id
stringlengths
36
36
text
stringlengths
1
1.24M
language
stringclasses
4 values
cbfaf5ca-c179-4aa1-a682-d7c1721b4d3f
Sachverhalt ab Seite 42 BGE 108 IV 41 S. 42 A.- K. und B. wird vorgeworfen, in der Zeit von Mitte Juli bis 12. Oktober 1973 sich u.a. des fortgesetzten bzw. des einfachen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes im Sinne des Art. 273 StGB schuldig gemacht zu haben. B.- Am 7. September 1981 entschied das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft, dem Verfahren gegen K. und B. wegen des genannten Delikts zufolge Eintritts der Verjährung keine Folge zu geben. Zur Begründung wurde angeführt, der Regelstrafrahmen des Art. 273 StGB laute auf Gefängnis und es gelte daher die für Vergehen vorgesehene absolute Verjährungsfrist von siebeneinhalb Jahren Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft hob den erstinstanzlichen Entscheid am 16. Februar 1982 auf Appellation der Staatsanwaltschaft hin auf und wies die Sache zur Beurteilung an das Strafgericht zurück. C.- K. und B. führen in getrennten Eingaben Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Einstellung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft beantragt Abweisung der Beschwerden. Erwägungen Auszug aus den Erwägungen: 2. Zur Entscheidung steht einzig die Frage, ob das Delikt des Art. 273 StGB , das "mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus" bedroht ist, im Sinne von Art. 9 StGB ein Verbrechen oder ein Vergehen darstellt und je nachdem gemäss den Art. 70 und 72 Ziff. 2 StGB ordentlicherweise in fünf bzw. in zehn Jahren und absolut in siebeneinhalb bzw. in fünfzehn Jahren verjährt. a) Nach Art. 70 StGB verjährt die Strafverfolgung in zehn Jahren, wenn die strafbare Tat mit Zuchthaus, und in fünf Jahren, wenn sie mit einer anderen Strafe "bedroht" ist. Das Bundesgericht hat diese Bestimmung in ständiger Rechtsprechung dahin verstanden, dass massgebend für die Dauer der Verjährungsfrist die Strafe ist, die das Gesetz auf die betreffende strafbare Handlung allgemein androht, und nicht die Strafe, die der Täter nach den Grundsätzen der Strafzumessung ( Art. 63 ff. StGB ) im Einzelfall BGE 108 IV 41 S. 43 verwirkt hat ( BGE 104 IV 244 E. 1c, BGE 96 IV 32 E. 2, BGE 92 IV 123 u.a.m.). Diese abstrakte Betrachtungsweise findet sich im Gesetz in den Art. 9 und 101 bei der Unterscheidung zwischen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen sowie in den Art. 68 und 350 StGB , wo für die Bestimmung der schwersten Tat ebenfalls auf das rein formale Merkmal der im Gesetz auf die Einzeltat angedrohten Höchststrafe abgestellt wird ( BGE 93 IV 10 , BGE 76 IV 264 , BGE 71 IV 165 , BGE 69 IV 37 ). Sie ist denn auch nicht nur dort anwendbar, wo für ein und denselben Tatbestand wahlweise zwei verschiedene Arten von Strafen angedroht werden, sondern auch in den Fällen, wo neben einem Grundtatbestand durch eigens umschriebene Qualifikationen gekennzeichnete Tatbestände mit besonderen Strafdrohungen vorgesehen sind, wie das beispielsweise bei Art. 137 Ziff. 2, 139 Ziff. 2, 140 Ziff. 2 u.a.m. zutrifft. Hier bestimmt die durch das gesetzliche Qualifikationselement bedingte Strafdrohung die Einreihung des Delikts in die Kategorie der Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen sowie die Dauer seiner Verjährung. Von dieser abstrakten Betrachtungsweise wollte übrigens das Bundesgericht weder in BGE 102 IV 203 E. 3 noch in dem in ZR 63/1964 Nr. 16 veröffentlichten Entscheid abgehen, hat es doch beiden Urteilen ausdrücklich den Grundsatz der abstrakten Beurteilung zugrunde gelegt. b) Art. 273 Abs. 3 StGB bedroht die in den Abs. 1 und 2 umschriebenen Tatbestände mit "Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus". Danach sind leichte und mittlere Fälle mit Gefängnis und schwere mit Zuchthaus zu ahnden. Hieran anschliessend hat das Bundesgericht in einem in ZR 63/1964 Nr. 16 veröffentlichten Urteil festgestellt, die unterschiedliche Strafdrohung sei hier nicht mit einer Änderung der Tatbestände verknüpft, vielmehr blieben die Tatbestandsmerkmale in schweren wie in leichten Fällen dieselben; ob ein Fall schwer sei oder nicht, sei nicht eine Frage des Tatbestandes, sondern der Strafzumessung. Weiter folgerte es, abstrakt, d.h. wenn die im einzelnen Fall in Betracht kommenden Strafzumessungsgründe ausser acht gelassen würden, sei jeder wirtschaftliche Nachrichtendienst mit beiden vorgesehenen Strafarten und infolgedessen mit Zuchthaus als Höchststrafe bedroht. Zwischen Art. 273 und anderen Strafbestimmungen mit wahlweiser Androhung von Zuchthaus oder Gefängnis bestehe kein grundsätzlicher Unterschied. Auch bei den letzteren bedeute der erweiterte Strafrahmen, dass innerhalb des nämlichen Tatbestandes zwischen schweren und leichteren Fällen BGE 108 IV 41 S. 44 unterschieden werden müsse und dass je nachdem auf Zuchthaus oder auf Gefängnis zu erkennen sei. Dass in Art. 273 StGB ausdrücklich hervorgehoben werde, was in anderen Bestimmungen mit verschiedener Strafdrohung nach den allgemeinen Grundsätzen der Strafzumessung als selbstverständlich gelte, könne auf Gründe psychologischer oder gesetzespolitischer Art zurückzuführen sein, heisse aber nicht notwendig, dass hier ausnahmsweise auf die zuzumessende statt auf die allgemein angedrohte Strafe abzustellen sei. c) SCHULTZ (Einführung in den AT des Strafrechts, 4. Aufl., I S. 247 f.), der im Ergebnis von diesem Entscheid abweicht, geht zwar ebenso wie das Bundesgericht davon aus, dass die Dauer der Verjährung sich nach der abstrakten Strafdrohung und - wo verschiedene Strafarten vorgesehen sind - nach der schwereren unter ihnen bestimmt, unabhängig davon, ob im konkreten Fall das Verhängen der schwereren Strafart in Frage steht. Auch liegt er in der Linie jenes Entscheides, soweit er fordert, dass nur im einzelnen Fall mögliche Strafschärfungen oder -milderungen ausser Betracht zu bleiben haben. Diesen setzt er aber - anders als das Bundesgericht es getan hat - Strafschärfungen gleich, welche "einzig für schwere Fälle vorgesehen sind, z.B. in Art. 273". Entsprechend will auch STRATENWERTH (Schweizer. Strafrecht, AT I S. 99) alle Abwandlungen des ordentlichen Strafrahmens, deren Voraussetzungen das Gesetz nicht im einzelnen abschliessend umschreibt, deren Anwendung also von der richterlichen Einschätzung der Schwere des konkreten Delikts abhängt, für die Festlegung der Dauer der Verjährung unberücksichtigt lassen. Das gilt nach seiner Meinung für die zahlreichen Bestimmungen, die "in schweren Fällen" (z.B. Art. 266 Ziff. 2, 266bis Abs. 2, 273) bzw. in "leichten Fällen" (z.B. Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1, 225) oder "in besonders leichten Fällen" (z.B. Art. 144 Abs. 2, 251 Ziff. 3) eine höhere Strafe androhen bzw. den Strafrahmen herabsetzen. Und ebenso wäre nach Auffassung des genannten Autors zu entscheiden, wo das Gesetz Beispiele schwerer Fälle nennt (z.B. Art. 272 Ziff. 2), sie aber nicht abschliessend aufzählt. demgegenüber vertreten LOGOZ (Kommentar, 2. Aufl., N. 2 zu Art. 70 S. 387 oben) und THORMANN/V. OVERBECK (Kommentar N. 3 zu Art. 70) die Auffassung, dass Schärfungs- und Milderungsgründe des besonderen Teils bei Feststellung des gesetzlichen Höchstmasses der angedrohten Strafe und damit der Dauer der Verjährung zu berücksichtigen seien. BGE 108 IV 41 S. 45 d) Die in ZR 63/1964 Nr. 16 vom Bundesgericht vertretene Meinung, wonach zwischen Art. 273 StGB und anderen Strafbestimmungen, die wahlweise Zuchthaus oder Gefängnis androhen, kein grundsätzlicher Unterschied bestehe, indem auch bei den letzteren der Richter innerhalb des nämlichen Tatbestandes zwischen schweren und leichteren Fällen unterscheiden und je nachdem auf Zuchthaus oder auf Gefängnis erkennen müsse, vermag nach erneuter Prüfung nicht zu überzeugen. Zwar ist der Entwicklungsgeschichte des Art. 273 StGB wie des BB betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft vom 21. Juni 1935 (sog. Spitzelgesetz; AS n.F. 51/1935 S. 482), dessen Art. 4 im wesentlichen ins StGB übernommen wurde, nicht zu entnehmen, warum Abs. 3 so und nicht anders gefasst worden ist. Vom Wortlaut ausgehend liegt jedoch der Schluss nahe, dass diese Vorschrift nicht den gleichen Sinn haben kann wie die Strafbestimmungen mit wahlweiser Androhung von Gefängnis oder Zuchthaus, zumal kein Grund ersichtlich ist, warum der Gesetzgeber Art. 273 Abs. 3 StGB diesfalls nicht gleich hätte fassen sollen wie die letzteren. Das aber hat er gerade nicht getan. Vielmehr hat er für die leichten bis durchschnittlichen Fälle Gefängnis und für schwere Fälle Zuchthaus angedroht, was doch nur bedeuten kann, dass - unter Vorbehalt der Strafmilderungsgründe des allgemeinen Teils - im ersteren Fall nur auf Gefängnis und im zweiten nur auf Zuchthaus zu erkennen ist. Dafür, dass wirtschaftlicher Nachrichtendienst schlechthin mit Zuchthaus bedroht zu gelten habe, d.h. diese Strafdrohung allein die objektive Schwere des Delikts zum Ausdruck bringe, lässt sich somit der vom Gesetzgeber gewählten Fassung des Art. 273 Abs. 3 StGB nichts Sicheres entnehmen. e) Zu Zweifeln Anlass gibt aber auch die von Schultz und Stratenwerth vertretene These, derzufolge beim Tatbestand des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes nur die niedrigere der angedrohten Sanktionen, nämlich Gefängnis, nach Art. 9 und 70 StGB , erheblich wäre. Zwar trifft es zu, dass der Gesetzgeber die höhere, auf Zuchthaus lautende Strafdrohung hier nicht an ein Qualifikationsmerkmal geknüpft hat, das von ihm selber präziser umschrieben worden ist (wie z.B. bandenmässiger oder gewerbsmässiger Diebstahl oder Raub, Raub unter Bedrohung mit dem Tode u.a.m.). Das ist offenbar wegen der Vielfalt möglicher Erschwerungsgründe nicht geschehen, weshalb der Gesetzgeber sich gezwungen sah, auf die weite Formulierung "schwerer Fall" auszuweichen, es dem Richter überlassend, dem unbestimmten BGE 108 IV 41 S. 46 Rechtsbegriff seinen Gehalt zu geben. Damit verwies er jenen aber nicht einfach auf sein pflichtgemässes Ermessen wie bei der Strafzumessung, bei der das konkrete Täterverschulden unter Berücksichtigung von Schärfungs- und Milderungsgründen des allgemeinen Teils abzuschätzen und dementsprechend eine mehr oder weniger schwere Strafe innert des gesetzlichen Rahmens auszufällen ist. Vielmehr hat der Richter bei Art. 273 Abs. 3 StGB aus dieser besonderen Norm und ihrem Kontext heraus objektiv, d.h. unter Ausschluss der persönlichen Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit des konkreten Täters berühren, zu bestimmen, was das Wesen eines schweren Falls wirtschaftlichen Nachrichtendienstes ausmacht; denn die daran anschliessende und für Art. 9 und 70 StGB massgebende Strafdrohung soll ja Ausdruck der objektiven Schwere der Tat sein ( BGE 93 IV 11 E. 2b). Wo der Richter aber solcherweise verfährt, um festzustellen, worin ein schwerer Fall im Sinne des Art. 273 Abs. 3 StGB besteht, da unterscheidet sich seine Wertung qualitativ nicht von derjenigen, welche die Auslegung im einzelnen geregelter Qualifikationsmerkmale voraussetzt, in deren Umschreibung der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe einbezogen hat (z.B. Art. 112: besonders verwerfliche Gesinnung, besondere Gefährlichkeit; Art. 122 Ziff. 1 Abs. 3: eine andere schwere Schädigung des Körpers; Art. 137 Ziff. 2 letzter Abs. und 139 Ziff. 2 Abs. 4: besondere Gefährlichkeit; Art. 139 Ziff. 2 letzter Abs.: besondere Grausamkeit u.a.m.). Und doch wird im Schrifttum nicht behauptet, es werde mit der Bestimmung der Deliktsart nach der an solche Qualifikationen anschliessenden Strafdrohung wegen jener notwendigen richterlichen Wertung von der abstrakten Betrachtungsweise abgegangen. f) In Berücksichtigung des Gesagten erscheint die Auffassung von Logoz und Thormann/v. Overbeck, wonach die Schärfungs- und Milderungsgründe des besonderen Teils des StGB bei Feststellung des angedrohten gesetzlichen Höchstmasses der Strafe zu berücksichtigen seien, als jene mittlere Lösung, die das Richtige trifft, sofern der Richter dabei in objektiver Weise unter Vernachlässigung aller den konkreten Fall berührender subjektiver Elemente den Gehalt der betreffenden Qualifikationen feststellt. Demgegenüber muss der Hinweis auf das deutsche Schrifttum versagen, weil einerseits das deutsche StGB in § 12 Abs. 3 ausdrücklich bestimmt, dass Schärfungen oder Milderungen, welche für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, BGE 108 IV 41 S. 47 für die Einteilung in Deliktskategorien ausser Betracht zu bleiben haben, und weil anderseits das deutsche Recht hierbei vom Mindeststrafmass und nicht von der angedrohten Höchststrafe ausgeht. 3. Im vorliegenden Fall bleibt noch zu prüfen, was der Gesetzgeber als schweren Fall wirtschaftlichen Nachrichtendienstes verstanden wissen wollte. Art. 273 StGB enthält selber keinen Anhaltspunkt. Indessen steht er unter dem Titel der Verbrechen und Vergehen gegen den Staat und bezweckt den Schutz der Gebietshoheit und die Abwehr der Spitzeltätigkeit zur Erhaltung der nationalen Wirtschaft ( BGE 101 IV 313 , BGE 98 IV 210 ). Zudem macht der nahe verwandte Tatbestand des politischen Nachrichtendienstes, der analog Art. 273 StGB für schwere Fälle Zuchthaus androht, in Ziff. 2 durch Beispiele deutlich, wann ein schwerer Fall politischer Spionage gegeben ist. Das trifft insbesondere zu, wenn der Täter zu Handlungen aufreizt oder falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden. Analog auf Art. 273 StGB übertragen, wird man dann, wenn der Täter private wirtschaftliche Geheimnisse, deren Bewahrung wegen ihrer grossen Bedeutung, bzw. ihrem erheblichen industriellen Wert (s. BGE 97 IV 123 f.) auch im staatlichen Interesse liegt, ausspäht oder verrät und dadurch die nationale Sicherheit im wirtschaftlichen Bereich, wenn auch bloss abstrakt, so doch in bedeutendem Ausmass mitgefährdet (vgl. HAFTER, BT II S. 674), einen schweren Fall wirtschaftlichen Nachrichtendienstes für gegeben erachten. 4. Die Vorinstanz hat ZR 63/1964 Nr. 16 folgend Nachrichtendienst wegen der auf Zuchthaus lautenden Strafdrohung schlechthin als Verbrechen eingestuft. Sie hatte deshalb vorgängig nicht zu prüfen, ob der konkrete Fall den oben umschriebenen Erfordernissen eines schweren wirtschaftlichen Nachrichtendienstes entspreche. Das obergerichtliche Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie prüfe, ob ein schwerer Fall gemäss Erwägung 3 gegeben sei. Für den Fall, dass dies zutreffen sollte, stände ein mit Zuchthaus bedrohtes Delikt und damit ein Verbrechen in Frage, das noch nicht verjährt wäre. Die Strafverfolgung wäre diesfalls fortzusetzen, unbekümmert darum, ob die Beschwerdeführer sich jener objektiven Schwere ihres Tuns auch bewusst gewesen sind oder nicht und ob sie deswegen dann schliesslich mit Zuchthaus oder bloss mit Gefängnis zu bestrafen wären. BGE 108 IV 41 S. 48
de
71cb2a3b-1057-4dff-9f7c-ade4c9bbca60
Erwägungen ab Seite 24 BGE 106 IV 24 S. 24 Aus den Erwägungen: 3. a) Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz fuhr W. am 5. August 1977 abends nach 21 Uhr mit seinem Personenwagen Chevrolet Camaro mit 106 km/h durch Räterschen, wo eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h signalisiert war. Dabei wurde der Wagen durch eine automatische Radarstation fotografiert. b) In der gleichen Nacht zwischen 1 und 2 Uhr fuhr W. mit H. nochmals nach Räterschen. Er hatte das Aufblitzen der Radaranlage bemerkt. Um die Auswertung der Radarmessung zu verhindern, schlugen die beiden am Radargerät die Scheibe ein, gossen Benzin in den Apparat und zündeten ihn an. Es entstand ein Gesamtschaden von rund 40'000 Franken. 4. Gegen die Subsumtion der massiven Überschreitung der signalisierten Geschwindigkeitslimite unter Art. 90 Ziff. 2 SVG als grobe Verkehrsregelverletzung werden keine rechtlichen Einwendungen erhoben. Hingegen rügt der Beschwerdeführer, die ihm zur Last gelegte Sachbeschädigung sei nicht gemäss Art. 145 Abs. 2, sondern gemäss Art. 145 Abs. 1 StGB BGE 106 IV 24 S. 25 zu ahnden, da ein Handeln aus gemeiner Gesinnung nicht nachgewiesen sei. a) Der qualifizierte Tatbestand der Sachbeschädigung ist erfüllt, wenn der Täter aus gemeiner Gesinnung einen grossen Schaden verursacht hat. Dass die Zerstörung einer Radaranlage als grosser Schaden im Sinne dieser Bestimmung zu bewerten ist, wird vom Beschwerdeführer zu Recht nicht in Frage gestellt. b) Bei der Interpretation des umstrittenen Qualifikationsmerkmals der gemeinen Gesinnung muss die mit der Anwendung der Vorschrift verbundene Rechtsfolge in Betracht gezogen werden: Während die einfache Sachbeschädigung mit Busse oder Gefängnis bis zu 3 Jahren bedroht ist, beträgt das Strafminimum bei qualifizierter Sachbeschädigung ein Jahr Zuchthaus und das Strafmaximum fünf Jahre Zuchthaus. Das Strafminimum von einem Jahr Zuchthaus, das nur in wenigen Strafbestimmungen angedroht ist, zeigt deutlich, dass der Gesetzgeber mit dem Ausdruck "gemeine Gesinnung" eine besonders niederträchtige Grundhaltung bezeichnen wollte ( BGE 104 IV 247 , vgl. auch RStrS 1969, S. 108 Nr. 191). Wohl wird der Strafrahmen auch durch das Erfordernis grossen Schadens mitbestimmt; aber das Ausmass des Schadens allein genügt nie für die Anwendbarkeit von Abs. 2 des Art. 145 StGB , es bedarf stets auf der subjektiven Seite eines negativen Bewertungselementes, das nicht bloss im egoistischen Motiv der konkreten Handlung liegen kann, sondern tiefer in der Persönlichkeit des Täters verwurzelt sein muss und die dem Verhalten zugrunde liegende Einstellung des Täters entscheidend prägt. Nur wenn eine ruchlose, schwere Sachbeschädigung in dieser Weise als besonders persönlichkeitsadäquat und als Ausfluss einer entsprechenden Grundhaltung erscheint, kann das Tatbestandsmerkmal der gemeinen Gesinnung erfüllt sein. c) Im vorliegenden Fall begründet das Obergericht die Anwendung von Art. 145 Abs. 2 StGB mit der Überlegung, der Schutz vor einem drohenden Führerausweisentzug als Zweck der Zerstörung vermöge das Verhalten nicht zu entschuldigen; wer durch ein neues Delikt wissentlich einen derart enormen Schaden anrichte, um sich oder einen Mittäter der Verantwortung zu entziehen, handle niederträchtig und feige. Gewiss kann der Zweck der Tat - Bestrafung und Führerausweisentzug zu verhindern - die Sachbeschädigung in keiner BGE 106 IV 24 S. 26 Weise entschuldigen. Doch bei der streitigen Subsumtionsfrage geht es nicht um die Möglichkeit der Entschuldigung, sondern darum, ob die schädigende Handlung aus gemeiner Gesinnung erfolgte. Aus der Sicht des verantwortungsbewussten Bürgers erscheint die Zerstörungsaktion als feige. Nicht dargetan ist jedoch, dass das Delikt Ausdruck einer besonders verwerflichen Grundhaltung ist. Die Verwendung des Wortes "niederträchtig" entbehrt einer sachbezogenen Begründung. Es fehlen etwa Anhaltspunkte für eine allgemeine charakterliche Bereitschaft zu rücksichtslosem Handeln oder für skrupellosen Vandalismus unter Hintanstellen aller Bedenken. Stellt aber die Tat die einmalige, wenn auch ganz unverhältnismässige Reaktion auf die Erfassung durch eine automatische Radarkontrolle dar, so lässt sich aus den Umständen nicht auf das folgenschwere Qualifikationsmerkmal der gemeinen Gesinnung schliessen. Auch die hartnäckige Bestreitung der Tat durch den Beschwerdeführer vermag eine solche Schlussfolgerung nicht zu begründen. Die Vorinstanz hat das massgebende Kriterium des Handelns aus gemeiner Gesinnung in einem zu weiten, praktisch sozusagen jede vorsätzliche Verursachung grossen Schadens erfassenden Sinne interpretiert und durch die Anwendung von Art. 145 Abs. 2 StGB auf den vorliegenden Fall Bundesrecht verletzt. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher in diesem Punkte gutzuheissen.
de
5bbbb084-c4f9-4dcc-8a83-2354f2c015c5
Sachverhalt ab Seite 204 BGE 102 Ib 203 S. 204 Am 21. November 1973 ereignete sich auf der Liegenschaft der Firma Hofmann AG in Littau ein Ölunfall. Durch einen Defekt an der Heizölversorgung gelangten mehrere Tausend Liter Öl in den Boden, wodurch die Grundwasserversorgung der Gemeinde Littau in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der Betrieb der Gemeindewasserversorgung musste vorübergehend eingestellt werden, um zu verhindern, dass ölverseuchtes Wasser in das Leitungsnetz gelangen konnte; während dieser Zeit musste die Gemeinde das fehlende Wasser aus dem Pumpwerk Thorenberg der Stadt Luzern beziehen. Zur Behebung des Schadens wurden die Ölwehr Emmen, die gemeindeeigene Feuerwehr, das Werkpersonal, eine militärische Einheit, ein Baugeschäft sowie ein Bohrunternehmen beigezogen. Überdies wurden chemische Laboruntersuchungen notwendig. Wegen dieses Ölunfalls wurde gegen den verantwortlichen Equipenchef der Firma, die am 5. Dezember 1972 die letzte Tankrevision durchgeführt hatte, ein Strafverfahren eingeleitet. Das Amtsgericht Luzern-Land verurteilte ihn wegen fahrlässiger Trinkwasserverschmutzung zu einer Busse von Fr. 500.--, und das Obergericht des Kantons Luzern bestätigte das Urteil. Der Verurteilte hat beim Bundesgericht eine Kassationsbeschwerde und eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Am 24. Juni 1974 verfügte der Gemeinderat Littau, die Kosten für die Feststellung und Behebung der Grundwasserverunreinigung infolge des Ölunfalls und alle weiteren daraus sich ergebenden Kosten seien in Art. 8 GSchG der Firma Hofmann zu belasten, und es wurde dieser Firma eine Frist von 30 Tagen angesetzt zur Bezahlung der bisher aufgelaufenen Kosten von Fr. 319'017.90. Das Forderungsrecht für weitere Kosten, insbesondere auch für den Fremdwasserbezug, wurde ausdrücklich vorbehalten. Der Regierungsrat des Kantons Luzern hiess eine von der Firma Hofmann gegen die Verfügung des Gemeinderates Littau eingereichte Verwaltungsbeschwerde teilweise gut. Er stellte fest, die Kosten des Fremdwasserbezuges beträfen nicht BGE 102 Ib 203 S. 205 Massnahmen zur Sicherung oder Wiederherstellung des bisherigen Wasserbezugsortes und könnten daher nicht gemäss Art. 8 GSchG auf die Firma überwälzt werden. Die Gemeinde Littau habe diese Kosten in einem zivilrechtlichen Verfahren geltend zu machen. Dagegen seien der Beschwerdeführerin in Anwendung von Art. 8 GSchG die Kosten des Ölwehreinsatzes, der Arbeitsleistung Dritter und des Materials im Gesamtbetrag von Fr. 191'043.60 zu belasten. Material, das die Gemeinde Littau nach Durchführung der Massnahmen übernommen habe, müsse sie der Beschwerdeführerin ersetzen. Die Firma Hofmann hat beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht mit dem Hauptantrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Der Gemeinderat Littau und der Regierungsrat des Kantons Luzern beantragen Abweisung der Beschwerde, während das Eidgenössische Departement des Innern auf einen förmlichen Antrag verzichtet hat. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Nach Art. 8 GSchG können die Kosten von Massnahmen, welche die zuständigen Behörden zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gewässerverunreinigung sowie zur Feststellung und zur Behebung einer Verunreinigung treffen, den Verursachern überbunden werden. Diese Vorschrift wurde in Anlehnung an das Urteil BGE 91 I 295 in das neue Gewässerschutzgesetz aufgenommen, um für die Kostenbelastung des Verursachers bei der auf dem Gebiete des Gewässerschutzes häufig notwendigen antizipierten Ersatzvornahme eine eindeutige gesetzliche Regelung zu schaffen (Botschaft des Bundesrates vom 26. August 1970 II 446 f.). Durch den angefochtenen Entscheid hat der Regierungsrat in Anwendung von Art. 8 GSchG Kosten von Sicherungsmassnahmen der beschwerdeführenden Firma Hofmann überbunden. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird bestritten, dass nach den konkreten Umständen die Zahlungspflicht gemäss Art. 8 GSchG die Beschwerdeführerin treffe. Subsidiär wird die Berechnung der Kosten der Sicherungsmassnahmen beanstandet. BGE 102 Ib 203 S. 206 2. Gemäss Art. 8 GSchG können die Kosten "den Verursachern" überbunden werden. Der Regierungsrat geht davon aus, der Begriff "Verursacher" decke sich mit dem verwaltungsrechtlichen Begriff "Störer" ( BGE 91 I 144 und 302). Dieser Argumentation ist grundsätzlich zuzustimmen. Wenn es eine Störung oder Gefahr zu beheben gilt, so hat sich die Behörde einem allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz zufolge an den Störer zu halten ( BGE 87 I 113 f., BGE 90 I 4 E. 1). Auch die Kostenzahlungspflicht bei antizipierter Ersatzvornahme trifft im Prinzip die Störer, d.h. die Verursacher der Störung oder Gefährdung. Allerdings ist dabei zu beachten, dass der Begriff des Störers ursprünglich und in erster Linie entwickelt worden ist, um denjenigen zu bezeichnen, an den sich überwachungsbehördliche Massnahmen präventiver oder repressiver Art zu richten haben. Den Störer trifft die sogenannte Polizeipflicht, er hat im Rahmen seiner Möglichkeiten die Störung zu beseitigen oder zu verhindern (vgl. H.J. WOLFF, Verwaltungsrecht III, 3. Aufl. S. 59 ff.; ULE-RASCH, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, S. 109). Für diese primäre Funktion des Störerbegriffs zur Umschreibung des Trägers der Polizeipflicht, der die Gefahr oder Störung zu beseitigen hat, ist neben dem Gesichtspunkt der Verursachung oder Mitverursachung auch die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der wirksamen Wiederherstellung des polizeigemässen Zustandes von wesentlicher Bedeutung. So erwähnen etwa DREWS-WACKE (Allgemeines Polizeirecht, 7. Aufl. S. 245) als Faktoren, die bei der Wahl des im konkreten Fall Polizeipflichtigen unter mehreren Verursachern von Bedeutung sein können, folgende Gesichtspunkte: leichte Feststellbarkeit des Verursachers, sachliche und örtliche Nähe zum Gefahrenherd, persönliche und sachliche Leistungsfähigkeit und Eignung. Wenn es jedoch, wie bei der Anwendung von Art. 8 GSchG , nicht darum geht, denjenigen zu bestimmen, der zur Beseitigung der Gefahr heranzuziehen ist, sondern um die Regelung der Zahlungspflicht für Massnahmen, die nach der Natur der Sache (Dringlichkeit, personelle und fachliche Voraussetzungen) nicht von den Verursachern getroffen, sondern durch die zuständigen Verwaltungsinstanzen direkt veranlasst werden müssen, dann kann jenen Überlegungen der Verwaltungsrechtslehre, welche aus praktischen Gründen die rasche Bestimmung eines zur effektiven Gefahrenabwehr verpflichteten BGE 102 Ib 203 S. 207 Störers zum Gegenstand haben, keine entscheidende Bedeutung zukommen. Die blosse Regelung der Zahlungspflicht erfordert kein derart rasches und schematisches Vorgehen wie die Bestimmung des zur Unterlassung oder Beseitigung einer Störung Verpflichteten. Es ist somit davon auszugehen, dass als Verursacher im Sinne von Art. 8 GSchG alle nach Doktrin und Praxis als Störer für eine Gefahr oder Störung Verantwortlichen in Frage kommen. Sind für die Gewässerverschmutzung oder Verschmutzungsgefahr mehrere Personen verantwortlich, so ist das sich dabei ergebende Konkurrenzproblem unter Berücksichtigung des Umstandes zu prüfen, dass nicht über die Pflicht zur effektiven Gefahrenabwehr, sondern über die blosse Kostentragungspflicht zu entscheiden ist. 3. In BGE 91 I 302 E. 3b hat das Bundesgericht erklärt, als Störer sei zu betrachten, wer die Störung oder Gefahr verursacht habe, aber auch, wer über die Personen oder Sachen, die den ordnungswidrigen Zustand geschaffen haben, Gewalt besitze. Diese Umschreibung entspricht weitgehend der heute in Doktrin und Praxis allgemein anerkannten Unterscheidung zwischen Verhaltensstörer und Zustandsstörer (Verhaltens- oder Handlungshaftung und Zustandshaftung): Verhaltensstörer ist, wer durch eigenes Verhalten oder durch das unter seiner Verantwortung erfolgende Verhalten Dritter (Kinder, Verrichtungsgehilfen eines Geschäftsherrn) eine polizeiwidrige Gefahr oder Störung verursacht. Als Zustandsstörer wird bezeichnet, wer für die Beseitigung von Gefahren oder Störungen verantwortlich ist, die sich aus dem polizeiwidrigen Zustand von Sachen ergeben. Die Zustandshaftung trifft denjenigen, der als Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt in einem herrschenden Verhältnis zur störenden Sache steht (vgl. H.J. WOLFF, a.a.O., S. 61 ff., § 127 I; in ähnlichem Sinne DREWS-WACKE, a.a.O., S. 217 ff., ULE-RASCH, a.a.O., S. 108 ff. und 115 ff.). Nach allgemeiner Auffassung ist die polizeirechtliche Haftung durch ein zusätzliches Kriterium einzuschränken: In der deutschen Lehre und Rechtsprechung wird vielfach die Unmittelbarkeit der Verursachung als haftungsbegrenzendes Erfordernis bezeichnet. Danach kommen als polizeirechtlich erhebliche Ursachen nur solche Handlungen in Betracht, die bereits selbst die Grenze zur Gefahr überschritten haben. Nur derjenige BGE 102 Ib 203 S. 208 ist polizeirechtlich Störer, dessen Verhalten schon selbst unmittelbar die Gefahr gesetzt hat; entferntere, lediglich mittelbare Verursachungen scheiden also aus (DREWS-WACKE a.a.O. S. 223). H.J. WOLFF (a.a.O. S. 62) schlägt vor, auf die Polizeiwidrigkeit der Erfolgsverursachung abzustellen; wesentliche Ursachen sind danach diejenigen Tatsachen, welche als solche die Gefahr oder Störung in rechtlich missbilligter Weise herbeigeführt haben. 4. a) Im vorliegenden Fall ist - wie die Strafuntersuchung ergeben hat - die Verschmutzung des Grundwassers darauf zurückzuführen, dass Verbindungsleitungen der Tankanlage der Beschwerdeführerin verrostet waren und undichte Stellen aufwiesen. Als Eigentümerin der mangelhaften, polizeiwidrigen Tankanlage ist die Beschwerdeführerin als Zustandsstörerin verantwortlich. Auch wenn die Mängel der Tankanlage von den Organen der Beschwerdeführerin nicht erkannt worden sein sollten, so wäre auf Grund des tatsächlichen Beherrschungsverhältnisses über die polizeiwidrige Einrichtung die Zustandshaftung gegeben. b) Nach dem angefochtenen Entscheid des Regierungsrates soll die Beschwerdeführerin auch als Verhaltensstörerin haftbar sein, weil die Anlage ungenügend kontrolliert bzw. unterhalten worden sei. Aus den Akten ergeben sich einige Hinweise, die vermuten lassen, dass die Gefahr von Leckschäden möglicherweise für die zuständigen Angestellten der Beschwerdeführerin erkennbar war und nicht nur durch eine fachmännische Tankrevision festgestellt werden konnte. Der Vorwurf der Verhaltensstörungen durch fahrlässige oder vorsätzliche Unterlassung wird im Entscheid des Regierungsrates nicht näher begründet. Um das Ausmass der Verantwortung der Beschwerdeführerin festzulegen, muss jedoch abgeklärt werden, ob die Gefahr von Ölverlusten - etwa wegen des Zustandes sichtbarer Leitungen (starker Rost) oder wegen des Auftretens von Wasser im Heizöl - erkannt wurde oder hätte erkannt werden sollen. c) Ausser der Beschwerdeführerin als Zustands- und eventuell als Verhaltensstörerin kommt - nach dem bisherigen Ergebnis des Strafverfahrens - als weiterer Störer Ernst Hofer in Frage, der als Equipenchef der Firma Forster am 5. Dezember 1972 eine Tankrevision der Anlage durchführte und dem zur Last gelegt wird, er habe wegen ungenügender BGE 102 Ib 203 S. 209 Kontrollen den damals bereits vorhandenen polizeiwidrigen Zustand der von Rost angefressenen Verbindungsleitung nicht erkannt. Wenn die Tankrevision tatsächlich mangelhaft durchgeführt wurde, so stellt sich auch die Frage der Haftung der Tankrevisionsfirma. 5. a) Der Regierungsrat schliesst im angefochtenen Entscheid keineswegs aus, dass neben der Beschwerdeführerin noch andere natürliche oder juristische Personen als Verursacher der Gewässerverschmutzung in Frage kommen könnten. Der Gemeinderat Littau erklärt in der Vernehmlassung, für den weitern Schaden werde in erster Linie die Tankrevisionsfirma Forster AG belangt werden; aber bis zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung an die Beschwerdeführerin sei kein anderer Verursacher mit genügender Sicherheit bekannt gewesen. Der angefochtene Entscheid beruht auf der Auffassung, dass bei einer Mehrheit von Störern die Behörde sich zwar nicht nach freier Wahl an irgendeinen Verantwortlichen halten könne (in diesem Sinne BGE 94 I 411 E. 5d), aber doch die Möglichkeit habe, nach pflichtgemässem Ermessen einen der Störer mit der vollen Zahlungspflicht zu belasten und ihm die Auseinandersetzung mit andern Verantwortlichen zu überlassen (ähnlich RR Aargau in ZBl 1976 S. 34 f.). b) URS GUENG hat in kritischer Auseinandersetzung mit BGE 94 I 411 Regeln über die Störerauswahl bei Haftungskonkurrenz zu entwickeln versucht ("Zur Haftungskonkurrenz im Polizeirecht" in ZBl 1973 S. 257 ff. insbesondere 270 f.). Er hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die zivilrechtliche Haftungssolidarität dem Geschädigten für einen möglichst umfassenden Ausgleich der erlittenen Einbusse Gewähr bieten wolle, während im Polizeirecht für die Lösung der Konkurrenzfrage nicht die möglichst einfache und rasche Deckung finanzieller Ansprüche des Gemeinwesens ausschlaggebend sein könne. Ob die von Gueng in Anlehnung an die deutsche Lehre entwickelten Auswahlregeln den praktischen Erfordernissen genügen, wenn es darum geht, den zur Behebung der Störung Verpflichteten rasch zu bestimmen, kann hier offen bleiben. Auf jeden Fall verdient die von Gueng vorgebrachte Kritik der bisherigen Praxis Beachtung, soweit sie sich auf die Verteilung der Kosten einer antizipierten Ersatzvornahme bezieht. BGE 102 Ib 203 S. 210 Trifft die zuständige Behörde von vornherein selber oder durch Dritte die zur Behebung des polizeiwidrigen Zustandes erforderlichen Massnahmen, weil nach der Art dieser Massnahmen deren fachgemässe Durchführung von keinem der Störer erwartet und verlangt werden kann, dann reduziert sich das Problem der Haftungskonkurrenz auf die nachträgliche Kostenbelastung. Es besteht kein haltbarer Grund, in diesem Fall nur einen der in Frage kommenden Verursacher zur Zahlung der Kosten zu verpflichten und ihm die Auseinandersetzung mit den übrigen Beteiligten zu überlassen (GUENG, a.a.O., S. 273 f.). Weder ein Rechtssatz noch eine stichhaltige theoretische Überlegung zwingen zum Schluss, die Bestimmung der Kostenersatzpflicht bei antizipierter Ersatzvornahme habe nach den genau gleichen Regeln zu erfolgen, wie die Wahl des zur Behebung des polizeiwidrigen Zustandes verpflichteten Störers. Für die Regelung der Kostenpflicht bei antizipierter Ersatzvornahme gebietet pflichtgemässes Ermessen eine Kostenverlegung, welche im Rahmen des Möglichen nach den allgemeinen Prinzipien des Haftpflichtrechts den subjektiven und objektiven Anteilen an der Verursachung entspricht ( BGE 101 Ib 417 ff. E. 6). c) Im vorliegenden Fall haben Gemeinderat und Regierungsrat es unterlassen, die möglichen Verursachungsanteile genauer abzuklären und eine gerechte Aufteilung der Kostenpflicht zwischen den festgestellten Verursachern vorzunehmen. Eine solche Bestimmung der Verursachungsquoten mag in manchen Fällen recht schwierig sein. Es besteht aber kein Grund, die zuständige Behörde von dieser Aufgabe zu entlasten und die schematische Überwälzung der Kosten auf einen einzelnen von mehreren Verursachern zu gestatten. Art. 8 GSchG schafft keine solche "Solidarhaft" unter verschiedenen Verursachern. Aus dieser Bestimmung kann auch nicht das Recht abgeleitet werden, die bis zur Eruierung weiterer Verursacher aufgelaufenen Kosten von Abwehrmassnahmen dem zuerst bekannten Zustandsstörer - dem Eigentümer der mangelhaften Anlage - zu überbinden und allfällige weitere Verursacher erst zur Tragung später entstehender Kosten zu verpflichten, wie der Gemeinderat Littau dies offenbar vorgesehen hat. Die Kosten von Massnahmen sind vielmehr nach möglichst genauer Abklärung des Hergangs auf die verschiedenen Verursacher nach analogen Grundsätzen zu verteilen, BGE 102 Ib 203 S. 211 wie sie für das Innenverhältnis (Regress zwischen mehreren Ersatzpflichtigen) im privaten Haftpflichtrecht gelten (vgl. OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht I, 4. Aufl. S. 348 ff.); dabei dürfte in der Regel der schuldhafte Verhaltensstörer in erster Linie zu belangen und der schuldlose Zustandsstörer in letzter Linie heranzuziehen sein. Auch wenn einer von mehreren Verursachern Zustands- und Verhaltensstörer zugleich sein sollte, so hat diese doppelte Begründung seiner Haftung nicht eo ipso seine ausschliessliche Pflicht zur Tragung aller Kosten zur Folge; die andern Störer können im Rahmen ihrer Verursachungsanteile ebenfalls zur Kostentragung herangezogen werden. Indem der Regierungsrat die Beschwerdeführerin allein zur Zahlung des vollen Betrages der bis zum Tag der erstinstanzlichen Verfügung aufgelaufenen Kosten verpflichtete, obschon zumindest die mangelhafte Tankrevision als weitere, nicht von der Beschwerdeführerin zu vertretende Ursache in Frage kommt, hat er Art. 8 GSchG verletzt. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben, und die Akten sind zu neuer Prüfung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Art. 8 GSchG erlaubt nicht ein den Staat oder die Gemeinde begünstigendes summarisches Verfahren, sondern verlangt eine differenzierte Feststellung der Verursachungsanteile. 6. Ob die einzelnen Posten der Kostenrechnung sachlich begründet sind, ist hier nicht zu untersuchen. Selbstverständlich hat die mit derartigen Kosten belastete Partei das Recht, spezifizierte Angaben zu verlangen und die Notwendigkeit der getroffenen Massnahmen allenfalls zu bestreiten. Bei der Überprüfung der Zweckmässigkeit der unter dem Druck der Verhältnisse kurzfristig angeordneten Massnahmen werden obere Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgericht in der Regel eher zurückhaltend sein; nur offensichtlich unnötige, leichtfertig gemachte Aufwendungen sind aus der Kostenberechnung zu streichen. Es dürfte angezeigt sein, die beanstandeten Positionen der Kostenrechnung vor Erlass einer neuen Verfügung gemäss Art. 8 GSchG in einer mündlichen Verhandlung unter Beizug von Fachleuten zu klären. Die zum Teil recht pauschale Rechnungsstellung legt dieses Vorgehen nahe. BGE 102 Ib 203 S. 212
de
09d5ddc7-c29e-4fae-8d01-63e0efd07943
Sachverhalt ab Seite 569 BGE 118 Ib 569 S. 569 Die Stadt Zürich beabsichtigt, in der Nähe der S-Bahn-Haltestelle Stettbach eine Zivilschutzanlage, bestehend aus einer Bereitstellungsanlage, einem Sanitätsposten und dem Quartierkommandoposten, zu errichten. Da der vorgesehene Standort unmittelbar ausserhalb der Zürcher Stadtgrenze, auf Gebiet der Stadt Dübendorf, liegt, wurden BGE 118 Ib 569 S. 570 die Projektpläne dem Bauamt Dübendorf unterbreitet. Hierauf erteilte der Stadtrat Dübendorf der Stadt Zürich für die Zivilschutzanlage mit Beschluss vom 4. Juni 1987 in Anwendung des kantonalen und kommunalen Rechts unter gewissen Auflagen die Baubewilligung. Gegen diese Unterstellung unter die Baubewilligungspflicht erhob die Stadt Zürich bei der Baurekurskommission III des Kantons Zürich Rekurs und ersuchte um Feststellung, dass der Beschluss des Stadtrates Dübendorf nichtig sei. Eventualiter verlangte die Rekurrentin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Gebührenauflage mangels Zuständigkeit der verfügenden Behörde. Zur Begründung verwies die Stadt Zürich auf Art. 164 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Militärorganisation sowie auf Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Zivilschutz und machte geltend, dass die geplante Zivilschutzanlage als Baute, die der Landesverteidigung diene, keiner kantonalen Gebühr oder Bewilligung unterworfen werden dürfe. Mit Beschluss vom 18. Mai 1988 hiess die Baurekurskommission III den Rekurs der Stadt Zürich gestützt auf das kantonale Verfahrensrecht insofern teilweise gut, als er sich gegen die Gebührenauflage im Baubewilligungsverfahren richtete. Im übrigen wurde der Rekurs abgewiesen. Gegen den Entscheid der Baurekurskommission III reichte die Stadt Zürich beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde ein mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss insoweit als nichtig zu erklären, als dieser die Baubewilligung vom 4. Juni 1987 bestätige. Eventuell sei der Rekursentscheid in dem Umfang aufzuheben, als die Bauherrschaft unterlegen sei; dabei sei festzustellen, dass die Zivilschutzanlage keiner baupolizeilichen Bewilligung bedürfe. Mit Urteil vom 16. November 1989 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde der Stadt Zürich ab. Diese hat den Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten, welche vom Bundesgericht ebenfalls abgewiesen wird. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Art. 164 des Bundesgesetzes über die Militärorganisation vom 12. April 1907 (SR 510.10; Militärorganisation, MO) lautet: "1 Auf Lebensmitteln und Getränken, die für Truppen im eidgenössischen Dienst bestimmt sind, dürfen in den Kantonen und Gemeinden keinerlei BGE 118 Ib 569 S. 571 Gebühren oder Abgaben erhoben werden. Kantonale und Gemeinde-Monopole finden auf die Bedürfnisse der Truppe keine Anwendung. 2 Militäranstalten oder Militärwerkstätten sowie zu militärischen Zwecken bestimmtes Eigentum des Bundes dürfen mit keinerlei kantonalen oder Gemeindesteuern belastet werden. 3 Die Ausführung von Arbeiten, die der Landesverteidigung dienen, darf keiner kantonalen Gebühr oder Bewilligung unterworfen werden." In Art. 1 des Bundesgesetzes über den Zivilschutz vom 23. März 1962 (SR 520.1; Zivilschutzgesetz, ZSG) wird festgehalten: "1 Der Zivilschutz ist ein Teil der Landesverteidigung. 2 Der Zivilschutz bezweckt den Schutz, die Rettung und die Betreuung von Personen und den Schutz der Güter durch Massnahmen, die bestimmt sind, die Auswirkungen bewaffneter Konflikte zu verhindern oder zu mildern. Er hat keine Kampfaufgaben. 3 Der Zivilschutz kann ausserdem in Friedenszeiten und in Zeiten aktiven Dienstes für Hilfeleistungen bei Katastrophen eingesetzt werden." Nach Meinung der Beschwerdeführerin ergibt sich schon aus dem Wortlauf, aber auch nach dem Sinn von Art. 164 Abs. 3 MO und Art. 1 Abs. 1 ZSG , dass die Zivilschutzbauten dem kantonalen Baurecht nicht unterstünden. Dürften nämlich die Bauten, die der Landesverteidigung dienen, keiner kantonalen Bewilligung unterworfen werden, und sei auch der Zivilschutz ein Teil der Landesverteidigung, so müssten die Zivilschutzbauten ebenfalls von der kantonalen Bewilligungspflicht ausgenommen sein. Tatsächlich lässt ein oberflächlicher Vergleich von Art. 164 Abs. 3 MO und Art. 1 Abs. 1 ZSG den Eindruck entstehen, diese räumten auch den Zivilschutzanlagen eine baurechtliche Sonderstellung ein. Die Lehre neigt ebenfalls überwiegend zu dieser Auffassung (vgl. etwa EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Einleitung N. 80, JÜRG SPAHN, Die Bindung des Bundes an das kantonale und kommunale Baupolizeirecht sowie an die eidgenössischen Vorschriften im Bereiche der Raumplanung, Bern 1977, S. 26, ALDO ZAUGG, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern, Bern 1971, S. 48 N. 19 zu Art. 1; anderer Meinung: CHRISTOPH A. BANDLI, Bauen ausserhalb der Bauzone ( Art. 24 RPG ), Diss. Bern 1989, S. 53 f., CHRISTIAN MÄDER, Das Baubewilligungsverfahren, Diss. Zürich 1990, S. 25 N. 57, S. 295 N. 560). Bei näherer Betrachtung der beiden Normen zeigt sich indessen, dass der Schluss der Beschwerdeführerin nicht richtig sein kann, da einerseits dem Begriff der "Landesverteidigung" in den beiden Gesetzen nicht die gleiche BGE 118 Ib 569 S. 572 Bedeutung zukommt und andererseits Art. 1 Abs. 1 ZSG nicht als eine die Baubewilligungspflicht regelnde Bestimmung verstanden werden kann. a) Im angefochtenen Entscheid wird zu Recht festgestellt, dass sich Art. 164 Abs. 3 MO allein auf die Ausführung von Arbeiten bzw. von Bauten bezieht, die der militärischen Landesverteidigung dienen. Beim Erlass der vollständig revidierten Militärorganisation im Jahre 1907 ging es darum, in einem einzigen, übersichtlich gestalteten Gesetz das an den Bund übertragene Heerwesen (Wehrpflicht, Organisation und Ausbildung des Heeres, aktiver Dienst) einheitlich zu regeln sowie die Rechte und Pflichten von Bund und Kantonen auf dem Gebiete der Militärverwaltung voneinander abzugrenzen (vgl. Botschaft des Bundesrates betreffend den Entwurf einer neuen Militärorganisation vom 10. März 1906, BBl 1906 I S. 795 ff., insbes. 818 f.). Mit Art. 164 MO wurde, wie sich aus den ersten beiden Absätzen ergibt, in erster Linie eine Befreiung der Truppe und der militärischen Betriebe von kantonalen und kommunalen Steuern und Abgaben bezweckt. Durch Abs. 3 dieser Bestimmung sind jedoch auch kantonale Bewilligungen für die "Ausführung von Arbeiten" ausgeschlossen worden, wobei der Gesetzgeber damals an Bewilligungen für Bauarbeiten an militärischen Anlagen dachte, die ausserhalb der normalen Arbeitszeit vorgenommen werden müssen (vgl. Sten.Bull. 1906 S. 949, Berichterstatter Hoffmann). Die Frage, ob Art. 164 Abs. 3 MO der Sinn einer generellen Ausnahmebestimmung gegeben werden dürfe, durch welche die militärischen Bauten von der Unterstellung unter materielles und formelles kantonales Baurecht befreit würden, wurde vom Bundesgericht im (nicht veröffentlichten) Entscheid vom 23. Dezember 1952 i.S. Schweiz. Eidgenossenschaft gegen Kanton Luzern noch ausdrücklich offengelassen. Erst in BGE 110 Ib 261 ist mit Hinweis auf BGE 101 Ia 315 ausgeführt worden, die Vorschrift von Art. 164 Abs. 3 MO könne nur so verstanden werden, dass militärische Bauvorhaben von jeder Bewilligung nach kantonalem Recht, also auch von der kantonalen Baubewilligung, ausgenommen seien. Das gelte nicht nur für unmittelbar der Landesverteidigung dienende Bauten, so z.B. Festungsanlagen oder Panzersperren, sondern auch für lediglich mittelbar militärischen Zwecken dienende Gebäude, wie Militärbaracken, Zeughäuser oder Kasernen ( BGE 110 Ib 262 E. 2b). Indessen ist das Bundesgericht auch nach diesem Entscheid weiter davon ausgegangen, dass die von den Gemeinden gemäss Art. 32 MO zu erstellenden Schiessanlagen dem kantonalen Bau- und Planungsrecht BGE 118 Ib 569 S. 573 unterstehen, obwohl auch solche Anlagen mittelbar militärischen Zwecken dienen (vgl. BGE 114 Ib 129 E. 4, BGE 112 Ib 48 ff. E. 5). Diese Rechtsauffassung hat sich übrigens in Art. 17 der neuen Verordnung über die Schiessanlagen für das Schiesswesen ausser Dienst vom 27. März 1991 (SR 510.512) niedergeschlagen, wo festgehalten wird, dass die Projekte für solche Anlagen nach der Plangenehmigung durch den eidgenössischen Schiessoffizier dem ordentlichen Baubewilligungsverfahren unterliegen. Erstreckt sich demnach der Geltungsbereich von Art. 164 Abs. 3 MO ausschliesslich auf militärische Bauvorhaben, so vermag diese Norm für sich allein keine gesetzliche Grundlage für eine Sonderstellung von Bauten und Anlagen abzugeben, die zwar im weiteren Sinn ebenfalls der Landesverteidigung, aber nichtmilitärischen Zwecken dienen. Der von der Stadt Zürich vertretenen Meinung, es bedürfe für die Privilegierung der Zivilschutzbauten keiner Sondervorschrift im Zivilschutzrecht, da ja Art. 164 Abs. 3 MO eine für die gesamte Landesverteidigung und damit auch für den Zivilschutz anwendbare Regelung enthalte, ist deshalb nicht zu folgen. b) Nach dem Gesagten könnte somit die Ausnahmeregelung von Art. 164 Abs. 3 MO nur dann auf die Zivilschutzbauten ausgedehnt werden, wenn der Gesetzgeber mit der in Art. 1 Abs. 1 ZSG enthaltenen Feststellung, der Zivilschutz sei ein Teil der Landesverteidigung, die Zivilschutzanlagen in baurechtlicher Sicht den militärischen Anlagen hätte gleichstellen wollen. Nichts deutet jedoch auf eine solche Absicht und auf einen solchen Sinn von Art. 1 Abs. 1 ZSG hin: aa) Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 22bis BV und des Zivilschutzgesetzes ergibt sich, dass der Verfassungs- und Gesetzgeber mit diesen Rechtsgrundlagen den Ausbau der zivilen Verteidigung als Ergänzung zur militärischen, wirtschaftlichen und geistigen Landesverteidigung gewährleisten wollte. Die bis anhin teils den Luftschutztruppen obliegenden Aufgaben des Schutzes von Zivilpersonen und Gütern sowie der Rettung und Betreuung der Bevölkerung wurden mit dem Zivilschutzgesetz den zivilen Behörden übertragen. Selbst in Zeiten aktiven Dienstes soll der Zivilschutz weder in die militärische Verteidigung eingegliedert noch dieser zugeordnet werden. Vielmehr müsse er, wie in der parlamentarischen Beratung betont wurde, neben der Armee und der Kriegswirtschaft zur dritten wichtigen Säule einer im umfassenden Sinne verstandenen Landesverteidigung werden (Botschaft des Bundesrates vom 6. Oktober 1961 zu einem Bundesgesetz über den Zivilschutz, BBl 1961 II S. 698 f., 709 f.; Sten.Bull. NR 1961 S. 544, Berichterstatter BGE 118 Ib 569 S. 574 Freimüller). Diese zunächst als "totale Landesverteidigung" bezeichnete Verteidigung wird seit Ende der sechziger Jahre "Gesamtverteidigung" genannt. Sie umschliesst alle zivilen und militärischen Mittel und Massnahmen, welche der Erhaltung der staatlichen Unabhängigkeit des Landes und dem Schutz seiner Bevölkerung und seiner Einrichtungen im Konfliktfall dienen, und umfasst neben der Armee und dem Zivilschutz insbesondere die Aussenpolitik, die Wirtschafts- und Aussenwirtschaftspolitik, die wirtschaftliche Landesversorgung, den Staatsschutz und die Information (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 30. Oktober 1968 zum Bundesgesetz über die Leitungsorganisation und den Rat für Gesamtverteidigung, BBl 1968 II S. 647 ff., Bericht 90 des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz, BBl 1990 III S. 878 ff.; BGE 115 Ia 260 ff. E. 4a). Ist mithin der in Art. 1 Abs. 1 ZSG verwendete Begriff der Landesverteidigung nicht als militärische Landesverteidigung, sondern als Gesamtverteidigung zu verstehen und kommt ihm damit nicht die gleiche Bedeutung zu wie dem in Art. 164 Abs. 3 MO verwendeten Wort, so darf aus dem Wortlaut dieser beiden Rechtssätze nicht geschlossen werden, die in der Militärorganisation getroffene Ordnung beziehe sich auch auf das Zivilschutzwesen. bb) Dass Art. 1 Abs. 1 ZSG keine baurechtliche Verfahrens- oder Zuständigkeitsfragen regelnde Vorschrift darstellt, ergibt sich weiter aus Art. 1 ZSG in seiner Gesamtheit und der Stellung dieser Bestimmung im Gesetz. Art. 1 ZSG ist, wie es der Randtitel ausdrückt, ein Zweckartikel, in welchem die Funktion und die Aufgaben des Zivilschutzes generell umschrieben werden. Er vermag für sich allein weder Kompetenzen der Behörden noch Rechte oder Pflichten für Private zu begründen. Er regelt auch offensichtlich keine baurechtlichen Verfahrensfragen, die - soweit sie in der Zivilschutzgesetzgebung überhaupt erwähnt sind - an anderer Stelle behandelt werden. Im übrigen könnte aus Art. 1 Abs. 1 ZSG in Verbindung mit Art. 164 Abs. 3 MO ohnehin nur eine allgemeine Privilegierung sämtlicher Zivilschutzanlagen - nämlich der Ausbildungsanlagen ( Art. 60 ZSG ) wie auch der Anlagen der Schutzorganisationen ( Art. 68 Abs. 1 ZSG ) und der Schutzräume für die Bevölkerung (Art. 1-4 des Bundesgesetzes über die baulichen Massnahmen im Zivilschutz vom 4. Oktober 1963, SR 520.2; Schutzbautengesetz) - herausgelesen werden. Nun räumt aber die Beschwerdeführerin selbst ein, dass eine Sonderbehandlung nur für die Kategorie der Anlagen der Schutzorganisationen in Betracht falle, während die BGE 118 Ib 569 S. 575 Ausbildungsanlagen und die Gebäude mit Schutzräumen dem kantonalen und kommunalen Baurecht unterstünden. Eine derart differenzierte Ausnahmeregelung, die nur die eine Art von Zivilschutzanlagen beträfe, die anderen dagegen nicht, kann offensichtlich nicht auf den generell formulierten Art. 1 Abs. 1 ZSG abgestützt werden. Art. 1 Abs. 1 ZSG kann daher nicht den Sinn haben, den ihm die Beschwerdeführerin beilegen will. 4. In der Beschwerde wird weiter ausgeführt, es ergebe sich nicht nur aus Art. 164 Abs. 3 MO in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 ZSG , sondern auch aus dem Sinn und Zweck der gesamten Zivilschutzgesetzgebung, dass den Zivilschutzbauten die gleiche Sonderstellung eingeräumt werden müsse wie den militärischen Bauten, seien doch im Verteidigungsfall der Schutz der zivilen Bevölkerung und die Erfüllung der weiteren dem Zivilschutz übertragenen Aufgaben als zumindest gleichwertig zu betrachten wie die Gewährleistung der Kampffunktionen der militärischen Landesverteidigung. Angesichts dieses Stellenwertes des Zivilschutzes rechtfertige es sich nicht, allein zur Wahrung von privaten Interessen ein baurechtliches Bewilligungsverfahren durchzuführen. Den öffentlichen Interessen könne im Genehmigungsverfahren vor den Zivilschutzbehörden Rechnung getragen und die kommunalen und kantonalen Behörden könnten auch ausserhalb eines Baubewilligungsverfahrens angehört werden. Würden die Zivilschutzanlagen nicht vom kantonalen und kommunalen Baupolizeirecht befreit, so würde die Eidgenossenschaft in der Wahrnehmung einer ihr aufgrund der Bundesverfassung zustehenden Aufgabe ernsthaft beeinträchtigt. a) Vorweg ist festzuhalten, dass von den drei bereits erwähnten Kategorien von Zivilschutzbauten hier nur die Anlagen der örtlichen Schutzorganisationen und des Betriebsschutzes ( Art. 3 Ziff. 2, Art. 68 ZSG ) und deren Unterstellung unter das kantonale Baurecht im Streite liegen. Der Bau der privaten und öffentlichen Schutzräume wird im Schutzbautengesetz geregelt, welches in Art. 13 die Erteilung der (kantonalen) Baubewilligung an die Voraussetzung einer technischen Genehmigung durch die Zivilschutzbehörden knüpft und damit die Durchführung eines solchen kantonalen Verfahrens ausdrücklich vorbehält. Was die Ausbildungsanlagen ( Art. 60 ZSG ) anbelangt, so erwähnt Art. 83 der Verordnung über den Zivilschutz vom 27. November 1978 (SR 520.11; Zivilschutzverordnung, ZSV) einzig, das Bundesamt für Zivilschutz erlasse für solche Anlagen der Kantone und Gemeinden Weisungen über die Errichtung und den Betrieb. Nach der im kantonalen Verfahren eingeholten BGE 118 Ib 569 S. 576 Vernehmlassung des Bundesamtes für Raumplanung unterliegen die Ausbildungsanlagen ebenfalls dem kantonalen Bau- und Planungsrecht. Für die hier umstrittenen Anlagen der Schutzorganisationen, zu denen die Kommandoposten, die Bereitstellungsanlagen, die Sanitätshilfsstellen und Sanitätsposten sowie die technischen Einrichtungen für Alarm und Übermittlung zählen ( Art. 102 ZSV ), bestimmt Art. 103 Abs. 1 der Zivilschutzverordnung, dass sich Art, Anzahl und Ort der zu erstellenden Anlagen nach der Bedeutung und Entwicklung der Gemeinde und der Betriebe und nach ihrer Zivilschutzplanung richten. Anzahl und Ort der Sanitätshilfsstellen und Sanitätsposten legt der Kanton nach Anhören des Bundesamtes für Zivilschutz fest ( Art. 103 Abs. 2 ZSV ). Nach Art. 104 Abs. 1 ZSV erlässt der Bundesrat für die Anlagen der Schutzorganisationen Mindestanforderungen und setzt das Bundesamt gestützt darauf die technischen Anforderungen fest. Jedes Bauprojekt ist dem Bundesamt für Zivilschutz zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen, wobei das Bundesamt diese Aufgabe den kantonalen Stellen übertragen kann ( Art. 104 Abs. 2 und 3 ZSV ). Weitere Verfahrens- und Kompetenzvorschriften enthält das eidgenössische Zivilschutzrecht für die Anlagen gemäss Art. 68 ZSG nicht und sieht insbesondere kein Bewilligungsverfahren vor, das Anhörungsrechte oder eine Berücksichtigung des kantonalen Bau- und Planungsrechts im Rahmen des Möglichen gewährleisten würde. b) Seit dem Erlass des Zivilschutzgesetzes haben sich mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (SR 700, RPG) und durch die Änderung der bundesrechtlichen Legitimationsbestimmungen - insbesondere durch die Übertragung des Beschwerderechts an die betroffenen Privaten sowie, in beschränktem Umfange, an die Natur- und Umweltschutzorganisationen (vgl. Art. 48 VwVG , Art. 103 OG , Art. 12 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 [SR 451, NHG] und Art. 55 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 [SR 814.01, USG] - auf dem Gebiet des Bau- und Planungswesens wichtige Neuerungen ergeben. Mit dem Raumplanungsgesetz ist eine allgemeine Baubewilligungspflicht geschaffen worden, welcher grundsätzlich auch die Bauvorhaben des Bundes und die von den Kantonen oder konzessionierten Unternehmungen in Erfüllung einer bundesrechtlichen Aufgabe projektierten Anlagen unterstehen. Allerdings hat das Raumplanungsgesetz die in der eidgenössischen Spezialgesetzgebung enthaltenen Bestimmungen über die Zuständigkeit und das BGE 118 Ib 569 S. 577 Verfahren zur Errichtung von im öffentlichen Interesse liegenden Werken nicht aufgehoben ( BGE 110 Ib 262 f. E. 2c, BGE 111 Ib 111 E. 6c). Regelt das Spezialrecht die Projektierung und Bewilligung solcher Anlagen in materieller und formeller Hinsicht abschliessend und sieht es ein Verfahren vor, welches die verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung der Landes-, Regional- und Ortsplanung ( Art. 22quater Abs. 3 BV ) ermöglicht und das den Anforderungen der allgemeinen Rechtsschutzvorschriften genügt, so bleibt für die Durchführung eines kantonalen Planungs- oder Baubewilligungsverfahrens gemäss Art. 22 oder 24 RPG kein Raum. Das trifft zu für den Bau von Rohrleitungsanlagen (vgl. Art. 21 ff. des Rohrleitungsgesetzes vom 4. Oktober 1963, SR 746.1), von Nationalstrassen (vgl. nicht publ. Entscheid i.S. Schnyder vom 1. Februar 1982, zit. in BGE 111 Ib 111 E. 6c) sowie für die Errichtung von Betriebsanlagen der Schweizerischen Bundesbahnen und der konzessionierten Bahnunternehmungen (vgl. BGE 116 Ib 406 , BGE 115 Ib 168 ff.). Zu dieser Kategorie können auch die Starkstromanlagen gezählt werden, seit die in BGE 108 Ib 247 ff. wegen der erweiterten Mitbeteiligungsrechte als notwendig bezeichnete Verfahrensöffnung durch die neue Verordnung über das Plangenehmigungsverfahren für Starkstromanlagen vom 26. Juni 1991 (SR 734.25) vorgenommen worden ist. - Sieht das Bundesrecht dagegen nur eine sog. technische Plangenehmigung vor, die häufig in einem reinen Behördenverfahren erteilt wird, so ist zur Prüfung der raumplanerischen, baupolizeilichen oder bauästhetischen Aspekte und zur Anhörung der vom Werk Betroffenen selbst dann ein zusätzliches kantonales Baubewilligungsverfahren durchzuführen, wenn auch die Standortfrage im bundesrechtlichen Verfahren abschliessend beurteilt wird. Dies gilt nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung z.B. für Flugsicherungseinrichtungen (Entscheid vom 27. Oktober 1982 i.S. Bundesamt für Zivilluftfahrt gegen Regierungsrat Schaffhausen, publ. in ZBl 84/1983 S. 366 ff.), für Flugfelder ( BGE 102 Ia 357 ff.; nicht publ. Entscheid vom 4. Juli 1979 i.S. Aero-Club der Schweiz gegen Regierungsrat Solothurn, erwähnt in BGE 111 Ib 111 ), Atomanlagen ( BGE 103 Ia 334 ff., BGE 111 Ib 105 ff. E. 5), bauliche Massnahmen im Rahmen vorbereitender Handlungen zur Erstellung eines Lagers für radioaktive Abfälle ( BGE 111 Ib 109 ff. E. 6) und Richtstrahlantennen der PTT-Betriebe ( BGE 112 Ib 71 ff.). Im Vergleich mit diesen Grundsätzen, die seit Inkrafttreten der allgemeinen eidgenössischen Verfahrensbestimmungen und des Raumplanungsgesetzes für den Bau der anderen öffentlichen Werke BGE 118 Ib 569 S. 578 gelten, erscheint die Regelung für die Errichtung militärischer Bauten und Anlagen als rudimentär. Da Art. 164 Abs. 3 MO ein kantonales Verfahren in jedem Falle ausschliesst und das eidgenössische Militärrecht kein Genehmigungsverfahren vorsieht, besteht selbst für militärische Bauten, die nicht unmittelbar dem Einsatz und der Kampfführung der Armee dienen oder aus anderen Gründen der Geheimhaltung unterworfen sind, überhaupt keine Bewilligungspflicht. Wohl auferlegt, wie in BGE 110 Ib 263 festgehalten worden ist, die Raumplanungsgesetzgebung dem Bund auch in diesem Bereich gewisse Konsultations- und Koordinationspflichten und hat er beim Bau militärischer Anlagen die materiellen Anliegen der Raumplanung sowie des Umwelt-, Natur- und Heimatschutzes insoweit zu beachten, als ihm dies bei der Erfüllung seiner Aufgabe möglich ist. Verfahrensgarantien bestehen hiefür aber nicht. Weiter steht den in schutzwürdigen Interessen betroffenen Privaten und den übrigen Beschwerdebefugten kein Verfahren offen, in dem sie ihre Anliegen vertreten könnten. Auch die mit der Verteidigung öffentlicher Interessen betrauten Organisationen sind nur in der Lage, ihre Aufgabe wahrzunehmen, wenn die für den Bau militärischer Anlagen erforderlichen Rechte durch Enteignung erworben werden müssen und daher ein enteignungsrechtliches Einspracheverfahren eröffnet wird. Diese im heutigen Rechtssystem als Ausnahmefall dastehende Ordnung ist auf das Bestreben zurückzuführen, dem Bund bei der Verfolgung seines vordringlichsten Zweckes - der Behauptung der Unabhängigkeit gegen aussen - die Hindernisse, die vor allem aus kantonalrechtlichen Vorschriften entstehen könnten, aus dem Weg zu räumen. Sie könnte als eine von den geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen abweichende Sonderregelung nur dann auf ein anderes Gebiet übertragen werden, wenn dies der Gesetzgeber ausdrücklich und unmissverständlich erlaubte (vgl. BGE 115 Ib 433 E. 4c in fine). Eine solche klare Rechtsnorm, die die Zivilschutzbauten hinsichtlich des Bewilligungsverfahrens den militärischen Anlagen gleichstellen würden, enthält die Zivilschutzgesetzgebung wie dargelegt jedoch nicht. 5. Schliesslich bringt die Beschwerdeführerin vor, selbst wenn die gesetzliche Grundlage fehlen würde, müssten die Zivilschutzanlagen letztlich aufgrund einer Interessenabwägung von der Anwendung kantonaler und kommunaler Baupolizeivorschriften befreit werden, da sonst der Bund in der Wahrnehmung einer ihm durch die Bundesverfassung übertragenen Aufgabe ernsthaft beeinträchtigt würde. Insbesondere könnten für die Standortwahl, aber auch für die BGE 118 Ib 569 S. 579 Ausgestaltung und die Ver- und Entsorgung einer Baute nur zivilschutzrechtliche Kriterien massgebend sein. Befände über diese Fragen eine kantonale oder kommunale Baubehörde, so bestünde die Gefahr von widersprüchlichen Entscheiden und würde dadurch die Gewährleistung der zivilen Verteidigung gefährdet. - Auch dieser Einwand vermag indessen nicht zu überzeugen. Wie das Bundesgericht schon verschiedentlich dargelegt hat, können die im spezialrechtlichen eidgenössischen Bewilligungsverfahren abschliessend beurteilten Fragen im kantonalen Verfahren nicht wieder aufgeworfen werden und darf dieses nicht als Instrument zur Verhinderung der Errichtung öffentlicher Werke missbraucht werden. Das kantonale Raumplanungs- und Baupolizeirecht ist nur insoweit anzuwenden, als dies mit dem Sinn und Zweck der Bundesgesetzgebung vereinbar ist ( BGE 111 Ib 108 f., BGE 103 Ia 344 E. 5 mit Hinweisen). Wird, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, für die hier umstrittenen Zivilschutzanlagen die Standortfrage durch die spezialrechtlichen Bestimmungen - offenbar durch den aufgrund von Art. 103 Abs. 2 ZSV durch den Kanton selbst zu erstellenden Plan - tatsächlich schon im einzelnen geregelt, kommt das kantonale Baurecht in dieser Hinsicht nicht zum Zuge (vgl. zit. Entscheid i.S. Bundesamt für Zivilluftfahrt E. 3b, ZBl 84/1983 S. 369). Auch in diesem Falle werden jedoch - wie sich gerade am streitigen Bauprojekt zeigt, das mit gewissen Vorbehalten hinsichtlich Zufahrt, Wasserversorgung und Kanalisation bewilligt worden ist - Fragen der Erschliessung und allenfalls der äusseren Gestaltung der Baute Gegenstand des kantonalen Verfahrens bilden müssen. Inwiefern dabei die Gemeinden, denen die Errichtung der Anlagen für die örtlichen Schutzorganisationen obliegt, durch die Anwendung kantonalen oder kommunalen Rechts bei der Erfüllung ihrer Aufgabe erheblich behindert würden, ist nicht einzusehen. Wohl ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Realisierung eines Werkes durch die Beteiligung der betroffenen Privaten am Baubewilligungsverfahren verzögert werden kann. Dies rechtfertigt jedoch eine Beschneidung des Beschwerderechts durch die kantonalen Instanzen nicht. Hätte der Bund, dem die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilschutzes vorbehalten ist ( Art. 22bis BV ), angesichts der hervorragenden Bedeutung, die der zivilen Verteidigung und der hiefür erforderlichen Bauten und Anlagen einzuräumen ist, das Verfahrensbeteiligungsrecht aufheben oder einschränken wollen, so hätte er dies durch entsprechende eidgenössische Verfahrensvorschriften im Gesetz selbst festlegen müssen.
de
0b3ca1ef-2b2b-450c-9093-48c95220d634
Sachverhalt ab Seite 420 BGE 123 II 419 S. 420 A.- Die heute mit A. P. verheiratete Schweizerin S. P. war in erster Ehe mit dem amerikanischen Staatsangehörigen M. G. verheiratet. Aus dieser Ehe ging die Tochter K. G., geboren am 25. Februar 1992, hervor. Am 31. Oktober 1995 wurde die Ehe zwischen S. P. und M. G. durch den zuständigen Superior Court in den USA geschieden. Bezüglich der aus dieser Ehe hervorgegangen Tochter K. G. sprach das Gericht den Eltern ein gemeinsames Sorgerecht zu. Am 4. September 1996 reiste S. P. mit K. G. in die Schweiz ein. Seither wohnt K. G. ununterbrochen mit ihrer Mutter S. P. und deren heutigem Ehemann in X. Unmittelbar nach der Überführung von K. G. in die Schweiz reichte S. P. am 5. September 1996 beim zuständigen Bezirksgericht Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils ein und beantragte im wesentlichen, die elterliche Gewalt über K. G. sei ausschliesslich ihr zuzusprechen. Der Präsident des Bezirksgerichtes ordnete noch am gleichen Tag mit superprovisorischer Verfügung an, dass K. G. für die Dauer des Prozesses unter der alleinigen Obhut von S. P. stehe. B.- M. G. leitete am 26. September 1996 gestützt auf das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung bei der zentralen Behörde der Vereinigten Staaten BGE 123 II 419 S. 421 von Amerika ein Verfahren ein und verlangte die Rückführung der Tochter K. G. an seinen Wohnort in den USA. Nachdem das zuständige Bezirksgericht mit Schreiben des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes vom 3. Oktober 1996 über das Verfahren in Kenntnis gesetzt worden war, wies der Einzelrichter des Bezirksgerichtes das Begehren auf Rückführung von K. G. in die USA mit Verfügung vom 15. November 1996 ab. Einen dagegen erhobenen Rekurs von M. G. hiess das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 6. März 1997 gut und befahl S. P., ihre Tochter K. G. innerhalb von zehn Tagen ab Zustellung des Entscheides an den Wohnort von M. G. in den USA zurückzuführen. C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 9. April 1997 beantragen S. P. und die durch ihre Mutter vertretene K. G. die Aufhebung des Beschlusses des Obergerichtes. Auf eine gleichzeitig erhobene Berufung bzw. Nichtigkeitsbeschwerde wurde mit Urteil vom 23. Juni 1997 nicht eingetreten. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist ( BGE 121 I 93 E. 1 S. 94 mit Hinweisen). a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes handelt es sich bei Verfahren betreffend die Rückführung eines Kindes im Sinn des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (SR 0.211.230.02; nachfolgend HEntfÜ) nicht um Zivilrechtsstreitigkeiten; vielmehr stellt das Übereinkommen eine Art administrative Rechtshilfe zwischen den Vertragsstaaten zur Verfügung und bezweckt, Entscheidungen zum Sorgerecht internationale Nachachtung zu verschaffen und deren Verwirklichung zu erleichtern: Wenn aber keine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinn von Art. 44 ff. OG vorliegt, kann der Rückführungsentscheid nicht mit Berufung angefochten werden ( BGE 120 II 222 E. 2b S. 224 mit Hinweisen), und auch eine eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde steht mangels Vorliegens einer Zivilsache im Sinn von Art. 68 Abs. 1 OG nicht zur Verfügung (vgl. Urteil vom 23. Juni 1997, 5C.90/1997, E. 2b mit Hinweisen). Da kein anderes Bundesrechtsmittel gegeben ist, ist unter diesem Gesichtspunkt auf die staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich einzutreten ( Art. 84 Abs. 2 OG ). BGE 123 II 419 S. 422 2. Das Obergericht des Kantons Zürich hat im angefochtenen Entscheid im wesentlichen festgehalten, dass das Zurückhalten von K. G. in der Schweiz durch S. P. widerrechtlich im Sinn von Art. 3 Abs. 1 HEntfÜ sei, weshalb gestützt auf Art. 12 Abs. 1 HEntfÜ die Rückführung des Kindes in die USA anzuordnen sei; der Rückgabe von K. G. stehe weder ein Ablehnungsgrund im Sinn von Art. 13 HEntfÜ noch ein Verweigerungsgrund gemäss Art. 20 HEntfÜ entgegen. S. P. und K. G. werfen dem Obergericht in der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde vor, dass der Rückführungsentscheid Art. 20 HEntfÜ und Art. 8 EMRK verletze: Die Rückführung von K. G. in die USA verstosse gegen die in der Schweiz geltenden Grundwerte über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten; der in Art. 8 EMRK verankerte Schutz des Privat- und Familienlebens werde dadurch verletzt, dass die 5jährige K. G., die seit ihrer Geburt praktisch ausschliesslich durch S. P. persönlich betreut worden sei, zu ihrem Vater in die USA zurückzuführen sei. Die angeordnete Rückführung des Kindes stelle sowohl eine Verletzung des Anspruchs der Mutter als auch des persönlichen Anspruchs der Tochter auf Weiterführung der Familiengemeinschaft dar, welche durch Art. 8 EMRK geschützt werde. a) Gemäss Art. 3 Abs. 1 HEntfÜ gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (lit. a), und wenn dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte (lit. b). Ist ein Kind im Sinn von Art. 3 HEntfÜ widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und wird innert einer Frist von einem Jahr die Rückführung verlangt, ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde gemäss Art. 12 Abs. 1 HEntfÜ die sofortige Rückgabe des Kindes an. Der Staat, der um die Rückführung eines entführten Kindes ersucht wird, kann indessen eine Rückführung unter bestimmten Umständen ablehnen: Gemäss Art. 13 Abs. 1 lit. b HEntfÜ besteht keine Pflicht zur Rückführung, wenn nachgewiesen ist, dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht wird; ferner kann eine Rückgabe gestützt auf Art. 20 HEntfÜ abgelehnt BGE 123 II 419 S. 423 werden, wenn sie nach den im ersuchten Staat geltenden Grundwerten über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist. b) Im vorliegenden Beschwerdeverfahren stellt sich einzig die Frage, ob das Obergericht gegen Art. 20 HEntfÜ verstossen hat. Vorweg ist festzuhalten, dass Art. 20 HEntfÜ eine auf Verletzung der fundamentalen Grundsätze über Menschenrechte und Grundfreiheiten beschränkte ordre public-Klausel enthält; neben Art. 13 HEntfÜ , welche Bestimmung die wesentlichen Interessen des Kindes berücksichtigt, kann Art. 20 HEntfÜ nur in Ausnahmesituationen eingreifen (JÖRG PIRRUNG, in J. VON STAUDINGERS Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Auflage, Berlin 1994, N. 698 Vorbem. zu Art. 19 EGBGB mit Beispielen; BERNARD DESCHENAUX, L'enlèvement international d'enfants par un parent, Bern 1995, S. 53 f.). Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob eine Rückführung von K. G. gegen den von Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantierten Schutz des Privat- und Familienlebens, auf den sich K. G. persönlich berufen kann, verletzt und insofern fundamentale Grundsätze über Menschenrechte und Grundfreiheiten im Sinn von Art. 20 HEntfÜ tangiert sind. Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantiert die Achtung des Privat- und Familienlebens. Nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK ist ein Eingriff in das von Ziff. 1 dieser Bestimmung geschützte Rechtsgut indessen statthaft, wenn er gesetzlich vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die im öffentlichen Interesse notwendig ist. Die angeordnete Rückführung von K. G. in die USA greift zwar in die tatsächlich bestehende Familiengemeinschaft zwischen S. P. und K. G. ein, doch ist ein Eingriff im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Haager Entführungsübereinkommen eine von Art. 8 Ziff. 2 EMRK geforderte gesetzliche Grundlage darstellt, um in die tatsächlich bestehende Familiengemeinschaft einzugreifen; als gesetzliche Grundlage für einen Eingriff kommt nicht nur nationales Recht, sondern auch Völkerrecht - mithin auch das Haager Entführungsübereinkommen - in Frage (MARK VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1993, Rz. 533; WILDHABER/BREITENMOSER, IntKomm EMRK, N. 552 zu Art. 8 EMRK mit Hinweisen). Sodann erweist sich die Rückführung von K. G. auch als im öffentlichen Interesse geboten: Das Abkommen bezweckt, die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen und zu gewährleisten, dass das in einem BGE 123 II 419 S. 424 Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht zum persönlichen Umgang in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird ( Art. 1 HEntfÜ ); die Rückführung des Kindes erweist sich insofern als im öffentlichen Interesse im Sinn von Art. 8 Ziff. 2 EMRK geboten, weil nur so der widerrechtliche Zustand, der durch die Entführung von K. G. in die Schweiz geschaffen wurde, schnellstmöglich beseitigt werden kann. Hinzu kommt, dass eine vertragstreue Anwendung des Haager Entführungsübereinkommens generell im öffentlichen Interesse der Schweiz liegt angesichts von etwa 100 Fällen von Kindesentführungen, mit denen sich die zentrale Behörde der Schweiz jährlich - sei es als ersuchte, sei es als ersuchende Behörde - zu befassen hat (DESCHENAUX, L'enlèvement international, a.a.O., S. 5 ff.). Schliesslich erweist sich im vorliegenden Fall eine Rückführung auch als notwendig, um dem Vertragszweck gerecht zu werden. Das Übereinkommen hat einzig zum Zweck, den "status quo ante" wiederherzustellen, der vor der Entführung des Kindes bestand (BERNARD DESCHENAUX, La convention de la Haye sur les aspects civils de l'enlèvement international d'enfants, SJIR 1981, S. 126; KURT SIEHR, Münchener Kommentar zum BGB, Ergänzungsband, 2. Auflage, N. 67 zu Art. 19 EGBGB Anhang II); würde eine Rückführung eines entführten oder widerrechtlich zurückbehaltenen Kindes aus einem der EMRK beigetretenen Land ohne weiteres an Art. 8 EMRK scheitern, wenn das Kind in einer Familiengemeinschaft mit dem entführenden Elternteil lebt, würde Art. 20 HEntfÜ eine Bedeutung beigemessen, die Sinn und Zweck des Haager Entführungsübereinkommens grundsätzlich in Frage stellen und der eingangs umschriebenen restriktiven Interpretation von Art. 20 HEntfÜ widersprechen würde (vgl. DESCHENAUX, La convention de la Haye, a.a.O., S. 126). Aus diesen Gründen kann der Auffassung nicht gefolgt werden, dass der angefochtene Entscheid das von Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Schutz der Familiengemeinschaft verletzt und damit gegen Art. 20 HEntfÜ verstösst. Damit erweist sich aber ohne weiteres auch die Rüge als unbegründet, das Obergericht habe den ihm zustehenden Spielraum bei der Anwendung von Art. 20 HEntfÜ willkürlich verletzt; im Gegenteil hat das Obergericht aufgrund einer sorgfältigen Überprüfung zutreffend dargelegt, weshalb eine Rückführung nicht gegen die in der Schweiz geltenden Grundwerte über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstösst. Gewiss ist nicht zu übersehen, dass das den Eltern von K. G. gemeinsam zugesprochene Sorgerecht von S. P. praktisch nicht mehr BGE 123 II 419 S. 425 - oder nur noch sehr beschränkt - ausgeübt werden konnte, nachdem sie die USA verlassen und sich in der Schweiz niedergelassen hatte. Doch berechtigte sie dies in keiner Weise, durch die Entführung des Kindes das (alleinige) Sorgerecht faktisch zu erzwingen und das ebenfalls M. G. zugesprochene Sorgerecht zu verunmöglichen; vielmehr hätte sie eine Änderung der Sorgerechtsregelung auf dem Rechtsweg herbeizuführen versuchen müssen. Umgekehrt ist der Rückführungsentscheid nicht als Entscheidung über das Sorgerecht anzusehen ( Art. 19 HEntfÜ ); mit der Rückführung soll der "status quo ante" vor der Entführung wieder hergestellt werden, und im Herkunftsstaat soll anschliessend über den endgültigen Verbleib des Kindes entschieden werden (SIEHR, a.a.O., N. 3 und 67 zu Art. 19 EGBGB Anhang II).
de
6fb641a5-bb11-46b0-8e26-33f6073e389c
832.112.1 1 / 16 Verordnung über den Risikoausgleich in der Krankenversicherung (VORA) vom 19. Oktober 2016 (Stand am 1. Januar 2023) Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf die Artikel 16 Absatz 4, 17 Absatz 3 sowie 17a Absätze 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 18. März 19941 über die Krankenversicherung (KVG), verordnet: 1. Abschnitt: Indikatoren der Morbidität Art. 1 Indikatoren Das erhöhte Krankheitsrisiko wird durch folgende Indikatoren der Morbidität abge- bildet: a. Alter; b. Geschlecht; c. Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim; d. pharmazeutische Kostengruppen (PCG). Art. 2 Indikator Alter Für die Zuteilung der Versicherten zu einer Altersgruppe ist das Geburtsjahr der Ver- sicherten massgebend. Es gibt folgende Altersgruppen: a. Versicherte von 19–25 Jahren; b. Versicherte von 26–90 Jahren, eingeteilt in Gruppen von je fünf Jahren; c. Versicherte ab 91 Jahren. Art. 3 Indikator Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim 1 Ein erhöhtes Krankheitsrisiko wird angenommen, wenn eine versicherte Person ei- nen Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim im Vorjahr aufweist, der mindestens drei aufeinanderfolgende Nächte gedauert hat. 2 Für die Bestimmung des Aufenthalts im Vorjahr nach Absatz 1 werden Aufenthalte im Vorjahr in einem der folgenden Spitäler oder Pflegeheime berücksichtigt, sofern für den Aufenthalt Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversiche- rung erbracht wurden: AS 2016 4059 1 SR 832.10 832.112.1 Kranken- und Unfallversicherung 2 / 16 832.112.1 a. ein auf der Liste nach Artikel 39 KVG aufgeführtes Spital oder Pflegeheim; b. ein Spital, das einen Vertrag nach Artikel 49a Absatz 4 KVG abgeschlossen hat. 3 Nicht berücksichtigt werden Aufenthalte wegen Mutterschaft nach Artikel 29 Ab- satz 2 Buchstabe b KVG. 4 Für die Zuteilung auf die Kalenderjahre ist der Zeitraum des Aufenthalts massge- bend. Dauert der Aufenthalt über den Jahreswechsel hinaus an, so gilt: a. Die Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar wird dem Eintrittsjahr zuge- rechnet. b. Ein Aufenthalt mit einer Dauer von drei bis fünf Nächten wird dem Jahr zu- gerechnet, in dem die Mehrzahl der Übernachtungen angefallen ist; bei je zwei Nächten wird der Aufenthalt dem Eintrittsjahr zugerechnet. c. Bei einem Aufenthalt mit einer Dauer von mehr als fünf Nächten wird die Aufenthaltsdauer bis Ende des Kalenderjahres angerechnet. Die Fortdauer des Aufenthalts im neuen Kalenderjahr wird diesem zugerechnet. Art. 4 PCG-Liste 1 Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) erlässt eine Liste der PCG.2 1bis Eine PCG umfasst die Arzneimittel, die bestimmte Wirkstoffe enthalten, die für die Behandlung eines bestimmten besonders kostenintensiven Krankheitsbildes ein- gesetzt werden.3 1ter Eine nicht eigenständige PCG umfasst Arzneimittel, die bestimmte Wirkstoffe enthalten, die für die Behandlung einer Erkrankung eingesetzt werden, die für sich allein nicht besonders kostenintensiv ist, die aber in Kombination mit einer bestimm- ten anderen besonders kostenintensiven Erkrankung zu zusätzlichen Kosten und da- mit zu einer weiteren Erhöhung des Krankheitsrisikos führen kann. Die nicht eigen- ständige PCG bildet zusammen mit der PCG für die besonders kostenintensive Erkrankung eine kombinierte PCG.4 2 In der PCG-Liste werden zu jeder PCG die Arzneimittel aufgeführt, die die Wirk- stoffe enthalten, die dieser PCG zugeordnet sind. Zu jedem dieser Arzneimittel wird die weltweit geltende Handelsnummer (Global Trade Item Number, GTIN-Code) und die Anzahl der standardisierten Tagesdosen pro Darreichungsform und pro Packung angegeben. 3 Ein Wirkstoff kann nur einer einzigen PCG zugeordnet werden. Enthält ein Arznei- mittel mehrere Wirkstoffe, so wird der Hauptwirkstoff der PCG zugeordnet.5 2 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). 3 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). 4 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 11. April 2018 (AS 2018 1847). Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 5 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). Risikoausgleich in der Krankenversicherung. V 3 / 16 832.112.1 4 Das EDI kann Hierarchisierungen unter den PCG vorsehen, wenn mehrere PCG das gleiche oder ein verwandtes gesundheitliches Problem betreffen. 5 Die Eidgenössische Arzneimittelkommission berät das EDI bei der Zuordnung von Wirkstoffen und Arzneimitteln zu einer PCG und bei der Festlegung der standardi- sierten Tagesdosen, wenn Arzneimittel neu oder für eine zusätzliche Indikation in die Spezialitätenliste aufgenommen werden. Art. 5 Indikator PCG 1 Ein erhöhtes Krankheitsrisiko wird angenommen, wenn eine versicherte Person auf- grund ihres Arzneimittelbezugs im Vorjahr die Voraussetzungen für die Einteilung in eine PCG erfüllt. 2 Eine versicherte Person erfüllt die Voraussetzungen für die Einteilung in eine PCG, wenn sie im Vorjahr eine bestimmte Mindestanzahl standardisierter Tagesdosen oder eine bestimmte Mindestanzahl Packungen von Arzneimitteln bezogen hat:6 a. die auf der PCG-Liste dieser PCG zugeordnet sind; b. die im Zeitpunkt der Abgabe auf der Spezialitätenliste waren; c. deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernom- men werden; und d. die nicht in einer Pauschale nach Artikel 49 Absatz 1 KVG enthalten sind. 3 Massgebend ist die PCG-Liste, die im Zeitpunkt der Berechnung des Risikoaus- gleichs in Kraft ist. 4 Für die Zuteilung der abgegebenen Arzneimittel auf die Kalenderjahre ist das Datum der Abgabe massgebend. 5 Das EDI legt die Mindestanzahl der standardisierten Tagesdosen oder der Arznei- mittelpackungen für jede PCG fest.7 2. Abschnitt: Datenlieferung und Kontrolle der Daten Art. 6 Datenlieferung 1 Für die Gruppierung der Daten und die Berechnung des Risikoausgleichs muss der Versicherer der gemeinsamen Einrichtung nach deren Weisungen pro versicherte Per- son und für jede Deckungsperiode auf eigene Kosten folgende Daten liefern: a. Wohnkanton; 6 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 7 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). Kranken- und Unfallversicherung 4 / 16 832.112.1 b. AHV-Nummer8 in pseudonymisierter Form; c. Geburtsjahr; d. Geschlecht; e. Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim; f. GTIN-Code und Anzahl Packungen pro Arzneimittel der Spezialitätenliste; g. Anzahl Monate, während deren die Person bei ihm versichert ist; h. Bruttoleistungen; i. Kostenbeteiligungen. 2 Er gliedert die Daten in zwei Datensätze. Der erste Datensatz enthält die Daten für das Jahr vor der Datenlieferung, der zweite diejenigen für das vorletzte Jahr vor der Datenlieferung. 3 Die Versicherer müssen die Daten bis zum 31. März liefern.9 4 Für die Datenlieferung zu berücksichtigen sind die bis einen Monat vor Ablauf der Frist nach Absatz 3 abgerechneten Leistungen und erfassten Änderungen des Versi- chertenbestandes, die das für die Datenerhebung massgebliche Kalenderjahr betref- fen.10 Art. 7 Daten nicht mehr aktiver Versicherer 1 Versicherer, deren Vermögen und Versichertenbestand durch Vertrag auf einen an- deren Versicherer nach den Artikeln 2 und 3 des Krankenversicherungsaufsichtsge- setzes vom 26. September 201411 (KVAG) übertragen wurden, müssen keine Daten für den Risikoausgleich liefern. An ihrer Stelle müssen die übernehmenden Versiche- rer die Daten für den Risikoausgleich liefern. 2 Für Versicherer, denen in den letzten beiden Jahren vor dem Ausgleichsjahr die Be- willigung entzogen wurde, deren Vermögen und Versichertenbestand aber nicht durch Vertrag auf einen anderen Versicherer nach den Artikeln 2 und 3 KVAG übertragen wurde, müssen die für die Liquidation des Versicherers zuständigen Dritten die Daten für den Risikoausgleich liefern. Art. 8 Kontrolle der Daten 1 Die Revisionsstellen der Versicherer reichen der gemeinsamen Einrichtung bis zum 15. April einen Bericht über die Richtigkeit und Vollständigkeit der nach Artikel 6 gelieferten Daten ein.12 8 Ausdruck gemäss Anhang Ziff. II 39 der V vom 17. Nov. 2021, in Kraft seit 1. Jan. 2022 (AS 2021 800). 9 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 10 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 11 SR 832.12 12 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). Risikoausgleich in der Krankenversicherung. V 5 / 16 832.112.1 2 Die gemeinsame Einrichtung überprüft mit den von ihr für diese Aufgabe bezeich- neten Revisionsstellen die Richtigkeit und Vollständigkeit der gelieferten Daten mit- tels Stichproben. 3 Die Versicherer tragen die bei ihnen durch die Stichproben anfallenden Kosten sel- ber. 4 Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kann Weisungen über die durch die Revisi- onsstellen vorzunehmenden Prüfungen erlassen. 3. Abschnitt: Berechnung des Risikoausgleichs Art. 9 Versichertenbestände 1 Für die Festlegung der Versichertenbestände eines Versicherers ist die Versiche- rungsdauer seiner Versicherten in Monaten massgebend. 2 Bei der Festlegung der Versichertenstände nicht berücksichtigt werden: a. im Ausland wohnhafte Personen, die auf vertraglicher Basis nach den Artikeln 7a und 132 Absatz 3 der Verordnung vom 27. Juni 199513 über die Kranken- versicherung (KVV) versichert sind; b.14 Versicherte nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstaben d–ebis KVV; c. Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige ohne Aufent- haltsbewilligung, die sich in der Schweiz aufhalten und Sozialhilfe beziehen; d. Versicherte nach den Artikeln 4 und 5 KVV, sofern bei ihnen nicht eine Prä- mie für Versicherte mit Wohnort in der Schweiz erhoben wird; e. Versicherte, die gestützt auf das Übereinkommen vom 30. November 197915 über die Soziale Sicherheit der Rheinschiffer der schweizerischen Kranken- versicherung unterstellt sind; f. Versicherte, die am 31. Dezember des betreffenden Jahres unter 19 Jahre alt sind. Art. 10 Zusammenführen der Datensätze und Gruppierung der Daten 1 Die gemeinsame Einrichtung führt die Datensätze der Versicherer zusammen. Sie sorgt dafür, dass auch bei Versicherten, die den Versicherer gewechselt haben, die Daten zu den Indikatoren der Morbidität aus dem Vorjahr vollständig in die Berech- nung einfliessen. 13 SR 832.102 14 Fassung gemäss Ziff. I 3 der V vom 26. Okt. 2022 über die Änderung von Verordnungen im Bereich der Krankenversicherung zur Umsetzung des Abkommens zur Koordinierung der sozialen Sicherheit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Verei- nigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland, in Kraft seit 1. Jan. 2023 (AS 2022 658). 15 SR 0.831.107 Kranken- und Unfallversicherung 6 / 16 832.112.1 2 Sie verbindet die Daten pro versicherte Person zu Kanton, Alter und Geschlecht, zu den Nettoleistungen und zu den Versicherungsmonaten mit den Daten zu den weiteren Indikatoren der Morbidität aus dem Vorjahr. 3 Stellt sie aufgrund der Daten fest, dass eine versicherte Person im selben Kalender- jahr 13 oder mehr Versicherungsmonate aufweist, so meldet sie jedem betroffenen Versicherer: a. die entsprechende Zeilennummer der Datenlieferung der betroffenen Versi- cherer; b. Name und Kennnummer des oder der anderen Versicherer.16 Art. 11 Einteilung der Versicherten in Risikogruppen Die gemeinsame Einrichtung teilt die Versicherten pro Kanton nach Alter und Ge- schlecht und je nach Vorliegen oder Nichtvorliegen eines erhöhten Krankheitsrisikos aufgrund des Indikators Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim in Risikogruppen ein. Art. 12 Einteilung der Versicherten in PCG 1 Die gemeinsame Einrichtung teilt aufgrund der Daten zu den abgegebenen Arznei- mitteln die Versicherten in die entsprechenden PCG ein, wenn sie die Voraussetzun- gen nach Artikel 5 Absatz 2 erfüllen. 2 Sie teilt Versicherte in eine kombinierte PCG ein, wenn sie in beide PCG, aus denen die kombinierte PCG gebildet ist, eingeteilt sind.17 Art. 13 Berechnung der Gruppendurchschnitte 1 Im Jahr, das dem Ausgleichsjahr folgt, werden die durchschnittlichen Nettoleistun- gen der einzelnen Risikogruppen über alle Versicherer hinweg für das Kalenderjahr vor dem Ausgleichsjahr berechnet und mit einem Teuerungsfaktor multipliziert (Gruppendurchschnitt). Für die Berechnung sind massgebend: a. die Aufenthalte in einem Spital oder Pflegeheim im vorletzten Kalenderjahr vor dem Ausgleichsjahr zur Einteilung der Versicherten in Risikogruppen; b. die Versichertenbestände in den einzelnen Risikogruppen im Kalenderjahr vor dem Ausgleichsjahr; c. die Nettoleistungen der einzelnen Versicherer in den einzelnen Risikogruppen im Kalenderjahr vor dem Ausgleichsjahr; d. der Teuerungsfaktor. 2 Das EDI legt die Berechnung des Teuerungsfaktors unter Berücksichtigung der Kos- tenentwicklung in den Risikogruppen fest. 16 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 17 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). Risikoausgleich in der Krankenversicherung. V 7 / 16 832.112.1 Art. 14 Berechnung der erwarteten Gesamtnettoleistungen und des Gesamtdurchschnitts 1 Im Jahr, das dem Ausgleichsjahr folgt, werden die erwarteten Gesamtnettoleistun- gen der einzelnen Risikogruppen für das Ausgleichsjahr berechnet. Für die Berech- nung sind massgebend: a. die Aufenthalte in einem Spital oder Pflegeheim im Kalenderjahr vor dem Ausgleichsjahr zur Einteilung der Versicherten in Risikogruppen; b. die Versichertenbestände in den einzelnen Risikogruppen im Ausgleichsjahr; c. die nach Artikel 13 berechneten Gruppendurchschnitte im Kalenderjahr vor dem Ausgleichsjahr. 2 Aus den erwarteten Gesamtnettoleistungen der einzelnen Risikogruppen nach Ab- satz 1 werden pro versicherte Person im Kanton für das Ausgleichsjahr die erwarteten durchschnittlichen Nettoleistungen aller Versicherer über alle Risikogruppen hinweg berechnet (Gesamtdurchschnitt). Art. 15 Zuschläge für PCG 1 Die Versicherer erhalten für ihre Versicherten mit einem erhöhten Krankheitsrisiko aufgrund des Indikators PCG Zuschläge für PCG. Für nicht eigenständige PCG erhal- ten sie keinen Zuschlag.18 2 Ist eine versicherte Person in mehrere PCG eingeteilt, unter denen es eine Hierarchi- sierung gibt, so erhält der Versicherer den Zuschlag nur für die hierarchisch höchste PCG. 3 Ist eine versicherte Person in mehrere PCG eingeteilt, unter denen es keine Hierar- chisierung gibt, so erhält der Versicherer den Zuschlag für alle PCG, in die die versi- cherte Person eingeteilt ist. 4 Ist eine versicherte Person in eine kombinierte PCG eingeteilt, so erhält der Versi- cherer den Zuschlag nur für die kombinierte PCG, nicht aber für die einzelnen PCG, aus denen die kombinierte PCG gebildet ist.19 Art. 16 Festlegung der Zuschläge für PCG 1 Im Jahr, das dem Ausgleichsjahr folgt, werden die Zuschläge für PCG mit einem Regressionsverfahren festgelegt. Das Verfahren minimiert die Summe der quadrierten Residualkosten der einzelnen Versicherten. Die Residualkosten einer versicherten Person entsprechen der Differenz ihrer Nettoleistungen zum Gruppendurchschnitt ih- rer Risikogruppe nach Artikel 13 unter Berücksichtigung der Abweichungen vom Gruppendurchschnitt, die aufgrund ihrer Daten zu den abgegebenen Arzneimitteln zu erwarten sind. 18 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). 19 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). Kranken- und Unfallversicherung 8 / 16 832.112.1 2 Für die Festlegung der Zuschläge sind massgebend: a. die Arzneimittel, die im vorletzten Kalenderjahr vor dem Ausgleichsjahr ab- gegeben wurden, zur Einteilung der Versicherten in PCG; b. die Versichertenbestände und die Nettoleistungen im Kalenderjahr vor dem Ausgleichsjahr. 3 Die Zuschläge für PCG werden in der Berechnung nur berücksichtigt, wenn ihre Werte positiv sind. Art. 17 Finanzierung der Zuschläge für PCG Die Zuschläge für PCG werden durch eine Anpassung der Abgabe- und Beitragssätze für Risikogruppen finanziert. Die einzelnen Beträge werden für jede Risikogruppe separat berechnet. Massgebend sind für jede Risikogruppe die Zahl der Versicherten, für die Zuschläge für PCG ausgerichtet werden, sowie die Höhe dieser Zuschläge. Art. 18 Abgabe- und Beitragssätze für Risikogruppen 1 Der nach Artikel 17 für die Risikogruppe berechnete Betrag wird durch die Anzahl der Versicherten in der Risikogruppe geteilt und von dem nach Artikel 13 ermittelten Gruppendurchschnitt abgezogen (modifizierter Gruppendurchschnitt). 2 Die Versicherer bezahlen für ihre Versicherten einer Risikogruppe, bei welcher der modifizierte Gruppendurchschnitt unter dem Gesamtdurchschnitt nach Artikel 14 liegt, einen Abgabesatz, welcher der Differenz zwischen dem modifizierten Gruppen- durchschnitt und dem Gesamtdurchschnitt entspricht. 3 Sie erhalten für ihre Versicherten einer Risikogruppe, bei welcher der modifizierte Gruppendurchschnitt über dem Gesamtdurchschnitt nach Artikel 14 liegt, einen Bei- tragssatz, welcher der Differenz zwischen dem modifizierten Gruppendurchschnitt und dem Gesamtdurchschnitt entspricht. Art. 18a20 Berechnung der Entlastung für junge Erwachsene 1 Die Entlastung nach Artikel 16a KVG beträgt pro Kanton 50 Prozent der Differenz zwischen der Summe der Risikoabgaben aller Versicherer für die jungen Erwachse- nen und der Summe der Ausgleichsbeiträge und Zuschläge für PCG aller Versicherer für die jungen Erwachsenen. 2 Sie wird unter den Versicherern proportional zur Anzahl der jungen Erwachsenen, die bei ihnen im betreffenden Kanton versichert sind, aufgeteilt. Massgebend sind die Versichertenbestände der Versicherer nach Artikel 9 im Ausgleichsjahr. 3 Die Versicherer tragen die Entlastung proportional zur Anzahl der bei ihnen im be- treffenden Kanton Versicherten, die am 31. Dezember 26 Jahre und älter sind. Mass- gebend sind die Versichertenbestände der Versicherer nach Artikel 9 im Ausgleichs- jahr. 20 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). Risikoausgleich in der Krankenversicherung. V 9 / 16 832.112.1 4 Die gemeinsame Einrichtung berechnet pro Kanton: a. die Entlastung und den Anteil jedes Versicherers an der Entlastung; b. den Anteil jedes Versicherers an der Finanzierung der Entlastung.21 4. Abschnitt: Risikoausgleichszahlungen Art. 19 1 Für den Risikoausgleich jedes Ausgleichsjahres leistet beziehungsweise erhält jeder Versicherer: a. eine Akontozahlung, die der Hälfte der Risikoabgabe oder des Ausgleichsbei- trags entspricht, die er für den Risikoausgleich des vorletzten Kalenderjahres vor dem Ausgleichsjahr geleistet beziehungsweise erhalten hat; b.22 eine Schlusszahlung aufgrund der Berechnung nach den Artikeln 9–18a, ab- züglich der bereits geleisteten Akontozahlung. 2 Die Akontozahlung ist zu leisten: a. für Risikoabgaben durch die Versicherer an die gemeinsame Einrichtung: bis zum 15. Februar des Ausgleichsjahres; b. für Ausgleichsbeiträge, die den Versicherern von der gemeinsamen Einrich- tung bezahlt werden: bis zum 15. März des Ausgleichsjahres. 3 Die Schlusszahlung ist zu leisten: a. für Risikoabgaben durch die Versicherer an die gemeinsame Einrichtung: bis zum 15. August des Jahres, das dem Ausgleichsjahr folgt; b. für Ausgleichsbeiträge, die den Versicherern von der gemeinsamen Einrich- tung bezahlt werden: bis zum 15. September des Jahres, das dem Ausgleichs- jahr folgt. 4 Die gemeinsame Einrichtung muss die Ausgleichsbeiträge an die Versicherer auch dann bezahlen, wenn nicht alle Versicherer ihre Risikoabgaben bezahlt haben. Stehen am Stichtag noch Zahlungen der Versicherer aus, so kann die gemeinsame Einrich- tung die Auszahlungen aufgrund der eingegangenen Risikoabgaben proportional kür- zen. Sie muss die ausstehenden Ausgleichsbeiträge nach dem Eingang der verspäteten Risikoabgaben entrichten und um die Einnahmen aus den Verzugszinsen nach Absatz 7 erhöhen. 5 Nicht zulässig sind: a. die Verrechnung von Forderungen und Schulden von Versicherern aus dem Risikoausgleich unterschiedlicher Jahre sowie aus Akonto- und Schlusszah- lungen; 21 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 22 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). Kranken- und Unfallversicherung 10 / 16 832.112.1 b. die Verrechnung von Forderungen und Schulden unterschiedlicher Versiche- rer, mit Ausnahme der Verrechnung von Forderungen und Schulden unter- schiedlicher Versicherer bei deren späterer Fusion. 6 Die im Rahmen der Akontozahlung gegenüber der Berechnung nach den Artikeln 9–18a zu viel oder zu wenig bezahlten Beträge sind zu verzinsen. Die Verzinsung erfolgt jeweils bezogen auf die Ein- und Auszahlungstermine für die Akontozahlung und die Schlusszahlung sowie unter Berücksichtigung der effektiv erhaltenen oder bezahlten Beiträge. Der Zins entspricht der Rendite der Bundesobligationen, soweit diese positiv ist. Die gemeinsame Einrichtung vergütet und fordert die Zinsen bis zum 31. Dezember des Jahres, das dem Ausgleichsjahr folgt.23 7 Versicherer, welche die geschuldeten Zahlungen nicht fristgerecht leisten, schulden der gemeinsamen Einrichtung einen Verzugszins von 5 Prozent pro Jahr. 5. Abschnitt: Saldoabrechnungen, Information und Korrekturen Art. 2024 Saldoabrechnung und Information 1 Die gemeinsame Einrichtung meldet jedem Versicherer bis zum 10. Juni in Bezug auf den Risikoausgleich des Vorjahres: a. die ihn betreffende Saldoabrechnung pro Kanton und Risikogruppe mit fol- genden Angaben: 1. die Versicherungsmonate, 2. die Summe der Risikoabgaben und die Summe der Ausgleichsbeiträge, 3. die Summe der Zuschläge für PCG, 4. die Summe der Entlastungen und die Summe der Belastungen aufgrund der Überwälzung des Anteils des Versicherers an der Finanzierung der Entlastung, 5. das Total der Summen nach den Ziffern 2, 3 und 4; b. folgende Daten pro Person, die im Ausgleichsjahr bei ihm versichert war: 1. die PCG im Vorjahr, 2. die Angabe, ob die Person einen Aufenthalt im Spital oder Pflegeheim im Vorjahr aufweist, 3. die Angabe, ob die Person im Vorjahr den Versicherer gewechselt hat. 2 Sie übermittelt die Daten nach Absatz 1 Buchstabe b mit der Zeilennummer der Da- tenlieferung des Versicherers. 23 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. April 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2018 1847). 24 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). Risikoausgleich in der Krankenversicherung. V 11 / 16 832.112.1 Art. 21 Korrekturen nach der Lieferung fehlerhafter Daten 1 Melden die Versicherer eine fehlerhafte Datenlieferung erst nach Ablauf von 30 Ta- gen seit der Zustellung der Saldoabrechnungen nach Artikel 20, so kann die gemein- same Einrichtung die Neuberechnung des Risikoausgleichs verweigern. 2 Die Neuberechnung ist ausgeschlossen, wenn die Meldung mehr als zwei Jahre nach Ablauf der Frist nach Artikel 6 Absatz 3 gemacht wird. 3 Die gemeinsame Einrichtung kann den Versicherern, die fehlerhafte Daten geliefert haben, die sich zu ihren Gunsten ausgewirkt haben, nach der Verweigerung der Neu- berechnung nach den Absätzen 1 und 2 den ihnen daraus entstandenen Vorteil in Rechnung stellen. Der daraus erhaltene Betrag wird den anderen Versicherern nach deren umsatzmässigem Anteil an den Risikoabgaben und den Ausgleichsbeiträgen der betreffenden Kalenderjahre ausbezahlt. 4 Die Ansprüche von Versicherern, die fehlerhafte Daten geliefert haben, die sich zu ihren Ungunsten ausgewirkt haben, verwirken mit der Verweigerung der Neuberech- nung nach den Absätzen 1 und 2. 5 Handelt es sich bei den Beträgen nach Absatz 3 um Bagatellbeträge, so bringt die gemeinsame Einrichtung diese auf der Rechnung betreffend die Verwaltungskosten in Abzug. 6. Abschnitt: Berichterstattung Art. 22 1 Die gemeinsame Einrichtung liefert dem BAG jährlich: a. die bei den Versicherern erhobenen Daten nach Artikel 6 zum Zweck der Wei- terentwicklung des Risikoausgleichs und der Durchführung der Wirkungsana- lyse nach Artikel 17a Absatz 2 KVG; b. die berechneten Risikoabgaben und Ausgleichsbeiträge der Versicherer nach Kantonen und für die ganze Schweiz. 2 Sie erstellt nach jeder Berechnung des Risikoausgleichs eine Statistik über: a. die Versicherungsmonate, die Bruttoleistungen und die Kostenbeteiligungen: nach Risikogruppen und nach Kantonen und für die ganze Schweiz; b. die Versicherungsmonate, die Bruttoleistungen und die Kostenbeteiligungen, nach PCG: für die ganze Schweiz; c. die Abgabe- und Beitragssätze für die Risikogruppen: nach Kantonen; d. die Zuschläge für PCG; e. die Entlastung der Versicherer pro junge erwachsene Person: nach Kantonen; Kranken- und Unfallversicherung 12 / 16 832.112.1 f. die Belastung der Versicherer pro versicherte Person, die 26 Jahre und älter ist, aufgrund der Überwälzung der Anteile der Versicherer an der Finanzie- rung der Entlastung: nach Kantonen.25 3 Sie erstellt jährlich einen Bericht über die Durchführung des Risikoausgleichs. 4 Die Statistik und der Bericht sind jährlich bis zum 10. Juni zu veröffentlichen.26 5 Die gemeinsame Einrichtung und das BAG legen den Inhalt der Statistik und des Berichts gemeinsam fest. 6 Die gemeinsame Einrichtung veröffentlicht zum Zweck der Berechnung der Prä- mien der jungen Erwachsenen jährlich bis zum 10. Juni folgende nach Artikel 6 ge- lieferte Daten zu den Kindern in aggregierter Form: nach Geschlecht und nach Vor- liegen eines Spitalaufenthalts im Vorjahr: a. Versicherungsmonate: nach Kantonen und für die ganze Schweiz; b. Bruttoleistungen: nach Kantonen und für die ganze Schweiz; c. Kostenbeteiligungen: nach Kantonen und für die ganze Schweiz.27 7. Abschnitt: Finanzierung Art. 23 Verwaltungskosten 1 Die Versicherer tragen proportional zur Anzahl der in ihren Versichertenbeständen nach Artikel 9 versicherten Personen die Verwaltungskosten des Risikoausgleichs. 2 Als Verwaltungskosten des Risikoausgleichs gelten namentlich: a. die bei der gemeinsamen Einrichtung anfallenden Verwaltungskosten für die Durchführung des Risikoausgleichs; b. die Kosten für die Revision der Abrechnungen und des Zahlungsverkehrs im Risikoausgleich; c. die Kosten für die Stichprobenkontrollen nach Artikel 8 Absatz 3. Art. 24 Fonds 1 Mit den bei der gemeinsamen Einrichtung aufgrund der zeitlich versetzten Ein- und Auszahlungstermine für die Akontozahlungen und die Schlusszahlungen auflaufen- den Zinsen wird ein Fonds bis zu einem maximalen Betrag von 500 000 Franken ge- äufnet. Die Mittel dieses Fonds werden von der gemeinsamen Einrichtung verwendet, um bei geringfügigen Zahlungsausständen die Ausgleichsbeiträge ohne Kürzung ter- mingemäss auszahlen oder anfallende negative Zinsen bezahlen zu können. 25 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 26 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 27 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). Risikoausgleich in der Krankenversicherung. V 13 / 16 832.112.1 2 Auflaufende Zinsen, die den Betrag von 500 000 Franken übersteigen, bringt die gemeinsame Einrichtung den Versicherern nach deren umsatzmässiger Beteiligung am Risikoausgleich im Vorjahr auf der Rechnung betreffend Verwaltungskosten in Abzug. 3 Die gemeinsame Einrichtung erlässt ein Fondsreglement. Art. 25 Rechnungsabgrenzungen für den Risikoausgleich Die Versicherer sind verpflichtet, jährlich die notwendigen Rechnungsabgrenzungen für die noch zu bezahlenden Risikoabgaben beziehungsweise die noch erwarteten Ausgleichsbeiträge zu bilden. Sie berücksichtigen dabei namentlich: a. Bestandesveränderungen; b. Änderungen bei der Morbidität in ihrem Versichertenbestand; c. Veränderungen der Nettoleistungen in der obligatorischen Krankenpflegever- sicherung; d. bereits geleistete oder erhaltene Akontozahlungen. 8. Abschnitt: Datenschutz, Verfahren und Aufsichtsmassnahmen Art. 26 Datenschutz 1 Die gemeinsame Einrichtung ist, ausser gegenüber dem BAG und ihren eigenen Re- visionsstellen, zur Geheimhaltung der Daten verpflichtet, die Rückschlüsse auf den Versicherer zulassen. Dritte, die mit der Bearbeitung der Daten beauftragt werden, sind ebenfalls zur Geheimhaltung der Daten verpflichtet. 2 Die gemeinsame Einrichtung darf die bei den Versicherern erhobenen Daten nur für die Durchführung des Risikoausgleichs, die Erstellung der Statistik, die Kontrolle der Daten und die Meldung nach Artikel 10 Absatz 3 verwenden.28 3 Bei der Verwendung der Daten sind die gemeinsame Einrichtung und das BAG je- weils dafür verantwortlich, dass die Anonymität der Versicherten gewahrt ist. Art. 27 Verfahren und Rechtspflege Bei Streitigkeiten zwischen einem Versicherer und der gemeinsamen Einrichtung über die Durchführung des Risikoausgleichs entscheidet die gemeinsame Einrichtung in der Form einer Verfügung im Sinne von Artikel 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 196829 über das Verwaltungsverfahren. 28 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 11. Sept. 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2021 (AS 2020 3917). 29 SR 172.021 Kranken- und Unfallversicherung 14 / 16 832.112.1 Art. 28 Fakturierung des Mehraufwands und Ordnungsmassnahmen 1 Die gemeinsame Einrichtung kann einem Versicherer, der seiner Datenlieferungs- und Zahlungspflicht nicht in genügender Weise nachkommt oder fehlerhafte Daten liefert, den dadurch entstandenen Mehraufwand in Rechnung stellen. 2 Kommt der Versicherer trotz schriftlicher Mahnung der gemeinsamen Einrichtung seiner Datenlieferungs- und Zahlungspflicht in wiederholter Weise nicht nach, so kann das BAG die Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung entziehen. 9. Abschnitt: Wirkungsanalyse Art. 29 1 Das BAG führt eine begleitende wissenschaftliche Untersuchung durch. Zu unter- suchen sind namentlich die Wirkungen des Risikoausgleichs auf: a. die Anreize zur Risikoselektion; b. die Unter- oder Überkompensation von bestimmten Gruppen; c. die Prämien der Versicherer. 2 Das BAG bestimmt die technischen Einzelheiten der Untersuchung. Für die Erhe- bungsarbeiten und die Auswertung der Ergebnisse kann es ein wissenschaftliches Institut beiziehen. 10. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 30 Aufhebung eines anderen Erlasses Die Verordnung vom 12. April 199530 über den Risikoausgleich in der Krankenver- sicherung wird aufgehoben. Art. 31 Änderung eines anderen Erlasses …31 Art. 32 Übergangsbestimmungen 1 Die Datenlieferung der Versicherer an die gemeinsame Einrichtung im Jahr 2020 für den Risikoausgleich 2019 und die Berechnung des Risikoausgleichs 2019 erfolgen nach bisherigem Recht. 30 [AS 1995 1371; 1998 1841; 2001 140; 2002 925; 2004 5079; 2005 5643; 2006 4705 Ziff. II 96, 4739 Ziff. I 6; 2007 4477 Ziff. IV 52; 2009 4761; 2010 6163; 2011 5291; 2013 789; 2014 3481] 31 Die Änderung kann unter AS 2016 4059 konsultiert werden. Risikoausgleich in der Krankenversicherung. V 15 / 16 832.112.1 2 Auf den PCG-Listen nach Artikel 4 Absatz 2, die für die Berechnung der Risikoaus- gleiche 2020–2022 nach Artikel 5 Absatz 3 massgebend sind, ist zusätzlich zum GTIN-Code der Pharmacode anzugeben. 3 Bis 2023 können die Versicherer bei den Datenlieferungen nach Artikel 6 der ge- meinsamen Einrichtung anstelle des GTIN-Codes den Pharmacode liefern. Art. 33 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2020 in Kraft. Kranken- und Unfallversicherung 16 / 16 832.112.1 1. Abschnitt: Indikatoren der Morbidität Art. 1 Indikatoren Art. 2 Indikator Alter Art. 3 Indikator Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim Art. 4 PCG-Liste Art. 5 Indikator PCG 2. Abschnitt: Datenlieferung und Kontrolle der Daten Art. 6 Datenlieferung Art. 7 Daten nicht mehr aktiver Versicherer Art. 8 Kontrolle der Daten 3. Abschnitt: Berechnung des Risikoausgleichs Art. 9 Versichertenbestände Art. 10 Zusammenführen der Datensätze und Gruppierung der Daten Art. 11 Einteilung der Versicherten in Risikogruppen Art. 12 Einteilung der Versicherten in PCG Art. 13 Berechnung der Gruppendurchschnitte Art. 14 Berechnung der erwarteten Gesamtnettoleistungen und des Gesamtdurchschnitts Art. 15 Zuschläge für PCG Art. 16 Festlegung der Zuschläge für PCG Art. 17 Finanzierung der Zuschläge für PCG Art. 18 Abgabe- und Beitragssätze für Risikogruppen Art. 18a Berechnung der Entlastung für junge Erwachsene 4. Abschnitt: Risikoausgleichszahlungen Art. 19 5. Abschnitt: Saldoabrechnungen, Information und Korrekturen Art. 20 Saldoabrechnung und Information Art. 21 Korrekturen nach der Lieferung fehlerhafter Daten 6. Abschnitt: Berichterstattung Art. 22 7. Abschnitt: Finanzierung Art. 23 Verwaltungskosten Art. 24 Fonds Art. 25 Rechnungsabgrenzungen für den Risikoausgleich 8. Abschnitt: Datenschutz, Verfahren und Aufsichtsmassnahmen Art. 26 Datenschutz Art. 27 Verfahren und Rechtspflege Art. 28 Fakturierung des Mehraufwands und Ordnungsmassnahmen 9. Abschnitt: Wirkungsanalyse Art. 29 10. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 30 Aufhebung eines anderen Erlasses Art. 31 Änderung eines anderen Erlasses Art. 32 Übergangsbestimmungen Art. 33 Inkrafttreten
de
7ad00224-0051-48e2-87e7-3dcd14491b13
Sachverhalt ab Seite 82 BGE 125 V 80 S. 82 A.- Nach Kontakten mit dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) im Frühsommer 1998 fasste der Stiftungsrat der Krankenkasse Visana (nachfolgend: Visana) an seiner Sitzung vom 30. Juli 1998 den Beschluss, sich in den acht Kantonen Appenzell I.Rh., Appenzell A.Rh., Genf, Glarus, Graubünden, Jura, Neuenburg und Thurgau aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zurückzuziehen. Am 26. August 1998 reichte die Visana zusammen mit den Prämientarifen für 1999 dem BSV das schriftliche "Gesuch um Bewilligung der Sistierung der Durchführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung" in den erwähnten Kantonen ein. Zwecks Gewährung des rechtlichen Gehörs beraumte das BSV mit Schreiben vom 26. August 1998 eine Besprechung mit der Visana auf den 3. September 1998 an. Am 16. September 1998 verfügte das Eidg. Departement des Innern (EDI) den Entzug der Bewilligung der Visana "für die Durchführung der sozialen Krankenversicherung nach Art. 1 Abs. 1 KVG
de
c813cca6-1be9-475b-b123-a871d8caa7a0
Sachverhalt ab Seite 13 BGE 131 I 12 S. 13 Alfred R. Sulzer ist Miteigentümer der Liegenschaft Spiegelgasse 13/Leuengasse 8, in deren Untergeschoss sich eine über die Leuengasse erschlossene unterirdische Garage befindet. Er betreibt in diesen Räumlichkeiten eine Beratungsfirma. Im Gebiet Altstadt rechts der Limmat, in welchem sich die Liegenschaft befindet, bestehen seit 1972 Sperrzonen mit einem Nachtfahrverbot von 19:00 bis 05:00 Uhr und Fussgängerzonen mit noch weitergehenden Verkehrsbeschränkungen. Mit Verfügungen vom 6. März und 9. Juni 1987 erweiterte der Polizeivorstand der Stadt Zürich die Fussgängerzone. Am 28. Januar 1993 verfügte der Polizeivorstand wiedererwägungsweise neue Verkehrsvorschriften für die Altstadt rechts der Limmat. Dabei wurde die "Leuengasse zwischen der Spiegelgasse und dem Haus Nr. 3 (inkl.)" und die Spiegelgasse der "Zone mit Fahrverbot" zugeteilt. Darin ist der Verkehr mit Motorwagen, Motorrädern und Motorfahrrädern grundsätzlich verboten. Erlaubt ist die Zufahrt zum Güterumschlag oder zum Ein- und Aussteigenlassen zwischen 05:00 und 12:00 Uhr; in der übrigen Zeit ist die Zufahrt für Hotellogiergäste und Taxis sowie Fahrzeuge mit schriftlicher Ausnahmebewilligung erlaubt. Der Stadtrat wies die dagegen erhobenen Einsprachen zwischen April und Juli 1995 ab. Das Statthalteramt des Bezirks Zürich vereinigte die dagegen erhobenen Rekurse und hiess sie am 30. April 1996 gut. Der Regierungsrat des Kantons Zürich wies den Rekurs der Stadt Zürich gegen diesen Statthalterentscheid am 9. Juni 1999 ab. Auf ein Wiedererwägungsgesuch der Stadt trat er am 15. Dezember 1999 nicht ein. Gestützt auf erneutes Wiedererwägungsgesuch des Zürcher Stadtrates kam der Regierungsrat am 4. Juli 2001 auf seinen Entscheid vom 9. Juni 1999 zurück, änderte diesen ab und bestätigte die Verfügung des Polizeivorstands vom 28. Januar 1993 mit verschiedenen Änderungen. Die Liegenschaft des Beschwerdeführers bleibt danach in der "Zone mit Fahrverbot", in welcher neu sämtlicher Verkehr - auch derjenige mit Fahrrädern - verboten ist. Der 1993 verfügte BGE 131 I 12 S. 14 Ausnahmenkatalog bleibt unverändert. Neu festgelegt wird, dass die (auch der Erschliessung der Liegenschaft des Beschwerdeführers dienenden) "Zufahrten Hirschengraben/Kirchgasse/Untere Zäune und ab Zähringerplatz" von 12:00 bis 02:00 bzw. 03:00 Uhr mit Hilfe einer bewachten Barrierenanlage kontrolliert werden. Mit Entscheid vom 12. Mai 2004 wies der Schweizerische Bundesrat die beiden Beschwerden der Geschäftsvereinigung Limmatquai Dörfli und von Alfred R. Sulzer ab und schrieb diejenige der Stadt Zürich ab. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 14. Juni 2004 beantragt Alfred R. Sulzer, diesen Bundesratsentscheid sowie den Regierungsratsbeschluss vom 4. Juli 2001 aufzuheben. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist, was der Beschwerdeführer nicht verkennt, gegen Rechtsmittelentscheide des Bundesrates grundsätzlich nicht gegeben ( Art. 98 OG e contrario). Er macht indessen geltend, bei der streitigen Rechtssache handle es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK , weshalb er gemäss BGE 125 II 420 entgegen anderslautenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen beim Bundesgericht angefochten werden könne. 1.1 Im erwähnten Urteil trat das Bundesgericht auf eine vom einschlägigen Verfahrensrecht nicht vorgesehene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Rechtsmittelentscheid des Bundesrates ein, um den von Art. 6 Ziff. 1 EMRK für zivilrechtliche Streitigkeiten garantierten gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Voraussetzung für ein derartiges Vorgehen ist, dass es sich bei der im Streit liegenden Rechtssache um eine zivilrechtliche Angelegenheit im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK handelt. 1.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, die sich an der Praxis der Strassburger Organe orientiert, beschränkt sich die Garantie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht auf Streitigkeiten zwischen Privaten oder zwischen Privaten und dem Staat in seiner Eigenschaft als Subjekt des Privatrechts und damit auf zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinn, sondern gilt auch für Verwaltungsakte einer hoheitlich handelnden Behörde, sofern diese massgeblich in Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur eingreifen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist, dass Existenz, Inhalt, Umfang oder Art der Ausübung von aus dem innerstaatlichen Recht ableitbaren Ansprüchen oder BGE 131 I 12 S. 15 Verpflichtungen privatrechtlicher Natur im Streit liegen. Dabei wird verlangt, dass die Streitigkeit echt und ernsthafter Natur ist und deren Ausgang sich für den zivilrechtlichen Anspruch als unmittelbar entscheidend erweist; bloss weit entfernte Auswirkungen reichen nicht aus. Als zivilrechtlich gilt insbesondere eine sich im Schutzbereich der Eigentumsgarantie von Art. 26 BV abspielende Streitigkeit über die Ausübung von Eigentumsrechten. Der Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist damit zwar weit, aber keineswegs schrankenlos. Die EMRK unterscheidet zwischen Zivilrechtsstreitigkeiten, für welche sie einen innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz vorschreibt, und anderen Streitigkeiten über die Verletzung materieller konventionsrechtlicher Garantien, für welche Art. 13 EMRK innerstaatlich einen Anspruch auf eine wirksame Beschwerde einräumt, welchem die Beschwerde an den Bundesrat vollauf genügt. Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist daher kein genereller Anspruch abzuleiten, wonach Rechtsstreitigkeiten unabhängig von ihrem Inhalt immer einer gerichtlichen Beurteilung unterliegen (BGE 1P.7/2004 vom 13. Oktober 2004, E. 5; BGE 123 I 25 E. 2b/dd). 1.3 1.3.1 Bis vor kurzem galt nach ständiger Rechtsprechung, dass ein Strassenanstösser kein besseres Recht auf die Benützung einer im Gemeingebrauch stehenden Strasse hat als jedermann, soweit ihm das kantonale Recht - was hier nicht geltend gemacht wird - eine besondere Rechtsstellung einräumt. Der Strassenanstösser verfügte nach dieser alten Praxis nur über eine tatsächliche Vorzugsstellung und nicht auf ein unter dem Schutz der Eigentumsgarantie stehendes Recht auf Zugang und Benützung einer an sein Land angrenzenden öffentlichen Strasse. Aus diesem Grund wurde ihm die Legitimation abgesprochen, sich unter Berufung auf die Eigentumsgarantie gegen die Aufhebung oder die Einschränkung des Gemeingebrauchs der Strasse mit staatsrechtlicher Beschwerde zur Wehr zu setzen (Darstellung der Rechtsprechung in BGE 126 I 213 E. 1b/aa). 1.3.2 Diese Rechtsprechung gab das Bundesgericht im erwähnten Entscheid auf. Es erkannte, dass sich der Schutzbereich der Eigentumsgarantie nicht nur auf die unmittelbar aus dem Eigentum fliessenden rechtlichen Befugnisse, sondern auch auf gewisse faktische Voraussetzungen zur Ausübung dieser Befugnisse erstrecke. Insoweit sei das Interesse an deren Erhaltung nicht bloss faktischer Natur, sondern auch rechtlich geschützt (a.a.O., E. 1b/bb, S. 215). Zu beurteilen war, ob die Aufhebung einer direkten Zufahrt von einer BGE 131 I 12 S. 16 Kantonsstrasse zu einem Tanklager einen Eingriff in die Eigentumsgarantie darstellte, obwohl die rückwärtige Erschliessung und damit die bestimmungsgemässe Nutzung des Landes erhalten blieb. Das Bundesgericht äusserte Zweifel daran, brauchte die Frage aber letztlich nicht zu entscheiden (a.a.O., E. 3a). 1.3.3 Nach der mit BGE 126 I 213 vollzogenen Praxisänderung soll sich der Strassenanstösser unter Berufung auf die Eigentumsgarantie gegen ein Verkehrsregime zur Wehr setzen können, welches ihm die bestimmungsgemässe Nutzung seines Eigentums verunmöglicht oder übermässig erschwert. Das bedeutet aber auch, wie das Bundesgericht im erwähnten Entscheid bereits angedeutet hat, dass die Eigentumsgarantie den Strassenanstösser nicht vor jeder ihm lästigen Änderung des Verkehrsregimes schützt, sondern nur von einer solchen, die ihm die bestimmungsgemässe Nutzung seines Grundeigentums faktisch verunmöglicht. 1.3.4 Für die Liegenschaft des Beschwerdeführers galt ab 1972 ein Nachtfahrverbot. Nach dem hier umstrittenen Verkehrsregime wird die Zufahrt zu seiner Liegenschaft für Automobile und Fahrräder grundsätzlich auf die Zeit von 05:00 bis 12:00 Uhr beschränkt; ausserhalb dieser Zeiten ist für die Zufahrt eine Ausnahmebewilligung notwendig. Dieses Verkehrsregime ist zwar einschneidend, der Beschwerdeführer legt indessen nicht dar, weshalb es für seinen Gewerbebetrieb in der Liegenschaft unabdingbar sein soll, dass er selber, seine Angestellten, seine Geschäftspartner und seine Kunden jederzeit mit dem Auto zur Liegenschaft gelangen können. Dies lässt sich auch nicht im Ernst behaupten, ist doch die Liegenschaft von verschiedenen Haltestellen des öffentlichen Verkehrs oder öffentlichen Parkierungsmöglichkeiten (z.B. dem Parkhaus Hohe Promenade) in wenigen Minuten zu Fuss erreichbar. Zudem hat der Regierungsrat in seinem Entscheid vom 4. Juli 2001 die Stadt unmissverständlich auf eine "grosszügige und flexible Handhabung der Kompetenzen bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen in dringlichen Fällen namentlich durch die Kontrollorgane bei den Pförtneranlagen" behaftet. Entgegen der Befürchtung des Beschwerdeführers besteht kein Grund zur Annahme, dass sich die Stadt nicht an diese verbindliche Vorgabe halten wird. Damit besteht Gewähr, dass der Beschwerdeführer bzw. seine Angestellten, Geschäftspartner oder Kunden auch in Zukunft während der Sperrzeiten zur Liegenschaft werden mit dem Auto zufahren können, sofern dies - z.B. für dringende Materialtransporte - erforderlich ist, BGE 131 I 12 S. 17 wobei nach dem Gesagten an den Bedürfnisnachweis keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. 1.3.5 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das umstrittene Verkehrsregime die bestimmungsgemässe Nutzung der Liegenschaft des Beschwerdeführers keineswegs verunmöglicht oder auch nur in unzumutbarer Weise erschwert. Bei der vom Bundesrat am 12. Mai 2004 letztinstanzlich entschiedenen Streitigkeit darüber handelt es sich daher um eine reine Verwaltungsangelegenheit, der Beschwerdeführer kann aus der Eigentumsgarantie von Art. 26 Abs. 1 BV daher nichts zu seinen Gunsten ableiten und hat damit auch keinen konventionsrechtlichen Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung des Falles. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nicht einzutreten.
de
48f7d03e-c0ab-4f6d-8523-c62a26b843f8
Sachverhalt ab Seite 115 BGE 143 V 114 S. 115 A. Der am 7. Mai 2015 im Libanon geborene A. reiste am 6. August 2015 zusammen mit seiner Mutter, seit Dezember 2013 in der Schweiz wohnhafte libanesische Staatsangehörige, zurück in die Schweiz. Am 9. Oktober 2015 meldeten ihn seine Eltern infolge des festgestellten Geburtsgebrechens Ziff. 387 (angeborene Epilepsie) des Anhangs zur Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen (GgV; SR 831.232.21; nachfolgend: GgV-Anhang) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau klärte in der Folge die medizinischen und persönlichen Verhältnisse ab. Gestützt darauf beschied sie das Leistungsbegehren wegen Fehlens der ausländerspezifischen versicherungsmässigen Voraussetzungen abschlägig (Vorbescheid vom 24. März 2016, Verfügung vom 8. Juli 2016). B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 12. Dezember 2016 ab. BGE 143 V 114 S. 116 C. A., handelnd durch seine Eltern, lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, medizinische Massnahmen zu seinen Gunsten zu erbringen. Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer, der an einer angeborenen Epilepsie (Geburtsgebrechen Ziff. 387 GgV-Anhang) leidet, die versicherungsmässigen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung, namentlich in Form von medizinischen Massnahmen nach Art. 13 IVG , erfüllt. 2.1 Gemäss Art. 9 Abs. 3 IVG haben ausländische Staatsangehörige mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt ( Art. 13 ATSG ) in der Schweiz, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben, Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, wenn sie selbst die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 2 IVG erfüllen oder (lit. a) wenn ihr Vater oder ihre Mutter, falls sie ausländische Staatsangehörige sind, bei Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet oder sich ununterbrochen während zehn Jahren in der Schweiz aufgehalten haben und (lit. b) sie selbst in der Schweiz invalid geboren sind oder sich bei Eintritt der Invalidität seit mindestens einem Jahr oder seit der Geburt ununterbrochen in der Schweiz aufgehalten haben. Den in der Schweiz invalid geborenen Kindern gleichgestellt sind Kinder mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die im Ausland invalid geboren sind und deren Mutter sich dort unmittelbar vor der Geburt während höchstens zwei Monaten aufgehalten hat. 2.2 Unbestrittenermassen nicht gegeben sind die versicherungsmässigen Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 3 lit. b Satz 1 IVG. Erfüllt ist demgegenüber das Erfordernis gemäss Art. 9 Abs. 3 lit. a IVG . Uneinig sind sich die Verfahrensbeteiligten in Bezug auf die Voraussetzung von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG und dabei insbesondere hinsichtlich des Elements "[...] und deren Mutter sich dort unmittelbar vor der Geburt während höchstens zwei Monaten aufgehalten hat". BGE 143 V 114 S. 117 3. 3.1 In sachverhaltsmässiger Hinsicht ist erstellt, dass der Beschwerdeführer am 7. Mai 2015 im Libanon zur Welt gekommen ist. Seine Mutter, libanesische Staatsangehörige und seit 2013 in der Schweiz wohnhaft, hat die Schweiz am 5. März 2015 um 14.10 Uhr per Flugzeug verlassen und ist einen Tag später, am 6. März 2015, um 02.35 Uhr in Beirut, Libanon, eingetroffen. 3.2 Gestützt darauf vertritt die Beschwerdegegnerin, bestätigt durch die Vorinstanz, die Auffassung, die in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG festgelegte Zweimonatsfrist habe mit der Ankunft der Mutter des Beschwerdeführers im Libanon am 6. März 2015 zu laufen begonnen und am 6. Mai 2015 - einen Tag vor der Geburt des Beschwerdeführers - geendet. Damit habe sich die Mutter mehr als zwei Monate vor der Geburt im Ausland aufgehalten, weshalb die entsprechenden versicherungsmässigen Voraussetzungen zum Leistungsbezug des Beschwerdeführers nicht erfüllt seien. Der Beschwerdeführer lässt dagegen im Wesentlichen einwenden, das kantonale Gericht habe mit der von ihm vorgenommenen Fristberechnung Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG verletzt. Ferner sei der in der Bestimmung erwähnte Begriff des "sich Aufhaltens" nach grammatikalischer, systematischer, historischer und teleologischer Auslegung im Sinne des "gewöhnlichen Aufenthalts" nach Art. 13 Abs. 2 ATSG zu verstehen. Da seine Mutter vor der Geburt lediglich im Libanon "anwesend" gewesen sei, sich dort aber nicht im Sinne des Art. 13 Abs. 2 ATSG "gewöhnlich aufgehalten" habe, seien die Anspruchserfordernisse für medizinische Massnahmen gemäss Art. 12 ff. IVG zu bejahen. 4. Zu beurteilen ist demnach in einem ersten Schritt, ob die in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG stipulierte Zweimonatsfrist eingehalten worden ist. 4.1 Im angefochtenen Entscheid wurde erwogen, für das Ende der in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG festgehaltenen Aufenthaltsdauer im Ausland sei die tatsächliche Niederkunft massgebend. Die Kindsmutter dürfe sich somit im Zeitpunkt der Geburt höchstens zwei Monate im Ausland aufgehalten haben, damit die entsprechende Voraussetzung zu bejahen sei. Für die Berechnung der Aufenthaltsdauer sei von der tatsächlichen Niederkunft - hier am 7. Mai 2015 - zwei Monate zurückzurechnen, wobei derjenige Tag, zwei Monate früher, entscheidwesentlich sei, der dieselbe Zahl trage wie der BGE 143 V 114 S. 118 fristauslösende Tag. Dies bedeute im vorliegenden Fall, dass die Kindsmutter sich frühestens ab 7. März 2015 hätte im Ausland aufhalten dürfen, um die Voraussetzung nach Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG zu erfüllen. Da sie jedoch bereits am 5. März 2015 aus der Schweiz abgeflogen und am 6. März 2015 im Libanon eingetroffen sei, habe sie sich im Zeitpunkt der Geburt am 7. Mai 2015 länger als zwei Monate im Ausland befunden. Mit der in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG verankerten zweimonatigen Frist bestehe eine gesetzlich vorgesehene maximale Aufenthaltsdauer im Ausland, welche bei - auch nur kurzzeitiger - Überschreitung dazu führe, dass das betroffene Kind nicht in den Genuss von Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung komme. 4.2 Was in der Beschwerde dagegen vorgebracht wird, vermag keine bundesrechtswidrige Anwendung von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG darzutun. 4.2.1 Fehl geht der Beschwerdeführer zunächst mit seiner Rüge, es sei nicht der tatsächliche, sondern der errechnete Geburtstermin - nach eigenen Angaben der 4. Mai 2015 - relevant. Die Vorinstanz hat diesbezüglich überzeugend ausgeführt, dass ein Abstellen auf den errechneten Geburtstermin zum einen keine Stütze im Gesetz findet und sich zum andern auf Grund von Unschärfen bei der Berechnung als wenig praktikabel erwiese. Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG spricht klar von "Geburt", worunter nur die tatsächliche Niederkunft und nicht ein theoretisch errechneter Geburtstermin verstanden werden kann. Würde mit dem Beschwerdeführer auf den letztgenannten Zeitpunkt abgestellt, hätte dies vorliegend die abwegige Konsequenz, dass die Frist beendet gewesen wäre, bevor das eigentlich fristbeendende Ereignis, die effektive Geburt, überhaupt stattgefunden hätte. Die vom kantonalen Gericht erwähnten "Unschärfen" zeigen sich gerade anhand des hier zu beurteilenden Falles. Weiterungen dazu erübrigen sich. 4.2.2 Wirkt sich nach dem Gesagten der Tag der effektiven Geburt (7. Mai 2015) als fristauslösend im Sinne von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG aus, ist der Beginn der Zweimonatsfrist auf den 7. März 2015 zurück zu datieren. Anhaltspunkte dafür, dass, wie vom Beschwerdeführer als zweites Argument eingebracht, das durch Rückrechnung zu ermittelnde Ende der zweimonatigen Frist nicht vom fristauslösenden Moment der Niederkunft selber, sondern vom Tag vor dem fristauslösenden Moment an zu berechnen wäre, sind keine erkennbar. Vielmehr spricht der Gesetzestext ausdrücklich von "[...] BGE 143 V 114 S. 119 und deren Mutter sich dort unmittelbar vor der Geburt während höchstens zwei Monaten aufgehalten hat". Daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass die Zweimonatsfrist ab dem effektiven Zeitpunkt der Niederkunft zurückzurechnen ist. Raum für Interpretationen dergestalt, den Tag des fristauslösenden Moments (Geburt) ausser Acht zu lassen und die Frist ab dem Vortag zu berechnen, besteht angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung keiner. 4.2.3 Soweit der Beschwerdeführer schliesslich geltend machen lässt, für die Beurteilung, ob sich seine Mutter unmittelbar vor der Geburt während höchstens zwei Monaten im Ausland aufgehalten habe, sei nicht das Datum ihrer Abreise aus der Schweiz (5. März 2015), sondern die Ankunft im Ausland (6. März 2015) ausschlaggebend, kann er auch daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten. Wie hiervor dargelegt, hätte sich die Kindsmutter frühestens ab 7. März 2015 im Ausland aufhalten dürfen, um die Voraussetzung nach Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG zu erfüllen. Ob somit der Zeitpunkt der Abreise aus der Schweiz oder aber derjenige der Ankunft im Ausland als entscheidend angesehen wird, ändert jedenfalls im hier zu beurteilenden Fall nichts daran, dass die Frist "lebenszeitlich" überschritten worden ist. 5. In der Beschwerde wird im Weiteren die unrichtige Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "sich Aufhaltens" nach Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG beanstandet. 5.1 Das kantonale Gericht hat eine Auslegung der Norm vorgenommen und ist gestützt darauf zum Schluss gelangt, dass der in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG verwendete Ausdruck des "sich Aufhaltens" nur im Sinne einer blossen (physischen) Anwesenheit, nicht aber als qualifizierter(er) "gewöhnlicher Aufenthalt" gemäss Art. 13 Abs. 2 ATSG verstanden werden könne. 5.2 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich zur Auslegung neuerer Texte, die noch auf wenig veränderte Umstände und ein kaum gewandeltes Rechtsverständnis BGE 143 V 114 S. 120 treffen, kommt den Materialien eine besondere Bedeutung zu. Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht. Allerdings findet auch eine verfassungskonforme Auslegung ihre Grenzen im klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung ( BGE 141 V 221 E. 5.2.1 S. 225; BGE 140 V 449 E. 4.2 S. 455; je mit Hinweisen). 5.2.1 Die deutschsprachige Fassung des Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG spricht von "sich aufgehalten hat". Die französische und die italienische Version lauten "a résidé" bzw. "ha risieduto" und stimmen damit in ihrem Aussagegehalt mit dem deutschen Wortlaut überein. Der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" (bzw. "résidence habituelle" und "dimora abituale") gemäss Art. 13 Abs. 2 ATSG , wonach eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort hat, an dem sie während längerer Zeit lebt, selbst wenn diese Zeit von vornherein befristet ist, unterscheidet sich davon, insbesondere in seiner italienischen Fassung, sprachlich klar vom blossen "sich Aufhalten". Dieser Umstand lässt mit der Vorinstanz den Schluss zu, dass im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG ein schlichtes "sich Aufhalten" im Sinne eines blossen "anwesend sein" für die massgebliche Zweimonatsdauer genügen soll und nicht, wie vom Beschwerdeführer angeführt, ein "gewöhnlicher Aufenthalt" nach Art. 13 Abs. 2 ATSG gegeben sein muss. 5.2.2 Dieses Ergebnis wird auch durch die systematische Einbettung des "sich Aufhaltens" innerhalb der betreffenden Bestimmung selber untermauert. So ist sowohl in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 als auch in Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG ausdrücklich vom "gewöhnlichen Aufenthalt" der Leistungsansprecher nach Art. 13 ATSG in der Schweiz die Rede. Demgegenüber spricht Abs. 3 lit. b Satz 2 der Norm hinsichtlich der maximalen Verweildauer der Mutter im Ausland lediglich von "sich aufgehalten hat". 5.2.3 Was das historische/geltungszeitliche aber auch teleologische Auslegungselement anbelangt, enthält die Botschaft vom 5. März 1990 über die 10. AHVG-Revision (BBl 1990 II 1 ff., 108 f.) zu Art. 9 Abs. 2 und 3 (Eingliederungsmassnahmen für im Ausland geborene Kinder) u.a. die folgenden Hinweise: "[...] wird in Absatz 3 eine unter sozialpolitischen Gesichtspunkten störende Lücke geschlossen. BGE 143 V 114 S. 121 Das geltende Recht setzt für die Übernahme von Eingliederungsmassnahmen von ausländischen Kindern u.a. voraus, dass 'die Kinder in der Schweiz invalid geboren sind'. Wird nun ein mit einem Geburtsgebrechen behaftetes Kind im Ausland geboren, so kann dieses - vorbehältlich bestimmter staatsvertraglicher Bestimmungen - der durch sein Geburtsgebrechen ausgelösten medizinischen Massnahmen verlustig gehen, obwohl dessen Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt in der Schweiz ausgewiesen sind. Wir schlagen daher vor, dass auch im Ausland geborene ausländische Kinder mit Geburtsgebrechen in den Genuss von Eingliederungsmassnahmen der IV gelangen können, sofern die Mutter sich vor der Niederkunft nicht länger als zwei Monate im Ausland aufgehalten und das Kind seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hat. Diese Bedingung entspricht jenen Sozialversicherungsabkommen, die jetzt schon eine ähnliche Bestimmung kennen. Mit dieser neuen Gesetzesbestimmung ermöglicht nun schon die innerstaatliche Gesetzgebung in den skizzierten Fällen die Erfüllung der Versicherungsklausel im Falle einer Auslandgeburt." Wie bereits im vorinstanzlichen Entscheid einlässlich erkannt wurde, wollte der Gesetzgeber mit der Anpassung des Art. 9 Abs. 3 lit. b IVG folglich verhindern, dass ein Kind, das während eines kurzfristigen Auslandaufenthalts seiner Mutter im Ausland geboren wurde, unter Umständen keine Eingliederungsmassnahmen beanspruchen kann (vgl. auch: ERWIN MURER, Invalidenversicherungsgesetz, 2014, N. 86 zu Art. 9 IVG ). Diese gesetzlich festgelegte zeitliche Limitierung von zwei Monaten wurde, so die klare Aussage der Botschaft, bewusst in Anlehnung an andere Sozialversicherungsabkommen verfasst (weitergehend dazu: EDGAR IMHOF, Behinderte Kinder aus der EU haben ein gleiches Recht auf IV-Eingliederungsmassnahmen wie Schweizer Kinder, Jusletter 17. September 2007 Rz. 2), damit "[...] schon die innerstaatliche Gesetzgebung in den skizzierten Fällen die Erfüllung der Versicherungsklausel im Falle einer Auslandgeburt" zu gewährleisten in der Lage ist. Für die Auffassung des Beschwerdeführers, von der fraglichen Bestimmung sollten nur Konstellationen erfasst werden, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter (und des Kindes) nach der Geburt einzig mit dem Ziel in die Schweiz verlegt wird, für das invalid geborene Kind Leistungen der schweizerischen Invalidenversicherung erhältlich zu machen, obwohl ein entsprechender Umzug vor der Geburt noch gar nicht geplant gewesen war, sind weder in den Materialien noch in der Literatur Anhaltspunkte ersichtlich. BGE 143 V 114 S. 122 5.3 Zusammenfassend genügt für die Zweimonatsfrist nach Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG somit ein blosses "Verweilen" der Kindsmutter im Ausland. 5.3.1 Die Gründe für den betreffenden Aufenthalt sind dabei unerheblich. Relevant ist lediglich der Umstand des sich im Ausland Aufhaltens, nicht aber das Motiv, welches die Kindsmutter veranlasst hat, sich dorthin zu begeben. Die Ausführungen in der Beschwerde zur subjektiv erlebten "Notlage" der Familie sowie die Hinweise auf das islamische Ehe- und Familienrecht erweisen sich daher als nicht massgeblich. Ebenso wenig vermögen die Beteuerungen des Beschwerdeführers, dass seine Mutter während ihres Aufenthalts im Libanon keine persönlichen Beziehungen zur Bevölkerung gepflegt und sie ihre Zeit fast ausschliesslich liegend verbracht habe, sie dort demnach "in lebenspraktischer Hinsicht" nicht anwesend gewesen sei, ein anderes Ergebnis herbeizuführen. 5.3.2 Entgegen der Betrachtungsweise des Beschwerdeführers bewirkt ein derartiges Verständnis von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG auch keine "kaum zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Kindern mit schweizerischer Staatsbürgerschaft und Kindern mit ausländischer Staatsbürgerschaft". 5.3.2.1 Zum einen schliesst Art. 8 Abs. 2 BV eine an das Merkmal der Staatsangehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlung von Schweizern gegenüber anderen Staatsangehörigen nicht grundsätzlich aus. Gemäss Völkerrecht sind rechtliche Unterscheidungen, welche ein Staat zwischen eigenen Staatsangehörigen und Ausländern trifft, erlaubt, solange sie sachlich und vernünftig gerechtfertigt bzw. einem öffentlichen Interesse entsprechen und verhältnismässig sind. Sachlich begründete Differenzierungen zwischen Schweizerinnen bzw. Schweizern und Ausländerinnen bzw. Ausländern wie auch zwischen fremden Staatsangehörigen mit verschiedenem Aufenthaltsstatus sind nach der BV ebenfalls erlaubt (Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 6 mit Hinweis, in: SZS 2010 S. 357). Wenn jede Ungleichbehandlung von Ausländern gegenüber Schweizern oder innerhalb von verschiedenen Aufenthaltskategorien von Ausländern verboten würde, könnte letztlich auch keinem Ausländer mehr verwehrt werden, beispielsweise trotz illegaler Einreise in der Schweiz zu verbleiben, um hier ab dem ersten Aufenthaltstag sämtliche sozialversicherungsrechtlichen Leistungen zu beanspruchen. Das Verbot der indirekten Diskriminierung von Art. 8 Abs. 2 BV verbürgt jedoch gerade keinen individualrechtlichen, gerichtlich BGE 143 V 114 S. 123 durchsetzbaren Anspruch auf Herstellung faktischer Gleichheit ( BGE 134 I 105 E. 5 S. 108 f. mit Hinweisen; Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 6, in: SZS 2010 S. 357). Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass sich die auf die Staatsangehörigkeit abstellende Unterscheidung zwischen Schweizern und Ausländern primär nach Art. 8 Abs. 1 BV richtet (vgl. GIOVANNI BIAGGINI, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2007, N. 24 zu Art. 8 BV ). Eine Verletzung der Rechtsgleichheit ist jedoch gegenüber dem Beschwerdeführer durch die Beschwerdegegnerin nicht auszumachen. Auch kann er sich als libanesischer Staatsangehöriger weder auf die Anwendbarkeit des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681) berufen, noch vermag er gestützt auf ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen zwischen der Schweiz und dem Libanon einen Anspruch auf die strittigen Leistungen der Invalidenversicherung zu begründen (demgegenüber: BGE 132 V 184 ; Näheres: IMHOF, a.a.O., Rz. 2-4). 5.3.2.2 Ferner enthält auch Art. 14 EMRK kein allgemeines Gleichbehandlungsgebot. Vielmehr ist gemäss dem Wortlaut der Bestimmung das Diskriminierungsverbot stets bei Ungleichbehandlungen auf Grund eines verpönten Merkmals und in Zusammenhang mit einem anderen Konventionsrecht anzuwenden (EDGAR IMHOF, Die Bedeutung menschenrechtlicher Diskriminierungsverbote für die Soziale Sicherheit, Jusletter 7. Februar 2005 Rz. 8). Dies ergibt sich auch aus BGE 133 V 367 E. 11.3 S. 388 f., wo ein genügender Zusammenhang mit dem Recht auf die Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK oder der Eigentumsgarantie gemäss Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK verlangt wird. Ein solcher Zusammenhang ist vorliegend nicht gegeben. Die dem Beschwerdeführer von der IV-Stelle verweigerten medizinischen Massnahmen bewirken weder eine Beeinträchtigung im Privat- und Familienleben noch stellen sie einen Eingriff in die Eigentumsgarantie noch sonst wie eine Verletzung anderer Konventionsrechte dar. Somit kann sich der Beschwerdeführer zur Geltendmachung seiner Ansprüche auch nicht auf die EMRK berufen (vgl. Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 7, in: SZS 2010 S. 357). 5.4 Da sich die Mutter des Beschwerdeführers unmittelbar vor der Geburt länger als zwei Monate im Sinne von Art. 9 Abs. 3 lit. b BGE 143 V 114 S. 124 Satz 1 IVG im Libanon aufgehalten hat, erfüllt der Beschwerdeführer die versicherungsmässigen Voraussetzungen nach dem Dargelegten nicht. Er hat keinen Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung. (...)
de
cd71bd5c-9e24-4ddc-b7a9-29f1dd59a88c
Sachverhalt ab Seite 407 BGE 130 III 407 S. 407 A. Das Betreibungsamt Romanshorn teilte der X. AG am 26. August 2003 mit, dass in den gegen sie laufenden Betreibungen Nr. y und Nr. z die Betreibungsgläubigerin am 2. April 2003 bzw. 7. August 2003 das Begehren um Verwertung der gepfändeten Gegenstände (eine Abkantpresse und eine Schlagschere im Schätzwert von insgesamt Fr. 55'000.-) verlangt hatte. Gleichzeitig gab das Betreibungsamt bekannt, dass die Steigerung am 26. September 2003 um 10 Uhr am Sitz der Betreibungsschuldnerin stattfinden und die Publikation der Steigerung am 24. September 2003 erfolgen werde. An der Steigerung vom 26. September 2003 wurden die gepfändeten Gegenstände mit einem Erlös von Fr. 11'000.- verwertet. Hiergegen erhob die X. AG am 4. Oktober 2003 Beschwerde und verlangte die Aufhebung des Steigerungszuschlages. Mit Verfügung vom 12. November 2003 wies der Gerichtspräsident von Arbon als untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen die Beschwerde ab. Auf Beschwerde der X. AG hin bestätigte das Obergericht des Kantons Thurgau als obere kantonale Aufsichtsbehörde über BGE 130 III 407 S. 408 Schuld betreibung und Konkurs mit Beschluss vom 19. Dezember 2003 den erstinstanzlichen Beschwerdeentscheid. B. Die X. AG hat den Beschluss der oberen Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschrift vom 1. März 2004 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragt, der angefochtene Beschluss sowie der Steigerungszuschlag seien aufzuheben. Weiter verlangt sie aufschiebende Wirkung. C. Mit Präsidialverfügung vom 9. März 2004 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die Betreibungsgläubigerin und die Ersteigererin als Beschwerdegegnerinnen beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Betreibungsamt schliesst auf Abweisung. Die obere Aufsichtsbehörde hat anlässlich der Aktenüberweisung auf Gegenbemerkungen ( Art. 80 OG ) verzichtet. D. Auf eine in der gleichen Sache erhobene staatsrechtliche Beschwerde wurde mit Urteil (5P.116/2004) vom 8. April 2004 nicht eingetreten. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Selbst bei einer formell unzureichenden Beschwerde, wie sie hier vorliegt, kann die erkennende Kammer eingreifen, wenn sie auf eine nichtige Verfügung ( Art. 22 SchKG ) tatsächlich aufmerksam wird ( BGE 94 III 65 E. 2 S. 68 u. 71). Die obere Aufsichtsbehörde hat die angefochtene Steigerung vom 26. September 2003 im Ergebnis geschützt. Die Beschwerdeführerin macht Nichtigkeit geltend, weil das Betreibungsamt die an sie gerichteten Mitteilungen vom 26. August 2003 über die Verwertungsbegehren zugleich als Anzeige der Steigerung verwendet habe, zumal die Frist zwischen Publikation der Steigerung und deren Durchführung auch für die Interessenten zu kurz gewesen sei. 2.2 Aus dem angefochtenen Beschluss und den kantonalen Akten geht hervor, dass das Betreibungsamt der Beschwerdeführerin als Schuldnerin mit (am 27. August 2003 durch Einschreiben zugestelltem) Formular Nr. 28 den Eingang der Verwertungsbegehren mitgeteilt hat und gleichzeitig das Datum (26. September 2003 um 10 Uhr) und den Ort (Sitz der Betreibungsschuldnerin) der Steigerung sowie deren Publikation (24. September 2003) bekannt BGE 130 III 407 S. 409 gege ben hat. Dass dem Schuldner mit der Anzeige über den Eingang des Verwertungsbegehrens ( Art. 120 SchKG ) bereits die Daten der Verwertung und der Publikation bekannt gegeben werden ( Art. 125 SchKG ), ist indessen nicht zu beanstanden (FREY, in: Kommentar zum BGE 130 III 407 S. 410 Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 4 zu Art. 120 SchKG ; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 8 zu Art. 120 SchKG ). Im Übrigen hat das Betreibungsamt die Dreitagesfrist für die Anzeige an Beteiligte ( Art. 125 Abs. 3 SchKG ) im vorliegenden Fall ohne weiteres gewahrt. Von einem Anhaltspunkt zum Einschreiten von Amtes wegen kann - abgesehen von der Frage, ob insoweit überhaupt Vorschriften im Sinne von Art. 22 SchKG verletzt sind - keine Rede sein. 2.3 Bleibt zu prüfen, ob die Steigerung nichtig sei, weil das Publikum nicht rechtzeitig von der Durchführung der Steigerung erfahren habe. 2.3.1 Die obere Aufsichtsbehörde hat zu Recht festgehalten, dass nicht nur die Anzeige an die Beteiligten, sondern auch die öffentliche Bekanntmachung der Steigerung beweglicher Sachen mindestens drei Tage vorher zu erfolgen hat ( BGE 38 I 739 E. 1 S. 741 f.; bestätigt in der Lehre: GILLIÉRON, a.a.O., N. 16, 24 und 37 zu Art. 125 SchKG ; vgl. Kreisschreiben Nr. 2 des Bundesgerichts vom 7. November 1912; BGE 54 III 78 ; BGE 122 III 327 ). Wenn die Publikation - wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat (Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 81 OG ) - erst am 24. September 2003 in der Tagespresse erfolgt ist, hat das Betreibungsamt die Publikationsvorschrift für die Steigerung vom 26. September 2003 nicht eingehalten, was im angefochtenen Beschluss zu Recht erkannt worden ist. Entgegen der Auffassung der oberen Aufsichtsbehörde ist nicht erheblich (und nicht ernstlich überprüfbar), ob bei Einhaltung der Dreitagesfrist mehr Steigerungsinteressenten höhere Angebote gemacht hätten und ein höherer Verwertungserlös resultiert hätte. Massgebend in einem (den formellen Anforderungen genügenden) Beschwerdeverfahren ist, ob das Betreibungsamt das Verfahren gesetzmässig durchführt ( Art. 17 Abs. 1 SchKG ) und - mit vorliegendem Bezug auf die Steigerung - die Vorschriften zur öffentlichen Publikation einhält (vgl. BGE 121 III 88 E. 6a S. 90; BGE 110 III 30 E. 2 S. 32; GILLIÉRON, a.a.O., N. 24 zu Art. 125 SchKG ; RUTZ, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 9 zu Art. 132a SchKG ; HÄUSERMANN/STÖCKLI/FEUZ, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 21 a.E. zu Art. 143a SchKG ). 2.3.2 Die - hier einzig zu prüfende (vgl. E. 2.1) - Kassation der Steigerung von Amtes wegen kommt nur in Frage, wenn beim Steigerungsverfahren absolut zwingende Vorschriften verletzt worden sind ( Art. 22 SchKG ; vgl. GILLIÉRON, a.a.O., N. 64 zu Art. 132a SchKG ; RUTZ, a.a.O., N. 6 zu Art. 132a SchKG ; HÄUSERMANN/ STÖCKLI/FEUZ, a.a.O., N. 31 zu Art. 143a SchKG ). Dies ist hier aber nicht der Fall. Der Umstand der zu kurzfristigen öffentlichen Auskündigung ist zwar geeignet, dass das interessierte Publikum nicht die nötige Zeit hatte, um sich auf die Steigerung vorzubereiten (vgl. Kreisschreiben, a.a.O.). An der Vorschrift über die Publikation der Steigerung sind indessen die Gläubiger und der Schuldner interessiert, weil sie dazu dient, einen möglichst hohen Erlös zu erzielen ( BGE 121 III 88 E. 6a S. 90; BGE 119 III 26 E. 2c S. 28), nicht aber die Steigerungsinteressenten (JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., 1997, N. 14 zu Art. 125 SchKG ). Da eine zu kurz angesetzte Frist zwischen Publikation und Durchführung der Steigerung keinen Verstoss gegen eine Vorschrift im Sinne von Art. 22 SchKG darstellt, besteht kein Anlass, die Aufhebung der Steigerung von Amtes wegen in Betracht zu ziehen. 2.4 Nach dem Dargelegten erweist sich die Beschwerde als unbegründet, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann.
de
b7f76e57-427a-4b33-b726-f3f769bca539
Sachverhalt ab Seite 484 BGE 131 V 483 S. 484 A. Der 1954 geborene K. erlitt am 29. Januar 2001 und am 27. Januar 2002 je einen Verkehrsunfall. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) anerkannte die Leistungspflicht. Mit Verfügung vom 23. Januar 2003 stellte die SUVA die Leistungen ab 29. Oktober 2002 (Heilbehandlung) und 18. November 2002 (Taggeld) ein. Mit einer weiteren Verfügung vom 1. April 2003 sprach die Anstalt K. für die Folgen des Unfalles vom 29. Januar 2001 eine Invalidenrente auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 20 % sowie eine Integritätsentschädigung von 10 % zu. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 23. Dezember 2003 fest. B. K. liess durch Rechtsanwalt W. beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Beschwerde einreichen und beantragen, der Einspracheentscheid vom 23. Dezember 2003 sei aufzuheben und es seien ihm die gesetzlichen Leistungen auszurichten; im Weitern sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
de
897d239c-7735-41b9-9cfd-cf4b00cf5c41
Sachverhalt ab Seite 139 BGE 127 V 138 S. 139 A.- Der 1967 geborene S. liess sich im März 1998 in der Klinik für Orthopädische Chirurgie am Inselspital Bern wegen Schmerzen links inguinal untersuchen. Die durch bildgebende Verfahren unterstützte Abklärung ergab eine residuelle Hüftdysplasie (Pfannenrandsyndrom bei antero-lateralem Überdachungsdefizit) links. Es wurde eine periacetabuläre Osteotomie vorgeschlagen. Am 16. Juni 1998 ersuchte der Direktor der Klinik, Prof. Dr. med. A., den Kantonsarzt des Wohnkantons St. Gallen von S. um "Kostengutsprache nach Artikel 41.3 KVG" für diesen Eingriff. Mit Verfügungen vom 22. Juni und 1. Juli 1998 lehnte das Kantonsarzt-Amt das Begehren mit der Begründung ab, gemäss Prof. Dr. med. G. von der Klinik für Orthopädische Chirurgie des Kantonsspitals St. Gallen könne die geplante Operation auch an diesem Spital durchgeführt werden. Auf Einsprache hin erliess das Amt, nach Einholung der Stellungnahme des Prof. Dr. med. G., am 30. Juli 1998 erneut einen ablehnenden Entscheid. B.- S. reichte beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Rekurs ein und beantragte zur Hauptsache, die Verfügungen und der Einspracheentscheid seien aufzuheben und es seiihm für den geplanten Spitalaufenthalt in Bern Kostengutsprache zu erteilen. Das Kantonsarzt-Amt schloss in seiner Vernehmlassung auf Abweisung des Rechtsmittels. Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels hielten die Parteien an ihren Anträgen fest. In einer weiteren Eingabe bezifferte S. unter Hinweis darauf, dass die Behandlung am Inselspital Bern durchgeführt worden sei (Spitalaufenthalt vom 24. August bis 2. September 1998), den Differenzbetrag zu Lasten seines Wohnkantons St. Gallen auf Fr. 10'347.45 (Fr. 13'624.45 [in Rechnung gestellte Kosten] - 3277 Franken [Fallpauschale für Einwohner des Kantons Bern]). Mit Entscheid vom 30. Juni 1999 wies das kantonale Versicherungsgericht den Rekurs ab. C.- S. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Rechtsbegehren, es seien Gerichtsentscheid und Einspracheentscheid aufzuheben und es sei der Kanton St. Gallen zur Bezahlung von Fr. 10'347.45 zuzüglich Zinsen zu verpflichten. Im Weitern seien ihm eine Unkostenentschädigung von 1500 Franken zuzusprechen und die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren. Das Gesundheitsdepartement des Kantons St. Gallen beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat keine Vernehmlassung eingereicht. BGE 127 V 138 S. 140 Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. Die letztinstanzliche Zuständigkeit des Eidg. Versicherungsgerichts zur Beurteilung der Leistungspflicht des Kantons St. Gallen im Zusammenhang mit der im August 1998 am Inselspital Bern durchgeführten periacetabulären Osteotomie links nach Art. 41 Abs. 3 KVG ist gegeben ( BGE 123 V 298 Erw. 3c, 315 Erw. 3a). Da auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten. 2. a) Gemäss Art. 25 Abs. 1 KVG übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen. Diese Leistungen umfassen nach Abs. 2 dieser Bestimmung u.a. die Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die stationär durchgeführt werden (lit. a) sowie den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung eines Spitals (lit. e). Voraussetzung für die Kostenübernahme sind neben dem Erfordernis der Zulassung zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ( Art. 35 ff. KVG ) u.a. Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen ( Art. 32 Abs. 1 Satz 1 KVG ; vgl. BGE 125 V 95 ). Die Vergütung der Leistungen nach Art. 25 KVG erfolgt nach Tarifen oder Preisen ( Art. 43 Abs. 1 KVG ). Diese werden in Verträgen zwischen Versicherern und Leistungserbringern vereinbart oder in den vom Gesetz bestimmten Fällen von der zuständigen Behörde (Kantonsregierung oder Bundesrat) festgesetzt ( Art. 43 Abs. 4 Satz 1 KVG ). Für Tarifverträge mit öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitälern im Sinne von Art. 39 Abs. 1 KVG im Besonderen hat das Gesetz in Art. 49 KVG eine Spezialregelung getroffen (vgl. dazu Botschaft des Bundesrates über die Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991, BBl 1992 I 93 ff., 127, 169 und 183 f., sowie GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, S. 156 ff.). b) Die Versicherten können laut Art. 41 KVG unter den zugelassenen Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind, frei wählen (Abs. 1 Satz 1). Für die Kostenübernahme bei stationärer Behandlung gilt folgende Regelung: Der Versicherer muss die Kosten höchstens nach dem Tarif übernehmen, der im Wohnkanton der versicherten Person gilt (Abs. 1 Satz 3). Beanspruchen Versicherte aus medizinischen Gründen einen anderen Leistungserbringer, so richtet sich die Kostenübernahme BGE 127 V 138 S. 141 nach dem Tarif, der für diesen Leistungserbringer gilt (Abs. 2 Satz 1). Medizinische Gründe liegen bei einem Notfall vor oder wenn die erforderlichen Leistungen nicht im Wohnkanton oder in einem auf der Spitalliste des Wohnkantons nach Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG aufgeführten ausserkantonalen Spital angeboten werden (Abs. 2 Satz 2 lit. b; vgl. im Verhältnis zum Ausland Art. 34 Abs. 2 KVG und Art. 36 KVV ). Beansprucht die versicherte Person aus medizinischen Gründen die Dienste eines ausserhalb ihres Wohnkantons befindlichen öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitals, so übernimmt der Wohnkanton die Differenz zwischen den in Rechnung gestellten Kosten und den Tarifen des betreffenden Spitals für Einwohner und Einwohnerinnen des Kantons (Abs. 3 Satz 1). 3. Die Vorinstanz hat die Verpflichtung des (Wohn-)Kantons St. Gallen zur Übernahme der Tarifdifferenz für die im August 1998 am Inselspital Bern durchgeführte periacetabuläre Osteotomie links mit der Begründung verneint, gemäss Angaben des Dr. med. G. von der Klinik für Orthopädische Chirurgie am Kantonsspital St. Gallen würden Beckenosteotomien auch dort durchgeführt. Dass dabei eine andere Methode (modifizierte Form der Tripel-Osteotomie nach Tönnis) angewandt werde als am Inselspital, sei nicht entscheidend. Zum einen könne nicht gesagt werden, dass die periacetabuläre Osteotomie einem höheren Stand der medizinischen Operationstechnik entspreche. Gemäss Prof. Dr. med. G. hätten beide Arten von Beckenosteotomien ihre Risiken und Chancen. Zum andern handle es sich dabei nicht um lebenswichtige Eingriffe, weshalb auch der Wunsch des Versicherten, nach der von ihm bevorzugten Operationsmethode versorgt zu werden, nicht berücksichtigt werden könne. Ebenfalls keinen zureichenden medizinischen Grund im Sinne der Art. 41 Abs. 2 lit. b und Abs. 3 KVG bilde die Tatsache, dass das Inselspital Bern überdurchschnittliche Erfahrung mit Beckenosteotomien habe und die Operationszahlen im Kantonsspital St. Gallen tiefer seien. Es genüge, dass das kantonseigene Angebot in diesem Bereich als ausreichend bezeichnet werden könne. Dass das Kantonsspital St. Gallen auf dem Gebiet der Beckenosteotomien in der Schweiz nicht führend sei, bedeute nicht ein ungenügendes Angebot im Sinne von Art. 41 Abs. 2 KVG . Abgesehen davon liesse sich der Anspruch auf operative Versorgung durch eine in einem bestimmten medizinischen Teilgebiet führende ausserkantonale Klinik mit den vom Gesetzgeber mit Art. 41 Abs. 3 KVG verfolgten Zielen nicht vereinbaren, da dies die Bildung BGE 127 V 138 S. 142 medizinischer Zentren, die ihre Leistungen zum vollen Tarif verrechnen könnten, begünstigte und gleichzeitig das vorhandene stationäre Behandlungsangebot in den übrigen Kantonen vollständig unterlaufen würde. Aus den gleichen Gründen sei ein Wahlrecht bei einer in Bezug auf die Behandlungsart abweichenden second opinion eines Zweitarztes abzulehnen. Nichts zu Gunsten des Versicherten ergebe sich schliesslich daraus, dass Prof. Dr. med. G. einen Operationserfolg wegen der fortgeschrittenen Hüftdysplasie als fragwürdig bezeichnet habe. 4. a) Unter den "erforderlichen Leistungen" im Sinne von Art. 41 Abs. 2 (Satz 2) KVG sind die zur Behandlung der Krankheit gemäss medizinischer Indikation notwendigen und hinreichenden diagnostischen und therapeutischen Massnahmen zu verstehen, in Bezug auf welche die Voraussetzungen der Kostenübernahme im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gegeben sind, die also insbesondere den Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit gemäss Art. 32 Abs. 1 KVG genügen. Wann diese Leistungen im Wohnkanton oder in einem auf dessen Spitalliste aufgeführten ausserkantonalen Spital nicht angeboten werden ("ne peuvent être fournies" bzw. "non possono essere dispensate" in der französischen und italienischen Fassung), sagt das Gesetz nicht. Nicht weiter hilft sodann der unmittelbare Normzweck, wie er sich aus dem insoweit klaren Wortlaut und der Systematik der Kostenübernahmeordnung bei stationärer Behandlung gemäss Art. 41 KVG ergibt. b) In der Botschaft vom 6. November 1991 finden sich keine Ausführungen zum Begriff der medizinischen Gründe im Sinne von Art. 41 Abs. 2 und 3 KVG . Zum Zweck der Regelung des Art. 35 des Entwurfes "Wahl des Leistungserbringers und Kostenübernahme" (vgl. Zwischentitel vor Art. 41 KVG ) wird u.a. ausgeführt, es gehe um eine weit gehende Vereinheitlichung des Wahlrechts der Versicherten mit Bezug auf die verschiedenen Leistungserbringer, welches heute bald enger und bald weiter ausgestaltet sei, ohne dass hiefür stets zwingende sachliche Gründe ersichtlich seien. Im Weitern wird darauf hingewiesen, dass im Unterschied zum bisherigen Recht auch dann eine allerdings beschränkte Leistungspflicht besteht, wenn der Versicherte einen auswärtigen Leistungserbringer wähle, ohne dass dies medizinische Gründe erforderten (BBl 1992 I 168 f.). In den Räten bildeten die medizinischen Gründe im Sinne von Art. 41 Abs. 2 und 3 KVG nicht Diskussionsgegenstand (vgl. Amtl.Bull. 1992 S 1307 ff. und 1993 N 1857). Anzufügen bleibt, BGE 127 V 138 S. 143 dass bei der Beratung des Vorentwurfs des Bundesamtes durch die Expertenkommission der Vertreter der Verwaltung u.a. ausführte, dass die vorgeschlagene Vereinheitlichung des Wahlrechts sich weit gehend an den heute für Heilanstalten geltenden Grundsätzen orientiere (Protokoll der Sitzungen vom 23./24. April 1990). c) aa) Unter dem alten Recht ( Art. 19bis KUVG ) galt folgende Regelung: Die Versicherten hatten grundsätzlich freie Wahl der inländischen Heilanstalt (Abs. 1). Je nachdem, ob die Krankenkasse mit einer Heilanstalt am Wohnort des Versicherten oder in dessen Umgebung einen Vertrag abgeschlossen hatte oder nicht, bemassen sich ihre Leistungen, von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen, entweder mindestens nach den Taxen der allgemeinen Abteilung dieser Heilanstalt oder derjenigen öffentlichen Heilanstalt, die dem Wohnort des Versicherten innerhalb des gleichen Kantons am nächsten lag (Abs. 2-4). Musste sich der Versicherte aus medizinischen Gründen in eine bestimmte Heilanstalt begeben, hatte die Kasse ihre Leistungen nach den Taxen der allgemeinen Abteilung dieser Heilanstalt zu bemessen (Abs. 5). Ein medizinischer Grund war gegeben, wenn es keine Vertragsanstalt am Wohnort der versicherten Person oder in dessen Umgebung gab, welche in der Lage war, die indizierte Behandlung vorzunehmen, oder wenn es mit Blick auf die Dringlichkeit sich als gefährlich erwies, den Patienten in eine solche Anstalt zu transportieren ( BGE 112 V 191 f. Erw. 2b mit Hinweis). bb) Der Grundsatz der freien Wahl der Heilanstalt unterlag im Weitern dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot ( Art. 23 KUVG ). Dies bedeutete einerseits, dass der spitalbedürftige Versicherte diejenige Heilanstalt oder Spitalabteilung zu wählen hatte, in die er vom medizinischen Standpunkt aus gehörte. Die Kasse hatte insbesondere aus der Grundversicherung nicht für Mehrkosten aufzukommen, die sich daraus ergaben, dass der Versicherte sich in eine für intensive Pflege und Behandlung spezialisierte und damit teure Klinik begab, obwohl er einer solchen Betreuung nicht bedurfte und ebenso gut in einer einfacher eingerichteten und daher weniger kostspieligen Heilanstalt fachgerecht hätte behandelt werden können ( BGE 115 V 48 f. Erw. 3b/aa mit zahlreichen Hinweisen). Standen anderseits verschiedene Heilanstalten im Wahlrecht des Versicherten, hatte er sich nicht in jene mit den günstigsten Tarifen zu begeben (RKUV 1988 Nr. K 754 S. 10 Erw. 1b am Ende). Ob der Versicherte verpflichtet war, von mehreren unter dem Gesichtspunkt der medizinischen Gründe im Sinne von Art. 19bis Abs. 5 KUVG in Betracht BGE 127 V 138 S. 144 fallenden Heilanstalten die kostengünstigste Behandlung zu wählen, war nach der Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts auf Grund der gesamten Umstände des konkreten Falles zu beurteilen. Dazu gehörten neben der Krankheit an sich, Art, Dringlichkeit, Intensität und Dauer der Behandlung, mögliche Komplikationen sowie alle für den Erfolg der Behandlung bedeutsamen Faktoren, das soziale Umfeld ebenso wie das Verhältnis zu den Ärzten und zum Pflegepersonal (RKUV 1986 Nr. K 691 S. 397 f. Erw. 2b, 1985 Nr. K 625 S. 116 ff. Erw. 2, 1984 Nr. K 563 S. 16 f. Erw. 2a). Dies konnte, musste aber nicht bedeuten, dass von den in Betracht fallenden Heilanstalten der Versicherte die verkehrsmässig am besten erreichbare zu wählen hatte, um in den Genuss der gesetzlich (und reglementarisch) maximalen Deckung zu kommen. Bei der Anwendung dieser Grundsätze galt es im Übrigen zu beachten, dass bei mehreren für die Behandlung einer Krankheit in Betracht fallenden (geeigneten und wissenschaftlich anerkannten) Methoden das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen der Massnahme im Sinne des zu erwartenden Heilerfolges ausschlaggebend war (vgl. BGE 109 V 43 f. Erw. 2b). cc) Streitigkeiten darüber, ob der Aufenthalt in einer bestimmten Heilanstalt aus medizinischen Gründen notwendig ist oder nicht, waren jedenfalls letztinstanzlich selten. In RSKV 1979 Nr. 368 S. 117 stellte das Eidg. Versicherungsgericht fest, dass auch Notfälle zu den medizinischen Gründen im Sinne des Art. 19bis Abs. 5 KUVG zählen (vgl. zu diesem Begriff EUGSTER, a.a.O., Rz 318). Zur Begründung verwies es auf die Botschaft des Bundesrates vom 5. Juni 1961 zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Änderung des ersten Titels des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung, wo ausdrücklich als ein Anwendungsfall der Tatbestand des Notfalles erwähnt wird (RSKV 1979 Nr. 368 S. 121). An der gleichen Stelle wird weiter ganz allgemein ausgeführt, dass die Tarifunterschiede im Vergleich zu einer Vertragsanstalt oder der nächstgelegenen Heilanstalt zwar sehr beträchtlich sein können, insbesondere bei Hospitalisation in einer ausserkantonalen Heilanstalt. "Es schiene (...) aber unbillig, dass ein Versicherter der sich gezwungenermassen in einer bestimmten Heilanstalt behandeln lassen muss, selbst diese Tarifunterschiede zu tragen hätte." (BBl 1961 I 1430). Diese im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht in Frage gestellten Ausführungen zeigen, dass dem Kostengesichtspunkt für die Frage der Auslegung des Begriffs der medizinischen Gründe im Sinne des Art. 19bis Abs. 5 KUVG grundsätzlich keine, zumindest keine vorrangige Bedeutung zukommen sollte. BGE 127 V 138 S. 145 In RSKV 1982 Nr. 499 S. 178 Erw. 2 stellte das Eidg. Versicherungsgericht sodann fest, dass ein nicht (mehr) gegebenes Vertrauensverhältnis zum behandelnden Arzt keine medizinische Begründung darstelle, um sich nicht in einer am Wohnort der versicherten Person oder in dessen Umgebung befindlichen Vertragsheilanstalt behandeln zu lassen. Im nicht veröffentlichen Urteil K. vom 12. Oktober 1999 (K 83/98) hat es den Grundsatz bestätigt, wonach ein fehlendes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient für sich allein genommen keinen medizinischen Grund im Sinne von Art. 19bis Abs. 5 KUVG darstellt. Anders verhalte es sich indessen, wenn, wie im konkreten Fall, der im Wohnkanton der Versicherten für die medizinisch indizierte Hüftgelenksoperation einzig zur Verfügung stehende Arzt sich weigere, den Eingriff vorzunehmen. Die Unmöglichkeit, die Operation in der einzig möglichen kantonalen Heilanstalt ausführen zu lassen, stelle eine medizinische Zwangslage im Sinne von Art. 19bis Abs. 5 KUVG dar. Im nicht veröffentlichten Urteil J. vom 23. Januar 1986 (K 92/85) schliesslich hielt das Eidg. Versicherungsgericht fest, Art. 19bis Abs. 5 KUVG verlange nicht, dass die versicherte Person sich für die Behandlung in einer bestimmten Heilanstalt auf einen zwingenden medizinischen Grund berufen könne. Im konkreten Fall bejahte es bei einer im Kanton Freiburg wohnhaften Frau, welche sich einem Eingriff am Hüftgelenk unterziehen musste, die medizinische Begründetheit für die Vornahme des Eingriffs in Bern in der Nähe des Transplantationszentrums, dies mit Blick auf mögliche Komplikationen als Folge einer früheren Nierenverpflanzung (in diesem Sinne auch nicht veröffentlichtes Urteil L. vom 31. März 1995 [K 186/94]). d) Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte zu Art. 41 KVG zeigen, dass die Revision des Krankenversicherungsrechts an der altrechtlichen Konzeption der grundsätzlich freien Wahl der Heilanstalt resp. des Leistungserbringers 'Spital' bei allenfalls masslich beschränkter Versicherungsdeckung, soweit nicht medizinische Gründe einen bestimmten ausserkantonalen Behandlungsort erfordern, nichts geändert hat (vgl. auch BGE 125 V 452 f. Erw. 3a mit Hinweisen auf die Lehre). Neu ist im Wesentlichen einzig, dass im Unterschied zu früher einheitlich der Wohnkanton der versicherten Person als räumlicher Bereich mit voller Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung gilt, sowie die Differenzzahlungspflicht der Kantone im Rahmen von Art. 41 Abs. 3 KVG . Diese Neuerungen bieten indessen nicht Anlass, den Begriff BGE 127 V 138 S. 146 der medizinischen Gründe gemäss Art. 41 Abs. 2 (Satz 2) lit. b KVG grundsätzlich anders zu interpretieren als im Rahmen des Art. 19bis Abs. 5 KUVG . Daran ändert die Zielsetzung des Art. 41 Abs. 3 KVG (Lastenausgleich zwischen Kantonen mit unterschiedlichen Spitalversorgungsgraden sowie verstärkte Koordination zwischen den Kantonen im Bereich der Spitalplanung [ BGE 123 V 297 f. Erw. 3b/aa-cc]) nichts, zumal der Gesetzgeber gleichsam folgerichtig den für die Frage medizinischer Gründe massgebenden räumlichen Bereich mit maximaler Kostendeckung um die auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführten ausserkantonalen Spitäler erweitert hat (Art. 41 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 lit. b KVG). Mit anderen Worten, so wenig die planerischen Elemente die aus dem Krankenversicherungsgesetz und den dazugehörigen Verordnungen sich ergebenden Ansprüche der Versicherten tangieren ( BGE 125 V 454 Erw. 3b), so wenig können die medizinischen Gründe als ein zusätzliches Instrument der Spitalfinanzierung und -planung verstanden und gehandhabt werden. Desgleichen gilt in sinngemässer Übernahme der altrechtlichen Ordnung (Erw. 4c/bb), dass bei medizinisch begründeter stationärer Behandlung ausserhalb des in Art. 41 Abs. 2 lit. b KVG umschriebenen räumlichen Bereichs der Umfang der Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung sich grundsätzlich nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit der Leistungen gemäss Art. 32 Abs. 1 KVG richtet. 5. Gibt es verschiedene Methoden oder Operationstechniken, welche objektiv den Erfolg der Behandlung der Krankheit erwarten lassen, mit anderen Worten als wirksam im Sinne von Art. 32 Abs. 1 KVG gelten (EUGSTER, a.a.O., Rz 185), ist für die Reihenfolge der Wahl unter dem Gesichtspunkt des Umfangs der Kostendeckung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Frage der Zweckmässigkeit der Massnahme von vorrangiger Bedeutung. Ob eine medizinische Behandlung zweckmässig ist, beurteilt sich nach dem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen der Anwendung im Einzelfall unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken. Nach der Verwaltungspraxis erfolgt die Beurteilung der Zweckmässigkeit auf Grund des Verhältnisses von Erfolg und Misserfolg (Fehlschlägen) einer Anwendung sowie der Häufigkeit von Komplikationen (EUGSTER, a.a.O., Rz 189, insbesondere Fn 398). Bestehen zwischen zwei alternativen Behandlungsmethoden vom medizinischen Standpunkt aus keine ins Gewicht fallenden Unterschiede in dem Sinne, dass sie unter dem Gesichtspunkt der Zweckmässigkeit mit Bezug auf den angestrebten Heilerfolg der BGE 127 V 138 S. 147 möglichst vollständigen Beseitigung der körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung (vgl. BGE 109 V 43 Erw. 2b) als gleichwertig zu bezeichnen sind, ist grundsätzlich die kostengünstigere und damit wirtschaftlichere Anwendung zu wählen (RKUV 1998 Nr. K 988 S. 1). Weist anderseits eine bestimmte Behandlungsmethode gegenüber andern Anwendungen Vorteile in diagnostischer und/oder therapeutischer Hinsicht auf, u.a. geringere Risiken, weniger Komplikationen, günstigere Prognose betreffend allfälliger Nebenwirkungen und Spätfolgen, kann dies die Übernahme der Kosten dieser teureren Applikation rechtfertigen (MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel/Frankfurt a.M. 1996, S. 52). Wird die in diesem Sinne zweckmässigere Behandlungsmethode innerhalb des in Art. 41 Abs. 2 lit. b KVG umschriebenen räumlichen Bereichs mit maximaler Kostendeckung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung nicht angeboten oder angewendet, kann dies unter Umständen einen medizinischen Grund für die Wahl eines anderen Leistungserbringers bedeuten. Nach EUGSTER (a.a.O., Fn 761) muss die auswärtige Behandlung gegenüber innerkantonalen Alternativen einen erheblichen diagnostischen oder therapeutischen Mehrwert aufweisen. Bloss minimale, schwer abschätzbare oder gar umstrittene Vorteile der auswärts praktizierten Anwendungen vermögen keinen medizinischen Grund im Sinne von Art. 41 Abs. 2 KVG abzugeben. Kommen mehrere auswärtige Behandlungsorte in Betracht, besteht nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit der Leistungen ( Art. 32 Abs. 1 KVG ) grundsätzlich nur mit Bezug auf das kostengünstigste Angebot volle Deckung im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Erw. 4c/bb am Ende). 6. Es steht fest, dass von den zwei für die Behandlung der Hüftdysplasie links grundsätzlich in Betracht fallenden Operationstechniken (periacetabuläre Osteotomie resp. Tripel-Osteotomie nach Tönnis) im Wohnkanton St. Gallen des Beschwerdeführers lediglich die zweite in modifizierter Form angewendet wird. Dazu führte Prof. Dr. med. G. von der Klinik für Orthopädische Chirurgie des Kantonsspitals St. Gallen in seinem Schreiben vom 21. Juli 1998 an den Kantonsarzt u.a. aus, sie hätten vorübergehend ebenfalls Erfahrungen mit der periacetabulären Osteotomie gemacht, seien aber wieder zur Tripel-Osteotomie nach Tönnis zurückgekehrt, weil sie das Komplikationsrisiko niedriger sähen und es auch genügend Literatur mit entsprechenden Resultaten über diese Methode gebe. In seiner Stellungnahme vom 24. Juli 1998 zur Einsprache gegen die kantonsarztamtliche Ablehnung des Kostengutsprachegesuchs BGE 127 V 138 S. 148 äusserte sich Prof. Dr. med. G. dahin gehend, es sei insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des Risikos einer Ischiadicusparese eine Ermessensfrage, welcher Technik der Vorzug gegeben werde. Die Resultate seien sicher vergleichbar. Er sehe aber kaum mehr eine Möglichkeit für ein gutes Resultat bei einer Operation in ihrer Klinik. Der Gesuchsteller würde sicher alles daran setzen, um beweisen zu können, dass der Eingriff in Bern sicher besser durchgeführt worden wäre. Zudem sei die jetzige Situation der Hüfte schon recht fortgeschritten und der Behandlungserfolg mit einer solchen Osteotomie zumindest fragwürdig. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Prof. Dr. med. G. am 16. Juli 1998 in einem FAX-Schreiben an den Versicherten Bezug nehmend auf ein hier nicht weiter interessierendes Ereignis u.a. festhielt: "Ich nehme an, dass sie kein Vertrauen in unsere Institution haben. Damit wäre ein Operationserfolg sowieso arg kompromittiert." In seiner Antwort vom folgenden Tag führte der Beschwerdeführer aus, sein Misstrauen betreffe nicht die Institution als solche, sondern lediglich die am Kantonsspital St. Gallen praktizierte Beckenosteotomie und die damit vorhandene Erfahrung. Es ist unklar, ob sich die von Prof. Dr. med. G. geäusserten Zweifel am Behandlungserfolg auf die Osteotomie als solche beziehen oder damit lediglich die am Kantonsspital St. Gallen angewendete Operationstechnik (modifizierte Form der Tripel-Osteotomie nach Tönnis) gemeint ist. Trifft Letzteres zu, stellt sich die Frage, inwiefern die andere vom Beschwerdeführer bevorzugte periacetabuläre Osteotomie als zweckmässiger bezeichnet werden muss und, in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung, ob Prof. Dr. med. G. überhaupt bereit gewesen wäre, den Eingriff in seiner Klinik selber vorzunehmen oder vornehmen zu lassen. Je nachdem ist im Lichte der Rechtsprechung ein medizinischer Grund im Sinne von Art. 41 Abs. 2 (Satz 2) lit. b und Abs. 3 KVG gegeben. Es bedarf somit zusätzlicher Abklärungen durch die Vorinstanz, wobei neben einer Stellungnahme von Prof. Dr. med. G. eine zweite fachärztliche Meinung einzuholen ist. Gelangt das kantonale Gericht gestützt auf seine Erhebungen zum Ergebnis, dass eine periacetabuläre Osteotomie medizinisch begründet war, stellt sich die weitere Frage, ob dieser Eingriff, welcher gemäss Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht nur am Inselspital Bern vorgenommen wird, in einem anderen Spital kostengünstiger gewesen wäre. Bejahendenfalls bemisst sich die Differenzzahlungspflicht des Kantons St. Gallen nach den entsprechenden Tarifen. Soweit die Anträge in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde weiter gehen, sind sie unbegründet. Insbesondere lässt sich aus dem verfassungsmässigen Recht der persönlichen Freiheit ( Art. 10 Abs. 2 BV und BGE 126 I 114 f. Erw. 3a) kein Recht auf freie Wahl der Therapie im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ableiten. Was die erstmals vorgebrachte Kritik am kantonalen Kostengutspracheverfahren anbetrifft, ist sie als verspätet zu bezeichnen ( BGE 125 V 375 f. Erw. 2b/aa), soweit überhaupt ein schutzwürdiges (Feststellungs-)Interesse an einer Prüfung des gerügten Mangels gegeben ist ( Art. 103 lit. a OG ; BGE 114 V 202 f. Erw. 2c), und demzufolge darauf nicht einzutreten. 7. (Gerichtskosten, Parteientschädigung)
de
dd6b967b-7c7b-498c-af90-e686dba44477
Sachverhalt ab Seite 145 BGE 142 V 144 S. 145 A. Die 1989 geborene B., gelernte Büroassistentin, leidet an einem kongenitalen zentralen Hypoventilationssyndrom (Undine-Syndrom; Geburtsgebrechen im Sinne von Ziff. 381 des Anhangs zur Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen [GgV; SR 831.232.21]) und muss seit der Geburt im Schlaf künstlich beatmet werden. Hierfür nimmt sie Leistungen der Spitex in Anspruch, welche bis Ende 2009 (Vollendung des 20. Altersjahres) von der Eidgenössischen Invalidenversicherung übernommen wurden. Für die Zeit ab Januar 2010 erklärte sich die CSS Kranken-Versicherung AG (fortan: CSS) nicht bereit, die auf jährlich Fr. 204'619.- veranschlagten Kosten der Spitexleistungen vollumfänglich zu übernehmen, weil die nächtliche Überwachung in einer stationären Einrichtung wirtschaftlicher als die ambulante Behandlung wäre. Daher gewährte sie Fr. 470.- pro Tag (bzw. Fr. 42'300.- pro Quartal), was den Kosten eines stationären Aufenthalts (Tagespauschale des Kantonsspitals C.) entspreche. Nach diverser Korrespondenz teilte die CSS der Einwohnergemeinde A. am 3. Mai 2013 mit, die bisherige Leistungsgewährung (Tagespauschale) sei seit Einführung der neuen Spitalfinanzierung nicht mehr gesetzeskonform. In Anwendung der Bestimmungen der Pflegefinanzierung werde sie per 1. Juni 2013 die effektive Interventionszeit der Spitex von 3,33 Stunden pro Nacht (20 Interventionen à zehn Minuten) zum Tarif für die Behandlungspflege vergüten, ausmachend Fr. 217.78 pro Tag, sofern die Leistungen durch eine anerkannte Pflegeperson erbracht würden. Für den Restbetrag (abzüglich des Anteils der versicherten Person) habe die Gemeinde aufzukommen. Am 12. August 2013 verfügte die CSS wie in Aussicht gestellt. Eine Einsprache der Gemeinde A. wies die CSS mit Entscheid vom 20. August 2014 ab. BGE 142 V 144 S. 146 B. Die von der Gemeinde A. hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 16. April 2015 gut. Es hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und verpflichtete die CSS, für die Versicherte ab 1. Juni 2013 die Behandlungspflegekosten im Umfang von 58 Stunden pro Woche nach dem Tarif von Art. 7a Abs. 1 lit. b der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31) zu übernehmen. C. Die CSS führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem (sinngemässen) Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 20. August 2014 zu bestätigen. Während die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde schliesst, soweit darauf einzutreten sei, lässt sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) nicht vernehmen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Unbestritten ist die (vitale) Notwendigkeit der nächtlichen Beatmungsüberwachung der am Undine-Syndrom leidenden Versicherten sowie dass die - auf ärztlichen Auftrag hin - zu diesem Zwecke erbrachten Spitexleistungen wirksam und zweckmässig sind. Ebenfalls unstrittig ist, dass die Interventionen der Spitex, d.h. die in den Berichten der Spitex dokumentierten und von der Beschwerdeführerin auf 3,33 Stunden pro Nacht veranschlagten "tatsächlichen Vorkehren und Handlungen" als Behandlungspflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. b Ziff. 1, 4 und 9 KLV zu qualifizieren sind. Streitig ist einzig, ob die Beschwerdeführerin ab 1. Juni 2013 auch Beiträge an die Kosten für die zwischen den Interventionen liegenden Zeiten zu übernehmen hat. Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen materiellrechtlichen Grundlagen gemäss Gesetz und Rechtsprechung zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird. Dies betrifft namentlich die Bestimmungen und Grundsätze zur Umschreibung des Leistungsbereichs der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Art. 24 mit Verweis auf Art. 25-31 und 32-34 KVG), zu den allgemeinen Leistungen bei Krankheit ( Art. 25 KVG ) und den Pflegeleistungen bei Krankheit ( Art. 25a Abs. 1 KVG ) sowie BGE 142 V 144 S. 147 zum Leistungsbereich bei Krankenpflege zu Hause, ambulant oder im Pflegeheim ( Art. 7 KLV ). Zutreffend wiedergegeben wurde ferner die Rechtsprechung zum Wirtschaftlichkeitsgebot. Zu ergänzen ist, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung bei Geburtsgebrechen ( Art. 3 Abs. 2 ATSG [SR 830.1]), die nicht durch die Invalidenversicherung gedeckt sind, die Kosten für die gleichen Leistungen wie bei Krankheit übernimmt ( Art. 27 KVG ). 3. Die Vorinstanz setzte sich einleitend mit dem Undine-Syndrom auseinander und stellte fest, ohne künstliche Beatmung würde die Versicherte nachts ersticken, weshalb sie maschinell beatmet werden müsse. Die Beatmung wiederum müsse permanent durch Pflegefachleute überwacht werden. Diese Überwachung lasse sich unter die Pflichtleistungen gemäss Art. 7 Abs. 1 und 2 lit. b KLV subsumieren. Indes stelle sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, es seien nur tatsächliche Vorkehren (Interventionen) zu entschädigen, nicht aber "wartende" Zeiten. In der Folge setzte sich das kantonale Gericht einlässlich mit den dokumentierten Spitexleistungen auseinander und erwog, die pflegerischen Massnahmen umfassten die Überwachung lebensbedrohlicher Situationen (Unterbrechung der Verbindung der Beatmungsmaschine mit dem Beatmungsschlauch, Überwachung kritischer Momente im Tiefschlaf), die Bewältigung von Alarmen mittels situativem Lagerungswechsel, Wecken der Versicherten, Kontrolle und gegebenenfalls Fixierung der Beatmungsmaske, des Weiteren das Entfernen von Kondenswasser aus dem Schlauch, das Anpassen des Drucks am Gerät, die Überprüfung der Messdaten sowie die Überwachung des Geräts mit Blick auf sonstige Ausfälle. Diese Massnahmen fielen tatsächlich alle wiederholt an. Pro Nacht seien teilweise deutlich mehr als 20 Alarme zu verzeichnen. Der anfallende Pflegeaufwand sei weder zeitlich noch qualitativ planbar. Aus der Pflegedokumentation und dem (undatierten [Posteingang IV-Stelle: 22. April 2014]) Arztbericht des Universitätsspitals D. erhelle, dass die Interventionen nur gewährleistet werden könnten, wenn die Pflegefachkraft einerseitsdie Versicherte selbst und andererseits das Beatmungsgerät während der medizinisch ausgewiesenen Schlafphasen von total 58 Stunden pro Woche durchgehend genau beobachte. Mithin stelle die Überwachung, welche stete Aufmerksamkeit bedinge, um ein sofortiges Eingreifen zum Einleiten von vital notwendigen Massnahmen sicherzustellen, eine durchgehend aktive Tätigkeit dar, die als Behandlungspflege zu qualifizieren sei. Daran ändere nichts, dass in den BGE 142 V 144 S. 148 Akten teils von "Sitzwache" gesprochen werde. Schliesslich sei die Spitex-Pflege auch wirtschaftlich. Als Alternative zur Spitex falle eine Betreuung in einem Pflegeheim ausser Betracht, weil in einem solchen die notwendigen Bedürfnisse in zeitlicher Hinsicht nicht abgedeckt werden könnten. Überdies wäre ein stationäres Pflegeumfeld - weil jegliche Sozial- und Tagesstruktur der Versicherten, welche ein normales Leben zu führen versuche, auseinandergerissen würde - ungeeignet und daher unzweckmässig. Somit bestünde als Alternative, trotz fehlender Spitalbedürftigkeit, nur die Behandlung in einer Spitaleinrichtung. Eine solche wäre indes ebenfalls unzweckmässig, abgesehen davon, dass kostenseitig kein grobes Missverhältnis zwischen den Spitex-Kosten und den Kosten eines stationären Spitalaufenthalts bestehe. 4. 4.1 Die Beschwerdeführerin rügt zur Hauptsache, das kantonale Gericht habe Art. 7 in Verbindung mit 7a Abs. 1 lit. b KLV verletzt, indem es davon ausgegangen sei, die Überwachung der Atmungsfunktionen stelle eine aktive Tätigkeit dar, welche im Rahmen der Behandlungspflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sei. Eine "durchgehend aktive Tätigkeit" sei bei den anhand der Pflegedokumentation effektiv ausgewiesenen Wartezeiten offensichtlich nicht erstellt. Zwar erfolgten zwischen den ausgewiesenen Alarmen Kontrollen in regelmässigen Abständen. Nichtsdestotrotz lägen zwischen den einzelnen Einsätzen "wartende" Zeiten, in welchen die Spitex keine Handlungen vornehme. Ein Sitzen bzw. Warten bis zur nächsten Handlung sei von Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV nicht erfasst. Vom Gesetzgeber könne nicht gewollt sein, mehr als die effektiven Handlungen resp. aktiven Interventionen der Spitex zu vergüten. Die vorinstanzliche Auffassung widerspreche denn auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (Urteil 9C_43/2012 vom 12. Juli 2012, in: Pflegerecht 2013 S. 48 f.). Aus dem Umstand, dass tatsächlich Behandlungspflegeleistungen nach KVG erbracht würden, habe die Vorinstanz zu Unrecht geschlossen, es seien auch wartende Zeiten der Spitex vollumfänglich zu vergüten. 4.2 Die Beschwerdegegnerin hält dagegen, beschwerdeweise werde nicht aufgezeigt, weshalb die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung, wonach die Überwachung zweifelsohne eine durchgehend aktive Tätigkeit darstelle, offensichtlich unrichtig sein soll. Fehl gehe der Verweis auf das Urteil 9C_43/2012. In diesem sei im Gegenteil BGE 142 V 144 S. 149 festgestellt worden, dass "tote" Zeiten nicht als Momente qualifiziert werden dürften, für welche keine Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bestehe. 5. Welche Handlungen die Spitex im Einzelnen ausführt und mit welcher Regelmässigkeit, hat das kantonale Gericht - für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (nicht publ. E. 1) - festgestellt. Als Rechtsfrage frei zu prüfen ist dagegen, ob - wie von der Vorinstanz angenommen - die erbrachten Spitexleistungen vollumfänglich als Massnahmen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV zu qualifizieren sind (erwähntes Urteil 9C_43/2012 E. 4.1). 5.1 Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Überwachung der Atmung stelle entgegen der Vorinstanz keine "durchgehend aktive Tätigkeit" dar bzw. zwischen den Einsätzen lägen "wartende" Zeiten, während denen die Pflegefachkraft keine Handlungen vornehme, zielt ins Leere. Die Beschwerdeführerin vermag nichts vorzubringen, was die auf der Pflegedokumentation und dem (undatierten) Arztbericht des Universitätsspitals D. beruhende Feststellung des kantonalen Gerichts, die Pflegefachkraft müsse das Beatmungsgerät während der medizinisch ausgewiesenen Schlafphasen durchgehend genau beobachten bzw. die Überwachung der Atmung bedinge stete Aufmerksamkeit, als offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen liesse. Gegenteils ist mit dem kantonalen Gericht anhand der Pflegedokumentation erstellt, dass jede Nacht zahlreiche - in Ausnahmefällen bis zu 42 - Alarme zu bewältigen sind. Dabei treten wiederkehrend prekäre Situationen wie z.B. Verbindungsunterbrüche des Beatmungsschlauches ein, welche angesichts der Folgen einer fehlenden Sauerstoffversorgung ein sofortiges und zielführendes Handeln der Pflegefachkraft erfordern. Unter diesen Umständen ist ohne Weiteres einleuchtend, dass das umgehende Einleiten der jeweils indizierten Massnahmen stete Aufmerksamkeit in Bezug auf Patientin und Beatmungsgerät erfordert. Im Einklang damit steht auch der (undatierte) pneumologische Bericht des Universitätsspitals D., in welchem die Notwendigkeit einer kontinuierlichen, "engmaschigsten" Kontrolle der Beatmung betont wird. Abgesehen davon sagt der Umstand, dass zwischen den erwähnten Interventionen und Kontrollen keine "aktive Handlung" vorgenommen wird, nichts über die Qualität der Überwachung (durchwegs aufmerksam beobachtend oder passiv wartend) aus und genügt deshalb für sich allein ohnehin nicht für die Qualifikation als blosse Sitzwache (die mit einer Massnahme im Sinne von BGE 142 V 144 S. 150 Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV nicht vereinbar sei). Damit hat es beim vorinstanzlichen Schluss sein Bewenden, die nächtliche Überwachung der Beatmung bzw. des Beatmungsgeräts stelle aufgrund der notwendigen steten Aufmerksamkeit und Interventionsbereitschaft eine durchgehend aktive Tätigkeit dar. 5.2 Ausgehend vom hiervor Dargelegten subsumierte die Vorinstanz die Tätigkeit des Überwachens unter die Massnahmen gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b (Ziff. 1, 4 und 9) KLV. Dies hält vor Bundesrecht stand: Nebst den Interventionen und Kontrollen, die unbestrittenermassen unter die Ziff. 1 und 4 der genannten Bestimmung fallen, sieht deren Ziff. 9 als Leistung die Überwachung u.a. von Geräten vor, die der Behandlung oder der Kontrolle und Erhaltung von vitalen Funktionen dienen. Zu jener Gerätekategorie ist das Beatmungsgerät der Versicherten zweifellos zu zählen. Anders als die Beschwerdeführerin meint, steht die Qualifikation der Beatmungsüberwachung als Behandlungspflege nicht im Widerspruch zur bundesgerichtlichen Praxis, insbesondere zum erwähnten Urteil 9C_43/2012: In jenem Verfahren waren "tote" Zeiten (Zeiten ohne Vornahme von pflegerischen oder medizinischen Massnahmen) zu beurteilen, während denen - u.a. wegen Aspirationsgefahr des an einem Hirntumor erkrankten Kleinkinds - eine stetige Bereitschaft der Kinderspitexfachkraft gewährleistet sein musste. Mithin waren die notwendigen Interventionen bzw. behandlungspflegerischen Massnahmen - wie auch im vorliegenden Fall - weder planbar noch konnten sie durch ein Alarmsystem organisiert werden. Das Bundesgericht erkannte, weil eine ständige Bereitschaft gewährleistet sein müsse, seien auch die während den "toten" Zeiten erbrachten Spitexleistungen als Behandlungspflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV zu qualifizieren (a.a.O., E. 4.1.1 und 4.1.2; vgl. im Übrigen auch Urteil 8C_457/2014 vom 5. September 2014 E. 3.2 betreffend die Leistungspflicht des Unfallversicherers für eine 24-Stundenüberwachung). Eine zum vorliegenden Fall konträre Praxis ist somit nicht auszumachen. 6. Des Weiteren rügt die Beschwerdeführerin die vorinstanzlichen Ausführungen zur Wirtschaftlichkeit der Spitexleistungen und bemängelt dabei zahlreiche Feststellungen des kantonalen Gerichts. Sie unterlässt es jedoch, konkret und substanziiert aufzuzeigen, dass entgegen dem angefochtenen Entscheid eine wirksame und zweckmässige Alternative zur ambulanten Pflege durch die Spitex besteht (nota bene wird vielmehr geltend gemacht, ein Kostenvergleich mit BGE 142 V 144 S. 151 einem Pflegeheim oder Spital sei vorliegend nicht möglich). Dies ist auch (anderweitig) nicht ersichtlich. Fehlt es aber an einer wirksamen und zweckmässigen Alternative zur Spitexpflege, stellt sich die Frage nach der Wirtschaftlichkeit nicht (zum komparativen Charakter der Wirtschaftlichkeit: BGE 142 V 26 E. 5.2.1 S. 34 mit Hinweisen; GEBHARD EUGSTER, Die obligatorische Krankenpflegeversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2015, S. 510 Rz. 335, S. 511 Rz. 339). Folglich braucht auf die einzelnen Einwendungen, weil nicht einmal ansatzweise dargetan wird, inwiefern die gerügten Sachverhaltselemente für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein können (nicht publ. E. 1; vgl. auch MARKUS SCHOTT, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 23 zu Art. 97 BGG ), nicht weiter eingegangen zu werden. 7. Zumindest sinngemäss wendet die Beschwerdeführerin schliesslich ein, die Kosten der Spitexleistungen hielten vor dem Verhältnismässigkeitsprinzip ( Art. 5 Abs. 2 BV ) nicht stand. Eine Leistung ist nach der Rechtsprechung zu verweigern, wenn zwischen Aufwand und Heilerfolg ein grobes Missverhältnis besteht ( BGE 136 V 395 E. 7.4 S. 407 f.). Ein solches bejahte das Bundesgericht namentlich bei Kosten von rund Fr. 750'000.- bis Fr. 900'000.- für die Therapiedauer von eineinhalb Jahren bei ungewissem Ausmass der gesundheitlichen Verbesserung (Verhinderung oder Verlangsamung der weiteren Reduktion der Lungenleistung, der nächtlichen Beatmung, einer nicht näher quantifizierten Reduktion der Gehstrecke und der zunehmenden Kamptokormie) einer 69-jährigen Versicherten (a.a.O., E. 6.10 S. 406). Hier verhält es sich jedoch anders: Bereits die jährlichen Kosten sind rund dreimal tiefer als jene im erwähnten Entscheid. Zudem ist in concreto der hohe Nutzen der (lebensnotwendigen) Spitexleistungen unbestrittenermassen erstellt, welche der im Zeitpunkt des Einspracheentscheids 24-jährigen erwerbstätigen Versicherten ein weitgehend normales Leben ermöglichen. Von einem groben Missverhältnis zwischen Kosten und Nutzen kann somit nicht gesprochen werden. (...)
