Charles zettelte später mit Allmachtsfantasien den englischen Bürgerkrieg an und landete auf dem Schafott. Der Historiker Davide Martino ist vorsichtig mit seiner Beurteilung, er will de' Servi nicht einen Spion nennen. Im heutigen Sinne hat sich der Künstler nicht in andere Höfe eingeschleust oder "gehackt" und Informationen herausgeschmuggelt. Martino ist sich aber sicher, dass Constantino de' Servi einer der ersten Kosmopoliten der Neuzeit war und ein geschickter Diplomat. Er nutzte sein Wissen, das er in den Ländern sammelte, die er bereiste - und inszenierte sich als unverzichtbarer Mittler und Informant.
https://www.sueddeutsche.de/stil/dem-geheimnis-auf-der-spur-liebesgruesse-aus-london-1.3537883
mlsum-de-808
Die Kampagne mit dem polarisierenden Footballspieler Colin Kaepernick gefällt dem US-Präsidenten gar nicht - und auch einige Fans verbrennen ihre Turnschuhe.
US-Präsident Donald Trump hat den Sportartikelhersteller Nike für die Werbekampagne mit Footbalspieler Colin Kaepernick kritisiert. Dies sende eine "furchtbare Botschaft", sagte Trump der Nachrichtenwebsite The Daily Caller. Auf der anderen Seite könne die Firma natürlich ihre eigenen Entscheidungen treffen, "von denen andere glauben, dass man sie nicht tun sollte", sagte er. Trump verwies zudem darauf, dass Nike in New York Mieter in einem seiner Gebäude sei. "Sie zahlen viel Miete." Der Aktienkurs des Unternehmens rutschte nach der Bekanntgabe der Verpflichtung am Dienstag um zwischenzeitlich mehr als drei Prozent ab. In den sozialen Medien verbreiteten Nutzer unter dem Hashtag #NikeBoycott zudem Fotos und Videos, die zeigen, wie sie Schuhe und Kleidung der Firma zerreißen oder verbrennen. Werbe-Aktion passt zum Nike-Image Kaepernick hatte im Jahr 2016 eine Debatte ausgelöst, als er aus Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus gegen Afroamerikaner während der Nationalhymne im Footballstadion auf die Knie ging. Ihm schlossen sich weitere Spieler an. Trump kritisierte diese Geste scharf, auch unter Fans ist sie umstritten. Seit Januar 2017 hat Kaepernick keine Partie mehr bestritten - er findet keinen neuen Klub. Am Montag wurde schließlich bekannt, dass Kaepernick zu den Sportlern gehört, mit denen Nike anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums des Slogans "Just Do It" wirbt. Das Kaepernick-Plakat zeigt eine Großaufnahme seines Gesichts zusammen mit dem Slogan "Believe in something. Even if it means sacrificing everything" ("Glaube an etwas. Auch wenn es heißt, alles opfern zu müssen."). Believe in something, even if it means sacrificing everything. #JustDoIt pic.twitter.com/SRWkMIDdaO — Colin Kaepernick (@Kaepernick7) 3. September 2018 Trotz der Kritik sagen Experten schon jetzt voraus, dass Nike langfristig von der Werbekampagne profitieren dürfte, auch wenn sie kurzfristig einen Verlust von Kunden bedeuten könnte. Erich Joachimsthaler, Chef des Beratungsunternehmens Vivaldi, sagte, die Aktion passe genau zum Branding des Sportunternehmens. "Sie stehen für diese respektlose, rebellische Einstellung", sagte er. "In diesem Fall stärkt es die Marke." Der Analyst Christopher Svezia von Wedbush Securities bescheinigte Nike "besser als jeder andere zu wissen, wer ihre Kunden sind": Meist sportliche Männer und männliche Jugendliche im Alter von 14 bis 22 Jahren - also nicht gerade die typischen Trump-Wähler.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nike-trump-colin-kaepernick-1.4117468
mlsum-de-809
Am Mittwoch entscheidet die Uefa über die Berufung des FC Bayern gegen die Sperre, Dallas scheitert in der ersten Runde der NBA-Playoffs, Hoffenheim verpflichtet eine neue Nummer eins.
Das Tauziehen um eine mögliche Teilnahme von Franck Ribéry am Endspiel der Champions League am 22. Mai in Madrid gegen Inter Mailand wird am kommenden Mittwoch entschieden. Nachdem Bayern München wie angekündigt gegen die Sperre von drei Spielen gegen den Franzosen Berufung eingelegt hat, findet die Verhandlung darüber am 5. Mai bei der Kontroll- und Disziplinarkommission der Europäischen Fußball-Union (UEFA) im schweizerischen Nyon statt. Ribéry, der im Hinspiel des Halbfinales gegen Lyon vom Platz gestellt worden war, muss voraussichtlich persönlich erscheinen. Die UEFA-Kommission hatte eine Attacke von Ribéry als Tätlichkeit gewertet. Rückendeckung erhielt der Franzose inzwischen ausgerechnet von Gegenspieler Lisandro Lopez: "Er hatte keine böse Absicht. Wir sind beide auf den Ball gegangen. Ich war nur vor ihm da", sagte Lopez in der französischen Sporttageszeitung L'Equipe. Detailansicht öffnen Franck Ribéry wurde für drei Spiele gesperrt, doch dagegen legte Bayern Berufung ein. (Foto: Foto: AP) Für die Dallas Mavericks und ihren deutschen Superstar Dirk Nowitzki sind die Playoffs der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA Geschichte. Die Nummer zwei der Western Conference verlor bei den San Antonio Spurs 87:97 und damit die "best-of-seven"-Serie insgesamt mit 2:4. Es war das dritte Mal in den vergangenen vier Jahren, dass die "Mavs" bereits in der ersten Runde die Segel streichen mussten. Dallas erwischte einen miserablen Start und lag nach dem ersten Viertel bereits mit 8:22 zurück. Bis Mitte des zweiten Spielabschnitts enteilten die Spurs gar auf 22 Punkte. Im dritten Viertel schlug dann die große Zeit Nowitzkis, der 15 seiner insgesamt 33 Punkte markierte und sein Team mit einem Dreier zum ersten und einzigen Mal mit einem Punkt in Führung brachte. Die Entscheidung fiel fünf Minuten vor Spielende, als San Antonio mit sechs Punkten in Folge auf 86:78 davonzog. Neben Nowitzki überzeugte bei den Mavericks Caron Butler mit 25 Punkten, auf Seiten der Spurs war Manu Ginobili mit 26 Zählern bester Schütze. Derweil zogen die Phoenix Suns dank eines 99:90 bei den Portland Trail Blazers im sechsten Duell der Serie in die nächste Runde ein. Phoenix und San Antonio treffen nun im Halbfinale der Western Conference aufeinander. 1899 Hoffenheim hat wie erwartet Torhüter Tom Starke als Nachfolger von Ex-Nationalkeeper Timo Hildebrand verpflichtet. Der 29 Jahre alte Starke wechselt ablösefrei vom Zweitligisten MSV Duisburg und unterschrieb bei den Kraichgauern einen Dreijahres-Vertrag bis zum 30. Juni 2013. Das gab Hoffenheim am Freitag bekannt. "Ich freue mich auf die Herausforderung in Hoffenheim und dazu beitragen, dass sich der Klub in der Bundesliga etabliert", sagte Starke und 1899-Manager Jan Schindelmeiser fügte hinzu: "Wir sind davon überzeugt, dass Tom Starke sportlich und als Persönlichkeit hervorragend in unseren Kader passt." Hoffenheim hatte den Vertrag von Hildebrand nicht verlängert. Die Zukunft des 31-Jährigen ist ungewiss. Der siebenmalige Nationalspieler war zuletzt bei seinem Ex-Klub VfB Stuttgart im Gespräch, doch die Schwaben setzen nach dem Karriereende von Jens Lehmann nach der laufenden Saison möglicherweise auf Sven Ulreich. Die Spekulationen über einen möglichen Wechsel von Kevin Kuranyi vom FC Schalke 04 nach Russland sind vom Fußball-Erstligisten Dynamo Moskau weiter angeheizt worden. Kuranyi werde "ab Sommer" bei Dynamo neben dem Ex-Herthaner Andrej Woronin stürmen, sagte Dynamo-Vorstandsmitglied Sergej Stepaschin am Donnerstag in Moskau. "Das ist ein Duo, um das uns jeder Trainer beneiden wird." Details nannte er nicht. "Wir bemühen uns um weitere Verstärkungen", sagte Stepaschin nach Angaben der Moskauer Presse. Medien in Russland und Deutschland hatten berichtet, der Moskauer Traditionsverein stehe in engen Verhandlungen über den Torjäger des Bundesliga-Zweiten. Mit neuem Trainer, neuen Stars und einem prall gefüllten Geldbeutel plant Rekordmeister Juventus Turin den Angriff auf die italienische Fußball-Meisterschaft. "Wir verfügen über 80 Millionen Euro, die wir für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Mannschaft ausgeben wollen", sagte John Elkann, Präsident der Fiat-Gruppe, die die Mehrheit an der alten Dame hält. Auf der Wunschliste Juves steht Stürmer Edin Dzeko vom deutschen Meister VfL Wolfsburg. Der Klub will laut Tuttosport 35 Millionen Euro für den bosnischen Nationalspieler zahlen. Weitere Kandidaten sind die Angreifer Giampaolo Pazzini von Sampdoria Genua und Giuseppe Rossi vom FC Villarreal. Als neuer Trainer soll Rafael Benitez vom FC Liverpool verpflichtet werden, der sich allerdings erst nach dem Saisonende in der Premier League festlegen will. Coach Alberto Zaccheroni soll Juve auf jeden Fall verlassen. Justine Henin und Jelena Jankovic stehen im Viertelfinale, aber sonst verliert das Tennis-Hallenturnier in Stuttgart immer mehr Attraktionen. Nach allen deutschen Spielerinnen sowie Titelverteidigerin Swetlana Kusnezowa schied am Donnerstag auch die topgesetzte Caroline Wozniacki aus. Die Weltranglisten-Zweite aus Dänemark scheiterte in der 2. Runde mit 4:6, 4:6 an der Tschechin Lucie Safarova, war dabei allerdings auch stark gehandicapt. Wozniacki leidet seit zehn Tagen an einer Knöchel-Verletzung. Beim Turnier in Charleston hatte sie deshalb im Halbfinale aufgegeben. In Henin (Belgien), Jankovic (Serbien) und Dinara Safina (Russland) erreichten immerhin drei ehemalige Weltranglisten-Erste die Runde letzten Acht des mit 522 700 Euro dotierten WTA-Turniers. Die erst 16 Jahre alte Elisabeth Seitz aus Mannheim hat am Donnerstag bei den Turn-Europameisterschaften der Frauen in Birmingham überraschend das Finale am Stufenbarren erreicht. Nur eine Stunde nach dem verpassten Sprung-Finale durch Oksana Chusovitina sorgte ausgerechnet die jüngste Turnerin mit 14,00 Punkten auf Platz acht für den einzigen Lichtblick in der deutschen Riege, die auf Platz 9 auch das Team-Finale am Samstag verfehlte. Zwei Monate nach der Abschlussfeier der Olympischen Winterspiele in Vancouver hat das Internationale Olympische Komitee nach rund 2000 negativen Tests doch noch einen Dopingfall sanktioniert. Skilangläuferin Kornelia Marek wurde wie Polens 4x5-km-Staffel nach Platz sechs disqualifiziert. Auch ihre Resultate in vier Einzelrennen wurden aberkannt. Während der Spiele hatte es nur Verwarnungen für zwei mit leichten Stimulanzien erwischte Eishockeyspieler gegeben. Alba Berlin hat seine Drohung wahr gemacht und sich aus allen Gremien und Arbeitsgruppen der Basketball-Bundesliga zurückgezogen. Man werde in Zukunft seine Energie auf die Dinge konzentrieren, bei denen man davon ausgehen könne, dass der Aufwand auch Früchte trägt, sagte Alba-Geschäftsführer Marco Baldi. Berlin hatte nach einer Niederlage gegen Frankfurt am 20. März erstmals mit dem diesem Schritt gedroht. Als Grund führten die Verantwortlichen eine systematische Benachteiligung seitens der Schiedsrichter an.
https://www.sueddeutsche.de/sport/sport-kompakt-riberys-kleines-finale-1.932626
mlsum-de-810
Einigkeit, dieses Signal wollen die USA und Deutschland an den russischen Präsidenten Putin senden. Der US-Präsident und Bundeskanzlerin Merkel machen deutlich, dass sie auf eine diplomatische Lösung setzen. Obama will aber weiter "alle Optionen" prüfen.
US-Präsident Barack Obama hat Waffenlieferungen an die Ukraine nicht ausgeschlossen. Für den Fall eines Scheiterns der diplomatischen Bemühungen habe er sein Team angewiesen, "sämtliche Optionen" zu prüfen, sagte Obama nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington. Dazu zähle auch die Möglichkeit der Lieferung von Defensivwaffen an Kiew. Noch habe er aber keine Entscheidung getroffen. Er sei weiterhin an einer diplomatischen Lösung interessiert. Obama zollte außerdem Angela Merkel für ihren Einsatz als Vermittlerin im Ukraine-Konflikt Respekt. "Ich danke Angela für ihre starke Führungsrolle", sagte Obama. Merkel machte erneut deutlich, dass Waffenlieferungen für sie keine Option seien und lobte die bisherige Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA, was Abstimmungen über diplomatische Fragen und Sanktionen angeht. "Das ist ein Signal, das wir nach Russland senden müssen." Die Kanzlerin räumte ein, dass der Erfolg ihrer mit Frankreichs Staatschef François Hollande gestarteten Vermittlungsoffensive "alles andere als sicher" sei. Sollten die jüngsten diplomatischen Bemühungen im Sande verlaufen, würden Europa und die USA über die nächsten Schritte beraten, sagte Merkel. In jedem Fall aber werde die Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und Europa fortbestehen - "selbst wenn es in einzelnen Fragen unterschiedliche Meinungen gibt". Diskussion über Waffenlieferungen war leidenschaftlich Vor dem Treffen zwischen Merkel und Obama gab es besonders seitens der Republikaner heftige Kritik an Merkels Kurs. So sagte US-Senator John McCain in einem Interview: "Ihr Verhalten erinnert mich an die Politik der 30er Jahre." Das Verhalten Europas im Ukraine-Konflikt sei für ihn eine riesige Enttäuschung, "aber ich habe nichts anders erwartet", sagte McCain. "Wenn man sich die Haltung der deutschen Regierung anschaut, könnte man meinen, sie hat keine Ahnung oder es ist ihr egal, dass Menschen in der Ukraine abgeschlachtet werden", sagte er. McCain zählt in den USA zu den Befürwortern von Waffenlieferungen an die Ukraine. Beobachter glauben, dass McCain lediglich US-Präsident Obama treffen wollte. Einigkeit auch bei anderen Themen Auch bei anderen Themen zeigten sich Merkel und Obama einig. Der US-Präsident dankte Deutschland für die Unterstützung im Kampf gegen die Terrormiliz IS. Die Bundesregierung hatte Ende Januar eine Bundeswehrmission für den Irak verabschiedet. Bezüglich des Handelsabkommen TTIP sagte Merkel, man werde sich dafür einsetzen, dass dies auch umgesetzt werde. Kaum Gespräche über Abhörskandal Der Besuch Merkels bei Obama ist der erste seit Mai 2014. Damals hatte die Kanzlerin die durch die NSA-Affäre ausgelösten Differenzen mit den USA angesprochen. Der US-Geheimdienst überwacht auf der Suche nach Terrorverdächtigen nicht nur die Telefon- und Internetkommunikation unbescholtener Bundesbürger, sondern hatte auch jahrelang das Handy der Kanzlerin selbst im Visier. Seitdem hat sich nicht viel geändert. Während ihres Treffens haben sich Merkel und Obama eigenen Angaben zufolge kaum darüber geredet. Merkel betonte, die USA habe in der Vergangenheit wichtige Informationen weitergeleitet. Weiterer Verlauf von Merkels Reise Im Anschluss an das Treffen mit Obama besucht Merkel den Chef der Weltbank, Jim Yong Kim. Am Nachmittag fliegt Merkel weiter nach Kanada, um in Ottawa den kanadischen Regierungschef Stephen Harper zu treffen. Die Reise der Kanzlerin in die USA und nach Kanada dient auch der Vorbereitung des G-7-Gipfels der führenden Industrienationen, der im Juni in Deutschland stattfinden soll.
https://www.sueddeutsche.de/politik/merkel-in-washington-obama-erwaegt-waffenlieferungen-an-ukraine-1.2344067
mlsum-de-811
Die Insel hat Bürgerkrieg und Tsunami überstanden. Nun zieht sie wieder Touristen an. Die schönsten Strände werden auf besondere Weise genutzt.
So fühlt es sich also an, wenn man ein Poster betritt. Eines dieser kitschigen Traumstrandbilder mit weißem Sand, überhängenden Kokospalmen und blauem Meer. Schon in der zweidimensionalen Variante irritiert, dass diese Strände immer menschenleer sind. Hat man alle Sonnenhungrigen, Strandburgenbauer und Wassersportler für das Foto des Strandes verwiesen? Hat der Fotograf eine Sprengstoffwarnung oder eine Skorpioninvasion erfunden? Hier jedenfalls gibt es nichts dergleichen. Der Traum von einem Strand ist einfach leer, grundlos. Nicht die minimalste Infrastruktur für Badende ist vorhanden. Kein Kiosk, kein Eiswagen, keine Strandbar, kein Board-Verleih, kein Schild, das auf gefährliche Strömungen oder Ähnliches verweisen würde. Blickt man tiefer in den Schatten, bewegt sich dort doch etwas. Unter den Palmen liegen die hölzernen Auslegerboote der Einheimischen. Ein junger Mann nutzt eines als Liegestuhl, ein paar Kinder laufen um die Ausleger herum. Aus einem Kleinbus schallt Popmusik. Ansonsten nichts, kilometerweit. Unberührt heißt nicht ungenutzt. Die Meeresufer sind Arbeitsstätten Unberührte Strände im tiefen Süden Sri Lankas. Da hat das Tourismusmarketing nicht übertrieben. Es gibt sie noch. Unberührt jedenfalls von Badetüchern und Sonnenschirmen. Natürlich nicht ungenutzt. Sie dienen den Kindern als Spielplatz, den Jugendlichen als Treffpunkt, den Erwachsenen als Arbeitsplatz. Die Strände sind zugleich Hinterhöfe der Wohnhäuser, die wild in den Palmengürtel gewürfelt werden. Dazwischen Buddhastatuen und Anbetungswürdiges in Glasvitrinen. Kühe, Hunde und Wäsche, die über Zäune gehängt trocknet. Die Zufahrten zum Strand sind eng und holprig, selten markiert ein Schild die passende Abfahrt. ‹ › Woanders würden Massen von Touristen in der Sonne liegen, am Cadulana Beach trocknen Fische. Bild: Anja Martin ‹ › Die Stelzenfischer von Weligama dagegen fischen eigentlich nicht mehr. Bild: Anja Martin ‹ › Sie lassen sich stattdessen gegen Geld fotografieren. Bild: Anja Martin Wird geladen ... Sind wir richtig? Oder doch nicht? Es herrscht Uneinigkeit. Kaum öffnen wir die Autotür, erübrigt sich jegliche Diskussion. Es riecht streng nach Fisch. Wir sind am Cadulana Beach bei Nilwella, wo Jayantha Shirani mit einem Dutzend Mitarbeitern Trockenfisch herstellt. Manche kommen von weit her zum Arbeitsplatz am Strand und beziehen für Wochen Quartier. Shirani selbst hatte sein Haus 200 Meter hinter dem Strand stehen, bis es der Tsunami mitnahm - samt seiner Tochter. Das neue Hotel hat zwölf Stockwerke. Bislang überragte hier nichts die Palmen Sein neues Zuhause hat er mit Sicherheitsabstand errichtet. Der 40-Jährige mit Flecktarn-Shorts und Party-Shirt arbeitet jeden Tag, "außer an Vollmond", betont er, denn diese Tage sind im Buddhismus besondere. Sein Bruder baut 20 Meter weiter ein großes, buntes Fischerboot, der Stolz der Familie. Ist es einmal fertig, können die Fischer dank großer Tanks für Diesel und viel Platz für den Fang sechs Wochen auf dem Meer bleiben. Das ist gut, denn irgendwie muss man andere Boote übertrumpfen, von denen es zu viele gibt, weil nach dem Tsunami vor zehn Jahren Unmengen an Spenden für neue Boote eintrafen. Drei Arbeiter fertigen gerade aus Glasfaser den Ausguck. Beißend überlagert der Kunstharzgeruch den Gestank des in der Sonne dörrenden Fisches. Der liegt auf langen Kokosbahnen aufgeschnitten und ausgeweidet hinterm Sandstrand. Abends schlagen die Mitarbeiter Plastikplanen darüber, bis er dann in Secondhand-Kartons verpackt wird. Auf manchen steht Maggi, auf anderen etwas Chinesisches. Den lokalen Markt schert es nicht, was außen draufsteht. Hauptsache, es taugt fürs Curry. Detailansicht öffnen "Der Strand ist nicht dazu da, sich hinzulegen und Spaß zu haben, sondern um davon zu leben und fischen zu gehen. Bis vor Kurzem war das jedenfalls so", resümiert am Mirissa Beach Angelo, ein 37-jähriger Italiener und Sri-Lanka-Reisender, der im Backpackerhostel des Vaters eines Freundes mit anpackt. Der Mirissa Beach liegt 35 Kilometer weiter im Westen, wo von der Hauptstadt Colombo aus der Tourismus die Küste herabkriecht. Da ist der eigens für Urlauber geschaffene Ort Bentota. Sowie der einstige Hippiestrand Hikkaduwa - längst Ziel von Pauschalurlaubern. Auch Unawatuna, bekannt als schönster Strand Sri Lankas, an dem schon holländische Kolonialherren ihre Villen bauten, ist längst kein Geheimtipp mehr. Noch sehe man in Mirissa nachts die Lichter der Fischerboote wie eine zweite Küstenlinie im Meer schaukeln, erzählt Angelo, während er in der kleinen Küche im Garten Frühstück für zwei Japanerinnen macht. Dann schlägt er für eine Hamburger Familie Kokosnüsse auf, steckt Trinkhalme hinein. Der Besitzer des Hostels kümmere sich vor allem um seinen Shop zur Straße hin, der Gebäudeteil zum Meer hin mit den Gästezimmern und den Tischen unter Palmen sei ihm nicht so wichtig. Dass die Strände das wahre Potenzial der Insel sind, nicht die lauten Straßen, will noch nicht jedem in den Kopf. Momentan liegt die Bucht träge in der Mittagshitze. Zwischen Straße und Strand klemmen Guesthouses, Bars und Restaurants. Die Tische, Stühle und Liegen sind aus grobem Holz gebaut und bunt bemalt. Alles wirkt improvisiert und harmlos. Als hätte man sich spontan überlegt, was Touristen gefallen könnte. Whalewatching, Schnorcheln, Wassersafari, Surfen, morgendliches Yoga und abendliche DJ-Partys werden geboten. Alles im kleinen Rahmen. Der Board-Verleih am Strand besteht aus in den Sand gerammten Surfbrettern, ein Schuljunge hat ein paar Taucherbrillen zum Vermieten an Stöcke gehängt, ein Schlangenbeschwörer hütet sein Flechtkörbchen mit der Kobra. Junge Einheimische schnorcheln halb interessiert über den Korallen. Übung kann nicht schaden. Vielleicht ist bald ein Zweitjob als Guide drin? Ein alter Mann kümmert sich nicht um die neuen Möglichkeiten und angelt traditionell und simpel mit an Stecken gebundenen Schnüren. Die wenigen Touristen liegen lässig im Schatten und lesen. Informationen Anreise: Flüge nach Colombo mit Qatar Airways, z. B. von München hin und zurück ab 650 Euro, www.qatarairways.com. Weiter in den Süden Sri Lankas über die Autobahn Southern Expressway, bis Matara in knapp drei Stunden. Übernachtung: Underneath The Mango Tree, Dikwella, DZ mit HP ab 170 Euro, www.utmthotel.com. Einfache Unterkünfte gibt es überall, auch direkt an den Stränden. Beispielsweise in Mirissa und Weligama. Strände: Viele untouristische Strände gibt es beispielsweise in der Gegend um Dikwella. Überall an Sri Lankas Küsten muss man auf gefährliche Strömungen achten. Die gesamte Insel spürt das erstarkte Vertrauen der Urlauber seit dem Frieden vor nun fünf Jahren. Zwar tobte der 25 Jahre lang dauernde Bürgerkrieg zwischen der Regierung und den Tamil Tigers vor allem im Norden des Landes. Abgeschreckt hatte die Gewalt trotzdem. Nun steigen die Touristenzahlen mit Macht. Von 2012 auf 2013 kamen 26,7 Prozent mehr Menschen nach Sri Lanka, das wie ein Tropfen am Subkontinent Indien hängt. 1,5 Millionen Gäste erwartet das Land in diesem Jahr, 2,5 Millionen wünscht man sich für 2016. Eine Autobahn von Colombo in den Süden reduziert die zuvor unerträglichen Transferzeiten samt Brems- und Ausweichmanövern, die Landstraßen sind übervoll mit Tuk-Tuks, Bussen, Fahrrädern, alten Leuten, Kühen und Hunden. Die Anziehungskraft von feinen, weißen Stränden auf Touristen ist kein Geheimnis. So wächst am Strand von Weligama, nur eine Bucht nach Mirissa, ein Marriott in die Höhe. Bislang zählt man zwölf Etagen, an einem Ort, an dem Häuser nie höher waren als Palmen. Noch liegen hier viele Fischerboote, dazwischen grasen Kühe. An der Straße glänzen auf Verkaufstresen silberne Leiber - der Fang vom Vormittag. Den 27-jährigen Yisitha Vishan, Besitzer des Sealine Beach Restaurants, kann das Hotel nicht schrecken. Im Gegenteil. Er freut sich drauf. Schließlich hat er zwei Jahre in Dubai gearbeitet. Im Vergleich ist der Neubau hier ein Bahnwärterhäuschen. Als er zurückkam in seine Heimat, errichtete er direkt am Strand sein Restaurant ohne Außenwände - die Meeresbrise pustet durch, nichts verstellt den Blick aufs Meer. Er war der erste im Dorf, der Gäste auf die Strandseite der Straße lockte. Fischer? Das wollte er ganz sicher nicht werden. Sein Vater war einer, dazu ohne eigenes Boot. "Der Job ist zu hart und zu gefährlich." Auch die berühmten Stelzenfischer von Weligama, neben Tempeln und Teeplantagen das meistfotografierte Postkartenmotiv der Insel, haben einen anderen Kurs eingeschlagen. Statt stundenlang auf einem Pfahl im Meer zu sitzen, um billige Fischchen aus den Wogen zu ziehen, posieren sie gegen Geld für Fotos oder vermieten ihren pittoresken Angelplatz an Mimen. Morgens und abends kann man teils ernsthafte Fischer sehen. Tagsüber wird nur so getan, als ob. Da man auf einem wasserumspülten Hochsitz keine Touristen abkassieren kann, übernimmt das ein Kollege an Land. Und der lässt nicht locker, bis die Scheinchen in seiner Tasche sind. Mit 50 Sri-Lanka-Rupien, knapp 30 Cent, lässt er uns recht günstig davonkommen. Am Einheimischen-Strand Polhena nahe Matara hätten wir für das Geld aber auch einen Tag lang im aufgepumpten Schlauch eines Autoreifens im Wasser herumtreiben können. Das nämlich machen die singhalesischen Familien. Gut schwimmen können die wenigsten. Frauen waten komplett angezogen ins Wasser oder knipsen sich gegenseitig am Meeressaum, sitzend unter Regenschirmen. Ein Schild weist auf Singhalesisch darauf hin, nicht auf die Korallen zu steigen und nicht betrunken ins Wasser zu gehen. Offensichtlich ist das nicht selbstverständlich. Roshan Nosa steht den ganzen Tag am schattenlosen Strand neben seinen aufgetürmten Reifen. Er hat sie bemalt, um sie von anderen Vermietern zu unterscheiden. Der 27-Jährige kann abends allerdings nicht Feierabend machen. Er geht dann fischen. Welcher der beiden Jobs ihm lieber sei, ist schnell beantwortet: "Womit ich gerade mehr Geld verdienen kann."
https://www.sueddeutsche.de/reise/sri-lanka-sand-des-lebens-1.2168403
mlsum-de-812
Trainer Dirk Schuster gibt vor seinem Pflichtspieldebüt mit dem FC Augsburg zu, "ein bisschen aufgeregt" zu sein. Umso mehr wünscht er sich von seinen Spielern im Pokalduell gegen den FV Ravensburg "echten Männerfußball".
Wer in diesen Tagen die Fußball-Arena des FC Augsburg besucht, hört immer wieder mal noch ein zartes Bohren und emsiges Heimwerken. Der Fußball-Bundesligist gibt seiner Spielstätte vor dem Ligastart in einer Woche den letzten Schliff - zumindest im Inneren. Die seit Jahren diskutierte, weil weiterhin fehlende Außenhülle des Stadions ist mal wieder Gesprächsstoff in der Stadt, Dirk Schuster aber kümmert das Gerede wenig. "Das ist nichts, über das ich mir wirklich Gedanken mache", sagt der neue Trainer des FC Augsburg am Donnerstag. "Wichtiger ist für mich, was in der Arena passiert." Dort, auf dem Rasen, werden er und der FCA sich messen lassen müssen an den Leistungen der Vorjahre. Selbst vor seinem Pflichtspieldebüt mit dem FCA an diesem Freitag (20.45 Uhr) beim Fünftligisten FV Ravensburg ist Schuster deshalb schon "ein bisschen" aufgeregt. Schusters Fußball "kommt mehr über den Kampf als über ein Spiel mit der feinen Klinge" "Man will natürlich zeigen, dass man die Mannschaft gut vorbereitet hat", sagt Schuster. Rein handwerklich sollte das kein Problem sein für den 48-Jährigen, der in diesem Sommer die Nachfolge von Markus Weinzierl (zu Schalke) angetreten ist. Vor wenigen Tagen erst bekam er vom Kicker das Prädikat "Trainer des Jahres" verliehen, Schusters Arbeit zuletzt bei Bundesliga-Aufsteiger Darmstadt hat Eindruck hinterlassen. "Natürlich habe ich mich darüber gefreut", sagt Schuster, aber er weiß: bei einer Niederlage zum Start samt frühem Pokal-Aus interessiert das keinen mehr. "Wir sind der klare Favorit", sagt der Trainer vor dem Duell gegen den Fünftligisten, der für die Partie mangels einer Pokal-tauglichen Spielstätte ins benachbarte Pfullendorf umzieht. Rund 1000 FCA-Fans begleiten ihre Mannschaft ins Hinterland des Bodensees, und Schuster hat schon eine genaue Vorstellung davon, was die zu sehen bekommen werden. Gegen Ravensburg, ist Schuster überzeugt, würden seine Spieler auf eine Mannschaft treffen, "die robust spielt, die Männerfußball spielt". Und genau diesen "Männerfußball", den Schuster immer wieder als sein Leitbild anführt, möchte er künftig auch von seiner neuen Mannschaft sehen. Auf die Frage eines Rundfunk-Journalisten, was genau er damit meine, und ob der FCA bisher keinen Männerfußball gespielt habe, hält Schuster einen Moment verwundert inne, dann erklärt er: "Männerfußball ist harter, robuster Fußball", er zeichnet sich aus durch ein "dominantes Verhalten im Zweikampf", und "er kommt mehr über den Kampf als über ein Spiel mit der feinen Klinge." Mit anderen Worten: Schuster erwartet sich von seiner Mannschaft keinen schönen, aber einen erfolgreichen Fußball. Fit genug dazu ist der Kader, "mit dem körperlichen Zustand bin ich sehr zufrieden". Taktisch allerdings ist noch längst nicht alles so, wie Schuster es sich wünscht. Was auch daran liegt, dass der Kader einige prägende Spieler verloren und noch nicht für alle adäquaten Ersatz gefunden hat. Vor allem die Defensivzentrale samt Spielaufbau ist ein wunder Punkt in Schusters Planungen. "Es ist bekannt, dass wir einen Innenverteidiger suchen", sagt Schuster nach den Abgängen von Jeong-Ho Hong (zum chinesischen Erstligisten Jiangsu Suning) und Ragnar Klavan (zum FC Liverpool in die englische Premier League), "da müssen wir auf dem Transfermarkt unsere Hausaufgaben machen". Martin Hinteregger, 23, von RB Salzburg gilt als ein Kandidat ("ein interessanter Spieler"), noch aber kann Manager Stefan Reuter keinen Vollzug melden. Nachdem Sommerzugang Gojko Kacar (vom Hamburger SV) mit Rückenbeschwerden ausfällt, werden am Freitag im Pokal in Christoph Janker und Jeffrey Gouweleeuw die letzten beiden nominellen Innenverteidiger auflaufen, die der FCA hat. Außenverteidiger Paul Verhaegh, der weiterhin Kapitän des FCA ist, fällt zum Auftakt verletzt aus Dass auch Außenverteidiger Philipp Max ersetzt werden muss, der einen Tag später im Maracaña von Rio mit der deutschen Auswahl gegen Brasilien um den Olympiasieg spielt, gönnt Schuster dem 22-Jährigen: "Ich bin ein Fan von dieser Olympia-Mannschaft", sagt Schuster, und "als wir ihn zu Olympia verabschiedet haben, haben wir gesagt: ,Sorg dafür, dass ihr so lange wie möglich im Turnier bleibt!' Die Vorgabe hat er schon mal umgesetzt." Nach seiner Rückkehr soll Max dann schnellstmöglich in die Mannschaft eingebaut werden, denn neben ihm fehlt auch Außenverteidiger Paul Verhaegh. Der Niederländer, der von seinen Kollegen vor dem Pokalspiel mit den meisten Stimmen in den Mannschaftsrat gewählt und von Schuster erneut zum Spielführer ernannt worden ist, fällt sowohl gegen Ravensburg wie vorerst auch zum Ligastart gegen den VfL Wolfsburg aus, nachdem er im Training umgeknickt ist.
https://www.sueddeutsche.de/sport/fc-augsburg-eine-forderung-ein-wunder-punkt-1.3126802
mlsum-de-813
Erst ruhiges Wasser, dann schäumende Fluten: Paddeln auf der Isar ist der ideale Kurztrip für einen heißen Tag.
"Baddln is lässig!" steht groß auf einem T-Shirt. Das Bild darunter zeigt schäumendes Wildwasser und mittendrin ein Kajak mit behelmtem Fahrer, der offenbar alle Hände voll zu tun hat, nicht zum Spielball der Wassermassen zu werden. Detailansicht öffnen Vom Bayerischen Oberland bis nach München - eine Paddeltour auf der Isar ist ein abwechslungsreicher Sommertrip. (Foto: Attenberger) Wer wissen will, wie lässig Paddeln wirklich ist, sollte es erst einmal locker angehen lassen und einen ein- oder mehrtägigen Schnupperkurs buchen. Für eintägige Bootswanderungen per Kajak, Kanu oder Schlauchboot ist der Isarabschnitt von der Staumauer des Sylvensteinsees bis München ein Traumrevier. Auf der landschaftlich wunderschönen Strecke bereitet der Einstieg in den faszinierenden Wassersport kaum Probleme. Überwindung vor dem Ausstieg unter Wasser Damit man sich auf das nasse Abenteuer gut vorzubereiten kann, beginnen die meisten geführten Touren und Kurse mit Übungen in einem See. Mit dem Kajak absichtlich umzukippen und unter Wasser auszusteigen, kostet Überwindung, ist aber für die eigene Sicherheit unerlässlich. Schon nach kurzer Zeit beherrschen alle Aspiranten das kippelige Gefährt recht gut, damit verliert auch die bevorstehende Isarbefahrung ihre Schrecken. Ausgerüstet mit Neoprenanzug, Spritzdecke, Schwimmweste und Helm wagt sich die Gruppe auf den Fluss. Für die ersten Versuche im "Wildwasser" bietet sich die Isar an: von Wildwasser I bis II, will sagen unschwierig und mäßig schwierig, bis zur VI, an der Grenze der Befahrbarkeit, reicht die Schwierigkeitsskala des Münchner Hausgewässers. Gemütliches Paddeln steht also am Anfang, doch schon bald verkündet ein fernes Rauschen das Nahen der ersten WW-II-Stelle. Immer schneller wird der Fluss, kleine Wellen schlagen über dem Bug des Kajaks zusammen, die Strömung schiebt das Boot frontal auf eine Felswand zu. Zeit die Bremse zu ziehen: also Kurve einleiten, dann heftige Paddelrückschläge, Hüfte drehen, Bug rumkriegen - geschafft! Die erste Feuerprobe ist bestanden. Die Strömung lässt nach. Endlich bleibt den Fahrern Zeit zum Schauen und genießen. Auf den glasklaren Fluten treibt das Kajak gemächlich dahin, während am Ufer die idyllische Landschaft mit den sanften Linien der Voralpen im Hintergrund vorbeizieht. Längst machen die schnelleren Abschnitte keine Probleme mehr, man hat Spaß an der Geschwindigkeit und am spritzenden Wasser und horcht voller Vorfreude nach dem nächsten Rauschen eines Schwalls. Nach einem halben Tag auf dem Fluss ist man wie verwachsen mit dem Kajak. Da fällt das Aussteigen schwer, das Verstehen dagegen leicht. "Baddln is echt lässig!" Wo gibt es eigentlich dieses T-Shirt?
https://www.sueddeutsche.de/reise/sommertrip-paddelspass-auf-der-isar-1.236967
mlsum-de-814
Ernst zu nehmende linke Positionen fehlen derzeit. Die Bewegung "Aufstehen" könnte daran etwas ändern. Dafür braucht sie aber auch echte Gegenentwürfe.
An der Streiterei zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer zu Beginn des Sommers war vieles beschämend. Bedrängend aber war, dass von anderer Seite - vereinfacht gesagt: von den Parteien, die man im weiteren Sinne noch als "links" bezeichnen könnte - keine substanzielle Gegenposition vorgebracht wurde. Es war nicht schwer, Merkel und insbesondere Seehofer Spiegelfechterei vorzuwerfen. Aber den Unions-Kontrahenten ein anderes Denken entgegenzusetzen, die Debatte vor einen anderen Horizont zu stellen, das unterblieb. Wahrscheinlich tue ich damit der einen oder dem anderen der politischen Akteure Unrecht, aber wenn es eine Gegenposition gab, ist sie nicht bis zu mir vorgedrungen und zu vielen anderen offenbar auch nicht. Und so ist es ja nicht nur in diesem Fall. Es ist ganz gleich, an welchem Punkt man ansetzt - sei es Ökologie, Rüstung und Abrüstung, nationale und internationale Verteilungsgerechtigkeit oder auch die simple Frage, warum der wissenschaftlich-technologische Fortschritt einschließlich Digitalisierung statt kürzerer Arbeitszeiten und mehr Muße nur immer mehr Konkurrenzkampf und Erschöpfung bringt - die Positionen der Parteien zu unterscheiden fällt immer schwerer, seit es vor allem die nationalistische Rechte ist, die nicht nur die Themen vorgibt, sondern auch die Kriterien, nach denen diese bewertet werden. Seehofer ist das Paradebeispiel dafür. Detailansicht öffnen Ingo Schulze, 55, ist Schriftsteller. Sein jüngster Roman „Peter Holtz“ wurde 2017 mit dem Rheingau-Literatur-Preis ausgezeichnet. (Foto: Regina Schmeken) Mein Problem sind aber nicht Merkel oder Seehofer, sondern jene, die einen Gegenentwurf zu ihnen entwickeln sollten, eine Alternative, die nicht so tut, als wäre Deutschland ein Globus. Bereits eine auf unseren Alltag angewandte Provenienzforschung, also eine Dokumentation, woher die Dinge unseres täglichen Lebens stammen, auf welche Art und Weise und unter welchen Umständen sie zu uns gelangen, als auch ein Nachverfolgen unserer Exporte und ihrer Auswirkungen würden belegen, wie unauflöslich wir mit dem Wohl und Wehe der Welt verstrickt sind und wir daher Mitverantwortung tragen, nicht nur für den Klimawandel. Wenn sich schon die Auseinandersetzungen am Umgang mit Flüchtlingen entzünden, warum sagt dann niemand von den Nicht-Merkel-Seehofers, dass Deutschland und Europa selbstverständlich mehr, viel mehr Flüchtlinge aufnehmen könnten, wäre das politisch gewollt und auch von staatlicher Seite aus besser vorbereitet und organisiert als in der Vergangenheit. Aber eine Lösung wäre das nicht. Es müssten zugleich die Auswirkungen ins Kalkül gezogen werden insbesondere für diejenigen, die ohnehin gerade so über die Runden kommen und nun noch größerem Konkurrenzdruck in vielen Lebensbereichen ausgesetzt sind. Gesagt werden müsste auch, was der Preis dafür ist, dass heute vergleichsweise wenige Flüchtlinge Deutschland erreichen. Die Methoden, die nicht nur im Mittelmeer angewandt werden und für die wir als Wählerinnen und Wähler ebenfalls Mitverantwortung tragen, verletzen permanent die Menschenrechte. Trotzdem werden sie in der Politik mehr oder weniger toleriert oder gar verteidigt. Denn gäbe es sie nicht, wären wir wahrscheinlich bald wieder bei einer Million oder mehr Flüchtlingen wie vor drei Jahren. Angesichts dieser Situation müsste es doch im Bundestag einen regelrechten Überbietungswettbewerb an Vorschlägen geben, durch welche Veränderungen von Finanz- und Handelsabkommen, von Gesetzen, Zöllen, Subventionen und Verordnungen, von Gesundheits- und Bildungsprogrammen etc. wir beitragen können, um das, was wir Bekämpfung von Fluchtursachen nennen, tatsächlich in die Tat umzusetzen. Ich weiß nicht, warum es diesen Wettbewerb nicht gibt. Was hat Deutschland, was hat die EU in den vergangenen Jahren an ökonomischen und politischen Vorgaben verändert? Und welche Partei hat etwas eingefordert? Fürchtet man nationale Nachteile? Sind die Lobbyisten zu mächtig? Hat man die Ideologie des "Marktes" verinnerlicht? Schrecken Politiker vor grundsätzlichen Vorschlägen zurück, weil sie nicht marktkonform sind? Wer heute "links" wählt, muss immer befürchten, dass seine oder ihre Stimme marginalisiert oder letztlich doch irgendeiner Koalition mit der Union zugeschlagen wird. Das Fehlen eines selbstbewussten linken Gegenentwurfs, der eine grundsätzliche Kritik formuliert und andere Lösungen anbietet, entmutigt und vereinzelt. Ja, es ist deprimierend zu erleben, wie die SPD, der doch die entscheidende Rolle in einem Linksbündnis zukäme, es schon als Erfolg wertet, wenn sie die Auswirkungen der eigenen Politik abzumildern vermag. Wer Hartz IV installiert und Hedgefonds zulässt, um nur zwei Beispiele zu nennen, hat es schwer, gegen "Heuschrecken" zu kämpfen und Gerechtigkeit zu fordern. Der Neoliberalismus, dem nach dem Umbruch von 1989/90 kaum noch Widerstand entgegengesetzt wurde, hat die Gemeinwesen aber nicht nur sozial und ökonomisch demoliert. Er hat auch ein geistiges Vakuum zurückgelassen. Privatisierung, Effizienz und Wachstum um jeden Preis machen jede und jeden zu einer Art Ich-AG. Ein Denken und Fühlen, das die unmittelbaren eigenen Interessen überschreitet, wird zum Luxus und beschränkt sich auf Sonntagsreden. Jeder Mensch aber braucht eine Erzählung von seinem Leben, die über ihn selbst hinausweist und sein Leben zu dem der anderen in Beziehung setzt. Wer hier das Feld nicht den Sirenengesängen der nationalistischen Rechten überlassen will, braucht selbst einen Entwurf, der nur mit einer grundsätzlichen Kritik des Status quo beginnen kann. Ob es richtig ist, die Hoffnung auf solch einen Entwurf an die Sammlungsbewegung "Aufstehen" zu knüpfen, kann zurzeit niemand beantworten. Ich begreife "Aufstehen" als eine im Werden befindliche Plattform, die eine Selbstverständigung und einen Zusammenschluss jenseits von Parteigrenzen und deren Hierarchien ermöglicht und dabei den Status quo, zu dem auch die verengten politischen und öffentlichen Debatten gehören, nicht mehr hinnimmt und auf die Beantwortung grundsätzlicher Fragen dringt. Bei allen Themen läuft es in der einen oder anderen Form stets auf die Frage hinaus: Finden wir uns damit ab, dass unser Alltag, unsere Demokratie noch marktkonformer wird, die Ungleichheit national wie international wächst und den Planeten verheert? Oder beginnen wir, die Märkte demokratiekonform zu gestalten und an den eigentlichen Bedürfnissen der Gesellschaft, letztlich am Überleben der Menschheit auszurichten? Für Letzteres braucht es vor allem ein gesellschaftliches Selbstbewusstsein. "Aufstehen" könnte helfen, es zu schaffen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-wo-sind-die-nicht-merkel-seehofers-1.4090070
mlsum-de-815
Zumindest unter technischen Gesichtspunkten: Die eingesetzten Systeme bieten Grund zum Verzweifeln. Hacking-Experten glauben aber, die "midterms" seien zu komplex, um sie zu manipulieren.
Dass die Russen kommen, ist ziemlich unwahrscheinlich geworden. Von jenen Propagandatricks, die mehr als 100 Millionen Facebook-Nutzer in den USA vor der Präsidentschaftswahl 2016 zu Gesicht bekommen hatten, ist vor den Zwischenwahlen an diesem Dienstag wenig zu sehen. "Wo sind die Russen?", fragte die New York Times also kürzlich und gab selbst eine Antwort. "Viele Experten gehen davon aus, dass der russische Präsident Wladimir Putin diese Wahl aussitzt." Zu komplex seien die midterms, um sie zielgenau zu manipulieren. Das Wall Street Journal schrieb, dass die USA viele Lektionen aus der Wahlkampf-Manipulation 2016 gezogen hätten. Cybersicherheits-Trainings gehören dazu ebenso wie ein reger Austausch über das Thema zwischen 1300 der Personen, die auf lokaler Ebene für Wahlen zuständig sind. Eine weitere Lektion: Wahlen gelten in den USA seit 2017 als "kritische Infrastruktur". Dafür zu sorgen, dass sie vor Hackerangriffen geschützt werden, hat also höchste Priorität. Die Zeitung Boston Globe berichtete, dass es 160 Vorfälle seit 1. August gegeben habe, die als election meddling bezeichnet werden, als Einmischung also. Doch die Zahlen seien auch deshalb so hoch, weil die Verteidigung so gut sei, merkte ein Pressesprecher des Ministeriums für Heimatschutz an. Die Angriffe seien schließlich aufgefallen. Zwei Wege, um eine Wahl zu manipulieren Allerdings, merkt Shane Huntley an, gebe es auch keinen Grund, die midterms mit der bereits bekannten Strategie anzugreifen. Zu diesen Methoden gehörte es, ohnehin schon bestehende Meinungsdifferenzen durch gezielte Werbekampagnen in sozialen Netzwerken zu befeuern. Dieser Kampf sei schließlich schon geführt worden, sagt der Mann, der bei Google das Team leitet, das Hackerangriffe analysiert. Auch Google habe "erstaunlich wenig" Versuche von Hackern gesehen, die midterms anzugreifen, sagte Huntley kürzlich auf einer Konferenz (ab Minute 6:10). Das heißt: Sollte es zu einem Angriff kommen, könnte dieser ganz anders ablaufen. Hackerangriffe sind besonders dann erfolgreich, wenn man sich nicht über Jahre hinweg auf sie vorbereiten kann. Die US-Präsidentschaftswahl 2016 zeigte, dass es zwei Wege gibt, auf denen ein fremder Staat einen Wahlprozess manipulieren kann. Erstens: Er versucht, die Öffentlichkeit zu beeinflussen, indem er Fake-Accounts aufsetzt und über Monate hinweg all jene Themen aufgreift, die in einem Land ohnehin Konflikte anheizen. Hauptsache, der Hass im Zielland lodert. Darum geht es auch in einer Anklage des US-Justizministeriums gegen eine russische Staatsbürgerin von Ende September. Sie habe durch das "Projekt Lakhta" versucht, die Gesellschaft der USA zu spalten und das Vertrauen in das US-Wahlsystem zu schmälern. Der Anklage zufolge bediente sie sich zwischen Januar 2016 und Juni 2018 aus einem Budget von insgesamt 35 Millionen US-Dollar. Das Geld kam nach Angaben des Justizministeriums von Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin, genannt "Putins Koch". Damit habe sie unter anderem Webseiten angemietet, politische Werbung auf sozialen Netzwerken entweder eingekauft oder aber über Fake-Accounts teilen lassen. Noch sind die Wahlen sehr schlecht abgesichert Ein Staat, der in einen fremden Wahlkampf eingreift, kann auch einen zweiten Weg wählen, den technischen. Dabei greift er die Infrastruktur direkt an; findet Schwachstellen in den Webseiten, auf denen die Ergebnisse verkündet werden oder versucht, die Stimmabgabe und das Verarbeiten der Stimmzettel zu manipulieren. Das US-Nachrichtenportal Vox zitiert einen Sicherheitsexperten anonym: "Auf einer Skala von 1 bis 10, bei der 10 die Sicherheitsmechanismen sind, die das Pentagon einsetzt, haben wir uns bei der Absicherung von Wahlen von Stufe 2 auf Stufe 3 bewegt." Die eingesetzten Systeme und Maßnahmen seien anfällig für Hacker. Gerade Wahlcomputer bieten ein hervorragendes Ziel. Zum einen kommen mehr als 80 Prozent der eingesetzten Computer von drei Herstellern. Das Angebot ist also begrenzt, das macht es für Hacker einfacher, die Modelle genauer zu analysieren. Schließlich werden sie weiträumig eingesetzt. Forschern ist es immer wieder gelungen, Schwachstellen in Wahlrechnern zu finden. Die Hersteller gehen mit Kritik allerdings nicht souverän um. Als IT-Sicherheitsforscher Schwachstellen in ihren Programmen auf einer Hackerveranstaltung technisch aushebelten (der Bericht als PDF), bedankten sich die Firmen nicht etwa bei den Forschern. Sie wollen vielmehr verhindern, dass sich IT-Sicherheitsforscher noch intensiver mit ihren Rechnern beschäftigen. Und das obwohl die Lücken jeder ausnutzen kann und sie offenzulegen und zu schließen deshalb die Sicherheit der Produkte erhöht. Die Hürden für einen Angriff sind hoch Wenn Hacker diese Rechner angreifen wollen, müssen sie vorher wissen, in welchem Wahlbezirk welches Modell von welcher Firma eingesetzt wird. In einem zweiten Schritt müssen sie die Maschinen hacken und dann auch noch unerkannt bleiben. Zudem sind die Rechner selbst nicht direkt mit dem Internet verbunden. Die Hürden für einen Angriff sind also hoch. Zwar haben die US-Geheimdienste nach der Wahl 2016 wiederholt betont, dass es keine Manipulation der Maschinen gegeben habe. "Aber zur Wahrheit gehört auch, dass niemand wirklich nach Beweisen gesucht hat", wie die Journalistin Kim Zetter in einem Artikel für eine Titelgeschichte des Magazins der New York Times schrieb. In ihrem Artikel listet Zetter verschiedene Möglichkeiten auf, mit denen Hacker eine Wahl manipulieren könnten. Neben dem Hacken eines Wahlcomputers sei denkbar, die Namen der Wähler von den Listen zu streichen, mit denen Helfer in Wahllokalen arbeiten. Einmal angekommen, müssen Bürger eventuell Stunden warten, bevor sie - und falls überhaupt - wählen dürfen. Russische Hacker suchten nach Wähler-Datenbanken Aus einer der Anklagen des Sonderermittlers Robert Mueller (PDF) geht hervor, dass es den russischen Hackern durchaus auch darum gegangen sei, an Datenbanken mit Wählerinformationen zu kommen. Allerdings sei dies erst zwischen Juni und August 2016 passiert. Weite Teile der Hacking-Operationen liefen zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten. Die Idee, den Wahlvorgang als solchen ins Visier zu nehmen, könnte den Hackern also erst nachträglich gekommen sein. Die Anklage passt zu einem als geheim eingestuften NSA-Bericht, den die Whistleblowerin Reality Winner an The Intercept geschickt hatte. Winner wurde verurteilt, sie muss für mehr als fünf Jahre ins Gefängnis. Als ein Großteil der Wahlrechner entwickelt wurde, ging es in erster Linie darum, Stimmen korrekt zu zählen, weniger darum, sie vor Hackerangriffen zu schützen. Die Geräte genügen deshalb nicht den Anforderungen der heutigen Zeit, sagte Jake Braun im Gespräch mit Vox, der unter Barack Obama als Kontaktperson von Weißem Haus und Heimatschutzministerium arbeitete. Heute geht es nicht mehr nur um das Zählen von Stimmen, es geht um die Integrität der Stimmabgabe an sich. Wie alt die Geräte sind, zeigte sich Ende Oktober in Texas. Dort beschwerten sich einzelne Bürger, ihre Stimmen seien falsch gezählt worden. Der Computer ließ Demokraten Republikaner wählen - und umgekehrt. Die Behörden analysierten den Fall und stellten fest, dass die eingesetzten Maschinen sehr alt waren. In der Zeit, die die Maschinen brauchten, um den Wahlzettel zu laden, hatten die ungeduldigen Wähler längst noch einmal gedrückt - die Stimme wurde deshalb geändert. Die eingesetzten Systeme bieten also auch ohne Hacker jede Menge Grund zum Verzweifeln. Der Informationswissenschaftler Matt Blaze hat die Sicherheit der Wahlrechner analysiert. Derzeit gebe es "organisierte Versuche durch Bots", Menschen daran zu hindern, ihre Stimme abzugeben, teilte Blaze auf Twitter mit. Die Bots streuten das Gerücht, dass alle Rechner manipuliert seien. Das sei "Quatsch". "Ich gebe meine Stimme ab, weil sie wichtig ist. Das solltet ihr auch tun."
https://www.sueddeutsche.de/digital/usa-midterms-hacker-1.4198420
mlsum-de-816
Mehrere grenznahe Bundesländer kündigen Widerstand gegen die Straßengebühr an. Unterstützung bekommen sie von europäischen Nachbarn. In der CDU diskutiert man offenbar schon Alternativen.
