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arnimb_goethe01_1835
623
— Bettine, rief ſie mir in der Thür zu: behalt’ dieſe Geſchichte, ſie iſt doch merkwürdig!
— Bettine, rief sie mir in der Tür zu: behalte diese Geschichte, sie ist doch merkwürdig!
arnimb_goethe01_1835
624
Das waren ihre letzten Worte.
Das waren ihre letzten Worte.
arnimb_goethe01_1835
625
In Marburg ſchrieb ich ihr oft in’s Rheingau von meinem wunderlichen Leben; — ich wohnte einen ganzen Winter am Berg, dicht unter dem alten Schloß, der Garten war mit der Feſtungsmauer umgeben, aus den Fenſtern hatt’ ich eine weite Ausſicht über die Stadt und das reich bebaute Heſſenland; überall ragten die gothiſchen Thürme aus den Schneedecken hervor; aus meinem Schlafzimmer ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Feſtungsmauer, und ſtieg durch die verödeten Gärten; — wo ſich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach ich durch die Hecken, — da ſaß ich auf der Steintreppe, die Sonne ſchmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich ſuchte die Mooſe, und trug ſie mit ſammt der angefrornen Erde nach Haus; — ſo hatt’ ich an dreißig bis vierzig Moosarten geſammelt, die alle in meiner kalten Schlafkammer in erdnen Schüſſelchen auf Eis gelegt, mein Bett umblühten; ich ſchrieb ihr davon, ohne zu ſagen, was es ſei; ich ſchrieb in Verſen: mein Bett ſteht mitten im kalten Land, umgeben von viel Hainen, die blühen in allen Farben, und da ſind ſilberne Haine uralter Stämme, wie der Hain auf der Inſel Cypros; die Bäume ſtehen dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äſte; der Raaſen, aus dem ſie hervorwachſen, iſt roſenroth und blaßgrün; ich trug den ganzen Hain heut’ auf meiner erſtarrten Hand in mein kaltes Eisbettland; — da antwortet’ ſie wieder in Verſen: das ſind Mooſe ewiger Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber weiden, ob der Winterſchnee ſie decket, oder Frühling Blumen wecket; in dem Haine ſchallt es wieder, ſummen Mücken ihre Lieder; an der Silberbäume Wipfel hängen Tröpfchen Thau am Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Thaue ſpiegelt ſich die ganze Aue;
In Marburg schrieb ich ihr oft ins Rheingau von meinem wunderlichen Leben; — ich wohnte einen ganzen Winter am Berg, dicht unter dem alten Schloss, der Garten war mit der Festungsmauer umgeben, aus den Fenstern hatte ich eine weite Aussicht über die Stadt und das reich bebaute Hessenland; überall ragten die gotischen Türme aus den Schneedecken hervor; aus meinem Schlafzimmer ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Festungsmauer, und stieg durch die verödeten Gärten; — wo sich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach ich durch die Hecken, — da saß ich auf der Steintreppe, die Sonne schmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich suchte die Moose, und trug sie mitsamt der angefrorenen Erde nach Haus; — so hatte ich an dreißig bis vierzig Moosarten gesammelt, die alle in meiner kalten Schlafkammer in erdenen Schüsselchen auf Eis gelegt, mein Bett umblühten; ich schrieb ihr davon, ohne zu sagen, was es sei; ich schrieb in Versen: Mein Bett steht mitten im kalten Land, umgeben von viel Hainen, die blühen in allen Farben, und da sind silberne Haine uralter Stämme, wie der Hain auf der Insel Cypros; die Bäume stehen dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äste; der Rasen, aus dem sie hervorwachsen, ist rosenrot und blassgrün; ich trug den ganzen Hain heute auf meiner erstarrten Hand in mein kaltes Eisbettland; — da antwortete sie wieder in Versen: Das sind Moose ewiger Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber weiden, ob der Winterschnee sie deckt, oder Frühling Blumen weckt; in dem Haine schallt es wieder, summen Mücken ihre Lieder; an der Silberbäume Wipfel hängen Tröpfchen Tau am Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Taue spiegelt sich die ganze Aue;
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626
Du mußt andre Räthſel machen, will Dein Witz des meinen lachen!
Du musst andere Rätsel machen, will Dein Witz des meinen lachen!
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627
Nun waren wir in’s Räthſel geben und löſen gerathen; alle Augenblick hatt’ ich ein kleines Abentheuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt zu errathen gab; meiſtens löſte ſie es auf eine kindlichluſtige Weiſe auf.
Nun waren wir ins Rätsel geben und lösen geraten; alle Augenblick hatte ich ein kleines Abenteuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt zu erraten gab; meistens löste sie es auf eine kindlich-lustige Weise auf.
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628
Einmal hatte ich ihr ein Häschen, was mir auf wildem, einſamem Waldweg begegnet war, als einen zierlichen Ritter beſchrieben, ich nannte es la petite perfection und daß er mir mein Herz eingenommen habe; — ſie antwortete gleich: auf einem ſchönen grünen Raſen, da ließ ein Held zur Mahlzeit blaſen, da flüchteten ſich alle Haſen; ſo hoff’ ich wird ein Held einſt kommen, Dein Herz, von Haſen eingenommen, von dieſen Wichten zu befreien und ſeine Gluthen zu erneuen; — dies waren Anſpielungen auf kleine Liebesabentheuer.
Einmal hatte ich ihr ein Häschen, was mir auf wildem, einsamem Waldweg begegnet war, als einen zierlichen Ritter beschrieben, ich nannte es la petite perfection und dass er mir mein Herz eingenommen habe; — sie antwortete gleich: auf einem schönen grünen Rasen, da ließ ein Held zur Mahlzeit blasen, da flüchteten sich alle Hasen; so hoffe ich wird ein Held einst kommen, Dein Herz, von Hasen eingenommen, von diesen Wichten zu befreien und seine Gluten zu erneuen; — dies waren Anspielungen auf kleine Liebesabenteuer.
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629
— So verging ein Theil des Winters; ich war in einer ſehr glücklichen Geiſtesverfaſſung, andre würden ſie Überſpannung nennen, aber mir war ſie eigen.