de
f0a5e26f-974a-41ad-b46a-f346e8f0f6a7
Erwägungen ab Seite 115 BGE 133 V 115 S. 115 Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. 1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin die Kosten der vom 2. bis 10. Mai 2001 in der Zahnärztlichen Klinik X. mittels Teilversorgung des Unterkiefers durch basal osseointegrierte Implantate (BOI) durchgeführten zahnmedizinischen Behandlung zu übernehmen hat. 1.2 Im angefochtenen Entscheid wurden sowohl die für die Beurteilung der Streitfrage massgebenden (mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts BGE 133 V 115 S. 116 [ATSG] am 1. Januar 2003 unverändert gebliebenen) Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen ( Art. 31-33 KVG , Art. 33 lit. d KVV , Art. 17-19a KLV ) wie auch die Rechtsprechung zur Übernahme der Kosten von zahnärztlichen Behandlungen durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung ( BGE 127 V 332 E. 3a und 343 E. 3b; BGE 124 V 185 ), namentlich zum hierzu u.a. erforderlichen Kriterium der Wirksamkeit der medizinischen Leistung ( BGE 130 V 304 E. 6.1 und 305 E. 6.2.1.1; RKUV 2004 Nr. KV 272 S. 118 E. 4.3.2.1 mit Hinweis [Urteil K 156/01 vom 30. Oktober 2003], BGE 130 V 2000 Nr. KV 132 S. 281 f. E. 2b [Urteil K 151/99 vom 7. Juli 2000]), richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 2. 2.1 Auf Grund der Akten ist belegt, dass die Beschwerdeführerin an einer - unter Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG (durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems bedingte zahnärztliche Massnahme) in Verbindung mit Art. 17 ("Erkrankungen des Kiefergelenkes und des Bewegungsapparates") lit. d Ziff. 1 KLV zu subsumierenden - Kiefergelenksarthrose leidet. Eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin ist folglich grundsätzlich zu bejahen, sofern die beanspruchte dentalmedizinische Behandlung als wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich (vgl. Art. 32 Abs. 1 KVG ) einzustufen ist. 2.2 Das kantonale Gericht hat die Pflicht der Beschwerdegegnerin zur Übernahme der angefallenen Kosten in Höhe von Fr. 11'333.65 insbesondere mit dem Argument der fehlenden Wirksamkeit der Behandlung verneint, während die Kriterien der Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit als zu Recht unbestritten geblieben beurteilt wurden. Dies erweist sich in Bezug auf die Zweckmässigkeit insofern als unzutreffend, als diese wiederum die Wirksamkeit (und damit die Wissenschaftlichkeit) der Behandlung voraussetzt (GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz. 185). 3. 3.1 Unter Hinweis auf die massgebende Rechtsprechung (vgl. E. 1.2 hievor) wurde im vorinstanzlichen Entscheid richtig erkannt, dass eine medizinische Leistung als wirksam zu bezeichnen ist, wenn sie objektiv geeignet ist, auf den angestrebten diagnostischen, therapeutischen oder pflegerischen Nutzen hinzuwirken. Wirksamkeit bezeichnet die kausale Verknüpfung von Ursache BGE 133 V 115 S. 117 (medizinische Massnahme) und Wirkung (medizinischer Erfolg). Sie lässt sich im Allgemeinen in verschiedene Grade abstufen, meint aber in Art. 32 Abs. 1 KVG die einfache Tatsache der allgemeinen Eignung zur Zielerreichung (EUGSTER, a.a.O., Rz. 185). Die Wirksamkeit muss gemäss Art. 32 Abs. 1 Satz 2 KVG nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein, was für den Fall gilt, dass die in Frage stehende Behandlung von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis als geeignet erachtet wird, wobei das Ergebnis und die Erfahrungen sowie der Erfolg einer bestimmten Therapie entscheidend sind; diesbezüglich sind in der Regel nach international anerkannten Richtlinien verfasste wissenschaftliche (Langzeit-)Studien erforderlich. 3.2 Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, insbesondere die in BGE 130 V 305 E. 6.2.1.1 enthaltene Formulierung verdeutliche, dass sich der Begriff der Wirksamkeit in erster Linie durch das einzelfallbezogene Behandlungsziel (Ziel- und Erfolgsorientierung) definiere, wodurch deren Nachweis anhand wissenschaftlicher Studien an Bedeutung verliere, kann ihr nicht gefolgt werden. 3.2.1 Im seit 1. Januar 1996 geltenden KVG ist das Kriterium der wissenschaftlichen Anerkennung durch dasjenige der Wirksamkeit ersetzt worden. Die Botschaft des Bundesrates zur Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991 führte hiezu aus, dass der Begriff der wissenschaftlichen Anerkennung in den letzten Jahren stark in Zweifel gezogen worden sei und heute als ungeeignet und zu ungenau angesehen werde, weshalb er durch denjenigen der Wirksamkeit ersetzt werde (BBl 1992 I 158). Dieser Vorschlag löste in den Eidgenössischen Räten ausführliche Diskussionen aus und führte zur Aufnahme des Zusatzes, dass "die Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein muss". Damit sollte den Errungenschaften der Komplementärmedizin Rechnung getragen werden (vgl. BGE 123 V 62 f. E. 2c/bb mit Hinweisen). Für den Bereich der klassischen Medizin muss die Wirksamkeit einer therapeutischen Vorkehr hingegen weiterhin nach den Kriterien und Methoden der wissenschaftlichen Schulmedizin nachgewiesen sein, weshalb hier der Begriff der wissenschaftlich nachgewiesenen Wirksamkeit nach wie vor demjenigen der wissenschaftlichen Anerkennung entspricht ( BGE 125 V 28 E. 5a in fine; EUGSTER, a.a.O., Rz. 194). Massgebend ist somit, ob eine therapeutische oder diagnostische Massnahme von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis als geeignet erachtet wird, BGE 133 V 115 S. 118 das angestrebte therapeutische oder diagnostische Ziel zu erreichen. Namentlich darf aus der Ablösung des Begriffs der wissenschaftlichen Anerkennung nicht der Schluss gezogen werden, die Beurteilung der Wirksamkeit habe einzelfallbezogen und retrospektiv auf Grund der konkreten Behandlungsergebnisse zu erfolgen. Vielmehr geht es dabei ebenfalls um eine vom einzelnen Anwendungsfall losgelöste und retrospektive allgemeine Bewertung der mit einer diagnostischen oder therapeutischen Massnahme erzielten Ergebnisse ( BGE 123 V 66 E. 4a; RKUV 2000 Nr. KV 132 S. 281 f. E. 2b [Urteil K 151/99 vom 7. Juli 2000]; EUGSTER, a.a.O., Rz. 186). Neben streng naturwissenschaftlichen sind auch andere wissenschaftliche Methoden (beispielsweise die Statistik) möglich und zulässig ( BGE 123 V 63 E. 2c/bb mit Hinweisen). Der Beweis der Wirksamkeit lässt sich am zuverlässigsten mit dem klinischen Versuch führen, wobei die Wirkung einer Therapie nach naturwissenschaftlichen Kriterien objektiv feststellbar, der Erfolg reproduzierbar und der Kausalzusammenhang zwischen dem therapeutischen Agens und seiner Wirkung ausgewiesen sein muss. Für eine wissenschaftlich begründete Heilmethode ist ferner wichtig, dass sie auf soliden experimentellen Unterlagen beruht, die den Wirkungsmechanismus bezeugen (EUGSTER, a.a.O., Rz. 187 und Fn. 392). 3.2.2 Daraus wird deutlich, dass das Erfordernis der wissenschaftlichen Studien, um das Kriterium der Wirksamkeit einer medizinischen Massnahme beurteilen zu können, weiterhin seine Gültigkeit besitzt. Der Nachweis der Wirksamkeit, dem eine objektivierbare Sicht zugrunde zu liegen hat, ist auf der Basis wissenschaftlicher Methoden, am ehesten mit Hilfe von statistischen Vergleichswerten (vgl. BGE 123 V 67 E. 4c), zu belegen, welche ihrerseits mittels entsprechender Studien zu dokumentieren sind. Entgegen der Darlegung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nicht eine individualisierte Betrachtungsweise in dem Sinne ausschlaggebend, dass einige Zeit nach der vorgenommenen Behandlung eine Erfolgskontrolle stattfindet, deren Ergebnis darüber entscheidet, ob die jeweilige medizinische Vorkehr als wirksam zu betrachten ist oder aber eben nicht. Vielmehr gilt es, anhand eines allgemeineren Massstabs die - objektivierte - Wirksamkeit einer bestimmten Behandlungsweise zu ermitteln. Ein derartiges Vorgehen erfordert indessen breit abgestützte, im Regelfall auf internationaler Ebene erhobene wissenschaftliche Daten. Es ist nicht einsehbar, weshalb dieser Grundsatz nicht auch auf so genannte Nischenmethoden oder BGE 133 V 115 S. 119 -produkte Anwendung finden sollte. Diese gelangen zwar nur in besonders gelagerten gesundheitlichen Situationen zum Einsatz, können - und müssen, um als generell anerkannt und damit als wirksam zu gelten - sich aber gerade innerhalb dieses engen Spektrums bewähren und als gemeinhin erfolgversprechende Massnahme im betreffenden engen Segment etablieren. Dem Umstand, dass es bei neu auf den Medizinalmarkt gelangenden Methoden und Produkten, gerade mit Blick auf die erwähnte, oftmals nicht durch die finanziellen Kräfte grosser Unternehmungen getragene Nischensparte, zuweilen an aufwändigen, wissenschaftlich fundierten (Vorab-)Langzeitstudien fehlen dürfte, ist sodann sicherlich Rechnung zu tragen; er ändert aber nichts daran, dass die in Frage stehende Behandlung, um als wirksam im krankenversicherungsrechtlichen Sinne gelten zu können, im betroffenen medizinischen Wissenschaftsbereich doch grossmehrheitlich als grundsätzlich geeignet eingestuft werden muss. 3.3 Die Beschwerdeführerin bringt des Weitern, insbesondere gestützt auf die mit Eingabe vom 28. September 2006 eingereichten gutachterlichen Ausführungen des Prof. Dr. med. O. und des Dr. med. N. zuhanden des Landgerichts X. vom 1. August 2006, vor, bereits aus dem auf Grund des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, [HMG; SR 812.21]) samt dazugehöriger Ausführungserlasse ergangenen Zulassungsentscheid ergebe sich die wissenschaftliche Anerkennung - und damit die Wirksamkeit - eines Produktes. Diese Zulassung, deren es namentlich für die Inverkehrbringung bedürfe, sei für die vorliegend zu beurteilenden BOI-Implantate mittels CE-Zertifizierung (anerkanntes ausländisches Konformitätskennzeichen gemäss Art. 8 Abs. 4 der Medizinprodukteverordnung vom 17. Oktober 2001 [MepV; SR 812.213] in Verbindung mit Anhang 2 zur MepV) erfolgt, weshalb sich weitere Abklärungen zur Frage der Wirksamkeit erübrigten. Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass weder die Tatsache des Patentschutzes der - in der Schweiz durch die Firma I. vertriebenen - BOI-Implantate noch der Umstand allein, dass es sich dabei um in der Schweiz gemäss HMG zugelassene Medizinprodukte handelt, die im obligatorischen Krankenpflegeversicherungsbereich für die Leistungserbringung erforderliche Wirksamkeit der Behandlung nach Art. 32 Abs. 1 KVG zu begründen vermag. Wie die Vorinstanz in allen Teilen zutreffend erkannt hat - auf die entsprechende E. 4.4 im BGE 133 V 115 S. 120 angefochtenen Entscheid wird vollumfänglich verwiesen -, ist insbesondere die Zwecksetzung der beiden Gesetze eine andere. So deckt sich der Rechtsbegriff der krankenversicherungsrechtlich massgeblichen Wirksamkeit beispielsweise nicht mit den ökonomischen Begriffen der Effektivität oder Effizienz (EUGSTER, a.a.O., Fn. 385 mit Hinweisen). Immerhin kann davon ausgegangen werden, dass die Zulassung eines Medizinproduktes gemäss HMG Voraussetzung dafür bildet, dass die damit in Zusammenhang stehende Behandlung überhaupt krankenversicherungsrechtlich als vergütungsfähig in Betracht fallen kann. Der Umstand, dass ein Produkt medizinalrechtlich zugelassen ist (vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen: Art. 45 Abs. 2 HMG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 MepV ), führt indessen nicht dazu, dass auch das Kriterium der Wirksamkeit im Sinne des Art. 32 Abs. 1 KVG ohne weiteres als erfüllt anzusehen ist. 4. 4.1 Im Folgenden ist nach dem Gesagten zu prüfen, ob die fragliche Zahnbehandlung dem Gebot der Wirksamkeit nach den von der Rechtsprechung definierten Grundsätzen (vgl. E. 3.1, 3.2.1 und 3.2.2 hievor) entspricht. 4.1.1 Die von der Beschwerdegegnerin vorgenommenen Abklärungen zur Wissenschaftlichkeit der Behandlungsmethode, sie zog u.a. - im vorinstanzlichen Entscheid detailliert wiedergegebene - Stellungnahmen des Prof. Dr. med. dent. L. vom 19. Juni 2003, des Dr. med. dent. G. vom 8. September 2003 und des Prof. Dr. med. dent. B. vom 10. Dezember 2003 bei (vgl. auch den Bericht des Prof. Dr. med. C. vom 16. August 1999), ergeben diesbezüglich ein klares Bild. Daraus erhellt, dass die bei der Beschwerdeführerin angewandte zahnmedizinische Behandlung mit BOI-Implantaten - respektive generell mit Diskimplantaten - in der Schweiz kaum praktiziert wird. Dem opponiert die Beschwerdeführerin mit dem Hinweis darauf, dass Dr. med. dent. I. wohl einer der einzigen Zahnärzte schweizweit sei, der über die Fähigkeiten verfüge, das Basalosseanintegrationsverfahren anzuwenden, bzw. es auch anwenden dürfe (vgl. zu letzterem Punkt namentlich den Handelsregisterauszug zur Firma I.), prinzipiell nicht. Dieser Umstand allein spräche indessen, gerade bei allenfalls erst neu auf den Zahnmedizinalmarkt gebrachten Produkten und Verfahren, noch nicht gegen eine wissenschaftlich fundierte und dentalmedizinisch grundsätzlich anerkannte Behandlungsform. Ausschlaggebend ist im BGE 133 V 115 S. 121 vorliegenden Zusammenhang jedoch, dass sich die um Auskunft angefragten Fachspezialisten, insbesondere auch die Vertreter der Schweizerischen Gesellschaft für orale Implantologie, ohne Ausnahme mangels wissenschaftlicher Anerkennung ausdrücklich gegen eine Anwendung von BOI-Implantaten aussprechen. Es kann daher nicht gesagt werden, diese seien, was die Schweiz betrifft, von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis als geeignet bezeichnet worden. Der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuerte Einwand, bei den von der Beschwerdegegnerin angeschriebenen Ärzten und Zahnärzten handle es sich um Anhänger der herkömmlichen Schraubenimplantate, welche nicht zuletzt auch in ihrer Position als direkte oder indirekte finanzielle Nutzniesser des traditionellen Verfahrens kein Interesse an einer Abkehr bzw. Konkurrenzierung desselben hätten, erweist sich alsdann, wie bereits das kantonale Gericht einlässlich dargelegt hat, als nicht stichhaltig. Weiterungen hierzu erübrigen sich, zumal dem behandelnden Zahnarzt Dr. med. dent. I. auf Grund der im Handelsregister eingetragenen hauptsächlichen Zwecksetzung der Firma I. ("Import, Export und Vertrieb von medizinischen, dental-medizinischen und pharmazeutischen Präparaten und Geräten") ein nicht unerhebliches pekuniäres Interesse an der Implementierung seiner neuen Behandlungsform wohl kaum abzusprechen ist. 4.1.2 Die von der Beschwerdeführerin aufgelegten ausländischen Unterlagen vermögen das Bild eines gestützt auf internationale wissenschaftliche Erkenntnisse verankerten Verfahrens ferner ebenfalls nicht zu vermitteln. Das kantonale Gericht - wie auch die Beschwerdegegnerin im Rahmen ihrer Beschwerdeantwort vom 23. Mai 2005 - hat die diesbezüglichen, im vorinstanzlichen Verfahren aufgelegten Berichte und Gutachten einzeln aufgeführt und überzeugend dargelegt, weshalb diese keine Handhabe zur Untermauerung des beschwerdeführerischen Standpunktes bieten. Das dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eingereichte Gutachten des Prof. Dr. med. H. vom 20. Juli 2006 wurde sodann offenbar im Rahmen eines in Deutschland von der Firma I. gegen einen Arzt bzw. Zahnarzt erhobenen Feststellungsprozesses gerichtlich eingeholt. Darin wird zusammenfassend ausgeführt, dass die Verwendung von BOI- bzw. Diskimplantaten nicht riskanter sei als die Benutzung anderer Implantate und dass erstere "zumindest theoretisch Vorteile bei speziellen Indikationen" hätten. Aus diesen Angaben allein kann jedoch noch nicht auf eine für den Wirksamkeitsnachweis nach BGE 133 V 115 S. 122 Art. 32 Abs. 1 KVG erforderliche, von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis als geeignet erachtete Behandlungsweise geschlossen werden. 4.2 Es ist folglich nicht dargetan, dass die hier zu beurteilende Implantatversorgung - jedenfalls im massgeblichen Behandlungszeitraum (vgl. dazu auch Art. 32 Abs. 2 KVG ) - als nach internationalen wissenschaftlichen Richtlinien anerkannt und damit als im krankenversicherungsrechtlichen Sinne wirksam zu gelten hat. Der vorliegende Fall gibt ferner auch keinen Anlass, vom Erfordernis, dass ein Behandlungskonzept von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis als geeignet definiert wird, abzusehen. Die für eine Leistungspflicht des obligatorischen Krankenpflegeversicherers notwendigen Kriterien der Wirksamkeit und Wissenschaftlichkeit einer - hier dentalmedizinischen - Methode sind nicht nur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Behandlung, sondern, in erster Linie, für die Kostenübernahme durch den sozialen Krankenversicherer. Derartige Kosten können nicht schon dann abgegolten werden, wenn ein Verfahren im Einzelfall Erfolg verspricht (vgl. E. 3.2.1 und 3.2.2 hievor). Vielmehr erweist sich eine Vergütung der Kosten erst dann als sachgerecht, wenn zusätzlich gefestigte Erkenntnisse über die - objektive - Eignung einer Behandlung für den medizinischen Erfolg vorliegen. Dieser Grundsatz gilt insbesondere für den Fall, dass bewährte therapeutische Methoden zur Behandlung von Krankheiten bereits existieren, deren Kosten von der Krankenpflegeversicherung auch getragen werden. Dies ist im Bereich von Zahnimplantaten zu bejahen, weshalb gerade im vorliegenden Zusammenhang keine Veranlassung besteht, von der geltenden Rechtsprechung abzuweichen. An diesem Ergebnis ändert im Übrigen auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf BGE 129 V 80 , welchem Verfahren gemäss letztinstanzlich eingereichter, unterschriftlicher Bestätigung der damaligen Beschwerdeführerin vom 13./26. Juni 2006 ebenfalls die Behandlung mittels eines BOI-Implantates zugrunde lag, nichts. Im damaligen Prozess wurden die Voraussetzungen der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit der vorgeschlagenen Behandlung zwar, da von keiner Seite bestritten, nicht angezweifelt ( BGE 129 V 88 f. E. 6.2.1 und 6.2.2), dies jedoch bezogen auf eine durch ein Geburtsgebrechen notwendige zahnärztliche Versorgung des Oberkiefers und ohne dass eingehend geprüft worden war, ob die angewandte Methode nach den hierfür relevanten Grundsätzen als BGE 133 V 115 S. 123 wirksam und zweckmässig einzustufen sei. Zu beurteilen hatte das Gericht auf Grund der Parteivorbringen primär die Wirtschaftlichkeit der Behandlung im Zusammenhang mit Geburtsgebrechen ( BGE 129 V 89 E. 6.2.3), weshalb daraus mit Blick auf die sich im vorliegenden Verfahren stellende Frage nichts Entscheidwesentliches abgeleitet werden kann. 5. Der Beschwerdeführerin steht des Weitern auch kein kompensationsweise zu erbringendes Kostenäquivalent einer Behandlung mit herkömmlichen Schraubenimplantaten zu. Da es sich bei dem von ihr gewählten Verfahren nicht um eine wirksame Massnahme nach Art. 32 Abs. 1 KVG - und daher um eine Nichtpflichtleistung - handelt, entfällt vorliegend, auch auf dem Wege der Austauschbefugnis (vgl. hiezu BGE 126 V 332 E. 1b mit Hinweisen; Urteil K 95/03 vom 11. Mai 2004, E. 4; EUGSTER, a.a.O., Rz. 218), eine Kostenbeteiligung durch die Beschwerdegegnerin. Es hat demnach beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.
de
48fc4791-ef1e-4501-b313-f1e8096312e3
Sachverhalt ab Seite 299 BGE 106 Ia 299 S. 299 Art. 10 der Zivilprozessordnung des Kantons Freiburg vom 28. April 1953 (ZPO) bestimmt im Hinblick auf die Gerichtssprache folgendes: BGE 106 Ia 299 S. 300 Vor den unteren Gerichten führen die Parteien die Verhandlungen in französischer Sprache in den Bezirken oder Kreisen des französischen, und in deutscher Sprache in denjenigen des deutschen Kantonsteils. In den gemischten Bezirken und Kreisen wird der Rechtsstreit in der Sprache des Beklagten geführt, sofern die Parteien nicht eine andere Vereinbarung treffen. Vor dem Kantonsgericht wird der Rechtsstreit im Rechtsmittelverfahren in der Sprache des angefochtenen Entscheides ausgetragen. Wird das Kantonsgericht als erste Instanz angerufen, so erfolgen die Verhandlungen in der Sprache des Beklagten, sofern die Parteien nicht anders übereinkommen. Streitigkeiten über die Gerichtssprache entscheidet der Präsident endgültig. In bezug auf die Zivilgerichtsbarkeit wurde der Saanebezirk von jeher als französischsprachiger Bezirk behandelt, obschon er - insbesondere in der Unterstadt von Freiburg - eine beträchtliche deutschsprachige Minderheit aufweist. Diese Regel, die sich nicht ausdrücklich in einem Gesetz findet, wurde von der Rechtsprechung des Kantonsgerichts anerkannt und bestätigt (Urteil des Kantonsgerichts Freiburg vom 2. Mai 1979 i.S. Jäggi; ferner Extraits des principaux arrêts du Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg, 1958 S. 143 ff., 1941/43 S. 196 ff.). Im Hinblick auf den ganzen Kanton können die Gerichtssprachen der einzelnen Bezirke sowie die Anteile der Sprachgruppen an deren Wohnbevölkerung der folgenden Übersicht entnommen werden (vgl. Statistisches Jahrbuch des Kantons Freiburg 1976, S. 53 ff.): Bezirk Französischsprachige Deutschsprachige Gerichtssprache Wohnbevölkerung Wohnbevölkerung Sarine-Saane 43'610 15'325 französisch Sense 793 26'538 deutsch Gruyère-Greyerz 24'646 1'806 französisch See 5'308 12'856 gemischt Glâne 13'216 476 französisch Broye 13'668 1'234 französisch Veveyse 7'422 213 französisch Am 4. Januar 1980 liess Waltraud Brunner, die in Meyriez wohnt und deutscher Muttersprache ist, durch ihren Anwalt beim Gerichtspräsidenten des Saanebezirks eine Schadenersatzklage im Betrage von Fr. 2'300.-- gegen den in Freiburg BGE 106 Ia 299 S. 301 wohnhaften Alois Tiefnig einreichen. Diese Klageschrift war in deutscher Sprache abgefasst. Mit Schreiben vom 7. Januar 1980 sandte der Gerichtspräsident III des Saanebezirks die Klage an den Anwalt der Klägerin zurück und setzte diesem eine Frist von 10 Tagen an, um die Klage in der Amtssprache des Saanebezirks, d.h. französisch einzureichen. Waltraud Brunner führt staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verweigerung der Annahme ihrer deutsch abgefassten Klageschrift. Sie stellt den Antrag, dieser Entscheid sei aufzuheben und der Gerichtspräsident des Saanebezirks sei anzuweisen, ihre Klage in deutscher Sprache entgegenzunehmen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei willkürlich, wenn bei der Anwendung von Art. 10 ZPO angenommen werde, der Saanebezirk sei französischsprachig. Dieser Bezirk müsse vielmehr - wie der Seebezirk - als gemischt im Sinne von Art. 10 Abs. 2 ZPO betrachtet werden, denn der Anteil der sprachlichen Minderheit an der Gesamtbevölkerung sei in beiden Bezirken ähnlich. Die Beschwerdeführerin beruft sich im weiteren auf eine, allerdings in einem andern Zusammenhang abgegebene Stellungnahme des freiburgischen Office de législation vom 16. Oktober 1973, in der ausgeführt wurde, die Sprache der Minderheit werde als zweite offizielle Sprache anerkannt, sobald diese Minderheit in einem Gebiet 30 bis 33% der Wohnbevölkerung ausmache. Die Beschwerdeführerin bringt schliesslich vor, in Art. 10 Abs. 2 ZPO sei von "gemischten Bezirken" die Rede. Sie leitet aus diesem Text ab, dass der Gesetzgeber mehr als einen gemischten Bezirk im Auge gehabt habe. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG prüft das Bundesgericht im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren nur, ob die vom Beschwerdeführer angerufenen Grundrechte durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Im vorliegenden Fall rügt die Beschwerdeführerin ausschliesslich eine Verletzung von Art. 4 BV . Die vom Bundesgericht als ungeschriebenes Grundrecht anerkannte Sprachenfreiheit wird von der Beschwerdeführerin nicht angerufen. Die Beschwerde ist daher unter dem Gesichtspunkt von Art. 4 BV zu beurteilen. Gemäss Art. 87 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erst gegen letztinstanzliche BGE 106 Ia 299 S. 302 Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben. Der angefochtene Entscheid des Gerichtspräsidenten des Saanebezirkes ist letztinstanzlich, denn nach Art. 10 Abs. 4 ZPO ist der Instanzenzug bei Entscheiden über die Gerichtssprache ausgeschlossen. Dieser Entscheid ist aber kein Endentscheid, weil er das Klageverfahren nicht abschliesst, sondern nur die Sprache festlegt, in welcher dieses Verfahren durchzuführen ist. Als Zwischenentscheid ist die Anweisung des Gerichtspräsidenten des Saanebezirks, die Klage sei in französischer Sprache einzureichen, nach Art. 87 OG nur dann mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar, wenn dieser Entscheid für die Beschwerdeführerin einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hatte. Dies trifft nicht zu, denn eine französische Klageschrift hätte mit einem nicht allzu grossen Mehraufwand entweder durch den ursprünglichen deutschsprachigen Anwalt der Beschwerdeführerin oder aber durch einen neu beauftragten französischsprachigen Anwalt innerhalb der angesetzten Frist eingereicht werden können. Der angefochtene Entscheid entfaltet somit keine Wirkungen, die nicht durch staatsrechtliche Beschwerde gegen den Endentscheid im betreffenden Verfahren behoben werden könnten. Bei dieser Rechtslage sind die Voraussetzungen von Art. 87 OG nicht erfüllt; auf die Beschwerde kann daher nicht eingetreten werden. 2. Die Beschwerde hätte auch dann nicht zum Erfolg geführt, wenn eine Verletzung der Sprachenfreiheit ausdrücklich gerügt worden wäre, und daher gemäss Art. 87 OG auf die Beschwerde hätte eingetreten werden können, obschon ein blosser Zwischenentscheid angefochten wurde. a) Nach Lehre und Rechtsprechung gehört die Sprachenfreiheit, d.h. die Befugnis zum Gebrauch der Muttersprache, zu den ungeschriebenen Freiheitsrechten der Bundesverfassung ( BGE 100 Ia 465 , BGE 91 I 485 ). Soweit die Muttersprache gleichzeitig eine Nationalsprache des Bundes ist, steht deren Gebrauch zudem unter dem Schutz von Art. 116 Abs. 1 BV , der vier Nationalsprachen anerkennt. Diese Bestimmung verbietet es den Kantonen insbesondere, Gruppen, die eine Nationalsprache sprechen aber im Kanton eine Minderheit darstellen, zu unterdrücken und in ihrem Fortbestand zu gefährden. Die BGE 106 Ia 299 S. 303 Anerkennung von Nationalsprachen in Art. 116 Abs. 1 BV setzt der Sprachenfreiheit jedoch auch Grenzen, denn diese Verfassungsbestimmung gewährleistet nach der Rechtsprechung die überkommene sprachliche Zusammensetzung des Landes (Territorialitätsprinzip). Art. 116 Abs. 1 BV anerkennt damit die kulturelle Gleichberechtigung dieser Landessprachen (ARTHUR HAEFLIGER, Die Sprachenfreiheit in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in Mélanges Henri Zwahlen, 1977, S. 78). Die Kantone sind daher aufgrund dieser Bestimmung befugt, Massnahmen zu ergreifen, um die überlieferten Grenzen der Sprachgebiete und deren Homogenität zu erhalten, selbst wenn dadurch die Freiheit des Einzelnen, seine Muttersprache zu gebrauchen, beschränkt wird. Solche Massnahmen müssen aber verhältnismässig sein, d.h. sie haben ihr Ziel unter möglichster Schonung der Würde und Freiheit des Einzelnen zu erreichen ( BGE 91 I 487 ). Das von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Territorialitätsprinzip hält vor der Europäischen Menschenrechtskonvention stand. Der Europäische Gerichtshof hat in dieser Hinsicht im Urteil vom 23. Juli 1968 betreffend den belgischen Sprachenstreit entschieden, dass eine dem schweizerischen Territorialitätsprinzip ähnliche Regelung in Belgien weder Art. 8 EMRK (Achtung des Privat- und Familienlebens) noch Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) verletzt (affaire "relative à certains aspects du régime linguistique de l'enseignement en Belgique", publications de la Cour européenne des droits de l'homme, série A, 1968; LUZIUS WILDHABER, Der belgische Sprachenstreit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht XXVI, 1969/70, S. 9 ff., 38). b) Die Beschwerdeführerin hätte geltend machen können, sie sei in ihrer Sprachenfreiheit verletzt worden, weil der Gerichtspräsident in Anwendung von Art. 10 ZPO entschieden hatte, der Saanebezirk sei französischsprachig und die Gerichtssprache sei dementsprechend französisch. aa) Hat das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin im Einzelfall über die Verfassungsmässigkeit eines Eingriffs in ein Grundrecht zu entscheiden, so untersucht es zunächst, ob der Eingriff in einer kantonalen Gesetzes- oder Verordnungsbestimmung eine Grundlage findet. Dabei überprüft es die Auslegung und Anwendung der betreffenden Bestimmung BGE 106 Ia 299 S. 304 durch die kantonale Instanz grundsätzlich nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür. Das Bundesgericht beurteilt sodann frei, ob das kantonale Recht, wie es ohne Willkür angewandt werden konnte, das Grundrecht der Sprachenfreiheit verletzt. Wo der beanstandete Eingriff in das Grundrecht sich besonders einschneidend auswirkt, prüft das Bundesgericht zudem auch die Auslegung und Anwendung der kantonalen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen frei. Ein solch schwerer Eingriff in die Sprachenfreiheit liegt im vorliegenden Fall nicht vor. bb) Die Auslegung des kantonalen Rechtes ( Art. 10 ZPO ), die im angefochtenen Entscheid vorgenommen worden ist, hält vor der Willkürrüge stand. Das Verhältnis der deutschsprachigen zur französischsprachigen Wohnbevölkerung im Saanebezirk beträgt 26% zu 74%. Geht man von der Gesamtbevölkerung des Bezirkes aus, welche insbesondere auch Personen italienischer Muttersprache umfasst, reduziert sich der Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung auf 23%. Im Seebezirk, der als gemischtsprachig anerkannt ist, beträgt der Anteil der französischsprachigen Minderheit hingegen 29% (bzw. 26% der ganzen Wohnbevölkerung). Der Anteil der deutschsprachigen Minderheit im Saanebezirk ist somit etwas kleiner als der Anteil der französischsprachigen Minderheit im Seebezirk. Die deutschsprachige Minderheit im Saanebezirk ist auch keinesfalls so gross, dass dieser Bezirk gemäss der von der Beschwerdeführerin eingereichten Stellungnahme des Office de législation als gemischtsprachig anerkannt werden müsste, denn diese Stellungnahme sieht gemischtsprachige Bezirke erst bei einer Minderheit von 30 bis 33% vor. Schliesslich besitzt keine einzige Gemeinde im Saanebezirk eine deutschsprachige Mehrheit, während im gemischtsprachigen Seebezirk einige Gemeinden eine französische Mehrheit aufweisen. Die sprachliche Minderheit des Saanebezirks ist somit weniger bedeutend als diejenige im Seebezirk. Bei diesen Grössenverhältnissen ist es vor Art. 4 BV haltbar, den Saanebezirk im Rahmen von Art. 10 ZPO als französischsprachigen Bezirk zu behandeln. Dieser Schluss ist im übrigen auch im Hinblick auf den Wortlaut von Art. 10 Abs. 2 ZPO , in dem von "gemischten Bezirken" die Rede ist, haltbar, denn diese Bestimmung wurde erlassen, als der Saanebezirk bereits zum französischen Kantonsteil gerechnet wurde. Hätte der Gesetzgeber mit Art. 10 Abs. 2 ZPO daran etwas BGE 106 Ia 299 S. 305 ändern wollen, hätte er dies ausdrücklich angeordnet. Unter diesen Umständen ist es jedenfalls nicht willkürlich, wenn der Saanebezirk zum französischen Kantonsteil gezählt wird. cc) Das kantonale Recht, wie es ohne Willkür ausgelegt werden konnte, verletzt auch das ungeschriebene Grundrecht der Sprachenfreiheit nicht. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die Kantone für das zivilprozessuale Verfahren in ihren Gerichtsbezirken eine Gerichtssprache festlegen dürfen, welche auch von der sprachlichen Minderheit benützt werden muss. Wenn die sprachliche Minderheit klein ist, bestehen keine verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Regelung, denn die Kantone sind aufgrund des Territorialitätsprinzips befugt, Massnahmen nicht nur zur Erhaltung der Ausdehnung eines Sprachgebietes zu treffen, sondern auch solche zum Schutz seiner Homogenität. Nähert sich der Anteil der sprachlichen Minderheit an der Gesamtbevölkerung hingegen 50%, besteht im betreffenden Gebiet keine sprachliche Homogenität, die geschützt werden könnte. Im einem solchen Fall wäre es aufgrund des Territorialitätsprinzips nicht mehr gerechtfertigt, die Mehrheitssprache als einzige Gerichtssprache zu bezeichnen und damit die sprachliche Minderheit im Gebrauch ihrer Muttersprache einzuschränken. Dies wäre vielmehr eine Verletzung der Sprachenfreiheit und, wenn es sich um eine Beschränkung im Gebrauch einer Nationalsprache handelt, gleichzeitig eine Beeinträchtigung der Garantie des Bestandes dieser Nationalsprache. Im Seebezirk wurde die Minderheitssprache bei einem entsprechenden Bevölkerungsanteil von 29% (bzw. von 26% in bezug auf die ganze Wohnbevölkerung) als zweite Gerichtssprache anerkannt. Nach der erwähnten Stellungnahme des Office de législation soll eine Minderheitssprache als zweite Amtssprache anerkannt werden, wenn die sprachliche Minderheit 30 bis 33% der Wohnbevölkerung erreicht. Welches Grössenverhältnis von sprachlicher Mehrheit und sprachlicher Minderheit zu einer Anerkennung der Minderheitssprache als zweiter Gerichtssprache führen müsste, braucht im vorliegenden Fall jedoch nicht entschieden zu werden. Bei dem im Saanebezirk bestehenden Anteil der sprachlichen Minderheit von 26% (bzw. 23% in bezug auf die ganze Wohnbevölkerung) und im Hinblick darauf, dass die Angehörigen der sprachlichen BGE 106 Ia 299 S. 306 Minderheit in keiner Gemeinde des Bezirks die Mehrheit stellen, ist es mit der Sprachenfreiheit noch vereinbar, dass die Mehrheitssprache zur einzigen Gerichtssprache erklärt wird. Es handelt sich dabei allerdings - insbesondere im Hinblick auf den Umfang der deutschsprachigen Bevölkerung in der im Saanebezirk liegenden Stadt Freiburg (22'437 französischsprachige, 11'114 deutschsprachige Einwohner) - um einen Grenzfall. Wenn sich aufgrund dieser Überlegungen, die Anerkennung einer einzigen Gerichtssprache rechtfertigen lässt, so bedeutet dies hingegen nicht, dass beim gegebenen Verhältnis der Sprachgruppen die Bezeichnung der Mehrheitssprache als einzige Unterrichtssprache für die öffentlichen Schulen mit dem Grundrecht der Sprachenfreiheit vereinbar wäre. Auch wenn in einem Bezirk nur die Mehrheitssprache als Gerichtssprache anerkannt wird, wäre es nichtsdestoweniger unzulässig, auf eine in der Minderheitssprache abgefasste Eingabe nicht einzutreten, ohne eine Frist zur Übersetzung anzusetzen. Ein solches Vorgehen müsste als Verletzung der Sprachenfreiheit und im übrigen auch als überspitzter Formalismus betrachtet werden ( BGE 102 Ia 37 ). Mit dem angefochtenen Entscheid wurde der Beschwerdeführerin jedoch Gelegenheit gegeben, ihre Klage zu übersetzen. Dieser Entscheid verletzt die Sprachenfreiheit somit nicht. Die Beschwerde wäre somit, sofern das Bundesgericht darauf hätte eintreten können, abzuweisen gewesen.
de
d25cd41e-acb6-4ede-ba6d-74f4b620d5f8
). Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wird die beschuldigte Person befragt und festgestellt, ob diese den Sachverhalt anerkennt, welcher der Anklage zu Grunde liegt, und ob diese Erklärung mit der Aktenlage übereinstimmt ( Art. 361 Abs. 1 und 2 StPO ). Wird die erstinstanzliche Hauptverhandlung nach erfolgter Befragung vertagt, muss diese nicht wiederholt werden (E. 2). Sachverhalt ab Seite 230 BGE 142 IV 229 S. 230 A. Die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen führte gegen X. ein Strafverfahren wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Am 12. September 2014 beantragte X. die Durchführung des abgekürzten Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft hiess den Antrag am 15. September 2014 gut und eröffnete am 16. September 2014 die Anklageschrift. Darin schlug sie vor, X. sei wegen qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und mehrfacher Übertretung desselben zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten sowie zu einer Busse von Fr. 800.- zu verurteilen. Am 29. September 2014 stimmte X. der Anklageschrift zu, worauf die Staatsanwaltschaft diese mit den Akten an das Bezirksgericht Kreuzlingen überwies. An der bezirksgerichtlichen Hauptverhandlung vom 3. Dezember 2014 erklärte X., die Anklage sei grundsätzlich zum Urteil zu erheben. Gleichentags beschloss das Bezirksgericht, die Hauptverhandlung werde zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt. An der Hauptverhandlung vom 17. Juni 2015 beantragte X., die Akten seien an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens zurückzuweisen. B. Am 17. Juni 2015 verurteilte das Bezirksgericht X. wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und Übertretung desselben zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten und einer Busse von Fr. 800.-. Es auferlegte ihm eine Ersatzforderung von Fr. 1'200.- und die Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 4'010.-. Den amtlichen Verteidiger entschädigte es mit Fr. 6'548.25. C. Das Obergericht des Kantons Thurgau wies die Berufung von X. am 3. November 2015 ab und bestätigte das bezirksgerichtliche Urteil. D. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Durchführung des ordentlichen Verfahrens an die kantonalen Behörden zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, er habe der Anklageschrift nicht zugestimmt. BGE 142 IV 229 S. 231 2.1 Gemäss Art. 358 Abs. 1 StPO kann die beschuldigte Person der Staatsanwaltschaft bis zur Anklageerhebung die Durchführung des abgekürzten Verfahrens beantragen, wenn sie den Sachverhalt, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, eingesteht und die Zivilansprüche zumindest im Grundsatz anerkennt. Die Anklageschrift enthält im abgekürzten Verfahren unter anderem den Hinweis, dass die Parteien mit der Zustimmung zur Anklageschrift auf ein ordentliches Verfahren und auf Rechtsmittel verzichten ( Art. 360 Abs. 1 lit. h StPO ). Die Staatsanwaltschaft eröffnet die Anklageschrift den Parteien, welche innert zehn Tagen zu erklären haben, ob sie ihr zustimmen oder sie ablehnen. Die Zustimmung ist unwiderruflich ( Art. 360 Abs. 2 StPO ). Das erstinstanzliche Gericht führt eine Hauptverhandlung durch, an welcher es die beschuldigte Person befragt und feststellt, ob diese den Sachverhalt anerkennt, welcher der Anklage zu Grunde liegt, und ob diese Erklärung mit der Aktenlage übereinstimmt. Wenn nötig befragt es auch die übrigen anwesenden Personen. Ein Beweisverfahren findet nicht statt ( Art. 361 StPO ). Ein Urteil im abgekürzten Verfahren setzt voraus, dass die beschuldigte Person ihr Geständnis in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung bestätigt. Das gerichtliche Bestätigungsverfahren ist einer der Schutzmechanismen dieses besonderen Verfahrens. Die Möglichkeit, dass die beschuldigte Person ihre Zustimmung zur Anklageschrift widerruft, ist hinzunehmen, wenn sich das Gericht nicht persönlich davon überzeugen kann, dass sie den angeklagten Sachverhalt anerkennt ( BGE 139 IV 233 E. 2.6). Das Gericht befindet frei darüber, ob die Durchführung des abgekürzten Verfahrens rechtmässig und angebracht ist, ob die Anklage mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung und den Akten übereinstimmt und ob die beantragten Sanktionen angemessen sind ( Art. 362 Abs. 1 StPO ). Sind die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren erfüllt, so erhebt das Gericht die Straftatbestände, Sanktionen und Zivilansprüche der Anklageschrift zum Urteil. Die Erfüllung der Voraussetzungen für das abgekürzte Verfahren wird summarisch begründet ( Art. 362 Abs. 2 StPO ). Sind die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren nicht erfüllt, so weist das Gericht die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens zurück. Das Gericht eröffnet den Parteien seinen ablehnenden Entscheid mündlich sowie schriftlich BGE 142 IV 229 S. 232
de
3a13a92f-aa4c-4e93-8b89-9c09b62b16c2
Sachverhalt ab Seite 364 BGE 136 I 364 S. 364 Die Stadt Aarau und die Gemeinde Rohr fusionierten auf den 1. Januar 2010. Im Hinblick auf diese Fusion wählten die BGE 136 I 364 S. 365 Stimmberech tigten am 29. November 2009 den Einwohnerrat Aarau für die Amtsperiode 2010/13. Entsprechend dem Fusionsvertrag wurde für diese Wahl ein spezieller Wahlkreis Rohr mit 9 Mandaten gebildet; 41 Sitze waren der bisherigen Stadt Aarau zugeteilt. Für die Mandatsverteilung kam die Verordnung des Regierungsrates des Kantons Aargau über die Wahl des Einwohnerrates vom 5. Dezember 1988 zur Anwendung. Die Wahl ergab folgende Ergebnisse: Nr. Partei Anzahl Sitze 1 FDP 10 2 SP 11 3 SVP 12 4 CVP 3 5 ProAarau 3 6 Grüne 6 7 EVP/EW 2 8 JETZT! 1 9 GLP 2 10 Parteilos 0 Total 50 Mit Beschwerde an das Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aarau verlangte Stephan Müller, dass der Gruppe JETZT! neu 2 Sitze zugeteilt würden und den Grünen 1 Sitz abgezogen werde. Er bemängelte die Anwendung des Auszählverfahrens nach der genannten Verordnung. Das Departement wies die Beschwerde ab. Stephan Müller gelangte erfolglos an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Dieses wies dessen Beschwerde am 26. März 2010 ab. Es führte im Wesentlichen aus, dass die angewandte Methode zu keinen Verletzungen der Zählwertgleichheit, der Stimmkraftgleichheit und der Erfolgswertgleichheit führe. Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts hat Stephan Müller beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Er verlangt die Ermittlung der Stadtratswahl in einer Weise, die dem Wählerwillen im Gesamtergebnis vollständig und umfassend entspricht, und beansprucht die Zuteilung von 2 Sitzen an die Gruppe JETZT! zulasten der Grünen. Er macht eine Verletzung der politischen Rechte durch eine unkorrekte Resultatsermittlung geltend. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. (Zusammenfassung) BGE 136 I 364 S. 366 Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Die Kantone sind in der Ausgestaltung ihres politischen Systems und des Wahlverfahrens weitgehend frei. Art. 39 Abs. 1 BV hält fest, dass die Kantone - entsprechend ihrer Organisationsautonomie - die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten regeln. Diese Zuständigkeit wird ausgeübt im Rahmen der bundesverfassungsrechtlichen Garantie von Art. 34 BV sowie nach den Mindestanforderungen gemäss Art. 51 Abs. 1 BV (vgl. zum Ganzen BGE 136 I 352 E. 2 mit Hinweisen). Art. 34 Abs. 1 BV gewährleistet die politischen Rechte (auf Bundes- sowie Kantons- und Gemeindeebene) in abstrakter Weise und ordnet die wesentlichen Grundzüge der demokratischen Partizipation im Allgemeinen. Der Gewährleistung kommt Grundsatzcharakter zu. Sie weist Bezüge auf zur Rechtsgleichheit sowie zur Rechtsweggarantie. Der konkrete Gehalt der politischen Rechte mit ihren mannigfachen Teilgehalten ergibt sich nicht aus der Bundesverfassung, sondern in erster Linie aus dem spezifischen Organisationsrecht des Bundes bzw. der Kantone. Die in Art. 34 Abs. 2 BV verankerte Wahl- und Abstimmungsfreiheit gibt den Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der Auseinandersetzung. Sie erfordert zudem, dass Wahl- und Abstimmungsergebnisse sorgfältig und ordnungsgemäss ermittelt werden (vgl. BGE 131 I 442 mit Hinweisen). 2.2 In Bezug auf das Wahlsystem in den Kantonen genügen nach der Rechtsprechung im Grundsatz sowohl das Mehrheits- als auch das Verhältniswahlrecht den genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen ( BGE 131 I 85 E. 2.2 S. 87 mit Hinweisen). Soweit sich ein Kanton zum Proporzwahlverfahren bekennt, erlangt die Gewährleistung von Art. 34 Abs. 2 BV , wonach kein Wahlergebnis BGE 136 I 364 S. 367 anerkannt werden soll, das nicht den freien Willen der Wählenden zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt, besondere Bedeutung. Ein Proporzverfahren zeichnet sich dadurch aus, dass es den verschiedenen Gruppierungen eine Vertretung ermöglicht, die weitgehend ihrem Wähleranteil entspricht. Soweit in einer Mehrzahl von Wahlkreisen gewählt wird, hängt die Realisierung des Verhältniswahlrechts u.a. von der Grösse der Wahlkreise und damit zusammenhängend vom natürlichen Quorum ab. Unterschiedlich grosse Wahlkreise bewirken zudem, dass im Vergleich unter den Wahlkreisen nicht jeder Wählerstimme das gleiche politische Gewicht zukommt. Genügt die Ausgestaltung eines Wahlsystems diesen Anforderungen nicht, so ist es - vorbehältlich von Gründen überkommener Gebietsorganisation - mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 34 Abs. 2 BV nicht vereinbar (zum Ganzen BGE 136 I 352 E. 3 mit Hinweisen). 2.3 Der Einwohnerrat der aargauischen Gemeinden wird nach dem Verhältniswahlrecht gewählt: Die Mitglieder des Einwohnerrates werden an der Urne gewählt (§ 56 Abs. 2 lit. a des Gesetzes vom 19. Dezember 1978 über die Einwohnergemeinden [Gemeindegesetz, GG/AG; SAR 171.100]). Die Wahl erfolgt nach den Grundsätzen der Wahl des Grossen Rates (§ 61 Abs. 2 der Aargauer Kantonsverfassung [KV/AG; SR 131. 227]; § 65 Abs. 4 GG/AG). Das Volk bestellt den Grossen Rat nach dem Verhältniswahlrecht ( § 77 KV/AG ; vgl. BGE 131 I 74 ). Das Proporzverfahren gilt daher auch für die Wahl des Einwohnerrates. Im Übrigen ordnet eine Verordnung des Regierungsrates die Wahl des Einwohnerrates (§ 65 Abs. 4 Satz 2 GG/AG). Die Einwohnerratswahl richtet sich nach der Verordnung des Regierungsrates vom 5. Dezember 1988 über die Wahl des Einwohnerrates (SAR 131.731; im Folgenden: VO/ER). Diese Verordnung ist auf die umstrittene Wahl angewendet worden. Es stellt sich die Frage, ob das Wahl- und Auszählungsverfahren im vorliegenden Verfahren den bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Der Beschwerdeführer ersucht ausdrücklich um eine vorfrageweise Überprüfung der kantonalen Ordnung. Hierfür ist vorerst das Wahl- und Auszählverfahren darzustellen. 3. Beschwerdegegenstand bildet die Wahl des Einwohnerrates der fusionierten Gemeinden Aarau und Rohr mit insgesamt 50 Mitgliedern. Für diese erstmalige Wahl wurden zwei Wahlkreise gebildet: BGE 136 I 364 S. 368 9 Mandate fallen auf den Wahlkreis Rohr, 41 Mandate auf den Wahlkreis Aarau. Wie dargelegt, gilt für die Wahl das Proporzverfahren. 3.1 Das für die Wahl des Einwohnerrates zur Anwendung gelangende Proporzverfahren ist in der Verordnung über die Wahl des Einwohnerrates näher ausgeführt. Es richtet sich nicht nach der weit verbreiteten Methode Hagenbach-Bischoff durch Auszählung in den einzelnen Wahlkreisen (vgl. BGE 129 I 185 E. 7.1.1 S. 197), sondern nach dem Zuteilungsverfahren Doppelter Pukelsheim (auch bi- oder doppeltproportionales Zuteilungsverfahren oder neues Zürcher Zuteilungsverfahren genannt). 3.2 Im Anschluss an das Urteil BGE 129 I 185 entwickelte der Mathematiker Friedrich Pukelsheim für den Kanton Zürich ein neues Zuteilungsverfahren. Dieses soll unter Beibehaltung der traditionellen, unterschiedlich grossen Wahlkreise eine parteiproportionale Sitzzuteilung ermöglichen und damit sowohl die Verhältnismässigkeit zwischen den Parteien als auch die Verhältnismässigkeit zwischen den Wahlkreisen wahren. Die Parteien mit ihren Listen wie auch die Wahlkreise werden proportional vertreten (vgl. zum Ganzen: PUKELSHEIM/SCHUHMACHER, Das neue Zürcher Zuteilungsverfahren für Parlamentswahlen, AJP 2004 S. 505, insb. S. 511 ff.; Wikipedia, Doppelter Pukelsheim, < http://www.wikipedia.org > [besucht am 25. Oktober 2010]; Wikipedia, Sitzzuteilungsverfahren, < http://www.wikipedia.org> [besucht am 25. Oktober 2010]). Im Einzelnen wird die Zuteilung von Mandaten zu Listen und Wahlkreisen vorerst durch eine Oberzuteilung, hernach durch eine Unterzuteilung vorgenommen. Ziel der Oberzuteilung ist es, vorerst wahlkreisübergreifend auf Kantonsebene die Mandate den Listen und Parteien zuzuordnen. Die Oberzuteilung zerfällt wiederum in zwei Schritte. In Anbetracht der unterschiedlichen Grösse der Wahlkreise und der unterschiedlich vielen Stimmen in den Wahlkreisen müssen die Stimmen, die auf eine Liste fallen, vor ihrer kantonalen Addition unter Berücksichtigung der Sitze in den einzelnen Wahlkreisen gewichtet werden. Hierfür werden die auf die einzelnen Listen entfallenden Stimmen durch die Anzahl der Mandate im Wahlkreis dividiert. Diese Operation, die für jeden Wahlkreis einzeln durchgeführt wird, führt zur Wählerzahl der Liste pro Wahlkreis oder Wahlkreis-Wählerzahl der Liste. Sie repräsentiert die gewichtete Anzahl der Stimmen, die eine Liste in einem Wahlkreis erhalten hat. Die errechnete Zahl wird zur nächsten ganzen Zahl BGE 136 I 364 S. 369 standard mässig auf- oder abgerundet. Eine grössere Zahl als 0,5 wird auf 1 aufgerundet, eine kleinere als 0,5 auf 0 abgerundet. Diese Wählerzahlen werden daraufhin kantonal pro Liste zusammengezählt. Das ergibt auf Kantonsebene die Gesamt-Wählerzahlen der Listen. Diese zeigen die Anzahl der Stimmen auf, die einer Liste im ganzen Wahlgebiet zukommen. Diese Gesamt-Wählerzahlen werden hernach in einem zweiten Schritt auf die Mandate der einzelnen Listen umgebrochen. Dies führt auf Kantonsebene zur Anzahl der Sitze, die einer Liste zukommt. Hierfür kommt ein Divisorverfahren mit Standardrundung zur Anwendung. Es ist in Abhängigkeit der Gesamtzahl der Wählerzahlen und der zu vergebenden Sitze ein (nicht im Voraus bestimmter) Divisor zu bestimmen und auszuweisen, der es gesamthaft erlaubt, sämtliche Sitze den Listen zuzuordnen, keiner zu viel und keiner zu wenig. Dieser Divisor wird auch Wahlschlüssel genannt. Die Gesamt-Wählerzahlen pro Liste werden durch diesen Divisor geteilt. Die sich ergebenden Zahlen werden wiederum standardmässig auf- oder abgerundet. Damit ist die Oberzuteilung abgeschlossen. Bei der Unterzuteilung geht es darum, die Resultate aus der Oberzuteilung auf die Wahlkreise und die Wahlkreis-Listen zu verteilen. Hierfür gelangt erneut ein Divisorverfahren mit Standardrundung zur Anwendung. Zum einen wird für jeden Wahlkreis ein Wahlkreis-Divisor bestimmt, der es erlaubt, alle Mandate pro Wahlkreis zu verteilen. Zum andern wird ein Listen-Divisor bestimmt, der die Mandate pro Liste im Wahlkreis festlegt. Das Resultat dieser doppeltproportionalen Operation zeigt auf, wie viele Mandate einer Liste in einem Wahlkreis zufallen. 3.3 Dieses Sitzzuteilungsverfahren kommt im Kanton Aargau auch bei der Wahl des Einwohnerrates zur Anwendung, wenn, wie im vorliegenden Fall, das Wahlgebiet mehr als einen Wahlkreis aufweist. Ausgangspunkt bildet die Zuteilung der Mandate an die Wahlkreise (vgl. § 3a VO/ER). Bei der umstrittenen Wahl kommen dem Wahlkreis Rohr 9 Mandate, dem Wahlkreis Aarau 41 Mandate für den Einwohnerrat mit insgesamt 50 Mitgliedern zu. Geordnet ist das Sitzzuteilungsverfahren in der erwähnten Verordnung über die Wahl des Einwohnerrates. Die Bestimmungen zur Sitzverteilung haben folgenden Wortlaut: BGE 136 I 364 S. 370 § 27 Oberzuteilung auf die Listen bzw. Listengruppen 1 Bei Wahlen in Gemeinden mit einem Wahlkreis wird die Parteistimmenzahl einer Liste durch den Gemeinde-Wahlschlüssel geteilt und zur nächstgelegenen ganzen Zahl gerundet. Das Ergebnis bezeichnet die Zahl der Sitze der betreffenden Liste. Eine Unterzuteilung gemäss § 27a findet nicht statt. 2 Bei Wahlen in Gemeinden mit mehreren Wahlkreisen bilden die Listen mit gleicher Bezeichnung im Gemeindegebiet eine Listengruppe. 3 Bei Wahlen in Gemeinden mit mehreren Wahlkreisen wird die Parteistimmenzahl einer Liste durch die Zahl der im betreffenden Wahlkreis zu vergebenden Mandate geteilt und zur nächstgelegenen ganzen Zahl gerundet. Das Ergebnis heisst Wählerzahl der Liste. In jeder Listengruppe werden die Wählerzahlen der Listen zusammengezählt. Die Summe wird durch den Gemeinde-Wahlschlüssel geteilt und zur nächstgelegenen ganzen Zahl gerundet. Das Ergebnis bezeichnet die Zahl der Sitze der betreffenden Listengruppe. 4 Das Wahlbüro berechnet den Gemeinde-Wahlschlüssel so, dass sich beim Vorgehen nach Absatz 1 oder 3 genau die Zahl der in der Gemeinde zu vergebenden Sitze ergibt. 5 Kommt es zu gleichwertigen Rundungsmöglichkeiten, entscheidet das Los. § 27a Unterzuteilung auf die Listen 1 Bei Wahlen in Gemeinden mit mehreren Wahlkreisen wird die Parteistimmenzahl einer Liste durch den Wahlkreis-Divisor und den Listengruppen-Divisor geteilt und zur nächstgelegenen ganzen Zahl gerundet. Das Ergebnis bezeichnet die Zahl der Sitze dieser Liste. 2 Das Wahlbüro legt für jeden Wahlkreis einen Wahlkreis-Divisor und für jede Listengruppe einen Listengruppen-Divisor so fest, dass bei einem Vorgehen gemäss Absatz 1 a) jeder Wahlkreis die ihm vom Gemeinderat zugewiesene Zahl von Mandaten erhält, b) jede Listengruppe die ihr gemäss Oberzuteilung zustehende Zahl von Sitzen erhält. 3 Kommt es zu gleichwertigen Rundungsmöglichkeiten, entscheidet das Los. 4. Im vorliegenden Fall ist nicht die Unterzuteilung auf die Listen und Wahlkreise streitig. Der Beschwerdeführer macht vielmehr geltend, die Oberzuteilung benachteilige durch die Art ihrer Durchführung die Gruppe JETZT!, bevorteile die Grünen, stehe damit mit den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts in Widerspruch und halte vor Art. 34 BV nicht stand. BGE 136 I 364 S. 371 4.1 Im Einzelnen beanstandet der Beschwerdeführer, dass die Wahlkreis-Wählerzahlen der Listen entsprechend § 27 Abs. 3 VO/ER gerundet werden, bevor sie zur Gesamt-Wählerzahl für das ganze Gemeindegebiet zusammengezählt werden. Er belegt mit einer selbst errechneten Liste, dass die Gruppe JETZT! durch die Rundung der Wählerzahlen auf eine ganze Zahl benachteiligt werde und dass sie einen zusätzlichen Sitz erhalten würde, wenn die Wählerzahlen der Listen ungerundet zur Gesamt-Wählerzahl zusammengezählt würden und erst diese Gesamt-Wählerzahl zur nächstgelegenen ganzen Zahl gerundet würde. Das vom Beschwerdeführer erstellte Berechnungsblatt präsentiert sich wie folgt. Die Liste weist in Kolonne 2 die Parteistimmen in den beiden Wahlkreisen aus. In Kolonne 3 und 4 werden die Wählerzahlen der Listen in den beiden Wahlkreisen aufgeführt. Hierfür wird angegeben "exakt" bzw. "ger." (gerundet). Dabei bedeutet "gerundet", dass die aus der mathematischen Operation sich ergebende Zahl gemäss Verordnung auf eine ganze Zahl gerundet ist. "Exakt" bedeutet im vorliegenden Fall, dass mit einer Rundung auf zwei Stellen nach dem Komma eine exaktere und ungebrochene Zahl gebildet wird. 4.2 Zu der vom Beschwerdeführer beanstandeten Rundung bei der Berechnung der Wahlkreis-Wählerzahlen pro Liste führen PUKELSHEIM/SCHUHMACHER aus, diese mache die Wählerzahl zu einer ganzen Zahl und erlaube die Interpretation, dass eine bestimmte Zahl von BGE 136 I 364 S. 372 Wählern hinter der Liste stehen. Sie räumen ein, dass auch mit gebrochenen Wählerzahlen weitergerechnet werden könnte. Doch sei es unschön, zu sagen, dass in einem Wahlkreis so und so viel Wählerbruchteile hinter einer Liste stehen. Zudem seien die durch die Rundung auftretenden Abweichungen äusserst gering und selten (PUKELSHEIM/SCHUHMACHER, a.a.O., S. 514 und Fn. 50). Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid darauf hingewiesen, dass die Standardrundung ein mathematischer Vorgang sei. Es falle ein zufälliges Resultat der für die Berechnung der Wählerzahl erforderlichen Division an. Damit treffe die Rundung alle Stimmberechtigten gleich. Jedes Zuteilungsverfahren sei systemimmanent auf Rundungen angewiesen. Die Argumentation, dass die Wählerzahl - als Anzahl von Personen, die im Wahlkreis hinter einer Liste stehe - eine ganze Zahl sein solle, leuchte ein. Die marginale Verschiebung in äusserst seltenen Einzelfällen könne hingenommen werden. Die Erfolgswertgleichheit werde durch das angewendete Vorgehen nicht verletzt. Die Rundung gemäss § 27 Abs. 3 VO/ER führe insoweit nicht zu einem verfassungswidrigen Ergebnis. 4.3 Der Beschwerdeführer geht zur Begründung seiner Beschwerde vorerst davon aus, es gehöre zur Wahl- und Abstimmungsfreiheit gemäss Art. 34 Abs. 2 BV , dass Wahl- und Abstimmungsergebnisse sorgfältig und ordnungsgemäss ermittelt werden (vgl. BGE 131 I 442 E. 3.1 S. 447). Damit aber sei die beanstandete Rundung bei der Bestimmung der Wählerzahl nicht vereinbar. Damit lässt er ausser Acht, was Resultatsermittlung ist und was zur Resultatsauswertung gehört. Die eigentliche Ermittlung der Wahlresultate ist nicht umstritten. Es wird von keiner Seite in Frage gestellt, dass - wie die Aufstellung des Beschwerdeführers zeigt - die Grünen in Aarau 21'464 und in Rohr 716 Stimmen, die Gruppe JETZT! in den beiden Wahlkreisen 6'403 und 76 Stimmen erhalten haben. Die Bestimmung der Wählerzahlen, bei denen eine Rundung vorgenommen worden ist, gehört bereits zur Resultatsauswertung. Sie stellt, wie dargelegt, den ersten von mehreren Schritten dar, um zu einer Zuordnung von Mandaten zu Listen und Wahlkreisen zu gelangen. Es kann daher nicht gesagt werden, die angefochtenen Wahlresultate beruhten auf einer unsorgfältigen und ordnungswidrigen Ermittlung der Wählerstimmen. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch der vom Beschwerdeführer gezogene Vergleich mit eidgenössischen Abstimmungen als unbehelflich. BGE 136 I 364 S. 373 4.4 Für die Beurteilung der vorgetragenen Beanstandung gilt es vorerst, den hierfür massgeblichen Massstab zu bestimmen. Es kann nicht darum gehen, die Rundungsbestimmung von § 27 Abs. 3 VO/ ER rein mathematisch auf eine optimale Ausgestaltung hin zu prüfen. Hingegen kann sie einerseits am übergeordneten Gesetzesrecht, andererseits am Verfassungsrecht gemessen werden. Wie dargelegt (E. 2.3), schreibt das Gemeindegesetz für die Wahl des Einwohnerrates das Proporzverfahren vor. Insoweit könnte aufgrund von Art. 95 lit. d BGG gerügt werden, § 27 Abs. 3 VO/ER sei falsch angewendet worden oder sei mit dem Gemeindegesetz nicht vereinbar und dies führe insoweit im konkreten Verfahren zu einer Verletzung der politischen Rechte. Solche Rügen werden in der Beschwerdeschrift nicht erhoben. Es kann denn auch nicht gesagt werden, die Verordnung sei fehlerhaft angewendet worden oder die Umsetzung des Zuteilungsverfahrens nach dem System Doppelter Pukelsheim durch die genannte Verordnung sei unsachgemäss. 4.5 Es ist daher zu prüfen, ob die Anwendung von § 27 Abs. 3 VO/ER im vorliegenden Fall vor den verfassungsrechtlichen Garantien standhält, wie sie sich mit Blick auf das Proporzverfahren aus Art. 34 BV in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 BV ergeben. Unter dem Gesichtswinkel der Gleichheit zeigt die obenstehende Liste, dass alle Parteien von Rundungen betroffen sind. Bei der Gruppe JETZT! ist die Wählerzahl bei Werten von 156.17 und 8.44 abgerundet worden. Entsprechende Abrundungen haben auch andere Parteien in Kauf nehmen müssen. Bei einem parteilosen Kandidaten ist gar von 47.49 abgerundet worden. Umgekehrt profitierten von den Aufrundungen nicht nur die Grünen mit Werten von 523.51 und 79.56, sondern auch andere Parteien wie die ProAarau und die EVP/EW mit Werten von 286.66 und 78.67 sowie 222.68 und 45.56. Diese Liste mit Rundungen nach oben und nach unten widerspiegelt den Umstand, dass eine Sitzzuteilung ohne Rundungen nicht möglich ist. Entsprechende Rundungen sind für jedes Auszählverfahren nach Proporz erforderlich und daher, wie das Verwaltungsgericht ausführt, jeder Methode systemimmanent. Sie können daher weder mit Blick auf die Rechtsgleichheit noch unter dem Gesichtswinkel der Proportionalität in Frage gestellt werden. Es zeigt sich denn auch, dass die Rundungen eine blosse Zufälligkeit eines mathematischen Vorgangs darstellen, welche in keiner Weise voraussehbar oder kalkulierbar ist. Damit ist auch ausgeschlossen, dass die BGE 136 I 364 S. 374 Parteien mit diesem Phänomen rechnen und es ihrer Taktik zugrunde legen könnten. Im vorliegenden Fall zeigt sich allerdings, dass die Rundung der Wählerzahlen, wie sie gestützt auf die erwähnte Verordnung und nach dem System des Doppelten Pukelsheim vorgenommen worden ist, Einfluss auf die Sitzzuteilung hat. Dieser Umstand bewirkt indes, für sich allein genommen, keine Verfassungsverletzung. Vorerst gilt es zu berücksichtigen, dass die Standardrundung auf die nächste ganze Zahl dem Sitzzuteilungsverfahren des Doppelten Pukelsheim in verschiedener Hinsicht zugrunde liegt. Andere Systeme nehmen im Zuge der verschiedenen mathematischen Operationen andere Rundungen vor, bewirken daher andere Verschiebungen und vermögen, wie etwa das System Hagenbach-Bischoff (vgl. BGE 129 I 185 E. 7.1.1 S. 197), nach der Rechtsprechung den verfassungsrechtlichen Anforderungen im Grundsatz gleichwohl zu genügen. Bei dieser Sachlage kommt der Begründung der Rundung, wonach die Wählerzahl als Zahl der Parteistimmen hinter einer Liste eine ganze Zahl darstellen soll, durchaus Bedeutung zu. So sollen "Bruchteils-Wähler" in den Wahlkreisen vermieden werden. Das lässt sich mit dem Verständnis von Wahlverfahren und von Wahlergebnissen durch die Stimmberechtigten rechtfertigen. Von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass das Verfassungsrecht dem Gemeinwesen bei der Auswahl und Bestimmung von Wahl- und Auszählsystemen einen Spielraum belässt. Das gilt selbst unter dem Verhältniswahlrecht. Das Verfassungsrecht stellt keine exakte Wissenschaft dar, welche mathematisch zum "einzig richtigen System" führen würde. Selbst die Mathematik bemüht sich seit langer Zeit mit verschiedenartigen Modellen um optimale Sitzverteilungsmethoden. Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung zum Proporzverfahren als Richtgrösse gefordert, dass das natürliche Quorum in den unterschiedlichen Wahlkreisen (bei der Auszählung nach Hagenbach-Bischoff) den Wert von 10 % nicht übersteigen und die Grösse der Wahlkreise im Vergleich untereinander nicht zu stark voneinander abweichen dürfe (zum Ganzen BGE 136 I 352 E. 3.5 mit Hinweisen; BGE 131 I 74 E. 5.4 S. 83). Auch unter diesen Prämissen führen die Wahl- und Auszählverfahren nicht zu einer maximalen Proportionalität. Immerhin ermöglichen sie den Gruppierungen Vertretungen, die weitgehend deren Wähleranteilen entsprechen (vgl. BGE 136 I 352 E. 3.4). Trotz ihren Schwächen BGE 136 I 364 S. 375 werden sie mit den sich aus Art. 34 BV in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 BV ergebenden Anforderungen als vereinbar betrachtet. Gleich verhält es sich mit der vorliegenden Konstellation. Das System Doppelter Pukelsheim bezweckt eine optimale Verhältnismässigkeit unter den Parteien wie auch unter den (unterschiedlich grossen) Wahlkreisen. Der Beschwerdeführer räumt selber ein, dass diese Sitzzuteilungsmethode das Verhältniswahlrecht gut umsetzt. Unter Berücksichtigung der von ihm aufgedeckten Konstellation könnte möglicherweise die Proportionalität noch weiter optimiert werden, wenn auf die Rundung auf eine ganze Zahl bei der Bestimmung der Wahlkreis-Wählerzahl verzichtet und für die Addition zur Gesamt-Wählerzahl mit gebrochenen Zahlen gerechnet würde. Es obliegt dem Gesetz- oder Verordnungsgeber, solche Modelle zu prüfen, auf allfällige andere Konsequenzen hin zu klären und allenfalls gesetzgeberisch umzusetzen. Es liegt indessen für sich genommen keine Verfassungsverletzung vor, wenn auf diese weitere Differenzierung verzichtet wird und die Verordnung zum Erhalt von ganzen Wählerzahlen Rundungen auf die nächste ganze Zahl vorsieht. Es ist nicht geklärt, ob die vom Beschwerdeführer bevorzugte Methode im Einzelfall und ein Verzicht auf eine Rundung bei der Bestimmung der Wahlkreis-Wählerzahl im Allgemeinen andere Unstimmigkeiten hervorrufen könnten. Auch unter diesem Gesichtswinkel kann dem Verwaltungsgericht keine Verfassungsverletzung vorgehalten werden, wenn es von einer Korrektur von § 27 Abs. 3 VO/ER abgesehen hat und im vorliegenden Fall darauf verzichtet hat, der Verordnungsbestimmung die Anwendung zu versagen. Bei dieser Sachlage verstossen die vom Beschwerdeführer beanstandeten Wahlresultate und der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts nicht gegen Art. 34 BV in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 BV . Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet.
de
32535a23-93f2-4968-a721-7b8873b2fe74
Sachverhalt ab Seite 291 BGE 132 I 291 S. 291 Die Landsgemeinde des Kantons Glarus vom 7. Mai 2006 hatte unter Traktandum § 12 über die Bildung von Einheitsgemeinden (anstelle der bisherigen Ortsgemeinden, Tagwen, Schulgemeinden und Fürsorgegemeinden gemäss Art. 122 ff. der Glarner Kantonsverfassung) sowie unter Traktandum § 13 über die Fusion von Einheitsgemeinden zu befinden. Der vom Landrat des Kantons Glarus zuhanden der Landsgemeinde verabschiedete Antrag gemäss Traktandum § 13 war umstritten. BGE 132 I 291 S. 292 Zu Diskussionen Anlass gab einerseits die Möglichkeit der zwangsweisen Fusion von Gemeinden. Andererseits standen - vor dem Hintergrund effizienterer Gemeindestrukturen - verschiedene Fusionsmodelle mit unterschiedlicher Anzahl von Gemeinden zur Debatte. Der Landrat hatte Fusionen zu acht und zu drei Gemeinden verworfen und einer Struktur mit zehn Gemeinden ab dem 1. Januar 2011 den Vorzug gegeben. Anlässlich der Landsgemeinde vom 7. Mai 2006 wurde der Bildung von Einheitsgemeinden gemäss Traktandum § 12 zugestimmt. Zur Frage der Fusion von Einheitsgemeinden nach Traktandum § 13 wurden nebst einem Rückweisungsantrag (zwecks Ausarbeitung eines Modells mit drei Gemeinden) und einem Ablehnungsantrag Abänderungsanträge gestellt, die 1) die Fusion von Näfels und Mollis, 2) die Fusion von Netstal, Glarus, Riedern und Ennenda und 3) gemäss Antrag von Kurt Reifler die Fusion zu drei Einheitsgemeinden verlangten. Mit mehreren Eventualabstimmungen und in der Schlussabstimmung beschloss die Landsgemeinde die Fusion sämtlicher Gemeinden zu drei Einheitsgemeinden. Der Antrag über den Ausgleich der unterschiedlichen Vermögensverhältnisse bei den sich zusammenschliessenden Gemeinden sowie die Ermächtigung an den Regierungsrat, die Ergebnisse der Beschlussfassungen der Landsgemeinde zu bereinigen und dem Landrat zu unterbreiten, blieben unbestritten und wurden abgenommen. Erich Leuzinger erhob Stimmrechtsbeschwerde und verlangte die Aufhebung der Landsgemeindebeschlüsse vom 7. Mai 2006 betreffend Traktandum § 13 und die Feststellung, dass der obsiegende Antrag von Kurt Reifler auf Schaffung von drei Gemeinden unzulässig war und daher nicht hätte zur Abstimmung gebracht werden dürfen. Nach einem Meinungsaustausch mit dem Regierungsrat des Kantons Glarus trat das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus auf die Stimmrechtsbeschwerde ein und wies sie mit Urteil vom 6. Juni 2006 ab. Es hielt zusammenfassend fest, der Antrag Reifler stehe in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Beratungsgegenstand, stelle nicht etwas gänzlich Neues dar und habe daher zur Abstimmung gebracht werden dürfen. Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts hat Erich Leuzinger beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde nach Art. 85 lit. a OG erhoben. Das Bundesgericht weist die Stimmrechtsbeschwerde ab. BGE 132 I 291 S. 293 Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Der Beschwerdeführer bezieht sich auf die folgenden Bestimmungen der Verfassung des Kantons Glarus vom 1. Mai 1988 (KV/ GL): "Art. 65 - Verhandlungen 1 Die Grundlage für die Verhandlungen bilden die im Memorial oder im Amtsblatt veröffentlichten Vorlagen des Landrates; andere Gegenstände dürfen nicht beraten werden. 2 Jeder stimmberechtigte Teilnehmer hat das Recht, zu den Sachvorlagen Anträge auf Unterstützung, Abänderung, Ablehnung, Verschiebung oder Rückweisung zu stellen. 3 Abänderungsanträge müssen zum Beratungsgegenstand in einem sachlichen Zusammenhang stehen. 4 (...) 5 Wer sich zu einer Sachvorlage äussern will, hat zuerst seinen Antrag zu formulieren und ihn danach kurz zu begründen." (...) 4. Zur Hauptsache macht der Beschwerdeführer geltend, der Antrag von Kurt Reifler auf unmittelbare Bildung von drei Einheitsgemeinden stehe mit dem Beratungsgegenstand, wie er nach Art. 65 Abs. 1 KV/GL durch den Antrag des Landrates vorgezeichnet sei, nicht in einem hinreichend sachlichen Zusammenhang gemäss Art. 65 Abs. 3 KV/GL , stelle daher einen unzulässigen "andern Gegenstand" im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Satz 2 KV/GL dar, habe zu einer Abstimmung ohne hinreichende Information der Stimmberechtigten geführt und hätte daher als unrechtmässig der Abstimmung nicht unterbreitet werden dürfen. 4.1 Die Grundlage für die Verhandlungen der Landsgemeinde bilden die im Memorial veröffentlichten Vorlagen des Landrates; diese Vorlagen beschränken den Gegenstand für die Verhandlungen der Landsgemeinde, und andere Gegenstände dürfen nicht beraten werden ( Art. 65 Abs. 1 KV/GL ). Im Rahmen der derart vorgezeichneten Verhandlungsgegenstände darf jeder stimmberechtigte Teilnehmer namentlich Abänderungsanträge stellen; Abänderungsanträge müssen indes zum Beratungsgegenstand in einem sachlichen Zusammenhang stehen ( Art. 65 Abs. 2 und 3 KV/GL ). Dieses Antragsrecht stellt ein durch den Beratungsgegenstand beschränktes, bedingtes und für die Glarner Landsgemeinde typisches BGE 132 I 291 S. 294 Initiativrecht dar (vgl. RAINER J. SCHWEIZER, Kommentar zum Entwurf der Verfassung des Kantons Glarus, Bd. I, S. 208 und 212). Die sachliche Beschränkung des Antragsrechts weist Ähnlichkeiten auf mit der so genannten Einheit der Materie in einem weitern Sinne, welche die Zulässigkeit von Gegenvorschlägen zu Volksinitiativen begrenzt (vgl. BGE 113 Ia 46 E. 5a S. 54), darf indes mit dieser nicht gleichgesetzt werden. Im Rahmen der Vorarbeiten zur Kantonsverfassung wurde darauf hingewiesen, dass Abänderungsanträge und ihre Konsequenzen bisweilen schwierig zu beurteilen sind, dass die Beschränkung des Antragsrechts gemäss Art. 65 Abs. 3 KV/GL aber nicht allzu engherzig angewendet werden dürfe (SCHWEIZER, a.a.O., S. 180, 209 und 212). Das Recht, Abänderungsanträge zu stellen, hat zur Folge, dass die Stimmberechtigten, anders als bei einer Urnenabstimmung, eine Vorlage nicht nur annehmen oder verwerfen können, sondern gestaltend auf eine Vorlage einwirken können. Dies stellt gerade den Sinn der Versammlungsdemokratie und ihr "demokratischer Mehrwert" gegenüber der Urnendemokratie dar. Die Stimmberechtigten haben mit Abänderungsanträgen an der Versammlung zu rechnen (Urteil 1P.250/2006 / 1P.264/2006 vom 31. August 2006, E. 4.3). 4.2 Ausgangspunkt des umstrittenen Landsgemeindebeschlusses bildete der Antrag des Landrates auf Änderung der Kantonsverfassung im Hinblick auf die Zusammenlegung der neu gebildeten Einheitsgemeinden. Nachdem der Landrat die Bildung von zehn Einheitsgemeinden vorschlug, stand deren Anzahl zur Diskussion. Es wurden denn auch Abänderungsanträge von Hansjörg Marti auf Bildung von sieben Einheitsgemeinden (unter Zusammenlegung von Mollis und Näfels einerseits und von Netstal, Glarus, Riedern und Ennenda andererseits) gestellt und zugelassen (vgl. Protokoll der Landsgemeinde S. 16). Umgekehrt wären auch Anträge zulässig gewesen, die eine höhere Anzahl von Einheitsgemeinden als die vom Landrat vorgeschlagene verlangt hätten. Damit ist, wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, der erforderliche Sachzusammenhang des Antrags von Kurt Reifler in formeller Hinsicht klar zu bejahen. Auch in materieller Hinsicht kann nicht gesagt werden, dass der Antrag von Kurt Reifler gegenüber der Vorlage des Landrates etwas gänzlich Neues verlangt hätte. Die Traktanden § 12 und 13 waren von vornherein auf eine Änderung der Gemeindestrukturen von weitreichender grundsätzlicher Bedeutung ausgerichtet. Es war BGE 132 I 291 S. 295 nicht nur die Bildung von Einheitsgemeinden (anstelle der Ortsgemeinden, Tagwen, Schulgemeinden und Fürsorgegemeinden) vorgeschlagen, sondern auch eine radikale Verkleinerung der Anzahl der 25 Einheitsgemeinden beantragt worden. Wie dargetan, stand nicht nur ein Modell mit zehn Einheitsgemeinden, sondern auch ein solches mit sieben zur Diskussion. Im Vergleich mit diesen Anträgen stellt der Antrag von Kurt Reifler nicht etwas grundsätzlich Anderes dar. Er verfolgt darüber hinaus keine wesentlich andere Zielrichtung als die behördliche Vorlage und lässt sich mit dem angegebenen Zweck der Reform der Gemeindestrukturen - Stärkung der Gemeinden und Sicherung von deren Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit, Vereinfachung der Gemeindestrukturen, Stärkung der finanziellen Basis der Gemeinden, Sicherung von Qualität und Professionalität (vgl. Memorial S. 141-146) - ohne weiteres vereinbaren. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann auch nicht gesagt werden, dass das Modell mit drei Einheitsgemeinden vollkommen unerwartet gestellt worden ist. Wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil dargelegt hat, wurde das Dreier-Modell im Rahmen der Vorarbeiten zur Gemeindestrukturreform diskutiert und im Landrat beraten. Vorgängig der Landsgemeinde war davon in der Presse die Rede. Und im Memorial ist auf das - vom Landrat schliesslich verworfene - Dreier-Modell hingewiesen worden. Im Übrigen liegt es in der Natur einer Gemeindeversammlung oder Landsgemeinde (oben E. 4.1 a.E.), dass mit Überraschungen zu rechnen ist. Schliesslich beanstandet der Beschwerdeführer, dass die stimmberechtigten Teilnehmer nicht über hinreichende Informationen zum Modell mit drei Einheitsgemeinden verfügt hätten. In dieser Hinsicht ist einzuräumen, dass die Konsequenzen eines Zusammenschlusses zu drei Einheitsgemeinden mangels entsprechender Informationen im Memorial nicht in gleicher Weise bekannt waren wie jene des vom Landrat vorgeschlagenen Modells. Angesichts des Antragsrechts aus den Reihen der Stimmberechtigten hat dies für sich genommen nicht die Unzulässigkeit des Antrages von Kurt Reifler zur Folge. Zum einen hätte auch der Antrag auf Zusammenschluss der Gemeinden Mollis und Näfels bzw. Netstal, Glarus, Riedern und Ennenda gewichtige Abweichungen von der Vorlage des Landrates zur Folge gehabt. Zum andern bringt es das Recht auf Abänderungsanträge, soll es nicht seines Sinnes entleert werden, BGE 132 I 291 S. 296 systemimmanent mit sich, dass weniger Ausgereiftes vorgeschlagen und schliesslich auch angenommen wird. Dies verhält sich bei Vorlagen zur Änderung der Kantonsverfassung gleich wie bei Gesetzesvorlagen. Es ist unter dem Gesichtswinkel der politischen Rechte nicht ersichtlich, dass das Antragsrecht bei Verfassungsvorlagen restriktiver zu handhaben wäre als bei Gesetzesvorlagen. 4.3 Zusammenfassend ergibt sich, dass der Antrag Reifler keinen "andern Gegenstand" im Sinne von Art. 65 Abs. 1 KV/GL betraf, in einem sachlichen Zusammenhang mit der Vorlage des Landrates gemäss Art. 65 Abs. 3 KV/GL stand und damit als rechtmässiger Abänderungsantrag der Landsgemeinde zur Abstimmung vorgelegt werden durfte. Somit erweist sich die Beschwerde in diesem Punkte als unbegründet. Seite 237 Zeile 1 von unten: l'art. 83 (statt l'art. 183)
de
fe793b22-88d0-43e7-b4a4-5c0b2c59bfde
Sachverhalt ab Seite 201 BGE 145 V 200 S. 201 A. Der 1956 geborene A. arbeitete vom 1. Juli 2003 bis 30. September 2017 vollzeitlich als Direktor Vertrieb Schweiz der B. GmbH, Deutschland. Er ist deren Gesellschafter mit einem Stammanteil von 12 %. Der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, Ausgleichskasse, leistete er Beiträge für Arbeitnehmende ohne beitragspflichtigen Arbeitgeber (ANOBAG). Am 10. Oktober 2017 meldete er sich zum Leistungsbezug bei der Arbeitslosenversicherung an, da er aufgrund der schlechten Auftragslage sein Arbeitspensum für die B. GmbH reduziert hat. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich verneinte einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, da A. arbeitgeberähnliche Stellung besitze. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 27. März 2018 fest. B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 23. Juli 2018 ab. C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm ab 2. Oktober 2017 Arbeitslosenentschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zwecks weiterer Sachverhaltsabklärung an die Arbeitslosenkasse oder die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner sei ihm für das kantonale und das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren eine angemessene Prozessentschädigung zu gewähren. Auf einen Schriftenwechsel wird verzichtet. D. Am 20. März 2019 hat das Bundesgericht eine öffentliche Beratung durchgeführt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht den einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung verneinenden Einspracheentscheid vom 27. März 2018 bestätigte. BGE 145 V 200 S. 202 3. 3.1 Die Vorinstanz erwog, der Versicherte sei einer der vier Gesellschafter der B. GmbH, einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft. Die anderen Gesellschafter seien mit einem Stammanteil von 12, 25 und 51 % am Gesellschaftskapital von Euro 25'000.- beteiligt. Die Rechte der Gesellschafter richteten sich nach den §§ 46 bis 51 des Gesetzes vom 20. April 1892 betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG; Reichsgesetzblatt 1892 S. 477) und dem Gesellschaftsvertrag der Unternehmung. Gemäss § 10 Ziff. 4 der Satzung der B. GmbH (vom 26. August 2003) sei die Gesellschafterversammlung gegenüber den Geschäftsführern weisungsbefugt. Habe die Gesellschaft keinen Geschäftsführer, werde sie durch die Gesellschafter vertreten (§ 35 GmbHG). Der Versicherte besitze als Gesellschafter zusätzliche Rechte, die einem Arbeitnehmer ohne Gesellschaftereigenschaft nicht zustehen würden. Die für die Unternehmung massgeblichen Entscheide treffe die Gesellschafterversammlung. Zusammen mit dem zu 51 % an der GmbH beteiligten Gesellschafter sei es dem Beschwerdeführer möglich, Beschlüsse in seinem Sinne zu fassen und die Entscheidungen der Arbeitgeberin massgeblich zu beeinflussen. Dies schliesse eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung nicht aus. 3.2 Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, er sei nicht Geschäftsführer. Im Gegensatz zum schweizerischen Gesellschaftsrecht nach Art. 809 Abs. 1 OR kenne das deutsche GmbHG die Selbstorganschaft nicht, weshalb (zwingend) ein Geschäftsführer bestellt werden müsse (§ 6 Abs. 2 GmbHG). Dies sei vorliegend zentral, denn damit habe er keinen massgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Ebenso wenig beinhalte seine Stellung als Gesellschafter bestimmenden Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungen, da er lediglich Minderheits- und Auskunftsrechte besitze. Wenn die Vorinstanz aufgrund dieser Rechte auf eine massgebliche Einflussnahme schliesse, sei dies willkürlich. Weiter sei nach deutscher Rechtsprechung gemäss Bundesarbeitsgericht ein Minderheitsgesellschafter, der über keine Sperrminorität verfüge, als Arbeitnehmer zu qualifizieren, weil er keinen grossen Einfluss auf die Führung der Gesellschaft ausüben könne (Beschluss des BAG vom 17. September 2014, 10 AZB 43/14). Als selbstständigerwerbend habe das deutsche Bundessozialgericht einen Gesellschafter nur dann angesehen, wenn es sich um einen Mehrheitsgesellschafter handle oder wenn dieser bei geringerer Kapitalbeteiligung eine Sperrminorität habe (Urteil des BGE 145 V 200 S. 203 BSG vom 11. November 2015, B 12 R 2/14 R). Diese Voraussetzungen seien beim Beschwerdeführer mit einem Stammanteil von 12 % nicht gegeben. Es mangle ihm an der erforderlichen Rechtsmacht, um aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht als selbstständigerwerbend qualifiziert zu werden. Die Vorinstanz verletze daher deutsches Recht. Eine massgebliche Einflussnahme sei überdies auch ohne Anwendung deutschen Rechts zu verneinen. Mit Blick auf die Stammanteile sei augenscheinlich, dass hier derjenige Gesellschafter mit 51 % das einfache Mehr halte und daher faktisch die gesamten Entscheidungen der Gesellschaft dominiere und fälle. Hierzu benötige es die 12 % Stammanteil des Beschwerdeführers nicht. Er könne daher die Geschicke der GmbH nicht in massgeblicher Art und Weise beeinflussen. Der anderslautende Entscheid der Vorinstanz verstosse gegen Art. 8 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG (SR 837.0). 4. 4.1 Gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG haben Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Praxisgemäss ist diese der Vermeidung von Missbräuchen dienende Bestimmung analog auf arbeitgeberähnliche Personen und deren Ehegatten anzuwenden, die Arbeitslosenentschädigung verlangen ( BGE 123 V 234 E. 7b/bb S. 238; BGE 122 V 270 E. 3 S. 272 mit Hinweisen). 4.2 Hervorzuheben ist, dass die Frage, ob Arbeitnehmende einem obersten betrieblichen Entscheidungsgremium angehören und ob sie in dieser Eigenschaft massgeblich Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen nehmen können, aufgrund der internen betrieblichen Struktur zu beantworten ist ( BGE 122 V 270 E. 3 S. 272; ARV 2004 S. 196, C 113/03 E. 3.2). Keine Prüfung des Einzelfalles ist erforderlich, wenn sich die massgebliche Entscheidungsbefugnis bereits aus dem Gesetz selbst (zwingend) ergibt. Dies gilt insbesondere für die Gesellschafter einer GmbH ( Art. 804 ff. OR ) sowie die (mitarbeitenden) Verwaltungsräte einer AG, für welche das Gesetz in der Eigenschaft als Verwaltungsrat in Art. 716-716b OR verschiedene, nicht übertrag- und entziehbare, die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmende oder massgeblich beeinflussende Aufgaben vorschreibt ( BGE 123 V 234 E. 7a S. 237; BGE 122 V 270 E. 3 S. 273; ARV 2018 S. 101, 8C_412/2017 E. 5.1; 2004 S. 196, C 113/03; 2002 Nr. 28 BGE 145 V 200 S. 204 S. 183, C 373/00; 1996/97 Nr. 10 S. 48, C 35/94; Nr. 31 S. 170, C 296/96; Nr. 41 S. 224, C 42/97; Urteile 8C_776/2011 vom 14. November 2012 E. 3.2; 8C_140/2010 vom 12. Oktober 2010 E. 4.2 mit weiteren Hinweisen). 4.3 Die Frage der Verletzung von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG (in analoger Anwendung) beurteilt sich nach schweizerischem Recht. Der vorliegende Fall bietet Anlass, sich vertieft mit dem rechtsprechungsgemässen absoluten Ausschluss vom Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung eines Gesellschafters einer GmbH zu befassen. 4.4 4.4.1 Nicht stichhaltig ist vorab das Argument des Beschwerdeführers, er sei Minderheitsgesellschafter ohne Sperrminorität. Die von ihm hierzu genannte deutsche Rechtsprechung bezieht sich auf die in der Sozialversicherung bestehende Versicherungs- und Beitragspflicht und die damit zusammenhängende Frage, wann einer Person Arbeitnehmereigenschaft und damit Sozialversicherungspflicht zukommt und wann sie als versicherungsfreie Selbstständigerwerbende zu qualifizieren ist. Diese Problematik interessiert im vorliegenden Kontext nicht, da von keiner Seite angezweifelt wird, dass der Beschwerdeführer beitragsrechtlich als Arbeitnehmer gilt. Über seine arbeitgeberähnliche Stellung im arbeitslosenversicherungsrechtlichen Zusammenhang ist damit aber noch nicht entschieden, denn eine arbeitgeberähnliche Funktion im Betrieb kann zur Verneinung der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenentschädigung führen, obwohl die versicherte Person beitragsrechtlich als arbeitnehmend erfasst ist, weshalb die in der Beschwerde genannten Abgrenzungskriterien (nach deutschem Sozialversicherungsrecht) hier von vornherein nicht relevant sind. 4.4.2 Von entscheidender Bedeutung ist ebenso wenig, dass § 6 Abs. 1 GmbHG zwingend die Bestimmung eines Geschäftsführers vorsieht, während nach der dispositiven Regelung in Art. 809 Abs. 1 OR die Gesellschafter die Geschäftsführung gemeinsam ausüben (sogenannte Selbstorganschaft; vgl. Urteil 4A_8/2014 vom 6. Juni 2014 E. 2.3). Aus den diesbezüglichen Darlegungen des Beschwerdeführers ergibt sich nicht, was er hieraus zu seinen Gunsten ableiten will. Für die Beurteilung seiner Stellung als Gesellschafter ist diese unterschiedliche Regelung irrelevant. 4.5 4.5.1 Oberstes Organ der GmbH ist die Gesellschafterversammlung ( Art. 804 Abs. 1 OR ). Ihr sind die wichtigsten Aufgaben innerhalb BGE 145 V 200 S. 205 der Gesellschaft zugeordnet. Als Versammlung der Anteilseigner und somit der Träger des wirtschaftlichen Risikos muss es ihr vorbehalten bleiben, über die bedeutsamsten Grundsätze zu entscheiden. Eine Vielzahl von Befugnissen sind ihr unübertragbar zugewiesen. Diese erlauben es den Gesellschaftern, über die Gesellschafterversammlung einen viel stärkeren Einfluss auf die Geschäftsführung zu nehmen, als dies der Aktionär an der Generalversammlung kann ( Art. 804 Abs. 2 OR ; Art. 698 OR ). Die unübertragbaren Befugnisse eines Gesellschafters einer GmbH nach Art. 804 Abs. 2 OR sind mit Blick auf die arbeitslosenversicherungsrechtliche Qualifikation einer arbeitgeberähnlichen Person nicht anders zu werten als jene eines Verwaltungsrates einer AG: Die Gesellschafterversammlung bestimmt die Statuten, ihr obliegt die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern und die Wahl und Abberufung der Revisionsstelle, sie nimmt die Jahresrechnung ab, sie bestimmt die Geschäftsleitung, sie entlastet die Geschäftsführung und entscheidet über Gewinn- oder Verlustverwendung. Zusätzliche Kompetenzen können der Gesellschafterversammlung durch die Statuten übertragen ( Art. 804 Abs. 2 Ziff. 18 OR ) und für bestimmte Geschäfte ein Genehmigungsvorbehalt vorgesehen werden. Dies gilt ebenfalls für an sich unübertragbare Aufgaben des Geschäftsführers, die mit dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Gesellschafterversammlung verknüpft werden können ( Art. 811 OR ; vgl. Art. 716b OR ), die damit direkten Einfluss auf die Geschäfte des Unternehmens ausübt. 4.5.2 Als personenbezogen ausgestaltete Kapitalgesellschaft besitzt die GmbH überdies eine persönliche Nähe zu den Gesellschaftern. Die engere Verbindung zwischen den Gesellschaftern und der GmbH im Verhältnis zu den Aktionären und der AG zeigt sich u.a. auch dadurch, dass alle Gesellschafter bereits von Gesetzes wegen die Geschäfte im Sinne der Selbstorganschaft führen ( Art. 809 Abs. 1 OR ), sofern die Statuten nichts anderes vorsehen. Die personenbezogene Ausgestaltung der GmbH mit in der Regel kleinem Gesellschafterkreis bringt es sodann mit sich, dass die GmbH als Schutz eine Treuepflicht der Gesellschafter mit einem Konkurrenzverbot kennt ( Art. 803 OR ). Die Nähe der Gesellschafter zu ihrer GmbH wird ferner dadurch deutlich, dass ein Gesellschafter dem Gericht beantragen kann, einem Geschäftsführer die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zu entziehen oder zu beschränken, wenn ein wichtiger Grund vorliegt ( Art. 815 Abs. 2 OR ; zum Ganzen: MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 2018, BGE 145 V 200 S. 206 § 18 S. 688 ff.; PETER FORSTMOSER, Das neue Recht der Schweizer GmbH, in: Festschrift für Peter Böckli zum 70. Geburtstag, 2006, S. 542 ff.; und Botschaft vom 19. Dezember 2001 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht], BBl 2002 3148 ff.). 4.5.3 Diese gesetzliche Ausgestaltung der Befugnisse der Gesellschafterversammlung und derjenigen jedes einzelnen Gesellschafters (mit oder ohne Geschäftsführertätigkeit) zeigt in Bezug auf die hier relevante Frage der arbeitgeberähnlichen Stellung eines Gesellschafters auf, dass das Risiko eines Missbrauchs von Arbeitslosenversicherungsleistungen bei einem Gesellschafter einer GmbH, nicht zuletzt unter Berücksichtigung des personenbezogenen Charakters der Unternehmung, womit auch die Gefahr einer abredeweisen Einflussnahme der Gesellschafter untereinander besteht, nicht verneint werden kann. Diesem Missbrauchsrisiko könnte daher auch nicht mit der Einführung einer für den Leistungsausschluss ohne Prüfung des Einzelfalls vorausgesetzten bestimmten Höhe des Stammanteils (von beispielsweise mindestens 30 %; vgl. BORIS RUBIN, Commentaire de la loi sur l'assurance-chômage, 2014, N. 26 zu Art. 10 AVIG ) begegnet werden. Sachliche Gründe fehlen für eine solche Grenzziehung. Damit würde eine ungerechtfertigte Privilegierung der Minderheitsgesellschafter einer GmbH geschaffen, die der gesetzlich geregelten Einflussnahme eines Gesellschafters auf die Unternehmung nicht entspricht. An der Rechtsprechung, wonach dem Gesellschafter unabhängig von der Höhe seines Stammanteils von Gesetzes wegen eine Einflussmöglichkeit auf die Geschicke der Gesellschaft zusteht, die einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ausschliesst, ist daher festzuhalten. Eine Rechtsprechungsänderung kommt zudem nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen in Frage. Sprechen keine entscheidenden Gründe zugunsten einer Änderung, ist die bisherige Praxis beizubehalten. Gegenüber dem Postulat der Rechtssicherheit lässt sich eine Rechtsprechungsänderung grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht. Solche ernsthaften sachlichen Gründe liegen, wie aufgezeigt, nicht vor und werden auch nicht geltend gemacht ( BGE 137 V 282 E. 4.2 S. 291; BGE 135 I 79 E. 3 S. 82; je mit Hinweisen). BGE 145 V 200 S. 207 4.6 4.6.1 Zu klären gilt es weiter, ob dieser Leistungsausschluss, wie er für einen Gesellschafter einer schweizerischen GmbH besteht, auch bei einer GmbH nach deutschem Recht gilt. 4.6.2 Auch bei der deutschen GmbH besorgen die Geschäftsführer die Angelegenheiten der GmbH nach den Weisungen der Gesellschafterversammlung und im Rahmen von Gesetz und Satzung (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Oberstes beschliessendes Organ der GmbH ist die Gesellschafterversammlung, in der die Gesamtheit der Gesellschafter repräsentiert ist. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich - soweit nicht Gesetz oder Satzung etwas anderes bestimmen - auf alle Angelegenheiten der GmbH (§ 45 GmbHG), die nicht in die genuine Zuständigkeit der Geschäftsführung fallen. Die Gesellschafter fassen ihre Beschlüsse in der Versammlung (§ 48 Abs. 1 GmbHG). Nichts anderes ergibt sich aus der Satzung der B. GmbH vom 26. August 2003. Danach bedarf es eines Beschlusses der Gesellschafter für die Feststellung des Jahresabschlusses und die Entlastung der Geschäftsführung, die Aufnahme von Bankkrediten und sonstigen Krediten und Bürgschaften, für den Erwerb, die Veräusserung und Belastung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten, die Übernahme von Versorgungsleistungen, insbesondere Pensionsverpflichtungen sowie für alle Geschäfte, welche die Gesellschafter durch Gesellschaftsbeschluss für zustimmungspflichtig erklären. Die Geschäftsführung erstreckt sich dementsprechend auf Handlungen und Rechtsgeschäfte, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb mit sich bringt und welche zur Erreichung des Gesellschaftszwecks erforderlich erscheinen. Zur Vornahme von Handlungen, die über den gewöhnlichen Geschäftszweck hinausgehen, ist die Zustimmung der Gesellschafterversammlung erforderlich. 4.6.3 Die deutsche GmbH ist ferner ebenso wie die schweizerische stärker personenbezogen als die Aktiengesellschaft und weist ebenso wie die GmbH nach OR meist eine geringe Gesellschafterzahl aus, weshalb zusätzliche Gesellschafterpflichten relativ häufig vorkommen (beispielsweise Geschäftsführertätigkeit, Treuepflichten und Konkurrenzverbote). Daraus erhellt, dass sich die Stellung der Gesellschafter in der GmbH nach schweizerischem und nach deutschem Recht in Bezug auf die zu beurteilende Problematik, wenn überhaupt, nur geringfügig unterscheidet. 4.6.4 Nach dem Gesagten rechtfertigt sich demnach die Anwendung der Rechtsprechung zur arbeitgeberähnlichen Stellung der BGE 145 V 200 S. 208 Gesellschafter einer GmbH nach schweizerischem OR auch auf die Gesellschafter einer GmbH nach deutschem GmbHG. Dies führt ohne weitere Prüfung seiner konkreten Einflussnahme in der Gesellschaft zum Leistungsausschluss des Beschwerdeführers kraft seiner Eigenschaft als Gesellschafter, da sich diesfalls die Einflussmöglichkeit von Gesetzes wegen ergibt (vgl. THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 2405 Rz. 464 f. mit weiteren Hinweisen und BORIS RUBIN, a.a.O., N. 40 f. zu Art. 31 AVIG ). Damit hat es beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.
de
5141c87e-fd01-4409-86e4-09a78effc4be
Sachverhalt ab Seite 284 BGE 129 III 284 S. 284 A.- A. und dessen Gläubiger schlossen am 30. März 2001 einen ordentlichen Nachlassvertrag, mit dem sich der Schuldner zur vollständigen Befriedigung der privilegierten und einer Nachlassdividende der angemeldeten Forderungen von 20% verpflichtete. B. und dessen Gläubiger schlossen am 19. Oktober 2001 ebenfalls einen BGE 129 III 284 S. 285 ordentlichen Nachlassvertrag, der die volle Deckung der privilegierten Forderungen und eine Nachlassdividende von 10% vorsah. Ziffer 10 der beiden Nachlassverträge lautet wie folgt: "Vorbehältlich der Erfüllung dieses Nachlassvertrages erklärt der Gläubiger den Rückzug der Betreibung." Der Gerichtspräsident 4 von Biel-Nidau bestätigte am 15. Mai 2001 den Nachlassvertrag mit A. und am 13. Dezember 2001 denjenigen mit B. B.- Mit Verfügung vom 2. September 2002 eröffnete das Betreibungsamt Berner Jura-Seeland A. und B., dass das nach Vollzug der Nachlassverträge eingereichte Gesuch um Löschung der Betreibungen gestützt auf die erwähnte Klausel abgelehnt werde. Es hielt zur Begründung fest, dass Dritten nur dann keine Kenntnis von Betreibungen gegeben werden könne, wenn schriftliche und von den Betreibungsgläubigern unterzeichnete Erklärungen vorliegen. Gegen diese Verfügung erhoben A. und B. Beschwerde und verlangten, das Betreibungsamt sei anzuweisen, Dritten gegenüber von sämtlichen gegen sie zur Zeit der Genehmigung des Nachlassvertrages im Betreibungsregister eingetragenen Betreibungen keine Kenntnis mehr zu geben. Mit Entscheiden vom 13. Dezember 2002 wies die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern die Beschwerden ab. C.- A. und B. haben die Entscheide der Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschriften vom 23. Dezember 2002 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragen, die angefochtenen Entscheide seien aufzuheben und das Betreibungsamt sei anzuweisen, Dritten gegenüber von sämtlichen gegen sie zur Zeit der Genehmigung des Nachlassvertrages im Betreibungsregister eingetragenen Betreibungen keine Kenntnis mehr zu geben. Die Aufsichtsbehörde hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Weitere Vernehmlassungen sind nicht eingeholt worden. Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Die Beschwerdeführer machen im Wesentlichen geltend, die im bestätigten Nachlassvertrag enthaltene Klausel stelle eine gültige Erklärung des Gläubigers zum Rückzug seiner Betreibung dar. Die Klausel könne ohne weiteres Inhalt eines ordentlichen Nachlassvertrages BGE 129 III 284 S. 286 sein, weil Art. 314 Abs. 1 SchKG nur dessen Mindestinhalt definiere und der Nachlassrichter den ganzen Nachlassvertrag genehmigt habe, so dass sich dessen Rechtskraft und Verbindlichkeit für alle Gläubiger auch auf die fragliche Klausel beziehe und daher durchsetzbar sei. Schliesslich gehe der Zweck des Nachlassvertrags verloren, wenn Dritte weiter Einsicht in frühere Betreibungen des Nachlassschuldners hätten. 3.1 Welche Auskünfte zu verhindern sind, weil sie keinen genügenden Rückschluss auf die Kreditwürdigkeit des Betroffenen zulassen, bestimmt Art. 8a Abs. 3 SchKG . So darf das Betreibungsamt Dritten keine Kenntnis von der Betreibung geben, wenn der Gläubiger die Betreibung zurückgezogen hat (lit. c). Dabei spielt es nach der Rechtsprechung keine Rolle, wann der Rückzug erfolgt, insbesondere ob er vor oder nach der Zahlung (an den Gläubiger oder an das Betreibungsamt) stattgefunden hat ( BGE 126 III 476 E. 2b S. 478). Da der Gläubiger den Rückzug nicht zu begründen braucht und das Stadium der Betreibung beim Rückzug keine Rolle spielt (vgl. DOMINIK GASSER, in: BlSchK 2001 S. 84), ist auch nicht ausgeschlossen, dass Betreibungen, welche dem Nachlassvertrag unterliegende Forderungen betreffen und mit dessen Bestätigung dahinfallen ( Art. 311 SchKG ; HARDMEIER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 1 und 3 zu Art. 311 SchKG ), zurückgezogen werden können. Voraussetzung ist allerdings nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes und der erwähnten Rechtsprechung, dass die entsprechende Erklärung des Gläubigers vorliegt. Dies ist nach den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn die Aufsichtsbehörde geschlossen hat, dass diejenigen Gläubiger, die dem Nachlassvertrag bzw. der darin enthaltenen Rückzugsklausel nicht zugestimmt haben, ihre Betreibung auch nicht zurückgezogen haben. 3.2 Die Beschwerdeführer leiten sodann zu viel für sich aus Art. 314 SchKG ab. Diese Bestimmung schreibt den materiellen Mindestinhalt des ordentlichen Nachlassvertrages vor, was einzig bedeutet, dass zulässiger und möglicher Vertragsinhalt der Stundungsvergleich, der Prozentvergleich (wie hier) oder eine Kombination dieser Arten ist (BBl 1991 III 190). Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, das Erfordernis, dass der Gläubiger den Rückzug der Betreibung erkläre, falle durch die Bestätigung des Nachlassvertrages dahin bzw. werde gleichsam derogiert, gehen sie fehl. Zum einen verkennen sie, dass das gerichtliche BGE 129 III 284 S. 287 Nachlassverfahren dem (öffentlichen) Zwangsvollstreckungsrecht untersteht ( BGE 105 III 92 E. 2b S. 95), dessen Regeln - und damit auch Art. 8a Abs. 3 lit. c SchKG bzw. das Erfordernis der Rückzugserklärung von Seiten des Betreibungsgläubigers - unbedingt einzuhalten sind. Zum anderen gibt das Betreibungsamt u.a. nur dann Dritten keine Kenntnis von einer Betreibung, wenn deren Aufhebung zufolge einer Beschwerde oder eines Urteils erfolgt ist ( Art. 8a Abs. 3 lit. a SchKG ; vgl. GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 38 ff. zu Art. 8a SchKG ). Diesem Tatbestand kann ein Nachlassvertrag von vornherein nicht gleichgesetzt werden, da sich daraus nicht entnehmen lässt, ob die Betreibung ungerechtfertigt gewesen ist (vgl. BGE 125 III 334 E. 3 S. 336). Vor diesem Hintergrund ergibt sich, dass die im gerichtlichen Nachlassvertrag erwähnte Klausel zum Rückzug keine Wirkung dahingehend entfalten kann, dass sie einen Rückzug der Betreibungen durch die nicht zustimmenden Nachlassgläubiger darstelle. 3.3 Nach dem Dargelegten ist nicht zu beanstanden, wenn die Aufsichtsbehörde zum Ergebnis gelangt ist, das Betreibungsamt habe zu Recht die fraglichen Betreibungen im Betreibungsregister als "Aufgehoben durch Nachlass" vermerkt, und es liege kein Grund zum Ausschluss des Auskunftsrechts gemäss Art. 8a Abs. 3 SchKG vor. Die Beschwerden sind unbegründet. 3.4 Anzufügen bleibt, dass die Betreibung, welche durch die (gemäss Art. 308 Abs. 1 SchKG dem Betreibungsamt mitzuteilende) Bestätigung des Nachlassvertrages dahingefallen ist, im Betreibungsbuch durch den Buchstaben "E" zu vermerken ist ("Erlöschen aus anderen Gründen"; Art. 10 der Verordnung über die im Betreibungs- und Konkursverfahren zu verwendenden Formulare und Register sowie die Rechnungsführung [VFRR; SR 281.31] ).
de
98d75683-20ba-4079-a756-5b03d969a7fe
Sachverhalt ab Seite 81 BGE 121 III 81 S. 81 Am 19. Oktober 1994 erhob M. beim Bezirksgericht Uster als untere Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde gegen den Auszug aus dem Betreibungsregister des Betreibungsamtes Y. und beantragte, den die Betreibung Nr. ... betreffenden Eintrag im Betreibungsregister zu löschen, so dass er auf dem Auszug nicht mehr erscheine; zur Begründung BGE 121 III 81 S. 82 brachte er vor, diese Betreibung sei von der Gläubigerin irrtümlich angehoben worden, was diese denn auch bestätigte. Das Bezirksgericht Uster wies die Beschwerde mit Beschluss vom 6. Dezember 1994 ab. Einen dagegen eingereichten Rekurs wies das Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs seinerseits am 5. Januar 1995 ab. Mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt M., den Beschluss vom 5. Januar 1995 aufzuheben und die fragliche Betreibung für die amtsexterne Öffentlichkeit zu löschen. In ihrer Vernehmlassung bestätigt die Gläubigerin die irrtümliche Einleitung der Betreibung und weist darauf hin, dass sie deswegen beim Betreibungsamt Y. um deren Löschung ersucht habe. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer heisst den Rekurs im Sinne der Erwägungen gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. a) Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde ( Art. 81 OG i.V.m. Art. 63 Abs. 2 OG ) wurde die strittige Betreibung durch den Gläubiger irrtümlicherweise angehoben. Ob in einem solchen Fall mit dem Eintrag im Betreibungsregister gleich wie bei nichtigen Betreibungen verfahren werden kann, hat das Bundesgericht bisher, soweit ersichtlich, noch nicht dargelegt. Insbesondere ging es in BGE 119 III 97 ff. nicht um diese Problematik. Dieser Entscheid betraf vielmehr den Fall, in dem der Gläubiger parallel zur an sich berechtigten Betreibung Verhandlungen mit dem Schuldner geführt und im Anschluss an die Einigung unter den Parteien die Betreibung zurückgezogen hat ( BGE 119 III 97 E. 3a S. 99). Zudem hatte der Schuldner dort um Löschung des Eintrags ersucht. b) Während von einem vereinzelten Autor die Ansicht vertreten wird, dass es sich auch bei einer vom Gläubiger irrtümlicherweise eingeleiteten Betreibung rechtfertige, diese der amtsexternen Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich zu machen (vgl. SUTER/VONDERMÜHLL, Die Löschung von Betreibungen unter besonderer Berücksichtigung der Praxis beim Betreibungsamt Basel-Stadt, BlSchK 52/1988 S. 217 ff., insbesondere S. 218/219), erachtet die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons BGE 121 III 81 S. 83 Basel-Stadt dieses Vorgehen selbst dann für unzulässig, wenn der Gläubiger den Irrtum schriftlich bestätigt (BlSchK 58/1994, Nr. 39 S. 127 ff.). Zur Begründung wird dabei angeführt, da objektive Kriterien zur Feststellung des Irrtums weitgehend fehlten, frage es sich, wie ein Betreibungsbeamter entscheiden könne, ob sich der Gläubiger vor Anhebung der Betreibung geirrt habe. Die Anerkennung der Möglichkeit zur Unterdrückung eines Registereintrages eröffne insbesondere auch die Gefahr des Missbrauchs, könne sich doch ein Gläubiger nach Erhebung des Rechtsvorschlages durch den Schuldner etwa veranlasst sehen, dessen nun zügige Zahlung mit dem Versprechen zu erkaufen, er werde die Löschung der Betreibung wegen Irrtums beantragen. Es sei nicht Sache des Betreibungsamtes, sich in dieser Frage zum Richter zu machen. Der Betreibungsbeamte könne nicht auf einfache Weise überprüfen, ob dem Antrag auf Löschung stattzugeben sei oder nicht. Hinzu komme, dass die Zulassung der Unterdrückung von Registereinträgen sich für einen Schuldner, der sich zum Beispiel aus Unkenntnis um diese Möglichkeit nicht um die an sich berechtigte Löschung bemüht habe, noch nachteiliger auswirken werde; im übrigen verzerre sie das Bild für den das Register einsehenden Dritten (BlSchK 58/1994 S. 131). 4. a) Im Geschäfts- und Sozialleben wird der Tatsache Bedeutung beigemessen, dass jemand betrieben worden ist ( BGE 119 III 97 E. 1 S. 98; BGE 115 III 81 E. 3b S. 87). Das Betreibungsregister wird konsultiert, um die Kreditwürdigkeit eines Bewerbers zu beurteilen, für die Behandlung von Zulassungsgesuchen bei bewilligungsbedürftigen Berufen oder auch vor Abschluss einer Wohnungsmiete. Selbstverständlich kann der Betroffene allenfalls gegenüber dem Auskunft Suchenden nachweisen, dass bestimmte Betreibungen ungerechtfertigt waren. Dies erweist sich allerdings als umständlich, besonders wenn der Nachweis mehrmals erbracht werden muss; sodann bleibt fraglich, ob Ruf und Kreditwürdigkeit nicht dennoch Schaden nehmen (SUTER/VONDERMÜHLL, a.a.O. S. 215). Der Betroffene hat damit ein gewichtiges, persönliches Interesse daran, dass eine ungerechtfertigte Betreibung Dritten nicht zugänglich gemacht wird, weshalb denn auch nichts dagegen spricht, eine auf Irrtum des Gläubigers beruhende und damit ungerechtfertigte Betreibung der amtsexternen Öffentlichkeit vorzuenthalten. Das amtliche Interesse am Registereintrag wird dadurch gewahrt, dass die Eintragung, wie im Fall der Nichtigkeit der Betreibung aufgezeigt ( BGE 115 III 24 E. b S. 27 unten), nicht schlechtweg zum Verschwinden gebracht, sondern mit einem entsprechenden Vermerk BGE 121 III 81 S. 84 gekennzeichnet wird und so für das Betreibungsamt und die Aufsichtsbehörden sichtbar bleibt. Damit wird namentlich auch der erhöhten Beweiskraft, die dem Register gestützt auf Art. 8 Abs. 3 SchKG bzw. Art. 9 ZGB zuteil wird ( BGE 119 III 97 E. 2 S. 98), Rechnung getragen. Im weiteren ist nicht ersichtlich, welches Interesse der Dritte an der Mitteilung einer irrtümlich eingeleiteten und damit ungerechtfertigten Betreibung haben könnte, zumal dieser Eintrag keinen Aufschluss über Liquidität und Zahlungsmoral des Betriebenen geben kann (vgl. SUTER/VONDERMÜHLL, a.a.O. S. 219 oben). b) Ferner vermögen auch die Bedenken der kantonalen Rechtsprechung (BlSchK 58/1994 S. 131) eine andere Behandlung der auf Irrtum des Gläubigers beruhenden Betreibung nicht zu rechtfertigen: Um dem Betreibungsamt die Überprüfung des Irrtums des Gläubigers zu ermöglichen, genügt es, wenn der Betriebene dazu angehalten wird, zusammen mit seinem Gesuch eine vom Gläubiger unterschriebene Erklärung beizubringen, in der dieser kurz den Irrtum und die Gründe, welche dazu geführt haben, darlegt. Damit dürfte das Amt durchaus in der Lage sein, rasch und problemlos berechtigte Gesuche von rechtsmissbräuchlichen zu unterscheiden. Bedenken gegen diese Lösung sind um so weniger angebracht, als es dem Amt in unklaren bzw. mangelhaft begründeten Fällen unbenommen bleibt, dem Begehren nicht zu entsprechen und den Betriebenen an die Aufsichtsbehörde zu verweisen. Im konkreten Fall sind die Einwände der kantonalen Rechtsprechung hinsichtlich der Überprüfungsmöglichkeit des Betreibungsamtes ohnehin nicht von Belang, zumal der Rekurrent die obere kantonale Aufsichtsbehörde davon überzeugt hat, dass die Betreibung auf einem Irrtum der Gläubigerin beruht. Diese Feststellung wurde von der Gläubigerin denn auch vor Bundesgericht bestätigt. Angesichts der Bedeutung des Registereintrages für den Schuldner und des damit verbundenen, gewichtigen privaten Interesses an der Vorenthaltung einer nicht gerechtfertigten Betreibung gegenüber dem Auskunft ersuchenden Dritten ist dem Begehren des Rekurrenten stattzugeben. Dass nicht jeder Schuldner ein an sich berechtigtes Gesuch um Vorenthaltung einer nicht gerechtfertigten Betreibung stellen wird, muss wegen des im Spiele stehenden Interesses ebenso in Kauf genommen werden wie der Umstand, dass allenfalls für den Dritten, der das Register einsieht, ein verzerrtes Bild resultieren kann, weil mangels Gesuchs der Betroffenen wohl nie alle Betreibungen, welche auf einem Irrtum des Gläubigers beruhen, durch entsprechende Vorkehren der Öffentlichkeit vorenthalten werden dürften.
de
e3bd791e-c84a-46a4-a223-0c82c65a9c4b
Sachverhalt ab Seite 332 BGE 136 V 331 S. 332 A. B. war als Lehrer tätig und in dieser Eigenschaft bei der Kantonalen Pensionskasse Graubünden berufsvorsorgeversichert. Am (...) erlag er den Folgen eines Verkehrsunfalles. Mit Schreiben vom 16. Juni 2009 ersuchte S. um Ausrichtung einer Lebenspartnerrente, was die Verwaltungskommission der Pensionskasse jedoch ablehnte. B. Am 17. September 2009 liess S. beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Klage einreichen mit dem Rechtsbegehren, die Kantonale Pensionskasse Graubünden sei zu verpflichten, ihre Ansprüche zu errechnen und ihr zufolge des Hinschieds ihres Lebenspartners, B. sel., eine Lebenspartnerrente auszurichten. Die Pensionskasse beantragte in ihrer Antwort die Abweisung der Klage. In Replik und Duplik hielten die Parteien an ihren Standpunkten fest. Mit Entscheid vom 16. Februar 2010 wies die 2. Kammer als Versicherungsgericht die Klage ab. C. S. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 16. Februar 2010 sei aufzuheben und die Kantonale Pensionskasse Graubünden zu verpflichten, ihr eine Lebenspartnerrente auszurichten. Die Kantonale Pensionskasse Graubünden und das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. (Auszug) Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Gemäss Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes vom 16. Juni 2005 über die Kantonale Pensionskasse Graubünden (PKG; BR 170.450) in der vom 1. Januar 2006 bis 31. August 2009 gültig gewesenen, hier anwendbaren und nachfolgend gemeinten Fassung ist der überlebende Lebenspartner dem verwitweten Ehegatten gleichgestellt, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: a) Beide Partner sind unverheiratet und zwischen ihnen besteht keine Verwandtschaft; b) die Lebensgemeinschaft in gemeinsamem Haushalt muss nachweisbar in den letzten fünf Jahren vor dem Tod ununterbrochen bestanden haben; c) die verstorbene versicherte Person muss den Lebenspartner in erheblichem Masse unterstützt haben; d) die Erklärung BGE 136 V 331 S. 333 betreffend gegenseitige Unterstützung wurde schriftlich und nachweislich zu Lebzeiten beider Partner eingereicht. Laut Art. 14 Abs. 3 Satz 1 PKG beträgt die Partnerrente 75 Prozent der Ehegattenrente. 3.2 Es ist unbestritten, dass es vorliegend am Anspruchserfordernis einer schriftlichen Unterstützungserklärung zu Lebzeiten im Sinne von Art. 14 Abs. 1 lit. d PKG fehlt. Die Vorinstanz hat im Wesentlichen unter Hinweis auf den ebenfalls eine öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtung betreffenden BGE 133 V 314 erkannt, dass es sich dabei nicht um eine blosse Beweisvorschrift mit Ordnungscharakter, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung mit konstitutiver Wirkung handle (vgl. auch SVR 2009 BVG Nr. 18 S. 65, 9C_710/2007 E. 5.3; BGE 136 V 127 ). Was hiegegen in der Beschwerde vorgebracht wird, gibt zu keiner anderen Betrachtungsweise Anlass. Für die vorinstanzliche Rechtsauffassung des zwingenden Charakters einer schriftlichen Unterstützungserklärung zu Lebzeiten spricht auch, dass die Lebenspartnerrente keine bundesgesetzlich vorgeschriebene Leistungsart darstellt, wie die am Recht stehende Vorsorgeeinrichtung in ihrer Vernehmlassung festhält. Auf Art. 14 PKG lässt sich somit der streitige Anspruch auf eine Lebenspartnerrente nicht abstützen. 4. Die Beschwerdeführerin rügt wie schon in der Klage und vorinstanzlichen Replik eine Verletzung von Art. 86b Abs. 1 lit. a BVG (SR 831.40). Nach dieser kraft Art. 49 Abs. 2 Ziff. 26 BVG auch im Bereich der weitergehenden beruflichen Vorsorge geltenden Vorschrift muss die Vorsorgeeinrichtung ihre Versicherten jährlich in geeigneter Form u.a. über die Leistungsansprüche informieren. Sie und ihr verstorbener Lebenspartner seien von der Kantonalen Pensionskasse Graubünden ungenügend über die ab 2006 eingeführte Lebenspartnerrente informiert worden. Insbesondere sei auf den jährlich verschickten Pensionskassenausweisen lediglich auf die Ehegattenrente, nicht aber auf die Lebenspartnerrente hingewiesen worden. Sie hätten daher keine Veranlassung gehabt, sich um die Abgabe der Erklärung gemäss Art. 14 lit. d PKG zu kümmern. Das Fehlen dieses Anspruchserfordernisses habe somit die Vorsorgeeinrichtung selber zu vertreten und könne ihr nicht entgegengehalten werden. Die vorinstanzlichen Feststellungen betreffend die Information des verstorbenen Versicherten über diese auf den 1. Januar 2006 neu eingeführte Leistung seien teilweise offensichtlich unrichtig. 4.1 Die Vorinstanz hat erwogen, die beklagte Vorsorgeeinrichtung sei mit der Veröffentlichung des Gesetzes vom 16. Juni 2005 über BGE 136 V 331 S. 334 die Kantonale Pensionskasse Graubünden (womit auch die Lebenspartnerrente zum 1. Januar 2006 eingeführt worden sei) in der Sonderbeilage zum Amtsblatt des Kantons Graubünden Nr. 25 vom 23. Juni 2005 ihren Informationspflichten genügend nachgekommen. Dazu kämen der Hinweis in den zusammen mit den persönlichen Versicherungsausweisen des verstorbenen Lebenspartners vom 2. Mai 2006 und 31. Mai 2007 zugestellten Kurzberichten 2005 und 2006 sowie der Hinweis auf die Änderungen im Pensionskassengesetz im Geschäftsbericht 2005, welcher den Arbeitgebern alljährlich zugestellt werde und im Internet abrufbar sei, worauf im kantonalen Amtsblatt hingewiesen worden sei. Weiter gelte es zu berücksichtigen, dass bereits mehrere Versicherte, darunter auch einige Mitarbeiter des Verstorbenen und seiner an derselben Schule in einem kleinen Pensum tätigen Lebenspartnerin, seit der Einführung der Lebenspartnerrente gegenseitige Unterstützungserklärungen eingereicht hätten. Die Neuerungen bezüglich Lebenspartnerrente seien an ihrer Arbeitsstelle offensichtlich bekannt gewesen. Dieses Wissen müsse sich die Klägerin als langjährige Konkubinatspartnerin des verstorbenen Versicherten anrechnen lassen. Aufgrund der Bereitstellung der Informationen auf schriftlichem und elektronischem Wege könne in einer Gesamtbetrachtung nicht von einer ungenügenden Information oder Aufklärung seitens der Vorsorgeeinrichtung ausgegangen werden. Ein Verstoss gegen Art. 86b BVG liege nicht vor. Die Beschwerdegegnerin weist in ihrer Vernehmlassung überdies darauf hin, die Zustellung des Jahresberichtes 2005 an die angeschlossenen Arbeitgeber sei mit der Aufforderung erfolgt, diesen den Mitarbeitenden zur Verfügung zu halten. Zudem sei im kantonalen Amtsblatt vom 11. Mai 2006 eine Annonce geschaltet gewesen, die darauf hingewiesen habe, dass der Jahresbericht 2005 bei den Arbeitgebern vorliege und im Internet zur Verfügung gestellt werde. Auf ihrer Internetseite seien auch das Pensionskassengesetz, welches das Vorsorgereglement darstelle, und seit Einführung der Lebenspartnerrente ein vorformulierter Unterstützungsvertrag aufgeschaltet gewesen, der bloss habe ausgedruckt, ausgefüllt und an sie zurückgeschickt werden müssen. Sie sei somit ihrer Informationspflicht hinreichend nachgekommen, weshalb nicht relevant sei, wie der Versicherungsausweis in den Jahren 2006-2008 ausgestaltet gewesen sei. Abgesehen davon bestehe auch seitens der Versicherten eine minimale Pflicht, sich über ihre persönlichen BGE 136 V 331 S. 335 berufsvorsorgerechtlichen Belange zu informieren, und im Besonderen könne von nicht verheirateten Personen ein Minimum an Interesse für die wirtschaftlichen Folgen des Zusammenlebens in einer anderen Form als jener der Ehe erwartet werden, zumal diese in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit ein Dauerthema gewesen seien. Schliesslich gelte der Grundsatz, dass niemand Vorteile aus seiner eigenen Rechtsunkenntnis ableiten könne ( BGE 124 V 215 E. 2b/aa S. 220). 4.2 Zu den Leistungsansprüchen, über die die Vorsorgeeinrichtung nach Art. 86b Abs. 1 lit. a BVG jährlich zu informieren hat, gehören alle gesetzlichen und reglementarischen Leistungen bei einem Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung (vgl. auch Art. 24 Abs. 1 FZG ; SR 831.42) sowie beim Eintritt eines Versicherungsfalles (Alter, Invalidität oder Tod). Sieht das Vorsorgereglement resp. bei öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen das einschlägige Gesetzes- oder Verordnungsrecht eine Lebenspartnerrente vor, ist auch über diese Leistungsart zu informieren. Welches die geeignete Form der Information ist, sagt das Gesetz nicht. 4.2.1 Sinn und Zweck der Pflicht der Vorsorgeeinrichtungen zur "Information der Versicherten" nach Art. 86b BVG ist u.a., dass diese in die Lage versetzt werden, den Stand und die Entwicklung ihrer individuellen Vorsorgesituation jederzeit nachvollziehen zu können (Botschaft vom 1. März 2000 zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [1. BVG-Revision], BBl 2000 2637 ff., 2679 und 2701). Die Information muss unaufgefordert und nach dem Gesetzeswortlaut in geeigneter Form erfolgen (BBl 2000 2679; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Berufliche Vorsorge, BVG-Kommentar, 2009, N. 2 zu Art. 86b BVG ). Ziel der gesetzlichen Informationspflicht der Vorsorgeeinrichtungen, hier aber nicht im Vordergrund stehend, ist auch, das Vertrauen der Versicherten in und deren Interesse an der beruflichen Vorsorge allgemein zu wecken oder zu stärken und zu erhalten (vgl. ROBERT WIRZ, Transparenz in der beruflichen Vorsorge: noch ein langer Weg?, Soziale Sicherheit CHSS 2009 S. 242 ff.). Vor Inkrafttreten von Art. 86b BVG am 1. Januar 2005 bestand eine Informationspflicht von (privaten) Vorsorgeeinrichtungen gegenüber ihren Versicherten von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen lediglich soweit eine entsprechende reglementarische Vorschrift bestand und im Rahmen der aus dem Vertrauensgrundsatz ( Art. 2 Abs. 1 ZGB ) abgeleiteten allgemeinen vertraglichen BGE 136 V 331 S. 336 Loyalitätspflicht. Dabei setzte ein Tätigwerden der Vorsorgeeinrichtung die Erkennbarkeit des Informationsbedarfs der versicherten Person voraus und dass die erforderliche Information ohne weiteres gegeben werden konnte (SVR 2008 BVG Nr. 30 S. 121, B 160/06 E. 4.3.1 mit Hinweisen). 4.2.2 Ein auch im Bereich der beruflichen Vorsorge zu verlangendes Minimum an Aufmerksamkeit im Hinblick auf die Wahrung eines allenfalls später entstehenden Leistungsanspruchs (vgl. Urteil 9C_1005/2008 vom 5. März 2009 E. 3.2.2) schränkt grundsätzlich die Informationspflicht der Vorsorgeeinrichtungen nach Art. 86b Abs. 1 BVG nicht ein. Diese ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass es beträchtliche Unterschiede zwischen den Versicherten gibt im Umgang mit der Materie der beruflichen Vorsorge und ihren oft komplexen Fragestellungen. Ob über die Leistungsansprüche "in geeigneter Form informieren" auch heisst, dass die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen zu erwähnen sind, jedenfalls wenn diese wie vorliegend in Bezug auf die Lebenspartnerrente nicht ohne weiteres als gegeben zu erwarten sind, ist fraglich. Es liesse sich auch der Standpunkt vertreten, dass eine allgemeine Verweisung auf das Vorsorgereglement oder das einschlägige Gesetzes- und Verordnungsrecht für die Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen genügt und es dann Sache der Versicherten ist, dort nachzuschauen oder allenfalls bei der über den Wortlaut von Art. 86b Abs. 2 BVG hinaus auch insoweit auskunftspflichtigen Vorsorgeeinrichtung (in diesem Sinne wohl auch JÜRG BRÜHWILER, Obligatorische berufliche Vorsorge, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2030 Rz. 74) nachzufragen. Die Frage kann jedoch offenbleiben. 4.2.3 4.2.3.1 Gesetze gelten mit der amtlichen Publikation des Textes grundsätzlich als bekannt, oder anders ausgedrückt, kann niemand aus seiner eigenen Rechtsunkenntnis Vorteile ableiten ( BGE 131 V 196 E. 5.1 S. 201; BGE 124 V 215 E. 2b/aa S. 220; BGE 103 IV 131 E. 2 S. 133; Urteil 5P.241/2004 vom 23. September 2004 E. 4.2). Dieser Regel gehen indessen in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand positiv-rechtlich normierte Informationspflichten juristischer Personen (Körperschaft oder Anstalt) des öffentlichen (und, wo mit dem Vollzug von Bundesrecht betraut, gegebenenfalls auch des privaten) Rechts vor. Die amtliche Publikation hat insoweit lediglich die Bedeutung einer allgemeinen Informationsquelle. Daraus folgt, dass mit der BGE 136 V 331 S. 337 Publikation des am 16. Juni 2005 vom Bündner Grossen Rat verabschiedeten kantonalen Pensionskassengesetzes (welches die geltende Pensionskassenverordnung ablöste) im kantonalen Amtsblatt Nr. 25 vom 23. Juni 2005 die Informationspflicht nach Art. 86b Abs. 1 BVG in Bezug auf die neu eingeführte Hinterlassenenleistung "Lebenspartnerrente" nicht erfüllt war. Anders verhielte es sich, wenn den Versicherten der Gesetzestext samt Hinweis auf wesentliche Neuerungen bei den Leistungsansprüchen abgegeben worden wäre, was indessen nicht der Fall war. Ein solcher Hinweis fehlte offenbar in den den Versicherungsausweisen vom 2. Mai 2006 und 31. Mai 2007 beigelegten Kurzberichten 2005 und 2006, in welchen lediglich auf das Inkrafttreten des neuen Pensionskassengesetzes am 1. Januar 2006 aufmerksam gemacht worden war. Mit der Abgabe dieser Berichte zusammen mit dem Vorsorgeausweis kam daher die Beschwerdegegnerin ihrer Informationspflicht nach Art. 86b Abs. 1 BVG betreffend die neue Lebenspartnerrente ebenfalls nicht in genügender Weise nach. Dasselbe gilt auch in Bezug auf die von der beklagten Vorsorgeeinrichtung angeführte Aufschaltung des Gesetzestextes und von Hinweisen auf die neue Leistungsart auf ihrer Internetseite mit der Möglichkeit, einen vorformulierten Unterstützungsvertrag herunterzuladen und ausgefüllt an sie zurückzusenden. 4.2.3.2 Ebenfalls stellte die Abgabe des Jahresberichts 2005 an die angeschlossenen Arbeitgeber, in welchem auf die neue Lebenspartnerrente in allgemeiner Form hingewiesen wurde, keine die versicherten Arbeitnehmer bindende Information im Sinne von Art. 86b Abs. 1 BVG dar. Vorab enthält das Pensionskassengesetz keine Regelung, wonach die einzelnen Arbeitgeber für die Weitergabe vorsorgerechtlich relevanter Informationen an die Versicherten zu sorgen hätten (anders Urteil B 85/06 vom 6. Juni 2007 E. 5.1, nicht publiziert in: BGE 133 V 314 , aber in: SVR 2008 BVG Nr. 4 S. 13). Die Beschwerdegegnerin hält in ihrer Vernehmlassung denn auch fest, der Jahresbericht 2005 sei den angeschlossenen Arbeitgebern mit der Aufforderung abgegeben worden, diesen den Mitarbeitenden zur Verfügung zu halten (vorne E. 4.1). Abgesehen davon ist fraglich, ob eine im massgebenden Vorsorgerecht (Statuten, Reglement, Gesetz oder Verordnung) ausdrücklich vorgesehene Information des Arbeitgebers genügt. Art. 86b Abs. 1 BVG spricht ausdrücklich von der Information der Versicherten . Selbst wenn im Übrigen die Schule, wo der verstorbene Versicherte und auch die Beschwerdeführerin unterrichtet hatten, Kenntnis von deren lebenspartnerschaftlichen BGE 136 V 331 S. 338 Beziehung gehabt und dies nicht mitgeteilt haben sollte, ergibt sich daraus nichts, was für die am Vorsorgeverhältnis Beteiligten erheblich wäre (Art. 10 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1] und Art. 331 Abs. 4 OR ; SVR 2009 BVG Nr. 18 S. 65, 9C_710/2007 E. 5.1; vgl. auch Urteil 4C_413/2004 vom 10. März 2005 E. 3). Dass einige Mitarbeiter offenbar die nach Art. 14 Abs. 1 lit. d PKG erforderliche Unterstützungserklärung abgegeben hatten, lässt keine Rückschlüsse in Bezug auf die Frage zu, ob die Pensionskasse die Versicherten in geeigneter Form über die neue Lebenspartnerrente informiert hatte, wie die Beschwerdeführerin richtig festhält. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz führt nach dem Gesagten auch eine Gesamtbetrachtung nicht zum Ergebnis, dass die Beschwerdegegnerin ihrer Informationspflicht nach Art. 86b Abs. 1 BVG in Bezug auf die zum 1. Januar 2006 neu eingeführte Lebenspartnerrente in genügender Weise nachgekommen war. 4.3 Hinsichtlich der Folgen der Verletzung von Art. 86b Abs. 1 BVG ist vorliegend zu beachten, dass in den Versicherungsausweisen 2006-2008 die Lebenspartnerrente nicht aufgeführt war, was unbestritten ist. Hingegen waren alle übrigen Renten, insbesondere die Ehegattenrente, deren Höhe und auf der Rückseite die Anspruchsvoraussetzungen genannt. In Anbetracht, dass die Information betreffend die neue Lebenspartnerrente, wie dargelegt, ungenügend war und somit als nicht erfolgt zu gelten hat, ist der fehlende Hinweis auf diese Leistung in den Versicherungsausweisen 2006-2008 gleich wie eine zu Unrecht unterlassene behördliche Auskunft im Sinne des öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutzes (vgl. dazu BGE 121 V 65 E. 2a und 2b S. 66 f. sowie Urteil 9C_507/2009 vom 29. Januar 2010 E. 2 mit Hinweisen) zu betrachten. Es stellt sich somit die Frage, ob der verstorbene Versicherte die nach Art. 14 Abs. 1 lit. d PKG erforderliche gegenseitige Unterstützungserklärung gegenüber der Beschwerdegegnerin abgegeben hätte, wenn auf den Versicherungsausweisen 2006-2008 auch die Lebenspartnerrente samt Anspruchsvoraussetzungen erwähnt worden wäre. Das ist zu vermuten, wenn die Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 14 Abs. 1 lit. b und c PKG erfüllt wären, insbesondere der verstorbene Versicherte die Beschwerdeführerin in den letzten fünf Jahren vor dem Tod in erheblichem Masse unterstützt hätte, was gemäss Vorbringen in der Klage der Fall gewesen sein soll. Das BGE 136 V 331 S. 339 kantonale Gericht hat hiezu indessen keine Feststellungen getroffen, und die Akten sind insoweit auch nicht liquid. Die Vorinstanz wird somit diesbezügliche Abklärungen vorzunehmen haben und danach über den streitigen Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Lebenspartnerrente neu entscheiden. In diesem Sinne ist die Beschwerde begründet.
de
82c812ee-74f8-40f7-91a8-cd9da1cab123
Sachverhalt ab Seite 213 BGE 129 IV 212 S. 213 A.- Der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt verurteilte X. am 3. Juni 1998 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu einer Gefängnisstrafe von fünf Wochen unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges bei einer Probezeit von zwei Jahren sowie zu einer Busse von Fr. 1'500.-. Da X. die Geldstrafe weder bezahlte noch abverdiente, ordnete der Amtsgerichtspräsident am 6. Mai 2002 die Umwandlung der Busse in eine Haftstrafe von 50 Tagen an. Gegen diesen Entscheid erhob X., vertreten durch das Sozialamt der Einwohnergemeinde A., am 15. Mai 2002 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Solothurn. Zur Begründung wurde ausgeführt, X. werde vom Sozialamt A. finanziell unterstützt. Mit den minimalen Unterstützungsleistungen sei er nicht in der Lage, seine Schulden zu begleichen. X. sei schwer alkoholabhängig. Dass er sich nicht an die amtsgerichtlichen Abmachungen gehalten habe, sei Folge eines schweren Rückfalles in den Alkoholismus. Am 7. Mai 2002 habe er ins Spital verbracht werden müssen; am 10. Mai 2002 sei er in die psychiatrische Klinik D. verlegt worden. Er sei nun bereit, einen Alkoholentzug zu machen. Unter diesem Aspekt sei die Umwandlung der Busse in eine Haftstrafe als kontraproduktiv zu betrachten, zumal ein weiterer Rückfall durch die Haft vorprogrammiert würde. Mit Schreiben vom 3. Juni 2002 teilte das Obergericht dem Sozialamt A. mit, dass die vorliegende Umwandlung der Busse in Haft nicht zu beanstanden sei. Gestützt auf die Alkoholkrankheit von X. und dessen Einsicht, einen Alkoholentzug zu machen, bestünde aber die Möglichkeit, die stationäre Massnahme an den Vollzug der Haftstrafe anzurechnen. X. unterzog sich vom 5. August bis 5. Dezember 2002 einer stationären Therapie in der B. Klinik, einer Fachklinik für Alkohol-, Medikamenten- und Tabakabhängige in C. im Kanton Zürich. B.- Das Obergericht bestätigte am 12. Februar 2003 die Umwandlung der Busse in eine Haftstrafe von 50 Tagen. Gleichzeitig rechnete es die Dauer der stationären Therapie auf die Umwandlungsstrafe an und stellte fest, dass die 50-tägige Haftstrafe damit abgegolten sei. BGE 129 IV 212 S. 214 C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, Ziffer 2 des Urteils bzw. sinngemäss das ganze Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen und beantragt die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde. Der Beschwerdegegner hat sich nicht vernehmen lassen. Das Bundesgericht heisst die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Der Bussenumwandlungsentscheid ist kein Vollzugs-, sondern ein materieller Entscheid, der mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden kann ( BGE 125 IV 231 E. 1a). Die Beschwerde ist daher zulässig. 2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 49 Ziff. 3 StGB . Sie macht geltend, die Vorinstanz habe die vorgenannte Bestimmung unrichtig angewendet, indem sie - analog einer Anrechnung von stationären Massnahmen auf ordentliche Freiheitsstrafen - den Aufenthalt des Beschwerdegegners in der B. Klinik auf die Bussenumwandlungsstrafe angerechnet habe. Das Gesetz äussert sich nicht zur Frage, ob Massnahmen auf die Bussenumwandlungsstrafe angerechnet werden können. Soweit ersichtlich haben sich auch Lehre und Rechtsprechung nicht mit dieser Thematik befasst. 2.1 Art. 49 Ziff. 3 Abs. 1 StGB bestimmt, dass der Richter die Busse in Haft umwandeln muss, wenn der Verurteilte sie schuldhaft nicht bezahlt und auch nicht abverdient. Im Falle der Umwandlung werden 30 Franken Busse einem Tag Haft gleichgesetzt ( Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 Satz 3 StGB ). Da Freiheitsstrafen in der Regel von einschneidenderer Konsequenz für den Betroffenen sind als Geldstrafen, ist die Bussenumwandlung im Gesetz als ultima ratio ausgestaltet: Erst wenn sich bei Nichtbezahlung und Verweigerung des Abarbeitens der Busse auch ein Betreibungsverfahren als sinnlos erweist oder fruchtlos bleibt, darf der Richter die Umwandlung aussprechen (MARKUS HUGENTOBLER, Die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug bei der Umwandlungsstrafe, SJZ 96/2000 S. 51). 2.2 Das Strafgesetzbuch sieht eine Massnahmeanrechnung nur vor, wenn das Gericht mit dem ursprünglichen Strafurteil die Massnahme BGE 129 IV 212 S. 215 neben einer Freiheitsstrafe ausgesprochen hat. Nur dann ist zu prüfen, ob und allenfalls wieweit die vollzogene Massnahme auf die primär angeordnete Freiheitsstrafe anzurechnen ist. Die Anrechnung des freiheitsentziehenden Massnahmevollzugs auf den Strafvollzug stellt dabei die Regel dar ( BGE 109 IV 78 E. 3f, g). Im Einzelnen sieht das Gesetz im Rahmen von Massnahmen an geistig Abnormen ( Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 StGB ) und für die Behandlung von Trunk- und Rauschgiftsüchtigen ( Art. 44 Ziff. 5 Satz 3 StGB ) vor, dass die Dauer des Freiheitsentzugs durch den Vollzug der Massnahme in einer Anstalt auf die Dauer der bei ihrer Anordnung aufgeschobenen Strafe anzurechnen ist. Sinn und Zweck der gesetzlichen Anrechnungsregelung liegt einerseits darin, den durch die vollzogene Massnahme erzielten Resozialisierungserfolg des Betroffenen nicht durch einen nachträglichen Vollzug der Freiheitsstrafe wieder in Frage zu stellen ( BGE 107 IV 20 E. 5c). Andererseits wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine Verweigerung der Anrechnung des Massnahmevollzugs auf die Freiheitsstrafe einen deutlich schwereren Eingriff in das Leben des Verurteilten zur Folge hätte, als dies bei alleiniger Strafverbüssung der Fall wäre ( BGE 109 IV 78 E. 3f). 2.3 Ausgehend vom Zweckgedanken der Anrechnungsregelung erschiene die analoge Anwendung der Massnahmeanrechnung auf die Umwandlungsstrafe nicht zum vornherein abwegig. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass kein Bedürfnis für eine Analogie besteht, zumal Art. 49 Ziff. 3 StGB ohne weiteres erlaubt, auf die persönliche Situation eines Verurteilten gebührend einzugehen, um allfällige Härten der Bussenumwandlung aufzufangen. Ausserdem steht auch der Charakter der Umwandlungsstrafe einer Massnahmeanrechnung entgegen, denn diese ist ihrer Natur nach eine blosse Ergänzung des Bussenentscheids und bezweckt alleine, diesen in anderer Form vollziehbar zu machen ( BGE 124 IV 205 E. 8b). Da ihr somit kein eigenständiger, sondern lediglich behelfsmässiger Charakter zur Durchsetzung des primär auf Geldleistung gerichteten Strafanspruchs des Staates zukommt, tritt die Umwandlungsstrafe nicht an die Stelle der ursprünglich angeordneten Geldstrafe. Eine Anrechnung auf die anfänglich ausgesprochene Geldstrafe kommt aber nicht in Betracht. 2.4 Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob die Vorinstanz die stationäre Therapie des Beschwerdeführers in analoger Anwendung von Art. 44 Ziff. 6 Abs. 2 StGB überhaupt nachträglich als Massnahmevollzug anerkennen und diesen auf die Strafe anrechnen BGE 129 IV 212 S. 216 durfte. Wie die Beschwerdeführerin im Übrigen zu Recht darlegt, kann die Vorinstanz der besonderen Situation des Beschwerdegegners im Rahmen von Art. 49 Ziff. 3 StGB in ausreichendem Mass Rechnung tragen. So kann der Richter bei schuldloser Zahlungsunfähigkeit des Verurteilten von der Bussenumwandlung absehen, sogar nachträglich, wenn dieser nachweist, dass die Voraussetzungen für den Ausschluss der Umwandlung gegeben sind ( Art. 49 Ziff. 3 Abs. 2 Satz 1 StGB ). Des weiteren ist bei Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 41 StGB der bedingte Vollzug der Umwandlungsstrafe möglich ( Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 Satz 2 StGB ). Schliesslich kann der Verurteilte die Busse, ungeachtet der Rechtskraft des Umwandlungsentscheides, auch nachträglich noch zahlen und damit den Vollzug der Haftstrafe abwenden ( BGE 105 IV 14 E. 2 mit Hinweisen). Unter diesen Umständen ist mit der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass die Vorinstanz Art. 49 Ziff. 3 StGB nicht richtig angewendet und insofern Bundesrecht verletzt hat.
de
fad61903-1b7e-4290-ac4e-271526739ab6
Sachverhalt ab Seite 13 BGE 142 V 12 S. 13 A. Der 1947 geborene A. bezieht seit 1. Juli 2012 eine AHV-Rente. Im Januar 2014 meldete er sich, nachdem er seine Erwerbstätigkeit Ende 2013 aufgegeben hatte, zum Bezug von Ergänzungsleistungen (EL) an. Mit Verfügung vom 25. März 2014 lehnte die Ausgleichskasse des Kantons Zug einen Anspruch auf EL ab; sie rechnete dabei der Ehefrau des Gesuchstellers, geboren 1961, ein hypothetisches Einkommen an, sodass insgesamt ein Einnahmenüberschuss resultierte. Daran wurde auf Einsprache hin festgehalten (Einspracheentscheid vom 12. September 2014). B. Die hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zug insoweit teilweise gut, als es die Verfügung vom 25. März 2014 und den Einspracheentscheid vom 12. September 2014 aufhob und die Sache zum Neuentscheid im Sinne der Erwägungen an die Ausgleichskasse zurückwies. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen (Entscheid vom 16. April 2015 [samt Berichtigung vom 28. April 2015]). C. Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei der Einspracheentscheid vom 12. September 2014 zu bestätigen. Während die Vorinstanz und A. auf Abweisung der Beschwerde schliessen (lassen), verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. BGE 142 V 12 S. 14 Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Die jährliche Ergänzungsleistung ( Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG [SR 831.30]) entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen ( Art. 9 Abs. 1 ELG ). Als Einnahmen angerechnet werden zwei Drittel der Erwerbseinkünfte in Geld oder Naturalien, soweit sie bei alleinstehenden Personen jährlich Fr. 1'000.- und bei Ehepaaren und Personen mit rentenberechtigten Waisen oder mit Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen, Fr. 1'500.- übersteigen (Art. 11 Abs. 1 lit. a Teilsatz 1 ELG). Angerechnet werden ferner Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist ( Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG ). Sie werden in gleicher Weise in die EL-Berechnung einbezogen wie Einkünfte und Vermögenswerte, auf die nicht verzichtet worden ist (vgl. auch Rz. 3481.01 der Wegleitung des BSV über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL], gültig ab 1. April 2011). 3.2 Unter dem Titel des Verzichtseinkommens ( Art. 11 Abs. 1 lit. a und g ELG ) ist auch ein hypothetisches Einkommen des Ehegatten eines EL-Ansprechers anzurechnen (vgl. Art. 9 Abs. 2 ELG ), sofern auf eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder deren zumutbare Ausdehnung verzichtet wird ( BGE 117 V 287 E. 3b S. 290 ff.; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 18/99 vom 22. September 2000 E. 1b, in: AHI 2001 S. 132; vgl. auch RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1758 f. Rz. 178). Bei der Ermittlung einer allfälligen zumutbaren Erwerbstätigkeit der Ehefrau oder des Ehemannes ist der konkrete Einzelfall unter Anwendung familienrechtlicher Grundsätze (vgl. Art. 163 ZGB ) zu berücksichtigen ( BGE 117 V 287 E. 3c S. 292). Dementsprechend ist auf das Alter, den Gesundheitszustand, die Sprachkenntnisse, die Ausbildung, die bisherige Tätigkeit, die konkrete Arbeitsmarktlage sowie gegebenenfalls auf die Dauer der Abwesenheit vom Berufsleben abzustellen ( BGE 134 V 53 E. 4.1 S. 61; BGE 117 V 287 E. 3a S. 290; Urteile 8C_589/2007 vom 14. April 2008 E. 5.1 und des Eidg. Versicherungsgerichts P 40/03 vom 9. Februar 2005 E. 2, in: SVR 2007 EL Nr. 1 S. 1, sowie P 18/99 vom 22. September 2000 E. 1b, in: AHI 2001 S. 132; je mit weiteren Hinweisen). Ferner ist bei der Festlegung eines hypothetischen Einkommens zu berücksichtigen, dass für die Aufnahme und Ausdehnung der BGE 142 V 12 S. 15 Erwerbstätigkeit eine gewisse Anpassungsperiode erforderlich und nach einer langen Abwesenheit vom Berufsleben die volle Integration in den Arbeitsmarkt in einem gewissen Alter nicht mehr möglich ist. Dem wird im Rahmen der Ergänzungsleistung dadurch Rechnung getragen, dass der betreffenden Person allenfalls eine realistische Übergangsfrist für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder Erhöhung des Arbeitspensums zuzugestehen ist, bevor ein hypothetisches Erwerbseinkommen angerechnet wird (Urteile 9C_265/2015 vom 12. Oktober 2015 E. 3.4.1 und 9C_630/2013 vom 29. September 2014 E. 3 mit Hinweis, in: SZS 2015 S. 61). 4. Letztinstanzlich unbestritten geblieben - und daher für das Bundesgericht verbindlich (vgl. nicht publ. E. 2) - ist die Feststellung des kantonalen Gerichts, wonach von einer generellen Zumutbarkeit der arbeitsmarktlichen Integration der Ehefrau des Beschwerdegegners und damit von einer grundsätzlichen Anrechenbarkeit eines entsprechenden hypothetischen Erwerbseinkommens im Rahmen der EL-Anspruchsermittlung auszugehen ist. Streitgegenstand bildet einzig die Frage, ob zu Recht entschieden wurde, die Anrechnung des diesbezüglichen Einkommens sei erst nach einer angemessenen Anpassungszeit bzw. Übergangsfrist zulässig. 5. 5.1 Gemäss Art. 9 Abs. 5 lit. c ELG in Verbindung mit Art. 14a Abs. 2 ELV (SR 831.301) wird teilinvaliden EL-Bezügern unter 60 Jahren ein je nach Invaliditätsgrad abgestuftes hypothetisches Erwerbseinkommen angerechnet (Rz. 3424.02 WEL). Gleiches gilt im Falle nicht invalider Witwen ohne minderjährige Kinder ( Art. 9 Abs. 5 lit. c ELG in Verbindung mit Art. 14b ELV ; Rz. 3425.02 WEL). Die Herabsetzung einer laufenden EL infolge der Anrechnung eines Mindesteinkommens nach den Art. 14a Abs. 2 und Art. 14b ELV wird erst sechs Monate nach Zustellung der entsprechenden Verfügung wirksam ( Art. 25 Abs. 4 ELV ; Rz. 4130.05 f. WEL). 5.2 Unter den Parteien ist zu Recht unbestritten, dass Art. 25 Abs. 4 ELV in Fällen wie dem hier zu beurteilenden nicht zur Anwendung gelangt, auch nicht analogieweise (Urteil 9C_630/2013 vom 29. September 2014 E. 5.1 mit Hinweisen, in: SZS 2015 S. 61). In der WEL wird die Einräumung einer Anpassungsfrist jedoch für zwei weitere Konstellationen ausdrücklich bejaht: Zum einen für den Fall, dass die laufende EL auf Grund der Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens für den nicht invaliden Ehegatten eines BGE 142 V 12 S. 16 invaliden EL-Bezügers reduziert werden muss (Rz. 3482.06 WEL). Eine Übergangszeit von sechs Monaten zur Aufnahme einer nicht qualifizierten, mit Fr. 1'500.- monatlich entschädigten Teilerwerbstätigkeit wurde dabei als grosszügig bemessen betrachtet (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 40/03 vom 9. Februar 2005, in: SVR 2007 EL Nr. 1 S. 1). In Rz. 3482.07 WEL hält das BSV ferner fest, dass, falls das Einkommen aus einer selbstständigen Erwerbstätigkeit wesentlich tiefer ausfällt als ein Einkommen, welches die EL-beziehende Person als Arbeitnehmerin zumutbarerweise erzielen könnte, letzteres als Erwerbseinkommen anzurechnen ist. Die Anpassung ist der Person diesfalls anzukündigen und es ist ihr eine Frist von höchstens zwölf Monaten zu gewähren. 5.3 Im kantonalen Entscheid wurde in Anbetracht der beschriebenen zwei Fallgruppen erwogen, die Forderung, auch im vorliegenden Kontext einer erstmalig beantragten EL eine Übergangsfrist - allenfalls per analogiam - zu berücksichtigen, erweise sich im Lichte der skizzierten Rechtslage als angezeigt. Dafür sprächen überdies die konkreten Gegebenheiten, welche zwar keine Unzumutbarkeit der Arbeitsaufnahme zu begründen vermöchten, die indes verdeutlichten, dass die Ehefrau des Beschwerdegegners auf der Arbeitssuche wohl mit grösseren Schwierigkeiten konfrontiert sei als andere Betroffene. Die Sache sei deshalb an die Beschwerdeführerin zurückzuweisen, damit sie eine angemessene Anpassungszeit festsetze. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen im Wesentlichen vor, die Rechtsauffassung der Vorinstanz, wonach vorliegend hinsichtlich der als grundsätzlich zumutbar erklärten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ebenfalls eine Übergangszeit zu beachten sei, treffe nicht zu. Wenn das kantonale Gericht sich auf das Urteil 8C_172/2007 vom 6. Februar 2008 sowie auf die in der WEL erwähnten Fallbeispiele beziehe und die Übergangszeit "per analogiam" auch hier für zur Einhaltung angezeigt erachte, halte dies rechtlich nicht stand. Es sei nicht ersichtlich, weshalb eine Übergangszeit, welche bei laufenden EL im Rahmen einer Revision oder bei Aufforderung, die selbstständige Erwerbstätigkeit aufzugeben, einzuhalten sei, auch gewährt werden solle, wenn bei einer Neuanmeldung grundsätzlich bewusst und ohne Anpassungsgründe auf das Erzielen eines Einkommens verzichtet werde. Gegenstand des Urteils 8C_172/2007 sei nicht die Frage gewesen, ob eine Übergangsfrist zu Recht oder Unrecht eingeräumt worden sei oder nicht. Vielmehr habe das Bundesgericht einzig die Zumutbarkeit der Erwerbsaufnahme der Ehefrau BGE 142 V 12 S. 17 eines invaliden EL-Ansprechers beurteilen müssen. Auch dem im genannten Urteil zitierten Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 18/02 vom 9. Juli 2002 lasse sich sodann nichts Genaueres über den zugrunde liegenden Sachverhalt entnehmen. Die übrigen im Urteil 8C_172/2007 in diesem Zusammenhang erwähnten Urteile beträfen ferner Fälle, in welchen laufende EL-Ansprüche revidiert worden seien und auf Grund des Alters der Kinder neu die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Ehefrau zu prüfen gewesen sei. 5.4 Nach den unter E. 3.2 hiervor dargelegten Grundsätzen ist nicht invaliden Ehegatten von EL-Ansprechern im Einzelfall eine realistische Übergangsfrist für die zumutbare Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder Ausdehnung des Arbeitspensums einzuräumen. Anders als die Beschwerdeführerin annimmt, gilt dies rechtsprechungsgemäss sowohl für laufende als auch für erstmals beantragte Ergänzungsleistungen (Urteile 9C_630/2013 vom 29. September 2014 E. 5.1, in: SZS 2015 S. 61; 8C_172/2007 vom 6. Februar 2008 E. 4.2; des Eidg. Versicherungsgerichts P 28/04 vom 30. August 2004 E. 2.2 und 4.4; P 18/02 vom 9. Juli 2002 E. 1b und 4 sowie P 18/99 vom 22. September 2000 E. 1b und 2d, je in fine, in: AHI 2001 S. 132). Darauf hinzuweisen ist indessen, dass in den erwähnten Urteilen 9C_265/2015 vom 12. Oktober 2015 und 9C_630/2013 vom 29. September 2014 (in: SZS 2015 S. 61) über den EL-Leistungsanspruch von Bezügern einer IV-Rente zu befinden war. Im vorliegenden Fall handelt es sich demgegenüber um einen im Zusammenhang mit dem Bezug einer AHV-Rente gestellten Antrag auf EL. Diese beiden Konstellationen unterscheiden sich insofern massgeblich, als der AHV-Rentenbeginn regelmässig vorausseh- und planbar ist. Eine integrale Übertragung der angeführten Rechtsprechung auf die hier zu beurteilende Sachlage erscheint daher nicht ohne Weiteres als sachgerecht. Vielmehr gilt es diesbezüglich zu präzisieren, dass eine Übergangsfrist ab Beginn des potenziellen EL-Bezugs dort nicht einzuräumen ist, wo mit Blick auf einen absehbaren künftigen EL-Bezug des einen Ehepartners dem anderen Ehepartner im Vorfeld genügend Zeit zur Verfügung stand, um sich erwerblich einzugliedern. Mit Eintritt in das AHV-Rentenalter ist im Regelfall mit einer Aufgabe der Erwerbstätigkeit zu rechnen. Zeichnet sich eine solche ab, kann der Ehepartner des EL-Ansprechers nicht bis zum letzten Moment der Aufgabe der Erwerbstätigkeit mit der Arbeitssuche zuwarten. Die gegenteilige Betrachtungsweise nähme in Kauf, dass die Eheleute durch entsprechende Dispositionen in der Lebensführung die EL-Berechtigung zu optimieren vermöchten, was abzulehnen ist. BGE 142 V 12 S. 18 5.4.1 Der Beschwerdegegner bezieht seit 1. Juli 2012 eine AHV-Altersrente. Er arbeitete in der Folge noch bis Ende 2013 in unselbstständiger Stellung. Hat es sich dabei um ein befristetes Arbeitsverhältnis gehandelt, verfügte die Ehefrau zweifellos über genügend Zeit, sich um eine eigene Tätigkeit zu kümmern. Soweit er aber unbefristet angestellt war, stellt sich die Frage nach der Kündigungsfrist ( Art. 335c OR ). Je nach deren Länge ist - je nach Integrationsmöglichkeit der Ehefrau in den Arbeitsmarkt - nur, aber immerhin, eine "zusätzliche" Anpassungsfrist zu gewähren (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 18/99 vom 22. September 2000, in: SVR 2001 EL Nr. 5 S. 13, in welchem Fall es ebenfalls um AHV und EL ging). Der "Stichtag" der Kündigung erweist sich dabei als praktikabler Anknüpfungspunkt. Anders als danach zu fragen, wann der Entschluss zur Erwerbsaufgabe gefasst worden ist, stellt die Kündigung eine in Bezug auf die Absehbarkeit des künftigen EL-Bezugs fixe und nicht manipulierbare und damit objektive Richtgrösse dar. 5.4.2 Die Akten enthalten keine Hinweise auf die Kündigungsmodalitäten des bis Ende 2013 vom Beschwerdegegner ausgeübten Anstellungsverhältnisses. Der Arbeitsbestätigung der B. AG vom 23. Dezember 2013 ist einzig zu entnehmen, dass der Beschwerdegegner im Dezember 2013 noch für die Unternehmung gearbeitet hatte, ab dem 1. Januar 2014 aber definitiv nicht mehr bei ihr angestellt gewesen war. Handschriftlich vermerkt ist sodann gleichenorts, dass das Arbeitsverhältnis vom 1. April bis 31. Dezember 2013 gedauert habe. Ist auf Grund der vorhandenen Unterlagen somit nicht eruierbar, ob es sich um eine befristete oder unbefristete Anstellung gehandelt hat bzw., im zweitgenannten Fall, in welchem Zeitpunkt die Kündigung erfolgt ist, lassen sich keine Rückschlüsse darauf ziehen, ob und bejahendenfalls in welchem zeitlichen Ausmass eine Übergangsfrist einzuräumen ist. Der Vorinstanz ist vor diesem Hintergrund keine zu sanktionierende Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen, wenn sie die Angelegenheit an die Beschwerdeführerin zurückgewiesen hat, damit sie die (allenfalls) zu gewährende Anpassungszeit in Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse festsetze. Zu präzisieren ist jedoch, dass die Ausgleichskasse in erster Linie die hiervor genannten Aspekte zu klären und je nach Ergebnis, in einem zweiten Schritt, zusätzlich den kantonalgerichtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen haben wird. Anzufügen ist ferner, dass im Falle einer rückwirkenden EL-Zusprechung die realistische Übergangsfrist für die zumutbare BGE 142 V 12 S. 19 Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht erst ab Verfügungserlass zu laufen beginnt, sondern bereits ab allfälligem EL-Anspruchsbeginn (Urteil 9C_630/2013 vom 29. September 2014 E. 5.2, in: SZS 2015 S. 61). 5.5 Die in der Beschwerde dagegen erhobenen Einwände vermögen keine offensichtliche Unrichtigkeit der diesbezüglichen Feststellung des kantonalen Gerichts zu begründen. Den Argumenten, wonach es der aus Asien stammenden Ehefrau des Beschwerdegegners, welche sich vom 14. Mai 2008 bis 30. November 2010 und hernach wiederum ab 15. Dezember 2011 in der Schweiz aufgehalten hat, zumutbar gewesen wäre, sich hier mit Blick auf die zukünftige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in sprachlicher und anderweitiger Hinsicht zu assimilieren, wurde im vorinstanzlichen Entscheid bereits durch die Bejahung der generellen Zumutbarkeit der arbeitsmarktlichen Integration Beachtung geschenkt. Dies gilt insbesondere auch bezüglich der Hinweise auf den guten Bildungsstand der Betroffenen, ihre Kenntnisse der englischen Sprache sowie die fehlenden Betreuungs- und Erziehungsaufgaben. Dem Vorwurf, dass die Ehefrau des EL-Ansprechers es trotz verwertbarer erwerblicher Leistungsfähigkeit auch angesichts des sich nach Aufgabe der Erwerbstätigkeit ihres Ehegatten Ende Dezember 2013 abzeichnenden finanziellen Engpasses unterlassen habe, sich um eine Anstellung zu bemühen, und damit der ihr auf Grund der ehelichen Unterhaltspflicht ebenfalls obliegenden Schadenminderungspflicht nur ungenügend nachgekommen sei (vgl. Urteil 9C_630/2013 vom 29. September 2014 E. 5.2 mit weiteren Hinweisen, in: SZS 2015 S. 61), wird die Beschwerdeführerin, wie hiervor aufgezeigt, im Rahmen der Rückweisung nachgehen. (...)