Der Bundestag hat am Freitag die umstrittene Pkw-Maut beschlossen, sogar die Mehrheit der SPD-Fraktion stimmte dafür. Trotzdem ist ungewiss, ob das Mautgesetz von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) jemals in Kraft tritt. Unter anderem formiert sich Widerstand in den Bundesländern. So plant das Saarland noch am Freitag zusammen mit unter anderem Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz im Verkehrsausschuss den Antrag einzubringen, den Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag anzurufen. Das Gesetz kann dort zwar von den Bundesländern nicht mehr verhindert werden. Aber das Verfahren könnte sich bis nach der Bundestagwahl im September hinziehen. In diesem Fall wäre die Pkw-Maut wohl Geschichte, denn ob das Gesetz auch nach der Wahl noch eine Mehrheit im Parlament findet, ist unsicher. Die Bundesländer fürchten wirtschaftliche Einschränkungen "Wir haben immer deutlich gemacht, dass die Einführung der Maut in einer Grenzregion wie dem Saarland schwierig ist", sagte etwa Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) auf Anfrage. Wie auch die Regierungschefs anderer Länder hält Kramp-Karrenbauer die Maut unter anderem für eine Einschränkung für Infrastruktur, Tourismus und Industrie. "Für die grenznahen Regionen werden keine Aufnahmen geschaffen, das ist für den wirtschaftlichen Austausch sehr belastend", sagt Guiseppe Lipani, Regierungssprecher von Rheinland-Pfalz. Nordrhein-Westfalen berät laut Regierungssprecher Thomas Breustedt kommende Woche, wie sich die Landesregierung im Bundesrat weiter verhalten will. Ob der Vorstoß der einzelnen Länder Erfolg hat und es tatsächlich ein Vermittlungsverfahren geben wird, entscheidet sich voraussichtlich kommende Woche. Angeblich arbeiten auch CDU-Politiker gegen Dobrindts Maut Auch in der CDU gibt es offenbar Bewegung. In der Partei werde ein anderes Mautsystem diskutiert, berichtet das Handelsblatt. Demnach sieht ein vom Bundesfachausschuss für Wirtschaft und Finanzen erarbeitetes Dokument vor, dass die zu entrichtende Maut für Inländer und Ausländer gleichermaßen gelten und in Ballungszentren sowie zu Stoßzeiten höher ausfallen solle als in ländlichen Regionen und zu Randzeiten. Statt einer Pauschale sollen Autofahrer dem Bericht zufolge eine Gebühr bezahlen, die sich aus der Anzahl der gefahrenen Kilometer errechnet. Die Kfz-Steuer solle abgeschafft werden, heißt es weiter. Unter den Verkehrspolitikern der Bundestagsfraktion gelte das Papier allerdings als "abstruses Zeug", fügt das Handelsblatt hinzu. Klar ist aber: Spätestens nach der Bundestagswahl wird die umstrittene Infrastrukturabgabe erneut zur Debatte stehen. Auch die Nachbarländer schmieden eine Allianz Die Nachbarstaaten der Bundesrepublik haben bereits vor längerer Zeit angekündigt, dass sie die Maut auf deutschen Autobahnen nicht mittragen wollen. Die Niederlande hatten im Dezember 2016 gedroht, am Europäischen Gerichtshof dagegen zu klagen. Österreich hatte zum Jahreswechsel erklärt, es habe mit den Niederlanden und Belgien eine Allianz geschmiedet, um auf EU-Ebene gegen die Gebühr vorzugehen. "Wir halten uns alle rechtlichen Optionen offen", bekräftigte der österreichische Verkehrsminister Jörg Leichtfried am Freitag. Zugleich appellierte er an den Bundesrat, das "diskriminierende" Projekt zu stoppen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/pkw-maut-wer-die-maut-jetzt-noch-stoppen-will-1.3434760
mlsum-de-817
Verschlüsselte Kommunikation mit der verhassten Gülen-Bewegung: Die Türkei muss Hunderte rehabilitieren, die wegen ihrer Handys als Putschisten galten.
Mehr als 140 000 Menschen hat die türkische Regierung nach dem gescheiterten Putsch im Sommer 2016 per Notstandsdekret aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert. Den meisten wird vorgeworfen, der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen anzugehören; als Beleg diente den Behörden eine Kommunikations-App auf den Handys der Verdächtigen, das Programm "ByLock". Nun hat die hat die Regierung - wieder per Dekret - die Entlassung von 1800 gefeuerten Beamten rückgängig gemacht, darunter 460 Polizisten. Begründung: Die "ByLock"-App sei ohne ihr Wissen installiert worden. Die Regierung hält die Gülen-Bewegung für die treibende Kraft hinter dem Putschversuch vom Juli 2016, seit dem sie systematisch Gülen-Anhänger aus dem Staatsapparat entfernen lässt. Nach Überzeugung der Regierung ist ByLock ein speziell von der und für die Gülen-Bewegung entwickeltes Werkzeug zur verschlüsselten Kommunikation; wer die App heruntergeladen hatte, galt als Verschwörer, auch Staatsanwälte und Richter folgten dieser Auffassung. Zigtausende Menschen verloren ihren Job, mehr als 50 000 kamen - zumindest zeitweise - in Haft. Auch dem Amnesty-Chef Taner Kılıç wurde die App zum Verhängnis, er sitzt in Haft; der prominente Journalist Kadri Gürsel kam für fast ein Jahr ins Gefängnis, weil ByLock-Nutzer versucht hatten, ihn zu kontaktieren. Dabei hatte Gürsel die Gülen-Bewegung immer wieder kritisiert - der Vorwurf, er sympathisiere mit ihr, war abwegig. Auch wegen solcher Absurditäten kritisieren türkische Oppositionelle und ausländische Beobachter die Praxis scharf, ByLock-Nutzer pauschal zu Terrorverdächtigen zu machen. Die Gülen-Bewegung soll das Programm zur verschlüsselten Kommunikation nutzen Für einen Teil der Betroffenen gibt es nun die Chance auf Rehabilitierung: Seit kurzem verweisen Regierung und Justiz auf ein Programm namens "Mor Beyin", das auf den Geräten von mehr als 11 000 Menschen ByLock installiert habe - ohne deren Wissen. Mit Mor Beyin habe die Gülen-Bewegung von ihren tatsächlichen Anhängern ablenken wollen, erklärte Ende Dezember der Oberstaatsanwalt in Ankara. Erwartet wird, dass bald weitere Staatsbedienstete in ihre Jobs zurückkehren dürfen. Die 1800 gerade rehabilitierten Beamten müssen nun binnen zehn Tagen auf ihre Posten zurückkehren; ihnen steht der entgangene Lohn zu, aber keine Entschädigung.
https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-verhaengnisvolle-app-1.3822893
mlsum-de-818
Beim ATP-Finale in London muss der deutsche Tennisprofi die Überlegenheit des Weltranglistenersten anerkennen. Michael Oenning trainiert künftig den Fußball-Zweitligisten Magdeburg. Und die Special Olympics kommen nach Berlin.
Tennis, ATP Finals: Tennisprofi Alexander Zverev hat bei den ATP World Tour Finals im zweiten Match die erste Niederlage kassiert und muss nun um den Einzug ins Halbfinale bangen. Zwei Tage nach seinem Auftaktsieg gegen den Kroaten Marin Cilic unterlag der 21 Jahre alte Hamburger dem Weltranglistenersten Novak Djokovic am Mittwoch mit 4:6, 1:6. Nach 1:17 Stunden verwandelte der zehn Jahre ältere Serbe seinen zweiten Matchball. Im dritten Duell der Vorrundengruppe "Guga Kuerten" trifft Zverev am Freitag auf den Amerikaner John Isner. Zweite Liga, Magdeburg: Der frühere Bundesliga-Trainer Michael Oenning soll den Fußball-Zweitligisten 1. FC Magdeburg aus der aktuellen Misere führen. Wie der Aufsteiger am Mittwoch mitteilte, übernimmt der 53-Jährige ab sofort das Amt des Cheftrainers beim 17. der Tabelle. Oenning beerbt damit den am Montag entlassenen Jens Härtel. "Ich freue mich wirklich, hier zu sein, weil ich überzeugt bin, dass ich an der richtigen Stelle bin", sagte Oenning bei seiner Vorstellung. Ex-Bundesliga-Profi Maik Franz, der in Magdeburg die Lizenzspielerabteilung verantwortet, stellte Oennings Vorzüge heraus: "Michael ist ein erfahrener Fußballlehrer und kann sehr gut mit jungen Spielern und spricht deren Sprache. Das Wichtigste ist, dass er sie auch weiterentwickeln kann." Oenning, der zuletzt beim ungarischen Erstliga-Absteiger Vasas Budapest arbeitete, betreute zwischen 2008 und 2011 in der Bundesliga den 1. FC Nürnberg und den Hamburger SV hauptverantwortlich. Beim Europapokalsieger der Pokalsieger von 1974 erwartet Oenning eine schwere Aufgabe. Nur neun Punkte holte der Verein aus 13 Spielen, die vergangenen vier Partien waren allesamt verloren worden. Handball, Gensheimer: Der deutsche Handball-Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen arbeitet weiter an der Rückkehr von Nationalspieler Uwe Gensheimer von Paris Saint-Germain, hat aber noch Probleme mit der Finanzierung. "Natürlich würden wir Uwe gerne zurückholen. Deswegen befinden wir uns ja auch in Gesprächen mit ihm", sagte die Löwen-Managerin Jennifer Kettemann dem Mannheimer Morgen. "Aber um Uwes Rückkehr zu realisieren, bräuchten wir noch die finanzielle Unterstützung eines Sponsors." Der 32 Jahre alte Linksaußen war 2016 von den Badenern zum französischen Meister Paris gewechselt. Über eine Rückkehr zu den Löwen in seine Heimatstadt Mannheim wolle Gensheimer bis zur Handball-Weltmeisterschaft im Januar entscheiden, schreibt die Zeitung. Tennis, Kerber: Wimbledonsiegerin Angelique Kerber ist bei der Suche nach einem neuen Trainer fündig geworden. Wie das Management der 30-Jährigen auf SID-Anfrage bestätigte, wird die Kielerin künftig vom ehemaligen Australian-Open-Finalisten Rainer Schüttler betreut. "Angelique hat in den letzten Jahren schon mehrfach unter Beweis gestellt, was sie für ein Champion ist", sagte Schüttler: "Ich freue mich auf die Zusammenarbeit in dieser spannenden Phase ihrer Karriere. Für mich steht außer Frage, dass sie mit ihrem Talent noch viel erreichen kann." Schüttler wird das Training mit Kerber nach deren Urlaub Ende November aufnehmen. Mitte Oktober, eine Woche vor dem WTA-Finale in Singapur, hatte sich die Kielerin überraschend von ihrem Coach Wim Fissette (38) getrennt. Den Saisonauftakt wird Kerber wie im vergangenen Jahr beim Hopman Cup in Perth an der Seite von Alexander Zverev absolvieren. Danach stehen im Januar das Vorbereitungsturnier in Sydney und die Australian Open in Melbourne auf dem Programm. Special Olympics, Berlin: Die Weltspiele der Special Olympics finden 2023 zum ersten Mal in Deutschland statt. Berlin bekam am Dienstagabend in Santo Domingo (Dominikanische Republik) den Vorzug vor Moskau, dem einzigen Gegenkandidaten. Die Special Olympics World Games gelten als die weltweit größte inklusive Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung. In Berlin werden im Juni 2023 rund 7000 Athletinnen, Athleten und Partner aus 180 Nationen in 25 Sportarten dabei sein. "Ich glaube, dass die Spiele ein hervorragendes Mittel sind, um Inklusion, Miteinander, Fairness und Respekt zu fördern", hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Zuge der Bewerbung gesagt. "Wir sind sehr, sehr glücklich über die Entscheidung, die wir auch als Wertschätzung für unseren Verband, für Berlin und für Deutschland wahrnehmen", sagte Christiane Krajewski, Präsidentin von Special Olympics Deutschland (SOD). "Wir freuen uns von Herzen mit unseren Athletinnen und Athleten, mit denen wir großartige Sommerspiele 2023 in Berlin gestalten wollen." Die gemeinsame Vision sei ein "weltweit ausstrahlendes Sport-Fest zu feiern und ein klares Zeichen für Inklusion in der Gesellschaft zu setzen".
https://www.sueddeutsche.de/sport/tennis-zverev-verliert-gegen-djokovic-klar-in-zwei-saetzen-1.4211810
mlsum-de-819
"Man muss sich brutal reinhauen": Maria Riesch, Susanne Riesch, Fanny Chmelar und Christina Geiger - jede aus dem deutschen Slalom-Team ist für eine Medaille gut.
"Der Freitag mit dem Slalom wird ein Scheißtag", sagt Mathias Berthold, Cheftrainer der deutschen alpinen Skifrauen, "denn für Freitag haben sie Regen ohne Ende angesagt." Für seine beste Fahrerin kompliziert sich die Lage zudem dadurch, dass der zweite Riesenslalom-Durchgang auf Donnerstag verschoben wurde - was sie allerdings nach dem Triumph von Viktoria Rebensburg ganz gut verkraften sollten. Dennoch, am Donnerstag wollten sie ja eigentlich das tun, wozu sie sonst vor lauter Rennen kaum kommen: Slalom trainieren. Das mache ihr nichts aus, sagt Maria Riesch: "Ändern können wir es ohnehin nicht, und für den Slalom fühle ich mich fit!" Seitdem Maria Riesch in Maribor im letzten Weltcupslalom vor Olympia Dritte wurde hinter den Damen Zettel (Österreich) und Maze (Slowenien), sind fünfeinhalb Wochen vergangen, was eine lange Zeit ist in einem Genre, in dem sich die Termine normalerweise jagen. Ihre drei Jahre jüngere Schwester Susanne hatte nach Maribor Pause gemacht, die Slalomski in die Ecke gestellt, dann fuhr sie ein paar Riesenslaloms der unteren Ligen. "Es wichtig, dass man im Rennrhythmus bleibt", sagt sie. "Die lange Zeit von Maribor bis Whistler war kein Grund, dass man rausgebracht wird." Ihre Partenkirchner Klubkollegin Fanny Chmelar pflichtet bei: "Es ist nicht so, dass die Spannung abfällt." Felix Neureuther hingegen sagte, bei ihm sei das durchaus so gewesen. "Ihm fehlt halt das Team", sagt Frau Chmelar. Wenn die deutschen Frauen trainieren, entstehe nämlich schon dadurch Rennatmosphäre, dass sie das im Rennanzug und mit Startnummern machen. Dass Neureuther eine Startnummer trüge, wenn er mutterseelenallein durch den Trainingskurs fräst, würde allerdings ein bisschen skurril wirken. Die deutschen Frauen sind im Slalom breiter aufgestellt als jede andere Equipe, das führte dazu, dass im Trainingslager der Spezialistinnen auf der anderen Seite des Gebirges in Nakiska intern auch ein richtiges Rennen stattfand: die Qualifikation um den vierten Startplatz, in der Fanny Chmelar und Christina Geiger aus Oberstdorf sich gegen die Germeringerin Katharina Dürr durchsetzten. "Die Anspannung war genau so hoch, wie sie im Olympiaslalom sein wird", berichtet Susanne Riesch. Zweifel an dieser Theorie sind angebracht. "Schön", sagt Fanny Chmelar, "dass man innerhalb der Mannschaft Orientierungspunkte hat", das ist zuerst Maria Riesch, die Weltmeisterin, dann deren Schwester, die kürzlich in Flachau erstmals führte im Weltcup nach dem ersten Durchgang (im zweiten leider ausschied). "Gut", sagt Susanne Riesch, dass man so gefordert werde im Team: "Auch wenn man zu den besten der Weltrangliste gehört" (wie sie als Sechste im Slalomweltcup) "muss man sich bei uns im Training brutal reinhauen, immer. Dass vier oder sechs hinter einem stehen, die einen schlagen können, puscht einen noch mehr. Man darf sich keine Fehler erlauben. Der Druck im eigenen Team ist sehr wichtig."
https://www.sueddeutsche.de/sport/olympia-slalom-der-frauen-gemeinsam-sind-sie-stark-1.19755
mlsum-de-820
Wieder verlässt ein Talent früh den TSV 1860: Julian Weigls Wechsel zu Borussia Dortmund verrät viel über die unveränderte Transferpolitik der Münchner.
Am Montag meldete sich Julian Weigl aus Neuseeland. Am Rande der U20-WM fand er Zeit, einen Facebook-Brief an die Anhänger des TSV 1860 München zu verfassen. "Erstmal will ich euch für die herausragende Unterstützung in dieser Saison danken. Ihr habt gezeigt, dass ihr zu eurem Verein steht, in guten wie in schlechten Zeiten", schrieb Weigl. "Nach der WM beginnt für mich ein neues Kapitel bei Borussia Dortmund. Nach sehr positiven Gesprächen habe ich mich dazu entschlossen, die große Herausforderung, für einen so einzigartigen Bundesliga-Klub wie den BVB auflaufen zu dürfen, wahrzunehmen. Ich werde München wohl mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen." So jetzt ist die Zeit gekommen wo ich mich an euch wenden möchte. Erstmal will ich euch für die herausragende Unterstü... Posted by Julian Weigl on Montag, 8. Juni 2015 Auch die beiden Klubs bestätigten am Montag den seit Langem abgemachten Transfer offiziell - bis 2019 hat sich das 19-jährige Mittelfeldtalent demnach an den BVB gebunden. "Julian Weigl ist ein Perspektivspieler für das zentrale Mittelfeld, dem wir großes Entwicklungspotenzial zutrauen", sagte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc. Noor Basha, Vertreter von 1860-Investor Hasan Ismaik, hatte zuvor im Münchner Merkur bestätigt, wie überlebenswichtig der abermalige Verkauf des größten Talents für die Löwen war. Basha bezeichnete den Deal, noch weitaus euphorischer als Zorc, als "Königstransfer" - weil die Dortmunder zustimmten, gegen einen Nachlass auf die Transfersumme auch für den Abstiegsfall (in dem Weigl ansonsten ablösefrei gewesen wäre) die vereinbarten rund 2,5 Millionen Euro zu zahlen. "Wenn wir in die dritte Liga abgestiegen wären, hätte uns das die Lizenz gerettet", sagte Basha - woraus man ableiten darf, dass Ismaik nicht bereit gewesen wäre, Sechzig im Abstiegsfall finanziell über Wasser zu halten. Dass der Weggang des größten Talents als Transfercoup bezeichnet wird, ist bei Sechzig nichts Neues - die Bender-Zwillinge, einst von Miroslav Stevic transferiert, lassen ebenso grüßen wie Kevin Volland, Moritz Leitner, Fabian Johnson und viele andere. Die Zeit der Notverkäufe, so war es mal geplant, sollte mit einem potenten Investor vorbei sein. So kann man sich täuschen.
https://www.sueddeutsche.de/sport/weigl-von-1860-zum-bvb-der-naechste-notverkauf-1.2511584
mlsum-de-821
Bereits als 15-Jähriger hat Michael Gregoritsch sein erstes Tor im Profifußball erzielt. In Augsburg soll ihm nun der Durchbruch als Stammkraft gelingen.
Gregerl" heißt schon der Vater, "Gregerl" heißt auch der Sohn. Es ist in unserem Kulturkreis eine mitunter ganz schöne Angewohnheit, dass Väter ihre Spitznamen an ihre Söhne vererben können - so wie bei Familie Gregoritsch: Vater Werner, quasi "Gregerl Senior", 59, ist ehemaliger Fußballspieler, aktuell Trainer des U21-Nationalteams von Österreich. "Gregerl Junior", Michael Gregoritsch, 23, spielt dagegen in der A-Nationalmannschaft des Nachbarlandes und seit Dienstagabend für den FC Augsburg. Gregoritsch wechselt aus dem Norden nach Schwaben. In den vergangenen beiden Jahren spielte der Angreifer für den Hamburger SV, den Großteil seiner 55 Bundesligaspiele, in denen er zehnmal traf, bestritt er jedoch nicht über 90 Minuten. Dass Hamburg für ihn letztlich die festgeschriebene Ablöse um die fünf Millionen Euro bekommt, überrascht daher schon. Gregoritsch schaffte es schließlich nie zur unumstrittenen Stammkraft. Anders als etwa Vincenzo Grifo, der kürzlich für eine ähnlich hohe Ablöse aus Freiburg nach Mönchengladbach gewechselt ist - der in der Vorsaison allerdings auch die beeindruckende Bilanz von sechs Toren und zwölf Torvorlagen erreichte. Gregoritsch traf fünfmal und assistierte dreimal. Neben Gregoritsch verpflichtet der FCA noch einen weiteren Stürmer: den Venezolaner Sergio Cordova Auch weil die Hamburger nicht immer so recht wussten, wo sie ihn hinstellen sollten: Sein früherer Trainer Bruno Labbadia etwa sah in ihm einen Spielmacher - und doch pendelte Gregoritsch unter ihm und unter Nachfolger Markus Gisdol zwischen den Flügel- und mittleren Positionen im Angriff hin und her. Ob die Pendelei unbedingt als Pluspunkt in Gregoritschs Vita stehen sollte, bleibt die Frage. Augsburgs Manager Stefan Reuter lobt ihn jedenfalls als "variabel einsetzbar" in der Offensive. Gregoritsch hat "das Gefühl, dass der FCA genau der richtige Verein für meine weitere Entwicklung ist. Hier passt für mich alles." Was schon einmal anders als in Hamburg ist, wo er nach der Verpflichtung des früheren Augsburgers André Hahn möglicherweise in die zweite Reihe gerutscht wäre. In Augsburg soll er dagegen im Optimalfall zur Stammkraft werden, wobei Konkurrenten wie Caiuby oder Alfred Finnbogason ihre Plätze im Angriff nicht freiwillig abgeben dürften. Schon früh war in Österreich erkennbar, dass der Papa, der nach Engagements beim Grazer AK und beim First Vienna FC zum Ende seiner Karriere einmal ein Jahr lang für einen steirischen Verein mit dem Namen Deutschlandsberger SC kickte, dem Sohn nicht nur den Spitznamen vererbt hat. Denn bereits im Alter von 15 Jahren und 361 Tagen erzielte Michael Gregoritsch im Jahr 2010 sein erstes Tor in der österreichischen Bundesliga, sein Trainer damals: Werner Gregoritsch. Bis heute ist der Junior damit der jüngste Torschütze der Liga. Klar, dass die Ansprüche an ihn erst einmal erdrückend hoch waren. Mit 18 wechselte er nach Hoffenheim, wo er sich allerdings noch nicht durchzusetzen vermochte. Er wurde an St. Pauli verliehen, dann an Bochum. Als gestandener Zweitligaspieler und 20-maliger Torschütze in 29 U21-Spielen für Österreich (vorwiegend wieder unter Vater Werner) wechselte er vor zwei Jahren zum HSV. Die Verbindung der beiden "Gregerls" ging danach zu Ende, der Sohn wurde schlicht zu alt für die U21. Das hat seiner Karriere nicht nur gut getan, beim FCA wird man sehen können, ob ihm die endgültige Emanzipation gelingt. Neben Gregoritsch haben die Augsburger einen weiteren Stürmer verpflichtet: den Venezolaner Sergio Cordova. Der 19-Jährige kommt aus der Heimat nach Europa und kriegt daher etwas Schonzeit. "Wir sind überzeugt, dass er sich in der Bundesliga durchsetzen kann und werden ihm daher die nötige Zeit für die Eingewöhnung und Entwicklung geben", sagte Reuter. Wie Gregoritsch kann Cordova auf eine erfolgreiche Zeit in der Jugendnationalmannschaft zurückblicken. Der FCA entdeckte ihn im Juni, als er mit der U20 seines Landes das Finale bei der Weltmeisterschaft erreichte, in dem das Team England unterlag (0:1). Cordova erzielte vier Turniertore, eines davon auch gegen Deutschland.
https://www.sueddeutsche.de/sport/fc-augsburg-oesterreicher-aus-dem-norden-1.3574663
mlsum-de-822
Die Blues sind zurück im Titelkampf der Premiere League, Deutschlands Curlerinnen stehen im WM-Finale, die Pleitenserie von Fortuna Düsseldorf hält an.
Angeführt von einem überragenden Mittelfeldstar Frank Lampard hat der FC Chelsea den zweiten Kantersieg innerhalb von vier Tagen gefeiert und die Ansprüche auf die englische Fußball-Meisterschaft mit Nachdruck unterstrichen. Lampard führte die Blues am Samstagnachmittag mit vier Toren zu einem 7:1 (2:1) gegen Aston Villa und seinen Klub damit zumindest vorübergehend mit 71 Punkten an die Tabellenspitze. Am Mittwoch hatte Chelsea 5:0 beim FC Portsmouth gewonnen. Die Tabellenführung konnte Titelverteidiger Manchester United (69 Punkte) allerdings mit einem Sieg am Abend bei den Bolton Wanderers wieder übernehmen. Einen Rückschlag im Titelrennen musste hingegen der FC Arsenal hinnehmen, der nicht über ein 1:1 (0:0) bei Birmingham City hinaus kam und mit 68 Zählern weiter auf Rang drei liegt. Die Japanerin Asada Mao hat zum Abschluss der Eiskunstlauf Weltmeisterschaften in Turin zum zweiten Mal den Titel gewonnen. Die Olympia-Zweite siegte am Samstag vor 6500 Zuschauern im ausverkauften Palavela-Eisring mit 197,58 Punkten. Als Preisgeld kassierte die 19-Jährige 45.000 US-Dollar (32.670 Euro). Für Olympiasiegern Kim Yu-Na aus Südkorea reichte es trotz einer Aufholjagd (nach dem Kurzprogramm hatte sie nur auf Rang sieben gelegen) nur für die Silbermedaille vor Laura Lepistö (Finnland). Die 16-jährige deutsche Meisterin Sarah Hecken aus Mannheim beendete ihre Premiere bei den Titelkämpfen auf einem respektablen zwölften Rang. Fortuna Düsseldorf hat im Rennen um den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga einen weiteren Rückschlag erlitten. Zwar erzielte der spielerisch enttäuschende Zweitligist am Samstag beim 1:1 (0:0) beim Karlsruher SC nach drei torlosen Partien wieder einen Treffer, blieb aber zum vierten Mal nacheinander ohne Sieg. Der KSC muss nach dem Unentschieden vor 16 473 Zuschauern im Wildparkstadion durch ein Eigentor des Düsseldorfers Christian Weber in der 46. Minute und den Ausgleich des eingewechselten Fortuna-Stürmers Marcel Gaus (68.) weiter um den Klassenverbleib bangen. Der FC Energie Cottbus hat sich im Kampf gegen den Abstieg aus der 2. Fußball-Bundesliga wieder Luft verschafft. Die Lausitzer bezwangen am Samstag Krisen-Club Arminia Bielefeld mit 4:1 (2:1) und haben damit wieder fünf Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz 16. Für die finanziell schwer angeschlagenen Bielefelder platzte mit der Niederlage wohl auch die letzte Hoffnung auf den Wiederaufstieg. Stanislaw Angelow (26. Minute), Emil Jula (36.) und Stiven Rivic (77./81.) trafen vor 7990 Zuschauern für die Gastgeber. Kasper Risgård hatte zwischenzeitlich ausgeglichen (31.). Erstmals seit 22 Jahren stehen die deutschen Curling-Frauen wieder in einem WM-Finale. Die Auswahl des SC Riessersee um Skip Andrea Schöpp setzte sich am Freitagabend (Ortszeit) in Swift Current mit 6:3 gegen den Turnier-Favoriten Kanada durch. Damit gelang den Deutschen der direkte Einzug ins Finale am Sonntagabend (23.00 Uhr MESZ). Den Endspielgegner ermitteln am heutigen Samstag abermals Gastgeber Kanada im zweiten Halbfinale gegen den Gewinner des Duells Schottland gegen Schweden. In einem ausgeglichenen Spiel profitierten die Deutschen beim Spielstand von 2:3 im neunten End von einem völlig misslungener Legestein der kanadischen Spielführerin Jennifer Jones, der Andrea Schöpp und Co. ein Viererhaus zur vorentscheidenden 6:3-Führung einbrachte. "Jetzt wollen wir natürlich auch ganz oben stehen", sagte Andrea Schöpp, die den deutschen Curlern 1988 den bislang einzigen WM-Titel beschert hatte. Emil Hegle Svendsen hat im sibirischen Chanty-Mansijsk den Biathlon-Gesamtweltcup gewonnen. Wenige Stunden nach dem Triumph von Magdalena Neuner bei den Frauen reichte dem Olympiasieger aus Norwegen ein 14. Platz im letzten Saisonrennen für die große Kristallkugel. Den Sieg im Massenstartrennen holte sich Weltmeister Dominik Landertinger (Österreich) 3,6 Sekunden vor Arnd Peiffer (Clausthal-Zellerfeld) und dem Norweger Halvard Hanevold (+ 11,2). Michael Greis kam als Zwölfter ins Ziel (+ 40,0). Andreas Birnbacher wurde 18. (+1:18,1), Christoph Stephan belegte Rang 24 (+2:23,4). Für Frank Ullrich war es das letzte Weltcup-Rennen als Männer-Bundestrainer. Am Sonntag wird die Saison mit der WM-Entscheidung im Mixed abgeschlossen. Die kanadischen Eistanz-Olympiasieger Tessa Virtue/Scott Moir haben auch bei den Weltmeisterschaften in Turin erstmals Gold gewonnen. Die jungen Ausnahme-Athleten sicherten den zweiten WM-Titel der Geschichte für ihr Land und kassierten ein Preisgeld von 67 500 US-Dollar (49 005 Euro). Silber ging am Freitagabend an ihre Trainingskameraden Meryl Davis/Charlie White (USA) vor Federica Faiella/Massimo Scali (Italien). Die Titelverteidiger Oksana Domnina/Maxim Schabalin aus Russland waren nicht angetreten. Die Dortmunder Geschwister Carolina und Daniel Hermann hatten auf Rang 22 das Finale verpasst. Benjamin Becker, Philipp Kohlschreiber und Philipp Petzschner haben beim ATP-Masters-Turnier in Miami die dritte Runde erreicht. Becker (Mettlach) profitierte am Freitagabend (Ortszeit) im Match gegen Ivan Ljubicic von einer Rückenverletzung des an Nummer 11 gesetzten Kroaten. Ljubicic musste bei eigener 6:4, 1:0-Führung im zweiten Satz aufgeben. Auch der Augsburger Kohlschreiber zog in die nächste Runde des mit 4,5 Millionen Dollar dotierten Hartplatz-Turniers ein, weil Florian Mayer (Bayreuth) beim Stand von 6:6 im ersten Satz aufgeben musste. Petzschner (Bayreuth) bezwang am Samstag den Serben Janko Tipsarevic mit 6:4, 6:0Für eine Überraschung sorgte der Belgier Olivier Rochus: Die Nr. 59 der Weltrangliste besiegte den in Miami an Nummer 2 gesetzten Serben Novak Djokovic mit 6:2, 6:7 (7:9), 6:4. NBA-Champion Los Angeles Lakers hat nach sieben Siegen in Serie eine 75:91-Niederlage bei den Oklahoma City Thunders hinnehmen müssen. Superstar Kobe Bryant reihte sich in die schwache Vorstellung seines Teams ein und erzielte lediglich elf Punkte. Zudem produzierte der 31-Jährige neun Turnovers. Es war die schwächste Punkteausbeute der Lakers in der laufenden Saison der nordamerikanischen Basketball-Profiliga. Dennoch liegt der 15-malige Champion mit 53 Siegen und 19 Niederlagen in der Western Conference weiterhin in Führung und hat fünf Erfolge mehr auf dem Konto als die zweitplatzierten Denver Nuggets. Auf Seiten von Oklahoma City waren Kevin Durant mit 26 und Russel Westbrook mit 23 Punkten die erfolgreichsten Werfer. Das Team belegt den sechsten Rang im Westen. Im Fall Claudia Pechstein hat Blut-Experte Gerhard Ehninger seine Vorwürfe gegen die Sportrichter verschärft. "Das Urteil des internationalen Sportgerichtshofes CAS ist abstrus. Fakten lagen auf dem Tisch, und doch ist Unrecht geschehen", sagte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) der Sächsischen Zeitung (Samstag). In einem Gutachten hatten führende DGHO-Experten der gesperrten Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Pechstein kürzlich eine vererbte Blut-Anomalie bescheinigt, die für ihre hohen Retikulozytenwerte verantwortlich sein soll. Anti-Doping-Fachleute kritisierten die Ergebnisse aber als nicht überzeugend. Ehninger forderte dennoch erneut eine Aufhebung von Pechsteins Sperre. Es lägen neue Befunde vor, die auch neu verhandelt werden müssten. Der Weltverband ISU hat Pechstein für zwei Jahre bis Februar 2011 gesperrt, der CAS hatte dies bestätigt. Die fünfmalige Olympiasiegerin hofft nun auf eine erfolgreiche Revision vor dem Schweizer Bundesgericht, das in Kürze über ihren Antrag entscheiden muss. Für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) bleibt das Urteil des CAS jedoch auch nach dem DGHO-Gutachten bindend. In der nordamerikanischen Profiliga NHL haben die Ottawa Senators die Siegesserie der Buffalo Sabres um den deutschen Eishockey-Nationalspieler Jochen Hecht gestoppt. Der Führende der Northeast Division unterlag gegen die Sens mit 2:4 und verpasste es damit, sich vorzeitig für die Play-offs zu qualifizieren. Überragender Akteur auf dem Eis war Sens-Goalie Brian Elliott, der 41 Schüsse parierte. Mit Ottawas drittem Sieg in Folge riss die vier Spiele anhaltende Erfolgsserie der Sabres. Hecht stand bei der 23. Saisonniederlage (40 Siege) 20 Minuten auf dem Eis und hat mit seinem Klub trotz des Rückschlags weiterhin die Play-off-Teilnahme fest im Visier.
https://www.sueddeutsche.de/sport/sport-kompakt-chelseas-tabellensturm-1.12842
mlsum-de-823
Öffentliche Förderprogramme erleichtern die Immobilienfinanzierung. Bei umweltfreundlicher Bauweise oder energetischer Sanierung gibt es günstige Konditionen. Verschiedene Angebote im Überblick.
Es hat sich einiges getan an den deutschen Immobilienmärkten. In Zeiten magerer Renditen auf Sparanlagen erscheint vielen Menschen die Investition in die eigenen vier Wände so attraktiv wie lange nicht mehr. Gleichzeitig sorgen die historisch niedrigen Kreditzinsen für günstige Finanzierungen und damit für zusätzliches Interesse. Doch das hat auch eine Kehrseite. Weil in vielen Regionen im Zuge der starken Nachfrage die Immobilienpreise kräftig gestiegen sind, kann die Finanzierung des Eigenheims wieder schwierig werden. Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Nachricht, dass sich auch bei den öffentlichen Fördermaßnahmen zur Immobilienfinanzierung einiges tut. Vor allem, wenn Wohnungen und Häuser bestimmte Kriterien für eine umweltfreundliche Bauweise oder eine altersgerechte Modernisierung erfüllen, hilft der Staat mit besonderen Konditionen. So erhöht die KfW bei ihrem Programm "Energieeffizient Bauen" den geförderten Kreditrahmen ab 1. April 2016 von bislang 50 000 Euro auf 100 000 Euro. Hier winken ein günstiger Zinssatz von derzeit 0,75 Prozent (ab 1.4. kann sich dieser ändern und möglicherweise höher sein) sowie ein Tilgungszuschuss von bis zu 15 000 Euro. "Die Förderung greift beim Bau oder Erwerb von Neubauten, wenn diese eine bestimmte Energieeffizienzstufe erreichen", sagt Markus Merzbach, Förderexperte bei der KfW. Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, wird am Effizienzhaus-Standard gemessen. Maßstab dafür sind mit dem Primärenergiebedarf und dem Transmissionswärmeverlust zwei Kennzahlen der Energieeinsparungsverordnung (EnEV). Ein KfW Effizienzhaus 100 etwa entspricht den EnEV-Vorgaben für einen Neubau. Bei einem Grad von 55 oder 40 liegt der jährliche Primärenergiebedarf sogar noch darunter. Einen dieser niedrigeren Werte kann der Bauherr oder Käufer erreichen, wenn er etwa mit Außenwand- oder Dachdämmung bauen lässt. Architekten, Bauträger oder Energieberater können zudem sagen, wie sich der Energiebedarf senken lässt. Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Zahl ist, desto geringer ist der Primärenergiebedarf und desto höher ist die Förderung. Eine weitere Neuerung beim KfW-Programm "Energieeffizient Bauen" zielt darauf ab, die Kreditfinanzierung langfristig noch besser planbar zu machen. Ab dem 1. April wird etwa eine 20-jährige Zinsbindung angeboten. Bislang war das nur für zehn Jahre möglich. Bauherren und Käufer können diese Finanzierung - um etwa einen größeren Förderrahmen auszuschöpfen - mit dem allgemeinen KfW-Wohneigentumsprogramm kombinieren. Hier gibt es bis zu einem Kreditbetrag von 50 000 Euro pro Vorhaben derzeit einen effektiven Jahreszins ab 0,9 Prozent. "Dieses Programm kommt zudem für alle in Frage, die bei der KfW-Förderung nicht an den energetischen Zustand anknüpfen", sagt Merzbach. Die auf die Energieeffizienz ausgerichteten Programme, so der Experte, gehören jedoch zu den wichtigsten der KfW-Eigenheimförderung. Die verschiedenen Förderprogramme lassen sich auch gut kombinieren Auf den Gebäudebestand zielt das Programm "Energieeffizient Sanieren" ab, bei dem auch Einzelmaßnahmen wie etwa der Einbau neuer Fenster mit zinsgünstigen Krediten von bis zu 50 000 Euro gefördert werden. Insgesamt liegt der Darlehenshöchstbetrag seit August des vergangenen Jahres bei 100 000 Euro. Die Förderung betrifft jetzt Gebäude, für die vor dem 1. Februar 2002 der Bauantrag gestellt wurde. Vorher war der 1. Januar 1995 der Stichtag gewesen. Hinzu gekommen sind darüber hinaus Tilgungszuschüsse für Einzelmaßnahmen zur energetischen Aufrüstung, deren Höhe am Grad der Energieeinsparung ansetzt. Die Skala möglicher Zuschüsse reicht dabei von 7,5 bis zu maximal 27,5 Prozent der Darlehenssumme. Sowohl Eigenheimerwerber als auch - besitzer müssen bei den KfW-Energieeffizienzprogrammen einen Sachverständigen einbinden. Entsprechende Adressen sind im Internet unter www.energie-effizienz-experten.de auffindbar. Förderdarlehen sind über die Hausbank und auf jeden Fall vor Durchführung der geplanten Bau- oder Kaufmaßnahmen zu beantragen. Das gilt auch für Kredite aus dem KfW-Programm "Altersgerecht Umbauen". Die Förderung ist weiter gefasst, als es der Namen vermuten lässt. Mit diesem Programm will die KfW vielmehr gezielt alle Altersgruppen ansprechen. Es bietet zinsgünstige Kredite für Maßnahmen zur Barrierereduzierung, aber auch beispielsweise für Modernisierungen, die den Wohnkomfort erhöhen oder für verbesserten Schutz vor Einbrechern sorgen. Durch geschicktes Kombinieren der Programme können Eigenheimbesitzer die öffentliche Förderung optimieren. Wer sich etwa eine Fotovoltaikanlage aufs Dach stellt, kann zusätzlich das KfW-Programm "Erneuerbare Energien" einbeziehen. Ebenso lohnt sich ein Blick auf die Förderlandschaft in den einzelnen Bundesländern. In Bayern unterstützt die BayernLabo besonders auch junge Familien mit geringem oder mittlerem Einkommen. Sie ist das Institut der BayernLB für die Wohnraumförderung im Freistaat. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Bruttohaushaltseinkommen von rund 70 000 Euro würde beispielsweise noch zu den Begünstigten des Zinsverbilligungsprogramms der BayernLabo gehören. "Besondere Vorteile mit Blick auf die Planungssicherheit bietet unsere Finanzierungsvariante mit 30-jähriger Zinsbindung und Laufzeit", sagt Heinrich Rinderle, Mitglied der Geschäftsleitung der BayernLabo. Anders als bei den üblicherweise zehn oder 15 Jahre laufenden Krediten von Banken und Sparkassen müssen sich Begünstigte damit weniger Sorgen um die Anschlussfinanzierung machen. Der Freistaat vergibt über die BayernLabo zudem Finanzierungen aus dem Bayerischen Wohnungsbauprogramm. Diese Darlehen sind in den ersten 15 Jahren lediglich mit 0,5 Prozent jährlich zu verzinsen. Haushalte mit Kindern erhalten darüber hinaus einen einmaligen Zuschuss von 2500 Euro je Kind. Beide Programme sind sowohl miteinander als auch mit vielen Förderungen der KfW kombinierbar. "Begünstigte müssen aber zumindest mit einem Eigenkapitalanteil von 15 Prozent zur Gesamtfinanzierung beitragen", betont Rinderle. Anlaufstellen für die Antragstellung sind die Landratsämter und kreisfreien Städte. Das garantiert auch eine unabhängige Beratung. Die von der BayernLabo vergebenen Darlehen werden zudem nachrangig gesichert. Damit tragen Banken und Sparkassen für ergänzende Finanzierungen ein kleineres Risiko. "Sie können so möglicherweise umso leichter günstige Konditionen bieten", sagt Rinderle.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/energieeffizient-bauen-schluessel-zum-eigenheim-1.2916818
mlsum-de-824
Großer Einsatz, drei Tore: Bayer Leverkusen besiegt Lazio Rom und zieht souverän in die Champions League ein. Verliert allerdings wohl einen Spieler nach England.
20 Millionen Euro Einnahmen Bayer Leverkusen hat erneut das Ticket zum Millionenspiel Champions League gelöst. Die Werkself kam durch die Tore von Hakan Calhanoglu, Admir Mehmedi und Karim Bellarabi im Playoff-Rückspiel am Mittwoch zu einem 3:0 (1:0) gegen den italienischen Traditionsklub Lazio Rom und machte damit das 0:1 aus dem ersten Duell vor Wochenfrist wett. Damit darf Bayer bei seiner zehnten Teilnahme in der Königsklasse mit Einnahmen von rund 20 Millionen Euro rechnen, dazu könnten weitere 30 Millionen Euro durch den Verkauf von Heung-Min Son zu Tottenham Hotspur in die Kassen der Rheinländer fließen. Für Lazio, das ohne den verletzten Weltmeister Miroslav Klose angetreten war, bleibt dagegen nur der Trostpreis Europa League. Calhanoglu erzielte vor 28 222 Zuschauern in der ausverkauften BayArena noch vor der Pause den so wichtigen ersten Treffer aus kurzer Entfernung (40.). Für die Entscheidung sorgten Mehmedi (48.) und Bellarabi (88.). Das reichte Bayer, um sich zum fünften Mal in der Qualifikation zur Champions League durchzusetzen. Schließlich mussten die Italiener nach einer Gelb-Roten Karte für Mauricio in Unterzahl agieren (68.). Leverkusen bei der Auslosung in Topf zwei Bei der Auslosung am Donnerstag in Monaco finden sich die Leverkusener in Topf zwei wieder und dürfen sich im Konzert der Großen auf attraktive Gegner wie womöglich Titelverteidiger FC Barcelona oder Englands Meister FC Chelsea freuen. Die Leverkusener suchten in einem erneut temporeichen Spiel von Beginn an den Vorwärtsgang und setzten die Gäste unter Druck, allerdings agierte die Mannschaft von Roger Schmidt auch häufig zu hektisch. Das Bayer-Passspiel war oftmals zu ungenau, bei den langen, hohen Bällen waren die Römer meist Herr der Lage. Gefährlich wurde es vor allem, wenn Calhanoglu beteiligt war. In der 17. Minute setzte der Türke einen Distanzschuss knapp neben das Tor, eine Minute später war Lazio-Keeper Etrit Berisha bei einem weiteren Versuch zur Stelle. Pech hatte Stefan Kießling, dessen Kopfball ans Lattenkreuz klatschte (25.). Die Italiener agierten aus einer kompakten Defensive, waren aber nicht ungefährlich. Schon in der vierten Minute tauchte der 20-jährige Baldé Diao Keita, der schon im Hinspiel den Siegtreffer erzielt hatte, gefährlich im Bayer-Strafraum auf. Noch brenzliger wurde es nach einer halben Stunde, als sich Keita gegen den ungestümen Jonathan Tah durchsetzte, aber an Bayer-Schlussmann Bernd Leno scheiterte. Son in London Als das Spiel ein wenig verflachte, schlug Calhanoglu zu. Etwas überraschend landete der Ball nach einem Bellarabi-Abpraller vor seinen Füßen. Der Mittelfeldspieler ließ sich die Chance nicht nehmen. Mit dem Tor im Rücken kam Bayer schwungvoll aus der Kabine und erhöhte gleich auf 2:0. Mehmedi nutzte nach Zuspiel von Bellarabi einen Stellungsfehler von Mauricio mit einem wuchtigen Schuss. Danach vergaben Calhanoglu und Kapitän Lars Bender weitere gute Möglichkeiten, ehe Bellarabi nach einem Konter für klare Verhältnisse sorgte. So machte sich das Fehlen von Son gar nicht bemerkbar. Der Südkoreaner steht vor einem Wechsel zu Tottenham. Son soll bereits zum Medizincheck nach London gereist sein, im Gespräch ist eine Ablösesumme von 30 Millionen Euro. "Es gibt eine Anfrage und Gespräche. Daraus machen wir kein Geheimnis, es ist aber noch nichts definitiv", sagte Bayer-Sportchef Rudi Völler dem TV-Sender Sky.
https://www.sueddeutsche.de/sport/playoffs-gegen-lazio-leverkusen-stuermt-in-die-champions-league-1.2623390
mlsum-de-825
Mit einer Wutrede mutiert FDP-Chef Christian Lindner überraschend zum Video-Star im Internet. Der Angriff galt einem SPD-Mann, der Lindner auf seine ehemalige Pleite-Firma ansprach. Etwas peinlich: Lindners Gegenvorwurf fällt auf ihn zurück. Die ganze Wahrheit.
Immer dieses vermaledeite Unternehmen. Die Moomax GmbH. Mitgegründet von Christian Lindner, heute FDP-Bundesvorsitzender und Fraktionschef im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Bis zum April 2001 war er ein Jahr lang Geschäftsführer dieser erfolglosen Internetklitsche. Ein halbes Jahr nach Lindners Ausstieg meldete das Unternehmen Insolvenz an. Zwei Millionen Euro gingen den Bach runter, 1,4 Millionen davon gingen zu Lasten der Steuerzahler. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hatte dem Risikokapitalgeber Enjoyventure für seine Moomax-Beteiligung das Geld vorgeschossen. Nach der Pleite war alles futsch. Schluss mit Enjoy. Das ist jetzt bald 14 Jahre her und sorgt doch immer wieder für Aufregung. Diesmal allerdings für eine, die ganz im Sinne von FDP-Boss Lindner sein dürfte. An einer Stelle aber schwer nach hinten losgeht. Vergangene Woche im Landtag von NRW. Lindner antwortet auf die Regierungserklärung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, SPD. Es geht um die Wirtschaft, um den Gründergeist. Lindner pflichtet ihr bei. Gründungen seien "Ausdruck des Zukunftsvertrauens einer Gesellschaft". Da kommt Volker Münchow ins Spiel, Jahrgang 1960, seit 2012 Mitglied des Landtages. Mit Unternehmensgründungen habe Lindner ja so seine Erfahrungen gemacht, ruft er dazwischen. Sachlich richtig. Aber sicher nicht nett gemeint. Was dann zu beobachten ist, ist die Metamorphose eines seriösen Oppositionspolitikers zum Wutredner. Nachzusehen in einem Video, das im Internet zum Hit geworden ist. Zeigefinger wie eine Nähmaschinennadel "Ach, gucken Sie mal da", reagiert Lindner spöttisch. "Das ist ja interessant." Ja, er habe schon einmal ein Unternehmen gegründet in der Hochphase der New Economy. "Und dieses Unternehmen war damals nicht erfolgreich." Aber ob denn der SPD-Kollege seiner Ministerpräsidentin nicht zugehört habe? Die habe doch gerade selbst gesagt, "man soll auch Scheitern von Pionieren nicht ein Leben lang biografisch als Stigma verwenden". Dann wendet sich Lindner vom Pult aus Kraft zu, sticht zugleich mit dem Zeigefinger wie eine Nähmaschinennadel immer wieder in Richtung des Abgeordneten Münchow, öffnet sein Jackett und die Tirade geht los: "Da haben Sie einen! Da haben Sie einen in Ihren eigenen Reihen, Frau Ministerpräsidentin! Da haben Sie einen, der nicht zuhört, was Sie machen!"
https://www.sueddeutsche.de/politik/fdp-chef-lindner-und-die-moomax-insolvenz-dank-pleite-zum-internet-star-1.2332357
mlsum-de-826
Netflix zeigt, wie es gehen kann. Die verschlafenen deutschen Sender beginnen, endlich von den Amerikanern zu lernen und auch gute Serien zu produzieren.
Die gute Nachricht zuerst: Das Fernsehen in Deutschland wird besser. Denn es ist mittlerweile fast ein Wettlauf entstanden um besonders gute und interessante Fernsehserien und -filme aus Deutschland. Netflix produziert mit viel Aufwand die Mystery-Serie "Dark" und kommt demnächst mit der Fernsehversion von "Die Welle". ARD und der Bezahlsender Sky haben eine Menge Geld in "Babylon Berlin" gesteckt, das in den Zwanzigerjahren spielt. Das ZDF beschreibt in "Bad Banks" den Irrsinn der Geldwelt, Amazon finanziert einen Thriller mit Matthias Schweighöfer. Das erfreut nicht nur Produzenten, Filmemacher und Schauspieler, die über eine schlechte Geschäftslage nicht klagen können. Das ist vor allem zum Vorteil der Zuschauer, die sich über neue und größtenteils gute Inhalten freuen können. Wie so oft belebt Konkurrenz das Geschäft. Netflix und andere Streamingdienste drängen massiv in die Domäne der traditionellen Fernsehsender. Immer mehr Menschen, gerade die jüngeren, wenden sich vom sogenannten linearen Fernsehen ab, also vom festgelegten Programm auf den verschiedenen Kanälen. Sie wollen anschauen, was sie wollen, wie und wann sie wollen, ob vor dem Fernseher, mit dem Tablet in der Ecke oder per Smartphone. Netflix, erst vor gut zwanzig Jahren als Online-Videothek in Kalifornien gestartet, hat weltweit bereits 125 Millionen zahlende Kunden, das Wachstum ist gerade so groß wie nie zuvor. Die Aktie steigt unaufhörlich, das Unternehmen macht sogar Gewinn. Das Ganze rechnet sich also. Acht Milliarden Dollar investiert Netflix-Gründer Reed Hastings in diesem Jahr in neue Inhalte. Und das soll nur der Anfang sein. Eine Milliarde Dollar davon werden nach Europa in neue Serien, Shows und Filme fließen. Es ist schon erstaunlich: Da kommt ein noch relativ junges Unternehmen aus dem Silicon Valley und zeigt der etablierten Konkurrenz in Europa, wie es geht. Die Erkenntnis ist ja relativ banal: Die Zuschauer mögen irgendwie lokale und regionale Inhalte, spannende Geschichten, die in ihrem Umfeld spielen und in denen sie sich irgendwie selbst erkennen (auch das Geheimnis des "Tatort"-Erfolgs). Dafür sind sie bereit, eine monatliche Gebühr zu zahlen, obwohl das Angebot im frei empfangbaren Fernsehen durchaus groß ist. Solche Investitionen lohnen sich, zumal, wenn sie auch international erfolgreich sind. Die großen Sender haben zu viel gespart und nur noch Allerweltsware produziert Aber was haben Sender wie RTL, Pro Sieben, Sat 1, teilweise auch ARD und ZDF in der Vergangenheit gemacht? Sie haben vor allem am Programm gespart, sie haben oft auf billig gemachte Produktionen gesetzt, sie haben Filme und Serien vor allem aus den USA gekauft und gesendet. Pro Sieben Sat 1 hat sich sogar von seinem Nachrichtensender getrennt. Der andauernde Versuch, möglichst hohe Einschaltquoten für die Werbewirtschaft zu erreichen und dabei die Kosten zu reduzieren, hat zu einer Beliebigkeit geführt, zu einer Mittelmäßigkeit, die bekanntlich besonders gefährlich ist. Die Sender haben auf einen vermeintlichen Massengeschmack gesetzt und dabei öde Allerweltsware produziert oder auf die immer gleichen Blockbuster mit angeblicher Erfolgsgarantie gesetzt. Jetzt kommen neue Anbieter, und die frei empfangbaren Sender müssen aufpassen, dass sie nicht zu Spartensendern für die ältere Generation werden. Das Geschäftsmodell von Netflix und anderen geht jedenfalls auf. Denn sie haben nicht nur möglichst hohe Einschaltquoten im Visier, sondern den Erfolg bei der Zielgruppe. Spannende Serien, aufgeteilt in unzählige 45-Minuten-Häppchen, sollen die Zuschauern zum Binge-Watching, zum Komaglotzen, verleiten. Das monatliche Abonnement soll jedenfalls immer weiterlaufen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-gutes-fernsehen-kann-suechtig-machen-1.3952633
mlsum-de-827
Ende Juni stimmen die Briten darüber ab, ob ihr Land die EU verlässt. Schon jetzt zeigt sich, wie drastisch allein Worte die Märkte verunsichern können.
Ein Mann erschüttert die Märkte: Das Pfund verlor am Montag bis zu 2,1 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar. Klingt nicht wild, ist aber der größte Absturz an einem Tag seit sieben Jahren. Damals sank die Notierung wegen der Turbulenzen der Finanzkrise. Nun trägt ein exzentrischer, schlecht frisierter Londoner Schuld daran. Boris Johnson, Bürgermeister der Hauptstadt, verkündete, für einen Austritt Großbritanniens aus der EU zu werben. Weil Johnson einer der beliebtesten Politiker der Konservativen Partei ist, befürchten Devisenhändler offenbar, dass das Risiko eines sogenannten Brexit steigt. Und die Unsicherheit wird anhalten. Erst in vier Monaten, am 23. Juni, stimmen die Briten darüber ab, ob ihr Königreich die Union verlassen soll. Das Datum legte Premierminister David Cameron, ein Parteifreund Johnsons, am Wochenende fest. Außerdem erklärte Cameron, er wolle nach den Zugeständnissen, die er auf dem EU-Gipfel erreicht habe, für den Verbleib trommeln: Der Wahlkampf hat begonnen. Es ist eine Schicksalsfrage für Großbritannien und die Europäische Union. Zugleich werden das Auf und Ab in Meinungsumfragen, die Erfolge und Fehlschläge der Pro- und Kontra-Kampagnen Finanzmärkte und Konzernvorstände in Atem halten - ein Kontinent im Bann des Brexit. Dutzende Vorstände warnen vor Gefahren des Brexit Wirtschaftliche Argumente spielen im Wahlkampf eine wichtige Rolle. Cameron drohte im Fernsehen, ein Austritt könnte "Jobs kosten, und er könnte bedeuten, dass Unternehmen aus dem Ausland nicht in Großbritannien investieren". An diesem Dienstag werden Dutzende Vorstände von Firmen aus dem FTSE 100, dem Leitindex der Londoner Börse, in einem offenen Brief die Vorteile der EU preisen und vor den Gefahren eines Brexit warnen. Auch die deutschen Unternehmerverbände BDI und BDA werben für einen Verbleib des Königreichs in der Union. Kein Wunder: Großbritannien ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU und einer der wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik. Geschäfte und Investitionen über den Ärmelkanal hinweg sind problemlos möglich, dank der Mitgliedschaft in der EU. Würden sich die Briten im Referendum für einen Austritt entscheiden, wäre das Land nicht sofort draußen. Die britische Regierung hätte zwei Jahre Zeit, um mit Brüssel Regelungen für das Leben nach der Scheidung auszuhandeln. Während dieser schwierigen und vermutlich zähen Debatten wäre es unklar, welchen Bedingungen Handel und Investitionen in Zukunft unterliegen - schlecht für die Unternehmen, schlecht für das Wachstum. Die Sorge, dass dem Land diese Hängepartie bevorstehen könnte, ist der Grund für die Verluste beim Pfund. Die Ratingagentur Moody's stellte am Montag schon einmal klar, dass ein Sieg der Brexit-Fans im Juni negativ für die Bonitätsnote des Königreichs wäre, dass das Land also an Kreditwürdigkeit einbüßen könnte. Dies würde Darlehen verteuern.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/grossbritannien-warum-die-wirtschaft-den-brexit-fuerchtet-1.2874613
mlsum-de-828
Das Ludwig-Jall-Sportfest zieht erneut die Leichtathletik-Elite an. Mehr als 500 Leichtathleten sind für das internationale Pfingstmeeting des PSV München gemeldet, darunter internationale Topathleten.
