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arnimb_goethe01_1835
523
Wo ſollteſt Du auch alles herwiſſen?
Wo solltest Du auch alles herwissen?
arnimb_goethe01_1835
524
— Es iſt aber doch kurios, daß die Kurfürſten immer mit Fiſch und Waſſernymphen zu thun haben; auf der Krönung hab’ ich in den Silberkammern auch ſolche Sachen geſehen, da war ein Springbrunnen von Silber mit ſchönen Figuren, da ſprang Wein heraus, der wurde zur Pracht auf die Tafel geſtellt.
— Es ist aber doch kurios, dass die Kurfürsten immer mit Fisch und Wassernymphen zu tun haben; auf der Krönung habe ich in den Silberkammern auch solche Sachen gesehen, da war ein Springbrunnen von Silber mit schönen Figuren, da sprang Wein heraus, der wurde zur Pracht auf die Tafel gestellt.
arnimb_goethe01_1835
525
Und einmal hat der Kurfürſt von der Pfalz ein Fiſchballet aufführen laſſen, da tanzten die Karpfen, prächtig in Gold und Silberſchuppen angethan, aufrecht einen Menuet.
Und einmal hat der Kurfürst von der Pfalz ein Fischballett aufführen lassen, da tanzten die Karpfen, prächtig in Gold und Silberschuppen angetan, aufrecht einen Menuett.
arnimb_goethe01_1835
526
Nun, Du haſt das alles allein geſehen, ſolche Sachen die man im Kopf ſieht, die ſind auch da und gehören ins himmliſche Reich, wo nichts einen Körper hat, ſondern nur alles im Geiſt da iſt.
Nun, Du hast das alles allein gesehen, solche Sachen die man im Kopf sieht, die sind auch da und gehören ins himmlische Reich, wo nichts einen Körper hat, sondern nur alles im Geist da ist.
arnimb_goethe01_1835
527
Mach doch daß Du bald wieder herkommſt, Du haſt den ganzen Sommer verſchwärmt, mir iſt es gar nicht mehr drum zu thun mit dem Schreiben, und ich hab’ Dich auch ſo lange nicht geſehen, es verlangt mich recht nach Dir.
Mache doch dass Du bald wieder herkommst, Du hast den ganzen Sommer verschwärmt, mir ist es gar nicht mehr darum zu tun mit dem Schreiben, und ich habe Dich auch solange nicht gesehen, es verlangt mich recht nach Dir.
arnimb_goethe01_1835
528
Deine wahre Herzensfreundin Goethe.
Deine wahre Herzensfreundin Goethe.
arnimb_goethe01_1835
529
An Goethe’s Mutter.
An Goethes Mutter.
arnimb_goethe01_1835
530
Frau Rath, den ganzen Tag bin ich nicht zu Hauſ’, aber wenn ich an Sie ſchreib’, dann weiß ich, daß ich eine Heimath habe; es iſt die Zeit, daß die Leut’ Feldgötter im Weinberg aufſtellen, um die Sperlinge von den Trauben zu ſcheuchen; heut’ morgen konnt’ ich nicht begreifen, was für ein wunderbarer Beſuch ſich ſo früh im Weingarten aufhalte, der mir durch den dicken Nebel ſchimmerte; ich dachte erſt, es wär’ der Teufel, denn er hat einen ſcharlachrothen Rock und ſchwarze Unterkleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und zwar ſo ſehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis an’s Waſſer ging, wie ich jeden Abend thue; und wie ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich jemand Liebes dort hinbeſtellt hätte, ſo würd’ ich wohl nichts von Furcht geſpürt haben; ich ging alſo noch einmal und glücklich an dem Lumpengeſpenſt vorbei, denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die ſtille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein, über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die wohl, als dem ſtillen, ruhigen Abend, in dem mein Andenken ihm einen freundlichen Beſuch macht, und er ſich’s gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kindiſchen Gedanken bei ihm anlande; was ich in ſo einſamer Abendſtunde, wo die Dämmerung mit der Nacht tauſcht, denke, das kann Sie ſich am beſten vorſtellen, da wir es tauſendmal mit einander beſprochen haben, und haben ſo viel Ergötzen dabei gehabt.
Frau Rat, den ganzen Tag bin ich nicht zu Hause, aber wenn ich an Sie schreibe, dann weiß ich, dass ich eine Heimat habe; es ist die Zeit, dass die Leute Feldgötter im Weinberg aufstellen, um die Sperlinge von den Trauben zu scheuchen; heute Morgen konnte ich nicht begreifen, was für ein wunderbarer Besuche sich so früh im Weingarten aufhalte, der mir durch den dicken Nebel schimmerte; ich dachte erst, es wäre der Teufel, denn er hat einen scharlachroten Rock und schwarze Unterkleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und zwar so sehr, dass ich wieder umkehrte und nicht bis ans Wasser ging, wie ich jeden Abend tue; und wie ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich jemand Liebes dort hinbestellt hätte, so würde ich wohl nichts von Furcht gespürt haben; ich ging also noch einmal und glücklich an dem Lumpengespenst vorbei, denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die stille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein, über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die wohl, als dem stillen, ruhigen Abend, in dem mein Andenken ihm einen freundlichen Besuche macht, und er sich es gefallen lässt, dass das Schifflein mit meinen kindischen Gedanken bei ihm anlande; was ich in so einsamer Abendstunde, wo die Dämmerung mit der Nacht tauscht, denke, das kann Sie sich am besten vorstellen, da wir es tausendmal miteinander besprochen haben, und haben so viel Ergötzen dabei gehabt.
arnimb_goethe01_1835
531
Wenn wir mit einander zu ihm gereiſt kämen, das denk’ ich mir immer noch aus.
Wenn wir miteinander zu ihm gereist kämen, das denke ich mir immer noch aus.
arnimb_goethe01_1835
532
— Damals hatte ich ihn noch nicht geſehen, wie Sie meiner heißen Sehnſucht die Zeit damit vertrieb, daß Sie mir ſeine freudige Überraſchung malte und unſer Erſcheinen unter tauſenderlei Veränderungen; — jetzt kenne ich ihn und weiß, wie er lächelt und den Ton ſeiner Stimme, wie die ſo ruhig iſt und doch voll Liebe, und ſeine Ausrufungen, wie die ſo aus dem tiefen Herzen anſchwellen, wie der Ton im Geſang; und wie er ſo freundlich beſchwichtigt und bejaht, was man im Herzensdrang unordentlich herausſtürmt; — wie ich im vorigen Jahr ſo unverhofft wieder mit ihm zuſammentraf, da war ich ſo außer mir, und wollte ſprechen und konnte mich nicht zurecht finden; da legt’ er mir die Hand auf den Mund und ſagt’:
— Damals hatte ich ihn noch nicht gesehen, wie Sie meiner heißen Sehnsucht die Zeit damit vertrieb, dass Sie mir seine freudige Überraschung malte und unser Erscheinen unter tausenderlei Veränderungen; — jetzt kenne ich ihn und weiß, wie er lächelt und den Ton seiner Stimme, wie die so ruhig ist und doch voll Liebe, und seine Ausrufungen, wie die so aus dem tiefen Herzen anschwellen, wie der Ton im Gesang; und wie er so freundlich beschwichtigt und bejaht, was man im Herzensdrang unordentlich herausstürmt; — wie ich im vorigen Jahr so unverhofft wieder mit ihm zusammentraf, da war ich so außer mir, und wollte sprechen und konnte mich nicht zurechtfinden; da legte er mir die Hand auf den Mund und sagte:
arnimb_goethe01_1835
533
Sprech’ mit den Augen, ich verſteh’ alles; und wie er ſah, daß die voll Thränen ſtanden, ſo drückt’ er mir die Augen zu, und ſagte:
Sprich mit den Augen, ich verstehe alles; und wie er sah, dass die voll Tränen standen, so drückte er mir die Augen zu, und sagte:
arnimb_goethe01_1835
534
Ruhe, Ruhe, die bekommt uns beiden am beſten; — ja, liebe Mutter, die Ruhe war gleich über mich hingegoſſen, ich hatte ja alles, wonach ich ſeit Jahren mich einzig geſehnt habe.
Ruhe, Ruhe, die bekommt uns beiden am besten; — ja, liebe Mutter, die Ruhe war gleich über mich hingegossen, ich hatte ja alles, wonach ich seit Jahren mich einzig gesehnt habe.
arnimb_goethe01_1835
535
— O Mutter, ich dank’ es Ihr ewig, daß Sie mir den Freund in die Welt geboren, — wo ſollt’ ich ihn ſonſt finden!
— O Mutter, ich danke es Ihr ewig, dass Sie mir den Freund in die Welt geboren, — wo sollte ich ihn sonst finden!
arnimb_goethe01_1835
536
Lach’ Sie nicht da drüber, und denk’ Sie doch, daß ich ihn geliebt hab’, eh’ ich das Geringſte von ihm wußt’, und hätt’ Sie ihn nicht geboren, wo er dann geblieben wär’, das iſt doch die Frage, die Sie nicht beantworten kann.