de
39eb7822-04c1-4e3e-ac9c-c161264f885c
Sachverhalt ab Seite 243 BGE 95 II 242 S. 243 A.- Die Bank "Crédit Agricole Chevenez" gewährte gemäss Vertrag vom 4. Mai 1966 der EGA SA ein Darlehen von Fr. 105 000.--. Für diese Schuld einschliesslich Zinsen und Nebenkosten bis zum Gesamtbetrag von Fr. 115 000.-- leisteten E.A. Misteli (Aktionär und Gläubiger der EGA SA), W. Hiltmann (Verwaltungsrat dieser Gesellschaft), sowie A. und G. Borruat Solidarbürgschaft. Am 30. November 1966 schlossen Misteli einerseits und die EGA SA, Hiltmann und A. und G. Borruat anderseits eine Vereinbarung, wonach Misteli aus der EGA SA ausschied. Ziffer 2 Abs. 2 dieser Vereinbarung bestimmte: "Sollte E.A. Misteli aus irgendwelchen Bürgschaften für die EGA SA von den Banken persönlich in Anspruch genommen werden, sind ihm die entsprechenden Beträge von W. Hiltmann und den Herren Borruat zu ersetzen." Die EGA SA, Hiltmann und A. und G. Borruat ersuchten am 25. April 1967 den Crédit Agricole unter Hinweis auf diese Vereinbarung, Misteli aus der Bürgschaftsverpflichtung zu entlassen; sie erklärten, für allfällige Bürgschaftsansprüche des Crédit Agricole gegenüber Misteli einstehen zu wollen. Inzwischen war der EGA SA, die sich in Zahlungsschwierigkeiten befand, eine Nachlassstundung bewilligt worden. Der Crédit Agricole lehnte daher mit Schreiben vom 1. Mai 1967 an alle vier Bürgen die Entlassung Mistelis aus der Bürgschaft ab und teilte ihnen mit, sie habe der EGA SA das Darlehen vertragsgemäss auf den 7. Juni 1967 gekündigt; nach Ablauf dieser Frist werde sie jeden der vier Solidarbürgen für den ganzen Forderungsbetrag von Fr. 105 000.-- nebst Zinsen und Kosten betreiben. Am 21. Juli 1967 schrieb die Weisskredit Handels- und Anlagebank, Zürich, dem Crédit Agricole, sie sei auf Ersuchen ihres Kunden Misteli bereit, "... de reprendre un montant total de fr. 30 000.-- ... comme crédit dénoncé de votre part contre la maison EGA SA ... à une simple BGE 95 II 242 S. 244 cession de crédit partielle de votre part pour le montant indiqué avec tous les droits de cautions solidaires envers toutes les parties indiquées dans votre crédit." Der Crédit Agricole wollte sich jedoch offenbar unter Hinweis auf die solidarische Bürgschaftsverpflichtung Mistelis mit einer Zahlung von Fr. 30 000.-- nicht begnügen, sondern forderte den ganzen, nach Eingang einer Zahlung des Bürgen Hiltmann von Fr. 30 000.-- noch offenen Betrag von Fr. 78 957.--. Die Bank Weisskredit überwies ihm daher Ende Juli/Anfang August 1967 diese Summe mit dem erneuten Hinweis, die Zahlung erfolge unter der Bedingung, dass der Crédit Agricole ihr alle seine Rechte gegen die EGA SA und die Solidarbürgen abtrete. Am 5. August 1967 schrieb der Crédit Agricole an die EGA SA, an "Weisskredit pr. Misteli", an Hiltmann und an A. und G. Borruat: "Nous accusons réception des montants suivants: fr. 30 000.-- par M. Walter Hiltmann, Zurich, valeur 27 juillet 1967 fr. 78 000.-- par Weisskredit Zurich pr M. Misteli, Zurich, valeur 1.8.67 fr. 957.-- idem, valeur 5.8.67. Nous avons le plaisir de vous communiquer que l'emprunt de fr. 105 000.-- est entièrement libéré par le règlement des deux cautions ci-dessus." Da die Bank Weisskredit die verlangte Abtretungserklärung vom Crédit Agricole nicht erhielt, mahnte sie diesen in den Monaten September und Oktober 1967 mehrmals mit der Androhung, sie werde die geleistete Zahlung von Fr. 78 957.-- zurückfordern, wenn der Crédit Agricole ihrem Begehren nicht entspreche. Am 7. November 1967 stellte der Crédit Agricole der Bank Weisskredit die Erklärung aus, er trete ihr die Darlehensforderung gegen die EGA SA bis zum Betrag von Fr. 78 957.-- samt allen Nebenrechten, insbesondere den Bürgschaftsansprüchen, ab. Gestützt auf diese Abtretungserklärung forderte die Bank Weisskredit am 29. November 1967 Hiltmann auf, ihr den Betrag von Fr. 78 957.-- nebst Zinsen auf Grund seiner Solidarbürgschaft für die EGA SA zu ersetzen. Hiltmann kam jedoch dieser Aufforderung nicht nach und erhob gegen den Zahlungsbefehl vom 1. Dezember 1967 Rechtsvorschlag, anerkannte dann BGE 95 II 242 S. 245 aber am 5. März 1968 das Begehren der Weisskredit um provisorische Rechtsöffnung unter dem Vorbehalt der Aberkennungsklage. Am 23. April 1968 trat Misteli "alle seine Rechte aus Ziffer 2 letzter Absatz der Vereinbarung vom 30.11.66 mit Walter Hiltmann und Konsorten" an die Bank Weisskredit ab. B.- Am 25. März 1968 klagte Hiltmann gegen die Bank Weisskredit auf Aberkennung der gegen ihn in Betreibung gesetzten Forderung von Fr. 78 957.-- nebst Zinsen und Kosten. Zur Begründung brachte er vor, die Hauptschuld, also die Darlehensforderung des Crédit Agricole gegen die EGA SA, sei infolge seiner Bürgschaftszahlung von Fr. 30 000.-- und der Zahlung der Beklagten von Fr. 78 957.-- am 5. August 1967 bereits getilgt gewesen. Mit dem Erlöschen der Hauptschuld sei auch seine Bürgschaftsverpflichtung kraft Gesetzes dahingefallen. Im Zeitpunkt der Abtretung vom 7. November 1967 habe somit die EGA SA dem Crédit Agricole nichts mehr geschuldet, noch habe eine Bürgschaftsverpflichtung seinerseits bestanden. Selbst wenn aber am 7. November 1967 noch eine Schuld der EGA SA bestanden haben sollte, sei auf Grund des Schreibens des Crédit Agricole vom 5. August 1967 seine Bürgschaftsverpflichtung dahingefallen. Die Beklagte beantragte, die Aberkennungsklage abzuweisen. Sie machte geltend, sie habe dem Crédit Agricole die Fr. 78 957.-- nicht bezahlt, um die Bürgschaftsverpflichtung des Misteli abzulösen, sondern um die nach der Bürgschaftszahlung des Klägers von Fr. 30 000.-- noch verbleibende Restforderung des Crédit Agricole gegen die EGA SA zu erwerben. Infolge der Abtretungserklärung des Crédit Agricole vom 7. November 1967 sei diese Restforderung samt allen Nebenrechten auf sie übergegangen. Sie sei daher berechtigt, den Solidarbürgen Hiltmann für die ganze noch ungedeckte Forderung von Fr. 78 957.-- zu belangen. Falls man annehme, ihre Zahlung an den Crédit Agricole sei zur Ablösung der Bürgschaftsverpflichtung Mistelis erfolgt, stütze sie ihren Anspruch auf die Zession des Misteli vom 23. April 1968, durch welche dieser alle seine Rechte aus der Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1966 auf sie übertragen habe. In diesem Falle hafte der Kläger nicht als Bürge der EGA SA, sondern aus seiner Verpflichtung, Misteli schadlos zu halten, wenn er nach seinem Ausscheiden aus der EGA SA als Bürge belangt werden sollte. BGE 95 II 242 S. 246 Im Laufe des kantonalen Verfahrens setzte die Beklagte ihre Forderung um den Betrag von Fr. 1725.-- herab, den sie bei den Bürgen G. und A. Borruat eingetrieben hatte. C.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich schützte am 11. Juni 1968 die Aberkennungsklage. D. - Gegen dieses Urteil erklärte die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht mit dem erneuten Antrag, die Aberkennungsklage abzuweisen. Der der Beklagten auferlegte Kostenvorschuss für das Berufungsverfahren wurde erst am Tage nach Ablauf der gesetzten Frist geleistet, und zwar durch Misteli. Nach den Ausführungen in dem von ihm und der Beklagten gestellten Gesuch um Wiederherstellung der versäumten Zahlungsfrist (dem am 31. Oktober 1968 entsprochen wurde), hatte Misteli es auf Grund einer Absprache mit der Beklagten übernommen, den Kostenvorschuss zu leisten. Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. - Das Handelsgericht hat die Aberkennungsklage mit der Begründung geschützt, der Kläger habe das Schreiben des Crédit Agricole vom 5. August 1967 als Befreiung von der Bürgschaft infolge Untergangs der Hauptschuld verstehen können und dürfen. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. a) In erster Linie fragt sich, ob am 7. November 1967 die abgetretene Forderung noch bestand und dem Crédit Agricole gehörte. Denn nur wenn beides zutraf, konnte der Crédit Agricole sie der Bank Weisskredit abtreten und konnten mit ihr auch die Rechte gegen den Bürgen Hiltmann, die von der Beklagten geltend gemacht werden, auf sie übergehen. Das Handelsgericht hat sich mit den genannten beiden Fragen nicht befasst. Dass die Darlehensforderung am 7. November 1967 noch bestand, kann indessen nicht zweifelhaft sein. Auf Grund des Schreibens des Crédit Agricole vom 5. August 1967 durfte niemand annehmen, die Schuld der EGA SA sei getilgt worden oder wolle vom Crédit Agricole erlassen werden. Namentlich durfte auch der Kläger einen solchen Schluss nicht ziehen. Der Crédit Agricole schrieb ja nicht, die EGA SA habe gezahlt, sondern die beiden Bürgen Hiltmann und Misteli hätten das getan. Aus dem Schreiben musste daher jedermann BGE 95 II 242 S. 247 schliessen, die Forderung gegen die EGA SA sei gemäss Art. 507 auf die zahlenden Bürgen Hiltmann und Misteli übergegangen. Daran änderte auch die vom Crédit Agricole im Schlussatz seines Schreibens abgegebene Erklärung nichts, die Darlehensforderung von Fr. 105 000.-- sei "entièrement libéré par le règlement des deux cautions ci-dessus". Das hiess nach Treu und Glauben nur, dass der Crédit Agricole sich nicht mehr als Gläubiger betrachte. Darin lag aber weder eine Anerkennung, dass die Schuld der EGA SA getilgt sei, noch ein Schulderlass, sondern es handelte sich einfach um eine rechtliche Schlussfolgerung des Crédit Agricole aus den mitgeteilten Zahlungen der beiden Bürgen. Diese Schlussfolgerung war richtig für die Fr. 30 000.--, die der Kläger bezahlt hatte. Dagegen traf sie möglicherweise nicht zu für die Fr. 78 957.--, von denen der Crédit Agricole annahm, die Beklagte habe sie ihm im Namen Mistelis bezahlt. Wenn er sich in diesem Punkte geirrt haben sollte, weil die Beklagte im eigenen Namen bezahlt hatte, um die noch ungedeckte Restforderung des Crédit Agricole zu erwerben, wäre dieser für die Fr. 78 957.-- Gläubiger geblieben und hätte somit diese Teilforderung am 7. November 1967 noch an die Beklagte abtreten können. Man kann nicht folgern, weil die EGA SA sich als befriedigt ausgegeben habe, müsse der Richter auf Grund der Vertrauenstheorie zum Vorteil Hiltmanns annehmen, der Crédit Agricole sei vom 5. August 1967 an nicht mehr Gläubiger gewesen. Die möglicherweise unrichtige Mitteilung konnte beim Leser nur eine irrige Vorstellung über die Person des Gläubigers, nicht einen Irrtum über den Fortbestand der Forderung bewirken. Aus einem Irrtum über die Person des Gläubigers, der im Zeitpunkt der Belangung behoben ist, kann aber weder der Schuldner noch der Bürge etwas ableiten. Das ergibt sich aus Art. 167 OR , der sich zwar auf den Fall der Abtretung bezieht, aber sinngemäss auch in andern Fällen irriger Vorstellungen des Schuldners über einen Gläubigerwechsel (Erbgang, eheliches Güterrecht, Subrogation) zutrifft. Ein Eingreifen der Vertrauenstheorie kommt hier nicht in Betracht. Diese gilt nur für die Auslegung rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen, nicht auch für die Auslegung blosser Mitteilungen ohne rechtsgeschäftlichen Charakter. Die Vertrauenstheorie vermag eine solche Mitteilung nicht zu einem Angebot auf den Abschluss eines Rechtsgeschäftes zu machen. Um eine Anzeige ohne rechtsgeschäftlichen BGE 95 II 242 S. 248 Inhalt handelte es sich aber beim Schreiben des Crédit Agricole vom 5. August 1967. Der Empfänger durfte in ihm nicht eine Offerte zum Abschluss eines Vertrages, z.B. eines Schulderlasses, sehen, sondern musste es als das hinnehmen, was es war, nämlich eine schlichte Mitteilung, dass die Forderung des Crédit Agricole nach dessen Meinung infolge der Zahlungen der beiden Bürgen kraft Gesetzes auf diese übergegangen sei. b) Was sodann die Frage des Fortbestandes der Bürgschaftsverpflichtung des Klägers betrifft, meint das Handelsgericht, dieser habe das Schreiben vom 5. August 1967 dahin verstehen dürfen, "er sei infolge vollständiger Tilgung der Hauptschuld von seiner Verpflichtung als Bürge gegenüber dem Crédit Agricole befreit". Es spricht von einer "Schuldbefreiungserklärung", von einem "Entlastungsschreiben", durch das die Bürgschaftsverpflichtung erloschen sei. Das Handelsgericht meint also, der Crédit Agricole habe den Kläger als Bürgen entlassen, d.h. auf seine Bürgschaftsansprüche ihm gegenüber verzichtet. Das wäre eine "Aufhebung durch Uebereinkunft" im Sinne des Art. 115 OR . Von einer solchen könnte aber nur die Rede sein, wenn der Kläger das Schreiben vom 5. August 1967 nach Treu und Glauben als Angebot zum Abschluss einer solchen Uebereinkunft hätte auslegen dürfen. Das nimmt aber nicht einmal das Handelsgericht an, vertritt es doch, wie gesagt, die Auffassung, der Kläger habe sich infolge vollständiger Tilgung der Hauptschuld von seiner Verpflichtung befreit erachten dürfen. Dass die Hauptschuld vollständig getilgt sei, sagt indessen das Schreiben, wie bereits dargelegt wurde, in keiner Weise; es spricht nur von einer Befriedigung des Crédit Agricole durch Zahlung zweier Bürgen, was nach Art. 507 OR Fortbestand der Hauptschuld unter Eintritt eines Gläubigerwechsels (Uebergang der Hauptforderung samt Sicherheiten auf den zahlenden Bürgen) bedeutet. Nach dem Wortlaut des Schreibens vom 5. August 1967 durfte der Kläger schlechterdings nicht annehmen, der Crédit Agricole wolle ihm eine Vertragsofferte zur Aufhebung seiner Bürgschaftsverpflichtung machen. Er musste das Schreiben als blosse Ansichtsäusserung des Gläubigers über die angeblich eingetretene gesetzliche Subrogation verstehen. So wenig diese Ansichtsäusserung einen vertraglichen Untergang der Hauptschuld zur Folge haben konnte, so wenig konnte sie den Untergang der Bürgschaftsverpflichtung des BGE 95 II 242 S. 249 Klägers bewirken. Wenn der Inhalt des Schreibens richtig sein sollte, könnte der Crédit Agricole und folglich auch die Bank Weisskredit als dessen Rechtsnachfolgerin den Kläger allerdings nicht mehr belangen, weil dann die Subrogation eingetreten und der Kläger dem Misteli gemäss Art. 497 Abs. 2 Satz 4 OR und der Vereinbarung vom 30. November 1966 regresspflichtig geworden wäre. Das wäre aber nicht die Folge der Aeusserung des Crédit Agricole vom 5. August 1967, sondern die gesetzliche Folge der von Misteli geleisteten Zahlung. Wenn dagegen der Inhalt des Schreibens unrichtig war, so kann der Kläger daraus nichts für sich ableiten. Dieses hat ihn dann lediglich über die Person des Gläubigers irregeführt, indem er annehmen konnte, er sei fortan nicht mehr dem Crédit Agricole, sondern dem Misteli verpflichtet. Hätte der Kläger auf Grund dieses Irrtums dem Misteli bezahlt, so müsste wahrscheinlich entschieden werden, er sei gegenüber dem Crédit Agricole und der Beklagten als dessen Rechtsnachfolgerin befreit. Der Kläger hat aber nicht bezahlt, sondern wird unter Hinweis auf den Irrtum, der dem Crédit Agricole bei seinem Schreiben vom 5. August 1967 unterlaufen sein soll, auf Zahlung belangt. Er muss sich deshalb einen allfälligen Irrtum entgegenhalten lassen. c) Die Auslegung des Schreibens als Vertragsofferte zur Aufhebung der Bürgschaftsverpflichtung des Klägers ist nicht nur mit den Regeln von Treu und Glauben unvereinbar, sondern geradezu unmöglich. Der Crédit Agricole teilte ja am 5. August 1967 mit, der Bürge Misteli habe ihn befriedigt. Wenn das zugetroffen haben sollte, d.h. die Zahlung der Beklagten wirklich im Namen Mistelis erfolgt wäre, hätte der Crédit Agricole den Mitbürgen Hiltmann gar nicht mehr aus seiner Bürgschaft entlassen können; die Rechte des befriedigten Gläubigers wären von Gesetzes wegen auf den Bürgen Misteli übergegangen, und zwar kraft der Zahlung, die bereits erfolgt war, als das Schreiben vom 5. August 1967 abgeschickt wurde. Wer das Schreiben las, konnte daher schlechterdings nicht annehmen, der Crédit Agricole sei noch Gläubiger und wolle durch dasselbe auf seine Forderung oder zum mindesten auf die Bürgschaftsrechte gegen den Kläger verzichten; nach dem im Schreiben geschilderten Sachverhalt hätte nur noch Misteli die Hauptschuld erlassen oder den Kläger seiner Verpflichtung entheben können. Mit der von der Vorinstanz gegebenen Begründung kann daher die Aberkennungsklage nicht geschützt werden. 2. - Die Beklagte will dem Crédit Agricole den Betrag von BGE 95 II 242 S. 250 Fr. 78 957.-- in der Absicht bezahlt haben, die noch ungedeckte Darlehensforderung in dieser Höhe gegen die EGA SA samt allen Nebenrechten, namentlich den Bürgschaftsansprüchen, zu erwerben. Diese Behauptung hat angesichts des Schreibens vom 21. Juli 1967, mit dem die Beklagte erstmals an den Crédit Agricole herantrat, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich. Denn entgegen der Darstellung der Vorinstanz teilte die Beklagte damals dem Crédit Agricole nicht mit, "ihr Kunde Misteli habe sie beauftragt, ihr, der Crédit Agricole, Fr. 30 000.-- zur anteilmässigen Ablösung seiner Bürgschaftsverpflichtung zukommen zu lassen". Sie schrieb vielmehr, sie sei auf Ersuchen ihres Kunden Misteli bereit, den vom Crédit Agricole der EGA SA gekündigten Kredit bis zum Totalbetrag von Fr. 30 000.-- zu übernehmen gegen einfache Abtretung dieser Teilforderung samt den entsprechenden Solidarbürgschaftsansprüchen. Ebenso wies sie bei der Bezahlung des vom Crédit Agricole verlangten vollen Betrages von Fr. 78 957.-- erneut darauf hin, diese erfolge unter der Bedingung, dass der Crédit Agricole ihr alle seine Rechte gegen die EGA SA und gegen die Solidarbürgen abtrete. Die Vorinstanz hat indessen die Frage, ob die Beklagte zwecks Forderungserwerbs oder zur Ablösung der Bürgschaftsverpflichtung Mistelis bezahlt habe, offen gelassen. Es ist jedoch nicht nötig, die Sache zur Abklärung des Sachverhalts in diesem Punkte an sie zurückzuweisen. Denn selbst wenn die Darstellung der Beklagten zutreffen sollte, könnte diese sich dem Kläger gegenüber nicht auf den Forderungserwerb berufen, weil er offensichtlich nur dazu dienen sollte, dem Solidarbürgen Misteli eine bessere Stellung zu verschaffen, als ihm nach den Regeln des Bürgschaftsrechtes zukäme. Hätte nämlich Misteli die Bürgschaftsverpflichtung erfüllt, für die ihn der Crédit Agricole betrieben hatte, so wäre dessen Darlehensforderung gegen die EGA SA im noch ungedeckten Betrag von Fr. 78 957.-- mit allen Nebenrechten kraft Gesetzes auf ihn übergegangen. Alsdann hätte er auf die drei andern Solidarbürgen, also den Kläger, sowie auf G. und A. Borruat, Rückgriff nehmen können, und zwar nicht nur für die seinen Kopfanteil übersteigende Leistung, sondern auf Grund der Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1966 für den ganzen von ihm bezahlten Betrag von Fr. 78 957.--. Diese Vereinbarung BGE 95 II 242 S. 251 sieht aber für den Ersatzanspruch Mistelis keine solidarische Haftung der drei andern Bürgen vor, so dass Misteli von jedem von ihnen nur einen Drittel seiner Leistung, also Fr. 26 319.--, hätte fordern können. Einen Ausfall, den er allenfalls an den beiden Bürgen Borruat erleiden würde, hätte er an sich zu tragen, wobei er schlimmstenfalls einen Schaden von Fr. 52 638.-- erlitte. Der Bürge Hiltmann dagegen hätte über seine bereits geleistete Bürgschaftszahlung hinaus weitere Fr. 26 319.-- an Misteli zu zahlen, so dass er, vorbehältlich seiner Regressansprüche gegen die beiden Mitbürgen Borruat, insgesamt mit Fr. 56 319.-- belastet wäre. Von der Beklagten gestützt auf den Erwerb der noch ungedeckten Darlehensforderung von Fr. 78 957.-- samt allen Nebenrechten belangt, hätte der Kläger dagegen als Solidarbürge für den vollen Betrag aufzukommen. Da die übrigen Solidarbürgen (Misteli, G. und A. Borruat) vom ursprünglichen Gläubiger ebenfalls betrieben worden sind, könnte er sich nicht darauf berufen, dass er mit seiner Leistung von Fr. 30 000.-- an den Crédit Agricole bereits mehr als seinen Kopfanteil bezahlt habe ( Art. 497 Abs. 2 OR ). Kraft seiner Bürgschaftsleistungen von Fr. 30 000.-- und Fr. 78 957.-- würde die volle Darlehensforderung auf den Kläger übergehen. Auf den Mitbürgen Misteli könnte er jedoch angesichts der Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1966 nicht Rückgriff nehmen, sondern er könnte nur von den beiden andern Mitbürgen G. und A. Borruat je einen Drittel seiner gesamten Zahlung von Fr. 108 957.--, also von beiden zusammen Fr. 72 638.--, ersetzt verlangen. Bei Nichteinbringlichkeit dieser Forderungen bliebe der Ausfall auf ihm haften, während dieser ohne den Forderungserwerb der Beklagten, wie oben dargelegt wurde, von Misteli zu tragen wäre. Diesem bliebe somit dank dem Forderungserwerb der Beklagten ein Verlust von Fr. 52 638.-- erspart. Dieses günstige Ergebnis hätte Misteli nicht erzielen können, indem er selber dem Crédit Agricole die noch ungedeckte Restforderung von Fr. 78 957.-- abgekauft hätte, statt seine Bürgschaftsverpflichtung zu erfüllen. Eine solche Abtretung der Gläubigerrechte wäre dem Kläger gegenüber unwirksam gewesen, da das Rückgriffsverhältnis unter den Solidarschuldnern der Einwirkung des Gläubigers gänzlich entzogen ist ( BGE 53 II 30 ). Offensichtlich aus diesem Grunde wurde die Beklagte als Forderungserwerberin vorgeschoben, während der BGE 95 II 242 S. 252 wirkliche Forderungsinhaber Misteli war. Denn es ist schon an und für sich wenig glaubhaft, dass die Beklagte, eine Bank, auf eigene Rechnung eine Forderung gegen einen Schuldner erwerben wollte, der sich, wie die EGA SA, bereits in Zahlungsschwierigkeiten befand. Abgesehen hievon geht aus den Akten deutlich hervor, dass die Beklagte nur der Strohmann Mistelis war. Schon mit ihrem Schreiben vom 21. Juli 1967 an den Crédit Agricole hatte sie sich als Beauftragte ihres Kunden Misteli vorgestellt, auf dessen Ersuchen sie bereit sei, die Forderung des Crédit Agricole gegen die EGA SA zum Teil zu übernehmen. Bezeichnend ist aber vor allem, dass der der Beklagten für das Berufungsverfahren auferlegte Gerichtskostenvorschuss von Misteli erlegt wurde. Dies zeigt eindeutig, dass der vorliegende Prozess auf seine Rechnung, in seinem Interesse und auf sein Betreiben hin geführt wird. Als bloss vorgeschobene Forderungserwerberin muss sich die Beklagte gleich wie Misteli selber entgegenhalten lassen, dass ein Abkommen mit dem Gläubiger der Hauptschuld für das Rückgriffsverhältnis unter den Solidarbürgen unbeachtlich ist. Mit ihrem Hauptstandpunkt, der Kläger schulde ihr die streitigen Fr. 78 957.-- aus Solidarbürgschaft für die durch Abtretung auf sie übergegangene Darlehensforderung gegen die EGA SA, vermag die Beklagte somit nicht durchzudringen. 3. - Für diesen Fall hat die Beklagte im kantonalen Verfahren geltend gemacht, der Kläger schulde ihr den streitigen Betrag auf Grund der Zession Mistelis vom 23. April 1968, mit der dieser ihr alle seine Rechte aus der Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1955 abgetreten habe. Das Handelsgericht hat erklärt, dieser Eventualstandpunkt sei nach zürcherischer Praxis unbeachtlich, weil er mit der Hauptbegründung in unlösbarem Widerspruch stehe. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte diese Eventualbegründung nicht mehr vorgebracht. Das schlösse indessen ihre Berücksichtigung nicht ohne weiteres aus. Denn Art. 63 OG verpflichtet das Bundesgericht - und damit auch die kantonale Instanz - das auf den festgestellten Tatbestand anwendbare Bundesrecht selbst ohne Anrufung durch die Parteien, also von Amtes wegen, anzuwenden, ohne an eine unvollständige oder irrige rechtliche Begründung seitens der Parteien gebunden zu sein ( BGE 89 II 340 , BGE 90 II 40 Erw. 6 b, BGE 91 II 65 Erw. 2). Es ist deshalb zu prüfen, ob die Auffassung der Vorinstanz, der Eventualstandpunkt BGE 95 II 242 S. 253 der Beklagten sei aus Gründen des kantonalen Prozessrechtes unbeachtlich, vor dem Bundesrecht standhält. Das Bundesgericht hat gestützt auf die oben erwähnte Rechtsprechung entschieden, ein kantonales Gericht dürfe die Beurteilung einer aus dem selben Sachverhalt abgeleiteten Eventualbegründung nicht mit dem Hinweis darauf ablehnen, dass dafür eine andere kantonale Instanz zuständig sei (z.B. das Gewerbegericht, BGE 91 II 65 Erw. 3; der ordentliche kantonale Richter anstelle der bundesrechtlich vorgeschriebenen einzigen kantonalen Instanz für Markenrechtsstreitigkeiten, BGE 92 II 312 Erw. 5), und so den streitigen Anspruch in zwei Klagen zerlegen. Im vorliegenden Falle hat die Beklagte jedoch ihre Eventualbegründung nicht auf den gleichen Sachverhalt gestützt, sondern sie beruft sich auf einen völlig andern Tatbestand. Im Hauptstandpunkt bezeichnet sie sich als Abtretungsgläubiger des Crédit Agricole und belangt den Kläger aus seiner Solidarbürgschaft für die Darlehensforderung ihres Rechtsvorgängers; im Eventualstandpunkt macht sie dagegen geltend, sie sei Abtretungsgläubiger des zahlenden Solidarbürgen Misteli und stützt ihre Forderung auf den Ausscheidungsvertrag vom 30. November 1966. Kraft der ihnen durch Art. 64 Abs. 3 BV vorbehaltenen Prozessrechtshoheit steht es den Kantonen frei, durch eine ausdrückliche Vorschrift ihrer Prozessordnung oder durch Auslegung und Praxis das Vorbringen eines Eventualstandpunktes, der sich auf einen vom Hauptstandpunkt abweichenden Tatbestand stützt, zu verbieten. Der Rechtsuchende wird dadurch freilich gezwungen, bei Abweisung seines Hauptstandpunktes den eventualiter behaupteten Sachverhalt in einem neuen Verfahren geltend zu machen. Das ist aber ein Ausfluss des kantonalen Prozessrechtes und verstösst nicht gegen die bundesrechtliche Pflicht des kantonalen Richters, das auf den gegebenen Tatbestand anwendbare Bundesrecht von Amtes wegen und im vollen Umfang anzuwenden. 4. - Da das Handelsgericht den Eventualstandpunkt der Beklagten als in diesem Verfahren unbeachtlich bezeichnet hat und somit nicht darauf eingetreten ist, liegt in bezug auf die aus der Abtretung der Rechte des Misteli gegen seinen Mitbürgen abgeleiteten Anspruch der Beklagten keine beurteilte Sache vor. Die Beklagte kann daher diesen Anspruch in einem neuen Betreibungs- und Prozessverfahren geltend machen. Dem steht BGE 95 II 242 S. 254 nicht entgegen, dass das Handelsgericht beiläufig ausgeführt hat, die Eventualbegründung wäre auch materiellrechtlich nicht stichhaltig. Dabei handelt es sich um eine blosse, der materiellen Rechtskraft nicht teilhaftige Meinungsäusserung, die den in erster Linie getroffenen Nichteintretensentscheid nicht zum Sachurteil zu machen vermag. Es ist jedoch zweckmässig, schon heute zu diesen subsidiären Ausführungen des Handelsgerichts Stellung zu nehmen, da ihnen nicht beigepflichtet werden kann. Das Handelsgericht meint, es fehle an den materiellen Voraussetzungen, die Misteli bezw. seine Rechtsnachfolgerin berechtigen würden, gestützt auf die Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1966 auf den Kläger Rückgriff zu nehmen, da nicht behauptet worden sei, Misteli habe der Beklagten den streitigen Betrag ersetzt. Mit der Berufung auf die Abtretung der dem Misteli aus der Ausscheidungsvereinbarung zustehenden Rechte machte die Beklagte jedoch implicite geltend, Misteli habe - durch ihre Zahlung - seine Bürgschaftsverpflichtung gegenüber dem Crédit Agricole erfüllt. Damit wäre die materielle Voraussetzung gegeben, um gemäss der Ausscheidungsvereinbarung die drei andern Bürgen für je einen Drittel der von Misteli erbrachten Bürgschaftsleistung belangen zu können. Das Handelsgericht ist sodann der Ansicht, die Abtretung der Rechte aus der Ausscheidungsvereinbarung dürfe im vorliegenden Aberkennungsprozess nicht angerufen werden, weil sie erst nach der Zustellung des Zahlungsbefehls stattgefunden habe. Diese Auffassung widerspricht jedoch der Rechtsprechung des Bundesgerichtes, wonach der Aberkennungsbeklagte im Aberkennungsprozess seinen Anspruch anders begründen kann als im Betreibungs- und Rechtsöffnungsverfahren und die Natur der Aberkennungsklage der Berücksichtigung einer erst während der Betreibung erfolgten Abtretung nicht entgegensteht ( BGE 78 II 160 , BGE 83 II 214 , BGE 91 II 111 ). 5. - Die Beklagte beruft sich schliesslich noch auf die Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung. Sie macht geltend, wenn das Bundesgericht zum Schluss komme, der Inhalt des Schreibens des Crédit Agricole vom 5. August 1967 entspreche nicht der Wahrheit, sei der Kläger ungerechtfertigt bereichert; denn in diesem Falle sei er aus Irrtum oder andern Gründen zu Unrecht aus der Bürgschaft entlassen worden und BGE 95 II 242 S. 255 müsse daher eine Zahlung nicht leisten, die er auf Grund der wahren Sachlage erbringen müsste. Wie jedoch in Erw. 1 ausgeführt wurde, kann das erwähnte Schreiben des Crédit Agricole nicht als Entlassung des Klägers aus der Bürgschaft aufgefasst werden. Damit ist dem Einwand der Beklagten der Boden entzogen. Der Anspruch der Beklagten aus der Ausscheidungsvereinbarung aber, auf den sich die Beklagte übrigens zur Begründung ihres angeblichen Bereicherungsanspruchs nicht beruft, ist noch nicht beurteilt, sodass eine Bereicherung des Klägers unter diesem Gesichtspunkt nicht in Frage kommt.
de
a0c880b8-4eaa-4bd9-9590-85fe9e5c5ed8
Erwägungen ab Seite 482 BGE 141 III 481 S. 482 Aus den Erwägungen: 3. Wird eine Eingabe, die mangels Zuständigkeit zurückgezogen oder auf die nicht eingetreten wurde, innert eines Monates seit dem Rückzug oder dem Nichteintretensentscheid bei der zuständigen Schlichtungsbehörde oder beim zuständigen Gericht neu eingereicht, so gilt als Zeitpunkt der Rechtshängigkeit das Datum der ersten Einreichung ( Art. 63 Abs. 1 ZPO ). Vorbehalten bleiben die besonderen gesetzlichen Klagefristen nach dem SchKG ( Art. 63 Abs. 3 ZPO ). Die Frist von 20 Tagen für die Einreichung der Aberkennungsklage nach Art. 83 Abs. 2 SchKG ist nach Massgabe von Art. 63 ZPO eingehalten, wenn die Eingabe vorerst bei einem unzuständigen Gericht eingereicht, dann aber innert 20 Tagen nach dem Nichteintretensentscheid desselben bei der zuständigen Behörde neu eingegeben wird. 3.1 Diese Regel gilt - Fälle von Rechtsmissbrauch vorbehalten - auch, wenn sich nach einem ersten Nichteintretensentscheid das als zweites angerufene Gericht ebenfalls für unzuständig erklärt ( BGE 138 III 471 E. 6 S. 481 f. mit Hinweisen), und es bestehen keine überzeugenden Gründe dagegen, sie auch mehrmals in der Folge anzuwenden (ISABELLE BERGER-STEINER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 49 zu Art. 63 ZPO ; FRANÇOIS BOHNET, in: CPC, Code de procédure civile commenté, Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 26 zu Art. 63 ZPO ; SUTTER-SOMM/HEDINGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 19 zu Art. 63 ZPO ; MARKUS MÜLLER-CHEN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 16 zu Art. 63 ZPO ; STEPHEN V. BERTI, in: ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 8 zu Art. 63 ZPO ; a.M. DOMINIK BGE 141 III 481 S. 483 INFANGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 10 f. zu Art. 63 ZPO ). Die Vorinstanz vertritt denn auch zu Recht nicht die Auffassung, dass die mehrfache Einreichung einer Aberkennungsklage bei unzuständigen Gerichten einer Anwendung von Art. 63 ZPO grundsätzlich im Wege stehen würde. Tatsächliche Feststellungen, aus denen im vorliegenden Fall auf ein - von der Beschwerdegegnerin im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemachtes und von der Beschwerdeführerin bestrittenes - rechtsmissbräuchliches Verhalten geschlossen werden könnte, traf die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid nicht, da sie die Anwendbarkeit von Art. 63 ZPO schon aus einem anderen Grund verneinte. 3.2 Die Vorinstanz erwog, Art. 63 ZPO setze voraus, dass die gleiche Eingabe, auf die ein Gericht mangels Zuständigkeit nicht eintrat, beim zuständigen Gericht neu eingereicht werde; Identität des Streitgegenstandes genüge nicht. Die neu eingereichte Eingabe der Beschwerdeführerin habe indessen nur noch wenig Gemeinsamkeiten mit der ursprünglich eingereichten Klageschrift. Damit fehle es an einer Voraussetzung zur Anwendung von Art. 63 ZPO , weshalb eine Rückdatierung der Rechtshängigkeit nicht erfolgen könne und die Aberkennungsklage bezüglich des der Beschwerdeführerin am 21. März 2014 zugestellten Rechtsöffnungsentscheids bei der Vorinstanz verspätet eingereicht worden sei. 3.2.1 Die Beschwerdeführerin rügt, Art. 63 ZPO verlange entgegen der vorinstanzlichen Auffassung nicht, dass die gleiche Eingabe beim zuständigen Gericht neu eingereicht werde, sondern lasse die Identität des Streitgegenstands genügen. Die an ihrer Eingabe vorgenommenen Änderungen müssten ohne weiteres zulässig sein. Die Rechtsbegehren seien unstrittig gleich geblieben. Soweit Änderungen und Ergänzungen der Klageschrift vorgenommen worden seien, seien sie zum Grossteil aufgrund der Anrufung eines unzuständigen Gerichts notwendig gewesen und hätten im Übrigen den gleichen Lebenssachverhalt betroffen. Das Klagefundament sei nicht geändert worden. Eine rechtzeitig neu eingereichte und grundsätzlich gleiche Klage wegen zulässigen Änderungen und Ergänzungen mangels Identität mit der ersten Eingabe als verspätet zu betrachten, widerspreche dem Schutzzweck von Art. 63 ZPO . Die Vorinstanz habe im Übrigen offensichtlich unrichtig und willkürlich festgestellt, dass die BGE 141 III 481 S. 484 neu eingereichte Aberkennungsklage nur noch wenig Gemeinsamkeiten mit der ursprünglich eingereichten Klageschrift habe. 3.2.2 Das Bundesgericht äusserte sich bislang nicht zur strittigen Frage, ob Art. 63 ZPO die Neueinreichung der gleichen Eingabe beim zuständigen Gericht verlangt, und in der Lehre sind die Meinungen dazu geteilt. Zu berücksichtigen ist dabei ausser dem Schrifttum zu Art. 63 ZPO auch die Literatur zu den Bestimmungen von Art. 34 des Bundesgesetzes vom 24. März 2000 über den Gerichtsstand in Zivilsachen (Gerichtsstandsgesetz, GestG; AS 2000 2355), von aArt. 32 Abs. 3 SchKG sowie von aArt. 139 OR, die allesamt mit Inkrafttreten der ZPO aufgehoben wurden (AS 2010 1739 ff., 1837, 1840, 1848). Denn sowohl die Regelung von Art. 63 ZPO wie diejenigen nach Art. 34 GestG und nach aArt. 32 Abs. 3 SchKG gehen auf das gemeinsame "Urbild" von aArt. 139 OR zurück ( BGE 138 III 610 E. 2.6). Mehrere Autoren fordern, die klagende Partei, die in den Genuss des Erhalts der Rechtshängigkeit kommen wolle, müsse die gleiche Eingabe bzw. exakt die gleiche Klage, die sie ursprünglich bei einem unzuständigen Gericht eingereicht habe, neu bei der zuständigen Behörde bzw. beim zuständigen Gericht einreichen (MÜLLER-CHEN, a.a.O., N. 16 zu Art. 63 ZPO ; MARIELLA ORELLI, in: Gerichtsstandsgesetz, Müller/Wirth [Hrsg.], 2001, N. 52 zu Art. 34 GestG ;ANDRÉ BLOCH, Die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit von Amtes wegen und die Folgen bei örtlicher Unzuständigkeit gemäss Art. 34 GestG , 2003, S. 235 f.). Ähnlich äussern sich verschiedene weitere Autoren, welche die Ansicht vertreten, der Kläger sei bei der Neuanbringung der Klage grundsätzlich an den bislang vorgebrachten Prozessstoff bzw. die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen und seine Klagebegehren gebunden; Identität des Streitgegenstands genüge nicht (INFANGER, a.a.O., N. 12 zu Art. 63 ZPO ; derselbe , in: Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen, Kommentar, Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], 2001, N. 34 zu Art. 34 GestG ;SUTTER-SOMM/HEDINGER, a.a.O., N. 16 zu Art. 63 ZPO ; CHRISTOPH LEUENBERGER, Rechtshängigkeit bei fehlender Zuständigkeit und falscher Verfahrensart [Art. 63ZPO], SZZP 2013 S. 169 ff., 173). BECKER (Berner Kommentar, 1913, N. 3 zu Art. 139 OR ) und BOHNET (a.a.O., N. 27 zu Art. 63 ZPO ) sprechen sich für die Bindung an das ursprünglich gestellte Rechtsbegehren bzw. den Anspruch aus, BGE 141 III 481 S. 485 ohne sich ausdrücklich über die Zulässigkeit von weiteren Veränderungen des Prozessstoffes zu äussern. Einzig BERGER-STEINER (a.a.O., N. 39 f. zu Art. 63 ZPO ) will aus prozessökonomischen Gründen Veränderungen der Eingabe (bereits) bei ihrer erneuten Einreichung entsprechend den Regeln über die Klageänderung zulassen, wobei erst recht solche Modifikationen zulässig sein müssten, die noch nicht als eigentliche Klageänderungen zu qualifizieren seien. 3.2.3 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen ( BGE 141 III 155 E. 4.2 mit Hinweisen). 3.2.4 Wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, verlangt der Wortlaut von Art. 63 Abs. 1 ZPO nicht ausdrücklich als Voraussetzung für eine Rückdatierung der Rechtshängigkeit, dass die gleiche Eingabe beim zuständigen Gericht neu eingereicht werden muss. In diese Richtung deutet allerdings der französische Gesetzestext ("Si l'acte introductif d'instance [...] estréintroduit [...] devant letribunal[...] compétent") wie auch dieitalienische Fassung der Bestimmung ("Se l'atto [...] èriproposto [...] davanti al giudice oall'autorità competenti"). Dass die gleiche Eingabe eingereicht werden muss, um eine Rückdatierung der Rechtshängigkeit zu bewirken, könnte insoweit auch aus dem deutschen Wortlaut der Bestimmung abgeleitet werden, als darin von der neuen Einreichung einer "Eingabe" die Rede ist. Ob dieser Schluss aus dem deutschen Text gezogen werden kann, erscheint immerhin vor dem Hintergrund unklar, als im VE-ZPO noch BGE 141 III 481 S. 486 von der Neueinreichung einer "Klage" die Rede war und das Wort "Klage" erst im bundesrätlichen Entwurf zur ZPO durch "Eingabe" ersetzt wurde, womit lediglich bezweckt wurde, den Anwendungsbereich der Bestimmung weit zu fassen (BERGER-STEINER, a.a.O., N. 1 und 13 zu Art. 63 ZPO ). Den Materialien lässt sich sodann nichts darüber entnehmen, was als Neueinreichung der "Eingabe" zu verstehen ist (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] [fortan: Botschaft], BBl 2006 7221 ff., 7277 f. Ziff. 5.4 zu Art. 61 E-ZPO; BERGER-STEINER, a.a.O., N. 39 zu Art. 63 ZPO ). Sinn und Zweck der Norm von Art. 63 Abs. 1 ZPO liegen darin, die als unbillig empfundene Konsequenz zu vermeiden, dass eine unrichtige Klageeinleitung und der daraufhin ergehende Nichteintretensentscheid oder der Klagerückzug angebrachtermassen zu einem Rechtsverlust des Ansprechers führen, weil damit die mit der ursprünglichen Klageanhebung eingetretene Rechtshängigkeit wieder entfällt und dadurch Klage- oder Verjährungsfristen nicht mehr gewahrt sind (Botschaft, a.a.O., 7277 Ziff. 5.4 zu Art. 61 E-ZPO; BERGER-STEINER, a.a.O., N. 6 zu Art. 63 ZPO ; MÜLLER-CHEN, a.a.O., N. 1 zu Art. 63 ZPO ; INFANGER, a.a.O., N. 1 zu Art. 63 ZPO ; SUTTER-SOMM/HEDINGER, a.a.O., N. 6 zu Art. 63 ZPO ; vgl. auch BGE 136 III 545 E. 3.1 S. 547 f. und E. 3.2 S. 550 [zu aArt. 139 OR]). Dem Kläger darüber hinaus Gelegenheit zu geben, seine Eingabe im Hinblick auf die Neueinreichung zu verändern bzw. zu verbessern, liegt ausserhalb der Zweckbestimmung von Art. 63 ZPO . Dies hat die Vorinstanz zutreffend erkannt. Die Vorinstanz berücksichtigte darüber hinaus zu Recht, dass die Parteien im ordentlichen Verfahren nur zweimal das Recht haben, unbeschränkt Tatsachen und Beweise vorzutragen ( BGE 140 III 312 E. 6.3.2.3 S. 314 unten). Würde im Fall einer mehrmaligen Einreichung der Klage bei unzuständigen Behörden und einer mehrmaligen Auslösung der Nachfrist bei jeder Neueinreichung eine Änderung der Eingabe zugelassen, führte dies zu einer Bevorteilung der klagenden Partei. Sie würde von den Vorzügen der Rechtshängigkeit profitieren, hätte aber auf der anderen Seite die damit verbundenen Lasten nicht zu tragen. Aus diesen Gründen schliesst sich das Bundesgericht der Vorinstanz sowie den Autoren an, die fordern, dass die identische Eingabe BGE 141 III 481 S. 487 einzureichen ist. Angeführte Gründe der Prozessökonomie mögen dagegen nicht aufzukommen. Soweit Verbesserungen und Ergänzungen der ursprünglichen Eingabe erforderlich sind oder der Ansprecher solche für notwendig erachtet, hat er dieselben im Rahmen der Möglichkeiten vorzunehmen, die ihm das Prozessrecht nach Eintritt der Rechtshängigkeit im weiteren Verfahren vor der zuständigen Instanz einräumt, unter der Verfahrensleitung derselben (namentlich Mängelbehebung nach Art. 132 Abs. 2 ZPO ; weitere Vorbingen gemäss den in BGE 140 III 312 E. 6.3.2.3 S. 314 fixierten Regeln, allenfalls nach Ausübung der richterlichen Fragepflicht; Novenrecht; gegebenenfalls Klageänderung nach Art. 227 ZPO ). Art. 63 ZPO erfasst nur die fehlende Zuständigkeit und die Klageeinleitung im unrichtigen Verfahren, also weder das Fehlen anderer Prozessvoraussetzungen noch formelle Mängel der Eingabe. Dem Ansprecher zu erlauben, die ursprüngliche Eingabe unter der bestehenden Rechtshängigkeit nach seinem Gutdünken zu verändern, bis er an die zuständige Instanz gelangt, rechtfertigt sich nicht. Die Auffassung von BERGER überzeugt nicht und ist auch nicht praktikabel, da es nicht Aufgabe der letztlich zuständigen Behörde sein kann, die neu eingereichte Eingabe auf zulässige und unzulässige Veränderungen zu überprüfen (vgl. BERGER-STEINER, a.a.O., N. 39 zu Art. 63 ZPO ). Die Beschwerdeführerin geht daher fehl, wenn sie vorbringt, die Vorinstanz hätte auf die neu eingereichte Klage auch eintreten müssen, wenn diese unzulässige Änderungen oder Ergänzungen enthalten hätte, wobei sie allenfalls die unzulässigen Änderungen oder Ergänzungen hätte aus dem Recht weisen können. Damit verkennt die Beschwerdeführerin überdies, dass für die Beurteilung von Vorgängen, welche die Wahrung von Fristen beeinflussen, im Interesse der Rechtssicherheit einfache und klare Grundsätze aufzustellen sind (vgl. Urteil 4A_374/2014 vom 26. Februar 2015 E. 3.2). Um der Praktikabilität willen ist daher zu verlangen, dass der Ansprecher die gleiche Rechtsschrift, die er ursprünglich bei einem unzuständigen Gericht eingegeben hat, im Original bei der von ihm für zuständig gehaltenen Behörde neu einreicht; die von ihm ursprünglich angerufene, unzuständige Behörde hat ihm zu diesem Zweck auf sein Verlangen hin die mit ihrem Eingangsstempel versehene Originaleingabe zurückzusenden (in diesem Sinn BLOCH, a.a.O., S. 235 f.; zum Verzicht des Gesetzgebers, im Rahmen des Zivilprozesses eine Weiterleitungspflicht der Behörden an die zuständige Instanz zu BGE 141 III 481 S. 488 statuieren: Botschaft, a.a.O., S. 7277; s. ferner BGE 130 III 515 E. 5 [zu aArt. 32 Abs. 3 SchKG]). Im Fall, dass die ursprüngliche Eingabe, wie hier, in einer anderen Amtssprache abgefasst wurde ( Art. 129 ZPO ), hat der Ansprecher der Originaleingabe überdies eine Übersetzung derselben beizulegen. Selbstverständlich steht es dem Ansprecher darüber hinaus frei, der neu eingereichten Eingabe ein erklärendes Begleitschreiben beizufügen, das namentlich Ausführungen darüber enthalten kann, dass zunächst eine unzuständige Behörde angerufen wurde und nun eine Neueinreichung der Eingabe bei der für zuständig erachteten Instanz erfolgt. Die Vorinstanz verletzte demnach Art. 63 ZPO nicht, indem sie verlangte, dass die Beschwerdeführerin bei ihr die gleiche Eingabe hätte neu einreichen müssen, die sie ursprünglich, am 25. März 2014, beim Tribunal civil de l'arrondissement de la Broye eingereicht habe, und indem sie auf die veränderte Eingabe bzw. die Klage der Beschwerdeführerin nicht eintrat. 3.3 Dabei kann offenbleiben, ob die Vorinstanz, wie die Beschwerdeführerin rügt, willkürlich festgestellt hat, dass die neu eingereichte Aberkennungsklage vorliegend nur noch wenig Gemeinsamkeiten mit der ursprünglichen Klageschrift habe. Denn die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Rüge nicht geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht festgestellt, ihre ursprüngliche Eingabe sei nicht im vorstehenden Sinn mit ihrer neuen Eingabe identisch. Sie vertritt bloss den Standpunkt, ihre neue Eingabe enthalte nur zulässige Veränderungen der ursprünglichen Rechtsschrift. Dies ist nach dem Gesagten indessen unbehelflich, da die Vorinstanz die Anwendbarkeit von Art. 63 ZPO zutreffend mangels Neueinreichung der identischen Eingabe verneinte und eine Rückdatierung der Rechtshängigkeit zu Recht ablehnte.
de
0597acd4-181f-48c3-a1bb-e59de68cc87d
Sachverhalt ab Seite 131 BGE 120 III 131 S. 131 A.- In den Betreibungen Nr. 9138/8466 und 10301 des Betreibungsamtes X. gegen Erich D. wurden Forderungen gegen Jean Z. und die B.-Holding AG gepfändet. Es handelt sich dabei um bestrittene Forderungen, über die vor der I. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern ein Prozess geführt wird. BGE 120 III 131 S. 132 B.- Am 21. Juni stellte Erich D. den Antrag, analog Art. 132 SchKG habe die Aufsichtsbehörde das Verfahren für die Verwertung der gepfändeten Forderungen zu bestimmen. Die Verwertung sollte dadurch geschehen, dass der Schuldner verpflichtet werde, den im Prozesses über die gepfändeten Forderungen erstrittenen Erlös dem Betreibungsamt abzuliefern, soweit dies zur Befriedigung der Gläubiger nötig sei, das Betreibungsamt über den weiteren Gang des Prozesses zu unterrichten und ohne Zustimmung dieses Amtes keinerlei Vergleiche abzuschliessen. Auf Antrag des Betreibungsamtes X. wies der Gerichtspräsident von X. das Gesuch mit Entscheid vom 20. Juli 1994 ab. Die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern wies einen Rekurs von Erich D. mit Entscheid vom 13. September 1994 ab und bestätigte das Urteil des Gerichtspräsidenten von X. C.- Erich D. gelangt mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Weitere Vernehmlassungen sind keine eingeholt worden. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Das SchKG kennt als ordentliche Verwertungsart die öffentliche Versteigerung der Vermögenswerte, weil diese in der Regel am meisten Gewähr dafür bietet, dass ein objektiver Erlös erzielt werden kann. Diese Verwertungsart ist im Gesetz ausdrücklich auch für Forderungen vorgesehen (Art. 122 i.V.m. Art. 125 SchKG ; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. I, Zürich 1984, § 30, Rz. 22). Sofern eine Forderung allerdings fällig und unbestritten ist, hat sie das Betreibungsamt ohne weiteres einzuziehen ( Art. 100 SchKG ; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 1993, S. 223). Neben der öffentlichen Versteigerung sieht das Gesetz ausserordentliche Verwertungsarten vor. Abgesehen vom Freihandverkauf ( Art. 130 SchKG ) lässt das Gesetz, weil der Verkauf bestrittener Forderungen wenig verspricht (FRITZSCHE/WALDER, § 30 Rz. 22), insbesondere die Forderungsüberweisung zu ( Art. 131 SchKG ). Die Forderungsüberweisung kann allerdings nicht gegen den Willen der Gläubiger erfolgen, auch wenn bei der Übernahme eines BGE 120 III 131 S. 133 gepfändeten Anspruchs zur Eintreibung ( Art. 131 Abs. 2 SchKG ) nicht immer alle Gläubiger zustimmen müssen ( BGE 43 III 62 f.; AMONN, S. 232; BBl 1991 III 96). Bei Vermögensbestandteilen anderer Art überlässt es zudem das Gesetz der Aufsichtsbehörde, die geeignete Verwertungsart zu bestimmen ( Art. 132 SchKG ). Wie bereits im kantonalen Verfahren verlangt der Rekurrent auch mit seinem Rekurs an das Bundesgericht, dass die Aufsichtsbehörde eine andere Verwertungsart als die öffentliche Versteigerung anordnet. Er befürchtet, dass die im Prozess liegenden Forderungen nur einen im Verhältnis zu ihrem angeblichen Nominalbetrag kleinen Erlös bringen. Seines Erachtens wäre es sowohl in seinem eigenen Interesse wie auch in jenem der Gläubiger angezeigt, ihn die Prozesse weiterführen und das Prozessergebnis dem Betreibungsamt abliefern zu lassen, soweit es für die Befriedigung der Gläubiger einschliesslich der Kosten nötig ist. 2. Wie schon die kantonalen Instanzen festgestellt haben, hätte das vom Rekurrenten vorgeschlagene Vorgehen den Vorteil, dass die Forderungen im Rahmen ihres tatsächlichen Bestandes und nicht nur eines allfälligen Versteigerungserlöses zur Befriedigung der Gläubiger herangezogen werden könnten und ein Überschuss überdies dem Rekurrenten verbliebe. Andererseits wäre die Folge, dass die Gläubiger bis zum Abschluss des Prozesses überhaupt nichts erhielten. Es fragt sich somit, ob ein solches Vorgehen zulässig und - falls dies zu bejahen ist - mit Blick auf die beteiligten Interessen nach Ermessen der Aufsichtsbehörde angezeigt ist ( Art. 132 Abs. 3 SchKG ). Art. 132 Abs. 1 handelt von Vermögensbestandteilen "anderer Art". Diese werden durch die anschliessenden Beispiele konkretisiert. Dabei handelt es sich regelmässig um Vermögensrechte, die entweder gar nicht oder nur in begrenztem Rahmen übertragbar sind. Nach herrschender Lehre gehören Geldforderungen, auch wenn sie bestritten sind, nicht dazu (JAEGER, Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, Zürich 1911, N. 1 zu Art. 132 SchKG ). Dafür kann sich die Lehre auf die Gesetzessystematik abstützen, weil die vorstehende Bestimmung ( Art. 131 SchKG ) in ihrem ersten Absatz von Geldforderungen, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, und in ihrem zweiten Absatz allgemein von "Ansprüchen" handelt, die zur Eintreibung übernommen werden können. Eine direkte Anwendung von Art. 132 kommt damit nicht in Frage. Dies hat der Rekurrent nicht verkannt. Er macht aber geltend, es liege eine Gesetzeslücke vor, die im Sinne von Art. 132 SchKG zu füllen sei. BGE 120 III 131 S. 134 3. a) Das Gesetz sieht für die Verwertung von Forderungen ein Verfahren vor, dass unbestrittenermassen vorliegend auch grundsätzlich möglich ist. Die vom Rekurrenten geltend gemachte Besonderheit des vorliegenden Falles, dass nämlich über die gepfändete Forderung bereits ein Prozess hängig sei, weicht nicht derart stark vom Normalfall ab, so dass von einem im Gesetz nicht geregelten Sachverhalt ausgegangen werden könnte (vgl. BGE 118 II 140 ). Als unbefriedigend erscheint, dass eine Forderung bei der Versteigerung wesentlich weniger einbringt, als bei ihrer Durchsetzung zu erwarten ist. Diese Gefahr besteht indessen nicht nur bei im Prozess liegenden sondern bei allen bestrittenen Forderungen. Das Gesetz sieht aber die Versteigerung gerade für bestrittene Forderungen vor. Auf unbestrittene und fällige Forderungen findet nämlich nicht Art. 125 sondern Art. 100 SchKG Anwendung. Zudem kennt das Gesetz selber die Möglichkeit, die Forderung den Gläubigern zur Eintreibung oder an Zahlungsstatt zuzuweisen ( Art. 131 SchKG ). Dadurch wird die Gefahr eines unzureichenden Verwertungsergebnisses vermieden. Dieses Vorgehen setzt allerdings das Einverständnis der Gläubiger voraus. Art. 131 SchKG zeigt aber, dass der Gesetzgeber das Problem gesehen, jedoch eine andere Lösung als die vom Rekurrenten verlangte verankert hat. Insofern liegt keine echte Lücke vor. b) Es fragt sich demgemäss nur, ob eine unechte Lücke gegeben ist. Darunter wird eine Regelung im Gesetz angesehen, die zwar auf die sich stellende Rechtsfrage eine Antwort gibt, welche aber derart unbefriedigend ist, dass angenommen werden muss, es fehle eine Ausnahmebestimmung (vgl. MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 1962, N. 271 zu Art. 1 ZGB ). Es fehlt nicht eine Regelung, sondern die vom Gesetz vorgesehene soll korrigiert werden. Damit wird aber der Rahmen von Art. 1 Abs. 2 ZGB gesprengt. Das Gericht ist nicht Gesetzgeber. Es ist zur Lückenfüllung nur berechtigt, wenn das Gesetz auf eine Frage schweigt, die sich tatsächlich stellt ( BGE 117 III 3 E. 2b). Entsprechend verbindet die Lehre den Begriff der unechten Lücke mit Art. 2 Abs. 2 ZGB (DESCHENAUX, Der Einleitungstitel, SPR Bd II, Basel und Stuttgart 1967, S. 100; MEIER-HAYOZ, N. 295 zu Art. 1 ZGB ; MERZ, Berner Kommentar, 1962, N. 25 zu Art. 2 ZGB ). Nur wenn die Anwendung der im Gesetz vorgesehenen Norm einen offensichtlichen Rechtsmissbrauch darstellte, kann das Gericht von ihr abweichen. Eine Lückenfüllung ausserhalb des von Art. 2 ZGB gesteckten Rahmens ist grundsätzlich unzulässig (MEIER-HAYOZ, N. 302 ff. zu Art. 1 ZGB ). BGE 120 III 131 S. 135 c) Vorliegend sind die Voraussetzungen von Art. 2 ZGB indessen nicht gegeben. Dass die Gläubiger kein Vorgehen nach Art. 131 SchKG beantragt haben, ist ihr gutes Recht, müssten sie doch diesfalls ein erhebliches Kostenrisiko eingehen. Überdies erhielten sie vorerst gar nichts, sondern müssten den Prozessausgang abwarten. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ihr Entscheid in irgend einer Weise rechtsmissbräuchlich wäre. Die Vorinstanz hat es deshalb zu Recht abgelehnt, in analoger Anwendung von Art. 132 SchKG besondere Anordnungen für die Verwertung zu treffen, und der Rekurs ist abzuweisen.
de
5d0d7c33-abd7-405b-b712-2984ff857758
Sachverhalt ab Seite 250 BGE 133 IV 249 S. 250 A. Am 22. August 2002 kam es zwischen dem Inhaber eines zahntechnischen Labors, A., und seiner Angestellten B. am Arbeitsplatz zu einer verbalen Auseinandersetzung. B. war gerade im Begriff, nach Hause zu gehen, weshalb sie die Tür des zahntechnischen Labors zum Treppenhaus bereits geöffnet hatte. B. griff im Verlauf der verbalen Auseinandersetzung in ihre Handtasche und wählte, von A. unbemerkt, auf dem Mobiltelefon unter Verwendung einer Kurzwahltaste die Nummer des Mobiltelefons ihrer Kollegin C. Diese nahm den Anruf entgegen und konnte nun die verbale Auseinandersetzung zwischen A. und B. mitverfolgen. C. zog X. herbei, die eine Zeitlang über das Mobiltelefon von C. das Gespräch zwischen A. und B. ebenfalls mithörte. B. Das Amtsgericht Luzern-Stadt sprach X. am 13. Dezember 2005 des Abhörens fremder Gespräche im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte sie mit einer Busse von 100 Franken. Das Obergericht des Kantons Luzern wies die von X. erhobene Kassationsbeschwerde am 20. Dezember 2006 ab. C. X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde unter anderem mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen, eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. D. Das Obergericht beantragt unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern hat auf Vernehmlassung verzichtet. A. beantragt in seiner Vernehmlassung, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Gemäss Art. 179 bis Abs. 1 StGB wird, auf Antrag, mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer ein fremdes nichtöffentliches Gespräch, ohne die Einwilligung aller daran Beteiligten, mit einem Abhörgerät abhört oder auf einen Tonträger aufnimmt. 2.1 Die Vorinstanz geht davon aus, dass das für die Beschwerdeführerin unstreitig fremde Gespräch zwischen B. und dem Beschwerdegegner ein nichtöffentliches war. Sie nimmt ohne nähere Begründung an, das Mobiltelefon sei im vorliegenden Fall ein Abhörgerät BGE 133 IV 249 S. 251 gewesen. Sie legt der Beschwerdeführerin zur Last, dass diese das Gespräch aufmerksam mitverfolgt habe. Dies sei ein Tun, nicht ein Unterlassen. Daher stelle sich die Frage nicht, ob der Tatbestand von Art. 179 bis Abs. 1 StGB auch in der Form eines unechten Unterlassungsdelikts erfüllt werden könne und gegebenenfalls die Beschwerdeführerin aufgrund einer Garantenstellung verpflichtet gewesen sei, sich zu entfernen beziehungsweise das Mobiltelefon C. zurückzugeben respektive diese aufzufordern, das Gerät abzuschalten. 2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Tathandlung des "Abhörens" sei klar abzugrenzen vom (zufälligen) "Hören" im Sinne von "Vernehmen". Das nicht im Voraus geplante, in diesem Sinne zufällige Hören beziehungsweise Vernehmen eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs über ein Telefon, einen Lautsprecher oder ein anderes Gerät sei nicht ein "Abhören" im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB . Die von der Vorinstanz eingeführten Kriterien des aktiven, aufmerksamen, interessierten Hörens seien nicht justiziabel und nicht relevant. Das Hören sei keine Tätigkeit im strafrechtlichen Sinne. Erst der zum Hören hinzutretende, im Voraus geplante Einsatz eines Abhörgeräts führe dazu, dass das Hören zu einem Abhören werden könne. Daran fehle es im vorliegenden Fall. C. habe im Zeitpunkt der Entgegennahme des Anrufs von B. noch keine Ahnung haben können, was vor sich gegangen sei, und daher das Mobiltelefon nicht verbotenerweise als Abhörgerät eingesetzt. Die Beschwerdeführerin macht im Weiteren geltend, sie selbst habe, als C. ihr das Mobiltelefon übergeben habe, anfänglich keine Ahnung gehabt, was sich abgespielt habe, und erst im Lauf der Zeit realisiert, worum es gegangen sei. Aus der straflosen Entgegennahme eines Telefons werde durch blosses Nicht-Beenden der Verbindung auch bei zunehmend richtiger Interpretation des Gehörten nicht ein "Abhören" im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB . Entscheidend sei, dass es an einem im Voraus geplanten Einsatz eines Abhörgeräts fehle. Zudem ermangle es vorliegend einer Handlungspflicht (Garantenstellung), welche ein Beenden der Verbindung geboten hätte. Die Straftat des Abhörens mit einem Abhörgerät sei im Übrigen ein schlichtes Tätigkeitsdelikt und könne daher nicht durch Unterlassen begangen werden. Die Beschwerdeführerin macht im Weiteren geltend, dass ein Mobiltelefon, welches von der angerufenen Person normal - d.h. ohne vorherige Absprachen etc. - zur Entgegennahme eines Anrufs verwendet werde, kein "Abhörgerät" im BGE 133 IV 249 S. 252 Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB sei. Sodann sei das im zahntechnischen Labor geführte Gespräch kein nichtöffentliches gewesen. Es habe von beliebigen Personen im Treppenhaus des Geschäftsgebäudes gehört werden können, da die Tür des zahntechnischen Labors zum Treppenhaus zunächst ganz und dann noch eine Handbreit offen gewesen sei. 2.3 Der Beschwerdegegner macht geltend, die Beschwerdeführerin habe das Gespräch nicht zufällig oder gar gezwungenermassen mitgehört. Vielmehr habe sie wiederholt das Mobiltelefon von C. entgegengenommen und an ihr Ohr gehalten. Jedenfalls ab der zweiten Entgegennahme des Mobiltelefons habe sie gewusst, dass das Gespräch, welches sie belauscht habe, ein fremdes nichtöffentliches gewesen sei. Indem sie das Mobiltelefon von C. mehrmals entgegengenommen und an ihr Ohr gehalten habe, habe sie vorsätzlich durch aktives Tun ein fremdes nichtöffentliches Gespräch abgehört. Da somit nicht bloss eine Unterlassung vorliege, stelle sich die Frage der Garantenpflicht nicht. Den Tatbestand könne auch erfüllen, wer die technischen Voraussetzungen zum Abhören nicht selber geschaffen habe. Soweit die Beschwerdeführerin als Voraussetzung für eine Verurteilung als entscheidend erachte, dass der Täter vorausplanend ein Abhörgerät einsetze, um damit ein fremdes nichtöffentliches Gespräch zu belauschen, sei diese Voraussetzung vorliegend ohnehin erfüllt. Die Entgegennahme eines Mobiltelefons zum Abhören eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs stelle einen im Voraus geplanten Einsatz eines Abhörgeräts dar. Auch ein Mobiltelefon könne je nach seinem Verwendungszweck im konkreten Fall, der massgebend sei, als Abhörgerät im Sinne von Art. 179 bis StGB qualifiziert werden. Das Gespräch zwischen dem Beschwerdegegner und B. sei nichtöffentlich gewesen. 3. 3.1 Die verbale Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdegegner und B. war für die Beschwerdeführerin unstreitig ein fremdes Gespräch im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB . 3.2 3.2.1 Das zahntechnische Labor, in welchem die verbale Auseinandersetzung stattfand, befindet sich in einem Geschäftshaus. Die Tür des Labors zum Treppenhaus war zunächst weit und, nachdem B. sie zugeschoben hatte, noch eine Handbreit offen. Es war daher davon auszugehen und damit zu rechnen, dass irgendwelche BGE 133 IV 249 S. 253 Personen, die sich zufälligerweise gerade im Treppenhaus befanden, das insbesondere vom Beschwerdegegner lautstark geführte Gespräch teilweise hören konnten. Die Beschwerdeführerin meint, das Gespräch sei daher nicht im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB nichtöffentlich gewesen. 3.2.2 Der Begriff der Öffentlichkeit wird im Strafgesetzbuch in verschiedenen Zusammenhängen verwendet und ist nicht bei allen Straftatbeständen gleich auszulegen. Was als öffentlich beziehungsweise nichtöffentlich anzusehen ist, hängt von dem durch die fragliche Strafnorm geschützten Rechtsgut sowie davon ab, warum darin die Öffentlichkeit als strafbegründendes beziehungsweise strafausschliessendes Merkmal vorausgesetzt wird (vgl. BGE 130 IV 111 E. 4.2 und 4.3 S. 117; Urteil 6P.79/2006 vom 6. Oktober 2006, E. 5). Art. 179 bis StGB schützt den Privat- und Geheimbereich. Der Einzelne soll sich in diesem Bereich frei äussern können, ohne Gefahr zu laufen, dass das von ihm geführte Gespräch ohne seinen Willen von einem Dritten mit einem Abhörgerät abgehört oder auf einen Tonträger aufgenommen wird. Dabei ist auch der Ort, an dem das Gespräch geführt wird, zu berücksichtigen. Der öffentliche oder nichtöffentliche Charakter eines Gesprächs hängt daher auch wesentlich davon ab, ob es in einem privaten oder allgemein zugänglichen Umfeld stattfindet (Urteil 6P.79/2006 vom 6. Oktober 2006, E. 5). 3.2.3 Das Gespräch wurde im zahntechnischen Labor, in welchem sich einzig der Beschwerdegegner und B. aufhielten, und damit in einem privaten Umfeld geführt. Daran ändert nichts, dass die Tür des Labors zum Treppenhaus des Geschäftsgebäudes zunächst ganz und danach noch eine Handbreit offen war. Ob das Gespräch auch als nichtöffentlich anzusehen wäre, wenn es im Treppenhaus selbst stattgefunden hätte, kann hier dahingestellt bleiben. 3.3 Als Abhörgeräte im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB kommen alle technischen Vorrichtungen in Betracht, die das gesprochene Wort über den normalen Klangbereich hinaus durch Verstärkung oder Übertragung vernehmbar machen (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 6. Aufl. 2003, § 12 N. 27; MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 3. Bd., Bern 1984, Art. 179 bis StGB N. 25; PETER VON INS/PETER-RENÉ WYDER, Basler Kommentar, StGB II, 2003, Art. 179 bis StGB N. 11). Darunter fallen etwa Mikrofone mit Draht- oder Funkübermittlung (Minispione) am Ort des Gesprächs oder in weiterer BGE 133 IV 249 S. 254 Entfernung (Richtmikrofone) sowie Vorrichtungen zum Anzapfen der Leitung auf dem Übermittlungsweg (JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID/ANDREAS DONATSCH, Strafrecht III, 8. Aufl. 2003, S. 346). In der Lehre ist strittig, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen Telefonapparate Abhörgeräte sein können (siehe LORENZ ERNI, Die Verletzung der "Vertraulichkeit des Wortes" als Straftat im deutschen und schweizerischen Strafrecht, Diss. Hamburg 1981, S. 122 ff.; zum deutschen Recht HERBERT TRÖNDLE/THOMAS FISCHER, Strafgesetzbuch, 54. Aufl. 2007, § 201 N. 7). Art. 179 bis Abs. 1 StGB bestimmt nicht, dass sich strafbar macht, wer ein fremdes nichtöffentliches Gespräch mit Hilfe einer technischen Vorrichtung abhört. Der Anwendungsbereich der Norm ist nach ihrem Wortlaut auf das "Abhörgerät" ("appareil d'écoute"; "apparecchio d'intercettazione") beschränkt. Abhörgeräte sind nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Geräte, die dazu bestimmt sind beziehungsweise insbesondere dazu dienen, heimlich und damit widerrechtlich Gespräche abzuhören. Von diesem Begriff des Abhörgerätes geht auch Art. 179 sexies StGB ("Inverkehrbringen und Anpreisen von Abhör-, Ton- und Bildaufnahmegeräten") aus. Abhörgeräte zeichnen sich dadurch aus, dass sie angebracht werden können, ohne dass ihr Vorhandensein auch nur von einem der Gesprächsteilnehmer ohne weiteres festgestellt werden könnte (REHBERG/SCHMID/DONATSCH, a.a.O., S. 346). Art. 179 bis StGB schützt den Geheim- und Privatbereich. Mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Norm drängt es sich auf, den Begriff des "Abhörgeräts" über den allgemeinen Sprachgebrauch hinaus in einem weiteren Sinne zu verstehen. Ein "Abhörgerät" ist eine Vorrichtung, die im konkreten Fall zum Abhören eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs verwendet wird. Auch Telefonapparate und Mobiltelefone können somit, je nach ihrer konkreten Verwendung im Einzelfall, Abhörgeräte im Sinne von Art. 179 bis StGB sein. Das Mobiltelefon von C. war im konkreten Fall spätestens ab dem Zeitpunkt ein Abhörgerät im Sinne von Art. 179 bis StGB , als darin das Gespräch zwischen zwei Personen hörbar war. 3.4 Tatbestandsmässig handelt, wer vorsätzlich ein Gespräch "mit einem Abhörgerät abhört" (celui qui "aura écouté à l'aide d'un appareil d'écoute" une conversation; chiunque "ascolta con un apparecchio d'intercettazione" una conversazione). Das tatbestandsmässige Verhalten besteht aus zwei Elementen, nämlich darin, dass der BGE 133 IV 249 S. 255 Täter vorsätzlich erstens ein Abhörgerät einsetzt und zweitens mit diesem Gerät ein fremdes nichtöffentliches Gespräch hört. Erforderlich ist somit, dass der Täter zunächst eine Vorrichtung in Betrieb setzt mit dem Willen, damit ein fremdes nichtöffentliches Gespräch zu hören, und dass er anschliessend über das Gerät ein solches Gespräch hört. Das Abhören mit einem Abhörgerät ist mehr als nur das zufällige Zugegensein und Mithören des durch ein solches Gerät übermittelten fremden nichtöffentlichen Gesprächs. Täter des Abhörens kann vielmehr nur sein, wer das von ihm oder einem andern angebrachte beziehungsweise in Betrieb gesetzte Gerät gezielt als Mittel dazu benützt, das fremde nichtöffentliche Gespräch über dessen normalen Klangbereich hinaus hörbar zu machen (vgl. zum insoweit gleichlautenden deutschen Recht SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Kommentar, 27. Aufl. 2006, § 201 N. 20). Abhören bedeutet nicht allein Kenntnisnehmen im Sinne von Hören, sondern setzt ein aktives Verhalten voraus, das begrifflich durch Horchen und Ausforschen gekennzeichnet ist (siehe zum deutschen Recht WERNER KARGL, Nomos-Kommentar, 2. Aufl. 2005, § 201 N. 16). Abhören meint Lauschen/ Horchen, um etwas zu hören (GUNTHER ARZT, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, Tübingen 1970, S. 250, 253). Abhören mit einem Abhörgerät bedeutet Lauschen/Horchen unter Einsatz eines Geräts, um etwas zu hören, was ohne das Gerät nicht hörbar wäre. Das tatbestandsmässige Verhalten beginnt mit der Inbetriebnahme des Geräts. Darin liegt der "Lauschangriff". Doch ist damit die Tat im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB noch nicht vollendet. Hiefür ist zudem erforderlich, dass der Täter über das Gerät ein fremdes nichtöffentliches Gespräch hört; dieses Hören ist das zweite Element der tatbestandsmässigen Ausführung der Tat. Darin unterscheidet sich Art. 179 bis StGB in seiner Struktur etwa vom Tatbestand der Verletzung des Schriftgeheimnisses im Sinne von Art. 179 Abs. 1 StGB , wonach bestraft wird, wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Das tatbestandsmässige Verhalten im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB besteht mithin zusammengefasst im Hören eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs über eine zu diesem Zweck in Betrieb gesetzte Vorrichtung. Nur unter dieser Voraussetzung der zweckgerichteten Inbetriebnahme des Geräts wird das fremde nichtöffentliche Gespräch im Sinne der Bestimmung abgehört. BGE 133 IV 249 S. 256 3.5 Die Beschwerdeführerin hat vorsätzlich ein fremdes nichtöffentliches Gespräch mitverfolgt, welches über das Mobiltelefon von C. hörbar war. Sie hat damit ein Element des zweigliedrigen tatbestandsmässigen Verhaltens erfüllt. Die Beschwerdeführerin hat indessen nicht zum Zweck des Hörens eine technische Vorrichtung in Betrieb gesetzt. Dieses weitere Element des zweigliedrigen tatbestandsmässigen Verhaltens ist somit nicht gegeben. 3.6 Die Beschwerdeführerin war im Übrigen nicht verpflichtet, das Mithören des fremden nichtöffentlichen Gesprächs über das Mobiltelefon von C. zu unterlassen. Sie befand sich rechtlich in einer ähnlichen Lage wie eine Person, die nichtsahnend einen Raum betritt, in den über eine Abhöranlage ein fremdes nichtöffentliches Gespräch übertragen wird, und die, weil sie die Gefahr des Lauschens nicht geschaffen hat, durch das Mithören den Tatbestand nicht erfüllt (siehe dazu GUNTHER ARZT, a.a.O., S. 251, 254). Die Beschwerdeführerin war zufällig in eine Situation geraten, in der sie das im Mobiltelefon von C. hörbare fremde nichtöffentliche Gespräch mitverfolgen konnte. 3.7 Die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen Abhörens fremder Gespräche im Sinne von Art. 179 bis Abs. 1 StGB verstösst somit gegen Bundesrecht. Das angefochtene Urteil ist daher in Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben.
de
0261c36b-db73-43ab-b9c9-05e503f7d3e6
Sachverhalt ab Seite 265 BGE 116 Ia 264 S. 265 Die Eheleute A. und B. M., damals beide im Dienste der Stadt St. Gallen erwerbstätig, machten in der Steuererklärung 1987/88 von den Einkünften des Bemessungsjahres 1986 einen Abzug von Fr. ... entsprechend dem von Frau B. M. (geboren am 22. Mai 1928) am 30. Dezember 1986 geleisteten Beitrag an die städtische Versicherungskasse für den Einkauf von Beitragsjahren (Wegkauf einer Rentenkürzung zufolge beim Eintritt in die Kasse nicht erbrachter Einkaufssumme nach Art. 13 der Kassenstatuten). Sie wurden abweichend von ihrer Steuererklärung für 1987 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. ... veranlagt, wobei ihnen der Abzug von Fr. ... verweigert wurde, dies gestützt auf Ziff. 2 der Übergangsbestimmungen des IV. Nachtragsgesetzes (vom 3. Juli 1986) zum Steuergesetz vom 23. Juni 1970 (StG, sGS 811.1), welche lautet: "2. Beiträge für den Einkauf von Beitragsjahren in der beruflichen Vorsorge können nicht abgezogen werden, wenn das Vorsorgeverhältnis vor dem 1. Januar 1985 begründet wurde und ein Anspruch auf Altersleistungen vor dem 1. Januar 2002 besteht." Die Eheleute M. machten, mit Einsprache, Rekurs an die Verwaltungsrekurskommission und Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen vergeblich geltend, der Abzug sei ihnen zu gewähren und das steuerbare Einkommen auf Fr. ... zu reduzieren, da Ziff. 2 der Übergangsbestimmungen dem zwingenden Art. 81 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG, SR 831.40) widerspreche. Mit Urteil vom 30. August 1989 wies das Verwaltungsgericht als letzte kantonale Instanz ihre Beschwerde (ohne Kostenauflage) ab. BGE 116 Ia 264 S. 266 Gegen dieses Urteil, das ihnen am 6. September 1989 zugestellt wurde, erheben A. und B. M. am 27. September 1989 rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde mit dem Begehren, es sei die Veranlagung für die Staats- und Gemeindesteuern 1987 mit Fr. ... Einkommen aufzuheben und das Einkommen auf Fr. ... zu reduzieren bzw. das Verwaltungsgericht zu einer solchen Reduktion anzuweisen. Sie rügen die Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts durch Missachtung der zwingenden Vorschrift von Art. 81 Abs. 2 BVG . In ihrer Begründung, auf die in den Erwägungen zurückzukommen sein wird, überlassen sie es dem Bundesgericht, die Beschwerde wegen Verletzung von Art. 81 Abs. 2 BVG allenfalls als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln. Das Verwaltungsgericht und die Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen beantragen unter Hinweis auf das angefochtene Urteil, die Beschwerde sei abzuweisen. Die zur Vernehmlassung eingeladene Eidgenössische Steuerverwaltung enthält sich in ihrer Vernehmlassung einer Stellungnahme hinsichtlich der kantonalen Steuern, da ihr diesbezüglich kein Aufsichtsrecht zustehe, und weist lediglich darauf hin, dass der Bundesgesetzgeber für die direkte Bundessteuer in Art. 156 BdBSt die gleiche sinnvolle Einschränkung des Abzugs von Beiträgen für den Einkauf von Beitragsjahren vorgenommen habe. Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde, soweit es darauf eintritt, ab Erwägungen aus folgenden Erwägungen: 2. a) Gemäss Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG , die von einer der in Art. 98 OG aufgeführten Vorinstanzen ausgehen und die unter keine der Ausnahmen der Art. 99-102 OG fallen. Als Verfügungen gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen ( Art. 5 Abs. 1 VwVG ) oder richtigerweise hätten stützen sollen ( BGE 113 Ib 372 E. 1b; BGE 112 Ib 237 E. 2a, mit Hinweisen). b) Dabei kann von einer Verfügung, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützt oder stützen sollte, nicht schon dann die Rede sein, wenn bei der Anwendung selbständigen kantonalen Rechts eine Bundesnorm nur zu beachten oder mit anzuwenden ist, sondern nur wenn öffentliches Recht des Bundes die oder eine BGE 116 Ia 264 S. 267 der Grundlagen bildet, auf der im betreffenden Sachgebiet die Verfügungen im Einzelfall abzustützen sind ( BGE 112 V 113 E. 2d, mit Hinweis auf Pfister, Staatsrechtliche und Verwaltungsgerichts-Beschwerde; Abgrenzungsschwierigkeiten, in: ZBJV 121/1985 S. 533 ff., insbes. S. 549 f.). In den Fällen, in denen Grundlage der Verfügungen einerseits selbständiges kantonales Recht, anderseits das öffentliche Recht (Verwaltungsrecht) des Bundes bildet, können letztinstanzliche Verfügungen der kantonalen Behörden mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, soweit ausschliesslich eine Verletzung dieses Bundesrechts in Frage steht ( BGE 108 Ib 74 E. 1a, mit Hinweisen), während die Verletzung des selbständigen kantonalen Rechts mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend zu machen ist, wobei die beiden Beschwerden dem Bundesgericht gegebenenfalls in einer einzigen Eingabe unterbreitet werden können. Offenbar zu weit geht die Annahme, dass eine gleichzeitige Grundlage für kantonale Verfügungen im öffentlichen Recht des Kantons und des Bundes (mit den entsprechenden Schwierigkeiten der Rechtsmittelabgrenzung) auch bestehe, wo das Bundesrecht nur Grundsatznormen aufstellt, welche von den Kantonen bei der Ausgestaltung ihres selbständigen Rechts zu beachten sind ( BGE 105 Ib 108 E. 1c, mit Hinweisen). Blosse Grundsatz- oder Rahmenbestimmungen im öffentlichen Recht des Bundes, die zur Handhabung im Einzelfall der Ausführung durch selbständiges kantonales Recht bedürfen, bilden nicht Grundlage der Verfügung, die sich nicht auf solche Normen des öffentlichen Rechts des Bundes stützt, wie das Bundesgericht seither für Bauland-Erschliessungsbeiträge erkannte ( BGE 112 Ib 239 ). Sollte das angewendete selbständige kantonale Recht Grundsatz- oder Rahmenbestimmungen des öffentlichen Bundesrechts verletzen, so steht gegen die Verfügung die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts offen. c) Verfügungen betreffend die Veranlagung kantonaler Steuern stützen sich - in der Regel ausschliesslich - auf öffentliches Recht des Kantons. Die Frage, ob (der letztinstanzliche kantonale Entscheid über) eine solche kantonale Verfügung gleichzeitig gestützt auf öffentliches Recht des Bundes ergehen kann, wurde vom Bundesgericht aufgeworfen und bejaht im Falle einer Steuerpflichtigen in internationalen Verhältnissen, in dem ausschliesslich die Anwendung des zum öffentlichen Recht des Bundes gehörenden Doppelbesteuerungsabkommens der Schweiz streitig war BGE 116 Ia 264 S. 268 ( BGE 102 Ib 265 E. 1a; vgl. dazu die Diskussion in Mélanges André Grisel, Neuchâtel 1983, S. 689 ff.). Sie wurde seither in verschiedenen nicht publizierten Urteilen offengelassen (vgl. auch ASA 55, 587 E. 2, 659 E. 1). Auch wo öffentlichrechtliche Vorschriften des Bundes diesen selbst (Art. 10 Abs. 1 Garantiegesetz, SR 170.21), öffentliche Anstalten und Körperschaften oder Private von den Steuern der Kantone und Gemeinden befreien (wie z.B. Art. 47 Abs. 2 MVG , SR 833.1; Art. 31 Abs. 1 KVG , SR 832.10; Art. 94 und 110 AHVG , SR 831.10; bis 1983 Art. 45 Abs. 2 IVG , SR 831.20 u.a.), kann ihre Verletzung durch einen letztinstanzlichen Entscheid über die Veranlagung kantonaler Steuern nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, sondern nur mit verwaltungsrechtlicher Klage gemäss Art. 116 lit. f OG ( BGE 111 Ib 7 E. 2b, mit Hinweisen). Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin wird die Verletzung einer derartigen Steuerbefreiungsvorschrift durch kantonale Verfügungen lediglich überprüft, wo diese die Veranlagung der direkten Bundessteuer zum Gegenstand haben ( BGE 109 Ib 112 E. 3). 3. a) Die Beschwerdeführer verweisen auf die von RIEMER (Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, S. 136 N. 1) vertretene Auffassung, wonach die Vorschriften von Art. 80-84 BVG über die steuerrechtliche Behandlung der Vorsorge (1. Titel des 6. Teils) mit Ausnahme von Art. 82 Abs. 2 BVG für Bund, Kantone und Gemeinden unmittelbare Geltung hätten, weshalb das kantonale Steuerrecht sich strikte an diese Bestimmungen zu halten habe und andernfalls letztinstanzlich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden könnte. Sie machen geltend, insbesondere Art. 81 Abs. 2 BVG , der den vollen Abzug aller Beiträge vorsehe, müsse als zwingende Vorschrift von den Kantonen angewendet werden. Die Kantone dürften die Bestimmung wohl in die kantonalen Gesetze übernehmen, doch nur mit ihrem genauen Wortlaut und ohne sachliche Änderungen. b) Die Auffassung, wonach die Vorschriften von Art. 81-84 BVG "unmittelbare Geltung" hätten, wird auch im Kommentar UMBRICHT/LAUER (Das neue Pensionskassen-Gesetz, Teil 8 Kap. 6.3) und von F. FESSLER (Die steuerliche Behandlung der Vorsorge, StR 41/1986 S. 110 ff., bes. S. 116 Anm. 38) vertreten (vgl. auch ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, Steuerharmonisierung, S. 89). Sie bezieht sich zunächst auf das Inkrafttreten der BGE 116 Ia 264 S. 269 Vorschriften am 1. Januar 1985 bzw. am 1. Januar 1987 (Art. 81 Abs. 2-3, 82 und 83 BVG, vgl. Art. 1 Abs. 1 und 5 V über die Inkraftsetzung und Einführung des BVG, SR 831.401), das nicht von der Ausführung in kantonalen Steuergesetzen abhänge. Die daran anschliessende Überlegung, dass sich das kantonale Steuerrecht auf alle Fälle "strikte" an die bundesrechtlichen Bestimmungen zu halten habe, ist anhand ihrer Bedeutung (als eventuelle Grundsatz- oder Rahmenbestimmungen) näher zu prüfen; sie erlaubt jedenfalls noch nicht den Schluss, dass die Anwendung mit den BVG-Vorschriften unvereinbaren kantonalen Steuerrechts letztinstanzlich mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden könne. c) Im Bundesrecht wird zunächst die Steuerfreiheit für registrierte und nichtregistrierte Vorsorgeeinrichtungen, also auch im überobligatorischen Bereich und im Bereich der sog. 3. Säule, in differenzierter Weise geordnet ( Art. 80 BVG ). Art. 81 BVG hält fest, dass die Beiträge der Arbeitgeber an Vorsorgeeinrichtungen als Geschäftsaufwand gelten (Abs. 1). Es folgt die vom Beschwerdeführer angerufene Bestimmung: "2 Die von den Arbeitnehmern und Selbständigerwerbenden an Vorsorgeeinrichtungen nach Gesetz oder reglementarischen Bestimmungen geleisteten Beiträge sind bei den direkten Steuern des Bundes, der Kantone und Gemeinden abziehbar." Nach Art. 82 BVG legt der Bundesrat in Zusammenarbeit mit den Kantonen die anerkannten Vorsorgeformen und die Abzugsberechtigung für Beiträge fest, die Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende für weitere anerkannte Vorsorgeformen (3. Säule) leisten. Die Leistungen aus Vorsorgeeinrichtungen und Vorsorgeformen nach Art. 80-82 sind bei den direkten Steuern des Bundes, der Kantone und der Gemeinden in vollem Umfang als Einkommen steuerbar ( Art. 83 BVG ). Dagegen sind Ansprüche aus diesen Vorsorgeeinrichtungen und Vorsorgeformen vor ihrer Fälligkeit von den direkten Steuern des Bundes, der Kantone und der Gemeinden befreit ( Art. 84 BVG ). d) Die Vorschriften von Art. 80-84 BVG beziehen sich nicht ausdrücklich auf den Steuergesetzgeber, insbesondere in Bund und Gemeinde, der Vorschriften in bestimmtem Sinne zu erlassen hätte. Sie lauten teils wie Vorschriften eines Steuergesetzes (Art. 81 Abs. 3, 82 Abs. 1 BVG). In der Hauptsache enthalten sie Regelungen, die mit ähnlicher Bestimmtheit auch in Steuergesetzen zu finden sind, aber verbunden mit dem Verweis auf bestimmte BGE 116 Ia 264 S. 270 (beispielsweise direkte) Steuern der Kantone und Gemeinden sowie eventuell des Bundes, bei denen die Regeln gelten sollen (Art. 80 Abs. 2, 81 Abs. 1 und 2, 83 und 84 BVG). Schliesslich enthalten einzelne der Vorschriften sinngemäss oder ausdrücklich Anweisungen, die sich nur an den Gesetzgeber richten können (Art. 80 Abs. 3 und 4 sowie Art. 82 Abs. 2 BVG ). Von der Delegationsnorm in Art. 72 Abs. 2 BVG abgesehen, umschreiben die Vorschriften nicht etwa einen Spielraum, in dem sich die Vorschriften kantonaler Steuergesetze zu bewegen haben, sind also nicht blosse Rahmenvorschriften. Vielmehr enthalten sie mindestens verpflichtende Grundsätze und zielen insoweit auf eine Vereinheitlichung des Rechts der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden. Damit lassen sie sich als Steuerharmonisierungsbestimmungen qualifizieren (YERSIN, Prévoyance professionnelle et impôts successoraux, ASA 55, S. 465 ff., bes. S. 468 f.; auch in: Prévoyance professionnelle et fiscalité, Lausanne 1986, S. 105 ff.). e) Dies entspricht der verfassungsrechtlichen Grundlage. Die Bestimmungen stützen sich, was die berufliche Vorsorge (2. Säule) anbelangt, auf Art. 34quater Abs. 5 BV , wonach der Bundesgesetzgeber die Kantone verpflichten kann, Einrichtungen der beruflichen Vorsorge von der Steuerpflicht zu befreien, sowie in bezug auf Beiträge und anwartschaftliche Ansprüche den Versicherten und ihren Arbeitgebern Steuererleichterungen zu gewähren. Die Gleichstellung anderer Vorsorgeformen (3. Säule) in Art. 82 BVG stützt sich auf Art. 34quater Abs. 6 BV , wonach der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Selbstvorsorge insbesondere durch Massnahmen der Fiskal- und Eigentumspolitik fördert. Art. 34quater Abs. 6 BV umschreibt die Gesetzgebungskompetenz zwar weniger präzis, dürfte aber dem Bund nicht die Befugnis zu weitergehender Gesetzgebung auf dem Gebiet kantonaler und kommunaler Steuern geben als Art. 34quater Abs. 5 BV für die 2. Säule (YERSIN, a.a.O., ASA 55, S. 467-469, mit Hinweisen; H. MEYER, Steuerliche Aspekte der beruflichen Vorsorge, in: Festgabe P. Steinlin: Zur Verwirklichung der 2. Säule, St. Gallen 1981, S. 133 ff., bes. S. 138 f.). Für die Bestimmung über die Besteuerung der Leistungen in Art. 83 BVG kann die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers nur aus Art. 42quinquies BV hergeleitet werden, wonach der Bund auf dem Wege der Bundesgesetzgebung Grundsätze für die Steuergesetzgebung der Kantone und Gemeinden erlassen und die Einhaltung dieser Grundsatzgesetzgebung überwachen kann (insbes. Abs. 2 und 3; vgl. YERSIN, a.a.O., ASA 55, S. 468 Anm. 4). BGE 116 Ia 264 S. 271 In der Literatur überwiegt denn auch die Auffassung, dass insbesondere Art. 83 und die Übergangsbestimmung dazu in Art. 98 Abs. 4 BVG , aber allgemein die steuerrechtlichen Bestimmungen in Art. 80-84 BVG zwar für die Kantone verbindliche, aber doch nur Grundsatzvorschriften darstellen, die für die Veranlagung der Steuerpflichtigen nicht anwendbar sind, ohne dass der Kanton sie in seiner Steuergesetzgebung ausführt; Grundlage für die Veranlagung kantonaler oder kommunaler Steuern kann nur das kantonale Recht sein (YERSIN, Prévoyance professionnelle et pratiques fiscales, ASA 56, S. 385 ff., bes. S. 387; JUNG, Le traitement fiscal du 2e pilier, notamment en matière d'impôt fédéral direct, in: Prévoyance professionnelle et fiscalité, Lausanne 1986, S. 29; WEIDMANN, Berufliche Vorsorge und gebundene Selbstvorsorge - ungelöste Steuerprobleme, StR 42/1987 S. 95 ff., bes. S. 97; LAFFELY, Problèmes d'application des dispositions fiscales de la LPP, StR 41/1986 S. 57 und 128 ff.; bes. S. 60, 128, 133; vgl. LAFFELY, Traitement fiscal des attributions de l'employeur à une institution de prévoyance, in: Schweizer Personalvorsorge [SPV] 1/1988 S. 364; ZIGERLIG, Ausgewählte Sonderfragen zur steuerlichen Behandlung der 2. Säule, SPV 1/1988 S. 373, vgl. auch S. 379 f.; PASCHOUD, Le traitement fiscal du troisième pilier, in: Prévoyance professionnelle et fiscalité, Lausanne 1986, S. 87 ff., bes. S. 101 betreffend Einbezug der Beiträge in eine Zwischentaxation des Erwerbseinkommens; z.T. a. M. MEYER, Personalvorsorge und Steuern, StR 38/1983 S. 209 ff., bes. S. 221). Dieser vorwiegenden Auffassung ist zuzustimmen, greift dabei der Bund doch nicht mehr als notwendig in die Steuerhoheit der Kantone und in ihre kantonale Gesetzgebung ein, weniger einschneidend als wenn er unmittelbar anwendbare Vorschriften über rein kantonale Steuern erlassen würde. f) Der Bundesgesetzgeber selber hat beim Erlass des Bundesgesetzes vom 22. März 1985 zur Anpassung des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer direkten Bundessteuer an das Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (AS 1985 II S. 1222) zum Ausdruck gebracht, dass die steuerrechtlichen Vorschriften von Art. 80-84 BVG als Teil der Steuerharmonisierung den Charakter vereinheitlichender Grundsatzbestimmungen haben, die der Ausführung in den eidgenössischen und kantonalen Steuergesetzen bedürfen (Botschaft vom 1. Mai 1984, BBl 1984 II S. 725 ff., bes. S. 728 Ziff. 112; Amtl.Bull. S 1984 S. 731; N 1985 S. 291 f.). BGE 116 Ia 264 S. 272 g) Die Verfügungen über die Veranlagung kantonaler und kommunaler Steuern, für welche die Art. 80-84 BVG gelten, stützen sich auf kantonales (eventuell kommunales) Recht. Die letztinstanzlichen kantonalen Entscheidungen hierüber unterliegen demnach nicht der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Sollte das kantonale Recht die verbindlichen Grundsätze dieser Bestimmungen verletzen, können die Entscheidungen mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts angefochten werden. In der Vorlage über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, die ebenfalls eine Vereinheitlichung der kantonalen Steuerordnungen durch Grundsatzbestimmungen des Bundesgesetzgebers bringen wird (ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, a.a.O., S. 3 f.), ist denn auch - im Sinne einer Sondervorschrift - die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, das die Anwendung des kantonalen Steuergesetzes im Einzelfall auf die Übereinstimmung mit den bundesrechtlichen Harmonisierungsgrundsätzen überprüfen soll, ausdrücklich als zulässig vorgesehen ( Art. 70 Abs. 1 E StHG ), gerade weil sich die Beschwerde gegen Verfügungen richten wird, die sich auf kantonales Recht stützen (Botschaft vom 25. Mai 1983, BBl 1983 III S. 146 f.). 4. a) Der angerufene Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest.BV) bedeutet, dass öffentliches Recht des Bundes dem kantonalen öffentlichen Recht vorgeht. In Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, sind die Kantone zur Rechtssetzung nicht befugt und ihre Erlasse unbeachtlich. In den Sachgebieten, die das öffentliche Recht des Bundes nicht abschliessend regelt, sind die Kantone nur zuständig, öffentlichrechtliche Vorschriften zu erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen, dessen Zwecke nicht beeinträchtigen oder gar vereiteln. Ob die beanstandeten kantonalen Normen mit dem Bundesrecht vereinbar sind, prüft das Bundesgericht auf entsprechende Rüge hin frei ( BGE 113 Ia 311 E. 2a und b; BGE 112 Ia 401 E. 4a; BGE 104 Ia 108 E. 4a, mit weiteren Hinweisen). b) Die Beschwerdeführer machen sinngemäss geltend, Art. 81 Abs. 2 BVG enthalte hinsichtlich der streitigen Abzüge von Einkaufsbeiträgen der sog. Übergangsgeneration an eine Vorsorgeeinrichtung der 2. Säule eine abschliessende Regelung. Die Bestimmung verlange den vollen Abzug aller Beiträge (also auch der BGE 116 Ia 264 S. 273 Einkaufs-Beiträge) aller Steuerpflichtigen, und dies auch bei gleichzeitig nicht voller ( Art. 83 BVG ), sondern nach Art. 98 Abs. 4 BVG zulässiger reduzierter Besteuerung der späteren Renten. Das Verwaltungsgericht ist mit Recht nicht dieser Auffassung gefolgt. Art. 81 Abs. 2 BVG lautet zwar insofern präzis, als die von Arbeitnehmern und Selbständigerwerbenden an (registrierte oder nichtregistrierte, vgl. Art. 80 Abs. 1 BVG ) Vorsorgeeinrichtungen "nach Gesetz oder reglementarischen Bestimmungen geleisteten" Beiträge abziehbar sind. Die bestimmte Formulierung täuscht jedoch. Denn das BVG geht von der Ordnung der Versicherungspflicht und der versicherten Leistungen aus (2. Teil, 1. Titel, Art. 7 ff. BVG ), überbindet die Beiträge an die Vorsorgeeinrichtungen für Arbeitnehmer ausschliesslich den Arbeitgebern und begrenzt lediglich den verhältnismässigen Anteil der Arbeitnehmerbeiträge, kennt aber im übrigen keinerlei Vorschriften über die Beiträge (insbesondere deren Höhe), die rein nach reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung erhoben und von den Arbeitgebern den Arbeitnehmern vom Lohn abgezogen werden dürfen ( Art. 65 Abs. 2 und 66 BVG ). Eine Begrenzung der nach Art. 81 Abs. 2 BVG abziehbaren Beiträge an Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule ergibt sich nur aus dem Zweck der im BVG geregelten Vorsorge, nämlich Betagten, Hinterlassenen und Invaliden die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise zu ermöglichen ( Art. 1 Abs. 2 BVG ), was eine Versicherung über das Erwerbseinkommen hinausgehender Leistungen ausschliesst. Wenn in Art. 81 Abs. 2 BVG vom Gesetz die Rede ist, nach welchem abziehbare Beiträge geleistet werden, dürften neben diesen wenigen im BVG verankerten Grundsätzen vor allem Gesetze über die Beiträge von Versicherten öffentlichrechtlicher Pensionskassen von Bedeutung sein; im übrigen bestimmen sich die abziehbaren geleisteten Beiträge ausschliesslich nach den Reglementen, welche die Vorsorgeeinrichtungen selber unter blosser Aufsicht der zuständigen Behörden ( Art. 62 Abs. 1 BVG ) erlassen. Dass Art. 81 Abs. 2 BVG den Beitragsabzug abschliessend regeln und für öffentlichrechtliche Vorschriften der Kantone (Steuergesetze) keinerlei Raum lassen sollte, ist nicht anzunehmen. Auch wenn der Sinn von Art. 81 Abs. 2 BVG , der durch Auslegung zu ermitteln ist, wenig Spielraum für besondere Regelungen des kantonalen Steuergesetzgebers lässt, sind solche beispielsweise BGE 116 Ia 264 S. 274 hinsichtlich des Abzugs freiwilliger Beiträge (die nach dem Reglement der Vorsorgeeinrichtung geleistet werden können) wohl nicht ausgeschlossen (vgl. STEINER, Die steuerliche Behandlung des Einkaufs von Beitragsjahren und der Beiträge zur Verbesserung von Versicherungsleistungen bei der 2. Säule, SPV 1/1988 S. 359 ff., S. 361; FESSLER, a.a.O., StR 41/1986 S. 120 und Anm. 63 daselbst). c) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts steht der volle Abzug der Beiträge nach Art. 81 Abs. 2 BVG im Einklang mit der vollen Besteuerung der Vorsorgeleistungen ( Art. 83 BVG ) und hat die Einschränkung des Abzugs von (Einkaufs-)Beiträgen dementsprechend ihren guten Sinn, wo die Vorsorgeleistungen aus einem vor dem 1. Januar 1987 begründeten Vorsorgeverhältnis nach der steuerrechtlichen Übergangsordnung in Art. 98 Abs. 4 BVG (bei Erreichen des Versicherungsalters vor dem 1. Januar 2002) nicht voll als Einkommen zu versteuern ist. Die Kritik der Beschwerdeführer richtet sich zur Hauptsache gegen diese Auffassung. Sie ist von vornherein nicht berechtigt, soweit die Beschwerdeführer sie an den Erwägungen des Verwaltungsgerichts üben, in denen es die von ihnen vorgeschlagene Auslegung von Art. 81 Abs. 2 BVG mit der Rechtsgleichheit kaum vereinbar fand ( Art. 4 BV ). Das Verwaltungsgericht hat entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer Art. 81 Abs. 2 BVG nicht als verfassungswidrig bezeichnet, sondern es hat eine verfassungsmässige Auslegung dieser Vorschrift gesucht, was nicht nur richtig, sondern insbesondere mit Art. 113 Abs. 3 BV vereinbar ist (vgl. BGE 112 Ib 469 E. 3b; BGE 111 Ia 25 , 297, mit Hinweisen). Sowohl bei der Schaffung des BVG als auch bei den parlamentarischen Beratungen des neuen Art. 156 BdBSt (in der Fassung vom 22. März 1985), der mit Ziff. 2 der umstrittenen st.gallischen Regelung weitgehend übereinstimmt und nachträglich eingeführt wurde, um ein unbeabsichtigtes Schlupfloch für schlau berechnende Versicherte zu stopfen (Amtl.Bull. N 1985 S. 291), stand fest, dass der volle Abzug der Beiträge nach Art. 81 Abs. 2 BVG Gegenstück der vollen Besteuerung der Leistungen sein sollte (vgl. Botschaft zum BVG vom 19. Dezember 1975, BBl 1976 I S. 213; Amtl.Bull. S 1980 S. 320-322, wo von der ständerätlichen Kommission eine Einschränkung der Bundeskompetenz zur Grundsatzgesetzgebung über den Abzug der Beiträge bei den kantonalen Steuern vorgeschlagen und schliesslich verworfen wurde; Amtl.Bull. S 1984 S. 732; N 1985 S. 292, 294/5). BGE 116 Ia 264 S. 275 Die Eidgenössischen Räte nahmen in Kauf, dass dieses Ziel des BVG nicht absolut zu verwirklichen ist. Die Übergangsbestimmungen bringen für Vorsorgeverhältnisse, die schon vor dem 1. Januar 1987 bestanden, einerseits gewisse Vorteile mit sich für Versicherte, deren Vorsorgeleistungen vor dem 1. Januar 2002 beginnen (und die diese Leistungen nicht voll zu versteuern haben), anderseits gewisse Nachteile für Versicherte, deren Vorsorgeleistungen nach dem 1. Januar 2002 beginnen (und die diese Leistungen voll zu versteuern haben, obwohl sie Beiträge vor dem 1. Januar 1987 leisteten und damals nicht voll vom steuerbaren Einkommen abziehen konnten); dies betrachteten die Räte als eine schon beim Erlass von Art. 81 Abs. 2 und 98 Abs. 4 BVG gewollte, wegen der Vereinfachung vertretbare schematische Lösung (Amtl.Bull. S 1984 S. 735/6; N 1985 S. 303/4). Die Beschwerdeführer wollen aus den Beratungen zu Art. 156 BdBSt Schlüsse ziehen, die zu weit gehen. Wenn der Bundesrat zweifelte, ob er gestützt auf die Kompetenz zum Vollzug des BVG ( Art. 97 Abs. 1 BVG ) zuständig sei, in einer Vollziehungsverordnung zu den steuerrechtlichen Grundsatzbestimmungen für die 2. Säule u.a. die Abgrenzung der in der Übergangszeit abzugsfähigen Einkaufs-Beiträge für alle Kantone verbindlich zu ordnen (vgl. Art. 14 seines Entwurfs zu einer BVV 4 in ASA 53, S. 499 und die Mitteilungen des BSV zu den steuerrechtlichen Verordnungen vom 13. November 1985 in ASA 54, S. 375), ist daraus keineswegs das Eingeständnis zu entnehmen, dass Art. 156 BdBSt und entsprechende Bestimmungen der kantonalen Steuergesetze mit dem sinngemäss ausgelegten Art. 81 Abs. 2 BVG nicht vereinbar wären. d) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts muss bei am 1. Januar 1987 bereits bestehenden Vorsorgeverhältnissen, aus denen Altersleistungen vor dem 1. Januar 2002 zu laufen beginnen und nach Art. 98 Abs. 4 lit. b BVG noch nicht der vollen Besteuerung als Einkommen gemäss Art. 83 BVG unterliegen, der Abzug seit dem 1. Januar 1985 (Inkrafttreten des Art. 81 BVG ) geleisteter Beiträge für den Einkauf früherer Versicherungsjahre vom steuerbaren Einkommen nicht zugelassen werden. Diese Auslegung ist einleuchtend. Besteuert der Kanton die Leistungen aus einem solchen Vorsorgeverhältnis nicht voll, wie es ihm der Bundesgesetzgeber freistellt, so verstossen entsprechende Einschränkungen des Beitragsabzugs nicht gegen den Grundsatz von Art. 81 Abs. 2 BVG . Zwar ist es BGE 116 Ia 264 S. 276 der Sinn dieser Bestimmung, dass die aus dem Versicherungsverhältnis seit 1. Januar 1985 geschuldeten Beiträge steuerfrei bleiben sollen, und zwar auch wenn die im bestehenden Vorsorgeverhältnis versicherten Leistungen nach dem 1. Januar 1987 noch verbessert werden (vgl. die graphische Darstellung der Übergangsregelung des BVG, wie sie im BdBSt ausgeführt wurde, in: Amtl.Bull. S 1984 S. 735 und N 1985 S. 303, Varianten 2a und 2b); der Steuergesetzgeber kann dem nur mit der Bemessung des bei Leistungsbeginn bzw. Fälligkeit vor dem 1. Januar 2002 steuerfreien Teils der Vorsorgeleistungen Rechnung tragen. Dass er auch den seit 1. Januar 1985 erfolgenden Einkauf früherer Versicherungsjahre, für welche die Beiträge in der Zeit vor dem 1. Januar 1985 nicht geleistet wurden, ungeachtet der Fälligkeit der Altersleistungen voll zum Abzug vom laufenden steuerbaren Einkommen zulassen müsste, ginge weit darüber hinaus und ist nicht der Sinn von Art. 81 Abs. 2 BVG . Höchstens kann man sich fragen, ob es der beschränkten Besteuerung der späteren Leistungen entspricht, wenn Einkaufsbeiträge unter solchen Umständen gar nicht (auch nicht teilweise oder beschränkt) abgezogen werden. Doch wird eine Bestimmung des Steuergesetzes, die das - wie Art. 156 BdBSt - ausschliesst, in einer entsprechenden Übergangsordnung als sachgemäss betrachtet (FESSLER, a.a.O., StR 41/1986 S. 121; RIVIER, Le traitement fiscal du deuxième pilier: Remarques critiques, in: Prévoyance professionnelle et fiscalité, Lausanne 1986, S. 39 ff., bes. S. 47; STEINER, a.a.O., SPV 1/1988 S. 361 und 363). Sie ist denn auch mit wenigen Ausnahmen in der Steuergesetzgebung aller Kantone vorgesehen (HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 4. Aufl. 1989, S. 179). e) Der Kanton St. Gallen erklärt in der Übergangsbestimmung Ziff. 1 des IV Nachtragsgesetzes vom 3. Juli 1986 zum StG von den Leistungen aus beruflicher Vorsorge, die auf einem vor dem 1. Januar 1985 begründeten Vorsorgeverhältnis beruhen und vor dem 1. Januar 2002 erstmals fällig werden, 20% der Einkünfte als steuerfrei, wenn die Beiträge mindestens zu 20% vom Steuerpflichtigen (bzw. seinen Angehörigen, dem Erblasser usw.) erbracht worden sind, und sogar 40% der Einkünfte, wenn die Beiträge ausschliesslich von ihm erbracht worden sind. Die Besteuerung der Leistungen aus solchen Vorsorgeverhältnissen der Übergangsgeneration entspricht somit in St. Gallen derjenigen in der direkten Bundessteuer. Es wird von den Beschwerdeführern BGE 116 Ia 264 S. 277 nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich, weshalb dies nicht sachgerecht wäre. Und es verletzt deshalb Art. 81 Abs. 2 BVG nicht, wenn die seit dem 1. Januar 1985 für den Einkauf früherer Beitragsjahre vom Arbeitnehmer der Übergangsgeneration geleisteten Beiträge vom Abzug ausgenommen sind.
de
77e77eb9-7f78-44af-be0b-1be67cd47af3
Erwägungen ab Seite 381 BGE 128 III 380 S. 381 Aus den Erwägungen: 1. ... 1.2 Es trifft zu, wie die Beschwerdeführerin feststellt, dass die Vorschrift nicht im SchKG geregelt ist, wonach für die Fortsetzung der Betreibung in einem andern Betreibungskreis der Zahlungsbefehl im Original vorgelegt werden muss. Wie die Vorinstanz ausführt, findet sich dieser Hinweis noch heute, zwar nicht in den Erläuterungen, sondern in der Fussnote 2 des Formulars Nr. 4. Dass diese Obliegenheit nicht im SchKG selbst, sondern nur im Formular erwähnt wird, macht diese deshalb nicht unverbindlich. Denn gemäss Art. 1 Abs. 2 der Verordnung vom 5. Juni 1996 über die im Betreibungs- und Konkursverfahren zu verwendenden Formulare und Register sowie die Rechnungsführung (VFRR; SR 281.31) ist die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts für die Herausgabe der Formulare zuständig und erlässt die notwendigen Anleitungen für deren Benützung. Das war schon 1929 so, wie in dem von der Aufsichtsbehörde zitierten BGE 53 III 64 unter Hinweis auf BBl 1922 I 412 festgestellt wird. Die Rechtmässigkeit dieser Anleitung steht somit ausser Zweifel. Gemäss Art. 70 Abs. 1 SchKG wird der Zahlungsbefehl im Doppel ausgefertigt. Die eine Ausfertigung ist für den Schuldner, die andere für den Gläubiger bestimmt. Lauten die beiden Urkunden nicht gleich, so ist die dem Schuldner zugestellte Ausfertigung massgebend. Das Obergericht hat daraus zu Recht gefolgert, dass auch die für den Gläubiger bestimmte Ausfertigung des Zahlungsbefehls eine öffentliche Urkunde darstelle. Wird, wie im BGE 53 III 64 S. 66 ausgeführt wird, die Fortsetzung der Betreibung beim gleichen Amt verlangt, das bereits das Einleitungsverfahren durchgeführt hat, erfolgt die Prüfung des Fortsetzungsbegehrens auf Grund des BGE 128 III 380 S. 382 Betreibungsbuches, das ebenfalls eine öffentliche Urkunde ist. In gleicher Weise muss deshalb auch die Prüfung auf Grund der Originalurkunde vorgenommen werden, wenn das Einleitungsverfahren nicht beim betreffenden Betreibungsamt durchgeführt worden ist, wie die Vorinstanz zutreffend erwägt. Dabei ist unerlässlich, dass das für den Gläubiger bestimmte Doppel des Zahlungsbefehls im Original vorgelegt wird, denn das Betreibungsamt hat auf Grund des Fortsetzungsbegehrens von Amtes wegen zu prüfen, ob ein rechtskräftiger Zahlungsbefehl vorliegt. Dass es gemäss den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften nicht erforderlich ist, Originale, z.B. des Zahlungsbefehls, verfügbar zu halten, ist nicht entscheidend. Gemäss Art. 8 Abs. 2 VFRR können die von den Betreibungsbehörden verwendeten Bücher mit Bewilligung der kantonalen Aufsichtsbehörde mittels elektronischer Datenverarbeitung geführt werden (vgl. BGE 126 III 476 E. 1b S. 478 a.E.). Für die elektronische Herstellung, Verwendung und Archivierung der im Schuldbetreibungs- und Konkurswesen erstellten Urkunden müsste die gesetzliche Grundlage erst noch geschaffen werden, wobei wohl insbesondere die Art. 67 und 70 ff. SchKG geändert werden müssten. Es ist deshalb nicht möglich, für die öffentliche Verwaltung, weil die missbräuchliche Verwendung einer Urkunde weniger wahrscheinlich sei, eine Ausnahme zu machen und statt des Originals eine (elektronische) Kopie des Zahlungsbefehls genügen zu lassen. Gemäss dem angefochtenen Urteil bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, dass das Original der für sie bestimmten Ausfertigung des Zahlungsbefehls nicht mehr beschafft werden könne. Das Obergericht weist für diesen Fall darauf hin, dass bei einem Verlust des Dokumentes der Gläubiger beim früheren Betreibungsamt einen Auszug aus dem Betreibungsbuch anfertigen lassen und diesen dem neu zuständigen Amt zur Fortsetzung der Betreibung vorlegen könne. Dies sei nach geltendem Recht die einzige Möglichkeit für den Gläubiger, sich bei Verlust des Doppels des Zahlungsbefehls wieder ein Beweisdokument zu verschaffen. Das Obergericht hat somit kein Bundesrecht verletzt, indem es die Verfügung des Betreibungsamtes, die Betreibung auf Grund der eingereichten elektronischen Kopie des Zahlungsbefehls nicht fortzusetzen, geschützt hat.
de
b4edc4b6-9298-4bec-a0e1-758a9736c347
Erwägungen ab Seite 202 BGE 133 V 201 S. 202 Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Die Versicherten sind beitragspflichtig, solange sie eine Erwerbstätigkeit ausüben. Für Nichterwerbstätige beginnt die Beitragspflicht am 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres und dauert bis zum Ende des Monats, in welchem Frauen das 64. und Männer das 65. Altersjahr vollendet haben ( Art. 3 Abs. 1 AHVG ). Die eigenen Beiträge gelten als bezahlt, sofern der Ehegatte Beiträge von mindestens der doppelten Höhe des Mindestbeitrages bezahlt hat, u.a. bei nichterwerbstätigen Ehegatten von erwerbstätigen Versicherten ( Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG ). 2.2 Im Urteil H 127/03 vom 29. Oktober 2003 ( BGE 130 V 49 ) hat das ehemalige Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden: Die Tatsache, dass eine versicherte Person, die eine Altersrente der AHV bezieht, weiterhin ein Erwerbseinkommen erzielt und Beiträge in mindestens der doppelten Höhe des Mindestbeitrages entrichtet, führt nicht zur Befreiung des nichterwerbstätigen Ehegatten von der Beitragspflicht. Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG ist in diesen Fällen nicht anwendbar ( BGE 130 V 49 E. 3.2.2 S. 51). In Anwendung dieser Rechtsprechung hat die Ausgleichskasse Nichterwerbstätigenbeiträge für 2003 erhoben, was das kantonale Gericht bestätigt hat. 3. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird eine Präzisierung der Rechtsprechung gemäss BGE 130 V 49 beantragt. Danach soll Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG seinem Wortlaut entsprechend ebenfalls zur Anwendung gelangen, wenn dem nichterwerbstätigen Ehegatten nach der Einkommensteilung - bei Eintritt des zweiten Versicherungsfalles Alter (vgl. Art. 29 quinquies Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit. a AHVG) BGE 133 V 201 S. 203 - auch unter Berücksichtigung der nach Eintritt des ersten Versicherungsfalles erworbenen Beitragsjahre ohne Gutschrift des hälftigen, nicht rentenbildenden Einkommens des andern erwerbstätigen Ehegatten, eine (maximale) Vollrente zustehe. In solchen Fällen werde der Sinn und Zweck des Splitting nicht verletzt und eine Abweichung vom klaren Gesetzeswortlaut lasse sich deshalb auch nicht begründen. Die Beschwerdeführerin habe aufgrund ihrer Beiträge und Beitragsjahre in jedem Fall Anspruch auf eine (maximale) Vollrente. Sie habe daher für 2003 keine Nichterwerbstätigenbeiträge zu bezahlen. Das kantonale Gericht hat die beantragte Präzisierung der Rechtsprechung mit der Begründung abgelehnt, BGE 130 V 49 lasse für eine Differenzierung im dargelegten Sinne keinen Raum. 4. 4.1 Es steht ausser Frage, dass nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG (in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 erster Satz AHVG) die eigenen Beiträge einer nichterwerbstätigen Person auch als bezahlt zu gelten haben, wenn deren erwerbstätiger Ehegatte Anspruch auf eine Altersrente hat und Beiträge von mindestens der doppelten Höhe des Mindestbeitrages entrichtet. Das Gesetz differenziert nicht danach, ob der erwerbstätige Ehegatte eine Altersrente (vor-)bezieht oder nicht. Das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht sah jedoch einen triftigen Grund, vom klaren Gesetzeswortlaut abzuweichen und Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG bei nichterwerbstätigen Ehegatten von erwerbstätigen Bezügern einer Altersrente nicht anzuwenden, im Umstand, dass gemäss Art. 29 quinquies Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit. a AHVG e contrario die nach Eintritt des Versicherungsfalles Alter beim zuerst rentenberechtigten Ehegatten erzielten beitragspflichtigen Einkommen nicht der Teilung und gegenseitigen je hälftigen Anrechnung ("Splitting") unterliegen (vgl. BGE 127 V 361 , insbesondere S. 366 E. 5; ferner BGE 129 V 124 ). Gälten auch für diese Zeiten die Beiträge der nichterwerbstätigen Person als durch den erwerbstätigen Ehegatten bezahlt, würden ihr zwar nach Art. 29 ter Abs. 2 lit. b AHVG die entsprechenden Jahre als Beitragsjahre angerechnet. Es könnten ihr indessen keine rentenbildenden Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 29 quater lit. a AHVG (durch Splitten des vom anderen Ehegatten erzielten Einkommens) gutgeschrieben werden. Das entspräche indessen nicht der mit der Einführung des Splitting im Rahmen der 10. AHV-Revision verfolgten Zielsetzung, dass im BGE 133 V 201 S. 204 Unterschied zu früher alle Nichterwerbstätigen grundsätzlich beitragspflichtig sein sollen ( BGE 130 V 49 E. 3.2.2 S. 50). 4.2 Hauptgrund für das Eidgenössische Versicherungsgericht, Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG entgegen seinem klaren Wortlaut bei nichterwerbstätigen Ehegatten erwerbstätiger Rentenbezüger nicht anzuwenden, war somit die Erhöhung des für die Berechnung der Altersrente massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens nach Art. 30 AHVG . Dieses Ziel ist indessen nicht mehr erreichbar, sobald die nichterwerbstätige Person nach Eintritt des ersten Versicherungsfalles Alter bei ihrem (weiterhin) erwerbstätigen Ehegatten genügend Einkommen für den Anspruch auf die entsprechend den erworbenen Beitragsjahren bei Vollendung des 64. (bis 31. Dezember 2004: 63.) oder 65. Altersjahres nach Art. 21 Abs. 1 AHVG maximale Altersrente ausweist. Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG entgegen seinem klaren Wortlaut auch in solchen Fällen nicht anzuwenden, erforderte einen ebenso klar erkennbaren abweichenden Willen (qualifiziertes Schweigen) des Gesetzgebers, was jedoch nicht zutrifft (vgl. zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift BBl 1990 II 150 sowie AB 1991 S 254 f., 1993 N 212 f. und 248, 1994 S 546 und 593). 4.3 Im Sinne des Dargelegten ist BGE 130 V 49 E. 3.2.2 am Ende S. 51 zu präzisieren. Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG ist auch anwendbar, sobald die nichterwerbstätige Person nach Eintritt des ersten Versicherungsfalles Alter bei ihrem erwerbstätigen Ehegatten genügend Einkommen ausweist, um in den Genuss der entsprechend den erworbenen Beitragsjahren bei Vollendung des 64. oder 65. Altersjahres nach Art. 21 Abs. 1 AHVG ihr zustehenden maximalen Altersrente zu kommen. 4.4 Das Bundesamt für Sozialversicherungen beantragt in seiner Vernehmlassung sogar eine Praxisänderung in dem Sinne, dass Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG ausnahmslos bei allen nichterwerbstätigen Versicherten anzuwenden ist, deren erwerbstätiger Ehegatte eine Altersrente bezieht. Zur Begründung weist die Aufsichtsbehörde u.a. auf die erste Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur 11. AHV-Revision (Neufassung; BBl 2006 S. 1957 ff.) hin. In dieser Revisionsvorlage schlägt der Bundesrat einen neuen Art. 3 Abs. 4 lit. b AHVG vor, wonach Absatz 3 auch Anwendung findet für die Kalenderjahre, in denen der erwerbstätige Ehegatte eine Altersrente bezieht oder aufschiebt (BBl 2006 S. 2003 und 2045). Es besteht indessen kein Anlass, in diesem Sinne zu entscheiden, umso BGE 133 V 201 S. 205 weniger, als National- und Ständerat die Beratung der Vorlage noch nicht in Angriff genommen haben. Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der anrechenbaren Einkommen bis zum Eintritt des Versicherungsfalles Alter bei ihrem Ehegatten im Juli 2002 sowie der Anzahl Beitragsjahre bei Vollendung des 63. Altersjahres im Januar 2004 ebenso wie ihr Ehemann Anspruch auf die maximale Vollrente hätte, als Folge der Plafonierung jedoch lediglich 75 % der einfachen Höchstrente von Fr. 2'110.- ausbezahlt erhält. Damit sind aber nach dem Gesagten die Voraussetzungen für eine Beitragsbefreiung gegeben.
de
7607096e-b1b7-4582-aca6-e7da08f58fea
Erwägungen ab Seite 563 BGE 133 V 563 S. 563 Aus den Erwägungen: 1. 1.1 Nach Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG werden die persönlichen Einlagen in Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, soweit sie dem üblichen Arbeitgeberanteil entsprechen, vom beitragspflichtigen rohen Einkommen abgezogen. Für die Ausscheidung und das Ausmass der nach Art. 9 Abs. 2 lit. a-e zulässigen Abzüge sind die Vorschriften über die direkte Bundessteuer massgebend ( Art. 18 Abs. 1 AHVV ). Kraft dieses Verweises gilt auch für den Abzug in der AHV grundsätzlich Art. 33 Abs. 1 lit. d des Bundesgesetzes vom 14. BGE 133 V 563 S. 564 Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11), wonach die gemäss Gesetz, Statut oder Reglement geleisteten Einlagen, Prämien und Beiträge an Einrichtungen der beruflichen Vorsorge von den Einkünften abgezogen werden. Der in Art. 18 Abs. 1 AHVV enthaltene Verweis auf das Steuerrecht steht jedoch unter dem Vorbehalt anderslautender Vorschriften im AHVG. Ein solcher der bundessteuerrechtlichen Ordnung derogierender Umstand ist unter dem Gesichtspunkt des Normzweckes sowie der angestrebten Gleichbehandlung Unselbstständig- und Selbstständigerwerbender darin zu erblicken, dass gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG ein Abzug vom rohen Einkommen lediglich in der Höhe des "üblichen Arbeitgeberanteils" zulässig ist ( BGE 129 V 293 E. 3.2.2.4 S. 299), was gemäss der gesetzeskonformen ( BGE 132 V 209 E. 5 und 6 S. 213 f.) Rz. 1104 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen in der AHV, IV und EO (WSN) in analoger Anwendung von Art. 66 Abs. 1 BVG einen Abzug nur zur Hälfte gestattet. 1.2 Wie das Eidg. Versicherungsgericht entschieden hatte, können unter die abzugsfähigen Einlagen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG auch die Einlagen zum Einkauf fehlender Versicherungsjahre fallen; die nur die ordentlichen bzw. laufenden Einlagen als abzugsfähig anerkennende Rz. 1104 WSN in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung bezeichnete das Gericht als gesetzwidrig ( BGE 129 V 293 ; Urteil H 109/01 vom 22. Mai 2003). In Nachachtung dieser Rechtsprechung hat das BSV die WSN mit Wirkung auf den 1. Januar 2005 dahingehend geändert, dass sowohl laufende Beiträge als auch Einkaufssummen zum Abzug zugelassen werden (Rz. 1103 WSN in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung; vgl. auch Rz. 1104 WSN in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung betreffend die Höhe des Abzugs bei laufenden Beiträgen). Des Weitern hat es auf den 1. Januar 2006 eine neue Rz. 1104.1 in die WSN eingefügt, gemäss welcher Einkaufssummen nur abziehbar sind, wenn und soweit die Statuten oder das Reglement der Vorsorgeeinrichtung zwingend eine Beteiligung des Arbeitgebers am Einkauf der Arbeitnehmenden vorschreiben (Satz 1). Eine Kann-Vorschrift genügt nicht (Satz 2). Ist zwar die Beteiligung, nicht aber deren Umfang (Prozentsatz oder Betrag) vorgesehen, liegt keine zwingend vorgeschriebene Beteiligung vor (Satz 3). Gleichzeitig hat das BSV in Rz. 2162 der Wegleitung über den massgebenden Lohn in der AHV, IV und EO (WML) für die BGE 133 V 563 S. 565 Einlagen der Arbeitgeber in die berufliche Vorsorge ihrer Arbeitnehmer im Sinne von Art. 8 lit. a AHVV eine analoge Regelung getroffen. 2. 2.1 Gemäss Art. 12 Ziff. 4 des Reglements der Pensionskasse X. kann die versicherte Person im Rahmen des gesetzlich Erlaubten ( Art. 79a BVG [seit 1. Januar 2006: Art. 79a-79c BVG ]) zusätzliche Beitragsjahre einkaufen. Es ist unbestritten, dass diese Reglementsbestimmung die Möglichkeit, aber keine zwingende Verpflichtung zum Einkauf vorsieht. Die Vorinstanz hat daher gestützt auf Rz. 1104.1 WSN den Abzug verweigert. Der Beschwerdeführer erachtet dies als Widerspruch zu Gesetz und bundesgerichtlicher Rechtsprechung. Streitig ist somit, ob Einkäufe nur dann abgezogen werden dürfen, wenn sie im Sinne von Rz. 1104.1 WSN statutarisch oder reglementarisch zwingend vorgeschrieben sind. 2.2 Vorab ist zu bemerken, dass Rz. 1104.1 WSN gemäss ihrem Wortlaut die Beteiligung des Arbeitgebers am Einkauf der Arbeitnehmer betrifft und mithin auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt, in welchem ein Selbstständigerwerbender für sich selbst einen Einkauf tätigt, keine Anwendung findet. Die Beiträge des Arbeitgebers an den Einkauf der Arbeitnehmer werden aufgrund von Art. 9 Abs. 2 lit. d AHVG vom Einkommen des Arbeitgebers abgezogen, was aufgrund von Art. 27 Abs. 2 lit. c DBG , welche Norm Art. 81 Abs. 1 BVG entspricht, auch steuerrechtlich gilt. Die WSN regelt diese Abzüge unter der Überschrift "3.4.4 Zuwendungen für Personalwohlfahrt und gemeinnützige Zwecke" in Rz. 1101. Die entsprechenden Zuwendungen des Arbeitgebers gelten auch beim Arbeitnehmer nicht als massgebender Lohn ( Art. 8 lit. a AHVV ). Einlagen des Selbstständigerwerbenden für seine eigene berufliche Vorsorge, wie sie hier im Streite liegen, sind demgegenüber in Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG normiert, welche Bestimmung steuerrechtlich Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG entspricht (vgl. Art. 81 Abs. 2 BVG ). Sie sind in der WSN unter dem Titel "3.4.5 Persönliche Einlagen in Einrichtungen der beruflichen Vorsorge und der 3. Säule" (Rz. 1103-1106) geregelt. 2.3 Das BSV begründet das Erfordernis eines zwingend vorgeschriebenen Einkaufs mit der Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmenden. Es beruft sich dazu auf das Urteil H 32/04 vom 6. September 2004, publ. in: AHI 2004 S. 253, in dessen E. 4.2 das Eidg. BGE 133 V 563 S. 566 Versicherungsgericht ausgeführt hatte, als reglementarische Beiträge des Arbeitgebers an Vorsorgeeinrichtungen im Sinne von Art. 8 lit. a AHVV gälten nur diejenigen Beiträge, welche aufgrund des Reglements oder der Statuten der Vorsorgeeinrichtung geschuldet seien. Dazu genüge es nicht, dass das Reglement einen durch den Arbeitgeber finanzierten Einkauf zulasse, sondern es müsse ihn (grundsätzlich oder in einem bestimmten Zusammenhang) verlangen. 2.4 Dieses Urteil betraf allerdings nicht einen in den Statuten oder im Reglement der Vorsorgeeinrichtung festgelegten Einkauf von Versicherungsjahren, sondern eine in einem Sozialplan vorgesehene Abfindung an eine austretende Arbeitnehmerin, wobei eine Zweckbindung für die Altersvorsorge nur als Regel galt, von welcher Ausnahmen zugelassen werden konnten (AHI 2004 S. 253, E. 3, H 32/04). Deshalb wären dort auch die Voraussetzungen für einen Abzug gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. d AHVG nicht erfüllt gewesen. Dem Urteil lag somit nicht ein mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Zu prüfen bleibt, ob die in E. 4.2 desselben gemachte Aussage - wonach für die Anwendbarkeit von Art. 8 lit. a AHVV erforderlich ist, dass die Einzahlung normativ vorgeschrieben ist (vgl. BGE 133 V 556 ) - sich auf die Abzugsfähigkeit nach Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG übertragen lässt. 2.4.1 Mit Blick darauf, dass die berufliche Vorsorge für die Selbstständigerwerbenden grundsätzlich freiwillig ist ( Art. 4 und 44 BVG ), wäre es systemwidrig, bei ihnen einen Einkauf nur dann zum Abzug zuzulassen, wenn dieser zwingend vorgeschrieben ist. Denn wenn schon überhaupt die Leistung von Beiträgen freiwillig ist, kann es auch keine Pflicht zur Leistung von Einkaufssummen geben. In der Praxis sehen denn auch in aller Regel die einschlägigen Statuten und Reglemente für die freiwillige Vorsorge nur die Möglichkeit, aber keine Pflicht zum Einkauf vor. Die Auffassung von Vorinstanz, Beschwerdegegnerin und BSV hätte zur Folge, dass die von Gesetz und Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit, Einlagen für den Einkauf von Versicherungsjahren vom beitragspflichtigen Einkommen abzuziehen, für Selbstständigerwerbende toter Buchstabe bliebe. Für die Abzugsfähigkeit der laufenden Beiträge der Selbstständigerwerbenden setzt denn auch Rz. 1104 WSN folgerichtig nicht voraus, dass eine Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen besteht. Es ist nicht einzusehen, weshalb diese Voraussetzung in Bezug auf Einlagen für den Einkauf gelten sollte. Eine BGE 133 V 563 S. 567 solche Ungleichbehandlung wäre nicht gerechtfertigt: Laufende Beiträge und Einlagen für den Einkauf dienen demselben Zweck, nämlich einem möglichst lückenlosen Vorsorgeschutz ( BGE 129 V 293 E. 3.2.2.3 S. 298). 2.4.2 In der in BGE 129 V 293 nicht publizierten E. 3.3.1 hatte das Eidg. Versicherungsgericht ausgeführt, ob ein Abzug persönlicher Einkaufssummen vom rohen Einkommen nach Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG überhaupt zulässig sei, bestimme sich aufgrund der Statuten und des Reglements der Vorsorgeeinrichtung des in Frage stehenden Selbstständigerwerbenden. Diese müssten bei Arbeitgebern eine Beteiligung am Einkauf fehlender Beitragsjahre der Arbeitnehmer in die 2. Säule vorsehen. Aus dieser Erwägung ergibt sich entgegen der Auffassung des BSV nur, dass die Statuten oder das Reglement einen Einkauf (als Möglichkeit) vorsehen müssen, aber nicht, dass sie eine Pflicht zum Einkauf enthalten müssen. 2.4.3 Die in der genannten E. 3.3.1 von BGE 129 V 293 weiter enthaltene Aussage, bei einem Selbstständigerwerbenden ohne Arbeitnehmer sei danach zu fragen, ob er als Unselbstständigerwerbender aufgrund der beruflichen Stellung im Betrieb üblicherweise Anspruch auf Übernahme eines Teils der Einkaufssumme durch den Arbeitgeber hätte, und lediglich wenn dies zu bejahen sei, finde Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG Anwendung, bezieht sich auf den Grundsatz der Angemessenheit, der auch im Steuerrecht gilt (ZWEIFEL/ ATHANAS, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, I/2a, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], Basel 2000, N. 23 zu Art. 33 DBG ; vgl. heute auch Art. 1-1b der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1]). Solange keine abweichende Regelung besteht, gelten diesbezüglich AHV-rechtlich dieselben Überlegungen wie steuerrechtlich ( Art. 18 Abs. 1 AHVV ). 2.4.4 Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG setzt für die Abzugsfähigkeit voraus, dass die Einlagen "gemäss Gesetz, Statut oder Reglement" geleistet werden. Dementsprechend ist nur ein in Statuten oder Reglement vorgesehener Einkauf abzugsberechtigt (Urteil 2A.279/2006 vom 26. Februar 2007, E. 2.2). Dabei muss die Möglichkeit zum Einkauf vorgesehen sein (MARTIN STEINER, Steuerliche Grenzen einer Individualisierung der zweiten Säule, StR 52/1997 S. 379 ff., 382; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, S. 279; vgl. auch Art. 9 Abs. 2 FZG ). Hingegen ergibt sich aus dem BGE 133 V 563 S. 568 Wortlaut des Gesetzes nicht, dass nur vorgeschriebene Einkäufe abzugsberechtigt wären. Vielmehr sind nach Lehre und Praxis auch freiwillig geleistete Einkäufe abzugsfähig (Schweizerische Steuerkonferenz, Vorsorge und Steuern, Zürich 2002, S. A.3.1.2; HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, S. 654; RICHNER/ FREI/KAUFMANN, Handkommentar zum DBG, Zürich 2003, N. 72 zu Art. 33 DBG ). Schranken bilden neben den (in Bezug auf Einkäufe allerdings differenzierten) Erfordernissen der Kollektivität, Gleichbehandlung und Planmässigkeit sowie des Versicherungsprinzips ( Art. 1 Abs. 1 BVG ; Art. 1c-1h BVV 2 ; BGE 131 II 627 E. 4.1 S. 632 und E. 4.4 S. 634; ASA 75 S. 159, E. 2, 2A.408/2002; ASA 71 S. 384, E. 3, 2A.11/2000) die beitragsmässige Begrenzung gemäss Art. 79a BVG (in der vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2005 gültig gewesenen Fassung) bzw. heute Art. 79a-79c BVG (in Kraft seit 1. Januar 2006) sowie die übergangsrechtliche Regelung von Art. 205 DBG , ferner die Grundsätze der Angemessenheit (vgl. Art 1-1b BVV 2 in der - hier allerdings ratione temporis noch nicht anwendbaren - am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Fassung) sowie Umgehungstatbestände ( BGE 131 II 627 E. 5.2 S. 635 f.). Diese Voraussetzungen gelten gemäss Art. 18 Abs. 1 AHVV auch für die Abzugsfähigkeit in der AHV, wobei hier immer nur die Hälfte abgezogen werden kann (vgl. vorne E. 1.1). 2.4.5 Insgesamt ergibt sich, dass bei Selbstständigerwerbenden nicht nur die aufgrund einer normativen Verpflichtung geleisteten, sondern auch die freiwillig erbrachten, d.h. von den Statuten oder vom Reglement bloss ermöglichten Einlagen in die berufliche Vorsorge vom rohen Einkommen gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG abgezogen werden können. 2.5 Wie dargelegt (E. 2.1), sieht das hier massgebende Reglement in Art. 12 Ziff. 4 die Möglichkeit von Einkäufen vor. Des Weitern steht fest, dass die Einlage auch steuerrechtlich zum Abzug zugelassen worden ist. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb die steuerrechtliche Beurteilung nicht auch für die AHV massgebend sein sollte. Die Einkaufssumme ist deshalb im Umfang von 50 % (vgl. vorne E. 1.1) auch AHV-rechtlich abzugsfähig, wie dies der Versicherte beschwerdeweise verlangt hat.
de
45624971-7aa8-4d2a-99d6-032b8af22a01
Sachverhalt ab Seite 43 BGE 99 Ia 42 S. 43 A.- Die Firma Hildebrand AG, welche Grossküchenanlagen herstellt und vertreibt, brachte mit Einwilligung der zuständigen Ortsbehörde auf ihrem in der Industriezone von Aadorf liegenden Fabrikgebäude eine auf fünf Stangen stehende, 25 m x 4 m messende Reklametafel an. Der Abstand zwischen dem unteren Tafelrand und dem Flachdach des viergeschossigen Fabrikgebäudes beträgt rund 12 m, womit die Tafel das Dach etwa um eine Gebäudehöhe überragt. Die Tafel ist von dunkler Farbe und enthält beidseitig in weissen Lettern die Aufschrift "hildebrand"; sie wird nachts aus einer Richtung mit Neonröhren angestrahlt. B.- Gegen die Bewilligung der Reklametafel durch die Ortsbehörde führte der Verkehrsverein Aadorf beim Regierungsrat des Kantons Thurgau Beschwerde, da diese Tafel mit den kommunalen Vorschriften über den Schutz des Ortsbildes nicht vereinbar sei. Der Regierungsrat hiess die Beschwerde am 20. Dezember 1972 gut, hob die erteilte Bewilligung auf und wies die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Ortsbehörde Aadorf zurück. In den Erwägungen wurde u.a. ausgeführt, dass, entsprechend den Empfehlungen des beigezogenen Experten, die Anbringung der Tafel unmittelbar über dem Fabrikdach zulässig wäre. C.- Die Firma Hildebrand AG führt gegen den Entscheid des Regierungsrates staatsrechtliche Beschwerde. Sie rügt eine Verletzung der Rechtsgleichheit, der Eigentumsgarantie und der Handels- und Gewerbefreiheit und verlangt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. BGE 99 Ia 42 S. 44 D.- Der Regierungsrat beantragt Abweisung der Beschwerde; im gleichen Sinne äussert sich der Verkehrsverein Aadorf. Der Antrag der Ortsbehörde Aadorf lautet demgegenüber auf Gutheissung der Beschwerde. Erwägungen Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden Erwägungen: 1. Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates, mit dem die erteilte Bewilligung aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde, ist zwar letztinstanzlich, doch handelt es sich nur um einen Zwischenentscheid, da er das Verfahren nicht abschliesst. Ein Zwischenentscheid ist gemäss Art. 87 OG wegen Verletzung von Art. 4 BV nur anfechtbar, wenn er für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat, welche Voraussetzung hier nicht zutreffen dürfte. Doch ist dies ohne Belang. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes gilt die in Art. 87 OG vorgesehene Einschränkung dann nicht, wenn, wie hier, neben der Rüge der Verletzung von Art. 4 BV noch selbständige andere Verfassungsrügen erhoben werden, auf die eingetreten werden muss. In diesem Rahmen kann ein Verstoss gegen Art. 4 BV auch gegenüber letztinstanzlichen Zwischenentscheiden geltend gemacht werden, ohne dass die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils dargetan sein müsste ( BGE 95 I 443 E. 1). Da die Beschwerdeführerin neben Art. 4 BV auch Art. 22 ter und 31 BV anruft, für welche die Einschränkung des Art. 87 OG nicht gilt, und jedenfalls auf die Rüge der Verletzung von Art. 22 ter BV materiell eingegangen werden muss, sind auch die auf Art. 4 BV gestützten Rügen zu prüfen. 2. Der Regierungsrat stützte seinen Entscheid auf die nachfolgenden beiden Bestimmungen des Baureglementes der Ortsgemeinde Aadorf: "Art. 1 Geltungsbereich Die Bauordnung gilt für das ganze Gebiet der Ortsgemeinde Aadorf. Sie betrifft den Neubau, Umbau und Unterhalt aller Hoch- und Tiefbauten und bezweckt, die Anlage der Ortschaft den Erfordernissen einer zweckmässigen und ansprechenden Ortsgestaltung, der ökonomischen Verwendung öffentlicher Mittel und den Grundsätzen des Heimatschutzes anzupassen." "Art. 2 Grundsätzliche Baupflichten Jede Baute ist nach den Regeln der Baukunde zu erstellen und zu unterhalten. Sie hat der Sicherheit von Menschen, Haustieren und BGE 99 Ia 42 S. 45 Sachen in jeder Hinsicht zu genügen. Auch ist sie zu so gestalten und der Umgebung anzupassen, dass sie weder durch ihre äussere Erscheinung noch durch die Lage und Stellung das Strassen-, Orts- und Landschaftsbild verunstaltet." 3. Im kantonalen Beschwerdeverfahren wurde über die Frage, ob die beanstandete Tafel mit den Grundsätzen des Heimatschutzes und dem Gebot einer ansprechenden Gestaltung des Strassen-, Orts- und Landschaftsbildes vereinbar sei, bei Architekt Th. Rimli, Aarau, ein Bericht eingeholt. Die Beschwerdeführerin erhebt in diesem Zusammenhang verschiedene Einwände: a) Sie weist darauf hin, dass Architekt Rimli Obmann ad interim der Heimatschutz-Sektion des Kantons Aargau sei, und macht geltend, es verstosse gegen Art. 4 BV , eine dem Heimatschutz nahestehende Person mit der Erstattung des Gutachtens zu beauftragen, da eine solche in Fragen des Heimatschutzes befangen sei und in jedem Falle übersetzte Anforderungen stelle. Dieser Einwand geht fehl. Über Fragen des Heimatschutzes sind naturgemäss in erster Linie solche Personen anzuhören, die sich damit schon befasst haben und aus praktischer Erfahrung wissen, welche Eingriffe ein Ortsbild ohne erhebliche Beeinträchtigung erträgt und welche Anforderungen im allgemeinen gestellt werden dürfen. Die Behauptung, dass Mitglieder von Heimatschutzorganisationen zum vorneherein weit übertriebene Ansprüche stellen, ist unhaltbar. Auch das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 sieht in ähnlichen Fällen eine Begutachtung durch die eidgenössische oder kantonale Heimatschutzkommission ausdrücklich vor (Art. 7-9). Dadurch, dass das mit der Beschwerdeinstruktion betraute Baudepartement einen in Fragen des Heimatschutzes erfahrenen Architekten einen Bericht erstellen liess, wurden keine verfassungsmässigen Rechte der Beschwerdeführerin verletzt. b) Der Bericht Architekt Rimlis wurde den Parteien vor Erlass des angefochtenen Entscheides zur Stellungnahme zugestellt. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass sie keine Gelegenheit gehabt habe, sich vor der Bestellung des Gutachtens zur Person des Experten und zu den gestellten Fragen zu äussern und am Augenschein des Experten, den dieser am 6. April 1972 allein vorgenommen hatte, teilzunehmen. Der Umfang des Anspruches auf rechtliches Gehör bestimmt BGE 99 Ia 42 S. 46 sich in erster Linie nach den kantonalen Verfahrensvorschriften. Wo sich jedoch dieser kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden, also bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz ( BGE 98 Ia 6 E. 2a, 131 E. 2). Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass das Vorgehen des Regierungsrates irgendwelche kantonalen Verfahrensvorschriften verletze; es ist daher einzig zu prüfen, ob unmittelbar aus Art. 4 BV folgende Regeln missachtet wurden. Dabei ist zu beachten, dass dieser bundesrechtliche Gehörsanspruch im Verwaltungsverfahren im allgemeinen nicht den gleichen Umfang hat wie im Zivil- und Strafprozess ( BGE 87 I 339 ; BGE 96 I 187 ; BGE 98 Ia 132 E. 3, 8 E. 2c; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 179 ff.). Das ergibt sich schon aus der ungleichen Stellung der entscheidenden Behörde. Diese hat im Verwaltungsverfahren regelmässig nicht bloss auf Grundlage von Parteibehauptungen und im Rahmen gestellter Begehren über das zwischen den Parteien streitige Recht zu befinden, sondern von Amtes wegen für die richtige Anwendung des Gesetzes zu sorgen. Der Gehörsanspruch der Parteien kann dementsprechend auf das Wesentliche beschränkt werden. Er umfasst im Verwaltungsstreitverfahren u.a. das Recht, an förmlichen Beweiserhebungen teilzunehmen und zum Beweisergebnis sowie zu allfällig eingeholten Gutachten Stellung zu beziehen. Einen Anspruch auf Mitwirkung bei der Instruktion eines Experten besitzen die Parteien hingegen nur dann, wenn dies für die Festlegung des zu begutachtenden Sachverhaltes unerlässlich ist (z.B. in Steuerstreitigkeiten, vgl. ASA Bd. 36 S. 491 ff.). Hievon konnte im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, da die beanstandete Reklametafel bereits stand und es für die Beurteilung der Frage, wieweit sie das Landschafts- und Ortsbild stört, keiner weiterer Erläuterungen der Parteien mehr bedurfte. Die Behörde wusste selber, worauf es bei ihrem Entscheid ankam, und war bei der Formulierung der Expertenfragen nicht auf die Mitwirkung der Parteien angewiesen. Ebensowenig haben diese einen unbedingten, unmittelbar aus der Verfassung fliessenden Anspruch darauf, allfällige Ablehnungsgründe gegen den Experten schon vor dessen Ernennung geltend machen zu können. Zwar ist eine rechtzeitige Anhörung der Parteien unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie in der Regel wünschbar und zweckmässig, doch ist dem bundesrechtlichen Gehörsanspruch Genüge getan, BGE 99 Ia 42 S. 47 wenn die Parteien vor Ergehen des Entscheides zum erstatteten Gutachten Stellung nehmen können und dabei Gelegenheit haben, ihre Einwände gegen die Person des Experten vorzubringen oder Ergänzungsfragen zu beantragen. Dass die Beschwerdeführerin zum Augenschein des Experten nicht beigezogen wurde, lässt sich ebenfalls nicht beanstanden. Dieser Augenschein bezweckte nicht die Vornahme verbindlicher tatsächlicher Feststellungen und war kein Akt der Beweiserhebung, der nur unter Teilnahme der Parteien erfolgen dürfte. Da die Reklametafel bereits stand, konnten über den Sachverhalt als solchen keine Zweifel mehr bestehen. Die Ortsbesichtigung durch den Experten diente vielmehr der Abklärung der streitigen ästhetischen Fragen und gehörte damit bereits zu seiner gutachterlichen Tätigkeit, die sich ohne Mitwirkung der Parteien abzuwickeln hatte. Dass der Experte in der Lage war, selber die richtigen Standorte auszusuchen, um den Einfluss der Tafel auf das Bild der Umgebung beurteilen zu können, versteht sich von selbst. Von einem Verstoss gegen Art. 4 BV könnte nur dann die Rede sein, wenn der Experte bei seinem Augenschein von Vertretern der gegnerischen Partei begleitet gewesen wäre. Ein derartiger Verstoss gegen das Gebot der prozessualen Gleichbehandlung wurde jedoch nicht behauptet. c) Eine andere Frage ist, ob der Regierungsrat entscheiden durfte, ohne selber an Ort und Stelle eine Augenscheinsverhandlung durchgeführt zu haben. Die Beschwerdeführerin rügt, der Regierungsrat habe sich über die Auswirkungen der beanstandeten Tafel kein eigenes Urteil gebildet, sondern den Bericht des - nach Meinung der Beschwerdeführerin befangenen - Experten zum Urteil erhoben. Dies sei umso weniger zulässig gewesen, als das Gutachten nicht eine technische, sondern eine Ermessensfrage zum Gegenstand gehabt habe, deren Beantwortung keine besonderen Fachkenntnisse erfordere. Auch dieser Einwand dringt nicht durch. Wie in der Vernehmlassung des Regierungsrates ausgeführt wird, hatten sämtliche Mitglieder dieser Behörde im Laufe des Beschwerdeverfahrens Gelegenheit, die Auswirkungen der Reklametafel aus eigener Sicht zu beurteilen. Unter diesen Umständen konnte der Regierungsrat auf die Durchführung eines offiziellen Augenscheins ohne Verletzung von Art. 4 BV verzichten. Der Beschwerdeführerin hätte nur dann Gelegenheit gegeben werden müssen, ihren Standpunkt der entscheidenden Behörde an Ort und Stelle BGE 99 Ia 42 S. 48 zu erläutern, wenn es um die Zulässigkeit einer erst geplanten Anlage gegangen wäre und die Parteien durch genaue Angaben über Lage, Ausmass und Gestaltung der Baute zur Abklärung des Sachverhaltes Wesentliches hätten beitragen können. Im vorliegenden Fall waren jedoch die tatsächlichen Verhältnisse bekannt. Streitig war einzig, wie die bereits bestehende Anlage im Hinblick auf das Ortsbild zu würdigen war. Zur Beurteilung dieser Frage bedurfte es keiner besonderen Augenscheinsverhandlung; ob die Reklametafel das Ortsbild verunstaltet, konnten die einzelnen Mitglieder des Regierungsrates auch auf Grund eigener privater Feststellungen entscheiden. Dass einem blossen Gelegenheitsbetrachter wichtige Besonderheiten entgehen, wird in der Beschwerde nicht behauptet. 4. Die Beschwerdeführerin rügt, das Verbot, die Reklametafel in der von ihr gewünschten Höhe aufzustellen, verletze die Handels- und Gewerbefreiheit. Die Reklametafel habe nur einen Sinn, wenn sie von der Staatsstrasse, der Einfahrt zur Autobahn und von der Bahnlinie her gesehen werden könne. Durch die verlangte Herabsetzung der Tafel werde die Beschwerdeführerin in ihrer Handels- und Gewerbefreiheit unverhältnismässig beeinträchtigt. Diese Rüge ist unbehelflich. Art. 31 BV befreit den Grundeigentümer nicht von der Beachtung der Bauvorschriften und räumt dem Gewerbetreibenden in dieser Hinsicht keine Privilegien ein. Die angefochtene Beschränkung verfolgt keinen wirtschaftspolitischen Zweck und trifft die Beschwerdeführerin nur in ihrer Eigenschaft als Grundeigentümerin. Ihre sachliche Zulässigkeit beurteilt sich daher einzig nach den Grundsätzen der Eigentumsgarantie, was die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse gewerbetreibender Grundeigentümer immerhin nicht ausschliesst, da auch baupolizeiliche Eingriffe dem Gebot der Verhältnismässigkeit unterstehen. Was die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang vorbringt, ist einzig unter dem Gesichtswinkel des Art. 22 ter BV zu würdigen. 5. Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates berührt die Beschwerdeführerin unzweifelhaft in ihrer Eigentumsfreiheit. Sie macht zunächst geltend, es fehle dem streitigen Eingriff an der gesetzlichen Grundlage, und verweist auf Art. 18 Ziff. 6 des Aadorfer Baureglementes, welcher die Erstellung von Firmenschildern nur insoweit einschränke, als sie an Strassen stünden und den Verkehr gefährden könnten; für eine Einschränkung BGE 99 Ia 42 S. 49 auch ausserhalb des Strassenraumes bestünde keine gesetzliche Handhabe. Dieser Einwand schlägt nicht durch. Da hier kein besonders schwerer Eingriff in das Eigentum in Frage steht, prüft das Bundesgericht die gesetzliche Grundlage nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür ( BGE 98 Ia 392 , 38 E. 2; BGE 97 I 795 E. 3a), und davon, dass der Regierungsrat Art. 4 BV verletzte, wenn er die erwähnten allgemeinen Vorschriften in Art. 1 und 2 des Baureglementes auch auf Firmentafeln anwandte, kann nicht die Rede sein. Seine Auslegung würde selbst einer freien Prüfung standhalten, da der von der Beschwerdeführerin angerufene Art. 18 Ziff. 6 die Erstellung von Firmentafeln nur unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit regelt und die allgemeine Bestimmung des Art. 2 über die ästhetische Gestaltung baulicher Anlagen selbstverständlich vorbehalten bleibt. Es kann sich einzig fragen, ob die Voraussetzungen für ein auf Art. 2 des Baureglementes gestütztes Verbot wirklich erfüllt sind und ob ein solcher Eingriff mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar ist. Die Beschwerdeführerin macht geltend, von einem schützenswerten Ortsbild könne in der Industriezone von Aadorf nicht gesprochen werden. Diese Zone sei für Bauten bestimmt, die industriellen Zwecken dienten und nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten errichtet würden. Auch Hochkamine, Silos und andere turmartige Bauten seien nicht "schön". Wenn eine Gemeinde sich vor solchen Bauten schützen wolle, müsse sie eben auf eine Industrialisierung ihres Gebietes verzichten. In einer Industriezone könnten die Vorschriften über den Schutz des Ortsbildes nicht gelten. Auch durch öffentliche Bauten werde das Ortsbild oft verunstaltet. Die Beschwerdeführerin verweist dabei auf die Zuckerfabrik Frauenfeld, die Tankanlagen in Hauptwil und das neue Kantonsspital Frauenfeld, ferner auf Hochspannungsleitungen und Radio- und Fernsehsendetürme. Die Annahme des Regierungsrates, dass eine Baute im Industriegebiet aus keiner Richtung her auffallen dürfe, sei unhaltbar. Dasselbe gelte für die Feststellung, dass die graphisch sehr ausgewogene Firmentafel der Beschwerdeführerin verunstaltend wirke. In Wirklichkeit werde nicht die Tafel, sondern die darauf angebrachte Inschrift beanstandet. Für ein gleich hohes, irgendwelchen technischen Zwecken dienendes Gestell würde die Bewilligung nicht verweigert. Dass Industriebauten möglichst weithin sichtbare Beschriftungen mit BGE 99 Ia 42 S. 50 Firmennamen oder Produktbezeichnung enthielten, sei allgemein üblich, und es sei nicht einzusehen, weshalb der Beschwerdeführerin die Erstellung einer solchen Reklametafel unter Hinweis auf den Schutz des Ortsbildes verwehrt werden könnte. Dieser Argumentation ist nicht beizupflichten. Die Beschwerdeführerin könnte sich auf die Tatsache, dass für bestimmte Bauten, insbesondere Industriebauten, eine Beeinträchtigung des Ortsbildes oft gezwungenermassen in Kauf genommen werden muss, nur dann berufen, wenn sie für die hier in Frage stehende Anlage gleiche imperative Gründe geltend zu machen vermöchte. Hochspannungsleitungen, Sendetürme, Silos, Tanks usw. sind unvermeidbare Bestandteile der Landschaft eines Industrielandes. Es wird dabei stets versucht, sie so anzulegen, dass der Eingriff in das Landschafts- oder Ortsbild noch tragbar ist, und es ergeben sich daraus für das Unternehmen, selbst wenn es öffentlich ist oder öffentliche Aufgaben zu erfüllen hat, oft erhebliche Lasten. Von einem solchen Sachzwang kann bei der Firmentafel der Beschwerdeführerin nicht die Rede sein. Es handelt sich nur um eine von vielen möglichen Reklamevorkehren. Die beanstandete Tafel mag der Beschwerdeführerin vielleicht einen geschäftlichen Vorteil verschaffen, doch ist sie für eine erfolgreiche Führung des Betriebes keineswegs unumgänglich. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihren Produkten nicht an das breite Publikum, und diesem gegenüber wäre die Reklametafel auch ohne Aussagegehalt, da aus dem Firmennamen allein keine Schlüsse auf die hergestellten Produkte gezogen werden können. Die Tafel vermag also lediglich diejenigen, die zur Firma Hildebrand schon in Geschäftsbeziehungen getreten sind oder von dieser Firma auf andere Weise Kenntnis erhalten haben, an die Existenz der Firma zu erinnern bzw. auf den Standort des Fabrikgebäudes aufmerksam zu machen. Das Interesse der Beschwerdeführerin, dass diese Reklametafel von der Eisenbahn, der Staatsstrasse und der Autobahneinfahrt her gesehen werden kann, ist für sie zumindest nicht lebenswichtig; möglicherweise bringt ihr die Tafel überhaupt keinen messbaren Vorteil. Andererseits führt die Anlage in ihrer jetzigen Form zu einem Eingriff in die Landschaft, der selbst nach dem für Industriebauten geltenden Massstab als aussergewöhnlich erscheint. Das Baureglement von Aadorf beschränkt die Höhe der in der Industriezone zugelassenen Bauten auf 16 m (Art. 9 Ziff. 3). Offenbar sollten mit dieser Begrenzung allzustarke Eingriffe in BGE 99 Ia 42 S. 51 das noch ländliche Orts- und Landschaftsbild verhindert werden. Dieses Ziel würde vereitelt, wenn es zulässig wäre, die maximale Bauhöhe durch Anbringung riesiger Firmentafeln nach Belieben zu überschreiten. Es läge nahe, dass auch andere Firmen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und sich durch Errichtung immer grösserer Tafeln gegenseitig zu überbieten versuchen würden, was auch in einer Industrielandschaft untragbar wäre. Ob das geltend gemachte öffentliche Interesse den streitigen Eingriff in das Privateigentum zu rechtfertigen vermag, prüft das Bundesgericht auf Anrufung der Eigentumsgarantie hin grundsätzlich frei; es übt aber Zurückhaltung, soweit die Antwort von der Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht ( BGE 94 I 59 , 135 f., 340 f., 349 f.). Im vorliegenden Fall kann von einer unverhältnismässigen Eigentumsbeschränkung nicht die Rede sein. Zwar ist die Reklametafel der Beschwerdeführerin im Dorfkern von Aadorf nicht sichtbar; sie tritt aber - wie dies ihrem Zweck entspricht und u.a. auch aus dem Bericht des Experten und den bei den Akten befindlichen Photos hervorgeht - in der weiteren Umgebung in aufdringlicher Weise in Erscheinung, so dass es ohne weiteres einleuchtet, wenn der Regierungsrat hierin einen verunstaltenden Eingriff in die Landschaft erblickt. Auch wenn es sich bei Aadorf um eine Industriegemeinde handelt und das Orts- und Landschaftsbild nicht besonders schützenswert sein mag, so braucht dieses derartigen Eingriffen doch nicht schutzlos ausgeliefert zu werden. Da die Beschwerdeführerin auf eine Reklametafel in der jetzigen Form nicht dringend angewiesen ist und die verfügte Beschränkung sie in ihren Eigentumsrechten nur am Rande trifft, geht das Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung des Orts- und Landschaftsbildes eindeutig vor.
de
b5cfd14f-32d8-48bb-97f8-489325c528ae
Sachverhalt ab Seite 2 BGE 111 IV 1 S. 2 A.- A. fuhr am 8. Oktober 1983 um 03.35 Uhr mit seinem Personenwagen von Lörrach/BRD kommend bis zum schweizerischen Zollamt Grenzacherstrasse in Basel. Dort wurde er wegen des Verdachts der Angetrunkenheit zurückgehalten. Die Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von minimal 1,93%o bis maximal 2,18%o. B.- Das Amtsgericht Lörrach verurteilte A. am 22. November 1983 wegen dieser Fahrt gemäss § 316 des deutschen StGB (Trunkenheit im Verkehr) zu einer Geldbusse von DM 700.--. Weil die in Lörrach begonnene Trunkenheitsfahrt auf schweizerischem Gebiet fortgesetzt wurde, sprach der Polizeigerichtspräsident Basel-Stadt A. am 18. Mai 1984 nach schweizerischem Recht des Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand schuldig und verurteilte ihn unter Berücksichtigung der in Deutschland wegen der gleichen Fahrt schon ausgefällten und als vollstreckt zu betrachtenden Strafe zu einer Restfreiheitsstrafe von 10 Tagen Gefängnis. Wegen früherer gleichartiger Verfehlungen wurde die Gewährung des bedingten Strafvollzuges abgelehnt. Das Appellationsgericht schloss sich am 28. November 1984 den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der ersten Instanz an und bestätigte das Urteil. C.- A. führt gegen den Entscheid des Appellationsgerichtes Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zum Freispruch an die Vorinstanz zurückzuweisen. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei auf Ersuchen der Basler Behörden wegen des Vorfalles vom 8. Oktober 1983 in Lörrach verfolgt und mit Strafbefehl des Amtsgerichtes vom 22. November 1983 zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu je DM 20.--, insgesamt DM 700.--, verurteilt worden. Diese Geldstrafe werde aus der in der Schweiz geleisteten Kaution von Fr. 1100.-- gedeckt und sei somit als verbüsste Strafe zu behandeln. Die Fahrt von Lörrach bis zum Grenzposten sei eine einheitliche Tat, die rechtskräftige Verurteilung durch das Amtsgericht Lörrach beziehe sich nicht nur auf das BGE 111 IV 1 S. 3 Fahren auf deutschem Gebiet, sondern auch auf das Fahren auf schweizerischem Gebiet. Nach dem Grundsatz "ne bis in idem" könne der Beschwerdeführer wegen dieser Angelegenheit in der Schweiz nicht mehr bestraft werden. 2. a) In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der Beschwerdeführer nicht nur auf deutschem Gebiet, sondern auch auf schweizerischem Territorium seinen Personenwagen in angetrunkenem Zustand gelenkt hat. Ist aber ein Verbrechen oder Vergehen in der Schweiz verübt worden, so beansprucht die Schweiz gemäss Art. 3 Ziff. 1 StGB grundsätzlich die Gerichtsbarkeit (vgl. BGE 108 IV 146 ). Dies gilt auch, wenn bei einer einheitlichen Tathandlung nur ein Teil in der Schweiz begangen wurde und ein ausländischer Staat sich wegen des auf seinem Gebiet begangenen Tatanteils ebenfalls nach Territorialitätsprinzip als zur Strafverfolgung zuständig erachtet. Ein ausländisches Strafurteil, das in der gleichen Sache bereits ergangen ist, hindert in solchen Fällen eine Bestrafung in der Schweiz nicht von vornherein. Eine im Ausland wegen der gleichen Sache bereits verbüsste Strafe ist gemäss Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB vom schweizerischen Richter auf die hier auszufällende Sanktion anzurechnen. Dass in der zu beurteilenden Angelegenheit die in Lörrach verhängte Geldstrafe gemäss dieser Bestimmung berücksichtigt werden soll, ist unbestritten. b) Eine eigentliche Anerkennung des ausländischen Urteils als definitive Erledigung ergibt sich aus Art. 3 Ziff. 2 StGB für den Fall, dass ein Ausländer (wegen der in der Schweiz begangenen Tat) auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgt worden ist. In der Beschwerdeschrift wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei auf Ersuchen der Basler Behörden in Lörrach verfolgt worden. Wie bereits der Polizeigerichtspräsident in seinem Urteil feststellte, kann von einem Übernahmebegehren an die deutschen Behörden nicht die Rede sein. Am 17. Oktober 1983 hat die Verkehrsabteilung Basel-Stadt die Zweigstelle Lörrach der Staatsanwaltschaft Freiburg i/Br. über das gegen den Beschwerdeführer in Basel eingeleitete Ermittlungsverfahren orientiert. In diesem Brief wird mitgeteilt, dass der Fall dem Polizeigerichtspräsidenten überwiesen werde. Die Meldung sollte offensichtlich den deutschen Behörden ermöglichen, gegenüber dem in Deutschland wohnhaften fehlbaren Motorfahrzeugführer die naheliegende Sanktion eines Ausweisentzuges für das deutsche Gebiet zu prüfen. Ein Ersuchen BGE 111 IV 1 S. 4 um Übernahme der Strafverfolgung im Sinne von Art. 3 Ziff. 2 StGB lässt sich dem Schreiben der Verkehrsabteilung nicht entnehmen. Dass die Strafverfolgung in der Schweiz durchgeführt wird, ist eindeutig zum Ausdruck gebracht. Damit erweist sich die auf Art. 3 Ziff. 2 StGB gestützte Einwendung als unbegründet. c) Entgegen der Behauptung in der Beschwerdeschrift ging der Polizeigerichtspräsident in dem vom Appellationsgericht bestätigten Urteil nicht etwa von einer nach der Länge der gefahrenen Strecken zwischen Deutschland und der Schweiz aufgeteilten Strafkompetenz aus und begründete seine Zuständigkeit nicht damit, dass die Verfehlung, soweit sie auf schweizerischem Gebiet begangen worden sei, durch den Strafbefehl des Amtsgerichtes Lörrach gar nicht erfasst werde. Er stellte im Gegenteil fest, dass die ununterbrochene Fahrt in angetrunkenem Zustand von Lörrach bis zum Zollamt Grenzacherstrasse eine einheitliche Handlung bilde. Der angefochtene Entscheid beruht auf der Erwägung, dass diese einheitliche (über die Staatsgrenze sich erstreckende) Handlung von beiden betroffenen Staaten verfolgt werde und dass die zeitlich nachfolgende Beurteilung in der Schweiz unter Beachtung von Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB vorzunehmen sei. Diese Argumentation ist zutreffend und verletzt das Bundesrecht nicht. 3. Erscheint somit die Beurteilung gemäss Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB als richtig, so bleibt zu prüfen, ob die Strafzumessung unter Anrechnung der Geldstrafe von DM 700.-- gesetzeskonform erfolgte. a) Der Polizeigerichtspräsident ging davon aus, dass die übliche Strafe bei einer Fahrt in einem mittleren Rauschzustand (Blutalkoholgehalt von mindestens 1,93%o) 20 Tage Gefängnis betrage. Gegen diesen Ansatzpunkt der Strafzumessung wird nichts eingewendet. Die kaum begründete, eventualiter beigefügte Rüge geht sinngemäss einfach dahin, die vom Amtsgericht Lörrach verhängte Geldstrafe von DM 700.-- sei der nach schweizerischem Recht angemessenen Bestrafung äquivalent und die Ausfällung einer Reststrafe von 10 Tagen Gefängnis daher nicht gerechtfertigt. b) Im Urteil des Polizeigerichtspräsidenten wird das Problem der Anrechnung einer Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe in überzeugender Weise erörtert: Weder eine schematische Anrechnung der Geldstrafe in analoger Anwendung von Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 StGB (Fr. 30.-- = 1 Tag), noch das Abstellen auf die nach BGE 111 IV 1 S. 5 deutschem Recht bestimmten Tagessätze (i.c. 35 Tagessätze à DM 20.--) erscheint für den hier notwendigen Anrechnungsentscheid als wirklich angemessen und befriedigend. Der Richter muss im konkreten Fall nach eigenem Ermessen darüber befinden, ob die ausländische Geldstrafe der nach schweizerischem Recht verwirkten Freiheitsstrafe gleichzusetzen ist oder nicht. Erscheint ein gänzlicher Verzicht auf die Freiheitsstrafe nicht als gerechtfertigt, so muss bestimmt werden, in welchem Mass wegen der ausländischen Geldstrafe eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe nach billigem Ermessen angezeigt ist und welche Restfreiheitsstrafe folglich in der Schweiz noch ausgefällt werden soll. Diese "Anrechnung" ohne schematische Richtlinie räumt dem Richter im Einzelfall ein grosses Ermessen ein; doch dürfte auf diesem Wege - unter Vermeidung einer unbilligen Doppelbestrafung - am ehesten gewährleistet sein, dass die Bestrafung in der Schweiz im Ergebnis etwa so ausfällt wie bei vergleichbaren, rein inländischen Sachverhalten. Im vorliegenden Fall wurde vom Polizeigerichtspräsidenten hervorgehoben, dass bei diesem Grad der Angetrunkenheit und unter Berücksichtigung früherer Verurteilungen wegen gleichartiger Verfehlungen in der Schweiz regelmässig Freiheitsstrafen ausgesprochen werden. Indem die nach der Schwere der Verfehlung angemessene Strafe von 20 Tagen Gefängnis in "Anrechnung" der Busse von DM 700.-- auf 10 Tage Gefängnis herabgesetzt wurde, haben die kantonalen Gerichte im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens einen vertretbaren Entscheid gefällt und die Vorschrift von Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB nicht verletzt.
de
211fd045-2051-47f0-bc15-44e9690fef63
Erwägungen ab Seite 199 BGE 134 V 199 S. 199 Aus den Erwägungen: 1. 1.1 Die Beschwerdeführerin gründet ihren Leistungsanspruch auf kantonales Recht, nämlich § 5 der Verordnung vom 5. Januar 1994 über die Leistungen der Versicherungskasse für das Staatspersonal an die Mitglieder des Regierungsrates (Leistungsverordnung; LS 177.24). Nach Auffassung des Beschwerdegegners kann das Bundesgericht die Anwendung dieser Verordnung nicht frei, sondern nur auf die Verletzung von Bundesrecht oder kantonalen verfassungsmässigen Rechten hin überprüfen. Dies ist in der Tat die ordentliche Kognition des Bundesgerichts im Rahmen der Anwendung kantonalen Rechts ( Art. 95 lit. a und c BGG ). BGE 134 V 199 S. 200 1.2 Unter der Herrschaft des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) hat indessen das Eidg. Versicherungsgericht in Streitigkeiten um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen der beruflichen Vorsorge auch die Anwendung kantonalen oder kommunalen öffentlichen Vorsorgerechts frei geprüft. Dies wurde mit der Gleichstellung von öffentlich- und privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen begründet sowie mit der speziellen Verfahrensordnung des Art. 73 Abs. 4 BVG ( BGE 116 V 333 E. 2b S. 334 f.). Mit dem Inkrafttreten der Justizreform auf den 1. Januar 2007 wurde allerdings Art. 73 Abs. 4 BVG aufgehoben (AS 2006 S. 2197, 2278) mit der Begründung, der Rechtsschutz folge den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege und bedürfe keiner spezialgesetzlichen Regelung (Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 S. 4202 ff., 4460). Indessen ist das Anliegen einer Gleichbehandlung von öffentlich- und privatrechtlich Versicherten unverändert gültig. Hinzu kommt, dass auch das kantonale und kommunale Berufsvorsorgerecht sich an die Vorgaben des BVG zu halten hat ( Art. 48 Abs. 2 und Art. 49 BVG ) und gewissermassen als konkretisierende Gesetzgebung im Rahmen der weitgehend bundesrechtlich geregelten beruflichen Vorsorge (vgl. Art. 113 Abs. 1 BV ) betrachtet werden kann. Es rechtfertigt sich daher, auch unter der Herrschaft des BGG das kantonale und kommunale öffentliche Berufsvorsorgerecht frei zu überprüfen, jedenfalls soweit es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht (ebenso SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, N. 16 zu Art. 95 BGG ; MARKUS SCHOTT, Basler Kommentar zum BGG, Basel 2008, N. 46 zu Art. 95 BGG ). Das ist hier der Fall.
de
383fa91c-e9a4-4d12-a86e-2ec0491e5da1
Sachverhalt ab Seite 329 BGE 133 IV 329 S. 329 A. X. verkaufte von März 2004 bis zu ihrer Verhaftung am 16. Februar 2005 A. insgesamt mindestens 500 Gramm Kokain. Bei ihrer Verhaftung war sie zudem im Besitz von 249 Gramm Kokain mit hohem Reinheitsgrad, welches ebenfalls zum Verkauf bestimmt war. Des Weiteren veräusserte X. im Zeitraum von Januar bis Spätsommer 2004 an B. mindestens 21 Gramm Kokaingemisch. B. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. zweitinstanzlich mit Urteil vom 17. Januar 2007 der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 i.V.m. Art. 19 Ziff. 2 BetmG BGE 133 IV 329 S. 330 sowie der Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG schuldig und verurteilte sie zu einer Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren. C. X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. Januar 2007 sei aufzuheben, und die Sache sei im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Strafsachen ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. 4.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Erkenntnis, dass es sich bei ihr um die Hauptlieferantin "Y." handle, basiere auf einem Zufallsfund im Sinne von Art. 9 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF; SR 780.1) . Dieser Zufallsfund sei kausal gewesen für ihre Verhaftung und die erbrachten Beweise. Da der Zufallsfund jedoch nie bewilligt worden sei, mithin die Strafverfolgungsbehörden vor Einleitung weiterer Ermittlungen die Zustimmung der Genehmigungsbehörde nicht eingeholt hätten, müssten sämtliche erhobenen Beweismittel als unverwertbar bezeichnet werden. Die gegenteilige Feststellung im angefochtenen Urteil verletze im Ergebnis Art. 9 Abs. 3 BÜPF und damit Bundesrecht. 4.2 Art. 9 BÜPF mit der Marginalie "Zufallsfunde" statuiert, dass bezüglich Ermittlungserkenntnissen, welche Straftaten einer Person betreffen, die in der Überwachungsanordnung keiner Straftat verdächtigt wird, vor Einleitung weiterer Ermittlungen die Zustimmung der Genehmigungsbehörde eingeholt werden muss (Abs. 2 Satz 1). Die Zustimmung kann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Überwachung nach diesem Gesetz erfüllt sind (Abs. 2 Satz 2). Sind die Voraussetzungen für die Verwendung des Zufallsfundes nicht gegeben, so dürfen die Informationen nicht verwendet und es müssen die betreffenden Dokumente und Datenträger umgehend vernichtet werden (Abs. 3). Für die Fahndung nach gesuchten Personen dürfen sämtliche Erkenntnisse einer Überwachung verwendet werden (Abs. 4). 4.3 Die Untersuchungsbehörden wurden auf die Beschwerdeführerin als mögliche Drogenlieferantin von A. aufmerksam, weil dessen Telefonanschluss rechtmässig überwacht wurde. Zuvor bestand diesbezüglich noch kein Tatverdacht gegen die BGE 133 IV 329 S. 331 Beschwerdeführerin. Es ist folglich von einem sog. personellen Zufallsfund im Sinne von Art. 9 Abs. 2 BÜPF auszugehen (THOMAS HANSJAKOB, Kommentar zum Bundesgesetz und zur Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, 2. Aufl., St. Gallen 2006, Art. 9 BÜPF N. 27 ff.). Eine Auswertung der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung zu blossen Fahndungszwecken im Sinne von Art. 9 Abs. 4 BÜPF liegt nicht vor, denn die Beschwerdeführerin wurde nicht bzw. jedenfalls nicht primär zwecks Verhaftung verfolgt, sondern observiert, um sie des Drogenhandels zu überführen. Von Seiten der Untersuchungsbehörde wurde bei der Anklagekammer nie um eine Genehmigung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 BÜPF ersucht. Aus dem Wortlaut der Art. 9 Abs. 2 und 3 BÜPF ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber ein nachträgliches Genehmigungsverfahren ausschliessen wollte. Im Ergebnis liegt damit die erforderliche Genehmigung bezüglich des die Beschwerdeführerin betreffenden Zufallsfundes nicht vor. 4.4 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dürfen in Fällen schwerer Kriminalität unter Umständen selbst nicht gesetzeskonform erlangte Beweise ausnahmsweise verwertet werden, sofern das Beweismittel an sich zulässig und auf gesetzmässigem Weg erreichbar, mithin nicht verboten gewesen wäre. Vorzunehmen ist insoweit eine Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung und dem privaten Interesse der angeklagten Person, dass der fragliche Beweis unterbleibt ( BGE 131 I 272 E. 4.1 mit weiteren Hinweisen). Für eine solche Interessenabwägung besteht jedoch kein Raum, wenn das Gesetz explizit von der Unverwertbarkeit der Beweismittel ausgeht. Dies ist vorliegend der Fall: Der Art. 9 Abs. 3 BÜPF bestimmt, dass die Informationen nicht verwendet werden dürfen und die betreffenden Dokumente und Datenträger umgehend vernichtet werden müssen. Von der Unverwertbarkeit solcher rechtswidrig erlangter primärer Beweismittel geht auch die herrschende Lehre aus (NIKLAUS SCHMID, Verwertung von Zufallsfunden und Verwertungsverbote nach dem neuen Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [BÜPF], ZStrR 120/2002 S. 312 f.; HANSJAKOB, a.a.O., Art. 9 BÜPF N. 48 ff.; NIKLAUS RUCKSTUHL, Rechtswidrige Beweise erlaubt, in: Forum Strafverteidigung, Beweismangel und Verwertungsverbot, Plädoyer, Beilage Dezember 2006, S. 20 ff.). BGE 133 IV 329 S. 332 Folglich ist es vorliegend unzulässig, auch nur teilweise auf die Protokolle aus der Telefonüberwachung abzustellen. 4.5 Nicht geklärt ist damit jedoch, ob ein solches Beweisverwertungsverbot so genannte Fernwirkung erzielt. Es fragt sich mithin, ob das Verwertungsverbot einzig für die rechtswidrig beschafften primären Beweismittel gilt, oder ob es sich auch auf alle weiteren Beweismittel erstreckt, welche gestützt auf die illegalen Primärbeweismittel erhoben wurden, so dass im Ergebnis sämtliche an sich legal beschafften Folgebeweise weder direkt noch indirekt verwertbar wären (vgl. RUCKSTUHL, a.a.O., S. 22). Art. 9 Abs. 3 BÜPF spricht zwar ausdrücklich von der Unverwertbarkeit der Informationen, äussert sich jedoch nicht näher zur Reichweite dieses Verbots und lässt damit die Frage der Fernwirkung unbeantwortet. Die Lehre ist gespalten (vgl. hierzu NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, S. 352 ff.). Während verschiedene Autoren für eine Fernwirkung des Verwertungsverbots eintreten (HANSJAKOB, a.a.O., Art. 9 BÜPF N. 53 ff.; MARC JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, Ist ein Millionendiebstahl ein Bagatelldelikt - Fragen zum BÜPF, ZStrR 119/2001 S. 56 f.), wenden sich andere gegen eine solche umfassende Unverwertbarkeit von Folgebeweisen. So ist nach SCHMID einzig von der Unverwertbarkeit auszugehen, "wo der ursprüngliche, ungültige Beweis Bestandteil sine qua non des mittelbar erlangten Beweises ist" (NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2004, N. 610; vgl. auch derselbe , Verwertung von Zufallsfunden und Verwertungsverbote nach dem neuen Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [BÜPF], ZStrR 120/2002 S. 309 ff.). Nach FORNITO erstreckt sich das Verwertungsverbot auch auf mittelbar erlangte Beweise, sofern das rechtswidrig erlangte Beweismittel die Erhebung weiterer Beweise erheblich begünstigt hat. Dabei schränke die Fernwirkung der Verwertungsverbote den Untersuchungsgrundsatz hinsichtlich weiterer Ermittlungen nicht ein (ROBERTO FORNITO, Beweisverbote im schweizerischen Strafprozess, Diss. St. Gallen 2000, S. 321 ff.). BÉNÉDICT macht sich bezüglich mittelbar erlangter Beweismittel für eine Interessenabwägung stark (JÉRÔME BÉNÉDICT, Le sort des preuves illégales dans le procès pénal, Diss. Lausanne 1994, S. 247 ff.). WALDER schliesslich bejaht eine Fernwirkung, solange keine vollendete Tatsache ("fait BGE 133 IV 329 S. 333 accompli") geschaffen worden ist (HANS WALDER, Rechtswidrig erlangte Beweismittel im Strafprozess, ZStrR 82/1966 S. 47). Das Bundesgericht hat es bislang ausdrücklich offengelassen, ob sich das in Art. 9 Abs. 3 BÜPF verankerte Verwertungsverbot auch auf mittelbar erlangte Beweise erstreckt ( BGE 132 IV 70 E. 6.5; vgl. allerdings BGE 109 Ia 244 E. 2b, in welchem eine strikte Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten tendenziell abgelehnt wird). Während für eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten spricht, dass andernfalls die Regeln über die Beweiserhebung unterminiert würden, können indirekte Beweisverbote auf der anderen Seite der Ermittlung der materiellen Wahrheit hinderlich sein (Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 S. 1184; ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI/KARL HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 60 N. 16 ff.). Durch die namentlich von SCHMID propagierte Lösung wird ein angemessener Ausgleich zwischen diesen divergierenden Interessen erzielt. Ohne die Beweisverwertungsverbote ihres wesentlichen Inhalts zu entleeren, kann so verhindert werden, dass es im Ergebnis zu stossenden Freisprüchen offenkundig schuldiger Personen kommt. 4.6 Die Beschwerdeführerin hat ein weitreichendes Geständnis abgelegt, ohne dass ihr gegenüber erwähnt worden wäre, sie werde aufgrund der Telefonkontrolle des Drogenhandels verdächtigt, und ohne dass ihr konkrete Gesprächsinhalte aus der Telefonüberwachung vorgehalten worden wären. Dieses Beweismittel, d.h. ihr Geständnis, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch ohne die in Bezug auf die Beschwerdeführerin unrechtmässig erfolgte Telefonüberwachung erlangt worden. Wie die Vorinstanz zutreffend erörtert, kann es als sicher angesehen werden, dass sie von der Polizei beim Ein- und Aussteigen ins Auto von A. auch beobachtet worden wäre, wenn man damals einzig ihn wegen des aus der ordnungsgemäss bewilligten Telefonkontrolle stammenden Verdachts auf Drogenhandel observiert hätte. Dieser von der Polizei wahrgenommene Kontakt zwischen dem mutmasslichen Drogenhändler A. und der Beschwerdeführerin hätte aufgrund der konkreten Umstände zweifelsohne den Verdacht aufkommen lassen, sie sei in den Drogenhandel verwickelt. Folglich wäre die Polizei ihr höchstwahrscheinlich zwecks Verhaftung gefolgt und dabei auf die Drogen gestossen. Sie wäre BGE 133 IV 329 S. 334 damit auch in diesem Fall verhaftet und mit den belastenden Aussagen von A. konfrontiert worden. Dessen Aussagen, aufgrund welcher sich die Beschwerdeführerin zum Ablegen eines Geständnisses entschlossen haben dürfte, sind unbestrittenermassen verwertbar, da diesem gegenüber das Wissen aus der genehmigten Telefonkontrolle verwendet werden durfte. 4.7 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist damit nicht von der Unverwertbarkeit sämtlicher Beweismittel auszugehen. Der Schuldspruch wegen mehrfacher Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 i.V.m. Art. 19 Ziff. 2 BetmG verletzt kein Bundesrecht.
de
1eae0cf4-0618-495e-baf3-b12b2f49af11
Sachverhalt ab Seite 359 BGE 145 IV 359 S. 359 A. Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führte gegen X. ein Strafverfahren wegen mehrfachen, teilweise geringfügigen Diebstahls, Hehlerei, mehrfachen Hausfriedensbruchs, mehrfacher Sachbeschädigung, Hinderung einer Amtshandlung, Lenken eines Motorfahrzeugs ohne Berechtigung und Nichttragens eines Schutzhelms. Im BGE 145 IV 359 S. 360 Rahmen dieses Verfahrens verbrachte X. insgesamt 292 Tage in Untersuchungshaft. Am 22. November 2016 stellte die Staatsanwaltschaft dem Bezirksgericht Winterthur den Antrag auf Anordnung einer Massnahme für schuldunfähige Personen gemäss Art. 374 Abs. 1 StPO . B. Mit Urteil vom 10. Februar 2017 sprach das Bezirksgericht Winterthur X. vom Vorwurf der Hehlerei frei. Weiter stellte es fest, dass dieser die übrigen ihm vorgeworfenen Straftatbestände im Zustand der nicht selbstverschuldeten Schuldunfähigkeit erfüllt habe. Es sah gestützt auf Art. 19 Abs. 1 StGB von einer Strafe ab und ordnete eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB (Behandlung von psychischen Störungen und Suchtbehandlung) verbunden mit Bewährungshilfe ( Art. 93 StGB ) an. Des Weiteren sprach es X. für die erstandene Haft einen Betrag von Fr. 14'600.- zuzüglich Zins von 5 % ab dem 20. September 2016 als Genugtuung zu. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 27. Februar 2018 das bezirksgerichtliche Urteil, soweit dieses nicht in Rechtskraft erwachsen war. C. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts Zürich vom 27. Februar 2018 sei wegen Verletzung von Art. 431 Abs. 2 StPO aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei das Urteil aufzuheben und gestützt auf Art. 431 Abs. 2 StPO sei die ambulante Massnahme anzurechnen. D. Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. X. liess sich innert Frist nicht vernehmen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Es hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. (...) 2.7 Zu prüfen bleibt indes, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Anrechnung von Haft auf freiheitsentziehende Massnahmen nicht bloss auf stationäre therapeutische Massnahmen nach Art. 59 StGB ( BGE 141 IV 236 ), sondern auch auf ambulante Massnahmen im Sinne von Art. 63 StGB anwendbar ist. Soweit ersichtlich BGE 145 IV 359 S. 361 hat sich das Bundesgericht hierzu noch nicht geäussert. Es rechtfertigt sich daher, dies hier zu prüfen und eine Auslegung nach dem Wortlaut, dem historischen Willen des Gesetzgebers und dem Zweck ambulanter Massnahmen vorzunehmen. In Art. 431 Abs. 2 StPO ist ausdrücklich von Sanktionen die Rede, welche Grundlage der Anrechnung bilden können. Unter Sanktionen als Rechtsfolgen eines Delikts werden neben den Strafen nicht nur stationäre, sondern auch ambulante Massnahmen verstanden (JOSITSCH/EGE/SCHWARZENEGGER, Strafen und Massnahmen, 9. Aufl. 2018, § 2 S. 24 und 33). Der Gesetzeswortlaut spricht daher für eine Anrechnung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft auf ambulante Massnahmen. Die Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts führt zu Art. 439 Abs. 2 E-StPO, dem Vorgänger von Art. 431 Abs. 2 StPO sodann aus, dass die Anrechnung auf die freiheitsentziehenden Massnahmen zu erfolgen habe, wobei es Aufgabe der Rechtsprechung sein werde, von Fall zu Fall eine angemessene Anrechnung vorzunehmen (vgl. BBl 2006 1330 Ziff. 2.10.3.1 zu Art. 439). Dass einer ambulanten Massnahme freiheitsentziehende Wirkung zukommen kann, ergibt sich bereits aus Art. 63b Abs. 4 StGB . Gemäss dieser Bestimmung entscheidet das Gericht darüber, inwieweit der mit der ambulanten Behandlung verbundene Freiheitsentzug auf die Strafe angerechnet wird. Die ambulante Massnahme ist in dem Masse anrechenbar, "wie eine tatsächliche Beschränkung der persönlichen Freiheit vorliegt" ( BGE 124 IV 1 E. 2b S. 4 mit Hinweis; Urteil 6B_382/2018 vom 19. September 2018 E. 2.2 mit Hinweisen). Die ambulante Massnahme ist damit - je nach konkreter Ausgestaltung und soweit ihr freiheitsentziehende Wirkung zukommt - unter die freiheitsentziehenden Massnahmen zu subsumieren. Gleich wie bei der stationären Massnahme wird bei Anordnung einer ambulanten Massnahme an die Rückfallgefahr angeknüpft. Die Massnahme stellt auch hier ein Mittel dar, mit welchem die Verhinderung oder Verminderung künftiger Straftaten erreicht werden soll ( BGE 124 IV 246 E. 3b S. 250 f. mit Hinweisen). In diesem Sinne bedeutet jede Behandlung und Besserung eines Täters im Rahmen einer ambulanten Massnahme gleichzeitig auch Sicherung für die Zeit der Behandlung. Entsprechend hält Art. 63 Abs. 1 lit. b StGB fest, eine ambulante Massnahme sei nur anzuordnen, wenn und soweit zu erwarten ist, dass sich dadurch der Gefahr weiterer Straftaten begegnen lässt. Mit anderen Worten muss die ambulante Behandlung - wie BGE 145 IV 359 S. 362 bei einer stationären Massnahme - im Hinblick auf die Deliktsprävention Erfolg versprechen, wobei oberstes Ziel die Reduktion des Rückfallrisikos bzw. die künftige Straflosigkeit des Täters ist ( BGE 124 IV 246 E. 3b S. 250 f. mit Hinweisen). Der mit der ambulanten Massnahme verfolgte Zweck - die Verhinderung von weiteren Straftaten zum Schutze der Allgemeinheit - kann auch der strafprozessualen Untersuchungs- und Sicherheitshaft zugrunde liegen (vgl. BGE 141 IV 236 E. 3.8 S. 242 mit Hinweisen). Wenn und soweit ein Täter in diesem Sinne gefährlich ist, von ihm also die Gefahr weiterer Straftaten ausgeht, handelt es sich sowohl bei Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft als auch bei der ambulanten Massnahme letztlich um eine Freiheitsbeschränkung zum Schutze der Allgemeinheit. Somit steht auch der Massnahmezweck einer Anrechnung an ambulante Massnahmen nicht entgegen. Als Zwischenfazit ist daher festzuhalten, dass Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft, welche während des Strafverfahrens, das zum Massnahmenentscheid führte, verbüsst wurde, auf eine ambulante Massnahme nach Art. 63 StGB im oben dargelegten Sinne (vgl. nicht publ. E. 2.6) anzurechnen ist, soweit dieser im konkreten Einzelfall freiheitsentziehende Wirkung zukommt. 2.8 2.8.1 Das Bundesgericht hat sich zu der Frage, wie die Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft an die freiheitsentziehende Massnahme im Sinne von Art. 59 ff. StGB anzurechnen ist, nicht geäussert. Der Botschaft lässt sich in dieser Hinsicht nichts Genaueres entnehmen. Sie weist lediglich darauf hin, dass es Aufgabe der Rechtsprechung sein werde, von Fall zu Fall eine angemessene Anrechnung vorzunehmen (vgl. BBl 2006 1330 Ziff. 2.10.3.1 zu Art. 439). Während es bei stationären Massnahmen als richtig erscheint, die Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft an freiheitsentziehende Massnahmen im Sinne von Art. 59 StGB im gleichen Umfang wie an eine Freiheitsstrafe anzurechnen (vgl. Urteil 6B_385/2014 vom 23. April 2015 E. 4, nicht publ. in: BGE 141 IV 236 ), bietet es sich im Bereich der ambulanten Massnahmen nach Art. 63 StGB an, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Anrechnung der ambulanten Massnahme auf die Strafe beizuziehen. 2.8.2 Gemäss Art. 63b Abs. 4 StGB entscheidet das Gericht darüber, inwieweit der mit der ambulanten Behandlung verbundene Freiheitsentzug auf die Strafe angerechnet wird. Die ambulante Massnahme BGE 145 IV 359 S. 363 ist in dem Masse anrechenbar, wie eine tatsächliche Beschränkung der persönlichen Freiheit vorliegt. Von Bedeutung ist hierfür im Wesentlichen, mit welchem Zeit- und Kostenaufwand die Massnahme für den Betroffenen verbunden war. Wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit von ambulanter Massnahme und Strafvollzug kommt in der Regel nur eine beschränkte Anrechnung der ambulanten Behandlung in Frage. Dem Gericht steht beim Entscheid, ob und in welchem Umfang die Behandlung anzurechnen ist, ein erheblicher Ermessensspielraum zu ( BGE 124 IV 1 E. 2b S. 4; BGE 122 IV 51 E. 3a S. 54; Urteil 6B_382/2018 vom 19. September 2018 E. 2.2; je mit Hinweisen). Ein fester Umrechnungsmassstab besteht nicht (TRECHSEL/PAUEN BORER, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Trechsel/Pieth [Hrsg.], 3. Aufl. 2018, N. 5 zu Art. 63b StGB , mit Hinweisen). Auf einen dem Beschuldigten infolge Überhaft zustehenden Entschädigungsanspruch bezogen bedeutet dies, dass eine Genugtuung demnach nur in Frage kommen kann, wenn sich ex post zeigen sollte, dass das Gesamtmass des mit der ambulanten Behandlung einhergehenden Freiheitsentzugs von der Dauer her im Einzelfall kürzer ist, als die erstandene Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft.