Ein Triple ist bekanntlich nicht leicht zu erreichen, nicht mal für Münchner. Schon deshalb sollte man an diesem Samstag im Dantestadion einen Blick auf den Hürdensprinter Pedro Garcia Fernandez werfen. Der hat sein Triple aus dem Jahr 2016 gerade verteidigt: Der 25-Jährige von der LG Stadtwerke wurde im Hürdensprint spanischer und deutscher Hochschul- sowie deutscher Hochschul-Hallenmeister. Und wenn man sich den Spanier anschaut, sieht man auch gleich einen der Topwettbewerbe, die beim 32. Ludwig-Jall-Sportfest am Samstag anstehen. Mehr als 500 Leichtathleten sind für das internationale Pfingstmeeting des PSV München gemeldet, über 110 Meter Hürden auch die Olympiateilnehmer Matthias Bühler (Frankfurt) und Alexander John (Leipzig) sowie Sebastian Barth - der Lokalmatador von der LG Stadtwerke hat kürzlich bei der Kurpfalz Gala in 13,77 Sekunden eine neue persönliche Bestzeit aufgestellt. Stark besetzt sind auch die 400 Meter mit Münchens deutschem Meister Johannes Trefz, der auf die gleichschnellen Briten Theo Campbell und Owen Smith trifft. Die Veranstalter können eine Rückenwind-Garantie geben Wer mag, kann den Spanier Garcia Fernandez auch abseits des Rennens verfolgen, dann wird er nämlich noch etwas mehr olympischen Glanz mitbekommen. Denn auch dessen ebenfalls für die LG Stadtwerke startende Freundin Aauri Bokesa wird über 400 Meter starten (Bestzeit: 51,66 Sekunden), wo sie sich unter anderem mit der Portugiesin Catia Azevedo (51,63) messen wird - beide haben ihre Heimatländer bei Olympia in Rio de Janeiro vertreten. Auch Münchens Vorzeigeläuferin Christina Hering, die in Rio über die doppelte Distanz gelaufen war, wird in dieses 400-Meter-Duell eingreifen. Ihre bisherige Bestzeit liegt bei 52,91 Sekunden. Hering, die übrigens auch deutsche Hochschulmeisterin über 400 Meter wurde, arbeitet auf ihrer Spezialstrecke noch an der Norm für die WM im August in London - die für die Universiade in Taipeh hat die 22-Jährige geschafft. In den Wurfwettbewerben zählen die Kugelstoßer Robert Dippl (Wasserburg) und Valentin Döbler sowie Speerwerfer Jonas Bonewit zu den Favoriten, auch die Nachwuchshoffnungen Amelie Döbler und Selina Dantzler (alle München) sind dabei. Um schnelle Sprintzeiten zu ermöglichen, gibt es eine Neuerung: In Zusammenarbeit mit dem Sportamt haben die Veranstalter die Bahn neu markiert, sodass nun die Laufrichtung je nach Wetter kurzfristig geändert werden kann - eine Art Rückenwind-Garantie. Die Topwettbewerbe beginnen um 14 Uhr.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/leichtathletik-olympisches-flair-1.3532509
mlsum-de-829
In einem britischen Gefängnis, das privat betrieben wird, herrscht Chaos. Nun übernimmt wieder der Staat - zumindest vorübergehend.
Überall Ungeziefer und kaputte Scheiben, auf ungeputzten Böden Blut, Erbrochenes und Rattenexkremente. Wärter schließen sich aus Angst vor den Häftlingen in ihren Zimmern ein. Gefangene können Drogen nehmen oder andere Insassen angreifen, ohne Strafen befürchten zu müssen: Die Zustände in Her Majesty's Prison Birmingham sind derart katastrophal, dass die britische Regierung dem Betreiber, der Dienstleistungsfirma G4S, nun die Verantwortung entzogen und einen neuen Anstaltsleiter eingesetzt hat. Der Horrorknast, der 1200 Menschen beherbergen kann, wird für mindestens ein halbes Jahr direkt von der Gefängnisbehörde des Vereinigten Königreichs geführt, statt von dem börsennotierten Konzern. Insgesamt gibt es in England und Wales 123 Gefängnisse - 14 davon werden von G4S und zwei anderen Servicefirmen betrieben. Von den 15 schottischen Anstalten sind zwei in privater Hand. Damit gehört Großbritannien weltweit zu den Staaten, die ihren Strafvollzug am stärksten privatisiert haben. Befürworter sagen, dass Unternehmen Gefängnisse wirtschaftlicher und damit billiger führen, ohne dass die Qualität leidet. Die erste von einem Konzern gemanagte Anstalt im Königreich eröffnete 1992. Und noch nie zuvor musste die Regierung einer Firma die Verantwortung vor Ablauf des Vertrags wieder entziehen. G4S sollte den Standort in Birmingham bis 2026 betreiben. Auslöser für den Schritt ist ein Bericht von Peter Clarke, Her Majesty's Chief Inspector of Prisons, also dem obersten Gefängniskontrolleur der Regierung. Er bezeichnet die Anstalt als "das schlimmste Gefängnis", das er je besucht habe. Die Luft in einem Gebäudeflügel sei so drogengeschwängert gewesen, "dass ich ihn wegen des Effekts, den die Drogen auf mich ausübten, verlassen musste". Dort als Wärter zu arbeiten oder als Häftling zu leben, gefährde die Gesundheit, klagt er. Die Häftlingszahlen sind gestiegen, das Budget aber gekürzt Die Oppositionspartei Labour fordert, nach diesem Skandal keine weiteren Gefängnisse zu privatisieren. Doch die konservative Regierung erwidert, dass die anderen vier Anstalten, die G4S leitet, gut geführt würden. Das Chaos in Birmingham sei demnach kein Beleg für ein grundsätzliches Problem mit Privatisierungen. Tatsächlich schnitten bei Kontrollen auch staatlich betriebene Gefängnisse übel ab. Die Zustände in Birmingham sind daher eher Ausdruck einer allgemeinen Krise des Strafvollzugs. Als die Konservativen 2010 an die Macht kamen, kappten sie das Budget für Gefängnisse und die Zahl der Wärter. Erst seit Kurzem wird wieder mehr investiert, weil klar ist, dass das Sparen zu weit ging. Denn die Zahl der Sträflinge ist kräftig gestiegen. In England und Wales sitzen 83 000 Menschen ein, vor 30 Jahren waren es nicht einmal 50 000. Bezogen auf die Bevölkerungsgröße hat kein Land Westeuropas mehr Häftlinge. Härte gegen Kriminelle zu zeigen, kommt eben beim Wähler an. Die Folge des Sparkurses sind überfüllte Gefängnisse mit vielen unerfahrenen Wärtern, da die altgedienten oft gegangen sind. Zugleich nehmen die Drogenprobleme zu, seit ein neues beliebtes Rauschmittel auf dem Markt ist: sogenanntes Spice, synthetisches Cannabis. In Birmingham darf sich jetzt wieder ein staatlicher Anstaltsleiter mit solchen Schwierigkeiten herumschlagen.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/strafvollzug-im-knast-ihrer-majestaet-1.4100385
mlsum-de-830
Der Segler Dean Barker verlor vor vier Jahren beim America's Cup auf dramatische Weise, sein Team ließ ihn danach fallen. Jetzt ist er zurück - und will Revanche.
Die Geschichte des Verlierers ist meistens faszinierender als die des Siegers. Der Gewinner macht, was Gewinner so machen: Er reißt die Arme nach oben, die Kleider vom Leib und posiert wie vorher geübt. Das Bild des Verlierers bleibt eher im Gedächtnis, vielleicht ein Leben lang, weil es nicht einstudiert wirkt, sondern spontan und echt: Bastian Schweinsteiger nach dem verschossenen Elfmeter im Champions-League-Finale 2012. Der Boxer Thomas Hearns nach seiner Niederlage gegen Marvin Hagler. Der Segler Dean Barker auf seinem Boot in der Bucht von San Francisco. "Wer sich jahrelang auf eine Veranstaltung vorbereitet und alles in diese eine Aufgabe investiert, denkt nicht daran, was er bei einer Niederlage fühlen könnte", sagt Barker, vier Jahre nach seiner Niederlage beim 34. America's Cup. Er führte als Skipper der neuseeländischen Mannschaft bereits 8:1 und musste nur noch eine Regatta gewinnen, doch auf der vermeintlichen Siegesfahrt wurde er wegen eines nur aufgrund von TV-Verträgen eingeführten Zeitlimits gestoppt. Danach schafften die vom Software-Milliardär Larry Ellison subventionierten Amerikaner eines der unglaublichsten Comebacks der Sportgeschichte, sie siegten 9:8. Barker war der Verlierer: "Es hinterlässt ein schwarzes Loch und wird mich verfolgen, solange ich lebe." Detailansicht öffnen So war's vor vier Jahren: Im Kampf um den America's Cup hängt das amerikanische Boot (links) das von Dean Barker gesteuerte Team Neuseeland in der Bucht von San Francisco ab. (Foto: Don Emmert/AFP) Barker, 44, wird von diesem Freitag an erneut versuchen, den America's Cup zu holen. Er tritt in Bermuda als Skipper der neu gegründeten japanischen Crew gegen Teams aus Großbritannien, Schweden, Frankreich und Neuseeland an, um sich für eine Revanche gegen die Amerikaner und seinen Erzrivalen Jimmy Spithill zu qualifizieren. Der sagt über dieses wahnwitzige Rennen von 2013: "Wir wollten uns gegenseitig die Kehle aufschlitzen. Genau deshalb respektieren wir uns jetzt so sehr und mögen uns mittlerweile sogar ein bisschen." Die Geschichte des Verlierers Barker wird erst jetzt so richtig faszinierend. Es ist wichtig zu wissen, dass Barker ein Genie ist. Wissenschaftler haben ihm mal nacheinander sechs Bilder für je eine Hundertstelsekunde gezeigt. Gewöhnliche Menschen können sich danach an zwei erinnern, Weltklasse-Sportler an vier oder fünf. Barker hingegen schaffte alle sechs, danach sieben, acht, neun, zehn. Solch eine Begabung hilft bei der Bedienung der High-Tech-Boote der AC50-Einheitsklasse, die in diesem Jahr eingesetzt werden. Es sind Katamarane mit Kufen und raffinierten Segelkonstruktionen, die in diesem Naturtheater in Bermuda eine Geschwindigkeit von knapp 100 Kilometern in der Stunde erreichen und noch schnellere Entscheidungen und waghalsigere Manöver erfordern als in der launigen Bucht in Nordkalifornien. Jimmy Spithill, Segler aus den USA, über den Rauswurf seines Rivalen Dean Barker in Neuseeland "So kann man nicht mit einem umgehen, der sich stets loyal verhalten und alles für sein Land gegeben hat" Von Barker heißt es jedoch auch, dass er in wichtigen Rennen die Nerven verliert. Bei Neuseelands Triumph im Jahr 2000 durfte er das letzte Rennen als Skipper bestreiten - da stand es jedoch bereits 4:0. Er verlor 2003 und 2007 jeweils gegen das Schweizer Team Alinghi, vor vier Jahren unterlag er dann Spithill. Nach dem ersten America's Cup am 22. August 1851 um die Isle of Wright fragte Queen Victoria von England, wer denn Zweiter geworden sei. Die Antwort war: "Ähem, Majestät, es gibt keinen Zweiten." Nur der Sieger zählt bei dieser Regatta, es gibt keine Silbermedaille. Wer nicht gewinnt, der hat verloren.
https://www.sueddeutsche.de/sport/america-s-cup-das-genie-bekaempft-sein-trauma-1.3521021
mlsum-de-831
38 Weltcupsiege: Eric Frenzel hat in dieser Saison Ronny Ackermann überholt. Er ist der überragende Kombinierer seiner Zeit.
Kurz könnte man glauben, da stünde immer noch das Manderl. Wenn Eric Frenzel, der Nordische Kombinierer, bei der Siegerehrung dasteht, seinen Blumenstrauß in der Hand hält und friedlich und unschuldig lächelt, dann erinnert das kurz an damals, als er 17 Jahre alt und noch ein schmächtiges "Manderl" war, wie der Bundestrainer und Oberbayer Hermann Weinbuch sagt. Aber der Eindruck täuscht. Den bislang letzten Blumenstrauß hat Eric Frenzel am letzten Wochenende der Saison in Schonach bekommen. Es war sein 38. erster Platz in der Top-Serie, sieben davon hat er mit der Staffel erreicht. Schon im Februar dieses Jahres hatte erer Ronny Ackermann als bislang besten deutschen Kombinierer überholt. Frenzel ist erst 27 Jahre alt, wenn er weiter so durchhält, dann könnte er irgendwann auch den Finnen Hannu Manninen hinter sich lassen, der bis 2010 sogar 48 Siege errang. Allerdings will Eric Frenzel ja auch mindestens ein zweites Mal Olympiasieger werden, seinen drei WM-Titeln weitere hinzufügen und überhaupt der beste Kombinierer der Welt bleiben. Da muss man sich die Kraft einteilen. Wenn einem Sportler so etwas gelingen kann, dann wohl Frenzel, der seine körperlichen Nachteile in seine größten Stärken umgewandelt hat. Früh hatte er damit begonnen, zwei Sportarten zu kombinieren, weil er aus dem Erzgebirge stammt, das Skifahren in allen seinen Arten lernte, und zu dem Zeitpunkt, als man sich für eine entscheiden soll, gleich viel Spaß an beidem hatte: am Langlaufen und Springen. Frenzel machte also einfach weiter, auch wenn er nichts gewann. "Erst im letzten Schüler-Cup bin ich mal Dritter geworden", sagt er. Irgendwie schaffte er es dann als 17 Jahre alter Ersatz-Kombinierer zur WM nach Sapporo in Japan. Bundestrainer Weinbuch erahnte sein Talent und dachte gleichzeitig, viel könne ja nichts passieren: "Ersatzleute kommen eh fast nie zum Einsatz." Dann sprang der schmächtige Frenzel aber im Training Schanzenrekord und verblüffte alle Trainer in der Loipe: "Dass so ein Kerlchen solche Kräfte entfalten kann, war verwunderlich", sagt Weinbuch, "mir blieb gar nichts anderes übrig, ich musste ihn einsetzen." Das Kerlchen war ja gerade im Begriff, im Schnellverfahren alles aufzuholen - und noch mehr. Mit 15 hatte Frenzel seinen ersten Jugendsieg errungen, mit 17 kam er erstmals zur Weltmeisterschaft, mit 18 kam sein Sohn. Im Zielsprint ist er chancenlos. Die Arbeit muss er vorher erledigen Wenn man Vater wird, dann erhält das gesamte Leben eine andere Bedeutung, und in diesem Alter vielleicht noch mehr. "Ich wollte alles besonders genau machen, besonders professionell", sagt Frenzel. Das hing auch damit zusammen, dass er sich seiner Frau gegenüber verpflichtet fühlte. Denn Laura war eine talentierte Langläuferin und musste ihre Karriere aufgeben. Er hatte den Anspruch, dass die Familie durch den Sport nicht litt. "Ich war damals gezwungen, mich mit bestimmten Dingen auseinanderzusetzen", sagt er. Die Zeiteinteilung, die Entspannungsphasen, die Hausarbeit, das Training. In welche Richtung Letzteres führen musste, war relativ schnell klar, sagt Weinbuch: "Im Zielsprint hat er keine Chance." Damals nicht - und heute auch nicht. Lässt sich Frenzel auf ein Schluss-Duell ein, dann gerät er mit seinen 1,74 Meter und 57 Kilogramm vergleichsweise an rechte Mannsbilder wie den Österreicher Bernhard Gruber, und die lassen ihn mit ihrer Kraft meistens stehen. Frenzel muss die Arbeit schon vorher gemacht haben, das trainiert er ständig, und das ist neben dem Springen längst sein großer Trumpf. Über die Jahre ist er zum Spezialisten des Langsprints gereift, zu einer Art 800- Meter-Läufer des Wintersports. Beim Weltcup in Seefeld, dem Saisonhöhepunkt der Kombinierer, den er vor zwei Wochen zum dritten Mal nacheinander gewann, ist die Dominanz des Kerlchens gut zu studieren. Da erhöht Frenzel das Tempo schon zwei Kilometer vor dem Ziel, und wenn der Gegner noch nicht blau ist, springt er ihm auf dem Schlussanstieg davon. Dieses Zermürbungsprinzip, sagt Weinbuch, sei weiter ausbaubar. Manchmal steigert Frenzel sein Tempo gar nicht mehr - denn er hält es schon vom Start weg hoch. Ein Gegner nach dem anderen werde dann müde, und ein müdes Mannsbild ist auch für Frenzel im Schlussspurt zu schlagen. Auch im Gesamtweltcup hat der Kombinierer aus Oberwiesenthal in diesem Winter wieder einen Langsprint hingelegt, er war der Konkurrenz am Ende um 319 Punkte voraus. Er hat viel gelernt in seiner Karriere zwischen Schanze und Loipe, über Kraft und innere Stärken. Wenn man gut laufen und springen muss, dann fordere das Muskeln und Geist, "du lernst viel über deinen Körper", sagt Frenzel. So etwas wie bei seiner ersten WM in Sapporo passiert ihm also nicht mehr. Damals war er trotz seiner Leistungen disqualifiziert worden. Denn er hatte vor lauter Aufregung zu wenig getrunken und war am nächsten Tag beim Wiegen herausgenommen worden: Da war Eric Frenzel eindeutig zu leicht.
https://www.sueddeutsche.de/sport/nordische-kombination-dominanz-des-kerlchens-1.2860054
mlsum-de-832
Mieter müssen die Möglichkeit haben, Fehlverhalten zu korrigieren bevor ihnen gekündigt wird. Vermieter müssen Betriebskosten aufschlüsseln.
Kündigung. Vermieter können einen Mieter nicht abmahnen und gleichzeitig kündigen. Das entschied das Amtsgericht Hamburg. Darauf weist die Arbeitsgemeinschaft Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltverein (DAV) hin. In dem Fall hatte ein an Schizophrenie erkrankter Mieter unter anderem durch wiederholtes Schreien und Brüllen in der Wohnung auf sich aufmerksam gemacht. Außerdem trat der Mieter die Wohnungstür der Nachbarin ein. Der Vermieter mahnte den Mieter ab und kündigte zugleich das Mietverhältnis. Da der Mieter nicht die Wohnung räumte, erhob der Vermieter Klage. Ohne Erfolg, der Vermieter habe nach der Abmahnung nicht ein erneutes Fehlverhalten des Mieters in der Kündigung benannt. Vielmehr stütze er die Abmahnung und die Kündigung auf die gleichen Vorfälle. Dies sei aber nicht zulässig. Die Abmahnung soll dem Mieter sein Fehlverhalten vor Augen halten und ihm dadurch die Möglichkeit geben, sich in Zukunft zu ändern. Hinzu kam in diesem Fall, dass der Mieter aufgrund seiner Krankheit gar nicht in der Lage war, über sein Verhalten zu bestimmen (Az. 46 C 144/16). Betriebskosten. Vermieter müssen Betriebskostenabrechnungen so aufschlüsseln, dass Mieter haushaltsnahe Dienstleistungen steuerlich geltend machen können. Zu diesem Schluss kommt in zweiter Instanz das Landgericht Berlin. Die Aufschlüsselungspflicht besteht demnach selbst dann, wenn der Mietvertrag eine gegenteilige Klausel enthält. Haushaltsnahe Dienstleistungen sind etwa Handwerker- oder Reinigungsleistungen in Wohnung, Haus und Garten, deren Kosten nach Paragraf 35 des Einkommenssteuergesetzes teilweise von der Steuerschuld abgezogen werden können (Az. 18S339/16). Wohnungstüren. Die Wohnungstüren gehören in Eigentumsanlagen zum Gemeinschaftseigentum. Werden sie beschädigt, ist es Aufgabe der Gemeinschaft, die Türen zu ersetzen. Das entschied das Landgericht Dortmund, wie die Zeitschrift Der Wohnungseigentümer des Eigentümerverbandes Haus & Grund Deutschland berichtet. Ob die Wohnung vom Eigentümer selbst genutzt oder vermietet wird, spielt hierbei keine Rolle. Unerheblich ist es auch, ob der Mieter die Tür mutwillig beschädigt hat. Dann kann aber bei der Kostenverteilung die Verursachung berücksichtigt werden (Az. 1 S 473/16).
https://www.sueddeutsche.de/geld/recht-so-abmahnen-absetzen-1.3723690
mlsum-de-833
Die Auto-Manager haben im Stillen akzeptiert, dass ihre Diesel zu dreckig sind. Das drohende Fahrverbot macht sie plötzlich kooperativ.
Beispielsweise wird da ein Audi Q3 aufgehalten, beinahe noch so neu, dass er gar nicht poliert werden muss, um zu glänzen. Stopp! Fahrverbot!, sagen Mitarbeiter der Stadt Stuttgart oben am Rand des Stadtkessels. Es könnte übrigens auch Golf-Fahrer treffen oder Lenker eines 3er-BMW. Polizisten stehen bereit, die beim Vollzug der Anordnung helfen: Umdrehen muss, wer nicht den neuesten Motor hat. Folgt einer nicht, wird ihm der Autoschlüssel weggenommen. Das ist ein Szenario, das keinem Fahrer gefallen kann, deswegen ist die erste Verständigung von Industrie und dem "Pilot"-Verhandlungspartner Baden-Württemberg bei der Nachrüstung eine gute Sache. Vor allem für die Besitzer jener 5,9 Millionen Autos, die nicht alt sind, aber auch nicht die allerneuesten, also Diesel mit einem Abgasniveau der Stufe 5. Und die in mehr als 50 Städten von einem Fahrverbot bedroht sind. Fahrverbote? Doch nicht im Autoland Deutschland, dachten sie Man darf davon ausgehen, dass auch einige Hunderttausend Wähler der Grünen Diesel fahren. Deswegen war von Anfang an klar, dass ein Verbot nicht im Interesse der Regierung dort sein kann. Und doch haben die Grünen gemeinsam mit dem Koalitionspartner CDU nun ein solches beschlossen. Und sie hatten den Mumm, den zwischenzeitlichen Unmut auszuhalten. Genau dieser hat die Hersteller erst in Bewegung gebracht. Die dachten, von Audi über Citroën bis Mercedes, dass niemand Fahrverbote wagen würde im Autoland. Die Manager behaupteten lange: Wir können nichts nachbessern, zu kompliziert. Es ist den Grünen zu danken, dass sie mit Konsequenz ein Gerichtsurteil umsetzen, das die Stadt Stuttgart verpflichtet, endlich für sauberere Luft zu sorgen. Und es ist geschickt gewesen von der Regierung, gleich darauf zu erklären, dass die Autobauer derlei abwenden könnten, wenn sie die Abgasanlagen nachbessern. Damit war die Industrie in der Pflicht. Sie hätte den Schwarzen Peter, würde sie nichts liefern. Doch unter Druck wird eben manche Ingenieurleistung möglich. Dazu beigetragen hat, dass viele Vorstände und Ingenieure mittlerweile dieser Regierung vertrauen: Die sind zwar grün, aber haben doch Ahnung von Autos. Ein hartes Umfeld zwar, aber eines in dem sich ernsthaft verhandeln lässt. Die Umbauten an den Autos müssen jetzt schnell genehmigt werden Die Manager halten sich gar nicht mehr auf mit Abwehrbewegungen, die in Stuttgart nur belächelt würden. Still akzeptieren sie, dass es dieses Problem nicht gäbe, würden ältere Diesel tatsächlich so sauber fahren, wie auf dem Papier erklärt. Das Mitarbeiten nun ist jedoch keinem gesteigerten Mitgefühl für die abgasgeplagten Stadtbewohner geschuldet. Es geht weiter ums Geld und um die Kunden. Vor wenigen Jahren erst haben sie einen Wagen gekauft - und schon wird er ausgesperrt? Zumindest veräppelt, wenn nicht gar betrogen, fühlen sich die Halter - zu Recht. Derart vergrault würden sie keinen Diesel mehr kaufen. Das wiederum hätte Folgen für Jobs, für die Konzerngewinne, aber auch für die Umwelt. Mehrere Zehntausend Menschen bauen allein in Deutschland solche Motoren, deren Funktionsweise, trotz der Schummeleien, keine schlechte ist: Der Verbrauch ist geringer als beim Benziner, ein Fünftel etwa, der CO₂-Ausstoß entsprechend geringer. Auch dieses Ziel gilt es im Auge zu behalten, heißt es aus der Industrie. Damit hat sie recht, nicht nur, weil ihr sonst bald Strafzahlungen aus Brüssel drohen, wegen Überschreiten der CO₂-Grenzwerte. Der Diesel sollte also gerettet werden, zumindest bis neue Antriebe gut verfügbar sind. Ein erster Schritt dafür ist getan in Stuttgart. Jetzt muss die Bundesregierung ihren Teil beitragen, dass der theoretischen Vorarbeit Taten folgen: Die mühsam ausgetüftelten Umbauten an den Autos müssen schnell genehmigt werden. Zum Wohle der Anwohner, der Autofahrer - und auch der Industrie.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/diesel-der-erste-schritt-zur-diesel-rettung-ist-getan-1.3501152
mlsum-de-834
Weil ihm vor den Spielen gegen Istanbul und Oldenburg die Spieler ausgehen, denkt der FC Bayern über Zukäufe nach
Das haben die Basketballer des FC Bayern München jetzt davon, dass sie in der vorigen Saison deutscher Meister geworden sind und in der Euroleague die Runde der besten 16 Teams erreicht haben. "Wir haben einen guten Ruf, uns nimmt keiner auf die leichte Schulter, jeder spielt mit einer hundertprozentigen Einstellung gegen uns", sagt Trainer Svetislav Pesic. Und fügt hinzu: "Das ist nicht gut für uns." Jedenfalls nicht in diesen Tagen, in denen der Mannschaft zwei wichtige Heimspiele bevorstehen, am Donnerstag (20.15 Uhr) in der Euroleague gegen den türkischen Meister Fenerbahce Istanbul und am Sonntag (17 Uhr) in der Bundesliga gegen die Baskets Oldenburg, die als Tabellenzweiter einen Platz vor den Münchnern liegen. Zwei Spitzenspiele, die für Pesic zur falschen Zeit am falschen Ort stattfinden. "Schade, dass wir so früh schon so gute Gegner haben", sagt er, und dass er lieber auswärts antreten würde - da ließen sich Niederlagen leichter verschmerzen. Mit Niederlagen muss der 65-Jährige ja rechnen, weil ihm allmählich die Leute ausgehen: Seit Wochen grassieren Viren innerhalb der Mannschaft, die einen Profi nach dem anderen flachlegen und einen Trainer nach dem anderen auch. Am Sonntag beim Gipfeltreffen mit Pokalsieger und Tabellenführer Alba Berlin (80:83) schleppten sich gleich drei Mann geschwächt übers Parkett: Lucca Staiger, Dusko Savanovic und Vasilije Micic. Dann zog sich Anton Gavel eine Sprunggelenksverletzung zu, wegen der er voraussichtlich vier Wochen pausieren muss. Zu allem Übel rutschte auch noch Nihad Djedovic aus, "der gerade einen guten Lauf hatte", wie Spielgestalter Heiko Schaffartzik anmerkt. Djedovic erlitt dabei eine Zerrung in der Hüfte, "er wird wahrscheinlich gegen Fenerbahce nicht spielen", glaubt Pesic. Immerhin sei der von einem Magen-Darm-Virus heimgesuchte und gegen Berlin nicht einsatzfähige Robin Benzing auf dem Weg der Besserung. "Er wird spielen", sagt Pesic, "aber wie lange und mit welcher Intensität, das wissen wir nicht." Er weiß auch nicht, wen er außer Benzing auf den Flügel schicken soll, auf die Position des Small Forward. Denn dort fehlt jetzt nicht nur Djedovic, sondern weiterhin auch Kapitän Bryce Taylor (Leistenoperation) sowie der junge Paul Zipser (Reha nach Knie-Operation). "So tief besetzt, wie unsere Konkurrenten immer behaupten, sind wir nicht", seufzt Pesic angesichts seiner eingeschränkten Möglichkeiten: "Einer muss dort spielen, wo er vorher noch nie gespielt hat." Was bleibt ihnen denn übrig, fragt Spielmacher Schaffartzik: "Wir können es nicht ändern. Wir müssen mit denen spielen, die gesund und fit sind." Detailansicht öffnen Ende der Absprachen: Heiko Schaffartzik (rechts) lässt Svetislav Pesic und den FC Bayern hinter sich. (Foto: Lukas Schulze/dpa) Der ganze Oktober sei schon frustrierend gewesen wegen der vielen gesundheitlichen Probleme, klagt Svetislav Pesic, "aber so schlimm wie in der vergangenen Woche war's noch nie". Inzwischen ist der Leidensdruck bei den FC-Bayern-Basketballern so groß, dass sie über eine kurzfristige Neuverpflichtung nachdenken - ein Novum, seit Pesic im Dezember 2012 das Traineramt in München übernommen hat. Sein Sohn Marko, der Geschäftsführer der Basketball-Sparte, habe das Klubpräsidium bereits informiert, dass man Spieler suche, berichtete Pesic senior: "Aber es ist nicht einfach, einen zu finden, der uns helfen kann. Es laufen nicht viele Nowitzkis und Michael Jordans herum." In dieser "frustrierenden Situation" (Pesic) erwarten die FC-Bayern-Basketballer nun also erst einmal Fenerbahce Istanbul und deren Trainer Zeljko Obradovic, "einen der wenigen Menschen, die man auf ein Level mit unserem Trainer bringen kann", wie Heiko Schaffartzik findet. Svetislav Pesic ist ja zweifelsohne ein Großer unter den europäischen Basketball-Trainern, aber Zeljko Obradovic ist vielleicht noch ein Größerer: Achtmal hat er den bedeutendsten Klubwettbewerb des Kontinents gewonnen, mit vier verschiedenen Vereinen, so oft wie kein anderer. Außerdem hat der 54 Jahre alte Serbe Jugoslawien zu je einem EM- und WM-Titel geführt, was im Übrigen auch Pesic gelungen ist. Pesic und Obradovic gelten beide als ausgefuchste Strategen, aber der Bayern-Coach muss sich vor dem Vergleich der Großmeister nun vorkommen wie ein Schachspieler, dem man ein paar wichtige Figuren weggenommen hat. "Wir freuen uns, wenn wir respektiert werden", sagt Svetislav Pesic vor dem Prestigeduell mit seinem Kollegen: "Aber bitte nicht so viel. Denn so gut sind wir nicht." Zumindest nicht in diesen Tagen.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/euroleague-wie-schach-ohne-dame-1.2217144
mlsum-de-835
Der Machthaber hat die Produktivität des Landes verbessert, er lässt Wohnungen und Vergnügungsparks bauen. Wird er Nordkorea auch politisch öffnen?
Kim Jong-un wirkt klug, freundlich und witzig, er hört gut zu, rückt seine Brille oft zurecht, fragt nach und lacht. Er hat Übergewicht und eine Frisur, die als extravagant gilt, mit der er in Seoul aber kaum auffallen würde. Die Studenten der Kookmin-Universität in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul hat der junge Diktator mit seinem Charme für sich gewonnen. Vor seinem Gipfeltreffen mit Präsident Moon Jae-in sahen ihn nur 4,7 Prozent positiv, jetzt ist es fast die Hälfte. Trügt das Bild, täuscht Kim die Welt? Auch andere Diktatoren waren charmant. "Kim ist kein Reformer", schrieb Victor Cha schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt. Der Nordkorea-Experte des einstigen US-Präsidenten George Bush notierte: "Bleistiftabsätze und Mini-Röcke im nordkoreanischen Fernsehen" seien "gottgesandte" Signale für jene, die in Kim einen Reformer sehen wollen. Die Nordkoreaner würden mit Coca-Cola verhandeln, aber ihre Politik würden sie nicht ändern. So sieht Cha das jetzt noch. Er könne keine Intention Kims zur atomaren Abrüstung erkennen, sagte er in dieser Woche. Das nordkoreanische Regime setze immer dann auf Diplomatie, wenn es unter Druck stehe - diesmal wegen der Sanktionen. Von denen sagen Rückkehrer aus Pjöngjang allerdings, man merke nichts von ihnen. Die Debatte, ob Kim ein Reformer sei, begann mit seinem Amtsantritt nach dem Tod des Vaters im Dezember 2011. Schon bald versprach er den Nordkoreanern, ihren Alltag zu erleichtern. Er ersetzte die "Songun"-Politik seines Vaters, das Wort bedeutet "die Armee zuerst", durch "Byungjin", die Parallel-Entwicklung von Wirtschaft und Atomwaffen. Im vergangenen November erklärte er die Waffenentwicklung für abgeschlossen, nun konzentriere er sich auf die Wirtschaft. Sie wandelt sich tatsächlich. Einerseits hat das Regime begonnen, Teile von ihr zu entstaatlichen - zuerst die Landwirtschaft. Andererseits ist die staatliche Versorgung mit der Hungersnot in den späten 1990er-Jahren zusammengebrochen; seither ist von unten eine Marktwirtschaft entstanden. Damit hat sich Nordkoreas Produktivität deutlich verbessert. Nordkoreas Elite, etwa 25 Prozent der Bevölkerung, die meist in Pjöngjang lebt und über den Rest der Welt Bescheid weiß, lässt Kim Wohnungen und Vergnügungsparks bauen. Er wagt also durchaus Wirtschaftsreformen. Diesen Prozess dürfte er sogar beschleunigen wollen. Denn auf die Dauer wird er seine Macht nur mit einem sich stetig verbessernden Lebensstandard rechtfertigen können. Kim Jong-un war noch nicht einmal 30 Jahre alt, als er ziemlich unvorbereitet die Macht über ein marodes System übernehmen musste. Er hatte keine Wahl. Anders als sein Vater, der lange den Geheimdienst geleitet hatte, kannte er den Apparat kaum von innen. Nachdem der Vater 2008 einen Schlaganfall erlitten hatte, war er im Schnelldurchgang durch verschiedene Ämter geschleust worden. Die Annahme, Kim führe das Regime seines Vaters weiter, griff deshalb zu kurz. Dazu dürfte er mit dem System in Nordkorea gar nicht vertraut genug gewesen sein. Die Annahme jedoch, er hätte die autokratische Macht von Anfang an selber ausüben können, scheint naiv zu sein. Das reiche, offene, demokratische Südkorea lockt zu sehr Inzwischen hat Kim seine Macht konsolidiert. Im Apparat hat er einen Generationenwechsel vollzogen und eigene Leute um sich geschart. Dazu gehört seine Schwester Yo-jong. Ob er auch eine politische Öffnung wagt, ist zweifelhaft. Sie wäre für Nordkorea noch schwieriger als einst für die früheren Sowjetrepubliken. In Kasachstan verwandelte sich der letzte KP-Chef über Nacht in einen "demokratisch" gewählten Präsidenten. Gewiss, Kasachstan ist eine Autokratie, aber es ist pluralistisch, seine Grenzen sind offen. Diesen Weg könne Kim nicht gehen, glauben die meisten Experten. Das reiche, offene, demokratische Südkorea locke zu sehr; es spricht dieselbe Sprache und würde alle Nordkoreaner einbürgern. Es gibt noch kein Modell, wie Kim soziale und politische Reformen zulassen könnte, ohne den Kollaps seines Regimes und sogar der Eigenständigkeit Nordkoreas zu riskieren. Als Michail Gorbatschow 1985 Parteichef in der Sowjetunion wurde, leitete auch er einen Generationenwechsel ein und versuchte, die Wirtschaft zu sanieren. Staatsunternehmen übergab er die Eigenverantwortung. An eine Lockerung der Repression, insbesondere der Zensur, dachte er erst nicht. Vielmehr rationierte er den Wodka, das wurde ihm als Rückfall in den Stalinismus angekreidet. Erst als er sich mit US-Präsident Ronald Reagan traf und die Abrüstung einleitete, nahm der Westen ihn ernst und begann ihn bald zu feiern. Nordkorea hat bereits begonnen, sich zu wandeln. Aber im Westen hält sich die Karikatur vom fetten Bengel mit der absurden Haartolle, der mit Raketen um sich schmeißt. Oder er wird auf einen Sadisten reduziert, der ganze Familien ins Arbeitslager verbannt und seinen Onkel Jang Seong-taek 2014 hinrichten ließ. Jang galt als Reformer, der Chinas Weg kopieren wollte. Seit seiner Hinrichtung hielten viele Experten Kim für einen brutalen Hardliner. In Seoul glaubten einige, der korrupte Jang, den der Vater Kim als Mentor zur Seite gestellt hatte, sei eben doch kein Reformer gewesen, sondern ein korrupter Bremser. Es gibt eine dritte Erklärung. Jang Jin-sung, ein prominenter Überläufer, schrieb damals, Kim selber habe keinerlei Macht, er sei nur eine Marionette von Hintermännern im Organisationsbüro der Partei. Diese hätten Jangs Hinrichtung befohlen, nicht er. Sie hätten ihn damit gewarnt, er solle nicht glauben, er regiere Nordkorea. Einige Tage nach Jangs Hinrichtung saß Kim mit aschfahlem Gesicht, als sei er schwer krank, stumm auf einer Parteiversammlung. Das war ein anderer Mensch als der selbstbewusste, gewandte Machthaber, als der er jetzt auftritt. Und der Nordkorea nun offenbar selber steuert. Wohin und wie, wird er so wenig wissen, wie Gorbatschow, als er seine Reformen begann.
https://www.sueddeutsche.de/politik/reformen-wie-sich-nordkorea-unter-kim-jong-un-veraendert-hat-1.3975505
mlsum-de-836
Garbiñe Muguruza spielt mutig und gut. Doch im Wimbledon-Finale siegen die Power und der Wille von Serena Williams. Das Ende kommt für sie dennoch überraschend.
Es war der vielleicht merkwürdigste Matchball in der langen Geschichte der Lawn Tennis Championships. Garbiñe Muguruza spielte eine mutige Vorhand longline, der Linienrichter rief Aus - allerdings sehr zaghaft. Statt Jubel machte sich eine gespenstige Stille auf dem Centre Court breit. Serena Williams verharrte regungslos, sie verstand nicht: Hatte sie nun Wimbledon gewonnen? Da sprach die Schiedsrichterin endlich ins Mikrophon: "Spiel, Satz und Sieg." Die Weltranglistenerste lachte, sie schrie, sie hüpfte. Die verwirrten Zuschauer klatschten zunächst nur verhalten. Doch als Williams noch einmal von ihrem Stuhl aufstand, ein Tänzchen auf dem Platz aufführte, erhob sich endlich das Publikum. "Ich wusste gar nicht, dass ich gewonnen hatte", schilderte Williams bei der Siegerehrung diesen ungewöhnlichen Moment. Die 33-Jährige gluckste, als habe sie gerade ein Gläschen Pimm's zu viel getrunken. 6:4 und 6:4 gewann Williams am Samstagnachmittag das Finale, eine Stunde und 23 Minuten benötigte sie dafür. Er war für mehr als nur ein weiterer Titel in ihrer großen Sammlung. Denn zum zweiten Mal nach 2003 holte die Amerikanerin den "Serena Slam", also alle vier großen Tennisturniere hintereinander. Nur ein Sieg bei den US Open fehlt ihr, dann hat sie den richtigen Grand Slam sicher. Seit Steffi Graf ist das keiner Spielerin mehr gelungen. Williams demonstrierte im Endspiel einmal mehr eindrucksvoll, wie sehr sie ihre Sportart dominiert. Es gibt keine Spielerin, die ihrer Power, ihrer Kraft und ihrem Willen etwas entgegensetzen kann. So stand schon vor dem Finale fest: Die einzige, die sie an diesem Sonntagnachmittag hätte schlagen können, wäre sie selbst gewesen. Zunächst sah es aber genau danach aus. Sie eröffnete das Match mit einem Doppelfehler. Da zwei weitere folgten, gelang Muguruza sofort ein Break. Von den Rängen dröhnte ein gespenstisches Raunen, das Unheil ankündigte. Muguruza tänzelte selbstbewusst, ihr weißer Faltenrock hüpfte wie der Tutu einer Balletttänzerin. Williams fand nicht in ihren Rhythmus, sie stand oft falsch, traf den Ball schlecht. Es hatte den Anschein, als stünde die Amerikanerin erstmals in einem Grand-Slam-Finale - und nicht ihrer Gegnerin. Mit 4:2 ging Muguruza in Führung. Ihr Aufschlag kam sicher, die langen Grundlinienduelle gewann sie fast alle, weil Williams irgendwann den Ball ins Aus oder ins Netz spielte. Doch dann fand sie zu sich selbst. Unerzwungene Fehler passierten ihre fortan kaum mehr, sie knallte Returns unerreichbar über das Netz. Sie drehte die Partie. Nun unterlief Muguruza ein fataler Doppelfehler, beim Stand von 4:5 war die Folge ein Satzball. Williams verwandelte ihn mit einem Vorhand-Winner.
https://www.sueddeutsche.de/sport/williams-in-wimbledon-gespenstischer-sieg-1.2561802
mlsum-de-837
Interne Mails legen nahe, dass der US-Konzern heimlich an vermeintlich unabhängigen Gutachten mitgearbeitet hat. Nahezu zeitgleich befindet eine EU-Behörde: Das Pestizid ist unbedenklich.
Wie gefährlich ist das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat für Menschen? Könnte es vielleicht sogar Krebs auslösen? Seit zwei Jahren wird darüber in Wissenschaftskreisen heftig gestritten. Am Mittwoch hat die EU-Chemikalienagentur Echa eine mit Spannung erwartete Studie vorlegt. Und ihr Ergebnis ist eindeutig: Die Behörde mit Sitz in Helsinki spricht das Mittel frei vom Krebsverdacht. Sie folgt damit in ihrem Urteil der europäischen Lebensmittelaufsicht Efsa. Damit steigen die Chancen, dass das Pestizid weiterhin in Europa zugelassen bleibt. Viele Landwirte drängen darauf, kein anderes Mittel wird so häufig auf dem Acker versprüht. Gleichzeitig tauchten in den USA neue Vorwürfe gegen das amerikanische Saatgut- und Pflanzenschutzunternehmen Monsanto auf, welches Glyphosat erfunden hat. Der Konzern mit Sitz in St. Louis ist bis heute einer der größten Hersteller des Pestizids und wird - wenn die Übernahme wie geplant umgesetzt wird - künftig zum deutschen Bayer-Konzern gehören. Monsanto hat auch die meisten Studien in Auftrag gegeben, die für eine Zulassung des Pestizids benötigt werden. Im Verborgenen arbeitete Monsanto an vermeintlich unabhängigen Studien mit Die New York Times berichtete am Dienstag darüber, wie Monsanto in der Vergangenheit hinter den Kulissen Einfluss auf einzelne Wissenschaftler und auf die amerikanische Behörde EPA genommen haben soll. So soll Monsanto im Verborgenen an Studien mitgearbeitet haben, die später als Arbeiten unabhängiger Wissenschaftler ausgegeben worden seien. Ein weiterer Vorwurf lautet, das Unternehmen habe gezielt darauf hingewirkt, eine eigenständige Untersuchung des Unkrautvernichters durch das US-Gesundheitsministerium zu verhindern. Der Bericht beruht auf Dokumenten aus einem Gerichtsverfahren im Bundesstaat Kalifornien, die der New York Times und auch der SZ vorliegen. Im Verlauf des Verfahrens sind auf Anweisung des Richters interne E-Mails zwischen dem Unternehmen und Mitarbeitern von Behörden veröffentlicht worden. Vor dem Gericht klagen Betroffene, die am Non-Hodgkin-Lymphom, einer bösartigen Erkrankung des Lymphsystems, leiden. Sie machen dafür Glyphosat verantwortlich. Bislang verließen sich alle auf die Studien der Industrie Die Klage kam ins Rollen, nachdem unabhängige Krebsforscher der Weltgesundheitsorganisation vor knapp zwei Jahren gewarnt hatten, dass das Pestizid bei Menschen möglicherweise Krebs auslösen könnte - eine Einschätzung, der sich die beiden EU-Behörden Echa und Efsa nicht anschließen. Offiziell hält auch die US-Umweltbehörde EPA Glyphosat für relativ unbedenklich. Doch die Ämter haben sich bei ihrem Urteil bisher vor allem auf die von der Industrie vorgelegten Studien verlassen. So will es auch der Gesetzgeber. Aus dem internen Schriftverkehr geht hervor, dass Monsanto schon Monate vor der kritischen Veröffentlichung der WHO-Krebsexperten einen Tipp bekommen hatte, und zwar von einem ranghohen Abteilungsleiter aus der Umweltbehörde EPA. Das Management von Monsanto hätte demnach also genug Zeit gehabt, sich zu wappnen. Tatsächlich attackierte das Unternehmen die Studie der WHO-Krebsexperten umgehend und heftig, sobald sie vorlag. Monsanto-Chef Hugh Grant bezeichnete die Ergebnisse der unabhängigen Forschergruppe, die unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation Krebsrisiken bewertet, als junk science, also als Schrottwissenschaft. Forscher aus dem WHO-Team klagten über persönliche Anfeindungen und Diffamierungen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-monsanto-soll-glyphosat-studien-beeinflusst-haben-1.3420577
mlsum-de-838
Die deutsche Biathlon-Mixed-Staffel scheitert nach einem pointenreichen Rennen und muss Italien Bronze überlassen. Schlussläufer Peiffer stellt den Südtiroler Windisch wegen eines Manövers beim Zielsprint zur Rede.
In der Umkleidekabine trafen sich Dominik Windisch und Arnd Peiffer gleich wieder. Gerade hatten sie ihr Rennen in der Mixed-Staffel beendet, beide waren Schlussläufer ihrer Mannschaften, Windisch für Italien, Peiffer für Deutschland. Und weil sich auf den letzten Metern eine Szene abgespielt hatte, die die Entscheidung um Bronze beeinflusst hatte, war Peiffer aufgebracht, er habe Windisch angesprochen, erzählte der Deutsche später. "Dominik, du hast einen guten Job gemacht", habe er gesagt und gefragt: "Aber warum musst du Spielchen machen?" Biathleten sind nicht unbedingt dafür bekannt, sich hitzige Worte in Umkleidekabinen zuzuwerfen, aber diese Szene am Ende der Mixed-Staffel war ja das Thema des Abends gewesen - und als sie schon längst umgezogen waren, mussten alle noch immer auf die Entscheidung warten, wer dieses Rennen hinter Frankreich und Norwegen auf Rang drei beendet hatte. Windisch und Peiffer waren zusammen auf die Schlussgerade gebogen, dann wechselte der Italiener verbotenerweise die Spur, spurtete, rutschte vor Peiffer ins Ziel. "Er hat gesagt, es wäre seine Strategie gewesen", berichtete Peiffer vom Gespräch aus der Kabine. Er habe ihm entgegnet: "Das finde ich irgendwie eine Scheiß-Strategie." Das sicher geglaubte Gold verliert Peiffer mit seinen Schießfehlern Mark Kirchner schüttelte sofort den Kopf, als er am Schießstand auf der Leinwand die Szene beobachtete und kreuzte die Arme vor dem Körper, von der Seite kamen dann Kollegen der anderen Nationen und stimmten dem Männer-Bundestrainer zu, auch sie hatten eine Regelwidrigkeit des Italieners erkannt. Die Deutschen legten umgehend Protest ein, die Jury um den Biathlon-Weltverband IBU tagte, und als nach 30 Minuten nicht mehr getagt wurde, jubelten: die Italiener. Was Erik Lesser, der in Führung liegend an Peiffer übergeben hatte, mit den Worten kommentierte: "Da hätte man sich heute ein bisschen mehr Cojones gewünscht von der IBU." Peiffer hätte durch die Aktion kein Tempo verloren, begründete die Jury, er hatte ja auch leicht hinter Windisch gelegen. "Aber ich musste ja trotzdem Schub rausnehmen, um auf die andere Seite zu kommen", meinte Peiffer. Und dann war ihm aber doch sehr bewusst, dass diese Medaille nicht durch Windischs Aktion verloren gegangen war. Ausgerechnet er, der am ersten Sonntag noch Olympiasieger im Sprint geworden war, erlebte das, was Laura Dahlmeier genauso konkret benannte: einen "Scheißtag". Das Rennen war für die Deutschen optimal losgegangen, Frauen-Bundestrainer Gerald Hönig hatte sich für Vanessa Hinz als Startläuferin entschieden. Die 25-Jährige war nach dem Massenstart noch in Tränen aufgelöst aus der Arena geflüchtet, vier Schießfehler hatten ihr den 25. Rang beschert. Doch im Sprint war ihr ein fünfter Platz geglückt, das Vertrauen der Trainer hatte sie sich damit erobert. Und nun blieb sie am Schießstand ohne Fehler, übergab mit einem minimalen Rückstand hinter Italien auf Laura Dahlmeier.
https://www.sueddeutsche.de/sport/arnd-peiffer-warum-musst-du-spielchen-machen-1.3875253
mlsum-de-839
Türkische Sicherheitsbehörden wirken hilflos angesichts von Terrorakten. Sie stellen stattdessen Staatsbürgern nach, von denen sich Erdoğan beleidigt sieht.
Wo denn noch? Wird es demnächst die Istanbuler Metro treffen, oder vielleicht die hyperschnelle Bahnverbindung unter dem Bosporus, oder die Hagia Sophia? In nur einem Jahr gab es in der Türkei 15 größere Anschläge mit 290 Toten. Man kann auch etwas weiter zurückgehen und kommt auf eine nicht weniger dramatische Bilanz aus Blut und Tränen. Nicht lange recherchieren muss man dagegen, wenn man nach Konsequenzen sucht. Ministerrücktritte wegen expliziten Versagens in der Terrorbekämpfung? Keine. Geschasste Geheimdienstchefs? Keine. In der Türkei gibt es viele kleine Molenbeeks, Quartiere wie das Brüsseler Problemviertel, in dem islamistische oder auch linksradikale Attentäter in einem Sympathieumfeld aufwachsen und abtauchen können. Ein großes Geheimnis ist das nicht. Dass türkische Sicherheitsbehörden regelmäßig nach spektakulären Terrortaten so machtlos wirken, ist daher kaum zu verstehen. Zumal wenn man sich vor Augen hält, mit welcher Akribie sie Staatsbürgern nachstellen, von denen sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan beleidigt sieht. Stark beschäftigt ist der Überwachungsapparat auch mit Universitätsprofessoren, die eine Deklaration für einen Frieden mit den Kurden unterzeichnet haben. Der türkische Geheimdienst versagt beim Kampf gegen den IS Türkische Medien hatten am Mittwoch viel Zeit für historische Horrorbilanzen, weil Ankara auf den Anschlag - wie so oft - mit einer Nachrichtensperre reagierte. Das verstärkt den Eindruck akuter Hilflosigkeit. Gleichzeitig gilt: Am besten weiter wie gewohnt. Der Atatürk-Airport war schon vor Tagesanbruch, wenige Stunden nach dem Attentat, wieder freigegeben. Istanbuls Großflughafen ist das wichtigste Tor der Türkei zum Rest der Welt, eine 24 Stunden rotierende Drehscheibe für die global aktiven Turkish Airlines. Sie sind für Erdoğan so etwas wie ein zweiter diplomatischer Dienst. Die halbstaatliche Gesellschaft fliegt auch Ziele an, die europäische Airlines scheuen. So trifft das Attentat die Türkei an einer höchst sensiblen Stelle und zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt. Erdoğan hat sein Land zuletzt politisch immer mehr in die Isolation geführt, ausgerechnet am Tag des Anschlags gab es erste Korrekturversuche: eine Wiederannäherung an Israel und eine Versöhnungsgeste gegenüber Russland. Das nährte die zarte Hoffnung, der Tourismus in der Türkei könnte sich wieder erholen. Um mehr als 90 Prozent sind allein die russischen Buchungen in diesem Jahr zurückgegangen. Besserung ist nun nicht in Sicht. Es gibt viele Terror-Motive: Die Türkei hat gerade erst ihren Nato-Partnern erlaubt, von der Luftwaffenbasis Incirlik aus die syrische Grenze intensiver zu überwachen - im Kampf gegen den IS. Und auch das muss kein Zufall sein: Am Dienstag wurde bekannt, dass 36 mutmaßlichen IS-Leuten in Ankara laut Anklage 11 700 Jahre Gefängnis drohen. Sie sollen verantwortlich sein für die 109 Toten des Anschlags am Hauptbahnhof von Ankara 2015. Auch damals stellte sich schon die Frage: Warum war das nicht zu verhindern?
https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-der-blinde-staat-1.3055944
mlsum-de-840
Eine Uhr für 150 000 Euro? Der dritte Porsche? Eine Studie liefert Einsichten in den weltweiten Markt für Luxusgüter.