— So verging ein Teil des Winters; ich war in einer sehr glücklichen Geistesverfassung, andere würden sie Überspannung nennen, aber mir war sie eigen.
arnimb_goethe01_1835
630
An der Feſtungsmauer, die den großen Garten umgab, war eine Thurmwarte, eine zerbrochne Leiter ſtand drinn; — dicht bei uns war eingebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht auf die Spur kommen, man glaubte, ſie verſteckten ſich auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Tag in Augenſchein genommen und erkannt’, daß es für einen ſtarken Mann unmöglich war, an dieſer morſchen, beinah ſtufenloſen himmelhohen Leiter hinaufzuklimmen; ich verſuchte es, gleitete aber wieder herunter, nachdem ich eine Strecke hinaufgekommen war; in der Nacht, nachdem ich ſchon eine Weile im Bett gelegen hatte und Meline ſchlief, ließ es mir keine Ruhe; ich warf ein Überkleid um, ſtieg zum Fenſter hinaus, und ging an dem alten Marburger Schloß vorbei, da guckte der Kurfürſt Philipp mit der Eliſabeth lachend zum Fenſter heraus; ich hatte dieſe Steingrupp’ die beide Arm in Arm ſich weit aus dem Fenſter lehnen, als wollten ſie ihre Lande überſehen, ſchon oft bei Tage betrachtet, aber jetzt bei Nacht fürchtete ich mich ſo davor, daß ich in hohen Sprüngen davoneilte in den Thurm; dort ergriff ich eine Leiterſtange und half mir, Gott weiß wie, daran hinauf; was mir bei Tage nicht möglich war, gelang mir bei Nacht in der ſchwebenden Angſt meines Herzens; wie ich beinah oben war, machte ich Halt; ich überlegte, wie die Spitzbuben wirklich oben ſein könnten und da mich überfallen und von der Warte hinunterſtürzen; da hing ich und wußte nicht hinunter oder herauf, aber die friſche Luft, die ich witterte, lockte mich nach oben; — wie war mir da, wie ich plötzlich durch Schnee und Mondlicht die weit verbreitete Natur überſchaute, allein und geſichert, das große Heer der Sterne über mir!
An der Festungsmauer, die den großen Garten umgab, war eine Turmwarte, eine zerbrochene Leiter stand drin; — dicht bei uns war eingebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht auf die Spur kommen, man glaubte, sie versteckten sich auf jenem Turm; ich hatte ihn bei Tag in Augenschein genommen und erkannte, dass es für einen starken Mann unmöglich war, an dieser morschen, beinahe stufenlosen himmelhohen Leiter hinaufzuklimmen; ich versuchte es, glitt aber wieder herunter, nachdem ich eine Strecke hinaufgekommen war; in der Nacht, nachdem ich schon eine Weile im Bett gelegen hatte und Meline schlief, ließ es mir keine Ruhe; ich warf ein Überkleid um, stieg zum Fenster hinaus, und ging an dem alten Marburger Schloss vorbei, da guckte der Kurfürst Philipp mit der Elisabeth lachend zum Fenster heraus; ich hatte diese Steingruppe die beide Arm in Arm sich weit aus dem Fenster lehnen, als wollten sie ihre Lande übersehen, schon oft bei Tage betrachtet, aber jetzt bei Nacht fürchtete ich mich so davor, dass ich in hohen Sprüngen davoneilte in den Turm; dort ergriff ich eine Leiterstange und half mir, Gott weiß wie, daran hinauf; was mir bei Tage nicht möglich war, gelang mir bei Nacht in der schwebenden Angst meines Herzens; wie ich beinahe oben war, machte ich Halt; ich überlegte, wie die Spitzbuben wirklich oben sein könnten und da mich überfallen und von der Warte hinunterstürzen; da hing ich und wusste nicht hinunter oder herauf, aber die frische Luft, die ich witterte, lockte mich nach oben; — wie war mir da, wie ich plötzlich durch Schnee und Mondlicht die weitverbreitete Natur überschaute, allein und gesichert, das große Heer der Sterne über mir!
arnimb_goethe01_1835
631
— ſo iſt es nach dem Tod’, die freiheitſtrebende Seele, der der Leib am angſtvollſten laſtet, im Augenblick da ſie ihn abwerfen will; ſie ſiegt endlich, und iſt der Angſt erledigt; — da hatte ich blos das Gefühl allein zu ſein, da war kein Gegenſtand, der mir näher war als meine Einſamkeit, und alles mußte vor dieſer Beſeligung zuſammenſinken; — ich ſchrieb der Günderode, daß wieder einmal mein ganzes Glück von der Laune dieſer Grille abhänge; ich ſchrieb ihr jeden Tag, was ich auf der freien Warte mache und denke, ich ſetzte mich auf die Bruſtmauer und hing die Beine hinab.
— so ist es nach dem Tod, die freiheitsstrebende Seele, der der Leib am angstvollsten lastet, im Augenblick da sie ihn abwerfen will; sie siegt endlich, und ist der Angst erledigt; — da hatte ich bloß das Gefühl allein zu sein, da war kein Gegenstand, der mir näher war als meine Einsamkeit, und alles musste vor dieser Beseligung zusammensinken; — ich schrieb der Günderode, dass wieder einmal mein ganzes Glück von der Laune dieser Grille abhänge; ich schrieb ihr jeden Tag, was ich auf der freien Warte mache und denke, ich setzte mich auf die Brustmauer und hing die Beine hinab.
arnimb_goethe01_1835
632
— Sie wollte immer mehr von dieſen Thurmbegeiſtrungen, ſie ſagte: es iſt mein Labſal, Du ſprichſt wie ein auferſtandner Prophet!
— Sie wollte immer mehr von diesen Turmbegeistrungen, sie sagte: Es ist mein Labsal, Du sprichst wie ein auferstandener Prophet!
arnimb_goethe01_1835
633
— wie ich ihr aber ſchrieb, daß ich auf der Mauer, die kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und luſtig nach den Sternen ſähe, und daß mir zwar am Anfang geſchwindelt habe, daß ich jetzt aber ganz keck und wie am Boden mich da oben befinde, — da ſchrieb ſie: um Gotteswillen falle nicht, ich hab’s noch nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böſer oder guter Dämonen biſt; — falle nicht, ſchrieb ſie mir wieder, obſchon es mir wohlthätig war, Deine Stimme von oben herab über den Tod zu vernehmen, ſo fürchte ich nichts mehr, als daß Du elend und unwillkührlich zerſchmettert in’s Grab ſtürzeſt; — ihre Vermahnungen aber erregten mir keine Furcht und keinen Schwindel, im Gegentheil war ich tollkühn; ich wußte Beſcheid, ich hatte die triumphirende Überzeugung, daß ich von Geiſtern geſchützt ſei.