de
05bf460c-7c13-43a8-afed-3c4973db172c
Sachverhalt ab Seite 35 BGE 105 III 35 S. 35 Im Konkursverfahren über die Firma S. ersuchte das Konkursamt D. das Konkursamt B. um Rechtshilfe. Die Gläubigerin V., die mit einer pfandgesicherten Forderung von Fr. 246'367.15 plus Fr. 12'010.40 Zins im Konkurs kolloziert ist, ist Inhaberin eines Inhaberschuldbriefs über Fr. 340'000.-, für den als Grundpfand u.a. auch die Parzelle Nr. 493 in S. haftet. Das Konkursamt B. beauftragte das Betreibungsamt N. mit der freihändigen Verwertung dieser Aktiven. Der Betreibungsbeamte H. verkaufte die Parzelle Nr. 493 am 14. September 1978 für Fr. 100'000.-, ohne vorher die Gläubiger und insbesondere die Grundpfandgläubigerin darüber zu orientieren und ihnen Gelegenheit für höhere Angebote zu geben. Als die Gläubigerin V. nachträglich, am 12. Oktober 1978, vom Verkauf Kenntnis erhielt, erhob sie bei der kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde mit dem Antrag, den Freihandverkauf der Liegenschaft Parzelle Nr. 493 als ungültig zu erklären. Die kantonale Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 29. November 1978 gut und erklärte den am 14. September 1978 abgeschlossenen Freihandverkauf der Liegenschaft Parzelle Nr. 493 als ungültig. Sie hatte festgestellt, dass der Betreibungsbeamte H. am 31. August 1978 in den Ruhestand getreten war und somit den Freihandverkauf der fraglichen Liegenschaft, der am 14. September 1978 öffentlich beurkundet und am 29. September 1978 im Grundbuch eingetragen BGE 105 III 35 S. 36 wurde, als Privatperson getätigt hatte, weshalb das Kaufgeschäft ungültig war. a.Betreibungsbeamter H. führt gegen diesen Entscheid Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Er beantragt, den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde vom 29. November 1978 aufzuheben und den Freihandverkauf der Liegenschaft Parzelle Nr. 493 als rechtsgültig anzuerkennen. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer tritt auf den Rekurs nicht ein. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Die Vorinstanz bestreitet die Rekurslegitimation des Betreibungsbeamten. Die Weiterziehung des Entscheids einer Aufsichtsbehörde nach Art. 18 und 19 SchKG steht im allgemeinen nur einem davon in seinen Rechten Betroffenen zu, also je nach dem Inhalte der Entscheidung dem Beschwerdeführer oder einem Beschwerdegegner. Dem Betreibungsamt ist grundsätzlich die Weiterziehung versagt, es wäre denn, der Entscheid greife in die eigenen materiellen oder persönlichen Interessen des Betreibungsbeamten oder des durch ihn vertretenen Kantons ein ( BGE 79 III 147 ). Sodann hat das Bundesgericht verschiedentlich die Rekurslegitimation eines Konkursbeamten bejaht, wenn er Interessen der Masse und damit der Gesamtheit der Gläubiger oder - als Organ des Kantons - fiskalische Interessen geltend machte ( BGE 102 III 163 E. 1, BGE 97 III 96 E. 1, BGE 96 III 107 E. 1, BGE 86 III 127 E. 2 und BGE 85 III 91 E. 1). In BGE 97 III 96 E. 1 hat das Bundesgericht Zweifel daran geäussert, ob der Konkursbeamte, der die Erhebung von Verantwortlichkeitsansprüchen gegen ihn vermeiden möchte, auch persönlich zum Rekurs legitimiert sei; denn es sei nicht Aufgabe des Beschwerde- und Rekursverfahrens, die Rechtslage im Hinblick auf allfällige Ansprüche dieser Art klarzustellen. Doch konnte diese Frage in jenem Entscheid offen gelassen werden. Hingegen hat es das Bundesgericht in andern Füllen stets abgelehnt, auf Rekurse einzutreten, die nicht einem praktischen Zweck des Vollstreckungsverfahrens dienten, sondern auf die blosse Feststellung pflichtwidrigen Handelns eines Betreibungs- und Konkursbeamten gerichtet waren, um eine BGE 105 III 35 S. 37 Grundlage für Schadenersatz- und Verantwortlichkeitsansprüche zu schaffen ( BGE 99 III 60 E. 2, 97 III 38 E. 2 und 91 III 46 E. 7 mit Hinweisen). 2. Wie den Ausführungen in der vorliegenden Rekursschrift zu entnehmen ist, will der Rekurrent mit seinem Begehren auf rechtsgültige Anerkennung des Freihandverkaufs vor allem verhindern, dass gegen ihn wegen der Ungültigerklärung dieses Verkaufs Schadenersatzforderungen und Verantwortlichkeitsansprüche geltend gemacht werden. Er ficht den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde somit nur an, weil er für ihn diese indirekten negativen Folgen zeitigen kann; hingegen wird er vom Entscheid nicht unmittelbar in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen. Er beruft sich im Grunde genommen auf die Interessen eines Dritten, nämlich des Käufers der Liegenschaft, um sein Begehren zu begründen. Der Käufer wird durch den fraglichen Entscheid unmittelbar betroffen und hätte selber die Möglichkeit gehabt, gegen ihn Rekurs zu erheben. Dem Rekurrenten dagegen, der mit seiner Beschwerde kein anderes Ziel verfolgt, als sich gegen allfällige Verantwortlichkeitsansprüche abzusichern, muss die Rekurslegitimation in Übereinstimmung mit der oben angeführten Rechtsprechung versagt werden. Das Beschwerde- und Rekursverfahren soll nicht für derartige Zwecke missbraucht werden können. Es ist vielmehr Sache des ordentlichen Richters, über solche Ansprüche zu befinden. Die Aufsichtsbehörden dürfen seinem Entscheid nicht vorgreifen. Auf den Rekurs kann daher nicht eingetreten werden.
de
ece404dd-e392-4457-8e80-d3798ee99b28
Eine private Zeugenbefragung ist nur dann mit der anwaltlichen Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung vereinbar, wenn eine sachliche Notwendigkeit für die Befragung besteht, diese zudem im Interesse des Mandanten liegt und wenn die Befragung so ausgestaltet wird, dass jede Beeinflussung vermieden und die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch das Gericht bzw. die Untersuchungsbehörde gewährleistet wird (E. 3). Sachverhalt ab Seite 551 BGE 136 II 551 S. 551 A. Im Strafverfahren gegen den Untersuchungsgefangenen A. wurde Rechtsanwalt X. als amtlicher Verteidiger eingesetzt. A. wurde u.a. vorgeworfen, am 2. Mai 2006 die damals minderjährige B. BGE 136 II 551 S. 552 vergewaltigt zu haben. Im Spätsommer bzw. Herbst 2006 habe A. zudem versucht, B. umzubringen, indem er sie mit seinem Auto überfahren wollte; das Mädchen habe sich nur mittels eines Sprungs zur Seite retten können. Im Zusammenhang mit dem A. zur Last gelegten Tötungsversuch beantragte Rechtsanwalt X. mit Eingaben vom 21. Juni und vom 29. Juni 2007 die untersuchungsrichterliche Einvernahme von C.: Letzterer sei gemäss den Angaben von A. öfters mit dessen Fahrzeug unterwegs gewesen. Zudem habe C. gegenüber A. im Spätsommer bzw. Herbst 2006 erklärt, bei einer dieser Fahrten B. begegnet zu sein. Mit Schreiben vom 11. Juli 2007 teilte das zuständige Untersuchungsamt Rechtsanwalt X. mit, dass auf die beantragte Zeugeneinvernahme einstweilen verzichtet werde. Daraufhin meldete sich Rechtsanwalt X. am 28. August 2007 ein erstes Mal direkt bei C. und ersuchte diesen um eine Unterredung in Sachen A. Am 4. September 2007 kontaktierte er C. erneut, worauf es am folgenden Tag, dem 5. September 2007, in seiner Kanzlei zu einem Treffen kam. Über den genauen Inhalt des bei dieser Gelegenheit geführten Gesprächs gehen die Darstellungen von Rechtsanwalt X. und C. auseinander. Unbestritten ist jedoch, dass Rechtsanwalt X. sich bei C. erkundigt hat, ob dieser zur fraglichen Zeit den Wagen von A. benutzt habe und dabei B. begegnet sei. B. Mit Verfügung vom 12. Juni 2008 wurde Rechtsanwalt X. von der Anwaltskammer des Kantons St. Gallen wegen Verletzung der Berufspflichten mit einer Busse von Fr. 6'000.- diszipliniert. Die Anwaltskammer warf X. vor, er habe C. in unzulässiger Weise privat befragt und auf diese Weise eine Beeinflussung des Zeugen zumindest in Kauf genommen. Gegen diesen Entscheid beschwerte sich X. beim Kantonsgericht St. Gallen. Dieses wies die Beschwerde mit Entscheid vom 16. November 2009 ab. C. Mit Eingabe vom 4. Januar 2010 führt X. "Bundesgerichtsbeschwerde" (recte: Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten): Er beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sowie die Rückweisung der Angelegenheit an das Kantonsgericht St. Gallen. (...) Das Bundesgericht weist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab, soweit es darauf eintritt. (Auszug) BGE 136 II 551 S. 553 Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 In der Hauptsache bestreitet der Beschwerdeführer, durch die private Kontaktaufnahme mit C. gegen die Berufsregeln verstossen zu haben: Vielmehr gehöre es gerade zu den Berufspflichten eines Anwalts, dass er nach der Ablehnung von Beweisanträgen durch den Untersuchungsrichter alle geeigneten Rechtsmittel einsetze. Dies bedinge jedoch die Vornahme von minimalen Abklärungen, um sicherzustellen, dass das in Frage kommende Rechtsmittel überhaupt Sinn mache. Dies und nichts anderes sei Zweck der Kontaktaufnahme mit C. gewesen: Da er, der Beschwerdeführer, eine Beschwerde gegen die Ablehnung der untersuchungsrichterlichen Einvernahme von C. geprüft habe, sei es durchaus gerechtfertigt gewesen, abzuklären, ob C. tatsächlich etwas Sinnvolles zur Sache aussagen könne. Namentlich nicht beabsichtigt worden sei dagegen, C. ein Delikt zu unterstellen. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz sei es auch nicht in Frage gekommen, den von der Untersuchungsrichterin abgelehnten Beweisantrag einfach in einem allfälligen gerichtlichen Verfahren zu erneuern: Bekanntlich könne auch der Zeitpunkt der Befragung einer Auskunftsperson oder eines Zeugen wesentlich sein, und der inhaftierte Angeschuldigte A. habe ein erhebliches Interesse daran gehabt, die Befragung der relevanten Personen innert nützlicher Frist zu erwirken. Gegen das Zuwarten mit der Erneuerung des abgelehnten Beweisantrages bis zu einem späteren gerichtlichen Verfahren habe zudem gesprochen, dass Gerichtsverhandlungen in aller Regel öffentlich seien und deswegen die Möglichkeit bestanden hätte, dass die zur Einvernahme beantragten Zeugen und Auskunftspersonen auf diese Weise "vorgewarnt" worden wären. Überhaupt liege aber keine eigentliche, detaillierte private Zeugeneinvernahme vor. Vielmehr habe er, der Beschwerdeführer, sich auf eine "Minimalbefragung" von C. beschränkt und sich bei diesem ausschliesslich erkundigt, ob er zum fraglichen Zeitpunkt den Wagen von A. gefahren und dabei B. begegnet sei. Für diese simple Frage seien auch keine besonderen Vorsichtsmassnahmen angezeigt gewesen. Namentlich habe auf den Beizug von Zeugen, die Protokollierung des Gesprächs und die Unterzeichnung des Protokolls BGE 136 II 551 S. 554 verzichtet werden können und müssen; solche Vorkehrungen hätten C. nur misstrauisch gemacht und deshalb den Untersuchungszweck gefährdet. 3.2 3.2.1 Anwälte sind gemäss Art. 12 lit. a des Anwaltsgesetzes vom 23. Juni 2000 (BGFA; SR 935.61) verpflichtet, ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Hierzu gehört auch, dass der Anwalt grundsätzlich jegliches Verhalten unterlässt, das die Gefahr einer Beeinflussung von Zeugen zur Folge haben könnte (vgl. Art. 7 der Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbands vom 1. Juli 2005). Die selbständige Kontaktaufnahme mit einer Person, die als Zeuge in Betracht kommt, erscheint unter diesem Gesichtspunkt als problematisch, da mit einem solchen Vorgehen stets eine zumindest abstrakte Gefahr einer Beeinflussung verbunden ist (vgl. Handbuch über die Berufspflichten des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich, herausgegeben vom Verein Zürcherischer Rechtsanwälte [im Folgenden: Handbuch Berufspflichten], 1988, S. 62; GEORG PFISTER, Aus der Praxis der Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Zürich zu Art. 12 BGFA , SJZ 105/2009 S. 288, mit Hinweisen). 3.2.2 Die Lehre spricht sich mehrheitlich dafür aus, dass eine Kontaktaufnahme mit einem potentiellen Zeugen nur ausnahmsweise mit der anwaltlichen Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung vereinbar sei bzw. nur mit Zurückhaltung und Vorsicht vorgenommen werden solle (WALTER FELLMANN, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, Fellmann/Zindel [Hrsg.], 2005, N. 22 zu Art. 12BGFA; MICHEL VALTICOS, in: Commentaire romand, Loi sur les avocats, 2010, N. 67 zu Art. 12 BGFA ; BOHNET/MARTENET, Droit de la profession d'avocat, 2009, Rz. 1180 ff.): Generell wird die Wahrheitsfindung bzw. die Zeugenbefragung als Aufgabe des Gerichts und nicht der Parteien oder ihrer Anwälte erachtet (WALTER FELLMANN, Anwaltsrecht, 2010, Rz. 193;PFISTER, a.a.O., S. 288; FELLMANN, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, a.a.O., N. 22 zu Art. 12 BGFA ; BOHNET/MARTENET, a.a.O., Rz. 1180; a.M. NIKLAUS RUCKSTUHL, Strafverteidigung, in: Handbücher für die Anwaltspraxis, Bd. VII: Strafverteidigung, Niggli/Weissenberger [Hrsg.], 2002, Rz. 3.168 ff.).Die Kontaktierung eines möglichen Zeugen wird nur (aber immerhin) dann für zulässig erachtet, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht. Als solcher wird von der Lehre namentlich auch das Einschätzen der Erfolgsaussichten von Prozesshandlungen wie etwa die BGE 136 II 551 S. 555 Prozesseinleitung, das Einlegen bzw. der Rückzug eines Rechtsmittels oder das Stellen eines Beweisantrages angesehen; entscheidend seien aber die Umstände des konkreten Einzelfalls (FELLMANN, Anwaltsrecht, a.a.O., Rz. 194; derselbe , in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, a.a.O., N. 22 zu Art. 12 BGFA ; HANS NATER, Anwaltsrecht, in: Aktuelle Anwaltspraxis 2009, Fellmann/Poledna [Hrsg.], S. 1399; VALTICOS, a.a.O., N. 67 zu Art. 12 BGFA ; vgl. Handbuch Berufspflichten, a.a.O., S. 62 ff.; vgl. FELLMANN/SIDLER, Standesregeln des Luzerner Anwaltsverbandes [...], 1996, S. 28). Um der Gefahr einerBeeinflussung des potentiellen Zeugen bzw. dem blossen Anschein einer unzulässigen Einflussnahme in solchen Fällen entgegenzuwirken, fordert die Lehre vom Anwalt die Beachtung entsprechender Vorsichtsmassnahmen: So soll der Anwalt den Zeugen schriftlich um ein Gespräch ersuchen und ihn darauf hinweisen, dass er weder verpflichtet ist zu erscheinen noch auszusagen. Ebenfalls habe der Anwalt dem Zeugen mitzuteilen, im Interesse welches Mandanten das Gespräch stattfinden soll. Das Gespräch solle ohne den Mandanten und wenn immer möglich in den Räumlichkeiten des Anwalts stattfinden, wobei gegebenenfalls eine Drittperson als Gesprächszeugin hinzugezogen werden soll. Der Anwalt dürfe keinen Druck auf den Zeugen ausüben und ihn insbesondere nicht zu einer bestimmten Aussage oder überhaupt zu irgendeiner Aussage drängen und ihm für den Fall des Schweigens nicht mit Nachteilen drohen. Als verpönt erachtet wird auch das Stellen von Suggestivfragen (RUCKSTUHL, a.a.O., Rz. 3.172; vgl. Handbuch Berufspflichten, a.a.O., S. 64 f.). 3.2.3 Wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid aufgezeigt hat, decken sich die obenstehenden Lehrmeinungen weitgehend mit der Praxis der Anwaltskammer des Kantons St. Gallen sowie jener des Kantonsgerichts St. Gallen (vgl. insbesondere Urteil des Kantonsgerichts BR 2006.2 vom 14. Dezember 2006 E. III/2 mit weiteren Hinweisen). Auch die Aufsichtsbehörden anderer Kantone haben eine vergleichbare Rechtsprechung entwickelt: In ihrem Urteil vom 13. Oktober 2004 (in: BJM 2006 S. 47 ff.; vgl. FELLMANN, Anwaltsrecht, a.a.O., Rz. 195 und 197) geht die Aufsichtskommission des Kantons Basel-Stadt über die Anwältinnen und Anwälte ebenfalls davon aus, dass die Kontaktierung eines möglichen Zeugen durch einen am Verfahren beteiligten Anwalt nicht grundsätzlich unzulässig, sondern unter Umständen gar geboten sei; die Aufsichtskommission setzt jedoch voraus, dass eine sachliche BGE 136 II 551 S. 556 Notwendigkeit hierfür bestehe, und sie auferlegt dem betreffenden Anwalt die Verpflichtung, sicherzustellen, "dass sein Vorgehen nicht eine Verfälschung des Beweisergebnisses bewirkt". Auch die Aufsichtskommission des Kantons Zürich über die Anwältinnen und Anwälte hat sich in analoger Weise zur vorliegenden Thematik geäussert: Sie statuiert drei Voraussetzungen, welche kumulativ erfüllt sein müssen, damit die Kontaktierung resp. die Befragung eines potentiellen Zeugen durch einen Rechtsanwalt von ihr als zulässig erachtet wird: Erstens wird verlangt, dass die Kontaktaufnahme den Interessen der eigenen Klientschaft dient. Zweitens müsse die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch das Gericht oder die Untersuchungsbehörde gewährleistet bleiben, weswegen die Befragung so auszugestalten sei, dass jede Beeinflussung vermieden werden könne. Drittens wird gefordert, dass eine sachliche Notwendigkeit für die Kontaktaufnahme besteht (Beschluss der Aufsichtskommission des Kantons Zürich über die Anwältinnen und Anwälte vom 1. März 2007, in: ZR 106/2007 Nr. 81 E. 2 S. 306 ff.; vgl. NATER, a.a.O., S. 1397 ff.; vgl. PFISTER, a.a.O., S. 287 f.). 3.2.4 Die von der Lehre und den kantonalen Anwaltsaufsichtsbehörden entwickelten Kriterien für die Zulässigkeit einer privaten Zeugenbefragung überzeugen und scheinen geeignet, die Generalklausel von Art. 12 lit. a BGFA zu konkretisieren. Nachfolgend zu prüfen ist daher, ob die vom Beschwerdeführer durchgeführte Befragung von C. diesen Anforderungen genügte, d.h. ob eine sachliche Notwendigkeit für die Befragung bestand, ob die Befragung so ausgestaltet wurde, dass jede Beeinflussung vermieden und die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch das Gericht bzw. die Untersuchungsbehörde gewährleistet wurde, und ob die Befragung im Interesse des Mandanten lag. 3.3 3.3.1 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bestand für eine selbständige Befragung von C. keine ersichtliche sachliche Notwendigkeit. Insbesondere vermag die Argumentation des Beschwerdeführers nicht zu überzeugen, er habe ein Rechtsmittel gegen die Ablehnung der untersuchungsrichterlichen Einvernahme von C. in Betracht gezogen und deshalb die Erfolgsaussichten dieses Rechtsmittels prüfen müssen: Wie die Vorinstanzen unter Hinweis auf die kantonale Gerichts- und Verwaltungspraxis ausführten, steht die Rechtsverweigerungsbeschwerde im sankt-gallischen Prozessrecht gegen die Ablehnung von Beweisanträgen durch die BGE 136 II 551 S. 557 Strafuntersuchungsbehörde gar nicht zur Verfügung. Das vom Beschwerdeführer ins Auge gefasste Rechtsmittel wäre somit von vornherein untauglich gewesen. Ein sachlicher Grund für eine private Einvernahme von C. hätte aber auch dann nicht bestanden, wenn der Beschwerdeführer statt einer Rechtsverweigerungsbeschwerde eine allgemeine Aufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Untersuchungsrichterin in Erwägung gezogen hätte: Es erscheint fraglich, ob mit diesem disziplinarrechtlichen Instrument die Durchführung einer untersuchungsrichterlichen Einvernahme von C. hätte erzwungen werden können. Die Frage kann jedoch offenbleiben, zumal es dem Beschwerdeführer jedenfalls möglich gewesen wäre, den abgelehnten Beweisantrag in einem allfälligen gerichtlichen Verfahren zu wiederholen, wie das Kantonsgericht zutreffend erkannt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt zuzuwarten, wäre auch nicht mit unzumutbaren Nachteilen verbunden gewesen, wie dies der Beschwerdeführer zu Unrecht behauptet: Nebst dem versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil von B. wurden A. im Untersuchungsverfahren eine Reihe von weiteren Straftaten zur Last gelegt; dass die gegen ihn angeordnete Untersuchungshaft im Falle einer frühzeitigen, vorteilhaften Aussage von C. aufgehoben worden wäre, ist demzufolge nicht anzunehmen und es wurde dies vom Beschwerdeführer auch nicht substantiiert dargelegt. Stattdessen behauptet der Beschwerdeführer in unzutreffender Weise, dass eine Wiederholung des Beweisantrages in einem gerichtlichen Verfahren zwangsläufig die Gefahr einer Kollusion mit sich gebracht hätte: Wie sich aus Art. 193 Abs. 1 des Strafprozessgesetzes des Kantons St. Gallen vom 1. Juli 1999 (StP/SG) ergibt, können Beweisanträge bereits während des schriftlichen Vorverfahrens beim Gerichtspräsidenten gestellt werden. Das diskrete Einbringen bzw. Wiederholen des betreffenden Beweisantrages wäre demzufolge im gerichtlichen Verfahren sehr wohl möglich gewesen. Demgegenüber war es gerade das Vorgehen des Beschwerdeführers, welches C. darauf aufmerksam machte, dass seine Aussagen im Strafverfahren gegen A. von Interesse sind. 3.3.2 Wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat, handelte es sich bei C. nicht bloss um einen möglichen Entlastungszeugen für A. Letzterer behauptete vielmehr, dass nicht er, sondern C. am inkriminierten Vorfall mit B. beteiligt gewesen sei. Da der Beschwerdeführer diese Sachverhaltsdarstellung seines Mandanten offenbar für möglich gehalten hat, hätte ihm aber von vornherein klar sein BGE 136 II 551 S. 558 müssen, dass es sich bei C. seinerseits um einen Verdächtigen bezüglich des versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil von B. handelt: Hätte C. - wie vom Beschwerdeführer erhofft - mit seinen Angaben A. entlastet, so hätte er, C., sich zwangsläufig selbst in den Mittelpunkt der entsprechenden Strafuntersuchung manövriert. Anders als die Kontaktierung bzw. die Befragung eines Entlastungszeugen lässt sich eine eigenmächtige Einvernahme eines möglichen alternativen Tatverdächtigen durch den Rechtsanwalt des Beschuldigten grundsätzlich nicht mit der Auflage vereinbaren, die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch die zuständige Behörde zu gewährleisten; zu ausgeprägt ist in diesen Fällen das Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit einer sachlichen und fairen Befragung einerseits und der Verpflichtung zu einer möglichst wirksamen Vertretung des eigenen Mandanten andererseits. Dies bestätigt sich im vorliegenden Fall durch die Art und Weise, wie der Beschwerdeführer die Befragung von C. durchgeführt hat: Entgegen den Empfehlungen der Lehre hat er auf wesentliche Vorkehrungen verzichtet, welche einer unzulässigen Beeinflussung bzw. bereits dem blossen Anschein einer unzulässigen Einflussnahme entgegenwirken sollen. Namentlich hat er keine neutrale Drittperson als Gesprächszeugin hinzugezogen und es wurde auch nirgends schriftlich festgehalten, dass er C. darauf hingewiesen hätte, dass weder eine Verpflichtung zur Teilnahme an der Befragung noch eine Aussagepflicht bestehe. Als unbehelflich erscheint der in diesem Zusammenhang vorgebrachte Einwand des Beschwerdeführers, er habe überhaupt keine Zeugenbefragung im eigentlichen Sinn durchgeführt, sondern sich im Gespräch mit C. auf die "simple Frage" beschränkt, ob dieser zum fraglichen Zeitpunkt den Wagen von A. gefahren und dabei B. begegnet sei: Die Bejahung dieser Fragen wäre bereits geeignet gewesen, den Tatverdacht auf C. zu lenken. Es handelte sich beim fraglichen Gespräch daher mitnichten um eine prozessökonomisch motivierte, untergeordnete Vorabklärung, sondern vielmehr um eine Besprechung, bei der sich der Beschwerdeführer von seinem Gegenüber offensichtlich entscheidende Informationen erhoffte. 3.3.3 Zweifelhaft ist auch, ob die vom Beschwerdeführer durchgeführte Befragung von C. den Interessen seines Mandanten tatsächlich diente: C. erhielt hierdurch frühzeitig Kenntnis davon, dass A. sich zur Verteidigung auf ihn berief und er, C., daher damit rechnen musste, selbst ins Blickfeld der Ermittler zu geraten. War BGE 136 II 551 S. 559 tatsächlich C. und nicht A. am inkriminierten Tötungsversuch zum Nachteil von B. beteiligt, hat das Vorgehen des Beschwerdeführers C. die Zeit verschafft, sich seinerseits eine Verteidigungsstrategie zu überlegen, was den Interessen von A. schadete. 3.4 Nach dem Ausgeführten steht fest, dass die vom Beschwerdeführer durchgeführte Befragung von C. die Kriterien für die Zulässigkeit einer privaten Zeugenbefragung nicht erfüllte. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das Kantonsgericht das Vorgehen des Beschwerdeführers als Verstoss gegen die anwaltliche Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung i.S. von Art. 12 lit. a BGFA wertete.
de
55c6ea1d-27c2-4994-b06b-75c0cd4281da
Sachverhalt ab Seite 345 BGE 117 IV 345 S. 345 Zum Sachverhalt siehe BGE 117 IV Nr. 60. Die 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern bestätigte mit Entscheid vom 11. Dezember 1990 die im Appellationsverfahren allein angefochtene Einziehung der insgesamt 742 Pistolen zuhanden des Bundes. Sie ordnete aber an, dass ein allfälliger Verwertungserlös durch den Bund dem X. zurückzuerstatten sei. Der Generalprokurator des Kantons Bern führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung betreffend die Einziehung von 742 Pistolen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ficht, wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, die Anordnung des Obergerichts betreffend Rückerstattung eines allfälligen Verwertungserlöses an den Beschwerdegegner an. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Das Obergericht verfügte zwar gestützt auf Art. 20 KMG die Einziehung von 742 Pistolen, es ordnete aber an, dass ein allfälliger Verwertungserlös dem X. durch den Bund zurückzuerstatten sei. Das Gericht hält zunächst fest, es habe keine Aussagen darüber zu machen, was mit den fraglichen Pistolen zu geschehen habe; denn Art. 20 Abs. 2 KMG bestimme, dass das eingezogene Kriegsmaterial dem Bund verfällt. Es führt sodann aus, die Einziehung BGE 117 IV 345 S. 346 von Gegenständen sei aber nicht eine Nebenstrafe, sondern eine vorbeugende Massnahme; sie habe keinen repressiven Charakter, und es gehe nicht darum, den Verurteilten am Vermögen zu schädigen und dem Staat durch die Einziehung ungerechtfertigt Vermögenswerte zukommen zu lassen. Aus diesem Grunde sowie in Anwendung des gerade auch im Massnahmerecht geltenden Verhältnismässigkeitsgrundsatzes ( BGE 104 IV 149 ; STRATENWERTH, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 14 N. 45) müsse ein allfälliger Verwertungserlös X. zukommen. 2. a) Das Bundesgericht hat in BGE 84 IV 7 erkannt, es sei Sache des kantonalen Rechts zu bestimmen, ob der Erlös aus der Verwertung eines eingezogenen Gegenstandes dem Täter herauszugeben sei, und es hat offengelassen, ob eine entsprechende kantonalrechtliche Bestimmung mit Art. 58 StGB vereinbar wäre. WAIBLINGER stimmt dieser Auffassung grundsätzlich zu, fügt aber bei, dass "die Herausgabe des Verwertungserlöses der eingezogenen Gegenstände, da dem Gelde keine Gefahr innewohnt, vor der die Öffentlichkeit zu sichern wäre, sicher nicht bundesrechtswidrig (sei), zumal dem Bundesrecht selbst die Restituierung des Verwertungserlöses an den durch die Einziehung Betroffenen nicht fremd ist (vgl. z.B. Art. 29 Musterschutzgesetz)" (ZBJV 96/1960 S. 87 f.). Der Kassationshof hat seine in BGE 84 IV 7 vertretene Auffassung in einem nicht publizierten Urteil vom 16. Juli 1984, in dem es um die Einziehung eines Motorfahrzeuges nach Art. 58 StGB ging, aufgegeben. Gemäss den Ausführungen in diesem Entscheid untersteht die Massnahme der Einziehung nach Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Der Eingriff in das Eigentum des Betroffenen soll nicht weiter gehen, als der Zweck (Beseitigung der Gefährdung, Verhinderung weiterer Straftaten) es erfordert ( BGE 104 IV 149 ). Wenn die Verwertung des einzuziehenden Gegenstandes möglich sei, dann bestehe, so hielt der Kassationshof im zitierten nicht veröffentlichten Urteil fest, von Bundesrechts wegen kein Grund, dem rechtmässigen Eigentümer den Verwertungserlös vorzuenthalten und so die Einziehung zu einer zusätzlichen Vermögensstrafe zu machen. Aus dem Prinzip der Verhältnismässigkeit ergebe sich somit in Abweichung von BGE 84 IV 6 f., dass gemäss Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB nur insoweit in das Vermögen des Betroffenen eingegriffen werden dürfe, als dies zur Erreichung des Zwecks der Massnahme notwendig sei. Komme es zur Einziehung eines rechtmässig erworbenen, BGE 117 IV 345 S. 347 verwertbaren Motorfahrzeuges, dann habe der Betroffene Anspruch auf den Verwertungserlös. An dieser Auffassung ist grundsätzlich festzuhalten, zumal sie der heute herrschenden Lehre entspricht. Danach wäre die Einziehung auch des Verwertungserlöses durch den Sicherungszweck der Massnahme nicht mehr gedeckt und daher unverhältnismässig (STRATENWERTH, Strafrecht Allgemeiner Teil II, § 14 N. 45; SCHULTZ, Einziehung und Verfall, ZBJV 114/1978 S. 329; TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 58 N. 15; vgl. schon die beiden Urteile des Berner Obergerichts, wiedergegeben in ZBJV 81/1945 S. 137 ff. und ZBJV 85/1949 S. 179 ff.). Die dargelegten Grundsätze gelten nicht nur für die Einziehung gemäss Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB , sondern auch für die Einziehung nach Art. 20 KMG . b) Wohl sehen Art. 20 KMG und Art. 58 StGB nicht ausdrücklich die Auszahlung eines allfälligen Verwertungserlöses an den Täter als ehemaligen Eigentümer des eingezogenen Gegenstandes vor. Art. 20 KMG und Art. 58 StGB unterscheiden sich damit insoweit von den Einziehungsbestimmungen in verschiedenen Spezialgesetzen. So bestimmt Art. 29 Abs. 2 Satz 2 MMG (SR 232.12): Der Reinerlös der übrigen eingezogenen Gegenstände wird zur Zahlung der Geldstrafe, der Kosten und der Entschädigung an den Geschädigten verwendet; ein allfälliger Überschuss fällt dem bisherigen Eigentümer zu. Ähnlich ist die Regelung in Art. 69 Abs. 2 PatG (SR 232.14): Der Verwertungsreinerlös wird zunächst zur Bezahlung der Busse, dann zur Bezahlung der Untersuchungs- und Gerichtskosten und endlich zur Bezahlung einer rechtskräftig festgestellten Schadenersatz- und Prozesskostenforderung des Verletzten verwendet; ein Überschuss fällt dem bisherigen Eigentümer der verwerteten Gegenstände zu. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 des Giftgesetzes vom 21. März 1969 (SR 814.80) lautet: Der Erlös aus eingezogenen Giften und deren Behältern kann dem früheren Eigentümer je nach dessen Verschulden ganz oder teilweise zurückerstattet werden. Ähnlich bestimmt Art. 45 Abs. 2 LMG (SR 817.0): Der Reinerlös wird zur Bezahlung der Busse, der Kosten und der Entschädigung an den Geschädigten verwendet; ein allfälliger Überschuss wird zurückerstattet. Auch wenn Art. 20 KMG und Art. 58 StGB nicht ausdrücklich die Aushändigung eines allfälligen Verwertungserlöses an den Täter als ehemaligen Eigentümer des eingezogenen Gegenstandes vorsehen, so schliessen diese Bestimmungen eine solche auch nicht ausdrücklich aus. Insbesondere liesse sich aus Art. 20 Abs. 2 BGE 117 IV 345 S. 348 KMG , wonach das eingezogene Kriegsmaterial dem Bund "verfällt" ("le matériel confisqué est dévolu à la Confédération"; "il materiale confiscato è devoluto alla Confederazione"), nicht ableiten, dass der Bund auch einen allfälligen Verwertungserlös nach Belieben verwenden könne. Durch Art. 20 Abs. 2 KMG wird lediglich, wie in Art. 381 Abs. 2 StGB für die von den Bundesassisen und vom Bundesstrafgericht beurteilten Straffälle, das Verfügungsrecht des Bundes über das eingezogene Material statuiert. Auch wenn die Einziehung von Kriegsmaterial gemäss Art. 20 KMG nicht den Nachweis einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung etc. in der Zukunft voraussetzt, ist sie doch, da sie unabhängig von der Strafbarkeit einer bestimmten Person anzuordnen ist, eine Massnahme und nicht eine (Neben-)Strafe, d.h. gewissermassen eine Realbusse. Der Sinn der Einziehung von Kriegsmaterial nach Art. 20 KMG liegt nicht darin, dem Täter einen Vermögensschaden zuzufügen; die Einziehung nach Art. 20 KMG soll vielmehr ausschliessen, dass das fragliche Kriegsmaterial vom Betroffenen allenfalls ein weiteres Mal im Rahmen einer Widerhandlung im Sinne des Kriegsmaterialgesetzes verwendet werde. Aus Sinn und Zweck der bundesrechtlichen sachlichen Massnahme der Einziehung sowie aus dem bundesrechtlichen Verhältnismässigkeitsgrundsatz ergibt sich, dass ein allfälliger Verwertungserlös an den Täter als ehemaligen Eigentümer des eingezogenen Gegenstandes herauszugeben ist, sofern davon nach der Verwendung des Verwertungserlöses zugunsten Dritter (vgl. Art. 58bis, 60 StGB ) sowie nach Abzug der Verwertungskosten noch etwas übrigbleibt. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob die Anknüpfungstat objektiv und/oder subjektiv mehr oder weniger schwer wiegt oder etwa in ethischer Hinsicht als verwerflich erscheint; unerheblich ist insoweit auch, ob die wirtschaftliche Existenz des von der Einziehung Betroffenen gefährdet wäre, wenn ihm ein allfälliger Verwertungserlös nicht ausgehändigt würde. Darauf kann es deshalb nicht ankommen, weil die Einziehung eines allfälligen Verwertungserlöses durch den Sicherungszweck der Einziehung nicht mehr gedeckt und aus diesem Grunde, unabhängig von der Schwere der Tat und der finanziellen Situation des Täters, unverhältnismässig ist. Der Aushändigung eines allfälligen Verwertungserlöses steht auch nicht entgegen, dass der Täter damit erneut Gegenstände von der Art erwerben könnte, mit denen er die Straftat begangen hat, derentwegen die Gegenstände eingezogen wurden (siehe dazu SCHULTZ, op.cit., S. 329 unten). BGE 117 IV 345 S. 349 c) Allerdings kann man sich fragen, ob bei Gegenständen, die ohne weiteres problemlos jederzeit gekauft und veräussert werden können, nicht schon auf deren Einziehung zu verzichten sei. Denn die Einziehung solcher Gegenstände, die der Staat in der Regel verwerten wird, dürfte jedenfalls dann zweckuntauglich sein und einen "Schlag ins Wasser" darstellen (vgl. dazu eingehend ALBIN ESER, Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum, Tübingen 1969, S. 274 ff.), wenn dem Täter als bisherigem Eigentümer der Verwertungserlös herauszugeben ist. Wie es sich damit im einzelnen verhält, kann vorliegend jedoch dahingestellt bleiben. Denn bei den insgesamt 742 Pistolen handelt es sich nicht um Gegenstände, die problemlos jederzeit gekauft und veräussert werden können. Die Einziehung von insgesamt 742 Pistolen, die unter das Kriegsmaterialgesetz fallen, ist als sachliche Massnahme der Sicherung, selbst wenn sie den Inhaber eines Waffengeschäfts trifft, auch dann sinnvoll, wenn ein allfälliger Verwertungserlös an den bisherigen Eigentümer herauszugeben ist. d) Die Anordnung des Obergerichts, ein allfälliger Verwertungserlös sei dem X. durch den Bund zurückzuerstatten, verstösst somit nicht gegen Bundesrecht. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators ist daher abzuweisen.
de
3eb9b10c-1ecf-4080-bd18-09b793dfd186
Erwägungen ab Seite 346 BGE 144 III 346 S. 346 Aus den Erwägungen: 1. (...) 1.2 Der erforderliche Streitwert beträgt Fr. 30'000.- ( Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG ; BGE 136 III 196 E. 1.1). Die Vorinstanz führte unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (Urteil 4D_79/2015 vom 22. Januar 2016 E. 1 mit zahlreichen Verweisen) aus, im Verfahren nach Art. 257 ZPO (Rechtsschutz in klaren Fällen) sei als Streitwert der durch die Verzögerung mutmasslich entstehende Schaden zu betrachten, der im hypothetisch anfallenden bzw. entgangenen Miet- (bzw. Pacht-) oder Gebrauchswert für die Zeit besteht, bis voraussichtlich ein Ausweisungsentscheid in einem Prozess im ordentlichen Verfahren ergehen könnte. Praxisgemäss sei von einer Dauer von sechs Monaten auszugehen, was beim vorliegenden Pachtzins von jährlich Fr. 20'000.- einen Streitwert von Fr. 10'000.- ergebe. Die Beschwerdeführerin hält dem im Wesentlichen entgegen, es sei absolut praxisfern, für ein ordentliches Verfahren von einer Verfahrensdauer BGE 144 III 346 S. 347 von sechs Monaten auszugehen. Vielmehr sei hierfür (inkl. Rechtsmittelverfahren) mit mindestens drei Jahren zu rechnen. Diese Ausführungen lassen es als angezeigt erscheinen, die Grundsätze zur Streitwertberechnung bei Ausweisungsklagen im Verfahren nach Art. 257 ZPO zu präzisieren und im Sinne der Rechtssicherheit für die häufig zu beurteilenden Fälle einer Ausweisung im Zusammenhang mit der Beendigung eines Mietverhältnisses einheitliche Regeln aufzustellen: Dabei ist danach zu unterscheiden, ob nur die Ausweisung als solche oder ob vorfrageweise (vgl. dazu BGE 141 III 262 E. 3.2 S. 265 und Urteil 4A_440/2016 vom 24. Oktober 2016 E. 5.2.2) auch die Kündigung streitig ist. 1.2.1 Geht es nur um die Frage der Ausweisung, besteht das wirtschaftliche Interesse der Parteien im Mietwert, der durch die Verzögerung infolge des Summarverfahrens selber entsteht (Urteile 4A_72/2007 vom 22. August 2007 E. 2.2; 4A_107/2007 vom 22. Juni 2007 E. 2.3). Diesbezüglich ist unabhängig von allfälligen kantonalen Unterschieden in der tatsächlichen Bewältigung solcher Summarverfahren von einer Dauer von sechs Monaten auszugehen (vgl. auch PETER DIGGELMANN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], Bd. I, 2. Aufl. 2016 , N. 46 zu Art. 91 ZPO in fine). 1.2.2 Ist dagegen die Kündigung ebenfalls strittig, ist diese selber Streitgegenstand. Diesbezüglich wird in der Praxis des Bundesgerichts zum Streitwert auf zwei unterschiedliche Gesichtspunkte verwiesen. 1.2.2.1 Entsprechend der Praxis zum Streitwert in Fällen, wo es nur um die Ausweisung geht (E. 1.2.1 hiervor), wird auf die voraussichtliche bzw. mögliche Dauer des Verfahrens abgestellt, wobei in dem von der Vorinstanz zitierten Urteil (4D_79/2015 vom 22. Januar 2016 E. 1) und anderen früheren Urteilen (Urteile 4A_152/2015 vom 8. Juni 2015 E. 1.2; 4A_449/2014 vom 19. November 2014 E. 2.1; 4A_273/2012 vom 30. Oktober 2012 E. 1.2.2, nicht publ. in: BGE 138 III 620 ) auf die Dauer des ordentlichen Verfahrens verwiesen wurde, in welchem über die Gültigkeit der Kündigung und damit die Ausweisung entschieden werden müsste, wenn der Ausweisung im Verfahren gemäss Art. 257 ZPO nicht stattgegeben würde. Aufgrund der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung fallen nun alle Streitigkeiten, in denen die angerufene Behörde über die Beendigung des Mietverhältnisses befinden muss - also auch BGE 144 III 346 S. 348 mietrechtliche Ausweisungsklagen, die nicht im summarischen Verfahren gemäss Art. 257 ZPO ausgetragen werden können - unter den Begriff "Kündigungsschutz" gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO ( BGE 142 III 690 E. 3 S. 692 ff.) und damit in den Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens (Urteil 4A_300/2016 vom 5. Oktober 2016 E. 2). Bei gleichzeitig streitiger Kündigung wäre es aufgrund dieser Rechtsprechung also sachgerecht, auf die voraussichtliche Dauer eines summarischen Verfahrens nach Art. 257 ZPO und eines anschliessenden vereinfachten Verfahrens abzustellen. Die Lösung berücksichtigt aber nicht, dass der Entscheid bei Gutheissung der Klage dieselben Wirkungen zeitigt wie ein im gewöhnlichen oder vereinfachten Verfahren ergangener. 1.2.2.2 In anderen Entscheiden wurde denn auch - wenn es sich um die Miete von Wohn- und Geschäftsräumen handelte - auf die dreijährige Kündigungssperrfrist gemäss Art. 271a Abs. 1 lit. e OR verwiesen und diese Dauer bei der Berechnung des Streitwerts berücksichtigt (Urteile 4A_100/2018 vom 5. März 2018 E. 3; 4A_541/2015 vom 20. Mai 2016 E. 1; 4A_622/2013 vom 26. Mai 2014 E. 2, je mit Hinweis u.a. auf BGE 137 III 389 E. 1.1). Gemäss BGE 137 III 389 ergibt sich dieser Streitwert, weil während dieser Sperrfrist nicht gekündigt werden darf, nachdem eine vom Mieter angefochtene Kündigung im ordentlichen (bzw. jetzt: vereinfachten) Verfahren als ungültig erklärt wurde. Durch einen Entscheid im Verfahren nach Art. 257 ZPO wird keine solche Sperrfrist ausgelöst. Wird klares Recht bejaht und der Mieter ausgewiesen, bleibt es bei diesem rechtskräftigen Entscheid. Wird dagegen klares Recht verneint und kommt es zu einem Nichteintretensentscheid, begründet ein solcher keine Kündigungssperrfrist (vgl. Urteil 4A_588/2013 vom 15. April 2014 E. 2.6, wo das Bundesgericht einen vorinstanzlichen Entscheid schützte, wonach ein Nichteintretensentscheid nach Art. 257 ZPO nicht geeignet ist, eine Kündigungssperrfrist nach Art. 271a Abs. 1 lit. e OR auszulösen. Zustimmend: SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere[Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 38 zu Art. 257 ZPO ;ROGER WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 6. Aufl. 2015, N. 25 zu Art. 271/271a OR). Bei der zitierten Rechtsprechung geht es denn auch nicht darum, dass das Summarverfahren selber nach Art. 257 ZPO eine Kündigungssperrfrist auslösen soll. Vielmehr wird damit berücksichtigt, dass die Gültigkeit der Kündigung und damit die BGE 144 III 346 S. 349 Ausweisung bei Nichteintreten auf das Gesuch im Summarverfahren allenfalls im ordentlichen (bzw. vereinfachten) Verfahren erstritten werden muss und dieser Entscheid dann die Sperrfrist auslösen kann. 1.2.2.3 Gemäss dem Grundgedanken für die Streitwertberechnung, nämlich welches die mutmassliche Dauer der weiteren Nutzung des Mietobjekts ist, wenn die Kündigung sich allenfalls als ungültig erweisen sollte, muss deshalb die mögliche Sperrfrist bis zur nächsten möglichen Kündigungsgelegenheit (E. 1.2.2.2) berücksichtigt werden, nicht aber auch die voraussichtliche Verfahrensdauer (vgl. auch Zürcher Mietrechtspraxis [ZMP] 2017 Nr. 11, www.gerichte-zh.ch/entscheide/zmp/jahrgang-2017.html , zuletzt besucht am 11. Juli 2018; kritisch: MATTHIAS TSCHUDI, Entwicklungen im Mietrecht, SJZ 114/2018 S. 324), die nicht zuverlässig abgeschätzt werden kann (vgl. BGE 137 III 389 E. 1.1 S. 391). Ist die Beendigung des Mietverhältnisses ebenfalls Streitgegenstand und würde deren Unzulässigkeit die Schutzfrist auslösen, entspricht der Streitwert mithin in der Regel dem Mietwert für drei Jahre.
de
7676e622-05cb-4562-a5f9-a20fdec727ae
Sachverhalt ab Seite 176 BGE 123 III 176 S. 176 A.- Die Bauunternehmung Y. AG beschäftigte im Frühjahr 1995 rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bern, Sion und Freiburg. Seit längerer Zeit kursierten Gerüchte, dass sie sich in finanziellen Schwierigkeiten befinde. Am 18. Dezember 1994 gab die Y. AG in einer Pressemitteilung bekannt, dass sie "aufgrund der aktuellen Situation am Baumarkt sowie zur Verbesserung der geographischen Abstützung" eine künftige enge Zusammenarbeit mit der ebenfalls im Baugewerbe tätigen Z. SA beschlossen habe. In einem Schreiben vom gleichen Tag teilte sie dem Verein Gewerkschaft X. mit, sie werde ihn zu gegebener Zeit über den Verlauf der Verhandlungen orientieren. Am 17. Februar 1995 unterzeichneten die Y. AG und die Z. SA eine Absichtserklärung. Aus den sich daran anschliessenden Verhandlungen ging der Entwurf zu einem Grundvertrag hervor, wonach die Z. SA die Y. AG mit Unterstützung einer Bankengruppe unter Führung der V. Bank übernehmen sollte. Mit Schreiben vom 17. Februar 1995 legte die V. Bank gegenüber der Z. SA die nochmals bankintern überarbeiteten Rahmenbedingungen für die vorgesehene Übernahme fest. Am 27. März 1995 teilte die Z. SA der V. Bank und der Y. AG mit, dass sie unter den gesetzten Bedingungen nicht zu einer Übernahme bereit sei, und schlug neue Verhandlungen vor. BGE 123 III 176 S. 177 Aufgrund dieser Antwort und der bekannten Position der Banken betrachtete die Y. AG die Übernahmeverhandlungen als gescheitert. An ihrer am Abend des 27. März 1995 stattfindenden Verwaltungsrats-Sitzung wurde deshalb beschlossen, um Nachlassstundung zu ersuchen und der gesamten Belegschaft vorsorglich zu kündigen. Das Gesuch um Nachlassstundung wurde am 28. März 1995 eingereicht. Am gleichen Tag wurden morgens um 11 Uhr der Verein Gewerkschaft X. und nachmittags die Belegschaft über das Scheitern der Übernahmeverhandlungen, das Gesuch um Nachlassstundung und die drohenden Kündigungen informiert und schriftlich aufgefordert, bis 12 Uhr des folgenden Tages Vorschläge zur Vermeidung der vorgesehenen Kündigungen oder zu deren Beschränkung sowie zur Milderung ihrer Folgen zu unterbreiten. Innert der gesetzten Frist ging ein solcher Vorschlag ein, den die Y. AG allerdings nicht weiterverfolgte. Am 29. März 1995 kündigte die Y. AG allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, worüber sie den Verein Gewerkschaft X. gleichentags orientierte. Mit Entscheid vom 18. Mai 1995 gewährte der Gerichtspräsident IV von Bern der Y. AG die Nachlassstundung. B.- Am 30. August 1995 reichte der Verein Gewerkschaft X. beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen die Y. AG ein mit dem Begehren, es sei gerichtlich festzustellen, dass die Beklagte die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer gemäss Art. 10 lit. c des Mitwirkungsgesetzes verletzt habe. Der Appellationshof wies die Klage mit Urteil vom 8. März 1996 ab. C.- Das Bundesgericht heisst die Berufung des Klägers gut und schützt dessen Feststellungsbegehren. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Der Kläger stützt seinen Feststellungsanspruch auf Art. 15 Abs. 2 des Mitwirkungsgesetzes (SR 822.14). Nach dieser Bestimmung sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände berechtigt, auf Feststellung der Verletzung von gegenseitigen Rechten und Pflichten zu klagen, die sich für den Arbeitgeber und die Arbeitnehmer aus dem Mitwirkungsgesetz, insbesondere aus dessen Art. 9-14, ergeben. Mit dieser Sonderregelung anerkennt das Gesetz ein Interesse der Verbände, das Verhalten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gerichtlich auf seine Rechtmässigkeit hin überprüfen zu lassen. Der Nachweis eines zusätzlichen Feststellungsinteresses ist nicht erforderlich (vgl. zur entsprechenden Regelung von Art. 357b Abs. 1 lit. a OR BGE 111 II 358 E. 2a S. 361 sowie VISCHER, Der BGE 123 III 176 S. 178 Arbeitsvertrag, in: Schweizerisches Privatrecht, Basel, Bd. VII/1/III, 2. Aufl. 1994, S. 272 Fn. 54). Die Klageberechtigung des Klägers ist somit ohne weiteres gegeben. Sie wird denn von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt. 3. In rechtlicher Hinsicht ist zunächst streitig, ob die Vorschriften über die Massenentlassung auf den vorliegenden Fall überhaupt anwendbar sind. Der Appellationshof und der Kläger bejahen die Anwendbarkeit. Die Beklagte stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, dass, da die Nachlassstundung vom Gericht habe bewilligt und der Nachlassvertrag vom Gericht habe genehmigt werden müssen, eine "Betriebseinstellung infolge gerichtlicher Entscheidung" vorliege, die gemäss Art. 335e Abs. 2 OR vom Anwendungsbereich der Vorschriften über die Massenentlassung ausgenommen sei. a) Die Lehre geht davon aus, dass die Vorschriften über die Massenentlassung im Falle des Konkurses des Arbeitgebers nicht anwendbar sind (BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2. Aufl. 1996, N. 2 zu Art. 335f und 335e OR ; STAEHELIN, Zürcher Kommentar, N. 3 zu Art. 335e OR ; GEISER, Massenentlassung, AJP 1995, S. 1416 f. Rz. 2.17; MÜLLER, Die neuen Bestimmungen über Massenentlassungen, ArbR 1995, S. 111; AUBERT, Die neue Regelung über Massenentlassungen und den Übergang von Betrieben, AJP 1994, S. 702). Demgegenüber soll ein Nachlassverfahren nach der Auffassung einer Reihe von Autoren die Anwendung der Art. 335d ff. OR nicht ausschliessen (AUBERT, a.a.O.; STAEHELIN, a.a.O.; MÜLLER, a.a.O.; unklar BRÜHWILER, a.a.O.). Die Begründung, die dafür angeführt wird, überzeugt allerdings nicht ohne weiteres. Zwar ist richtig, dass ein Nachlassverfahren nicht zwingend zur Einstellung des Betriebes führen muss. Das gilt aber auch für den Konkurs, ist es doch Aufgabe der Konkursverwaltung, gegebenenfalls mit Genehmigung der Gläubigerversammlung darüber zu befinden, ob ein zur Konkursmasse gehörender Betrieb geschlossen oder weitergeführt werden soll (vgl. GEISER, a.a.O.). Unter Umständen kann sogar der Gemeinschuldner ermächtigt werden, sein Gewerbe weiter zu betreiben ( Art. 237 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG ). Weder die gerichtlichen Bewilligungsbeschlüsse im Nachlassverfahren, noch das gerichtliche Konkurserkenntnis sind demnach Entscheide, die selber und unmittelbar dazu führen, dass der Betrieb nicht aufrecht erhalten werden kann. Es liegt daher höchstens im weiteren Sinne eine "Betriebseinstellung infolge gerichtlicher Entscheidung" gemäss Art. 335e Abs. 2 OR vor (GEISER, a.a.O., S. 1416 f. Rz. 2.17 f.). Im Falle des Konkurses lässt sich der Verzicht BGE 123 III 176 S. 179 auf die Anwendung der Art. 335d ff. OR jedoch allenfalls damit rechtfertigen, dass die Arbeitnehmer im Konkursverfahren als Gläubiger über Einflussmöglichkeiten verfügen, die über die Mitwirkungsrechte hinausgehen, welche ihnen die Art. 335d ff. OR gewähren, weshalb es kaum sinnvoll ist, parallel zum Konkursverfahren noch ein besonderes Konsultationsverfahren gemäss Art. 335f OR durchzuführen (GEISER, a.a.O.). Wieweit sich ähnliche Überlegungen auch in bezug auf das Nachlassverfahren anstellen lassen, erscheint demgegenüber fraglich. Die Arbeitnehmer haben im Nachlassverfahren wegen ihrer Privilegierung bei der Kollokation (Art. 219 Abs. 4 erste Klasse lit. a SchKG) nur geringe Einflussmöglichkeiten, werden doch gemäss Art. 305 Abs. 2 SchKG die Stimmen der privilegierten Gläubiger bei der Ermittlung der Mehrheiten, die für das Zustandekommen des Nachlassvertrages erforderlich sind ( Art. 305 Abs. 1 SchKG ), gar nicht mitgerechnet. Ob ein Nachlassverfahren die Anwendung der Art. 335d ff. OR hinfällig werden lässt, braucht aber für den vorliegenden Fall nicht abschliessend geprüft zu werden. Denn der Umstand, dass die Arbeitnehmer im Nachlassverfahren Gläubigerstellung haben und an der Gläubigerversammlung teilnehmen können (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Aufl. 1993, S. 445 Rz. 50), vermöchte eine Konsultation im Sinne von Art. 335f OR , wenn überhaupt, jedenfalls erst ab dem Zeitpunkt zu ersetzen, in dem die Mitwirkungsmöglichkeit der Gläubiger aktuell wird. Die Gläubiger kommen im Nachlassverfahren indessen erst nach der gerichtlichen Bewilligung der Nachlassstundung im sogenannten Zustimmungsverfahren zu Wort (AMONN, a.a.O., S. 443 Rz. 40). Für Massenentlassungen, die der Arbeitgeber in der Zeit vor dem Bewilligungsentscheid konkret beabsichtigt, bleiben daher die Art. 335d ff. OR in jedem Fall anwendbar. b) Vorliegend ist die Nachlassstundung erst am 18. Mai 1995 bewilligt worden. Die konkrete Absicht, eine Massenentlassung vorzunehmen, musste sich bei der Beklagten jedoch spätestens im Laufe des Monates März 1995 gebildet haben, wurden doch die entsprechenden Kündigungen am 28. März 1995 offiziell angekündigt und am 29. März 1995 ausgesprochen. Die Vorschriften über die Massenentlassung haben deshalb Anwendung zu finden. 4. Nach Art. 335f Abs. 1 und 2 OR hat der Arbeitgeber, wenn er eine Massenentlassung beabsichtigt, die Arbeitnehmervertretung oder, falls keine solche besteht, die Arbeitnehmer zu konsultieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, Vorschläge zu unterbreiten, BGE 123 III 176 S. 180 wie die Kündigungen vermieden oder deren Zahl beschränkt sowie ihre Folgen gemildert werden können. Nach Ansicht des Klägers hat die Beklagte gegen diese Vorschrift verstossen, indem sie dem Kläger am 28. März 1995 eine Frist bis 12 Uhr des folgenden Tages zur Stellungnahme gesetzt hat. Der Kläger macht geltend, ihm und den Arbeitnehmern sei es unmöglich gewesen, innert einer derart kurzen Frist ihre gesetzlichen Mitwirkungsrechte wahrzunehmen. Die Beklagte stimmt dagegen der Auffassung des Appellationshofs zu, dass keine Verletzung der Bestimmungen über die Massenentlassung vorliege, weil die Ansetzung einer längeren Frist aufgrund der wirtschaftlichen Sachzwänge nicht möglich gewesen sei. Im übrigen vertritt sie auch die Meinung, das Gesetz verlange nicht, dass die Konsultationen zeitlich vor den Kündigungen vorgenommen würden, weshalb es auch nach dem 29. März 1995 ohne weiteres noch möglich gewesen wäre, Vorschläge zur Vermeidung von Kündigungen oder zur Milderung ihrer Folgen zu unterbreiten. a) Der Arbeitgeber ist nach Art. 335f Abs. 1 OR zur Einleitung der Konsultation verpflichtet, sobald er eine Massenentlassung beabsichtigt. Er darf somit nicht zuwarten, bis die Massenentlassung beschlossen ist. Der Sinn der Konsultation besteht darin, den Arbeitnehmern eine Einwirkung auf die Entscheidfindung des Arbeitgebers zu ermöglichen. Die Arbeitnehmer sollen die Möglichkeit haben, den Arbeitgeber zu veranlassen, von ihnen vorgeschlagene alternative Massnahmen zu prüfen, bevor er sich endgültig zu einer Massenentlassung entschliesst. Die Konsultation muss daher stattfinden, bevor der Arbeitgeber den definitiven Entschluss gefasst hat, eine Massenentlassung vorzunehmen (Zusatzbotschaft I, BBl 1992 V 409). Die Beklagte beruft sich deshalb zu Unrecht auf eine vereinzelte Äusserung, wonach der Arbeitgeber die Mitteilung, die das Konsultationsverfahren in Gang setzt, "entweder vor den Kündigungen oder spätestens mit diesen" vornehmen sollte (GEISER, a.a.O., S. 1419 Rz. 4.3); dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Das Konsultationsverfahren ist vor den Kündigungen zu eröffnen und zu beenden (MÜLLER, a.a.O., S. 126; AUBERT, a.a.O., S. 702 Rz. C4 und C6). Kündigungen, die vor Abschluss der Konsultation ausgesprochen werden, sind missbräuchlich im Sinne von Art. 336 Abs. 2 lit. c OR (BRÜHWILER, a.a.O., N. 4 zu Art. 335f OR ; MÜLLER, a.a.O., S. 127). Ausgehend davon bleibt im einzelnen folgendes festzuhalten: Der Arbeitgeber hat die Konsultation nicht erst unmittelbar vor den Kündigungen, sondern so frühzeitig einzuleiten, dass sie abgeschlossen BGE 123 III 176 S. 181 werden kann, bevor er sich endgültig entschliessen muss, ob und in welcher Form er die in Aussicht genommene Massenentlassung vornimmt. Eine Pflicht zur Einleitung der Konsultation besteht zwar nicht schon, wenn der Arbeitgeber entfernt mit der Möglichkeit rechnet, in der nächsten Zeit zu einer Massenentlassung schreiten zu müssen, wohl aber dann, wenn er sie konkret in Aussicht nimmt. Eine solche konkrete Absicht kann dabei durchaus auch in einem vorbehaltenen Entschluss bestehen. Als beabsichtigt im Sinne von Art. 335f OR hat daher eine Massenentlassung insbesondere auch dann zu gelten, wenn der Arbeitgeber sie zwar nur, aber immerhin für den Fall konkret plant, dass andere Pläne sich nicht verwirklichen lassen. b) Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmern nach einhelliger Lehre eine Frist zur Stellungnahme ansetzen (BRÜHWILER, a.a.O., N. 2 zu Art. 335f OR ; STAEHELIN, a.a.O., N. 3 zu Art. 335f OR ; GEISER, a.a.O., S. 1419 Rz. 4.3; AUBERT, a.a.O., S. 702 Rz. C6), was im übrigen auch dem klaren Willen des Gesetzgebers entspricht (Amtl.Bull. NR 1993, S. 1719, Voten Marti und Frey). Bei der Bemessung der Frist hat sich der Arbeitgeber an den Grundsatz von Treu und Glauben zu halten. Die Arbeitnehmer müssen genügend Zeit erhalten, um die Informationen des Arbeitgebers (vgl. Art. 335f Abs. 3 OR ) verarbeiten, konstruktive Vorschläge formulieren und sie dem Arbeitgeber zur Kenntnis bringen zu können (Zusatzbotschaft I, BBl 1992 V, S. 410; STAEHELIN, a.a.O., N. 3 zu Art. 335f OR ; BRÜHWILER, a.a.O., N. 2 zu Art. 335f OR ; AUBERT, a.a.O., S. 702 Rz. C6). Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass sowohl die Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber ein Interesse an einer raschen Ausarbeitung der Vorschläge haben (GEISER, a.a.O., S. 1419 Rz. 4.3; vgl. auch MÜLLER, a.a.O., S. 127 f.). Im übrigen lassen sich indessen darüber, welche Konsultationsfrist im Einzelfall angemessen ist, keine allgemeinen Regeln aufstellen. Massgebend sind vielmehr die konkreten Umstände. Ins Gewicht fällt einerseits die Komplexität der sich stellenden Fragen. Anderseits ist die Dringlichkeit der beabsichtigten Massenentlassung zu berücksichtigen (MÜLLER, a.a.O., S. 128). Ist die Massenentlassung jedoch nur deshalb besonders dringlich geworden, weil der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren zu spät eröffnet hat, so vermag die Dringlichkeit keine Verkürzung der Konsultationsfrist zu rechtfertigen. Eine zu kurze Dauer der Konsultation bedeutet, dass die Arbeitnehmer nicht rechtsgenüglich konsultiert worden sind. Lässt der BGE 123 III 176 S. 182 Arbeitgeber den Arbeitnehmern zuwenig Zeit zu einer sachgerechten Prüfung und Stellungnahme, so verletzt er die Pflichten, die ihm Art. 335f OR auferlegt. Die Kündigungen, die er im Anschluss an die ungenügende Konsultation ausspricht, sind deshalb missbräuchlich im Sinne von Art. 336 Abs. 2 lit. c OR (MÜLLER, a.a.O., S. 127). c) Im vorliegenden Fall macht die Beklagte zu Unrecht geltend, die Einreichung von Vorschlägen seitens der Arbeitnehmerschaft wäre auch noch möglich gewesen, nachdem die Kündigungen bereits ausgesprochen waren, konnte doch eine den Anforderungen von Art. 335f OR entsprechende Konsultation nur vor den Kündigungen stattfinden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Arbeitnehmerschaft in der Tat nur die Frist zur Verfügung stand, die ihr die Beklagte am 28. März 1995 bis 12 Uhr des folgenden Tages angesetzt hatte. Diese Frist aber erweist sich im Lichte des Ausgeführten (E. b hievor) jedenfalls als zu kurz, ob sie nun, wie im angefochtenen Urteil festgehalten, 24 Stunden oder, wie der Kläger heute geltend macht, noch weniger lang gedauert hat. Eine derart kurze Frist liess eine auf seriöse Abklärungen gestützte Stellungnahme zum vornherein nicht zu. Wieviel Zeit die Beklagte der Arbeitnehmerschaft genau hätte einräumen müssen, kann offen bleiben. Eine abschliessende Beurteilung dieser Frage hätte im übrigen auch zusätzliche tatsächliche Feststellungen zu den konkreten Umständen vorausgesetzt. Festzuhalten ist immerhin, dass die vom Kläger genannte Frist von mindestens vier bis sechs Wochen erheblich zu hoch gegriffen sein dürfte. Das ändert indessen nichts daran, dass der Kläger die von der Beklagten angesetzte Frist zu Recht als ungenügend beanstandet. Entgegen der Auffassung des Appellationshofs und der Beklagten lässt sich eine Verkürzung der Konsultationsfrist auf einen einzigen Tag auch nicht mit dem Hinweis auf "wirtschaftliche Sachzwänge" rechtfertigen. Die konkrete Absicht, die gesamte Belegschaft zu entlassen, falls die Übernahmeverhandlungen mit der Z. SA scheitern sollten, bestand bei der Beklagten offensichtlich schon einige Zeit vor dem 27. März 1995. Dass die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt hoffte, die Massenentlassung werde sich mit der Übernahme ihres Unternehmens durch die Z. SA abwenden lassen, bleibt unerheblich. Die Beklagte durfte mit der Einleitung der Konsultation nicht zuwarten, bis für ihren Verwaltungsrat die Unumgänglichkeit der Massenentlassung endgültig feststand. Sie hätte vielmehr die Arbeitnehmervertretung oder die Arbeitnehmer bereits vor dem 28. März 1995 konsultieren müssen. Weshalb ihr dies nicht möglich gewesen BGE 123 III 176 S. 183 sein sollte, ist angesichts der Verschwiegenheitspflicht, die Art. 14 des Mitwirkungsgesetzes der Arbeitnehmervertretung und den Arbeitnehmern auferlegt, nicht einzusehen. Die Dringlichkeit, mit der die Beklagte argumentiert, ist somit vor allem darauf zurückzuführen, dass das Konsultationsverfahren zu spät eingeleitet worden ist, und erscheint daher als weitgehend selbstverschuldet. Die Beklagte sucht zu Unrecht glauben zu machen, "wirtschaftliche Sachzwänge" hätten sie daran gehindert, der Arbeitnehmervertretung und den Arbeitnehmern mehr Zeit zur Stellungnahme einzuräumen, bevor sie die Kündigungen aussprach. Die Beklagte hat demnach die Mitwirkungsrechte verletzt, die der Arbeitnehmerschaft aufgrund von Art. 10 lit. c des Mitwirkungsgesetzes in Verbindung mit Art. 335f OR zugestanden hätten. Das dahingehende Feststellungsbegehren des Klägers ist zu schützen. Das führt zur Gutheissung der Berufung.
de
701dadbd-b918-4f10-af9b-c699562aac21
Sachverhalt ab Seite 191 BGE 113 II 190 S. 191 A.- Die Firma Z. ist eine Aktiengesellschaft nach italienischem Recht mit Sitz in Meda/Milano. Sie handelt mit Möbeln, die sie in eigenen Betrieben herstellt. In einigen Ländern hat sie Tochtergesellschaften, in anderen lässt sie die Möbel durch Lizenznehmer herstellen und vertreiben. In der Schweiz ist der Vertrieb ihrer Möbel Sache von Einzelhändlern. Die Firma Z. will aufgrund eines Lizenzvertrages ausschliesslich zur Herstellung und zum Vertrieb bestimmter Le Corbusier-Möbel berechtigt sein. Diese Möbel gehen auf Modelle zurück, die aus einer neuartigen Entwicklung in der Architektur und der Möbelkunst der 20er Jahre entstanden sind und dem unter dem Pseudonym Le Corbusier berühmt gewordenen Architekten Charles Edouard Jeanneret, dessen Vetter Pierre Jeanneret und Frau Charlotte Perriand zugeschrieben werden. Die seit Ende 1977 bestehende Firma X. in Bern handelt als Grossistin ebenfalls mit Möbeln. Sie beliefert insbesondere eine Einzelfirma, die ihrer Verwaltungsratspräsidentin und Alleinaktionärin Frau W. gehört, ferner einige Grossfirmen wie z.B. Möbel Pfister und Globus. B.- Im Juli 1982 klagte die Firma Z. gegen die Firma X. wegen Verletzung von Urheberrechten, eventuell wegen unlauteren Wettbewerbs. Sie warf der Beklagten vor, Nachahmungen von sieben Le Corbusier-Möbeln, nämlich von einem Stuhl (LC 1), zwei Polstersesseln (LC 2 und 3), drei Sofa-Versionen (LC 2 und 3) und von einem Liegestuhl (LC 4) anzubieten und zu vertreiben. Die Klägerin beantragte dem Appellationshof des Kantons Bern, der BGE 113 II 190 S. 192 Beklagten den Handel mit solchen Möbeln bei Strafe zu verbieten und sie zu Schadenersatz zu verurteilen, den sie im Verfahren auf Fr. 250'000.-- bezifferte. Der Appellationshof holte von Prof. P. ein Gutachten ein und liess den behaupteten Schaden durch einen Experten abklären. In seinem Urteil vom 14. August 1986 hielt er zusammen mit dem Gutachter die streitigen Le Corbusier-Möbel mit Ausnahme des Stuhls LC 1 für urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst, verbot der Beklagten unter Androhung von Strafe, Nachahmungen dieser Möbel feilzuhalten, zu verkaufen oder sonstwie in Verkehr zu bringen und verurteilte sie zu Fr. 70'000.-- Schadenersatz. C.- Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin beantragt, ihr Rechtsbegehren auch in bezug auf den Stuhl LC 1 zu schützen und den vom Appellationshof zugesprochenen Schadenersatz auf Fr. 75'200.-- zu erhöhen oder die Sache insoweit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beklagte will die Klage dagegen vollumfänglich abgewiesen wissen. Jede Partei widersetzt sich ausdrücklich den Anträgen der anderen. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: I. I.1. Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin. Sie macht insbesondere geltend, nach dem angefochtenen Urteil seien der Klägerin von der "Fondation Le Corbusier" nur die ausschliessliche Lizenz zum Herstellen und zum Vertrieb der streitigen LC-Möbelstücke erteilt, aber keine Rechte übertragen worden; sie sei daher nicht Rechtsnachfolgerin der Urheber. Aus dem Lizenzvertrag ergebe sich entgegen der Annahme der Vorinstanz keine Ermächtigung zugunsten der Klägerin, einen Prozess wegen Urheberrechtverletzungen wie ein Inhaber solcher Rechte im eigenen Namen und im eigenen Interesse zu führen; daran ändere selbst die Erklärung nichts, die Frau Charlotte Perriand der Klägerin für einen Prozess in Deutschland ausgestellt habe. Die Trennung der Sachlegitimation und der Prozessführungsbefugnis sei als Prozessstandschaft auch nach der Lehre nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig (TROLLER, Immaterialgüterrecht II, 3. Aufl. S. 1017); der Lizenznehmer sei bloss im Zweifel befugt, das geschützte Recht im Namen des Lizenzgebers gegen Verletzungen BGE 113 II 190 S. 193 durch Dritte zu verteidigen (BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht II, 2. Aufl. S. 506). Die Klägerin habe sich nicht auf eine Abtretung der Befugnisse berufen und dafür auch keine Beweise vorgelegt, den vorliegenden Prozess aber vollumfänglich im eigenen Namen geführt. a) Parteien und Vorinstanz sind im kantonalen Verfahren übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Streitigkeit nach schweizerischem Recht in Verbindung mit der Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst (RBÜ) gemäss der am 26. Juni 1948 in Brüssel revidierten Fassung (SR 0.231.13) zu beurteilen ist. Der Appellationshof hält dazu insbesondere fest, dass nicht nur die drei Urheber der streitigen Modelle LC 1 bis LC 4, sondern auch die Stiftung Le Corbusier als ihre Rechtsnachfolgerin sich auf diese Rechtsgrundlagen berufen können, weil zwei der Urheber die schweizerische Staatsbürgerschaft besassen ( Art. 4 Abs. 1 RBÜ ) und Frankreich, wo die streitigen Möbel erstmals an der Pariser Herbstausstellung 1929 gezeigt wurden, als Ursprungsland im Sinn der Übereinkunft anzusehen ist ( Art. 4 Abs. 3 RBÜ ). Die Parteien kommen darauf im Berufungsverfahren zu Recht nicht mehr zurück. Dass im Lizenzvertrag der Klägerin mit der Stiftung Le Corbusier, die ihren Sitz in Paris hat, seit 1971 stets französisches Recht vorbehalten worden ist, steht der Anwendung schweizerischen Rechts nicht entgegen; denn es geht nicht um eine Streitigkeit unter den Vertragsparteien, sondern um eine Auseinandersetzung einer Vertragspartei mit einer Drittfirma, die in der Schweiz gehandelt und die Klägerin angeblich hier geschädigt hat. Die Vorinstanz hatte nur eine materielle Voraussetzung für den Zuspruch des Klagebegehrens, nämlich die Aktivlegitimation der Klägerin ( BGE 107 II 85 E. 2a mit Hinweisen), nach dem Lizenzvertrag zu prüfen. b) Gemäss Art. 9 URG ist das Recht des Urhebers übertragbar (Abs. 1); die Übertragung eines im Urheberrecht enthaltenen Rechtes schliesst die Übertragung anderer Teilrechte indes nicht ein, wenn nichts Gegenteiliges vereinbart ist (Abs. 2). Als übertragen haben nach der gesetzlichen Vermutung also nur die in der Vereinbarung genannten Befugnisse zu gelten. Ob der Lizenznehmer im Falle einer Übertragung von blossen Nutzungsrechten insoweit von Gesetzes wegen auch ein selbständiges Klagerecht erlange, ist umstritten. R. MUTTENZER (Der urheberrechtliche Lizenzvertrag, S. 16 und 31) verneint die Frage, weil das ausschliessliche BGE 113 II 190 S. 194 Nutzungsrecht des Lizenznehmers nur auf der vertraglichen Pflicht des Lizenzgebers beruhe, Dritten dieselbe Benutzung nicht zu gestatten und sich ihrer selbst zu enthalten. M. RITSCHER (Der Schutz des Design, Diss. Zürich 1985 S. 113) geht davon aus, dass Teilrechte des umfassenden Herrschaftsrechtes insbesondere durch Rechtsgeschäft auf Dritte übertragen werden können, die damit praktisch eine Stellung erhielten, welche jener des Urhebers sehr ähnlich sei; aus Art. 9 URG ergebe sich, dass es sich dabei um eine eigentliche Übertragung und nicht nur um die Einräumung von Nutzungsrechten handle. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf Art. 381 OR . Im übrigen Immaterialgüterrecht ist die Frage ebenfalls umstritten. BLUM/PEDRAZZINI (a.a.O. S. 505/6) sind der Auffassung, dass der Lizenznehmer von Gesetzes wegen kein eigenes Recht hat, Dritte auf Patentverletzung zu belangen, dass er vom Lizenzgeber aber dazu beauftragt werden kann, sich diesfalls jedoch nicht auf eigenes, sondern auf das Recht des Auftraggebers stützt. Solche Vorbehalte machte das Bundesgericht unter Hinweis auf die Lehre auch im Markenrecht ( BGE 92 II 280 mit Zitaten). Aus ähnlichen Überlegungen ist heute ferner nach TROLLER (a.a.O. S. 1016) die Aktivlegitimation des Lizenznehmers bei Verletzung von Immaterialgüterrechten, die Gegenstand der Lizenz sind, zu verneinen. In seinen Ausführungen zu Art. 9 URG räumt dieser Autor (S. 775/76) indes ein, dass es sich wegen der vielfältigen Interessen und weil die Bestimmung Teilrechte abspalten und übertragen lässt, auch anders verhalten kann. W. OTT hält in seinen Beispielen zum Problem der unbestrittenen Sachlegitimation ebenfalls fest (in SJZ 78/1982, S. 23/24), dass der Lizenznehmer nach der herrschenden, aber bestrittenen Auffassung allein von Gesetzes wegen nicht befugt ist, wegen Verletzung eines Patentes, Musters, Modelles oder einer Marke zu klagen. c) Fragen kann sich im vorliegenden Fall daher bloss, ob die Klägerin durch den Vertrag mit der Stiftung Le Corbusier ausdrücklich zu Prozessen im eigenen Namen ermächtigt worden sei oder ob sich dies wenigstens aus dem Sinn und Zweck einer Bestimmung ergebe ( BGE 108 II 477 E. 1 und BGE 101 II 106 E. 3). Allgemeine Grundlage ist die Vereinbarung mit der Stiftung, dass der Klägerin das ausschliessliche Recht übertragen ist, die von Le Corbusier und seinen beiden Mitarbeitern entworfenen Möbel weltweit herzustellen und zu vertreiben (Ziff. I des Vertrages). Hiezu gehören u.a. die Modelle LC 1 (kleiner Stuhl mit Stahlgestell), BGE 113 II 190 S. 195 LC 2 und LC 3 (Polstersessel und Sofas mit Stahlgestell) und LC 4 (Liegestuhl mit Stahlrahmen). Nach Ziff. VI des Vertrages durfte die Klägerin in der Werbung auf die Garantie der Stiftung und ihre Ausschliesslichkeitsrechte Bezug nehmen. Es wurde ferner bestimmt, dass die Klägerin jede Nachahmung zu verfolgen habe und die Stiftung ihr dabei so gut wie möglich behilflich sein sollte. Diese Bestimmungen waren schon im Vertrag vom 1. Juni 1978 enthalten und stehen auch im geltenden vom 21. November 1982. Sie können nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin nicht bloss verpflichtet wurde, jede Rechtsverletzung zu verfolgen, wie die Beklagte glauben machen will, sondern dass ihr damit auch alle notwendigen Befugnisse übertragen wurden, um sich Nachahmungen durch Dritte erwehren zu können. Die Stiftung behielt sich selber kein Klagerecht gegen Dritte vor; sie versprach vielmehr jede mögliche Unterstützung (toute assistance en son pouvoir), was ebenfalls nur heissen kann, dass die Klägerin ihre Rechte gegenüber Dritten in erster Linie selber zu verteidigen habe. Als Lizenznehmerin konnte die Klägerin somit bezüglich der ihr übertragenen Rechte in die Stellung der Urheber treten, sich folglich insoweit auf ein eigenes Klagerecht berufen. Dass der Lizenzvertrag sich nicht in einfachen Nutzungsrechten ohne urheberrechtliche Abwehrbefugnisse erschöpft, erhellt ferner aus den ausdrücklichen Bestätigungen von Frau Perriand und Frau Jeanneret, auf deren Erklärungen die Vorinstanz ergänzend verweist. I.2. Die Beklagte wirft dem Appellationshof in einer ausführlichen "Analyse der umstrittenen Möbelstücke" ferner vor, mit dem Gutachter zu Unrecht auf deren urheberrechtliche Schutzwürdigkeit geschlossen zu haben. Auch sie gehe davon aus, dass der Nützlichkeitszweck eines Gegenstandes die Schutzfähigkeit nicht ausschliesse; bei Gebrauchsgegenständen wie Möbeln bliebe wegen der Gebundenheit an die Nützlichkeitsfunktion jedoch wenig oder kein Platz für künstlerische Formgebung, wenn die gestalterische Individualität, wie hier, nur in der Kombination von Formen und Linien zur Geltung kommen könne. Der ästhetische Eindruck genüge nicht; es sei vielmehr zu untersuchen, welchen Einfluss die Funktion, das verwendete Material und der Stil der modernen Sachlichkeit auf die Gestaltung ausübten und welcher freie Raum dem Entwerfer noch verblieben sei. Die Schutzwürdigkeit der streitigen Modelle sei zudem unabhängig davon zu beurteilen, wer ihr Urheber sei; der Gutachter und ihm folgend die Vorinstanz BGE 113 II 190 S. 196 hätten die urheberrechtliche Individualität aber schon gestützt auf das Ansehen von Le Corbusier bejaht, ohne die Elemente der Modelle zu analysieren; mit dem Bekanntheitsgrad von Le Corbusier sei es nicht getan. Die Beklagte befasst sich sodann eingehend mit Einzelheiten der streitigen Modelle, insbesondere mit deren Elementen (Traggestell und Polster oder Kissen aus Leder), Proportionen und Flächen, wobei sie wiederholt auf "wichtige Dokumente" verweist, "die weder vom Gerichtsexperten noch vom Gericht gewürdigt worden" seien, im Berufungsverfahren aber noch berücksichtigt werden könnten, weil die Vorinstanz sie zu den Akten genommen habe. Die Übereinstimmung der Formelelemente bei den Sofas und den Polstersesseln beruhe auf der technischen Gestaltung des Gestells. Aus dem Bestreben Le Corbusiers, den Möbelbau auf die absolut notwendigen Elemente zurückzuführen, folge rechtlich, dass für die individuelle Formgebung überhaupt keine Möglichkeit bestehe; denn der ästhetische Effekt, den die Modelle LC 2 und LC 3 hervorriefen, sei zwingend mit deren technischen Elementen verbunden. Auch beim Liegestuhl LC 4 handle es sich um eine Lösung, bei der alle Elemente technisch unabdingbar gegeben seien; die Liegefläche entspreche der Körperform und die ästhetische Linie sei durch die Funktion dringend vorgegeben. a) Unter den Begriff des geschützten Werkes im Sinne von Art. 1 URG fallen konkrete Darstellungen, die nicht bloss Gemeingut enthalten, sondern insgesamt als Ergebnis geistigen Schaffens von individuellem Gepräge oder als Ausdruck einer neuen originellen Idee zu werten sind; Individualität oder Originalität gelten denn auch als Wesensmerkmale des urheberrechtlich geschützten Werkes. Am eindrücklichsten sind diese Schutzvoraussetzungen erfüllt, wenn das Werk den Stempel der Persönlichkeit seines Urhebers trägt, unverkennbar charakteristische Züge aufweist und sich von Darstellungen der gleichen Werksgattung deutlich unterscheidet. Das heisst nicht, an das Mass der geistigen Leistung, an den Grad der Individualität oder Originalität seien stets gleich hohe Anforderungen zu stellen. Das verlangte individuelle Gepräge hängt vielmehr vom Spielraum des Schöpfers ab; wo ihm von vornherein der Sache nach wenig Raum bleibt, wird der urheberrechtliche Schutz schon gewährt, wenn bloss ein geringer Grad selbständiger Tätigkeit vorliegt ( BGE 110 IV 105 , 106 II 73/74, BGE 100 II 172 , BGE 88 IV 126 und BGE 85 II 123 E. 3, je mit weiteren Hinweisen). BGE 113 II 190 S. 197 Das eine wie das andere ist auch bei Werken der angewandten Kunst zu beachten, die vom gesetzlichen Begriff miterfasst werden ( Art. 1 Abs. 2 URG am Ende). Der Gebrauchszweck steht dem Schutz eines Gegenstandes, der individuellen Charakter aufweist, nicht entgegen. Dies gilt gemäss Art. 5 URG und entgegen der Kritik von KUMMER (in Festschrift Troller S. 113 ff. und in ZBJV 117/1981 S. 156 ff.) an der Rechtsprechung des Bundesgerichts selbst für Gebrauchsgegenstände, die als Muster oder Modelle hinterlegt worden sind, aber die besonderen Schutzvoraussetzungen des URG ebenfalls erfüllen. Anders verhält es sich nur, wenn die Form des Gegenstandes durch seinen Gebrauchszweck derart bedingt oder seine Gestaltung durch vorbekannte Formen so eingeschränkt ist, dass für individuelle oder originelle Merkmale praktisch kein Raum bleibt. Trifft dies zu, so liegt ein rein handwerkliches Erzeugnis, selbst wenn es industriell hergestellt ist, und damit Gemeingut vor, das vom Schutz des Urheberrechts auszunehmen ist. Da sich eine gewisse Zurückhaltung rechtfertigt, ist darauf auch im Zweifel zu erkennen ( BGE 105 II 299 E. 3a mit Hinweisen). Für Sitz- und Liegemöbel besteht, wie aus den verschiedenen Stilrichtungen erhellt, eine Vielzahl möglicher Formen, weshalb sich nicht sagen lässt, ihre Gestaltung sei weitgehend oder sogar ausschliesslich durch den Zweck des Möbelstückes vorgegeben; das lässt sich im Ernst selbst von modernen Möbeln nicht behaupten. Eine Einschränkung ergibt sich dagegen aus den vorbestehenden Stilrichtungen, die für sich allein ebensowenig ausreichen, wie der ästhetische Wert oder die Bedeutung eines Werkes ( BGE 106 II 73 und BGE 75 II 360 mit Hinweisen). Dass Möbel den Schutz des URG gleichwohl geniessen können, unterliegt keinem Zweifel, zumal sie ständig weiterentwickelt werden; das ist grundsätzlich bereits in BGE 68 II 55 E. 2 anerkannt worden. Auch diesfalls genügt, dass über eine rein handwerkmässige oder industrielle Arbeit hinaus eine Leistung erbracht wird, die auf einer selbständigen, schöpferischen Tätigkeit beruht, sich als originell erweist und daher als künstlerisch zu werten ist. Das leuchtet namentlich dann ein, wenn ein Möbelstück sich von bisherigen Stilrichtungen klar abhebt und eine neue Richtung einleitet oder wesentlich mitbestimmt. b) Diese Voraussetzungen sind hier nach dem, was über die neuartige Entwicklung in der Architektur und in der Möbelkunst der 20er Jahre in tatsächlicher Hinsicht feststeht, erfüllt. Wie die Vorinstanz BGE 113 II 190 S. 198 zusammen mit dem Gutachter gestützt auf massgebende Quellen festhält, gilt Le Corbusier als einer der namhaftesten Vertreter einer neuen Stilrichtung, die als Funktionalismus bezeichnet wird, weil sie mit der Möblierung von Räumen höchste Funktionalität anstrebt, moderne Konstruktionstechnik in der Anwendung neuer Bauelemente, insbesondere des gebogenen Stahlrohrs, mit ästhetisch und sachlich befriedigenden Formen verbindet. Sachgerechte Verbindungen von Bauteilen sind zwar auch immer zweckmässig, aber nicht leichthin mit technisch- oder zweckbedingten Lösungen gleichzusetzen, weshalb sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht sagen lässt, die Gestaltung der streitigen Möbelstücke sei vom Gebrauchszweck der Gegenstände beherrscht; gleiche Sitzmöglichkeiten können nicht nur künstlerisch, sondern auch technisch auf sehr verschiedene Art gestaltet werden. Der künstlerische Eindruck der streitigen Modelle ist zudem nicht die notwendige oder gar die ausschliessliche Folge eines einzelnen Bauelementes; er wird vielmehr durch die Gestaltung, Linienführung und das Zusammenwirken aller Elemente bestimmt. Richtig ist bloss, dass die erstmalige, aber höchst einfache Verwendung des gebogenen Stahlrohrs dabei eine besondere Rolle spielt. Das ist auch zahlreichen weiteren Einwänden der Beklagten entgegenzuhalten, die in ihrer Berufung durchwegs darauf ausgeht, Einzelheiten der streitigen Modelle gesondert zu betrachten; das erhellt z.B. aus ihrem Vorwurf, "die Analyse der Formen und Linien der umstrittenen Möbel im Zusammenhang mit Funktion, Material und dem funktionalen Stil (Streben nach absoluter Sachlichkeit)" könne nicht, wie die Vorinstanz annehme, mit den Hinweisen ersetzt werden, dass Le Corbusier schöpferische Leistungen erbracht habe und seine Modelle in die Fachliteratur aufgenommen worden seien. Entscheidend ist der Eindruck, der durch die streitigen Modelle als Ganzes erweckt wird und ihre äussere Gestaltung charakterisiert, aber weder durch den Gebrauch noch durch die Herstellung der Möbel zwingend vorgegeben ist. Die Beklagte hatte keinen Anlass, die Konstruktion der Modelle, namentlich die Gestaltung der Traggestelle, aus technischen oder funktionellen Überlegungen bis ins einzelne nachzubilden (vgl. BGE 108 II 75 /76 und BGE 83 II 479 E. 2b). Davon kann umso weniger die Rede sein, als gerade den von der Beklagten eingereichten Katalogen zu entnehmen ist, dass auch sogenannte Stahlmöbel, wie die vom Gutachter angestellten Vergleiche zeigen, eine Vielfalt von Formen aufweisen können. BGE 113 II 190 S. 199 c) Daran scheitern auch die Vorbringen, mit denen die Beklagte die urheberrechtlich relevante Individualität der einzelnen Modelle zu bestreiten oder anzuzweifeln sucht, weil die Vorinstanz die Schutzwürdigkeit "ohne Analyse der Elemente" bejaht habe. Soweit sie sich dabei in tatsächlicher Hinsicht auf Dokumente beruft, die weder vom Gutachter noch vom Appellationshof bei Vergleichen der streitigen Möbelstücke mit anderen Modellen, Vorbildern oder Vorläufern berücksichtigt worden sind, erweisen sich ihre Ausführungen als blosse Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz und sind daher nicht zu hören. Das gilt insbesondere von ihren Einwänden, die den Polstersesseln LC 2 und LC 3 zugrunde liegende Idee einer kubischen Sitzform sei längst bekannt gewesen und die Idee des Traggestells in allen Varianten schon 1928 von den Vertretern des funktionalen Stils allgemein verwendet worden; für das Modell LC 3 und die Sofas fehle zudem der Beweis, dass Le Corbusier oder seine Mitarbeiter sie geschaffen hätten. Dies war im kantonalen Verfahren übrigens unbestritten; Gutachter und Vorinstanz liessen bloss offen, ob Le Corbusier und seine beiden Mitarbeiter "mit letzter Sicherheit" auch als Urheber der Sofas bezeichnet werden könnten. Gutachter und Vorinstanz hielten diese Frage aber zu Recht nicht für entscheidend, weil die beiden Sofas jedenfalls als Wiedergabe oder blosse Bearbeitung der Polstersessel im Sinne von Art. 13 Abs. 1 URG anzusehen sind, von denen sie sich nur durch die Zahl der Sitzplätze unterscheiden; das Grundmodell mit seinen charakteristischen Zügen ist auch in den Sofas deutlich wiederzuerkennen und ergibt hier wie dort den gleichen individuellen Gesamteindruck. Dass die Übereinstimmung der Formelemente bei den Sofas und bei den Sesseln auf die (gleiche) technische Gestaltung des Gestells zurückzuführen ist, anerkennt übrigens auch die Beklagte. Als Bezug von Kissen und Polster werden nach der Feststellung des Gutachters bei den nachgemachten Modellen teils auch Leder und Stoffe anderer Farben verwendet, die den massgebenden Gesamteindruck jedoch kaum beeinflussen. Für den Gutachter sind selbst kleine Unterschiede, z.B. in der Art des Stahlrohrs oder bei der oberen Aufhängung des Liegeteils am Gestell des Liegestuhls, nur bei genauerem Zusehen erkennbar. Der individuelle Charakter, der sich aus dem Gesamteindruck ergibt, fällt übrigens, wie der Gutachter mit Recht bemerkt, beim Liegestuhl LC 4 besonders auf. Für die Behauptung der Beklagten, dass er eine "klare technisch funktionale Weiterentwicklung des Modells BGE 113 II 190 S. 200 Thonet 1904" sei, ist weder dem Gutachten noch dem angefochtenen Urteil etwas zu entnehmen, und was den Versuch angeht, alle Elemente des Modells LC 4 als anatomisch oder technisch unabdingbar auszugeben, ist auf bereits Gesagtes zu verweisen. Die Schutzwürdigkeit der streitigen Möbelstücke unbekümmert um die persönlichen Feststellungen des Gutachters, dem die Vorinstanz nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt ist, weiterhin bestreiten zu wollen, steht der Beklagten umso weniger an, als sie ihre Erzeugnisse ausdrücklich als Kopien der Le Corbusier-Werke bezeichnet und dafür in ihrer Werbung während einiger Zeit sogar Abbildungen aus den Prospekten der Klägerin verwendet hat. Das eine wie das andere kann genau besehen nur dahin verstanden werden, dass die streitigen Modelle von Le Corbusier selbst nach Auffassung der Beklagten den individuellen Charakter während Jahrzehnten bewahrt haben, noch immer in moderne Räume passen und als "modern" angesehen werden. An der zeitlosen Gültigkeit eines Kunstwerkes kann man aber nicht nur seine Qualität, sondern seine Individualität und damit auch seine Schutzwürdigkeit am besten ermessen. II. II.1. Die Klägerin beharrt in ihrer Berufung darauf, dass auch der Stuhl LC 1 urheberrechtlich schützbar, in seiner Nachahmung durch die Beklagte jedenfalls unlauterer Wettbewerb im Sinn von Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG zu erblicken und daher in das von ihr verlangte Verbot aufzunehmen sei. a) Der gerichtliche Gutachter, dessen Fachkenntnis von der Klägerin ausdrücklich anerkannt wird, hat am 5. Dezember 1984 alle streitigen Modelle der Klägerin und die entsprechenden Möbelstücke der Beklagten besichtigt und dabei festgestellt, dass diese mit den zum Gegenstand des Prozesses gemachten übereinstimmen. Gestützt auf die von ihm zitierten Quellen hat der Gutachter sodann nach allfälligen "Vorläufern" gesucht, welche die urheberrechtlich relevante Individualität der streitigen Modelle in Frage stellen könnten. Bezüglich des Modells LC 1 gelangte er zum Schluss, dass dazu Vorbilder mit einer gewissen Ähnlichkeit bestanden, nämlich der sogenannte Wassily-Stuhl von Breuer und der Colonial Chair, welche die von Le Corbusier geschaffene Form als nicht mehr ausreichend originell im Sinn der Praxis erscheinen liessen. BGE 113 II 190 S. 201 Der Vorinstanz ist nicht entgangen, dass der Gutachter bei diesem Schluss gezögert hat; sie hielt seine Bedenken vielmehr aus eigener Überzeugung für begründet, weil sie ebenfalls fand, dass es sich beim Modell LC 1 zwar nicht um eine gewöhnliche Möbelkonstruktion handle, ihm die unerlässiche Individualität nach ähnlichen Vorgängern aber doch abzusprechen sei. Gewiss durfte die Vorinstanz das Gutachten in tatsächlicher Hinsicht frei würdigen und war es nicht Sache des Gutachters, Rechtsfragen abschliessend zu beurteilen ( BGE 111 II 75 unten). Sie hatte aber offenbar keinen Anlass, sich über die Bedenken des Gutachters hinwegzusetzen, weshalb sie ohne Verletzung von Bundesrecht nach der in BGE 105 II 300 aufgestellten Regel im Zweifel auf ein industrielles Erzeugnis schliessen durfte. Dass die Vorinstanz, die wie der Gutachter von der hievor unter E. I/2a angeführten Praxis ausgegangen ist, Rechtsbegriffe oder Schutzvoraussetzungen verkannt habe, macht die Klägerin nicht geltend; sie will vielmehr Einzelheiten des Modells LC 1 in den Vergleichen mit Vorgängern anders gewürdigt wissen als das gerichtliche Gutachten, verfällt dabei aber teils in blosse Kritik an der Beweiswürdigung, teils in die gleiche verfehlte Betrachtungsweise wie die Beklagte, weil sie ebenfalls kleinere Unterschiede, die "schon das zweite Hinsehen" erkennen lasse, statt den Gesamteindruck für massgebend hält. Das angefochtene Urteil ist daher insoweit nicht zu beanstanden. b) Nicht beizupflichten ist der Vorinstanz dagegen in der Annahme, dass die Nachmachung des Modells LC 1 durch die Beklagte auch vom Wettbewerbsrecht nicht erfasst werde. Die Klägerin hat sich dazu im kantonalen Verfahren zwar nur dürftig geäussert, und vor Bundesgericht beruft sie sich einzig auf Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG , weil die Beklagte einen Stuhl vertreibe, der die Form und Ausgestaltung des Modells LC 1 aufweise, und damit eine gegen Treu und Glauben verstossende Verwechslungsgefahr herbeiführe. Dass nicht nur die Kopie des Modells LC 1, sondern sämtliche streitigen Modelle, die von der Beklagten vertrieben werden, als Nachmachungen oder Nachahmungen anzusehen sind, erhellt indes schon aus dem Gutachten und ist übrigens unbestritten, da die Beklagte ihre Erzeugnisse ausdrücklich als Kopien der Le Corbusier-Werke bezeichnet und während einiger Zeit sogar unter dieser Bezeichnung dafür geworben hat. Wie in BGE 104 II 334 gestützt auf die in Art. 1 Abs. 1 UWG enthaltene Generalklausel ausgeführt wurde, ist die systematische BGE 113 II 190 S. 202 Häufung raffinierter Nachahmungen "bis an die Grenze des Unzulässigen" mit Treu und Glauben ebensowenig zu vereinbaren, wie eine einmalige genaue Nachahmung, wenn sie wie diese darauf angelegt ist, den guten Ruf des Konkurrenzerzeugnisses in schmarotzerischer Weise auszubeuten. Das wurde seither für systematisches Heranschleichen an fremde Ausstattungen wiederholt bestätigt ( BGE 108 II 74 /75 und 332, BGE 105 II 302 Nr. 49). Im Grundsatzentscheid, in dem es um BATA-Stiefel ging, wurden die gegebenen Ähnlichkeiten mit nicht geschützten Modellen dafür zwar als ungenügend erachtet. Vorliegend handelt es sich aber unstreitig um sklavische Nachbildungen ganzer Serien, wobei für die Modelle LC 2 bis LC 4 sogar Widerrechtlichkeit nach URG gegeben ist. Es ist offensichtlich, dass Nachahmer durch die anhaltende Nachfrage nach Le Corbusier-Modellen bewogen werden, die äussere Gestaltung der Modelle in allen Einzelheiten zu übernehmen, um von ihrem Ruf ebenfalls profitieren zu können. Das deckt sich mit dem Vorhalt der Beklagten, dass es der Stiftung Le Corbusier bisher nicht gelungen sei, Plagiate zu verhindern. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, das Vorgehen der Beklagten als Verstoss gegen Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d UWG zu bezeichnen, und zwar auch mit Bezug auf das Modell LC 1, für das urheberrechtlich kein Schutz besteht. Das der Beklagten auferlegte Verbot ist daher mit der Nummer dieses Modells zu ergänzen. II.2. Die Ergänzung hat auch eine Erhöhung des Schadenersatzes zur Folge. Der Appellationshof schätzte den Gewinn, welcher der Klägerin durch die widerrechtlichen Möbelverkäufe der Beklagten entgangen ist, auf Fr. 38'425.--. Um das Verfahren nicht zu belasten, hat die Klägerin sich mit dieser Schätzung abgefunden; sie ergibt im Verhältnis des Umsatzes, der auf das Modell LC 1 entfällt, eine Erhöhung um Fr. 5'200.--. Die Beklagte wendet dagegen an sich nichts ein; sie hält die Schadensberechnungen vielmehr für gegenstandslos, weil die Klägerin weder mit der urheberrechtlichen noch wettbewerbsrechtlichen Begründung Erfolg haben könne. Ist aber davon auszugehen, dass Schätzung und Umrechnung unbestritten sind, so ist dem Antrag der Klägerin auf Erhöhung des Schadenersatzes um Fr. 5'200.-- zu entsprechen.
de
bc6f2682-ec43-4834-ae84-99b7648b00ce
Sachverhalt ab Seite 294 BGE 101 II 293 S. 294 A.- Der Inhaber der Togal-Werke, Gerhard F. Schmidt, gründete in den dreissiger Jahren in München, Lugano, Wien und Zürich je eine Gesellschaft, die teils pharmazeutische, kosmetische und diätetische Erzeugnisse herstellen und vertreiben, teils bloss damit handeln. Die Togal AG Zürich gehört zu den letzteren. Sie ist gemäss ihrem Zweck "auf pharmazeutischem Gebiet im allgemeinen und für das Togal im speziellen" tätig. Am 26. März 1936 liess sie im Einvernehmen mit Schmidt die Wortmarke EFASIT in das schweizerische Register eintragen. Die Marke wurde am 21. März 1956 unter Nr. 160 198 erneuert. Sie ist insbesondere für Arzneimittel, diätetische Nährmittel, Parfümerien und kosmetische Mittel bestimmt und auch im internationalen Register auf den Namen der Togal AG Zürich eingetragen. EFASIT steht ferner seit 3. April 1957 als Wortmarke für weitgehend gleiche Waren in der Zeichenrolle des Deutschen Patentamtes und seit 1. September 1960 als Marke Nr. 235 219 zugunsten der Togal-Werk Gerhard F. Schmidt AG, München (abgekürzt Togal AG München), im internationalen Register. Die unter der Marke EFASIT verkauften Waren wurden bis April 1952 vom Togal-Werk München hergestellt und von diesem namentlich in den dreissiger Jahren in Deutschland BGE 101 II 293 S. 295 mit grosser Werbung abgesetzt. Den Verkauf im Ausland wollte Schmidt dagegen von der Schweiz aus aufbauen. Er bestätigte 1938/39 die Togal AG Zürich als Inhaberin der Marke EFASIT und erklärte sie für Auslandgeschäfte zuständig. Seit Mai 1952 werden EFASIT-Präparate auch vom Togal-Werk Wien hergestellt. Im September 1953 kamen die von Schmidt gegründeten Gesellschaften unter dessen persönlicher Beteiligung überein, ihre freundschaftliche Zusammenarbeit "in Wortmarken-, Fabrikations-, Reklame- und allgemeinen Geschäftsangelegenheiten" in einem Vertrag festzuhalten. Dieser wurde auf "unbegrenzte Dauer" abgeschlossen und sollte auch für die Rechtsnachfolger der Vertragsparteien gelten. Durch Lizenzvertrag vom 31. Dezember 1954 räumte die Togal AG Zürich dem Togal-Werk Wien das Recht ein, EFASIT-Präparate in Österreich allein herzustellen und zu vertreiben und die Wortmarke dort allein zu benützen. Die Togal AG München war damit einverstanden. Nach dem Tode Schmidts im Oktober 1956 wurde das Aktienkapital der Gesellschaften von seinen beiden Söhnen übernommen. B.- Von 1969 an vertrieb die Togal AG München in der Schweiz ein Fusspflegesortiment, für das sie auch hier die Marke EFASIT benutzte. Da die Togal AG Zürich dies für unzulässig hielt und die Parteien sich nicht einigen konnten, kündigte die Togal AG München am 1. April 1971 den Freundschaftsvertrag von 1953. Am 22. April klagte sie zudem gegen die Togal AG Zürich auf Feststellung, dass die Schweizer-Marke Nr. 160 198 EFASIT wegen Nichtgebrauchs nichtig sei. Die Togal AG Zürich widersetzte sich diesem Begehren und verlangte widerklageweise: 1. der IR-Marke Nr. 235 219 EFASIT den Schutz in der Schweiz zu verweigern; 2. der Klägerin deren weitere Verwendung durch Einfuhr und Vertrieb von EFASIT-Fusspflegemitteln in der Schweiz unter Strafe zu verbieten; 3. die Klägerin zum Ersatz des Schadens zu verurteilen, welcher der Beklagten aus der widerrechtlichen Benutzung der Marke entstanden sei. Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 8. Mai 1974 ab und hiess die beiden ersten Rechtsbegehren der Widerklage mit der Begründung gut, die Beklagte sei nach BGE 101 II 293 S. 296 dem Willen Schmidts schon seit den dreissiger Jahren allein Inhaberin der national und international registrierten Wortmarke EFASIT gewesen; sie habe deshalb die Marke nicht nur dem Werk Wien, sondern auch der Klägerin zum Gebrauch überlassen können. Dieser Rechtszustand sei im Freundschaftsvertrag von 1953 bestätigt worden, der Gebrauch der Marke durch die Klägerin folglich der Beklagten anzurechnen. Die Klägerin führte gegen dieses Urteil kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 18. November 1974 abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war. C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Handelsgerichtes auch Berufung eingelegt. Sie beantragt, die Klage gutzuheissen und die Widerklage abzuweisen. Die Beklagte hat ihren Sitz inzwischen nach Massagno (Tessin) verlegt. Sie beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Das Recht an einer Marke und deren Schutz hangen in der Regel davon ab, dass der Berechtigte sie bestimmungsgemäss gebraucht. Als solcher Gebrauch kommt nach schweizerischer Anschauung nur die Verwendung der Marke auf der Ware selbst oder deren Verpackung in Frage. Der prioritätsbegründende Gebrauch beginnt zudem nicht schon mit dem Anbringen der Marke auf der Ware, sondern erst mit deren Erscheinen auf dem schweizerischen Markt. Dieses Erfordernis ist nicht erfüllt, wenn die Ware ausschliesslich für den Export bestimmt ist ( BGE 100 II 233 /4 mit Zitaten). Macht der Inhaber der Marke von ihr während drei aufeinanderfolgenden Jahren keinen Gebrauch und vermag er dies nicht zu rechtfertigen, so kann der Richter gemäss Art. 9 Abs. 1 MSchG auf Begehren einer interessierten Partei ihre Löschung anordnen. Die Klägerin stellt sinngemäss ein solches Begehren. Nach dem angefochtenen Urteil hat die Beklagte nicht bewiesen, die Marke EFASIT selber gebraucht zu haben. Sie hat sich mit dieser Feststellung abgefunden und hält dem Klagebegehren in der Berufungsantwort nur noch entgegen, die Klägerin habe die Marke seit 1937 an ihrer Stelle in Deutschland BGE 101 II 293 S. 297 gebraucht; dieser stellvertretende Gebrauch durch eine deutsche Gesellschaft in Deutschland sei gemäss Art. 5 Abs. 1 des deutsch-schweizerischen Übereinkommens von 1892 einem Gebrauch in der Schweiz gleichzusetzen, folglich nach Art. 9 Abs. 1 MSchG der Beklagten als rechtserhaltend anzurechnen. Gemäss Art. 5 Abs. 1 des Übereinkommens zwischen der Schweiz und Deutschland betreffend den gegenseitigen Patent-, Muster- und Markenschutz vom 13. April 1892 (BS 11 S. 1057; vgl. BBl 1950 III 468) sollen Rechtsnachteile, die nach den Gesetzen der Vertragsstaaten eintreten, wenn insbesondere eine Handels- oder Fabrikmarke nicht innerhalb einer bestimmten Frist verwendet wird, auch dadurch ausgeschlossen werden, dass die Marke im Gebiet des anderen Staates gebraucht wird. Der Gebrauch der Marke im einen Staate gilt somit auch als Gebrauch im anderen ( BGE 96 II 254 /5, BGE 100 II 232 ). Mit der Berufung wird geltend gemacht, das Abkommen erlaube zwar Deutschen und Schweizern, der Gebrauchspflicht im andern Land durch Gebrauch im eigenen Land zu genügen, entbinde aber einen schweizerischen Markeninhaber nicht von der Gebrauchspflicht in der Schweiz. Wie es sich mit dieser im Schrifttum von H. DAVID (GRUR Int. 1972 S. 269 ff.) verfochtenen Auslegung des Abkommens verhält, kann jedoch offen bleiben. Die Beklagte kann sich jedenfalls dann auf das Abkommen berufen, wenn mit dem Handelsgericht anzunehmen ist, die Klägerin habe die Marke an ihrer Stelle in Deutschland gebraucht. Sie erblickt den stellvertretenden Gebrauch wie die Vorinstanz darin, dass sie die Klägerin gestützt auf ein Lizenzverhältnis die Marke während Jahrzehnten in Deutschland verwenden liess. Fragen kann sich somit nur, ob zwischen den Parteien jedenfalls bis zur Kündigung des Freundschaftsvertrages am 1. April 1971 ein solches Rechtsverhältnis bestanden hat. 2. Nach der Rechtsprechung gilt der Markengebrauch durch den Lizenznehmer als Gebrauch durch den Lizenzgeber, wenn die Vertragsparteien wirtschaftlich eng verbunden sind und die Benützung der Marke durch den Lizenznehmer weder das Publikum täuschen kann noch sonstwie das öffentliche Interesse verletzt ( BGE 58 II 180 , BGE 61 II 62 , BGE 72 II 426 , BGE 79 II 221 , BGE 83 II 330 , BGE 92 II 280 ). Das nimmt auch das Handelsgericht an, und die Klägerin wendet gegen diese Rechtsprechung BGE 101 II 293 S. 298 nichts ein. Sie bestreitet dagegen, dass ein Lizenzverhältnis vorliege. a) Das Handelsgericht hat auf diese Frage ohne Begründung schweizerisches Recht angewendet, während die Parteien darüber nichts vereinbart haben. Mangels einer von den Vertragsschliessenden getroffenen Rechtswahl ist auf Schuldverträge das Recht jenes Staates anzuwenden, mit dem das Rechtsverhältnis räumlich am engsten zusammenhängt. Den engsten Zusammenhang schafft die für das Verhältnis charakteristische Leistung ( BGE 94 II 360 , BGE 96 II 89 , BGE 99 II 318 ). Das ist beim Lizenzvertrag die Leistung des Lizenzgebers ( BGE 94 II 362 ; SCHNITZER, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. II S. 597). Da dieser im vorliegenden Fall seinen Sitz in der Schweiz hat, untersteht daher das streitige Lizenzverhältnis samt der Frage, ob deswegen ein stellvertretender Markengebrauch anzunehmen ist, dem schweizerischen Recht. Die Parteien versuchen dies nicht zu widerlegen. b) Nach dem angefochtenen Urteil war Schmidt, der die vier Gesellschaften gründete und beherrschte, zeit seines Lebens Alleininhaber der Togal-Unternehmen. Er liess die Marke EFASIT schon 1936 zugunsten der Beklagten registrieren und übertrug dieser in der Absicht, das Auslandgeschäft von der Schweiz aus aufzubauen, alle dafür nötigen Fabrikations- und Markenrechte. Das Handelsgericht stellt ferner fest, aus dem eigenen Verhalten der Klägerin folge, dass sie die Beklagte nicht bloss vor, sondern auch nach dem zweiten Weltkrieg als einzige Inhaberin der national und international registrierten Marke betrachtet habe. Diese Feststellungen betreffen tatsächliche Verhältnisse und binden das Bundesgericht, denn die Klägerin macht nicht geltend, sie seien in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen; was die Klägerin dagegen vorbringt, ist unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung oder am kantonalen Verfahren und daher gemäss Art. 55 lit. c OG nicht zu hören. Das gilt insbesondere von der Rüge, das Handelsgericht habe den Auszug über die Hinterlegung der Wort/Bild-Marke Nr. 521 375 ausser acht gelassen. Die Vorinstanz hat den Registerauszug nicht übersehen, sondern als unerheblich bezeichnet, weil für diese Marke weder ein fortbestehender Eintrag noch ein Gebrauch nachgewiesen sei. Die Feststellungen des Handelsgerichtes können nur dahin BGE 101 II 293 S. 299 verstanden werden, dass die Beklagte nach der eigenen Auffassung der Klägerin nicht bloss die erste Hinterlegerin der streitigen EFASIT-Marke, sondern bis 1953 auch die wahre Berechtigte im Sinne von Art. 5 MSchG war. Da im Freundschaftsvertrag von 1953 nach der Meinung der Beteiligten ihre bisherige freundschaftliche Zusammenarbeit unter anderem in Markensachen niedergelegt werden sollte, schloss das Handelsgericht zu Recht, mit dem Vertrag sei die bestehende Rechtslage bestätigt und verdeutlicht worden, die Beklagte folglich Allein-Inhaberin der Marke geblieben. Dass der Vertrag die Partner verpflichtete, ihre Warenzeichen- und sonstigen Schutzrechte auf Verlangen einander zur Benützung zu überlassen, steht dem Schluss der Vorinstanz nicht entgegen, macht ihn weder zu einem Versehen noch zu einem "blanken Irrtum". Das Handelsgericht weist mit Recht darauf hin, dass die Beklagte Ende 1954 mit dem Togal-Werk Wien einen Lizenzvertrag abgeschlossen und die Klägerin dem zugestimmt hat. Dieser Vertrag über die Herstellung und den Vertrieb von EFASIT-Präparaten in Österreich sowie über die dortige Benützung der Marke setzte ebenfalls voraus, dass die Beklagte auch nach dem Abschluss des Freundschaftsvertrages Inhaberin der streitigen EFASIT-Marke blieb. c) Durch den Lizenzvertrag verpflichtet sich der Markeninhaber, den Gebrauch der Marke durch den Lizenznehmer zu dulden ( BGE 92 II 280 Nr. 41 mit Zitaten). Der Lizenzvertrag kann wie jeder andere nicht formbedürftige Vertrag nicht nur durch ausdrückliche Willensäusserungen der Parteien, sondern auch stillschweigend durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden ( Art. 1 OR ). Ein solches Verhalten ist hier für die Zeit bis September 1953 darin zu erblicken, dass nach dem Willen Schmidts die Beklagte Inhaberin der EFASIT-Marke war und die Klägerin Waren unter dieser Marke vertrieb. Als der Freundschaftsvertrag geschlossen wurde, änderte sich an dieser Markenlizenz nichts, da die Parteien ihre bisherige Zusammenarbeit im Vertrag festhielten; neu war bloss, dass jeder Partner sich ausdrücklich verpflichtete, seine Marken den anderen auf Verlangen zum Gebrauch zu überlassen. Das zwischen den Prozessparteien bestehende Lizenzverhältnis wurde somit aufrechterhalten und im Jahre 1954 durch einen Lizenzvertrag mit dem Togal-Werk Wien ergänzt. Bei dieser Rechtslage kann der Vorinstanz weder eine BGE 101 II 293 S. 300 Verletzung von Art. 1 OR noch ein Verstoss gegen Art. 8 ZGB vorgeworfen werden. Ob das Handelsgericht nach dem ganzen Verhalten der Beteiligten annehmen durfte, ein stillschweigend geschlossener Lizenzvertrag habe schon seit den dreissiger Jahren bestanden, ist übrigens nicht eine Frage der Beweislast, sondern der Rechtsanwendung. Es ist unbestritten, dass zwischen den vier Gesellschaften zu Lebzeiten Schmidts enge wirtschaftliche Beziehungen im Sinne von Art. 6bis MSchG bestanden haben. Dass die Beklagte sich bis 1973 zu 49% am Aktienkapital der Klägerin beteiligte, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen; diese Behauptung der Beklagten ist vom Handelsgericht vielmehr aus prozessualen Gründen zurückgewiesen worden, folglich auch im Berufungsverfahren nicht zu hören. Es muss daher auch offen bleiben, ob die Beklagte die Klägerin deswegen wie eine Verwaltungsholding beherrscht habe (vgl. BGE 75 I 352 Erw. b, 100 II 165 Erw. a). Für die Zeit nach dem Tode Schmidts durfte die Vorinstanz eine enge wirtschaftliche Bindung zwischen den Parteien dagegen schon gestützt auf den Freundschaftsvertrag bejahen, da die vier Gesellschaften sich darin verpflichteten, ihre Marken und Rezepte einander zum Gebrauch zu überlassen sowie ihre Fabrikationsverfahren untereinander auszutauschen. Die wirtschaftlich enge Verbundenheit setzt übrigens nicht voraus, dass eine der beteiligten Gesellschaften die andern beherrsche. Nach der Rechtsprechung liegt sie z.B. schon dann vor und ist eine Täuschung des Publikums und eine Verletzung anderer öffentlicher Interessen ausgeschlossen, wenn der Lizenznehmer der Ware die wesentlichen Eigenschaften nach Rezepten des Lizenzgebers verleiht, also Gewähr dafür besteht, dass nicht unter der gleichen Marke verschiedene Qualitäten angeboten werden ( BGE 61 II 62 , BGE 72 II 426 , 75 I 347, BGE 79 II 221 ). Dass diese Voraussetzung hier zu Lebzeiten Schmidts zutraf, ist wiederum unbestritten. Für die Zeit nach seinem Tode sieht die Vorinstanz die Gewähr für Waren gleicher Qualität darin, dass die Beklagte nach dem Freundschaftsvertrag jederzeit die Möglichkeit und das Recht hatte, die Waren zu kontrollieren. Diese Auslegung des Vertrages ist entgegen den Einwänden der Klägerin nicht zu beanstanden. Die gegenseitige Verpflichtung zu enger Zusammenarbeit im Sinne des Vertrages kann nach Treu und Glauben nur dahin BGE 101 II 293 S. 301 verstanden werden, dass unter der gleichen Marke bloss Präparate gleicher Qualität vertrieben werden sollten. Ob die Klägerin den Freundschaftsvertrag am 1. April 1971 gültig gekündigt hat, kann mit dem Handelsgericht offen gelassen werden. Der Kündigung kommt nach Art. 9 Abs. 1 MSchG so oder anders keine Bedeutung zu, da das Lizenzverhältnis und damit auch der stellvertretende Gebrauch der Marke durch die Klägerin jedenfalls bis ins Jahr 1971 dauerte. Bis dahin konnte das Markenrecht der Beklagten nicht untergehen, und seitdem könnte sich diese wegen des Prozesses auf Art. 9 MSchG berufen, um einen allfälligen Nichtgebrauch von mehr als drei Jahren zu rechtfertigen. Unter diesen Umständen kommt auch nichts darauf an, wie es sich bei einem allfälligen Ablauf des Lizenzverhältnisses mit der Qualität von EFASIT-Präparaten verhält, welche nun angeblich von der Beklagten direkt vertrieben werden, aber nach Rezepten von 1938 hergestellt sind. Es braucht auch nicht entschieden zu werden, welcher Partei die streitige Marke nach Ablauf des Lizenzverhältnisses oder nach Auflösung der wirtschaftlichen Bindung ausschliesslich zukommt. d) Die Klägerin wendet ein, sie habe stets ihre eigene Marke verwendet, weshalb weder von einer Überlassung noch von einem stellvertretenden Gebrauch die Rede sein könne. Dieser Einwand hilft der Klägerin schon deshalb nicht, weil er sich nach ihren eigenen Angaben auf die aus Wort und Bild bestehende EFASIT-Marke 521 375 bezieht, von der nach dem angefochtenen Urteil nicht feststeht, ob sie in der deutschen Zeichenrolle noch eingetragen ist oder ob und wann die Klägerin sie in Deutschland und in der Schweiz gebraucht hat. Da die Klägerin die reine Wortmarke EFASIT während Jahrzehnten in Lizenz verwendet hat, kommt auch nichts darauf an, dass sie die gleiche Marke 1957 in Deutschland und 1960 im internationalen Register auf ihren Namen eintragen liess. Diese Einträge waren übrigens entgegen der Annahme der Vorinstanz mit dem Freundschaftsvertrag von 1953 durchaus vereinbar, da sie auf einem fiduziarischen Rechtsverhältnis beruhten und selbst nach der früheren Zusammenarbeit der Parteien keine andere Bedeutung haben konnten (vgl. BGE 92 II 280 ; nicht veröffentlichtes Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Oktober 1959 i.S. Ginsbo Watch gegen Saatdji Erw. 3 a). BGE 101 II 293 S. 302 3. Kann das Markenrecht der Beklagten somit nicht gemäss Art. 9 MSchG als untergegangen erachtet werden, so hat die Vorinstanz die Hauptklage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin behauptet nicht mehr, die Beklagte habe ihr Markenrecht auch gemäss Art. 2 ZGB verwirkt. Gegen die Begründung, mit der das Handelsgericht die beiden ersten Widerklagebegehren gutgeheissen hat, bringt die Klägerin im Berufungsverfahren nichts mehr vor. Das Bundesgericht hat daher keinen Anlass, das angefochtene Urteil in dieser Beziehung zu überprüfen, zumal die Gutheissung der Widerklagebegehren sich weitgehend schon aus der Abweisung der Klage ergibt.
de
13836af0-334d-47ea-9c41-84ceddb0f7fd
Sachverhalt ab Seite 329 BGE 115 Ia 329 S. 329 A.- Die Ehefrau des Steuerpflichtigen X. ist Eigentümerin der Liegenschaft Y. in Z./ZH. Diese Liegenschaft, ein angebautes BGE 115 Ia 329 S. 330 Einfamilienhaus, ist an den verheirateten Sohn der Ehegatten X. zu einem monatlichen Mietzins von Fr. 700.-- oder zu Fr. 8'400.-- pro Jahr vermietet. B.- In der Steuererklärung für die Veranlagung der kantonalen Steuern 1985 deklarierte X. aus der genannten Liegenschaft einen Netto-Ertrag von Fr. 6'720.-- (tatsächliche Mietzinseinnahmen von Fr. 8'400.-- abzüglich Fr. 1'680.-- pauschale Unterhaltskosten von 20%). Im Veranlagungsverfahren wurde dieser Netto-Ertrag amtlicherseits auf Fr. 10'856.-- festgesetzt; dies mit der Begründung, als Einkommen sei statt der effektiv vereinnahmten Mietzinsen der höhere Mietwert der Liegenschaft von Fr. 13'570.-- (abzüglich 20% pauschale Unterhaltskosten) einzustellen. Die Steuerkommission Z. hiess eine Einsprache von X. gut. Einen gegen diesen Entscheid vom Kantonalen Steueramt erhobenen Rekurs hiess die Steuer-Rekurskommission des Kantons Zürich gut; sie stellte damit die im Veranlagungsverfahren getroffene Taxation wieder her. C.- Mit Entscheid vom 6. Dezember 1988 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich eine Beschwerde von X. ab. Es bestätigte die Auffassung, dass die Differenz zwischen dem tatsächlich bezahlten Mietzins und dem höheren Mietwert als Schenkung an den Sohn zu qualifizieren sei; den entsprechenden Betrag habe X. als Einkommen zu versteuern. D.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt X. fristgerecht, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben. Das Reineinkommen sei auf Fr. ... festzusetzen, indem für das vermietete Einfamilienhaus nur der wirklich erzielte Mietzins von Fr. 8'400.-- pro Jahr und nicht ein höherer, als erzielbar erachteter Mietwert als Einkommen besteuert werden dürfe. Die Finanzdirektion des Kantons Zürich und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragen in ihren Vernehmlassungen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus Erwägungen folgenden Erwägungen: 2. a) Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ist - in Anwendung von § 19 lit. c, § 20 Abs. 1 und § 24 lit. a des zürcherischen Steuergesetzes - davon ausgegangen, der Beschwerdeführer BGE 115 Ia 329 S. 331 (bzw. seine Ehefrau) habe dem Sohn jenen Betrag geschenkt, um den der unter Eltern und gemeinsamen Nachkommen als üblich anzunehmende jährliche Mietzins (Mietwert von Fr. 13'570.--) den vereinbarten Mietzins (Fr. 8'400.--) übersteige. Das Gericht kam zum Schluss, dass beim Beschwerdeführer im Umfange der Differenz (Fr. 5'170.--) ein für die Einkommenssteuer beachtlicher Wertzufluss gegeben sei. b) Der Beschwerdeführer rügt diese Betrachtungsweise als willkürlich, indem er sich insbesondere auf BGE 71 I 129 beruft. Im betreffenden Fall - zur Beurteilung stand die Vermietung eines Einfamilienhauses an einen Verwandten zu einem Vorzugspreis - hat das Bundesgericht, wenn auch im Blick auf Art. 21 Abs. 1 lit. b WStB (nunmehr BdBSt), als unzulässig erklärt, der Veranlagung anstelle des tatsächlich erzielten Mietzinses ein erzielbares oder durchschnittliches Einkommen (Mietwert) zugrunde zu legen. Dies müsse solange gelten, als bei der Mietzinsfestsetzung nicht Motive der Steuerumgehung entscheidend gewesen seien, ferner Indizien dafür fehlten, wonach die Überlassung zu den dem Sach- oder Wohnwert nicht entsprechenden Bedingungen das Entgelt für andere Gegenleistungen des Sachbenützers sei. Der geschätzte Wohnwert gebe zwar wohl die Grundlage für die Einkommensbesteuerung bei Eigengebrauch ab. Es sei jedoch nicht angängig, diese Regel auch im Falle der Vermietung oder Verpachtung anzuwenden. Bei der Vermietung an einen Familienangehörigen sei das Abstellen auf den Wohnwert höchstens dann möglich, wenn anzunehmen sei, es liege ein Eigengebrauch vor, indem die Wohnung der Benützung durch die eigene Familie erhalten werden solle. Bei der Vermietung an einen Bruder mit Familie könne dies nicht gesagt werden. c) Diese Rechtsprechung wurde in ASA 48 S. 478 ff. dahin ergänzt, dass, wer eine Wohnung einem nahen Verwandten unentgeltlich überlasse, das Objekt wohl nicht vermiete; er habe die Wohnung auch nicht in der Weise inne, dass er unmittelbarer Besitzer geblieben sei. Die Zusage an einen Verwandten, eine Wohnung unentgeltlich auf unbestimmte Zeit zu überlassen, qualifiziere sich als Gebrauchsleihe. Dabei wende der Eigentümer dem Beliehenen unentgeltlich den Mietwert der Wohnung zu. Für den Beliehenen entstehe dadurch kein Einkommen, weil der Mietwert für ihn den Charakter einer Schenkung habe. Der Mietwert falle primär dem Eigentümer zu, auch wenn er ihn dem Beliehenen sofort weitergebe. Wolle er sich dieser Besteuerung entziehen, BGE 115 Ia 329 S. 332 müsse er eine Nutzniessung bestellen, wodurch die Steuerpflicht auf den Nutzniesser übergehe. Bestehe dagegen eine blosse Gebrauchsleihe, müsse aus der leichten Auflösbarkeit dieses Vertragsverhältnisses der Schluss gezogen werden, dass der Eigentümer steuerrechtlich gesehen immer noch als "Inhaber" des Objektes zu betrachten sei, obwohl es während der Dauer der Leihe nicht mehr ihm unmittelbar zur Verfügung stehe. 3. a) Ein Entscheid verletzt das Willkürverbot und steht in Widerspruch zu Art. 4 der Bundesverfassung, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft ( BGE 114 Ia 27 E. 3b; mit Hinweisen). b) Es ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass kantonale Gerichte mit vertretbaren Gründen kantonale Vorschriften anders auslegen als die Bundesbehörden entsprechende Bestimmungen des Bundesrechts. In Anbetracht der vorliegend im Grundsatze mit den Bestimmungen der direkten Bundessteuer (Wehrsteuer) durchaus vergleichbaren Vorschriften des zürcherischen Steuergesetzes erscheint es jedoch als offensichtlich unhaltbar, bei Mietverhältnissen unter Verwandten ohne ausdrückliche Gesetzesgrundlage die Differenz zwischen dem tatsächlich vereinnahmten Mietzins und dem höheren Mietwert dem Vermieter steuerlich als Einkommen zuzurechnen und beim Mieter als Schenkung zu qualifizieren. Dafür, dass der in Frage stehende Mietzins im Blick auf eine Steuerumgehung oder in Verbindung mit andern, vom Sohn erbrachten oder noch zu erbringenden Gegenleistungen niedriger als der Gebrauchswert der Wohnung angesetzt worden wäre, fehlen im übrigen jegliche Anhaltspunkte. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ist daher in Willkür verfallen, wenn es bei der gegebenen Sach- und Rechtslage den Mietwert der Liegenschaft - ohne Rücksicht auf den vereinbarten Mietzins - als steuerlich massgebend erachtet hat.
de
e1d97bee-5d0b-4d05-8b93-14da1ba2cddf
Sachverhalt ab Seite 89 BGE 118 V 88 S. 89 A.- Mit Verfügung vom 21. Juni 1990 sprach die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen der 1952 geborenen M. H., alleinerziehenden Mutter eines 1974 geborenen Sohnes, gestützt auf einen entsprechenden Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission vom 3. April 1990 rückwirkend ab 1. Januar 1986 eine halbe Invalidenrente mitsamt Kinderrente zu. Zusammen mit der Anmeldung zum Leistungsbezug vom 27. Januar 1987 war der Ausgleichskasse das Formular "Gesuch um Rentenauszahlung an eine Drittperson oder Behörde" eingereicht worden, das als Grund für die von der Gemeinde B. beantragte Rentenüberweisung an sie "Rückzahlungen Fürsorgeleistungen" angab und von der Versicherten unterzeichnet worden war. Nachdem die Gemeindeverwaltung B. von der Rentenzusprechung erfahren hatte, ersuchte sie die Ausgleichskasse am 24. April 1990 um Ausrichtung der auf die Zeit vom 1. Januar 1986 bis 1. Oktober 1987 entfallenden Rentennachzahlungen, da M. H. bis zu ihrem Wegzug aus der Gemeinde am 1. Oktober 1987 Fürsorgeunterstützung in Höhe von insgesamt Fr. 42'520.50 bezogen habe. Dem Schreiben lag eine Abtretungserklärung bei, welche von M. H. nicht unterzeichnet worden war. Am 8. Mai 1990 reichte auch die Fürsorgebehörde der Gemeinde S., wo M. H. ab Ende 1987 wohnte, der Ausgleichskasse, unter Hinweis auf gewährte Unterstützung, das Formular "Gesuch um Rentenauszahlung an eine Drittperson oder Behörde" ein. Dieses Gesuch war von der Leistungsberechtigten nicht unterzeichnet worden. Die Gemeinde S. erneuerte am 12. Juni 1990 ihr Drittauszahlungsbegehren, wobei sie die Kopie eines Auszuges aus dem von der Versicherten am 25. November 1987 unterschriftlich erteilten Inkassoauftrag im Zusammenhang mit einer Alimentenbevorschussung einreichte. Auf dieser Kopie findet sich abschliessend die Klausel: "Ich gebe die Zustimmung, dass BGE 118 V 88 S. 90 Vorschussleistungen mit allfällig rückwirkend eingehenden Sozialleistungen (AHV-, IV- oder anderen Renten und Taggeldern) verrechnet werden." Aufgrund dieser Drittauszahlungsbegehren ordnete die Ausgleichskasse in der Rentenverfügung vom 21. Juni 1990 die Verrechnung der Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis 30. Juni 1990 mit "Vorschussleistungen des Fürsorgeamtes" von Fr. 36'623.75 an, so dass schliesslich noch die Rente für den Monat Juni 1990 im Betrag von Fr. 748.-- und die ab Juli 1990 laufenden Rentenbetreffnisse zur Ausrichtung an die Versicherte selbst gelangten. B.- In der gegen die Verrechnung mit Fürsorgeleistungen erhobenen Beschwerde bestritt M. H. im wesentlichen, ihre Zustimmung dazu erteilt zu haben. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, das eine ablehnende Vernehmlassung der Ausgleichskasse eingeholt und die Gemeinden B. und S. beigeladen hatte, wies die Beschwerde mit Entscheid vom 7. Mai 1991 ab. C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde wendet sich M. H. gegen die vorinstanzlich bestätigte Drittauszahlung, da sie einer Direktüberweisung der Rentennachzahlung an die Fürsorgebehörde nie zugestimmt habe. Zudem reicht sie ein Schreiben des Fürsorgeamtes S. vom 28. Dezember 1990 ein, in welchem sie aufgefordert wird, die Rentennachzahlung im Umfang von insgesamt Fr. 36'623.75 für die geleisteten Unterstützungsbeiträge abzutreten und den "Rekurs und allfällig weitere Beschwerden in Bezug auf die IV-Rentennach- und auszahlung an die Fürsorgebehörde S. ... unwiderruflich und vorbehaltlos" zurückzuziehen. Die entsprechende Bestätigung war von der Versicherten nicht unterzeichnet worden. Die Ausgleichskasse sowie die Gemeinden B. und S. als Mitinteressierte schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf einen Antrag. Auf die einzelnen Vorbringen in den Rechtsschriften wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen. Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. a) Der Streit um die Drittauszahlung einer Invalidenrente nach Art. 50 IVG und Art. 84 IVV in Verbindung mit Art. 45 AHVG und Art. 76 AHVV betrifft nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen (nicht veröffentlichte Urteile i.S. Fürsorgebehörde P. vom 29. Oktober 1990, Fürsorgebehörde B. vom 28. April 1989 sowie Ausgleichskasse S. und Gemeinde W. vom BGE 118 V 88 S. 91 22. April 1992). Bei Streitigkeiten über den Auszahlungsmodus hat das Eidg. Versicherungsgericht deshalb nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG ). Zudem ist das Verfahren kostenpflichtig ( Art. 134 OG e contrario; Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 OG ). b) Gestützt auf Art. 50 IVG in Verbindung mit Art. 45 AHVG hat der Bundesrat in Art. 76 AHVV Vorschriften über die Gewährleistung zweckmässiger Verwendung von Renten aufgestellt. Nach den zitierten Bestimmungen kann die Ausgleichskasse eine Invalidenrente ganz oder teilweise einer geeigneten Drittperson oder Behörde auszahlen, die dem Rentenberechtigten gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder ihn dauernd fürsorgerisch betreut. Voraussetzung ist, dass der Rentenberechtigte die Renten nicht für den Unterhalt seiner selbst und der Personen, für welche er zu sorgen hat, verwendet oder dass er nachweisbar nicht imstande ist, die Rente hiefür zu verwenden, und dass er oder die Personen, für welche er zu sorgen hat, deswegen ganz oder teilweise der öffentlichen oder privaten Fürsorge zur Last fallen ( Art. 76 Abs. 1 AHVV ). Nach der Rechtsprechung rechtfertigt die Tatsache allein, dass jemand von einer Fürsorgebehörde unterstützt wird, noch nicht die Auszahlung an diese Behörde ( BGE 101 V 20 , ZAK 1990 S. 254 Erw. 2a, je mit Hinweisen). Im weiteren hat die Verwaltungspraxis seit jeher die Drittauszahlung unter bestimmten Voraussetzungen auch dann zugelassen, wenn die Bedingungen des Art. 76 AHVV über die Gewährleistung zweckmässiger Rentenverwendung nicht erfüllt sind, obschon grundsätzlich jede Abtretung einer Invalidenrente aufgrund von Art. 50 IVG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 AHVG nichtig ist. So können Rentennachzahlungen auf Gesuch hin privaten oder öffentlichen Fürsorgestellen ausbezahlt werden, welche entsprechende Vorschussleistungen erbracht haben. Solche Drittauszahlungen setzen nach der Verwaltungspraxis jedoch voraus, dass die Vorschussleistungen tatsächlich erbracht worden sind und dass der Leistungsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter der Drittauszahlung schriftlich zugestimmt hat. Diese Praxis hat das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt unbeanstandet gelassen ( BGE 110 V 13 Erw. 1b; ZAK 1990 S. 254 f. Erw. 2a, je mit Hinweisen). BGE 118 V 88 S. 92 2. a) Die Beschwerdeführerin hatte zwar im Zeitpunkt ihrer Anmeldung zum Leistungsbezug vom 27. Januar 1987 dem Drittauszahlungsbegehren der Gemeinde B. auf dem Formular "Gesuch um Rentenauszahlung an eine Drittperson oder Behörde" unterschriftlich zugestimmt. Es stellt sich aber die Frage, ob eine - im Sinne der vorstehend erwähnten und von der Rechtsprechung als zulässig erklärten Verwaltungspraxis - rechtsgenügliche Zustimmung zur Drittauszahlung an eine bevorschussende Fürsorgeinstitution bereits erteilt werden kann, bevor das Bestehen eines Anspruches auf Leistungen der Invalidenversicherung in grundsätzlicher, masslicher und zeitlicher Hinsicht überhaupt feststeht. b) Zivilrechtlich gesehen mögen keine Bedenken bestehen, eine im voraus abgegebene Zustimmungserklärung zur Drittauszahlung einer noch nicht feststehenden Leistung gegenüber der Invalidenversicherung als wirksam zu betrachten; denn grundsätzlich sind auch noch nicht fällige, bestrittene, bedingte oder zukünftige Forderungen, vorbehältlich der Schranken der guten Sitte ( Art. 20 OR ) und des Persönlichkeitsrechts ( Art. 27 ZGB ), im Sinne von Art. 164 Abs. 1 OR zedierbar (GUHL/MERZ/KUMMER, 8. Aufl., S. 248). Fraglich ist indessen, ob diese zivilrechtliche Betrachtungsweise auch im Sozialversicherungsrecht Geltung beanspruchen kann, behält doch Art. 164 Abs. 1 OR u.a. Gesetz und Natur des Rechtsverhältnisses ausdrücklich vor. Der von der Verwaltungspraxis eingeführten und von der Rechtsprechung geschützten Möglichkeit, Drittauszahlungen auch zu verfügen, wenn die in Art. 45 AHVG in Verbindung mit Art. 76 Abs. 1 AHVV erwähnten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, muss im Rahmen des gesetzlichen Kontextes absoluter Ausnahmecharakter zukommen, da nach Art. 20 Abs. 1 AHVG grundsätzlich jeder Rentenanspruch unabtretbar, unverpfändbar und der Zwangsvollstreckung entzogen (Satz 1) und jede Abtretung oder Verpfändung nichtig ist (Satz 2). Die Drittauszahlung gemäss dargelegter Praxis besteht zwar nicht contra, aber doch praeter legem. An die Einwilligung des Versicherten zur Drittauszahlung sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen. Sie darf nur Rechtswirksamkeit entfalten, wenn die Tragweite der Zustimmungserklärung klar ersichtlich ist. Der bereits im Zeitpunkt der Anmeldung zum Rentenbezug - in welchem der Anspruch gegenüber der Invalidenversicherung noch gänzlich unbestimmt ist - erfolgten Zustimmung kann deshalb nicht dieselbe Bedeutung wie einer Erklärung nach Bekanntgabe der konkret zugesprochenen Versicherungsleistung beigemessen werden. BGE 118 V 88 S. 93 Die Zustimmung zur Drittauszahlung kann daher erst dann rechtsgültig erteilt werden, wenn der entsprechende Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission ergangen ist. Im Rahmen des daraufhin einsetzenden Vorbescheidverfahrens hat die Verwaltung bis zum Verfügungserlass Gelegenheit, eine allfällige Einwilligung zur Drittauszahlung einzuholen oder, falls diese vom antragstellenden Dritten beigebracht wird, deren Eingang abzuwarten. c) Die bereits 1987 unterschriftlich erfolgte Zustimmung zur Überweisung der Rentennachzahlungen an die Gemeinde B. auf dem dafür vorgesehenen Gesuchsformular genügt demnach als Grundlage für die nunmehr angefochtene Verrechnung mit Unterstützungsleistungen der Fürsorgebehörde nicht. 3. Im weiteren hat die Beschwerdeführerin in keinem Stadium des Verfahrens einer Drittauszahlung der am 21. Juni 1990 zugesprochenen Invalidenrente an die Gemeinde S. zugestimmt. Sämtliche ihr unterbreiteten Abtretungserklärungen wurden von ihr nicht unterschrieben. Daran ändert auch die im Zusammenhang mit der Alimentenbevorschussung erteilte Einwilligung nichts, da die diesbezüglich abgegebene Zessionserklärung keinesfalls eine gegenüber der Ausgleichskasse rechtswirksam erfolgte Zustimmung zur Drittauszahlung zu ersetzen vermag. Am Erfordernis, dass die Einwilligung des Versicherten auf dem dafür vorgesehenen Formular gegenüber der Ausgleichskasse erfolgen muss, ist auf jeden Fall festzuhalten. Dem Versicherten dürfen im sozialversicherungsrechtlichen Prozess um die Drittauszahlung von Rentenleistungen nicht Erklärungen entgegengehalten werden, welche er in ganz anderem Zusammenhang abgegeben hat. Im übrigen geht es auch nicht an, dass eine Fürsorgebehörde, wie vorliegend diejenige der Gemeinde S., noch nach Einleitung des kantonalen Rechtsmittelverfahrens und während dessen Hängigkeit ausserprozessual versucht, vom Versicherten die für eine Drittauszahlung erforderliche Einwilligung zu erwirken, welche gerade Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildet. 4. Insgesamt liegt somit keine gültige Zustimmung zur Drittauszahlung vor. Da auch durch nichts ausgewiesen ist, dass die Voraussetzungen des in Art. 20 Abs. 1 Satz 3 AHVG vorbehaltenen Art. 45 AHVG , welcher in Art. 76 AHVV seine Konkretisierung gefunden hat, erfüllt wären, ist die von der Verwaltung verfügte und vorinstanzlich bestätigte Verrechnung der Rentennachzahlungen mit den von den Fürsorgebehörden erbrachten Unterstützungsleistungen unzulässig. BGE 118 V 88 S. 94 5. Theoretisch könnte sich noch die Frage stellen, ob Art. 45 AHVG und Art. 76 AHVV für allfällige darüber hinausgehende Drittauszahlungsnormen des kantonalen Sozialhilferechts Raum lassen. Bezüglich des Vormundschaftsrechts, welches Bundesprivatrecht ist, wird dies mit dem Argument bejaht, das Sozialversicherungsrecht setze gleichsam das Familienrecht voraus ( BGE 102 V 36 mit Hinweisen; EVGE 1959 S. 197). Ein Vormund oder die Vormundschaftsbehörde könne deshalb eine Ausgleichskasse, im Rahmen der Bestimmungen des ZGB über die Vormundschaft, verpflichten, eine Rente ihnen statt dem Bevormundeten selbst auszubezahlen, gänzlich unbesehen darum, ob die sozialversicherungsrechtlichen Normen über die Gewährleistung zweckmässiger Rentenverwendung dies ebenfalls zulassen würden (zur Zulässigkeit kantonaler Bestimmungen über die Drittauszahlung im EL-Bereich vgl. ZAK 1989 S. 227 Erw. 4). Im vorliegenden Fall geht es indessen nicht um vormundschaftliche Massnahmen, sondern um eine Unterstützung durch die öffentliche Sozialhilfe. Wie bereits im nicht veröffentlichten Urteil i.S. Ausgleichskasse S. und Gemeinde W. vom 22. April 1992 kann auch hier offenbleiben, ob sich ein Rechtstitel für die Verrechnung durch direkte Nachzahlung an die Fürsorgebehörde allenfalls aus der kantonalen Sozialhilfegesetzgebung ableiten liesse. Denn solches wird von keiner Seite behauptet, und kantonales Recht ist im Rahmen von Art. 104 lit. a OG nicht von Amtes wegen anzuwenden.
de
14b97633-3360-4e47-a61f-0f54df8974c5
Sachverhalt ab Seite 197 BGE 118 Ib 196 S. 197 N. ist Eigentümer der Parzellen Nrn. 1587 und 1588 in Innerarosa. Über diese Grundstücke führt der Ägertenweg, der vor Jahren aufgrund eines zugunsten der Nachbarparzelle Nr. 1557 im Grundbuch eingetragenen privaten Fuss- und Fahrwegrechts erstellt wurde. Im Generellen Erschliessungsplan der Gemeinde Arosa vom 4. Dezember 1988 wurde die Belastung dieses Privatwegs mit einem Fusswegrecht zugunsten der Öffentlichkeit vorgesehen, da die Gemeinde den Zugang zu den nahe gelegenen Talstationen der Tschuggen-Sesselbahn und des Carmenna-Skilifts sicherstellen wollte. Der Ägertenweg führt über eine Distanz von ca. 50 m über die beiden Parzellen von N., was bei einer Wegbreite von 3 m eine beanspruchte Fläche von rund 150 m2 ergibt. Zur Abgeltung der sich aus dem öffentlichen Wegrecht ergebenden Mehrbelastungen des Ägertenwegs offerierte die Gemeinde Arosa N. in Anwendung von Art. 73 Abs. 4 ihres Baugesetzes vom 4. Dezember 1988 (BG) eine einmalige Entschädigung von Fr. 5'000.--. N. war mit dem angebotenen Betrag nicht einverstanden. Er gelangte an die kantonale Enteignungskommission I und forderte von der Gemeinde gestützt auf Art. 10 des kantonalen Enteignungsgesetzes vom 26. Oktober 1958 (kEntG) eine Entschädigung von Fr. 22'500.--. Die Enteignungskommission unterbreitete den Parteien einen Vergleichsvorschlag, wonach N. eine Entschädigung von Fr. 5'000.-- erhalten sollte. Da N. diesen Vorschlag ablehnte, überwies der Präsident der Enteignungskommission die Akten dem Verwaltungsgericht zum Entscheid darüber, ob eine materielle Enteignung vorliege. Am 18. Februar 1992 entschied das Verwaltungsgericht, es liege eine formelle Enteignung vor. Es überwies die Akten der Enteignungskommission zur Fortführung des Schätzungsverfahrens im Sinne der Erwägungen. BGE 118 Ib 196 S. 198 Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts führt die Gemeinde Arosa Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des Verwaltungsgerichtsurteils. Ferner verlangt sie die Rückweisung der Streitsache an die Vorinstanz zum Entscheid, ob eine Entschädigungspflicht aus materieller Enteignung bestehe. Eventuell sei festzustellen, dass die Belastung des Privatwegs auf den Parzellen Nrn. 1587 und 1588 mit einem öffentlichen Fusswegrecht keine materielle Enteignung bewirke. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Die Gemeinde Arosa hat gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 18. Februar 1992 Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Welches Rechtsmittel zulässig ist, ob im vorliegenden Fall beide erhobenen Rechtsmittel ergriffen werden können und in welchem Umfang auf ein zulässiges Rechtsmittel eingetreten werden kann, prüft das Bundesgericht von Amtes wegen und mit freier Kognition ( BGE 117 Ia 2 E. 1, 85 E. 1; BGE 117 Ib 138 E. 1, 156 E. 1, je mit Hinweisen). Beide Rechtsmittel sind gegen denselben Entscheid gerichtet, weshalb sie in einem Urteil zu behandeln sind. a) In ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde rügt die Gemeinde Arosa sinngemäss, das Verwaltungsgericht habe die in Art. 5 Abs. 2 RPG enthaltenen Grundsätze über die materielle Enteignung zu Unrecht nicht angewendet, sondern sei in unzutreffender Weise vom Vorliegen einer formellen Enteignung ausgegangen. Diese Rüge ist nach der Rechtsmittelordnung des Art. 34 RPG grundsätzlich im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu prüfen ( BGE 116 Ib 237 f. E. 1b, BGE 114 Ib 175 , BGE 113 Ib 215 ff. E. 2a, 369 ff., je mit Hinweisen). Die Gemeinde Arosa ist gemäss Art. 34 Abs. 2 RPG beschwerdeberechtigt. b) Mit dem angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts wird das streitige Entschädigungsverfahren nicht endgültig abgeschlossen. Vielmehr überweist das Verwaltungsgericht die Sache zur Bestimmung der Enteignungsentschädigung an die Enteignungskommission. Dennoch ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde schon gegen den angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts zulässig, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG , in der ein Grundsatzentscheid - hier BGE 118 Ib 196 S. 199 in bezug auf die Frage der Enteignungsart - getroffen und die Sache im Sinne der Erwägungen an eine untere Instanz zurückgewiesen wird, eine Endverfügung darstellt ( BGE 107 Ib 221 f. E. 1 mit Hinweisen). Es wäre auch hier mit dem Grundsatz der Verfahrensökonomie unvereinbar, Arbeiten der Enteignungskommission zu veranlassen, welche mit der Entscheidung der Grundsatzfrage gegebenenfalls unnötig würden. Sollte sich nämlich herausstellen, dass in der vorliegenden Enteignungssache die Grundsätze der materiellen Enteignung zur Anwendung kommen, so hätte das Verwaltungsgericht nach der bündnerischen Verfahrensordnung zunächst darüber zu entscheiden, ob der Tatbestand der materiellen Enteignung erfüllt ist (vgl. Art. 22 kEntG). c) Mit staatsrechtlicher Beschwerde bringt die Gemeinde Arosa vor, das Verwaltungsgericht habe das kantonale Raumplanungs- und Enteignungsrecht in willkürlicher Weise ausgelegt und angewendet, weil ihr nach dem angefochtenen Entscheid die Möglichkeit genommen werde, den Ägertenweg in der Ortsplanungsrevision mit einem öffentlichen Fuss- und Fahrweg zu belegen. Diese Rüge kann im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geprüft werden, da die Gemeinde eine auf kantonales Recht gestützte Anordnung beanstandet, die in einem engen Sachzusammenhang mit der Frage der Anwendung von Art. 5 Abs. 2 RPG steht (vgl. BGE 117 Ib 11 , BGE 114 Ib 115 E. 1a, BGE 112 Ib 516 E. 1a, je mit Hinweisen). Für die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde bleibt somit kein Raum ( BGE 117 Ib 11 mit Hinweisen). Soweit im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde selbständiges kantonales Recht zur Diskussion steht, richtet sich die Kognition des Bundesgerichts jedoch nach den für die staatsrechtliche Beschwerde geltenden Grundsätzen ( BGE 116 Ib 10 mit Hinweisen). d) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass beide von der Gemeinde Arosa erhobenen Beschwerden im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln sind. Da sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen dieses Rechtsmittels erfüllt sind, ist darauf einzutreten. 2. a) Die Gemeinde Arosa legt dar, das kommunale Baugesetz und der Generelle Erschliessungsplan seien gemäss Art. 18 f. des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden vom 20. Mai 1973 (KRG) zwingend vorgeschriebene Ortsplanungselemente. Sie seien - soweit hier von Interesse - am 4. Dezember 1988 von der Gemeindeversammlung Arosa verabschiedet (Art. 37 Abs. 1 KRG) und am 18. September 1989 von der Kantonsregierung genehmigt BGE 118 Ib 196 S. 200 (Art. 37 Abs. 3 KRG) worden. Seither seien sie gültig und anwendbar. Der Generelle Erschliessungsplan halte alle vorhandenen Strassen und Wege fest. Der Ägertenweg figuriere darin als "private Erschliessungsstrasse mit öffentlichem Fusswegrecht (Epöf)". Aus dieser Planfestsetzung resultiere die umstrittene Eigentumsbeschränkung, welche seit der Genehmigung des Generellen Erschliessungsplans durch die Regierung rechtswirksam sei. Die Eigentumsbeschränkung müsse somit nicht erst noch herbeigeführt werden, sondern sei Folge der erwähnten Ortsplanungsrevision aus dem Jahre 1988. b) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Gemeinde Arosa mit ihrer Baugesetz- und Ortsplanungsrevision im Jahre 1988 lediglich die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die für die Öffentlichkeit benötigten Rechte auf dem Weg der formellen Enteignung erworben werden können. Gemäss Art. 70 Abs. 1 BG enthalte der Generelle Erschliessungsplan nämlich nur die bestehenden Erschliessungsanlagen. Die Strassen, Wege und Plätze seien dabei gemäss Art. 73 Abs. 1 BG in verschiedene Kategorien, so etwa die im Privateigentum stehenden Anlagen, die mit einem Fusswegrecht zugunsten der Öffentlichkeit belastet seien, unterteilt. Die Anlagen und Kategorien seien im Generellen Erschliessungsplan einzuzeichnen (Art. 73 Abs. 2 BG). Der Generelle Erschliessungsplan habe demnach bezüglich der Kategorien nur deskriptiven Charakter. Die im Privateigentum stehenden Anlagen müssten entweder mit Rechten zugunsten der Öffentlichkeit schon belastet sein, oder - wo das Recht noch nicht vorhanden sei - gemäss Art. 73 Abs. 4 BG mit solchen Rechten noch belastet werden. Art. 73 Abs. 4 BG räume dem Gemeinderat die Befugnis ein, rein private Anlagen gegen angemessene Entschädigung mit einem Fuss- und Fahrwegrecht zugunsten der Öffentlichkeit zu belasten, wenn daran ein öffentliches Interesse bestehe. Eine analoge Bestimmung enthalte Art. 73 Abs. 5 BG, wonach unter den gleichen Voraussetzungen Privatanlagen von der Gemeinde zu Eigentum übernommen werden könnten. Es gehe somit in beiden Fällen um die zwangsweise Einräumung von dinglichen Rechten (Dienstbarkeiten, Eigentum), mithin um Eingriffe in den Rechtstitel und nicht nur in die Gebrauchs- und Nutzungsrechte. Verlange aber das kommunale Baugesetz die Einräumung von Rechten, und begnüge es sich nicht mit dem Erlass öffentlichrechtlicher Eigentumsbeschränkungen, so könne dies nur auf dem Wege der formellen Enteignung geschehen, sei es durch gütliche Einigung, sei es durch Erteilung des Enteignungsrechtes durch die Regierung im BGE 118 Ib 196 S. 201 Sinne von Art. 3 kEntG. Die Art. 73 Abs. 4 und 5 BG müssten insoweit als Kompetenznormen zugunsten des Gemeinderates aufgefasst werden, das Enteignungsverfahren im Sinne der Art. 6 ff. der Vollziehungsverordnung zum kantonalen Enteignungsgesetz (VVzEntG) einzuleiten. Wenn sich die Parteien hingegen über die Einräumung des Rechtes einig seien, nicht aber über die Höhe der Entschädigung, sei das Schätzungsverfahren vor der Enteignungskommission gemäss Art. 11 ff. VVzEntG durchzuführen. c) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass für den Ausgang der vorliegenden Sache entscheidend ist, ob die zur Diskussion stehende Beschränkung des Grundeigentums von N. entsprechend seiner Auffassung bereits mit der Eintragung des Ägertenwegs als "Erschliessungsstrasse im Privateigentum mit öffentlichem Fussweg (Epöf)" im Generellen Erschliessungsplan rechtskräftig wurde, oder ob diese Rechtsfolge erst nach Durchführung eines formellen Enteignungsverfahrens eintreten kann. Wie es sich damit verhält, hängt von der Ausgestaltung des zu dieser Frage bestehenden kantonalen und kommunalen Planungsrechts ab. Das Verwaltungsgericht ist im angefochtenen Entscheid zum Schluss gelangt, das Planungsrecht liefere lediglich eine Grundlage für die gestützt darauf vorzunehmende formelle Enteignung und bewirke mithin nicht selbst schon die zur Diskussion stehende Eigentumsbeschränkung betreffend den Ägertenweg. Die Gemeinde Arosa erblickt in dieser Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht eine Verletzung des Willkürverbots und damit der Gemeindeautonomie. d) Nach Art. 18 ff. KRG steht den Gemeinden des Kantons Graubünden auf dem Gebiet der Ortsplanung Autonomie zu. Sie verfügen über einen relativ weiten Spielraum freier Gestaltung (vgl. BGE 108 Ia 238 E. 3b mit Hinweisen). Wann eine Gemeinde durch den Entscheid einer kantonalen Rechtsmittelinstanz in ihrer Autonomie verletzt ist, hängt vom Umfang der Überprüfungsbefugnis der kantonalen Instanz ab ( BGE 116 Ia 226 E. 2c mit Hinweis). Gemäss Art. 22 kEntG können der Enteigner und der Enteignete, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, alle Sachentscheide der Enteignungskommission an das Verwaltungsgericht weiterziehen. Mit dem Rekurs können nach Art. 53 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Graubünden vom 9. April 1967 (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG) jede Rechtsverletzung einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens sowie unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts geltend gemacht werden. Im vorliegenden Fall hatte BGE 118 Ib 196 S. 202 das Verwaltungsgericht Rechtsfragen zu beurteilen, was es im Lichte von Art. 53 VGG mit freier Überprüfungsbefugnis tun musste. Eine verfassungswidrige Überschreitung der Prüfungsbefugnis durch das Verwaltungsgericht liegt somit nicht vor. Zu prüfen ist daher im folgenden, ob das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid bei der Anwendung der kommunalen und kantonalen Gesetzesvorschriften, die den betreffenden Sachbereich ordnen, gegen das Willkürverbot ( Art. 4 BV ) verstossen hat ( BGE 117 Ia 357 E. 4b). Gemäss Art. 32 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 KRG legt die Gemeinde im Generellen Erschliessungsplan die Anlagen der Grund- und Groberschliessung fest. Er kann Erschliessungsetappen und die zur Freihaltung der Verkehrsflächen und von wichtigen Leitungen erforderlichen Baulinien enthalten. Der Generelle Erschliessungsplan dient als Grundlage für die generellen Projekte und für die Bemessung der Erschliessungsbeiträge (Art. 32 Abs. 2 KRG). Schon der Wortlaut dieser Bestimmung legt den Schluss nahe, dass der Eigentumserwerb durch die Gemeinde für die Erstellung von Erschliessungsanlagen auf dem Weg der formellen Enteignung zu geschehen hat. Dies wird durch Art. 32a KRG bestätigt, wonach die generellen Projekte nicht für den Erwerb dinglicher Rechte, sondern höchstens für die Landsicherung vorgesehen sind. Bereits im Lichte dieser Vorschriften kann die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach der Erwerb dinglicher Rechte für Strassen und Wege in Anwendung der Grundsätze der formellen Enteignung zu erfolgen hat, nicht als willkürlich bezeichnet werden. Zum gleichen Schluss gelangt man bei Anwendung von Art. 73 Abs. 4 und 5 BG. Diese Vorschriften des kommunalen Rechts sehen ebenfalls die Notwendigkeit eines Rechtserwerbs auch für solche im Privateigentum stehende Anlagen vor, die im Generellen Erschliessungsplan enthalten sind. Es ist nicht willkürlich, wenn das Verwaltungsgericht dafür die Vorschriften des kantonalen Enteignungsrechts zur Anwendung bringen will. Da sich die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner darüber einig sind, dass der Gemeinde ein Wegrecht zugunsten der Öffentlichkeit auf dem Ägertenweg im Bereich des Grundeigentums des Beschwerdegegners zustehen soll und lediglich noch die Höhe der Entschädigung umstritten ist, hat es für die Festsetzung der Entschädigungshöhe in verfassungsrechtlich haltbarer Weise die Art. 9 ff. kEntG und die Art. 11 ff. VVzEntG für anwendbar erklärt. Die Erteilung des Enteignungsrechts durch die Regierung gestützt auf Art. 3 Abs. 3 kEntG ist bei dieser Sachlage nicht erforderlich. BGE 118 Ib 196 S. 203 Es ergibt sich somit, dass das Verwaltungsgericht bei der Auslegung und Anwendung des kommunalen und kantonalen Planungs- und Enteignungsrechts das Willkürverbot ( Art. 4 BV ) und somit auch die Autonomie der Gemeinde Arosa nicht verletzt hat. e) Hat somit nach den vorstehenden Erwägungen die Festsetzung der Enteignungsentschädigung im Verfahren der formellen Enteignung gestützt auf die Art. 9 ff. kEntG zu erfolgen, so hat das Verwaltungsgericht die Grundsätze von Art. 5 Abs. 2 RPG betreffend die materielle Enteignung zu Recht nicht angewendet. Damit ist im angefochtenen Entscheid keine Verletzung von Bundesrecht zu erblicken, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen ist.
de
917de627-c389-4da6-83d9-5eb41eeb11fd
Erwägungen ab Seite 419 BGE 139 III 418 S. 419 Aus den Erwägungen: 3. Nach Art. 46 Abs. 1 VVG (SR 221.229.1) verjähren die Forderungen aus dem Versicherungsvertrag in zwei Jahren nach Eintritt der Tatsache, welche die Leistungspflicht begründet. Während Lehre und Rechtsprechung hierfür ursprünglich den Eintritt des Versicherungsfalles als massgeblich erachtet haben, wird nunmehr in der Praxis je nach Versicherungsart und Leistungsanspruch auf unterschiedliche fristauslösende Ereignisse abgestellt. Dabei wird in der Regel der Zeitpunkt, in dem die leistungsbegründenden Tatsachenelemente feststehen, als fristauslösend angesehen. Für Krankentaggelder wird die Leistungspflicht des Versicherers nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ausgelöst durch die krankheitsbedingte, ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit und den Ablauf der vereinbarten Wartefrist. Das Bundesgericht entschied, die für die Dauer der Krankheit geltend gemachten Taggelder verjährten gesamthaft in zwei Jahren ab jenem Zeitpunkt. Gestützt auf die Literatur (ERNST A. THALMANN, Die Verjährung im Privatversicherungsrecht, 1940, S. 169) ging es davon aus, die Taggeldentschädigung müsse grundsätzlich, wenn sich nicht etwas anderes deutlich aus dem Vertrag ergebe, als einheitliche aufgefasst werden, die gesamthaft verjähre. Es verwarf die These, dass jeder einzelne Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein eigenständiges leistungsbegründendes Ereignis mit fristauslösender Wirkung darstelle. Das Bundesgericht habe schon in BGE 111 II 501 E. 2 befunden, die im Rahmen einer Lebensversicherung geschuldete jährliche Rente für Erwerbsausfall infolge Unfalls verjähre bei jedem Unfallereignis in zwei Jahren seit dem Unglücksfall. Das gelte in analoger Weise auch für die aufgrund einer privaten Krankenversicherung für die Dauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geltend gemachten Taggelder ( BGE 127 III 268 E. 2b S. 271 f.). 3.1 Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht seither bestätigt (Urteile des Bundesgerichts 4A_532/2009 vom 5. März 2010 E. 2.1 ff.; 4A_516/2009 vom 11. Dezember 2009 E. 3.1; 5C.42/2005 vom 21. April 2005 E. 2.1; CHRISTOPH K. GRABER, in: Basler Kommentar, Versicherungsvertragsgesetz, Nachführungsband, 2012, S. 163 f. zu Art. 46 VVG ). Sie ist in der Literatur aber auf Kritik gestossen. Namentlich wird beanstandet, der vom Bundesgericht zitierte Autor BGE 139 III 418 S. 420 THALMANN habe zwar tatsächlich die Taggeldentschädigung als einheitliche aufgefasst, die gesamthaft verjähre. Er lasse die Verjährung aber erst mit Ende der Deckungsperiode einsetzen. Die Voraussetzungen der Leistungserbringung müssten auch für die folgenden Tage gegeben sein, wobei jeder Tag als neuer Tatbestand anzusehen sei, der die Leistungspflicht des Versicherers auslöse (SPIRO, Verjährung von Krankentaggeldansprüchen, HAVE 2002 S. 121; VINCENT BRULHART, Justification de l'art. 46 LCA [...], AJP 2001 S. 1105; vgl. auch MEUWLY, La prescription des créances d'assurance privée [...], AJP 2003 S. 312 f.; ROLAND BREHM, L'assurance privée contre les accidents, 2001, S. 365 N. 840). In der Praxis laufe die Rechtsprechung des Bundesgerichts darauf hinaus, für das Grundverhältnis eine Verjährungsfrist von zwei Jahren anzunehmen, was BGE 111 II 501 und dem Urteil des Bundesgerichts 5C.168/2004 vom 9. November 2004 E. 3.1 widerspräche (FUHRER, Anmerkungen zu privatversicherungsrechtlichen Entscheiden des Bundesgerichts, HAVE 2010 S. 262 f.; SPIRO, a.a.O., S. 121 f.). Das Bundesgericht hat in seiner jüngsten Rechtsprechung diese Kritik wiedergegeben ( BGE 139 III 263 E. 2.3), ohne im Einzelnen darauf einzugehen. Es hielt lediglich fest, mit Blick auf die Leistungsdauer, die häufig auf den relativ kurzen Zeitraum von 720 Tagen befristet sei, bestehe keine Analogie zu einer Rentenleistung. Ob daran festzuhalten sei, dass die Taggelder als Gesamtheit zu behandeln seien und wann diesfalls die Verjährung beginne, liess das Bundesgericht offen (Urteil des Bundesgerichts 4A_702/2012 vom 18. März 2013 E. 2.6, nicht publ. in BGE 139 III 263 ). Diese Frage ist nachfolgend zu prüfen. 3.2 Dem Versicherten wird nach Ablauf der Wartefrist nicht ein unbedingter Anspruch auf eine bestimmte Anzahl Taggelder eingeräumt. Vielmehr hängen die einzelnen Leistungen von der Arbeitsunfähigkeit ab und können demnach Änderungen erfahren (vgl. BGE 139 III 263 E. 2.5). Ein Taggeld ist nur geschuldet, wenn der Versicherte den jeweiligen Tag erlebt, an diesem Tag eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 25 % gegeben ist und nicht feststeht, dass er Anspruch auf hinreichende Geldleistungen nach IVG, UVG, MVG, der beruflichen Vorsorge oder eines haftpflichtigen Dritten hat (derartige Geldleistungen werden nach Art. B4 Abs. 1 und 2 der allgemeinen Versicherungsbedingungen [AVB] von der Beschwerdegegnerin im Rahmen ihrer eigenen Leistungspflicht ergänzt, und eine Vorleistungspflicht besteht nur, soweit der Rentenanspruch einer staatlichen oder betrieblichen Versicherung noch nicht feststeht). Der Anspruch des BGE 139 III 418 S. 421 Beschwerdeführers aus der Taggeldversicherung geht nicht auf eine einheitliche Leistung, die ihrer Natur nach über eine bestimmte Zeitspanne verteilt erbracht wird (vgl. BRULHART, a.a.O., S. 1104 f., der BGE 127 III 268 diese Überlegung zu Grunde legt). Die Taggeldzahlungen sollen vielmehr das laufende Einkommen des Versicherten, das dieser zufolge seiner Arbeitsunfähigkeit nicht mehr erzielen kann, ersetzen (vgl. SPIRO, a.a.O., S. 121). Mit Ablauf der Wartefrist sind zwar die Anfangsvoraussetzungen der Zahlungspflicht gegeben, die auch für die folgenden Taggeldansprüche gleich bleiben (vgl. BRULHART, a.a.O., S. 1104). Ob und in welchem Umfang sich daraus eine Leistungspflicht der Versicherung ergibt, ist aber offen, da noch nicht alle leistungsbegründenden Tatsachenelemente feststehen, wie dies für den Beginn der Verjährung an sich verlangt wird (vgl. BGE 127 III 268 E. 2b S. 271; MEUWLY, a.a.O., S. 313). 3.3 Auch aus der in BGE 127 III 268 zitierten Literatur und Rechtsprechung lässt sich ein Beginn der Gesamtverjährung nach Ablauf der Wartefrist nicht ableiten. 3.3.1 Soweit die Literatur eine Gesamtverjährung ins Auge fasst, lässt sie diese in der Regel ab dem Zeitpunkt beginnen, in dem die ärztliche Behandlung aufhört (THALMANN, a.a.O., S. 169 inkl. Fn. 14, der auf JAEGER/ROELLI, Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag [...], Bd. III, 1933, N. 86 zu Art. 87/88 VVG verweist) und somit die Tatsachenelemente inklusive der andauernden Arbeitsunfähigkeit bereits für alle Taggelder, die der Gesamtverjährung unterstellt werden sollen, grundsätzlich feststehen. Vorausgesetzt ist dabei, dass die Forderung aus der Taggeldversicherung erst mit dem Abschluss der Heilperiode bestimmt und geltend gemacht werden kann. Werden sogenannte Zwischenrenten zugesichert, beginnt die Verjährung mit dem jeweiligen Fälligkeitstag (THALMANN, a.a.O., S. 169; JAEGER/ROELLI, a.a.O., N. 86 zu Art. 87/88 VVG). 3.3.2 In BGE 111 II 501 E. 2 S. 502 f. entschied das Bundesgericht, dass die einzelnen Renten ohne Unterbrechung der Verjährung nicht mehr als zwei Jahre zurück eingefordert werden können. Dass seit dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch auf die erste Rentenleistung entstand, bereits mehr als zwei Jahre vergangen waren, liess die Ansprüche, die weniger als zwei Jahre zurücklagen, unberührt. Eine absolute Verjährung des gesamten Anspruches in zwei Jahren lehnte das Bundesgericht ausdrücklich ab. BGE 139 III 418 S. 422 3.4 Die in BGE 127 III 268 E. 2b S. 271 f. begründete Rechtsprechung wird nicht nur in der Lehre kritisiert, sie hat auch nicht zu Rechtssicherheit geführt, sondern dazu, dass man die Rechtsprechung als "fluctuante" bezeichnet (PICHONNAZ, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2. Aufl. 2012, N. 4 zu Art. 131 OR ; vgl. auch GRABER, a.a.O., S. 163 f. zu Art. 46 VVG ), da sie faktisch auf die Annahme einer Verjährung des Stammrechts in zwei Jahren hinausläuft (FUHRER, a.a.O., S. 262). Für die Verjährung des Stammrechts wäre Art. 46 VVG aber nicht einschlägig, sondern es käme die 10-jährige Verjährung zur Anwendung ( BGE 139 III 263 E. 2.5, zit. Urteil 5C.168/2004 E. 3.1; vgl. auch BGE 111 II 501 E. 2; SPIRO, a.a.O., S. 122). Auch ergeben sich Ungereimtheiten mit Bezug auf die Verjährungsunterbrechung. Im zit. Urteil 4A_532/2009 E. 2.6 liess das Bundesgericht offen, ob die vorbehaltlose Ausrichtung von Taggeldern als Anerkennung der grundsätzlichen Zahlungspflicht verstanden werden könne. In einer Zahlung mit der Mitteilung, dass die Leistungen zufolge Verletzung der Mitwirkungspflichten definitiv eingestellt würden, sah das Bundesgericht jedenfalls keine Anerkennungshandlung. Im zit. Urteil 5C.42/2005 E. 2.1 sprach dagegen die kantonale Instanz einem Schreiben, in dem der Versicherer ankündigte, er werde die Versicherungsleistungen auf ein bestimmtes Datum einstellen, verjährungsunterbrechende Wirkung zu, was vom Bundesgericht nicht beanstandet wurde. 3.5 Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht gerechtfertigt, an der Gesamtverjährung ab Ablauf der Wartefrist festzuhalten (vgl. zit. Urteil 4A_702/2012 E. 2.6). 4. 4.1 Die Taggeldzahlungen sollen nach ihrer Natur das laufende Einkommen des Versicherten ersetzen und daher fortlaufend gefordert und erbracht werden. Diesem Zweck entspricht, die Taggeldforderungen grundsätzlich nicht einer Gesamtverjährung zu unterstellen, sondern fortlaufend verjähren zu lassen (SPIRO, a.a.O., S. 121; MEUWLY, a.a.O., S. 312; BRULHART, a.a.O., S. 1105; BREHM, a.a.O., S. 365 N. 840). Eine Unterscheidung zwischen der Verjährung des Stammrechts (des grundsätzlichen Anspruchs auf die Versicherungsleistung bei Schadenseintritt nach Ablauf der Wartefrist) und der einzelnen Taggeldleistungen (die von weiteren Bedingungen wie der anhaltenden Arbeitsunfähigkeit abhängen) ist zwar, entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin, ohne weiteres möglich. Sie erübrigt sich indessen, soweit das Stammrecht infolge der zeitlichen BGE 139 III 418 S. 423 Beschränkung der Taggeldversicherungen gar nicht verjähren kann, bevor sämtliche Einzelansprüche verjährt sind (vgl. zit. Urteil 4A_702/2012 E. 2.6). Da die einzelnen Taggeldforderungen nach Art. 46 VVG in zwei Jahren verjähren, besteht entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin keine Gefahr, dass der Versicherte noch nach Jahren Ansprüche geltend machen könnte und über eine weit zurückliegende Arbeitsunfähigkeit Beweis geführt werden müsste. 4.2 Voraussetzung für eine fortlaufende Verjährung der einzelnen Taggeldforderungen ist aber, dass der Versicherte nach dem Versicherungsvertrag (vgl. zu dessen Massgeblichkeit BGE 127 III 268 E. 2b S. 271 f.; THALMANN, a.a.O., S. 169; JAEGER/ROELLI, a.a.O., N. 86 zu Art. 87/88 VVG) fortlaufend die Zahlung der einzelnen Taggelder verlangen kann. Daran fehlt es, wenn die Leistungspflicht der Versicherung von zusätzlichen Bedingungen abhängig gemacht wird oder wenn die Aufteilung in Taggelder lediglich der Berechnung des Leistungsumfangs dient, während die Leistung selbst nur als Gesamtes (oder jedenfalls für mehrere Taggelder zusammen) verlangt werden kann. 4.2.1 Steht es, wie dies gewisse AVB vorsehen, bei Ungewissheit über die Leistungspflicht der staatlichen Versicherung im Belieben der Taggeldversicherung, ob sie Vorleistungen erbringt, beginnt die Verjährung für die aufgelaufenen Taggelder erst im Moment, in dem die Unsicherheit über die Leistungspflicht des Dritten beseitigt ist. Erst in diesem Zeitpunkt stehen sämtliche leistungsbegründenden Tatsachen fest, so dass die Verjährung für alle bisher aufgelaufenen Taggelder nach Art. 46 VVG in diesem Moment beginnt. 4.2.2 Ist dagegen, wie in den AVB der Beschwerdegegnerin (Art. B4 Abs. 2 AVB), bei Unsicherheiten über die Leistungspflicht einer staatlichen Versicherung die Vorleistungspflicht des Taggeldversicherers vereinbart, verjähren die Taggeldansprüche einzeln, da der Berechtigte diese trotz der Ungewissheit über die Leistung der staatlichen Versicherung laufend einfordern kann. Die Verjährung beginnt mit dem Tag, für den die einzelne Taggeldleistung beansprucht werden kann, da bereits in diesem Zeitpunkt sämtliche leistungsbegründenden Tatsachen feststehen. 4.3 Im zu beurteilenden Fall erbrachte die SUVA Leistungen bis zum 8. Januar 2006. Für diesen Zeitraum macht der Beschwerdeführer keine Ansprüche geltend. Für die Zeit danach konnte er aufgrund der vereinbarten Vorleistungspflicht allfällige Taggeldleistungen BGE 139 III 418 S. 424 laufend einfordern, so dass die Ansprüche auf Taggeld einzeln jeweils binnen zwei Jahren verjähren. Diese Frist war für nach dem 9. Januar 2006 geschuldete Taggelder im Zeitpunkt der Verjährungsverzichtserklärung vom 7. Januar 2008 noch nicht abgelaufen.
de
a5116a43-6ca1-4e7b-8e8c-8e7b2e68f0ea
Sachverhalt ab Seite 144 BGE 139 V 143 S. 144 A. Die Stadt Schaffhausen und die (ehemalige) Gemeinde Hemmental haben sich auf den 1. Januar 2009 zusammengeschlossen. Vor der Fusion war Hemmental der Prämienregion 2 zugeordnet. Nach Berücksichtigung der neuen politischen Situation teilte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Ortschaft ab 1. Januar 2011 der Prämienregion 1 (teuerster Tarif) zu und bestätigte dies mit Feststellungsverfügung vom 27. Dezember 2011. B. Das Bundesverwaltungsgericht trat auf die dagegen erhobene Beschwerde nicht ein (Entscheid vom 10. August 2012). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Zuordnung zur Prämienregion sei nicht als anfechtbare Verfügung zu qualifizieren. C. Die Stadt Schaffhausen reicht gegen den Nichteintretensentscheid vom 10. August 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein und beantragt, dieser und die Feststellungsverfügung des BAG vom 27. Dezember 2011 seien aufzuheben. Die Ortschaft Hemmental sei in der Liste des BAG wieder in die Prämienregion 2 einzustufen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. 1.1 Nach Art. 48 Abs. 1 VwVG (SR 172.021), welche Norm die Beschwerdelegitimation vor dem Bundesverwaltungsgericht regelt ( Art. 37 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht [Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG; SR 173.32] ), ist zur Beschwerde berechtigt, wer (kumulativ) vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). 1.2 Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG sind Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes BGE 139 V 143 S. 145 stützen und die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten (lit. a), die Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten und Pflichten (lit. b) oder die Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten und Pflichten oder das Nichteintreten auf ein solches Begehren zum Gegenstand haben (lit. c). Als Verfügungen gelten mithin autoritative, einseitige, individuell-konkrete Anordnungen der Behörde, die in Anwendung von Verwaltungsrecht ergangen, auf Rechtswirkungen ausgerichtet sowie verbindlich und erzwingbar sind (vgl. etwa BGE 131 II 13 E. 2.2 S. 17; AEMISEGGER/SCHERRER REBER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 30 zu Art. 82 BGG ; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2008, S. 24 Rz. 2.3; TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 224 ff., insbes. S. 229 ff.). Eine Allgemeinverfügung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich einerseits an einen (relativ) unbestimmten Personenkreis richtet, also genereller Natur ist, anderseits einen konkreten Tatbestand regelt (statt vieler BGE 125 I 313 E. 2a S. 316). Sie werden in Bezug auf ihre Anfechtbarkeit zumindest dann wie Verfügungen behandelt, wenn sie ohne konkretisierende Anordnung einer Behörde angewendet und vollzogen werden können (Urteil 2C_104/2012 vom 25. April 2012 E. 1.2 mit Hinweisen). 1.3 Die in der Sache zuständige Behörde kann über den Bestand, den Nichtbestand oder den Umfang öffentlichrechtlicher Rechte oder Pflichten von Amtes wegen oder auf Begehren eine Feststellungsverfügung treffen. Dem Begehren um eine Feststellungsverfügung ist zu entsprechen, wenn der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse nachweist. Keiner Partei dürfen daraus Nachteile erwachsen, dass sie im berechtigten Vertrauen auf eine Feststellungsverfügung gehandelt hat ( Art. 25 Abs. 1-3 VwVG ). 2. 2.1 Gemäss Art. 61 Abs. 2 KVG kann der Versicherer die Prämien nach den ausgewiesenen Kostenunterschieden kantonal und regional abstufen. Massgebend ist der Wohnort der versicherten Person. Das BAG legt die Regionen für sämtliche Versicherer einheitlich fest. 2.2 Die Festlegung der Prämienregionen innerhalb der Kantone wird vom BAG ausgehend von den Kostenunterschieden zwischen den Regionen vorgenommen. Nimmt der Versicherer Abstufungen nach Regionen vor, so darf gemäss Art. 91 Abs. 1 KVV (SR 832.102) die BGE 139 V 143 S. 146 Differenz für die Prämie innerhalb des gleichen Kantons höchstens 15 Prozent zwischen den Regionen 1 und 2 sowie höchstens 10 Prozent zwischen den Regionen 2 und 3 betragen. Der Kanton Schaffhausen verfügte sowohl vor als auch nach der Gemeindefusion über 2 Prämienregionen ( www.bag.admin.ch unter: Themen/Krankenversicherung/Prämien/Prämienrechner/Prämienarchiv/Prämienregionen). Das BAG unterzieht die Einteilung der Prämienregionen regelmässig einer umfassenden Neubeurteilung. Die Zuordnung im System der Prämienregionen steht insbesondere unter dem Vorbehalt einer notwendigen Anpassung auf Grund von Änderungen in der Organisation der Kantone. Zu denken ist an Gemeindefusionen oder die Erweiterung der Agglomerationen (vgl. Antwort des Bundesrates vom 30. November 2012 auf die Interpellation Nr. 12.3941 von Kathy Riklin betreffend "Krankenkassen-Prämienregionen. Kompetenzen für die Kantone schaffen" [ www.parlament.ch unter: Dokumentation/Curia Vista]). 2.3 Mit der Teilrevision des Krankenversicherungsrechts per 1. Januar 2001 wurde den Versicherern das Recht zur autonomen Prämienregioneneinteilung entzogen (vgl. Art. 61 Abs. 2 KVG in der bis Ende 2000 in Kraft gewesenen Fassung). Zum einen sollten künftig sehr kleinräumige örtliche Prämientarife vermieden werden. Zum andern sollten sich die Prämienunterschiede nach den regionalen Kostenunterschieden und nicht etwa nach kommerziellen Überlegungen der Versicherer richten (Botschaft vom 6. November 1991 über die Revision der Krankenversicherung, BBl 1992 I 93, 194 oben zu Art. 53 KVG ). Indes sind die Krankenversicherer nach wie vor frei, auf regionale Prämienabstufungen zu verzichten. Bei Art. 61 Abs. 2 KVG handelte und handelt es sich weiterhin um eine Kann-Vorschrift (GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 739 Rz. 1004). Sinn und Zweck der Schaffung einheitlicher Prämienregionen, die für sämtliche Versicherer schweizweit Allgemeingültigkeit haben, ist, den Versicherten den Prämienvergleich und dem Bundesrat die Prämienkontrolle zu erleichtern (EUGSTER, a.a.O.). Zudem soll die Solidarität verstärkt werden (BBl 1992 I 93, 134 Mitte Ziff. 241). So erhebt der Versicherer von seinen Versicherten die gleichen Prämien ( Art. 61 Abs. 1 KVG ), wobei die Prämientarife der obligatorischen Krankenpflegeversicherung der Genehmigung durch den Bundesrat bedürfen; vor der Genehmigung können die Kantone zu den für ihre BGE 139 V 143 S. 147 Bevölkerung vorgesehenen Prämientarifen Stellung nehmen ( Art. 61 Abs. 5 KVG ). 3. Nach dem Gesagten sind die Versicherer in erster Linie Adressat der vom BAG festgelegten Prämienregionen. Einen Einbezug der einzelnen Kantone und Regionen hinsichtlich deren Einteilung hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Weder dem KVG noch den Materialien lässt sich etwas Gegenteiliges entnehmen. Wie denn auch aus der Antwort des Regierungsrates des Kantons Bern auf die Interpellation Nr. 155-2012 im Grossen Rat betreffend die Einteilung der Prämienregionen erhellt (Geschäftsnummer 2012.0835 [ www.gr.be.ch unter: Geschäfte]), gehen die Kantone selber davon aus, dass die Kompetenz zur Festlegung der Prämienregionen ausschliesslich beim BAG liegt. Erst im Rahmen der konkreten Prämiengestaltung durch die Versicherer werden (allein) sie angehört. Dabei können die Versicherer - müssen aber nicht - ihre Prämien kantonal und regional abstufen. Mit anderen Worten lassen sich die Prämienregionen des BAG nicht ohne konkretisierende Prämienfestsetzung unmittelbar anwenden und vollziehen. Unabhängig von der Frage nach der (Allgemein-)Verfügungsqualität der vom BAG festgelegten Prämienregionen, die nach dem soeben Dargelegten wohl zu verneinen wäre (vgl. E. 1.2 Abs. 2), womit für eine vorgängige Anhörung von vornherein kein Raum verbliebe (vgl. Art. 30 Abs. 1 VwVG ), kommt der Beschwerdeführerin bei der Regioneneinteilung keine Rolle zu. Gemäss der klaren gesetzlichen Konzeption sind ausschliesslich die Kantone ermächtigt, zu den für ihre Bevölkerung vorgesehenen Prämientarifen, deren Gestaltung eine kantonale und regionale Abstufung zu Grunde liegen kann, aber nicht muss, Stellung zu nehmen. Der Legitimation der Beschwerdeführerin zur Anfechtung der vom BAG festgelegten Prämienregionen gebricht es somit schon an der ersten Bedingung von Art. 48 Abs. 1 (lit. a) VwVG (vgl. E. 1.1). Gleichzeitig folgt daraus, dass der Beschwerdeführerin auch kein Anspruch auf Erlass einer Feststellungsverfügung zusteht. Dies gilt hier umso mehr, als keine materielle Beschwer ( Art. 48 Abs. 1 lit. b und c VwVG ) gegeben ist: Die Beschwerdeführerin vermag sich nicht über ein rechtsgenügliches (Feststellungs-)Interesse auszuweisen. Es ist nicht ersichtlich, dass die tatsächliche "Umsetzung" der vom BAG festgelegten Prämienregionen durch die Versicherer genügend wahrscheinlich ist (vgl. Urteil 9C_143/2012 vom 22. März 2012 E. 4.2 mit Hinweisen; vgl. auch ISABELLE HÄNER, in: Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], 2009, BGE 139 V 143 S. 148 N. 18 zu Art. 25 VwVG ). Ebenso wenig ist solches dargetan. Die Beschwerdeführerin bringt lediglich vor, die Zuteilung von Hemmental zur Prämienregion 1 lasse die Prämienverbilligungsbeiträge und die Sozialhilfekosten der Stadt ansteigen. Ausserdem beruft sie sich auf finanzielle Nachteile, die den Einwohnerinnen und Einwohnern der ehemaligen Gemeinde Hemmental drohen. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Rechtsschutzinteresse ein eigenes zu sein hat (vgl. Urteil 9C_321/2012 vom 11. Juli 2012 E. 4 mit Hinweisen) (...). Schliesslich fehlen hinreichende Anhaltspunkte, dass die geltend gemachten wirtschaftlichen Nachteile in unmittelbarem Zusammenhang mit der (Neu-)Einteilung der Prämienregionen stehen.