Luxus ist ein diffuser Begriff. Wo er anfängt, wo er aufhört, ob er nur Materielles einschließt oder ob Zeit nicht in Wirklichkeit das größte Luxusgut ist - über Fragen dieser Art lässt sich ausgiebig debattieren. Einigkeit herrscht aber weitestgehend darüber, dass ein mit indischer Seide überzogenes Canapé, der dritte Porsche in der Garage oder die 150 000 Euro teure Uhr am Handgelenk dazugehören. Die Reichen gönnen sich all dies, sie können es sich schließlich leisten, und sie gönnen sich immer mehr davon. Erstmals hat der weltweite Luxusmarkt im Jahr 2015 die Umsatzmarke von einer Billion Euro übertroffen. Eine Billion, das ist eine Eins mit zwölf Nullen. Das ist knapp die Summe, die alle Arbeitnehmer in Deutschland zusammen pro Jahr verdienen. Oder eben der jährliche Betrag, für den sich die Reichen dieser Welt ihre Träume erfüllen. Um fünf Prozent ist die weltweite Nachfrage nach teuren Autos, Möbeln, Kunst, Schmuck, Feinkost und Luxushotels im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Das ist das Ergebnis des "Luxury Business Report", den die Unternehmensberatung Ernst & Young jährlich erstellt. Bereits seit Jahren verzeichnet der Markt nur noch ein geringes Wachstum im niedrigen einstelligen Bereich. Das liegt vor allem an ehemals extrem kauffreudigen Bevölkerungen von Ländern wie China und Russland, die inzwischen weniger Luxusgüter erwerben und so das Wachstum nach unten drücken. Dem Bericht zufolge liegt das an der wachsenden, am Preis-Leistungs-Verhältnis orientierten Mittelschicht. Auf China entfällt mittlerweile nur noch ein Anteil von sieben Prozent der Luxusgüter des persönlichen Gebrauchs, Japan hat das Land mit acht Prozent überholt. 32 Prozent aller Luxusprodukte und damit der größte Anteil werden in Europa erworben, Nord- und Südamerika kommen zusammen auf 34 Prozent. Den deutlichsten Zuwachs gab es im vergangenen Jahr mit acht Prozent bei der Automobilindustrie, aber auch die Nachfrage nach Luxushotels und Kunst ist mit sieben und sechs Prozent merklich gestiegen. Jeweils um vier Prozent sind die Märkte für Luxuskreuzfahrten, Feinkost und Luxusmöbel gewachsen. Letzteres Segment eignet sich - genau wie hochpreisiger Schmuck oder Kunst - in Niedrigzinszeiten bestens zur Geldanlage. Mitunter können Luxusprodukte zu ernst zu nehmenden Investmentobjekten werden - von einem kursrutschartigen Werteverlust sind jedoch auch sie nicht vollständig befreit.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/luxusmarkt-zwoelf-nullen-1.3027445
mlsum-de-841
Eine Gymnasiastin plante im Mai eine Massaker an ihrer Schule. Der Prozess gegen sie hat nun begonnen - unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Erfurt, Emsdetten, Winnenden. Drei Orte, drei Namen, ein Symbol. Diese drei schrecklichen Amoktaten haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Doch wer erinnert sich an Sankt Augustin? Nur einer mutigen Schülerin ist es zu verdanken, dass die 50.000-Einwohner-Stadt bei Bonn nun nicht in dieser Reihe steht. Die 17-Jährige verhinderte am 11. Mai 2009 im Albert-Einstein-Gymnasium einen Amoklauf ihrer Mitschülerin Tanja O. Detailansicht öffnen Fahndungsfoto der angeklagten 16-jährigen Gymnasiastin. (Foto: Foto: ddp) Am Dienstag begann vor dem Landgericht Bonn im Saal 1.19 unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gegen die 16-Jährige, die Staatsanwaltschaft hat die Schülerin wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion und Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagt. Der 16-Jährigen drohen zehn Jahre Jugendhaft oder die Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Seit ihrer Festnahme befindet sich Tanja O. in einer geschlossenen Anstalt, die Ermittler befürchten einen Suizid. Die Angeklagte legte gleich zum Auftakt des Prozesses vor dem Bonner Landgericht ein umfassendes Geständnis ab. Nach jedem Amoklauf wird die immergleiche Frage gestellt: warum? Nun muss die Jugendkammer des Bonner Landgerichts eine Antwort darauf finden, wie es zu dem Plan kommen konnte. Die 16-Jährige nannte als Motiv für die Tat Probleme in Schule und Elternhaus. Sie habe "Hass" empfunden, gab Tanja O. zu Protokoll. Hinweise auf einen Konsum von gewaltverherrlichenden Computerspielen, wie es bei anderen Amoktätern der Fall war, habe der erste Verhandlungstag vor dem Bonner Landgericht nicht ergeben, sagte ein Gerichtssprecher. Am Morgen des 11. Mai war sie in ihre Schule gekommen; nicht, um in ihrer Klasse 10 b den Unterricht zu besuchen, sondern um zu töten. Mindestens 50 Menschen sollten sterben, sagte Tanja O. den Ermittlern. Die 16-Jährige ging mit ihrem Rucksack auf die Damentoilette, im Gepäck elf selbstgebastelte Molotowcocktails und ein kurzes Schwert, das sie sich zuvor im Internet bestellt hatte. Zudem trug sie eine Schreckschusswaffe mit sich. Es war also keine spontane Idee, sondern ein detailliert ausgearbeiteter Plan. Dieser Plan sah vor, zunächst einen Lehrer mit dem Schwert niederzustechen, ihm die Schlüssel zu entwenden, anschließend die Klassenzimmer mit den Molotowcocktails in Brand zu setzen und die Räume dann von außen zu verschließen. Doch als sich Tanja O. auf der Toilette maskieren wollte, wurde sie von der Mitschülerin Anna P., 17, überrascht. Sie gilt als wichtigste Zeugin und war auch am ersten Prozesstag im Gericht als Nebenklägerin anwesend. In Panik versuchte die Angeklagte, mit dem Schwert ihre Mitschülerin zu töten. Sie trennte ihr einen Daumen ab. Als ein Lehrer hinzukam, flüchtete die 16-Jährige. Sondereinsatzkräfte umstellten das Gebäude, aber da saß Tanja O. schon in der Straßenbahn. Am Abend stellte sich die Täterin nach einem Selbstmordversuch im Kölner Hauptbahnhof. Es gab Warnungen Es war das glimpfliche Ende einer Geschichte, deren Anfang im Dunkeln liegt - wie in Erfurt, Emsdetten und Winnenden. Warnsignale gab es auch im Fall Tanja O. zuhauf, doch sie wurden ausgeblendet, verharmlost, bürokratisch abgeheftet. "Ihr werdet alle sterben", soll Tanja O. schon Ende April auf einen Tisch gekritzelt haben. Klassenkameraden hatten die Schulleitung über das Verhalten der 16-Jährigen informiert, eine Begutachtung mit einem Schulpsychologen war terminiert. Ein zu Rate gezogener Experte der Bezirksregierung habe aber die "eindeutige Aussage" getroffen, dass eine Fremdgefährdung nicht vorliege, sagte Schulleiterin Anne Marie Wähner nach dem vereitelten Amoklauf. Vielleicht hat man Tanja O. eine derartige Tat einfach nicht zugetraut; vielleicht, weil sie ein Mädchen ist. Für den Prozess sind bis zum 24. November acht Verhandlungstage angesetzt, 26 Zeugen sind geladen, zwei psychiatrische Gutachter sollen Auskunft zur Schuldfähigkeit der 16-Jährigen geben. Die Frage aber, warum Kinder und Jugendliche sich derart verlassen fühlen, wird der Prozess nicht klären können.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/versuchter-amoklauf-in-st-augustin-ihr-werdet-alle-sterben-1.133835
mlsum-de-842
Verdacht auf Verstoß gegen die Meinungsfreiheit: Der Nachrichtendienst Twitter reicht gegen die US-Regierung Klage ein. Grund ist ein Verbot der Behörden.
Klage gegen die US-Regierung Der Internet-Nachrichtendienst Twitter verklagt die US-Regierung im Zusammenhang mit der Online-Überwachung seiner Nutzer. Bislang werde man gesetzlich daran gehindert, über den genauen Umfang der Geheimdienstmaßnahmen zu berichten, heißt es im Blog des Unternehmens. Dies gelte selbst für den Fall, dass keinerlei Überwachungsanforderungen gestellt worden seien. Die Klage (PDF) vor dem Bundesbezirksgericht in Nordkalifornien mache geltend, dass diese Praxis nicht mit dem in der Verfassung garantierten Recht auf Meinungsfreiheit vereinbar sei. "Wir haben versucht, ohne Klage den Grad an Transparenz zu erzielen, den unsere Nutzer verdienen", heißt es weiter. "Aber umsonst." Anstoß durch Snowden-Enthüllungen Nach den Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden fordern mehrere große amerikanische Technologieunternehmen von der Regierung in Washington, ihre Nutzer genauer über die gesetzlich vorgeschriebene Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten informieren zu können. Im Januar hatten sich Google, Yahoo, Facebook, LinkedIn und Microsoft mit der US-Regierung auf neue Transparenzregeln bei der Internetüberwachung geeinigt. Das Abkommen erlaubt es den Firmen, genauere Statistiken als bislang über Behördenanfragen zu veröffentlichen, die im Zusammenhang mit der "nationalen Sicherheit" stehen. Allerdings dürfen sie die Zahl der Regierungsanfragen nur in Tausenderschritten, also 0-999, 1000-1999 etc., angeben. Twitter möchte erreichen, die exakte Zahl der Anfragen publizieren zu dürfen. Lob von Bürgerrechtlern "Wir hoffen, dass andere Technologiefirmen nun dem Vorbild von Twitter folgen", sagt Jameel Jaffer von der Bürgerrechtsgruppe ACLU. Die Unternehmen seien verpflichtet, die Informationen ihrer Nutzer gegen den Zugriff des Staates zu schützen und offenzulegen, welche Daten weitergegeben werden, so Jaffer weiter.
https://www.sueddeutsche.de/digital/klage-gegen-us-regierung-twitter-will-den-maulkorb-abschuetteln-1.2164005
mlsum-de-843
Wer eher in Rente geht, darf vielleicht bald mehr hinzuverdienen. Das sieht ein Papier der Koalitionsfraktionen zum Thema Flexi-Rente vor. Die bisherigen starren Regeln würden so deutlich gelockert.
Wer vorzeitig in Rente geht, kann sich berechtigte Hoffnungen darauf machen, in Zukunft mehr Geld zu seinen Altersbezügen hinzuverdienen zu können. Bisher können Frührentner bis zu 450 Euro, zum Beispiel als Minijobber, kassieren, ohne dass dies ihre Altersrente schmälert. Künftig soll diese Grenze bei 850 Euro im Monat liegen. Das geht aus dem Entwurf der Union für den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen zum Thema Flexi-Rente hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die neue Höchstschwelle orientiert sich damit an der Grenze für die sogenannten Midijobs. Der neue Betrag biete einerseits die Chance, stärker als bisher das Altersgeld mit einem Zusatzjob aufzustocken. Andererseits werde die Möglichkeit begrenzt, als Frührentner voll zu arbeiten, um keine zusätzlichen Anreize für eine Frühverrentung zu bieten, heißt es in dem Papier. Bei einem Hinzuverdienst von mehr als 850 Euro im Monat ist laut dem Entwurf vorgesehen, die Rente nur noch als Teilrente in Höhe von zwei Dritteln auszuzahlen. Noch weniger soll von der Rente übrig bleiben, wenn die Summe aus Teilrente und Hinzuverdienst über dem Bruttoeinkommen vor dem Renteneintritt liegen. Die neuen Hinzuverdienstgrenzen sollen helfen, "dass Menschen mit ihrem Verdienst einen Teil der Abschläge für den vorzeitigen Rentenbeginn ausgleichen können, indem sie länger in Teilzeit arbeiten". SPD zeigt sich bisher für neue Hinzuverdienstgrenzen offen Nur für diejenigen, die die neue abschlagsfreie Rente ab 63 beziehen, soll die alte 450-Grenze weiter gelten, weil diese Ruheständler nicht so sehr auf einen Verdienst neben der Rente angewiesen seien. Die Koalition würde die bisherigen starren Regeln so deutlich lockern. Derzeit erhalten Frührentner schon bei einem Zusatzverdienst von 450 Euro und einem Cent nur noch zwei Drittel der Rente ausgezahlt. Die Arbeitsgruppe der Koalition arbeitet seit fast einem Jahr an Vorschlägen für flexiblere Übergänge in den Ruhestand. Bislang ist aber noch nichts beschlossen. Derzeit diskutieren Union und SPD die letzten Details ihres Abschlussberichts. Die SPD hat sich bisher für neue Hinzuverdienstgrenzen offen gezeigt. Zustimmen wird der kleinere Koalitionspartner den neuen weniger strengen Regeln aber nur, wenn es ein Gesamtpaket gibt. "Wir einigen uns auf alles oder gar nicht", heißt es dazu in Koalitionskreisen. Umstritten ist etwa, ob Arbeitgeber wie bisher verpflichtet werden sollen, für Mitarbeiter, die im Rentenalter voll weiter arbeiten, die Hälfte des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung weiter zahlen zu müssen. Die Union schlägt vor, diese Regelung befristet für zunächst fünf Jahre auszusetzen, um die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern attraktiver zu machen. Die SPD lehnt dies ab. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) warnt bereits vor halbherzigen Kompromissen: "Wir brauchen eine mutige Reform. Die Flexi-Rente muss ein Gegengewicht zur Rente mit 63 und echte Anreize für längeres Arbeiten schaffen", sagt sie.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fruehrentner-obergrenze-850-euro-1.2483470
mlsum-de-844
Das deutsche Eishockey-Team kann wieder aufs WM-Viertelfinale hoffen. Lewis Hamilton holt die Pole Position in Barcelona. Tayfun Korkut muss Leverkusen verlassen.
Eishockey, WM: Mit Leon Draisaitl hat die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft ihre Chance auf den Einzug ins Viertelfinale bei der Heim-WM gewahrt. Das Team von Bundestrainer Marco Sturm besiegte in Köln Aufsteiger Italien mit 4:1 (2:1, 2:0, 0:0) und zog in der Vorrundengruppe A mit dem Tabellenvierten Lettland nach Punkten gleich. Die Entscheidung über den Sprung in die K.o.-Runde fällt am Dienstag (20.15 Uhr) im direkten Duell mit den Balten. Der 21-jährige Draisaitl, der nach dem Play-off-Aus mit den Edmonton Oilers erst am Morgen aus Kanada eingeflogen war, bereitete das erste Tor vor. Der Kölner Christian Ehrhoff (4.), der Mannheimer Matthias Plachta (19.) sowie die Münchner Yannic Seidenberg (23.) und Dominik Kahun (26.) erzielten vor 18.712 Zuschauern in der ausverkauften Lanxess Arena die Treffer für die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). Für den sieglosen Tabellenletzten Italien traf Michele Marchetti (5.). Formel 1, Barcelona: Sebastian Vettel hat die Pole Position beim Großen Preis von Spanien in Barcelona knapp verpasst. Der viermalige Formel-1-Weltmeister musste sich am Samstag im Ferrari in Barcelona nur seinem schärfsten Rivalen Lewis Hamilton im Mercedes geschlagen geben. Auf Platz drei fuhr Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas vor seinem finnischen Landsmann Kimi Räikkönen im zweiten Ferrari. Nico Hülkenberg im Renault und Pascal Wehrlein im Sauber schieden als 13. und 15. im zweiten Abschnitt aus. Das Klassement führt vor dem fünften von 20 Saisonläufen am Sonntag (14.00 Uhr/RTL und Sky) Vettel an, 13 Punkte dahinter liegt Hamilton. Bundesliga, Leverkusen: Tayfun Korkut muss als Trainer von Fußball-Bundesligist Bayer Leverkusen erwartungsgemäß am Saisonende gehen. Das verkündete Bayer-Geschäftsführer Michael Schade nach dem 2:2 im rheinischen Derby gegen den 1. FC Köln. Die Trennung von Korkut war ohnehin erwartet worden. Der 43-Jährige hatte die Nachfolger des geschassten Roger Schmidt beim Werksklub angetreten, konnte allerdings mit den erzielten Ergebnissen nicht überzeugen. "Er hat uns in einer schwierigen Situation geholfen. Aber natürlich ist Fußball ein Erfolgssport. Da können wir nicht zufrieden sein", hatte Schade gesagt: "Es ist natürlich, dass das Arbeitsverhältnis zum Saisonende beendet wird." Fußball, Leon Goretzka: Schalke-Manager Christian Heidel hat Spekulationen um einen bevorstehenden Wechsel von Leon Goretzka zum FC Bayern vehement zurückgewiesen. "Das ist dummes Zeug", sagte Heidel am Samstag vor dem Spiel des Fußball-Bundesligisten gegen den Hamburger SV dem TV-Sender Sky. Zuvor hatte der Sender gemeldet, der Nationalspieler werde die Königsblauen im Sommer wohl in Richtung München verlassen. "Der FC Bayern hat überhaupt keinen Kontakt zum FC Schalke aufgenommen", sagte Heidel. Er habe gute Gespräche mit Goretzka über die Verlängerung seines in einem Jahr auslaufenden Vertrags geführt. Der 22 Jahre alte Mittelfeldspieler könne das Gesicht von Schalke 04 werden, betonte Heidel. Die bisherigen Gespräche würden aber nicht bedeuten, "dass er seinen Vertrag verlängert", räumte der Manager ein. Allerdings versicherte Heidel: "Wenn er die Absicht hätte zu wechseln, hätte er mir das gesagt." Fußball, 3. Liga: Der MSV Duisburg ist zurück in der 2. Fußball-Bundesliga. Die vorzeitigen Rückkehr machte der Drittligist am Samstag mit einem 3:0 (1:0)-Sieg bei Fortuna Köln perfekt. Andreas Wiegel (45.+1 Minute), Kingsley Onuegbu (72.) und Simon Brandstetter (90.) erzielten die Tore für den MSV, der vor dem letzten Spieltag nicht mehr von einem der beiden Aufstiegsplätze zu verdrängen ist. Für den Traditionsverein, der 1963 zu den Bundesliga-Gründungsmitglieder gehörte, ist es nach 1989 und 2015 der dritte Aufstieg in die 2. Liga. Auch dem Tabellenzweiten Holstein Kiel gelang am Samstag der vorzeitige Aufstieg.
https://www.sueddeutsche.de/sport/eishockey-wm-deutschland-siegt-4-1-gegen-italien-1.3504158
mlsum-de-845
Neue Belastungsprobe für das amerikanisch-israelische Verhältnis: Jerusalem soll die Gespräche über einen Atomdeal mit Iran abgehört haben. Der US-Verbündete dementiert. Ein entsprechender Bericht sei "absolut falsch".
USA beschuldigen Israel der Spionage Israel soll die Atomverhandlungen mit dem Iran heimlich abgehört haben. Die dabei gesammelten Informationen sollten bei der Kampagne des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gegen ein Abkommen mit Teheran helfen, berichtete die US-Zeitung Wall Street Journal. Spionage zwischen den verbündeten Staaten ist wohl keine Seltenheit. Normalerweise tolerierten das beide Seiten, schreibt das Blatt weiter. Die US-Regierung ist aber nach Angaben der Zeitung verärgert, weil vertrauliche Informationen in diesem Fall aus den laufenden Verhandlungen an US-Parlamentarier weitergebenen worden sein sollen. "Sich gegenseitig auszuspionieren zwischen Israel und den USA ist eine Sache. Eine andere ist es, wenn Israel US-Geheimnisse ausspioniert und sie an amerikanische Parlamentarier weitergibt, um die US-Diplomatie zu untergraben", zitiert das Blatt einen Behördenvertreter. Der Fall kommt nur wenige Wochen, nachdem republikanische US-Senatoren in einem offenen Brief an die iranische Führung versucht hatten, die Atomverhandlungen zu torpedieren. Israel dementiert Ein ranghoher Mitarbeiter in Netanjahus Büro dementierte den Bericht als "absolut falsch". An Informationen sei man ausschließlich durch die Beobachtung iranischer Politiker gekommen. Europäische Delegationen seien zudem laxer mit der Weitergabe von Informationen an Israel umgegangen als die USA. "Der Staat Israel bespitzelt weder die USA noch Israels andere Verbündete", sagte Netanjahus Mitarbeiter. "Diese falschen Beschuldigungen sollen eindeutig dazu dienen, die starken Verbindungen zwischen den USA und Israel - auch im Bereich der Sicherheit und der Geheimdienste - zu untergraben." Auch Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman bezeichnete die Berichte als "inkorrekt". Israel betreibe keine Spionageaktivitäten gegen die USA, sagte Lieberman der Tageszeitung Jerusalem Post zufolge in einem Radioninterview. Wie die USA die Spionage entdeckten Die Zeitung berichtete, Mitarbeiter im Weißen Haus hätten kurz nach dem Beginn der internationalen Gespräche mit Teheran im vergangenen Jahr bemerkt, dass Israel die Verhandlungen abhört, die hinter verschlossenen Türen stattfanden. Herausgefunden hatten die USA das nur, weil ihre eigenen Geheimdienste israelische Korrespondenz abgefangen hatten. Sie hätten darin Informationen über die Gespräche mit Iran entdeckt, die nur durch Zugang zu vertraulichen Verhandlungen in israelische Hände gelangen konnten. Spannungen zwischen Washington und Jerusalem Der Fall könnte die Spannungen zwischen den engen Verbündeten weiter verschärfen. US-Präsident Obama und Israels Ministerpräsident Netanjahu sind sich in einer Reihe von Punkten uneins. Das betrifft vor allem die Atomverhandlungen mit Iran und die Zukunft des Westjordanlandes. Netanjahu will ein Abkommen über Irans Nuklearprogramm verhindern. Auch die von Obama präferierte Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina hatte Netanjahu vor kurzem in Frage gestellt. Höhepunkt der jüngsten Spannungen war eine Rede Netanjahus vor dem US-Kongress Anfang März, die nicht mit dem Weißen Haus abgestimmt war. Eingeladen hatten ihn republikanische Abgeordnete. Ein US-Regierungssprecher hatte Netanjahu zuvor gewarnt, bei seiner Rede vertrauliche Informationen über die Verhandlungen preiszugeben. Damals hieß es, die USA hätten Israel regelmäßig über den Stand und Ablauf der Verhandlungen informiert.
https://www.sueddeutsche.de/politik/nuklearprogramm-israel-soll-atomgespraeche-mit-iran-ausspioniert-haben-1.2407632
mlsum-de-846
Alle 17 Personen seien in die die "abscheuliche Ermordung" des Journalisten der Türkei verwickelt, heißt es aus Washington. Von den Strafmaßnahmen betroffen ist auch ein hochrangiger Berater des Kronprinzen Mohammed bin Salman.
Im Fall des getöteten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul hat die US-Regierung Sanktionen gegen 17 saudi-arabische Staatsbürger verhängt. Darunter sind der saudische Generalkonsul in Istanbul, Mohammed al-Otaibi, und die Angehörigen eines Teams, das für den Tod Khashoggis in der diplomatischen Vertretung verantwortlich gemacht wird, wie das US-Finanzministerium am Donnerstag mitteilte. Auch ein hochrangiger Berater des Kronprinzen Mohammed bin Salman soll von den Sanktionen betroffen sein, die auf der Grundlage einer Regelung fußen sollen, mit der Vergehen gegen die Menschenrechte geahndet werden. Alle 17 seien in die "abscheuliche Ermordung" Khashoggis in der Türkei verwickelt. Gegen die Betroffenen hatten die USA bereits zuvor Einreiseverbote verhängt. Hinzu kommen nun ökonomische Sanktionen. So werden alle Vermögenswerte der Personen in den Vereinigten Staaten eingefroren, Amerikaner dürfen mit ihnen keine Geschäfte mehr machen. Die türkischen Behörden verdächtigen ein mutmaßlich aus Riad entsandtes Mordkommando mit 15 Mitgliedern, Khashoggi Anfang Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul erwürgt, seine Leiche zerstückelt und anschließend in Säure aufgelöst zu haben. Nach Darstellung Riads vom Donnerstag sollte das 15-köpfige Team Khashoggi überzeugen, mit ihnen nach Saudi-Arabien auszureisen. Die Situation sei eskaliert und dem im Exil lebenden Journalisten sei eine Injektion verabreicht worden, an der er starb. Sein Körper sei zerstückelt und aus dem Konsulat gebracht worden. Die USA sehen keine Verbindung zwischen Killerkommando und Königshaus Der saudische Generalstaatsanwalt fordert inzwischen die Todesstrafe für fünf mutmaßlich an der Tat Beteiligte. Das sagte er bei einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Riad. Es seien insgesamt elf Männer angeklagt, als Drahtzieher gelte der ehemalige Vizechef des Geheimdienstes, Ahmed al-Asiri. Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman war in den vergangenen Tagen in Verdacht geraten, selbst in den Mord verwickelt zu sein, ihn möglicherweise in Auftrag gegeben zu haben. Um diesen Verdacht zu stützen, hatte die Türkei Tonbandaufnahmen veröffentlicht, die bin Salman belasten sollen. US-Sicherheitsberater John Bolton bezeichnete diese Spur als falsch. Bolton sagte, er habe das Tonband nicht selbst gehört, "aber nach Einschätzung derjenigen, die es gehört haben", gebe es keine Verbindungen zwischen dem Killerkommando und dem Königshaus in Saudi-Arabien. Unter internationalem Druck hatte Riad nach wochenlangen Dementis bestätigt, dass Khashoggi am 2. Oktober im Istanbuler Konsulat zu Tode gekommen sei, dies jedoch zunächst als Ergebnis eines eskalierten Streits dargestellt. Später gab die Staatsanwaltschaft indirekt zu, dass der Regierungskritiker "vorsätzlich" getötet wurde. Angesichts des Verdachts, dass der mächtige Thronfolger bin Salman die Tat in Auftrag gegeben hatte, betonte die Führung in Riad aber, dass es sich um einen nichtautorisierten Einsatz gehandelt habe.
https://www.sueddeutsche.de/politik/khashoggi-usa-sanktionen-1.4212409
mlsum-de-847
Euro-Staaten sollen sich finanzieren, ohne dass sie füreinander haften. Anleihen sollen in zwei Tranchen verkauft werden.
Sparen und beten, dass es besser wird? Die Symbolik auf einer Hauswand in Athen zeigt, wie es vielen Griechen in der Schuldenkrise des Landes geht. Die Anleitung zu den Sparprogrammen kam aus der Wissenschaft. Toxisch. Mit diesem Wort beendete die Bundesregierung in den vergangenen Jahren jede aufkeimende Diskussion über eine gemeinsame Schuldenhaftung in der Euro-Zone, hinlänglich bekannt unter dem Begriff Euro-Bonds. Jeder Vorschlag, dem Berlin dieses Prädikat aufdrückte, wanderte sofort in den Giftschrank. Das Schicksal ereilte auch die Idee des Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier, der 2011 gemeinsam mit Kollegen die Idee von neuartigen Euro-Schuldenpapieren vorgestellt hatte. Für die Bundesregierung verströmten auch die von ihm favorisierten gebündelten Staatsanleihen den Geruch von Euro-Bonds, sie verschwanden. Doch jetzt, da es um das Überleben der Europäischen Union geht, sind Politiker und Ökonomen bereit, die Idee noch einmal zu prüfen. Das Konzept könnte einer der Pfeiler einer Reformagenda für die Europäische Union werden. Mehr als 100 Experten arbeiten europaweit unter Hochdruck an einem Konzept, das die staatliche Schuldenaufnahme in der Euro-Zone völlig neu organisieren soll. Bisher gibt jeder Staat eigene Anleihen heraus. Seit der europäischen Schuldenkrise wünschen sich vor allem finanziell schwächere Länder gemeinsame Schuldenpapiere. Das würde bedeuten: gemeinsame Haftung. Genau die schließen die Europäischen Verträge allerdings aus - und eben die Bundesregierung auch. Die Ökonomen rund um Brunnermeier haben Papiere entwickelt, die die Interessen aller Euro-Staaten befriedigen sollen: Sie sollen angeschlagenen Euro-Staaten die Schuldenaufnahme erleichtern, ohne dass die Länder füreinander haften. Gelingen soll das über einen Kniff: Unter dem Mantel der "Sovereign Bond-Backed Securities" (früher ESBies genannt), sollen Anleihen der einzelnen Euro-Staaten gebündelt werden und anschließend in zwei unterschiedlichen Tranchen verkauft werden: eine risikoreiche und risikoarme Tranche. Die Investoren können sich je nach Risikoappetit für die eine oder die andere Variante entscheiden. Banken würden aus regulatorischen Gründen eher die risikoarme Tranche kaufen, hätten mit einem Wertpapier aber ein ganzes Bouquet an europäischen Staatsanleihen. Das Instrument sei "anfällig für politische Einflussnahme", meint der wissenschaftliche Beirat Der Vorteil für die Haftungsgegner: Geriete ein Land in Schwierigkeiten, müssten die anderen Staaten nicht einspringen. Die privaten Investoren würden die Verluste tragen. Je greifbarer die Umsetzung wird, umso stärker formieren sich die Kritiker. Den einen geht die Idee nicht weit genug, sie wollen echte Eurobonds. Die anderen fürchten das Gegenteil: sie haben den Verdacht, dass diese Wertpapiere der Einstieg in eine gemeinsame Haftung sein könnten. Den Vordenkern der SBBS geht es aber in erster Linie nicht darum, dass sich Italien oder Griechenland leichter verschulden könnten. Die Arbeitsgruppe beim Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB), die ihren Bericht bis März vorlegen will, interessiert sich für die Stabilität des europäischen Finanzsystems. Die Befürworter des Konzepts hoffen, dass die Anleihen die Verbindung zwischen Banken und Staaten lockern. In der europäischen Schuldenkrise hatte sich gezeigt, dass die Banken schnell in Bedrängnis kommen, wenn ein Land in die finanzielle Schieflage gerät - weil sie so viele nationale Schulden in ihren Bilanzen bunkern. Mit den neuen Papieren soll sich der Teufelskreis durchbrechen lassen. Doch lässt sich das Konzept überhaupt verwirklichen? Die privaten Investoren sind nicht begeistert. Sie verweisen auf die Möglichkeit, jede Staatsanleihe der Euro-Zone direkt kaufen zu können. Warum sollte man sich da an eine Verbriefung wagen? Das sei nur dann interessant, wenn die Rendite entsprechend höher wäre. Doch höhere Renditen würden bedeuten, dass die Staaten höhere Zinsen für ihre Anleihen zahlen müssten - was sie ja gerade nicht wollen. Die Bundesregierung will das Konzept angesichts der riesigen Herausforderungen, denen sich die Euro-Zone und der EU wegen des neuen politischen Kurses in Washington und der anstehenden Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland zu stellen hat, nicht von vornherein ablehnen. Das Finanzministerium macht vielmehr konzeptionelle Bedenken geltend. Bisher seien "einige grundlegende Zusammenhänge sowie die Implikationen der riskanten Tranchen für das Gesamtkonzept zu wenig beachtet worden", heißt es auf Nachfrage. "Zweifelhaft ist, ob es ausreichende Nachfrage für solche strukturierten Wertpapiere gäbe, insbesondere in Krisensituationen". Einige Ziele der SBBS ließen sich auch durch deutlich einfachere und weniger riskante Ansätze erreichen, etwa durch "eine Abkehr von der Privilegierung von Staatsanleihen". Zudem sollte die notwendige Korrektur der jetzigen Privilegien von Staatsschulden nicht dadurch ersetzt werden, dass man weitere, neue Privilegien einführt. Staatsanleihen gelten bisher als ausfallsicher und müssen deshalb nicht mit Sicherheiten belegt werden. Die Bundesregierung plädiert seit langem dafür, diese zu ändern. Das Bundesfinanzministerium betont, dass sich auch "die ablehnende Haltung der Bundesregierung gegenüber Eurobonds grundsätzlich nicht geändert hat". Auch der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums äußert sich kritisch. Das Instrument sei "anfällig für politische Einflussnahme", schreiben die Autoren. In Brüssel wird diskutiert, ob die EU-Kommission den Vorschlag in das Weißbuch zur Zukunft der EU aufnehmen wird, das im März vor dem EU-Gipfel zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge vorgestellt wird. Bereits in dem vor zwei Jahren von den Chefs der Europäischen Institutionen erarbeiteten sogenannten Fünf-Präsidenten-Bericht findet sich ein Fahrplan samt EU-Einlagensicherung und EU-Schatzamt. Es ist denkbar, dass weitere Vorschläge wie die Schaffung eines Euro-Finanzministers ins Weißbuch kommen. Auch der Euro-Rettungsfonds ESM soll zu einem Europäischen Währungsfonds umgebaut werden. Sicher ist, dass eine mögliche Vertiefung der Euro-Zone erst nach den Wahlen in Frankreich und Deutschland in Angriff genommen werden kann. Das hängt davon ab, welche Partner sich dann gegenübersitzen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/risikoreiche-und-risikoarme-anleihen-schulden-machen-aber-richtig-1.3364586
mlsum-de-848
Wenn sich der Wolf als Großmutter verkleidet: Viele der sogenannten Islamkritiker glauben gegen Kritik immun zu sein, weil sie sich auf die Aufklärung berufen. Ein Paradoxon.
Welche Rolle spielt in unseren gegenwärtigen Auseinandersetzungen um den Islam das Irrationale, der Affekt, das Ressentiment? Lassen sich solche Motive in unserer dem rationalen Diskurs verpflichteten Kultur überhaupt nachweisen? Wer heutzutage ein rassistisches Ressentiment pflegt, wird es hinter nachvollziehbaren Motiven verbergen und möglichst objektive Gründe für seine Abneigung gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen anführen müssen. Wenn sich der Rassismus aber in eine neue, dem rationalen Diskurs angepasste Sprache kleidet, wird er sich selbst als Affekt nicht mehr erkennen können und wollen. Auch diejenigen - wir -, die mit dieser Sprache konfrontiert sind, können ihn dann nicht klar als solchen erkennen. Genau dies ist das Dilemma bei der Frage, ob die sogenannten Islamkritiker rassistisch, ob die Israelkritiker antisemitisch sind. Bekennenderweise sind sie es nie. Wenn der Rassismus aber nirgendwo offen auftritt, ist er potentiell überall: Es kann ja sein, dass ich meinen Antisemitismus mit einem gut recherchierten Argument gegen die israelische Siedlungspolitik nur geschickt tarne; oder meinen antiislamischen Rassismus durch ein treffendes Koranzitat, das die Gläubigen in echte Rechtfertigungsnot bringt. Wie gut auch immer mein Argument sein mag, vor der Unterstellung unlauterer Motive bin ich nicht gefeit. Somit bereitet die exzessive Unterstellung von Rassismus und Antisemitismus den Boden für eine Enthemmung des Diskurses. Lauert der Vorwurf ohnedies stets, ist es gleichgültig, ob die Gründe, die ich für meine Meinung vorbringe, wirklich haltbar sind oder nicht. Die anderen werden sie immer ablehnen; im eigenen Lager werde ich immer Beifall finden. Entsprechend stehen sich bei der Einschätzung des Islams und der Muslime in Deutschland inzwischen zwei weitgehend unversöhnliche Blöcke gegenüber, die kaum miteinander kommunizieren, es sei denn in Form von Spott, Drohungen und Polemiken. Dass dies der Sache nicht dient, ist verständlich. Die letzte Bundesregierung als Ausrichter der Islamkonferenz hat es erfahren. Die gegenwärtige bekommt es zu spüren. Für den Beobachter, der keine der entgegengesetzten Meinungen zu der seinen machen will, empfiehlt es sich vielleicht, seine Sympathien nicht nur von den behaupteten Positionen abhängig zu machen, sondern auch den Stil zu prüfen, in dem diese vorgebracht werden. Man könnte den alten Verdacht hegen, dass gerade diejenigen, die am lautesten brüllen, bloggen, talken, poltern, am wenigsten zu sagen haben, so hoch ihr Unterhaltungswert sein mag. Schon jetzt werden die einschlägigen Tabubrecher, getreu dem Vorbild von Harald Schmidt, eher als Clowns denn als Befreier gehandelt. Eine Renaissance der leisen, nachdenklichen Töne stünde vor diesem Hintergrund beiden Lagern gut an. Kritik zulassen zu können, statt sich dagegen fortwährend selbst zu immunisieren, scheint aber nicht das Zeichen der Zeit. Beruft sich der fundamentalistische Islam auf das von ihm hochgezüchtete Dogma und erscheint das Weltbild der Israelkritiker solange bruchsicher, wie Israel gegenüber den Palästinensern unnachgiebig ist, mussten die sogenannten Islamkritiker andere Mittel ersinnen, um gegen Kritik resistent zu sein. Da sie sich auf Aufklärung und rationales Denken berufen, sollte man meinen, dass ihre Argumente falsifizierbar sind, dass sie den Zweifel, den sie an der Position der anderen säen, auch ihren eigenen Positionen prüfend angedeihen lassen. Unabhängig von der inhaltlichen Position, wäre dies das methodische Kennzeichen, das Prüfsiegel aufgeklärten Denkens. Nun aber geschieht etwas Paradoxes. Viele, wenn nicht die Mehrheit derjenigen, die sich zu Aufklärung und Rationalität bekennen, glauben, durch ebenjenes Bekenntnis über jede Form von Kritik aus dem Lager ihrer Gegner erhaben zu sein. Dies geschieht durch eine ebenso schlichte wie geniale Selbsttäuschung. Rationalität und Aufklärung wird dabei nicht als Prozess und Methode begriffen, sondern als Tradition und Position. Es ist ja kein Zweifel, dass die westliche Staatengemeinschaft in einer aufklärerischen Tradition steht. Wer dieser Gemeinschaft anhört, kann also das Herkommen aus der Aufklärung, eine Art Blutsverwandtschaft mit ihr für sich verbuchen. Zu diesem Ius sanguinis der Aufklärung gesellt sich das Ius soli der aufgeklärten Position: Derjenige ist aufgeklärt, der die klassischen Inhalte der Aufklärung vertritt, also die Kritik an der Religion und die universale Geltung der in der Aufklärung entwickelten Werte. Nun ist weder an einer Kritik der Religion noch an den Werten der Aufklärung etwas auszusetzen. Ich selbst etwa halte diese Werte für überzeugender als alle anderen, von denen ich bis jetzt gehört habe. Aber bloß dadurch, dass ich mich zu ihnen bekenne, bin ich noch lange nicht aufgeklärt, geschweige denn, dass alles was ich sage, den Gesetzen rationalen und falsifizierbaren Argumentierens gehorcht, nur weil ich die aufgeklärten Positionen für mich reklamiere oder einer Kultur angehöre, deren Werte aus der Aufklärung kommen. Genau dies scheinen aber die meisten der sich auf die Aufklärung berufenden Islamkritiker anzunehmen. In dieser Denkungsart liegt eine Selbstermächtigung der gefährlichsten Sorte deshalb, weil sie das beste Mittel der Kritik immer schon allein für sich reklamiert, nämlich das rationale Denken. Wenn es jenseits der so definierten Aufgeklärtheit nichts gibt als das Irrationale, Unaufgeklärte und somit nicht ernst zu Nehmende, existiert keine Position mehr, aus der heraus man diejenigen kritisieren könnte, die mit der Aufklärung Schindluder treiben. Ähnlich wie islamistische Ideologen den Begriff des Islams besetzt, um nicht zu sagen gekapert haben, und jede Äußerung, die nicht ihrem Diskursschema entspricht, als unislamisch und damit unkorrekt abtun, genauso ist in unseren Breiten der Begriff der Aufklärung gekapert worden. Die damit einhergehende Selbstermächtigung der Aufklärungspiraten lässt sich ebenso an ihrer Weigerung erkennen, sich an ein Mindestmaß an Sittsamkeit im öffentlichen Gespräch zu halten, wie an der Tendenz, wesentliche der etablierten rechtsstaatlichen Prinzipien außer Kraft setzen zu wollen, selbst wenn sie Errungenschaften der Aufklärung sind, etwa die Religions- oder die Kleidungsfreiheit. Man darf, ja soll darüber streiten, ob eine Dialektik der Aufklärung, wie Horkheimer und Adorno sie skizziert haben, wirklich existiert. Ist aber nur ein Teil ihrer Thesen zutreffend, rückt die Vorstellung von einem Faschismus der Aufklärung aus dem Bereich begrifflicher Absurdität in denjenigen der Denkbarkeit. In einem Diskursumfeld, in dem sich alles als rational zu verkleiden genötigt sieht, wird das Irrationale zwangsläufig irgendwo versteckt sein, wird lauern, auf einen Ausdruck drängen, wütender und wütender werden und schließlich zum Wolf, der die gute alte aufgeklärte Großmutter frisst und sich in ihr Bett legt, wo er auf die Ahnungslosen lauert, die sich vielleicht über das große Maul wundern, aber die Geschichten treuherzig glauben werden.
https://www.sueddeutsche.de/politik/islamkritiker-affekt-und-ressentiment-1.953021
mlsum-de-849
Drei Tore, fleißige Abwehrarbeit, offene Ohren für Kritik: Beim 3:1 gegen Hoffenheim zeigt Malli, dass er zum Anführer reift.
Die wenigsten Menschen kennen Peter Perchtold und Sören Hartung. Aber sie sind diejenigen, die nach einem Flutlichtspiel des FSV Mainz 05 noch am längsten zu tun haben. Und im Grunde durcharbeiten, "weil sie die ganze Nacht schneiden", wie Cheftrainer Martin Schmidt am späten Freitagabend erzählt hat. Als im Sommer der hoch geschätzte Video-Analyst Benjamin Weber zu Borussia Dortmund ging, um künftig dem ehemaligen Mainzer Thomas Tuchel zu dienen, da waren die Rheinhessen gezwungen, ihren Helferstab unter dem Tuchel-Schüler Schmidt neu zu ordnen. Perchtold bekam die Aufgabe des Assistenten übertragen, Hartung übernahm die Analyse. Zirka 150 Szenen sammeln die beiden nach einer Bundesliga-Begegnung, zerlegen sie fein säuberlich und teilen sie den Profis zu. Schmidt: "Für jeden haben wir einen Ordner und können das in die Einzelanalyse zerlegen." So wie kürzlich im Falle Yunus Malli, es ging darum, den Spielmacher in seinem fünften Jahr bei den Rheinhessen auf die nächste Entwicklungsstufe zu hieven. Schmidts Taktik-Exkurs war nach dem 3:1 (1:1)-Heimsieg gegen die TSG Hoffenheim wichtig, weil jeder wissen wollte, warum es nun gerade Malli gelang, den Gegner vorne auf die Hörner zu nehmen und hinten so eindrucksvoll zu helfen. Dreimal traf er mit verblüffender Selbstverständlichkeit (18., 61. und 68.), und logischerweise blieb dem 23-Jährigen der Kletterakt auf den Zaun vor der Fankurve mitsamt Sprechgesang nicht erspart. Präsident Strutz ist beeindruckt: Malli zeigt mehr Körpereinsatz Detailansicht öffnen Sein Spiel: Yunus Malli trifft gegen Hoffenheim dreimal für Mainz. (Foto: Alex Grimm/Getty Images) "Ich fühle mich hier wohl, mein Umfeld lässt mich in Ruhe, ich habe Selbstvertrauen und Freiheiten auf dem Platz", sagte der Deutsch-Türke. Erst am Dienstag hatte er auf dem Standesamt in seiner Heimatstadt Kassel seiner Lebensgefährtin Hatice das Ja-Wort gegeben, auf die Hochzeit folgte der Sieg als Zugabe. Das Mainzer Publikum applaudierte dem Matchwinner, der sich als gläubiger Moslem mit einem Kuss aufs satte Grün bedankte. "Weil ich das erleben durfte", erklärte Malli und sagte, er sei niemand, der große Töne spuckt und herumschreit, "das überlasse ich anderen." Seine aufsehenerregendste Tat nach Spielschluss: Er nahm den Spielball mit nach Hause. Der nun fünfmal in Serie erfolgreiche Torschütze, vom Stadionsprecher Klaus Hafner für seinen "dreifachen Yunus" gelobt und vom Publikum bei seiner Auswechslung kurz vor Spielende mit beinahe fanatischen Beifallsbekundungen bedacht, hat in der Arena am Europakreisel schon ganz andere Zeiten erlebt. Daran erinnerte Präsident Harald Strutz. Ihn beeindruckte an dem 2011 von Borussia Mönchengladbach geholten Feingeist, "wie sehr er jetzt seinen Körper einsetzt". Früher fanden die Fans Mallis Spielweise zu zögerlich, sein Auftreten zu zaudernd - und tatsächlich war lange unklar, ob der offensive Mittelfeldspieler mit türkischen Wurzeln noch den Durchbruch schafft. Nun mehren sich die Indizien: Malli kann auf konstant hohem Niveau kicken. "Das waren, glaube ich, nicht seine letzten Tore. Deshalb haben wir uns sehr angestrengt, seinen Vertrag zu verlängern", erläuterte Manager Christian Heidel. Das nach langem Tauziehen unterzeichnete Arbeitspapier ist bis 2018 gültig, "und wir haben bestimmt nicht vor, ihm gleich wieder zu verkaufen". Malli könne noch "viele Dinge verbessern, ich habe immer vor Augen, wie er mit 18 zu uns kam". Als einer, der sich mitunter scheu wie ein Reh über den Rasen bewegte. Schema & Statistik Alle Daten und Fakten zum Spiel stehen hier. Auch in der langen Einzelschulung erweist sich Malli als geduldig Bereits in diesem Sommer waren etliche Klubs, vor allem auch türkische Erstligisten auf Malli aufmerksam geworden. "Es gab interessante Angebote", bestätigte er, "aber sich hier zu entwickeln, ist der beste Weg." So wie André Schürrle einst nach Leverkusen oder jüngst Johannes Geis nach Gelsenkirchen wechselte, das kann er in zwei, drei Jahren immer noch. In Mainz hätten sich alle um ihn sehr bemüht, Manager und Trainer erwähnte er explizit. Letzterer schätzt das Potenzial seines derzeit besten Profis. "Yunus macht mit dem Ball sehr vieles richtig. Er ist ein top Ballschlepper, da haben wir beide wenig Arbeit miteinander." Was der ähnlich wie Tuchel sehr pedantisch veranlagte Schweizer Fußballlehrer beim Filigrantechniker aber unbedingt verbessern wollte, war das Defensivverhalten. Schmidt: "Wie unterstützt er die Doppel-Sechs? Wann kippt er ab? Wie bringe ich die Willensleistung gegen den Ball auf?" Diese Fragen erörterte der 48-Jährige in einer langen, langen Einzelsitzung vor dem Hannover-Spiel mit Malli. Der habe sich aufgeschlossen und gelehrig gezeigt, "aber zu oft kann man das auch nicht machen. Sonst überfrachtet man die Spieler". Ganz wichtig sei es, den richtigen Zeitpunkt für solch eine Individualschulung zu erwischen. Da steckt der Trainerstab schon mal zehn Stunden Vorbereitungszeit hinein, und Schmidt nimmt "einen Stoß Papier" mit. "Wenn einer schlecht spielt und man hält ihm all die Szenen unter die Nase, die nicht richtig sind, passt es nicht so gut. Die Profis sind am empfänglichsten, wenn sie einen Lauf haben." Malli wird er trotzdem vorerst in Ruhe lassen. Und nur zart darauf hinweisen, jetzt bitte nicht nachzulassen. Denn das verbietet sich bei den kommenden Mainzer Gegnern: Am Mittwoch geht es nach Leverkusen, nächsten Samstag kommen die Bayern.
https://www.sueddeutsche.de/sport/mainz-matchwinner-yunus-malli-kuss-aufs-gruen-1.2653423
mlsum-de-850
Angelique Kerber spielt im Achtelfinale von Wimbledon ihren besten Satz der Saison - und scheitert trotzdem. Ein schlechtes Gewissen muss sie aber nicht haben.
Warmer Applaus, lächelnde Zuschauer, eine mitreißende Partie: Monatelang hat Angelique Kerber diese kleinen Glücksmomente vermisst, die der Beruf als Tennisprofi an guten Tagen mit sich bringt. Es gehört zur Ironie ihres Sports, dass sie diese just im Augenblick des Scheiterns im Achtelfinale von Wimbledon wiedergefunden hat. Zu einem Zeitpunkt, als sie auch Gewissheit darüber erhielt, dass sie kommende Woche ihre Stellung als Nummer eins der Weltrangliste verliert. Angelique Kerber, die Vorjahresfinalistin, hat sich am Montag in Wimbledon der Spanierin Garbiñe Muguruza, Nummer 15 des Rankings, in drei Sätzen (6:4, 4:6 und 4;6) geschlagen geben müssen. Aber in der bis zum letzten Ballwechsel ausgeglichenen Partie gab es nie Zweifel daran, dass hier Champions gegenüberstanden: die zweimalige Grand-Slam-Siegerin aus Kiel sowie die Spanierin, die im vergangenen Jahr die French Open gewann. "Es war mein bestes Spiel in diesem Jahr", sagte Kerber bedauernd bei ihrem Abschied aus dem All England Club. "Aber ich weiß jetzt, dass ich auf einem guten Weg bin. Die Motivation und die Leidenschaft sind zurück." Die Ausgangslage war für Kerber, 29, nach ihrer langen Formkrise allerdings nicht erbaulich. Sie hatte drei Zitterpartien in Wimbledon überstehen müssen, um überhaupt ins Achtelfinale zu kommen. Und die 23-jährige Garbiñe Muguruza ist eine flinke, ideenreiche Akteurin mit einem enormen Spielrepertoire, wie Kerber zuletzt erkennen musste: Die vergangenen vier Matches gegen die Spanierin hatte sie allesamt verloren. Auch bei dem vorherigen Duell auf Wimbledon-Rasen 2015 war Kerber der spanischen Rivalin unterlegen. Zu ihren bemerkenswerten Charaktereigenschaften gehört jedoch die Fähigkeit, Unangenehmes im Bedarfsfall dank reiner Willenskraft auszublenden. Sie konzentriere sich immer nur aufs nächste Spiel, sagt Kerber. Und die vier Niederlagen?"Das sagt gar nichts!", behauptete sie vorab. Und so begann sie das Match, nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe. Sondern mit Spielwitz und Powerschlägen aus erstaunlichen Winkeln, als hätte es das Krisenhalbjahr nie gegeben. Im ersten Satz setzte Kerber ein Ausrufezeichen, als sie die vorpreschende Muguruza mit einem Lob überlistete. Das Break zum 4:3 gelang mit einem mächtigen Passierball, dann war der erste Durchgang gewonnen. Es war mit Abstand ihr bester Satz der Saison. Die Zuschauer auf Court Nummer Zwei waren zum Teil so begeistert, dass sie zwischen den Ballwechseln aufsprangen, um zu applaudieren. Auch im zweiten Durchgang waren die Rollen verteilt: Muguruza griff an, Kerber vertraute ihren Konterfähigkeiten. Das Match blieb ausgeglichen, bis der Versuch, einen Breakball abzuwehren, in den Maschen landete. Kerbers erster Aufschlagverlust in der Partie bedeutete gleich den Satzverlust. Im dritten gelang es ihr nicht, vier Chancen zum 4:3 zu nutzen. Muguruza schöpfte Mut, die Sache zu beenden. "Es waren zwei oder drei Punkte, die den Unterschied gemacht haben," sagte Kerber. Für Selbstvorwürfe aber gibt es keinen Anlass nach diesem Spiel, in dem sie einer ebenbürtigen Rivalin gegenüberstand - und einem Champion unterlag. Kerber hat seit ihrer Ankunft in England zunehmend wieder Tritt gefasst auf dem Tennisplatz. Es mehren sich die Hinweise, dass ihr bei dem Kurzauftritt in Eastbourne und anschließend in Wimbledon tatsächlich die Wende geglückt sein könnte. Aus den vergangenen deprimierenden Wochen und Monaten hat sie Lehren gezogen, wie sie versicherte. Vor großen Brüchen, etwa einem Trainerwechsel, scheute sie zwar zurück. Auch sieht sie keinen Anlass, eine jener Tennislegenden in Teilzeit zu verpflichten, die vor allem im Männertennis als große Motivationskünstler gelten und ihre Dienste als "Super Coaches" anbieten. Andy Murray setzt beispielsweise auf die Hilfe des alten Recken Ivan Lendl; Novak Djokovic auf Andre Agassi. Und auch die Spanierin Muguruza, die im Viertelfinale nun auf die Russin Swetlana Kusnezowa trifft, weiß für die Dauer des Wimbledonturniers die ehemalige Weltklassespielerin Conchita Martinez an ihrer Seite - allerdings nur aushilfsweise. Kerbers Veränderungen sind eher klein, aber entscheidend, wie sie glaubt: Sie hat mehr Pausen in die tägliche Fron eingebaut. Sie will sich nicht mehr ausnahmslos auf die Absprungwinkel der gelben Bälle konzentrieren, dafür mehr auf die kleinen Glücksmomente, die das Leben abseits der Rasenlinien bietet. "Ich brauche mehr Ruhe für mich", erläuterte sie während des Turniers. "Ich will mal ein Buch lesen, einen Film gucken oder einen Kaffee trinken." Die Zeit nehme sie sich, sagte sie, "und das wird auch so bleiben". Die Führung in der Weltrangliste wird am Montag entweder auf die Rumänin Simona Halep oder die Tschechin Karolina Pliskova überwechseln. Angelique Kerber, die sie insgesamt 34 Wochen innehatte, muss dann kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie mal zum Buch greift. Auch das hat ihr Wimbledon gezeigt.
https://www.sueddeutsche.de/sport/wimbledon-kerbers-bestes-tennis-ist-nicht-mehr-gut-genug-1.3581562
mlsum-de-851
In der Wohnung in Schaarbeek bei Brüssel fanden Ermittler Sprengstoffgürtel und Fingerabdrücke des flüchtigen Paris-Attentäters Salah Abdeslam.
Die belgische Polizei hat nach den Pariser Anschlägen vom 13. November Spuren von Sprengstoff in einer Wohnung in der Brüsseler Hauptstadtgemeinde Schaarbeek gefunden. Bei der Durchsuchung am 10. Dezember seien auch "drei handgefertigte Gürtel" gefunden worden, die zum Transport von Sprengstoff eingesetzt werden könnten, teilte die belgische Staatsanwaltschaft mit. Darüber hinaus sei ein Fingerabdruck von Salah Abdeslam entdeckt worden, der an den Anschlägen in Paris beteiligt war und seither auf der Flucht ist. Die Wohnung befindet sich laut Staatsanwaltschaft im dritten Stock eines Hauses im nordöstlichen Teil der Region Brüssel-Hauptstadt. Dort seien Materialien gefunden worden, "die zur Herstellung von Sprengstoff benutzt werden können sowie Spuren von TATP". TATP ist ein Sprengstoff, der leicht entzündet werden kann. Die Wohnung sei unter Angabe einer falschen Identität gemietet worden, erklärte die belgische Bundesstaatsanwaltschaft weiter. Sie sei womöglich von einem Verdächtigen genutzt worden, der bereits in dem Fall in Haft genommen worden sei. Bei den Pariser Anschlägen vom 13. November auf eine Konzerthalle, Restaurants und vor dem Fußballstadion Stade de France waren 130 Menschen getötet worden. Die meisten Attentäter sprengten sich selbst in die Luft, einige wurden von der Polizei getötet. Von dem aus der Region Brüssel stammenden Hauptverdächtigen Abdeslam fehlt dagegen jede Spur. Zu den Anschlägen bekannte sich die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat.
https://www.sueddeutsche.de/politik/terror-in-paris-belgische-polizei-findet-offenbar-versteck-von-paris-attentaeter-1.2809678
mlsum-de-852
Der Transfermarkt war in diesem Winter vergleichsweise ruhig. Denn die Klubs wissen: Das richtig große Geld ist erst in ein paar Monaten im Markt.
Am Ende kam es dann doch noch zum ganz großen Wechsel. Heftig war ja spekuliert worden, dass allerlei Prominenz in diesem Winter durch das Transfer-Fenster spazieren würde, das am Montag wieder zugeschlagen wurde. Doch selbst die Klubs der Premier League, die laut dem Online-Portal transfermarkt.de insgesamt 209,52 Millionen Euro in neues Personal investierten, streuten ihr Vermögen im Dezember und Januar nur nach dem Konfetti-Prinzip breit über den Planeten. So sicherte sich Norwich City für erstaunliche zwölf Millionen Euro die Dienste des Wolfsburger Verteidigers Timm Klose; der FC Bayern vermittelte seinen Bankdrücker Jan Kirchhoff für eine bescheidene Million an den FC Sunderland. Pogba allerdings blieb bei Juventus Turin, Ronaldo und Bale stürmen weiter für Real Madrid, Neymar wurde wieder in Barcelona gesichtet und Lewandowski trifft weiterhin für den FC Bayern. Folglich fiel der Scheinwerfer im großen Transfer-Finale auf den VfB Stuttgart. Denn der vollzog jene "spektakulärste Winter-Personalie" (Deutsche Presse-Agentur), die die Liga adeln wird. Claudemir Jerônimo Barreto, besser bekannt als Cacau, ist zurück von einem offenbar unerquicklichen Japan-Abenteuer. Deutscher Meister 2007, deutscher WM-Stürmer 2010 - Cacau, 34, soll dem VfB helfen, den Abstieg zu vermeiden. Allerdings nicht in Liga eins, sondern in Liga drei, in der zweiten Mannschaft, wo die Not der Schwaben ähnlich groß ist. Ab Sommer wird der Markt mit Geld geflutet Aber auch für seine erste Mannschaft hat der VfB spektakulär zugegriffen: Kevin Großkreutz, Ex-Dortmunder, der sich Mitglied des Weltmeister-Kaders von 2014 nennen darf, nimmt dort seine sportliche Resozialisierung in Angriff. Und das mit ersten Erfolgen. Mit Großkreutz in der Startelf wurde 3:1 in Köln und 2:1 gegen den HSV gewonnen; somit könnte der VfB beispielgebend werden für alle, die mit zwei, drei zielgenauen Winter-Transfers einen Trend zu drehen versuchen. Gehandelt haben vorrangig jene Bundesligisten, die einem Negativstrudel zu entkommen versuchen, Bremen, Hannover, Frankfurt, der HSV; nahezu unberührt ließ nur die TSG Hoffenheim das Personal-Tableau. Gut, oben in der Tabelle vollzog der FC Bayern mit Verteidiger Serdar Tasci einen SOS-Transfer, der Rest der Etablierten aber orientierte sich an einer alten Kaufmanns-Regel: Was soll ich einen guten Profi heute teuer ziehen lassen, den ich morgen teurer verkaufen kann? Ab Sommer wird bekanntlich der Markt mit Geld geflutet, greift dann doch der neue, milliardenschwere Fernsehvertrag der Premier League. Ab Sommer ist zudem Pep Guardiola bei Manchester City, und für die Umsetzung seiner flamboyanten Ideen braucht er wohl eine neue Mannschaft. Auch die Chinesen werden im Casino sitzen bleiben, die bereits im Winter mit über 200 global gestreuten Millionen hinter den Engländern die Transfer-Könige waren. In diesem Wissen halten sich die großen Spieler ganz, ganz still am Tisch. Denn eines ist klar: Es wird ein absurder Sommer.
https://www.sueddeutsche.de/sport/kommentar-das-konfetti-prinzip-1.2846395
mlsum-de-853
Deutsche Marken legen laut einer Studie der Firma Interbrand deutlich zu - mit einer Ausnahme.