— Wie ich ihr aber schrieb, dass ich auf der Mauer, die kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und lustig nach den Sternen sähe, und dass mir zwar am Anfang geschwindelt habe, dass ich jetzt aber ganz keck und wie am Boden mich da oben befinde, — da schrieb sie: um Gottes willen falle nicht, ich habe es noch nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böser oder guter Dämonen bist; — Falle nicht, schrieb sie mir wieder, obschon es mir wohltätig war, Deine Stimme von oben herab über den Tod zu vernehmen, so fürchte ich nichts mehr, als dass Du elend und unwillkürlich zerschmettert ins Grab stürzest; — ihre Vermahnungen aber erregten mir keine Furcht und keinen Schwindel, im Gegenteil war ich tollkühn; ich wusste Bescheid, ich hatte die triumphierende Überzeugung, dass ich von Geistern geschützt sei.
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634
Das Seltſame war, daß ich’s oft vergaß und daß es mich oft mitten aus dem Schlaf weckte und ich noch in unbeſtimmter Nachtzeit hineilte, daß ich auf dem Hinweg immer Angſt hatte und auf der Leiter jeden Abend wie den erſten, und daß ich oben allemal die Beſeligung einer von ſchwerem Druck befreiten Bruſt empfand; — oben, wenn Schnee lag, ſchrieb ich der Günderode ihren Namen hinein und:
Das Seltsame war, dass ich es oft vergaß und dass es mich oft mitten aus dem Schlaf weckte und ich noch in unbestimmter Nachtzeit hineilte, dass ich auf dem Hinweg immer Angst hatte und auf der Leiter jeden Abend wie den ersten, und dass ich oben allemal die Beseligung einer von schwerem Druck befreiten Brust empfand; — oben, wenn Schnee lag, schrieb ich der Günderode ihren Namen hinein und:
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635
Jesus nazarenus, rex judaeorum als ſchützenden Talismann darüber, und da war mir, als ſei ſie geſichert gegen böſe Eingebungen.
Jesus nazarenus, rex judaeorum als schützenden Talisman darüber, und da war mir, als sei sie gesichert gegen böse Eingebungen.
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636
Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu beſuchen; häßlich wie er war, war es zugleich unbegreiflich, daß er ein Weib intereſſiren könne; ich hörte, daß er von der Günderode ſprach, in Ausdrücken, als ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in meinem, von allem äußeren Einfluß abgeſchiednen Verhältniß zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im Augenblick auf’s Heftigſte eiferſüchtig; er nahm in meiner Gegenwart ein kleines Kind auf den Schoos und ſagte: wie heißt Du?
Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu besuchen; hässlich wie er war, war es zugleich unbegreiflich, dass er ein Weib interessieren könne; ich hörte, dass er von der Günderode sprach, in Ausdrücken, als ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in meinem, von allem äußeren Einfluss abgeschiedenen Verhältnis zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im Augenblick aufs Heftigste eifersüchtig; er nahm in meiner Gegenwart ein kleines Kind auf den Schoß und sagte: Wie heißt Du?
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637
— Sophie.
— Sophie.
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638
Nun, du ſollſt, ſo lang ich hier bin, Karoline heißen;
Nun, du sollst, solang ich hier bin, Karoline heißen;
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639
Karoline, gieb mir einen Kuß.
Karoline, gib mir einen Kuss.
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640
Da ward ich zornig, ich riß ihm das Kind vom Schoos, und trug es hinaus, fort durch den Garten auf den Thurm; da oben ſtellt’ ich es in den Schnee, neben ihren Namen, und legte mich mit dem glühenden Geſicht hinein und weinte laut und das Kind weinte mit, und da ich herunter kam, begegnete mir Kreuzer; ich ſagte: weg aus meinem Weg, fort.
Da wurde ich zornig, ich riss ihm das Kind vom Schoß, und trug es hinaus, fort durch den Garten auf den Turm; da oben stellte ich es in den Schnee, neben ihren Namen, und legte mich mit dem glühenden Gesicht hinein und weinte laut und das Kind weinte mit, und da ich herunterkam, begegnete mir Kreuzer; ich sagte: Weg aus meinem Weg, fort.
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641
Der Philolog konnte ſich einbilden, daß Ganymed ihm die Schaale des Jupiters reichen werde.
Der Philologe konnte sich einbilden, dass Ganymed ihm die Schale des Jupiters reichen werde.
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642
— Es war in der Neujahrsnacht; ich ſaß auf meiner Warte und ſchaute in die Tiefe; alles war ſo ſtill — kein Laut bis in die weiteſte Ferne, und ich war betrübt um die Günderode, die mir keine Antwort gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal ſchlug es Mitternacht, — da ſtürmte es herauf, die Trommeln rührten ſich, die Poſthörner ſchmetterten, ſie löſten ihre Flinten, ſie jauchzten, die Studentenlieder tönten von allen Seiten, es ſtieg der Jubellärm, daß er mich beinah wie ein Meer umbrauſ’te; — das vergeſſe ich nie, aber ſagen kann ich auch nicht, wie mir ſo wunderlich war, da oben auf ſchwindelnder Höhe, und wie es allmälig wieder ſtill ward, und ich mich ganz allein empfand.
— Es war in der Neujahrsnacht; ich saß auf meiner Warte und schaute in die Tiefe; alles war so still — kein Laut bis in die weiteste Ferne, und ich war betrübt um die Günderode, die mir keine Antwort gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal schlug es Mitternacht, — da stürmte es herauf, die Trommeln rührten sich, die Posthörner schmetterten, sie lösten ihre Flinten, sie jauchzten, die Studentenlieder tönten von allen Seiten, es stieg der Jubellärm, dass er mich beinahe wie ein Meer umbrauste; — das vergesse ich nie, aber sagen kann ich auch nicht, wie mir so wunderlich war, da oben auf schwindelnder Höhe, und wie es allmählich wieder still wurde, und ich mich ganz allein empfand.