Lache Sie nicht da darüber, und denke Sie doch, dass ich ihn geliebt habe, ehe ich das Geringste von ihm wusste, und hätte Sie ihn nicht geboren, wo er dann geblieben wäre, das ist doch die Frage, die Sie nicht beantworten kann.
arnimb_goethe01_1835
537
Über die Günderode iſt mir am Rhein unmöglich zu ſchreiben, ich bin nicht ſo empfindlich; aber ich bin hier am Platz nicht weit genug von dem Gegenſtand ab, um ihn ganz zu überſehen; — geſtern war ich da unten, wo ſie lag; die Weiden ſind ſo gewachſen, daß ſie den Ort ganz zudecken, und wie ich mir ſo dachte, wie ſie voll Verzweiflung hier herlief, und ſo raſch das gewaltige Meſſer ſich in die Bruſt ſtieß, und wie das Tage lang in ihr gekocht hatte, und ich, die ſo nah mit ihr ſtand, jetzt an demſelben Ort, gehe hin und her an demſelben Ufer, in ſüßem Überlegen meines Glückes, und alles und das Geringſte was mir begegnet, ſcheint mir, mit zu dem Reichthum meiner Seeligkeit zu gehören; da bin ich wohl nicht geeignet, jetzt alles zu ordnen und den einfachen Faden unſeres Freundelebens, von dem ich doch nur alles anſpinnen könnte, zu verfolgen.
Über die Günderode ist mir am Rhein unmöglich zu schreiben, ich bin nicht so empfindlich; aber ich bin hier am Platz nicht weit genug von dem Gegenstand ab, um ihn ganz zu übersehen; — gestern war ich da unten, wo sie lag; die Weiden sind so gewachsen, dass sie den Ort ganz zudecken, und wie ich mir so dachte, wie sie voll Verzweiflung hier herlief, und so rasch das gewaltige Messer sich in die Brust stieß, und wie das tagelang in ihr gekocht hatte, und ich, die so nah mit ihr stand, jetzt an demselben Ort, gehe hin und her an demselben Ufer, in süßem Überlegen meines Glückes, und alles und das Geringste was mir begegnet, scheint mir, mit zu dem Reichtum meiner Seligkeit zu gehören; da bin ich wohl nicht geeignet, jetzt alles zu ordnen und den einfachen Faden unseres Freundelebens, von dem ich doch nur alles anspinnen könnte, zu verfolgen.
arnimb_goethe01_1835
538
— Nein, es kränkt mich und ich mache ihr Vorwürfe, wie ich ihr damals in Träumen machte, daß ſie die ſchöne Erde verlaſſen hat; ſie hätt’ noch lernen müſſen, daß die Natur Geiſt und Seele hat und mit dem Menſchen verkehrt, und ſich ſeiner und ſeines Geſchickes annimmt, und daß Lebensverheißungen in den Lüften uns umwehen; ja, ſie hat’s böſ’ mit mir gemacht, ſie iſt mir geflüchtet, grade wie ich mit ihr theilen wollte alle Genüſſe.
— Nein, es kränkt mich und ich mache ihr Vorwürfe, wie ich ihr damals in Träumen machte, dass sie die schöne Erde verlassen hat; sie hätte noch lernen müssen, dass die Natur Geist und Seele hat und mit dem Menschen verkehrt, und sich seiner und seines Geschickes annimmt, und dass Lebensverheißungen in den Lüften uns umwehen; ja, sie hat es böse mit mir gemacht, sie ist mir geflüchtet, gerade wie ich mit ihr Teilen wollte alle Genüsse.
arnimb_goethe01_1835
539
Sie war ſo zaghaft; eine junge Stiftsdame, die ſich fürchtete, das Tiſchgebet laut herzuſagen; ſie ſagte mir oft, daß ſie ſich fürchtete, weil die Reihe an ihr war; ſie wollte vor den Stiftsdamen das Benedicite nicht laut herſagen; unſer Zuſammenleben war ſchön, es war die erſte Epoche, in der ich mich gewahr ward; — ſie hatte mich zuerſt aufgeſucht, in Offenbach, ſie nahm mich bei der Hand und forderte, ich ſolle ſie in der Stadt beſuchen; nachher waren wir alle Tage beiſammen, bei ihr lernte ich die erſten Bücher mit Verſtand leſen, ſie wollte mich Geſchichte lehren, ſie merkte aber bald, daß ich zu ſehr mit der Gegenwart beſchäftigt war, als daß mich die Vergangenheit hätte lange feſſeln können; — wie gern ging ich zu ihr!
Sie war so zaghaft; eine junge Stiftsdame, die sich fürchtete, das Tischgebet laut herzusagen; sie sagte mir oft, dass sie sich fürchtete, weil die Reihe an ihr war; sie wollte vor den Stiftsdamen das Benedicite nicht laut hersagen; unser Zusammenleben war schön, es war die erste Epoche, in der ich mich gewahr wurde; — sie hatte mich zuerst aufgesucht, in Offenbach, sie nahm mich bei der Hand und forderte, ich solle sie in der Stadt besuchen; nachher waren wir alle Tage beisammen, bei ihr lernte ich die ersten Bücher mit Verstand lesen, sie wollte mich Geschichte lehren, sie merkte aber bald, dass ich zu sehr mit der Gegenwart beschäftigt war, als dass mich die Vergangenheit hätte lange fesseln können; — wie gern ging ich zu ihr!
arnimb_goethe01_1835
540
ich konnte ſie keinen Tag mehr miſſen, ich lief alle Nachmittag zu ihr; wenn ich an die Thür des Stift’s kam, da ſah’ ich durch das Schlüſſelloch, bis nach ihrer Thür, bis mir aufgethan ward; — ihre kleine Wohnung war ebner Erde nach dem Garten; vor dem Fenſter ſtand eine Silberpappel, auf die kletterte ich während dem Vorleſen; bei jedem Kapitel erſtieg ich einen höheren Aſt und las von oben herunter; — ſie ſtand am Fenſter und hörte zu, und ſprach zu mir hinauf, und dann und wann ſagte ſie:
Ich konnte sie keinen Tag mehr missen, ich lief alle Nachmittag zu ihr; wenn ich an die Tür des Stifts kam, da sah ich durch das Schlüsselloch, bis nach ihrer Tür, bis mir aufgetan wurde; — ihre kleine Wohnung war ebener Erde nach dem Garten; vor dem Fenster stand eine Silberpappel, auf die kletterte ich während dem Vorlesen; bei jedem Kapitel erstieg ich einen höheren Ast und las von oben herunter; — sie stand am Fenster und hörte zu, und sprach zu mir hinauf, und dann und wann sagte sie:
arnimb_goethe01_1835
541
Bettine, fall’ nicht; jetzt weiß ich erſt, wie glücklich ich in der damaligen Zeit war, denn weil alles, auch das Geringſte ſich als Erinnerung von Genuß in mich geprägt hat; — ſie war ſo ſanft und weich in allen Zügen, wie eine Blondine.
Bettine, fall nicht; jetzt weiß ich erst, wie glücklich ich in der damaligen Zeit war, denn weil alles, auch das Geringste sich als Erinnerung von Genuss in mich geprägt hat; — sie war so sanft und weich in allen Zügen, wie eine Blondine.
arnimb_goethe01_1835
542
Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn ſie lachte ſo war es nicht laut, es war vielmehr ein ſanftes, gedämpftes Girren in dem ſich Luſt und Heiterkeit ſehr vernehmlich ausſprach; — ſie ging nicht, ſie wandelte, wenn man verſtehen will, was ich damit auszuſprechen meine; — ihr Kleid war ein Gewand, was ſie in ſchmeichlenden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; — ihr Wuchs war hoch, ihre Geſtalt war zu fließend, als daß man es mit dem Wort ſchlank ausdrücken könnte; ſie war ſchüchtern-freundlich, und viel zu willenlos, als daß ſie in der Geſellſchaft ſich bemerkbar gemacht hätte.
Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes, gedämpftes Girren in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach; — sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen will, was ich damit auszusprechen meine; — ihr Kleid war ein Gewand, was sie in schmeichelnden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; — ihr Wuchs war hoch, ihre Gestalt war zu fließend, als dass man es mit dem Wort schlank ausdrücken könnte; sie war schüchtern-freundlich, und viel zu willenlos, als dass sie in der Gesellschaft sich bemerkbar gemacht hätte.
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543
Einmal aß ſie bei dem Fürſt Primas mit allen Stiftsdamen zu Mittag; ſie war im ſchwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Ordenskreuz; da machte jemand die Bemerkung, ſie ſähe aus wie eine Scheingeſtalt unter den andern Damen, als ob ſie ein Geiſt ſei, der eben in die Luft zerfließen werde.
Einmal aß sie bei dem Fürst Primas mit allen Stiftsdamen zu Mittag; sie war im schwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Ordenskreuz; da machte jemand die Bemerkung, sie sähe aus wie eine Scheingestalt unter den anderen Damen, als ob sie ein Geist sei, der eben in die Luft zerfließen werde.
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544
— Sie las mir ihre Gedichte vor und freute ſich meines Beifalls, als wenn ich ein großes Publikum wär’; ich war aber auch voll lebendiger Begierde es anzuhören; nicht als ob ich mit dem Verſtand das Gehörte gefaßt habe, — es war vielmehr ein mir unbekanntes Element, und die weichen Verſe wirkten auf mich wie der Wohllaut einer fremden Sprache die einem ſchmeichelt, ohne daß man ſie überſetzen kann.