Trotz der Absatzrückgänge beim iPhone bleibt der Technologiekonzern Apple die wertvollste Marke der Welt - jedenfalls in der jährlichen Studie der Marktforschungsfirma Interbrand. In der am Mittwoch veröffentlichten Rangliste errechnete Interbrand für Apple einen Markenwert von gut 178 Milliarden Dollar, ein Zuwachs von fünf Prozent. Google holt auf Platz zwei mit einem Plus von elf Prozent etwas auf und kommt nun auf 133,25 Milliarden Dollar. Platz drei behielt der langjährige Spitzenreiter Coca Cola, wenn auch weit abgeschlagen mit gut 73 Milliarden Dollar. Das entspricht einem Rückgang von sieben Prozent. Das höchste Wachstum in diesem Jahr verzeichnete das soziale Netzwerk Facebook. Mit einer Steigerung des Markenwerts um 48 Prozent rückte das Unternehmen auf Rang 15 vor. Ebenfalls deutlich zulegen konnte Amazon. Mit einem Plus von 33 Prozent landete der Onlinehändler auf dem achten Platz. Neu im Ranking sind in diesem Jahr das Modehaus Dior (auf Platz 89) und der US-Autobauer Tesla (Platz 100). Deutsche Marken konnten deutlich zulegen; fast alle deutschen Unternehmen unter den 100 wertvollsten Marken verzeichneten zweistellige Wertzuwächse. So landete Mercedes-Benz auf Platz neun, mit einem Sprung von 18 Prozent auf 43,5 Milliarden Dollar. BMW liegt nach einem Zuwachs von zwölf Prozent auf 41,5 Milliarden Dollar auf Rang elf. Adidas stieg mit einem Zuwachs von 16 Prozent von Rang 62 auf Rang 60. Für Volkswagen ging es dagegen nach dem Abgasskandal mit einem erneuten Minus von neun Prozent auf 11,4 Milliarden Dollar abwärts - vom 35. auf den 40. Platz. Trotzdem sehen die Marktforscher die Konzerntöchter im Aufwind: Audi rückte im Ranking mit einem Markenwert-Zuwachs von 14 Prozent auf rund 11,8 Milliarden Dollar vom 44. auf den 38. Platz vor. Und Porsche stieg nach einem Plus von 18 Prozent auf 9,5 Milliarden Dollar um sechs Positionen auf Rang 50. Interbrand berechnet den Markenwert auf Basis von Geschäftszahlen, der Wirkung der Marke auf die Kunden sowie einer Einschätzung der Fähigkeit, in der Zukunft Gewinne zu sichern. In einer anderen bekannten Markenstudie, "Brandz" des Marktforschungsunternehmens Millward Brown, holte sich Google 2016 den Spitzenplatz von Apple zurück.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/marktforschung-apple-bleibt-wertvollste-marke-der-welt-1.3192279
mlsum-de-854
Der FC Schalke 04 holt durch ein 2:0 in Leverkusen wertvolle Punkte für die Champions-League-Qualifikation. Nach frühem Gegentor und Platzverweis zeigt Bayer 04 wenig Torgefahr.
Während Leverkusens jugendlicher Nationalspieler Julian Brandt schwärmte, die Spiele gegen Schalke 04 in der BayArena hätten immer ein besonderes Flair, erinnerte sich Bayer-Trainer Heiko Herrlich seiner eigenen Erfahrungen aus Zeiten, in denen Brandt noch gar nicht auf der Welt war. Als Erstes fiel ihm da ein Torwart namens Jens Lehmann ein, der vor 25 Jahren zur Pause das Stadion verließ, nachdem er seinen Teil zum 0:3-Rückstand beigetragen hatte. Lehmann wanderte geradewegs zur S-Bahn-Station Leverkusen-Mitte und nahm den Zug nach Essen, das Geld für das Ticket hatte er sich von einem Schalke-Fan geliehen. Nun' Ralf Fährmann nahm am Sonntag den Mannschaftsbus nach Hause, und Lehmanns Nachfolger durfte zufrieden sein mit dem Ausflug ins Rheinland. Schalke räumte durch ein nicht glanzvolles, aber verdientes 2:0 die Punkte ab im Duell der Champions-League-Anwärter. "Die Fans dürfen davon sprechen und träumen", sagte Schalkes Trainer Domenico Tedesco zu den Qualifikations-Aussichten auf Europas höchste Spielklasse, "bei uns ist das schlichtweg verboten. Erstens ist die Tabelle unheimlich eng, zweitens würden wir Gefahr laufen, den Fokus zu verlieren." Es war ein Spitzenspiel, in dem das große Flair fehlte, doch das konnte den Schalkern einerlei sein. Bayer Leverkusen musste ohne Nationalspieler Jonathan Tah auskommen, der eine Grippe kuriert. Doch auch in Abwesenheit ließ der Verteidiger das Publikum jubeln: Der Klub gab bekannt, dass Tah seinen Vertrag bis 2023 verlängert hat. Sein Stellvertreter Panagiotis Retsos bekam es vorwiegend mit Guido Burgstaller zu tun, während Sven Bender sich mit Breel Embolo befasste. In den ersten Minuten zeigten die Hausherren aber mehr Initiative, den ersten Torschuss gab Leon Bailey ab, er verfehlte sein Ziel. Nationalspieler Jonathan Tah verlängert in Leverkusen überraschend bis 2023 Schalke bemühte sich darum, unbequem zu sein und suchte die engen Zweikämpfe. Als Daniel Caligiuri in der 11. Minute einen Bayer-Vorstoß abfing, sah das zunächst aus wie eine gewöhnliche Abwehraktion, aber dann ließ Schalkes Mann für den rechten Flügel den ersten, zweiten und dritten Gegner hinter sich und schlug einen Diagonalpass, mit dem Retsos offenbar nicht gerechnet hatte, und als nun der lange Guido Burgstaller behende wie ein kleiner Spanier den Ball über ihn hinweg lupfte und sich freie Bahn verschaffte, schaute der junge Retsos erneut alt aus. Zumal Burgstaller mit platziertem Flachschuss geradewegs das 1:0 folgen ließ. Mit dem Rückstand ging Bayer zunächst professionell um, Bailey verpasste den Ausgleich um zwei Handbreiten (20.), doch allmählich setzte sich die Schalker Spielkontrolle durch, Bernd Lenos starke Parade nach Leon Goretzkas Kopfball verhinderte das 0:2 (29.). Kurz darauf eine Meldung am Rande: Bayers Vorzeigekämpfer Dominik Kohr verdiente sich seine achte gelbe Karte, eine beachtliche Bilanz, die umso beachtlicher wurde, weil Kohr sieben Minuten später das nächste Gelb-Foul beging (an Embolo) und folgerichtig den Platz verlassen musste. "Insgesamt waren wir nicht giftig genug. Und er war dann im falschen Moment zu giftig", haderte Leverkusens Sportchef Rudi Völler. Bayer brachte dann nicht mehr viel nach vorne zustande, Spieler wie Kevin Volland und Brandt nahmen kaum am Geschehen teil. Nach der Pause versuchte Tedesco das spielerische Element und die Konterkapazitäten seiner Schalker zu stärken, er wechselte den schnellen Amine Harit ein und Burgstaller aus (der darüber nicht erfreut war), Stambouli ersetzte den gelbbelasteten Max Meyer. Doch die Hoffnungen des Trainers erfüllten sich nicht, Schalke machte zu wenig aus der Überzahl, verplemperte die Gegenstöße und verlor mehr und mehr an Linie, während Bayer sich allmählich zurückmeldete, allerdings nur bedingt Gefahr entwickelte. Von Goretzka war nun auch nicht mehr viel zu sehen, ihn ersetzte Nabil Bentaleb. So verstrichen die Minuten. Schalkes Abwehrreihe mit dem souveränen Turm Naldo und Nastasic und Kehrer an seiner Seite wahrte den Status Quo und Herrlich griff zu einem Trick. Er nahm Stefan Kießling hinein, ein berüchtigtes Schalker Schreckgespenst. Doch Bayer kam kaum noch dazu, den Mittelstürmer in dessen 399. Ligaspiel einzusetzen. Auf der Gegenseite war mehr los, im Minutentakt liefen nun die Konter über Harit, der sich in die Partie gebissen hatte und nun die auffälligste Figur war. Leno rettete noch einmal brillant vor Embolo, aber dann war auch der gute Torwart machtlos. Nach Retsos' Einsteigen gegen Embolo gab es Elfmeter mit Videoprüfung (89.). Bentaleb verwandelte zum 2:0, und die Partie war entschieden. "Wir sind jetzt aus den ersten Vieren rausgepurzelt und müssen bald die Kurve kriegen", forderte Völler. Eindringlich ergänzte er: "Es sind noch zehn Spiele, und wir haben Qualität, aber wir müssen es wieder mehr erzwingen."
https://www.sueddeutsche.de/sport/schalker-sieg-gegen-leverkusen-gelupft-wie-ein-kleiner-spanier-1.3882348
mlsum-de-855
Fast zwei Stunden lang waren nur die Übersetzer dabei. Hat Trump einem Referendum in der Ostukraine zugestimmt? Und warum sagt er plötzlich, Montenegro könne "den Dritten Weltkrieg auslösen"?
Dan Coats ist einer der Menschen in Washington, die am meisten wissen sollten. Er arbeitet als "Nationaler Geheimdienstdirektor" im Weißen Haus, er hat die Aufsicht über sämtliche amerikanische Spionagebehörden, bei ihm laufen viele Informationskanäle zusammen. Dennoch wusste Coats offenbar nicht, was sein Kollege John Bolton im Büro nebenan tat. Bolton arbeitet auch im Weißen Haus, er trägt den Titel "Nationaler Sicherheitsberater", und seine Aufgabe ist, US-Präsident Donald Trump in außen- und sicherheitspolitischen Dingen zur Seite zu stehen. Ein Thema, über das Trump, Coats und Bolton eigentlich praktisch ständig reden müssten, ist die Politik gegenüber der rivalisierenden Atommacht Russland. So wie es aussieht, haben allerdings weder Bolton noch Trump Coats gesagt, dass Bolton im Auftrag Trumps daran arbeitet, einen Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Washington im Herbst zu organisieren. "Was? Sagen Sie das noch mal", antwortete Coats überrascht, als ihn eine Journalistin am Donnerstag während eines Gesprächs über die Pläne informierte. "O.k. Na, das wird ja was Besonderes." Man kann nun darüber spekulieren, ob das sarkastisch oder resignativ gemeint war. Coats ließ jedenfalls keinen Zweifel, dass aus seiner Sicht schon das erste Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin, am Montag in Helsinki, überaus besonders gewesen sei. Auf ein zweites kann er offensichtlich gut verzichten. Coats missfielen zwei Dinge an Trumps Treffen mit Putin. Er hätte sich gewünscht, so sagte er, der US-Präsident hätte nicht insinuiert, dass er dem russischen Kollegen mehr vertraue als den amerikanischen Geheimdiensten. Das war die Post-Helsinki-Standardkritik. Trump hatte in Finnland mehr oder weniger klar gesagt, er glaube Putin, wenn dieser bestreite, dass sich Russland in die Präsidentschaftswahl 2016 eingemischt habe. Die US-Dienste und die US-Justiz behaupten das Gegenteil und haben jede Menge Beweise für ihre Version. Offenbar nicht genug für Trump: "Ich habe hier Präsident Putin. Er sagt, es war nicht Russland." Später fällt auf: einer der "Verbrecher" ist ein Ex-US-Botschafter Coats beklagte noch eine Besonderheit des Gipfels. Trump hatte sich zwei Stunden allein mit Putin unterhalten, nur Dolmetscher waren anwesend. So weiß jetzt außer Trump keiner in der US-Regierung wirklich, was die Präsidenten besprochen und eventuell versprochen haben. Niemand konnte erklären, was die Russen meinten, als sie am Tag nach Helsinki von "wichtigen mündlichen Vereinbarungen" redeten. Und bei vielen in Washington herrscht blanke Panik, dass Trump, ohnehin keiner, der sich Details und Nuancen eines Gesprächs merkt, von dem psychologisch geschulten Ex- KGB-Offizier Putin über den Tisch gezogen wurde. Beispiel: US-Sonderermittler Robert Mueller hat zwölf russische Geheimdienstler angeklagt. Sie sollen im Wahlkampf 2016 Hackerangriffe auf die US-Demokraten geleitet haben, um deren Kandidatin Hillary Clinton zu schaden. Putin schlug in Helsinki vor, Mueller könne die zwölf Angeklagten befragen, wenn russische Ermittler Amerikaner verhören dürften, die in Russland Verbrechen begangen hätten. Das sei "ein großartiges Angebot", lobte Trump in Helsinki. "Unglaublich." Später fiel in Washington auf, dass unter den amerikanischen "Verbrechern", die Putin vernehmen lassen will, Michael McFaul ist, Ex-US-Botschafter in Moskau. Er ist über jeden kriminellen Verdacht erhaben. Er ist freilich ein harscher Putin-Kritiker. Trump hätte aus Unwissenheit oder Gefallsucht fast zugestimmt, dass russische Ermittler ihn ins Kreuzverhör nehmen. Erst am Donnerstag stellte das Weiße Haus klar, dass das nicht passiert. Ähnlich besorgniserregend fanden US-Sicherheitspolitiker, dass Trump nach dem Gipfel über das jüngste Nato-Mitglied herzog: Montenegro. Dort lebten "aggressive" Menschen, die "den Dritten Weltkrieg auslösen" könnten. Und Amerika hänge dann wegen der Nato-Beistandspflicht mit drin. Das klang sehr nach russischer Sicht der Dinge. Das gilt auch für Putins angeblichen Vorschlag, im Donbass, wo ukrainische Regierungstruppen gegen prorussische Separatisten kämpfen, ein Referendum abzuhalten. Dass so eine Volksbefragung, die in Europa strikt abgelehnt wird, für die Abspaltung von der Ukraine und den Anschluss an Russland ausgehen würde, ist sicher. Putin annektierte die Krim mit einem ähnlichen Trick. Ob und wie Trump auf die Idee geantwortet hat, ist unklar. Er weiß es, sagt es aber nicht. Einige Demokraten im Kongress kamen daher auf die Idee, die US-Reegierungsdolmetscherin, die das Gespräch übersetzte, zu befragen. Das wäre beispiellos und wurde von den Republikanern sofort niedergestimmt. Aber das Unbehagen bleibt. Trump stört das nicht sehr. Ihm ist ziemlich egal, was das sicherheitspolitische Establishment denkt, aus dem Coats stammt und das ihn ohnehin kritisiert. Für den Präsidenten ist wichtig, dass laut Umfrage 79 Prozent der republikanischen Wähler seinen Umgang mit Putin großartig finden.
https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-ratlos-in-washington-1.4063164
mlsum-de-856
Rechtsextreme belagern eine Notunterkunft für Flüchtlinge im sächsischen Bischofswerda - den zweiten Abend in Folge.
Fremdenfeinde pöbeln gegen ankommende Flüchtlinge Nur unter Polizeischutz sind Flüchtlinge im sächsischen Bischofswerda in ihre Notunterkunft gelangt. Rechtsextreme Krawallmacher belagerten am Freitagabend die Zufahrt zu dem Asylbewerberheim, skandierten ausländerfeindliche Parolen und warfen eine Flasche gegen einen Bus mit Flüchtlingen, wie ein Sprecher der Polizei mitteilte. Eine Gruppe von mehr als 50 Menschen habe sich am Freitagabend vor der Halle versammelt, sagte der Sprecher. Eine rechte Initiative hatte kurzfristig einen Protestmarsch durch die benachbarten Straßen angemeldet. Zuvor hatte es Aufrufe in sozialen Netzwerken gegeben. Nach einem kurzen Marsch stoppten die Teilnehmer vor dem Heim. Einige von ihnen versperrten vorübergehend den Zufahrtsbereich zu dem Heimgelände. Sie kamen aber der Aufforderung nach, den Bereich zu räumen. MDR Sachsen zufolge bewertete ein Polizeisprecher die Lage als ingesamt ruhig. Aber immer dann, wenn ein Bus mit Flüchtlingen die Einfahrt passiert habe, sei die Stimmung "aggressiv" geworden. Insgesamt kamen am Freitag fünf Busse mit Flüchtlingen an. Die pöbelnden Fremdenfeinde harrten bis in den späten Abend vor dem Heim aus. Nach Angaben der Polizei wurde die Gruppe vorrübergehend kleiner, zuletzt seien jedoch 80 bis 100 Menschen vor der Unterkunft gewesen. Erst gegen Mitternacht normalisierte sich die Lage wieder: Die Rechtsextremen und Dutzende Gaffer verschwanden in der Dunkelheit. Verletzt wurde niemand. Festnahmen gab es nicht. Zwei 18 und 34 Jahre alte Männer zeigten nach Polizeiangaben den Hitlergruß. Gegen sie werde nun ermittelt. Ansonsten sollen die "verbalen Entgleisungen" der Demonstrationsteilnehmer strafrechtlich nicht relevant gewesen sein, etwa als Volksverhetzung, wie die Polizei sagte. Nach Informationen des MDR wurden auch Hilfskräfte von DRK und THW ausgebuht und beschimpft. Bereits am Freitag Pöbeleien vor der Flüchtlingsunterkunft Die Polizei musste damit bereits den zweiten Abend in Folge mit einem großen Aufgebot die Lage vor der Unterkunft beruhigen. Bereits die Ankunft der ersten Flüchtlinge in der Nacht zum Freitag war von ausländerfeindlichen Pöbeleien von etwa 50 bis 70 Menschen begleitet worden. Rund 30 Menschen versuchten, die Zufahrt zur Halle zu versperren, waren von den Beamten allerdings abgedrängt worden. In Sachsen war es bereits im August zu massiven Ausschreitungen gegen Flüchtlinge gekommen. Rechtsextreme Krawalle vor der Notunterkunft in Heidenau lösten eine Welle der Solidarisierung mit Flüchtlingen aus. Auch Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel besuchten daraufhin das dortige Asylbewerberheim.
https://www.sueddeutsche.de/politik/bischofswerda-dutzende-fremdenfeinde-poebeln-gegen-ankommende-fluechtlinge-1.2655290
mlsum-de-857
US-Präsident Obama ist skeptisch, dass die an diesem Samstag beginnende Waffenruhe eingehalten werden wird. An vielen Fronten wird bis zuletzt erbittert gekämpft.
Kurz bevor eine Waffenruhe in Syrien in Kraft treten sollte, hat es in vielen Landesteilen schwere Gefechte gegeben. Ungeachtet dessen sollen die Friedensgespräche am 7. März wieder aufgenommen werden. Voraussetzung sei, dass der von Samstag an geplante Waffenstillstand weitgehend halte, sagte der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, am Freitag. Die Wiederaufnahme der Gespräche ist ein Ziel der Waffenruhe. Diese trat am Samstag um 0 Uhr Ortszeit in Kraft. Russische Kampfjets flogen nach Angaben von Bewohnern in der Nacht zum Freitag Angriffe auf die von Rebellen kontrollierte Stadt Douma östlich von Damaskus. Russland bestritt, Zivilsten getroffen zu haben. Truppen des Regimes von Baschar al-Assad rückten in der Provinz Latakia und Idlib gegen Stellungen der Rebellen vor, die hier über die türkische Grenze Nachschub erhalten. In den Provinzen Hama und Homs beschossen regierungstreue Einheiten von Aufständischen gehaltene Gegenden mit Artillerie, auch rund um Aleppo wurde gekämpft. Terrormiliz Islamischer Staat ist von Waffenruhe ausgenommen Dort eroberten Milizen, die für das Regime kämpfen, drei Dörfer zurück - allerdings von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Sie ist vom Ende der Feindseligkeiten ebenso ausgenommen wie die Nusra-Front, der syrische Ableger von al-Qaida. Die Nusra-Front, die stellenweise mit gemäßigten Rebellen zusammenarbeitet, zog sich in einigen Orten aus Stützpunkten zurück und räumte Straßensperren, um dem Regime und Russland keinen Vorwand zu bieten, die Gebiete zu attackieren. Der Chef der Nursa-Front, Abu Mohammed al-Dschaulani, rief die Syrer zugleich auf, die Waffenruhe abzulehnen. Die Rebellen sollten ihre Angriffe auf das Regime verstärken. Russland und die USA, die den Plan für die Waffenruhe vereinbart hatten, wollten Gebiete demarkieren, die von der gemäßigten Opposition gehalten werden und von Angriffen ausgenommen sein sollen. Bisher hatten die russische Luftwaffe und regierungstreue Einheiten Rebellengebiete unter dem Vorwand attackiert, Terroristen zu bekämpfen. Präsident Barack Obama sagte, die USA würden alles tun, damit die Waffenruhe halte. Aber niemand habe "irgendwelche Illusionen". Das Verhandlungskomitee der Opposition erklärte, es werde die Waffenruhe für zwei Wochen als "Test des guten Willen des Regimes" respektieren. Moskau beschuldigte "einige US-Offizielle", die Waffenruhe zu sabotieren. Sie würden sie anders auslegen, als von Präsident Wladimir Putin und Obama vereinbart. Die Sprecherin des Außenministeriums sagte, Russland werde die Luftangriffe fortsetzen
https://www.sueddeutsche.de/politik/syrien-besser-keine-illusionen-1.2881513
mlsum-de-858
Ein Jahr nach seinem schweren Sturz gilt Simon Ammann bei der Vierschanzentournee nur als Außenseiter - trotzdem könnte der Schweizer mit neuer Technik die Weltelite überraschen.
Es war ein perfekter Tag. Alles war friedlich, er hatte die Schanze ganz für sich allein. Spontan war Simon Ammann nach Bischofshofen gefahren, nachdem er sich zunächst lange um diesen Besuch gedrückt hatte. Aber dann wurde es ein klarer, windstiller Herbsttag, "und sie haben die Spur noch einmal geputzt", erzählt er. Und irgendwann musste er eben den ersten Sprung machen, und "dann machst du das, was du als Skispringer machen musst: oben loslassen". Man stellt sich vor, dass für einen Skispringer wie Simon Ammann das Loslassen selbstverständlich ist. Der Schweizer ist ja schon 2002 Doppelolympiasieger geworden, und dann noch mal 2010. Am Montag startet er zum 18. Mal bei der Vierschanzentournee. Er ist Tausende Male oben vom Balken gerutscht und hat sich dem Wind anvertraut, so oft, dass es eine Angst vor der Unsicherheit eigentlich gar nicht mehr geben kann. Und wenn man keine Angst mehr verspürt, muss man sie auch nicht mehr loslassen. Aber dieser Sprung nun in Bischofshofen war ja doch wie ein Anfang. Es war ein gewaltiger Schritt und eine Bewährungsprobe für den nun rundum erneuerten und wieder ziemlich ambitionierten Skispringer Ammann. Wie es halt ist, wenn man nach einem Jahr an den Ort seines schlimmsten Sturzes zurückkehrt. Ammann: "Ich habe jetzt einen unbeschwerten Zugang." Die bis dahin letzte Erinnerung an Bischofshofen waren Bilder vom Schnee und von den Sanitätern. Danach war Ammann erst im Krankenhaus wieder aufgewacht. Er war nach einem weiten Sprung bei der Landung gestürzt und bäuchlings bei über 100 Stundenkilometern mit dem Gesicht nach unten durch den Schnee gerutscht. Er hatte Prellungen und Schürfwunden davongetragen und eine schwere Gehirnerschütterung - und zudem das für einen notorischen Skisprung-Analytiker und Selbstkontrolleur schwer zu verkraftende Rätsel, weshalb er sich um Gottes willen nicht wie sonst instinktiv zur Seite geworfen hatte. In drei Tagen läuft das Jahr 2015 ab, und der Weg, den er in den knapp zwölf Monaten zurückgelegt hat, war weiter als einst der zu seinen Erfolgen. Ammann hat nur extreme Außenseiterchancen bei der Tournee, und doch könnte er für eine Überraschung sorgen. Denn der Athlet Ammann arbeitet rastlos wie immer. So wie in früheren Zeiten, als er eine neue Bindung erfand, mit der heute alle springen, hat der 34-Jährige sein Sprungsystem erneuert. Er tastet sich langsam nach oben, und keiner weiß genau, ob ihm in dieser Entwicklung nicht plötzlich ein mächtiger Sprung gelingt. Er steht im Gesamtweltcup zwar nur auf Platz 14, aber er sagt: "Ich habe jetzt einen unbeschwerten Zugang." Das erfolgreiche Training im sonnigen Bischofshofener Herbst war nur einer von vielen Bausteinen für die Rückkehr. Am wichtigsten ist seine neue Landung, die ihm bis heute allerdings nur ansatzweise gelingt. Ammann hatte sich schon vor seinem Sturz mit dem Gedanken befasst, seinen Bewegungsablauf umzustellen. Als er im Krankenhaus über den Sinn einer Rückkehr grübelte, war klar, dass die Zeit reif war für die neue Landung. "Ich hatte kein Vertrauen mehr in das linke Bein", hatte er schon im Sommer gesagt. Es geht um den Telemark, den Ausfallschritt, bei dem starke Kräfte auf das vordere Knie wirken, der aber wichtige Haltungspunkte bringt. Sein stärkeres Bein war schon früher das rechte, dennoch sprang er 17 Jahre lang nach einer Verletzung in den linken Ausfallschritt. Doch wirklich stabil fühlte er sich nicht. Nun muss das linke Bein zurück, nur - das rechte traut sich auch nicht wirklich.
https://www.sueddeutsche.de/sport/skispringen-reif-fuer-einen-neuen-schritt-1.2797452
mlsum-de-859
Das Gesundheitssystem in Venezuela ist so marode, dass nicht nur Medikamente fehlen. Es gibt nicht einmal Kondome zu kaufen. Das Problem trifft vor allem Teenager.
Vor wenigen Tagen ist ein kleines Wunder geschehen in Venezuela: Der autokratische Präsident Nicolás Maduro räumte ein, dass es "Probleme im Gesundheitssektor" gibt. Bislang hatte er das hartnäckig geleugnet, obwohl das Wort "Problem" der dramatischen Lage nicht ansatzweise gerecht wird. Das Land befindet sich laut der International Crisis Group in einer "komplexen humanitären Krise". Um zu verstehen, was das bedeutet, genügt es, in der Hauptstadt Caracas eine Apotheke aufzusuchen. Mit etwas Glück findet man dort Cola, Streichhölzer und Kernseife. Nicht erhältlich sind in der Regel Medikamente. Neben den wichtigsten Grundnahrungsmitteln fehlen im ölreichsten Staat der Erde auch Nasentropfen, Schmerzmittel, Antibiotika, Betablocker, Insulin und Antibabypillen. An der Kasse hängen manchmal zwei, drei Päckchen Kondome der Marke "Sex USA". Die kosten dann aber fünf Millionen Bolívares. Das entspricht etwa dem Monatsgehalt eines Oberarztes in den nicht mehr funktionsfähigen Krankenhäusern. Komplexe humanitäre Krise bedeutet, dass nahezu alle 30 Millionen Venezolaner von der Hyperinflation und dem damit verbundenen Kollaps der Infrastruktur betroffen sind. Und es ist keineswegs ein Randproblem, dass neben einer ausreichenden Ernährung und einer menschenwürdigen Gesundheitsversorgung auch sicherer Sex zu einem nahezu unerschwinglichen Luxus geworden ist. HIV galt bis vor wenigen Jahren als gut kontrolliert in Venezuela. 2017 aber starben dort laut dem Virologen Julio Castro mindestens 5000 Menschen an Aids. Der Präsident hält sich für einen Feministen Präsident Maduro bezeichnet sich gerne als Feminist - eine seiner bizarrsten Lügen. Denn zu den am stärksten betroffenen Gruppen der Mangelwirtschaft gehören Frauen im gebärfähigen Alter. Familienplanung ist ein international verbrieftes Menschenrecht, das in Venezuela nicht mehr existiert. "Keine Kondome, keine Pillen, keine Geburtenkontrolle", sagt Zobeida Barradas, die beim venezolanischen Roten Kreuz seit 23 Jahren für Sexualerziehung zuständig ist. An Präventionskampagnen sei nicht zu denken. Vor allem die rasant steigende Zahl der Schwangerschaften von Minderjährigen bereitet ihr große Sorgen. Statistiken der Regierung gibt es dazu keine, einem UN-Bericht von 2016 zufolge war jede zehnte schwangere Venezolanerin noch nicht erwachsen. Die BBC zitierte unlängst aus einer Studie, wonach inzwischen jedes vierte Baby von einem Teenager geboren wird. Barradas sagt: "Fest steht, das Problem ist völlig außer Kontrolle, und es wird immer schlimmer." Barradas versucht, den Mädchen und jungen Frauen in Caracas zu helfen, so gut es geht. Aber oft geht es eben nicht. Sie hat beim Gesundheitsministerium gerade 200 Packungen Kondome angefordert. Antwort: Es gibt keine. Alle Fälle, die sie betreut, sind Risikoschwangerschaften, nicht nur wegen der haarsträubenden hygienischen Zustände in den Krankenhäusern und Geburtenkliniken, wo es mitunter nicht einmal Wasser und Strom gibt. Die Nahrungsmittel- und die Gesundheitskrise verstärken sich gegenseitig. "Viele der werdenden Mütter sind unterernährt, fast alle haben Angst vor der Zukunft", sagt Barradas. Sie kennt Mädchen, die ihre Kinder gerne verschenken möchten, und Mädchen, die schwanger sind, weil sie Sex gegen Essen angeboten haben. Barradas beobachtet bei ihrer Arbeit auch einen starken Anstieg von Geschlechtskrankheiten wie Tripper und Syphilis sowie von illegalen Abtreibungen. Verlässliche Statistiken gibt es auch dazu keine in Venezuela. Dafür gibt es einen Präsidenten, der nach den jüngsten Massenprotesten von Ärzten und Krankenschwestern überhaupt erstmals öffentlich ein "Problem" einräumt und gleichzeitig behauptet: "Wir werden alles Notwendige ändern. Unser Ziel ist, das beste Gesundheitssystem der Welt zu haben." Realitätsverlust im Endstadium, muss man da wohl diagnostizieren. Zu deutlich besseren Zeiten der chavistischen Revolution wurden Verhütungsmittel kostenlos verteilt. Inzwischen produziert Venezuela aber keine Medikamente und Hygieneartikel mehr, und wegen der Devisenknappheit wird auch fast nichts mehr importiert. Humanitäre Hilfe lehnt Maduro aus Prinzip ab. Immer mehr Jugendliche, erzählt Zobeida Barradas, informierten sich deshalb im Netz über alternative Verhütungsmethoden. Dort finden sich zum Beispiel "15 Hausmittel, um nicht schwanger zu werden". Etwa dieses: Nach jedem ungeschützten Sex zwei bis drei Feigen essen!
https://www.sueddeutsche.de/panorama/venezuela-das-land-der-schwangeren-kinder-1.4067706
mlsum-de-860
Er wurde mit gefesselten Händen in den Gerichtssaal in Missoula geführt. Nun müssen die Richter entscheiden, wie lang Markus Kaarma für den Tod des deutschen Austauschschülers Diren D. ins Gefängnis muss. Erstmals äußert sich Kaarma selbst.
Am Mittwoch erst war das Urteil gefallen. Nun müssen die Richter in Missoula noch feststellen, für wie viele Jahre der Mann ins Gefängnis soll, der den 17-jährigen deutschen Austauschschüler Diren Dede in seiner Garage erschossen hat. Mit einem bewegenden Auftritt von Direns Eltern begann am Donnerstag vor dem Bezirksgericht in Missoula in den Rocky Mountains das Verfahren zur Festsetzung des Strafmaßes für Markus Kaarma. "Vorsätzliche Tötung" hatte das Urteil der Jury am Mittwoch gelautet. Der 30-jährige Kaarma habe nicht in Notwehr gehandelt, als er am 27. April 2014 den 17-Jährigen mit einem Schrotgewehr erschoss, der sich kurz nach Mitternacht unberechtigt in Kaarmas Garage aufhielt. Kaarma wurde in orangefarbener Gefängniskleidung und mit gefesselten Händen in den bis zum letzten Platz gefüllten Gerichtssaal geführt. Als kurz danach Direns Eltern den Saal betraten, klatschten die Zuschauer Beifall. Auch für die Schwestern Direns ein schmerzlicher Verlust Zuerst nahm Direns Vater Celal Dede im Zeugenstuhl Platz. Er sprach türkisch, ein Dolmetscher übersetzte. "Ein Teil unserer Familie wurde uns geraubt", sagte Celal Dede. "Unsere Träume sind zerbrochen, wir können keine Zukunftspläne mehr machen." Er schilderte die Freude der Eltern über Direns Geburt, des ersten Sohnes nach zwei Mädchen. Auch für die beiden Schwestern bedeute Direns Tod ein schmerzlicher Verlust. "In unserer Kultur ist ein Bruder etwas ganz Besonderes", sagte Celal Dede. "Er ist der Beschützer seiner Schwestern." Diren sei in den USA sehr glücklich gewesen. "Er sagte, in Missoula fühle er sich wie im Himmel. Seine Freunde liebten und respektierten ihn. Niemals hätten wir uns vorstellen können, das er ein solches Ende findet." Er sei froh, dass der Mann, der Diren tötete, nun ins Gefängnis müsse, sagte Celal Dede, "aber das bringt uns Diren nicht zurück. Wir hoffen, dass er im Gefängnis viel Zeit hat, über seine Tat nachzudenken." Mehr zum Thema Gerechtigkeit in Amerika - Kommentar von Hans Holzhaider Direns Mutter Guelcin Dede schilderte, wie sie die Nachricht vom Tod ihres Sohnes erhielt. "Niemals werde ich diesen Anruf vergessen", sagte sie. "Auch meinen Feinden würde ich niemals wünschen, dass sie ein Kind verlieren." Sie habe sich schon sehr auf Direns Heimkehr gefreut, "aber dann musste ich seinen toten Körper küssen." Von Kaarma hätte sie wenigstens erwartet, dass er Direns Tod bedauern und sich entschuldigen würde. "Unsere Kinder sind ein Teil unseres Herzens", sagte Guelcin Dede; über Markus Kaarma fügte sie hinzu: "Auch wenn er unserem Sohn das Leben genommen hat, würde ich nie wünschen, dass er dasselbe erleben muss." In Richtung von Kaarmas Mutter, die ebenfalls im Gerichtssaal sass, sagte sie: "In unserer Kultur können Eltern niemals Feinde sein. Wir haben unseren Sohn verloren, und ihrer wird ihm Gefängnis sein. Aber sie wird ihn wenigstens noch sehen können." Bei den Menschen in Missoula bedankte sich Guelcin Dede; sie hätten ihr in den Tagen des Prozesses sehr geholfen und ihr Mitgefühl ausgedrückt. "Ich danke Ihnen, ich kann nicht weiterreden", sagte sie. "Ich hoffe, Gott gibt Diren Frieden." Detailansicht öffnen Markus Kaarma (Mitte) und seine Anwälte während des Prozesses. (Foto: Kurt Wilson/AP) Kaarma: "Wollte niemals jemanden verletzen" Schließlich meldete sich zum ersten Mal während des Prozesses Markus Kaarma selbst zu Wort. "Ich wollte niemals jemanden verletzen", sagte er. "Es war eine so schreckliche Zeit, wir hatten solche Angst." Er spielte damit darauf an, dass vor Direns Tod zweimal Gegenstände aus seiner Garage gestohlen wurden. "Es tut mir sehr leid, dass Sie Ihren Sohn verloren haben. Es tut mir sehr leid für Diren." Kaarmas Anwälte kündigten an, dass sie Berufung gegen den Schuldspruch einlegen wollen. In der nächsten Woche will das Gericht entscheiden, ob Kaarma noch einmal gegen Kaution auf freien Fuß kommt. Die Verkündung des Strafmaßes hat Richter Ed McLean auf den 11. Februar festgesetzt.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/diren-prozess-suche-nach-der-richtigen-strafe-1.2273438
mlsum-de-861
Das 4:1 gegen Meister München bestärkt die Augsburger Panther darin, dass diese Saison noch nicht verloren ist.
Von Pyrrhus I. ist eine Vielzahl biografischer Details überliefert. In der Nachfolge Alexanders des Großen war der König von Epirus einer der führenden hellenischen Kriegsherren. Heute würde man sagen: ein Warlord. Seine prominenteste Unternehmung, der Feldzug gegen den neureichen Nachbarn Rom, machte ihn unsterblich - und war der Anfang vom Ende seiner Herrschaft. Nach dem Triumph bei Asculum (279 v. Chr.) barmte Pyrrhus: "Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!" Sein Heer hatte solche Verluste erlitten, dass es sich nicht mehr davon erholen sollte. Die Schlacht war gewonnen, der Krieg aber ging verloren. Bis heute nennt man einen zu teuer erkauften Sieg deshalb einen Pyrrhussieg. Pyrrhus übrigens bedeutet "Feuerkopf" - der König hatte rote Haare. Zwei Tage nach dem 7:1-Triumph gegen die Krefeld Pinguine, dem höchsten Saisonsieg in der Deutschen Eishockey Liga, saß Mike Stewart, der rotblonde Trainer der Augsburger Panther, am Dienstagabend im Presseraum des Augsburger Curt-Frenzel-Stadions und sollte einen 4:1-Sieg seiner Mannschaft gegen den neureichen Nachbarn München erklären, der bis zur 55. Minute wie eine Niederlage aussah. Dann drehte sein Team mit drei Treffern binnen 91 Sekunden die Partie, das Stadion tobte, und der Austrokanadier Stewart sagte: "Ich bin ein bissl angespannt jetzt." Erst verhedderte Stewart sich in seiner Analyse ("war das im ersten Drittel?"), dann verwies er auf das "nächste wichtige Spiel am Sonntag". Den Hinweis, dass sein Team bereits am Donnerstag anzutreten habe, konterte er mit einem erschöpften Lächeln: "Welcher Tag heute ist? Wann wir spielen? Ehrlich, ich weiß es nicht." T.J. Trevelyan, Daniel Schmölz und Matt White hatten die Partie vom Kopf auf die Füße gestellt. Die Panther hatten gerackert, gekämpft, geschossen. Nur nicht getroffen. "Es war frustrierend", gab Stewart zu. Und plötzlich saß jeder Schuss. Schmölz' 4:1 (58.) war die Zugabe. Die Powerplay-Formationen der Panther waren gesprengt Die Playoffs sind für Augsburg wieder in Reichweite. Bei noch sieben ausstehenden Spielen hat der Tabellenzwölfte nur noch drei respektive vier Zähler Rückstand auf Düsseldorf und Schwenningen. Der nächste Gegner (am Donnerstag!) ist Schwenningen. "Entscheidend wird die Energie sein", sagte Stewart. Den Triumph zuvor gegen Krefeld hatten die Panther teuer bezahlt. Zu teuer? Das war die Frage vor dem Derby gegen München. Nach Michael Davies, der bis Saisonende ausfällt, und ihrem besten Torschützen Trevor Parkes hatte es gegen die Pinguine auch Topscorer Drew LeBlanc, Jaroslav Hafenrichter, Arvids Rekis und Brady Lamb erwischt. Damit waren nicht nur die Powerplay-Formationen der Panther - ihre schärfste Waffe - gesprengt, auch die Verteidigung drohte zu bröckeln. Dass sie kämpfen können, haben die Panther indes bewiesen. Nach dem verheerenden November mit nur zwei Siegen, als sie aus den Playoff-Rängen rasselten, haben sie im Januar nun sechs von acht Partien gewonnen. Gegen München waren LeBlanc, Hafenrichter, Lamb und Rekis trotz Blessuren alle dabei. Und auch als sie zurücklagen, "haben wir nie aufgegeben", wie Kapitän Steffen Tölzer resümierte: "Wir wollten nicht so verlieren." Nicht, nachdem sie mehrmals sogar mit zwei Mann in Überzahl waren. "München tut die Niederlage nicht so weh", sagte Tölzer. Er grinste. Trevelyans Überzahltor in der 55. Minute war das Fanal für eine rauschhafte Schlussoffensive. Dass ausgerechnet er zum 1:1 traf, war eine besondere Pointe. Der 33-jährige Kanadier, der seine siebte Saison in Augsburg spielt, war als überzähliger Ausländer erst durch die Verletzungen von Parkes und Davies wieder ins Team rotiert. "Andere machen in so einer Situation Ärger. Er ist mental stark geblieben", sagte Tölzer. Larry Mitchell, der Trevelyan vor sieben Jahren zum AEV holte, sagte damals: "Er ist ein Torjäger. Aber er kann kämpfen wie ein Schwein." Zwei Eigenschaften, die den Panthern mehr denn je helfen, wie Trainer Mike Stewart, noch immer verdattert, betonte: "Nach dem 1:1 haben wir mit noch mehr Energie gespielt. T.J. hat den Knoten für uns geplatzt." Noch ein paar solche Siege, und es wäre nichts verloren.
https://www.sueddeutsche.de/sport/eishockey-rausch-ohne-reue-1.3838706
mlsum-de-862
Weniger Zombies als bei den Vorgängern - dafür Ich-Perspektive und virtuelle Realität. Unser Autor ist nach ein paar Minuten schweißgebadet.
Mein erster Tod ist besonders grausam: Mia, meine Frau, schlitzt mich längs mit der Kettensäge auf. Sie lacht dabei. Blut spritzt gegen den Bildschirm während ich langsam zu Boden sinke. In dem Horror-Shooter "Resident Evil 7: Biohazard" schlüpft der Spieler in die Rolle von Ethan Winters, dessen Frau Mia seit drei Jahren verschollen ist. Plötzlich taucht ein Video auf, in dem Mia sich bei Ethan entschuldigt und ihn warnt: "Wenn dich dieses Video erreicht, such mich nicht!" Was macht Ethan als pflichtbewusste Hauptperson eines Horrorspiels? Er steigt trotzdem in sein weißes Muscle-Car und fährt ins Nirgendwo von Louisiana, in die fiktive Stadt Dulvey. In einem Wald in der Nähe von Dulvey stellt er das Auto ab. In diesem Moment werde ich zu Ethan. "Resident Evil 7" ist der erste Teil der Serie, in dem der Spieler die Hauptfigur aus der Ich-Perspektive steuert. Außerdem ist es das erste Resident-Evil in der virtuellen Realität: Mit dem VR-Headset stehe ich inmitten einer Horror-Welt - und die wirkt noch intensiver als die zweidimensionale Darstellung auf einem Bildschirm. Ich bin in einem Sumpfgebiet, vor mir liegt eine verlassene Villa mitten im Wald. Am liebsten würde ich wieder in das weiße Auto steigen und nach Hause fahren. Zur Hölle mit Mia! Ist doch klar, dass das eine Falle ist. Aber es gibt keine andere Möglichkeit als die Flucht nach vorne. Mein Angstschweiß lässt die VR-Brille von innen beschlagen Mit bedächtigen Schritten nähere ich mich also der Villa. Der schlammige Boden schmatzt unter mir, irgendwo krächzen Vögel. Obwohl die Auflösung mit Playstation VR sehr pixelig ist, wirkt die Umgebung beklemmend. Ich spüre, wie mein Herz klopft. Mit dem linken Analogstick des Playstation-Controllers bewege ich mich vorwärts; Arme und Beine benötige ich in der Virtual Reality nicht. Ich kann mich mit Kopfbewegungen umgucken oder mit dem rechten Stick die Kamera stückweise rotieren lassen. Das gusseiserne Eingangstor ist verschlossen. Das Spiel zwingt mich, den Trampelpfad links um das Haus herum zu gehen. Noch habe ich keinen Zombie gesehen, aber mir schlägt das Herz inzwischen bis zum Hals. Ich rechne jeden Moment damit, dass mich etwas von der Seite oder von hinten anfällt. "Resident Evil 7" ist an vielen Stellen aufgebaut wie ein Horrorspiel aus dem Lehrbuch: ein Loch im Zaun, davor ein verlassener Minivan, ein Schild mit blutroter Schrift: "Nimm ihre Gabe an". Aber es funktioniert, verdammt. Meine Sicht verschwimmt, ich setze die VR-Brille ab. Die Gläser der PSVR sind von innen beschlagen bevor irgendetwas passiert ist. Angstschweiß. "Resident Evil 7" ist endlich wieder leiser Horror ohne übertriebene Action Zuletzt setzte die "Resident Evil"-Serie vor allem auf actiongeladenes Zombiegeballer aus der Third-Person-Perspektive. Mit dem siebten Teil kehren die Entwickler von Capcom zur Ursprungsidee der Marke zurück: stiller Horror, ganz ohne Action und ein Feuerwerk an Schockeffekten. Man kann sich ganz wunderbar gruseln - oder schrecklich, wie man's nimmt. Detailansicht öffnen Resident Evil 7 biohazard Resident Evil 7 Screenshot Capcom (Foto: Capcom/PR) In einem Kühlschrank, der offensichtlich mit Menschenfleisch gefüllt ist, winden sich Maden. Setting und Handlung sind ekelhaft, Gänsehaut und kalte Schauer sind bei "Resident Evil 7" mehr als nur Floskeln. Das kriege ich auch ohne virtuelle Realität mit, aber mit dem Headset auf dem Kopf ist die Immersion um einiges stärker. Das Spiel zeigt, was durch Virtual Reality in Videospielen möglich ist. Es tut gut, wenn ich beim Spielen Kontakt zu echten Möbeln halte. Nur für den Fall, dass ich vergessen sollte, wo ich mich in Wirklichkeit befinde. Im Spiel muss ich mich jetzt konzentrieren: Ich habe meine Frau Mia kurz getroffen, doch nun ist sie erneut verschwunden. Das Telefon klingelt. Eine unbekannte Frau, sie nennt sich Zoe, will mir helfen. Ich soll zum Dachboden, dort kann ich das Haus verlassen. Endlich. Nur: Einen Weg nach oben gibt es nicht. "Resident Evil 7" ist voller Rätsel. Ich muss jeden Winkel des Hauses absuchen und das passende Werkzeug finden, bis ich mit einem Knopfdruck die Treppe zum Dachboden freigebe. Je weniger Zombies ich treffe, desto mehr grusele ich mich Dabei bin ich so auf diese Aufgabe fokussiert, dass ich meine Angst kurz vergesse. In dem Moment taucht Mia mit der Kettensäge auf. Erst säbelt sie mir die Hand ab, wenig später sägt sie mich in der Mitte auseinander. Beim ersten Mal sterbe ich nach wenigen Sekunden, beim nächsten Treffen bin ich gut vorbereitet und habe mittlerweile einen Revolver. Ein paar Schüsse in Mias Kopf und die Frau, die ich eigentlich retten wollte, lässt mich in Ruhe. Aus dem Haus fliehen kann ich natürlich trotzdem nicht. Je weniger Zombies ich treffe, desto mehr grusele ich mich. Einmal bewege ich mich 20 Minuten durch die Horrorvilla, ohne irgendjemandem zu begegnen. Dann plötzlich, eine falsche Bewegung. Der nächste Untote stürzt sich auf mich. Alles andere erledigt das Warten auf diesen Zeitpunkt. Und das verdreckte Haus, herunterhängende Tapeten, zerbrochene Möbel, blutige Mülltüten, Tierkadaver, Kot und schummriges Licht. Zum Davonlaufen. Wenn das denn möglich wäre. "Resident Evil 7: Biohazard" ist am 24. Januar für PC, Playstation 4 (mit Playstation VR spielbar) und Xbox One erschienen.
https://www.sueddeutsche.de/digital/resident-evil-7-biohazard-resident-evil-bringt-den-horror-zurueck-ins-wohnzimmer-1.3348440
mlsum-de-863
Streit um Chemnitzer Konzert: Die Kritik der CDU-Generalsekretärin am Bundespräsidenten erscheint in einem neuen Licht.
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ist am Dienstag in Erklärungsnot geraten. Sie hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisiert, weil er via Facebook das Konzert gegen rechts am Montagabend in Chemnitz unterstützt hatte, obwohl dort auch die umstrittene Band "Feine Sahne Fischfilet" auftrat. Anschließend wurde jedoch bekannt, dass Kramp-Karrenbauer 2016 - auch via Facebook - ein Konzert im Saarland gelobt hat, bei dem die Band ebenfalls aufgetreten ist. Am 13. August 2016 hatte die CDU-Politikerin als Text zu einem kurzen Video von dem Konzert gepostet: "18 Jahre Rocco del Schlacko Festival! Einfach nur wow!" Das Festival fand in Püttlingen statt, Kramp-Karrenbauer war damals saarländische Ministerpräsidentin. Die Band Feine Sahne Fischfilet war zeitweise im Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern als linksextrem aufgeführt. In ihrem Lied "Staatsgewalt" von 2009 heißt es etwa: "Die Bullenhelme, die sollen fliegen, eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein", und in "Wut" von 2015: "Die nächste Bullenwache ist nur einen Steinwurf entfernt". Kramp-Karrenbauer hatte deshalb am Montag an Steinmeiers Unterstützung für das Konzert in Chemnitz Anstoß genommen. "Denn das, was wir wollen, ist, unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat" gegen rechts zu verteidigen und zu schützen, sagte sie der Welt. "Und wenn man das dann mit denen von links tut, die genau in der gleichen Art und Weise auf Polizeibeamte verbal einprügeln", dann halte sie das "für mehr als kritisch". Sie kenne Vorgänger des Bundespräsidenten, bei denen sie sich sicher sei, "dass sie das so unkritisch nicht unterstützt hätten". Politiker von SPD, Grünen und Linken wiesen jedoch darauf hin, dass die Band nicht mehr im Verfassungsschutzbericht aufgeführt werde und die beanstandeten Textpassagen inzwischen selbst kritisch sehe. Am Dienstag bestätigte die CDU, dass Kramp-Karrenbauer 2016 das dreitägige "Rocco del Schlacko Festival" sogar selbst besucht hatte - und zwar an dem Tag, an dem Feine Sahne Fischfilet aufgetreten war. Die CDU-Generalsekretärin wies Kritik an ihrem Verhalten aber zurück. Sie sagte der Süddeutschen Zeitung, "Rocco del Schlacko" sei ein Festival in ihrer Heimatstadt, das sie seit vielen Jahren unabhängig von ihren "politischen Funktionen als Privatperson besuche, so auch 2016". Ihr Facebook-Eintrag von damals zeige "ihre Reaktion auf die im Bild abgebildete Atmosphäre an diesem Abend". Den Auftritt von Feine Sahne Fischfilet am Nachmittag habe sie "nicht verfolgt", weil sie "Texte, wie die zitierten von Feine Sahne Fischfilet, kritisch sah und sehe". Die Texte brächten "eine klare Verachtung von staatlichen Institutionen zum Ausdruck". Der kritische Blick darauf sei "dann umso notwendiger, wenn es um eine Veranstaltung geht, die bewusst als politische Demonstration veranstaltet wurde" - wie die in Chemnitz. An dem Konzert gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der sächsischen Stadt haben etwa 65 000 Menschen teilgenommen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/kramp-karrenbauer-einfach-nur-wow-1.4116986
mlsum-de-864
In Denis Kudlas Gruppe wurde der Großteil der besten Gegner gelost, umso höher ist sein Bronze einzustufen - er selbst sieht sie als Belohnung seines Willens.
Irgendwann schließt jemand die Tür, die 20 Ringer sind unter sich. Es ist ein kastenförmiger riesiger Raum, komplett ausgelegt mit einer Spezialmatte, ein Minikosmos nur für den Zweikampf. Nach kurzem Aufwärmen verkeilen sich je zwei ineinander, nach ein paar Minuten wird die Luft dick und riecht schwer nach Schweiß. Zwischen den Einheiten wird heftig geschnauft, die Ringer sind nass wie Schwimmer, sie tasten ihren Puls, dann geht es weiter, bis am Ende Pfützen auf der gesamten Matte verteilt sind. Dieser Kosmos, diese Halle in Schifferstadt bei Mannheim, ist die Welt von Denis Kudla. "Meine Eltern hatten nichts - jetzt haben sie eine eigene kleine Firma und ein Haus." Er ist erst 21 Jahre alt, aber er hat nun für einen Moment wieder die Blicke der Deutschen auf eine immer fremdere Sportart gerichtet. Weit weg von Schifferstadt, in der großen Arena Carioca 2 im Olympiapark von Rio, hat Kudla Bronze gewonnen, die erste Olympiamedaille für seinen Verband seit acht Jahren, und drei Jahre, nachdem das IOC diesen uralten Sport, verkürzt gesagt wegen angeblicher Abbruchreife, aus dem Programm werfen wollte. Er hat seinen Trainer Michael Carl und seinen Sportdirektor Jannis Zamanduridis zu kunstvollen Freudentänzen angestiftet und eine beachtliche Anzahl von Print-, Radio- und Fernsehreportern in die Carioca-Mixed-Zone gelockt. Carl sagte: "Was der Denis hier für einen unbändigen Willen gezeigt hat, ist unbeschreiblich." Kudla wiederholte vor allem das eine: "Ich habe zehn Jahre dafür hart gearbeitet, jetzt bin ich ein Teil der Olympia-Geschichte." Das mit der harten Arbeit sagen danach alle, aber bei Kudla ist es mehr als ein Reflex, es ist eine Lebenseinstellung. Ringen ist Arbeit, zielstrebige Arbeit war schon immer das Motto seiner Eltern, sie wurde auch zu Kudlas Lebenseinstellung, bereits mit elf Jahren im Internat. Denis Maximilian Kudla ist in Polen geboren und als Dreijähriger nach Dasing bei Augsburg gezogen. "Meine Eltern hatten am Anfang nichts, wir lebten in einer Wohnung ohne Möbel, jetzt haben sie eine eigene kleine Firma und ein Haus", sagt er. Ein Fernseher war aber schon bald da, somit sah Kudla als Siebenjähriger erste Olympiabilder, etwa den Einmarsch der Sportler in Sydney. Die Eltern erklärten ihm: "Das gibt es nur alle vier Jahre, die da schreiben Geschichte, das kann nicht jeder." Nun, in Rio, am Abend vor dem Kampftag der Ringer bis 85 Kilogramm, schien der ganze Aufwand aber schon umsonst gewesen zu sein. In Kudlas Gruppe wurde der Großteil der zehn weltbesten Gegner gelost. Da habe nur noch Galgenhumor geholfen, erzählt Trainer Carl, "wir dachten: Dann halt auf die harte Tour". Kudla scheiterte im Viertelfinale am späteren Olympiasieger Davit Schakvedadze aus Russland und traf in der Hoffnungsrunde auf den konditionsstarken Iraner Habibollah Akhlaghi, schon in dieser Phase brauchte er das, was ihn auszeichnet. Den stillen, unspektakulären und beharrlichen Kampf im Stehen, die ständige Suche nach einem Halt am Oberarm oder Oberkörper des anderen, um einen Wurf anzusetzen, und das Ermüden und Zurückdrängen des anderen in Passivität, mit anderen Worten: klassische Ringerarbeit. "Ich geb' einfach alles, so, dass ich am Ende am Kotzen und am Sterben bin." Mit elf Jahren war Kudla ausgezogen, um Ringer zu werden. Sein Bruder, der bereits deutscher Meister war, hatte ihn zum Probetraining mit ins Leistungszentrum nach Schifferstadt genommen, die Trainer waren sofort angetan. Doch die ersten Jahre im Ringerinternat waren auch hart, sagt Kudla. An den Wochenenden war er oft allein, und was macht man da? Man kann Hausaufgaben machen, man kann seine Wäsche waschen, vor allem aber, erzählt Kudla, kann man auch alleine trainieren: joggen, Turnübungen machen, Rolle rückwärts, Rolle vorwärts, die Technik verbessern, danach Ringer-Videos anschauen. Kudla wurde auf Turniere geschickt, mit 16 kam er erstmals auf ein bedeutendes Podest. Bei der Junioren-EM in Warschau wurde er Dritter, und er arbeitete sich weiter nach oben. Sein größter Erfolg vor Rio war die Silbermedaille bei der Junioren-WM vor zwei Jahren in Zagreb. Insgesamt ist dies normalerweise trotzdem zu wenig für eine Olympiamedaille. Das Ringen ist zwar ein für Laien schwer durchschaubarer Sport, aber er ist weltweit mit am meisten verbreitet. Beim Ringen trifft man auf unberechenbare Top-Gegner aus aller Welt, und mit 21 hat man eigentlich noch zu wenig gerungen, für das Niveau bei Olympia. Doch als Kudla Akhlaghi niedergearbeitet hatte und nach nur 20 Minuten Erholungszeit schon in den Warteraum für den Bronzekampf gerufen wurde, da ging ihm ein etwas martialischer, aber auf seine Weise logischer Gedanke durch den Kopf: "Ich geb' einfach alles, so, dass ich am Ende am Kotzen und am Sterben bin, vielleicht reicht das für eine Medaille." Es reichte, weil der Ungar Viktor Lorincz zwar einen Kampf weniger in den Knochen und zwei Stunden mehr Ruhepause hatte, weil er zwar zehn Jahre älter war und weitaus mehr Erfahrung hatte, aber wohl nicht den bedingungslosen Willen dazu, Geschichte zu schreiben.
https://www.sueddeutsche.de/sport/ringen-auf-die-harte-tour-1.3123434
mlsum-de-865
In seiner Ansprache zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit hat Bundespräsident Christian Wulff eindringlich dazu aufgerufen, die Vielfalt im Land zu schätzen.