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643
Ich ging zurück und ſchrieb an die Günderode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich ihr die heißeſten Bitten that, mir zu antworten; ich ſchrieb ihr von dieſen Studentenliedern, wie die gen Himmel geſchallt hätten und mir das tiefſte Herz aufgeregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnſucht acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Monate gingen vorüber, — da war ich wieder in Frankfurt; — ich lief ins Stift, machte die Thür auf: ſiehe da ſtand ſie und ſah mich an; kalt, wie es ſchien;
Ich ging zurück und schrieb an die Günderode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, dass ich ihr die heißesten Bitten tat, mir zu antworten; ich schrieb ihr von diesen Studentenliedern, wie die gen Himmel geschallt hätten und mir das tiefste Herz aufgeregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnsucht acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Monate gingen vorüber, — da war ich wieder in Frankfurt; — ich lief ins Stift, machte die Tür auf: siehe da stand sie und sah mich an; kalt, wie es schien;
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644
Günderod’, rief ich, darf ich hereinkommen?
Günderode, rief ich, darf ich hereinkommen?
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645
— ſie ſchwieg, und wendete ſich ab;
— sie schwieg, und wendete sich ab;
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646
Günderod’, ſag’ nur ein Wort, und ich lieg’ an Deinem Herzen.
Günderode, sage nur ein Wort, und ich liege an Deinem Herzen.
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647
Nein, ſagte ſie, komme nicht näher, kehre wieder um, wir müſſen uns doch trennen.
Nein, sagte sie, komme nicht näher, kehre wieder um, wir müssen uns doch trennen.
arnimb_goethe01_1835
648
— Was heißt das?
— Was heißt das?
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649
— So viel, daß wir uns in einander geirrt haben und daß wir nicht zuſammen gehören.
— So viel, dass wir uns ineinander geirrt haben und dass wir nicht zusammengehören.
arnimb_goethe01_1835
650
— Ach, ich wendete um!
— Ach, ich wendete um!
arnimb_goethe01_1835
651
ach, erſte Verzweiflung, erſter grauſamer Schlag, ſo empfindlich für ein junges Herz!
ach, erste Verzweiflung, erster grausamer Schlag, so empfindlich für ein junges Herz!
arnimb_goethe01_1835
652
ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die Hingebung in dieſer Liebe, mußte ſo zurückgewieſen werden.
Ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die Hingebung in dieser Liebe, musste so zurückgewiesen werden.
arnimb_goethe01_1835
653
— Ich lief nach Haus zur Meline, ich bat ſie mit zu gehen zur Günderode, zu ſehen, was ihr fehle, ſie zu bewegen mir einen Augenblick ihr Angeſicht zu gönnen; ich dachte, wenn ich ſie nur einmal in’s Auge faſſen könne, dann wolle ich ſie zwingen; ich lief über die Straße, vor der Zimmerthür blieb ich ſtehen, ich ließ die Meline allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zitterte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang, der mich ſo oft zu ihr geführt hatte; — die Meline kam heraus mit verweinten Augen, ſie zog mich ſchweigend mit ſich fort; — einen Augenblick hatte mich der Schmerz übermannt, aber gleich ſtand ich wieder auf den Füßen; nun dacht’ ich, wenn das Schickſal mir nicht ſchmeicheln will, ſo wollen wir Ball mit ihm ſpielen; ich war heiter, ich war luſtig, ich war überreizt, aber Nächten weinte ich im Schlaf.
— Ich lief nach Haus zur Meline, ich bat sie mitzugehen zur Günderode, zu sehen, was ihr fehle, sie zu bewegen mir einen Augenblick ihr Angesicht zu gönnen; ich dachte, wenn ich sie nur einmal ins Auge fassen könne, dann wolle ich sie zwingen; ich lief über die Straße, vor der Zimmertür blieb ich stehen, ich ließ die Meline allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zitterte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang, der mich so oft zu ihr geführt hatte; — die Meline kam heraus mit verweinten Augen, sie zog mich schweigend mit sich fort; — einen Augenblick hatte mich der Schmerz übermannt, aber gleich stand ich wieder auf den Füßen; nun dachte ich, wenn das Schicksal mir nicht schmeicheln will, so wollen wir Ball mit ihm spielen; ich war heiter, ich war lustig, ich war überreizt, aber Nächten weinte ich im Schlaf.
arnimb_goethe01_1835
654
— Am zweiten Tag ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da ſah ich die Wohnung von Goethe’s Mutter, die ich nicht näher kannte und nie beſucht hatte; ich trat ein.
— Am zweiten Tag ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da sah ich die Wohnung von Goethes Mutter, die ich nicht näher kannte und nie besucht hatte; ich trat ein.
arnimb_goethe01_1835
655
Frau Rath, ſagte ich, ich will Ihre Bekanntſchaft machen, mir iſt eine Freundin in der Stiftsdame Günderode verloren gegangen und die ſollen Sie mir erſetzen; — wir wollen’s verſuchen, ſagte ſie, und ſo kam ich alle Tage und ſetzte mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem Sohn erzählen und ſchrieb’s alles auf und ſchickte es der Günderode; — wie ſie in’s Rheingau ging, ſendete ſie mir die Papiere zurück; die Magd, die ſie mir brachte, ſagte, es habe der Stiftsdame heftig das Herz geklopft, da ſie ihr die Papiere gegeben, und auf ihre Frage, was ſie beſtellen ſolle, habe ſie geantwortet: nichts.
Frau Rat, sagte ich, ich will Ihre Bekanntschaft machen, mir ist eine Freundin in der Stiftsdame Günderode verloren gegangen und die sollen Sie mir ersetzen; — wir wollen es versuchen, sagte sie, und so kam ich alle Tage und setzte mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem Sohn erzählen und schrieb es alles auf und schickte es der Günderode; — wie sie ins Rheingau ging, sendete sie mir die Papiere zurück; die Magd, die sie mir brachte, sagte, es habe der Stiftsdame heftig das Herz geklopft, da sie ihr die Papiere gegeben, und auf ihre Frage, was sie bestellen solle, habe sie geantwortet: nichts.
arnimb_goethe01_1835
656
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657
Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schloſſer; er bat mich um ein paar Zeilen an die Günderode, weil er in’s Rheingau reiſen werde, und wolle gern ihre Bekanntſchaft machen.
Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schlosser; er bat mich um ein paar Zeilen an die Günderode, weil er ins Rheingau reisen werde, und wolle gern ihre Bekanntschaft machen.
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Ich ſagte, daß ich mit ihr broullirt ſei, ich bäte ihn aber, von mir zu ſprechen und acht zu geben, was es für einen Eindruck auf ſie mache; — wann gehen Sie hin, ſagte ich, morgen?
Ich sagte, dass ich mit ihr brouilliert sei, ich bäte ihn aber, von mir zu sprechen und achtzugeben, was es für einen Eindruck auf sie mache; — wann gehen Sie hin, sagte ich, morgen?
arnimb_goethe01_1835
659
— Nein, in acht Tagen; — o gehen Sie morgen, ſonſt treffen Sie ſie nicht mehr; — am Rhein iſt’s ſo melancholiſch, ſagte ich ſcherzend, da könnte ſie ſich ein Leid’s anthun; — Schloſſer ſah mich ängſtlich an; ja, ja, ſagt’ ich muthwillig, ſie ſtürzt ſich in’s Waſſer oder erſticht ſich aus bloßer Laune.
— Nein, in acht Tagen; — o gehen Sie morgen, sonst treffen Sie sie nicht mehr; — am Rhein ist es so melancholisch, sagte ich scherzend, da könnte sie sich ein Leid's antun; — Schlosser sah mich ängstlich an; ja, ja, sagte ich mutwillig, sie stürzt sich ins Wasser oder ersticht sich aus bloßer Laune.
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660
— Frevlen Sie nicht, ſagte Schloſſer, und nun frevelte ich erſt recht:
— Freveln Sie nicht, sagte Schlosser, und nun frevelte ich erst recht:
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661
Geben Sie acht, Schloſſer, Sie finden ſie nicht mehr, wenn Sie nach alter Gewohnheit zögern, und ich ſage Ihnen, gehen Sie heute lieber wie morgen und retten ſie von unzeitiger melancholiſcher Laune; — und im Scherz beſchrieb ich ſie, wie ſie ſich umbringen werde im rothen Kleid, mit aufgelöſtem Schnürband, dicht unter der Bruſt die Wunde; das nannte man tollen Übermuth von mir, es war aber bewußtloſer Überreiz, in dem ich die Wahrheit vollkommen genau beſchrieb.
Geben Sie acht, Schlosser, Sie finden sie nicht mehr, wenn Sie nach alter Gewohnheit zögern, und ich sage Ihnen, gehen Sie heute lieber wie morgen und retten sie von unzeitiger melancholischer Laune; — und im Scherz beschrieb ich sie, wie sie sich umbringen werde im roten Kleid, mit aufgelöstem Schnürband, dicht unter der Brust die Wunde; das nannte man tollen Übermut von mir, es war aber bewusstloser Überreiz, indem ich die Wahrheit vollkommen genau beschrieb.
arnimb_goethe01_1835
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— Am andern Tag kam Franz und ſagte:
— Am anderen Tag kam Franz und sagte:
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663
Mädchen, wir wollen in’s Rheingau gehen, da kannſt Du die Günderode beſuchen.
Mädchen, wir wollen ins Rheingau gehen, da kannst Du die Günderode besuchen.
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664
— Wann?
— Wann?
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fragte ich.
fragte ich.
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— Morgen, ſagte er; — ach, ich packte mit Übereile ein, ich konnte kaum erwarten, daß wir gingen; alles was ich begegnete, ſchob ich haſtig aus dem Weg, aber es vergingen mehrere Tage und es ward die Reiſe immer verſchoben; endlich, da war meine Luſt zur Reiſe in tiefe Trauer verwandelt, und ich wär’ lieber zurückgeblieben.
— Morgen, sagte er; — ach, ich packte mit Übereile ein, ich konnte kaum erwarten, dass wir gingen; alles was ich begegnete, schob ich hastig aus dem Weg, aber es vergingen mehrere Tage und es wurde die Reise immer verschoben; endlich, da war meine Lust zur Reise in tiefe Trauer verwandelt, und ich wäre lieber zurückgeblieben.
arnimb_goethe01_1835
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— Da wir in Geiſenheim ankamen, wo wir übernachteten, lag ich im Fenſter und ſah in’s mondbeſpiegelte Waſſer; meine Schwägrin Tonie ſaß am Fenſter; die Magd, die den Tiſch deckte, ſagte:
— Da wir in Geisenheim ankamen, wo wir übernachteten, lag ich im Fenster und sah ins mondbespiegelte Wasser; meine Schwägerin Toni saß am Fenster; die Magd, die den Tisch deckte, sagte:
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Geſtern hat ſich auch eine junge ſchöne Dame, die ſchon ſechs Wochen hier ſich aufhielt, bei Winckel umgebracht; ſie ging am Rhein ſpazieren ganz lang, dann lief ſie nach Hauſe, holte ein Handtuch; am Abend ſuchte man ſie vergebens; am andern Morgen fand man ſie am Ufer unter Weidenbüſchen, ſie hatte das Handtuch voll Steine geſammelt und ſich um den Hals gebunden, wahrſcheinlich, weil ſie ſich in den Rhein verſenken wollte, aber da ſie ſich in’s Herz ſtach, fiel ſie rückwärts, und ſo fand ſie ein Bauer am Rhein liegen, unter den Weiden an einem Ort, wo es am tiefſten iſt.
Gestern hat sich auch eine junge schöne Dame, die schon sechs Wochen hier sich aufhielt, bei Winckel umgebracht; sie ging am Rhein spazieren ganz lang, dann lief sie nach Hause, holte ein Handtuch; am Abend suchte man sie vergebens; am anderen Morgen fand man sie am Ufer unter Weidenbüschen, sie hatte das Handtuch voll Steine gesammelt und sich um den Hals gebunden, wahrscheinlich, weil sie sich in den Rhein versenken wollte, aber da sie sich ins Herz stach, fiel sie rückwärts, und so fand sie ein Bauer am Rhein liegen, unter den Weiden an einem Ort, wo es am tiefsten ist.
arnimb_goethe01_1835
669
Er riß ihr den Dolch aus dem Herzen und ſchleuderte ihn voll Abſcheu weit in den Rhein, die Schiffer ſahen ihn fliegen, — da kamen ſie herbei und trugen ſie in die Stadt.