— Sie las mir ihre Gedichte vor und freute sich meines Beifalls, als wenn ich ein großes Publikum wäre; ich war aber auch voll lebendiger Begierde es anzuhören; nicht als ob ich mit dem Verstand das Gehörte gefasst habe, — es war vielmehr ein mir unbekanntes Element, und die weichen Verse wirkten auf mich wie der Wohllaut einer fremden Sprache die einem schmeichelt, ohne dass man sie übersetzen kann.
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545
— Wir laſen zuſammen den Werther, und ſprachen viel über den Selbſtmord; ſie ſagte: recht viel lernen, recht viel faſſen mit dem Geiſt, und dann früh ſterben; ich mag’s nicht erleben, daß mich die Jugend verläßt; wir laſen vom Jupitre Olymp des Phidias, daß die Griechen von dem ſagten, der Sterbliche ſei um das Herrlichſte betrogen, der die Erde verlaſſe, ohne ihn geſehen zu haben.
— Wir lasen zusammen den Werther, und sprachen viel über den Selbstmord; sie sagte: recht viel lernen, recht viel fassen mit dem Geist, und dann früh sterben; ich mag es nicht erleben, dass mich die Jugend verlässt; wir lasen vom Jupiter Olymp des Phidias, dass die Griechen von dem sagten, der Sterbliche sei um das Herrlichste betrogen, der die Erde verlasse, ohne ihn gesehen zu haben.
arnimb_goethe01_1835
546
Die Günderode ſagte, wir müſſen ihn ſehen, wir wollen nicht zu den Unſeligen gehören, die ſo die Erde verlaſſen.
Die Günderode sagte, wir müssen ihn sehen, wir wollen nicht zu den Unseligen gehören, die so die Erde verlassen.
arnimb_goethe01_1835
547
Wir machten ein Reiſeprojekt, wir erdachten unſre Wege und Abentheuer, wir ſchrieben alles auf, wir malten alles aus, unſre Einbildung war ſo geſchäftig, daß wir’s in der Wirklichkeit nicht beſſer hätten erleben können; oft laſen wir in dem erfundenen Reiſejournal und freuten uns der allerliebſten Abentheuer, die wir drinn erlebt hatten, und die Erfindung wurde gleichſam zur Erinnerung, deren Beziehungen ſich noch in der Gegenwart fortſetzten.
Wir machten ein Reiseprojekt, wir erdachten unsere Wege und Abenteuer, wir schrieben alles auf, wir malten alles aus, unsere Einbildung war so geschäftig, dass wir es in der Wirklichkeit nicht besser hätten erleben können; oft lasen wir in dem erfundenen Reisejournal und freuten uns der allerliebsten Abenteuer, die wir drin erlebt hatten, und die Erfindung wurde gleichsam zur Erinnerung, deren Beziehungen sich noch in der Gegenwart fortsetzten.
arnimb_goethe01_1835
548
Von dem, was ſich in der Wirklichkeit ereignete, machten wir uns keine Mittheilungen; das Reich, in dem wir zuſammentrafen, ſenkte ſich herab wie eine Wolke, die ſich öffnete um uns in ein verborgenes Paradies aufzunehmen; da war alles neu, überraſchend, aber paſſend für Geiſt und Herz; und ſo vergingen die Tage.
Von dem, was sich in der Wirklichkeit ereignete, machten wir uns keine Mitteilungen; das Reich, in dem wir zusammentrafen, senkte sich herab wie eine Wolke, die sich öffnete um uns in ein verborgenes Paradies aufzunehmen; da war alles neu, überraschend, aber passend für Geist und Herz; und so vergingen die Tage.
arnimb_goethe01_1835
549
Sie wollte mir Philoſophie lehren, was ſie mir mittheilte, verlangte ſie von mir aufgefaßt, und dann auf meine Art ſchriftlich wiedergegeben; die Aufſätze, die ich ihr hierüber brachte, las ſie mit Staunen; es war nie auch eine entfernte Ahndung von dem, was ſie mir mitgetheilt hatte; ich behauptete im Gegentheil, ſo hätt’ ich es verſtanden; — ſie nannte dieſe Aufſätze Offenbarungen, gehöht durch die ſüßeſten Farben einer entzückten Imagination; ſie ſammelte ſie ſorgfältig, ſie ſchrieb mir einmal:
Sie wollte mir Philosophie lehren, was sie mir mitteilte, verlangte sie von mir aufgefasst, und dann auf meine Art schriftlich wiedergegeben; die Aufsätze, die ich ihr hierüber brachte, las sie mit Staunen; es war nie auch eine entfernte Ahnung von dem, was sie mir mitgeteilt hatte; ich behauptete im Gegenteil, so hätte ich es verstanden; — sie nannte diese Aufsätze Offenbarungen, gehöht durch die süßesten Farben einer entzückten Imagination; sie sammelte sie sorgfältig, sie schrieb mir einmal:
arnimb_goethe01_1835
550
Jetzt verſtehſt Du nicht, wie tief dieſe Eingänge in das Bergwerk des Geiſtes führen, aber einſt wird es Dir ſehr wichtig ſein, denn der Menſch geht oft öde Straßen; je mehr er Anlage hat durchzudringen, je ſchauerlicher iſt die Einſamkeit ſeiner Wege, je endloſer die Wüſte.
Jetzt verstehst Du nicht, wie tief diese Eingänge in das Bergwerk des Geistes führen, aber einst wird es Dir sehr wichtig sein, denn der Mensch geht oft öde Straßen; je mehr er Anlage hat durchzudringen, je schauerlicher ist die Einsamkeit seiner Wege, je endloser die Wüste.
arnimb_goethe01_1835
551
Wenn Du aber gewahr wirſt, wie tief Du Dich hier in den Brunnen des Denkens niedergelaſſen haſt und wie Du da unten ein neues Morgenroth findeſt, und mit Luſt wieder heraufkömmſt und von Deiner tieferen Welt ſprichſt, dann wird Dich’s tröſten, denn die Welt wird nie mit Dir zuſammenhängen, Du wirſt keinen andern Ausweg haben als zurück durch dieſen Brunnen in den Zaubergarten Deiner Phantaſie; es iſt aber keine Phantaſie, es iſt eine Wahrheit, die ſich nur in ihr ſpiegelt.
Wenn Du aber gewahr wirst, wie tief Du Dich hier in den Brunnen des Denkens niedergelassen hast und wie Du da unten ein neues Morgenrot findest, und mit Lust wieder heraufkommst und von Deiner tieferen Welt sprichst, dann wird Dich es trösten, denn die Welt wird nie mit Dir zusammenhängen, Du wirst keinen anderen Ausweg haben als zurück durch diesen Brunnen in den Zaubergarten Deiner Phantasie; es ist aber keine Phantasie, es ist eine Wahrheit, die sich nur in ihr spiegelt.
arnimb_goethe01_1835
552
Der Genius benützt die Phantaſie, um unter ihren Formen das göttliche, was der Menſchengeiſt in ſeiner idealen Erſcheinung nicht faſſen könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirſt keinen andern Weg des Genuſſes in Deinem Leben haben, als den ſich die Kinder verſprechen von Zauberhöhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch ſie gekommen ſo findet man blühende Gärten, Wunderfrüchte, kryſtallne Paläſte, wo eine noch unbegriffne Muſik erſchallt, und die Sonne mit ihren Strahlen Brücken baut, auf denen man feſten Fußes in ihr Centrum ſpazieren kann; — das alles wird ſich Dir in dieſen Blättern zu einem Schlüſſel bilden, mit dem Du vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kannſt, drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht ſolchen Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den Geiſt geboren wird; — wenn er erſt in Dich eingefleiſcht iſt, dann wirſt Du Dich der Begeiſtrung freuen, wie der Tänzer ſich der Muſik freut.
Der Genius benutzt die Phantasie, um unter ihren Formen das Göttliche, was der Menschengeist in seiner idealen Erscheinung nicht fassen könnte, mitzuteilen oder einzuflößen; ja Du wirst keinen anderen Weg des Genusses in Deinem Leben haben, als den sich die Kinder versprechen von Zauberhöhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch sie gekommen so findet man blühende Gärten, Wunderfrüchte, kristallene Paläste, wo eine noch unbegriffene Musik erschallt, und die Sonne mit ihren Strahlen Brücken baut, auf denen man festen Fußes in ihr Zentrum spazieren kann; — das alles wird sich Dir in diesen Blättern zu einem Schlüssel bilden, mit dem Du vielleicht tief versunkene Reiche wieder aufschließen kannst, darum verliere mir nichts, und wehre auch nicht solchen Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, sondern lerne mit Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den Geist geboren wird; — wenn er erst in Dich eingefleischt ist, dann wirst Du Dich der Begeisterung freuen, wie der Tänzer sich der Musik freut.
arnimb_goethe01_1835
553
Mit ſolchen wunderbaren Lehren hat die Günderode die Unmündigkeit meines Geiſtes genährt.
Mit solchen wunderbaren Lehren hat die Günderode die Unmündigkeit meines Geistes genährt.
arnimb_goethe01_1835
554
Ich war damals bei der Großmutter in Offenbach, um auf vier Wochen wegen meiner ſchwankenden Geſundheit die Landluft zu genießen; auf welche Weiſe berührten mich denn ſolche Briefe?