"Es geht darum, die Freiheit zu bewahren, die Einheit immer wieder zu suchen und zu schaffen": Bundespräsident Christian Wulff hat die Deutschen gemahnt, den Zusammenhalt in Deutschland zu fördern. Lesen Sie hier Auszüge seiner Rede bei der zentralen Feier zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit am Sonntag in Bremen. Detailansicht öffnen "Seit 20 Jahren sind wir wieder Deutschland, einig Vaterland. Doch was meint einig Vaterland?": Bundespräsident Christian Wulff bei den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit. (Foto: AFP) "Wir feiern heute, was wir vor 20 Jahren erreicht haben: Einigkeit und Recht und Freiheit für unser deutsches Vaterland. Wir erinnern uns an jenen epochalen Tag, wie ihn ein Volk nur ganz selten erlebt. Ich denke an die Bilder aus Berlin, in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober. An die Menschen, die vor dem Reichstagsgebäude standen. An die gespannte Erwartung in den Momenten vor Mitternacht. An den Klang der Freiheitsglocke. An das Hissen der Fahne der Einheit. An die Nationalhymne. An das Glücksgefühl. An die Tränen. An den Zusammenhalt in diesem historischen Augenblick unserer Geschichte. Auch 20 Jahre später erfüllt mich dies mit großer Dankbarkeit. Seit 20 Jahren sind wir wieder Deutschland, einig Vaterland. Doch was meint einig Vaterland? Was hält uns zusammen? Sind wir zusammengewachsen, trotz aller Unterschiede? (...) Erst gingen wenige Mutige, dann immer mehr auf die Straßen in Ostdeutschland. (...) Sie haben sich selbst aus der Diktatur befreit, ohne Blutvergießen. (...) Was 1953 noch von Panzern niedergewalzt wurde, konnte 1989 nicht mehr aufgehalten werden. Das ist die eigentlich historische Leistung der Menschen. (...) 20 Jahre nach der Einheit stehen wir vor der großen Aufgabe, mit dem Mut zur Veränderung neuen Zusammenhalt zu ermöglichen in einer sich rasant verändernden Welt. (...) Die Lebenswelten in unserem Land driften in unterschiedlichen Bereichen oft eher auseinander: die von Alten und Jungen; Spitzenverdienern und denen, die vom Existenzminimum leben; von Menschen mit und ohne sicherem Arbeitsverhältnis; von Volk und Volksvertretern; von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Glaubensbekenntnisse. (...) Ein freiheitliches Land wie unseres lebt von Vielfalt, es lebt von unterschiedlichen Lebensentwürfen, es lebt von Aufgeschlossenheit für neue Ideen, sonst kann es nicht bestehen. Zu viel Gleichheit erstickt die eigene Anstrengung und ist nur um den Preis der Unfreiheit zu haben. Das Land muss Verschiedenheit aushalten. Es muss sie wollen. Aber: Zu große Unterschiede gefährden den Zusammenhalt. Und daraus folgt für mich: Vielfalt schätzen, Risse in unserer Gesellschaft schließen ­ das bewahrt vor Illusionen, das schafft echten Zusammenhalt. Das ist Aufgabe der Deutschen Einheit - heute. (...) Wir sind ein Volk! Dieser Ruf der Einheit muss heute eine Einladung sein an alle, die hier leben. Eine Einladung, die nicht gegründet ist auf Beliebigkeit, sondern auf Werten, die unser Land stark gemacht haben. Mit einem so verstandenen Wir wird Zusammenhalt gelingen ­ zwischen denen, die erst seit kurzem hier leben, und denen, die schon so lange einheimisch sind, dass manche vergessen haben, dass auch ihre Vorfahren von auswärts kamen. Wenn mir deutsche Musliminnen und Muslime schreiben: Sie sind unser Präsident" ­ dann antworte ich aus vollem Herzen: Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident! Mit der gleichen Leidenschaft und Überzeugung, mit der ich der Präsident aller Menschen bin, die hier in Deutschland leben. (....) Wir sind Deutschland. Ja: Wir sind ein Volk. Und weil diese Menschen uns mit diesen ausländischen Wurzeln wichtig sind, will ich nicht, dass sie verletzt werden in durchaus notwendigen Debatten. Legendenbildungen, Zementierung von Vorurteilen und Ausgrenzungen dürfen wir nicht zulassen. Das ist in unserem eigenen nationalen Interesse. Die Zukunft - davon bin ich felsenfest überzeugt - gehört den Nationen, die offen sind für kulturelle Vielfalt, für neue Ideen und für die Auseinandersetzung mit Fremden und Fremdem. Deutschland muss mit seinen Verbindungen in alle Welt offen sein gegenüber denen, die aus allen Teilen der Welt zu uns kommen. Deutschland braucht sie. Im Wettbewerb um kluge Köpfe müssen wir die Besten anziehen und anziehend sein und bleiben, damit die Besten bleiben. Meine eindringliche Bitte lautet: Lassen wir uns nicht in eine falsche Konfrontation treiben. (...) Wir haben doch von drei Lebenslügen längst Abschied genommen. Wir haben erkannt, dass Gastarbeiter nicht nur vorübergehend kamen, sondern dauerhaft blieben. Wir haben erkannt, dass Einwanderung stattgefunden hat, auch wenn wir uns lange nicht als Einwanderungsland definiert und nach unseren Interessen Zuwanderung gesteuert haben. Und wir haben erkannt, dass multikulturelle Illusionen die Herausforderungen und Probleme regelmäßig unterschätzt haben: Verharren in Staatshilfe, Kriminalitätsraten, Machogehabe, Bildungs- und Leistungsverweigerung. (...) Mich beschäftigen die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger sehr, wie auch die Politik diese zurecht erkennbar ernst nimmt. Und dennoch, wir sind weiter, als es die derzeitige Debatte vermuten lässt: Es ist Konsens, dass man Deutsch lernen muss, wenn man hier lebt. Es ist Konsens, dass in Deutschland deutsches Recht und Gesetz zu gelten haben. (...)
https://www.sueddeutsche.de/politik/20-jahre-deutsche-einheit-dokumentation-christian-wulffs-rede-im-wortlaut-1.1007642
mlsum-de-866
Davos rüstet sich für das Weltwirtschaftsforum: Aktivisten fordern mehr Gerechtigkeit - und alle rätseln, ob Trump nun kommt.
Journalisten und Aktivisten warten in diesem Jahr in Davos vor allem auf den Besuch von US-Präsident Donald Trump. Ob er aber wirklich in die Schweiz kommt, ist ungewiss. Das Mahnmal ist sechs Meter hoch, es steht gleich neben der Zufahrt zum Kongresszentrum. Die Umweltorganisation Greenpeace hat die Justitia in der vorigen Woche im Nobelort Davos aufgestellt: "Gerechtigkeit für die Menschen und den Planeten" ist die Botschaft der Dame mit der Waage - eine Botschaft an die Mächtigen der Welt. Und nur eine von vielen in diesen Tagen. Die Schweiz rüstet sich für den Wirtschaftsgipfel in Davos, der von Dienstag bis Freitag stattfindet. Und wenn die Haushaltssperre in den USA es nicht verhindert, wird auch US-Präsident Donald Trump dabei sein. Allein das macht den Gipfel besonders, und es mobilisiert seine Gegner zusätzlich. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen haben Demonstration in allen größeren Städten der Schweiz angekündigt. Mitte des Monats hatte schon eine Kundgebung von Linken und Autonomen in Bern für Aufsehen gesorgt. Die Demonstranten hielten ein Plakat mit der Aufschrift: "Kill Trump with his own weapon" in die Höhe, "töte Trump mit seiner eigenen Waffe". Die Polizei ermittelt. Für die 11 000 Einwohner des Bergorts verschärft das den Ausnahmezustand. Zwar sind Aktionen wie die Aufstellung einer Justitia - Greenpeace will damit auch ganz konkret Firmen wie den Rohstoffhändler Glencore, den Nahrungsmittelkonzern Nestlé oder die Pharmafirma Novartis an den Pranger stellen - bei einem Weltwirtschaftsforum nicht ungewöhnlich. Doch erst jetzt, seitdem klar ist, dass mit dem US-Präsidenten einer der Lieblingsgegner der NGOs anreisen wird, stoßen sie wieder auf Interesse. Diese Stimmung wollen auch andere nutzen: So haben etwa die Sozialdemokraten des Kantons Graubünden Demonstrationen in Davos angemeldet. Man wolle Trump, den man als Klimaleugner, Isolationisten und Sexisten wahrnimmt, eine "offene, solidarische und umweltfreundliche" Stimme entgegensetzen. Eine Genehmigung steht noch aus. Doch während die Sozialdemokraten davon ausgehen, dass ihre Kundgebung bewilligt wird, sind andere Aktivisten mit diesem Ansinnen bereits gescheitert: Am Flughafen Zürich, wo Trump landen soll, ist "aus Sicherheitsgründen" keine Protest-Kundgebung erlaubt. Oxfam: Frauen arbeiten häufiger in prekärer Beschäftigung Andere arbeiten mit Zahlen. Diesen Montag etwa werden neue Zahlen der Entwicklungs-Organisation Oxfam bekannt, sie betreffen die globale Ungleichheit. Auch das hat mittlerweile eine gewisse Tradition, jedes Jahr stellt Oxfam so eine Statistik vor. Viel verändert hat die Mahnung allerdings nicht, denn die globale Ungleichheit wächst weiter. Die Zahl der Dollar-Milliardäre etwa stieg auf ein neues Allzeithoch, mit weltweit 2043 Milliardären. Alle zwei Tage sei einer hinzugekommen, rechnet Oxfam vor. "Das letzte Jahr sah den größten Anstieg der Zahl der Milliardäre in der Geschichte", heißt es. Die Zahlen stützen sich unter anderem auf Erhebungen der Bank Credit Suisse. Danach sind 82 Prozent des gesamten Vermögenszuwachses auf der Welt an nur ein Prozent der Weltbevölkerung geflossen - und zwar an jenes eine Prozent, das schon vorher das meiste besaß. Derlei Ungleichheit sei ein "Krankheitssymptom unseres Wirtschaftssystems", heißt es bei Oxfam. Weiterhin besitze ein Prozent der Bevölkerung mehr Vermögen als der gesamte Rest. Zuletzt hatten auch der Europäische Gewerkschaftsbund und das Weltwirtschaftsforum selbst in eigenen Studien auf eine wachsende Ungleichheit hingewiesen, mit Blick auf Gehälter. Während der vier Tage ihres Aufenthalts in Davos, so rechneten die Gewerkschafter vor, verdienten die anwesenden Vorstandschefs so viel wie ein durchschnittlicher Beschäftigter in Deutschland in 18 Monaten. Ob es die Vorstandschefs in Davos beeindruckt, ist eine andere Frage. Oxfam dagegen schaut in seinem Bericht noch auf eine andere Ungleichheit: die zwischen Männern und Frauen. "An der Spitze der Vermögenspyramide stehen Männer", sagt Ellen Ehmke, Analystin in Sachen soziale Ungleichheit. So seien neun von zehn Milliardären weltweit Männer. Frauen dagegen fänden sich überdurchschnittlich oft in prekärer Beschäftigung wieder, wo sie für wenig Geld viel leisten müssten. "Die Frauen funktionieren für die Wirtschaft, aber die Wirtschaft funktioniert nicht für die Frauen", sagt Ehmke. Regierungs-Stillstand in den USA gefährdet Trumps Besuch Davos wäre nicht Davos, würde das Forum nicht solche Themen aufgreifen. "Wir werden weltweit nichts erreichen, wenn die Hälfte der Erdbevölkerung nicht dieselben Möglichkeiten hat", sagt WEF-Präsident Borge Brende. Alle Co-Vorsitzenden der Jahrestagung seien Frauen, darunter die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg und die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde. "Mit den sieben weiblichen Co-Chairs senden wir ein starkes Signal aus, dass Gleichberechtigung und Frauenrechte im Zentrum einer zukunftsorientierten Politik für die Welt stehen", sagt Brende. Schon in der Vergangenheit hatte sich das Forum mit drängenden Fragen befasst, sei es globale Unsicherheit, Hunger oder Klimawandel. Die Botschaften verhallen zumindest nicht völlig ungehört. An der Basis dagegen, im kleinen Davos selbst, sind die Sorgen derzeit andere. Im Hotel Intercontinental, wegen seines markanten Äußeren auch "goldenes Ei" genannt, herrscht Ruhe vor dem Sturm. Reporter des Schweizer Boulevardmagazins Blick, die ihr Glück, im gleichen Hotel wie der US-Präsident untergebracht zu sein, noch gar nicht fassen können, haben bereits eingecheckt - und machen sich Sorgen um Trumps Verpflegung. Testweise hat sich das Team schon mal einen Cheeseburger mit Pommes aufs Zimmer bestellt (Kostenpunkt knapp 40 Euro). Die Recherchen lassen Schlimmstes befürchten: Der Luxus-Burger mit Angus-Beef, Soubise-Mayonnaise und Röstzwiebeln könnte wegen der aufwendigen Sicherheitskontrollen schon kalt sein, wenn er die Suite des US-Präsidenten erreiche. Das vermutet zumindest ein anonymer Mitarbeiter des Hauses. Wenn Trump denn seine Suite jemals beziehen wird. Ob er und andere Mitglieder seiner Regierung in die Schweiz reisen, wird nach Angaben von US-Budget-Direktor Mick Mulvaney kurzfristig entschieden, schließlich ist in Washington die Haushaltssperre in Kraft. An den Botschaften an Manager und Mächtige ändert das nichts. Justitia könnte ruhig dauerhaft in Davos bleiben.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/davos-weltwirtschaftsforum-1.3834127
mlsum-de-867
Ein Hochzeitskleid wie von Meghan Markle, Teppiche, die an Handarbeiten aus dem 19. Jahrhundert erinnern, und ein Blick auf die Studentinnen des berühmten Bauhauses.
Detailansicht öffnen (Foto: Stella McCartney) Dass ein Kleid einen eigenen Eintrag bei Wikipedia bekommt, ist eher ungewöhnlich - außer es handelt sich dabei um das Hochzeitskleid von Meghan Markle, inzwischen Duchess of Sussex. Dabei erregte am 19. Mai auch ihr zweites Outfit Aufmerksamkeit: Das hochgeschlossene Neckholderkleid aus Seiden-Crêpe von Stella McCartney, das sie abends zum Empfang trug. Auf diesen Erfolg setzt die britische Designerin nun noch einen drauf - und legt die Braut-Kollektion "Made with Love" vor, die 17 verschiedene Modelle umfasst. Darunter Märchenhochzeit-Kleider (mal mit freigelegtem Rücken, mal mit angelegtem Cape) oder eine weibliche Variante des Smokings in zartem Elfenbein-Ton. Und ein Jumpsuit, der nur aus Spitze besteht - damit wäre Markle an ihrem Hochzeitstag bestimmt noch mehr aufgefallen (ab ca. 770 Euro, www.stellamccartney.com). Detailansicht öffnen Inspiriert von alten Mustern: Teppich von Jan Kath. (Foto: oh) Zu den Hausaufgaben junger Frauen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte: Lerne, wie man Löcher in Tischdecken und Kopfkissen stopft! Nämlich mit so wenig Garn wie nötig, so geschickt wie möglich. Entstanden sind Handarbeiten, die jahrzehntelang vergessen und unbeachtet in Truhen lagen. Bis jetzt: Der Designer Jan Kath, bekannt für seine exklusiven Teppiche, hat sich von Mustern inspirieren lassen, die er im Museum of International Folk Art in New Mexico entdeckte. Die alten Übungs-Stoffstücke aus Belgien, Schweden, Deutschland, aus der Schweiz und Nordamerika finden sich nun in der Kollektion "Common Threads" wieder, zeitgemäß interpretiert (www.jan-kath.com). Darauf haben Modeschöpfer aus Deutschland lange gewartet: ein Shop, der ihre Kollektionen im Sortiment hat - das ist mindestens so wichtig wie die Beteuerungen anlässlich der Berliner Fashion Week, wie gut deutsche Mode ist. Im neuen Vogue Concept Store nahe Stuttgart gibt es Entwürfe von Nachwuchstalenten wie William Fan, Marina Hoermanseder oder Lika Mimika neben denen arrivierter Labels wie Talbot Runhof und Dawid Tomaszewski. Der 100-Quadratmeter-Shop, betrieben von der Zeitschrift Vogue in der Outletcity Metzingen, bietet die Möglichkeit, ein internationales Publikum zu erreichen. Im vergangenen Jahr kamen mehr als vier Millionen Besucher in das Einkaufszentrum. Der Store soll zunächst bis kommenden April bestehen, die Teile können aber auch online bestellt werden (www.outletcity.com). Detailansicht öffnen Jana Revedins biografischer Roman "Jeder nennt mich Frau Bauhaus" über Ise Gropius. (Foto: Dumont) 100 Jahre Bauhaus: Zum bevorstehenden Jubiläum 2019 rücken endlich die Studentinnen der berühmten Kunstschule in den Blick, die Designerinnen Anni Albers und Marianne Brandt zum Beispiel. Ise Gropius, Ehefrau des Bauhaus-Gründers Walter Gropius, engagierte sich in der Öffentlichkeitsarbeit - nicht immer ein dankbarer Job, viele Menschen lehnten seinerzeit die revolutionäre Stil- und Unterrichtsform ab. "Jeder nennt mich hier Frau Bauhaus" heißt der biografische Roman über das "Leben der Ise Frank", so ihr Name vor der Heirat mit Gropius. Der Untertitel ist bewusst gewählt, die gelernte Buchhändlerin war mehr als das Anhängsel ihres Mannes. Ihre Fotografien waren in Ausstellungen zu sehen, die minimalistische Ästhetik der neuen Schule setzte Ise bis ins Detail ihrer Kleidung und Wohnungseinrichtung um. Außerdem hatte sie eine spitze Feder, über Nina Kandinskys Auftreten am Bauhaus notierte sie: "Sie läuft herum wie ein Kind mit einer Streichholzschachtel und stiftet Unheil." Das Buch der Autorin Jana Revedin ist bei Dumont erschienen (www.dumont-buchverlag.de, 22 Euro). Eine von acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs, der häufigsten Krebserkrankung bei Frauen in der industrialisierten Welt. Nicht immer entscheiden sich die Betroffenen nach einer Operation für ein Implantat, viele Frauen nutzen auch eine spezielle Prothese. Damit nichts verrutscht und zwickt, hat H&M in enger Zusammenarbeit mit betroffenen Frauen Unterwäsche auf den Markt gebracht, die diesen Bedürfnissen gerecht werden soll. Die BHs aus der Kollektion "Close to My Heart" decken einen größeren Bereich der Brust ab, die gepolsterten Träger sind verstellbar, am Rücken lassen sich verschiedene Positionen einstellen. Zu haben als Basic-BH, in Spitze und für den Sport. Ein Teil der Einnahmen soll der Krebsforschung zugutekommen (hm.com).
https://www.sueddeutsche.de/stil/kurz-gesichtet-so-gut-wie-neu-1.4212394
mlsum-de-868
Zum ersten Mal seit elf Jahren segeln die ÖSV-Adler geschlossen am Podium vorbei. Ein früherer Trainer übt Kritik.
Vor dem finalen Springen der Vierschanzentournee hat Alexander Pointner ein Bild ins Netz gestellt. Es zeigt Gregor Schlierenzauer, lächelnd. Neben ihm lächeln Thomas Morgenstern und Andreas Kofler. Das Bild stammt aus dem Jahr 2012, drei Österreicher standen damals bei der Tournee auf dem Podium. Der Vollständigkeit halber erinnerte Pointner, damals ÖSV-Trainer, daran, dass seine Athleten die Weltspitze dominierten, alle vier Springen gewannen und neun von zwölf möglichen Podest-Plätzen belegten. Die Reaktionen auf den Beitrag waren vor allem nostalgischer Natur: "Die gute alte Zeiten..." Als die diesjährige Tournee wenige Stunden später in Bischofshofen zu Ende ging, wirkte die glänzende Vergangenheit noch weiter entfernt vom tristen Hier und Jetzt. Auf dem Siegerfoto lächeln der Pole Kamil Stoch, sein Landsmann Piotr Zyla und der Norweger Daniel Andre Tande. Ein Österreicher ist nicht dabei. Zum ersten Mal seit elf Jahren sind die ÖSV-Alder geschlossen am Podium vorbei gesegelt. Der beste war Manuel Fettner als Fünfter, unmittelbar vor Stefan Kraft, der lange Siegchancen hatte. Kraft hatte das Auftaktspringen in Oberstdorf gewonnen, lag nach Garmisch nur knapp hinter Stoch. "Der Körper hat nicht gemacht, was der Kopf wollte" Doch dann legte ein Magen-Darm-Virus Österreichs Skispringer lahm. Ein bleicher Stefan Kraft landete beim dritten Wettbewerb in Innsbruck viel zu früh und verlor viele Punkte. Die angekündigte Aufholjagd endete in Bischofshofen auf einem enttäuschenden 25. Rang. Er rutschte sogar vom Podium. "Die Tournee hat so schön begonnen, es ist sehr bitter, dass es so endet", ärgerte sich Kraft. Er wollte den Einbruch nicht allein auf den Virus schieben. Aber natürlich spielte es eine Rolle. Wenn schon das Essen schwer fällt, wie soll man dann kraftvoll abspringen? "Der Körper hat nicht gemacht, was der Kopf wollte", klagte Kraft. Auch Fettner haderte mit der eigenen Leistung: "Eigentlich hatte ich zwei versemmelte Wettkämpfe. Erstaunlich, dass ich noch Fünfter wurde." Für Österreichs Trainer Heinz Kuttin war der Schuldige längst identifiziert: "Wenn man nicht gesund ist, funktioniert es nicht. Auf diesem Niveau muss alles zusammenpassen". Doch auch die Konkurrenz hatte mit Problemen zu kämpfen. Bei Tande versagte im entscheidenden Sprung die Bindung, er wurde trotzdem Dritter. Stoch krachte in Innsbruck beim Probesprung auf die Schulter, und gewann am Ende trotz Schmerzen die Gesamtwertung. In diese Kerbe schlägt auch Pointner in seiner Kolumne für die Tiroler Tageszeitung: "Nichts kann man bei der Tournee weniger brauchen als die Aufregung um Dinge, die sich nicht ändern lassen." Stoch habe die Ruhe bewahrt. Das dürfte auch für Michael Hayböck gelten, den der Virus so geschwächt hatte, dass er in Innsbruck nicht starten konnte. Trotzdem sprang Hayböck in Bischofshofen auf Platz zwei. Kraft hingegen habe dem Druck nicht Stand gehalten, findet Pointner. "Die Österreicher haben sich klassisch drausbringen lassen." Der Magen-Darm-Infekt sei zwar Pech gewesen, "aber wie oft ist ein Gregor Schlierenzauer halb krank gestartet". Das waren noch Zeiten. Immerhin: Schlierenzauer wird nach Sabbatical und Verletzungspause am kommenden Wochenende im polnischen Wisla zurückkehren.
https://www.sueddeutsche.de/sport/verlierer-traurig-diese-oesterreicher-1.3322998
mlsum-de-869
Seit Wochen kritisieren deutsche Politiker den EZB-Chef. Jetzt schlägt Draghi zurück: Die Deutschen trügen eine Mitschuld an den niedrigen Zinsen.
EZB-Chef Mario Draghi wehrt sich gegen die Kritik aus Deutschland an seiner Zinspolitik: Die niedrigen Zinsen seien nicht das Problem, sondern ein Symptom der derzeitigen wirtschaftlichen Lage, sagte Draghi nach Angaben des Wall Street Journal bei einer Rede vor asiatischen Politikern und Geschäftsleuten. Das eigentliche Problem, sagte Draghi, sei die Sparwut in Asien und in der Euro-Zone, besonders in Deutschland. "Unsere größte Volkswirtschaft, Deutschland, hat fast ein Jahrzehnt lang einen Leistungsbilanzüberschuss von fünf Prozent gehabt." Was Draghi meint: Deutschland exportiert seit langer Zeit deutlich mehr, als es importiert und trägt damit auch zu der schwachen Konjunktur innerhalb der Euro-Zone bei. Draghi reagiert damit auf die seit Wochen andauernde Kritik an der Niedrigzinspolitik der EZB. Die Zentralbank hatte den Leitzins, also den Zins, zu dem Geschäftsbanken kurzfristig Geld von der Zentralbank aufnehmen können, im März auf null gesenkt. Die EZB will mit dieser Maßnahme für mehr Investitionen und mehr Inflation sorgen. Bei der letzten EZB-Ratssitzung im April beließ Draghi den Leitzins auf dem bisherigen Niveau und ist seitdem neuer Kritik ausgesetzt. "Es gibt ein Leben unter Null" So forderte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble ein absehbares Ende der Niedrigzinspolitik: "Für Deutschland ist eine lange Phase niedriger oder negativer Zinsen keine vernünftige Situation", sagte Schäuble. Der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich ging noch etwas weiter. In einem Interview sprach er sich dafür aus, dass "der nächste EZB-Chef ein Deutscher sein" müsse, "der sich der Tradition der Währungsstabilität der Deutschen Bundesbank verpflichtet fühlt". Bei der Kritik an Draghi geht es aber längst nicht nur um die "Währungsstabilität". Vorgeworfen wird dem EZB-Chef auch, dass er durch die Niedrigzinsen deutsche Sparer enteigne. Auf diese Vorwürfe reagierte Draghi bereits in der vergangenen Woche per Bild-Interview. Die Deutschen müssten ihr Geld ja nicht ausschließlich auf das Sparbuch legen. Sie haben es "mit ihren Anlage-Entscheidungen auch selbst in der Hand, wie hoch ihre Erträge ausfallen", sagte Draghi, "auch in Zeiten niedriger Zinsen". Überhaupt haben die Märkte das neue Zinsniveau nach Ansicht der EZB gut verkraftet. "Mögliche negative Auswirkungen auf die allgemeinen Handelsaktivitäten scheinen begrenzt gewesen zu sein", sagte Zentralbank-Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré bei einer Tagung in Paris. Eine sehr technische Formulierung, der Cœuré jedoch noch eine fast philosophische Ehrenrettung der EZB-Politik hinterherschob: "Es gibt ein Leben unter Null."
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ezb-draghi-gibt-deutschland-kontra-1.2978048
mlsum-de-870
Experten warnen vor einem Wandel des Fahrverhaltens. Immer mehr Menschen betrachten das Auto als dritten Lebensraum neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz. Wie umgehen mit den Ablenkungsmöglichkeiten?
Das autonome Fahren scheint in Deutschland noch in ferner Zukunft zu liegen. Doch die Neuausrichtung der individuellen Mobilität ist bereits in Ansätzen zu erkennen. Immer mehr Menschen betrachten das Auto als dritten Lebensraum neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz. Passend zu dem Gefühl, in einem rollenden Wohnzimmer zu sitzen, ändert sich auch das Verhalten hinter dem Steuer. Die Autofahrer lassen sich nicht nur durch Handy, Navigationsgerät und andere elektronische Spielereien ablenken. 41 Prozent der Befragten essen, trinken oder rauchen auch am Steuer. Zudem fährt jeder Dritte los, ohne sich anzuschnallen und die Spiegel oder den Sitz richtig einzustellen. 14 Prozent der Befragten berichten zudem, dass sie sich während der Fahrt noch mit Kleidung oder Make-up beschäftigen. Ganz schön viel Ablenkung für 20 Minuten durchschnittliche Fahrzeit. In der Fahrprüfung wären das alles gute Gründe, um durchzufallen. Neue Untersuchungen des Allianz Zentrums für Technik (AZT) zeigen, dass nicht nur der schnelle Blick auf das Smartphone ein Risiko für den Fahrer darstellt. Auch die anderen fahrfremden Tätigkeiten erhöhen die Unfallgefahr. "Wir haben die Unfallraten der Fahrer mit und ohne Ablenkung verglichen und konnten nachweisen, dass auch scheinbar harmlose Aktivitäten im Fahrzeug mit dem Schadengeschehen der Autofahrer korrelieren", sagt Jörg Kubitzki, Unfallforscher am AZT. Seine Studien zur Ablenkung am Steuer zeigen, dass jeder zehnte Verkehrsunfall maßgeblich durch Ablenkung verursacht wird. In 30 Prozent spielt sie eine verstärkende Rolle. Ganz gleich, ob es das schnelle Sandwich zwischendurch oder der Morgenkaffee ist - wer es sich hinter dem Lenkrad derart gemütlich macht, achtet weniger auf den Verkehr. "Das Auto ist kein Wohnzimmer", betont das AZT. Doch die gesellschaftlichen Realitäten sind offensichtlich andere. Immer mehr Fahrer werden von Assistenzsystemen in dem Glauben bestärkt, ihre Verantwortung wenigstens teilweise abgeben zu können. Längst warnen Unfallforscher, dass im Übergang zum teilautomatisierten Fahren erst einmal mehr Unfälle passieren könnten als bisher. Das Zusammenspiel von Mensch und Maschine klappt in Extremsituationen nicht immer reibungslos. Auch weil den meisten Fahrern das Training fehlt. Anders als Profis reagieren sie in Schrecksituationen nicht unbedingt optimal. Unbestreitbar bleibt aber: Mit steigendem Automatisierungsgrad wird die durchschnittliche Unfallschwere deutlich zurückgehen. Bremsassistenten reduzieren die Heftigkeit eines Aufpralls, Lenkassistenten können auf einen Impuls des Fahrers hin schon heute in letzter Sekunde ausweichen. Das Problem ist: Viele Fahrer kalkulieren diese Sicherheitsreserve in ihrem riskanten Fahrstil ein. Was jetzt noch verboten ist, wird mit dem Autobahnpiloten erlaubt Dieser Übergang zu einer neuen Rollenverteilung im Auto lässt sich nicht allein auf technische oder juristische Fragen reduzieren. Und das Rollenbild des idealen, stets aufmerksamen Fahrers, das uns die Fahrschule vermittelt, wird in einigen Jahren auch obsolet sein. Mit der behördlichen Straßenzulassung von Level-3-Fahrzeugen (die bis zum Jahr 2020 in allen Details geklärt sein dürfte), wollen die deutschen Marken Autobahnassistenten anbieten, die ohne Gegenverkehr autonom fahren können. Von der Einfahrt bis zur Ausfahrt wird dann all das erlaubt sein, was die Allianz-Studie an gefährlichen Ablenkungen aufführt. Und dann? Dann sind nicht mehr die Ablenkungen selbst, sondern die Unterscheidung zwischen den (schnell) wechselnden Rollen als Fahrer oder als Passagier das eigentliche Problem. Die Gefahr besteht, dass die öffentliche Diskussion darüber erst dann einsetzt, wenn Level-3-Systeme auf den Markt kommen. Und die ersten Unfälle passieren. Statt einer reflexhaften Erregung ist dann eine sachliche Auseinandersetzung darüber vonnöten, wie sich die Autofahrer auf diese Zukunft vorbereiten können. Zum Beispiel mit Reaktionstests und -trainings in den Fahrschulen. Denn klar ist: Maschinen werden nie müde und können schneller reagieren als jeder Mensch.
https://www.sueddeutsche.de/auto/automatisiertes-fahren-das-rollende-wohnzimmer-1.3902709
mlsum-de-871
Die Sozialdemokraten hoffen, die Linken-Fraktionschefin doch noch für Rot-Rot-Grün zu gewinnen. Nur mit einem solchen Bündnis kann sich die SPD überhaupt Hoffnungen auf das Kanzleramt machen.
Noch immer gilt es als entscheidende Frage, ob es der SPD vor der Wahl gelingt, das Verhältnis zur Linken Wagenknecht zu verbessern. SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht haben sich zu einem vertraulichen Gespräch getroffen. Wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr, kamen die beiden am Donnerstag in der SPD-Zentrale zusammen. Weder die SPD noch die Linken-Bundestagsfraktion wollten das Treffen im Willy-Brandt-Haus bestätigen oder kommentieren. Über die Inhalte wurde zunächst nichts bekannt. Dennoch ist allein die Tatsache eines solchen Treffens politisch bedeutsam. Wagenknecht, die vom linken Flügel der Linken kommt, gilt bislang als äußerst skeptisch, was die Chancen eines rot-rot-grünen Bündnisses nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr angeht. Innerhalb der SPD heißt es daher stets, wenn man ein solches Bündnis wolle, müsse man mit Wagenknecht ins Gespräch kommen. An den bislang etablierten rot-rot-grünen Gesprächsrunden nahm sie nicht teil. Auch einem Treffen in großer Runde, an dem vor einigen Wochen zahlreiche Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken teilgenommen hatten, war sie ferngeblieben. Gabriel hingegen war dort aufgetaucht, was allgemein als politisches Signal verstanden worden war. Wagenknecht allerdings hatte Gabriels Auftritt dort als Versuch bezeichnet, eine "Krönungsmesse" zu inszenieren. Rot-Rot-Grün gilt als beinahe einzige realistische Option für einen SPD-Kanzler Ein rot-rot-grünes Bündnis gilt derzeit als beinahe einzige realistische Option, wie die SPD nach der Bundestagswahl den Kanzler stellen könnte - und selbst dies würde nach derzeitiger Umfragelage schwer. Gabriel unterhält seit Längerem gute Kontakte zu Wagenknechts Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Auch mit Wagenknecht soll er bereits zuvor gesprochen haben, so wie er sich auch mit ihrem Ehemann schon getroffen hat, dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine. Doch noch immer gilt es als entscheidende Frage, ob es der SPD vor der Wahl gelingt, das Verhältnis zu Wagenknecht zu verbessern. Nur sie, so wird bei den Sozialdemokraten intern kalkuliert, könnte es im Fall der Fälle schaffen, den linken Flügel der Linken von einem Bündnis mit der SPD zu überzeugen. Kürzlich hatte Wagenknecht Verhandlungsbereitschaft angedeutet. "Wir haben heute eine viel ungleichere Verteilung von Einkommen und Vermögen als noch in der Ära Helmut Kohl", sagte sie der Bild am Sonntag. "Diese Grundrichtung der Politik muss sich ändern. Im Rahmen dessen können wir gern über Kompromisse sprechen." In diesem Zusammenhang verwies sie auch darauf, dass die SPD noch in ihrem bis 2007 gültigen Berliner Programm "die Nato auflösen und - wie wir - durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands" habe ersetzen wollen. Bei den Sozialdemokraten wurden diese Äußerungen, auch wenn sie mit Kritik an Gabriel und der SPD-Regierungspolitik einhergingen, als vorsichtige Signale einer Öffnung interpretiert. In der vergangenen Woche allerdings hatte Wagenknecht wieder Irritationen ausgelöst, indem sie lobende Worte für den gewählten US-Präsidenten Donald Trump und dessen Vorhaben eines Investitionsprogramms fand. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hatte Wagenknecht daraufhin scharf attackiert: "Populisten aller Länder, vereinigt euch."
https://www.sueddeutsche.de/politik/koalitionsgespraeche-gabriel-und-wagenknecht-im-vertraulichen-gespraech-1.3276489
mlsum-de-872
LeBron James war zwar schon oft im NBA-Finale - aber in Cleveland ist sein Antrieb so groß wie noch nie.
LeBron James humpelte durch die Umkleidekabine der Cleveland Cavaliers, in der rechten Hand hielt er eine Flasche Champagner. Die hatte er sich verdient, hatte er mit seinem Klub doch die Halbfinalserie gegen die Atlanta Hawks gewonnen und damit die NBA-Finals gegen die Golden State Warriors erreicht. James war nicht aufzuhalten auf seinem Weg, er marschierte an allen vorbei, legte seine Arme um zwei Mitspieler und flüsterte: "Die großen Drei." Die Menschen sahen sich verwundert an, hatte James doch nicht die Kollegen Kyrie Irving und Kevin Love in die muskulösen Arme geschlossen, sondern Mike Miller und James Jones. Es soll Sportler geben, die ihre Klubs so wählen, dass sie in ihrer Karriere möglichst viele Pokale gewinnen. Im Fußball bietet sich da der FC Bayern an, im Handball der THW Kiel, beim Wasserball ist ein Wechsel zu den Wasserfreunden Spandau 04 Berlin anzuraten. In der NBA sollte sich ein Akteur derzeit nicht unbedingt auf einen Klub festlegen - er sollte vielmehr prüfen, wo LeBron James gerade spielt. Jones geht nun mit James in die fünfte Finalserie in Serie, Miller ist nach einem Sabbatical bei den Memphis Grizzlies immerhin zum vierten Mal innerhalb von fünf Jahren dabei. Zwei Mal (2012 und 2013) gewannen die drei gemeinsam in Miami den Titel. Diese Umarmung von James ist nicht nur der erfolgreichen Vergangenheit geschuldet, sondern durchaus als symbolisch für die Gegenwart zu interpretieren - die offiziellen großen Drei der Cavaliers haben ja kaum zusammengespielt in diesen Playoffs. Love fällt nach seiner Schulterverletzung in der ersten K.o.-Runde mehrere Monate aus, Irving laboriert an einer Knieverletzung, sein Einsatz in der ersten Finalpartie in der Nacht zum Freitag in Oakland ist fraglich. "Wenn kein Wunder passiert, dann werde ich wohl nicht bei 100 Prozent sein", sagt Irving: "Wir müssen von Tag zu Tag sehen." So grotesk das klingen mag: Diese Verletzungen haben sich für die Cavaliers zumindest bislang nicht nachteilig ausgewirkt. Love und Irving sind - und das ist eine freundliche Beschreibung - eher unterdurchschnittliche Verteidiger; aufgrund ihrer Ausfälle bekamen die unermüdlichen Arbeiter Matthew Dellavedova, Timofey Mozgov und Tristan Thomson mehr Einsatzzeit. Die Defensiveffizienz (erlaubte Punkte pro 100 Angriffe des Gegners) sank deshalb in den Playoffs auf 98,5 - in der Hauptrunde waren es noch 104,1 gewesen. Er will Cleveland den ersten Titel seit 1964 bringen - länger wartet keine andere US-Großstadt "LeBron verlangt von uns keine besonderen Dinge oder dass wir die Verantwortung für alles übernehmen", sagt Jones: "Er verlangt lediglich, dass jeder seinen Teil beiträgt - immer ein bisschen." Diese Mentalität gilt auch für die Offensive, der typische Playoff-Spielzug der Cavaliers geht so: James bekommt den Ball jenseits der Dreierlinie, seine Mitspieler verdrücken sich nach außen und öffnen mehrere Schneisen zum Korb für ihren Anführer. Der pflügt mit der Energie einer Ein-Mann-Naturgewalt nach vorne, zieht mehrere Gegenspieler auf sich und wirkt dabei bisweilen wie eine Comicfigur, die sich auch dann nach vorne bewegt, wenn sich drei Feinde an den Beinen festklammern. Wenn er nicht selbst abschließt oder gefoult wird, passt er den Ball nach außen zu seinen Mitspielern, die sich eben nicht verdrückt, sondern in Position für einen Drei-Punkte-Wurf bewegt haben. Was James von ihnen verlangt: Sie müssen diesen offenen Wurf versenken und danach ordentlich verteidigen. Nicht mehr, nicht weniger. "Ich habe mich vor allem mental entwickelt. Ich weiß nun, dass ich nicht mehr alles alleine machen muss und dass ich meinen Mitspielern vertrauen kann", sagt James: "Mein Antrieb allerdings war noch nie so groß wie jetzt." Er ist nun 30 Jahre alt, seiner Rückkehr nach Cleveland nach vier Jahren in Miami hatte er vor der Saison in einem Beitrag auf der Internetseite von Sports Illustrated messianische Bedeutung beigemessen: "Meine Beziehung zum Nordosten von Ohio ist größer als Basketball. Das habe ich vor vier Jahren nicht verstanden. Ich verstehe es jetzt. Ich komme nach Hause." Der Messias will mit seinen tapferen Jüngern den ersten Titel für diese Stadt seit 1964 erreichen: Damals gewannen die Browns die Meisterschaft in der Footballliga NFL, länger wartet keine amerikanische Großstadt mit einem Profiteam auf einen Titel. Dazu allerdings müssen die Cavaliers nicht nur den zweitbesten Scharfschützen dieser Liga stoppen - Klay Thompson, der nach einer im Halbfinale gegen Houston erlittenen Gehirnerschütterung spielen dürfte. Sondern auch den besten: Stephen Curry stellte sowohl in der Hauptrunde (286) als auch in den Playoffs (bislang 73) neue Rekorde für erfolgreiche Drei-Punkte-Würfe auf. Nach einer Trainingseinheit wurde LeBron James darauf angesprochen, wie die Cavaliers denn gedenken, diesen Stephen Curry aufzuhalten. "Nun, es ist so ähnlich wie bei mir", sagte James und legte eine lange Pause ein, damit auch ja niemand die Fortsetzung verpasste: "Es ist nicht möglich."
https://www.sueddeutsche.de/sport/nba-finale-messias-auf-mission-1.2504153
mlsum-de-873
Alle feiern außerhalb des Feldes, einer schaut zu: Bei der WM bejubeln mehrere Teams ihre Tore höchst ungewöhnlich - Grund ist eine Regel, die es gar nicht gibt.
Diesmal war es João Moutinho, der leider drinnen bleiben musste. Als Cristiano Ronaldo mit Portugals Nationalteam an der Werbebande sein Tor zum 1:0 gegen Marokko feierte, schaute Moutinho zwei Meter entfernt auf der Linie stehend tatenlos zu. Keinen Schritt weiter wagte sich der 31-Jährige. Ganz so, als ob ein unsichtbarer Graben rund um den Rasen im Moskauer Luschniki-Stadion gezogen worden wäre. Der kuriose Jubel macht bei der WM Schule: Schon in Portugals erstem Spiel gegen Spanien war es José Fonte, dem nach Ronaldos 3:3 mit strenger Geste bedeutet worden war, doch bitte innerhalb des Spielfelds zu bleiben. Auch England und Australien feierten ihre Tore auf diese Art. Grund ist allerdings nicht etwa die Bestrafung eines ungehorsamen Spielers - sondern eine Jubel-Vorschrift, die es gar nicht gibt. "Ich habe gehört, dass es eine Regel gibt. Wenn alle das Spielfeld verlassen, dann könnte man das Spiel wieder anstoßen", sagte Fonte am Mittwoch in der ARD, als er nach der ungewöhnlichen Feier-Choreografie seines Teams gefragt wurde. Seine Erklärung: "Wir wollten sicher sein, dass uns nichts dazwischenkommt. Deshalb machen wir das, damit das Spiel nicht wieder angepfiffen werden kann." Das Blöde ist nur: Wer auch immer das Gerücht von einer solchen Regel in die Welt gesetzt hat, er lag schlicht falsch. Das bestätigte auch das für die Regeln zuständige International Football Association Board (IFAB) noch einmal ausdrücklich. In den offiziellen Fußballregeln heißt es bei 8.1. unter dem Punkt "Anstoß" unmissverständlich: "Alle Spieler, mit Ausnahme des Spielers, der den Anstoß ausführt, befinden sich in der eigenen Spielfeldhälfte." Die Fläche außerhalb des Feldes nimmt dabei keine Sonderrolle ein, wie in manchen sozialen Medien umgehend behauptet wurde. Dort wurde die vermeintlich "unbekannte" Regel sofort zu einem heiß diskutierten Thema. Ronaldo, Moutinho, Fonte und Co immerhin sind seit Mittwoch schlauer. Im ARD-Interview wurde Fonte über den Irrtum aufgeklärt. "Gut. Das nächste Mal gehen wir alle vom Feld und feiern", sagte der verdutzte Portugiese. Allerdings: Ein wenig Vorsicht ist beim Feiern dennoch geboten. 2015 hatte die U16 von Mazedonien einmal ein Tor gegen Gibraltar äußerst lange bejubelt - allerdings in der eigenen Hälfte. Der Schiedsrichter sah alle Voraussetzungen erfüllt und pfiff das Spiel wieder an. Gibraltar nutzte die Gunst der Stunde und traf ins noch immer verwaiste Tor. Es war der Siegtreffer, wie sich später herausstellte.
https://www.sueddeutsche.de/sport/wm-anstoss-torjubel-1.4025560
mlsum-de-874
Der US-Konzern lehnt einen Zusammenschluss mit Bayer ab, bleibt aber für Gespräche offen - wenn das Angebot besser wird.
Der umstrittene US-Saatguthersteller Monsanto hat das Übernahmeangebot des Bayer-Konzerns über 62 Milliarden Dollar vorerst abgelehnt. Offenbar haben die Amerikaner aber keine grundsätzlichen Vorbehalte, sondern wollen vielmehr den Preis in die Höhe treiben. "Unser Unternehmen wird durch die Offerte deutlich zu niedrig bewertet", zudem sei einige regulatorische und finanzielle Fragen offen, erklärte Monsanto-Chef Hugh Grant. Man sei aber zu weiteren Gesprächen mit Bayer bereit. Der Leverkusener Chemiekonzern bietet bisher 122 Dollar je Monsanto-Aktie. Er äußerte sich zunächst nicht. Bayer-Chef Werner Baumann hatte sich am Montag im Gespräch mit Journalisten nicht festlegen wollen, ob er die Übernahme notfalls auch gegen den Widerstand des Monsanto-Managements durchziehen würde. Ziel sei eine Vereinbarung im gegenseitigen Einvernehmen, betonte er. Baumann schloss einen feindlichen Übernahmeversuch aber ausdrücklich auch nicht aus. "Wir werden alles tun, um diesen Zukauf zu realisieren", sagte er. Die Großaktionäre von Bayer wollen sich bislang nicht zu den Kaufplänen äußern - wohl auch, weil sich Namen wie Capital Group, Vanguard Group, Blackrock und Sun Life Financial auf den Eignerlisten gleich beider betroffenen Unternehmen finden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg ist Blackrock mit einem Anteil von 6,34 Prozent größter Bayer-Aktionär. Die Liste bei Monsanto führt die Capital Group mit gut neun Prozent an. Bayer-Manager sind persönlich zu Investoren gereist Dem Agenturbericht zufolge sollen führende Bayer-Manager in den vergangenen Tagen nach London, Frankfurt und in die USA gereist sein sowie zum Telefon gegriffen haben, um wichtige Großanleger von dem Angebot zu überzeugen. "Sie treffen sich mit Investoren, um Einzelheiten des Geschäfts glaubwürdig zu erklären", sagte Andrea Williams, Spezialistin für europäische Aktien beim Vermögensverwalter Royal London Asset Management, der ebenfalls zu den Bayer-Aktionären zählt. Zu den Sorgen der Anleger gehört, dass Bayer den Zukauf vor allem über Kredite finanzieren müsste. Der Konzern hingegen betont, er habe in der Vergangenheit bewiesen, dass er Schulden schnell wieder abbauen kann. Zudem übernehme man mit Monsanto ein Unternehmen, das über hohe liquide Mittel verfüge. Auch das helfe, die Verschuldung zügig wieder zu senken. Analysten halten diese Argumentation zwar für schlüssig. "Aber der Schuldenberg würde nun deutlich größer - und es wird einige Zeit dauern, bis der Konzern wieder Spielraum für anderes hat", sagt Ulle Wörner von der Landesbank Baden-Württemberg. Seine Warnung gewänne an Gewicht, sollte Monsanto nun einen noch höheren Preis herausschlagen. Ulrich Huwald vom Analysehaus Warburg sieht bereits das Risiko einer teuren Übernahmeschlacht mit weiteren Interessenten, etwa BASF. Aktien legten zu Die Aktienkurse von Bayer und Monsanto reagierten am Dienstag unverzüglich auf die Meldungen aus den USA. Bayer-Papiere, die im Tagesverlauf zugelegt hatten, gaben einen Teil ihrer Gewinne ab, schlossen aber immer noch 3,6 Prozent im Plus. Die Aktien von Monsanto legten zu. Bayer-Chef Baumann hatte die Kursschwäche der vergangenen Tage dazu genutzt, um privat Bayer-Aktien zu kaufen. Bisher gab er dafür fast eine Million Euro aus. Auch andere Bayer-Manager kauften zu. Die Grünen forderten am Dienstag die Europäische Kommission, die Bundesregierung und das Bundeskartellamt auf, die Übernahme von Monsanto durch Bayer zu verhindern. "Eine Marktmacht-Konzentration solchen Ausmaßes ist eine existenzielle Bedrohung der bereits eingeschränkten Wettbewerbsstrukturen im europäischen Agrarmarkt", heißt es in einem Brief der Europaparlamentsmitglieder Martin Häusling und Sven Giegold an EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Kartellamtspräsident Andreas Mundt. Derzeit würden 95 Prozent des europäischen Gemüsesaatgut-Sektors von fünf Großunternehmen gesteuert, so die Grünen-Politiker. "Durch den Kauf von Monsanto durch die Bayer AG wären es nur noch vier." Die Folgen wären eine eingeschränkte Saatgut- und Sortenvielfalt, eine wachsende Abhängigkeit von wenigen Anbietern sowie steigende Preise. "Damit wächst Europas politische Verantwortung für den stetigen Rückgang der genetischen Vielfalt in der landwirtschaftlichen Kultur und Natur", erklärten Häusling und Giegold.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktiencheck-das-grosse-rechnen-1.3004946
mlsum-de-875
Im Fall Skripal werden die Worte zwischen London und Moskau hin und her geschleudert. Die diplomatische Krise befeuert auch einen innenpolitischen Streit in Großbritannien.
Die britische Regierungschefin Theresa May besucht in Salisbury den Tatort, an dem Sergej Skripal und seine Tochter Julia vergiftet wurden. Die Worte werden hin und her geschleudert. Der Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal ist längst mehr als ein britisch-russischer Streit, die Fronten sind verhärtet. Schon in der Nacht zu Donnerstag war das im UN-Sicherheitsrat zu beobachten, als sich Großbritannien und Russland bei einer Sondersitzung einen Schlagabtausch lieferten. Premierministerin Theresa May sorge für eine "hysterische Atmosphäre", giftete der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja. London werde sich nicht von Moskaus "Leugnungen, Ablenkungen und Drohungen" beirren lassen, konterte der britische UN-Botschafter Jonathan Allen. Nachdem May am Mittwoch neben einer Reihe weiterer Sanktionen die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten angekündigt hatte, reagierte Moskau am Donnerstag in ähnlicher Manier: Auch Russland werde "sehr bald" britische Diplomaten ausweisen, zitierte die Nachrichtenagentur RIA den russischen Außenminister Sergej Lawrow. Der 66-jährige Ex-Spion Skripal und seine Tochter waren Anfang des Monats im südenglischen Salisbury bewusstlos gefunden worden. Sie kämpfen seitdem in einer Klinik um ihr Leben. Bei dem Anschlag wurde nach britischen Angaben ein Nervengift eingesetzt, welches das sowjetische Militär in den Siebziger- und Achtzigerjahren entwickelt hat. Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson schlug bei einer Rede in Bristol am Donnerstag einen harschen Ton an. Er wiederholte die Einschätzung der Regierung, Russland stehe hinter Skripals Vergiftung. "Offen gesagt sollte Russland jetzt einfach weggehen und die Klappe halten", so Williamson. Der Verteidigungsminister kündigte einen Finanzierungsschub von 48 Millionen Pfund für das Zentrum der britischen Chemie- und Biowaffenforschung in Porton Down an. Das nur etwa zehn Kilometer von Salisbury entfernt liegende Labor hatte das Gift, das gegen Skripal verwendet wurde, als den sowjetischen Nervenkampfstoff Nowitschok identifiziert. Porton Down solle nun zum "Chemiewaffen-Verteidigungszentrum" ausgebaut werden, um für die wachsende Bedrohung gewappnet zu sein, die laut Williamson "nicht nur von Russland" ausgehe. Zudem werden Tausende britischer Soldaten vorsorglich gegen Milzbrand-Erreger geimpft werden, die ebenfalls als biologischer Kampfstoff eingesetzt werden können.
https://www.sueddeutsche.de/politik/fall-skripal-einfach-weggehen-und-die-klappe-halten-1.3907654
mlsum-de-876
Nach zwei Jahrzehnten endet die Karriere des "Königs des Spam". Sanford Wallace hat Millionen unerwünschte Facebook-Nachrichten und Werbemails verschickt.