de
a040fb7d-e20e-4d98-9752-083c8a73a4bf
Erwägungen ab Seite 174 BGE 109 II 174 S. 174 Erwägungen: 1. Die Esselte Meto International GmbH klagte gegen die Etimark AG wegen Verletzung ihres Schweizerischen Patents Nr. 442952 betreffend Etikettenband und Verfahren zu dessen Herstellung. Am 24. Mai 1982 wies das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage ab; auf eine Nichtigkeitsbeschwerde der Esselte Meto International GmbH trat das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 10. Januar 1983 nicht ein. Die Esselte Meto International GmbH führt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, die Urteile des Handelsgerichts und Kassationsgerichts wegen Verletzung von Art. 4 BV aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Handelsgericht zurückzuweisen. Die Etimark AG ersucht, auf die Beschwerde nicht einzutreten oder sie abzuweisen, allenfalls die Sache an das Handelsgericht BGE 109 II 174 S. 175 zurückzuweisen. Handelsgericht und Kassationsgericht haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. Ein Begehren um aufschiebende Wirkung ist abgewiesen worden. 2. Das Kassationsgericht hat es in Änderung seiner Praxis zu § 285 Abs. 2 ZPO /ZH abgelehnt zu prüfen, ob das Handelsgericht ein Gutachten hätte einholen müssen, denn die Frage sei vom Bundesgericht auf Berufung hin zu prüfen. Nicht eingetreten ist es aus dem gleichen Grund auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin, die technischen Probleme seien für einen Laien dermassen unverständlich, dass ein Gutachten unumgänglich erscheine, und das Handelsgericht hätte die Fachvoten einzelner Richter protokollieren müssen. Die Beschwerdeführerin erklärt, das Kassationsgericht habe seine Praxis ohne sachliche Gründe geändert und Bestimmungen der Zivilprozessordnung willkürlich angewendet. Eine Änderung der Rechtsprechung läuft Art. 4 BV nur zuwider, wenn sie sachlich unbegründet ist ( BGE 106 Ia 92 E. 2 mit Hinweisen). An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall. Das Bundesgericht kann nach Art. 67 Ziff. 1 OG in Patentprozessen die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz über technische Verhältnisse überprüfen und zu diesem Zweck die erforderlichen Beweismassnahmen treffen; der Entscheid darüber liegt in seinem Ermessen ( BGE 86 II 104 , BGE 85 II 142 , 514). Gestützt darauf und entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin schreitet es auf entsprechenden Antrag immer dann ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen willkürlich, unvollständig oder aktenwidrig sind ( BGE 85 II 514 ). Dabei überprüft es frei, ob Gutachten Sachverständiger notwendig sind, um den Tatbestand zu verstehen ( BGE 81 II 294 E. 2; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 245/46 und 248) oder die mangelhafte Feststellung des Sachverhalts durch die kantonale Instanz zu ergänzen oder zu korrigieren ( BGE 86 II 104 , BGE 85 II 514 ). Es prüft sodann auch, ob die kantonale Instanz Fachvoten einzelner Richter zu Unrecht nicht protokolliert hat ( Art. 51 Abs. 1 lit. c OG , entsprechend § 145 Abs. 2 GVG ). Es ergänzt und berichtigt den Tatbestand gegebenenfalls selbst oder hebt das Urteil auf ( Art. 52 OG ) und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück ( Art. 64, 67 Ziff. 1 OG ). Daraus erhellt, dass die Beschwerdeführerin alle vor dem Kassationsgericht erhobenen Rügen mittels Berufung gegen das handelsgerichtliche Urteil hätte geltend machen können. Das Kassationsgericht hat sich daher in zutreffender Anwendung von § 285 BGE 109 II 174 S. 176 ZPO /ZH als unzuständig erachtet, die Rügen der Beschwerdeführerin zu überprüfen. Insbesondere hat es seine frühere Praxis zur Überprüfung der Frage, ob Gutachten beizuziehen sind, mit sachlichen Gründen aufgegeben. 3. Zu prüfen bleibt, ob das Kassationsgericht seine Praxisänderung der Beschwerdeführerin hätte ankündigen müssen. Nach der Rechtsprechung ist die Ankündigung unerlässlich, wenn der Rechtssuchende ohne sie einen Rechtsverlust erlitte, besonders bei einer Änderung der Eintretensvoraussetzungen zu einem Rechtsmittel oder einer Klage ( BGE 106 Ia 92 E. 2 mit Hinweisen). Einen derartigen Rechtsverlust riskierte die Beschwerdeführerin indes nicht. Wohl war die Berufungsfrist abgelaufen, als sie das Urteil des Kassationsgerichts in Empfang nahm. Allein sie hätte mit Erfolg ein Gesuch um Wiederherstellung der Berufungsfrist einreichen können, da sie sich aufgrund des berechtigten Vertrauens in die bestehende Praxis nicht veranlasst gesehen hatte, gegen das handelsgerichtliche Urteil Berufung einzulegen ( Art. 35 Abs. 1 OG ; BGE 96 II 264 E. 1 mit Hinweisen; unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 7. Dezember 1981 i.S. OIP c. Müller, E. 1). Das Kassationsgericht musste ihr daher die Änderung seiner Rechtsprechung nicht ankündigen. Ob die Beschwerdeführerin im jetzigen Zeitpunkt noch fristgemäss um Wiederherstellung nachsuchen kann, erscheint fraglich, braucht aber nicht entschieden zu werden. Die Beschwerde ist so oder anders abzuweisen.
de
32ec4766-25ad-4f11-9fe0-5db2ed5cdd0a
Erwägungen ab Seite 274 BGE 100 IV 273 S. 274 Aus den Erwägungen: 1. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Täuschung durch eine einfache Lüge nicht nur dann arglistig, wenn die Überprüfung für den Getäuschten unmöglich oder unzumutbar ist oder wenn er daran gehindert wird, sondern auch, wenn der Täter nach den Umständen voraussieht, dass der Getäuschte die Nachprüfung unterlassen wird. Das Obergericht lehnt die Anwendung des zuletzt genannten Kriteriums der Voraussehbarkeit der fehlenden Überprüfung mit der Begründung ab, dass der strafrechtliche Schutz nicht auf Opfer ausgedehnt werden dürfe, die ihre Schädigung zufolge Leichtgläubigkeit überwiegend selbst zu verantworten haben. Diese Betrachtungsweise verkennt den Sinn der Rechtsprechung. Auch das Bundesgericht vertritt die Auffassung, dass ein allzu leichtgläubiges Opfer sich nicht auf Arglist berufen kann, wenn es eine einfache Lüge bei einem Mindestmass an zumutbarer Vorsicht hätte durchschauen können ( BGE 72 IV 128 , BGE 99 IV 78 Erw. 4). Es ist jedoch nicht das gleiche, ob der Täter, wie es gewöhnlich geschieht, im Sinne einer blossen Hoffnung darauf vertraut, dass seine falschen Angaben geglaubt werden, oder ob er aufgrund bestimmter Umstände zum voraus erkennt, dass er es mit einem Opfer zu tun hat, das ihm infolge Unbeholfenheit, Unerfahrenheit und dergleichen besonderes Vertrauen entgegenbringt und deshalb aller Voraussicht nach von einer Überprüfung absieht. Solche Personen sind oft rasch bereit, unwahren Angaben trotz zumutbarer Überprüfung Glauben zu schenken, ohne dass ihnen Leichtsinn oder Leichtgläubigkeit vorgeworfen werden kann. Gerade weil sie ohne eigenes Verschulden leicht missbraucht werden können, bedürfen sie des besonderen Schutzes. Es ist daher entgegen den Einwänden der Vorinstanz, mit denen sich der Kassationshof schon in BGE 99 IV 77 auseinandergesetzt hat, an der bisherigen Praxis festzuhalten. 2. Die Staatsanwaltschaft erblickt in den angefochtenen 8 Betrugsfällen ausgesprochene Musterbeispiele dafür, dass sich der Angeklagte auf die Unterlassung der Überprüfung BGE 100 IV 273 S. 275 seiner falschen Behauptungen habe verlassen können. Das Obergericht habe deshalb in diesen Fällen das Merkmal der Arglist zu Unrecht verneint. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass Cavina in den 8 Fällen vorgeworfen wird, er habe den Unterzeichnern des Versicherungsantrages falsche Angaben über die Bedeutung des Antrages gemacht, so durch die Zusicherung, die Unterschrift verpflichte sie nicht, der Antrag diene nur der Anforderung weiterer Unterlagen, sie könnten sich noch später entscheiden usw. Die Vorinstanz hat mit Ausnahme des Falles Asmus davon abgesehen, sich mit den einzelnen Sachverhalten, insbesondere mit dem Wahrheitsgehalt der behaupteten Täuschungen, näher auseinanderzusetzen, und die 8 Freisprüche einzig auf die Annahme gestützt, dass auf jeden Fall das Tatbestandsmerkmal der Arglist fehle, weil es den Geschädigten möglich und zumutbar gewesen wäre, das Antragsformular vor der Unterzeichnung durchzulesen. Ist somit die Frage der Täuschung in 7 Fällen in tatsächlicher Hinsicht überhaupt nicht abgeklärt und fehlen in allen 8 Fällen auch weitere Feststellungen über die näheren Umstände, unter denen sich die Verhandlungen abgespielt haben, kann nicht überprüft werden, ob Cavina Arglist zur Last fällt oder nicht. Das Urteil ist daher gemäss Art. 277 BStP aufzuheben und die Sache zur Ergänzung der Feststellungen sowie zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei ist ausser der Tatsache, dass die meisten Geschädigten im jugendlichen Alter von 20 Jahren standen, auch die Möglichkeit geschäftlicher Unerfahrenheit in Betracht zu ziehen und gegebenenfalls weiter zu berücksichtigen, inwieweit sie unter Zeitdruck gehandelt haben oder als Folge anderer Tatumstände, z.B. ihrer persönlichen Verhältnisse oder vertrauenerweckender Zusicherungen des Angeklagten, Veranlassung hatten, den schriftlichen Antrag nicht zu überprüfen. 3. Cavina bestreitet, dass Kaufmann und Grichting durch die Unterzeichnung des Versicherungsantrages, den sie infolge arglistiger Irreführung für. unverbindlich hielten, geschädigt worden seien, weil zwischen den verlangten Prämienzahlungen und der versprochenen Gegenleistung des Versicherers Wertgleichheit bestanden habe. Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, ist ein Vermögensschaden im Sinne von Art. 148 StGB auch dann BGE 100 IV 273 S. 276 möglich, wenn Leistung und Gegenleistung der Vertragsparteien wirtschaftlich gleichwertig sind. Der Grund liegt darin, dass die auszutauschenden Leistungen nicht ausschliesslich nach objektiven Massstäben zu bewerten sind, sondern auch subjektive Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen. Nach dem objektiv-individuellen Vermögensbegriff, der auch in der Lehre vorherrschend ist (vgl. SCHWANDER, Schweiz. Strafgesetzbuch, Nr. 563, SCHÖNKE-SCHRÖDER, § 263 N 61 ), ist davon auszugehen, dass die gleiche Leistung je nach den persönlichen Bedürfnissen und Interessen des Einzelfalles, für den einen vollwertig, für den andern aber nutzlos oder im Wert herabgesetzt sein kann. Dementsprechend hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung den Leitsatz aufgestellt, dass eine Schädigung des Getäuschten immer dann gegeben sei, wenn Leistung und Gegenleistung in einem für ihn ungünstigeren Wertverhältnis stehen, als sie nach der vorgespiegelten Sachlage stehen müssten ( BGE 72 IV 130 , BGE 92 IV 130 , BGE 93 IV 73 , BGE 99 IV 87 ). Gegen diese Auffassung ist eingewendet worden, sie mache den Betrug zu einem Delikt der Dispositionsfreiheit, so dass ein wirklicher Vermögensschaden entbehrlich werde (STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil I, S. 229). Dieser Einwand trifft indessen nicht zu. Denn entgegen der Annahme des erwähnten Autors bejaht das Bundesgericht nicht immer schon dann einen Betrug, wenn der Getäuschte bei Kenntnis des wahren Sachverhalts die Vermögensverfügung nicht vorgenommen hätte, sondern die Praxis verlangt darüber hinaus, dass der Getäuschte eine Gegenleistung von geringerem Wert erhält, als ihm versprochen wurde. Die gleichen Grundsätze sind auch anzuwenden, wenn jemand durch arglistige Irreführung zum Abschluss eines Vertrages bestimmt wird, den der Getäuschte in Wirklichkeit nicht eingehen wollte. In den vorliegenden Fällen ist verbindlich festgestellt, dass Kaufmann und Grichting inbezug auf das Wertverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht getäuscht worden sind. Die Vorinstanz hat ferner angenommen, dass die versprochene Versicherungsleistung dem Wert der verlangten Prämienzahlungen objektiv entsprach. Nach rein objektiver Betrachtungsweise kann somit ein Vermögensschaden nur eingetreten sein, wenn der Vertragsschluss trotz der Wertgleichheit der gegenseitigen Leistungen eine Veränderung der Vermögenslage der Getäuschten zu ihren BGE 100 IV 273 S. 277 Ungunsten zur Folge hatte. Eine solche Benachteiligung liegt schon darin, dass durch den Abschluss von Lebensversicherungen in der Höhe von 15 000.-- bzw. 20 000.-- Franken und die Verpflichtung, während 30 Jahren entsprechende Prämien zu bezahlen, ein Teil des Einkommens der Getäuschten gebunden war, den sie nicht mehr nach ihrem freien Willen für andere Zwecke verwenden konnten. Die mit der finanziellen Belastung verbundene Beschränkung der vermögensrechtlichen Verfügungsfreiheit, die im Hinblick auf die Länge der Vertragsdauer ins Gewicht fällt, stellt einen Vermögensnachteil dar. Umsomehr wurden die Getäuschten unter subjektiven Gesichtspunkten geschädigt. Für Personen, die wie Kaufmann und Grichting infolge ihres jugendlichen Alters und ihrer bescheidenen Einkommensverhältnisse keine Lebensversicherung eingehen wollen, bedeutet der unerwünschte Geschäftsabschluss eine ihren wirtschaftlichen Interessen zuwiderlaufende Ausgabe mit der Wirkung, dass die Gegenleistung des Versicherers für sie weniger Wert hat, als sie für eine abschlusswillige Partei hätte. Die Schädigung ist mit der Unterzeichnung des Versicherungsantrages eingetreten. Dass der zustandegekommene Versicherungsvertrag wegen absichtlicher Täuschung unverbindlich war, ist nach ständiger Rechtsprechung unerheblich ( BGE 74 IV 153 , BGE 100 IV 170 ). 4. Das Obergericht verurteilte Cavina wegen mittelbarer Falschbeurkundung ( Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ) einzig in den Fällen Bösch, Gartmann und Knupfer, in denen er im Versicherungsantrag unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand der Versicherungsnehmer machte. Es sprach ihn dagegen frei, wo er den Versicherungsnehmern bloss vorgespiegelt hatte, der Versicherungsantrag sei unverbindlich. Zur Begründung führte es aus, dass Versicherungsanträge - gleich wie schriftliche Verträge - nur bestimmt und geeignet seien, den Inhalt der Vereinbarungen der Parteien zu beweisen, nicht aber, dass der Vertrag ohne Willensmängel zustandegekommen sei. Ein Vertrag könne deshalb immer nur die Wahrheit der darin bezeugten Tatsachen beweisen, niemals aber, dass eine der Parteien einer Täuschung oder einem Irrtum unterworfen gewesen sei. Die Vorinstanz stellt sich damit auf den Standpunkt, dass eine Falschbeurkundung immer dann ausgeschlossen sei, BGE 100 IV 273 S. 278 wenn die Schrift nur die Abgabe der Erklärung einer Person beweise, nicht aber die Wahrheit der erklärten Tatsache. Dieser Auffassung ist nicht beizupflichten (vgl. HÄFLIGER, Probleme der Falschbeurkundung, ZStR 1958, 407). Schriftliche Verträge sind dazu bestimmt und geeignet, die darin festgehaltenen Tatsachen von rechtlicher Bedeutung zu beweisen, weshalb ihnen Urkundenqualität zukommt ( BGE 81 IV 240 ). Durch die Unterzeichnung des Schriftstückes beurkunden die Parteien den Willen, einen Vertrag abzuschliessen und die Verbindlichkeit seines Inhalts anzuerkennen. Diese Erklärung ist als solche eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung, für die der Vertrag selbst Beweis erbringt. Daran ändert nichts, dass ein Vertrag nicht beweist, ob die Erklärung dem wirklichen Willen der Partei entspreche, insbesondere ob sie frei von Willensmängeln oder einer Täuschung gewesen sei (CHAPPUIS, Le faux intellectuel et la simulation, S. 158/159 N 337). Denn massgebend ist allein, dass die mit der Unterschrift abgegebene Erklärung der Parteien in einer Schrift enthalten ist, die als Beweismittel zum Nachweis der erklärten Tatsache taugt. Im Prozess wird denn auch dieser verurkundeten Erklärung solange rechtliche Bedeutung beigemessen, als nicht der Gegenbeweis für das Vorliegen eines Willensmangels geleistet wird. In den in Frage stehenden Fällen haben sich die Versicherungsnehmer durch die Unterzeichnung eines Versicherungsantrages zum Abschluss eines Versicherungsvertrages verpflichtet, den sie in Wirklichkeit nicht eingehen wollten. Cavina hat daher, wie die Staatsanwaltschaft zu Recht einwendet, auch in jenen Fällen eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig verurkunden lassen, in denen er den Versicherungsnehmern einzig die Unverbindlichkeit des Versicherungsantrages vortäuschte. Die Vorinstanz hat sich demzufolge in den von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Fällen erneut mit der Frage der Urkundenfälschung zu befassen.
de
33f299f2-b874-4add-8e3c-19eb40367058
Sachverhalt ab Seite 173 BGE 99 IV 173 S. 173 A.- Am 10. Juli 1971 ca. um 10.15 Uhr lenkte L. einen Postlieferungswagen durch die Unterwerkstrasse in Zürich. Er beabsichtigte in die Schaffhauserstrasse zu fahren und dort nach links abzubiegen. Bei der Einmündung der Unterwerkstrasse in die Schaffhauserstrasse sind beidseits die Signale "Kein Vortritt" (Nr. 116) aufgestellt. L. machte bei der Einmündung einen Sicherheitshalt. Als er glaubte, ohne Behinderung des übrigen Verkehrs einbiegen zu können, fuhr er langsam in die 8 m breite Schaffhauserstrasse ein. Angeblich wegen eines überraschend von rechts aus einem Parkplatz herausfahrenden Personenwagens, den er vorbeifahren lassen BGE 99 IV 173 S. 174 wollte, hielt L., in der Mitte der Schaffhauserstrasse an, wobei sein Wagen ca. 1-2 m der soeben durchfahrenen Fahrbahnhälfte beanspruchte, sodass für von links kommende Fahrzeuge noch 2-3 m Raum verblieben. Noch während L. auf der Unterwerkstrasse angehalten hatte, näherten sich auf der Schaffhauserstrasse von links der von M. gesteuerte Personenwagen mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h und der Motorradfahrer P.; dieser überholte mit seinem Fahrzeug nahe der Mittellinie fahrend den Wagen M. mit mindestens 80 km/h. Die beiden Fahrzeuge waren etwa 130 m von der Einmündung der Unterwerkstrasse entfernt, als sie sich auf gleicher Höhe befanden. Als L. sich gegen die Strassenmitte zu in Bewegung setzte, war P. noch ca. 70 m von ihm entfernt. Er versuchte, rechts hinter dem Postlieferungswagen durchzufahren, was ihm nicht gelang; er prallte gegen die linke hintere Seite des Wagens. Dabei erlitt er leichte Verletzungen an einer Hand. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirks Zürich verurteilte L. am 21. November 1972 wegen Missachtung des Vortrittsrechts zu einer Busse von Fr. 50.-. Das Obergericht des Kantons Zürich wies am 9. April 1973 eine Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten ab. C.- L. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt Freisprechung von Schuld und Strafe. Erwägungen Der Kassationshof zieht in Erwägung: 1. ... 2. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer die Missachtung des P. zustehenden Vortrittsrechts vor. Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, er habe im Augenblick seines Haltes vor der Einmündung den Motorradfahrer nicht gesehen; im übrigen habe er gemäss Vertrauensprinzip nicht damit rechnen müssen, das P. mit übersetzter Geschwindigkeit und in der Strassenmitte daherfahren werde. 3. a) Der Wartepflichtige hat bei einer Kreuzung oder Einmündung dafür zu sorgen, dass er den Berechtigten in der Weiterfahrt nicht behindert. Eine Behinderung liegt schon dann vor, wenn der Berechtigte gezwungen wird, seine Fahrrichtung oder seine Geschwindigkeit brüsk zu ändern. Das Vortrittsrecht erstreckt sich grundsätzlich auf die ganze BGE 99 IV 173 S. 175 Breite der vortrittsberechtigten Strasse, nicht nur auf die Fahrbahn eines korrekt rechts fahrenden Verkehrsteilnehmers ( BGE 98 IV 116 Erw. 1b mit Verweisungen). Ist eine Kreuzung unübersichtlich, muss der Wartepflichtige darauf achten, sein Einbiegemanöver ohne Behinderung der Vortrittsberechtigten auszuführen. Der Berechtigte seinerseits ist nicht verpflichtet, seine an sich zulässige Geschwindigkeit vor unübersichtlichen Kreuzungen herabzusetzen ( BGE 96 IV 38 Erw. 3, 132 Erw. 2; BGE 93 IV 35 /36). b) Nach der Grundregel von Art. 26 SVG kann ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäss verhält, sofern nicht besondere Umstände dagegen sprechen, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet ( BGE 98 IV 274 ; BGE 96 IV 38 Erw. 3, 132 Erw. 2). Wer sich dagegen selber verkehrswidrig verhält und dadurch eine unklare oder sogar gefährliche Verkehrslage schafft, kann nicht erwarten, die andern Strassenbenützer würden sich so verhalten, dass sein eigener Verstoss gegen die Verkehrsvorschriften nicht zu einem Unfall führe. Eigenes Fehlverhalten hebt den Vertrauensgrundsatz auf, denn unerlässliche Grundlage des Vertrauens im Verkehr ist die Gegenseitigkeit pflichtgemässen Verhaltens (VON WERRA, Du principe de la confiance dans le droit de la circulation routière, Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung 1970, S. 204). c) Das Vertrauensprinzip gilt insbesondere im Verhältnis zwischen Vortrittsberechtigtem und Wartepflichtigem. Der Berechtigte darf grundsätzlich davon ausgehen, dass der Wartepflichtige sein Recht beachtet. Nur wo konkrete Anhaltspunkte erkennen lassen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer sich nicht richtig verhalten werde, muss der Berechtigte zur Abwendung der Gefahr auf sein Vortrittsrecht verzichten ( BGE 97 IV 127 Erw. 4 a mit Verweisungen). Umgekehrt darf auch der Wartepflichtige mangels gegenteiliger Anzeichen darauf vertrauen, dass der Berechtigte die Verkehrsregeln einhält. So muss er beim Einbiegen in eine unübersichtliche Kreuzung nicht damit rechnen, dass ein Fahrzeug überraschend mit übersetzter Geschwindigkeit auftauchen könnte oder dass ein ihm bereits sichtbarer Fahrzeugführer seine Geschwindigkeit plötzlich stark erhöhen werde, um sich den Vortritt zu erzwingen (OSWALD, SJZ 1963, S. 285). BGE 99 IV 173 S. 176 4. a) Im vorliegenden Fall war sich der Beschwerdeführer der Gefährlichkeit der Einmündung hinsichtlich eines Linksabbiegemanövers bewusst. Er musste in beiden Kolonnen der auf der Schaffhauserstrasse verkehrenden Fahrzeuge eine Lücke abwarten, die es ihm erlaubte, ohne Gefährdung der übrigen Strassenbenützer einzubiegen. Er hat bei der Einmündung einen Sicherheitshalt eingeschaltet. Erfahrungsgemäss verführt ein solches Verhalten die vortrittsberechtigten Fahrzeuglenker oft zur Annahme, der Betreffende wolle ihre Vorbeifahrt abwarten ( BGE 95 IV 137 ). Der Wartepflichtige, der nach einem Sicherheitshalt weiterfährt, ist deshalb zu besonderer Vorsicht verpflichtet. b) Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz fuhr der Beschwerdeführer nach dem Sicherheitshalt weiter, als P. noch etwa 70 m von der Einmündung entfernt war. Im städtischen Verkehr ist eine solche Entfernung im allgemeinen ausreichend, um einem wartepflichtigen Fahrzeugführer das Einbiegen gefahrlos zu ermöglichen. Dem Beschwerdeführer ist daher darin zuzustimmen, dass er bei der gegebenen Verkehrslage einbiegen durfte und korrekt von links kommende Fahrzeuge, die sich auf nicht mehr als 70 m genähert hatten, nicht behindert hätte. c) Dass P. im Augenblick des Einbiegens des Beschwerdeführers in der Strassenmitte und nicht am rechten Strassenrand entlang fuhr, ist belanglos. Einerseits war, wie erwähnt, das Vortrittsrecht auf der ganzen Strassenbreite zu respektieren. Anderseits konnte P. sich auf die Einmündung zu ohne weiteres noch gegen den rechten Strassenrand halten. Der Motorradfahrer hat indes vorschriftswidrig gehandelt, indem er mit übersetzter Geschwindigkeit überholte und unvermindert schnell auf die Einmündung zufuhr. Mit einem solchen Verhalten musste L. nicht rechnen, falls er diese Fahrweise nicht rechtzeitig erkennen konnte. d) Die Vorinstanz führt unter Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil nun aber aus, der Beschwerdeführer habe das Überholmanöver des Motorradfahrers und damit dessen hohe Geschwindigkeit bereits im Zeitpunkt seines ersten Sicherheitshalts erkannt. Der Einzelrichter seinerseits hat festgestellt, dass der Beschwerdeführer von seinem Standort aus beim Sicherheitshalt vor dem Einbiegen in die Schaffhauserstrasse gegen links freie Sicht auf 200-250 m Entfernung hatte. Er konnte somit den Personenwagen M. und das überholende Motorrad BGE 99 IV 173 S. 177 erkennen. P. und M. haben den Postlieferungswagen des Beschwerdeführers denn auch bereits gesehen, als dieser noch in der Einmündung stand. Erst recht konnte L. das Motorrad aber erblicken, als dieses noch 70 m von ihm entfernt war und er in die Schaffhauserstrasse einzufahren begann. Die in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, das Motorrad sei vom Personenwagen M. verdeckt gewesen, ist nicht zu hören, da sie im Widerspruch zu den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz steht, wonach die beiden Fahrzeuge etwa 130 m von der Einmündung entfernt sich auf gleicher Höhe befanden. Aus diesen Darlegungen geht hervor, dass der Beschwerdeführer den P. entweder schon im Augenblick des ersten Sicherheitshalts gesehen hat; in diesem Fall musste er erkennen, dass das Motorrad in der Strassenmitte und sehr rasch gegen die Einmündung zu fuhr. Oder er hat das Motorrad erst erblickt, als er schon fast bis in die Mitte der Schaffhauserstrasse eingebogen war, obwohl er es schon vorher hätte sehen können. Im einen wie im andern Fall bedeutet das, dass er es nach dem ersten Sicherheitshalt an der nötigen Vorsicht hat fehlen lassen, indem er sich nicht genügend vergewisserte, ob durch sein Einbiegemanöver vortrittsberechtigte Strassenbenützer in der Weiterfahrt behindert würden. Jedenfalls kann er sich nicht mit dem Einwand entlasten, das Motorrad sei für ihn überraschend und mit zu hoher Geschwindigkeit aufgetaucht. Gegenteils musste er mit der Fahrweise des P.) die für ihn deutlich erkennbar war, rechnen. 5. Der Beschwerdeführer will das Einbiegemanöver deshalb nicht in einem Zug durchgeführt haben, weil überraschend ein Personenwagen von rechts aus einem Parkplatz in die Schaffhauserstrasse gefahren sei. Die Vorinstanz hat die Möglichkeit offen gelassen, dass diese Darstellung zutrifft. a) Wer aus einem Parkplatz hinausfährt und sich in den Verkehr einfügt, ist nicht vortrittsberechtigt ( Art. 36 Abs. 4 SVG ). Der fragliche Personenwagenlenker hatte somit das vom Beschwerdeführer bereits eingeleitete Einbiegemanöver abzuwarten, bevor er in die Verzweigung einfuhr. Nach der Darstellung des Beschwerdeführers verlangsamte der Lenker des Personenwagens denn auch seine Geschwindigkeit, vermutlich um dem einbiegenden Postlieferungswagen die Durchfahrt zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer handelte vorschriftswidrig, wenn er unter diesen Umständen eine Behinderung der rasch von links BGE 99 IV 173 S. 178 auf der Schaffhauserstrasse nahenden vortrittsberechtigten Fahrzeuge in Kauf nahm, um unter Verzicht auf sein Vortrittsrecht dem den Parkplatz verlassenden Fahrzeug die Vorbeifahrt zu ermöglichen. b) Verkehrswidrig war auch die stockende Ausführung des Einbiegemanövers. Der Beschwerdeführer hielt seinen Wagen etwa 50 cm vor der Strassenmitte an, als er das Auto aus dem Parkplatz fahren sah. Weil er nunmehr erkannte, dass von links in rascher Fahrt ein Motorrad nahte, fuhr er weiter, hielt aber nach ca. 1 m Fahrt wieder an, wobei sein Fahrzeug immer noch ungefähr die Hälfte der ersten Fahrbahnhälfte versperrte. Schliesslich fuhr er auch nicht weiter, als der den Parkplatz verlassende Wagen bereits durchgefahren war. Dem Beschwerdeführer ist demnach vorzuwerfen, dass er sein Einbiegemanöver nicht in einem Zug zu Ende brachte, sondern zweimal unterbrach und dadurch den von links heranfahrenden und vortrittsberechtigten P. in dessen Fahrt behinderte.
de
24991460-4dd5-44be-8dcb-81de7779b3cb
Sachverhalt ab Seite 534 BGE 131 II 533 S. 534 Die Banken A. und B. hatten ihr Personal aufgrund eines Anschlussvertrags gemäss Art. 11 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) bei der genossenschaftlich organisierten X. versichert. Als sie Anfang 1994 von der G. bzw. der L. übernommen wurden, kündigten diese den jeweiligen Anschlussvertrag mit der X. per 31. Dezember 1994. Diese Kündigung galt auch für jenen Teil der Angestellten der A. und der B., welcher zum Unternehmen M. gewechselt hatte (namentlich das Informatikpersonal). Offenbar ebenfalls auf den 31. Dezember 1994 kündigten die S. und die T. je ihren Anschlussvertrag mit der X. Nach verschiedenen Rechtsstreiten, mit denen zweimal auch das Bundesgericht befasst wurde (vgl. bspw. Urteil 2A.185/1997 vom 11. Februar 1998, publ. in: Pra 87/1998 S. 435 ff.), reichte die X. dem Bundesamt für Sozialversicherung am 18. Dezember 2000 einen Verteilungsplan ein, welchen dieses mit Verfügung vom 25. April 2002 genehmigte. Hiergegen gelangten die G. (welche zuvor die L. übernommen hatte), und die Vorsorgeeinrichtung der G., sowie die M. und die Vorsorgeeinrichtung der M. erfolglos an die Eidgenössische Beschwerdekommission der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Urteil vom 4. Februar 2004). Am 14. März 2004 haben sie deshalb beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. 4.1 In materieller Hinsicht berufen sich die Beschwerdeführerinnen verschiedentlich auf Art. 23 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1993 über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (FZG; SR 831.42; AS 1994 S. 2392), in welchem die Teilliquidation von Vorsorgeeinrichtungen geregelt war, bevor am 1. Januar 2005 die erste BVG-Revision und mit ihr die neu ins Gesetz eingefügten Art. 53a ff. in Kraft traten (AS 2004 S. 1688 ff.). Art. 23 FZG findet jedoch auf die hier zu beurteilende Teilliquidation keine Anwendung, weil BGE 131 II 533 S. 535 das Freizügigkeitsgesetz erst auf Beginn des Jahres 1995 Geltung erlangt hat (vgl. AS 1994 S. 2394). Im vorliegend massgebenden Zeitpunkt, dem 31. Dezember 1994, bestand mithin noch keine gesetzliche Regelung für die Teilliquidation von Vorsorgeeinrichtungen. Die Streitigkeit ist deshalb allein nach der einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu beurteilen, welche zwar im Rahmen des Stiftungsrechts entwickelt wurde, sich aber für die hier streitigen Fragen ohne weiteres auf eine Vorsorgeeinrichtung in der Rechtsform einer Genossenschaft übertragen lässt. 4.2 Zwischen den Parteien ist vorab umstritten, ob ein "ausreichend präziser und nachvollziehbarer" Verteilungsplan vorliege. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die "Verfügung" sei zu wenig konkret, zumal sie auf ein "Konvolut von drei Gutachten" verweise, aus denen ihr Inhalt erst herausgelesen werden müsse; zudem sei eines der betreffenden Dokumente auf Französisch verfasst, was gegen Art. 37 VwVG (Verpflichtung zur Eröffnung von Verfügungen in der Verfahrenssprache) verstosse. Mit ihrer Argumentation scheinen die Beschwerdeführerinnen zu verkennen, dass es sich beim Verteilungsplan um ein Dokument handelt, welches von der Vorsorgeeinrichtung und von dieser beigezogenen Experten und nicht von einer Behörde ausgearbeitet wird; der Verteilungsplan muss daher nicht den formellen Anforderungen genügen, welche Gesetz und Praxis an eine Verfügung stellen. Einzig seine Genehmigung, welche von der Aufsichtsbehörde erteilt wird, stellt eine Verfügung dar, wobei vorliegend unstreitig ist, dass der Entscheid des Bundesamts für Sozialversicherung vom 25. April 2004 den allgemeinen formellen Anforderungen an eine solche entspricht. Der Verteilungsplan der Beschwerdegegnerin ist im Übrigen ausreichend klar gefasst, auch wenn er sich aus verschiedenen Dokumenten zusammensetzt: Er enthält - wie die Vorinstanz richtig festgehalten hat - mit dem Betrag der freien Mittel, dem Kreis der Begünstigten, den Verteilkriterien und einer Liste der konkreten Ansprüche der einzelnen Begünstigten alle erforderlichen Informationen. 4.3 Die Beschwerdeführerinnen beanstanden auch die kaufmännische Teilliquidationsbilanz: Zwar anerkennen sie den auf 268.931 Mio. Franken bestimmten Gesamtwert der Aktiven, wenden sich aber insbesondere gegen die davon zum Abzug gebrachten Rückstellungen (im Betrag von 20.422 Mio. Franken), von denen sie nur gerade 660'000 Franken, die mit konkreten Geschäftsrisiken BGE 131 II 533 S. 536 verbunden sind, als erforderlich anerkennen. Sie begründen jedoch ihre ablehnende Haltung nicht näher, sondern verweisen diesbezüglich auf die beim Bundesamt für Sozialversicherung eingereichte Stellungnahme vom 9. April 2001, welche einen "integrierenden Bestandteil" ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht bilde. Ein solcher pauschaler Verweis auf frühere Rechtsschriften genügt der Begründungspflicht von Art. 108 Abs. 2 OG jedoch nicht (vgl. BGE 118 Ib 134 E. 2 S. 135 f.), weshalb den in der fraglichen Stellungnahme enthaltenen Vorbringen nicht weiter nachzugehen ist. 5. 5.1 Kommt es zu einer Teilliquidation einer Vorsorgeeinrichtung, so wird dieser ein so genanntes "Fortbestands- oder Fortführungsinteresse" zugebilligt. Unter diesem Titel bildet die Pensionskasse jene Reserven und Rückstellungen, welche sie mit Blick auf die anlage- und versicherungstechnischen Risiken nach Abwicklung der Teilliquidation benötigt, um die Vorsorge der verbleibenden Destinatäre im bisherigen Rahmen weiterzuführen (vgl. CARL HELBLING, Zum Verfahren der Teil- und Gesamtliquidation von Personalvorsorgeeinrichtungen, in: Schmid [Hrsg.], Teilliquidationen von Vorsorgeeinrichtungen, Bern 2000, S. 72; CHRISTINA RUGGLI-WÜEST, Liquidation/Teilliquidation der Vorsorgeeinrichtung, in Schaffhauser/Stauffer [Hrsg.], Neue Entwicklungen in der beruflichen Vorsorge, St. Gallen 2000, S. 162, Fn. 36). Es handelt sich dabei insbesondere um Risikoschwankungsreserven, Wertschwankungsreserven auf den Aktiven, Zinsreserven (im Hinblick auf die gesetzliche Mindestverzinsung der Altersguthaben), Reserven wegen der Zunahme der Lebenserwartung, Reserven für die Anpassung der laufenden Renten an die Teuerung sowie Rückstellungen für latente Steuern und Abgaben auf Liegenschaften (vgl. CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 7. Aufl., Bern 2000, S. 267; OLIVIER DEPREZ, Feststellung der freien Mittel, in: Schmid [Hrsg.], Teilliquidationen von Vorsorgeeinrichtungen, Bern 2000, S. 46 ff.; OSKAR LEUTWILER, Teilliquidation einer Pensionskasse, in: Der Schweizer Treuhänder [ST] 1999 S. 324; Gemischte Kommission der Treuhand-Kammer und der Schweizerischen Aktuarvereinigung [Hrsg.], Leitfaden zur Teilliquidation, Zürich 2001, S. 18 f.; JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER, Fonds libres et liquidations de caisses de pensions, in: SZS 2001 S. 462 f.). BGE 131 II 533 S. 537 5.2 Zusätzlich zum Fortbestandsinteresse ist bei der Teilliquidation von Vorsorgeeinrichtungen als zentrales Prinzip das Gleichbehandlungsgebot zu beachten. Obschon dessen Bedeutung mit Erlass des Freizügigkeitsgesetzes - und zuletzt im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge mit dem neuen Art. 53d BVG - weiter betont worden ist (vgl. hierzu BGE 131 II 514 E. 5.3, 5.4 u. 6.2 S. 521 ff.), kam ihm bereits zuvor grosses Gewicht zu (vgl. BGE 128 II 394 E. 3.2 S. 396 f.). So leitete das Bundesgericht schon vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes aus dem Rechtsgleichheitsgebot sowie aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Verpflichtung der Vorsorgeeinrichtung ab, im Falle einer Teilliquidation eine den konkreten Verhältnissen angepasste Aufteilung des Vorsorgevermögens vorzunehmen. Es formulierte deshalb den Grundsatz, dass das Personalvorsorgevermögen den bisherigen Destinatären zu folgen habe, damit nicht wegen Personalfluktuationen einzelne Gruppen von Versicherten zulasten anderer profitieren ( BGE 119 Ib 46 E. 4c S. 54; BGE 110 II 436 E. 4 f. S. 442 ff.). Wie der Gleichbehandlungsgedanke im konkreten Einzelfall verwirklicht wird, war jedoch stets vorab Sache der zuständigen Organe der Vorsorgeeinrichtung. 5.3 Bei der Überprüfung eines bestimmten Verteilungsplans ist zu bedenken, dass die Gleichbehandlung der Versicherten auf längere Sicht gewährleistet sein soll; nach Beendigung der konkreten Teilliquidation müssen weitere Teilliquidationen unter Beachtung der selben Prinzipien möglich bleiben ( BGE 128 II 394 E. 5.4 S. 401; vgl. auch MARTIN DETTWILER, Die Teilliquidation einer Vorsorgeeinrichtung, in: Schweizer Personalvorsorge [SPV] 1990 S. 115). Dies ist gerade bei einer Gemeinschaftseinrichtung wie der Beschwerdegegnerin, an der verschiedene Arbeitgeber angeschlossen sind, von besonderer Bedeutung, weil es hier durch weitere Kündigungen von Anschlussverträgen eher als bei einer betriebseigenen Kasse zu zusätzlichen Teilliquidationen kommen kann (vgl. die Botschaft des Bundesrats zur 1. BVG-Revision; BBl 2000 S. 2672). Deshalb dient es nicht nur dem Fortbestandsinteresse der verbleibenden Versicherten, sondern auf längere Sicht auch der Gleichbehandlung aller Betroffenen, wenn hinsichtlich der Höhe der Mittel, welche dem Abgangsbestand mitgegeben werden, darauf geachtet wird, dass die Vorsorgeeinrichtung ihre finanzielle Gesamtsituation nicht verschlechtert. Aus dieser Überlegung erhellt, dass das Gleichbehandlungsgebot nicht zwingend BGE 131 II 533 S. 538 bei jeder einzelnen Teilliquidation eine absolute frankenmässige Gleichstellung von Fort- und Abgangsbestand verlangt. Jedenfalls besteht für eine Teilliquidation, welche wie die vorliegende auf einen Stichtag vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes abzuwickeln ist, keine Verpflichtung zur Aufteilung sämtlicher Reserven und Rückstellungen zwischen den beiden Gruppen von Versicherten (zur Situation unter Geltung des Freizügigkeitsgesetzes vgl. BGE 131 II 514 , insb. E. 6.2 S. 523). 6. 6.1 Nach dem Gesagten gehen die Beschwerdeführerinnen fehl, wenn sie die Bildung von Reserven und Rückstellungen im Rahmen einer Teilliquidation grundsätzlich ablehnen. Sie setzen denn auch den Angaben der Experten in der kaufmännischen und technischen Teilliquidationsbilanz einfach ihre Globalberechnung entgegen, ohne sich auf eine nachvollziehbare Art und Weise mit den beanstandeten Werten zu befassen. Letztlich enthält die Beschwerdeschrift diesbezüglich überhaupt keine substantiierten Vorbringen, sondern bloss eine generelle Kritik am Vorgehen der Beschwerdegegnerin und insbesondere am von dieser verwendeten sog. "Lang'schen Schema". Damit genügt sie insoweit den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht: Zwar wendet das Bundesgericht im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde das Recht von Amtes wegen an; diese Tatsache entbindet die Rechtsuchenden jedoch nicht von der Obliegenheit, ihre Anträge hinreichend zu begründen ( Art. 108 Abs. 2 OG ; vgl. auch E. 4.3). In Streitigkeiten, welche - wie die vorliegende - technischer Natur sind, kommt der Begründung der Anträge zusätzliche Bedeutung zu. Es kann nicht Sache des Bundesgerichts sein, den hier streitigen Verteilungsplan von sich aus unter allen (auch kaufmännischen und versicherungstechnischen) Gesichtspunkten einer Kontrolle zu unterziehen. Demnach ist auf die Ausführungen der Beschwerdeführer zu den Reserven und Rückstellungen in der Teilliquidationsbilanz nicht weiter einzugehen, zumal es insoweit an einer sachbezogenen Begründung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung fehlt (vgl. BGE 118 Ib 134 E. 2 S. 135 f.). 6.2 Bedenklich erscheint aber, dass die Beschwerdegegnerin das Deckungskapital von Abgangs- und Fortbestand nicht auf den gleichen Stichtag berechnet hat. Für das austretende Personal stellte sie diesbezüglich auf den 31. Dezember 1994 ab, während sie das Deckungskapital des Fortbestands auf den 1. Januar 1995 BGE 131 II 533 S. 539 bestimmte; damit ging sie bei der Teilliquidation für die verbleibenden Versicherten von anderen Prämissen aus als für die ausscheidenden. Die Kritik der Beschwerdeführerinnen an diesem Vorgehen ist grundsätzlich berechtigt, auch wenn der Grund hierfür offenbar im Bestreben der Beschwerdegegnerin lag, für den Fortbestand bereits dem Freizügigkeitsgesetz Rechnung zu tragen, welches auf den 1. Januar 1995 in Kraft trat. Die Teilliquidation wird auf einen bestimmten Stichtag vorgenommen, welcher für alle Versicherten der gleiche ist; es können nicht für Abgangs- und Fortbestand zwei unterschiedliche Daten massgebend sein. Allerdings hat die Beschwerdegegnerin von Anfang an geltend gemacht, die verschiedenen Stichtage gereichten dem Abgangsbestand nicht zum Nachteil. Sie begründet dies damit, dass das Freizügigkeitsgesetz neu die Berechnung des Deckungskapitals nach der "Methode des prospektiven Deckungskapitals" vorschreibe, welche für den Fortbestand per 1. Januar 1995 zu einem geringeren Deckungskapital führe als eine Berechnung auf den 31. Dezember 1994 nach der zuvor verwendeten Methode. Die Beschwerdeführerinnen haben diese Behauptung nie substantiell bestritten und auch nicht dargetan, inwiefern das Vorgehen der Beschwerdegegnerin den Abgangsbestand konkret benachteiligt hätte. Mithin ist der angefochtene Entscheid im Ergebnis nicht zu beanstanden, soweit er eine Neuberechnung des Deckungskapitals des Fortbestands auf den 31. Dezember 1994 ablehnt. 7. Die Beschwerdeführerinnen rügen weiter, dass die freien Mittel individualisiert und den einzelnen Versicherten des Abgangsbestands gutgeschrieben wurden. Richtigerweise müssten die freien Mittel kollektiv auf die neue Vorsorgeeinrichtung übertragen werden, damit diese jene Rückstellungen bilden könne, welche für die übertretenden Versicherten erforderlich seien; das mitgegebene Deckungskapital allein reiche hierzu nicht aus. 7.1 Mit dieser Argumentation verkennen die Beschwerdeführerinnen, dass die vorsorgerechtliche Stellung, in welcher sich der Abgangsbestand in der neuen Vorsorgeeinrichtung befindet, nicht nur von der Höhe des mitgebrachten Kapitals abhängt, sondern auch wesentlich von den Unterschieden, welche zwischen den Leistungsplänen der alten und der neuen Vorsorgeeinrichtung bestehen. Jedenfalls gibt es bezüglich der Frage, ob der Anteil des Abgangsbestands an den freien Mitteln individuell oder kollektiv auszurichten sei, keine gefestigte Praxis und sie wird auch weder vom BGE 131 II 533 S. 540 Freizügigkeitsgesetz noch von den heute geltenden Art. 53a ff. BVG geregelt. Damit bleibt es grundsätzlich der abgebenden Vorsorgeeinrichtung überlassen, ob die freien Mittel individualisiert oder kollektiv übertragen werden, wobei ihr Entscheid sachgerecht zu sein und das Gleichbehandlungsgebot zu beachten hat. 7.2 Im vorliegenden Fall käme eine kollektive Übertragung der freien Mittel auf die neuen Vorsorgeeinrichtungen, wie sie die Beschwerdeführerinnen verlangen, durchaus in Betracht, zumal die Anschlussverträge der betroffenen Vorsorgewerke als Ganzes gekündigt worden sind und die Arbeitsverhältnisse der Versicherten davon grundsätzlich nicht betroffen werden (vgl. ARMIN STRUB, Zur Teilliquidation nach Art. 23 FZG , in: AJP 1994 S. 1529 ff.). Zudem wirft eine individuelle Zuteilung der freien Mittel mit Blick auf das Gleichbehandlungsgebot Fragen auf, erfolgt doch - wie hier - in aller Regel keine entsprechende Individualisierung zugunsten des Fortbestands. Andererseits ist zu bedenken, dass die zum Abgangsbestand gehörenden Versicherten im Falle eines kollektiven Transfers der freien Mittel insoweit keine persönliche Gutschrift erhalten, weshalb jeder von ihnen einen geringeren Betrag auf seinem persönlichen Konto in die neue Vorsorgeeinrichtung mitbringt und sich dort gegebenenfalls mit zusätzlichen Mitteln in den Leistungsplan einkaufen muss. Überdies würden jene Versicherte, die später individuell aus der neuen Vorsorgeeinrichtung ausscheiden, nicht an den freien Mitteln partizipieren, die dem Abgangsbestand im Rahmen der Teilliquidation von der bisherigen Vorsorgeeinrichtung mitgegeben wurden. Demnach präsentieren sich die Dinge hier wie folgt: Weil sich die übertretenden Versicherten nicht persönlich in die Reserven und die Rückstellungen der neuen Vorsorgeeinrichtung einkaufen müssen, haben die Beschwerdeführerinnen 2 und 4 ein Interesse an der kollektiven Übertragung der freien Mittel; mit diesen könnten sie die für die neu eintretenden Versicherten nötigen Reserven und Rückstellungen bilden. Demgegenüber liegt eine Individualisierung der freien Mittel, wie sie die Beschwerdegegnerin hier vorgenommen hat, im Interesse der einzelnen Versicherten des Abgangsbestands. 7.3 Das Vorgehen der Beschwerdegegnerin ist in Anbetracht der konkreten Umstände nicht sachwidrig: Von der Teilliquidation sind hier immerhin 75 einzeln ausgetretene Versicherte betroffen, deren Ansprüche auf Partizipation an den freien Mitteln ohnehin individuell abzugelten waren. Es erscheint deshalb durchaus BGE 131 II 533 S. 541 vertretbar, auch bei den Versicherten, die zu den Beschwerdeführerinnen 2 und 4 übergetreten sind (und auf die freie Mittel in der Höhe von knapp 6.3 Mio. Franken entfallen), eine individuelle Gutschrift vorzunehmen, um nicht die verschiedenen Gruppen des Abgangsbestands ungleich zu behandeln. 7.4
de
63c36f26-6ccc-41f7-aea7-a1b3b61dd9bb
SR 642.114 1 Verordnung über die Besteuerung der Liquidationsgewinne bei definitiver Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit (LGBV) vom 17. Februar 2010 (Stand am 1. Januar 2011) Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf die Artikel 37b und 199 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19901 über die direkte Bundessteuer (DBG), verordnet: 1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Gegenstand und Geltungsbereich 1 Diese Verordnung regelt die Besteuerung von Liquidationsgewinnen einer steuer- pflichtigen Person bei definitiver Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit: a. nach dem vollendeten 55. Altersjahr; oder b. infolge Invalidität. 2 Der Eintritt der Invalidität bestimmt sich nach Artikel 4 Absatz 2 des Bundesgeset- zes vom 19. Juni 19592 über die Invalidenversicherung. 3 Die Verordnung gilt nicht für: a. Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit und andere Einkünfte, die nicht aus der Liquidation stammen; b. Liquidationsgewinne, welche die steuerpflichtige Person nach Absatz 1 (steuerpflichtige Person) nach der Wiederaufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erzielt. Art. 2 Liquidationsjahr Als Liquidationsjahr gilt das Geschäftsjahr, in dem die Liquidation abgeschlossen wird. AS 2010 717 1 SR 642.11 2 SR 831.20 642.114 Steuern 2 642.114 Art. 3 Verhältnis zu Artikel 18a DBG 1 Wird die Besteuerung von stillen Reserven als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit nach Artikel 18a Absatz 1 DBG bis zur Veräusserung der Liegen- schaft aufgeschoben, so findet die Verordnung auf diese realisierten stillen Reserven keine Anwendung. 2 Wird die Liegenschaft jedoch während des Liquidationsjahrs oder des Vorjahrs aus dem Geschäftsvermögen in das Privatvermögen überführt und in einem dieser Jahre veräussert, so sind die realisierten stillen Reserven Bestandteil des Liquidationsge- winns. 2. Abschnitt: Einkauf in eine Vorsorgeeinrichtung Art. 4 1 Ist die steuerpflichtige Person einer Vorsorgeeinrichtung angeschlossen, so kann sie sich im Liquidationsjahr und im Vorjahr im Rahmen der reglementarischen und übrigen vorsorgerechtlichen Bestimmungen in die Vorsorgeeinrichtung einkaufen. 2 Sie kann diese Einkaufsbeträge von den Einkünften abziehen (Art. 33 Abs. 1 Bst. d DBG). 3 Ein Beitragsüberhang reduziert den Liquidationsgewinn. 3. Abschnitt: Fiktiver Einkauf Art. 5 Grundsätze 1 Die steuerpflichtige Person kann bei der Steuerbehörde Antrag auf Besteuerung eines fiktiven Einkaufs nach Artikel 8 stellen. 2 Sie muss die notwendigen Belege für die Berechnung des fiktiven Einkaufs nach Artikel 6 beibringen. Art. 6 Berechnung des fiktiven Einkaufs 1 Der Betrag des fiktiven Einkaufs einer steuerpflichtigen Person berechnet sich aus dem Altersgutschriftensatz von 15 Prozent, multipliziert mit der Anzahl Jahre nach Absatz 2 und dem Einkommen nach den Absätzen 3–5, reduziert um die Abzüge nach Absatz 6. Er darf die Höhe des Liquidationsgewinns nicht übersteigen. 2 Massgebend ist die Anzahl Jahre vom vollendeten 25. Altersjahr bis zum Alter im Liquidationsjahr, höchstens jedoch bis zum ordentlichen AHV-Rentenalter. Besteuerung der Liquidationsgewinne bei definitiver Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit 3 642.114 3 Das Einkommen entspricht dem Durchschnitt aus der Summe der AHV-pflichtigen Erwerbseinkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit der letzten fünf Geschäfts- jahre vor dem Liquidationsjahr, abzüglich der im Vorjahr realisierten stillen Reser- ven. 4 Weist die steuerpflichtige Person nach, dass sie bis zum Liquidationsjahr weniger als fünf Jahre selbstständig erwerbend war, so wird das Einkommen gestützt auf die tatsächliche Anzahl Jahre der selbstständigen Erwerbstätigkeit berechnet. 5 Das Einkommen darf den zehnfachen oberen Grenzbetrag nach Artikel 8 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 19823 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) nicht überschreiten. 6 Abgezogen werden: a. Altersguthaben aus beruflicher Vorsorge, insbesondere: 1. Guthaben bei Vorsorgeeinrichtungen und Freizügigkeitseinrichtungen, 2. Guthaben der Säule 3a nach Artikel 60a Absatz 2 der Verordnung vom 18. April 19844 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invali- denvorsorge; b. Vorbezüge nach Artikel 3 der Verordnung vom 13. November 19855 über die steuerliche Abzugsberechtigung für Beiträge an anerkannte Vorsorge- formen; c. Vorbezüge nach Artikel 30c BVG und Artikel 331e des Obligationenrechts6 sowie Pfandverwertungen nach Artikel 331d Absatz 6 des Obligationen- rechts; d. Barauszahlungen von Vorsorgeeinrichtungen, Freizügigkeitseinrichtungen und Säule-3a-Einrichtungen sowie von Wohlfahrtsfonds; e. Invaliden- und Altersleistungen von Vorsorgeeinrichtungen, Freizügigkeits- einrichtungen und Säule-3a-Einrichtungen sowie von Wohlfahrtsfonds. Art. 7 Nachträglicher Anschluss an eine Vorsorgeeinrichtung Der geltend gemachte fiktive Einkauf wird steuerrechtlich an einen späteren Einkauf in eine Vorsorgeeinrichtung angerechnet. Art. 8 Besteuerung des fiktiven Einkaufs Der Betrag des fiktiven Einkaufs wird nach Artikel 38 DBG besteuert. 3 SR 831.40 4 SR 831.441.1 5 SR 831.461.3 6 SR 220 Steuern 4 642.114 4. Abschnitt: Übriger Liquidationsgewinn Art. 9 Bemessung Der übrige Liquidationsgewinn umfasst die im Liquidationsjahr und im Vorjahr realisierten stillen Reserven, abzüglich: a. der Beitragsüberhänge (Art. 4 Abs. 3); b. des fiktiven Einkaufs; c. des durch die Realisierung der stillen Reserven verursachten Aufwandes; d. des Verlustvortrags und des Verlusts des laufenden Geschäftsjahres, die nicht mit dem Einkommen aus der selbstständigen Erwerbstätigkeit verrech- net werden konnten. Art. 10 Besteuerung 1 Für den anwendbaren Steuersatz nach Artikel 214 DBG7 ist ein Fünftel des Liqui- dationsgewinns massgebend. 2 Der Steuersatz beträgt jedoch mindestens 2 Prozent. 5. Abschnitt: Erbgang Art. 11 Liquidation durch die Erben, Erbinnen, Vermächtnisnehmer oder Vermächtnisnehmerinnen 1 Führen die Erben, Erbinnen, Vermächtnisnehmer oder Vermächtnisnehmerinnen der steuerpflichtigen Person die selbstständige Erwerbstätigkeit nicht fort und liqui- dieren sie das Einzelunternehmen innert fünf Kalenderjahren nach Ablauf des Todesjahres des Erblassers oder der Erblasserin, so bestimmt sich der Steuersatz nach Artikel 10. Dasselbe gilt, wenn die Tätigkeit der steuerpflichtigen Person in einer Personengesellschaft durch die Erben, Erbinnen, Vermächtnisnehmer oder Vermächtnisnehmerinnen nicht fortgeführt wird und innert derselben Frist die Personengesellschaft liquidiert oder der Gesellschaftsanteil veräussert wird. 2 Führen die Erben, Erbinnen, Vermächtnisnehmer oder Vermächtnisnehmerinnen der steuerpflichtigen Person die selbstständige Erwerbstätigkeit nicht fort und liqui- dieren sie das Unternehmen nicht innert fünf Kalenderjahren nach Ablauf des Todesjahres des Erblassers oder der Erblasserin, so erfolgt nach Ablauf dieser Frist eine steuersystematische Abrechnung nach Absatz 1. 3 Die blosse Erfüllung von im Zeitpunkt des Erbgangs bestehenden Verpflichtungen gilt nicht als Fortführung der selbstständigen Erwerbstätigkeit. 4 Ein fiktiver Einkauf nach Artikel 5 kann von den Erben, Erbinnen, Vermächtnis- nehmern oder Vermächtnisnehmerinnen nicht geltend gemacht werden. 7 Ab 1. Jan. 2014: Art. 36. Besteuerung der Liquidationsgewinne bei definitiver Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit 5 642.114 Art. 12 Fortführung der selbstständigen Erwerbstätigkeit durch die Erben, Erbinnen, Vermächtnisnehmer oder Vermächtnisnehmerinnen Führen die Erben, Erbinnen, Vermächtnisnehmer oder Vermächtnisnehmerinnen der steuerpflichtigen Person die selbstständige Erwerbstätigkeit fort, so findet diese Verordnung nur Anwendung, wenn sie die Voraussetzungen nach Artikel 37b DBG selbst erfüllen. 6. Abschnitt: Inkrafttreten Art. 13 Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2011 in Kraft. Steuern 6 642.114
de
5d371938-5f92-44b0-bf9b-d95de69c75a0
Erwägungen ab Seite 107 BGE 108 IV 107 S. 107 Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass M. am BGE 108 IV 107 S. 108 22. April 1980, etwa um 00.50 Uhr, in Volketswil nach Alkoholgenuss seinen Personenwagen führte. Er wurde von der Polizei kontrolliert. Um 01.25 Uhr erfolgte im Bezirksspital Uster eine Blutentnahme. Die Analyse ergab einen Blutalkoholgehalt von 0,96-1,06 Gewichtspromille. In der Folge erhob der Beschwerdeführer den Einwand der Nachresorption: Er habe vor der Wegfahrt vom Restaurant "Molino" - zwischen 24.00 Uhr und 00.40 Uhr - noch Whisky getrunken, der im Zeitpunkt der Fahrt nicht resorbiert gewesen sei, der Blutalkoholgehalt zur Zeit des Führens seines Motorfahrzeuges sei daher geringer gewesen. Zur Abklärung dieses Einwandes wurde im kantonalen Verfahren vom gerichtlich-medizinischen Institut der Universität Zürich ein Ergänzungsgutachten mit zwei Nachträgen eingeholt. Das Kassationsgericht stellt fest, dass der zweite Nachtrag zum Ergänzungsgutachten aufgrund der Angaben über den Alkoholkonsum kurz vor der Wegfahrt unter Berücksichtigung der Nachresorption zu einer Blutalkoholkonzentration zwischen 0,49 und 0,76 Gewichtspromille komme (je nach der Menge des konsumierten Alkohols) und dass damit die Berechnungen in den vorangehenden Gutachten in einer Weise erschüttert seien, welche eine zweifelsfreie Annahme einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 oder mehr Gewichtspromille im Zeitpunkt der Tat nicht mehr zulasse. Hingegen stehe fest, dass der Beschwerdeführer während seiner Fahrt eine Alkoholmenge im Körper gehabt habe, welche zu einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 0,8 Gewichtspromille führe und gemäss Art. 2 Abs. 2 VRV ebenfalls den Tatbestand der Angetrunkenheit erfülle. Die Einwände gegen die Rechtmässigkeit der Regel, wonach nicht nur die Blutalkoholkonzentration im Zeitpunkt der Tat den Schluss auf Angetrunkenheit zulässt, sondern auch das Vorhandensein einer noch nicht resorbierten entsprechenden Alkoholmenge im Körper Angetrunkenheit darstellt, wurden vom Kassationsgericht des Kantons Zürich als unbegründet abgelehnt. 2. Mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde wird ausschliesslich geltend gemacht, der eben erwähnte zweite Teilsatz von Art. 2 Abs. 2 VRV sei durch Art. 55 Abs. 1 SVG nicht gedeckt, sondern stelle faktisch die Schaffung eines neuen, durch das Gesetz nicht vorgesehenen Straftatbestandes dar. a) Die Normen von Verordnungen des Bundesrates sind vom Strafrichter vorfrageweise auf ihre Rechtmässigkeit zu überprüfen ( BGE 105 IV 254 E. 2a, BGE 103 IV 193 f.). Auf das Begehren um BGE 108 IV 107 S. 109 akzessorische Normenkontrolle ist nach konstanter Praxis einzutreten. b) Gemäss Art. 31 Abs. 2 SVG darf kein Fahrzeug führen, "wer angetrunken, übermüdet oder sonst nicht fahrfähig ist". Unter dem marginale "Angetrunkenheit" bestimmt Art. 55 Abs. 1 SVG , dass der Bundesrat festlegt, "bei welcher Blutalkoholkonzentration unabhängig von weiteren Beweisen und individueller Alkoholverträglichkeit Angetrunkenheit) ... angenommen wird". Diesen Auftrag des Gesetzgebers hat der Bundesrat in Abs. 2 von Art. 2 VRV durch folgende Vorschrift erfüllt: "Fahrunfähigkeit wegen Alkoholeinwirkung (Angetrunkenheit) gilt in jedem Fall als erwiesen, wenn der Fahrzeugführer eine Blutalkohol-Konzentration von 0,8 oder mehr Gewichtspromillen aufweist oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Blutalkohol-Konzentration führt." c) In der Beschwerdeschrift wird die Auffassung vertreten, Art. 55 Abs. 1 SVG ermächtige zwar den Bundesrat, einen Grenzwert festzulegen, doch gehe es dabei ausschliesslich um die Limite für die Blutalkoholkonzentration im Zeitpunkt der Tat (d.h. zur Zeit des Führens eines Motorfahrzeuges); die gesetzliche Delegationsnorm sei durch den zweiten Teilsatz ("oder eine Alkoholmenge im Körper hat ...") überschritten. Die ratio legis von Art. 55 Abs. 1 SVG liegt darin, dass von Gesetzes wegen erklärt wird, bei Überschreiten eines vom Bundesrat zu bestimmenden Grenzwertes begründe die festgestellte Blutalkoholkonzentration die Annahme der Angetrunkenheit, ohne dass es weiterer konkreter Indizien für die Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit bedürfe und unter Ausschluss von irgendwelchen Gegenbeweisen aufgrund individueller Eigenschaften (wie Alkoholverträglichkeit) oder konkreter Beobachtungen. Massgebend ist in der Regel der Wert, der sich aus der Analyse der entnommenen Blutprobe unter Rückrechnung auf den Zeitpunkt des Fahrens ergibt. Durch die angefochtene Verordnungsvorschrift wird dem Fall, in welchem nach Analysenresultat und Rückrechnung die Blutalkoholkonzentration im Zeitpunkt der Tat den Grenzwert erreicht oder überschritten hat, jener Fall gleichgestellt, in welchem die Blutalkoholkonzentration im Tatzeitpunkt die Limite möglicherweise noch nicht überschritten hatte, aber sicher bereits eine entsprechende, wenn auch vielleicht noch nicht (ganz) resorbierte Alkoholmenge im Körper vorhanden war. Damit wird die Tragweite des gesetzlichen Kriteriums BGE 108 IV 107 S. 110 "Blutalkoholkonzentration" in einer bestimmten Richtung genauer umschrieben. Art. 2 Abs. 2 VRV begründet für die Betroffenen keine neue, über das Gesetz hinausgehende Verpflichtung, sondern stellt lediglich fest, dass Angetrunkenheit im Sinne von Art. 31 Abs. 2 und 55 Abs. 1 SVG schon dann vorliegt, wenn die einen bestimmten Grenzwert überschreitende Alkoholmenge, die nach der Blutalkoholkonzentration bemessen wird, im massgebenden Zeitpunkt konsumiert, also im Körper vorhanden, aber möglicherweise noch nicht ins Blut gelangt war. Mit seiner Argumentation macht der Beschwerdeführer im Grunde geltend, Art. 55 Abs. 1 SVG sichere dem Motorfahrzeugführer zu, er dürfe vor der Fahrt eine Alkoholmenge konsumieren, die eine den Grenzwert übersteigende Blutalkoholkonzentration zur Folge haben werde, und er könne dann sein Fahrzeug noch straflos führen, solange nicht nachgewiesenermassen die Resorption bereits eine den Grenzwert überschreitende Blutalkoholkonzentration bewirkt habe. Diese positive Formulierung des angeblich durch die VRV beseitigten "Rechts" zeigt, wie abwegig es wäre, dem Art. 55 Abs. 1 SVG eine Auslegung zu geben, welche den angefochtenen Teilsatz in Art. 2 Abs. 2 VRV unzulässig machen würde. 3. Für die Vorschrift, Angetrunkenheit sei auch anzunehmen, wenn der Alkohol im Körper vorhanden, aber noch nicht resorbiert sei, lassen sich im übrigen vor allem folgende Gründe anführen: a) Allgemein ist anerkannt, dass die Wirkung des Alkohols in der Anflutungsphase, d.h. beim Einsetzen der Resorption stärker ist als bei gleich hoher Blutalkoholkonzentration in der Ausscheidungsphase ( BGE 103 IV 112 ff. mit Angaben über die Ursache dieser Erscheinung). Der Anstieg des Blutalkohols verläuft überdies nicht linear, sondern ist zu Beginn steiler als am Ende der Resorption (vgl. HENTSCHEL/BORN, Trunkenheit im Strassenverkehr, Düsseldorf 1977, S. 26); eine rein lineare Rückrechnung entspricht somit für den Beginn der Resorptionszeit der Wirklichkeit nicht. b) Der Motorfahrzeugführer, der vor Antritt einer Fahrt eine im Ergebnis zu mindestens 0,8 Gewichtspromille führende Alkoholmenge konsumiert hat, bildet für den Verkehr infolge der potentiellen Beeinträchtigung seiner Fahrfähigkeit jene Gefahrenquelle, welche das Gesetz als Angetrunkenheit umschreibt. In welchem Zeitpunkt der genossene Alkohol sich auf Reaktionsfähigkeit BGE 108 IV 107 S. 111 und Fahrweise konkret auswirkt, lässt sich wegen der Besonderheiten der Anflutungsphase, den nicht erfassbaren individuellen Unterschieden des Resorptionsvorganges sowie wegen der notorischen Unsicherheit der Angaben über Alkoholmenge und Trinkverlauf durch ein nachträgliches Gutachten nicht in befriedigender Weise feststellen. Sicher ist aber bei allen unter die hier angefochtene Norm fallenden Sachverhalten, dass der Fahrzeuglenker vor seiner Fahrt eine Alkoholmenge zu sich nahm, welche zu einem Blutalkoholgehalt von 0,8 oder mehr Gewichtspromille führen muss. Er hat also damit jene durch ihn nicht mehr beeinflussbare Gefahr einer Herabsetzung der Fahrfähigkeit geschaffen, welche Art. 91 SVG als Angetrunkenheit unter Strafe stellt. c) Die Regel des angefochtenen zweiten Teilsatzes von Art. 2 Abs. 2 VRV schliesst - für den Fall eines zur Überschreitung des Grenzwertes führenden Alkoholkonsums - den Einwand aus, wegen des zeitlichen Ablaufs des Trinkens und des Fahrens sei die kritische Grenze der Blutalkoholkonzentration im massgebenden Zeitpunkt noch nicht erreicht gewesen, obschon die entsprechende Alkoholmenge im Körper vorhanden war. Durch diese Vorschrift wird im Rahmen von Sinn und Zweck des Art. 55 Abs. 1 SVG durch den Verordnungsgeber eine Verteidigungsthese eliminiert, die erfahrungsgemäss häufig auf eine reine Schutzbehauptung hinausläuft und sich nicht überprüfen lässt, weil die Angaben über den Alkoholkonsum meistens völlig unzuverlässig sind. Die Regelung negiert die theoretische Möglichkeit, dass der kurz vorher genossene Alkohol sich während des zwischen Trinken und Resorption liegenden Führens eines Motorfahrzeuges noch nicht ausgewirkt haben könnte. Art. 55 Abs. 1 SVG gibt dem Bundesrat jedoch die Befugnis, für die Annahme der Angetrunkenheit Vorschriften zu erlassen, welche theoretisch vertretbare Einwände - wie Fehlen konkreter Anzeichen einer Alkoholwirkung - ausschliessen und aus praktischen Gründen der Blutalkoholkonzentration (bei Überschreitung des fixierten Grenzwertes) die Funktion des massgebenden, nicht widerlegbaren Kriteriums verleihen. Indem der Bundesrat durch die hier angefochtene Bestimmung ex lege den Einwand der Nachresorption ausschliesst und bei Überschreitung des Grenzwertes den Nachweis genügen lässt, dass die entsprechende Alkoholmenge im Zeitpunkt der Fahrt schon im Körper vorhanden war, hat er den Beweis der Angetrunkenheit in dem durch Art. 55 Abs. 1 SVG vorgezeichneten Sinne geordnet und die Delegationsnorm nicht überschritten. Dem Betroffenen BGE 108 IV 107 S. 112 wird zwar damit eine theoretisch vertretbare Verteidigungsmöglichkeit aus praktischen Überlegungen abgeschnitten, aber es wird ihm nicht eine über das Gesetz hinausgehende zusätzliche Verpflichtung auferlegt. Die eigentliche Grundlage des Schuldvorwurfs - der unzulässige Alkoholkonsum vor der Fahrt - steht so oder so fest; nicht zugelassen wird lediglich der Einwand, die Alkoholmenge habe sich objektiv im massgebenden Zeitpunkt noch nicht als den Grenzwert übersteigende Erhöhung der Blutalkoholkonzentration auszuwirken vermögen. In welchem Zeitpunkt die Auswirkungen der Alkoholisierung eintreten, kann im konkreten Fall weder der Täter selber von vornherein genau wissen, noch lässt sich dies - wie oben dargelegt wurde - gutachtlich in befriedigender Weise feststellen (Menge und zeitlicher Ablauf des Trinkens ungewiss, individuelle Unterschiede der Resorption usw.). Angetrunkenheit gestützt auf die zur Zeit des Führens sicher im Körper bereits vorhandene (vielleicht noch nicht ganz resorbierte) Alkoholmenge anzunehmen, wenn diese Menge zu einer den Grenzwert übersteigenden Blutalkoholkonzentration führt, ist angesichts der erhöhten Wirkung während der Anflutungsphase, angesichts der Verschuldenslage und im Hinblick auf die unlösbaren Schwierigkeiten einer exakten Beurteilung des Resorptionsvorganges rechtsstaatlich zu verantworten (vgl. die analoge Regelung in der Bundesrepublik Deutschland: § 24a des Strassenverkehrsgesetzes; dazu JAGUSCH, Strassenverkehrsrecht, Becksche Kurz-Kommentare Bd. 5, 26. Aufl., S. 199 ff. insbes. S. 202). Art. 2 Abs. 2 VRV überschreitet Art. 55 Abs. 1 SVG nicht.
de
ee25b9e8-4461-43b6-96a2-2e2c71b41d8f
Sachverhalt ab Seite 300 BGE 122 II 299 S. 300 Der nach eigenen Angaben aus dem Libanon stammende Palästinenser X. (geb. 3. September 1978) reiste anfangs Juli 1995 illegal in die Schweiz ein. Am 20. November 1995 wies das Bundesamt für Flüchtlinge ein von ihm eingereichtes Asylgesuch ab, verfügte seine Wegweisung und forderte ihn auf, das Land bis zum 31. Januar 1996 zu verlassen. Auf Beschwerde hin BGE 122 II 299 S. 301 bestätigte die Schweizerische Asylrekurskommission am 18. Januar 1996 den Wegweisungsentscheid. Während der Dauer der verschiedenen Verfahren wurde X. wiederholt im Zusammenhang mit Ladendiebstählen (Deliktsumme von insgesamt rund Fr. 2'500.--) angehalten bzw. bestraft. Anfangs Februar 1996 verschwand er aus dem Durchgangsheim, in dem er sich bisher aufgehalten hatte. Am 26. April 1996 wurde er von der Kantonspolizei Zürich festgenommen, worauf ihn die Fremdenpolizei des Kantons Zürich am nächsten Tag in Ausschaffungshaft setzte, die der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich (im weitern: Haftrichter) am 29. April 1996 prüfte und bis zum 26. Juli 1996 bestätigte. Mit Urteil vom 24. Juni 1996 hiess das Bundesgericht eine hiergegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gut, hob den angefochtenen Entscheid auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück: Die Zürcher Behörden hätten X. keine Möglichkeit gegeben, seinen Rechtsvertreter zu kontaktieren, weshalb er vor dem Haftrichter nicht vertreten gewesen sei, was seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Da er den Haftgrund der Untertauchensgefahr aber offensichtlich erfülle, von ihm eine gewisse Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgehe und die weiteren Voraussetzungen der Haftanordnung nicht in Frage gestellt seien, rechtfertige sich die sofortige Haftentlassung nicht. Der Haftrichter habe innerhalb von 96 Stunden ab Zustellung des vollständig motivierten bundesgerichtlichen Urteils die Verhandlung zu wiederholen, dem Vertreter des Beschwerdeführers die Teilnahme daran zu ermöglichen und hernach neu über die Genehmigung der Ausschaffungshaft zu entscheiden. Dieser Aufforderung kam der Haftrichter am 28. Juni 1996 nach. Im Ergebnis bestätigte er die Ausschaffungshaft erneut bis zum 26. Juli 1996. Gegen diesen Entscheid hat X. am 19. Juli 1996 beim Bundesgericht wiederum Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Er beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben und ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Zur Begründung beruft er sich im wesentlichen darauf, die Haftbedingungen im Flughafengefängnis 1 Zürich-Kloten, in welchem er einsitze, entsprächen nicht den menschenrechtlichen, verfassungsmässigen und gesetzlichen Anforderungen an die Ausgestaltung von Ausschaffungshaft. Die Fremdenpolizei des Kantons Zürich beantragt in erster Linie, die Beschwerde abzuweisen; sollten einzelne Aspekte des Vollzugs der BGE 122 II 299 S. 302 Ausschaffungshaft den massgeblichen Bestimmungen widersprechen, sei dem Kanton Zürich, unter Androhung der Haftentlassung des Beschwerdeführers, eine angemessene Frist zu deren Korrektur anzusetzen. Der Haftrichter und das Bundesamt für Ausländerfragen (für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement) haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. X. hat am 29. Juli 1996 an seinen Ausführungen festgehalten. Am 12. August 1996 führte eine Delegation des Bundesgerichts zusammen mit den Parteien eine Instruktionsverhandlung mit Augenschein im Flughafengefängnis 1 in Zürich-Kloten durch. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. a) Nach Art. 13d Abs. 2 ANAG ist die ausländerrechtliche Administrativhaft in geeigneten Räumlichkeiten zu vollziehen, wobei die Zusammenlegung mit Personen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug vermieden werden soll. Soweit möglich, ist den Inhaftierten zudem geeignete Beschäftigung anzubieten (Art. 13d Abs. 2 dritter Satz ANAG). Das Bundesgericht hat diese bundesrechtlichen Anforderungen an den Haftvollzug gestützt auf die Ausführungen in der Botschaft des Bundesrats (BBl 1994 I 305ff.), die parlamentarischen Beratungen, die Rechtsprechung bezüglich der Grundrechtsbeschränkungen anderer Häftlingskategorien sowie die europäischen und internationalen Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen in mehreren Entscheiden inzwischen konkretisiert ( BGE 122 II 49 E. 5a S. 52 ff.; Urteil Messaoudi vom 23. August 1995, veröffentlicht in EuGRZ 1995, S. 609 ff.; Urteil vom 12. Juli 1996 betreffend Änderungen verschiedener Bestimmungen der Zürcher Verordnung vom 25. Juni 1975 über die kantonalen Polizeigefängnisse). Im wesentlichen geht es darum, eine menschenwürdige Unterbringung zu garantieren. Allerdings bringt Ausschaffungshaft als Zwangsmassnahme unausweichlich Einschränkungen der persönlichen Freiheit und allenfalls weiterer Grundrechte mit sich. Diese beruhen - aufgrund der Regelung der Zwangsmassnahmen in einem Bundesgesetz - klarerweise auf einer gesetzlichen Grundlage, sind aber nur zulässig, soweit sie sich aus dem Haftzweck ergeben und als verhältnismässig erweisen. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung definiert lediglich den Mindeststandard, der - in der Regel bezogen auf den konkret zu entscheidenden Fall - einzuhalten ist. Das schliesst eine grosszügigere Behandlung nicht aus, wo dies von den äusseren BGE 122 II 299 S. 303 Gegebenheiten her möglich ist; so könnte ausländerrechtliche Administrativhaft zum Beispiel auch in andern Lokalitäten als Gefängnissen vollzogen werden (vgl. BBl 1994 I 326), soweit sich das von den konkreten Umständen her als angemessen erwiese. b) Die Beschränkung der Freiheitsrechte von Gefangenen darf nicht über das hinausgehen, was zur Gewährleistung des Haftzwecks und zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen Anstaltsbetriebs erforderlich ist ( BGE 118 Ia 64 E. 2d S. 73; BGE 113 Ia 325 E. 4 S. 328; je mit Hinweisen). Bei der ausländerrechtlichen Haft geht es einzig um die Sicherung des Wegweisungsverfahrens und den Vollzug des entsprechenden Entscheids (Urteil Messaoudi vom 23. August 1995, E. 2a, veröffentlicht in EuGRZ 1995, S. 610). Sie bezweckt in erster Linie, den Ausländer bis zum Verlassen des Landes festzuhalten und damit sicherzustellen, dass er sich den Behörden zur Verfügung hält. Wie sich insbesondere aus dem Haftgrund der Untertauchensgefahr ( Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG ) ergibt, kann bei Ausschaffungshäftlingen Fluchtgefahr vorliegen. Verhältnismässige Vorkehren zur Verringerung des Fluchtrisikos sind daher in solchen Fällen zulässig. Bei gefährlichen Häftlingen darf sodann auch dem Sicherheitsrisiko mit adäquaten Massnahmen begegnet werden (vgl. dazu PETER UEBERSAX, Menschenrechtlicher Schutz bei fremdenpolizeilichen Einsperrungen, in: recht 1995, S. 56; Andreas Zünd, Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in ZBJV 132/1996, S. 90 ff.). Diese Vorkehren können weitergehen, je konkreter das Flucht- bzw. Sicherheitsrisiko im Einzelfall ist, d.h. je konkretere Anhaltspunkte für die Notwendigkeit von Gegenmassnahmen bestehen. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit kann sodann die Dauer der Haft entscheidend sein. Je länger eine solche dauert, desto weniger einschneidend haben - dem Grundsatz nach - die Freiheitsbeschränkungen auszufallen; bei lediglich kurzer Haft können hingegen weitergehende Restriktionen zulässig sein. c) Anders als bei Untersuchungshäftlingen macht der Haftzweck bei Ausschaffungsgefangenen selber regelmässig keine Beschränkungen des Kontakts mit der Aussenwelt oder mit andern ausländerrechtlich Inhaftierten nötig. Einschränkungen können sich, soweit sie über den mit der Haft - von der Sache selber her - notwendigerweise verbundenen Sicherungsaspekt hinausgehen, nur aus den Erfordernissen des Anstaltsbetriebs oder aus konkreten Gefährdungselementen ergeben (obgenanntes Urteil vom 12. Juli BGE 122 II 299 S. 304 1996; vgl. auch UEBERSAX, a.a.O., S. 56; ZÜND, a.a.O., S. 90 ff.; AJP 1995, S. 1347 ff.). Der besonderen Situation der ausländerrechtlichen Administrativhäftlinge wird am besten in spezifisch auf die Bedürfnisse dieser Haft eingerichteten Gebäulichkeiten Rechnung getragen; ihr Vollzug in anderen Anstalten ist jedoch nicht ausgeschlossen. In diesem Fall genügt eine zellenweise Trennung von anderen Häftlingskategorien den gesetzlichen Anforderungen nicht, wohl aber die Unterbringung in von anderen Häftlingen getrennten Abteilungen derselben Anstalt, wenn die getroffene Lösung dem Zweck der getrennten Unterbringung Rechnung trägt und ein abweichendes freieres Haftregime (Gemeinschaftsräumlichkeiten, Besuchsausübung, Freizeitaktivitäten) zulässt ( BGE 122 II 49 E. 5a S. 53; unveröffentlichte Urteile vom 11. Dezember 1995 i.S. M., E. 2 u. 3, vom 27. Februar 1996 i.S. A.S., E. 3, und vom 18. April 1996 i.S. A.S., E. 4). Die Trennung von Ausländern in Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft von andern Häftlingen soll auch äusserlich zeigen, dass die Haft nicht wegen des Verdachts einer Straftat angeordnet wurde, sondern einen administrativen Hintergrund hat ( BGE 122 II 49 E. 5a S. 53). Gewisse unvermeidliche Überschneidungen bei der Benützung der Infrastruktur müssen sich auf ein Minimum beschränken. Unbedenklich ist die zeitlich verschobene Benützung der gleichen Räumlichkeiten (z.B. beim Spaziergang) durch verschiedene Häftlingskategorien. Bauliche, organisatorische und personelle Gegebenheiten sind trotz den sich allenfalls aus den Erfordernissen des Anstaltsbetriebs oder aus Sicherheitsgründen ergebenden Sachzwängen anzupassen, soweit dies die verfassungsrechtlichen Minimalforderungen an den Vollzug ausländerrechtlicher Haft gebieten (Urteil Messaoudi vom 23. August 1995, E. 2a, veröffentlicht in EuGRZ 1995, S. 610; erwähntes Urteil des Bundesgerichts vom 12. Juli 1996; ZÜND, a.a.O., S. 90 ff.). Dem Häftling muss nebst einer geeigneten Unterbringung auf jeden Fall täglich ein einstündiger Spaziergang im Freien ermöglicht werden, ohne dass er dabei mit Untersuchungshäftlingen in Kontakt kommt ( BGE 122 II 49 E. 5a S. 53; obgenanntes Urteil vom 12. Juli 1996). Zudem ist ihm "soweit möglich", d.h. im Rahmen der den Behörden zur Verfügung stehenden Beschäftigungsmöglichkeiten, eine geeignete Tätigkeit anzubieten, wenn er sich um diese aktiv bemüht (unveröffentlichtes Urteil vom 18. April 1996 i.S. A.S., E. 4c); lediglich bei kurzer Haftdauer kann allenfalls hiervon abgesehen werden (BBl 1994 I 326f.; unveröffentlichtes Urteil vom 27. BGE 122 II 299 S. 305 Februar 1996 i.S. A.S., E. 3b). Nur soweit die bundesrechtlichen Minimalanforderungen erfüllt sind, gesteht das Bundesgericht den Kantonen eine gewisse Frist zur Verwirklichung der übrigen Besonderheiten bezüglich der Haftbedingungen für ausländerrechtliche Einsperrungen zu ( BGE 122 II 49 E. 5 b/cc S. 55 mit Hinweis). d) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob der Beschwerdeführer zu Recht in Haft genommen worden ist; gemäss Art. 13c Abs. 3 ANAG sind bei der Überprüfung des Haftentscheids unter anderem die Umstände des Haftvollzugs zu berücksichtigen. Dabei geht es um eine Gesamtschau; es ist zu prüfen, ob die Haftbedingungen zumutbar sind und sich die Anordnung der Ausschaffungshaft auch insofern als rechtmässig erweist. Grundsätzlich sind daher im Haftprüfungsverfahren nicht sämtliche Details des Vollzugs zu hinterfragen; entsprechende Mängel liessen sich jederzeit unabhängig von der Haftprüfung im dafür vorgesehenen Verwaltungsbeschwerde- oder allenfalls Aufsichtsverfahren rügen. Vielmehr geht es um die hauptsächlichen Haftbedingungen, welche die Zumutbarkeit der Haft als solcher beeinflussen können. Vorliegend rechtfertigt es sich immerhin ausnahmsweise, auch auf weniger wichtige Umstände des Haftvollzugs einzugehen oder allgemeinere Erwägungen, denen im vorliegenden Fall kaum Bedeutung zukommt, in die Begründung einfliessen zu lassen, da das Bundesgericht sich zum ersten Mal in einem konkreten Fall mit diesen grundsätzlichen Zusammenhängen zu befassen hat. 4. a) Der Beschwerdeführer ist in einem Trakt des Flughafengefängnisses 1 untergebracht. Dieses ist grundsätzlich als Anstalt für Untersuchungshaft und für den Strafvollzug konzipiert und erstellt worden. Anwendung findet die zürcherische Verordnung über die Bezirksgefängnisse vom 24. April 1991 (Bezirksgefängnisverordnung). Gemäss § 3 Abs. 3 dieser Verordnung können mit Zustimmung der Justizdirektion administrativ festgenommene Personen bis zu ihrer Überführung in eine Anstalt in Bezirksgefängnissen untergebracht werden. Im Hinblick darauf, dass ein Teil des Flughafengefängnisses 1 auch für die Ausschaffungshaft verwendet wird, erliessen die Direktionen der Justiz und der Polizei des Kantons Zürich am 3. Mai 1995 ein Kreisschreiben über den Vollzug von Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft. Darin ist festgehalten, dass sich die Haftbedingungen grundsätzlich nach den für den betreffenden Betrieb gültigen Vorschriften richten, wobei jedoch innerhalb deren Rahmen so weit wie möglich den besonderen Anforderungen an den BGE 122 II 299 S. 306 Vollzug der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft Rechnung getragen werden kann. Gestützt auf § 20 der Bezirksgefängnisverordnung wurde für das Flughafengefängnis eine Hausordnung erlassen. Nach dem erwähnten Kreisschreiben vom 3. Mai 1995 ist den Ausschaffungshäftlingen Gelegenheit zur Arbeit zu geben, soweit dies nicht zu einer Bevorzugung gegenüber arbeitsberechtigten Untersuchungsgefangenen oder arbeitspflichtigen Strafgefangenen führt; weiter kann die Besuchszeit für die Ausschaffungshäftlinge ausgedehnt und darf von den für andere Häftlingskategorien geltenden Vorschriften über die zum Besuch zugelassenen Personen abgewichen werden. b) Im Flughafengefängnis 1 waren zur Zeit des bundesgerichtlichen Augenscheins 100 Gefangene, wovon 70 Ausschaffungshäftlinge und 30 Untersuchungs- und Sicherheitsgefangene, untergebracht. Die baulichen und betrieblichen Gegebenheiten wurden beim Augenschein besichtigt und in der anschliessenden Instruktionsverhandlung erläutert. Sie lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen: aa) Das Flughafengefängnis 1 enthält im Erdgeschoss, nebst anderen Räumlichkeiten, drei Arbeitsräume mit einer Grösse von je 30-40m2; in jedem Werkraum können 5-6 Häftlinge unter Leitung eines Aufsehers arbeiten. Sodann gibt es vier Besuchskabinen, welche mit Trennscheiben ausgestattet sind. Daneben bestehen zwei Besuchszimmer in der Grösse von ca. 8m2, die mit Tisch und Stühlen ausgestattet sind und als Anwalts- und Besprechungszimmer verwendet werden. Im Freien befinden sich Spazierhöfe von je rund 200m2 Grundfläche (je einer pro Gefängnistrakt), welche von einer ca. 4 m hohen Mauer umgeben und oben mit Maschengittern abgedeckt sind. bb) Auf zwei Stockwerken verteilt befinden sich im Flughafengefängnis 1 vier separate Zellentrakte mit je 14 Doppel- und einer Einzelzelle. Gegenwärtig werden drei Zellentrakte ausschliesslich mit Ausschaffungshäftlingen belegt, d.h. diese sind von den übrigen Häftlingskategorien getrennt untergebracht. Jeder Trakt verfügt unter anderem über einen Duschraum mit drei Duschkabinen; zwei Mal pro Woche haben die Häftlinge Gelegenheit zum Duschen. Die Zellen sind von einem Gang aus zugänglich, der selber wiederum abgeschlossen ist. Die einzelnen Zellen, in welchen zwei Häftlinge untergebracht sind - vor kurzem gab es noch einzelne Zellen mit drei Häftlingen -, weisen eine Grundfläche von 10,2 m2 auf und haben ein mit BGE 122 II 299 S. 307 Klarsichtglas versehenes vergittertes Fenster gegen aussen. Dazu kommt ein mit einer Schiebetüre vom Zellenbereich abgetrennter separater Raum mit WC und Lavabo, der künstlich entlüftet wird. In der Zelle befinden sich ein doppelstöckiges Bett, ein Tisch mit zwei Stühlen sowie ein Kasten mit zwei Abteilen. Von den Häftlingen kann gegen eine Gebühr von Fr. 1.-- pro Tag ein Fernsehapparat gemietet werden, mit welchem sich 26 verschiedene Programme empfangen lassen. Die Zellentüren sind ständig abgeschlossen. Soweit die Ausschaffungshäftlinge sich nicht in den Arbeitsräumen oder im Spazierhof befinden oder sich zwecks Befragungen oder Besuchen ausserhalb der Zelle aufhalten, sind sie Tag und Nacht in der Zelle eingeschlossen. Wenn sie nicht arbeiten können, halten sie sich somit regelmässig 23 von 24 Stunden im Tag darin auf. Andere Aufenthaltsräume bestehen nicht. Gegessen wird ebenfalls in der Zelle. cc) Unmittelbar neben dem Flughafengefängnis 1 und durch eine Passerelle damit verbunden wird das Flughafengefängnis 2 gebaut, welches - jedenfalls zu einem grossen Teil - als eigentliches Ausschaffungsgefängnis konzipiert ist. Der Rohbau ist erstellt und zurzeit findet der Innenausbau statt. Die Arbeiten gehen nach Auskunft der Justizdirektion des Kantons Zürich termingemäss voran, so dass das Ausschaffungsgefängnis voraussichtlich im Dezember 1996 übergeben und anfangs Januar 1997 in Betrieb genommen werden kann. c) Nach dem Augenschein wurden die Haftbedingungen geändert, wie die Gefängnisverwaltung dem Bundesgericht einen Tag vor der anberaumten Urteilsberatung per Fax und Telefon mitteilte. Die Gefängnisverwaltung erklärte, in jeder der drei für die Ausschaffungshaft zur Verfügung stehenden Gefängnisabteilungen je einen Gemeinschaftsraum geschaffen zu haben. In jeweils einer Zelle seien die Betten entfernt und Tische und Stühle hineingestellt worden, womit sich Platz für bis zu sechs Personen habe schaffen lassen. Es bestehe Gelegenheit zu Gesellschaftsspielen (Kartenspiele, Schach usw.) und zum gemeinsamen Fernsehen. Jeder Häftling habe die Möglichkeit, diesen Gemeinschaftsraum, zusätzlich zum täglichen einstündigen Spaziergang, für zwei Stunden pro Tag während der Woche und für eine Stunde pro Tag an Samstagen und Sonntagen zu benützen. 5. a) In sämtlichen bisher beurteilten Fällen, bei denen die Haftbedingungen zu prüfen waren, unterstrich das Bundesgericht, dass BGE 122 II 299 S. 308 provisorische Lösungen zwar zulässig seien, sie bis zur Schaffung spezieller Vollzugsanstalten aber tatsächlich bereits ein verhältnismässiges Haftregime zulassen müssten. Hierzu gehört die Möglichkeit sozialer Kontakte mit anderen ausländerrechtlich Inhaftierten, was die regelmässige (aber nicht unbedingt dauernde) Benützung eines Gemeinschaftsraums oder zumindest die Möglichkeit gemeinschaftlicher Aktivitäten (Sport im Gefängnishof, weitere Aktivitäten in den Arbeitsräumen, soweit diese unbenutzt sind usw.) über den obligatorischen einstündigen Spaziergang hinaus voraussetzt. Bauliche, organisatorische und personelle Gegebenheiten sind zur Realisierung dieser Mindestanforderung auch bei Übergangslösungen bis zur Eröffnung einer allen Ansprüchen gerecht werdenden Vollzugsanstalt anzupassen. In BGE 122 II 49 ff. schützte das Bundesgericht die luzernische Übergangslösung im Amtsgefängnis Willisau bis zur Eröffnung des Ausschaffungsgefängnisses Schüpfheim Ende Mai 1996; dort standen für die ausländerrechtlich Inhaftierten aber immerhin fünf Einzelzellen, ein Duschraum, ein Aufenthaltsraum mit Kochnische und ein grosser Gang zur Verfügung, was einen den minimalen bundesrechtlichen Anforderungen genügenden Haftvollzug und namentlich hinreichende soziale Kontakte ermöglichte. In einem Entscheid vom 15. April 1996 betreffend den Kanton Genf hob das Bundesgericht hervor, dass in der fraglichen Haftanstalt auf der gleichen Etage zwei bis sechs Ausschaffungshäftlinge untergebracht seien. In der Nacht würde zwar die Abteilung geschlossen, indessen nicht auch die einzelnen Zellen; eine von diesen sei zudem zu einem Arbeitsraum umgestaltet worden. Der Beschwerdeführer habe unter Berücksichtigung des täglichen Spaziergangs von einer Stunde somit hinreichend Gelegenheit zu sozialen Kontakten (unveröffentlichtes Urteil vom 15. April 1996 i.S. D.A., E. 3b). b) Dem Anspruch des administrativ Inhaftierten auf minimale soziale Kontakte ist grundsätzlich auch im Flughafengefängnis 1 zu entsprechen. Dass dies technisch möglich ist, zeigen die Beispiele in anderen Kantonen. Wie der Kanton Zürich dem Anspruch nachkommt, ist nicht vom Bundesgericht zu entscheiden. Wenn deswegen bis zur Eröffnung des Flughafengefängnisses 2 in Zürich weniger Personen in Ausschaffungshaft genommen werden können oder zusätzliche Bau- oder Personalkosten entstehen, ist das für einen minimal verfassungskonformen Haftvollzug hinzunehmen (vgl. BGE 121 I 22 E. 4b/bb S. 28, wonach verfassungsrechtlich eine momentane Ausweitung des staatlichen Leistungsangebots bis zu einer definitiven verfassungsmässigen Lösung BGE 122 II 299 S. 309 geboten sein kann [Zürcher Numerus clausus]). § 31 der Bezirksgefängnisverordnung sieht die Unterbringung von Gefangenen in Gemeinschaftshaft vor. Danach können Gefangene in Gemeinschaftshaft mit anderen Gefangenen zusammen arbeiten und spazieren. Wo die betrieblichen und baulichen Verhältnisse dies erlauben, kann zudem die Justizdirektion die Gemeinschaftshaft auf die Freizeit ausdehnen. Ausgeschlossen ist damit zunächst eine (ständige) Isolationshaft im Sinne der Einzelhaft. Der Beschwerdeführer befindet sich indessen nicht in eigentlicher Isolationshaft, sondern belegt zusammen mit einem Mithäftling eine Doppelzelle. Bis anhin war es ihm nur möglich, etwa eine Woche im Monat zu arbeiten; während dieser Zeit konnte er die notwendigen sozialen Kontakte zu andern Mithäftlingen bei der Arbeit pflegen. An den übrigen Tagen - und bisher somit mehrheitlich - musste er aber den grössten Teil des Tages zusammen mit einem andern Häftling in der Zelle verbringen. Das Eingesperrtsein in einem relativ kleinen Zimmer über verhältnismässig lange Zeit für die Dauer von 23 Stunden am Tag - d.h. abgesehen vom täglichen einstündigen Spaziergang sowie vom zweimaligen Duschen pro Woche - berücksichtigt wesentliche Grundbedürfnisse des Menschen als sozialen Wesens nicht. Die Haftbedingungen, denen der Beschwerdeführer bisher an den Tagen ohne gemeinsame Arbeit mit andern Gefangenen unterlag, erweisen sich daher als zu restriktiv. c) Was die Zürcher Behörden hiergegen einwenden, schlägt nicht durch: Der Beschwerdeführer muss sich nicht entgegenhalten lassen, die Haftbedingungen im Flughafengefängnis 2, in dem vermutlich ab Januar 1997 die ausländerrechtlichen Inhaftierungen vollzogen werden, erlaubten künftig bessere Bedingungen. Er befindet sich heute in Ausschaffungshaft; diese hat jetzt zumindest den bundesrechtlichen Minimalanforderungen zu genügen. Den Einwand, dass ausländerrechtlich Inhaftierte (wie Untersuchungsgefangene) in bestimmten Belangen generell schlechter gestellt werden könnten als Strafgefangene, hat das Bundesgericht bereits in BGE 122 II 49 ff., aber auch im Zusammenhang mit den Haftbedingungen für Administrativhäftlinge in den Zürcher Polizeigefängnissen (Urteil vom 12. Juli 1996) verworfen. Unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnissen ist durch Beschränkungen im Einzelfall Rechnung zu tragen. Im vorliegenden Fall muss sodann berücksichtigt werden, dass sich der Beschwerdeführer seit nunmehr schon bald vier Monaten in Ausschaffungshaft befindet und diese für weitere vier Monate bereits angeordnet ist. Er hat BGE 122 II 299 S. 310 damit schon längere Zeit in Haft verbracht und muss auch konkret damit rechnen, nochmals für etwa gleich lange Dauer in Ausschaffungshaft zu bleiben. Allfällige Einschränkungen seiner Grundrechte, namentlich seiner persönlichen Freiheit, im Vollzug wiegen daher schwer und fallen in ihren Auswirkungen bedeutsamer aus, als wenn der Beschwerdeführer lediglich eine kurze Haftdauer zu gewärtigen hätte. d) Seit dem Augenschein haben - nach Mitteilung der Gefängnisverwaltung - die Haftbedingungen geändert (vgl. E. 4c). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist das Bundesgericht aber an die Feststellung des Sachverhalts durch den Haftrichter gebunden; insbesondere können nachträgliche Veränderungen des Sachverhalts grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. BGE 121 II 97 E. 1c, 110 E. 2c; BGE 119 Ib 193 E. 4a; ZÜND, a.a.O., S. 78 f.). Wohl hat das Bundesgericht im vorliegenden Fall eine Instruktionsverhandlung mit Augenschein durchgeführt und dabei den Sachverhalt ergänzt, worauf selbstverständlich abgestellt werden kann. Die Mitteilung der geänderten Haftbedingungen per Fax und Telefon durch die Gefängnisverwaltung ist indessen verspätet und bedeutet nicht eine formgerechte Ergänzung des Sachverhalts. Weder ist die Gefängnisverwaltung formell Partei im vorliegenden Verfahren, noch hatte der Beschwerdeführer - noch im übrigen die anderen Verfahrensbeteiligten - Gelegenheit, sich zu den neuen Haftbedingungen zu äussern. Die nachträgliche Änderung kann daher im vorliegenden Fall nicht mehr zu einem anderen Ausgang des Verfahrens führen. Hingegen nimmt das Bundesgericht davon in dem Sinne Kenntnis, dass der Kanton Zürich eine Anpassung der Haftbedingungen gemäss der Mitteilung der Gefängnisverwaltung wenigstens in Aussicht stellt, wenn nicht bereits realisiert hat, worauf er behaftet wird. Es lässt sich daraus auch schliessen - ohne dass dies ausschlaggebend zu sein braucht -, was zu realisieren im Flughafengefängnis 1 ohne grossen Aufwand möglich ist. Damit ist indessen nicht auch festgestellt, dass eine solche Regelung ebenfalls für das Flughafengefängnis 2, das als definitive Anstalt für den Vollzug von ausländerrechtlicher Administrativhaft konzipiert ist, genügen würde. 6. Soweit der Beschwerdeführer kritisiert, er könne Besuche nur in einer Kabine hinter einer Trennscheibe empfangen, sowie die Kontrolle des Briefverkehrs und die beschränkte Möglichkeit privater Telefonanrufe rügt, ist auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung in BGE 122 II 49 ff. zu verweisen: BGE 122 II 299 S. 311 a) Nach der Rechtsprechung ist eine Bewilligungspflicht für Besuche aus organisatorischen Gründen bei ausländerrechtlichen Administrativhäftlingen zulässig (vgl. das obgenannte Urteil des Bundesgerichts vom 12. Juli 1996). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, ihm sei je ein Besuch verweigert worden; abgesehen von seinen Vertretern erhält er offenbar ohnehin keinen Besuch. Dennoch rechtfertigt es sich aus grundsätzlichen Gründen, auf die Besuchsregelung kurz einzugehen. Die vier im Flughafengefängnis 1 vorhandenen Besuchskabinen sind mit einer Trennscheibe versehen, so dass keine Gegenstände, auch keine Schriftstücke, ausgetauscht werden können, aber auch keine Berührungen zwischen Häftling und Besucher möglich sind. Wie in der Instruktionsverhandlung ausgeführt wurde, dient die Trennscheibe ausschliesslich dazu, zu verhindern, dass den Häftlingen Drogen übergeben werden können; korrekterweise werden die Besuche nicht überwacht und die Gespräche auch nicht aufgezeichnet, wozu an sich die Möglichkeit in den Besuchskabinen bestünde. Die ausschliessliche und generelle Besuchsmöglichkeit für die Ausschaffungshäftlinge in einer mit einer Trennscheibe versehenen Kabine entspricht nicht den vom Bundesgericht entwickelten Grundsätzen. Vielmehr müssten im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr von Drogendelikten - oder allenfalls für andere Sicherheitsrisiken - bestehen, damit sich die völlige Abtrennung von Besucher und Häftlingen rechtfertigte. Trifft dies nicht zu, muss die Möglichkeit zu engeren Kontakten gewährt werden, wobei es erneut dem Kanton Zürich überlassen bleibt, wie er dies verwirklichen will. Im Regelfall dürfte es jedoch nicht erforderlich sein, Besuche in der Zelle zu gestatten. b) Eine Kontrolle der ein- und ausgehenden Post ist - eigentliche Missbräuche vorbehalten - nur und soweit zulässig, als im Einzelfall besondere Sicherheitsbedürfnisse bestehen (vgl. BGE 122 II 49 E. 5b/bb S. 54 f. [Drogenschmuggel]). Sollte im Flughafengefängnis 1 gestützt auf das dortige Reglement generell und spezifisch in bezug auf den Beschwerdeführer eine andere Praxis herrschen, verletzte dies Bundesrecht. Ferner müssen ausländerrechtlich Inhaftierte und damit auch der Beschwerdeführer im Rahmen des Sinnvollen (und nicht nur zwecks Beschaffung von Ausweispapieren und ausnahmsweise) privat und grundsätzlich auch ohne Aufsicht auf eigene Kosten telefonieren können (vgl. BGE 122 II 49 E. 5b/bb S. 55). Auch das darf nur verweigert werden, wenn dem im Einzelfall besondere und konkret erhärtete Gründe entgegenstehen. BGE 122 II 299 S. 312 7. Als - teilweise offensichtlich - unbegründet erweisen sich die übrigen Rügen: a) Zwar ist der Beschwerdeführer noch minderjährig, doch gibt ihm dies grundsätzlich keinen Anspruch auf ein spezifisches Haftregime, auch wenn bei minderjährigen Häftlingen die Bedürfnisse von Personen des entsprechenden Alters zu berücksichtigen sind. Nach Art. 13c Abs. 3 ANAG ist die Anordnung von Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft gegenüber Kindern und Jugendlichen ausgeschlossen, soweit sie das 15. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben. Der Gesetzgeber ging damit davon aus, dass die Haft ab dieser Altersgrenze an sich in den gleichen Einrichtungen wie für Erwachsene vollzogen werden kann. Zu Recht weisen die kantonalen Behörden darauf hin, dass sich die strafrechtlichen und für die Untersuchungshaft geltenden Bestimmungen über die Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen nicht unbesehen auf die ausländerrechtliche Administrativhaft übertragen lassen. Geht es dort um den Schutz von leicht beeinflussbaren Jugendlichen vor Kontakten mit älteren (und eventuell verhärteten) Straftätern, besteht hier in der Regel kein solches Trennungsbedürfnis; im übrigen dient die ausländerrechtliche Administrativhaft nicht der Resozialisierung, die bei Jugendlichen allenfalls anders anzugehen ist als bei Erwachsenen. Entsprechen die Haftbedingungen den bundesrechtlichen Minimalanforderungen, ist nicht einzusehen, inwiefern sich in psychischer Hinsicht verfassungsrechtlich ein spezifischer Haftvollzug für junge Administrativhäftlinge (nach vollendetem 15. Altersjahr) gebieten würde. Besonderen Bedürfnissen kann im Rahmen eines verfassungskonformen Haftvollzugs im Einzelfall hinreichend Rechnung getragen werden; im vorliegenden Fall bestehen keine besonderen Hinweise auf solche. b) Sodann bestreitet der Beschwerdeführer nicht, beim Eintritt ins Flughafengefängnis 1 gefragt worden zu sein, welche Kost er wünsche. Sollte er heute entgegen der damals geäusserten Absicht, sich "normal" verpflegen zu wollen, doch Spezialkost für Moslems wünschen, kann er dies dem Gefängnispersonal mitteilen. Im übrigen hat sich beim Augenschein ergeben, dass im Flughafengefängnis 1 der Menüplan angesichts der Mehrzahl von Häftlingen moslemischen Glaubens ohnehin auf entsprechende Spezialkost ausgerichtet wird. Soweit der Beschwerdeführer mangelnde Lektüre bzw. Informationsmöglichkeit rügt, hätte er mit seinem Peculium, das er als Arbeitsverdienst und Entschädigung für unverschuldete Beschäftigungslosigkeit erhielt, ohne BGE 122 II 299 S. 313 weiteres Bücher, Zeitschriften oder Zeitungen in seiner Muttersprache beschaffen können. Über die Antennenanlage des Flughafengefängnisses 1 ist zudem der Empfang eines Fernsehprogramms in arabischer Sprache sichergestellt, was ihm ermöglicht, sich in seiner Sprache zu informieren. c) Was der Beschwerdeführer sonst noch vorbringt, ist von vorneherein ungeeignet, die Haftfrage zu beeinflussen, wenn nicht sogar missbräuchlich. Es erübrigt sich, darauf näher einzugehen. 8. a) Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Haftbedingungen des Beschwerdeführers im Flughafengefängnis 1 den Anforderungen von Art. 13d Abs. 2 ANAG teilweise nicht genügen. Es stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen hieran zu knüpfen sind. Da der Richter bei der Überprüfung der Rechtmässigkeit und der Angemessenheit der Haft die Umstände des Haftvollzugs berücksichtigen muss, können ungenügende Haftbedingungen zur Haftentlassung führen. Lässt sich indessen annehmen, dass die kantonalen Behörden kurzfristig in der Lage sind, die nötigen Korrekturen vorzunehmen, kann es auch mit einer entsprechenden Anweisung sein Bewenden haben (Urteil Messaoudi vom 23. August 1995, E. 3, veröffentlicht in EuGRZ 1995, S. 611; unveröffentlichtes Urteil vom 11. Dezember 1995 i.S. M.E., E. 3c). Dies gilt auch in einem Fall wie dem vorliegenden, wo die Haft inzwischen durch einen neuen kantonalen Entscheid verlängert worden ist. Für die Frist zur Anpassung über die ursprüngliche Haftdauer hinaus stützt sich die Haft auf den kantonalen Verlängerungsentscheid. Können vom Bundesgericht mit der erstmaligen Haftanordnung verbundene Auflagen nicht eingehalten werden, verliert dieser nach Ablauf der gesetzten Frist seine Wirkung. b) Dem Beschwerdeführer sind an denjenigen Tagen, an welchen er keine Gelegenheit zu gemeinsamer Arbeit mit andern Häftlingen hat, ausserhalb seiner Zelle soziale Kontakte zu Mitgefangenen der Abteilung über den einstündigen Spaziergang hinaus zu ermöglichen. Die vom Kanton Zürich in Aussicht gestellte bzw. bereits verwirklichte Neuregelung erfüllt diese Anforderung (vgl. E. 4c und 5d). Auf die Kontrolle der ein- und ausgehenden Briefpost ist, konkrete Missbräuche vorbehalten, zu verzichten. Unter dem gleichen Vorbehalt sind dem Beschwerdeführer private Telefongespräche auf seine Kosten zu ermöglichen. Schliesslich ist die Besuchsregelung im vorliegenden Fall an die dargelegten bundesrechtlichen Anforderungen anzupassen. Unter diesen Umständen und mit Blick darauf, dass die Ausschaffungshaft offensichtlich gerechtfertigt ist und vom BGE 122 II 299 S. 314 Beschwerdeführer zudem eine gewisse Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgeht (Urteil vom 24. Juni 1996, E. 4), rechtfertigen die festgestellten Mängel eine unmittelbare Haftentlassung nicht. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb nur teilweise gutzuheissen, der Entscheid des Haftrichters aufzuheben und die Zustimmung zur Verlängerung der Ausschaffungshaft mit der Auflage zu erteilen, dass die Haftbedingungen sofort, spätestens aber innert Wochenfrist ab Zustellung des bundesgerichtlichen Urteils, im Sinne der Erwägungen angepasst werden. Sollte dies nicht möglich sein, wäre der Beschwerdeführer aus der Haft zu entlassen.
de
1c2f1244-6ce6-494e-a743-2d3f50408869
Sachverhalt ab Seite 174 BGE 113 II 174 S. 174 A.- Am 3. April 1982 mietete ein Unbekannter bei der Firma X. in Zürich einen Personenwagen Mercedes 280 SE, wobei er den Mietzins von Fr. 4'500.-- mittels einer Kreditkarte der Diners Club (Suisse) SA bezahlte. Da der Betrag die Kreditlimite von Fr. 1'000.-- überstieg, ersuchte die Vermieterin die Diners BGE 113 II 174 S. 175 Club SA um ihre Zustimmung, die ihr unter Vorbehalt einer Passkontrolle erteilt wurde. In der Folge stellte sich heraus, dass die Kreditkarte bereits am 19. März 1982 einem gewissen Affeld in Baden-Baden abhanden gekommen war. Affeld meldete den Verlust der deutschen Diners Club GmbH, die der schweizerischen Gesellschaft davon jedoch erst am 19. April 1982 Kenntnis gab, weshalb auch die Firma X. nicht vorher unterrichtet wurde. Der Mercedes blieb bis heute verschwunden. Die Firma X. schätzte seinen Verkehrswert auf Fr. 42'500.--. Sie erhielt den ausstehenden Mietzins vergütet, machte aber die Diners Club (Suisse) SA für den Verlust des Wagens verantwortlich, weil ihr auf die Kreditanfrage hin nicht mitgeteilt worden sei, dass es sich um eine abhanden gekommene Karte handelte. B.- Am 22. April 1985 klagte die Firma X. gegen die Diners Club (Suisse) SA auf Zahlung von Fr. 10'000.-- Schadenersatz nebst 5% Zins seit 10. Juni 1983; sie behielt sich zudem ein Nachklagerecht vor. Die Beklagte widersetzte sich diesen Begehren und verkündete der deutschen Diners Club GmbH den Streit. Das Handelsgericht des Kantons Zürich hiess die Klage am 4. April 1986 in vollem Umfang gut. Die Beklagte führte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 17. Oktober 1986 im Sinne der Erwägungen abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war. C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Handelsgerichts auch Berufung eingereicht mit den Anträgen, es aufzuheben und die Klage abzuweisen oder die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Die Gutheissung der Schadenersatzklage setzt in erster Linie voraus, dass die Beklagte durch ihr Verhalten den Vertrag mit der Klägerin verletzt hat ( Art. 97 Abs. 1 OR ). Nach diesem Vertrag war für den Fall, dass die Gesamtausgaben eines Diners Club-Mitgliedes Fr. 1'000.-- überstiegen, das Einverständnis der Beklagten einzuholen, bevor das Vertragsunternehmen, das hier mit der Klägerin identisch war, seine Leistung erbrachte; die Beklagte war diesfalls zur Bezahlung des Gesamtbetrages nur verpflichtet, BGE 113 II 174 S. 176 wenn sie sich auf Anfrage hin mittels eines Codes damit einverstanden erklärt hatte (Ziffer 15 des Vertrages). Die Beklagte behielt sich das Recht vor, Karten zu sperren, und fügte bei, dass das Vertragsunternehmen darüber mit einer besonderen Karte oder durch eine Mitteilung in der "Diners Post" informiert werde; zusätzlich konnte sie ihm ein alle drei Wochen erscheinendes Sperrbulletin zustellen, das bei Vorweisen von Kreditkarten zu konsultieren war. Für Bezüge oder Dienstleistungen aufgrund gesperrter Karten bestand für die Beklagte keine Zahlungspflicht gegenüber dem Unternehmen (Ziffer 16). a) Das Handelsgericht anerkennt, dass die Beklagte nach diesen Bestimmungen des Vertrages nicht verpflichtet gewesen ist, die Klägerin über den Verlust der Kreditkarte zu unterrichten. Es nimmt unter Hinweis auf einschlägige Lehre und frühere Formularverträge mit Unternehmen jedoch an, dass die Beklagte nach Treu und Glauben eine entsprechende Nebenverpflichtung gehabt, sich darüber aber hinweggesetzt habe, indem sie die Klägerin bei der Kreditanfrage nicht auf den Verlust der Karte aufmerksam gemacht habe. Die Beklagte hält dem entgegen, dass die Kontrollanfrage gemäss Ziffer 15 des Vertrages nicht die Klägerin schützen wolle, sondern ausschliesslich ihrem eigenen Schutz diene, weil sie dem Vertragsunternehmen eine Zusage mache und das volle Kreditrisiko trage. Wenn sie bei Verlust, Diebstahl oder Fälschung einer Karte die Anzeige an das Unternehmen unterlasse, habe auch das nur zur Folge, dass sie die zugesagte Vergütung nicht wegen Missbrauchs der Karte verweigern könne. Das folge ferner aus Ziffer 16 des Vertrages, wonach sie wohl das Recht, aber nicht die Pflicht habe, Karten zu sperren. Das Handelsgericht unterstelle ihr eine Mitteilungspflicht, die dem Zweck der Kontrollanfrage widerspreche; dadurch verletze es insbesondere Art. 1 und 18 OR . b) Die Kontroll- oder Kreditanfrage, die vorliegend wegen Überschreitung der Kreditlimite erforderlich war und von der Klägerin beachtet wurde, bezweckt jedenfalls unmittelbar nur den Schutz der Kreditkartenorganisation gegen die Gewährung von Krediten, deren Risiko sie im Einzelfall ablehnen möchte. Es versteht sich indes von selbst, dass die Organisation dem Vertragsunternehmen die Kreditzusage schon aus eigenem Interesse verweigern wird, wenn sie vom Verlust einer Kreditkarte Kenntnis erhält; insoweit hilft die Anfrage daher auch Missbräuche verhindern. BGE 113 II 174 S. 177 Davon geht unter Hinweis auf A. KELLER (Kreditkarten, S. 79) auch das Handelsgericht aus. Sollte die Beklagte dies bestreiten wollen, so wäre ihr nicht zu folgen. Anders kann es sich verhalten, wenn die Organisation, wie das hier unstreitig der Fall gewesen ist, zur Zeit der Kreditanfrage noch keine Kenntnis vom Verlust der Karte hat. Das hängt davon ab, ob die Organisation im Sinne einer vertraglichen Nebenverpflichtung gehalten ist, sämtliche Kartenverluste als mögliche Gefährdungstatbestände dem Vertragsunternehmen zu melden, wie das die Vorinstanz annimmt. Diese Frage ist hier aufgrund des Vertrages zu beantworten. Nach dessen Ziffer 16 war die Beklagte berechtigt, jederzeit Karten zu sperren, das Vertragsunternehmen darüber wie vorgesehen zu informieren und ihm für Bezüge mit gesperrten Kreditkarten die Zahlung zu verweigern. Für eine Mitteilungspflicht der Beklagten ist dieser Bestimmung nichts zu entnehmen; ihr Wortlaut schliesst eine solche Pflicht vielmehr aus. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Bestimmung zusammen mit Ziffer 15 des Vertrages ausgelegt wird, zumal in dieser Klausel vor allem von Pflichten des Unternehmens die Rede ist. Auf frühere Formularverträge abstellen zu wollen, welche zwischen den Parteien nie galten oder nicht mehr gelten, geht zum vornherein nicht an. Der Schluss der Vorinstanz, eine Pflicht der Kreditkartenorganisation, ihr angeschlossene Unternehmen über Kartenverluste zu informieren, ergebe sich aus Treu und Glauben, widerspricht übrigens nicht nur den Abreden der Parteien; er lässt sich auch nicht auf die von ihr zitierte Lehre stützen. Die Autoren äussern sich zwar einlässlich über die Nebenpflichten der Beteiligten, erwähnen darunter aber keine solche Informationspflicht der Organisation gegenüber den Unternehmen (J. WÜRSCH, Die Kreditkarte nach schweizerischem Privatrecht, Diss. Freiburg 1975 S. 139; A. KELLER, Kreditkarten, S. 103 und 110), sondern bloss eine Pflicht der Organisation, dem Vertragsunternehmen die von ihr veröffentlichten Mitteilungen und Sperrlisten zuzustellen (H. GIGER, Kreditkartensysteme, S. 301). Die Vorinstanz übergeht dies, wenn sie daraus, dass die Autoren von einer Haftung der Organisation für versäumte Anzeigen sprechen, auf eine allgemeine Informationspflicht der Organisation schliesst; sie verkennt insbesondere, dass das Zitat WÜRSCH unter der Überschrift "Gefahrtragung durch den Herausgeber" steht und GIGER am angeführten Ort nicht sagt, dass er unter Schadenstragung etwas anderes versteht. BGE 113 II 174 S. 178 c) Der Vertrag der Parteien kann nach Treu und Glauben nur dahin verstanden werden, dass die Beklagte verschwundene Karten sperren darf, dem Vertragsunternehmen einen Kartenmissbrauch aber nicht entgegenhalten kann, wenn sie eine Sperre unterlässt und das Unternehmen seine Prüfungspflicht erfüllt hat. Was das Handelsgericht als Nebenverpflichtung der Beklagten bezeichnet, ist deshalb keine vertragliche Verpflichtung, deren Verletzung Schadenersatz zur Folge hätte, sondern eine blosse Obliegenheit, welche die Beklagte bloss im eigenen Interesse beachten muss, wenn sie Säumnisfolgen vorbeugen will. Es verhält sich ähnlich wie mit der Rügepflicht des Käufers ( Art. 201 OR ) oder der Pflicht des Geschädigten zur Abwendung oder Milderung des Schadens ( Art. 44 Abs. 2 OR ), die vom Begriff der Rechtspflicht ebenfalls nicht erfasst werden (VON TUHR/PETER, OR I S. 12/13 und 176). Da die Beklagte ihrer Obliegenheit zu spät nachkam, konnte sie sich dem Unternehmen gegenüber zwar nicht mehr auf den Kartenmissbrauch berufen, hatte der Klägerin folglich die Wagenmiete von Fr. 4'500.-- zu vergüten; mangels einer Vertragsverletzung im Sinne von Art. 97 Abs. 1 OR wurde sie ihr aber nicht schadenersatzpflichtig. Die Klage ist deshalb abzuweisen. 2. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob das Verhalten der Beklagten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge überhaupt geeignet war, einen Schaden, wie den von der Klägerin behaupteten, herbeizuführen ( BGE 108 II 53 E. 3 mit Hinweisen), zumal es um den Verlust einer Kreditkarte in Deutschland ging und der Mietwagen damit in der Schweiz erschlichen wurde; dass zwischen dem Verlust und dem Missbrauch einer Kreditkarte ein solcher Zusammenhang besteht, heisst jedenfalls noch nicht, die Rechtserheblichkeit des Zusammenhanges sei deswegen auch für alle direkten und indirekten Folgen des Missbrauchs zu bejahen. Es braucht auch nicht entschieden zu werden, ob die Beklagte wegen der weltweiten Tätigkeit ihrer Organisation und wegen ihres internationalen Informationssystems als Hilfsperson der deutschen Schwestergesellschaft anzusehen wäre und sich deren verspätete Meldung anrechnen lassen müsste. Offenbleiben kann ferner, ob die Klägerin ihre Prüfungspflicht verletzt habe, wie die Beklagte ihr vorwirft. BGE 113 II 174 S. 179
de
5d1fd9b0-e1c7-4f2a-988c-d7e0eee1cb14
Sachverhalt ab Seite 1 BGE 118 IV 1 S. 1 A.- Zu Sachverhalt und Vorgeschichte siehe BGE 117 IV 292 . B.- Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern verurteilte B. am 26. September 1991 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand und Nichtbeherrschens des Fahrzeugs unter Zubilligung einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grade zu einer Gefängnisstrafe von 50 Tagen, nachdem sie in ihrem BGE 118 IV 1 S. 2 ersten Urteil vom 23. August 1990 ohne Zubilligung einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten ausgefällt hatte. C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Die Generalprokurator-Stellvertreterin des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Beschwerde. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Der Beschwerdeführer macht zunächst eine Bundesrechtsverletzung in bezug auf die Strafzumessung geltend. a) Gemäss den Ausführungen im angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer in schwer alkoholisiertem Zustand eine Autofahrt von rund 130 km unternehmen wollen. Er habe dadurch Mensch und Umwelt massiv gefährdet; die Tat sei deshalb nach ihrem objektiven Erscheinungsbild als schwer zu bezeichnen. Nach dem in Rechtskraft erwachsenen erstinstanzlichen Schuldspruch sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Moment des Fahrtantritts wusste oder doch mit der Möglichkeit rechnete, er sei durch den Alkoholgenuss an der sicheren Führung des Fahrzeuges gehindert. Weiter sei nach den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichtes davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Alkoholkonsums weder wusste noch damit rechnete, noch bei pflichtgemässer Vorsicht damit hätte rechnen müssen, später unter Alkoholeinfluss ein Fahrzeug zu führen, weshalb vorsätzliche bzw. fahrlässige "actio libera in causa" auszuschliessen seien. Zur Beurteilung stehe somit eine vorsätzliche "unvorhersehbare Trunkenheitsfahrt". Nach den weiteren Erwägungen der Vorinstanz liegt in bezug auf eine verminderte Zurechnungsfähigkeit die Besonderheit darin, dass die Trunkenheitsfahrt gerade die in Art. 91 Abs. 1 SVG mit Strafe bedrohte Verhaltensweise sei. Die Auffassung des Bundesgerichtes habe in jenen Fällen, in denen wie vorliegend sowohl die vorsätzliche wie auch die fahrlässige "actio libera in causa" auszuschliessen seien, zur Folge, dass zwischen objektiver und subjektiver Tatschwere ein umgekehrt proportionales Verhältnis bestehe: Je höher der Alkoholisierungsgrad und damit die objektive Tatschwere seien, desto geringer sei die Intensität des "verbrecherischen BGE 118 IV 1 S. 3 Willens", erschwere doch die mit zunehmendem Trunkenheitsgrad fortschreitende Enthemmung es dem Täter, der Einsicht in das Tatunrecht entsprechend auf die Trunkenheitsfahrt zu verzichten, weshalb die Tat subjektiv nicht schwer wiege. Zu prüfen sei die Gewichtung der objektiven und der subjektiven Strafzumessungsfaktoren. Gerade auch die Leichtfertigkeit, mit welcher sich Autofahrer immer wieder über die ihnen bewusste, letztlich entscheidende Hemmschwelle hinwegsetzen, werde durch Art. 91 SVG pönalisiert. Demnach könnten die objektive und die subjektive Tatschwere bei der Beurteilung des Verschuldens nicht gleich gewichtet werden, würden sie sich doch andernfalls, insbesondere bei einem hohen Alkoholisierungsgrad, gegenseitig kompensieren. Im vorliegenden Fall könne sich deshalb die in Berücksichtigung der verminderten Zurechnungsfähigkeit nur als relativ geringfügig zu bezeichnende subjektive Tatschwere nicht stark zugunsten des Beschwerdeführers auswirken. Die Vorinstanz hält im weiteren fest, dass die Lebensführung des Beschwerdeführers zu keinerlei Beanstandung Anlass gebe. Einzig sein automobilistischer Leumund, welcher vorliegend erheblich ins Gewicht falle, könne in Anbetracht seiner Vorstrafen (Verurteilungen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand vom 19. Oktober 1970 zu 20 Tagen Gefängnis bedingt und Busse von Fr. 500.-- und vom 19. August 1983 zu drei Wochen Gefängnis bedingt und Busse von Fr. 1'000.--) nicht mehr als gut bezeichnet werden. Die Vorinstanz führt sodann aus, auch wenn im Urteil vom 23. August 1990 Art. 11 StGB nicht angewendet worden sei, habe sie den besonderen Umständen des Falles, nämlich dem nicht vorgesehenen Aufstehen des Beschwerdeführers mitten in der Nacht, im Rahmen von Art. 63 StGB unter dem Aspekt der Beweggründe Rechnung getragen, weshalb jetzt die Anwendung von Art. 11 StGB nicht zu einer massiven Strafreduktion führen könne. Sie berücksichtigt weiter, dass Art. 91 SVG gerade jenes Verhalten unter Strafe stelle, welches nun im Rahmen von Art. 11 StGB zu einer Strafmilderung führen müsse. Wenn nicht die Strafwürdigkeit eines solchen Verhaltens gänzlich in Frage gestellt werden solle, könne sich deshalb die verminderte Zurechnungsfähigkeit nur beschränkt strafmildernd auswirken. b) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe damit Art. 63 und Art. 11 StGB in unzulässiger Weise "vermischt". In der Konsequenz führe die Auffassung der Vorinstanz dazu, dass man Art. 11 StGB überhaupt nicht mehr brauche. Die Strafzumessung BGE 118 IV 1 S. 4 habe jedoch schrittweise zu erfolgen, wobei das Resultat der Überlegungen gemäss Art. 63 StGB gleich laute, egal ob der Täter voll oder vermindert zurechnungsfähig war. Erst wenn das Strafmass feststehe, werde die Strafe, sofern die Voraussetzungen von Art. 11 StGB gegeben seien, im Sinne von Art. 66 StGB gemildert. Im übrigen gelte im Kanton Bern die Faustregel, dass bei leichter Verminderung der Zurechnungsfähigkeit die "Einsatzstrafe" um einen Viertel, bei mittelschwerer Verminderung um die Hälfte und bei schwerer Beeinträchtigung auf einen Viertel reduziert werde. Das freie Ermessen des Richters im Sinne von Art. 66 StGB sei jedoch sicherlich nicht so zu verstehen, dass er die Anwendung von Art. 66 durch Hinweis auf Art. 63 StGB teilweise ablehnen könne. Im übrigen sei nicht einsichtig, weshalb bei Art. 91 SVG ein anderer "Kürzungsmassstab" als bei anderen Taten gelten solle. Dem Beschwerdeführer erscheint eine Strafe von 30 Tagen als angemessen. c) Der Beschwerdegegner ist der Ansicht, dass sich aus den von der Vorinstanz genannten Gründen die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit nicht stark auswirken konnte. 2. Gemäss Art. 11 StGB kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern, wenn der Täter zur Zeit der Tat vermindert zurechnungsfähig war. Der Richter ist dabei weder an die Strafart noch an das Strafmass, wohl aber an das gesetzliche Mindestmass der jeweiligen Strafart gebunden ( Art. 66 StGB ). Nach herrschender und zutreffender Auffassung muss der Richter den Strafmilderungsgrund der verminderten Zurechnungsfähigkeit mindestens strafmindernd berücksichtigen ( BGE 116 IV 303 E. bb mit Hinweisen). Die Bestimmungen über die Zurechnungsfähigkeit ( Art. 10-13 StGB ) sind Ausfluss des das ganze Strafrecht beherrschenden Schuldprinzips. Eine alkoholbedingte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit kann deshalb, unter Vorbehalt der bei einer "actio libera in causa" geltenden Regeln, auch beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand beachtlich sein ( BGE 117 IV 294 E. 2). Die Vorinstanz geht von einer in mittlerem Grade verminderten Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers aus. Verminderte Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grade bedeutet, dass der Schuldvorwurf, der dem Täter gemacht werden kann, verglichen mit dem Schuldvorwurf bei voller Zurechnungsfähigkeit in entsprechendem Ausmass geringer ist. Das Ausmass der strafrechtlich relevanten Schuld steht also in Beziehung zum Ausmass der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. Nach dem oben Gesagten muss der Richter dieser Verminderung der Schuld Rechnung tragen, und zwar im ganzen BGE 118 IV 1 S. 5 Ausmass der Verminderung. Die Vorinstanz ist demgegenüber, wie dargelegt, der Ansicht, für die Bemessung der Schuld sei vorliegend in erster Linie die objektive Tatschwere zu berücksichtigen. Damit verletzt sie Bundesrecht. Zwischen voller Zurechnungsfähigkeit und völliger Unzurechnungsfähigkeit gemäss Art. 10 StGB sind kontinuierliche Abstufungen denkbar. Gegenüber dem Unzurechnungsfähigen, also etwa gegenüber dem Mörder, der zufolge geistiger Umnachtung in völliger Unzurechnungsfähigkeit getötet hat, darf auch bei objektiv sehr schweren Straftaten nach der klaren Anordnung des Gesetzes keine Strafe ausgesprochen werden. Dies macht deutlich, dass der Verminderung der Schuldfähigkeit entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht die objektive Schwere der Tat entgegengehalten werden darf. Vielmehr ergibt sich aus der Straflosigkeit des völlig Unzurechnungsfähigen, dass gegen den in sehr starkem Masse vermindert Zurechnungsfähigen nur eine im Vergleich mit der Strafe für den voll Schuldfähigen sehr geringe Strafe ausgesprochen werden darf. Entsprechend ist die Strafe bei verminderter Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grade verglichen mit der Strafe, die für die gleiche Tat eines voll Zurechnungsfähigen ausgesprochen würde, in mittlerem Ausmass zu reduzieren (vgl. HAUSER/REHBERG, Strafrecht I, 4. Aufl. 1988, S. 160; TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 11 StGB N 6; HEINZ SCHÖCH, Die Beurteilung von Schweregraden schuldmindernder oder schuldausschliessender Persönlichkeitsstörungen aus juristischer Sicht, MSchrKrim 1983, S. 333 ff., 337; RUDOLPHI, Systematischer Kommentar zum dt. StGB, § 21 N 7 ). Diese Prinzipien gelten für alle Straftaten, auch für das Fahren in angetrunkenem Zustand, wenn, wie vorliegend, nicht durch Rückgriff auf die Figur der "actio libera in causa" der Schuldvorwurf bereits für einen Zeitpunkt erhoben werden kann, in dem der Täter noch voll zurechnungsfähig war. Die Vorinstanz hat in ihrem ersten, vom Bundesgericht aufgehobenen Urteil ausgehend von voller Zurechnungsfähigkeit eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten ausgesprochen. Dabei hat sie dem Beschwerdeführer unter anderem vorgeworfen, dass er mit einer sehr hohen Alkoholkonzentration gefahren ist. Bloss in einem eingeschobenen Nebensatz - "obwohl unter besonderen Umständen nach dem nicht vorgesehenen Aufstehen mitten in der Nacht" - hat sie auf die Besonderheit des Falles Bezug genommen. Es ist nicht anzunehmen, dass sich dieser Hinweis nennenswert zugunsten des Beschwerdeführers auf die Strafzumessung im ersten Urteil ausgewirkt hat. Indem die Vorinstanz im zweiten Urteil eine Strafe von 50 Tagen BGE 118 IV 1 S. 6 Gefängnis ausfällte, hat sie der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grade nach dem Gesagten aus sachfremden Gründen nicht ausreichend Rechnung getragen. Die schwerwiegende Gefährdung, die der Beschwerdeführer schuf, indem er mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,26 Gew.-%o ein Automobil lenkte, bzw. die sich daraus ergebende objektive Schwere der Tat durfte bei der Strafzumessung straferhöhend berücksichtigt werden, und die Vorinstanz hat dies denn auch sowohl im ersten Urteil vom 23. August 1990 als auch im vorliegend angefochtenen Entscheid getan. Die Vorinstanz durfte aber die sich aus der hohen Alkoholkonzentration ergebende objektive Schwere der Tat nicht ein zweites Mal bei der Strafzumessung zu Ungunsten des Beschwerdeführers berücksichtigen, indem sie der Verminderung der Schuld infolge der in mittlerem Grade verminderten Zurechnungsfähigkeit unter Berufung auf die objektive Tatschwere bei der Strafzumessung nicht vollumfänglich, sondern bloss beschränkt Rechnung trug. Die Vorinstanz verletzte somit Bundesrecht, indem sie die Gefängnisstrafe infolge der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grade lediglich um einen Sechstel von zwei Monaten auf 50 Tage herabsetzte.
de
d839473a-a3ad-4cb0-92ac-7192d51af484
Erwägungen ab Seite 111 BGE 139 III 110 S. 111 Aus den Erwägungen: 2. Die Schweizerische Eidgenossenschaft (Beklagte, Beschwerdeführerin) bestreitet die sachliche Zuständigkeit des Bundespatentgerichts. Sie wirft ihm vor, dem angefochtenen Beschluss einen falschen Streitgegenstand zugrunde gelegt, die Abgrenzung zwischen zivilrechtlichen und öffentlichrechtlichen Streitigkeiten rechtsfehlerhaft vorgenommen sowie die Schranken des Bundeszivilrechts - insbesondere des Patentgesetzes (PatG; SR 232.14) - verkannt zu haben. 2.1 Das Bundespatentgericht ist nach Art. 26 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 20. März 2009 über das Bundespatentgericht (Patentgerichtsgesetz, PatGG; SR 173.41) ausschliesslich zuständig für Bestandes- und Verletzungsklagen sowie Klagen auf Erteilung einer Lizenz betreffend Patente. Nach der Zuständigkeitsregelung des Patentgerichtsgesetzes sind nur diejenigen Klagen ausschliesslich vom Bundespatentgericht zu beurteilen, welche die Anwendung materiellen Patentrechts bedingen (Botschaft vom 7. Dezember 2007 zum Patentgerichtsgesetz, BBl 2007 483 Ziff. 2.4). Dazu gehören unter anderem Klagen auf Unterlassung oder Beseitigung ( Art. 72 PatG ) und Klagen auf Schadenersatz ( Art. 73 PatG , der in Abs. 1 auf die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts verweist; vgl. PETER HEINRICH, PatG/EPÜ, Kommentar [...], 2. Aufl. 2010, N. 5 zu Art. 76 PatG ; BBl 2007 482 Ziff. 2.4). BGE 139 III 110 S. 112 Zu beurteilen ist einerseits, ob das Bundespatentgericht gestützt auf diese Bestimmungen zuständig ist, über einen auf eine angebliche Patentrechtsverletzung des Bundes beim Betrieb seines LSVA-Erfassungssystems gestützten Unterlassungsanspruch zu befinden, und andererseits, ob das Bundespatentgericht für die Beurteilung eines daraus abgeleiteten Schadenersatzanspruchs gegen den Bund zuständig ist. 2.2 2.2.1 Soweit er nicht amtlich, sondern gewerblich tätig wird, ist der Staat den Regeln des Privatrechts und damit sowohl der privatrechtlichen Haftungsordnung (vgl. Art. 41 ff. OR ) als auch der Gesetzgebung zum Immaterialgüterrecht unterstellt wie ein nichtstaatliches Unternehmen (vgl. TOBIAS JAAG, Staats- und Beamtenhaftung, in: SBVR Bd. I/3, Heinrich Koller und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2006, Rz. 25 f.; LUCAS DAVID UND ANDERE, Der Rechtsschutz im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, SIWR Bd. I/2, 3. Aufl. 2011, Rz. 251). Die Vorinstanz hat zutreffend festgehalten, dass die LSVA-Erhebungsinfrastruktur Teil des Verwaltungsvermögens der Beschwerdeführerin ist und ausschliesslich öffentlichen Zwecken dient. Die LSVA-Erhebungsinfrastruktur, deren Betrieb nach Auffassung der X. GmbH (Klägerin, Beschwerdegegnerin) ihr Patentrecht verletzen soll, dient unmittelbar der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben. Zu Recht beruft sich denn auch die Beschwerdegegnerin nicht darauf, es handle sich beim strittigen Betrieb der technischen Infrastruktur zur Erhebung der LSVA um eine gewerbliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin, die als solche allgemein der Privatrechtsordnung unterworfen wäre. 2.2.2 Öffentliche Beamte und Angestellte haften an sich auch für Tätigkeiten, die sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen ausführen, nach Bundeszivilrecht ( Art. 41 ff. OR ), sofern der Gesetzgeber keine abweichenden Bestimmungen festgesetzt hat ( Art. 61 Abs. 1 OR ). Das Gemeinwesen selbst haftet aber für die Schädigung durch seine Funktionäre nur nach Massgabe des öffentlichen Rechts ( Art. 59 Abs. 1 ZGB ), es sei denn, es handle sich um gewerbliche Verrichtungen, welche eine Organ- oder Geschäftsherrenhaftung auszulösen vermögen ( Art. 55 ZGB bzw. Art. 55 OR ; BGE 111 II 149 E. 3a S. 151; BGE 108 II 334 E. 3 S. 335 f.; BGE 101 II 177 E. 2b S. 184 f.; vgl. auch BGE 124 III 418 E. 1b S. 420 f.). Entsprechend hält auch Art. 11 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten BGE 139 III 110 S. 113 (VG; SR 170.32) fest, dass der Bund nach den privatrechtlichen Bestimmungen haftet, soweit er als Subjekt des Zivilrechts auftritt. Vorbehalten bleibt eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Bundes sodann bei Tatbeständen, die unter die Haftpflichtbestimmungen anderer Erlasse fallen (vgl. Art. 3 Abs. 2 VG ). Dazu gehören etwa die Bestimmungen der Spezialgesetzgebung über die Gefährdungshaftungen (z.B. Kernenergiehaftpflichtgesetz [KHG; SR 732.44], Elektrizitätsgesetz [EleG; SR 734.0], Eisenbahngesetz [EBG; SR 742.101], Strassenverkehrsgesetz [SVG; SR 741.01]), die nicht zwischen privatem und staatlichem Schädiger unterscheiden, sondern die Haftpflicht ausschliesslich an eine spezifische Betriebsgefahr anknüpfen. Im Sinne einer Ausnahme von der Haftung nach öffentlichem Recht zählt die Rechtsprechung dazu auch Art. 56 OR über die Tierhalterhaftpflicht (vgl. BGE 126 III 14 E. 1a S. 16; BGE 115 II 237 E. 2 S. 241 ff. mit einem Vorbehalt für jene Fälle, in denen ein Tier, so etwa ein Polizeihund, unmittelbar als "Werkzeug" für die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingesetzt wird) sowie Art. 58 OR bezüglich der Werkeigentümerhaftpflicht von Bund, Kantonen und Gemeinden (vgl. BGE 129 III 65 E. 1 S. 66 f.; BGE 98 II 40 E. 1 S. 42 f.; BGE 96 II 337 E. 2a S. 341; zur Haftung des Gemeinwesens etwa ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2006, N. 6 ff. zu Art. 61 OR ). Unabhängig davon, ob der Bund öffentlichrechtlich oder privatrechtlich tätig ist, untersteht er in diesen Bereichen den Kausalhaftungen des Privatrechts (vgl. BGE 115 II 237 E. 2b und 2c S. 244 f.; JAAG, a.a.O., Rz. 29 ff.). 2.2.3 Die Beschwerdegegnerin richtet den von ihr eingeklagten Schadenersatz-, Bereicherungs- bzw. Gewinnherausgabeanspruch über Fr. 62'466'022.85, den sie auf Bundesprivatrecht ( Art. 73 Abs. 1 PatG i.V.m. Art. 41 ff., 62 ff. bzw. 423 OR) stützt, nicht gegen einen Beamten oder Angestellten der Bundes, sondern unmittelbar gegen die Eidgenossenschaft. Eine solche privatrechtliche Haftung des Bundes kommt - abgesehen von den erwähnten Ausnahmen bestimmter Kausalhaftungen, die im konkreten Fall nicht zur Diskussion stehen - nur im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit in Betracht. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des öffentlichen Verantwortlichkeitsrechts einerseits oder des privaten Haftungsrechts andererseits sowie den entsprechenden Rechtsweg ist entscheidend, ob das als widerrechtlich erachtete Verhalten des Staats in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe oder in Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit erfolgte. Die Beschwerdeführerin bringt insoweit zu Recht vor, dass BGE 139 III 110 S. 114 im vorliegenden Fall nicht auf ein irgendwie geartetes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien oder auf das angeblich verletzte Rechtsgut bzw. die in der Klagebegründung angerufene Rechtsnorm abgestellt werden kann. Das staatliche Verantwortlichkeitsrecht bezweckt gerade eine allgemeine Haftungsordnung auch für diejenigen Fälle, in denen in Ausübung einer amtlichen Tätigkeit widerrechtlich Schaden verursacht wird, ohne dass ein vorbestehendes Rechtsverhältnis zur geschädigten Person bestehen würde. Ein solches ist nicht Voraussetzung der Staatshaftung (vgl. Art. 3 Abs. 1 VG ). Entgegen dem angefochtenen Entscheid ist daher die Unterscheidung zwischen einem hoheitlichen Rechtsverhältnis gegenüber den Abgabepflichtigen und einem nichthoheitlichen Rechtsverhältnis der Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin für die zu beurteilende Frage nicht zielführend. Ausschlaggebend ist im Hinblick auf die massgebende Verantwortlichkeitsordnung vielmehr die Natur der angeblich haftungsbegründenden Tätigkeit des Gemeinwesens. Zu Recht hat die Vorinstanz die Anwendbarkeit der privatrechtlichen Haftungsordnung nicht daraus abgeleitet, dass die Beschwerdeführerin zur Beschaffung der fraglichen LSVA-Erhebungsinfrastruktur mit Dritten privatrechtliche Verträge abgeschlossen hat. Aus dem Umstand, dass am Ende des Submissionsverfahrens mit dem berücksichtigten Anbieter ein privatrechtlicher Vertrag abgeschlossen wird, lässt sich keine allgemeine privatrechtliche Haftung des Gemeinwesens gegenüber nicht berücksichtigten Anbietern, geschweige denn gegenüber nur mittelbar beteiligten Dritten ableiten (vgl. nunmehr zur Staatshaftung vielmehr Art. 34 f. des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen [BöB; SR 172. 056.1]; vgl. auch PETER GALLI UND ANDERE, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 2007, Rz. 941 ff.). Nach den Feststellungen des angefochtenen Entscheids war die Beschwerdegegnerin nicht Lieferantin von Gütern und Dienstleistungen für die Beschwerdeführerin. 2.2.4 Der Betrieb der LSVA-Erhebungsinfrastruktur durch die Beschwerdeführerin, in deren Rahmen nach Ansicht der Beschwerdegegnerin ein Patent verletzt wird, dient unmittelbar der Erhebung von Abgaben und damit der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben. Die strittige Verwendung der technischen Infrastruktur durch die Beschwerdeführerin zur Erfassung der erforderlichen Daten im Hinblick auf die zu erhebende leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe erfolgt unbestreitbar im Rahmen der Wahrnehmung einer BGE 139 III 110 S. 115 öffentlichen Aufgabe. Eine gewerbliche Tätigkeit, die grundsätzlich Privaten wie Nichtprivaten offensteht und bei welcher etwa die Erzielung von Gewinn eine Rolle spielt, liegt beim fraglichen Betrieb der technischen Infrastruktur nicht vor (vgl. ULRICH HÄFELIN UND ANDERE, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, Rz. 2270; BGE 128 III 76 E. 1a S. 78 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin tritt beim Betrieb ihrer Erhebungsinfrastruktur nicht als Subjekt des Zivilrechts auf (vgl. Art. 11 Abs. 1 VG ). Ebenso wenig liegt ein Fall eines privatrechtlichen Kausalhaftungstatbestands vor, dem der Bund ausnahmsweise auch bei Ausübung einer öffentlichrechtlichen Tätigkeit unterstehen würde (vgl. Art. 3 Abs. 2 VG ). Das Patentgesetz sieht keine besondere Verantwortlichkeitsordnung vor, die allgemein auch für das Gemeinwesen gelten würde, sondern verweist hinsichtlich der Schadenersatzklage vielmehr auf das Obligationenrecht ( Art. 73 Abs. 1 PatG ). Indem die Vorinstanz den behaupteten Sachverhalt der privatrechtlichen Haftungsordnung unterstellt wissen wollte und sich zur Beurteilung des gestützt auf die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts ( Art. 41 ff., 62 ff. und 423 OR ) eingeklagten Schadenersatz-, Bereicherungs- bzw. Gewinnherausgabeanspruchs über Fr. 62'466'022.85 für zuständig erklärte, verletzte sie Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG . Die Haftung der Beschwerdeführerin beurteilt sich vielmehr nach dem Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes, für dessen Anwendung das Bundespatentgericht nicht zuständig ist (vgl. Art. 10 VG ). 2.3 Von der vermögensrechtlichen Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin zu unterscheiden ist die Frage, ob sie als Gemeinwesen eine Patentverletzung begehen und gegen sie eine auf das Patentgesetz gestützte Unterlassungsklage ( Art. 72 PatG ) eingereicht werden kann, die nach Art. 26 Abs. 1 lit. a PatGG vom Bundespatentgericht zu beurteilen ist. 2.3.1 Im Gegensatz zur Staatshaftungsordnung besteht keine umfassende öffentlichrechtliche Regelung zum Umgang des Gemeinwesens mit gewerblichen Schutzrechten. Das Patentrecht ist Eigentum im Sinne von Art. 26 Abs. 1 BV und als solches Schutzobjekt der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie ( BGE 126 III 129 E. 8a S. 148). Die aus dem Patent erwachsenden absoluten Rechte ergeben sich aus der Gesetzgebung zum Patentrecht, das dem Privatrecht zugeordnet wird. Wie öffentlichrechtliche Körperschaften Inhaber von Patenten sein können, haben sie im Gegenzug auch die sich aus BGE 139 III 110 S. 116 dem Patentrecht ergebenden Beschränkungen zu beachten; sie dürfen sich bei ihrer Tätigkeit ebenso wenig wie Private über Schutzrechte Dritter hinwegsetzen (vgl. DAVID UND ANDERE, a.a.O., Rz. 254; HEINRICH, a.a.O., N. 47 zu Art. 8 PatG ). Die Beschwerdeführerin räumt denn auch zutreffend ein, dass es sich bei der Beurteilung des Bestands und der Verletzung des Patents um zivilrechtliche Fragen handelt. Der Patentschutz gilt insoweit umfassend und ergibt sich auch für das Gemeinwesen aus den Bestimmungen des Patengesetzes über die Voraussetzungen und Wirkungen des Patents (vgl. Art. 1 ff. PatG ): Nach Art. 8 Abs. 1 PatG verschafft das Patent seinem Inhaber eine ausschliessliche Nutzungsbefugnis und damit das Recht, andere von der Benützung der Erfindung auszuschliessen. Dies schliesst ein, dass auch das hoheitlich handelnde Gemeinwesen nicht ohne Weiteres befugt ist, patentrechtlich geschützte Erfindungen ohne entsprechende Ermächtigung des Patentinhabers zu benutzen, selbst wenn dies in Verfolgung öffentlicher Interessen geschieht (vgl. DAVID UND ANDERE, a.a.O., Rz. 254; rechtsvergleichend das Urteil des BGH vom 21. Februar 1989, publiziert in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen [BGHZ] 107/1990 S. 46, 52). Das Gemeinwesen wird somit auch im Rahmen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben vom Ausschliesslichkeitsrecht nach Art. 8 PatG erfasst und ist insoweit grundsätzlich dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch (Art. 72 i.V.m. 66 PatG) ausgesetzt. 2.3.2 Soweit einzelne Schutzrechte dem Gemeinwesen hinderlich sind, hat der Gesetzgeber allfällige Interessenkollisionen zwischen Staat und privaten Schutzrechtsinhabern vorauszusehen und angemessen zu lösen (DAVID UND ANDERE, a.a.O., Rz. 254). Einschränkungen des Patentrechts aus Gründen des öffentlichen Interesses sind gesetzlich in Art. 32 (Enteignung) und Art. 40 PatG (Lizenz im öffentlichen Interesse) ausdrücklich vorgesehen. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Ausschliesslichkeitsrecht des Patentinhabers ( Art. 8 PatG ) - und damit einhergehend der daraus erwachsende Unterlassungsanspruch (vgl. Art. 72 PatG ) - zugunsten des öffentlichen Interesses Einschränkungen unterliegen kann. Die Vorinstanz hat ausgehend von diesen Bestimmungen zutreffend erwogen, dass das Bestehen eines öffentlichen Interesses im Patentrecht nicht das entscheidende Kriterium im Hinblick auf den massgebenden Rechtsweg sein kann. Gerade die Möglichkeit der Einräumung einer Lizenz nach Art. 40 PatG verdeutlicht, dass im Bereich des Patentschutzes BGE 139 III 110 S. 117 nach dem Willen des Gesetzgebers mitunter öffentliche Interessen in einem Zivilverfahren zu beurteilen sind. Dies geht auch aus Art. 40e Abs. 1 Satz 2 PatG hervor, nach dem für die Einräumung einer solchen Lizenz, die als besondere Form der Enteignung verstanden werden kann (BLUM/PEDRAZZINI, Das Schweizerische Patentrecht, 2. Aufl. 1975, S. 614), bei öffentlichem, nicht gewerblichem Gebrauch weniger strenge Voraussetzungen gelten. 2.3.3 Die Schweiz hat sich nach Art. 31 des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS; Anhang 1C zum Abkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation; SR 0.632.20) international dazu verpflichtet, nur staatsvertraglich begrenzte Ausnahmen von den ausschliesslichen Rechten aus dem Patent vorzusehen ( Art. 30 TRIPS ) und unter anderem bei einer Benutzung des Gegenstands eines Patents durch die Regierung ohne Erlaubnis des Rechtsinhabers diesem eine nach den Umständen des Einzelfalls angemessene Vergütung zu zahlen ( Art. 31 lit. h TRIPS ), wobei die Rechtsgültigkeit des Entscheids über die Erlaubnis zu einer solchen Benutzung sowie der Entscheid über die vorgesehene Vergütung der gerichtlichen Überprüfung unterliegen ( Art. 31 lit. i und j TRIPS ). Die auch für die Lizenz im öffentlichen Interesse ( Art. 40 PatG ) geltende Bestimmung von Art. 40e PatG ist als Folge des TRIPS-Vertrags eingefügt worden (HEINRICH, a.a.O., N. 1 zu Art. 40e PatG ) und erwähnt in Abs. 1 Satz 2 in Übereinstimmung mit Art. 31 lit. b TRIPS , dass Bemühungen um Erteilung einer vertraglichen Lizenz zu angemessenen Marktbedingungen unter anderem nicht notwendig sind bei öffentlichem, nicht gewerblichem Gebrauch. Art. 31 TRIPS bezieht sich sodann ausdrücklich auch auf die Benutzung durch die Regierung oder von ihr ermächtigte Dritte; eine Zwangslizenz nach Art. 31 lit. b TRIPS kann demnach jeder natürlichen oder juristischen Person des privaten oder öffentlichen Rechts erteilt werden (FOCKE HÖHNE, in: TRIPs, Jan Busche/Peter-Tobias Stoll [Hrsg.], Köln 2007, N. 13 zu Art. 31 TRIPS ). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist nicht ersichtlich, weshalb nach dem gleichermassen offen gehaltenen Wortlaut von Art. 40 Abs. 1 PatG das Gemeinwesen nicht zur Klage auf Erteilung einer Lizenz im öffentlichen Interesse legitimiert sein soll. Sie verkennt mit ihrem Vorbringen insbesondere, dass Art. 40 PatG nicht darauf beschränkt ist, den anspruchsberechtigten Personen eine marktwirtschaftliche Tätigkeit im Schutzbereich eines Patents zu ermöglichen, sondern nach der gesetzlichen BGE 139 III 110 S. 118 Regelung ( Art. 40e Abs. 1 Satz 2 PatG ) ausdrücklich auch bei öffentlichem, nicht gewerblichem Gebrauch zur Anwendung kommen kann. Bei der Klage nach Art. 40 Abs. 1 PatG handelt es sich ungeachtet der Parteien um eine Zivilklage; zudem steht fest, dass zur Beurteilung der Voraussetzungen einer Lizenz im öffentlichen Interesse nach Art. 26 Abs. 1 lit. a PatGG das Bundespatentgericht ausschliesslich zuständig ist (HEINRICH, a.a.O., N. 8 zu Art. 40e PatG ). 2.3.4 Der Vergleich der Beschwerdeführerin mit den nachbarrechtlichen Abwehransprüchen des Grundeigentümers wegen übermässiger Immissionen (vgl. Art. 679 ZGB ), die von einem öffentlichen Werk ausgehen, verfängt nicht. Zwar trifft zu, dass solche privatrechtlichen Abwehransprüche unter bestimmten Voraussetzungen dem vorrangigen öffentlichen Interesse weichen müssen und daher nicht zivilrechtlich durchgesetzt werden können, wobei an ihre Stelle ein Anspruch auf enteignungsrechtliche Entschädigung tritt (vgl. BGE 134 III 248 E. 5.1 S. 252 f. mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall, dem eine angebliche Patentverletzung durch den Betrieb der LSVA-Erhebungsinfrastruktur zugrunde liegt, kann jedoch nicht von der Immissionsproblematik entsprechenden Verhältnissen ausgegangen werden. Die Einschränkung der Anwendbarkeit des Bundeszivilrechts hinsichtlich der nachbarrechtlichen Abwehransprüche des Grundeigentümers folgt aus der Erkenntnis, dass die ordentliche Nutzung von Grundstücken des Verwaltungsvermögens (z.B. durch Bahnanlagen, Strassen oder Flugplätze) regelmässig zu Immissionen führt, die unausweichliche Folgen ihrer Zweckbestimmung sind, weshalb sie von den davon betroffenen Grundeigentümern - gegebenenfalls gegen enteignungsrechtliche Entschädigung - geduldet werden müssen und auch der Rechtsweg an die Zivilgerichte eingeschränkt ist (vgl. BGE 132 III 49 E. 2.3 S. 52 f.). Eine mit Grundstücken vergleichbare Ausgangslage, bei der eine bestimmte Nutzung des Verwaltungsvermögens bzw. die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unweigerlich mit Schutzrechtsverletzungen verbunden wäre, die im öffentlichen Interesse geduldet werden müssten, liegt bei Rechten an geistigem Eigentum, deren Grenzen - insbesondere bei Patentrechten - häufig nur mit Schwierigkeiten ermittelt werden können, nicht vor. Die Beschwerdegegnerin macht daher zutreffend geltend, dass sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu den privatrechtlichen BGE 139 III 110 S. 119 Abwehrrechten des Nachbarrechts nicht auf die konkret zur Diskussion stehende Problematik allfälliger Schutzrechtsverletzungen durch das Gemeinwesen übertragen lässt. Das Bundesgericht hat im Übrigen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich seine Rechtsprechung, die mit dem erheblichen öffentlichen Interesse am Strassen- und Schienenverkehr begründet wird, nicht ohne Weiteres auf andere Nutzungen von Strassen und Plätzen im Gemeingebrauch und schon gar nicht unbesehen auf das übrige Verwaltungsvermögen übertragen lässt ( BGE 132 III 49 E. 2.3 S. 53). Der Vergleich der Beschwerdeführerin zeigt immerhin auf, dass auch die Gegenstände des Verwaltungsvermögens grundsätzlich dem Zivilrecht unterstehen und selbst im Nachbarrecht eine auf das Eigentum gestützte Unterlassungsklage gegen das Gemeinwesen vor dem Zivilgericht nicht in jedem Fall ausgeschlossen ist ( BGE 132 III 49 E. 2.3 S. 52 f. mit Hinweisen). 2.3.5 Ob der Beschwerdegegnerin im konkreten Fall ein patentrechtlicher Unterlassungsanspruch (vgl. Art. 72 i.V.m. 66 PatG) zusteht oder ob die von der Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren eingewendeten Einschränkungen des Patentschutzes einem solchen Anspruch aus Gründen des öffentlichen Interesses in - unmittelbarer oder gegebenenfalls analoger - Anwendung von Art. 40 PatG entgegenstehen, beschlägt nicht die Frage der sachlichen Zuständigkeit des Bundespatentgerichts, sondern diejenige der Begründetheit der Klageanträge. Im Übrigen stellt die Beschwerdegegnerin zu Recht nicht in Frage, dass eine Lizenz im öffentlichen Interesse auch während der Patentverletzung gerichtlich durchgesetzt werden kann (vgl. HEINRICH, a.a.O., N. 2 zu Art. 40e PatG ; ANDRI HESS-BLUMER, Patent Trolls, sic! 12/2009 S. 862 f.). Ebenso wenig, wie im vorliegenden Verfahren zu entscheiden ist, ob tatsächlich ein patentrechtlicher Unterlassungsanspruch der Beschwerdegegnerin gegenüber der Beschwerdeführerin besteht, ist im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren über die Zuständigkeitsfrage zu vertiefen, ob ein Unterlassungsanspruch als aus dem Patent hervorgehendes Recht gegebenenfalls nach Art. 32 Abs. 1 PatG enteignet werden könnte (vgl. BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., S. 268 ff.). 2.3.6 Der Vorinstanz ist keine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen, soweit sie davon ausgegangen ist, dass der eingeklagte patentrechtliche Unterlassungsanspruch nach Art. 72 PatG auch gegenüber der Beschwerdeführerin geltend gemacht werden kann. Das Bundespatentgericht ist zu dessen Beurteilung - im Gegensatz zum BGE 139 III 110 S. 120 eingeklagten Ausgleichsanspruch, der sich auch in Bezug auf den Rechtsweg nach dem Verantwortlichkeitsgesetz richtet - nach Art. 26 Abs. 1 lit. a PatGG ausschliesslich zuständig.
de
02d5906a-1324-4812-96f7-2a20269a2661
Sachverhalt ab Seite 452 BGE 126 III 452 S. 452 A.- Die Parteien sind Eigentümer von zwei benachbarten Grundstücken in Stallikon/ZH, zwischen denen ein ca. 3 Meter breiter öffentlicher Fussweg verläuft. Auf dem Grundstück von D.B. befinden sich mehrere Waldbäume, welche dessen Grundstück entlang BGE 126 III 452 S. 453 des erwähnten Fussweges dicht gesäumt abschliessen. Mehrere dieser Bäume weisen eine Höhe von mehr als 20 Metern und einen Kronendurchmesser von mehreren Metern auf. R.U. stellt sich als Eigentümer des benachbarten Grundstückes auf den Standpunkt, dass die Baumgruppe auf dem D.B. gehörenden Grundstück seiner Liegenschaft Licht, Sonne und Luft entziehe und insoweit eine übermässige Beeinträchtigung darstelle. B.- Am 8. August 1996 erhob R.U. beim Bezirksgericht Affoltern gegen D.B. Klage auf Beseitigung sämtlicher, nordöstlich von dessen Haus stehender Bäume, evtl. auf Reduktion von deren Höhe. Mit Urteil vom 19. Dezember 1996 wies das Bezirksgericht Affoltern die Klage ab. Zur Begründung führte das Bezirksgericht im Wesentlichen aus, dass der Beseitigungsanspruch nach dem massgebenden kantonalen Pflanzenrecht (§§ 169 ff. EGZGB) binnen 5 Jahren seit der Pflanzung der Bäume verjähre (§ 173 EGZGB) und diese Frist längst abgelaufen sei. Eine von R.U. gegen dieses Urteil erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 18. April 1997 gut und wies die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zur Neuentscheidung ans Bezirksgericht zurück. Im Wesentlichen führte das Obergericht aus, dass der Beseitigungsanspruch nach kantonalem Recht zwar verjährt sei, dass aber zu prüfen sei, ob der Schattenwurf und Lichtentzug durch die Bäume eine übermässige Einwirkung im Sinn von Art. 684 ZGB darstelle und insoweit ein bundesrechtlicher Beseitigungsanspruch bestehe (publ. in ZR 97 [1998], S. 65 ff.). Nach Durchführung eines aufwendigen Beweisverfahrens, in welchem insbesondere ein Gutachten über den Schattenwurf der Bäume auf das Grundstück des Klägers erstattet wurde, erwog das Bezirksgericht, dass die von den umstrittenen Bäumen ausgehenden Einwirkungen nicht übermässig im Sinn von Art. 684 ZGB seien und wies die Klage mit Urteil vom 8. April 1999 erneut ab. Das Obergericht gelangte in seinem Urteil vom 26. November 1999 demgegenüber zum Schluss, dass sich der Schattenwurf seitens der Bäume des Beklagten als lästig erweise und die Lebensqualität auf dem Wohngrundstück des Klägers erheblich herabsetze. Es ordnete deshalb die Beseitigung von fünf Bäumen an (Ziff. 1); ferner wurden die Gerichtsgebühren den Parteien je zur Hälfte auferlegt (Ziff. 4) und die Prozessentschädigungen wettgeschlagen (Ziff. 5). C.- Mit Berufung vom 17. Januar 2000 beantragt D.B. dem Bundesgericht, Ziff. 1, 4 und 5 des Urteils des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 26. November 1999 aufzuheben und die Klage BGE 126 III 452 S. 454
de
a140adea-ecf1-4353-bc18-98cbf7af937c
Erwägungen ab Seite 27 BGE 110 Ia 27 S. 27 Aus den Erwägungen: 2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts hat eine bedürftige Person in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess unmittelbar aufgrund von Art. 4 BV Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern sie eines solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedarf ( BGE 104 Ia 32 E. 2 und 73 E. 1, BGE 99 Ia 327 E. 2, mit Hinweisen). Ob dieser Anspruch verletzt sei, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei ( BGE 105 Ia 113 ). Dass der Beschwerdeführer bedürftig und sein Prozessstandpunkt nicht aussichtslos ist, bestreitet der Regierungsrat nicht. Er ist jedoch der Auffassung, der Beschwerdeführer bedürfe zur Führung des Scheidungsprozesses keines Rechtsbeistandes. Zwar könne es für ihn schwierig sein, die Zumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe zu belegen und gleichzeitig die Persönlichkeit der Ehefrau zu respektieren. Doch werde ihm die Achtung vor der Partnerin bei der Wahl seiner Beweisofferten und der Darlegung seines Parteistandpunktes den rechten Weg weisen. Im Kanton Appenzell seien BGE 110 Ia 27 S. 28 reine Laiengerichte tätig, und in den ländlichen, leicht überschaubaren Verhältnissen nehme der Instruktionsrichter im Untersuchungsverfahren recht weitgehende Abklärungen von Amtes wegen vor und sei unbeholfenen Parteien behilflich. Aus dem Protokoll der in Abwesenheit der Anwälte durchgeführten Instruktionsverhandlung vor dem Kantonsgericht ergebe sich, dass beide Parteien ihren Standpunkt selbst hinreichend darzulegen vermöchten. Hinsichtlich des Beschwerdeführers sei festzustellen, dass dessen Ausführungen und Beweisanträge zum Verlauf der Ehe wie auch die Darstellung der finanziellen Situation den Richter durchaus instand setzten, die erforderlichen weiteren Untersuchungen und Abklärungen vorzunehmen. Eine Benachteiligung des Beschwerdeführers gegenüber der Klägerin sei nicht ersichtlich. Auch der Umstand, dass der von ihm frei ernannte Rechtsbeistand verschiedene Eingaben verfasst habe, begründe noch nicht die Notwendigkeit der Prozessführung durch einen Anwalt. Der Instruktionsrichter hätte die nötigen Informationen ohne weiteres durch eine Einvernahme des Beschwerdeführers beschaffen können, zumal keine komplexen Rechtsfragen streitig seien. Ebensowenig vermöge die Ergreifung einer Rechtsverweigerungsbeschwerde gegen den Massnahmerichter an die Justizaufsichtskommission des Obergerichts die Notwendigkeit der Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes zu begründen. Diese Begründung ist mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht vereinbar. Danach schliesst der Umstand, dass ein Prozess im Untersuchungsverfahren durchgeführt wird, die Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes nicht zum vornherein aus. Ob ein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung besteht, hängt auch da, wo die Offizialmaxime gilt, davon ab, wie leicht die sich im Prozess stellenden Fragen zu beantworten sind, ob die gesuchstellende Partei rechtskundig ist und ob sich die Gegenpartei ihrerseits von einem Anwalt vertreten lässt; eine gewisse Zurückhaltung ist am Platz, wenn es in einem familienrechtlichen Prozess nur noch um die finanziellen Nebenpunkte geht ( BGE 104 Ia 77 , präzisiert in BGE 107 Ia 8 ). Im vorliegenden Fall drängt sich die unentgeltliche Verbeiständung schon unter dem Gesichtspunkt der "Waffengleichheit" auf, steht doch fest, dass die Klägerin von Anfang an durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Die Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist aber auch deswegen gerechtfertigt, weil offensichtlich ist, dass es angesichts der weit auseinanderliegenden Standpunkte der Parteien zu einer BGE 110 Ia 27 S. 29 Kampfscheidung kommen dürfte, in der nicht einfach zu lösende Fragen zu regeln sind, und weil der Prozess für den Beschwerdeführer in persönlicher Hinsicht von grosser Bedeutung ist. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer über keinerlei Rechtskenntnisse verfügt. Selbst unter der Herrschaft der Offizialmaxime wäre er daher überfordert, wenn er sich ohne Rechtsbeistand zu den sich stellenden Fragen der Zerrüttung und der Zumutbarkeit der von ihm angestrebten Weiterführung der Ehe äussern müsste. Auch zeigt der bisherige Verlauf des Verfahrens, dass bereits vorsorgliche Massnahmen, namentlich die Kinderzuteilung, zu Schwierigkeiten geführt haben. Der Beschwerdeführer weist zu Recht darauf hin, dass er als Mann von einfacher Herkunft und Schulbildung kaum in der Lage ist, die gerichtliche Praxis bezüglich solcher Massnahmen selbst zu überblicken, die zweckdienlichen Eingaben und Abänderungsanträge zu formulieren und allfällige Rechtsmittel einzulegen. Mit seinem Entscheid verletzte der Regierungsrat somit den unmittelbar aus Art. 4 BV fliessenden Anspruch des Beschwerdeführers auf Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, weshalb die Beschwerde insoweit gutzuheissen ist. Ob er darüber hinaus auch die Bestimmungen der kantonalen Zivilprozessordnung über das Armenrecht in willkürlicher Weise anwandte, braucht unter diesen Umständen nicht geprüft zu werden.