Ich war damals bei der Großmutter in Offenbach, um auf vier Wochen wegen meiner schwankenden Gesundheit die Landluft zu genießen; auf welche Weise berührten mich denn solche Briefe?
arnimb_goethe01_1835
555
— verſtand ich ihren Inhalt?
— Verstand ich ihren Inhalt?
arnimb_goethe01_1835
556
— hatte ich einen Begriff von dem, was ich geſchrieben hatte?
— Hatte ich einen Begriff von dem, was ich geschrieben hatte?
arnimb_goethe01_1835
557
Nein; ich wußte mir ſo wenig den Text meiner ſchriftlichen Begeiſtrungen auszulegen, als ſich der Componiſt den Text ſeiner Erfindungen begreiflich machen kann; er wirft ſich in ein Element, was höher iſt als er; es trägt ihn, es nährt ihn, ſeine Nahrung wird Inſpiration, ſie reizt, ſie beglückt, ohne daß man ſie ſinnlich auszulegen vermöchte, obſchon die Fähigkeiten durch ſie geſteigert, der Geiſt gereinigt, die Seele gerührt wird.
Nein; ich wusste mir so wenig den Text meiner schriftlichen Begeistrungen auszulegen, als sich der Komponist den Text seiner Erfindungen begreiflich machen kann; er wirft sich in ein Element, was höher ist als er; es trägt ihn, es nährt ihn, seine Nahrung wird Inspiration, sie reizt, sie beglückt, ohne dass man sie sinnlich auszulegen vermöchte, obschon die Fähigkeiten durch sie gesteigert, der Geist gereinigt, die Seele gerührt wird.
arnimb_goethe01_1835
558
So war es auch zwiſchen mir und der Freundin: die Melodieen entſtrömten meiner gereizten Phantaſie, ſie lauſchte und fühlte unendlichen Genuß dabei, und bewahrte, was, wenn es mir geblieben wär’, nur ſtörend auf mich gewirkt haben würde; — ſie nannte mich oft die Sibylle, die ihre Weiſſagungen nicht bewahren dürfe; ihre Aufforderungen reizten mich, und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geiſt war kühn und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein wahres Ringen in mir; — ich wollte ſchreiben, ich ſah in ein unermeßliches Dunkel, ich mußte mich auch äußerlich vom Licht entfernen; am liebſten war mir, wenn ich die Fenſter verhing und doch durch ſah, daß draußen die Sonne ſchien; ein Blumenſtrauß, deſſen Farben ſich durch die Dämmerung ſtahlen, der konnte mich feſſeln und von der innern Angſt befreien, ſo daß ich mich vergaß, während ich in die ſchattigflammenden Blumenkelche ſah, und Duft und Farbe und Formen gleichſam ein Ganzes bildeten;
So war es auch zwischen mir und der Freundin: Die Melodien entströmten meiner gereizten Phantasie, sie lauschte und fühlte unendlichen Genuss dabei, und bewahrte, was, wenn es mir geblieben wäre, nur störend auf mich gewirkt haben würde; — sie nannte mich oft die Sibylle, die ihre Weissagungen nicht bewahren dürfe; ihre Aufforderungen reizten mich, und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geist war kühn und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein wahres Ringen in mir; — ich wollte schreiben, ich sah in ein unermessliches Dunkel, ich musste mich auch äußerlich vom Licht entfernen; am liebsten war mir, wenn ich die Fenster verhing und doch durchsah, dass draußen die Sonne schien; ein Blumenstrauß, dessen Farben sich durch die Dämmerung stahlen, der konnte mich fesseln und von der inneren Angst befreien, so dass ich mich vergaß, während ich in die schattigflammenden Blumenkelche sah, und Duft und Farbe und Formen gleichsam ein Ganzes bildeten;
arnimb_goethe01_1835
559
Wahrheiten hab’ ich da erfahren, von denen ich ausging in meinen Träumereien und die mir plötzlich den gebundnen Geiſt löſten, daß ich ruhig und gelaſſen das, was mir ahndete, faſſen und ausſprechen konnte; — indem ich den Blumenſtrauß der nur durch eine Spalte im Fenſterladen erleuchtet war betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das Übermächtige der Schönheit; die Farbe war ſelbſt ein Geiſt, der mich anredete wie der Duft und die Form der Blumen; — das erſte, was ich durch ſie vernahm, war, daß alles in den Naturgebilden durch das Göttliche erzeugt ſei, daß Schönheit der göttliche Geiſt ſei, im Mutterſchoos der Natur erzeugt; daß die Schönheit größer ſei wie der Menſch, daß aber die Erkenntniß allein die Schönheit des freien Menſchengeiſtes ſei, die höher iſt als alle leibliche Schönheit.
Wahrheiten habe ich da erfahren, von denen ich ausging in meinen Träumereien und die mir plötzlich den gebundenen Geist lösten, dass ich ruhig und gelassen das, was mir ahndete, fassen und aussprechen konnte; — indem ich den Blumenstrauß der nur durch eine Spalte im Fensterladen erleuchtet war betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das Übermächtige der Schönheit; die Farbe war selbst ein Geist, der mich anredete wie der Duft und die Form der Blumen; — das erste, was ich durch sie vernahm, war, dass alles in den Naturgebilden durch das Göttliche erzeugt sei, dass Schönheit der göttliche Geist sei, im Mutterschoß der Natur erzeugt; dass die Schönheit größer sei wie der Mensch, dass aber die Erkenntnis allein die Schönheit des freien Menschengeistes sei, die höher ist als alle leibliche Schönheit.
arnimb_goethe01_1835
560
— O ich brauchte mich hier nur in den Brunnen nieder zu laſſen, ſo könnte ich vielleicht wieder ſagen, alles was ich durch die Geſpräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft des Blumenſtraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr ſagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt; ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für Wahnſinn und Unſinn geachtet; — warum ſoll ich’s aber hier verhehlen?
— O ich brauchte mich hier nur in den Brunnen niederzulassen, so könnte ich vielleicht wieder sagen, alles was ich durch die Gespräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft des Blumenstraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr sagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt; ich müsste fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für Wahnsinn und Unsinn geachtet; — warum soll ich es aber hier verhehlen?
arnimb_goethe01_1835
561
Der’s leſen wird, dem wird es einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des Lichts beobachtet, wie ſie durch Farbe und zufällige oder beſondere Formen neue Erſcheinungen bildeten.
Der es lesen wird, dem wird es einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des Lichts beobachtet, wie sie durch Farbe und zufällige oder besondere Formen neue Erscheinungen bildeten.
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— So war’s in meiner Seele damals, ſo iſt es auch jetzt.
— So war es in meiner Seele damals, so ist es auch jetzt.
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Das große und ſcharfe Auge des Geiſtes war vom innern Lichtſtrahl gefangen genommen, es mußte ihn einſaugen, ohne ſich durch ſelbſtiſche Reflexion davon ablöſen zu können; der Freund weiß ja, was dieſes gebannt-ſein im Blick auf einen Lichtſtrahl — Farbengeiſt für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der Schein hier kein Schein iſt, ſondern Wahrheit.
Das große und scharfe Auge des Geistes war vom inneren Lichtstrahl gefangen genommen, es musste ihn einsaugen, ohne sich durch selbstische Reflexion davon ablösen zu können; der Freund weiß ja, was dieses Gebanntsein im Blick auf einen Lichtstrahl — Farbengeist für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, dass der Schein hier kein Schein ist, sondern Wahrheit.