Sanford Wallace hat zu viel auf Facebook geschrieben. Viel zu viel. Der 47-Jährige Amerikaner hatte auf dem Netzwerk en masse fremde Konten übernommen und 27 Millionen Nachrichten mit unerwünschter Werbung verschickt. Für diese extreme Form des Spammings hat ihn ein Gericht in Kalifornien nun zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Damit endet die Karriere eines der berühmtesten Spammer der Welt, die lange nicht zu bremsen schien. Was für Millionen von Internet-Nutzern nervtötend ist, war für Wallace Berufung. Mehr als zwei Jahrzehnte lang arbeitete er an seinem Ruf als "König des Spam" (Medien verpassten ihm auch den Titel "Junk-Mail-Tycoon" und "Spamford Wallace"). Schon in den Neunzigerjahren verschickte er Millionen von Junk-E-Mails pro Tag aus seinem Büro in Pennsylvania. Gelernt hatte er das Geschäft in der Zeit vor dem Internet: mit Junk-Faxen, die für Restaurants oder Steinsalz warben (und den zusätzlichen Nachteil für Empfänger hatten, dass sie massenhaft Faxpapier verschwendeten). Schon 1998 hatten ihn mehr als 20 Internetanbieter gesperrt. Zwischendurch legte Wallace Nutzer herein, indem er ihre Computer gezielt mit Viren infizierte und ihnen dann Werbung für Schutz-Software schickte. Neben seiner Spam-Karriere legte er für 400 Dollar die Woche als "DJ MasterWeb" in einem Club auf. Wie Wallaces' Facebook-Spam funktionierte Die US-Handelskommission, Internetanbieter wie AOL, das FBI und Anti-Spam-Aktivisten waren hinter ihm her. Wallace spammte weiter. Gerichtsverfahren, Strafzahlungen und technische Blockaden hielten ihn nicht davon ab, Internetnutzer mit Werbung zu bombardieren. Dass Wallace Facebook als neues Betätigungsfeld entdeckte, wurde ihm zum Verhängnis. Hatte er mit seinem Geschäftsmodell zwischenzeitlich Millionen verdient, ist er seit 2009 bankrott - seit einem Zivilprozess in eben jenem Fall, der ihn nun in Haft bringt, schuldet er Facebook 711 Millionen Dollar (der Konzern wollte sieben Milliarden). Fünf Monate lang hatte Wallace zwischen 2008 und 2009 eine Armada von 500 000 Nutzerkonten übernommen. Er kaperte die Konten mit einem automatisierten Programm und verschickte unter anderem an alle Freunde des Kontoinhabers gefälschte Nachrichten, die diese auf Webseiten weiterleiteten. Wallace kassierte dafür Geld vom Seitenbetreiber und übernahm zugleich die Zugangsdaten der ahnungslosen Nutzer. So konnte er dann auch deren Konten knacken und das Spiel begann von vorne. Die Masche hatte er zuvor schon auf Myspace erprobt: Auf Links, die vermeintlich von Freunden kommen, klicken Nutzer viel häufiger als auf offensichtliche Werbung.
https://www.sueddeutsche.de/digital/spam-eine-der-groessten-nervensaegen-des-internets-muss-ins-gefaengnis-1.3036923
mlsum-de-877
Unternehmen bauen wieder mehr Mietwohnungen in den Ballungsräumen. Im Osten drohe dagen eine neue Leerstandswelle, warnen Experten.
Sozial orientierte Akteure wie Genossenschaften oder kommunale Wohnungsunternehmen investieren wieder mehr in den Neubau. Für die Modernisierung von Mietwohnungen haben sie dagegen zuletzt weniger Geld ausgegeben. Die Investitionen in diesem Bereich seien im vergangenen Jahr um 1,3 Prozent gesunken, teilte der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) kürzlich mit. Viele Unternehmen seien verunsichert, vor allem durch die Diskussion um eine Begrenzung von Mieterhöhungen nach einer energetischen Sanierung. Zwar flossen mit etwa 7,1 Milliarden Euro noch fast zwei Drittel der Investitionen in den Wohnungsbestand. Der Anteil gegenüber dem Neubau aber verringerte sich im Vergleich zum Vorjahr erneut. Insgesamt investierten die circa 3000 beim GdW organisierten Wohnungsunternehmen 10,9 Milliarden Euro. Das sind 5,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Für 2015 prognostiziert der GdW einen deutlicheren Anstieg der Gesamtinvestitionen um circa 13,8 Prozent. "Wir gehen davon aus, dass wir in diesem Jahr erstmals seit dem Jahr 2000 die 12-Milliarden-Marke überschreiten können", erklärte GdW-Präsident Axel Gedaschko. Ihre Investitionen in den Neubau wollten die Firmen um mehr als ein Viertel aufstocken - vor allem in den Ballungsgebieten. In den Metropolen entstehen neue Projekte. Dem Osten droht dagegen eine Leerstandswelle Während in gefragten Regionen und Großstädten händeringend Wohnungen gebraucht würden, hätten viele kleinere Kommunen aber zunehmend mit erheblichen Leerständen zu kämpfen. In den Ost-Bundesländern sei die Leerstandsquote 2014 erstmals seit vielen Jahren nicht weiter zurückgegangen. Für das kommende Jahr erwarten die Wohnungsunternehmen sogar einen leichten Anstieg. "Die ostdeutschen Bundesländer stehen unmittelbar vor einer zweiten Leerstandswelle", warnte Gedaschko. Wenn nicht mehr Wohnungen abgerissen würden, könne sich der Leerstand bis 2030 verdreifachen. Auch in strukturschwachen Gebieten im Rest des Landes sind laut GdW aber mehr Wohnungen unbewohnt. Die Mieten bei neuen Verträgen stiegen dem Wohnungsverband zufolge im vergangenen Jahr mit 3,5 Prozent genauso stark wie im Vorjahr. Nettokalt lagen sie 2014 im Durchschnitt bei 7,06 Euro pro Quadratmeter. Die GdW-Unternehmen vermieten bundesweit etwa sechs Millionen Wohnungen. Das entspricht fast einem Drittel des deutschen Mietwohnungsmarktes. Andreas Hoenig/dpa
https://www.sueddeutsche.de/geld/neubau-viel-investiert-1.2558123
mlsum-de-878
Morgen protestieren in ganz Deutschland Schüler gegen Turbo-Abitur und Studiengebühren. Lehrer und Eltern unterstützen den Streik.
Dass Schüler in ganz Deutschland wütend auf die Straße ziehen, das hat es seit Jahren nicht gegeben. Manche nennen es gar ein historisches Novum, dass in dieser Woche Jugendliche aus allen Schulformen Seite an Seite mit Studenten protestieren wollen. Sie alle eint der Zorn über die Bildungspolitik. Zu wenig Lehrer, Unterrichtsausfall, Büchergeld, Turbo-Abitur und später womöglich auch noch Studiengebühren - David Redelberger vom Schülerbündnis in Kassel fallen auf Anhieb gleich mehrere Gründe ein, warum es höchste Zeit ist für einen bundesweiten Schulstreik. Detailansicht öffnen Bundesweiter Aufruf zum Schülerstreik: Zehntausende Jugendliche in knapp 40 deutschen Städten wollen an diesem Mittwoch den Aufstand erproben. (Foto: Screenshot: schulaction.org) Zehntausende Jugendliche in knapp 40 deutschen Städten wollen an diesem Mittwoch den Aufstand erproben. Sie nehmen sich schulfrei, um unter dem Motto "Bildungsblockaden einreißen" für eine bessere und kostenlose Bildung für alle zu demonstrieren. Zum Protest rufen mehrere lokale Schülervertretungen und -gruppen auf, die sich vor kurzem in Berlin zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben. Bei bundesweiten Aktionstagen wollen sie sich mehr Gehör verschaffen. Obwohl sich in Deutschland fast alle über das Bildungssystem aufregten, sagt der 19-jährige David Redelberger, fehle der Politik noch der Druck von der Straße. Wandertag zur Demo Nicht selten finden die aufsässigen Schüler auch Rückhalt bei ihren Eltern oder Lehrern. Um drohende Strafen wegen des Unterrichtsboykotts zu umgehen, soll sogar der ein oder andere Wandertag scheinbar zufällig an den Ort der Demonstration führen. Und auch wenn die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Streikaufruf nicht unterzeichnet hat, so tritt doch mancher Funktionär als Redner bei den Kundgebungen auf. So wird in Frankfurt beispielsweise der hessische GEW-Landesvorsitzende Jochen Nagel sprechen. Die Hüter der staatlichen Schulaufsicht sind in diesen Tagen aber zur Strenge verpflichtet: Demonstrationen während der Unterrichtszeit sind laut Schulrecht nicht zulässig. Wer dennoch demonstriert, müsste zumindest mit einem Eintrag ins Klassenbuch wegen "unerlaubten Fernbleibens vom Unterricht" rechnen. Auch entsprechende Hinweise auf den Zeugnissen wären als Konsequenzen möglich - und wurden bei früheren Gelegenheiten durchaus verhängt. Bisher haben die Ministerien aber noch keine Sanktionen verordnet. Stattdessen sollen in der Regel die Schulleitungen zwischen Schulpflicht und Demonstrationsfreiheit abwägen. Einen Massenprotest wie in Italien oder Frankreich müssen die Bildungspolitiker im föderalen Deutschland noch nicht fürchten, so realistisch ist auch David Redelberger. Aber der Schülerstreik sei erst der Anfang, sagt er, weitere Protestaktionen seien bereits in Planung.
https://www.sueddeutsche.de/karriere/bundesweiter-schuelerstreik-schwaenzen-fuer-bessere-bildung-1.542745
mlsum-de-879
Osram ist ins Visier Chinas geraten. Damit könnte erneut europäische Technologie in chinesische Hände gelangen. Auch Siemens ist hier in der Pflicht.
In einigen unserer Geschäfte geht die Sonne unter", stellte Olaf Berlien im vergangenen Jahr nüchtern fest. Aus dieser Erkenntnis hat der Vorstandsvorsitzende der Münchner Lichtfirma Osram harte Konsequenzen gezogen. Er hat dem Traditionsunternehmen eine radikale (und durchaus umstrittene) Kur verordnet, das gesamte Geschäft mit Glühbirnen, Halogen- und Energiesparlampen - seit Jahrzehnten der Kernbereich von Osram - wurde ausgegliedert und abgestoßen. Zurück bleibt ein Unternehmen, das sich auf wichtige Zukunftsmärkte und die Fertigung von LED-Halbleitern konzentrieren soll. Nun aber könnte über Osram insgesamt die Sonne untergehen. Das Unternehmen ist ins Visier von Investoren aus China geraten. Nicht ausgeschlossen ist, dass Osram am Ende seine Unabhängigkeit verliert. Es habe bereits erste Kontakte gegeben, um eine Übernahme oder eine Kooperation auszuloten, teilte das weitgehend unbekannte und vergleichsweise kleine Halbleiterunternehmen San'an mit. Nun wird damit gerechnet, dass irgendwann ein offizielles Kaufangebot folgt. Osram-Chef Berlien dürfte davon keineswegs begeistert sein, auch wenn er jede Offerte natürlich vorbehaltlos prüfen muss. Seine Strategie war bislang auf Unabhängigkeit ausgerichtet. Siemens als Großaktionär ist durchaus in der Pflicht, auf die Zukunft Osrams zu achten Würde mit Osram der Ausverkauf deutscher und damit europäischer Technologie nach China weitergehen? Das könnte durchaus sein. Osram hat sich zuletzt durchaus einen Namen mit innovativen Lichtkonzepten gemacht. Erst in der vergangenen Woche haben die Münchner zusammen mit Daimler und Infineon ein neuartiges LED-Fernlicht vorgestellt, das die Fahrbahn vollständig ausleuchten kann, ohne dabei den Gegenverkehr zu blenden. Außerdem bietet Osram beispielsweise Systeme zur Iriserkennung an, mit dem etwa PC-Nutzer zuverlässlich identifiziert werden können, oder Bauteile für Virtual-Reality-Brillen. Die Münchner sind darüber hinaus ein wichtiger, wenn auch nicht entscheidender Lieferant für die deutsche Autoindustrie. Könnte eine Übernahme von Osram durch chinesische Investoren verhindert werden? Eine schnelle gesetzliche Handhabe dagegen gibt es derzeit zumindest nicht. Die Osram-Aktien werden an der Börse gehandelt und können von jedermann erworben werden - anders übrigens als etwa in China. Das Außenwirtschaftsgesetz greift wohl nicht, da Sicherheitsbelange der Bundesrepublik kaum betroffen sind. Deutschland ist ein Land, das seit jeher von der freien Weltwirtschaft lebt. Die Politik hat immer gut daran getan, sich zurückzuhalten und nicht direkt zu intervenieren, solange nicht grundsätzliche Interessen berührt sind. Wenn aber Technologie-Unternehmen massenweise nach China gehen, sollte das nicht mit einem Achselzucken hingenommen werden, sondern durchaus Anlass zur Besorgnis sein. Schon seit Langem suchen chinesische Firmen gezielt nach deutschen Hightech-Unternehmen. Der Augsburger Roboterhersteller Kuka etwa wurde von Midea übernommen, der Anlagenbauer Aixtron soll von Grand Chip Investment gekauft werden. Jetzt Osram - das Unternehmen mit 33 000 Mitarbeitern ist an der Börse immerhin fast sechs Milliarden Euro wert. Dahinter steckt durchaus ein Plan der Chinesen, die dann geschickt, wie zuletzt bei Kuka, weitgehende Garantien geben. Gleichzeitig schirmen sie ihren eigenen Markt immer stärker ab und bestehen immer deutlicher darauf, dass wichtige Technologiegüter in China und unter chinesischer Regie produziert werden, seien es Medizintechnikgeräte, Elektrofahrzeuge, Hochgeschwindigkeitszüge oder Flugzeuge. Hier ist durchaus auch Siemens in der (moralischen) Pflicht. Osram war jahrzehntelang bis zur Abtrennung vor drei Jahren ein Teil des Weltkonzerns, noch heute liegen knapp 18 Prozent der Aktien bei Siemens. Auch wenn das nun nur noch eine Finanzbeteiligung ist, die zum Verkauf ansteht, sollte Siemens-Chef Joe Kaeser (der zuletzt mit Osram-Chef Berlien manches Scharmützel austrug) doch auf eine gesunde Zukunft Osrams achten. Die Versuchung ist natürlich groß, die Beteiligung mit einem guten Aufschlag schnell an die Chinesen loszuschlagen und ihnen damit eine gute Ausgangsbasis im Kampf um Osram zu verschaffen. Doch dürfen über einen kurzfristigen Gewinn nicht die langfristigen Folgen für den Standort vergessen werden. Die USA übrigens sind rigoroser. Der Verkauf des Lichtgeschäftes von Philips an Chinesen ist am Widerstand der Amerikaner gescheitert. Die nationale Sicherheit der USA sei in Gefahr, wurde behauptet. Da die Niederländer auch in den USA aktiv sind, mussten sie sich fügen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-ausverkauf-nach-china-1.3199962
mlsum-de-880
Beim WTA-Turnier in Nürnberg in dieser Woche erhalten junge Tennisspielerinnen die Chance, sich mit etablierten Profis zu messen.
All jenen, die die Tröten und Tanzschuhe parat gelegt haben und mit gewissen Erwartungen zur Valznerweiherstraße 200 reisen wollen, muss Sandra Reichel eine Enttäuschung entgegnen. "Wir sind nicht so das Partyturnier", bekennt die Direktorin des Nürnberger Frauen-Profitennisturniers, das nun zum fünften Mal stattfindet, um dafür umgehend auf eine andere Besonderheit zu verweisen. "Der Sport soll im Vordergrund stehen und der Nachwuchs ist uns sehr wichtig." So gab es am Sonntag ein Girls Camp mit Judy Murray, der renommierten britischen Trainerin und Mutter des Weltranglisten-Ersten Andy Murray. In den Altersklassen U8 und U12 werden in dieser Woche Wettkämpfe ausgetragen, bei den U-14-Mädchen kommt es zum Duell zwischen Deutschland und Österreich. Ja, das Thema Frauen und Tennis wird nicht nur marketingtechnisch angeschoben, es wird gelebt. Auch im Teilnehmerfeld ist die DNA, die Reichel dem Nürnberger Versicherungscup einverleiben will, wiederzuerkennen. Detailansicht öffnen Erfolgserlebnis: Die 18-jährige Lena Rüffer aus Berlin erkämpfte sich als Qualifikantin einen Platz im Hauptfeld des Nürnberger Profiturniers. (Foto: Peter Weber/imago) In dem 32er-Tableau erhalten viele Junge eine Chance, die sich gegenüber den Etablierten beweisen wollen. Katharina Hobgarski aus Neunkirchen und Katharina Gerlach aus Essen, beide 19, starten dank Wildcards, nachdem die Lettin Anastasia Sevastova und die zuletzt furios zwölf Mal in Serie siegende Mona Barthel kurzfristig zurückgezogen hatten. Eine Welt brach daher nicht für Reichel zusammen, die ihre Veranstaltung auf zwei Säulen aufbaut, Stammkräften der WTA Tour sowie hoffnungsvollen Talenten, wobei sie bei der Planung speziellen Gesetzmäßigkeiten ausgesetzt ist. Die French Open beginnen in dieser Woche mit der Qualifikation, am Sonntag offiziell bereits mit Hauptfeld-Matches. Das verursacht bei Reichel ein klassisches Einerseits-Andererseits-Gefühl. Fakten zum WTA-Turnier Turnierkategorie: WTA International, Freiluft, Sand. Preisgeld: 250 000 Dollar. Hauptfeld, Einzel: 32 Spielerinnen, Finale am Samstag; Hauptfeld Doppel: 16 Paare. Karten: Preise zwischen 20 und 55 Euro. Veranstaltungsort: 1. FC Nürnberg, Valznerweiherstraße 200. Anfahrt: Aufgrund beschränkter Parkmöglichkeiten wird geraten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen (Haltestelle "Sportanlage FCN"). "Für manche wie Angelique Kerber kommt ein Turnier so knapp vor Paris nicht mehr in Frage", sagt die Österreicherin, die mit ihrer Veranstaltungsagentur auch das WTA-Turnier in Linz betreibt. "Aber dann gibt es auch immer wieder mal Spielerinnen, die waren vorher nicht so erfolgreich und wollen gerne noch ein Turnier spielen." Reichel gibt zu, dass selbst bei allem Fleiß die Zusammenstellung des Feldes "ein bisschen ein Glücksspiel" ist. Dass etwa Eugenie Bouchard, 2014 Siegerin in Nürnberg und aufgrund ihres durchaus begünstigten Erscheinungsbildes eine globale Zugkraft, melden würde, kam überraschend. Die Kanadierin ist in der Weltrangliste abgerutscht und sucht Matchpraxis, die sie mit der schweren Erstrunden-Aufgabe gegen die Kasachin Julia Putintseva erhält. Andere wiederum hätten auch für zusätzliche Aufmerksamkeit gesorgt, Sabine Lisicki wurde angefragt, die Wimbledon-Finalistin 2013, die ein wenig abgetaucht ist. "Sie ist noch nicht ganz fit und trainiert gerade", sagt Reichel, "sie hätte eine Wildcard bekommen. Aber sie will auf Rasen einsteigen." Die Rasen-Saison beginnt nach den French Open. Die Setzliste führt nun die Titelverteidigerin Kiki Bertens aus den Niederlanden an, auch die Deutschen Laura Siegemund, Julia Görges, Annika Beck, Carina Witthöft und Tatjana Maria (WC) sind im Hauptfeld. Die 18-jährige Berlinerin Lena Rüffer erkämpfte sich als Qualifikantin einen Startplatz. Ihr Turnier hat sich etabliert, "wir verankern uns hier immer mehr, step by step", sagt Reichel, die jedes Jahr die Qualität erhöhen will. Diesmal hat der ausrichtende 1. FC Nürnberg im Spielertrakt Garderoben und Sanitäranlagen erneuert. Ein Sponsor hat auch verlängert. Kleine Schritte, die auch symbolisch zu verstehen sind: Es geht voran.
https://www.sueddeutsche.de/sport/tennis-gluecksspiel-mit-der-dna-1.3515809
mlsum-de-881
Wer hat Schuld am Brexit? Der britische Premier Cameron tritt im Oktober ab - und versucht seinen Labour-Rivalen Corbyn mit einem historischen Kniff mitzureißen.
David Cameron hat sich auf die Fragestunde des britischen Unterhauses in London gut vorbereitet. Einen verbalen Knaller, den überlegte er sich wohl schon vorher. Er wird ihn dann zur rechten Zeit anbringen. Doch zunächst sind da erstmal allerlei Fragen, die der konservative Premier wortreich und neuigkeitsarm beantwortet. Die Sorge um einen historischen Wochenmarkt? Wir werden uns kümmern. Glückwunsche an sportliche Schüler? Wird erledigt. Und ein Witzchen streut er auch noch ein, in dem es darum geht, dass man nicht auf Party-Einladungen von Silvio Berlusconi eingehen sollte. Souverän und routiniert wirkt Cameron, dabei ist er nun ja eigentlich nur noch eine "lame duck": Der Premier hatte nach dem Brexit-Votum am Freitag seinen Rücktritt für Oktober erklärt. Und so sind in Westminster an diesem Dienstagnachmittag auch vor allem die Fragen an den konservativen Regierungschef relevant, in denen es um den kommenden EU-Austritt und seine Folgen geht. Cameron antwortet gewohnt geschmeidig und erwartbar. Er bedauert die Entscheidung, verkündet die Einsetzung von Arbeitsgruppen, verweist auf seinen Nachfolger, und ja, die EU solle Partnerin und Verbündete bleiben. Der schon Zurückgetretene fordert den Rücktritt Aber Floskelflausch-Sprech reicht der Opposition natürlich nicht. Allen voran der Labour-Chef Jeremy Corbyn bohrt herum. Die Abwanderung von Großunternehmen, die fremdenfeindlichen Übergriffe - was Cameron dagegen tun wollte? Und dann die Furcht davor, dass es Menschen in prekären Situationen ohne die EU-Mitgliedschaft noch schlechter gehen könnte. Der Labour-Chef wähnt sich auf traditionellem Labour-Terrain. "13,5 Millionen Briten leben in Armut leben", hält Corbyn dem Premier vor. Nun schaltet Cameron auf Attacke. Die Labour-Fraktion revoltiert seit Tagen gegen den Parteilinken Corbyn, am Vortag hatte sie ihm mit großer Mehrheit das Misstrauen ausgesprochen. Cameron, der eigentlich schon Zurückgetretene, will seinen sozialdemokratischen Rivalen bloßstellen, er will ihn mit nach unten reißen. Detailansicht öffnen Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht im Unterhaus. Auf dem Pult vor ihm liegt unter anderem das Szepter des Speakers. (Foto: AFP) Und so macht er es: Zuerst hält er ihm seinerseits Zahlen entgegen und behauptet, es sei eigentlich nun alles besser geworden. Die sozialen "Ungleichheiten" im Land seien so weit reduziert worden wie nie zuvor, ruft Cameron. Dann setzt der Premier zum finalen Stoß an. Es sei zwar für die Konservativen nützlich, wenn Corbyn weiter die Opposition führe, aber nicht im nationalen Interesse. "In Gottes Namen, Mann, gehen Sie!", herrscht er Corbyn an. Rufe, Aufregung, Abgeordnete erheben sich von den Bankreihen. Für Corbyn ist es eine Demütigung und nicht einmal seine Fraktion steht an diesem Tag geschlossen hinter ihm. Die Mehrheit seiner Parteifreunde wirft ihm vor, er habe im Wahlkampf gegen den Brexit eine schwache Figur gemacht. Sie fürchten, Corbyn werde der Partei im Fall einer Neuwahl eine verheerende Niederlage einbrocken. Ein sehr britischer Clou Camerons letzte Worte "In Gottes Namen, Mann, gehen Sie!" hat er der Geschichte entlehnt. Denn mit fast derselben Formulierung hat Oliver Cromwell 1653 die Abgeordneten aus dem Rumpfparlament verscheucht. Camerons Entlehnung ist also ein historischer Kniff, ein sehr britischer Clou an der Grenze zu schwarzem Humor. Detailansicht öffnen Oliver Cromwell 1653 während der Auflösung des Rumpfparlamentes. Er schmäht die Abgeordneten, nennt das Szepter des Speakers sinngemäß eine Idiotenspielerei und lässt den Zeremonienstab von Soldaten wegtragen. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo) Cromwell zu zitieren ist einerseits sicherlich nicht so clever für einen konservativen Politiker wie Cameron, schließlich ließ Cromwell damals den König köpfen und herrschte diktatorisch als Lordprotektor. Auf der anderen Seite wird David Cameron nur noch drei Monate in Downing Street 10 amtieren. Politisch ist er schmerzfrei. Oppositionschef Jeremy Corbyn stehen die größten Schmerzen wohl noch bevor. Link zur BBC: Hier der Videoausschnitt zu Camerons Attacke.
https://www.sueddeutsche.de/politik/unterhaus-brexit-cameron-corbyn-premierminister-labour-westminster-1.3056086
mlsum-de-882
Der 19-Jährige Marin Pongracic jobbte nebenbei in Landshut und hatte mit dem Profifußball fast schon abgeschlossen, als er zum Regionalliga-Team von TSV 1860 München wechselte - nun gilt er bei den Profis als Hoffnungsträger im Abstiegskampf.
Es ist durchaus möglich, dass sich Marin Pongracic und Robert Glatzel am Freitagabend als direkte Gegenspieler auf dem Fußballplatz treffen. Der Angreifer Glatzel landete 2015 beim 1. FC Kaiserslautern, nachdem er sich beim TSV 1860 München und anderen Vereinen (Wacker Burghausen, SV Heimstetten) nie richtig durchsetzen konnte. Bei Pongracic ist es genau umgekehrt: Er hat sich bei anderen Vereinen nicht durchgesetzt, dann kam er zu Sechzig - und hat es in einem halben Jahr vom U-21-Team zu den Profis geschafft. Am vergangenen Spieltag debütierte der junge Innenverteidiger gegen den SV Sandhausen in der zweiten Liga. Abgesehen von ein paar Details habe er "ein sehr gutes Spiel gemacht", sagt Trainer Vitor Pereira. Für die Löwen stehen nun fünf "Endspiele" im Abstiegskampf an, wie sie selbst sagen, Pongracic steht im Kader, und Pereira hört sich so an, als würde er den gerade mal 19-Jährigen ohne Bedenken in eines dieser wichtigen Endspiele hineinwerfen. "Es gibt auch erfahrene Spieler, die Fehler machen", sagt er. Wieso also nicht auf den talentierten Pongracic setzen, soll das heißen. Ohnehin zeigt das nur die generelle Bereitschaft des Portugiesen, auf die Talente im Klub zu setzen. Pongracic war ja für den auch erst 19-jährigen, verschnupften Felix Uduokhai eingesprungen. Mit der U21 hatten sie im Nachwuchsleistungszentrum im vergangenen Sommer eigentlich vorgehabt, vor allem mit Spielern aus der eigenen Jugend ins Rennen zu gehen. Doch dann beschloss Trainer Daniel Bierofka, György Hursan zu einem Sechser umzufunktionieren, und plötzlich bestand Bedarf an einem weiteren Innenverteidiger. "Er hat dann bei uns zwei Wochen Probetraining gehabt", erzählt Bierofka über Pongracic. Dann habe man sich nach längerem Nachdenken zur Verpflichtung entschlossen. Nicht, weil man Zweifel an seinen Leistungen auf dem Platz hatte. Sondern vielmehr, weil sich Pongracic dem Vernehmen nach neben dem Platz oft selbst im Weg stand, früher in der Jugend des FC Bayern, bis 2016 dann beim FC Ingolstadt. "Er war eigentlich schon weg", sagt Bierofka. Und ja, es sei ein recht harter Kampf mit ihm gewesen in den vergangenen Monaten, "wir sind schon mal aneinander gerasselt", berichtet der Trainer. Doch der Einsatz habe sich gelohnt. Auf keinen Fall aber sei er der Typ "verwöhnter Profi". Während des Probetrainings bei den Löwen jobbte Pongracic nebenher in Landshut, pendelte hin und her. Dabei hatte er ein halbes Jahr zuvor auch schon bei den Ingolstädter Profis unter Ralph Hasenhüttl mittrainieren dürfen. Das so genannte kleine Derby im März gegen den FC Bayern II entschied er mit einem Alleingang und einem Schuss durch die Beine des gegnerischen Keepers Leo Weinkauf. "Ich wollte eigentlich gar nicht schießen", sagte er damals nach dem Spiel verschmitzt, er schieße ja auch sonst nie Tore. Er sei ziemlich nervös gewesen vor dem Spiel gegen den Erzrivalen, bei dem er bis zur U16 gespielt hatte. Doch die Nervosität merkte man ihm damals genauso wenig an wie bei seiner Premiere in der zweiten Liga. Seitdem er gebändigt ist, dreht der freundlich wirkende Verteidiger auf dem Platz immer mehr auf. Vor zwei Wochen kickte die U21 gegen den FC Schweinfurt (1:1), deren Trainer Gerd Klaus sagte nach dem Spiel, er habe gerade "den besten Innenverteidiger der Regionalliga" gesehen. Bierofka lobt seine "provokante Überzeugung" Auch wenn Tore selten bleiben werden: Neben der Zweikampfhärte sind seine Antritte mit dem Ball sein Markenzeichen. Kurz hatte Bierofka überlegt, sie ihm auszutreiben. Jetzt sagt er: "Es ist tatsächlich seine Stärke Ich mache mir nur Sorgen über den Zeitpunkt. In der zweiten Liga geht eben alles ein bisschen schneller." Doch seinen Einstand gegen Sandhausen fand Bierofka schon mal gut, das hat er ihm nach dem Spiel auch gesagt. Das, was Bierofka eine "provokante Überzeugung" nennt, eine selbstbewusste Körpersprache, das hat Pongracic offensichtlich auch mitgenommen aus der Regionalliga in die zweite Liga. Was immer sich der junge Kroate in der Vergangenheit erlaubt hat, sein Ziehvater ist dennoch zuversichtlich, dass er ihn für immer aus der U21 verloren hat. Dass er dort trotzdem noch zusieht, deutet der Trainer als positives Zeichen: "Er hat sich am Dienstag das Spiel gegen Illertissen angeschaut, ist danach in die Kabine gekommen und hat geholfen, die Koffer zu tragen." Umgekehrt habe Pongracic der Mannschaft auch "viel zu verdanken", was immer das heißen mag. Mit anderen Worten: Das Talent steht noch in der Pflicht zu zeigen, dass es seine Chance verdient hat.
https://www.sueddeutsche.de/sport/tsv-1860-muenchen-zweitligadebuet-eines-schwer-vermittelbaren-1.3472234
mlsum-de-883
Endlich das Hobby zum Beruf machen und selbstgestalteten Schmuck, Kleidung oder Möbel online verkaufen. Aber wie viel bringt das wirklich ein? Fünf Kreative erzählen.
320 000 Menschen bieten auf der Online-Plattform DaWanda ihre Ware an. Der seit Jahren ungebrochene DIY-Trend trifft hier auf Käufer, die nach individuellen Produkten suchen. Dem deutschen E-Commerce-Anbieter zufolge geht alle 20 Sekunden ein Schmuckstück über die virtuelle Ladentheke. Beim amerikanischen Pendant Etsy ist die Vielfalt noch größer: 1,5 Millionen Verkäufer bieten dort 32 Millionen Artikel an. Ob sie davon alle leben können? Fünf Etsy- und DaWanda-Verkäufer erzählen ihre Geschichte. Detailansicht öffnen Aus Bonnie Berlin und Betty Buttermilch wurde Bonnie & Buttermilk. (Foto: Kathinka Petsch) Stoff Eike Braunsdorf und Kathinka Petsch haben Filmwissenschaft und Kunst studiert. Die beiden haben noch nicht einmal einen Nähkurs besucht. Trotzdem stellen die 37-jährigen Wahlberlinerinnen Kleidung für Frauen her. Das Besondere? Die Stoffe gibt es nirgendwo im Laden zu kaufen, sie sind selbst entworfen und bedruckt. Warum selbstdesignte Mode? Wir haben uns in einem Stoffladen kennengelernt, in dem Eike gearbeitet hat. Jede von uns hat gerne Kleidung genäht. Anfangs nur für unsere eigenen Kinder, dann haben wir die Stücke auch bei Da Wanda und Etsy angeboten. Früher noch unter zwei Labels: Bonnie Berlin und Betty Buttermilch. Daraus wurde 2010 Bonnie & Buttermilk. Bis der Entwurf für eine komplette Kollektion steht, brauchen wir etwa zwei Monate. Oft lassen wir uns von Büchern oder Filmen inspirieren. Von jedem Kleidungsstück stellen wir nur wenige Exemplare her - gefertigt wird erst nach der Bestellung, so ist jedes Modell auf die Maße der Kundinnen zugeschnitten und man kann beim Kauf spezielle Wünsche äußern. Bis das Stück fertig ist, dauert es dann ungefähr zwei bis drei Wochen. Neben Bonnie & Buttermilk, gibt es mittlerweile auch Bonnie & Buttermilk Home, -Kids und -Stoffe. Können Sie davon leben? Detailansicht öffnen Neben Bonnie & Buttermilk, gibt es auch Bonnie & Buttermilk Home, - Kids- und -Stoffe. (Foto: Kathinka Petsch) Ja. Früher haben wir die Kleidung noch im Wohnzimmer mit Haushaltsnähmaschinen gefertigt - einen Monat nach Eröffnung mussten wir den DaWanda-Shop wegen zu großer Nachfrage kurzzeitig deaktivieren. Dann hatten wir ein Atelier in einem Berliner Hinterhof und seit zwei Wochen haben wir endlich einen Showroom inklusive Werkstatt in Berlin. Die Designs sind immer noch von uns, genauso wie die Auswahl der Stoffmuster, aber mittlerweile haben wir auch einige Mitarbeiter. Unsere Shirts kosten um die 50 Euro, unsere Sweater etwa 70 Euro, Röcke und Kleider kosten zwischen 70 und 150 Euro.
https://www.sueddeutsche.de/stil/diy-produkte-kann-man-von-selbstgemachtem-leben-1.2664830
mlsum-de-884
Das beschlossen die Länder bei einer Sitzung der Kultusminister. Wie es nun weitergeht, bleibt aber unklar.
Geht es nach dem Kultusministern, bekommen die Ländern so bald wie möglich Geld vom Bund, um die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben. Die Länder beschlossen bei einer Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) eine entsprechende Erklärung. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sprach sich ebenfalls dafür aus, dass der Digitalpakt Schule "schnell" auf den Weg kommt. Als Folge der Vereinbarung sollen die etwa 40 000 Schulen in Deutschland mit digitaler Technik wie WLAN ausgestattet werden. Schulen sollen mit einem Teil von vorgesehenen fünf Milliarden Euro vom Bund auch Tablets oder Laptops für ihre Schüler beschaffen können. Grundsätzlich sollen die Schüler die Geräte aber selbst mitbringen. Uneins sind sich die Länder darüber, ob der Digitalpakt wie von Bund und Bundestag vorgesehen im Zusammenhang mit einer Grundgesetzänderung beschlossen werden soll. Zu einem bereits vom Bundestag beschlossenen Gesetz für so eine Grundgesetzänderung wollen die Länder am 14. Dezember im Bundesrat den Vermittlungsausschuss beider Kammern anrufen. Der Sprecher der SPD-geführten Länder, Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, warb dafür, den eingeschlagenen Weg über die Grundgesetzänderung zu gehen und erst im Fall eines Scheiterns neu nachzudenken. Seine baden-württembergische Kollegin Susanne Eisenmann (CDU) hielt dem für die unionsgeführten Länder entgegen, dass der Digitalpakt ohne Grundgesetzänderung kommen solle. Rabe sagte, seine Erwartung sei es, "dass wir im kommenden halben Jahr den Digitalpakt Schule auf jeden Fall haben können". Bundesministerin Karliczek meinte: "Zügig ist das Zauberwort." Eisenmann betonte, wenn der Pakt im Sommer 2019 komme, werden seit der ersten Ankündigung durch die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) drei Jahre vergangen sein. Fraglich sei, "ob das wirklich zügig in der Definition von zügig ist". Karliczek hatte entgegen ursprünglichen Plänen am Mittag doch kurzfristig an einer Pressekonferenz der KMK zum Thema teilgenommen.
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitalpakt-schule-soll-zuegig-in-kraft-treten-1.4242745
mlsum-de-885
Banken und Sparkassen hinken bei Innovationen noch immer hinterher. Wollen sie das ändern, müssen sie sich mehr von Fintechs abschauen.
Manchmal braucht es etwas länger, bis man begreift, dass man zu spät dran war. Das Internet nahmen anfangs viele nicht ernst, den Online-Buchhandel Amazon ebenso nicht. Eine solche Fehleinschätzung hat so manchen das Geschäftsmodell gekostet, und eigentlich sollte man denken, dass Unternehmen daraus gelernt hätten. Und doch hat man bei den Banken den Eindruck, dass sie gerade drauf und dran sind, in die gleiche Falle zu tappen wie einige Buchhändler. Das aktuelleste Beispiel: Echtzeitüberweisungen. Bisher hat der Transfer von Bank A zu Bank B mitunter Tage gedauert. Künftig soll das in Sekundenschnelle passieren - vorausgesetzt, die beteiligten Banken bieten den Service an. Seit einigen Tagen nun können in Deutschland rund 40 Millionen Sparkassen-Kunden die Blitzüberweisung nutzen. Und tatsächlich ist die Gruppe damit ein Vorreiter unter den Geldhäusern in Europa. Bloß: Die gleiche Idee hatte eine andere Firma bereits vor fast zwanzig Jahren, wir kennen sie heute unter dem Namen Paypal. Die Banken sind mit der Umsetzung schlappe zwei Jahrzehnte später dran. Das wirft ein Schlaglicht auf ein generelles Problem: Die Geldhäuser hinken viel zu oft hinterher, wenn es um Innovation geht. Das führt nicht unmittelbar und sofort in die Pleite. Wohl aber dazu, dass große Tech-Konzerne und Finanz-Start-ups immer mehr Nischen und neue Geschäftszweige besetzen. Sie sind es, die die etablierten Geldhäuser vor sich hertreiben. Sie bestimmen das Tempo der Innovation. Die Banken reagieren lediglich. Es wäre ratsam, dass sie sich noch mehr von den Finanz-Start-ups abschauen. Denn sonst haben sie spätestens dann ein Problem, wenn die "anderen" keine kleinen Fintechs mehr sind, sondern Tech-Giganten wie Google oder Amazon. Die Echtzeitüberweisung ist nur eines von vielen Beispielen und zeigt doch wie unter einem Brennglas, wie zäh Innovationen bislang vorankommen. Denn theoretisch können Banken den Service bereits seit 2017 anbieten. Seitdem gibt es den europäischen Standard, der besagt, dass das Geld in zehn Sekunden verschickt werden soll, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Umgesetzt hatten das bis vergangene Woche 22 Institute in ganz Europa. Diese Woche nun sind immerhin einige Hundert Sparkassen dazugekommen. Die meisten von ihnen werden den Service allerdings nicht umsonst anbieten, sondern dafür teils saftige Gebühren verlangen. Und hier zeigt sich das zweite Problem der Geldhäuser: Sie denken zu kurzfristig. Natürlich müssen sie die Kosten für die neue Infrastruktur wieder reinholen. Doch ein neues Produkt zu bepreisen, wird nicht gerade viele Kunden anlocken. Unter solchen Umständen wird sich kaum ein Kunde finden, der das neue Produkt gerne und häufig nutzt. Das ist schade, denn es könnte der Grundstein für neue Produkte sein, etwa für schnelle Handy-zu-Handy-Zahlungen. Auch, wer seinem Kind schnell Geld aufs Konto überweisen will, hätte damit eine komfortable Möglichkeit. Mit solchen Vorteilen könnte man langfristig Kunden gewinnen und an sich binden. Wer für solch einen Service jedoch horrende Preise verlangt, schreckt hingegen ab. Banken haben zwei Probleme: Sie sind zu langsam und denken oft zu kurzfristig Wäre es nur das eine Projekt, dass so behäbig läuft, man würde es wohl verschmerzen. Doch die Liste der verpassten Innovationen bei Banken ist lang. Ein anderes Paradebeispiel ist Paydirekt, der Paypal-Klon der Deutschen Kreditwirtschaft, der bis heute nicht wirklich angelaufen ist. Stattdessen sind manche Fintechs so erfolgreich geworden, dass sie den Banken in einzelnen Bereichen bald den Rang ablaufen könnten: Scalable, der größte Robo-Advisor in Deutschland etwa, ist nicht aus der Entwicklungsabteilung einer Bank entstanden, sondern aus einem Start-up. Die Vorteile der kleinen Angreifer sind, dass sie agil in ihrer Arbeitsweise sind und keine langwierigen Entscheidungsprozesse einhalten müssen. Würden die Banken Innovationen so schnell umsetzen wie Fintechs, würde das auch Kunden freuen. Denn ihnen ist es egal, woher die Innovation kommt, solange sie denn bequem ist. Den Vorsprung, den die Banken zurzeit noch haben, sollten sie also dringend nutzen. Dann haben sie eine echte Chance, auch in Zukunft eine Rolle zu spielen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-mehr-tempo-1.4048169
mlsum-de-886
Das IOC hat nach den russischen Doping-Skandalen entschieden, das Nationale Olympische Komitee Russlands von den Winterspielen 2018 auszuschließen. Die Athleten können nur unter neutraler Flagge antreten.
Wegen des Doping-Skandals dürfen russische Athleten bei den Winterspielen in Pyeongchang (9. bis 25. Februar) nur unter neutraler Flagge starten. Das entschied das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf einer Exekutivsitzung am Dienstag in Lausanne. Auf den Trikots russischer Sportler soll "Olympischer Athlet aus Russland" stehen. Einem Komplett-Ausschluss von den Winterspielen entgeht Russland. "Es war ein beispielloser Angriff auf die Integrität der Olympischen Bewegung und des Sports", sagte IOC-Präsident Thomas Bach. Darum habe das IOC-Exekutivkomitee ausgewogene Sanktionen für die systematische Manipulation ausgesprochen. "Dies soll einen Strich unter die schädigende Episode ziehen und als Katalysator für einen von der Wada geleiteten effektiveren Anti-Doping-Kampf dienen", sagte Bach weiter. Vizepremier Mutko wird lebenslang in allen Funktionen von Olympia ausgeschlossen Wie das IOC mitteilte, sei die "systematische Manipulation der Anti-Doping-Regeln und des Anti-Doping-Systems in Russland" bestätigt worden. Als Konsequenz wurde auch der ehemalige Sportminister Witali Mutko, der aktuell Chef des russischen Fußball-Verbandes und WM-Organisationschef ist, lebenslang in allen Funktionen von Olympia ausgeschlossen. ROC-Präsident Alexander Schukow wurde zudem als IOC-Mitglied suspendiert. Zudem muss das russische olympische Komitee ROC 15 Millionen Dollar an die neu geschaffenen unabhängigen Behörde für Doping-Testverfahren (ITA) zahlen. Russland kann vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS noch einen Einspruch einlegen. Ob russische Sportler allerdings ohne Flagge und Hymne an den Start gehen werden, ist fraglich. Staatspräsident Wladimir Putin hatte für diesen Fall vor einigen Wochen von einer Demütigung gesprochen und mit einem Boykott gedroht, in den letzten Tagen waren diesbezüglich aber moderatere Töne aus Moskau zu vernehmen. "Wir sind gegen eine Einschränkung der Rechte unserer Sportler", hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag noch betont. Ein staatlich gelenktes Dopingsystem wurde in Russland aber weiter vehement geleugnet. Die russischen Olympia-Sportler sollen am 12. Dezember entscheiden, ob sie zu den Winterspielen nach Südkorea fahren oder nicht. Das kündigte der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees an, Alexander Schukow. Zu der "Olympischen Versammlung" sollten die potenziellen Teilnehmer, Trainer und Verbandsvertreter kommen, sagte er der Agentur Tass zufolge. "Ein olympischer Boykott hat noch nie etwas gebracht. Ich sehe auch keinen Grund für einen Boykott durch russische Sportler, weil wir den sauberen Athleten erlauben zu starten", sagte Bach: "Diese Athleten können eine Brücke bauen in die Zukunft eines sauberen Sports statt eine neue Mauer zu errichten." Die staatlichen Fernsehsender in Russland werden die Winterspiele wegen der Strafen des IOC nicht übertragen. Das teilte die Pressestelle der TV-Holding WGTRK am Dienstag in Moskau nach der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees mit. Russland hatte in den Jahren 2011 bis 2015 ein institutionelles Dopingsystem installiert. Darin verwickelt waren laut den Berichten des Sonderermittlers der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) Richard McLaren rund 1000 Sportler. Auslöser des Skandals war der Betrug der Russen bei den Heim-Winterspielen 2014 in Sotschi. Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Dopinglabors, Grigori Rodschenkow, hatte als Kronzeuge über den systematischen Austausch von Doping-Proben berichtet. Die Pläne dafür seien bis in höchste politische Kreise bekannt gewesen. Im Auftrag der Wada hatte der kanadische Rechtsprofessor Richard McLaren umfangreiches Material gesammelt, das in zwei Berichten staatlich gesteuerte Manipulationen im russischen Sport belegt. Trotz der Beweislast hatte das IOC eine Komplettsperre des russischen Teams für die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro abgelehnt und stattdessen Einzelfallprüfungen durch die internationalen Sportverbände angeordnet. Seit den Spielen in Rio wuchs allerdings der Druck auf das IOC. Dieses setzte zwei Untersuchungskommissionen ein, die nach ihren Leitern benannt wurden, dem ehemaligen Schweizer Bundespräsidenten Samuel Schmid und dem Schweizer IOC-Mitglied Denis Oswald. Die Oswald-Kommission hat bislang 25 russische Sotschi-Teilnehmer lebenslang für Olympia gesperrt. Ihre Ergebnisse von Sotschi wurden annulliert, darunter sind zahlreiche Medaillengewinner. Die Schmid-Kommission sollte herausfinden, wer in dem von McLaren beschriebenen System welche Verantwortung trug. Diese Erkenntnisse sollten vor allem als Grundlage der IOC-Entscheidung über die Sanktionen dienen.
https://www.sueddeutsche.de/sport/eil-russland-als-nation-von-olympia-ausgeschlossen-1.3778601
mlsum-de-887
Das Referendum verändert die britische Politik: Unter allen Parteien hat Labour nun am meisten zu leiden.
Jeremy Corbyn zeigte sich zuversichtlich: "Es ist ein guter Tag", sagte der Chef der Labour-Partei, als er am Donnerstag im Wahllokal seine Stimme für das Referendum abgab. Doch in Wirklichkeit war es ein sehr schlechter Tag für die britischen Sozialdemokraten. Darum forderten am Freitag bereits zwei Abgeordnete der Oppositionspartei, dass die Fraktion kommende Woche über Corbyns Zukunft abstimmen soll. Der Sieg des Brexit-Lagers erschüttert Europa, er stürzt die Finanzmärkte in Turbulenzen. Und er verändert die britische Politik. Unter den Parteien ist Labour der große Verlierer. Die EU-feindliche UK Independence Party (Ukip) des dauergrinsenden Nigel Farage kann dagegen auf kräftige Zugewinne bei zukünftigen Wahlen hoffen. Die regierenden Konservativen, die Tories, sind gespalten und müssen bis Oktober einen neuen Premierminister küren. Kabinettsmitglieder, die sich bis Donnerstag gegenseitig Lügen und mieser Tricks bezichtigten, müssen wieder einträchtig miteinander arbeiten. Das Land und die Parteien stehen vor turbulenten Wochen, noch bevor die Verhandlungen mit Brüssel über eine Trennung beginnen. Es war keine Überraschung, dass das Brexit-Lager im Süden Englands - außerhalb Londons - gut abschnitt. Doch die Austritts-Freunde errangen die Mehrheit, weil sie unerwartet viele Stimmen in Wales und vor allem in Nordengland erhielten. Hier konnte das EU-Lager nur wenige Wahlbezirke gewinnen. Dabei sind die eher armen Industrie-Städte im Norden Englands eine Hochburg von Labour. Und die Partei warb anders als die gespaltenen Tories nahezu geschlossen für den Verbleib. Populisten werden von der Schwäche der Sozialdemokraten profitieren Offenbar gelang es der Partei nicht, ihre Stammwähler zu überzeugen. Diese folgten lieber den Argumenten der Brexit-Kampagne, die vor zu viel Einwanderung warnte und einen Austritt als Lösung anpries. Für viele Wähler in Nordengland steht Labour also bei den Themen Ausländer und EU auf der falschen Seite - deswegen könnte die Partei demnächst bei Wahlen massiv Stimmen an die Rechtspopulisten von Ukip verlieren. Simon Hix, Politik-Professor an der London School of Economics, erwartet jedenfalls "großen Schaden" für die Sozialdemokraten. "Ukip-Kandidaten werden bei der nächsten Wahl von Tür zu Tür gehen und verkünden: 'Labour war gegen euch'", sagte Hix der Süddeutschen Zeitung. Er rechnet damit, dass das Thema Einwanderung noch lange die politische Agenda beherrschen wird - was Ukip nutzt. "Wir haben bei der Referendums-Kampagne die Geburt einer neuen populistischen Bewegung gesehen, die sich gegen das Establishment und gegen Einwanderung richtet", sagte Hix. Ukip wurde früher vor allem als Gefahr für die Tories wahrgenommen. Meinungsforscher weisen jedoch darauf hin, dass Ukip und Labour um Wähler aus ähnlichen Milieus werben. Der Labour-Abgeordnete Frank Field warnte bereits vor zwei Monaten, die Pro-EU-Haltung der Führung sei "eine tödliche Bedrohung" für die Partei. Diese Position gefalle vielleicht wohlhabenden Labour-Anhängern in London, nicht aber den klassischen Stammwählern aus der Arbeiterklasse. Field ist einer von nur zehn Labour-Parlamentariern, die für den Brexit eintreten. Mahnendes Beispiel ist Schottland. Beim Unabhängigkeits-Referendum 2014 kämpfte Labour zusammen mit den Tories gegen eine Abspaltung. Die SNP, die Partei der schottischen Nationalisten, verlor zwar die Volksabstimmung. Dafür nahm sie den Sozialdemokraten bei den Parlamentswahlen im Jahr darauf alle Sitze bis auf einen ab - ein Desaster in der einstigen Labour-Hochburg. Parteichef Corbyn war selbst lange ein EU-Skeptiker, warb aber trotzdem für den Verbleib. Europa-freundliche Kritiker in der Partei klagen jedoch, er habe sich nur halbherzig engagiert. So sagte er zwei Wochen vor der Abstimmung, seine Begeisterung für die EU liege bei "7 bis 7,5 von 10 Punkten". Corbyn verkündete zudem, eine Obergrenze für Einwanderer aus der EU könne es nicht geben. Das mag stimmen, ist allerdings nicht das, was Stammwähler hören wollten. Am Freitag kritisierten Labour-Politiker, der Parteilinke aus London habe keinen Draht zu Wählern außerhalb der Metropole. Die Mehrheit der Tory-Fraktion kämpfte gegen einen Brexit Dennoch ist es unsicher, ob Corbyn bald abtritt. Er wurde erst im September mit großer Mehrheit von den Mitgliedern zum Vorsitzenden gewählt. Ein Nachfolge-Kandidat drängt sich nicht auf. In der Fraktion hat er allerdings wenig Rückhalt. Die Konservative Partei steht ebenfalls vor turbulenten Monaten. Die Tories sind tief gespalten. Die Mehrheit der Mitglieder ist für den Austritt, doch die meisten Abgeordneten und Minister lehnten das ab. Wichtigste Vorkämpfer der Brexit-Kampagne waren Justizminister Michael Gove und Boris Johnson. Londons früherer Bürgermeister gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Camerons. Schatzkanzler George Osborne warb wie der Premier für den Verbleib. Mit seinen düsteren Drohungen, wie schlecht es der Wirtschaft und den Bürgern nach einem Austritt gehen würde, zog Osborne den Zorn vieler EU-Gegner auf sich. Ob er sich halten kann, ist fraglich. Allgemein wurde die Referendums-Kampagne sehr hitzig geführt, von beiden Seiten. Minister beschimpften sich gegenseitig, Freundschaften wurden gekündigt. Wer auch immer Cameron beerbt, wird versuchen, die Partei wieder zu versöhnen. Eine schwierige Aufgabe.
https://www.sueddeutsche.de/politik/parteien-halbes-herz-falsche-seite-1.3050184
mlsum-de-888
André Greipel verlässt nach acht erfolgreichen Jahren sein belgisches Team Lotto-Soudal. Das Abschiedsstatement für den 36-Jährigen fällt recht unterkühlt aus.