Er riss ihr den Dolch aus dem Herzen und schleuderte ihn voll Abscheu weit in den Rhein, die Schiffer sahen ihn fliegen, — da kamen sie herbei und trugen sie in die Stadt.
arnimb_goethe01_1835
670
— Ich hatte im Anfang nicht zugehört, aber zuletzt hört’ ich’s mit an, und rief: das iſt die Günderode!
— Ich hatte im Anfang nicht zugehört, aber zuletzt hörte ich es mit an, und rief: Das ist die Günderode!
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671
Man redete mir’s aus, und ſagte, es ſei wohl eine andre, da ſo viel Frankfurter im Rheingau waren.
Man redete mir es aus, und sagte, es sei wohl eine andere, da so viel Frankfurter im Rheingau waren.
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672
Ich ließ mir’s gefallen und dachte: grade was man prophezeihe, ſei gewöhnlich nicht wahr.
Ich ließ mir es gefallen und dachte: gerade was man prophezeie, sei gewöhnlich nicht wahr.
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673
— In der Nacht träumte mir, ſie käme mir auf einem mit Kränzen geſchmückten Nachen entgegen, um ſich mit mir zu verſöhnen; ich ſprang aus dem Bett in des Bruders Zimmer und rief: es iſt alles nicht wahr, eben hat mir’s lebhaft geträumt!
— In der Nacht träumte mir, sie käme mir auf einem mit Kränzen geschmückten Nachen entgegen, um sich mit mir zu versöhnen; ich sprang aus dem Bett in des Bruders Zimmer und rief: Es ist alles nicht wahr, eben hat mir es lebhaft geträumt!
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674
Ach, ſagte der Bruder, baue nicht auf Träume!
Ach, sagte der Bruder, baue nicht auf Träume!
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675
— Ich träumte noch einmal, ich ſei eilig in einen Kahn über den Rhein gefahren, um ſie zu ſuchen; da war das Waſſer trüb’ und ſchilfig, und die Luft war dunkel und es war ſehr kalt; — ich landete an einem ſumpfigen Ufer, da war ein Haus mit feuchten Mauern, aus dem ſchwebte ſie hervor und ſah mich ängſtlich an und deutete mir, daß ſie nicht ſprechen könne; — ich lief wieder zum Schlafzimmer der Geſchwiſter und rief: nein, es iſt gewiß wahr, denn mir hat geträumt, daß ich ſie geſehen habe, und ich hab’ gefragt:
— Ich träumte noch einmal, ich sei eilig in einen Kahn über den Rhein gefahren, um sie zu suchen; da war das Wasser trübe und schilfig, und die Luft war dunkel und es war sehr kalt; — ich landete an einem sumpfigen Ufer, da war ein Haus mit feuchten Mauern, aus dem schwebte sie hervor und sah mich ängstlich an und deutete mir, dass sie nicht sprechen könne; — ich lief wieder zum Schlafzimmer der Geschwister und rief: Nein, es ist gewiss wahr, denn mir hat geträumt, dass ich sie gesehen habe, und ich habe gefragt:
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676
Günderode, warum haſt Du mir dies gethan?
Günderode, warum hast Du mir dies getan?
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677
Und da hat ſie geſchwiegen und hat den Kopf geſenkt und hat ſich traurig nicht verantworten können.
Und da hat sie geschwiegen und hat den Kopf gesenkt und hat sich traurig nicht verantworten können.
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678
— Nun überlegte ich im Bett alles, und beſann mich, daß ſie mir früher geſagt hatte, ſie wolle ſich erſt mit mir entzweien eh’ ſie dieſen Entſchluß ausführen werde; nun war mir unſre Trennung erklärt, auch daß ſie mir ein Zeichen geben werde, wenn ihr Entſchluß reif ſei; — das war alſo die Geſchichte von ihrer todten Schweſter, die ſie mir ein halb Jahr fürher mittheilte; da war der Entſchluß ſchon gefaßt.
— Nun überlegte ich im Bett alles, und besann mich, dass sie mir früher gesagt hatte, sie wolle sich erst mit mir entzweien ehe sie diesen Entschluss ausführen werde; nun war mir unsere Trennung erklärt, auch dass sie mir ein Zeichen geben werde, wenn ihr Entschluss reif sei; — das war also die Geschichte von ihrer toten Schwester, die sie mir ein halb Jahr früher mitteilte; da war der Entschluss schon gefasst.
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679
— O ihr großen Seelen, dieſes Lamm in ſeiner Unſchuld, dieſes junge zaghafte Herz, welche ungeheure Gewalt hat es bewogen, ſo zu handeln?
— O ihr großen Seelen, dieses Lamm in seiner Unschuld, dieses junge zaghafte Herz, welche ungeheure Gewalt hat es bewogen, so zu handeln?
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680
— Am andern Morgen fuhren wir bei früher Zeit auf dem Rhein weiter; — Franz hatte befohlen, daß das Schiff jenſeits ſich halten ſolle, um zu vermeiden, daß wir dem Platz zu nahe kämen, aber dort ſtand der Fritz Schloſſer am Ufer, und der Bauer, der ſie gefunden, zeigte ihm, wo der Kopf gelegen hatte und die Füße, und daß das Gras noch nieder liege, — und der Schiffer lenkte unwillkührlich dorthin, und Franz bewußtlos ſprach im Schiff alles dem Bauer nach, was er in der Ferne verſtehen konnte, und da mußt’ ich denn mit anhören die ſchauderhaften Bruchſtücke der Erzählung vom rothen Kleid, das aufgeſchnürt war, und der Dolch, den ich ſo gut kannte, und das Tuch mit Steinen um ihren Hals, und die breite Wunde; — aber ich weinte nicht, ich ſchwieg.