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Trat ich aus dieſer innern Anſchauung hervor, ſo war ich geblendet; ich ſah Träume, ich ging ihren Verhältniſſen nach, das machte im gewöhnlichen Leben keinen Unterſchied; in dies paßte ich ohne Anſtoß, weil ich mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu ſag’ ich es meinem Herrn, der den Seegen hier über ſein Kind ſprechen möge: ich hatte eine innre Welt und geheime Fähigkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge ſah deutlich große Erſcheinungen, ſo wie ich es zu machte; — ich ſah die Himmelskugel, ſie drehte ſich vor mir in unermeßlicher Größe um, ſo daß ich ihre Grenze nicht ſah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir vorüber, die Sterne tanzten in reinen geiſtigen Figuren, die ich als Geiſt begriff; es ſtellten ſich Monumente auf von Säulen und Geſtalten, hinter denen die Sterne wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer von Farben; es blühten Blumen auf, ſie wuchſen empor bis in die Höhe; ferne goldne Schatten deckten ſie vor einem höheren weißen Licht, und ſo zog in dieſer Innenwelt eine Erſcheinung nach der anderen herauf; dabei fühlten meine Ohren ein feines ſilbernes Klingen, allmählig wurde es ein Schall, der größer war und gewaltiger, je länger ich ihm lauſchte, ich freute mich, denn es ſtärkte mich, es ſtärkte meinen Geiſt, dieſen großen Ton in meinem Gehör zu herbergen; öffnete ich die Augen, ſo war alles nichts, ſo war alles ruhig, und ich empfand keine Störung, nur konnte ich die ſogenannte wirkliche Welt, in der die andern Menſchen ſich auch zu befinden behaupten, nicht mehr von dieſer Traumoder Phantaſiewelt unterſcheiden; ich wußte nicht, welche Wachen oder Schlafen war, ja zuletzt glaubte ich immer mehr, daß ich das gewöhnliche Leben nur träume, und ich muß es noch heut unentſchieden laſſen, und werde nach Jahren noch daran zweifeln; dieſes Schweben und Fliegen war mir gar zu gewiß; ich war innerlich ſtolz darauf und freute mich dieſes Bewußtſeins; ein einziger elaſtiſcher Druck mit der Spitze der Fußzehen — und ich war in Lüften; ich ſchwebte leiſe und anmuthig zwei, drei Fuß über der Erde, aber ich berührte ſie gleich wieder, und flog wieder auf, — und ſchwebte auf die Seite, von da wieder zurück; ſo tanzte ich im Garten im Mondſchein hin und her, zu meinem unausſprechlichen Vergnügen; ich ſchwebte über die Treppen herab oder herauf, zuweilen hob’ ich mich zur Höhe der niederen Baumäſte, und ſchwirrte zwiſchen den Zweigen dahin;
Trat ich aus dieser inneren Anschauung hervor, so war ich geblendet; ich sah Träume, ich ging ihren Verhältnissen nach, das machte im gewöhnlichen Leben keinen Unterschied; in dies passte ich ohne Anstoß, weil ich mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu sage ich es meinem Herrn, der den Segen hier über sein Kind sprechen möge: Ich hatte eine innere Welt und geheime Fähigkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge sah deutlich große Erscheinungen, so wie ich es zumachte; — ich sah die Himmelskugel, sie drehte sich vor mir in unermesslicher Größe um, so dass ich ihre Grenze nicht sah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir vorüber, die Sterne tanzten in reinen geistigen Figuren, die ich als Geist begriff; es stellten sich Monumente auf von Säulen und Gestalten, hinter denen die Sterne wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer von Farben; es blühten Blumen auf, sie wuchsen empor bis in die Höhe; ferne goldene Schatten deckten sie vor einem höheren weißen Licht, und so zog in dieser Innenwelt eine Erscheinung nach der anderen herauf; dabei fühlten meine Ohren ein feines silbernes Klingen, allmählich wurde es ein Schall, der größer war und gewaltiger, je länger ich ihm lauschte, ich freute mich, denn es stärkte mich, es stärkte meinen Geist, diesen großen Ton in meinem Gehör zu beherbergen; öffnete ich die Augen, so war alles nichts, so war alles ruhig, und ich empfand keine Störung, nur konnte ich die sogenannte wirkliche Welt, in der die anderen Menschen sich auch zu befinden behaupten, nicht mehr von dieser Traumoder Phantasiewelt unterscheiden; ich wusste nicht, welche Wachen oder Schlafen war, ja zuletzt glaubte ich immer mehr, dass ich das gewöhnliche Leben nur träume, und ich muss es noch heute unentschieden lassen, und werde nach Jahren noch daran zweifeln; dieses Schweben und Fliegen war mir gar zu gewiss; ich war innerlich stolz darauf und freute mich dieses Bewusstseins; ein einziger elastischer Druck mit der Spitze der Fußzehen — und ich war in Lüften; ich schwebte leise und anmutig zwei, drei Fuß über der Erde, aber ich berührte sie gleich wieder, und flog wieder auf, — und schwebte auf die Seite, von da wieder zurück; so tanzte ich im Garten im Mondschein hin und her, zu meinem unaussprechlichen Vergnügen; ich schwebte über die Treppen herab oder herauf, zuweilen hob ich mich zur Höhe der niederen Baumäste, und schwirrte zwischen den Zweigen dahin;
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Morgens erwachte ich in meinem Bett mit dem Bewußtſein, daß ich fliegen könne, am Tag aber vergaß ich’s.
Morgens erwachte ich in meinem Bett mit dem Bewusstsein, dass ich fliegen könne, am Tag aber vergaß ich es.
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567
— Ich ſchrieb an die Günderode ich weiß nicht was, ſie kam heraus nach Offenbach, ſah mich zweifelhaft an, that befremdende Fragen über mein Befinden, ich ſah im Spiegel: ſchwärzer waren die Augen wie je, die Züge hatten ſich unendlich verfeinert, die Naſe ſo ſchmal und fein, der Mund geſchwungen, eine äußerſt weiße Farbe; ich freute mich, und ſah mit Genuß meine Geſtalt, die Günderode ſagte, ich ſollte nicht ſo lang’ mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die Stadt; da waren wenig Tage verfloſſen, ſo hatte ich das Fieber; ich legte mich zu Bett und ſchlief, und weiß auch nichts, als daß ich nur ſchlief: endlich erwachte ich und es war am 14ten Tag, nach dem ich mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnete, ſah ich ihre ſchwanke Geſtalt im Zimmer auf- und abgehen und die Hände ringen; aber Günderode, ſagt ich, warum weinſt Du?
— Ich schrieb an die Günderode ich weiß nicht was, sie kam heraus nach Offenbach, sah mich zweifelhaft an, tat befremdende Fragen über mein Befinden, ich sah im Spiegel: schwärzer waren die Augen wie je, die Züge hatten sich unendlich verfeinert, die Nase so schmal und fein, der Mund geschwungen, eine äußerst weiße Farbe; ich freute mich, und sah mit Genuss meine Gestalt, die Günderode sagte, ich sollte nicht so lang mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die Stadt; da waren wenig Tage verflossen, so hatte ich das Fieber; ich legte mich zu Bett und schlief, und weiß auch nichts, als dass ich nur schlief: endlich erwachte ich und es war am 14ten Tag, nachdem ich mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnete, sah ich ihre schwanke Gestalt im Zimmer auf- und abgehen und die Hände ringen; aber Günderode, sagt ich, warum weinst Du?
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Gott ſei ewig gelobt, ſagte ſie, und kam an mein Bett’, biſt Du endlich wieder wach, biſt Du endlich wieder in’s Bewußtſein gekommen?
Gott sei ewig gelobt, sagte sie, und kam an mein Bett, bist Du endlich wieder wach, bist Du endlich wieder ins Bewusstsein gekommen?
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569
— Von der Zeit an wollte ſie mich nichts Philoſophiſches leſen laſſen, und auch keine Aufſätze ſollte ich mehr machen; ſie war feſt überzeugt, meine Krankheit ſei davon hergekommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Geſtalt, die Bläſſe, die von meiner Krankheit zurückgeblieben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erſchienen mir ſehr bedeutend, die großgewordenen Augen herrſchten, und die anderen Geſichtstheile verhielten ſich geiſtig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin ſchon die erſten Spuren einer Verklärung ſich zeigten.
— Von der Zeit an wollte sie mich nichts Philosophisches lesen lassen, und auch keine Aufsätze sollte ich mehr machen; sie war fest überzeugt, meine Krankheit sei davon hergekommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Gestalt, die Blässe, die von meiner Krankheit zurückgeblieben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erschienen mir sehr bedeutend, die groß geworden Augen herrschten, und die anderen Gesichtsteile verhielten sich geistig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin schon die ersten Spuren einer Verklärung sich zeigten.
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Hier hab’ ich abgebrochen, und hab’ viele Tage nicht geſchrieben; es ſtieg ſo ernſt und ſchwer herauf, der Schmerz ließ ſich nicht vom Denken bemeiſtern; ich bin noch jung, ich kann’s nicht durchſetzen, das ungeheure.
Hier habe ich abgebrochen, und habe viele Tage nicht geschrieben; es stieg so ernst und schwer herauf, der Schmerz ließ sich nicht vom Denken bemeistern; ich bin noch jung, ich kann es nicht durchsetzen, das Ungeheure.
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571
Unterdeſſen hat man den Herbſt eingethan, der Moſt wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Jubelgeſang die Berge herabgefahren und getragen, und ſie gingen mit der Schalmei voron und tanzten.
Unterdessen hat man den Herbst eingetan, der Most wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Jubelgesang die Berge herabgefahren und getragen, und sie gingen mit der Schalmei voran und tanzten.
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572
O Du!
O Du!
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573
— der Du dieſes lieſt, Du haſt keinen Mantel ſo weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen.
— der Du dieses liest, Du hast keinen Mantel so weich, um die verwundete Seele drin einzuhüllen.
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574
Was biſt Du mir ſchuldig?
Was bist Du mir schuldig?
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575
— Dem ich Opfer bringe wie dies, daß ich Dich die Hand in die Wunden legen laſſe.
— Dem ich Opfer bringe wie dies, dass ich Dich die Hand in die Wunden legen lasse.
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576
— Wie kannſt Du mir vergelten?
— Wie kannst Du mir vergelten?
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577
— Du wirſt mir nimmer vergelten;
— Du wirst mir nimmer vergelten;
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578
Du wirſt mich nicht locken und an Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe habe, wirſt Du mich nicht herbergen, und der Sehnſucht wirſt Du keine Linderung gewähren; ich weiß es ſchon im Voraus, ich werd’ allein ſein mit mir ſelber, wie ich heut’ allein ſtand am Ufer bei den düſtern Weiden, wo die Todesſchauer noch wehen über dem Platz, da kein Gras mehr wächſt; dort hat ſie den ſchönen Leib verwundet, grad’ an der Stelle, wo ſie’s gelernt hatte, daß man da das Herz am ſicherſten trifft;
Du wirst mich nicht locken und an Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe habe, wirst Du mich nicht herbergen, und der Sehnsucht wirst Du keine Linderung gewähren; ich weiß es schon im Voraus, ich werde allein sein mit mir selber, wie ich heute allein stand am Ufer bei den düstern Weiden, wo die Todesschauer noch wehen über dem Platz, da kein Gras mehr wächst; dort hat sie den schönen Leib verwundet, gerade an der Stelle, wo sie es gelernt hatte, dass man da das Herz am sichersten trifft;
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579
O Jeſus Maria!