de
2ae5abcf-7019-4068-832d-ba4339a32150
Sachverhalt ab Seite 114 BGE 124 IV 114 S. 114 A.- Am 11. August 1995, um ca. 16.35 Uhr, kam es auf dem unbewachten, mit einem einfachen Andreaskreuz versehenen Bahnübergang "Ebni" in Teufen zu einem Zusammenstoss zwischen einer aus Richtung Bühler herannahenden Zugskomposition der Appenzeller Bahnen und dem von H. gelenkten Personenwagen. BGE 124 IV 114 S. 115 H. wollte in die Hauptstrasse einbiegen und hatte dabei das Vortrittsrecht sowohl der Bahn als auch der auf der Hauptstrasse verkehrenden Fahrzeuge zu beachten. Bei seinem Einbiegemanöver hielt er im Lichtraumprofil der Bahn unmittelbar vor dem Geleise an. Sein Fahrzeug wurde daher im vorderen Bereich von der Eisenbahn erfasst, obschon der Zugführer nach Abgabe eines Pfeifsignals eine Schnellbremsung eingeleitet hatte, und es wurde infolge der Kollision zur Seite geschoben, so dass es nach einer Strecke von ca. 13 Metern neben dem Geleise zum Stehen kam. Der Zug kam rund 30 Meter nach der Kollisionsstelle zum Stillstand. Personen wurden nicht verletzt. Am Zug entstanden Lackschäden im Schadensbetrag von ca. Fr. 1'500.--; der fünfjährige Personenwagen von H. erlitt Totalschaden (Fr. 8'000.--). Der Zug konnte seine Fahrt nach 13 Minuten fortsetzen. B.- Das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden sprach H. am 29. Mai 1997 der fahrlässigen Störung des Eisenbahnverkehrs ( Art. 238 Abs. 2 StGB ) schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von 500 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr. Das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden sprach H. auf dessen Appellation hin am 24. November 1997 von Schuld und Strafe frei. C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von H. wegen fahrlässiger Störung des Eisenbahnverkehrs ( Art. 238 Abs. 2 StGB ) an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab Erwägungen aus folgenden Erwägungen: 1. Wer vorsätzlich den Eisenbahnverkehr hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, namentlich die Gefahr eines Zusammenstosses oder einer Entgleisung herbeiführt, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis bestraft ( Art. 238 Abs. 1 StGB ). Handelt der Täter fahrlässig und werden dadurch Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum erheblich gefährdet, so ist die Strafe Gefängnis oder Busse ( Art. 238 Abs. 2 StGB ). Die Straftat der Störung des Eisenbahnverkehrs ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die bei solchen Delikten vorausgesetzte Gefahr ist gegeben, BGE 124 IV 114 S. 116 wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Verletzung des geschützten Rechtsgutes besteht ( BGE 123 IV 128 E. 2a S. 130 mit Hinweisen). Art. 238 Abs. 2 StGB setzt zudem, im Unterschied zu Art. 238 Abs. 1 StGB , eine erhebliche Gefahr voraus. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Eintritt des schädigenden Ereignisses wahrscheinlicher, die Gefahr dringlicher sein muss als bei der vorsätzlichen Störung des Eisenbahnverkehrs gemäss Art. 238 Abs. 1 StGB . Erheblich gefährdet im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB sind Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum dann, wenn der Schaden, welcher im Falle der Verwirklichung der Gefahr eintreten würde, erheblich wäre ( BGE 72 IV 23 E. 1 S. 26 f.), d.h. nicht mehr als klein oder leicht bezeichnet werden kann, wobei im Fall eines möglichen Personenschadens die konkrete Gefahr einer einfachen Körperverletzung genügt ( BGE 87 IV 87 E. 1 S. 89). Mit dem Erfordernis der erheblichen Gefährdung bei der Straftat der fahrlässigen Störung des Eisenbahnverkehrs sollte nach dem Willen des historischen Gesetzgebers vermieden werden, dass das Bahnpersonal schon in Bagatellfällen einer Strafverfolgung ausgesetzt wird (siehe dazu BGE 116 IV 44 E. 2b S. 46 ff.). Obwohl somit der historische Gesetzgeber gerade das Bahnpersonal im Auge hatte, muss das den Anwendungsbereich von Art. 238 Abs. 2 StGB einschränkende Erfordernis der erheblichen Gefährdung auch in den Fällen erfüllt sein, in denen Dritte, etwa Automobilisten auf Bahnübergängen, den Eisenbahnverkehr stören; denn der Wortlaut von Art. 238 Abs. 2 StGB lässt insofern keine Differenzierung zu, und eine solche drängt sich auch nach Sinn und Zweck der Bestimmung nicht geradezu auf. 2. Im vorliegenden Fall kam es infolge des Fehlverhaltens des Beschwerdegegners, der seinen Personenwagen im Lichtraumprofil der Bahn angehalten hatte, zur Kollision. Der dabei an der Zugskomposition entstandene Sachschaden im Betrag von ca. Fr. 1'500.-- ist gering, und die Gefahr, die sich damit an fremdem Eigentum verwirklicht hat, war daher keine erhebliche im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB . Die Beschwerdeführerin vertritt denn auch mit Recht selber nicht die Auffassung, dass der Beschwerdegegner schon in Anbetracht dieses Sachschadens wegen fahrlässiger Störung des Eisenbahnverkehrs zu verurteilen sei. Dass der Beschwerdegegner durch sein Verhalten sich selbst und die beiden übrigen Insassen seines Personenwagens allenfalls einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben aussetzte und dass sein Fahrzeug total beschädigt wurde, ist unter dem Gesichtspunkt von BGE 124 IV 114 S. 117 Art. 238 Abs. 2 StGB unerheblich, da die Fahrzeuginsassen und das Fahrzeug selbst in der gegebenen Lage nicht unter den Schutzbereich dieser Bestimmung fallen (siehe dazu BGE 78 IV 101 E. 2 S. 103 ff.). Die Beschwerdeführerin macht denn auch mit Recht selber nicht geltend, dass der Beschwerdegegner etwa schon wegen einer Gefährdung seiner beiden Passagiere gemäss Art. 238 Abs. 2 StGB zu verurteilen sei. 3. a) Die Vorinstanz hält unter Hinweis auf BGE 116 IV 44 E. 1 zunächst fest, dass eine Kollision mit einer in Bewegung befindlichen Eisenbahn immer auch eine Gefährdung des Eisenbahnverkehrs darstelle, da in aller Regel Sachschaden entstehe und allenfalls durch eine Schnellbremsung Passagiere verletzt werden können. Daraus ergebe sich indessen, wie das Bundesgericht im zitierten Entscheid erkannt habe, nicht ohne weiteres auch eine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben oder fremdem Eigentum. Die Vorinstanz kommt abweichend von der ersten Instanz zum Schluss, dass die Schnellbremsung, welche der Zugführer infolge des Fehlverhaltens des Beschwerdegegners habe einleiten müssen, keine erhebliche Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB geschaffen habe. Zur Begründung hält sie zunächst fest, in der Untersuchung seien keine konkreten Hinweise namhaft gemacht worden, wonach etwa stehende Bahnpassagiere oder allenfalls Passagiere, welche sich bereits zum Aussteigen bereit gemacht hätten, durch den Vorfall in unmittelbare Gefahr geraten seien. Sodann weist die Vorinstanz darauf hin, dass der Experte aus den Daten des Restwegschreibers des Triebwagens eine (mittlere) Bremsverzögerung von 0,93 m/sec2 errechnet habe. Die bei einer solchen Bremsverzögerung auf die Zugspassagiere wirkenden Kräfte vermögen nach der Auffassung der Vorinstanz keine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben, mithin nicht die naheliegende Möglichkeit einer Verletzung, zu begründen. In einem andern, parallel durchgeführten Strafverfahren habe der dort herbeigezogene Experte eine Verzögerung von 0,7 m/sec2 für das Anhalten eines Zuges aufgrund einer Auskunft des zuständigen Bundesamtes als zumutbar bezeichnet. Der Experte habe zudem auf eigene Auswertungen in bezug auf Busse der städtischen Verkehrsbetriebe verwiesen, wobei sich bei normalen Halten vor Haltestellen bei Geschwindigkeiten bis zu 20 km/h Verzögerungswerte von 0,4 bis 0,8 m/sec2 und bei Geschwindigkeiten bis zu 50 km/h Verzögerungswerte von bis zu 1,5 m/sec2 ergeben hätten. Auch wenn im vorliegenden Fall in der letzten Phase des Abbremsens noch ein, allerdings nicht aktenmässig BGE 124 IV 114 S. 118 nachgewiesener Ruck unmittelbar vor dem Stillstand aufgetreten sein könnte, war nach der Auffassung der Vorinstanz der Bereich des Zumutbaren noch nicht überschritten. Denn in der letzten Phase des Bremsens sei ein allenfalls stehender Zugspassagier auf den Schlussruck gefasst. Das Überraschungsmoment sei in diesem Fall jedenfalls kleiner als etwa beim plötzlichen Auftreten von Schwingungen beim Überfahren von Weichen. Eine Verzögerung von nicht einmal 1 m/sec2 entspreche etwa dem Fall, in dem ein langsam gehender Mensch innert einer Sekunde stillstehe. Demnach sei eine erhebliche Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB zu verneinen und der Beschwerdegegner aus diesem Grunde vom Vorwurf der fahrlässigen Störung des Eisenbahnverkehrs freizusprechen. b) Die Beschwerdeführerin wendet ein, massgebend für die Beantwortung der Frage nach dem Ausmass der konkreten Gefährdung seien nicht allein die mittlere Bremsverzögerung, sondern vor allem auch die Extremwerte, "wie sie eben bei einer derart massiven Kollision und der notwendigen Schnellbremsung entstehen". Der Fahrtenschreiber vermöge durchaus zu belegen, "dass bei derartigen Kollisionen höhere Verzögerungswerte auftreten, welche eine erhebliche Gefährdung für die Bahnpassagiere bedeuten können". Eine Gefährdung der Passagiere habe vor allem auch deshalb bestanden, "weil mit dem Bremsvorgang und der heftigen Kollision eine ruckartige Bewegung erfolgte, also beispielsweise die Puffer ineinandergeschoben wurden, sich wieder lösten und einen (zusätzlichen) Umkehrschub bewirkten". Es könne wohl kaum angenommen werden, dass Zugspassagiere mit derartigen Überraschungen rechnen müssen. Bei einer derart heftigen Kollision kurz vor der Bahnhofseinfahrt liege angesichts der vom Fahrtenschreiber aufgezeichneten Verzögerungswerte immer eine erhebliche Gefährdung der Bahnbenützer vor. Entscheidend sei, dass "bei Zusammenwirken von Schnellbremsung und heftiger Kollision für kurze Momente Verzögerungswerte und unberechenbare Bewegungen auftreten, welche die Sicherheit der Passagiere erheblich gefährden, beispielsweise durch Stürze, herunterfallende Gepäckstücke, Schläge oder gar durch eine Entgleisung des Zuges". Bei einer derartigen Kollision bestehe immer auch die Gefahr einer Entgleisung des Zuges. Es sei lediglich glücklichen Umständen zu verdanken, dass der Personenwagen beiseitegeschoben worden sei. Der hier zu beurteilende Fall sei durchaus mit dem in BGE 87 IV 87 ff. beurteilten vergleichbar, dessen Erwägungen auch hier gültig seien. Indem die BGE 124 IV 114 S. 119 Vorinstanz diese Fakten nicht beachtet und eine erhebliche Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB verneint habe, habe sie Bundesrecht verletzt. c) Mit diesen Ausführungen vermag die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, dass und inwiefern die Vorinstanz von einem unzutreffenden Begriff der erheblichen Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB ausgegangen sei respektive in Anbetracht der festgestellten Tatsachen eine erhebliche Gefährdung zu Unrecht verneint habe. Zwar wird im Falle einer sogenannten Schnellbremsung und insbesondere bei einem tatsächlich erfolgten Zusammenstoss eine konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 1 StGB in aller Regel zu bejahen sein (siehe BGE 116 IV 44 E. 1 S. 45; REHBERG, Strafrecht IV, 2. Aufl. 1996, S. 84; TRECHSEL, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 238 N. 7). Art. 238 Abs. 2 StGB setzt aber eine erhebliche Gefährdung voraus. Eine Schnellbremsung und auch eine Kollision begründen, wie BGE 116 IV 44 E. 1 S. 45 ebenfalls klarstellt, nicht eo ipso eine erhebliche Gefährdung im Sinne dieser Bestimmung. Massgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls (REHBERG, op.cit., S. 85, mit Hinweis auf die technischen Fortschritte; vgl. auch bereits BGE 93 I 75 E. 2 S. 79 ff.). Die Antwort auf die Frage, ob nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter im erforderlichen Ausmass bestanden habe, beruht zwar weitgehend auf Mutmassungen. Dabei ist aber von den festgestellten tatsächlichen Ereignissen auszugehen und dürfen nicht auch darüber abweichende Spekulationen angestellt werden. Dies verkennt die Beschwerdeführerin, wenn sie beispielsweise stets von einer "heftigen" Kollision ausgeht und annimmt, dass "mit dem Bremsvorgang und der heftigen Kollision eine ruckartige Bewegung erfolgte, also beispielsweise die Puffer ineinandergeschoben wurden, sich wieder lösten und einen (zusätzlichen) Umkehrschub bewirkten". Damit geht die Beschwerdeführerin in unzulässiger Weise von einem Sachverhalt aus, der im angefochtenen Urteil nicht festgestellt worden ist. Die Kollision war zwar aus der Sicht des Beschwerdegegners heftig, da sein Personenwagen von der Zugskomposition weggeschoben und dabei total beschädigt wurde, wobei die Fahrzeuginsassen aber unverletzt blieben. Dies bedeutet indessen nicht eo ipso, dass der Zusammenstoss auch aus der massgeblichen Sicht der Zugspassagiere "heftig" gewesen sei und sich Rucke sowie Umkehrschübe ereignet hätten, wodurch die Passagiere erheblich gefährdet worden seien. BGE 124 IV 114 S. 120 Eine Schnellbremsung und eine Kollision können im allein massgebenden konkreten Einzelfall für die durch Art. 238 StGB geschützten Beteiligten auch glimpflich verlaufen. Ein solcher glimpflicher Verlauf beruht nicht notwendigerweise auf einem vom gewöhnlichen Lauf der Dinge abweichenden und daher nicht massgeblichen glücklichen Zufall. Er kann im Gegenteil, je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, gerade auch dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, so dass mithin eine allfällige erhebliche Schädigung eines Zugspassagiers auf einem vom gewöhnlichen Lauf der Dinge abweichenden und daher nicht massgeblichen unglücklichen Zufall beruht. Auch das Unwahrscheinliche kann sich gelegentlich verwirklichen. Wohl ist es im Prinzip bei jeder Schnellbremsung bzw. Kollision denkbar, dass beispielsweise ein nicht auf einem Platz sitzender Zugspassagier das Gleichgewicht verliert und derart unglücklich zu Fall kommt, dass er sich mehr als nur unerhebliche Prellungen und Schürfungen zuzieht. Dass dies stets denkbar ist, bedeutet aber nicht, dass es auch dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspreche. Die Beschwerdeführerin geht letztlich im Grunde davon aus, dass eine Schnellbremsung respektive eine Kollision grundsätzlich eine erhebliche Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB schaffe, und sie versucht dies mit Spekulationen über mögliche Geschehensabläufe zu begründen, die sich in Tat und Wahrheit im konkreten Fall so nicht ereignet haben. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin ist die Vorinstanz nicht allein von der vom Experten errechneten durchschnittlichen Bremsverzögerung von 0,93 m/sec2 ausgegangen. Sie hat vielmehr auch höhere Verzögerungswerte und einen allfälligen, aktenmässig jedoch nicht nachgewiesenen Ruck kurz vor dem Stillstand mit in Betracht gezogen und dargelegt, weshalb die in diesem Fall auf die Passagiere wirkenden Kräfte keine erhebliche Gefährdung begründeten. d) Aufgrund der im angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht eine erhebliche Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB verneinen. Dass im Rahmen der Strafuntersuchung allenfalls Tatsachen betreffend den Verlauf der Schnellbremsung und die Kollision hätten ermittelt werden können, bei deren Berücksichtigung eine erhebliche Gefährdung anzunehmen gewesen wäre, ist unerheblich. Massgebend ist allein die festgestellte Sachlage. 4. (Kostenfolgen)
de
6612a83c-d843-4dee-ac23-52fb49d2c90a
Sachverhalt ab Seite 408 BGE 147 I 407 S. 408 A. Im Hinblick auf ein ihn betreffendes Scheidungsverfahren hat A. das Obergericht des Kantons Zug am 21. Februar 2020 darum BGE 147 I 407 S. 409 ersucht, ihm sämtliche seit dem 1. Januar 2015 ergangenen Entscheide in verschiedenen Bereichen des Familienrechts in anonymisierter, digitaler Form zuzustellen. Der Präsident des Obergerichts kontaktierte in der Folge A. und wies diesen namentlich auf den grossen Aufwand hin, der mit dem Gesuch verbunden wäre. Daraufhin kam es in dieser Angelegenheit zu einem Briefwechsel, und am 25. Mai 2020 verlangte A. vom Obergericht den Erlass eines anfechtbaren Entscheids über sein Begehren. Mit Beschluss vom selben Tag wies das Obergericht das Gesuch von A. ab. B. Mit Eingabe vom 2. Juni 2020 erhebt A. beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt, die Vorinstanz zu verpflichten, ihm sämtliche seit dem 1. Januar 2015 ergangenen materiellen Urteile der Vorinstanz betreffend "Umzugsbegehren nach Art. 301a ZGB , Obhut Zuteilung an den Vater, Ehescheidungen mit Ersatzforderungen, Ehescheidungen mit Kinderbelangen, Abänderung von Scheidungsurteilen und Abänderung von Eheschutzurteilen" zuzustellen. Sodann stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und beantragt, sieben namentlich aufgeführte Richterinnen und Richter des Obergerichts hätten sich dazu zu äussern, ob ihrer Meinung nach Urteile in Ehesachen öffentlich zugänglich sein sollten. (...) Das Bundesgericht hat in der vorliegenden Angelegenheit am 16. Juni 2021 eine öffentliche Beratung durchgeführt. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt, und weist die Sache an die Vorinstanz zur Fortsetzung des Verfahrens und neuem Entscheid zurück. (Auszug) Erwägungen Aus den Erwägungen: 6. Näher zu prüfen ist dagegen die Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Justizöffentlichkeit nach Art. 30 Abs. 3 BV . Weitergehende Ansprüche kann der Beschwerdeführer aus der von ihm ebenfalls angerufenen Informationsfreiheit nach Art. 16 Abs. 3 BV nicht herleiten. Das dort garantierte Recht auf freie Informationsbeschaffung ist auf allgemein zugängliche Quellen beschränkt. Darunter fallen nach der ausdrücklichen Bestimmung von Art. 30 Abs. 3 BV BGE 147 I 407 S. 410 Gerichtsverhandlungen und Urteilsverkündung. Diese Norm konkretisiert insofern die Informationsfreiheit für den Bereich gerichtlicher Verfahren ( BGE 146 I 30 E. 2.2; BGE 137 I 16 E. 2.2) und ist dementsprechend von der im Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ; SR 152.3) bzw. in den entsprechenden kantonalen Erlassen geregelten Öffentlichkeit der Verwaltung abzugrenzen (vgl. auch Art. 2 und 3 BGÖ ). Im Zusammenhang mit Art. 30 Abs. 3 BV ist jedoch die Tragweite von Art. 54 Abs. 4 ZPO zu prüfen, auf den sich der Beschwerdeführer ebenfalls beruft. Einen Verstoss gegen die EMRK oder gegen den UNO-Pakt II (SR 0.103.2) macht er dagegen nicht geltend. Sodann berufen sich weder die Vorinstanz noch der Beschwerdeführer auf spezifische Normen des kantonalen Rechts. Über dessen Gesuch ist mithin einzig gestützt auf die genannten bundesrechtlichen Bestimmungen zu entscheiden. 6.1 Die Justizöffentlichkeit, die abgesehen von Art. 30 Abs. 3 BV auch in Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II verankert ist, dient zum einen dem Schutz der direkt an gerichtlichen Verfahren beteiligten Parteien im Hinblick auf deren korrekte Behandlung und gesetzmässige Beurteilung. Zum anderen ermöglicht sie auch nicht verfahrensbeteiligten Dritten, nachzuvollziehen, wie gerichtliche Verfahren geführt werden, das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeübt wird, und liegt insoweit auch im öffentlichen Interesse. Sie will für Transparenz der Rechtsprechung sorgen und die Grundlage für das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit schaffen. Die demokratische Kontrolle durch die Rechtsgemeinschaft soll Spekulationen begegnen, die Justiz benachteilige oder privilegiere einzelne Prozessparteien ungebührlich oder die Ermittlungen würden einseitig und rechtsstaatlich fragwürdig geführt ( BGE 146 I 30 E. 2.2; BGE 143 I 194 E. 3.1; BGE 139 I 129 E. 3.3; BGE 133 I 106 E. 8.1; je mit weiteren Hinweisen). 6.2 Öffentliche Urteilsverkündung bedeutet zunächst, dass am Schluss eines gerichtlichen Verfahrens das Urteil in Anwesenheit der Parteien sowie von Publikum und Medienvertreterinnen und -vertretern verkündet wird. Darüber hinaus dienen weitere Formen der Bekanntmachung dem Verkündungsgebot, wie etwa öffentliche Auflage, Publikation in amtlichen Sammlungen oder Bekanntgabe über das Internet sowie die nachträgliche Gewährung der Einsicht auf Gesuch hin (vgl. GEROLD STEINMANN in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 62 zu Art. 30 BV ). Sie sind BGE 147 I 407 S. 411 im Einzelnen anhand von Sinn und Zweck des Verkündungsgebots daraufhin zu beurteilen, ob sie die verfassungsrechtlich gebotene Kenntnisnahme gerichtlicher Urteile erlauben ( BGE 139 I 129 E. 3.3; Urteile 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016 E. 3.5.1; 1C_394/2018 vom 7. Juni 2019 E. 4). Diese weiteren Formen der Bekanntgabe von Urteilen sind gegenüber der Urteilsverkündung im Gerichtssaal nicht subsidiär, sondern gehören angesichts der Zweckausrichtung gleichwertig zur öffentlichen Verkündung. Die einzelnen Formen können miteinander kombiniert werden und sind in ihrer Gesamtheit am Verkündungs- und Transparenzgebot zu messen (Urteil 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016 E. 3.6, auszugsweise publiziert in ZBl 117/2016 S. 601 ff. [mit zustimmender Besprechung von GEROLD STEINMANN], in RDAF 2017 I S. 287 ff. [mit Bemerkung von ALFIO RUSSO] und in Medialex 2016 S. 99 ff. [mit Besprechung von DOMINIQUE STREBEL]). Die Publikationspraxis der Behörden in den verschiedenen Kantonen unterscheidet sich erheblich (Urteil 1C_394/2018 vom 7. Juni 2019 E. 4.3 mit Hinweis auf HÜRLIMANN/KETTIGER, Zugänglichkeit zu Urteilen kantonaler Gerichte: Ergebnisse einer Befragung, Justice-Justiz-Giustizia 2018/2). 6.3 Das Gebot der öffentlichen Urteilsverkündung entfaltet mithin Wirkungen über den Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses hinaus. In der Lehre wird überwiegend vertreten, ein Anspruch auf Kenntnis von Urteilen auch abgeschlossener Verfahren gelte absolut und es müsse - anders als bei Gesuchen um Einsicht in Akten abgeschlossener Verfahren - kein spezifisches schutzwürdiges Interesse geltend gemacht werden (so schon NICCOLÒ RASELLI, Das Gebot der öffentlichen Urteilsverkündung, in: Recht - Ethik - Religion, Festgabe für Bundesrichter Dr. Giusep Nay zum 60. Geburtstag, 2002, S. 33 f.; sodann STEINMANN, a.a.O., N. 63 zu Art. 30 BV ; FELIX BOMMER, Einstellungsverfügung und Öffentlichkeit, forumpoenale 4/2011 S. 248 f.; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 977). In einem gewissen Widerspruch zum Postulat der absoluten Geltung des Einsichtsanspruchs ungeachtet spezifischer Interessen anerkennen die genannten Autoren aber zugleich, dass der Zugang im Einzelfall aus wichtigen privaten oder öffentlichen Interessen verweigert oder nur in anonymisierter Form gewährt werden kann. 6.4 Das Bundesgericht hat sich in den letzten Jahren mehrmals mit dem Anspruch interessierter Dritter auf Kenntnis von Urteilen nach Abschluss eines Verfahrens auseinandergesetzt. BGE 147 I 407 S. 412 6.4.1 Im Urteil BGE 139 I 129 hat das Bundesgericht einem Medienschaffenden das Recht auf Kenntnisnahme eines Urteils der ehemaligen Asylrekurskommission zugesprochen. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Prozessparteien des damaligen Verfahrens war dem Journalisten das betreffende Urteil nur in anonymisierter Form offenzulegen. Nach Auffassung des Bundesgerichts ergab sich das schutzwürdige Informationsinteresse ohne Weiteres aus der Kontrollfunktion der Medien. Allein schon die mit der Justizöffentlichkeit verbundene Möglichkeit der Kontrolle der Justiz vermöge, auch ohne weitere Begründung, ein hinreichendes Einsichtsinteresse zu begründen ( BGE 139 I 129 E. 3; vgl. auch BGE 137 I 16 E. 2.2). Im Urteil 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016 hielt das Bundesgericht fest, dass sich der Anspruch auf Kenntnis von Urteilen nach deren Verkündung nicht auf (schon) rechtskräftige Urteile beschränkt und gewährte der gesuchstellenden Journalistin Einsicht in zwei Urteile des Kantonsgerichts Graubünden. Es hielt ausserdem fest, den Geheimhaltungsinteressen der Prozessbeteiligten könne durch Anonymisierung Rechnung getragen werden und der mit der Anonymisierung verbundene Aufwand stelle keinen sachlichen Grund für eine generelle Verweigerung der Einsicht dar. In einem Fall aus dem Jahr 2018 ersuchte ein Journalist um die Herausgabe eines rechtskräftigen Urteils des Kreisgerichts St. Gallen, in welchem es um eine von ihm namentlich bezeichnete Person ging (Urteil 1B_510/2017 vom 11. Juli 2018). Das Bundesgericht hielt dazu fest, die vom vor 4 1⁄2 Jahren ergangenen Urteil betroffene Person habe kein "Recht auf Vergessen", und das Interesse von Verfahrensbeteiligten an der Geheimhaltung des Urteils habe vor der Justizöffentlichkeit zurückzutreten. Eine Herausgabe des nicht anonymisierten Urteils liesse sich umso mehr rechtfertigen, als der Gesuchsteller an den strengen Berufskodex für Medienschaffende und den Persönlichkeitsschutz gebunden sei. Sodann hatte das Bundesgericht in den Urteilen 1C_394/2018 vom 7. Juni 2019 und 1C_225/2019 vom 27. Juni 2019 die Gesuche einer Rechtsanwältin bzw. eines Rechtsanwalts zu behandeln, die im Rahmen ihrer Mandate gestützt auf den Grundsatz der Justizöffentlichkeit Einsicht in eine sehr grosse Zahl von Strafurteilen des erstinstanzlichen Strafgerichts bzw. der Genfer Cour de Justice nehmen wollten; im ersten Fall ging es um gegen 1'200 Urteile, im zweiten um deren 733. Diese Beschwerden wurden gutgeheissen. Gemäss BGE 147 I 407 S. 413 Bundesgericht gebieten die im Bundes- und im kantonalen Recht verankerten Prinzipien der Justizöffentlichkeit und die Informationsfreiheit, dass alle Gerichtsurteile der Öffentlichkeit zuallermindest zur Verfügung gestellt werden müssen. Das Bundesgericht führte weiter aus, gestützt auf das kantonale Recht hätten zudem alle Gerichtsurteile veröffentlicht werden müssen, was aber bisher nicht geschehen war. Die Gesuchstellenden benötigten die Einsicht jedoch rasch und eine Anonymisierung der grossen Zahl von Entscheiden war innert nützlicher Frist nicht möglich. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten hat das Bundesgericht deshalb das anwaltliche Einsichtsrecht mit einer Verpflichtung zur Vertraulichkeit verknüpft und zudem eine inhaltliche Präzisierung der Gesuche verlangt. Es stellte ausserdem fest, dass die Schwierigkeiten, die mit der Anonymisierung einer sehr grossen Zahl von Entscheiden verbunden sind, nichts am Anspruch auf Einsicht in Gerichtsurteile ändere (Urteile 1C_394/2018 vom 7. Juni 2019 E. 6; 1C_225/2019 vom 27. Juni 2019 E. 5; vgl. dazu die Bemerkungen von STÉPHANE GRODECKI, RDAF 2019 I S. 738 f.). Schliesslich rief das Bundesgericht im Urteil 1C_616/2018 vom 11. September 2019 in Erinnerung, dass der Anspruch auf Einsicht in Urteile nach der Urteilsverkündung nicht uneingeschränkt ist. Die Einsicht in ein Strafurteil setze eine Interessenabwägung voraus, bei welcher einerseits die Einsichtsinteressen und andererseits die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte berücksichtigt werden müssten. In jenem Fall wog der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte besonders schwer und die Einsichtsinteressen weniger schwer, womit die Einsicht in das 10 Jahre zurückliegende Strafurteil nicht gewährt wurde. 6.4.2 Die Rechtsprechung des Bundesgerichts kann folgendermassen zusammengefasst werden: Der in Art. 30 Abs. 3 BV verankerte Grundsatz der Justizöffentlichkeit gewährleistet einen grundsätzlichen Anspruch auf Einsicht in alle Urteile nach der Urteilsverkündung, auch wenn diese vor einiger Zeit ergangen sind. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich bei der Anfrage um ein einziges oder einzelne Urteile oder um eine grosse Zahl von Entscheiden handelt. Sofern der Einsichtsanspruch die Anonymisierung einer grossen Zahl von Urteilen erfordert, steht er jedoch unter dem Vorbehalt, dass diese Arbeit für die Gerichtsbehörde nicht einen übermässigen Aufwand darstellt. BGE 147 I 407 S. 414 Der Anspruch auf Einsicht in Urteile nach der Urteilsverkündung ist sodann nicht absolut und kann insbesondere zum Schutz der Privatsphäre ( Art. 13 BV ) der Prozessbeteiligten eingeschränkt werden. Die Einschränkung des Anspruchs erfolgt in Übereinstimmung mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip. So kann dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten in aller Regel durch Anonymisierung Rechnung getragen werden. Allenfalls rechtfertigt sich auch eine Teilschwärzung des interessierenden Urteils. Wo die Privatsphäre der Betroffenen weder durch eine Anonymisierung noch durch eine teilweise Schwärzung genügend geschützt werden kann - etwa weil Einsicht in Urteile verlangt wird, die Personen betreffen, welche den Gesuchstellenden bekannt sind -, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen den Einsichtsinteressen und dem Schutz der Persönlichkeit. Dabei gilt es einerseits zu beachten, dass einigen spezifischen Einsichtsinteressen - wie z.B. jenen von Medienschaffenden, Forscherinnen und Forschern, sowie jenen der Anwaltschaft - grundsätzlich ein erhöhtes Gewicht zukommt. Andererseits nimmt die Wichtigkeit des Persönlichkeitsschutzes der Verfahrensbeteiligten - insbesondere in Strafrechtsangelegenheiten - mit zunehmender zeitlicher Distanz zu einem Verfahren zu. 6.5 Als Zwischenfazit gilt es im vorliegenden Fall also festzuhalten, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in die seit 1. Januar 2015 ergangenen Urteile der Vorinstanz in den erwähnten Bereichen hat, zumal der vom Gesuch betroffene Zeitraum nicht übermässig lang ist. Die Vorinstanz hat jedoch dessen Gesuch abgelehnt, zum einen gestützt auf Art. 54 Abs. 3 und 4 ZPO (nachfolgend E. 7) und zum anderen aufgrund des übermässigen Aufwands (nachfolgend E. 8). Es ist zu prüfen, ob dies rechtmässig war. 7. 7.1 Die Zivilprozessordnung regelt die Öffentlichkeit des Verfahrens in streitigen Zivilsachen ausdrücklich. Gemäss Art. 54 Abs. 1 ZPO (erster Satz) sind Verhandlungen und eine allfällige mündliche Eröffnung des Urteils grundsätzlich öffentlich; die Entscheide sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (zweiter Satz). Allerdings kann die Öffentlichkeit gemäss Abs. 3 ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wenn es das öffentliche Interesse oder das schutzwürdige Interesse einer beteiligten Person erfordert. Abs. 4 derselben Bestimmung legt schliesslich fest, dass die familienrechtlichen Verfahren nicht öffentlich sind. Art. 54 Abs. 4 ZPO stellt eine BGE 147 I 407 S. 415 formellgesetzliche Grundlage für den Ausschluss der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung dar (vgl. Art. 30 Abs. 3 BV , zweiter Satz). Die Urteile, die der Beschwerdeführer einzusehen wünscht, fallen unter den Anwendungsbereich von Art. 54 Abs. 4 ZPO (dazu eingehend SUTTER-SOMM/SEILER in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 22 f. zu Art. 54 ZPO ). 7.2 Es fragt sich, wie weit der Ausschluss der Öffentlichkeit von familienrechtlichen Verfahren reicht. Mit Blick auf Abs. 1 von Art. 54 ZPO , der ausdrücklich die Öffentlichkeit der Verhandlungen und einer allfälligen mündlichen Eröffnung des Urteils statuiert, liegt es zunächst auf der Hand, den Ausschluss nach Abs. 4 auf diese beiden Verfahrensabschnitte zu beziehen, also auf die Gerichtsverhandlung und die Urteilsverkündung (vgl. BGE 146 I 30 E. 2.3). Die Vorinstanz ist aber darüber hinaus der Auffassung, der Ausschluss der Öffentlichkeit von familienrechtlichen Verfahren gelte auch für das schriftliche Urteil bzw. dessen Begründung. Dies lässt sich dem Wortlaut von Art. 54 Abs. 4 ZPO nicht entnehmen. Die Lehre, die sich zu dieser Frage äussert, ist denn auch weit überwiegend der Auffassung, der dort statuierte Ausschluss der Öffentlichkeit beziehe sich lediglich auf den ersten Satz von Abs. 1 dieser Bestimmung, nicht aber auf die Verpflichtung, die Entscheide der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nicht öffentlich sind in familienrechtlichen Streitigkeiten nach dieser Auffassung nur die Verhandlungen und die allfällige mündliche Eröffnung des Urteils (so KIENER/KÄLIN/WYTTENBACH, Grundrechte, 3. Aufl. 2018, S. 241 Rz. 22; FRANCESO TREZZINI, in: Commentario pratico al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC], Trezzini und andere [Hrsg.], 2017, N. 32 zu Art. 54 ZPO ; CHRISTOPH HURNI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 34 zu Art. 54 ZPO ; SUTTER-SOMM/SEILER, a.a.O., N. 20 zu Art. 54; enger, nur für die Verhandlungen: JACQUES DUBEY, Droits fondamentaux, Bd. II, 2018, Rz. 4303; in diesem Sinne auch JACQUES HALDY, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 11 zu Art. 54 ZPO ; HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2. Aufl. 2015, S. 43; TARKAN GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 20 f. zu Art. 54 ZPO ). Der in Art. 54 Abs. 4 ZPO statuierte, ausnahmslose Ausschluss des Publikums von den Verhandlungen und der Urteilseröffnung wird in der Lehre zum Teil kritisiert BGE 147 I 407 S. 416 (KARLEN/HÄNNI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 25 zu Art. 30 BV ; STEINMANN, a.a.O., N. 57 zu Art. 30 BV ; HURNI, a.a.O., N. 33 zu Art. 54 ZPO ). Der Auffassung der Lehre, wonach der Ausschluss der Öffentlichkeit in familienrechtlichen Angelegenheiten nach Art. 54 Abs. 4 ZPO nichts ändert an der Entscheidöffentlichkeit nach dem zweiten Satz von Art. 54 Abs. 1 ZPO , ist beizupflichten. Die gegenläufige Haltung der Vorinstanz steht im Widerspruch zum Gebot der Gerichtsöffentlichkeit nach Art. 30 Abs. 3 BV und der grossen Bedeutung, die das Bundesgericht diesem Grundsatz als Instrument der Kontrolle über die Gerichtstätigkeit beimisst. Eine verfassungskonforme Auslegung verbietet daher eine über den Wortlaut von Art. 54 Abs. 4 ZPO hinausgehende Anwendung dieser Ausnahme vom Öffentlichkeitsgrundsatz. Wie in der Lehre zu Recht ausgeführt wird, liegt eine gewisse Publizität in familienrechtlichen Belangen ausserdem auch im Interesse der Rechtsfortbildung und der Information der Anwaltschaft (SUTTER-SOMM/SEILER, a.a.O., N. 20 zu Art. 54 ZPO ; ebenso HURNI, a.a.O., N. 30 und 33 zu Art. 54 ZPO ), dies in besonderem Masse auch deshalb, weil die Öffentlichkeit in diesem Rechtsgebiet von Verhandlungen und Urteilseröffnung gerade ausgeschlossen ist. Gerichtsurteile sind somit grundsätzlich auch in familienrechtlichen Verfahren der Öffentlichkeit in geeigneter Weise zugänglich zu machen. Dies entspricht im Übrigen der langjährigen Praxis des Bundesgerichts, das alle seine End- und Teilentscheide in diesem Rechtsgebiet ebenfalls (in anonymisierter) Form der interessierten Öffentlichkeit via Internet zugänglich macht (vgl. Art. 27 BGG und Art. 57 des Reglements vom 20. November 2006 für das Bundesgericht [SR 173.110.131]; vgl. dazu PAUL TSCHÜMPERLIN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 6 ff. zu Art. 27 BGG ). 7.3 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist es also nicht zulässig, dem Beschwerdeführer den nachgesuchten Zugang zu familienrechtlichen Urteilen des Zuger Obergerichts mit einem blossen Verweis auf Art. 54 Abs. 4 ZPO zu verweigern. Das gleiche gilt auch für die von der Vorinstanz angerufene allgemeine Regel von Abs. 3, wonach die Öffentlichkeit (in nicht familienrechtlichen Verfahren nach Abs. 4) ganz oder teilweise ausgeschlossen werden kann, wenn es das öffentliche Interesse oder das schutzwürdige Interesse einer BGE 147 I 407 S. 417 beteiligten Person erfordert. Anliegen des Persönlichkeitsschutzes, denen in familienrechtlichen Verfahren hohes Gewicht beizumessen ist, kann durch Anonymisierung in der Regel genügt werden. Dies ergibt sich ohne weiteres bereits aus der oben erwähnten Publikationspraxis des Bundesgerichts (vgl. oben E. 7.2). Der Einwand der Vorinstanz, wonach im kleinen Kanton Zug die Identität der Beteiligten dennoch häufig ermittelt werden könnte, mag zwar zutreffen. Sofern die Person, die Einsicht in ein Urteil nimmt, mit den Einzelheiten des Falles nicht vertraut ist, erfordert eine solche Personalisierung aber einen beträchtlichen Aufwand, jedenfalls wenn die Anonymisierung sorgfältig durchgeführt wurde. Diese Möglichkeit stellt keinen zureichenden Grund für einen Verzicht auf die Veröffentlichung dar. Andernfalls wäre eine transparente Rechtsprechung unmöglich ( BGE 133 I 106 E. 8.3; Urteile 2C_506/2020 vom 6. August 2020 E. 7.2; 8C_598/2019 vom 21. Januar 2020 E. 6). Gemäss TSCHÜMPERLIN (a.a.O., N. 17 zu Art. 27 BGG ) ist der Zweck der Anonymisierung bereits gewahrt, wenn Zufallsfunde vermieden werden. 8. Die Vorinstanz hat das Gesuch des Beschwerdeführers auch deshalb als unbegründet erachtet, weil es sehr umfangreich sei und seine Gutheissung einen übermässigen Aufwand zur Folge hätte. Die Bearbeitung des Gesuchs würde zu einer Beeinträchtigung des Geschäftsgangs führen und habe hinter den Anspruch auf Beurteilung anderer Rechtsstreitigkeiten innert angemessener Frist zurückzutreten. 8.1 Die Vorinstanz äussert sich im angefochtenen Beschluss nicht klar dazu, wie viele Urteile vom Gesuch des Beschwerdeführers betroffen sein könnten. Es dürfte zwar auch vorliegend um eine nicht geringe Zahl von Entscheiden gehen, offensichtlich aber um wesentlich weniger als in den oben (E. 6.4.1) dargestellten Genfer Fällen. Dennoch hat das Bundesgericht dort entschieden, dass die interessierenden Urteile zugänglich gemacht werden müssen und zwar ungeachtet allfälliger Schwierigkeiten mit der Anonymisierung (Urteile 1C_394/2018 vom 7. Juni 2019 E. 6.1; 1C_225/2019 vom 27. Juni 2019 E. 5). Das hat auch hier zu gelten. Im vorliegenden Fall erscheint ein übermässiger Aufwand der Vorinstanz aufgrund ihrer unbestimmten Angaben im Übrigen auch nicht naheliegend. Das Obergericht macht nicht nur zur Zahl der betroffenen Urteile keine konkreten Angaben; es äussert sich auch kaum BGE 147 I 407 S. 418 zum Aufwand, der mit der inhaltlichen Behandlung des Gesuchs des Beschwerdeführers mutmasslich verbunden wäre. Schliesslich überzeugt es nicht, wenn das Obergericht ausführt, es sei nicht in der Lage, die interessierenden Urteile mittels der elektronischen Geschäftskontrolle herauszufiltern. Vor diesem Hintergrund kann die Befürchtung, die Behandlung des Gesuchs würde "zu einer länger andauernden und wesentlichen Beeinträchtigung des gerichtlichen Geschäftsgangs führen", nicht geteilt werden. Hierzu ist ausserdem zu bemerken, dass die Urteile des Obergerichts bisher offenbar nicht systematisch publiziert wurden. Diese Praxis ist zulässig und ermöglicht es, beträchtliche Ressourcen einzusparen; sie hat aber zur Folge, dass das Obergericht bei Vorliegen eines konkreten Einsichtsgesuchs einen gewissen Zusatzaufwand in Kauf zu nehmen hat. Die Beschwerde erweist sich daher als begründet. Die Sache ist an die Vorinstanz zur Gewährung der Einsicht in die nachgesuchten Urteile (in anonymisierter Form) zurückzuweisen. 8.2 Was die Modalitäten der Einsichtsgewährung betrifft, ist auf Folgendes hinzuweisen: Entgegen dem, was der Beschwerdeführer anzunehmen scheint, ergibt sich jedenfalls aus dem Bundesrecht kein Anspruch auf Zustelung der von ihm gewünschten Urteile. Vielmehr ist es ihm zuzumuten, auf der Kanzlei des Obergerichts darin Einsicht zu nehmen. Dort wird es ihm zu ermöglichen sein, Kopien der (anonymisierten) Urteile zu erstellen, sofern er dies wünscht (vgl. Urteile 2C_133/2012 vom 18. Juni 2012 E. 5.3.2; 1C_252/2008 vom 4. September 2008 E. 2.1 mit Hinweisen). Im Übrigen darf für die Einsicht in Urteile zwar eine Gebühr erhoben werden, wenn die Bearbeitung des Gesuchs einen nicht geringen Aufwand erfordert. Diese darf jedoch nicht übermässig ausfallen; andernfalls könnte die Zielsetzung der Justizöffentlichkeit, für Transparenz der Rechtsprechung zu sorgen und die Grundlage für das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit zu schaffen, durch eine unangemessene Kostenregelung unterlaufen werden. Dabei empfiehlt es sich, die gesuchstellende Person über die Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung und die zu erwartende Höhe der Gebühr zu informieren, wenn diese einen namhaften Betrag ausmachen könnte; die gesuchstellende Person hat so die Möglichkeit, ihr Begehren allenfalls anzupassen oder zu präzisieren.
de
6106c6cc-1329-46a5-8f68-6dcbc4b99a4a
Sachverhalt ab Seite 480 BGE 117 II 480 S. 480 Die S. GmbH mit Sitz in Berlin ist Inhaberin des europäischen Patentes Nr. 708 betreffend eine Stapelvorrichtung für stab- oder BGE 117 II 480 S. 481 brettförmiges Stückgut. Das Patent wurde am 17. Juli 1978 unter Beanspruchung einer deutschen Priorität vom 3. August 1977 angemeldet. Vorher hatte die L. GmbH, ebenfalls mit Sitz in Berlin, am 20. Juni 1977 einer Firma M. in Deutschland den Prototyp einer Stapelvorrichtung geliefert, welcher das Patent der S. GmbH verletzt. In der Folge produzierte und verkaufte die L. GmbH mehrere solche Vorrichtungen. Eine davon gelangte im Jahre 1987 über einen Zwischenhändler in den Besitz der B. AG in Niedergösgen, welche die Maschine in ihrem Betrieb verwendet. Im Februar 1989 reichte die S. GmbH beim Obergericht des Kantons Solothurn wegen Patentverletzung Klage gegen die B. AG ein. Sie stellte neben einem Unterlassungs- sowie Auskunftsbegehren den Antrag, die Beklagte zur Zahlung von Schadenersatz, eventuell zur Herausgabe des erzielten Gewinnes zu verpflichten. Da die Beklagte den Einwand erhob, das Patent der Klägerin sei mangels Neuheit nichtig, schränkte das Obergericht das Verfahren auf diese Frage ein. Mit Urteil vom 6. November 1990/27. Februar 1991 wies es in Gutheissung des Einwandes die Klage ab. Die Klägerin hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird. Erwägungen Erwägungen: 1. Umstritten ist vor Bundesgericht, ob die Erfindung der Klägerin, welche ihrem europäischen Patent zugrunde liegt, mit der Lieferung des Prototyps am 20. Juni 1977 an die Firma M. im Sinne von Art. 7 Abs. 2 PatG und Art. 54 Abs. 2 EPÜ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Unstreitig war dagegen schon im Verfahren vor dem Obergericht, dass der von der L. GmbH hergestellte Prototyp und auch die von dieser später produzierten und veräusserten Stapelautomaten der patentierten Erfindung entsprachen. a) Gemäss Art. 26 Abs. 1 Ziff. 1 PatG ist ein Patent nichtig, wenn sein Gegenstand nach den Art. 1 und 1a PatG nicht patentfähig ist. Dieser Nichtigkeitsgrund gilt auch für europäische Patente ( Art. 110 PatG , Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ ). Eine der materiellen Patentvoraussetzungen ist die Neuheit der Erfindung ( Art. 1 Abs. 1 PatG , Art. 52 Abs. 1 EPÜ ). Sie fehlt, wenn die Erfindung zum Stand der Technik gehört. Diesen Stand bildet BGE 117 II 480 S. 482 alles, was vor dem Anmelde- oder Prioritätsdatum der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist ( Art. 7 PatG , Art. 54 Abs. 1 und 2 EPÜ ). Das Bundesgericht prüft im Berufungsverfahren frei, ob die Erfindung unter den gegebenen Umständen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, da die Offenkundigkeit oder Offenbarung einer Erfindung ein Rechtsbegriff ist. Offenkundigkeit liegt nach Lehre und Rechtsprechung dann vor, wenn eine zureichende, nach der Erfahrung des Lebens und den Verhältnissen des Einzelfalles nicht auszuschliessende Möglichkeit besteht, dass Fachleute von der Erfindung in einer Weise Kenntnis nehmen, die ihnen die Ausführung erlaubt ( BGE 68 II 396 ; BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht, 2. Aufl., Bd. I, Anm. 13 ff. zu Art. 7 PatG und Anm. 16A des Nachtrags zu Art. 7 PatG ; PEDRAZZINI, Patent- und Lizenzvertragsrecht, 2. Aufl., S. 51). Ob die Fachleute eines bestimmten Landes - beispielsweise jenes Landes, in dem sich die behauptete Patentverletzung ereignet hat - die Erfindung zur Kenntnis genommen haben, ist nicht entscheidend; denn der Stand der Technik bestimmt sich nach dem der Öffentlichkeit irgendwo zugänglich gemachten technischen Wissen ( BGE 95 II 364 ; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 3. Aufl., Bd. I, S. 161). Der Öffentlichkeit zugänglich ist solches Wissen, wenn es den Kreis der dem Erfinder zur Geheimhaltung verpflichteten Personen verlässt und einem weiteren interessierten Publikum offen steht, das wegen seiner Grösse oder wegen der Beliebigkeit seiner Zusammensetzung für den Urheber der Information nicht mehr kontrollierbar ist ( BGE 68 II 397 , BGE 43 II 113 , BGE 29 II 163 ; BERNHARDT/KRASSER, Lehrbuch des Patentrechts, 4. Aufl., S. 143). Nicht erforderlich ist sodann, dass die Erfindung mit einem bestimmten Mittel, auf eine bestimmte Art und Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. In Betracht fällt vor allem die Weitergabe der technischen Lehre in schriftlicher oder mündlicher Form. Unter Umständen genügt jedoch auch ein Inverkehrbringen der Vorrichtung, die nach der Lehre der Erfindung hergestellt worden ist. Selbst ein einziger Verkauf oder ein einmaliges Vorzeigen des Gegenstandes, welcher die Information verkörpert oder enthält, kann die Offenkundigkeit herbeiführen (BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., Anm. 16 zu Art. 7 PatG ; SINGER, Europäisches Patentübereinkommen, N. 5 zu Art. 54 EPÜ ). Entscheidend BGE 117 II 480 S. 483 ist aber in jedem Fall, ob nach der Sachlage damit gerechnet werden muss, dass eine Weiterverbreitung erfolgt ( BGE 68 II 397 ; BERNHARDT/KRASSER, a.a.O., S. 144; BENKARD/ULLMANN, Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, N. 54 und 62 zu § 3 PatG ). b) Nach Auffassung des Obergerichts ist die Erfindung der Klägerin der Öffentlichkeit durch die Lieferung des Prototyps an die Firma M. am 20. Juni 1977 zugänglich gemacht worden. Im angefochtenen Urteil wird dazu in tatsächlicher Hinsicht für das Bundesgericht verbindlich festgestellt ( Art. 63 Abs. 2 OG ), der Prototyp sei eigens für diese Firma hergestellt worden. Der Geschäftsführer der Herstellerin sei vom 1. Juli 1974 bis zum 31. März 1977 bei der Klägerin als Betriebsleiter tätig gewesen und habe bereits während der Dauer des Arbeitsverhältnisses mit der Konstruktion und Fertigung der Maschine begonnen, dabei Wissen und Unterlagen der Klägerin verwendet und sich der Mithilfe zweier Kollegen bedient, die bei der Klägerin als Chefkonstrukteur und Maschinenschlossermeister angestellt waren. In rechtlicher Hinsicht nimmt das Obergericht an, die Lieferung des Prototyps sei als neuheitsschädliche Benutzungshandlung zu betrachten, weil die Firma M. keiner Geheimhaltungspflicht unterstanden habe und davon auszugehen sei, dass der Prototyp die Fachleute interessiert habe, womit die Möglichkeit einer Kenntnisnahme von der Erfindung naheliege. Die Klägerin wendet dagegen ein, das wettbewerbswidrige Verhalten der L. GmbH und ihres Geschäftsführers habe auch die Firma M. zu Verschwiegenheit und Geheimhaltung veranlasst, was der Annahme entgegenstehe, die Erfindung sei durch die Benutzungshandlung offenkundig geworden. c) Der Auffassung des Obergerichts ist indessen zuzustimmen. Die Lieferung des Prototyps stellte unstreitig eine Benutzungshandlung dar. Sie war als solche neuheitsschädlich, sofern sie geeignet war, den Gegenstand der Erfindung kundbar, das heisst einem weiteren Fachpublikum und damit der Öffentlichkeit im Sinne von Art. 7 Abs. 2 PatG und Art. 54 Abs. 2 EPÜ zugänglich zu machen. Das trifft im vorliegenden Fall zu. Sowohl das Gebrauchen - falls es über blosse Versuche hinausgeht - wie auch das Inverkehrbringen der erfindungsgemässen Konstruktion hat als Offenbarung zu gelten, wenn der Erfindungsgedanke dadurch für den Fachmann erkennbar hervortritt (BLUM/PEDRAZZINI, Anm. 18 zu Art. 7 PatG ; BENKARD/ULLMANN, N. 44 und 47 zu § 3 PatG ). Letzteres wird aber im angefochtenen Urteil für das Bundesgericht verbindlich festgestellt. Unter diesen Umständen ist nach der allgemeinen BGE 117 II 480 S. 484 Lebenserfahrung anzunehmen, dass die interessierten Berufsleute in und um den Betrieb der Firma M. von der Erfindung Kenntnis nehmen konnten. In Frage kamen einerseits die branchenkundigen Betriebsangehörigen und andererseits die Geschäftspartner der Firma, bei denen erfahrungsgemäss ein Interesse an neuen Konstruktionen gegeben ist. Damit sind die Voraussetzungen der Offenbarung der Erfindung an einen unbestimmten Personenkreis erfüllt. Mitteilungen des Erfinders und Benutzungshandlungen sind allerdings nach Lehre und Rechtsprechung dann nicht neuheitsschädlich, wenn der Mitteilungsempfänger an eine Geheimhaltungspflicht gebunden ist. Gibt der Geheimnisträger den Erfindungsgedanken jedoch in Verletzung seiner Pflicht weiter, so wird die Erfindung dadurch im allgemeinen offenbart. In einem solchen Fall gehört die Erfindung lediglich dann nicht zum Stand der Technik, wenn die Offenbarung im Sinne von Art. 7b PatG oder Art. 55 EPÜ als unschädlich zu beurteilen ist (BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O., Anm. 19 zu Art. 7 PatG und Anm. 19A des Nachtrags zu Art. 7 PatG ; BENKARD/ULLMANN, N. 67 zu § 3 PatG ; SINGER, a.a.O., N. 6 zu Art. 54 EPÜ ). Aus diesen Gründen ist unerheblich, ob nicht nur der Geschäftsführer L., sondern auch die L. GmbH gegenüber der Klägerin zur Geheimhaltung verpflichtet war. Massgebend ist vielmehr, dass die Erfindung trotz einer allenfalls bestehenden Geheimhaltungspflicht durch eine Benutzungshandlung offenbart worden ist, und zwar an eine Abnehmerin, die in keinem Vertrags- oder Geschäftsverhältnis zur Klägerin stand und daher ihr gegenüber auch nicht vertraglich oder aus anderen Gründen zur Geheimhaltung verpflichtet sein konnte. Sodann wird im angefochtenen Urteil nicht festgestellt, die Firma M. sei ihrerseits von L. persönlich oder der L. GmbH verpflichtet worden, die Stapelvorrichtung geheimzuhalten. Die gegenteilige Behauptung der Klägerin ist deshalb nicht zu hören. Zudem lässt sich aus den Feststellungen der Vorinstanz nicht ableiten, dass die Firma M. ein eigenes Interesse an der Geheimhaltung gehabt habe, wie die Klägerin geltend macht. Schliesslich findet sich auch nirgends die Feststellung, sowohl die L. GmbH wie auch die Firma M. hätten den Prototyp nur vertrauenswürdigen Interessenten zugänglich machen wollen, welche Gewähr dafür boten, dass die Klägerin nichts davon erfuhr. Die II. Beschwerdekammer des Bundesamtes für geistiges Eigentum hat zwar die Mitteilung des Erfindungsgedankens an einen BGE 117 II 480 S. 485 beschränkten Fachkreis, der dem Erfinder gegenüber nicht zur Geheimhaltung verpflichtet ist, nicht als neuheitsschädlich betrachtet (PMMBl 1977 I 88f.). Diese Auffassung steht jedoch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Begriff der neuheitsschädlichen Offenbarung ( BGE 95 II 363 , BGE 94 II 322 E. IV/1 und 2). Sie ist denn auch von TROLLER kritisiert worden (a.a.O., Bd. I, S. 163 Fn. 64). Die Offenbarung der Erfindung durch Dritte ist der Öffentlichkeit vielmehr auch dann im Sinne von Art. 7 Abs. 2 PatG und Art. 54 Abs. 2 EPÜ zugänglich, wenn der Kreis der ersten Mitteilungsempfänger aus geschäftspolitischen oder anderen Gründen begrenzt gehalten wird, es sei denn, dieser Kreis sei seinerseits gegenüber dem Erfindungsberechtigten zur Geheimhaltung verpflichtet. Zu Recht ist daher das Obergericht von einer Offenkundigkeit der Erfindung vor dem massgebenden Prioritätsdatum ausgegangen. 2. Streitig ist im weitern, ob im vorliegenden Fall Art. 7b lit. a PatG oder Art. 55 Abs. 1 lit. a EPÜ anwendbar ist. Die Vorschriften stimmen insoweit überein, als sie die Offenbarung einer Erfindung als unschädlich erklären, falls diese innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erfolgt ist und auf einen offensichtlichen Missbrauch zum Nachteil des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers zurückgeht. Während Art. 7b PatG aber die zeitliche Begrenzung auf sechs Monate vor dem Anmelde- oder Prioritätsdatum festlegt, gibt Art. 55 Abs. 1 EPÜ als massgebenden Zeitpunkt die Einreichung der europäischen Patentanmeldung an. Das Obergericht hält Art. 55 EPÜ gemäss Art. 109 Abs. 2 und 3 PatG für allein anwendbar, weil diese Vorschrift gegenüber der inhaltlich abweichenden Bestimmung von Art. 7b lit. a PatG Vorrang habe. Die Klägerin vertritt dagegen die Auffassung, es müsse entweder ausschliesslich auf Art. 7b lit. a PatG abgestellt oder Art. 55 Abs. 1 lit. a EPÜ so ausgelegt werden, dass inhaltliche Übereinstimmung zwischen den beiden Vorschriften bestehe. a) Vorweg festzuhalten ist, dass die Nichtigkeitsgründe von Art. 138 EPÜ entgegen der Auffassung der Klägerin nicht durch die Bestimmungen des PatG eingeschränkt werden. Das ergibt sich sowohl aus Art. 109 Abs. 3 PatG wie auch aus Art. 2 Abs. 2 EPÜ , wonach die europäischen Patente dem für die Schweiz verbindlichen Staatsvertragsrecht unterstehen, soweit dieses Recht vom PatG abweicht. Bezüglich der Frage der Patentnichtigkeit besteht keine Ausnahme. Dazu kommt, dass der im vorliegenden Fall allein in Frage stehende Nichtigkeitsgrund der mangelnden Neuheit BGE 117 II 480 S. 486 im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und Art. 26 Abs. 1 Ziff. 1 PatG in gleicher Form auch im EPÜ vorgesehen ist (Art. 138 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 und 54 f. EPÜ). Im übrigen würden - wie bereits erwähnt - die Bestimmungen des EPÜ der Regelung des PatG vorgehen, falls der Staatsvertrag die Patentvoraussetzungen, namentlich die Neuheit der Erfindung, unterschiedlich umschrieben hätte. Das gilt umso mehr, als die Frage der Patentfähigkeit nicht nur das Nichtigkeits-, sondern auch das Erteilungsverfahren beschlägt. Dieses Verfahren untersteht jedoch nicht dem nationalen Recht. Zudem lässt nichts darauf schliessen, dass der Bundesgesetzgeber den Begriff der fehlenden Patentfähigkeit als Nichtigkeitsgrund gegenüber europäischen Patenten nicht aus dem Staatsvertrag übernehmen wollte. Das ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin zitierten Stelle der Botschaft des Bundesrates vom 24. März 1976 (BBl 1976 II 39). Selbst wenn der Bundesrat der Auffassung gewesen sein sollte, die nationale Regelung decke sich in jeder Hinsicht mit jener des EPÜ, verhielte es sich nicht anders, denn dieser Umstand vermöchte die Auslegung des Staatsvertrages nicht massgeblich zu beeinflussen (vgl. dazu die folgenden Ausführungen). Die entscheidende und durch Auslegung zu ermittelnde Frage ist somit, ob Art. 55 Abs. 1 EPÜ hinsichtlich des Beginns der sechsmonatigen Frist mit Art. 7b PatG übereinstimmt. b) Die Vorschriften des EPÜ sind unmittelbar anwendbar ( Art. 109 Abs. 3 PatG ). Massgebend sind daher die Regeln, welche für die Auslegung von Staatsvertragsrecht gelten ( BGE 113 II 362 ). Vorrang hat danach der Wortlaut, so wie ihn die Vertragsparteien nach dem Vertrauensprinzip im Hinblick auf den Vertragszweck verstehen durften ( BGE 116 Ib 221 E. 3). Der von den beteiligten Staaten anerkannte Wortlaut bildet den nächstliegenden und zugleich wichtigsten Anhaltspunkt für den wahren gemeinsamen Vertragswillen, welcher die Auslegung beherrscht. Zu beachten ist im vorliegenden Fall, dass gemäss Art. 177 Abs. 1 EPÜ die deutsche, englische und die französische Fassung einander gleichgestellt sind. Im weitern ist die grammatikalische Auslegung jedenfalls soweit verbindlich, als die übrigen Auslegungselemente nicht eindeutig zum Schluss führen, dass der Wortlaut den Sinn der Bestimmung nicht oder nur ungenau wiedergibt. Bei der Ermittlung dieses Sinns sind namentlich Gegenstand und Zweck des Staatsvertrages zu berücksichtigen, über welche dessen Entstehungsgeschichte Aufschluss geben kann. BGE 117 II 480 S. 487 Schliesslich kommt im Fall eines Staatsvertrages, der wie das EPÜ vor allem eine internationale Rechtsvereinheitlichung bewirken soll, der ausländischen Lehre und Rechtsprechung sowie den Bemühungen, diese Einheit herbeizuführen, besondere Bedeutung zu ( BGE 113 II 362 E. 3). aa) Der Wortlaut von Art. 55 Abs. 1 EPÜ ist bezüglich der hier interessierenden Frage in allen drei massgebenden Fassungen klar und unmissverständlich. Nach dem deutschen Text wird auf den Zeitpunkt der "Einreichung der europäischen Patentanmeldung" abgestellt. In der englischen Fassung ist von "the filing of the European patent application" und in der französischen von "le dépôt de la demande de brevet européen" die Rede. Ebenso eindeutig ist der Wortlaut von Art. 89 EPÜ , wonach der Prioritätstag nur für die Anwendung von Art. 54 Abs. 2 und 3 sowie Art. 60 Abs. 2 EPÜ als Tag der europäischen Patentanmeldung gilt. Die Entstehungsgeschichte des EPÜ liefert keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sinn der erwähnten Vorschriften nicht mit ihrem Wortlaut übereinstimmt. Soweit über Art. 55 Abs. 1 EPÜ anlässlich der Münchner diplomatischen Konferenz diskutiert worden ist, wurde keine Änderung des Inhalts angestrebt, sondern in Frage stand lediglich die Art der sprachlichen Fassung. Dabei wurde einerseits auf Hinweis der britischen Delegation mit der neuen Formulierung "nicht früher als sechs Monate vor der Einreichung" ("no earlier than six months preceding the filing", "pas plus tôt que six mois avant le dépôt de la demande") anstelle von "innerhalb von sechs Monaten vor dem Anmeldetag" klargestellt, dass eine Offenbarung in bestimmten Fällen missbräuchlicher Patentanmeldung auch dann unschädlich ist, wenn sie nach der Einreichung einer zweiten Patentanmeldung erfolgt. Andererseits wurde auf Wunsch der niederländischen Delegation präzisiert, dass unter dem ursprünglich im Absatz 1 vorgesehenen Begriff "Anmeldetag" der Tag der Einreichung der Patentanmeldung verstanden werden müsse (Berichte der Münchner diplomatischen Konferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens, S. 30; LOTH, Münchner Gemeinschaftskommentar, N. 59 zu Art. 55 EPÜ ; MATHÉLY, Le droit européen des brevets d'invention, S. 119/20; ANTOINE SCHEUCHZER, Nouveauté et activité inventive en droit européen des brevets, Diss. Lausanne 1981, S. 188). Im Konferenzbericht der deutschen Delegation wird denn auch darauf hingewiesen, dass die Neuheitsschonfrist von sechs Monaten ab Einreichung der europäischen Patentanmeldung BGE 117 II 480 S. 488 und nicht etwa vom Prioritätszeitpunkt an gelte (SINGER, Das materielle europäische Patentrecht, GRUR Int. 1974, S. 63). bb) Aufgeworfen - aber nicht entschieden - wurde die hier streitige Auslegungsfrage in einem Entscheid einer Technischen Beschwerdekammer des europäischen Patentamtes vom 1. Juli 1985 (GRUR Int. 1988, S. 246 f.). Das Bundesamt für geistiges Eigentum nahm sodann in einer Auskunft vom 15. Dezember 1980 an, dass Art. 7b PatG von Art. 55 Abs. 1 EPÜ abweiche, weil nach dieser Vorschrift ausschliesslich der Zeitpunkt der europäischen Patentanmeldung massgebend sei (PMMBl 1981 I S. 35 f.). Im Gegensatz dazu ging die Botschaft des Bundesrates ohne Begründung davon aus, die Regelung des PatG stimme mit jener des EPÜ überein (BBl 1976 II 30, 70/71 und 74/75, ebenso BRÄNDLI, Das neue schweizerische Patentrecht, GRUR Int. 1979, S. 2). cc) In der schweizerischen und ausländischen Lehre wird überwiegend die Auffassung vertreten, Art. 55 Abs. 1 EPÜ sei nach seinem Wortlaut auszulegen. Soweit sie dazu Stellung nehmen, sind diese Autoren zudem der Meinung, die schweizerische Regelung gehe mit dem alternativen Abstellen auf das Prioritätsdatum über jene des EPÜ hinaus (SINGER, GRUR Int. 1974, S. 63; SINGER, Europäisches Patentübereinkommen, N. 2 zu Art. 55 EPÜ ; PEDRAZZINI, SMI 1980, S. 25; HAERTEL, Die Harmonisierung des nationalen Patentrechts durch das europäische Patentrecht, GRUR Int. 1983, S. 202; COMTE, Les limites de l'harmonisation européenne du droit des brevets, Festschrift 10 Jahren Europäisches Patentübereinkommen, S. 63; MATHÉLY, a.a.O., S. 119; BERNHARDT/KRASSER, a.a.O., S. 147; SCHEUCHZER, a.a.O., S. 305). Eine Auslegung entgegen dem Wortlaut schliesst dagegen CORNISH - allerdings ohne Begründung - nicht aus (Die wesentlichen Kriterien der Patentfähigkeit europäischer Erfindungen: Neuheit und erfinderische Tätigkeit, GRUR Int. 1983, S. 223 Fn. 9). Mit ausführlicher Begründung abgelehnt wird die überwiegende Lehrmeinung von LOTH (a.a.O., N. 57 ff. zu Art. 55 EPÜ ). dd) Ebenfalls für die Massgeblichkeit des Wortlautes spricht im weitern, dass wesentliche Teile des Staatsvertrages - darunter auch Art. 55 EPÜ - auf das Strassburger Übereinkommen vom 27. November 1963 zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente zurückgehen (StrÜ, SR 0.232.142.1; SINGER, GRUR Int. 1974, S. 61; BERNHARDT/KRASSER, BGE 117 II 480 S. 489 a.a.O., S. 64 und S. 147). Aus Art. 4 StrÜ, dessen Ziffer 4 inhaltlich mit Art. 55 EPÜ übereinstimmt, ergibt sich eindeutig, dass ausschliesslich auf den Zeitpunkt der Einreichung der Patentanmeldung abgestellt werden muss. In Ziffer 2 von Art. 4 StrÜ wird nämlich bei der Umschreibung, was zum Stand der Technik gehört, nicht nur der Zeitpunkt der Patentanmeldung erwähnt, sondern auch jener einer ausländischen Anmeldung, deren Priorität beansprucht wird. Zugleich werden die Bestimmungen von Ziffer 4 aber vorbehalten. Daraus muss geschlossen werden, dass die Vertragsparteien hinsichtlich der Neuheitsdefinition beide Zeitpunkte einander gleichsetzen, im Zusammenhang mit der Schonfrist die prioritätsbegründende Anmeldung dagegen unberücksichtigt lassen wollten. Diese Folgerung lässt sich denn auch auf die Entstehungsgeschichte des Übereinkommens stützen (LOTH, a.a.O., Fn. 152 bei N. 64 zu Art. 55 EPÜ ). In die gleiche Richtung deuten im übrigen die nationalen Regelungen Deutschlands, Grossbritanniens sowie Frankreichs und das entsprechende Schrifttum, in dem mehrheitlich eine Kumulierung der Fristen abgelehnt wird (LOTH, a.a.O., N. 61 zu Art. 55 EPÜ ). ee) Zu berücksichtigen ist zudem, dass aufgrund der im EPÜ verwendeten Begriffe ebenfalls kein Anlass zur Annahme besteht, Art. 55 Abs. 1 EPÜ sei ungenau formuliert worden und beruhe insoweit auf einem Redaktionsfehler, der durch Auslegung zu berichtigen sei. Das geht eindeutig aus einem Vergleich von Art. 55 Abs. 1 mit Art. 87 Abs. 1 EPÜ hervor. Während in der einen Vorschrift von der Einreichung der europäischen Patentanmeldung die Rede ist, wird in der anderen die Wendung "Einreichung der ersten Anmeldung" gebraucht. Beide Zeitpunkte werden somit auch begrifflich klar auseinandergehalten. Ebensowenig bestehen sodann Anhaltspunkte dafür, dass in Art. 89 EPÜ mit dem Verweis auf die Absätze 2 und 3 von Art. 54 EPÜ der Stand der Technik in toto, das heisst insbesondere auch für Art. 55 EPÜ habe definiert werden wollen. Dafür ist der Verweis zu präzis gehalten. Die Argumentation von LOTH (a.a.O., N. 64 zu Art. 55 EPÜ ), welcher die gegenteilige Auffassung vertritt, überzeugt deshalb nicht. Sein Hinweis, in Art. 89 werde auch Art. 56 EPÜ nicht erwähnt, ist im übrigen schon darum unbehilflich, weil diese Vorschrift im Gegensatz zu Art. 55 EPÜ keine Zeitbestimmung enthält. Überlegungen der Zweckmässigkeit mögen zwar nahelegen, Art. 55 Abs. 1 EPÜ durch Auslegung Art. 7b PatG anzugleichen BGE 117 II 480 S. 490 (vgl. dazu LOTH, a.a.O., N. 65 zu Art. 55 EPÜ ; COMTE, a.a.O., S. 63). Dieser Umstand reicht aber für sich allein nicht aus, um eine vom Wortlaut abweichende Auslegung zu rechtfertigen. Es ist allenfalls Aufgabe der Vertragsstaaten, die Übereinkunft entsprechend zu revidieren (ebenso BERNHARDT/KRASSER, a.a.O., S. 148 oben). Für die Auslegung nicht bestimmend, sondern lediglich de lege ferenda beachtenswert sind auch die Bestrebungen der Union de Paris, die nationalen Patenterlasse durch eine allgemeine Neuheitsschonfrist ab Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt zu harmonisieren (vgl. dazu La propriété industrielle 1989, S. 68 Art. 201). Schliesslich ist ebenfalls nicht entscheidend, dass Art. 55 Abs. 1 EPÜ in der Botschaft des Bundesrates offenbar im Sinne der Klägerin ausgelegt worden ist. Allein auf das subjektive Verständnis einer Vertragspartei lässt sich eine Auslegung nicht stützen, wenn sämtliche massgebenden Auslegungselemente dagegen sprechen. c) In Frage kommt somit allein die Anwendung von Art. 55 Abs. 1 lit. a EPÜ . Da diese Bestimmung im erörterten Sinne auszulegen ist, fällt die am 3. August 1977 erfolgte deutsche Anmeldung ausser Betracht. Massgebend ist deshalb die Anmeldung des europäischen Patentes vom 17. Juli 1978. In diesem Zeitpunkt war die am 20. Juni 1977 beginnende Sechsmonatsfrist aber abgelaufen. Damit ist die Klägerin von vornherein vom Einwand ausgeschlossen, dass die Offenbarung der Erfindung gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. a EPÜ als unschädlich zu betrachten ist. Das führt zur Abweisung der Berufung.
de
07edaff3-f3ef-4182-a2b1-2f49a0c40496
Sachverhalt ab Seite 174 BGE 122 IV 173 S. 174 A.- Am 7. Februar 1995 um 14.29 Uhr überschritt P. mit seinem Personenwagen "Saab 9000 Aero" auf der Autostrasse N13 in Pignia, Richtung Nord, die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 31 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 6 km/h). Die nicht richtungsgetrennte, in beiden Fahrtrichtungen je zweispurige Autostrasse weist bei der Messstelle eine leichte Linksbiegung auf und ist übersichtlich. Die beiden Fahrstreifen der Nordspur sind insgesamt 6,1 Meter breit. Im Zeitpunkt der Geschwindigkeitsmessung war die Strasse trocken, die Sicht gut und das Verkehrsaufkommen gering. Konkret gefährdet wurde niemand. B.- Mit Strafmandat vom 23. März 1995 verurteilte der Kreispräsident Schams P. wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG (SR 741.01) zu Fr. 5'000.-- Busse. Auf Einsprache von P. hin bestätigte der Kreisgerichtsausschuss Schams am 21. Juni 1995 den Schuldspruch der groben Verletzung von Verkehrsregeln, reduzierte aber die Busse auf Fr. 4'000.--. C.- Eine von P. dagegen erhobene Berufung wies der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden am 27. September 1995 ab. D.- P. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses aufzuheben; er sei der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig zu sprechen und dafür mit einer angemessenen Busse zu bestrafen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. (Eintreten). 2. a) aa) Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen ( Art. 32 Abs. 1 SVG ). Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge beträgt unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen 100 km/h auf Autostrassen (Art. 4a Abs. 1 lit. c der Verkehrsregelnverordnung [VRV; SR 741.11]). Signale sind zu befolgen ( Art. 27 Abs. 1 SVG ). bb) Gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG wird mit Haft oder mit Busse bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Gefängnis oder mit BGE 122 IV 173 S. 175 Busse bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG kann der Führer- oder Lernfahrausweis entzogen werden, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden (Satz 2). Der Führer- oder Lernfahrausweis muss entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat ( Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG ). b) aa) Art. 90 Ziff. 2 SVG ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit abstrakt oder konkret gefährdet hat. Subjektiv erfordert der Tatbestand, dass dem Täter aufgrund eines rücksichtslosen oder sonstwie schwerwiegend regelwidrigen Verhaltens zumindest eine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Die erhöhte abstrakte Gefahr setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus ( BGE 121 IV 230 E. 2b/aa mit Hinweisen). Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, gefährdet in schwerer Weise den Verkehr im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG . Diese beiden Vorschriften stimmen inhaltlich miteinander überein ( BGE 120 Ib 285 ). bb) Nach der Rechtsprechung sind die Voraussetzungen von Art. 90 Ziff. 2 bzw. Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG ungeachtet der konkreten Umstände erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um deutlich mehr als 30 km/h überschritten wird ( BGE 121 IV 230 E. 2b/bb mit Hinweisen). Eine solche deutliche Überschreitung der Grenze von 30 km/h hat das Bundesgericht bejaht bei einem Fahrzeuglenker, der auf der Autobahn die Höchstgeschwindigkeit um 37 km/h überschritten hatte ( BGE 118 IV 188 ). Wird die Höchstgeschwindigkeit um wenig mehr als 30 km/h überschritten, sind die konkreten Umstände zu prüfen ( BGE 118 IV 188 E. 2b mit Hinweis). Der Kassationshof hat im Herbst 1994 zu Fragen im Zusammenhang mit der Verletzung von Geschwindigkeitsvorschriften Experten angehört und mit ihnen eine Aussprache durchgeführt. Im Anschluss daran äusserte er sich in BGE 121 II 127 zu den besonderen Gefahren übersetzter Geschwindigkeit BGE 122 IV 173 S. 176 innerorts. Er schützte den Entscheid der kantonalen Behörde, die einen mittelschweren Fall nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG annahm bei einer Fahrzeuglenkerin, welche die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 27 km/h überschritten hatte. Er liess offen, ob nicht sogar ein schwerer Fall nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG anzunehmen gewesen wäre, da eine Erhöhung der Dauer des Führerausweisentzugs aus prozessualen Gründen ausser Betracht fiel (E. 4d). In BGE 121 IV 230 ging der Kassationshof ein auf die besonderen Gefahren der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ausserorts. Er legte dar, dass zu einer Milderung der Rechtsprechung, wonach bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um deutlich mehr als 30 km/h ungeachtet der konkreten Umstände eine grobe Verkehrsregelverletzung anzunehmen ist, kein Anlass besteht. Fragen könne man sich höchstens, ob die Praxis zu verschärfen und angesichts der insoweit teilweise abweichenden Gefahrenlage künftig danach zu unterscheiden sei, ob die Geschwindigkeitsvorschriften innerorts, ausserorts oder auf der Autobahn missachtet wurden (E. 2c in fine). c) Die Rechtsprechung, wonach bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um deutlich mehr als 30 km/h die Voraussetzungen von Art. 90 Ziff. 2 bzw. Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG ungeachtet der konkreten Umstände gegeben sind, ist entwickelt worden ausgehend von einem Fall, der eine Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf der Autobahn betraf ( BGE 104 Ib 49 ). Diese Rechtsprechung darf nicht unbesehen auf andere Konstellationen übertragen werden. Die gegenüber der Autobahn abweichende Gefahrenlage ist zu berücksichtigen. Bereits in BGE 104 Ib 49 wurde gesagt, dass es nicht belanglos ist, ob die Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn oder innerorts überschritten wurde, und man nicht im Sinne einer absoluten Regel annehmen kann, dass der, welcher auf der Autobahn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h überschreitet, dieselben Gefahren hervorruft wie der, welcher das innerorts tut (E. 3b). d) Das Bundesgericht hat sich in seiner publizierten Rechtsprechung bisher nicht zu den Besonderheiten der Autostrasse geäussert. Autostrassen sind wie Autobahnen dem Motorfahrzeugverkehr vorbehalten und entsprechend signalisiert. Ausschliesslich für Autobahnen gilt dagegen, dass sie eine getrennte Fahrbahn für jede der beiden Richtungen aufweisen und frei sind von höhengleichen Kreuzungen ( Art. 1 Abs. 3 VRV ). Autobahnen haben also richtungsgetrennte Fahrspuren. Der Gegenverkehr ist durch einen BGE 122 IV 173 S. 177 Mittelstreifen, der in der Regel noch durch Leitplanken abgesichert ist, getrennt. Dadurch wird insbesondere das Risiko von Frontalkollisionen massiv eingeschränkt. Im vorliegenden Fall geht es dagegen um eine Autostrasse, deren Besonderheit verglichen mit der Autobahn aufgrund der bei den Akten liegenden Abbildungen deutlich wird: Es handelt sich um eine vierspurige Strasse, bei der die beiden Fahrspuren der einen Richtung von denen der Gegenrichtung lediglich durch eine aufgemalte Sicherheitslinie getrennt sind. Das Risiko einer Frontalkollision mit schweren Folgen ist hier deshalb wesentlich höher als auf der Autobahn. Eine Unfallauswertung von 78,4 km zweispurigen Autostrassen ergab denn auch, dass die Unfallschwere, ausgedrückt durch die Verunfalltenrate, auf solchen Strassen ca. 2,5 mal höher ist als auf den Autobahnen (Zwischentypen, Eine Untersuchung über mögliche Betriebsformen für Hochleistungsstrassen, ETH Zürich, Institut für Verkehrsplanung und Transporttechnik, IVT Bericht Nr. 83/2, S. 30 und 43). Diese Besonderheit im Vergleich zur Autobahn rechtfertigt es, bei einer nicht richtungsgetrennten Autostrasse ungeachtet der konkreten Umstände eine grobe Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG in objektiver Hinsicht bereits dann anzunehmen, wenn die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 30 km/h oder mehr überschritten wurde. Günstige Verhältnisse, die auf der Autobahn zur Verneinung einer groben Verkehrsregelverletzung führen können, wenn der Lenker die Höchstgeschwindigkeit um wenig mehr als 30 km/h überschritten hat, kann es auf der Autostrasse nur geben, soweit sie wie eine Autobahn richtungsgetrennt ist. Wird auf einer nicht richtungsgetrennten Autostrasse die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 30 km/h oder mehr überschritten, ist eine erhöhte abstrakte Gefahr zu bejahen, da die Möglichkeit der konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer naheliegt. Bei einer derartigen Geschwindigkeit besteht insbesondere ein erhebliches Risiko, dass der Lenker bei einem überraschenden Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer, wie etwa dem Wechsel auf die Überholspur, oder bei Hindernissen (Steine, Öllache usw.) nicht mehr sachgerecht reagieren kann und es deshalb zu einem Unfall kommt, bei dem Fahrzeuge auf die Gegenfahrbahn geraten. Ebenso kann bei einem solchen Tempo bereits eine vorübergehende Unaufmerksamkeit für eine Kollision auch mit entgegenkommenden Fahrzeugen genügen. BGE 122 IV 173 S. 178 e) Die Vorinstanz nimmt an, dass der Beschwerdeführer vorsätzlich gehandelt hat. Dies ist in Anbetracht der massiven Geschwindigkeitsüberschreitung bundesrechtlich nicht zu beanstanden. f) Nicht zu hören ist der Beschwerdeführer, soweit er vorbringt, hohe Geschwindigkeiten würden in seinem komfortablen und für eine Spitzengeschwindigkeit von 250 km/h gebauten Fahrzeug nicht wahrgenommen. Wer ein solches Auto fährt, muss gegebenenfalls in bezug auf die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit besondere Vorsicht walten lassen. g) Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG verletzt danach Bundesrecht nicht. 3. (Strafzumessung). 4. (Kostenfolgen).
de
617b14f7-638f-41a6-907b-7edccf2ea75a
SR 312.51 1 Verordnung über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfeverordnung, OHV) vom 27. Februar 2008 (Stand am 1. Januar 2020) Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf das Opferhilfegesetz vom 23. März 20071 (OHG), verordnet: 1. Abschnitt: Massgebende Einnahmen Art. 1 Grundsatz und Ausnahmen (Art. 6 OHG) 1 Die anrechenbaren Einnahmen bestimmen sich nach Artikel 11 Absätze 1 und 3 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 20062 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) und den dazugehörenden Vor- schriften des Bundes. 2 In Abweichung von Absatz 1 gilt Folgendes: a. Zu zwei Dritteln anzurechnen sind nach Abzug eines Freibetrags im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a ELG: 1. die Einnahmen nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstaben d–h ELG, 2. die jährliche Ergänzungsleistung nach Artikel 9 Absatz 1 ELG. b. Das Reinvermögen ist zu einem Zehntel anzurechnen, soweit es das Dop- pelte der massgebenden Freibeträge nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe c ELG übersteigt. c. Die Hilflosenentschädigungen der Sozialversicherungen sind nicht anre- chenbar. Art. 2 Mehrpersonenhaushalte (Art. 6 OHG) 1 Der Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf für Ehepaare nach Artikel 10 Ab- satz 1 Buchstabe a Ziffer 2 ELG3 und die Freibeträge nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a und c ELG für Ehepaare gelten auch für eingetragene Partnerschaften und andere dauernde Lebensgemeinschaften. AS 2008 1627 1 SR 312.5 2 SR 831.30 3 SR 831.30 312.51 Strafprozessrecht 2 312.51 2 Die anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten beziehungsweise von eingetragenen Partnerinnen und Partnern oder von Personen, die in einer anderen dauernden Le- bensgemeinschaft leben, werden zusammengerechnet. 3 Ist die anspruchsberechtigte Person minderjährig oder befindet sie sich in Ausbil- dung, so werden ihre anrechenbaren Einnahmen mit den anrechenbaren Einnahmen der im gleichen Haushalt wohnenden Elternteile zusammengerechnet. 4 Die Einnahmen des im selben Haushalt wohnenden Täters oder der im selben Haushalt wohnenden Täterin werden nicht berücksichtigt, sofern die Umstände es rechtfertigen. 2. Abschnitt: Berechnung von Kostenbeiträgen Art. 3 (Art. 16 Bst. b OHG) Liegen die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person zwischen dem doppelten massgebenden Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf (2 x Betrag ELG4) und dem Vierfachen dieses Betrags, so wird der Kostenbeitrag an die Kosten für die längerfristige Hilfe Dritter (Kosten) wie folgt berechnet: Kostenbeitrag = Kosten – (anrechenbare Einnahmen – 2 × Betrag ELG) × Kosten 2 × Betrag ELG 3. Abschnitt: Pauschalbeitrag für Leistungen der Beratungsstellen bei fehlender interkantonaler Regelung Art. 4 (Art. 18 OHG) 1 Besteht zwischen zwei Kantonen keine Regelung, so kann der leistungserbrin- gende Kanton vom andern Kanton einen Pauschalbeitrag für jede Person verlangen, die als Opfer oder als Angehöriger oder Angehörige: a. eine Beratung von mindestens 30 Minuten, eine andere Hilfe oder einen Kostenbeitrag für längerfristige Hilfe Dritter erhalten hat; und b. im Zeitpunkt der Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle im andern Kan- ton zivilrechtlichen Wohnsitz hatte. 4 SR 831.30 Opferhilfeverordnung 3 312.51 2 Der Pauschalbeitrag beträgt 1069 Franken.5 Das Eidgenössische Justiz- und Poli- zeidepartement (EJPD) legt den Beitrag alle fünf Kalenderjahre neu fest.6 Massge- bend sind dabei: a. die Zahl der Beratungsfälle gemäss der letzten Opferhilfestatistik; und b. der letztjährige Aufwand aller Kantone für die Betriebskosten der Bera- tungsstellen und für die Kosten der Soforthilfe und der längerfristigen Hilfe. 3 Die Kantone liefern dem BJ auf Anfrage die zur Ermittlung des Aufwands nötigen Angaben. 4. Abschnitt: Entschädigung durch den Kanton Art. 5 Anwaltskosten (Art. 19 Abs. 3 OHG) Anwaltskosten können ausschliesslich als Soforthilfe oder längerfristige Hilfe gel- tend gemacht werden. Art. 6 Berechnung der Entschädigung (Art. 20 Abs. 2 Bst. b OHG) Liegen die anrechenbaren Einnahmen der anspruchsberechtigten Person zwischen dem massgebenden Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf (Betrag ELG7) und dem Vierfachen dieses Betrags, so wird die Entschädigung wie folgt berechnet: Entschädigung = Schaden – (anrechenbare Einnahmen – Betrag ELG) × Schaden 3 × Betrag ELG Art. 7 Rückerstattung des Vorschusses (Art. 21 OHG) 1 Wird das Entschädigungsgesuch abgelehnt, so muss die gesuchstellende Person den Vorschuss zurückerstatten. 2 Ist die Entschädigung geringer als der Vorschuss, so muss die Differenz zurück- erstattet werden. 3 Der Kanton kann auf die Rückforderung verzichten, wenn diese die gesuchstel- lende Person in eine schwierige Lage bringen würde. 5 Fassung gemäss Ziff. I der V des EJPD vom 14. Nov. 2019, in Kraft seit 1. Jan. 2020 (AS 2019 4109). 6 Fassung des zweiten Satzes gemäss Ziff. I der V vom 27. Aug. 2014, in Kraft seit 1. Jan. 2015 (AS 2014 2775). 7 SR 831.30 Strafprozessrecht 4 312.51 5. Abschnitt: Finanzielle Leistungen und Aufgaben des Bundes Art. 8 Ausbildung (Art. 31 OHG) 1 Der Bund unterstützt mit Finanzhilfen gesamtschweizerische oder mindestens für eine ganze Sprachregion bestimmte Ausbildungsprogramme für: a. das Personal der Beratungsstellen; b. das Personal der Gerichte und der Polizei; c. weitere mit der Hilfe an Opfer Betraute. 2 Das BJ gewährt die Ausbildungshilfen im Rahmen der bewilligten Kredite in Form von Pauschalen; diese decken durchschnittlich höchstens zwei Drittel der Kosten des Ausbildungsprogramms. Art. 9 Ausserordentliche Ereignisse (Art. 32 OHG) 1 Im Falle ausserordentlicher Ereignisse sorgt das BJ für die notwendige Koordi- nation der Opferhilfe. 2 Über Abgeltungen im Sinne von Artikel 32 Absatz 1 OHG entscheidet die Bun- desversammlung. Art. 10 Evaluation (Art. 33 OHG) 1 Das BJ bestimmt Zeitpunkt und Gegenstand der Evaluation sowie das Vorgehen. 2 Die Kantone liefern dem BJ die für die Evaluation nötigen Angaben. Art. 11 Internationale Zusammenarbeit Das BJ wirkt als zuständige zentrale Behörde nach Artikel 12 des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 19838 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten. 6. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 12 Aufhebung und Änderung bisherigen Rechts 1 Die Opferhilfeverordnung vom 18. November 19929 wird aufgehoben. 2 …10 8 SR 0.312.5 9 [AS 1992 2479, 1997 2824] 10 Die Änderung kann unter AS 2008 1627 konsultiert werden. Opferhilfeverordnung 5 312.51 Art. 13 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2009 in Kraft. Strafprozessrecht 6 312.51
de
2da80f70-7d87-402c-b509-d39b4f39b6c2
Sachverhalt ab Seite 345 BGE 113 II 345 S. 345 A.- Die 1942 geborene und seit dem Jahre 1955 unfallbedingt teilinvalide Frau Q. wurde am 17. Juni 1978 erneut das Opfer eines Verkehrsunfalls, als ein Motorfahrzeug, dessen Lenker ein Stopsignal BGE 113 II 345 S. 346 missachtet hatte, mit ihrem korrekt geführten Personenwagen kollidierte. Sie zog sich dabei eine Knieverletzung am rechten Bein und diverse Prellungen zu. B.- Mit Urteil vom 21. März 1986 verpflichtete das Zivilgericht Basel-Stadt die Beklagte, Haftpflichtversichererin des fehlbaren Automobilisten, Frau Q. insgesamt Fr. 255'514.30 nebst Zins an Schadenersatz und Genugtuung zu bezahlen. In dem vom beiden Parteien angestrengten Rechtsmittelverfahren anerkannte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 27. März 1987 einen haftpflichtrechtlichen Gesamtanspruch der Klägerin aus Körperverletzung von Fr. 409'809.--. Diese Summe setzt sich zusammen aus Fr. 227'700.-- Entschädigung für Erwerbsunfähigkeit, Fr. 139'030.-- Abgeltung für Haushalthilfe, Fr. 60'836.-- Therapiekosten, wobei diese Beträge wegen Selbstverschuldens um 10% gekürzt wurden, da die Klägerin die Sicherheitsgurten nicht getragen hatte, sowie Fr. 25'000.-- Genugtuung. Den Ersatzanspruch unterstellte das Appellationsgericht einem Schadenszins von 5% ab 1. Januar 1986; die Genugtuung - unter Berücksichtigung einer Akontozahlung von Fr. 10'000.-- - einem solchen ab Unfalltag. C.- Gegen diesen Entscheid des Appellationsgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie beantragt dem Bundesgericht, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben, der Klägerin Fr. 165'822.-- zuzusprechen und deren Mehrforderung abzuweisen. Die Zinsansprüche seien gemäss Gerichtspraxis zu bestimmen. Frau Q. trägt auf Abweisung der Berufung an. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Bei der Entschädigung für Erwerbsunfähigkeit ist vor Bundesgericht noch das Quantitativ der zum zweiten Unfall kausalen Erwerbseinbusse sowie deren Kapitalisierung streitig. Nicht mehr angefochten werden die hypothetischen Annahmen der Vorinstanz, die Klägerin hätte ohne den hier zu beurteilenden Unfall ab 1. Februar 1987 eine teilweise Erwerbstätigkeit aufgenommen und dabei jährlich Fr. 13'200.-- realisiert. Die Bestimmung des Schadens ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich eine vom kantonalen Richter abschliessend zu beurteilende Tatfrage. Rechtsfrage und vom Bundesgericht im Berufungsverfahren zu prüfen ist einzig, ob der kantonale Richter den Rechtsbegriff des Schadens verkannt oder BGE 113 II 345 S. 347 Rechtsgrundsätze der Schadensberechnung verletzt hat ( BGE 111 II 301 E. 3; 109 II 475 E. 3). a) Das Appellationsgericht ist haftpflichtrechtlich von den Schlussfolgerungen des eingeholten Gutachtens ausgegangen, wonach die medizinisch-theoretische Invalidität der Klägerin 85% für die berufliche Erwerbstätigkeit als Checkbeamtin bei den PTT und 90% für die Tätigkeit als Hausfrau beträgt und diese Invalidität zu 80% auf den Unfall des Jahres 1955 und zu 20% auf denjenigen des Jahres 1978 zurückzuführen ist. Daraus hat es geschlossen, die Klägerin sei vor dem hier in Frage stehenden Unfall zu 30% erwerbsfähig gewesen. Weiter hat es angenommen, die nach dem zweiten Unfall verbliebene theoretische Teilarbeitsfähigkeit von 15% sei wirtschaftlich nicht mehr nutzbar, weshalb die Beklagte für eine Gesamteinbusse von 30% einzustehen habe. Demgegenüber will die Beklagte nur für einen Erwerbsausfall von 20%, entsprechend dem kausalen Anteil des zweiten Unfalles an der Gesamtinvalidität, Ersatz leisten. Nach schweizerischer Lehre und Rechtsprechung ist der Invaliditätsschaden konkret zu berechnen ( BGE 104 II 308 , BGE 99 II 216 /18; BREHM, N. 14 zu Art. 42 OR und N. 56 zu Art. 46 OR ; SZÖLLÖSY, Die Berechnung des Invaliditätsschadens im Haftpflichtrecht europäischer Länder, S. 86 und 87 f.). Ausgehend vom abstrakten Invaliditätsgrad sind dessen Auswirkungen auf die Verminderung der Erwerbsfähigkeit oder die Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens zu bestimmen ( BGE 99 II 218 ; BREHM, N. 35 zu Art. 46 OR ). Entscheidend ist die wirtschaftliche Erwerbseinbusse, welche der Geschädigte durch die Invalidität erleidet. Dabei kann sich ohne weiteres ergeben, dass die prozentual errechnete Erwerbseinbusse wesentlich vom prozentualen Invaliditätsgrad abweicht. Hat der Verletzte einen zweiten Unfall erlitten, so ist zu prüfen, wieweit seine Erwerbsfähigkeit nach dem ersten Unfall durch den zweiten gemindert worden ist und welchen künftigen Verdienst er ohne den zweiten Unfall im Rahmen der durch den ersten Unfall bereits herabgesetzten Erwerbsfähigkeit gehabt hätte. Die aus dem ersten Unfall herrührende Schädigung kann sich dabei ohne weiteres zu Lasten des Verantwortlichen für den zweiten Unfall auswirken, indem die Verletzung eines bereits teilinvaliden Menschen einen grösseren Schaden bewirkt als dieselbe Beeinträchtigung eines gesunden Menschen. Wer beispielsweise den Verlust des gesunden Auges eines Menschen, der bereits früher ein Auge verloren BGE 113 II 345 S. 348 hatte, zu verantworten hat, wird im Regelfalle in wesentlich höherem Masse ersatzpflichtig als derjenige, welcher einen gesunden Menschen entsprechend verletzt. Das ist die unausweichliche Folge der konkreten Schadensberechnung, bei der sich der Schaden nach den subjektiven, nicht nach den "normalen" oder durchschnittlichen Umständen bemisst (RUSCONI, Les principes sur la détermination de l'étendue des dommages-intérêts, in Die Verantwortlichkeit im Recht, Band 2, S. 537 ff., 553). Aus dem wirtschaftlichen Schadensbegriff des schweizerischen Rechts (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, I S. 53) folgt sodann, dass eine bei Teilinvalidität theoretisch verbleibende Erwerbsfähigkeit haftpflichtrechtlich unberücksichtigt bleiben muss, wenn sie wirtschaftlich nicht mehr nutzbar ist, der Geschädigte somit keine Möglichkeit mehr hat, mit der ihm aus medizinischer Sicht verbliebenen Erwerbsfähigkeit ein Einkommen zu realisieren (OFTINGER, a.a.O. S. 192 ff.; STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 3. Auflage, S. 36 f.; BREHM, N. 82 zu Art. 46 OR ; vgl. auch BGE 112 II 145 E. 5b). Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz war die Klägerin vor dem zweiten Unfall noch zu 30% arbeitsfähig und hätte diese Fähigkeit auch wirtschaftlich umgesetzt. Ebenso verbindlich hat die Vorinstanz sodann festgestellt, dass die Klägerin nach dem zweiten Unfall lediglich noch zu 15% arbeitsfähig ist, indessen keine Möglichkeit hat, diese geringe verbleibende Fähigkeit wirtschaftlich zu nutzen. Zu Recht hat das Appellationsgericht daraus den Schluss gezogen, die Beklagte sei für eine Gesamteinbusse von 30% der Erwerbsfähigkeit ersatzpflichtig. Die dagegen gerichteten Einwände der Beklagten sind somit unbegründet. b) Das hypothetische jährliche Bruttoeinkommen der Klägerin von Fr. 13'200.-- hat die Vorinstanz um die zu erwartenden Soziallasten von 15% oder rund Fr. 2'000.-- gekürzt, und anschliessend das Nettoeinkommen von jährlich Fr. 11'200.-- nach den Mortalitätstafeln von STAUFFER/SCHAETZLE (Tafel 30) kapitalisiert. Die Anwendung der Mortalitäts- anstelle der Aktivitätstafeln hat sie damit begründet, dass die Beklagte nicht den Brutto-, sondern bloss den Nettolohn der Klägerin zu ersetzen habe, dabei aber auch für die nach einer Pensionierung auszubezahlenden Leistungen einstehen müsse. Unter Berufung auf BGE 104 II 309 will die Beklagte demgegenüber die Aktivitätstafeln (Tafel 20 von STAUFFER/SCHAETZLE) zur Anwendung bringen. Einer künftigen BGE 113 II 345 S. 349 Rente geht die Klägerin ihrer Auffassung nach nicht verlustig, weil ihr Verdienst in jedem Falle unter dem vom BVG versicherten Minimum gelegen hätte. aa) Einigkeit besteht bei der Bestimmung des haftpflichtrechtlich relevanten Einkommens einmal darüber, dass der für die Erzielung des Einkommens erforderliche Aufwand, die sogenannten Gewinnungskosten, nicht ersatzfähig sind ( BGE 90 II 188 ; BREHM, Vorbemerkungen zu Art. 45 und 46 OR , N. 23). Dagegen hat die Praxis die auf dem zu ersetzenden Einkommen mutmasslich zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge in die Schadensberechnung miteinbezogen, da sie nicht Gewinnungskosten darstellen, sondern vorsorgliche Aufwendungen, dazu bestimmt, den Lebensunterhalt des Einkommensempfängers oder seiner Hinterlassenen für den Fall zu sichern, dass infolge von Unfall, Krankheit oder Alter der Arbeitsverdienst wegfällt ( BGE 90 II 188 ; BREHM, Vorbemerkungen zu Art. 45 und 46 OR , N. 24; STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O. S. 39). Zu ersetzen ist demnach das bloss um die Gewinnungskosten gekürzte Bruttoeinkommen. Wird kapitalisierter Schadenersatz geleistet, hat die Kapitalisierung im Regelfalle nach den Aktivitätstafeln zu erfolgen ( BGE 104 II 309 ). Entgegen diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz in die Schadensberechnung nur das reine Nettoeinkommen der Klägerin einbezogen, dafür dieses nach den Mortalitätstafeln kapitalisiert, um der Beeinträchtigung künftiger Sozialversicherungsleistungen durch den Unfall Rechnung zu tragen. Es ist zu prüfen, ob dieses Vorgehen bundesrechtskonform ist. Auszugehen ist vom Grundsatz, dass der Haftpflichtige für den gesamten kausalen Schaden einzustehen hat, mithin auch für eine Beeinträchtigung künftiger Sozialversicherungsleistungen (BREHM, Vorbemerkungen zu Art. 45 und 46 OR , N. 25; OFTINGER, a.a.O. S. 209; MERZ, Schweizerisches Privatrecht VI/1 S. 202). Nach der einen Auffassung soll diesem Schadenselement dadurch Rechnung getragen werden, dass bei Beeinträchtigung künftiger Renten der Erwerbsausfall nicht nach den Aktivitäts-, sondern nach den Mortalitätstafeln kapitalisiert wird (GUHL/MERZ/KUMMER, Das schweizerische Obligationenrecht, S. 71; wohl auch OFTINGER, a.a.O.), nach der andern Auffassung dadurch, dass in die Kapitalisierung nach den Aktivitätstafeln - sofern nicht konkrete besondere Umstände für die Anwendung einer andern Tafel sprechen - auch die Sozialversicherungsbeiträge einbezogen werden ( BGE 90 II 188 , BREHM, Vorbemerkungen zu Art. 45 und 46 OR , N. 24 f.). Dieser Auffassung BGE 113 II 345 S. 350 ist auch weiterhin der Vorzug zu geben, da die beeinträchtigte Rente im Regelfalle quantitativ nicht dem zu ersetzenden Erwerbsausfall entspricht und im allgemeinen auch nicht vollständig entfällt, sondern lediglich wegen Ausfalls künftiger Beiträge eine Herabsetzung erfährt. Allerdings ist dann zu beachten, dass richtigerweise in die Kapitalisierung nicht nur die Arbeitnehmer-, sondern auch die die Höhe des künftigen Rentenanspruches mitbeeinflussenden, zufolge Verlustes der Erwerbsfähigkeit aber entfallenden Arbeitgeberbeiträge einzubeziehen sind (BREHM, a.a.O.). bb) Die Vorinstanz hat bei der Klägerin eine zu ersetzende Rentenbeeinträchtigung festgestellt. Inwieweit darin überhaupt eine vom Bundesgericht überprüfbare Rechtsfrage liegt, kann offenbleiben, da auf die diesbezüglichen Einwände der Beklagten ohnehin nicht einzutreten ist. Nach den Feststellungen des Appellationsgerichtes hätte die Klägerin ohne den zweiten Unfall wiederum eine Tätigkeit als Checkbeamtin bei den PTT aufgenommen, hätten sich demnach die ihr allenfalls zustehenden Rentenleistungen aus solchen der AHV und der Eidgenössischen Versicherungskasse zusammengesetzt. Bei beiden aber ist das von der Beklagten angerufene BVG-Minimum ohne Bedeutung. Die Rüge der Bundesrechtswidrigkeit ist mithin nicht rechtsgenüglich begründet ( Art. 55 Abs. 1 lit. c OG ). cc) Nach den unangefochtenen und für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz beträgt der Lohnausfall der Klägerin ab 1. Februar 1987 jährlich brutto Fr. 13'200.--. Die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge belaufen sich auf jährlich je Fr. 2'000.--. Nach dem Gesagten ist mithin der Kapitalisierung ein Erwerbsausfall von Fr. 15'200.-- zugrunde zu legen. Kapitalisiert mit einem Faktor 17,63 nach Aktivitätstafel 20 von STAUFFER/SCHAETZLE (Alter 45, weiblich) ergibt sich ein haftpflichtrechtlich relevanter Schaden aus Erwerbsunfähigkeit - ohne Berücksichtigung der Kürzung aus Selbstverschulden - von rund Fr. 268'000.--. 2. Den Schaden, der der Klägerin durch die Beeinträchtigung in der Haushaltführung entstanden ist, hat die Vorinstanz auf monatlich Fr. 440.-- bestimmt. Bis zum Urteilstermin hat sie ihn konkret berechnet, und insoweit ist er von der Beklagten anerkannt worden. Für die Zukunft hat die Vorinstanz diesen Schaden kapitalisiert. Die Beklagte beanstandet zu Recht nicht, dass der Schaden aus Beeinträchtigung in der Haushaltführung sich nach den Aufwendungen BGE 113 II 345 S. 351 für eine nach üblichen Ansätzen zu entschädigende Haushalthilfe bemisst (vgl. BGE 108 II 439 E. d; ZEN-RUFFINEN, JdT 1983 I 194 ff., 195). Dagegen macht sie geltend, der Aufwand für eine Haushalthilfe sei ab Ende Februar 1981, bis zu welchem Datum sie für die entsprechenden Kosten aufgekommen sei, nicht mehr unfallbedingt. Im übrigen wendet sie sich gegen die Kapitalisierung des so ermittelten Betrages nach den Mortalitätstafeln. a) Soweit die Beklagte geltend macht, seit März 1981 hätte die Klägerin auch ohne den zweiten Unfall einer Haushalthilfe bedurft, wendet sie sich gegen den natürlichen Kausalzusammenhang. Dabei handelt es sich indessen um eine im Berufungsverfahren nicht überprüfbare Tatfrage ( BGE 101 II 73 E. 3). Die Adäquanz des Kausalzusammenhanges wird zu Recht nicht in Frage gestellt. b) Ab Urteilszeitpunkt hat die Vorinstanz die Entschädigung nach Mortalität kapitalisiert. Nach Auffassung der Beklagten hätte die Kapitalisierung aufgrund einer befristeten Zeitrente erfolgen müssen, da die Klägerin ohnehin ihres angeschlagenen Gesundheitszustandes wegen über kurz oder lang eine Haushalthilfe benötigt hätte. Soweit die Beklagte damit zusätzliche Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. zur Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles, anbringt, ist auf die Berufung nicht einzutreten ( Art. 63 Abs. 2 OG ). Zu prüfen ist indessen auch hier, ob die Vorinstanz sich bei der von ihr gewählten Kapitalisierungsmethode von richtigen Grundsätzen der Schadensberechnung hat leiten lassen. Auch wenn sie einer Berücksichtigung besonderer Umstände, welche für eine überdurchschnittliche Dauer der Arbeitsfähigkeit sprechen, grundsätzlich befürworten, gehen STAUFFER/SCHAETZLE offenbar doch davon aus, die Entschädigung für Beeinträchtigungen in der Haushaltführung sei nach Aktivität zu kapitalisieren (a.a.O. S. 131 ff. sowie S. 161 Beispiel 19 und S. 404 Beispiel 78). Gleicher Auffassung ist SZÖLLÖSY (a.a.O. S. 270), wogegen BUSSY (Festschrift Assista, S. 171) eine Kapitalisierung nach Mortalität befürwortet. Das Bundesgericht hat vorerst nach Aktivität kapitalisiert ( BGE 102 II 95 ), im Falle Blein ( BGE 108 II 441 ) dagegen die Frage aufgeworfen, ob angesichts der notorischen Tatsache, dass Ehefrauen regelmässig über die statistische Aktivität hinaus die Haushaltführung besorgen, nicht ein arithmetisches oder gewichtetes Mittel zwischen Aktivität und Mortalität angewandt werden sollte. Diese differenzierte Betrachtungsweise ist von ZEN-RUFFINEN BGE 113 II 345 S. 352 (a.a.O. S. 200) begrüsst, von GRAF/SZÖLLÖSY (SJZ 81/1985 S. 225 ff.) und BREHM (Vorbemerkungen zu Art. 45 und 46 OR , NN. 41, 45 und 47 sowie N. 119 f. zu Art. 46 OR ) kritisiert worden. Gegen die im Entscheid Blein vertretene Auffassung wird einmal eingewendet, sie trage der Tatsache nicht Rechnung, dass die Aktivitätstafeln bereits auf der Annahme beruhten, noch verhältnismässig viele Frauen seien auch in höherem Alter fähig, im Haushalt mitzuarbeiten (BREHM, N. 119 zu Art. 46 OR ). An diesem Einwand ist richtig, dass die gegenwärtig angewendeten Aktivitätstafeln verglichen mit den Mortalitätstafeln lediglich dem früheren Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess zufolge Invalidität, nicht aber zufolge Rücktrittes Rechnung tragen, was auch dem Bundesgericht nicht entgangen ist (Urteil vom 22. Mai 1984 i.S. Secura, E. 3c, in BGE 110 II 423 ff. nicht publiziert). Übersehen wird dagegen, dass erfahrungsgemäss die Aktivitätsdauer im Haushalt von derjenigen ausser Hauses wesentlich abweicht. Berufstätige Frauen führen den Haushalt - abgesehen vom Falle der Totalinvalidität - regelmässig auch fort, wenn sie die Erwerbstätigkeit aufgegeben haben. Es gilt daher, dem Unterschied zwischen Haushaltführung und Erwerbstätigkeit auch haftpflichtrechtlich Rechnung zu tragen. Besteht aber keine Veranlassung, bei der Kapitalisierung des Erwerbsausfalls von den Aktivitätstafeln abzuweichen (Urteil i.S. Secura vgt.), ist im Gegenzuge der verlängerten Aktivität der Hausfrau mit einem erhöhten Kapitalisierungsfaktor Rechnung zu tragen. Ein Mittelwert zwischen Aktivität und Mortalität entspricht dieser Zielsetzung am besten, ohne dass damit eine verpönte Zeitrente über die mittlere Aktivitätsdauer hinaus in Anschlag gebracht würde (vgl. STAUFFER/SCHAETZLE, a.a.O. S. 194). Dieser Betrachtungsweise wird entgegengehalten, sie beeinträchtige die Rechtssicherheit, da sie zu einer Kategorienbildung im Bereiche der Arbeitstätigkeiten führe. Eine solche Kategorienbildung lehnt auch die Praxis zu Recht ab (Urteil i.S. Secura vgt.). Die Tätigkeit der Hausfrau in Ehe und Familie ist nun aber keine Berufstätigkeit im herkömmlichen Sinne. Es geht nicht darum, verschiedene Kategorien von Berufstätigen zu bilden, sondern dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Haushaltführung auch in ihrer Dauer anderen Gesetzmässigkeiten folgt als die reine Erwerbstätigkeit. Es rechtfertigt sich deshalb, die Haushaltführung auch haftpflichtrechtlich von der Berufstätigkeit abzugrenzen, mithin Ungleichem nach Massgabe seiner Ungleichheit Rechnung zu tragen. Dagegen dringt auch der Einwand nicht BGE 113 II 345 S. 353 durch, der Geschädigte werde bereits durch die Aktivitätstafeln bevorzugt (BREHM, N. 120 zu Art. 46 OR ). Diesem Umstand wäre durch eine Anpassung der Aktivitätstafeln, nicht durch die Gleichstellung zweier ungleicher Tatbestände zu begegnen. Immerhin kann den Kritiken an der bundesgerichtlichen Auffassung dadurch Rechnung getragen werden, dass bei der Kapitalisierung der Hausfrauenentschädigung das arithmetische und nicht ein gewogenes Mittel zwischen Aktivität und Mortalität zur Anwendung gebracht wird. Das trägt dazu bei, einen unrealistischen Begriff der Aktivität zu vermeiden. c) Der von der Vorinstanz konkret berechnete Schaden bis zum Urteilstag von Fr. 31'680.-- ist zu bestätigen. Demgegenüber ist die Kapitalisierung ab dem Urteilstag nicht mit dem Faktor 20,33 (Tafel 30), sondern mit dem Faktor 18,98 (arithmetisches Mittel der Faktoren aus Tafel 30 und Tafel 20, je Alter 45, weiblich) vorzunehmen, was einen künftigen Schaden von Fr. 100'220.-- ergibt. Der Gesamtschaden der Klägerin unter diesem Titel beläuft sich damit auf Fr. 131'900.--, das sind Fr. 7'130.-- weniger als die Vorinstanz zugesprochen hat.
de
10c8c44a-c9da-4adf-82cd-db6f2efc3f0a
Sachverhalt ab Seite 163 BGE 104 V 162 S. 163 A.- P. sprang am 24. März 1969 aus dem Fenster seiner im zweiten Stock eines Mietshauses gelegenen Wohnung. Er zog sich dabei eine doppelseitige Calcaneus-Trümmerfraktur zu. Im Bezirksspital, wo er zuerst behandelt wurde, stellte man fest, dass er chronischer Äthyliker war. Nach Verordnung einer Antabuskur wurde er am 29. März 1969 in eine psychiatrische Klinik verlegt. Der dortige Oberarzt stellte folgende Diagnose: "Alkoholhalluzinose bei chronischem Alkoholismus und haltloser Psychopathie. Der Unfall ist auf diese Alkoholhalluzinose zurückzuführen." Auf Grund dieser Feststellung legte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) dem Versicherten folgenden Vergleichsentwurf vor: "1. Herr P. und die Fürsorgekommission A. sind über die Gründe, die im Nichtbetriebsunfall vom 24. März 1969 zu diesem Vergleich geführt haben, eingehend orientiert worden. 2. Die Anstalt erklärt sich demnach vergleichsweise zu folgenden Leistungen bereit: 2.1. Sie übernimmt die Heilungskosten (einschliesslich den Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik). 2.2. Sie gewährt die halben Geldleistungen (Krankengeld und allfällige Invalidenrente). 3. Damit sind die Parteien auseinandergesetzt. Herr P. verzichtet auf weitergehende Leistungen." Der Vergleich wurde mit dem Datum des 30. Oktober 1969 versehen und von P. im Bezirksspital unterzeichnet. Am 7. November 1969 wurde der Versicherte wegen eines akuten schizophrenen Schubes wieder in die psychiatrische Klinik eingeliefert. Mit Schreiben vom 30. August 1971 stellte die SUVA die Leistungen für Heilungskosten und Krankengeld ein. In einer zweiten Verfügung vom 27. Oktober 1971 gewährte sie dem BGE 104 V 162 S. 164 Versicherten ab 1. September 1971 eine Rente wegen 50prozentiger Erwerbsunfähigkeit. Auf Grund des Vergleiches vom 30. Oktober 1969 wurde die Leistung um die Hälfte gekürzt und betrug damit noch Fr. 255.- monatlich. Die Verfügungen waren dem damaligen Vormund des Versicherten, Fürsorger K., zugestellt worden und blieben unangefochten. Am 26. November 1973 übernahm ein Bruder des Versicherten dessen Vormundschaft. Ihm stellte die SUVA am 4. Februar 1974 eine Revisionsverfügung zu, womit die Rente wegen Verminderung der Invalidität auf Fr. 153.- herabgesetzt wurde. Dies entspricht einer Erwerbsunfähigkeit von 30%. Der neue Vormund ging mit dieser Verfügung nicht einig und verlangte mit Schreiben vom 18. Februar 1974 deren Wiedererwägung. In einem weiteren Schreiben nahm er Stellung zum Vergleich vom 30. Oktober 1969. Er bezeichnete diesen als rechtsmissbräuchlich und verlangte dessen Aufhebung oder eine beschwerdefähige Verfügung zu diesem Gegenstand. Letztere erliess die SUVA am 29. Mai 1974. Dabei hielt sie dem Sinne nach vollumfänglich sowohl am seinerzeitigen Vergleich als auch an der Rentenrevision fest. B.- In der Folge reichte der Vormund für sein Mündel beim Versicherungsgericht des Kantons Bern zwei "Klagen" ein, die sich gegen den Revisionsentscheid der SUVA vom 4. Februar 1974 und gegen den Vergleich vom 30. Oktober 1969 richteten. Das Versicherungsgericht betrachtete die Beschwerde als gegen die Verfügungen vom 4. Februar 1974 und 29. Mai 1974 gerichtet und wies sie mit Entscheid vom 18. Dezember 1975 ab. C.- Der Versicherte lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und die Ausrichtung der ungekürzten gesetzlichen Leistungen sowie die Aufhebung der Revisionsverfügung vom 4. Februar 1974 beantragen. Es gehe nicht an, die Verfügung vom 27. Oktober 1971 als Bestätigung des Vergleiches anzusehen. Diese stelle nur eine Rentenverfügung dar, der die Kürzung zwar zugrunde gelegt werde, worin diese aber nicht begründet werde. Da die Verfügung vom 29. Mai 1974 fristgerecht angefochten worden sei, müsse auch der Bestand der Kürzungsverfügung materiell überprüft werden. Die SUVA beantragt die Abweisung der Beschwerde. BGE 104 V 162 S. 165 Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. Im Mittelpunkt des Prozesses steht die Frage der Anfechtbarkeit des am 30. Oktober 1969 abgeschlossenen Vergleichs. Am 6. Mai 1974 hat der Vormund des Versicherten verlangt, dass jener Vergleich aufgehoben oder durch eine "klagefähige" Verfügung ersetzt werde. Die SUVA weigerte sich aber am 29. Mai 1974 verfügungsmässig, auf den Vergleich zurückzukommen. In EVGE 1969 S. 21 hat das Gericht erklärt, dass die Verwaltungsorgane, welche das Sozialversicherungsrecht des Bundes anwenden, die öffentlich-rechtliche Kompetenz haben, "über die Rechte und Pflichten zu verfügen". Zwar sei es ihnen nicht verwehrt, im Rahmen des Legalitätsprinzips sich im Einzelfall mit den Versicherten zu verständigen. Es sei aber erforderlich, dass die Verwaltung die aus der Verständigung resultierende Vereinbarung in Verfügungsform bestätige, so dass der Versicherte die notwendige Bedenkzeit erhalte. Nach Ablauf der Beschwerdefrist wisse die Verwaltung, ob es bei der getroffenen Lösung bleibe oder ob der Richter darüber zu befinden habe. Diese Argumentation bedarf in zweifacher Hinsicht der Präzisierung. Eine Verfügung lässt sich nicht durch einen Vergleich ersetzen. Durch einen von einem Verwaltungsorgan abgeschlossenen Vergleich werden lediglich übereinstimmende Parteimeinungen festgestellt. Entschieden werden muss durch Verfügung. Der Entscheid durch Verfügung hat losgelöst vom Vergleich zu erfolgen. Die Verfügung ist nicht blosse Bestätigung des Vergleichs in der für Verfügungen vorgeschriebenen Form, sondern ein eigenständiger Verwaltungsakt, mit dem über öffentlich-rechtliche, der Privatwillkür und damit der Parteivereinbarung entzogene Ansprüche entschieden wird. Will also die Verwaltung solche Rechte oder Pflichten von Versicherten in verbindlicher Weise festhalten, so hat sie dies in Form einer Verfügung zu tun. Somit ist die auf einen Vergleich folgende Verfügung nicht bloss zum prozessualen Schutz des Versicherten notwendig, wie aus dem zitierten Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts geschlossen werden könnte. 2. Die SUVA ist der Auffassung, am 27. Oktober 1971 habe sie den Vergleich vom 30. Oktober 1969 in Verfügungsform bestätigt. Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, dass diese Verfügung den Formerfordernissen des BGE 104 V 162 S. 166 Art. 35 Abs. 1 VwVG nicht genüge. Nach dieser Vorschrift müsse die Verfügung begründet werden. Dies sei bei der Verfügung vom 27. Oktober 1971 nur in bezug auf die Zusprechung der Rente geschehen; deren Kürzung sei aber nicht begründet worden. Somit entfalte sie auch keine Rechtswirkungen. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die Kürzung der Rente in der Verfügung vom 27. Oktober 1971 erfolgte "gemäss Vergleich vom 30. Oktober 1969". Da der Vergleich das Ergebnis eines beidseitigen Entgegenkommens war, liessen sich die Beweggründe hierfür kaum in einer Verfügung einzeln aufführen. Der Hinweis auf den Vergleich genügte, da dieser und die Gründe, die zu seinem Abschluss geführt hatten, dem Beschwerdeführer und seinem damaligen Vormund hinreichend bekannt waren. Im übrigen schreibt Art. 35 Abs. 1 VwVG nicht vor, was die Begründung zu enthalten hat. Es genügt, die Grundlage der Verfügung anzugeben. Dies war im vorliegenden Fall der Vergleich vom 30. Oktober 1969. Daraus ergibt sich, dass die Verfügung vom 27. Oktober 1971 formell nicht zu beanstanden ist und auch hinsichtlich der Eröffnung den Anforderungen des Art. 35 VwVG genügt. Richtig ist allerdings, dass diese Verfügung nur die Rentenfestsetzung sowie die Rentenkürzung und nicht auch das ebenfalls im Vergleich erwähnte Krankengeld betraf. Bezüglich der Rente ist sie aber seinerzeit unangefochten geblieben und daher in Rechtskraft erwachsen. 3. Bezüglich der Krankengeldansprüche des Beschwerdeführers ist folgendes zu beachten: Diese Ansprüche bildeten - wie gesagt - ebenfalls Gegenstand des Vergleichs vom 30. Oktober 1969, doch wurden sie nicht in Verfügungsform festgehalten. Am 6. Mai 1974 verlangte dann allerdings der neu ernannte Vormund des Versicherten eine entsprechende beschwerdefähige Verfügung oder aber die Aufhebung des Vergleichs, worauf die SUVA am 29. Mai 1974 verfügte, dass sie auf den Vergleich nicht zurückkomme. Damit stellt sich die Frage, ob die SUVA im Jahre 1974 verpflichtet gewesen wäre, die verlangte Verfügung über den Krankengeldanspruch noch zu erlassen, um damit dem Vormund die Möglichkeit zu geben, sie gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. a Vo II über die Unfallversicherung innerhalb von 6 Monaten beschwerdeweise anzufechten. Diese Frage ist zu verneinen, wie nachstehend darzutun sein wird. BGE 104 V 162 S. 167 Art. 107 Abs. 3 OG und Art. 38 VwVG schreiben vor, dass den Parteien aus mangelhafter Eröffnung einer Verfügung kein Nachteil erwachsen darf. Daraus hat das Eidg. Versicherungsgericht geschlossen, dass nicht jede mangelhafte Eröffnung, insbesondere auch nicht die Eröffnung ohne Rechtsmittelbelehrung oder mit falscher Rechtsmittelbelehrung, schlechthin nichtig ist mit der Konsequenz, dass die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnen könnte. Vielmehr sei dem beabsichtigten Rechtsschutz schon dann Genüge getan, wenn eine objektiv mangelhafte Eröffnung trotz ihres Mangels ihren Zweck erreiche. Somit müsse nach den konkreten Umständen des Einzelfalles geprüft werden, ob die betroffene Partei durch den gerügten Eröffnungsmangel tatsächlich irregeführt und dadurch benachteiligt worden sei. Das Gericht hat aber nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Richtschnur für die Beurteilung dieser Frage der Grundsatz von Treu und Glauben sei, an welchem die Berufung auf Formmängel in jedem Fall ihre Grenze finde ( BGE 98 V 278 ). Im nicht veröffentlichten Urteil vom 8. Februar 1977 i.S. Rey hat es insbesondere erklärt, es lasse sich mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht vereinbaren, dass ein Verwaltungsakt wegen mangelhafter Rechtsmittelbelehrung jederzeit an den Richter weitergezogen werden könne. Ein solcher Verwaltungsakt müsse innerhalb einer vernünftigen Frist in Frage gestellt werden. Dies gilt sinngemäss in Fällen wie dem vorliegenden. Ein Versicherter, der feststellt, dass die Verwaltung zu Unrecht nicht in Verfügungsform über den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Anspruch befunden hat, kann nicht jederzeit den nachträglichen Erlass eines solchen anfechtbaren Verwaltungsaktes verlangen, um ihn dann beschwerdeweise an den Richter weiterzuziehen. Dies hat vielmehr innerhalb einer zeitlichen Befristung zu geschehen, die nach den konkreten Umständen als vernünftig erscheint und gleichzeitig den Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Rechnung trägt. Die SUVA richtete seit Frühjahr 1969 das gekürzte Krankengeld aus. Den Akten ist ferner zu entnehmen, dass P. seit November 1970 bevormundet ist. Sein erster Vormund unterrichtete am 14. Mai 1971 die Krankenkasse von der erwähnten Krankengeldkürzung. Am 30. August 1971 teilte die SUVA BGE 104 V 162 S. 168 dem Vormund mit, dass die Krankengeld- und Heilungskostenleistungen mit dem folgenden Tag eingestellt würden und dass sie das bis dahin noch geschuldete Krankengeld der Vormundschaftsbehörde A. überweisen werde. Diese Zahlungen und Mitteilungen wurden von der Vormundschaftsbehörde und vom Vormund, welche ja die Interessen des Versicherten zu wahren hatten, widerspruchslos entgegengenommen, obschon sie die Möglichkeit gehabt hätten, die Leistungskürzung anzufechten bzw. anfechten zu lassen. Da sie dies unterlassen haben, obwohl die Vormundschaftsbehörde bereits seit dem 20. November 1969 von der Krankengeldkürzung Kenntnis hatte, verstösst es gegen Treu und Glauben, wenn der im November 1973 neu bestellte Vormund am 6. Mai 1974 eine beschwerdefähige Verfügung verlangte über die fast 5 Jahre früher mit Wissen der Vormundschaftsbehörde vereinbarte Kürzung des Krankengeldes, das zudem bereits im Sommer 1971 eingestellt worden war.
de
993e9f14-5a55-44b4-b505-458a6cb743d7
Sachverhalt ab Seite 355 BGE 125 V 355 S. 355 A.- L. bezog während einer ersten Rahmenfrist für den Leistungsbezug ab 9. Februar 1996 Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Vom 15. August 1996 bis 30. April 1997 war sie im Lehrverhältnis beim Hotel D. AG erwerbstätig. Hernach bezog sie wiederum Taggelder. Mit Verfügung vom 27. März 1998 lehnte die Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab Beginn der am 9. Februar 1998 eröffneten zweiten Rahmenfrist ab, weil L. die Mindestbeitragszeit von 12 Monaten mit 8,607 Beitragsmonaten einer beitragspflichtigen Beschäftigung nicht erfülle. B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess die Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung mit Entscheid vom 9. September 1998 gut und wies die Arbeitslosenkasse an, die Ansprüche auf Arbeitslosenentschädigung der Beschwerdeführerin zu erfüllen, soweit auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Ferner verpflichtete sie die BGE 125 V 355 S. 356 Arbeitslosenkasse, dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin an seine Aufwendungen Fr. 750.-- zu leisten. C.- Das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (ab 1. Juli 1999: Staatssekretariat für Wirtschaft [seco]) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. L. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Die Arbeitslosenkasse beantragt die Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. a) Nach Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG hat Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wer die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist. Die Beitragszeit hat laut Art. 13 Abs. 1 AVIG erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist für die Beitragszeit ( Art. 9 Abs. 3 AVIG ) während mindestens sechs Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Satz 1). Wird ein Versicherter innert dreier Jahre nach Ablauf der Rahmenfrist für den Leistungsbezug erneut arbeitslos, so muss er eine Mindestbeitragszeit von zwölf Monaten aufweisen (Satz 2, in Kraft seit 1. Januar 1998). Laut Art. 13 Abs. 2quater AVIG gelten nicht als Beitragszeit im Sinne dieses Gesetzes beitragspflichtige Beschäftigungen, die im Rahmen einer durch die Arbeitslosenversicherung finanzierten vorübergehenden Beschäftigung ausgeübt worden sind (in Kraft seit 1. Januar 1997). b) Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen ausgelegt werden. Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein nicht entscheidend. Anderseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers aufzuzeigen, welche wiederum zusammen mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur des Richters bleibt, auch wenn er das Gesetz mittels teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung veränderten Umständen anpasst oder es ergänzt ( BGE 123 V 301 Erw. 6a mit Hinweisen). 2. Nach Auffassung des kantonalen Gerichts spricht der Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 Satz 2 AVIG ("Wird ein Versicherter ... erneut arbeitslos ...") unmissverständlich von erneutem Eintritt in die Arbeitslosigkeit. BGE 125 V 355 S. 357 Logischerweise könne nur derjenige Versicherte erneut von Stellenlosigkeit betroffen werden, der diese zuvor überwunden habe. Ansonsten war und bleibe er arbeitslos. Die fragliche Gesetzesbestimmung impliziere ganz offensichtlich, dass der Versicherte innert dreier Jahre nach Beendigung der vormals laufenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug eine unter erhöhte Anforderungen gestellte "Probezeit/Bewährungsprobe" zu durchlaufen habe. Bewähren könne sich aber begriffsnotwendig nur derjenige, der das belastende Ereignis überwinden konnte. Hinter der Verschärfung der Beitragszeit von 6 auf 12 Monate für die zweite Rahmenfrist für den Leistungsbezug stehe die Überlegung, dass ein Versicherter, der sich in der ersten durch Erwerbsersatz oder Lohn aus Beschäftigungsprogramm mit Hilfe der angebotenen arbeitsmarktlichen Massnahmen den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes anpassen konnte, durchaus Gelegenheit haben sollte, eine Beschäftigung von mindestens 12 Monaten zu finden. Der Gesetzgeber habe bei der Formulierung von Art. 13 Abs. 1 Satz 2 AVIG bewusst darauf verzichtet, die bei Ablauf der vormaligen Rahmenfrist nach wie vor von Arbeitslosigkeit betroffenen Versicherten den erhöhten Anforderungen hinsichtlich der Beitragszeit zu unterwerfen. 3. Die Betrachtungsweise der Vorinstanz verkennt Sinn und Zweck der Rahmenfristen, den Begriff des Arbeitslosen im Sinne von Art. 10 Abs. 3 AVIG und die mit der verschärften Beitragszeit von 12 Monaten verfolgte gesetzgeberische Absicht. a) Die Bedeutung des Aufeinanderfolgens von Rahmenfristen liegt u.a. darin, dass ein neuer Leistungsbeginn eröffnet wird und damit einhergehend eine Neuüberprüfung aller Anspruchsvoraussetzungen stattfindet. Nicht nur muss sich der Versicherte wieder auf dem Arbeitsamt melden, worauf der Stichtag festgelegt wird, sondern die Anspruchsvoraussetzung der Beitragszeit ist wiederum zu erfüllen (NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 98). Dabei gilt als arbeitslos im Sinne des Gesetzes lediglich diejenige Person, die sich beim Arbeitsamt ihres Wohnorts zur Arbeitsvermittlung gemeldet hat ( Art. 10 Abs. 3 AVIG ), weshalb nach Ablauf der Rahmenfrist für den Leistungsbezug wiederum eine Anmeldung zum Leistungsbezug erforderlich ist (vgl. auch Art. 9 Abs. 4 AVIG : "...beansprucht der Versicherte wieder Leistungen ..."). Aus diesem Erfordernis der neuen Anmeldung für eine wiederholte Rahmenfrist ergibt sich, dass nach der gesetzlichen Konzeption auch eine Person, die nach Ablauf der ersten Rahmenfrist weiterhin arbeitslos ist, als erneut arbeitslos zu BGE 125 V 355 S. 358 betrachten ist. Insoweit erfasst der Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 Satz 2 AVIG ("Wird ein Versicherter ...erneut arbeitslos"; "l'assuré qui se retrouve au chômage..."; "l'assicurato che, ..., ridiviene disoccupato..") auch eine ununterbrochen arbeitslose Person, die sich nach Ablauf der Rahmenfrist wiederum zum Leistungsbezug anmeldet. b) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz liegt der Verschärfung der Mindestbeitragszeit auf 12 Monate in einer wiederholten Rahmenfrist nicht der Gedanke der Bewährung zu Grunde. Durch den Ausbau der arbeitsmarktlichen Massnahmen im Rahmen der zweiten Teilrevision des AVIG von 1995 beabsichtigte der Gesetzgeber vielmehr die rasche und dauerhafte Wiedereingliederung der arbeitslosen Personen in den Arbeitsprozess (GERHARDS, Grundriss des neuen Arbeitslosenversicherungsrechts, S. 155; NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 533). Er ging dabei davon aus, mit Hilfe der angebotenen arbeitsmarktlichen Massnahmen sei der Leistungsbezüger in der Lage, sich den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes anzupassen und genügend rasch wieder eine Dauerstelle zu finden (GERHARDS, a.a.O., S. 73 Rz. 11, S. 110). Gleichzeitig dehnte er die Höchstzahl der Taggelder auf 520 aus ( Art. 27 AVIG ). Diese Neukonzeption verband er mit einer quantitativen Verschärfung der Mindestbeitragszeit für eine Folgerahmenfrist, sofern sich eine arbeitslose Person innerhalb von drei Jahren seit Ablauf der Rahmenfrist erneut zum Leistungsbezug meldet ( Art. 13 Abs. 1 Satz 2 AVIG ). Damit verfolgte er das Ziel, die schnelle Rückkehr der Ausgesteuerten ins System der Arbeitslosenversicherung zu verhindern und die Leistungen der Arbeitslosenversicherung auf zwei Jahre zu beschränken (NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 165 und 559). Zu diesem Zwecke legte er überdies fest, dass mit der Teilnahme an von der Arbeitslosenversicherung finanzierten Beschäftigungsprogrammen keine Beitragszeiten erworben werden können ( Art. 13 Abs. 2quater AVIG ). Mit beiden Massnahmen wollte er die Leistungen der Arbeitslosenversicherung auf zwei Jahre limitieren und für die anschliessende Zeitspanne Kantone und Gemeinden (Arbeitslosen- und Sozialhilfe) in Pflicht nehmen (Amtl.Bull. 1995 N 1118 [Berichterstatter David] und 1995 S 622 [Berichterstatterin Beerli]; vgl. dazu auch NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 165 und 559). Nach der Absicht des Gesetzgebers sollten mithin gerade bei Langzeitarbeitslosen die Leistungen auf zwei Jahre begrenzt sein und der Kreislauf eines in der neuen Rahmenfrist fortdauernden Leistungsbezugs unterbrochen werden (vgl. dazu die Voten im Parlament, die in diesem BGE 125 V 355 S. 359 Zusammenhang von "circulus vitiosus", "cercle diabolique" und "perpetuum mobile" sprachen, Amtl.Bull. 1994 N 1567 f. [Berichterstatter David und Couchepin, Bundesrat Delamuraz], Amtl.Bull. 1995 S 94 [Berichterstatterin Beerli]). Namentlich wurden auch Anträge, dass Personen über 55 Jahre in der zweiten Rahmenfrist wenigstens 85 Taggelder mit der Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen erwerben können, von beiden Kammern abgelehnt (Amtl.Bull. 1994 N 1569, 1995 N 1120, 1995 S 94 [zuerst Zustimmung] und 623). Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf zwei Jahre kommt schliesslich auch im Leistungsausschluss des Art. 60 Abs. 4 letzter Satz AVIG zum Ausdruck, wonach Personen, die ihren Anspruch auf normale und besondere Taggelder ( Art. 7 Abs. 2 lit. a und b AVIG ) ausgeschöpft haben, nicht einmal mehr Leistungen für Kursbesuche nach Art. 61 Abs. 3 AVIG beanspruchen können. Dieser mit der Verschärfung der Mindestbeitragszeit und der Neukonzeption der arbeitsmarktlichen Massnahmen verbundenen gesetzgeberischen Absicht läuft die Auffassung der Vorinstanz diametral zuwider. In erster Linie hatte der Gesetzgeber mit der verschärften Mindestbeitragszeit diejenigen Versicherten im Auge, die im Zeitpunkt des Ablaufs der Rahmenfrist trotz arbeitsmarktlichen Massnahmen immer noch arbeitslos waren und in diesem Zeitpunkt in keinem Arbeitsverhältnis standen. Es ist denn auch kein Grund ersichtlich, inwiefern diese Versicherten anders behandelt werden sollten als frühere Leistungsbezüger, die wieder eine Stelle gefunden hatten und bei Ablauf der Rahmenfrist eine unselbstständige Erwerbstätigkeit ausübten, später aber wieder arbeitslos wurden. c) Aus dem Gesagten folgt, dass die Beschwerdegegnerin nur dann Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hätte, wenn sie zu Beginn der zweiten Rahmenfrist am 9. Februar 1998 sich über eine beitragspflichtige Beschäftigung von mindestens einem Jahr in der Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 9. Februar 1996 bis 8. Februar 1998 ausweisen könnte, was unbestrittenermassen nicht der Fall ist. Sollte sie im offenbar derzeit laufenden arbeitsgerichtlichen Prozess gegen die frühere Arbeitgeberin und Lehrmeisterin noch zusätzliche Lohnforderungen durchsetzen können, die zu insgesamt einer Beitragszeit von mindestens einem Jahr führen, so steht es ihr frei, sich mit einem Revisionsgesuch an die zuständige Instanz zu wenden. Entgegen ihrer Auffassung liegt in der auf den 1. Januar 1998 in Kraft gesetzten Verschärfung der Mindestbeitragsdauer schon deswegen keine unzulässige Rückwirkung (vgl. auch BGE 112 V 220 ), weil sie erst verzögert BGE 125 V 355 S. 360 auf einen Zeitpunkt nach dem allgemeinen Inkrafttreten der zweiten Teilrevision des AVIG auf den 1. Januar 1996/1. Januar 1997 erfolgt ist. 4. (Unentgeltliche Verbeiständung)
de
3be30df1-4fbf-4954-9c8f-ef39fdf8d870
Sachverhalt ab Seite 24 BGE 121 IV 23 S. 24 Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz verurteilte X. am 3. Mai 1994 zweitinstanzlich wegen qualifizierter Veruntreuung, Urkundenfälschung im Amt, Amtsmissbrauchs und Betrugs zu 24 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 3 Tagen. Eine von X. dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. a) Der Beschwerdeführer amtete als Notar und Grundbuchverwalter des Kreises Y. In zwei Fällen leitete er dem Notariat zuhanden des Bezirks Y. überwiesene Handänderungssteuern im Betrage von Fr. 3'000.-- bzw. Fr. 23'500.-- nicht bzw. erst auf Reklamation hin an den Bezirk weiter. In den entsprechenden Handänderungsanzeigen erklärte er gegenüber dem Bezirk jeweils wahrheitswidrig, es sei infolge Steuerbefreiung keine Handänderungssteuer bezahlt worden. Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer in diesem Anklagepunkt wegen Veruntreuung. Der Beschwerdeführer wendet ein, er habe sich das Geld nicht angeeignet. Eine Aneignung wäre nur zu bejahen, wenn er die Steuereinnahmen, anstatt sie auf dem Notariat zu belassen, in seine Tasche hätte fliessen lassen. Das habe er nicht getan. Selbst wenn er den Willen gehabt hätte, die Gelder zu behalten, hätte er diesen nicht betätigt. b) Gemäss Art. 140 Ziff. 1 StGB in seiner vor dem 1. Januar 1995 geltenden alten Fassung (im wesentlichen identisch mit Art. 138 Ziff. 1 StGB n.F.) ist wegen Veruntreuung strafbar, wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern (Abs. 1), oder wer anvertrautes Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet (Abs. 2). Bei den auf das Notariatskonto überwiesenen Steuerbeträgen handelt es sich um Buchgeld, also um unkörperliche Werte. Damit geht es hier um die BGE 121 IV 23 S. 25 Tatbestandsvariante nach Abs. 2 ( BGE 118 IV 32 E. 2a mit Hinweisen). Da das Tatbestandsmerkmal des Anvertrautseins unstrittig gegeben ist, ist entscheidend, ob der Beschwerdeführer das auf das Notariatskonto überwiesene Geld unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet hat. c) Im eigentlichen Veruntreuungstatbestand nach Abs. 1 besteht die Tathandlung in der Aneignung. Aneignung setzt voraus, dass der Täter einerseits den Willen auf dauernde Enteignung des Eigentümers und anderseits den Willen auf zumindest vorübergehende Zueignung der Sache an sich selbst hat. Dabei genügt es aber nicht, dass der Täter den Aneignungswillen hat, er muss ihn vielmehr auch betätigen; denn strafbar ist niemals der Wille als solcher, sondern immer nur ein bestimmt geartetes Verhalten ( BGE 118 IV 148 E. 2a mit Hinweisen). Eine Aneignung wird in der Literatur unter anderem bei Leugnen des Besitzes angenommen (SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 2. Band, Art. 141 N. 5; NOLL, ZStrR 71/1956, S. 164). Die Auslegung der Tathandlung der unrechtmässigen Verwendung anvertrauten Gutes nach Abs. 2 hat sich an diese Überlegungen anzulehnen (SCHUBARTH, a.a.O., Art. 140 N. 46). Abs. 2 schützt nicht das Eigentum, sondern den dem Treugeber aus der Übereignung an den Treuhänder entstandenen obligatorischen Anspruch. Entsprechend besteht die tatbestandsmässige Handlung nach Abs. 2 in einem Verhalten des Täters, durch welches er eindeutig seinen Willen bekundet, den obligatorischen Anspruch des Treugebers zu vereiteln (REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 6. Aufl., S. 97; REHBERG, ZStrR 92/1976, S. 38 f.; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl., § 13 N. 58). In BGE 98 IV 29 bejahte das Bundesgericht die unrechtmässige Verwendung in einem Fall, wo der Täter den Treugeber über einen Zahlungseingang nicht unterrichtete und die Zahlung abmachungswidrig seiner Aktiengesellschaft überliess (E. 1c). Im Schrifttum wird ebenfalls angenommen, die Tathandlung von Abs. 2 sei erfüllt, wenn der Täter ein Inkasso verheimlicht (vgl. NOLL, a.a.O.; SCHULTZ, ZBJV 109/1973, S. 417; REHBERG/SCHMID, a.a.O.; REHBERG, a.a.O., S. 39; STRATENWERTH, a.a.O.; SCHUBARTH, a.a.O., Art. 140 N. 47; LUKAS SCHAUB, Die unrechtmässige Verwendung anvertrauten Gutes, Basel 1979, S. 127). d) Die Handänderungssteuern wurden hier auf das Notariatskonto einbezahlt, damit sie der Beschwerdeführer an den Bezirk weiterleite. Der Beschwerdeführer unterrichtete den Bezirk über die Zahlungseingänge jedoch BGE 121 IV 23 S. 26 nicht. Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt ( Art. 277bis Abs. 1 BStP ), hatte der Beschwerdeführer den Willen, dem Bezirk die Einnahme der Handänderungssteuern zu verheimlichen. Diesen Willen hat er auch betätigt. In den beiden Handänderungsanzeigen erklärte er gegenüber dem Bezirk wahrheitswidrig, es seien infolge Steuerbefreiung keine Handänderungssteuern bezahlt worden. Er ist somit nicht untätig geblieben, sondern hat aktiv die Zahlungseingänge verschleiert. Seine Verurteilung wegen Veruntreuung in diesem Punkt verletzt deshalb Bundesrecht nicht.
de
ecd4a6f2-5b6a-49c7-8eb1-64226d6974b0
Sachverhalt ab Seite 269 BGE 147 I 268 S. 269 A. Die türkische Staatsangehörige A. (geb. 1953) lebt seit dem Jahr 1975 von ihrem religiös angetrauten Ehemann getrennt. Letzterer lebt seit Jahrzehnten in der Schweiz. Nachdem auch ihre vier gemeinsamen - mittlerweile erwachsenen - Kinder im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz eingewandert waren, reiste auch A. am 17. November 1998 mit einem Besuchervisum in die Schweiz ein. Mit Gesuch vom 28. September 2003 beantragte A. abermals die Gewährung des Familienasyls sowie der vorläufigen Aufnahme. Das Bundesamt für Flüchtlinge (heute: Staatssekretariat für Migration) wies ihre Begehren mit Verfügung vom 8. Oktober 2003 ab. Dagegen erhob A. Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Dieses wies mit Urteil D-6353/2006 vom 7. Oktober 2009 die Beschwerde hinsichtlich der Gewährung des Familienasyls ab, wies das Bundesamt für Flüchtlinge indes an, ihren Aufenthalt in der Schweiz nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme zu regeln. B. Am 6. Dezember 2017 stellte die nunmehr im Kanton Freiburg wohnhafte A. beim Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg ein Gesuch um Umwandlung ihrer vorläufigen Aufnahme in eine Aufenthaltsbewilligung. Das kantonale Amt lud A. daraufhin am 18. Dezember 2018 zu einer mehrstündigen Befragung ein. Mit Verfügung vom 31. Januar 2019 lehnte das kantonale Amt das Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung ab, dass sich A. nicht erfolgreich integriert habe und daher keinen schwerwiegenden persönlichen Härtefall darstelle. Der Status der vorläufigen Aufnahme bleibe erhalten, da eine Wegweisung aus der Schweiz weiterhin weder möglich noch zumutbar sei. Die gegen die Verfügung vom 31. Januar 2019 beim Kantonsgericht erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg (Urteil vom 14. Januar 2020). C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 18. Februar 2020 gelangt A. an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils vom 14. Januar 2020. Das kantonale Amt für Bevölkerung und Migration sei anzuweisen, beim Staatssekretariat für Migration die Zustimmung zur Umwandlung der vorläufigen Aufnahme in eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen. (Zusammenfassung) Erwägungen BGE 147 I 268 S. 270 Aus den Erwägungen: 1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen ( Art. 29 Abs. 1 BGG ) und mit freier Kognition (vgl. BGE 146 II 276 E. 1 S. 279; BGE 141 II 113 E. 1 S. 116). 1.1 Die frist- ( Art. 100 Abs. 1 BGG ) und formgerecht ( Art. 42 BGG ) eingereichte Eingabe betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts ( Art. 82 lit. a BGG ) und richtet sich gegen das kantonal letztinstanzliche ( Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG ), verfahrensabschliessende ( Art. 90 BGG ) Urteil eines oberen Gerichts ( Art. 86 Abs. 2 BGG ). 1.2 Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen ( Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ). 1.2.1 Die Beschwerdeführerin legt dar, aufgrund ihrer langen Anwesenheitsdauer sei von einer hinreichenden Integration auszugehen, weshalb sie Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung direkt gestützt auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK habe. Zwar drohe ihr keine aufenthaltsbeendende Massnahme. Ihr Privat- und Familienleben sei aber auch tangiert, wenn die Verweigerung der beantragten Aufenthaltsbewilligung keine aufenthaltsbeendende Massnahme darstelle. Sie bringt im Wesentlichen vor, aufgrund der Nachteile des Status der vorläufigen Aufnahme im Vergleich zur Aufenthaltsbewilligung, sei ihr Privat- und Familienleben beeinträchtigt, da sie unter anderem weder alleine noch mit ihren erwachsenen Kindern und deren Enkelkindern ohne Bewilligung des Staatssekretariats für Migration ins Ausland reisen könne. Ausserdem sei aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht absehbar, dass sie die Schweiz in Zukunft verlassen müsse. 1.2.2 Der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens betrifft nach dem Gesagten die Frage, ob der Beschwerdeführerin nach einem langjährigen Aufenthalt ein Anspruch auf Umwandlung der vorläufigen Aufnahme in eine Aufenthaltsbewilligung zukommt. Eine aufenthaltsbeendende Massnahme steht nicht zur Diskussion (vgl. Art. 84 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration [Ausländer- undIntegrationsgesetz, AIG; SR 142.20; bis 31. Dezember 2018: BGE 147 I 268 S. 271 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, AUG]). Die Beschwerdeführerin beruft sich auf einen aus Art. 8 Ziff. 1 EMRK abgeleiteten Anspruch auf Umwandlung der vorläufigen Aufnahme in eine Aufenthaltsbewilligung. 1.2.3 Insoweit die Beschwerdeführerin hierfür eine Beeinträchtigung ihres Anspruchs auf Achtung des Familienlebens dartut, vermag sie keinen konventionsrechtlichen Anspruch geltend zu machen. Der Schutz des Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK bezieht sich in erster Linie auf die Kernfamilie. Ist die Beziehung zwischen den Eltern und ihren volljährigen Kindern betroffen, muss ein Abhängigkeitsverhältnis dargetan werden, das über die normalen familiären Bindungen hinausgeht. Nur dann kommt Art. 8 EMRK zum Tragen (vgl. BGE 145 I 227 E. 3.1 S. 230 f.; BGE 144 II 1 E. 6.1 S. 12 f.; BGE 129 II 11 E. 2 S. 13 f.; BGE 120 Ib 257 E. 1e f. S. 261 ff.; Urteil des EGMR Slivenko gegen Lettland vom 9. Oktober 2003 [Nr. 48321/99], Recueil CourEDH 2003-X S. 289 § 94-97). Ein solches Abhängigkeitsverhältnis wird von der Beschwerdeführerin nicht dargetan, zumal sie sich auf eine gelungene und eigenständige Integration beruft. 1.2.4 Im Rahmen des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens hat das Bundesgericht in BGE 144 I 266 mit Blick auf Personen, die sich mit einer Bewilligung rechtmässig in der Schweiz aufhalten, angenommen, nach einem Aufenthalt von zehn Jahren könne regelmässig davon ausgegangen werden, dass die sozialen Beziehungen in diesem Land derart eng geworden seien, dass es für eine Aufenthaltsbeendigung besonderer Gründe bedürfe (vgl. BGE 144 I 266 E. 3.9 S. 277 ff.). Indessen ist in der vorliegenden Angelegenheit keine aufenthaltsbeendende Massnahme zu beurteilen und die Beschwerdeführerin hat sich zu keinem Zeitpunkt mit einer Bewilligung rechtmässig in der Schweiz aufgehalten. Die vorliegende Angelegenheit betrifft vielmehr eine Konstellation der Prekarität im Rahmen eines lang andauernden Aufenthalts im Lichte des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens. Diesbezüglich hat sich das Bundesgericht bisher nicht abschliessend zu einem allfälligen konventionsrechtlichen Anspruch auf Umwandlung des Status der vorläufigen Aufnahme in eine Aufenthaltsbewilligung geäussert (vgl. auch Urteil 2C_689/2017 vom 1. Februar 2018 E. 1.2.2). 1.2.5 Gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verleiht Art. 8 EMRK ein Recht auf Regularisierung einer prekären, aber geduldeten langjährigen BGE 147 I 268 S. 272 Anwesenheit, wenn damit rechtliche oder faktische Nachteile verbunden sind, die eine Beeinträchtigung des Privatlebens darstellen (vgl. E. 4.1 hiernach; Urteil des EGMR Aristimuno Mendizabal gegen Frankreich vom 17. Januar 2006 [Nr. 51431/99] § 66 und 70 ["la situation de précarité et d'incertitude"]; vgl. auch Urteile des EGMR Kaftaïlova gegen Lettland vom 7. Dezember 2007 [Nr. 59643/00] § 51; Syssoyeva u.a. gegen Lettland vom 15. Januar 2007 [Nr. 60654/00], Recueil CourEDH 2007-I S. 77 § 91). Die gleiche Stossrichtung verfolgt das Bundesgericht, indem es die rechtlichen und faktischen Auswirkungen der Aufenthaltsregelung im Lichte des verfassungs- und völkerrechtlichen Anspruchs auf Privatleben berücksichtigt (vgl. BGE 138 I 246 E. 2 f. S. 247 ff.). 1.2.6 Die vorliegende Angelegenheit zeichnet sich insbesondere durch den Umstand aus, dass - im Gegensatz zu den Regelfällen der vorläufigen Aufnahme, in denen mit dem Vollzug der Wegweisung in Zukunft zu rechnen ist - eine abweichende Beurteilung der Unzumutbarkeit der Wegweisung der Beschwerdeführerin in absehbarer Zeit als höchst unwahrscheinlich erscheint: Bereits mit Urteil vom 16. März 2001 hat die damalige Schweizerische Asylrekurskommission erwogen, dass eine Wiedereingliederung der Beschwerdeführerin in ihre Heimat schwierig sein dürfte, zumal sie über keine Ausbildung verfüge, nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und ihre vier Kinder sowie ihr ehemaliger Ehemann in der Schweiz wohnten (vgl. Urteil des BVGer D-6353/2006 vom 7. Oktober 2009 E. 9.1). Rund acht Jahre später ist das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Vollzug der Wegweisung unzumutbar sei, da er sich existenzbedrohend auswirken könne (vgl. zit. Urteil des BVGer D-6353/2006 E. 9.2). Auch die Vorinstanz geht in ihrem Urteil vom 14. Januar 2020 davon aus, dass sich die Wegweisung weiterhin als unzumutbar erweist. 1.2.7 Für die Eintretensfrage ist nach dem Dargelegten davon auszugehen, dass sich an der Unzumutbarkeit der Wegweisung bis auf Weiteres nichts ändern wird und die Beschwerdeführerin auf unbestimmte Zeit in einem nicht auf Dauer angelegten Aufenthaltsstatus in der Schweiz bleiben wird. Aufgrund ihrer persönlichen Situation macht die vorläufig aufgenommene Beschwerdeführerin folglich in vertretbarer Weise geltend, sie habe gestützt auf konventionsrechtliche Vorgaben einen Bewilligungsanspruch, da ihr Art. 8 Ziff. 1 EMRK (Anspruch auf Achtung des Privatlebens) ein Recht auf die Regularisierung ihrer Anwesenheit in der Schweiz einräume. BGE 147 I 268 S. 273 Ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung vorliegen, ist indes nicht Gegenstand der Eintretensfrage, sondern der materiellen Beurteilung (vgl. BGE 139 I 330 E. 1.1 S. 332; BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179). 1.3 Die Beschwerdeführerin ist bereits im kantonalen Verfahren als Partei beteiligt gewesen und dort mit ihren Anträgen nicht durchgedrungen. Ausserdem ist sie durch das angefochtene Urteil in ihren schutzwürdigen Interessen besonders berührt, zumal sie glaubhaft geltend macht, ohne Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung massgeblich in ihrem Anspruch auf Achtung des Privatlebens eingeschränkt zu sein. Sie ist somit zur Erhebung des Rechtsmittels legitimiert ( Art. 89 Abs. 1 BGG ). 1.4 Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist einzutreten. Im Weiteren betrifft die vorliegend zu beurteilende Angelegenheit weder die vorläufige Aufnahme ( Art. 83 lit. c Ziff. 3 BGG ) noch die Wegweisung ( Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG ) der Beschwerdeführerin. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist demzufolge nicht einzutreten ( Art. 113 BGG ). (...) 4. Zunächst sind die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Nachteile des Status der vorläufigen Aufnahme im Vergleich zur Aufenthaltsbewilligung im Lichte ihres Anspruchs auf Achtung des Privatlebens zu würdigen. 4.1 Nach der Rechtsprechung des EGMR gewährt Art. 8 EMRK kein Recht auf einen bestimmten Aufenthaltstitel, solange die bestehende Aufenthaltsregelung eine weitestgehend ungehinderte Ausübung des Privatlebens ermöglicht. In diesem Sinne erwägt der EGMR, dass Art. 8 EMRK "ne va pas jusqu'à garantir à l'intéressé le droit à un type particulier de titre de séjour (permanent, temporaire ou autre), à condition que la solution proposée par les autorités lui permette d'exercer sans entrave ses droits au respect de la vie privée et familiale" (Urteil Aristimuno Mendizabal § 66). In einem weiteren Urteil hält der EGMR fest, "lorsque la législation interne en prévoit plusieurs, la Cour doit analyser les conséquences de droit et de fait découlant d'un titre de séjour donné. S'il permet à l'intéressé de résider sur le territoire de l'Etat d'accueil et d'y exercer librement ses droits au respect de la vie privée et familiale, l'octroi d'un tel titre de séjour constitue en principe une mesure suffisante BGE 147 I 268 S. 274 pour que les exigences de cette disposition soient remplies (Urteil Syssoyeva u.a. § 91; vgl. Urteil Kaftaïlova § 51). 4.2 Um allfällige Ansprüche aus Art. 8 EMRK zu prüfen, sind im Folgenden die Eigenschaften der vorläufigen Aufnahme im Detail zu betrachten. 4.2.1 Ist der Vollzug der Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, verfügt das Staatssekretariat für Migration die vorläufige Aufnahme (vgl. Art. 83 Abs. 1 AIG ). Die vorläufige Aufnahme "kann" von den kantonalen Behörden beantragt werden, nicht aber von der betroffenen Person selber (vgl. Art. 83 Abs. 6 AIG ). Diese bildet eine grundsätzlich zeitlich beschränkte Ersatzmassnahme, wenn der Vollzug der Wegweisung undurchführbar ist. Sie tritt neben die rechtskräftige Wegweisung und berührt deren Bestand nicht, sondern setzt ihn voraus. Sie ist keine Aufenthaltsbewilligung, sondern ein vorübergehender Status, der die Anwesenheit regelt, solange der Wegweisungsvollzug - d.h. die exekutorische Massnahme der Wegweisung zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands - nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich erscheint (vgl. BGE 141 I 49 E. 3.5 S. 53; BGE 138 I 246 E. 2.3 S. 249; BGE 137 II 305 E. 3.1 S. 308 f.). 4.2.2 Ausländische Personen, denen die vorläufige Aufnahme gewährt worden ist, müssen ihre Reisedokumente sowie die allenfalls in ihrem Besitz befindlichen ausländischen Ausweispapiere beim Staatssekretariat für Migration hinterlegen (vgl. Art. 20 Abs. 1 der Verordnung vom 11. August 1999 über den Vollzug der Weg- und Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen [VVWAL; SR 142.281]). Gemäss Art. 7 der Verordnung vom 14. November 2012 über die Ausstellung von Reisedokumenten für ausländische Personen (RDV; SR 143.5) muss den vorläufig aufgenommenen Personen für Auslandsreisen ein Rückreisevisum ausgestellt werden. Das Rückreisevisum wird nur unter bestimmten Voraussetzungen - namentlich in Not- und Sonderfällen oder aus humanitären Gründen - ausgestellt (vgl. Art. 9 Abs. 1 und Abs. 4 RDV ). Ansonsten ist einer vorläufig aufgenommenen Person (mit dem Ausländerausweis F) der Grenzübertritt nicht möglich (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 3 VVWAL). 4.2.3 Die mit dem Status der vorläufigen Aufnahme verbundenen Nachteile beziehen sich nach dem Dargelegten im Wesentlichen auf BGE 147 I 268 S. 275 die internationale Mobilität der vorläufig aufgenommenen Person. Dagegen muss sich auch eine ausländische Person mit Aufenthaltsbewilligung einen Kantonswechsel im Voraus bewilligen lassen (vgl. Art. 37 Abs. 1 AIG ). Dabei besteht unter der Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 37 Abs. 2 AIG ein Anspruch auf die Bewilligung des Kantonswechsels. Der Beschwerdeführerin ist der Wechsel vom Kanton Wallis in den Kanton Freiburg, wo ihre erwachsenen Kinder leben, ohne Weiteres genehmigt worden. Dies relativiert den Umstand, dass sich eine vorläufig aufgenommene Person grundsätzlich nicht auf einen solchen Anspruch berufen kann (vgl. Art. 21 VVWAL i.V.m. Art. 22 Abs. 2 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen [Asylverordnung 1, AsylV 1; SR 142.311]). Soweit aufgrund ihres Geburtsjahres 1953 von Bedeutung, stünde ihr auch eine Erwerbstätigkeit offen (vgl. Art. 85a AIG ; vgl. auch BGE 138 I 246 E. 3.3.2 S. 253). Schliesslich werden sowohl die Aufenthaltsbewilligung als auch die vorläufige Aufnahme lediglich befristet erteilt (vgl. Art. 33 Abs. 3 und Art. 85 Abs. 1 AIG ). 4.3 Nach dem Dargelegten ist die Beschwerdeführerin zwar in ihrem internationalen Reiseverhalten eingeschränkt. Im Inland kommt ihr rechtlich und faktisch aber bereits eine mit der Aufenthaltsbewilligung vergleichbare Stellung zu. Sie kann sich im Inland frei bewegen sowie nach Bedarf einer Erwerbstätigkeit nachgehen und lebt aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht in der Unsicherheit, in absehbarer Zeit die Schweiz verlassen zu müssen (vgl. E. 1.2.6 hiervor). Da sie nicht jederzeit damit zu rechnen hat, dass ihre Wegweisung vollzogen wird, erscheint ihre Anwesenheit in der Schweiz zumindest in vergleichbarer Weise gesichert, wie bei einer ausländischen Person mit einer Aufenthaltsbewilligung. Insoweit aufgrund der Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung überhaupt in den Anspruch auf Achtung des Privatlebens der Beschwerdeführerin eingegriffen wird, wiegt dieser Eingriff jedenfalls nicht schwer. 4.4 Es muss in der vorliegenden Angelegenheit jedoch nicht abschliessend beurteilt werden, ob die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Nachteile im Lichte ihrer bereits länger andauernden, prekären Anwesenheit in der Schweiz derart gravierend wären, sodass damit ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Ziff. 1 EMRK einherginge. Im Lichte ihrer - im Folgenden darzulegenden - unzureichenden Integration liesse sich die Verweigerung der BGE 147 I 268 S. 276 Aufenthaltsbewilligung jedenfalls rechtfertigen (vgl. Art. 8 Ziff. 2 EMRK ). 5. Ein Eingriff in den Anspruch auf Achtung des Privatlebens ist rechtfertigungsbedürftig (vgl. Art. 8 Ziff. 2 EMRK ; Art. 13 Abs. 1 BV i.V.m. Art. 36 BV ). 5.1 Eine allfällige Einschränkung von Grundrechten erfordert eine gesetzliche Grundlage und ein öffentliches Interesse (vgl. Art. 36 Abs. 1 und Abs. 2 BV ). Sodann hat sie verhältnismässig zu sein (vgl. Art. 36 Abs. 3 BV ). Nach den gleichen Kriterien geht der EGMR bei der Anwendung von Art. 8 Ziff. 2 EMRK vor, demgemäss zu prüfen ist, ob ein Eingriff "était prévue par la loi, visait un but légitime et était nécessaire dans une société démocratique" (Urteil Aristimuno Mendizabal § 73). Während die ersten beiden Voraussetzungen unter den Verfahrensbeteiligten nicht umstritten sind, beanstandet die Beschwerdeführerin mit Blick auf die Verhältnismässigkeit die Würdigung ihrer Integration. Die Einhaltung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes bedarf daher einer genaueren Betrachtung. 5.2 Grundsätzlich ist im Rahmen der Verhältnismässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens zu prüfen, in welchem Alter die ausländische Person eingereist ist, wie lange sie in der Schweiz gelebt hat und welche (sozialen und wirtschaftlichen) Beziehungen sie unterhält. Bei Letzterem spielen auch die persönliche Situation (z.B. Alter, Gesundheit oder Herkunft) sowie die familiären Verhältnisse eine Rolle. Die aus diesen Faktoren resultierende Integration der betroffenen Person ist bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit von besonderer Relevanz (sogenannte "liens personnels, sociaux ou économiques"; Urteil Slivenko § 114 und § 123-125; vgl. BGE 138 I 246 E. 3.3.2 S. 253; vgl. auch Urteile des EGMR Ukaj gegen Schweiz vom 24. Juni 2014 [Nr. 32493/08] § 42; Hasanbasic gegen Schweiz vom 11. Juni 2013 [Nr. 52166/09] § 62; Kissiwa Koffi gegen Schweiz vom 15. November 2012 [Nr. 38005/07] § 66; Gezginci gegen Schweiz vom 9. Dezember 2010 [Nr. 16327/05] § 73-77; Üner gegen Niederlande vom 18. Oktober 2006 [Nr. 46410/99], Recueil CourEDH 2006-XII S. 159 § 57 f.). 5.2.1 Demnach kommt im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung - neben der bisherigen Aufenthaltsdauer - der Integration eine erhebliche Bedeutung zu. Auch der Bundesgesetzgeber anerkennt BGE 147 I 268 S. 277 die mit der langjährigen Anwesenheit einhergehende Verfestigung der Beziehung vorläufig aufgenommener Personen zur Schweiz. Deshalb verlangt er, dass Gesuche um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung von vorläufig aufgenommenen Ausländerinnen und Ausländern, die sich seit mehr als fünf Jahren in der Schweiz aufhalten, unter Berücksichtigung der Integration, der familiären Verhältnisse und der Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat vertieft geprüft werden (vgl. Art. 84 Abs. 5 AIG ). 5.2.2 Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich unbestrittenermassen um eine Person, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig ist. Sie ist seit ihrer Einreise 1998 in die Schweiz nie polizeilich in Erscheinung getreten oder straffällig geworden. Gegen sie sind weder Betreibungen noch Verlustscheine ausstehend. Sie hat nie Sozialhilfe bezogen. Aufgrund ihres Analphabetismus kann für die Beurteilung ihrer Integration nicht unbesehen der Massstab übernommen werden, mit welchem jene einer ausländischen Person mit Schulbildung zu beurteilen ist. Vielmehr ist für die vorliegende Angelegenheit massgebend, ob die Beschwerdeführerin mangels entsprechender Bemühungen in vorwerfbarer Weise nicht integriert ist. Dabei ist im Lichte des Anspruchs auf Achtung ihres Privatlebens in erster Linie auf ihre persönliche, soziale und berufliche Integration abzustellen (sogenannte "liens personnels, sociaux ou économiques"; vgl. E. 5.2 hiervor). Die Vorinstanz verweigert die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung denn auch infolge einer mangelhaften sprachlichen, beruflichen und sozialen Integration. 5.3 Damit einer ausländischen Person ein Anspruch auf Umwandlung der vorläufigen Aufnahme in eine Aufenthaltsbewilligung zukommen kann, ist eine gewisse Integrationsleistung zu verlangen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erweist sich ihre Integration in einer Gesamtbetrachtung nicht als hinreichend fortgeschritten und die diesbezügliche Beurteilung der Vorinstanz als zutreffend sowie bundesrechtskonform. 5.3.1 Die Beschwerdeführerin hat nie eine Schule besucht und kann deshalb weder lesen noch schreiben. Ihr ist es aber aus gesundheitlicher und altersbedingter Sicht zumutbar gewesen, sich seit ihrer Einreise in die Schweiz aktiv entweder um ihre Alphabetisierung zu bemühen oder aber mündlich eine Landessprache in den Grundzügen zu erlernen. Ihr sprachliches Integrationsdefizit kann deshalb nicht allein auf die fehlende Alphabetisierung zurückgeführt werden. BGE 147 I 268 S. 278 Wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, sie sei bei ihrer Einreise in einem fortgeschrittenen Alter gewesen, ist dies nicht geeignet, ihre fehlende sprachliche Integration zu rechtfertigen. Sie ist damals erst 45-jährig gewesen. Ausserdem ist eine limitierende, physisch und psychisch angeschlagene Verfassung der Beschwerdeführerin erst seit dem Jahr 2017 erstellt und diesem Erschwernis erst ab diesem Zeitpunkt (angemessen) Rechnung zu tragen (vgl. Art. 58a Abs. 2 AIG ). Ihr Hinweis darauf, dass sie selbst die türkische Sprache nur rudimentär verstehe und lediglich in einem kurdischen Dialekt fliessend kommunizieren könne, vermag die Würdigung ihrer sprachlichen Integration nicht zu beeinflussen. Ihre Bemühungen, die sich auf einen viermonatigen Sprachkurs beschränken, sind im Lichte ihres langjährigen Aufenthalts in der Schweiz klar ungenügend. 5.3.2 Mit Blick auf die berufliche Integration ist zu berücksichtigen, dass es der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen ist, in der Türkei eine Berufsausbildung zu machen und erwerbstätig zu sein. Der Beschwerdeführerin ist insofern zuzustimmen, dass ihr die berufliche Integration hierdurch erschwert gewesen ist. Es ist notorisch, dass ihr als 56-jährige Analphabetin im Zeitpunkt der vorläufigen Aufnahme im Jahr 2009 kaum die Gelegenheit offengestanden ist, erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Sie hat sich umgekehrt seit ihrer vorläufigen Aufnahme aber weder bemüht, auf dem (sekundären) Arbeitsmarkt Anschluss zu finden, noch hat sie je Aus- und Weiterbildungen besucht. In diesem Lichte ist ihr zwar zugute zu halten, dass sie keine Sozialhilfe bezogen hat. Dass die Beschwerdeführerin, wie sie dartut, seit ihrer Einreise in die Schweiz stets Haushalts- und Betreuungsaufgaben für ihre erwachsenen Kinder und deren Enkel wahrgenommen habe, lässt aber nicht auf eine gelungene berufliche Integration schliessen. Soweit die berufliche Integration der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Alters aktuell noch zur Diskussion stehen kann, vermag die Beschwerdeführerin aus dieser nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. 5.3.3 Aus den Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich sodann, dass sie sich sozial nicht in die schweizerische Gesellschaft integriert hat. Ihre sozialen Beziehungen beschränken sich im Wesentlichen auf ihre Familie und nicht auf das sonstige gesellschaftliche Leben. Ausserhalb ihrer Familie pflegt sie lediglich mit zwei Nachbarinnen Kontakte. Es besteht damit weder ein von der Familie unabhängiger, eigenständiger Freundeskreis noch liegt eine über die Familie hinausgehende Teilnahme am gesellschaftlichen Leben vor. BGE 147 I 268 S. 279 Daran vermag das Vorbringen der Beschwerdeführerin nichts zu ändern, wonach die Bedeutung verwandtschaftlicher Bindungen als Sicherheitsnetz keineswegs nur eine Besonderheit ausländischer Personen, sondern auch bei schweizerischen Staatsbürgerinnen und -bürgern üblich sei. Gestützt auf zwei nachbarschaftliche Kontakte kann sich die Beschwerdeführerin nicht erfolgreich auf eine vertiefte soziale Integration berufen, wie dies unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens erforderlich wäre. 5.4 Trotz des langjährigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in der Schweiz ist insgesamt von einer zu wenig fortgeschrittenen Integration auszugehen. Demzufolge ist es mit Art. 8 EMRK vereinbar, wenn die Vorinstanz der Beschwerdeführerin keine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Ein allfälliger Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Ziff. 1 EMRK aufgrund der Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung liesse sich infolge einer ungenügenden Integration im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK rechtfertigen. Eine Verletzung von Art. 8 EMRK liegt nicht vor.
de
cfc0de7e-29f0-49e7-964b-f88d9cde8f45
Sachverhalt ab Seite 385 BGE 94 I 384 S. 385 A.- Die Beschwerdeführerin G. AG, die ihren Sitz in der Schweiz hat, bezweckt den Handel mit Waren, die Vermittlung von Handelsgeschäften und die Beteiligung an Unternehmungen mit ähnlichen Zwecken. Bis zum 5. Juli 1956 gehörten ihre sämtlichen Aktien (100 voll einbezahlte Inhaberaktien zu Fr. 1000.--) der D. AG, deren Sitz sich ebenfalls in der Schweiz befindet. In den Bilanzen der Beschwerdeführerin vom 31. Dezember 1955 und 1956 waren an Aktiven nur noch Debitoren in geringen Beträgen (Fr. 3'469.70 bzw. Fr. 3'940.45) aufgeführt. In den Büchern der D. AG waren die Aktien der Beschwerdeführerin pro memoria mit Fr. 1.- bewertet. Am 5. Juli 1956 buchte die D. AG diese Aktien aus und belastete sie mit Fr. 1.- dem einzigen Verwaltungsrat beider Gesellschaften, dem schweizerischen Rechtsanwalt Dr. X. Nach der Darstellung der Beschwerdeführerin wurden sie zum symbolischen BGE 94 I 384 S. 386 Preis von Fr. 1.- auf die Aktionäre der D. AG übertragen. Wer diese Aktionäre sind, ist weder der Eidg. Steuerverwaltung (EStV) noch dem Bundesgericht bekanntgegeben worden. Dr. X. hat erklärt, er wisse nur, dass sie Ausländer seien; ihre Namen seien ihm nie mitgeteilt worden. Am 9. Juli 1957 wurden der Beschwerdeführerin durch den Schweizerischen Bankverein Fr. 150'000.-- gutgeschrieben. Es wurde ein "Schuldschein Nr. 1" ausgestellt. Darin anerkennt die Beschwerdeführerin, dem Inhaber ab 9. Juli 1957 Fr. 150'000.-- zu schulden. Ausserdem ist in der Urkunde festgehalten, dass die Schuld vom Gläubiger und vom Schuldner unter Beobachtung einer Frist von drei Monaten auf ein Quartalsende, erstmals auf den 30. Juni 1959, zur Rückzahlung gekündigt werden könne und dass für das "Darlehen" jährlich 5% Zins und vierteljährlich 1/4% Kommission zu bezahlen seien, die jährlich zum Kapital geschlagen und erst mit diesem fällig werden. Ferner trägt der Schuldschein den Vermerk: "Stempelsteuerfrei (StG Art. 11 c undBGE 69 I 101)". In den Geschäftsjahren 1957-1962 erzielte die Beschwerdeführerin Reingewinne von insgesamt Fr. 94'328.28, die sie zur Abtragung des Verlustsaldos verwendete. Ende 1962 war daher fast ihr ganzes Aktienkapital wiederhergestellt; der Verlustsaldo betrug damals nur noch Fr. 1731.27. B.- Die EStV erblickte in der Veräusserung der Aktien der Beschwerdeführerin vom 5. Juli 1956 einen Mantelhandel im Sinne des Art. 21 Abs. 2 StG . Sie forderte daher von der Beschwerdeführerin für eine Kapitaleinbringung im Betrage von Fr. 98'268.73 (Fr. 100'000.-- abzüglich Verlustsaldo von Fr. 1731.27) eine Emissionsabgabe von Fr. 1965.40. Ferner forderte sie von der Beschwerdeführerin für die in den Jahren 1957-1962 aus den jährlichen Reingewinnen vorgenommene Kapitalauffüllung Fr. 3129.85 Couponabgabe und Fr. 25'168.65 Verrechnungssteuer, auf Grund der Annahme, die Beschwerdeführerin habe durch Finanzierung neuen Aktienkapitals aus ihren eigenen Mitteln die Aktionäre von einer ihnen obliegenden Einzahlungspflicht befreit und ihnen damit eine geldwerte Leistung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 CG und Art. 4 Abs. 1 lit. a VStB erbracht (Einspracheentscheid vom 28. September 1965). Die von der G. AG gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde vom Bundesgericht am BGE 94 I 384 S. 387 13. Mai 1966 teilweise gutgeheissen. Das Gericht erkannte, dass die im angefochtenen Entscheid geforderten Abgaben nicht geschuldet seien, weil die Verwertung eines leeren Aktienmantels im Sinne von Art. 21 Abs. 2 StG nicht nachgewiesen sei. Dagegen nahm es an, dass die als "Darlehen" bezeichnete Zuwendung im Betrage von Fr. 150'000.--, welche die Beschwerdeführerin nach ihrer eigenen Darstellung "von Aktionärseite" erhalten habe, in Wirklichkeit eine Kapitaleinbringung im Sinne des Art. 21 Abs. 1 StG darstelle. Es verpflichtete daher die Beschwerdeführerin, eine Emissionsabgabe von Fr. 3000.-- zu entrichten. Mit Bezug auf die Couponabgabe und die Verrechnungssteuer wies es die Angelegenheit zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die EStV zurück. Es führte dazu aus, die "Zinsen" und "Kommissionen", die im "Schuldschein Nr. 1" vorgesehen sind, seien gleich wie Dividenden zu behandeln, also der Couponabgabe und der Verrechnungssteuer zu unterwerfen, wenn und soweit die Beschwerdeführerin den Aktionären unter diesen Titeln Leistungen erbracht habe; ob und in welchem Umfange dies geschehen sei, müsse noch abgeklärt werden; falls sich ergebe, dass steuerbare Zuwendungen vorliegen, seien die entsprechenden Abgaben zu erheben, soweit sie nicht verjährt seien. C.- Auf Grund der Rückweisung und nach Abklärung des Sachverhalts fällte die EStV am 17. November 1967 folgenden neuen Einspracheentscheid: "1. Die G. AG schuldet auf den ,Zinsen' und ,Kommissionen' von Fr. 40'500.--, die sie ihren Aktionären für die Geschäftsjahre 1961-1965 gestützt auf den,Schuldschein Nr. 1, vom 9. Juli 1957 gutgeschrieben hat, an Couponabgabe Fr. 1215.-- und an Verrechnungssteuer Fr. 10'935.--, zusammen Fr. 12'150.--." (Die auf frühere Jahre entfallenden Leistungen wurden wegen Verjährung der Abgaben nicht besteuert.) "2. Die Steuern sind innert 30 Tagen der Eidg. Steuerverwaltung zu entrichten und auf die Leistungsempfänger zu überwälzen. Der Nachweis der Überwälzung ist innert der gleichen Frist zu erbringen. 3. Im Falle der Nichtüberwälzung der Steuern erhöht sich der Steuerbetrag auf insgesamt Fr. 17'357.--. 4. Der geschuldete Verrechnungssteuerbetrag ist ab 23. Februar 1967 mit 4 % p.a. zu verzinsen." D.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die G. AG, der Einspracheentscheid vom 17. November 1967 sei als unbegründet aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. BGE 94 I 384 S. 388 Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die EStV hat im angefochtenen Entscheid auf Grund einer Prüfung der Bücher der Beschwerdeführerin festgestellt, dass diese in den Geschäftsjahren 1961-1965 gestützt auf den "Schuldschein Nr. 1" vom 9. Juli 1957 für "Zinsen" und "Kommissionen" insgesamt Fr. 40'500.-- aufgewendet hatte. Diese Feststellung ist unbestritten, und es besteht auch kein Grund, sie zu beanstanden. Es ist auch nicht bestritten und steht fest, dass die im angefochtenen Entscheid gestellte Steuerforderung nicht verjährt ist. Die Beschwerdeführerin macht jedoch geltend, die geforderten Abgaben seien nicht geschuldet, weil es sich nicht um steuerbare Leistungen handle. In erster Linie behauptet sie, die EStV habe im neuen Entscheid das Urteil des Bundesgerichts vom 13. Mai 1966 "zu weitgehend interpretiert"; das Gericht habe in diesem Urteil die Frage, ob die "Zinsen" und "Kommissionen" gleich wie Dividenden der Couponabgabe und der Verrechnungssteuer unterliegen, bloss aufgeworfen, ohne sie zu entscheiden. Diese Behauptung ist abwegig. Das Bundesgericht hat sich im ersten Urteil nicht bloss "gefragt", ob das "Darlehen" von Fr. 150'000.-- eine verdeckte Kapitaleinbringung gemäss Art. 21 Abs. 1 StG
de
471c9f4a-e235-40c7-a35d-8a45f9ed2757
Sachverhalt ab Seite 303 BGE 90 II 302 S. 303 A.- Auf Grund eines Kaufvertrages über die Lieferung von Äthylalkohol zwischen der Firma Hope Prudhomme & Co. Private Ltd in Calcutta als Verkäuferin und der Firma Williams & Co. in Zürich als Käuferin eröffnete das Bankgeschäft X. in Zürich im Auftrag der Käuferin zugunsten der Verkäuferin ein unwiderrufliches Akkreditiv für den Betrag von £ 100 542.17. Die Bank X. ersuchte die United Commercial Bank in Calcutta (im folgenden: UcoBank) das Akkreditiv der Begünstigten anzuzeigen, aber nicht zu bestätigen. Gleichzeitig ermächtigte sie die UcoBank, sich die Zahlung des Akkreditivbetrages zu Lasten der Bank X. durch das Bankhaus Montagu & Co. in London vergüten zu lassen; die im Akkreditiv vorgeschriebenen Dokumente waren jedoch an die Bank X. zu senden. Die UcoBank übermittelte die ihr von der Verkäuferin übergebenen Dokumente der Bank X., wobei sie diese im Rimessenbrief darauf aufmerksam machte, dass die Dokumente nicht in allen Punkten den Vorschriften des Akkreditivs entsprächen; sie habe deshalb ihre Londoner Filiale angewiesen, dem Bankhaus Montagu eine Garantieerklärung abzugeben, falls eine solche verlangt werde. Als die UcoBank am 30. Januar 1961 von der Bank Montagu auf Grund des Akkreditivs die Bezahlung von £ 95 534.3.5 verlangte, verweigerte diese die Auszahlung unter Berufung auf eine entsprechende Weisung der Bank X. Diese telegraphierte ihrerseits der UcoBank am BGE 90 II 302 S. 304 1. Februar 1961, sie habe erfahren, dass die Dokumente (die damals noch nicht bei ihr eingetroffen waren), nicht mit den Akkreditivbedingungen übereinstimmten; die Aufnahme sei aber nur gegen vollständig übereinstimmende Dokumente erlaubt und eine Aufnahme unter Vorbehalt sei unzulässig. Trotz dieser Erklärung benützte dann aber die Bank X. die mittlerweile (angeblich am 3. Februar 1961) bei ihr eingegangenen Dokumente, um die Schiffsladung von dem im Akkreditiv vorgeschriebenen englischen Bestimmungshafen Felixstowe nach Amsterdam umzuleiten und dort einzulagern. Der UcoBank teilte sie mit Telegramm vom 6. Februar 1961 mit, ihr Klient habe die Dokumente der Hope Prudhomme & Co. wegen Qualitätsdifferenzen zurückgewiesen; um jedoch die Interessen der UcoBank zu wahren, habe sie die Ware nach Amsterdam umgeleitet und dort im eigenen Namen, aber auf Rechnung der UcoBank eingelagert. Diese erklärte jedoch, sie sei mit diesem Vorgehen nicht einverstanden und verlangte die Überweisung des gemäss -Akkreditiv geschuldeten Betrages, was die Bank X. ablehnte. B.- Die daraufhin von der UcoBank gegen die Bank X. erhobene Klage auf Bezahlung des.Akkreditivbetrages von £ 95 534.3.5. nebst Zinsen wurde vom Handelsgericht Zürich mit Urteil vom 8. März 1962 abgewiesen. In der Begründung dieses Entscheides führte das Handelsgericht aus, die von der Klägerin der Beklagten präsentierten Dokumente hätten nicht den im Akkreditiv umschriebenen Bedingungen entsprochen. Die Beklagte sei daher befugt gewesen die Aufnahme der Dokumente zu verweigern, wie sie dies mit den Telegrammen vom 1. und 6. Februar 1961 getan habe. Dass sie dann die Dokumente gleichwohl zur Umleitung und Einlagerung der Ware benützte, habe zwar gegen die Vertragsbestandteil bildenden "Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive" (Fassung von 1951) verstossen, da nach Art. 10 Abs. 3 derselben die Akkreditivbank, BGE 90 II 302 S. 305 welche die Aufnahme der Dokumente verweigere, diese der remboursfordernden Bank zurücksenden oder sie ihr zur Verfügung halten müsse. Dieser Verstoss habe aber entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die Zahlungspflicht der Beklagten auslösen, sondern sie höchstens schadenersatzpflichtig machen können; ein Schadenersatzanspruch sei jedoch von der Klägerin nicht geltend gemacht worden. C.- Auf die von der Klägerin eingereichte, kraft Rechtswahl der Parteien zugunsten des schweizerischen Rechts zulässige Berufung hin hob das Bundesgericht den Entscheid des Handelsgerichts mit Urteil vom 18. Dezember 1962 auf und wies den Fall an die Vorinstanz zurück zur Abnahme des Beweises für die von der Klägerin aufgestellte Behauptung, bei den Akkreditivfachleuten bestehe allgemein die Auffassung, dass eine von Art. 10 Abs. 3 der Richtlinien abweichende Verfügung über die Dokumente einer Aufnahme derselben gleichkomme und automatisch die Zahlungspflicht der Akkreditivbank auslöse. D.- Das Handelsgericht hat zur Erfüllung der ihm im Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts erteilten Weisung die Vorsteher der Akkreditivabteilungen von drei Grossbanken und drei Mittelbanken auf dem Platz Zürich als sachverständige Zeugen einvernommen. Auf Grund von deren Aussagen erachtete es die oben erwähnte Behauptung der Klägerin als bewiesen und verpflichtete mit Urteil vom 5. September 1963 die Beklagte zur Auszahlung des Akkreditivbetrages von £ 95 534.3.5 nebst 5% Zins seit 3. Februar 1961. E.- Gegen das Urteil des Handelsgerichts hat die Beklagte - neben einer erfolglosen Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich - die Berufung an das Bundesgericht ergriffen. Sie beantragt, die Klage abzuweisen, eventuell die Sache zur Abnahme der von ihr angetragenen Gegenbeweise an die Vorinstanz zurückzuweisen. BGE 90 II 302 S. 306 Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen. Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Gegenstand des Streites der Parteien ist die Frage, welche rechtlichen Folgen die vertragswidrige Verfügung der Beklagten über die zurückgewiesenen Dokumente nach sich ziehe. Die Klägerin ist der Ansicht, das Vorgehen der Beklagten sei rechtlich einer Aufnahme der Dokumente gleichzuachten und habe darum die Zahlungspflicht aus Akkreditiv ausgelöst. Die Beklagte nimmt demgegenüber den Standpunkt ein, die von ihr begangene Vertragsverletzung könne der Klägerin keinen Erfüllungsanspruch, sondern höchstens einen Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung verschaffen. Welche dieser beiden Auffassungen zutreffe, ist Rechtsfrage. Davon geht, entgegen den vom Handelsgericht in den Erwägungen seines zweiten Urteils geäusserten Vermutungen, auch der Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts aus. Gestützt auf seine bisherige Rechtsprechung nahm das Bundesgericht an, das interne Verhältnis der beiden am Akkreditiv beteiligten Banken beurteile sich grundsätzlich nach den Auftragsregeln; dabei seien jedoch die Besonderheiten zu berücksichtigen, die das Akkreditiv kennzeichnen. Dieses betrifft ein Spezialgebiet, auf dem den Gepflogenheiten der Praxis und den Anschauungen der Fachleute auch für die rechtliche Beurteilung grosse Bedeutung beizumessen ist. Aus diesem Grunde erachtete es das Bundesgericht als erforderlich, durch die Vorinstanz abklären zu lassen, welche Bewandtnis es mit der Behauptung der Klägerin habe, bei den Akkreditivfachleuten bestehe allgemein die Auffassung, dass jedes von Art. 10 Abs. 3 der Richtlinien abweichende Verfügen der Akkreditivbank über die Dokumente einer Aufnahme derselben gleichkomme. Ob in den Kreisen der Akkreditivfachleute diese Ansicht allgemein geteilt werde, gehört dem Bereich des Tatsächlichen an. Die vom Handelsgericht auf dem BGE 90 II 302 S. 307 Wege der Beweiswürdigung getroffene Feststellung, dass nach den Aussagen der von ihm befragten Akkreditivspezialisten die Behauptung der Klägerin tatsächlich zutreffe, bindet daher das Bundesgericht und ist bei der Rechtsfindung in ähnlicher Weise wie ein eigentlicher Handelsbrauch auszuwerten. Die von den befragten Akkreditivfachleuten bekundete einhellige Meinung über die Folgen der vertragswidrigen Benützung der als ungenügend zurückgewiesenen Dokumente lässt erkennen, dass Wesen und Zweck des Akkreditivs gebieten, ein solches Vorgehen der Akkreditivbank der Aufnahme der Dokumente gleichzustellen. Die Funktion des Akkreditivs besteht darin, zum Schutze beider Kaufvertragsparteien die beidseitige ordnungsgemässe Vertragserfüllung zu sichern. Der Käufer, bezw. die von ihm mit der Akkreditivstellung beauftragte Bank, soll den Kaufpreis nur gegen Übergabe von Dokumenten freigeben müssen, die das Vorhandensein sowie die vertragsgemässe Beschaffenheit der Ware belegen und ihm die Verfügungsgewalt über diese verschaffen. Der Verkäufer seinerseits soll die Dokumente nur aus der Hand geben müssen, wenn Gewähr dafür besteht, dass ihm der in Form des Akkreditivs bereitgestellte Kaufpreis ausbezahlt wird. Daher verpflichten die "Richtlinien" in Art. 10 Abs. 1 die Akkreditivbank, welche die ihr eingereichten Dokumente aufnimmt, zur Auszahlung des Akkreditivs an den Verkäufer, bezw. an die Bank, von der die Dokumente eingereicht worden sind. Werden diese aus irgendwelchen Gründen von der Akkreditivbank nicht aufgenommen, so muss der Verkäufer sich darauf verlassen können, dass sie ihm unverändert und unbeschwert zurückgegeben werden, so dass ihm die Verfügungsgewalt über die Ware erhalten bleibt; denn nur dann wird der Sicherungszweck erreicht, den das Akkreditiv zum Schutz des Verkäufers zu erfüllen hat. Dieser Zweck verlangt deshalb auch, dass jedes Verhalten der Akkreditivbank, die dem Verkäufer die Verfügungsmacht BGE 90 II 302 S. 308 über die Ware nimmt, die gleichen Folgen auslösen muss wie die vorbehaltlose Aufnahme der Dokumente. Es bedeutet einen Widerspruch in sich selbst, wenn die Akkreditivbank zwar die Dokumente als ungenügend zurückweist, aber gleichzeitig über sie und damit über die Ware in irgendeiner Weise verfügt. Eine solche Verfügung nimmt der Zurückweisung ihre rechtliche Wirksamkeit; sie bedeutet die Genehmigung der Dokumente unter Verzicht auf die zunächst ausgesprochene Beanstandung (EISEMANN, Recht und Praxis des Dokumenten-Akkreditivs, S. 79 f.; ebenso die dort in N. 126 angeführte englische Rechtsprechung). Die gegenteilige Lösung würde das Akkreditiv für den Handel unbrauchbar machen, da bei ihr der Verkäufer Gefahr liefe, die Verfügungsmacht über die Ware zu verlieren, ohne den Kaufpreis für sie zu erhalten. Es ist daher auch im vorliegenden Falle anzunehmen, dass die eigenmächtige Verfügung der Beklagten über die von ihr formell zurückgewiesenen Dokumente die Pflicht zur Auszahlung der Akkreditivsumme ausgelöst hat. 2. Die Vorbringen der Beklagten in der Berufung vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. a) Die Beklagte macht geltend, das Akkreditivverhältnis sei damit zu Ende gegangen, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, ordnungsgemässe Dokumente einzureichen; von diesem Zeitpunkt an habe es sich um einen blossen Inkassoauftrag gehandelt. Zur Beurteilung stehe daher die Frage, wie es zu halten sei, wenn ein als Akkreditivgeschäft begonnenes Geschäft nachträglich zu einem Inkassoauftrag werde. Diese Ausführungen sind unzulässig. Die für den Fall der Rückweisung in Art. 66 Abs. 1 OG ausgesprochene Bindung der kantonalen Instanz an die dem Rückweisungsentscheid zugrunde liegende rechtliche Beurteilung gilt auch für das Bundesgericht selbst. Denn die genannte Bestimmung beruht auf dem Gedanken, dass die betreffende Rechtsfrage für den konkreten Streitfall als endgültig BGE 90 II 302 S. 309 entschieden zu gelten habe, wie dies für ein Endurteil des Bundesgerichtes zuträfe (so auch BGE 85 IV 211 zu der dem Art. 66 Abs. 1 OG entsprechenden Vorschrift von Art. 277ter Abs. 2 BStP ). Dem Bundesgericht ist es daher verwehrt, im Falle erneuter Berufung sein zweites Urteil auf rechtliche Gesichtspunkte zu stützen, die im Rückweisungsentscheid abgelehnt oder - wie hier - gar nicht in Erwägung gezogen worden waren. Infolgedessen konnte die Beklagte weder im neuen Verfahren vor dem Handelsgericht, noch auch im zweiten Berufungsverfahren den eingangs dargelegten Standpunkt einnehmen. b) Die Beklagte wirft dem Handelsgericht vor, es habe die ihm vom Bundesgericht im Rückweisungsentscheid erteilten Weisungen nicht beachtet, indem es nicht eine Expertise angeordnet, sondern statt dessen sechs sogenannte fachkundige Zeugen einvernommen habe. Im Rückweisungsentscheid ist allerdings die Rede von einer Expertise; wie jedoch aus den betreffenden Ausführungen ersichtlich ist, kam es dem Bundesgericht lediglich darauf an, die Auffassungen der Akkreditivfachleute zu kennen und von ihnen zu erfahren, wie sie einen solchen Fall abwickeln würden. Ob die Vorinstanz befugt war, zur Abklärung dieser Frage ein eigentliches schriftliches Gutachten einzuholen oder die Fachleute auf eine andere Weise beizuziehen, ist eine Frage des kantonalen Prozessrechts und daher vom Bundesgericht nicht überprüfbar. Dem Sinn der bundesgerichtlichen Weisung hat die Vorinstanz dadurch genügt, dass sie die Vorsteher der Akkreditivabteilungen mehrerer bedeutender Bankunternehmen anhörte. c) Die Beklagte macht geltend, das Handelsgericht habe die bundesrechtlichen Vorschriften über den Beweis ( Art. 8 ZGB ) dadurch verletzt, dass es den von ihr angebotenen Gegenbeweis betreffend die in den Kreisen der Fachleute herrschenden Auffassungen nicht abgenommen habe. BGE 90 II 302 S. 310 Diese Rüge ist unbegründet. Das Handelsgericht kam auf Grund der Ausführungen der einvernommenen fachkundigen Zeugen zum Schluss, dass die Behauptungen der Klägerin hinsichtlich der in den Fachkreisen allgemein herrschenden Ansicht zuträfen. Die von der Beklagten verlangte Einvernahme weiterer Fachleute bezeichnete es als unnötig, weil es das Beweisthema durch die Aussagen der bereits angehörten Fachleute als hinlänglich abgeklärt erachtete. Der Beweisantrag der Beklagten wurde somit auf Grund vorweggenommener Beweiswürdigung abgelehnt. Dieses Vorgehen war mit Art. 8 ZGB vereinbar; dieser ist nur verletzt, wenn ein Beweisantrag ohne solche Prüfung und Begründung verworfen wird...
de
11e9dec2-11e1-44ca-beab-890f581b42bf
Sachverhalt ab Seite 25 BGE 128 II 24 S. 25 Die Versicherungskasse der Stadt Zürich, welche - neben einer Unfallversicherungskasse - eine Pensionskasse führt, ist eine Dienstabteilung des Finanzamtes der Stadt Zürich ohne eigene Rechtspersönlichkeit (Art. 67 Abs. 1 der Statuten). Organe der Versicherungskasse sind der Stadtrat, der Vorsteher des Finanzamtes und die Direktion der Versicherungskasse (Art. 68 Abs. 1 der Statuten); paritätisch besetzte Organe (vgl. Art. 51 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVG; SR 831.40] ) sind die Kassenkommission, der Kassenausschuss und die Anlagekommission (vgl. Art. 68 f. der Statuten). Die geltenden Statuten der Versicherungskasse datieren vom 22. Dezember 1993 und stützen sich auf Art. 118 der Gemeindeordnung der Stadt Zürich vom 26. April 1970 (Art. 1 der Statuten); die zu den Statuten gehörige Vollziehungsverordnung hat der Stadtrat am 16. November 1994 erlassen (vgl. Art. 70 Abs. 1 der Statuten). Mit Beschluss vom 2. April 1997 änderte der Gemeinderat (Legislative) der Stadt Zürich die Art. 19 und 26 der Statuten der Versicherungskasse. Es wurde ein Mechanismus vorgesehen, nach dem bei anhaltend geringer Lohnteuerung die Beiträge des Arbeitgebers - und mit diesen die Altersgutschriften der Versicherten - reduziert werden (vgl. auch Art. 11bis der Vollziehungsverordnung). Zudem traf der Gemeinderat folgende "einmalige Übergangslösung": "Für das Geschäftsjahr 1997 wird auf die Erhebung von Risikobeiträgen für Vollversicherte gemäss Art. 26 Abs. 2 der Statuten der Versicherungskasse... verzichtet. Aus dem Jahresgewinn 1996 der Pensionskasse ist einmalig eine Risikoreserve zu bilden, welche 1997 zur Finanzierung der Risikobeiträge wieder aufzulösen ist" (Ziff. 3 des Beschlusses). Die Konferenz der Personalverbände (KPV) reichte beim Amt für berufliche Vorsorge des Kantons Zürich erfolglos eine Aufsichtsbeschwerde ein, welche sich gegen die dargestellte "Übergangslösung" richtete. Auch einer Beschwerde an die Eidgenössische Beschwerdekommission der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge war kein Erfolg beschieden. Am 29. Februar 2000 hat die Konferenz der Personalverbände (KPV) Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht mit dem Antrag, das Urteil der Eidgenössischen Beschwerdekommission, BGE 128 II 24 S. 26 die Verfügung des Amtes für berufliche Vorsorge des Kantons Zürich vom 25. Februar 1998 sowie die mit Ziff. 3 des Gemeinderatsbeschlusses vom 2. April 1997 vorgenommene Statutenänderung aufzuheben; weiter sei die Stadt Zürich anzuhalten, die Finanzierung der Risikobeiträge 1997 aus dem Jahresgewinn 1996 rückgängig zu machen und diese aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. a) Die vom Kanton bezeichnete Aufsichtsbehörde wacht darüber, dass die Vorsorgeeinrichtungen die gesetzlichen Vorschriften einhalten (Art. 62 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 61 Abs. 1 BVG ); sie prüft insbesondere die Übereinstimmung der reglementarischen Bestimmungen mit den gesetzlichen Vorschriften ( Art. 62 Abs. 1 lit. a BVG ). Die Aufsichtsbehörde ist befugt, Massnahmen zur Behebung von Mängeln zu treffen ( Art. 62 Abs. 1 lit. d BVG ). So kann sie gesetzwidrige Reglemente oder Teile davon aufheben und den Vorsorgeeinrichtungen verbindliche Weisungen über die Ausgestaltung entsprechender Bestimmungen erteilen (vgl. BGE 112 Ia 180 E. 3 S. 186 f.). Die Verfügungen der Aufsichtsbehörde können an die Eidgenössische Beschwerdekommission weitergezogen werden ( Art. 74 Abs. 2 lit. a BVG ), deren Entscheide ihrerseits der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegen ( Art. 74 Abs. 4 BVG ). b) Neben den einzelnen Versicherten ist hierzu auch ein Verband legitimiert, wenn er über eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, statutengemäss die Interessen seiner Mitglieder wahrnimmt und diese selbst beschwerdebefugt wären ( BGE 112 Ia 180 E. 1b S. 182 und E. 5 S. 192). Nachdem diese Voraussetzungen bei der als Verein konstituierten Beschwerdeführerin erfüllt sind, hat die Aufsichtsbehörde die beanstandete Statutenänderung zu Recht überprüft und die Beschwerdekommission ist richtigerweise auf das ergriffene Rechtsmittel eingetreten. Die Konferenz der Personalverbände ist nach dem Gesagten auch zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht legitimiert (vgl. BGE 119 Ib 374 E. 2a/aa S. 376 f.). 2. a) Die Beschwerdeführerin erachtet es zwar ausdrücklich als zulässig, die Beiträge durch Statutenrevision zu senken, und hält fest, dass auch eine Beitragssenkung für ein Jahr einer Änderung der Statuten bedürfe. Vorliegend sei jedoch nicht eine Beitragssenkung beschlossen worden, sondern vielmehr die in Art. 26 Abs. 2 der BGE 128 II 24 S. 27 Statuten verankerte Pflicht des Arbeitgebers, Risikobeiträge zu bezahlen, unverändert beibehalten worden. Der Sache nach sei ein Beschluss über die Verwendung des Jahresgewinns 1996 getroffen worden, was aber nach Art. 23 der Statuten entweder der Kassenkommission (Abs. 4) oder aber dem Stadtrat (auf Antrag der Kassenkommission; Abs. 3) zustehe und nicht dem Gemeinderat. b) Dieser Einwand ist nicht stichhaltig: Beitragspflicht und -höhe sind in den Statuten festgelegt. Sollen die Beiträge reduziert werden, und sei dies lediglich für ein Jahr, so ist eine Statutenänderung erforderlich. Diese zu beschliessen, fällt richtigerweise in die Zuständigkeit des Gemeinderats (Art. 118 Abs. 1 der Gemeindeordnung). Entgegen der Ansicht des Bundesamtes für Sozialversicherung erweckt auch nicht grundsätzliche Bedenken, dass "lediglich" eine Übergangsbestimmung erlassen wurde, um auf die Erhebung von Beiträgen zu verzichten. Alle Bestimmungen haben - vorausgesetzt sie sind im für die Änderung der Statuten massgebenden Verfahren beschlossen worden - die gleiche Rechtswirkung, auch jene, die als Übergangsbestimmungen bezeichnet sind. Wohl trifft es zu, dass Art. 26 der Statuten weiterhin Risikobeiträge vorsieht, die vom Arbeitgeber zu bezahlen sind. Für das Geschäftsjahr 1997 steht allerdings dazu die streitige Übergangsbestimmung im Widerspruch, nach welcher auf die Erhebung von Risikobeiträgen verzichtet wird. Da beide Normen auf derselben Stufe stehen, geht die Übergangsbestimmung nach dem Grundsatz der lex specialis vor. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, es sei (formell) gar keine Beitragssenkung beschlossen, sondern nur über die Verwendung der Überschüsse des Geschäftsjahrs 1996 befunden worden, ist nicht richtig; eine Rechtswidrigkeit des Beschlusses wegen formeller Unzuständigkeit des Gemeinderats steht nicht zur Diskussion. 3. Es fragt sich allerdings, ob das Vorgehen der Stadt Zürich materiell zulässig ist, oder ob es - wie die Beschwerdeführerin weiter geltend macht - gegen Bundesrecht verstösst. a) Die Finanzierung der Einrichtungen der beruflichen Vorsorge erfolgt grundsätzlich im Kapitaldeckungsverfahren ( Art. 65 ff. BVG ). Dies bedeutet, dass die laufenden und die künftigen (anwartschaftlichen) Renten jederzeit durch ein angespartes Vorsorgekapital gedeckt sein müssen; von dieser Regel kann allerdings bei Vorsorgeeinrichtungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften unter Umständen abgewichen werden (vgl. Art. 69 Abs. 2 BVG ). Die Einnahmen der Vorsorgeeinrichtungen setzen sich namentlich aus BGE 128 II 24 S. 28 den Beiträgen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie aus den Vermögenserträgen auf dem angesparten Kapital zusammen; das Kapitaldeckungsverfahren führt zu erheblicher Vermögensbildung mit entsprechenden Erträgen. Die Vorsorgeeinrichtungen sind deshalb gesetzlich unter anderem verpflichtet, ihr Vermögen so zu verwalten, dass ein genügender Ertrag der Anlagen erwirtschaftet wird ( Art. 71 Abs. 1 BVG ; zu den Anlagevorschriften vgl. Art. 49 ff. der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1] ). Die versicherungstechnischen Berechnungen berücksichtigen die Vermögenserträge als wichtige Finanzierungsgrösse (CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 7. Aufl., Bern 2000, S. 160), wobei deren Umfang allerdings schwer prognostizierbar ist, da sie von den Marktkräften abhängig sind. b) Die Leistungen der Pensionskasse der Stadt Zürich beruhen gleich wie die zu bezahlenden Beiträge auf den Statuten vom 22. Dezember 1993. Mit diesem Erlass wurde das vormalige Leistungsprimat versicherungstechnisch in ein Beitragsprimat überführt, wobei Letzteres allerdings so ausgestaltet ist, dass die Versicherten im normalen Rücktrittsalter eine Altersrente von 60 Prozent ihres letzten Verdienstes erhalten, wenn sie eine volle Versicherungsdauer und eine durchschnittliche Lohnkarriere aufweisen (Leistungsziel). Den Versicherten steht ein individuelles Altersguthaben zu, das Basis für die Berechnung der Leistungsansprüche bildet. Es wird aus den Einlagen bei Eintritt und den "Altersnachzahlungen" sowie aus Altersgutschriften geäufnet und verzinst (Art. 19 Abs. 1 und 4 der Statuten). Die Höhe Letzterer ist nach dem Alter der Versicherten gestaffelt (Art. 19 Abs. 2 der Statuten). Die jährlichen Gutschriften setzen sich aus den Sparbeiträgen des Arbeitgebers und jenen der Versicherten zusammen; sie werden in Art. 25 und Art. 26 der Statuten bestimmt und bewegen sich für die Versicherten zwischen 6 und 9 Prozent und für den Arbeitgeber zwischen 4 und 39 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens. Mit der Statutenänderung vom 2. April 1997 wurde neu eingeführt, dass die Sparbeiträge des Arbeitgebers - und mit diesen die Altersgutschriften - bei anhaltend geringer Teuerung reduziert werden; das Leistungsziel darf dabei weder systematisch unter- noch überschritten werden (Art. 19 Abs. 6). Grund für diese Revision war, dass die Ansätze für die Altersgutschriften von einer allgemeinen Lohnteuerung von 4 Prozent ausgehen, während die effektive Teuerung in den vorangegangenen Jahren weit unter diesem Wert lag. Der neue BGE 128 II 24 S. 29 Mechanismus kommt zur Anwendung, wenn die massgebende Teuerung im vorangegangenen Jahr nicht mehr als 2,5 Prozent betrug (Art. 11bis Abs. 2 der Vollziehungsverordnung). Die Altersgutschriften der Versicherten und die Sparbeiträge des Arbeitgebers werden dann so festgesetzt, dass das Leistungsziel bei einer jährlichen Lohnteuerung von 2,5 Prozent erreicht wird. Steigt die massgebende Teuerung auf mindestens 3,25 Prozent, so kommen ab dem Folgejahr wieder die ordentlichen Beitragssätze gemäss Art. 19 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 26 Abs. 2 der Statuten zur Anwendung (Art. 11bis Abs. 3 der Vollziehungsverordnung). Diese Änderung der Statuten hat die Beschwerdeführerin nicht beanstandet; hingegen wendet sie sich gegen den Verzicht auf die Risikobeiträge von 2 Prozent für das Jahr 1997, für welche gemäss Art. 26 Abs. 2 der Statuten allein der Arbeitgeber aufzukommen hätte. Die Beitragssenkung als solche bzw. der Verzicht auf die Erhebung des Risikobeitrags ist nach der Meinung der Beschwerdeführerin nicht zu beanstanden, wohl hingegen, dass diese direkt aus dem Jahresgewinn 1996 finanziert werden soll (Bildung einer "Risikoreserve", die 1997 zur Bezahlung der Risikobeiträge wieder aufgelöst werden soll). c) Die Beschwerdeführerin bezieht sich in ihrer Kritik auf Art. 331 Abs. 3 OR . Danach muss der Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer Beiträge an eine Personalvorsorgeeinrichtung zu leisten hat, zur gleichen Zeit mindestens gleich hohe Beiträge wie die gesamten Beiträge aller Arbeitnehmer entrichten; er erbringt seine Beiträge aus eigenen Mitteln oder aus Beitragsreserven der Vorsorgeeinrichtung, die von ihm vorgängig hiefür geäufnet worden und gesondert ausgewiesen sind. Die Beschwerdeführerin räumt allerdings selber ein, dass diese Bestimmung auf öffentlichrechtliche Vorsorgeeinrichtungen nicht anwendbar ist (vgl. Art. 342 Abs. 1 lit. a OR ). Betreffend die Parität der Beiträge ergibt sich der gleiche Grundsatz aus Art. 66 Abs. 1 BVG , der auch für öffentlichrechtliche Vorsorgeeinrichtungen Geltung hat (jedenfalls im Bereich der obligatorischen Vorsorge; vgl. Art. 49 Abs. 2 BVG ). Vorliegend ist aber die Parität unproblematisch, da die Beiträge des Arbeitgebers ohnehin weit höher sind als jene der Arbeitnehmer, auch wenn auf die Erhebung des Risikobeitrags für das Jahr 1997 verzichtet wird. Der zweite Halbsatz von Art. 331 Abs. 3 OR ermöglicht dem privaten Arbeitgeber, seine Beiträge nicht nur aus eigenen Mitteln, sondern auch aus von ihm vorgängig geäufneten (und gesondert ausgewiesenen) Beitragsreserven der Vorsorgeeinrichtung zu erbringen. Damit besteht für ihn die Möglichkeit, mit Rücksicht auf BGE 128 II 24 S. 30 Schwankungen des Geschäftsgangs Beiträge auf Vorrat zu leisten, welche zu gegebener Zeit zur Erfüllung der reglementarischen Verpflichtungen eingesetzt werden können. Zugleich unterbindet Art. 331 Abs. 3 OR (in der Fassung vom 25. Juni 1982) die nach dem früheren Recht zulässige Entrichtung der Arbeitgeberbeiträge aus Stiftungsmitteln ( BGE 101 Ib 231 E. 4-7 S. 240 ff.; 103 Ib 161 E. 5 S. 172 ff.); diese vor Erlass des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge gängige Praxis wurde unterbunden, weil die eingesetzten Mittel häufig nicht ausschliesslich aus freiwilligen Arbeitgeberbeiträgen stammten, sondern durch Beiträge der Arbeitnehmer mitfinanziert waren (JÜRG BRÜHWILER, Die betriebliche Personalvorsorge in der Schweiz, Bern 1989, S. 308 u. S. 123; HANS MICHAEL RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, Bern 1985, § 5 N. 32). Vom in Art. 331 Abs. 3 OR enthaltenen Gebot, die Beiträge des Arbeitgebers aus dessen eigenen Mitteln zu finanzieren, darf nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden ( Art. 362 OR ). Bei Kassen, die auf dem Leistungsprimat basieren, wird eine temporäre Beitragsreduktion zu Lasten der freien Mittel unter gewissen Voraussetzungen als zulässig erachtet, weil Beitragsänderungen keinen Einfluss auf die Höhe der Ansprüche haben. Wenn die Vorsorgeleistungen garantiert und alle erforderlichen Reserven - auch jene für die Indexierung der Renten - gebildet sind, kann eine (paritätische) Beitragsreduktion zu Lasten der freien Mittel durchaus auch im Interesse der Arbeitnehmer liegen; Art. 331 Abs. 3 bzw. Art. 362 OR werden deshalb nicht verletzt (JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER, A-propos des normes comptables IAS 19 et FER/RPC 16 et de la professionnelle suisse, Rz. 95 ff., www.bsv.admin.ch/blind/bv/projekte/f/Schneider_def.pdf). Anders verhält es sich grundsätzlich bei Vorsorgeeinrichtungen mit Beitragsprimat: Dies, weil die Vorsorgeleistungen nicht im Voraus (in Funktion des letzten Gehalts) garantiert sind, sondern die Versicherten das Risiko tragen, dass ihr Anspruch im Zeitpunkt des Rentenbezugs dem Vorsorgeziel entspricht. Daraus wird gefolgert, dass die freien Mittel der Pensionskasse in jedem Fall für Leistungsverbesserungen einzusetzen sind und es kaum im Interesse der Arbeitnehmer liegen kann, sie für die Reduktion von Beiträgen zu verwenden (SCHNEIDER, a.a.O., Rz. 99 f.). Da es sich vorliegend aber um eine öffentlichrechtliche Vorsorgeeinrichtung handelt, sind - wie bereits erwähnt - die Schranken von Art. 331 Abs. 3 OR nicht massgebend (RIEMER, a.a.O., § 5 N. 41; SCHNEIDER, a.a.O., Rz. 101). BGE 128 II 24 S. 31 d) Bei privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen setzt eine Reduktion des Anteils der Beiträge, den der Arbeitgeber bezahlt, das Einverständnis der (paritätisch verwalteten) Stiftung voraus; einseitig reduzieren kann der Arbeitgeber seine Beiträge nur unter strengen Kautelen (HANS MICHAEL RIEMER, Für welche Zeitdauer ist das "Einverständnis" des Arbeitgebers i.S. von Art. 66 Abs. 1 Satz 3 BVG [höherer Arbeitgeberanteil an den Beiträgen] verbindlich bzw. inwiefern kann es seitens des Arbeitgebers einseitig widerrufen oder abgeändert werden?, in: SZS 1993 S. 154 ff.). Demgegenüber können bei öffentlichrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen die Arbeitgeberbeiträge - unter Wahrung der Beitragsparität ( Art. 66 Abs. 1 BVG ) - gesenkt werden, indem der Gesetzgeber den massgebenden Erlass abändert (HANS MICHAEL RIEMER, Realität und Aussichten der paritätischen Mitbestimmung in der beruflichen Vorsorge - Beziehungen zwischen Stiftungsrat und Unternehmung, in: SZS 1994 S. 369). Dies hat der Gemeinderat von Zürich mit der Einführung des Mechanismus getan, welcher bei geringer Lohnteuerung mittels Beitragsreduktion einer systematischen Überschreitung des Leistungsziels begegnen soll (Art. 19 Abs. 6 der Statuten und Art. 11bis der Vollziehungsverordnung; vgl. E. 3b). Der streitige Verzicht auf Risikobeiträge stellt indessen keine vergleichbare Massnahme dar. Es geht - obschon die als lex specialis zu betrachtende "Übergangslösung" zu einer Reduktion der Arbeitgeberbeiträge gemäss Art. 26 Abs. 2 der Statuten führt - der Sache nach nicht um eine Beitragssenkung. Der Beschluss des Gemeinderats setzt vielmehr einen Teil des Überschusses der Jahresrechnung 1996 zur Bezahlung der Risikobeiträge ein. Damit werden vom Arbeitgeber geschuldete Pensionskassenbeiträge direkt aus den freien Stiftungsmitteln finanziert, auch wenn formell ein Verzicht des zuständigen Organs auf die fraglichen Beiträge vorliegt. Das Bundesgericht hat zwar in einem parallelen Verfahren (2A.101/2000) die Statutenänderung vom 4. Februar 1998 geschützt, welche den Stadtrat ermächtigt, unter bestimmten Voraussetzungen fallweise für ein Jahr Pensionskassenbeiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmern aus freien Mitteln bzw. einer neu geschaffenen freien Reserve zu finanzieren. Anders als bei der hier streitigen einmaligen "Übergangslösung" handelt es sich bei der fraglichen Statutenänderung jedoch um eine generell-abstrakte Regelung, welche die Beitragsbefreiung einzig im Fall einer ausgewiesenen Überkapitalisierung der Vorsorgeeinrichtung und unter klar umschriebenen Voraussetzungen vorsieht (vgl. Art. 23 in der Fassung vom BGE 128 II 24 S. 32 4. Februar 1998). Weiter trägt sie, wie das Bundesgericht festgehalten hat, den unterschiedlichen Interessen der Betroffenen ausreichend Rechnung; insbesondere ist die Beitragsbefreiung - im Unterschied zur streitigen Statutenänderung, welche mit der Finanzierung der Risikobeiträge 1997 aus dem Überschuss des Vorjahres einseitig den Arbeitgeber begünstigt (E. 4 i.f.) - gleichermassen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorgesehen. e) Auch wenn die Stadt Zürich als öffentlicher Arbeitgeber an sich ihre Pensionskassenbeiträge einseitig herabsetzen kann, ist die vorliegend zu beurteilende "Übergangslösung" unzulässig. Sie führt dazu, dass die Risikobeiträge des Arbeitgebers für das Jahr 1997 aus Mitteln der Vorsorgeeinrichtung bezahlt werden. Obschon formell als Beitragssenkung ausgestaltet, handelt es sich bei der streitigen Statutenänderung - wie gesagt - materiell nicht um eine solche; in den versicherungstechnischen Kalkulationen der Pensionskasse werden denn auch die Risikobeiträge unverändert beibehalten. Dieses Vorgehen widerspricht der Verpflichtung der Stadt Zürich zur Bezahlung der reglementarisch bestimmten Arbeitgeberbeiträge ( Art. 66 BVG ): Zwar gilt die Beschränkung von Art. 331 Abs. 3 OR für öffentlichrechtliche Vorsorgeeinrichtungen nicht, weshalb der öffentliche Arbeitgeber die geschuldeten Beiträge nicht zwingend selbst zu bezahlen hat. So oder anders stellen jedoch "Zahlungen" der Vorsorgeeinrichtung, ausser sie stammen von einem separat ausgewiesenen Arbeitgeberbeitragskonto, keine Beiträge des Arbeitgebers dar; die Mittel der Pensionskasse gehören dieser selbst und sind grundsätzlich für die Vorsorge der Versicherten bestimmt, auch bei öffentlichen Kassen ohne eigene Rechtspersönlichkeit (vgl. HANS MICHAEL RIEMER, Leere Staats- und Firmenkassen - volle Pensionskassen, in: SZS 1998 S. 272 f.). Das Bundesgericht hat bereits in seiner Rechtsprechung zur alten Fassung von Art. 331 Abs. 3 OR (datierend vom 23. März 1962; AS 1962 S. 1047) angetönt, dass eine Bezahlung von Arbeitgeberbeiträgen aus freiem Stiftungsvermögen bei Kassen, welche die versicherten Risiken selbst tragen, unzulässig sei; eine blosse Umbuchung aus dem freien Vermögen in das Deckungskapital könne kaum als Entrichtung des Arbeitgeberbeitrags betrachtet werden ( BGE 101 Ib 231 E. 4e S. 242). Deshalb erscheint es als unzulässige Umgehung von Art. 66 BVG , wenn formell durch eine Statutenänderung auf die Erhebung von Risikobeiträgen verzichtet wird, nur um gleichzeitig den freien Mitteln der Vorsorgeeinrichtung die zur Bezahlung der Beiträge erforderliche Summe zu entnehmen. Dies umso mehr, als BGE 128 II 24 S. 33 der Risikobeitrag von 2 Prozent heute offenbar bereits nicht mehr ausreicht, um - entsprechend seiner Bestimmung - jenen Aufwand abzudecken, der bei Tod oder Invalidität eines Versicherten das vorhandene Altersguthaben übersteigt, und dementsprechend eigentlich versicherungsmathematisch unverzichtbar wäre. 4. Für die Personalvorsorge durch Versicherungsverträge hat das Bundesgericht in seiner früheren Rechtsprechung zugelassen, dass die Beiträge des Arbeitgebers nicht von diesem selbst, sondern aus Stiftungsmitteln bezahlt wurden; dies galt gleichermassen für rein patronale (vgl. BGE 103 Ib 161 E. 5d S. 175) und paritätisch finanzierte Personalfürsorgestiftungen (vgl. BGE 101 Ib 231 E. 4 S. 239 ff.). Diese Praxis hat darüber hinweggesehen, dass so teilweise auch Mittel zur Entrichtung der Arbeitgeberbeiträge verwendet wurden, die von den Versicherten mitfinanziert worden sind (vgl. BGE 101 Ib 231 E. 6 S. 243 f.; BGE 103 Ib 161 E. 5d S. 175). Das bedeutet jedoch nicht, dass die einseitige Verwendung von Pensionskassengeldern zur Bezahlung von Arbeitgeberbeiträgen grundsätzlich als rechtmässig betrachtet worden wäre. Die fragliche Rechtsprechung betraf einzig Personalfürsorgestiftungen ohne eigene Versicherungsfunktionen, nicht aber die hier interessierenden autonomen Kassen, welche die versicherten Risiken selbst tragen (vgl. BGE 101 Ib 231 E. 4e S. 242). Deshalb ist vorliegend letztlich auch unerheblich, dass die Neufassung von Art. 331 Abs. 3 OR auf öffentlichrechtliche Kassen keine Anwendung findet. So oder anders hat aber inzwischen das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge die Rechtslage geklärt: Aus dessen Sinn und Geist ergibt sich ohne weiteres, dass die freien Mittel der Vorsorgeeinrichtung dieser zukommen und primär zur Erreichung des Vorsorgezwecks einzusetzen sind (vgl. oben E. 3e). Weil sie mit Beiträgen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam erwirtschaftet werden, müssen grundsätzlich auch beide Gruppen profitieren können, wenn überschüssige Mittel der Vorsorgeeinrichtung für Beitragserleichterungen eingesetzt werden; die Arbeitnehmer sind dabei mindestens nach Massgabe des Beitragsverhältnisses zu beteiligen (vgl. HANS MICHAEL RIEMER, Aktuelle Fragen der Personalfürsorge, in: SJZ 73/1977 S. 73 f.; vgl. auch: BRÜHWILER, a.a.O., S. 123 Fn. 123). Mithin ist es ausgeschlossen, (einseitig) Arbeitgeberbeiträge aus Pensionskassengeldern zu bezahlen. Während die Statutenänderung vom 4. Februar 1998 diese Grundsätze respektiert (vgl. E. 3d), kommen die dem Vermögen der Vorsorgeeinrichtung entnommenen Mittel bei der zu beurteilenden BGE 128 II 24 S. 34 "Übergangslösung" einseitig dem Arbeitgeber zugute, weil dieser (alleine) für die Risikobeiträge aufzukommen hätte. Die Vorgehensweise der Stadt Zürich ist deshalb auch insoweit unzulässig. 5. a) Nach dem Gesagten verstösst die streitige Statutenänderung (Ziff. 3 des entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses vom 2. April 1997) gegen Bundesrecht; in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist sie zusammen mit dem sie schützenden Entscheid der Eidgenössischen Beschwerdekommission und der Verfügung des Amtes für berufliche Vorsorge des Kantons Zürich vom 25. Februar 1998 aufzuheben. Eine hierüber hinausgehende konkrete Anweisung an die Stadt Zürich, wie bezüglich der Risikobeiträge für das Jahr 1997 zu verfahren sei, erübrigt sich, nachdem diese nun infolge Aufhebung der streitigen Statutenänderung geschuldet sind.