— Am anderen Morgen fuhren wir bei früher Zeit auf dem Rhein weiter; — Franz hatte befohlen, dass das Schiff jenseits sich halten solle, um zu vermeiden, dass wir dem Platz zu nahe kämen, aber dort stand der Fritz Schlosser am Ufer, und der Bauer, der sie gefunden, zeigte ihm, wo der Kopf gelegen hatte und die Füße, und dass das Gras noch niederliege, — und der Schiffer lenkte unwillkürlich dorthin, und Franz bewusstlos sprach im Schiff alles dem Bauer nach, was er in der Ferne verstehen konnte, und da musste ich denn mit anhören die schauderhaften Bruchstücke der Erzählung vom roten Kleid, das aufgeschnürt war, und der Dolch, den ich so gut kannte, und das Tuch mit Steinen um ihren Hals, und die breite Wunde; — aber ich weinte nicht, ich schwieg.
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681
— Da kam der Bruder zu mir und ſagte: ſei ſtark, Mädchen.
— Da kam der Bruder zu mir und sagte: Sei stark, Mädchen.
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682
— Wir landeten in Rüdesheim; überall erzählte man ſich die Geſchichte; ich lief in Windesſchnelle an allen vorüber, den Oſtein hinauf eine halbe Stunde Berg an, ohne auszuruhen; — oben war mir der Athem vergangen, mein Kopf brannte, ich war den andern weit vorausgeeilt.
— Wir landeten in Rüdesheim; überall erzählte man sich die Geschichte; ich lief in Windesschnelle an allen vorüber, den Ostein hinauf eine halbe Stunde bergan, ohne auszuruhen; — oben war mir der Atem vergangen, mein Kopf brannte, ich war den anderen weit vorausgeeilt.
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683
— Da lag der herrliche Rhein mit ſeinem ſchmaragdnen Schmuck der Inſeln; da ſah ich die Ströme von allen Seiten dem Rhein zufließen, und die reichen friedlichen Städte an beiden Ufern, und die geſegneten Gelände an beiden Seiten; da fragte ich mich, ob mich die Zeit über dieſen Verluſt beſchwichtigen werde, und da war auch der Entſchluß gefaßt, kühn mich über den Jammer hinauszuſchwingen, denn es ſchien mir unwürdig, Jammer zu äußern, den ich einſtens beherrſchen könne.
— Da lag der herrliche Rhein mit seinem smaragdenen Schmuck der Inseln; da sah ich die Ströme von allen Seiten dem Rhein zufließen, und die reichen friedlichen Städte an beiden Ufern, und die gesegneten Gelände an beiden Seiten; da fragte ich mich, ob mich die Zeit über diesen Verlust beschwichtigen werde, und da war auch der Entschluss gefasst, kühn mich über den Jammer hinauszuschwingen, denn es schien mir unwürdig, Jammer zu äußeren, den ich einstens beherrschen könne.
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684
Mit Flammenſchrift war innigſt eingeſchrieben Petrarca’s Bruſt, vor allen andern Tagen, Charfreitag.
Mit Flammenschrift war innigst eingeschrieben Petrarcas Brust, vor allen anderen Tagen, Karfreitag.
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685
Eben ſo, ich darf’s wohl ſagen, Iſt mir Advent von Achtzehnhundert ſieben.
Ebenso, ich darf es wohl sagen, ist mir Advent von achtzehnhundertsieben.
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686
Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort zu lieben Sie, die ich früh im Herzen ſchon getragen, Dann wieder weislich aus dem Sinn geſchlagen, Der ich nun wieder bin ans Herz getrieben.
Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort zu lieben Sie, die ich früh im Herzen schon getragen, dann wieder weislich aus dem Sinn geschlagen, der ich nun wieder bin ans Herz getrieben.
arnimb_goethe01_1835
687
Petrarca’s Liebe, die unendlich hohe, War leider unbelohnt und gar zu traurig, Ein Herzensweh, ein ewiger Charfreitag;
Petrarcas Liebe, die unendlich hohe, war leider unbelohnt und gar zu traurig, ein Herzensweh, ein ewiger Karfreitag;
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688
Doch ſtets erſcheine, fort und fort, die frohe, Süß, unter Palmenjubel, wonneſchaurig, Der Herrin Ankunft mir, ein ew’ger Maitag.
Doch stets erscheine, fort und fort, die frohe, Süß, unter Palmenjubel, wonneschaurig, der Herrin Ankunft mir, ein ewiger Maitag.
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689
An Goethe.
An Goethe.
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690
Kaſſel, den 15. Mai 1807.
Kassel, den 15. Mai 1807.
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691
Liebe, liebe Tochter!
Liebe, liebe Tochter!
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692
Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfaßt; mein Sohn ſei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt ⁊ c.
Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfasst; mein Sohn sei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiss liebt et c.
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693
Solche Worte ſchreibt mir Goethe’s Mutter; zu was berechtigen mich dieſe?
Solche Worte schreibt mir Goethes Mutter; zu was berechtigen mich diese?
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694
— Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; — ein Menſchenkind, einſam auf einem Fels, von Stürmen umbrauſ’t, ſeiner ſelbſt ungewiß, hin- und herſchwankend, wie Dornen und Diſteln um es her — ſo bin ich; ſo war ich da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte.
— Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; — ein Menschenkind, einsam auf einem Fels, von Stürmen umbraust, seiner selbst ungewiss, hin- und herschwankend, wie Dornen und Disteln um es her — so bin ich; so war ich da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte.
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695
Nun wend’ ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und kann ihm mit dem von ſeinen Strahlen glühenden Angeſicht beweiſen, daß er mich durchdringt.
Nun wend ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und kann ihm mit dem von seinen Strahlen glühenden Angesicht beweisen, dass er mich durchdringt.
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696
O Gott!
O Gott!
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697
darf ich auch?
Darf ich auch?
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698
— und bin ich nicht allzu kühn?
— und bin ich nicht allzu kühn?
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699
Und was will ich denn?
Und was will ich denn?
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700
— erzählen, wie die herrliche Freundlichkeit, mit der Sie mir entgegen kamen, jetzt in meinem Herzen wuchert?
— Erzählen, wie die herrliche Freundlichkeit, mit der Sie mir entgegenkamen, jetzt in meinem Herzen wuchert?
arnimb_goethe01_1835
701
— alles andre Leben mit Gewalt erſtickt?
— alles andere Leben mit Gewalt erstickt?
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702
— wie ich immer muß hinverlangen, wo mir’s zum erſten Mal wohl war?
— Wie ich immer muss hinverlangen, wo mir es zum ersten Mal wohl war?
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703
— Das hilft alles nichts; die Worte Ihrer Mutter!