O Jesus Maria!
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581
Du!
Du!
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mein Herr!
mein Herr!
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583
— Du!
— Du!
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584
— flammender Genius über mir!
— Flammender Genius über mir!
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585
ich hab’ geweint; nicht über ſie, die ich verloren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte mich umgab; die mich ſchützte, die mich begeiſterte, die mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute; ich hab’ geweint um mich, mit mir; hart muß ich werden wie Stahl, gegen mich, gegen das eigne Herz; ich darf es nicht beklagen, daß ich nicht geliebt werde, ich muß ſtreng ſein gegen dies leidenſchaftliche Herz; es hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; — Du biſt mild, und lächelſt mir, und deine kühle Hand mildert die Gluth meiner Wangen, das ſoll mir genügen.
Ich habe geweint; nicht über sie, die ich verloren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte mich umgab; die mich schützte, die mich begeisterte, die mir die Höhe meiner eigenen Natur als Ziel vertraute; ich habe geweint um mich, mit mir; hart muss ich werden wie Stahl, gegen mich, gegen das eigene Herz; ich darf es nicht beklagen, dass ich nicht geliebt werde, ich muss streng sein gegen dies leidenschaftliche Herz; es hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; — Du bist mild, und lächelst mir, und Deine kühle Hand mildert die Glut meiner Wangen, das soll mir genügen.
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586
Geſtern waren wir in Laubbekränzten Nachen den Rhein hinab gefahren, um die hundertfältige Feier des Weinfeſtes an beiden Bergufern mit anzuſehen; auf unſerem Schiff waren luſtige Leute, ſie ſchrieben Weinbegeiſterte Lieder und Sprüche, ſteckten ſie in die geleerten Flaſchen, und ließen dieſe unter währendem Schießen den Rhein hinabſchimmen; auf allen Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei einbrechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem Mäuſethurm, mitten im ſtolzen Rhein, ragten zwei mächtige Tannen empor, ihre flammenden durchbrannten Aeſte fielen herab in die ziſchende Fluth, von allen Seiten donnerten ſie und warfen Raketen, und ſchöne Sträußer von Leuchtkugeln ſtiegen jungfräulich in die Lüfte, und auf den Nachen ſang man Lieder, und im Vorbeifahren warf man ſich Kränze zu und Trauben; da wir nach hauſe kamen, ſo war’s ſpät, aber der Mond leuchtete hell; ich ſah zum Fenſter hinaus, und hörte noch jenſeits das Toben und Jauchzen der Heimkehrenden, und dieſſeits nach der Seite, wo ſie todt am Ufer gelegen hatte, war alles ſtill, ich dacht’, da iſt keiner mehr der nach ihr frägt, und ich ging hin, nicht ohne Grauſen, nein mir war bang, wie ich von weitem die Nebel über den Weidenbüſchen wogen ſah, da wär’ ich bald wieder umgekehrt, es war mir, als ſei ſie es ſelbſt, die da ſchwebte und wogte, und ſich ausdehnte; ich ging hin, aber ich betete unterwegs, daß mich Gott doch ſchützen möge; — ſchützen?
Gestern waren wir in Laubbekränzten Nachen den Rhein hinabgefahren, um die hundertfältige Feier des Weinfestes an beiden Bergufern mitanzusehen; auf unserem Schiff waren lustige Leute, sie schrieben Weinbegeisterte Lieder und Sprüche, steckten sie in die geleerten Flaschen, und ließen diese unter währendem Schießen den Rhein hinabschwimmen; auf allen Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei einbrechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem Mäuseturm, mitten im stolzen Rhein, ragten zwei mächtige Tannen empor, ihre flammenden durchbrannten Äste fielen herab in die zischende Flut, von allen Seiten donnerten sie und warfen Raketen, und schöne Sträuße von Leuchtkugeln stiegen jungfräulich in die Lüfte, und auf den Nachen sang man Lieder, und im Vorbeifahren warf man sich Kränze zu und Trauben; da wir nach Hause kamen, so war es spät, aber der Mond leuchtete hell; ich sah zum Fenster hinaus, und hörte noch jenseits das Toben und Jauchzen der Heimkehrenden, und diesseits nach der Seite, wo sie tot am Ufer gelegen hatte, war alles still, ich dachte, da ist keiner mehr der nach ihr fragt, und ich ging hin, nicht ohne Grausen, nein mir war bang, wie ich von weitem die Nebel über den Weidenbüschen wogen sah, da wäre ich bald wieder umgekehrt, es war mir, als sei sie es selbst, die da schwebte und wogte, und sich ausdehnte; ich ging hin, aber ich betete unterwegs, dass mich Gott doch schützen möge; — schützen?
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587
— vor was?
— Vor was?
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588
vor einem Geiſt, deſſen Herz voll liebendem Willen geweſen war gegen mich im Leben; und nun er des irdiſchen Leib’s entledigt iſt, ſoll ich ihn fürchtend fliehen?
Vor einem Geist, dessen Herz voll liebendem Willen gewesen war gegen mich im Leben; und nun er des irdischen Leibs entledigt ist, soll ich ihn fürchtend fliehen?
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589
— Ach ſie hat vielleicht einen beſſren Theil ihres geiſtigen Vermögens auf mich vererbt ſeit ihrem Tod.
— Ach sie hat vielleicht einen besseren Teil ihres geistigen Vermögens auf mich vererbt seit ihrem Tod.
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590
Vererben doch die Vorältern auf ihre Nachkommen, warum nicht die Freunde?
Vererben doch die Voreltern auf ihre Nachkommen, warum nicht die Freunde?
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591
— Ich weiß nicht, wie weh’ mir iſt!
— Ich weiß nicht, wie weh mir ist!
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592
— ſie, die freundlich klare hat meinen Geiſt vielleicht beſchenkt.
— sie, die freundlich Klare hat meinen Geist vielleicht beschenkt.
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593
Wie ich von ihrem Grab zurück kam, da fand ich Leute, die nach ihrer Kuh ſuchten, die ſich verlaufen hatte, ich ging mit ihnen; ſie ahndeten gleich, daß ich von dort her kam, ſie wußten viel von der Günderode zu erzählen, die oft freundlich bei ihnen eingeſprochen und ihnen Almoſen gegeben hatte; ſie ſagten, ſo oft ſie dort vorbeigehen, beten ſie ein Vater unſer; ich hab’ auch dort gebetet zu und um ihre Seele, und hab’ mich vom Mondlicht rein waſchen laſſen, und hab’ es ihr laut geſagt, daß ich mich nach ihr ſehne, nach jenen Stunden, in denen wir Gefühl und Gedanken harmlos gegen einander austauſchten.
Wie ich von ihrem Grab zurückkam, da fand ich Leute, die nach ihrer Kuh suchten, die sich verlaufen hatte, ich ging mit ihnen; sie ahndeten gleich, dass ich von dort her kam, sie wussten viel von der Günderode zu erzählen, die oft freundlich bei ihnen eingesprochen und ihnen Almosen gegeben hatte; sie sagten, sooft sie dort vorbeigehen, beten sie ein Vaterunser; ich habe auch dort gebetet zu und um ihre Seele, und habe mich vom Mondlicht reinwaschen lassen, und habe es ihr laut gesagt, dass ich mich nach ihr sehne, nach jenen Stunden, in denen wir Gefühl und Gedanken harmlos gegeneinander austauschten.
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594
Sie erzählte mir wenig von ihren ſonſtigen Angelegenheiten, ich wußte nicht, in welchen Verbindungen ſie noch außer mir war; ſie hatte mir zwar von Daub in Heidelberg geſprochen und auch von Kreuzer, aber ich wußte von keinem, ob er ihr lieber ſei als der andre; einmal hatte ich von andern davon gehört, ich glaubte es nicht, einmal kam ſie mir freudig entgegen und ſagte:
Sie erzählte mir wenig von ihren sonstigen Angelegenheiten, ich wusste nicht, in welchen Verbindungen sie noch außer mir war; sie hatte mir zwar von Daub in Heidelberg gesprochen und auch von Kreuzer, aber ich wusste von keinem, ob er ihr lieber sei als der andere; einmal hatte ich von anderen davon gehört, ich glaubte es nicht, einmal kam sie mir freudig entgegen und sagte:
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595
Geſtern hab’ ich einen Chirurg geſprochen, der hat mir geſagt, daß es ſehr leicht iſt, ſich umzubringen, ſie öffnete haſtig ihr Kleid, und zeigte mir unter der ſchönen Bruſt den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich ſtarrte ſie an, es ward mir zum erſtenmal unheimlich, ich fragte: nun!
Gestern habe ich einen Chirurg gesprochen, der hat mir gesagt, dass es sehr leicht ist, sich umzubringen, sie öffnete hastig ihr Kleid, und zeigte mir unter der schönen Brust den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich starrte sie an, es wurde mir zum ersten Mal unheimlich, ich fragte: nun!