Vor einer Woche stellte André Greipel ein paar schöne Bilder vom ersten Ruhetag bei dieser 105. Tour de France ins Netz: Greipel bei der Ausfahrt mit Teamkollegen am Lac d'Annecy, Greipel in klatschnasser Hose nach einem Bad im See, Greipel bei einem kleinen Umtrunk mit den Kollegen; er war am Ruhetag 36 Jahre alt geworden. "Rest days are the best days", betextete Greipel sein digitales Fotoalbum, Ruhetage sind die besten Tage. An diesem Montag legt die Tour einen weiteren, letzten Ruhetag ein, die Fahrer schnaufen noch einmal durch, bevor es in die Pyrenäen und zum Finale nach Paris geht. Greipel gehört der Reisegruppe mittlerweile nicht mehr an, er war am Donnerstag während der Königsetappe nach Alpe d'Huez ausgestiegen - wie seine Sprinter-Artgenossen Rick Zabel, Fernando Gaviria und Dylan Groenewegen. Dafür war es Greipels Team, das nun kurz vor dem letzten Ruhetag eine Botschaft absetzte: "Lotto-Souldal und André Greipel möchten Euch informieren, dass ihre Zusammenarbeit nach acht erfolgreichen Jahren zu Ende geht." Und: Sobald Greipel seine Pläne für die Zukunft vorgestellt habe, könne man mehr sagen. Detailansicht öffnen Leidenszeit: André Greipel musste die Tour vorzeitig beenden. (Foto: Benoit Tessier/Reuters) Es waren also zwei sparsame Takte, mit denen eine in der Tat lange und erfolgreiche Ära endete. Greipel hatte in Diensten der belgischen Equipe elf Etappen bei der Tour gewonnen, aus dem deutschen Lager haben nur Marcel Kittel (14) und Erik Zabel (zwölf) in Frankreich mehr Tagessiege geschafft. Hinzu kamen sieben Erfolge beim Giro d'Italia, vier bei der Spanien-Rundfahrt. Und nun? Greipels Vertrag war noch für dieses Jahr gültig, wie der von Marcel Sieberg, seinem treuen Gefährten, mit dem er in den vergangenen Wochen bereits den Markt sondiert hatte. Ein, zwei Jahre auf Weltniveau habe er schon noch in sich, hatte Greipel vor der Tour gesagt, da war schon abzusehen, dass er den Herbst seiner Radsport-Karriere nicht mehr bei den Belgiern verbringen würde. Greipel war im Winter 2010 vom Team Highroad, wo der Brite Mark Cavendish die Sprints beherrschte, zu Lotto gewechselt. 2011 gewann er prompt seine erste Etappe bei der Tour. Seitdem konnte sein Team sich darauf verlassen, dass der gebürtige Rostocker jedes Jahr mindestens einen Sieg anliefern würde, 2015 vereinte er sogar vier Tageserfolge auf sich. Die Serie riss erst im vergangenen Jahr, Greipel sagte damals schon während der Tour: "Alles, was man in der Vergangenheit gewonnen hat, hilft einem in der Zukunft nicht, Etappen zu gewinnen." Hinzu kamen private Belastungen, seine Mutter litt damals an der Nervenkrankheit ALS, im vergangenen November verstarb sie. Greipel stieg bald wieder aufs Rad, er ließ sich auch nicht von einem Schlüsselbeinbruch beirren, den er sich beim Frühjahrsklassiker Mailand - San Remo zugezogen hatte. Radfahren, sagte er der ARD vor der aktuellen Tour, "ist für mich eine gewisse Therapie. Mir hilft es, mit meinen Radfahrkollegen unterwegs zu sein." Thomas und Froome behaupten Führung Mende - Man kann nicht sagen, dass sie es nicht versuchten. Zunächst attackierte Primoz Roglic, der ehemalige Skispringer aus Slowenien, der sich auch in seinem zweiten Sportlerleben als Radprofi recht wohl in den Bergen fühlt. Dann probierte es Tom Dumoulin vom deutschen Team Sunweb. Aber es half nichts, weder Gelb-Träger Geraint Thomas noch sein Teamkollege Christopher Froome ließen sich im giftigen Anstieg am Samstag hinauf zum Etappenziel Mende abschütteln. Der Waliser Thomas verteidigte seinen 1:39 Minuten großen Vorsprung im Klassement vor seinem Kapitän Froome ein weiteres Mal ohne Probleme. Die Frage, ob Thomas sein Guthaben vor seinem Vorgesetzten behaupten kann, und ob der Niederländer Dumoulin (1:50 Minuten zurück) das Duo vom Team Sky noch aufwühlt, wurde auf den kommenden Dienstag vertagt, dann steht die erste Prüfung in den Pyrenäen an. Der Spanier Omar Fraile gewann am Samstag nach 188 Kilometern die 14. Etappe dieser Tour de France, die auf dem Flugfeld in Mende endete. Der Profi aus dem einstigen Skandal-Team Astana war am Ende der Beste einer zunächst 32 Fahrer starken Ausreißergruppe. Der Berliner Simon Geschke, der vor drei Jahren etwas überraschend eine Tour-Etappe in den Alpen gewonnen hatte, wurde Sechster. Am Sonntag stand eine weitere, hügelige Etappe nach Carcassonne im Programm, am Montag hält die Rundfahrt ihren letzten Ruhetag ab. Johannes Knuth Ein Sprinter, um den herum eine Mannschaft ihr Team hochzieht, ist Greipel nicht mehr. Aber er wirft sich mit seinen 36 Jahren noch immer erstaunlich bissig in die Hochgeschwindigkeits-Ankünfte bei bis zu 75 Stundenkilometer, bei dieser Tour verpasste er einen Tagessieg mehrmals nur knapp. Wer sich auf seine Dienste einlässt, beschäftigt einen ruhigen Charakter neben der Strecke, der gewissenhaft seiner Arbeit nachgeht und noch immer für eine Handvoll Siege gut ist. 153 Mal hat Greipel in seiner Karriere triumphiert, sechs Rennen gewann er in diesem Jahr, wenn auch eher kleinere. Lotto hätte ihn für die kommende Saison wohl nur zu geringeren Bezügen beschäftigt; die Belgier sollen zuletzt immer wieder mit dem jungen Caleb Ewan geflirtet haben, den Greipel wohl hätte einlernen sollen. Darauf hatte er offenkundig keine Lust. Am Sonntag verdichteten sich zunächst die Anzeichen, dass der 36-Jährige und Sieberg sich mit der arabischen Auswahl Bahrain-Merida so gut wie handelseinig sind. Dort läuft das Arbeitspapier von Sprinter Sonny Colbrelli aus; die französische Sportzeitung L'Equipe hatte das mögliche Geschäft als Erste vermeldet. Greipel wurde zuletzt auch mit dem französischen Team Fortuneo Samsic in Verbindung gebracht. Ein Umzug nach Bahrain könnte Greipels sportliche Karriere vielleicht noch einmal vitalisieren, sein Prestige allerdings nicht unbedingt. Teamgründer Prinz Nasser wurden in der Vergangenheit schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (die er bestreitet und als politisch motiviert bezeichnet). Das Engagement Nassers im Radsport diene dazu, sein Ansehen reinzuwaschen, haben Menschenrechtsorganisationen immer wieder kritisiert.
https://www.sueddeutsche.de/sport/radsport-umzug-im-herbst-1.4065401
mlsum-de-889
Neue Wohnhäuser sollen künftig auch neben lärmenden Gewerbebetrieben entstehen dürfen. Das wird das Leben in den Städten verändern. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Bundesregierung räumt die Städte frei. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett ein Gesetz "zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt" verabschiedet. Es soll den Stadtplanern erlauben, auch bisherige Tabuzonen bebauen zu lassen, etwa Mischgebiete mit vielen Gewerbebetrieben. "Viele Städte sind am Limit", sagt Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD). Deswegen will die Regierung das Limit nun verschieben - mit dem neuen "urbanen Gebiet". Wie soll ein urbanes Gebiet aussehen? Bisher kennt die Baunutzungsverordnung zehn verschiedene Gebietstypen. Da gibt es die reinen Wohngebiete und die Mischgebiete, die Dorfgebiete und die Kerngebiete. Zwar ist es in Mischgebieten heute schon erlaubt, dass Wohnhäuser, Büros und Läden nebeneinanderliegen - allerdings dürfen die Gewerbebetriebe "das Wohnen nicht wesentlich stören". Diese Einschränkung verhindert bisweilen, dass neue Wohnhäuser neben Gewerbegebieten entstehen, obwohl dort genug Platz wäre. Im urbanen Gebiet soll die Lärmobergrenze nun drei Dezibel höher als im Mischgebiet sein. Die Umgebung der Häuser darf also lauter sein. Außerdem dürfen die Grundstücke in einem urbanen Gebiet dichter und höher bebaut werden als in klassischen Wohngebieten. Anders als im Mischgebiet muss das Verhältnis aus Wohnen und Arbeiten nicht gleich sein. Wohnungen dürfen im urbanen Gebiet auch dort entstehen, wo überwiegend Gewerbe angesiedelt ist. Wie entsteht so ein Gebiet? Es ist Aufgabe der Kommunen, Baugebiete einzustufen. Mit dem neuen Gesetz können die Städte zusätzliches Bauland ausweisen, wo der Wohnungsbau bislang nicht erlaubt wäre. Zudem können die Kommunen beispielsweise Gebiete mit leer stehenden Bürohäusern in urbane Gebiete umwidmen. Das macht es leichter, alte Gewerbeimmobilien in Wohnhäuser umzubauen. Beides soll vor allem Großstädten nutzen, in denen die Mietpreise stark gestiegen sind und Bauland knapp ist. Neue Flächen sollen das Problem lindern. Was bedeutet das für die Bewohner? Das urbane Gebiet klingt schön und modern, muss es aber nicht sein. Das Bauministerium selbst wirbt mit einem kurzen Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, den die gewerblich geprägte Nachbarschaft mit sich bringe. Für jene, die zufällig im urbanen Gebiet eine Arbeit finden, mag das zutreffen. Faktisch aber würden neue Wohnungen auch in Gegenden entstehen, die bisher als Wohngebiete wenig attraktiv waren. Allerdings könnten Großstädte auch ihre bisherigen Kerngebiete im Zentrum umwidmen. Diese sollten bislang vor allem Läden, Kneipen, Ämter oder Theater beherbergen - mit der Folge, dass nach Ladenschluss dort die Bürgersteige hochgeklappt werden. Mit mehr neuen Wohnungen könnte es dort lebhafter werden. Dem Bauministerium jedenfalls schwebt das Leitbild der "funktionsgemischten nachhaltigen europäischen Stadt" vor, wie es die Bauminister der EU einst im Jahr 2007 ersannen. Das Kabinett lockerte deshalb am Mittwoch auch die Vorgaben für Sportanlagen: Abends und in der Mittagsruhezeit von Sonn- und Feiertagen darf es dort nun um fünf Dezibel lauter zugehen als bislang. Das soll auch verhindern, dass in Städten neue Konflikte entstehen, etwa in der Umgebung von Sportplätzen. "Die dichter werdende Stadt soll nicht auf Kosten des Sports wachsen", sagt Hendricks. Und was soll das Ganze? Bauwirtschaft und Bundesregierung argumentieren, der Staat müsse neue Anreize für den Wohnungsbau setzen, um der wachsenden Nachfrage in vielen Städten zu begegnen. Je nach Lesart müssten jährlich zwischen 350 000 und 400 000 neue Wohnungen entstehen. Rechtliche Vorgaben gelten da als ein Hemmnis. Das Gesetzespaket vom Mittwoch nimmt sich allerdings auch anderer Probleme an, etwa der sogenannten Rollladen-Siedlungen. Das sind Häuser in touristisch attraktiven Regionen etwa an der Nordsee, in denen sich die Rollläden nur im Sommer heben, weil ihre Bewohner den Rest des Jahres an ihrem Hauptwohnsitz verbringen. Gemeinden sollen künftig per Satzung Auflagen für solche Gebäude machen können. Städte und Immobilienwirtschaft begrüßen den Vorstoß aus Berlin. Der Verband Zentraler Immobilien-Ausschuss (ZIA) hofft, dass der Wohnungsbau nun die Potenziale vieler Innenstädte besser ausschöpfen kann. "Das urbane Gebiet ist dafür elementar", sagt ZIA-Präsident Andreas Mattner. Die Mischung aus Wohnen, Arbeiten und kulturellen Einrichtungen biete neue Möglichkeiten für die Stadtentwicklung "aus dem Inneren heraus". Lob kommt auch vom Deutschen Städtetag. "So können wir in Zukunft leichter Voraussetzungen beispielsweise für dringend benötigte neue Wohnungen schaffen", sagt Städtetagspräsidentin Eva Lohse, die auch Bürgermeisterin von Ludwigshafen ist. Ein Baustein allerdings fehle noch: Die Städte würden gerne per Bauleitplanung Lärmschutzfenster auferlegen können - "als geeignetes Mittel gegen Gewerbelärm".
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/staedtebau-platz-da-1.3273628
mlsum-de-890
Im US-Senat bekräftigt eine Psychologie­professorin unter Eid den Vorwurf, von Kavanaugh sexuell bedrängt worden zu sein.
US-Präsident Donald Trump hat seinem angeschlagenen Richterkandidaten Brett Kavanaugh den Rücken gestärkt - sich aber zugleich die Möglichkeit offengelassen, von Kavanaugh abzurücken, sollte dieser sich als politisch nicht durchsetzbar erweisen. Er halte die Vorwürfe mehrerer Frauen gegen Kavanaugh, dieser habe sie als Schüler und Student sexuell belästigt, für einen groß angelegten "Betrug" der Demokraten, sagte Trump am Mittwochabend. Andererseits sei er aber auch bereit, auf Kavanaugh zu verzichten, sollten sich die Anschuldigungen als glaubhaft erweisen. "Ich kann von allem überzeugt werden", so der Präsident. Trump äußerte sich vor der Anhörung am Donnerstag im US-Senat, bei der sowohl Kavanaugh als auch eine der Frauen aussagten, die den Richterkandidaten eines sexuellen Übergriffs bezichtigen. Die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford, die im gleichen Washingtoner Vorort wie Kavanaugh aufgewachsen ist, wiederholte dabei vor dem Justizausschuss des Senats ihren Vorwurf, Kavanaugh habe im Sommer 1982 versucht, sie bei einer Party zu vergewaltigen. Kavanaugh, der sehr betrunken gewesen sei, habe sie an jenem Abend so brutal attackiert, dass sie um ihr Leben gefürchtet habe, sagte Ford, die immer wieder mit den Tränen kämpfen musst. Die Vermutung, sie könnte sich in der Identität des Angreifers geirrt haben, wies Ford entschieden zurück. Sie sei "zu einhundert Prozent" sicher, dass Brett Kavanaugh sie damals bedrängt habe. Kavanaugh bestritt das in einem wütenden, emotionalen Auftritt vehement. Zeitweise traten auch ihm die Tränen in die Augen - auch wenn es in seinem Fall Tränen des Zorns waren. Er sei das Opfer einer konzertierten Rufmordkampagne der Demokraten, sagt Kavanaugh, die seine Ernennung zum Verfassungsrichter verhindern wollen. Der ganze Bestätigungsprozess sei wegen der Querschüsse der Demokraten zu "einem Zirkus" und "einer nationalen Schande" verkommen, schimpft er. Nach Kavanaughs Angaben kannte er Ford in seiner Schulzeit nicht. Er sei auch nie auf einer Party gewesen, wie Ford sie beschrieben habe. Deren Aussage sei zudem voller Löcher und Widersprüche. Er habe nie eine sexuelle oder anderweitig physische Begegnung mit Ford gehabt. Neben Ford sind zwei weitere Frauen mit ähnlichen Vorwürfen gegen Kavanaugh an die Öffentlichkeit gegangen. Deborah Ramirez, die mit Kavanaugh in Yale studiert hat, bezichtigte ihn, sich bei einer Party vor ihr entblößt zu haben. Noch deutlich schwerer sind die Anschuldigungen, die Julie Swetnick erhebt: Sie wuchs wie Kavanaugh und Ford in einem nördlichen Vorort von Washington auf und hat nach eigenen Angaben Partys besucht, auf denen auch Kavanaugh war. Ihren Angaben zufolge haben Kavanaugh und ein Freund damals Mädchen gezielt mithilfe von Alkohol oder Drogen wehrlos gemacht. Die jungen Frauen seien dann in Nebenzimmern von mehreren Jungen vergewaltigt worden. Daran sei auch Kavanaugh beteiligt gewesen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-trump-verzicht-auf-richter-kandidaten-moeglich-1.4147202
mlsum-de-891
Wut, Betroffenheit, Verständnis: Die Absage von "Rock am Ring" sorgt bei den Fans für viel Aufregung. Veranstalter Lieberberg sagt: "Wir haben uns vehement gegen die Entscheidung der Gemeinde gewehrt."
Vielleicht konnte der Auftritt der Red Hot Chili Peppers am Samstagabend noch manche Festivalbesucher besänftigen: Er war einer der Höhepunkte des gigantischen Rock-Festivals "Rock am Ring" mit seinen mehr als 90000 Besuchern - und fand gerade noch rechtzeitig statt. Denn am heutigen Sonntag steht nur noch ein Punkt auf dem Programm: Abreise. Nachdem schon am Freitagabend Blitzeinschläge etwa 80 Personen zum Teil schwer verletzt hatten, entzog die Verbandsgemeinde Mendig angesichts drohender neuer Unwetter dem Festival die Spielgenehmigung für den letzten Spieltag. Noch in der Nacht hatte in einem fahl beleuchteten Video-Statement Veranstalter Marek Lieberberg gesagt: "Wir sind geschockt, wir sind alle sehr betroffen. Es ist die gravierendste Situation, glaube ich, in 32 Jahren Festivalgeschichte." Man habe dem Veranstalter die Spielgenehmigung "aufgrund der Unwettersituation" entzogen. Lieberberg sprach von höherer Gewalt. Keiner könne abschätzen, was der nächste Tag bringe. "Wir haben heute diesen Spieltag mit sehr viel Kraft und sehr viel Emphase noch durchgesetzt, aber leider, leider geht es nicht weiter." "Grandios gescheitert" In sozialen Medien spiegeln die Kommentare der Festivalbesucher nun gleichermaßen Enttäuschung und Verständnis. Vielleicht bringt dieser Facebook-Post die Gemengelage am besten auf den Punkt: "Erst heulen alle rum das man das Festival abbrechen sollte und jetzt wird die Genehmigung von der Stadt Mendig entgezogen, dafür können niemals die Veranstalter was für, und jetzt heulen wieder alle rum, egal was man macht irgendwie ist alles Scheisse..." Die markante Wetterlage am Sonntagnachmittag schien die Entscheidung aber auch im Nachhinein zu rechtfertigen: Zumindest veröffentlichte der Veranstalter im Laufe des Tages wiederholt Warnungen vor Gewittern. Ursprünglich sollte bis zum Mittag das Festivalgelände geräumt sein, doch das klappt nicht. Verärgert kommentierten Besucher auf der Facebook-Seite von "Rock am Ring": "Sollte es je einen Evakuierungsplan gegeben haben, ist dieser in der Praxis grandios gescheitert." Oder: "secutitys aufm parkplatz die da etwas bewegen und mal verkehr regeln wäre auch spitze.. diese abreise ist die reinste katastrophe..." Oder auch nur: "WIR HABEN UNS NOCH NICHT EINEN ZENTIMETER BEWEGT." Manche interessiert natürlich auch, ob das Abschleppen der Autos aus dem Schlamm mit Hilfe von Treckern kostenlos sei oder vielleicht 10 oder vielleicht doch mehr als 100 Euro koste. Lieberberg sagt am Sonntag, dass 30 Trecker offiziell im Einsatz seien, um Fahrzeuge kostenlos freizuschleppen. Gleichzeitig warnt er davor, nicht autorisierte Angebote anzunehmen. Mittlerweile sehe das Festivalgelände aus "wie ein verlassenes Armeelager". Lieberberg rechnet durch die Absage mit zusätzlichen Kosten in Millionenhöhe, schon für die Wiederherstellung der Anlage. "Wir haben uns vehement gegen die Entscheidung der Gemeinde gewehrt", sagt er, zumal die kritische Wetterlage am Sonntag nur etwa in der Zeit zwischen 13 und 17 Uhr bestehen sollte. Danach hätte man weitermachen können. Doch die Gemeinde, die die Entscheidung in Verbindung mit der zuständigen Polizeidirektion getroffen habe, habe einen Facebook-Post des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz als Weisung interpretiert, das Festival abzusagen. Lewents hatte geschrieben: "RAR, meine dringende Empfehlung an den Veranstalter und die VGV Mendig als Genehmigungsbehörde für 'Rock am Ring': das war's für 2016." Lieberberg sagt daher: "Ich sehe auf unserer Seite keine Verantwortung." Entsprechend stelle sich auch nicht die Frage nach einer Teilerstattung der Tickets, die immerhin knapp 200 Euro gekostet haben. Somit bleibt den Musikfans nur die Hoffnung, dass im kommenden Jahr Wetter und Organisation besser werden. Eine Besucherin kommentiert: "2015 hat man die schlechte Organisation noch auf den neuen Veranstaltungsort geschoben und die wenigen Erfahrungen die man dort hatte. Dieses Jahr, lieber Hr. Lieberberg, ist das nicht mehr möglich."
https://www.sueddeutsche.de/panorama/absage-von-rock-am-ring-gravierendste-situation-in-32-jahren-festivalgeschichte-1.3020830
mlsum-de-892
Mehrere Frauen haben schon vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen ein Verbot in ihren Ländern geklagt. Doch das Gericht überlässt die Entscheidung den einzelnen Staaten.
Frauen im Nikab in Offenbach am Main: Die meisten deutschen Verfassungsrechtler lehnen ein Vollverschleierungsverbot wie in Belgien ab. Das Verbot, an öffentlichen Plätzen in Belgien einen Vollschleier zu tragen, verstößt nicht gegen die Menschenrechte. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in zwei am Dienstag veröffentlichten Urteilen entschieden. Eine solche Restriktion könne die "Bedingungen des Zusammenlebens" garantieren, die "Rechte und die Freiheit anderer" schützen und "notwendig in einer demokratischen Gesellschaft sein", begründen die Richter ihre Entscheidungen. Im Übrigen könnten staatliche Behörden die Situation vor Ort besser bewerten als ein internationales Gericht; die Entscheidung, ob eine Vollverschleierung akzeptiert werde oder nicht, sei eine Entscheidung der Gesellschaft. Insgesamt drei Frauen hatten gegen das Vollverschleierungsverbot geklagt. Eine muslimische Belgierin wandte sich gegen das Verbot dreier Kommunen aus dem Jahr 2008; es verletze ihre Rechte auf Religionsfreiheit, Achtung des Privatlebens und Freiheit von Diskriminierung. In einem zweiten Fall waren eine Belgierin und eine Marokkanerin gegen das nationale Verschleierungsverbot aus dem Jahr 2011 vorgegangen. Die eine Frau führte an, sie habe gegen ihre religiöse Überzeugung auf die Vollverschleierung verzichtet, um einer Geld- oder gar Gefängnisstrafe zu entgehen; die andere sah sich in ihrer Bewegungs- und Entfaltungsfreiheit gehindert, weil sie nun überwiegend zu Hause bleiben müsse. All diesen Argumenten folgte der Gerichtshof für Menschenrechte nicht. Er verwies auf ein Urteil aus dem Jahr 2014, bei dem er bereits ein Vollverschleierungsverbot in Frankreich akzeptiert hatte. Damit entsprechen die beiden Urteile der Linie, die sich in der Rechtsprechung des EGMR zunehmend herausbildet: Die Straßburger Richter überlassen es weitgehend den einzelnen Staaten, ob und wo sie Frauen in Burka, Niqab oder auch mit weniger verhüllenden Kopftüchern akzeptieren und wo nicht. Entsprechend halten sie auch ein Verbot nicht für einen Verstoß gegen die Menschenrechte - wie sie insgesamt das Recht des Staates, die Verwendung religiöser Symbole zu reglementieren, tendenziell höher bewerten als das Recht des einzelnen Bürgers auf freie Religionsausübung. So hatte der EGMR im Januar entschieden, dass es erlaubt sei, muslimische Mädchen zum Schwimmunterricht zu verpflichten - das Recht auf soziale Integration stehe höher als das Recht auf freie Religionsausübung. Ein allgemeines Burka-Verbot wäre in Deutschland grundgesetzwidrig In Deutschland ist seit Ende April die Vollverschleierung bei Beamtinnen, Soldatinnen und Richterinnen im Dienst verboten; auch wer einen Personalausweis beantragt oder seine Identität zum Beispiel bei Wahlen nachweisen muss, darf sein Gesicht nicht verhüllen. Ein allgemeines Burka-Verbot wäre jedoch nach Ansicht der meisten Verfassungsrechtler grundgesetzwidrig; das Bundesverfassungsgericht bewertet die Religionsfreiheit oft höher als der EGMR. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat sich gegen ein Burka-Verbot ausgesprochen. Unklar ist, wie viele Frauen ein solches Verbot trifft. In Deutschland ist bislang kein Fall bekannt, wo eine vollverschleierte Frau einen Ausweis beantragte oder in den Staatsdienst wollte. Als 2011 das belgische Burka-Verbot in Kraft trat, hieß es, es betreffe landesweit 270 Frauen.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/urteil-in-strassburg-vollverschleierung-ist-kein-menschenrecht-1.3582881
mlsum-de-893
Sechzigs U21 macht gegen Dachau das Spiel, kommt aber wieder nicht über ein Remis hinaus. Trainer Christian Wörns fehlt bei vielen Akteuren der nötige Biss.
Unentschieden", klar, was soll er sonst schon sagen. Franz Hübl stand aus verständlichen Gründen mit einem neutral-grünen Anorak am Sonntagnachmittag nur am Rand des Kunstrasens an der Grünwalder Straße. Der 29-Jährige spielt Fußball für den TSV 1865 Dachau, er arbeitet allerdings für den TSV 1860 München, er ist als Co-Trainer zuständig für die Videoanalyse der Regionalliga-Mannschaft. Und viele, die er regelmäßig analysiert, wären im Bayernliga-Spiel der Dachauer gegen die U 21 der Sechziger plötzlich seine direkten Gegner gewesen - nicht auszudenken, was das für einen Ärger geben würde, wenn der bisweilen recht rustikal auftretende Hübl unabsichtlich die Winterpause eines Nachwuchsspielers verlängerte. Am Ende dürfte er einer von ganz wenigen Zufriedenen gewesen sein: Das Ergebnis, 2:2 (2:2), war ideal für einen, der an diesem Nachmittag zur Neutralität verpflichtet war. Richtig gefreut haben dürfte er sich aber weder als Dachauer noch als Sechziger: Beide Teams bringt das Remis nämlich nicht entscheidend voran. Detailansicht öffnen Schiedsrichter Maximilian Riedel hält sich mit expressiver Gestik warm. (Foto: Claus Schunk) Womöglich hätte Hübl in der Anfangsphase für etwas mehr Stabilität in der Dachauer Abwehr gesorgt, so aber stand es schon nach sieben Minuten 2:0 für die Gastgeber. Sechzigs Kapitän Lukas Aigner traf in der vierten Spielminute per Kopf nach einem Eckball, er war recht unbedrängt am Fünfer an den Ball gekommen. Nur drei Minuten später stand der 21-Jährige zum Freistoß bereit, zirkelte den Ball aus mehr als 20 Metern ins linke Kreuzeck, und winkte ohne zu jubeln ungläubig ab, während ihm die Mitspieler auf den Rücken sprangen. Zuvor hatte Aigner im Männerfußball noch kein einziges Pflichtspieltor erzielt, plötzlich waren es zwei innerhalb von drei Minuten. "Ich habe gedacht, ich bin im falschen Film", sagte Dachaus Kapitän Alexander Weiser, der es sich nach vierwöchiger Verletzungspause nicht nehmen ließ, im letzten Spiel vor der Winterpause aufzulaufen - zumal Hübl in der Viererkette ja fehlte. Ärgerlich sei das gewesen, denn man habe in der Anfangsphase außer den beiden Standards ja eigentlich nicht viel zugelassen. Nach sieben Minuten steht es 0:2: „Ich habe gedacht, ich bin im falschen Film.“ Dachaus Kapitän Alexander Weiser, nach vier Wochen Verletzungspause erstmals wieder im Einsatz Sechs Tage zuvor, auswärts beim FC Ismaning, hatte das Nachwuchsteam der Löwen auch schon 2:0 geführt, und dann noch den Sieg aus der Hand gegeben. So kam es auch diesmal, weil der "Biss" in den Zweikämpfen gefehlt habe, wie Trainer Christian Wörns fand. Kurz nach dem Doppelschlag tauchte Dachaus Spielertrainer Fabian Lamotte, ein ehemaliger Sechziger, im gegnerischen Sechzehner auf und überlupfte erfolgreich den nicht gerade kleinen 1860-Keeper Hendrik Bonmann (1,92 Meter). Womöglich stocherte Christian Doll den Ball noch über die Linie. Wiederum sieben Minuten später war Doll dann ganz sicher der Torschütze: Bei einem Pressschlag mit dem unglücklich agierenden Bonmann kullerte der Ball schon Richtung Tor, ehe ihn der Dachauer Angreifer jubelnd in die Maschen drosch (16.). Detailansicht öffnen Ab in die Winterpause: Sechzigs Ersatzbank hat sich bereits für die stille, fußballlose Zeit eingemummt. (Foto: Claus Schunk) Der weitere Verlauf war überraschend: Die an sich spielstarken Dachauer ließen sich häufig in die eigene Hälfte drängen, die Sechziger hatten deutlich mehr vom Spiel. "Wir haben in der ersten Halbzeit versucht, Pressing zu spielen, das hat nicht geklappt", sage Weiser. Und durch das gute Anlaufen der Löwen sei man oft zu langen Bällen gezwungen worden. Die beste Möglichkeit zum 3:2 vergab Sechzigs Felix Bachschmid: Er traf nach schönem Zuspiel des starken Lucas Genkinger zwar ins Tor, davor war ihm aber der Ball an die Hand geprallt (82.). Die Schlussminuten gehörten allerdings den auf Konter lauernden Dachauern, Moritz Hannemann verzog in der 88. Minute knapp. Detailansicht öffnen Lukas Aigner (rechts, gegen Dachaus Torschützen Christian Doll) wurde trotz kurzer Hosen ganz mollig ums Herz: Der Kapitän erzielte beide Treffer für die Löwen. (Foto: Claus Schunk) "Ich kann heute zufrieden sein", sagte Wörns nach seinem vierten U-21-Remis in Serie. Sein erstes Fazit nach knapp einem Monat bei der 1860-Nachwuchsabteilung fällt aber "durchwachsen" aus. Die Winterpause müsse man nutzen, sich in allen Bereichen zu verbessern. Weil die U21 keinen eigenen Kader stellt, sondern sich zum Großteil aus U-19-Spielern zusammensetzt, bezog er in seine Kritik vor allem die Jüngeren mit ein. Seine Worte waren mehr als deutlich: "Man denkt eigentlich, die Jungs wollen in den Herrenbereich. Da müsste dann eigentlich mehr kommen. Bei manchen geht mir das Gockel- und das Pfauengehabe tierisch auf den Keks, die Qualität passt überhaupt nicht dazu." Deshalb müsse man einige Spieler erst noch "einnorden", so der ehemalige Nationalspieler. Wenn das nicht klappe, scheue er sich auch nicht, "bei dem einen oder anderen die Reißleine" zu ziehen. Nur drei U-19-Spieler standen diesmal in der Startelf, und Wörns verzichtete auch darauf, auch nur einen der fünf U-19-Feldspieler einzuwechseln, die auf der Bank saßen. Detailansicht öffnen Trainer Christian Wörns. (Foto: Claus Schunk) Dachau bestätigte mit dem Ergebnis immerhin seine Konstanz. Seit Anfang Oktober hat die Mannschaft nur einmal verloren. Mit "zwei, drei guten Spielen" nach der Pause könne man ja mal sehen, ob der Relegationsplatz möglich sei, sagte Weiser - immer vorausgesetzt, der Zweite Pullach verzichtet auch diesmal aus infrastrukturellen Gründen auf den Aufstieg. Ansonsten müsse man natürlich darauf achten, "so früh wie möglich nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben". Man ist in Dachau irgendwie immer noch unentschieden.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/fussball-bayernliga-nachmittag-der-neutralitaet-1.3776059
mlsum-de-894
Verteidigungsministerin von der Leyen sieht bis 2023 einen Zusatzbedarf von 14 300 Dienstposten. Erstmals seit Ende des Kalten Krieges würde der Schrumpfungsprozess umgekehrt.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will die Bundeswehr vergrößern. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung haben ihre Militärplaner einen Bedarf von etwa 14 300 zusätzlichen militärischen Dienstposten bis zum Jahr 2023 festgelegt. Derzeit liegt die Obergrenze bei 185 000 Soldaten, tatsächlich dienen aktuell nur etwa 177 000 Soldaten. Allerdings, so heißt es, sehe man es im Wehrressort unter anderem wegen der demografischen Entwicklung und der positiven Lage auf dem Arbeitsmarkt als unrealistisch an, diesen großen Sprung tatsächlich im gewählten Planungszeitraum zu schaffen, also bis 2023. Ein weiterer Grund dürfte die Sorge sein, das notwendige Geld nicht zu bekommen. Stattdessen will man bis 2023 nun zunächst knapp 6900 zusätzliche Dienstposten schaffen. Über eine ähnliche Zahl hatte am Wochenende auch das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet. Drei Viertel der Stellen sollen sich tatsächlich in der Truppe befinden, also nicht in Kommandobehörden oder Ämtern. Das zusätzliche Personal soll sowohl extern durch verstärkte Personalwerbung als auch intern durch freiwillige Dienstzeitverlängerungen gewonnen werden. Weitere 5000 Dienstposten soll die Bundeswehr durch interne Optimierung gleichsam selbst erwirtschaften, indem etwa freiwillig Wehrdienst Leistende zielgenauer eingesetzt werden und als überflüssig erkannte Dienstposten wegfallen. Zudem sollen bis 2023 etwa 4400 zivile Beschäftigte hinzukommen. Derzeit sieht die Struktur der Bundeswehr 56 000 Zivilbeschäftigte vor. Abkehr vom Schrumpfungsprozess Die bislang vertraulichen Pläne will von der Leyen am Dienstag vorstellen und mit der Überschrift "Trendwende Personal" versehen. Tatsächlich handelt es sich um die Abkehr vom Schrumpfungsprozess, durch den die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges gegangen ist. So gab es Ende 1990 noch 300 000 Zeit- und Berufssoldaten, hinzu kamen die Wehrpflichtigen. Mit der bislang letzten Anpassung der Struktur im Jahr 2011 wurde die Obergrenze auf 185 000 gesenkt. Damals wurde auch die Wehrpflicht ausgesetzt. Angesichts der aktuellen Verpflichtungen der Bundeswehr gibt es aber seit Längerem Forderungen nach einer Aufstockung. Zwar befinden sich derzeit deutlich weniger Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz als zu den Hochzeiten des Afghanistan-Einsatzes - doch durch das angespannte Verhältnis zu Russland hat dafür die Landes- und Bündnisverteidigung wieder an Stellenwert gewonnen. Von der Leyen will künftig keine feste Personalobergrenze für die Bundeswehr mehr definieren. Bereits seit einiger Zeit hatte sie von einem "atmenden Personalkörper" für die Zukunft der Truppe gesprochen. Das soll nach Angaben aus Militärkreisen bedeuten, dass jährlich im Vorfeld der Haushaltsverhandlungen ein sogenanntes Personalboard den künftigen Bedarf an Dienstposten festlegt. Das Verteidigungsministerium wollte sich auf Anfrage nicht zu den Plänen und Berechnungen äußern. Ein Sprecher verwies darauf, dass die Ministerin bald das Parlament sowie die Öffentlichkeit informieren werde. Zuvor werde man dazu nicht Stellung nehmen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/verteidigungsministerin-bundeswehr-soll-wachsen-1.2984411
mlsum-de-895
+++ Anti-Establishment-Kandidaten setzen sich durch +++ Ohios moderater Gouverneur Kasich sichert sich den zweiten Platz im Feld der Republikaner +++
Sanders siegt bei Demokraten Bernie Sanders hat die Vorwahlen in New Hampshire gewonnen. Der Senator aus Vermont lässt Hillary Clinton, die Iowa knapp für sich entschieden hatte, etwa 20 Prozentpunkte hinter sich. Clinton hatte 2008 die Vorwahlen in New Hampshire gewonnen. 85 Prozent der Wähler unter 30 Jahren entschieden sich für Sanders, auch eine Mehrheit der Frauen zieht ihn der ehemaligen Außenministerin vor. In New Hampshire dürfen auch Wähler ohne Parteizugehörigkeit an einer der beiden Vorwahlen teilnehmen. Die Wahlbeteiligung bei beiden Parteien war sehr hoch. Trump gewinnt Vorwahl der Republikaner Donald Trump hat das Rennen der Republikaner für sich entschieden. Er konnte etwa ein Drittel der Stimmen gewinnen. Hinter ihm liegt der gemäßigte Gouverneur John Kasich auf Rang 2 (16 Prozent); dahinter liefern sich Ted Cruz, Jeb Bush und Marco Rubio ein enges Rennen um den dritten Rang. Rubio blieb dabei hinter jüngsten Umfragen zurück. Chris Christie, der auf einem enttäuschenden sechsten Platz liegt, signalisiert das Ende seiner Kampagne. Er werde erst einmal in seine Heimat New Jersey zurückzukehren und "tief durchatmen". Die Reaktionen Hillary Clinton: "Es geht nicht darum, niedergeschlagen zu werden. Es geht darum, wieder aufzustehen. (...) Es liegt noch viel Arbeit vor mir, gerade mit jungen Menschen." Bernie Sanders: "Wir haben eine Botschaft in die Welt gesendet, die von der Wall Street nach Washington, von Maine nach Kalifornien hallen wird (...). Es ist zu spät für die gleichen alten Politikrezepte des Establishments." Donald Trump: "Ich habe Bernies Rede gehört. Er will unser Land verschenken, das werden wir nicht zulassen. (...) Wir werden Amerika wieder großartig machen, vielleicht so großartig wie noch nie zuvor." John Kasich: "In einer Zeit, in der ganz klar Veränderung in der Luft liegt, haben wir vielleicht das dunkle Kapitel in Amerikas Politik abgeschlossen. Denn heute Abend hat das Licht die Dunkelheit des negativen Wahlkampfs besiegt." Marco Rubio: "Ich war am Samstag [in der TV-Debatte, d. Red.] nicht gut. Also hört mir zu: Das wird nie wieder passieren." Jeb Bush: "Diese Kampagne ist nicht tot." Der Vorwahl-Fahrplan Am 20. Februar stimmen die Demokraten in Nevada über die Kandidatenfrage ab, zeitgleich entscheiden die Republikaner in South Carolina über ihre Kandidaten. In der Woche darauf sind die Republikaner in Nevada und die Demokraten in South Carolina.
https://www.sueddeutsche.de/politik/trump-und-sanders-gewinnen-vorwahlen-in-new-hampshire-1.2857192
mlsum-de-896
In Östersund wird die deutsche Biathletin Zweite in der Verfolgung. Peiffer verpasst das Podest knapp. Zweitligist Karlsruhe trennt sich von Trainer Oral.
Biathlon, Frauen: Laura Dahlmeier hat zum Abschluss des Biathlon-Weltcups im schwedischen Östersund als Verfolgungs-Zweite ihre Gesamtweltcup-Führung verteidigt. Die Partenkirchnerin wurde am Sonntag über die zehn Kilometer nach zwei Schießfehlern nur von der Tschechin Gabriela Koukalova geschlagen. Die Weltcup-Gesamtsiegerin der Vorsaison musste einmal in die Strafrunde und gewann das dritte Saisonrennen mit einem Vorsprung von 8,4 Sekunden. Für Koukalova war es der erste Saisonsieg. Dritte wurde die Italienerin Dorothea Wierer."Es macht Spaß, schön, dass ich da vorne angekommen bin", sagte Dahlmeier nach ihrem gelungenen Saisonauftakt mit dem Sieg im Einzel, Platz vier im Sprint und Rang zwei in der Verfolgung in Östersund. Biathlon, Männer: Der ehemalige Weltmeister Arnd Peiffer hat zum Abschluss des Biathlon-Weltcups im schwedischen Östersund den vierten Platz belegt. Über 12,5 km leistete sich der 29-Jährige in der Verfolgung drei Schießfehler und verpasste das Podium um 37,5 Sekunden. Am Samstag war Peiffer im Sprint noch Dritter geworden. Zweitbester Deutscher wurde Erik Lesser (2) als Fünfter.Den Sieg sicherte sich überraschend der Russe Anton Babikow (1 Fehler) vor seinem Landsmann Maxim Zwetkow (0). Dritter wurde Dominator Martin Fourcade (Frankreich/4), der nach einer ungewohnt schwachen Vorstellung am Schießstand den möglichen 50. Weltcupsieg seiner Karriere verpasste. Simon Schempp (3) schaffte es als Neunter ebenfalls unter die Top 10. Fußball, Karlsruhe: Der abstiegsbedrohte Fußball-Zweitligist Karlsruher SC hat sich von Trainer Tomas Oral getrennt. Das teilte der Verein mit. "Die sportliche Situation hat sich durch unsere Niederlage gegen Greuther Fürth und die Ergebnisse der Konkurrenz am Wochenende noch einmal verschärft. Deshalb mussten wir handeln und wollen mit dem Trainerwechsel einen neuen Impuls setzen", sagte KSC-Sportdirektor Oliver Kreuzer. Der KSC hatte am Freitag 1:2 (0:2) gegen die SpVgg Greuther Fürth verloren. In den ausstehenden Spielen bis zur Winterpause bei Dynamo Dresden und gegen Eintracht Braunschweig wird U-19-Trainer Lukas Kwasniok das Team betreuen. Ski alpin, Riesenslalom: Die deutschen Skirennfahrer um Felix Neureuther haben beim Weltcup-Riesenslalom in Val d'Isère schwer enttäuscht. Als einziger Starter im Finale kam der Routinier am Sonntag nach zwei verpatzten Läufen nicht über den 16. Platz hinaus. Der Sieg ging an den Franzosen Mathieu Faivre vor Marcel Hirscher aus Österreich und seinem Landsmann Alexis Pinturault. Die deutschen Techniker zeigten das zweitschlechteste Riesentorlauf-Ergebnis seit mehr als drei Jahren. Neureuther hatte am Ende 3,04 Sekunden Rückstand auf Faivre. Den zweiten Lauf verpassten Stefan Luitz als 35. (+2,71) und Dominik Schwaiger, dem als 31. eine Hundertstelsekunde fehlte. Bundesliga, FC Bayern: Bayern Münchens Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge hat Ex-Coach Pep Guardiola für dessen Verdienste gelobt. "Ich würde sagen, die Bayern haben nie schöner gespielt als unter Pep", sagte Rummenigge in einem Interview der Welt am Sonntag: "Erfolgreich waren wir immer, aber Schönheit wurde uns selten attestiert. Unter Pep haben plötzlich alle von uns geschwärmt." Das sei das Vermächtnis Guardiolas, der mittlerweile Manchester City trainiert. Rummenigge ist froh, dass Uli Hoeneß wieder zum Präsidenten des deutschen Fußball-Rekordmeisters gewählt wurde. "Ich glaube, es ist wichtig für ihn, dass nicht alles mit dem einen großen Fehler endet, den er gemacht hat", sagte er. Die Zeit im Gefängnis sei Hoeneß sehr nah gegangen. "Ich werde mein Lebtag nicht vergessen, wie ich ihm das erste Mal ins Gesicht gesehen habe. Aschfahl war er, mager, die Augen wie Murmeln", sagte er über eine Begegnung mit Hoeneß am 2. Januar 2015. Bundesliga, 1. FC Köln: Mittelfeldspieler Marcel Risse vom 1. FC Köln hat sich einen Kreuzbandriss im rechten Knie zugezogen und fällt wahrscheinlich mehrere Monate aus. Der 26-Jährige war bei der 0:4-Niederlage seines Clubs am Samstag bei 1899 Hoffenheim bereits nach einer knappen halben Stunde ausgewechselt worden. "Das vordere Kreuzband im rechten Knie ist gerissen. Er wird am Montag operiert. Gute Besserung, Cello!", twitterte der Fußball-Bundesligist später. Fußball, Italien: Juventus Turin hat seine Tabellenführung in der Serie A zumindest vorzeitig ausgebaut. Mit Weltmeister Sami Khedira in der Startelf besiegte der italienische Fußball-Rekordmeister Atalanta Bergamo am Samstagabend mit 3:1 (2:0). Alex Sandro (15. Minute), Daniele Rugani (19.) und der ehemalige Bundesliga-Stürmer Mario Mandzukic (64.) schossen die Tore für Juve. Remo Freuler (82.) erzielte den Anschlusstreffer für Bergamo. Nach dem Sieg hat das Team von Trainer Massimiliano Allegri nun sieben Punkte Vorsprung vor dem AS Rom und dem AC Mailand, die am Sonntag spielen. Fußball, Frankreich: Wegen des Wurfes von Feuerwerkskörpern auf Torhüter Anthony Lopes vom französischen Fußball-Erstligisten Olympique Lyon wurde das Erstligaspiel beim FC Metz am Samstagabend vom Schiedsrichter nach einer halben Stunde abgebrochen. Die Partie dürfte am Grünen Tisch für Ex-Meister Lyon gewertet werden, Metz droht darüber hinaus eine Platzsperre. Der Knallkörper war in unmittelbarer Nähe des portugiesischen Keepers explodiert. Der Schlussmann wurde für weitere Untersuchungen nach Klubangaben ins Krankenhaus transportiert. "Im schlimmsten Fall könnte das Trommelfell betroffen sein", sagte Lyon-Präsident Jean-Michel Aulas, "er hat Gleichgewichtsstörungen, und er weiß nicht, wo er ist, deshalb wurde er ins Krankenhaus gebracht, das Team wird auf ihn warten und hoffen, dass es nichts Ernstes ist." Die Begegnung wurde zunächst für 45 Minuten unterbrochen, ehe der Unparteiische auf Spielabbruch entschied. Zum Zeitpunkt des Abbruchs führte Metz mit 1:0.
https://www.sueddeutsche.de/sport/biathlon-dahlmeier-verteidigt-ihr-gelbes-trikot-1.3278749
mlsum-de-897
Ein Augenzeuge hatte von einem illegalen Autorennen berichtet - jetzt hat die Polizei seine Aussage widerlegt. Eine 52-Jährige aus Bremen ist nicht durch Fremdverschulden in einen Unfall verwickelt worden.
"Die Aussagen zu einem möglichen Autorennen konnten bisher nicht bestätigt werden" - mit diesem Satz berichtigt die Bremer Polizei eine Meldung der vergangenen Woche, die von zahlreichen Medien aufgegriffen wurde, auch von SZ.de. Eine 52-Jährige war bei einem Autounfall in Bremen ums Leben gekommen. Ein Mann hatte ausgesagt, ihr seien zwei Wagen mit etwa 90 km/h entgegengekommen. Sie sei ausgewichen, mit ihrem Auto von der Straße abgekommen, gegen einen Baum und eine Straßenlaterne geprallt. Die Frau starb noch an der Unfallstelle, ihr 51-jähriger Begleiter wurde leicht verletzt. Videoaufnahmen haben jetzt ergeben, dass es weder ein Autorennen gegeben hatte noch ein Überholmanöver mit überhöhter Geschwindigkeit. Der Zeuge revidierte daraufhin seine Aussage. Weitere Ermittlungen ergaben, dass die Frau unter Alkoholeinfluss gefahren war. Mit mehr als 1,5 Promille im Blut verlor sie die Kontrolle über ihren Wagen und verunglückte. Ermittlungen im Kölner Fall werden ausgeweitet Der Unfall, wie er zunächst dargestellt worden war, hatte die Debatte über illegale Autorennen in Deutschland befeuert. Wenige Tage zuvor war in Köln ein Radfahrer durch ein mögliches Rennen zweier Autofahrer ums Leben gekommen. Nach Angaben des TÜV Rheinland gibt es das Phänomen illegaler Autorennen bundesweit in vielen Städten. Manchmal würden dabei hohe Geldpreise ausgesetzt, schilderte Karl-Friedrich Voss, Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Verkehrspsychologen. "Eine andere Variante ist die, dass Menschen gegen die Uhr fahren." Beteiligte seien meist junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren - "Leute, die ihr Selbstbewusstsein sehr stark mit dem Auto verknüpfen."
https://www.sueddeutsche.de/panorama/bremen-doch-kein-autorennen-frau-verschuldete-toedlichen-unfall-selbst-1.2573008
mlsum-de-898
Wenn Ebay plötzlich Geld vom Konto bucht: Viele Internetnutzer merken nur durch Zufall, dass Kriminelle ihre Identität stehlen. Die Folgen sind erschreckend.
3,85 Euro, abgebucht vom Girokonto durch Ebay. Peter Herrmann stutzt (Name von der Redaktion geändert). Er ersteigert zwar ab und zu etwas bei Ebay, aber seine Kontodaten hat er dort nie angegeben. Es muss sich also um einen Irrtum handeln, vermutet er, und lässt die Lastschrift von seiner Bank rückgängig machen. Er denkt nicht länger darüber nach. Vier Wochen später kommt die nächste Abbuchung von Ebay: 108 Euro. Als Herrmann erneut widerspricht, flattert kurze Zeit später eine Abmahnung vom Anwalt ins Haus. Fast 180 Euro Gebühren will Ebay von ihm, weil er unter dem Namen "bine0726" Dinge versteigert hat. Ein Motorrad unter anderem, und ein Aquarium. Das Problem: Peter Herrmann ist nicht "bine0726". Eigentlich. Detailansicht öffnen Im Internet werden nicht nur Daten, sondern ganze Identitäten gestohlen. (Foto: Foto: istock) Doch "bine0726" ist Peter Herrmann. Zumindestens auf dem Papier. Die Daten stimmen: Name, Adresse, Geburtstag, Kontonummer. Alles hat "bine0726" bei der Ebay-Anmeldung richtig angegeben. Sogar der Neckname wurde anscheinend mit Bedacht gewählt: "Meine Frau heißt Sabine", erklärt Herrmann. So hat "bine0726" ihm seine Identität gestohlen. Einfach so. Herrmann ruft seine Bank an: Wie sie die Abbuchungen einfach so zulassen könne - er habe ja gar keine Einzugsermächtigung gegeben, nichts unterschrieben. Das ist egal, erfährt er. Es reicht, wenn jemand die Kontodaten hat, dann wird abgebucht. Ohne Prüfung. Herrmann geht zur Polizei und erstattet Anzeige gegen sein Doppel-Ich. Die Polizei fragt ihn, ob nicht doch jemand aus seiner Familie der Schuldige sein könnte. Nein, das kann er sich nicht vorstellen. Aber die Frage bleibt: Woher hat der Unbekannte, der sich als "bine0726" ausgibt, seine Daten? Herrmann wird misstrauisch. Wo ist das Datenleck? Vielleicht bei seinem Arbeitgeber? Oder einem Sportverein? Dem Internetprovider? "Nein, ich war zu der Zeit nicht gut zu sprechen auf alle, die meine Daten hatten", erinnert er sich. Denn einer von ihnen hat ihm seine Identität geklaut. "Was soll den schon passieren?" "Das ist vergleichbar mit einem Einbruch", erklärt Stefan Ther von der Münchner Polizei, "für viele Menschen ist die Vorstellung, dass jemand in ihren privaten Räumlichkeiten war, viel schlimmer als der Verlust von Schmuck und Bargeld. Bei Internetbetrug ist der finanzielle Schaden ärgerlich, aber ebenso schlimm ist die Vorstellung, dass jemand unter meinem Namen unterwegs ist. Ein ungutes Gefühl." Ther geht regelmäßig in Schulen und klärt Eltern und Schüler auf, was passieren kann, wenn sie mit Daten zu sorglos umgehen. "Oft bekomme ich zu hören: Was soll denn schon passieren? Was können die denn schon mit meinen Daten anfangen", sagt der Polizist. Ganz anders reagieren Menschen, die schon einmal Opfer von Betrug geworden sind. Sie kennen das Gefühl, wenn man nicht weiß, was einen auf dem Kontoauszug erwartet, weil wieder irgendetwas abgebucht wurde. "Betrugsopfer sind zunächst wütend. Wütend auf den Täter, auf das System Internet, auf ihre Bank", erklärt Ther. Dazu kommt oft die Scham, dass einem so etwas passiert ist. "Gerade dieses Gefühle machen sich Kriminelle oft zunutze", so der Experte. Zum Beispiel verschicken sie Rechnungen für den Besuch von pornografischen Internetseiten - obwohl der Rechnungsempfänger nie auf der betreffenden Website war. "Den Betroffenen ist das Ganze unangenehm. Viele zahlen deshalb einfach", erklärt Ther. Außerdem seien die Täter oft psychologisch sehr geschickt, machten schnell Druck mit Mahnungen, Zahlungsterminen oder indem sie Inkasso-Unternehmen auf die Betroffenen ansetzen. "Manch einer knickt dann ein. So lohnt sich die Arbeit der Betrüger."
https://www.sueddeutsche.de/digital/datenklau-im-netz-diebischer-zwilling-1.573794
mlsum-de-899
Nie zuvor haben so viele per Brief gewählt. Wer profitiert davon? Und was, wenn die Briefwahlunterlagen noch zu Hause liegen?
Ist es schon zu spät für die Briefwahl? Wer seinen Wahlzettel jetzt erst in den Briefkasten wirft, ist sehr wahrscheinlich zu spät dran. Der Bundeswahlleiter hat empfohlen, den Wahlbrief spätestens am Dienstag abzuschicken. Bei der Bundestagswahl zählen nur die Stimmzettel, die bis Sonntag, 18 Uhr, eingegangen sind. Wer die Briefwahlunterlagen schon versandt hat und nun füchtet, dass sie nicht mehr rechtzeitig ankommen, kann den alten Wahlschein für ungültig erklären lassen und vor Ort wählen. Es ist egal, wie der Wahlzettel ankommt. Briefwähler können ihre Unterlagen auch persönlich abgeben - in einem Wahllokal in ihrem eigenen Wahlkreis. Welche Probleme kann es bei der Briefwahl geben? Nicht immer klappt die Zustellung der Wahlunterlagen reibungslos, manchmal braucht die Post länger als erwartet - was dazu führen kann, dass der Stimmzettel nicht rechtzeitig ankommt. In anderen Fällen wurde die Briefwahl zwar beantragt, aber die Unterlagen sind nicht eingegangen. Der Wahlleiter rät in diesem Fall, sich umgehend mit seiner Gemeinde in Verbindung zu setzen; das könnte zeitlich allerdings knapp werden. Wie sicher ist Briefwahl? Einen Stimmzettel aus Papier kann auf dem Weg von der Wahlkabine zur Urne niemand ändern oder verschwinden lassen. Das amtliche Endergebnis sei dank der händischen Auszählung absolut verlässlich, sagt Sicherheitsexperte Jörn Müller-Quade vom Karlsruher Institut für Technologie. Aber: "Wir haben ein Problem mit der Briefwahl." Der Wähler wisse nicht einmal, ob seine Stimme überhaupt gezählt wird. Im Frühjahr wurde die Kommunalwahl im niedersächsischen Quakenbrück wiederholt, weil Unterstützer der Linken und der FDP im Verdacht stehen, Briefwahlunterlagen gestohlen und mit falschen Unterschriften versehen zu haben. In Bielefeld haben 104 Bürger ihre Briefwahl-Unterlagen zur Bundestagswahl doppelt zugeschickt bekommen, Mitarbeiter der Stadt besuchten daraufhin die Betroffenen zuhause, um je einen Stimmzettel zu vernichten. Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass Stimmzettel in der Post verloren gehen. Sind die Unterlagen einmal eingetroffen, werden sie bis zum Wahltag unter Verschluss gehalten. Am Sonntag werden sie laut dem Bundeswahlleiter an die Briefwahlvorstände verteilt, die in jedem Bezirk mindestens zu fünft sind und ähnlich wie die Wahlhelfer in den Lokalen arbeiten. Am Wahltag werden sie bereits um 15 Uhr geöffnet - aber nur, um zu prüfen, ob der Schein gültig und der Stimmzettelumschlag ungeöffnet ist. Die verschlossenen Stimmzettelumschläge werden in Urnen geworfen und damit von allen Unterlagen getrennt, auf denen der Name des Wählers steht. Diese Regeln stellen dem Bundeswahlleiter zufolge "sicher, dass das Wahlgeheimnis jederzeit gewährleistet ist". Ab 18 Uhr werden die Stimmzettel ausgezählt. Wie viele wählen per Brief? Die Anzahl der Briefwähler bei der Bundestagswahl ist zwischen 1994 und 2013 um fast 70 Prozent gestiegen. Fast jeder Vierte hat bei der Wahl 2013 per Brief abgestimmt. Diesmal werden es voraussichtlich noch mehr sein - ein Rekord für die Briefwahl wird erwartet. Alle Bundesländer verzeichnen einen Anstieg der Nachfrage nach Briefwahl-Unterlagen. Wo wird der Wahlzettel am häufigsten versendet? Im Nordrhein-Westfalen melden viele Städte einen Spitzenwert an Briefwahl-Unterlagen. Am stärksten zeigt sich der Trend in Aachen, wo nach Angaben der Kommune fast jeder Dritte bereits gewählt hat. Noch höher ist der Anteil in vielen Großstädten: In München haben mehr als 35 Prozent einen Wahlschein beantragt - ein Plus von fünf Prozentpunkten. In Berlin wurde ein Rekord von 26,4 Prozent erreicht. In Hamburg sind es sogar 29,3 Prozent. Zum gleichen Zeitpunkt vor vier Jahren hatten in der Hansestadt nur 22,5 Prozent ihre Wahlunterlagen bestellt. Wer schickt seine Stimme, statt ins Wahllokal zu gehen? Die Briefwahl nutzen wahlberechtigte Auslandsdeutsche, um nicht extra anreisen zu müssen. Sie ermöglicht allen, die in Urlaub sind oder sonntags arbeiten müssen, ihre Stimme abzugeben. Außerdem sind Häftlinge zwar wahlberechtigt, können aber natürlich nicht ohne weiteres am Sonntagmorgen zum Wahllokal schlendern, weshalb sie auf den Fernweg zurückgreifen müssen. Briefwahl gilt auch als gute Alternative für Kranke und Gebrechliche. Entsprechend hat der Wahlforscher Rüdiger Schmitt-Beck von der Universität Mannheim 2013 festgestellt, dass Briefwähler im Durchschnitt älter sind. Außerdem sind sie eher höher gebildet und leben eher in der Stadt als auf dem Land. Der Politikwissenschaftler sieht in der Entwicklung vor allem "einen Ausdruck der Individualisierung der Gesellschaft". Die Menschen wollten flexibel bleiben und sich nicht einschränken. Die Briefwahl verschaffe den Menschen einen Autonomie-Spielraum. Der Anstieg bei dieser Bundestagswahl könne auch damit zu tun haben, dass die Parteien offensiv um Briefwähler geworben hätten. Wen wählen Briefwähler? Der Zweitstimmenanteil der Briefwähler von CDU/CSU, FDP und Grünen lag 2013 leicht über dem der Urnenwähler dieser Parteien. Bei SPD und Linken war es umgekehrt. Der Wahlforscher Schmitt-Beck sagt, eine aktuelle Umfrage seines Teams deute darauf hin, dass die CDU von der Briefwahl profitiere. CDU-Wähler seien häufig aber auch früher entschlossen als SPD-Wähler.
https://www.sueddeutsche.de/politik/bundestagswahl-ist-es-schon-zu-spaet-fuer-die-briefwahl-1.3678191
mlsum-de-900