de
73ba636b-c641-4282-bd88-77b800c3b267
Sachverhalt ab Seite 526 BGE 131 II 525 S. 526 Die A. AG veräusserte per 31. Mai 2000 ihre Division X. an die M.; der schweizerische Teil der Division wurde in die V. AG (heute: H. GmbH) eingebracht. Im Rahmen des Verkaufs der Division X. verliessen 734 aktive Versicherte die Pensionskasse A., von denen 721 (ausmachend 12.8 Prozent aller Versicherten) in die neu gegründete Pensionskasse V. (heute: Pensionskasse H.) übertraten; sämtliche 687 Rentenbezüger verblieben bei der Pensionskasse A. Die Aufsichtsbehörde BVG und Stiftungsaufsicht des Kantons Basel-Stadt stellte diesbezüglich fest, dass die Voraussetzungen für eine Teilliquidation der Pensionskasse A. gegeben seien, und genehmigte den von dieser vorgelegten Teilungsplan (Verfügung vom 10. Januar 2002). Gemäss diesem betrug die Austrittsleistung des Abgangsbestands (d.h. jener Versicherten, die zur Pensionskasse V. übertraten) insgesamt 195'991'200 Franken, wovon ihr Anteil am freien Stiftungsvermögen 25'378'200 Franken ausmachte; vereinbarungsgemäss wurden die Ansprüche des Abgangsbestands in bar abgegolten. Die Genehmigungsverfügung fochten verschiedene Versicherte sowie die Pensionskasse V. bei der Eidgenössischen Beschwerdekommission der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge an; sie verlangten im Wesentlichen eine Beteiligung BGE 131 II 525 S. 527 des Abgangsbestands an den Wertschwankungsreserven der Pensionskasse A. Mit Entscheid vom 7. Mai 2004 wies die Beschwerdekommission die Beschwerde ab. Am 13. August 2004 haben die am Verfahren beteiligten Versicherten sowie die Pensionskasse H. (ehemals Pensionskasse V.) beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. 4.1 Kommt es zu einer Teilliquidation einer Vorsorgeeinrichtung, so wird dieser ein so genanntes "Fortbestands- oder Fortführungsinteresse" zugebilligt. Unter dem betreffenden Titel bildet die Pensionskasse jene Reserven und Rückstellungen, welche sie mit Blick auf die anlage- und versicherungstechnischen Risiken nach Abwicklung der Teilliquidation benötigt, um die Vorsorge der verbleibenden Destinatäre im bisherigen Rahmen weiterzuführen (vgl. CARL HELBLING, Zum Verfahren der Teil- und Gesamtliquidation von Personalvorsorgeeinrichtungen, in: Schmid [Hrsg.], Teilliquidationen von Vorsorgeeinrichtungen, Bern 2000, S. 72; CHRISTINA RUGGLI-WÜEST, Liquidation/Teilliquidation der Vorsorgeeinrichtung, in Schaffhauser/Stauffer [Hrsg.], Neue Entwicklungen in der beruflichen Vorsorge, St. Gallen 2000, S. 162, Fn. 36). Es handelt sich dabei insbesondere um Risikoschwankungsreserven, Wertschwankungsreserven auf den Aktiven, Zinsreserven (im Hinblick auf die gesetzliche Mindestverzinsung der Altersguthaben), Reserven wegen der Zunahme der Lebenserwartung, Reserven für die Anpassung der laufenden Renten an die Teuerung sowie Rückstellungen für latente Steuern und Abgaben auf Liegenschaften (vgl. CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 7. Aufl., Bern 2000, S. 267; OLIVIER DEPREZ, Feststellung der freien Mittel, in: Schmid [Hrsg.], Teilliquidationen von Vorsorgeeinrichtungen, Bern 2000, S. 46 ff.; OSKAR LEUTWILER, Teilliquidation einer Pensionskasse, in: Schweizer Treuhänder [ST] 1999 S. 324; Gemischte Kommission der Treuhand-Kammer und der Schweizerischen Aktuarvereinigung, Leitfaden zur Teilliquidation [Hrsg.], Zürich 2001, S. 18 f.; JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER, Fonds libres et liquidations de caisses de pensions, in: SZS 2001 S. 462 f.). 4.2 Zusätzlich zum Fortbestandsinteresse ist bei der Teilliquidation von Vorsorgeeinrichtungen als zentrales Prinzip das BGE 131 II 525 S. 528 Gleichbehandlungsgebot zu beachten. Das Bundesgericht leitete schon vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes aus dem Rechtsgleichheitsgebot sowie aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Verpflichtung der Vorsorgeeinrichtung ab, im Falle einer Teilliquidation eine den konkreten Verhältnissen angepasste Aufteilung des Vorsorgevermögens vorzunehmen. Es formulierte deshalb den Grundsatz, dass das Personalvorsorgevermögen den bisherigen Destinatären zu folgen habe, damit nicht wegen Personalfluktuationen einzelne Gruppen von Versicherten zulasten anderer profitieren ( BGE 128 II 394 E. 3.2 S. 396 f.; BGE 119 Ib 46 E. 4c S. 54; BGE 110 II 436 E. 4 f. S. 442 ff.). Mit Erlass des Freizügigkeitsgesetzes - und zuletzt im Rahmen der auf den 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge (vgl. Art. 53d BVG ) - ist die Bedeutung des Gleichbehandlungsgebots weiter betont worden, so dass es heute als gleichberechtigtes Prinzip neben dem Fortbestandsinteresse steht (vgl. BGE 131 II 514 E. 5.4 S. 521). 5. Die Beschwerdeführer machen geltend, sich in einer besonderen Situation zu befinden, weil die Pensionskasse V. eine Neugründung gewesen sei, die selbst weder über Reserven noch über Anlagen verfügt habe. Sie stellen anschliessend Vergleiche zwischen den Deckungsgraden der beiden beteiligten Vorsorgeeinrichtungen an und kommen zum Schluss, dass nur bei einer Übertragung von zusätzlichen 42 Mio. Franken auf die Beschwerdeführerin 11 dem Gleichbehandlungsgebot Genüge getan sei. 5.1 Dieser Vergleich ist jedoch schon im Ansatz verfehlt: Die Lage einer neu gegründeten Pensionskasse unterscheidet sich hinsichtlich des Übertritts von Versicherten aus einer anderen Vorsorgeeinrichtung nicht wesentlich von jener einer bestehenden Pensionskasse. Letztere verfügt zwar bereits über Reserven und Rückstellungen, welche sie jedoch nur für ihren bisherigen Versichertenbestand berechnet und gebildet hat. Zudem darf sie allfällige freie Mittel nicht ohne weiteres (auch) zugunsten der Neuzugänge verwenden, weil es für ihre bisherigen Versicherten unzumutbar wäre, das Vorsorgevermögen zu teilen, welches sie zuvor allein geäufnet haben. Letztlich vermag eine bestehende Pensionskasse - gleich wie eine neu gegründete Vorsorgeeinrichtung - für die übertretenden Versicherten nur die von diesen mitgebrachten Mittel einzusetzen. BGE 131 II 525 S. 529 5.2 Weiter verkennen die Beschwerdeführer die Natur der Wertschwankungsreserven; bei diesen handelt es sich nicht um freie Mittel, sondern - wie bereits der Name anzeigt - um einen Bilanzposten zur Absicherung des Risikos von Wertschwankungen der Vermögensanlagen. Eine entsprechende Korrektur ist buchhalterisch geboten und unter dem Titel des Fortbestandsinteresses auch im Rahmen einer Teilliquidation ohne weiteres zulässig ( BGE 128 II 394 E. 6.3 S. 404). Für die Bestimmung der Höhe der Wertschwankungsreserven am Stichtag ist der Grundsatz der Stetigkeit zu beachten und grundsätzlich nach der bisherigen Bilanzierungspraxis zu verfahren; dabei ist aber sicherzustellen, dass der Anlagestrategie der Kasse und mithin den konkret eingegangenen Risiken ausreichend Rechnung getragen wird (vgl. Gemischte Kommission der Treuhand-Kammer und der Schweizerischen Aktuarvereinigung, a.a.O., S. 15 f.). Die Beschwerdegegnerin hat ihre Wertschwankungsreserven mit Blick auf die Teilliquidation überprüft und um gut 41.2 Mio. Franken reduziert. Am Stichtag machten sie noch 360'136'600 Franken und damit rund 16.7 Prozent des Nettowerts jener Aktiven aus, die bei der Beschwerdegegnerin verblieben. Sie bewegen sich damit im mittleren Bereich der Bandbreite von zehn bis zwanzig Prozent der Vermögensanlagen, in welcher Wertschwankungsreserven von Lehre und Praxis gemeinhin als angemessen betrachtet werden ( BGE 128 II 394 E. 6.3 S. 404; DEPREZ, a.a.O., S. 46; CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 7. Aufl., Bern 2000, S. 268). Angesichts einer relativ risikoreichen Anlagestrategie der Beschwerdegegnerin, welche ihre Mittel zu rund der Hälfte in Aktien und Derivate investiert hat, ist die Höhe der Wertschwankungsreserven nicht zu beanstanden. 5.3 Weil die Wertschwankungsreserven nach dem Gesagten einen eigentlichen Korrekturposten auf den Aktiven darstellen (und sich hier im Rahmen des Zulässigen bewegen), hätten die Beschwerdeführer sie im Rahmen ihrer Vergleichsberechnungen zum Abzug bringen müssen. Dann hätten sie festgestellt, dass bezüglich der Deckungsgrade keine Unterschiede bestehen: Wird nämlich in den Berechnungen der Beschwerdeführer das Nettovermögen der Beschwerdegegnerin um die Wertschwankungsreserven und den Erneuerungsfonds für Liegenschaften vermindert (sowie gleichzeitig die gebundenen Mittel um jene 30 Mio. Franken erhöht, welche unbestrittenermassen noch nicht individualisierte Guthaben der Rentner darstellen), so ergibt sich sowohl vor BGE 131 II 525 S. 530 als auch nach der Teilliquidation ein Deckungsgrad von 115 Prozent und nicht, wie geltend gemacht, von 139.5 bzw. 142.3 Prozent. Dieser Deckungsgrad entspricht - wie die folgende Tabelle zeigt - jenem der neu gegründeten Pensionskasse, den die Beschwerdeführer selbst mit 114.9 Prozent angegeben haben. Beschwerdegegnerin Beschwerdegegnerin Beschwerdeführerin 11 vor Teilliquidation nach Teilliquidation Nettovermögen zu Marktwerten 2'371'353'400 2'175'362'200 195'991'200 Erneuerungsfonds für Liegenschaften - 21'635'300 - 21'635'300 - Wertschwankungsreserven - 360'136'600 - 360'136'600 - verfügbare Mittel 1'989'581'500 1'793'590'300 195'991'200 gebundene Mittel 1'729'435'600 1'558'822'600 170'613'000 Deckungsgrad 115.0 % 115.1 % 114.9 % 5.4 Zwar kann im Allgemeinen aus derartigen Vergleichen von Deckungsgraden nichts Aussagekräftiges für eine Teilliquidation geschlossen werden. Im vorliegenden Fall mögen die (korrigierten) Berechnungen jedoch ausnahmsweise als Indiz dafür dienen, dass Abgangs- und Fortbestand insoweit gleich behandelt worden sind. Dies, weil zum einen die Reglemente der beiden Vorsorgeeinrichtungen (und damit deren Leistungen) nahezu identisch sind; zum andern wurde die übernehmende Vorsorgeeinrichtung neu gegründet, weshalb ihr Deckungsgrad nicht von einer vorbestehenden Vermögens- und Verpflichtungslage beeinflusst wird. Mithin lassen die Deckungsgrade der beiden Pensionskassen im Moment der Teilliquidation bei korrekter Betrachtung nicht auf eine Ungleichbehandlung der Versicherten schliessen. 6. Gleichzeitig erhellt aus dem Gesagten aber, dass sich die beiden Kassen bezüglich der Schwankungsreserven in einer wesentlich anderen Lage befinden: Während die Beschwerdegegnerin nach der Teilliquidation unter diesem Titel einen Betrag von 360 BGE 131 II 525 S. 531 Mio. Franken ausweist, verfügt die Beschwerdeführerin 11 über keinerlei Wertschwankungsreserven. 6.1 Dieser Unterschied rührt aber letztlich allein daher, dass die Beschwerdeführerin 11 die auf sie zu übertragenden Mittel gänzlich in bar erhalten hat: Weil die Wertschwankungsreserven das Risiko von Wertschwankungen auf den Vermögensanlagen absichern, sind sie an jene Aktiven gebunden, für die sie gebildet wurden. Daraus folgt der Grundsatz, dass sie im Rahmen einer Teilliquidation dem Aktivum folgen, mit dem sie verbunden sind; wird dieses auf eine andere Vorsorgeeinrichtung übertragen, so ist die betreffende Wertschwankungsreserve mitzuübertragen. Angesichts der Funktion der Schwankungsreserven ist es logisch, dass auf Barmitteln, die selbst keinen Wertschwankungen unterliegen, keine Reserven gebildet werden. Dies führt dazu, dass bei einer Befriedigung der Ansprüche des Abgangsbestands durch Barmittel keine Wertschwankungsreserven bestehen, die mitzuübertragen wären; die vorhandenen Wertschwankungsreserven sind an andere Aktiven gebunden und können deshalb nicht abgetreten werden. Diese Gegebenheiten sind eine direkte Folge von Sinn und Zweck der Wertschwankungsreserven einerseits und der zwischen den beiden betroffenen Vorsorgeeinrichtungen bzw. deren Muttergesellschaften getroffenen ausdrücklichen Vereinbarung andererseits, gemäss welcher ausschliesslich Barmittel übertragen werden sollen. 6.2 Insoweit liegt denn auch keine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots vor. Dieses verlangt eine Teilung von Rückstellungen und Reserven nur insoweit, als bezüglich der hierdurch abgesicherten Risiken auch tatsächlich gleiche Verhältnisse vorliegen. Nimmt der Abgangsbestand als Austrittsleistung - wie hier - nur Aktiven mit, die keinen Wertschwankungen unterliegen, so werden auf seine neue Vorsorgeeinrichtung keine (unmittelbaren) Anlagerisiken übertragen, die mit einem Anteil an den Wertschwankungsreserven abzusichern wären. Bei solchen Gegebenheiten gebietet das Gleichbehandlungsgebot deshalb keine Teilung der Schwankungsreserve, da am Stichtag hinsichtlich der Anlagerisiken nicht gleiche, sondern unterschiedliche Verhältnisse vorliegen. Daran ändert der Umstand nichts, dass die neue Vorsorgeeinrichtung des Abgangsbestands die übertragenen Barmittel anlegen und alsdann auf den neu erworbenen Aktiven ihrerseits Wertschwankungsreserven bilden muss. Zwar ist der entsprechende BGE 131 II 525 S. 532 Bedarf für Schwankungsreserven durch die übertragenen Barmittel nicht gedeckt; auf der anderen Seite erlaubt es die Übertragung von Barmitteln der Vorsorgeeinrichtung aber, ihre Anlagestrategie völlig frei und insbesondere unabhängig von jener der abgebenden Kasse zu bestimmen. Je nach Grösse, Zusammensetzung des Versichertenbestands und Vermögenslage können die Strategien und mit ihnen der Rückstellungsbedarf sehr unterschiedlich ausfallen. Nichts anderes ergäbe sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer, wenn bereits das revidierte Recht zur Anwendung käme: Der von ihnen angerufene Art. 27h der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1) statuiert zwar ausdrücklich einen kollektiven anteilmässigen Anspruch auf die Schwankungsreserven. Dies gilt aber gemäss ausdrücklichem Wortlaut der Bestimmung nur insoweit, als auch anlagetechnische Risiken übertragen werden. Nach dem Gesagten ist dies bei einer gänzlichen Abgeltung der Ansprüche mit Barmitteln gerade nicht der Fall. 6.3 Im Umstand, dass die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin 11 keine Schwankungsreserven übertragen hat, liegt demnach kein Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot. Gleichzeitig steht auch fest, dass die Beschwerdegegnerin korrekt verfahren ist, als sie die Wertschwankungsreserven im Hinblick auf den geringeren Bedarf nach der Teilliquidation reduzierte: Sie hat die nicht mehr notwendigen Reserven im Wert von 41.2 Mio. Franken den freien Mitteln zugeschlagen, an denen in der Folge bekanntlich auch der Abgangsbestand anteilmässig partizipierte. Für eine direkte Übertragung des ganzen Betrags auf die Beschwerdeführerin 11 bestand nach dem Gesagten kein Anlass.
de
179cc376-455f-44f2-adfa-371452699800
Sachverhalt ab Seite 737 BGE 138 III 737 S. 737 X. und Y. heirateten am 28. September 2000. Am 24. Oktober 2006 wurde die Tochter Z. geboren. Gegen Mutter und Kind erhob Y. eine Klage auf Anfechtung seiner Vaterschaft. Das Kind erhielt für die Führung des Prozesses einen Beistand und schloss auf Abweisung wegen Verwirkung der Klagefrist. X. verlangte ebenfalls die BGE 138 III 737 S. 738 Abweisung der Klage. Gemäss dem gerichtlich eingeholten DNA-Gutachten kann Y. als Vater des Kindes Z. mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Das Bezirksgericht stellte fest, dass Y. nicht der Vater von Z. ist. X. legte eine Berufung gegen Y. und Z. ein und begehrte, die Anfechtungsklage abzuweisen. Das Obergericht trat auf die Berufung nicht ein mit der Begründung, Mutter und Kind seien im Anfechtungsprozess notwendige Streitgenossen, weshalb die Mutter allein keine Berufung erheben könne. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde von X. (Beschwerdeführerin) gut und weist die Sache an das Obergericht zur Beurteilung der Berufung der Beschwerdeführerin zurück. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Der Anfechtungsprozess ist am 3. Januar 2011 eingeleitet worden. Das kantonale Verfahren hat deshalb insgesamt der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) unterstanden. Die "Notwendige Streitgenossenschaft" (Marginalie) wird in Art. 70 ZPO geregelt. Sind danach mehrere Personen an einem Rechtsverhältnis beteiligt, über das nur mit Wirkung für alle entschieden werden kann, so müssen sie gemeinsam klagen oder beklagt werden (Abs. 1). Rechtzeitige Prozesshandlungen eines Streitgenossen wirken auch für säumige Streitgenossen; ausgenommen ist das Ergreifen von Rechtsmitteln (Abs. 2). Laut Botschaft bestimmt das materielle Recht, in welchen Fällen eine gemeinsame Prozessführung notwendig ist. Wird die Klage in Fällen notwendiger Streitgenossenschaft nicht von allen Berechtigten erhoben oder nicht gegen alle Verpflichteten gerichtet, so fehlt die Aktiv- bzw. Passivlegitimation und die Klage wird als unbegründet abgewiesen. Für das Ergreifen von Rechtsmitteln gilt wie bei der Klageeinreichung, dass die gesamte Streitgenossenschaft handeln muss (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7221, 7280 Ziff. 5.53 zu Art. 68 des Entwurfs). Die Botschaft ist dem Vorentwurf der Expertenkommission gefolgt (vgl. Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Vorentwurf der Expertenkommission, Juni 2003, Art. 62 S. 14, und Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission, Juni 2003, S. 37), obgleich im Vernehmlassungsverfahren unter anderem das gemeinsame Ergreifen von Rechtsmitteln durch notwendige Streitgenossen bei kurzen Fristen als problematisch bezeichnet wurde (vgl. Zusammenstellung der Vernehmlassungen, Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die Schweizerische BGE 138 III 737 S. 739 Zivilprozessordnung [ZPO], 2004, S. 199 ff.). Die Eidgenössischen Räte haben dem bundesrätlichen Entwurf diskussionslos zugestimmt (AB 2007 S 508 und AB 2008 N 649). 3. Die materiell-rechtliche Ausgangslage zeigt sich wie folgt: 3.1 Die Beschwerdeparteien haben am 28. September 2000 geheiratet. Während der Ehe ist am 24. Oktober 2006 die Tochter Z. geboren. Das Kindesverhältnis zum Vater besteht hier kraft seiner Ehe mit der Mutter (vgl. Art. 252 Abs. 2 ZGB ). Der Ehemann gilt als Vater, wenn ein Kind während der Ehe geboren ist (vgl. Art. 255 Abs. 1 ZGB ). Die Vermutung der Vaterschaft kann gemäss Art. 256 ZGB vom Ehemann (Abs. 1 Ziff. 1) und vom Kind, wenn während seiner Unmündigkeit der gemeinsame Haushalt der Ehegatten aufgehört hat (Abs. 1 Ziff. 2), beim Gericht angefochten werden, wobei sich die Klage des Ehemannes gegen das Kind und die Mutter und die Klage des Kindes gegen den Ehemann und die Mutter richtet (Abs. 2). Dass sich die Anfechtungsklage des Ehemannes gegen das Kind und die Mutter richtet, war bereits in aArt. 253 Abs. 2 ZGB von 1907/12 vorgesehen (AS 24 233, 298 und BS 2 3, 47). Diesbezüglich hat die ZGB-Revision von 1976/78 nichts geändert (vgl. Botschaft an die Bundesversammlung vom 5. Juni 1974 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesverhältnis], BBl 1974 II 1, 29 f. Ziff. 312.21). 3.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu aArt. 253 Abs. 2 ZGB besteht zwischen Mutter und Kind im Anfechtungsprozess eine notwendige (passive) Streitgenossenschaft, doch hindert dieser Umstand nicht daran, dass ein im Verfahren gegen Mutter und Kind ergangener Entscheid von der Mutter oder vom Kind allein weitergezogen werden kann. Begründet wurde die Rechtsprechung zunächst mit den Bestimmungen über den Bundeszivilprozess und den im Anfechtungsverfahren geltenden Prozessmaximen. In den Vordergrund rückte später die Begründung, es liesse sich nicht rechtfertigen, dass in der vorliegenden Prozesssituation dem Kinde, zufolge der entgegengesetzten Stellungnahme seiner mitbeklagten Mutter zur Klage, die Anrufung der obersten Instanz verunmöglicht sein sollte. Auf die Berufung des Kindes ist daher einzutreten, ohne dass die Mutter im Berufungsverfahren als dessen Streitgenossin oder gar als Berufungsbeklagte zu behandeln wäre. Davon, dass es zufolge des Ausscheidens der Mutter aus dem Verfahren zu sich widersprechenden Urteilen käme, wenn in Gutheissung der Berufung des Kindes allein die Klage gegen dieses abgewiesen würde, kann selbstverständlich BGE 138 III 737 S. 740 keine Rede sein. Der eheliche oder uneheliche Status einer Person ist ein einheitliches Rechtsverhältnis; das letztinstanzliche rechtsgestaltende Urteil darüber wirkt gegenüber allen am Rechtsverhältnis, nicht nur den am Prozesse in seiner letzten Phase, Beteiligten in gleicher Weise, also gegenüber Ehemann, Mutter und Kind gleich (vgl. BGE 82 II 1 S. 3 f.; BGE 87 II 281 E. 1 S. 284; BGE 95 II 291 E. 1 S. 294). Dass Mutter und Kind als notwendige Streitgenossen nicht gemeinsam, sondern je für sich allein ein Rechtsmittel gegen das die Anfechtungsklage gutheissende Urteil einlegen können, wurde in der späteren Rechtsprechung als eine Ausnahme von allgemeinen Grundsätzen für den Sonderfall von Statusklagen bezeichnet (vgl. BGE 130 III 550 E. 2.1.2 S. 552 f.) und auch nach Inkrafttreten von Art. 256 Abs. 2 ZGB diskussionslos anerkannt (vgl. Urteil 5A_240/2011 vom 6. Juli 2011 E. 3). 3.3 Die Rechtsprechung wird in den Kommentierungen des Kindesrechts unwidersprochen wiedergegeben (vgl. HEGNAUER, Berner Kommentar, 3. Aufl. 1964, N. 15 und 38 zu aArt. 253 ZGB, und 4. Aufl. 1984, N. 83 und 86 zu Art. 256 ZGB ; GUILLOD, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. I, 2010, N. 12, und SCHWENZER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 4. Aufl. 2010, N. 9 zu Art. 256 ZGB ). Vereinzelt wird klargestellt, dass am eingeklagten Rechtsverhältnis an sich nur der Vater und das Kind beteiligt sind. Von Gesetzes wegen aber muss die Mutter neben dem Kind eingeklagt werden, hat doch die Beseitigung des Kindesverhältnisses für sie schwerwiegende moralische und materielle Auswirkungen (vgl. STETTLER, Das Kindesrecht, SPR Bd. III/2, 1992, § 11/I/B S. 173). Folgerichtig wird aus prozessualer Sicht darauf hingewiesen, dass auf der Beklagtenseite eine sog. uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft vorliegt, die keine gemeinsame Prozessführung voraussetzt, zumal das Urteil zur Vaterschaft rechtsgestaltend wirkt und jedermann bindet (vgl. HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl. 1990, N. 287 S. 156, mit Hinweis auf BGE 82 II 3 in Anm. 19; vgl. zum Begriff: BGE 136 III 534 E. 2.1 S. 535). 4. Seine abweichende Meinung begründet das Obergericht mit dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung und mit Hinweis auf eine Lehrmeinung zu Art. 70 ZPO . 4.1 Nach der zitierten Lehrmeinung bleibt für die Praxis, wonach Rechtsmittel betreffend Gestaltungsklagen, namentlich in Bezug auf die Anfechtung der Vaterschaft, von jedem Streitgenossen allein mit Wirkung für alle erhoben werden könnten, gemäss Art. 70 Abs. 2 BGE 138 III 737 S. 741 ZPO kein Raum mehr (vgl. ANNE-CATHERINE HAHN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 15 zu Art. 70 ZPO ). Davon gibt es wiederum abweichende Meinungen, die von der gemeinsamen Einlegung eines Rechtsmittels durch die notwendigen Streitgenossen Ausnahmen zur Verwirklichung des materiellen Rechts und zwecks Abwendung drohender Nachteile (z.B. Interessenkollisionen) zulassen wollen (vgl. RUGGLE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 44 zu Art. 70 ZPO ) oder eine Weitergeltung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im vorliegenden Bereich anerkennen (vgl. DOMEJ, in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 24 zu Art. 70 ZPO , S. 303). Entscheidend ist, dass nicht das Prozessrecht, sondern das materielle Recht bestimmt, in welchen Fällen mehrere Personen zur gemeinsamen Prozessführung verpflichtet sind (vgl. E. 2 hiervor). In Auslegung von aArt. 253 Abs. 2 ZGB und dem hier inhaltlich gleichlautenden Art. 256 Abs. 2 ZGB ist das Bundesgericht zum Ergebnis gelangt, dass wegen der Gefahr einer Kollision der Interessen von Mutter und Kind und mit Rücksicht auf die Gestaltungswirkung des eine Anfechtungsklage gutheissenden Urteils Mutter oder Kind allein ein Rechtsmittel einlegen dürfen (E. 3 hiervor). Daran ist festzuhalten und hat das Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung nichts geändert. Fallbezogen kommt hinzu, dass die Beschwerdeführerin ihre kantonale Berufung ausdrücklich auch gegen die Tochter gerichtet hat und in ihrer heutigen Beschwerde die Tochter als Verfahrensbeteiligte aufführt, womit in formeller Hinsicht der Einbezug des Kindes in das Rechtsmittelverfahren gewährleistet ist. 4.2 Das Bundesgericht hat auch nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) keinen begründeten Anlass gesehen, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen (vgl. Urteil 5A_240/2011 vom 6. Juli 2011 E. 3). Die obergerichtliche Auslegung, die Mutter des Kindes sei zur Berufung gegen das eine Anfechtungsklage gutheissende Urteil allein nicht berechtigt, führt dazu, dass sich am Verfahren vor Obergericht als Partei nicht mehr beteiligen kann, wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist. Die Ablehnung der Berufungsberechtigung in Anwendung von Art. 70 Abs. 2 ZPO verletzt somit Art. 111 Abs. 1 BGG , wonach die kantonalen Behörden die Rechtsmittelbefugnis nicht enger fassen dürfen, als dies für die Beschwerde an das Bundesgericht vorgesehen ist (vgl. Urteil 4A_33/2007 vom 27. September 2007 E. 2; für den öffentlich-rechtlichen BGE 138 III 737 S. 742 Bereich: BGE 138 II 162 E. 2.1.1 S. 164; BGE 137 II 30 E. 2.2.1 S. 32 f.). Die angefochtene Auslegung lässt sich auch unter dem Blickwinkel der Einheit der Verfahrensordnung nicht halten. 4.3 Aus den dargelegten Gründen muss die Beschwerde gutgeheissen und der angefochtene Beschluss, auf die Berufung nicht einzutreten, aufgehoben werden. Auf die in der Eventualbegründung erhobenen Rügen gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege im kantonalen Berufungsverfahren ist damit nicht mehr einzugehen.
de
a79f8f19-9f60-4ee9-b3ae-b855695c8790
Sachverhalt ab Seite 238 BGE 123 IV 236 S. 238 A.- In der Ausgabe Nr. 22 vom 1. Juni 1995 berichtete das Wochenmagazin FACTS unter dem Titel "Dreifuss vs. Ogi/Ruth weist Dölf in die Bahnschranken" über gegensätzliche Auffassungen zwischen dem Vorsteher des Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartementes (EVED) und der Vorsteherin des Eidg. Departementes des Innern (EDI) über das "Politische Leitbild für die Schweizerischen Bundesbahnen", das an der Bundesratssitzung vom 17. Mai 1995 genehmigt worden war. Im vom FACTS-Bundeshausredaktor A. verfassten Artikel waren unter anderem fotografische Auszüge aus dem Mitbericht des EDI vom 15. Mai 1995 sowie aus der Stellungnahme des EVED vom 16. Mai 1995 zu diesem abgedruckt. Im Text des Artikels wurden die gegensätzlichen Auffassungen der beiden Departemente dahin kommentiert, dass sie einen neuen Graben in der Landesregierung freilegten. B.- Am 6. Juni 1995 reichte der Bundeskanzler im Auftrag des Bundesrates wegen der Veröffentlichung besagter Dokumente bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige ein. Gleichentags eröffnete die Bundesanwaltschaft gegen "Unbekannt (Bundesbeamter) und A." ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses ( Art. 320 StGB ) und Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen ( Art. 293 StGB ). C.- Am 12. Juni 1995 ersuchte die Bundesanwaltschaft zur Ermittlung der Täterschaft der Amtsgeheimnisverletzung die Rechtsabteilung der Generaldirektion PTT um Abhörung bzw. Erfassung des gesamten über die Telefonnummer 031/320 28 20 und die Telefaxnummer 031/320 28 28 geführten Fernmeldeverkehrs der Bundeshausredaktion des Wochenmagazins FACTS, ausgenommen Gespräche und Faxmitteilungen, welche offensichtlich nicht aus der Bundesverwaltung in Bern stammten oder nicht an diese gerichtet seien. Gleichzeitig ersuchte die Bundesanwaltschaft um eine rückwirkende Teilnehmeridentifikation, d.h. um nachträgliche Auskunft darüber, ab welchen Telefon-/Telefaxanschlüssen bzw. an welche Telefon-/Telefaxanschlüsse der Bundesverwaltung in Bern in der Zeit vom 14. bis und mit 31. Mai 1995 Gespräche bzw. Mitteilungen an die beiden zu überwachenden Anschlüsse bzw. ab diesen erfolgten; den Anschlüssen der Bundesverwaltung seien die Namen der Bundesbediensteten zuzuordnen, denen sie zugeteilt seien; bei nicht persönlich zugeteilten Anschlüssen sei die betreffende Dienststelle des Bundes zu bezeichnen. BGE 123 IV 236 S. 239 Gleichentags richtete die Bundesanwaltschaft die entsprechenden Gesuche um Genehmigung der beiden Überwachungsmassnahmen an den Präsidenten der Anklagekammer des Bundesgerichts, welcher diese am 13. Juni 1995 erteilte, für die Abhörung der Telefongespräche und die Erfassung der Faxmitteilungen bis am 12. September 1995. D.- Die Überwachung blieb erfolglos. Das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt und A. wurde jedoch weitergeführt. Am 24. Februar 1997 teilte die Bundesanwaltschaft der Bundeshausredaktion FACTS mit, dass sie in bezug auf deren Anschlüsse, Telefonnummer 031/320 28 20 und Telefaxnummer 031/320 28 28, für den Zeitraum vom 14.-31. Mai 1995 eine rückwirkende Teilnehmeridentifikation durchgeführt habe, beschränkt auf den Fernmeldeverkehr mit der Bundesverwaltung in Bern sowie ohne Erfassung der Gesprächs- oder Telefaxinhalte; mitgeteilt wurde auch die Abhörung bzw. Erfassung des über diese Anschlüsse abgewickelten Fernmeldeverkehrs vom 12. Juni bis 12. September 1995, beschränkt auf den Fernmeldeverkehr mit der Bundesverwaltung in Bern, wobei aus technischen Gründen bis anfangs Juli 1995 nur eine Teilnehmeridentifikation habe durchgeführt werden können. Am 1. März 1997 liessen A., B. und C. sowie die TA-Media AG als Herausgeberin des Nachrichtenmagazins FACTS durch ihre gemeinsamen Rechtsvertreter bei der Bundesanwaltschaft ein Begehren um Akteneinsicht stellen. Am 12. März 1997 hiess die Bundesanwaltschaft das Begehren von A. in dem Sinne gut, dass ihm "Akteneinsicht betreffend die rückwirkende Teilnehmeridentifikation und Überwachung des Fernmeldeverkehrs" gewährt wurde; es wurde dazu ein besonderes "Einsichtsdossier A." erstellt. Dem Begehren der übrigen Gesuchsteller wurde nicht stattgegeben. E.- Mit Beschwerde vom 6. März 1997 beantragen die FACTS-Bundeshausredaktoren A., B. und C. sowie die TA-Media AG der Anklagekammer des Bundesgerichts, die Verfassungswidrigkeit und Widerrechtlichkeit der von der Bundesanwaltschaft angeordneten Überwachung ihres Fernmeldeverkehrs im Zeitraum vom 14. Mai 1995 bis 12. September 1995 festzustellen und die mit der Massnahme produzierten Akten aus dem Recht zu weisen. Die Bundesanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen, sofern und soweit darauf eingetreten werden könne. F.- Mit Verfügung vom 21. Mai 1997 wies der Vizepräsident der Anklagekammer die Bundesanwaltschaft an, alle Akten des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens gegen Unbekannt und A. BGE 123 IV 236 S. 240 einzureichen. Ferner wurden die Akten des Präsidenten der Anklagekammer betreffend die Genehmigung der angefochtenen Überwachungsmassnahmen beigezogen. G.- Im angeordneten zweiten Schriftenwechsel halten die Parteien an ihren Anträgen fest. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Die hier zu beurteilende Überwachung des Fernmeldeverkehrs wurde durch den damaligen Präsidenten der Anklagekammer genehmigt. Der derzeitige Präsident der Anklagekammer genehmigte eine in einem parallelen Beschwerdeverfahren angefochtene Überwachung des Fernmeldeverkehrs, bei welcher die gleichen Rechtsfragen wie im vorliegenden Fall zu prüfen sind. Er trat daher in den Ausstand ( Art. 22 Abs. 1 lit. b OG ). 2. Zunächst stellt sich die Frage, ob es im Bereich der Überwachung des Fernmeldeverkehrs überhaupt eine Beschwerdemöglichkeit gibt. a) Wenn sie die materiellen Voraussetzungen von Art. 66 BStP als erfüllt erachten, kann die Bundesanwaltschaft oder der Eidg. Untersuchungsrichter die Überwachung des Fernmeldeverkehrs des Beschuldigten oder Verdächtigen oder von Drittpersonen anordnen. Sie haben in diesem Fall innert 24 Stunden dem Präsidenten der Anklagekammer des Bundesgerichts eine Abschrift der Verfügung samt den Akten und einer kurzen Begründung zur Genehmigung einzureichen ( Art. 66bis Abs. 1 BStP ). Der Präsident der Anklagekammer prüft die Verfügung anhand der Begründung und der Akten. Stellt er eine Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens fest, hebt er die Verfügung auf ( Art. 66ter Abs. 1 BStP ). Das Verfahren ist auch gegenüber dem Betroffenen geheim. Der Präsident der Anklagekammer begründet seinen Entscheid summarisch und er eröffnet ihn der Bundesanwaltschaft bzw. dem Eidg. Untersuchungsrichter innert fünf Tagen seit Beginn der Überwachung ( Art. 66quater Abs. 1 BStP ). Nach Abschluss des Verfahrens teilt die Bundesanwaltschaft bzw. der Eidg. Untersuchungsrichter dem Betroffenen Grund, Art und Dauer der Überwachung mit; davon kann nur abgesehen werden, wenn wesentliche öffentliche Interessen, insbesondere die innere und äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft die Geheimhaltung erfordern und der Präsident der Anklagekammer dies genehmigt ( Art. 66quinquies BStP ). BGE 123 IV 236 S. 241 b) Die Art. 66 ff. BStP enthalten keine Bestimmung über eine besondere Beschwerdemöglichkeit im Bereich der Überwachung des Fernmeldeverkehrs. aa) Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs erfolgt geheim ( Art. 66quater BStP ). Weil der Betroffene von der überwachungsmassnahme nichts erfährt, kann er sich auch in keiner Weise dagegen zur Wehr setzen. bb) Die Art. 66bis bis Art. 66quater wurden erst mit dem Bundesgesetz über den Schutz der persönlichen Geheimsphäre in das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege (BStP) eingefügt; sie sollten neben den in Art. 66 BStP nun gesetzlich umschriebenen sachlichen Voraussetzungen der Überwachung insbesondere ein Rechtsschutzsystem schaffen, welches das von der Natur der Sache her nicht mögliche Beschwerderecht des Betroffenen ersetze. Mit der Genehmigung der Überwachungsmassnahme durch den Präsidenten der Anklagekammer des Bundesgerichts wurde ein solches "Ersatzverfahren" geschaffen, wobei davon ausgegangen wurde, es müsse auf eine Mitteilung der erfolgten Überwachung an den Betroffenen verzichtet werden und diese könne auch nachträglich unterbleiben (Bericht der Kommission des Nationalrates zur parlamentarischen Initiative über den Schutz der persönlichen Geheimsphäre, BBl 1976 I 529 ff., insbes. S. 556/7, 559/60 und 567/8). Später entschied das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Überprüfung einer kantonalen Regelung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs, die Massnahme müsse den Betroffenen nachträglich mitgeteilt werden, ausser die Benachrichtigung würde den Zweck der Überwachung gefährden; die Ausnahmen seien allerdings streng anzuwenden ( BGE 109 Ia 273 E. 12b S. 300 f.). Im Rahmen der Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 4. Oktober 1991 wurde mit Art. 66quinquies BStP (in Kraft seit 15. Februar 1992) die nachträgliche Mitteilungspflicht eingeführt (Botschaft vom 18. März 1991 betreffend die OG-Revision, BBl 1991 II 510ff.). Die Frage einer allfälligen Beschwerdemöglichkeit blieb dabei unerörtert. cc) Bei seinem Entscheid, dem Betroffenen müsse die Tatsache der Überwachung in der Regel nachträglich mitgeteilt werden, hatte sich das Bundesgericht von Art. 13 EMRK leiten lassen. Danach muss demjenigen, der sich durch den Eingriff in seine Privatsphäre verletzt fühlt, ein Beschwerdeverfahren geöffnet werden, in welchem die angeordnete Massnahme richterlich überprüft wird ( BGE 109 Ia 273 E. 12a in fine). Es genügt daher nicht, den Betroffenen BGE 123 IV 236 S. 242 eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs nachträglich mitzuteilen; vielmehr muss gegen die erfolgte Überwachung gemäss Art. 13 EMRK auch eine Beschwerde an eine richterliche Instanz zur Verfügung stehen. Im bei der Änderung des BStP vom 19. Juni 1992 eingefügten neuen Art. 105bis (in Kraft getreten am 1. Juli 1993) stellte der Bundesgesetzgeber dies denn auch klar. Nach dessen Absatz 2 kann gegen Amtshandlungen, die die Bundesanwaltschaft angeordnet oder bestätigt hat, Beschwerde bei der Anklagekammer geführt werden. In der entsprechenden bundesrätlichen Botschaft wurde gerade die Überwachung des Fernmeldeverkehrs als Beispiel einer durch die Bundesanwaltschaft verfügten Zwangsmassnahme angeführt, gegen die aufgrund der neuen Gesetzesbestimmung bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde müsse geführt werden können (Zusatzbotschaft zum Datenschutzgesetz, BBl 1990 III 1225 ff., insbes. S. 1235). dd) Die durch die Bundesanwaltschaft angeordnete und nachträglich mitgeteilte Überwachung des Fernmeldeverkehrs unterliegt danach der Beschwerde gemäss Art. 105bis Abs. 2 BStP an die Anklagekammer des Bundesgerichts (so auch NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, Zürich 1993, N. 770 Anm. 191). Der Bundesrat tritt aus dem gleichen Grunde denn auch auf Aufsichtsbeschwerden gegen die Mitteilung der eingestellten Überwachung, soweit diese durch den Präsidenten der Anklagekammer des Bundesgerichts genehmigt wurde, nicht ein (VPB 1994 Nr. 64 E. B.4 und D.25). Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs unterliegt in analoger Weise der Beschwerde gemäss Art. 215 BStP , wenn der Eidg. Untersuchungsrichter sie anordnete. c) Dass der Präsident der Anklagekammer die nachträglich mitgeteilte Überwachung des Fernmeldeverkehrs zuvor genehmigte, steht einer Überprüfung derselben durch die Anklagekammer des Bundesgerichts auf Beschwerde hin nicht entgegen. Die Überprüfung durch den Präsidenten der Anklagekammer erfolgt insbesondere nicht in einem kontradiktorischen Verfahren und vermag daher wegen der fehlenden Mitwirkungsrechte des von der Überwachungsmassnahme Betroffenen eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. dazu näher BGE 121 I 87 E. 2b mit Hinweisen) nicht zu ersetzen. Es kann aus den gleichen Gründen auch nicht gesagt werden, der Genehmigungsentscheid des Präsidenten der Anklagekammer trete an die Stelle der Verfügung der Bundesanwaltschaft oder des Eidg. Untersuchungsrichters, BGE 123 IV 236 S. 243 weshalb die nur gegen Zwangsmassnahmen der Bundesanwaltschaft oder des Eidg. Untersuchungsrichters vorgesehene Beschwerde nach Art. 105bis Abs. 2 oder Art. 215 BStP nicht gegeben sei. Vielmehr stellte der Bundesgesetzgeber, wie sich aus den oben angeführten Materialien ergibt, im Bewusstsein, dass die Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch den Präsidenten der Anklagekammer genehmigt werden muss, dagegen die Beschwerde an die Anklagekammer zur Verfügung (vgl. auch die gleich oder ähnlich lautenden Regelungen in verschiedenen Kantonen, so Art. 114g Abs. 3 StPO /SG; § 127 StPO /TG; § 21quinquies Abs. 3 StPO /ZG; § 88 Abs. 5 StPO /AG; § 76 Abs. 3 StPO /NW). Die Beschwerde ist demzufolge zulässig. 3. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, die Überwachung der Anschlüsse der FACTS-Bundeshausredaktion habe allein dieser als Inhaberin der Anschlüsse und damit als Betroffenen mitgeteilt werden müssen. Die FACTS-Bundeshausredaktion sei als Dritte im Sinne von Art. 66 Abs. 1bis Satz 3 BStP zu betrachten, deren Anschluss durch den der Teilnahme (zumindest in Form der Gehilfenschaft) an der Amtsgeheimnisverletzung beschuldigten A. benutzt worden sei, und nicht als Beschuldigte, wie dies im Gesuch um Genehmigung der Überwachung an den Präsidenten der Anklagekammer versehentlich ausgeführt worden sei. Jedenfalls seien C. und B. als blosse Teilnehmer von überwachten Gesprächen bzw. Absender oder Empfänger überwachter Telefaxsendungen nicht zur Beschwerde legitimiert. Fraglich erscheine ferner, ob die TA-Media AG als Herausgeberin des Nachrichtenmagazins FACTS an dessen Stelle Beschwerde führen könne. a) Die Überwachungsmassnahmen richteten sich gegen die "FACTS-Bundeshausredaktion" und wurden auch dieser nachträglich mitgeteilt. Das kann aber nichts anderes bedeuten, als dass sie sich gegen die Beschwerdeführer A., B. und C. als deren Mitglieder richteten und diesen mitgeteilt wurden. Denn diese sind alle im FACTS-Impressum nach Angabe der Telefonnummer 031/320 28 20 und der Faxnummer 031/320 28 28 als Bundeshausredaktoren namentlich erwähnt. Bei diesen drei Beschwerdeführern wurden Telefongespräche von oder mit der Bundesverwaltung über die angeführte Nummer sowie über die Telefonnummern 031/320 28 21 ff. abgehört oder Teilnehmeridentifikationen vorgenommen oder Telefaxmitteilungen über die entsprechende Nummer erfasst. Die geheime Telefonüberwachung stellt einen schweren Eingriff in das durch Art. 36 Abs. 4 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK geschützte BGE 123 IV 236 S. 244 Telefongeheimnis und in die individuelle Freiheit und Persönlichkeit der am Telefonverkehr beteiligten Personen dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts haben neben dem Beschuldigten auch dessen Gesprächspartner einen eigenständigen verfassungsmässigen Anspruch darauf, die Rechtmässigkeit der Abhörung nachträglich gerichtlich überprüfen zu lassen; einen solchen Anspruch haben neben den Gesprächspartnern auch alle Mitbenützer eines überwachten Anschlusses (z.B. Familienangehörige des überwachten Beschuldigten oder mit diesem zusammenlebende Drittpersonen). Auch tatsächliche Mitbenützer eines überwachten Anschlusses sind daher - sofern auch von ihnen geführte Gespräche überwacht wurden - als Betroffene gemäss Art. 66quinquies Abs. 1 BStP zu betrachten, denen nach Abschluss des Verfahrens Grund, Art und Dauer der Überwachung mitzuteilen ist. Da der Zweck der Mitteilung gerade darin besteht, den Betroffenen eine Beschwerde zu ermöglichen, sind sie auch als legitimiert zu betrachten, eine solche zu erheben ( BGE 122 I 182 E. 3a und 4c). Selbst wenn die Überwachungsmassnahmen gemäss dem Gesuch der Bundesanwaltschaft und dem Genehmigungsentscheid des Präsidenten der Anklagekammer als nicht gegen die heutigen Beschwerdeführer oder nur als gegen einzelne von ihnen gerichtet betrachtet werden wollten, wären diese somit als tatsächliche Mitbenützer der überwachten Fernmeldeanschlüsse Betroffene und zur Beschwerde berechtigt. b) Die Massnahme ist auch dem Abonnenten, falls er eine Drittperson ist, mitzuteilen (vgl. Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates betreffend die Telefonüberwachung im Bund, BBl 1993 I 1131). Die TA-Media AG kann sich deshalb als Herausgeberin von FACTS und Abonnentin bzw. Inhaberin der überwachten Anschlüsse ebenfalls auf den sich aus Art. 10 EMRK ergebenden Quellenschutz für die Presse berufen, denn auch juristische Personen geniessen unmittelbar den Schutz von Art. 10 EMRK (Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 22. Mai 1990 i.S. Autronic AG gegen die Schweiz, Serie A, Band 178). 4. Die in Frage stehende Überwachung ist zwar abgeschlossen und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Der Eingriff in die verfassungsmässigen und die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen wird indessen mit der Protokollierung und Aufbewahrung der Aufzeichnungen sowie mit deren Verwendung und allfälligen Verbreitung aufrechterhalten und zusätzlich noch verschärft, weshalb diese auch während einer laufenden Untersuchung aufgrund des Persönlichkeitsschutzes ein schutzwürdiges Bedürfnis an der BGE 123 IV 236 S. 245 Beurteilung der behaupteten Persönlichkeitsverletzung haben; sie haben gegebenenfalls insbesondere ein Interesse daran, dass die aufgenommenen Gespräche grundsätzlich von keinen weiteren Personen zur Kenntnis genommen werden können ( BGE 122 I 182 E. 4c). Die Beschwerdeführer beantragen denn auch - neben der Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Widerrechtlichkeit, die aber keine selbständige Bedeutung hat (dazu unten) -, die "mit der Massnahme produzierten Akten seien aus dem Recht zu weisen". Unter diesen Umständen ist auch nach Abschluss der eigentlichen Überwachungsmassnahmen ein aktuelles Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführer zu bejahen. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. 6. Das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren "betreffend Verletzung des Amtsgeheimnisses ( Art. 320 StGB ) und Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen ( Art. 293 StGB )" wurde gleichzeitig gegen Unbekannt und A. eröffnet. Die Bundesanwaltschaft geht deshalb davon aus, A. sei auch in bezug auf die zu beurteilende Überwachung des Fernmeldeverkehrs als Beschuldigter (Teilnehmer) im Sinne von Art. 66 Abs. 1 BStP zu betrachten. Sie stützt die in Frage stehenden Überwachungsmassnahmen, die sich nach ihren Angaben einzig gegen A. richteten, auf Art. 66 Abs. 1bis Satz 3 BStP , wonach der Fernmeldeverkehr von Dritten stets - d.h. selbst wenn diese ein Zeugnisverweigerungsrecht haben - überwacht werden kann, wenn der Verdacht besteht, dass der Beschuldigte deren Anschluss benutzt. a) Für einen Verdacht der Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses gegenüber A., der im Genehmigungsgesuch der Bundesanwaltschaft an den Präsidenten der Anklagekammer und in der Mitteilung der Überwachung angetönt wird, können den Akten keine konkreten Anhaltspunkte entnommen werden. Von der Existenz der fraglichen Dokumente erfuhr der Journalist offensichtlich erst durch die Amtsgeheimnisverletzung. Das von der Bundesanwaltschaft in diesem Zusammenhang erwähnte Beispiel eines kürzlich aufgeklärten, ebenfalls FACTS betreffenden Indiskretionsfalles zur Praxis der Telefonabhörungen vermag einen solchen Verdacht keineswegs zu begründen, hat sich in jenem Fall doch der Beamte von sich aus und nicht etwa auf Betreiben der Redaktion hin mit den entsprechenden Informationen an FACTS gewandt. b) Es ist daher davon auszugehen, dass A. der Gehilfenschaft zu einer Amtsgeheimnisverletzung und der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen ( Art. 293 StGB ) beschuldigt wird. BGE 123 IV 236 S. 246 Um A. als Gehilfen einer Amtsgeheimnisverletzung zu überführen, bedurfte es keiner Überwachung des Fernmeldeverkehrs der FACTS-Redaktion, weil mit der unter seiner Verantwortung erfolgten Veröffentlichung der in Frage stehenden Dokumente alle für die Beurteilung seiner allfälligen Strafbarkeit wesentlichen Tatsachen bereits bekannt waren. Die Massnahme wäre in diesem Fall nach Art. 66 Abs. 1 lit. c BStP unzulässig. Die Bundesanwaltschaft begründete die Überwachung indessen nicht damit. Soweit A. der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen beschuldigt wird, ist eine Überwachung von vornherein unzulässig, da es sich bei diesem Tatbestand um eine blosse Übertretung handelt ( Art. 66 Abs. 1 lit. a BStP ). Davon geht auch die Bundesanwaltschaft aus. c) Die angefochtene Überwachung bezweckte - was auch seitens der Bundesanwaltschaft ausdrücklich betont wird - ausschliesslich, den unbekannten Beamten als mutmasslichen Täter der hier in Frage stehenden Amtsgeheimnisverletzung zu ermitteln. Unter diesen Umständen ist A. jedoch - trotz seiner Eigenschaft als Beschuldigter (Teilnehmer) im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren - in bezug auf die angefochtenen Überwachungsmassnahmen nicht als Beschuldigter, sondern als Dritter zu betrachten. Als Beschuldigter im Sinne von Art. 66 Abs. 1 BStP ist allein die unbekannte und daher noch zu ermittelnde Person anzusehen, deren in Frage stehende Amtsgeheimnisverletzung auch allein als Anlasstat für die Rechtfertigung der Zwangsmassnahmen angerufen wird und in Betracht fällt. d) Wie A. sind auch die Beschwerdeführer B. und C. als Drittpersonen zu betrachten und zwar als solche im Sinne von Art. 66 Abs. 1bis Satz 1 BStP , bei denen der Verdacht bestand, sie würden für den gesuchten Täter bestimmte oder von diesem herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben. 7. Die Bundesanwaltschaft ging in ihrem Gesuch um Genehmigung der Überwachung davon aus, es könne damit gerechnet werden, dass der Täter der Amtsgeheimnisverletzung mit A., der in der FACTS-Bundeshausredaktion tätig sei, in Verbindung gestanden habe oder wieder treten werde und so identifiziert werden könne; die Überwachung des Fernmeldeverkehrs der FACTS-Bundeshausredaktion eigne sich daher dazu, die Täterschaft der Amtsgeheimnisverletzung zu ermitteln. Es ist fraglich, ob genügend bestimmte Tatsachen vorlagen, um anzunehmen, der Täter der Amtsgeheimnisverletzung habe seine BGE 123 IV 236 S. 247 Indiskretion per Telefon oder Telefax begangen oder werde weiter auf diese Weise mit der Bundeshausredaktion von FACTS, die die fraglichen Dokumente über Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Bundesrates zum SBB-Leitbild in ihrem Nachrichtenmagazin veröffentlichte, in Verbindung treten. Ein solches argloses Verhalten des Täters ist eher unwahrscheinlich. Wie es sich damit verhält, kann jedoch offenbleiben, da die Beschwerde aus einem anderen Grunde gutzuheissen ist. 8. Gemäss Art. 66 Abs. 1bis BStP können die Fernmeldeanschlüsse von Drittpersonen überwacht werden, wenn die Voraussetzungen der Überwachung beim Beschuldigten oder Verdächtigen gemäss Art. 66 Abs. 1 BStP erfüllt sind und diesen Dritten nicht nach Art. 77 BStP ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. a) Bei den als Drittpersonen überwachten Beschwerdeführern handelt es sich um Journalisten. Diese sind nicht in Art. 77 BStP als Zeugnisverweigerungsberechtigte aufgeführt. aa) Nach der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Urteil vom 27. März 1996 i.S. William Goodwin gegen Grossbritannien; Recueil des arrêts et décisions, 1996 S. 483) verletzt ein Zwang gegenüber einem Journalisten, die Identität seines Informanten bekanntzugeben, und ihn im Weigerungsfall mit einer Busse zu belegen, Art. 10 Ziff. 1 EMRK (Ziffer 28 des erwähnten Urteils). Der Gerichtshof betont, dass der Schutz der Quelle des Journalisten in einer demokratischen Gesellschaft einen Eckpfeiler der Pressefreiheit darstelle, deren Beschränkung nur bei einem überwiegenden Interesse gerechtfertigt erscheine; bei der dabei erforderlichen Interessenabwägung sei bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Pressefreiheit grosses Gewicht beizumessen (Ziffer 39). Nur ausserordentliche Umstände, die öffentliche oder private Interessen gefährdeten, vermöchten daher eine Offenbarungspflicht des Journalisten zu begründen (Ziffer 40). Das Interesse der in jenem Fall betroffenen Gesellschaft, u.a. etwa einen unredlichen Mitarbeiter zu entlarven, vermöge das eminente öffentliche Interesse am Schutz der Informationsquellen des Journalisten nicht zu überwiegen (Ziffer 45). Der Zwang gegenüber einem Journalisten, seine Quellen offenzulegen, stellt demnach - sofern keine ausserordentlichen Umstände vorliegen - einen Verstoss gegen Art. 10 EMRK wegen Unverhältnismässigkeit dar (FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 2. Auflage, Art. 10, N. 15 Anm. 48). Davon ist zufolge der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 10 EMRK (vgl. VILLIGER, Handbuch der Europäischen BGE 123 IV 236 S. 248 Menschenrechtskonvention, Zürich 1993, N. 50 f.) auch für das schweizerische Recht auszugehen. In BGE 115 IV 75 erkannte die Anklagekammer zwar gestützt auf Art. 55 BV - indessen ohne Berücksichtigung von Art. 10 EMRK -, ausserhalb der eigentlichen Pressedelikte ergebe sich nach geltendem Recht kein umfassendes Recht des Journalisten auf Geheimhaltung der Quelle einer durch eine strafbare Handlung erlangten Information, welches einer strafprozessualen Zwangsmassnahme im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Amtsgeheimnisverletzung entgegengehalten werden könnte. Daran kann, jedenfalls in dieser allgemeinen Form, nicht festgehalten werden. Die Anklagekammer des Bundesgerichts führte denn auch bereits in einem unveröffentlichten Urteil vom 13. Januar 1995 i.S. Schweiz. Bundesanwaltschaft gegen F. und M. (publiziert in Medialex 1/95, 51 ff.) im Zusammenhang mit einem Entsiegelungsgesuch unter Bezugnahme auf BGE 115 IV 75 aus, aufgrund der verfassungsrechtlich gewährleisteten Pressefreiheit sei bei Zwangsmassnahmen gegenüber der Presse mit der gebotenen Zurückhaltung vorzugehen. bb) Aus Art. 10 Ziff. 1 EMRK ergibt sich nach dem Gesagten unmittelbar ein Recht des Journalisten, über seine Informationsquelle die Auskunft zu verweigern. Dieses darf nur in den durch Art. 10 Ziff. 2 EMRK gesetzten Grenzen eingeschränkt werden. Eine sich aus der allgemeinen Zeugnispflicht ergebende Verpflichtung des Journalisten zur Offenlegung seiner Quellen ist angesichts der besonderen Bedeutung des Schutzes journalistischer Quellen für die Pressefreiheit mit Art. 10 EMRK nur vereinbar, wenn dies ein überwiegendes öffentliches (oder privates) Interesse gebietet (so auch die Botschaft des Bundesrates zum Medienstraf- und Verfahrensrecht [BBl 1996 IV 544 und 572] sowie die parlamentarische Beratung dazu [Sten.Bull. 1997 NR 401 und 404, SR 573, 576 und 582 ff., insb. 584]; vgl. auch Urteil des Bezirksgerichts Zürich, Einzelrichterin in Strafsachen, vom 4. Oktober 1996, auszugsweise wiedergegeben in SJZ 1997, S. 137 ff.). cc) Art. 66 Abs. 1bis BStP ist konventionskonform dahin auszulegen, dass der Fernmeldeverkehr von Journalisten als Dritten nicht überwacht werden darf, wenn ihnen ein aus der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit herzuleitendes und damit durch diese Grundrechte gewährleistetes Recht zusteht, Angaben über ihre Informationsquellen zu verweigern, und dieses mit der Überwachungsmassnahme illusorisch würde. Ausnahmen davon vermögen angesichts der besonderen Bedeutung des Quellenschutzes für die BGE 123 IV 236 S. 249 Pressefreiheit nur ausserordentliche Umstände zu begründen, die öffentliche oder private Interessen gefährden. b) Die Anordnung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs des Beschuldigten oder Verdächtigen setzt nach Art. 66 Abs. 1 BStP kumulativ voraus, dass ein Verbrechen oder ein Vergehen verfolgt wird, dessen Schwere oder Eigenart den Eingriff rechtfertigt (lit. a), dass bestimmte Tatsachen die zu überwachende Person als Täter oder Teilnehmer verdächtig machen (lit. b) und die notwendigen Ermittlungen ohne die Überwachung wesentlich erschwert würden oder andere Untersuchungshandlungen erfolglos geblieben sind (lit. c). aa) Bei der Voraussetzung von Art. 66 Abs. 1 lit. a BStP handelt es sich um eine Ausprägung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes, wonach der strafprozessuale Eingriff in einem vernünftigen Verhältnis zur begangenen Rechtsgutverletzung stehen muss, um überhaupt gerechtfertigt zu sein. Die Schwere der Tat ist dabei nach den einzelnen Umständen des Falles objektiv zu beurteilen. bb) In der Lehre werden als objektiv schwere Delikte, die eine Überwachung rechtfertigen können, etwa bezeichnet: Schwere Delikte gegen den Staat, Kapitalverbrechen, schwere Drogen- und Wirtschaftsdelikte (SCHMID, a.a.O., N. 763); Delikte gegen Leib und Leben, Verfolgung von Tätergruppen im Bereich des organisierten Verbrechens oder der Betäubungsmittelkriminalität (Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern 1994, S. 392). Hinsichtlich einer Falschaussage zweifelte das Bundesgericht an der Zulässigkeit einer Überwachung, liess indes die Frage offen ( BGE 117 Ia 10 E. 4d); die Lehre betrachtet diese Voraussetzung bei einem falschen Zeugnis etwa in einem Mordfall als erfüllt (SCHMID, a.a.O., N. 763 Anm. 170, mit weiteren Hinweisen). Verneint wird die Zulässigkeit der Überwachung für die Verfolgung anderer, weniger schwerer Delikte, so bei einfachen Vermögensdelikten, etwa bei Ladendiebstahl oder geringfügigem Betrug (JÜRG NEUMANN, Überwachungsmassnahmen im Sinne von Art. 179octies StGB , in: ZStrR 1996, S. 401; OBERHOLZER, a.a.O., S. 392). c) Das öffentliche Interesse an der Aufklärung und Bestrafung der hier in Frage stehenden Amtsgeheimnisverletzung vermag das Interesse an der Gewährleistung der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit, d.h. am daraus fliessenden Quellenschutz für Journalisten wegen der ausserordentlich grossen Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zu überwiegen. Bei den auszugsweise veröffentlichten Dokumenten handelt BGE 123 IV 236 S. 250 es sich um Begründungen und Meinungsäusserungen einer Bundesrätin und eines Bundesrates bzw. von deren Departementen zu Anträgen zuhanden des Gesamtbundesrates im Zusammenhang mit dem politischen Leitbild für die Schweizerischen Bundesbahnen. Diese waren nur einem beschränkten Personenkreis bekannt. Zweifellos besteht ein berechtigtes Interesse der Mitglieder des Bundesrates und des Gesamtbundesrates als Geheimnisherren an der Geheimhaltung des internen Meinungsbildungsprozesses zu den im Bundesrat zu behandelnden Geschäften, weshalb es sich beim Inhalt der veröffentlichten Dokumente ohne weiteres um ein Geheimnis handelt (vgl. zum insoweit geltenden materiellen Geheimnisbegriff BGE 114 IV 44 E. 2 und BGE 116 IV 56 E. II/1 sowie STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT II S. 355/6). Dieses Amtsgeheimnis weist jedoch vorliegend nicht die ausserordentliche Bedeutung auf, die vorausgesetzt ist, um in die Meinungsäusserungsfreiheit der Journalisten und die Pressefreiheit einzugreifen und den Quellenschutz der Journalisten aufzuheben. Entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft gefährdete die Offenbarung des Inhalts der fraglichen Dokumente keine wichtigen nationalen Interessen. Die Veröffentlichung von Meinungsverschiedenheiten, die unter den Mitgliedern des Bundesrates vor einer wichtigen Beschlussfassung bestanden, ist zwar keinesfalls unbedenklich. Sie stellte jedoch die Glaubwürdigkeit der Landesregierung nicht in Frage; dass auch beim Meinungsbildungsprozess im Bundesrat Meinungsverschiedenheiten auftreten, ist nicht etwas Unerwartetes oder Aussergewöhnliches. Die Schwere der in Frage stehenden Amtsgeheimnisverletzung, deren Aufklärung und Verfolgung die streitigen Zwangsmassnahmen dienten, rechtfertigte daher nicht die Annahme eines öffentlichen Interesses, welches das den Beschwerdeführern als Journalisten unmittelbar aufgrund von Art. 10 EMRK zukommende Recht, über ihre Informationsquelle die Auskunft zu verweigern, ausnahmsweise zu überwiegen vermag. Die angefochtene Überwachung des Fernmeldeverkehrs der Beschwerdeführer erweist sich daher als unverhältnismässig, womit sie Art. 66 BStP in Verbindung mit Art. 10 EMRK verletzte. 9. Die Beschwerdeführer beantragen, die Verfassungswidrigkeit und Widerrechtlichkeit der beanstandeten Überwachung festzustellen. Diesem Feststellungsbegehren kommt indessen keine selbständige Bedeutung zu. Die beantragte Feststellung der Widerrechtlichkeit ist vielmehr Voraussetzung für das zweite Rechtsbegehren, BGE 123 IV 236 S. 251 die mit der Massnahme produzierten Akten aus dem Recht zu weisen. Die Beschwerdeführer legen jedenfalls nicht dar, inwieweit sie ein selbständiges Feststellungsinteresse haben. Insoweit ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. 10. Dem Begehren, die Akten, die das Ergebnis der unrechtmässigen Überwachung des Fernmeldeverkehrs der Beschwerdeführer festhalten, aus dem Recht zu weisen, ist in Gutheissung der Beschwerde stattzugeben. Aufgrund des gemäss Art. 36 Abs. 4 BV und Art. 8 EMRK geschützten Telefongeheimnisses haben die Beschwerdeführer einen Anspruch darauf, dass diese Akten von keinem weiteren Personenkreis zur Kenntnis genommen werden können und in keinem Verfahren mehr verwendet werden ( BGE 122 I 182 E. 3b und 4c). Die Bundesanwaltschaft ist daher anzuweisen, alle Protokolle über die abgehörten Telefongespräche, alle erfassten Telefaxmitteilungen und alle schriftlichen Auskünfte der Telecom PTT über die Teilnehmeridentifikationen aus den Akten des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens gegen Unbekannt und A. zu entfernen und gesondert aufzubewahren. 11. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben; den Beschwerdeführern ist aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Parteientschädigung auszurichten ( Art. 245 BStP in Verbindung mit Art. 156 und 159 OG ).
de
a585f449-a058-4260-ae3e-22f9d3fe6211
Sachverhalt ab Seite 247 BGE 137 II 246 S. 247 Der deutsche Staatsangehörige R. arbeitete im Jahre 2006 für die X. AG. Bis am 30. April 2006 wohnte er in Zürich. Als ausländischer Angestellter ohne Niederlassungsbewilligung unterlag er der Quellensteuer. Am 1. Mai 2006 verlegte R. seinen Wohnsitz nach Doha (Katar), wo er weiterhin für die X. AG tätig war. Die X. AG stellte sich auf den Standpunkt, ihr Arbeitnehmer sei ab dem 1. Mai 2006 nicht mehr quellensteuerpflichtig, und verlangte die Rückerstattung der bereits bezahlten Quellensteuer. Das Steueramt des Kantons Zürich befand, R. unterliege für das ganze Jahr der Quellensteuerpflicht, und wies das Gesuch ab. Die Steuerrekurskommission I des Kantons Zürich stellte demgegenüber fest, dass R. vom 1. Mai bis zum 31. Dezember 2006 im Kanton Zürich bzw. in der Schweiz nicht quellensteuerpflichtig sei, und ordnete die Rückerstattung der bereits abgelieferten Quellensteuer an. Eine Beschwerde des Kantonalen Steueramtes Zürich wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 7. Juli 2010 ab. Hiergegen führt das Kantonale Steueramt Zürich Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, die das Bundesgericht abweist. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Frage, ob einer Person, die im Ausland für einen in der Schweiz domizilierten Arbeitgeber eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt, gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG (SR 642.11) bzw. dem gleich lautenden § 4 Abs. 2 lit. a des Zürcher Steuergesetzes vom 8. Juni 1997 (StG/ZH; LS 631.1) der Steuerpflicht untersteht. Die Vorinstanz ist der Ansicht, dass in der Schweiz nach den genannten Normen nur steuerpflichtig sei, wer hier den tatsächlichen Arbeitsort habe. R. sei demnach vom 1. Mai bis zum 31. Dezember 2006 nur quellensteuerpflichtig, wenn er in diesem Zeitraum seine Arbeit in der Schweiz bzw. - mit Blick auf die Staats- und Gemeindesteuern - im Kanton Zürich ausgeübt habe. Sollte dies zutreffen, BGE 137 II 246 S. 248 hätte die Beschwerdegegnerin keinen Anspruch auf Rückerstattung der für die Monate Mai und Juni 2006 bereits bezahlten Quellensteuern. Das Beschwerde führende kantonale Steueramt vertritt dagegen die Ansicht, für die Bejahung einer beschränkten Steuerpflicht gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG bzw. § 4 Abs. 2 lit. a StG /ZH sei eine physische Anwesenheit in der Schweiz resp. im Kanton nicht erforderlich. Es sei die frühere Praxis, die zum Bundesratsbeschluss über die direkte Bundessteuer vom 9. Dezember 1940 (BdBSt) entwickelt worden sei, weiterzuführen. Andernfalls würde das Erwerbseinkommen von Arbeitnehmern, die für Schweizer Arbeitgeber in Staaten ohne oder nur mit unbedeutender Einkommenssteuer tätig sind, ganz oder weitgehend steuerfrei bleiben. 3. Gemäss Art. 3 Abs. 1 DBG sind natürliche Personen kraft persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig, wenn sie ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz haben. Es handelt sich um die unbeschränkte Steuerpflicht. Ein steuerrechtlicher Aufenthalt setzt voraus, dass eine Person in der Schweiz bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit mindestens 30 Tage - bzw. ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit 90 Tage - verweilt ( Art. 3 Abs. 3 DBG ). Handelt es sich um ausländische Arbeitnehmer ohne fremdenpolizeiliche Niederlassungsbewilligung, die jedoch in der Schweiz steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt haben, so sind sie gemäss Art. 83 Abs. 1 DBG (in Verbindung mit Art. 84 DBG ) für ihre Einkünfte aus dem Arbeitsverhältnis einem Steuerabzug an der Quelle unterworfen. Art. 4 und 5 DBG regeln demgegenüber (gleich wie § 4 StG /ZH für das kantonale Recht) die beschränkte Steuerpflicht aufgrund wirtschaftlicher Zugehörigkeit. Abs. 1 lit. a von Art. 5 DBG erklärt natürliche Personen ohne steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz als steuerpflichtig, wenn sie hier eine Erwerbstätigkeit ausüben. So verhält es sich, wenn sich eine Person während weniger als 30 Tagen in der Schweiz zu Erwerbszwecken aufhält oder wenn sie als Grenzgänger oder Wochenaufenthalter in der Schweiz erwerbstätig ist. In diesen Fällen ist auf dem Erwerbseinkommen von Arbeitnehmern die Quellensteuer zu erheben ( Art. 91 DBG ). Das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Katar vom 24. September 2009 (AS 2011 63) findet im vorliegenden Fall noch keine Anwendung. BGE 137 II 246 S. 249 4. Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG ist klar, wie die Vorinstanz zu Recht festhält. Voraussetzung der beschränkten Steuerpflicht ist eine Erwerbstätigkeit, die in der Schweiz ausgeübt wird, das heisst, bei welcher der tatsächliche Arbeitsort in der Schweiz liegt. Nach dem Text in den anderen beiden Amtssprachen ist ebenfalls erforderlich, dass die Personen "exercent une activité lucrative en Suisse" bzw. "esercitano un'attività lucrativa in Svizzera". Der Beschwerdeführer stellt das nicht in Frage, macht aber geltend, die Rechtsprechung habe den ganz ähnlich lautenden früheren Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt ("Personen, [die ...] in der Schweiz eine persönliche Tätigkeit ausüben") in einem weiteren Sinn ausgelegt und keine persönliche Anwesenheit in der Schweiz bei Ausübung der fraglichen Erwerbstätigkeit verlangt. Am Urteil des Bundesgerichts 2C_215/2009 vom 1. Oktober 2009 (StR 65/2010 S. 133 E. 2.1; StE 2010 A 32 Nr. 14; RDAF 2010 II S. 451) könne nicht festgehalten werden, weil sich das Bundesgericht zu dieser Frage lediglich in einem obiter dictum geäussert und sich auch nicht mit den im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Argumenten vertieft auseinandergesetzt habe. Die bisherige Praxis sei daher auch für Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG zu bestätigen, zumal diese Norm eher weiter gefasst sei als der früher geltende Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt . 5. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung legte die fragliche Bestimmung des früheren Bundesratsbeschlusses so aus, dass zur Bejahung einer beschränkten Steuerpflicht alle wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte der Tätigkeit in der Schweiz liegen müssen, hingegen eine persönliche Anwesenheit des Steuerpflichtigen in der Schweiz nicht immer erforderlich sei. So könne eine persönliche Tätigkeit in der Schweiz auch dann vorliegen, wenn jemand bloss telefonisch oder schriftlich mit seinen Partnern in der Schweiz verkehre, namentlich wenn er sie als Kunden und Vertragspartner für eine Unternehmung in der Schweiz anwerbe und dies in enger Zusammenarbeit mit Leitung und Personal am schweizerischen Geschäftsort des Unternehmens mache (Urteil 2A.83/1988 vom 2. Dezember 1988, in: ASA 59 S. 471 E. 4b). In einem weiteren Urteil bestätigte das Bundesgericht, dass eine persönliche Tätigkeit, nicht aber eine persönliche Anwesenheit in der Schweiz für die Anwendung von Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt erforderlich sei. Zusätzlich führte es aus, dass die beschränkte Steuerpflicht - im Unterschied zur unbeschränkten, die sich aus Wohnsitz und BGE 137 II 246 S. 250 Aufenthalt ergebe - durch Sachen und Rechte, die mit dem betreffenden Gemeinwesen wirtschaftlich verbunden seien, bestimmt werde. Es ging um den Handel von Liegenschaften in der Schweiz (Urteil 2A.47/1995 vom 29. Januar 1996, in: ASA 65 S. 822 E. 2a). In einem Fall, in dem bereits das DBG anzuwenden war, hat das Bundesgericht sodann beiläufig auf die frühere Praxis zu Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt verwiesen, wonach eine persönliche Anwesenheit des Steuerpflichtigen in der Schweiz nicht erforderlich gewesen sei. Es hat aber - entgegen den Ausführungen in der Beschwerde - nicht ausdrücklich geprüft, ob diese Praxis fortzuführen sei, weil die fragliche Vergütung (es ging um eine Bonuszahlung) "direkt auf die im Jahre 1996 in Zürich geleistete Arbeit" zurückzuführen war (Urteil 2P.172/2000 vom 15. Februar 2001, in: ASA 71 S. 389 E. 4b). Im bereits erwähnten, vom Beschwerdeführer kritisierten Urteil 2C_215/2009 hat das Bundesgericht im Falle eines Grenzgängers demgegenüber erkannt, dass die Erwerbstätigkeit in der Schweiz gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG eine persönliche Anwesenheit voraussetze. Soweit der im Ausland ansässige Steuerpflichtige sich tagsüber zur Arbeit in die Schweiz begebe, bestehe daher eine beschränkte Steuerpflicht in der Schweiz bzw. im Kanton, nicht jedoch für die zu Hause erbrachte Arbeit (E. 2.1 und 2.2). In der Tat hat das Bundesgericht die fragliche Bestimmung des früheren Bundesratsbeschlusses in einem Sinn ausgelegt, der bereits eine Tätigkeit in der Schweiz ohne persönliche Anwesenheit genügen liess. Die vom Beschwerdeführer am zuletzt genannten Entscheid geübte Kritik gibt Anlass, diese Rechtsprechung zu prüfen. 6. Vorab ist zu bemerken, dass allein die Tatsache, dass der vorliegende Entscheid bedeutende fiskalische und wirtschaftliche Auswirkungen haben kann, wie der Beschwerdeführer geltend macht, für die Auslegung der massgeblichen Gesetzesbestimmungen nicht bedeutsam sein kann. Sinn und Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG ist nach anerkannter Auslegungsmethode zu ermitteln, wobei bereits erläutert wurde, dass der Wortlaut die physische Anwesenheit in der Schweiz verlangt. Auch die Lehre zu Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt interpretierte diese Norm wesentlich restriktiver als das Bundesgericht und verlangte, dass der Steuerpflichtige für die Tätigkeit in die Schweiz kommen müsse (ERNST KÄNZIG, Die direkte Bundessteuer, 2. Aufl. 1982, N. 20 zu Art. 3 BdBSt ; JEAN-MARC RIVIER, Droit BGE 137 II 246 S. 251 fiscal suisse, 1980, S. 77; WALTER RYSER, Introduction au droit fiscal international de la Suisse, 1980, S. 47). Es ist daher zu prüfen, ob unter dem neuen Recht weiterhin triftige Gründe bestehen, die nach der Rechtsprechung ( BGE 131 I 394 E. 3.2) ein Abweichen vom Wortlaut rechtfertigen. 7. Nach Auffassung des Beschwerdeführers spricht vor allem die Entstehungsgeschichte von Art. 5 DBG für eine Fortführung der zu Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt ergangenen Praxis. Es liegt zwar nahe, bei der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG an die frühere, zum Bundesratsbeschluss über die direkte Bundessteuer ergangene Praxis (vgl. oben E. 5) anzuknüpfen, zumal aus der Entstehungsgeschichte der Norm, wie die Vorinstanz bereits im ersten Entscheid dargestellt hat, nicht klar hervorgeht, dass der Gesetzgeber diesbezüglich eine Änderung herbeiführen wollte. Immerhin ergibt sich aber, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der Art. 4 und 5 DBG die zum Bundesratsbeschluss ergangene Praxis nicht unverändert weitergeführt hat. So hat er beispielsweise mit Art. 4 Abs. 1 lit. d DBG den Handel mit in der Schweiz gelegenen Grundstücken in Anwendung der vom Bundesgericht aus Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt abgeleiteten Anknüpfung (vgl. das bereits zit. Urteil 2A.47/1995, in: ASA 65 S. 822 E. 2c) nunmehr separat geregelt. Zudem hat er in Art. 5 Abs. 1 lit. b und f spezifische Tatbestände vorgesehen, wo sich ein Arbeitnehmer regelmässig im Ausland aufhält. Diese Änderungen scheinen zu gewichtig, als dass gesagt werden könnte, der Gesetzgeber habe die bisherige Praxis unverändert fortgeführt (vgl. HÖHN/WALDBURGER, Steuerrecht, Bd. I, 9. Aufl. 2001, S. 278 Fn. 43 in fine; BAUER-BALMELLI/OMLIN, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2a, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 2. Aufl. 2008, N. 6 zu Art. 5 DBG ). Auch die Rechtssystematik spricht für diese Auslegung. Die erwähnten Sonderregelungen in Art. 5 Abs. 1 lit. b und f DBG hätten sich erübrigt, wenn bereits Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG Erwerbseinkünfte von Arbeitnehmern mit tatsächlichem Aufenthalt im Ausland erfassen würde. Da die Fälle, bei denen eine Tätigkeit in der Schweiz nicht erforderlich ist, in Art. 4 Abs. 1 lit. d und Art. 5 Abs. 1 lit. b und f DBG abschliessend (vgl. PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, I. Teil, 2001, N. 1 zu Art. 4 und N. 1 zu Art. 5 DBG ) aufgezählt sind, dürfen nicht auf dem Weg der Auslegung weitere Fälle der Erwerbstätigkeit ohne hiesige Anwesenheit der Steuerpflicht unterworfen BGE 137 II 246 S. 252 werden. Das gilt umso mehr, als der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG klar ist. Die einhellige Lehre vertritt ebenfalls diese Auffassung (AGNER/JUNG/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, 1995, N. 1 zu Art. 91 DBG ; BAUER-BALMELLI/OMLIN, a.a.O., N. 6 zu Art. 5 DBG ; HÖHN/WALDBURGER, a.a.O., S. 278 Rz. 31 und Fn. 43; LOCHER, a.a.O., N. 5 f. zu Art. 5 DBG für Unselbständigerwerbende; XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 3. Aufl. 2007, § 6 Rz. 20 S. 67 f.; ANDREA PEDROLI, in: Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, N. 5 zu Art. 91 DBG ; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 2. Aufl. 2009, N. 17 zu Art. 5 DBG ). In der Literatur ist zwar umstritten, ob die Anknüpfungen von Art. 5 DBG sich auf die Quellensteuertatbestände der Art. 91 ff. DBG beschränken oder darüber hinausgehen (vgl. die Hinweise bei LOCHER, a.a.O., N. 8 zu Art. 5 DBG ). Die Frage kann hier aber offenbleiben. Selbst wenn Art. 5 DBG über einen gegenüber den Art. 91 ff. DBG erweiterten Anwendungsbereich verfügen würde, wie der Beschwerdeführer geltend macht, könnte die extensive Auslegung von Art. 5 DBG steuersystematisch noch keine Quellensteuerpflicht begründen. Das wäre jedoch erforderlich, um die aus schweizerischer Quelle fliessenden Einkünfte der nicht in der Schweiz ansässigen Personen erfassen zu können. 8. Die beschränkte Steuerpflicht gemäss den in Art. 4 und 5 DBG geregelten Tatbeständen hat ihren Grund in der wirtschaftlichen Zugehörigkeit des Steuerobjekts zur Schweiz. Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Objektsbezogenheit dieser Art der Besteuerung betont und ausgeführt, dass der Wertzufluss aus Sachen und Rechten, die mit der Schweiz wirtschaftlich verbunden sind, erfasst werden solle (Urteil 2A.47/1995, in: ASA 65 S. 822 E. 2b). Es handelt sich dabei um eine zusammenfassende Deutung von einzelnen Tatbeständen, für die das Gesetz eine beschränkte Steuerpflicht vorsieht. So knüpft diese in den meisten Fällen tatsächlich bloss an das Vorhandensein bestimmter Sachen und Rechte (vgl. Art. 4 DBG : Geschäftsbetriebe, Betriebsstätten, Grundeigentum usw.) an und unterwirft das daraus fliessende Einkommen der Steuerpflicht, ohne dass es darauf ankommt, ob der Steuerpflichtige die damit zusammenhängende Tätigkeit in der Schweiz ausübt. Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG unterscheidet sich jedoch von den genannten Tatbeständen, da er eine Tätigkeit in der Schweiz gerade voraussetzt. Das BGE 137 II 246 S. 253 Bundesgericht hat dies bei der Begründung seiner früheren Rechtsprechung zu Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt nicht übersehen, sondern war lediglich bestrebt, die erforderliche persönliche Tätigkeit nicht zu eng zu umschreiben (Urteil 2A.83/1988, in: ASA 59 S. 471 E. 4b, wo die Sache denn auch zur näheren Ermittlung der fraglichen Tätigkeit an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde). Erst später ging es ohne nähere Begründung dazu über, sich vom Wortlaut von Art. 3 Ziff. 3 lit. e BdBSt ganz zu lösen und eine beschränkte Steuerpflicht auch für die Tätigkeiten ohne Anwesenheit in der Schweiz zu bejahen. Erfasst werden sollte vor allem die Vermittlung von schweizerischen Liegenschaften für in der Schweiz wohnhafte Personen, auch wenn diese vom Ausland aus erfolgte (Urteil 2A.47/1995, in: ASA 65 S. 822 E. 2b). Es kann offenbleiben, ob an dieser Sichtweise heute noch festgehalten werden kann, da Art. 4 Abs. 1 lit. d DBG nun die Vermittlung und den Handel von in der Schweiz gelegenen Grundstücken ausdrücklich der Steuerpflicht unterwirft. Ausserdem erklären auch Art. 5 Abs. 1 lit. b und f DBG weitere Erwerbstätigkeiten als steuerpflichtig, bei denen eine Anwesenheit in der Schweiz nicht erforderlich ist. Das belegt, dass der Gesetzgeber die Erwerbstätigkeiten, die auch ohne physische Anwesenheit in der Schweiz der Steuerpflicht unterstellt werden sollen, ausdrücklich nennt. Die Vorinstanz gelangte daher zu Recht zum Schluss, dass eine unselbständige Erwerbstätigkeit gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. a DBG nur bei Anwesenheit in der Schweiz hier der Steuerpflicht unterliegt.
de
15a345af-a40f-4632-b54d-bc4817fc1928
Sachverhalt ab Seite 107 BGE 138 IV 106 S. 107 A. Die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK) legte X. zur Last, er habe als einzelzeichnungsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrats der Y. AG in drei Gaststätten in Luzern in der Zeit von März 2006 bis zum 16. Mai 2006 je einen Spielautomaten des Typs "Tropical Shop" betrieben und die von den Automaten ausgeworfenen Sammelkarten in bar an die Spieler auszahlen lassen. Dadurch habe er sich der Widerhandlungen gegen das Spielbankengesetz ( Art. 56 Abs. 1 lit. a SBG ) schuldig gemacht, weshalb die erzielten Einnahmen im Bruttobetrag von total Fr. 945.- zulasten der Y. AG einzuziehen seien. B. B.a Die ESBK sprach X. mit Strafverfügung vom 28. Mai 2008 in Bestätigung ihres Strafbescheids vom 27. September 2007 der Widerhandlung gegen das Spielbankengesetz ( Art. 56 Abs. 1 lit. a SBG ) schuldig, begangen in der Zeit von März 2006 bis zum 16. Mai 2006 in drei Gaststätten in Luzern durch den Betrieb je eines Glücksspielautomaten des Typs "Tropical Shop" und Auszahlenlassen der von diesen Automaten ausgeworfenen Sammelkarten an die Spieler in bar. X. verlangte die gerichtliche Beurteilung. B.b Die ESBK verpflichtete mit Entscheid vom 28. Mai 2008 in Bestätigung ihres Einziehungsbescheids vom 27. September 2007 die Y. AG, dem Bund eine Ersatzforderung in der Höhe von insgesamt Fr. 945.- (Fr. 884.50 plus Fr. 50.- plus Fr. 10.50) zu bezahlen. Die Y. AG verlangte die gerichtliche Beurteilung. BGE 138 IV 106 S. 108 C. C.a Das Amtsgericht Luzern-Stadt, II. Abteilung, sprach X. mit Urteil vom 23. Juni 2010 der Widerhandlung gegen das Spielbankengesetz ( Art. 56 Abs. 1 lit. a SBG ) schuldig, begangen in der Zeit von März 2006 bis zum 16. Mai 2006 in drei Gaststätten in Luzern durch Betreiben je eines Glücksspielautomaten des Typs "Tropical Shop" und Auszahlenlassen der durch diese Automaten ausgeworfenen Sammelkarten an die Spieler in bar. C.b Das Amtsgericht Luzern-Stadt, II. Abteilung, verpflichtete mit Entscheid vom 23. Juni 2010 die Y. AG im Rahmen des Strafverfahrens gegen X., dem Bund eine Ersatzforderung in der Höhe von total Fr. 945.- (Fr. 884.50 plus Fr. 50.- plus Fr. 10.50) zu bezahlen. D. Gegen das Urteil respektive den Einziehungsentscheid reichten X. beziehungsweise die Y. AG Appellation ein. X. beantragte seine Freisprechung. Die Y. AG stellte den Antrag, auf die Ersatzforderung sei zu verzichten. E. E.a Das Obergericht des Kantons Luzern, 4. Abteilung, sprach X. mit Urteil vom 9. März 2011 vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Spielbankengesetz frei. E.b Es hob mit Entscheid vom gleichen Tag die Einziehungsverfügung der ESBK auf und wies die Ersatzforderung an den Bund ab. F. Die ESBK erhebt in einer einzigen Eingabe Beschwerde in Strafsachen sowohl gegen das Urteil des Obergerichts in Sachen X. als auch gegen den Entscheid des Obergerichts in Sachen Y. AG mit den Anträgen, die beiden Urteile seien aufzuheben und die Entscheide des Amtsgerichts Luzern-Stadt seien zu bestätigen. Die Eingabe enthält somit zwei Beschwerden (Verfahren 6B_466/2011 und 6B_467/ 2011). Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab, soweit es auf sie eintritt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 5. 5.3 Die drei Automaten "Tropical Shop" wurden in der Zeit von März 2006 bis zum 16. Mai 2006 betrieben. In jenem Zeitraum lag noch keine Verfügung der zuständigen Behörde betreffend die Qualifizierung dieser Automaten vor. BGE 138 IV 106 S. 109 5.3.1 Mit Bekanntmachung vom 7. März 2006 an die Hersteller, Inverkehrbringer, Aufsteller und Betreiber von Automaten des Typs "Tropical Shop" oder "Wondercard" teilte die ESBK mit, dass sie beabsichtige, den Automaten "Tropical Shop" (auch "Wondercard" genannt) als Glücksspielautomaten im Sinne von Art. 3 Abs. 2 des Spielbankengesetzes vom 18. Dezember 1998 (SBG; SR 935.52) zu qualifizieren und einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen. Die ESBK hielt in der Bekanntmachung fest, obschon ihr gemäss Art. 61 der Spielbankenverordnung vom 24. September 2004 (VSBG; SR 935.521) Geldspielautomaten vorzuführen seien, sei dies beim Automaten "Tropical Shop" bis heute nicht erfolgt. Die ESBK gab in Anwendung von Art. 29 und 30a VwVG (SR 170.021) den von der Feststellungsverfügung Betroffenen unter Ansetzung einer Frist von 30 Tagen Gelegenheit, den Entwurf der beabsichtigten Feststellungsverfügung mit deren Begründung und den Akten bei der ESBK einzusehen und dazu Stellung zu nehmen. Bei unbenutztem Ablauf der Frist werde aufgrund der Akten entschieden (BBl 2006 2689). Mit Feststellungsverfügung der ESBK vom 2. August 2006 wurden der Spielautomat "Tropical Shop" und faktisch gleiche Geräte als Glücksspielautomaten im Sinne von Art. 3 Abs. 2 SBG qualifiziert. Die ESBK hielt unter Hinweis auf Art. 56 Abs. 1 lit. a SBG fest, es sei verboten, den Glücksspielautomaten "Tropical Shop" (und andere faktisch gleiche Geräte) ausserhalb von konzessionierten Spielbanken zu betreiben. Der Beschwerde gegen die vorliegende Feststellungsverfügung wurde die aufschiebende Wirkung gemäss Art. 55 VwVG entzogen. In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass gegen die Verfügung innert 30 Tagen nach Eröffnung bei der für Spielbanken zuständigen Rekurskommission in Bern Beschwerde geführt werden kann (BBl 2006 6757). Gegen die Verfügung der ESBK erhoben einzelne Betroffene, welche Automaten des Typs "Tropical Shop" erworben, aufgestellt und einige davon in Betrieb gesetzt hatten, am 14. September 2006 Beschwerde an die Eidgenössische Rekurskommission für Spielbanken. Sie ersuchten um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Durch Verfügung des Präsidenten der Eidgenössischen Rekurskommission für Spielbanken vom 19. September 2006 wurde die aufschiebende Wirkung der Beschwerden superprovisorisch wiederhergestellt, jedoch ausschliesslich für die am 2. August 2006 bereits in Betrieb stehenden Spielautomaten "Tropical Shop". Mit Präsidialverfügung BGE 138 IV 106 S. 110 der Eidgenössischen Rekurskommission für Spielbanken vom 11. Dezember 2006 wurden die Präsidialverfügung vom 19. September 2006 aufgehoben und die Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen. Eine dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil 2A.8/2007 vom 26. März 2007 ab. 5.3.2 Erst mit der Verfügung der ESBK vom 2. August 2006 stand fest, dass der Automat "Tropical Shop" nach der Auffassung dieser zuständigen Fachbehörde als Glücksspielautomat im Sinne des Spielbankengesetzes zu qualifizieren und daher dessen Betrieb ausserhalb konzessionierter Spielbanken verboten ist. Zwar handelt es sich bei der Verfügung der ESBK vom 2. August 2006 um eine Feststellungsverfügung und war somit der Automat "Tropical Shop" unabhängig von dieser Verfügung und auch schon vor deren Erlass ein Glücksspielautomat im Sinne des Spielbankengesetzes. Ob ein bestimmtes Gerät als Glücksspielautomat im Sinne des Spielbankengesetzes zu qualifizieren ist, hängt von verschiedenen Umständen und deren Gewichtung ab. Der Entscheid kann unter Umständen schwierig sein. Gemäss der gesetzlichen Regelung ist es die Aufgabe der ESBK, zu prüfen und zu entscheiden, ob ein bestimmter Automat unter Berücksichtigung der gesamten Umstände als Glücksspielautomat im Sinne des Spielbankengesetzes zu qualifizieren ist. Wer einen Geschicklichkeits- oder einen Glücksspielautomaten (Geldspielautomaten) in Verkehr setzen will, muss ihn vor der Inbetriebnahme der Kommission vorführen ( Art. 61 Abs. 1 VSBG ). Die Kommission entscheidet auf Grund der Unterlagen, ob es sich beim vorgeführten Geldspielautomaten um einen Geschicklichkeits- oder um einen Glücksspielautomaten handelt. Sie kann eine Überprüfung des Geldspielautomaten sowie der eingereichten Unterlagen anordnen ( Art. 64 Abs. 1 VSBG ). Die Kommission teilt ihre Entscheide den Kantonen mit und veröffentlicht sie im Bundesblatt ( Art. 64 Abs. 3 VSBG ). Gemäss Art. 56 Abs. 1 SBG macht sich unter anderem strafbar, wer Spielsysteme oder Glücksspielautomaten ohne Prüfung, Konformitätsbewertung oder Zulassung zum Zweck des Betriebs aufstellt (lit. c), wer eine vorgeschriebene Meldung an die Kommission unterlässt (lit. e) und wer einer Aufforderung der Kommission, den ordnungsgemässen Zustand wiederherzustellen oder die Missstände zu beseitigen, nicht nachkommt (lit. f). Aus dieser gesetzlichen Regelung ergibt sich, dass der Betrieb eines Glücksspielautomaten ausserhalb konzessionierter Spielbanken den Tatbestand von Art. 56 Abs. 1 lit. a SBG nur BGE 138 IV 106 S. 111 erfüllen kann, nachdem der Automat durch Verfügung der zuständigen ESBK als Glücksspielautomat qualifiziert worden ist und allfällige Rechtsmittel gegen diese Verfügung keine aufschiebende Wirkung haben. Vor dem Erlass einer solchen Verfügung kann der Tatbestand von Art. 56 Abs. 1 lit. a SBG nicht erfüllt sein, weil noch nicht feststeht, ob es sich bei dem in Betrieb stehenden Automaten nach der Einschätzung der zu diesem Entscheid zuständigen ESBK um einen Glücksspielautomaten handelt. Vor dem Erlass der Feststellungsverfügung der ESBK können durch den Betrieb des Automaten allenfalls andere Tatbestände erfüllt werden, etwa der Tatbestand von Art. 56 Abs. 1 lit. c SBG . Angesichts der in der Spielbankenverordnung enthaltenen Regelung, wonach Geldspielautomaten der ESBK vorzuführen sind (Art. 61 Abs. 1 VSGB), welche über deren Qualifikation als Geschicklichkeits- oder Glücksspielautomaten zu entscheiden hat ( Art. 64 VSBG ), wogegen die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und danach die öffentlich-rechtliche Beschwerde an das Bundesgericht gegeben ist, kann es im Übrigen nicht die Aufgabe des Strafrichters sein, bei Fehlen einer diesbezüglichen Verfügung der ESBK selber darüber zu entscheiden, ob der Automat als Geschicklichkeits- oder als Glücksspielautomat zu qualifizieren ist. Soweit sich aus der Rechtsprechung der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts insoweit etwas anderes ergibt (siehe etwa die Urteile 6S.112/2004 vom 18. Juni 2004 und 6S.45/2005 vom 22. März 2005), kann daran schon wegen des Risikos von widersprüchlichen Entscheiden in Bezug auf die Qualifikation eines Automaten nicht festgehalten werden. 5.3.3 Durch den Betrieb der Automaten des Typs "Tropical Shop" in der Zeit von März 2006 bis zum 16. Mai 2006 in drei Gaststätten wurde mithin der Tatbestand von Art. 56 Abs. 1 lit. a SBG nicht erfüllt. 5.3.4 Ob allenfalls der Tatbestand von Art. 56 Abs. 1 lit. c SBG erfüllt ist, wonach bestraft wird, wer Spielsysteme oder Glücksspielautomaten ohne Prüfung, Konformitätsbewertung oder Zulassung zum Zwecke des Betriebs aufstellt, und ob gegebenenfalls eine Einziehung der durch den Betrieb erlangten Vermögenswerte in Betracht käme, ist vorliegend nicht zu prüfen, da eine solche Straftat weder eingeklagt ist noch Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens und des gerichtlichen Strafverfahrens bildete.
de
4a7bb0ed-0881-4ebd-a114-41f1bac13f14
Erwägungen ab Seite 74 BGE 116 Ia 73 S. 74 Aus den Erwägungen: 1. Der Beschwerdeführer erblickt unter anderem eine Verletzung von Art. 4 BV darin, dass der angefochtene Entscheid einer genügenden Begründung ermangle; zudem sei er in mehreren für die Frage des Eintritts der Verjährung wesentlichen Punkten nicht zu ihm zur Last gelegten Akten und Tatsachen befragt worden, worin zugleich eine Verletzung von Art. 6 EMRK liege. a) Wegen Verletzung von Art. 4 BV und der EMRK - bei letzterer die Rügen, wenn ihnen selbständige Bedeutung zukommt, ausgenommen, die materiell identisch sind mit einer aufgrund einer Bestimmung der Bundesverfassung erhobenen Rüge, für die die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht erforderlich ist - ist die staatsrechtliche Beschwerde erst zulässig, nachdem der Beschwerdeführer von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hat, mit denen die in der Beschwerde vorgebrachten Rügen ebenfalls erhoben werden können ( Art. 86 Abs. 2 OG ; BGE 114 Ia 201 E. 1, BGE 113 Ia 229 E. bb, BGE 112 Ia 86 ). b) Die Rügen der mangelnden Begründung und der ungenügenden Befragung zu einzelnen Punkten bedürfen demnach, soweit sie sich auf Art. 4 BV stützen, der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges. Auch soweit Art. 6 EMRK , dessen Ziff. 3 hier in Betracht fällt, angerufen wird, ist dies der Fall. Art. 6 Ziff. 3 EMRK geht in seiner Tragweite nicht über Art. 4 BV hinaus ( BGE 114 Ia 179 mit Hinweisen) und betrifft daher auch nicht eine Rüge, für die die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht erforderlich wäre. c) Gegen Urteile des Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern kann beim kantonalen Kassationshof Nichtigkeitsklage geführt werden (Art. 328 i.V.m. 330 Ziff. 2 StrV/BE; obwohl in Art. 328 neben dem Geschworenengericht und der Kriminalkammer das, wie sich aus Art. 208a und 208b ergibt, der letzteren gleichgestellte Wirtschaftsstrafgericht nicht ausdrücklich aufgeführt ist, ist dies nicht zweifelhaft: vgl. Urteil des Kassationshofes des Kantons Bern vom 5.6.1989 i.S. H.). Die Nichtigkeitsklage ist nach Art. 328 Ziff. 2 StrV unter anderem zulässig, "wenn in anderer Weise im Hauptverfahren ein Prozessrechtssatz verletzt wurde, sofern angenommen werden kann, dass dies für das Urteil von Bedeutung war". Zu den Prozessrechtsverletzungen, die gerügt werden können, zählen der Anspruch auf rechtliches Gehör und das sich daraus ergebende Recht auf Begründung des Entscheides (vgl. BGE 116 Ia 73 S. 75 JÜRG AESCHLIMANN, Das bernische Strafverfahren, 3 - Besonderer Teil II, S. 87 § 248 und S. 105 sowie die dort zitierten Gerichtsentscheide; unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 30.9.1988 i.S. S. E. 1a). Vom in der erwähnten Gesetzesbestimmung genannten Erfordernis der Kausalität sind die sich aus Art. 4 BV und Art. 6 EMRK ergebenden, den Parteien rein formal zustehenden Ansprüche, wie insbesondere jener auf rechtliches Gehör, ausgenommen; in solchen Fällen ist der Kassationsgrund ein absoluter, zwingender (AESCHLIMANN, a.a.O., S. 86 unten). Das Urteil des Wirtschaftsstrafgerichts hätte daher, was die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs mangels genügender Begründung und mangels Anhörung zu wesentlichen Punkten betrifft, beim Kassationshof des Kantons Bern aus den gleichen Gründen angefochten werden können, wie dies mit der vorliegenden Beschwerde geschieht, auf die daher insoweit nicht einzutreten ist (unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 30.9.1988 i.S. S. E. 1; ebenso BGE 101 Ia 89 für die analoge Rechtslage bei staatsrechtlichen Beschwerden gegen Urteile des bernischen Handelsgerichts, gegen die eine kantonalrechtliche Nichtigkeitsklage ebenfalls zur Verfügung steht). Der Beschränkung, nach welcher mit der kantonalen Nichtigkeitsklage allein eine Prozessrechtsverletzung "im Hauptverfahren" gerügt werden kann, kommt dabei keine Bedeutung zu, stellt doch die Fällung eines Urteils trotz Verweigerung des rechtlichen Gehörs im Untersuchungsverfahren - wenn diese nicht ohnehin geheilt wurde - gleichzeitig auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Hauptverfahren dar (so auch JACKOWSKY, Die Nichtigkeitsklage im bernischen Strafprozessrecht, Bern 1965, S. 41; unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 30.9.1988 i.S. S. E. 1b und c). Es ändert sich auch nichts dadurch, dass vor dem Kassationshof Bern die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung nicht vorgebracht werden konnte (AESCHLIMANN, a.a.O., S. 105 Abs. 2 a.E. mit Hinweisen); die zulässigen Beschwerdegründe hätten gleichwohl mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden müssen, wobei in der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Kassationsentscheid innert der gleichen Frist auch das Urteil des Wirtschaftsstrafgerichts hätte mit der Willkürrüge mitangefochten werden können ( BGE 114 Ia 311 E. 3a, BGE 111 Ia 353 und BGE 94 I 462 E. bb; zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des Bundesgerichts vom 22.12.1989 i.S. H.).
de
2c931b4f-f4cb-41cc-b981-d8115121c211
Sachverhalt ab Seite 110 BGE 118 Ia 110 S. 110 Mit Urteil vom 5. November 1990 wies der Appellationshof des Kantons Bern eine Forderungsklage des R. gegen K. und Mitbeteiligte ab. R. führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, dieses Urteil sowie den gleichentags getroffenen Vorfrageentscheid betreffend Rückweisung seiner Eingabe vom 14. März 1990 wegen Verletzung von Art. 4 BV aufzuheben; eventuell sei die erwähnte Eingabe samt den damit eingereichten Akten, Plänen und Urkunden zu den Prozessakten zu erkennen. Die Beschwerdegegner beantragen, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Der Appellationshof schliesst sich diesem Antrag an und verweist zur Begründung auf die Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin 2. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein aus folgenden Erwägungen Erwägungen: 3. Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV ist gemäss Art. 86 Abs. 2 und 87 OG nur gegen letztinstanzliche BGE 118 Ia 110 S. 111 kantonale Entscheide zulässig. Das setzt voraus, dass die vor Bundesgericht erhobenen Rügen mit keinem kantonalen Rechtsmittel hätten geltend gemacht werden können ( BGE 116 Ia 74 , BGE 114 Ia 201 , BGE 109 Ia 89 ). Urteile der Zivilkammern des bernischen Appellationshofs unterliegen der Nichtigkeitsklage an dessen Plenum ( Art. 7 Abs. 3 ZPO /BE). Gemäss Art. 359 Ziff. 3 ZPO kann mit dieser Klage gerügt werden, der sich beschwerenden Partei sei das vollständige rechtliche Gehör verweigert worden. Der Beschwerdeführer macht in seiner ergänzenden Eingabe geltend, gemäss neuer Praxis des Plenums des Appellationshofs stehe ihm die Nichtigkeitsklage für die Rüge, sein Gehörsanspruch sei durch die Nichtabnahme angebotener Beweise verletzt worden, nicht mehr zur Verfügung. Die Beschwerdegegnerin 2 hält diese Auffassung zu Recht für verfehlt. Denn der Beschwerdeführer und auch der von den Beschwerdegegnern 1 erwähnte Autor BRÖNNIMANN (Die Behauptungs- und Substantiierungslast im schweizerischen Zivilprozessrecht, Bern 1989, S. 195, Fn. 999) messen dem Entscheid des Plenums des Berner Appellationshofs vom 12. November 1982 (veröffentlicht in ZBJV 121/1985 S. 288 ff.) eine Tragweite bei, die ihm nicht zukommt. Darin wird wohl festgehalten, dass weder die Systematik noch der Wortlaut des Gesetzes den Schluss zulassen, der Nichtigkeitsgrund von Art. 359 Ziff. 3 ZPO sei bereits ohne weiteres gegeben, wenn Parteianbringen nicht gewürdigt oder beantragte Beweise nicht ausgehoben werden. Keineswegs heisst dies dagegen, dass die Nichtabnahme beantragter Beweise allgemein nicht mehr als Grund für eine Nichtigkeitsklage gemäss Art. 359 Ziff. 3 ZPO in Frage kommen könnte. Das Plenum des Appellationshofs hat es lediglich abgelehnt, auf eine solche Nichtigkeitsklage hin eine Kontrolle appellatorischen Charakters vorzunehmen. Es soll m.a.W. ausgeschlossen sein, dass Entscheide des Appellationshofs auf dem Wege der Geltendmachung angeblich unvollständiger oder unrichtiger Beweiswürdigung durch eine kantonale Instanz auch materiellrechtlich überprüft werden können, wie dies bei den der Nichtigkeitsklage gemäss Art. 360 ZPO unterliegenden erstinstanzlichen Entscheiden möglich ist (ZBJV 121/1985 S. 290). Dies entspricht durchaus Wortlaut und Sinn der gesetzlichen Bestimmung. Ob die Nichtabnahme beantragter Beweise den Gehörsanspruch verletzt, wird vom Plenum des Appellationshofs auf Nichtigkeitsklage hin nach wie vor geprüft. Wird diese Rüge unter dem Titel der Verletzung des rechtlichen Gehörs somit zugelassen, so stösst auch die von BRÖNNIMANN (a.a.O.) an der Berner Rechtsprechung geübte Kritik ins Leere. BGE 118 Ia 110 S. 112 Soweit der Beschwerdeführer den Vorwurf der Gehörsverweigerung direkt beim Bundesgericht erhebt, statt den Kammerentscheid vorgängig mit kantonaler Nichtigkeitsklage beim Plenum des Appellationshofs anzufechten, ist demnach auf seine Beschwerde mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht einzutreten. Dies trifft nicht nur auf die Hauptrüge zu, seine Beweismitteleingabe vom 14. März 1990 hätte nicht weggewiesen werden dürfen, sondern auch auf den Einwand, es hätte im kantonalen Verfahren ein zweiter Schriftenwechsel durchgeführt werden sollen. Die behauptete Verletzung kantonaler Verfahrensbestimmungen ( Art. 89, 92 und 93 ZPO ) läuft ebenfalls durchwegs auf den Vorwurf hinaus, es sei dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör verweigert worden. Auch dies wäre vorgängig mit Nichtigkeitsklage gemäss Art. 359 Ziff. 3 ZPO beim Plenum des Appellationshofs zu rügen gewesen.
de
eed9ba37-e854-4203-8485-8982efa1a5d6
Microsoft Word - fedlex-data-admin-ch-eli-cc-1984-1164_1164_1164-20221109-de-docx-7.docx 1 / 14 Verordnung über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewV) vom 1. Oktober 1984 (Stand am 9. November 2022) Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf Artikel 36 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 19831 über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG), verordnet: 1. Kapitel: Bewilligungspflicht Art. 1 Erwerb von Grundstücken 1 Als Erwerb von Grundstücken gelten auch: a.2 die Beteiligung an der Gründung und, sofern der Erwerber damit seine Stel- lung verstärkt, an der Kapitalerhöhung von juristischen Personen, deren tat- sächlicher Zweck der Erwerb von Grundstücken ist (Art. 4 Abs. 1 Bst. e BewG), die nicht nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a BewG ohne Bewilli- gung erworben werden können; b.3 die Übernahme eines Grundstückes, das nicht nach Artikel 2 Absatz 2 Buch- stabe a BewG ohne Bewilligung erworben werden kann, zusammen mit einem Vermögen oder Geschäft (Art. 181 Obligationenrecht, OR4) oder durch Fusion, Spaltung, Umwandlung oder Vermögensübertragung nach dem Fusi- onsgesetz vom 3. Oktober 20035 (FusG), sofern sich dadurch die Rechte des Erwerbers an diesem Grundstück vermehren; c. der Erwerb von Anteilen an einer Gesellschaft, der eine Wohnung gehört, die dem Erwerber der Anteile als Haupt-, Zweit- oder Ferienwohnung dient. 2 Als andere Rechte, die dem Erwerber eine ähnliche Stellung wie dem Eigentümer eines Grundstückes verschaffen (Art. 4 Abs. 1 Bst. g BewG), gelten insbesondere: a. die langfristige Miete oder Pacht eines Grundstückes, wenn die Abreden den Rahmen des gewöhnlichen oder kaufmännischen Geschäftsverkehrs sprengen AS 1984 1164 1 SR 211.412.41 2 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 3 Fassung gemäss Anhang Ziff. 3 der Handelsregisterverordnung vom 21. April 2004, in Kraft seit 1. Juli 2004 (AS 2004 2669). 4 SR 220 5 SR 221.301 211.412.411 Ergänzungs- und Ausführungserlasse zum ZGB 2 / 14 211.412.411 und den Vermieter oder Verpächter in eine besondere Abhängigkeit vom Mie- ter oder Pächter bringen; b. die Finanzierung des Kaufes oder der Überbauung eines Grundstückes, wenn die Abreden, die Höhe der Kredite oder die Vermögensverhältnisse des Schuldners den Käufer oder Bauherrn in eine besondere Abhängigkeit vom Gläubiger bringen; c. die Begründung von Bauverboten und ähnlichen Eigentumsbeschränkungen mit dinglicher oder obligatorischer Wirkung, welche ein Nachbargrundstück betreffen. Art. 26 Personen im Ausland 1 Nicht als Personen im Ausland gelten die folgenden Personen, sofern sie ihren Wohnsitz nach den Artikeln 23, 24 Absatz 1, 25 und 26 des Zivilgesetzbuchs (ZGB)7 in der Schweiz haben: a. Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) oder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA); b. Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nord- irland nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer 2 BewG.8 2 Die Rechtmässigkeit des Wohnsitzes setzt ausserdem eine gültige Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung EU-EFTA (Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 der V vom 22. Mai 20029 über den freien Personenverkehr, VFP) zur Wohnsitznahme voraus.10 3 Als Personen, die nicht das Recht haben, sich in der Schweiz niederzulassen (Art. 5 Abs. 1 Bst. abis BewG), gelten Ausländer ohne gültige Niederlassungsbewilligung (Art. 34 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dez. 200511 (AIG)12.13 4 Ausländer, die für ihren rechtmässigen Aufenthalt keiner Bewilligung der Fremden- polizei bedürfen (Art. 5 Abs. 3), unterliegen der Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken wie Ausländer, die einer Bewilligung der Fremdenpolizei bedür- fen. 6 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Jan. 2002, in Kraft seit 1. Juni 2002 (AS 2002 1115). 7 SR 210 8 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 20. Jan. 2021, in Kraft seit 1. März 2021 (AS 2021 87). 9 SR 142.203 10 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 20. Jan. 2021, in Kraft seit 1. März 2021 (AS 2021 87). Berichtigung vom 9. Nov. 2022 (AS 2022 656). 11 SR 142.20 12 Der Titel wurde in Anwendung von Art. 12 Abs. 2 des Publikationsgesetzes vom 18. Juni 2004 (SR 170.512) auf den 1. Jan. 2019 angepasst. Diese Anpassung wurde im ganzen Text vorgenommen. 13 Fassung gemäss Ziff. I 2 der V vom 24. Okt. 2007, in Kraft seit 1. Jan. 2008 (AS 2007 5627). Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland. V 3 / 14 211.412.411 2. Kapitel: Bewilligungs- und Verweigerungsgründe Art. 314 Erstellung und gewerbsmässige Vermietung von Wohnraum Die Verwendung des Grundstückes für die Erstellung oder gewerbsmässige Vermie- tung von Wohnraum, der nicht zu einem Hotel oder Apparthotel gehört, begründet keine Betriebsstätte im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a BewG. Art. 4 Härtefall 1 Der Veräusserer, der einen Härtefall geltend macht (Art. 8 Abs. 3 BewG), muss aus- ser seiner Notlage nachweisen, dass er die Wohnung erfolglos zu den Gestehungskos- ten Personen angeboten hat, die keiner Bewilligung bedürfen; die Gestehungskosten erhöhen sich um den Betrag einer angemessenen Verzinsung, wenn die Wohnung dem Veräusserer seit mehr als drei Jahren gehört. 2 Der Erwerb einer Ferienwohnung oder einer Wohneinheit in einem Apparthotel kann auch in einem Härtefall nur in Fremdenverkehrsorten im Sinne des geltenden (Art. 9 Abs. 3 BewG) oder des früheren Rechts (Art. 21 Abs. 2) bewilligt werden. Art. 5 Hauptwohnung 1 Der Wohnsitz, der zum bewilligungsfreien Erwerb einer Hauptwohnung berechtigt (Art. 2 Abs. 2 Bst. b BewG), bestimmt sich nach den Artikeln 23, 24 Absatz 1, 25 und 26 ZGB15.16 2 Die Rechtmässigkeit des Wohnsitzes setzt ausserdem die gültige Aufenthaltsbewil- ligung zur Wohnsitznahme (Art. 33 AIG17) oder eine andere entsprechende Berechti- gung voraus.18 3 Eine andere Berechtigung steht zu, wenn im Übrigen die Voraussetzungen des Wohnsitzes vorliegen, den Personen im Dienste: a.19 institutioneller Begünstigter nach Artikel 2 Absatz 1 des Gaststaatgesetzes vom 22. Juni 200720, sofern sie im Besitz einer Legitimationskarte des Eidge- nössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten sind; b. von Betriebsstellen ausländischer Bahn-, Post- und Zollverwaltungen mit Sitz in der Schweiz (Dienstausweis). 14 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 15 SR 210 16 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Jan. 2002, in Kraft seit 1. Juni 2002 (AS 2002 1115). 17 SR 142.20 18 Fassung gemäss Ziff. I 2 der V vom 24. Okt. 2007, in Kraft seit 1. Jan. 2008 (AS 2007 5627). 19 Fassung gemäss Anhang Ziff. 5 der Gaststaatverordnung vom 7. Dez. 2007 (SR 192.121). 20 SR 192.12 Ergänzungs- und Ausführungserlasse zum ZGB 4 / 14 211.412.411 Art. 6 Zweitwohnung 1 Als aussergewöhnlich enge, schutzwürdige Beziehungen, die zum Erwerb einer Zweitwohnung berechtigen (Art. 9 Abs. 1 Bst. c BewG), gelten regelmässige Bezie- hungen, die der Erwerber zum Ort der Zweitwohnung unterhalten muss, um überwie- gende wirtschaftliche, wissenschaftliche, kulturelle oder andere wichtige Interessen zu wahren. 2 Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit Personen in der Schweiz und Ferien-, Kur- , Studien- oder andere vorübergehende Aufenthalte begründen für sich allein keine engen schutzwürdigen Beziehungen. Art. 7 Apparthotels 1 …21 2 Die dauernde hotelmässige Bewirtschaftung (Art. 10 Bst. b BewG) wird sicherge- stellt, indem die Stockwerkeigentümer im Begründungsakt und im Verwaltungs- und Nutzungsreglement (Art. 712d ff. ZGB22) darauf verpflichtet werden; die Bewilligun- gen werden unter den dafür vorgeschriebenen Auflagen erteilt (Art. 11 Abs. 2 Bst. g). 3 Vorbehalten bleiben die nach kantonalem Recht für einen Hotelbetrieb erforderli- chen Bewilligungen. Art. 823 Erwerb einer Wohnung durch eine natürliche Person Als Erwerb einer Wohnung durch eine natürliche Person (Art. 2 Abs. 2 Bst. b, 7 Bst. j Ziff. 1 und 2, 8 Abs. 3 sowie 9 Abs. 1 Bst. c und Abs. 2 BewG) gilt: a. der unmittelbare Erwerb auf deren persönlichen Namen; b. bei Mieteraktiengesellschaften, deren Gründung vor dem 1. Februar 1974 er- folgte, der Erwerb von Anteilen im entsprechenden Umfang. Art. 9 Bewilligungskontingente 1 Der Anhang 1 dieser Verordnung führt die jährliche gesamtschweizerische Höchst- zahl an Bewilligungen für Ferienwohnungen und Wohneinheiten in Apparthotels so- wie die kantonalen Jahreskontingente auf (Art. 11 und 39 BewG). 2 Die Bewilligungen werden im Zeitpunkt der Zusicherung an den Veräusserer durch die zuständige Behörde (Grundsatzbewilligung) oder, wenn keine Zusicherung vor- liegt, im Zeitpunkt der Erteilung an den Erwerber auf das Kontingent angerechnet. 3 In einem Jahr nicht gebrauchte Kontingentseinheiten werden auf das folgende Jahr übertragen.24 21 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, mit Wirkung seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 22 SR 210 23 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 20. Jan. 2021, in Kraft seit 1. März 2021 (AS 2021 87). 24 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 10. Juni 1996, in Kraft seit 1. Aug. 1996 (AS 1996 2117). Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland. V 5 / 14 211.412.411 4 Werden sie auch bis zum 31. Oktober des folgenden Jahres nicht gebraucht, so ver- teilt sie das Bundesamt für Justiz auf die Kantone, die bis zu diesem Zeitpunkt ihr Kontingent ausgeschöpft und um Zuteilung weiterer Einheiten nachgesucht haben.25 5 Die Anzahl der zusätzlichen Einheiten für einen Kanton darf die Hälfte seines Jah- reskontingents (Anhang 1) nicht überschreiten.26 6 Verlangen die Kantone mehr zusätzliche Einheiten, als zur Verfügung stehen, so erfolgt die Verteilung im Verhältnis der Jahreskontingente der ersuchenden Kan- tone.27 7 Die auf das folgende Jahr übertragenen (Abs. 3) wie auch die vom Bundesamt für Justiz zugeteilten zusätzlichen Einheiten (Abs. 4) verfallen, wenn sie bis zum 31. De- zember dieses Jahres nicht gebraucht werden.28 Art. 10 Zulässige Fläche 1 …29 2 Die Nettowohnfläche von Zweitwohnungen im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 Buch- stabe c BewG, Ferienwohnungen und Wohneinheiten in Apparthotels darf 200 m2 in der Regel nicht übersteigen.30 3 Ausserdem darf für Zweitwohnungen im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c BewG und für Ferienwohnungen, die nicht im Stockwerkeigentum stehen, die Ge- samtfläche des Grundstückes 1000 m2 in der Regel nicht übersteigen.31 4 Ein nachträglicher Mehrerwerb darf nur im Rahmen der zulässigen Fläche erfolgen. 5 Führt ein Tausch von Wohnungen oder eine Grenzbereinigung dazu, dass die zuläs- sige Fläche überschritten wird, so entfällt die für diesen Erwerb vorgesehene Aus- nahme von der Bewilligungspflicht (Art. 7 Bst. d und g BewG); der Grundbuchver- walter verweist in diesem Falle den Erwerber an die Bewilligungsbehörde (Art. 18 Abs. 1 BewG). Art. 11 Bedingungen und Auflagen 1 Der Erwerb einer Zweitwohnung im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c BewG, einer Ferienwohnung oder einer Wohneinheit in einem Apparthotel darf, wenn dem Erwerber, seinem Ehegatten, seiner eingetragenen Partnerin oder seinem 25 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 10. Juni 1996, in Kraft seit 1. Aug. 1996 (AS 1996 2117). 26 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 10. Juni 1996, in Kraft seit 1. Aug. 1996 (AS 1996 2117). 27 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 10. Juni 1996, in Kraft seit 1. Aug. 1996 (AS 1996 2117). 28 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 10. Juni 1996, in Kraft seit 1. Aug. 1996 (AS 1996 2117). 29 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, mit Wirkung seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 30 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 28. Mai 2003, in Kraft seit 1. Juli 2003 (AS 2003 1635). 31 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Jan. 2002, in Kraft seit 1. Juni 2002 (AS 2002 1115). Ergänzungs- und Ausführungserlasse zum ZGB 6 / 14 211.412.411 eingetragenen Partner oder einem Kind unter 18 Jahren bereits eine solche Wohnung gehört, nur unter der Bedingung bewilligt werden, dass diese Wohnung vorher ver- äussert wird (Art. 12 Bst. d BewG).32 2 An die Bewilligungen sind in der Regel mindestens die folgenden, im Grundbuch anzumerkenden Auflagen zu knüpfen (Art. 14 BewG): a. die Verpflichtung, das Grundstück dauernd zu dem Zwecke zu verwenden, für den der Erwerb bewilligt wird, und für jede Änderung des Verwendungszwe- ckes die Einwilligung der Bewilligungsbehörde einzuholen; b. bei Bauland die Verpflichtung, den Bau innert bestimmter Frist zu beginnen und für alle erheblichen Änderungen der Baupläne die Einwilligung der Be- willigungsbehörde einzuholen; c.33 bei Grundstücken, die als Kapitalanlage ausländischer Versicherer, der Perso- nalvorsorge, gemeinnützigen Zwecken oder dem sozialen Wohnungsbau die- nen, eine vom Erwerb an gerechnete zehnjährige Sperrfrist für die Wiederver- äusserung; d. bei Grundstücken des sozialen Wohnungsbaus das Verbot für den Erwerber, Wohnungen selber zu benützen; e.34 bei Zweitwohnungen im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c BewG die Verpflichtung, sie innert zweier Jahre zu veräussern, wenn der Erwerber sie nicht mehr als solche verwendet; f. bei Ferienwohnungen das Verbot, sie ganzjährig zu vermieten; g. bei Apparthotels die Verpflichtung, die Wohneinheit dem Betriebsinhaber zur Bewirtschaftung gemäss dem Begründungsakt des Stockwerkeigentums und dem Verwaltungs- und Nutzungsreglement (Art. 7) zu überlassen; h. beim Erwerb von Anteilen an Immobiliengesellschaften das Verbot, die An- teile während der Sperrfrist (Bst. c) zu veräussern oder zu verpfänden, und die Verpflichtung, die Titel auf den Namen des Erwerbers bei einer Depositen- stelle, die der Kanton bestimmt, unwiderruflich zu hinterlegen. 3 Die Bewilligungsbehörde kann weitergehende Auflagen verfügen, um die Verwen- dung des Grundstückes zu dem Zwecke sicherzustellen, den der Erwerber geltend macht. 4 Als zwingender Grund für den ganzen oder teilweisen Widerruf einer Auflage (Art. 14 Abs. 4 BewG) gilt eine Veränderung der Verhältnisse für den Erwerber, wel- che die Erfüllung der Auflage unmöglich oder unzumutbar macht. 5 Die Überprüfung der Einhaltung der Auflagen ist Sache der Bewilligungsbehörde oder, wenn diese nicht handelt, der beschwerdeberechtigten Behörden. 32 Fassung gemäss Anhang 2 Ziff. 2 der V vom 28. Juni 2006, in Kraft seit 1. Jan. 2007 (AS 2006 2923). 33 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 34 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Jan. 2002, in Kraft seit 1. Juni 2002 (AS 2002 1115). Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland. V 7 / 14 211.412.411 Art. 12 Verfall der Bewilligungen 1 Die Bewilligung für den Erwerb verfällt, wenn dieser nicht innert dreier Jahre erfolgt (Art. 14 Abs. 2 BewG). 2 Die Bewilligungsbehörde kann diese Frist ausnahmsweise und aus wichtigen Grün- den erstrecken, wenn der Erwerber vor Ablauf der Frist darum nachsucht. 3 Die Kantone regeln den Verfall der Zusicherungen von Bewilligungen an Veräusse- rer (Grundsatzbewilligungen). 4 Grundsatzbewilligungen, die nicht befristet worden sind, verfallen am 31. Dezember 2000, soweit von ihnen nicht Gebrauch gemacht worden ist.35 Art. 13–1436 3. Kapitel: Behörden und Verfahren Art. 15 Feststellung der Bewilligungspflicht 1 Der Erwerber ersucht die Bewilligungsbehörde um ihren Entscheid über die Bewil- ligungspflicht (Art. 2 und 4–7 BewG), wenn diese sich nicht ohne weiteres ausschlies- sen lässt (Art. 17 Abs. 1 BewG).37 2 Steht der Entscheid einer Bundesbehörde zu (Art. 7 Bst. h, 16 Abs. 1 Bst. a BewG), so richtet der Erwerber sein Gesuch an die kantonale Bewilligungsbehörde zuhanden der Bundesbehörde. Die Verfahren für den Erwerb von Grundstücken nach dem 3. Kapitel des Gaststaatgesetzes vom 22. Juni 200738 werden in der Gaststaatverordnung vom 7. Dezember 200739 geregelt (Art. 7a BewG).40 3 Im Übrigen entscheidet die Bewilligungsbehörde über die Bewilligungspflicht, wenn: a. der Erwerber auf Veranlassung des Grundbuchverwalters, des Handelsregis- terführers oder der Steigerungsbehörde darum ersucht (Art. 18 und 19 BewG); b. eine beschwerdeberechtigte kantonale Behörde oder das Bundesamt für Justiz darum ersucht (Art. 22 Abs. 2 BewG); c. der Zivilrichter, der Strafrichter oder eine andere Behörde darum ersucht. 35 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 36 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, mit Wirkung seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 37 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 38 SR 192.12 39 SR 192.121 40 Fassung gemäss Anhang Ziff. 5 der Gaststaatverordnung vom 7. Dez. 2007 (SR 192.121). Ergänzungs- und Ausführungserlasse zum ZGB 8 / 14 211.412.411 Art. 16 Örtliche Zuständigkeit Die Bestimmung über die örtliche Zuständigkeit im Falle des Erwerbes von Anteilen an einer Immobiliengesellschaft mit Grundstücken im Amtsbereich mehrerer Behör- den (Art. 15 Abs. 2 BewG) ist auf einen anderen Erwerb sinngemäss anwendbar. Art. 17 Eröffnung von Verfügungen 1 Die kantonalen Behörden eröffnen dem Bundesamt für Justiz die Verfügungen der Bewilligungsbehörde und die Beschwerdeentscheide mit den im Anhang 2 dieser Ver- ordnung vorgeschriebenen Angaben in drei Exemplaren und mit den vollständigen Akten (Art. 17 Abs. 3, 20 Abs. 4 und 24 Abs. 3 BewG). 2 Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement kann für eine automatisierte sta- tistische Auswertung ein ergänzendes Formular vorschreiben. Art. 18 Prüfung und Beweiserhebung 1 Grundbuchamt, Handelsregisteramt und Steigerungsbehörde überlassen, unter Vor- behalt der Artikel 18a und 18b, eine nähere Prüfung der Bewilligungspflicht und ge- gebenenfalls die Beweiserhebung darüber der Bewilligungsbehörde, an die sie den Erwerber verweisen (Art. 18 Abs. 1 und 2 sowie 19 Abs. 2 BewG; Art. 15 Abs. 3 Bst. a).41 2 Öffentliche Urkunden erbringen für durch sie bezeugte Tatsache vollen Beweis, wenn die Urkundsperson darin bescheinigt, sich über die Tatsachen aus eigener Wahr- nehmung vergewissert zu haben, und wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Tatsachen nicht zutreffen (Art. 9 ZGB42). 3 Allgemeine Erklärungen, die lediglich Voraussetzungen der Bewilligungspflicht be- streiten oder Voraussetzungen der Bewilligung behaupten, erbringen in keinem Falle Beweis; vorbehalten bleiben Erklärungen über die beabsichtigte Nutzung des Grund- stücks (Art. 18a).43 4 Als Geschäftsbücher (Art. 22 Abs. 3 BewG) gelten auch das Aktienbuch (Art. 685 OR44), das Anteilbuch (Art. 790 OR) und das Genossenschafterverzeichnis (Art. 835 OR). Art. 18a45 Prüfung durch Grundbuchamt und Steigerungsbehörde 1 Für einen Erwerb nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a BewG (Betriebsstätte) ver- zichten das Grundbuchamt und die Steigerungsbehörde auf die Verweisung des 41 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 42 SR 210 43 Zweiter Satzteil eingefügt durch Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 44 SR 220. Siehe heute Art. 686. 45 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland. V 9 / 14 211.412.411 Erwerbers an die Bewilligungsbehörde zur Abklärung der Bewilligungspflicht (Art. 18 Abs. 1), wenn: a. der Erwerber nachweist, dass das Grundstück für die Ausübung einer wirt- schaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens dient; b. er bei einem Grundstück, das nicht überbaut ist, schriftlich erklärt, es zu die- sem Zweck zu überbauen; c. die Landreserven für einen Ausbau des Unternehmens einen Drittel der ge- samten Fläche nicht übersteigen. 2 Für einen Erwerb nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b BewG (Hauptwohnung) ist auf die Verweisung zu verzichten, wenn: a. der Erwerber eine gültige Aufenthaltsbewilligung zur Wohnsitznahme (Aus- länderausweis B, Art. 5 Abs. 2) oder eine andere entsprechende Berechtigung (Art. 5 Abs. 3) vorlegt; b. er schriftlich erklärt, das Grundstück als Hauptwohnung zu erwerben; c. die Fläche des Grundstücks 3000 m2 nicht übersteigt. 3 Für den Erwerb einer Zweitwohnung durch einen Grenzgänger in der Region des Arbeitsorts (Art. 7 Bst. j Ziff. 1 und 2 BewG) ist auf die Verweisung zu verzichten, wenn:46 a.47 der Erwerber eine gültige Grenzgängerbewilligung EU-EFTA (Art. 4 Abs. 1 VFP48) vorlegt; b. er schriftlich erklärt, das Grundstück als Zweitwohnung zu erwerben; c. die Fläche des Grundstücks 1000 m2 nicht übersteigt.49 Art. 18b50 Prüfung durch das Handelsregisteramt Das Handelsregisteramt verweist die anmeldende Person in der Regel nur dann an die Bewilligungsbehörde (Art. 18 Abs. 1), wenn die Eintragung in das Handelsregister im Zusammenhang mit einer Beteiligung einer Person im Ausland an einer vermögens- fähigen Gesellschaft ohne juristische Persönlichkeit oder an einer juristischen Person steht, deren tatsächlicher Zweck der Erwerb von Grundstücken ist (Art. 4 Abs. 1 Bst. b und e BewG; Art. 1 Abs. 1 Bst. a und b), die nicht nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a BewG ohne Bewilligung erworben werden können. Art. 19 Stellungnahme anderer Behörden 1 Die Bewilligungsbehörde holt, bevor sie entscheidet, die Stellungnahme ein: 46 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 20. Jan. 2021, in Kraft seit 1. März 2021 (AS 2021 87). 47 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 20. Jan. 2021, in Kraft seit 1. März 2021 (AS 2021 87). 48 SR 142.203 49 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 23. Jan. 2002, in Kraft seit 1. Juni 2002 (AS 2002 1115). 50 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). Ergänzungs- und Ausführungserlasse zum ZGB 10 / 14 211.412.411 a. der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht51, wenn es sich um die Bewilli- gungspflicht für den Erwerb von Anteilen an einem Immobilienanlagefonds ohne regelmässigen Markt oder an einem ähnlichen Vermögen handelt (Art. 4 Abs. 1 Bst. c BewG); b. der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht52, wenn es sich um die Bewilligung für den Erwerb als Anlage ausländischer und ausländisch beherrschter Versi- cherungseinrichtungen (Art. 8 Abs. 1 Bst. b BewG) oder um den Widerruf von Auflagen (Art. 11 Abs. 4) handelt; c. der kantonalen Steuerbehörde darüber, ob der Erwerber für das Grundstück von der direkten Bundessteuer befreit ist, wenn es sich um die Bewilligung für den Erwerb zur Personalvorsorge inländischer Betriebsstätten oder zu ge- meinnützigen Zwecken handelt (Art. 8 Abs. 1 Bst. c BewG); d. der zuständigen kantonalen Behörde, wenn das Grundstück dem sozialen Wohnungsbau dient oder sich darauf solche neu erstellten Wohnungen befin- den (Art. 9 Abs. 1 Bst. a BewG); e.53 der zuständigen kantonalen und Bundesbehörden darüber, ob Interessen vor- liegen, die den Erwerb einer Zweitwohnung im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c BewG rechtfertigen. 2 Die Bewilligungsbehörde kann die Stellungnahme anderer Bundes- oder kantonalen Behörden einholen, um einen Sachverhalt abzuklären (Art. 22 Abs. 1 und 24 Abs. 1 BewG). Art. 20 Statistik 1 Die Statistik über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (Art. 24 Abs. 3 BewG) erfasst: a.54 die Anzahl der Bewilligungen für den Erwerb von Ferienwohnungen und Wohneinheiten in Apparthotels, Ort, Art und Fläche des Grundstückes, Staats- angehörigkeit des Erwerbers und die entsprechenden Handänderungen; b. …55 c.56 den schweizerischen Rückerwerb von Ferienwohnungen und Wohneinheiten in Apparthotels. 51 Die Bezeichnung der Verwaltungseinheit wurde in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 der Publikationsverordnung vom 17. Nov. 2004 (AS 2004 4937) angepasst. 52 Die Bezeichnung der Verwaltungseinheit wurde in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 der Publikationsverordnung vom 17. Nov. 2004 (AS 2004 4937) angepasst. 53 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 23. Jan. 2002, in Kraft seit 1. Juni 2002 (AS 2002 1115). 54 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). 55 Aufgehoben durch Ziff. I der V vom 23. Nov. 1988, mit Wirkung seit 1. Jan. 1989 (AS 1988 1998). 56 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 10. Sept. 1997, in Kraft seit 1. Okt. 1997 (AS 1997 2122). Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland. V 11 / 14 211.412.411 2 Die Grundbuchverwalter melden die entsprechenden Eintragungen dem Bundesamt für Justiz unverzüglich und unentgeltlich mit dem Formular, das ihnen das Bundesamt zur Verfügung stellt; die Kantone können bestimmen, dass die Meldungen über die Bewilligungs- oder beschwerdeberechtigte Behörde erfolgen. 3 Das Bundesamt für Justiz veröffentlicht alljährlich einen Auszug aus der Statistik in der «Volkswirtschaft». 4 Der Auszug aus der Statistik weist auch den ausländischen Erwerb ohne die Hand- änderungen zwischen ausländischen Veräusserern und Erwerbern und ohne den schweizerischen Rückerwerb aus (Nettozuwachs). 5 Eine Verwendung von Personendaten zu anderen als statistischen Zwecken ist nur zulässig, soweit das Gesetz es vorsieht. 4. Kapitel: Schlussbestimmungen Art. 21 Aufhebung von Erlassen 1 Es werden aufgehoben: a. die Verordnung vom 21. Dezember 197357 über den Erwerb von Grundstü- cken durch Personen im Ausland; b. die Verfügung vom 25. März 196458 des Eidgenössischen Militärdepartemen- tes betreffend den Erwerb von Grundstücken in der Nähe wichtiger militäri- scher Anlagen durch Personen im Ausland. 2 Auflagen aufgrund von Bewilligungen, die nach dem früheren Recht (BB vom 23. März 196159 über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland, BRB vom 26. Juni 197260 betreffend Verbot der Anlage ausländischer Gelder in in- ländischen Grundstücken und V vom 10. Nov. 197661 über den Erwerb von Grund- stücken in Fremdenverkehrsorten durch Personen im Ausland) erteilt worden sind, bleiben in Kraft; vorbehalten bleiben Absatz 2 der Schlussbestimmungen der Ände- rung vom 30. April 199762 sowie die Schlussbestimmungen der Änderungen vom 8. Oktober 199963, vom 14. Dezember 200164 und vom 25. September 202065 des BewG.66 Art. 22 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1985 in Kraft. 57 [AS 1974 94 1010, 1976 607] 58 [AS 1964 322] 59 AS 1961 203, 1965 1239, 1970 1199, 1974 83, 1977 1689 Ziff. II, 1982 1914 60 AS 1972 1062 61 AS 1976 2389, 1979 806, 1980 1875, 1981 2070, 1982 2235, 1983 1614 62 AS 1997 2086 63 AS 2002 701 64 AS 2002 685 65 BBl 2020 7907 66 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 20. Jan. 2021, in Kraft seit 1. März 2021 (AS 2021 87). Ergänzungs- und Ausführungserlasse zum ZGB 12 / 14 211.412.411 Anhang 167 (Art. 9 Abs. 1 und 5) Bewilligungskontingente 1 Die jährliche gesamtschweizerische Höchstzahl an Bewilligungen für Ferienwoh- nungen und Wohneinheiten in Apparthotels wird auf 1500 festgesetzt. 2 Die jährlichen kantonalen Bewilligungskontingente werden wie folgt festgesetzt: Bern 140 Appenzell Ausserrhoden 20 Luzern 50 St. Gallen 45 Uri 20 Graubünden 290 Schwyz 50 Tessin 195 Obwalden 20 Waadt 175 Nidwalden 20 Wallis 330 Glarus 20 Neuenburg 35 Freiburg 50 Jura 20 Schaffhausen 20 67 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 14. Nov. 2007, in Kraft seit 1. Dez. 2007 (AS 2007 5235). Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland. V 13 / 14 211.412.411 Anhang 2 (Art. 17 Abs. 1) Mindestangaben in den Verfügungen 1 Erwerber 11 Name oder Firma, vertreten durch: 12 Gewöhnlicher Aufenthalt oder Sitz (genaue Adresse und Staat) 13 Geburtsdatum (für natürliche Personen) 14 Staatsangehörigkeit (für natürliche Personen) 15 gegebenenfalls Bewilligung der Fremdenpolizei (für natürliche Personen): Art, Zeitpunkt der Ausstellung, Zeitpunkt der Einreise zur Übersiedlung 16 gegebenenfalls Gewerbe oder Beruf (für natürliche Personen), Zweck (für Firmen) 2 Veräusserer 21 Name oder Firma 22 Gewöhnlicher Aufenthalt oder Sitz (genaue Adresse und Staat) 23 Geburtsdatum (für natürliche Personen, wenn sie das Grundstück seinerzeit mit Bewilligung erworben haben) 24 Staatsangehörigkeit (für natürliche Personen) 3 Grundstücke 31 Kanton, Gemeinde, Ort, Grundbuch- und Parzellen-Nummer 32 Art (Verwendungszweck) 33 Miteigentumsanteil oder Zahl der Gesamteigentümer 34 Wohnfläche und Fläche der Parzelle in Quadratmetern (bei Stockwerkeigentum: Fläche der Stammparzelle und Wohnungsfläche; bei der Beteiligung an juristischen Personen oder an vermögensfähigen Gesellschaften ohne juristische Persönlichkeit: Fläche aller Grundstücke der Gesellschaft) 4 Rechtsgeschäft 41 Form und Zeitpunkt 42 Art des Rechtes Ergänzungs- und Ausführungserlasse zum ZGB 14 / 14 211.412.411 43 Preis in Franken 5 Bewilligungspflicht (Art. 4–7 BewG, Art. 1 und 2 BewV) 6 Bewilligungs- oder Verweigerungsgründe (Art. 8–13 BewG, Art. 3–14 BewV) 7 Entscheidungsformel mit Bedingungen und Auflagen (Art. 14 BewG, Art. 11 BewV) 8 Mitteilung mit Zeitpunkt, Verteiler und Rechtsmittelbelehrung
de
04347215-d4c1-4e6d-a9c0-489c8d40c4d8
Sachverhalt ab Seite 233 BGE 140 V 233 S. 233 A. Die A. AG ist der Ausgleichskasse des Kantons Bern (nachfolgend: Ausgleichskasse) im Rahmen der Familienzulagen als Arbeitgeberin angeschlossen. B. war ab 1. Juni 2005 bei der A. AG tätig und bezog für seine beiden Söhne (geboren im Jahr 2007) Familienzulagen. Anlässlich von administrativen Abklärungen wurde festgestellt, dass B., welcher von 3. Januar 2011 bis 1. Januar 2013 krankgeschrieben war, ab 1. Mai 2011 die Familienzulagen zu Unrecht erhalten hatte. Die Ausgleichskasse forderte mit Nachtragsrechnung vom 18. März 2013 bei der A. AG die zu viel bezahlten Familienzulagen von insgesamt Fr. 3'680.- zurück. Dies bestätigte sie mit Verfügung vom 3. April 2013 resp. mit Einspracheentscheid vom 17. Juni 2013. BGE 140 V 233 S. 234 B. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die von der A. AG dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 4. Oktober 2013 ab. C. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Begründung zurückzuweisen. Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die A. AG verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Es ist unter den Parteien unbestritten, dass B. im Jahr 2011 zu Unrecht Familienzulagen in der Höhe von Fr. 3'680.- bezogen hat. Streitig ist jedoch, ob die Arbeitgeberin die zu Unrecht bezogenen Familienzulagen gestützt auf Art. 4 Abs. 2 des Berner Gesetzes vom 11. Juni 2008 über die Familienzulagen (KFamZG; BSG 832.71) zurückzubezahlen hat. Nicht erstellt ist weiter, ob die Arbeitgeberin der Ausgleichskasse rechtzeitig mitgeteilt hatte, dass ihr Arbeitnehmer erkrankt war. Die Arbeitgeberin macht geltend, sie habe rechtzeitig eine telefonische Meldung erstattet und es sei ihr versichert worden, die Familienzulagen seien weiterhin auszubezahlen. Die Ausgleichskasse anerkennt dies nicht, verneint es aber auch nicht. Die Vorinstanz hat diesbezüglich Beweislosigkeit angenommen und die Einrede der Arbeitgeberin in Anwendung von Art. 8 ZGB verworfen. 3. 3.1 Nach Art. 15 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen (Familienzulagengesetz, FamZG; SR 836.2) werden Familienzulagen den anspruchsberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Regel durch den Arbeitgeber ausbezahlt. Damit wird eine administrative Vereinfachung bezweckt, welche darin besteht, dass die Familienausgleichskassen die Zulagen nicht jeder einzelnen zulagenberechtigten Person ausrichten müssen, sondern sich regelmässig darauf beschränken können, die Zulagen mit den von den Arbeitgebern geschuldeten Beiträgen zu verrechnen (KIESER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Familienzulagen, Praxiskommentar, 2010, N. 13 zu Art. 15 FamZG ). Die Arbeitgeber fungieren dabei BGE 140 V 233 S. 235 als reine Zahlstellen und erwerben keine eigenen Rechte oder Pflichten aus dem Leistungsverhältnis; deshalb sind gegenüber dem Arbeitnehmer und der Arbeitnehmerin nicht sie Schuldner der Familienzulage, sondern die Familienausgleichskasse (KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 56 zu Art. 1 und N. 14 f. zu Art. 15 FamZG ). So hält Art. 13 Abs. 1 FamZG denn auch fest, dass die Arbeitnehmerin resp. der Arbeitnehmer Anspruch auf Familienzulagen hat; d.h. bei unterbliebener Auszahlung durch den Arbeitgeber hat die Arbeitnehmerin resp. der Arbeitnehmer einen unmittelbaren Anspruch gegenüber der Familienausgleichskasse (KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 15 zu Art. 15 FamZG ). 3.2 Im Rahmen des FamZG findet bezüglich der Verrechnung Art. 20 AHVG samt seinen allfälligen Abweichungen vom ATSG (SR 830.1) sinngemäss Anwendung ( Art. 25 lit. d FamZG ). Nach Art. 20 Abs. 2 AHVG können Forderungen gestützt auf das AHVG oder andere Bundessozialversicherungserlasse (IVG, EOG, FLG) sowie Rückforderungen von Ergänzungsleistungen, Renten und Taggeldern der obligatorischen Unfallversicherung, der Militärversicherung, der Arbeitslosenversicherung sowie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung mit fälligen Leistungen verrechnet werden. Damit hat der Gesetzgeber für den Bereich der Sozialversicherungen eine Ordnung geschaffen, welche z.T. von den allgemeinen Verrechnungsgrundsätzen nach Zivilrecht abweicht ( BGE 125 V 317 E. 5a S. 321). Voraussetzung ist, dass Leistungen und Forderungen die gleichen Personen betreffen; allerdings kann auch ohne personelle Identität zwischen Pflichtigen und Berechtigten verrechnet werden, wenn sich versicherungsrechtlich bzw. versicherungstechnisch zusammenhängende Leistungen und Forderungen gegenüberstehen (KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 22 zu Art. 25 FamZG ). Nicht verlangt wird hingegen eine zeitliche Konnexität der sich gegenüberstehenden Forderungen ( BGE 125 V 317 E. 4a S. 319). 3.3 Unrechtmässig bezogene Familienzulagen sind zurückzuerstatten ( Art. 1 FamZG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 ATSG ). Rückerstattungspflichtig ist dabei der Arbeitnehmer resp. die Arbeitnehmerin. Der Arbeitgeber, welcher die Leistungen im Auftrag der Familienausgleichskasse ausbezahlt hat, ist nur in Ausnahmefällen rückerstattungspflichtig, etwa wenn er die Zulagen zur Verwaltung bzw. mit dem Auftrag, fürsorgerisch tätig zu sein, erhalten hat. Der Arbeitgeber ist blosse Zahlstelle (vgl. E. 3.1) und erwirbt deshalb keine eigenen Rechte oder Pflichten aus dem Leistungsverhältnis, so dass er nicht zur Verrechnung zu viel ausbezahlter Zulagen mit künftigen BGE 140 V 233 S. 236 Lohnansprüchen des Arbeitnehmers verpflichtet werden kann; rückerstattungspflichtig ist vielmehr die leistungsberechtigte Person (vgl. zum Ganzen KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 57 und 75 zu Art. 1 FamZG sowie N. 27 zu Art. 25 FamZG ). Die Rückerstattungsverfügung ist dem Arbeitnehmer resp. der Arbeitnehmerin zuzustellen, da nur diese aus eigenem Recht zur Anfechtung legitimiert sind (KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 28 zu Art. 25 FamZG ). 3.4 Art. 4 Abs. 2 KFamZG lautet: "Arbeitgeber im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a FamZG, die Beiträge mit Familienzulagen verrechnet haben, auf die kein Anspruch besteht, haben diese der Familienausgleichskasse zurückzuerstatten." 4. 4.1 Das BSV macht in seiner Beschwerde geltend, die Arbeitgeber seien keine Durchführungsorgane nach FamZG, sondern reine Zahlstellen, weshalb vorliegend nicht die Arbeitgeberin rückerstattungspflichtig sei; da sich auf Grund des reinen Zahlstellenverhältnisses zwischen Arbeitgeber und der Familienausgleichskasse keine Rechte oder Pflichten aus dem Leistungsverhältnis ableiten liessen, könne ein Arbeitgeber nicht gegen seinen Willen zur Rückerstattung verpflichtet werden. Die kantonale Norm tangiere aber auch die Rechte des Arbeitnehmers in unzulässiger Weise, indem die Rückerstattungsverfügung diesem gegenüber zu erlassen sei, da nur er aus eigenem Recht zur Anfechtung berechtigt sei. Werde hingegen die Rückerstattungsforderung gegenüber dem Arbeitgeber verrechnet und vom Arbeitgeber beim Arbeitnehmer danach vom Lohn abgezogen, könne sich dieser zu keinem Zeitpunkt gegen die Rückerstattung wehren. So könne der Arbeitnehmer weder seine Gutgläubigkeit noch die Einrede der grossen Härte gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen. Könne die Familienausgleichskasse ihre Rückerstattungsforderung gegenüber dem Arbeitnehmer nicht durchsetzen und habe der Arbeitgeber infolge einer vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Verletzung seiner Pflichten dies mitverschuldet, sei ein Schadenersatz nach Art. 52 AHVG nicht ausgeschlossen. Die Ausgleichskasse verweist in ihrer Stellungnahme vor Bundesgericht auf ihre bisherigen Eingaben und führt ergänzend aus, die Argumentation des BSV sei nicht logisch, da sie sowohl von der Arbeitgeberin wie vom Arbeitnehmer die zu Unrecht geleisteten Familienzulagen zurückverlangen müsste (insgesamt Fr. 7'360.-), obwohl ihr Ausstand nur Fr. 3'680.- betrage; gleichzeitig gehe die Arbeitgeberin Fr. 7'360.- verlustig, da sie einerseits die von ihr beim BGE 140 V 233 S. 237 Arbeitnehmer nicht rückforderbaren Zulagen ausbezahlt und nun noch Fr. 3'680.- an Beiträgen nachzuzahlen habe. Dies führe bei der Kasse zu einem erhöhten Aufwand und bei der Arbeitgeberin zu einem Verlust. Weiter handle es sich angesichts der den Arbeitgebern übertragenen Aufgaben gemäss Art. 17 Abs. 2 lit. f FamZG sowie Art. 31 Abs. 2 ATSG bei diesen nicht um reine Zahlstellen. Zudem habe der betroffene Arbeitnehmer in analoger Anwendung von BGE 118 V 214 davon ausgehen dürfen, dass seine Arbeitgeberin die notwendigen Meldungen gegenüber der Kasse vornehme. Schliesslich habe der betroffene Arbeitnehmer von der Kasse auch eine Kopie der Rückforderung bekommen, dagegen aber keine Einwände erhoben. 4.2 Wie das BSV zu Recht vorbringt, ist die Arbeitgeberin kein Durchführungsorgan nach FamZG, sondern handelt als blosse Zahlstelle (vgl. E. 3.1). Auch ist die Arbeitgeberin gegenüber der Ausgleichskasse weder leistungsberechtigt noch kann sie aus eigenem Recht eine Auszahlung der Leistung an sich verlangen, noch erfolgt wegen einer fürsorgerischen Betreuung seitens der Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer eine Drittauszahlung. Somit ist die Arbeitgeberin nach Bundesrecht ( Art. 1 FamZG in Verbindung mit Art. 25 ATSG ; vgl. auch E. 3.3) nicht rückerstattungspflichtig. Jedoch statuiert das kantonale Recht eine Rückerstattungspflicht des Arbeitgebers. Zu prüfen bleibt, ob Art. 4 Abs. 2 KFamZG bundesrechtskonform ist. 4.3 4.3.1 Der Bundesgesetzgeber hat das Risiko der Uneinbringlichkeit bei Rückerstattungen nach Art. 25 ATSG (vgl. in diesem Zusammenhang namentlich die Möglichkeit des Erlasses nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG ) dem Sozialversicherungsträger (hier: der Familienausgleichskasse) und nicht dem im Rahmen der Durchführung allenfalls beigezogenen Erfüllungsgehilfen (hier: der Arbeitgeberin) auferlegt. Mit Art. 4 Abs. 2 KFamZG wird jedoch das Inkassorisiko für die Rückerstattung beim Arbeitnehmer von der Familienausgleichskasse auf den Arbeitgeber verschoben. Damit unterläuft der kantonale Gesetzgeber eine bundesrechtlich vorgegebene Risikoverteilung. 4.3.2 Das BSV bringt weiter zu Recht vor, dass die kantonale Regelung bezüglich der möglichen Einwände gegen die Rechtmässigkeit einer Rückforderung die Rechte und Pflichten der Beteiligten neu ordnet und so der bundesrechtlich vorgesehenen Aufteilung widerspricht. Indem nach Art. 4 Abs. 2 KFamZG der Arbeitgeber BGE 140 V 233 S. 238 rückerstattungspflichtig ist, kann sich der Arbeitnehmer gegen die Feststellung des unrechtmässigen Leistungsbezugs nicht wehren. Daran ändert auch der allfällige Umstand nichts, dass ihm die Rückerstattungsforderung ebenfalls zugestellt wird, ist er doch weder Adressat dieser Verfügung noch wird er persönlich damit ins Recht gefasst, so dass für ihn keine Veranlassung besteht, aktiv zu werden. Zudem ist es dem Arbeitgeber verwehrt, seinerseits in der Person des Arbeitnehmers liegende Umstände wie Gutgläubigkeit oder grosse Härte geltend zu machen (vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen der Ausgleichskasse in ihrem Einspracheentscheid vom 17. Juni 2013, wonach bei der Arbeitgeberin keine grosse Härte im Sinne eines Ausgabenüberschusses nach ELG gegeben sei). 4.3.3 Soweit die Ausgleichskasse vorbringt, die Argumentation des BSV führe zu einer Bereicherung der Kasse und zu einem Verlust des Arbeitgebers, unterliegt sie selbst einem Denkfehler: Die Ausgleichskasse hat beim Arbeitnehmer die zu Unrecht bezahlten Familienzulagen zurückzufordern; hingegen besteht seitens der Ausgleichskasse kein Nachforderungsrecht gegenüber der Arbeitgeberin, da diese ihre Beiträge mit der (erst nachträglich als unrechtmässig festgestellten) Ausrichtung der Familienzulagen an B. beglichen hat und insofern auch nicht (unrechtmässig) bereichert ist. Könnte die Ausgleichskasse - immer gemäss den Ausführungen der Beschwerdegegnerin - sowohl die (von ihr selbst gar nie geleisteten) Familienzulagen vom betroffenen Arbeitnehmer wie auch die durch Verrechnung getilgten Beiträge in derselben Höhe beim Arbeitgeber einfordern, wäre sie in der Tat unrechtmässig bereichert. 4.3.4 Ebenfalls unbehelflich ist der Einwand der Ausgleichskasse, B. habe gestützt auf BGE 118 V 214 sich darauf verlassen dürfen, dass seine Arbeitgeberin die notwendigen Meldungen mache. Einerseits beruht der Sachverhalt von BGE 118 V 214 auf einer Drittauszahlung nach Art. 76 Abs. 1 AHVV (BS 8 532; in Kraft bis 31. Dezember 2002; vgl. nunmehr Art. 20 Abs. 1 ATSG ), was einer (vorliegend zweifellos nicht gegebenen) Drittauszahlung entsprechen würde, so dass der Entscheid nicht einschlägig ist. Andererseits ist es zwar zutreffend, dass die Arbeitgeber im Rahmen des FamZG auch eine Meldepflicht trifft (vgl. etwa Art. 18d Abs. 2 der Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen [Familienzulagenverordnung, FamZV; SR 836.21]), doch bedeutet dies noch lange nicht, dass damit die anspruchsberechtigte Person aus der Meldepflicht entlassen ist; vielmehr bleibt sie als Leistungsbezügerin nach BGE 140 V 233 S. 239 Art. 1 FamZG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 ATSG primär meldepflichtig. So bestehen gerade bei den Familienzulagen verschiedenste Meldepflichten, die in den familiären Umständen der beziehenden Person liegen, welche der Arbeitgeber in aller Regel gar nicht kennt (Arbeitstätigkeit des anderen Elternteils; Änderung des Anspruchs infolge Abbruchs einer Ausbildung des Kindes; Änderung des Zivilstandes oder der Wohnsituation des anderen Elternteils resp. des zum Bezug berechtigenden Kindes; usw.). Eine vorsätzliche oder grobfahrlässige Pflichtverletzung durch die Arbeitgeberin wäre denn auch nicht im Rahmen der Rückerstattung nach Art. 25 ATSG beachtlich, sondern erst nach Feststellung der Uneinbringlichkeit der Rückforderung beim Arbeitnehmer gestützt auf Art. 25 lit. c FamZG im Verfahren nach Art. 52 AHVG zu klären (vgl. auch KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 29 zu Art. 25 FamZG ). 4.4 Nach dem Gesagten führt Art. 4 Abs. 2 KFamZG in mehrfacher Hinsicht zu einer Vereitelung von Bundesrecht, weshalb die kantonale Norm bundesrechtswidrig und damit infolge der derogatorischen Kraft von Bundesrecht ( Art. 49 Abs. 1 BV ) nicht anwendbar ist (vgl. auch BGE 135 V 134 E. 4.5 S. 140). Die Ausgleichskasse war demnach nicht berechtigt, die zu Unrecht an B. geleisteten Familienzulagen gestützt auf Art. 4 Abs. 2 KFamZG bei der A. AG zurückzufordern. 5. Es bleibt festzuhalten, dass die Frage, ob die Arbeitgeberin infolge pflichtwidrigen Verschuldens gegenüber der Familienausgleichskasse schadenersatzpflichtig ist, im Verfahren nach Art. 52 AHVG zu erfolgen hat (vgl. E. 4.3.4 in fine), was jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Prozesses ist. Weitere Ausführungen dazu erübrigen sich somit, namentlich bezüglich der Frage, ob die Arbeitgeberin der Ausgleichskasse die Erkrankung des Arbeitnehmers rechtzeitig mitgeteilt habe.
de
ef8a7c5c-b803-44fc-8f48-f07786c750df
1. Die Anwaltskosten sind nach dem bernischen Strafverfahren dann zu ersetzen, wenn der Angeschuldigte nach der Schwere des Tatvorwurfs und nach seinen persönlichen Verhältnissen sowie nach der Komplexität des Sachverhaltes objektiv begründeten Anlass hatte, einen Anwalt beizuziehen (E. 1). 2. Terminologische Klarstellung: notwendige und gebotene Verteidigung (E. 1b). Sachverhalt ab Seite 157 BGE 110 Ia 156 S. 157 Am 19. Juni 1983 ereignete sich in der Gemeinde Zollikofen ein Verkehrsunfall; der auf der Kirchlindachstrasse in Richtung Oberlindach mit seinem Personenwagen fahrende D. stiess mit einem von rechts aus dem Starenweg einbiegenden Motorfahrrad zusammen. Dabei wurden der Führer des Motorfahrrades und sein Mitfahrer so schwer verletzt, dass sie in Spitalpflege gebracht werden mussten. Nach dem etwas später eingeholten ärztlichen Bericht erlitten die beiden Verunfallten im medizinischen Sinne schwere Verletzungen; für den Mitfahrer, bei dem u.a. eine Schädelverletzung festgestellt wurde, liess sich etwa vier Wochen nach dem Unfall die Gefahr eines bleibenden Nachteils nicht ausschliessen. D. wurde von der Kantonspolizei Bern beim Untersuchungsrichteramt Bern verzeigt. Der Untersuchungsrichter überwies die Akten am 24. August 1983 im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland ohne Voruntersuchung an den Einzelrichter von Bern zur Eröffnung eines Strafverfahrens wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 2 StGB . Hiervon wurde D. am 26. August 1983 Kenntnis gegeben. Dieser hatte am 23. August 1983 oder wenige Tage vorher einen Fürsprecher in Bern mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt. Der Gerichtspräsident VIII von Bern zog von der Kantonspolizei einen fotogrammetrischen Situationsplan über den Unfallhergang sowie zwei am Unfallort erstellte fotografische Aufnahmen bei; ferner nahm er einen vorläufigen Augenschein (ohne Beizug der Beteiligten) vor. Auf den 13. Oktober 1983 wurden D. und sein Verteidiger zur Verhandlung vorgeladen. Am gleichen Tage reichte der Fürsprecher dem Gericht eine detaillierte Kostennote ein, wobei er ein Honorar von Fr. 600.-- und Fr. 34.50 für Barauslagen in Rechnung stellte. Am 2. November 1983 beschloss der Gerichtspräsident VIII in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft, das BGE 110 Ia 156 S. 158 Strafverfahren gegen D. wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und Verletzung von Verkehrsregeln aufzuheben, die Verfahrenskosten dem Staat zu überbinden und dem Angeschuldigten eine Entschädigung von Fr. 250.-- auszurichten. Einen dagegen erhobenen Rekurs wies die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern ab. Die gegen diesen Beschluss eingereichte staatsrechtliche Beschwerde heisst das Bundesgericht gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. a) Nach Art. 202 Abs. 1 des bernischen Gesetzes über das Strafverfahren vom 20. Mai 1928 (StrV) ist im Aufhebungsbeschluss darüber zu entscheiden, ob dem Angeschuldigten für die durch die Untersuchung verursachten Nachteile, insbesondere im Fall der Festnahme und Verhaftung, und für die Verteidigungskosten eine Entschädigung gebührt. Hierüber wie auch über das Mass der Entschädigung ist nach Billigkeitsgründen zu befinden. Das Bundesgericht hat schon wiederholt entschieden, es sei vertretbar, wenn die bernischen Gerichte aufgrund dieser Bestimmung in Übertretungsstrafsachen keine volle Parteientschädigung ausrichteten, sofern der Beizug eines Vertreters von der Sache her nicht notwendig gewesen sei. Es hielt dafür, es lasse sich mit guten Gründen erwägen, dass den in Übertretungsstrafsachen auf dem Spiel stehenden Interessen im allgemeinen kein besonderes Gewicht zukomme. Solche Fälle böten im allgemeinen keine grösseren tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, und auch die möglichen Konsequenzen eines Schuldspruchs seien in der Regel nicht sehr schwerwiegend. Es hänge von den Umständen des konkreten Falles ab, ob in einer Übertretungsstrafsache die Verbeiständung durch einen Anwalt notwendig sei oder nicht (nicht veröffentlichte Urteile vom 12. Juli 1982 i.S. S.B., vom 6. Januar 1983 i.S. F.Z. und vom 20. März 1984 i.S. J.-P.J.). Immerhin hat das Bundesgericht im erwähnten Urteil vom 6. Januar 1983 die Übung, Anwaltsentschädigungen deshalb herabzusetzen, weil der Beizug eines rechtskundigen Vertreters nicht absolut erforderlich gewesen sei, als nicht unbedenklich bezeichnet; denn die Frage nach der Notwendigkeit oder Zweckmässigkeit der Verteidigung und diejenige nach der Höhe des auszurichtenden Honorars lägen auf verschiedenen Ebenen. Ferner hat es im Urteil vom 20. März 1984 bemerkt, die Auffassung des Obergerichts, wonach kein Anwalt erforderlich gewesen wäre, sei nicht ohne weiteres einleuchtend, BGE 110 Ia 156 S. 159 allerdings auch nicht geradezu unhaltbar. Die Anklagekammer stützt sich auf diese Rechtsprechung sowie auf den in anderen Urteilen enthaltenen Satz, der Bürger habe das durch die Notwendigkeit der Verbrechensbekämpfung bedingte Risiko einer gegen ihn geführten, materiell ungerechtfertigten Strafverfolgung bis zu einem gewissen Grade auf sich zu nehmen; eine Entschädigungspflicht bestehe nicht schon für jeden geringfügigen Nachteil ( BGE 107 IV 157 E. 5). Sie lehnt es ausdrücklich ab, die Anwendung dieser Grundsätze auf Fälle von Übertretungen zu beschränken, da dies einen unbilligen Schematismus zur Folge hätte. Im weiteren legt die Anklagekammer dar, der vorliegende Fall sei einfach gewesen. Sie betrachtet daher den Beizug eines Verteidigers nicht als notwendig, sondern lediglich als zweckmässig. Der Beschwerdeführer rügt diese Erwägungen als willkürlich. b) Die Wendung, die Verteidigung sei hier "nicht notwendig" gewesen, macht eine terminologische Klarstellung erforderlich. Der Begriff "notwendige Verteidigung" hat im schweizerischen Strafprozessrecht einen ganz bestimmten Sinn. Er wird dort verwendet, wo das Strafprozessrecht verhindern will, dass ein Prozess durchgeführt wird, ohne dass - als Gegengewicht zu dem die Anklage vertretenden Staatsanwalt - dem Angeschuldigten ein Rechtskundiger als Verteidiger zur Seite gestellt wird (ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechtes, 2. Auflage, Basel 1984, S. 94; für das bernische Recht: Art. 41 StrV). In solchen Fällen muss dem Angeschuldigten, der mittellos ist oder sich weigert, einen Verteidiger zu bestellen, selbst gegen seinen Willen ein solcher beigegeben werden. Es wäre indessen unhaltbar, diesen Begriff der notwendigen Verteidigung auch bei der Auslegung von Art. 202 Abs. 1 StrV heranzuziehen. Der vom Staat objektiv zu Unrecht Beschuldigte bliebe sonst in einer grossen Anzahl von Fällen mittlerer Schwere entschädigungslos, oder er hätte sich mit einer blossen Teilentschädigung für die Kosten seiner Verteidigung zu begnügen. Aus dem von der Anklagekammer angeführten neuesten bundesgerichtlichen Urteil BGE 109 Ia 239 ff. ergibt sich nichts anderes. Es wird dort betont, dass die Frage nach der Notwendigkeit der Verteidigung mit derjenigen nach ihrer Zulässigkeit nichts gemeinsam habe. Weiter wurde angeführt, auch in Bagatellstrafsachen dürfe ein freigewählter Verteidiger nicht ausgeschlossen werden, doch ergebe sich hieraus kein Anspruch auf Kostenersatz im Falle des Obsiegens. Dies bedeutet indessen keineswegs, dass in allen Fällen, in denen die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung im Sinne BGE 110 Ia 156 S. 160 der herrschenden Lehre nicht vorliegen, bei Einstellung des Verfahrens oder bei Freispruch auf die Ausrichtung einer Entschädigung verzichtet werden darf. Die Billigkeit verlangt vielmehr, in solchen Fällen Ersatz der Anwaltskosten dann zuzusprechen, wenn der Angeschuldigte nach der Schwere des Tatvorwurfs und nach dem Grad der Komplexität des Sachverhaltes sowie nach seinen persönlichen Verhältnissen objektiv begründeten Anlass hatte, einen Anwalt beizuziehen. Dagegen verstösst die Verweigerung oder die Herabsetzung der Entschädigung dann nicht gegen die Billigkeit, wenn der Angeschuldigte den Anwalt ohne zureichende objektive Gründe beigezogen hat, sei es beispielsweise aus Überängstlichkeit oder allein im Hinblick auf die Regelung zivilrechtlicher Probleme. Die Anklagekammer scheint übrigens grundsätzlich selbst dieser Auffassung zuzuneigen, wie sich aus ihren Ausführungen zu den tatsächlichen Verhältnissen schliessen lässt. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist es daher angezeigt, bei der weiteren Erörterung der Sache den Begriff der "notwendigen Verteidigung" zu vermeiden und lediglich danach zu fragen, ob die Verteidigung "geboten" gewesen sei. Diese Klarstellung hat eine über das rein Sprachliche hinausreichende Bedeutung, kann doch die Verwendung des Ausdrucks "notwendig" eine sich an Art. 41 StrV anlehnende, restriktive Auslegung von Art. 202 Abs. 1 StrV zur Folge haben, die, wie dargelegt, dem Sinn des Gesetzes nicht entspräche. c) Die Anklagekammer führt in ihrem Entscheid aus, zwar sei die Tat, für deren Verfolgung der Beschwerdeführer dem Einzelrichter überwiesen wurde, ein Vergehen, also eine mit Gefängnis oder Busse bedrohte Handlung; doch habe sich von Anfang an ausschliessen lassen, dass im Falle eines Schuldspruchs eine Freiheitsstrafe ausgefällt werden könnte. Aufgrund der Verhältnisse am Unfallort sei es naheliegend gewesen, dass dem Beschwerdeführer höchstens ein leichtes Verschulden zur Last gelegt werden würde. Die Einmündung des Starenwegs, aus dem die beiden Jünglinge mit ihrem Mofa in die Kirchlindachstrasse einbogen, sei wegen der Gartenzäune nicht zu erkennen. Die Kollision sei deshalb unvermeidlich gewesen. Dass, wenn überhaupt, höchstens von einem leichten Verschulden des Beschwerdeführers gesprochen werden könne, sei eine Überlegung, die jeder Automobilist aufgrund elementarer Rechtskenntnisse habe anstellen können. Tatsächlich sei denn auch das Verfahren nach der ersten Einvernahme und den nötigen Abklärungen aufgehoben worden. BGE 110 Ia 156 S. 161 Diese Erwägungen erscheinen deshalb als nicht haltbar, weil sie von der Aktenlage ausgehen, wie sie sich nach Abschluss des Verfahrens aufgrund der vollständigen Akten darstellt. Dieser Gesichtspunkt kann aber nicht massgebend sein für die Beurteilung der Frage, ob der Beizug eines Verteidigers für den Beschwerdeführer geboten gewesen sei oder nicht. Schon allein der Umstand, dass die Kollision zwei Schwerverletzte forderte, stellte für einen durchschnittlich gebildeten, über keine besonderen Rechtskenntnisse verfügenden, gewissenhaften Automobilisten Grund genug dar, einen Anwalt beizuziehen, und zwar nicht nur wegen einer allfälligen zivilrechtlichen Auseinandersetzung, sondern auch wegen des als unvermeidlich erscheinenden Strafverfahrens mit der entsprechenden psychischen Belastung. Dazu kommt, dass die zuständigen Behörden des Kantons Bern die Sachlage keineswegs von Anfang an als so eindeutig betrachteten, wie diese sich nach dem angefochtenen Beschluss der Anklagekammer dargestellt haben soll. Dies ergibt sich aus folgenden Tatsachen: - Der Untersuchungsrichter zog nicht nur eine Übertretung des SVG in Betracht, sondern eine fahrlässige schwere Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 2 StGB ; - er beantragte nicht die Aufhebung des Verfahrens, sondern dessen Überweisung an den für die Urteilsfällung zuständigen Einzelrichter (Gerichtspräsidenten) von Bern; - die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland stimmte dieser Überweisung bei; - der Gerichtspräsident leitete nicht bloss ein Strafmandatsverfahren ein, sondern ordnete eine mündliche Abhörung im Sinne von Art. 226 StrV an; - er forderte einen fotogrammetrischen Plan sowie Fotografien der Unfallstelle an; - er hielt es zudem für zweckmässig, von der Unfallstelle persönlich einen Augenschein zu nehmen. Der Beschwerdeführer musste somit bis zur Aufhebung des Verfahrens den Eindruck haben, er werde wegen eines nicht leicht zu nehmenden Vergehens bestraft. Es dürfen ihm keinesfall Erkenntnisse zugemutet werden, über die auch drei zuständige höhere Funktionäre der Rechtspflege am Anfang offensichtlich nicht verfügten. Der Beschwerdeführer befand sich in einer Lage, in der jeder durchschnittliche Motorfahrzeugführer einen Anwalt beigezogen hätte. Die Herabsetzung der Entschädigung für die Verteidigungskosten erscheint demnach als mit sachlichen Gründen nicht BGE 110 Ia 156 S. 162 vertretbar; sie verstösst gegen Art. 4 BV . Da der Honoraranspruch des Anwalts bereits auf den strafrechtlichen Anteil des Falles beschränkt wurde und ein Zeitaufwand von vier Stunden für die Strafsache allein offensichtlich nicht übersetzt ist, wird die Anklagekammer in ihrem neuen Entscheid lediglich noch zu prüfen haben, ob die Honorarnote dem Tarif entspricht.
de
4443f9a2-42ea-4488-b8a2-5c3548e0bbef
Sachverhalt ab Seite 270 BGE 108 V 270 S. 270 A.- Mit Verfügung vom 25. März 1981 hob die Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes die Hugo Spaar bisher gewährte halbe Invalidenrente auf. Dagegen liess der Versicherte Beschwerde erheben. Hiebei war er vertreten durch die Gewerkschaft Bau und Holz, substituiert durch die frei praktizierende Rechtsanwältin lic. iur. X. B.- Nach ergänzenden Abklärungen zog die Ausgleichskasse ihre Verfügung vom 25. März 1981 in Wiedererwägung und gewährte die halbe Rente auch weiterhin... Der Präsident der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich schrieb daraufhin die Beschwerde als gegenstandslos ab. Das Begehren um Parteientschädigung wies er mit der Begründung ab, Hugo Spaar seien aus der Prozessvertretung keine Kosten entstanden. C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Hugo Spaar durch Rechtsanwältin lic. iur. X beantragen, in Abänderung der Präsidialverfügung sei ihm eine Prozessentschädigung zuzusprechen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge ... BGE 108 V 270 S. 271 Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. Gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG hat der im kantonalen AHV-Prozess obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und -vertretung nach gerichtlicher Festsetzung. Diese Bestimmung gilt gemäss Art. 69 IVG auch für IVG-Streitsachen. Nach der Rechtsprechung ist die Entschädigungspflicht gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG nicht nur auf die anwaltsmässige Vertretung beschränkt (ZAK 1980 S. 123 f. Erw. 4). Das Eidg. Versicherungsgericht hat weiter Art. 85 Abs. 2 lit. f in dem Sinne ausgelegt, dass die Beschwerdeinstanz auch bei Gegenstandslosigkeit der Beschwerde eine Parteientschädigung zuzusprechen hat, wenn die prozessuale Situation dies rechtfertigt ( BGE 106 V 124 und BGE 107 V 127 ). 2. In der Praxis zu Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG ist unbestritten, dass dem obsiegenden Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zuzugestehen ist, wenn er den Prozess durch einen frei praktizierenden Rechtsanwalt führen liess. Hievon ist im Sinne einer Ausnahme nur dann abzuweichen, wenn die Gewährung einer Parteientschädigung unbillig wäre. Die Vorinstanz erblickt einen hinreichenden Grund für die Verweigerung darin, dass der Beschwerdeführer die Bemühungen seiner Anwältin nicht abgelten musste, weil die Gewerkschaft für die betreffenden Kosten aufkam. In der Tat kann die Unentgeltlichkeit des Anwalts die Nichtgewährung einer Parteientschädigung rechtfertigen. So spricht das Eidg. Versicherungsgericht im Rahmen des Art. 159 OG einer durch eine Organisation vertretenen Partei für das letztinstanzliche Verfahren eine Entschädigung dann zu, wenn eine qualifizierte (anwaltsmässige) Vertretung vorliegt und nicht erstellt ist, dass die Dienstleistung kostenlos erfolgt ... Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht von Unentgeltlichkeit gesprochen werden, auch wenn dem Beschwerdeführer aus dem Beizug eines Anwalts unmittelbar keine Kosten erwachsen sind. Für den Dienst des Rechtsschutzes hatte der Beschwerdeführer über seine Mitgliederbeiträge aufzukommen. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass die Zuerkennung einer Parteientschädigung unbillig wäre. Das Gegenteil trifft zu. Die Rechtsschutzgarantie der Gewerkschaft kann vernünftigerweise nur dahin verstanden werden, dass sie die Verfahrens- und Vertretungskosten lediglich im Falle des Unterliegens übernimmt; eine Begünstigung der unterliegenden BGE 108 V 270 S. 272 Gegenpartei im Sinne eines Verzichts auf die Parteientschädigung kann darin nicht erblickt werden. 3. Unbehelflich ist der Hinweis der Rekursinstanz auf die Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts, den Rechtsuchenden, die durch die Redaktion des "Schweizerischen Beobachters" vertreten sind, für das letztinstanzliche Verfahren keine Parteientschädigung zu gewähren... Hiebei handelt es sich weder um die Vertretung durch einen Anwalt noch durch einen auf dem Gebiet der Sozialversicherung besonders ausgewiesenen und hierin mehr oder weniger berufsmässig tätigen Fachmann. In diesen Fällen spricht das Eidg. Versicherungsgericht für das letztinstanzliche Verfahren keine Parteientschädigung für Arbeit und Umtriebe zu. Hingegen besteht Anspruch auf Ersatz der Auslagen (Porti, Telephonspesen usw.), sofern diese erheblich und nachgewiesen sind ... Hinzu kommt das Merkmal der Unentgeltlichkeit. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann der Abonnementspreis des "Schweizerischen Beobachters" den Mitgliederbeiträgen an die Gewerkschaft nicht gleichgestellt werden. Der "Schweizerische Beobachter" gibt keine Rechtsschutzgarantie ab und lässt seine Hilfe offenbar auch nicht bloss seinen Abonnenten zuteil werden ...