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— und was ſoll ich denn thun, wenn Du todt biſt?
— und was soll ich denn tun, wenn Du tot bist?
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597
— O, ſagte ſie, dann iſt Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin ſind wir nicht mehr ſo eng verbunden, ich werd’ mich erſt mit Dir entzweien; — ich wendete mich nach dem Fenſter, um meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu verbergen, ſie hatte ſich nach dem andern Fenſter gewendet und ſchwieg; — ich ſah ſie von der Seite an, ihr Aug’ war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob ſich ſein ganzes Feuer nach innen gewendet habe; — nachdem ich ſie eine Weile beobachtet hatte, konnt’ ich mich nicht mehr faſſen, — ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und riß ſie nieder auf den Sitz und ſetzte mich auf ihre Knie, und weinte viel Thränen und küßte ſie zum erſtenmal an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf und küßte ſie an die Stelle, wo ſie gelernt hatte das Herz treffen; und ich bat mit ſchmerzlichen Thränen, daß ſie ſich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den Hals; und küßte ihre Hände, die waren kalt und zitterten, und ihre Lippen zuckten, und ſie war ganz kalt und ſtarr und todtenblaß, und konnte die Stimme nicht erheben; ſie ſagte leiſe:
— O, sagte sie, dann ist Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin sind wir nicht mehr so eng verbunden, ich werde mich erst mit Dir entzweien; — Ich wendete mich nach dem Fenster, um meine Tränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu verbergen, sie hatte sich nach dem anderen Fenster gewendet und schwieg; — ich sah sie von der Seite an, ihr Auge war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob sich sein ganzes Feuer nach innen gewendet habe; — nachdem ich sie eine Weile beobachtet hatte, konnte ich mich nicht mehr fassen, — ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und riss sie nieder auf den Sitz und setzte mich auf ihre Knie, und weinte viel Tränen und küsste sie zum ersten Mal an ihren Mund, und riss ihr das Kleid auf und küsste sie an die Stelle, wo sie gelernt hatte das Herz treffen; und ich bat mit schmerzlichen Tränen, dass sie sich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den Hals; und küsste ihre Hände, die waren kalt und zitterten, und ihre Lippen zuckten, und sie war ganz kalt und starr und totenblass, und konnte die Stimme nicht erheben; sie sagte leise:
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Bettine, brich mir das Herz nicht; — ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte ihr nicht weh thun; ich lächelte und weinte, und ſchluchzte laut, ihr ſchien immer banger zu werden, ſie legte ſich auf’s Sopha; da wollt’ ich ſcherzen und wollt’ ihr beweiſen, daß ich alles für Scherz nehme; da ſprachen wir von ihrem Teſtament; ſie vermachte einen jeden etwas; mir vermachte ſie einen kleinen Apoll unter einer Glasglocke, dem ſie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich ſchrieb alles auf; im nach Hauſe gehen machte ich mir Vorwürfe, daß ich ſo aufgeregt geweſen war; ich fühlte, daß es doch nur Scherz geweſen war, oder auch Phantaſie die in ein Reich gehört, welches nicht in der Wirklichkeit ſeine Wahrheit behauptet; ich fühlte, daß ich unrecht gehabt hatte und nicht ſie, die ja oft auf dieſe Weiſe mit mir geſprochen hatte.
Bettine, brich mir das Herz nicht; — ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte ihr nicht wehtun; ich lächelte und weinte, und schluchzte laut, ihr schien immer banger zu werden, sie legte sich aufs Sofa; da wollte ich scherzen und wollte ihr beweisen, dass ich alles für Scherz nehme; da sprachen wir von ihrem Testament; sie vermachte einen jeden etwas; mir vermachte sie einen kleinen Apoll unter einer Glasglocke, dem sie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich schrieb alles auf; im Nachhausegehen machte ich mir Vorwürfe, dass ich so aufgeregt gewesen war; ich fühlte, dass es doch nur Scherz gewesen war, oder auch Phantasie die in ein Reich gehört, welches nicht in der Wirklichkeit seine Wahrheit behauptet; ich fühlte, dass ich Unrecht gehabt hatte und nicht sie, die ja oft auf diese Weise mit mir gesprochen hatte.
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599
Am andern Tag führte ich ihr einen jungen franzöſiſchen Huſaren-Offizier zu mit hoher Bärenmütze; es war der Wilhelm von Türkheim, der ſchönſte aller Jünglinge, das wahre Kind voll Anmuth und Scherz; er war unvermuthet angekommen; ich ſagte: da hab’ ich Dir einen Liebhaber gebracht, der ſoll Dir das Leben wieder lieb machen.
Am anderen Tag führte ich ihr einen jungen französischen Husarenoffizier zu mit hoher Bärenmütze; es war der Wilhelm von Türkheim, der schönste aller Jünglinge, das wahre Kind voll Anmut und Scherz; er war unvermutet angekommen; ich sagte: da habe ich Dir einen Liebhaber gebracht, der soll Dir das Leben wieder lieb machen.
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600
Er vertrieb uns allen die Melancholie; wir ſcherzten und machten Verſe, und da der ſchöne Wilhelm die ſchönſten gemacht zu haben behauptete, ſo wollte die Günderode, ich ſolle ihm den Lorbeerkranz ſchenken; ich wollte mein Erbtheil nicht geſchmälert wiſſen.
Er vertrieb uns allen die Melancholie; wir scherzten und machten Verse, und da der schöne Wilhelm die schönsten gemacht zu haben behauptete, so wollte die Günderode, ich solle ihm den Lorbeerkranz schenken; ich wollte mein Erbteil nicht geschmälert wissen.
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601
Doch mußt’ ich ihm endlich die Hälfte des Kranzes laſſen; ſo hab’ ich denn nur die eine Hälfte.
Doch musste ich ihm endlich die Hälfte des Kranzes lassen; so habe ich denn nur die eine Hälfte.
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602
Einmal kam ich zu ihr, da zeigte ſie mir einen Dolch, mit ſilbernem Griff; den ſie auf der Meſſe gekauft hatte, ſie freute ſich über den ſchönen Stahl und über ſeine Schärfe; ich nahm das Meſſer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, ſie erſchrack, ich ſagte:
Einmal kam ich zu ihr, da zeigte sie mir einen Dolch, mit silbernem Griff; den sie auf der Messe gekauft hatte, sie freute sich über den schönen Stahl und über seine Schärfe; ich nahm das Messer in die Hand und probte es am Finger, da floss gleich Blut, sie erschrak, ich sagte:
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603
O Günderode, Du biſt ſo zaghaft und kannſt kein Blut ſehen, und geheſt immer mit einer Idee um, die den höchſten Muth vorausſetzt, ich hab’ doch noch das Bewußtſein, daß ich eher vermögend wär’, etwas zu wagen, obſchon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu hab’ ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Meſſer auf Dich eindringe — ſiehſt Du wie Du Dich fürchteſt?
O Günderode, Du bist so zaghaft und kannst kein Blut sehen, und gehest immer mit einer Idee um, die den höchsten Mut voraussetzt, ich habe doch noch das Bewusstsein, dass ich eher vermögend wäre, etwas zu wagen, obschon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu verteidigen, dazu habe ich Mut; und wenn ich jetzt mit dem Messer auf Dich eindringe — siehst Du wie Du Dich fürchtest?
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— ſie zog ſich ängſtlich zurück; der alte Zorn regte ſich wieder in mir, unter der Decke des glühendſten Muthwills; ich ging immer ernſtlicher auf ſie ein, ſie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Seſſel, um ſich zu ſichern; ich ſtach in den Seſſel, ich riß ihn mit vielen Stichen in Stücke, das Roßhaar flog hier und dahin in der Stube, ſie ſtand flehend hinter dem Seſſel und bat, ihr nichts zu thun; — ich ſagte: eh’ ich dulde, daß Du Dich umbringſt, thu’ ich’s lieber ſelbſt; mein armer Stuhl!
— sie zog sich ängstlich zurück; der alte Zorn regte sich wieder in mir, unter der Decke des glühendsten Mutwills; ich ging immer ernstlicher auf sie ein, sie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Sessel, um sich zu sichern; ich stach in den Sessel, ich riss ihn mit vielen Stichen in Stücke, das Rosshaar flog hier und dahin in der Stube, sie stand flehend hinter dem Sessel und bat, ihr nichts zu tun; — ich sagte: ehe ich dulde, dass Du Dich umbringst, tue ich es lieber selbst; mein armer Stuhl!
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605
rief ſie; ja was, Dein Stuhl, der ſoll den Dolch ſtumpf machen; ich gab ihm ohne Barmherzigkeit Stich auf Stich, das ganze Zimmer wurde eine Staubwolke; ſo warf ich den Dolch weit in die Stube, daß er praſſelnd unter das Sopha fuhr; ich nahm ſie bei der Hand und führte ſie in den Garten, in die Weinlaube, ich riß die jungen Weinreben ab, und warf ſie ihr vor die Füße; ich trat drauf und ſagte:
rief sie; ja was, Dein Stuhl, der soll den Dolch stumpf machen; Ich gab ihm ohne Barmherzigkeit Stich auf Stich, das ganze Zimmer wurde eine Staubwolke; so warf ich den Dolch weit in die Stube, dass er prasselnd unter das Sofa fuhr; ich nahm sie bei der Hand und führte sie in den Garten, in die Weinlaube, ich riss die jungen Weinreben ab, und warf sie ihr vor die Füße; ich trat darauf und sagte:
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So mißhandelſt Du unſre Freundſchaft.