— Das hilft alles nichts; die Worte Ihrer Mutter!
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704
— ich bin weit entfernt, Anſprüche an das zu machen, was Ihre Güte mir zudenkt, — aber dieſe haben mich geblendet; und ich mußte zum wenigſten den Wunſch befriedigen, daß Sie wiſſen möchten, wie mächtig mich die Liebe in jedem Augenblick zu Ihnen hinwendet.
— Ich bin weit entfernt, Ansprüche an das zu machen, was Ihre Güte mir zudenkt, — aber diese haben mich geblendet; und ich musste zum wenigsten den Wunsch befriedigen, dass Sie wissen möchten, wie mächtig mich die Liebe in jedem Augenblick zu Ihnen hinwendet.
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705
Auch darf ich mich nicht ſcheuen, einem Gefühl mich hinzugeben, das ſich aus meinem Herzen hervordrängt, wie die junge Saat im Frühling; — es mußte ſo ſein, und der Saame war in mich gelegt; es iſt nicht mein vorſätzlicher Wille, wenn ich oft aus dem augenblicklichen Geſpräch zu Ihren Füßen getragen bin; dann ſetze ich mich an die Erde und lege den Kopf auf Ihren Schoos, oder ich drücke Ihre Hand an meinen Mund, oder ich ſtehe an Ihrer Seite und umfaſſe Ihren Hals; und es währt lange, bis ich eine Stellung finde, in der ich beharre.
Auch darf ich mich nicht scheuen, einem Gefühl mich hinzugeben, das sich aus meinem Herzen hervordrängt, wie die junge Saat im Frühling; — es musste so sein, und der Same war in mich gelegt; es ist nicht mein vorsätzlicher Wille, wenn ich oft aus dem augenblicklichen Gespräch zu Ihren Füßen getragen bin; dann setze ich mich an die Erde und lege den Kopf auf Ihren Schoß, oder ich drücke Ihre Hand an meinen Mund, oder ich stehe an Ihrer Seite und umfasse Ihren Hals; und es währt lange, bis ich eine Stellung finde, in der ich beharre.
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706
Dann plaudre ich, wie es mir behagt; die Antwort aber, die ich mir in Ihrem Namen gebe, ſpreche ich mit Bedacht aus:
Dann plaudre ich, wie es mir behagt; die Antwort aber, die ich mir in Ihrem Namen gebe, spreche ich mit Bedacht aus:
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707
Mein Kind!
Mein Kind!
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708
mein artig gut Mädchen!
mein artig gut Mädchen!
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709
liebes Herz!
Liebes Herz!
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710
Ja, ſo klingt’s aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte von Geiſtern in eine andre Welt getragen zu ſein; und wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen ſo wiederhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen ſtände, — dann ſchaudre ich vor Freude und Sehnſucht zuſammen.
Ja, so klingt es aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte von Geistern in eine andere Welt getragen zu sein; und wenn ich dann bedenke, dass es von Ihren Lippen so widerhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen stände, — dann schaudre ich vor Freude und Sehnsucht zusammen.
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711
O wie viel hundertmal träumt man, und träumt beſſer, als einem je wird.
O wie viel hundertmal träumt man, und träumt besser, als einem je wird.
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712
— Muthwillig und übermüthig bin ich auch zuweilen, und preiſe den Mann glücklich, der ſo ſehr geliebt wird; dann lächlen Sie und bejahen es in freundlicher Großmuth.
— Mutwillig und übermütig bin ich auch zuweilen, und preise den Mann glücklich, der so sehr geliebt wird; dann lächeln Sie und bejahen es in freundlicher Großmut.
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713
Weh’ mir!
Weh mir!
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714
wenn dies alles nie zur Wahrheit wird, dann werd’ ich im Leben das Herrlichſte vermiſſen.
Wenn dies alles nie zur Wahrheit wird, dann werde ich im Leben das Herrlichste vermissen.
arnimb_goethe01_1835
715
Ach, iſt der Wein denn nicht die ſüßeſte und begehrlichſte unter allen himmliſchen Gaben?
Ach, ist der Wein denn nicht die süßeste und begehrlichste unter allen himmlischen Gaben?
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716
daß wer ihn einmal gekoſtet hat, trunkner Begeiſtrung nimmer abſchwören möchte.
dass wer ihn einmal gekostet hat, trunkener Begeisterung nimmer abschwören möchte.
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717
— Dieſen Wein werd’ ich vermiſſen, und alles andre wird mir ſein wie hartes geiſtloſes Waſſer, deſſen man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.
— Diesen Wein werde ich vermissen, und alles andere wird mir sein wie hartes geistloses Wasser, dessen man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.
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718
Wie werd’ ich mich alsdann tröſten können?
Wie werde ich mich alsdann trösten können?
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719
— mit dem Lied etwa: „Im Arm der Liebe ruht ſich’s wohl, wohl auch im Schooß der Erde?“ — oder: „Ich wollt’ ich läg’ und ſchlief zehntauſend Klafter tief.
— Mit dem Lied etwa: „Im Arm der Liebe ruht sich es wohl, wohl auch im Schoß der Erde?“ — Oder: „Ich wollte ich läge und schlief zehntausend Klafter tief.
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720
“ —
“ —
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721
Ich wollt’ ich könnte meinen Brief mit einem Blick in Ihre Augen ſchließen; ſchnell würde ich Vergebung der Kühnheit herausleſen, und dieſe noch mit einſiegeln; ich würde dann nicht ängſtlich ſein über das kindiſche Geſchwätz, das mir doch ſo ernſt iſt.
Ich wollte ich könnte meinen Brief mit einem Blick in Ihre Augen schließen; schnell würde ich Vergebung der Kühnheit herauslesen, und diese noch mit einsiegeln; ich würde dann nicht ängstlich sein über das kindische Geschwätz, das mir doch so ernst ist.
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722
Da wird es hingetragen in raſcher Eile viele Meilen; der Poſtillion ſchmettert mit vollem Enthuſiasmus ſeine Ankunft in die Lüfte, als wolle er frohlockend fragen: was bring’ ich!
Da wird es hingetragen in rascher Eile viele Meilen; der Postillon schmettert mit vollem Enthusiasmus seine Ankunft in die Lüfte, als wolle er frohlockend fragen: Was bringe ich!