de
e986574b-0cdb-4d41-a3e3-84f1f7389c51
Erwägungen ab Seite 454 BGE 138 III 453 S. 454 Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Wie bereits vor dem Kantonsgericht bestritt der Beschwerdeführer vor der Vorinstanz nicht den Bestand der betriebenen Bürgschaftsforderung in der Höhe von insgesamt Fr. 2'183'805.55. Er machte jedoch geltend, die Beschwerdegegnerin habe durch ihr Geschäftsgebaren die Hauptschuldnerin geschädigt, weshalb er als Bürge die daraus resultierenden Schadenersatzansprüche verrechnungsweise geltend machen könne. Die Beschwerdegegnerin verwies demgegenüber darauf, dass die Hauptschuldnerin im Darlehensvertrag vom 13. Dezember 2004 auf die Verrechnung ausdrücklich verzichtet und der Beschwerdeführer den betreffenden Vertrag einerseits als Organ der Hauptschuldnerin und andererseits als Bürge unterzeichnet habe. Die Vorinstanz stellte fest, der Beschwerdeführer habe bei Abschluss der Bürgschaft vom Verrechnungsverzicht der Hauptschuldnerin gegenüber der Beschwerdegegnerin Kenntnis gehabt. Der Auffassung der Beschwerdegegnerin folgend, erwog sie, der Beschwerdeführer müsse sich als Bürge den entsprechenden Verzicht entgegenhalten lassen, und es sei ihm demzufolge nach sachgerechter Auslegung von Art. 502 Abs. 2 OR verwehrt, seine Bürgschaftsschuld gegenüber der Beschwerdegegnerin mit angeblichen Forderungen der Hauptschuldnerin gegenüber der Beschwerdegegnerin "zu verrechnen". Daraus schloss sie, die Verrechnungseinrede des Beschwerdeführers sei unzulässig. 2.2 Der Beschwerdeführer rügt zunächst, diese Auffassung verletze Art. 502 Abs. 2 und Art. 121 OR . 2.2.1 Durch den Bürgschaftsvertrag übernimmt der Bürge gegenüber dem Gläubiger die Pflicht, für die Erfüllung der Schuld eines Dritten, des Hauptschuldners, einzustehen ( Art. 492 Abs. 1 OR ). Die Bürgschaftsverpflichtung setzt den Bestand der sicherzustellenden Verpflichtung voraus. Sie ist dieser beigeordnet und hängt in Bestand und BGE 138 III 453 S. 455 Inhalt notwendigerweise von ihr ab; die Bürgschaft ist akzessorisch. Sie sichert die Zahlungsfähigkeit des Schuldners oder die Erfüllung eines Vertrages ( BGE 129 III 702 E. 2.1 S. 704; BGE 125 III 305 E. 2b S. 307; BGE 113 II 434 E. 2a; BGE 111 II 276 E. 2b S. 279). Entsprechend dem Grundsatz der Akzessorietät stehen dem Bürgen die Einreden des Hauptschuldners zu, die sich nicht auf dessen Zahlungsunfähigkeit stützen ( Art. 502 Abs. 1 OR ). Art. 502 Abs. 2 OR erweitert diesen Schutz, indem er den Bürgen ermächtigt, eine Einrede des Hauptschuldners auch geltend zu machen, wenn dieser darauf verzichtet hat. Gemäss Art. 121 OR kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, soweit dem Hauptschuldner das Recht zur Verrechnung zusteht. Diese Bestimmung schützt den Bürgen dann, wenn der Hauptschuldner die Verrechnung erklären könnte, dies aber nicht tut. Diesfalls fehlt es an der Gestaltungserklärung des Hauptschuldners für die Tilgung der Hauptschuld durch Verrechnung, und nach dem Akzessorietätsprinzip müsste auch der Bürge weiterhaften. Denn dieser kann nicht selbst eine Forderung des Hauptschuldners gegenüber dem Gläubiger zur Verrechnung bringen und damit den Untergang seiner Bürgschaftsschuld bewirken ( BGE 126 III 25 E. 3b). Hier greift Art. 121 OR , der dem Bürgen in derartigen Konstellationen eine aufschiebende Einrede gegen die Durchsetzung der Bürgschaftsschuld gewährt (AEPLI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1991, N. 45 zu Art. 121 OR ; KILLIAS, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2007, N. 7 zu Art. 121 OR ; MÜLLER, Der Schutz des Bürgen im schweizerischen Privatrecht, 2010, S. 171 f.; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1945, N. 11 zu Art. 502 OR ; PETER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 1 f. zu Art. 121 OR ; SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2009, S. 508; SCYBOZ, Garantievertrag und Bürgschaft, in: Obligationenrecht, Besondere Vertragsverhältnisse, SPR Bd. VII/2, 1979, S. 384; vgl. auch ENGEL, Contrats de droit suisse, 2. Aufl. 2000, S. 651). Im Gegensatz zur Verrechnungserklärung des Hauptschuldners lässt die auf Art. 121 OR gestützte Einrede des Bürgen den Bestand von Haupt- und Bürgschaftsforderung unberührt (AEPLI, a.a.O., N. 45 zu Art. 121 OR ). 2.2.2 Bislang vom Bundesgericht noch nicht entschieden ist die Frage, welche Rechtsfolgen es für den Bürgen nach sich zieht, wenn der Hauptschuldner auf seinen Verrechnungsanspruch verzichtet und damit sein Recht verliert, durch Verrechnungserklärung die BGE 138 III 453 S. 456 Hauptforderung (im Umfang der Verrechnung) zum Untergang zu bringen. Namentlich fragt sich, ob in diesem Fall die Regelung von Art. 502 Abs. 2 OR Anwendung findet. In BGE 126 III 25 liess das Bundesgericht die Frage offen, ob der Bürge seine Leistung in analoger Anwendung von Art. 502 Abs. 2 und Art. 121 OR verweigern kann, wenn der Hauptschuldner, nach Abschluss des Bürgschaftsvertrags und ohne Zustimmung des Bürgen, auf eine Verrechnungsforderung verzichtet hat, da der Bürge im zu beurteilenden Fall dem Verzicht des Hauptschuldners zugestimmt hatte (E. 3b). Das Bundesgericht wies in diesem Entscheid aber immerhin auf die Lehrmeinung hin, gemäss der sich der Bürge gestützt auf Art. 502 Abs. 2 OR einen nach Abschluss der Bürgschaft und ohne seine Zustimmung ergangenen Verrechnungsverzicht nicht entgenhalten lassen müsse (AEPLI, a.a.O., N. 29 zu Art. 121 OR ; BECKER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1941, N. 3 zu Art. 121 OR ; GIOVANOLI, in: Berner Kommentar, 2. Aufl. 1978, N. 5b zu Art. 502 OR ; PETER, a.a.O., N. 3 zu Art. 121 OR ; SCYBOZ, a.a.O., S. 384). Die entsprechende Auffassung machte sich vorliegend die Vorinstanz zu eigen. Die zitierte Lehrmeinung geht von der Prämisse aus, dass Art. 502 Abs. 2 OR - obwohl die Bestimmung den Verzicht des Hauptschuldners auf Einreden und nicht den Verzicht auf Gestaltungsrechte zum Gegenstand hat - auch auf den Fall von Art. 121 OR Anwendung findet. Für diese Ansicht bestehen denn auch gute Gründe, da Art. 121 OR die akzessorischen Einredemöglichkeiten gemäss Art. 502 Abs. 1 OR ergänzt und beide Normen den Bürgen schützen, indem sie ihm ein im Verhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner begründetes Leistungsverweigerungsrecht einräumen. Es rechtfertigt sich daher, Art. 502 Abs. 2 OR , der den Schutz des Bürgen im Falle eines Verzichts des Hauptschuldners auf eine ihm zustehende Einrede erweitert, auf den von Art. 121 OR erfassten Verrechnungstatbestand anzuwenden. Dem Bürgen verbleibt somit in analoger Anwendung von Art. 502 Abs. 2 OR die Einrede gemäss Art. 121 OR , auch wenn der Hauptschuldner auf das ihm zustehende Verrechnungsrecht verzichtet. Noch nicht beantwortet ist damit allerdings die Frage nach der inhaltlichen Tragweite von Art. 502 Abs. 2 OR . Diese Bestimmung beruht auf dem Grundgedanken, dass die Stellung des Bürgen nicht einseitig durch eine nachträgliche Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner soll verschlechtert werden können (AEPLI, BGE 138 III 453 S. 457 a.a.O., N. 15 zu Art. 121 OR ; BECK, Das neue Bürgschaftsrecht, 1942, N. 44 zu Art. 502 OR ; GUHL UND ANDERE, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl. 2000, S. 637 f. N. 55; KILLIAS, a.a.O., N. 4 zu Art. 121 OR ; MÜLLER, a.a.O., S. 170 f.; OSER/SCHÖNENBERGER, a.a.O., N. 26 zu Art. 502 OR ; PESTALOZZI, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 11 zu Art. 502 OR ; SCYBOZ, a.a.O., S. 385). Sie erfasst demnach nicht den hier zu beurteilenden Fall, dass der Hauptschuldner vor Abschluss der Bürgschaft und mit Zustimmung des Bürgen auf Einreden verzichtet hat. Daraus folgt, dass sich der Bürge jedenfalls dann nicht auf Art. 502 Abs. 2 OR berufen kann, wenn er die Bürgschaft im Wissen darum eingegangen ist, dass der Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger auf die Verrechnung verzichtet hat. Dieser Fall ist wertungsmässig ähnlich gelagert wie der in BGE 126 III 25 entschiedene. Verzichtet der Hauptschuldner demgegenüber nach Abschluss des Bürgschaftsvertrages und ohne Zustimmung des Bürgen auf die Verrechnung, so ist dem Bürgen mit der insofern einhelligen Lehre ein Leistungsverweigerungsrecht zuzugestehen (AEPLI, a.a.O., N. 29 zu Art. 121 OR ; BECKER, a.a.O., N. 3 zu Art. 121 OR ; GIOVANOLI, a.a.O., N. 5b zu Art. 502 OR ; JEANDIN, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 2 zu Art. 121 OR ; MEIER, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 11 zu Art. 502 OR ; PETER, a.a.O., N. 3 zu Art. 121 OR ; vgl. auch HONSELL, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 9. Aufl. 2010, S. 418). 2.2.3 Vorliegend steht fest und bestreitet auch der Beschwerdeführer nicht, dass die Hauptschuldnerin im Darlehensvertrag vom 13. Dezember 2004 bezüglich der Darlehensforderung auf die Geltendmachung der Verrechnung verzichtete. Dieser Verzicht war auch ohne Weiteres zulässig, und zwar sowohl mit Bezug auf bestehende als auch betreffend zukünftige Verrechnungsforderungen ( Art. 126 OR ). Gemäss den bindenden Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz hatte der Beschwerdeführer als Bürge beim Eingehen der Bürgschaftsverpflichtung Kenntnis von der erwähnten Verzichtsklausel. Nach dem eben Ausgeführten kann er sich somit nicht auf Art. 502 Abs. 2 OR berufen, um gestützt auf die Verrechnungsmöglichkeit, wie sie der Hauptschuldnerin ohne Verzicht zustehen würde, die Leistung zu verweigern. 2.3 Der Beschwerdeführer sieht durch die vorinstanzliche Rechtsauffassung, er könne der Bürgschaftsforderung der Beschwerdegegnerin die behaupteten Verrechnungsansprüche der BGE 138 III 453 S. 458 Hauptschuldnerin nicht entgegenhalten, weiter auch Art. 492 Abs. 4 und Art. 493 Abs. 2 OR verletzt. Er macht geltend, gemäss Art. 492 Abs. 4 OR könne der Bürge, abgesehen von den im Gesetz vorgesehenen Fällen, auf die ihm im Zwanzigsten Titel des Obligationenrechts eingeräumten Rechte nicht zum Voraus verzichten. Zu den entsprechenden Rechten zähle der Anspruch des Bürgen, nach Art. 502 Abs. 2 OR Einreden des Hauptschuldners geltend zu machen, auch wenn dieser darauf verzichtet habe. Ein vorgängiger Verzicht des Bürgen auf dieses Recht sei im Gesetz nicht vorgesehen und daher gemäss Art. 492 Abs. 4 OR nicht zulässig. Gehe man hingegen - so der Beschwerdeführer weiter - von der Möglichkeit eines entsprechenden vorgängigen Verzichts aus, müssten dafür jedenfalls die qualifizierten Formvorschriften gemäss Art. 493 Abs. 2 OR gelten. Ein formgültiger Verzicht auf das Verrechnungsrecht liege - im Gegensatz etwa zu dem in der Bürgschaftserklärung enthaltenen Verzicht des Beschwerdeführers auf das beneficium excussionis realis - nicht vor. 2.3.1 Die Hauptschuldnerin hat vorliegend wie gesehen nicht nach Abschluss der Bürgschaft und ohne Zustimmung des Beschwerdeführers auf ihre Verrechnungseinrede verzichtet. Damit liegt kein Fall von Art. 502 Abs. 2 OR vor (E. 2.2.2), und es hilft dem Beschwerdeführer somit von vornherein nicht weiter, wenn er sich auf die Unverzichtbarkeit des in dieser Bestimmung normierten Rechts des Bürgen beruft. 2.3.2 Soweit der Beschwerdeführer dagegen annimmt, der Verrechnungsverzicht der Hauptschuldnerin sei ihm gegenüber schon alleine gestützt auf Art. 121 OR in Verbindung mit Art. 492 Abs. 4 OR unwirksam, da Art. 121 OR eine unverzichtbare Einrede des Bürgschaftsrechts statuiere, verkennt er den Gehalt von Art. 492 Abs. 4 OR : Diese Bestimmung verbietet lediglich, dass der Bürge auf eigene Rechte , d.h. auf die seinem Schutze dienenden gesetzlichen Regeln, im Voraus verzichtet (vgl. BECK, a.a.O., N. 134 f. zu Art. 492 OR ; PESTALOZZI, a.a.O., N. 8 zu Art. 493 OR ). Mit anderen Worten untersagt sie ausschliesslich den Vorausverzicht des Bürgen selbst auf die ihm von Gesetzes wegen im Verhältnis zum Gläubiger und zum Hauptschuldner zustehenden Rechte. Der Bürge kann demnach zwar nicht im Voraus darauf verzichten, dem Gläubiger die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden und Einwendungen entgegenzusetzen. Diese Befugnis ergibt sich bereits aus der Akzessorietät der Bürgschaft, der es grundsätzlich widersprechen würde, wenn der BGE 138 III 453 S. 459 Bürge eine strengere Verpflichtung eingehen würde als der Hauptschuldner (vgl. BGE 129 III 702 E. 2.1 S. 704; BECK, a.a.O., N. 93 zu Art. 492 sowie N. 47 zu Art. 502 OR ; OSER/SCHÖNENBERGER, a.a.O., N. 33 zu Art. 502 OR ). Sie steht dem Bürgen jedenfalls aus eigenem Recht zu (SCYBOZ, a.a.O., S. 382), weshalb er gemäss Art. 492 Abs. 4 OR nicht von vornherein darauf verzichten kann (PESTALOZZI, a.a.O., N. 4 zu Art. 502 OR ; vgl. auch GIOVANOLI, a.a.O., N. 88 zu Art. 492 OR ; MÜLLER, a.a.O., S. 46). Art. 492 Abs. 4 OR hindert den Bürgen demgegenüber nicht daran, für die Erfüllung einer Schuld einzustehen, bezüglich welcher der Hauptschuldner in Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht auf Einwendungen oder Einreden verzichtet hat (anders wohl BECK, a.a.O., N. 47 zu Art. 502 OR ). Dieses Ergebnis ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Zwanzigste Titel des Obligationenrechts keine Regeln zum möglichen Inhalt der zu sichernden Hauptforderung respektive zu den Einwendungen und Einreden des Hauptschuldners enthält, sondern lediglich in Art. 492 Abs. 2 OR festhält, dass die Bürgschaft eine zu Recht bestehende Hauptschuld voraussetzt. Damit fehlt es an einer Bestimmung im Zwanzigsten Titel des Obligationenrechts, die es dem Hauptschuldner zum Schutz des Bürgen verbietet, im Rahmen des Hauptschuldverhältnisses auf Einreden und Einwendungen gegen die verbürgte Forderung zu verzichten, weil dadurch indirekt auch der Bürge betroffen wäre, oder die es dem Bürgen selbst untersagt, für eine mit einem solchen Verzicht belastete Schuld einzustehen. Dieses Verständnis steht denn auch im Einklang mit dem durch Art. 492 Abs. 4 OR verfolgten Zweck: Mit dieser Bestimmung, die auf die Revision des Bürgschaftsrechts von 1941 zurückgeht, sollte verhindert werden, dass Bürgen durch die Unterzeichnung von vorgedruckten Formularen auf ihre gesetzlichen Rechte verzichten und später von der Tragweite dieses Verzichts überrascht werden (Botschaft vom 20. Dezember 1939 zur Revision des Bürgschaftsrechts, BBl 1939 II 873 f.; vgl. auch BECK, a.a.O., N. 134 zu Art. 492 OR ). Mit anderen Worten wollte der Gesetzgeber mit dem Verbot des Vorausverzichts verhindern, dass der Bürge in der Bürgschaftsvereinbarung auf die zu seinem Schutz eingeräumten bürgschaftsrechtlichen Einreden verzichtet; es war hingegen nicht seine Absicht, den Inhalt und die Modalitäten der zu verbürgenden Hauptforderung festzulegen. Dies ist auch nachvollziehbar: Hätte der Gesetzgeber dem Bürgen nämlich verboten, für eine mit einem Einrede- oder Einwendungsverzicht belastete Schuld einzustehen, hätte er in Kauf nehmen müssen, dass mit der BGE 138 III 453 S. 460 Bürgschaft solche - vom dispositiven gesetzlichen Recht abweichende - schuldrechtliche Verpflichtungen in vielen Fällen nicht mehr hätten gesichert werden können. Es bleibt somit insofern beim Grundsatz, dass der Bürge für die Verpflichtung einsteht, so wie sie der Hauptschuldner eingegangen ist (vgl. E. 2.2.1). Ein Verrechnungsverzicht des Hauptschuldners wie der vorliegende, der das Schuldverhältnis zwischen diesem und dem Gläubiger betrifft, gilt demnach auch für den Bürgen. Ob die - das Verhältnis zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger betreffende - Einrede gemäss Art. 121 OR zu den gemäss Art. 492 Abs. 4 OR unverzichtbaren Rechten des Bürgen gehört, obwohl sie nicht im Zwanzigsten Titel des Obligationenrechts eingeräumt wird, braucht unter diesen Umständen nicht beurteilt zu werden (zu dieser Frage AEPLI, a.a.O., N. 10 zu Art. 121 OR ; BECKER, a.a.O., N. 3 zu Art. 121 OR ). Soweit die Argumentation des Beschwerdeführers auf der Prämisse aufbaut, dass er sich als Bürge nicht für eine durch einen Verrechnungsverzicht der Hauptschuldnerin erschwerte Hauptpflicht verbürgen konnte, kann ihr demnach nicht gefolgt werden. 2.3.3 Schliesslich finden auch die vom Beschwerdeführer geforderten qualifizierten Formerfordernisse für den Verrechnungsverzicht im Gesetz keine Stütze. Nachdem es sich beim Verrechnungsverzicht des Hauptschuldners wie gesehen nicht um einen von Art. 492 Abs. 4 OR erfassten Eingriff in die gesetzliche Bürgenstellung handelt, sondern um eine Eigenschaft des verbürgten (Haupt-) Schuldverhältnisses, kann auch aus dem Umstand, dass dieser Verzicht nicht in der Bürgschaftserklärung enthalten war, von vornherein nichts abgeleitet werden (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER, a.a.O., N. 27 zu Art. 493 OR ; PESTALOZZI, a.a.O., N. 8 zu Art. 493 OR ). Das Gesetz enthält keine Regel, wonach sich die für die Bürgschaftserklärung geltende Formpflicht auch auf die inhaltlichen Eigenschaften der Hauptschuld bezieht (vgl. PESTALOZZI, a.a.O., N. 7 f. zu Art. 493 OR ). 2.4 Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz zutreffend erkannt, dass der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin keine Verrechnungsforderungen der Hauptschuldnerin entgegenhalten kann.
de
43f0615b-7e9a-4e5a-946b-057c7cd3ec17
Sachverhalt ab Seite 28 BGE 143 IV 27 S. 28 A. Der 1990 geborene X. lernte am 17. September 2013 unter dem Pseudonym "student_bs" die mutmasslich 14-jährige "Sabrina" im Chatroom "Chatmania" kennen ("hey sabrina, dörf ich es bits zu dir in chat ko?", "wie alt und vo wo bisch denn du?"). Er war von 13.58 bis 15.05 Uhr mit ihr im Kontakt. Um 14.04 Uhr brachte er zum Ausdruck, er suche eigentlich Sex. Um 14.14 Uhr gab er "Sabrina" seine E-Mail-Adresse bekannt. Auf sein Verlangen schickte sie ihm um 14.19 Uhr ihre E-Mail-Adresse. Darauf sandte X. ihr um 14.46 Uhr ein Foto seines nackten Penis. Zwischen 14.27 und 14.39 Uhr sandte sie ihm auf sein Verlangen ein Bild von ihr. Um 14.56 Uhr teilte X. "Sabrina" seine Mobiltelefonnummer mit, und "Sabrina" sandte ihm ihre Nummer etwas später. Um 15.05 Uhr war die Chatunterhaltung beendet. In den folgenden Tagen kommunizierte X. mit "Sabrina" per SMS via die ausgetauschten Handynummern über Sex und vereinbarte mit ihr schliesslich ein Treffen. Im Einzelnen konkretisierte er am 19. September 2013, dass er an einen Ort wolle, wo sie ungestört seien. Am 24. September 2013 wurde der Wohnort des Mädchens vereinbart. Er fragte sie, ob sie laut werden könnten, worauf sie Lust habe, ob sie die Pille nehme oder ob sie ein Kondom wolle. Am 25. September 2013 begab sich X. zum vereinbarten Treffpunkt im Hauptbahnhof Zürich. Er traf dort jedoch nicht auf ein 14-jähriges Mädchen, sondern auf Beamte der Stadtpolizei Zürich, die sich als solche sofort zu erkennen gaben. Hinter dem Pseudonym "Sabrina" hatte sich ein Angehöriger der Polizei verborgen. Im Rahmen der gegen X. eröffneten Strafuntersuchung wurden am 25. September 2013 eine Hausdurchsuchung sowie eine Durchsuchung von Aufzeichnungen angeordnet. An seinem Wohnort wurden mehrere Datenträger mit pornographischem Bildmaterial (Kinderpornographie, Pornographie mit Gewalttätigkeiten, Pornographie mit Tieren) sichergestellt. Am 8. Oktober 2014 wurde gegen X. Anklage erhoben wegen versuchter sexueller Handlungen mit Kindern gemäss Art. 187 Ziff. 1 StGB i.V.m. Art. 22 StGB und mehrfacher, teilweise versuchter BGE 143 IV 27 S. 29 Pornographie gemäss aArt. 197 Ziff. 1 StGB i.V.m Art. 22 StGB und aArt. 197 Ziff. 3 und Ziff. 3 bis StGB. B. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. zweitinstanzlich am 2. November 2015 der mehrfachen, teilweise versuchten Pornographie im Sinne von aArt. 197 Ziff. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB und aArt. 197 Ziff. 3 und Ziff. 3 bis
de
cfe6ef68-4ff8-4355-89f0-cdb016985331
Sachverhalt ab Seite 154 BGE 145 III 153 S. 154 A. Die A. AG (Unternehmerin, Klägerin, Beschwerdegegnerin) ist die Rechtsnachfolgerin der C. AG, die sich mit "Totalunternehmer-Vertrag" vom 31. Oktober 2005 gegenüber der B. (Bestellerin, Beklagte, Beschwerdeführerin) verpflichtete, den Neubau des Sportstadions D. zum Pauschalpreis von rund 98 Mio. Franken (inkl. MwSt) zu erstellen. Aus Nachträgen 1 bis 15 zum Werkvertrag ergab sich ein zusätzlicher Werklohn von rund 6 Mio. Franken. B. Die Parteien erzielten über die Schlussabrechnung keine Einigung, weshalb die Unternehmerin am 3. Juni 2010 beim Bezirksgericht Zürich Klage gegen die Bestellerin einreichte, mit der sie rund 23 Mio. Franken zusätzlichen Werklohn forderte. Mit Urteil vom 25. September 2015 hiess das Bezirksgericht Zürich die Klage teilweise gut. Die dagegen von der Klägerin erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 12. September 2016 ab, soweit es darauf eintrat, und bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Dabei holte es keine Berufungsantwort ein. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Beklagten gegen dieses Urteil gut und hob das angefochtene Urteil des Obergerichts auf mit der Begründung, der Beklagten hätte Frist für die Berufungsantwort angesetzt und Gelegenheit gegeben werden müssen, Anschlussberufung zu erheben (Urteil 4A_595/2016 vom 14. März 2017, auszugsweise publ. in: BGE 143 III 153 ). C. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens reichte die Beklagte eine Berufungsantwort ein und erhob Anschlussberufung, die sie begründete. Mit Schreiben vom 25. Juni 2018 an das Obergericht des Kantons Zürich zog die Klägerin ihre Berufung zurück. Mit Beschluss vom 9. Juli 2018 schrieb das Obergericht des Kantons Zürich das Verfahren ab. In diesem Entscheid wurde die Klägerin verpflichtet, der Beklagten für das Berufungsverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 35'000.- zzgl. MwSt zu bezahlen. Dabei sprach das Gericht der Beklagten eine reduzierte Entschädigung für ihre Berufungsantwort zu, entschädigte jedoch den Aufwand für ihre Anschlussberufung nicht zusätzlich. Es hielt dafür, nach dem Mechanismus der Anschlussberufung trage der Anschlussberufungskläger das Risiko des Dahinfallens bei Rückzug der Berufung. D. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beklagte, es sei ihr in teilweiser Aufhebung des Beschlusses des Obergerichts des Kantons Zürich für das Verfahren vor Obergericht eine Parteientschädigung von Fr. 157'914.15 zzgl. MwSt zuzusprechen, eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. BGE 145 III 153 S. 155 Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Es hebt Ziffer 4 des angefochtenen Beschlusses auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung über die Parteientschädigung an die Vorinstanz zurück. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Die Beschwerdeführerin rügt, es verletze die Grundsätze der Kostenverlegung gemäss Art. 106 ff. ZPO , ihr die Parteientschädigung für die Anschlussberufung zu verweigern. 3.1 Die Anschlussberufung ist für den Fall gedacht, dass sich eine Partei grundsätzlich mit dem erstinstanzlichen Entscheid abfindet, auch wenn sie mit ihren Begehren nicht durchgedrungen ist; die verzichtende Partei soll jedoch auf ihren Entschluss, diesen Entscheid nicht anzufechten, nicht nur zurückkommen können, um die Gegenpartei zum Rückzug des Rechtsmittels zu bewegen, sondern auch, wenn sich wegen der Berufung der Gegenpartei die Gründe für ihren Verzicht nicht verwirklichen, weil namentlich die erwartete Zeitersparnis oder die erwartete Befriedung nicht eintreten (vgl. BGE 143 III 153 E. 4.3; BGE 138 III 788 E. 4.4). Die Anschlussberufung hat keine selbstständige Wirkung, sondern ist vom Schicksal der Berufung abhängig. Nach Art. 313 Abs. 2 ZPO fällt die Anschlussberufung dahin, wenn auf die Berufung nicht eingetreten wird oder wenn sie zurückgezogen wird (vgl. dazu BGE 138 III 788 E. 4). Wer daher auf die Einreichung einer selbständigen Berufung verzichtet, nimmt - wie die Vorinstanz zutreffend festhält - das Risiko in Kauf, dass die Anschlussberufung unter Umständen nicht beurteilt wird. 3.2 Das Risiko des Dahinfallens der Anschlussberufung bei Rückzug der Beschwerde führt jedoch entgegen der Vorinstanz nicht ohne Weiteres dazu, dass damit die Anschlussberufungsklägerin auch das Kostenrisiko des Dahinfallens trägt. 3.2.1 Gemäss Art. 106 Abs. 1 ZPO werden die Prozesskosten (d.h. Gerichtskosten und Parteientschädigung; Art. 95 Abs. 1 ZPO ) der unterliegenden Partei auferlegt. Bei Nichteintreten und bei Klagerückzug gilt die klagende Partei als unterliegend, bei Klageanerkennung die beklagte Partei. Art. 107 ZPO sieht für verschiedene typisierte Fälle vor, dass das Gericht von den Verteilungsgrundsätzen gemäss Art. 106 ZPO abweichen und die Prozesskosten nach Ermessen verteilen kann. Unnötige Prozesskosten hat gemäss Art. 108 ZPO zu bezahlen, wer sie verursacht hat. BGE 145 III 153 S. 156 3.2.2 Die Verteilung und Liquidation der Prozesskosten beurteilt sich auch im Rechtsmittelverfahren nach den Art. 104 ff. ZPO . Da dies insbesondere auch für die Verteilungsgrundsätze von Art. 106 ZPO gilt, werden die Prozesskosten des Berufungsverfahrens grundsätzlich nach dem Unterliegerprinzip verteilt (TAPPY, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2018, N. 23 zu Art. 106 ZPO ; JENNY, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 6 zu Art. 106 ZPO ; SEILER, Die Berufung nach ZPO, 2013, Rz. 1562). Grundsätzlich werden die Prozesskosten des Berufungsverfahrens der zweitinstanzlich unterliegenden Partei auferlegt, selbst wenn diese im erstinstanzlichen Verfahren obsiegt hat, was sich insbesondere auch angesichts der Eigenständigkeit des Berufungsverfahrens rechtfertigt (vgl. BGE 144 III 394 E. 4.2; BGE 142 III 413 E. 2.2.1). Welche Partei unterlegen ist und damit die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, beurteilt sich nach Massgabe der Rechtsmittelanträge (vgl. Urteil 4A_146/2011 vom 12. Mai 2011 E. 7.3). Auch wenn Art. 106 Abs. 1 ZPO nur vom "Klagerückzug" spricht, gilt im Rechtsmittelverfahren die rechtsmittelführende Partei als unterliegend, wenn sie die Berufung zurückzieht (SEILER, a.a.O., Rz. 1562). 3.2.3 Das Bundesgericht hat - wie die Beschwerdeführerin zutreffend darlegt - unter dem früheren Organisationsgesetz vom 16. Dezember 1943 (OG [BS 3531]) für das Verfahren vor Bundesgericht entschieden, dass der Berufungskläger die Kosten tragen müsse, die sich aus dem Dahinfallen der Anschlussberufung ergeben, wenn auf die Berufung nicht eingetreten oder diese zurückgezogen werde ( BGE 122 III 495 E. 4, vgl. aber Urteil 5P.58/2004 vom 26. Februar 2004 E. 2.1 für ein kantonales Verfahren vor dem Inkrafttreten der ZPO). In der Lehre zur ZPO wird entsprechend fast einhellig die Ansicht vertreten, beim Dahinfallen der Anschlussberufung im Sinne von Art. 313 Abs. 2 ZPO seien die Kosten dem Berufungskläger aufzuerlegen (TAPPY, a.a.O., N. 23 zu Art. 106 ZPO ; CHIOCCHETTI, in: Commentario pratico al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC], Trezzini und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2017, N. 49 zu Art. 313 ZPO ; RÜEGG/RÜEGG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 7 zu Art. 106 ZPO ; SPÜHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 3 zu Art. 313 ZPO , HUNGERBÜHLER/BUCHER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 16 zu Art. 313 [ZPO]; REETZ/HILBER, in: BGE 145 III 153 S. 157 Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 59 zu Art. 313 ZPO ; a.M. FISCHER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 14 zu Art. 106 ZPO , wonach die Anschlussberufung für die Streitwertberechnung nicht zu berücksichtigen sei). Bemerkenswerterweise wird diese Ansicht im Übrigen auch von dem einzigen Autor vertreten, der von der Vorinstanz zur Stützung ihres Standpunktes zitiert wird (SEILER, a.a.O., Rz. 1573). 3.3 3.3.1 Wenn der Berufungskläger seine Berufung zurückzieht, gilt er im Berufungsverfahren als unterliegende Partei im Sinne von Art. 106 Abs. 1 ZPO . Nach dem Grundsatz der Kostenverteilung nach dem Ausgang des Verfahrens hat er diesfalls grundsätzlich alle zweitinstanzlichen Prozesskosten zu tragen. Dazu gehören auch die Kosten, die dem Berufungsbeklagten in Zusammenhang mit einer allfälligen Anschlussberufung entstanden sind, besteht doch keine gesetzliche Grundlage für eine abweichende Behandlung des für die Anschlussberufung geleisteten Aufwandes. Diese Kosten wurden auch grundsätzlich vom Hauptberufungskläger provoziert, wäre doch die Anschlussberufung ohne Einreichung der Berufung gar nicht erhoben worden. Ob es sich dabei um unnötige Prozesskosten im Sinne von Art. 108 ZPO handelt, die dem Hauptberufungskläger als deren Verursacher auferlegt werden sollen, wie dies in der Lehre teilweise vertreten wird (vgl. CHIOCCHETTI, a.a.O., N. 49 zu Art. 313 ZPO ; REETZ/ HILBER, a.a.O., N. 59 zu Art. 313 ZPO ; SEILER, a.a.O., Rz. 1573), kann offenbleiben. Der im Zivilprozess geltende Grundsatz der Kostenverteilung nach dem Erfolgsprinzip beruht ebenfalls auf dem Gedanken, dass die Prozesskosten von deren Verursacher zu tragen sind. Dabei wird vermutet, dass die unterliegende Partei die Kosten verursacht hat ( BGE 119 Ia 1 E. 6 mit Hinweisen). Folglich ist beim Rückzug der Berufung der Aufwand für eine allfällige Anschlussberufung gestützt auf Art. 106 Abs. 1 ZPO dem Hauptberufungskläger aufzuerlegen. 3.3.2 Wenn ein Rechtsmittel zurückgezogen wird, ist das entsprechende Rechtsmittelverfahren in sinngemässer Anwendung von Art. 242 ZPO abzuschreiben (KILLIAS, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 2 zu Art. 242 ZPO ). Wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben und sieht das Gesetz nichts anderes vor, kann das Gericht gemäss Art. 107 Abs. 1 lit. e ZPO die Prozesskosten - in Abweichung der Verteilungsgrundsätze von Art. 106 ZPO - nach Ermessen verteilen. BGE 145 III 153 S. 158 Eine derartige abweichende Verteilung lässt sich bezüglich des für die Anschlussberufung entstandenen Aufwandes gegebenenfalls rechtfertigen. Wie dargelegt ist die Auferlegung dieser Kosten an den Hauptberufungskläger als Verursacher grundsätzlich sachgerecht. Andererseits ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Anschlussberufung nicht auf den Gegenstand der Berufung beschränkt ist ( BGE 141 III 302 E. 2.2; BGE 138 III 788 E. 4.4). Mit ihr können folglich eigenständige Anträge gestellt werden, die regelmässig zu einer Erweiterung des Streitgegenstandes führen. Es kann unter Umständen - namentlich bei teilweise offensichtlich unbegründeten Begehren - unbillig erscheinen, die gesamten Kosten des gegenstandslos gewordenen Anschlussberufungsverfahrens der Berufungsklägerin aufzuerlegen. Fällt die Anschlussberufung infolge des Rückzuges der Berufung dahin, kann das Gericht folglich die Prozesskosten gestützt auf Art. 107 Abs. 1 lit. e ZPO ermessensweise verteilen. Ob eine Abweichung vom Grundsatz der Kostenverteilung nach dem Verfahrensausgang hinsichtlich der in Zusammenhang mit der Anschlussberufung stehenden Kosten sich rechtfertigt, beurteilt sich in erster Linie nach den Anträgen des Anschlussberufungsklägers. Dabei ist zu beachten, dass das Gericht im Anwendungsbereich von Art. 107 ZPO nicht nur über Ermessen darüber verfügt, wie es die Kosten verteilen will, sondern zunächst und insbesondere bei der Frage, ob es überhaupt von den allgemeinen Verteilungsgrundsätzen nach Art. 106 ZPO abweichen will ( BGE 139 III 358 E. 3). Ob eine vom Unterliegerprinzip abweichende Verteilung der Kosten der Anschlussberufung im konkreten Fall angebracht ist, beurteilt die Berufungsinstanz daher nach ihrem Ermessen. 3.3.3 Vorliegend hat die Vorinstanz der Beschwerdeführerin eine Entschädigung für ihre Anschlussberufung mit dem Argument verweigert, der Anschlussberufungskläger habe das Risiko des Dahinfallens der Anschlussberufung zu tragen. Falle diese infolge des Rückzuges der Berufung dahin, werde der dafür geleistete Aufwand obsolet, so dass auch keine Entschädigung zuzusprechen sei. Die Vorinstanz hat im Rahmen der Verteilung der Prozesskosten somit keinen Ermessensentscheid getroffen, der eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach Recht und Billigkeit erfordert ( Art. 4 ZGB ; BGE 136 III 278 E. 2.2 mit Hinweisen), sondern den Ersatz des für die Anschlussberufung geleisteten Aufwandes gestützt auf allgemeine Erwägungen zu diesem Institut generell ausgeschlossen. Damit hat sie Art. 106 Abs. 1 ZPO verletzt, ist doch der Aufwand für die BGE 145 III 153 S. 159 Anschlussberufung grundsätzlich der im Berufungsverfahren unterliegenden Partei aufzuerlegen. 3.4 Nach dem Gesagten hat, wenn die Anschlussberufung infolge des Rückzuges der Berufung dahinfällt, grundsätzlich der Hauptberufungskläger dem Anschlussberufungskläger die diesem in Zusammenhang mit der Anschlussberufung entstandenen Kosten angemessen zu ersetzen. Von diesem Grundsatz kann nur abgewichen werden, wenn die Umstände des Einzelfalls eine davon abweichende Kostenverteilung rechtfertigen, was sich in erster Linie nach den Anträgen der Anschlussberufung beurteilt. Dabei handelt es sich um einen Ermessensentscheid, der vom Gericht nach Recht und Billigkeit im Sinne von Art. 4 ZGB zu treffen ist. Indem die Vorinstanz gestützt auf allgemeine Überlegungen der Beschwerdeführerin keine Entschädigung für die von ihr im kantonalen Verfahren erhobene Anschlussberufung zusprach, verletzte sie Bundesrecht. Folglich ist der angefochtene Kostenentscheid in Bezug auf das gegenstandslos gewordene Anschlussberufungsverfahren aufzuheben.
de
d9f28d7f-a5f0-4596-aa43-339307b60db5
Sachverhalt ab Seite 653 BGE 130 III 652 S. 653 A. Der Einzelrichter des Kantonsgerichts von Appenzell A.Rh. als Arrestrichter befahl am 2. September 2003 dem Betreibungsamt Appenzeller Vorderland, für den Gläubiger X. "sämtliche Erbansprüche von Y. [Schuldner] gegenüber der Erbengemeinschaft Z. sel., verstorben am 14. Juli 2003 in A." zu verarrestieren (Arrestbefehl Nr. ...). Am 22. September 2003 vollzog das Betreibungsamt den Arrest wie befohlen (Arresturkunde vom 25. September 2003). Gegen den Zahlungsbefehl in der von X. eingeleiteten (Arrestprosequierungs-)Betreibung Nr. ... erhob Y. (Teil-)Rechtsvorschlag nur in Bezug auf die Zinsen der in Betreibung gesetzten Forderung von Fr. 50'000.-. Am 5. November 2003 stellte X. das Fortsetzungsbegehren. In der Folge vollzog das Betreibungsamt am 16. Dezember 2003 die Pfändung, indem es den Lohn von Y. pfändete, indessen keine pfändbare Lohnquote feststellen konnte und einen provisorischen Verlustschein erliess (Pfändungsurkunde vom 20. Januar 2004). B. Gegen die Pfändungsurkunde vom 20. Januar 2004 erhob X. Beschwerde und verlangte die Pfändung der Erbansprüche von Y. Mit Entscheid vom 23. März 2004 hiess das Obergericht von Appenzell A.Rh. als Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs die Beschwerde teilweise gut; sie hob die angefochtene Pfändungsurkunde auf und wies das Betreibungsamt an, eine neue Pfändungsurkunde "im Sinne der Erwägungen" auszufertigen (Dispositiv-Ziffer 1). BGE 130 III 652 S. 654 C. X. hat den Beschluss der kantonalen Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschrift vom 10. Mai 2004 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und das Betreibungsamt sei anzuweisen, die Erbansprüche von Y. zu pfänden. Die Aufsichtsbehörde hat anlässlich der Aktenüberweisung auf Gegenbemerkungen ( Art. 80 OG ) verzichtet. Der Betreibungsschuldner Y. beantragt die Abweisung der Beschwerde. Zugleich stellt er das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Das Betreibungsamt hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die Aufsichtsbehörde hat festgehalten, es könne offen gelassen werden, ob der Arrest überhaupt rechtzeitig mit Einleitung der Betreibung gemäss Art. 279 Abs. 1 SchKG prosequiert worden sei, d.h. ob überhaupt ein Arrestbeschlag bestehe. Das Begehren um Fortsetzung der Betreibung nach Art. 279 Abs. 3 SchKG sei wohl verfrüht gestellt worden; dies habe indessen keine Nichtigkeit der Pfändung zur Folge. Allerdings sei "der Arrest ins Leere gefallen" und kein Pfändungssubstrat vorhanden. Dabei hat die Aufsichtsbehörde auf den Erbteilungsvertrag vom 18. November 2003 verwiesen, welcher der Beschwerdegegner mit seinen Miterben abgeschlossen hat. Daraus geht hervor, dass dem Beschwerdegegner ein Erbteil von Fr. 13'976.- zugewiesen wird und die Miterbin W. für diese Forderung Verrechnung mit einer Forderung aus einem Darlehen erklärt, so dass der Beschwerdegegner aus der Erbteilung nichts erhält. Der Beschwerdeführer hält demgegenüber fest, dass er den Arrest mit Betreibungsbegehren vom 2. Oktober 2003 rechtzeitig prosequiert habe und das Betreibungsamt beim Pfändungsvollzug nicht auf den Erbvertrag hätte abstellen dürfen. Er macht im Wesentlichen geltend, der Beschwerdegegner habe zu Unrecht über den verarrestierten Liquidationsanspruch an der Erbschaft verfügt und der Erbteilungsvertrag sei ohne Wirkung, ebenso die Verrechnungserklärung der Miterbin. Von fehlendem pfändbarem Arrestsubstrat und einer leeren Pfändung könne nicht gesprochen werden, da dem Beschwerdegegner aus dem Erbvertrag Fr. 13'976.- zugeteilt würden und ihm vermutlich noch mehr zustehe. BGE 130 III 652 S. 655 2.1 Die Aufsichtsbehörde hat zunächst festgehalten, dass das Betreibungsamt dem Fortsetzungsbegehren vom 5. November 2003 nicht hätte Folge leisten dürfen, weil dieses frühestens am 14. November 2003 hätte gestellt werden können. Sie hat indessen die Nichtigkeit der Pfändung, auf welche sich der Beschwerdegegner berufen hatte, verneint. Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden. Eine Verletzung von Vorschriften im Sinne von Art. 22 Abs. 1 SchKG steht nicht in Rede. Anders als im Fall der Pfändung, die von einem örtlich unzuständigen Betreibungsamt vorgenommen wird und daher nichtig ist ( BGE 105 III 60 E. 1 S. 61; BGE 91 III 47 E. 3 S. 49), können sich Dritte beim zuständigen Betreibungsamt über das Bestehen einer Pfändung erkundigen. Wenn einem verfrühten und daher fehlerhaften Fortsetzungsbegehren Folge geleistet wird, können die Gläubiger Beschwerde führen (JENT-SØRENSEN, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 22 zu Art. 110 SchKG ; vgl. ferner Art. 9 Abs. 3 der Verordnung über die im Betreibungs- und Konkursverfahren zu verwendenden Formulare und Register sowie die Rechnungsführung [SR 281.31] betreffend Begehren, die höchstens zwei Tage zu früh einlangen). Der Hinweis des Beschwerdegegners, die Pfändung sei nichtig, geht daher fehl. 2.2 Nach den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 81 OG ) hat das Betreibungsamt den Erbanteil des Beschwerdegegners am 22. September 2003 verarrestiert. Sodann haben der Beschwerdegegner und seine Miterben mit Vertrag vom 18. November 2003 ihre Erbschaft offenbar geteilt. Zur Zeit des Arrestvollzuges hat also die Erbengemeinschaft noch bestanden. 2.2.1 Für die Verarrestierung des Erbanteils ist die Verordnung des Bundesgerichts vom 17. Januar 1923 über die Pfändung und Verwertung von Anteilen an Gemeinschaftsvermögen (VVAG; SR 281.41) massgebend ( BGE 118 III 62 E. 2c S. 66). Wäre es zulässig, dass die Erben trotz Verarrestierung des Erbanteils selbständig und auch für die Gläubiger des betriebenen Miterben verbindlich teilen könnten, wären sie damit ohne weiteres in der Lage, die Behörde gemäss Art. 609 ZGB auszuschalten und damit den Schutzzweck, welcher deren Mitwirkung für die Gläubiger haben soll, zu vereiteln (BISANG, Die Zwangsverwertung von Anteilen an Gesamthandschaften, Diss. Zürich 1978, S. 135). Dies wollen Art. 6 und Art. 12 VVAG verhüten. Nach der Rechtsprechung können denn auch weder der Schuldner persönlich, noch an seiner Stelle das BGE 130 III 652 S. 656 Betreibungsamt mit verbindlicher Wirkung für die Gläubiger der Teilung zustimmen ( BGE 61 III 160 S. 163 betreffend Erbteilung nach Verarrestierung des Erbanteils; BGE 71 III 99 E. 2 S. 103). Wollen die Erben schon vor dem Verwertungsstadium von sich aus zur Teilung schreiten, so haben sie dies dem Betreibungsamt zu melden, welches an die zuständige Behörde zu gelangen hat, damit diese mitwirke (Urteil des Bundesgerichts vom 6. November 1947, E. 1, BlSchK 1948 S. 153). 2.2.2 Im vorliegenden Fall hat die zuständige Behörde unbestrittenermassen an der Erbteilung nicht mitgewirkt. Ist aber die nach dem Arrest ohne Mitwirkung der Behörde vorgenommene Teilung für die Gläubiger nicht bindend (vgl. TUOR/PICENONI, Berner Kommentar, N. 8 u. 14 zu Art. 609 ZGB ), kann sie auch nicht bewirken, dass der Erbteil aus dem Arrest fällt (BISANG, a.a.O.). Bestreiten der Schuldner oder die Miterben, dass dem Schuldner aus der nach dem Arrest vollzogenen Erbteilung etwas zustehe, so bleibt nach der Rechtsprechung als Arrestsubstrat der nun als bestritten geltende Liquidationsanteil ( BGE 61 III 160 S. 162 f.; 87 III 106 E. 1 S. 108 betreffend Erbteilung nach Pfändung des Erbanteils), m.a.W. der Erbanteil existiert als Arrestsubstrat weiter und kann gepfändet werden (für das weitere Vorgehen vgl. BGE 61 III 95 ). Die Betreibungsbehörden sind nicht zuständig für die Beurteilung materiell-rechtlicher Fragen und dürfen daher nicht über die Höhe eines Anteils am Gemeinschaftsvermögen oder andere Einwendungen des Schuldners oder beteiligter Drittpersonen entscheiden ( BGE 61 III 160 S. 162; 87 III 106 E. 1 S. 108; 113 III 40 E. 3b S. 42). Der Beschwerdeführer rügt daher zu Recht, dass sich die Aufsichtsbehörde darüber ausgesprochen hat, ob dem Beschwerdegegner aus dem Erbteilungsvertrag etwas zustehe. Wenn die Aufsichtsbehörde vor diesem Hintergrund zum Ergebnis gelangt ist, es gebe kein Arrestsubstrat, das nach wirksamer Fortsetzung der Arrestprosequierungsbetreibung mit Pfändung beschlagen werden könne, und angenommen hat, es könne offen bleiben, ob ein Arrestbeschlag am Erbanteil überhaupt bestehe, verletzt dies Bundesrecht. 2.3 Nach dem Dargelegten erweist sich die rechtzeitige Einleitung der Prosequierungsbetreibung, mithin das Bestehen des Arrestbeschlages ( Art. 280 SchKG ; BGE 106 III 92 E. 2 S. 93) als rechtlich erhebliche Tatsache, welche von der Aufsichtsbehörde zu Unrecht nicht von Amtes wegen erhoben worden ist (vgl. Art. 20a Abs. 2 Ziff. 2 SchKG ). Der angefochtene Entscheid ist daher in BGE 130 III 652 S. 657 Gutheissung der Beschwerde aufzuheben, und die Sache ist an die Vorinstanz zur Erhebung des rechtserheblichen Sachverhaltes (Feststellung der Rechtzeitigkeit der Einleitung der Prosequierungsbetreibung) und zu neuer Entscheidung zurückzuweisen (Art. 64 Abs. 1 i.V.m. Art. 81 OG ). Erweist sich die Einleitung der Arrestprosequierungsbetreibung als rechtzeitig, besteht der bestrittene Liquidationsanteil des Beschwerdegegners an der Erbschaft als Arrestsubstrat, welcher mit Pfändung beschlagen werden kann.
de
a42a8c84-093e-4ddb-a3c8-a00538d8755d
Erwägungen ab Seite 305 BGE 142 II 304 S. 305 Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Gemäss Art. 54 Abs. 1 des Verrechnungssteuergesetzes vom 13. Oktober 1965 (VStG; SR 642.21) kann gegen den Einspracheentscheid des kantonalen Verrechnungssteueramtes innert 30 Tagen nach der Eröffnung bei der kantonalen Rekurskommission schriftlich Beschwerde erhoben werden; die Beschwerde hat einen bestimmten Antrag zu enthalten und die zu seiner Begründung dienenden Tatsachen anzugeben. Vorbehalten bleibt Art. 55 (ergänzendes kantonales Recht). Gemäss Art. 55 VStG kann der Kanton in seinen Vollzugsvorschriften bestimmen, dass sich das Einspracheverfahren und das Verfahren vor der kantonalen Rekurskommission nach den für die Anfechtung und Überprüfung der Steuerveranlagung massgebenden kantonalen Verfahrensvorschriften (einschliesslich der Fristen) richtet, wenn der Entscheid über den Rückerstattungsanspruch mit einer Veranlagungsverfügung verbunden worden ist. Bei der Frist nach Art. 54 Abs. 1 VStG handelt es sich wie bei allen Rechtsmittelfristen um eine gesetzliche Frist, die als solche, vorbehältlich einer anderen gesetzlichen Regelung, nicht erstreckbar ist. Auf Beschwerden, welche nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erhoben worden sind, darf die Rekurskommission nicht eintreten. Dabei hat die angegangene Instanz von Amtes wegen zu prüfen, ob die Beschwerde innert der gesetzlichen Frist eingereicht worden ist. Raum für die Berücksichtigung der kantonalen Gerichtsferien in einem grundsätzlich durch bundesrechtliche Regeln normierten Verfahren BGE 142 II 304 S. 306 besteht nur dann, wenn der bundesgerichtliche Erlass hinsichtlich des Fristenlaufs keine abschliessende Regelung getroffen hat (Urteil A.363/1985 vom 13. Mai 1986, in: ASA 56 E. 2a S. 645). 3.2 Die Vorinstanz hält in ihrem Urteil fest, kantonales Verfahrensrecht könne lediglich in jenen Fällen zur Anwendung kommen, wo der Entscheid über den Rückerstattungsanspruch mit einer Veranlagungsverfügung verbunden worden ist. Da im Kanton Aargau der Entscheid über den Rückerstattungsanspruch nicht mit einer Veranlagungsverfügung verbunden wird, ist sie zum Schluss gekommen, für die Anwendung des kantonalen Steuerverfahrensrechts bzw. der kantonalen Gerichtsferien bestehe kein Raum. 3.3 Den Ausführungen des Spezialverwaltungsgerichts des Kantons Aargau ist beizupflichten. Gemäss dem klaren Wortlaut von Art. 55 VStG , von welchem bei der Gesetzesauslegung in erster Linie auszugehen ist ( BGE 136 V 216 E. 5.1 S. 217; BGE 135 V 153 E. 4.1 S. 157), ist die Anwendung kantonaler Verfahrensvorschriften nur möglich, wenn der Entscheid über den Rückerstattungsanspruch mit der Veranlagungsverfügung verbunden worden ist (Urteile 2C_704/2014 vom 10. Februar 2015, in: StR 70/2015 E. 4.1 S. 541 und 2A.288/2003 vom 7. Mai 2004 E. 1.2; BRUNO KNÜSEL, in: Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer, Zweifel/Beusch/Bauer-Balmelli [Hrsg.], 2. Aufl. 2012, N. 1 zu Art. 55 VStG ; ARNOLD/MEIER/SPINNLER, Steuerpflicht bei Auslandbezug, ASA 70 S. 1 ff., 79-80). Ist dies - wie hier - nicht der Fall, kommt der in Art. 54 Abs. 1 VStG enthaltene Vorbehalt nicht in Betracht und ist nur die zuletzt erwähnte Bestimmung massgebend. 3.4 In diesem Zusammenhang und entgegen der Meinung des Beschwerdeführers muss gleichzeitig eine (analoge) Anwendung der im Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021) und in der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO; SR 272) vorgesehenen Gerichtsferien ausgeschlossen werden. Art. 54 Abs. 1 VStG , der eine Beschwerdefrist von 30 Tagen vorsieht, verweist weder auf das VwVG noch auf die ZPO, sondern nur (und zwar bedingt) auf das kantonale Recht. Die einzige Bestimmung, die einen solchen Verweis enthält, ist Art. 59 Abs. 1 VStG . Diese betrifft aber die Revision und die Erläuterung von Entscheiden der Eidgenössischen Steuerverwaltung bzw. der kantonalen BGE 142 II 304 S. 307 Behörden und nicht die Regelung der Gerichtsferien. Eine (direkte) Anwendung von Art. 22a VwVG oder von Art. 145 ZPO scheidet hingegen bereits gemäss Art. 1 Abs. 3 VwVG bzw. gemäss Art. 1 ZPO aus. 3.5 Nach dem vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt ( Art. 105 Abs. 1 BGG ) wurde der Einspracheentscheid am 12. August 2015 zugestellt. Die in Art. 54 Abs. 1 VStG vorgesehene Beschwerdefrist von 30 Tagen ist am 11. September 2015 abgelaufen. Die am 14. September 2015 der Schweizerischen Post übergebene Beschwerde war damit verspätet. (...)
de
a136cb44-735a-4167-9e26-baa1abaf953a
Sachverhalt ab Seite 260 BGE 147 I 259 S. 260 A. A.a Das Obergericht des Kantons Zürich erkannte den 1946 geborenen A. am 4. Juli 2003 der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB sowie der mehrfachen sexuellen Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB (in der bis 2006 geltenden Fassung des StGB) schuldig und verurteilte ihn zu 4 Jahren und 4 Monaten Zuchthaus als Zusatzstrafe zum Urteil vom 16. Juni 1995 der X. Kammer des Pariser Appellationsgerichts. Das Obergericht ordnete gestützt auf aArt. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB die Verwahrung an und schob die Freiheitsstrafe zu diesem Zwecke auf. Hintergrund der Verurteilung bildeten im Wesentlichen sexuelle Handlungen bis hin zu Oral- und Analverkehr mit Knaben im vorpubertären Alter, darunter zwei seiner Stiefsöhne. A. rügte mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde eine Verletzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) sowie die Anordnung der Verwahrung. Das Bundesgericht wies die Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Urteil 6S.379/2003 vom 1. Dezember 2004). A.b Das Amt für Justizvollzug (heute: Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung JUWE) setzte am 23. Mai 2005 die Verwahrung in Vollzug. BGE 147 I 259 S. 261 A.c Das Obergericht ordnete am 1. März 2010 die Weiterführung der Verwahrung nach neuem Recht gemäss Art. 64 StGB an (Ziff. 2 Abs. 2 SchlBest. Änderung StGB vom 13. Dezember 2002). A.d Das Bundesgericht wies mit Urteil 6B_90/2016 vom 18. Mai 2016 eine Beschwerde wegen Verweigerung der bedingten Entlassung bzw. Versetzung in den offenen Vollzug ab, soweit es darauf eintrat. Die von A. ausgehende Gefährlichkeit bzw. sein Gefahrenpotential lasse sich auch nicht mit Vorkehren im Sinne von Art. 64a Abs. 1 StGB derart reduzieren, dass weitere Sexualstraftaten als unwahrscheinlich erschienen. Er sei nicht bereit und auch nicht in der Lage, Risikosituationen zu erkennen, sein Verhalten danach auszurichten und konsequent auf Kontakte mit Kindern zu verzichten. A.e Das Bundesgericht wies mit Urteil 6B_557/2017 vom 9. Januar 2018 eine Beschwerde in Strafsachen von A. ab, die sich gegen die Verurteilung wegen Besitzes von Pornografie im Sinne von aArt. 197 Ziff. 3 bis StGB richtete. A. hatte sich in der Justizvollzugsanstalt Bildaufnahmen mit als harte Pornografie qualifizierten Darstellungen mit schwerwiegendem sexuellen Missbrauch von Kindern beschafft. A.f Das Bundesgericht wies mit Urteil 6B_947/2017 vom 14. Februar 2018 eine Beschwerde in Strafsachen von A. gegen einen Nichteintretensentscheid des Obergerichts des Kantons Zürich ab. B. Das JUWE wies mit Verfügung vom 18. November 2019 das Gesuch A.s vom 4. Oktober 2019 ab, ihn sofort aus der Verwahrung zu entlassen, eventualiter sein Gesuch an ein Gericht weiterzuleiten und für die Dauer des Verfahrens begleitete und unbegleitete Urlaube zu gewähren. Die Direktion der Justiz und des Innern (Justizdirektion) wies am 6. Februar 2020 den am 23. Dezember 2019 von A. erhobenen Rekurs ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies am 11. Dezember 2020 die von A. gegen den Entscheid der Justizdirektion gerichtete Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. C. A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und ihn bedingt, gegebenenfalls unter gleichzeitiger Anordnung von Auflagen und Weisungen, aus der Verwahrung zu entlassen, eventualiter das Urteil aufzuheben und zur Durchführung eines EMRK-konformen Verfahrens an die Vorinstanz BGE 147 I 259 S. 262 zurückzuweisen und festzustellen, dass das verwaltungsrechtliche Verfahren Art. 5 Ziff. 4 EMRK verletze sowie festzustellen, dass er für das rechtswidrige Verfahren angemessen zu entschädigen sei. Ihm sei die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. 1.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz anerkenne die Völkerrechtswidrigkeit des kantonalen Haftprüfungsverfahrens, habe es aber unterlassen, die prozessualen Unzulänglichkeiten wenigstens teilweise zu korrigieren. Der Gerichtshof habe bei einer Dauer von 11 Monaten eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 4 EMRK festgestellt (Urteil des EGMR Derungs gegen Schweiz vom 10. Mai 2016, Nr. 52089/09, § 45, 48 ff. mit Hinweis auf Urteil Fuchser gegen Schweiz vom 13. Juli 2006, Nr. 55894/00). Seit diesem Urteil sei klar, dass der Kanton Zürich die erforderlichen Strukturen schaffen müsse. Angesichts der Untätigkeit des Gesetzgebers wäre sinngemäss auf einschlägige bundesrechtliche Bestimmungen abzustellen. Das Haftentlassungsgesuch hätte ohne Weiteres an das Obergericht weitergeleitet werden können. Denkbar wäre auch die Weiterleitung an ein unteres Gericht oder das Zwangsmassnahmengericht. Fehle es an einem EMRK-konformen Haftprüfungsverfahren, liege kein justizförmiger Freiheitsentzug vor und er wäre unverzüglich auf freien Fuss zu setzen gewesen. Im Juli 2003 habe ihn letztmals ein Gericht persönlich angehört. Die Freiheit sei eines der wichtigsten privaten Rechte und falle unter den Begriff der "civil rights" von Art. 6 Ziff. 1 EMRK . Es spiele keine Rolle, dass § 59 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 (VRG; LS 175.2) eine mündliche Verhandlung nicht zwingend vorschreibe. Auch sei unverständlich, weshalb die Vorinstanz ihre Kognition mit Hinweis auf § 50 VRG beschränke. Art. 5 Ziff. 4 EMRK verlange eine uneingeschränkte Prüfungs- und Entscheidbefugnis. 1.2 1.2.1 Die Vorinstanz bejaht ihre einzelrichterliche Zuständigkeit aufgrund des VRG, da kein Fall von grundsätzlicher Bedeutung BGE 147 I 259 S. 263 vorliege. Hinsichtlich der gestützt auf die Urteile des EGMR Derungs und Fuchser (oben E. 1.1) bestrittenen sachlichen und funktionellen Zuständigkeit verneint sie eine Zuständigkeit des Strafgerichts anstelle des Verwaltungsgerichts, da die Konstellation von Art. 64 Abs. 3 StGB nicht zutreffe. Die Beurteilung eines Begehrens um bedingte Entlassung obliege in erster Instanz der Verwaltungsbehörde (§ 14 Abs. 1 des Straf- und Justizvollzugsgesetzes des Kantons Zürich vom 19. Juni 2006 [StJVG; LS 331] i.V.m. der Justizvollzugsverordnung des Kantons Zürich vom 6. Dezember 2006 [JVV; LS 331.1]). Gegen die Anordnungen der Vollzugsbehörde könne beim Verwaltungsgericht rekurriert werden. Dieser Rechtsmittelweg beanspruche mehr als die vom EGMR festgelegten 3-4 Monate. Das Verwaltungsgericht könne aber nicht nach Gutdünken ein Gericht zum Entscheid über die bedingte Entlassung bestimmen (Urteile 6B_1166/2020 vom 5. November 2020 E. 3.4; 6B_509/2015 vom 10. Juni 2015 E. 2.4). 1.2.2 Es sei nicht klar, ob der Beschwerdeführer eine öffentliche Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK oder eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 59 VRG verlange. Auf beides bestehe kein Anspruch. Das Verfahren erfülle die Merkmale einer strafrechtlichen Anklage nicht. Die Garantie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK gelange nicht zur Anwendung. Aus Art. 5 Ziff. 4 EMRK ergebe sich kein zwingender Anspruch auf eine mündliche Anhörung durch den (Haft-)Richter und ebenso wenig ein Anspruch aus der nicht darüber hinausgehenden Bestimmung von Art. 29 Abs. 2 BV (mit Hinweis u.a. auf Urteil 6B_147/2017 vom 18. Mai 2017 E. 7.4). Der Beschwerdeführer bringe nicht zum Ausdruck, dass ein persönlicher Eindruck des Gerichts entscheidwesentlich wäre. Das sei angesichts des reich dokumentierten Verlaufs des Straf- und Verwahrungsvollzugs auch nicht ersichtlich. § 59 Abs. 1 VRG räume keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung ein. Das Gesuch sei abzuweisen. Die Akten lieferten nach durchgeführtem Schriftenwechsel eine hinreichende Entscheidgrundlage. Das JUWE habe den Beschwerdeführer am 30. Oktober 2019 zur bedingten Entlassung angehört. Das Privatgutachten vom 18. Juni 2019 habe vorgelegen. Neue Tatsachen für eine erneute Anhörung würden nicht vorgebracht (Urteil 6B_1070/2016 vom 23. Mai 2017 E. 3.2). 1.3 Art. 5 Ziff. 4 EMRK lautet in der nicht authentischen ( Art. 59 Ziff. 5 EMRK ) amtlichen deutschen Übersetzung: BGE 147 I 259 S. 264 "Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs entscheidet und die Entlassung anordnet, wenn der Freiheitsentzug nicht rechtmässig ist." Der Beschwerdeführer trägt, abgesehen von der geltend gemachten zu langen Verfahrensdauer, eine abstrakte Kritik am vorinstanzlichen Urteil vor, ohne eine konkrete Beschwer darzulegen. 1.3.1 Die Verletzung kantonalen Rechts kann nicht als solche gerügt werden, sondern nur insofern, als seine Anwendung zu einer Verletzung verfassungsmässiger Rechte führt, worunter auch das Willkürverbot fallen kann ( BGE 145 I 121 E. 2.1 S. 133). Zum kantonalen Recht in diesem Sinne gehört das Verwaltungsverfahrensrecht. Eine willkürliche Anwendung legt der Beschwerdeführer nicht dar (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG ; Urteil 6B_699/2019 vom 16. Januar 2020 E. 1.4). Das ist auch nicht ersichtlich (Urteil 6B_1166/2020 vom 5. November 2020 E. 3.3 f.). Die Voraussetzungen des Art. 64 Abs. 3 StGB liegen nicht vor. Die Vorinstanz ist nicht ermächtigt, Gerichte zu bestimmen (oben E. 1.2.1; vgl. Urteil 6B_640/2020 vom 4. März 2021 E. 1.4). Für die Gerichtszuständigkeit ist eine formell-gesetzliche Grundlage unabdingbar. 1.3.2 Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleistet zahlreiche Rechte. In der Beschwerde ist klarzustellen, welcher Teilgehalt und inwiefern dieser durch die angefochtene Entscheidung konkret verletzt wurde. Mit der Ableitung von Forderungen aus einer allgemeinen Diskussion der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird keine Beschwer dargetan. Eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (vgl. zu den " Engel -Kriterien" BGE 140 II 384 E. 3.2.1 S. 388 f.; BGE 135 I 313 E. 2.2.1 S. 317) ist nicht gegeben. Der Entscheidung liegen keine strafrechtlichen Anschuldigungen zugrunde. Auch den Begriff der "zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen" legt der Gerichtshof autonom aus. Danach kommt es nicht darauf an, ob der Prozessgegenstand nach nationalem Recht dem Zivil- oder dem Verwaltungsrecht zuzuordnen ist. So stufte der Gerichtshof die Rechtssache anlässlich einer Prüfung der Gesetzmässigkeit des durch eine psychiatrische Hospitalisierung bewirkten Freiheitsentzugs als zivilrechtliche ein ("Or le droit à la liberté, qui se trouvait en jeu, a un caractère civil", Urteil des EGMR Laidin gegen Frankreich vom 7. Januar 2003, Nr. 39282/98, § 76). Der Gerichtshof nimmt mithin keine strenge Trennung vor. BGE 147 I 259 S. 265 Geht ein Verwaltungsverfahren voraus ( Art. 64b StGB ), muss das letztinstanzliche Verwaltungsgericht als Gericht im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK amten ("organe judiciaire de pleine juridiction", Urteil des EGMR Ortenberg gegen Österreich vom 25. November 1994, Nr. 12884/87, § 31; vgl. auch De Wilde, Ooms et Versyp ["Vagabondage"] gegen Belgien [Au Principal] vom 18. Juni 1971, Nr. 2832/66, 2835/66, 2899/66, § 76 in fine). Dies entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Das Verwaltungsgericht muss als einzige kantonale gerichtliche Vorinstanz des Bundesgerichts mit voller Kognition bezüglich Tat- und Rechtsfragen entscheiden (vgl. Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG ) und seine Kognition effektiv ausschöpfen (Urteil 6B_983/2020 vom 3. November 2020 E. 1.3.2). Die Vorinstanz hält zwar gestützt auf § 50 Abs. 1 und 2 VRG fest, dass hier kein Gesetz die Rüge der Unangemessenheit für zulässig erkläre. Einzig hierauf gestützt macht der Beschwerdeführer eine unzulässige Beschränkung geltend, ohne darzulegen, inwiefern er damit beschwert wäre ( Art. 42 Abs. 2 BGG ). Die Vorinstanz prüft die Sache unter dem Titel der Verhältnismässigkeit. Dass es sich bei der letztinstanzlichen kantonalen Vorinstanz um ein unabhängiges, auf Gesetz beruhendes Gericht mit voller Kognition in Tat- und Rechtsfragen im Sinne von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK handeln muss, bedeutet nicht, dass die betroffene Person sich vor diesem Gericht auf sämtliche Teilgehalte von Art. 6 Ziff. 1 EMRK berufen kann. Im vorliegenden Verfahren, indem die Vorinstanz gemäss Art. 64a i.V.m. Art. 64b StGB prüft, ob die Verwahrung weiterhin erforderlich ist, besteht weder ein zwingender Anspruch auf eine nochmalige persönliche, mündliche Anhörung durch das Gericht noch auf eine öffentliche Verhandlung. Die Vorinstanz konnte angesichts der konkreten Aktenlage (oben E. 1.2.2) auf eine mündliche Verhandlung gestützt auf § 59 Abs. 1 VRG verzichten (ausführlich Urteile 6B_147/2017 vom 18. Mai 2017 E. 7.4; 6B_699/2019 vom 16. Januar 2020 E. 1.4). Der Beschwerdeführer war vom JUWE am 30. Oktober 2019 zur bedingten Entlassung angehört worden. Damit wurde ihm das rechtliche Gehör gemäss Art. 64b Abs. 2 lit. d StGB im Verfahren gewährt (es ist auf das angefochtene Urteil zu verweisen, oben E. 1.2.2). 1.3.3 Nach dem Beschwerdeführer ist eine verfahrensrechtliche Verletzung von Art. 5 Ziff. 4 EMRK evident. Das Verfahren habe viel zu lange gedauert. Er macht wegen eines EMRK-widrig erlittenen BGE 147 I 259 S. 266 Freiheitsentzugs bzw. Erleidens eines EMRK-widrigen Haftprüfungsverfahrens einen Anspruch auf Entschädigung im Sinne von Art. 5 Ziff. 5 EMRK geltend und beantragt, im Grundsatz festzustellen, dass er angemessen zu entschädigen sei. Das verwaltungsinterne Verfahren kann zu einer gewissen Verzögerung der richterlichen Kontrolle der Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs führen. Dies ist nicht zwingend unvereinbar mit Art. 5 Ziff. 4 EMRK (Urteile 6B_1166/2020 vom 5. November 2020 E. 3.4; 6B_509/2015 vom 10. Juni 2015 E. 2.4). Das verwaltungsinterneVerfahren der Fachbehörden, die im direkten Kontakt mit den Insassen und mit dem individuell-konkreten, alltäglichen Massnahmenvollzug vertraut sind, ist nicht gering zu achten. Es ist vielmehr unabdingbar zur Erstellung der sachlichen Entscheidgrundlagen unter Einbezug und Anhörung des Insassen. Die Prüfung einer staatsanwaltlich angeordneten Inhaftierung ist ein aliud im Verhältnis zur Abklärung der Legalprognose eines wegen seiner Gefährlichkeit ultima ratio verwahrten Täters. Art. 5 Ziff. 4 EMRK gewährleistet die gerichtliche Überprüfung der Gesetzmässigkeit der Festnahme oder Festhaltung von Personen ("aux individus arrêtés ou détenus"). Wird eine Person durch eine Administrativbehörde festgenommen, hat sie Anspruch auf einen Rekurs an ein Gericht. Nicht in der gleichen Weise verhält es sich, wenn die Entscheidung in einem gerichtlichen Verfahren erging. In diesem Fall ist die Überprüfung im Urteil "inkorporiert": "Dans cette dernière hypothèse, le contrôle voulu par l'article 5 par. 4 (art. 5-4) se trouve incorporé à la décision; tel est le cas, par exemple, d'une 'condamnation' à l'emprisonnement prononcée 'par un tribunal compétent' (article 5 par. 1 a) de la Convention (art. 5-1-a)" (Urteil des EGMR De Wilde u.a. , § 76). Das zeitliche Kriterium ist bei der jährlichen Überprüfung im Sinne von Art. 64b StGB ein wesentliches Kriterium unter anderen. Das Primäre ist der sachgerechte Entscheid. Dabei ist anerkannt, dass die Behörden ihren Entscheid innert nützlicher Frist unter Beachtung des Beschleunigungsgebots fällen. Zu berücksichtigen ist die Dauer seit Eingang des Gesuchs vom 4. Oktober 2019 bis zum vorinstanzlichen Urteil vom 11. Dezember 2020. Das JUWE wies das Gesuch am 18. November 2019 ab. Den Rekurs vom 23. Dezember 2019 wies die Justizdirektion am 6. Februar 2020 mit einer eingehenden 20-seitigen Begründung ab. Die dagegen erhobene Beschwerde vom 12. März 2020 entschied die Vorinstanz am 11. Dezember 2020. Nicht die BGE 147 I 259 S. 267 verwaltungsinterne, wohl aber die 9-monatige verwaltungsgerichtliche (kumuliert mit der verwaltungsinternen) Verfahrensdauer lässt sich mit der "kurzen Frist" von Art. 5 Ziff. 4 EMRK nicht vereinbaren (vgl. Urteil 6B_850/2020 vom 8. Oktober 2020 E. 3.2 und 3.3). Zu Recht verneint die Vorinstanz einen Anspruch auf Schadenersatz. Ein Schaden wird vor Bundesgericht nicht begründet. Darauf ist nicht einzutreten. Wie die Vorinstanz annimmt, wäre ihm einzig die ausdrückliche Feststellung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots zuzugestehen. Sie schliesst aber, das hätte der Beschwerdeführer beim Bundesgericht zu rügen. Stattdessen hätte sie die Verletzung des Beschleunigungsgebots bejahen und feststellen müssen (vgl. Urteil 6B_790/2017 vom 18. Dezember 2017 E. 3). Die Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäss Art. 5 Ziff. 4 EMRK
de
188ee3c0-2cab-4398-bce7-28af6c0dba66
Erwägungen ab Seite 78 BGE 114 IV 78 S. 78 Aus den Erwägungen: 1. a) Gemäss Art. 350 Ziff. 1 StGB sind, wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten verübter strafbarer Handlungen verfolgt, die mit der gleichen Strafe bedroht sind, die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wird. Nach ständiger Rechtsprechung gilt bei Offizialdelikten die Strafuntersuchung mit dem Eingang einer Strafanzeige bei der zuständigen Behörde, insbesondere der gerichtlichen Polizei, als angehoben ( BGE 106 IV 34 E. 3c mit Hinweisen). Umstritten ist im vorliegenden Fall einzig, ob eine schriftliche Anzeige erforderlich sei, oder ob eine mündlich erstattete Anzeige des Geschädigten genüge, um die Strafverfolgung in Gang zu setzen. b) Der Strafanspruch steht ausschliesslich dem Staat zu ( BGE 108 Ia 99 E. 1 mit Hinweisen). Um ihn durchzusetzen, sind die staatlichen Organe grundsätzlich verpflichtet, bei jedem Verdacht - auch ohne Anzeige eines Betroffenen, ja sogar gegen dessen Willen - die Strafverfolgung einzuleiten, d.h. von Amtes wegen zu handeln (ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage, Basel 1984, S. 126 f.; GÉRARD PIQUEREZ, Précis de procédure pénale suisse, Lausanne 1987, BGE 114 IV 78 S. 79 S. 151 N 680). Dieser Regel kommt in Anbetracht des staatlichen Monopols zur Strafverfolgung allgemeine Gültigkeit zu; sie hat denn auch in der einen oder anderen Form in sämtliche kantonale Strafprozessordnungen Eingang gefunden (PIQUEREZ, a.a.O., S. 151 N 680). Genügt demnach das blosse Wissen um eine möglicherweise verübte, als Offizialdelikt strafbare Handlung, damit die Organe der gerichtlichen Polizei tätig werden müssen, so kann es nicht darauf ankommen, in welcher Form sie durch den Betroffenen davon erfahren haben; ob dieser seine Mitteilung schriftlich oder nur mündlich erstatte, bleibt daher ohne Belang, selbst wenn das kantonale Strafprozessrecht vorschreibt, eine Strafanzeige sei schriftlich einzureichen. Etwas anderes anzunehmen hiesse, den feststehenden Grundsatz missachten, wonach das kantonale Verfahrensrecht die Durchsetzung des materiellen Bundesrechts nicht erschweren oder gar verhindern darf ( BGE 108 Ia 101 E. 3a), und auf die uneingeschränkte Anwendung der bundesrechtlichen Gerichtsstandsvorschriften, welche ihrem Wesen nach eine einheitliche sein muss ( BGE 68 IV 5 f. E. 4), zu verzichten.
de
2d20c99c-e2ff-4d25-a2b1-7ef507be3044
Sachverhalt ab Seite 58 BGE 92 IV 57 S. 58 A.- Zurbuchen entwendete am 26./27. September 1965 in Courtételle ein Motorfahrzeug zum Gebrauch. Als er später im Militärdienst stand, eignete er sich am Abend des 7. November 1965 in Tavannes (BE) das Motorfahrzeug einer Zivilperson zum Gebrauche an und stahl einen Radioapparat, der sich in diesem Wagen befand. Am folgenden Morgen verliess er unerlaubterweise die Truppe und stahl in einem Bauernhaus einen Kittel, worauf er seinen Waffenrock irgendwo zurückliess, während er die Militärhose auch noch trug, nachdem seine Truppe am 13. November entlassen worden war. In der Folge trieb er sich bis zu seiner Verhaftung am 6. Dezember 1965 in verschiedenen Kantonen herum, wobei er mehrere Motorfahrzeuge zum Gebrauch entwendete. Ausserdem stahl er am 14. November in La Tourne (NE) aus einem Ferienhaus einige Gebrauchsgegenstände, und am Tage darauf betrog er in Grandson (VD) einen Pfarrer um Fr. 20.-. Am 18. November brach er in Susten bei Leuk (VS) in den Laden des Konsumvereins ein und stahl daselbst Esswaren. Am 24. November beging er eine gleichartige Tat in einem Laden in Gümligen (BE). Ferner stahl er an den folgenden Tagen in verschiedenen nicht näher bekannten Ortschaften Harasse und leere Flaschen, die er verkaufte. B.- Der Untersuchungsrichter des Divisionsgerichts 2, der gegen Zurbuchen eine Voruntersuchung wegen unerlaubter Entfernung ( Art. 84 MStG ), Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch ( Art. 94 SVG ), Diebstahls ( Art. 129 MStG ) und Missbrauchs und Verschleuderung von Material ( Art. 73 MStG ) führte, beantragte dem Oberauditor, die Gerichtsbarkeit zur Verfolgung dieser Verbrechen und Vergehen den bürgerlichen Gerichten zu übertragen. Am 12. Januar 1966 entsprach der Vorsteher des eidgenössischen Militärdepartementes diesem Antrag und liess die Akten dem Untersuchungsrichter 4 von Bern überweisen, der gegen Zurbuchen eine Voruntersuchung wegen des Diebstahls in Gümligen eröffnet hatte. C.- Der Generalprokurator des Kantons Bern ersucht die Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons Wallis zur Verfolgung und Beurteilung der Zurbuchen zur Last gelegten Taten zuständig zu erklären. Der Instruktionsrichter von Leuk und Westlich-Raron beantragt, das Gesuch abzuweisen und die Behörden des Kantons Bern zuständig zu erklären. BGE 92 IV 57 S. 59 Erwägungen Die Anklagekammer zieht in Erwägung: 1. Wird die Verfolgung und Beurteilung von strafbaren Handlungen, die der Militärgerichtsbarkeit unterstehen, vom Eidgenössischen Militärdepartement in Anwendung von Art. 221 MStG und Art. 16 lit. c der Verordnung über die Militärstrafrechtspflege vom 29. Januar 1954 einem bestimmten bürgerlichen Gericht übertragen, so ist nach der Rechtsprechung der Anklagekammer diese Gerichtsstandsbestimmung auch für die bürgerlichen Straffälle verbindlich, die mit den militärischen zusammentreffen, und es kann die Verfügung des Militärdepartements nur durch Verwaltungsbeschwerde beim Bundesrat, nicht bei der Anklagekammer des Bundesgerichts angefochten werden ( BGE 81 IV 265 ff.). Im gleichen Sinne hat auch der Bundesrat entschieden (Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden, 1956 Nr. 75). Zu dieser Rechtsprechung braucht nicht Stellung genommen zu werden. Das Eidgenössische Militärdepartement hat im vorliegenden Falle die Gerichtsbarkeit den bürgerlichen Gerichten übertragen, ohne den Gerichtsstand zu bestimmen. Es erliess die Verfügung "conformément à la proposition du juge d'instruction du Tribunal de division 2", und dementsprechend lautet der Entscheid lediglich: "Le jugement de toutes les infractions est déféré au tribunal ordinaire". Der Untersuchungsrichter des Divisionsgerichts 2 hatte in seinem Antrag ausdrücklich darauf hingewiesen, der Untersuchungsrichter 4 von Bern, der die Vereinigung der beiden Untersuchungen ebenfalls für notwendig halte, werde seine Strafakten dem Generalprokurator des Kantons Bern überweisen, der den bürgerlichen Strafgerichtsstand noch werde bestimmen müssen. Der am Fusse des Delegationsentscheides angebrachte Vermerk, dass die Verfügung mit den militärgerichtlichen Akten zum Vollzug an den Untersuchungsrichter von Bern zu überweisen sei, bedeutet daher nicht, dass das Militärdepartement die Behörden von Bern als örtlich zuständig bezeichnen wollte, sondern die Überweisung kann nur den Sinn haben, dass der Untersuchungsrichter von Bern die weiteren Schritte zur Ermittlung des örtlich zuständigen Gerichts veranlassen sollte. Auf das Gesuch des Generalprokurators des Kantons Bern ist daher einzutreten. 2. Wird jemand wegen mehrerer strafbarer Handlungen BGE 92 IV 57 S. 60 verfolgt, die er an verschiedenen Orten begangen hat, so befindet sich für alle der Gerichtsstand dort, wo wegen einer der mit der schwersten Strafe bedrohten Taten die Untersuchung zuerst angehoben worden ist ( Art. 350 Ziff. 1 StGB ). Untersuchungen, die nur mit milderer Strafe bedrohte Handlungen betreffen, begründen den Gerichtsstand des Art. 350 StGB nicht ( BGE 71 IV 169 und ständige Rechtsprechung). In der vorliegenden Sache sind daher die mit Gefängnis als Höchststrafe bedrohten Taten (Entwendung von Motorfahrzeugen zum Gebrauch, Unerlaubte Entfernung, Missbrauch und Verschleuderung von Material) nicht in Betracht zu ziehen. Die Diebstähle ( Art. 137 Ziff. 1 StGB , Art. 129 Ziff. 1 MStG ) und der Betrug ( Art. 148 Abs. 1 StGB ) werden mit Zuchthaus bedroht. 3. Der Gerichtsstand der ersten Untersuchungshandlung kann nur in einem Kanton begründet werden, dem an sich in der betreffenden Sache die Gerichtsbarkeit zusteht, nicht aber in einem Kanton, dessen Behörden sich vorläufig mit einer Sache befassen, die, für sich allein betrachtet, in einem andern Kanton verfolgt werden müsste ( BGE 72 IV 95 , BGE 73 IV 59 ). Daher fallen auch Erhebungen der bürgerlichen Behörden in einer an sich der Militärgerichtsbarkeit unterstehenden Sache bei der Bestimmung des Gerichtsstandes des Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ausser Betracht, wenn sie vorgenommen wurden, bevor ein Beschluss nach Art. 221 MStG auf Übertragung der Gerichtsbarkeit an die bürgerlichen Behörden gefasst worden ist; der Delegationsbeschluss wirkt nicht auf den Zeitpunkt zurück, in dem die bürgerliche Behörde vorläufige Erhebungen traf. Es ist deshalb unerheblich, dass der in der Nacht vom 7./8. November 1965 verübte Diebstahl an einem Radioapparat am folgenden Tag dem Kantonspolizeiposten von Tavannes angezeigt wurde und erst später Gegenstand der militärgerichtlichen Voruntersuchung bildete. Von den anderen mit der schwersten Strafe bedrohten Taten wurde zuerst der in Susten begangene Diebstahl in Untersuchung gezogen. Es sind daher die Behörden des Kantons Wallis zuständig, Zurbuchen für alle ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen.
de
09ea8c0d-478d-49b7-b07a-a4550faf2273
Sachverhalt ab Seite 61 BGE 86 IV 61 S. 61 A.- Karl Fischbach wird in den Kantonen Aargau, Basel-Stadt und -Landschaft, Luzern und Zürich wegen gewerbsmässigen Betruges, ferner im Kanton Luzern wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung und im Kanton Basel-Stadt wegen eines Betrugsversuches und einer Veruntreuung verfolgt. Von den 23 Tatbeständen, BGE 86 IV 61 S. 62 die im Kollektivdelikt des Art. 148 Abs. 2 StGB zusammengefasst werden, entfallen auf den Kanton Aargau fünf, auf Basel-Stadt dreizehn und auf die Kantone Zürich und Luzern je zwei; einer entfällt auf den Kanton Basel-Landschaft. Die erste Strafanzeige gegen Fischbach wurde am 13. Oktober 1959 wegen einer in Aarau ausgeführten Betrugshandlung bei der aargauischen Kantonspolizei eingereicht. Seit dem 30. Januar 1960 befindet sich der Beschuldigte in Basel in Untersuchungshaft. B.- Am 19. Februar 1960 ersuchte die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt den öffentlichen Ankläger des Kantons Aargau um Übernahme der Strafverfolgung gegen Fischbach, weil gemäss Art. 350 Ziff. 1 StGB die Behörden dieses Kantons zuständig seien und kein Grund vorliege, gestützt auf Art. 263 BStP vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen. Die aargauische Staatsanwaltschaft lehnte die Übernahme der Strafverfolgung ab. C.- Mit Gesuch vom 26. Februar 1960 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt der Anklagekammer des Bundesgerichtes, die Behörden des Kantons Aargau seien berechtigt und verpflichtet zu erklären, Fischbach für die ihm zur Last gelegten Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Untersuchung wegen der mit der schwersten Strafe bedrohten Tat zuerst im Kanton Aargau angehoben worden sei. D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hält die Behörden von Basel-Stadt für zuständig, weil das Schwergewicht der strafbaren Tätigkeit eindeutig in diesem Kanton liege. Erwägungen Die Anklagekammer zieht in Erwägung: 1. Von den strafbaren Handlungen, die Fischbach vorgeworfen werden, ist der gewerbsmässige Betrug mit der schwersten Strafe bedroht. Der zur Verfolgung und BGE 86 IV 61 S. 63 Beurteilung dieses Verbrechens zuständige Kanton hat daher gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB auch die Gerichtsbarkeit zur Verfolgung und Beurteilung der anderen strafbaren Handlungen Fischbachs zu übernehmen. 2. Der gewerbsmässige Betrug, der ein einziges, einheitliches Verbrechen darstellt ( BGE 71 IV 85 und zahlreiche seitherige Entscheidungen), ist nach der Regel des Art. 346 Abs. 2 StGB , wenn er - wie hier - in mehreren Kantonen ausgeführt wird, dort zu verfolgen, wo die Untersuchung zuerst angehoben worden ist (nichtveröffentlichte Entscheidungen der Anklagekammer vom 31. Oktober 1946 i.S. Rüttimann, vom 25. März 1959 i.S. Bern gegen Basel-Landschaft und vom 8. März 1960 i.S. Basel-Stadt gegen Zürich). Dieser Ort liegt im vorliegenden Falle im Kanton Aargau. Angehoben im Sinne von Art. 346 Abs. 2 StGB ( Art. 349 Abs. 2, Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ) ist eine Untersuchung schon mit dem Eingang einer Strafanzeige bei der zuständigen Behörde, insbesondere bei der gerichtlichen Polizei ( BGE 68 IV 6 , 53; BGE 71 IV 59 ; BGE 72 IV 95 ). Im Kanton Aargau ist Fischbach wegen in Aarau ausgeführter Betrugshandlungen am 13. Oktober 1959 bei der Kantonspolizei verzeigt worden, während in den anderen Kantonen Anzeigen gegen Fischbach erst später eingereicht wurden. 3. Nach Art. 263 BStP ( Art. 399 lit. e StGB ) kann die Anklagekammer allerdings einen anderen Gerichtsstand bestimmen. Von dieser Möglichkeit ist jedoch nach feststehender Rechtsprechung zurückhaltend Gebrauch zu machen. Die Überlegungen, die den gesetzlichen Gerichtsstand als unzweckmässig erscheinen lassen, müssen sich gebieterisch aufdrängen ( BGE 68 IV 6 Erw. 5; BGE 76 IV 207 /8; BGE 85 IV 206 Erw. 2). Im vorliegenden Falle trifft das nicht zu. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hält eine Überweisung an die Behörden des Kantons Basel-Stadt für angezeigt, weil auf diesen Kanton weit mehr Tatbestände entfallen als auf den Kanton Aargau. Ob das Verfahren im Kanton Basel-Stadt oder im Kanton Aargau BGE 86 IV 61 S. 64 durchgeführt wird, ändert jedoch nichts daran, dass zahlreiche auswärtige Fälle, die sich auf vier Kantone verteilen, einbezogen werden müssen. Freilich ist die Zahl der Fälle, die von anderen Kantonen übernommen werden müssen, erheblich grösser, wenn das Verfahren im Kanton Aargau durchgeführt wird, als wenn es an die baselstädtischen Behörden überwiesen würde. Das mag die Durchführung des Verfahrens erschweren, dürfte für sich allein jedoch keineswegs zu derartigen prozessualen Schwierigkeiten führen, dass sich deswegen ein Abweichen von der Ordnung des Art. 350 aufdrängen würde. Wäre, wie es die Gesuchsgegnerin annimmt, der Gerichtsstand vor allem so zu bestimmen, dass möglichst wenig auswärtige Fälle übernommen werden müssten, so würde dadurch der Anwendungsbereich des Art. 350 StGB erheblich eingeschränkt. Das widerspräche dem Sinn und Zweck des Art. 263 BStP , durch dessen Erlass die Möglichkeit des Abweichens vom gesetzlichen Gerichtsstand lediglich für ausserordentliche Fälle eingeräumt werden wollte (vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines BG über die Bundesstrafrechtspflege vom 10. September 1929, BBl 1929 II S. 634 f.; StenBull NatR 1932 S. 3, Votum des franz. Berichterstatters Rais). Die Annahme eines solchen kann nach der Rechtsprechung der Anklagekammer u.a. in Betracht fallen, wenn in einem anderen, als dem nach Art. 350 StGB zuständigen Kanton, ein ausgesprochenes Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit liegt (vgl. BGE 69 IV 40 Erw. 4; BGE 72 IV 96 ; BGE 73 IV 143 Erw. 3). Dass von zahlreichen gleichartigen Deliktshandlungen, die auch verschuldensmässig ungefähr gleich schwer wiegen, gut die Hälfte im gleichen Kanton ausgeführt wird, vermag für sich allein die Annahme eines solchen Schwergewichtes jedoch nicht ohne weiteres zu rechtfertigen, jedenfalls dann nicht, wenn - wie hier - auf den nach Art. 350 StGB zuständigen Kanton ein verhältnismässig grosser Teil der restlichen Fälle entfällt und der Angeschuldigte sich in vier Kantonen, teils sogar wiederholt, vergangen hat, BGE 86 IV 61 S. 65 bevor er seine deliktische Tätigkeit in jenes Kantonsgebiet verlegte, in das schliesslich die zahlenmässige Mehrheit der ihm zur Last gelegten Verfehlungen fällt. Im vorliegenden Falle wäre es übrigens selbst dann, wenn im Kanton Basel-Stadt offensichtlich das Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit läge, unzweckmässig, vom gesetzlichen Gerichtsstand (Aargau) abzuweichen und die Basler Behörden mit der weiteren Verfolgung des Fischbach zu betrauen. Da Fischbach im Kanton Aargau heimatberechtigt ist, dort auch ansässig war und in diesem Kanton überdies schon weit über zwanzig Strafverfahren gegen ihn durchgeführt wurden, bereitet die möglichst umfassende Abklärung seiner persönlichen Verhältnisse, der insbesondere auch im Hinblick auf die allfällige Anwendung des Art. 42 StGB besondere Bedeutung zukommt, offensichtlich am wenigsten Schwierigkeiten, wenn das Verfahren durch die aargauischen Behörden durchgeführt wird.
de
0d010309-b07c-4948-b72f-f9ace48899e3
Sachverhalt ab Seite 32 BGE 106 IV 31 S. 32 A.- Am 27. Juli 1972 wurde die FIWOBA AG mit Sitz in Zug gegründet. Sie bezweckte die Finanzierung von Bauvorhaben im In- und Ausland. Am 16. Oktober 1972 schloss sie mit dem in Deutschland wohnenden B. einen "Repräsentanzvertrag" ab, nach dem B. für alle Geschäfte in der Bundesrepublik Deutschland zuständig war. B. soll in der Folge die treibende Kraft in der FIWOBA AG gewesen sein, und er soll diese Firma beherrscht und in ihr die Stellung eines Direktors innegehabt haben. Am 29. Dezember 1972 verlegte die FIWOBA AG ihren Sitz nach Sarnen und am 8. März 1977 nach Biel, wo am 24. Januar 1978 über sie der Konkurs eröffnet wurde. Am 27. November 1979 erstattete ein Gläubiger beim Verhörrichteramt des Kantons Obwalden gegen B. Strafanzeige wegen Unterlassung der Buchführung im Sinne von Art. 166 StGB , betrügerischen Konkurses im Sinne von Art. 163 StGB und ungetreuer Geschäftsführung im Sinne von Art. 159 StGB . Die Strafkommission Obwalden und der Generalprokurator des Kantons Bern führten einen Schriftenwechsel über die Frage der interkantonalen Zuständigkeit. Eine Einigung kam nicht zustande. B.- Mit Eingabe an die Anklagekammer des Bundesgerichts vom 25. Februar 1980 beantragt die Strafkommission Obwalden, die Behörden des Kantons Bern seien für berechtigt und verpflichtet zu erklären, alle B. zur Last gelegten Verfehlungen zu verfolgen und zu beurteilen. Die Anklagekammer heisst das Gesuch gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. a) Dem Beschuldigten wird in der Strafanzeige unter dem Titel des betrügerischen Konkurses vorgeworfen: BGE 106 IV 31 S. 33 - er habe vom 1. Januar 1976 bis zur Konkurseröffnung vom 24. Januar 1978 einen Verlust von 1,5 Mio. Franken "erwirtschaftet"; wie dieser Verlust entstanden sei, lasse sich nicht feststellen; Belege oder Geschäftsbücher seien nicht vorhanden; offenbar seien diese entweder nie erstellt oder nachträglich beseitigt worden, um den Geschäftsgang der Gesellschaft zu verschleiern; es werde Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden sein, nach allfälligen Unterlagen zu suchen und diese sicherzustellen oder zu ermitteln, wohin das Gesellschaftsvermögen transferiert worden sei. - er habe nach der Konkurseröffnung und nachdem er vom Konkursamt aufgefordert worden sei, allfällige Aktiven der FIWOBA AG anzugeben, zwei Forderungen verheimlicht, welche der FIWOBA AG gegenüber einem ausländischen Schuldner und einer ausländischen Tochtergesellschaft zugestanden seien. b) Nach der Strafanzeige hat der Beschuldigte im Konkursverfahren die angeblichen Forderungen der FIWOBA AG von Deutschland aus verheimlicht. Der Erfolg seiner Verheimlichung trat am Orte ein, an dem der Konkurs durchgeführt wird, also in Biel. Dieser Ort ist demnach für die Bestimmung des interkantonalen Gerichtsstandes von Bedeutung (Art. 346 Abs. 1, 2. Satz StGB). Soweit dem Beschuldigten vorgeworfen wird, er habe in der Zeit vom 1. Januar 1976 bis zur Konkurseröffnung am 24. Januar 1978 betrügerische Handlungen im Sinne von Art. 163 Ziff. 1 StGB verübt, handelte er entweder am Sitz der Firma (vom 1. Januar 1976 bis 7. März 1977 in Sarnen, vom 8. März 1977 bis 24. Januar 1978 in Biel) oder wiederum von Deutschland aus, wobei dann der Erfolg ebenfalls am Sitz der Firma, also in den Kantonen Obwalden und Bern eingetreten wäre. c) Sind strafbare Handlungen, die mit derselben Strafe bedroht sind, an verschiedenen Orten verübt worden, so sind zu deren Verfolgung die Behörden jenes Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde ( Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ). Dieser Grundsatz muss analog gelten, wo verschiedene Straftaten im Ausland verübt und deshalb für die Beurteilung der Gerichtsstandsfrage nicht der Ort der Begehung, sondern gemäss Art. 346 Abs. 1, 2. Satz StGB derjenige des Erfolgseintritts massgebend ist. Wo der Täter im Ausland handelte und BGE 106 IV 31 S. 34 der Erfolg seiner Handlungen an verschiedenen Orten der Schweiz eintrat, müssen demnach zur Verfolgung die Behörden jenes Ortes zuständig sein, an dem ein Erfolg eintrat und die Untersuchung zuerst angehoben wurde. Die Strafanzeige wurde dem Verhörrichteramt des Kantons Obwalden eingereicht. Sie war nicht zum vornherein offensichtlich haltlos, so dass ihr Folge zu geben war. Mit dem Eingang der Strafanzeige beim Verhörrichteramt Obwalden hatte demnach die Untersuchung als angehoben zu gelten ( BGE 98 IV 63 , BGE 86 IV 63 E. 2, BGE 75 IV 140 /41). Für die Verfolgung und Beurteilung des Beschuldigten wären deshalb grundsätzlich die Behörden des Kantons Obwalden zuständig. Nach der bisherigen Praxis des Bundesgerichts sind Konkursdelikte von den Behörden jenes Ortes zu verfolgen, an dem der Schuldner zur Zeit der Begehung seinen Wohnsitz oder Geschäftssitz hatte, auch wenn der Konkurs an einem andern Orte eröffnet worden ist ( BGE 81 IV 64 ). Fällt eine Gesellschaft in Konkurs und handelte der Täter im Ausland, wird in der Regel anzunehmen sein, der Erfolg sei am Geschäftssitz der Gesellschaft eingetreten, so dass dieser in analoger Anwendung der erwähnten Praxis für die Bestimmung des Gerichtsstands massgebend ist. Diese Überlegungen führen im vorliegenden Fall an sich ebenfalls zur Zuständigkeit der Behörden des Kantons Obwalden. 4. a) An dieser Rechtsprechung kann indessen nicht festgehalten werden. Die Art. 163-172 StGB schützen einerseits die Gläubiger und wahren anderseits die Interessen der Zwangsvollstreckung als eines Bestandteils der Rechtspflege im weitesten Sinn (THORMANN-OVERBECK, N. 1, und LOGOZ, N. 2 zu den Vorbemerkungen zu Art. 163- 172 StGB ). Bei mehreren Verfehlungen muss der Täter an einem Orte verfolgt und beurteilt werden, weil nur auf diese Weise eine Gesamtbeurteilung möglich ist (HAFTER, Besonderer Teil, 1. Hälfte, S. 343/44; CASPAR, Betrügerischer Konkurs, Pfändungsbetrug, leichtsinniger Konkurs und Vermögensverfall gemäss Art. 163-165 StGB , in ZStR 87/1971, S. 43). Zu prüfen ist, welches dieser Ort sein soll. b) Soweit die genannten Bestimmungen das normale Funktionieren der Zwangsvollstreckung schützen, drängt sich eine Verfolgung an jenem Orte auf, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, vor deren Einleitung BGE 106 IV 31 S. 35 die fraglichen Delikte gar nicht verfolgt werden können. Soweit sie die Gläubigerinteressen schützen, ist zu beachten, dass eine strafbare Bankrotthandlung nur vorliegt, wenn die Verminderung des Schuldnervermögens den Gläubigern "im Hinblick auf ihre Befriedigung in der Zwangsvollstreckung" objektiv zum Nachteil gereicht ( BGE 97 IV 22 ). Art. 163 StGB dient nicht dem Schutz der Forderung des Gläubigers als solcher, sondern nur dem Schutz seines Anspruchs, sich für seine Forderung aus dem vorhandenen Vermögen des Schuldners auf dem Wege der Zwangsvollstreckung zu befriedigen. Der Nachteil des Gläubigers besteht darin, dass sein Zugriffsrecht im Konkurs verletzt wird (CASPAR, a.a.O., S. 12, 13 und 29). Es liegt deshalb für die Durchführung der Strafverfolgung auch diesbezüglich eine enge Bindung zum Konkursort vor, an dem der Gläubiger sein Zugriffsrecht ausüben muss. Schon in der früheren Literatur und Rechtsprechung wurde die Meinung vertreten, Konkursdelikte seien als am Ort der Konkurseröffnung begangen zu betrachten. HAFTER schrieb, man könne dies als eine zwar für die Praxis zurechtgemachte, aber doch zweckmässige Fiktion gelten lassen (Besonderer Teil, 1. Hälfte, S. 343/44). In der Tat erscheint es als zweckmässiger, die Konkursdelikte jedenfalls dann, wenn der Sitz der Firma und der Ort der Konkurseröffnung zusammenfallen, was die Regel ist, allgemein an diesem Orte verfolgen und beurteilen zu lassen, es sei denn, der Konkurs sei an einem Ort eröffnet worden, wo die Gesellschaft nur einen rein fiktiven Sitz hatte. An diesem Ort (Sitz der Firma) befinden sich in der Regel alle Akten, auf welche in der Untersuchung zurückgegriffen werden muss. An diesem Ort oder in dessen Nähe wohnen in der Regel auch die Zeugen, die in der Untersuchung zu befragen sind. Und an diesem Ort ist schliesslich die Konkursverwaltung, von der in der Strafuntersuchung unter Umständen ebenfalls wichtige Aufschlüsse zu erhalten sind. Art. 163 StGB ist zudem ein Offizialdelikt. Aus Verfehlungen in diesem Sinne wird nicht ein einzelner Gläubiger, der eine Strafanzeige gestellt hat, sondern die Gesamtheit der Gläubiger geschädigt, die unter Umständen in verschiedenen Kantonen wohnen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es gerechtfertigt, den Ort des Konkursverfahrens als gemeinsamen Erfolgsort anzusehen und die Behörden dieses Kantons mit der Durchführung der Strafverfolgung zu beauftragen. Das führt im vorliegenden Fall zur Zuständigkeit BGE 106 IV 31 S. 36 des Kantons Bern, wo der Konkurs über die FIWOBA AG eröffnet worden ist.
de
8a6c4fe7-6bad-4e74-931b-09e3bf591dc8
Sachverhalt ab Seite 75 BGE 90 IV 74 S. 75 A.- Am 14. Juni 1963 gegen 13 Uhr erkundigte sich Ritler am Auskunftsschalter der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals Luzern, wo Krummenacher liege, der tags zuvor einen schweren Schiessunfall erlitten hatte. Die diensttuende Kanzleigehilfin Gut nannte ihm die Zimmernummer, sagte ihm aber, die Patienten schliefen über Mittag, und wies ihn an, die Abteilungsschwester zu fragen, ob er Krummenacher besuchen dürfe. Da Ritler diese Schwester nicht sogleich fand und an der Zimmertüre kein Besuchsverbot angeschlagen war, trat er ein, unterhielt sich mit Krummenacher über dessen persönliche Verhältnisse und den Unfall und photographierte ihn gegen seinen Willen. Am folgenden Tag erschien im "Blick" ein bebilderter Bericht über diesen Besuch. B.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern, das Kantonsspital Luzern, vertreten durch den Verwalter Gunz, und Dr. Lehner, der Vorsteher und Chefarzt der Chirurgischen Klinik, stellten innert der Frist von Art. 29 StGB Antrag auf Bestrafung Ritlers wegen Hausfriedensbruchs. BGE 90 IV 74 S. 76 In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht Luzern-Stadt hat das Obergericht des Kantons Luzern (II. Kammer) Ritler mit Urteil vom 7. April 1964 des Hausfriedensbruchs im Sinne von Art. 186 StGB schuldig erklärt, ihn zu zehn Tagen Gefängnis und einer Busse von Fr. 200.-- verurteilt und ihm für die Freiheitsstrafe den bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von zwei Jahren gewährt. C - Gegen dieses Urteil führt Ritler Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen. Erwägungen Der Kassationshof zieht in Erwägung: 1. Hausfriedensbruch wird gemäss Art. 186 StGB nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist nach Art. 28 Abs. 1 StGB der durch die Tat Verletzte, d.h. der Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes ( BGE 86 IV 82 mit Hinweisen, BGE 87 IV 121 ). Art. 186 StGB schützt das Hausrecht, nämlich die Befugnis, über einen bestimmten Raum ungestört zu herrschen und in ihm den eigenen Willen frei zu betätigen. Träger dieses Rechts ist derjenige, dem die Verfügungsgewalt über den Raum zusteht, gleichgültig, ob sie auf einem dinglichen oder obligatorischen Recht oder auf einem öffentlichrechtlichen Verhältnis beruht ( BGE 83 IV 156 , BGE 87 IV 121 ). Das Kantonsspital Luzern ist eine öffentlichrechtliche Anstalt des Kantons Luzern. Dieser übt die Verfügungsgewalt über die Spitalräume durch die hiefür zuständigen leitenden Organe aus. Welches diese Organe sind, bestimmt das kantonale Recht. Der Beschwerdeführer macht daher mit Recht nicht geltend, das Obergericht habe eidgenössisches Recht im Sinne von Art. 269 Abs. 1 BStP verletzt, indem es die Befugnis, seine Bestrafung wegen Hausfriedensbruchs durch Eindringen in ein Krankenzimmer der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals zu beantragen, sowohl dem Regierungsrat als dem obersten kantonalen Verwaltungsorgan als auch dem Spitalverwalter und dem Vorsteher und Chefarzt der Chirurgischen Klinik zubilligte. BGE 90 IV 74 S. 77 2. Wegen Hausfriedensbruchs ist nach Art. 186 StGB u.a. strafbar, wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, eine Wohnung oder einen abgeschlossenen Raum eines Hauses unrechtmässig eindringt. a) Der Beschwerdeführer bestreitet mit Recht nicht, dass das Krankenzimmer, dessen Betreten ihm vorgeworfen wird, ein abgeschlossener Raum im Sinne von Art. 186 StGB ist. Das Gesetz fordert nicht, dass der Raum durch ein verriegeltes Schloss gesperrt sei, sondern es genügt, dass es sich um einen umschlossenen Raum handelt. b) Der Wille des Berechtigten, dass jemand in einen bestimmten Raum nicht eindringen soll, kann nicht nur vom Berechtigten selber bzw., wenn dieser eine juristische Person ist, von deren Organen, sondern auch von blossen Angestellten des Berechtigten gültig zum Ausdruck gebracht werden. Dieser Wille braucht im übrigen nicht notwendigerweise ausdrücklich erklärt zu werden, sondern kann sich auch aus den Umständen ergeben (HAFTER, Besonderer Teil, S. 111, LOGOZ N. 4 a aa zu Art. 186 StGB ). Indem die Kanzleigehilfin Gut Ritler darauf aufmerksam machte, dass für die Kranken Ruhezeit sei, und ihn anwies, die Abteilungsschwester zu fragen, ob er Krummenacher besuchen dürfe, verbot sie ihm den geplanten Besuch grundsätzlich. Eine Ausnahme machte sie nur für den Fall, dass die Schwester den Besuch gestatten sollte. Diese Anordnungen der Angestellten Gut haben als Ausdruck des Willens der Organe der Krankenanstalt zu gelten. Sie waren zumal im Hinblick darauf, dass seit dem schweren Unfall Krummenachers erst ein Tag vergangen war, durchaus sachgemäss. Dass Krummenacher nicht in einem Saal der Allgemeinen Abteilung, sondern in einem Privatzimmer mit zwei Betten lag, ändert hieran nichts. Für einen vernünftigen und anständigen Menschen, der wie Ritler den Zeitpunkt und die Schwere des Krummenacher widerfahrenen Unfalls kannte, ergab sich übrigens auch ohne besonderen Hinweis schon aus den Umständen, BGE 90 IV 74 S. 78 dass Krummenacher am fraglichen Tage nach dem Willen der Spitalorgane jedenfalls von Fremden nicht oder doch nicht ohne besondere Bewilligung besucht werden durfte. Eine solche Bewilligung hat Ritler nicht eingeholt. Der Umstand, dass er die Abteilungsschwester nicht sogleich fand und dass an der Türe des betreffenden Zimmers kein Besuchsverbot angeschlagen war, erlaubte ihm keineswegs, sich über das für ihn geltende Erfordernis einer Bewilligung hinwegzusetzen. Indem Ritler das Zimmer Krummenachers ohne Bewilligung betrat, ist er also im Sinne von Art. 186 StGB gegen den Willen des Berechtigten in diesen Raum eingedrungen. c) Mit dem Tatbestandserfordernis der Unrechtmässigkeit des Eindringens will Art. 186 StGB von der Bestrafung wegen Hausfriedensbruchs die Personen ausnehmen, die befugt sind, auch gegen den Willen des Berechtigten in dessen Räume einzudringen (Urteil des Kassationshofes vom 17. März 1949 i.S. Crivelli gegen Morellini). Eine solche Befugnis kann sich namentlich aus der Amtspflicht, unter Umständen aber auch aus dem Privatrecht ergeben (Beispiel: die Befugnis des Vermieters, zur Vornahme einer dringenden Ausbesserung im Sinne von Art. 256 OR gegen den Willen des Mieters in die Mieträume einzudringen, wenn amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt werden kann). Auf ein derartiges besseres Recht vermag sich Ritler nicht zu berufen. Nichts erlaubte ihm, gegen den Willen der Spitalorgane in das Zimmer Krummenachers einzudringen. Sein Vorgehen war also unrechtmässig. Nach alledem ist der Tatbestand des Hausfriedensbruchs in objektiver Hinsicht erfüllt. 3. Hausfriedensbruch ist nur strafbar, wenn er vorsätzlich verübt wird (Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 StGB ). Vorsätzlich verübt ist nach Art. 18 Abs. 2 StGB die mit Wissen und Willen ausgeführte Tat. Zum Wissen, das hienach neben dem (bei Ritler zweifellos vorhandenen) Willen zur Tat erforderlich ist, gehört im BGE 90 IV 74 S. 79 Falle des Hausfriedensbruchs das Bewusstsein, dass das Eindringen gegen den Willen des Berechtigten erfolgt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts, die mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden können, sondern für den Kassationshof verbindlich sind (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277bis Abs. 1 BStP), handelte Ritler in diesem Bewusstsein. Sein Verhalten erfüllt also auch in subjektiver Beziehung den Tatbestand von Art. 186 StGB . 4. Die Festsetzung der Strafe innerhalb des gesetzlichen Rahmens ist Sache des richterlichen Ermessens ( Art. 63 StGB ). Das Bundesgericht darf in diesem Punkte nur eingreifen, wenn der kantonale Richter das ihm zustehende Ermessen überschritten hat ( BGE 78 IV 72 Erw. 2, BGE 81 IV 46 /47 und 123 Erw. 6). Von einem solchen Verstoss kann hier angesichts der Unverfrorenheit und Einsichtslosigkeit des Täters nicht die Rede sein.
de
66acb5fe-88ed-41eb-88f5-0e1386a9bc9d
Sachverhalt ab Seite 554 BGE 141 III 554 S. 554 A. Mit Urteil vom 17. Dezember 2014 verpflichtete das Bezirksgericht Zürich B. (Beklagter, Berufungskläger, Beschwerdegegner) zur Zahlung von Fr. 3'895'207.80 nebst Zins an die A. AG (Klägerin, Berufungsbeklagte, Beschwerdeführerin). Gegen dieses Urteil erhob B. Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich. Mit Verfügung vom 9. März 2015 setzte das Obergericht der Berufungsbeklagten die Frist von 30 Tagen nach Art. 312 Abs. 2 ZPO zur Einreichung einer Berufungsantwort an. Diese Frist stand vom siebten Tag vor Ostern (5. April 2015) bis und mit dem siebten Tag nach Ostern still ( Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO ). BGE 141 III 554 S. 555 B.
de
0c861ed9-b54a-47b3-9ed8-5ccda1862e72
Sachverhalt ab Seite 302 BGE 141 III 302 S. 302 A. A. und B. heirateten im Jahre 1990. Aus ihrer Ehe gingen zwei Kinder (geb. 1992 und 2005) hervor. Seit 1. April 2009 leben die Parteien getrennt. Das Getrenntleben wurde gerichtlich geregelt. B. Am 4. November 2010 reichten die Parteien beim Bezirksgericht Baden einen gemeinsamen Scheidungsantrag ein. Zugleich ersuchte B. um unentgeltliche Rechtspflege. Am 12. November 2010 ersuchte A. ebenfalls um unentgeltliche Rechtspflege. Am 13. Januar 2011 stellte B. Anträge zu den Scheidungsfolgen. Unter anderem verlangte er, A. zur Bezahlung eines angemessenen Prozesskostenvorschusses (mindestens Fr. 6'000.-) zu verpflichten und ihm eventualiter die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. BGE 141 III 302 S. 303 Am 29. April 2011 wies das Bezirksgericht das Gesuch von A. um unentgeltliche Rechtspflege ab, ebenso die Gesuche von B. um Prozesskostenvorschuss und um unentgeltliche Rechtspflege. Am 11. Mai 2011 stellte A. Anträge zu den Scheidungsfolgen. Am 21. August 2012 ersuchte B. (wiedererwägungsweise) um nochmalige Prüfung seiner Gesuche um Prozesskostenvorschuss sowie (eventualiter) unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Mit Entscheid vom 12. Oktober 2012 schied das Bezirksgericht die Ehe und regelte die Scheidungsfolgen. Ausserdem änderte es die Verfügung vom 29. April 2011 ab und verpflichtete A., B. einen Prozesskostenvorschuss von Fr. 6'000.- zu bezahlen. C. Gegen diesen Entscheid erhoben am 19. November 2012 sowohl B. wie auch A. Berufung an das Obergericht des Kantons Aargau. B. wandte sich einzig gegen die ihm auferlegte güterrechtliche Ausgleichszahlung. Zudem verlangte er einen Prozesskostenvorschuss von Fr. 16'043.- und eventualiter die Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege und Verbeiständung für das Berufungsverfahren. A. wandte sich gegen die erstinstanzliche Unterhaltsregelung. Sie ersuchte um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das Berufungsverfahren. Das Obergericht verwies B. für den Prozesskostenvorschuss an das Bezirksgericht, welches das Gesuch am 10. April 2013 abwies. Am 17. Juni 2013 erstattete A. die Berufungsantwort und erhob zugleich Anschlussberufung. Mit der Anschlussberufung verlangte sie die Aufhebung des bezirksgerichtlichen Urteils hinsichtlich der ihr auferlegten Pflicht zur Zahlung eines Prozesskostenvorschusses an B. Am 17. Juni 2013 beantragte B. die Abweisung der Berufung von A. Am 21. August 2013 beantragte er zudem, auf die Anschlussberufung nicht einzutreten und sie allenfalls abzuweisen. Mit Verfügungen vom 15. Oktober 2013 wies das Obergericht die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ab. Mit Entscheid vom 20. August 2014 trat das Obergericht auf die Anschlussberufung von A. nicht ein. Die Berufung von B. wies es ab und diejenige von A. ebenfalls, soweit darauf einzutreten war. D. Am 13. Oktober 2014 hat A. (Beschwerdeführerin) Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Sie wendet sich BGE 141 III 302 S. 304 wiederum gegen die Unterhaltsregelung. Ausserdem verlangt sie, die Anordnung des Bezirksgerichts aufzuheben, mit der sie zur Zahlung eines Prozesskostenvorschusses an B. (Beschwerdegegner) verpflichtet worden ist, und die Sache insoweit allenfalls an das Obergericht zurückzuweisen. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. B. ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zur Beurteilung der Anschlussberufung an das Obergericht zurück. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, dass das Obergericht auf ihre Anschlussberufung hätte eintreten müssen. 2.1 Für das Obergericht ist einerseits bereits im Grundsatz ausgeschlossen, dass eine Partei, die selbständig Berufung erhoben hat, eine Anschlussberufung an die Berufung der Gegenpartei erheben kann. Dies entspreche der früheren aargauischen ZPO (Zivilrechtspflegegesetz vom 18. Dezember 1984 [Zivilprozessordnung, ZPO/AG; ehemals SAR 221.100]) und der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Berufung gemäss dem früheren OG (unter Hinweis auf Urteil 4C.276/2001 vom 26. März 2002 E. 1), woran sich mit der schweizerischen ZPO nichts geändert habe. Andererseits sei es jedenfalls unzulässig, mit der Anschlussberufung die eigene Hauptberufung zu verbessern. Die Beschwerdeführerin habe jedoch bereits in ihrer Hauptberufung den Prozesskostenvorschussentscheid des Bezirksgerichts bemängelt, einen diesbezüglichen Antrag aber erst mit der Anschlussberufung gestellt. 2.2 Art. 313 Abs. 1 ZPO bestimmt, dass die Gegenpartei in ihrer Berufungsantwort Anschlussberufung erheben kann. Die Anschlussberufung ist das Rechtsmittel, mit dem der Berufungsbeklagte in einem vom Berufungskläger bereits eingeleiteten Berufungsverfahren beantragt, dass der angefochtene Entscheid zuungunsten des Berufungsklägers abgeändert wird. Die Anschlussberufung ist nicht auf den Gegenstand der Berufung beschränkt und kann sich demnach auf einen beliebigen, mit diesem nicht notwendig in Zusammenhang stehenden Teil des Urteils beziehen ( BGE 138 III 788 E. 4.4 S. 790 f.). Sie hat jedoch keine selbstständige Wirkung: Zieht die Gegenpartei BGE 141 III 302 S. 305 (der Berufungskläger) die Berufung zurück, fällt die Anschlussberufung dahin. Die Anschlussberufung ist deshalb ein Verteidigungs- oder Gegenangriffsmittel bzw. eine Option zum Gegenangriff der berufungsbeklagten Partei (Urteil 4A_241/2014 vom 21. November 2014 E. 2.2; Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7374 Ziff. 5.23.1 zu Art. 309 und 310 des Entwurfs). 2.3 Die ZPO äussert sich nicht ausdrücklich dazu, ob diejenige Partei, die selber Berufung erhoben hat, auf die Berufung der Gegenpartei mit einer Anschlussberufung reagieren kann. Das Bundesgericht hat die Frage unlängst noch offenlassen können (Urteil 4A_241/2014 vom 21. November 2014 E. 2.3 und 2.4). Sie ist nunmehr zu klären. Die Materialien sind dazu - soweit ersichtlich - unergiebig (vgl. immerhin BENEDIKT SEILER, Die Berufung nach ZPO, 2013, Rz. 1448 i.f. mit Hinweis auf befürwortende Äusserungen in der Expertenkommission). In der Lehre ist die Frage umstritten: Ein Teil der Autoren ist (unter Bezugnahme auf die ehemaligen kantonalen Zivilprozessordnungen sowie die kantonale Praxis) der Ansicht, dass eine Anschlussmöglichkeit in diesen Fällen zu bejahen ist. Eine Anschlussberufung sei trotz der Erhebung einer selbstständigen Berufung zulässig, da die betreffende Partei mit einer Hauptberufung der Gegenpartei konfrontiert wird, deren Anträge sie im Zeitpunkt der Abfassung ihrer eigenen Hauptberufungsanträge noch nicht habe kennen können. Entsprechend sei die Partei auch nicht in der Lage, durch Rückzug ihrer eigenen Hauptberufung die Hauptberufung der Gegenpartei zu Fall zu bringen, und habe daher den Verlust ihres Teilerfolges vor erster Instanz zu befürchten. Die Partei sei Hauptberufungskläger und Hauptberufungsbeklagter, was sie zur Anschlussberufung legitimiere. Die Tatsache der Erhebung einer eigenen Hauptberufung bringe (nur) zum Ausdruck, dass eine Partei mit dem erstinstanzlichen Entscheid nicht einverstanden sei; gerade deshalb sollte eine Hauptberufung führende Partei nicht schlechter gestellt werden, als eine Partei, welche überhaupt keine eigene Hauptberufung ergriffen habe und mit dem erstinstanzlichen Entscheid grundsätzlich einverstanden gewesen wäre. Es entspreche denn auch einem praktischen Bedürfnis, auf eine Hauptberufung der Gegenpartei adäquat reagieren zu können, was denn auch der Zweck des Instituts der Anschlussberufung überhaupt sei. Welcher Art dieses Bedürfnis sei, zeige sich jedoch erst nach Zustellung der Hauptberufung der BGE 141 III 302 S. 306 Gegenpartei, weshalb es einem berechtigten Parteiinteresse entspreche, im Rahmen der Berufungsantwort auf die Hauptberufung der Gegenpartei noch weitere Anträge zu stellen, welche über die Anträge in der (bereits erklärten) eigenen Hauptberufung hinausgehen (REETZ/HILBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 14 zu Art. 313 ZPO ; IVO W. HUNGERBÜHLER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2011, N. 7 zu Art. 313 ZPO ; SEILER, a.a.O., Rz. 1426, 1448 f.; BEAT MATHYS, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 6 zu Art. 313 ZPO ; KARL SPÜHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 12 zu Art. 313 ZPO ; OLIVER M. KUNZ, in: ZPO-Rechtsmittel, Berufung und Beschwerde, Kommentar zu den Art. 308-327a ZPO , 2013, N. 17 zu Art. 313 ZPO ; VALENTIN RÉTORNAZ, L'appel et le recours, in: Procédure civile suisse, Les grands thèmes pour le praticien, Bohnet [Hrsg.], 2010, Rz. 188; zum früheren kantonalen Recht bejahend FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1997, N. 3 zu § 266 ZPO /ZH; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, 1999, N. 1c zu Art. 232 ZPO /SG). Nicht zulässig sei es jedoch, einer unzureichend begründeten selbstständigen Berufung unter dem Vorwand einer Anschlussberufung eine verbesserte Begründung nachzuschieben (HUNGERBÜHLER, a.a.O., N. 7 zu Art. 313 ZPO ). Einschränkend wird auch geltend gemacht, dass Raum für eine Anschlussberufung nur bestehe, wenn sich die Hauptberufungen auf unterschiedliche Teile des Entscheiddispositivs beziehen. Wenn eine Partei mit der Hauptberufung hingegen die Erhöhung des von der Vorinstanz Zugesprochenen verlange und die Gegenpartei mit Hauptberufung die Abweisung der Klage, dann bestehe kein Raum für eine Anschlussberufung (SEILER, a.a.O., Rz. 1448). Demgegenüber vertritt MARTIN H. STERCHI die Meinung, eine zusätzliche Anschlussberufung des Berufungsklägers zur Unterstützung oder Erweiterung der eigenen Hauptberufung bleibe unzulässig, wie dies bereits nach verbreiteter bisheriger Auffassung zu den kantonalen Zivilprozessordnungen sowie der bundesgerichtlichen Praxis der Fall gewesen sei, da dies auf eine nachträgliche Erweiterung der Berufungsanträge hinauslaufen würde (unter anderem mit Hinweis auf Urteil 4C.276/2001 vom 26. März 2002 E. 1; LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, BGE 141 III 302 S. 307 5. Aufl. 2000, N. 3b zu Art. 340 ZPO /BE; JEAN-FRANÇOIS POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, 1990, N. 2.2.1 zu Art. 59 und 61 OG , zur früheren bundesrechtlichen Berufung; ablehnend im Übrigen auch die frühere Aargauer Praxis, vgl. dazu BÜHLER/EDELMANN/KILLER, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 1998, N. 3 zu § 325 ZPO /AG, die dies allerdings bedauern). Obwohl die ZPO diese Frage nicht explizit regle - so Sterchi weiter -, ergebe sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber von der bisherigen Praxis habe abweichen und die Anschlussmöglichkeiten habe erweitern wollen. Im Interesse der Klarheit und der Verfahrensbeschleunigung gelte somit der Grundsatz, dass die Partei, die Berufung einlege, sich von Anfang an abschliessend und verbindlich festlegen müsse, welche Änderungen gegenüber dem erstinstanzlichen Entscheid sie vor oberer Instanz verlange. Hingegen scheine es zulässig, die eigene Hauptberufung nach Kenntnisnahme der gegnerischen Hauptberufung in eine Anschlussberufung umzuwandeln, da dies eine teilweise Rücknahme der eigenen Position bedeute, auch wenn die Anschlussberufung als solche nicht auf den Gegenstand der eigenen Hauptberufung beschränkt sei. Letztere gelte somit als zurückgezogen (MARTIN H. STERCHI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 4 f. zu Art. 313 ZPO ). Das Bundesgericht hat im Rahmen der ehemaligen bundesrechtlichen Berufung die Anschlussberufung einer Partei, die bereits selber Berufung erhoben hatte, für unzulässig erklärt, da dies auf eine Erstreckung der Berufungsfrist hinauslaufen würde (Urteil 4C.276/2001 vom 26. März 2002 E. 1) bzw. weil eine Partei das Recht zur Weiterziehung nicht zweimal ausüben könne ( BGE 62 II 46 E. 1). 2.4 Aus dem Gesagten ergibt sich Folgendes: Der Wortlaut von Art. 313 ZPO steht einer Anschlussberufung nach erfolgter eigener Hauptberufung nicht entgegen. Die früheren Prozessordnungen auf kantonaler und Bundesebene kannten verschiedene Lösungen. Entgegen dem von STERCHI und auch von der Vorinstanz eingenommenen Standpunkt kann deshalb nicht davon gesprochen werden, dass der Gesetzgeber in diesem Bereich nichts ändern wollte, zumal sich den Materialien keine Hinweise entnehmen lassen, welche der bisherigen Lösungen der eidgenössischen ZPO allenfalls als Vorbild gedient hätten. Im Vordergrund muss deshalb eine an Sinn und Zweck der Anschlussberufung orientierte Auslegung stehen. Dabei vermögen die von den Befürwortern der Zulassung einer Anschlussberufung angeführten BGE 141 III 302 S. 308 Gründe zu überzeugen. Die Anschlussberufung ist - wie bereits gesagt (E. 2.2) - ein Verteidigungs- bzw. Gegenangriffsmittel einer Partei, die sich mit einer Hauptberufung der Gegenpartei konfrontiert sieht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine Partei, die noch keine eigene Hauptberufung erhoben hat, sich dieses Mittels bedienen können soll, eine Partei, die dies getan hat, jedoch nicht. Es besteht kein zwingender Anlass, dass eine Partei nur die eine oder die andere Art der Anfechtung wählen kann und eine Kumulation ausgeschlossen sein soll (so noch BGE 62 II 46 E. 1), wobei die Partei darüber zu einem Zeitpunkt zu entscheiden hätte, in dem sie noch nicht wissen kann, ob und inwiefern die Gegenseite das Urteil anfechten wird. Dies liefe auf die Einführung eines aleatorischen Elements hinaus. Zwar wohnen allen Prozessen gewisse aleatorische Elemente inne, doch besteht kein Grund, ein solches ohne Not einzuführen. Die Möglichkeit zur Kumulation rechtfertigt sich des Weiteren dadurch, dass Hauptberufung und Anschlussberufung nicht dieselben Ziele verfolgen und sich in ihren Wirkungen unterscheiden: Die Hauptberufung zielt direkt gegen den angefochtenen Entscheid; die Anschlussberufung zielt gegen die Hauptberufung der anderen Partei, wobei die Anfechtung des erstinstanzlichen Entscheids Mittel zu diesem Zweck darstellt (vgl. oben E. 2.2). Während die Partei mit einer Hauptberufung kundtut, dass sie in der einen oder anderen Weise mit dem angefochtenen Entscheid nicht einverstanden ist, so tut sie dies mit der Anschlussberufung nicht direkt, sondern nur in Abhängigkeit von der Hauptberufung der Gegenpartei. Durch den Verzicht auf die Hauptberufung in einem bestimmten Punkt hat sie zu erkennen gegeben, dass sie sich insoweit mit dem angefochtenen Entscheid abfinden könnte. Auch wenn sie allenfalls damit nicht völlig einverstanden ist, kann sie beispielsweise auf eine Berufung in einem bestimmten Punkt verzichten, um eine weitere Verlängerung des Prozesses zu verhindern oder weitere Kosten zu vermeiden. Eine Stellungnahme, wie sie auf eine allfällige Hauptberufung der Gegenpartei reagieren würde, ist damit jedoch nicht verbunden. Vielmehr können die Motive, die sie zum (teilweisen) Verzicht auf die Hauptberufung bewogen haben, angesichts der gegnerischen Hauptberufung ihre Bedeutung verloren haben (vgl. BGE 138 III 788 E. 4.4 S. 790 f.). Darüber, wie auf die Hauptberufung zu reagieren ist (ob mit blosser Berufungsantwort oder mit Anschlussberufung), kann - wie bereits gesagt - die Partei erst entscheiden, wenn die Gegenpartei tatsächlich Hauptberufung erhoben hat. Es besteht BGE 141 III 302 S. 309 kein Grund, einer Partei diese differenzierte Reaktionsmöglichkeit bloss deswegen vorzuenthalten, weil sie sich mit dem angefochtenen Entscheid ursprünglich - beim Entscheid über die eigene Hauptberufung - nicht komplett, sondern bloss teilweise abgefunden hat. Den genannten unterschiedlichen Zielsetzungen entsprechen unterschiedliche Wirkungen von Haupt- und Anschlussberufung: Die Anschlussberufung ist von der Hauptberufung der Gegenseite abhängig. Sie fällt dahin, wenn die Gegenseite ihre Hauptberufung zurückzieht ( Art. 313 Abs. 2 lit. c ZPO ; BGE 138 III 788 E. 4 S. 789 ff.). Die Anschlussberufung hat damit ihren Hauptzweck erfüllt, so viel Druck auf die Gegenseite aufzubauen, dass das angefochtene Urteil im fraglichen Punkt unverändert bleibt. Auch anderweitig bleibt die Anschlussberufung vom Schicksal der Hauptberufung abhängig ( Art. 313 Abs. 2 lit. a und b ZPO ; vgl. dazu etwa STERCHI, a.a.O., N. 18 f. zu Art. 313 ZPO ). Auch wenn eine Partei bereits Berufung erhoben hat, kann sie je nach den Umständen ein Interesse daran haben, durch eine Anschlussberufung entsprechend Druck auf die Gegenpartei aufzubauen, damit diese ihre eigene Hauptberufung zurückzieht. Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen und Funktionsweisen von Haupt- und Anschlussberufung kann somit nicht gesagt werden, die Erhebung einer Anschlussberufung in einem Fall wie dem vorliegenden laufe auf eine blosse Verbesserung der Hauptberufung bzw. eine Verlängerung der Berufungsfrist hinaus (vgl. BGE 138 III 788 E. 4.4 S. 791 und sogleich E. 2.5). In der Zulassung der Anschlussberufung nach eigener Hauptberufung liegt keine Ungleichbehandlung der Parteien, wie die Vorinstanz befürchtet: Beiden Parteien, die Hauptberufung erhoben haben, steht es grundsätzlich frei, je Anschlussberufung zu erheben. Beide Parteien können sich damit grundsätzlich in der gleichen Weise und gleich oft äussern, wobei die Möglichkeit zur Anschlussberufung unter der Bedingung der Erhebung einer Hauptberufung durch die Gegenseite steht. Mit der vorliegenden Lösung haben beide Parteien die jeweils gleichen Handlungsmöglichkeiten: In einem ersten Schritt kann jede über die selbständige Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils befinden, und sodann - wenn die Gegenseite Berufung erhoben hat - in einem zweiten Schritt über ihre Reaktion auf die gegnerische Berufung. Die Vorinstanz sieht die Ungleichbehandlung allerdings darin, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden die anschlussberufungsbeklagte Seite auf die Anschlussberufung der Gegenseite hin keine eigene Anschlussberufung erheben kann (im BGE 141 III 302 S. 310 Anschluss an BGE 62 II 46 E. 1 S. 47 f.). Diese Auffassung basiert auf der Prämisse, dass die Anschlussberufung eine Verbesserung der Hauptberufung darstellt. Wie soeben gezeigt, trifft dies jedoch nicht zu. Es ist sodann zwar richtig, dass der Hauptberufungskläger, nachdem er von der Anschlussberufung der Gegenseite erfahren hat, nach Fristablauf nicht mehr mit einer Ausweitung seiner Hauptberufung oder mit einer Anschlussberufung auf die Anschlussberufung reagieren kann (vgl. dazu REETZ/HILBER, a.a.O., N. 13 zu Art. 313 ZPO ). Dies stellt jedoch keine Ungleichbehandlung der Parteien dar, sondern dient der klaren Trennung der Funktionen von Haupt- und Anschlussberufung. Beide Rechtsmittel können grundsätzlich nur je einmal erhoben werden. Dieser Beschränkung kommt prozessökonomische Funktion zu, indem ein ausufernder Schriftenwechsel mit der Möglichkeit zur immer weitergehenden Ausdehnung der Anträge, die zudem in einem komplizierten Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, verhindert wird. Dieser Beschränkung müssen sich die Parteien bewusst sein: Wer Hauptberufung führt, muss von Anfang an damit rechnen, dass die Gegenseite Anschlussberufung führen könnte und dass er selber bei Eintreten dieses Falles nicht durch eine Ausweitung der Hauptberufungsanträge reagieren kann (sondern nur und allenfalls selber Anschlussberufung erheben kann, wenn die Gegenseite zuvor Berufung erhoben hat). Dass die Verfahren durch die Zulassung der Anschlussberufung nach Erhebung einer eigenen Hauptberufung unnötig kompliziert würden, ist nicht zu befürchten. Die oberen kantonalen Gerichte sehen sich dadurch - bei zwei Beteiligten - maximal zwei Haupt- und zwei Anschlussberufungen gegenüber. 2.5 Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin allerdings vorgehalten, mit ihrer Anschlussberufung ihre Berufung zu verbessern, was unzulässig sei. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Anschlussberufung beantragt, die ihr vom Bezirksgericht auferlegte Verpflichtung zur Zahlung eines Prozesskostenvorschusses aufzuheben. Tatsächlich hat sie sich bereits in der Berufung zu diesem Punkt geäussert und das erstinstanzliche Urteil kritisiert. Allerdings stehen ihre Äusserungen im Zusammenhang mit ihrem Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Berufungsverfahren. Angesichts dessen, dass sie sich in diesem Rahmen zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen äussern musste, ist es nachvollziehbar, dass sie BGE 141 III 302 S. 311 dabei auch die entsprechenden vorinstanzlichen Erwägungen zum Prozesskostenvorschuss angreift und die Gründe des Bezirksgerichts zu widerlegen versucht, weshalb sie zur Leistung eines solchen in der Lage sein soll. Dass sie diesen Punkt mit der Berufung hätte selbständig anfechten wollen und sie bloss vergessen hätte, den entsprechenden Antrag zu stellen, kann daraus nicht abgeleitet werden. Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, wie die Sache zu beurteilen wäre, wenn aus ihrem Verhalten tatsächlich ein solches Versäumnis abgeleitet werden müsste. Jedenfalls könnte sie diesfalls den nachgeholten Antrag höchstens als solchen auf der Stufe der Anschlussberufung gelten lassen, nicht aber effektiv die Hauptberufung verbessern. Wie es sich verhielte, wenn in einer Anschlussberufung ein bereits in der eigenen Hauptberufung enthaltener Antrag wieder aufgegriffen und verstärkt werden würde, braucht an dieser Stelle ebenfalls nicht entschieden zu werden. 2.6 Aus dem Gesagten folgt, dass die Beschwerde in diesem Punkt begründet ist und die Sache an das Obergericht zur weiteren Beurteilung der Anschlussberufung zurückgewiesen werden muss. Das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an der Beurteilung ihrer Anschlussbeschwerde ist nicht dadurch entfallen, dass das Obergericht die Beschwerde des Beschwerdegegners abgewiesen hat. Es liegt keiner der Fälle gemäss Art. 313 Abs. 2 ZPO für das Dahinfallen der Anschlussberufung vor. Die oberen Gerichte müssen eine Anschlussberufung auch dann beurteilen, wenn sie in der Urteilsberatung zum Schluss kommen, dass sie die Hauptberufung, auf die sich die Anschlussberufung bezieht, abweisen wollen (zur "Verselbständigung" der Anschlussberufung vgl. Urteil 4A_333/2014 vom 23. Juli 2014 E. 2.3).
de
8192f081-9607-4fab-8b88-85f2b1a1be66
Sachverhalt ab Seite 180 BGE 143 IV 179 S. 180 A. Das Bezirksgericht Bülach, II. Abteilung, sprach X. am 15. Juli 2014 schuldig des Betruges im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt A); der qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt D); der ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt E) sowie der mehrfachen Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitte B, C und F). Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 34 Monaten. Es ordnete an, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe im Umfang von 22 Monaten unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben und die Freiheitsstrafe im Übrigen (12 Monate abzüglich 23 Tage erstandene Haft) vollzogen werde. Mit Urteil vom gleichen Tag sprach das Bezirksgericht Bülach Y. schuldig der Gehilfenschaft zu Betrug im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 25 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt A) sowie der Gehilfenschaft zu qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB in Verbindung mit Art. 25 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt E). Es bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je Fr. 10.-, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. Mit Urteil vom gleichen Tag sprach das Bezirksgericht Bülach Z. schuldig der Gehilfenschaft zu Betrug im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 25 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt A); der Gehilfenschaft zu qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB in Verbindung mit Art. 25 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt E) sowie des Gebrauchs einer gefälschten Urkunde im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt F). Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. Gegen diese Entscheide erklärten die Verurteilten Berufung. Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vereinigte die drei Berufungsverfahren. B. Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, sprach X. mit Urteil vom 28. Januar 2016 schuldig der passiven Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. b UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG (Anklagesachverhaltsabschnitt A) sowie der qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB BGE 143 IV 179 S. 181 (Anklagesachverhaltsabschnitte D und E). Vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitte B, C und F) sprach es ihn frei. Es bestrafte ihn mit einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 22 Monaten unter Anrechnung von 23 Tagen Haft. Das Obergericht sprach Y. und Z. vollumfänglich frei. C. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, X. sei auch der mehrfachen Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitte B, C und F) schuldig zu sprechen. Er sei mit einer Freiheitsstrafe von insgesamt 33 Monaten unter Anrechnung der Haft von 23 Tagen zu bestrafen, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe im Umfang von 22 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren aufzuschieben und die Freiheitsstrafe im Übrigen (11 Monate abzüglich 23 Tage Haft) zu vollziehen sei. Y. sei der aktiven Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG (Anklagesachverhaltsabschnitt A) schuldig zu sprechen und mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 10.- zu bestrafen, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. Z. sei der aktiven Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG (Anklagesachverhaltsabschnitt A) sowie der Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 und 3 StGB (Anklagesachverhaltsabschnitt F) schuldig zu sprechen und mit einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten zu bestrafen, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. D. Das Obergericht des Kantons Zürich hat ebenso wie Y. und Z. auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet. X. hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. 1.1 Den Beschwerdegegnern wird im Anklagesachverhaltsabschnitt A im Wesentlichen Folgendes vorgeworfen: Der Beschwerdegegner 1 habe in seiner Eigenschaft als Treasurer der A. AG und der B. AG der von ihm beauftragten externen Finanzberatungsfirma C. für die BGE 143 IV 179 S. 182 Vermittlung einer Geldanlage der A. AG in Form einer sog. Credit Linked Note (CLN) im Nominalwert von 100 Mio. USD ein Honorar in der Höhe von 1,5 Mio. USD auszahlen beziehungsweise durch die A. AG auf das Konto der C. bei der D. Bank überweisen lassen. Im Gegenzug hätten die Beschwerdegegner 2 und 3 als Vertreter der C. dem Beschwerdegegner 1 einen Drittel dieses Honorars, d.h. USD 500'000.-, umgehend auf dessen persönliches Konto bei derselben Bank überwiesen. Diesen Geldfluss auf sein Privatkonto habe der Beschwerdegegner 1 verschwiegen, als er seinem Vorgesetzten die Honorarrechnung der C. über 1,5 Mio. USD zur Genehmigung unterbreitet und seiner Mitarbeiterin den entsprechenden von ihm namens der A. AG unterzeichneten Zahlungsauftrag zu der für die Zahlungsauslösung erforderlichen Zweitunterschrift vorgelegt habe. Von den ihm zugegangenen USD 500'000.- habe der Beschwerdegegner 1 USD 250'000.- für seine persönlichen Bedürfnisse und USD 250'000.- im Interesse eines Dritten verwendet. Durch dieses eingeklagte Verhalten gemäss Anklagesachverhaltsabschnitt A machten sich die Beschwerdegegner laut Anklage wie folgt schuldig: - der Beschwerdegegner 1: des Betrugs; eventualiter/subeventualiter der qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung zum Nachteil der A. AG; subsubeventualiter der qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung zum Nachteil der B. AG; subsubsubeventualiter der Widerhandlung gegen Art. 4a Abs. 1 lit. b UWG (SR 241); - die Beschwerdegegner 2 und 3: der Gehilfenschaft zu Betrug; eventualiter/subeventualiter der Gehilfenschaft zu qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung zum Nachteil der A. AG; subsubeventualiter der Gehilfenschaft zu qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung zum Nachteil der B. AG; subsubsubeventualiter der Widerhandlung gegen Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG . 1.2 Die erste Instanz sprach im Anklagesachverhaltsabschnitt A die Beschwerdegegner wie folgt schuldig: - den Beschwerdegegner 1 des Betrugs im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB ; - die Beschwerdegegner 2 und 3 der Gehilfenschaft zu Betrug im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 25 StGB . Die Vorinstanz erkannte im Anklagesachverhaltsabschnitt A Folgendes: BGE 143 IV 179 S. 183 - sie sprach den Beschwerdegegner 1 der passiven Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. b UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG schuldig; - sie sprach die Beschwerdegegner 2 und 3 frei. 1.3 Die Beschwerdeführerin beantragt in der Beschwerde in Strafsachen, im Anklagesachverhaltsabschnitt A seien die Beschwerdegegner 2 und 3 der aktiven Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG schuldig zu sprechen. 1.4 1.4.1 Die Vorinstanz erkannte, dass im Anklagesachverhaltsabschnitt A der Beschwerdegegner 1 entgegen der Auffassung der ersten Instanz den Tatbestand des Betrugs nicht erfüllt habe, da es jedenfalls an einem Vermögensschaden fehle. Folglich fiel im Anklagesachverhaltsabschnitt A eine Verurteilung der Beschwerdegegner 2 und 3 wegen Gehilfenschaft zu Betrug ausser Betracht. Die Vorinstanz erwog, im Anklagesachverhaltsabschnitt A habe der Beschwerdegegner 1 aber durch die Entgegennahme der Provision von USD 500'000.-, die er gegenüber seinem Vorgesetzten verschwiegen habe, den Tatbestand der passiven Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. b UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG erfüllt, wonach unter anderem unlauter handelt, wer als Arbeitnehmer für eine pflichtwidrige oder eine im Ermessen stehende Handlung oder Unterlassung für sich oder einen Dritten einen nicht gebührenden Vorteil annimmt. Hingegen sprach die Vorinstanz die Beschwerdegegner 2 und 3 vom Vorwurf der aktiven Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG frei, wonach unlauter unter anderem handelt, wer einem Arbeitnehmer für eine pflichtwidrige oder eine im Ermessen stehende Handlung oder Unterlassung zu dessen Gunsten oder zu Gunsten eines Dritten einen nicht gebührenden Vorteil gewährt. Sie begründet diesen Freispruch unter Hinweis auf das Verbot der reformatio in peius ( Art. 391 Abs. 2 StPO ). Gegenüber der erstinstanzlichen Verurteilung wegen Gehilfenschaft zu Betrug im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 25 StGB würde nach der Auffassung der Vorinstanz eine Verurteilung wegen aktiver Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG eine Verschlechterung darstellen, die unzulässig sei, da einzig die BGE 143 IV 179 S. 184 Beschwerdegegner Berufung erhoben hätten. Zwar sei die Sanktionsandrohung bei der aktiven Privatbestechung (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe; Antragsdelikt) milder als beim Betrug (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe), so dass insofern keine Verschlechterung vorläge. Die Tatbegehungsform der Haupttäterschaft (die bei der aktiven Privatbestechung vorliegend zur Anwendung käme) wiege allerdings deutlich schwerer als diejenige der Gehilfenschaft (zu Betrug), die gemäss Art. 25 StGB in Verbindung mit Art. 48a StGB zu einer milderen Bestrafung führe, wobei auch ein Unterschreiten einer gesetzlichen Mindeststrafe beziehungsweise der Wechsel zu einer milderen Sanktionsart möglich sei. 1.4.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, im Wechsel vom Betrugsgehilfen zum Haupttäter einer aktiven Privatbestechung liege keine unzulässige Verschlechterung. Die Auffassung der Vorinstanz, dass die Tatbegehungsform der Hauptäterschaft - generell - schwerer wiege als diejenige der Gehilfenschaft, würde in der Konsequenz bedeuten, dass eine Übertretung eine schwerwiegendere rechtliche Qualifikation darstelle als die Gehilfenschaft zu einem Verbrechen, was nicht der Fall sei. 1.5 1.5.1 Das Strafgesetzbuch unterscheidet die Verbrechen von den Vergehen nach der Schwere der Strafen, mit der die Taten bedroht sind ( Art. 10 Abs. 1 StGB ). Verbrechen sind Taten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind ( Art. 10 Abs. 2 StGB ). Vergehen sind Taten, die mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht sind ( Art. 10 Abs. 3 StGB ). Betrug wird gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Die Mindeststrafe ist somit ein Tagessatz Geldstrafe, wobei der Tagessatz nach der Rechtsprechung mindestens 10 Franken betragen muss (siehe BGE 135 IV 180 E. 1.4; s.a. AS 2016 1249). Betrug ist ein Verbrechen ( Art. 10 Abs. 2 StGB ). Der Gehilfe wird milder bestraft ( Art. 25 StGB ). Die Strafmilderung ist obligatorisch. Sie bedeutet, dass bei Gehilfenschaft das Gericht nicht an die angedrohte Mindeststrafe gebunden ist und auch auf eine andere als die angedrohte Strafart, einschliesslich Busse, erkennen kann, aber an das gesetzliche Höchst- und Mindestmass der Strafart gebunden ist ( Art. 48a StGB ; siehe WIPRÄCHTIGER/KELLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 1 zu Art. 48a StGB mit weiteren Hinweisen; SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, Strafen und Massnahmen, 8. Aufl. 2007, § 5 S. 77; a.A. BGE 143 IV 179 S. 185 HANS MATHYS, Leitfaden Strafzumessung, 2016, S. 151 Rz. 343). Bei Gehilfenschaft zu Betrug im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 25 StGB beträgt somit die Höchststrafe - unter Vorbehalt von Strafschärfungsgründen - fünf Jahre minus 1 Tag Freiheitsstrafe und die Mindeststrafe Busse von allenfalls 1 Franken. An der rechtlichen Qualifikation als Verbrechen ändert sich nichts. Aktive Privatbestechung gemäss Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Sie ist ein Vergehen ( Art. 10 Abs. 3 StGB ). 1.5.2 In Anbetracht dessen wiegt das Vergehen der aktiven Privatbestechung weniger schwer als das Verbrechen der Gehilfenschaft zu Betrug, insbesondere weil bei der aktiven Privatbestechung eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren, die bei der Gehilfenschaft zu Betrug möglich ist, ausser Betracht fällt. Wird ein Verhalten statt als Gehilfenschaft zu einem Verbrechen als Vergehen in Haupttäterschaft qualifiziert, so erfolgt dadurch entgegen der Auffassung der Vorinstanz keine härtere, sondern im Gegenteil eine mildere rechtliche Qualifikation. Wohl wiegt eine Verurteilung als (Mit-)Täter schwerer als eine Verurteilung als Gehilfe (siehe BGE 139 IV 282 E. 2.5). Dies gilt aber nur, soweit die Verurteilungen denselben Straftatbestand beziehungsweise dieselbe Deliktskategorie betreffen. Die Gehilfenschaft zu einem Verbrechen bleibt trotz der obligatorischen Strafmilderung ein Verbrechen und wiegt daher schwerer als ein Vergehen in der Begehungsform als Haupttäter, was sich schon daraus ergibt, dass bei der Gehilfenschaft zu einem Verbrechen eine Freiheitsstrafe von über drei Jahren möglich bleibt. Dass bei der Gehilfenschaft zu Betrug die theoretisch mögliche Mindeststrafe allenfalls niedriger ist (allenfalls 1 Franken Busse anstatt 1 Tagessatz Geldstrafe von mindestens 10 Franken), ist unerheblich. 1.6 Der Freispruch der Beschwerdegegner 2 und 3 vom Vorwurf der aktiven Privatbestechung kann somit entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht damit begründet werden, dass eine entsprechende Verurteilung gegen das Verschlechterungsverbot verstiesse. Die Beschwerde ist daher in diesem Punkt gutzuheissen. Die Vorinstanz wird sich im neuen Verfahren mit den von ihr bis anhin noch nicht beurteilten Fragen befassen, ob sich die Beschwerdegegner 2 und 3 der aktiven Privatbestechung im Sinne von Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG in Verbindung mit Art. 23 UWG schuldig gemacht haben und hiefür zu bestrafen sind. (...)
de
14c5eefd-632d-4d78-ab55-9032af7c73cc
Sachverhalt ab Seite 304 BGE 145 III 303 S. 304 Die A. AG mit Verwaltungssitz (Headquarter) in Biel (Klägerin 1, Beschwerdegegnerin im Verfahren 4A_446/2018) ist die Dachholding des Konzerns X. und bildet zusammen mit den von ihr kontrollierten Tochtergesellschaften die X. Gruppe. Die B. SA mit Sitz in Grenchen (Klägerin 2, Beschwerdeführerin 1 im Verfahren 4A_448/2018) und die C. Limited mit Sitz in Grossbritannien (Klägerin 3, Beschwerdeführerin 2 im Verfahren 4A_448/2018) sind hundertprozentige Tochtergesellschaften der Klägerin 1. Die Klägerin 2 stellt u.a. Uhren und Ersatzteile für Uhren und Uhrwerke her und vertreibt diese. Im Vereinigten Königreich und in Irland ist ausschliesslich die Klägerin 3 für den Vertrieb der Produkte der X. Gruppe zuständig. Im Zuge der Einführung eines selektiven Vertriebssystems für Ersatzteile beschloss die X. Gruppe, die Zusammenarbeit mit Grosshändlern zu beenden. Den Grosshändlern wurde eine Übergangsfrist bis am 31. Dezember 2015 gewährt. Die D. Limited mit Sitz in Grossbritannien (Beklagte, Beschwerdeführerin im Verfahren 4A_446/2018, Beschwerdegegnerin im Verfahren 4A_448/2018) bietet als Grosshändlerin Uhrenersatzteile an. Bis am 31. Dezember 2015 vertrieb sie auch solche für Uhren der X. Gruppe. Mit Schreiben vom 16. März 2016 forderte sie die Klägerinnen auf, bis am 6. April 2016 die Wiederaufnahme der Belieferung zu bestätigen, ansonsten ohne weitere Ankündigung Klage eingereicht würde. Dem Schreiben legte sie eine Eingabe "(Draft) Order" an den High Court of Justice in London bei. Auf Ersuchen BGE 145 III 303 S. 305 der Klägerin 3 erstreckte die Beklagte mit Schreiben vom 11. April 2016 die von ihr angesetzte Frist bis am 20. April 2016. Am 19. April 2016 reichten die Klägerinnen eine negative Feststellungsklage beim Handelsgericht des Kantons Bern ein. Sie beantragten einerseits die Feststellung, dass sie keine Pflicht zur Belieferung der Beklagten mit Ersatzteilen für Produkte ihres Konzerns treffe, und andererseits, dass sie der Beklagten wegen der Beendigung der Belieferung nichts schulden. Mit Eingabe vom 29. April 2016 reichte die Beklagte ihrerseits beim High Court of Justice in London wegen Verletzung europäischen Kartellrechts Klage gegen die Klägerinnen ein. Das Handelsgericht trat nicht auf die Klage ein, da es den Klägerinnen an einem rechtsgenüglichen Feststellungsinteresse fehle. Die Frage der internationalen und örtlichen Zuständigkeit liess es offen. Mit Urteil vom 14. März 2018 ( BGE 144 III 175 ) wies das Bundesgericht die Sache zu neuer Beurteilung an das Handelsgericht zurück. Es stellte fest, dass im internationalen Verhältnis (unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs) das Interesse des Feststellungsklägers, bei bevorstehendem Gerichtsverfahren einen ihm genehmen Gerichtstand zu sichern, als genügendes Rechtsschutzinteresse zu qualifizieren ist. Mit Urteil vom 25. Juni 2018 trat das Handelsgericht auf die Klage in Bezug auf die Klägerinnen 2 und 3 nicht ein. In Bezug auf die Klägerin 1 bejahte es seine internationale und örtliche Zuständigkeit. Es erwog, die internationale und die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit würden sich nach Art. 5 Ziff. 3 des Lugano-Übereinkommens bestimmen. Handlungsort sei der Gründungsort des Kartells; vorliegend Biel, wo die Einführung des selektiven Vertriebssystems beschlossen worden sei. Die Klägerinnen 2 und 3 seien jedoch an dieser Beschlussfassung nicht unmittelbar beteiligt gewesen, weshalb es für die Klägerin 2 an der örtlichen und für die Klägerin 3 an der internationalen Zuständigkeit fehle. Sowohl die Beklagte (Verfahren 4A_446/2018) als auch die Klägerinnen 2 und 3 (Verfahren 4A_448/2018) haben gegen diesen Entscheid Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beklagte beantragt, auf die Klage der Klägerin 1 sei nicht einzutreten. Die Klägerinnen 2 und 3 beantragen, die Zuständigkeit des Handelsgerichts für ihre Klagen sei festzustellen und die Sache sei zum Entscheid in der Sache an das Handelsgericht zurückzuweisen. BGE 145 III 303 S. 306 Am 21. Mai 2019 führte das Bundesgericht eine öffentliche Urteilsberatung durch. Es weist die Beschwerde der Beklagten ab. Die Beschwerde der Klägerinnen 2 und 3 heisst es hingegen gut, tritt auch in Bezug auf die Klägerinnen 2 und 3 auf die Klage ein und weist die Angelegenheit zum Entscheid in der Sache an die Vorinstanz zurück. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: Verfahren 4A_446/2018 4. Es ist unbestritten, dass sich die Frage der internationalen Zuständigkeit nach den Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens (SR 0.275.12) beurteilt. Unbestritten ist auch, dass unter den Begriff der unerlaubten Handlung im Sinn von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ auch Ansprüche fallen, welche auf Widerhandlungen gegen das Kartellrecht basieren. Es kann auf die allgemeinen Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Art. 5 Ziff. 3 LugÜ eröffnet dem Kläger bei Distanzdelikten die Wahl zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort ( BGE 133 III 282 E. 4.1 S. 289 f.; BGE 132 III 778 E. 3 S. 783 f.; je mit weiteren Hinweisen; HOFMANN/KUNZ, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2. Aufl. 2016, N. 553 zu Art. 5 LugÜ , mit umfassenden Hinweisen). Die Klägerin 1 berief sich auf Biel als Handlungsort, da an ihrem Hauptsitz die entsprechenden Beschlüsse gefasst worden seien. 4.1 Der Deliktsgerichtsstand nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ steht grundsätzlich auch dem angeblichen Schädiger für eine negative Feststellungsklage zur Verfügung ( BGE 133 III 282 E. 4.1 S. 290; Urteil des EuGH vom 25. Oktober 2012 C-133/11 Folien Fischer und Fofitec , Randnr. 54). Die Beklagte macht aber geltend, in BGE 133 III 282 sei als zusätzliches Erfordernis eine Sach- und Beweisnähe des angerufenen Gerichts im konkreten Fall verlangt worden. Daran fehle es hier. 4.1.1 Die Vorinstanz erwog, angesichts der Kritik in der Lehre zu diesem zusätzlichen Erfordernis und des seither ergangenen Urteils Folien Fischer und Fofitec könne die Zuständigkeit nicht vom Kriterium der Sach- und Beweisnähe abhängen. 4.1.2 Das Bundesgericht gewährte dem potentiellen Schädiger in BGE 133 III 282 das Wahlrecht zwischen Handlungs- und Erfolgsort nur, sofern er es nicht zweckwidrig ausübe, um die Zuständigkeit eines Gerichts zu begründen, dem die notwendige Beweis- und BGE 145 III 303 S. 307 Sachnähe abgehe ( BGE 133 III 282 E. 4.5 S. 291 f.). Es hielt fest, die Wahlgerichtsstände nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ stünden aus Zweckmässigkeitsüberlegungen zur Verfügung ( BGE 133 III 282 E. 4.3 S. 291). Hinzu komme, dass der potentielle Schädiger, der bei der negativen Feststellungsklage das Wahlrecht ausübe, durch geschickte Planung der Tat und damit des Handlungsorts für die nachfolgende negative Feststellungsklage einen dem Geschädigten möglichst ungünstigen Gerichtsstand sichern könne ( BGE 133 III 282 E. 4.5 S. 291 f.). Es erwog, namentlich unter Hinweis auf einen früheren Entscheid ( BGE 125 III 346 E. 4b S. 349 mit Hinweis) und eine Lehrmeinung (GION JEGHER, Abwehrmassnahmen gegen ausländische Prozesse im internationalen Zivilverfahrensrecht der Schweiz, 2003, S. 68), das Erfordernis der Beweis- und Sachnähe beinhalte auch nicht eine verdeckte Einführung des "forum non conveniens"-Tests, der für die Zuständigkeitsordnung des Lugano-Übereinkommens verworfen worden sei, sondern garantiere lediglich, dass der Schädiger von der Wahlmöglichkeit nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ keinen zweckwidrigen Gebrauch mache, um dem Geschädigten die Rechtsverfolgung zu erschweren ( BGE 133 III 282 E. 4.6 S. 292 mit Hinweisen). In der Lehre wird BGE 133 III 282 überwiegend kritisch beurteilt (TANJA DOMEJ, Negative Feststellungsklagen im Deliktsgerichtsstand, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts [IPRax] 2008 S. 550 ff.; TARKAN GÖKSU, Negative Feststellungsklage: ausgewählte Aspekte und neuere Entwicklung, ZZZ 2008/09 S. 175 ff., 182 f.; FRIDOLIN WALTHER, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Zivilprozessrecht im Jahre 2007, 2. Teil: Internationales Zivilprozessrecht, ZBJV 145/2009 S. 357 ff., 360; BENDICHT LÜTHI, System der internationalen Zuständigkeit im Immaterialgüterrecht, 2011, S. 130 ff.; PAUL OBERHAMMER, in: Lugano-Übereinkommen, Dasser/Oberhammer [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 102 zu Art. 5 LugÜ und bei Fn. 261; HOFMANN/KUNZ, a.a.O., N. 15 und 534 zu Art. 5 LugÜ ; KROPHOLLER/VON HEIN, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011, N. 78 zu Art. 5 EuGVO und bei Fn. 473; NINO SIEVI, Die negativen Feststellungsklagen des schweizerischen Rechts im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens, 2017, S. 169 ff. Rz. 448 ff. Allgemein i.d.S. vgl. auch: WOLDE/KNOT/WELLER, in: unalex Kommentar, Brüssel I-Verordnung, 2012, N. 18 zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO). Es wurde namentlich eingewendet, die Prüfung der Sach- und Beweisnähe im Einzelfall führe zu Rechtsunsicherheit, denn der Entscheid darüber beruhe weitgehend auf Wertungen und BGE 145 III 303 S. 308 Würdigungen. Gerade das Zuständigkeitsrecht sollte aber klare Lösungen bereithalten. Die Rechtsprechung des EuGH argumentiere mit dem Zweck der Sach- und Beweisnähe allgemein, aber nicht im Hinblick auf den Einzelfall. Trotz verbaler Distanzierung laufe das Erfordernis gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf einen verdeckten "forum non conveniens"-Test hinaus. Zu Recht verweist die Vorinstanz sodann darauf, dass der EuGH im nach BGE 133 III 282 ergangenen Urteil Folien Fischer und Fofitec die Anwendbarkeit von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 12 vom 16. Januar 2001 S. 1 ff.; nachfolgend: EuGVO) für negative Feststellungsklagen am Handlungs- oder Erfolgsort uneingeschränkt bejaht hat (Urteil Folien Fischer und Fofitec , Randnrn. 51 f.). Die Lehre geht deshalb davon aus, die bundesgerichtliche Einschränkung des Deliktsgerichtsstands lasse sich umso weniger rechtfertigen (BENDICHT LÜTHI, EuGH konkretisiert Deliktszuständigkeit bei Markenrechtsverletzungen mittels AdWords, sic! 4/2013 S. 212 ff., 220; MATHIS PETER, Negative Feststellungsklagen am Deliktsgerichtsstand von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO/ LugÜ, Jusletter 12. August 2013 S. 5 f. Rz. 15; LAURENT KILLIAS, Rechtsprechung zum Lugano-Übereinkommen [2012], SZIER 2013 S. 671 ff., 688 ff. Rz. 18; ALEXANDER R. MARKUS, Internationales Zivilprozessrecht, 2014, S. 244 f. Rz. 894 f.). Nach konstanter Rechtsprechung muss sich eine Praxisänderung auf ernsthafte, sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend erachtet worden ist. Eine Praxisänderung lässt sich grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht, andernfalls ist die bisherige Praxis beizubehalten ( BGE 144 III 175 E. 2 S. 177 f. mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen sind nach dem oben Dargelegten erfüllt. Am zusätzlichen Erfordernis der Sach- und Beweisnähe zur Einschränkung des aufgrund des Handlungs- oder Erfolgsorts grundsätzlich gegebenen Gerichtsstands im Einzelfall ist nicht festzuhalten. Ist ein Handlungs- oder Erfolgsort identifiziert, bleibt somit kein Raum mehr für eine einzelfallbezogene Prüfung der Sach- und Beweisnähe. BGE 145 III 303 S. 309 4.2 Die Beklagte rügt eine Verletzung des sog. Spiegelbildprinzips, wie es sich aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergebe. 4.2.1 Sie beruft sich hierfür auf BGE 133 III 282 E. 4 S. 289, wo ausgeführt wurde: "Die Klage auf Feststellung, dass die Klägerin für den von den Beklagten zum Ersatz beanspruchten Schaden nicht hafte, betrifft im Lichte von Art. 21 [a]LugÜ [ Art. 27 LugÜ ] denselben Anspruch wie die spiegelbildliche Klage der Gegenpartei auf Feststellung, dass die Klägerin für diesen Schaden hafte. Daher ist die negative Feststellungsklage, sofern der besondere Gerichtsstand von Art. 5 Ziff. 3 [a]LugÜ [ Art. 5 Ziff. 3 LugÜ ] gewählt wird, dort anzubringen, wo der bestrittene Anspruch nach Massgabe dieser Bestimmung auf positive Leistungsklage hin zu beurteilen wäre ( BGE 125 III 346 E. 4b S. 349 mit Hinweisen)." Der Wortlaut dieser Erwägung sei unmissverständlich und lasse unter Art. 5 Ziff. 3 LugÜ eine negative Feststellungsklage nur dort zu, wo umgekehrt gestützt auf dieselbe Bestimmung auch eine positive Leistungsklage erhoben werden könnte. Unbestritten ist, dass die Beklagte in der Schweiz nicht gegen die Klägerin 1 gestützt auf Art. 5 Ziff. 3 LugÜ hätte klagen können, weil der behauptete Handlungsort mit dem Sitz der Klägerin 1 zusammenfällt - beide befinden sich in der Schweiz. Art. 5 LugÜ ist nach seinem Einleitungssatz nur anwendbar, wenn die Beklagte ausserhalb ihres Sitzstaates (d.h. ausserhalb des allgemeinen Gerichtsstands) verklagt wird. Die Beklagte ist der Ansicht, da eine Leistungsklage nicht nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ in der Schweiz hätte eingereicht werden können, entfalle nach dem Spiegelbildprinzip auch ein Gerichtsstand nach derselben Bestimmung ( Art. 5 LugÜ ) für die negative Feststellungsklage der Klägerin 1 in der Schweiz. 4.2.2 Die Klägerin 1 hält demgegenüber dafür, bei der zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei es einzig darum gegangen, dass der (behauptete) Schädiger über Art. 5 Ziff. 3 LugÜ keinen anderen Gerichtsstand geltend machen könne, als dem (behaupteten) Geschädigten für eine spiegelbildliche Leistungsklage zur Verfügung stünde. Vorliegend sei aber unbestritten, dass die Beklagte die Klägerin 1 und ihre Tochtergesellschaften mit einer Leistungsklage vor der Vorinstanz einklagen könnte; dies zwar aufgrund seines Einleitungssatzes nicht nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ , aber alle Klägerinnen zusammen als passive Streitgenossenschaft gemäss Art. 6 Ziff. 1 LugÜ und alternativ die Klägerinnen 1 und 2 aufgrund ihres Wohnsitzes gemäss Art. 2 Ziff. 1 LugÜ i.V.m. Art. 129 sowie Art. 8a IPRG (SR 291) sowie schliesslich die Klägerin 3 mit Sitz im Vereinigten Königreich am Handlungsort gestützt auf Art. 5 Ziff. 3 LugÜ . BGE 145 III 303 S. 310 4.2.3 Die Formulierung in BGE 133 III 282 und BGE 125 III 346 ist missverständlich. Wäre sie so zu verstehen, wie von der Beklagten geltend gemacht, hätte in beiden Fällen allein schon deswegen nicht auf die negative Feststellungsklage eingetreten werden dürfen, weil die Feststellungskläger ihren Sitz bzw. Wohnsitz in der Schweiz hatten und es deshalb den vermeintlich geschädigten ausländischen Parteien nicht möglich gewesen wäre, gestützt auf Art. 5 Ziff. 3 LugÜ in der Schweiz am angeblichen Deliktsort zu klagen (i.d.S. kritisch [Ausführungen des Bundesgerichts sind "widersprüchlich"]: HOLZER/JOSI, Die negative Feststellungsklage im schweizerischen Patentprozess: Feststellungsinteresse, Gerichtsstand und Streitgegenstand in internationalen, euro-internationalen sowie nationalen Verhältnissen, GRUR International 2009 S. 577 ff., 583). Das Bundesgericht stützte sich jedoch in beiden Entscheiden nicht auf diese Überlegung, sondern verneinte die Zuständigkeit des schweizerischen Gerichts wegen der fehlenden Sach- und Beweisnähe ( BGE 133 III 282 E. 4.5 S. 291 f.; vgl. dazu hiervor E. 4.1) bzw. bestätigte die Zuständigkeit der zürcherischen Gerichte am Handlungsort ( BGE 125 III 346 E. 4c/bb S. 351 f.). Bei der erstmaligen Formulierung in BGE 125 III 346 E. 4b S. 349 bezog sich das Bundesgericht im Übrigen auf Lehrmeinungen, die alle ohne Einschränkung festhalten, dass auch eine negative Feststellungsklage am Deliktsort möglich ist, wie die Vorinstanz zutreffend erwähnt. Dass das Verständnis der Beklagten nicht zutrifft, wird schliesslich auch durch BGE 132 III 778 bestätigt, wo die fehlende Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte für eine auf Art. 5 Ziff. 3 LugÜ gestützte Feststellungsklage ebenfalls nicht mit dem Sitz der Klägerinnen in der Schweiz begründet wurde, sondern mit dem mangels Sach- und Beweisnähe nicht gegebenen Handlungsort in der Schweiz; und dies obwohl die Vorinstanz ihr Nichteintreten mit dem Sitz der Feststellungsklägerinnen in der Schweiz begründet hatte ( BGE 132 III 778 Sachverhalt lit. C. und E. 3 S. 783 f.). Mit der von der Beklagten zitierten etwas unklaren Formulierung sollte einzig gesagt werden, der Feststellungskläger könne sich ebenso auf die Wahlgerichtsstände gemäss Art. 5 Ziff. 3 LugÜ berufen wie der Leistungskläger. Entsprechend bezog sich das Bundesgericht in BGE 125 III 346 E. 4b S. 349 auf das Urteil des EuGH vom 6. Dezember 1994 C-406/92 Tatry/Maciej Rataj , Slg. 1994 I-05439. In diesem Entscheid ging es einzig um die Feststellung, dass kein Unterschied zwischen der negativen Feststellungsklage und der Leistungsklage besteht (Urteil Tatry/Maciej Rataj , Randnr. 45). Mit dem Urteil BGE 145 III 303 S. 311 Folien Fischer und Fofitec , das sich in Randnr. 49 ebenfalls auf das Urteil Tatry/Maciej Rataj berief, hat der EuGH nun in diesem Sinn bestätigt, dass die negative Feststellungsklage den gleichen Anspruch oder Streitgegenstand betrifft wie die Leistungsklage und sich der Feststellungskläger ebenso wie der Leistungskläger auf die Wahlgerichtsstände am Handlungs- oder Erfolgsort berufen kann. Dies ist namentlich auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Interessen bzw. der Schutz des Geschädigten im Vergleich zu jenen des angeblichen Schädigers dies erfordern würden (Urteil Folien Fischer und Fofitec , Randnrn. 41 ff.). In richtiger Lesart knüpft daher der Einleitungssatz zu Art. 5 LugÜ an die formelle Parteirolle an. Liegt der nach Art. 5 LugÜ bestimmte Gerichtsstand am Sitz des formell Beklagten, so kann die Zuständigkeit nicht mittels Art. 5 LugÜ begründet werden, diesfalls ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 2 LugÜ ( BGE 131 III 76 E. 3 S. 81; Urteil 4A_224/ 2013 vom 7. November 2013 E. 2.1). Eine negative Feststellungsklage könnte daher nicht im Sitzstaat der Feststellungsbeklagten gestützt auf Art. 5 Ziff. 3 LugÜ eingereicht werden, auch wenn diese dort umgekehrt gestützt auf Art. 5 Ziff. 3 LugÜ eine Leistungsklage gegen den vermeintlichen Schädiger erheben könnte (ebenso: HOLZER/ JOSI, a.a.O., S. 583). 4.3 Die Vorinstanz hat daher ihre internationale und örtliche Zuständigkeit für die Klage in Bezug auf die Klägerin 1 zu Recht bejaht. Die Beschwerde im Verfahren 4A_446/2018 ist abzuweisen. Verfahren 4A_448/2018 5. Umstritten ist, ob auch für die Klägerinnen 2 und 3 die internationale bzw. örtliche Zuständigkeit gegeben ist. Die Vorinstanz bejahte in ihrem ersten Entscheid vom 26. Juni 2017 in einem obiter dictum einen Handlungsort in Biel für alle drei Klägerinnen. Im nun angefochtenen Entscheid verneint sie dies. Sie erwog, bei mehreren Beteiligten sei der Handlungsort nur dort gegeben, wo der jeweilige Schädiger selber gehandelt habe. Eine wechselseitige Zurechnung der jeweiligen Handlungen sei ebenfalls abzulehnen für das Verhältnis von Kartellanten untereinander sowie für Gesellschaften in einem Konzernverbund. Als zuständigkeitsbegründende Handlung würden die Klägerinnen den Beschluss der Erweiterten Konzernleitung in Biel zur Einführung eines selektiven Vertriebssystems erachten. Inwiefern aber auch die beiden Tochtergesellschaften an der Beschlussfassung in Biel unmittelbar beteiligt gewesen seien und somit dort gehandelt hätten, werde von den Klägerinnen nicht dargelegt und sei auch nicht ersichtlich. Damit sei davon auszugehen, BGE 145 III 303 S. 312 nur die Muttergesellschaft (die Klägerin 1) selbst habe in Biel gehandelt. Die beiden Tochtergesellschaften hätten zwar in der Folge den Beschluss der Konzernleitung umgesetzt und sich damit an der behaupteten unerlaubten Handlung beteiligt. Allerdings ergebe sich auch bei dieser Betrachtungsweise keine Handlungsortzuständigkeit in Biel, da sie den Beschluss der Konzernleitung an ihrem jeweiligen Sitz in Grenchen bzw. in London nur umgesetzt hätten. Auch aus Art. 6 Ziff. 1 LugÜ könnten die Klägerinnen 2 und 3 nichts für sich ableiten, da diese Bestimmung nur die passive Streitgenossenschaft regle. Schliesslich befinde sich der Erfolgsort im Vereinigten Königreich, sodass sich auch daraus keine Zuständigkeit in der Schweiz ergebe. (...) 7. Handeln mehrere Personen (insbesondere bei gemeinsamem Zusammenwirken), stellen sich hinsichtlich des Handlungsorts zwei Fragen. Einerseits: Wo ist bzw. sind aufgrund der tatsächlichen Handlungen mehrerer Personen der Handlungsort bzw. die Handlungsorte zu lokalisieren? Und andererseits: Ist die durch eine Person vorgenommene Handlung den anderen Personen zuständigkeitsbegründend zurechenbar (LÜTHI, a.a.O., S. 649 Rz. 779)? 7.1 Im Stadium der Prüfung der internationalen Zuständigkeit prüft das Gericht nicht die Begründetheit der Klage, sondern ermittelt nur die Anknüpfungspunkte mit dem Staat des Gerichtsstands, die seine Zuständigkeit nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ rechtfertigen (Urteil des EuGH vom 5. Juli 2018 C-27/17 flyLAL-Lithuanian Airlines [im Folgenden: flyLAL ], Randnr. 54 mit Hinweis; Urteil Folien Fischer und Fofitec , Randnr. 50). 7.2 Handlungsort gemäss Art. 5 Ziff. 3 LugÜ ist der Ort des ursächlichen Geschehens. 7.2.1 Gemäss dem Urteil des EuGH vom 21. Mai 2015 C-352/13 CDC Hydrogen Peroxide , auf welches sich die Vorinstanz berief, sei der Handlungsort einerseits abstrakt der Gründungsort des Kartells (Randnrn. 44 und 50) oder - wenn dieser Ort nicht bestimmt werden könne, weil eine Vielzahl von Kartellvereinbarungen getroffen worden seien - der Ort, wo eine spezifische Vereinbarung getroffen worden sei, die für sich allein das ursächliche Geschehen für den einem Dritten angeblich verursachten Schaden gebildet habe (Urteil CDC Hydrogen Peroxide , Randnrn. 46 und 50). An diesen so bestimmten Handlungsorten könnten alle angeblichen Schädiger BGE 145 III 303 S. 313 eingeklagt werden (Urteil CDC Hydrogen Peroxide , Randnrn 48 f.). Der EuGH bejahte somit eine zuständigkeitsbegründende Handlungsortzurechnung für angebliche Schädiger, die am betreffenden Ort nicht gehandelt haben. Der besagte Entscheid betraf ein (horizontales) Kartell. Vorliegend handelt es sich demgegenüber um ein angeblich wettbewerbswidriges Verhalten (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) eines Konzerns. Die Klägerinnen 2 und 3 sind hundertprozentige Töchter der Klägerin 1 und werden von dieser kontrolliert. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführte, enthält das Lugano-Übereinkommen keine expliziten Bestimmungen für Konzernsachverhalte, weshalb die üblichen Gerichtsstände und u.a. auch Art. 5 Ziff. 3 LugÜ zur Anwendung kommen (ROLAND VON BÜREN, Der Konzern, in: Handelsrecht, SPR Bd. VIII/6, 2. Aufl. 2005, S. 572 und bei Fn. 45). Im späteren bereits zitierten Urteil flyLAL , in welchem ebenfalls zwei nicht konzernmässig verbundenen Gesellschaften ein komplexes wettbewerbswidriges Zusammenwirken vorgeworfen wurde, unterschied der EuGH zwei mögliche Handlungsorte in Abhängigkeit von den für den Schaden ursächlichen Handlungen. Handlungsort könne einerseits der Ort des Abschlusses einer gegen Art. 101 der konsolidierten Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV; ABl. C 326 vom 26. Oktober 2012 S. 47 ff.) verstossenden Vereinbarung sein (Urteil flyLAL , Randnrn. 49 f. und 57 mit Hinweis auf das Urteil CDC Hydrogen Peroxide , Randnr. 50). Bestehe andererseits keine solche Vereinbarung, sondern bestehe das für den Schaden ursächliche Geschehen in der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung im Sinn von Art. 102 AEUV, also in der Verwirklichung dieser Ausnutzung, komme es auf die zur praktischen Umsetzung vorgenommenen Handlungen an (Urteil flyLAL , Randnrn. 52 und 57). Zeige sich dabei, dass die den angeblichen Schädigern vorgeworfenen Verhaltensweisen Teil einer gemeinsamen Strategie gewesen seien, wäre dasjenige Geschehnis zu ermitteln, dem für die Umsetzung dieser Strategie in einer Kette von Ereignissen eine besonders grosse Bedeutung zukomme (Urteil flyLAL , Randnr. 53). 7.2.2 Eine Vereinbarung zwischen den drei Konzerngesellschaften im Sinn der Urteile CDC Hydrogen Peroxide und flyLAL liegt hier nicht vor. Denn Vereinbarung im Sinn von Art. 101 AEUV ist im zivilrechtlichen Sinn zu verstehen. Es ist somit ein zweiseitiges oder mehrseitiges Rechtsgeschäft, das durch die Abgabe von Willenserklärungen zustande kommt. Das entscheidende Kriterium ist, dass BGE 145 III 303 S. 314 sich die Vertragspartner gegenseitig verpflichten und binden wollen. Eine Vereinbarung unter Konzerngesellschaften fällt nicht darunter, wenn die Tochtergesellschaften ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmen können (sog. Konzernprivileg), denn in diesem Fall stehen die an sich rechtlich selbstständigen Gesellschaften nicht im Wettbewerb miteinander und kann der Wettbewerb daher auch durch Vereinbarungen zwischen ihnen nicht eingeschränkt werden (INGO BRINKER, in: EU-Kommentar, Jürgen Schwarze und andere [Hrsg.], 4. Aufl. 2019, N. 37 und 58 zu Art. 101 AEUV; HEIKE SCHWEITZER, in: Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, 2015, S. 486 f. § 8 Rz. 76; vgl. ebenso für das schweizerische Kartellrecht: ROGER ZÄCH, Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen, in: Kartellrecht, SIWR Bd. V/2, 2002, S. 183). 7.2.3 Vorliegend wird es bei der materiellen Beurteilung (zur Abgrenzung gegenüber der Prüfung der Zuständigkeit vgl. E. 7.1 hiervor) darum gehen, ob die Klägerinnen 2 und 3 zusammen mit ihrer Muttergesellschaft eine marktbeherrschende Stellung innehaben und diese durch die Nichtbelieferung der Beklagten im Sinn von Art. 102 AEUV (bzw. des nach Darstellung der Parteien parallelen englischen Kartellrechts) missbraucht haben, wovon denn auch die Vorinstanz ausging und worauf die Beklagte selber verweist. Als sog. kollektive Marktbeherrschung im Sinn von Art. 102 AEUV wird denn auch namentlich das Konzernverhältnis erwähnt (BRINKER, a.a.O., N. 14 zu Art. 102 AEUV; PETER-CHRISTIAN MÜLLER-GRAFF, in: Europäisches Unionsrecht, Vedder/Heintschel von Heinegg [Hrsg.], 2. Aufl. 2018, N. 10 zu Art. 102 AEUV; EILMANSBERGER/KRUIS, in: EUV/AEUV, Streinz [Hrsg.], 3. Aufl. 2018, N. 15 zu Art. 102 AEUV). Durch die Auslegung des Unternehmensbegriffs im Kartellverwaltungsrecht werden die diesen Vorschriften unterworfenen Tätigkeiten bestimmt. Davon zu unterscheiden ist die Frage, welchem Rechtsträger im Einzelnen der Kartellrechtsverstoss zuzurechnen ist. Solche Zurechnungsfragen stellen sich vor allem bei Konzernen (EILMANSBERGER/KRUIS, a.a.O., N. 36 vor Art. 101 AEUV). Zivilprozessual besteht die Komplikation darin - so auch hier -, dass einerseits mehrere rechtlich selbstständige Personen handelten und dass andererseits das vorgeworfene Ausnützen einer marktbeherrschenden Stellung zusammengesetzte, von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägte Handlungen beinhaltet. Vorliegend sind dies der Beschluss, die marktbeherrschende Stellung auszunützen und die anschliessende Mitteilung und Durchführung des Lieferstopps. Diesbezüglich lässt sich entsprechend den zitierten Ausführungen des EuGH im Urteil BGE 145 III 303 S. 315 flyLAL , Randnr. 53, sagen, die den angeblichen Schädigern vorgeworfenen Verhaltensweisen seien Teil einer gemeinsamen Strategie - die Strategie der Tochtergesellschaft ist im Konzern Teil der Gruppenstrategie (PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, S. 1258 und 1268 § 11 Rz. 280 [ii] und 323). Es ist somitjenes Geschehnis zu bestimmen, dem für die Umsetzung dieser Strategie in einer Kette von Ereignissen eine besonders grosse Bedeutung zukommt, womit verschiedene Handlungsorte vermieden werden. Damit ist der EuGH den Ausführungen des Generalanwalts gefolgt. Dieser legte unter dem Titel "Kausalität für die Zwecke der Zuständigkeit bei Fällen mit komplexen Sachverhalten" dar, dass bei einer Kette von Ereignissen grundsätzlich alle diese im Sinn der tatsächlichen Kausalität notwendig seien und daher ursächlich für den Eintritt des Schadens. Ein bestimmtes Geschehen als relevant für die Zwecke der Bestimmung der Zuständigkeit zu betrachten, verhindere aber, dass mehrere Gerichtsstände entstünden. Idealerweise sollte deshalb ein einziges Geschehen für die Bestimmung der Zuständigkeit herangezogen werden (Schlussanträge des Generalanwalts vom 28. Februar 2018 C-27/17 flyLAL , Randnrn. 93-97). Zentrale Handlung ist hier der Beschluss der Erweiterten Konzernleitung in Biel. Denn Handlungsort ist der Ort der für das folgende Geschehen massgeblichen Entscheidung bzw. Aktion (WULF-HENNING ROTH, Der europäische Deliktsgerichtsstand in Kartellstreitigkeiten, in: Festschrift für Eberhard Schilken zum 70. Geburtstag, 2015, S. 427 ff., 430 f.). Hierin unterscheiden sich die konkreten Umstände auch von jenen, die der EuGH im Verfahren flyLAL zu beurteilen hatte. Dort war einerseits eine wettbewerbswidrige Vereinbarung (Art. 101 AEUV) zwischen dem Flughafen Riga und der Air Baltic behauptet worden, womit Letzterer bessere Bedingungen eingeräumt worden seien; anderseits habe Air Baltic selbstständig Kampfpreise festgesetzt (Art. 102 AEUV) und so die Klägerin (flyLAL-Lithuanian Airlines) aus dem Markt verdrängt (Urteil flyLAL , Randnr. 47 i.V.m. 57). Hier haben die Klägerinnen 2 und 3 offensichtlich nicht in diesem Sinn selbstständig über die zu treffende Massnahme (Lieferstopps etc.) entschieden und sie durchgeführt. Vielmehr ist die Mitteilung des Lieferstopps blosse Ausführung der beschlossenen Gruppenstrategie. Die beschlossene Gruppenstrategie stellt auch nicht eine blosse Vorbereitungshandlung dar, sondern bildet vielmehr die zentrale und grundlegende Handlung für die gruppenweite Einführung des selektiven Vertriebssystems. Würde man BGE 145 III 303 S. 316 nicht auf den Strategieentscheid als zentrale Handlung abstellen, sondern auf dessen Umsetzung in den verschiedenen Tochtergesellschaften, sähe man sich vor das Problem gestellt, dass die "Umsetzung" eine Vielzahl von unterschiedlichen Handlungen beinhalten kann. Neben der blossen Mitteilung, nicht mehr zu liefern, dürfte zum Beispiel auch eine rechtliche Begleitung notwendig sein, was allenfalls durch den Rechtsdienst der Mutter zu leisten ist. Daraus folgt, dass es entgegen der Vorinstanz nicht darauf ankommen kann, ob Vertreter der Tochtergesellschaften als Mitglieder der Erweiterten Konzernleitung bei der Beschlussfassung in Biel anwesend waren und mitgewirkt haben und - was bei einer von der Konzernstruktur abstrahierenden Betrachtungsweise wohl vorausgesetzt werden müsste - anschliessend das formelle Einverständnis des jeweiligen Verwaltungsrats der Klägerinnen 2 und 3 bzw. der jeweiligen Geschäftsleitung mit der von der Konzernleitung beschlossenen Strategie mitgeteilt haben. Dies würde auf eine "formalistische Ritualhandlung ohne Inhalt" (BÖCKLI, a.a.O., S. 1252 § 11 Rz. 256) hinauslaufen. Biel ist daher auch Handlungsort für die Klägerinnen 2 und 3. 7.2.4 Besteht ein internationaler und örtlicher Deliktsgerichtsstand in Biel gemäss Art. 5 Ziff. 3 LugÜ auch für die Klägerinnen 2 und 3, können diese in Biel eine negative Feststellungsklage einreichen (vgl. hiervor E. 4.1.2 und 4.2.3). Somit ist auch die Zuständigkeit der Vorinstanz für die negative Feststellungsklage der Klägerinnen 2 und 3 gegeben. Aus diesem Grund wies im Übrigen auch der Generalanwalt im Verfahren CDC Hydrogen Peroxide darauf hin, dass im Fall, dass der Gerichtshof - wie er es dann getan hat - anerkennen würde, dass nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eine Vielzahl von Gerichtsständen bei Kartellabsprachen möglich wären, er damit Urhebern einer Wettbewerbsverletzung ermöglichen würde, entsprechend dem Urteil Folien Fischer und Fofitec an allen diesen Gerichtsständen auch negative Feststellungsklagen einzuleiten (Schlussanträge des Generalanwalts vom 11. Dezember 2014 C-352/13 CDC Hydrogen Peroxide , Randnr. 51). Der Vorwurf der Beklagten an die Klägerinnen, mit der Einführung eines selektiven Vertriebssystems ein wettbewerbswidriges Verhalten beschlossen und durchgeführt zu haben, trifft sowohl die Klägerin 1 als auch ihre Tochtergesellschaften. Er gründet mithin insbesondere in deren Zusammenwirken. Vor diesem Hintergrund muss es, mit dem Ziel widersprüchliche Urteile bzw. Doppelspurigkeiten zu vermeiden, den Klägerinnen auch möglich sein, gemeinsam eine negative Feststellungsklage an BGE 145 III 303 S. 317 demselben zentralen Handlungsort - nämlich dem Ort des Strategieentscheids - geltend zu machen. Die Beschwerde im Verfahren 4A_448/2018 ist somit gutzuheissen.
de