So misshandelst Du unsere Freundschaft.
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— Ich zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen, und daß wir wie jene, ſpielend aber treu gegen einander bisher zuſammen gelebt hätten; ich ſagte:
— Ich zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen, und dass wir wie jene, spielend aber treu gegeneinander bisher zusammengelebt hätten; Ich sagte:
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Du kannſt ſicher auf mich bauen, es iſt keine Stunde in der Nacht, die, wenn Du mir deinen Willen kund thuſt, mich nur einen Augenblick beſinnen machte; — komm vor mein Fenſter und pfeif’ um Mitternacht, und ich geh’ ohne Vorbereitung mit Dir um die Welt.
Du kannst sicher auf mich bauen, es ist keine Stunde in der Nacht, die, wenn Du mir Deinen Willen kund tust, mich nur einen Augenblick besinnen machte; — komme vor mein Fenster und pfeif um Mitternacht, und ich gehe ohne Vorbereitung mit Dir um die Welt.
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Und was ich für mich nicht wagte, das wag’ ich für Dich; — aber Du!
Und was ich für mich nicht wagte, das wage ich für Dich; — aber Du!
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— was berechtigt Dich, mich aufzugeben?
— Was berechtigt Dich, mich aufzugeben?
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— wie kannſt Du ſolche Treue verrathen; und verſprich mir, daß Du nicht mehr deine zaghafte Natur hinter ſo grauſenhafte praleriſche Ideen verſchanzen willſt; — ich ſah ſie an, ſie war beſchämt und ſenkte den Kopf, und ſah auf die Seite und war blaß; wir waren beide ſtill, lange Zeit.
— Wie kannst Du solche Treue verraten; und versprich mir, dass Du nicht mehr Deine zaghafte Natur hinter so grausenhafte prahlerische Ideen verschanzen willst; — Ich sah sie an, sie war beschämt und senkte den Kopf, und sah auf die Seite und war blass; wir waren beide still, lange Zeit.
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Günderode, ſagte ich, wenn es ernſt iſt, dann gieb mir ein Zeichen; — ſie nickte.
Günderode, sagte ich, wenn es ernst ist, dann gib mir ein Zeichen; — sie nickte.
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— Sie reiſte in’s Rheingau; von dort aus ſchrieb ſie mir ein paarmal, wenig Zeilen; — ich hab’ ſie verloren ſonſt würde ich ſie hier einſchalten.
— Sie reiste ins Rheingau; von dort aus schrieb sie mir ein paarmal, wenig Zeilen; — ich habe sie verloren sonst würde ich sie hier einschalten.
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Einmal ſchrieb ſie: iſt man allein am Rhein, ſo wird man ganz traurig, aber mit mehreren zuſammen, da ſind grade die ſchauerlichſten Plätze am Luſt aufreizendſten, mir aber iſt doch lieb, den weiten gedehnten Purpurhimmel am Abend allein zu begrüßen, da dichte ich im Wandlen an einem Mährchen, das will ich Dir vorleſen; ich bin jeden Abend begierig wie es weiter geht, es wird manchmal recht ſchaurig und dann taucht es wieder auf.
Einmal schrieb sie: ist man allein am Rhein, so wird man ganz traurig, aber mit mehreren zusammen, da sind gerade die schauerlichsten Plätze am Lustaufreizendsten, mir aber ist doch lieb, den weiten gedehnten Purpurhimmel am Abend allein zu begrüßen, da dichte ich im Wandeln an einem Märchen, das will ich Dir vorlesen; ich bin jeden Abend begierig wie es weiter geht, es wird manchmal recht schaurig und dann taucht es wieder auf.
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Da ſie wieder zurückkam und ich das Mährchen leſen wollte, ſagte ſie: es iſt ſo traurig geworden, daß ich’s nicht leſen kann; ich darf nichts mehr davon hören, ich kann es nicht mehr weiter ſchreiben: ich werde krank davon; und ſie legte ſich zu Bett; und blieb liegen mehrere Tage, der Dolch lag an ihrem Bett; ich achtete nicht darauf, die Nachtlampe ſtand dabei, ich kam herein;
Da sie wieder zurückkam und ich das Märchen lesen wollte, sagte sie: Es ist so traurig geworden, dass ich es nicht lesen kann; ich darf nichts mehr davon hören, ich kann es nicht mehr weiter schreiben: Ich werde krank davon; und sie legte sich zu Bett; und blieb liegen mehrere Tage, der Dolch lag an ihrem Bett; ich achtete nicht darauf, die Nachtlampe stand dabei, ich kam herein;
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Bettine, mir iſt vor drei Wochen eine Schweſter geſtorben; ſie war jünger als ich, Du haſt ſie nie geſehen; ſie ſtarb an der ſchnellen Auszehrung; — warum ſagſt Du mir dies heute erſt, fragte ich?
Bettine, mir ist vor drei Wochen eine Schwester gestorben; sie war jünger als ich, Du hast sie nie gesehen; sie starb an der schnellen Auszehrung; — warum sagst Du mir dies heute erst, fragte ich?
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— nun was könnte Dich dies intereſſieren?
— Nun was könnte Dich dies interessieren?
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Du haſt ſie nicht gekannt, ich muß ſo was allein tragen, ſagte ſie mit trocknen Augen.
Du hast sie nicht gekannt, ich muss so was allein tragen, sagte sie mit trocknen Augen.
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Mir war dies doch etwas ſonderbar, mir jungen Natur waren alle Geſchwiſter ſo lieb, daß ich glaubte, ich würde verzweifeln müſſen, wenn einer ſtürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelaſſen hätte; ſie fuhr fort: nun denk’: vor drei Nächten iſt mir dieſe Schweſter erſchienen; ich lag im Bett und die Nachtlampe brannte auf jenem Tiſch; ſie kam herein in weißem Gewand langſam, und blieb an dem Tiſch ſtehen; ſie wendete den Kopf nach mir und ſenkte ihn und ſah mich an; erſt war ich erſchrocken, aber bald war ich ganz ruhig, ich ſetzte mich im Bett auf, um mich zu überzeugen, daß ich nicht ſchlafe.
Mir war dies doch etwas sonderbar, mir jungen Natur waren alle Geschwister so lieb, dass ich glaubte, ich würde verzweifeln müssen, wenn einer stürbe, und dass ich mein Leben für jeden gelassen hätte; sie fuhr fort: Nun denke: Vor drei Nächten ist mir diese Schwester erschienen; ich lag im Bett und die Nachtlampe brannte auf jenem Tisch; sie kam herein in weißem Gewand langsam, und blieb an dem Tisch stehen; sie wendete den Kopf nach mir und senkte ihn und sah mich an; erst war ich erschrocken, aber bald war ich ganz ruhig, ich setzte mich im Bett auf, um mich zu überzeugen, dass ich nicht schlafe.
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Ich ſah ſie auch an und es war, als ob ſie etwas bejahend nickte; und ſie nahm dort den Dolch und hob’ ihn gen Himmel mit der rechten Hand, als ob ſie mir ihn zeigen wolle, und legte ihn wieder ſanft und klanglos nieder, und dann nahm ſie die Nachtlampe, und hob ſie auch in die Höhe, und zeigte ſie mir, und als ob ſie mir bezeichen wolle, daß ich ſie verſtehe, nickte ſie ſanft, führte die Lampe zu ihren Lippen und hauchte ſie aus; denk’ nur, ſagte ſie voll Schauder, ausgeblaſen; — und im Dunkel hatte mein Aug’ noch das Gefühl von ihrer Geſtalt; und da hat mich plötzlich eine Angſt befallen, die ärger ſein muß, als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär’ lieber geſtorben, als noch länger dieſe Angſt zu tragen.
Ich sah sie auch an und es war, als ob sie etwas bejahend nickte; und sie nahm dort den Dolch und hob ihn gen Himmel mit der rechten Hand, als ob sie mir ihn zeigen wolle, und legte ihn wieder sanft und klanglos nieder, und dann nahm sie die Nachtlampe, und hob sie auch in die Höhe, und zeigte sie mir, und als ob sie mir bezeichnen wolle, dass ich sie verstehe, nickte sie sanft, führte die Lampe zu ihren Lippen und hauchte sie aus; denke nur, sagte sie voll Schauder, ausgeblasen; — und im Dunkel hatte mein Auge noch das Gefühl von ihrer Gestalt; und da hat mich plötzlich eine Angst befallen, die ärger sein muss, als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wäre lieber gestorben, als noch länger diese Angst zu tragen.
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Ich war gekommen, um Abſchied zu nehmen, weil ich mit Savigny nach Marburg reiſen wollte, aber nun wollte ich bei ihr bleiben.
Ich war gekommen, um Abschied zu nehmen, weil ich mit Savigny nach Marburg reisen wollte, aber nun wollte ich bei ihr bleiben.
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Reiſe nur fort, ſagte ſie, denn ich reiſe auch übermorgen wieder in’s Rheingau; — ſo ging ich denn weg.
Reise nur fort, sagte sie, denn ich reise auch übermorgen wieder ins Rheingau; — so ging ich denn weg.